Christoph Köhler · Olaf Struck · Michael Grotheer Alexandra Krause · Ina Krause · Tim Schröder Offene und geschlossene ...
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Christoph Köhler · Olaf Struck · Michael Grotheer Alexandra Krause · Ina Krause · Tim Schröder Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme
Christoph Köhler · Olaf Struck Michael Grotheer · Alexandra Krause Ina Krause · Tim Schröder
Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme Determinanten, Risiken und Nebenwirkungen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15895-2
Inhalt
Vorwort..................................................................................................................7
Konzepte und Ergebnisse – ein Überblick I
Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme Ansätze – Ergebnisse – Ausblick .............................................................. 11
II
Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation ..................................................................... 31
Beschäftigungsstabilität und -sicherheit – Entwicklungstendenzen III
Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland Entwicklungsdynamik und Folgen für die soziale Ungleichheit .............. 65
IV
Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich................................ 115
Betriebliche Beschäftigungssysteme – Ursachen und Folgen V
„Vordringlichkeit des Befristeten“? Zur Theorie und Empirie offener Beschäftigungssysteme...................... 143
VI
Innovation und Beschäftigungsstabilität............................................. 201
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Inhalt
Beschäftigungsrisiken und Erwerbsorientierungen VII
Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen Gerechtigkeitswahrnehmungen und ihre Handlungsfolgen .................... 217
VIII Ist Prekarität überall? Unsicherheit im Zentrum der Arbeitsgesellschaft................................... 241 IX
Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis Qualitative und quantitative Befunde...................................................... 275
Literatur ............................................................................................................ 307
Vorwort
Dieser Band dokumentiert die Ergebnisse der ersten Phase des Teilprojekts „Betrieb und Beschäftigung im Wandel“ des Sonderforschungsbereich 580 der Universitäten Jena und Halle. Der Beginn der Arbeiten datiert auf einen schönen Frühlingstag des Jahres 2000. Christoph Köhler und Olaf Struck gingen im Bremer Blockland spazieren. Vor ihnen die Weite des Marschlandes mit genüsslich grasenden Kühen, über Ihnen der Himmel des Nordens. Aber im Gegensatz zu den allen Qualen des Wissenschaftssystems enthobenen Wiederkäuern trieb die beiden Wanderer ein Problem um. Gut zehn Jahre hatte Christoph Köhler am ISF München, in Spanien und den USA über betriebliche Produktionsmodernisierung im internationalen Vergleich geforscht, wollte wieder den Blick auf die Makroebene von Gesellschaften werfen und zu seinen Wurzeln in der Arbeitsmarktforschung zurückkehren. Er war nach Jena berufen worden. Über eine Initiative von Burkart Lutz und Rudi Schmidt für einen Sonderforschungsbereich ergab sich die Gelegenheit zum Aufbau einer längerfristigen Forschungslinie. Olaf Struck hatte seine Dissertation und eine erfolgreiche Arbeit im Bremer SFB 186 zu Statuspassagen im Lebenslauf mit Ansgar Weymann, Reinhold Sackmann und Matthias Wingens hinter sich und eine Stelle am Lehrstuhl für Sozialpolitik bei Georg Vobruba in Leipzig vor sich. Er arbeitete an Projektideen, die ihm eine Habilitation und Karriere im Wissenschaftssystem ermöglichen sollten. Sein Interesse richtete sich auf die Lebenslauf- und Mobilitätsforschung in Verbindung mit der Analyse von Erwerbsorganisationen. So entstand an diesem schönen Frühlingstag im Bremer Blockland die Idee eines SFB-Projektes über betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktstrukturen im ost-westdeutschen Vergleich. Die Geburtswehen des SFB 580 zogen sich lange hin und erst Ende 2002 konnte nach erfolgreicher Begutachtung die Arbeit wirklich beginnen. Mitarbeiter des Projekts waren in der ersten Förderphase Michael Grotheer und Tim Schröder aus Bremen, die beide schon als Hilfskräfte im Bremer SFB 186 tätig waren, sowie Petra Diebler aus Berlin. Später kamen dann Frank Schwiderreck aus Jena und Anja Bultemeier aus München dazu. In der zweiten Förderphase wurden Alexandra Krause (Berlin) und Ina Goetzelt (Dresden) eingestellt. Letztere hat inzwischen geheiratet und heißt Ina Krause, wodurch Verwechslungen möglich werden.
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Vorwort
Die Herausforderungen waren groß. In Bezug auf den Gegenstand stand das Team vor einer Nebelwand, in der sich ganz unterschiedliche Figuren schemenhaft abzeichneten. Je nach Methoden und Indikatoren, theoretischen Ansätze und disziplinärem Hintergrund standen sich Großthesen geradezu konträr gegenüber. Die einen gingen von Strukturbrüchen am Arbeitsmarkt und generellen Umbruchtendenzen in der Gesellschaft aus. Andere hoben Pfadabhängigkeiten und Kontinuitäten hervor. Dabei war die empirische sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung in den 90er Jahren weitgehend zum Erliegen gekommen und die Masse der soziologischen Analysen verzichtete auf Arbeitsmarkttheorie. Die Komplexität wurde durch die unterschiedlichen Wissensbestände der Teammitglieder weiter erhöht. So waren die versammelten methodischen und inhaltlichen Orientierungen schon durch die beiden "Gründerväter" vielfältig komplementär, aber auch konkurrierend und spannungsgeladen, was sich durch die Rekrutierung der jungen MitarbeiterInnen aus verschiedenen Orten und „Schulen“ noch verstärkte. Mit Köhler und Struck standen sich der qualitative Ansatz der Arbeits- und Organisationsforschung auf der einen Seite und der quantitative Ansatz der Mobilitäts- und Sozialstrukturanalyse auf der anderen Seite gegenüber. Letzterer hatte durch den Bremer SFB mit einer ausgeprägten Orientierung auf Panel- und Ereignisdaten einen besonderen Schliff angenommen. In Bezug auf die theoretischen Ansätze gab es Präferenzen für strukturalistische Perspektiven einerseits und akteurszentrierte Ansätze mit Anleihen an Rational Choice-Konzepten andererseits. Der Wettstreit zwischen den unterschiedlichen Wissensbeständen und theoretischen Vorannahmen war nicht einfach, aus heutiger Sicht jedoch außerordentlich produktiv. Voraussetzung dafür war ein gemeinsames Verständnis von Soziologie als empirischer Wirklichkeitswissenschaft, die Bereitschaft zu disziplinübergreifendem Denken mit Bezügen auf die Neue Institutionenökonomie und das Interesse an Aussagen und Konzepten mittlerer Reichweite. In der Auseinandersetzung mit den empirischen Ergebnissen verdampften viele Kontroversen und die frei werdenden Energien konnten für die Arbeit an einer gemeinsamen Interpretation genutzt werden. Im ersten Kapitel haben wir versucht, einen roten Faden durch die Einzelbeiträge dieses Bandes zu legen und zusammenfassende Thesen zu formulieren. Im Kern zeigte sich, dass wir es am deutschen Arbeitsmarkt mit einem – nach wie vor – begrenzten Externalisierungs- und Sekundarisierungsschub zu tun haben und dass reformulierte Segmentationsansätze bzw. Theorien offener und geschlossener Positionssysteme fruchtbare Ansatzpunkte zur Beschreibung und Erklärung der Entwicklungsdynamik des Arbeitsmarktes bilden. Es ging uns aber nicht darum, unterschiedliche Befunde und Interpretationen zu homogenisieren. So finden sich in den Kapiteln dieses Buches explizit oder implizit die
Vorwort
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Spuren von Kontroversen in der Projektgruppe wieder, die wir als interessant und weiterführend betrachten. So stehen etwa auf der Basis von qualitativen Analysen gewonnene Typologien von betrieblichen Beschäftigungssystemen und Erwerbsorientierungen der Beschäftigten regressionsanalytisch gewonnenen Aussagen über Determinationszusammenhänge gegenüber (z.B. Kapitel II und V, VII und VIII). Das für uns zentrale Konzept betrieblicher Beschäftigungssysteme wird einmal aus segmentationstheoretischen Ansätzen (Kapitel II) und zum anderen über eine organisationstheoretische Perspektive hergeleitet (Kapitel V). Interessant sind auch unsere Analysen zur wahrgenommenen Unsicherheit von Beschäftigungsverhältnissen. Hier werden die weitgehend ähnlichen empirischen Befunde aus unterschiedlichen Erhebungen einmal mit einem von Bourdieu inspirierten weiten Prekaritätsbegriff (Kapitel VIII) und zum anderen mit einem an Kaufmann angelehnten Konzept der „Sicherheitskonstruktion“ interpretiert (IX). Selbstkritisch ist anzumerken, dass über die aufwendige Arbeit mit und an der Empirie die Diskussion um Steuerungsansätze und politische Alternativen zu kurz gekommen ist. Weiterführende Ansätze finden sich dazu in den Monographien von Olaf Struck und Alexandra Krause. Unsere Befunde zeigen, dass der zwar begrenzte aber deutliche Externalisierungs- und Sekundarisierungsschub am Arbeitsmarkt Chancen, aber auch hohe Folgekosten für die Individuen und die Gesellschaft mit sich bringt. Zugleich machen die Befunde deutlich, dass starke ökonomische, institutionelle und sozialmoralische Kräfte gegen eine weitergehende Externalisierung am Arbeitsmarkt wirksam sind. Vor diesem Hintergrund finden wir den inzwischen alten Gedanken der Verbindung von Flexibilität mit Sicherheit (Flexicurity) nach wie vor interessant. Allerdings scheint uns die in dieser Diskussion angelegte Fixierung auf den Um- und Ausbau der Sozialversicherungssysteme zu eng. Flexibilität und Sicherheit werden vor allem über funktionierende externe Teilarbeitsmärkte gewonnen und hier findet sich eine Vielzahl von interessanten sozialstaatlichen, bildungspolitischen aber auch betrieblichen Steuerungsansätzen. Insgesamt gesehen sind wir mit unserer Arbeit zufrieden. Das Teilprojekt konnte wesentliche Erkenntnisfortschritte erzielen und die Ergebnisse über zahlreiche Publikationen und Vorträge in die deutsche und internationale Diskussion einbringen. Wir haben über Analysen zu Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Ost- und Westdeutschland das empirische Fundament für zahlreiche arbeitsmarkt-, sozial- und bildungspolitische Diskurse verbessert. Die von uns untersuchten Fragen widmen sich aktuellen und zentralen Aspekten der Struktur und Dynamik moderner Gegenwartsgesellschaften und so freuen wir uns auf die Fortsetzung der Arbeit in der laufenden SFB-Phase.
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Vorwort
Die Idee für unser Projekt entstand im „Bremer Becken“. Die konkrete Ausgestaltung wurde dann in Klausurtagungen im Haus Rosenbaum in Siegmundsburg auf den Höhen des Thüringer Waldes voran getrieben. An der nahe gelegenen Wasserscheide entspringen drei Quellen, die den Rhein, die Weser und die Elbe bedienen. Immer dann, wenn wir in den oft kontroversen Diskussionen nicht mehr weiter kamen, wurde eine kleine Wanderung über den Rennsteig zum so genannten Dreistromstein unternommen. Hier fanden wir die Ruhe und den Weitblick, um schwierige Probleme zu lösen, während Frau Kühnlens schon Klöße, Rotkraut und den Wildschweinbraten zubereitete. Unser Dank gilt allen, die uns im Laufe der Arbeit geholfen haben. Dies sind zunächst die KollegInnen aus dem SFB 580. Die GutachterInnen aus inzwischen drei Evaluationsrunden haben mit großem Aufwand unsere Arbeit begleitet, mit kritischen Kommentaren angeregt und letztendlich über ein positives Votum die Arbeit ermöglicht. Unverzichtbar waren die Rückmeldungen aus den einschlägigen nationalen und internationalen Diskussions- und Forschungsnetzwerken. Unser besonderer Dank gilt Lutz Bellmann vom IAB und seinen (ehemaligen) Mitarbeitern Holger Alda und Tilo Gewiese, die uns den forschungspraktischen und inhaltlichen Zugang zur Beschäftigtenstatistik und zum LIAB ermöglicht haben. Unsere studentischen Projektassistenten Franziska Blazejewski und Steffen Schönfelder haben die bei der Vielzahl der AutorInnen und Texte sehr anspruchsvolle und über ein Jahr währende Aufgabe der Endredaktion und Gestaltung des Bandes mit großem Engagement zu einem erfolgreichen Ende gebracht. Abschließend möchten wir uns ganz besonders bei dem Führungskreis der Initiatoren, Sprecher und Geschäftsführer des SFB 580 Heinrich Best, Michael Hofmann, Everhardt Holtmann, Burkart Lutz und Rudi Schmidt für ihr großes Engagement für den Sonderforschungsbereich bedanken. Ihnen sei dieses Buch gewidmet. Christoph Köhler und Olaf Struck Jena im Mai 2008
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Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme Ansätze – Ergebnisse – Ausblick Christoph Köhler – Olaf Struck
1. Einleitung Ausgangspunkt der hier dokumentierten Beiträge ist die anhaltende Kontroverse zu Umbruchtendenzen auf den deutschen und europäischen Arbeitsmärkten. Für Deutschland wird seit den 80er Jahren die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und die Herausbildung einer Risikogesellschaft mit einem System pluraler Unterbeschäftigung diagnostiziert oder prognostiziert (Beck 1986, 1999; Beck u.a. 2001). In den 90er Jahren formulieren französische Soziologen die These der Ausweitung oder sogar Generalisierung von Unsicherheit und Prekarität (Bourdieu 2000; Castel 2000), die auch für Deutschland vertreten und weiterentwickelt wird (Dörre 2005a,b; Frey u.a. 2005). Zur gleichen Zeit haben sich auf der Basis makrostatistischer Analysen in einer Vielzahl von Ländern Gegenpositionen herausgebildet, die eher die Heterogenität von Arbeitsmarktstrukturen und moderate Veränderungen betonen (Auer, Cazes 2002; Erlinghagen 2004; Blossfeld u.a. 2005; Petit 2006; Bosch u.a. 2007). Diese Großthesen haben eine Welle empirischer Forschung ausgelöst, die zu einer Differenzierung und Relativierung der Umbruchannahmen geführt hat, ohne dass von einer wirklichen Aufklärung des Sachverhalts gesprochen werden kann. Dies hängt aus unserer Sicht auch damit zusammen, dass viele der soziologischen Risikoanalysen weitgehend auf Arbeitsmarkttheorie verzichten. Das Konzept der horizontalen und vertikalen Segmentation Wir greifen daher die in der Tradition der institutionalistischen Ökonomie und Arbeitsmarktsoziologie entwickelten Segmentationsansätze (Doeringer, Piore 1971; Lutz 1987; Sengenberger 1987) bzw. Theorien geschlossener und offener Positionssysteme (Sørensen 1983; Kreckel 1992; Groß 2008) auf. Diese Ansätze gehen von einer horizontalen und vertikalen Spaltung des Arbeitmarktes aus (Kapitel II). In der horizontalen Dimension wird zwischen internen und externen Arbeitsmärkten bzw. offenen und geschlossenen Beschäftigungssystemen unterschieden. „Interne Märkte“ umfassen Positionssysteme innerhalb von Erwerbsorganisationen, Mobilität erfolgt vor allem zwischen Arbeitsplätzen innerhalb
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I Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme
des Betriebs. Prozesse der Allokation, Qualifikation und Gratifikation vollziehen sich eher nach den Regeln der Organisation als nach den „Gesetzen“ von Angebot und Nachfrage. Hier findet sich also eine partielle De-Kommodifizierung der Ware „Arbeitskraft“ innerhalb des Arbeitsmarktes selber. Externe Märkte sind Positionssysteme aus Arbeitplätzen in verschiedenen Betrieben, zwischen denen Arbeitskräfte mehr oder weniger häufig wechseln. Innerhalb der Grenzen dieser Teilarbeitsmärkte dominieren die Regeln von Angebot und Nachfrage. Zentraler Indikator für den Grad der Schließung ist die in den innerbetrieblichen Positionssystemen dominante Dauer der Beschäftigung. Langfristige Beschäftigung indiziert Schließung: Beschäftiger und Beschäftigte verzichten auf die Nutzung des externen Marktes. Bei zeitlich begrenzter Beschäftigung hingegen beobachten beide Seiten den externen Markt und nutzen Alternativen, wenn sich daraus Vorteile ergeben. Interne und externe Märkte unterscheiden sich also u.a. in den Verweildauern der Beschäftigten, bzw. in der so genannten „Beschäftigungsstabilität“. In internen Märkten werden langfristige Verweildauern in der Erwerbsorganisation erwartet und – statistisch – realisiert, die im Extremfall bis zur Rente reichen. In externen Märkten und offenen Positionssystemen wird häufiger der Betrieb gewechselt, wobei freiwillige Austritte oder Entlassungen die Ursache sein können. Beschäftigungsstabilität ist nicht mit „Beschäftigungssicherheit“ zu verwechseln, denn Sicherheit auf dem Arbeitmarkt kann sich sowohl durch Stabilität in internen Märkten als auch durch „Instabilität“ bzw. Mobilität auf externen Märkten ergeben. Modell für letztere sind berufsfachliche und professionelle Arbeitsmärkte mit standardisierten Arbeitsplatzprofilen und geringen Transaktionskosten (z.B. für Pflegekräfte und Ärzte oder Metallfacharbeiter und Ingenieure). Hier können die Beschäftigten ohne große Risiken den Arbeitsplatz wechseln und sind dadurch weniger vom Schicksal eines Unternehmens abhängig. In Zeiten des globalisierten Finanzmarktkapitalismus können in bestimmten Sektoren externe Märkte mehr Sicherheit bieten als „stabile“ Beschäftigung in gefährdeten Betrieben. Sowohl die oben zitierten klassischen Ansätze der Segmentationsforschung als auch die soziologische Arbeitsmarkt-, Mobilitäts- und Ungleichheitsforschung weisen nach, dass offene und geschlossene Beschäftigungssysteme sehr unterschiedliche Folgen für die Einkommens- und Übergangsrisiken von Beschäftigten haben können (Kapitel III, IV; Sørensen 1983; Blossfeld 1990; Szydlik 1990; Diewald, Sill 2004; Giesecke 2006). Im Hinblick auf die vertikale Dimension der Arbeitsmarktstruktur werden daher in der Segmentationsforschung „gute“ von „schlechten“ Positionen bzw. „primäre“ von „sekundären“ Teilarbeitsmärkten unterschieden. Während „gute“ Positionen durch hohe Einkommen sowie betriebliche oder überbetriebliche Beschäftigungssicherheit
1. Einleitung
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gekennzeichnet sind, beinhalten „schlechte“ Positionen niedrige Einkommen, die in offenen Beschäftigungssystemen darüber hinaus mit hohen Beschäftigungsrisiken verbunden sind. Beschäftigungssicherheit und Einkommen sind in kapitalistischen Wirtschaftssystemen immer ein knappes und umkämpftes Gut und ein wichtiger Indikator sozialer Ungleichheit (Groß, Wegener 2004; Groß 2008). Beim Konflikt um Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherheit geht es einmal um die Verteilung von Risiken zwischen Arbeit, Kapital und Staat. Ziel der Beschäftigten ist es, möglichst viel Sicherheit durchzusetzen (z.B. über den Kündigungsschutz oder beruflich definierte Zugangsbarrieren). Da vollständige Arbeitsplatzsicherheit in kapitalistisch strukturierten Wirtschaftssystemen mit offenen Märkten theoretisch und empirisch unmöglich ist, geht es aber auch immer um die Verteilung der Risiken innerhalb der Gruppe der abhängig Beschäftigten und dabei gibt es Gewinner und Verlierer. Zur Beschreibung und Erklärung dieses Phänomens rekurrieren Soziologen gerne in der Tradition von Max Weber auf das Konzept der sozialen Schließung (Parkin 1983; Groß, Wegener 2004). Unsere Frage ist, ob die basalen Annahmen zur Differenz von internen und externen sowie primären und sekundären Arbeitsmärkten heute noch tragfähig und für die Analyse aktueller Entwicklungstendenzen der Arbeitsmärkte nutzbar sind. Um dieses Thema einer empirischen Untersuchung zugänglich zu machen, müssen wir von der Ebene der Idealtypen in die Welt der inner- und überbetrieblichen Allokationsprozesse hinabsteigen und präzise Definitionen von internen und externen Märkten herausarbeiten. Für die Beschreibung und Erklärung von Teilarbeitsmärkten entwickeln wir daher im Anschluss an neuere Ansätze aus der Arbeitsmarkt- und Personalökonomik mit dem Konzept des betrieblichen Beschäftigungssystems eine eigenständige Perspektive auf das Arbeitsmarktgeschehen (Kapitel II, V). Betriebliche Beschäftigungssysteme sind sozioökonomische Räume innerhalb von Erwerbsorganisationen, die sich über Konflikte und Aushandlungsprozesse zwischen Management und Belegschaftsteilen konstituieren. Es handelt sich um Teilmengen von Arbeitplätzen und Arbeitskräften, die sich nach Innen (gegenüber anderen Arbeitsbereichen) und nach Außen (gegenüber den überbetrieblichen Arbeitsmärkten) durch unterschiedliche Niveaus der Schließung abgrenzen. Diese innerbetrieblichen Allokationsräume weisen im Binnenbereich distinkte Regeln und Strukturmuster der Allokation, Qualifikation und Gratifikation auf. Erwerbsorganisationen operieren in der Regel mit mehreren und verschiedenen Beschäftigungssystemen, welche an unterschiedliche überbetriebliche Teilarbeitsmärkte angeschlossen sein können. Geschlossene Beschäftigungssysteme sind zentraler Bestandteil interner, offene Systeme bilden die Basis externer Teilarbeitsmärkte. In der vertikalen Dimension unterscheiden wir
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I Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme
entsprechend der Segmentationsmatrix nach Einkommen und Beschäftigungssicherheit in primäre und sekundäre Beschäftigungssysteme (Abbildung 1.1). Abbildung 1.1: Arbeitsmarktsegmente und betriebliche Beschäftigungssysteme
Primär
Sekundär
Interne Arbeitsmärkte geschlossene Beschäftigungssysteme
Externe Arbeitsmärkte offene Beschäftigungssysteme
Langfristige Beschäftigung
kurz- mittelfristige Beschäftigung
Arbeitplatzsicherheit
Übergangssicherheit
überdurchschnittliche Einkommen
überdurchschnittliche Einkommen
Langfristige Beschäftigung
kurz- mittelfristige Beschäftigung
Arbeitpatzsicherheit
Übergangsrisiko
unterdurchschnittliche Einkommen
unterdurchschnittliche Einkommen
Das empirische Design Zur Analyse der Dynamik der horizontalen Segmentation fokussieren wir auf die Beschäftigungsstabilität, die über Beschäftigungsdauern in Erwerbsorganisationen operationalisiert wird. Soziale Schließung hat in der Beschäftigungsbeziehung eine sachliche (Qualifikation) und soziale (Personengruppen) Dimension, wird aber erst in der Zeit wirksam (über die Dauer der Abschottung gegen die Arbeitsmarktkonkurrenz). Für Arbeitnehmer geht es um Erwerbseinkommen im Zeitablauf, für Arbeitgeber um die zeitaktuelle Verfügbarkeit von einschlägig qualifizierter Arbeitskraft bei Bedarf. Der forschungspraktische Vorteil der Fokussierung auf die Zeitdimension besteht darin, dass betriebliche Verweildauern vergleichsweise gut zu operationalisieren und zu erheben sind, umfangreiche Datensätze für sekundärstatistische Auswertungen vorliegen und die Ergebnisse verschiedener Erhebungen relativ gut miteinander zu vergleichen sind. Zur Analyse der Dynamik vertikaler Segmentation beziehen wir uns auf Einkommen und Beschäftigungssicherheit. Während Einkommen in verschiedenen Datensätzen einfach zu erfassen sind, fällt die Operationalisierung von Beschäftigungssicherheit komplexer aus. So reichen etwa Informationen über die
1. Einleitung
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Ursache der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht aus. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber muss nicht mit Beschäftigungsrisiken einhergehen, wenn die betroffenen Personen nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes Anschlussmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt finden. Umgekehrt können auch Eigenkündigungen durch den Beschäftigten nicht eindeutig dem Sicherheitsoder Risikobegriff zugeordnet werden, da schlechte Arbeits- und Einkommensbedingungen – wie in sekundären Arbeitsmärkten üblich – Austritte provozieren. Beschäftigungsrisiken können daher adäquat nur über Erwerbsverläufe nach dem Betriebsaustritt erfasst werden: Einkommensverluste und Arbeitslosigkeit sind die entscheidenden Kriterien. Zur Erklärung der Struktur und Dynamik horizontaler und vertikaler Segmentation beziehen wir uns in einer neo-institutionalistischen Perspektive auf betriebliche Erwerbsorganisationen und darin eingebettete Beschäftigungs-SubSysteme und Beschäftigungsverhältnisse, die wir wiederum aus den Interessen und Orientierungen von Beschäftigern und Beschäftigten und den involvierten sozio-ökonomischen Kontexten herleiten. Der Schwerpunkt der bisherigen Arbeit lag auf der Entwicklung eines Handlungsmodells für betriebliche Entscheider, das wir im Anschluss an die neue Institutionenökonomik und die Industriesoziologie entworfen haben. Erste Analysen der Beschäftigtenperspektive wurden begonnen und werden den Schwerpunkt der weiteren Arbeit bilden. Die Untersuchung dieser Fragen wurde im Längsschnitt aber auch als Vergleich der ost- und westdeutschen Arbeitsmärkte angelegt. Die Entwicklung des ostdeutschen Arbeitsmarktes kann als Extremfall der osteuropäischen Transformationspfade gelesen werden. In keinem der post-sozialistischen Länder wurde soviel Arbeitsvolumen in so kurzer Zeit stillgelegt, wie in der ehemaligen DDR und gleichzeitig so viel sozialstaatliche Kompensation betrieben. Formal wurden die Institutionen des Rheinischen Kapitalismus übernommen, in der Praxis haben sich erhebliche Abweichungen ergeben. So haben wir es heute im ostwestdeutschen Vergleich mit einem mehr als doppelt so großen Unterbeschäftigungspotenzial bei schwachen Gegenmachtpositionen der Beschäftigten zu tun. Wir gingen davon aus, dass wir durch die systematische Variation der Kontextbedingungen betrieblicher Beschäftigungspolitik die Vorteile „internationaler“ Vergleiche nutzen konnten, ohne die bekannten Nachteile, etwa von Inkongruenzen der statistischen Zeitreihen, in Kauf nehmen zu müssen. Darüber hinaus vermuteten wir, dass ausgewählte Strukturbedingungen des ostdeutschen Arbeitsmarktes (z.B. Kleinbetrieblichkeit, Deregulierung, demografischer Umbruch) Ausschnitte der Zukunft Westdeutschlands abbilden, hier also Entwicklungstendenzen von allgemeiner Bedeutung frühzeitig beobachtet werden können.
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I Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme
Die Frage nach der Struktur und Dynamik horizontaler und vertikaler Segmentation in Ost- und Westdeutschland wurde auf vier Analyseebenen und mit vier methodischen Zugängen untersucht: -
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Auf einer ersten und explorativen Analyseebene ging es um die Frage, ob und wie Segmentationskonzepte heute für die Analyse der Arbeitsmarktstruktur nutzbar gemacht werden können. Hierfür wurde auf der Basis von Fallstudien in Branchen mit stabiler und solchen mit instabiler Beschäftigung das Konzept betrieblicher Beschäftigungssysteme als Substrat von Arbeitsmarktsegmenten entwickelt. Im Rahmen des Projekts konnten rund 100 Fallstudien in sechs Branchen durchgeführt werden. Die Ergebnisse werden im Kapitel II präsentiert. Auf der zweiten Analyseebene ging es um Entwicklungstendenzen der betrieblichen Beschäftigungsstabilität (indiziert durch Verweildauern) und -sicherheit (indiziert durch Arbeitslosigkeits- und Einkommensrisiken nach Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen). Hierfür wurden Sekundäranalysen von Massendaten (BIBB/IAB-Erhebung 1991/92 und 1998/99; IAB-Beschäftigtenstichprobe; Linked-Employer-Employee-Datensatz des IAB) durchgeführt. Die Ergebnisse werden in den Kapiteln III und IV vorgestellt. Auf der dritten Ebene erfolgte dann die statistische Analyse betrieblicher Beschäftigungssysteme mit dem Ziel einer Prüfung von Erklärungsansätzen. Untersucht wurden Struktur und Determinanten betrieblicher Beschäftigungs- und Innovationspolitik, wobei die Interessen und Orientierungen der Beschäftiger im Vordergrund standen. Hierfür wurde ein eigenes Betriebspanel in zehn Branchen aufgebaut und in drei Wellen mit einer teilstandardisierten telefonischen Betriebsbefragung durchgeführt. Ausgewählte Ergebnisse werden in den Kapiteln V und VI vorgestellt. Auf der vierten Analyseebene wurde die im Projekt bis dato vorherrschende Betriebsperspektive durch die Beschäftigtenperspektive ergänzt. Erstens fragten wir vor dem Hintergrund der Debatte um die Ausweitung von Unsicherheit im Zentrum der Arbeitsgesellschaft nach der „gefühlten“ Unsicherheit bzw. den „Sicherheitskonstruktionen“. Zweitens wurden instrumentelle und normative Präferenzen der Beschäftigten, etwa über Gerechtigkeitsansprüche an die Beschäftigungsbeziehung, erfasst. Diese Fragen wurden sowohl mit qualitativen als auch mit quantitativen Methoden untersucht und in den abschließenden Kapiteln VII bis IX dokumentiert.
2. Ausgangsannahmen und Entwicklungstrends
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2. Ausgangsannahmen und Entwicklungstrends Gegenstand des Projektes war und ist die Frage nach grundlegenden Strukturveränderungen des deutschen „Beschäftigungsmodells“, das für die alte Bundesrepublik durch eine Hegemonie interner Arbeitsmärkte mit einem starken öffentlichen Sektor, durch verberuflichte Strukturen, eine starke Institutionalisierung und ein im internationalen Vergleich schwaches sekundäres Segment gekennzeichnet wurde (z.B. Sengenberger 1987; Auer, Cazes 2000; Bosch u.a. 2007; Lutz u.a. 2007). Für Ostdeutschland gingen wir von einem im Vergleich zu allen osteuropäischen Transformationsländern extrem starken und schnellen Externalisierungsprozess aus, der weit reichende Folgen nicht nur für den Arbeitsmarkt, sondern auch für den Wohlfahrtsstaat und die Orientierungen und Strategien der wirtschaftlichen und politischen Eliten in Ost- und Westdeutschland zeitigen werde. Dieser Annahme lag die These der doppelten Transformation zugrunde, der zufolge in Ostdeutschland mit dem Systemwechsel die Basisinstitutionen des westdeutschen Systems übernommen und gleichzeitig im Sinne eines Experimentierprozesses umgebaut werden. Eine zentrale Frage war, ob Ostdeutschland einen Vorläufer genereller Trends am Arbeitmarkt darstellen und zum Umbau des deutschen „Beschäftigungsmodells“ beitragen werde. Nimmt man dieses deutsche „Beschäftigungsmodell“ als Ausgangspunkt für die Veränderungen seit den frühen 90er Jahren, so zeichnen sich in Ost- und Westdeutschland vier Entwicklungstendenzen ab: (1) Externalisierung: Als erste Bewegung nähert sich Anfang der neunziger Jahre die ostdeutsche Arbeitsmarktstruktur im Zeitraffer dem westdeutschen Beschäftigungsmodell an. Der Systemwechsel war in Ostdeutschland – im Vergleich zu allen anderen osteuropäischen Transformationsländern – durch extrem hohe Beschäftigungsverluste und die Ausgliederung eines großen Teils der Erwerbsbevölkerung in die Vorzeitverrentung oder Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Die alles überwölbenden großen internen Märkte der Kombinate wurden in den ersten Jahren des Transformationssturms weitgehend zerstört. Das neu konstituierte Beschäftigungssystem zeichnete sich gegenüber der Vorwendezeit durch eine massive Externalisierung von Allokationsprozessen aus und entspricht im Hinblick auf die Verteilung von offenen und geschlossenen Beschäftigungssystemen bzw. externen und internen Teilarbeitsmärkten immer mehr den westdeutschen Mustern. Während in Ostdeutschland eine Angleichung an das alte westdeutsche Modell zu beobachten ist, gerät dieses selber in Bewegung. Unsere vergleichenden Analysen für Ost- und Westdeutschland zeigen, dass offene betriebliche Beschäftigungssysteme und externe Teilarbeitsmärkte nach Abschluss des ersten Transformationssturms Anfang der 90er Jahre in beiden Landesteilen weiter an
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I Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme
Gewicht gewonnen haben (Kapitel II, III, IV). Ergebnisse zur Entwicklung von Beschäftigungsstabilität verdeutlichen – auch bei Kontrolle soziodemographischer und konjunktureller Einflussfaktoren – einen Rückgang der durchschnittlichen betrieblichen Verweildauern seit Mitte der 90er Jahre. Über die Zeit hinweg bestehen hohe Austrittsraten. Dies gilt insbesondere in den ersten Jahren nach Betriebseintritt (Kapitel II, IV). Im Zeitverlauf sind auch Beschäftigungsverhältnisse mit mittlerer und höherer Betriebszugehörigkeitsdauer zunehmend durch Betriebsaustritte und eine damit einhergehende verkürzte betriebliche Beschäftigungsperspektive gekennzeichnet. Wir interpretieren diese Befunde als Verlust der Dominanz interner Arbeitsmärkte im deutschen Beschäftigungssystem. Von einer durchgehenden Externalisierung und Vermarktlichung des Arbeitsmarktes kann allerdings keine Rede sein, vielmehr beobachten wir eine dynamische Koexistenz von Teilarbeitsmärkten. (2) Sekundarisierung: Im Zusammenhang mit dem beobachteten – immer noch begrenzten – Externalisierungsschub am Arbeitsmarkt spielt das Wachstum des sekundären Arbeitsmarktsegments, indiziert durch eine Zunahme des Niedriglohnsektors und von Beschäftigungsrisiken, eine besondere Rolle. Im Hinblick auf Niedriglöhne (unterhalb des 2/3-Medians) lag Deutschland in internationalen Vergleichen mit rund 15% aller abhängig Beschäftigten im Mittelfeld zwischen angelsächsischen Ländern einerseits und skandinavischen Nationen andererseits. Seit Mitte der 90er Jahre ist die Niedriglohnquote kontinuierlich auf etwa ein Fünftel angestiegen, wobei Ostdeutschland den Vorreiter spielt (Allmendinger u.a. 2005; Bosch, Weinkopf 2007). Beschäftigungsrisiken operationalisieren wir über Einkommensverluste oder Arbeitslosigkeit nach einem Betriebsaustritt. Hierzu wurden vertiefende Analysen mit der Beschäftigtenstatistik der BA durchgeführt. Wir zeigen (Kapitel III, IV), dass sich im Westen seit Ende der 90er Jahre die Austrittsraten erhöht haben. Dies ist für Hochschulabsolventen jedoch eher mit Aufstiegsmobilität verbunden, während sich Arbeitslosigkeit und Einkommensverluste nach dem Austritt auf geringer qualifizierte Beschäftigtengruppen und Lehrabsolventen konzentrieren. Im Osten nehmen die Austrittsraten im selben Zeitraum leicht ab, der Anteil an Übergängen in Arbeitslosigkeit steigt allerdings stark an (wieder mit Ausnahme der Hochschulabsolventen). (3) Polarisierung von Stamm- und Randbelegschaften: In unseren empirischen Analysen wird eine Spaltung sichtbar zwischen gut qualifizierten, konzessionsbereiten und vergleichsweise gut geschützten „Insidern“ einerseits und prekär Beschäftigten in offenen Beschäftigungssystemen mit hohen Austauschvolumina an den Rändern der Betriebe andererseits. Diese Spaltung ist in Ostdeutschland stärker ausgeprägt als in Westdeutschland. Mit der Rezession Anfang dieses Jahrzehnts und den zum Teil konjunkturell, zum Teil strukturell
2. Ausgangsannahmen und Entwicklungstrends
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bedingten Schwankungen des Auftrags- und Arbeitsvolumens gerieten die betrieblichen Beschäftigungssysteme verstärkt unter Druck. So hat das ohnehin hohe Austauschvolumen an den Rändern der Betriebe weiter zugenommen (Kapitel IV). Außerdem sind in den von uns untersuchten ostdeutschen Betriebsstätten die Anteile von Leiharbeit, Befristung und staatlich subventionierten Tätigkeiten (über Lohnkostenzuschüsse) gestiegen und insgesamt auch deutlich höher als im Westen. Übergänge von offenen in geschlossene Beschäftigungssysteme sind – zumal beim selben Arbeitgeber – in Ostdeutschland seltener (Kapitel IV, V). (4) Transformation interner Arbeitsmärkte: Von großer Bedeutung, aber in der Arbeitsmarktforschung weitgehend übersehen, sind zudem endogene Modifikationen geschlossener Beschäftigungssysteme. Hier werden arbeitsrechtliche und kollektivvertragliche Sicherungen abgebaut und es kommt zu einer Abkehr von senioritäts- zugunsten von leistungsbasierten Regeln. Aufstiege sowie der Auf- und Abbau von Personal werden heute stärker als zuvor an individuelle Leistungen und gleichzeitig an die Produktivität und Profitabilität von Betriebsteilen geknüpft. Im Sinne des Subjektivierungsdiskurses findet eine „Vermarktlichung“ interner Arbeitsmärkte statt, ohne dass die Grenzen zwischen „intern“ und „extern“ aufgehoben würden (Kapitel II, IX). Auch dieser Trend ist in Ostdeutschland stärker als im Westen vorangeschritten. Die nach der Zerstörung der großen internen Märkte neu entstandenen geschlossenen Beschäftigungssysteme wurden von vornherein ohne formelle und informelle Statusrechte angelegt, so dass wir mit Ausnahme des öffentlichen Dienstes von einer De-Institutionalisierung ausgehen. Zusammenfassend halten wir fest, dass in Westdeutschland seit den neunziger Jahren interne Arbeitsmärkte und geschlossene Beschäftigungssysteme ihre quantitative Dominanz verlieren und einer Struktur der Koexistenz von internen und externen Märkten weichen. Zugleich ist ein Sekundarisierungsschub zu beobachten. Im Osten nähern sich nach dem Systemwechsel in den überlebenden und neu entstandenen Betrieben die Anteile geschlossener und offener Beschäftigungssysteme den westdeutschen Strukturen im Zeitraffer an und folgen ihrer Externalisierungsdynamik. Hierbei entstehen neue Differenzen: In Bezug auf das Gewicht sekundärer Beschäftigungssysteme haben die ostdeutschen Betriebe den Westen überholt. Zugleich beobachten wir eine stärkere Deregulierung von internen Arbeitsmärkten und eine stärkere Polarisierung zwischen Insidern und Outsidern. Während wir also beim Externalisierungsprozess eine schrittweise Annäherung an die westdeutschen Strukturen konstatieren, sind bei der Sekundarisierung, Polarisierung und Transformation interner Arbeitsmärkte sprungweise neue Muster entstanden. Diese Veränderungstendenzen stellen eine Annäherung, aber keine Angleichung an das angelsächsische Beschäftigungsmodell dar. Die beobachteten Ex-
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ternalisierungs- und Sekundarisierungsschübe sind bisher eher als Modifikationen des „deutschen Modells“ denn als grundlegender Strukturbruch zu lesen. Weite Teile der Betriebslandschaft und des Beschäftigungssystems sperren sich gegen weiter gehende Externalisierungsprozesse, auch sind Rückwärtsbewegungen in einzelnen Dimensionen, auf spezifischen Teilarbeitsmärkten und bei spezifischen Betriebstypen zu erkennen. Wir gehen deshalb von einer dynamischen Segmentation aus, in der sich Teilarbeitsmärkte wechselseitig beeinflussen und Grenzverschiebungen (Brinkmann u.a. 2006) in beiden Richtungen möglich sind. 3. Erklärungsansätze Für die Erklärung betrieblicher Beschäftigungssysteme liegen bisher eher einzelne Bausteine denn ein ausgereifter Ansatz vor. Viele Autoren verknüpfen makrosoziale und -ökonomische Entwicklungstrends, wie Globalisierung, sektoraler Strukturwandel, Wertewandel und Deregulierung mit Veränderungen der Beschäftigungsbeziehung. Für die Analyse betrieblicher Beschäftigungssysteme müssen wir allerdings zeigen, aufgrund welcher Interessen und Orientierungen Führungskräfte entscheiden und handeln. Mit einer solchen Forschungsstrategie folgen wir einem neo-institutionalistischen Ansatz, der ökonomische Constraints, Akteure und Institutionen ins Zentrum der Analysen stellt (vgl. Hall, Taylor 1996; Baron, Kreps 1999; Maurer, Schmid 2002). Dabei fokussieren wir auf die Institution des Arbeitsvertrages, in dem sich das komplexe Tauschverhältnis von Arbeit und Kapital verdichtet. Dieses gilt es dann über die Interessen, Orientierungen und Handlungsstrategien der beteiligten Beschäftiger und Beschäftigten sowie die involvierten sozioökonomischen Kontexte zu erklären (Simon 1957a; Streeck 1988; Schmid 2002). Über eine vorsichtige Verknüpfung der Mikro- und Mesoebene von Beschäftigungsverhältnissen und Erwerbsorganisationen mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungstendenzen werden dann Aussagen über die Struktur und Dynamik des Gesamtarbeitsmarktes möglich. Als Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem empirischen Material und im Anschluss an arbeits- und industriesoziologische Traditionen (Altmann u.a. 1978; Deutschmann 2002) sowie die neue Institutionenökonomik (Martin, Nienhüser 1998; Baron, Kreps 1999; Sadowski 2002) führen wir betriebliche Personal- und Beschäftigungspolitik auf zwei grundlegende Bezugsprobleme zurück: die Verfügbarkeit von einschlägig qualifizierter Arbeitskraft (bzw. deren Abbau bei Personalüberhang) und deren Arbeitsmotivation oder Leistungsbereitschaft (häufig als Transformationsproblem thematisiert). Empirische Basis der hier vorgelegten Analysen waren die ersten Wellen des SFB-B2-Betriebspanels in
3. Erklärungsansätze
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zehn Branchen und rund 100 vertiefende Betriebsfallstudien in sechs der zehn Branchen (Kapitel II, V, VI). (1) Das Verfügbarkeitsproblem betrifft die Menge und Qualifikation der extern oder intern verfügbaren Arbeitskräfte. Dabei gehen Humankapital-, Transaktionskosten und Segmentationsansätze davon aus, dass mit der Spezifität der Arbeitssysteme auch die Spezifität des betrieblichen Wissens zunimmt. Betriebsspezifische Qualifikationen sind qua Definition nicht auf dem Arbeitsmarkt verfügbar und müssen in der Erwerbsorganisation aufgebaut werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind diesem Ansatz zufolge durch ihre Investitionen in betriebsspezifisches Humankapital wechselseitig aneinander gebunden, so dass soziale Schließung und geschlossene Beschäftigungssysteme zu erwarten sind. Bereits die qualitativen Analysen säen Zweifel an der Erklärungskraft dieses Ansatzes. (Kapitel II). Auch die multivariaten Analysen des B2Betriebspanels zeigen nur einen schwachen positiven Effekt betriebsspezifischer Qualifikationen auf die erwartete Beschäftigungsdauer (Kapitel VI, V; Struck u.a. 2007). Nur etwa 20% der Beschäftigten wird von Seiten der von uns befragten Personalverantwortlichen ein solches Wissen überhaupt zugemessen, und zwar vor allem in der chemischen Industrie (38%) und im Maschinenbau (30%). Für uns ebenso unerwartet haben auch betrieblich finanzierte Weiterbildungen keinen signifikant positiven Effekt auf die Ausformung eines geschlossen Beschäftigungssystems. Wir vermuten vor diesem Hintergrund eine im Zeitablauf abnehmende Erklärungskraft der Spezifitätsvariablen (Kapitel II, V; Struck 2006b). Dafür sprechen mehrere Gründe: Kürzere Innovationszyklen entwerten spezielles Wissen; Beschäftigte erfüllen bei interner Flexibilität und in Aufstiegslinien in zunehmendem Maße wechselnde Aufgaben; bei der Anlernung am Arbeitplatz und in der Weiterbildung wird immer auch allgemeines Wissen erworben, welches bei inner- und überbetrieblichen Tätigkeitswechseln und Aufstiegen transferierbar ist; die Ausweitung von Dienstleistungstätigkeiten geht mit einem Bedeutungszuwachs allgemeinen Wissens einher. Es spricht also vieles dafür, das Verfügbarkeitsproblem abstrakter zu fassen und unabhängig vom Qualifikationstypus auf mittel- und langfristig bestehende Arbeitsmarktlagen zu beziehen. Die qualitativen Analysen machen deutlich, dass dort, wo überzyklisch hohe Arbeitskräfteüberschüsse vorliegen, auch offene Beschäftigungssysteme mit zeitlich begrenzten Beschäftigungsverhältnissen ein hohes Gewicht besitzen. Dies gilt für den Sektor gering qualifizierter und gering bezahlter Arbeit, wo der klassische Reservearmeemechanismus zu beobachten ist (Wachdienste, Verkauf etc.), aber auch für ausgewählte akademisch basierte Berufe (z.B. Journalisten in den Printmedien und Dozenten in der Weiterbildung). In den multivariaten Analysen des B2-Betriebspanels konnten wir den Einfluss
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der regionalen Arbeitslosenraten auf die Verteilung von offenen und geschlossenen Beschäftigungssystemen nachweisen (Kapitel V; Struck, Schröder 2006). Eine Theorie der Dynamik des Arbeitskräfteangebots, die überzyklische Arbeitsmarktlagen zu erklären in der Lage ist, steht aus (Kapitel II; Lutz 2007a). (2) Das Leistungsproblem beschreibt den Zusammenhang, demzufolge Arbeitgeber aufgrund der Unvollständigkeit von Arbeitsverträgen auf die „freiwillige“ Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer angewiesen sind. Auf Vertrauen und Anerkennung gerichtete Ansätze (Seifert, Pawlowsky 1998; Deutschmann 2002) wie auch der mikro-ökonomische Prinzipal-Agent-Ansatz (Baron, Kreps 1999) heben hervor, dass mit der Komplexität der Arbeitsaufgaben und geforderten Qualifikationen auch der Bedarf an Beschäftigungsstabilität zur Sicherstellung der Leistungsbereitschaft zunimmt. Zugespitzt könnte man diese Hypothesen wie folgt zusammenfassen: Je höher die Komplexität der Arbeitsaufgabe und die Qualifikation der Arbeitskraft und je geringer die Zurechenbarkeit der Leistung zu einzelnen Personen, desto schwieriger ist die direkte Kontrolle durch den „Prinzipal“ und desto eher muss der Beschäftiger auf die Sicherheitserwartungen der Beschäftigten eingehen, langfristige Beschäftigungsperspektiven bieten und Vertrauen schaffen, um eine hohe Leistungsbereitschaft zu erzielen. Auch hier legen unsere qualitativen und quantitativen Analysen erhebliche Zweifel nahe. So zeigen die multivariaten Analysen unseres Betriebspanels, dass Indikatoren, die auf komplexe Arbeitsprozesse und hohe Qualifikationen hinweisen, wie der Anteil der Forschungs-, Entwicklungs- und der Projektarbeit im Betrieb, eher in die entgegen gesetzte Richtung wirken – also offene Beschäftigungssysteme fördern (Kapitel V). Für den Dienstleistungsbereich erwies sich, dass ein hoher Innovationsdruck einen Prozess des Up-Grading von Qualifikationen verursacht und für Unternehmen und Beschäftigte eine Orientierung in Richtung offener Beschäftigungssysteme befördert (Kapitel VI). Wir vermuten, dass über Managementstrategien der indirekten Kontrolle und Vermarktlichung (Vieth 1995; Sauer 2005) neue und effektive Kontrollformen entstanden sind, die als funktionales Äquivalent zur Motivation über Beschäftigungssicherheit fungieren. Außerdem findet sich gerade bei jüngeren hochqualifizierten Personen eine hohe freiwillige zwischenbetriebliche Aufstiegsmobilität (etwa in der Softwareindustrie), so dass hier die pauschale Annahme der Risikoaversion nicht zutrifft. Wie wir aus der Arbeitmarktforschung und der Arbeits-, Organisations- und Industriesoziologie wissen, ist das Leistungsproblem nicht nur von der Kontrollierbarkeit des Arbeitsprozesses abhängig. Die Durchsetzung von Leistungszielen ist auch von den Machtpotenzialen und der Legitimität der Personal- und Beschäftigungspolitik gegenüber den Beschäftigten bestimmt (Deutschmann
3. Erklärungsansätze
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2002; Hirsch-Kreinsen 2005). Eine organisierte Interessenvertretung versucht, Personalabbauaktionen zu vermindern oder einzuschränken, stellt die Notwendigkeit und Legitimität flexibler Personalanpassung in Frage und schützt zumindest Teile der Belegschaft. Wenn der Unternehmer die damit verbundenen Erwartungen verletzt, ist aktiver Widerspruch und passive Leistungszurückhaltung bei den Beschäftigten möglich (Kapitel VII). Der Beschäftiger hat unter diesen Voraussetzungen also in gewissen Grenzen ein Interesse an Stabilität und wir erwarten eine höhere Beschäftigungsstabilität in Erwerbsorganisationen mit Betriebs- oder Personalräten. Diese Hypothesen wurden in unseren empirischen Untersuchungen bestätigt. Qualitative Analysen zeigen, dass eine Reihe von Unterschieden zwischen ost- und westdeutschen Betrieben direkt mit der betrieblichen und überbetrieblichen Interessenvertretung zusammenhängen (Kapitel II). Auch die multivariaten Analysen unseres Betriebspanels verweisen auf starke Effekte (Kapitel V). Die Existenz von Betriebs- oder Personalräten, d.h. die institutionell gesicherte Bündelung von Insider-Interessen, wirkt positiv auf die zu erwartende Beschäftigungsstabilität. Da der Anteil betrieblicher Interessenvertretungsstrukturen mit zunehmender Betriebsgröße steigt, erklärt dies zudem einen erheblichen Anteil des Einflusses der Betriebsgrößenvariable (Kapitel V; Grotheer u.a. 2004). Die empirischen Analysen verweisen auf eine Vielzahl an signifikanten Zusammenhängen in der Verfügbarkeits- und Leistungsdimension, die hier nicht ausgeführt werden können (Kapitel II, V). Unser sehr offener und heuristisch gerichteter Erklärungsansatz ermöglicht damit ein Verständnis der personalpolitischen Differenzen in der Betriebs- und Arbeitsmarktlandschaft Ost- und Westdeutschlands. Eine Schließung betrieblicher Beschäftigungssysteme ist vor allem dort zu erwarten, wo mindestens zwei der folgenden Bedingungen vorliegen: überzyklische Arbeitskräftedefizite, Kontinuität und Stabilität der Arbeitsvolumina im Zeitablauf, individuelle und kollektive Gegenmacht der Beschäftigten. Eine Öffnung betrieblicher Beschäftigungssysteme ist dort möglich, wo Verfügbarkeits- und/oder Leistungsprobleme schwächer ausgeprägt sind. Über diesen Ansatz werden auch die oben beschriebenen – und immer noch begrenzten – Veränderungstendenzen der Stärkung des externen und sekundären Segments sowie der Transformation interner Arbeitsmärkte verständlich. Das westdeutsche Beschäftigungssystem konnte sich aufgrund der demografischen Entwicklung, steigender Frauenerwerbstätigkeit und Zuwanderung über 20 Jahre hinweg auf eine stetige Zunahme des Arbeitskräfteangebots einstellen (Vobruba 2000; Allmendinger u.a. 2005), so dass die Verfügbarkeitsprobleme in vielen Berufen und Teilarbeitsmärkten abnahmen. Dies wird durch eine Reduzierung der Anteile betriebsspezifischer Arbeits- und Qualifikationsprozesse gestützt.
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Parallel dazu zeigt sich seit den 90er Jahren auf der Basis der globalisierten Güter- und Finanzmärkte ein Machtverlust der Gewerkschaften und Betriebsräte. Die Deregulierung des Arbeitsrechts schwächt institutionelle Barrieren gegen Externalisierungs- und Sekundarisierungsprozesse. Alle drei Entwicklungstendenzen sind in den neuen Bundesländern stärker als im Westen ausgeprägt, bieten den betrieblichen Entscheidern größere Handlungsspielräume und haben damit zur Vorreiterfunktion des ostdeutschen Arbeitsmarktes beigetragen. Vor dem Hintergrund unseres Erklärungsmodells wird auch deutlich, dass es sich nicht um eine lineare Entwicklungslogik des neuen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus handelt, sondern vielmehr um eine instabile und dynamische Koexistenz von geschlossenen und offenen Beschäftigungssystemen bzw. internen und externen Teilarbeitsmärkten. Trotz Massenarbeitslosigkeit bleibt die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte für viele Berufe ein Problem, das Bindungs- und Schließungsstrategien nahe legt; mit dem demografischen Umbruch in Ost- und Westdeutschland werden sich die Arbeitskräfteprobleme in bestimmten Teilarbeitsmärkten wieder verschärfen. Schließlich könnte auf der Basis neuer politischer Konstellationen eine Re-Regulierung der Beschäftigungsbeziehung erfolgen, wie die laufende Debatte über Mindestlöhne zeigt. Selektive Rückwärtsbewegungen im Externalisierungs- und Sekundarisierungsprozess sind möglich. 4. Erwerbsorientierungen der Beschäftigten – erste Ergebnisse Für die letzten Jahrzehnte wird im öffentlichen Diskurs wie auch teilweise in der Wissenschaft unterstellt, dass sowohl die Beschäftigungssicherheit selbst als auch die entsprechenden Leitbilder, Präferenzen und normativen Erwartungen der Beschäftigten erodieren. Konstatiert wird dabei ein Prozess der Vermarktlichung, der auch die „Köpfe“ der Beschäftigten und damit Legitimität erreicht. Es entsteht der Eindruck, als ob eine Mehrheit der Bevölkerung sich vom Ideal einer sicheren und langfristigen Beschäftigung im Sinne eines „Normalarbeitsverhältnisses“ tatsächlich langsam aber sicher verabschiedet. In der Soziologie finden sich etwa im Individualisierungs- und Subjektivierungsdiskurs entsprechende Konnotationen. In den Medien werden Globalisierungs- und Marktimperative beschworen, die auf eine zunehmende Akzeptanz der Bevölkerung zu stoßen scheinen, während gleichzeitig die Gewerkschaften über massive Mitgliederverluste klagen. Wenn diese Impressionen und Thesen einer Vermarktlichung des Arbeitsmarktes und des Denkens über Gesellschaft zutreffen, wird externe Arbeitsmarktflexibilität zunehmend als notwendiges Übel oder sogar als „Befreiung“ von verkrusteten Strukturen akzeptiert. Damit wären dann auch die
4. Erwerbsorientierungen der Beschäftigten – erste Ergebnisse
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Annahmen über Sicherheitspräferenzen bzw. eine Risikoaversion der Beschäftigten hinfällig, wie sie in unser Erklärungsmodell eingehen. Um diese Thesen zu prüfen haben wir in den Jahren 2004-2006 ein Projekt über beschäftigungsbezogene Gerechtigkeitsideologien durchgeführt, in dem wir die Einstellungen zu Kündigungen und Lohnkürzungen auf der Basis einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe erfasst haben (Kapitel VII). Die Ergebnisse sind – gemessen am Vermarktlichungs- und Individualisierungsdiskurs – überraschend. So wird deutlich, dass Arbeitplatzsicherheit unabhängig von Bildung, Einkommen, dem Haushaltskontext und weiteren soziodemografischen Variablen in Ost- und Westdeutschland eine sehr hohe Präferenz besitzt. Die Beschäftigungsbeziehung wird nach den Regeln von organisationsbezogenen Gerechtigkeitsnormen und nicht nach denen des Marktes bewertet. Die Beschäftigten erwarten, dass „Arbeitgeber“ betriebliche Beschäftigungssysteme gegen die Marktlogik absichern. So werden Entlassungen zur Rentabilitätssteigerung bei technischorganisatorischen Innovationen oder bei Produktionsverlagerung als ungerecht bewertet. Nur wenn Personalabbauaktionen wirtschaftlich unvermeidbar sind und damit das Überleben der Organisation und der verbleibenden Arbeitsplätze sichern, werden sie von der überwiegenden Mehrheit der Befragten als gerecht akzeptiert. Diese gewissermaßen „gewerkschaftlich-sozialdemokratische“ Perspektive wird von der großen Mehrheit der Befragten getragen. Nur an den Rändern der Verteilung zeigen sich alternative Gerechtigkeitsideologien. Eine Gruppe befürwortet die „harten“ marktrationalen Maßnahmen; eine kleine Minderheit „radikaler Gewerkschafter“ und von „Betriebs-Paternalisten“ lehnt Personalabbau auch dann ab, wenn er zum Überleben des Unternehmens wirtschaftlich notwendig ist und sozial abgefedert wird. Im Sinne der Insider-Outsider These bestand die Erwartung, dass einkommens- und qualifikationsstarke Personen aus der „Zone der Integration“ als Gewinner des flexiblen Kapitalismus eher der marktlichen Gerechtigkeitsideologie verpflichtet sind als gefährdete und exkludierte Personenkreise mit geringen ökonomischen und kulturellen Kapitalien. Entgegen den Erwartungen zeigt sich in den deskriptiven und multivariaten Analysen kein signifikanter Einfluss dieser Variablen. Vielmehr streut die gerechtigkeitskritische Sichtweise auf Entlassungen über die vertikale Achse der Sozialstruktur. Die Verletzung der Prinzipien organisationsbezogener Gerechtigkeitsbewertungen führt nicht nur zu einer kritischen Bewertung von Entlassungen, sondern zeitigt auch Folgereaktionen der Weiterbeschäftigten. Wenn die Entlassungen wirtschaftlich vermeidbar sind und soziale Kriterien der Personalauswahl verletzt werden, verschlechtern sich Kooperation und Arbeitsmotivation und die Bereitschaft zur Eigenkündigung nimmt zu.
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I Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme
Vor dem Hintergrund dieser Befunde zu den Sicherheitspräferenzen unserer Beschäftigten wäre zu erwarten, dass die nach unseren Ergebnissen deutlichen aber nach wie vor begrenzten Externalisierungs- und Sekundarisierungsschübe am deutschen Arbeitsmarkt zu einer Ausweitung oder sogar Generalisierung von „gefühlter“ Unsicherheit beigetragen haben (Kapitel VIII, IX). So betonen etwa Autoren wie Bourdieu (1998a, 2000), Castel (2000, 2005) und, in Deutschland Dörre (2005a,b, 2006), den Zusammenhang von prekärer Arbeit, Beschäftigungsrisiken und zunehmender Unsicherheit im Zentrum der Arbeitsgesellschaft. Als Folge der Wahrnehmung von Unsicherheit könnten sich dann – unabhängig von den normativen Orientierungen – externe Arbeitsmarktorientierungen im Sinne des Arbeitskraftunternehmers (Voß, Pongratz 1998) durchsetzen und den Prozess der Externalisierung vorantreiben. Um die Frage der „Destabilisierung der Stabilen“ (Castel) zu prüfen, haben wir die Wahrnehmung von Arbeitplatzrisiken und Erwerbsorientierungen bei Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen mit qualitativen und quantitativen Verfahren erfasst. Die empirischen Analysen legen erhebliche Zweifel an der Großthese der „Generalisierung“ von Unsicherheit bei „Normalbeschäftigten“ nahe. Die große Mehrheit der Befragten geht davon aus, dass die Betriebe personalpolitisch das Sicherheitsversprechen für die Stammbeschäftigten einlösen, wenn diese ihre Leistung bringen und keine große Krise des Unternehmens dazwischenkommt. Die Befragten gehen von Arbeitplatzsicherheit aus, relativieren diese allerdings, indem sie direkt an die individuelle Erfüllung von Leistungsanforderungen und nicht (mehr) an den differentiellen Kündigungsschutz nach Alter, Seniorität, Familienstand etc. gebunden wird. Die individuellen Sicherheitskonstruktionen sehen somit keine ökonomisch oder politisch basierten Garantien vor, wie sie etwa in der DDR selbstverständlich waren, aber auch im alten westdeutschen Normalarbeitsverhältnis über ökonomische Stabilität und Senioritätsrechte aufgebaut wurden. Diese Deutung der Beschäftigungsbeziehung geht nicht mit einer offenen und externen Arbeitsmarktorientierung im Sinne des „Arbeitskraftunternehmers“ einher. Das vorherrschende Muster bilden vielmehr eine hohe Betriebsbindung und Leistungsorientierung. Anja Bultemeier interpretiert diese Befunde in kritischem Anschluss an Bourdieu als Ausweitung von „Prekarität“ (Kapitel VIII), während Bernhardt u.a. eher von ersten Konturen einer „post-fordistischen Sicherheitskonstruktion“ auf der Basis traditioneller Sicherheitspräferenzen sprechen (Kapitel IX). Aus unserer Sicht hat die Generalisierungsthese Recht und Unrecht zugleich. Einerseits ist Unsicherheit weit verbreitet: Die von uns Befragten verlassen sich nicht auf die Sicherheiten der wirtschaftlichen Situation ihres Betriebes oder des differenziellen Kündigungsschutzes. Andererseits gelingen den Beschäftigten durch-
5. Schlussfolgerungen
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aus überzeugende Sicherheitskonstruktionen über ihre Leistung, die die „gefühlte“ Unsicherheit klein zu arbeiten in der Lage sind. Im Ergebnis dieses Prozesses bildet sich eine in diesem Sinne relativierte Sicherheit heraus. Vor der Folie des westdeutschen Fordismus und ostdeutschen Sozialismus macht es dann Sinn von einer relativierten Sicherheit, statt von einer Generalisierung von Unsicherheit zu sprechen. Unsere Analysen der Erwerbsorientierungen und -strategien der abhängig Beschäftigten widersprechen den Großthesen über neue „neoliberale“ Diskursformationen und marktorientierte Erwerbsstrategien (etwa des „Arbeitskraftunternehmers“). Sie bestätigen vielmehr unsere in die Definition des Verfügbarkeits- und Leistungsproblems eingegangen Annahmen über traditionelle Sicherheitspräferenzen und Gerechtigkeitsideologien. Gemessen an dem Mainstream des wissenschaftlichen und politischen Diskurses sind unsere Befunde zu beschäftigungsbezogenen Gerechtigkeitsideologien überraschend und in ihrer Konsistenz beeindruckend. Die Analysen sollen daher in den kommenden Jahren vertieft werden. 5. Schlussfolgerungen Ergebnis unserer umfangreichen empirischen Analysen ist, dass sich der deutsche Arbeitsmarkt in den letzten fünfzehn Jahren durch einen zwar begrenzten, aber deutlichen Externalisierungs- und Sekundarisierungsschub auszeichnet. Als Reaktion auf die „Challenges“ der 90er Jahre und über die „Responses“ entscheidungsmächtiger Akteure geht im Beschäftigungssystem die quantitative Dominanz interner Arbeitsmärkte verloren und es entwickelt sich eine spannungsgeladene und instabile Koexistenz von internen und externen Arbeitsmärkten. Hierbei hat Ostdeutschland eine Vorreiterposition übernommen. Als Gesamtbild ergibt sich weder eine Generalisierung von Beschäftigungsrisiken oder gar von Prekarität noch eine stabile Arbeitsmarktspaltung. Wir gehen vielmehr von einer dynamischen Segmentation aus, in der sich Grenzverschiebungen zwischen internen und externen, aber auch endogene Transformationen innerhalb von Teilarbeitsmärkten vollziehen. Weder der Humankapitalansatz noch alternative Großtheorien (z.B. der sozialen Schließung) reichen zur Erklärung der heterogenen Betriebslandschaft und der Veränderungstendenzen in Ost- und Westdeutschland aus. Wir haben uns daher für eine neo-institutionalistische Reformulierung von Segmentationsansätzen entschieden, in der die Interessen und Orientierungen der Beschäftiger im Vordergrund stehen. Diese beziehen wir im Anschluss an die neue Institutionenökonomie und die Industriesoziologie auf zwei basale Bezugsprobleme be-
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I Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme
trieblicher Personal- und Beschäftigungspolitik: das Verfügbarkeits- und das Leistungsproblem. Im Ergebnis der materialen Analysen zeigt sich, dass beide Probleme in den letzten Jahrzehnten aufgrund von Strukturveränderungen des Organisations- und Arbeitsmarktkontextes abgenommen haben, worüber die identifizierten Externalisierungs- und Sekundarisierungsschübe im Beschäftigungssystem zu erklären sind. Vor diesem Hintergrund gehen wir für die Dynamik horizontaler Segmentation in den nächsten zehn Jahren von folgenden Entwicklungshypothesen aus. Auf der Grundlage des Externalisierungsprozesses, den wir in West- und Ostdeutschland in je spezifischer Weise beobachten konnten, zeichnet sich gegenwärtig insbesondere in Ostdeutschland eine neue Herausforderung ab. Durch die Halbierung der Nachwuchskohorten und aufgrund von Fehlallokationen im Bildungs- und Ausbildungssystem vermuten wir, dass sich für ausgewählte Branchen, Berufe und Regionen „Mis-Match-Phänomene“ und Verfügbarkeitsprobleme am Arbeitsmarkt verstärken. Auf Basis der Erfahrungen mit der südeuropäischen EU-Integration erwarten wir, dass die Öffnung der Grenzen nach Osteuropa für Teilarbeitsmärkte mit mittleren und hohen Qualifikationen keine große Erweiterung des Arbeitskräfteangebots bringen wird. Die „Responses“ auf die selektive Fachkräfteknappheit und deren Folgen für die betrieblichen Beschäftigungssysteme sind ungewiss: Einerseits gehen von den Rekrutierungs- bzw. Verfügbarkeitsproblemen in bestimmten Regionen und Teilarbeitsmärkten starke Impulse zur Bindung und Hortung knapper Qualifikationen aus, andererseits verfügt die Masse der Betriebe nicht über hinreichende Ressourcen für klassische Bindungs- und Schließungsstrategien, d.h. für die Bereitstellung interner Laufbahnen, hoher Einkommen und umfassender Arbeitsplatzsicherheit. Für die Auflösung dieser Spannungen existiert kein historisches Vorbild: Der „fordistische Ausweg“ der 1960er Jahre ist verstellt, der durch „Vergroßbetrieblichung“, Internalisierung und Institutionalisierung im Rahmen einer lang anhaltenden wirtschaftlichen Prosperitätskonstellation gekennzeichnet war. Mit der sukzessiven Verrentung quantitativ starker Beschäftigungsjahrgänge einerseits und aufgrund reduzierter Nachwuchsjahrgänge andererseits greift die benannte organisations- und bevölkerungsdemografische Entwicklung auch in Westdeutschland. Allerdings waren und sind beide Entwicklungstrends in Westdeutschland weniger ausgeprägt und zeitlich stärker entkoppelt (Kistler, Hilpert 2001). Auch hier erwarten wir selektive Fachkräfteknappheit: Die Zeiten der Informatiker-, Ärzte- und Ingenieurs-„Schwemme“, verursacht durch geburtenstarke Kohorten und andere demografische Faktoren, sind vorbei. Während diese Entwicklung auf ausgewählten Teilarbeitsmärkten die Herausbildung geschlossener Beschäftigungssysteme fördert, wirken finanz- und produktmarktge-
5. Schlussfolgerungen
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triebene Restrukturierungsprozesse sowie Verschiebungen im Machtverhältnis von Unternehmen und Beschäftigten eher in die entgegengesetzte Richtung – hin zu einer Externalisierung von Beschäftigungssystemen (Dörre 2005a). Im Hinblick auf die Dynamik vertikaler Segmentation weisen unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Externalisierung von Allokationsprozessen in Ost- und Westdeutschland mit einer Sekundarisierung von Beschäftigungssystemen im Sinne einer Zunahme von Positionen mit hohen Einkommens- und/oder hohen Arbeitslosigkeitsrisiken verbunden ist, wobei Ostdeutschland wieder einmal den Vorreiter spielt. Unsere Annahme ist, dass das in den vergangenen zehn Jahren in West- und Ostdeutschland zu beobachtende Wachstum des sekundären Arbeitsmarktsegments ein überzyklisches Phänomen darstellt. Es begann bereits in der Rezession Mitte der 90er Jahre und setzte sich über einen vollen Konjunkturzyklus bis zum Ende der Wachstumsphase im Jahre 2008 fort (Bosch, Weinkopf 2007). Dahinter steht die Reaktivierung von Reservearmeemechanismen über anhaltende Arbeitskräfteüberschüsse für sekundäre Arbeitsmärkte mit einfachen Qualifikationen und geringen Einkommen in Deutschland und Europa – ein Mechanismus, der über die Aufhebung der Mobilitätsbarrieren im Rahmen der EUOsterweiterung weiter angetrieben werden wird. Diese Entwicklung wird durch die abnehmende Schutzfunktion der Flächentarifverträge für arbeitspolitisch schwache Arbeitskräftegruppen sowie die Deregulierung des Arbeitsrechts gestützt. Zwar ist bislang offen, ob sich eine allgemeine Mindestlohnpolitik in Deutschland durchsetzen und welche Wirkungen sie auf den Prozess der Sekundarisierung ausüben wird. Auf Basis der hohen Unterbeschäftigung, geringeren Tarifbindung sowie der abhängigen und weniger produktiven Betriebslandschaft erwarten wir in Ostdeutschland jedoch auch für die Zukunft ein höheres Sekundarisierungsniveau als im Westen. Für die abschließende Förderphase des SFB 580 in den Jahren 2008 bis 2012 beabsichtigen wir, die bisher angelegten Forschungslinien fortzuführen und selektiv zu erweitern, um auf diese Weise das Gesamtbild unseres Forschungsgegenstandes zu vervollständigen. Mit der Analyse der Entwicklungsdynamik offener und geschlossener Beschäftigungssysteme lag der Fokus unserer Forschungsarbeit bislang auf der horizontalen Dimension der Arbeitsmarktsegmentation. Im Rahmen der neo-institutionalisitischen Reformulierung des Segmentationsansatzes standen dabei die Interessen, Bezugsprobleme und situativen Handlungskontexte der betrieblichen Entscheider im Vordergrund. Für die abschließende Projektphase planen wir unsere Forschungsarbeit in drei Perspektiven zu ergänzen. Erstens sollen die Trendanalysen in der vertikalen Ungleichheitsdimension nach Einkommen und Beschäftigungssicherheit fortgeführt und vertieft werden.
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I Offene und geschlossene Beschäftigungssysteme
Um Beschäftigungsrisiken zu erfassen, müssen die Ursachen von Betriebswechseln sowie Erwerbsverläufe und Haushaltskontexte genauer ermittelt werden. Damit ist es erforderlich, auch die Sicherheitspräferenzen und Mobilitätsentscheidungen der Beschäftigten in unsere Analysen zu integrieren. Zweitens interessieren uns offene Beschäftigungssysteme und externe Teilarbeitsmärkte. Diese sind weder empirisch noch konzeptuell ausreichend erforscht und theoretisch unwahrscheinlich (Marsden 1999; Lutz 1987, 2007), da Arbeitgeber Investitionen in Humankapital sichern und Beschäftigte die Risiken von (unfreiwilligen) Betriebswechseln reduzieren wollen. Damit wird deutlich, dass offene Beschäftigungssysteme und externe Teilarbeitsmärkte nicht alleine über die Interessen und Strategien von Marktakteuren erklärt werden können. Vielmehr bedarf es der Bestimmung der außerbetrieblichen und außerökonomischen Voraussetzungen dieser Strukturen. Drittens planen wir, in unseren empirischen Analysen und in den Erklärungsmodellen die Beschäftigtenperspektive zu stärken. Mittlerweile liegt zu diesem Thema eine große und zunehmende Zahl an einschlägigen Studien vor; wir sehen insbesondere im Konzept der Übergangsarbeitsmärkte (Schmid 2002), der sozialen Schließung (Groß 2007) und bei neueren tauschtheoretischen Ansätzen (Brose u.a. 2005) fruchtbare Ansatzpunkte. Die Herausforderung besteht darin, die Beschäftiger- und die Beschäftigtenperspektive in einem komplexen Ansatz zu verbinden.
II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation Christoph Köhler – Kai Loudovici
1. Einleitung Soziologische Arbeitsmarktanalysen fokussieren in der Regel auf Beschäftigungsdauern, Einkommen und Risiken im Erwerbsverlauf, die dann über soziodemografische Variablen, wie Geschlecht, Herkunft, Humankapital, und den Haushaltskontext erklärt werden. Gleichzeitig besteht Konsens darüber, dass individuelle Beschäftigungsverhältnisse Teil von inner- und überbetrieblichen Positionssystemen sind und dass deren Erklärung den Bezug auf Erwerbsorganisationen und Arbeitsmarktstrukturen erfordert (Sørensen 1983; Abraham, Hinz 2005; Groß 2008). Unsere Frage war, ob die sogenannten Segmentationsansätze zum Verständnis von Positionssystemen auf dem Arbeitsmarkt beitragen können. Seit der Entdeckung interner und externer Arbeitsmärkte in den USA der 50er und 60er Jahre liegt hierzu eine empirisch und theoretisch reichhaltige Forschungslinie innerhalb der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vor. Dieser zufolge zerfällt der Arbeitsmarkt in Teilarbeitsmärkte mit unterschiedlichen Funktionslogiken und Beschäftigungsrisiken. Segmentationsansätze gehen also eher von Heterogenität und Spaltung als von generellen Umbruchtendenzen am Arbeitsmarkt aus und können insofern als Gegenentwurf zu den anhaltenden Vermarktlichungsdebatten gelesen werden. Ziel dieses Kapitels ist es, die Validität und Brauchbarkeit der in der Soziologie fast vergessenen Segmentationsansätze zu prüfen und daraus eine neue Sichtweise auf die großen Erosionsdebatten zu entwickeln. Wir beginnen daher mit einer kurzen Darstellung der Rezeptionsgeschichte dieser Ansätze und entwickeln daraus mit dem Konzept betrieblicher Beschäftigungs-Subsysteme (BBSS) einen eigenen Untersuchungsansatz. Als Ergebnis von Betriebsfallstudien und Expertengesprächen in verschiedenen Branchen konstruieren wir eine erweiterte Typologie von betrieblichen Beschäftigungssystemen, beschreiben Entwicklungslinien und diskutieren Erklärungsansätze. Abschließend fassen wir unsere Befunde zusammen und benennen offene Fragen. Die Grundgedanken des Segmentationskonzepts wurden in den USA bereits in den 1950er Jahren entwickelt und in einem viel zitierten, aber wenig gelese-
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
nen Aufsatz von C. Kerr mit dem Titel „Die Balkanisierung des Arbeitsmarktes“ veröffentlicht (Kerr 1954). Vor dem Hintergrund der jahrhundertealten ethnischen und nationalen Konflikte sowie der damit einhergehenden Grenzziehungen auf dem Balkan, verweist er auf eine Aufspaltung des US-amerikanischen Gesamtarbeitsmarktes in Teilarbeitsmärkte mit Mobilitätsbarrieren. Doeringer und Piore haben diesen Ansatz in ihrem berühmten Buch „Internal Labour Markets“ von 1971 aufgegriffen, weiterentwickelt und mit dem Konzept des dualen Arbeitsmarktes generalisiert (Doeringer, Piore 1971). Diesem zufolge unterteilt sich der US-amerikanische Arbeitsmarkt nach dem dominanten Steuerungsprinzip (Firma oder Markt) in „interne“ und „externe“ Arbeitsmärkte sowie nach den Beschäftigungsrisiken in primäre und sekundäre Teilarbeitsmärkte („good jobs“ oder „bad jobs“). Erstere gewähren hohe Beschäftigungssicherheit und gute Löhne, letztere überwiegend geringe Beschäftigungssicherheit und schlechte Löhne. Bereits hier ist die klassische Vier-Felder-Matrix angelegt, wobei für die USA mit dem Konzept des dualen Arbeitsmarktes zwei Felder in den Vordergrund gestellt werden: gute interne und schlechte externe Arbeitsmärkte. In den 70er Jahren wurden in Deutschland an verschiedenen Orten Segmentationskonzepte aufgegriffen, weiterentwickelt und im „Arbeitskreis sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung“ (SAMF) diskutiert: z.B. Dombois, PfauEffinger in Bremen; Bosch, Lichte in Dortmund; Hildebrandt, Dohse, Jürgens in Berlin; Brandes, Buttler, Gerlach in Paderborn; Gensior, Lappe in Berlin; Lutz, Maase, Mendius, Schultz-Wild, Sengenberger, Köhler in München; Deutschmann, Schmiede, Schudlich in Frankfurt (Vgl. zusammenfassend Neuendorff 1983; Blien 1986; Sesselmeier, Blauermel 1998; Gensior u.a. 2004). Am Münchner ISF entstand unter Federführung von Lutz und Sengenberger aus der Verbindung der Konzepte des dualen Arbeitsmarktes mit den Konzepten der deutschen Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Ansatz des dreigeteilten Arbeitsmarktes (Lutz, Sengenberger 1974). In diesem spielen neben den „guten“ betriebsinternen und „schlechten“ externen („Jedermann-“) Arbeitsmärkten, die berufsfachlichen Strukturen mit hoher zwischenbetrieblicher Mobilität eine große Rolle, die das Feld der „guten“ externen Märkte besetzen (vgl. Abb. 2.1). Die drei „Segmente“ werden dann über eine industriesoziologisch und institutionentheoretisch erweiterte Fassung der Humankapitaltheorie über die jeweils vorherrschenden Qualifikationsprobleme näher bestimmt. Interne Märkte zeichnen sich durch eine feste Bindung von Betrieb und betriebspezifisch qualifizierten Beschäftigten aus. Auf „Jedermannsmärkten“ (allgemeine und unspezifische zivilisatorische Basisqualifikationen) gibt es keine Beschäftigungsstabilität, d.h. ein struktureller Überschuss an gering qualifizierten und entlohnten Arbeitskräften bewegt sich zwischen Arbeitplätzen auf externen Märkten mit hohen Einkommens- und Beschäftigungsrisiken.
1. Einleitung
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Abbildung 2.1: Segmente des „dualen“ bzw. des „dreigeteilten“ Arbeitsmarktes Teilarbeitsmärkte Primär „Good Jobs“ Sekundär „Bad Jobs“
Intern interner Arbeitsmarkt (betriebsspezifische Qualifikationen) bei Piore und Lutz nicht besetzt
Extern berufsfachlicher Arbeitsmarkt (berufsfachliche Qualifikationen) JedermannsArbeitsmarkt (allgemeine, unspezifische Qualifikationen)
Das Modell für das dritte Segment mit vorherrschend berufsfachlichen Qualifikationen bilden Arbeitsmarktstrukturen im deutschen Handwerk, in dem Qualifikationen normiert, zertifiziert und standardisiert werden, was wiederum mit weitgehend strukturierten Arbeitplatzprofilen korrespondiert. Hier können Betriebe ohne große Transaktionskosten Personal auf- und abbauen. Die Beschäftigten wechseln ihren Arbeitsplatz ohne Verluste an Einkommen und Reputation. Allokative Effizienz und Beschäftigungssicherheit werden nicht über die Bindung von Betrieb und Arbeitskraft, sondern über einen überbetrieblich strukturierten Arbeitsmarkt gewährleistet. Dieser „berufsfachliche Arbeitsmarkt“ war und ist für Lutz und Sengenberger nicht nur Instrument wissenschaftlicher Analyse, sondern ebenso normativer Bezugspunkt in Diskussionen um die Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik (vgl. Lutz 1998). Damit können sie in gewisser Weise als Pioniere der Flexicurity-Idee (Kronauer, Linne 2005) gelten. Die Grundgedanken des Segmentationsansatzes diffundierten mit großer Geschwindigkeit in verschiedene Subdisziplinen der Soziologie. So werden sie am Frankfurter Institut für Sozialforschung u.a. zur Analyse der industriellen Beziehungen in Deutschland und zur Erklärung des „konservativen Moments“ in der Gewerkschaftsbewegung herangezogen (z.B. Deutschmann 1981). ForscherInnen aus der im Aufschwung befindlichen Geschlechterforschung nutzen Segmentationsansätze zur Beschreibung und Erklärung geschlechtsspezifischer Risiken am Arbeitsmarkt (vgl. zusammenfassend Lappe 1981; Becker-Schmidt, Knapp 1995; Pfau-Effinger 2004). Zudem wird das Segmentationskonzept in der Sozialstrukturanalyse und Lebenslaufforschung aufgegriffen (z.B. Sørensen 1983; Blossfeld, Mayer 1988; Kreckel 1992). Und nicht zuletzt entstehen an der Universität Bremen Forschungsschwerpunkte über regionale Arbeitsmärkte, „Arbeit in der Grauzone“ (Osterland 1990; Dombois 1999; Pfau-Effinger 2004) und Statuspassagen im Lebenslauf (Behrens 1984; Behrens, Heinz 1991; Sackmann, Struck 1997; Sackmann 1998).
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
Auf der Basis einer großen Welle empirischer Folgestudien und konzeptueller Arbeiten werden dann Anfang der 90er Jahre Grenzen des Ansatzes sichtbar; er verliert in vielen der oben benannten Teildisziplinen der Soziologie an forschungsstrategischer Attraktivität und die explizite und implizite Kritik nimmt zu (vgl. Pfau-Effinger 2004; Köhler 2008). Mit den sich durchsetzenden Großthesen zur Entstrukturierung der Klassengesellschaft sowie zur Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und der Normalbiografie (Beck 1986; Dombois 1999) wird der Segmentationsansatz in der Soziologie weitgehend ad acta gelegt. Dafür waren aus unserer Sicht drei Gründe maßgebend (Köhler 2008): -
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In Bezug auf die Empirie verliert unter dem Eindruck des massiven öffentlichen Flexibilisierungsdiskurses und einer zunehmenden Anzahl von Belegen zur Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, Entgrenzung von Arbeit und Vermarktlichung von Beschäftigungsverhältnissen der Blick auf konturierte Arbeitsmarktsegmente seine Bedeutung. Erwerbsorganisationen generieren offenbar nicht mehr die alte Stabilität und Sicherheit. Damit wird dann aber implizit oder explizit die für Segmentationsansätze basale Unterscheidung von internen und externen Arbeitsmärkten infrage gestellt. Hinzu kommen Theorie-Probleme des Ansatzes. In Bezug auf die Interessen und Strategien der Beschäftiger zeigen sich die Grenzen der humankapitaltheoretischen Begründung von Schließungs- bzw. Öffnungsprozessen am Arbeitsmarkt. Hier hat die neue Institutionenökonomie (Alewell, Hackert 1998; Baron, Kreps 1999; Sesselmeier, Blauermel 1998) mit den Kategorien „Vertrag“, „Transaktionskosten“ und „Informationsasymmetrien“ die Soziologie weit überholt. Darüber hinaus zeigt die Geschlechterforschung, dass Familien und Haushaltsarrangements für die Erwerbsstrategien von zentraler Bedeutung sind (Pfau-Effinger 2004). Schließlich macht die neuere Arbeits- und Industriesoziologie deutlich, dass die bis dato dominierende Annahme instrumenteller Interessen und opportunistischen Verhaltens zu kurz greift (Deutschmann 2002; Pongratz, Voß 2003; Brose u.a. 2005). Hinzu kamen Operationalisierungsprobleme des Ansatzes. So wird mit der Restrukturierung der großen internen Arbeitsmärkte in Westdeutschland und den massiven Externalisierungsschüben nach der Systemtransformation in Ostdeutschland die Annahme einer Entsprechung von Erwerbsorganisation und Arbeitsmarktsegment, wie sie implizit und explizit lange Zeit die Arbeitsmarktsoziologie beherrschte, zunehmend problematisch. Unternehmen operieren in verschiedenen Arbeitsbereichen und für verschiedene Arbeitskräftegruppen mit ganz unterschiedlichen Personal- und Beschäftigungsstrategien. Auch reicht das nach wie vor populäre StammRand-Konzept mit der vereinfachenden Puffer-Annahme nicht dazu aus, die
2. Der Untersuchungsansatz
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personalpolitischen Differenzierungen zu erfassen (Köhler, Preisendörfer 1989; Kratzer 2003). Die teilweise bahnbrechenden empirischen Entdeckungen und theoretischen Innovationen in der arbeitsmarktsoziologischen Forschung der letzten 15 Jahre machen deutlich, dass der weitgehende Verzicht auf die alten Schablonen des Segmentationsansatzes einen erfrischend neuen Blick auf die soziale Wirklichkeit der alten und neuen Bundesrepublik ermöglicht hat. Der Segmentationsansatz war und ist kein Generalschlüssel zur Erforschung von Arbeitsmarkt- und Sozialstrukturen und über ihn sind weder die Konturen der geschlechtsspezifischen Segregation am Arbeitsmarkt noch die von Lebens- und Erwerbsverläufen zu verstehen. Die Frage ist allerdings, ob nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde. Bezieht man sich auf das Feld der sozioökonomischen Positionen auf dem Arbeitsmarkt und die daran gekoppelten Beschäftigungschancen und -risiken, so zeigt sich ein hoher Bedarf an Konzepten mittlerer Reichweite zur Arbeitsmarktstrukturanalyse: So haben sich auf der Basis von statistischen Analysen Positionen herausgebildet, die die Resilienz stabiler Beschäftigung und die Heterogenität von Arbeitsmarktstrukturen betonen und diese mit starken neoinstitutionalistischen Argumenten aus Ökonomie und Soziologie begründen (Auer, Cazes 2002; Bellmann u.a. 2002a; G. Schmid 2002; Erlinghagen 2004, 2005, 2006; Struck, Köhler 2005; Nienhüser 2005; Brose u.a. 2005; Blossfeld u.a. 2005; Blossfeld 2006; Keller, Seifert 2007; Bosch u.a. 2007). Grünert und Lutz haben den Segmentationsansatz für die Analyse der Restrukturierung des Beschäftigungssystems im ostdeutschen Transformationsprozess genutzt und weiterentwickelt (Grünert, Lutz 1996; Lutz u.a. 2007; Lutz 2007a). Der Ansatz wird in neueren Lehrbüchern und Aufsätzen aufgegriffen (z.B. Deutschmann 2002; Hirsch-Kreinsen 2005) und schließlich auch in der Sozialstrukturforschung wieder zum Thema gemacht (Groß 2008). 2. Der Untersuchungsansatz Zur Prüfung der basalen Annahmen des Segmentationsansatzes bieten sich zwei Zugänge an, die im Rahmen des SFB 580 umgesetzt werden. Einmal geht es um die Analyse zwischenbetrieblicher Mobilität, wobei methodisch die Verknüpfung von Betriebs- und Personaldaten im Längsschnitt im Vordergrund steht (Lutz u.a. 2000; Kapitel III und IV). Ein zweiter forschungsstrategisch sinnvoller Weg besteht darin, das betriebliche Substrat von Arbeitsmarktsegmenten zu erfassen, also gewissermaßen auf die kleinste strukturierte Einheit des Arbeits-
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
marktgeschehens zurückzugehen, um von dort aus wieder zur Meso- und Makroperspektive zurückzukehren. Betriebliche Beschäftigungs-Sub-Systeme (BBSS) Empirische und theoretische Analysen von betrieblicher Personal- und Beschäftigungspolitik machen deutlich, dass Erwerbsorganisationen ganz unterschiedliche Muster an Arbeitsplatz- und Personalstrukturen aufweisen und dass deren Elemente im Sinne von Wahlverwandtschaften miteinander zusammenhängen und nicht beliebig variier- und kombinierbar sind. Dieses Phänomen wird in der arbeits- und industriesoziologische Tradition (Altmann, Bechtle, Lutz 1978; Pries 1998; Brussig 2000) ebenso wie in der Personalökonomik (Alewell 1993; Baden, Kober, Schmid 1996; Baron, Kreps 1999; Sadowski 2002; Lazear 2003; Nienhüser 2005) und der sozialwissenschaftlichen Arbeitsmarktforschung (Mendius, Sengenberger 1976; Osterman 1987; Marsden 1999; Dombois 1999) aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Wir interessieren uns für eine kritische Prüfung und Weiterentwicklung von Segmentationsansätzen und beziehen uns daher auf die arbeitsmarktrelevanten Funktionen von betrieblichen Beschäftigungssystemen. Zu deren Bestimmung entwickeln wir im kritischen Anschluss an Analysen betrieblicher Beschäftigungspolitik im Rahmen des Münchner Segmentationsansatzes (Köhler, Sengenberger 1983; Köhler, Preisendörfer 1989) und neuere Ansätze aus der Arbeits- und Personalökonomik (Osterman 1987; Alewell 1993; Baden, Kober, Schmid 1996; Baron u.a. 1996;) mit dem Konzept des betrieblichen Beschäftigungs-Sub-Systems (BBSS) eine eigenständige Perspektive auf das Arbeitsmarktgeschehen. BBSS bearbeiten zwei Grundprobleme betrieblicher Personalund Beschäftigungspolitik (Altmann, Bechtle, Lutz 1978; Deutschmann 2002; Hirsch-Kreinsen 2005): Einmal geht es um die Verfügbarkeit von Arbeitskraft in einer bestimmten Menge und Qualifikation (bzw. um deren Abbau bei Personalüberhang), zum anderen um die Arbeitsmotivation und Leistung (häufig als Transformationsproblem thematisiert). Diese zwei Grundprobleme betrieblicher Personal- und Beschäftigungspolitik werden über Allokations- und Qualifizierungsprozesse sowie über materielle und immaterielle Gratifikationen (Anreize und Sanktionen) bearbeitet. Unser BBSS-Konzept fokussiert damit auf die personal- und arbeitsmarktrelevanten Vorgänge in den Unternehmen. BBSS bezeichnen in Abgrenzung zu Produktions- und Arbeitssystemen1 die Gesamtheit der auf die Bearbeitung des Verfügbarkeits- und Leistungsproblems gerichteten Strukturen und Prozesse der 1
Produktionssysteme umfassen die technisch-organisatorischen Produktionsmittel; Arbeitssysteme die Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation (vgl. Lutz 1987).
2. Der Untersuchungsansatz
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Allokation, Qualifikation und Gratifikation in Erwerbsorganisationen. Bezogen auf die Frage nach dem dominanten Steuerungsprinzip und der Beschäftigungssicherheit unterscheiden wir BBSS nach folgenden Merkmalen (vgl. Köhler u.a. 2007a, b): -
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BBSS sind Teilmengen von Arbeitplätzen und Arbeitskräften innerhalb von Erwerbsorganisationen, die über Eintritts- und Austrittspositionen und Austauschvolumina in unterschiedlichem Maße nach außen zum überbetrieblichen Arbeitsmarkt geöffnet sind und damit unterschiedliche Niveaus von betrieblicher Beschäftigungsstabilität und -sicherheit reproduzieren. Erwerbsorganisationen umfassen in der Regel mehrere BBSS, die sich nach innen durch den Substitutions- und Mobilitätsbereich ihrer Mitglieder abgrenzen. Innerhalb dieses Allokationsraumes konkurrieren die Arbeitskräfte um die privilegierten Positionen beim Personalaufbau und -abbau. Innerhalb eines BBSS gelten einheitliche Regeln der Allokation (Personalauswahl bei der Besetzung und Räumung von Stellen), Qualifikation (Ausund Weiterbildung im Betrieb) und Gratifikation (materielle und immaterielle Anreize). Diese sind im Sinne von Wahlverwandtschaften aufeinander bezogen.
Für eine zusammenfassende Definition können wir demnach festhalten: BBSS sind sozioökonomische Räume der Nutzung von Arbeitskraft innerhalb von Erwerbsorganisationen, die sich nach innen (gegenüber anderen Arbeitsbereichen im Betrieb) und außen (gegenüber den überbetrieblichen Arbeitsmärkten) abgrenzen. Sie zeichnen sich im Sinne der Unterscheidung von internen und externen Arbeitsmärkten durch unterschiedliche Niveaus der Schließung und distinkte Regeln der Allokation, Qualifikation und Gratifikation aus. Erwerbsorganisationen operieren in der Regel mit mehreren und verschiedenen BBSS, welche an verschiedene überbetriebliche Märkte angeschlossen sind. BBSS sind also betriebliche Bausteine überbetrieblicher Teilarbeitsmärkte bzw. von Arbeitsmarktsegmenten. Zentraler Indikator für den Grad der Schließung gegenüber den überbetrieblichen Teilarbeitsmärkten ist die in den innerbetrieblichen Allokationsräumen dominante Dauer der Beschäftigung. Langfristige Beschäftigung indiziert Schließung: Beschäftiger und Beschäftigte verzichten auf die Nutzung des externen Marktes. Bei zeitlich begrenzter Beschäftigung beobachten beide Seiten den externen Markt und nutzen Alternativen, wenn sich daraus Vorteile ergeben.
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
Untersuchungsdesign Für die folgenden Analysen stützen wir uns auf Expertengespräche mit Personalverantwortlichen (1. Erhebungswelle; N=41) und in ausgewählten Fällen zusätzlich auch auf Beschäftigteninterviews (2. Erhebungswelle; N=10), die in den Jahren 2002-2005 im Rahmen unseres SFB-Projektes erhoben wurden. Die wesentlichen Kriterien für die Auswahl der Betriebe im Kernsample wurden im Sinne des „dimensionalen Samplings“ (Arnold 1970; Flick 1999) vorab festgelegt. Hierzu wurden in einem ersten Schritt sechs Wirtschaftszweige ausgewählt, die hinsichtlich der Situation auf den (Arbeits-) Märkten sowie des Qualifikationsniveaus und der Fluktuation der Beschäftigten möglichst heterogen waren.2 Die Auswahl fiel auf die ambulante Pflege, den Maschinenbau, die Softwareentwicklung, das Bauhauptgewerbe, Kreditinstitute und den Weiterbildungsbereich. Hieran schloss sich die Wahl einer jeweils west- und ostdeutschen Untersuchungsregion an (Nord-Niedersachsen/Bremen; Mittel-Thüringen). Beide Regionen haben einen je spezifischen De-Industrialisierungsschub durchlaufen und weisen für West- bzw. Ostdeutschland mittlere Arbeitslosenquoten auf. Innerhalb dieser so durch die Wirtschaftszweige und Regionen definierten Fallgruppen wurde schließlich in einem dritten Schritt mit Hilfe von Experten vor Ort zwischen Betrieben mit einer relativ stabilen bzw. mit einer eher instabilen Beschäftigungssituation differenziert. Diese 51 Fallstudien bilden das Kernsample der folgenden Analysen. Über 100 Fallrekonstruktionen aus vier Lehrforschungen der Jahre 2002 bis 2006 wurden als illustratives Hintergrundmaterial verwendet und bilden das „erweiterte Sample“ (Köhler u.a. 2007a). Sie ergänzen das Kernsample um erstens fünf zusätzliche Branchen (Handel, Medien, Chemie, Gesundheit, Dienstleistungen) sowie zweitens insbesondere um die Beschäftigtenperspektive (vgl. Bernhardt u.a. 2007). Abbildung 2.2 zeigt die in der ersten Erhebungswelle erfassten Untersuchungsbetriebe (Betriebsstätten) nach dem Anteil der Positionen mit zeitlich begrenzter Beschäftigung an der Gesamtbeschäftigung. Wie oben ausgeführt, ist die Beschäftigungsdauer ein guter Indikator für das Niveau der Schließung von BBSS gegenüber dem überbetrieblichen Arbeitsmarkt. Kurz- und Mittelfristbeschäftigung indizieren, dass Beschäftiger oder Beschäftigte Gelegenheiten des überbetrieblichen Marktes nutzen. Die BBSS sind relativ offen und damit Bestandteil externer Teilarbeitsmärkte. Langfristbeschäftigung indiziert Schließung und interne Arbeitsmärkte. 2
Die hierfür benötigten Informationen wurden der BIBB/IAB-Erhebung von 1998 sowie aus einschlägigen Branchen-Studien entnommen.
2. Der Untersuchungsansatz
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Abbildung 2.2: Anteile kurz- und mittelfristiger Beschäftigung; ausgewählte Fälle N=33
Legende: MaBau =Maschinenbau; Weiterbildung 1 =ohne Honorarkräfte; Weiterbildung 2 =mit Honorarkräften
Die Daten basieren auf detaillierten Angaben der Personalverantwortlichen zur Struktur der Beschäftigungsdauern in den einzelnen Arbeitsbereichen ihrer Organisation, die unter Rückgriff auf eine Vielzahl anderer Variablen (Fluktuation, Beschäftigungsentwicklung, Vertragsformen, Altersstruktur, Erfahrungen der
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
Beschäftiger etc.) kontrolliert wurden. Kurzfristige Beschäftigung wurde durch eine betriebliche Verweildauer von bis zu zwei Jahren definiert, als mittelfristig gelten Beschäftigungsverhältnisse von zwei bis zehn Jahren und als langfristig solche mit zehn und mehr Jahren, im Extremfall bis zur Rente. Dieser Ansatz hat sich auch in unserem Betriebspanel bewährt (vgl. Kapitel V). Da wir sowohl bei der Branchenauswahl als auch bei der Betriebsauswahl innerhalb der Branchen nach dem Prinzip des maximalen Kontrastes vorgegangen sind, finden wir eine geradezu extreme Streuung: Die Betriebstätten (im folgenden Betriebe) weisen die gesamte Bandbreite von nur 5% bis 95% kurzund mittelfristiger Beschäftigung auf (siehe Abb. 2.2). Im Maschinenbau konzentrieren sich die Untersuchungsfälle auf den Bereich mit hohen Anteilen an Langfristbeschäftigung. Ebenso lassen sich in Teilen der Bankenbranche Unternehmen mit relativ hohen Anteilen langfristiger Beschäftigung finden. In der Weiterbildung zeigen sich dagegen vor allem Fälle mit hohen Anteilen von Mittel- und Kurzfristbeschäftigung, wenn man die Arbeitsplätze der Dozenten in die Kalkulation einbezieht (Weiterbildung 2). In den anderen Branchen liegt eher eine breite Streuung über alle Felder vor. Schon der erste Blick auf die Auswahlfälle innerhalb der Branchen lässt vermuten, dass die unterschiedliche Ausprägung der Dauervariablen mit verschiedenen Faktoren kovariiert. In Maschinenbau und Softwareindustrie spielen die Produktkomplexität und die Seriengröße (im Sinne des alten situativen Ansatzes) eine Rolle. Bei Pflegediensten, Baubetrieben, Weiterbildungseinrichtungen und Banken geht es eher um die Marktmacht auf den Absatzmärkten oder die institutionelle Absicherung als funktionales Äquivalent. Im Vergleich zwischen den Branchen spielt das Arbeitskräfteangebot eine große Rolle. 3. Grundmuster von betrieblichen Beschäftigungs-Subsystemen Die vorangestellte Übersicht in sechs Branchen des Industrie- und Dienstleistungssektors macht deutlich, dass Erwerbsorganisationen verschiedene Beschäftigungsverhältnisse in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen nutzen. Die Frage war, ob die für die Prosperitätskonstellation des Fordismus entwickelte Unterscheidung von internen und externen sowie primären und sekundären Teilarbeitsmärkten heute noch Sinn macht. Die detaillierten empirischen Analysen einzelner Arbeits- und Tätigkeitsbereiche innerhalb der Unternehmen und Betriebe bestätigen unsere konzeptuellen Überlegungen zu BBSS und die Grundgedanken des Segmentationsansatzes. Es finden sich in verschiedenen Abteilungen und Arbeitsbereichen ganz unterschiedliche Allokationsräume, die sich durch
3. Grundmuster von betrieblichen Beschäftigungs-Subsystemen
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unterschiedliche Maße der Schließung gegenüber dem externen Arbeitsmarkt (indiziert durch die jeweils dominanten Beschäftigungsdauern) auszeichnen. Als geschlossene BBSS bezeichnen wir nach außen und innen abgegrenzte Arbeitsplatzbereiche in den Unternehmen, die mit langfristiger Beschäftigung und einheitlichen Regeln der Allokation, Qualifikation und Gratifikation gefahren und dadurch von den unmittelbaren Schub- und Ziehkräften des externen Marktes abgekoppelt werden. In einer anderen Gruppe von Arbeitsbereichen (offene BBSS) dominiert die zeitlich begrenzte Beschäftigung. Allokation, Qualifikation und Gratifikation werden stärker von den externen Märkten beeinflusst. Über die jeweilige Beschäftigungsdauer und damit die relative Zahl von Eintritts- und Austrittspositionen sind die jeweiligen BBSS an Arbeitsmarktsegmente angeschlossen. Geschlossene BBSS bilden den betrieblichen Baustein des Arbeitsmarktsegments interner Märkte, offene BBSS den Baustein externer Märkte. Geschlossene und offene BBSS unterscheiden sich ferner in einer vertikalen Dimension nach dem Lohnniveau und den Beschäftigungsrisiken (siehe Abb. 2.3). Primäre BBSS zeichnen sich durch durchschnittliche bis überdurchschnittliche Einkommen und betriebliche oder überbetriebliche Beschäftigungssicherheit aus; sekundäre BBSS durch geringe Einkommen und/oder hohe Beschäftigungsrisiken. Die unterschiedlichen sozialen Risiken für die Beschäftigten haben Handlungsfolgen für beide Arbeitsmarktparteien und generieren distinkte Muster der Allokation, Qualifikation und Gratifikation. Im Ergebnis zeigen sich vier Grundmuster von BBSS, die der Logik der Segmentationsmatrix entsprechen. Dabei sind BBSS nicht mit überbetrieblichen Teilarbeitsmärkten zu verwechseln. Sie umfassen innerbetriebliche Allokationsräume, die in unterschiedliche Weise an zwischenbetriebliche Arbeitsmärkte und Institutionen angeschlossen sind und bilden damit den betrieblichen Baustein von Arbeitsmarktsegmenten. Geschlossene BBSS korrespondieren also mit Teilarbeitsmärkten auf der Basis interner Märkte und offene BBSS mit externen Teilarbeitsmärkten. Abbildung 2.3: Arbeitsmarktsegmente und BBSS Interne Arbeitsmärkte
Externe Arbeitsmärkte
Primär
primäre geschlossene BBSS
primäre offene BBSS
Sekundär
sekundäre geschlossene BBSS
sekundäre offene BBSS
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
Diese vier Grundmuster von BBSS (offen/geschlossen; primär/sekundär) sollen im Folgenden auf Basis unseres Fallstudienmaterials kurz beschrieben werden. Dabei stehen der Grad der Schließung gegenüber den überbetrieblichen Teilarbeitsmärkten und der jeweils genutzte Qualifikationstypus im Vordergrund (für eine detaillierte Analyse der Binnenstrukturen von BBSS nach Allokation, Qualifikation und Gratifikation vgl. Köhler u.a. 2007a). Geschlossene BBSS Geschlossene Systeme zeichnen sich durch langfristige Beschäftigungsverhältnisse aus. Beschäftiger und Beschäftigte verzichten darauf, Gelegenheiten des externen Marktes zu nutzen. Der implizite Arbeitsvertrag lautet: Wir bleiben zusammen, bis dass die Rente oder ein externes Ereignis (z.B. eine ökonomische Krise) uns trennen. Konsequenterweise ist der Einfluss des externen Arbeitsmarktes auf die Allokation, Qualifikation und Gratifikation der Beschäftigten eher gering, deren Steuerung erfolgt über die Logik der Organisation. (1)Primäre geschlossene BBSS zeichnen sich durch Existenz sichernde Arbeitseinkommen aus (indiziert durch durchschnittliche bis überdurchschnittliche Löhne und Gehälter). Eintrittspositionen in den innerbetrieblichen Allokationsraum sind eher die weniger qualifizierten und präferierten Arbeitsplätze. Von dort ergeben sich Mobilitätsströme zu den höher eingestuften und attraktiveren Positionen. Das Personal auf den unteren Ebenen der Hierarchie fungiert typischerweise als Selektionsvorrat und Puffer für die gesicherten Positionen. Entsprechend den Erwartungen des Humankapitalansatzes für „firm specific skills“, organisieren geschlossene BBSS Qualifikationen, die über Anlernung erzeugt und traditionell als betriebsspezifisch charakterisiert werden, dies jedoch häufig nicht sind, da sie für dieselben Tätigkeiten in anderen Betrieben nutzbar sind. In unserem Sample sind wir etwa in der Serienfertigung im Maschinenbau (M:O1; M:O3-4) auf Arbeitsbereiche und Tätigkeiten mit klassischen Anlernqualifikationen gestoßen. Entgegen den Erwartungen des Humankapitalansatzes für „general skills“ finden sich aber in primären geschlossenen BBSS auch berufsfachliche Qualifikationen, die eher externen Märkten zugerechnet wurden. Berufsfachliche Qualifikationen sind in Deutschland vielfach mit geschlossenen Systemen gekoppelt, so etwa in der Kleinserienfertigung im Maschinenbau (M:O2; M:O4; M:W2), der Kundenberatung vieler Banken (Bk:O1-3; Bk:W1) und bei komplexen Bautätigkeiten in großen und kleinen Baufirmen (B:O2; B:W1). Im Bereich hoch qualifizierter Tätigkeiten haben wir primäre geschlossene BBSS mit berufsfachlich-akademischen Qualifikationen etwa in der Softwarebranche (S:O1-2; S:W1) gefunden.
3. Grundmuster von betrieblichen Beschäftigungs-Subsystemen
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(2) Sekundäre geschlossene BBSS: Der Niedriglohnsektor wird traditionell durch kurze Beschäftigungsdauern und hohe Beschäftigungsrisiken charakterisiert und externen Teilarbeitsmärkten zugeordnet (siehe unten). Die Empirie zeigt aber, dass Niedriglöhne relativ häufig auch in der Kombination mit langfristigen Beschäftigungsbeziehungen in geschlossenen BBSS auftreten. Es spricht daher vieles dafür, einen Typus sekundärer geschlossener BBSS einzuführen. Für die Beschäftigten ist entscheidend, dass sie keine Existenz sichernden Einkommen verdienen, also auf zusätzliche Einkommensquellen aus Zusatzjobs, staatlicher Unterstützung oder der Familie angewiesen sind. Diese BBSS finden sich häufig in gewerkschaftlich organisierten oder öffentlichen Betrieben, die auch für die besser bezahlten Arbeitsbereiche mit langfristiger Beschäftigung operieren und deren Betriebsräte und Beschäftigten einheitliche Regeln für die Erwerbsorganisation favorisieren und durchsetzen. Die Beschäftiger ziehen aus der Schließung dieser BBSS kaum Vorteile, da im Niedriglohnsektor strukturell Arbeitskräfteüberschüsse vorhanden und damit die Transaktionskosten des Personalaustauschs gering sind. Konsequenterweise sind diese BBSS bei Veränderungen der betrieblichen Arbeitsbeziehungen oder des überbetrieblichen Institutionengefüges besonders schnell von einem Umbau in Richtung offener Systeme betroffen (Baden, Kober, Schmid 1996). In diesen BBSS finden sich in der Regel Arbeitsplätze mit einfachen Basisqualifikationen („Jederperson-Qualifikationen“) für Hilfstätigkeiten in direkt produktiven Prozessen, z.B. in der Produktion (M:O1), aber auch im Dienstleistungssektor, etwa in der Pflege (P:O4; P:W3). Sie können aber auch Servicefunktionen in Lager, Küche, Reinigung, Wachdiensten usw. zugeordnet sein. Offene BBSS Während in geschlossenen Systemen langfristige Beschäftigung die Regel bildet, zeichnen sich offene BBSS durch mittelfristige und kurzfristige Beschäftigung aus. Betrieb und Beschäftigte gehen davon aus, dass die Beschäftigungsbeziehung in einem häufig vertraglich nicht definierten, aber begrenzten Zeithorizont aufgelöst wird, wenn eine der beiden Seiten eine bessere Alternative findet. Der implizite Arbeitsvertrag lautet: Wir bleiben solange zusammen, wie es für beide Seiten von Vorteil ist. Konsequenterweise sind die Binnenstrukturen der offenen BBSS an die Allokations- und Lohnbildungsprozesse der überbetrieblichen Märkte angeschlossen. (1) Primäre offene BBSS zeichnen sich darüber hinaus durch Existenz sichernde Einkommen und überbetriebliche Beschäftigungssicherheit aus. Die hier Beschäftigten wechseln in mehr oder weniger großen Abständen den Betrieb und gewinnen Einkommens- und Beschäftigungssicherheit dadurch, dass Ihr Qualifi-
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
kationsprofil in einer Vielzahl von Betrieben nachgefragt wird. In BBSS dieses Typs finden sich erwartungsgemäß vor allem die in der alten Segmentationstheorie identifizierten Strukturen berufsfachlicher Arbeitsmärkte. Dies gilt für die Bauwirtschaft, für Teile der Softwareindustrie und des Gesundheitswesens (P:W2; P:O1; P:O3). In diesen BBSS hat sich in einem langen und voraussetzungsvollen historischen Prozess eine Standardisierung und Normierung von Arbeitsplatz- und Qualifikationsprofilen durchgesetzt, die die zwischenbetriebliche Mobilität erleichtert. Entgegen den Erwartungen des Humankapitalansatzes und der alten Segmentationstheorie organisieren Offene BBSS auch tätigkeitsbasierte Qualifikationen und Kompetenzen, die über betrieblich gesteuerte Anlernung und teilweise auch Weiterbildung erworben wurden und daher als stark betriebsspezifisch mit der Folge einer hohen Betriebsbindung galten. Es handelt sich um nicht beruflich erzeugte und strukturierte, aber durchaus anspruchsvolle Qualifikationen, die häufig nach einer nicht einschlägigen beruflichen oder akademischen Ausbildung im Rahmen inner- und überbetriebliche Mobilitätsketten erworben werden (Struck 2006b: 324ff). In unserem Sample sind wir vor allem in der Industrie bei Anlerntätigkeiten nach Berufswechsel (M:O3), in der Softwarebranche bei sogenannten Quereinsteigern (S:W1) und teilweise im Weiterbildungssektor bei Geistes- und Sozialwissenschaftlern aller Fachrichtungen auf Beschäftigungssysteme dieses Typs gestoßen. Bei Weiterbildungsplanern und Dozenten sowie bei Journalisten spielen – nach Auskunft der Befragten – metafachliche Kompetenzen (etwa pädagogische oder Schreibkompetenzen) eine große Rolle. (2) Sekundäre offene BBSS weisen definitionsgemäß – indiziert durch zeitlich begrenzte Beschäftigungsdauern und Niedriglöhne – hohe Beschäftigungsrisiken auf. Die begrenzten Beschäftigungsdauern ergeben sich dabei teilweise aus Beschäftigerinteressen der schnellen Anpassung an Schwankungen des Arbeitsvolumens und des Personalaustauschs zur Verbesserung des Leistungsprofils im Rahmen einer Marktsteuerung von Lohn und Leistung. Allerdings finden sich in BBSS dieses Typs auch überproportional hohe Raten der Eigenkündigungen aufgrund von unterdurchschnittlichen Löhnen und teilweise schlechten Arbeitsbedingungen. Die Beschäftigten sind durchgängig auf der Suche nach besseren Arbeitsgelegenheiten oder nutzen sekundäre BBSS als Alternativrolle oder Durchgangsstation in andere Segmente des Arbeitsmarktes. In unserem Sample finden sich BBSS dieses Typs für abhängige Randbelegschaftsposition in Industriebetrieben mit ansonsten stabiler Beschäftigung (M:O1; M:O3-4; M:W1) ebenso wie als allein stehende und den Betrieb tragende Systeme bei polnischen Verputzerkolonnen in der Bauindustrie (B:W5). Diese klassischen Jederperson-Arbeitsmärkte für Niedrigqualifikationen und die entsprechenden BBSS sind mittlerweile gut erforscht (Brinkmann u.a. 2006; Keller,
4. Betriebliche Beschäftigungs-Subsysteme – Entwicklungslinien
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Seifert 2007). Sie „alimentieren“ sich in West- und Ostdeutschland aus einer „Reservearmee“ von Personen ohne Ausbildungszertifikate oder mit nichtmarktgängigen Berufsabschlüssen (Bäcker, Tischler, FriseurInnen, FloristInnen usw.). Interessant ist, dass sich vergleichbare Strukturen auch für berufsfachliche und akademische Qualifikationen ausbreiten. In unserem Sample arbeiten etwa in der Weiterbildung (W:O3-4; W:W1-3; W:W5) viele Dozenten mit Niedriglöhnen unterhalb des Einkommens-Durchschnitts und mit zeitlich begrenzten Verträgen. In der Literatur wird dieses Phänomen etwa für Sprachlehrer und Journalisten dokumentiert. Auch hinter diesem System steht ein Arbeitskräfteüberschuss auf den externen Arbeitsmärkten, der sich in Westdeutschland bis weit in die 90er Jahre aus den Absolventen der geburtenstarken Jahrgänge und den hohen Studierquoten für Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen alimentierte. 4. Betriebliche Beschäftigungs-Subsysteme – Entwicklungslinien Unsere BBSS-Typologie erlaubt eine systematische Prüfung von Erklärungsansätzen ebenso wie eine differenzierte Beschreibung der Arbeitsmarkt- und Betriebslandschaft im Quer- und Längsschnitt. Im Folgenden versuchen wir auf der Basis unseres Fallstudienmaterials Hypothesen zur aktuellen Struktur und zu Verschiebungen zwischen Typen von BBSS und Teilarbeitsmärkten zu entwickeln. Die große Mehrzahl der Untersuchungsbetriebe bestand im Untersuchungszeitraum 2002 bis 2006 seit mindestens zehn Jahren und schaute auf die Transformationsphase Anfang der 90er Jahre und den sich anschließenden Konjunkturzyklus zurück. Die Erfahrungen und Lernprozesse aus dieser Zeit waren Bestandteil unserer Befragung. Dementsprechend liegen eine Vielzahl von Textpassagen und Daten über Veränderungen der beschäftigungspolitischen Muster im Zeitablauf und im Ost-West-Vergleich vor. Darüber hinaus wurden von den Befragten auf Basis der aktuellen betrieblichen Altersstrukturen sowie der absehbaren demografischen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt Erwartungen für die nächsten Jahre formuliert. Die Aussagen der personalpolitischen Entscheider zu Vergangenheit und Zukunft wurden einer Reihe von Plausibilitätsprüfungen unterzogen und dann in die Hypothesenbildung einbezogen.
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
Westdeutschland – von der Hegemonie interner zur Koexistenz von internen und externen Arbeitsmärkten Westdeutschland wurde im internationalen Vergleich durch eine lange Tradition stark institutionalisierter interner Arbeitsmärkte und durch relativ schwache sekundäre Teilarbeitsmärkte sowie eine durchgängige berufliche Strukturierung des Bildungs- und Beschäftigungssystems gekennzeichnet (vgl. Lutz 1987; Sengenberger 1987; Lutz u.a. 2007). Wir konnten also hier von einer Hegemonie geschlossener BBSS und von Beruflichkeit ausgehen. Vor diesem Hintergrund zeichnen sich auf der Basis unseres Fallstudienmaterials für die 90er Jahre im Hinblick auf die Verteilung und Dynamik von BBSS vier Entwicklungstendenzen ab (siehe Abb. 2.4). (1) Externalisierung: Die in der These um die Erosion interner Arbeitsmärkte und des Normalarbeitsverhältnisses am stärksten beschworene Tendenz ist die der Substitution geschlossener durch offene BBSS, auch und gerade im primären Segment des Arbeitsmarktes für gut qualifizierte und gut bezahlte Beschäftigte. Für diese These finden sich in unseren empirischen Analysen Belege, aber auch Hinweise auf Gegenbewegungen. Ohne Zweifel vollzieht sich in den mittel- und großbetrieblich organisierten Betriebsstätten der Industriebranchen (M:W1) unseres Samples und des Dienstleistungssektors (Bk:W1, Bk:W3) ein weitreichender Restrukturierungsprozess, der in vielen Fällen zur Zunahme des Anteils von innerbetrieblichen Arbeitsplatzbereichen mit zeitlich begrenzter Beschäftigung gegenüber solchen mit langfristiger Beschäftigung, also zur Substitution geschlossener durch offene BBSS führt. Diese Entwicklung ist dann in der Regel mit geringen Übergangschancen in die geschlossenen BBSS verbunden. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die organisatorische Verselbstständigung der Finanzberatung von Privat- und Geschäftskunden in Banken, Bausparkassen und Versicherungen. Auch in Teilen der Weiterbildungsbranche unseres Samples zeigen sich Substitutionsprozesse (W:W5). Gerade bei technischen Funktionen zeigen sich aber auch Gegenbewegungen. So führte die schon fast strukturelle Knappheit bei Informatikern und Ingenieuren in den letzten zehn Jahren zu einer Verfestigung der Betriebsbindung dieser Arbeitskräftegruppen und damit zu einer Zunahme des Anteils geschlossener BBSS (S:W1). Auch dort, wo Funktionen ausgelagert werden, bedeutet dies nicht notwendigerweise eine Erosion geschlossener zugunsten offener BBSS, da viele dieser Funktionen in spezialisierten Firmen wiederum mit langfristiger Beschäftigung gefahren werden (S:W2; vgl. Hinze 2004). Wie insgesamt nach dem „New Economy“ Boom zu beobachten, kommt es in vielen Fällen zu einer Retraditionalisierung der Beschäftigungspolitik (vgl. Boes 2005;
4. Betriebliche Beschäftigungs-Subsysteme – Entwicklungslinien
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Mayer-Ahuja, Wolf 2005). Dahinter stehen häufig Rekrutierungsprobleme in Teilarbeitsmärkten für qualifizierte Arbeitskräfte. (2) Sekundarisierung: Ein eindeutiger Trend der Substitution von geschlossenen durch offene BBSS zeichnet sich bei vielen unserer Untersuchungsfälle dagegen im sekundären Segment auf der Basis von Niedrigqualifikationen und Niedriglöhnen ab. In vielen direkt produktiven Arbeitsbereichen, aber auch Serviceabteilungen wird die Betriebsbindung für die Beschäftigten aufgelöst. Aus sekundären geschlossenen Systemen werden sekundäre offene Systeme mit mittelfristigen, aber häufig auch kurzfristigen Beschäftigungsperspektiven. Besonders deutlich und in verschiedenen Studien gut dokumentiert ist die Einführung von Leiharbeit für einfache und repetitive Teilarbeiten, etwa am Band (M:W1). Stark betroffen sind auch Arbeitsbereiche mit Servicefunktionen für Beschäftigte im Wachdienst, in der Cafeteria und der Reinigung, die ehemals fest beschäftigt und tarifvertraglich gesichert waren. Diese Arbeiten werden zunehmend ausgelagert und von spezialisierten Firmen mit offenen und teilweise marktförmigen BBSS ausgeführt, die nicht tarifvertraglich gebunden sind (Brinkmann u.a. 2006). (3) Transformation interner Märkte: Die am meisten verbreiteten Veränderungen betreffen endogene Modifikationen geschlossener BBSS (vgl. Kapitel VIII), werden aber in der Diskussion um die Erosion interner Arbeitsmärkte am wenigsten beachtet. In unserem Sample können wir bei vielen Mittel- und Großbetrieben eine Transformation von senioritätsbasierten zu leistungbasierten Systemen beobachten (z.B.: M:W1, M:W2, B:W2, S:W1, Bk:W3-2. Welle, LF04/05-Bk:W7, LF05/06-M:W9). Dabei verändern sich die Binnenstrukturen, ohne die relative Abschottung vom externen Markt aufzuheben. Die klassischen aufwärtsgerichteten und senioritätsbasierten Mobilitäts- und Qualifizierungsketten werden in Richtung horizontal strukturierter leistungsbasierter Systeme modifiziert Die „internen Märkte“ nehmen mehr Markt und weniger Hierarchie auf: Zum einen nimmt die Zahl der Eintrittspositionen auf allen Ebenen der Arbeitsplatzstruktur zu, dadurch erhöht sich die die Konkurrenz mit Personen auf den überbetrieblichen Märkten. Zum anderen wird die interne Konkurrenz um sichere und privilegierte Positionen intensiviert, wer sich nicht anstrengt, bleibt auf schlechter bezahlten und unsicheren Arbeitplätzen. Beim Personalabbau werden Qualifikations- und Leistungskriterien gegenüber sozialen Auswahlkriterien (Seniorität, Alter, Familie) gestärkt. Das Versprechen und die reale Chance einer langfristigen Beschäftigung bis zur Verrentung gelten auch für die neuen leistungsbasierten BBSS. Dieses Versprechen ist jedoch nicht mehr an die Betriebszugehörigkeitsdauer, sondern an individuelle Leistungsstandards und die Produktivität von Betriebsteilen gebunden und wird damit relativiert. Damit verändert sich die Selektivität inner-
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
betrieblicher Personalströme. Dies muss aber keine Auswirkungen auf durchschnittliche betriebliche Verweildauern zeitigen und mag erklären, warum sich auf der makrostatistischen Ebene trotz der weitreichenden Transformation der Binnenstrukturen von BBSS nach wie vor wenig Veränderung zeigt. Diese endogenen Modifikationen geschlossener BBSS werden in der industriesoziologischen und personalwirtschaftlichen Literatur unter Stichworten wie „Intra-Preneur“ und „Subjektivierung der Arbeit“ dokumentiert (Voß, Pongratz 1998; Moldaschl 2002; Kratzer 2003; Pongratz, Voß 2003). Wir teilen diese Beobachtungen, können hier aber keine Aufweichung oder sogar Auflösung geschlossener BBSS erkennen. Im Gegenteil: Leistungsorientierte Personalpolitik und „Subjektivierung“ stärken den „Markt“ im internen Markt und oft auch die ökonomische Leistungsfähigkeit und Stabilität geschlossener BBSS. Ein Umschalten auf offene Systeme und externe Arbeitskräfteversorgung fällt schwer, da funktionierende externe Arbeitsmärkte für qualifizierte Arbeitskraft hoch voraussetzungsvoll sind. (4) Re-Kommodifizierung externer Märkte: Auch bei den offenen BBSS finden sich endogene Veränderungen. Diese betreffen den Übergang von betriebförmigen zu marktförmigen Systemen. Erstere zeichnen sich durch zeitlich begrenzte, aber häufig nicht vorab festgelegte, mittelfristige Dauern aus. Bei letzteren dagegen dominieren kurzfristige Perspektiven von weniger als einem Jahr. Eine Reihe von Betrieben berichtet über einen deutlichen Rückgang der mittelfristigen Beschäftigungsdauern von mehreren Jahren und eine Zunahme der kurzfristigen Dauern, etwa im Zusammenhang mit der Nutzung von Leiharbeit (M:W1, M:W2), aber auch unabhängig davon (P:W1, P:W2, B:W3, B:W5). Es macht einen großen Unterschied für die Binnenstrukturen des BBSS, ob Beschäftiger und Beschäftigte etwa in einem klassischen berufsfachlichen Markt (z.B. in der Bauwirtschaft) für mehre Jahre zusammenbleiben oder ob für beide Seiten das baldige Ende der Beschäftigung bereits beim Betriebseintritt feststeht: Die Betriebe verzichten weitgehend auf Binnenmobilität und Qualifizierung und sie arbeiten mit engmaschigen Kontroll- und Gratifikationssystemen. Die Beschäftigten suchen nach Alternativen auf dem überbetrieblichen Arbeitsmarkt.
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Abbildung 2.4: Entwicklungstendenzen BBSS
Dieser Blick auf Prozesse der Modifikation und Substitution von BBSS in unseren Untersuchungsbetrieben legt eine Reihe von Hypothesen über die Strukturveränderungen des westdeutschen Arbeitsmarktes nahe. Überraschender Befund ist, dass, gemessen an den weitreichenden globalen und regionalen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, geschlossene BBSS und das Segment interner Arbeitsmärkte insgesamt relativ stabil sind. Deutlich werden allerdings endogene Modifikationen geschlossener BBSS in Richtung einer Transformation interner Märkte von senioritäts- zu leistungsbasierten Regeln, wobei die Grenzen zum externen Arbeitsmarkt erhalten bleiben. Marktgrenzverschiebungen (Dörre, Brinkmann 2005) im Sinne einer Externalisierung von Allokationsprozessen zeichnen sich vor allem an den Rändern des Segments interner Arbeitsmärkte über die Substitution geschlossener durch offene BBSS ab. Diese gewinnen nicht nur, aber besonders deutlich in sekundären Teilarbeitsmärkten mit Niedriglöhnen an Gewicht. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass sich der westdeutsche Arbeitsmarkt von einer „Hegemonie“ interner Arbeitsmärkte und langfristiger Beschäftigung auf eine eher spannungsgeladene und dynamische, denn „friedliche“ und stabile Koexistenz von internen und externen Arbeitsmärkten zu bewegt, wobei diese geopolitischen Metaphern sowohl die objektiven Beschäftigungsmuster als auch die diskursive und normative Verarbeitung der Thematik bezeichnen sollen.
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Ostdeutschland – Überholen ohne Einzuholen Während wir für die alte Bundesrepublik von einer Hegemonie interner Arbeitsmärkte sprechen können, zeichnete sich die DDR durch eine durchgängige Verallgemeinerung interner Arbeitsmärkte auf der Basis geschlossener BBSS in großen Betrieben und Kombinaten aus (Grünert, Lutz 1996). Der Systemumbruch und der Anschluss an den „nicht-sozialistischen“ Weltmarkt führten zunächst zu einem, auch gegenüber den anderen osteuropäischen Transformationsländern, einmalig hohen Arbeitsplatzverlust von etwa zwei Fünfteln des Beschäftigungsvolumens und zu einer anhaltenden Unterbeschäftigung von etwa einem Viertel des nach der kollektiven Vorzeitverrentung verbleibenden Arbeitskräftepotenzials (Grünert, Lutz 1996; Köhler u.a. 2006a: 168ff). Als erste Reaktion auf diese historisch singuläre Strukturtransformation können wir eine weitgehende Zerstörung dieser großen internen Märkte Anfang der 90er Jahre beobachten. Es vollzieht sich ein massiver Prozess der Externalisierung von Allokationsprozessen auf dem Arbeitsmarkt, womit in der Regel auch eine Externalisierung von sozialpolitischen Funktionen (Kindergärten, Reha-Zentren, Jugendhilfe, Berufsbildung etc.) verbunden ist. Auf dieser Basis zeichnet sich dann im Verlauf der 90er Jahren eine schrittweise Annäherung an die westdeutschen Muster von offenen und geschlossenen BBSS ab. Bei betriebsökonomisch ähnlichen Betrieben bildeten sich in den Kernbereichen ähnlich strukturierte Beschäftigungssysteme heraus. Die Ubiquität interner Arbeitsmärkte in der DDR weicht einer Struktur der Koexistenz von internen und externen Märkten auf der Basis geschlossener und offener BBSS. In diesem Prozess bilden sich neue und signifikante Differenzen gegenüber Westdeutschland heraus, die im Kontrast zu den oben für Westdeutschland beschriebenen vier Entwicklungslinien verdeutlicht werden sollen. (1) Externalisierung und Polarisierung: In Bezug auf die Substitution geschlossener durch offene BBSS im primären Arbeitsmarktsegment zeigt sich in den ersten Jahren nach dem Systemumbruch vor allem in der Industrie eine kurze Phase der Renaissance hoher Betriebsbindung und geschlossener Beschäftigungssysteme. Im Verlauf der 90er Jahre entwickelt sich dann ein rascher und schmerzhafter Prozess der Annäherung an das westdeutsche Niveau von stabiler und instabiler Beschäftigung (Bk:O4, Bk:O4-2. Welle), wobei sich neue Differenzen herausbilden: Aufgrund der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit sowie des Transformationsschocks und tradierter sozialmoralischer Gemeinschaftsnormen entwickelt sich bei den Beschäftigten eine starke Betriebsbindung. Diese führt zu einer stärkeren Abschottung der geschlossenen BBSS gegenüber dem externen Arbeitsmarkt. Dies gilt aber auch gegenüber den offenen BBSS in den weniger qualifizierten und attraktiven Arbeitsbereichen der Erwerbsorganisationen. Be-
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sonders deutlich kann diese ausgeprägte Insider-Outsider-Struktur dort beobachtet werden, wo Belegschaftsgruppen aus DDR-Betrieben in restrukturierten Unternehmen zusammenbleiben (B:O3). (2) Sekundarisierung: Unter dem ökonomischen Druck des Transformationsprozesses einerseits und der hohen Arbeitskräfteüberschüsse andererseits bildet sich ein starkes sekundäres Segment des Arbeitsmarktes auf der Basis von Niedriglöhnen heraus, wobei hier wiederum offene BBSS mit atypischen Verträgen und teilweise subventionierter Beschäftigung eine große Rolle spielen (z.B. M:O1 – vgl. auch Köhler u.a. 2007a). Hier überholt der ostdeutsche den westdeutschen Arbeitsmarkt. In unserem Sample betrifft dies BBSS für Hilfstätigkeiten in allen sechs Branchen, aber auch Dozenten in Weiterbildungsfirmen (W:O1). (3) Transformation interner Märkte: In Bezug auf die endogenen Modifikationen geschlossener Systeme von senioritätsbestimmten zu leistungsorientierten Regeln hat der ostdeutsche Arbeitsmarkt zweifellos eine Vorreiterfunktion. Westliche Unternehmen nutzen für ihre ostdeutschen Niederlassungen die sich aus der hohen Arbeitslosigkeit und Unsicherheit der Belegschaften ergebenden neuen Spielräume aus, um westdeutsche Standards zu unterlaufen, so dass formelle und informelle Statusrechte nach westdeutschem Muster kaum aufgebaut werden können. Die Zugehörigkeit zur Stammbelegschaft wird an hohe Leistungsstandards gebunden, beim Personalabbau wird stark nach Leistung selektiert (B:O1, Bk:O3, LF05/06_Bk:O10; vgl. auch Kapitel VIII und Bernhardt u.a. 2007). Stammbelegschaften und viele Betriebsräte tragen diese Leistungsund Beschäftigungspolitik angesichts der Angst vor roten Zahlen und Arbeitplatzverlust mit. (4) Re-Kommodifizierung externer Märkte: Auch in Bezug auf die endogene Transformation offener Systeme von betriebsförmigen zu marktförmigen BBSS, also von mittelfristiger zu kurzfristiger Beschäftigung, spielen die ostdeutschen Betriebe eine Vorreiterrolle (M:O1, M:O3, M:O4, P:O1-3). Der Anreiz der Beschäftigungsförderung über Subventionen für neu rekrutiertes Personal der damaligen Bundesanstalt für Arbeit hat zu einem im Verhältnis zu Westdeutschland starken Personalumschlag in den offenen BBSS geführt. Ein Großteil der Beschäftigungsverhältnisse endet nach einem Jahr. Dies wird auch in den quantitativen Analysen der Beschäftigtenstatistik deutlich (vgl. Kapitel III und IV). Zusammenfassend lässt sich für Ostdeutschland festhalten, dass nach der weitgehenden Zerstörung der großen internen Arbeitsmärkte der Kombinate ein Prozess der schrittweisen Annäherung und des selektiven Überholens der westdeutschen Strukturen einsetzt. Für die Mehrzahl der ostdeutschen Untersuchungsfälle gilt, dass über die Krisenerfahrungen der 90er Jahre und korres-
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pondierende Lernprozesse und Umorientierungen die ehemals alles überwölbenden Geschlossenen BBSS innerhalb der Betriebe zusehends kleiner werden. Konsequenterweise nehmen die Anteile an Beschäftigten mit Langfristperspektiven an den Belegschaften ab, kurz- und mittelfristige Beschäftigung in offenen BBSS nimmt zu, so dass sich auch hier eine Koexistenz von internen und externen Märkten herausbildet. Im Untersuchungszeitraum in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts haben die ostdeutschen Betriebe das westdeutsche Sample im Hinblick auf die Externalisierung erreicht und in Bezug auf Polarisierung, Sekundarisierung und Re-Kommodifizierung überholt. Die hohe Arbeitslosigkeit und die starke Betriebsbindung der Beschäftigten führen zu einer – im Vergleich – stärkeren Abschottung der geschlossenen BBSS gegenüber dem externen Arbeitsmarkt, aber auch gegenüber den Randbelegschaften im eigenen Betrieb; sie generieren also eine starke Polarisierung. Senioritäts- und statusbasierte Regeln für geschlossene BBSS wurden von vornherein vermieden oder unterlaufen, so dass hier in der Tat von einem „Überholen ohne Einzuholen“ gesprochen werden kann. 5. Erklärungsprobleme und -ansätze Als Ergebnis unserer vorangestellten Überlegungen unterscheiden wir nach dem Niveau der Schließung zwischen geschlossenen und offenen Systemen sowie nach dem Beschäftigungs- und Einkommensrisiko zwischen primären und sekundären BBSS. Die Analyse von Entwicklungstrends legt es jedoch nahe, die Typologie zu erweitern. Wir bilden sowohl für geschlossene als auch für offene BBSS – wiederum nach dem Grad der Schließung – jeweils zwei Varianten: Geschlossene Systeme sind entweder „senioritätsbasiert“ oder „leistungsbasiert“. Offene BBSS unterscheiden sich in „betriebsförmige“ und „marktförmige“ Systeme. Wir haben in den vorangestellten empirischen Analysen bewusst auf schnelle und übergreifende Erklärungslinien verzichtet. Konzepte interner und externer Arbeitsmärkte wurden in den vergangenen Jahrzehnten derart mit mikro- und makro-, soziologischen und ökonomischen Ansätzen aufgeladen und überladen, dass es zunächst darum ging, sich der Grundannahmen und empirischer Entwicklungslinien zu versichern. In diesem Abschnitt unternehmen wir den Versuch, die vorliegenden Erklärungsansätze zu sichten und eine Forschungsstrategie im Umgang mit den Erklärungsproblemen zu formulieren.
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Kausalitätsannahmen und Erklärungsprobleme Für die Analyse betrieblicher Beschäftigungspolitik und BBSS müssen wir zeigen, aufgrund welcher Interessen, Orientierungen und Constraints betriebliche Entscheider handeln – also eine Mikro-Perspektive einnehmen. Hier hat die neoinstitutionalistische Arbeits- und Personalökonomik die soziologische Arbeitsmarkt- und Organisationsforschung seit den 80er Jahren weit überholt (vgl. Alewell 1993; Sesselmeier, Blauermel 1998; Baron, Kreps 1999; Sadowski 2002) und die Vielfalt und Komplexität der Ansätze ist für den Außenstehenden kaum noch überschaubar. Ausgangspunkt vieler Ansätze ist immer noch die Humankapitaltheorie (Becker 1975), die zwischen „specific skills“ und „general skills“ unterscheidet. Betriebsspezifische Qualifikationen sind nicht zwischen Betrieben transferierbar. Investitionen in diesen Qualifikationstypus führen zur Betriebsbindung, also zur Schließung von BBSS, da beide Arbeitsmarktparteien die Erträge sichern wollen. Die Stärke des Transaktionskostenansatzes (Williamson 1985a, 1996) besteht in der Ausweitung des mikroökonomischen Blicks auf Markttransaktionen und Informationsasymmetrien, letztere stehen im Prinzipal-Agent-Ansatz im Vordergrund (Baron, Kreps 1999). Er thematisiert das sogenannte Transformationsproblem der Arbeit und stellt damit das Bezugsproblem der Kontrolle und Leistung gleichrangig neben das Verfügbarkeitsproblem. Im Rahmen des Transaktionskostenansatzes sind in den letzten 20 Jahren eine Vielzahl an bahnbrechenden Studien entstanden. Nienhüser plädiert dafür, diesen Ansatz gegen sich selbst bzw. gegen Engführungen zu schützen und ihn kritisch zu nutzen (vgl. Alewell, Hackert 1998; Nienhüser 2005). Die eher soziologisch inspirierten Vertrauensansätze stellen das Transformationsproblem von Arbeitskraft in den Vordergrund ihrer Analysen, thematisieren allerdings im Gegensatz zu den meisten ökonomischen Ansätzen nicht nur die instrumentellen, sondern auch die normativen und sozialmoralischen Voraussetzungen von Motivation und Kooperation (Behrens 1984; Behrens, Heinz 1991; Seifert, Pawlowski 1998). Diese Fragen werden neuerdings in einem anerkennungstheoretischen Bezugsrahmen reformuliert und erweitert (Holtgrewe, Voswinkel, Wagner 2000; Deutschmann 2002; Brose u.a. 2005). Den Ausgangspunkt unserer Arbeit an einem Erklärungsmodell betrieblicher Beschäftigungssubsysteme bildete die Auseinandersetzung mit dem Humankapitalansatz und dessen Derivaten (Becker 1975; Sesselmeier, Blauermel 1998), denen zufolge Investitionen in betriebsspezifische Qualifikationen zur Betriebsbindung, also zur Schließung von BBSS führen, da beide Arbeitsmarktparteien die Erträge sichern wollen. Dieses Argument ist aufgrund seiner Eleganz und Plausibilität auch in die späteren und komplexeren Theorieansätze der Ar-
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beits- und Personalökonomik eingegangen und noch heute aktuell (Sadowski 2002; Lazear 2003). Aus unserer Sicht ist das Argument der „betriebsspezifischen Qualifikation“ jedoch nicht mehr als Allzweckwaffe der Arbeitsmarktforschung brauchbar, wofür begriffliche Unschärfen und die begrenzte empirische Erklärungskraft ausschlaggebend sind (Alewell 1993; Struck 2006b). Ein Blick auf unsere Fälle belegt, dass die Erklärungskraft des Spezifitätsargumentes für unterschiedliche Beschäftigungsperspektiven begrenzt bleibt. CNC-Maschinenbediener im Maschinenbau weisen ebenso wie BuchhalterInnen in verschiedenen Branchen lange Beschäftigungsperspektiven auf, ohne dass wir es mit besonders hohen Anteilen an betriebsspezifischen Qualifikationen zu tun haben. Es handelt sich vielmehr um stark berufsfachlich strukturierte Tätigkeitsfelder mit hohen arbeitsplatz- und betriebsübergreifenden Qualifikationsanteilen. CNC-Maschinenbediener übersetzen komplizierte geometrische Vorgaben in mechanische Teile mit hohen Genauigkeitsanforderungen. Für welche Endprodukte welcher Hersteller die Teile genutzt werden, ist dabei unerheblich. Buchhaltungssysteme sind betriebswirtschaftlich, rechtlich und softwaretechnisch hochgradig normiert, so dass auch hier hohe Anteile nicht betriebsspezifischer Qualifikationen gefordert sind. Statistische Analysen unseres SFB-Betriebspanels stützen Zweifel an der Stärke des Spezifitätsargumentes (Struck u.a. 2007). Ähnliche Argumente lassen sich für geschlossene Beschäftigungssysteme mit langen Beschäftigungsperspektiven bei Hochqualifizierten geltend machen. Das Spezifitätsargument dürfte z.B. nicht erklären können, warum Maschinenbau-Ingenieure überwiegend lange und Software-Ingenieure teilweise nur begrenzte Beschäftigungsperspektiven haben (M:O1-4; M:W1; S:W1; vgl. die Abschnitte 3 und 4). Ingenieure in Maschinenbau und Chemie weisen durch die Verwissenschaftlichung des Wissens einen hohen Anteil allgemeiner Qualifikationen auf. Software-Engineering hat durch Standardisierung von Programmiersprachen, -werkzeugen und Ausbildungsgängen einen Professionalisierungsschub durchlaufen und dürfte sich in dieser Hinsicht heute kaum noch von den technischen Ingenieurwissenschaften unterscheiden. Ebenso problematisch sind Annahmen über einen pauschalen Zusammenhang von Qualifikationsniveau und Beschäftigungsdauern, wie sie teilweise aus den soziologisch inspirierten Vertrauens- und Anerkennungsansätzen hergeleitet werden (Seifert, Pawlowski 1998; Deutschmann 2002) und sich teilweise auf mikroökonomische Prinzipal-Agent-Ansätze beziehen (Baron, Kreps 1999). Zugespitzt könnte man diese Hypothese wie folgt zusammenfassen: Je höher die Komplexität der Arbeitsaufgabe und die der Qualifikation der Arbeitskraft, desto schwieriger ist die Kontrolle durch den „Prinzipal“ und desto eher muss der Beschäftiger auf die Sicherheitserwartungen der Beschäftigten eingehen, lang-
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fristige Beschäftigungsperspektiven bieten und Vertrauen schaffen. Auch hier legen unsere qualitativen und quantitativen Analysen erhebliche Zweifel nahe. So finden sich in unserem Kernsample und erweiterten Sample aus den Lehrforschungen eine Vielzahl von offenen BBSS für Hochqualifizierte (z.B. für Software-Ingenieure, Ärzte, Journalisten, Dozenten in der Weiterbildung; vgl. die Abschnitte 3 und 4). Auch diese Überlegungen werden durch multivariate Analysen unseres Betriebspanels gestützt (Struck u.a. 2007). Spezifität und Niveau von Qualifikationen mögen Ausschnitte des Rätsels erläutern, können jedoch das Gesamtbild nicht plausibel erklären. Unsere These ist, dass sich die Bedeutung des Arbeitsmarktes für die Strukturierung von betrieblichen Beschäftigungsperspektiven erst erschließt, wenn strukturelle Relationen von Angebot und Nachfrage unabhängig von der Frage nach der Betriebsspezifität von Qualifikationen betrachtet werden. Es geht also um die Verfügbarkeit von Arbeitskraft. Wenn einschlägige Qualifikationen nicht auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind, müssen sie unter hohem Aufwand und mit hohem Zeitverlust selber generiert werden. Dies bildet dann auch bei nicht betriebsspezifischen Qualifikationen einen massiven Anreiz, die Arbeitskräfte über Einkommens- und Beschäftigungsanreize zu binden. Umgekehrt können Betriebe auf feste Bindung verzichten, wenn die Arbeitskräfte ohne großen Aufwand ersetzbar sind. Es spricht also vieles dafür, das Qualifikationsproblem abstrakter als Problem der Verfügbarkeit einschlägig qualifizierter Arbeitskraft zu thematisieren. Vier Bezugsprobleme betrieblicher Beschäftigungssysteme Als Folge der Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen und Kausalitätsannahmen galt es, die Bezugsprobleme offener zu fassen, so dass die im Rahmen der Segmentations-, Transaktions- und Anerkennungsansätze entwickelte Reichhaltigkeit an empirischem Material sowie die Vielfalt und Komplexität der Erklärungsangebote für unsere Analysen fruchtbar gemacht werden konnten. Dafür greifen wir die im Anschluss an industriesoziologische und personalökonomische Traditionen zur Bestimmung des Konzepts BBSS eingeführten zwei Grundprobleme betrieblicher Personal- und Beschäftigungspolitik auf (Abschnitt 2) und differenzieren diese aus. Das Verfügbarkeitsproblem bezeichnet Probleme der Beschaffung, Qualifizierung und Bindung (bzw. Entlassung) von Personal. Dabei ist die zeitliche Dimension im Sinne des Beginns und der Dauer des Personalbedarfs von großer Bedeutung. Wir differenzieren deshalb in zwei Unterprobleme:
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation Das Rekrutierungs- und Qualifizierungsproblem bezieht sich auf die Sicherung ausreichend qualifizierten Personals zu möglichst geringen Kosten, wobei interne und externe Märkte genutzt werden können. Je stärker die benannten Probleme, desto eher erwarten wir Schließungsstrategien. Das Kontinuitätsproblem bezieht sich im Sinne der Frequency-Variable des Transaktionskostenansatzes auf die Dauer und Häufigkeit des Personalbedarfs. Je dauerhafter und kontinuierlicher der Bedarf an bestimmten Qualifikationen, desto eher ist eine langfristige Bindung des Personals möglich. Umgekehrt erschweren starke Schwankungen in Auftrags- und Arbeitsvolumina stabile Beschäftigungsverhältnisse.
Das Leistungsproblem thematisiert Folgeprobleme des so genannten „Transformationsproblems von Arbeitskraft“ bei nicht spezifizierten Arbeitsverträgen (Deutschmann 2002; Sadowski 2002), es geht um die Sicherstellung der Leistungsbereitschaft des Personals. Auch hier differenzieren wir in zwei Unterprobleme: -
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Das Kontrollproblem bezieht sich auf Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle der Arbeit bei Informationsasymmetrien zwischen Beschäftiger (Prinzipal) und Beschäftigten (Agent). Je höher die Komplexität der Arbeitsaufgabe und je geringer die Zurechenbarkeit zur einzelnen Person, desto schwieriger die Kontrolle. Das Herrschaftsproblem bezieht sich auf die Möglichkeiten und Grenzen der Durchsetzung von Leistungszielen, die von den Machtpotenzialen und der Legitimität der Personal- und Beschäftigungspolitik gegenüber den Beschäftigten abhängig sind. Bei starker Gegenmacht erwarten wir, dass die Beschäftiger auf die Präferenzen der Beschäftigten eingehen und Langfristperspektiven bieten.
Dieser sehr offene Ansatz mit der Zusammenführung der Bezugsprobleme betrieblicher Beschäftigungspolitik erlaubt eine plausible Deutung der in unseren qualitativen Studien identifizierten Beschäftigungssysteme. Abbildung 2.5 sortiert unsere BBSS-Fälle nach den vier Varianten der erweiterten Typologie und fragt nach der Ausprägung der vier Bezugsprobleme. Wir schauen dabei auf die primären Teilarbeitsmärkte.
5. Erklärungsprobleme und -ansätze
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Abbildung 2.5: Betriebliche Problemlagen und primäre BBSS
Wie die Abbildung zeigt, setzen alle geschlossenen BBSS unseres Samples ein hohes Kontinuitätsniveau durch die Stabilisierung der Arbeitsvolumina voraus. Dies gelingt über stabile Marktsegmente und Netzwerke (B:W2), über institutionelle Förderung (W:W3) oder über Randbelegschaften mit Pufferfunktion (S:O2). Für die Mehrheit der geschlossenen Systeme gilt, dass ein zweites Problem hinzukommen muss, um die Schließung zu erzeugen. Dies kann das Verfügbarkeitsproblem, indiziert durch überzyklischen Fachkräftemangel (B:W1, B:O2, S:O1), das Leistungs- und Kontrollproblem, indiziert durch geringe Zurechenbarkeit und hohe Verantwortung (Bk:O3), aber auch das Herrschaftsproblem sein. Leistungsbasierte BBSS folgen derselben Logik, zeichnen sich aber durch interessenspolitisch schwach organisierte Belegschaften aus. Hier kann das Management Leistungskriterien bei Allokations- und Gratifikationsprozessen stärker durchsetzen. In der überwiegenden Mehrheit der betriebsförmigen offenen BBSS mit mittelfristigen Beschäftigungsperspektiven ist eine ausreichende Verfügbarkeit des Arbeitskräfteangebots und -nachwuchses auf den internen und/oder externen Arbeitsmärkten gegeben (besonders ausgeprägt im Journalismus und bei Weiterbildungsplanern, hier können die „Reservearmeen“ des Arbeitsmarktes genutzt werden). Die Ausnahme bilden die Pflegedienste und die Softwareindustrie in der Phase des schnellen Wachstums der „New Economy“. Pflegedienste können aufgrund der vorgegebenen Tarife keine marktgerechten Löhne zahlen – die Öffnung ergibt sich hier aus der freiwilligen Fluktuation (P:O1, P:O2, P:W1). In der Softwareindustrie entwickelte sich durch den starken Boom vorübergehend eine komplette Räumung der externen Märkte. In beiden Branchen erklärt sich also
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
die Öffnung von Beschäftigungssystemen aus einer starken Marktposition der Beschäftigten und freiwilligem Betriebswechsel. Bei einem Teil der betriebsförmigen offenen BBSS kommt eine ausgeprägte Diskontinuität der Auftragslagen und Arbeitsvolumina als zusätzliches Motiv für die Öffnung der Beschäftigungssysteme hinzu. Kontrollprobleme liegen bei einer Reihe von offenen Systemen vor, sie wirken offensichtlich nur bei starker Ausprägung prohibitiv. BBSS mit zeitlich begrenzten Beschäftigungsperspektiven zeichnen sich generell durch interessenpolitisch schwache Belegschaften aus. Dort wo zeitlich begrenzte Beschäftigung mit zertifizierter Qualifizierung verbunden wird, findet sich ein strukturell hoher Nachwuchsüberschuss (z.B. Journalisten in Printmedien) oder es bestehen attraktive Anschlussmöglichkeiten nach Abschluss der Aus- oder Weiterbildung (z.B. Ärzte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer). Die Übersicht (Abb. 2.5) zeigt, dass Offene und marktförmige Systeme mit kurzfristiger Beschäftigung hoch voraussetzungsvoll sind, da weder die Verfügbarkeit noch die Leistungsbereitschaft der Arbeitskraft problematisch sein dürfen. In der Regel findet sich eine hohe Diskontinuität bei Aufträgen oder Arbeitsvolumina. Dies gilt für die klassischen Randbelegschaften im Bau (B:O1), in der Serienfertigung (z.B. M:O3, M:O4) und im Handel bei starken saisonalen und/oder konjunkturellen Auftragsschwankungen, aber auch teilweise bei den hoch qualifizierten Dozenten in der Weiterbildung (W:O1, W:O2, W:O4, W:W1, W:W5), in der Software-Beratung von Unternehmen (S:O3) und in der Projektleitung großer Bauvorhaben. Voraussetzung für den schnellen Auf- und Abbau von Personal ist eine ausreichende Verfügbarkeit auf den Arbeitsmärkten, wobei diese im Falle Hochqualifizierter in bestimmten Berufsgruppen nur durch hohe finanzielle Anreize zu gewährleisten ist (B:W1). Die meisten dieser Tätigkeiten sind durch eine gute Zurechenbarkeit der Arbeitsleistung und damit einfache Kontrollierbarkeit gekennzeichnet. Dies gilt auch für komplexe Tätigkeiten von freien Mitarbeitern in der Software-Beratung, der Projektleitung im Bau und für die Erstellung von Aufsätzen und Büchern in den Printmedien. Die Ergebnisse des Arbeitsprozesses sind eindeutig zurechenbar und für die Reputation auf dem Arbeitsmarkt und den nächsten Vertragsabschluss entscheidend. Anders als in einfachen Kausalitätsannahmen aus der Humankapital-, Prinzipal-Agent- oder der Transaktionskostentheorie unterstellt, können also von ihrer Grundstruktur identische betriebliche Beschäftigungssysteme unterschiedliche Problemlagen und Strategien reflektieren. Dabei scheint es für geschlossene und offene Beschäftigungssysteme jeweils eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung zu geben (Stabilität der Arbeitsvolumina bzw. Arbeitskräfteüberschüsse). Die Schließung oder Öffnung kann dann durch jeweils unterschiedliche Zusatzbedingungen ausgelöst werden.
5. Erklärungsprobleme und -ansätze
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Schub- und Ziehkräfte des Wandels Dieser sehr offene und heuristisch ausgerichtete Erklärungsansatz ermöglicht ein Verständnis für personalpolitische Differenzen in der Betriebs- und Arbeitsmarktlandschaft. Eine Schließung von BBSS ist vor allem dort zu erwarten, wo mindestens zwei der folgenden Bedingungen vorliegen: überzyklische Arbeitskräftedefizite, Stabilität der Arbeitsvolumina im Zeitablauf (Verfügbarkeitsprobleme), komplexe Arbeitsaufgaben und hohe Kontrollkosten, individuelle und kollektive Gegenmacht der Beschäftigten (Leistungsprobleme). Eine Öffnung von BBSS ist dort möglich, wo Verfügbarkeits- und/oder Leistungsprobleme schwächer ausgeprägt sind.3 Marktförmige offene Beschäftigungssysteme mit kurzfristiger Beschäftigung sind am voraussetzungsvollsten, hier dürfen weder Verfügbarkeits- noch Leistungsprobleme vorliegen. Damit sind einer starken Expansion dieses Typus hohe Barrieren gesetzt. Vor diesem Hintergrund werden auch die in Abschnitt 4 beschriebenen Entwicklungslinien plausibel. In Westdeutschland führen vor allem bei den mittel- und großbetrieblichen Erwerbsorganisationen teilweise weitreichende Restrukturierungsprozesse der Verkleinbetrieblichung und Vermarktlichung zu einer Zunahme von „Diskontinuitätsproblemen“, während gleichzeitig „Verfügbarkeits-“ und „Herrschaftsprobleme“ abnehmen. Hinter den betriebsinternen Restrukturierungsprozessen stehen Veränderungen der globalisierten Märkte und Finanzierungssysteme (Dörre, Brinkmann 2005; Bosch u.a. 2007); hinter der Abnahme der Verfügbarkeitsprobleme für bestimmte Arbeitskräftegruppen eine massive Zunahme des Arbeitskräfteangebots in den letzten 20 Jahren bei einer Stagnation des Beschäftigungssystems (Vobruba 2000; Lutz u.a. 2007); hinter dem Rückgang der Herrschaftsprobleme eine Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit (Dörre 2005a; Lutz u.a. 2007). Durch die Kombination von Druck- und Ziehkräften baute sich in Westdeutschland ein starker „Challenge“ für beschäftigungspolitische Veränderungen auf. Dieser wird von den personalpolitischen Entscheidern in Modifikation des vorherrschenden Leitbildes zum „Normalarbeitsverhältnis“ aufgegriffen und über eine Vielzahl von kollektiven und individuellen Konflikten in die Praxis umgesetzt. Konsequenterweise finden wir Prozesse der Substitution von Geschlossenen durch Offene BBSS (Externalisierung), von Primären durch Sekundäre BBSS (Sekundarisierung) sowie endogene Modifikationen von BBSS (Transformation und Re-Kommodifizierung). Für die absehbare Zukunft des Jahrzehnts erwartet die Mehrheit der personalverantwortlichen Entscheider keinen grundlegenden Umbruch, aber anhalten3
Statistische Analysen unseres SFB Betriebspanels mit 600 Fällen und drei Erhebungswellen bestätigen unseren Erklärungsansatz (vgl. Kapitel V).
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
de beschäftigungspolitische Anpassungserfordernisse. Dabei wurden im Zeitraum der Befragung (2002-2005) schon erste Stimmen deutlich, die auf einen „Challenge“ zweiter Ordnung (Best 2007) verweisen. Als Folge der neuen Personalpolitik der „schlanken Linie“ und der flexiblen Beschäftigung in offenen BBSS ist man auf eine funktionierende Arbeitskräfteversorgung aus externen Märkten angewiesen. Für den – inzwischen eingetretenen – konjunkturellen Aufschwung wurden eine starke Arbeitskräftenachfrage für ausgewählte Berufsgruppen und Verfügbarkeitsprobleme erwartet. Diese Erwartung hat sich bestätigt. Bei den begrenzten Ausbildungsleistungen der Unternehmen sowie dem anhaltenden demografischen Umbruch wird sich das Problem der Arbeitskräfteversorgung auf den Arbeitsmärkten im nächsten Jahrzehnt verschärfen. Mit dem Abbau fast der Hälfte des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens und der weitgehenden Zerstörung der flächendeckenden großen internen Arbeitsmärkte der Kombinate wurde der ostdeutsche Arbeitsmarkt dem härtesten Schock aller osteuropäischen Transformationsländer ausgesetzt. Die neue Betriebslandschaft zeichnete sich durch eine weitgehend verkleinbetrieblichte und vermarktlichte Struktur mit niedriger durchschnittlicher Produktivität und hohen Personalfixkosten aus, es bestanden massive Diskontinuitäts- und Kostenprobleme. Auf der anderen Seite gab es aufgrund der extrem hohen Arbeitslosigkeit und der Schwäche der Interessensvertretung so gut wie keine Barrieren gegen Externalisierungs- und Sekundarisierungsprozesse, weshalb viele Beobachter einen „wilden Osten“ diagnostizierten und prognostizierten. Dieser sich in der Folge der Restrukturierung aufbauende „Challenge“ wurde von den Entscheidern zunächst nur begrenzt aufgegriffen. Viele der verantwortlichen Geschäftsführer hielten gewissermaßen kontrafaktisch am alten Leitbild der Betriebsgemeinschaft fest und versuchten ihre Kostenprobleme durch niedrige Löhne und andere Maßnahmen der internen Flexibilisierung zu mildern. Über langjährige und schmerzhafte Krisenerfahrungen haben die überlebenden Unternehmen unseres Samples dann Differenzierungen von Stamm- und Randbelegschaften eingeführt oder ausgebaut und im Hinblick auf Externalisierung, Sekundarisierung, Re-Kommodifizierung und die Polarisierung der Beschäftigungsbedingungen die westdeutschen Vergleichsbetriebe überholt. Für das Ende dieses Jahrzehnts zeichnet sich in Ostdeutschland auf Basis des erreichten hohen Externalisierungs- und Sekundarisierungsniveaus eine zweite Challenge-Response-Kette ab. Aufgrund der Halbierung der Nachwuchskohorten und von Fehlallokationen im Bildungs- und Ausbildungssystem werden sich in ausgewählten Branchen, Berufen und Regionen „Mismatch-Phänomene“ am Arbeitsmarkt verstärken. Die „Responses“ auf die selektive Fachkräfteknappheit und deren Folgen für die betrieblichen Beschäftigungssysteme sind ungewiss. Die klein- und mittelbetriebliche ostdeutsche Betriebslandschaft ist
6. Schlussfolgerungen
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auf den Austausch mit dem externen Arbeitsmarkt angewiesen. Auf der anderen Seite gehen von Rekrutierungsproblemen starke Impulse zur Bindung von Personal in geschlossenen Beschäftigungssystemen aus, ohne dass die Masse der Betriebe über die Ressourcen und Gelegenheiten zu klassischen Bindungs- und Schließungsstrategien verfügt. Für die Auflösung dieser Spannungen gibt es kein historisches Vorbild (Lutz 2007a). Die Entwicklung des ostdeutschen Beschäftigungssystems lässt sich zusammenfassend als Prozess der doppelten Modernisierung kennzeichnen. Einerseits werden die Institutionen und Praktiken des „Rheinischen Kapitalismus“ im Sinne einer „einfachen“ Modernisierung übertragen. Andererseits befindet sich eben dieses Kapitalismus- und Beschäftigungsmodell selber in der Krise, so dass wichtige Akteure die erweiterten Handlungsspielräume in Ostdeutschland für eine „Modernisierung“ des Modells nutzen. Im Spannungsfeld zwischen den übertragenen westdeutschen Institutionen und den sich neu herausbildenden ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen entstehen in den Neuen Bundesländern neue Lösungsansätze für alte Probleme. 6. Schlussfolgerungen Vor dem Hintergrund der Strukturveränderungen des deutschen Arbeitsmarktes sowie der anhaltenden Diskussion über die Generalisierung von Beschäftigungsund Prekaritätsrisiken stellt sich dieser Aufsatz die Frage, ob die in der Soziologie fast vergessenen Segmentationsansätze dazu geeignet sind, eine neue Sichtweise auf die großen Erosionsdebatten zu entwickeln. In einem ersten und entscheidenden Schritt ging es darum, ein geeignetes Analyse-Instrumentarium zu entwickeln und die Brauchbarkeit des Segmentationsansatzes zu prüfen. Die auf Individualdaten und einzelne Indikatoren wie Beschäftigungsdauern, Arbeitsverträge und Erwerbsverläufe beschränkten Analysen bleiben in der Regel bei Beschreibungen des „Hoch und Runter“ von einzelnen Variablen und Determinanten stehen. Die innere Logik von Positionssystemen auf dem Arbeitsmarkt erschließt sich aber erst, wenn man einzelne Beschäftigungsverhältnisse im Zusammenhang betrachtet und in den Kontext von Betrieben und Märkten einordnet. (1) Die hier vorgelegten Analysen zeigen, dass wir nicht auf Arbeitsmarkttheorien verzichten können, die relativ dauerhafte Strukturen von Preisbildungsund Allokationsprozessen in Teilarbeitsmärkten abbilden und erklären können. Dabei bietet die dem Segmentationsansatz zugrunde liegende Matrix mit der Unterscheidung von internen und externen sowie von primären und sekundären Arbeitsmärkten nach wie vor einen gutes heuristisches Analyseinstrument. Die Ty-
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II Betriebliche Beschäftigungssysteme und Arbeitsmarktsegmentation
pologie des dreigeteilten Arbeitsmarktes – entwickelt und bewährt an der Arbeitsmarktkonstellation der Prosperitätsphase – erwies sich jedoch für die differenzierte Betrachtung der Veränderungsprozesse als zu grob und in ihrem Erklärungsgehalt unterkomplex. Wir betrachten deshalb betriebliche Beschäftigungs-Sub-Systeme (BBSS) innerhalb von Erwerbsorganisationen als kleinste strukturierte Einheiten des Arbeitsmarktgeschehens, um damit die Heterogenität angemessen zu erfassen und nach deren Analyse wieder zur Makroebene zurückkehren zu können. Im Ergebnis der Analysen steht eine Typologie von BBSS, die die Segmentationsmatrix ergänzt und differenziert. Wir unterscheiden nach den Beschäftigungsdauern zwischen geschlossenen und offenen und nach Einkommens- und Beschäftigungsrisiken zwischen primären und sekundären Systeme. BBSS bilden die Bausteine überbetrieblicher Teilarbeitsmärkte. Fokussiert man auf geschlossene BBSS als Bausteine des Segments interner Arbeitsmärkte, so wird nach der Selektivität der vorherrschenden Allokationsregeln eine weitere Differenzierung zwischen senioritätsbasierten und leitungsbasierten Systemen erforderlich. Erstere gewähren eine hohe Arbeitplatzsicherheit mit zunehmenden Betriebszugehörigkeitsdauern und standardisierten Leistungen. In letzteren gewinnen individualisierte Qualifikations- und Leistungsprofile ein hohes Gewicht beim Auf- und Abbau des Personals. (2) Die empirischen Analysen zeigen, dass die den Segmentationsansätzen zugrunde liegende Matrix mit der Unterscheidung von internen und externen sowie primären und sekundären Arbeitsmärkten nach wie vor aktuell ist. Jedoch sind gegenüber der alten Münchner Typologie des dreigeteilten Arbeitsmarktes Ergänzungen und Revisionen vorzunehmen. Erstens können Betriebe nicht als Ganzes Teilarbeitsmärkten zugeschlagen werden können, da sie mit verschiedenen innerbetrieblichen Allokationsräumen an unterschiedliche überbetriebliche Teilarbeitsmärkte angeschlossen sind; zweitens müssen aufgrund von Restrukturierungsprozessen am Arbeitsmarkt sekundäre geschlossene BBSS sowie weitere Differenzierungen eingeführt werden müssen. Unsere Analysen zu Entwicklungslinien der vergangen Jahre verdeutlichen, dass es sich hierbei um relativ feste Strukturen handelt, die nicht kurzfristig reversibel sind. Besonders auffällig ist drittens, dass die humankapitaltheoretisch inspirierte Kopplung von Qualifikationstypen mit Teilarbeitsmärkten heute nicht mehr funktioniert. So belegt unser Fallstudienmaterial, dass offene BBSS in externen Arbeitsmärkten sowohl durch berufsfachliche und akademische Qualifikationsprofile als auch durch tätigkeitsbasierte Anlernqualifikationen gekennzeichnet sind (die früher pauschal als betriebsspezifisch charakterisiert wurden, dies aber häufig nicht sind). In sekundären BBSS finden sich nicht nur einfache Basisqualifikationen („Jederperson-Qualifikationen“), sondern auch berufsfachlich
6. Schlussfolgerungen
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Qualifizierte und Akademiker (insbesondere Geistes- und Sozialwissenschaftler in der Weiterbildung und in den Medien) sowie erwartungsgemäß die „Generation Praktikum“. Für die Erklärung von Prozessen der dynamischen Segmentation liegen bisher eher einzelne Bausteine denn ein ausgereifter Ansatz vor. Soziologische Ansätze verknüpfen makrosoziale und -ökonomische Entwicklungstrends wie Globalisierung, sektoraler Strukturwandel, Wertewandel und Deregulierung mit Veränderungen der Beschäftigungsbeziehung. Für die Analyse betrieblicher Beschäftigungspolitik und BBSS müssen wir allerdings zeigen, aufgrund welcher Interessen, Orientierungen und Constraints betriebliche Entscheider handeln – also eine Mikro-Perspektive einnehmen. Unsere Forschungsstrategie bestand daher darin, zunächst einmal die mikrosozioökonomischen Ansätze zu öffnen und auf grundlegende Bezugsprobleme betrieblicher Beschäftigungssysteme und Akteure zu beziehen. Über eine vorsichtige Verknüpfung mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungstendenzen werden dann Aussagen über die Struktur und Dynamik des Gesamtarbeitsmarktes möglich. (3) Die empirischen Analysen machen deutlich, dass Grundgedanken der „alten“ Segmentationsansätze nach wie vor aktuell sind. Gegen undifferenzierte Vermarktlichungs- und Prekarisierungsthesen zeigt sich, dass langfristige Beschäftigung in geschlossenen BBSS in erheblichen Teilen des Arbeitsmarktes eine gemessen am wissenschaftlichen Diskurs beeindruckende Stabilität aufweist. Das Bild einer Koexistenz von geschlossenen und offenen BBSS sowie von internen und externen Teilarbeitmärkten beschreibt die Arbeitsmarktstruktur besser als jeder pauschale Vermarktlichungsdiskurs. Wir können aber auch die entgegen gesetzte und auf Kontinuität setzende These einer stabilen Arbeitsmarktspaltung nicht teilen. Die Analysen verdeutlichen eine Reihe von Strukturveränderungen am Arbeitsmarkt, die wir mit den Begriffen Externalisierung und Sekundarisierung zusammenfassen. Unser Ergebnis spricht also weder für eine Generalisierung von Arbeitsmarktrisiken noch für feststehende Arbeitsmarktspaltungen. Wir gehen vielmehr von einer dynamischen Segmentation (Sengenberger 1987; Rubery 1994) aus, in der interne und externe, primäre und sekundäre Teilarbeitsmärkte interagieren und sich wechselseitig beeinflussen und strukturieren. Dabei bleiben systematische Differenzen und Abgrenzungen zwischen internen und externen Märkten erhalten.
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland Entwicklungsdynamik und Folgen für die soziale Ungleichheit Michael Grotheer
1. Einleitung Gegenstand dieses Kapitels ist die Entwicklung innerbetrieblicher Beschäftigungsstabilität und überbetrieblicher Beschäftigungssicherheit und deren Folgen, Nebenwirkungen und Risiken für das Gefüge sozialer Ungleichheit. In der seit den 80er Jahren anhaltenden Diskussion um die Auflösung von Normalitätsmustern der Arbeit besteht Einigkeit hinsichtlich der Bedeutung, die der Entwicklung von Beschäftigungsstabilität für die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Betriebsorganisation und die Lebensläufe der Menschen beizumessen ist. Nach wie vor stellt die lohnabhängige Erwerbsarbeit die wichtigste Bemessungsgrundlage der sozialpolitischen Institutionen dar. Allerdings kennzeichnen bis in die Gegenwart konträre Auffassungen über die Richtung und die Reichweite der Beschäftigungsentwicklung die Diskussion (Kapitel I; Struck u.a. 2007). Als Ursachen für eine abnehmende Beschäftigungsstabilität werden i.d.R. zunehmende Disparitäten der Angebots- und Nachfragerelation herangezogen, die sich aus einer Vielzahl von Veränderungen der sozial- und wirtschaftsstrukturellen sowie politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen der letzten Jahr(zehnt)e ergeben. Veränderungen auf der Angebotsseite finden z.B. Ausdruck in einer gestiegenen Erwerbsbeteiligung von Frauen (Bosch 1998; Hauschild 2003), der zunehmenden Verfügbarkeit von Qualifikationen im Rahmen der Bildungsexpansion (Heidenreich 1998; Bosch u.a. 2002) und der gesellschaftlichen Alterung im Zuge des demographischen Wandels (Reinberg, Hummel 2001). Dem gegenüber stehen Veränderungen der Arbeitsnachfrage in Form betrieblicher Rationalisierungsstrategien, wie z.B. Arbeitsplatzabbau, Verkleinbetrieblichung sowie Flexibilisierung aufgrund wettbewerbssteigernder Globalisierungswirkungen (Sengenberger u.a. 1990; Kleinert 2000; Picot u.a. 2001). Rechtlich-institutionelle Rahmenbedingungen erweitern dabei seit Mitte der 80er und 90er Jahre die Spielräume für flexible Beschäftigungsformen (BeschFG 1985) und die Möglichkeiten kurzzeitigerer Beschäftigungsbeziehungen (KSchG 1996). Die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Richtung der Dienstleistungs-
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
gesellschaft stellt außerdem ein Szenario dar, das mit neuen Anforderungen an die Berufsstruktur einhergeht (Dombois 1999). Die in der Literatur vorhandenen Uneinigkeiten hinsichtlich der Richtung und Reichweite der Destabilisierung sind je nach Forschungsinteresse durch jeweils unterschiedliche theoretische Perspektiven wie mikro- und informationsökonomische, institutionalistische sowie organisationsstrukturelle Ansätze und zugleich unterschiedliche methodische Indikatorensetzungen, wie z.B. Veränderungen von Vertragsformen, Fluktuationsraten, subjektive Wahrnehmungen von Arbeitsplatzsicherheit oder objektive betriebliche Beschäftigungsdauern bedingt. Auch hinsichtlich der hier untersuchten betrieblichen Beschäftigungsdauern bestehen unterschiedliche methodische Herangehensweisen, die i.d.R. dazu führen, dass kein Gesamtbild des Arbeitsmarktes gezeichnet wird. Diese Probleme werden im Anschluss an den Forschungsansatz und einige Hypothesen im folgenden Abschnitt 2 näher vorgestellt. Mittels der IABBeschäftigtenstichprobe 1975-2001 wird in Abschnitt 3 zunächst anhand von Survivormodellen gezeigt, dass sich die Stabilität betrieblicher Beschäftigung im Zeitverlauf tatsächlich vermindert hat. Abschnitt 4 befasst sich mit den Ursachen der Destabilisierung und wird verdeutlichen, dass eine zunehmende Instabilität nicht allein auf „herkömmliche“ makrostrukturelle Ursachen, wie demographische, wirtschaftsstrukturelle oder konjunkturelle Effekte, zurückzuführen ist. Weiterhin zeigt dieser vierte Abschnitt, dass eine Destabilisierung der innerbetrieblichen Beschäftigungsstabilität nicht zwangsläufig auch mit einer Verminderung der überbetrieblichen Beschäftigungssicherheit einhergeht, da nicht nur die Zahl der Austritte, sondern auch die Anzahl der direkten betrieblichen Übergänge im Zeitverlauf zunimmt. Abschnitt 5 befasst sich schließlich mit der Qualität dieser überbetrieblichen Wiedereinstiege auf der Dimension des erwirtschafteten Entgeltes. Dabei wird deutlich werden, dass sich die Chancen auf eine (auf der Lohnebene) adäquate Anschlussbeschäftigung im Vergleich zur jeweils vorangegangenen Beschäftigung verschlechtert haben. Die Dauer bis zum Wiedererreichen des vorangegangenen Gehaltsstatus nimmt zu. Die Konsequenzen, die sich auf den einzelnen Betrachtungsebenen für die soziale Ungleichheit ergeben, werden jeweils am Ende der empirischen Teilabschnitte dargestellt und in einem abschließenden Fazit zusammengefasst. Der Begriff der Beschäftigungsstabilität bezieht sich in diesem Beitrag auf die Verweildauer von Beschäftigten in einem Unternehmen. Der Begriff der Beschäftigungssicherheit wird im Hinblick auf die überbetrieblichen Anschlussoptionen nach dem Ende einer Beschäftigung und die Möglichkeiten einer kontinuierlichen Partizipation am Arbeitmarkt verwendet1. Die Verteilung von Perso1
In der Literatur finden sich unterschiedlichste Definitionen von Beschäftigungssicherheit aufgrund verschiedenartiger Annäherungen an den Untersuchungsgegenstand. Einige Konzepte
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nen auf (in-)stabile bzw. (un-)sichere Positionen im Erwerbsleben wird als eine zentrale Dimension sozialer Ungleichheit verstanden (Kapitel I). Im Vordergrund stehen somit die Veränderungen zeitbezogener Beschäftigungschancen und -risiken unterschiedlicher Personengruppen unter den Bedingungen sozialen Wandels. Will man diese Fragen untersuchen, so sind Indikatoren für Stabilität und Sicherheit gemeinsam zu betrachten, denn verringerte Beschäftigungsstabilität muss nicht zwangsläufig mit verringerter Beschäftigungssicherheit einhergehen, sofern sich direkt im Anschluss an das Ende einer Beschäftigung eine neue (adäquate) Beschäftigung anschließt. Die Bedeutung eines Ereignisses, wie Kündigung oder Entlassung, für die individuellen Beschäftigungschancen wird somit erst auf der Übergangsebene deutlich. Aus der Perspektive des Lebenslaufes sind neben den „herkömmlichen“ Ursachen, die i.d.R. für eine Destabilisierung ausgemacht werden (vgl. oben), auch Prozesse auf der mikrosozialen Ebene heranzuziehen. Auf dieser Ebene sind Lebensläufe als eine Abfolge von Aktivitäten und Ereignissen oder eine sukzessive Besetzung von Positionen und Rollen zu betrachten. Entscheidungen und Ereignisse im Lebenslauf sind in der modernen Arbeitsgesellschaft vor allem durch die Erfordernisse der Arbeitswelt geprägt und finden in Abstimmung persönlicher Lebensbereiche, in institutionalisierten Handlungsfeldern und vor dem Hintergrund des historischen Kontextes statt, der einem permanenten Wandel unterworfen ist (Mayer 1990a). Eine Vielzahl von Untersuchungen beschreibt den Lebenslauf als einen endogenen Kausalzusammenhang, wobei „spätere Bedingungen, aber auch Zielsetzungen und Erwartungen primär zu verstehen sind aus Bedingungen, Entscheidungen, Ressourcen und Erfahrungen der vorausgegangenen Lebensgeschichte“ (Mayer 1987: 60; vgl. auch Merton 1968; Elder 1974). Gleichzeitig kann bestimmten Ereignissen im Lebenslauf, je nachdem in welcher Lebensphase und unter welchen sozialen Rahmenbedingungen sie auftreten, unterschiedliche Bedeutung beigemessen werden. Unbestritten ist in diesem Zusammenhang, dass aufgrund der wachsenden Disparität von Angebot und Nachfrage Phasen der Nichterwerbstätigkeit häufiger auftreten als in Zeiten der Vollbeschäftigung. Die Folge sind somit (zumindest für bestimmte Risikogruppen) verstärkte Konkurrenzsituationen um vakante Stellen und eine zunehmende Anzahl von Nichterwerbsphasen. Unklar bleibt dann jedoch weiterhin, ob dies auch Auswirkungen auf die Dauer der tatsächlich stellen das subjektive Empfinden individueller Beschäftigungschancen (sowohl inner- als auch überbetrieblich) in den Vordergrund. In dieser Untersuchung bezieht sich der Begriff vorrangig auf die objektiv messbaren Übergangschancen nach dem Ende einer Beschäftigung (überbetriebliche Sicherheit), bzw. die Möglichkeiten einer kontinuierlichen Partizipation am Arbeitsmarkt. Diese Sicherheitsdefinition kann je nach Forschungsinteresse durch weitere innerund überbetriebliche Ereignisse eingeschränkt werden (z.B. Sicherheit als Konstanz oder Verbesserung der Löhne im Verlauf eines oder mehrerer Beschäftigungsverhältnisse).
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
existierenden betrieblichen Beschäftigungsverhältnisse hat. Entstehen Ungleichgewichte aufgrund einer sinkenden Nachfrage ist jedoch von zunehmenden Machtasymmetrien zu Gunsten der Beschäftiger auszugehen (Kreckel 1992). Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels ergeben sich drei Hypothesen für eine Destabilisierung. (1) Sozio-demographische Effekte: Eine in unterschiedlichen Theorietraditionen verankerte Hypothese ist, dass Personen mit höheren Qualifikationen stabiler beschäftigt werden als geringer Qualifizierte. So nehmen etwa transaktionskostentheoretische oder informationsökonomische Ansätze an, dass mit zunehmender Komplexität von Arbeitsaufgaben und Qualifikationen die Primärmacht der Beschäftigten und ihre Beschäftigungsstabilität zunimmt. Im Rahmen der Bildungsexpansion können Unternehmen jedoch auch mittlere Positionen zunehmend mit akademisch ausgebildeten Beschäftigten besetzen (Heidenreich 1998). Dadurch entsteht im Bereich der höheren Qualifikationen eine wachsende Konkurrenz hinsichtlich ausbildungsadäquater Beschäftigung. Die Folge sind verlängerte Matching-Prozesse, die im Bereich der jüngeren und höher qualifizierten Beschäftigten zu einer Destabilisierung führen. Daneben sollte sich eine sinkende Nachfrage im Bereich der geringen Qualifikationen negativ auf die ohnehin geringeren Beschäftigungsperspektiven dieser Personengruppe auswirken. Auch hinsichtlich der überbetrieblichen Beschäftigungssicherheit ist aufgrund der im Zeitverlauf zunehmenden Konkurrenz um vakante Stellen von einer negativen Entwicklung auszugehen. Im Rahmen der Gleichgewichtstheorie sind Individuen grundsätzlich bestrebt, Fehlallokationen durch eigeninitiierte Mobilitätsprozesse und möglichst direkte Übergänge auszugleichen (Tuma 1985; Becker, Zimmermann 1995). Suchkostentheoretisch (Baron 1975; Lippmann, McCall 1976) ergeben sich hinsichtlich beruflicher Aufstiege Vorteile für die stabileren und höher qualifizierten Beschäftigtengruppen, da stabile Beschäftigung längere Suchprozesse mit relativ geringen Suchkosten ermöglicht und die aktuelle Beschäftigung tendenziell nur zu Gunsten einer Beschäftigung mit besseren Konditionen aufgegeben wird. Bei instabileren Beschäftigtengruppen hingegen sind sichere Übergänge aufgrund kürzerer Suchprozesse weniger wahrscheinlich. Da weiterhin mit zunehmender Arbeitslosigkeit die Suchkosten pro Zeiteinheit stark ansteigen, sollten für die instabileren Beschäftigtengruppen die Chancen auf Wiedereinstiege in adäquate Beschäftigungsverhältnisse im Zeitverlauf abnehmen. (2) Konjunkturelle und wirtschaftsstrukturelle Effekte: Stabilität und Sicherheit entsteht vor dem Hintergrund der jeweiligen historischen Gelegenheitsstrukturen. Zum einen sollte ein positiver Zusammenhang zwischen Beschäftigungsstabilität und Wirtschaftswachstum hergestellt werden können, da in
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expansiven Phasen weniger Entlassungen stattfinden. Zum anderen nimmt in solchen Phasen auch die freiwillige Mobilität zu, da gute Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsplatzbedingungen (sichere Übergänge) gegeben sind. Schwankungen von Stabilität und Sicherheit sollten sich daher partiell über eine Abhängigkeit von der jeweiligen Konjunkturlage erklären lassen. Jenseits der allgemeinen konjunkturellen Lage ist eine erhöhte Mobilität vor allem in solchen Wirtschaftsbereichen zu erwarten, die in besonderem Umfang von Gründungs- und Schließungseffekten betroffen sind (Haveman, Cohen 1994). „Push“-Faktoren entstehen durch die Kontraktion oder Schließung von Organisationen. Eine Destabilisierung wird hier durch eine Verschlechterung der Arbeitsplatzbedingungen und durch betriebliche Entlassungen erzeugt. „Pull“Faktoren hingegen beruhen auf dem Wachstum oder der Neugründung von Organisationen. Durch die Bildung neuer und attraktiver Positionen entstehen Gelegenheiten, einen besseren Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb zu finden (Spilerman 1977). Daher sollte vor allem der wachsende Dienstleistungsbereich durch eine im Zeitverlauf zunehmende Beschäftigungssicherheit gekennzeichnet sein. (3) Lebenslauftheoretische Effekte: Negative Entwicklungen auf der mikrosozialen Ebene des Lebenslaufes, wie zunehmende Diskontinuitäten und Arbeitslosigkeitsphasen, führen zu einer Destabilisierung und Verringerung von Beschäftigungssicherheit. Signaltheoretisch treten Diskontinuitäten im Erwerbsverlauf bei Bewerbungen um vakante Stellen als Negativsignale in Erscheinung (Arrow 1972, 1973; Phelps 1972; Spence 1973). Auf betrieblicher Seite wird es zunehmend schwieriger, Beschäftigte hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit anhand der bisherigen Erwerbsverläufe zu bewerten. Eine zunehmende Anzahl von „mismatches“ sowohl auf Seiten der Beschäftigten (Belohnungen sind geringer als die Ressourcen) als auch auf Seiten der Betriebe (Belohnungen sind höher als die Leistungsfähigkeit) führt zu erhöhter Mobilität (geringerer Stabilität). Hinsichtlich der Beschäftigungssicherheit ist dabei von einer starken Polarisierung der Beschäftigten auszugehen. Zum einen stellen sich insbesondere für Erwerbseinsteiger, die bereits zu Beginn ihrer Karriere Diskontinuitäten ausgesetzt sind, aufgrund des kumulativen Charakters derartiger Ereignisse negative Effekte für die Stabilität und Sicherheit im weiteren Erwerbsverlauf ein (Matthäuseffekte: Merton 1968; Elder 1985; Mayer 1987; Settersten 1999). Zum anderen steigern die Informationsdefizite, die bei diskontinuierlich beschäftigten Erwerbspersonen vorliegen und zu „mismatches“ führen, die positiven Signale kontinuierlicher Erwerbsverläufe für potentielle neue Arbeitgeber. Für die bereits längerfristig beschäftigten (stabilen) Personen sollte sich somit im Falle der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses die überbetriebliche Anschlussfähigkeit aufgrund der positiven Signale kontinuierlicher Beschäftigung erhöhen.
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
2. Daten und Methoden Der Fokus dieses Beitrages liegt auf der Entwicklung der Verteilung von Personen auf (in-) stabile und (un-)sichere Positionen, die als eine zentrale Dimension sozialer Ungleichheit verstanden wird. Die zur Positionsbeschreibung verwendeten Indikatoren der betrieblichen Beschäftigungsdauer und Übergangssicherheit werden mit Hilfe der im Folgenden dargestellten IAB-Beschäftigtenstichprobe operationalisiert. Die IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001 (IABS-R01) „Die IAB-Regionalstichprobe enthält für den Zeitraum 1975-2001 die Erwerbsund Leistungsempfangsbiographie von zwei Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit oft tagesgenauen Informationen. Grundlage der Zufallsauswahl war die so genannte Beschäftigten- und Leistungsempfängerhistorik (BLH) des IAB, in der die Zeiten von Beschäftigung und Leistungsbezug bereits auf Personenebene integriert wurden“ (Hamann 2005). Grundlage der Beschäftigtenstatistik ist das 1973 eingeführte integrierte Meldeverfahren zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, das von den Arbeitgebern Meldungen für alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse an die Sozialversicherungsträger verlangt (Bender u.a. 1996; Bender, Haas 2002). Somit sind in diesem prozessproduzierten Datensatz definitionsgemäß nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte erfasst, wobei diese Form der Beschäftigung etwa 80% aller Beschäftigten abdeckt. In der 2%-Stichprobe werden für Westdeutschland ab 1975 die Verläufe von 1.112.761 Personen und in Ostdeutschland ab 1992 die Verläufe von 181.058 Personen abgebildet. Für die Generierung betrieblicher Beschäftigungsdauern bzw. von Statuswechseln im Erwerbsverlauf sind die Meldungen der Arbeitgeber an die Sozialversicherungsträger sinnvoll zusammenzufassen. So entspricht nicht jede formale Abmeldung in der Beschäftigtenstichprobe einem Ende der Beschäftigung beim derzeitigen Arbeitgeber (z.B. bei Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrages): -
Daher gelten Beschäftigungsepisoden, die mit einer Abmeldung enden, jedoch im direkten Anschluss (innerhalb von 31 Tagen) bei demselben Arbeitgeber weitergeführt werden, als nicht beendet. Hingegen gelten die hier analysierten Beschäftigungsverhältnisse auch dann als beendet, wenn keine Abmeldung, jedoch eine Lücke von mehr als 31 Tagen zwischen zwei Meldungen ein und desselben Arbeitgebers existiert,
2. Daten und Methoden
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der Arbeitgeber also de facto für einen gewissen Zeitraum keine Sozialversicherungsabgaben für den Arbeitnehmer leistet2. Unabhängig vom Meldegrund gelten Beschäftigungsepisoden als beendet, denen sich innerhalb von 31 Tagen eine Beschäftigungsmeldung unter einem anderen Betriebsnummernzähler oder eine Leistungsempfangsmeldung anschließt. Hinsichtlich der überbetrieblichen Perspektive wird analog verfahren und für die Definition eines direkten Betriebswechsels bzw. eines Übergangs in Arbeitslosigkeit eine Meldelücke von 31 Tagen zugelassen3. Alle weiteren Übergänge ohne Anschlussinformationen innerhalb dieses Zeitraumes entsprechen (mit Ausnahme der Rechtszensierungen) Übergängen in Sozialversicherungslücken.
Operationalisierungsprobleme Wie unter Abschnitt 1 erwähnt, bestehen hinsichtlich der Reichweite der Entwicklung von Beschäftigungsstabilität unterschiedliche Einschätzungen, die zum Teil durch jeweils unterschiedliche Perspektiven, Indikatorensetzungen und Auswertungsmethoden bedingt sind. Dokumentiert werden z.B. Veränderungen der Vertragsformen (Oschmiansky, Oschmiansky 2003), wobei nicht berücksichtigt wird, dass etwa befristete Beschäftigung vielfach in unbefristete Beschäftigung mündet (Westdeutschland) oder dass unbefristet Beschäftigte durchaus kurzfristig beschäftigt sein können. Häufig werden die Anzahl von Arbeitgeberwechseln pro Person und Zeiteinheit, die Anzahl (ggf. Art) der Austritte aus betrieblichen Beschäftigungsverhältnissen oder auch nationale oder branchenspezifische Fluktuationsraten betrachtet. Dabei wird allerdings die Dauer selbst nicht erfasst und unberücksichtigt bleibt, dass sich ein hoher Austausch auf wenige Personen, Tätigkeiten und Positionen beschränken kann. Doch auch wenn die Beschäftigungsdauer retrospektiv erhoben wird, bestehen vielfach Messprobleme. Rechtszensierungsprobleme treten auf, wenn nach der bisherigen, d.h. unabgeschlossenen Betriebszugehörigkeitsdauer bestehender Beschäftigungsverhältnisse gefragt wird (Hall 1982; Ureta 1992). Der Vorteil besteht darin, auch gegenwartsnah bisherige Dauern erfassen zu können. 2
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Wenn Episoden mit Unterbrechungsmeldungen enden und die Beschäftigten erst im weiteren Verlauf (z.B. nach Ablauf von Elternzeiten) entscheiden, die Beschäftigung nicht wieder aufzunehmen, erfolgt in der Regel eine zeitlich nachgelagerte Abmeldung ohne Entgeltangabe. Beschäftigung und betriebliche Integration findet hier jedoch nur bis zum Zeitpunkt der Unterbrechungsmeldung statt. Ohne die Zulassung einer Lücke von 31 Tagen würden die Übergänge in Sozialversicherungslücken maßlos überschätzt, da viele Personen für wenige Tage der Arbeitslosigkeit (z.B. wenn bereits ein neues Beschäftigungsverhältnis aussteht) keine Leistungen in Anspruch nehmen.
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Unbekannt ist allerdings, wie lange die Befragten das Beschäftigungsverhältnis fortsetzen werden. Problematisch ist dies vor allem aufgrund der Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit der Beendigung in verschiedenen historischen Perioden gruppen- oder kohortenspezifisch variieren kann und somit von dynamischen Prozessen am Arbeitsmarkt beeinflusst ist, die nicht adäquat abgebildet werden. Wird die Beschäftigungsdauer weiterhin lediglich für Personen erhoben, die an bestimmten Stichtagen auch tatsächlich beschäftigt waren, kommt es zu einer selektiven Auswahl längerfristiger Beschäftigungsverhältnisse, da Personen mit Diskontinuitäten im Erwerbsverlauf (kurzfristige und saisonale Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Weiterbildung) mit geringerer Wahrscheinlichkeit erfasst werden. Auch verschiedene Stichtage innerhalb eines Jahres können abweichende Ergebnisse hervorbringen. Da die Zahl der Einstellungen im ersten Quartal eines Jahres am höchsten ist (Anhang 1), liefern Betrachtungen zur Mitte des Jahres tendenziell kürzere durchschnittliche Dauern als zu Beginn des Jahres, da mehr Personen mit kürzeren bisherigen Beschäftigungsdauern in die Berechnungen eingehen4. Verlässlicher ist es, abgeschlossene Dauern von Beschäftigungsverhältnissen zu analysieren bzw. die Auswertungsperspektive auf die Wahrscheinlichkeit eines Austrittes im weiteren Verlauf der Beschäftigung zu richten. Zwar treten auch bei ereignisanalytischen Erhebungsdesigns (Retrospektivbefragungen, Retrospektivbefragungen im Paneldesign, prozessproduzierte Daten) Probleme der Rechtszensierung auf. Diese finden jedoch in den elaborierten Methoden der Ereignisanalyse Berücksichtigung. Beispielsweise können für unterschiedliche Kohorten, die auf unterschiedliche konjunkturelle oder demographische Aspekte verweisen, Überlebensraten betrieblicher Beschäftigungsverhältnisse innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls berechnet und miteinander verglichen werden. Außerdem können in Übergangsratenmodellen je nach Datenlage konkurrierende Risiken wie Übergänge in Arbeitslosigkeit oder Betriebswechsel etc. berücksichtigt werden. In beiden Fällen gehen Rechtszensierungen in dem Sinne in die Berechnungen mit ein, dass bis zum Zeitpunkt der Rechtszensierung kein Ereignis eingetreten ist (Blossfeld, Rohwer 1995). Durch die Möglichkeiten der Implementierung zeitveränderlicher Kovariaten kann der Einfluss dynamischer Prozesse am Arbeitsmarkt in die Analysen einbezogen werden. Somit wird eine Perspektive eingenommen, welche auf die Beschäftigungsdauer fokussiert, die auf bestimmte historische Zeitpunkte folgen 4
Weitere Probleme im Vergleich bisheriger Betriebszugehörigkeitsdauern können durch Linkszensierungen wie im Falle der Beschäftigtenstichprobe entstehen. Im Falle von Linkszensierungen ist der Wert der maximalen bisherigen Betriebszugehörigkeitsdauer vom Zeitpunkt der Beobachtung abhängig ist, so dass durchschnittliche Betriebszugehörigkeitsdauern verschiedener Perioden nicht miteinander verglichen werden können.
2. Daten und Methoden
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wird. Dem Vorteil einer höheren Aussagekraft solcher Analysen steht allerdings der Nachteil einer größeren Gegenwartsferne gegenüber. So endet z.B. das Beobachtungsfenster der seit 2005 zugänglichen IAB-Beschäftigtenstichprobe am 31.12.2001. Wenn also wie in diesem Falle Überlebensraten betrieblicher Einsteiger über einen Zeitraum von mindestens vier Jahren im Zeitvergleich beobachtet werden sollen, dann stellen die Einsteiger von 1997 die jüngste einzubeziehende Eintrittskohorte dar5. Die zuletzt geschilderte Analyseperspektive findet auch im anschließenden empirischen Teil Anwendung. Zunächst sollen für betriebliche Neueinsteiger unterschiedlicher Perioden (Eintrittskohorten) Überlebensraten betrieblicher Beschäftigungsverhältnisse berechnet werden. In Ergänzung früherer Analysen neubegonnener Beschäftigung (Grotheer, Struck 2003) kann unter Verwendung der IABS-R01 zum einen der Beobachtungszeitraum bis Ende der 90er Jahre ausgedehnt werden. Zum anderen soll die Analyse betrieblicher Beschäftigungsdauern um die Ebene der an ausgewählten Stichtagen bestehenden Beschäftigungsverhältnisse (Bestandskohorten) erweitert werden. Vorteile gegenüber der Beobachtung von betrieblichen Neueinsteigern bestehen darin, ein größeres Spektrum von Beschäftigungsverhältnissen und Personen einbeziehen zu können, da eine ausschließliche Selektion neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse negativ mit der abhängigen Variable der Beschäftigungsdauer korreliert ist6. So können außerdem Veränderungen der innerbetrieblichen Beschäftigungsperspektiven beobachtet werden, die erst zu einem späteren Zeitpunkt der Beschäftigung auftauchen. Zur Verdeutlichung sind in Abbildung 3.1 exemplarisch die Beschäftigungsverläufe von vier Personen dargestellt. Bei einer Auswahl der im Laufe des 5
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Grundsätzlich sind bei den hier verwendeten prozessproduzierten Daten im Vergleich zu retrospektiv erhobenen Daten aus Personenbefragungen (z.B. Berliner Lebensverlaufsstudie, SOEP, Berufsverlaufsstudie Ostdeutschland) Abweichungen bezüglich der messbaren Verweildauern nach unten zu erwarten. Während bei den prozessproduzierten Daten nur die tatsächlich sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten erfasst werden, können bei Personenbefragungen zum einen Erinnerungsprobleme dazu führen, dass die Befragten kürzere Phasen im Lebenslauf (z.B. kürzere Arbeitslosigkeitsphasen oder kürzere Unterbrechungen bei ein und demselben Arbeitgeber) schlicht ausblenden (Osterland 1983). Zum anderen existiert bei Retrospektiverhebungen in Form von Panelbefragungen das Problem der Panelmortalität. Diese ist dann besonders problematisch, wenn die Möglichkeit einer Korrelation der Ausfallursache mit der abhängigen Variable besteht („not missing at random“ Engel 1998). So kommt auch Birkelbach zu dem Ergebnis, dass „die Befragten eher bereit sind, eine Erfolgsgeschichte zu berichten (...)“ als „Einblicke in die Geschichte ihres Misserfolges zu geben“ (1998: 135) und aufgrund einer „antizipierten Desavouierung“ (ebd. 145) die Teilnahme einstellen. Anders als bei den Stichtagsbetrachtungen unterliegen diskontinuierlich Beschäftigte bei einer Auswahl neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse einer höheren Auswahlwahrscheinlichkeit, da diese aufgrund ihrer tendenziell kürzeren Verweildauern mehrere Beschäftigungsepisoden in einem Zeitintervall aufweisen können.
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Jahres 1997 neubegonnenen Beschäftigung werden zwei Beschäftigungsverhältnisse von zwei Personen erfasst (relevante Beschäftigungszeiten von Person 1 und 2). Alle weiteren dargestellten Beschäftigungsverhältnisse werden bei dieser Strategie zur Analyse früherer oder späterer Einstiegsperioden herangezogen. Abbildung 3.1: Auswahl neubegonnener & bestehender Beschäftigungsverhältnisse im Intervall 01.01.1997 - 31.12.1997
Allerdings können aufgrund der Rechtszensierungsproblematik (vgl. Person 1) aktuellere Einstiegskohorten wie die von 1997 nur über einen insgesamt kürzeren Zeitraum beobachtet werden als ältere Einstiegskohorten. Ein Vergleich der Überlebensraten unter Einbezug der Kohorte 1997 wäre somit nur über einen Zeitraum von vier bis maximal fünf Jahren möglich. Auch wenn bisherige Survivoranalysen zeigen, dass die Austritte mit zunehmender Betriebszugehörigkeitsdauer abnehmen (z.B. Grotheer, Struck 2003; Grotheer u.a. 2004; Erlinghagen 2004), konnten eventuelle Unterschiede, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt der Beschäftigung ergeben, dabei nicht beobachtet werden. Ein exakteres Bild des Arbeitsmarktes erhält man bei Berücksichtigung aller in einem Zeitintervall existierenden Beschäftigungsverhältnisse.
2. Daten und Methoden
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Aus diesen Gründen werden nun auch Beschäftigungsverhältnisse erfasst, die am 01. Juli des jeweiligen Jahres und in Abgrenzung zu neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen bereits seit mehr als einem halben Jahr Bestand haben (Abb. 3.1: Person 3 und 4). Im Hinblick auf die weiteren Beschäftigungsperspektiven dieser Personen und analog zu den neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen, deren Dauer per definitionem erst ab dem ausgewählten Zeitintervall gemessen werden kann, werden die bestehenden Beschäftigungsverhältnisse zum 01. Juli des jeweiligen Jahres künstlich linkszensiert. Das heißt für die Berechnungen der Überlebens- und Übergangsraten wird nur die auf den Stichtag folgende, weitere Verweildauer gemessen. Allerdings können Personen aus bestehenden Beschäftigungsverhältnissen bereits auf eine mehr oder weniger lange bisherige Betriebszugehörigkeitsdauer zurückblicken, der dabei ein Einfluss auf die zukünftige Beschäftigungsperspektive unterstellt wird (Senioritätsprinzipien). Aus diesem Grund - und um die Unabhängigkeit der Beobachtungen voneinander im Zeitvergleich zu gewährleisten - werden die Austrittsrisiken bestehender Beschäftigungsverhältnisse für unterschiedliche Senioritätsgruppen ausgewiesen. Da die Beschäftigungsdauer außerdem mit dem Alter korreliert ist, sollte die zukünftige Verweildauer bereits längerfristig bestehender Beschäftigungsverhältnisse von einer höheren Anzahl von Rentenabgängen beeinflusst sein. Altersabgänge sind jedoch wohlfahrtsstaatlich vorprogrammiert und finden zumeist unabhängig und jenseits der Motive individueller Kündigungen und betrieblicher Entlassungen statt. Somit besteht die Gefahr, dass eine, allein durch den demographischen Wandel bedingte, höhere Anzahl von Rentenabgängen in den aktuelleren Beständen zu einer höheren Anzahl von Austritten längerfristig bestehender Beschäftigungsverhältnisse führt. Um eine diesbezügliche Verzerrung der Ergebnisse auszuschließen und die Veränderungen dauerstrategischer Personaleinsatzlogiken in den Vordergrund zu stellen, werden bei den Auswertungen nur Personen zugelassen, die beim Einstieg in den Betrieb (bzw. am Stichtag) ein Alter von 50 Jahren nicht überschritten haben7.
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Weiterhin finden Ausbildungsepisoden zu Beginn beruflicher Karrieren und Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen keine Berücksichtigung. Schließlich wurden Personen mit Mehrfachbeschäftigungen und Beschäftigungsverhältnisse mit einer Gesamtverweildauer von unter einem Monat von den Analysen ausgeschlossen.
76
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
3. Deskriptive Befunde zur Entwicklung von Beschäftigungsstabilität Bevor die Ergebnisse hinsichtlich der Entwicklung der Stabilität sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung vorgestellt werden, erörtert folgende Abschnitt zunächst die quantitative Entwicklung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung im Zusammenhang wirtschaftsstruktureller Kennzahlen, vor deren Hintergrund sich eine mögliche Destabilisierung abspielt. Der Einfluss von Veränderungen der Vertragsformen (vgl. Struck 2006b: 36) kann in dieser Untersuchung keine Rolle spielen, da in der Beschäftigtenstichprobe – mit Ausnahme der Teilzeitbeschäftigung – keine expliziten Merkmale für atypische Beschäftigung gegeben sind. Entwicklung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung Betrachten wir zunächst die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in der Beschäftigtenstichprobe (Abbildung 3.2). Parallel zur Konjunkturentwicklung (vgl. Abbildung 3.3) sind deutliche Einschnitte der Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse in den Rezessionsphasen Anfang der 80er Jahre sowie nach 1992 zu beobachten. Die absolute Zahl der Beschäftigten sinkt am Ende des Jahres 1983 auf einen zweiten Tiefststand und erreicht während des Wiedervereinigungsbooms im Jahre 1992 einen neuen Höchststand. Der Beschäftigungsabbau der ab 1993 folgenden Rezession wird erst im Jahre 1997 wieder gebremst (I&K-Boom 2000). Insgesamt kann man trotz schwankender Beschäftigtenzahlen eher von einem Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse sprechen. Zum einen steigt die Anzahl der Erwerbspersonen, zum anderen ist jedoch das in Arbeitsstunden gemessene Arbeitsvolumen im Beobachtungszeitraum der Beschäftigtenstichprobe relativ konstant geblieben, da parallel zu den steigenden Beschäftigtenzahlen eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeiten und eine Ausweitung von Teilzeitbeschäftigung stattfindet (Tabelle 3.1). Die Anteile von Personen in Teilzeitbeschäftigung haben sich zwischen 1976 und 2000 nahezu verdoppelt. Damit gekoppelt ist ein deutlicher Anstieg der Frauenerwerbsquote, die ihre Beschäftigung haushaltsbedingt häufig in Teilzeit verrichten. Der Anteil der Arbeiter an der Gesamtbeschäftigtenzahl nimmt im Zeitverlauf stetig ab, der Anteil der Angestellten hingegen nimmt – mit Ausnahme der formal gering qualifizierten ohne Berufsausbildung – kontinuierlich zu. Neben einer moderaten Zunahme der Angestellten mit Berufsausbildung im Zeitverlauf, steigen insbesondere die Anteile von Angestellten mit Hochschulabschluss (Bildungsexpansion) und Angestellten in Teilzeit.
3. Deskriptive Befunde zur Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
77
Abbildung 3.2: Entwicklung sv-pflichtiger Beschäftigungsverhältnisse (Westdeutschland) Entwicklung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse (in % des Beschäftigtenstandes am Ende des Jahres 1975) 25% 20% 15% 10% 5%
00/4
99/3
98/2
97/1
95/4
94/3
93/2
92/1
90/4
89/3
88/2
87/1
85/4
84/3
83/2
82/1
80/4
79/3
78/2
77/1
75/4
0%
Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe: eigene Berechnungen
Abbildung 3.3: Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes (preisbereinigt) in Deutschland 1) zwischen 1971 und 2005 2) 6 5
Wachstumsrate in %
4 3 2 1 0 1971
1974
1977
1980
1983
1986
1989
1992
1995
1998
2001
2004
-1 -2
Quelle: Statistisches Bundesamt; Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“ des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg, eigene Darstellung. ¹) Bis 1991 Früheres Bundesgebiet.²) Die Wachstumsraten von 1970 bis 1991 (Früheres Bundesgebiet) sowie die Angaben ab 1992 (Deutschland) beziehen sich auf Kettenindizes in Preisen des jeweiligen Vorjahres.
78
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Tabelle 3.1: Anteile von Beschäftigten nach Stellung im Beruf 1) zum 1. Januar Berufliche Stellung Nichtfacharbeiter Facharbeiter Meister
1976
1981
1984
1987
1990
1993
1997
2000
25,64%
23,92%
21,50%
20,78%
20,37%
19,71%
18,06%
17,92%
24,71%
23,77%
23,36%
22,94%
22,44%
21,34%
19,96%
18,61%
2,62%
2,47%
2,51%
2,38%
2,23%
2,05%
1,90%
1,66%
Angestellte ohne 4,15% 3,71% 3,38% 3,06% 2,73% 2,46% 2,21% 2,09% Berufsausbildung Angestellte mit Be28,02% 29,21% 30,90% 31,39% 31,59% 31,79% 32,55% 31,42% rufsausbildung Angestellte mit 3,22% 3,87% 4,36% 4,94% 5,45% 6,02% 6,37% 7,72% Hochschulabschluss Angestellte in Teil7,97% 9,35% 10,05% 10,49% 10,98% 11,95% 13,61% 13,96% zeit über 18 Stunden Angestellte in Teil1,66% 1,68% 1,88% 1,85% 1,86% 2,00% 2,10% 2,65% zeit unter 18 Stunden Gesamt (Personen) 329.716 346.440 330.856 337.030 352.951 372.906 342.841 366.216 Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe: eigene Berechnungen. ¹) Abweichungen von 100% ergeben sich durch Nichtberücksichtigung von Heimarbeitern und Angestellten ohne nähere Angabe.
Abbildung 3.4: Eintrittsraten, Austrittsraten, Labour-Turnoverraten auf Jahresbasis 33 31 29 27
Eintrittsrate
25
Austrittsrate Labour Turnover
23 21
Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe: eigene Berechnungen
2000
1997
1994
1991
1988
1985
1982
1979
1976
19
3. Deskriptive Befunde zur Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
79
Betrachtet man die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen vor dem Hintergrund des gesamten Umschlages von Beschäftigungsverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt (Abbildung 3.4), wird deutlich, dass auch in Phasen geringerer Veränderungen der Gesamtbeschäftigtenzahlen, eine hohe Dynamik von Ein- und Austritten zu beobachten ist. Der Labour-Turnover Anteil liegt im Durchschnitt bei etwa 25%. Insgesamt lässt jedoch der Befund einer Zunahme sozialversicherungspflichtiger und atypischer Beschäftigungsverhältnisse (hier Teilzeit), sowie einer relativ hohen jährlichen Fluktuation noch keine genaueren Aussagen zur Beschäftigungsstabilität zu, denn sogenannte atypische Beschäftigung ist nicht zwingend instabil. Einige Untersuchungen weisen nach, dass sich die Dauer von Teilzeitbeschäftigung nicht von der Dauer normaler Beschäftigung unterscheidet (z.B. Erlinghagen, Knuth 2002: 37 sowie Kapitel V in diesem Band). Befristete Beschäftigung in Form einer verlängerten Probezeit kann bei Berufseinsteigern in unbefristete Verträge münden. Gleichzeitig müssen auch die hohen Anteile regulärer Beschäftigungsformen (Normalarbeit) nicht zwingend dauerhaft sein (Cramer 1986). Hinsichtlich des Labour-Turnover bleibt unklar: a) auf wie viele Personen sich diese Austausche bezogen haben; b) ob es sich um einzelne innerbetriebliche Positionen oder Arbeitsplätze handelte, auf denen die Beschäftigten mehrfach ausgetauscht wurden und c) wie lang die ausgetauschten Personen beschäftigt waren. Um ein genaueres Bild der Entwicklung von Beschäftigung zu zeichnen, muss man die Analyse um die Dauerperspektive erweitern. Überlebensraten neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse Ältere Survivoranalysen zur Entwicklung von Beschäftigungsstabilität haben sich zumeist auf die Beobachtung von Beschäftigungsverhältnissen beschränkt, die in bestimmten historischen Phasen neu begonnen wurden (Erlinghagen, Knuth 2002; Grotheer, Struck 2003). Ein Ergebnis dieser Untersuchungen ist, dass sich die Stabilität (Überlebensrate) neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse auf gesamtwirtschaftlicher Ebene bis Anfang der 90er Jahre nur geringfügig verändert hat. Dabei zeigt sich deutlich, dass die Unternehmen in hohem Maße auf den externen Markt zurückgreifen. Im Gegensatz zu den früheren Analysen wird in den folgenden Darstellungen - wie in Abschnitt 2 erläutert - der Einfluss von Altersabgängen ausgeschaltet und das Beobachtungsfenster bis zum Ende der 90er Jahre erweitert. Um die wirtschaftsstrukturellen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, werden für den Zeitvergleich Messzeitpunkte bzw. -intervalle ausgewählt, die unterschiedliche konjunkturzyklische Phasen repräsentieren (Tabelle 3.2).
80
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Tabelle 3.2: Konjunkturphasen und ausgewählte Messzeitpunkte Messzeitpunkte
Konjunkturphase
1981
Rezessionsphase
1985
Expansive Phase
1989
Boomphase
1993
Rezessionsphase
1997
Moderat expansive Phase
Auch in der aktuellen Analyse zeigt sich ein hohes Ausmaß externer Mobilität (Abbildung 3.5). Etwa 50% aller neubegonnenen Beschäftigungsverhältnisse sind nach etwa einem Jahr bereits wieder beendet; mehr als vier Jahre dauern hingegen nur ca. 25% dieser neubegonnenen Beschäftigungsverhältnisse an. Abbildung 3.5 zeigt außerdem, dass sich die Stabilität auf der Gesamtebene aller neubegonnenen Beschäftigungsverhältnisse verringert hat. Die Überlebensraten sinken allerdings erst im Verlauf der 90er Jahre und lediglich um ca. 4 Prozentpunkte. Abbildung 3.5: Überlebensraten neubegonnener Beschäftigungsverhältnissen
3. Deskriptive Befunde zur Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
81
Eine differenziertere Analyse der Überlebensraten zeigt hingegen, dass durchaus unterschiedlich starke Entwicklungslinien und Beschäftigungsrisiken für verschiedene Beschäftigtengruppen existieren (Tabelle 3.3). Vergleicht man zunächst die Qualifikationsgruppen miteinander, so ist zu erkennen, dass Personen mit einer Hochschulausbildung, wie in der Regel humankapitaltheoretisch begründet wird, die stabilsten Beschäftigungsverhältnisse aufweisen. Auch Personen mit einer Berufsausbildung sind über den gesamten Beobachtungszeitraum weniger häufig von Austritten betroffen als Personen ohne Ausbildung. Die Überlebensraten von Hochschulabsolventen nehmen jedoch bei den Einsteigern von 1993 deutlich ab und nähern sich denen von Einsteigern mit Berufsausbildung an. Insgesamt mussten die Einsteiger mit Berufsausbildung zwischen 1981 und 1997 die geringsten Stabilitätseinbussen hinnehmen (-4.0 Pp.). Höher fielen diese hingegen bei Einsteigern mit Hochschulabschluss (-4.5 Pp.) und vor allem bei Einsteigern mit lediglich schulischen Qualifikationen aus (-5.1 Pp.), die sich ohnehin auf relativ geringem Ausgangsniveau befanden. Obgleich sich die Überlebensraten von Hochschülern zwischen 1993 und 1997 wieder etwas erhöht haben, sinkt in diesem Zeitraum der Median der Beschäftigungsdauer8. Das bedeutet, dass individuell oder betrieblich wahrgenommene „mismatches“ bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Beschäftigung wieder aufgelöst werden9. Eine detailliertere Betrachtung der Qualifikationen nach beruflicher Stellung (Tabelle 3.3) lässt erkennen, dass Beschäftigte ohne Ausbildung sowohl im Bereich der Arbeiter als auch im Bereich der Angestellten durch deutlich geringere Stabilität gekennzeichnet sind10. Angestellte mit Berufs- oder Hochschulabschluss sowie Meister sind, trotz sinkender Tendenz im Zeitverlauf, auch Ende der 90er Jahre immer noch deutlich stabiler beschäftigt als Einsteiger mit Facharbeiterstatus. Auch Teilzeitarbeit über 18 Stunden ist, trotz erheblich sinkender Überlebensraten im Zeitverlauf, auch 1997 noch überdurchschnittlich stabil11. Ein Zuwachs atypischer Beschäftigung, wie hier in Form von Teilzeitarbeit, führt somit nicht zwangsläufig zu einer Destabilisierung von Beschäftigung. Von einer Prekarität der Teilzeitbeschäftigung kann in Bezug auf die Dauerebene 8 9
10 11
Median der Einsteiger von 1993: 821 Tage; Median der Einsteiger von 1997: 729 Tage. Hamermesh (2000) kommt für die USA zu dem Ergebnis, dass höher Qualifizierte im Zeitverlauf häufiger Arbeitsplätze mit geringeren Qualifikationsanforderungen besetzen und so geringer Qualifizierte auf die unangenehmeren Arbeitsplätze verdrängen. Auch am deutschen Arbeitmarkt besteht aufgrund der Bildungsexpansion eine zunehmende Konkurrenz um ausbildungsadäquate Positionen, so dass inadäquate Positionen vermutlich häufiger als zeitlich begrenzte Übergangslösungen besetzt werden. Bei den Nichtfacharbeitern setzt eine deutliche Destabilisierung bereits Mitte der 90er Jahre ein, bei den Angestellten ohne Ausbildung hingegen erst Ende der 90er Jahre. Die instabilere Teilzeitarbeit unter 18 Stunden umfasst hier nur etwa ein Sechstel der gesamten Teilzeitarbeit.
82
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
nicht gesprochen werden (vgl. Kapitel V), wenngleich sich die Überlebensraten Ende der 90er Jahre den Durchschnittswerten annähern. Tabelle 3.3: Überlebensraten neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse Überlebensraten neubegonnener Beschäftigung nach vier Jahren
NeueinNeueinNeueinNeueinNeueinstellungen stellungen stellungen stellungen stellungen 1981 1985 1989 1993 1997
Gesamt: Westdeutschland
25,86%
25,79%
25,87%
23,17%
21,97%
Männer
23,54%
24,45%
25,71%
21,95%
21,15%
Frauen
29,20%
27,86%
26,08%
25,45%
23,14%
unter 35 Jahre
24,02%
24,10%
23,69%
21,47%
19,04%
35 bis 50 Jahre
30,92%
30,70%
32,53%
28,75%
28,15%
ohne Ausbildung
19,04%
19,49%
19,34%
15,20%
13,96%
mit Berufsausbildung
30,06%
28,90%
29,00%
27,68%
26,10%
mit Hochschulausbildung
34,75%
35,96%
33,25%
29,12%
30,26%
Nichtfacharbeiter
17,07%
19,26%
19,20%
14,00%
14,92%
Facharbeiter
20,56%
20,70%
24,69%
20,96%
21,45%
Meister
44,65%
46,13%
42,48%
38,89%
34,36%
ohne Berufsausbildung
25,50%
27,50%
23,70%
23,74%
18,51%
mit Berufsausbildung
36,23%
35,41%
31,45%
31,52%
29,00%
mit Hochschulabschluss
39,40%
40,38%
36,15%
31,03%
33,54%
in Teilzeit über 18 Stunden
38,69%
33,10%
32,29%
29,90%
23,53%
in Teilzeit unter 18 Stunden
29,16%
26,29%
24,68%
21,26%
15,77%
Geschlecht:
Alter:
Ausbildung:
Berufliche Stellung (Arbeiter):
Berufliche Stellung (Angestellte):
3. Deskriptive Befunde zur Entwicklung von Beschäftigungsstabilität Überlebensraten neubegonnener Beschäftigung nach vier Jahren
83
NeueinNeueinNeueinNeueinNeueinstellungen stellungen stellungen stellungen stellungen 1981 1985 1989 1993 1997
Wirtschaftszweige: Landwirtschaft, Garten-, Energie- & Bergbau
29,39%
27,86%
26,25%
26,26%
15,26%
Verarbeitendes Gewerbe: Grund32,18% stoff- & Güterproduktion
31,19%
33,75%
30,92%
33,45%
Investitionsgüterproduktion: Stahl- & Leichtmetallbau, Maschinenbau
35,10%
38,38%
35,86%
32,15%
31,97%
Verbrauchsgütergewerbe
28,39%
29,94%
28,47%
25,56%
27,31%
Nahrungs- & Genussmittelgewerbe
25,63%
21,02%
23,01%
22,58%
22,58%
Bauhaupt-, Ausbaugewerbe
12,43%
13,29%
21,68%
15,14%
15,11%
Distributive DL: Großhandel
25,75%
26,31%
24,94%
26,54%
24,87%
Distributive DL: Einzelhandel
24,83%
22,56%
22,84%
21,83%
20,32%
Verkehr, Nachrichtenübermittlung
24,91%
23,65%
22,36%
17,59%
17,81%
Wirtschaftsbezogene DL
27,84%
27,07%
22,42%
24,68%
19,44%
Haushaltsbezogene DL
12,97%
11,16%
12,02%
11,78%
10,92%
32,75%
30,58%
30,50%
30,58%
27,15%
34,72%
29,36%
26,55%
28,69%
24,23%
Gesellschaftsbezogene DL: z.B. Krankenhäuser Gesellschaftsbezogene DL: z.B. (Straßen-) Reinigung, Verbände
Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001, eigene Berechnungen. Hinsichtlich der Wirtschaftszweige ist neubegonnene Beschäftigung erwartungsgemäß im Verarbeitenden Gewerbe und in der Investitionsgüterproduktion am stabilsten, wobei sich im Zeitverlauf nur relativ geringe Veränderungen ergeben. Am kürzesten ist die Beschäftigung im Bereich der haushaltsbezogenen Dienstleistungen. Die stärkste Destabilisierung findet hingegen im Bereich der wirtschaftsbezogenen Dienstleistungen statt12.
12
Z.B. Kredit- & Versicherungsgewerbe, Rechts- & Wirtschaftsberatung, Architektur- & Ingenieurbüros, Verlags-, Literatur- & Pressewesen; aber auch im Einzelhandel sowie Verkehr & Nachrichtenübermittlung.
84
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Überlebensraten bestehender Beschäftigungsverhältnisse Wie bereits in Abschnitt 2 erörtert wurde, handelt es sich bei den neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen verschiedener Perioden lediglich um einen selektiven Ausschnitt der tatsächlich existenten Beschäftigungsverhältnisse. Um die Gesamtheit aller Beschäftigungsverhältnisse zu erfassen, die in einer ausgewählten Zeitperiode existiert haben, muss man die Ebene der neubegonnenen Beschäftigungsverhältnisse um die Ebene der innerhalb des Beobachtungszeitraumes bereits bestehenden Beschäftigungsverhältnisse erweitern. Diese heben sich hinsichtlich ihrer weiteren Beschäftigungsperspektiven deutlich positiv von den neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen ab (Abbildung 3.6). Abbildung 3.6: Überlebensraten bestehender Beschäftigungsverhältnisse:
Zum einen sind zwar auch hier Beschäftigungsverhältnisse enthalten, die erst vor relativ kurzer Zeit (> 6 Monate) neubegonnen wurden und eventuell nach kurzer Dauer wieder beendet werden. Zum anderen wurde jedoch anhand der Analyse neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse deutlich, dass die Zahl der Überlebenden nach zwei Jahren nur noch schwach absinkt. Mit anderen Worten: Wer eine gewisse Dauerschwelle im Unternehmen überschritten hat, weist eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, im Unternehmen zu verbleiben (Senioritätsprinzipien). In Abbildung 3.6 erkennt man allerdings auch, dass sich die weiteren Dauerperspektiven der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse im Zeitverlauf
3. Deskriptive Befunde zur Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
85
kontinuierlich und deutlich verringert haben. Etwa 63% aller bestehenden Beschäftigungsverhältnisse von Mitte 1981 waren nach Ablauf weiterer vier Jahre noch nicht beendet. Hingegen haben nur 55% der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse von Mitte 1997 auch weitere vier Jahre überdauert. Während bei den Neueinsteigern die Lehrabsolventen die geringste Destabilisierung erfahren haben, sinken die Überlebensraten der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse stärker bei den höheren Qualifikationsgruppen (Tabelle 3.4). Im Vergleich der Bestände von 1981 und 1997 haben die Überlebensraten von Personen ohne Ausbildung um ca. 4½ Prozentpunkte abgenommen, die von Lehrabsolventen um etwa 7½ Pp. und die von Hochschulabsolventen sogar um ca. 13 Pp. Betrachtet man die Ergebnisse zusätzlich vor dem Hintergrund der beruflichen Stellung (Tabelle 3.4) wird deutlich, dass im Bereich der Arbeiter (mit Ausnahme der höher qualifizierten Meister) geringere Veränderungen ablaufen. Die Destabilisierung findet vorrangig im Bereich der Angestellten statt und verstärkt sich auch hier mit zunehmender Qualifikation. Besonders dramatische Einbrüche finden im Bereich der Teilzeitarbeit statt. Die hohe Stabilität der Teilzeitbeschäftigung vom Bestand von 1981 verringert sich stetig und die Zahl der Überlebenden erreicht schließlich in etwa das Durchschnittsniveau. Tabelle 3.4: Überlebensraten bestehender Beschäftigungsverhältnisse Überlebensraten bestehender Beschäftigung nach vier Jahren Gesamt: Westdeutschland
Bestand Bestand Bestand Bestand Bestand 1981 1985 1989 1993 1997 62,64%
63,46%
58,12%
55,48%
54,98%
- Männer
65,18%
66,33%
62,99%
58,61%
57,69%
- Frauen
58,60%
59,22%
51,20%
51,15%
51,30%
- unter 35 Jahre
53,15%
53,24%
47,44%
48,13%
46,10%
- 35 bis 50 Jahre
71,46%
73,33%
69,83%
63,79%
63,05%
- ohne Ausbildung
60,21%
63,93%
57,78%
54,19%
55,59%
- mit Berufsausbildung
64,44%
64,18%
59,13%
57,42%
56,95%
- mit Hochschulausbildung
62,43%
61,39%
54,67%
50,57%
49,60%
Geschlecht:
Alter:
Ausbildung:
86
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Überlebensraten bestehender Beschäftigung nach vier Jahren Berufliche Stellung:
Bestand Bestand Bestand Bestand Bestand 1981 1985 1989 1993 1997
- Nichtfacharbeiter
58,15%
62,14%
56,77%
53,66%
57,39%
- Facharbeiter
60,31%
61,58%
59,37%
55,66%
57,43%
- Meister
77,03%
76,91%
75,05%
68,60%
63,46%
- Angestellte ohne Berufsausbildung
65,18%
67,14%
59,25%
58,30%
54,55%
- Angestellte mit Berufsausbildung
64,78%
63,66%
57,13%
56,96%
54,57%
- Angestellte mit Hochschulabschluss
64,13%
62,17%
55,40%
51,67%
50,36%
- Angestellte in Teilzeit über 18 Stunden
71,93%
71,79%
63,60%
58,86%
56,13%
Wirtschaftszweige: Landwirtschaft, Garten-, Energie- & Bergbau
73,46%
75,10%
65,62%
65,05%
51,45%
Verarbeitendes Gewerbe: Grundstoff- & Güterproduktion Investitionsgüterproduktion: Stahl- & Leichtmetallbau, Maschinenbau Verbrauchsgütergewerbe
72,54%
73,56%
69,14%
63,73%
62,27%
70,51%
72,59%
65,60%
64,61%
66,06%
59,34%
62,45%
58,18%
55,63%
59,67%
Nahrungs- & Genussmittelgewerbe
62,64%
59,10%
54,37%
56,50%
55,42%
Bauhaupt-, Ausbaugewerbe
48,35%
53,78%
57,03%
47,80%
49,41%
Distributive DL: Großhandel
57,54%
56,82%
52,19%
51,99%
49,94%
Distributive DL: Einzelhandel
54,19%
52,22%
48,75%
49,78%
47,26%
Verkehr, Nachrichtenübermittlung
63,97%
61,33%
57,64%
39,96%
47,95%
Wirtschaftsbezogene DL
64,62%
63,32%
56,30%
53,88%
48,66%
Haushaltsbezogene DL
47,58%
47,67%
42,02%
42,62%
42,09%
Gesellschaftsbezogene DL: 61,83% 63,13% 55,43% z.B. Krankenhäuser Gesellschaftsbezogene DL: 61,58% 59,82% 51,42% z.B. (Straßen-) Reinigung, Verbände Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001, eigene Berechnungen.
56,07%
58,63%
54,22%
51,76%
Die Analysen weisen einerseits auf insgesamt geringere Austrittsrisiken bereits längerfristig bestehender Beschäftigung hin. Andererseits sinken vor allem die weiteren Beschäftigungsperspektiven aller seit mindestens 6 Monaten bestehenden Beschäftigungsverhältnisse. Daher scheint es an dieser Stelle notwendig, die Überlebensraten der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse mit der am jeweiligen Stichtag bereits absolvierten Betriebszugehörigkeitsdauer zu assoziieren (Tabelle 3.5). Dabei wird nochmals bestätigt: Jene Personen, die bereits länger-
3. Deskriptive Befunde zur Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
87
fristig in einem Betrieb beschäftigt sind, tragen auch im weiteren Verlauf die geringsten Austrittsrisiken. Etwa 81% der Mitte 1985 bereits langfristig Beschäftigten (>10 Jahre) werden auch mindestens weitere 4 Jahre im selben Betrieb beschäftigt sein (hingegen nur etwa 41% der unter 2 Jahre Beschäftigten). Hier drücken sich zum einen Schutzwirkungen interner Arbeitsmärkte, zum anderen Senioritätsrechte längerfristig beschäftigter Personen im Falle von Entlassungen aus. Gleichzeitig sinkt allerdings die Zahl der Überlebenden stärker in den Kategorien höherer Betriebszugehörigkeitsdauer. Erst in dieser Betrachtung kommt man zu dem Befund, dass insbesondere die weiteren betrieblichen Perspektiven bereits längerfristig beschäftigter Personen im Zeitverlauf stark abnehmen. Tabelle 3.5: Anteil der Überlebenden bzw. der Aussteiger aus bestehenden Beschäftigungsverhältnissen (kategorisiert nach bisheriger BZD) 1) Überlebende nach vier Jahren
Aussteiger der nächsten vier Jahre
Bestand Bestand Bestand Bestand Bestand Bestand Quotient 1985 1989 1993 1997 1985 1997 97 / 85 Gesamt Westdeutsch63,46% land Aktuelle Betriebszugehörigkeitsdauer am Stichtag:
58,12%
55,48%
54,98%
36,54%
45,01%
1,23
- 6 Monate bis weniger als 2 Jahre
41,49%
38,81%
38,89%
36,82%
58,51%
63,18%
1,07
- 2 Jahre bis weniger als 5 Jahre
55,91%
51,48%
51,78%
49,61%
44,09%
50,39%
1,14
- 5 Jahre bis weniger als 8 Jahre
68,31%
61,33%
61,95%
60,70%
31,69%
39,30%
1,24
- 8 Jahre bis weniger als 10 Jahre
74,10%
68,39%
66,89%
65,45%
25,90%
34,55%
1,33
- 10 Jahre und länger
81,11%
77,61%
73,45%
72,78%
18,89%
27,22%
1,44
Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001, eigene Berechnungen. ¹) Sämtliche Angaben beziehen sich dem Auswertungsdesign entsprechend auf Beschäftigungsverhältnisse von Personen, die am jeweiligen Stichtag ein Alter von 50 Jahren noch nicht erreicht haben.
Die Veränderung des Risikos innerhalb der Dauerkategorien wird deutlicher, wenn man nicht die Zahl der Überlebenden, sondern die Zahl der Aussteiger betrachtet (ebenfalls Tabelle 3.5).
88
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Im Vergleich der langfristigen Bestände (>10 Jahre) haben zwischen 1985 und 1989 nur ca. 19 von 100 Beschäftigten ihren Betrieb verlassen. Zwischen 1997 und 2001 hingegen waren es bereits ca. 27 von 100 Beschäftigten. Innerhalb der Gruppe der langfristig Beschäftigten (>10 Jahre) hat sich die Zahl der Aussteiger somit um etwa 44% erhöht (Tabelle 3.5: Quotient). Der technisch-statistische Ausdruck eines im Zeitverlauf stark gestiegenen Austrittsrisikos innerhalb der Gruppe der langfristig Beschäftigten darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zahl der Austritte in dieser Gruppe insgesamt am geringsten ist. Zwischenfazit Betriebliche Beschäftigung wird instabiler: Die deskriptiven Befunde weisen zunächst auf einen hohen Umschlag neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse hin, der sich im Zeitverlauf leicht erhöht. Im Zuge wiederholter Eintritte jüngerer Arbeitnehmer während der Such- und Einarbeitungsphase, gelingt es einem Teil der Einsteiger, in längerfristige Beschäftigungsbeziehungen einzutreten. Insbesondere für Hochschulabsolventen und Personen ohne Ausbildung sinkt die Stabilität vor allem in den 90er Jahren. Hinsichtlich der Ungleichheit betrieblicher Ausstiegsrisiken öffnet sich die Schere zwischen Personen mit und ohne Ausbildung. Gleichzeitig verringern sich sowohl innerhalb des Bereiches der Arbeiter als auch innerhalb des Bereiches der Angestellten die Differenzen zwischen den qualifizierten Arbeitnehmergruppen. Sowohl die Analyse der neubegonnenen als auch der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse zeigt, dass Personen, die bereits eine gewisse Dauerschwelle im Unternehmen überschritten haben, insgesamt weniger häufig von Austritten betroffen sind. Herkömmliche Stichtagsbetrachtungen bestehender Beschäftigungsverhältnisse konzentrierten sich jedoch vor allem auf die bisher zurückgelegte Dauer der Beschäftigung. Erst in der hier ausgewählten vorwärts gerichteten Analysemethode wird deutlich, dass sich die weiteren betrieblichen Beschäftigungsperspektiven vor allem in den Kategorien höherer bisheriger Betriebszugehörigkeitsdauer verringert haben. Während bei den Neueinsteigern die Lehrabsolventen die geringste Destabilisierung erfahren haben, sinken die Überlebensraten der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse stärker in Richtung der höheren Qualifikationsgruppen. Hochschulabsolventen haben nach betrieblichen Neueinstiegen zunächst noch deutlich bessere Chancen, eine gewisse Zeitspanne im jeweiligen Unternehmen zu verbleiben. Je länger die Beschäftigung jedoch andauert, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit eines Ausstieges im Vergleich zu den anderen Qualifikationsgruppen. Wie der folgende Abschnitt zeigen wird, kann man hier jedoch nicht zwangsläufig von einem erhöhten Beschäftigungsrisiko sprechen, da die vermehrten Austritte von Hochschulabsolventen häufig mit direkten (freiwilligen)
4. Ursachen und Folgen der Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
89
Betriebswechseln einhergehen. Festgehalten werden kann jedoch, dass im Westen des Landes humankapitaltheoretische Argumente in Bezug auf die betriebliche Stabilität an Bedeutung verlieren. 4. Ursachen und Folgen der Entwicklung von Beschäftigungsstabilität Inwieweit diese Ergebnisse durch sozio-demographische, wirtschaftsstrukturelle oder erwerbsbiographische Veränderungen beeinflusst sind, kann mit Hilfe ereignisanalytischer Modelle analysiert werden. Im Vordergrund steht hier nicht mehr die Entwicklung der Stabilität einzelner Merkmalsausprägungen, die ausführlich im Abschnitt 3 dargestellt wurden, sondern der mögliche Einfluss unterschiedlicher Kohortenzusammensetzungen und wirtschaftsstruktureller Faktoren auf die zeitbezogenen Effekte der Kohorten. Außerdem lässt der bisherige Destabilisierungsbefund bisher offen, ob für bestimmte Risikogruppen tatsächlich negative Konsequenzen aus den erhöhten Austrittsrisiken resultieren, denn zunehmend geringere Beschäftigungsdauern bedeuten nicht zugleich eine insgesamt erhöhte Beschäftigungsunsicherheit. Das Ende einer Beschäftigung findet in unterschiedlichen Lebensphasen und historischen Kontexten und somit auch im Zusammenhang besserer oder schlechterer Gelegenheitsstrukturen statt, die dem Ereignis eine positive oder negative Bedeutung verleihen können. Für die weiterführende Interpretation einer Destabilisierung ist es daher unabdingbar, auch die Übergänge der Individuen zu erfassen. Jenseits von eigeninitiierten Kündigungen und betriebsbedingten Entlassungen drücken sich die weiteren Beschäftigungschancen darin aus, ob direkte Betriebswechsel realisiert werden können oder Übergänge in Arbeitslosigkeit stattfinden. Daher werden die Modelle zu allgemeinen Austrittsrisiken um Modelle mit konkurrierenden Übergangsrisiken, wie direkten Betriebswechseln, Übergängen in Arbeitslosigkeit und Übergängen in Sozialversicherungslücken, ergänzt13. Die Modelle werden getrennt für neubegonnene und bestehende Beschäftigungsverhältnisse berechnet. Um im Kohortenvergleich der bestehenden Beschäftigungsverhältnissen die Unabhängigkeit der Beobachtungen voneinander zu gewährleisten und Linkszensierungsprobleme zu vermeiden, werden die Schätzungen zu Ausstiegsrisiken getrennt für Beschäftigungsverhältnisse vorgenommen, die am Stichtag bereits seit a) 6 Monaten bis 2 Jahren, b) 2 bis 5 Jah-
13
Aus Platzgründen wird auf die Darstellung der Übergänge in Sozialversicherungslücken verzichtet.
90
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
ren, c) 5 bis 8 Jahren und d) 8 bis 10 Jahren existieren14. Exemplarisch werden neben den neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen und im Kontrast zu diesen nur die Ergebnisse für die langfristig bestehenden Beschäftigungsverhältnisse (8 bis 10 Jahre) dargestellt. Da vor allem der Einfluss der Kovariaten auf die zeitbezogenen Effekte der Eintritts- und Bestandskohorten diskutiert werden soll, werden sowohl hinsichtlich der Austritte als auch der Übergänge unterschiedliche Variablen (-blöcke) sukzessive in die Modelle einbezogen. Anschließend wird das Ende einer Beschäftigung in den Zusammenhang der Übergangsoptionen gebracht. Die folgenden Tabellen weisen die mittels eines CoxModells15 berechneten Effekte sukzessive und als „relative risks“16 aus. Übergangsrisiken und Anschlussoptionen neubegonnener Beschäftigung Die folgenden Ausführungen beziehen sich zunächst auf die Ergebnisse für neubegonnene Beschäftigungsverhältnisse (Tabelle 3.6). Dabei bestätigt sich zu14
15
16
Bei den bestehenden Beschäftigungsverhältnissen existiert das Problem, dass diese (sofern sie nicht aufgelöst werden) an mehreren Stichtagen mit jeweils unterschiedlicher bisheriger Betriebszugehörigkeitsdauer beobachtet werden können. Diese mehrfachen Beobachtungen sind jedoch in Bezug auf ihre weitere Verweildauer nicht unabhängig voneinander. Durch die hier vorgenommene Modellierung können Heteroskedastizitäts- und Autokorrelationsprobleme im Kohortenvergleich vermieden werden. Damit sind allerdings Einschränkungen hinsichtlich des Beobachtungszeitraumes verbunden. Aufgrund der Linkszensierung zum 01.01.1975 repräsentieren die Bestände von 1985 die älteste Kohorte, der eindeutig eine bisherige Betriebszugehörigkeitsdauer von 8-10 Jahren zugeordnet werden kann. Bei der Analyse der weiteren Dauer bestehender Beschäftigungsverhältnisse wird der Beginn der Prozesszeit künstlich auf einen Stichtag verlagert und Beschäftigungsverhältnisse mit unterschiedlichen historischen Startzeitpunkten gemeinsam analysiert. So wird ein Verfahren benötigt, das relativ unspezifische Annahmen über den zeitabhängigen Verlauf der Übergangsraten trifft. Geeignet ist das Proportional-Hazards-Modell von Cox. Dieses Modell lässt sich formal ausdrücken als r(t) = h(t) exp (A(t)Į), wobei die Übergangsrate r(t) von einer unspezifizierten Baseline Hazardrate h(t) und einem Vektor von Kovariaten A(t) mit den Koeffizienten Į abhängig ist. Da sich die Hazardrate der Kohorte 1997 hier lediglich auf einen Zeitraum von 4 Jahren beziehen kann, wurden auch die Beschäftigungsverhältnisse der früheren Kohorten nach 4 Jahren künstlich rechtszensiert. Die dem Cox-Modell zugrunde liegende Proportionalitätsannahme (Blossfeld, Rohwer 1995) wird als erfüllt angesehen. Erlinghagen (2004) bietet einen Literaturüberblick über verschiedene Testverfahren zur Überprüfung der Proportionalitätsannahme und insbesondere eine kritische Stellungnahme zur Adäquanz »harter« Testverfahren bei hohen Fallzahlen. Die hier ausgegebenen „relative risks“ können Werte zwischen 0 und unendlich annehmen. Werte über 1 entsprechen dabei einem höherem Ausstiegsrisiko gegenüber der Referenzgruppe. So kann z.B. der Wert von 1.25 für Männer als 25% höheres Ausstiegsrisiko gegenüber Frauen interpretiert werden. Bei geringeren Ausstiegsrisiken (Werte zwischen 0 und 1) muss aufgrund der Begrenzung nach unten zunächst der Kehrwert gebildet werden, um ein solches Risiko auszudrücken. Ein höheres Ausstiegsrisiko von 1.25 entspräche dabei einem geringeren Ausstiegsrisiko von 0.80 ( 1 / 0.8 = 1.25).
4. Ursachen und Folgen der Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
91
nächst der Befund aus den Survivoranalysen. Insbesondere für die Neueinsteiger von 1997 ergeben sich signifikant höhere Übergangsraten (Modell 1a). Alle weiteren Modelle überprüfen den Einfluss unterschiedlicher Gruppenzusammensetzungen auf die zeitbezogenen Effekte der Eintrittskohorten. Nimmt zum Beispiel der Anteil von Personen in den instabileren Branchen im Zeitverlauf immer mehr zu, dann sinken die Effektstärken der aktuelleren Eintrittskohorten. Da Unterschiede der Gruppenzusammensetzungen in diesen Modellen nicht ohne Weiteres nachvollzogen werden können, sondern nur durch die Veränderungen der Effekte der Kohorten, werden diese Unterschiede im Folgenden ausführlich beschrieben. (1) Zuwanderer sind zunächst mit deutlich geringeren Dauerperspektiven ausgestattet als deutsche Arbeitnehmer (Tabelle 3.6: Modell 1b). Das erklärt sich partiell aufgrund von Tätigkeiten in instabilen Positionen mit geringen Qualifikationsanforderungen, ist also eng an die Frage der Qualifikation gekoppelt. Die demographische Entwicklung der Anteile ausländischer Bevölkerung spiegelt sich auch in der Gruppenzusammensetzung der Neueinsteigerkohorten wider. Zunächst sinken die Anteile instabilerer Zuwanderer zu Beginn der 80er Jahre (sowohl prozentual als auch absolut). Erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre steigen die Anteile wieder (mit wenigen Ausnahmen bis etwa Mitte der 90er Jahre). Ab 1997 ist ein erneuter Rückgang des ausländischen Bevölkerungsanteils zu verzeichnen. Bezieht man neben den Zeiteffekten lediglich das Merkmal der Nationalität in die Analyse mit ein, bleiben die ursprünglichen Zeiteffekte von diesen marginalen Veränderungen nahezu unbeeinflusst. Eine Destabilisierung neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse ist folglich nicht auf die Verteilung oder gar eine Zunahme instabiler Zuwanderer auf die Einsteigerkohorten verursacht. Schließlich sind die höheren Austrittswahrscheinlichkeiten von Zuwanderern mit geringeren Betriebswechselchancen und höheren Risiken von Arbeitslosigkeit gekoppelt (Modell 2b, 2d). (2) Trotz der im Zeitverlauf kontinuierlich steigenden Anteile weiblicher Erwerbspersonen unterliegen die Frauenanteile in den verschiedenen Neueinsteigergruppen einigen Schwankungen. Verschiedene Gründe sind dafür verantwortlich, dass die Eintrittskohorten die wachsende Erwerbsbeteiligung von Frauen nur bedingt widerspiegeln17. Insgesamt zeigt sich in den Deskriptivanalysen wie auch in den Ratenmodellen, dass Frauen in neubegonnener Beschäftigung geringere Austrittsrisiken aufweisen als Männer (Tabelle 3.6: Modell 1b). Das ist 17
Einige Untersuchungen belegen, dass Frauen weniger von höheren Entlassungsrisiken als vielmehr von geringeren Wiedereinstiegschancen betroffen sind (Falk u.a. 2000). Außerdem kommt es durch Familienarbeit und Haushaltskontext zu längeren Zeiten der Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, während der sie nicht mit anderen Arbeitnehmern um vakante Stellen konkurrieren.
92
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
partiell auf die überdurchschnittlich stabile Teilzeitbeschäftigung zurückzuführen, die überwiegend von Frauen ausgeführt wird und zum Teil zusätzlich bzw. nur bedingt in Konkurrenz zu herkömmlichen Vollzeitbeschäftigungen entsteht18. Die Analysen aus Abschnitt 3 haben allerdings auch gezeigt, dass die Differenzen zwischen Männern und Frauen im Zeitverlauf stark variieren. Zum einen nimmt die Stabilität der (überwiegend von Frauen ausgeführten) Teilzeitarbeit stark ab. Zum anderen steigen die Anteile von Frauen mit (stabileren) Hochschulabschlüssen. Da die Anteile von Frauen in den Neueinsteigergruppen jedoch stark schwanken, führen sie insgesamt nur zu minimalen Veränderungen der Zeiteffekte. Die geringeren Chancen auf Betriebswechsel und Risiken von Arbeitslosigkeit (Modell 2b, 2d) werden durch eine höhere Wahrscheinlichkeit auf Übergänge in Sozialversicherungslücken ergänzt (hier nicht ausgewiesen), die vermutlich Elternzeiten entsprechen. Frauen sind somit zum einen, was die neubegonnene Beschäftigung betrifft, stabiler beschäftigt, weisen jedoch gleichzeitig im Zusammenhang von Familienarbeit und Haushaltskontext längere Zeiten der Abwesenheit vom Arbeitsmarkt auf (vgl. Kapitel V). (3) Auch die Verteilung der Bildungsabschlüsse zu den verschiedenen Zeitpunkten bietet keine Erklärung für eine Destabilisierung auf der Gesamtebene (Tabelle 3.6: Modell 1b). Zum einen nehmen die Anteile von instabileren Personen ohne berufliche Ausbildung an den neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen im Zeitverlauf ab. Zum anderen steigen die Anteile der stabileren Hochschulabsolventen. Beide Entwicklungen würden eher für eine Stabilisierung denn für eine Destabilisierung sprechen. Die Verstärkung der Zeiteffekte in Richtung der jüngeren Einsteigergruppen in Modell 1b (insbesondere 1993 und 1997) ist vor allem auf im Zeitverlauf sinkende Anteile von instabilen Personen ohne Berufsausbildung und steigende Anteile von stabilen Hochschulabsolventen zurückzuführen. Das heißt, dass bei einer konstanten Verteilung der Bildungsabschlüsse über die Einsteigergruppen (weniger Hochqualifizierte) im Zeitverlauf mehr Austritte stattgefunden hätten. Eine gleichwohl einschneidendere Destabilisierung neubegonnener Beschäftigung wird somit durch das stärkere Vorhandensein stabilerer Bildungsabschlüsse in den jüngeren Einsteigergruppen verhindert.
18
Allerdings bleibt die Wahrscheinlichkeit von Austritten auch bei Kontrolle der Teilzeitbeschäftigung im Vergleich zu Männern geringer. Unter Kontrolle der Teilzeitbeschäftigung schwächt sich der negative Einzeleffekt des Merkmals Frau nur leicht ab (von 0.89 auf 0.91).
4. Ursachen und Folgen der Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
93
Tabelle 3.6: Cox-Modelle zu Austritten und Übergängen neubegonnener Beschäftigung Austritte Modell 1a Beschäftigungsverhältnisse: RG Neu begonnen 1981 0,9904 Neu begonnen 1985 Neu begonnen 1989 0,9712 Neu begonnen 1993 1,0347 Neu begonnen 1997 1,0903 Nationalität: Deutsche RG Zuwanderer --Geschlecht: männlich RG weiblich --Alter: unter 35 Jahre --35 Jahre und älter RG Bildungsabschluss: ohne Ausbildung --Lehrabsolventen RG Hochschulabsolventen --Branchen: Landwirtschaft, Gartenbau, Energie- & --Bergbau Verarbeitendes Gewerbe: Grundstoff- & --Güterproduktion Investitionsgüterproduktion: Stahl- & RG Leichtmetallbau, Maschinenbau Verbrauchsgütergewerbe --Nahrungs- & Genussmittelgewerbe --Bauhaupt-, Ausbaugewerbe --Distributive DL: Großhandel --Distributive DL: Einzelhandel --Verkehr, Nachrichtenübermittlung --Wirtschaftsbezogene DL --Haushaltsbezogene DL --Gesellschaftsbezogene DL: z.B. --Krankenhäuser Gesellschaftsbezogene DL: z.B. (Straßen--)Reinigung, Verbände Regionales BIP-Wachstum in Preisen --des jeweiligen Vorjahres: Regionale Arbeitslosenquoten: --- Episoden 1.049.788 - Übergänge 294.662 - Übergänge Betriebswechsel --- Übergänge Arbeitslosigkeit --- Übergänge SV-Lücke --- -2ll (starting values) -3.634.630 - -2ll (final estimates) -3.634.374 - LR = 2 * (ln(L1) – (ln(L0)) 512 - Pseudo R² < 0,001
Betriebswechsel
Arbeitslosigkeit
Modell 1b
Modell 1c
Modell 1d
Modell 2a
Modell 2b
Modell 2c
Modell 2d
RG 1,0044 0,9893 1,0706 1,1424
RG 1,0146 0,9986 1,0417 1,1252
RG 1,0361 1,0451 1,0298 1,1444
RG 1,1529 1,396 1,2178 1,3377
RG 1,1805 1,3769 1,2308 1,3809
RG 1,0225 0,6267 0,8837 0,9185
RG 1,0037 0,7226 0,8417 0,8859
RG 1,3168
RG 1,2628
RG 1,2634
RG ---
RG 0,912
RG ---
RG 0,9876
RG 0,8843
RG 0,8694
RG 0,8699
RG ---
RG 0,8251
RG ---
RG 0,8572
1,244 RG
1,2545 RG
1,2551 RG
--RG
1,3074 RG
--RG
0,9577 RG
1,3577 RG 0,7568
1,4063 RG 0,8155
1,4067 RG 0,816
--RG ---
1,0701 RG 0,9564
--RG ---
1,4919 RG 0,5228
---
1,3402
1,3361
---
0,9804
---
1,8638 1,3287
---
1,0331
1,0312
---
0,9273
---
RG
RG
RG
RG
RG
RG
RG
-------------------
1,1593 1,4205 1,7528 1,3041 1,4763 1,5022 1,4526 2,0542 1,2059
1,1599 1,4194 1,752 1,3027 1,4749 1,5006 1,4522 2,0538 1,205
-------------------
1,0866 1,3709 1,3032 1,4768 1,6415 1,6228 1,6504 1,7533 1,125
-------------------
1,4441 1,4613 3,0348 1,1898 1,2702 1,1351 1,0389 2,0934 1,0334
---
1,2615
1,2603
---
1,2684
---
1,3491
---
---
0,9866
---
1,0046
---
0,9705
--1.049.788 294.662 -------3.634.630 -3.627.370 14.520 0,002
--1.049.788 294.662 -------3.634.630 -3.621.015 27.230 0,004
1,0011 1.049.788 294.662 -------3.634.630 -3.620.956 27.348 0,004
--1.049.788 270.651 109.038 74.252 87.361 -3.338.355 -3.336.456 3.798 < 0,001
0,985 1.049.788 270.651 109.038 74.252 87.361 -3.338.355 -3.315.787 45.136 0,007
--1.049.788 270.651 109.038 74.252 87.361 -3.338.355 -3.313.248 3.798 < 0,001
1,0442 1.049.788 270.651 109.038 74.252 87.361 -3.338.355 -3.315.787 45.136 0,007
Signifikanzniveau bei Verwendung robuster Standardfehler: p <= 0.01 ; p <= 0.05 ; p>=0.05; p>=0.1 nicht signifikant
Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001 (Regionalfile), eigene Berechnungen.
Auf der Übergangsebene (Modell 2b und 2d) zeigen sich qualifikationsspezifische Unterschiede in erster Linie im Hinblick auf Risiken von Arbeitslosigkeit, die für Hochschulabsolventen sehr gering sind. Dass die Hochschulabsolventen sich hinsichtlich der Betriebswechsel bei Betrachtung aller Kohorten kaum von den anderen Gruppen abheben (Modell 2b), geht allerdings mit einer
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
starken Verbesserung der Betriebswechselchancen von Hochschulabsolventen im Zeitverlauf einher, die aus dieser Modellierung nicht ersichtlich wird (siehe hierfür Anhang 2)19. Wie bereits in Abschnitt 3 erörtert, nimmt zum einen die Stabilität von Hochschulabsolventen ab, gleichzeitig steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit direkter Betriebswechsel und somit sicherer Übergänge. (4) Gemäß gängigen Hypothesen sind jüngere Beschäftigte aufgrund verstärkter Mobilitätsprozesse zu Beginn beruflicher Karrieren instabiler beschäftigt als höhere Altersgruppen (Tabelle 3.6: Modell 1b). An dieser Stelle bietet auch der demographische Wandel hinsichtlich der gesellschaftlichen Alterszusammensetzung zunächst keine Erklärung für die Destabilisierung. Im Verlauf der 90er Jahre finden die geburtenschwächeren Jahrgänge der 70er Jahre Zugang zum Arbeitsmarkt. Dadurch verringern sich die Anteile jüngerer und instabiler beschäftigter Personen in den aktuelleren Kohorten. Neben einer Steigerung der Anteile stabilerer Qualifikationsgruppen verstärkt auch die Kontrolle des Alters die Zeiteffekte der Einsteiger von 1993 und 1997 leicht. Das bedeutet auch hier, dass bei einer konstanten Altersverteilung (mehr jüngere und instabilere Beschäftigte) in den aktuelleren Einsteigerkohorten die Austrittswahrscheinlichkeit höher ausgefallen wäre. Die jüngeren Beschäftigten sind es allerdings auch, die häufiger direkte Betriebswechsel realisieren können (Modell 2b sowie Anhang 2). Modell 2d zeigt allerdings, dass sich die jüngeren Beschäftigten hinsichtlich der Risiken von Arbeitslosigkeit weniger stark von den älteren Beschäftigten abheben. Daraus ergeben sich erste Hinweise auf eine Polarisierung der Erwerbschancen jüngerer Beschäftigter (Kapitel V). In der konzeptionellen Annahme vom Lebenslauf als endogenem Kausalzusammenhang (siehe Abschnitt 1), ist davon auszugehen, dass Personen, die bereits in der frühen, sensiblen Phase des Erwerbseinstieges Diskontinuitäten ausgesetzt sind, auch im weiteren Verlauf besondere Beschäftigungsrisiken erfahren. Für eine differenziertere Betrachtung der Risiken jüngerer Arbeitsmarktteilnehmer werden die Modelle daher im Anhang 3 zusätzlich getrennt für Erwerbseinsteiger ausgewiesen, die dem Arbeitsmarkt seit weniger als 5 Jahren zur Verfügung stehen. Für betriebliche Neueinsteiger, die dem Arbeitsmarkt bereits länger als 5 Jahre zur Verfügung stehen, kann außerdem der Einfluss des vorherigen Erwerbsverlaufes vor Eintritt in den Betrieb auf die Stabilität der aktuel-
19
Bis Ende der 80er Jahre hatten Lehrabsolventen, aber auch Personen ohne Ausbildung noch deutlich bessere Chancen auf direkte Betriebswechsel als Hochschüler. Ab Mitte der 90er Jahre ändert sich das Bild und Ende der 90er Jahre haben Hochschulabsolventen die mit Abstand besten Chancen auf direkte Betriebswechsel. Lediglich im Mittel ergibt sich daraus insgesamt eine geringere Wahrscheinlichkeit für Betriebswechsel.
4. Ursachen und Folgen der Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
95
len Beschäftigung untersucht werden (Anhang 4)20. Die im Anhang dargestellten Ergebnisse werden im folgenden kurz zusammengefasst. Trennt man die Erwerbseinsteiger von den übrigen betrieblichen Neueinsteigern, so zeigt sich folgendes Ergebnis: Die im Gesamtmodell festgestellten erhöhten Austrittsrisiken betrieblicher Neueinsteiger in den 90er Jahren liegen nahezu ausschließlich bei den Personen, die erst vor kurzem in den Arbeitsmarkt eingetreten sind. (Anhang 3, 4: Modell 1a). Bei den übrigen betrieblichen Neueinsteigern zeigen sich nur unwesentliche Veränderungen. Auch bei den Erwerbseinsteigern sind derartige Risiken allerdings nicht zwangsläufig negativ konnotiert, da die Chancen direkter Betriebswechsel ebenfalls höher sind als bei den übrigen Neueinsteigern. Gleichzeitig sind Erwerbseinsteiger jedoch auch höheren Risiken von Arbeitslosigkeit ausgesetzt als die übrigen Beschäftigten (Anhang 3: Modell 2). Hier findet eine deutliche Polarisierung der Beschäftigungschancen von Erwerbseinsteigern statt, deren Begrenzung entlang der formalen Qualifikation läuft. Gute Chancen und Gelegenheiten bestehen weiterhin für junge Hochschulabsolventen. Erwerbseinsteiger mit ausschließlich schulischen Qualifikationen haben hingegen kaum Chancen auf eine längerfristige Arbeitsstelle und tragen gleichzeitig hohe Risiken von Arbeitslosigkeit. Doch auch unterschiedliche Absolventenkohorten des dualen Ausbildungssystems sind zu Beginn ihrer Karriere im Kohortenvergleich zunehmenden Risiken ausgesetzt. Für die Personen, die dem Arbeitsmarkt beim Einstieg in den Betrieb bereits länger als fünf Jahre zur Verfügung stehen, zeigen sich außerdem starke Effekte der bisherigen Erwerbsbiographie auf die Stabilität neubegonnener Beschäftigung (Anhang 4: Modell 1c). Je stärker die Personen in den letzten fünf Jahren vor Neubeginn einer Beschäftigung am Arbeitsmarkt partizipieren konnten (Erwerbsquote), desto besser sind auch ihre Aussichten auf eine erneute längerfristige Beschäftigung. Je höher hingegen die Zahl der Diskontinuitätserfahrungen ist (Arbeitgeberwechsel, Arbeitslosigkeit), desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Ausstieges. Auch wenn nur Personen mit mehr als 5 Jahren Arbeitsmarkterfahrung Berücksichtigung finden, zeigen sich höhere Ausstiegs- und Arbeitslosigkeitsrisiken für jüngere Beschäftigte unter 35 Jahren (Anhang 4: Modell 1b). Diese Alterseffekte reduzieren sich allerdings stark unter Kontrolle der Vorverlaufs20
Da die Beschäftigtenstichprobe keine direkten Informationen über den Zeitpunkt des Erwerbseinstieges liefert, werden Erwerbseinsteiger definiert als Personen, deren erste sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zum Zeitpunkt der Betrachtung weniger als fünf Jahre zurückliegt und die zu diesem Zeitpunkt ein Alter von 35 Jahren noch nicht überschritten haben. Um den Einfluss der bisherigen Erwerbsbiographie frei von reinen Alterseffekten zu halten, wird lediglich die Biographie der letzten 5 Jahre vor Betriebseinstieg berücksichtigt, die gleichzeitig eine höhere aktuelle Relevanz für potentielle Arbeitgeber besitzt, als weiter zurückliegende Erwerbserfahrungen.
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
informationen (Anhang 4: Modell 1c, 2f), da vor allem die Erwerbsquoten dieser jüngeren Beschäftigtengruppen gesunken und die Anzahl der Arbeitslosigkeitsepisoden gestiegen sind. Das bedeutet, dass die jüngeren Personen in diesem Modell eben jene sind, die Diskontinuitätserfahrungen während ihres Erwerbseinstieges in Kauf nehmen mussten. Auch mehr als fünf Jahre nach ihrem Erwerbseinstieg sind diese Personen in Bezug auf die Risiken von Austritten und Arbeitslosigkeit klar benachteiligt. Hauptursachen für die Destabilisierung neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse sind somit vor allem durch zunehmende „mismatches“ von Erwerbseinsteigern begründet, die durch eine Ausweitung von Diskontinuitäten zu Beginn ihrer Karrieren verstärkt werden. Die lebenslauftheoretische Annahme des Matthäuseffektes wird hier bestätigt. Veränderungen auf der mikrosozialen Ebene des Lebenslaufes führen auf der Makroebene der Sozialstruktur zu einer Veränderung der Zuteilung von Chancen und Risiken. (5) Kehren wir zurück zur Betrachtung aller Neueinsteiger (Tabelle 3.6): In Modell 1c zeigt sich der Einfluss wirtschaftsstruktureller Veränderungen und der Verschiebung der Personenanteile innerhalb der Branchen auf die Zeiteffekte. Neben einer Ausweitung diskontinuierlicher Erwerbsverläufe bietet auch die Ausweitung des Dienstleistungssektors Erklärungsansätze für die Destabilisierung im Zeitverlauf. Hier finden insbesondere in den 90er Jahren weniger Neueintritte in den stabilen Bereichen des Verarbeitenden Gewerbes und der Investitionsgüterproduktion statt. Hingegen steigen im Zeitverlauf mehr Personen in die instabileren und sich weiterhin im Zeitverlauf destabilisierenden Dienstleistungsbereiche ein. Dadurch sinken die Effektstärken der Einsteiger von 1993 und 1997 und nähern sich den früheren Einsteigergruppen an. Es bleibt jedoch dabei, dass vor allem die Einsteiger von 1997 höhere Austrittsrisiken tragen. Neben einer Ausweitung von Beschäftigung in instabileren Dienstleistungsbereichen gehen mit der Kontrolle der Wirtschaftszweige natürlich auch Betriebsgrößeneffekte bzw. die Verschiebung eines Teils der Beschäftigten von größeren und stabileren hin zu kleineren und instabileren Betrieben einher. Auf der Übergangsebene sind in diesen instabilen und gleichzeitig wachsenden Dienstleistungsbereichen jedoch gute Möglichkeiten direkter Betriebswechsel gegeben („Pull“-Effekte). Die starke Destabilisierung des Bereiches der wirtschaftsbezogenen Dienstleistungen (siehe Abschnitt 3) geht dabei vorwiegend mit sicheren Übergängen einher (Tabelle 3.6: Modell 2b). Gleichwohl haben sich auch in diesem Bereich die Risiken von Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf leicht erhöht (Anhang 2). Im Bereich der haushaltsbezogenen Dienstleistungen mit der stärksten Fluktuation kann man hingegen bei Austritten neben den guten Chancen auf direkte Betriebswechsel gleichzeitig hohe Risiken von Arbeitslosigkeit beobachten.
4. Ursachen und Folgen der Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
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(6) Schwierigkeiten bereitet die Interpretation des Einflusses relativ grober Konjunkturindikatoren auf die Destabilisierung (Tabelle 3.6: Modell 1d)21. Betrachtet man zunächst Austritte im Allgemeinen, so zeigt sich ein negativer Effekt des BIP-Wachstums auf Ausstiege. Die Arbeitslosenquoten sind nicht signifikant. Vor allem geringes Wachstum führt also erwartungsgemäß zu mehr Instabilität. Die höheren Ausstiegsrisiken gegen Ende der 90er Jahre lassen sich hingegen nicht durch das BIP-Wachstum erklären. Zu diesem Zeitpunkt befinden wir uns in einer moderaten Wachstumsphase. Da die Kontrolle des BIP-Wachstum zu einer Verstärkung des Effektes von 1997 führt, ist vielmehr davon auszugehen, dass bei ähnlichen Rahmenbedingungen (einem geringeren Wachstum ab 1997) noch mehr Ausstiege stattgefunden hätten. Daraus lässt sich auch für die zukünftige Einsteigerkohorte von 2001 eine weitere Destabilisierung prognostizieren, denn das starke Absinken des BIP-Wachstums ab 2001 (Abbildung 3.3) sollte bei anhaltend hohen Arbeitslosenquoten (und konstanten sonstigen Rahmenbedingungen) zu einer weiteren Erhöhung der Ausstiege führen. Allerdings bleibt eine Interpretation dieses Destabilisierungsbefundes ohne das Wissen um die Übergänge der Aussteiger schwierig, da die Konjunkturindikatoren je nach Art des Übergangs gegenläufige Effekte aufweisen. Das ist auch der Grund für die insignifikanten Werte der Arbeitslosenquote im Modell 1d zu allgemeinen Austritten. Auf deskriptiver Ebene bestehen höhere Chancen auf direkte Betriebswechsel und geringere Risiken von Arbeitslosigkeit vor allem in der Phase des Wiedervereinigungsbooms und hinsichtlich der Betriebswechsel auch in der moderaten Wachstumsphase, die auf 1997 folgte (Modell 2a und 2c). Bei Kontrolle der Konjunkturindikatoren zeigt sich folgendes Bild (Modell 2b, 2d): Das BIP-Wachstum hat einen schwach positiven Effekt auf direkte Betriebswechsel und einen stark negativen Effekt auf Übergänge in Arbeitslosigkeit (umgekehrt die Arbeitslosenquote). Hohes Wachstum führt somit nicht nur zu mehr Stabilität, sondern auch zu verbesserten Gelegenheiten hinsichtlich direkter Betriebswechsel. Unter Kontrolle des BIP (Modell 2b) verschwimmen die Zeiteffekte leicht und lassen sich zum Teil aufgrund der jeweiligen Gelegenheitsstrukturen erklären. Lediglich der Effekt der Einsteiger von 1997 steigt deutlich stärker als die übrigen Zeiteffekte. Dies ist durch die Kontrolle der Arbeitslosenquote verursacht, wie ein sukzessiver Einbezug der Konjunkturindikatoren zeigt. Zwar trägt das moderate Wachstum zu einer Verbesserung der überbetrieblichen Mobilitätschancen bei. Eine deutliche Verbesserung im Gegensatz zu den anderen Kohorten wird allerdings durch die hohe Arbeitslosigkeit verhindert. 21
BIP-Wachstum und die Arbeitslosenquoten sind in allen Modellen jährlich und auf Bundeslandebene erfasst.
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Modell 2b zeigt also, dass bei ähnlichen Rahmenbedingungen (geringerer Arbeitslosigkeit) deutlich mehr Betriebswechsel stattgefunden hätten. Gleichzeitig bestehen für die Einsteiger von 1997 relativ hohe Risiken von Arbeitslosigkeit (Modell 2d). Anders als bei den Betriebswechseln erklären sich Ausstiege in Arbeitslosigkeit zum Teil durch die hohe Anzahl von (arbeitslosen) Mitkonkurrenten22. Allerdings zeigt sich auch hier unter sukzessivem Einbezug der Konjunkturindikatoren, dass deutlich höhere Risiken von Arbeitslosigkeit lediglich durch das (moderate) Wachstum zum Ende der 90er Jahre verhindert werden. Auch bezüglich der Beschäftigungssicherheit lässt sich daraus eine Prognose für die zukünftigen Einsteiger von 2001 herleiten: Da bei anhaltend hohen Arbeitslosenquoten im weiteren Verlauf von 2001 schließlich auch das Wachstum einbricht, sind für Neueinsteiger dieser Phase zum einen geringere Betriebswechselchancen als auch höhere Risiken von Arbeitslosigkeit zu erwarten. Übergangsrisiken und Anschlussoptionen bestehender Beschäftigung Diese bisherigen Ergebnisse werden nun mit der Analyse der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse kontrastiert. Auch hier bestätigen sich, exemplarisch für die am Stichtag bereits langfristig Beschäftigten (8 bis 10 Jahre) zunächst die Destabilisierungsbefunde aus den Survivoranalysen (Tabelle 3.7: Modell 1a). Die Kontrolle weiterer individueller Merkmale zeigt nur minimalen Einfluss auf die Zeiteffekte23. Konjunktureinflüsse sind in den allgemeinen Modellen zu Austritten nicht signifikant (Modell 1d). Insgesamt kann hier eine kontinuierliche Destabilisierung zunächst unabhängig von schwankenden Konjunkturphasen dokumentiert werden. Auf der Übergangsebene kann man anhand der Episodenzahlen im unteren Teil der Tabelle 3.7 zunächst erkennen, dass sich an Austritte aus langfristiger Beschäftigung häufiger direkte Betriebswechsel anschließen (57%) als bei Neueinsteigern (40%).
22
23
Konjunkturindikatoren, wie die Arbeitslosenquote, sind dazu geeignet, auch Einflussgrößen zu messen, die quasi jenseits der hier untersuchten tatsächlich existierenden Beschäftigungsverhältnisse liegen. Sie spiegeln die Disparität von Angebot und Nachfrage bzw. den Grad der Konkurrenz um vakante Stellen und die daraus resultierende Substituierbarkeit von Arbeitnehmern wider. Jedoch bleibt dieser Indikator trotz der vorgenommenen regionalen Gliederung relativ grob, insbesondere dann, wenn die Arbeitslosenquoten gruppenspezifisch stark variieren. Die Gruppenzusammensetzungen der langfristigen Bestände sind sich ähnlicher als die der Neueinsteigerkohorten, da bestimmte Personengruppen bessere Chancen aufweisen, in eine längerfristige Beschäftigung zu gelangen.
4. Ursachen und Folgen der Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
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Tabelle 3.7: Cox-Modelle zu Austritten und Übergängen langfristig bestehender (8-10 Jahre) Beschäftigungsverhältnisse
Beschäftigungsverhältnisse: Bestand 01.07.1985 Bestand 01.07.1989 Bestand 01.07.1993 Bestand 01.07.1997 Nationalität: Deutsche Zuwanderer Geschlecht: männlich weiblich Alter: unter 35 Jahre 35 Jahre und älter Bildungsabschluss: ohne Ausbildung Lehrabsolventen Hochschulabsolventen Branchen: Landwirtschaft, Gartenbau, Energie- & Bergbau Verarbeitendes Gewerbe: Grundstoff- & Güterproduktion Investitionsgüterproduktion: Stahl- & Leichtmetallbau, Maschinenbau Verbrauchsgütergewerbe Nahrungs- & Genussmittelgewerbe Bauhaupt-, Ausbaugewerbe Distributive DL: Großhandel Distributive DL: Einzelhandel Verkehr, Nachrichtenübermittlung Wirtschaftsbezogene DL Haushaltsbezogene DL Gesellschaftsbezogene DL: z.B. Krankenhäuser Gesellschaftsbezogene DL: z.B. (Straßen)Reinigung, Verbände Regionales BIP-Wachstum in Preisen des jeweiligen Vorjahres: Regionale Arbeitslosenquoten: - Episoden - Übergänge - Übergänge Betriebswechsel - Übergänge Arbeitslosigkeit - Übergänge SV-Lücke - -2ll (starting values) - -2ll (final estimates) - LR = 2 * (ln(L1) – (ln(L0)) - Pseudo R²
Modell 1a
Austritte Modell Modell 1c Modell 1d 1b
Betriebswechsel Modell Modell 2a 2b
Arbeitslosigkeit Modell Modell 2d 2c
RG 1,2694 1,3403 1,4083
RG 1,2505 1,335 1,4166
RG 1,2539 1,3483 1,4228
RG 1,2511 1,3456 1,425
RG 1,3287 1,272 1,6014
RG 1,3186 1,2818 1,5702
RG 0,8246 1,0811 0,8262
RG 0,968 1,0461 0,8384
RG ---
RG 1,1939
RG 1,2384
RG 1,2379
RG -
RG 0,8991
RG -
RG 1,5056
RG ---
RG 1,485
RG 1,4757
RG 1,4753
RG -
RG 0,8605
RG -
RG 2,0983
--RG
1,3378 RG
1,3687 RG
1,3685 RG
RG
1,0968 RG
RG
1,1903 RG
--RG ---
0,971 RG 1,1523
1,0007 RG 1,2473
1,0006 RG 1,2468
RG -
0,8903 RG 1,2906
RG -
1,3183 RG 0,6328
---
---
1,1775
1,1799
-
1,2815
-
0,5202
---
---
1,0769
1,0779
-
1,1187
-
1,0327
RG
RG
RG
RG
RG
RG
RG
RG
-------------------
-------------------
1,277 1,3669 1,6047 1,5332 1,4773 1,4185 1,2096 1,3583 0,9888
1,2768 1,3682 1,605 1,5348 1,4787 1,4207 1,2106 1,3594 0,9901
-
1,1573 1,2642 1,3449 1,628 1,5519 1,6258 1,2917 1,1868 0,9251
-
1,6788 1,3146 2,6787 1,4064 1,2669 0,8348 0,7288 1,3238 0,5551
---
---
1,1923
1,1936
-
1,1261
-
0,9118
---
---
---
0,9985
-
1,0128
-
0,9559
0,9979 1,0073 ------1,0568 444.329 444.329 444.329 444.329 444.329 444.329 444.329 444.329 20.512 20.512 20.512 20.512 18.035 18.035 18.035 18.035 --------10.282 10.282 10.282 10.282 --------3.046 3.046 3.046 3.046 --------4.707 4.707 4.707 4.707 -224.084 -224.084 -224.084 -224.084 -197.055 -197.055 -197.055 -197.055 -223.916 -223.342 -223.064 -223.064 -196.765 -194.566 -196.765 -194.566 336 1.484 2.040 2.040 580 4.978 580 4.978 < 0,001 0,003 0,005 0,005 0,001 0,013 0,001 0,013
Signifikanzniveau bei Verwendung robuster Standardfehler: p <= 0.01 ; p <= 0.05; p>=0.05; p>=0.1 nicht signifikant Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001 (Regionalfile), eigene Berechnungen.
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Von Arbeitslosigkeit betroffen sind hingegen nur 17% der Aussteiger aus diesem Sample (Neueinsteiger 27%). Die erhöhten Ausstiegsrisiken bedeuten also auch für Personen mit längerer Betriebszugehörigkeitsdauer zunächst nicht zwangsläufig einen Verlust von Beschäftigungssicherheit. Wie bei den Einsteigern zeigt sich auch hier zum einen ein positiver Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Betriebswechseln und zum anderen ein stark negativer Zusammenhang in Bezug auf Übergänge in Arbeitslosigkeit (Modell 2b, 2d). Bei den Betriebswechseln bleibt der Einfluss des BIP auf die Zeiteffekte relativ schwach, bei den Übergängen in Arbeitslosigkeit verschwimmen die Unterschiede zwischen den Zeiteffekten mit Ausnahme der von 1997. Die – trotz hoher Arbeitslosigkeit – geringen Arbeitslosigkeitsrisiken der langfristigen Bestände von 1997 erklären sich nur zu einem geringen Teil durch das moderate Wachstum. Insgesamt findet also bei den langfristig bestehenden Beschäftigungsverhältnissen im Zuge der Destabilisierung eine Verbesserung der Übergangsoptionen statt, welche sich kaum über die hier verwendeten Konjunkturindikatoren erklären lässt. Auch hinsichtlich einzelner Personengruppen bestehen bedeutende Unterschiede zwischen langfristig Beschäftigten und Neueinsteigern: Frauen mit langer Betriebszugehörigkeitsdauer tragen hier deutlich höhere Austrittsrisiken als Männer (Tabelle 3.7: Modell 1b). Bei der neubegonnenen Beschäftigung war das Ende einer Beschäftigung für Frauen (partiell aufgrund stabiler Teilzeittätigkeit) zum einen weniger wahrscheinlich und zum anderen auf der Übergangsebene häufig mit Erziehungszeiten gekoppelt. Hingegen wird das Ende einer Beschäftigung bei langfristig beschäftigten Frauen nun von sehr hohen Arbeitslosigkeitsrisiken begleitet (Modell 2d). Da die Beschäftigungsdauer mit dem Alter korreliert, sind Familiengründungsprozesse zum Teil bereits abgeschlossen und Übergänge in Sozialversicherungslücken dadurch weniger wahrscheinlich. Im Gegensatz zu den neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen offenbaren sich hier spezifische Beschäftigungsrisiken von Frauen. Bedeutende Abweichungen zu den neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen ergeben sich hinsichtlich des Bildungsabschlusses. Bei den bestehenden Beschäftigungsverhältnissen sind es nun die Hochschulabsolventen, die die höchsten Austrittsrisiken tragen. Damit verbunden sind jedoch sehr viel bessere Chancen auf direkte Betriebswechsel. Ohne Berücksichtigung der Übergänge in Sozialversicherungslücken können über 90% der Beschäftigten mit Hochschulabschluss direkte Betriebswechsel vollziehen (und nur 10% geraten in die Arbeitslosigkeit). Das gelingt immerhin noch etwa 77% der Lehrabsolventen und nur noch etwa 67% der Personen mit lediglich schulischen Qualifikationen. Hochschulabsolventen sind somit diejenige Personengruppe, die zum einen am ehesten in der Lage ist, eine hohe Betriebszugehörigkeit aufzubauen. Zum ande-
4. Ursachen und Folgen der Entwicklung von Beschäftigungsstabilität
101
ren gehen die erhöhten Austrittsraten langfristig beschäftigter Hochschulabsolventen nahezu ausschließlich mit direkten Betriebswechseln einher. Da das Ende einer Beschäftigung einen Verlust von Insidermacht und langfristig erworbenen Senioritätsrechten beinhaltet, liegt der Schluss nahe, dass es sich um freiwillige überbetriebliche Aufstiegsmobilität handelt. Dieses Ergebnis für die bereits längerfristig bestehenden Beschäftigungsverhältnisse muss im Zusammenhang der Ergebnisse für neubegonnene Beschäftigungsverhältnisse gesehen werden. Verschlechtern zunehmende Diskontinuitäten die Chancen betrieblicher Einsteiger auf längerfristige Beschäftigung und verstärken die Risiken von Arbeitslosigkeit, so profitieren bereits längerfristig Beschäftigte von dieser Entwicklung. Sie senden über die Kontinuität ihrer bisherigen Biographie im Falle von Suchprozessen positive Signale auf potentielle neue Arbeitgeber. Die Konkurrenzsituation dieser Beschäftigtengruppe verbessert sich somit über eine Zunahme des Anteils diskontinuierlich Beschäftigter, deren Arbeitsleistung zunehmend schwieriger zurechenbar wird. Dafür spricht auch, dass die Arbeitslosenquote, die noch einen starken Einfluss auf die Übergangsoptionen der Neueinsteiger hatte, keine Rolle bezüglich der Chancen auf direkte Betriebswechsel spielt (nicht signifikant). Zwischenfazit Bevor schließlich im Abschnitt 5 auf die Qualität der zwischenbetrieblichen Wechsel eingegangen wird, sollten die bisherigen Ergebnisse zusammengefasst werden. Eine hohe Anzahl von Austritten zeigt sich in allen Kohorten vor allem bei Neueinsteigern. Hier sind in erster Linie Erwerbseinsteiger, die von einer Destabilisierung betroffen sind. Eine Verringerung der weiteren betrieblichen Dauerperspektiven bestehender Beschäftigungsverhältnisse ist vor allem für Personen zu dokumentieren, die bereits auf eine höhere Betriebszugehörigkeitsdauer zurückblicken Darüber hinaus weisen Kausalanalysen, in denen demographische und wirtschaftsstrukturelle und erwerbsbiographische Faktoren kontrolliert wurden, auf erhöhte Austrittsrisiken vor allem ab Mitte der 90er Jahre hin. Diese lassen sich kaum über konjunkturelle Effekte, sondern eher durch das relative Wachstum des Dienstleistungsbereiches erklären. Zum anderen verstärken zunehmende Diskontinuitäten im Erwerbsverlauf eine Mismatchproblematik im Bereich der neubegonnenen Beschäftigung (siehe Abschnitt 1). Sinkende Beschäftigungsstabilität muss jedoch nicht zwangsläufig auch mit geringerer (überbetrieblicher) Beschäftigungssicherheit verbunden sein, denn: Hohe Austrittsraten langfristig Beschäftigter (insbesondere von Hochschulabsolventen) stehen im Zusammenhang guter Chancen auf direkte Betriebswechsel. Eine ausschließliche Betrachtung der Beschäftigungsdauer ohne die Übergangsperspektive bleibt hin-
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
sichtlich der Konsequenzen für die soziale Ungleichheit wenig aussagekräftig. Auch die Interpretation von Konjunktureinflüssen wird erst durch Modelle mit konkurrierenden Risiken möglich, da diesen je nach Art des Ausstieges (freiwillig/unfreiwillig; mit Anschluss/ohne Anschluss) gegenläufige Wirkungen zugemessen werden konnten. Steigende und anhaltend hohe Arbeitslosigkeit zum Ende der 90er Jahre führt dabei zu besonderen Verwerfungen im Übergangsgefüge, denn zum einen beschränkt sie für kurzfristig Beschäftigte aufgrund verstärkter Konkurrenzsituationen die Möglichkeiten direkter Betriebswechsel, zum anderen erhöhen sich die Risiken von Arbeitslosigkeit. Die Risiken der kurzfristig Beschäftigten sind dabei ungleich verteilt. Vor allem bei den gering qualifizierten Arbeitern und Angestellten findet eine weitere Destabilisierung ihrer ohnehin kurzfristigen Perspektiven statt, die immer häufiger auch von Phasen des Leistungsbezugs (Diskontinuitäten) begleitet wird. Auch Erwerbseinsteiger stellen diesbezüglich eine besondere Risikogruppe dar. Herkömmliche Ursachen wie demographische und wirtschaftsstrukturelle Faktoren können insgesamt jedoch nur einen geringen Teil der Destabilisierung erklären. Die ergänzenden Analysen zu erwerbsbiographischen Einflüssen auf neubegonnene Beschäftigungsverhältnisse zeigen jedoch, dass die Destabilisierung neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse in beträchtlichem Maße auf steigende Anteile diskontinuierlich beschäftigter Personen zurückzuführen ist. Die geringeren Beschäftigungsperspektiven dieser Personengruppe sind dadurch verursacht, dass unstete Vorverläufe von potentiellen neuen Arbeitgebern als Negativsignale hinsichtlich der Leistungsfähigkeit dieser Arbeitnehmer gewertet werden. Werden diese folglich häufiger auf betrieblich externen Arbeitsmärkten eingesetzt, sind weitere negative Statusinkonsistenzen (Belohnungen sind geringer als die Ressourcen) und daraus resultierende Mobilitätsprozesse die Folge. Doch auf Seiten der Betriebe entstehen „mismatches“ (Belohnungen sind höher als die Ressourcen) aufgrund der durch Diskontinuitäten verursachten Schwierigkeiten, die Leistungsfähigkeit neuer Arbeitskräfte ex ante festzustellen. Hinsichtlich der bereits langfristig Beschäftigten sind die im Zeitverlauf häufiger auftretenden Austritte mit verbesserten Übergangschancen gekoppelt. Ende der 90er Jahre haben sich bei dieser Gruppe trotz lediglich moderatem Wirtschaftswachstum und hohen Arbeitslosenquoten vor allem die Risiken von Arbeitslosigkeit verringert. Doch auch hier ist eine ungleiche Risikoverteilung nachweisbar. Vor allem Frauen aus langfristiger Beschäftigung müssen ungleich höhere Risiken von Arbeitslosigkeit auf sich nehmen als Männer. Ebenso sind gering Qualifizierte im Falle von Austritten häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Insgesamt bleibt bemerkenswert, dass im Rahmen einer zunehmenden Wahrnehmung von Beschäftigungsunsicherheit vor allem die Austritte längerfristig beschäftigter Personengruppen zunehmen. So wäre zunächst davon auszu-
5. Chancen und Risiken zwischenbetrieblicher Mobilität
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gehen, dass vor allem Insider aufgrund ihrer langfristig erworbenen Senioritätsrechte daran interessiert sind, riskante betriebliche Phasen zu überstehen. Die hohe Zahl direkter Betriebswechsel weist jedoch darauf hin, dass sie entweder eher besser in der Lage sind, vorhandene Beschäftigungsrisiken zu antizipieren und Suchprozesse einzuleiten, oder zur Verwirklichung von Aufstiegen bereits frühzeitig und aus einer relativ sicheren betrieblichen Position unverbindliche Suchtätigkeiten mit geringen Kosten aufnehmen. Während von einer Destabilisierung betrieblicher Beschäftigung nahezu alle Beschäftigtengruppen betroffen sind, ist hinsichtlich der Übergangsoptionen eine starke und zunehmende Polarisierung der Chancen auf sichere Übergänge und eine kontinuierliche Partizipation am Arbeitsmarkt gegeben. Diese Polarisierung findet entlang der Dimensionen von Qualifikation und bisheriger Beschäftigungsdauer statt. Zum einen verbessern sich für höher qualifizierte Personengruppen die Chancen auf direkte Betriebswechsel. Die Risiken von Arbeitslosigkeit hingegen steigen für Personen mit geringen, aber auch mit mittleren Qualifikationen. Zum anderen können bereits längerfristig Beschäftigte hinsichtlich ihrer Übergangsoptionen von den Negativsignalen diskontinuierlich beschäftigter Personen auf potentielle neue Arbeitgeber profitieren. Während humankapitaltheoretische Argumente in Bezug auf Beschäftigungsstabilität an Bedeutung verlieren, erhöht sich der Stellenwert von Qualifikationen auf der Ebene der Beschäftigungssicherheit. 5. Chancen und Risiken zwischenbetrieblicher Mobilität Durch die Betrachtung der Übergangsperspektiven betrieblicher Aussteiger konnte herausgestellt werden, dass die Destabilisierung partiell auch mit verbesserten Möglichkeiten direkter Betriebswechsel einhergeht. Dieser Abschnitt nimmt diese Verbesserungen überbetrieblicher Anschlussmöglichkeiten zum Ende der 90er Jahre noch einmal auf und stellt die Frage nach der Qualität sowohl direkter als auch zeitlich verzögerter Wiedereintritte in Beschäftigung. Für die Betriebswechsler ist bis zu diesem Abschnitt nicht bekannt, ob es sich bei den Wechseln tatsächlich auch um berufliche Aufstiege (oder Kompromisse) handelt. Für die Beschäftigten, die geringere Chancen auf direkte Betriebswechsel haben, stellt sich im Zusammenhang hoher Arbeitslosenzahlen und aus wohlfahrtsstaatlicher Perspektive außerdem die Frage nach der Dauer bis zum Wiedereintritt in eine neue Beschäftigung.
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III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Tabelle 3.8 dokumentiert die Wiedereinstiegschancen von Männern nach betrieblichen Ausstiegen24. Betrachtet werden Personen, die in verschiedenen historischen Phasen (z.B. zwischen 1997 und 1998) aus einem Betrieb ausgestiegen sind. Die in den Cox-Modellen dargestellten „relativ risks“ können als Wahrscheinlichkeit interpretiert werden, innerhalb der nächsten zwei Jahre nach einem betrieblichen Ausstieg erneut ein Beschäftigungsverhältnis zu beginnen25. Im allgemeinen Modell 1 finden keine Einschränkungen hinsichtlich der Art der neuen Beschäftigung statt. Die Prozesszeit beginnt hier mit dem Zeitpunkt des Ausstieges und endet mit einem erneuten Einstieg in eine Folgebeschäftigung. Das Modell 2 hingegen bezieht die Lohnebene der Beschäftigungsverhältnisse mit ein. Auch hier beginnt die Prozesszeit mit dem Zeitpunkt des Ausstieges, endet jedoch erst zu dem Zeitpunkt, an dem das Lohnniveau einer Folgebeschäftigung dem letzten Lohnniveau der vorhergehenden Beschäftigung entspricht bzw. dies überschreitet26. Wie bei den vorhergehenden Modellen zu Betriebswechseln und Übergängen in Arbeitslosigkeit zeigen sich auch in den allgemeinen Modellen zu Wiedereintritten konjunkturzyklisch schwankende Wiedereintrittschancen (Tabelle 3.8: Modell 1a, 1b). Individual- und Branchenmerkmale haben nur geringen Einfluss auf die Zeiteffekte. Vor allem Zuwanderer, jüngere Personen und Personen ohne Ausbildung haben geringere Wiedereintrittschancen. Die Kontrolle der Konjunkturindikatoren (Modell 1c) reduziert die Differenzen zwischen den Zeiteffekten. Insgesamt sind aber auch hier bessere Wiedereintrittschancen der Aussteiger von 1997/98 nicht allein auf Konjunktureffekte zurückzuführen. Modell 1d weist schließlich noch einmal auf die besseren Chancen langfristig Beschäftigter auf direkte Betriebswechsel hin. Ein anderes Bild zeigt sich bei Betrachtung der Modelle zu lohnadäquaten Wiedereinstiegen (Tabelle 3.8). Im Ausgangsmodell 2a sind die Wiedereintrittschancen stärker an den Konjunkturzyklen orientiert. Während der Boomphase ab 1989 sind gute Gelegenheiten für adäquate Wiedereinstiege gegeben. Hingegen 24
25 26
Hinsichtlich der Wiedereintritte in Beschäftigung ist eine geschlechtsspezifische Trennung der Modelle sinnvoll. Zwar können längere nicht-sozialversicherungspflichtige Zeiten auch atypischer Beschäftigung entsprechen (z.B. Geringfügigkeit, Freie Mitarbeit, Selbständigkeit), bei Frauen handelt es sich allerdings oftmals um Erziehungszeiten, in denen keine oder nur eine eingeschränkte Suchtätigkeit vorhanden ist. Daher wird die Darstellung der Ergebnisse an dieser Stelle auf die Männer beschränkt (für Männer und Frauen siehe Grotheer 2009). Die Übergangsraten wurden auf die dem Ende einer Beschäftigung folgenden 2 Jahre beschränkt. Später eintretende Ereignisse fallen unter die Rechtszensierung. Da der Lohn in der Beschäftigtenstichprobe ein zeitveränderliches Merkmal darstellt, endet die Prozesszeit im zweiten Modell also nicht zwangsläufig mit dem Beginn einer Folgebeschäftigung, sondern erst an dem Zeitpunkt, an dem das Lohnniveau der vorhergehenden Beschäftigung tatsächlich erreicht wird.
5. Chancen und Risiken zwischenbetrieblicher Mobilität
105
sind adäquate Wiedereintritte in der Rezessionsphase ab 1993 noch weniger wahrscheinlich als in der auf 1981 folgenden Rezession. Die adäquaten Wiedereintrittschancen der Aussteiger von 1997/98 sind deutlich schlechter als noch im allgemeinen Modell 1a. Tabelle 3.8: Wiedereinstiegschancen betrieblicher Aussteiger (Männer) Männer (allgemein) Männer (adäquat) Modell 1a Modell 1b Modell 1c Modell 1d Modell 2a Modell 2b Modell 2c Modell 2d Beschäftigungsverhältnisse: RG RG RG RG RG RG RG RG Ausstieg 1981/82 Ausstieg 1985/86 1,178 1,1515 1,1736 1,1811 1,1697 1,1407 1,1547 1,1682 Ausstieg 1989/90 1,2525 1,2383 1,2338 1,2514 1,3178 1,2855 1,2712 1,2986 0,9842 Ausstieg 1993/94 0,981 1,0287 1,0434 1,0606 1,064 0,9766 0,9711 Ausstieg 1997/98 1,1431 1,1536 1,1938 1,2059 1,0692 1,0603 1,0887 1,1008 Nationalität: - Deutsche RG RG RG RG RG RG RG RG - Zuwanderer 0,7148 0,7226 0,7317 0,7287 0,7468 0,7174 Alter: unter 35 Jahre 1,0078 0,9709 0,9753 1,0494 0,9749 0,972 35 Jahre und älter RG RG RG RG RG RG RG RG Bildungsabschluss: ohne Ausbildung 0,839 0,838 0,8586 0,805 0,804 0,8374 Lehrabsolventen RG RG RG RG RG RG RG RG Hochschulabsolventen 1,1386 1,1349 1,1035 1,1287 1,1243 1,0708 Branchen: Landwirtschaft, Gartenbau, Energie- & 1,0376 1,0462 1,064 1,1271 1,1379 1,1735 Bergbau Verarbeitendes Gewerbe: Grundstoff- & 1,013 1,0167 1,022 1,054 1,0571 1,0586 Güterproduktion RG RG RG RG RG RG RG RG Investitionsgüterproduktion: Stahl- & Leichtmetallbau, Maschinenbau Verbrauchsgütergewerbe 0,9751 0,9757 0,9786 0,9634 0,9641 0,9705 0,9955 0,9997 1,0146 0,9851 Nahrungs- & Genussmittelgew. 0,9573 0,962 Bauhaupt-, Ausbaugewerbe 0,982 1,0514 1,0543 1,0814 0,9271 0,9303 Distributive DL: Großhandel 1,0411 1,0456 1,0595 1,0476 1,0525 1,0799 Distributive DL: Einzelhandel 1,0302 1,048 1,056 1,0609 1,0967 1,0258 Verkehr, Nachrichtenübermittlung 1,0441 1,0499 1,0769 1,0361 1,0426 1,0934 0,9871 Wirtschaftsbezogene DL 0,9824 1,0257 1,0257 1,0312 1,1023 Haushaltsbezogene DL 0,8518 0,8543 0,8905 0,8308 0,8335 0,9057 Gesellschaftsbezogene DL: z.B. 0,7677 0,7716 0,7862 0,8636 0,8689 0,9057 Krankenhäuser Gesellschaftsbezogene DL: z.B. (Straßen0,7688 0,7751 0,7878 0,8069 0,814 0,8513 )Reinigung, Verbände 1,0022 1,0007 1,0021 1,0051 Regionales BIP-Wachstum in Preisen d. jeweiligen Vorjahres: Regionale Arbeitslosenquoten: 0,9873 0,9879 0,9868 0,9873 Dauer der letzten Beschäftigung: RG RG RG RG RG RG RG RG weniger als 6 Monate 6 Monate bis weniger als 2 Jahre 1,188 1,1777 2 bis weniger als 5 Jahre 1,2585 1,5519 5 Jahre und länger 1,3011 1,5285 - Episoden 635.250 635.250 635.250 635.250 754.483 754.483 754.483 754.483 - Wiedereinstiege 334.304 334.304 334.304 334.304 221.533 221.533 221.533 221.533 - -2ll (starting values) -4.142.468 -4.142.468 -4.142.468 -4.142.468 -2.786.091 -2.786.091 -2.786.091 -2.786.091 - -2ll (final estimates) -4.141.291 -4.136.357 -4.136.224 -4.134.663 -2.784.732 -2.781.369 -2.781.267 -2.778.151 - LR = 2 * (ln(L1) – (ln(L0)) 2.354 12.222 12.488 15.610 2.718 9.444 9.648 15.880 - Pseudo R² 0,002 0,002 0,002 < 0,001 0,002 0,002 0,003 < 0,001 Cox-Modelle zu betrieblichen Aussteigern: Destination State = Start einer neuen (adäquaten) Beschäftigung Signifikanzniveau bei Verwendung robuster Standardfehler: p <= 0.01 ; p <= 0.05 ; p>=0.05; p>=0.1 nicht signifikant Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001 (Regionalfile), eigene Berechnungen.
Auch die Individual- und Branchenmerkmale sind ähnlich ausgeprägt und zeigen kaum Einfluss auf die Zeiteffekte (Modell 2b). Für die Modelle 2c und 2d bleibt
106
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
zunächst festzuhalten, dass das Wirtschaftswachstum im Hinblick auf adäquate Wiedereinstiege einen stärkeren Einfluss hat als im Hinblick auf allgemeine Wiedereintritte. Die Kontrolle der Konjunkturindikatoren zeigt außerdem in Bezug auf die Zeiteffekte eine bereinigte Chancenverteilung adäquater Wiedereinstiege, die für die Aussteiger von 1997/98 nur geringfügige Verbesserungen mit sich bringt. Mit anderen Worten hätten sich auch bei geringerer Arbeitslosigkeit nur geringfügig verbesserte adäquate Wiedereinstiegschancen ergeben. Die Gelegenheiten für adäquate Übergänge bzw. überbetriebliche Aufstiege scheinen insgesamt in den 80er Jahren noch deutlich besser gewesen zu sein. Zusätzliche Modelle für die einzelnen Qualifikationsgruppen zeigen allerdings, dass sich die Wiedereinstiegschancen für Hochschulabsolventen im Zeitverlauf nicht verschlechtert, sondern verbessert haben (Tabelle 3.9). Die zuletzt geschilderten Befunde zu adäquaten Wiedereinstiegen sind also in erster Linie auf die hohe Anzahl von Lehrabsolventen (und Personen ohne Abschluss) zurückzuführen. Die kleinere Gruppe der Hochschulabsolventen hingegen hat auch Ende der 90er Jahre, mit und ohne Kontrolle weiterer Einflussgrößen, die besten Chancen auf überbetrieblich adäquate Anschlüsse bzw. Aufstiege. Tabelle 3.9: Wiedereinstiegschancen betrieblicher Aussteiger (Männer) nach Qualifikation Wiedereinstiege Adäquate Wiedereinstiege HochschulLehrPers. ohne HochschulLehrPers. ohne absolventen absolventen Ausbildung absolventen absolventen Ausbildung Beschäftigungsverhältnisse: - Ausstieg 1981/82 - Ausstieg 1985/86 - Ausstieg 1989/90 - Ausstieg 1993/94 - Ausstieg 1997/98 - Episoden - Übergänge - -2ll (starting values) - -2ll (final estimates) - LR = 2 * (ln(L1) – (ln(L0)) - Pseudo R²
RG 1,2077 1,2908 1,1587 1,3713 36.266 20.028 -196.630 -196.526 208 < 0,001
RG 1,1257 1,1878 1,0013 1,1405 357.303 202.287 -2.393.109 -2.392.600 1.018 < 0,001
RG 1,2469 1,3696 1,0557 1,1446 157.515 72.640 -794.602 -794.128 948 < 0,001
RG 1,227 1,4151 1,1465 1,4342 44.762 15.080 -148.767 -148.642 250 < 0,001
RG 1,1085 1,2548 0,9376 1,0288 428.331 138.351 -1.662.301 -1.661.590 1.422 < 0,001
RG 1,2504 1,4006 1,0228 1,0954 183.538 44.387 -494.427 -494.056 742 < 0,001
Signifikanzniveau bei Verwendung robuster Standardfehler: p <= 0.01 ; p <= 0.05 ; p>=0.05; p>=0.1 nicht signifikant Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001 (Regionalfile), eigene Berechnungen.
Dieses Ergebnis relativiert die Befunde aus den vorhergehenden Analysen zu Betriebswechseln. So finden zwar häufiger direkte Betriebswechsel statt, jedoch müssen die Beschäftigten auch häufiger ein neues Beschäftigungsverhältnis eingehen, dass auf Lohnebene nicht dem Niveau der vorhergehenden Beschäftigung
6. Schlussfolgerungen
107
entspricht. Hier findet zur Vermeidung längerer Arbeitslosigkeitsphasen und hoher Suchkosten deutlich eine Anpassung der monetären Ansprüche statt. Somit wird auch die Vermutung in Frage gestellt, dass mit den verbesserten Gelegenheitsstrukturen ein höheres Maß an freiwilliger Fluktuation einhergeht, wenn Mobilität für diese Personen (mit Ausnahme der Hochschulabsolventen) häufiger mit Abstiegen einhergeht. Eine weitere Zuspitzung der schlechteren Beschäftigungschancen gering Qualifizierter kommt darin zum Ausdruck, dass diese sich häufiger auf weniger gut entlohnten externen Arbeitsmärkten befinden und trotz relativ geringer Hürden (geringes Ausgangsniveaus des vorhergehenden Entgeltes) nachdrücklich verminderte Chancen auf adäquate Wiedereintritte aufweisen. Langfristig Beschäftigte hingegen sind vor allem hinsichtlich überbetrieblicher Aufstiegsmöglichkeiten im Vorteil. 6. Schlussfolgerungen Bisherige Studien zeichnen insbesondere aufgrund der Selektivität bei der Auswahl von Beschäftigungsverhältnissen und die Konzentration auf betriebliche Beschäftigungsstabilität nur ein unzureichendes Gesamtbild der tatsächlichen Entwicklung von Beschäftigungsperspektiven. Aus diesem Grund wurde zum einen die Ebene der betrieblichen Beschäftigungsstabilität durch die Ebene der überbetrieblichen Beschäftigungssicherheit ergänzt und zum anderen auch die (über-)betrieblichen Perspektiven bereits längerfristig beschäftigter Personen erfasst. Diese Vorgehensweise erlaubt es, eine Koexistenz von langfristig angelegten und zeitlich begrenzten Beschäftigungsverhältnissen abzubilden, die im Falle von Austritten mit sicheren oder weniger sicheren Übergängen einhergehen. Hinsichtlich der Entwicklung kann nicht von einer generellen Umbruchsituation gesprochen werden wohl aber von einer Beschleunigung des Arbeitsmarktgeschehens, da die externe Flexibilität zugenommen hat. Gleichzeitig haben sich soziale Ungleichheiten verschärft. Stärker als bisher findet eine Polarisierung der inner- und überbetrieblichen Chancen und Risiken unter Alters- und Geschlechtsaspekten, vor allem aber entlang der Qualifikation und der (Dis-) Kontinuität bisheriger Verläufe statt. Bei der Entwicklung spielen rechtliche, wirtschaftliche und demographische Veränderungen eine Rolle, können jedoch nur eingeschränkt für Erklärungen herangezogen werden. Deutlich wurde, dass atypische Beschäftigung (hier Teilzeit) nicht zwingend instabil sein muss. Einflussgrößen, wie Konjunkturschwankungen werden in erster Linie auf der überbetrieblichen Perspektive sichtbar, da an eine gute Konjunkturlage nicht nur verbesserte Stabilitätsbedingungen sondern auch verbesserte Übergangsmöglichkeiten geknüpft sind.
108
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Hinsichtlich demographischer Veränderungen sind trotz des Zugangs geburtenschwächerer Jahrgänge in den 90er Jahren für Berufseinsteiger schlechtere Beschäftigungsperspektiven zu beobachten. Zunehmende Diskontinuitäten beim Erwerbseinstieg verstärken, aufgrund ihrer negativen Signalwirkung auf potentielle neue Arbeitgeber, die Beschäftigungsrisiken vor allem für geringer Qualifizierte. Die zunehmende Konkurrenz hochqualifizierter Erwerbseinsteiger um ausbildungsadäquate Positionen führt dazu, dass Beschäftigungsverhältnisse häufiger Übergangslösungen darstellen und die Beschäftigten, im Falle adäquater Vakanzen, frühzeitig eigenmotiviert den Betrieb verlassen. Doch auch seitens der Betriebe bestehen aufgrund der wachsenden Verfügbarkeit bessere Möglichkeiten der frühzeitigen Auflösung von „mismatches“. Deutliche Steigerungen der Beschäftigtenzahlen sind im Bereich der höherwertigen Produktions- und Dienstleistungstätigkeiten zu vermerken. Da diese in der Regel hohe Qualifikations-, Kooperations- und Motivationspotenziale voraussetzen (Deutschmann 2002; Baethge u.a. 2005), wäre zumindest in diesen Tätigkeitsbereichen eine Stabilisierung zu erwarten gewesen. Entgegen dieser Annahme findet jedoch vor allem im Dienstleistungsbereich eine starke Destabilisierung statt. Dabei stellt sich die Frage, ob in diesen Wachstumsbereichen aufgrund guter Gelegenheitsstrukturen lediglich „pull“-Faktoren (Haveman, Cohen 1994) zur Wirkung kommen. Zudem verstärken Entwicklungen auf der mikrosozialen Ebene des Lebenslaufes den Prozess der Destabilisierung. Eine kontinuierliche Verringerung der weiteren innerbetrieblichen Beschäftigungsperspektiven kann nicht ohne die Tatsache gesehen werden, dass es für betriebliche Neueinsteiger insgesamt schwieriger wird, längerfristige Betriebszugehörigkeitsdauern aufzubauen. In Bezug auf die überbetriebliche Beschäftigungssicherheit sind langfristig Beschäftigte eher in der Lage, auch erneut ein längerfristiges (und adäquates) Beschäftigungsverhältnis einzugehen und scheinen von den Negativsignalen zu profitieren, die von zuvor diskontinuierlich oder kurzfristig beschäftigten, arbeitssuchenden Personen ausgehen. Der Stellenwert hoher Qualifikationen verliert im Hinblick auf betriebliche Beschäftigungsstabilität an Bedeutung, verlagert sich jedoch auf die Ebene der Beschäftigungssicherheit. Weiterer Forschungsbedarf besteht vor allem in Bezug auf die sich verschlechternden innerbetrieblichen Dauerperspektiven bereits längerfristig Beschäftigter. Insgesamt deuten sich Modifikationen interner und externer Arbeitsmärkte an, hier vermittelt über eine Zunahme mittelfristiger Beschäftigung im Bereich der höher qualifizierten Arbeitnehmer. Die damit einhergehenden verbesserten Übergangschancen hochqualifizierter und kontinuierlich beschäftigter Personengruppen werfen Fragen in Bezug auf neue betriebliche Arrangements zur Generierung von Beschäftigungssicherheit auf (z.B. Quasi-
6. Schlussfolgerungen
109
Zertifikate oder über neue Arbeitsformen vermittelte, überbetrieblich nutzbare Qualifikationen). Hier deutet sich eine Veränderung der Tätigkeits- und Anforderungsprofile hochqualifizierter Arbeitnehmer an, wobei mit Akademikern scheinbar ex ante zeitlich begrenzte (mittelfristige) Beschäftigungsvereinbarungen getroffen werden. Auch wenn die Übergangsoptionen für langfristig und kontinuierlich Beschäftigte deutlich besser sind, kann eine Verschlechterung der Übergangsoptionen langfristig Beschäftigter bei Personen ohne Abschluss, aber auch bei Absolventen des Dualen Systems nachvollzogen werden. Die intendierte überbetriebliche Anschlussfähigkeit dieser Dualen Ausbildungsform bleibt zwar weitestgehend erhalten, jedoch müssen häufig inadäquate Übergänge (Lohneinbußen) in Kauf genommen werden. Für alle Nicht-Akademiker ist die Frage zu klären, warum im Falle freiwilliger Wechsel seitens der Beschäftigten auf langfristig erworbene Senioritätsrechte verzichtet wird bzw. warum im Falle von Entlassungen Arbeitgeber langfristig erworbenes betriebsspezifisches Humankapital aufgeben. Hier bestehen Hinweise auf eine Modifikation interner Arbeitsmärkte von senioritätsbasierten hin zu leistungsbasierten Allokations- und Gratifikationskriterien sowie auf eine Ausweitung der internen Konkurrenz um sichere und privilegierte Positionen (Struck u.a. 2006a) mit guten Arbeitsbedingungen. Letztlich sind es die Beschäftigten, die die Risiken der Veränderung betrieblicher Anforderungen und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen tragen. Dabei gibt es geringer qualifizierte Personengruppen, die – bildlich gesprochen – vom Strukturwandel abgehängt werden und schließlich nicht mehr in der Lage sind, von Aufschwungphasen zu profitieren. Immer weniger Personen gelingt es, in ein langfristig andauerndes Beschäftigungsverhältnis einzutreten, wobei Diskontinuitäten im Erwerbsverlauf die Chancenungleichheit verstärken. Die Beschäftigungssicherheit im Sinne einer kontinuierlichen und vollwertigen Partizipation am Arbeitsmarkt sinkt. Die Insider scheinen im Falle von Austritten zunächst von dieser Entwicklung zu profitieren. Doch auch im Bereich der längerfristigen Beschäftigung nimmt die Wahrscheinlichkeit adäquater Übergänge mit Ausnahme der Hochschulabsolventen ab. Aufgrund der sich verstärkenden sozialen Ungleichheiten scheinen die Konsequenzen für die Arbeitsmarktinstitutionen weitreichend. Im Bereich der unsicheren Übergänge ist vor allem die Arbeitsmarktpolitik gefordert, die Beschäftigungsfähigkeit dieser Personengruppen zu stärken.
110
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland
Anhang Anhang 1: Eintrittsraten auf Quartalsbasis 12 10 8
Eintrittsrate Quartal 1
6
Eintrittsrate Quartal 2
4
Eintrittsrate Quartal 3 Eintrittsrate Quartal 4
2
Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe: eigene Berechnungen
00
97
94
91
88
85
82
79
76
0
Anhang
111
Anhang 2: Cox-Modelle zu Übergängen aus neubegonnener Beschäftigung 1) Betriebswechsel
Betriebswechsel
Arbeitslosigkeit
Deutsche: - Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Zuwanderer: - Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Männer:
1,1516 1,3961 1,2138 1,3392
1,0319 0,6229 0,8515 0,8924
1,1529 1,3872 1,2482 1,3075
0,9469 0,6687 1,1103 1,1526
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Frauen:
1,118 1,3495 1,2132 1,317
1,0411 0,6061 0,9087 0,9176
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Alter unter 35:
1,1985 1,467 1,2385 1,3658
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Alter 35 bis 50: - Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Ohne Ausbildung: - Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997
Wirtschaftszweige: Landwirtschaft: - Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Verarbeitendes Gewerbe: - Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Investitionsgüterpro-duktion:
Arbeitslosigkeit Distributive Dienstleistungen: Großhandel - Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Distributive DL: Einzelhandel: - Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Verkehr, Nachrichtenübermittl.:
Betriebswechsel
Arbeitslosigkeit
1,1129 1,3433 1,0801 1,1869
0,8862 0,6886 0,9007 0,8075
1,2998 1,4501 1,1615 1,2409
0,9745 0,5935 0,9753 0,9874
1,1486 1,5768 1,2048 1,8057
1,2318 0,8406 0,894 1,138
1,3691 1,6847 1,512 1,5204
0,9071 0,5778 0,9321 0,7434
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Verbrauchsgütergewerbe:
1,1065 1,3825 1,3475 1,4713
0,7865 0,6396 1,0816 0,8421
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Wirtschaftsbezogene DL:
1,2084 1,546 1,5538 1,7398
0,9815 0,6365 1,1043 0,9522
0,9688 0,6656 0,8675 0,9186
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Nahrungs- & Genussmittelgew.:
1,1655 1,4131 1,1454 1,1934
0,8507 0,6482 1,0052 0,9721
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Haushaltsbezogene DL:
1,1584 1,5149 1,2191 1,5287
0,8713 0,6043 0,8691 0,9183
1,1594 1,4173 1,2339 1,3838
1,0033 0,6125 0,8812 0,8928
1,4239 1,6597 1,2505 1,2184
1,0783 0,6516 0,9395 0,9915
1,122 0,767 0,9246 0,9454
1,074 0,6665 0,8876 0,9568
1,0104 1,1324 1,028 0,9158
1,2468 0,539 0,7281 0,9639
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen Gesellschaftsbezogene DL: - Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Mit Hochschulabschluss:
1,1803 1,3236 1,0265 1,0378
1,1188 1,3064 1,1919 1,3043
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Bauhaupt-, Ausbaugewerbe: - Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997 Mit Berufsausbildung:
1,1688 1,3819 1,1557 1,2825
1,1769 0,7861 0,9062 1,1485
1,1456 1,4385 1,2154 1,3217
0,9995 0,6699 1,032 0,9713
1,1637 1,4023 1,2215 1,3379
1,069 0,6234 0,8649 0,9423
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997
1,1389 1,3256 1,2165 1,4897
0,9074 0,7732 0,9643 0,8175
- Neu begonnen 1985 - Neu begonnen 1989 - Neu begonnen 1993 - Neu begonnen 1997
1) Referenzgruppe sind in allen Modellen die neubegonnenen Beschäftigungsverhältnisse von 1981 Signifikanzniveau bei Verwendung robuster Standardfehler: p <= 0.01 ; p <= 0.05 ; p>=0.05; p>=0.1 nicht signifikant Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001 (Regionalfile), eigene Berechnungen.
112 Anhang 3:
III Beschäftigungsstabilität und -sicherheit in Westdeutschland Cox-Modelle zu Austritten und Übergängen neubegonnener Beschäftigung (nur Erwerbseinsteiger mit weniger als 5 Jahren Arbeitsmarkterfahrung)
Austritte Betriebswechsel Modell 1a Modell 1b Modell 1c Modell 1d Modell 2a Modell 2b Beschäftigungsverhältnisse: Neu begonnen 1981 RG RG RG RG RG RG Neu begonnen 1985 0,9886 1,002 1,022 0,9704 1,1754 1,2279 Neu begonnen 1989 1,0052 1,022 1,0346 1,0876 1,4915 1,4973 Neu begonnen 1993 1,0879 1,1069 1,0668 1,0494 1,3014 1,3243 Neu begonnen 1997 1,2241 1,2412 1,2087 1,2244 1,4182 1,4676 Nationalität: Deutsche RG RG RG RG RG RG Zuwanderer --1,2315 1,1743 1,1751 --0,8138 Geschlecht: männlich RG RG RG RG RG RG weiblich --0,8832 0,8407 0,8413 --0,9315 Alter: unter 35 Jahre ------------35 Jahre und älter RG RG RG RG RG RG Bildungsabschluss: ohne Ausbildung --1,5202 1,5642 1,5646 --1,2034 Lehrabsolventen RG RG RG RG RG RG Hochschulabsolventen --0,7541 0,7926 0,7937 --0,8847 Branchen: Landwirtschaft, Gartenbau, Energie- & Bergbau ----1,2983 1,2911 --1,0551 Verarbeitendes Gewerbe: Grundstoff- & 0,9901 0,987 0,9534 ------Güterproduktion Investitionsgüterproduktion: Stahl- & RG RG RG RG RG RG Leichtmetallbau, Maschinenbau Verbrauchsgütergewerbe ----1,1246 1,1254 --1,1469 Nahrungs- & Genussmittelgewerbe ----1,4489 1,4467 --1,5567 Bauhaupt-, Ausbaugewerbe ----1,5829 1,5814 --1,39 Distributive DL: Großhandel ----1,3094 1,3068 --1,5984 Distributive DL: Einzelhandel ----1,4564 1,4537 --1,7616 Verkehr, Nachrichtenübermittlung ----1,4466 1,4435 --1,6134 Wirtschaftsbezogene DL ----1,3764 1,3749 --1,7003 Haushaltsbezogene DL ----2,0112 2,0094 --1,9933 Gesellschaftsbezogene DL: z.B. Krankenhäuser ----1,2534 1,2522 --1,2452 Gesellschaftsbezogene DL: z.B. (Straßen-)Reinigung, ----1,2712 1,269 --1,4677 Verbände 1,0037 Regionales BIP-Wachstum in Preisen des ------0,9851 --jeweiligen Vorjahres: 1,003 Regionale Arbeitslosenquoten: --------0,9788 - Episoden 458.950 458.950 458.950 458.950 458.950 458.950 - Übergänge 140.543 140.543 140.543 140.543 128.786 128.786 - Übergänge Betriebswechsel --------51.805 51.805 - Übergänge Arbeitslosigkeit --------29.427 29.427 - Übergänge SV-Lücke --------47.554 47.554 - -2ll (starting values) -1.617.443 -1.617.443 -1.617.443 -1.617.443 -1.481.804 -1.481.804 - -2ll (final estimates) -1.616.992 -1.613.114 -1.610.408 -1.610.368 -1.480.609 -1.471.508 - LR = 2 * (ln(L1) – (ln(L0)) 902 8.658 14.070 14.150 2.390 20.592 - Pseudo R² < 0,001 0,003 0,004 0,004 < 0,001 0,007 Cox-Modelle zu bestehenden Beschäftigungsverhältnissen: Destination State = Ende der Beschäftigung (alle Übergänge) Signifikanzniveau bei Verwendung robuster Standardfehler: p <= 0.01 ; p <= 0.05; p>=0.05; p>=0.1 nicht signifikant
Arbeitslosigkeit Modell 2c Modell 2d RG 0,9802 0,6019 0,922 0,9173
RG 0,9433 0,7013 0,7974 0,8117
RG ---
RG 1,0172
RG ---
RG 0,889
--RG
--RG
--RG ---
1,5018 RG 0,5808
-----
1,6549 1,1201
RG
RG
---------------------
1,3675 1,526 2,6555 1,1184 1,244 0,9464 0,9101 1,7963 1,0428 1,291
---
0,9589
--458.950 128.786 51.805 29.427 47.554 -1.481.804 -1.480.609 2.390 < 0,001
1,0725 458.950 128.786 51.805 29.427 47.554 -1.481.804 -1.471.508 20.592 0,007
Anhang
113
Anhang 4: Cox-Modelle zu Austritten und Übergängen neubegonnener Beschäftigung (nur Personen mit mindestens 5 Jahren Arbeitsmarkterfahrung) 1) Modell 1a
Austritte Modell 1b
Modell 1c
Betriebswechsel Modell 2a Modell 2b Modell 2c
Arbeitslosigkeit Modell 2d Modell 2e Modell 2f
Beschäftigungsverhältnisse: Neu begonnen 1981 RG RG RG RG RG RG RG Neu begonnen 1985 1,0264 1,0669 1,0386 1,1141 1,1281 1,1578 1,046 Neu begonnen 1989 0,9506 1,0163 1,0065 1,2695 1,2535 1,2836 0,6325 Neu begonnen 1993 0,9767 1,0072 1,0364 1,1127 1,1283 1,1551 0,7939 Neu begonnen 1997 1,0318 1,1044 1,1305 1,2954 1,319 1,3586 0,8373 Nationalität: Deutsche RG RG RG RG RG RG RG Zuwanderer 0,9782 1,2229 1,1109 1,005 Geschlecht: männlich RG RG RG RG RG RG RG weiblich 0,9184 0,9375 0,747 0,7724 Alter: unter 35 Jahre 1,1953 1,0863 1,2064 1,1538 35 Jahre und älter RG RG RG RG RG RG RG Bildungsabschluss: ohne Ausbildung 1,2775 1,1565 0,959 0,9517 Lehrabsolventen RG RG RG RG RG RG RG Hochschulabsolventen 1,0215 1,0499 0,8162 0,844 Erwerbsquote der letzten 5 Jahre in %: kleiner 25% RG RG RG RG RG RG RG 25% bis kleiner 50% 0,972 0,8341 50% bis kleiner<75% 0,7498 0,8951 75% und höher 0,6421 0,8597 Arbeitslosigkeitserfahrungen der letzten 5 Jahre: keine Arbeitslosigkeitserfahrung RG RG RG RG RG RG RG 1 Arbeitslosigkeitserfahrung 1,2351 0,937 2 Arbeitslosigkeitserfahrungen 0,9976 1,2046 3 und mehr Arbeitslosigkeitserf. 1,2816 0,7786 1,004 1,0037 Regionales BIP-Wachstum in 0,9892 0,9855 Preisen des jeweiligen Vorjahres: 0,9989 0,9978 Regionale Arbeitslosenquoten: 0,9903 0,992 - Episoden 525.208 525.208 525.208 525.208 525.208 525.208 525.208 - Übergänge 137.100 137.100 137.100 127.576 127.576 127.576 127.576 - Übergänge Betriebswechsel ------52.206 52.206 52.206 52.206 - Übergänge Arbeitslosigkeit ------40.539 40.539 40.539 40.539 - Übergänge SV-Lücke ------34.831 34.831 34.831 34.831 - -2ll (starting values) -1.595.658 -1.595.658 -1.595.658 -1.485.276 -1.485.276 -1.485.276 -1.485.276 - -2ll (final estimates) -1.595.589 -1.590.297 -1.580.520 -1.484.341 -1.474.022 -1.454.576 -1.484.341 - LR = 2 * (ln(L1) – (ln(L0)) 138 10.722 30.276 1.870 22.508 61.400 1.870 - Pseudo R² < 0,001 0,003 0,01 < 0,001 0,008 0,021 < 0,001 Cox-Modelle zu bestehenden Beschäftigungsverhältnissen: Destination State = Ende der Beschäftigung (alle Übergänge) Signifikanzniveau bei Verwendung robuster Standardfehler: p <= 0.01 ; p <= 0.05 ; p>=0.05; p>=0.1 nicht signifikant 1) Brancheneffekte sind in allen Modellen (Ausnahme 1a und 2a) kontrolliert und lediglich aus Platzgründen nicht dargestellt. Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001 (Regionalfile), eigene Berechnungen.
RG 1,0498 0,7381 0,847 0,9016
RG 0,89 0,6855 0,8573 0,8644
RG 1,0113
RG 1,0119
RG 0,8646
RG 0,9602
1,0245 RG
0,9364 RG
1,5214 RG 0,4566
1,3092 RG 0,5672
RG -
RG 0,8399 0,7542 0,5753
RG 0,9774
RG 2,3355 2,3671 3,0012 0,97
1,0236 525.208 127.576 52.206 40.539 34.831 -1.485.276 -1.474.022 22.508 0,008
1,0215 525.208 127.576 52.206 40.539 34.831 -1.485.276 -1.454.576 61.400 0,021
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich Michael Grotheer
1. Einleitung Anfang der neunziger Jahre wurde die Arbeitsmarktpolitik Deutschlands vor dem Hintergrund westdeutscher Destabilisierungstendenzen durch das einmalige Ereignis der „friedlichen Revolution“ in der DDR vor neue Herausforderungen gestellt (vergleiche Kapitel II, III). Mit dem Zusammenbruch der DDR und der Wiederherstellung der staatlichen Einheit wurde im Juli 1990 mit der Wirtschafts- und Währungsunion die Transformation von einer sozialistischen Planwirtschaft zu einer sozialen Marktwirtschaft eingeleitet. Die Defizite der sozialistischen Planwirtschaft der DDR wurden bei ihrer Transformation offensichtlich. Der ostdeutsche Kapitalstock war antiquiert und die gesamtwirtschaftliche Produktivität war auch aufgrund der arbeitskräftemäßigen Überbesetzung von Betrieben entsprechend niedrig (Brinkmann 1995; Dietrich u.a. 1997; Emmerich, Walwei 1998). Mit der Übertragung altbundesrepublikanischer Institutionen wurden zugleich deren Rationalitätskriterien übernommen (Lepsius 1995). Während Rationalität für die Betriebe der DDR eine Einhaltung der Planvorgaben bedeutete, wurde nun das Prinzip der Rentabilität zum Überlebenskriterium für die ostdeutschen Betriebe (Windzio, Rasztar 2000: 89). Die Folge war ein drastischer Personalabbau in zahlreichen Betrieben bis hin zur Schließung. Im Zuge der Restrukturierung des ostdeutschen Arbeitsmarktes wurde die Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in marktwirtschaftsgerechte Unternehmensstrukturen zur Aufgabe der im März 1990 gegründeten Treuhandanstalt (Kühl, Wahse 1996: 121ff). Das Treuhandgesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens sah vor, die volkseigenen Betriebe der DDR (unter Hinzuziehung von Unternehmensberatungs- und Verkaufsgesellschaften sowie von Banken) nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft zu privatisieren oder stillzulegen und die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern (§ 8 Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990). Die Treuhandanstalt war mit ihrer unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten verfolgten Politik der Privatisierung, Sanierung oder Stilllegung ab dem 01. Juli 1990 für über vier Millionen Erwerbstätige in 8.500 volkseigenen Betrieben verantwortlich. Ende 1991 hatte sich diese Zahl durch Privatisierung oder Personalabbau in etwa halbiert. Ende
116
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
1993 waren noch etwa 200.000 Mitarbeiter in Treuhandunternehmen tätig (Kühl, Wahse 1996: 122). Privatisierung und Sanierung von Betrieben führten zu einem Wandel von Großbetrieben hin zu kleinen und mittleren Unternehmen (EngelenKefer u.a. 1995: 372ff; Grünert, Lutz 1996: 21; DIW 1998: 16ff). Neben dem erheblichen Personalabbau in Folge von Rentabilitätskriterien, ging auch mit der Stilllegung von Betrieben im Rahmen der Tertiarisierung Ostdeutschlands ein weiterer Anstieg der Arbeitslosenzahlen einher. Auch wenn parallel zur Abwicklung der Altbetriebe eine Welle von Betriebsneugründungen stattfand, kam es insgesamt zu einer Schrumpfung des Arbeitsmarktvolumens1. Während dieser ersten Phase des Beschäftigungsabbaus nahm die frühe Arbeitsmarktpolitik eine besondere Rolle ein. Mit der Wiedervereinigung wurde das gesamte Instrumentarium der Arbeitsmarktpolitik auf Ostdeutschland übertragen. Primär galt es in der frühen Umbruchsituation, den Arbeitsmarkt etwa durch Zahlung von Vorruhestandsgeld oder Altersübergangsgeld zu entlasten bzw. über die Gewährung von Kurzarbeitergeld riskante Beschäftigungssituationen kurz- bis mittelfristig zu stabilisieren und so offene Arbeitslosigkeit zu verhindern2. Die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit für Vorruhestandsbzw. Alterübergangsgeld erreichten 1993 ihren Höhepunkt und führten somit zu diesem Zeitpunkt zu einer Entlastung des Arbeitsmarktes durch die Verdrängung älterer Erwerbspersonenpotenziale. Gleichzeitig führte die vorgeschriebene Sozialauswahl zu einer Besserstellung älterer Beschäftigtengruppen im Falle notwendiger Entlassungen und zu höheren Fluktuationsraten jüngerer Arbeitnehmer. Aus diesen beiden Tatbeständen resultierten insbesondere zwei Typen stark altershomogener Personalstrukturen: die als „Überlebensgemeinschaften“ (Behr 2000) bezeichneten Betriebe mittlerer Altersjahrgänge sowie betriebliche „Olympiamannschaften“ (Lutz 2001, Wiekert 2002). Letztere entstanden z.B. im Rahmen von Neugründungen nach der Wende und rekrutierten die jüngeren und freigesetzten Arbeitnehmergruppen. Im Zusammenhang mit dieser frühen, sehr dynamischen Arbeitsmarktlage in Ostdeutschland wird für die Periode von 1990 bis 1992 von einem „Fenster der Gelegenheit“ (Rasztar u.a. 1996; Diewald, Solga 1997) gesprochen, in des1
2
Dabei hat sich die „Tertiarisierungslücke“ in Ostdeutschland innerhalb weniger Jahre geschlossen und sich den Proportionen der alten Länder nahezu angeglichen (Geißler 1996: 160). Die DDR-Wirtschaft wurde 1989 durch das Produzierende Gewerbe dominiert (ca. 50% der Erwerbstätigen). Der Anteil der Erwerbstätigen im Landwirtschaftssektor war gegenüber Westdeutschland fast dreimal so hoch (ca. 11%). Mit einem Erwerbsanteil von 39% bestand hingegen im tertiären Sektor ein Rückstand von etwa 15% (Statistisches Jahrbuch BRD 1990, Statistisches Jahrbuch DDR 1990, Geißler 1996: 137). Somit entsprachen die Produktionsstrukturen der DDR im Jahre 1990 in etwa denen der BRD Mitte der 60er Jahre. Zu Funktionsorientierungen arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen im Transformationsprozess siehe auch Brinkmann (1995), Wingens, Grotheer (2000).
1. Einleitung
117
sen Zeitrahmen der Umbau der Wirtschafts- und Arbeitsmarktstruktur zum großen Teil vollzogen wurde. Nach 1992 beruhigte sich die Wechselgeschwindigkeit und es kam zu einer raschen Schließung der Arbeitsmärkte (Diewald, Solga 1997: 158). Innerhalb dieses Zeitfensters fand zum einen eine sich schnell verfestigende Umverteilung der Personen auf die vorhandenen Positionen, zum anderen eine Polarisierung von „in das Beschäftigungssystem Integrierten und Ausgegrenzten“ statt (ebd.: 187, 220). Spätere Analysen kommen zu dem Ergebnis, dass „die hohe Mobilität in der Periode von 1990-1992 zu einem wesentlichen Teil durch die Dynamik von Gründungen von Organisationen erklärt werden kann“ (Windzio 2001: 130). Die aus organisationsökologischen Prozessen resultierenden Gelegenheitsstrukturen wirken sich dabei sowohl in Form von „push“- Effekten (Freisetzung von Arbeitskräften) als auch „pull“- Effekten (neu entstehende Positionen und Gelegenheiten) auf die Mobilität von Arbeitskräften aus (Spilerman 1977; Windzio 2001, 2003). Der frühen, kompensatorisch ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik folgte ab 1992 eine in ihrer Zielsetzung kurative Strategie zukunftsorientierter Maßnahmen, wie Fortbildung und Umschulung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder pauschalierte Lohnkostenzuschüsse3. Die Übertragung der Instrumente der Arbeitsmarktpolitik auf Ostdeutschland führte damit aber auch zur Entstehung neuer Positionen an den Rändern des Arbeitsmarktes und damit zu einer weiteren Pluralisierung der Erwerbsformen in Richtung geförderter Erwerbstätigkeit. Im Ablauf soll daher nach einer Vorstellung der Daten und Methoden (Abschnitt 2) zunächst eine Pluralisierung von Erwerbsformen anhand der Entwicklung von Vertragsverhältnissen in Abschnitt 3 dokumentiert werden. Danach steht die Entwicklung betrieblicher Beschäftigungsdauern nach 1990 im Fokus der Analyse. Grundsätzlich kann bei deren Messung zwischen einer in die Vergangenheit und einer in die Zukunft gerichteten Perspektive unterschieden werden. Im weiteren Verlauf von Abschnitt 3 soll der Blick zunächst auf die Entwicklung der an ausgewählten Stichtagen bereits absolvierten Beschäftigungsdauer gerichtet wer3
Zur Wirksamkeit dieser kurativ ausgerichteten Handlungsoptionen gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen. Neben den erhofften strukturpolitischen Wirkungen (Aufbau Ost) sind vor allem die personenbezogenen Wirkungen Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung. Im Fall von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bieten Übergangsquoten ein Evaluationskriterium für ABM. Für viele Teilnehmer erwiesen sich ABM jedoch nicht als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt, sondern in den Vorruhestand (Mätzke 1995: 37). Auch mit der öffentlich finanzierten Weiterbildung wurden positive Wirkungen auf die Erwerbschancen der einzelnen geförderten Arbeitnehmer und gleichzeitig gesamtwirtschaftliche Wirkungen erwartet (Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte) (Mätzke 1995: 22). Für die berufliche Weiterbildung bieten Wiederbeschäftigungschancen ein personenbezogenes Evaluationskriterium. Auch die Ergebnisse zum Erfolg dieser Maßnahmen fallen recht unterschiedlich aus (dazu Becker 1991; Becker, Schömann 1996; Blaschke, Nagel 1995; Blaschke, Plath, Nagel 1992; Düll, Bellmann 1998; 1999; Wingens, Grotheer 2000; Wingens, Sackmann, Grotheer 2000).
118
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
den. Abschnitt 4 hingegen fokussiert auf die Entwicklung von Beschäftigungsdauern, die auf ausgewählte Stichtage folgen werden. Im weiteren Verlauf von Abschnitt 4 werden die relativ aktuellen Differenzen dargestellt, die auch etwa 10 Jahre nach der politischen Vereinigung noch immer zwischen den Arbeitsmärkten beider Landesteile bestehen. Die Ergebnisse weisen auf ungleiche Chancenverteilungen und Differenzen hinsichtlich der Beschäftigungspraxis in beiden Landesteilen hin, die eine stärkere Insider-Outsider-Differenzierung am ostdeutschen Arbeitsmarkt zur Folge haben. Schließlich werden die Ergebnisse zur betrieblichen Beschäftigungsstabilität im Zusammenhang der überbetrieblichen Beschäftigungssicherheit betrachtet. Durch die gemeinsame Interpretation der Ergebnisse verschiedener Dauerkonzepte können Zusammenhänge herausgearbeitet werden, die nicht ohne weiteres aus den einzelnen Datenquellen abzuleiten sind. 2. Daten und Methoden Für den Vergleich von ost- und westdeutschen Beschäftigungsverhältnissen werden im empirischen Teil unterschiedliche Datengrundlagen und Messindikatoren herangezogen, deren Vor- und Nachteile im Folgenden kurz erläutert werden. Zunächst werden im Abschnitt 3 Veränderungen von Vertragsformen dokumentiert, die aus den Quellen des Statistischen Bundesamtes und der Bundesanstalt für Arbeit zusammengetragen wurden. Anschließend soll die Entwicklung von Stabilität zunächst durch ein in die Vergangenheit gerichtetes Messkonzept dargestellt werden, das die Entwicklung von Beschäftigung in beiden Landesteilen anhand durchschnittlicher bisheriger Betriebszugehörigkeitsdauern an verschiedenen Stichtagen analysiert. Für diese Art der Untersuchung werden die Personenbefragungen der BIBB/IABErhebungen „Erwerb und Verwertung beruflicher Qualifikationen“ der Jahre 1991/92 und 1998/99 herangezogen. Diese umfassen jeweils etwa 34.000 sozialund nichtsozialversicherungspflichtige Erwerbstätige, so dass präzise Analysen für unterschiedliche Beschäftigtengruppen vorgenommen werden können (Parmentier, Dostal 2002)4. Der Vorteil dieses Datensatzes besteht u.a. darin, dass auch für die ostdeutschen Beschäftigten die Information vorliegt, seit wann sie 4
Die verschiedenen Wellen der BIBB/IAB-Erhebung umfassen in großen Teilen identische oder zumindest ähnliche Fragenkomplexe, so dass Zeitvergleiche grundsätzlich möglich sind. Hinzu kommen in jeder Welle weitere und jeweils aktuelle Schwerpunktthemen. Inhaltliche Vorzüge ergeben sich vor allem daraus, dass in größerem Umfang Betriebs- und Tätigkeitsmerkmale erhoben wurden. Allerdings handelt es sich nicht um ein Panel, so dass keine Analysen hinsichtlich einzelner Personenverläufe möglich sind.
2. Daten und Methoden
119
bei Ihrem aktuellen Arbeitgeber beschäftigt sind. Das schließt auch die Betriebszugehörigkeit vor der Wende mit ein, so dass eindeutig festgehalten werden kann, ob ein Beschäftigungsverhältnis bereits zu DDR-Zeiten oder erst nach der Wiedervereinigung begonnen wurde. Hingegen gibt es keine Informationen hinsichtlich der weiteren Beschäftigungsperspektiven nach dem Befragungszeitpunkt (Rechtszensierung). Unbekannt ist also, wie lange die Befragten das Beschäftigungsverhältnis fortsetzen werden. Problematisch ist dies vor allem aufgrund der Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit der Beendigung in verschiedenen historischen Perioden gruppen- oder kohortenspezifisch variieren kann und somit von dynamischen Prozessen am Arbeitsmarkt beeinflusst ist, die nicht adäquat abgebildet werden (siehe auch Kapitel III). Daher wird im Abschnitt 4 diese in die Vergangenheit gerichtete Analyse durch eine in die Zukunft gerichtete Perspektive abgelöst bzw. ergänzt. Hier geben Überlebensraten Aufschluss darüber, wie lange Beschäftigungsverhältnisse, die (a) in ausgewählten Perioden neu begonnen wurden bzw. (b) an ausgewählten Stichtagen bereits Bestand hatten, in der Folgezeit noch existieren werden. Diese Analysen werden anhand der aktuellen IAB-Regionalstichprobe 19752001 durchgeführt5. Im Gegensatz zur BIBB/IAB-Erhebung, die lediglich rechtszensierte Daten bis zum Zeitpunkt1998/99 zur Verfügung stellt, liegen hier detaillierte Informationen zu Erwerbsverläufen bis einschließlich 31.12.2001 vor. Für alle ostdeutschen Beschäftigungsverhältnisse, die vor dem 01.01.1992 begonnen wurden (Linkszensierung), bleibt der genaue Startzeitpunkt allerdings unbekannt. Die gemeinsame Interpretation rechtszensierter BIBB/IAB-Daten und linkszensierter IABS-Daten bezüglich Ostdeutschland führt schließlich zu Erkenntnissen, die nicht ohne weiteres aus den einzelnen Datenquellen abgeleitet werden können.
5
„Die IAB-Regionalstichprobe enthält für den Zeitraum 1975-2001 die Erwerbs- und Leistungsempfangsbiographie von zwei Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit oft tagesgenauen Informationen. Grundlage der Zufallsauswahl war die so genannte Beschäftigtenund Leistungsempfängerhistorik (BLH) des IAB, in der die Zeiten von Beschäftigung und Leistungsbezug bereits auf Personenebene integriert wurden“ (Hamann 2005). Grundlage der Beschäftigtenstatistik ist das 1973 eingeführte integrierte Meldeverfahren zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, das von den Arbeitgebern Meldungen für alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse an die Sozialversicherungsträger verlangt (Bender u.a. 1996, Bender, Haas 2002). Somit sind definitionsgemäß nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte erfasst. In der 2%-Stichprobe werden für Westdeutschland ab 1975 die Verläufe von 1.112.761 Personen, in Ostdeutschland ab 1992 die Verläufe von 181.058 Personen abgebildet.
120
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
3. Empirische Befunde zu Vertragsform und Beschäftigungsdauer Vertragsverhältnisse Betrachten wir zunächst die Entwicklung der Vertragsverhältnisse in West- und Ostdeutschland (Abbildungen 4.1 und 4.2; Anlage 1). Der Sockel der sogenannten »Normalarbeitsverhältnisse« ist in Westdeutschland zwischen 1991 und 2004 um 8,7 Prozentpunkte geschrumpft und umfasst im Jahre 2004 nur noch 48,75% der Erwerbstätigen. In Ostdeutschland zeigt sich diesbezüglich eine etwas andere Entwicklung. Die noch aus DDR-Zeiten höheren Anteile an sogenannten »Normalarbeitsverhältnissen« haben sich zwischen 1991 und 2004 deutlich um etwa 19 Prozentpunkte verringert, betragen aber im Jahre 2004 immerhin noch knapp 53%. Ursache für die höheren Werte im Osten sind vor allem die geringeren Anteile von Frauen in Teilzeitarbeit. Deren Erwerbspräferenzen richten sich – u.a. aufgrund geringerer Einkommen und den im Vergleich schwierigeren arbeitsmarktstrukturellen Bedingungen – stärker an einer haushaltseinkommenssichernden Vollzeitbeschäftigung aus. Insgesamt lassen sich diese Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland als Konvergenz interpretieren. Abbildung 4.1: Entwicklung von Vertragsverhältnissen in Westdeutschland 1985-2004 100% 90% 80%
Selbständige und mithelfende Familienangehörige Teilzeit ausschließlich geringfügige Beschäftigung
70%
Teilzeit ohne geringfügige Beschäftigung
60%
Leiharbeit
50% 40%
befristete Beschäftigung ohne Leiharbeit
30%
Auszubildende
20% 10% 0% 1985 1991 1993 1995 1998 2000 2002 2004
andere Formen abh. Vollzeitbeschäft. (Beamte, Soldaten) Normalarbeit (Angestellte, Arbeiter, Vollzeit, unbefristet)
3. Empirische Befunde zu Vertragsform und Beschäftigungsdauer
121
Abbildung 4.2: Entwicklung von Vertragverhältnissen in Ostdeutschland 19912004 Selbständige und mithelfende Familienangehörige
100% 90% 80%
Teilzeit ausschließlich geringfügige Beschäftigung
70%
Teilzeit ohne geringfügige Beschäftigung
60%
Leiharbeit
50% 40%
befristete Beschäftigung ohne Leiharbeit
30%
Auszubildende
20% andere Formen abh. Vollzeitbeschäft. (Beamte, Soldaten)
10% 0% 1991
1993
1995
1998
2000
2002
2004
Normalarbeit (Angestellte, Arbeiter, Vollzeit, unbefristet)
Jenseits des sogenannten »Normalarbeitsverhältnisses« haben sich in Westdeutschland die Anteile der befristeten Verträge (von 5,12% auf 5,6%) und der Leiharbeit (von 0,36% auf 1%) leicht erhöht. Es stiegen vor allem die Anteile der Teilzeitarbeit (von 10,1% auf 12,34%) und der geringfügigen Beschäftigung (3,65% auf 8,4%), aber auch der Anteil der Selbständigen (10,8% auf 12,23%). Abweichende Strukturen sehen wir diesbezüglich in Ostdeutschland. Auch hier sind steigende Anteile »atypischer« Vertragsformen zu beobachten. Deutliche Ost-West-Unterschiede bestehen (neben fortwährend geringeren Anteilen im Bereich der Teilzeitarbeit) vor allem zwischen den Anteilen der befristeten Beschäftigung, die in Ostdeutschland etwa doppelt so hoch sind. Diese Differenz ist zu etwa zwei Dritteln das Resultat der vergleichsweise höheren Anteile an ABM und SAM in Ostdeutschland. Gleichwohl verweisen diese Zahlen auf eine, im Vergleich zum Westen, differente Beschäftigungspraxis: Vor dem Hintergrund der wirtschaftlich unsicheren Situation werden Arbeitnehmer, neben der förderpraxisbedingten Befristung, in zunehmendem Umfang zunächst auf Zeit rekrutiert. Das lässt sich auch daraus ableiten, dass der Anteil der befristeten Beschäftigungsverhältnisse mit etwa 10% vergleichsweise konstant blieb, obwohl sich der Anteil der ABM/SAM-Beschäftigung zwischen der Hochphase von 1998 und dem Jahre 2000 um ein Drittel verringerte (Jaehnichen 2002).
122
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
Zusammenfassend ist in Ostdeutschland im Jahre 2004 trotz einer moderaten Steigerung atypischer Beschäftigungsformen nach wie vor ein höherer Anteil an Normalarbeitsverhältnissen erkennbar. Gleichzeitig ist jedoch auch ein höherer Anteil befristeter Beschäftigung zu beobachten, wobei jedoch die Anteile von Normalarbeit in Ost und West konvergieren. Geringere Anteile von Teilzeitbeschäftigung sind auf eine höhere Vollzeiterwerbsbeteiligung von Frauen zurückzuführen, die auf sozioökonomischen Gründen und einer geschichtlich geprägten Erwerbsorientierung von Frauen in der DDR basiert6. Deutlich wird ebenfalls, dass auch 10 bis 15 Jahre nach der Wende geförderte Beschäftigung im Osten immer noch eine große Rolle spielt. Nun bietet die Betrachtung von Vertragsformen jedoch ein unzureichendes Bild der jeweiligen Stabilität von Beschäftigungsverhältnissen in Ost- und Westdeutschland. Die hier als »Normalarbeitsverhältnis« titulierten unbefristeten Vollzeit-Beschäftigungsformen müssen nicht zwingend stabil (Cramer 1986), so genannte »atypische« Beschäftigung nicht zwingend instabil sein. Beispielsweise mündet befristete Beschäftigung als verlängerte Probezeit bei Berufseinsteigern nicht selten in unbefristete Verträge. Weiterhin unterscheidet sich laut Erlinghagen, Knuth (2002: 37) die Dauer von Teilzeitbeschäftigung nicht von der Dauer so genannter »normaler« Beschäftigung. Eigene Analysen (vergleiche Kapitel III) führen zu dem Ergebnis, dass Teilzeitbeschäftigung mit mehr als 18 Stunden sogar häufig stabiler als „normale“ Beschäftigung ist. Somit ist die Beobachtung der Entwicklung von Vertragsformen um die Dauerperspektive zu ergänzen. Betriebliche Beschäftigungsdauern Betrachten wir vor diesem Hintergrund die Dauer der bisherigen betrieblichen Beschäftigung in Ost- und Westdeutschland anhand der BIBB/IAB-Erhebungen 1998/99 und 1991/91 (folgende Aussagen beziehen sich auf die Darstellung ohne Beamte in Tabelle 4.1): Die durchschnittliche bisherige Betriebszugehörigkeitsdauer in Jahren ist in Ostdeutschland zum Erhebungszeitpunkt 1998/99 trotz höherer Anteile von Normalarbeit deutlich geringer (8,8 Jahre) als in Westdeutschland (10,6 Jahre)7. Hier zeigt sich bereits, dass die Ausgestaltung von Vertragsverhältnissen nicht ohne weiteres auf die Ausgestaltung der Beschäftigungsdauer übersetzt werden kann. 6 7
1989 lag die Erwerbstätigenquote von Frauen in der DDR bei 90,9%, in Westdeutschland hingegen nur bei 58,6% (Statistisches Jahrbuch der BRD 1990 und 1991; Wiener 1997). Die Kontrolle der Altersstruktur hat ergeben, dass dies nicht auf unterschiedliche Alterszusammensetzungen der beiden Landesteile zum Zeitpunkt 1998/99 zurückzuführen ist und somit eine Verzerrung durch den positiven Zusammenhang von Alter und Betriebszugehörigkeit ausgeschlossen werden kann.
3. Empirische Befunde zu Vertragsform und Beschäftigungsdauer
123
Zum Zeitpunkt 1998/99 sind alle Anteile von Personen, die eine bisherige Betriebszugehörigkeitsdauer von mehr als zehn Jahren aufweisen, im Osten deutlich geringer. Alle Anteile von Personen mit einer bisherigen Betriebszugehörigkeitsdauer unter zehn Jahren sind hingegen deutlich höher. Das war 1991/92 noch anders: Zu dieser Zeit lagen die durchschnittlichen Daueranteile im Osten zwar noch etwa auf Westniveau (ca. 11 Jahre). Dies war jedoch verursacht durch eine starke Polarisierung nach Personen mit erst sehr geringer (bis zu zwei Jahre) und bereits sehr langer (länger als 20 Jahre) Betriebszugehörigkeitsdauer8. Im Zuge der Umstrukturierung der ostdeutschen Betriebslandschaft und unter den Bedingungen der Sozialauswahl wurden also vermutlich eher Beschäftigte mit geringeren Betriebszugehörigkeitsdauern (unter zehn Jahren) freigesetzt. Hingegen haben Personen mit langer Betriebszugehörigkeitsdauer, die nicht über Vorruhestandsregelungen aus den Betrieben ausgeschieden sind, zunächst von diesen Schließungstendenzen profitiert. Auch wenn die Zahlen nicht ohne weiteres auf die Betriebsebene übertragen werden können, spricht hier zunächst einiges für die Bestätigung der Hypothese, dass eine Generierung altershomogener Betriebsstrukturen im Sinne von Überlebensgemeinschaften und Olympiamannschaften stattgefunden hat. In den Jahren 1998/99 wiederum gibt es in Ostdeutschland auf der einen Seite sehr hohe Anteile von Personen, die unter zwei Jahre beschäftigt sind. Gleichzeitig aber sind die nächsthöheren Gruppen unter zehn Jahren Beschäftigungsdauer, die 1991/92 noch schwach besetzt waren, wieder stark angestiegen. Das ließe zum einen vermuten, dass sich die durchschnittliche Beschäftigungsdauer in Ostdeutschland in den folgenden Jahren nach 1998/99 zunächst wieder erhöhen wird9. Parallel zu den nachrückenden mittleren Dauergruppen sollten andererseits jedoch die Gruppen sehr lang beschäftigter Personen, die nach der Befragung von 1991/92 durch Vorruhestandsregelungen bereits stark dezimiert wurden, weiterhin durch Rentenabgänge reduziert werden. Auch hier zeigt sich, dass die durchschnittliche bisherige Betriebszugehörigkeitsdauer einen wenig aussagekräftigen Indikator für die Messung von Beschäftigungsstabilität und insbesondere für die Dynamik auf Arbeitsmärkten darstellt. 8
9
Im Osten ergeben sich zu diesem Zeitpunkt somit höhere Standardabweichungen. Die frühe Phase hoher Fluktuation im Osten findet zwar durchaus Ausdruck in hohen Anteilen von bis zu zwei Jahren Beschäftigten, wird jedoch insgesamt vermutlich unterschätzt, da bei Stichtagsbetrachtungen lediglich Personen erfasst werden, die zu diesem Stichtag auch tatsächlich erwerbstätig waren. Diskontinuierlich Beschäftigte sind somit weniger wahrscheinlich und Personen, die sich aufgrund geringer Beschäftigungschancen über Fortbildung oder Umschulung beruflich neu orientieren mussten, gar nicht im Sample enthalten. Hinweise darauf finden sich auch in Kapitel V. Hier wird, allerdings auf anderer Bemessungsgrundlage der Beschäftigungsdauer, gezeigt, dass zumindest auf deskriptiver Ebene eine nur marginale Ost-West-Differenz besteht.
124
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
Tabelle 4.1: Betriebszugehörigkeitsdauer (kategorisiert und im Durchschnitt) Betriebszugehörigkeitsdauer (ohne Beamte) 1991/92
Kategorisiert:
Gesamt:
Bis 2 Jahre
1998/99
West
Ost
Gesamt
West
Ost
Gesamt
21,6%
28,8%
23,9%
23,2%
30,4%
24,7%
3 bis 5 Jahre
18,1%
11,4%
15,9%
17,1%
19,5%
17,5%
6 bis 9 Jahre
14,8%
11,0%
13,5%
19,4%
25,0%
20,7% 14,6%
10 bis 15 Jahre
18,7%
17,9%
18,4%
16,3%
7,5%
16 bis 20 Jahre
10,4%
10,3%
10,4%
9,1%
5,1%
8,4%
Länger als 20 Jahre
16,5%
20,6%
17,8%
14,9%
12,5%
14,1%
Anzahl der Personen (100%)
19.583
9.362
28.945
21.775
5.599
27.374
10,83
11,41
11,02
10,63
8,82
10,26
Durchschnitt in Jahren
Quelle: BIBB/IAB-Erhebung 1991/92 und 1998/99, eigene Berechnungen.
Für Westdeutschland kann man bei der Betrachtung der durchschnittlichen bisherigen Betriebszugehörigkeitsdauer von einem moderaten Rückgang von 10,8 auf 10,6 Jahre sprechen10. Die Befunde von Auer und Cazes (2002) werden hier weitestgehend bestätigt. Es sind dann auch solche Hinweise einer Beständigkeit von Beschäftigungsverhältnissen, die Kritiker gegenüber den Protagonisten einer Strukturbruchthese in der Diskussion berücksichtigt sehen wollen. Dementsprechend würden Unternehmen deutlich weniger als in der Erosionsdebatte befürchtet auf den externen Markt zurückgreifen. Doch ist ein solcher Befund wirklich zutreffend? Was verbirgt sich hinter dem Ergebnis einer nur leicht sinkenden bisherigen Betriebszugehörigkeitsdauer im Westen und der bei bisherigen Analysen weitestgehend unberücksichtigt gebliebenen Destabilisierung im Osten? 4. Überlebensraten von Beschäftigungsverhältnissen und Übergänge Im Ergebnis lassen sich sowohl die Entwicklung der Vertragsverhältnisse als auch der durchschnittlichen bisherigen Beschäftigungsdauer als langsam fortschreitende Erosion der Beschäftigungsstabilität und als Trend zu offeneren Beschäftigungssystemen interpretieren. Es gilt allerdings zu beachten, dass die An10
Unter Berücksichtigung von Beamten ergibt sich ein Rückgang der durchschnittlichen bisherigen Betriebszugehörigkeitsdauer von 11,6 auf 11,5 Jahre.
4. Überlebensraten von Beschäftigungsverhältnissen und Übergänge
125
teile von Beschäftigten in bestimmten Vertragsverhältnissen und die durchschnittliche bisherige Betriebszugehörigkeitsdauer Kennziffern auf hoher Aggregatebene darstellen. Im Folgenden soll versucht werden, etwas tiefer in die empirische Argumentationsbasis vorzudringen. Anders als bei den vorangegangenen BIBB/IAB-Analysen, die auf die bisherige Dauer zu bestimmten historischen Zeitpunkten fokussiert war, können mit Hilfe der IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001 die betrieblichen Verweildauern analysiert werden, die auf ausgewählte historische Zeitpunkte folgen werden. Definitionsgemäß sind in diesem Datensatz nur sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse enthalten, da es sich um die Meldungen der Arbeitgeber für alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse an die Sozialversicherungsträger handelt11. Im Folgenden werden für West- und Ostdeutschland Überlebensraten (Blossfeld, Rohwer 1995) sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse berechnet, die im Laufe des Jahre 1993 und 1997 neu begonnen wurden (NBV). Da eine Auswahl neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse Episoden mit kürzeren Verweildauern bevorzugt (siehe auch Kapitel III), werden den im Verlauf des jeweiligen Jahres neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen solche gegenübergestellt, die am 01. Juli des Jahres 1993 und 1997 bereits seit länger als einem halben Jahr Bestand hatten (BBV).
11
Für die Generierung betrieblicher Beschäftigungsdauern bzw. Statuswechsel im Erwerbsverlauf sind die Meldungen der Arbeitgeber an die Sozialversicherungsträger sinnvoll zusammenzufassen. So entspricht nicht jede formale Abmeldung in der Beschäftigtenstichprobe einem Ende der Beschäftigung beim derzeitigen Arbeitgeber (z.B. bei Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrages). (1) Daher gelten Beschäftigungsepisoden, die mit einer Abmeldung enden, jedoch im direkten Anschluss (innerhalb von 31 Tagen) bei demselben Arbeitgeber weitergeführt werden, als nicht beendet. (2) Hingegen werden Beschäftigungsverhältnisse auch dann als beendet eingestuft, wenn keine Abmeldung, jedoch eine Lücke von mehr als 31 Tagen zwischen zwei Meldungen ein und desselben Arbeitgebers existiert, der Arbeitgeber also de facto für einen gewissen Zeitraum keine Sozialversicherungsabgaben für den Arbeitnehmer leistet. Das ist insbesondere dann notwendig, wenn Episoden mit Unterbrechungsmeldungen enden und aus persönlichen Gründen (z.B. Elternzeit) erst nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne feststeht, dass die Beschäftigung nicht wieder aufgenommen wird. Hier erfolgt in der Regel eine zeitlich nachgelagerte Abmeldung ohne Entgeltangabe, unter deren Berücksichtigung die Betriebszugehörigkeitsdauer überschätzt würde, da Beschäftigung und betriebliche Integration nur bis zum Zeitpunkt der Unterbrechungsmeldung stattfinden. (3) Hinsichtlich der überbetrieblichen Perspektive wird analog verfahren und für die Definition eines direkten Betriebswechsels bzw. eines Übergangs in Arbeitslosigkeit eine Meldelücke von 31 Tagen zugelassen. Alle weiteren Übergänge ohne Anschlussinformationen innerhalb dieses Zeitraumes entsprechen (mit Ausnahme der Rechtszensierungen) Übergängen in Sozialversicherungslücken (siehe auch Kapitel III).
126
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
Neubegonnene und bestehende Beschäftigungsverhältnisse Im Hinblick auf die weiteren Beschäftigungsperspektiven und analog zu den neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen (NBV), deren Dauer per definitionem erst ab dem ausgewählten Zeitintervall gemessen werden kann, werden die bestehenden Beschäftigungsverhältnisse (BBV) zum Auswahlzeitpunkt künstlich linkszensiert und nur deren weitere Verweildauer gemessen (siehe auch Kapitel III). Dargestellt wird, wie in Ost- und Westdeutschland (in unterschiedlichem Maße) vor allem kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse das Geschehen am Arbeitsmarkt kennzeichnen und welche Risiken hierbei für unterschiedliche Altersund Qualifikationsgruppen bestehen. Hinsichtlich der NBV ist in den Abbildungen 4.3 und 4.4 zu erkennen, dass vor allem innerhalb des ersten halben Jahres viele Beschäftigungsverhältnisse wieder aufgelöst werden. Diese sind entweder bereits ex ante kurzfristig angelegt oder aber es handelt sich um „mismatches“ zwischen Beschäftigten und Betrieben, die bereits innerhalb der Probezeit wieder aufgelöst werden. Insgesamt zeigt sich eine erhebliche numerische Flexibilität der Betriebe: Viele Arbeitsplätze werden mit Beschäftigten besetzt, die nicht allzu lange im Betrieb verbleiben. Im Westen werden knapp 50% aller NBV bereits innerhalb eines Jahres beendet. Weitere 10-15% sind nach zwei Jahren beendet. Nach vier Jahren ist lediglich ein Anteil von ca. 22% der NBV noch nicht aufgelöst. Mit zunehmender Betriebszugehörigkeitsdauer nimmt die Zahl der Ausstiege ab12. Ähnliche Werte weisen die NBV von 1993 im Osten auf. Während im Westen im Vergleich von 1993 und 1997 trotz (bzw. aufgrund) der verbesserter Konjunkturlage eine leichte Destabilisierung stattgefunden hat, sind die Verläufe im Osten deutlich instabiler geworden. Die Zahl der weiterhin andauernden Beschäftigungsverhältnisse liegt mit 18% nach vier Jahren unterhalb des Niveaus von Westdeutschland. Ein weiterer Unterschied ist eine stärker ausgeprägte und im Zeitvergleich steigende Anzahl von Beendigungen nach exakt einem Jahr Beschäftigungsdauer, die auf befristete Arbeitsverträge hinweist. Ein anderes Bild zeigt sich bei der Betrachtung der zum 01. Juli des jeweiligen Jahres bestehenden Beschäftigungsverhältnisse (ebenfalls Abbildung 4.3 und 4.4). Da hier auch bereits längerfristig Beschäftigte erfasst werden, ergeben sich höhere Überlebensraten. Die Beschäftigten sind bereits mit Senioritätsrechten ausgestattet, die Einsteiger noch erwerben müssen. So werden im Westen etwa 53% der Stichtagsbeschäftigten von 1993 und 1997 auch nach Ablauf von 4 Jahren – also über die Mitte des Jahres 1997 bzw. 2001 hinaus – weiterhin im selben 12
Dies gilt hier zumindest für die ersten 4 Jahre nach Einstieg in den Betrieb. Kapitel III weist darauf hin, dass in Westdeutschland vor allem die weiteren Beschäftigungsperspektiven bereits längerfristig beschäftigter Personen stark abgenommen haben.
4. Überlebensraten von Beschäftigungsverhältnissen und Übergänge
127
Betrieb beschäftigt sein. Deutliche Unterschiede zeigen sich hingegen im Osten. Hier werden nach Ablauf von 4 Jahren nur ca. 39% des Bestandes von 1993 auch über die Mitte des Jahres 1997 hinaus weiterhin im selben Betrieb beschäftigt sein. Allerdings haben sich die weiteren Beschäftigungschancen beim Bestand von 1997 wieder deutlich erhöht. Mitte 2001 existieren nun noch etwa 45% der BBV von 1997. Trotz dieser Steigerung wird allerdings noch nicht das westdeutsche Niveau erreicht. Betrachtet man die ostdeutsche Entwicklung in einer ersten Zusammenfassung, so ist zunächst an die massiven Freisetzungen von Personal im Rahmen der Wiedervereinigung zu erinnern. Dabei führten Sozialkriterien zu einer Reduzierung von Beschäftigten mit geringeren Betriebszugehörigkeitsdauern, während langfristig Beschäftigte zunächst von den Schließungstendenzen profitieren konnten (Tabelle 4.1). Jedoch sind auch diese längerfristig beschäftigten Personen nach der hohen Mobilitäts- & Neuordnungsphase des Gelegenheitsfensters, im Rahmen der ab 1993 folgenden Rezession, von Freisetzungen betroffen. Das verdeutlichen zum einen geringere Überlebensraten der BBV von 1993 (Abbildung 4.4: ca. 39% Überlebende nach vier Jahren) und zum anderen sinkende Anteile von Personen mit einer bisherigen Betriebszugehörigkeitsdauer von über 10 Jahren (Tabelle 4.1). Beide Prozesse sind allerdings nicht durch die zu diesem Zeitpunkt generöse Phase der Gewährleistung von Vorruhestands- und Altersübergangsgeldern und massive Abgänge älterer Beschäftigter verursacht. Die Analysen dieses Abschnittes zeigen, dass zu diesem Zeitpunkt auch die Überlebensraten der BBV von Personen unter 35 Jahren (ca. 37% nach vier Jahren) und von Personen zwischen 35 und 50 Jahren (ca. 44% nach vier Jahren) als ähnlich gering einzuschätzen sind (Anhang 2)13.
13
Die höheren Überlebensraten in Ostdeutschland ab 1997 ergeben sich vor allem durch die verbesserten Beschäftigungsperspektiven der mittleren Altersgruppen (und Hochschulabsolventen). Bei der hohen Altersgruppen hingegen findet nur eine schwache Verbesserung statt (vgl. Anhang 2).
128
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
Abbildung 4.3: Survivorfunktion neuer/bestehender Beschäftigungsverhältnisse
Abbildung 4.4: Survivorfunktion neuer/bestehender Beschäftigungsverhältnisse
4. Überlebensraten von Beschäftigungsverhältnissen und Übergänge
129
Erst in einer gemeinsamen Betrachtung der beiden Datenquellen wird der dreigeteilte Entwicklungsprozess im Osten deutlich: (1) In den frühen 90er Jahren können zunächst vor allem längerfristig Beschäftigte von den Schließungstendenzen profitieren. (2) Mit Beginn der Rezessionsphase ab 1993 bestehen hohe Austrittsrisiken für längerfristig Beschäftigte, die nicht (allein) auf fortgeführte Vorruhestandsregelungen oder Rentenaustritte zurückzuführen sind. (3) Ab 1997 konvergieren die Beschäftigungsperspektiven bestehender Beschäftigungsverhältnisse in Richtung westdeutscher Arbeitsmärkte, wobei die Zahl der Überlebenden noch deutlich unter dem Niveau von Westdeutschland bleibt. Gleichzeitig verschlechtern sich allerdings die Beschäftigungsperspektiven von Neueinsteigern, die wiederum unter das Niveau des westdeutschen Arbeitsmarktes rutschen und eine sich verstärkende Polarisierung der Beschäftigungschancen vermuten lassen. Beschäftigungsperspektiven von Neueinsteigern Ende der 90er Jahre Insgesamt zeigt sich im Verlauf der 90er Jahre auf der einen Seite eine Angleichung ostdeutscher Dauerperspektiven an westdeutsche Muster (BBV), auf der anderen Seite jedoch eine wachsende Differenz der Dauerperspektiven (NBV). Sinkende Überlebensraten neubegonnener Beschäftigung in Ostdeutschland bedeuten auch, dass es immer weniger Personen gelingt, in ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis einzutreten. Dass auch Ende der 90er Jahre immer noch starke Differenzen hinsichtlich der Beschäftigungspraxis in beiden Landesteilen vorhanden sind, kann anhand erweiterter Analysen zu neubegonnener Beschäftigung (die in Ostdeutschland quantitativ an Bedeutung gewinnt) dargelegt werden. Eine Differenzierung nach Alter und Qualifikation verdeutlicht die unterschiedlichen Allokationskriterien auf ost- und westdeutschen Arbeitsmärkten. Eine Betrachtung der Verläufe von Altersgruppen (Abbildung 4.5) zeigt, dass Beschäftigungsverhältnisse jüngerer Erwerbstätiger unter 35 Jahren im Westen früher wieder beendet werden, als die der höheren Altersgruppen. Sie sind es aber auch, die mit 61% deutlich häufiger in Unternehmen eintreten als mittlere (29,4%) und höhere Altersgruppen über 50 Jahre (9,6%). So ergeben sich in Westdeutschland hohe Mobilitätsraten vor allem bei jüngeren Beschäftigten (Büchtemann, Schupp, Soloff 1993; DiPrete, McManus 1995). Da von der anteilig großen Gruppe der Jüngeren sukzessive Personen in stabilere Beschäftigungsverhältnisse eintreten, kommt es im Westen zu einer kontinuierlichen Wiederverjüngung von Belegschaften.
130
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
Abbildung 4.5: Überlebensraten neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse des Jahres 1997 nach Altersgruppen
Abbildung 4.6: Überlebensraten neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse des Jahres 1997 nach Altersgruppen
4. Überlebensraten von Beschäftigungsverhältnissen und Übergänge
131
Auf andere Zusammenhänge treffen wir bei der Betrachtung Ostdeutschlands. Hier sind lediglich 46,5% der Neueinsteiger unter 35 Jahre alt. Mittlere Altersgruppen hingegen sind mit einem Anteil von 38,8% und über 50-Jährige mit einem Anteil von 15,3% deutlich häufiger mit der Situation konfrontiert, eine neue Beschäftigung aufnehmen zu müssen. Anders als im Westen haben dabei die über 50-Jährigen die geringsten Dauerperspektiven (Abbildung 4.6). Eine höhere Anzahl von befristeten Arbeitsverträgen, die sich in Abbildung 4.4 andeutete, zeigt sich speziell in der Darstellung der Überlebensraten nach Altersgruppen (Abbildung 4.6: hohe Zahl von Ausstiegen nach exaktem Ablauf eines Jahres). Bei den unter 35-Jährigen enden etwa 6% aller zu diesem Zeitpunkt noch andauernden Beschäftigungsverhältnisse exakt nach Jahresfrist. Bei den mittleren Altersgruppen sind es 9%, bei den über 50-Jährigen schließlich sogar 14%. Vermutlich handelt es sich um (in der Regel) einjährige ABM und SAM, die nach Abschluss der Maßnahme in Austritte münden14. Darüber hinaus deuten sich in den hohen Anteilen einjähriger Beschäftigung in Ostdeutschland Mitnahmeeffekte bei einjährigen Lohnkostenzuschüssen an. Eine Beurteilung dieser Subventionspolitik in vierstelliger Millionenhöhe ist schwierig. Zum einen verringert sie die Eintrittsmöglichkeiten für derzeit geburtenstarke Jahrgänge jüngerer Erwerbstätiger, die zumeist keine förderungswürdigen Merkmale aufweisen. Zum anderen bieten sie älteren Beschäftigten jedoch Möglichkeiten zum Wiedereintritt in Erwerbsarbeit und somit zum Erhalt oder zum Aufbau von Qualifikationen. Die jeweils hohen Austrittszahlen lassen es jedoch als fraglich erscheinen, inwieweit die Finanzmittel – ihrer ursprünglichen arbeitsmarktpolitischen Funktion entsprechend – tatsächlich kurativ zur Verbesserung der volkswirtschaftlichen Angebotsstruktur beitragen. In Bezug auf die ursprüngliche Funktion scheint der Mitteleinsatz wenig effektiv, dient er doch vorrangig der kurzfristigen und kompensatorischen Entlastung. Als abschließender Punkt soll eine Betrachtung der Verläufe nach formaler Qualifikation weitere Unterschiede betrieblicher Allokationsmuster aufzeigen (Abbildung 4.7 und 4.8). Eigene Verlaufsanalysen zu westdeutschen Arbeitsmärkten weisen darauf hin, dass sich die Dauerperspektiven von Hochschul- und Lehrabsolventen im Zeitverlauf einander angleichen (Kapitel III). Hingegen öffnet sich die Schere der Dauerperspektiven zwischen qualifizierten Arbeitnehmergruppen und Personen ohne Ausbildung weiter. Diese Lücke wird auch in Abbildung 4.7 sichtbar, da sich die Überlebensraten von Personen ohne Ausbildung deutlich negativ von den übrigen Qualifikationsgruppen absetzen. 14
Bestärkt wird diese Annahme, wenn man die Anteile der nach einem Jahr beendeten Beschäftigungsverhältnisse mit den laufenden Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung des jeweiligen Jahres assoziiert. Hier verläuft die Entwicklung leicht zeitversetzt parallel zueinander (vgl. Grotheer u.a. 2004).
132
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
Im Osten hingegen sind die Qualifikationsgruppen in Bezug auf ihre Dauerperspektive schärfer voneinander getrennt (Abbildung 4.8). Dabei liegen die Überlebensraten von Hochschulabsolventen höher als im Westen. Die Raten von Lehrabsolventen und Personen ohne Ausbildung hingegen sind deutlich geringer. Alle Qualifikationsgruppen, dabei insbesondere Personen ohne Ausbildung, weisen eine hohe Anzahl von Abgängen nach exakt einem Jahr auf. Neben einer höheren Wertschätzung von Arbeitnehmern mit höheren Qualifikationen kommt dabei zum Ausdruck, dass vielen Geringqualifizierten der Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt zwar mit Hilfe von Fördermaßnahmen gelingt, jedoch nur über einen begrenzten Zeitraum. Abbildung 4.7: Überlebensraten neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse des Jahres 1997 nach formaler Qualifikation:
4. Überlebensraten von Beschäftigungsverhältnissen und Übergänge
133
Abbildung 4.8: Überlebensraten neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse des Jahres 1997 nach formaler Qualifikation:
Zusammenfassend ist festzuhalten: In Westdeutschland und in noch stärkerem Maße in Ostdeutschland besteht eine hohe numerische Flexibilität, wobei die Ein- und Austrittsbewegungen in Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Formen annehmen. Im Westen sind es vor allem jüngere Altersgruppen, die von Austauschprozessen betroffen sind. Ein relativ geringer Anteil jüngerer Arbeitnehmer bleibt jeweils nach Neueintritten für einen längeren Zeitraum im Betrieb. Im Verlauf wiederholter Eintritte gelingt es dabei einem Teil der Beschäftigten in stabile Beschäftigungsverhältnisse zu wechseln. Im Osten hingegen finden Austausche über alle Altersgruppen hinweg zu einem Großteil auf der Basis staatlicher Subventionierung von Beschäftigung (insbesondere Älterer) statt (siehe auch Kapitel V). Jüngere Arbeitnehmer stehen bei der Besetzung freier Stellen in einem stärkeren Konkurrenzverhältnis zu älteren Arbeitnehmern. Hinsichtlich der Entwicklung in Ostdeutschland profitieren zunächst die längerfristig Beschäftigten von den frühen Schließungstendenzen. In der anschließenden Rezessionsphase verkürzen sich jedoch die Verweildauern bestehender Beschäftigungsverhältnisse und auch längerfristig Beschäftigte sind durch Austritte gefährdet. Bis Ende der 90er Jahre ist es jedoch zumindest einem Teil der Arbeitskräfte gelungen, eine neue und relativ dauerhafte Beschäftigung aufzubauen, deren Perspektive sich der westdeutschen angleicht. Dabei besteht in Ostdeutsch-
134
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
land eine gravierend höhere Bindungskraft zwischen Betrieben und hochqualifizierten Beschäftigten15. Ein anderer Teil der Arbeitskräfte ist hingegen lediglich in der Lage, kurzfristig am Arbeitsmarkt zu partizipieren. Übergänge betrieblicher Aussteiger Eigene Untersuchungen (Kapitel III; Grotheer, Struck 2003; Grotheer u.a. 2004; so auch Erlinghagen, Knuth 2002; Erlinghagen 2004) haben ergeben, dass das Beschäftigungssystem schon seit langem (nachweislich ab Mitte der 70er Jahre) und sehr deutlich durch numerische Flexibilität gekennzeichnet ist. Unterhalb der hohen Aggregatsebenen von Vertragsformen und durchschnittlicher Dauer zeigt sich eine schon seit langem existierende Dynamik am Arbeitsmarkt (Cramer 1986). Der deutsche Wohlfahrtsstaat ist jedoch nach wie vor am Normalarbeitverhältnis ausgerichtet. Die individuellen Ansprüche an die sozialen Sicherungssysteme leiten sich aus der Dauer von Beschäftigung, dem Einkommen und damit den eingezahlten Beiträgen zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung ab, so dass nur kontinuierliche Erwerbsverläufe eine hinreichende Absicherung ermöglichen. Schwierigkeiten ergeben sich dann insbesondere im Falle steigender Arbeitslosenzahlen. Selbst wenn man also davon ausgeht, dass sich in Bezug auf die Dauer von betrieblichen Erwerbsepisoden (Beschäftigungsstabilität) keine gravierenden Veränderungen ergeben haben, können aus einer hohen Arbeitslosigkeit unsichere Übergänge und längere Sequenzen der Abwesenheit vom Arbeitsmarkt resultieren. Die Qualität der Übergänge gibt Aufschluss über die Entwicklung von Beschäftigungssicherheit im Sinne einer kontinuierlichen Partizipation am Arbeitsmarkt. Der folgende Abschnitt verdeutlicht noch einmal die diesbezüglichen Unterschiede in Ost- und Westdeutschland. In Tabelle 4.2 werden die Übergangschancen und -risiken nach dem Ende von Erwerbsepisoden abgebildet, die im Laufe der Jahre 1993 und 1997 neu begonnen wurden. Anhand der Episodenzahlen und Übergänge in Tabelle 4.2 wird dabei deutlich, dass – anders als in Westdeutschland – für die Neueinsteiger in Ostdeutschland nach dem Ende einer Beschäftigung eher Übergänge in Arbeitslosigkeit als direkte Betriebswechsel die Regel sind. Trotz verbesserter Konjunkturlage ab 1997 verschlechtern sich die Chancen auf direkte Betriebswechsel im Osten weiter16. Hinsichtlich der altersspezifischen Ausstiege zeigen sich in der Übergangs15 16
Anders als im Westen gilt dies nicht nur bei den neubegonnenen, sondern auch bei den bestehenden Beschäftigungsverhältnissen (vgl. Anhang 2). Jeder zweite Einsteiger von 1997, der innerhalb von vier Jahren den Betrieb wieder verlässt, geht in die Arbeitslosigkeit. Hingegen ist nur jeder Dritte in der Lage, einen direkten Betriebswechsel zu vollziehen (vgl. Anhang 3).
4. Überlebensraten von Beschäftigungsverhältnissen und Übergänge
135
perspektive unterschiedliche Chancenverteilungen für jüngere (unter 35 Jahren) und ältere (über 50 Jahre) Arbeitnehmer. Diese haben zwar ähnliche und höhere betriebliche Ausstiegsrisiken als die mittleren Altersgruppen (35-50 Jahre), dabei bestehen jedoch für Ältere kaum Chancen auf direkte Betriebswechsel, wohingegen sich hohe Bedarfe an jüngeren (und vor allem männlichen und hochqualifizierten) Arbeitnehmern andeuten. Für die stabilen Hochschulabsolventen sind Übergänge in Arbeitslosigkeit die Ausnahme17. Für diese Aussteiger deuten sich im Osten spezifische Funktionsprobleme externer Arbeitsmärkte an. Zunächst sind die ostdeutschen Arbeitnehmer offensichtlich mit einer geringeren betrieblichen Dauerperspektive ausgestattet. So findet häufig ex ante eine zeitliche Begrenzung der Beschäftigungsbeziehungen über befristete (und zumeist geförderte) Arbeitsverträge statt. Im Laufe der 90er Jahre sind auch bereits längerfristig Beschäftigte, die zunächst noch von den Schließungstendenzen profitieren könnten, von Ausstiegen betroffen. Sie werden zu Neueinsteigern, die aufgrund geringerer Senioritätsrechte im Falle von Entlassungen wiederum höheren Ausstiegsrisiken ausgesetzt sind. Dabei sind für Aussteiger direkte Anschlussmöglichkeiten nur spärlich vorhanden und eher Übergänge in Arbeitslosigkeit die Regel. Die Folge sind Diskontinuitäten beruflicher Verläufe, die mit Gefahren von Humankapitalverlusten und Negativsignalen auf potenzielle neue Arbeitgeber einhergehen können und eine Kluft zwischen Insidern und Outsidern befördern. Gleichzeitig deutet sich ein hoher betrieblicher Bedarf an jungem und qualifiziertem Personal an, der jedoch im Bereich der höherqualifizierten Arbeitnehmer nicht zu Mobilitätsprozessen führt.
17
Die hohen Risiken der Personen ohne Ausbildung auf Übergänge in Sozialversicherungslücken resultieren u.a. aus den (auch in den Survivoranalysen aufgezeigten) sehr kurzen Erwerbsepisoden, die aufgrund ihrer geringen Dauer nicht zum Aufbau neuer Leistungsansprüche führen.
136
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
Tabelle 4.2: Cox-Modelle zu neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen Austritte Beschäftigungsverhältnisse: Neu begonnen 1993 Neu begonnen 1997 Geschlecht: männlich weiblich Alter: unter 35 Jahre 35 bis 49 Jahre 50 Jahre und älter Bildungsabschluss: ohne Ausbildung Lehrabsolventen Hochschulabsolventen Branchen: Landwirtschaft, Gartenbau, Energie- & Bergbau Verarbeitendes Gewerbe: Grundstoff& Güterproduktion Investitionsgüterproduktion: Stahl- & Leichtmetallbau, Maschinenbau Verbrauchsgütergewerbe Nahrungs- & Genussmittelgewerbe Bauhaupt-, Ausbaugewerbe Distributive DL: Großhandel Distributive DL: Einzelhandel Verkehr, Nachrichtenübermittlung Wirtschaftsbezogene DL Haushaltsbezogene DL Gesellschaftsbezogene DL: z.B. Krankenhäuser Gesellschaftsbezogene DL: z.B. (Straßen-)Reinigung, Verbände Jährliches BIP-Wachstum in Preisen des jeweiligen Vorjahres: Jährliche Arbeitslosenquoten: - Episoden - Übergänge: - Betriebswechsel - Arbeitslosigkeit - SV-Lücke
469.457 137.408 -------
- -2ll (starting values) - -2ll (final estimates) - LR = 2 * (ln(L1) – (ln(L0)) - Pseudo R²
Westdeutschland Betriebs- Arbeitswechsel losigkeit
SV-Lücke
Austritte
Ostdeutschland Betriebs- Arbeitswechsel losigkeit
SV-Lücke
RG 1,1238
RG 1,197
RG 1,0545
RG 0,9426
RG 1,1972
RG 0,8724
RG 1,5179
RG 1,1329
RG 0,8956
RG 0,8467
RG 0,8493
RG 0,9145
RG 0,841
RG 0,6871
RG 1,0355
RG 0,7827
1,2688 RG 1,058
1,3095 RG 0,7101
0,9251 RG 1,2236
1,6988 RG 0,8387
1,1323 RG 1,1565
1,1521 RG 0,7996
0,919 RG 1,3038
1,8633 RG 1,1186
1,4569 RG 0,8046
1,0377 RG 0,9794
1,5048 RG 0,4999
1,9134 RG 0,6615
1,3621 RG 0,6783
1,0735 RG 0,9259
1,3289 RG 0,45
2,0033 RG 0,6421
1,3868
0,9621
1,6622
1,4366
1,1951
1,0234
1,3871
1,0037
0,9818
0,8717
1,2498
0,8971
0,9587
1,0057
0,9431
0,9084
RG
RG
RG
RG
RG
RG
RG
RG
1,1169 1,2987 1,589 1,1617 1,3425 1,4414 1,3452 1,9053 1,1019
0,9282 1,1179 1,088 1,2635 1,3799 1,6566 1,5081 1,403 0,972
1,4336 1,3842 2,4957 1,0533 1,2181 1,0616 0,9625 1,8491 0,9278
1,0678 1,3515 1,3489 1,0832 1,3666 1,5281 1,408 2,248 1,3127
1,0798 1,0251 1,3952 1,115 1,1058 1,0832 1,2515 1,3949 0,9994
1,0148 0,9846 1,2572 1,329 1,258 1,8154 1,5802 1,2552 0,9599
1,0792 0,9386 1,4863 0,9089 0,9246 0,5008 0,8902 1,1737 0,9149
1,1937 1,201 1,4993 1,1401 1,307 1,4598 1,5638 2,1074 1,1854
1,1544
1,1188
1,2359
1,0503
1,1776
0,9883
1,2576
1,1963
0,9745
0,9647
0,9767
1,0037
0,999
1,0058
0,9888
0,9994
1,0031
0,997
1,0261
469.457 121.609 48.766 35.562 37.281
469.457 121.609 48.766 35.562 37.281
1,0149 469.457 121.609 48.766 35.562 37.281
1,0017 158.547 47.971 -------
1,0027 158.547 45.643 17.162 21.052 7.429
0,9981 158.547 45.643 17.162 21.052 7.429
1,0104 158.547 45.643 17.162 21.052 7.429
-500.276 -498.844 2.864 0,003
-476.116 -472.565 7.102 0,008
-476.116 -472.565 7.102 0,008
-476.116 -472.565 7.102 0,008
-1.584.054 -1.401.883 -1.401.883 -1.401.883 -1.578.641 -1.392.130 -1.392.130 -1.392.130 10.826 19.506 19.506 19.506 0,003 0,007 0,007 0,007
Cox-Modelle zu neubegonnenen Beschäftigungsverhältnissen Signifikanzniveau bei Verwendung robuster Standardfehler: p <= 0.01 ; p <= 0.05; p>=0.05; p>=0.1 nicht signifikant Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001 (Regionalfile), eigene Berechnungen.
5. Schlussfolgerungen
137
5. Schlussfolgerungen Ende der 90er Jahre bestehen immer noch deutliche Unterschiede hinsichtlich der Funktionsvoraussetzungen und Funktionsorientierungen auf west- und ostdeutschen Arbeitsmärkten. Neben einer moderaten Steigerung atypischer Beschäftigungsformen in beiden Landesteilen bis zum Jahr 2004, ist in Ostdeutschland vor allem ein höherer Anteil so genannter Normalarbeitsverhältnisse, gleichzeitig aber auch ein höherer Anteil befristeter Beschäftigung, zu beobachten. Dabei konvergieren insbesondere die Anteile an Normalarbeit in Ost und West. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlich unsicheren Situation werden – neben der förderpraxisbedingten Befristung – überproportional viele Arbeitnehmer zunächst auf Zeit rekrutiert. Die Chancen, in ein langfristiges Beschäftigungsverhältnis einzutreten, sind im Osten sehr viel geringer als im Westen. Insgesamt zeigt sich in Ost und West eine erhebliche numerische Flexibilität der Betriebe. Viele Arbeitsplätze werden mit Beschäftigten besetzt, die nicht allzu lange im Betrieb verbleiben. Der Wandel in Westdeutschland vollzieht sich jedoch vor dem Hintergrund gewachsener Effizienz- und Sicherheitsarrangements in den Beschäftigungssystemen. In Ostdeutschland kommt es in der Umbruchphase zu einem Parallelprozess hoher Beschäftigungsstabilität einerseits (Reduktion der Beschäftigten über Sozialauswahl) und hohen Beschäftigungsaustauschen an den betrieblichen Rändern andererseits. In der Rezessionsphase ab 1993 sind schließlich auch längerfristig Beschäftigte von Austritten betroffen. Allerdings gelingt es einem Teil der Beschäftigten, im weiteren Verlauf wieder in eine längerfristige Beschäftigung einzutreten. Auf der anderen Seite verkürzen sich die Beschäftigungszeiten der Personen (insbesondere gering Qualifizierte), die ohnehin kürzere Beschäftigungsperspektiven einnehmen. Hochqualifizierte Arbeitnehmergruppen hingegen werden in Ostdeutschland deutlich stärker an die Betriebe gebunden als im Westen. Diese Ergebnisse verweisen auf eine verstärkte Polarisierung von in das Beschäftigungssystem Integrierten und Ausgeschlossenen im Osten. Dabei besteht im Osten zugleich ein höherer Konkurrenzdruck innerhalb und auch zwischen den Altersgruppen, da zum einen höhere Arbeitslosenquoten vorhanden sind und zum anderen auch Ältere deutlich häufiger als im Westen nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten suchen müssen. Dieser Konkurrenzdruck ist dabei nicht nur auf den ersten Arbeitsmarkt beschränkt. Ungeachtet der positiven sozialpsychologischen Effekte der staatlichen Maßnahmen, verfestigen geringe Übernahmequoten gefördert- befristeter Beschäftigung einen zweiten Arbeitsmarkt, auf dem weitere Konkurrenzsituationen zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern entstehen. Somit deuten sich im Osten spezifische Funkti-
138
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich
onsprobleme externer Arbeitsmärkte an, denn direkte Anschlussmöglichkeiten sind für viele Erwerbspersonen nicht gegeben. Letztendlich führen steigende Anteile atypischer Beschäftigungsverhältnisse, eine steigende Anzahl von Leistungserfahrungen und die Verfestigung eines zweiten Arbeitsmarktes zu stärkeren Diskontinuitäten beruflicher Verläufe. Die damit verbundenen Humankapitalverluste und Negativsignale auf potenzielle neue Arbeitgeber verstärken dabei – aus lebenslauftheoretischer Perspektive – die Ausgrenzungstendenzen dieser Arbeitnehmergruppen.
Anhang
139
Anhang Anhang 1: Entwicklung der Vertragsformen in Ost- und Westdeutschland18 Entwicklung der Vertragsformen in Westdeutschland 1991-2004 Normalarbeit (Angestellte, Arbeiter, Vollzeit, unbefristet) Anderere Formen abhängiger Vollzeitbeschäftigung (Beamte, Soldaten)
1991
1993
1995
1998
2000
2002
2004
57,46%
57,32%
56,13%
53,32%
52,17%
50,92%
48,75%
8,16%
7,90%
7,72%
7,33%
6,79%
6,44%
6,56%
Auszubildende
4,38%
4,11%
3,73%
3,74%
4,04%
4,64%
4,69%
befristete Beschäftigung ohne Leiharbeit
5,12%
4,80%
5,03%
5,57%
5,68%
5,40%
5,60%
Leiharbeit
0,36%
0,30%
0,43%
0,70%
0,96%
0,82%
1,01%
Teilzeit ohne geringfügige Beschäftigung Geringfügige Beschäftigung Selbständige und mithelfende Familienangehörige Gesamt
10,08% 3,65%
11,23% 3,53%
11,87% 3,75%
11,00% 6,68%
11,72% 7,33%
11,83% 8,38%
12,34% 8,82%
10,80% 10,81% 11,33% 11,67% 11,31% 11,57% 12,23% 100,00% 100,00% 100,00% 100,00% 100,00% 100,00% 100,00%
Entwicklung der Vertragsformen in Ostdeutschland 1991-2004 1991 1993 1995 1998 2000 Normalarbeit (Angestellte, Arbeiter, Vollzeit, unbefristet) 72,01% 67,82% 63,04% 59,52% 57,94% Anderere Formen abhängiger Vollzeitbeschäftigung (Beamte, Soldaten) 1,16% 1,99% 2,76% 3,94% 4,22%
2002
2004
56,46%
52,89%
4,45%
5,01%
Auszubildende
3,39%
5,27%
5,01%
6,54%
6,25%
6,84%
6,70%
befristete Beschäftigung ohne Leiharbeit
10,36%
10,49%
11,23%
10,09%
10,64%
9,51%
9,21%
0,12%
0,37%
0,60%
0,76%
0,62%
0,77%
Leiharbeit Teilzeit ohne geringfügige Beschäftigung
7,45%
7,12%
9,19%
7,81%
8,25%
9,82%
10,11%
Geringfügige Beschäftigung Selbständige und mithelfende Familienangehörige Gesamt
1,07%
0,53%
0,97%
2,93%
3,29%
3,19%
4,81%
8,57% 8,66% 9,10% 10,50% 4,56% 6,65% 7,44% 100,00% 100,00% 100,00% 100,00% 100,00% 100,00% 100,00% Quellen: Statistisches Bundesamt: Fachserie 1. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Reihe 4.1.1 Stand und Entwicklung der Erwerbstätigkeit. Ergebnisse des Mikrozensus. Zudem für Geringfügige Beschäftigung: Statistisches Bundesamt Bonn. Referat IX B2 und für Leiharbeit: Bundesanstalt für Arbeit, Landesarbeitsamt Nord, Referat Information, Controlling und Forschung.
18
Anmerkungen: (1) Aufgrund von Rundungen ergeben sich in Einzelfällen geringe Abweichungen bei der Gesamtsumme. (2) Sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer im Wirtschaftszweig Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeit): 1985 bis 1997 Wirtschaftszweig 865 nach WS 73; ab 1998 Wirtschaftszweig 745 nach WS 93. (3) Für Ostdeutschland wurde die Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeit) erst ab 1993 erhoben. (4) 1996 veränderte Leitfragen im Mikrozensus, woraus ein überzeichneter Anteilsrückgang des Normalarbeitsverhältnisses resultiert – siehe dazu Hoffmann, Walwei (1998).
140 Anhang 2:
IV Beschäftigungsstabilität im Ost-West-Vergleich Überlebensraten neubegonnener & bestehender Beschäftigungsverhältnisse nach vier Jahren Bestehende Neubegonnene Neubegonnene Bestehende Beschäftigungs- Beschäftigungs- Beschäftigungs- Beschäftigungsverhältnisse 1993 verhältnisse 1997 verhältnisse 1993 verhältnisse 1997
Westdeutschland - Gesamt
23,47%
22,08%
52,59%
52,62%
- Unter 35 Jahre
21,47%
19,04%
48,13%
46,10%
- 35-49 Jahre
28,75%
28,15%
63,79%
63,05%
- 50 Jahre und älter
23,00%
23,14%
42,73%
44,53%
Altersgruppen
Qualifikationsgruppen - Ohne Ausbildung
15,42%
14,36%
49,34%
51,49%
- Mit Berufsausbildung
27,49%
26,02%
54,73%
54,51%
- Mit Hochschulabschluss
29,18%
30,38%
49,80%
50,06%
Ostdeutschland - Gesamt
22,79%
18,21%
38,99%
45,42%
- Unter 35 Jahre
21,55%
17,04%
37,43%
41,59%
- 35-49 Jahre
26,18%
21,02%
44,21%
53,11%
- 50 Jahre und älter
19,14%
14,65%
32,16%
35,06%
Altersgruppen
Qualifikationsgruppen - Ohne Ausbildung
13,42%
9,60%
29,57%
34,88%
- Mit Berufsausbildung
23,47%
19,17%
39,84%
46,24%
- Mit Hochschulabschluss
34,08%
32,26%
42,14%
52,93%
Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001; eigene Berechnungen
Anhang
141
Anhang 3: Übergänge neubegonnener Beschäftigungsverhältnisse Untersuchungsgruppe: alle Aussteiger Betriebseintritt
Westdeutschland 1993 1997
Ostdeutschland 1993 1997
Anteil der Aussteiger der nächsten 4 Jahre
74,53%
77,92%
. Direkte Betriebswechsel
38,88%
41,27%
42,79%
31,63%
. Übergänge in Arbeitslosigkeit
29,17%
29,31%
40,89%
52,16%
. Übergänge in Sozialversicherungslücken
31,95%
29,42%
16,33%
16,22%
Untersuchungsgruppe: Aussteiger ohne Berufsausbildung Betriebseintritt
Westdeutschland 1993
1997
1993
1997
Anteil der Aussteiger der nächsten 4 Jahre
84,58%
85,64%
86,58%
90,40%
. Direkte Betriebswechsel
27,81%
29,03%
31,70%
25,37%
. Übergänge in Arbeitslosigkeit
34,29%
30,29%
46,06%
48,03%
. Übergänge in Sozialversicherungslücken
37,89%
40,67%
22,24%
26,60%
Untersuchungsgruppe: Aussteiger mit Berufsausbildung Betriebseintritt
Westdeutschland 1993
1997
1993
1997
Anteil der Aussteiger der nächsten 4 Jahre
72,51%
73,98%
74,53%
80,83%
. Direkte Betriebswechsel
42,97%
45,99%
42,77%
31,38%
. Übergänge in Arbeitslosigkeit
28,14%
30,00%
41,93%
54,31%
. Übergänge in Sozialversicherungslücken
28,89%
24,01%
15,30%
14,30%
Untersuchungsgruppe: Aussteiger mit Hochschulabschluss Betriebseintritt
Westdeutschland 1993
1997
1993
1997
Anteil der Aussteiger der nächsten 4 Jahre
70,82%
69,62%
65,92%
67,74%
. Direkte Betriebswechsel
52,30%
63,63%
54,12%
52,25%
. Übergänge in Arbeitslosigkeit
18,45%
15,93%
30,81%
34,59%
. Übergänge in Sozialversicherungslücken
29,25%
20,44%
15,07%
13,15%
77,81%
81,79%
Übergänge der Aussteiger der nächsten 4 Jahre:
Ostdeutschland
Übergänge der Aussteiger der nächsten 4 Jahre:
Ostdeutschland
Übergänge der Aussteiger der nächsten 4 Jahre:
Ostdeutschland
Übergänge der Aussteiger der nächsten 4 Jahre:
Quelle: IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-2001, eigene Berechnungen
V „Vordringlichkeit des Befristeten“? Zur Theorie und Empirie offener Beschäftigungssysteme Tim Schröder – Olaf Struck – Carola Wlodarski
1. Einleitung Die gegenwärtige Gesellschaftstheorie diagnostiziert einen Wandel der Zeitstrukturen und -horizonte, der in Form einer zunehmenden „Knappheit der Zeit“ zum Ausdruck komme (Luhmann 1971). Insbesondere seit den 1970er Jahren habe etwa das „Kontinuitätsbewusstsein“ im Wirtschaftssystem der Wahrnehmung von Turbulenzen, Diskontinuitäten und Unsicherheit Platz gemacht (Brose u.a. 1993: 37f.). In betrieblichen Organisationen führe die zunehmende Umweltinterdependenz zu einer Beschleunigung der Ereignisse, etwa der Einführung neuer Produkte in den Markt. Dies erzwinge geradezu imperativisch die flexible Planung der Arbeitsorganisation anhand von Terminen und entsprechend „fristbedingten Vordringlichkeiten“ (Luhmann 1971; siehe auch Rosa 2005). Im Zuge dieser Entwicklung komme es zu einer Abkehr des Arbeitszeitregimes von dauerhaften Beschäftigungsgarantien und einer damit einhergehenden Zunahme zeitlicher Befristung. Derart „atypische“ Beschäftigung wird vor allem im Zusammenhang mit der Frage nach einem (neuen) „Prekariat“ (Dörre 2005a) diskutiert und in ihrer Extremform mit dem Bild des „Jobnomaden“ (Garhammer 2001) verknüpft. Zu Recht wird dabei die Frage ungleich verteilter Lebenschancen soziologisch aufgearbeitet. Um dies leisten zu können ist es aber unumgänglich, zunächst Probleme der empirischen Abgrenzung und der theoretischen Erklärung atypischer Beschäftigung zu bearbeiten. Der folgende Aufsatz setzt sich demgemäß zwei Ziele. Erstens wird empirisch auf eine wesentliche Dimension von Atypizität fokussiert: die Instabilität betrieblicher Beschäftigungsbeziehungen. Während sich unsere bisherigen Arbeiten auf die Analyse langfristiger Beschäftigung und damit auf die Figur des „Normalarbeitsverhältnisses“ konzentrierten (Kapitel II, III; Struck, Schröder 2006; Struck u.a. 2007), wird jetzt gefragt, wie im Kontrast dazu kurzfristige Beschäftigung zu erklären ist. Dies führt auf das zweite Ziel dieser Arbeit. Mit einer Anknüpfung der Empirie an den Ansatz betrieblicher Beschäftigungssysteme (Kapitel I, II) wird nach einer theoretischen Aufarbeitung gesucht, die die Leistungsfähigkeit von Theorien interner Arbeitsmärkte nutzt und deren Erklärungsmöglichkeiten zugleich für kurzfristige Beschäftigung erweitert.
144
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Die Anbindung an die Analyseeinheit des Betriebes ermöglicht eine klare thematische Verortung. Die betriebliche Organisation ist der Ort, an dem in hohem Maße soziale (Un-)Sicherheit über die (In-)Stabilität von Beschäftigung generiert wird. Dabei steht die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes im Vordergrund, da die betrieblichen Strukturen zu einem Großteil Ergebnis unternehmerischer Entscheidungen sind (Sesselmeier 2007; Nienhüser 2007). Klar ist aber auch, dass ein Betrieb keine formal-rationalistische, sondern einer problematische Veranstaltung ist (Luhmann 2000). In Bezug auf personalpolitische Entscheidungen geht es konkret um das „Problem des Verhältnisses von Arbeitsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit zu den gestellten Aufgaben und zu der Verortung im System“ (ebd.: 281). Wir beginnen mit einer Erörterung des Ansatzes betrieblicher Beschäftigungssysteme1 (2) und der sich hieraus ergebenden personalpolitischen Bezugsprobleme (3), wobei wir den Fokus auf die Erklärung der Funktionsweise und Struktur offener Beschäftigungssysteme mit kurzfristigen Beschäftigungsbeziehungen richten. Grundlage des empirischen Teils der Untersuchung ist die zweite Welle des SFB580-B2-Betriebspanels aus dem Jahre 2004 (4). Die bivariate Deskription einiger empirischer Indikatoren liefert erste Hinweise zum betrieblichen Einsatz instabiler Beschäftigung (5). Nach Vorstellung der Tobit- und GLM-Modellierung, die der multivariaten Analyse zugrunde liegt (6), werden schließlich die betrieblichen Determinanten instabiler Beschäftigung multivariat untersucht und anhand des theoretischen Ansatzes betrieblicher Beschäftigungssysteme erklärt (7). In einem Fazit werden zentrale Ergebnisse zusammengefasst (8). 2. Zur Theorie betrieblicher Beschäftigungssysteme Mittlerweile unstrittig ist, dass es im Verlauf der 1990er Jahre zu einer Destabilisierung betrieblicher Beschäftigung gekommen ist (Kapitel II-IV). Offen bleibt dabei, ob man es hier mit „Entgrenzung“ (Kratzer 2001) oder „normalem“ Strukturwandel zu tun hat. Dieser ist – nachdem lange Zeit im Bett des rheinischen Kapitalismus der „Traum immerwährender Prosperität“ (Lutz 1984) geträumt wurde – immer mit einer Zunahme, nicht aber mit einer „Generalisierung von Unsicherheit“ (Dörre 2005a) verbunden. Konsens besteht darin, dass es sich, wenn überhaupt, um „begrenzte Entgrenzungen“ (Minssen 2000) oder „Grenzverschiebungen“ (Brinkmann u.a. 2006) handelt. 1
Genau genommen handelt es sich dabei um betriebliche Teilsysteme, also Beschäftigungssubsysteme (Kap. II). Der Einfachheit halber belassen wir es beim Terminus „Beschäftigungssysteme“.
2. Zur Theorie betrieblicher Beschäftigungssysteme
145
Das theoretische Dilemma in der Erklärung dieses Phänomens ist nun, dass gerade die Soziologie einer langen Tradition der Beobachtung von (Sozial-) Strukturen, Grenzen (Mobilitätsgrenzen) und Differenzen (Geschlechterdifferenzen) folgt. Dieser Tradition wurde auf dem Gebiet der Arbeitsmarktforschung vor allem mit dem institutionalistischen Segmentationsansatz genüge getan. Wenn es nun also zu Grenzverschiebungen kommt, dann in Richtung auf „Vermarktlichung“ (Sauer, Döhl 1997). Eine konsequente Haltung angesichts der Vermarktlichungsthese wäre es nun, zu neoklassischen Erklärungsmodellen zurückzukehren.2 Diesen Schritt scheint weder die (neo-) institutionalistisch-ökonomische und schon gar nicht die soziologische Arbeitsmarktforschung gehen zu wollen. Am Ende wird ein theoretisches Defizit konstatiert (Keller, Seifert 2007). Es ist Ziel dieser Arbeit, eine Untersuchung der Determinanten instabiler Beschäftigung auf der Ebene des Betriebes vorzunehmen, ohne in das skizzierte Dilemma zu gelangen. Es werden die bisherigen Erklärungsansätze instabiler Beschäftigung genutzt und empirisch geprüft, an welcher Stelle sie wirksam sind und wo nicht. Um der Gefahr von ad-hoc-Interpretationen zu entgehen, empfiehlt es sich, einen integrativen Bezugsrahmen zu entwickeln. Wir nutzen hierzu das Konzept betrieblicher Beschäftigungssysteme. Es entstammt der neoinstitutionalistischen Arbeitsmarktforschung sowohl (personal)ökonomischer (Hardes 1989; Alewell 1993; Wimmer, Neuberger 1998; Marsden 1999; Wächter 2002) als auch soziologischer (Baron u.a. 2001) Provenienz und findet auch (kritische) Anwendung im Bereich flexibler Beschäftigungsformen (Haunschild 2002, 2004). Die hier bevorzugte Variante steht in kritischer Nähe zur Tradition der Segmentationstheorie. Diese eignet sich, trotz ihrer scheinbaren Schwäche in Bezug auf externe Märkte, in modifizierter Form als Ausgangspunkt der Erklärung instabiler Beschäftigung (Kapitel I, II). Dazu bedarf es jedoch einiger Umformulierungen und Erweiterungen, vor allem um organisations- und transaktionskostentheoretische Überlegungen. Die Untersuchungseinheit des Ansatzes betrieblicher Beschäftigungssysteme ist der Betrieb als Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. In der modernen Wirtschaft nimmt die Güterproduktion die Form der betrieblichen Organisation an, sodass die Arbeitsteilung zu einem Großteil inner-, statt zwischenbetrieblich organisiert ist (Chandler 1992). Ein Marsbewohner, so formuliert es Herbert Simon (1991: 27), der den irdischen Arbeitsmarkt beobachtete, müsse ihn als „Organisationsökonomie“ beschreiben. Sowohl Menge als auch Preis des „Gutes“ Arbeit sind in hohem Maße durch innerbetriebliche Entscheidungsprozesse bestimmt. 2
So bemerkt Sørensen (1983: 211), die Existenz von Barrieren allein rechtfertige noch keine Kritik an der Neoklassik, wenn davon auszugehen ist, dass innerhalb eines Segmentes Marktallokation stattfindet.
146
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
In der Segmentationstheorie ist die Kategorie „Betrieb“ jedoch ambivalent besetzt. Einerseits geraten betriebliche Strukturen mit dem Begriff des „betrieblichen Arbeitssystems“ in den Vordergrund (Lutz 1987). Auf der anderen Seite steht das vom Betrieb abstrahierende Konzept der Segmentation des Arbeitsmarktes in „Teilarbeitsmärkte“ (Sengenberger 1987). Die Arbeitsmarktstruktur kann dann in Bezug auf Betriebe nur in einer „spezifischen Form“, der „betriebszentrierten Arbeitsmarktsegmentation“ (Lutz 1987: 13), adäquat abgebildet und der Gegenpol der Betriebszentrierung nur negativ definiert werden: durch fehlende Betriebsbindung (ebd.: 1). Damit entsteht eine theoretische und empirische Leerstelle. Dies kommt im Begriff des „unstrukturierten Teilarbeitmarktes“ oder des „Jedermannarbeitsmarktes“ zum Ausdruck. Derartige „externe“ Märkte sind per Definition homogen gemäß den Annahmen der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie (Sengenberger 1987: 119ff). Der berufsfachliche externe Markt nimmt hierbei eine „Zwitterstellung“ ein. So stellt Sengenberger (1987: 181) fest, dass hier die ständige Gefahr der Internalisierung eigentlich überbetrieblich nutzbarer fachlicher Qualifikationen besteht und dass „Strukturprinzipien fachlicher Märkte auf die Gestaltung betriebsinterner Märkte ausstrahlen bzw. diese durchdringen“. Damit entstehe ein „Spannungsfeld“ der Öffnung oder Schließung des internen gegenüber dem externen Markt. Dieses Spannungsfeld allerdings lässt sich durchaus auch als theoretisches und empirisches Abgrenzungsproblem verstehen (Köhler u.a. 2004).3 Die Erklärungsprobleme gerade bei „Märkten“ mit hoher Beschäftigtenmobilität liegen darin bedingt, so Sørensen (1994: 504), dass „sociologists tended not to theorize, in a systematic manner, about the role of the firms in mediating the impact of segments, sectors, and classes on labor market outcomes”. Nimmt man die Fokussierung auf den Betrieb ernst, so lässt sich die „abstrakte Idee“ des Arbeitsmarktes übersetzen „into a set of concrete firms […] as the arena for the matching of people to jobs” (ebd.). Dies ist allerdings nicht so zu verstehen, dass (Teilarbeits-)Märkte in einem kategorischen Sinne eine Menge von Firmen umfassten. Die Theorie betrieblicher Beschäftigungssysteme beruht vielmehr auf der transaktionskostentheoretischen Grundunterscheidung von „Märkten“ und „Hierarchien“ (Coase 1937). Nur in Bezug hierauf bekommt die Unterscheidung von extern und intern einen handhabbaren Sinn: Märkte können als externe ökonomische Umwelt betrieblicher Organisationen gelten (Luhmann 3
So verortet die US-amerikanische Variante der Segmentationstheorie den fachlichen Arbeitsmarkt („craft market“) im internen Segment (Doeringer, Piore 1971), allerdings weniger durch die Anbindung an betriebliche Entscheidungen als auf der Grundlage von Gewerkschaftsbindung. Die empirische Varianz der Größe des internen Arbeitsmarktsegments – 81,4% bei Doeringer, Piore (1971), von 25%-56%, je nach Operationalisierung, bei Szydlik (1990) – verdeutlicht die Problematik. Zur Problematik der Kombination von beruflicher Fachausbildung und Merkmalen interner Märkte s.a. Haunschild (2002).
2. Zur Theorie betrieblicher Beschäftigungssysteme
147
1986). Genau genommen kann dann auch nicht mehr von „internen Arbeitsmärkten“ die Rede sein. Es kommt nur gelegentlich zur strikten Kopplung von Arbeitsmarkt und Organisation. Der Betrieb hat eine gegenüber der Umwelt eigenständige interne Struktur, d.h. die Relationierung der Elemente – seien es nun Personen, Stellen oder Kommunikationen – ist unter spezifische Bedingungen gestellt, die sich aus organisationsinternen Entscheidungsprämissen und -programmen ergeben (March, Simon 1976; Luhmann 2000). Die Fokussierung auf den Betrieb bedeutet freilich nicht, dass der Markt keine Rolle mehr spielte. „Externalitäten“ – die wirtschaftliche Lage auf dem Absatz- und Arbeitsmarkt, aber auch wirtschaftsexterne politische sowie rechtliche Rahmenbedingungen und nicht zuletzt der Haushaltskontext – bestimmen das betriebliche Handeln in starkem Maße. Aber es handelt sich hier eben um externe Bedingungen, die intern verarbeitet werden. Organisationen sind zunächst und zumeist lose mit ihrer unspezifizierten Umwelt gekoppelt. Zeitweilig aber greifen sie als Quasi-Akteure in einer strikten Kopplung ereignishaft hierauf zu und definieren so ihren Umweltbezug (Luhmann 2000). So werden Märkte spezifiziert, z.B. als Güter- oder Arbeitsmärkte. Auf dem Arbeitsmarkt unterscheiden Organisationen etwa Kategorien von Arbeitern. Wenn Führungskräfte gesucht werden, werden keine Hilfsarbeiter gesucht. Diese scheinbare Trivialität beruht auf sehr spezifischen Selektionen. So ergibt sich die Frage, ob zur Besetzung offener Führungspositionen überhaupt auf den externen Arbeitsmarkt zugegriffen wird. Wird hier ein interner Verarbeitungsmodus gewählt, spielt der Markt für Führungskräfte keine Rolle. Die innerbetriebliche vertikale Mobilität in Form von „Vakanzketten“ (White 1970; Thurow 1978) etwa führt dazu, dass erst am unteren Ende der Hierarchie, bei Hilfsarbeitern, auf den Markt zurückgegriffen wird. Der Umweltkontakt nimmt also, je nach Beschäftigungssystem, unterschiedliche Züge an. Dies impliziert, dass auch die Unsicherheit der Marktlage, ein für die Transaktionskostentheorie wichtiger Faktor der Herausbildung betrieblicher Organisationen mit Langzeitarbeitsverträgen, eben keine „objektive Eigenschaft von Märkten“ (Williamson 1975: 8), sondern reflexiv zu verstehen ist. Unsicher ist nicht die Umwelt, sondern unsicher ist sich der betriebliche Entscheider über zukünftige Umweltereignisse. Unsicherheit bedeutet genauer, dass eine betriebliche Organisation Nachfrageprobleme auf dem Produkt- oder Angebotsprobleme auf dem Arbeitsmarkt nicht unter ihrer Kontrolle sieht. Mit Williamson (ebd.) ist hier ein zeitlicher Verlauf der Internalisierung denkbar, der im Falle eines Erfolges zu einer Reduktion der Unsicherheit durch interne Kontrolle führt. Nur so, also im Ausgang von der Handlungsdynamik in Organisationen, erhält auch der Begriff des „Arbeitsmarktsegmentes“ seinen Sinn.
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V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Wir betrachten betriebliche Beschäftigungssysteme als Teilsysteme betrieblicher Organisationen, die unterschiedliche Arbeitsmarktsegmente als ihre Umwelt konstituieren und auf sie zurückzugreifen. Die Grenzen betrieblicher Beschäftigungssysteme werden über Mitgliedschaftsrollen definiert, welche die Mitglieder zunächst einmal auf die Ziele der Organisation verpflichten und sie damit (vorübergehend) dem Marktgeschehen entziehen. Eine wichtige Dimension der Mitgliedschaft, die nur bedingt Teil expliziter Verträge sein kann, ist die Dauer der Beschäftigungsbeziehung. Deren Ausprägung führt zur Öffnung oder Schließung gegenüber dem Markt. Diese Bestimmung des Verhältnisses von Markt und Organisation hat zur Folge, dass sowohl der interne als auch der externe Arbeitsmarkt des segmentationstheoretischen Verständnisses in betriebliche Strukturen zu übersetzen sind. Der Segmentationsansatz selbst hält hierfür bereits die grobe, aber nützliche Metapher einer Stamm- und Randbelegschaft bereit (Thompson 1967; Köhler, Grüner 1989; Cappelli, Neumark 2004). Dies erlaubt auch eine Reformulierung des Spannungsverhältnisses zwischen Teilarbeitmärkten. So identifiziert Behrens (1984) neben der externen, marxschen „Reservearmee“ der Arbeitslosen eine „Reservearmee im Betrieb“, die ein „sekundäres Machtgefälle“ (Offe, Hinrichs 1984) zwischen Beschäftigten zum Ausdruck bringe. In diesem Sinne ist auch für Williamson (1984) die Existenz einer Randbelegschaft, die Umweltereignisse kurzfristig kompensieren kann, mit einer Schließungsstrategie vereinbar, ja sogar als Teil einer solchen Strategie zu verstehen (siehe auch Garhammer 2001: 7). D.h. die Koexistenz von Unsicherheit und Externalisierung – Nienhüser (2004) stellt genau diesen Zusammenhang für die Bauwirtschaft fest – ist per se noch kein Argument gegen die Transaktionskostentheorie. Nur dann, wenn die Unsicherheit auch den betrieblichen Kern des betriebsspezifischen Humankapitals erfasst (Picot u.a. 1999), wäre eine Externalisierung „auf ganzer Linie“ zu erwarten, die den transaktionskostentheoretischen Annahmen zuwiderläuft. Dabei lässt sich die Stamm-Rand-Metapher weiter differenzieren. So unterscheiden Dostal u.a. (1998) gemäß dem Konzept des dreigeteilten Arbeitsmarktes eine betriebsspezifische von einer fachspezifischen Kernbelegschaft und diese wiederum von einer Randbelegschaft mit Jederpersonqualifikationen sowie von professionalisierten Freiberuflern. Vor allem werden in jüngster Zeit auch „neue Segmentationslinien für qualifizierte und hochqualifizierte Bedarfsbelegschaften“ ausgemacht, die „weit über die klassischen Problemgruppen des Arbeitsmarktes hinausreichen“ (Köhler u.a. 2004: 52; siehe auch Haunschild 2002; Oschmianski, Oschmianski 2003; Vogel 2003). Das Konzept betrieblicher Beschäftigungssysteme versucht in diesem Sinne gegenüber dem mittlerweile „klassischen“ Segmentationsansatz tiefenschärfere Differenzierungen zu entwickeln und damit der zentralen Rolle des Betriebes als
2. Zur Theorie betrieblicher Beschäftigungssysteme
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„Matchingarena“ Rechnung zu tragen (Kapitel II). An die Stelle der Unterscheidung externer und interner Arbeitsmärkte treten unterschiedliche Grade der Schließung bzw. Öffnung betrieblicher – und damit per Definition interner – Beschäftigungssysteme zur marktförmigen Umwelt. Typologisch unterscheiden wir analog zu Kapitel II Beschäftigungssysteme mit langfristiger Beschäftigung (geschlossene Systeme) von solchen mit zeitlich begrenzter Beschäftigung (halboffene und offene Systeme). Halboffene Beschäftigungssysteme werden durch mittelfristige Beschäftigungsdauern4, offene durch kurzfristige Dauern und eine entsprechend hohe Fluktuation definiert. Die Analyse offener Beschäftigungssysteme hat all diese Typen zu berücksichtigen, da sich erstens Offenheit und Geschlossenheit in Relation zueinander definieren und da zweitens Elemente der Öffnung auch im Bereich geschlossener Systeme identifiziert werden können. Die Verwendung der Unterscheidung von Schließung und Öffnung enthält vor allem eine dynamische und handlungstheoretische Komponente. Der Transaktionskostentheorie ist es zu verdanken, dass der Segmentationsansatz, dem bereits vom Namen her eine statisch-strukturalistische Note anheftet, eine derartige Fundierung bekommt. Die transaktionskostentheoretische Unterscheidung von „ex ante“ und „ex post“ versteht den Begriff der „Grenze“ und damit die Unterscheidung von intern und extern in einem derart temporalen Sinne.5 Mit dem Übertritt der betrieblichen Grenze findet eine „fundamentale Transformation“ statt (Williamson 1975), die zu einer Betonung der ex post-Dimension führt. Durch die Übertragung von Verfügungsrechten mit dem Eintritt eines Arbeitnehmers in den Betrieb erhält der Nachfrager die Kontrolle über ehemals externe, also nicht kontrollierbare Kosten und trägt im Gegenzug das unternehmerische Risiko (Simon 1957a). Es bedarf dann der Organisation und Kontrolle des Arbeitseinsatzes durch einen Führungsstab personalpolitischer, strategischer Entscheider (Weber 1921; Williamson 1975; March, Simon 1976). Durch die Mitgliedschaft wird der Arbeitnehmer gegenüber der „labor force“ auf dem externen Arbeitsmarkt spezifiziert. Allein durch diesen „first mover advantage“ (Williamson 1975: 28, 57) erhält er den Status eines „insiders“ (Lindbeck, Snower 1988). Nur gelegentlich kommt es zu einer Bindung betrieblicher Ent4 5
Halboffene Systeme wurden an anderer Stelle differenzierter erfasst als a) berufsfachliche, b) tätigkeitsbasierte betriebliche Beschäftigungssysteme sowie c) Ausbildungssysteme (Struck 2006b). Da sich auch Williamson (1975: 57ff) an die segmentationstheoretische Unterscheidung von internen strukturierten und externen unstrukturierten Märkten anlehnt, bleibt allerdings auch die Transaktionskostentheorie am Ende ambivalent gegenüber der Unterscheidung von Märkten und Hierarchien bzw. gegenüber einer konsequenten Anbindung an die Organisationstheorie (Simon 1991; Chandler 1992). Dazu passt, dass Williamson (1975: 58) auch in Bezug auf Arbeitsvertragsformen keine klaren Grenzen zieht und die „Autoritätsbeziehung“ als Mischung aus Markt und Hierarchie betrachtet.
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V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
scheidungen an die marktförmige Umwelt und damit zu der Frage „make or buy“, ebenso wie über die Mitgliedschaft des Arbeitsanbieters nicht ständig neu entschieden wird. So kann der „Betrieb“ als Abfolge endogener Handlungen verstanden werden, unter Verwendung organisationsspezifischer Codes (Williamson 1975: 25). Dies entspricht nichts anderem als einem Schließungsprozess, welcher der begrenzten Rationalität betrieblicher Akteure angesichts einer unüberschaubaren Vielzahl möglicher Zweck-Mittel-Entscheidungen und deren möglicher Folgen Rechnung trägt und somit Unsicherheit reduziert.6 Einerseits wird ein stabiles Umweltverhältnis durch eine derartige Schließung überhaupt erst ermöglicht, andererseits ist sie Voraussetzung dafür, dass das System-UmweltVerhältnis zum Problem wird. Organisationsbildung ist denn auch nicht unproblematisch, sondern eine Form der Endogenisierung von Problemen. Schließung, mit anderen Worten, ermöglicht es, „Instabilitäten der Umwelt durch Instabilitäten des eigenen Systems zu kontrollieren“ (Luhmann 1986: 28). Es kommt dabei innerbetrieblich auf ein ausreichendes, nicht übergebührliches Maß notwendiger Öffnung an. Nur eine solch „dynamische Stabilität“ ermöglicht den Fortbestand der betrieblichen Organisation. Anders als es der Begriff der „Entgrenzung“ streng genommen impliziert, führt Öffnung nicht zur Auflösung betrieblicher Grenzen, sondern zu einer Zunahme von Grenzprozessen. In diese Überlegungen ist auch der zumeist typologisch verwendete Flexibilitätsbegriff einzubeziehen, der oftmals zur Erklärung atypischer oder instabiler Beschäftigung herangezogen (Atkinson 1985; Keller, Seifert 2006a) und zumeist durch die Unterscheidung von interner und externer Flexibilität spezifiziert wird (Dragendorf, Heering 1987; Sengenberger 1990; Hohendanner, Bellmann 2006). Diese Unterscheidung ist aber gemäß der zuvor angeführten Reformulierungen in die Differenz von Öffnung und Schließung zu überführen. Personalflexibilität betrifft das Verhältnis der Organisation zu ihrer Umwelt: die Möglichkeit, eintretende Umweltereignisse intern angemessen bearbeiten zu können. Aus dem internen Bearbeitungsmodus erst ergibt sich der Grad der Öffnung bzw. Schließung zu Märkten. Hiermit wird das scheinbare Paradox bearbeitbar, dass „externe Flexibilität“ ein Merkmal von Inflexibilität sein kann. So kann sich die Notwendigkeit eines Autozulieferers, flexibel zu sein, erst durch dessen starre Anbindung an einen Automobilkonzern ergeben. Eine weitere Differenzierung des Flexibilitätsbegriffs erfolgt gemeinhin durch die Unterscheidung von numerischer, funktionaler, temporaler und monetärer Flexibilität (Keller, Seifert 2006a). Unspezifiziert ist dabei, welchem gemeinsamen Bezugspunkt hier gefolgt wird, sodass es zumeist bei dieser theoretisch nicht fundierten, disparaten 6
Williamson (1975: 9) findet eine schöne Umschreibung für den Gewinn von Freiheitsgraden durch Schließung: „rather than attempt to anticipate all possible contingencies from the outset, the future is permitted to unfold“.
3. Bezugsprobleme betrieblicher Beschäftigungssysteme
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Aufzählung bleibt. Wir plädieren deshalb dafür, den Flexibilitätsbegriff in die Theorie betrieblicher Beschäftigungssysteme und die hierfür konstitutive Unterscheidung von Öffnung und Schließung zu integrieren und in Bezugsprobleme betrieblicher Personalpolitik zu übersetzen. Diese ergeben sich sowohl aus der Theoriediskussion als auch empirisch auf der Grundlage der qualitativen Befragung von Personalverantwortlichen (Kapitel II). 3. Bezugsprobleme betrieblicher Beschäftigungssysteme Gemäß der Unterscheidung von Betrieb und Umwelt müssen zunächst einmal die von Einzelbetrieben nicht zu kontrollierenden Umweltereignisse (Externalitäten) berücksichtigt werden, die potentiell auf Entscheidungen in den Betrieben wirken. Besondere Bedeutung ist dabei Nachfrageschocks auf dem Produktmarkt zuzumessen. Diese sollten, so die gängige Annahme, zu einer Öffnung der Betriebe zum Arbeitsmarkt führen (Pfeifer 2005; Hagen, Boockmann 2002; Nienhüser 2007). Zu fragen ist jedoch, ob Umwelteinflüsse quasi automatisch auf den gesamten Betrieb durchschlagen oder ob nicht unterschiedliche Betriebstypen bzw. bestimmte Beschäftigungssysteme innerhalb der Betriebe auf verschiedene Weise betroffen sind. Wir gehen davon aus, dass dies insbesondere auf den instabilen Grenzbereich zutrifft. Ebenso sollte auf dem Arbeitsmarkt eine große „Reservearmee“ der Arbeitslosen eher zu einer Polarisierung der betrieblichen Beschäftigungssysteme denn zu einer Öffnung auf ganzer Linie führen. Für Externalitäten auf Produkt- und Arbeitsmärkten gilt dabei eine besonders starke Elastizität in Bezug auf Öffnung und Schließung, wenn sie überhaupt als problematisch aufgefasst werden. Betriebe haben nun das funktionale Grundproblem der Schaffung eines günstigen Verhältnisses von Organisation und marktförmiger Umwelt zu bewältigen – und dies vor allem in der Zeitdimension (Lutz 1987: 20f). Die betrieblichen „Arbeitskräftestrategien“ (ebd.) zielen darauf, das für den dynamischen Produktionsprozess notwendige Personal erstens überhaupt verfügbar zu machen und zweitens dessen Arbeitskraft möglichst voll auszuschöpfen. Die funktionalen Bezugsprobleme betrieblicher Personalpolitik sind in diesem Sinne 1) das Verfügbarkeitsproblem und 2) das Leistungsbereitschaftsproblem. Dabei impliziert jedes Bezugsproblem wiederum zwei Teilprobleme: 7
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Für die Zwecke der quantiativen Datenanalyse werden die Teilprobleme der Bezugsprobleme leicht abweichend zu den Ausführungen in Kapitel II bestimmt und operationalisiert.
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V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Das Verfügbarkeitsproblem (1) Die Verfügbarkeitsdimension richtet sich auf die Allokation von Personen auf Stellen in einem quantitativen Sinne. Ganz gemäß der ökonomischen Produktionstheorie geht es um die Variation der Menge des Produktionsfaktors Arbeit, sowohl im Wortsinne der räumlichen Anordnung innerhalb des Betriebes als auch temporal im Zeitverlauf. In der Zeitdimension rückt zuerst das punktuelle Ereignis des Eintritts in die betriebliche Organisation in den Vordergrund. An dieser Stelle erhält der Arbeitsvertrag als eine im betrieblichen Kontext wirksame „zentrale ökonomische Institution“ eine herausragende Bedeutung (Parsons, Smelser 1956; Haunschild 2000). Arbeitsverträge definieren bereits ex ante und explizit die Mitgliedschaft in der Organisation. Sie sind zuallererst Lösungsstrategien des Verfügbarkeitsproblems in der Allokationsdimension, da etwa die Nutzung alternativer Vertragsformen zu unbefristeter Beschäftigung eine Personalstrategie des zeitlich bedarfsgerechten Rückgriffs auf den Markt darstellt.8 Die klassische Konstruktion der Tranksaktionskostentheorie begründet allerdings die Dominanz unbefristeter Verträge (Simon 1957a; Williamson 1975: Kap.4). Angesichts einer sich verändernden, nicht prognostizierbaren Umwelt und der Notwendigkeit eines daran ausgerichteten internen Strukturwandels sei es durchaus rational und effizient, nicht auf ex ante vollständig spezifizierte Arbeitsverträge („Kaufverträge“ auf „Spotmärkten“) zurückzugreifen bzw. Arbeitsverträge nicht bei jedem Umweltereignis neu zu verhandeln („recurrent spot contracts“). Vielmehr ermöglicht es die in einen organisationalen Kontext eingebettete „Autoritätsbeziehung“ Umweltkontingenzen über die potentielle interne Verfügbarkeit der Arbeitskraft zu bearbeiten, ohne Verträge aufzulösen und respezifizieren zu müssen. Dies entlastet den Betrieb von einer ständigen Neubestimmung seiner Grenzen. Gemäß dem deutschen Arbeitsrecht sind solche Autoritätsbeziehungen grundsätzlich unbefristete „Dauerschuldbeziehungen“. Neben dem unbefristeten Arbeitsvertrag geraten aber zunehmend auch Vertragsformen in den Blick, denen die Möglichkeit zugesprochen wird, die Vorteile von Kauf- und Arbeitsverträgen zu kombinieren. So besteht gemäß §14 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) die Möglichkeit der Befristung auf zwei Jahre, ohne die Angabe eines sachlichen Grundes, sowie einer längeren Befristung, wenn sachliche Gründe vorliegen. Dem Arbeitnehmer wird es so ermöglicht, die Vorteile der Autoritätsbeziehung zu nutzen und die Einstellungsentscheidung zugleich reversibel zu halten (Brose u.a. 1993: 37f). Dies erlaubt 8
Die Auswirkungen auf die ex-post-Leistungsbereitschaftsdimension entsprechen dabei zwar einem großen Teil der Transaktionskosten, sind aber als abgeleitete Bedingungen der primären Personalstrategie zu betrachten.
3. Bezugsprobleme betrieblicher Beschäftigungssysteme
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im Falle von Nachfrageschwankungen am Produktmarkt einerseits die Anpassung des Arbeitsvolumens über den Marktaustausch. Die Reagibilität allerdings ist dabei durch den ex ante fixierten Befristungszeitraum eingeschränkt (Boockmann, Steffes 2006). Auf der anderen Seite gilt Befristung als Screening- und Selektionsmöglichkeit in Form einer verlängerten Probezeit gerade für Tätigkeiten mit hohen und spezifischen Qualifikationsanforderungen, die mit langfristigen Beschäftigungsperspektiven verbunden sind (Dragendorf, Heering 1987: 138ff; Schäfer 2001; Hagen, Boockmann 2002). In diesem Sinne ist Befristung zumeist mit der angebotsseitigen Erwartung verbunden, von offenen in die geschlossenen betrieblichen Beschäftigungssysteme vorzudringen. Dies wirkt bindend und disziplinierend zugleich, sofern die Übernahme in unbefristete Beschäftigung in Aussicht gestellt wird – ein „hold up“ von Seiten der Arbeitsnachfrage. Selbst die einseitige Aneignung nicht marktgängigen spezifischen Humankapitals wäre im Sinne einer Investition in die Zukunft auch in dieser Vertragskonstellation denkbar. Faktisch könnten befristete Verträge damit durchaus überproportional häufig in geschlossenen betrieblichen Beschäftigungssystemen anzutreffen sein, so unsere Annahme. Den Gegenpol zum unbefristeten Arbeitsvertrag aber bildet der Kaufvertrag. Im Bereich des Arbeitsmarktes allerdings enthalten auch Kaufverträge immer Elemente von Arbeitsverträgen (Williamson 1975: Kap.4). Hier treten sie erstens in Form der Subkontraktierung mit anderen betrieblichen Organisationen auf. Eine Variante hiervon ist der Vertragsabschluss über das Arbeitsprodukt eines Alleinselbständigen oder „Freien Mitarbeiters“. Das Schlagwort des „Arbeitskraftunternehmers“ (Voß, Pongratz 1998) trifft wohl ganz besonders auf diese Beschäftigungsform zu. Es handelt sich hier am ehesten um einen echten expliziten „Spotvertrag“ in Form eines beiderseitigen Austauschverhältnisses (Martin 2002). Ein Freier Mitarbeiter gibt keine Verfügungsrechte über seine Arbeitsleistung ab, sondern handelt einen Kaufvertrag über ein genau spezifiziertes Arbeitsprodukt aus und ist damit in eigener Sache unternehmerisch tätig. Der Arbeitseinsatz selbst und damit ein gewisses Direktionsrecht können von Seiten der Nachfrage auch ex post, allerdings oft nur durch aufwendige Nachverhandlungen („recurrent spot“ nach Williamson 1975) ausgeübt werden, wie etwa bei Dozenten in der Weiterbildung oder freien Journalisten. Zudem sind freie Mitarbeiter oftmals durch wiederholte Aufträge an ein oder verschiedene Unternehmen gebunden. Unter bestimmten Voraussetzungen gilt ein freier Mitarbeiter dann auch als „arbeitnehmerähnliche Person“ (TVG §12a), im Jargon der Medienbranche als „fester Freier“, und genießt tarifvertragliche Schutzrechte, nicht aber Kündigungsschutz. Aufgrund der jederzeitigen Möglichkeit der angebotsseitigen Bindungslösung nach Vertragserfüllung bedarf es einer hohen Verfügbarkeit der eher allgemeinen und hohen Qualifikationen auf dem Ar-
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beitsmarkt. Ex-post-Kontrollprobleme bestehen in der Regel nicht, da die Werkvertragsnehmer prinzipiell substituierbar sind und ihre Qualifikationen anhand der Qualität der im Ergebnis gut zu kontrollierenden Werke selbst signalisieren. Eine weitere Form des Kaufvertrages schließlich besteht in der Möglichkeit des Zukaufs von Arbeitsleistungen von Leiharbeitnehmern. Die im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) regulierte Beschäftigungsform der Leiharbeit impliziert ein „Dreiecksverhältnis“ zwischen Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer (Bothfeld, Kaiser 2003; Alewell u.a. 2004). Der zwischen Verleiher und Entleiher abgeschlossene Vertrag erlaubt eine jederzeitige „Freisetzung“ des Leiharbeiters aus dem Entleihbetrieb, wie es das Synonym „Zeitarbeit“ auf den Punkt bringt. Anders als freie Mitarbeit impliziert Leiharbeit dabei ein explizites Weisungsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeiter und deshalb eine flexible Verfügbarkeit in Bezug auf jeweils anfallende Arbeitsaufgaben (Martin 2002). Leiharbeiter sind damit unter ähnlichen Bedingungen wie unbefristet Beschäftigte einsetzbar, ohne vertraglich in den Betrieb integriert zu sein. In Bezug auf die o.g. Vertragsformen ist hier nur eins von Interesse: die Dimension der Beschäftigungsperspektiven. Ad hoc kann ein Arbeitsvertrag deshalb als ex ante-atypisch in unserem Sinne bezeichnet werden, wenn dessen rechtliche Ausgestaltung bereits die Möglichkeit einer instantanen Freisetzung und damit kurzfristigen Perspektive einräumt. Dies betrifft befristete Beschäftigung, Freie Mitarbeit sowie Leiharbeit. Erst sekundär sind dann Sonderfälle einzubeziehen, wie etwa die Variation der Wochenarbeitszeit (also Teilzeitbeschäftigung und Minijobs) sowie die Möglichkeit der staatlich geförderten Beschäftigung. Insgesamt gilt: Es ist am Ende die Art des ex post-Einsatzes, die über das Ausmaß der Integration der Person in die Organisation bestimmt, nicht die Vertragsform als solche. Auch unbefristet im Betrieb sozialversicherungspflichtig Beschäftigte können eine hohe Mobilität aufweisen. Neben den vertraglichen Möglichkeiten spielt deshalb auch die faktische Mobilität in Form von Ein- und Ausstellungen eine Rolle in der Ausgestaltung von Beschäftigungssystemen. Die Personalfluktuation gilt zumeist als klassisches Maß extern numerischer Flexibilität im Sinne einer quantitativen Anpassung des Personals bei Nachfrageschwankungen auf dem Produktmarkt (Bellmann u.a. 1996). Eine weit reichende Literatur befasst sich aber auch mit den Kosten, die durch dysfunktionalen Personalumschlag (u.a. Mismatching) entstehen – sowohl für Beschäftiger als auch Beschäftigte (Slichter 1920; Cappelli, Neumark 2004). Die Analyse von Beschäftigungsinstabilität hat zunächst einmal zu klären, an welcher Stelle in der Betriebsstruktur Personalbewegungen verstärkt auftreten. Zwar kann sich die Personalfluktuation negativ auf die Stabilität des Stellengefüges auswirken (Gerlach u.a. 2001), sie führt aber nicht per se zu
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offenen Beschäftigungssystemen, etwa wenn die Neueinstellungen langfristige Perspektiven aufweisen und die Abgänge zugleich in geschlossenen Bereichen stattfinden (bspw. Rentenabgänge). Eng an die Vertragsdimension geknüpft und wie diese in den Erklärungsrahmen der Theorie betrieblicher Beschäftigungssysteme integrierbar ist auch die vor allem im Bereich offener betrieblicher Beschäftigungssysteme zu verortende Matchingtheorie. Wir fassen darunter die Suchtheorie im weitesten Sinne sowie den Turnoverkostenansatz (Slichter 1920, Stigler 1962; Stiglitz 1974; Jovanovich 1979; Mortensen 1988). Es geht hier um das Verhältnis der ex-ante-Mitgliedschaftsentscheidung zur ex-post-Mitgliedschaftsmotivation (March, Simon 1976), sowohl von Angebots- als auch Nachfrageseite. Vorausgesetzt ist hierbei ein nicht-makroökonomischer (Mis-)Matching-Begriff, der also nicht auf die Diskrepanz offener Stellen und Arbeit suchender Personen und damit auf das „ex ante“ von Beschäftigungsbeziehungen verweist. Vielmehr geht es um den Einbezug der Beschäftigungsdauer als deren Qualitätsmerkmal, um so genanntes „Long-term Matching“ (Entorf 2000), das diesseits betrieblicher Grenzen, jedoch in der (temporalen) Nähe zum externen Arbeitsmarkt zu verorten ist. Empirisch ist vor allem hier eine hohe Mobilität zu beobachten. Die Entscheidung der Kündigung bzw. Entlassung ist kurze Zeit (wenige Monate) nach dem Eintritt in den Betrieb am wahrscheinlichsten (Bellmann, Bender 1997; Boockmann, Steffes 2006; Struck 2006b). Hier findet, gerade bei rigiden institutionellen Kündigungsschutzregeln, ein Selektionsprozess statt, der die Belegschaftsstrukturen in hohem Maße bestimmt (Windolf, Hohn 1984; Sengenberger 1990). Die Matchingtheorie führt den „ex post“-Mismatch auf Informationsdefizite der Nachfrageseite über die faktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten zurück. Es ist im Interesse betrieblicher Entscheider, Mismatchprozesse möglichst zu vermeiden, da sie mit hohen Kosten der Personalfluktuation verbunden sind (Slichter 1920). Neben den Kosten der Anwerbung, der Beurteilung und des Vertragsabschlusses als solchem entstehen Kosten der Entscheidung unter Unsicherheit. Selbst bei höchster Effizienz des „Screening“ und trotz der Informationsmöglichkeit über generalisierte „Signale“ – wie fachliche Zertifikate, die dem Beschäftiger die vergangene Investitionsbereitschaft des potentiellen Beschäftigten zur zukünftigen Erwirtschaftung hoher Erträge und damit dessen Produktivität signalisieren (Spence 1973; Roth 2001) –, bleibt die konkrete Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Person unbekannt (Luhmann 2000: 290). Das gilt insbesondere für jüngere Erwerbspersonen ohne Berufserfahrung und entsprechende Qualifikations- und Leistungsnachweise. Das Unsicherheitsproblem in Bezug auf Leistungsfähigkeit nimmt auch mit der Bedeutung nicht-zertifizierbarer Qualifikationen (Alewell 1993: 113f; Sesselmeier 2007) zu. Um Probleme der Bindung und Produktivität
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des Personals in Bezug auf die Quantität der Arbeitszeit (in Hinsicht auf Beschäftigungsausfälle oder die betriebliche Beschäftigungsdauer insgesamt) lösen zu können, werden neben fachlichen Signalen auch askriptive Merkmale oder „Indices“ (Spence 1973), wie das Geschlecht, als Informationskriterien genutzt. Dies führt z.B. dazu, dass Frauen entweder gar nicht oder nur befristet eingestellt werden, da Betriebe einen Produktivitätsverlust aufgrund familiärer Interessen (Schwangerschaftszeiten) befürchten und Frauen somit rein aufgrund statistischer Wahrscheinlichkeiten diskriminieren (Phelps 1972). Auch auf der Arbeitsangebotsseite wird von einem Informationsdefizit über die faktischen betrieblichen Arbeitsbedingungen beim Eintritt junger Bildungsabsolventen in den Arbeitsmarkt ausgegangen, sodass erst nach mehrmaligem Betriebswechsel in der Art eines „Job-Shopping“ (Johnson 1978) ein qualitativ hinreichendes Matching gegeben ist. Neben diesen eher temporalen Aspekten der Allokation ist die Betriebsstruktur in Bezug auf (sozial-)räumliche Kategorien zu berücksichtigen. Der generellste Indikator für die Größe des betrieblichen Allokationsraumes ist die Größe des Betriebes selbst. Der geringe Spielraum in Kleinbetrieben forciert die überbetriebliche Mobilität, so die gängige Annahme (Sengenberger 1987; Blossfeld, Mayer 1988; Szydlik 1990; Schasse 1991). Eine Form der Größenveränderung ist Externalisierung in Form von Auslagerung ganzer Allokationsräume. Zwar verkleinert sich dadurch der Betrieb selbst, nicht aber, so ist anzunehmen, die innerbetrieblichen Allokationsräume. In der Literatur wird davon ausgegangen, dass Outsourcing im Gegenteil zu einer Homogenisierung und besseren Integration der Belegschaft führt (Pfeffer, Baron 1988). (2) Die rein quantitative Verfügbarkeit ist nun um die qualitative Dimension der Leistungsfähigkeit, also die Qualifikation der Arbeitskraft in Bezug auf die Arbeitsplatzanforderungen, zu erweitern. Nach dem Ereignis des Eintritts in den Betrieb findet eine nähere Spezifikation und Bindung der generellen Ressource „Arbeitskraft“ statt. Dieser Schließungsprozess reicht von der Betriebszugehörigkeit als solcher über fachspezifische bis hin zu arbeitsplatzspezifischen Tätigkeiten (Parsons, Smelser 1956: 119f; Luhmann 1986: Kap.9; Alewell 1993: 85ff).9 Dies wird von der Humankapital-, Segmentations- und Transaktionskostentheorie gemeinschaftlich als Prozess der wechselseitigen Investition in „spezifisches Humankapital“ verstanden. Er bildet das Kernargument dieser Ansätze. 9
Die Berufsrolle ergibt sich dabei aus der Kopplung von Person und Organisation (Parsons und Smelser 1956). Der „Beruf“ ist somit nur insofern als „erwerbsstrukturierende Institution“ (Pries 1998) neben dem „Betrieb“ zu betrachten, als externe institutionelle Faktoren der (bspw. Berufsverbände) von betriebsinternen zu unterscheiden sind. Mithin ist, wie die Diskussion um die schulische Ausbildung in Ostdeutschland zeigt (Berger, Grünert 2007), gerade die Bindung an den Betrieb ein wichtiges Merkmal der Funktionsfähigkeit fachlicher Märkte.
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Gemeint ist, abstrakt formuliert, die Akkumulation von Wissen über die „particular circumstances of time and place“ (Hayek 1945: 80; Williamson 1975: 57), die „Insidern“ einen Vorteil gegenüber „Outsidern“ sowie den spezifisch Qualifizierten gegenüber den im selben Betrieb unspezifisch Qualifizierten verschafft. Konkret gesprochen investieren Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Form des „training on-the-job“ Zeit in die Aneignung und Anwendung des Wissens über typische Prozesse im Betrieb und am Arbeitsplatz (Becker 1964). Je spezifischer die örtlichen und zeitlichen Umstände, umso spezifischer die Humankapitalinvestition. Die spezifischen Investitionen stellen für beide Seiten „versunkene Kosten“ dar, die zu einer zeitlichen Bindung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Schließung) führen (Becker 1964; Doeringer, Piore 1971; Williamson 1975; Sengenberger 1987). Der Arbeitgeber kann die spezifischen Prozesse im Falle eines Weggangs der Arbeitnehmer nicht an neue Beschäftigte anpassen und muss diese neu anlernen. Die betriebsspezifischen Kenntnisse des Arbeitnehmers wiederum sind kaum auf dem externen Arbeitsmarkt handelbar. Damit entstehen für beide Seiten Kosten der Wahl von Alternativen. Öffnung bedeutet im humankapitaltheoretischen Verständnis dann die Zunahme allgemeinen Humankapitals, das nicht an den spezifischen Ort eines bestimmten Betriebes gebunden ist und vor allem über formale Bildungsprozesse „off-the-job“, also extern, erworben wird. Gerade der deutsche Arbeitsmarkt wird aufgrund der Kombination von formal-schulischer und betrieblicher Berufsausbildung (duale Ausbildung) zumeist als ein flexibles Mischsystem der Generierung allgemeinen und spezifischen Humankapitals betrachtet (Sengenberger 1987; Lutz 2007a). Die neuere Diskussion (Struck 2006b; Sesselmeier 2007: 75f) identifiziert jedoch drei Entwicklungsprozesse, die eine Generalisierung des Humankapitals jenseits der Berufsfachlichkeit forcieren: Erstens sei eine neue „Art und Weise der Leistungsorganisation“, vor allem in Richtung auf kostengünstige, standardisierte Dienstleistungstätigkeiten, zu beobachten (s.a. Nienhüser 2007). Damit einher gehe eine interne Organisation der Arbeitsteilung, die Marktelemente in die Organisation einführt, etwa in Form von Profitcenter-Organisation, sowie ein geringerer Grad vertikaler Integration im Zuge von Auslagerung bzw. Verkleinbetrieblichung. Zweitens bestünden „Entberuflichungstendenzen“ bei einer stärkeren Orientierung an Signalen der „Beschäftigungsfähigkeit“. Schließlich seien „extrafunktionales“ allgemeines Humankapital, so genannte „soft skills“, wie „Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit“, die nicht an einen spezifischen betrieblichen Kontext gebunden sind, zunehmend gefragt. Die drei Thesen lassen sich mit Blick auf den Betrieb unter dem Stichwort „flexible“ bzw. „innovative Arbeitssysteme“ oder „high performance work organizations“ zusammenfassen (Bauer, Bender 2002). Insgesamt verweisen sie darauf, dass betriebspezifisches Wissen für einen immer klei-
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neren Teil der Beschäftigten ein konstitutives Merkmal ihrer Qualifikationen ist. Unabhängig davon gilt: Betriebliche Beschäftigungssysteme, die an spezifisches Humankapital gebunden sind, müssten gegenüber einer Stellenstruktur mit allgemeinen Qualifikationsanforderungen einen höheren Schließungsgrad aufweisen. Hierbei ist die erweiterte Annahme der Humankapitaltheorie zu berücksichtigen, nach der die Erträge des Humankapitals und damit auch die Kosten der Ersetzung nicht nur mit der Spezifität, sondern auch mit der Höhe der Qualifikationen steigen – von der einfachen Anlernung über die Facharbeiterausbildung bis zum Hochschulniveau (Abraham 2004). Dem liegt zumeist das Argument zugrunde, dass mit dem Qualifikationsniveau und unabhängig von der Betriebsspezifität auch die Fähigkeit steigt, komplexe Aufgaben zu erfüllen (Nienhüser 2007). Allerdings entstehen Substitutionskosten und damit eine Tendenz zur Schließung jedoch nur dann, wenn am Markt kein hinreichend qualifiziertes Personal in ausreichendem Maße verfügbar ist. In vielen Branchen mit „high performance work organizations“ und gleichzeitigem Angebotsüberschuss, in denen „Selbstverwirklichung“ der Beschäftigten mit „Selbstausbeutung“ einhergeht (Kotthoff 2001), wie etwa im Journalismus, bestehen derartige Probleme jedoch nicht. In Bezug auf die Höhe der Qualifikationen sind dann vielfältige Zusammenhänge denkbar. Offene Beschäftigungssysteme setzen sich gemäß den theoretischen Annahmen in erster Linie aus schnell substituierbaren einfachen Jedermannstätigkeiten zusammen. Öffnungspotential wird aber auch fachlichen Qualifikationen auf der Basis standardisierter Berufsbilder sowie hohen Qualifikationen im Zusammenhang mit „high performance work organizations“ zugeschrieben. Das Leistungsbereitschaftsproblem Arbeitnehmer können angemessene Qualifikationen besitzen, sie müssen sie jedoch nicht im Sinne des Arbeitgebers verausgaben. So plädieren Dragendorf und Heering (1987: 138) dafür, den Bezug auf Qualifikation und insbesondere die Humankapitalspezifität um die Dimension der Leistungsbereitschaft zu erweitern. Durch den betrieblichen Schließungsprozess entsteht „ex post“ neben oder gerade mit der Herausbildung spezifischen Humankapitals ein Problem des „moral hazard“ oder „Opportunismus“ (Williamson 1975). Grundlage dessen ist die Kombination des prinzipiell unterstellten Interesses von Arbeitsanbietern an der Verausgabung von Arbeitskraft auf möglichst niedrigem Niveau („shirking“) mit den unvollständigen Kontrollmöglichkeiten durch den Nachfrager. Gerade komplexe Arbeitsvorgänge ermöglichen es dem Anbieter, eine „hold up“-Situation
3. Bezugsprobleme betrieblicher Beschäftigungssysteme
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zu erzeugen.10 Dies führt zu einem Produktionsergebnis unterhalb des Wertgrenzprodukts, das durch die (neo)klasssische ökonomische Theorie nicht zu erklären ist. (1) Eine Teildimension des Leistungsbereitschaftsproblems bezieht sich auf das Problem der Messung und Kontrolle des Verhältnisses von faktischer und möglicher Arbeitsleistung. Die allgemeine Grundhypothese der Transaktionskostentheorie hierzu lautet: Je komplexer und aufwendiger die Kontrolle, umso schwieriger die Zurechenbarkeit und umso eher ist Schließung angebots- und nachfrageseitig zu erwarten. Es ist grundlegend zu unterscheiden zwischen direkter Kontrolle des Arbeitsprozesses, etwa durch Vorgesetzte, und Ergebniskontrolle, die häufig mit der Delegation von Verantwortung an Beschäftigte verbunden ist. Diese Form „kontrollierter Autonomie“ (Vieth 1995) geht mit Selbstbindung und Selbstkontrolle einher und ist häufig mit komplexen Tätigkeiten verbunden. Dennoch wäre hier Öffnung zu erwarten, wenn die Ergebnisse einer kleinen, spezifischen eigenverantwortlichen Gruppe bzw. einem Projekt zugeschrieben werden können und nicht Resultat einer eher diffusen Kooperation sind. (2) Neben der Kontrolle spielt die an die Leistungsmotivation der Arbeitsanbieter gebundene monetäre und nicht-monetäre Gratifikation und Legitimation eine wichtige Rolle. Namentlich die Prinzipal-Agenten-Theorie widmet sich der Möglichkeit von ex post auftretenden Opportunismusproblemen auf der Suche nach einer ex ante möglichst optimalen Anreizordnung (siehe die Beiträge in Pratt, Zeckhauser 1991; Dietz 2006). So können zeitlich verzögerte Entlohnungsprofile als eine beim Eintritt in den Betrieb zu zahlende Gebühr verstanden werden, deren Amortisation erst mit einer gewissen Dauer gewährleistet ist (Salop, Salop 1976; Lazear 1981). Der Betrieb vermeidet so einerseits Fluktuationskosten als auch „shirking“-Kosten, da im Falle der Aufdeckung des shirking mit Entlassung zu rechnen ist. Ebenso dienen Rangordnungs-Turniere (Lazear, Rosen 1981) der Personalbindung und Disziplinierung, da es erst mit einer gewissen betrieblichen Verweildauer im Verbund mit hoher Leistungsbereitschaft zu einer Amortisation der Humankapitalinvestitionen kommt. Die Art der Gratifikation in betrieblichen Beschäftigungssystemen ist dann komplexer Art. Es ist zunächst gemäß der Effizienzlohntheorie sowie dem Segmentationsansatz davon auszugehen, dass ein niedriges allgemeines Lohnniveau eher zu offenen betrieblichen Beschäftigungssystemen führt. Aber auch die Lohnstruktur ist entscheidend. So sind zwei Arten von Gratifikationsregeln zu unterscheiden: einerseits die Gratifikation auf der Grundlage mehr oder weniger komplexer Entgeltsysteme, darunter vor allem Senioritätsentlohnung (Doeringer, 10
Zur Diskussion der informationsökonomischen Begriffe „Moral Hazard“ und „Hold-Up“ (Alewell (1993: Kap. 4).
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V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Piore 1971; Sengenberger 1987), andererseits die Entlohnung nach individueller Leistung, etwa über Prämienzahlungen (Backes-Gellner u.a. 2000). Schließlich besteht eine wesentliche Funktion von Betriebsräten in der Legitimation betrieblicher Prozesse durch interne kollektive Konfliktbearbeitung („voice“), mit der erwarteten Folge einer verringerten Fluktuationsneigung („exit“) (Hirschman 1970; Freeman 1980). Zur Frage der Erklärung offener Beschäftigungssysteme Die These ist nun, dass betriebliche Beschäftigungssysteme das strukturelle Resultat der zwei funktionalen Bezugsprobleme betrieblicher Personalpolitik widerspiegeln. „Organisation, ja Systembildung überhaupt“, so Luhmann (1968: 261), „kann in ihrem Kern als stets prekäre Übersetzung von Funktionen in Strukturen begriffen werden“. Diese Formulierung enthält zweierlei: Erstens handelt es sich um eine Übersetzung. Verfügbarkeit und Leistungsbereitschaft sind notwendige Bedingungen der Möglichkeit betrieblicher Beschäftigungssysteme. Möglich sind jedoch viele funktional äquivalente Übersetzungsmöglichkeiten, ohne dass ein „one best way“ zur Verfügung stünde.11 Es ist gerade die besondere Leistung betrieblicher Organisationen, die Funktionsanforderungen des Wirtschaftssystems in bearbeitbare Teilprobleme zu zerlegen und für „Interdependenzunterbrechungen“ zu sorgen, sodass nicht jedes Umweltereignis zum Problem wird (Tacke 2000). So regeln und strukturieren sie den gesellschaftlichen Zugriff auf bzw. die Verteilung der Arbeit (Luhmann 1997: 826ff). Hierin sind sie leistungsfähiger als eine unüberschaubare Vielzahl ephemerer Interaktionssysteme. Zweitens ist diese Übersetzungsleistung prekär, d.h. nicht immer funktional. Mithin handelt es sich um Bezugsprobleme. Die konkrete Ausgestaltung von betrieblichen Beschäftigungssystemen ist durch Strategien und Handlungen, die hinreichenden Bedingungen, vermittelt. Die beschränkte Rationalität von Personalstrategien kann bei unbeabsichtigten strukturellen Nebenfolgen zu einem ungünstigen Verhältnis von Funktion und Struktur führen. Ebenso können strukturelle Zwänge dazu führen, dass Personalstrategien sich gar nicht erst durchsetzen lassen. Die Argumentation gilt auch in die umgekehrte Richtung. Strukturen können – es ist sogar ihre Hauptfunktion – strategisches Handeln erleichtern. Die Arbeitsmarkttheorie hat zuallererst, noch vor einer Analyse der Prekarität der Übersetzung, aufzuweisen, welche Formen der Übersetzung von Funk11
Die Angabe von Funktionen erklärt nicht schon die Existenz einer spezifischen Struktur. Das weiß der Funktionalismus schon seit Durkheim (1895: 176). Dessen Leistung liegt denn auch darin, die Vielfalt erfassen zu können, ohne in die Beliebigkeit zu führen. Damit werden funktionale Vergleiche möglich.
4. Das B2-Betriebspanel des SFB 580
161
tionsproblemen in Strukturen sich empirisch identifizieren lassen. Dies wird im Fokus der nachfolgenden Analysen stehen. Worin also unterscheiden sich offene von geschlossenen betrieblichen Beschäftigungssystemen in Bezug auf die Sicherstellung von Leistungsbereitschaft und Verfügbarkeit? Wie verhalten sich offene und geschlossene Beschäftigungssysteme zueinander sowie zur marktförmigen Umwelt? In eben diesem Sinne verlangt auch die Erklärung „atypischer Beschäftigung“ das Referenzmodell des „Normalarbeitsverhältnisses“ (Kraemer, Speidel 2004). An dieser Stelle werden dann auch Fragen in Bezug auf die Erklärungsmöglichkeiten der Theorieansätze laut. So wird etwa die Matchingtheorie zumeist als Kontrastprogramm zur Segmentationstheorie verstanden (Boockmann, Steffes 2006).12 Zu Recht wird eine Trennung theoretischer Hypothesen angemahnt und angemerkt, dass „firm-level institutions such as firing-rules, employee representation and firm-specific training programs may protect workers from dismissal or make job changes less valuable after some time in the employment spell. However, the may not inhibit probation and sorting and, therefore, may have little effect on job stability within the first months of the employment relationship” (ebd.: 1f). Die Matchingtheorie beinhaltet also vor allem Hypothesen, die auf die Erklärung sehr kurzfristiger Beschäftigung zielen. Verortet man sie nun aber innerhalb des Bezugsrahmens betrieblicher Beschäftigungssysteme, so lässt sie sich durchaus mit dem Segmentationsansatz in Einklang bringen. Sowohl die Zunahme allgemeinen Humankapitals als auch Mismatching führen zu einer Öffnung von Beschäftigungssystemen, beide Phänomene sind jedoch unterschiedlich zu erklären. Erst in der theoretisch fundierten Beantwortung der empirischen Frage, welche betrieblichen Erklärungsfaktoren an welcher Stelle des Betriebes wirksam sind, kann man dem von Nienhüser (2004) identifizierten Messproblem entgehen, das dann entsteht, wenn nur spezifische Transaktionen – etwa Subkontraktierung, aber eben auch offene Beschäftigunssysteme allein – erfasst und nicht relational auf die gesamten innerbetrieblichen Prozesse bezogen werden. 4. Das B2-Betriebspanel des SFB 580 Spätestens seit den 1990er Jahren wird der theoretischen Bedeutsamkeit von Betrieben auch in der quantiativen Forschung Rechnung getragen. Auf dem Gebiet der Arbeitsmarktforschung in der BRD liefern vor allem das IAB-Betriebspanel 12
Zwar berücksichtigen Segmentationstheoretiker wie Doeringer und Piore (1971: Ch.5) sowie Sengenberger (1978) durchaus auch Such- und Turnoverkosten, können diese aber nicht in den Kern der Theorie integrieren.
162
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
(Bellmann u.a. 2002c) sowie das Hannoveraner Firmenpanel (Gerlach u.a. 2001) jährliche Repräsentativerhebungen von Firmendaten. Der Nachteil solch groß angelegter Studien ist, dass sie weder auf die spezifische Fragestellung instabiler Beschäftigung zugeschnitten sind noch auf die Ebene betrieblicher Beschäftigungssysteme hinunterreichen und deshalb nur grobe Aussagen zulassen. Mit dem seit 2002 im Abstand von zwei Jahren durchgeführten B2Betriebspanel des SFB 580 der Universität Jena steht nun eine inhaltlich umfangreiche Datengrundlage für die tiefer gehende Analyse insbesondere betrieblicher Beschäftigungsstabilität zur Verfügung. Grundlage der hier vorgenommenen Analysen ist die zweite Panelwelle aus dem Herbst des Jahres 2004. Die Stichprobe umfasst Antworten von Personalverantwortlichen bzw. Geschäftsführern aus 536 Betriebsstätten.13 Die Präferenz der Tiefe zuungunsten der Breite erfordert einige Konzessionen im Design der Studie. So wurde die Stichprobenziehung nach Region, Wirtschaftszweig und Betriebsgröße gemäß einer Gleichverteilung der Ausprägungen disproportional quotiert (Schnell u.a. 1999). Diese Vorgehensweise erlaubt ausreichende Fallzahlen in den jeweiligen Zellen trotz geringer Stichprobengröße.14 Die Quotierung nach Regionen ermöglicht vor allem die Kontrolle wirtschafts- und arbeitsmarktstruktureller regionaler Rahmenbedingungen. Hierzu wurden in Westdeutschland das Bundesland Bayern und in Ostdeutschland Sachsen und Thüringen als jeweils wirtschaftsstrukturell stärkere Regionen und Niedersachsen/Bremen sowie Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt als strukturschwächere Regionen ausgewählt. Zudem wurden auf der Basis der BIBB/IAB-Erhebung von 1998/1999 und der IAB-Beschäftigtenstichprobe stabile und instabile und zugleich in ihrer Größenordnung sowie inhaltlich bedeutsame Wirtschaftszweige identifiziert. Dies erlaubt eine „maximale Variation“ und kontrastierende Vergleiche (Patton 1990). Die Auswahl umfasst zehn Wirtschaftszweige gemäß der WZ93-Klassifikation des Statistischen Bundesamtes: Maschinenbau, Chemische Industrie, Baugewerbe, Einzelhandel, Verlagsgewerbe, Kreditgewerbe, Software, Steuer-, Wirtschaftsprüfung und -beratung, Erwachsenenbildung sowie ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung. Schließlich wurden je zur Hälfte Kleinbetriebe mit einer Beschäftigtenzahl zwischen 3 und 49 Personen und Mittel- und Großbetriebe mit 50 und mehr Be13
14
Wie beim IAB-Betriebspanel handelt es sich um Betriebsstätten als „technisch-wirtschaftliche Einheiten“, nicht um Gesamtunternehmen als „finanziell-rechtliche Einheiten“ (Kullak 1995: 37). Erfasst wurden aber einige Zusatzinformationen zur Eingebundenheit in eine Unternehmensstruktur (dies betrifft 24% der Betriebsstätten). Da für Betriebe bzw. Betriebsstätten, die erst seit kurzer Zeit existieren, eine hohe Sterbewahrscheinlichkeit besteht (Woywode 1997: 40ff.), wurden mit Blick auf das Paneldesign nur Betriebsstätten berücksichtigt, die seit mindestens 3 Jahren bestehen. Den hierdurch entstehenden Survivorbias nehmen wir aus Gründen der Panelpflege in Kauf.
4. Das B2-Betriebspanel des SFB 580
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schäftigten befragt.15 Diese Quotierung bildet die deutsche Betriebslandschaft relativ proportional ab. Im Jahre 2002 haben 96% der Grundgesamtheit der privatwirtschaftlichen Betriebe in der BRD weniger als 50 Beschäftigte. Dies entspricht einem Anteil von 42% sämtlicher Erwerbstätiger (IfM 2003). Zudem wird eine Überrepräsentanz allzu kleiner Betriebsstätten verhindert. Allerdings weisen lediglich 5% der Betriebe eine Betriebsstättengröße von 500 und mehr Beschäftigten auf. Es ist aber zu beachten, dass es sich hier um Betriebsstätten, nicht um Unternehmen handelt. Insgesamt sind in den befragten Betrieben 63.240 Beschäftigte tätig, bei einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 118 Beschäftigten. Die aus der Quotierung resultierende Unmöglichkeit einer Generalisierung von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit wurde zugunsten einer „analytischen Generalisierung“ in Kauf genommen (Firestone 1993; Miles, Huberman 1994: 27). Das Betriebspanel bildet hiermit die Schnittstelle zwischen qualitativen Fallstudien (Kapitel II) und flächendeckenden quantitativen Repräsentativerhebungen (Kapitel III, IV). Es erlaubt eine detaillierte Erfassung der vier Dimensionen personalpolitischer Bezugsprobleme und der hieraus resultierenden Beschäftigungs- und Arbeitsplatzstrukturen sowie einiger Indikatoren zur marktförmigen Umwelt. Der Schwerpunkt der Befragung richtet sich auf die betriebliche Struktur von Beschäftigungsstabilität. Inhaltlich handelt es sich hier um eine neue Erhebungsart anhand betrieblicher Bereiche mit unterschiedlichen „Beschäftigungsperspektiven“. Die Beschäftigungsperspektive einer aktuell in einem Bereich beschäftigten Gruppe ergibt sich aus der vom befragten Personalverantwortlichen perspektivisch erwarteten Beschäftigungsdauer. Die Beschäftigungsperspektiven bilden als Maß der „Passung“ („Matching“) von „Stelle“ und „Person“ eine Dimension der Integration von Individuengruppen in die Organisation ab.16 Der Personalverantwortliche ist hierbei in seiner Rolle als „Experte“ gefragt, der auf Erfahrung mit betrieblichen Strukturen und Prozessen in Bezug auf die Belegschaft zurückblicken und diese auf der Basis der gegenwärtig Beschäftigten prospektiv nutzen kann. Anders als in individuellen Verlaufsdatensätzen kann so auch Personen eine Beschäftigungsperspektive zugeordnet werden, die eine langfristige Betriebszugehörigkeit bisher nicht erreicht haben. Dies betrifft z.B. ganze Belegschaften im Falle von Jungbetrieben oder erst kurzzeitig Beschäftigte, die eine langfristige Perspektive aufweisen. Für die Zuordnung standen den Personalverantwortlichen, zum Zwecke der Standardisierung, drei Kategorien zur Ver15 16
Zur Klassifikation von Betrieben nach Größenklassen s. Kullak (1995). Der „cut-off“ bei Betrieben unter 3 Beschäftigten dient, ebenso wie das Betriebsmindestalter, der Panelpflege. Zum Begriff der „Karriere“ als Form der Integration bzw. struktureller Kopplung von Systemen siehe Luhmann (2000: 99ff, 297ff).
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V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
fügung: a) kurzfristig Beschäftigte mit einer perspektivischen Verweildauer im Betrieb von bis zu zwei Jahren, b) mittelfristig Beschäftigte mit einer Verweildauer von zwei bis zehn Jahren und c) langfristig Beschäftigte mit einer Verweildauer von zehn oder mehr Jahren.17 Neben der Frage nach der Anzahl von Beschäftigten in einer jeweiligen Gruppe bzw. dem Anteil an der Gesamtbeschäftigung wurde jeweils ein gesonderter Fragenkomplex zur Arbeitsplatzstruktur des entsprechenden Bereiches erhoben, sodass ökologische Fehlschlüsse hier ausgeschlossen werden können. Dieser Komplex umfasst vor allem Fragen, die der Operationalisierung der personalpolitischen Bezugsprobleme dienen. Die Kategorisierung der Beschäftigungsperspektiven und der entsprechenden Bereiche spiegelt dabei einerseits die „primären Objektivationen“ (Alfred Schütz) der Personalverantwortlichen wider, die in qualitativen Vorerhebungen anhand von Betriebsfallstudien erfasst wurden (Köhler u.a. 2004). Die Beschäftigungsdauer wird als solche nicht nur kognitiv wahrgenommen, sondern ist Teil der Strategien des Personaleinsatzes (Schrüfer 1988; Abraham 2004) bzw. muss, wenn es um Beschäftigteninteressen geht, als Entscheidungsrestriktion berücksichtigt werden. Beides, die Entscheidungen der Nachfrage- und Angebotsseite, kristallisiert sich in dynamisch-stabile betriebliche Beschäftigungsstrukturen. Diese wiederum bilden die Grundlage für das personalpolitische Handeln und können von den personalverantwortlichen Experten relativ genau abgebildet werden. Zudem konnte in einer quantitativen Analyse des Betriebspanels an anderer Stelle gezeigt werden, dass sich anhand der Kategorien kurz, mittel und lang relativ distinkte Cluster von Betriebstypen identifizieren lassen (Struck u.a. 2006a). Wir betrachten die Kategorien als hinreichend differenziert, um betriebliche Beschäftigungssysteme unterscheiden zu können und als hinreichend allgemein, um den befragten Personalverantwortlichen eindeutige Zuordnungen zu ermöglichen. Neben den Beschäftigungsperspektiven wurden zudem die faktischen jährlichen Ein- und Ausstellungen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter erfragt.18 Dies erlaubt es zu überprüfen, in welchen betrieblichen Beschäftigungssystemen Ein- und Ausstellungen strukturell anzusiedeln sind. Nicht zuletzt ist die betriebliche Struktur der Beschäftigungsdauer auch in hohem Maße abhängig von der Form des Arbeitsvertrages. Das B2-Betriebspanel erlaubt eine detaillier17 18
Zu einer ähnlichen Operationalisierung, allerdings auf Basis rechtszensierter aktueller Beschäftigungsdauern, kommt bereits der organisationsdemografische Ansatz von Pfeffer (1983). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Betriebe, die im Befragungsjahr 2004 keine Stellen mit kurzfristigen Beschäftigungsperspektiven aufweisen, dennoch eine Einstellungsrate von 7,2%, also mindestens ebenso viele kurzfristig Beschäftigte verzeichnen. Dies spricht für die Validität der Antworten zu den Beschäftigungsperspektiven.
5. Deskriptivbefunde
165
te Erfassung aller zu einem Stichtag in einer Betriebsstätte beschäftigten Personen, also sämtlicher Arbeitsvertragsverhältnisse. Das beinhaltet neben unbefristeten und befristeten Verträgen, die nach Vollzeitstellen, Minijobs und Stellen mit staatlichen Lohnkostenzuschüssen differenziert werden können, sowie Teilzeitverträgen auch selbständige Mitarbeiter sowie über Dritte beschäftigte Leiharbeitnehmer.19 Hinzu kommen Fragen zu den Übernahmequoten der jeweiligen vertraglich atypischen Beschäftigungsform in unbefristete Festanstellung. Die Fragen zur Personalfluktuation, zu den Vertragsformen und Übernahmequoten erlauben, neben der inhaltlichen Interpretation, zugleich eine Plausibilitätsprüfung der Beschäftigungsperspektiven, sodass sich mit Hilfe des B2Betriebspanels ein relativ genaues Bild der betrieblichen Struktur von Beschäftigungsstabilität zeichnen lässt. 5. Deskriptivbefunde Bevor nach der Erklärung instabiler Beschäftigung gefragt wird, ist zunächst einmal deren Ausmaß zu erfassen. Neben der Messung von Instabilität anhand der Beschäftigungsperspektiven werden dabei vergleichend auch weitere, in der Allokationsdimension zu verortende Maße der Offenheit betrieblicher Organisationen gegenüber dem Markt dokumentiert. Die Analyse bivariater Zusammenhänge erlaubt bereits erste Aussagen zur Funktionslogik offener betrieblicher Beschäftigungssysteme. Beschäftigungsperspektiven Tabelle 5.1 zeigt eine Übersicht der Stellenanteile mit kurzen, mittleren und langen Beschäftigungsperspektiven an der Gesamtbeschäftigung in den befragten Betrieben. Die Basis der Gesamtbeschäftigung umfasst dabei sämtliche in einem Betrieb zum Stichtag des 30.9.2004 beschäftigten Personen.20
19
20
Natürlich ist die Erhebung der Personalstruktur eines Betriebes zu einem Stichtag mit Schwierigkeiten verbunden. Wir haben den Stichtag des 30.9. gewählt, an dem die Spitze der jährlichen Beschäftigung zu verzeichnen ist. Hier ist davon auszugehen, dass es nicht zu einer Unterschätzung spezifischer Vertragsformen (z.B. Minijobs und Leiharbeit) kommt (Hagen, Boockmann 2002: 209). Es ist hierbei zu berücksichtigen, dass das tatsächliche Arbeitsvolumen Freier Mitarbeiter sowie in Teilzeit Beschäftigter (darunter Minijobs) überschätzt wird. Dennoch haben wir von einer Gewichtung nach Arbeitsvolumen abgesehen, da es hier nicht um den Beschäftigungsgrad geht. Die Beschäftigungsperspektive gilt vielmehr als Maß der Integration von Personen in die Organisation (Abschnitt 3).
166
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Tabelle 5.1: Beschäftigungsperspektiven nach Region und Wirtschaftszweig (in % der Gesamtbeschäftigung)ª Kurz (<2 Jahre) Wirtschaftszweig Verlagsgewerbe
Mittel (2-10 Jahre)
Lang (10 Jahre)
West Ost Ges. West Ost Ges. West Ost Ges. 11,1 12,2 11,5
41,3 40,8 41,1
47,6
47,0 47,4
Maschinenbau
6,6
5,7
6,1
20,2 25,5 23,1
73,2
68,8 70,8
Chemische Industrie
6,8 10,2
8,3
31,4 29,4 30,6
61,8
60,4 61,2
Baugewerbe
5,4 19,1 14,3
24,4 37,6 33,0
70,2
43,3 52,8
Einzelhandel
6,5
7,0
6,8
34,2 28,1 30,1
59,3 654,0 63,1
Banken/ Sparkassen
6,2 13,7
9,1
27,0 15,3 22,5
66,8
70,9 68,4
Software
8,3
7,3
50,7 33,2 43,9
41,0
61,1 48,8
8,0 11,4
35,0 22,0 28,7
50,5
70,0 59,9
17,1 18,8 18,1
42,3 47,3 45,2
40,7
33,9 36,8
Beratung/Marktforschung 14,5 Erwachsenenbildung
5,7
Gesundheitsdienste
7,6
8,7
30,4 22,2 26,0
62,0
68,2 65,3
Insgesamt
9,0 11,1 10,1
9,6
33,1 30,1 31,6
57,9
58,8 58,4
a
Signifikanz: 0,1% - fett und kursiv; 0,01% - fett
Die Verteilung lässt auf eine relativ stabile Personalstruktur in Bezug auf die Beschäftigungsperspektiven schließen. Etwa 58% der Arbeitsplätze sind – angebots- und nachfrageseitig – auf lange Frist besetzt. Nur 10% aller Stellen im Durchschnitt der Betriebe weisen eine strukturell kurzfristige Beschäftigungsperspektive auf und sind damit atypisch in der Dimension der Beschäftigungsdauer. Hierbei ist nach Betriebstypen zu disaggregieren: Nur 56% aller Betriebe nutzen überhaupt offene Beschäftigungssysteme. Der Stellenanteil mit Kurzfristperspektive in diesen Betrieben beträgt dann 18%. Im Gesamtdurchschnitt liegen die Anteile kurzfristig Beschäftigter in Ostdeutschland zwar um zwei Prozentpunkte höher, allerdings ist dieser Wert bivariat zunächst statistisch insignifikant. Der gleichzeitig leicht höhere Anteil langfristig besetzter Positionen im Osten Deutschlands lässt vorsichtig auf eine stärkere Differenzierung offener und geschlossener betrieblicher Beschäftigungssysteme in den neuen Bundesländern schließen. Entsprechend unseren Vorannahmen ergibt sich eine wesentlich stärkere wirtschaftszweigspezifische Heterogenität in den Beschäftigungsperspektiven, wobei sich die Abweichungen bei den Kurzfristperspektiven auf wenige Branchen konzentrieren. Es sind vor allem die Weiterbildung sowie das ostdeutsche
5. Deskriptivbefunde
167
Baugewerbe, die eher offene betrieblicher Beschäftigungssysteme aufweisen. Maschinenbau und Einzelhandel hingegen sind signifikant stabiler. Arbeitsvertragsformen und andere Indikatoren Im Folgenden werden alle im B2-Betriebspanel zu identifizierenden Arbeitsvertragsformen disjunkt dargestellt (Tab. 5.2). Hierbei ist eine Einschränkung anzumerken. Bei der Teilzeitarbeit wurde nicht zwischen Befristung und NichtBefristung unterschieden, sodass sich die Teilzeitbeschäftigten auf die anderen Vertragsformen verteilen und damit nicht per se zu den atypischen Formen hinzuaddiert werden dürfen. Auf der Basis des Sozioökonomischen Panels ist aber bekannt, dass nahezu 90% aller Teilzeitbeschäftigten unbefristete Verträge aufweisen (Schäfer 2001). Alle anderen Vertragsformen in Tabelle 5.2 schließen sich wechselseitig aus. Weiterhin sind die Übernahmequoten der atypisch Beschäftigten dargestellt. Dies liefert einen Überblick über die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten und damit den Grad der Schließung und Öffnung. Insgesamt machen die atypischen Beschäftigungsformen 17% an der Gesamtbeschäftigung aus. Dabei sind es gesamtdeutsch nur zwei Wirtschaftszweige, die in überproportionalem Maße Atypizität über Vertragsformen generieren: die Bildungsbranche (49%) sowie das Verlagswesen (25%). Lediglich das ostdeutsche Kreditgewerbe liegt mit 26% noch über dem Durchschnitt. Die Baubranche hingegen weist mit 11% in West und 15% in Ost nur geringe Anteile vertraglich Atypischer auf, unerwarteter Weise ohne signifikante Ost-WestDifferenz. Ebenso wie bei den Beschäftigungsperspektiven verzeichnet der Osten Deutschlands insgesamt allerdings mehr atypisch Beschäftigte. Der Anteil liegt um mehr als 20% und signifikant höher. Betrachtet man den „harten Kern“ des Normalarbeitsverhältnisses, den Anteil unbefristet Beschäftigter ohne staatliche Förderung und Minijobs, verschwindet die Ost-West-Differenz jedoch aufgrund der hohen Anteile in Minijobs Beschäftigter in Westdeutschland. Auch die Teilzeitbeschäftigung ist dort größer, mehr als doppelt so hoch. Je nachdem also, ob man den Atypizitätsgrad auch durch die Variation der Wochenarbeitszeit misst, ergeben sich regionale Unterschiede. Es wurde zuvor darauf hingewiesen, dass eine Ad-hoc-Definition atypischer Beschäftigung und eine hieraus resultierende Addition verschiedener Formen nur bedingt aussagekräftig sind. Betrachten wir deshalb die Beschäftigungsformen im Einzelnen, beginnend bei unbefristet Beschäftigten mit atypischer Wochenarbeitszeit.
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V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Tabelle 5.2: Arbeitsvertragsformen und Übernahmequoten nach Regionª Anteile an allen Beschäftigten West Ost Ges.
Übernahmequoten
West Befristet Beschäftigte ohne Förderung + Minijobs 5,9 8,9 7,4 58,6 Geförderte 0,6 1,3 0,9 13,6 Minijobs 0,8 1,0 0,9 3,4 Leiharbeiter 0,6 0,9 0,8 13,8 Freie Mitarbeiter 7,5 6,5 7,0 6,6 „Atypische“ gesamt 15,4 18,6 17 Unbefristet Beschäftigte ohne Förderung + Minijobs 76,7 77,6 77,2 Geförderte 0,4 1,4 0,9 Minijobs 6,8 3,0 4,8 Unbefristete Gesamt 83,9 82,0 82,9 Teilzeit (ohne Minijobs) 16,9 8,9 12,8 a Abweichungen der Summe von 100% aufgrund von Rundungen.
Ost
Ges.
48,4 36,8 1,5 11,6 2,5
53,4 26,2 2,2 12,8 4,9
Unbefristet Beschäftigte in Minijobs – Mit einem Anteil von 4,8% an der Gesamtbeschäftigung stehen mehr als Vierfünftel aller gemäß SGB IV §8 in Minijobs Beschäftigten in einem unbefristeten Vertragsverhältnis. Geringfügige Beschäftigung bildet damit eher betriebsinterne Anpassungsmöglichkeiten ab (Hohendanner, Bellmann 2006). Dies gilt vor allem für westdeutsche Betriebe – und dort vor allem für die Beratungsbranche (13,4%). Auch das ostdeutsche Verlagswesen (8,4%) sowie der Handel insgesamt (10,7% in West und 5,7% in Ost) weisen überdurchschnittlich hohe Anteile unbefristet in Minijobs Tätiger auf. Befristet Beschäftigte – Befristete Arbeitsverträge sind eine vergleichsweise häufig genutzte Form der Beschäftigung. Die Zahl der befristeten Arbeitsverträge in der BRD nimmt schon seit Jahren zu: von 6,4% in 1991 auf 8,1% in 2004 (Keller, Seifert 2006a). Der Anteil befristeter Stellen an der Gesamtbeschäftigung beträgt im B2-Betriebspanel 9,2%. Bei 7,4% Belegschaftsanteil liegen befristete Stellen ohne staatliche Förderung oder geringfügige Beschäftigung in Minijobs. Vor allem im ostdeutschen Kreditwesen (19%) und in der ostdeutschen Bildungsbranche (16%) wird verstärkt auf diese Form der Befristung zurückgegriffen. Zugleich sind die (Weiter-)Beschäftigungsperspektiven im Osten Deutschlands unsicherer, da Übernahmen in Festanstellung seltener sind. Befristete Beschäftigung kann gemäß SGB III (§216f) durch Lohnkostenzuschüsse staatlich gefördert werden. Ziel dieser Förderung ist entweder die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt (etwa durch ABM) oder der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt (durch SAM). Im Westen
5. Deskriptivbefunde
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betrifft dies nahezu ausschließlich die Bildungsbranche (3%). Vor allem aber ostdeutsche Unternehmen nutzen die Möglichkeit der befristeten staatlichen Förderung. Diese Beschäftigungsform ist dort etwa doppelt so hoch, auf allerdings niedrigem Niveau. Vor allem der ostdeutsche Maschinenbau (3,1%) sowie die dortige Pflegebranche (2,6%) nutzen die befristete Förderung. Dies führt, im Vergleich zum Westen, zu hohen Übernahmequoten, die allerdings geringer ausfallen als bei den „regulär“ Befristeten. Die öffentliche Förderung scheint im Osten als Eingliederungsinstrument zumindest teilweise zu greifen, wobei offen bleiben muss, ob es sich hier nicht um Mitnahmeeffekte handelt. Betrachten wir befristet Beschäftigte in Minijobs, dann bestehen keine OstWest-Unterschiede. Anzutreffen ist diese Vertragform vor allem im westdeutschen Handel (3,2%), in der ostdeutschen Chemiebrance (2,4%) sowie gesamtdeutsch in der Pflege (1,9%). Den in dieser Vertragsform Beschäftigten gelingt es so gut wie gar nicht, in geschlossene Bereiche zu gelangen. Leiharbeiter – Noch vergleichsweise wenige Unternehmen greifen auf Leiharbeit als Form flexibler Beschäftigungsanpassung zurück. Allerdings nimmt der Anteil von Leiharbeit an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 0,4% in 1991 auf 1,3% in 2004 (Keller, Seifert 2006a) bzw. 1,7% in 2005 (Antoni, Jahn 2006) rasant zu. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit im Verleihbetrieb beträgt im Jahre 2003 knapp 5 Monate (ebd.). Nur 13% der Leiharbeitsverhältnisse übersteigen die Dauer von einem Jahr. Laut einer vom Deutschen Institut für Zeitarbeit in Auftrag gegebenen Studie beträgt die Übernahmequote in Festanstellung im Entleihbetrieb etwa 24% (Dormann 2006). Im B2-Betriebspanel liegt der Anteil von Leiharbeitern an der Gesamtbelegschaft bei nur 0,8%, wobei kein signifikanter Ost-West-Unterschied festzustellen ist. Die Übernahmequote hier liegt bei etwa 13%, ebenfalls ohne Ost-West-Differenz, und ist damit deutlich geringer als bei befristeter Beschäftigung, selbst vom Typus der staatlichen Förderung. Leiharbeit findet sich überwiegend in Produktionsbetrieben und hier vor allem in der ostdeutschen chemischen Industrie (4%) sowie im westdeutschen Maschinenbau (1,6%). Nach der Lockerung des Leiharbeitsverbots am Bau (Vitols 2003) ist auch dort, allerdings ausschließlich im Osten (2%), eine hohe Leiharbeitsquote zu beobachten. Freie Mitarbeiter – Eine wachsende Zahl so genannter „Freier Mitarbeiter“ ist nicht mehr durch einen Arbeitsvertrag an Arbeitgeber, sondern durch Werkverträge an Auftraggeber gebunden. Zur Anzahl freier Mitarbeiter in der BRD liegen kaum verlässliche Zahlen vor. Die Freien Mitarbeiter stellen im B2Betriebspanel mit 7% die zweitgrößte Gruppe vertraglich atypisch Beschäftigter, wobei kein signifikanter Ost-West-Unterschied besteht. Nahezu ausschließlich Betriebe der Erwachsenenbildung (35%) und des Verlagsgewerbes (20%) nutzen diese Vertragsform. Das Arbeitsvolumen beträgt bei 47% der Freien bis zu 10
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V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Stunden wöchentlich, nur 20% arbeiten mehr als 30 Stunden für den gleichen Arbeitgeber. Ein relativ großer Anteil von 62% der freien Mitarbeiter ist durch wiederholte Einsätze länger an den Betrieb gebunden. Gleichwohl ist eine Festeinstellung für freie Mitarbeiter im Auftragsunternehmen, auch im Vergleich zu anderen Vertragsformen, kaum zu erwarten. Teilzeitarbeit (ohne Minijobs) -Während die Teilzeitquote 1991 laut amtlicher Statistik noch bei 14% gelegen hatte, war sie 2005 bereits auf 24,5% gestiegen (Keller, Seifert 2006a). Die Teilzeitquote ohne Minijobs beträgt im Betriebspanel knapp 13%. Teilzeitarbeit ist dabei typische Frauenbeschäftigung. Knapp 80% aller Teilzeitbeschäftigten im Betriebspanel sind Frauen. Entsprechend findet sich Teilzeitarbeit schwerpunktmäßig in spezifischen „Frauenbranchen“ wie der Pflegebranche (30%) und dem Handel (28%). Ein- und Ausstellungsraten – Die Einstellungsrate sozialversicherungspflichtig Beschäftigter im Betriebspanel beträgt für das Jahr 2004 8,2%, die Ausstellungsrate liegt bei 10,3%.21 Das Jahr 2004 ist damit durch Stellenabbau gekennzeichnet. Die Einstellungsrate liegt in Ostdeutschland mit 7,5% unter der westdeutschen Rate (9,0%), die Ausstellungsrate mit 10,8% hingegen darüber (9,8%). Der Personalabbau ist in den ostdeutschen Betrieben somit stärker. Die Personalbewegungen sind in der Baubranche bei einer Einstellungsrate von 12,6% sowie einer Ausstellungsrate von 19,5% erwartungsgemäß am höchsten. Danach folgt das Bildungswesen mit 10,0% Ein- und 13,5% Ausstellungen. Nur die Softwarebranche verzeichnet mit 13,8% noch eine signifikant erhöhte Ausstellungsrate. Outsourcing – Im Falle der Auslagerung von Betriebsteilen handelt es sich um eine Form der Externalisierung auf ganzer Linie – allerdings mit Konsequenzen für die verbleibende Belegschaft in Bezug auf Öffnung und Schließung. 12% aller Betriebe verzeichnen zwischen 2002 und 2004 Auslagerungsaktivitäten. Dies betrifft die westdeutschen Betriebe in etwa doppelt so starkem Maße wie die ostdeutschen. Während die ostdeutsche Betriebslandschaft bereits in den 1990er Jahren stark in Richtung auf Kleinbetriebe umstrukturiert wurde, besteht 21
Die Einstellungsraten (ER) und Ausstellungsraten (AR) errechnen sich aus dem Verhältnis der Anzahl von Ein- bzw. Ausstellungen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter im Jahr 2004 zum Mittelwert aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Stichtage der Jahre 2003 und 2004. Hieraus lassen sich weitere, aggregierte Fluktuationsmaße berechnen. So beträgt die Labourturnoverrate (LTR= (ER+AR)/2) 9,3%, die Jobturnoverrate (JTR=abs(ER-AR)/2) 3,6%, die Churningrate (CR=LTR-JTR) 5,7%. Anzumerken ist hierbei, dass bei allen Raten zwar der weit überwiegende Teil der Beschäftigten erfasst ist, jedoch bleiben Leiharbeiter oder Freie Mitarbeiter unberücksichtigt. Die Raten können damit als Maßzahlen der Mobilität im Kern der Belegschaft und somit durchaus als komplementär bzw. substitutiv zur Nutzung von Kaufverträgen verstanden werden (siehe auch Schmid 2000: 273). In der Tat lässt sich im Betriebspanel ein negativer Zusammenhang des Labourturnover mit dem Anteil von Leiharbeitern feststellen.
5. Deskriptivbefunde
171
für die größeren westdeutschen Betriebe noch erhebliches Potential „nachholender Modernisierung“. Betrachten wir die Outsourcing-Aktivitäten nach Branchen, dann zeigen sich diese vor allem in 26% der Softwarebetriebe und in 21% der Banken, seltener im Bau mit 5% sowie im Maschinenbau und in der Weiterbildung mit jeweils 7%. Zwischenfazit Der Fokus der vorliegenden Arbeit richtet sich auf die strukturelle Dimension der betrieblichen Beschäftigungsdauer, gemessen anhand der Verweildauerperspektiven spezifischer Gruppen. Durch Rückgriff auf die bivariaten allokativen Zusammenhänge mit Vertragsformen, Personalfluktuation und Outsourcing sowie die Kontextfaktoren Region und Branche und durch den Einbezug hier nicht im Einzelnen dokumentierter, weiterer Analysen kann eine erste Erklärung offener Systeme versucht werden. Zuallererst ist festzustellen, dass eine große Zahl von Betrieben (44%) keinerlei Kurzfristbeschäftigung aufweist. Die Betriebstypen aber, die überhaupt offene Beschäftigungssysteme nutzen, verzeichnen durchaus Öffnungspotential. Hier sind knapp ein Fünftel aller Stellen auf kurze Frist angelegt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass gerade auf diesen Stellen ein sehr starker Personalumschlag stattfindet (Kapitel III, IV). Ein erster Typus offener Beschäftigungssysteme, wie er vor allem in der Bildungsbranche zu finden ist, beruht nahezu ausschließlich auf der Nutzung von Kaufverträgen mit Freien Mitarbeitern, die als Arbeitskraftunternehmer fungieren. Die Möglichkeiten des Übergangs in die geschlossenen Bereiche sind hier marginal. Allerdings bestehen für eine erhöhte Zahl Freier Mitarbeiter auch mittelfristige Bindungen durch wiederholte Einsätze in denselben Betrieben. Ein zweiter Typus – exemplarisch hierfür stehen die kleinen und eigenständigen ostdeutschen Baubetriebe – weist, relativ unabhängig von der Vertragsform, ebenfalls große offene Beschäftigungssysteme auf. Hier findet sich eine hohe Personalfluktuation sozialversicherungspflichtig Beschäftigter aufgrund betriebsbedingter Kündigungen, die vor allem auf eine schwankende Auftragslage zurückzuführen ist.22 Zusätzlich zu diesen zwei Haupttypen findet sich eine kleine Gruppe von Betrieben aus der Beratungsbranche, die große offene Bereiche aufweist und Dienstleistungen anbietet, die von anderen Unternehmen ausgelagert wurden, wie etwa Lohnbuchhaltung und Inkasso22
Für die Baubranche kann vorsichtig vermutet werden, dass sich eine „regionale Arbeitsteilung“ durchgesetzt hat. In Westdeutschland wird eine Personalpolitik der Subkontraktierung betrieben, die zu einem stabilen, aber eher kleinen Kern einer gut qualifizierten Restbelegschaft führt, während es sich bei den ostdeutschen eigenständigen Kleinstbetrieben um stark abhängige Nachunternehmen handelt (dazu Nienhüser 2007).
172
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
verfahren, z.T. auch im Callcenter-Betrieb. Daneben steht die heterogene Mehrzahl der Betriebe mit nur kleinen offenen Bereichen. Zu nennen wäre hier das ostdeutsche Kreditwesen mit hoher Befristungsquote, bei zugleich guten Möglichkeiten der Übernahme bei Bewährung, sowie die Chemiebranche mit hohen Leiharbeiteranteilen. Eine genauere Analyse offener betrieblicher Beschäftigungssysteme ist aber unterhalb der Aggregatebene von Wirtschaftszweigen und selbst unterhalb der Betriebsebene als solcher und vor allem jenseits bivariater Zusammenhänge anzusetzen. Dies zu leisten wird Ziel der folgenden Ausführungen sein 6. Zur Modellbildung Zur Erklärung der Beschäftigungsinstabilität greifen wir auf das flexible Instrument der Regressionsanalyse zurück. Die Art der Daten erfordert allerdings besondere Maßnahmen der Modellierung: Die abhängige Variable misst prozentuale Anteile von Stellen mit Kurzfristperspektive (bis zu zwei Jahre) an allen Arbeitsplätzen einer Betriebsstätte. Dies impliziert eine Limitierung der abhängigen Variablen zwischen 0 und 100%. Zudem ist die Verteilung der Kurzfristbeschäftigung stark rechtsschief. Etwa 40% der Fälle weisen einen Kurzfristanteil von 0% auf. Die Limitierung zusammen mit der Verteilungsform führen zu zwei Einschränkungen der Modellierbarkeit. Zum einen ist mit einer Verletzung der Homoskedastizitätsannahme im Falle linearer Regression zu rechnen, d.h. die Varianz der Schätzfehler wäre dann nicht auf jedem Intervall der Verteilung konstant. Die Schätzwerte selbst bleiben so zwar unverzerrt, wohl aber kommt es zu verzerrten Standardfehlern. Zudem kann es aufgrund der starken Häufung von 0%-Anteilen zu verzerrten Koeffizienten selbst kommen. Die lineare Regression also ist nicht sehr robust in Anbetracht der Datenform. Die älteste und bekannteste Möglichkeit im Umgang mit limitierten Variablen ist die Tobit-Regression. Es handelt sich hierbei um eine Erweiterung von Probit-Modellen für Variablen, die ebenso begrenzt (zwischen 0 und 1), aber dennoch kontinuierlich sein können. Die linkszensierten Werte (0%-Anteile) sowie alle darüber liegenden Werte werden dabei gesondert geschätzt. Im Falle der Kurzfristbeschäftigung ist eine Rechtszensierung (bei 100%) nicht notwendig. Eine generalisierte Form des Standard-Tobitmodells (Tobit-Typ I nach Amemiya 1984) ist die Intervallregression. Die Ergebnisse gleichen der Tobitregression, allerdings ermöglicht es die Intervallregression im Softwarepaket STATA, das Heteroskedastizitätsproblem durch den Einbezug robuster Standardfehler zu lösen. Jedoch ist die Tobit-Regression anfällig gegenüber nicht normalverteilten Störtermen (Beckmann 2002; Falk 2002). Wagner (2001) bemerkt zudem, dass das
6. Zur Modellbildung
173
Tobit-Modell nicht für Variablen geeignet sei, die, so wie Anteilswerte, per Definition limitiert sind. In dieselbe Richtung wie die Tobitmodelle weist auch die Generalisierte Lineare Modellierung (GLM) anhand von Bernoulli Quasi-Likelihood-Schätzungen mit robusten Standardfehlern auf der Grundlage einer Logit-Funktion (Papke, Wooldridge 1996). Hier ist allerdings das Verhalten bei kleinen Stichproben unklar (Smithson, Verkuilen 2006). Zudem gehen die Extremwerte selbst nicht in die Analyse ein, d.h. es handelt sich um eine selektive Stichprobe der Nutzungsintensität (Pfeifer 2005). Beide Modellvarianten haben also ihre Vor- und Nachteile.23 Wir haben uns deshalb dafür entschieden, die Determinanten des Stellenanteils mit Kurzfristperspektive erstens anhand einer Intervallregression der Gesamtstichprobe (Tab. 5.3, 1.) sowie zweitens mit der GLM-Modellierung der selektiven Stichprobe (ohne 0%-Werte) (Tab. 5.3, 2.) zu erfassen. Aufgrund der geringen Stichprobengröße werden nur die inhaltlich und statistisch bedeutsamen Variablen in die Einzelmodelle aufgenommen. Dabei werden lediglich die Vorzeichen der unstandardisieren Koeffizienten mit robusten Standardfehlern, nicht die Effektstärken selbst, interpretiert. Die Möglichkeit von Verzerrungen der Koeffizienten, die sich durch nicht berücksichtigte Variablen ergeben, wurden dadurch minimiert, dass die Robustheit der hier präsentierten Zusammenhänge durch den Einbezug einer Reihe weiterer Variablen getestet wurde. Die Modelle kurzfristiger Beschäftigung werden im Anhang mit dem Stellenanteil mit Mittel- und Langfristperspektive als jeweils abhängiger Variablen reproduziert, um Vergleiche zwischen offenen, halboffenen und geschlossenen Beschäftigungssystemen zu ermöglichen (Tab. A3). Auf den Einbezug einer Ost-West-Dummyvariable zur Kontrolle der regionalen Einbettung wurde verzichtet, da sie eine Residualkategorie verschiedenster Externalitäten darstellt und zugleich betriebsstrukturelle Merkmale abbildet. Um dennoch regionale Differenzen zu erfassen, werden separate Tobit- und GLM-Modelle für West- und Ostdeutschland dargestellt (Tab. 5.4). Regionale externe Effekte wurden im Gesamtmodell (Tab. 5.3) mit Hilfe der regionalen Arbeitslosenquoten (auf Arbeitsagenturebene) einge23
Die vorliegenden Modellergebnisse wurden anhand einer ebenfalls sehr gebräuchlichen Form von Tobitmodellen, die Zweistufige Heckman-Regression (Tobit-Typ III nach Amemiya 1984; siehe auch Pfeifer 2005), überprüft und konnten größtenteils bestätigt werden. Eine Reihe weiterer Modellierungsmöglichkeiten wurde für unsere Zwecke geprüft und verworfen, darunter die lineare Kleinstquadrate-Regression mit heteroskedastizitätsrobusten Standardfehlern nach einer Logit-Transformation der abhängigen Variable (Greene 2000: Kap.19; Papke, Wooldridge 1996; Wagner 2001; Smithson, Verkuilen 2006), die Censored Least Absolute Deviance (CLAD)-Methode (Beckmann 2002; Falk 2002) sowie die GLM-Beta-Regression (Papke, Wooldridge 1996; Wagner 2001; Smithson, Verkuilen 2006). Aus Platzgründen kann dies hier nicht näher diskutiert werden.
174
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
fangen, die eine sehr starke Korrelation (r2=0,87, bei 1%-Signifikanz) mit dem Ost-West-Dummy aufweisen. Zusätzliche Partialmodelle auf der Grundlage von Tobitregressionen werden in der Diskussion der jeweiligen unabhängigen Variablen präsentiert (Tab. A2, Tab. 5.5). Zur Interpretation der Modelle werden schließlich sowohl die Informationen aus der Deskriptivanalyse als auch weiterer multivariater Analysen zu den unabhängigen Variablen genutzt, die hier nicht dargestellt werden können. 7. Ergebnisse: Erklärungsmodelle kurzfristiger Beschäftigung Im Folgenden werden die Ergebnisse der multivariaten Analysen vorgestellt, beginnend mit Externalitäten. Nachfolgend wird dann auf die Einflüsse der unterschiedlichen Dimensionen des Leistungsverfügbarkeitsproblems (Allokation und Qualifikation) und des Leistungsbereitschaftsproblems (Kontrolle und Gratifikation) eingegangen. Externalitäten Ein grober Indikator zugleich externer Einflüsse und betriebstruktureller Merkmale ist die Zugehörigkeit zu einem Wirtschaftszweig. Wir vermuteten, dass sich die deskriptive Branchenheterogenität (Abschnitt 4) nach Kontrolle vor allem betriebsstruktureller Variablen nivelliert. Diese Vermutung hat sich vor allem nach Einbezug der Vertragsformen sowie der Ein- und Ausstellungsraten in einem multivariaten Modell (hier nicht dargestellt) bestätigt (Abschnitt 4). So konnte im Modell auf den Einbezug von Branchenvariablen verzichtet werden. Ein direkter Indikator für die Entwicklung der Nachfrage am Produktmarkt sind hingegen konjunkturelle Rückgänge der Auftragslage, die, so die Vermutung, im Sinne eines „Nachfrageschocks“ zu offenen betriebliche Beschäftigungssystemen führen. Ostdeutschland dürfte dabei aufgrund der fragilen Marktlage stärker betroffen sein. Empirisch lässt sich die allgemeine These eines Zusammenhangs von Nachfrageschocks mit offenen betrieblichen Beschäftigungssystemen allerdings weder bivariat (Tab. A1) noch multivariat (hier nicht dargestellt) bestätigen. Im Falle eines Nachfragerückgangs wird vielmehr zuallererst durch eine besondere Form der nachfrageseitigen Schließung gegenüber dem Markt reagiert: 67% der Betriebe verzichten auf die Ersetzung ihres ausscheidenden Personals. Zudem werden innerbetriebliche Maßnahmen, wie Umsetzungen von Arbeitskräften (52% der Betriebe) oder Arbeitszeitkonten (48%) vorgezogen. Erst an vierter Stelle des Maßnahmenbündels stehen Entlassungen (45%). Und nur 36% der Betriebe, die Leiharbeiter oder Freie Mitarbeiter be-
7. Ergebnisse: Erklärungsmodelle kurzfristiger Beschäftigung
175
schäftigen, lösen bei Nachfragerückgängen Verträge mit diesen Beschäftigtengruppen auf. Wenn aber mit Entlassungen oder Vertragsaufhebungen reagiert wird, wirkt dies in besonderem Maße destabilisierend auf die Gesamtbelegschaft. Um zu erfassen, inwieweit ein Betrieb von Auftragsrückgängen und -schwankungen überhaupt ernsthaft betroffen ist, wurde weiter nachgefragt, inwieweit der Erhalt einer stabilen Auftragslage als „täglicher Kampf“ oder als eher unproblematisch betrachtet wird. Probleme mit der Auftragsstabilität haben vor allem die Betriebe der instabilen Wirtschaftszweige Bildung (64%) und Bauwesen (59%). Erwartungsgemäß müsste hier Konjunkturanfälligkeit in besonderem Maße zu offenen Beschäftigungssystemen führen. Und in der Tat ergibt sich ein signifikanter positiver Zusammenhang mit kurzfristigen Beschäftigungsperspektiven – ein Indiz dafür, dass nicht die Externalitäten auf dem Produktmarkt als solche, sondern deren Wahrnehmung von Relevanz für die Gestaltung betrieblicher Beschäftigungssysteme ist. Die externe Arbeitsmarktlage wurde über die regionalen Arbeitslosenquoten des Erhebungsjahres 2004 erfasst. Hierzu lassen sich divergierende Thesen formulieren. Einerseits ermöglicht die „Reservearmee“ der Arbeitslosen dem Arbeitsnachfrager den Zugriff auf den Markt zur Lösung des Verfügbarkeitsproblems. Der Austausch leistungsfähigen und -bereiten Personals sollte so erleichtert werden. Andererseits kann gerade die Reservearmee als „worker disciplining device“ (Shapiro, Stiglitz 1984) wirken und zu einem angebotsseitigen Schließungsprozess führen. In den Modellen lässt sich beobachten, dass eine hohe regionale Arbeitslosigkeit – dies betrifft vor allem den Osten Deutschlands – zu einer Destabilisierung sowohl in offenen als auch geschlossenen Bereichen führt (Tab. 5.3; Tab. A2). Die These einer Schließung von Belegschaftsteilen kann somit nicht bestätigt werden. Allerdings lässt sich auch nicht feststellen, dass Betriebe in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit bessere externe Rekrutierungsmöglichkeiten haben. Eine hohe regionale Arbeitslosigkeit sollte deshalb eher als Ausdruck einer schlechten wirtschaftlichen Lage der Mehrzahl der Betriebe einer Region interpretiert werden. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit werden schlichtweg kaum Beschäftigte rekrutiert, sondern über alle Betriebsbereiche hinweg freigesetzt. Ein zweiter Arbeitsmarktindikator erfasst Betriebe mit „Schwierigkeiten, benötigte Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt rekrutieren zu können“. Mit Blick auf die Befunde des deutschen Segmentationsansatzes (Lutz 1987) war zu erwarten, dass Betriebe mit externen Rekrutierungsproblemen Beschäftigungsstabilität fördern. Dabei wäre gemäß einer Beveridgekurve zunächst ein negativer Zusammenhang der regionalen Arbeitslosigkeit mit dem Fachkräftemangel zu vermuten (Sesselmeier, Blauermel 1998). Eine mögliche externe Mismatchproblematik kann aber ebenso einen völlig inelastischen Zusammenhang ergeben,
176
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
sodass eine hohe Zahl fehl- oder unterqualifizierter Arbeitsloser durchaus mit spezifischen Rekrutierungsproblemen von Fachkräften korrespondieren kann (Sengenberger 1990). In den Betrieben sollten sich dann zugleich offene betriebliche Beschäftigungssysteme finden lassen, die sich aus einer hohen Fluktuation der Randbelegschaft erklären, sowie geschlossene Beschäftigungssysteme mit stark nachgefragten Fachkräften. Betrachten wir die Ergebnisse, dann wird deutlich, dass Betriebe mit externen Rekrutierungsproblemen weder verstärkt offene Bereiche aufweisen (Tab. A1) noch gelingt ihnen die Stabilisierung und Bindung von Beschäftigten (hier nicht dargestellt). Der Fachkräftemangel tritt eher dann auf, wenn die Fachkräfte angebotsseitig in halboffenen Beschäftigungssystemen überbetrieblich mobil sind und diese Mobilität durch betriebliche Maßnahmen nicht kompensiert werden kann. In Betrieben mit externen Rekrutierungsproblemen haben 35% der im Jahr 2004 ausgeschiedenen Beschäftigten selbst gekündigt, während dies nur bei 20% in Betrieben ohne Rekrutierungsprobleme von Fachpersonal der Fall war. Zudem sind Betriebe mit Fachkräftemangel überproportional häufig mit Matchingproblemen bereits in der Probezeit des neu eingestellten Personals konfrontiert. Um nähere Auskünfte über die Strukturen betrieblicher Beschäftigungssysteme selbst zu erhalten, wenden wir uns nun den betriebsinternen Indikatoren der personalpolitischen Bezugsprobleme zu.
7. Ergebnisse: Erklärungsmodelle kurzfristiger Beschäftigung
177
Tabelle 5.3: Intervall- und GLM-Regression Beschäftigtenanteile mit Kurzfristperspektive 1. Intervall Externali- Stabile Auftragslage als tägl. Kampf täten Regionale Arbeitslosenquote Kleinbetrieb (unter 20 Beschäftigte) Outsourcing (2003-2004) Vertragsformen (% Gesamtbesch.) Befristet Leiharbeit Allokation Freie Mitarbeit Einstellungsrate (% SV-Pflichtige) Frauen (% SV-Pflichtige) Personalprobleme durch Mutterschaft Beschäftigte <35 Jahren (% SV) Fachl. Qualifikationen (>Median) Kurze Einarbeitungszeit (>Median) QualiBetriebsspezif. Wissen (>Median) fikation Finanzierung von Weiterbildung An Innovation beteiligt (>Median) Kontrolle im Ergebnis (vs. im Prozess) Kontrolle Team- oder Gruppenarbeit Kooperationsdichte (>Median) Gratifi- Motivation durch Entgeltsysteme kation / Erfolgsabhängige Lohnprämien Legiti- Entlohnung n. Betriebszugehörigkeit mation Betriebsrat N Linkszensierungen LL(Null) LL(Gesamt) Wald chi² B IC (= -2LL + (K+1)*ln(N))
2. GLM 0,29
0,48 -6,7 -6,8
(0,17) (2,6) (2,9)
0,22 0,78 0,29 0,30 -0,11 4,9 0,16 -3,8 6,9 7,6
(0,09) (0,20) (0,08) (0,10) (0,04) (2,7) (0,06) (2,0) (2,1) (2,1)
-0,05 9,6 -3,4 -3,7
(0,03) (2,6) (2,0) (2,1)
7,9
(3,0)
0,41
(0,15)
0,01 0,04 0,01 0,02
(0,004) (0,006) (0,003) (0,005)
-0,32
(0,11)
0,29 -0,41 -0,23
(0,11) (0,12) (0,13)
-0,27
-0,22
401 192 -1087 -1009 147 2131
(0,11)
(0,11)
(0,11)
229 --137,2 -70,55 -212
Modell mit robusten Standardfehlern (Z-Werte in Klammern). Konstante berechnet und signifikant auf 1%-Niveau, nicht dargestellt. Signifikanzniveau: fett = 1%, fett und kursiv = 10%
178
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Tabelle 5.4: Intervall- und GLM-Regression Beschäftigtenanteile mit Kurzfristperspektive – Ost-West West 2. GLM 1. Intervall
Ost 3. Intervall
4. GLM
Allokation Kleinbetrieb (<20 Beschäftigte) Outsourcing (2003-2004) Vertragsformen (% GB) Unbefristet Minijob Befristet Leiharbeit Freie Mitarbeit Ausstellungsrate (% SV) Frauen (% SV) Personalprobleme durch Mutterschaft Matching-Probleme in der Probezeit
-9,6 -7,3
(2,9) (3,4)
0,47
(0,19)
0,58 (0,14) 0,27 (0,1) 0,29 (0,06)
0,01 (0,004) 0,02 (0,006)
-8,3
(3,7)
0,45 (0,14) 0,34 (0,12) 0,95 (0,16) 0,39 (0,1)
0,56
(0,17)
0,02 (0,004)
-0,1 (0,05) 7,8
(2,6)
8,6
(3,8)
0,47
(0,16)
Qualifikation Einfache Qualifikationen (>Median) Betriebsspezifisches Wissen vorhanden
4,2
(2,5)
-4,3
(2,3)
5,4
(3,1)
0,31
(0,17)
5,3
(2,9)
0,16
(0,16)
Kontrolle Team- oder Gruppenarbeit Kooperationsdichte (> Median)
Gratifikation/ Legitimation Motivation durch Entgeltsysteme -5,5 (2,8) -0,33 (0,15) Erfolgsabhängige Lohnprämien 7,5 (2,5) Entlohnung nach Betriebszuge0,57 (0,18) 14,1 (3,9) hörigkeit Betriebsrat -0,34 (0,13) -3,4 (3,1) -0,32 (0,18) N 110 192 227 133 Linkszensierungen -95 103 -Log Pseudo-Likelihood (Null61,51 -495,6 -645,2 -57,42 modell) -32,08 Log Pseudo-Likelihood (End-446,7 -610,0 -44,04 modell) 2 Wald chi -223,2 68,49 -BIC (= -2LL + (K+1)*ln(N)) 97,07 961,7 1290,45 122,3 Modell mit robusten Standardfehlern (Z-Werte in Klammern). Konstante berechnet und signifikant auf 1%-Niveau, nicht dargestellt. Signifikanzniveau: fett = 1%, fett und kursiv = 10%
7. Ergebnisse: Erklärungsmodelle kurzfristiger Beschäftigung
179
Allokation Insbesondere kleine Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten sollten aufgrund geringer Elastizitätsspielräume und darauf abgestimmter Kündigungsschutzregelungen eine instabile Beschäftigungsstruktur aufweisen. Allerdings verzeichnen seit den 1990er Jahren vor allem Großbetriebe Beschäftigungsabbau (Bellmann u.a. 1996), wobei auch Auswirkungen auf geschlossene Beschäftigungssysteme zu vermuten sind. Im B2-Betriebspanel ist der Zusammenhang instabiler Beschäftigung mit der Betriebsgröße ambivalenter Natur. Generell weisen Kleinbetriebe signifikant weniger offene Bereiche auf (Tab. 5.3, Modell 1). Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass nur knapp ein Drittel der Kleinbetriebe unter 20 Beschäftigten (32%), gegenüber zwei Drittel der größeren Betriebe (68%), überhaupt Stellen mit Kurzfristperspektive nutzt. Vergleicht man aber Betriebe, die offene Systeme aufweisen, so kehrt sich der Zusammenhang um (Tab. 5.3, Modell 2). Es spricht somit einiges dafür, im Falle der Betriebsgröße die Existenz instabiler Stellen als solcher von der Nutzungsintensität zu unterscheiden. Auf die Veränderung der betrieblichen Außengrenzen bezogen sind Auslagerungsprozesse, die bis zu 2 Jahre vor dem Befragungsstichtag durchgeführt worden sind. Unsere Vermutung zielte auf eine Stabilisierung der gesamten Restbelegschaft, da Auslagerungen selbst überwiegend offene betriebliche Beschäftigungssysteme betreffen. Empirisch zeigen sich Prozesse der Auslagerung vormals selbst erstellter Güter und Dienstleistungen vor allem in Großbetrieben mit mehr als 300 Beschäftigten. In den multivariaten Modellen findet die Hypothese einer stabilisierenden Wirkung von Auslagerungsprozessen auf Kernbelegschaften empirische Bestätigung (Tab. 5.3). Allerdings betrifft dies eher die westdeutschen Betriebe, da hier aufgrund der vergleichsweise großbetrieblichen Struktur ein höheres Auslagerungspotential vorhanden ist (Tab. 5.4). Die Abnahme offener betrieblicher Beschäftigungssysteme ist dabei nicht mit einer gleichzeitigen Zunahme stark geschlossener Systeme verbunden (nicht dargestellt). Auslagerung kann damit als ein Externalisierungsprozess offener betrieblicher Beschäftigungssysteme betrachtet werden, der die restliche Stellenstruktur relativ unbeeinflusst lässt. In Bezug auf die Ausgestaltung von Arbeitsverträgen wurden drei Formen unterschieden, die sich auf einem Kontinuum von stark geschlossenen zu stark offenen Positionen bewegen: erstens unbefristete und zweitens befristete Arbeitsverträge, beides als „Schuldverhältnisse“ unterschiedlicher Dauer, sowie drittens externe Kauf- bzw. Werkverträge (Leiharbeitsverhältnisse sowie Freie Mitarbeiter). Erst sekundär wurde in vertraglich festgelegte, unterschiedliche Wochenarbeitszeiten (Teilzeitarbeit, darunter Minijobs) sowie die Förderung
180
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
durch staatliche Lohnkostenzuschüsse differenziert. Sind diese Formen mit einem unbefristeten Vertrag verknüpft, gelingt, so lautete unsere These, die Einschließung in den Belegschaftskern. Die Analyse der vertraglich atypischen Beschäftigungsformen im Gesamtmodell (Tab. 5.3) wurde im Anhang näher spezifiziert (Tab. A2) und bietet gegenüber der Ausgangsannahme ein differenzierteres Bild. Zunächst bestätigt sich, dass alle unbefristeten Vertragsformen, darunter öffentlich geförderte Stellen, sowie die Teilzeitbeschäftigung nicht als atypisch im Sinne der hier vorgenommenen Definition zu gelten haben – mit Ausnahme der in Minijobs Beschäftigten in Ostdeutschland. Weiterhin findet die These Bestätigung, dass Kaufverträge (Freie Mitarbeit, Leiharbeit) offene Beschäftigungssysteme konstituieren.24 Die marginalen Übernahmechancen zeugen von engen und abgeschotteten innerbetrieblichen Allokationsräumen. Der zwischenbetriebliche, externe Arbeitsmarkt steht hier im Fokus der Beschäftigtenmobilität. Ein Gutteil der Freien Mitarbeiter weist allerdings auch eine mittelfristige Beschäftigungsperspektive auf (Tab. A3), die auf Kettenverträgen beruht, sodass hier nicht von einem generalisierten Risiko der Kurzfristbeschäftigung die Rede sein kann. Zudem muss die globale These, dass Befristung eher in geschlossenen Bereichen zu finden ist, verworfen werden. Insbesondere die Befristung öffentlich geförderter Arbeitsplätze – darunter Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) gemäß SGB-III, aber auch die eigentlich als Wiedereingliederungshilfen geltenden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) – ist in hohem Maße mit unsicheren Beschäftigungsperspektiven verbunden (Kapitel IV). Diese Befristungsformen können als Flexibilitätspuffer im Bereich geringer Qualifikationsanforderungen gelten. Dies gilt ebenso für die in Minijobs Beschäftigten in Ostdeutschland. In Bezug auf geringfügige Beschäftigung lässt sich damit, unabhängig davon, ob es sich um befristete Verträge handelt oder nicht, eine Ost-West-Differenz in den Beschäftigungssystemen feststellen. In Westdeutschland handelt es sich bei Minijobs überwiegend um Frauenbeschäftigung. Die geringere Wochenarbeitszeit der westdeutschen Frauen destabilisiert zumindest nicht die Beschäftigung. In Ostdeutschland sind Minijobs hingegen, auch und vor allem angesichts der Vollzeitpräferenzen ostdeutscher Frauen, temporal marginalisiert. Ein weiterer Ost-West-Unterschied ergibt sich interessanter Weise in die entgegengesetzte Richtung. Gerade in Westdeutschland lassen sich für die Befristung auf Vollzeitstellen (und ohne staatliche Subventionierung) hohe Übernahmequoten ausmachen (Tab. 5.2). Dennoch bestehen hier insgesamt, im Ver24
Die Insignifikanz der Leiharbeit in Westdeutschland ist dabei vermutlich dem geringen Belegschaftsanteil geschuldet.
7. Ergebnisse: Erklärungsmodelle kurzfristiger Beschäftigung
181
gleich zu Ostdeutschland, sehr kurze Beschäftigungsperspektiven, sodass diese Befristungsform keineswegs als „Sprungbrett“ in sichere Beschäftigung gelten kann. Vielmehr ist zu vermuten, dass vor allem in Westdeutschland die Rechtsnorm der „Befristung der Befristung“, also des erzwungenen Übergangs in unbefristete Beschäftigung, auf Seiten der Arbeitsnachfrage zu einem gewissen Entscheidungs- bzw. Selektionsdruck und damit zu einer Polarisierung der befristeten Beschäftigungsgruppen führt. Einerseits haben Befristete bei Bewährung und entsprechender Konjunkturlage durchaus gute Chancen auf Übernahme. Andererseits sorgt die exakte Terminierung dafür, dass zum Vertragsablauf verhältnismäßig viele Beschäftigungsverhältnisse aufgrund fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten enden. Es ist deshalb auch von einer angebotsseitigen Unsicherheit in Bezug auf eine mögliche Übernahme auszugehen, die zu geringer Mitgliedschaftsmotivation und damit zur Öffnung der betrieblichen Beschäftigungssysteme führt. Darüber hinaus wird Befristung oftmals als Ausgleich von absehbaren vorübergehenden Personalschwankungen, etwa durch Mutterschaftsunterbrechungen, genutzt (siehe auch Hagen, Boockmann 2002). In Ostdeutschland ist die Gruppe der befristet in Vollzeit Beschäftigten um einiges größer und es bestehen geringere Übernahmechancen. Wenn dies nicht zu sehr kurzfristigen Beschäftigungsperspektiven führt, liegt das vermutlich daran, dass eine Verlängerung der Befristung über den gesetzlichen Zweijahres-Zeitraum hinaus angesichts der ostdeutschen Marktlage sachlich besser begründbar ist. Die selektive Wirkung der Befristung, so darf vermutet werden, ist hier auf ein größeres Zeitfenster verteilt. Neben den durch die Vertragsform eröffneten Freisetzungsmöglichkeiten wurde im Betriebspanel die faktische Beschäftigtenmobilität erfasst. Die Einstellungsrate, so unsere These, sollte mit unsicheren Beschäftigungsperspektiven verbunden sein. Die aktuelle Unsicherheit in Bezug auf zukünftige Ereignisse führt zusammen mit der hohen Selektivität neu begonnener Beschäftigungsverhältnisse zu einer instabilen Beschäftigungslage. Bei Ausstellungen vermuteten wir hingegen Ambivalenz: Tendenziell sollten Entlassungen, etwa aufgrund von Sozialplänen bzw. Kündigungen aufgrund der allgemeinen Mismatchproblematik, eher im Bereich offener betrieblicher Beschäftigungssysteme zu finden sein. Andererseits sind Altersaustritte in geschlossenen Systemen angesiedelt. Insgesamt gingen wir dennoch von hohen Austrittsraten in offenen Beschäftigungssystemen aus. Betrachtet man den Zusammenhang der Kurzfristperspektiven mit der Einstellungsrate im Gesamtsample (Tab. 5.3), so ist in allen Modellen erkennbar, dass den neu eingestellten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erwartungsgemäß nur eine kurze Beschäftigungsperspektive beschieden ist. Für die Personalabgänge lässt sich hingegen kein signifikanter Effekt feststellen. Das Ergebnis lässt auf die erwartete Ambivalenz schließen. Personal-
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abgänge finden allerdings in Westdeutschland eindeutig im Bereich offener betrieblicher Beschäftigungssysteme statt (Tab. 5.4). Die Variable besitzt hier einen sehr hohen Erklärungsanteil. Es besteht eine Korrelation der Austrittsrate vor allem mit den befristeten Vertragsformen. Dies lässt den Schluss zu, dass die Freisetzung vor allem befristet Beschäftigter im Westen quantitativ zwar eine geringere Rolle spielt, aber gerade dort stark offene, wenn auch kleine Bereiche konstituiert. In Ostdeutschland sind Austritte hingegen über alle Beschäftigungssysteme gleich verteilt. Zwar entsprechen Geschlechterdifferenzen auch Qualifikationsdifferenzen, da die Qualifikationsdimension hier jedoch kontrolliert wird, ist davon auszugehen, dass der Frauenanteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten die Allokationsdimension betrifft. Hierbei ist einerseits das Problem der Unsicherheit betrieblicher Entscheider in Bezug auf die Amortisation von Bindungsinvestitionen angesichts möglicher Schwangerschaftszeiten angesprochen. Dies kann entgegengesetzte Effekte implizieren. Auf der einen Seite führen die betrieblichen Eintrittsbarrieren für Frauen auf dem externen Arbeitsmarkt (Falk 2000) dazu, dass sich bereits beschäftigte Frauen als Insider angebotsseitig verstärkt um Schließung bemühen. Andererseits ist davon auszugehen, dass Frauen, die einmal die betriebliche Grenze überschritten haben, dennoch in offenen betrieblichen Beschäftigungssystemen beschäftigt werden, da spezifische Investitionen von Seiten der Nachfrage problematisch sind. In den multivariaten Modellen jedoch wird sichtbar, dass Frauenbeschäftigung eher in geschlossenen (Tab. A2) und seltener in offenen Bereichen (Tab. 5.3) anzutreffen ist – und dies vor allem im Osten Deutschlands (Tab. 5.4). In beiden Landesteilen nehmen Frauen allerdings Einkommenseinbußen aufgrund der Höhe der Wochenarbeitszeit (Teilzeitarbeit) in Kauf. Die Schließungsmöglichkeiten, das ergab ein weiteres, hier nicht dargestelltes Modell mit Interaktionseffekten, bestehen dabei vor allem für fachlich qualifizierte Frauen, während einfach qualifizierte Frauen eher in offenen Beschäftigungssystemen tätig sind. Vom reinen Geschlechtereffekt zu trennen sind Verfügbarkeitsprobleme, die auf den angebotsseitigen Familienkontext zurückzuführen sind. Erfragt wurde, ob in den letzten zwei Jahren bis zum Befragungsstichtag Personalprobleme durch Mutterschaftsunterbrechungen auftraten. Es ist nicht zu vermuten, dass Frauen, die im Laufe ihrer Betriebszugehörigkeit in Schwangerschafts- und Erziehungsurlaub gehen, kurzfristige Beschäftigungsperspektiven aufweisen, wenn es sich auch um eine überwiegend junge Altersgruppe handelt, die womöglich erst kurzzeitig im Betrieb beschäftigt ist. Dies ist zweifach begründet. Erstens bestehen rechtsinstitutionelle Rahmenbedingungen, die es Frauen ermöglichen, nach der Schwangerschaftszeit wieder in den alten Betrieb zurückzukehren, sodass der Abbruch der Beschäftigung nicht mit einem Ende der Betriebszugehö-
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rigkeit verbunden ist. Zweitens ist zu erwarten, dass Schwangerschaften in der Regel erst nach dem Durchlaufen einer Unsicherheitsphase nach Betriebseintritt geplant werden. Diese Hypothesen lassen sich im multivariaten Modell vorerst nicht bestätigen (Tab. 5.3). Vor allem für Westdeutschland sind Personalprobleme durch Mutterschaften durchaus mit offenen Systemen verknüpft. Dennoch lassen wir unsere Thesen nicht fallen. So ist festzustellen, dass Betriebe mit derartigen Personalproblemen verstärkt auf befristete Beschäftigung zurückgreifen. Hieraus lässt sich durchaus auch schlussfolgern, dass nicht die Frauen, die sich in Schwangerschaftszeiten befinden, kurzfristige Beschäftigungsperspektiven aufweisen, sondern dass auf den nun vakanten geschlossenen Positionen vor allem befristet Beschäftigte zur Lösung des entstandenen Verfügbarkeitsproblems eingesetzt werden. Gemäß der Unterscheidung von Arbeitsmarkt und Organisation bedarf es, neben der Frage nach Rekrutierungsproblemen am externen Markt, eines Indikators für betriebsinternes Mismatching, das sich aus einer ex-ante-Informationsasymmetrie ergibt. Dies wurde durch die Frage abgedeckt, ob in den 2 Jahren bis zum Befragungsstichtag Personalprobleme dergestalt auftraten, dass neu eingestelltes Personal bereits in der Probezeit wieder entlassen werden musste. Solche Personalprobleme sollten einen Teil der Personalfluktuation erklären können und zu einer instabilen Stellenstruktur in allen Beschäftigungssystemen führen. Empirisch sind Matchingprobleme mit den in Probezeit Beschäftigten nur in Westdeutschland mit offenen betrieblichen Beschäftigungssystemen verbunden (Tab. 5.4). Es handelt sich hier vor allem um Chemiebetriebe mit zugleich hohen Anteilen betriebsspezifisch Beschäftigter sowie von Leiharbeitern. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass die in Probezeit Beschäftigten nur kurze Beschäftigungsperspektiven aufweisen. Vielmehr kann geschlussfolgert werden, dass die in den eher geschlossenen betrieblichen Beschäftigungssystemen der westdeutschen Chemiebetriebe auftretenden Allokationsprobleme strategisch durch Leiharbeit bearbeitet, nicht aber beseitigt werden. Auch in Ostdeutschland besteht ein generell positiver, allerdings nicht signifikanter Effekt von Probezeit auf Kurzbeschäftigung. Analog zur Matchingproblematik der Probezeit sollten insbesondere in Betrieben mit einer jungen Altersstruktur, gemessen über den Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter unter 35 Jahren, Allokationsprobleme auftreten, die zu offenen Beschäftigungssystemen führen. Dies ist im Gesamtmodell (Tab. 5.3) der Fall. Umgekehrt ließen sich jedoch keine Schließungstendenzen für ältere Beschäftigte nachweisen. Wenden wir uns nun genauer der qualitativen Dimension des Verfügbarkeitsproblems zu.
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Qualifikation Die Theorie liefert keine eindeutigen Aussagen zum Zusammenhang des Qualifikationsniveaus mit der Beschäftigungsperspektive. Wir vermuteten zunächst allgemein und entgegen dem klassischen Segmentationsansatz, dass Betriebe mit einem hohen Stellenanteil fachlicher im Vergleich zu einfachen und hohen Qualifikationsanforderungen eher geschlossene betrieblichen Beschäftigungssysteme aufweisen. Dabei unterscheiden sich die Funktionsweisen der offenen Systeme mit einfachen von solchen mit hohen Anforderungen in starkem Maße, so die Annahme. Während erstere im Sinne einer Randbelegschaft die Restbelegschaft stabilisieren, ist davon auszugehen, dass letztere als „high performance work organizations“ eher einen Betriebstypus als solchen, jenseits des Facharbeiterbetriebes, darstellen. Im B2-Betriebspanel ist zunächst einmal die These der generellen Geschlossenheit berufsfachlicher Positionen zu bestätigen (Tab. 5.3). Wechselt man die Referenzkategorien, zeigt sich aber, dass eine Zunahme des Stellenanteils mit einfachen Qualifikationsanforderungen zuungunsten der fachlich sowie hoch Qualifizierten nur in Ostdeutschland zu instabileren Beschäftigungsperspektiven führt. Der generellen These eines volatilen Jedermannsarbeitsmarktes für einfache Tätigkeiten ist damit nicht zuzustimmen. Dennoch ist die Stamm-Randbelegschafts-These nicht von der Hand zu weisen. Für eine Analyse des Verhältnisses offener und geschlossener Systeme innerhalb der Betriebe ist es notwendig solche Betriebe zu vergleichen, die auch offene Bereiche aufweisen (Tab. 5.5). Hier wird dann deutlich, dass, wenn die fachlichen und hohen Qualifikationsanforderungen eher in geschlossenen Beschäftigungssystemen zu finden sind, auch ein erhöhter Anteil von Beschäftigten mit Kurzfristperspektive zu verzeichnen ist, die eher auf Stellen mit einfachen Qualifikationsanforderungen beschäftigt sind. Dieser Schließungsprozess lässt sich am stärksten für die akademischen Positionen beobachten. Damit sind für die hohen Qualifikationen zwei Betriebstypen anzunehmen: Auf der einen Seite stehen Betriebe in Form von „high performance work organizations“, die gegenüber geschlossenen Facharbeiterbetrieben eher halboffene Beschäftigungssysteme aufweisen, so etwa in der Bildungsbranche. Auf der anderen Seite findet sich der segmentierte Betrieb, in dem gerade die Akademikerpositionen auf lange Frist angelegt und durch einen Rand offener Beschäftigungssysteme geschützt sind.
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Tabelle 5.5: GLM-Regression Beschäftigtenanteile mit Kurzfristperspektive Externalitäten Verfügbarkeit: Allokation
Verfügbarkeit: Qualifikation
Regionale Arbeitslosenquote Vertragsformen: Befristet, Leiharbeit, Freie Mitarbeit (Belegschaftanteile in %) Einstellungsrate (% SV-Pflichtige) Stellenanteil mit Kurzfristperspektive hohe Qualifikationsanforderungen fachliche Qualifikationsanforderungen betriebsspezifisches Wissen Stellenanteil mit Langfristperspektive hohe Qualifikationsanforderungen fachliche Qualifikationsanforderungen betriebsspezifisches Wissen N
0,007
(0,009)
0,015
(0,003)
0,020
(0,006)
-0,006 -0,001 0,002
(0,003) (0,002) (0,002)
0,012 0,005 0,004
(0,003) (0,003) (0,002) 197 -137,2 -60,13 173
Log Pseudo-Likelihood (Nullmodell) Log Pseudo-Likelihood (Endmodell) BIC (= -2LL + (K+1)*ln(N)) Modell mit robusten Standardfehlern (Z-Werte in Klammern). Konstante berechnet und signifikant auf 1%-Niveau, nicht dargestellt. Signifikanzniveau: fett = 1%, fett und kursiv = 10%
Theoretisch bedeutender für den Schließungsprozess als die Höhe der Qualifikation ist die Spezifität betrieblichen Wissens. Betriebsspezifität ist eine mehrdimensionale Variable. Wir nehmen deshalb eine Differenzierung dreier Spezifitätsmaße vor. Ein erstes Maß ergibt sich aus dem Anteil an Stellen, die eine nur kurze Einarbeitungszeit von weniger als einem Monat erfordern. Diese Stellen können, unabhängig vom Qualifikationsniveau, nicht als betriebsspezifisch gelten (Alewell 1993). Folglich ist hier empirisch eine offene Stellenstruktur zu erwarten (Hübler, König 1999). Dies bestätigt sich in unseren Modellen (Tab. 5.3), allerdings ohne Auswirkungen auf halboffene und geschlossene Bereiche (nicht dargestellt). Dabei lassen sich zwei Betriebstypen mit derart unspezifischen offenen Bereichen identifizieren. Auf der einen Seite stehen Betriebe der Pflegebranche, mit 68% aller Stellen ohne lange Einarbeitungszeit und zugleich mit verstärkt einfachen, aber auch berufsfachlichen Qualifikationsanforderungen und geringfügiger Beschäftigung, vor allem befristeter Art. Auf der anderen Seite finden sich Weiterbildungbetriebe mit 64% kurzer Einarbeitungszeit, tendenziell hohen Qualifkationsanforderungen und freien Mitarbeiterverträgen. Es handelt sich in beiden Betriebstypen gewissermaßen um Jederpersonentätigkeiten, mit allerdings divergierenden Qualifikationsvoraussetzungen.
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In der Literatur finden sich auch Versuche, „die“ Kernvariable des Transaktionskosten- und Segmentationsansatzes, die „Betriebsspezifität“, direkt zu erfassen (bspw. Nienhüser 2004). Hierbei sind vorrangig drei Dimensionen zu berücksichtigen (Alewell 1993: Abschnitt 3.1): Erstens ist die Art der Qualifikation zu definieren. Wir beschränken die Spezifitätsvariable hier auf Arbeitsinhalte. Gemeint ist also nicht die Spezifität etwa des Sozialkapitals, also des Wissen um betriebliche Kooperationsbeziehungen. Da Wissen um Arbeitsinhalte, wie spezifisch es sein mag, immer auch einen allgemeinen Anteil beinhaltet, muss die Frage zweitens auf einen relational hohen Anteil spezifischen Wissens bezogen sein. Schließlich ist die Spezifität des Wissens drittens vor allem dadurch definiert, dass es nicht in anderen Betrieben genutzt werden kann. Mit der Frage nach dem Anteil an Stellen, die „einen hohen Anteil spezifischen inhaltlichen Wissens“ erfordern, „der kaum in anderen Betrieben genutzt werden kann“, wurden alle drei Dimensionen der Betriebsspezifität direkt erfasst. Zu erwarten wäre ein stark negativer Zusammenhang mit offenen Beschäftigungssystemen. Allerdings kann ebenso gemutmaßt werden, dass gerade eine Schließungsstrategie des betriebsspezifischen Stammpersonals ein offenes System als Puffer gegen Umwelteinflüsse erfordert. Im B2-Betriebspanel beträgt der Stellenanteil mit betriebsspezifischem Wissen im Durchschnitt 20%. Mit 36% ist Betriebsspezifität vor allem ein Merkmal von Chemiebetrieben. Nicht signifikant, aber über dem Durchschnitt liegen die Verlage (25%) sowie der Maschinenbau (22%). In den instabilen Wirtschaftszweigen Bildung (13,6%) und Bau (15,2%) spielt Betriebsspezifität eine nur untergeordnete Rolle. Der Zusammenhang der Betriebsspezifität mit den Beschäftigungsperspektiven ist ambivalent. Betrachtet man die Gesamtmodelle zur Kurzfristbeschäftigung (Tab. 5.3), so zeigt sich auf den ersten Blick ein eher unerwartetes Ergebnis: Betriebe, in denen Beschäftigte überhaupt betriebsspezifische Qualifikationen aufweisen (der Median der Spezifität liegt bei 0% Kurzfristanteil), verfügen auch eher über offene betriebliche Beschäftigungssysteme. Geht man dem näher nach, wird erkennbar, dass hier die Stamm-Rand-These und damit die Problematik ökologischer Fehlschlüsse zu berücksichtigen ist. In Tabelle 5.5 wird deutlich: Betriebe mit einem hohen Anteil betriebsspezifischer Stellen mit Langfristperspektive weisen zugleich überproportional offene Beschäftigungssysteme auf. Die klassische Spezifitätsthese der Transaktionskostenökonomik muss damit reformuliert werden. Es sind zwei Betriebstypen zu unterscheiden: Die Belegschaften in Betrieben ohne betriebsspezifische Qualifikationsanforderungen sind insgesamt geschlossener und homogener in Bezug auf die Beschäftigungsperspektiven. Betriebe mit Spezifität weisen hingegen eine polare Struktur auf. Hier gelingt die Schließung nur einer relativ kleinen Gruppe spezifisch Beschäftigter, geschützt durch große offene Beschäftigungssysteme. Mit anderen Worten: Betriebsspezifität hat durchaus ihre vermu-
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tete Wirkung, allerdings nicht in dem vom Transaktions- und Segmentationsansatz angenommenen Ausmaß. Ein drittes Spezifitätsmaß, das als eine Form der nachfrageseitigen Investition in Humankapital betrachtet werden kann, bietet die Frage nach einer häufigen Beteiligung des Betriebes an der Finanzierung inner- oder außerbetrieblicher Weiterbildung. Neuere Studien gehen davon aus, dass auch im Falle von Marktunvollkommenheiten in hohem Maße in allgemein verwertbare Weiterbildung investiert wird (Hübler, König 1999). In jedem Fall erfordert eine derartige Investition eine gewisse Amortisationszeit. Sie sollte deshalb entweder als Bindungsanreiz für angebotsseitig mobile Beschäftigte dienen und damit ein Turnoverproblem im Bereich geschlossener betrieblicher Beschäftigungssysteme beseitigen oder generell nur Beschäftigten mit Langfristperspektive angeboten werden. Die Untersuchung von Hübler und König (1999) stützt eher die These einer Strategie der Beseitigung von Turnoverproblemen. Nachgewiesen wird ein positiver Zusammenhang der nachfrageseitigen Finanzierung von Weiterbildung sowohl mit der betrieblichen Austauschrate als auch den vom Betrieb dokumentierten Personalproblemen zu hoher Fluktuation oder der Fachkräfteabwanderung. Hinzu kommt, dass die hohen Austauschraten vor allem in Betrieben zu finden sind, die in erster Linie ihrer Stammbelegschaft Weiterbildung anbieten und Motivationsstrategien der internen Beförderung nutzen. Impliziert ist hier allerdings die Annahme, dass sich die hohen Austauschraten aus angebotsseitigen Abgängen im Belegschaftskern sozialversicherungspflichtig Beschäftigter ergeben. Dem scheint der Befund zu widersprechen, dass Betriebe, die Weiterbildung finanzieren, auch einen höheren Anteil langfristig (>10 Jahre) beschäftigter Mitarbeiter haben. Alles in allem besteht hier Klärungsbedarf. Zu erwarten ist in jedem Fall, dass Weiterbildungsfinanzierung nicht in offenen Beschäftigungssystemen stattfindet. Im B2-Betriebspanel ist zunächst bivariat festzustellen, dass Weiterbildung von 71% der Betriebe auch Beschäftigten ohne Langfristperspektive angeboten wird und zugleich in 77% aller Betriebe die Chancen für langfristige Beschäftigung erhöht. Zudem besteht eine negative Korrelation mit den Einund Ausstellungsraten. Multivariat lässt sich im Tobit-Gesamtmodell weder ein Zusammenhang der Weiterbildungsfinanzierung mit geschlossenen (nicht dargestellt) noch mit offenen Systemen erkennen (Tab. 5.3, 1.). Nur in der spezifischen Population von Betrieben, die überhaupt offene Bereiche aufweisen, führt die Finanzierung von Weiterbildung zu einer Reduzierung der Kurzfristbeschäftigung (Tab 5.3, 2.). Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass nachfrageseitige Bildungsinvestitionen zu einer Homogenisierung der Belegschaften in Bezug auf die Beschäftigungsperspektiven führen. Neben den Qualifikationsanforderungen ist für das Verfügbarkeitsproblem der Produktionsprozess selbst entscheidend, aus dem sich die Qualifikations-
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anforderungen ergeben. Angesichts des globalen Strukturwandels wird angemerkt, dass vor allem Innovationstätigkeit von großer Bedeutung für das Fortbestehen eines Betriebes ist (Mortensen, Pissarides 1998; Bauer, Bender 2002). Im B2-Betriebspanel wurde Innovation unter anderem über den Anteil von Stellen, auf denen die Beschäftigten „an der Fortentwicklung von Produkten oder Verfahrensprozessen beteiligt sind“, erfasst.25 Über den Zusammenhang mit Beschäftigungsstabilität liegen bislang nur wenige Informationen vor (Kapitel VI). Abraham (2004) stellt fest, dass sowohl Produkt- als auch Prozessinnovation mit hoher Personalfluktuation verbunden sind. Erklärt wird dies durch einen erhöhten Bedarf an Humankapital aufgrund des Wandels der Produktionsstruktur, der innerbetrieblich nicht mehr erzeugt werden kann (Bellmann u.a. 1996). Nicht mehr die „Organisationskapazität“, sondern „die Ideen in den Köpfen der Arbeitnehmer“ selbst seien entscheidend (Rogowski, Schmid 1998: 238). Diese seien als gefragte „Arbeitskraftunternehmer“ auf „Hochgeschwindigkeitsmärkten“ überbetrieblich mobil. Vor diesem Hintergrund kann die allgemeine These formuliert werden, dass Innovationsprozesse weniger in geschlossenen betrieblichen Beschäftigungssystemen, denn in „high perfomance work organizations“ in großer Nähe zum Markt stattfinden. Dabei ist zusätzlich zu klären, welchen Einfluss Innovationen auf offene Beschäftigungssysteme vom Typus einer gering- oder fehlqualifizierten Randbelegschaft haben. Im B2-Betriebpanel ist Innovationsbeteiligung vor allem im Verlagswesen (37%), in der Software (35%) sowie der Bildungsbranche (31%) zu finden und mit einer jungen Altersstruktur sowie hohen und zugleich betriebsspezifischen Qualifikationsanforderungen verbunden. Tendenziell werden verstärkt neue Beschäftigte eingestellt, zugleich besteht Fachkräftemangel. Multivariat lässt sich ein negativer Zusammenhang von Kurzfristbeschäftigung und Innovationsbeteiligung ausmachen, allerdings nur in Betrieben, die auch offene Bereiche aufweisen (Tab. 5.3, 2.). Eindeutiger ist Innovation mit mittelfristigen Perspektiven verbunden, wobei gerade auf diesen Stellen betriebsspezifisches Wissen eine große Rolle spielt (Tab A3, 1.). Diese Informationen führen zu dem Schluss, dass sich die für den Innovationsprozess benötigten, betriebsspezifisch und hoch qualifizierten Beschäftigten gerade zum Erwerb betriebsspezifischen Wissens eine gewisse Zeit an den Betrieb binden. Sie sind deshalb nicht auf „Turboarbeitsmärkten“ mobil, binden sich andererseits nur vorübergehend. Diese Betriebstypen weisen Turnoverprobleme auf, Randbelegschaften spielen hingegen keine Rolle.
25
Diese Variable ist, um die gesamte Betriebsstruktur berücksichtigen zu können, sehr allgemein definiert und erfasst auch Beschäftigte, die nicht direkt innovativ tätig sind, aber dennoch für den Innovationsprozess benötigt werden. Dies betrifft ca. 19% aller Beschäftigten, während nur knapp 5% innovative Funktionen im Bereich der Forschung- und Entwicklung ausüben.
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Kontrolle Die allgemeine These zum Kontrollproblem lautete, dass die Komplexität der Arbeitsaufgabe sowie der Arbeitsorganisation insgesamt zu Kontrollproblemen führt, die entweder der Belegschaft selbst Schließung entgegen den strategischen Zielen der Betriebsführung ermöglichen oder langfristige Beschäftigungsperspektiven als Angebot von Seiten der Führung erfordern, um das Leistungsbereitschaftsproblem zu lösen. Die Möglichkeiten der Leistungskontrolle einer Person lassen sich über die Differenzierung des Prozesses der Leistungserstellung erfassen. Entweder ist die Arbeitsleistung direkt im Arbeitsprozess oder aber spät und erst im Ergebnis kontrollierbar. Die klassische Form der direkten Kontrolle beruht auf der hoch arbeitsteiligen und zugleich interdependenten tayloristischen Arbeitsorganisation (Edwards 1979). Die einfachen Tätigkeiten sind leicht zu überwachen, die Arbeitskraft kann voll ausgeschöpft werden. Schließung ist daher weder angebotsnoch nachfrageseitig zu erwarten. „Neue“, indirekte Kontrollformen sind hingegen mit eher komplexen und schwer zu überwachenden Tätigkeiten verbunden und bestehen in einer Übertragung von Verantwortung für den Prozess der Leistungserstellung auf die Beschäftigten. Dies erhält einen ambivalenten Charakter. Einerseits gibt die Führungsebene die kostenintensive Kontrolle über einen Großteil des Prozesses aus der Hand, verschafft den Beschäftigten einen gewissen Grad an Autonomie und gibt ihnen damit Schließungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite tritt die Kontrolle dann wieder in Form der Verantwortlichkeit der Beschäftigten für das Prozessergebnis auf. Da die Produktivität jedoch nur schwer messbar ist, ist auch die optimale Güte des Produkts unbekannt. Im Ergebnis sollten ergebnisbasierte Kontrollformen damit eher zu Schließungstendenzen führen. Interessant ist zunächst, so kann anhand des Betriebspanels gezeigt werden, dass ergebnisbasierte Kontrolle vor allem in Betrieben aus den Beratungs-, Verlags- und Bankenbranchen zu finden ist, deren Beschäftigungssysteme über Kaufverträge und zugleich Gruppenarbeit, nicht aber über Profitcenter organisiert sind und in denen eher hoch qualifizierte Mitarbeiter mit hoher Kostenverantwortung tätig sind. Die Annahme der Schließung bestätigt sich, trotz der hohen Anteile Freier Mitarbeiter, in vollem Umfang (Tab. 5.3, Tab. A3). Anders als im Falle der Betriebsspezifität ist dabei keine Stamm-RandDifferenzierung festzustellen. Neben der Kontrolle der Einzelperson ist in betrieblichen Beschäftigungssystemen die Interdependenz der Beschäftigten problematisch. In der Literatur wird zumeist nicht klar zwischen hoher Interdependenz als solcher und der Arbeitsorganisation in kleinen Teams oder Gruppen mit hoher Eigenverantwortlichkeit unterschieden. So finden sich Argumente sowohl dafür, dass Team-
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organisation als Form starker Interdependenz Bindungsvoraussetzungen schaffe (Gmür, Klimecki 2001) und zu geringerem freiwilligen Turnover führe (Cappelli, Neumark 2004: 155) als auch dafür, dass Teamarbeit als „modulare“ Form „schlanker Produktion“ eher destabilisierend wirke (Baethge, Baethge-Kinsky 1998). Wir betrachten deshalb zunächst den Stellenanteil mit hoher „Kooperationsdichte“ in Relation zu Stellen auf denen die Beschäftigten relativ unabhängig voneinander arbeiten. Je höher die Interdependenz, umso schwieriger die Messung des Outputs des Einzelnen durch die Leitungsebene, so die gängige Annahme (Alchian, Demsetz 1972; Simon 1991: 33). Auf der anderen Seite steht die Erwartung, dass gerade in Bereichen mit geringer Interdependenz hohe Kontrollkosten entstehen. Denn hier ist es nicht möglich eine mittlere Führungsebene zwischenzuschalten, die direkt am Arbeitsprozess beteiligt ist. In jedem Fall sollte gelten, dass die Möglichkeit der Schließung durch die Beschäftigten mit zunehmenden Kontrollkosten steigt. Zu vermuten ist, dass eher eine hohe Kooperationsdichte mit Schließungsprozessen verbunden ist, da hier auch die Dimension der Betriebsspezifität in Bezug auf die Persönlichkeiten sowie den interaktionalen Umgang der Mitarbeiter untereinander hineinspielt (Doeringer, Piore 1971: 14f). Beschäftigungssysteme, in denen die Beschäftigten relativ autonom arbeiten, sollten dahingegen eher mit einem hohen Professionalisierungsgrad mit personalisiertem Prestige bzw. den Habitus von „Arbeitskraftunternehmern“ verbunden und eher offen sein. Diese These der Öffnung bestätigt sich in unseren Modellen (Tab. 5.3), vor allem für die westdeutschen Betriebe (Tab. 5.4). Daraus folgt nicht, dass eine hohe Interdependenz zugleich zu langfristigen Perspektiven führt (Tab. A3). Neuere Untersuchungen betonen nun aber eine Veränderung der Produktionsweise in Richtung auf Diversifizierung, Fragmentierung sowie eine beschleunigte Veränderung von Wissen. Deshalb bedarf es neuer, vor allem flexibel auf laufende Prozesse eingestellter „Organisations- und Koordinationsformen, die für die Wissensintegration und den Umgang mit Unvorhersehbarem geeignet sind“ (Kalkowski 2004: 251). Vor allem eigenverantwortliche Gruppen- sowie Projektarbeit gelten als solch dezentralisierte, modulare Formen der „kontrollierten Autonomie“ (Vieth 1995; siehe auch Faust u.a. 1995; Dombrowski 2000). Gemäß dem Ansatz betrieblicher Beschäftigungssysteme ist hier weniger von „Vermarktlichung“ (Sauer, Döhl 1997) denn von einer „Internalisierung des Marktes“ (Moldaschl, Sauer 2000) auszugehen. Der Markt wird innerhalb der Organisation gewissermaßen simuliert, wobei die Beschäftigen den Charakter von Intrapreneuren im Unterschied zu Entrepreneuren tragen (Pinchot 1988). Gegenüber der Kooperationsvariable liegt die Betonung hier auf der „Eigenverantwortlichkeit“ der Gruppe für das Ergebnis des Arbeitsprozesses. Für Projektarbeit gilt zudem eine zeitliche Begrenzung (Baethge, Baethge-Kinsky
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1998; Kalkowski 2004). Zu erwarten sind deshalb für Gruppen- und stärker noch für Projektarbeit eher offene Beschäftigungssysteme. Im Betriebspanel ist festzustellen, dass Gruppen- und Projektarbeit zwar miteinander korrelieren (R2=0,28), im Gesamtmodell führt aber nur eigenverantwortliche Gruppenarbeit zu hohen Stellenanteilen mit Kurzfristperspektive. Diese Form der Arbeitsorganisation ist also – unabhängig von anderen betrieblichen Einflüssen, vor allem von der Interdependenz als solcher – in der Tat als Form der Marktinternalisierung zu betrachten, mit der Folge erhöhter Grenzprozesse und offener Beschäftigungssysteme. Legitimation und Gratifikation Wenn es um die Lösung des Leistungsbereitschaftsproblems in Form der Gratifikation geht, ist vor allem die Entlohnungsdimension angesprochen. Aus der Sicht personalpolitischer Entscheider kommt dem Lohn neben der Allokationsvor allem auch eine Anreizfunktion zu (Dragendorf, Heering 1987: 126). Steigende direkte Lohnkosten können deshalb im Sinne von Effizienzlöhnen die Kosten der Leistungsbereitschaft kompensieren und die Produktivität somit erhöhen (Alvi 2001). Ein hohes allgemeines betriebliches Lohnniveau im Vergleich zur (Organisations-) Umwelt, gemessen am Branchentarif, sollte deshalb eine Bindungswirkung entfalten. Die Gegenthese, bekannt als „Kompensationslohnthese“, geht auf Adam Smith zurück und lässt sich wie folgt in den hier bedeutsamen Zusammenhang übersetzen: Ein hohes Lohnniveau dient zur Kompensation für unsichere Beschäftigungsperspektiven. Beide Hypothesen lassen sich nicht bestätigen. Sowohl bivariat (Tab. A1) als auch multivariat (nicht dargestellt) ergibt sich kein Effekt des gesamtbetrieblichen Lohnniveaus. Turnover- und Effizienzlohnansätze betonen aber, dass eine Anhebung des allgemeinen Lohnniveaus als solches keine (Selbst-) Selektion von Beschäftigten mit geringer Wechselneigung garantieren kann. Erforderlich dazu seien relationale Lohnprofile, etwa in Form einer Lohnsteigerung mit steigender Betriebszugehörigkeitsdauer (Salop, Salop 1976; Lazear 1981). Allerdings können Senioritätslöhne ebenso leistungsmindernd wirken (Alvi 2001), mit unklarer Wirkung auf Beschäftigungsstabilität. Im B2-Betriebspanel wurde direkt die Existenz von Entgeltsystemen zur Sicherstellung der Leistungsbereitschaft erfasst. Die klassische segmentationstheoretische Annahme lautet, dass Entgeltsysteme Regeln „interner Märkte“ widerspiegeln und demzufolge mit geschlossenen betrieblichen Beschäftigungssystemen verknüpft sein sollten. Empirisch lässt sich zumindest bestätigen, dass Entgeltsysteme zu einem geringeren Anteil offener Systeme führen (Tab. 5.3) – vor allem in Ostdeutschland (Tab. 5.4).
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Die Existenz von Entgeltsystemen lässt noch ambivalente Hypothesen zu. Es wurde deshalb zusätzlich erfragt, ob sich die Entlohnung eher an der Betriebszugehörigkeitsdauer, als einem klassischen Indiz interner Arbeitsmärkte, oder an Leistungskriterien oder weiteren Kriterien ausrichtet. Zu bemerken ist, dass sich Senioritätslöhne in den privatwirtschaftlichen Betrieben des B2-Panels vergleichsweise selten finden. Lediglich in der Pflegebranche (43%), der Bildung (27%) sowie dem Verlagswesen (19%) treffen wir senioritätsbasierte Entlohnungssysteme häufiger an. Die Betriebe dieser Branchen, etwa Krankenhäuser und Diakonieanstalten, sind aber zu einem Großteil quasi-staatlich organisiert. Entgegen allen Erwartungen gehen Senioritätslöhne hier mit offenen Beschäftigungssystemen einher. Wir gehen dabei davon aus, dass hier wiederum die Stamm-Rand-These greift. Eine Form der Entlohnung, die hingegen eindeutig in Richtung auf offene Beschäftigungssysteme wirken sollte, sind leistungsbezogene Lohnbestandteile, wie Provisionszahlungen, erfolgsabhängige Prämienzahlungen sowie Umsatzbeteiligung und Aktienoptionen. Hier werden, analog zur Gruppen- und Projektorganisation, Marktelemente in die Organisation eingefügt, die vor allem stark an die individuelle Leistung gebunden sind. Empirisch lässt sich beobachten, dass Leistungslöhne und Entgeltsysteme miteinander einhergehen. Der Effekt von Leistungslöhnen wirkt aber, wie erwartet, in Richtung auf eine Öffnung von betrieblichen Beschäftigungssystemen – dies allerdings nur in den westdeutschen Betrieben (Tab. 5.4). Betrachten wir schließlich die Rolle von Betriebsräten. Ihnen wurde die Funktion der internen Konfliktbearbeitung und Beschäftigungssicherung vor Ort zugeschrieben. Tatsächlich kommt es in Unternehmen mit Betriebsräten zu einer Bindung von Beschäftigten. Ausdruck dessen sind etwa geringere TurnoverRaten (Gerlach u.a. 2001). Allerdings lässt sich im Zuge der Zunahme befristeter Beschäftigung und Leiharbeit auch eine Aushöhlung des institutionell abgesicherten Mitbestimmungsrechts von Betriebsräten beobachten (Hagen, Boockmann 2002), wobei sich das Interesse des Betriebsrates dann vor allem auf die Stabilisierung der Kernbelegschaften richtet. Grundsätzlich wäre also eine Ausweitung offener betrieblicher Beschäftigungssysteme mit einer gleichzeitigen Schließung interner Beschäftigungssysteme vereinbar. Empirisch zeigen sich derartige Effekte jedoch nicht. Vielmehr beschränken Betriebsräte gerade dort, wo offene betriebliche Beschäftigungssysteme vorhanden sind, deren Größe (Tab. 5.3). Darüber hinaus lässt sich keine stabilisierende Wirkung feststellen.
8. Schlussfolgerungen
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8. Schlussfolgerungen Ziel des Aufsatzes war es, angesichts der These von der „Abkehr des Arbeitszeitregimes von dauerhaften Beschäftigungsgarantien“ und der „Vordringlichkeit des Befristeten“, sehr instabile Beschäftigung empirisch zu identifizieren und theoretisch zu verorten. Der theoretische Bezugspunkt dabei war der Ansatz betrieblicher Beschäftigungssysteme. Instabile Beschäftigungsbeziehungen werden erst im betrieblichen Kontext durch die zum Markt hin offenen Beschäftigungssysteme konstituiert. Eine empirisch sowie theoretisch fundierte Erklärung von Instabilität hat sich deshalb auf die Funktionsweise und Struktur offener betrieblicher Beschäftigungssysteme zu richten. Dies bedeutet nichts anderes als eine Neuauflage der Grundfragen der „klassischen“ Segmentationstheorie. Deren Erklärungsmöglichkeiten bleiben jedoch durch den Verweis auf unstrukturierte „Jedermannsarbeitsmärkte“ unterkomplex und sind vor allem um transaktionskosten- und vertragstheoretische Aspekte sowie die Matchingtheorie konzeptionell und methodisch zu erweitern. Erst die Integration der theoretischen Aussagen in den Ansatz betrieblicher Beschäftigungssysteme ermöglicht aber eine angemessene Verortung einzelner empirischer Zusammenhänge und damit eine umfassende Erklärung instabiler Beschäftigung. Die Kernaussagen lassen sich auf zwei funktionale Bezugprobleme betrieblicher Personalpolitik mit jeweils zwei Teilproblemen zurückführen. Betriebe haben erstens für eine den Produktionsanforderungen angemessene mengenmäßige Allokation sowie Qualifikation der Arbeitskraft Sorge zu tragen (Verfügbarkeitsproblem) und zweitens für die entsprechende Kontrolle des Arbeitsprozesses sowie die Gratifikation und Legitimation des Ergebnisses (Leistungsbereitschaftsproblem). Die verschiedenen Bearbeitungsmodi führen zu unterschiedlichen betrieblichen Beschäftigungssystemen mit je eigenem Bezug zum externen Arbeitsmarkt. So können offene Beschäftigungssysteme mit instabilen Beschäftigungsbeziehungen und engem temporalen Bezug zum externen Arbeitsmarkt von geschlossenen Systemen unterschieden werden. Die offenen Systeme wiederum differieren in ihrer Funktionsweise und Struktur zum Teil stark voneinander, vor allem auch in ihrem Verhältnis zu geschlossenen Systemen. Die empirische Analyse anhand des SFB580-B2-Betriebspanels des Jahres 2004 fokussiert die Stellenstruktur in Form der angebots- und nachfrageseitigen Beschäftigungsperspektiven betrieblicher Gruppen. Offene Beschäftigungssysteme wurden definiert durch den Anteil von Stellen, auf denen die Beschäftigten eine Verweildauerperspektive von zwei Jahren nicht überschreiten. In geschlossenen Systemen hingegen besteht eine Beschäftigungsperspektive von zehn und mehr Jahren, halboffene liegen dazwischen. Anhand von Tobit- und GLMRegressionen wurde mit der Fokussierung auf offene Beschäftigungssysteme ge-
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V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
prüft, welchen theoretischen Variablen wo und in welche Richtung auch empirische Bedeutung zukommt. Fragt man nach dem Ausmaß offener Beschäftigungssysteme, so wird deutlich, dass zumindest in dieser Hinsicht nicht von der „Vordringlichkeit des Befristeten“ die Rede sein kann. Mehr als zwei Fünftel aller Betriebe weisen keinerlei Kurzfristbeschäftigung auf. Dort, wo offene Systeme vorhanden sind, umfassen diese knapp ein Fünftel aller Stellen in den Betrieben. Aufgrund der hohen Beschäftigtenmobilität auf diesen Stellen ist den offenen Beschäftigungssystemen allerdings eine durchaus nicht zu vernachlässigende Bedeutung beizumessen. Es bedarf daher einer näheren Betrachtung der Funktionsweise durch den Rekurs auf die personalpolitischen Bezugsprobleme. Blicken wir aber zuerst auf das Umweltverhältnis von Betrieben. Externalitäten auf dem Absatzmarkt, wie etwa Unsicherheiten in Form von Nachfrageschocks, führen zwar zu internen Maßnahmen der Kompensation (Einstellungsstopps, interne Umsetzungen), aber ohne Auswirkungen in der Dauerdimension. Nur dann, wenn derartige Unsicherheiten als alltägliches Problem verstanden werden, kommt es zur Öffnung gegenüber dem Arbeitsmarkt. Dort wiederum scheint ein Mangel an geeignetem Personal keinen Einfluss auf die Gestaltung von Beschäftigungssystemen zu haben – vermutlich weil Personalknappheit gerade nicht als zum Teil selbstverschuldetes Problem wahrgenommen wird. Die hohe regionale Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland hingegen betrifft sowohl offene als auch geschlossene Systeme und führt hier zu Öffnungstendenzen gegenüber dem Arbeitsmarkt. Wie nun bearbeiten Betriebe das Verfügbarkeitsproblem in der Allokationdimension? Gemäß den Annahmen der Matchingtheorie gelten für jüngere Beschäftigte sowie für Neueinstellungen allgemein nur kurze Beschäftigungsperspektiven. Die Indizien sprechen dafür, dass von Seiten des Angebots und der Nachfrage ein ernstzunehmendes Informationsproblem beim Eintritt in den Betrieb besteht. Zudem spielen auch rein angebotsseitige Interessen, wie etwa Mutterschaftszeiten, eine Rolle. Den Frauen allerdings gelingt es durchaus, wenn sie erst einmal die betriebliche Grenze überschritten haben, in geschlossene Bereiche vorzudringen. Hier finden sich auch die gerade von weiblichen Beschäftigten genutzte Vertragsform der Teilzeitarbeit sowie die geringfügige Frauenbeschäftigung in Westdeutschland. Arbeitsverträge hingegen, die den Charakter von Kaufverträgen tragen, sind eindeutig in offenen Systemen zu verorten. Die Funktion der Vertragsform Leiharbeit liegt mutmaßlich in der kurzfristigen Kompensation eines zu niedrigen Personalbestandes. Da sich die Freien Mitarbeiter auf wenige Betriebstypen (Bildungseinrichtungen, Verlagshäuser) konzentrieren und hier einen hohen Mitarbeiteranteil ausmachen, kann hier, anders als bei Leiharbeitern, nicht von klassischen Randbelegschaften die Rede sein, da gerade das
8. Schlussfolgerungen
195
Kerngeschäft mit derartigen Vertragsformen geführt wird. Vielmehr handelt es sich um „high potential work organizations“, die einen funktionsfähigen externen Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte zur Voraussetzung haben. Befristete Arbeitsverträge sind zwar auch mit offenen Bereichen verbunden, übernehmen aber eine Funktion innerhalb geschlossener Systeme. Auch sie weisen einen unsicheren Status auf. Dennoch sprechen die vergleichsweise hohen Übernahmequoten dafür, dass Befristung sowohl als Instrument der Kompensation kurzfristiger Ausfälle als auch als Form der verlängerten Probezeit genutzt wird, die nur bei Bewährung in sichere Beschäftigung mündet. Neben der Ausgestaltung individueller Beschäftigungsbeziehungen über Arbeitsverträge spielt vor allem in Westdeutschland die Auslagerung ganzer offener Beschäftigungssysteme eine Rolle. In Bezug auf die Größe eines Betriebes sind zwei Betriebstypen zu unterscheiden. Auf der einen Seite steht die gegenüber Großbetrieben mit Randbelegschaften größere Anzahl von Kleinbetrieben ohne jegliche Kurzfristbeschäftigung. Auf der anderen Seite findet sich eine kleine, aber durchaus bedeutende Anzahl von Kleinbetrieben, möglicherweise Subunternehmer, mit stark instabilen Belegschaften. Neben der auf räumlichen und zeitlichen Organisationgrenzen bezogenen Allokationsdimension ist die betriebliche Stellenstruktur in Bezug auf die Qualifikationsdimension von Bedeutung für die Generierung von Beschäftigungssystemen. Die Stellen mit einfachen Qualifikationsanforderungen weisen nur in Ostdeutschland die unsichersten Beschäftigungsperspektiven auf. Auch anders als von der Segmentationstheorie angenommen, sind Stellen mit berufsfachlichen Qualifikationsanforderungen gegenüber Akademikerpositionen im Durchschnitt stabiler. Dort allerdings, wo den einfach Qualifizierten explizit die Funktion einer schützenden Randbelegschaft zukommt, gelingt es gerade den Akademikern gegenüber Facharbeitern die geschlossenen Positionen einzunehmen. Auch die Annahmen zur Betriebsspezifität sind zu differenzieren. Der Anteil Beschäftigter mit betriebsspezifischem Wissen ist vergleichsweise gering. Es führt deshalb zu weit, die Spezifität als „ausschlaggebendes Kriterium“ (Williamson 1985b: 34) für die Schließung von Beschäftigungssystemen zu betrachten. Denjenigen allerdings, die spezifisches Wissen aufweisen, gelingt es, sich gegenüber einem volatilen Rand offener betrieblicher Beschäftigungssysteme abzuschotten. Anders ist dies im Falle der nachfrageseitigen Investition in Weiterqualifizierung. Diese dient zwar der Personalbindung, wird aber nicht nur den Beschäftigten mit Langfristperspektive angeboten. Das Resultat ist nicht Spaltung, sondern die Homogenisierung der Belegschaften hinsichtlich der Beschäftigungsperspektiven. Es ist daher anzunehmen, dass Weiterbildungsangebote eher die Gesamtbelegschaft gegenüber dem Markt spezifizieren als das Anforderungsprofil bestimmter Gruppen und damit zugleich eine legitimatorische Funktion erhalten.
196
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Schließlich ist anzumerken, dass die Aneignung eines notwendigen Grades an Betriebsspezifität gerade im Falle von Innovationstätigkeit zwar durchaus eine Rolle spielt, aber in innovierenden Betrieben nur zu mittelfristiger Bindung führt. Zu divergierenden Kontrollproblemen beim Versuch der Lösung des Leistungsbereitschaftsproblems führen verschiedene Arten der Arbeitsorganisation. Ist der Prozess der individuellen Leistungserstellung aufgrund der Komplexität der Aufgaben schwer zu kontrollieren, führt das erwartungsgemäß zu stabilen Beschäftigungsperspektiven. Auch die auf der gesamtbetrieblichen vertikalen Arbeitsteilung beruhende Interdependenz der Beschäftigten ist mit geschlossenen Beschäftigungssystemen verbunden. Davon zu unterscheiden sind modulare Formen der Arbeitsorganisation, wie eigenverantwortliche Gruppenarbeit. Diese internalisieren die Regeln des Marktaustausches. Auch die Selbstkontrolle innerhalb der Gruppe hat selektive Wirkung in Bezug auf den externen Markt. Dies führt zu offenen betrieblichen Beschäftigungssystemen. In der Gratifikations- und Legitimationsdimension gelingt es den Betriebsräten zwar nicht, offene Bereiche zu verhindern, wohl aber deren Ausmaß zu beschränken. Auch die gratifikatorische Wirkung strukturierter Entgeltsysteme zur Lösung des Leistungsbereitschaftsproblems führt zur Stabilisierung im Bereich offener Systeme. Variieren Löhne aber nach Leistung, kommt es durchaus zu Öffnungsprozessen. Im Falle einer Entlohnung nach Senioritätsregeln kann, entgegen allen Erwartungen, keinerlei Stabilisierungswirkung nachgewiesen werden. Vielmehr ist, wie im Falle der Betriebsspezifität, von einem großen Rand offener Beschäftigungssysteme auszugehen. Senioritätslöhne spielen nur in einem kleinen Teil der Betriebe, insbesondere bei öffentlichen Trägern und Sozialverbänden in der Gesundheits- und Bildungsbranche, eine Rolle und betreffen dort, so ist zu vermuten, nur einen kleinen Teil der Belegschaft. Die sich aus den funktionalen Teilproblemen ergebende Arbeitsmarktstruktur im Bereich kurzfristiger Beschäftigung lässt sich aus der Betriebsperspektive mit vier Betriebstypen und jenseits der Begriffe der Entgrenzung und des Jedermannsarbeitsmarktes beschreiben. Der erste Betriebstyp, immerhin fast die Hälfte aller untersuchten Betriebe, kommt ohne offene Beschäftigungssysteme aus und weist homogene, eher geschlossene Belegschaftsstrukturen auf. Ein zweiter Betriebstyp verfügt über nur kleine offene Bereiche, die sich vorwiegend aus einer Mismatchproblematik, nicht aber auf der Grundlage einer Personalpolitik des „divide et impera“ ergeben. Diese Form einer Polarisierung oder Spaltung der Belegschaft beschreibt den dritten Betriebstypus. Hier kommt eine Randbelegschaft von Beschäftigten mit atypischen Verträgen zum Einsatz, bei einer zugleich spezifischen und (hoch) qualifizierten Stammbelegschaft. Der vierte Betriebstyp entspricht „high potential work organizations“ mit großen of-
Anhang
197
fenen, aber auch halboffenen Beschäftigungssystemen. Zwischenbetriebliche Mobilität auf dem externen Arbeitsmarkt steht hier im Fokus. Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass keines der „klassischen“ arbeitsmarktheoretischen Angebote eine vollständige Erklärung mit Blick auf die gesamtbetriebliche Beschäftigungsstruktur bietet. Die vorliegende Untersuchung macht hier mehr empirische Varianz aus als zumeist erfasst ist und bindet diese zugleich in einen allgemeinen theoretischen Bezugsrahmen. Dennoch sind weitere Analysen vonnöten. Sie haben in erster Linie die strategische Handlungsdimension und damit das Bindeglied der Übersetzung der Funktionsprobleme in betriebliche Strukturen zu erfassen. In Ergänzung zur Beschäftigerperspektive ist dabei die Angebotsseite des Arbeitsmarktes zu stärken. Hiermit rückt auch die Umwelt betrieblicher Organisationen in Form von Familien- und Haushaltsarrangements (Kapitel I, VII-IX; Brose u.a. 2005) in den Vordergrund. Nicht systematisch berücksichtigt wurden zudem staatliche und tarifvertragliche Steuerungsleistungen (Struck 2006b). Es sollte deutlich geworden sein, dass die Arbeitsmarktforschung das Ganze des Arbeitsmarktes in den Blick zu nehmen, aber zugleich auch deutlich zu machen hat, von welchem Referenzpunkt ausgegangen wird. Der Referenzpunkt dieses Beitrags waren offene Beschäftigungssysteme in betrieblichen Organisationen.
198
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Anhang Tabelle A1: Deskriptivstatistik der unabhängigen Variablen und bivariate TobitRegressionen kurzfristiger Beschäftigungsperspektiven Mittel Externalitäten
Mittel West
Mittel Ost
Koef.
SF (2,3) (2,6)
Wald chi2 1,5 1,6
Neue Bundesländer Konjunkt. Auftragsrückgänge Stabile Auftragslage als täglicher Kampf Regionale Arbeitslosenquote Externer Fachkräftemangel
52 71
72
70
2,8 3,3
45
39
51
7,1
(2,4)
8,7
15 44
9 45
19 43
0,4 -1,9
(0,24) (2,3)
2,7 0,68
Kleinstbetrieb (3-19 Besch.)
33
28
38
-11,5
(2,9)
15,4
Outsourcing 12 16 8 5,9 (3,3) 3,2 Einstellungsrate 8,2 9,0 7,5 0,4 (0,13) 19,7 10,3 9,8 10,8 0,1 (0,1) 6,7 Allo- Ausstellungsrate 50 47 52 -0,03 (0,04) 0,88 kation Frauenanteil Matchingprobl.: Mutterschaft 15 15 14 5,6 (3,7) 2,4 Matchingprobleme: Probezeit 13 16 10 5,4 (3,3) 2,6 Altersstruktur 2,5 Beschäftigtenanteil <35 J. 31 35 27 0,1 (0,07) Beschäftigtenanteil >50 J. 20 18 22 0,05 (0,1) Stellenanteile > Median Einfache Anforderungen -3,5 (2,3) 2,3 Fachl. Quali.-Anforderungen --4,7 (2,3) 4.2 QualiHohe Quali-Anforderungen -1,6 (2,3) 0,5 fikaKurze Einarbeitungszeit -8,3 (2,3) 12,8 tion Betriebsspezifisches Wissen -5,7 (2,2) 6,6 An Innovation Beteiligte -2,1 (2,3) 9,8 Weiterbildungsfinanzierung 60 59 60 -0,6 (2,5) 0,05 Ergebniskontrolle (> Median) 40 44 36 -0,05 (0,03) 2,4 Kon- Team-/Gruppenarbeit 73 76 70 7,4 (2,7) 7,6 trolle Kooperationsdichte (> Median) -5,4 (2,3) 5,4 Projektarbeit 54 53 54 6,1 (2,4) 6,5 Lohnniveau 1,17 unter Branchentarif 17 10 25 1,6 (2,9) Gratiüber Branchentarif 26 39 13 -1,9 (2,7) fika- Motivation d. Entgeltsysteme 38 36 40 -3,7 (2,3) 2,0 tion Senioritätslöhne 13 11 16 6,6 (3,2) 4,2 Leistungslöhne 63 64 61 3,4 (2,6) 1,7 Betriebs- oder Personalrat 42 40 43 1,6 (2,3) 0,5 Modell mit robusten Standardfehlern (in Klammern). Konstante berechnet und signifikant auf 1%Niveau, nicht dargestellt. Signifikanzniveau: fett = 1%, fett und kursiv = 10%
Anhang
199
Tabelle A2: Intervall-Regression Beschäftigtenanteile mit Kurzfristperspektive Vertragsformen (Belegschaftsanteile in %) Neue Bundesländer Ref.: Unbefristete in Vollzeit Unbefristet mit Lohnkostenzuschuss
1,3
Gesamt (2,5)
West -
0,31 (0,33)
Ost -
-
-
-
-
-
-
Unbefristet in Minijob
0,17 (0,14)
-0,12 (0,16)
Teilzeit Befristet in Vollzeit Befristet mit Lohnkostenzuschuss
-0,02 (0,06) 0,14 (0,13)
0,54 (0,22)
***
0,03 (0,15)
0,64 (0,33)
*
1,56 (0,36)
***
038 (0,17)
Befristet in Minijob
0,58 (0,24)
**
-0,3 (0,37)
0,82 (0,17)
Befristet Auszubildende
0,27 (0,25)
-0,47 (0,32)
0,59 (0,34)
Leiharbeit
1,03 (0,15)
***
0,59 (0,48)
0,95 (0,19)
Freie Mitarbeit
0,38 (0,11)
***
0,37 (0,14)
N Linkszensierungen Pseudo Log (Nullmodell) Pseudo Log (Endmodell) BIC Wald chi2
0,49 (0,16)
***
0,37 (0,15)
489 225
235 112
257 115
-1384,79
-639,95
-753,13
-1350,57
-619,51
-725,0
2831,19 100,07***
1326,37 42,19***
1538,84 90,14***
Signifikanzniveau: *** = 1%, ** =5%, * =10%.
** * ** ** * * ** * ** *
200
V „Vordringlichkeit des Befristeten“?
Tabelle A3: Intervall-Regression Beschäftigtenanteile mit mittelfristiger (2-10 Jahre) und langfristiger (10 Jahre) Perspektive Regionale Arbeitslosenquote Allokation Kleinbetrieb (unter 20 Beschäftigte) Vertragsformen (% Gesamtbeschäftigte) Befristet Leiharbeit Freie Mitarbeit Einstellungsrate (% SV-Pflichtige) Frauen (% SV-Pflichtige) Personalprobleme durch Mutterschaft Qualifikation Beschäftigte <35 Jahren (% SV-Pflichtige) Fachl. Qualifikationen (> Median) Betriebsspezif. Wissen (> Median) An Innovation beteiligt (> Median) Kontrolle Kontrolle im Ergebnis (vs. im Prozess) Team- oder Gruppenarbeit Kooperationsdichte (> Median) Gratifikation/ Legitimation Motivation durch Entgeltsysteme Entlohnung n. Betriebszugehörigkeit N Linkszensierungen Rechtszensierungen LL(Null) LL(Gesamt) Wald chi² B IC
1. Mittelfristig 0,33 (0,34)
2. Langfristig -0,62 (0,34)
-11,3
(4,2)
11,5
(4,2)
0,03 0,47 0,47 -0,03 -0,08 8,5
(0,15) (0,27) (0,10) (0,17) (0,06) (4,4)
-0,25 -0,10 -0,69 -0,25 0,14 -10,0
(0,14) (0,36) (0,08) (0,12) (0,06) (4,5)
0,38 -2,7 -2,3 10,6
(0,09) (3,7) (3,7) (4,0)
-0,43 5,1 -1,5 -8,8
(0,09) (3,7) (3,8) (4,0)
-0,07 3,7 -3,5
(0,05) (4,4) (3,7)
0,09 -9,0 5,0
(0,05) (4,5) (3,7)
-1,7 (3,7) 4,8 (5,5) 398 109 --1560 -1525 84 3170
3,9 (3,6) -9,8 (5,3) 393 -83 -1698 -1638 209 3397
Modell mit robusten Standardfehlern (Z-Werte in Klammern). Konstante berechnet und signifikant auf 1%-Niveau, nicht dargestellt. Signifikanzniveau: fett = 1%, fett und kursiv = 10%
VI Innovation und Beschäftigungsstabilität Ina Krause – Tim Schröder – Olaf Struck
1. Einleitung Der Beitrag untersucht das Zusammenspiel von betrieblicher Beschäftigungsstabilität und der Produktinnovationstätigkeit in klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU). KMUs stellen einen großen Anteil des Innovationspotentials deutscher Unternehmen (KfW-Research 2006) und werden häufig als Innovationsmotor des deutschen Produktionsgüter- und Dienstleistungsmarktes bezeichnet. Triebfeder des Innovationsprozesses ist dabei eine zunehmende Vernetzung lokaler, regionaler und überregionaler Produktionsgüter- und Dienstleistungsmärkte. Hierdurch entsteht ein erhöhter Produkt- und Prozessinnovationsdruck, welcher sich direkt und indirekt auf die innerbetriebliche Beschäftigungsstabilität auswirkt. Zahlreiche Studien belegen, dass Prozessinnovationen häufig zur Destabilisierung der Beschäftigung in Unternehmen führen (Blechinger, Pfeiffer 1997; Bellmann u.a. 2002b). Umstritten ist hingegen die Wirkung von Produktinnovationen auf die betriebliche Beschäftigungssituation. Anhand von empirischen Analysen mit den Daten des SFB580-B2-Betriebspanel soll im vorliegenden Beitrag der Zusammenhang von betrieblicher Beschäftigungsstabilität und der Produktinnovationstätigkeit näher beleuchtet werden. Zwei Fragestellungen stehen im Vordergrund. In einem ersten Schritt fragen wir: Inwieweit besteht ein Zusammenhang zwischen Produktinnovationen und Beschäftigungsstabilität? Konkret wird dabei die Stabilität bestehender Beschäftigungsverhältnisse in kontinuierlich innovativen und nicht innovativen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben untersucht. In einem zweiten Schritt steht der Kausalzusammenhang von Beschäftigungsstabilität und Innovations-tätigkeit im Mittelpunkt. Hierfür wird der Innovationsprozess in zeitlich hintereinander liegende Phasen eingeteilt. Es wird analysiert, inwiefern sich betriebliche Beschäftigungsstabilität auf den Prozess der Innovationsimplementierung auswirkt. Dabei beobachten wir den Zusammenhang von betrieblicher Beschäftigungsstabilität und Innovationstätigkeit in kontinuierlich innovativen und erstmalig innovativen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen.
202
VI Innovation und Beschäftigungsstabilität
Humankapital und Innovationstätigkeit Entwicklung und Implementierung von Produktinnovationen sind kostenintensive und risikoreiche Prozesse. Die Umstellung der Produktion oder Dienstleistungstätigkeit erfordert den Einsatz hoher finanzieller Mittel und ist häufig mit Prozessen der internen Reorganisation und Prozessinnovation verbunden. Unbestritten ist in diesem Zusammenhang die erhöhte Bedeutung qualifizierten, leistungsbereiten und flexibel einsetzbaren Personals, das als Innovationsressource dient (Blechinger, Pfeiffer 1997: 261; Drewello, Wurzel 2002: 8). Im Zuge des Innovationsprozesses kommt es dabei oftmals zu einem erhöhten Bedarf an neuen Qualifikationen beziehungsweise zu einer Steigerung der Qualifikationsanforderungen im Betrieb (Blechinger, Pfeiffer 1997: 258). Somit setzt sich ein Prozess im Sinne einer „schöpferischen Zerstörung“ (Sombart, später Schumpeter) in Gang, welcher zu einer Neuordnung der Arbeitsplatz- und Allokationsstruktur führt. In Bezug auf die im Innovationsprozess eingesetzten Personalstrategien der Humankapitalbildung sind allerdings zwei gegenläufige Entwicklungslinien denkbar. Ein Upgrading der Qualifikation und die erhöhte Flexibilität des Arbeitseinsatzes können einerseits auf intern-funktionalem Wege der Weiterbildung oder der Umsetzung von Arbeitskräften erzielt werden. Denkbar ist dies, wenn ein hohes Maß an betriebsspezifischen Qualifikationen erforderlich ist beziehungsweise wenn auf dem Arbeitsmarkt qualifizierte Fachkräfte rar sind (Drewello, Wurzel 2002: 10). Voraussetzung dafür ist die langfristige Bindung des Personals an den Betrieb. Ziel dieser Strategie der Personalstabilität ist auch die Förderung des Commitment und damit der Leistungsbereitschaft der Beschäftigten (Hartmann 2006), denn Voraussetzung für einen erfolgreichen Innovationsprozess ist die Akzeptanz innerhalb der Belegschaft. Nicht zuletzt dient diese Strategie der Einsparung von Transaktionskosten, die bei Einstellung und Einarbeitung neuen Personals anfallen. Andererseits sind auch Weiterbildungsmaßnahmen sowie Umsetzungen mit Kosten pekuniärer, aber auch nicht-pekuniärer Art verbunden. Zudem geht die kostenintensive Produktinnovation zumeist mit einem Rationalisierungsprozess einher. Hinzu kommt die mit Produktinnovation verbundene Unsicherheit in Bezug auf die Nachfrageentwicklung nach den neuen Produkten. Dies erfordert einen finanziellen und personellen Flexibilitätsspielraum, der oftmals nur auf extern-numerischem Wege zu erreichen ist. Im Sinne einer „churning-Strategie“ (Beckmann, Bellmann 2002) können die benötigten Qualifikationen auf dem externen Arbeitsmarkt eingekauft werden, während dabei zugleich die Möglichkeit besteht, Personal auszutauschen. Auf diese Weise soll der Matchingprozess
1. Einleitung
203
optimiert werden. Diese externe Form der Humankapitalgewinnung führt zu eher mittel- bis kurzfristigen Beschäftigungsperspektiven. Auch von der Beschäftigtenseite können Impulse hin zu einer höheren betrieblichen Fluktuation ausgehen. Hochqualifizierte in Forschung und Entwicklung verfügen in der Regel über Qualifikationen, welche auf dem externen Arbeitsmarkt sehr gefragt sind. Sie können diese Situation auch dazu nutzen, ihre Arbeitmarktposition durch Betriebswechsel zu verbessern. Betriebliche Beschäftigungsstabilität und betriebliche Beschäftigungsflexibilität stehen somit in engem Zusammenhang mit der Innovationstätigkeit. Dabei beeinflusst eine passende Strategie der Humankapitalgenerierung den Erfolg des Produktinnovationsprozesses. Für eine Kausalerklärung des Zusammenhangs unter Beachtung der Rückwirkungen auf die Personalstruktur, die wiederum der Innovationsprozess verursacht, ist ein Einbezug der Zeitdimension in die Analyse unabdingbar. Auch gilt es zu berücksichtigen, dass das für Produktinnovationen zuständige Personal innerhalb des Unternehmens anderen Allokationsmechanismen unterworfen sein kann als das Personal des Kernbereiches. Dies gilt allerdings für klein- und mittelständische Unternehmen nur eingeschränkt, denn wir gehen davon aus, dass der Innovations- und der Produktionsprozess in klein- und mittelständischen Unternehmen substantiell miteinander verbunden sind. Analyse und Kategorisierung Um den kausalen Zusammenhang von Beschäftigungsstabilität und Innovationstätigkeit zu erfassen ist es sinnvoll, die Analyse über zwei aufeinander folgende Perioden vorzunehmen. Periode 1 (P1) meint hierbei den Zeitraum von Januar 2000 bis Dezember 2002. Periode 2 (P2) umfasst die Zeitspanne von Januar 2003 bis Dezember 2004. Die Zeitspanne von 2 Jahren je Periode wurde gewählt, da in dem vorliegenden Sample auch Branchen aufgenommen sind, in denen die Entwicklung und Implementierung von Produktinnovationen einen längerfristigen Prozess darstellen (Hormel 2000: 11). Betriebe, denen es gelingt in den zwei aufeinander folgenden Beobachtungsperioden Produktinnovationen in den Markt einzuführen, bezeichnen wir im Folgenden als kontinuierlich Innovative. Bei Berücksichtigung der zwei definierten Beobachtungsperioden lassen sich für die Analyse drei Gruppen von Betrieben identifizieren, die sich bezüglich der Innovationstätigkeit in den einzelnen Perioden unterscheiden1 (vgl. Ab1
Die Unterscheidung dieser drei Gruppen wird notwendig, um den zeitabhängigen, autokorrelativen Einfluss von Innovation auf Innovation kontrollieren zu können. Die Struktur der verwendeten Daten erlaubt nicht die Einführung von Autokorrelationstermen in die Regressions-
204
VI Innovation und Beschäftigungsstabilität
bildung 6.1): Es handelt sich hierbei um Betriebe, die kontinuierlich, das heißt in zwei aufeinander folgenden Perioden, neue Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt bringen sowie Betriebe, die in keiner der beiden Perioden Produktinnovation einführen. Eine weitere Gruppe bilden Betriebe, die nur in der zweiten Periode innovativ tätig sind. Abbildung 6.1: Gruppen innovativer und nicht innovativer Betriebe
Produktinnovation P1
Produktinnovation P2
Keine Produktinnovation P2
Kontinuierlich Innovative N = 168
Innovative der Periode 1 N = 71 In der Analyse unberücksichtigt
Keine Produktinnovation P1
Innovative der Periode 2 N = 52
Kontinuierlich Nicht Innovative N = 92
Die folgende Untersuchung gliedert sich in zwei Teilfragestellungen. Zu Beginn der Untersuchung soll zunächst einmal die allgemeine Frage beantwortet werden, inwiefern kontinuierliche Innovationstätigkeit mit langfristiger oder eher mittelbis kurzfristiger Personalbindung einhergeht. Zu diesem Zweck werden kontinuierlich innovative Betriebe mit solchen Betrieben kontrastiert, die in beiden Perioden nicht innovativ tätig sind. In der zweiten Teilfragestellung wird dann der Zusammenhang von betrieblicher Beschäftigungsstabilität und Innovationstätigkeit kausal aufgegliedert. Dabei werden kontinuierlich innovativ tätige Betriebe hinsichtlich der Beschäftigungsdauer mit Betrieben verglichen, die sich in der Phase der erstmaligen Implementierung einer Produktinnovation befinden beziehungsweise Betrieben, die unregelmäßig Innovationen in den Markt einführen. Datensatz Für die folgenden Analysen werden die Daten aus den ersten zwei Wellen des SFB580-B2-Betriebspanels verwendet. Diese Betriebsdaten wurden vom Projekt B2 „Betrieb und Beschäftigung im Wandel“ des SFB 580 jeweils im Herbst der gleichung, da nur zwei Zeitperioden und damit nicht genügend Freiheitsgrade für Variation zwischen den Zeitperioden zur Verfügung stehen.
2. Betriebliche Beschäftigungsstabilität
205
Jahre 2002 und 2004 in Form einer computergestützten Telefonbefragung erhoben (Götzelt 2006; Martens, Krause 2007). In der zweiten Welle konnten 383 gültige Wiederholungsbefragungen auf Betriebsstättenebene durchgeführt werden. Die Stichprobenziehung für das SFB580-B2-Betriebspanel fand im Jahre 2002 am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) statt. Die Grundgesamtheit stellten alle Betriebsstätten klein- und mittelständischer Unternehmen in zehn Branchen2 und fünf Bundesländern3 dar, wobei die Erststichprobe anhand eines Quotenauswahlverfahrens4 ermittelt wurde. Die untersuchte Längsschnittstichprobe bildet ost- wie auch westdeutsche klein- und mittelständische Unternehmen ab. Ost- und westdeutsche Betriebe sind in der vorliegenden Stichprobe in etwa gleichen Anteilen repräsentiert. Ebenso sind in der Teilstichprobe Unternehmen aus strukturstarken5 und strukturschwachen6 Regionen gleich gewichtet vertreten. In der folgenden Analyse wird Beschäftigungsstabilität mit dem Anteil kurz-, mittel- und langfristig unbefristet sozialversicherungspflichtig Beschäftigter operationalisiert. Es handelt sich hier nicht um die rechtszensierte Dauer der Beschäftigungsverhältnisse. Im SFB580-B2-Betriebspanel wurde den Personalverantwortlichen die Frage gestellt: Wie viele Ihrer Beschäftigten erreichen ihrer Erfahrung nach insgesamt eine Beschäftigungsdauer von bis zu 2 Jahren, zwischen 2 und 10 Jahren und wie viele 10 Jahre und länger? Die Innovationstätigkeit der Unternehmen wurde anhand der jeweils zu den Erhebungszeitpunkten 2002 und 2004 gestellten Frage: Haben Sie in den letzten 2 Jahren neue oder deutlich verbesserte Produkte oder Dienstleistungen in den Markt eingeführt? erfasst. 2. Betriebliche Beschäftigungsstabilität in innovativen und nicht innovativen Unternehmen Der Vergleich der Anteile an kurz-, mittel- und langfristiger Beschäftigung (vgl. Tabelle 6.1) zeigt insbesondere in Betrieben der Dienstleistungsbranche unterschiedliche Stabilitätsstrukturen. Dienstleistungsbetriebe, die in beiden Perioden Produktinnovationen einführen, weisen im Vergleich zu Betrieben, die in beiden 2 3 4 5 6
Dies sind Verlagsgewerbe, Maschinenbau, Chemische Industrie, Baugewerbe, Einzelhandel, Kreditwesen, Software, Beratung, Erwachsenenbildung und Gesundheitsdienste. Befragt wurde in den Regionen Bayern, Niedersachsen, Hansestadt Bremen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Kriterien für die Quotenauswahl waren dabei die Branche, die Region und die Größen, wobei eine Gleichverteilung bezogen auf die Kriterien angestrebt wurde. Bayern/Sachsen/Thüringen Niedersachsen/Bremen/Sachsen-Anhalt/Mecklenburg-Vorpommern
206
VI Innovation und Beschäftigungsstabilität
Perioden keine Aktivitäten hinsichtlich der Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen zeigen, einen geringeren Anteil an sozialversicherungspflichtig langfristig und einen höheren Anteil an sozialversicherungspflichtig kurz- und mittelfristig Beschäftigten auf. Tabelle 6.1: Durchschnittliche Daueranteile sozialversicherungspflichtig unbefristet Beschäftigte (2002-2004) Mittelwert „Kontinuierlich Innovative“
Kurzfristige
Mittelfristige
Langfristige
6
31
62
„Kontinuierlich Nicht Innovative“
5
26
69
Differenz
-0,7
-6
7*
Produktionsunternehmen (Chemieunternehmen/ Maschinenbau) „Kontinuierlich Innovative“
3
23
„Kontinuierlich Nicht Innovative“
3
26
72 71
Differenz
0
3
-1
Traditionelle Dienstleistungsunternehmen (Banken/ Handel/ Pflegedienstleistung/ Verlage) „Kontinuierlich Innovative“
7
32
62
„Kontinuierlich Nicht Innovative“
2
22
75
Differenz
-5**
-10
13**
Wissensintensive Dienstleistungsunternehmen (Beratung/ Software/ Weiterbildung) „Kontinuierlich Innovative“
6
42
52
„Kontinuierlich Nicht Innovative“
1
32
68
Differenz
-5*
-10
15*
T-Test: * Signifikant auf 0,90 Niveau; **Signifikant auf 0,95 Niveau; *** Signifikant auf 0,99 Niveau
Für den Produktionsbereich lässt sich hingegen kein Unterschied in den Stabilitätsstrukturen beobachten. Der Anteil an langfristiger Beschäftigung liegt sowohl bei innovativen als auch bei nicht innovativen Produktionsbetrieben bei über 70% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Humankapitalgenerierung beziehungsweise -bindung scheint somit im innovativen Produktionsbereich auf andere Art sichergestellt zu werden, als im innovativen Dienstleistungsgewerbe. Um diese Aspekt genauer zu beleuchten werden im Folgenden getrennte Regressionsanalysen für den Dienstleistungs- und Produktionsbereich durchgeführt.
2. Betriebliche Beschäftigungsstabilität
207
Dienstleistung Für den Dienstleistungsbereich zeigt sich (vgl. Tabelle 6.2): -
-
-
-
Obwohl der Anteil von Mitarbeitern mit betriebsspezifischem Wissen sowie der Anteil der Mitarbeiter mit Hochschulabschluss in innovativen Dienstleistungsbetrieben höher ist als in nicht innovativen Dienstleistungsbetrieben, ist der Anteil langfristig Beschäftigter in der multivariaten Analyse signifikant geringer. Auch zeigt sich, dass in innovativen Betrieben des Dienstleistungsbereichs trotz erhöhten Bedarfs an hoch- und spezifischqualifiziertem Personal im Vergleich zu nicht innovativen Dienstleistungsbetrieben nicht häufiger Investitionen in die Weiterbildung der Mitarbeiter erfolgen (vgl. Tabelle 6.2: Modell 3). Es wird allerdings deutlich, dass der beobachtete negative Zusammenhang von Innovationstätigkeit und betrieblicher Beschäftigungsstabilität in kontinuierlich innovativ tätigen Dienstleistungsunternehmen durch den Einsatz extern flexibler Beschäftigung (Tabelle 6.2: Modell 6) erklärt werden kann. Weiterhin erklärt die mit dem Produktinnovationsprozess einhergehende Einführung von Prozessinnovationen einen Teil des negativen Zusammenhangs von Produktinnovation und dem Anteil langfristiger Beschäftigung (Tabelle 6.2: Modell 4). Der deskriptiv beobachtbare höhere durchschnittliche Anteil an freiwilliger Mobilität in innovativen Dienstleistungsbetrieben hat hingegen für den Zusammenhang von Daueranteil und Innovationstätigkeit keinen Erklärungsgehalt (Tabelle 6.2: Modell 5).
208
VI Innovation und Beschäftigungsstabilität
Tabelle 6.2: Log. Regressionsmodelle: „kontinuierlich innovative Dienstleister“ (Referenz: „kontinuierlich nicht innovative Dienstleister“) Modell
Westbetrieb 7
Ln Betriebsalter
1
2
3
4
5
6
0,292
0,288
0,429
0,322
0,247
0,401
0,557** 0,710** 1,062** 0,821** 0,724** 0,569* 8
Ln Betriebsgröße
0,341*
0,361*
0,418* 0,348* 0,363* 0,369*
Beschäftigungsschrumpfung#
0,019
0,295
0,435
Konstantes Beschäftigungsvolumen#
-0,744
-0,630
-0,558 -0,763* -1,099*
Anteil Hochqualifizierter
0,027***
Anteil Beschäftigter mit betriebsspez.Wissen
0,022**
Betriebliche Finanzierung von Weiterbildung#
0,026
0,098
Kontinuierliche Prozessinnovation 00- 04#
1,356**
Anteil freiwilliger Mobilität
0,001
Durchschn. Anteil externer Beschäftigung Anteil sv.-pfl. Unbefristeter langfristiger Beschäftigter Durchschnitt 02/ 04 Konstante N Cox-Snell - Pseudo R²
0,046
0,031* -0,017** -0,016** -0,019** -0,013* -0,016** -0,011 -0,929
-1,197
-3,574
-2,376
-1,255 -1,724
135
131
115
131
129
127
13,6
17,5
28,6
23,4
18,8
21,7
#Dummy-Variablen *Signifikant auf 0,90 Niveau; **Signifikant auf 0,95 Niveau; *** signifikant auf 0,99 Niveau
Zusammenfassend gilt: Innovative Dienstleistungsbetriebe nutzen zur Rekrutierung von entsprechend qualifizierten Fachkräften somit eher den externen Arbeitsmarkt, als dass sie auf interne Wege der Humankapitalbildung setzen. Gleichzeitig deuten die Ergebnisse aus Modell 3 auf eine Stamm-Randbelegschaftsdifferenzierung hin, da ein erhöhter Anteil von Mitarbeitern mit betriebs7 8
Das Betriebsalter wurde logarithmiert, da der Median des Betriebsalters bei 13 Jahren, das Maximum aber bei 152 Jahren liegt. Die Betriebsgröße wurde logarithmiert, da der Median bei 30 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, das Maximum aber bei 3500 Beschäftigten lag.
2. Betriebliche Beschäftigungsstabilität
209
spezifischem Wissen den negativen Effekt des Anteils von langfristigen Mitarbeitern noch verstärkt. Weiterhin wird aus den dargestellten Regressionsmodellen deutlich, dass westdeutsche Dienstleistungsunternehmen nicht signifikant häufiger innovativ sind als ostdeutsche. Allerdings steigt im Dienstleistungsbereich mit dem Betriebsalter und der Betriebsgröße die Wahrscheinlichkeit kontinuierlich innovativ tätig zu sein. Dies lässt sich als Innovationsvorteil durch Markterfahrung interpretieren (Rammer u.a. 2006: 32). Produktion Wie zuvor festgestellt, bestehen Unterschiede zum Personaleinsatz des Produktionsgewerbes im Vergleich zum Dienstleistungsbereich. Hier verdeutlichen die Regressionsanalysen eine höhere Bedeutung der innerbetrieblichen Humankapitalbildung und -bindung in innovativen Betrieben. -
-
9
Innovative und nicht innovative Produktionsbetriebe weisen keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Anteils an langfristig Beschäftigten auf (Tabelle 6.3: Modell 1). Der Anteil an langfristig Beschäftigten ist im Produktionsbereich generell und somit auch in innovativen Betrieben im Vergleich zum Gesamtdurchschnitt recht hoch (vgl. Tabelle 6.1). Ursache ist der im Vergleich zu Dienstleistungsbranchen hohe Kapitaleinsatz in Technologien, der häufig mit hohen, zumindest aber fachlich spezifischen Qualifikationsanforderungen der Mehrzahl der Beschäftigten korrespondiert, deren Wissen wiederum längerfristig betrieblich gebunden werden soll. Innovative Betriebe im Produktionsbereich weisen im Vergleich zu nicht innovativen Betrieben einen geringeren Anteil an un- und angelernten Beschäftigten auf. Der Bedarf an Beschäftigten mit spezifischen Humankapitalressourcen ist in innovativen Produktionsbetrieben allerdings nicht signifikant höher als in nicht innovativen Betrieben des produzierenden Gewerbes (vgl. Tabelle 6.3: Modell 3), wenngleich der Anteil an spezifischqualifizierten Beschäftigten sowohl in innovativen wie nicht innovativen Produktionsbetrieben höher als in Dienstleistungsbetrieben ist9. Innovative Produktionsbetriebe fördern aber im Vergleich zu nicht innovativen Betrieben aktiv die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter, indem sie wesentlich häufiger
In den Daten des SFB580-B2-Betriebspanel liegt der Durchschnitt des Anteils von Mitarbeitern mit spezifischem Wissen bei 31% im Produktionsbereich und bei 22% sowohl im traditionellen wie wissensintensiven Dienstleistungsbereich.
210
-
VI Innovation und Beschäftigungsstabilität die Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen der Mitarbeiter übernehmen. (vgl. Tabelle 6.3: Modell 3) Extern flexible Beschäftigung wird sowohl in innovativen wie nicht innovativen Produktionsbetrieben weniger häufig angewendet als im innovativen Dienstleistungsbereich. (vgl. Tabelle 6.3: Modell 6)10
Tabelle 6.3: Log. Regressionsmodelle: „kontinuierlich innovative Produktionsbetriebe“ (Referenz: „kontinuierlich nicht innovative Produktionsbetriebe“) Modell Westbetrieb
1
2
0,227
0,464
2a
3
4
6
0,136
0,759
0,536
0,350
Ln Betriebsalter11
0,271
0,295
0,414
0,167
0,230
0,260
Ln Betriebsgröße12
0,038
0,040
-0,125
-0,209
-0,055
0,065
Beschäftigungswachstum#
1,296*
Konstantes Beschäft.volumen#
0,336
Ausweitung von Marktanteilen 2004
1,855***
Anteil Unqualifizierter
-0,030*
Anteil Beschäftigter mit betriebsspezifischen Wissen
-0,009
Betriebl. Finanzierung Weiterbildung#
1,857**
Kontinuierl. Prozessinnovation 00-04#
1,689**
Durchschnittlicher Anteil externer Beschäftigung
0,00
Anteil sv.-pfl. Unbefristeter langfristiger 0,00 Beschäftigter; Durchschnitt 02/ 04 Konstante N Cox-Snell - Pseudo R²
0,269
-0,421
-0,630
0,868
-0,089
0,157
66
66
67
58
69
68
1,1
7,2
11,9
13,2
10,7
2,2
#Dummy-Variablen *Signifikant auf 0,90 Niveau; **Signifikant auf 0,95 Niveau; *** signifikant auf 0,99 Niveau
10 11 12
Der durchschnittliche Anteil im Produktionsbereich liegt bei ca. 15%, während er im innovativen Dienstleistungsbereich bei rund 30% liegt. Das Betriebsalter wurde logarithmiert, da der Median des Betriebsalters bei 13 Jahren, das Maximum aber bei 152 Jahren liegt. Die Betriebsgröße wurde logarithmiert, da der Median bei 30 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, das Maximum aber bei 3500 Beschäftigten lag.
3. Voraussetzungen von Innovationsprozessen
211
Weiterhin lässt sich für innovative Produktionsbetriebe signifikant häufiger ein positives Beschäftigungswachstum als in nicht innovativen Betrieben beobachten (Tabelle 6.3: Modell 2). Und es zeigt sich im Produktionsbereich ein signifikanter Zusammenhang von Innovationstätigkeit und der Ausweitung von Marktanteilen (Tabelle 6.3: Modell 2a). Erfolgreiche Innovationstätigkeit steht bei Betrieben des Produktionsbereiches also zusammenfassend häufiger in Zusammenhang mit Unternehmenserfolg in Form von Beschäftigungswachstum und der Ausweitung von Marktanteilen. Außerdem deuten die Ergebnisse aus Modell 1 und Modell 3 auf eine innerbetriebliche Humankapitalgenerierung in innovativen Produktions-betrieben hin. Innovationstätigkeit geht hier mit einer hohen betrieblichen Beschäftigungsstabilität einher. Insgesamt bestätigen die Regressionsanalysen die deskriptiven Befunde bezüglich des Zusammenhangs von Innovationstätigkeit und Beschäftigungsstabilität in Dienstleistungsbetrieben sowie in Produktionsbetrieben. Ergänzend konnte gezeigt werden, dass (a) im Dienstleistungsbereich Innovationstätigkeit geringere betriebliche Beschäftigungsstabilität bedingt und Humankapital eher auf externem Wege beschafft wird, während (b) im Produktionsbereich Innovationstätigkeit mit hoher betrieblicher Beschäftigungsstabilität einhergeht und eine innerbetriebliche Generierung von Humankapital zu beobachten ist. 3. Voraussetzungen von Innovationsprozessen Nachdem im letzten Abschnitt betriebliche Stabilitätsstrukturen in innovativen und nicht innovativen Betrieben der beobachteten Produktions- und Dienstleistungsbranchen sowie die Humankapitalgenerierungsprozesse innovativer Unternehmen näher betrachtet wurden, soll hier nun die Frage nach den Entstehungsvoraussetzungen für einen Innovationsprozess gestellt werden. Im Mittelpunkt steht dabei erneut die Betrachtung der betrieblichen Beschäftigungsstabilität. Die Bindung von Mitarbeitern an den Betrieb birgt gerade im Implementierungsprozess von Innovationen wesentliche Vorteile gegenüber einer auf den externen Arbeitsmarkt ausgerichteten Personalpolitik. Einerseits verhindert sie den Verlust von betriebsspezifischem Wissen sowie des „Hinaustragen von Know-How“ aus dem Betrieb. Andererseits bietet sie die Möglichkeit, effiziente, auf Vertrauen basierende Leistungskontrollmechanismen zu nutzen (Seifert, Pawlowsky 1998; Struck u.a. 2006b). Identifizieren sich Beschäftigte mit den Unternehmenszielen, so werden sie außerdem mit höherer Motivation und Leistungsbereitschaft ihr Wissen und Können in den Arbeitsprozess einbringen und
212
VI Innovation und Beschäftigungsstabilität
auch notwendige Umstellungen bezüglich der Produktions- und Leistungserstellungsprozesse eher akzeptieren (Hartmann 2006). Unsere These ist somit, dass gerade in der Phase vor Einführung einer Produktinnovation hohe betriebliche Beschäftigungsstabilität den Erfolg des Implementierungsprozesses wesentlich befördert. Tabelle 6.4: Durchschnitt Daueranteile sozialversicherungspflichtig unbefristet Beschäftigte (2002) Mittelwert Kurzfristige
Mittelwert Mittelfristige
Mittelwert Langfristige
2002/ Periode 1
2002/ Periode 1
2002/ Periode 1
„Kontinuierlich Innovative“
7
34
59
„Innovative Periode 2“
3
24
73
Differenz
4
10**
-14***
Erhebungsjahr/ Beobachtungsperiode
Produktionsunternehmen (Chemieunternehmen/ Maschinenbau) „Kontinuierlich Innovative“
3
22
73
„Innovative Periode 2“
1
26
73
Differenz
2
-4
0
Traditionelle Dienstleistungsunternehmen (Banken/ Handel/ Pflegedienstleistung/ Verlage) „Kontinuierlich Innovative“
10
37
53
„Innovative Periode 2“
7
27
66
Differenz
3
10
-13
Wissensintensive Dienstleistungen (Beratung/ Software/ Weiterbildung) „Kontinuierlich Innovative“
5
48
47
„Innovative Periode 2“
2
22
77
Differenz
3
26**
-29**
T-Test: * Signifikant auf 0,90 Niveau; **Signifikant auf 0,95 Niveau; *** signifikant auf 0,99 Niveau
Die deskriptiven Ergebnisse (vgl. Tabelle 6.4) zeigen, dass der Anteil langfristig Beschäftigter in der Gruppe „Innovative der Periode 2“ im Jahre 2002, also im Zeitraum vor Einführung einer Produktinnovation, bei nahezu 73 Prozent liegt und damit signifikant höher ist als der Anteil langfristig Beschäftigter in der Gruppe der „kontinuierlich Innovativen“ mit 59 Prozent. Auch ist der Anteil an
3. Voraussetzungen von Innovationsprozessen
213
langfristig Beschäftigten signifikant höher im Vergleich zu nicht innovativen Betrieben13. Allerdings zeigt sich bei Aufspaltung der Gesamtstichprobe nach Branchen erneut, dass die betrieblichen Stabilitätsstrukturen nur in Dienstleistungsbetrieben und hier insbesondere in wissensintensiven Dienstleistungsbereichen signifikante Unterschiede aufweisen. Dementsprechend soll für den Dienstleistungsbereich die Kausalthese überprüft werden, dass klein- und mittelständische Unternehmen generell einen hohen Anteil langfristiger Beschäftigung aufweisen, dieser aber durch die Innovationstätigkeit abgebaut wird. Die multivariate Analyse liefert hierfür folgende Ergebnisse (vgl. Tabelle 6.5): -
-
-
13 14
Kontinuierlich innovierende Dienstleistungsunternehmen unterscheiden sich gegenüber der Gruppe von Dienstleistungsbetrieben mit Innovationen in Phase 2 in Bezug auf betriebliche Strukturmerkmale vor allem hinsichtlich des Betriebsalters (vgl. Tabelle 6.5: Modell 1). Keine signifikanten Unterschiede bestehen hinsichtlich der Merkmale Ansiedlung in Ost- versus Westdeutschland und Betriebsgröße. Dienstleistungsbetriebe, die nur im Zeitraum von 2002 bis 2004 innovierten, weisen dabei im Jahre 2002 einen signifikant höheren Anteil an langfristiger Beschäftigung auf. Dieser Effekt wird auch durch die seltenere Reorganisationstätigkeit von „erstmalig oder unregelmäßig Innovativen“ (vgl. Tabelle 6.5 : Modell 2) beziehungsweise durch die seltenere Einführung von Prozessinnovationen (vgl. Tabelle 6.4: Modell 3) im Zeitraum 2000 bis 2002 nicht vollständig erklärt. Hinsichtlich der Qualifikationsstruktur zeigen sich in der multivariaten Analyse keine signifikanten Unterschiede (vgl. Tabelle 6.5 : Modell 4). Allerdings wird in Modell 5 deutlich, dass „erstmalig oder unregelmäßig Innovative“ berufsfachlich qualifizierte Personengruppen eher langfristig beschäftigten (vgl. Tabelle 6.4: Modell 4), während es in „kontinuierlich innovativen Dienstleistungsbetrieben“ überwiegend Hochqualifizierte sind, bei denen von Betriebsseite eine langfristige Bindung gewünscht wird14.
Anteil Langfristiger ist 56% bei kontinuierlich nicht innovativen Betrieben der wissensintensiven Dienstleistungsbranche. Zusammenhang: Qualifikationsanforderung „hoch qualifiziert“ an Langfristige ist negativ und hochsignifikant.
214
VI Innovation und Beschäftigungsstabilität
Tabelle 6.5: Logistische Regressionsmodelle „Dienstleistungsunternehmen mit Innovation in Periode 2“ (Referenz: „kontinuierlich innovative Dienstleistungsbetriebe“) Modell 1
2
3
4
5
Westbetrieb
0,379
0,143
0,444
0,505
0,660
Ln Betriebsalter
-0,858**
-0,689
-0,906**
-0,894**
-1,214***
Ln Betriebsgröße
-0,033
0,134
-0,040
-0,063
-0,090
Wissensintensive Dienstleistungen
-0,464
-0,633
-0,453
-0,191
-0,091
Reorganisation von Abteilung & Funktionsbereich (2002)
-2,477***
Prozessinnovationen (2002)
-1,501***
Anteil hoch qualifizierter Mitarbeiter (2002)
-0,012
Anteil Unqualifizierter (2002)
-0,003
Langfristige im Jahre 2002 überwiegend berufsfachlich qualifiziert#
1,953***
Anteil sv-pfl. unbefristet langfristiger Beschäftigter (2002)
0,015**
0,017**
0,016**
0,013*
Konstante
0,321
N
121
-0,074
1,212
0,768
121
119
118
Cox-Snell R²
11,9
21,8
101
18,9
12,7
20,1
0,782
#Dummy-Variable *Signifikant auf 0,90 Niveau; **Signifikant auf 0,95 Niveau; *** signifikant auf 0,99 Niveau
Anhand der Ergebnisse lässt sich schlussfolgern, dass es sich bei den kontinuierlich Innovativen und den Innovativen in Periode 2 hinsichtlich des Innovationspotentials um ähnliche Typen von Betrieben handelt, welche sich allerdings in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden. Die „erstmalig oder unregelmäßig Innovativen“ repräsentieren dabei vor allem jüngere Dienstleistungsbetriebe, welche sich in der Phase des Einstiegs in einen kontinuierlichen Innovationsprozess befinden, während Betriebe, die im vorliegenden Sample in zwei aufeinander folgenden Perioden innovierten, bereits Organisationsstrukturen intern umgesetzt haben, die für einen kontinuierlichen Innovationsprozess geeignet sind. Weiterhin lässt sich mit Zunahme der Innovationsintensität ein Upgrading der Qualifikationen beobachten, welches sich auf die betriebliche Stabilitäts-
4. Schlussfolgerungen
215
struktur auswirkt. Stabile Beschäftigung berufsfachlich Qualifizierter scheint allerdings im Dienstleistungsbereich die Innovationsfähigkeit von jüngeren klein- und mittelständischen Unternehmen zu erhöhen. 4. Schlussfolgerungen Im vorliegenden Aufsatz konnte gezeigt werden, dass in klein- und mittelständischen Dienstleistungsbetrieben mit einer Intensivierung der Produktinnovationstätigkeit ein Prozess des Upgrading von betrieblichen Qualifikationsanforderungen sowie der Restrukturierung betrieblicher Strukturen einhergeht. Somit ist in kontinuierlich innovativen Dienstleistungsbetrieben eine geringere Beschäftigungsstabilität zu beobachten, welche häufig mit einer Personalstrategie der externen Flexibilisierung verbunden ist. Näher zu untersuchen wäre hier inwiefern Engpässe an qualifiziertem Personal am Arbeitsmarkt interne, auf Humankapitalbindung orientierte Personalstrategien befördern. Allerdings zeigt sich auch, dass ein hoher Anteil stabiler Beschäftigung den Einstieg in den Innovationsprozess nicht behindert, sondern sich auf diesen anscheinend eher förderlich auswirkt. Es sind vor allem klein- und mittelständische Betriebe mit einem hohen Anteil an langfristig berufsfachlich qualifizierten Beschäftigten, die erstmalig oder unregelmäßig Innovationen in den Markt einführen. Längere Zeitreihen wären nötig, um den Prozess der Reorganisation und des Upgrading von Qualifikationen näher zu beschreiben und auf seine Ursachen hin zu analysieren.15 In klein- und mittelständischen Produktionsbetrieben hingegen hat die Innovationstätigkeit keinen Einfluss auf die betriebliche Stabilitätsstruktur. Im Durchschnitt nahezu drei Viertel der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten haben in innovativen Produktionsbetrieben eine langfristige Beschäftigungsperspektive. Ursache ist u.a. der hohe Kapitaleinsatz und damit verbundene Qualifizierungs- und Personaleinsatzstrategien. Aus der multivariaten Analyse lässt sich schlussfolgern, dass innovative Produktionsbetriebe auch eher innerbetriebliche Humankapitalgenerierung fördern und umsetzen. In Regressionsanalysen zeigte sich ein positiver Zusammenhang von Finanzierung von Weiterbildung und Innovationstätigkeit. Innovationstätigkeit und betriebliche Beschäftigungsstabilität sind somit nicht zwangsläufig konkurrierende Managementkonzepte. Zwar nötigt ein permanenter Veränderungsdruck innovativ tätige Unternehmen zur Sicherung eines hohen finanziellen Flexibilitätsspielraums, die intensive Innovationstätigkeit 15
Das SFB580-B2-Betriebspanel bietet in absehbarer Zeit diese Möglichkeit. Zudem kann hierzu auf Linked-Employer-Employee-Daten des IAB zurückgegriffen werden.
216
VI Innovation und Beschäftigungsstabilität
hingegen fordert aber auch die Verfügbarkeit von hoch qualifiziertem und leistungsbereitem Personal, welche durch Humankapitalbindung gesichert werden kann. Je stärker allerdings der Innovationsdruck und je höher die Schwankungen im Arbeits- und Beschäftigungsvolumen, desto stärker ist die Orientierung der Unternehmen, benötigtes Humankapital über den externen Arbeitsmarkt zu beziehen. Dies impliziert insbesondere in innovativen klein- und mittelständischen Dienstleistungsbetrieben für die Beschäftigten eher mittelfristige betriebliche Beschäftigungsperspektiven.
VII
Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
Gerechtigkeitswahrnehmungen und ihre Handlungsfolgen1 VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen Alexandra Krause – Olaf Struck
1. Einleitung Den Hintergrund dieses Beitrags bildet die anhaltende Diskussion über die Deund Re-Kommodifizierung der „Ware“ Arbeitskraft. Dieser Debatte zufolge hat ein äußerst konfliktreicher historischer Prozess von mehr als 200 Jahren dazu geführt, dass für den Arbeitsmarkt und die Beschäftigungsbeziehung bis heute Regulationsformen und normative Erwartungen zentral sind, die auf den besonderen Schutz der Arbeitskraft zielen und Beschäftigte einem unmittelbaren Zugriff des Marktes zum Teil entziehen (Castel 2000). Einige Autoren verweisen darauf, dass die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes vielfach im Zentrum des beruflichen Interesses von Beschäftigten stehe (Deutschmann 2002; Seifert, Pawlowsky 1998: 605f.; Schramm 1992: 86f.). Mit Blick auf die letzten Jahrzehnte wird nun im öffentlichen Diskurs und in Teilen der wissenschaftlichen Forschung häufig unterstellt, dass nicht nur die Beschäftigungssicherheit selbst, sondern auch die entsprechenden normativen Erwartungen der Beschäftigten erodieren. Konstatiert wird ein Prozess der Vermarktlichung, der auch die „Köpfe“ der Beschäftigten erreicht und damit an Legitimität gewinnt. Auch im Individualisierungs- und Subjektivierungsdiskurs werden die Risiken und Chancen höherer Wahlmöglichkeiten und -zwänge, zunehmender Eigenverantwortung und abnehmender Leitorientierungen durch Staat und Wirtschaftsorganisationen schon seit Längerem thematisiert (Beck 1999; Sennett 2000). Studien zu Erwerbsorientierungen bei einzelnen Berufsgruppen prognostizieren mit der These des „Arbeitskraftunternehmers“ dann eine Vermarktlichung der Erwerbsorientierungen (Voß, Pongratz 1998; Voß 1998; Fischer 1999). Zu Arbeitskraftunternehmern werden einerseits Personen, die sich durch 1
Dieser Beitrag basiert auf einer Studie über Arbeit und Gerechtigkeit im Auftrag der HansBöckler-Stiftung, die im Jahr 2005 abgeschlossen und durch das Teilprojekt B2 des Sonderforschungsbereichs 580 der Universitäten Jena und Halle sowie den Lehrstuhl für Arbeitsökonomie der Universität Hannover (Knut Gerlach) unterstützt wurde. Neben den Autoren waren Christoph Köhler (Universität Jena), Christian Pfeifer und Tatjana Sohr (beide Universität Hannover) sowie Gesine Stephan (IAB) an dem Projekt beteiligt.
218
VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
die Umstände dazu gezwungen sehen. Andererseits wird festgehalten, dass viele Personen mehr Flexibilität wünschen und, zumindest in jungen Jahren oder auf der Basis hoher, marktgängiger Qualifikationen, entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten in ihrer Beschäftigungskarriere anstreben. Interessanterweise werden die entsprechenden Zeitdiagnosen auch in den USA diskutiert, deren Arbeitsmarkt mit dem Prinzip des „Hire and Fire“ – so die verbreitete europäische Sichtweise – schon immer durch „vermarktlichte“ Beschäftigungsbeziehungen gekennzeichnet war. Hier wurde in den neunziger Jahren nicht nur durch die Medien, sondern auch von Teilen der Wissenschaft das Ende des „alten Arbeitsvertrages“ ausgerufen. Dieser bildete das angelsächsische Pendant des deutschen „Normalarbeitsverhältnisses“ und versprach Beschäftigungssicherheit gegen hohe Arbeitsleistung. Folgt man dem öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs, so wurde dieser Pakt im „neuen Arbeitsvertrag“ aufgekündigt: Beide Vertragsparteien bewerten die Leistung des Vertragspartners nunmehr nach deren Marktwert und lösen den Vertrag, wann immer sich bessere Alternativen ergeben (Levine u.a. 2002). Dieser „neue Arbeitsvertrag“ wird dann je nach wissenschaftlicher und politischer Position gefeiert oder kritisiert (Sennett 2000; Levine u.a. 2002). In der empirischen Analyse der – oft impliziten – Annahmen und Konnotationen dieses wissenschaftlichen, zugleich aber auch politischen Diskurses sehen wir uns mit wenigstens drei Herausforderungen konfrontiert. Erstens: Wie die Beiträge dieses Buches dokumentieren, erweisen sich neo-institutionalistisch reformulierte Segmentationsansätze als hilfreich für die Analyse des Wandels von Beschäftigungsstabilität und -sicherheit. Für eine Analyse der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung dieser Veränderungen durch die beteiligten Akteure müssen wir diesen Zugang zunächst jedoch erweitern. Dazu greifen wir auf das Konzept des psychologischen Vertrages zurück, das den Arbeitsvertrag als Reziprozitätsbeziehung begreift, in der die Erfüllung normativer Erwartungen eine zentrale Rolle spielt (Rousseau 1989, 1995; Herriot, Pemberton 1995, 1997). Der Wandel betrieblicher Beschäftigungssysteme kann implizite bzw. psychologische Vertragsverhältnisse auf verschiedene Weise beeinflussen. Eine zweite Herausforderung besteht also darin, unsere Untersuchungsperspektive weiter zuzuspitzen. So werden in der Arbeitspsychologie z.B. seit einiger Zeit verstärkt die Determinanten von Arbeitsplatzunsicherheit und deren Folgen für das Beschäftigungsverhältnis in den Blick genommen (Kapitel IX; Sverke u.a. 2002). Unsere Analyse fokussiert hingegen auf Gerechtigkeitserwartungen und Gerechtigkeitswahrnehmungen, da Gerechtigkeit zu den zentralen Reziprozitätsnormen zählt, die in unserer Gesellschaft zur moralischen Bewertung gesellschaftlicher Verhältnisse herangezogen werden (Liebig, Lengfeld 2002; Liebig u.a. 2004). Zugleich verdeutlicht der politische Diskurs der letzten Jahre, dass
1. Einleitung
219
bestehende Vorstellungen sozialer Gerechtigkeit durch die Verschiebung der Beschäftigungsrisiken unter Druck geraten. Zu fragen ist dann, welches die dem „alten Arbeitsvertrag“ bzw. dem „Normalarbeitsverhältnis“ zugrunde liegenden organisationsbezogenen Gerechtigkeitsideologien waren und ob diese angesichts realer oder „gefühlter“ Veränderungen noch halten. Wenn es zutrifft, dass sich das Konzept des „neuen Arbeitsvertrages“ mehr und mehr durchsetzt, ist zu erwarten, dass Beschäftigte betriebliche Anpassungen an die Marktsituation auch als gerecht akzeptieren. Eine kritische Bewertung wird dann erfolgen, wenn der „alte Arbeitsvertrag“ eher ihren Gerechtigkeitserwartungen entspricht. Dahinter könnten auf das Unternehmen bezogene gesellschaftliche Standards der Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit stehen, die „opportunistischem“ marktrationalen Handeln widersprechen. Entscheidend ist dann die Handlungsrelevanz dieser (Un)Gerechtigkeitswahrnehmungen, die im Folgenden ebenfalls Gegenstand der empirischen Analyse sein wird.2 Wir konzentrieren uns auf betriebsbedingte Entlassungen, weil sich hier die sozialen Risiken des Beschäftigungsverhältnisses zuspitzen. Die Verfügbarkeit der für derartige Analysen erforderlichen Daten stellt eine dritte Herausforderung dar. Vor allem für den angelsächsischen Raum liegen bereits zahlreiche – allerdings nicht-repräsentative – Studien über die charakteristischen Merkmale des so genannten „neuen Arbeitsvertrages“ und die damit verbundenen Herausforderungen für Beschäftigte und Management vor. Relativ offen ist bislang jedoch, wie weit der „neue Arbeitsvertrag“ bereits verbreitet ist. Die Analyse des Prozesses, in dem sich dieser durchsetzt oder bereits durchgesetzt hat, erfordert zudem Paneldaten. Vor diesem Hintergrund liegt die Stärke unseres Beitrages darin, dass er auf eine repräsentative Studie zu Sicherheits- und Gerechtigkeitsorientierungen von Erwerbspersonen in Westund Ostdeutschland zurückgreifen kann, die an Arbeiten von Levine u.a. anschließt und die Gerechtigkeitsbewertungen von Entlassungen und Lohnkürzungen untersucht (Levine u.a. 2002). Wir gehen dabei nicht nur der Frage nach, wie die Gerechtigkeit von Entlassungen innerhalb der deutschen Erwerbsbevölkerung generell wahrgenommen wird, sondern nehmen auch die Determinanten dieser Gerechtigkeitsurteile in den Blick. Informationen über die betrieblichen Handlungsfolgen von Entlassungen ermöglichen uns außerdem die 2
Obwohl politische Gerechtigkeitsdiskurse i. A. dadurch ausgelöst werden, dass sich Teilgruppen der Gesellschaft als benachteiligt wahrnehmen und ausgleichende Maßnahmen fordern, kann die empirische Gerechtigkeitsforschung zeigen, dass auch „zuviel“ Gerechtigkeit, d.h. die eigene Privilegierung gegenüber Vergleichsgruppen, Handlungsfolgen hat. Die Analyse der Handlungsrelevanz von Gerechtigkeitswahrnehmungen muss daher beide Richtungen des Gerechtigkeitsurteils berücksichtigen.
220
VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
Analyse der Folgewirkungen von (Un)Gerechtigkeitswahrnehmungen. Der Vergleich unterschiedlicher Alterskohorten gibt uns zudem erste Hinweise darauf, ob ein grundlegender Wandel der Erwerbsorientierungen im Sinne des „Arbeitskraftunternehmers“ tatsächlich bereits konstatiert werden kann. Unser Beitrag geht in fünf Schritten vor. Der zweite Abschnitt entwickelt zunächst den theoretischen Hintergrund unserer Analyse. Im dritten Abschnitt werden der Datensatz und die Methodik vorgestellt. Die Abschnitte 4 und 5 dienen der Dokumentation und Interpretation unserer empirischen Ergebnisse. Der abschließende sechste Abschnitt fasst die zentralen Ergebnisse zusammen und diskutiert ihre Bedeutung für die gegenwärtige Debatte um die Legitimität der Vermarktlichung von Beschäftigungsrisiken. 2. Theoretische Einbettung Schon Parsons (Parsons, Shils 1951; Parsons, Smelser 1956) wollte zeigen, dass Akteure, konfrontiert mit dem Problem der doppelten Kontingenz von Erwartungen und Erwartungserwartungen, auch ihre ökonomischen Handlungen nur dann koordinieren können, wenn sie über ein gemeinsam geteiltes Werte- und Normensystem verfügen. Der ökonomische Utilitarismus galt ihm bekanntlich als untersozialisiert. Umgekehrt ließ Parsons allerdings weitgehend unberücksichtigt, wie sich Akteure ihre normativ gestützte Kompetenz zur Handlungskoordination in Interaktionen erschaffen. So richtete Granovetter dann seinen Blick auf die im Verlauf ökonomischer Transaktionen (emergent) entstehenden und mitlaufenden sozialen Strukturen (Granovetter 1985). Insgesamt ist wirtschaftlich orientiertes Handeln weder streng rational (hierauf hatte ja auch schon Weber mit der Trennung zwischen „wirtschaftlich orientiertem“ und „wirtschaftlich rationalem“ Handeln hingewiesen) noch allein auf universelle moralische Prinzipien ausgerichtet. In ökonomischen Beziehungen handeln Menschen immer auch aus eigenem Interesse. Zugleich können wir allerdings regelmäßig ökonomische Handlungen beobachten, die durch die strategische Kooperation der beteiligten Akteure zu ihrem jeweils größtmöglichen Eigennutzen nur unzulänglich erklärt werden. Umgekehrt stellen moralische Prinzipien als solche immer „allgemeingültige“ Maximen des Handelns dar. Wie die empirische Wirklichkeit zeigt, ist soziales Handeln in der Regel jedoch an einer Pluralität moralischer Prinzipien orientiert, deren Interpretation darüber hinaus vom Standpunkt des subjektiven Betrachters, und hier nicht zuletzt von seiner sozialen Positionierung, abhängig bleibt (Walster u.a. 1978; Walzer 1983). Daher beziehen neoinstitutionalistische Ansätze nicht nur Institutionen, sondern auch den Einfluss kultureller und sozialstruktureller Rahmenbedingun-
2. Theoretische Einbettung
221
gen (oder „Einbettungen“, wie Granovetter sagen würde) sowie kognitive Strukturen in die Erklärung sozialen Handelns ein. Mit Blick auf die Beschäftigungsbeziehung wird dann die Tatsache hervorgehoben, dass der Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit einerseits rechtlichen Restriktionen unterliegt und andererseits die Bereitschaft der Arbeitnehmer zur Kooperation voraussetzt. Aufgrund von Informationsasymmetrien und der damit einhergehenden begrenzten Kontrollmöglichkeiten, sind informelle Strukturen notwendig, die wechselseitige Erwartungsunsicherheiten vermindern und die Kooperationsbereitschaft der Beschäftigten erhöhen. Geteilte moralische Prinzipien gelten dabei als wirkungsmächtige informelle Verhaltensnormen. Die Bedeutung moralischer Erwartungen für die Beschäftigungsbeziehung kann also durchaus aus einer institutionalistischen Perspektive hergeleitet werden. Für die genauere Analyse von Gerechtigkeitserwartungen im Kontext sich wandelnder Beschäftigungsbeziehungen greifen wir allerdings auf das Konzept des psychologischen Vertrages zurück, das eher an die Austauschtheorie (vgl. dazu vor allem Gouldner 1960; Blau 1964 und Adams 1965) als an den Neoinstitutionalismus anknüpft. Dieses Vorgehen erklärt sich wie folgt: Der Ansatz des psychologischen Vertrages geht ebenfalls davon aus, dass nicht alle Aspekte des Vertragsverhältnisses ex ante definiert werden können, ein stabiles Austauschverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern jedoch klare Verhaltenserwartungen auf beiden Seiten voraussetzt und daher immer auch eine informelle Regelungsebene beinhaltet.3 Der Ansatz arbeitet dann aber vor allem die Relevanz von Reziprozitätserwartungen für das informelle Vertragsverhältnis heraus und bezieht die Rolle von Gerechtigkeitsnormen explizit in die theoretischen Überlegungen mit ein (Hiltrop 1995; Rousseau 1995; Herriot, Manning, Kidd 1997; Anderson, Schalk 1998; Berner 1999; Grote, Raeder 1999; Grote 2000; Millward, Brewerton 2000; Rousseau, Schalk 2000). Psychologische Verträge beschreiben das Vertrauen in gegenseitige Verpflichtungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, das auf Zusagen nach der Einstellungsentscheidung und während der täglichen Zusammenarbeit baut. Dieses Vertrauen beruht darauf, dass beide Parteien von der Einhaltung der mehr oder weniger formellen wechselseitigen Zusagen überzeugt sind. Auf diese Weise strukturieren psychologische Verträge das Verhalten der Austauschpartner und geben den Beschäftigten das Gefühl, das Organisationsgeschehen beeinflussen zu können (McFarlane, Tetrick 1994; Rousseau 1995). Veränderungen 3
Selbst durch detaillierte arbeitsvertragliche Regelungen begründete Beschäftigungsbeziehungen sind häufig unvollständig. Darüber hinaus führen unterschiedliche Referenzrahmen und kognitive Grenzen dazu, dass die Vertragspartner formelle Vereinbarungen auf verschiedene Weise interpretieren. Beide Argumente begründen die Notwendigkeit informeller Koordinationsmuster (Rousseau 1995).
222
VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
betrieblicher Personalstrategien tangieren dieses Reziprozitätsverhältnis allerdings unmittelbar, weil sie den „Einsatz“ der beiden Vertragsparteien neu definieren, und zwar – aufgrund der grundsätzlichen Asymmetrie zwischen Betrieb und Beschäftigten – nicht selten einseitig in Form neuer betrieblicher Vorgaben. Gerechtigkeitsnormen stellen eine wichtige Interpretationsgrundlage psychologischer Verträge dar. Zentral sind dabei die Dimensionen der distributiven und prozeduralen Gerechtigkeit, deren Bedeutung auf der Ebene von Arbeitsorganisationen vielfach untersucht und nachgewiesen wurde (Greenberg 1995; Konow 2003). Fragen distributiver Gerechtigkeit richten sich darauf, ob und warum die Ergebnisse einer Entscheidung – oder vielmehr deren Verteilung – als gerecht gelten können. Eine Abweichung von anerkannten Verteilungsprinzipien verletzt im Allgemeinen die Legitimationserwartungen der Stakeholder und wird somit als ungerecht empfunden (Leventhal 1980). Im Einzelnen wird eine Vielzahl distributiver Gerechtigkeitsprinzipien identifiziert und diskutiert. Das Beitragsprinzip (Adams 1965; Young 1993), das Verantwortlichkeitsprinzip (Konow 1996) und das Effizienzprinzip (Elster 1991; Konow 2001) stellen Leistungsaspekte in den Vordergrund, während das Gleichheitsprinzip (Gilliland 1993) und das Bedarfsprinzip (Engelstad 1997; Konow 2001) soziale Aspekte stärker betonen. Für die Akzeptanz der im Rahmen gesellschaftlicher Institutionen vollzogenen Verteilungsentscheidungen ist ebenfalls von Bedeutung, inwieweit die einem Verteilungsergebnis zugrunde liegenden Entscheidungsverfahren von den Beteiligten als gerecht oder angemessen wahrgenommen werden. Dieser Aspekt wird von der empirischen Gerechtigkeitsforschung als prozedurale Gerechtigkeit bezeichnet. Besondere Relevanz wird ihr für die Beurteilung negativer Ergebnisse (zum Beispiel Entlassungen) zugemessen, die eher dann akzeptiert werden, wenn die entsprechenden Verfahrensabläufe als gerecht empfunden werden (Stock 2001: 52). Auch hier werden eine Vielzahl von Regeln und Prinzipien identifiziert (Leventhal 1980). Für unsere Thematik ist die Beteiligung der Belegschaft und ihrer Interessenvertreter zentral. Diese erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass im Zuge eines Entlassungsprozesses die Regel der so genannten Bias-Suppression gewährleistet bleibt, der zufolge die beteiligten Personen in ihrer Entscheidungsfindung zwischen dem betrieblichen Interesse und ihrem eigenen Vorteil zu trennen wissen sollten, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass die so genannte Representativeness Rule berücksichtigt wird, wonach ein Verfahren eher dann als gerecht wahrgenommen wird, wenn die Interessen aller betroffenen Parteien auch angemessen vertreten sind (Leventhal 1980; Sheppard, Lewicki 1987). Insbesondere durch Betriebsräte werden Informations- und Machtasymmetrien zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
2. Theoretische Einbettung
223
verringert. Auf diese Weise können sanktionsfrei Einsprüche geltend gemacht und das Eigeninteresse des Arbeitgebers begrenzt werden. Im Hinblick auf den psychologischen Vertrag gilt distributive Gerechtigkeit dann als Kriterium, anhand dessen die Qualität von Vertragsinhalten bewertet wird. Raeder und Grote gehen davon aus, dass jede Veränderung im Beschäftigungsverhältnis die Frage aufwirft, ob die wechselseitigen Leistungen der beiden Vertragsparteien noch gerecht verteilt sind (Raeder, Grote 2004: 141). Vor allem einseitige Veränderungen stellen die dem Vertrag zugrunde liegende EquityBeziehung in Frage. Rousseau geht daher noch einen Schritt weiter. Sie argumentiert, dass Vertragsverletzungen immer negative Folgewirkungen auf die wahrgenommene distributive Gerechtigkeit des psychologischen Vertrags haben. Unter dem Gesichtspunkt distributiver Gerechtigkeit sind Vertragsverletzungen daher grundsätzlich ungerecht (Rousseau 1995: 128). Prozedurale Gerechtigkeit führt umgekehrt dazu, dass Vertragsbrüche nicht unbedingt auch als – absichtsvolle – Vertragsverletzung interpretiert werden (Rousseau, Aquino 1993; Herriot, Pemberton 1995; Raeder, Grote 2004: 145f.). Insgesamt spielen die Gerechtigkeitserwartungen der Beschäftigten im Rahmen psychologischer Verträge also eine zentrale Rolle. Wenn sie verletzt werden, kann dies – so die Ergebnisse der empirischen Forschung zu dieser Thematik – Motivations- und Loyalitätseinbußen nach sich ziehen. Diese Befunde sind für Personalabbau gut belegt. Wenn Entlassungen durch Weiterbeschäftigte als ungerecht bewertet werden, kommt es zu Folgereaktionen, wie z.B. zur Abnahme des Engagements (Brockner 1988; Rousseau, Anton 1988; Rousseau 1995; Robinson 1996; Berner 1999; Edwards u.a. 2003), zu einer verschlechterten Zusammenarbeit (Rousseau 1995; Berner 1999) oder zur Zunahme freiwilliger Kündigungen (Brockner 1988; Rousseau, Anton 1988; Robinson 1996; Edwards u.a. 2003). Gerade im sogenannten „traditionellen psychologischen Vertrag“, in dem der Austausch von Leistung gegen langfristige Beschäftigung und stabile Einkommen zentral ist, fordern betriebsbedingte Entlassungen und Lohnkürzungen psychologische Verträge daher heraus. Nun können Veränderungen der Arbeitswelt, etwa die Zunahme numerisch flexibler Beschäftigung seit den 90er Jahren, die Verbreitung zeitflexibler Vertragsformen seit Mitte der 80er Jahre (Struck 2006b; Struck u.a. 2007) und die „Normalität“ von Kündigungen möglicherweise zu einer Anpassung psychologischer Verträge führen. So folgern Charness und Levine (2002: 403): „Many people perceive what is common as fair. Should the new employment contract become widespread, it will probably become more acceptable.” Derartig veränderte psychologische Verträge würden dann durch weniger starke Bindungen oder qualitativ veränderte Übereinkünfte (etwa die betriebliche Förderung
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VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
zwischenbetrieblicher Übergangssicherheit durch Weiterbildungsmöglichkeiten) bestimmt sein. Im politischen Diskurs wird der „neue Arbeitsvertrag“ mit dem Prinzip der marktbezogenen Tauschgerechtigkeit legitimiert. Unterstellt wird hier, dass beide Parteien den Tausch aus freiem Willen und jeweils zu ihrem eigenen Vorteil vereinbaren. Rechtliche Gleichheit und das Prinzip der Vertragsfreiheit, das heißt die Sicherheit eines gerechten Verfahrens, garantieren die gerechte Verteilung. Die klassische Ökonomie unterstellt mit der Werttheorie den gleichen Arbeitsaufwand (von Marx mit der Unterscheidung von Zirkulationssphäre und Produktionssphäre kritisiert), die Neo-Klassik hebt auf den subjektiven Nutzen ab. Neo-Klassik und Neoliberalismus gehen darüber hinaus davon aus, dass der Tausch sowohl von den Beteiligten selbst als gerecht erlebt wird als auch makroökonomisch und sozial gerechte Ergebnisse generiert, da im Sinne des Effizienzprinzips Wohlfahrtssteigerungen erzielt werden, an der alle Bürger partizipieren. Bezogen auf unsere Fragestellung wären nach diesen Gerechtigkeitskriterien Entlassungen dann legitim, wenn sie einer der beiden Seiten zum Vorteil gereichen und aus freien Stücken erfolgen. Dies ist dann der Fall, wenn Unternehmen ihre Wettbewerbs- und Gewinnsituation verbessern können. Umgekehrt können auch Beschäftigte das Unternehmen verlassen, wenn ihnen der Arbeitsmarkt bessere Alternativen bietet, ohne dass sie damit ihre Loyalitätsverpflichtung gegenüber dem Unternehmen verletzen würden. Vor allem der Diskurs zwischen Arbeitgebervertretern und Gewerkschaften verdeutlicht dagegen die moralischen Implikationen des so genannten „alten Arbeitsvertrages“. In dieser Vorstellung kommt der betrieblichen Organisation ein hohes Maß an Verantwortung für die Allokation von Gewinnen und Verlusten zu. Erwartet wird, dass Unternehmen ihre Mitglieder gegen die Risiken des Marktes schützen. Das zentrale Gerechtigkeitsproblem besteht dann darin, wie sowohl der Nutzen als auch die Kosten gerecht zwischen Kapital und Arbeit, aber auch innerhalb der Belegschaften zu verteilen sind. Hier stehen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit im Vordergrund. Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte können dann Verteilungsergebnisse sichern und legitimieren. In der Beschäftigungsbeziehung geht es um die Verteilung von Leistung, Einkommen sowie Markt- und Beschäftigungsrisiken. Im „alten Arbeitsvertrag“ verlangt der Arbeitgeber Leistung und Loyalität und bietet dafür Sicherheit. Der „Arbeitgeber“ schützt den „Arbeitnehmer“ gegen die Marktrisiken und zahlt den Lohn, während der „Arbeitnehmer“ Leistungsbereitschaft und -fähigkeit beweist. Die Leistungen, die beide Parteien ihren Möglichkeiten entsprechend in die Beschäftigungsbeziehung einzubringen haben, werden im Allgemeinen am Maßstab des Beitragsprinzips (Adams 1965) und des Verantwortlichkeitsprinzips (Konow 1996) gemessen. Der Bruch der Sicherheitszusagen bei betriebsbedingten Kün-
3. Datenbasis und Methode
225
digungen gilt dann als ungerecht, obwohl dies nach den Prinzipien des Marktes rational und gerechtfertigt ist. Offen ist allerdings, ob sich mit der strukturellen Veränderung der Arbeitswelt und dem gesellschaftlichen Diskurs über die Notwendigkeit flexibler Marktanpassungen auch in der Erwerbsbevölkerung marktbezogene Fairnessvorstellungen stärker durchsetzen. Wir gehen dieser Frage im Folgenden anhand der Bewertung betriebsbedingter Entlassungen und der Reaktionen von Weiterbeschäftigten auf Entlassungen nach. Wenn dabei – wie im Konzept des neuen Arbeitsvertrages vorgesehen – Personalanpassungen zur Verbesserung der betrieblichen Wettbewerbs- und Gewinnsituation akzeptiert würden, hätten sich wesentliche Elemente einer marktbezogenen gegen die alte organisationsbezogene Gerechtigkeitsideologie durchgesetzt. Die Gerechtigkeitsstandards, nach denen betriebsbedingte Kündigungen beurteilt werden, wären dann mit den Implikationen eines neuen Arbeitsvertrages vereinbar. Im Hinblick auf die Dimension distributiver Gerechtigkeit würde die Auswahl der zu Entlassenden dann vor allem nach Leistungs- und nicht – wie in gesetzlichen und tarifvertraglichen Kündigungsschutzregelungen verankert – nach Senioritätskriterien bewertet. Denkbar ist aber auch, dass Befragte ihr Gerechtigkeitsurteil vor allem von den Prinzipien eines gerechten Verfahrens abhängig machen, wie sie unter anderem in der Beteiligung der Belegschaft am Entscheidungsprozess zum Ausdruck kommen. Auch dieser Befund würde die Annahme einer stärker am Marktprinzip orientierten Gerechtigkeitswahrnehmung stützen. 3. Datenbasis und Methode Grundlage der empirischen Analysen ist eine repräsentative telefonische Befragung von 3.033 Personen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren, die durch das Institut APROXIMA (Weimar) im Sommer 2004 durchgeführt wurde. Um einen systematischen Ost-West-Vergleich zu ermöglichen, wurden jeweils etwa 1.500 Personen in West- (n=1.447) und Ostdeutschland (n=1.586) befragt. Vorherrschende Gerechtigkeitsorientierungen in Bezug auf Lohn- und Personalanpassungen wurden dabei über drei Fragebatterien erfasst: (a) hypothetische Entlassungs- und Lohnkürzungsszenarien; (b) allgemeine Statements zur Personalpolitik; (c) Erfahrungen mit Entlassungen und Lohnkürzungen im eigenen Betrieb. Die Szenarien umfassen kurze „Erzählungen“ über eine Entlassung oder Lohnkürzung. Anlass, Umfang und Ausgestaltung der Entlassung oder Lohn-
226
VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
kürzung werden variiert.4 Um einen Vergleich mit den USA und Kanada zu gewährleisten, wurden dabei Übersetzungen der Szenarien von Charness und Levine gewählt (Charness, Levine 2000, 2002), die selbst zum Teil Formulierungen von Kahnemann und Kollegen aufgreifen (Kahneman, Knetsch, Thaler 1986). Darüber hinaus enthält der Fragebogen jedoch auch eigene, auf Deutschland zugeschnittene Szenarien. Aufgrund der Länge der Szenarien und um Verzerrungen im Antwortverhalten durch eine Anpassung an die vermeintlichen Erwartungen des Interviewers zu vermeiden (Charness, Levine 2000: 384), wurde bei der Befragung ein Between-Subjects-Approach gewählt. Bei diesem Befragungsansatz wird jedes Szenarium nur einer hinreichend großen Teilmenge der Befragten vorgetragen. Die Szenarien wurden dann auf signifikante Unterschiede in den Mittelwerten getestet. Darüber hinaus wurden unter anderem auch die Einstellungen der Befragten zu den gerechten Kriterien einer Entlassung und ihre Erwartungen an das Verhalten des Arbeitgebers im Hinblick auf die Sicherheit des Arbeitsplatzes, Möglichkeiten zur Weiterbildung etc. erfasst. Um Hinweise auf mögliche Handlungsfolgen von Gerechtigkeitsbewertungen zu bekommen, wurden schließlich auch Informationen über eigene Erfahrungen der Befragten mit Personalabbau und Lohnkürzungen erhoben. Dabei ging es unter anderem um die Entwicklung der Kooperationsbeziehungen und der Arbeitsmotivation im eigenen Betrieb nach einem Personalabbau oder Lohnsenkungen. Auf diese Informationen wurde bei der Analyse der Folgewirkungen von Entlassungen zurückgegriffen, die in Abschnitt 5 vorgestellt werden. Zusätzlich stehen eine Reihe soziodemographischer Informationen über die Befragten zur Verfügung, wobei für erwerbstätige Arbeitnehmer unter anderem auch die Art der Tätigkeit, ihre berufliche Stellung, Betriebszugehörigkeitsdauer und Betriebsgröße sowie die Existenz eines Betriebsrates erfasst wurden.
4
In jedem Interview werden drei Szenarien vorgestellt. In einem ersten Satz wird zunächst der auslösende „Schock“ genannt. Anschließend wird kurz präzisiert, welche Gruppe von Beschäftigten die Maßnahme trifft (Berufsgruppe, Geschlecht, Beschäftigungsdauer). Szenarienvariationen ermöglichen die Berücksichtigung prozeduraler Gerechtigkeitsmerkmale (Beteiligung). Eine mit Blick auf das Reziprozitätsempfinden ergänzende Variante bezieht ein, ob die Unternehmensleitung an Sparmaßnahmen durch eigene Gehaltseinbußen partizipiert. Schließlich wurde in einigen Szenarien nach Sanktionen weiterbeschäftigter Arbeitnehmer als Reaktion auf Entlassungen gefragt.
4. Die Gerechtigkeitsbewertung von Entlassungen
227
4. Die Gerechtigkeitsbewertung von Entlassungen Beschäftigungsrisiken und Sicherheitsorientierungen Die Ergebnisse der Gerechtigkeitsstudie belegen zunächst einmal ein hohes Niveau an Beschäftigungsrisiken auf dem deutschen Arbeitsmarkt (siehe Abbildung 7.1). So haben 40% der abhängig Beschäftigten in den letzten fünf Jahren vor der Befragung selbst oder in ihrem betrieblichen Umfeld Entlassungen erfahren. Vor dem Hintergrund der anhaltend schwierigen wirtschaftlichen Situation in Ostdeutschland ist der entsprechende Anteil hier höher (48%) als in Westdeutschland (35%). Direkt von betriebsbedingten Entlassungen betroffen waren im selben Zeitraum 16% aller befragten Arbeitnehmer. Lohnkürzungen haben rund 20% der Befragten erlebt. 34% der ostdeutschen Beschäftigten und 24% der Westdeutschen halten es für wahrscheinlich, dass sie in naher Zukunft arbeitslos werden. Abbildung 7.1: Erfahrungen mit Entlassungen und Lohnsenkungen „in den letzten 5 Jahren“ 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
direkt
indirekt nicht betroffen
West
Ost
Entlassungen
West
Ost
Lohnsenkungen
Wie gehen Erwerbstätige mit diesen Beschäftigungsrisiken um? Bereits in der deskriptiven Analyse wird deutlich, dass der Schutz der Arbeitnehmer vor den Risiken des Marktes hier nach wie vor eine zentrale Rolle spielt. So gilt Arbeitsplatzsicherheit für 97% aller Befragten als wichtige oder sehr wichtige Arbeitgeberleistung. Quer über alle Einkommens-, Status- und Qualifikationsgruppen wird Arbeitsplatzsicherheit hohe Bedeutung beigemessen. Entsprechende Erwartungen richten sich auch an den Staat: So geben rund drei Viertel der Befragten an, die Aussage sei gerecht, „dass der Staat allen, die arbeiten wollen, einen Ar-
228
VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
beitsplatz zur Verfügung stellen sollte“. Damit übereinstimmend treten rund die Hälfte der Befragten für den Erhalt (48%) und weitere 23% sogar für den Ausbau des gesetzlichen Kündigungsschutzes ein. Die Gerechtigkeitsbewertung von Entlassungen Im nächsten Schritt interessieren wir uns dafür, in welchem Ausmaß Entlassungen von der Erwerbsbevölkerung als gerecht wahrgenommen werden und welche Merkmale – der Befragten selbst wie auch der Situation, in der es im Betrieb zu Entlassungen kommt – das Gerechtigkeitsurteil beeinflussen. Dafür wurde im Anschluss an die nordamerikanische Studie von Levine u.a. (2002) zunächst die Szenarientechnik eingesetzt, das heißt den Befragten wurden kurze „Geschichten“ über Ursache und Ausgestaltung einer Entlassung vorgetragen, die sie dann bewerten sollten. Abbildung 7.2 zeigt die Antworten auf zwei Extreme der insgesamt 30 Szenarien. Das erste Szenarium folgt der Logik des „alten Arbeitsvertrages“. Entlassungen erfolgen unter Berücksichtigung sozialer Kriterien, um den Bestand des Betriebes und damit auch Arbeitsplätze zu sichern. Hier findet sich ein hohes Maß an Zustimmung (64%). Das zweite Szenarium folgt der Logik des „neuen Arbeitsvertrages“. Entlassungen werden aufgrund der Einführung neuer Produktionstechnologien und ohne soziale Abfederung durchgeführt, das heißt hier stehen Rentabilitätssicherung und Marktrationalität im Vordergrund. Dieses Szenarium wird von 89% der Befragten als eher ungerecht oder sehr ungerecht eingestuft. Sie orientieren sich in ihrer Bewertung mehrheitlich also nicht am Marktprinzip. Eine kleine Gruppe befürwortet allerdings die marktrationalen Maßnahmen des zweiten Szenariums, während umgekehrt gut ein Drittel der Befragten die Entlassungen im ersten Szenarium trotz der Berücksichtigung sozialer Kriterien als ungerecht ablehnt. Darüber hinaus können wir auch Erfahrungen mit Entlassungen im eigenen betrieblichen Umfeld zur deskriptiven Analyse heranziehen. Erwerbstätige, die in den letzten fünf Jahren vor der Befragung im eigenen betrieblichen Umfeld Entlassungen erlebt hatten, ohne davon allerdings unbedingt auch selbst betroffen gewesen zu sein, sollten die Gerechtigkeit dieser Entlassungen bewerten.5 Insgesamt werten 61% der Befragten die Entlassungen als ‚eher ungerecht’ oder ‚sehr ungerecht’. 30% haben sie als ‚eher gerecht’ wahrgenommen, während sie von 9% als ‚sehr gerecht’ eingeschätzt werden. Auch eigene Erfahrungen mit Entlassungen werden von einer deutlichen Mehrheit also als ungerecht empfunden. Wir wollen darüber hinaus aber auch wissen, welche der in den Ent5
Wurden in dieser Zeit mehrfach Entlassungen erlebt, sollte sich das Urteil auf die jüngste Erfahrung beziehen.
4. Die Gerechtigkeitsbewertung von Entlassungen
229
lassungsszenarien idealtypisch modellierten Gerechtigkeitsdimensionen sich sowohl in der multivariaten Analyse der Szenarien selbst als auch im Hinblick auf die Bewertung eigener Erfahrungen als einflussreich erweisen und welche Rolle soziodemographische Merkmale dabei spielen. Im nächsten Schritt wurden daher sowohl die Szenarien als auch die eigenen betrieblichen Erfahrungen mit Entlassungen multivariat untersucht. Abbildung 7.2: Gerechtigkeitsbewertung von Entlassungen Entlassungsszenario 1
Entlassungsszenario 2
100%
100%
80%
80%
60%
60%
40%
40%
20%
20% 0%
0% Akzeptanz
Ablehnung
„Das wirtschaftliche Überleben eines Unternehmens ist durch einen allgemeinen Absatzeinbruch bedroht. Es entlässt daher eine Anzahl von Ingenieuren. Diejenigen, die entlassen werden, erhalten eine großzügige Abfindung. Gleichzeitig bietet das Unternehmen Unterstützung bei der Stellensuche an.“
Akzeptanz
Ablehnung
„In einem Unternehmen ist die Produktivität durch die Einführung einer neuen Produktionstechnologie gestiegen. Das Unternehmen entlässt daher eine Anzahl von Ingenieuren. Ihnen wird unter Einhaltung der Mindeststandards gekündigt. Die Unternehmensleitung erhält eine Erfolgsprämie für die erfolgreiche Kostensenkung.“
Die Wirkung betrieblicher Rahmenbedingungen und sozioökonomischer Unterschiede auf die Gerechtigkeitsbewertung Die multivariate Analyse der Szenarien (Krause u.a. 2006) bestätigt zunächst, dass Beschäftigte dem Arbeitgeber ein hohes Maß an Verantwortung für die Sicherheit der Belegschaft zumessen. So werden Entlassungen eher dann als ungerecht bewertet, wenn das Management im Vorfeld keine (sichtbaren) Maßnahmen zur Vermeidung von Entlassungen durchführt und wenn es sich um Rationalisierungsmaßnahmen handelt, die vorrangig der Rentabilitätssteigerung
230
VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
und nicht in erster Linie der Arbeitsplatzsicherung dienen. Der Aspekt der Verantwortung ist eng mit der Frage verknüpft, wann sich die Belegschaft übervorteilt fühlt, weil Betrieb und Management von der Entlassungssituation profitieren. Hier zeigt sich, dass die Entlassungsszenarien eher als ungerecht wahrgenommen werden, wenn das Management durch Prämienzahlungen von einer erfolgreichen Personalanpassung profitiert. Die Situation scheint dann als Ungleichgewicht zwischen dem Aufwand und Ertrag der Beschäftigten im Vergleich zur Unternehmensleitung wahrgenommen zu werden. Ein weiterer Aspekt distributiver Gerechtigkeit, der anhand der Szenarien überprüft werden kann, ist die Bedeutung von Abfindungszahlungen und betrieblicher Unterstützung bei der Stellensuche. Folgende Operationalisierung wurde dabei gewählt: »Ihnen wird unter Einhaltung der Mindeststandards gekündigt« (harte Entlassung) im Unterschied zu »Diejenigen, die entlassen werden, erhalten eine großzügige Abfindung. Gleichzeitig bietet das Unternehmen Unterstützung bei der Stellensuche an« (sanfte Entlassung). Referenzkategorie sind dabei Szenarien, in denen weder »harte« noch »sanfte« Entlassungen erwähnt werden. Überraschenderweise zeigt sich erstens, dass Szenarien einer „sanften“ Kündigung nicht anders bewertet werden als Szenarien, in denen dieser Aspekt unerwähnt bleibt. Im Widerspruch dazu wirkt sich die Einhaltung von Mindeststandards zweitens positiv auf das Gerechtigkeitsurteil aus. Obwohl dieser Effekt kontraintuitiv ist, kann er möglicherweise dadurch erklärt werden, dass Befragte in diesem Fall eher auf die Erwähnung von Mindeststandards im Sinne eines rechtmäßigen Verhaltens als einer bloß geringfügigen Entschädigung der Betroffenen reagiert haben. In Bezug auf die prozedurale Gerechtigkeit betriebsbedingter Entlassungen konnte die Szenarienanalyse folgende zentrale Erkenntnis gewinnen: Szenarien, die eine umfassende Beteiligung des Betriebsrats beinhalten, werden nicht anders bewertet als die Vergleichsszenarien, in denen eine Beteiligung des Betriebsrats nicht erwähnt wird. Auch die Ergebnisse der multivariaten Szenarienanalyse sind gemessen am Vermarktlichungs- und Individualisierungsdiskurs bemerkenswert und legen den Schluss nahe, dass Beschäftigungsbeziehungen von der Erwerbsbevölkerung vorwiegend als konstitutive Elemente von Erwerbsorganisationen begriffen werden, die als „Schutzzone“ dann ihrerseits gegen die „Risikozone“ Markt abzusichern sind. Belege für eine marktorientierte Sichtweise, die Beschäftigungsbeziehungen eher als einzelne Vertragsverhältnisse auf Arbeitsmärkten begreift, finden wir dagegen nicht. Die durch Entlassungen hervorgerufene Ungerechtigkeit kann offenbar auch nicht – im Sinne eines transaktionalen Vertragsverhältnisses – durch Kompensationsleistungen sowie ein gerechtes Verfahren ausgeglichen werden. Die Forderung nach der Ablösung des Bestandschutzes
4. Die Gerechtigkeitsbewertung von Entlassungen
231
im gesetzlichen Kündigungsschutz durch ein Abfindungsprinzip (Jahn, Walwei 2003) geht also an der Gerechtigkeitswahrnehmung der Erwerbsbevölkerung vorbei. Im Hinblick auf den Einfluss der sozialen Positionierung auf die Akzeptanz von Entlassungen bestand unsere Erwartung schließlich darin, dass einkommensund qualifikationsstarke Personen, die vom „flexiblen“ Kapitalismus profitieren, im Sinne der Insider-Outsider-These eher marktlichen Gerechtigkeitsideologien verpflichtet sind als gefährdete und exkludierte Personenkreise mit geringen ökonomischen und kulturellen Kapitalien. Es zeigt sich, dass höhere Einkommensgruppen (über 2000 Euro Nettoeinkommen) sowie (Fach)Hochschulabsolventen die Entlassungsszenarien tatsächlich eher als gerecht wahrnehmen. Anschließend an die Szenarienanalyse wurden schließlich eigene Erfahrungen mit Entlassungsprozessen in einem systematischen Vergleich von Ost- und Westdeutschland untersucht (Krause 2007). Auch hier hat die Ausgestaltung des Personalabbauprozesses nach den Regeln der Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit signifikante Effekte. Diese sind allerdings heterogen: Das Engagement des Arbeitgebers zur Vermeidung von Entlassungen hat in Ost und West einen positiven Einfluss auf das Gerechtigkeitsurteil. Dagegen haben weder Abfindungszahlungen noch Outplacement-Maßnahmen einen signifikanten Effekt. Analog zur Szenarienanalyse interpretieren wir beide Befunde als Hinweis darauf, dass sich die Bewertung tatsächlicher Erfahrungen mit Entlassungen ebenfalls an den Maßstäben des „traditionellen Arbeitsvertrags“ orientiert. Diese Interpretation wird allerdings dadurch in Frage gestellt, dass die Berücksichtigung der Sozialauswahl keinen Einfluss hat. Die Annahme, dass Entlassungen dann als gerechter empfunden werden, wenn die mit der Sozialauswahl institutionell verankerten Prinzipien der Seniorität und des Bedarfs eingehalten werden, muss damit verworfen werden. Aber auch die gegenteilige Vermutung, dass die Sozialauswahl gerade als Verstoß gegen das in ökonomischen Beziehungen weithin anerkannte Equity-Prinzip wahrgenommen wird, trifft nicht zu. Möglicherweise liegt darin, dass sie diese gegenteiligen Implikationen tatsächlich hat, allerdings auch der Grund dafür, dass sich positive und negative Effekte in unserem Regressionsmodell gegenseitig aufheben. Eine differenziertere Analyse der unterschiedlichen Kriterien der Sozialauswahl ist auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht möglich. Wenn die distributiven Gerechtigkeitskriterien der Abfindungsleistung und der Sozialauswahl, die auf der rechtlichen Ebene eine zentrale Rolle spielen, keinen Einfluss auf das Gerechtigkeitsurteil ausüben, bleibt die Möglichkeit, dass sich die Beurteilung eigener Entlassungserfahrungen – im Sinne einer marktorientierten Gerechtigkeitsideologie – wesentlich an der prozeduralen Gerechtigkeit orientiert, mit der die Entlassungen durchgeführt wurden. Die Beteiligung
232
VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
von Betriebsrat oder Personalvertretung am Entscheidungsprozess kann auch hier untersucht werden. Im Unterschied zur Szenarienanalyse können wir hier für Ostdeutschland tatsächlich einen signifikant positiven Effekt auf das Gerechtigkeitsurteil beobachten. In Westdeutschland zeigt sich dieser Effekt allerdings nicht. Bereits die deskriptive Analyse konnte überdies zeigen, dass die Mehrheit der Befragten, die noch immer in dem Betrieb tätig sind, in dem sie Entlassungen miterlebt haben und in dem auch eine Personalvertretung oder ein Betriebsrat existiert, dennoch angeben, die Belegschaft oder ihre Vertretung hätten keinen Einfluss auf den Entlassungsprozess gehabt. Allein die Existenz einer Personalvertretung scheint also keine aus Sicht der Beschäftigten hinreichende Beteiligung zu gewährleisten. Entgegen unseren Erwartungen ist das Gerechtigkeitsurteil derjenigen, die über Entlassungen im eigenen Unternehmen berichten können, selbst jedoch nicht entlassen wurden, schließlich weder vom Alter noch von Geschlecht, Einkommen oder beruflicher Bildung abhängig. Wir hätten erwartet, dass jüngere und höher Qualifizierte mit guten Marktchancen eher marktorientierte Fairnessvorstellungen vertreten. In der zuvor angesprochenen Szenarienanalyse konnten wir diesen Zusammenhang auch tatsächlich beobachten. Möglicherweise trägt das unmittelbare Erleben, hier von Entlassungen, zu einer kritischeren Sichtweise bei, die durch ein Szenariendesign nicht erfasst wird. Für diese Interpretation spricht, dass Entlassungen von Personen, die selbst bereits entlassen wurden oder ihre eigenen Arbeitsmarktchancen als schwierig einschätzen, eher als ungerecht erlebt werden. Auch im Hinblick auf die Merkmale der Erwerbsposition ist nur der Effekt der Betriebsgröße stabil. In Ost- und Westdeutschland sind es gerade Beschäftigte kleiner Betriebe, in denen wir generell eine niedrigere Beschäftigungsstabilität erwarten, die betriebsbedingte Entlassungen eher als gerecht wahrnehmen. Vermutlich sind Beschäftigte in Kleinbetrieben besser über die Marktsituation informiert und erkennen die geringeren finanziellen und personellen Handlungsspielräume an, über die Kleinbetriebe im Umgang mit Veränderungen auf Absatz- und Gütermärkten verfügen. Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Entlassungen werden von der großen Mehrheit der Befragten eher nach den organisationsbezogenen Gerechtigkeitskriterien des „alten Arbeitsvertrages“ bewertet, denen zufolge der Arbeitgeber seine Belegschaft gegen die Risiken des Marktes absichern sollte. Sie gelten nur dann als legitim, wenn sie wirtschaftlich unvermeidbar sind, also dem Überleben des Unternehmens und der Sicherung von Arbeitsplätzen dienen. Insbesondere sichtbare Maßnahmen zur Entlassungsvermeidung und der Verzicht des Managements, durch Erfolgsprämien von der Entlassung zu profitieren, wirken positiv auf das Gerechtigkeitsempfinden. Wenn Arbeitgeber diesen Beschäftigungspakt verletzen, lässt sich die daraus resultierende Ungerechtigkeits-
5. Reaktionen von Weiterbeschäftigten nach Entlassungen
233
wahrnehmung nicht einfach durch die Berücksichtigung prozeduraler Gerechtigkeit und Kompensationen für die negativen Folgen der Entlassung ausgleichen. Die Beschäftigungsbeziehung wird offenbar als ein Reziprozitätsverhältnis wahrgenommen, das über ein rein transaktionales Vertragsverhältnis hinausgeht. 5. Reaktionen von Weiterbeschäftigten nach Entlassungen Eine Reihe von Studien zeigt, dass die mit einem Personalabbau verbundenen ökonomischen Gewinnerwartungen (etwa Personalkostenreduktion, Gewinnsteigerung, steigende Aktienwerte) und arbeitsorganisatorische Ziele (etwa steigende Produktivität, höhere interne Flexibilität) häufig nicht erreicht werden (Weiss, Udris 2001; sowie auch Tomasko 1992; Armstrong-Stassen 1997; Kets de Vries, Balzazs 1997; Lee 1997; Morris, Cascio, Young 1999; Burke, Cooper 2000a; Kleinert, Klodt 2000; Worrall, Cooper, Campbell 2000) Dabei gelten negative Reaktionen der nicht entlassenen Beschäftigten bei Stellenabbau als eine Ursache dafür, dass kurzfristige Kostenreduktionen durch Folgekosten mittelfristig häufig wieder aufgezehrt werden. Im Sinne des „Equity“-Prinzips (Adams 1965) ist mit einem Vertrauensbruch das Gleichgewicht zwischen den Erwartungen der Vertragspartner gestört. Aus Sicht des Ansatzes „psychologischer Verträge“ schwächen Entlassungen die Vertrauensbeziehungen der Weiterbeschäftigten mit dem Arbeitgeber, wodurch „voice“- und „exit“-Reaktionen hervorgerufen werden, die als Sanktionen gegen das Unternehmen interpretiert werden können (Rousseau 1995; Stock 2001: 35ff.). Dabei ist nach Kahneman, Knetsch und Thaler (1986) die Bereitschaft zu sanktionierendem Verhalten auch dann vorhanden, wenn dies eigene Kosten verursacht (Rabin 1993). Empirisch ermittelte Reaktionen sind eine Abnahme des Engagements für das Unternehmen (Brockner 1988; Rousseau, Anton 1988; Rousseau 1995; Robinson 1996; Berner 1999; Edwards u.a. 2003) und eine verschlechterte Zusammenarbeit (Rousseau 1995; Berner 1999). In diesem Zusammenhang berichten Greenhalgh und Sutton (1991: 169f.) wettbewerbsorientierte Haltungen, wobei die (indirekt) Betroffenen in hohem Maße an der Verbesserung der eigenen beruflichen Situation bzw. am eigenen beruflichen Überleben interessiert sind. Solche Verhaltensweisen sind dann nicht unbedingt durch geringeres Engagement insgesamt, sondern vor allem durch mangelnde Kooperation oder gar Mobbing gekennzeichnet. Weitere mögliche Reaktionen sind eine Zunahme freiwilliger Kündigungen bei den verbliebenen Beschäftigten (Brockner 1988; Rousseau, Anton 1988; Robinson 1996; Edwards u.a. 2003). Vor diesem Hintergrund haben wir Weiterbeschäftigte, die in ihrem Unternehmen Entlassungen miterlebt hatten, danach gefragt, inwieweit sich im Betrieb
234
VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
im Zuge solcher Maßnahmen auch das Engagement, die Kooperation, die Zahl freiwilliger Kündigungen und der Krankenstand verändert haben.6 Entlassungen und Folgereaktionen Abbildung 7.3 dokumentiert die durch Weiterbeschäftigte beobachteten Folgen von Entlassungen im Betrieb. Auffällig ist, dass bei der Kooperation und der Arbeitsmotivation jeweils etwa zwei Fünftel der Befragten sanktionierendes Verhalten konstatieren. Diese Negativreaktionen treten häufiger in West- als in Ostdeutschland auf. In Westdeutschland berichten mehr als zwei Fünftel der Befragten eine gestiegene Bereitschaft, das Unternehmen zu verlassen. Immerhin ein Viertel der Befragten berichtet außerdem über eine Zunahme der Bereitschaft, sich für die Arbeitnehmerinteressen zu engagieren. Das Ausmaß der Krankmeldungen verweist aber auch auf die Sorge, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren. Insgesamt müssen wir also auch für Deutschland Negativreaktionen der Survivor auf Entlassungen konstatieren. Mehrheitlich werden allerdings keine Veränderungen im Verhalten der Weiterbeschäftigten beobachtet. Teilweise werden auch Verbesserungen im Arbeitseinsatz berichtet. Doch worin liegen die Ursachen für die differenten Beobachtungen von Folgewirkungen?
6
Um innerbetriebliche Reaktionen erfassen zu können, durften diese Befragten im Falle von Entlassungen nicht direkt selbst betroffen sein. Es ist in einer telefonischen Befragung (unter anderem aufgrund von Zeitrestriktionen und der größeren Schwierigkeit, Vertrauen zum Interviewpartner aufzubauen) schwer möglich, valide Angaben über eventuell als brisant eingeschätzte eigene Reaktionen (etwa Krankmeldung, geringes Engagement) zu erhalten. Aus diesem Grund wurden die Befragten in Form geschlossener Fragen gebeten, über die Reaktionen der Belegschaft insgesamt nach der zuletzt erlebten Kündigungsmaßnahme Auskunft zu geben.
5. Reaktionen von Weiterbeschäftigten nach Entlassungen
235
Abbildung 7.3: Handlungsfolgen bei „ungerechten“ Entlassungen Zusammenarbeit: Mitarbeiter/ Vorgesetzte (West) (Ost)
Zusammenarbeit: Mitarbeiter untereinander (West) (Ost)
Engagement der Mitarbeiter für die Firma (West) (Ost) 0%
20% verschlechtert
40%
60%
gleich geblieben
80%
100%
verbessert
Ausmaß an Krankmeldungen (West) (Ost)
Bereitschaft das Unternehmen zu verlassen (West) (Ost)
Bereitschaft für Arbeitnehmerint. einzutreten (West) (Ost) 0%
20% gestiegen
40%
60%
gleich geblieben
80%
100%
gesunken
236
VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
Determinanten des sanktionierenden Verhaltens Zur Beantwortung dieser Frage wurden die beobachteten Handlungsfolgen in Abhängigkeit von der Ausgestaltung des Personalabbauprozesses sowie der Region und der Betriebsgröße untersucht (Tabelle 7.1).7 Die Analysen bestätigen zunächst die oben vorgestellten Ergebnisse zur Gerechtigkeitsbewertung: Dort, wo organisationsbezogene Gerechtigkeitsprinzipien verletzt werden, sind nicht nur kritische Gerechtigkeitsbewertungen zu erwarten, sondern auch verstärkt Sanktionen durch die Weiterbeschäftigten zu beobachten. Mangelndes (wahrgenommenes) Engagement des Arbeitgebers zur Vermeidung von Entlassungen scheint eine Verschlechterung der Kooperation und des Engagements für das Unternehmen zu bewirken und umgekehrt freiwillige Arbeitsplatzwechsel und das Engagement für gemeinsame Arbeitnehmerinteressen zu befördern. Wenn unsere Annahmen zur prozeduralen Gerechtigkeit von Entlassungen zutreffen, denen zufolge insbesondere die Transparenz der Ursachen, das Informationsverhalten (Brockner u.a. 1987; Brockner 1990; Rousseau, Anton 1988) und Mitwirkungsmöglichkeiten die Bewertung positiv beeinflussen (Leventhal 1980) und diese Gerechtigkeitswahrnehmung auch verhaltensrelevant ist, sollte eine Beteiligung der Belegschaft auch mit geringeren negativen Folgewirkungen verbunden sein. Überraschenderweise finden wir jedoch keinen signifikanten Effekt. Offenbar haben prozedurale Gerechtigkeitsstandards auch auf der Handlungsebene weniger Einfluss als das grundlegende Misstrauen, der Arbeitgeber hätte mit der Entlassungsentscheidung seine moralische Verantwortung der Belegschaft gegenüber verletzt. Mit dieser Interpretation ist auch unser Befund über den Einfluss der Betriebsgröße vereinbar. Kleinbetriebe haben vergleichsweise geringe Elastizitätsspielräume, um auf Schwankungen auf Absatz- und Gütermärkten zu reagieren. Zugleich ist die Informationstransparenz hier jedoch als hoch einzuschätzen. Für diese Betriebe kann also einerseits eine größere Dringlichkeit von Personalabbau durch Entlassungen konstatiert werden, die zugleich aber auch besser an die Mitarbeiter kommuniziert werden kann. Dadurch erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, die Belegschaft hinreichend über die externen Ursachen der Entlassungen, für die der Betrieb nicht selbst verantwortlich gemacht werden kann, zu informieren. Für Kleinbetriebe haben wir daher ein geringeres Ausmaß an Negativreaktionen erwartet. Ebendies zeigen auch die Ergebnisse: Einschränkungen der Zusammenarbeit und des Engagements lassen sich vor allem in mitt7
Die unterschiedlichen Folgereaktionen wurden jeweils anhand hierarchischer logistischer Regressionsanalysen untersucht. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die „vollständigen“ Modelle. Dies dient der Anschaulichkeit und ist durch die hohe Stabilität der Effekte gerechtfertigt.
5. Reaktionen von Weiterbeschäftigten nach Entlassungen
237
leren und größeren Betrieben nachweisen. Zugleich bekunden die befragten Beschäftigten größerer Betriebe ein höheres Engagement der Weiterbeschäftigten, für Arbeitnehmerinteressen einzutreten.
Schlechtere Zusammenarbeit: Mitarbeiter/ Vorgesetzte
Schlechtere Zusammenarbeit: Mitarbeiter untereinander
Geringeres Engagement für das Unternehmen
Hohes Ausmaß an Krankmeldungen
Höhere Bereitschaft, das Unternehmen zu verlassen
Höheres Engagement für gemeinsame Arbeitnehmerinteressen
Tabelle 7.1: Folgewirkungen bei Entlassungen (multivariate Analysen)
Region (1=West)
1,924** (3,03)
0,931 (-0,34)
1,588* (2,12)
1,193 (0,86)
2,388*** (3,83)
0,744 (-1,18)
Betriebsgröße (1= weniger als 50)
0,512** (-2,75)
0,486** (-3,01)
0,482** (-2,88)
0,932 (-0,31)
0,618 (-1,90)
0,474* (-2,54)
1,072 (0,26)
1,240 (0,84)
1,535 (1,63)
0,986 (-0,06)
1,641 (1,84)
1,756 (1,95)
Entlassungsvermeidung im Vorfeld
0,251*** (-6,17)
0,400*** (-4,21)
0,370*** (-4,43)
1,200 (0,82)
0,594* (-2,22)
0,531* (-2,47)
Beteiligung der Mitarbeiter
1,026 (0,11)
0,994 (-0,03)
0,688 (-1,55)
1,216 (0,91)
0,697 (-1,43)
1,454 (1,43)
Auswahl nach sozialen Kriterien
1,135 (0,56)
0,841 (-0,80)
0,940 (-0,27)
1,297 (1,24)
0,580* (-2,32)
0,620 (-1,87)
Abfindung, aktive Unterstützung
0,782 (-1,05)
1,211 (0,85)
0,826 (-0,80)
1,513 (1,89)
0,790 (-0,96)
1,116 (0,41)
Anzahl der Betroffenen (1=größere Teile)
N
464
468
469
452
458
465
0,110
0,060
0,091
0,002
0,089
0,053
log likelihood, erste Schätzung
-296,934
-298,577
-284,171
-285,985
-266,474
-229,888
log likelihood, letzte Schätzung
-264,213
-280,582
-258,330
-285,966
-242,822
-217,607
Pseudo R² (McFadden)
Logistische Regression, Odds-Ratio, z-Werte in Klammern, Signifikanzniveaus *) pz < 0,05, **) pz < 0,01, ***) pz < 0,001.
Betrachten wir abschließend die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Entsprechend der im Vergleich zu Westdeutschland deutlich schlechteren Situation am ostdeutschen Arbeitsmarkt und den damit verbundenen geringeren Wiederbeschäftigungsmöglichkeiten bei Verlust des Arbeitsplatzes wurde erwartet, dass in Ostdeutschland die Bereitschaft zu Krankmeldungen und
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VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
Betriebsaustritten geringer ist als im Westen. Zusammen mit der vielfach als prekär wahrgenommenen wirtschaftlichen Situation ostdeutscher Betriebe sollte sich die Sorge um den Erhalt der Beschäftigung zudem in einem höheren grundsätzlichen Engagement für das Unternehmen ausdrücken. Besonders den im Anschluss an die „Wende“ verbliebenen Beschäftigten, die in den neunziger Jahren erhebliche betriebliche Umstrukturierungsprozesse mit vollzogen hatten, wird neben einer hohen Qualifikation zugleich eine hohe Kooperations- und Bindungsbereitschaft zugeschrieben (Struck, Simonson 2000). Die multivariate Analyse bestätigt, dass negativ sanktionierendes Verhalten im Zuge von Entlassungen in Westdeutschland stärker ausgeprägt ist als in Ostdeutschland. Zusammenfassend gilt: Ein zentrales Ergebnis unserer Analyse der Folgewirkungen von Entlassungen stimmt mit den Befunden zur Gerechtigkeitswahrnehmung von Entlassungen überein (Abschnitt 4): Vor allem ein frühzeitiges Engagement von Arbeitgebern zur Verhinderung von Entlassungen kann Negativreaktionen vermeiden. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit sanktionierenden Verhaltens in kleinen Betrieben geringer als in mittleren und größeren Unternehmen. Hier wurde von der Annahme ausgegangen, dass in kleineren Unternehmen eine größere Nähe der Beschäftigten zur Entscheidungsebene und ihren Handlungsbedingungen und daher auch eine höhere Informationstransparenz über die externen Ursachen der betrieblichen Personalstrategie besteht. Wir interpretieren beide Befunde dahingehend, dass Wahrnehmung und Verhalten der Beschäftigten im Kontext betriebsbedingter Kündigungen entscheidend davon abhängig sind, ob sie das Verhalten des Arbeitgebers ihrer eigenen Arbeitsplatzsicherheit gegenüber als verantwortungsvoll wahrnehmen oder nicht. Das heißt aber auch, dass dem Betrieb generell ein hohes Maß an Verantwortung für den Schutz seiner Belegschaft vor den Risiken des Arbeitsmarktes zugeschrieben wird – eine Orientierung, die mit der Gerechtigkeitsideologie des „alten“ Arbeitsvertrags übereinstimmt. Die negativen Folgereaktionen sind in Ostdeutschland etwas schwächer ausgeprägt als im Westen. Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass dieser Unterschied als Hinweis auf eine grundsätzlich stärker am Marktprinzip orientierte Sichtweise der ostdeutschen Erwerbsbevölkerung interpretiert werden kann. Sowohl in West- wie auch in Ostdeutschland ist eine klare Mehrheit der Auffassung, dass Arbeitsplatzsicherheit zu den wichtigen Arbeitgeberleistungen zählt. Was sich zeigt, ist lediglich ein höheres Ausmaß an „extremen“ Einstellungen zu Personalabbau und Arbeitsplatzsicherheit in Ostdeutschland: Hier ist der Anteil derjenigen höher, die eine vollständige Abschaffung des gesetzlichen Kündigungsschutzes befürworten, während umgekehrt aber auch mehr Menschen den weiteren Ausbau desselben wünschen. Wir sind der Auffassung, dass insbesondere die prekäre wirtschaftliche Situation und die
6. Schlussfolgerungen
239
vergleichsweise schlechteren Arbeitsmarktchancen die etwas schwächeren Effekte der Folgewirkungen in Ostdeutschland erklären. 6. Schlussfolgerungen Der Beitrag ging der Frage nach, unter welchen Umständen Entlassungen von der Erwerbsbevölkerung in Deutschland als gerecht beziehungsweise ungerecht empfunden werden und wie die „Überlebenden“ einer Entlassung auf dieses Ereignis reagieren. Hintergrund dieser Analyse ist die Kontroverse um die durch eine Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“ und sinkende betriebliche Beschäftigungsdauern bedingte Re-Kommodifizierung der „Ware“ Arbeitskraft, die sich – so die umstrittene These – auch in den Köpfen der Erwerbsbevölkerung vollzieht. Im Gegensatz zum Vermarktlichungs- und Individualisierungsdiskurs zeigen unsere Ergebnisse jedoch, dass die Beschäftigungsbeziehung nach wie vor nach den Regeln des „alten“ Arbeitsvertrages und den damit korrespondierenden organisationsbezogenen Gerechtigkeitsnormen und nicht nach denen eines „neuen“ marktorientierten Arbeitsvertrages beurteilt wird. Beschäftigte halten am besonderen Schutz der „Ware“ Arbeitskraft fest. Sie erwarten, dass der Betrieb sie soweit als möglich gegen die Risiken des Marktes absichert. So werden Entlassungen im Zuge einer Rentabilitätssteigerung, die durch Produktionsverlagerungen oder technisch-organisatorische Innovationen erzielt wurde, mehrheitlich als ungerecht bewertet. Nur wenn Entlassungen wirtschaftlich unvermeidbar sind, um das Überleben der Organisation und der verbleibenden Arbeitsplätze zu sichern, scheinen sie von der Mehrheit der Erwerbsbevölkerung als gerecht akzeptiert zu werden. Diese gewissermaßen „gewerkschaftlich-sozialdemokratische“ Perspektive wird von der großen Mehrheit der Befragten getragen. In Anlehnung an die Insider-Outsider-These haben wir darüber hinaus erwartet, dass einkommens- und qualifikationsstarke Personen eher einer am Marktprinzip orientierten Gerechtigkeitsideologie verpflichtet sind als der Durchschnitt der Erwerbsbevölkerung. Diese Gruppe hat eine vorteilhafte Marktposition und profitiert von den Bedingungen eines flexibleren Arbeitsmarktes. Überraschenderweise scheint die kritische Bewertung von Entlassungen jedoch über die vertikale Achse der Sozialstruktur hinweg zu streuen. Es sind zum einen eher die direkten Erfahrungen zuvor erlebter Arbeitslosigkeit und eine vom Qualifikations- und Berufsstatus unabhängige Sorge, eine angemessene neue Stelle zu finden, die eine kritische Gerechtigkeitswahrnehmung begünstigen. Zum anderen hängt das Gerechtigkeitsurteil auch vom betrieblichen Kontext und den konkret erlebten Handlungsweisen des Managements ab. Wenn Entlassungen
240
VII Risiken und Nebenwirkungen von Entlassungen
wirtschaftlich vermeidbar sind, verschlechtern sich darüber hinaus die Kooperation und Arbeitsmotivation, und die Bereitschaft zur freiwilligen Kündigung steigt. Auf der theoretischen Ebene hat sich die Erweiterung unseres neo-institutionalistischen Zugangs um das Konzept des psychologischen Vertrages als sinnvoll erwiesen. Unsere Analysen demonstrieren, dass institutionenökonomische Ansätze viel, aber nicht alles erklären können. Insbesondere der Befund, dass sich einkommens- und qualifikationsstarke Personengruppen in der Gerechtigkeitsbewertung nicht von anderen unterscheiden, verweist darauf, dass wir Gerechtigkeitsideologien nicht auf ökonomische Interessen reduzieren können. Stattdessen spielt die moralische Ebene der wechselseitigen Verpflichtungen zwischen Betrieb und Beschäftigten für die Wahrnehmung betrieblicher Personalanpassungen eine zentrale Rolle. Werden die impliziten Verhaltenserwartungen der Beschäftigten durch die gewählte Personalstrategie verletzt, kann dies sowohl das Gerechtigkeitsempfinden als auch die Kooperations- und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten und damit die Beschäftigungsbeziehung selbst beeinträchtigen. Aufgrund der Tatsache, dass die normative Ebene der Beschäftigungsbeziehung selbst kontingent ist, muss allerdings offen bleiben, wie lange eine Orientierung an tradierten Sicherheitsstandards im Kontext von Arbeitsmärkten mit steigender Flexibilität fortbestehen kann und welche Faktoren hier einen grundlegenderen Wandel bewirken könnten. Auf diese Forschungsfrage, die systematische Erhebungen und Analysen von Verlaufsdaten erfordert, wird sich unser Forschungsinteresse in der näheren Zukunft richten.
VIII Ist Prekarität überall? Unsicherheit im Zentrum der Arbeitsgesellschaft Anja Bultemeier – Kai Loudovici – Nadine Laskowski
1. Einleitung Die gegenwärtige und prospektive Konstitution des Arbeitsmarktes und der Arbeitsgesellschaft ist in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften umstritten. Den einen Pol des Spektrums bilden Einschätzungen, wie jene der bayerischsächsischen Zukunftskommission, die aus der beobachteten Zunahme „atypischer“ Beschäftigung einen generellen Trend zur Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“ ableitet (Kommission 1996). Hier wird das Bild eines flexiblen Arbeitsmarktes entworfen, in dem biographische Diskontinuitäten zum Normalfall werden und von den Beschäftigten durch Bildungsanstrengungen und Arbeitsmarktverantwortung bewältigt werden können. Auch die These vom Arbeitskraftunternehmer (Pongratz, Voß 2003) setzt an der Annahme einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses durch wachsende Flexibilitätsanforderungen der Betriebe an. Konstruiert wird ein neuer Sozialtypus, der die Tauschwertperspektive der Arbeitskraft adaptiert und eine Arbeitsmarktorientierung zeigt, die sich durch Bindungslosigkeit und häufige Unternehmenswechsel auszeichnet und die alle anderen Bereiche des Lebens dieser „Selbstökonomisierung“ unterordnet. Ein konträres Bild des Arbeitsmarktgeschehens zeichnen die Ergebnisse der quantitativ ausgerichteten Arbeitsmarktforschung. So konstatiert Martin Diewald (2004) nach einer Auswertung der einschlägigen Arbeitsmarktdaten entlang der Kriterien Arbeitsplatzstabilität, Arbeitsplatzsicherheit und Karrierestabilität, dass „das traditionelle deutsche Muster der Arbeitsmarktintegration basierend auf Stabilität und Erwartungssicherheit entgegen vieler Unkenrufe weiterhin in Kraft (bleibt). Wenn überhaupt, dann franst es an den Rändern der Erwerbsbeteiligung aus, das heißt, in der Phase der Etablierung auf dem Arbeitsmarkt einerseits und einer frühen Verrentung andererseits“ (Diewald 2004: 339). Das Bild einer gegenwärtigen und zukünftigen flächendeckenden Erosion von Arbeitsplatzstabilität und Sicherheit besitze deshalb wenig Realitätsgehalt (ebd.: 343). Bleibt auf dem Arbeitsmarkt also doch alles beim Alten? Haben Stabilität und Sicherheit auch weiterhin Konjunktur, so dass Vermutungen über eine grundlegende Transformation der Arbeitsgesellschaft ins Reich der Fiktion gehören?
242
VIII Ist Prekarität überall?
Eine dritte Position jenseits einer allgemeinen Instabilität und biographischen Diskontinuität auf der einen Seite sowie einer Persistenz von Stabilität und Sicherheit auf der anderen Seite nehmen zeitdiagnostisch und gesellschaftsanalytisch argumentierende Autoren ein. Sie gehen von einer Spaltung der Arbeitsgesellschaft aus (Kapitel I, II; vgl. Kronauer 2002; Linne, Vogel 2003a; Vogel 2004; Dörre 2005b, 2006; Brinkmann u.a. 2005). Große Aufmerksamkeit hat in diesem Kontext das von Robert Castel (2000) entwickelte Zonenmodell gesellschaftlicher Integration gefunden. Castel sieht die ehemals einheitliche und stabile, durch die „Hegemonie des unbefristeten Vertrages“ und die „subjektive Zukunftsgewissheit“ geprägte Arbeitsgesellschaft in drei unterschiedliche Zonen zerfallen, die sich jeweils durch eine spezifische Verortung in der Arbeitswelt und die Einbindung in soziale Unterstützungsnetzwerke unterscheiden. Die „Zone der Integration“ ist durch stabile soziale Arbeitsverhältnisse und solide soziale Beziehungen gekennzeichnet. Konträr dazu steht die „Zone der Entkoppelten“; in ihr verdichten sich das Fehlen produktiver Tätigkeiten und sozialer Unterstützung zu sozialer Ausgrenzung. Die „Zone der Prekarität“ bezeichnet demgegenüber eine instabile Zwischenzone. Die hier Verorteten haben zwar noch Teil an der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, sind jedoch immer wieder vom Herausfallen bedroht. In dieser Zone korrespondiert ein prekäres Verhältnis zur Arbeit mit einer nur fragilen Unterstützung durch die soziale Umgebung. Im Unterschied zu den voranstehenden Positionen sieht Castel keinen einheitlichen Veränderungstrend; vielmehr ist es gerade der Verlust der Einheitlichkeit, der in seiner Analyse die gegenwärtige Arbeitsgesellschaft kennzeichnet. Er konstatiert ein Nebeneinander von Stabilität, Instabilität und Ausgrenzung. Für einen großen Teil der Beschäftigten bleibt in dieser Perspektive alles beim Alten; für sie gelten weiterhin tradierte, d.h. durch Stabilität und Sicherheit charakterisierte Beschäftigungsbedingungen, auch wenn dieser Bereich durch die „Destabilisierung der Stabilen“ kleiner wird. Für einen anderen Teil der Beschäftigten und hier insbesondere jene, die sich in der prekären Zwischenlage befinden, wird jedoch alles anders; ihre Situation zeichnet sich durch Instabilität und Unsicherheit aus. In dieser Verknüpfung von Instabilität und Unsicherheit liegt eine weitere Besonderheit der Castel’schen Argumentation, die ihn von den vorgängig dargestellten Positionen unterscheidet. Aber warum wird bei Castel die Instabilität zur Prekarität? Die Ursache hierfür sieht er in der spezifischen historischen Gestalt der Lohnarbeitsgesellschaft. Instabilität tritt in einer Situation auf, in der Lohnarbeit zum alle Bereiche durchdringenden Bezugssystem sozialer Reproduktion und Identität geworden ist und Alternativoptionen der Subsistenzwirtschaft oder Identitätsbildung kaum noch zur Verfügung stehen. Erst vor diesem besonderen
1. Einleitung
243
Hintergrund und verschärft durch den Abbau sozialer Sicherungssysteme kann die Instabilität zur Prekarität werden. Bleibt also in dem von Castel skizzierten Nebeneinander unterschiedlicher Zonen auf dem Arbeitsmarkt manches beim Alten und wird einiges anders? Oder wird doch alles anders, selbst wenn in einigen Bereichen alles beim Alten bleibt? Diese wohl radikalste Position einer Umgestaltung der Arbeitsgesellschaft wird von Pierre Bourdieu (1998a) mit seiner Aussage „Prekarität ist überall“ vertreten. Bourdieu geht davon aus, dass die objektive Unsicherheit, wie sie im Fall der Arbeitslosigkeit und befristeten Beschäftigung vorliegt, auf die Beschäftigten in den sicheren Bereichen zurückwirkt und dort zugleich ein Gefühl der Ersetzbarkeit und Bedrohung erzeugt. „Die Existenz einer beträchtlichen Reservearmee, die man aufgrund der Überproduktion an Diplomen längst nicht mehr nur auf den untersten Qualifikationsstufen findet, flößt jedem Arbeitnehmer das Gefühl ein, daß er keineswegs unersetzbar ist und seine Arbeit, seine Stelle gewissermaßen ein Privileg darstellt, freilich ein zerbrechliches und bedrohtes Privileg (…). Die objektive Unsicherheit bewirkt eine allgemeine subjektive Unsicherheit, welche heutzutage mitten in einer hochentwickelten Volkswirtschaft sämtliche Arbeitnehmer, einschließlich derjenigen unter ihnen in Mitleidenschaft zieht, die gar nicht oder noch nicht direkt von ihr betroffen sind.“ (Bourdieu 1998a: 97) Hält also Prekarität Einzug in alle Bereiche des Arbeitsmarktes? Bleiben über die von Bourdieu konstatierten Folgewirkungen auch jene stabilen Arbeitsmarktbereiche nicht von Unsicherheit verschont, die von der quantitativen Arbeitsmarktforschung als Beleg für die Gültigkeit des traditionellen Musters von Stabilität und Erwartungssicherheit herangezogen werden? Vermag Bourdieus Figur die konstatierte Diskrepanz zwischen objektiver Stabilität und jener „gefühlten Unsicherheit“ (Dörre 2006) erklären, wie sie in Bevölkerungsumfragen oder betrieblichen Erhebungen (Trinks, Döhl 2005) zum Ausdruck kommt? Und letztlich: Was ist das materielle Substrat dieser subjektiven Unsicherheit? Lässt sie sich allein durch „Ausstrahlungseffekte“ erklären, die von den Bereichen objektiver Unsicherheit auf die noch relativ stabilen Arbeitsmarktsegmente ausgehen, wie Bourdieu vermutet? Oder sind in diesen Bereichen selbst Veränderungen zu konstatieren, die den Beschäftigten als Anlass für Unsicherheit dienen. Bourdieus Aussage einer Generalisierung von Prekarität steht Pate für unsere Untersuchung. Um die Reichweite und Brisanz dieser Aussage aufzugreifen, fragen wir nach Prekarität nicht an den Rändern, sondern im Zentrum der Arbeitsgesellschaft. Hier konzentrieren wir uns auf Beschäftigte in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen und auf Bereiche, die durch eine Tradition hoher Stabilität und segmentierter Arbeitsmärkte gekennzeichnet sind: die Automobil-
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VIII Ist Prekarität überall?
industrie, Privatbanken und den Maschinenbau. Mit dieser Ausrichtung nehmen wir im Verhältnis zur Prekaritätsforschung einen Perspektivwechsel vor.1 Vorgestellt werden erste explorative Ergebnisse, die im Rahmen von zwei unterschiedlichen Erhebungen gewonnen wurden. Dabei handelt es sich zum einen um eigene Erhebungen zu „Unsicherheit in internen Märkten“ im Rahmen des B2-Projektes (Kapitel I) und zum anderen um eine Lehrforschung an der Friedrich-Schiller-Universität, die die Autoren gemeinsam mit Christoph Köhler durchgeführt haben (Köhler u.a. 2007b; Bernhardt u.a. 2007). Für das Teilprojekt wurden in einer ersten Phase 20 ausführliche Interviews mit Beschäftigten aus der Automobilindustrie und des Bankenbereichs sowie 15 Expertengespräche mit Betriebsräten, Gewerkschaftsvertretern und Personalverantwortlichen geführt. Aus der Lehrforschung standen 34 Interviews mit Beschäftigten aus unterschiedlichen Branchen zu Verfügung. In die Auswertung einbezogen wurden hier nur die Beschäftigteninterviews aus der Metallindustrie und aus dem Bankenbereich. 2. Zum Prekaritätsbegriff bei Bourdieu Wird traditionell der Prekaritätsbegriff genutzt, um in der Polarität zum „Normalarbeitsverhältnis“ Beschäftigungsformen zu charakterisieren, die nicht existenzsichernd oder ohne langfristige Perspektive sind (vgl. Kraemer, Speidel 2004; Vogel 2004; Brinkmann u.a. 2005), so konterkariert Bourdieus Aussage „Prekarität ist überall“ dieses Verständnis. Hier dient der Prekaritätsbegriff nicht zur Identifikation und Abgrenzung bestimmter Beschäftigtengruppen, sondern beschreibt eine Veränderungstendenz von Gesellschaft. Prekarität ist für Bourdieu „Teil einer neuartigen Herrschaftsform, die auf die Errichtung einer zum Dauerzustand gewordenen Unsicherheit fußt und das Ziel hat, die Arbeitnehmer zur Unterwerfung, zur Hinnahme ihrer Ausbeutung zu zwingen“ (Bourdieu 1998a: 100). In der Betrachtungsweise des Autors ist Prekarität dabei kein 1
Die Prekaritätsforschung konzentriert sich vor allem auf Randbereiche des Arbeitsmarktes (Linne, Vogel 2003a; Vogel 2004; Mayer-Ahuja 2003). Eine Ausnahme innerhalb der Prekaritätsforschung bilden die Arbeiten von Klaus Dörre u.a. (Dörre u.a. 2003 und 2005/06), die sich in Anlehnung an Robert Castel über alle Zonen der Arbeitsgesellschaft erstrecken. Zentrales Kriterium für eine „Typologie arbeitsweltlicher (Des-) Integrationspotentiale“ ist die formale Struktur und Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses sowie die erwerbslagenbezogene Interpretation dieser strukturellen Merkmale durch die Beschäftigten (Dörre u.a. 2005/06: 12f). Dabei beziehen sich die Autoren jedoch auf Arbeitsmarktbereiche, die durch eine stärkere Offenheit gekennzeichnet sind. Neben den traditionell stabilen Bereichen Bergbau und Banken werden Beschäftigte und Experten aus der Baubranche, dem Handel, von Zeitarbeitsfirmen und der IT-Industrie befragt.
2. Zum Prekaritätsbegriff bei Bourdieu
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Resultat ökonomischer Fatalität, sondern das Produkt eines politischen Willens. Das flexible Unternehmen beute bewusst eine von Unsicherheit geprägte Situation aus, die von ihm noch verschärft werde (ebd.: 99). So werde die gesamte Welt der materiellen und kulturellen, öffentlichen wie privaten Produktion in einen breit gefächerten Prekarisierungsstrom hineingezogen (ebd.). Prekarität wird bei Bourdieu somit als Wirkungsmechanismus konzipiert, der alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt. In diesem Sinne bezeichnet Prekarität keinen isolierbaren Ausschnitt von Gesellschaft, sondern im historischen Längsschnitt das „Neue“ gesellschaftlicher Veränderungen. Damit möchte Bourdieu in aller Deutlichkeit zeigen, dass Prekarität kein Randphänomen darstellt, sondern im Zentrum einer neuen Arbeitsmarktkonstellation anzusiedeln ist. Als Wirkungsmechanismus transportiert der Prekaritätsbegriff bei Bourdieu einen doppelten Bedeutungsgehalt: den Verlust der Zukunftsgewissheit und den Verlust der Handlungsmacht. Im ersten Fall liegt diesem Wirkungsmechanismus das Potential gesellschaftlicher Desintegration und Desorganisation zugrunde; im zweiten Fall das Potential einer Transformation des gesellschaftlichen Integrationsmodus. Prekarität als Verlust der Zukunftsgewissheit Wenn Bourdieu von objektiver Unsicherheit spricht, so hat er neben der Arbeitslosigkeit die Ausweitung befristeter Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen und privaten Sektor, also in den Industrieunternehmen, im Bildungswesen, im Kulturbereich, aber auch den Medien und im Journalismus im Blick. Als prekär bezeichnet er diese Beschäftigungsverhältnisse wegen der „identischen Wirkungen“ (ebd.: 97), die sie erzeugen und die im Extremfall der Arbeitslosigkeit nur besonders deutlich seien: „Prekarität hat bei dem, der sie erleidet, tiefgreifende Auswirkungen. Indem sie die Zukunft überhaupt im Ungewissen läßt, verwehrt sie den Betroffenen gleichzeitig jede rationale Vorwegnahme der Zukunft und vor allen Dingen jenes Mindestmaß an Hoffnung und Glauben an die Zukunft, das für eine vor allem kollektive Auflehnung gegen eine noch so unerträgliche Gegenwart notwendig ist.“ (Ebd.)
Die Bedeutung, die Bourdieu dem Verlust der Zukunftsgewissheit zuschreibt, ist beeinflusst durch seine frühen Studien in Algerien, die es ihm ermöglichten, in einer zeitlich gerafften „Laborsituation“ den Übergang von einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft zu untersuchen (Bourdieu 2000). Hier konnte er erstens beobachten, dass die Herausbildung eines ökonomischen Habitus an spezifische Zeitstrukturen, d.h. eine Zukunftszentrierung gebunden ist. Konträr zum Vorkapitalismus mit seiner zyklischen, auf der Gleichförmigkeit von Gegenwart und
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VIII Ist Prekarität überall?
Vergangenheit beruhenden Zeiteinteilung kann Zukunft nun als Möglichkeitsraum wahrgenommen und durch rationales Kalkül optimiert werden. Ökonomische Visionen kennzeichnen den individuellen Lebensplan (vgl. Barlösius 2004: 75). Der an die Zukunftszentrierung gebundene ökonomische Habitus ist jedoch zweitens – und hier liegt das Potential für eine Gegenwartsanalyse – an besondere ökonomische Sicherheitsbedingungen gebunden. Gegen die Wirtschaftstheorie und Wirtschaftssoziologie, die den rational handelnden Akteur als anthropologische Konstante konzipieren, führt Bourdieu dessen historische Bedingtheit ins Feld (Bourdieu 2000: 14f). „Tatsächlich konnte ich empirisch nachweisen, daß unterhalb eines gewissen Niveaus ökonomischer Sicherheit, beruhend auf der Sicherheit des Arbeitsplatzes und der Verfügung über ein Minimum an regelmäßigen Einkünften, Akteure nicht imstande sind, die Mehrheit jener Handlungen durchzuführen, die eine Anstrengung hinsichtlich einer Bemächtigung von Zukunft implizieren, wie etwa im Falle der kalkulierten Verwendung von Ressourcen über die Zeit hinweg, Sparen, Kreditaufnahme oder auch im Bereich der Geburtenkontrolle.“ (Ebd.: 20)2
Die Zukunftszentrierung ist also an spezifische, sie ermöglichende Sicherheitsbedingungen gebunden. Fehlen diese Bedingungen, geht das ganze Leben im Gegenwärtigen verloren, der Existenz im Hier und Jetzt, des Lebens von der Hand in den Mund (ebd.: 109). Ein solches Leben steht unter dem Vorzeichen des Provisorischen (ebd.: 107). Ohne die geringste Macht über die Gegenwart, also ohne die Sicherheit einer dauerhaften Arbeitsstelle, bleibt Arbeitslosen und befristet Beschäftigten ein rationaler Lebensplan, ein „kohärentes und hierarchisches System vorgesehener oder geplanter Zwecke“ (ebd.: 111) verwehrt. Damit hat der Verlust der Zukunftszentrierung auch Implikationen für die Interessenformulierung und die sozialen Auseinandersetzungen. Denn erst der an der Zukunft orientierte und diese optimierende Lebensplan strukturiert die Interessen der Beschäftigten und gibt ihnen Richtung. Brinkmann u.a. (2005) fassen Bourdieus Überlegungen dahingehend zusammen, dass in die jeweiligen Zeithorizonte ein „unterschiedliches Bewusstsein gesellschaftlicher Alternativen“ (ebd.: 15) eingeschrieben ist: „Die materiell bedingte Unfähigkeit, einen längerfristigen Lebensentwurf zu entwickeln, beschränkt zugleich die Fähigkeit zur 2
Die Aktualität und gesellschaftliche Brisanz des Zusammenspiels von Sicherheit und Zukunftszentrierung ist auch in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Aufhebung des Kündigungsschutzes für Erstverträge in Frankreich deutlich geworden. So argumentierten Gegner des Vorhabens vorrangig mit dem Verlust der Zukunftsfähigkeit einer ganzen Generation: mit der Aufhebung des Kündigungsschutzes würden junge Erwachsene Möglichkeiten einer eigenen Lebensgestaltung verlieren, weil ihnen dann z.B. die Anmietung einer Wohnung oder die Aufnahme eines Kredites verwehrt bliebe.
2. Zum Prekaritätsbegriff bei Bourdieu
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Ausbildung kohärenter politischer Orientierungen, wie auch die Möglichkeiten zu selbstorganisierter Formulierung und Durchsetzung kollektiver Interessen.“ (Ebd.) Bourdieu hat mit dem Verlust der Zukunftsgewissheit somit jene Desintegrations- und Desorganisationsprozesse vor Augen, wie er sie anhand der algerischen Übergangsgesellschaft beobachten konnte. Auch wenn man natürlich nicht von einer bruchlosen Übertragung dieser Verhältnisse auf die Gegenwart ausgehen kann, liefern Bourdieus Beobachtungen doch wichtige Impulse und Orientierungen für eine empirische Analyse. Bourdieus Prekaritätsbegriff geht jedoch nicht im Verlust der Zukunftsgewissheit auf. Prekarität als Verlust der Handlungsmacht Neben die objektive Unsicherheit stellt Bourdieu die subjektive Unsicherheit als „allgemeine Unsicherheit“, die „mitten in einer hochentwickelten Volkswirtschaft sämtliche Arbeitnehmer (…) in Mitleidenschaft zieht (Bourdieu 1998a: 97), denn in einem wachsenden Umfeld von Prekarität entstehe bei jedem Arbeitnehmer das Gefühl, „dass er keineswegs unersetzbar ist und seine Stelle gewissermaßen ein Privileg darstellt, freilich ein zerbrechliches und bedrohtes Privileg“ (ebd.). Der Unsicherheit in einigen Bereichen schreibt Bourdieu somit Auswirkungen auf die gesamte Arbeitnehmerschaft zu; sie verändert, indem sie „das Paradigma der einheitlichen und stabilen Beschäftigung“ (Castel 2000: 350) aufbricht, auch den gesellschaftlichen Status der Beschäftigten. Bourdieu spricht hier in der Generalisierung von Unsicherheit einen weiteren Bedeutungsgehalt von Prekarität an. In der Übersetzung wird „prekär“ nicht nur mit „unsicher“ oder „heikel“ angegeben, sondern als „prekär“ wird auch etwas bezeichnet, das „durch Bitten erlangt“ (Duden Fremdwörterbuch 1982) worden ist. Wenn sich die Beschäftigten als ersetzbar erleben und ihre Arbeit als bedrohtes Privileg wahrnehmen, so ist damit ein nur „gewährter“ Status angesprochen. Bourdieu hat hier eine Unsicherheit im Blick, die die strategische Handlungsfähigkeit der Beschäftigten berührt. Mit der Ausweitung der objektiven Unsicherheit verlieren auch die Beschäftigten in stabilen Bereichen das Fundament ihrer Handlungsmacht. Auf die Bedeutung dieser Handlungsmacht der Beschäftigten hat insbesondere Christoph Deutschmann (2002) in seiner anerkennungstheoretischen Analyse des Arbeitsmarktes und der Arbeitsverhältnisse hingewiesen. Er sieht in der Einschränkung der Machtasymmetrie auf dem Arbeitsmarkt die zentrale Voraussetzung dafür, dass die Beschäftigten überhaupt als strategisch handelnde Akteure auftreten können. So könne ein eigentlicher Markt für Arbeitskräfte nur dort entstehen, wo die Person in gewisser Weise gegen den Arbeitsmarkt abgeschirmt
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VIII Ist Prekarität überall?
und geschützt sei (ebd.: 70): „Die Entstehung des modernen Sozialstaates und die des Arbeitsmarktes bedingen einander. Der Arbeiter kann mit seiner Arbeitskraft nur dann marktgerecht umgehen, wenn es durch gewerkschaftliche Selbsthilfe und politischen Druck gelingt, eine elementare marktunabhängige Sicherung der Existenz seiner Person durchzusetzen.“ (Ebd.: 73) Für Deutschmann stellt die Anerkennung der Gegenmacht der Beschäftigten durch die Institutionalisierung eines gesellschaftlichen „Status“ (ebd.: 142) somit die zentrale Voraussetzung dafür dar, dass die Beschäftigten als strategisch handelnde Akteure am Arbeitsmarkt auftreten können. Denn nur wenn das Abhängigkeitsverhältnis am Arbeitsmarkt nicht einseitig, sondern reziprok sei, könne auch eine Reziprozität von Forderungen realisiert werden (ebd.). Die institutionalisierte Sicherheit stellt somit für Deutschmann ebenso wie die subjektive Verfügung über den Arbeitsmarkt die Voraussetzung für die strategische Handlungsmacht der Beschäftigten dar. In das Bourdieu’sche Gedankengebäude übertragen würde dies bedeuten, dass für die Ausbildung des ökonomischen Habitus nicht nur die Zukunftszentrierung, sondern auch die in gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnissen institutionalisierte strategische Handlungsmacht der Beschäftigten konstitutiv ist. Arbeitslosigkeit und Prekarität auf der einen Seite sowie der Abbau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen auf der anderen Seite verändern jedoch die in den gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnissen eingeschriebene historisch spezifische Machtasymmetrie zwischen Beschäftigern und Beschäftigten. Flecker/Krenn (2004) weisen in ihrer Untersuchung zu subjektiver Unsicherheit in Österreich auf die Paradoxie hin, dass der Abbau sozialstaatlicher Leistungen just in eine Zeit fällt, in der Unternehmen und Arbeitsmarkt immer weniger Sicherheiten bieten: „Lebensstandard, Integration in die Gesellschaft und das soziale Ansehen werden gerade in einer Phase wieder stärker an die Erwerbsarbeit gebunden, in der die Reproduktion durch Erwerbsarbeit deutlich unsicherer wird.“ (Ebd.: 161) Mit den gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnissen erodiert jedoch das Fundament der strategischen Handlungsfähigkeit der Beschäftigten; die Beschäftigung wird hier prekär im Sinne Bourdieus, weil sie nicht mehr auf der Handlungsmacht der Beschäftigten beruht, sondern „durch Bitten erlangt“ worden ist. Die voranstehenden Ausführungen hatten zum Ziel, den besonderen Bedeutungsgehalt des Bourdieu’schen Prekaritätsbegriffs aufzuzeigen. Bourdieu geht es nicht darum, Prekarität als eine abgrenzbare soziale Lage zu erschließen. Vielmehr versucht er mit dem Prekaritätsbegriff einen Wirkungsmechanismus zu beschreiben, der alle Bereiche des Arbeitsmarktgeschehens durchdringt. Als Verlust der Zukunftsgewissheit hat dieser Wirkungsmechanismus das Potential gesellschaftlicher Desintegration und Desorganisation, als Verlust der Hand-
2. Zum Prekaritätsbegriff bei Bourdieu
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lungsmacht das Potential einer Transformation des gesellschaftlichen Integrationsmodus. Bourdieu geht es mit seinem Prekaritätsbegriff somit um das alle Bereiche durchdringende „Gemeinsame“ einer neuen Herrschaftsform und nicht um die Differenzen, die auf diesem Fundament entstehen können. Zur arbeitsmarkttheoretischen Präzisierung des Prekaritätsbegriffs Bourdieus Ausführungen lassen jedoch Fragen offen. Unbeantwortet bleibt z.B., ob jene „allgemeine subjektive Unsicherheit“ allein auf den Ausstrahlungseffekten oder Rückwirkungen prekärer Beschäftigung basiert, wie es Bourdieu beschreibt, oder ob ihr auch Strukturveränderungen in den stabilen Bereichen selbst zugrunde liegen. Bourdieus Ausführungen eignen sich deshalb auch eher als Suchrichtung für eine wissenschaftliche Analyse denn als eigentliches Konzept. So ist Bourdieus Prekaritätsverständnis auch nicht ohne Kritik geblieben. Brinkmann u.a. (2005) weisen bei aller Achtung vor dem zeitdiagnostischen Potential von Bourdieus „politischer Publizistik“ auf die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Präzisierung hin (ebd.: 5). Um die analytische Trennschärfe der Prekaritätskategorie zu erhalten, schlagen sie vor, Prekarität relational in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Normalitätsstandards zu definieren: „Als prekär kann ein Erwerbsverhältnis immer dann bezeichnet werden, wenn die Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkom mens-, Schutz- und soziales Integrationsniveau sinken, das in der Gegenwartgesellschaft als Standard definiert und mehrheitlich anerkannt wird. Und prekär ist Erwerbsarbeit auch, sofern sie subjektiv mit Sinnverlusten, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit in einem Ausmaß verbunden ist, das gesellschaftliche Standards deutlich zuungunsten der Beschäftigten korrigiert.“ (Ebd.: 28). Die in diesem Sinne definierte prekäre Beschäftigung wird einerseits von einer „Zone der Prekarität“ unterschieden, in der in Anknüpfung an Robert Castel prekäre Arbeit zum Dauerzustand wird und sich zu einer sozialen Lage verdichtet und andererseits von einem „Prozess der Prekarisierung“ abgegrenzt, der über die Erosion von Normalitätsstandards auf die Integrierten zurückwirkt (ebd.: 28f). Der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Präzisierung liegt somit auf dem Bestreben, Prekarität als relationale Kategorie und damit als etwas „Normabweichendes“ zu konzipieren. Dies steht zunächst konträr zur hier vorgeschlagenen Lesart von Bourdieus Ausführungen, Prekarität als neue „Normalität“ einer veränderten gesellschaftlichen Konstellation zu betrachten. Eine solche Lesart legt eine andere Konzeptualisierung nahe. Prekarität soll hier arbeitsmarktheoretisch präzisiert werden. In dem Verlust der Zukunftsgewissheit und
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der Handlungsmacht deutet sich eine Abkehr von jener Arbeitsmarktkonstellation des Fordismus an, deren Kern B. Lutz (1987) als „betriebszentrierte Arbeitsmarktsegmentation“ bezeichnet hat. Während Brinkmann u.a. (2005) in ihrer Definition somit auf Abweichungen von gesellschaftlichen Standards rekurrieren, die eine spezifische Arbeitsmarktkonstellation erst hervorgebracht hat, setzen wir eine Ebene darunter an und konzentrieren uns auf Veränderungen in der betrieblichen Einbindung der Beschäftigten. Konstitutiv für betriebszentrierte Arbeitsmarktsegmentation, die nach Lutz (1987) das dominante Strukturprinzip des Arbeitsmarktes sowohl auf der Mikroebene der Betriebe als auch der Makroebene nationaler Volkswirtschaften darstellt (ebd.: 259), ist eine historisch einzigartige Bindung zwischen Betrieben und Beschäftigten. Diese ausgeprägte wechselseitige Bindung, die beide Seiten durch Segmentationsbarrieren gegenüber dem externen Arbeitsmarkt schützt wie auch in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt, manifestiert sich in charakteristischen Allokations- und Selektionsregeln, die um die Dauer der Betriebszugehörigkeit und davon abgeleitet auch das Alter der Beschäftigten gruppiert sind. Diese klassischen Senioritätsrechte sind somit institutioneller Ausdruck betriebszentrierter Arbeitsmarktsegmentation. Die besondere wechselseitige Bindung zwischen Betrieben und Beschäftigten, die sich in der Nachkriegsprosperität herauszubilden begann, setzt jedoch, so Burkart Lutz, einen Bruch mit zwei zentralen Tatbeständen voraus, die seit Beginn der industriellen Entwicklung den Arbeitsmarkt sowie das gesellschaftliche Verhältnis der Lohnarbeit prägten: das Beschäftigungsrisiko und die Arbeitsmarktkonkurrenz (ebd.: 103). Nur unter historisch exzeptionellen Bedingungen konnten Betriebe veranlasst werden, ihre betrieblichen Arbeitsmärkte zu schließen und sich an den einzelnen Beschäftigten zu binden. Diese exzeptionellen Bedingungen sieht Lutz in der wohlfahrtsstaatlichen Konstellation der Nachkriegszeit gegeben. Sie führte dazu, dass die Asymmetrie zwischen Beschäftigern und Beschäftigten spürbar reduziert und den Interessen der Arbeitnehmer ein deutlich größeres Gewicht gegeben wurde. „Für die westeuropäischen Industrienationen wird (…) zu zeigen sein, daß die Entwicklung der Arbeitsmarktstruktur seit den 50er Jahren entscheidend durch eine als wohlfahrtsstaatlich zu bezeichnende historisch-politische Konstellation beeinflusst war, die sich in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg zunehmend durchgesetzt hatte und eigentlich zum ersten Male auf dauerhafte Weise der Industriearbeiterschaft und ihren Organisationen so etwas wie volles Bürgerrecht in Staat und Gesellschaft brachte.“ (Ebd.: 148)
Die ausgeprägte wechselseitige Bindung zwischen Betrieben und Beschäftigten auf der Mikroebene ist somit auch Ausdruck der besonderen Anerkennungs-
3. Prekarität in den subjektiven Sicherheitskonstruktionen
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verhältnisse dieser Zeit. Konstitutiv für betriebszentrierte Arbeitsmarktsegmentation ist damit nicht nur die Zukunftsgewissheit der Beschäftigen, wie sie sich in den senioritätsbasierten Allokations- und Selektionsregeln zeigt, sondern auch die wohlfahrtsstaatlich fundierte strategische Handlungsmacht der Beschäftigten. Prekarität im Begriffsverständnis von Bourdieu deutet somit auf eine Abkehr von jener besonderen Bindungskonstellation des Fordismus hin, in der Arbeitsmarktkonkurrenz und Beschäftigungsrisiko in historisch einzigartiger Weise aufgehoben (vgl. Kapitel II) und die Beschäftigten durch die „kollektive Dimension des Status“ (Castel 2000) geschützt und anerkannt waren. Ob und inwieweit sich nun neue Formen prekärer betrieblicher Einbindung abzeichnen, soll nun nachfolgend anhand der subjektiven Sicherheitskonstruktionen von Beschäftigten in traditionell segmentierten betrieblichen Arbeitsmärkten empirisch eruiert werden. 3. Prekarität in den subjektiven Sicherheitskonstruktionen In diesem Kapitel werden anhand einzelner Fallbeispiele die subjektiven Wahrnehmungen und Bewertungen der befragten Beschäftigten rekonstruiert. Die Auswahl der Fallbeispiele soll dabei das (vorläufige) Spektrum an subjektiven Sicherheitskonstruktionen abbilden, wie wir es in unserem Sample gefunden haben. Wir haben diese Wahrnehmungen und Bewertungen der eigenen Sicherheitssituation in einem ersten Zugriff in drei Gruppen unterteilt, die sich in der Qualität der Bindung zwischen Unternehmen und Beschäftigten unterscheiden. Diesen drei Gruppen werden Fallbeispiele zugeordnet, die die jeweilige Merkmalsausprägung auf unterschiedliche Art und Weise illustrieren. In der Gruppe der „Tradierten Sicherheiten“ werden jene Konstruktionen zusammengefasst, die einer wechselseitigen Bindung entsprechen, wie B. Lutz sie als konstitutiv für betriebszentrierte Arbeitsmarktsegmentation beschrieben hat. Die erlebte Sicherheit der Beschäftigten basiert hier auf institutionalisierten Rechten, d.h. Allokationsregeln, die um das Alter und die Dauer der Betriebszugehörigkeit gruppiert sind. Dennoch zeigt sich in den Fallbeispielen auch, dass diese Regeln in einem Umfeld von Unsicherheit an Verbindlichkeit eingebüßt haben; sie stehen unter Legitimationsdruck oder werden mit neuen leistungsbasierten Allokations- und Selektionsregeln verbunden. In den Fallbeispielen der zweiten Gruppe „Transformierte Sicherheiten“ werden neue Bezugssysteme von Sicherheit deutlich, die auf eine neue Qualität in der Bindung zwischen Betrieben und Beschäftigten hinweisen. Im Unterschied zur tradierten Sicherheit sind in diese Bezugssysteme selbst Momente von Prekarität eingeschrieben. Dies wird besonders deutlich am Beispiel der „leis-
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tungsbasierten Sicherheit“, wo die Zugehörigkeit zum Unternehmen an das Erreichen vorgegebener Leistungsziele geknüpft ist. Die Beschäftigung wird hier zur dauerhaften Bewährung, durch die Sicherheit beständig neu hergestellt werden muss. Mit dieser Reproduktion von Sicherheit weisen die „Transformierten Sicherheiten“ eine im Vergleich zu klassischen Senioritätsrechten eingeschränkte Zeitperspektive auf. Die Zukunft wird ungewisser; die Beschäftigten erleben sich im Spannungsfeld von Sicherheit und Unsicherheit. Ein neues Bezugssystem von Sicherheit zeigt sich jedoch auch in der „gewährten Sicherheit“, wo das „Glück“ über die vom Unternehmen offerierte Langfristperspektive mit dem Gefühl der eigenen Ersetzbarkeit korrespondiert und auf veränderte Macht- und Anerkennungsverhältnisse hinweist. Die erlebte Reziprozität basiert hier nicht mehr auf der strategischen Handlungsmacht der Beschäftigten. Bei den „Transformierten Sicherheiten“ entsteht somit eine im Vergleich zu den „Tradierten Sicherheiten“ neue Konditionalität in der Bindung zwischen Betrieben und Beschäftigten. In der letzten Gruppe „Neue Unsicherheiten“ werden Fallbeispiele zusammengeführt, in denen die Beschäftigten über keine Bezugssysteme von Sicherheit mehr verfügen. Diese Beschäftigten erleben nicht nur einen Verlust der Zukunftsgewissheit, sondern auch ihrer Handlungsmacht. Hier entstehen Unsicherheitskonstruktionen, in denen eine Paradoxie eingebaut ist: eingebunden in die Arbeitsgesellschaft erleben sich diese Beschäftigten als abhängig, aussichtslos und ausgegrenzt. Tradierte Sicherheiten Die nachfolgenden zwei Fallbeispiele stehen exemplarisch für tradierte betriebsbezogene Sicherheiten, wie sie sich im Rahmen der fordistischen Arbeitsmarktkonstellation herausgebildet haben. In der betrieblichen Praxis haben hier Senioritätsrechte Gültigkeit, die Beschäftigte mit langer Betriebszugehörigkeit und in Abhängigkeit von ihrem Alter schützen. Diese Senioritätsrechte stellen ein eigenständiges Bezugssystem dar, auf das sich Beschäftigte unabhängig von ihrer Leistung oder Position beziehen können. Die zwei Fallbeispiele zeigen aber auch, dass die Gültigkeit dieser Regelungsstrukturen in der betrieblichen Praxis an Grenzen stößt: tradierte Senioritätsrechte geraten unter Legitimationsdruck oder werden unter den Vorbehalt von Leistung und Erfolg gestellt, wodurch ihre Reichweite und Verbindlichkeit eingeschränkt werden. In diesem Sinne symbolisieren die Beispiele das Nebeneinander von „alt“ und „neu“, von tradierten Sicherheiten in einem Umfeld von Unsicherheit. „Institutionalisierte Sicherheit“ – Frau S. ist Mitte 50 und arbeitet seit 31 Jahren in der Lederfertigung eines großen Automobilunternehmens. Sie macht
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die Vorarbeiten für Lederteile, die in die Türverkleidung eingearbeitet werden. In ihrer Abteilung ist sie eine der ältesten Mitarbeiterinnen. Sie fühlt sich in dem Unternehmen sicher: „Also ich glaub schon, dass ich sicher bin.“ (18) Von den fest angestellten Mitarbeitern musste bis jetzt noch niemand gehen. (8) Dennoch ist Unsicherheit auch in ihrem Arbeitsbereich ein Thema unter den Kolleginnen. Die Abteilung steht in Konkurrenz zu größeren Abteilungen des Unternehmens an anderen Standorten und zu externen Anbietern. Diese Situation werde – so die Ansicht von Frau S. – durch die Unternehmensleitung instrumentalisiert: „Also wenn die Geschäftsleitung mehr, also sprich mehr Stückzahl will und aber nicht mehr leisten will, also wird gesagt: Also liebe Herrschaften unsere Arbeitsplätze sind nicht so sicher und wir brauchen das und das und wir wollen von euch das und das, also überlegt euch mal, was ihr wollt, sicheren Arbeitsplatz oder wir geben das preiswerter weiter. Ja, knallhart. Ist es in der Wirtschaft irgendwo anders?“ (8)
Vor diesem Hintergrund wurde für die Abteilung eine Vereinbarung beschlossen, die den Beschäftigten im Austausch für Mehrleistungen bis 2009 Beschäftigungssicherheit garantiert. Während dieser Zeit dürfe niemand entlassen werden. Sollte die Abteilung dennoch geschlossen werden, müssten die Mitarbeiter in andere Bereiche des Unternehmens versetzt werden. In den subjektiven Relevanzstrukturen von Frau S. haben diese Vereinbarungen ebenso wie die hergestellte Optionalität ihrer Abteilung keine Bedeutung. Sie bezeichnet diese Veränderungen als „Spielchen“, die man durchschauen müsse, „denn die Firmen hören nicht auf“ (14). So macht sich Frau S. über Unsicherheit keine Gedanken. Ihre Sicherheit basiert dabei auf tradierten Senioritätsrechten, die für sie eine hohe Verlässlichkeit aufweisen und zugleich das Fundament für akzeptable Alternativoptionen darstellen. „Ich mach mir keine Sorgen, irgendwie geht das schon. Also entweder es geht weiter oder ich geh in Rente, in Vorruhestand. Da mache ich mir jetzt keine Gedanken. Hab ich auch noch nie gemacht, weil ich mir immer, vielleicht bin ich da so. Ich denke mir immer, ich bin jetzt so lange in der Firma, mich kann jetzt keiner rausschmeißen. Außer die haben keine Arbeit mehr und dann muss es ja eine Lösung geben. Entweder die geben mir andere Arbeit oder ich kriege eine Abfindung von den Herrschaften, das ist die andere Lösung. Aber solange du dir nichts zuschulden kommen lässt, kann dir ja keiner was.“ (10f)
Diese Sicherheit aufgrund der langjährigen Betriebszugehörigkeit bringt Frau S. in eine exponierte Position, die sie von den jüngeren Mitarbeitern unterscheidet. Diese hätten keine Sicherheit mehr, „weil die nicht wissen, was kommt morgen“
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(15). Aus dieser Unsicherheit heraus, würden die jüngeren Mitarbeiter sie drängen ihren Platz freizugeben und eine vom Unternehmen angebotene Abfindung für ältere Mitarbeiter anzunehmen. „Ja man kriegt das schon dann irgendwann vorgehalten, dass wir für einen Jungen Platz machen sollen. Ja, ja. Aber das kommt dann drauf an. Lässt das einer an sich ran oder nicht“ Und an anderer Stelle: „Ja, ja es gibt schon welche, die sagen zu dir, wann unterschreibst du jetzt endlich? (lacht) Wie lange bist Du noch da? Aber was interessiert mich das.“ (17)
Für Frau S. haben also die tradierten Senioritätsrechte weiterhin Gültigkeit. Sie bilden die verlässliche Grundlage ihrer Sicherheitskonstruktion. Dennoch geraten diese Rechte in der sozialen Praxis unter Legitimationsdruck; das Bezugssystem einer über die Betriebzugehörigkeitsdauer definierten Sicherheit wird sowohl gegenüber dem Unternehmen als auch gegenüber den jüngeren Beschäftigten begründungspflichtig. “Hybride Sicherheit“ – Frau B. ist 49 Jahre alt und arbeitet als Anlageberaterin in einer kleinen Filiale einer Privatbank, die im Jahr 2000 von einem ausländischen Konzern übernommen wurde. Während ihrer langjährigen Tätigkeit war sie an mehreren Standorten beschäftigt; unter anderem hat sie sich 1989 freiwillig für einen Einsatz in den neuen Bundesländern gemeldet, um in Leipzig den Aufbau einer Geschäftsstelle zu unterstützen. Ihr Engagement wurde jedoch nicht belohnt. Kurz nachdem sie auf ihren alten Arbeitsplatz zurückgekehrt war, wurde sie im Zuge einer geplanten Personalreduktion – die Filiale sollte von zwölf auf acht Mitarbeiter verkleinert werden – aufgefordert, das Unternehmen zu verlassen. Die Entscheidung wurde von ihren damaligen Chefs mit sozialen Kriterien begründet. Sie sei jung, ledig, habe keine Kinder und sei als letzte in die Filiale gekommen, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine zwölfjährige Betriebszugehörigkeit zurückblicken konnte. Von ihr wurde erwartet, dass sie die angebotene Abfindung nimmt und freiwillig die Bank verlässt. Ihre Chefs – so erzählt sie im Interview – wollten sie glauben machen, dass sich die Anwendung der Sozialkriterien nur auf die Filiale und nicht auf den Distrikt, zu dem die Filiale gehört, bezöge. Dieser Aufforderung ist Frau B. trotz wiederholter Drohungen nicht nachgekommen. Sie habe sich nicht „in’s Bockshorn jagen lassen“, obwohl sie „innerlich total unsicher war“ (9). Zusammen mit dem Betriebrat sei sie der Meinung gewesen, dass sie bei einer korrekten Anwendung der Sozialkriterien nicht an der Reihe wäre. So habe der Betriebsrat ihr geraten, erst einmal abzuwarten; wenn die Bank sie loswerden wolle, müsse sie ihr eine ordentliche Kündigung zukommen lassen.
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Frau B. ist es hier gelungen, durch den Rekurs auf tradierte Sozialrechte eine gängige soziale Praxis der Privatbanken zu durchbrechen, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden und durch vermeintlich freiwillige Aufhebungsverträge zu ersetzen. Dieser Sieg bedeutet für sie jedoch kein Zurück in eine Zeit der Sicherheit, wie sie sie bis zum Ende der 80er Jahre erlebt hat. Vielmehr stellten die Personalreduktionen in ihrer Filiale nur den Auftakt einer ganzen Reihe von Veränderungen dar, die ihre Beschäftigungssituation nunmehr grundlegend neu bestimmen. Die Zeit der Sicherheit mit dem Gefühl „was kann mir schon passieren“ (36) ist für sie unwiederbringlich verloren: „…das war ein ganz anderes Leben, das war irgendwo eine ganz andere Welt, ich glaube, das war ein anderer Planet“ (40). Dennoch sind auch in dieser neuen Welt tradierte Sozialrechte für Frau B. von großer Bedeutung. Sie stellen den einen Teil ihrer „hybriden“ Sicherheitskonstruktion dar. Frau B. bezieht sich hier auf die besonderen Kündigungsschutzbestimmungen im Bankenbereich: „Und wenn sie 50 sind, nach dem alten Kündigungsrecht, solange sie das nicht ändern, sind sie relativ unkündbar, sofern sie keinen Griff in die Kasse tun. (Hm) Ist doch so. Und 25 Jahre bin ich auch da. Also die haben es schwer, mich rauszukriegen. Sie schaffen das, wenn sie mich raushaben wollen, schaffen sie das. Dann mobben sie mich, das geht immer. Aber ich kenne keinen, warum soll das sein. Ich bringe meine Leistung, ich ziehe mich auch nicht auf die Position zurück, ich habe jetzt genug gearbeitet, ich brauche nichts mehr dazuzulernen, ich bin immer noch bereit, zu lernen und Dinge neu anzufassen.“ (34)
Diese institutionalisierten Schutzrechte geben Frau B. eine relative, im Zeitverlauf zunehmende Sicherheit: „Die Zeit arbeitet sozusagen für mich. So empfinde ich das.“ (38) Das obenstehende Zitat weist jedoch bereits auf das zweite Bezugssystem in der subjektiven Konstruktion von Frau B. hin: die leistungsbasierte Sicherheit. Sowohl die individuelle Leistung als auch der Erfolg der einzelnen Filiale im firmeninternen Ranking sowie der Erfolg des Geschäftsfeldes sind für sie die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Unternehmen. „Sie müssen schon Leistung bringen wollen. Da kann schon mal was daneben gehen, aber nicht dauernd. Wenn sie sich als zu blöd erweisen, dann werden sie geschasst, bin ich von überzeugt. (…) Ich bin leistungsbereit und ohne Leistung geht’s nicht voran. Und wenn einer Geld dafür bezahlt, dann will er auch was dafür haben. Und für nichts bezahlt auch keiner was. Und wenn ich das nicht mache, dann schädige ich auf die Dauer meine Grundlage, so sehe ich das. (…) Weil wir sind dermaßen im Wettbewerb, auch vom Ausland her, dass wir uns das nicht erlauben können.“ (57f)
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In dieser Wettbewerbssituation habe der Chef des Privatkundengeschäfts den Verbleib der Sparte im Konzern an den Ertragserfolg gebunden. Dem Privatkundengeschäft sei eine Karenzzeit von drei Jahren eingeräumt worden. Würden die anvisierten Ziele nicht erreicht, empfehle er den Verkauf der Sparte: „Wir haben jetzt nochmal drei Jahre Karenz. Entweder erreichen wir dann die hohen Ziele oder wir gehen über die Wupper.“ (35) Mit dieser neuen Bedeutung von Leistung hält Unsicherheit Einzug in die Wirklichkeit der Bankmitarbeiter. Sowohl die individuelle als auch die bereichsspezifische Zugehörigkeit zum Konzern muss immer wieder neu legitimiert werden. Das bedeutet für die Mitarbeiter einen kaum vorstellbaren Leistungsdruck, in dem heimliche „Mehrarbeitszeit ohne Ende“ (18) und der Verlust eines eigenständigen Privatlebens den Arbeitsalltag bestimmen: „Sie werden wahnsinnig. Sie arbeiten lange und sind manchmal verzweifelt innerlich. Sie…, es ist so ein Druck, so ein Stress. Wie gesagt, ich mache diese Arbeit sehr gerne, sonst würde ich das nicht aushalten. (…) Ich habe echt Spaß an meiner Arbeit, an Kunden und sonst würde ich das wirklich nicht aushalten, weil das ist so anstrengend und so stressig, dass ich, ich weiß auch nicht, weil die pressen mich aus wie eine Zitrone, weil mein privates Leben geht dabei so ziemlich in die Loten.“ (8)
Die hybride Sicherheitskonstruktion von Frau B. ist somit durch eine konträre Logik gekennzeichnet. Basiert im Bezugssystem senioritätsbasierter Sicherheiten die Zugehörigkeit zum Unternehmen auf den additiven Errungenschaften der Vergangenheit, so legitimiert sich diese im Bezugssystem leistungsbasierter Sicherheiten über die punktuell bestimmten Erfolge der Gegenwart. Transformierte Sicherheiten Die Fallbeispiele, die hier zusammengefasst sind, zeichnen sich durch eine neue Qualität in der Bindung zwischen Unternehmen und Beschäftigten aus. Die Beschäftigten dieser Gruppe fokussieren auf Bezugssysteme, die durch neue Selektions- und Allokationskriterien und veränderte betriebliche Anerkennungsverhältnisse gekennzeichnet sind. Im Fall der „leistungsbasierten Sicherheit“ wird die Zugehörigkeit zum Unternehmen an das Erreichen individueller Leistungsziele geknüpft. Konträr zur senioritätsbasierten Sicherheit, bei der die Vergangenheit zur Option für die Zukunft wird, folgt die leistungsbasierte Sicherheit einer Logik dauerhafter Bewährung. Diese Reproduktion von Sicherheit zeigt sich in anderer Form auch in den Fallbeispielen der „ausgehandelten Sicherheit“ und der „aufzehrenden Sicherheit“.
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Auch die veränderten Anerkennungsverhältnisse werden von den Beschäftigten auf ganz unterschiedliche Weise thematisiert. Bei der „ausgehandelten Sicherheit“ zahlen die Beschäftigten einen „Preis“ für begrenzte Sicherheitszusagen des Unternehmens. Hier bleibt das Beschäftigungsrisiko gerade dadurch präsent, dass es temporär ausgeschaltet wird. In einer von Unternehmen „geschürten Ungewissheit“ wird Sicherheit zum „Allerwichtigsten“. Im Fall der „aufzehrenden Sicherheit“ zeigen sich die veränderten Anerkennungsverhältnisse dagegen in Arbeits- und Leistungsbedingungen, die das „Prinzip der Gegenseitigkeit“ (Flecker, Krenn 2004) einseitig außer Kraft setzen. Zur zentralen Herausforderung wird es hier, sich „nicht kaputtmachen zu lassen“ und für Arbeitbedingungen zu kämpfen, die eine Langfristperspektive für die Beschäftigten erst ermöglichen. Die Anerkennungsverhältnisse der Vergangenheit werden hier zur Vision für die Zukunft. Wiederum anders thematisiert das Fallbeispiel der „gewährten Sicherheit“ die neue Qualität der Bindung zwischen Beschäftigten und Unternehmen. In einem betrieblichen Umfeld wachsender Unsicherheit wird die eigene Sicherheit als „gewährtes Privileg“ und damit unabhängig von den Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten erlebt. Weil „jeder heutzutage ersetzbar ist“, bezeugt diese Sicherheitskonstruktion einen erlebten Verlust der Handlungsmacht. Sicherheit wurzelt nicht mehr in jener Einschränkung der Machtasymmetrie, wie sie B. Lutz für die Arbeitsmarktkonstellation des Fordismus beschreibt, sondern wird vom Unternehmen „gewährt“. Die Fallbeispiele zeigen somit auf unterschiedliche Weise, wie die neuen Bezugssysteme von Sicherheit mit veränderten Anerkennungsverhältnissen korrespondieren. Diese „“Transformierten Sicherheiten“ weisen im Vergleich zu den „Tradierten Sicherheiten“ eine neue Qualität auf, weil in sie Momente von Prekarität eingeschrieben sind. „Leistungsbasierte Sicherheit“ – Frau R. ist 39 Jahre alt und Firmenkundenbetreuerin in einer großen Privatbank. Sie hat Wirtschaftswissenschaften studiert und ist 1994 über ein Traineeprogramm zunächst in das Geschäftskundensegment eingestiegen. Seit ein paar Jahren betreut sie Firmenkunden bis zu einem Jahresumsatz von 15 Mio. Euro. Zum Zeitpunkt des Interviews ist sie im „Babyjahr“. Obwohl ihr der Job im Firmenkundenbereich sehr viel Spaß gemacht hat, wird sie nach der Pause nicht dorthin zurückkehren, sondern wieder im Geschäftskundenbereich anfangen. Die Anforderungen als Firmenkundenbetreuerin, insbesondere die vielen Überstunden und die Pflege gesellschaftlicher Netzwerke, ließen sich nicht mit einem Kleinkind vereinbaren. In Frau R.’s Sicherheitskonstruktion wird auf besondere Weise der Wandel betrieblicher Selektionskriterien und Bewährungsproben deutlich. Entscheidend für den Verbleib im Unternehmen ist die individuelle Leistung, d.h. das Erreichen der hohen Leistungsziele. Da Frau R. mit diesen Zielen bislang sehr gut zurecht-
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gekommen ist, hat sie sich auch wenig Sorgen um ihren Arbeitsplatz gemacht. Zu ihrer relativ hohen individuellen Sicherheit haben auch ihre Chancen am externen Arbeitsmarkt beigetragen, die sie zumindest bis zur Geburt des Kindes als sehr gut eingeschätzt hat, da es ihr gelungen ist, sich „einen guten Namen in der Region zu erarbeiten“. Inwieweit diese Chancen durch das Kind beeinträchtigt sind, vermag sie nicht wirklich zu beurteilen, vermutet aber, dass sie eher schlechter geworden sind. Frau R. hat während ihrer langjährigen Beschäftigung einen „extremen Wandel“ in der Bankenwelt (0:34) erlebt. So seien insbesondere die Leistungsanforderungen in den letzten Jahren sehr stark angestiegen. Am Anfang eines Jahres werde durch die Vorgesetzten festgelegt, wie viel Steigerung sie auf ihr bisheriges Geschäft zu bringen habe: „Also ich hab einen bestimmten Bruttobetrag, also Erlös, und den muss ich halt über’s Jahr bringen und der wird natürlich immer höher.“ (0:12) Einflussmöglichkeiten auf die Festlegung dieser monetären Ziele hat sie nicht. Den steigenden Leistungsdruck sieht Frau R. dabei nicht als bankspezifisches Phänomen, sondern als allgemeines Problem global agierender Unternehmen. Wer damit nicht zurechtkomme, sollte seinen Platz räumen: „Wenn man die steigenden Leistungsanforderungen so empfindet, dass es immer schlimmer wird, dann muss man sich fragen, ob man im Vertrieb richtig ist. Wenn man nicht mehr damit leben kann, muss man einfach sagen, man ist im Vertrieb nicht richtig angesiedelt.“ (0:18) Dennoch räumt Frau R. ein, dass „der Vertriebsjob in einer Bank sehr hart geworden ist“. Dadurch gibt es auch „sehr viele, die damit auch nicht mehr glücklich sind“ (0:21). Zum Selektionskriterium wird die individuelle Leistung deshalb, weil die Bank – so Frau R. – dazu übergegangen sei, sich von Mitarbeitern zu trennen, die diese Leistung nicht erbringen würden. Die Bankenwelt habe sich dahingehend gewandelt, „dass man einfach auch sagt ähm, dass sie sich dann vielleicht auch eher von Mitarbeitern trennt. Die machen das jetzt nicht so, dass gleich eine Kündigung ausgesprochen wird, das hab ich jetzt noch nicht erlebt, aber man wird dann halt versetzt oder so, dass man dann halt von sich aus dann halt irgendwann mal sagt, so, jetzt kündige ich“ (0:31). Beschäftigungssicherheit im Sinne langfristiger Planungshorizonte gebe es deshalb bei der Bank nicht mehr; man müsse sich „immer wieder jedes Jahr auf’s Neue behaupten“ (0:44) Wenn einem dies nicht gelinge, dann sei man draußen: „…man muss seine Leistung bringen und wenn man sie nicht bringt, sag ich, ist man weg. Ganz krass gesagt. Also’ ne Absicherung gibt es nicht mehr. Und auch selbst, wenn man viele Jahre dabei ist, na ja gut, dann ist halt die Abfindung höher, dann ist man halt teurer.“ (0:34) In der sozialen Praxis der Bank, wie Frau R. sie beschreibt, sind tradierte Senioritätsrechte für die betriebliche Beschäftigungssicherheit ohne Bedeutung.
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Die Zugehörigkeit zum Unternehmen wird immer wieder neu auf der Basis punktueller Leistungen verhandelt. Die Unternehmensmitgliedschaft wird damit zur dauerhaften Bewährungsprobe und die Leistung zum zentralen Bewährungskriterium. Damit hält Unsicherheit Einzug in die Regelungssysteme interner Märkte. Selbst Frau R. weiß nicht, ob sie den steigenden Leistungsanforderungen langfristig, mit zunehmendem Alter gewachsen sein wird. Es werde sich zeigen, inwieweit eine Kompensation des steigenden Drucks durch Erfahrung möglich sei. Bislang ist Frau R. mit den Leistungsanforderungen sehr gut zurechtgekommen. In diesem Sinn bewertet sie auch die leistungsabhängige Gehaltskomponente von 20% als sehr positiv und motivierend. Die Verwirklichung ihrer „leistungsbezogenen Sicherheit“ sieht sie jedoch auch durch mögliche Strukturveränderungen gefährdet, wie sie für börsennotierte Unternehmen typisch seien: „Es ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen, was an der Börse notiert ist, was als Zielstellung hat, Gewinne zu maximieren, sag ich mal, und wenn das alles nicht mehr funktioniert, wird von heute auf morgen beschlossen, die und die Veränderung vorzunehmen, siehe Allianz: 6000 Arbeitsplätze.“ (0:42) „Ausgehandelte Sicherheit“ – Herr C. ist 25 Jahre alt und arbeitet als Karosseriebauer in der Lackiererei eines großen Automobilherstellers. Er hat in dem Unternehmen eine Lehre zum Industriemechaniker gemacht, ist dann allerdings nicht ausbildungsadäquat in der Instandhaltung eingesetzt worden, sondern hat einen Arbeitsplatz in der Produktion angenommen. Insgesamt ist er jetzt seit acht Jahren in dem Unternehmen tätig. Die Beschäftigungssituation von Herrn C. ist durch eine Gleichzeitigkeit von Unsicherheit und Sicherheit gekennzeichnet. Auf der einen Seite ist die Angst um den Arbeitsplatz allgegenwärtig; sie ist Teil der Alltagserfahrung der Beschäftigten geworden und wird insbesondere, jedoch nicht nur, durch die Leiharbeiter in die Belegschaft transportiert. Unsicherheit durchdringt das Arbeitsgeschehen: „Also das ist immer ein ganz großes Thema. Vor allem, wenn wieder etwas Neues in den Medien war, das ist ja dann, das wird ja schnell rumgesprochen und das weiß dann auch jeder. Und dann gibt es eigentlich, die (die Leiharbeiter, d.A.) haben alle Angst, das geht jeden Tag, die denken immer, sie werden immer entlassen, jeden Tag. Wir natürlich auch. Haben schon Angst. Also es wird jeden Tag diskutiert. Das ist Hauptthema.“ (6)
Diese Angst insbesondere der Leiharbeiter „macht sich so breit“ (32) und prägt auch das Klima in den Teams. So liegt für Herrn C. die wichtigste Veränderung in den letzten Jahren auch nicht in strukturellen Neuerungen, sondern in einer spürbaren Unruhe, die das Klima im Unternehmen prägt. Dieses habe sich mit der Angst um den Arbeitsplatz „krass verändert“:
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VIII Ist Prekarität überall? „Das ist halt irgendwie die Unruhe, man spürt eine Unruhe. Man merkt das, wenn es brodelt, das kann man schlecht erklären, wie das ist, aber es ist halt immer diese Unruhe da. Es ist nicht mehr diese Gelassenheit da, die war früher stärker.“ (7)
In diesem Umfeld der Angst und Unruhe genießt Herr C. jedoch auf der anderen Seite eine temporär begrenzte Sicherheit durch die unternehmensintern zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung ausgehandelte Vereinbarung zur Beschäftigungssicherheit. Durch diese Vereinbarung habe sich bei den Festangestellten die Unruhe „etwas gelegt“ (38). Darin sei geregelt, dass für einen Zeitraum von sechs Jahren keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden dürften. Im Austausch für Sicherheit haben die Beschäftigten bis dahinauf eine Erhöhung des Entgeltes verzichtet und einer Ausweitung der Arbeitszeitkonten zugestimmt. Für Herrn C. besitzt diese „ausgehandelte Sicherheit“ eine hohe Verbindlichkeit: „Die Beschäftigungssicherheit ist ja vertraglich, ist unterschrieben, geht also nicht uns zu kündigen, total sicher.“ (32) Aufgrund dieser Beschäftigungssicherheit seien die Leute „dankbar und froh“ (26), wenn sie in dem Unternehmen arbeiten könnten. Es habe auch noch nie „richtig so Entlassungen“ (ebd.) gegeben. Sein gesamtes Team habe sich deshalb dafür ausgesprochen: „Die Stimmung im Team war auch so, dass jeder gesagt hat, wir machen das gerne. Wir verzichteten auf etwas, Hauptsache wir können die Beschäftigungssicherung haben. Das war die gesamte Stimmung im Team, dass alle gesagt haben, lieber Beschäftigungssicherung und dafür Einschnitte in anderen Sachen.“ (40) Trotz seiner uneingeschränkt positiven Bewertung der Beschäftigungssicherung artikuliert Herr C. im Verlauf des Interviews auch Zweifel an der ökonomischen Relevanz dieser Maßnahme und den legitimen Absichten des Unternehmens. Die Unsicherheit könne auch vom Unternehmen hergestellt sein: „Diese Ungewissheit, denkt man manchmal auch, wird vom Unternehmen geschürt, um die Produktivität zu erhöhen, könnte man vermuten.“ (48) In einem Umfeld von Ungewissheit und Angst um den Arbeitsplatz erlebt Herr C. durch die Beschäftigungssicherheit eine temporär begrenzte Sicherheit. Wie es für ihn danach weitergeht, kann er nicht sagen; seine gegenwärtige Situation erlaubt keinen darüber hinausgehenden Blick auf die Zukunft. „Na ja, ich mache mir nicht so viele Sorgen, weil man halt nicht weiß, was passiert. Das ist halt, was will man dagegen machen? Man nimmt es eben so hin und hofft halt das Beste, aber bis 2011, 2012 plane ich noch nicht.“ (42) Vielleicht sei dann die Gefährdung noch da, darüber wolle er jedoch nicht nachdenken (76). Wenn der Automarkt sich entspanne und die Wirtschaft wiederkomme, würden sie wohl weiter in dem Unternehmen beschäftigt bleiben: „…vielleicht bekommen wir
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dann eine neue Beschäftigungssicherung wieder dann mit neuen Einschnitten, die man dann machen kann. Man weiß es aber nicht. Aber das ist zu weit entfernt, soweit kann man nicht denken oder planen.“ (42) Das Sicherheitserleben von Herrn C. ist somit durch eine Gleichzeitigkeit von Unsicherheit und Sicherheit gekennzeichnet. Bei der „ausgehandelten Sicherheit“ bleibt das Beschäftigungsrisiko gerade dadurch virulent, dass es temporär aufgehoben wird. Sicherheit wird damit zu einem besonderen Gut, für das die Beschäftigten einen Preis zu zahlen bereit sind; Sicherheit wird zum „Allerwichtigsten“ (47). In diese „ausgehandelte Sicherheit“ ist nur eine mittelfristige Perspektive eingeschrieben. Möglich ist, dass mit der Nachfrage auch der Preis steigt. „Aufzehrende Sicherheit“ – Herr D. ist Mitte 40 und lebt in der Nähe des Automobilunternehmens, für das er tätig ist. Er arbeitet seit mehreren Jahren in der Lackiererei und ist dort Teamsprecher eines Teams von vier Mitarbeitern. In seinen Erzählungen während des Interviews wird eine paradoxe Sicherheitssituation erkennbar. Auf der einen Seite geht Herr D. von der relativen Sicherheit seines Arbeitsplatzes aus – „also relativ sicher muss ich jetzt sagen, relativ sicher, total sicher nicht“ (29) – während er auf der anderen Seite die konkreten Arbeitsbedingungen in einer Weise gestaltet sieht, die einer subjektiven Realisierung dieser Sicherheit entgegenstehen. Aus dieser Perspektive wird es für ihn zur zentralen Herausforderung, „sich nicht kaputt kriegen zu lassen“ (17) und den Wert und die Würde der Arbeiter im individuellen Kampf gegen betriebliche Strukturen zu realisieren, in die diese längst nicht mehr eingeschrieben sind. Die relative betriebliche Sicherheit, die Herr D. erlebt, beruht für ihn vorrangig auf der Leistungsfähigkeit und Produktivität des Standortes. Dies habe die Konzernleitung sehr beeindruckt, sodass der Standort im internationalen Verbund auch als Lerneinrichtung fungiere. Diese Sicherheitsindikatoren sieht Herr D. auch weiterhin am Wirken: „Das ist nach wie vor so. Ich denke nicht, dass man so eine Firma mit solchen Leuten einfach kaltstellen oder wegrationalisieren könnte. Da wurden auch schon Äußerungen gemacht halt, dass das nicht der Fall ist und (Name des Standortes) wichtig ist und wir sehr produktiv sind, wo andere erst mal hinschauen müssen und hinkommen müssen im Westen.“ (21)
Für den Standort existiert eine betriebliche Vereinbarung zur Beschäftigungssicherheit, der jedoch in den subjektiven Relevanzsetzungen von Herrn D. keine große Bedeutung zukommt. Zwar hofft er, dass nach deren Auslaufen eine neue Vereinbarung ausgehandelt wird; die Verbindlichkeit dieser Regelungen schätzt er jedoch als nicht besonders hoch ein, da sie nur unter weitgehend gleich blei-
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benden Bedingungen Gültigkeit besäßen und „betriebsbedingt extreme Dinge“ ausklammern würden (24). Die Wertschätzung, die dem Standort attestiert wird, sieht Herr D. jedoch betriebsintern in Bezug auf die Beschäftigten dieses Standorts verweigert. Er thematisiert in diesem Kontext den extrem hohen Leistungsdruck, der für die älteren Mitarbeiter eine „Riesenherausforderung“ sei. Der leistungs- und erfolgsbasierten Sicherheit des Standortes stehen die Leistungsgrenzen der Mitarbeiter gegenüber: „Da ist eine Grenze erreicht, spürbar sogar, also viele leiden schon eigentlich doch an hohem Leistungsdruck, der täglich besteht. Man muss sich das mal überlegen, das ist ja erbarmungslos dieses Band und diese tägliche Aufgabe. Von früh’s um sechs Uhr, dann geht das Band an und ich stehe dann in einem Bereich drin, wo es ziemlich ausgetaktet ist. Da ist nicht viel Raum. Eigentlich dürfte gar kein Raum sein, wenn man das ganz genau nehmen will. Nun ist es so, dass man vielleicht doch mal die Nase putzen kann kurz, obwohl das auch schwierig wird schon. Also da ist dann auch schon 8 Stunden, das dann durchzieht, eine Riesenherausforderung für 40-, 50- Jährige. Der Schnitt ist ja schon bei 43 bei (Name des Konzerns) jetzt momentan, sind die allermeisten, sind jetzt in den 40er Jahren wie ich auch.“ (5)
Dieser Leistungsdruck dürfe jedoch nicht dazu führen, dass die „Mitarbeiter einfach vor Angst immer schneller rennen“ (10). Vielmehr müsse man, um die Leistung auch langfristig zu erbringen, „leicht reingehen“ (11). So versucht er, die Angst zu unterdrücken: „Also diese Angst lass ich nicht aufkommen und wie soll ich sagen, das kann ich gar nicht zulassen, ich mach das nicht, das geht unter meine Würde und das mache ich nicht …“ (11). Im Umgang mit den Leistungsanforderungen ist – so beschreibt es Herr D. – somit eine reflexive Haltung notwendig, die konträr zum Wirkungsimpuls dieser Anforderungen steht. Um langfristig zu bestehen, müsse man die Anforderungen als Herausforderung annehmen, man dürfe nicht davon laufen, sondern müsse versuchen, ruhig zu bleiben, die Nerven zu behalten und die Rechte, die man habe, also das Recht sich zu beschweren und zu reden, auch nutzen (12). Wenn es einem nicht gelinge, eine solche Haltung zu entwickeln, könne man auch keine Bestätigung finden und „man fühlt sich dann wirklich als kleiner dummer Arbeiter, der nur rumschinden muss und ein armes Schwein ist eigentlich“ (12). Herr D. versucht also durch seine spezielle Haltung im Umgang mit den Leistungsanforderungen, reflexiv seinen Wert und seine Würde als Arbeiter aufrecht zu erhalten, weil die konkreten Arbeitsbedingungen dem entgegenwirken. Dadurch wird der tägliche Arbeitseinsatz für ihn zum Kampffeld. Hier gelte es, „Rückgrat“, „Zivilcourage“ und „Mut“ zu zeigen. Dies brauche man, um der
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zentralen Herausforderung des Arbeitslebens begegnen zu können: „…das ist die Herauforderung halt, sich nicht kaputt kriegen zu lassen und dann auch immer das wieder deutlich zu machen“ (17). Mit seinen Bemühungen möchte Herr D. dazu beitragen, eine Arbeitswelt zu schaffen, „wo Leute auch eine Würde behalten auch bis ins hohe Alter, begleitet werden bis in die Rente, einen gewissen Stand sich erarbeiten. Es kann nicht sein, dass Leute an solchen Dingen scheitern dann halt auch, dass ein Unternehmen schlechte Unternehmenskultur an den Tag legt. Oder auch keine und die Menschen gar nicht will, die einfach als was benutzt, was vielleicht auch los werden will und kann, wenn es denen passt“ (3f). Die Begriffe „Wert“ und „Würde“ stehen bei Herrn D. synonym für Anerkennungsverhältnisse, in denen die Prinzipien der Gegenseitigkeit und der Langfristigkeit Gültigkeit besitzen. Er möchte „gutes Geld“ haben, möchte Sicherheit haben und nicht an der Arbeit kaputt gehen; er möchte erreichen, dass die Arbeit noch ein bisschen erträglich ist, vielleicht sogar Freude macht. Dies bezeichnet er als seine „Vision“ (27). Damit macht er die Anerkennungsverhältnisse der Vergangenheit – Zukunftsgewissheit und Handlungsmacht - zur Vision für die Zukunft. Wie weit Herr D. sich mit dieser Vision von der tatsächlichen Arbeitsrealität entfernt sieht, macht er direkt im Anschluss an die oben zitierte Interviewpassage deutlich: „Aber es ist ja im Grunde genommen so, wenn man solche Dinge sagt, wirklich tatsächlich schon, als würde man daneben stehen oder woanders herkommen, als wäre man nicht ganz normal. Also da sag ich mir, was wollen die denn hier. Das steht im Grundgesetz, Recht auf Unversehrtheit, wollen wir da nicht mal dran arbeiten.“ (27) Herr D. erlebt somit insgesamt eine paradoxe Situation. Einerseits fühlt er sich im Unternehmen relativ sicher. Andererseits unterminiert gerade die leistungs- und erfolgsbasierte Sicherheit des Standortes jene Arbeitsbedingungen, die für die Beschäftigten eine Langfristperspektive erst ermöglichen würden. Für Herrn D. wird es deshalb zur zentralen und alltagsbestimmenden Kampfaufgabe, gegen den aufzehrenden Leistungsdruck Reziprozitätsverhältnisse wieder herzustellen, wie sie für betriebszentrierte Arbeitsmarktsegmentation konstitutiv waren. Dies ist seine Vision für die Zukunft. „Gewährte Sicherheit“ – Herr F. ist 34 Jahre alt. Er ist verheiratet und Vater einer kleinen Tochter. Kurz bevor Herr F. zu seinem jetzigen Arbeitgeber wechselte, hat er ein Haus gebaut, in dem die Familie nun lebt. Er arbeitet seit 2001 in einem großen Automobilunternehmen und ist dort als Techniker für die Planung von Anlagen zuständig. Herr F. hat bereits eine wechselhafte Berufslaufbahn hinter sich und dadurch Einblick in verschiedene Bereiche erhalten. Dabei hat er auch Erfahrung mit Unsicherheit und Entlassungen gemacht. Gerade in der letzten Firma, bei der
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er tätig war, konnte es passieren, „dass du von heute auf morgen rausgeschmissen wurdest. Also es ging wirklich schnell, also meistens nach dem Urlaub ist wieder einer rausgeschmissen worden.“ (5) Diese Praxis war entscheidend für seinen Arbeitgeberwechsel. Für die Beschäftigungssicherheit, die er nun genießt, hat er auch Abstriche in seinen Verdienstmöglichkeiten hingenommen (9). Seit er in dem Unternehmen tätig ist, sieht sich Herr F. als glücklichen Menschen: „…seither bin ich eigentlich, ja ein glücklicher Mensch, sagen wir mal so“ (4). Dafür ist - neben den guten Konditionen, die das Unternehmen bietet – insbesondere die betriebliche Beschäftigungssicherheit verantwortlich. Herr F. erlebt seine Situation als sehr sicher. Das Unternehmen wolle keine Menschen entlassen (43). Deshalb könne man dort auch ohne Angst arbeiten: „Für die Motivation ist das natürlich ein Riesending, weil du keine Angst haben musst. (…) Du arbeitest frei heraus, du bist gelassener (hm), du arbeitest äh wenig, mit weniger Druck. Ja. Du arbeitest einfach, ja natürlicher.“ (41) Vor diesem Hintergrund möchte Herr F. auch bis zur Rente in dem Unternehmen bleiben: „…also ich bleib bis zur Rente, wenn’s geht. Ich geh da nicht mehr weg.“ (7) Verantwortlich für die Beschäftigungssicherheit ist für ihn die besondere „Philosophie“ des Unternehmens. Der Unternehmensgründer sei ein Mensch gewesen, der gesagt habe, ein erfolgreiches Geschäft könne nur mit zufriedenen Mitarbeitern realisiert werden. Diese Maxime werde nach wie vor „ganz hoch gehalten“. Es heiße dort immer, „es geht nur miteinander“ (31). Auch für die Zukunft erwartet Herr F. keine Veränderung dieser wechselseitigen Bindung. Zwar geht er intern von einigen Umstellungen aus - unter dem erhöhten Kostendruck dürfe es nicht mehr sein, dass Menschen, die wenig Leistung bringen, unglaubliches Geld erhielten (28) -, die Beschäftigungssicherheit sieht er davon jedoch unberührt. In einem Kontext, in dem andere große Unternehmen Entlassungen vornehmen und massiven Personalabbau verkünden, erlebt sich Herr F. in einer absoluten Ausnahmesituation: er ist bei einem „Vorzeigebetrieb“ (4), einem „echten Traumarbeitgeber“ (8) tätig. Deshalb kann er auch jene überwiegend älteren Kollegen nicht verstehen, die sich über Kleinigkeiten wie die Kantine oder die Parkmöglichkeiten aufregen würden: „Ich hab oft gesagt, ihr wisst überhaupt nicht, was los ist auf der Welt. Ihr lebt hier (…) in irgendeiner kleinen Welt, die es sonst nirgendwo mehr gibt.“ (27) In dieser kleinen Welt bleiben die tradierten Bindungen zwischen Unternehmen und Beschäftigten erhalten und werden zugleich durch die Einbettung in einen veränderten betrieblichen Kontext transformiert. In einem Umfeld zunehmender Unsicherheit nehmen sie den Charakter des Außergewöhnlichen an. Damit verändert sich auch die Qualität der Bindung. Sie wird von Herrn F. als „ge-
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währtes Privileg“ erlebt, worin sich nicht nur das nunmehr Außergewöhnliche, sondern auch eine veränderte Positionierung der Beschäftigten ausdrückt. In dieser Bindung kann Herr F. nicht mehr als strategisch handelnder Akteur auftreten. Er sieht sich ohne Bedeutung für das Unternehmen und damit in seiner Handlungsmacht eingeschränkt: “Es ist jeder Mitarbeiter ersetzbar und zwar von heute auf morgen. Es wird kein Auto später gebaut wenn einer geht und deswegen sag ich, du hast als Mitarbeiter eigentlich wenig Machtinstrumente gegenüber, sag ich mal der Firma.“ (49) Die wechselseitige Bindung zwischen Betrieb und Beschäftigten, die einst auf der Einschränkung der Machtasymmetrie unter historisch einzigartigen Bedingungen beruhte, wie Burkart Lutz (1987) in seiner Analyse der Nachkriegskonstellation herausgearbeitet hat, wird nunmehr zum „gewährten Privileg“. In den Aussagen und Wahrnehmungen der Beschäftigten der Gruppe „Transformierte Sicherheiten“ wird eine neue Arbeitsmarktwirklichkeit deutlich. Im Unterschied zu den „Tradierten Sicherheiten“ erleben die Beschäftigten hier keine wechselseitige Bindung mit einklagbaren Rechten. Vielmehr ist das Beschäftigungsrisiko dauerhaft präsent und die Zugehörigkeit zum Unternehmen wird „konditioniert“ (Brose u.a. 2004: 295). Diese neue Konditionalität lässt sich mit den Begriffen der „Bewährung“ und „Gewährung“ erfassen. Im Fall der „leistungsbasierten Sicherheit“ erfolgt die Bewährung durch das Erreichen der individuellen Zielvorgaben, im Fall der „aufzehrenden Sicherheit“ durch den dauerhaften Kampf um die individuelle Leistungsfähigkeit. In den Fallbeispielen der „ausgehandelten Sicherheit“ und der „gewährten Sicherheit“ wurzelt die Bindung nicht mehr in einer Einschränkung der Machtasymmetrie, sondern wird vom Unternehmen gegen Zugeständnisse der Beschäftigten oder unabhängig von deren Handlungsmacht als Privileg gewährt. In den „Transformierten Sicherheiten“ sind somit Momente von Prekarität eingeschrieben, ohne dass den Beschäftigten dadurch jedoch eine betriebliche Perspektive genommen wird. Neue Unsicherheiten Die Beschäftigten dieser Gruppe zeichnen sich durch eine prekäre betriebliche Einbindung aus. Beschäftigungsrisiko und Arbeitsmarktkonkurrenz spielen in den subjektiven Konstruktionen eine zentrale Rolle. Die Zukunft bleibt für diese Beschäftigten ungewiss; Unsicherheit wird für sie zur neuen Normalität, der sich nur mit radikalen individuellen Lösungen, subjektiver Kapitulation oder kollektiver Ausblendung begegnen lässt. Diese Beschäftigten sehen sich in Verhältnissen verortet, die sie als zerstörerisch erleben und in denen sie ihre Handlungsmacht verloren haben; sie erleben sich als abhängig, ausgegrenzt und ausweglos. So ist es gerade die Art der betrieblichen Einbindung, die ihnen im
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Unterschied zu den „Transformierten Sicherheiten“ eine wirkliche Zugehörigkeit und betriebliche Perspektive verwehrt. „Erlebte Abhängigkeit“ – Frau Z. ist Ende 30 und gelernte Elektronikerin. Sie ist seit Mitte der 90er Jahre in der Fertigungsmontage eines Automobilwerkes tätig. Ihre Beschäftigungszukunft liegt für Frau Z. im Ungewissen: „Da muss ich sagen äh, also meine Eindruck ist, keiner weiß, was kommt, (hm) keiner weiß, wie lang geht das bei uns noch, wird unser Werk auch irgendwann mal geschlossen, keine Ahnung, weiß keiner, weiß auch ich nicht. Das weiß keiner.“ (41) Der Fortbestand des Werkes sei von einer einzigen Modellinie abhängig. Sollte dieses Modell nicht gut laufen, bestünde die Gefahr, dass der Standort aufgegeben werde: „…dann bin ich mir echt im Zweifel, weil dann, ich kann mir nicht vorstellen, dass gerade so ein kleines Werk wie wir auf Dauer immer gehalten werden soll“ (62). Frau Z. erlebt ihre eigene betriebliche Situation im Kontext veränderter gesellschaftlicher Anerkennungsverhältnisse. Diese seien insbesondere in Ostdeutschland durch „Feudalismus“ und „Abhängigkeit“ gekennzeichnet. Dabei beschreibt sie eine Transformation einstiger Möglichkeiten in neue Abhängigkeiten. Unter den veränderten Arbeitsmarktbedingungen wird Eigentum für die Beschäftigten zur Falle. „Das was jetzt statuiert wird am Osten, dass ist richtig harter Kapitalismus. Und ich sag immer, ich geh ja sogar noch ein Stück weiter, ich sag immer, das hat mit Kapitalismus nichts mehr zu tun, das ist Feudalismus. Was bei uns jetzt abgezogen wird. Weil, gib jeden sein kleines Fleckchen und der wird alles dafür tun, dass er es hält. Also gib ihm soviel Geld, dass er sich ein Haus bauen kann und er wird alles tun, er wird alles arbeiten, er wird alles geben, er wird von mir aus 50 Stunden in der Woche arbeiten, nur damit er das Haus halten kann. Weil er Schulden hat. Er muss ja was dafür tun, er kann ja nicht aufhören. Wissen sie wie ich das meine? Also ich bin auch Häuschenbesitzer. (Hm hm hm.) Ja? Wir haben auch ein Haus gebaut, mein Mann und ich und wir müssen uns jeden Monat Gedanken machen, kommt das Geld rein, wir müssen die Raten zahlen, wir wollen das Haus ja fertig zahlen. Und dann kommt, stellt sich immer die Frage, mach ich jetzt meine Klappe auf, weil ich so ein Gerechtigkeitsfanatiker bin und sag jetzt meine Meinung und muss damit rechnen, dass mein Geschäftsführer sagt, das war’s, auf Wiedersehen oder halt ich lieber meine Klappe?“ (13)
Und an anderer Stelle: „Das ist eine Abhängigkeit. Das ist einfach, der Normalbürger ist abhängig, nichts andres mehr als abhängig. (Hm hm.) Und mit jeden Schritt der gemacht wird in Deutschland, sag ich jetzt und grade im Osten extrem, wird der Bürger, der Normalbürger abhängiger gemacht. Mit jedem Schritt. Und ich gehör zu den Menschen (hm
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hm.) der eben sagt, ich verkaufe nicht meine Seele. Ich hab immer gesagt, ich verkauf mein Haus, aber nicht meine Seele.“ (14)
Innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges sieht Frau Z. den gesellschaftlichen Status der Arbeiter verändert. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Unsicherheit stehen hier Lebensprojekte und Existenzgrundlagen zur Disposition. „Die Arbeiter betteln drum, dass sie leben können, sag ich mal. Also das ist jetzt überspitzt. (Hm.) Hungern tut ja, sag ich mal, von den normalen Arbeitern noch keiner. Und, aber das der, der ständig nur kämpfen muss um seine Existenz, dass er sein Häuschen zahlen kann, dass er das und das. Und der Arbeitgeber, der Unternehmer wird immer reicher ...“ (55)
Diese Abhängigkeit im Kontext der allgemeinen Arbeitsmarktlage wirkt sich in der Sichtweise von Frau Z. auch im Inneren der Betriebe als Verlust der strategischen Handlungsfähigkeit der Beschäftigten aus. Die Angst um den Arbeitsplatz ermögliche die Einbindung und Motivation der Beschäftigten ohne entsprechende Gegenleistungen: „Die machen das schon so, dass sie eben sagen, also wie gesagt, wirklich die Leute in den Arbeitsprozess mit einbeziehen. (Hm.) Habt ihr Ideen? Habt ihr Vorschläge, wie wir zusammen als eine große Familie, ja, das alles nach vorne treiben können? (Hm hm.) Dass es uns besser geht, dass wir eure Arbeitsplätze erhalten können? Hier wird ja schon nicht mehr… Früher hat man mal davon geredet, dass wir euch eine Prämie bezahlen können für eure gute Arbeit, heute reicht es ja zu sagen, dass wir euren Arbeitsplatz erhalten können. (Hm.) Das war vor zehn Jahren noch anders. Jetzt haben sie es ja noch einfacher. Früher haben sie dann wirklich mal was springen lassen müssen oder so. Heute sagt man nur noch, dein Arbeitsplatz, Deutschland ist gefährdet, es gibt keine Arbeit mehr, also rette deinen Arbeitsplatz. So und das brauchen sie ja eigentlich gar nicht mehr sagen, weil das ja jeder weiß und jeder Angst davor hat, dass er den verlieren könnte.“ (21)
Am externen Arbeitsmarkt sieht sie für sich keine Alternative. Es fällt ihr zunehmend schwer, die monotone Arbeit zu ertragen: „Wenn sie mich fragen, wie es mir im Moment geht. (Ja genau.) Ich bin ständig am überlegen, ob ich einfach alles hinschmeiße da hinten. (Ja.) Ich hab nur leider keine Alternative, das ist das Problem.“ (62) „Kostenbasierte Unsicherheit“ – Frau I. ist Mitte 40 und arbeitet als Teamleiterin für den Inlandszahlungsverkehr im Backofficebereich einer großen deutschen Privatbank. Ihr Team besteht aus 12 Mitarbeiterinnen und sie sind vorrangig zuständig für die Verdatung von Überweisungen. Frau I. verfügt über eine Ausbildung zur Diplom-Ökonomin, die sie in der ehemaligen DDR durchlaufen
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hat. Sie ist Anfang der 90er Jahre als Seiteneinsteigerin zur Bank gekommen und hat als ungelernte Datentypistin angefangen. Frau I. erlebt ihre Situation und die ihres Teams als sehr unsicher. Seit Mitte der 90er Jahre habe es in der Bank mehrere große Strukturveränderungen gegeben, die insgesamt eine Reduzierung der Kosten im Backofficebereich zum Ziel gehabt hätten. In diesem Zusammenhang seien die Tätigkeiten aus den Filialen rausgeholt und in regionale Bearbeitungscenter konzentriert worden, um entsprechende Standardisierungseffekte zu nutzen. Für die Zukunft stünden weitere Kosteneinsparprogramme an; allein bis zum Jahr 2008 sollten mehrstellige Millionenbeträge eingespart werden (5). Vor diesem Hintergrund steht der Bereich, in dem Frau I. arbeitet, dauerhaft zur Disposition. Als Betriebsbereich stellt er für andere Unternehmensbereiche einen Kostenfaktor dar, der sich durch die Vergabe der Leistungen an externe Firmen eventuell reduzieren ließe. Da jeder Bereich seine eigene Leistungsverrechung hat, entsteht im Unternehmen eine Konkurrenz zwischen den Unternehmensbereichen: „Also da gibt’s schon wirklich, das ist nicht so, dass die Bank ist eine große liebe Familie, sondern da wird auf die Kosten geguckt. Da wird auf die Kosten geguckt. Und da wird eben gesagt, ihr seid uns zu teuer. Entweder ihr werdet billiger oder wir geben die Arbeit woanders hin. Das ist dieser Konkurrenzkampf, dass jeder Unternehmensbereich für sich sehen muss, wie viel kann ich erwirtschaften. Also es wird dann nicht alles in einen Topf geschüttet, sondern es wird wirklich pro Unternehmensbereich eben geguckt, wie viel Gewinn haben wir gemacht, wie viel Verlust haben wir gemacht. Und dadurch kommt die Konkurrenz.“ (4)
Zum Befragungszeitpunkt wurde der Bereich von Frau I. erneut auf Möglichkeiten zur Kostenreduzierung durchleuchtet. Frau I. geht davon aus, dass ein Teil der standardisierten Tätigkeiten ins Ausland verlagert wird und ein anderer Teil in eine Servicegesellschaft geht, die außerhalb des Bankentarifvertrags angesiedelt ist. Was mit den Mitarbeiterinnen ihres Teams passiert, konnte Frau I. zum Befragungszeitpunkt noch nicht sagen. Ihre eigene berufliche Zukunft hängt für Frau I. davon ab, wie lange die Bank das Transaction-Banking noch in ihrem Zuständigkeitsbereich toleriert. Heute seien Zahlen gefragt, da könne man niemanden mehr mitschleppen (28). Ihre Bank sei eine der wenigen Banken, die das Backoffice noch im Haus hätten: „Und das wird denen vorgeworfen von den anderen Banken oder von irgendwelchen Analysten, ja. Wird denen vorgeworfen, ihr schmeißt hier Geld zum Fenster raus. Ihr könntet noch ein bissel mehr Profit machen, wenn ihr das rausschmeißt. Und das haben sie eben bis jetzt noch nicht gemacht.“ (Ebd.)
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Seit Mitte der 90er Jahre lebt das Team von Frau I. somit in großer Ungewissheit. Diese Ungewissheit würde von den Mitarbeiterinnen jedoch ausgeblendet: „Und deswegen muss man sich dann auch einfach sagen, ok, was kommt, kommt. Da kann man sich nicht jeden Tag verrückt machen und sagen, bleibt meine Arbeit, geht meine Arbeit, muss ich woanders arbeiten. Das ist dann irgendwann so, da sagt man, puh, wenn’s kommt, kommt’s. Dann unterhalten wir uns wieder drüber, bis dahin tun wir so, als ob nichts ist. Wir wissen’s im Hinterkopf, aber man kann nicht jeden Tag mit der Katastrophe leben, das geht einfach nicht.“ (10) Im Zusammenhang mit den Strukturveränderungen erlebt Frau I. auch einen Anerkennungsverlust im Unternehmen. Das Arbeiten sei anonymer geworden; sie seien zwar noch eine Arbeitsstätte, würden also strukturmäßig zusammengehören, jedoch sei der Zusammenhalt nicht mehr da (3). Unzufrieden ist sie insbesondere mit der Informationspolitik des Unternehmens. So würden sie nur Informationen erhalten, die für die unmittelbare Arbeitsausführung von Bedeutung seien: „…ich hab jetzt so ein Gefühl, man ist ausgeschlossen in manchen Sachen, das man eben von wichtigen Informationen ausgeschlossen wird, bewusst oder unbewusst. Eh, dass man, also das ist alles so individuell, also meine subjektive Meinung oder mein Empfinden ist das, dass man nicht wirklich wichtig ist. Also ich geb’ Dir nur so viel Informationen, wie du brauchst, damit du arbeiten kannst, mehr brauchst du nicht, so.“ (25) Durch diese Entmündigung erlebt sich Frau I. als Ausgegrenzte innerhalb des eigenen Unternehmens: „…ich bin abgeschnitten. Ich bin einfach abgeschnitten, ich gehöre nicht dazu“ (26). „Erlebte Ausweglosigkeit“ – Herr M. ist 42 Jahre alt und gelernter Instandhaltungsmechaniker. Zu DDR –Zeiten arbeitete er im Untertagebau. Nach einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit hat er 1994 in einem Maschinenbauunternehmen angefangen, für das er bis heute tätig ist. Herr M. verfügt über keinen klar abgegrenzten Arbeitsbereich. Er ist verantwortlich für die Lagerverwaltung, d.h. die Warenannahme, -ausgabe und -prüfung, übernimmt jedoch ansonsten alle Arbeiten, die gerade anfallen. So wird Herr M. auch als Schweißer oder Dreher, in der Montage oder Lackiererei eingesetzt. Die erlebte Unsicherheit speist sich für Herrn M. aus zwei unterschiedlichen Quellen. Zum einen sieht er seinen Verbleib im Betrieb unmittelbar mit der Marktlage des Unternehmens verknüpft: „Das ist doch ganz einfach, wenn die nächste Woche keine Aufträge mehr kriegen, in den nächsten vier Wochen, dann bist du in acht Wochen draußen. So einfach ist das. So, dass da jetzt irgendwas passiert, so lang wie die Aufträge da sind, haut das auch einigermaßen hin, nehme ich mal an, dass sich da nichts tut in der Richtung. Aber so kannst Du das nie sagen, dass du da nach acht Wochen noch da bist. Da kannst du dich nicht so festlegen. Wenn die ab nächste Woche keine Aufträge mehr
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VIII Ist Prekarität überall? haben, was wollen sie denn machen? Nur aus Jux und Dollerei dich jetzt die nächsten drei Monate noch bezahlen oder wie auch immer, wenn sie doch selber kein Geld mehr haben. Was willst du denn machen. Und somit ist doch sowieso jeder Tag, es könnt der letzte sein in der Firma. Hast doch keine Sicherheit mehr. Schon gar nicht bei so einem kleinen Betrieb.“ (15f)
Neben dieser auftragsbezogenen Unsicherheit ist für Herrn M. zum anderen die Konkurrenz zu den Leiharbeitern von großer Bedeutung. Er erlebt, dass die Leiharbeiter im eigenen Betrieb für einen Bruchteil dessen arbeiten, was die Firma den Stammmitarbeitern zahlt. Dies konfrontiert ihn tagtäglich mit seiner eigenen Ersetzbarkeit: „Holen sich fünf Leiharbeiter und sofort bist du draußen. Die Arbeit, die wir haben oder jetzt machen, die kann jeder andere auch machen.“ (13f) Darüber hinaus sieht er sich in der Konkurrenz mit den Leiharbeitern auch auf dem externen Arbeitsmarkt als Verlierer. Er selbst käme nicht mal mehr bei einer Leiharbeitsfirma unter, weil er keine gültigen Zertifikate wie die Schweißerprüfung vorweisen könnte. „Tja was willst du denn manchen, wenn du rausgeschmissen wirst? (…) Was bleibt dir denn für eine Möglichkeit übrig? (…) Du kannst zwar alles, aber kannst es nicht richtig. Wo willst du dich bewerben oder anfangen? Gehst du bei eine Leihfirma, die nehmen dich auch nicht mehr, weil’ de die Prüfungen nicht hast.“ (13) Diese neue Unsicherheit bewirkt für Herrn M. auch einen veränderten gesellschaftlichen Status der Beschäftigten. Er sieht darin eine Entwicklung zum Sklavenhandel eingeschrieben: „Die Tendenz ist wie damals zum Sklavenhandel. Marktplatz, da kommt einer und sagt, heute brauch ich drei Mann. Da melden sich alle und sagt der, du, du und du. Und da gehen alle drei mit und morgen komm ich wieder und hol mir ein paar andere. Und da werden die richtig kaputt geknüppelt, wenn es gut geht und wenn die dann nicht mehr können, da sagt er, da nehme ich die Nächsten, die daneben stehen und sagt, du, du und du und morgen sehen wir uns wieder.“ (16f) In einem „Meer von Arbeitslosen“ würde diese Versuchung für die Unternehmen immer größer werden. Dem einzelnen Beschäftigten kommt keinerlei Bedeutung mehr zu, „weil jeder jeden ersetzen kann“ (17). Aus dieser Situation gibt es für Herrn M. kein Entrinnen. Er sieht keine Möglichkeiten einer Einflussnahme. Fortbildungen würden einen Haufen Geld kosten und trotzdem nichts bringen. So habe ein Kollege drei Jahre Englischunterricht genommen und sei immer noch im Unternehmen: „Hat wieder Weiterbildung gemacht. Nützt doch nichts.“ (14) In seiner eigenen Sichtweise kommt Herrn M. keine Arbeitsmarktmacht mehr zu; er erlebt seine Situation als aussichtslos. Die Beschäftigten der Gruppe „Neue Unsicherheiten“ zeichnen sich durch ein subjektives Erleben aus, wie man es eigentlich nur in Randbereichen des Ar-
4. Schlussfolgerungen
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beitsmarktes vermuten würde. Hier wird ein neuer Modus prekärer Einbindung im Zentrum der Arbeitsgesellschaft sichtbar. Für Frau Z. ist die Realisierung ihres Lebensprojektes ein Weg in die Abhängigkeit. Für sie symbolisiert ihr Haus nicht mehr den gesellschaftlichen Aufstieg, sondern ist zu einem Instrument der Erpressung geworden. Frau I. erlebt ihre Arbeitsmarktintegration als unvollständig. Reduziert auf das reine Funktionieren und nur auf Zeit in der Bank toleriert, sieht sie sich als Ausgeschlossene innerhalb des eigenen Unternehmens. Für Herrn M. ist seine Arbeitsmarktintegration dauerhaft gefährdet. Er hat nichts anzubieten, um eine Bindung an das Unternehmen zu begründen. Jederzeit ersetzbar, erlebt er seine Situation als aussichtslos. Die Beschäftigten dieser Gruppe erleben somit nicht nur einen Verlust ihrer Zukunftsgewissheit, sondern damit korrespondierend auch einen Verlust der Handlungsmacht. Sie sehen sich in Bedingungen verortet, die sie eigentlich nicht akzeptieren können und in denen ein Wandel der gesellschaftlichen Anerkennungsverhältnisse deutlich wird. 4. Schlussfolgerungen Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass Unsicherheit weit in das Zentrum der Arbeitsgesellschaft vorgedrungen ist. Auch in der „Zone der Stabilität“ (Castel) weisen die subjektiven Sicherheitskonstruktionen auf eine neue Qualität in der Bindung zwischen Betrieben und Beschäftigten hin. So deutet sich in den „Transformierten Sicherheiten“ an, dass die einst verbindliche wechselseitige Bindung durch eine neue Konditionalität von Bewährung und Gewährung ersetzt wird, wobei temporäre Sicherheiten beständig neu hergestellt werden müssen. Ebenso legen die „Neuen Unsicherheiten“ nahe, dass Ausgrenzungserfahrungen und prekäre Bindungen auch in Bereichen mit einer Tradition hoher Stabilität und Geschlossenheit möglich sind. Trotz dieser Veränderungen lässt sich mit Blick auf die Einzelfallanalyse eine „allgemeine subjektive Unsicherheit“ (Bourdieu 1998a: 97), wie sie von Bourdieu konstatiert wird, nicht bestätigen. Wie an den „Tradierten Sicherheiten“ deutlich wird, bieten institutionalisierte, um das Alter und die Dauer der Betriebszugehörigkeit gruppierte Schutzrechte eine noch verlässliche Basis für das subjektive Sicherheitserleben der Beschäftigten. Auch das Fallbeispiel der „gewährten Sicherheit“ kann gegen eine generalisierte Unsicherheit angeführt werden, wobei die Reziprozitätsbeziehung hier allerdings nicht mehr in einer strategischen Handlungsmacht der Beschäftigten wurzelt. Widersprechen unsere Ergebnisse somit Bourdieus Aussage einer „allgemeinen subjektiven Unsicherheit“ – nicht jede Bindung ist prekär -, so bestätigen
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sie ihn doch in einem anderen Punkt: Prekarität ist überall. Als Wirkungsmechanismus durchdringt sie das Arbeitsmarktgeschehen. Selbst bei der Gruppe der „Tradierten Sicherheiten“ wird die Legitimität institutionalisierter Schutzrechte durch die erlebte Unsicherheit der jüngeren Beschäftigten ebenso in Frage gestellt wie durch die parallele Etablierung leistungs- und erfolgsbezogener Selektionskriterien. Unsicherheit ist konstitutives Merkmal der „Transformierten Sicherheiten“; sie begründet die „ausgehandelte Sicherheit“ und liegt einer Wahrnehmung von Sicherheit als gewährtem Privileg zugrunde. Unsicherheit ist in leistungsbezogene Selektions- und Bewährungsproben eingeschrieben und strukturiert letztlich für einen Teil der intern Beschäftigten eine Arbeitsmarktrealität, in der sich ein neues Verhältnis von Einbindung und Ausgrenzung – von nur partieller, funktionaler Integration und Ausgrenzung innerhalb der Unternehmen – abzeichnet. In den subjektiven Sicherheitskonstruktionen der Beschäftigten deutet sich somit insgesamt ein grundlegender Wandel des Arbeitsmarktgeschehens an. Vieles spricht hier für die These einer Abkehr von jener Arbeitsmarktkonstellation des Fordismus, in der nach B. Lutz Beschäftigungsrisiko und Arbeitsmarktkonkurrenz in historisch einzigartiger Weise eingeschränkt waren. So wird in der Art, wie die Beschäftigten aus der Gruppe der „Transformierten Sicherheiten“ und der „Neuen Unsicherheiten“ ihre Einbindung erleben, eine Veränderung in der Machtasymmetrie zwischen Beschäftigten und Beschäftigern erkennbar. Der Verlust der Zukunftsgewissheit deutet auf die Virulenz von Beschäftigungsrisiko und Arbeitsmarktkonkurrenz hin. Diese Hinweise für eine Transformation interner Märkte (vgl. auch Kapitel II) verdichten sich in den Interviews mit Betriebsräten und Personalverantwortlichen. Das Beschäftigungsrisiko scheint über neue, an Kennzahlen orientierte Strategien der Unternehmenssteuerung Eingang in die internen Märkte zu finden. Insbesondere im Bankenbereich zeichnet sich ab, dass Unternehmenseinheiten, die die Zielvorgaben nicht erfüllen, zur Disposition gestellt werden. Dies trifft nach Auskunft von Beschäftigten und Betriebsräten mehrere großer Privatbanken auch auf die Beschäftigten zu. Die Banken würden versuchen, sich von sogenannten Minderleistern über Aufhebungsverträge mit Abfindungen zu trennen. Dies ermögliche, soziale Kriterien beim Personalabbau zu umgehen. In der sozialen Praxis der Banken scheinen sich damit Regelungsstrukturen zu etablieren, die nicht mehr um die Dauer der Betriebszugehörigkeit, sondern um die individuelle Leistung zentriert sind. Kennzahlenorientierte Strategien wirken auch im Produktionsbereich. Der Personalverantwortliche eines großen Zulieferunternehmens berichtet beispielsweise, dass jedes Jahr ein Produktivitätswachstum von 3% realisiert werden müsse. Dies könne entweder durch eine Steigerung des Produktionsvolumens,
4. Schlussfolgerungen
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interne Kosteneinsparungen im Rahmen innovativer Lösungen oder eben durch Personalabbau erreicht werden. Das Beschäftigungsrisiko wird auch hier zum Bestandteil der Unternehmenssteuerung. Mit der neuen Rechenbarkeit der Leistungen und Kosten scheint auch eine neue Arbeitsmarktkonkurrenz zu korrespondieren. Die Betriebsratsvorsitzende eines Automobilzulieferunternehmens beschreibt nachfolgend den Selektionsmechanismus dieser Strategie: „Wir sind eine europäische Firma und in Schweden (Sitz des Konzerns, d. A.) wird eben geschaut, wo wird am billigsten gebaut. Da sagt man, Preis-Leistungs-Verhältnis, kannst du fast nix sagen, Lohngefüge muss eben bei uns hier niedriger sein als zum Beispiel Braunschweig, das ist unser größter Konkurrent in Deutschland. Braunschweig hat ein Lohngefüge, dass hier bei einem Stückpreis, kannst du ruhig sagen, bei 30 Cent liegt. Lohnminute bei 30 Cent liegt. Und bei uns lag sie bei 46 Cent. Und da ist natürlich klar, wo baue ich, dann gibt es noch eine Türkei, da ist die Lohnminute bei 9.“ (13)
Um konkurrenzfähig zu bleiben, wurde in dem Unternehmen das Akkordlohnsystem im Austausch gegen eine zweijährige Beschäftigungssicherung durch ein Zeitlohnsystem ersetzt, was mit gravierenden Einschnitten für die Beschäftigten verbunden war. Der neue Lohn liege jedoch über Hartz IV: „Sie liegen auf jeden Fall über Hartz IV und was anderes wird nicht mehr bezahlt.“ (13) In den Aussagen der Betriebsräte und Personalverantwortlichen deutet sich ebenso wie in den Sicherheitskonstruktionen der Beschäftigten eine neue Qualität der Bindung zwischen Unternehmen und Beschäftigten an. Beschäftigungsrisiko und Arbeitsmarktkonkurrenz, deren Einschränkung B. Lutz als historische Leistung der wohlfahrtsstaatlichen Konstellation der Nachkriegszeit konstatiert hat, scheinen auf neue Weise Einzug in die internen Märkte zu halten. Es verdichten sich die Anzeichen für eine leistungs- und erfolgsbasierte Transformation dieser Märkte und damit eine Arbeitsmarktkonstellation, in der Prekarität im Begriffsverständnis von Bourdieu einen zentralen Wirkungsmechanismus darstellt.
IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im
Normalarbeitsverhältnis Qualitative und quantitative Befunde Janine Bernhardt – Christoph Köhler – Alexandra Krause
1. Einleitung In der gegenwärtigen öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskussion mehren sich die Stimmen, die eine kollektive Verunsicherung – ausgehend von den gesellschaftlichen „Rändern“ – nun auch für die Mitte der Erwerbsgesellschaft in Aussicht stellen. Wurde in den vergangenen Jahren einerseits auf die verunsichernden Wirkungen flexibler Beschäftigungsformen für die betroffenen Arbeitnehmergruppen hingewiesen, rücken andere Autoren die sozialen Abstiegsängste der etablierten und integrierten Arbeitnehmermitte zunehmend ins Blickfeld. Die „soziale Frage“ wird damit zu Beginn des 21. Jahrhunderts erneut zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Kontroversen. Folgt man den kritischen Zeitdiagnosen Pierre Bourdieus (1998a) oder Robert Castels (2000, 2005), so erodiert die einstige Erwartungssicherheit weiter Teile der abhängig Beschäftigten und führt zu einer Generalisierung subjektiver Unsicherheit auch von Beschäftigten in den so genannten Normalarbeitsverhältnissen1. Empirische Befunde Trend- und Längsschnittanalysen weisen eine generelle Zunahme subjektiver Arbeitsplatzunsicherheit in Deutschland nach (OECD 1997; Green 2003; European Foundation Report 2006; Heitmeyer 2006a; Hübler, Hübler 2006; Krause u.a. 2007). Darüber hinaus ist die wahrgenommene Arbeitsplatzunsicherheit deutscher Beschäftigter im Vergleich zu anderen europäischen Ländern überdurchschnittlich hoch (Erlinghagen 2007). Aber auch innerhalb Deutschlands wird immer wieder auf beträchtliche regionale Differenzen hingewiesen. Insbesondere ein massiver Anstieg wahrgenommener Arbeitsplatzrisiken in Ostdeutschland zu Beginn der 1990er Jahre wird auf die (antizipierten) Folgen der 1
Das Normalarbeitsverhältnis bezeichnet nach Mückenberger (1985: 423) ein abhängiges, unbefristetes und Existenz sicherndes Vollzeitbeschäftigungsverhältnis, das arbeits- und sozialrechtlich abgesichert ist.
276 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis deutschen Wiedervereinigung zurückgeführt (Green 2003; Hübler, Hübler 2006). In den Folgejahren näherten sich die Sicherheitserwartungen ost- und westdeutscher Beschäftigter langsam einander an, der Niveauunterschied bleibt allerdings bestehen, wie aktuelle Untersuchungen belegen (Hübler, Hübler 2006; Zok 2006; Krause u.a. 2007). Allerdings beziehen sich quantitative Analysen subjektiver Arbeitsplatzunsicherheit in der Regel auf die gesamte Erwerbsbevölkerung, so dass systematische Untersuchungen der Sicherheitslage und Sicherheitskonstruktionen in der erwerbsgesellschaftlichen Mitte bislang kaum vorliegen. Trifft die These einer verallgemeinerten subjektiven Unsicherheit zu, müsste die Auflösung von „Kontinuitätserwartungen und Zukunftsgewissheit“ (Osterland 1990: 352) die Mitte der Erwerbsgesellschaft erreicht und auch Beschäftigte in bislang formal gesicherten Normalarbeitsverhältnissen erfasst haben. Eine Reihe an Studien liefert erste empirische Anhaltpunkte für diese These. Qualitative Untersuchungen weisen auf Statusunsicherheit und Angst vor sozialem Abstieg in der Arbeitnehmermitte hin, die insbesondere auf Erwartungsunsicherheiten im Erwerbskontext zurückgeführt werden (Flecker, Krenn 2004; Brinkmann u.a. 2006; Vester, Teiwes-Kügler 2007). Die subjektive Sicherheitslage der Mitte hängt demzufolge eng mit der wahrgenommenen Sicherheit ihres Beschäftigungsverhältnisses zusammen. Mansel u.a. (2006) legen für diesen Zusammenhang repräsentative Ergebnisse vor: Im Rahmen eines laufenden Forschungsprojektes von Heitmeyer können sie zeigen, dass 2005 ein Viertel der Erwerbstätigen in mittlerer Soziallage erwartete, in den nächsten Jahren von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein; die Angst vor Arbeitslosigkeit fiel mit über 40 Prozent sogar noch höher aus. Vor dem Hintergrund unserer Befunde zu wissenschaftlich beobachteten „realen“ Beschäftigungsrisiken (Kapitel II-VI) sind diese Ergebnisse überraschend. Unsere Analysen verweisen zwar auf einen Externalisierungsschub auf dem Arbeitsmarkt, der bisher jedoch eher die Ränder und nicht das Zentrum geschlossener Beschäftigungssysteme erreicht hat. Während die überdurchschnittliche Verunsicherung von Beschäftigten in nicht-standardisierten Beschäftigungsformen gerade auf die Abweichung ihrer Beschäftigungsbeziehung vom Normalarbeitsverhältnis zurückgeführt werden kann, stellt die Analyse möglicher Veränderungen in den Sicherheitskonstruktionen der Arbeitnehmermitte eine größere Herausforderung dar. Spätestens seit den Analysen von Franz Xaver Kaufmann zum Sicherheitsparadoxon (1973, 2003) wissen wir, dass wahrgenommene Risiken keineswegs das Abbild „realer“ Risiken sein müssen, sondern vielmehr Ausdruck subjektiver Konstruktionen sind, die auf vielfältige ökonomische, soziale und kulturelle Herausforderungen antworten (z.B. Erlinghagen
1. Einleitung
277
2007, Silbereisen, Pinquart 2008). Auch dürfte dabei der jeweilige mediale Diskurs eine große Rolle spielen. Wo liegen also die möglichen Ursachen einer steigenden Verunsicherung der faktisch noch immer stabil und sicher beschäftigten Arbeitnehmermitte? Die im vorhergehenden Kapitel (VIII) dokumentierte Studie hat einen qualitativen Zugang gewählt, um dieser Frage nachzugehen. Auf der Basis von Fallstudien in Banken und Metallunternehmen wurde die Wahrnehmung und Verarbeitung von (Un-) Sicherheit bei Normalbeschäftigten untersucht. Die Transformation bisheriger Sicherheiten sowie neue Unsicherheiten standen dabei im Mittelpunkt. Unser Beitrag fokussiert ebenfalls auf die Arbeitnehmermitte, setzt dann aber einen anderen Schwerpunkt. Drei Fragen stehen dabei im Zentrum der Analyse: -
Können wir tatsächlich nicht nur veränderte Sicherheitskonstruktionen, sondern auch deren Generalisierung in der Mitte der Gesellschaft beobachten? Unterscheiden sich bestimmte Beschäftigtengruppen innerhalb der Arbeitnehmermitte im Niveau ihrer Arbeitsplatzunsicherheit? Ist die Unsicherheit von Normalbeschäftigten bloßer Ausdruck des aktuellen medialen Flexibilisierungsdiskurses oder durch Merkmale ihrer Beschäftigungsbeziehung selbst zu erklären?
Ziel unserer Analyse ist es, diese Fragen anhand eines für Ost- und Westdeutschland repräsentativen Datensatzes zu untersuchen. Wir beziehen uns daher auf die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung von 2005/2006. Zugleich wollen wir eine rein „variablensoziologische“ sekundäranalytische Herangehensweise vermeiden. Zu diesem Zweck führen wir unsere quantitativen Analysen auf der Grundlage einer explorativen Untersuchung leitfadengestützter Interviews von Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen durch. Dabei werden zentrale Dimensionen der Sicherheitskonstruktionen von Normalbeschäftigten herausgearbeitet, die dann für die quantitative Analyse operationalisiert werden. Unser Beitrag geht in vier Schritten vor: Zunächst entwickeln wir den theoretischen Hintergrund unserer Untersuchung und greifen dazu auf das Konzept des „psychologischen Vertrages“ zurück. Daran anschließend stellen wir die Ergebnisse unserer explorativen Analyse vor. Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse unserer quantitativen Analyse dokumentiert und interpretiert. Wir schließen mit der Zusammenfassung unserer Ergebnisse und diskutieren die Frage, welchen Beitrag unsere Befunde zur Debatte um die kollektive Verunsicherung der Arbeitnehmermitte in Deutschland leisten können.
278 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis Das Konzept des psychologischen Vertrages Hintergrund unserer Analysen sind Theorien interner Arbeitsmärkte (Kapitel II, V), die davon ausgehen, dass Arbeitsmärkte im Gegensatz zu Gütermärkten eine inhärente Tendenz zur Schließung der Vertragsbeziehung gegenüber der Konkurrenz aufweisen. Arbeitgeber sind an der bedarfsgerechten Verfügbarkeit qualifizierten Personals interessiert, während Erwerbstätige in modernen Gesellschaften in der Regel auf Einkommen aus dem „cash-nexus“ abhängiger Arbeit angewiesen sind. Konsequenterweise bilden Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherheit eine zentrale Präferenz, Ökonomen unterstellen sogar eine prinzipielle RisikoAversion von Beschäftigten. Da beide Arbeitsmarktparteien unter bestimmten Voraussetzungen Interesse an einer Schließung der Tauschbeziehung haben, entstehen in Erwerbsorganisationen interne Arbeitsmärkte bzw. geschlossene betriebliche Beschäftigungssysteme, die einen – immer relativen – Schutz gegenüber dem externen Arbeitsmarkt bieten. Wir differenzieren dann nach dem dominanten Regulationsmodus zwischen senioritätsbasierten und leistungsbasierten Beschäftigungssystemen (Kapitel II). Das Konzept des psychologischen Vertrages kann als akteurstheoretische und neo-institutionalistische Fundierung der Theorien interner Arbeitsmärkte gelesen werden. Es geht davon aus, dass arbeitgeber- und arbeitnehmerseitige Erwartungen und Angebote in der Beschäftigungsbeziehung so genannte implizite bzw. psychologische Kontrakte formen (Rousseau 1989, 1990, 1995, 1996). Als psychologischer Vertrag bezeichnet wird „an individual’s belief in mutual obligations between that person and another party, such as an employer. This belief is predicated on the perception that an exchange of promises has been made […] to which the parties are bound” (Rousseau 2000). Psychologische Verträge sind durch die wechselseitigen Erwartungen und Verpflichtungen beider Arbeitsmarktparteien charakterisiert, die über den formalen, zumeist relativ unspezifizierten Arbeitsvertrag hinausgehen und keinen juristischen Geltungsanspruch haben. Konstitutives Element ist darüber hinaus die Reziprozität dieser wechselseitigen Erwartungen. Rousseau differenziert – je nach Ausprägung der Tauschbeziehung von Beschäftiger und Beschäftigten – zwischen verschiedenen Vertragsarten. So versprechen „relationale Kontrakte“ langfristige Arbeitsplatzsicherheit gegen Loyalität. Demgegenüber zeichnen sich „balancierte Kontrakte“ ebenfalls durch langfristige Tauscharrangements aus, wobei die Sicherheit des Arbeitsplatzes aber an die Erfüllung individueller Leistungsziele geknüpft ist. Im balancierten Kontrakt wird Sicherheit also gegen eine hohe Arbeitsleistung getauscht. „Transaktionale Kontrakte“ hingegen währen nur kurz und basieren auf einem rein ökonomischen Austauschverhältnis von Lohn gegen Leistung. Beide Arbeitsmarktparteien
1. Einleitung
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empfinden es als legitim, die Beschäftigungsbeziehung zur Nutzung vorteilhafter Alternativen auf dem externen Arbeitsmarkt jederzeit aufzulösen. „Transaktionale Kontrakte“ entsprechen offenen betrieblichen Beschäftigungssystemen, „relationale“ bzw. „balancierte“ Kontrakte geschlossenen Systemen mit senioritätsbzw. leistungsbasierter Regulierung. Vor dem Hintergrund steigender Flexibilitätsanforderungen an Unternehmen wird nun eine zunehmende Ausdifferenzierung betrieblicher Beschäftigungspolitiken und Tauscharrangements erwartet (Brose u.a. 2004; Raeder, Grote 2004). Im Zuge dessen gerät der traditionelle psychologische Vertrag von „Loyalität gegen Sicherheit“ verstärkt unter Druck (Kirpal, Biele Mefebue 2007). Konstatiert wird eine „konservative bis drastische Veränderung psychologischer Kontrakte“, die auf eine Abkehr von traditionellen Sicherheitsgarantien hinweist (Raeder, Grote 2001: 356). Die Autorinnen prognostizieren die Herausbildung eines neuen Vertrages, der zum einen nicht mehr Arbeitsplatzsicherheit, sondern Beschäftigungssicherheit verspricht – mithin die Sicherheit, im Falle des Arbeitsplatzverlustes auf dem externen Arbeitsmarkt wieder eine geeignete Stelle zu finden. Zum anderen werden die vormals dominierenden Vertragsbestandteile der Loyalität und Seniorität zusehends durch eine hohe Leistungsund Ergebnisorientierung der Beschäftigten ersetzt. In diesen „transaktionalen Kontrakten“ wird Arbeitsplatzsicherheit den Autorinnen zufolge weder von Arbeitnehmern noch von Arbeitgebern als zentraler Bestandteil ihrer Beschäftigungsbeziehung angesehen. Eine Reihe empirischer Befunde lässt Zweifel an der These einer generellen „Akzeptanz von Unsicherheit“ (Raeder, Grote 2001) aufkommen. Zunächst ist mehrfach auf gestiegene Arbeitsplatzsorgen innerhalb der letzten Jahre (European Foundation Report 2006; Krause u.a. 2007) und auch negative gesundheitliche Folgen subjektiver Arbeitsplatzunsicherheit hingewiesen worden (vgl. Badura u.a. 2006), was auf eine anhaltende existenzielle Relevanz von Arbeitsplatzsicherheit in modernen kapitalistischen Wirtschaftssystemen schließen lässt. Darüber hinaus relativieren Raeder und Grote die Annahme eines Bedeutungsverlustes von Arbeitsplatzsicherheit anhand einer Folgestudie selbst. Darin untersuchten sie die wahrgenommene Fairness psychologischer Verträge in Unternehmen mit unterschiedlichem Flexibilisierungsgrad. Die Ergebnisse zeigen, dass arbeitnehmerseitige Sicherheitserwartungen und arbeitgeberseitige Sicherheitsangebote in Unternehmen, die ein hohes Ausmaß an Flexibilität aufweisen, signifikant auseinander fallen. Im Hinblick auf die Leistungsziele stimmen ihre wechselseitigen Angebote und Erwartungen hingegen überein (Raeder, Grote 2004). Aus unserer Sicht sprechen diese Befunde für eine hohe Leistungsorientierung der Beschäftigten, die jedoch mit einem ungebrochenen Bedürfnis nach Arbeitsplatzsicherheit einhergeht. Diese Interpretation wird auch durch
280 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis unsere eigenen Untersuchungen zur Transformation interner Arbeitsmärkte gestützt. Diese weisen auf eine Bedeutungszunahme leistungsbasierter Beschäftigungssysteme hin, in denen das arbeitgeberseitige Versprechen langfristiger Arbeitsplatzsicherheit zwar bestehen bleibt, im Unterschied zu senioritätsbasierten Systemen allerdings stärker an die individuelle Erfüllung von Leistungszielen geknüpft wird (Kapitel II, VII). Wir gelangen zu folgenden Schlussfolgerungen: Arbeitsplatzsicherheit stellt nach wie vor für die Mehrheit der Beschäftigten eine zentrale Dimension der Beschäftigungsbeziehung dar. Sie werden daher sowohl auf „reale“ als auch auf „gefühlte“ Risiken mit Sicherheitskonstruktionen reagieren, die wir zu erfassen suchen. Zur Sicherung des Arbeitsplatzes auf internen Arbeitsmärkten und in Normalarbeitsverhältnissen sind allerdings unterschiedliche Kontrakte möglich, von denen wir die folgenden als zentral ansehen: Das „traditionelle“ Versprechen von Sicherheit gegen Seniorität und Loyalität (senioritätsbasierter relationaler Kontrakt) sowie Qualifikation und Leistung gegen Sicherheit (leistungsbasierter balancierter Kontrakt). Angesichts der konstatierten Veränderungen interner Arbeitsmärkte und psychologischer Verträge vermuten wir dabei eine Dominanz von „balancierten“ gegenüber „relationalen“ Kontrakten. Ausgehend davon ist unsere empirische Untersuchung folgendermaßen angelegt: In einem ersten Schritt werden die Inhalte des senioritäts- versus leistungsbasierten Kontrakts anhand unserer explorativen qualitativen Analyse der Sinnkonstruktionen von Beschäftigten aus der Mitte der Erwerbsgesellschaft herausgearbeitet. Die „Mitte“ wird dabei von Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen repräsentiert, da sich bestehende Kündigungsschutzregelungen an diesem erwerbsgesellschaftlichen Normalfall orientieren und auch empirisch belegt wird, dass „Normalbeschäftigte“ von einer im Vergleich zu anderen Arbeitsvertragsformen hohen Beschäftigungsstabilität und damit von einem verhältnismäßig sicheren Arbeitsplatz ausgehen können (Kapitel III, IV). Auf Grundlage der Hinweise, die wir dabei finden, entwickeln wir unsere Indikatoren, die wir im zweiten Schritt dann in der multivariaten Analyse des repräsentativen Datensatzes verwenden. Hier steht dann zunächst die Frage im Mittelpunkt, ob wir Belege für die These der Generalisierung von Unsicherheit in der Arbeitnehmermitte finden können. Daran anschließend untersuchen wir, inwiefern die Sicherheitserwartung der Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen tatsächlich mit der eigenen Leistung oder mit dem im Betrieb erworbenen Status zusammenhängt. Darüber hinaus gehen wir auch der Frage nach, welche weiteren Faktoren, etwa des Betriebes und der Person, eine Rolle für die wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit spielen.
2. Sicherheitskonstruktionen der Arbeitnehmermitte
281
2. Sicherheitskonstruktionen der Arbeitnehmermitte – Ergebnisse der explorativen Analyse Für die qualitative Untersuchung greifen wir auf 52 problemzentrierte Interviews (Witzel 2000) zurück, die Anfang 2006 im Rahmen einer Lehrforschung entstanden sind (vgl. Bernhardt u.a. 2007). Um unser Sample erwerbsphasenspezifisch einzugrenzen, beschränkt es sich auf Normalbeschäftigte, die zum Erhebungszeitpunkt über mindestens 10 Jahre Berufserfahrung verfügten und eine Altersgrenze von 45 Jahren nicht überschritten. Da wir davon ausgehen, dass Ostdeutschland im Hinblick auf den Strukturwandel am Arbeitsmarkt eine Vorreiterrolle übernommen hat, wurden überwiegend ostdeutsche Beschäftigte befragt. Die Befragten kommen aus acht verschiedenen Branchen, die Bereiche mit stabilen und instabilen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Industrie- und Dienstleistungssektor repräsentieren (vgl. Tabelle A.1 im Anhang; Kapitel V). Unsere Untersuchungsfragen richten sich zum einen auf die Wahrnehmung von Risiken des Arbeitsplatzverlustes und zum anderen auf die dieser Wahrnehmung zugrunde liegenden Begründungszusammenhänge. Die Problemzentrierung der Interviews erfolgte deshalb unter zwei Gesichtspunkten: In einem ersten Themenkomplex wurden die Interviewpartner zu ihrem betrieblichen Umfeld befragt und gebeten, die wirtschaftlichen und personalpolitischen Rahmenbedingungen des beschäftigenden Unternehmens einzuschätzen. In einem zweiten Themenkomplex war die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes zentral. Dabei wurde versucht, nicht nur die Deutung der eigenen Sicherheitslage im Betrieb, sondern auch daran geknüpfte Handlungsorientierungen offen zu legen. Insgesamt ist unsere Samplingstrategie aufgegangen: Fast alle Befragten sind in Arbeitsbereichen tätig, in denen unbefristete Arbeitsverträge und langfristige Beschäftigungsperspektiven dominieren und die wir daher als geschlossene betriebliche Beschäftigungssysteme bezeichnen können (Kapitel II). Die Konstruktion und Deutung der eigenen Sicherheitslage beschränkt sich allerdings nicht auf „traditionelle“, an die eigenen betrieblichen Statusrechte auf dem internen Arbeitsmarkt geknüpfte Sicherheitserwartungen. Zwar finden wir durchaus auch senioritätsbasierte Sicherheitskonstruktionen, die wir im Sinne eines relationalen Kontrakts interpretieren können. Das unser Sample dominierende Deutungsmuster knüpft Arbeitsplatzsicherheit jedoch vor allem an individuelle Leistung. Beide Deutungsmuster werden im Folgenden vorgestellt. Ein weiterer Aspekt, der sich auch in unserem Sample als zentral erweist, ist schließlich die wirtschaftliche Lage des Betriebs. Während auf Seniorität oder Leistung gründende Deutungsmuster vor allem von denen entwickelt werden, die ihre eigene Arbeitsplatzsicherheit als relativ hoch einschätzen, erweist sich die
282 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis betriebliche Lage allerdings eher als zentraler Unsicherheitsfaktor. Eine ausführliche Darstellung dieser Befunde findet sich bei Bernhardt u.a. (2007). Sicherheit gegen Leistung: Elemente des „balancierten Kontrakts“ In dieser Sicherheitskonstruktion wird Arbeitsplatzsicherheit – quer zu Branchen, Berufen und Qualifikationsniveaus – vordergründig über die persönliche Leistung in Form von Überstunden, Zielerfüllung und Flexibilität konstruiert2. Diese Beschäftigten begründen ihre Sicherheit kaum mit der guten wirtschaftlichen Lage bzw. Marktposition des arbeitgebenden Unternehmens, obwohl sie diese vielfach als gut oder sehr gut einschätzen. Auch wenn sie den Unternehmenserfolg als zentralen Faktor nennen, stellen die Befragten einen direkten Bezug zum eigenen Beitrag her.3 Sparkasse, Kundenberaterin, 42 Jahre, wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit 100%: „Ich meine, wenn ich meine Ziele erfülle, dann läuft das Unternehmen gut, weil ich bin ja am Markt, ich habe die Gelder reinzuholen, ich erwirtschafte das Geld, und wenn ich meine Ziele nicht erfülle, dann ist es auch für die Firma schlecht, weil dann werden die Ziele nicht erfüllt, das Geld kommt nicht rein und dann kann es zu Folgen kommen. Das ist schon eine hohe Verantwortung, die man hat“. (BkV: 10)
Eine lange Betriebszugehörigkeit wird von den Beschäftigten in diesem Zusammenhang als Folge und Erfolg fortwährenden persönlichen Leistungseinsatzes interpretiert und trägt nicht als einzelnes Argument für eine hohe Sicherheitserwartung. Vor diesem Hintergrund erleben die leistungs- und ergebnisorientierten Beschäftigten ihren Arbeitsplatz oftmals nur als relativ sicher. LKW-Werkstatt, Kfz-Meister, 45 Jahre, wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit 70%: „Wo ich meine Sicherheit hernehme? Die kriege ich daher, dass ich mich jeden Tag neu engagiere und meine Manpower reinsetze und dadurch die Werkstatt möglichst optimal, optimal zu führen. Und dadurch möglichst hohe Deckungsbeiträge zu erzielen. [...] Ich fühle mich durch Leistung, die ich bringen kann, relativ sicher in, wollen wir mal sagen, sehr starker Unsicherheit, die von Druck geprägt ist. Man muss halt sehen, wie man damit lebt“. (M: 9)
Deshalb spielen in den leistungsbasierten Sicherheitskonstruktionen auch Rückmeldungen seitens der direkten Vorgesetzten eine wichtige Rolle4. Die Aner2 3 4
Fälle BkV: 4, 10; C: 3, 5, 8; G: 3, 10; H: 1, 2; M: 1, 6, 9, 14; P: 1, 2; UnD: 2, 3, 4, 5 Fälle BkV: 4,10; C: 3,5,8; G: 3,10, M: 1,6,9,14; UnD: 2,3,4,5 Fälle BkV: 4,6; C: 5; H: 2; M: 1,8,9; UnD: 3
2. Sicherheitskonstruktionen der Arbeitnehmermitte
283
kennung der Leistung durch Vorgesetzte oder eine Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg wird als Bestätigung und Wertschätzung ihres Engagements für das Unternehmen empfunden. Dabei stellen die Beschäftigten stets den damit verbundenen Sicherheitsaspekt zentral. Ihre Bestrebungen zielen dann nicht selten darauf ab, innerhalb des übertragenen Aufgabenbereiches ein ganz eigenes und damit für den Arbeitgeber schwer substituierbares Profil zu gewinnen, beispielsweise über spezielle Qualifikationen und Kompetenzbereiche, ein hohes Maß an Eigenverantwortung oder persönliche Netzwerke.5 Besonders charakteristische Profile sind bei Beschäftigten unternehmensnaher Dienstleistungen zu finden, die sich sehr stark mit ihrer Tätigkeit identifizieren. Personalvermittlung und Zeitarbeitsfirma, Niederlassungsleiterin, 42 Jahre, wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit 70%: „Na ja, dadurch, dass ich halt sehr flexibel bin und immer präsent am Markt, denke ich schon, dass ich meine Zahlen schaffen werde und demzufolge auch eine gewisse Sicherheit schon haben werde. Ja ich denke auch dadurch, dass ich ja sehr viele Menschen kenne und ich mir ein Netzwerk im Laufe der Jahre aufgebaut habe, ich auch nicht ganz so schnell ersetzbar bin“. (UnD: 3)
Die Sicherheit der Leistungsorientierten wird darüber hinaus durch einen hohen Erfolgsdruck relativiert, der auch von Zielvereinbarungen ausgeht. Wenn die individuelle Arbeitsplatzsicherheit unmittelbar an persönliche Leistungserfolge geknüpft wird, offenbart sich die Kehrseite eines Tauscharrangements von „Leistung gegen Sicherheit“: Viele Befragte sehen sich mit einem massiv zunehmenden Leistungsdruck konfrontiert.6 Einerseits erkennen wir bei der Mehrzahl unserer Interviewpartner eine hohe Bereitschaft, sich für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes flexibel an Firmen- und Marktinteressen anzupassen. Andererseits wird der durch das Management weitergereichte Erfolgsdruck mitunter auch als permanentes Spannungsfeld erlebt. Insbesondere Beschäftigte mit Zielvereinbarungen schwanken stets zwischen einer kurzweiligen Sicherheit bei Erfolg und einem steigenden Angstgefühl, wenn sich der Erfolg phasenweise nicht einstellt. Die Marktabhängigkeit des eigenen Arbeitsplatzes wird besonders verunsichernd erlebt, wenn die Sicherheit des Arbeitsplatzes in der Vergangenheit auf Senioritätskriterien basierte, etwa im Öffentlichen Dienst oder in Sparkassen. Sparkasse, Kundenberaterin, 42 Jahre, wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit 100%: „Solange ich meine Ziele erfülle, ist der [Arbeitsplatz] hundertprozentig. Ist die Frage, ob ich das immer kann. [...] Habe ich ein paar gute Geschäfte gemacht, fühle ich mich wieder relativ sicher. Läufts mal eine Zeit lang nicht so gut, dann 5 6
Fälle BkV: 6; C: 5; G: 3; UnD: 2,3,5 Fälle B: 1; BkV: 1,10; M: 9; P: 1,2; UnD: 3,5
284 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis werde ich schon unsicher, weil ich dann denke, hoffentlich bleibt es nicht so. [...] Wenn die Leistung nicht kommt, ist es natürlich nicht mehr 100 Prozent“. (BkV: 10)
Folgt man Voswinkel (2007) und Sauer (2005), so indizieren Zielvereinbarungen eine „Umkehrung der Risikoverarbeitung“, da über diese Kontrollform die Verantwortung für die Sicherheit des Arbeitsplatzes verstärkt an den einzelnen Arbeitnehmer übertragen wird. Die Verlagerung von Marktrisiken auf die Beschäftigten birgt ihrerseits jedoch die Gefahr eines „Bruchs des psychologischen Vertrages“ (Kapitel VII; Rousseau 1989, 1995; Robinson, Rousseau 1994; Robinson 1996; Coyle-Shapiro 2002): Wenn Leistung nicht durch Sicherheit honoriert wird, kann dies dazu führen, dass Beschäftigte die Verantwortung des Arbeitgebers als verletzt wahrnehmen. Mögliche Folgewirkungen können dann z.B. erhöhte Fluktuation oder geringere Kooperation im Betrieb sein (Brockner 1988; Rousseau, Anton 1988; Robinson 1996; Struck 2006a). Trotz dieser Relativierungen dominiert insgesamt die Orientierung an der individuellen Leistung und Leistungsfähigkeit die Sicherheitskonstruktionen der befragten Normalbeschäftigten. Bei einer instabilen Betriebslage gewinnen sie Sicherheit durch individuelle Leistung. Demgegenüber wird jedoch auch eine gute Betriebslage oftmals nicht im Sinne einer Beschäftigungsgarantie interpretiert, sondern auch hier die individuelle Erfüllung von Leistungsanforderungen in den Vordergrund gestellt. Die Mehrzahl der Beschäftigten fühlt sich für den Erfolg des Unternehmens mitverantwortlich und zeigt eine hohe Anpassungsbereitschaft. Dieser Befund stimmt mit den Ergebnissen von Zok (2006) überein, der im aktuellen Fehlzeitenreport auf den Zusammenhang zwischen erhöhter Leistungsbereitschaft und subjektiver Arbeitsplatzsicherheit hinweist. Senioritätsbasierte Sicherheitserwartungen: Dimensionen des „relationalen Kontrakts“ Neben diesen individualisierten und zum Teil relativierten Sicherheitskonstruktionen finden wir aber auch eine zweite Gruppe von Beschäftigten mit Sicherheiterwartungen, die sich vorwiegend auf die eigenen Statusrechte im Betrieb beziehen.7 Diese Befragten stützen ihre hohe Sicherheitserwartung auf das Argument der Betriebszugehörigkeit; viele von ihnen blicken auf weit mehr als zehn Jahre Betriebserfahrung zurück. Die Betriebszugehörigkeitsdauer gilt als wesentliches Kriterium der Institutionalisierung betrieblicher Beschäftigungssicherheit; sie definiert formelle und informelle Anspruchsrechte zugleich. Seniorität ist als soziales Auswahlkriterium im Kündigungsschutzgesetz verankert. Demnach gilt es als sozial 7
Fälle BkV: 2; C: 2,4,8; G: 8,14; H: 1; M: 2,3,12
2. Sicherheitskonstruktionen der Arbeitnehmermitte
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ungerechtfertigt, wenn bei betrieblich bedingten Entlassungen eine lange Betriebszugehörigkeit nicht ausreichend berücksichtigt wird (§1(3) KSchG). Darüber hinaus ist die über die betriebliche Verweildauer akkumulierte Betriebserfahrung zu berücksichtigen. In Transaktions- und Humankapitalansätzen wird betriebsspezifischem Humankapital eine hohe Bedeutung für die Schließung von Positionssystemen zugeschrieben (vgl. Sesselmeier, Blauermel 1998). Der Aufbau betriebsspezifischen Humankapitals, etwa über betriebliche Weiterbildungen, ist mit Kosten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbunden. Daher ist aus arbeitsmarkttheoretischer Sicht anzunehmen, dass in diesem Fall ein wechselseitiges Interesse an einer langfristigen Bindung besteht. Insofern sollte der Besitz betriebsspezifischen Humankapitals mit einer hohen wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheit einhergehen. Einige der Befragten, die ihre lange Betriebszugehörigkeit als Grundlage ihrer Sicherheit betonen, verweisen in der Tat auf die Relevanz ihres betriebsspezifischen Wissens, das nur über einen längeren Zeitraum und weiterführende Qualifizierungen aufgebaut werden kann. Diese zumeist in der Produktion Beschäftigten wissen um ihren hohen Wert für das Unternehmen und verbinden mit ihrer besonderen Position das Gefühl, ein Stück weit unersetzbar zu sein. Automobilzulieferer, Schichtleiter, 34 Jahre, wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit 90%: „Das kannst du nicht einfach jemandem, der sich bewirbt im Unternehmen, kannst du so einen Arbeitsplatz verpassen. Das geht nicht! Du musst dich mit den Teilen auskennen, die produziert werden, du musst wissen was für Fehler gemacht werden können und das lernst du ja nur im Laufe der Zeit. Deswegen sage ich ganz einfach mal, kannst du für meine Position nur jemanden nutzen, der schon länger im Unternehmen ist.“ (M: 2)
Häufig zeichnen sich die senioritätsbasierten Sicherheitskonstruktionen auch durch ein Zusammenspiel von Betriebszugehörigkeit mit anderen erwerbsbezogenen Faktoren aus, die den relationalen Kontrakt widerspiegeln, etwa einer Teilnahme an betrieblichen Weiterbildungen (M: 2), der jeweiligen Position im Betrieb (C: 2) oder dem Abschluss einer betrieblichen Altersvorsorge (M: 1). Nur vereinzelt werden in erster Linie soziale oder arbeitsrechtliche Gründe für eine hohe Arbeitsplatzsicherheit genannt, die ebenfalls im gesetzlichen Kündigungsschutz verankert sind, so etwa eine Betriebs- bzw. Personalratstätigkeit, aufgrund derer sich zwei der Befragten (BkV: 7; M: 12) in ihrem Beschäftigungsverhältnis zu 100 Prozent sicher fühlen. Ingesamt finden wir innerhalb unseres Samples jedoch nur wenige Beschäftigte, deren Sicherheitskonstruktionen vordergründig senioritätsbasiert sind. Im Verhältnis zu den Beschäftigten mit leistungsbasierten Sicherheitserwartungen, die sich durchaus auch (aber eben
286 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis erst in zweiter Linie) auf das Senioritätsargument stützen, machen sie nur einen kleinen Teil aus. Wahrgenommene Arbeitsplatzrisiken im betrieblichen Umfeld Während die beiden vorangestellten Beschäftigtengruppen ihre Sicherheit relativ unabhängig von der wirtschaftlichen Lage ihres Betriebs über individuelle Merkmale konstruieren, findet sich eine dritte Gruppe, die Unsicherheiten betont und diese vorrangig in der betrieblichen Situation des Unternehmens verortet. Das Risiko, den Arbeitsplatz im Zuge betrieblicher Personalabbaumaßnahmen zu verlieren, wird je nach Branche mit einer schlechten oder sinkenden Auftragslage (Bau, Metall), Personalüberhang (Öffentlicher Dienst, Handel), Fusionen (Öffentlicher Dienst), möglichen Standortschließungen (Chemie und Metall) oder Privatisierungen (Gesundheit) begründet. Mitunter wird auch die Beschäftigung von Aushilfskräften im unmittelbaren Arbeitsumfeld als Bedrohung des eigenen Arbeitsplatzes erlebt. In diesem Zusammenhang werden zum einen häufig die Betriebsgröße oder besondere regionale Bedingungen am Betriebsstandort thematisiert. Zum anderen spielt oftmals auch ein Gefühl des Kontrollverlustes gegenüber der eigenen Lage eine große Rolle, wenn der Arbeitsplatz trotz einer hohen Leistungsanstrengung zur Disposition stehen kann. Stahlhandel, Groß- und Außenhandelskaufmann, 31 Jahre, wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit 50%: „Es können immer irgendwelche unfreiwilligen oder unvorhergesehenen Dinge passieren, da hast du gar keinen Einfluss drauf. Da kannste jeden Tag zur Arbeit kommen, kannst deine Arbeit wirklich überdurchschnittlich gut erledigen und kannst Überstunden reißen bis zum Gehtnichtmehr. Wenn irgendwo etwas passiert, wo du keinen Einfluss drauf hast, dann hängst du genauso am seidenen Faden“. (H: 2)
Vor dem Hintergrund, dass die Interviews im Frühjahr 2006 am Ende einer langen Stagnationsphase aber noch vor Beginn des Aufschwungs in Deutschland durchgeführt wurden, überraschen die zum Teil verhaltenen Zukunftserwartungen nicht. Betroffen hiervon fühlen sich auch Befragte des Öffentlichen Dienstes, die sich angesichts zunehmender Kosteneinsparungen ihres Arbeitsplatzes in der Zukunft nicht mehr sicher sind. Zugleich kam in den Interviews jedoch auch zum Ausdruck, dass gerade die Weitergabe für die Beschäftigten bedeutsamer Informationen durch die Unternehmensleitung ein Gefühl der Transparenz und Offenheit vermittelt und zu einer Reduktion von Unsicherheit
3. Die Ergebnisse der quantitativen Analysen
287
beiträgt.8 Insgesamt stützen jedoch nur sehr wenige der Befragten ihre Sicherheit bzw. Unsicherheit allein auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Abbildung 9.1: Empirische Begründungsfaktoren wahrgenommener Arbeitsplatzsicherheit Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit Individuelle Faktoren Betriebliche Faktoren Überstunden
Wirtschaftliche Lage
Zielerfüllung
Beschäftigungsabbau (z.B. infolge einer schlechten Betriebslage, Firmenübernahme, Umstrukturierung oder Privatisierung)
Flexibilität Leistungsfeedback durch Vorgesetzte Leistungsdruck durch Zielvereinbarungen Betriebszugehörigkeit
Informationstransparenz „Randbelegschaften“
(Betriebsspezifische) Qualifikation
Öffentlicher vs. privater Sektor
(Betriebliche) Weiterbildung(en)
Börsennotierung
Berufliche Netzwerke
Betriebsgröße
Berufliche Stellung
Region
Kündigungsrechtliche Sozialkriterien
Unternehmenshauptsitz im In- oder Ausland
(Alter, Kinder, Betriebs- bzw. Personalratstätigkeit)
Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg Betriebliche Altersvorsorge
Zusammenfassend halten wir die einzelnen Begründungsfaktoren wahrgenommener Arbeitsplatz(un)sicherheit in Abbildung 9.1 fest, die wir innerhalb der unterschiedlichen (Un-) Sicherheitskonstruktionen identifizieren konnten. Dabei unterscheiden wir zwischen individuellen Merkmalen der Beschäftigten bzw. ihrer Arbeitssituation und betrieblichen Kontextfaktoren. Sie bilden die Grundlage für die Modellierung unserer multivariaten Analysen, die im nächsten Abschnitt dokumentiert sind. 3. Die Ergebnisse der quantitativen Analysen Im Mittelpunkt der quantitativen Analysen stehen zwei Aspekte. Erstens gehen wir der Frage nach, ob tatsächlich von einer generalisierten Unsicherheit in der Arbeitnehmermitte gesprochen werden kann. Im Unterschied zum explorativen Teil unserer Studie legen wir hier einen für die Erwerbsbevölkerung in Deutsch8
Fälle BkV: 6; C: 5; H: 2; M: 8; UnD: 3
288 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis land repräsentativen Datensatz zugrunde. Zweitens untersuchen wir die Relevanz der (Un-)Sicherheitskonstruktionen, die wir in der qualitativen Analyse herausarbeiten konnten: Ist auf Seiten der Beschäftigten tatsächlich bereits die allgemeine Durchsetzung eines neuen, leistungsbasierten Vertrags zu beobachten, der bisherige, senioritätsbasierte Sicherheitserwartungen verdrängt hat? Die Analyse erfolgt für Ost- und Westdeutschland getrennt, da wir davon ausgehen, dass die besonderen Herausforderungen seit der Wiedervereinigung einen systematischen Einfluss auf die Sicherheitskonstruktionen der ostdeutschen Beschäftigten ausüben. Unsere Datenbasis ist die repräsentative BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2005/06, die etwa im selben Zeitraum wie unsere qualitative Befragung durchgeführt wurde und ca. 20.000 Erwerbstätige umfasst (vgl. Hartmann 2006). Der Auswahlstrategie entsprechend besteht das Sample aus 9.284 (Ost: N = 1.740, West: N = 7.544) unbefristet, existenzsichernd und Vollzeit beschäftigten Arbeitern und Angestellten.9 Zu Beginn des Jahres 2006 waren 48,8 Prozent der Erwerbstätigen in Ostdeutschland und 46,2 Prozent der in Westdeutschland in einem Normalarbeitsverhältnis beschäftigt. Diese Anteile liegen etwas unter den von Grotheer (Kapitel II, III) für 2004 ermittelten Werten. Die Einkommensrestriktion könnte ein Grund sein, warum der Anteil von Normalbeschäftigten in unserer Analyse etwas geringer ausfällt. Die BIBB/BAuA-Befragung 2005/06 erfolgte zum Thema „Arbeit und Beruf im Wandel – Erwerb und Verwertung beruflicher Qualifikationen“, so dass die Arbeitsbedingungen und -anforderungen im aktuellen Arbeitsverhältnis der Beschäftigten sowie betriebliche Rahmendaten ihres Arbeitgebers erhoben wurden. Wir können die in der explorativen Analyse identifizierten Einflussfaktoren auf die subjektiv wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit daher anhand einer Vielzahl geeigneter Indikatoren operationalisieren. Folgende Frage verwenden wir als abhängige Variable: „Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass Sie in nächster Zeit Ihren Arbeitsplatz verlieren?“ Es waren vier Antwort-
9
Der Definition des Normalarbeitsverhältnisses zufolge muss ein Beschäftigungsverhältnis das Kriterium der Existenzsicherung erfüllen. Da der Datensatz nur Informationen zum Bruttoeinkommen der Beschäftigten enthält, kann die Eingrenzung der Stichprobe nach dem Einkommen nur näherungsweise erfolgen. Zugrunde gelegt wird die für Deutschland vom Statistischen Bundesamt alle fünf Jahre ermittelte Armutsrisikogrenze (Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003), die (zuletzt erhoben) 2003 bei 1000 Euro monatlich lag. Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2005: 107) wird darauf hingewiesen, dass ein durch eine Vollzeiterwerbstätigkeit erzieltes Einkommen oberhalb dieser Armutsrisikogrenze liegen sollte, um eine ausreichende Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Wohlstand zu sichern. Entsprechend dieser Forderung werden Beschäftigte im (tariflichen) Niedriglohnbereich von der Untersuchung ausgeschlossen.
3. Die Ergebnisse der quantitativen Analysen
289
kategorien vorgegeben, wobei 1 = sehr hohe Gefahr, 2 = hohe Gefahr, 3 = eher geringe Gefahr und 4 = keine Gefahr des Arbeitsplatzverlustes bedeutet. Arbeitsplatzunsicherheit in Normalarbeitsverhältnissen – deskriptive Befunde für Ost- und Westdeutschland Abbildung 9.2 dokumentiert zunächst, wie hoch deutsche Beschäftigte in Normalarbeitsverhältnissen die Gefahr einschätzen, in nächster Zeit entlassen zu werden. Entgegen der Generalisierungsthese zeigt sich, dass Normalbeschäftigte in Ost- und Westdeutschland für die nahe Zukunft insgesamt von einer recht hohen Sicherheit ihres Arbeitsverhältnisses ausgehen. Nur 10,5 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland und knapp acht Prozent in Westdeutschland erwarten mit hoher oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit, demnächst ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Vor dem Hintergrund der im Befragungszeitraum hohen Arbeitslosigkeit, die in Ostdeutschland im ersten Quartal 2006 bei etwa 19 Prozent und in Westdeutschland bei rund 10 Prozent lag (Statistisches Bundesamt 2007) sowie des medialen Diskurses um Arbeitsplatzverluste, Betriebsstilllegungen und prekäre Beschäftigung hatten wir einen höheren Anteil an Unsicheren erwartet. Eine generalisierte Arbeitsplatzunsicherheit, die weite Teile der Arbeitnehmermitte umfasst, ist gegenwärtig weder für Ost- noch für Westdeutschland erkennbar. Dem kleinen Anteil von Beschäftigten mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit steht in beiden Landesteilen eine große Mehrheit an Beschäftigten gegenüber, die mit einer „eher geringen“ Gefahr des Arbeitsplatzverlustes rechnet und damit ihren Arbeitsplatz als relativ sicher einschätzt. Dieser Anteil umfasst knapp zwei Drittel der Normalbeschäftigten in ostdeutschen Betrieben und ist damit wesentlich größer als in Westdeutschland. Hingegen fällt der Anteil der Erwartungssicheren – also derjenigen, die für sich überhaupt kein Arbeitsplatzrisiko wahrnehmen – in Ostdeutschland erheblich geringer aus: Weniger als jeder vierte Normalbeschäftigte fühlt sich auf seinem Arbeitsplatz sicher, während es in westdeutschen Betrieben mehr als jeder dritte Arbeitnehmer ist. Damit bestätigt sich die auf Transformations- und Strukturunterschieden basierende Annahme einer unterschiedlich hohen wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheit in Ost- und Westdeutschland. Plausibel wird dieser Befund auch vor dem Hintergrund unserer qualitativen Untersuchung: Viele der ostdeutschen Befragten sahen sich im Zuge der Wiedervereinigung und anschließenden Umbruchsphase mit zum Teil mehrfachen erwerbsbiografischen Brüchen konfrontiert. Sie blicken auf Erfahrungen mit Betriebsschließungen, Phasen der Arbeitslosigkeit und beruflicher Neuorientierung zurück. Dies könnte erklären, warum bei ostdeutschen Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen, die im Durchschnitt rund 43 Jahre alt, aber erst etwa 13 Jah-
290 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis re beim jetzigen Arbeitgeber beschäftigt sind, eine etwas höhere Arbeitsplatzunsicherheit als in Westdeutschland zu beobachten ist. Abbildung 9.2: Wahrgenommene Gefahr des Arbeitsplatzverlustes von Normalbeschäftigten in Ost- und Westdeutschland (N = 9.081)
Ostdeutschland 80%
65,8%
70% 60% 50% 40%
23,7%
30% 20% 10%
3,3%
7,2%
Sehr hoch
Hoch
0% Gering
Keine Gefahr
Westdeutschland 80% 70%
56,0%
60% 50%
36,2%
40% 30% 20% 10%
1,9%
6,0%
0% Sehr hoch
Hoch
Gering
Keine Gefahr
Quelle: BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2005/06, eigene Berechnung; Stichprobe: Deutsche Arbeiter und Angestellte in Normalarbeitsverhältnissen, gewichtete Daten
3. Die Ergebnisse der quantitativen Analysen
291
Betrieb, Seniorität und Leistung als Determinanten von Arbeitsplatzsicherheit in Normalarbeitsverhältnissen Aus der qualitativen Untersuchung ging hervor, dass Leistung, Seniorität sowie das betriebliche Umfeld eine zentrale Rolle für die Sicherheitserwartungen der befragten Normalbeschäftigten spielen. In Orientierung an die einzelnen Begründungsfaktoren innerhalb der jeweiligen Deutungsmuster und unter Maßgabe der Datenlage haben wir daher die in Tabelle A.2 dokumentierten Indikatoren ausgewählt und zu drei Variablenblöcken zusammengefasst. Der erste Komplex beinhaltet Angaben der Befragten über das betriebliche Umfeld und die dort wahrgenommenen Veränderungen.10 Weller und Kabst (2006) können zeigen, dass Unternehmen in schlechter ökonomischer Verfassung eher zu betriebsbedingten Kündigungen als Maßnahme des Personalabbaus greifen. Wir gehen deshalb davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens auch auf die wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit der Beschäftigten auswirkt. Eine ähnliche Wirkung erwarten wir von einem bereits vollzogenen Personalabbau. Die Frage ist, wie sich eine solche Krisenerfahrung auf die Sicherheit der verbleibenden Belegschaft auswirkt. In Untersuchungen zum psychologischen Vertrag wird argumentiert, dass Entlassungen den arbeitnehmerseitigen Erwartungen an den Arbeitgeber entgegenstehen und damit zu einem wahrgenommenen Bruch des impliziten Kontrakts von Loyalität und Leistung gegen Sicherheit führen können (Rousseau, Anton 1988; Raeder, Grote 2001). Als zentrale Indikatoren des betrieblichen Umfelds verwenden wir daher die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des jeweiligen Betriebes, die Frage, ob innerhalb der letzten zwei Jahre Personalabbau stattgefunden hat, die wahrgenommene Informationstransparenz betrieblicher Entscheidungen, die Entwicklung des Anteils nicht-standardisierter Beschäftigung im Betrieb sowie die Betriebsgröße und die Zugehörigkeit des Betriebes zum Öffentlichen Dienst. Im zweiten Block wird der Fokus auf die Arbeitssituation der Beschäftigten gerichtet. Zur Erfassung des leistungsbasierten Kontrakts greifen wir zum einen auf die Anzahl regelmäßig geleisteter Überstunden zurück. Überstunden indizieren zeitliche Flexibilität (Hohendanner, Bellmann 2006; Vobruba 2006) und zielen im Allgemeinen auf eine Steigerung des Arbeitsergebnisses – Beschäftigte mit Zielvereinbarungen leisten häufig (unbezahlte) Überstunden (vgl. Lehndorff 10
Für die Variable „wirtschaftliche Lage“ wird neben den vier Ausprägungen einer sehr guten, guten, weniger guten oder schlechten Lage zusätzlich eine Kategorie mit fehlenden Werten eingeführt. Bei den Befragten ohne Angabe zur wirtschaftlichen Lage handelt es sich fast ausschließlich um Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes. Da sie in den Analysen ebenfalls berücksichtigt werden sollen, werden öffentlich Beschäftigte zu einer Kategorie zusammengefasst.
292 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis 2005). Wir unterscheiden zwischen Überstunden mit und ohne finanziellen bzw. Freizeitausgleich. Dahinter steht die Annahme, dass insbesondere unbezahlte Überstunden als Investition getätigt werden, etwa für den Erhalt des Arbeitsplatzes, indem sie Produktivität und Loyalität eines Beschäftigten signalisieren (vgl. Anger 2005). Die Leistung von Überstunden sollte sich dann positiv auf die wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit auswirken, wie auch Hübler und Hübler (2006) bereits anhand einer Längsschnittanalyse des SOEP nachgewiesen haben. Über die Erfüllung von Leistungsvorgaben stellt der Datensatz keine Information zur Verfügung. Wir verwenden daher die Frage, ob sich die oder der Befragte dem Arbeitspensum in der Regel gewachsen fühlt, als zweiten Indikator für die individuelle Leistung – und zwar im Sinne der subjektiv wahrgenommenen eigenen Leistungsfähigkeit. Die Erfassung von Leistungsdruck erfolgt über den Indikator ‚häufige Zielvereinbarungen’. Außerdem beziehen wir uns auf eine Frage zur wahrgenommenen Veränderung des Leistungsdrucks innerhalb der vergangenen zwei Jahre und untersuchen deren Einfluss auf die Sicherheitserwartungen. Als Indikatoren des senioritätsbasierten Kontrakts verwenden wir zum einen die Betriebszugehörigkeitsdauer in Jahren und zum anderen einen Indikator der Spezifität des für die eigene Tätigkeit erforderlichen Wissens sowie die Frage, ob die bzw. der Befragte innerhalb der letzten zwei Jahre an einer betrieblichen Weiterbildung teilgenommen hat. Schließlich werden im dritten Block verschiedene arbeitsplatzbezogene und soziodemographische Merkmale als Kontrollvariablen in die multivariate Analyse einbezogen. Zum einen ist anzunehmen, dass eine hohe vereinbarte Arbeitszeit die Wahrscheinlichkeit zusätzlicher Überstunden verringert, sich aber ähnlich wie bezahlte Überstunden positiv auf die wahrgenommene Sicherheit auswirkt. Überdies ist zu erwarten, dass Überstunden – auch wenn diese nicht direkt vergütet werden – sich dennoch im Einkommen niederschlagen, etwa bei leistungsabhängigen Gehaltsanteilen (Prendergast 1999) oder der Zahlung eines über dem Marktpreis liegenden Lohnes, der eine überdurchschnittliche Gegenleistung in Form von unbezahlter Mehrarbeit rechtfertigt (Akerlof 1984), weshalb wir das Einkommen der Befragten berücksichtigen. Auch wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass wahrgenommene Arbeitsplatzrisiken mit der Stellung im Beruf (Breen 1997; Behr u.a. 2006), dem Alter (Erlinghagen 2007; Krause u.a. 2007), Geschlecht (Hübler, Hübler 2006; Krause u.a. 2007) und familiären Kontext (Deloffre, Rioux 2004) variieren. In einem hierarchisch geordneten, logistischen Regressionsmodell werden die erwarteten Einflussfaktoren auf die wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit in Normalarbeitsverhältnissen geschätzt (Tabelle 9.1). Jeweils für Ost- und Westdeutschland getrennt bildet Modell 1 zunächst den Einfluss der Unternehmenssituation ab. Modell 2 berücksichtigt zusätzlich den Einfluss arbeits-
3. Die Ergebnisse der quantitativen Analysen
293
(platz)bezogener Merkmale. In Modell 3 wird schließlich der Einfluss soziodemographischer Merkmale kontrolliert11. Betrachten wir zunächst den betrieblichen Kontext. Wie wir aufgrund der qualitativen Befunde bereits vermutet haben, ist die wahrgenommene Stabilität des betrieblichen Umfeldes für die Sicherheitserwartungen von Normalbeschäftigten von zentraler Bedeutung. Demnach scheinen wahrgenommene wirtschaftliche Probleme – beispielsweise eine gegenwärtig schlechte Betriebslage, die betriebsbedingte Kündigungen erwarten lässt – annahmegemäß Unsicherheit über die Fortsetzung des eigenen Arbeitsverhältnisses hervorzurufen. In Westdeutschland schützt eine gute Betriebslage zudem zumindest vor einem subjektiv „sehr hohen“ Entlassungsrisiko. Für ostdeutsche Beschäftigte können wir diesen Zusammenhang nicht beobachten. Die Tatsache, dass innerhalb der letzten zwei Jahre bereits Personal abgebaut wurde, ist ebenfalls negativ mit der wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheit korreliert. Entlassungserfahrungen im Arbeitsbereich erzeugen offenbar das Gefühl, demnächst selbst von einer Kündigung betroffen zu sein. Den positiven Effekt wahrgenommener Informationstransparenz interpretieren wir als Hinweis darauf, dass Arbeitgeber zu einer Reduktion dieser Unsicherheit beitragen können, indem sie der Belegschaft wichtige betriebliche Entscheidungen und Veränderungen rechtzeitig kommunizieren. Adkins u.a. (2001) finden diesen Zusammenhang in einer Studie zu Arbeitsplatzunsicherheit an einer amerikanischen Universität ebenfalls und schließen hieraus auf die hohe Bedeutung interner Kommunikation in Zeiten organisationaler Ungewissheit. Überraschenderweise fühlen sich Beschäftigte im Öffentlichen Dienst signifikant unsicherer auf ihrem Arbeitsplatz als Beschäftigte in privatwirtschaftlichen Unternehmen mit einer sehr guten wirtschaftlichen Lage. Einen möglichen Erklärungsansatz hierfür liefern die qualitativen Interviews: Die Befragten aus verschiedenen Bereichen des Öffentlichen Dienstes haben zum Teil mehrere Umstrukturierungen miterlebt, die zu Personalabbau und einer Ausweitung von Leistungszielen führten. Dennoch bleibt dieser Effekt aufgrund der besonderen 11
Die für einige Variablen ausgewiesenen Gamma-Werte zeigen eine Verletzung der Annahme proportionaler Odds für diese Variablen an. Gamma_2-Werte (Gamma_3-Werte) geben die Differenzen zwischen den für Gleichung 2 (Gleichung 3) und Gleichung 1 ermittelten Koeffizienten wieder (hier: Umrechnung in Odds-Ratios). Beispielsweise zeigt sich im Modell 1 für Westdeutschland, dass eine gute Betriebslage die Wahrscheinlichkeit eines sehr hohen subjektiven Arbeitsplatzrisikos um etwa das zweifache senkt. Die Wahrscheinlichkeit, bei einer guten Betriebslage keine Gefahr des Arbeitsplatzverlustes für sich wahrzunehmen, sinkt allerdings um den Faktor 0,174 und beträgt nur noch etwa das 0,35-fache der Wahrscheinlichkeit, bei einer sehr guten Lage keine Gefahr des Arbeitsplatzverlustes wahrzunehmen. Gleichung 1: (hohe, geringe, keine Gefahr) vs. (sehr hohe Gefahr) Gleichung 2: (geringe, keine Gefahr) vs. (hohe, sehr hohe Gefahr) Gleichung 3: (keine Gefahr) vs. (geringe, hohe, sehr hohe Gefahr)
294 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis tariflichen Schutzbestimmungen im Öffentlichen Dienst kontraintuitiv, zumal sich unsere Analyse nur auf unbefristet Beschäftigte bezieht. Möglicherweise ist aber gerade dieser spezifische Untersuchungsfokus der Grund, weshalb in früheren Studien, deren Analysen auch nicht-standardisierte Beschäftigungsverhältnisse (in öffentlichen und privaten Organisationen) einschließen, ein – erwartungsgemäß – positiver Zusammenhang zwischen der Beschäftigung im Öffentlichen Dienst und subjektiven Arbeitsplatzsicherheit berichtet wird (Erlinghagen 2007; Krause u.a. 2007). Folgt man der Destabilisierungsthese von Dörre (2005b), so müsste sich eine Zunahme nicht-standardisierter Beschäftigungsverhältnisse negativ auf die von der Stammbelegschaft empfundene Arbeitsplatzsicherheit auswirken, da flexible und leistungsbereite Randbelegschaften dieser permanent die eigene Ersetzbarkeit vor Augen halten. Im Gegensatz dazu ist der Effekt dieser Variable in Ostdeutschland jedoch positiv, d.h., eine Zunahme atypisch Beschäftigter wird im Osten offenbar eher als Beschäftigungssicherung der Kernbelegschaft wahrgenommen und weist damit in Richtung verfestigter Insider-Outsider-Strukturen in ostdeutschen betrieblichen Beschäftigungssystemen, wie sie von uns (Kapitel II – V) beobachtet worden sind. Schließlich nehmen Normalbeschäftigte in ostdeutschen großen Mittelstands- und Großbetrieben geringere Arbeitsplatzrisiken wahr als in kleineren und mittleren Betrieben. Für Westdeutschland zeigt sich hingegen kein solcher Größeneffekt. Der Anteil an Beschäftigten in Großbetrieben ist in Ostdeutschland deutlich geringer als in Westdeutschland (Bauer u.a. 2008). Die nach dem weitgehenden Zusammenbruch interner Märkte im Osten Anfang der 1990er Jahre neu entstandenen geschlossenen Beschäftigungssysteme (Kapitel II) scheinen in einem dominierenden kleinbetrieblichen Umfeld demnach eine besondere Schutzfunktion für die Beschäftigten in größeren Betrieben aufzuweisen. Dagegen ist für Westdeutschland zu vermuten, dass Großbetriebe für die Beschäftigten (subjektiv) an Sicherheit verloren haben, da sie in den vergangenen Jahren häufig durch Personalabbau (z.B. Deutsche Bank, Allianz), Betriebsschließungen (zuletzt Nokia), Auslagerungen (Telekom) oder Verkäufe (BenQ-Siemens) von Unternehmensteilen auf sich aufmerksam gemacht haben.12
12
Da der Datensatz keine Information zum Vorhandensein eines Betriebsrats enthält, kann zudem nicht geklärt werden, ob der positive Effekt der Betriebsgröße auf die Arbeitsplatzsicherheit in Ostdeutschland ganz oder teilweise auf den Einfluss betrieblicher Interessenvertretung zurückzuführen ist, wie es Grotheer u.a. (2004) für betriebliche Beschäftigungsstabilität nachgewiesen haben.
3. Die Ergebnisse der quantitativen Analysen
295
Tabelle 9.1: Determinanten wahrgenommener Arbeitsplatzsicherheit in ost- und westdeutschen Normalarbeitsverhältnissen Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit Ostdeutschland Westdeutschland (N = 1.303) (N = 5.940) Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 1 Modell 2 Wirtschaftliche Lage (Ref. Sehr gut) Gut Weniger gut/ Schlecht Öffentlicher Dienst Beschäftigungsabbau Informationstransparenz Zunahme atypischer Beschäftigung Betriebsgröße ab 500 Beschäftigte Betriebszugehörigkeit Betriebsspezifisches Wissen Subjektive Erfüllung von Anforderungen Überstunden mit Ausgleich Überstunden ohne Ausgleich Zielvereinbarungen Zunahme des Leistungsdrucks Vereinbarte Wochenarbeitszeit
0,442*** (4,21) 0,088*** (6,37) 0,587* (2,57) 0,534*** (4,98) 1,565** (2,73) 1,091 (0,72) 1,500* (2,49)
0,430*** (4,22) 0,083*** (6,38) 0,554** (2,68) 0,547*** (4,64) 1,629** (2,90) 1,237+ (1,70) 1,391* (1,97) 1,023** (3,19) 0,924 (0,62) 2,000+ (1,76) 1,010 (0,87) 1,041** (3,11) 1,047 (0,35) 0,658** (3,26) 1,062* (2,18)
0,404*** (4,39) 0,070*** (6,68) 0,485** (3,18) 0,516*** (4,99) 1,617** (2,81) 1,253+ (1,77) 1,368+ (1,80) 1,021* (2,59) 0,957 (0,34) 2,049+ (1,81) 1,013 (1,16) 1,045** (3,19) 1,095 (0,67) 0,689** (2,84) 1,063* (2,14)
2,008* (2,48) 0,172*** (17,44) 0,775** (3,01) 0,325*** (4,74) 2,010*** (9,08) 0,921 (1,52) 1,015 (0,24)
1,931* (2,35) 0,170*** (17,39) 0,707*** (3,94) 0,336*** (4,62) 1,982*** (8,72) 0,980 (0,37) 0,991 (0,15) 1,021*** (6,84) 2,020*** (3,65) 1,310*** (3,83) 1,013* (2,27) 0,984* (2,26) 0,446*** (4,25) 0,711*** (6,01) 1,022* (2,18)
Modell 3 1,932* (2,36) 0,173*** (17,09) 0,704*** (3,92) 0,340*** (4,60) 1,967*** (8,57) 0,967 (0,59) 0,984 (0,26) 1,023*** (6,22) 2,080*** (3,70) 1,325*** (3,97) 1,014* (2,49) 0,985* (1,99) 0,441*** (4,31) 0,720*** (5,75) 1,025* (2,43)
296 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit Ostdeutschland Westdeutschland (N = 1.303) (N = 5.940) Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 1 Modell 2 Berufliche Stellung (Ref. Facharbeiter) Angelernt
0,520* (2,34) 1,100 (0,37) 0,925 (0,25) 1,097 (0,54) 1,396 (1,64)
0,507* (2,37) 1,090 (0,32) 0,778 (0,80) 0,932 (0,37) 1,165 (0,66) 1,008 (1,16) 1,004*** (6,76) 1,125 (0,90) 1,000 (0,83) 0,713 (0,96)
-
-
-
0,825 (0,65) -
0,799 (0,74) -
0,793 (0,75) -
Betriebsspezifisches Wissen Subjektive Erfüllung von Anforderungen Zielvereinbarungen
-
-
-
-
0,966 (0,10) -
0,959 (0,12) -
Bruttomonatsgehalt
-
-
-
Vorarbeiter/Meister Einfache Angestellte Qualifizierte Angestellte Leitende Angestellte Alter Alter2 Kinder Bruttomonatsgehalt Geschlecht (Ref. männlich) Gamma_2 Wirtschaftliche Lage (Ref. Sehr gut) Gut Weniger gut/ Schlecht Beschäftigungsabbau
Geschlecht (Ref. männlich)
1,154 (0,47)
Modell 3
0,950 (0,46) 1,111 (0,84) 0,999 (0,00) 1,116 (1,40) 1,729*** (5,87)
0,990 (0,09) 1,186 (1,36) 0,832 (1,09) 1,008 (0,09) 1,641*** (4,92) 0,992* (2,33) 1,002*** (8,31) 0,910 (1,61) 1,000 (0,48) 1,128+ (1,86)
0,431** (3,32) -
0,437** (3,28) -
0,431** (3,35) -
0,818 (0,97)
0,833 (0,89) 0,567** (3,30) -
0,824 (0,95) 0,519*** (3,69) -
1,521* (2,48)
1,529* (2,52) 1,000+ (1,96) -
-
-
-
3. Die Ergebnisse der quantitativen Analysen
297
Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit Ostdeutschland Westdeutschland (N = 1.303) (N = 5.940) Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 1 Modell 2 Gamma_3 Wirtschaftliche Lage (Ref. Sehr gut) Gut
-
-
-
2,221+ (1,94) -
2,257+ (1,95) -
2,345* (2,00) -
Betriebsspezifisches Wissen Subjektive Erfüllung von Anforderungen Zielvereinbarungen
-
-
-
-
0,436* (1,98) -
0,453+ (1,87) -
Bruttomonatsgehalt
-
-
-
0,075
0,099
2,133* (2,05) 0,124
171,96
228,32
285,43
Weniger gut/ Schlecht Beschäftigungsabbau
Geschlecht (Ref. männlich) Pseudo R2 (Mc Fadden) Modell F 2
Modell 3
0,174*** (6,32) -
0,175*** (6,32) -
0,172*** (6,38) -
1,884** (2,64)
1,877** (2,64) 0,517** (3,35) -
1,851** (2,59) 0,504** (3,38) -
1,946** (3,41) -
1,971** (3,48) 1,000 (0,23) -
0,091
0,109
0,119
1004,42
1212,55
1319,51
-
Max. Log likelihood -1064,29 -1036,11 -1007,55 -5044,19 -4940,12 -4886,64 partial proportional odds Modell nach Williams (2006), Odds-Ratios, |z-Werte| in Klammern Signifikanzniveaus: ***p<0,001, **p<0,01, *p<0,05, +p<0,1 Quelle: BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2005/06, eigene Berechnungen Stichprobe: Deutsche Arbeiter und Angestellte in Normalarbeitsverhältnissen Hinweis: Signifikant von 0 abweichende Gamma-Werte zeigen eine Verletzung der Proportionalitätsannahme an und geben die Richtung der Abweichung an.
Insgesamt haben sich die auf Basis der explorativen Untersuchung vermuteten betrieblichen Begründungsfaktoren wahrgenommener Arbeitsplatz(un)sicherheit bestätigt und weisen große Übereinstimmungen zwischen ost- und westdeutschen Normalbeschäftigten auf. Die Arbeitsplatzsicherheit in Normalarbeitsverhältnissen hängt jedoch nicht nur vom betrieblichen Umfeld, sondern auch von Merkmalen der Beschäftigten selbst und ihrer Arbeitssituation ab. Sicherheit ist in beiden Teilen Deutschlands positiv mit Seniorität korreliert. Wir interpretieren diesen Befund als Hinweis darauf, dass eine lange Betriebszugehörigkeit – aus Beschäftigtensicht – nach wie vor mit institutionalisierten Sicherheitsansprüchen einhergeht, ob durch ihre Verankerung im Kündigungsschutzgesetz oder als Teil eines impliziten Kontrakts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Während in der qualitativen Befragung die Betriebszugehörig-
298 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis keitsdauer oft in Verbindung mit weiteren Faktoren genannt wird, etwa betriebsspezifischem Wissen, Weiterbildungen oder Leistungskriterien, bleibt der Einfluss in der multivariaten Analyse auch unter Berücksichtigung dieser Faktoren bestehen. Dies verweist auf den ungebrochenen Geltungscharakter traditioneller Elemente im psychologischen Vertrag ost- wie westdeutscher Normalbeschäftigter. In Ostdeutschland ist – entgegen unserer Erwartung – weder ein Einfluss betriebsspezifischen Humankapitals noch der Teilnahme an betrieblichen Weiterbildungen auf die Arbeitsplatzsicherheit Normalbeschäftigter zu beobachten.13 In Westdeutschland zeigt sich zumindest in Bezug auf betriebsspezifisches Wissen ein signifikant positiver Zusammenhang; zu beachten sind jedoch die geringen Gamma-Werte, die eine deutliche Abschwächung des erwarteten Effektes anzeigen. Westdeutsche Normalbeschäftigte mit Betriebswissen scheinen demnach davon auszugehen, bei anstehenden Entlassungen ihren Arbeitsplatz nicht als erste zu verlieren; Sicherheit generiert es indes nicht, der Effekt wird in Bezug auf ein subjektiv geringes bzw. kein Arbeitsplatzrisiko insignifikant. Eine mögliche Erklärung hierfür bieten Ergebnisse zur Stabilität von Beschäftigungsverhältnissen. Struck u.a. (2007) erklären sich einen auch objektiv geringen Schutz betriebsspezifischen Wissens gegen Arbeitsplatzverlust vor dem Hintergrund kürzerer Innovationszyklen, einer Zunahme der Aufgabenvielfalt im Zuge neuer Arbeitsformen und einer wachsenden Bedeutung allgemeinen Humankapitals vor allem in Dienstleistungsbranchen. Betriebsspezifisches Wissen wird diesen Befunden zufolge entwertet und kann damit nicht mehr die ihm in den klassischen Ansätzen zugeschriebene betriebsbindende Kraft und Sicherheit entwickeln (vgl. auch Kapitel V) Die Annahme einer zunehmenden Bedeutung von Leistung in Normalarbeitsverhältnissen wird anhand der vorliegenden Ergebnisse insbesondere für ostdeutsche Beschäftigte gestützt. In Ostdeutschland besteht ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen unbezahlter Mehrarbeit und Sicherheit. Wenn Beschäftigte Sicherheit in ihrem Arbeitsverhältnis gewinnen, indem sie sich über die unmittelbar vergütete Arbeitszeit hinaus engagieren, kann dies als Hinweis für einen balancierten Kontrakt von „Loyalität gegen Sicherheit“ gelesen werden: Im Gegenzug für ihr zusätzliches Engagement erwarten sie, dass der Arbeitgeber ihnen einen sicheren Arbeitsplatz bietet. Voraussetzung für diesen Vertrag ist möglicherweise eine Art Kontrollüberzeugung der Beschäftigten, durch Mehrleistung Einfluss auf die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes nehmen zu können. Der Zusammenhang zwischen vergüteten Überstunden und Sicherheitserwartungen ist ebenfalls positiv, im Unterschied zu Westdeutschland jedoch 13
Aufgrund der Insignifikanz in allen Modellen wurde die Variable „Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung“ in den hier präsentierten Modellen nicht berücksichtigt.
3. Die Ergebnisse der quantitativen Analysen
299
insignifikant. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die ostdeutsche Stichprobe kleiner ist als die westdeutsche Stichprobe. Für die Existenz eines leistungsbasierten Kontrakts in Ostdeutschland spricht darüber hinaus, dass sich die Vermarktlichung von Normalarbeitsverhältnissen offenbar nicht negativ auf die Sicherheitserwartungen auswirkt: Beschäftigte mit häufigen Zielvereinbarungen fühlen sich nicht unsicherer als Beschäftigte, die ohne oder selten unter Zielvorgaben arbeiten. Unsere Befunde stützen also die Vermutung, dass gerade in Ostdeutschland ein neuer, balancierter Kontrakt von „Leistung gegen Sicherheit“ existiert. Die Befunde für Westdeutschland sind nahezu gegensätzlich und sprechen eher für das Fortwirken der traditionellen, senioritäts- und loyalitätsbasierten Kontrakte. Zwar sind vergütete Überstunden positiv mit Sicherheit korreliert, die Leistung unbezahlter Mehrarbeit sowie vereinbarte Mindestleistungen haben hingegen einen signifikant negativen Effekt auf die wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit.14 Wir interpretieren diesen, zu Ostdeutschland konträren Befund als Hinweis darauf, dass westdeutsche Beschäftigte unbezahlte Mehrarbeit stärker als Resultat des einseitigen Verlusts an arbeitnehmerseitiger „Handlungsmacht“ (Kapitel VIII) wahrnehmen. Diese Wahrnehmung ist dann plausibel, wenn Beschäftigte ihr Arbeitsverhältnis noch immer primär als Austausch von Loyalität gegen Sicherheit begreifen. Die Forderung nach unbezahlter Mehrarbeit stellt dann eine Verletzung dieses impliziten Austauscharrangements dar. Die Ergebnisse zum Einfluss von Leistungskriterien auf die Arbeitsplatzsicherheit in Normalarbeitsverhältnissen sprechen daher – aus Arbeitnehmersicht – für eine unterschiedliche Ausformung impliziter Kontrakte in Ost- und Westdeutschland. Gleichwohl finden wir für beide Landesteile, dass eine wahrgenommene Zunahme von Stress und Arbeitsdruck mit einer geringeren Arbeitsplatzsicherheit einhergeht. Einerseits vermuten wir, dass es im Zuge einer arbeitgeberseitigen Veränderung des impliziten Kontrakts von senioritäts- zu leistungsbasierter Arbeitsplatzsicherheit zunächst zu einem arbeitnehmerseitig wahrgenommenen Bruch des Vertrags kommt, da die veränderten Bedingungen für einen sicheren Arbeitsplatz als Bestandteil eines neuen Kontrakts noch nicht akzeptiert sind. Zum anderen kann eine Verunsicherung durch steigenden Arbeitsdruck auch als Ausdruck eines Kontrollverlustes gewertet werden, der in dem Maße zunimmt, wie trotz (Mehr-) Leistung wachsende Anforderungen nicht mehr erfüllt werden können. Umgekehrt ist jedoch auch denkbar, dass gerade 14
Auch das Gefühl, dem Arbeitspensum in der Regel gewachsen zu sein, ist in Westdeutschland mit positiven Sicherheitserwartungen assoziiert. Diese Variable hat sich allerdings als ungeeignet erwiesen, den eigentlich angestrebten, im Datensatz aber nicht erfassten Indikator ‚Erfüllung von Zielvorgaben’ abzubilden, da sich Beschäftigte mit Zielvereinbarungen in der Regel eher überfordert fühlen (vgl. Bernhardt 2008).
300 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis unsichere Beschäftigte einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt sind, da sie größte Anstrengungen darauf verwenden, ihren Arbeitsplatz zu erhalten. Die entsprechenden Vermutungen müssten in einem Längsschnittdesign weitergehend geprüft werden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die quantitativen Analyseergebnisse gegenwärtig nicht auf eine Generalisierung subjektiver Arbeitsplatzunsicherheit in der erwerbsgesellschaftlichen Mitte schließen lassen. Vielmehr verweisen sie auf relativ hohe Sicherheitserwartungen, die von der wahrgenommenen Stabilität des betrieblichen Umfeldes, erworbenen Senioritätsrechten sowie Leistungskriterien abhängen. Die Konstellation der Effekte von Leistungs- und Senioritätskriterien deutet auf eine Koexistenz traditioneller senioritätsbasierter und neuer leistungsbasierter impliziter Kontrakte hin, wobei sich in Ostdeutschland verstärkt empirische Hinweise für einen neuen Vertrag von „(Mehr-) Leistung gegen Arbeitsplatzsicherheit“ finden, während in Westdeutschland eher der traditionelle Vertrag von „Seniorität und Loyalität gegen Arbeitsplatzsicherheit“ bindend wirkt. 4. Schlussfolgerung – Relativierte Sicherheit statt generalisierter Unsicherheit Mit dem Ende der fordistischen Prosperitätsphase, die von stabiler Beschäftigung und wohlfahrtsstaatlicher Fürsorge geprägt war, werden die historisch gewachsenen Normalitätserwartungen einer erwerbsgesellschaftlichen Mitte zunehmend in Frage gestellt. Im Anschluss an die These einer Generalisierung von Unsicherheit (Bourdieu 1998a) bis hinein in die „Zone der Integration“ (Castel 2000) wird im vorliegenden Beitrag nach der gegenwärtigen Sicherheitslage in der Mitte der Erwerbsgesellschaft gefragt. Dabei fokussieren wir auf die wahrgenommene Sicherheit von Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen und kombinieren qualitative und quantitative Methoden. Bereits die qualitativen Analysen zu wahrgenommenen Arbeitsplatzrisiken legen erhebliche Zweifel an der Großthese einer „Generalisierung“ von Unsicherheit bei Normalbeschäftigten nahe. Unser Sample setzt sich überwiegend aus kleineren und mittleren ostdeutschen, zum Teil nicht tarifgebundenen Betrieben ohne Betriebsrat zusammen, mit einer Mischung aus Branchen mit hoher und niedriger Beschäftigungsstabilität. Gerade hier hätten wir eine Vielzahl von Konstellationen erwartet, in denen Beschäftigte hohe Arbeitsplatzrisiken für sich wahrnehmen. Diese Erwartungen haben sich nicht bestätigt. Die Sicherheitskonstruktionen werden in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen über drei Begründungszusammenhänge hergeleitet: Seniorität und Status, individuelle Leis-
4. Schlussfolgerung
301
tung sowie die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Viele der Befragten fühlen sich relativ sicher, binden dies aber an die Aufrechterhaltung hoher individueller Leistungsstandards. Arbeitsplatzsicherheit ist in den Augen der Beschäftigten abhängig von ihrer Qualifikation und Leistungsfähigkeit und damit immer auch gefährdet. Die Befunde decken sich weitgehend mit den Ergebnissen von Anja Bultemeier (Kapitel VIII), wir interpretieren leistungsbezogene Sicherheitskonstruktionen jedoch nicht als Prekarität sondern als Relativierung von – senioritäts- und statusbasierter – Sicherheit. Vor diesem Hintergrund hat die Generalisierungsthese Recht und Unrecht zugleich. Einerseits ist Unsicherheit weit verbreitet: Die von uns Befragten verlassen sich nicht auf die Sicherheiten der wirtschaftlichen Situation ihres Betriebes oder des differenziellen Kündigungsschutzes. Andererseits gelingen den Beschäftigten durchaus überzeugende Sicherheitskonstruktionen über ihre Leistung, die die gefühlte Unsicherheit klein zu arbeiten in der Lage sind. Im Ergebnis dieses Prozesses bildet sich bei der großen Mehrheit der von uns Befragten eine in diesem Sinne relativierte Sicherheit heraus. Vor der Folie des westdeutschen Fordismus und ostdeutschen Sozialismus macht es dann Sinn, von einer relativierten Sicherheit statt einer Generalisierung von Unsicherheit oder gar Prekarität zu sprechen. Unsere weiterführenden quantitativen Analysen im Rahmen der repräsentativen BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2005/06 bestätigen die Befunde der qualitativen Untersuchung. Sowohl die deskriptiven als auch multivariaten Ergebnisse lassen gegenwärtig nicht auf eine Generalisierung subjektiver Arbeitsplatzunsicherheit in der erwerbsgesellschaftlichen Mitte schließen. Die überragende Mehrheit der ost- wie westdeutschen Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen nimmt lediglich eine geringe oder keine Gefahr des Arbeitsplatzverlustes wahr, wobei allerdings im Ost-West-Vergleich deutliche Unterschiede im Hinblick auf eine hohe Arbeitsplatzsicherheit erkennbar werden, die u.a. bestehende wirtschafts- und arbeitsmarktstrukturelle Ungleichheiten widerspiegeln dürften. Die in Anlehnung an die qualitativ gewonnenen Begründungsfaktoren wahrgenommener Arbeitsplatzsicherheit durchgeführten multivariaten Analysen verweisen darauf, dass die insgesamt relativ hohen Sicherheitserwartungen in Normalarbeitsverhältnissen zum einen von der wahrgenommenen Stabilität des betrieblichen Umfelds und zum anderen von Senioritäts- und Leistungskriterien abhängen. Seniorität als konstitutivem Merkmal „normaler“ Beschäftigungsverhältnisse kommt damit noch immer eine zentrale Rolle in den Sicherheitskonstruktionen der Beschäftigten zu. Darüber hinaus liefern die Befunde zum Einfluss unbezahlter Mehrarbeit und von Zielvereinbarungen Anhaltspunkte für die Existenz eines leistungsbasierten impliziten Vertrags in ostdeutschen
302 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis Normalarbeitsverhältnissen: Eine hohe Leistungsorientierung generiert Sicherheit über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Für die wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit in westdeutschen Normalarbeitsverhältnissen lassen sich im Vergleich zu Ostdeutschland übereinstimmende, aber auch abweichende Zusammenhänge feststellen. Die meisten Berührungspunkte ergeben sich für den betrieblichen Kontext, dem für die Arbeitsplatzsicherheit westdeutscher Normalbeschäftigter ebenfalls eine hohe Bedeutung beizumessen ist. Demgegenüber unterscheiden sich die Sicherheitserwartungen insbesondere im Hinblick auf arbeits(platz)bezogene Merkmale. Die größten Unterschiede im Vergleich zu Ostdeutschland zeigen sich im Hinblick auf die Leistungsindikatoren. Ostdeutsche Normalbeschäftigte konstruieren ihre Sicherheit viel stärker als die westdeutschen über Leistung, während bei letzteren Seniorität und Status eine große Rolle spielt. Auf Grundlage dieser Ergebnisse vermuten wir, dass ostdeutsche Normalbeschäftigte als Vorreiter eines neuen Sicherheitsparadigmas auftreten. Unsere Befunde bestätigen damit die Thesen zur Transformation interner Arbeitsmärkte (Kapitel II, VIII). Diesen zufolge vollzieht sich ein Prozess der Re-Kommodifizierung interner Arbeitsmärkte. Das Versprechen und die reale Chance einer langfristigen Beschäftigung bis zur Verrentung gelten auch für die neuen leistungsbasierten betrieblichen Beschäftigungssysteme. Dieses Versprechen ist jedoch nicht mehr an die Betriebszugehörigkeitsdauer, sondern an Qualifikations- und Leistungsstandards für die Einzelnen und die Produktivität und Profitabilität von Betriebsteilen gebunden. Aus der Sicht der Beschäftigten lautet der implizite Arbeitsvertrag „Leistung gegen Sicherheit“, woraus sich die eigentümliche Ambivalenz der Sicherheitskonstruktionen unserer Befragten erklärt. Diese neuen Sicherheitskonstruktionen sind jedoch nicht mit neuen marktbezogenen Gerechtigkeitsideologien zu verwechseln, denen zufolge die Beschäftigungsbeziehung mit Leistung und Gegenleistung einer kaufvertraglichen Tauschbeziehung gleichgesetzt würde. Für die Beschäftigten reflektiert der Vertrag von „Leistung gegen Sicherheit“ kein ökonomisches Tauschverhältnis: Die Relevanz eines sicheren Arbeitsplatzes – und folglich die Orientierung am erwerbsgesellschaftlichen Leitbild des Normalarbeitsverhältnisses – ist ungebrochen hoch. Wie auch andere Analysen unseres Projektes zeigen (Kapitel VII), erwarten die Beschäftigten nach wie vor, dass Arbeitgeber die Beschäftigten vor den Risiken des Marktes schützen und dass bei betrieblich bedingten Entlassungen soziale Kriterien berücksichtigt und Abfindungen gezahlt werden. Im Rahmen dieser beschäftigungsbezogenen Erwartungen scheinen jedoch die Gefahr wirtschaftlicher Risiken sowie die Relevanz von individuellen Leistungen höher
4. Schlussfolgerung
303
bewertet zu werden. Die Beschäftigten fühlen sich für den Unternehmenserfolg mitverantwortlich, erwarten aber im Gegenzug einen sicheren Arbeitsplatz. Zusammenfassend halten wir fest, dass die These einer generalisierten Unsicherheit, die weite Teile der Erwerbsbevölkerung erfasst und insofern auch die erwerbsgesellschaftliche Mitte erreicht habe, weder anhand der qualitativen Beschäftigteninterviews noch der repräsentativen Beschäftigtenstichprobe derzeit empirische Evidenz findet. Wir beobachten eine Koexistenz traditioneller senioritätsbasierter und neuer leistungsbasierter impliziter Kontrakte, wobei in Westdeutschland der traditionelle und in Ostdeutschland der leistungsbasierte Vertrag dominieren. Wir vermuten aber auf Basis der verwendeten Indikatoren, dass sich in Westdeutschland eine Verschiebung in Richtung auf das ostdeutsche Muster abzeichnet. Langfristige Kontinuitätssicherheit wird ersetzt durch relativierte Sicherheitserwartungen, die an wiederkehrende Leistungserfolge geknüpft sind. Inwiefern es sich hierbei um einen zeitlich dynamischen Prozess handelt, der auf eine Erosion subjektiver Kontinuitätserwartungen in Normalarbeitsverhältnissen schließen lässt, kann im Rahmen der vorliegenden Querschnittsuntersuchung nicht beantwortet werden. Unsere qualitativen Interviews liefern jedoch empirische Anhaltspunkte für diese These. Auch steht eine empirische Untersuchung der Anpassungsprozesse in den Sicherheitskonstruktionen Normalbeschäftigter und deren Tragweite innerhalb der erwerbsgesellschaftlichen Mitte noch aus. Unsere Analysen liefern hierzu erste Ergebnisse und weiterführende Thesen, die zeitliche Dynamik kann jedoch im Querschnitt nicht erfasst werden. Daher wird der Untersuchungsfokus in Zukunft verstärkt auf die Transformation von senioritäts- zu leistungsbasierten Kontrakten in Normalarbeitsverhältnissen und deren Folgewirkungen für Arbeitnehmer zu richten sein. Unter Beibehaltung der Ost-West-Perspektive kann dann auch die Rolle des ostdeutschen Beschäftigungssystems in Bezug auf die Durchsetzung der neuen leistungsbasierten Tauschbeziehungen präzisiert werden.
304 IX Sicherheitserwartungen und -konstruktionen im Normalarbeitsverhältnis Anhang Tabelle A.1: Samplestruktur Branche (N = 52)
Fallcode Ostdeutschland
Bau (B) (N = 4) Chemie (C) (N = 5) Gesundheit/ Pflege (G) (N = 15) Handel (H) (N = 2) Maschinenbau/ Metall (M) (N = 10) Printmedien (P) (N = 3) Banken/ Versicherungen (BkV) (N = 9) Unternehmensnahe Dienstleistungen (UnD) (N = 4)
B: 1 - 3, 5 C: 2 - 5, 8 C: 6, 7 G: 2 - 7, 9 - 14 H: 1 M: 1 - 3, 5, 8, 12, 14, 15
H: 2 M: 6, 9
P: 1 - 3 BkV: 2, 5 - 10
BkV: 1, 4
Westdeutschland
G: 8
UnD: 2 - 5
Tabelle A.2: Übersicht der abhängigen und unabhängigen Variablen Variable Abhängige Variable Wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit
Erläuterung/ Ausprägungen Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass Sie in nächster Zeit vom Betrieb entlassen werden? 1 = sehr hoch, 2 = hoch, 3 = eher gering, 4 = keine Gefahr
Betriebliche Merkmale und Veränderungen Wirtschaftliche Lage Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Lage des Betriebes, in dem Sie arbeiten? 1 = sehr gut, 2 = gut, 3 = weniger gut, 4 = schlecht, 5 = Öff. Dienst Beschäftigungsabbau Wurden in Ihrem unmittelbaren Arbeitsumfeld in den letzten zwei Jahren Stellen abgebaut oder Entlassungen vorgenommen? 1 = ja, 0 = nein
Anhang
305
Informationstransparenz Wie oft kommt es vor, dass Sie an Ihrem Arbeitsplatz nicht rechtzeitig über einschneidende Entscheidungen, Veränderungen oder Pläne für die Zukunft informiert werden? 1 = nie, 0 = häufig, manchmal, selten Zunahme atypischer Wurden in den letzten zwei Jahren vermehrt freie MitarbeiBeschäftigung ter, Aushilfen, Praktikanten oder Leiharbeitnehmer eingesetzt? 1 = ja, 0 = nein Betriebsgröße Anzahl der Beschäftigten im Betrieb: klein/mittel: <500, groß: ab 500 Betriebsstandort Westdeutschland, Ostdeutschland (inkl. Berlin) Arbeits(platz)bezogene Merkmale und Veränderungen Betriebszugehörigkeit in Jahren Betriebsspezifisches Für die Tätigkeit sind eine längere Einarbeitung und besondeWissen re Lehrgänge notwendig. 1 = ja, 0 = nein Betriebliche Weiterbil- Teilnahme an mindestens einer betrieblich initiierten Weiterdung(en) bildung innerhalb der vergangenen 2 Jahre: 1 = ja, 0 = nein Überstunden Anzahl der regelmäßigen, wöchentlichen Überstunden mit Ausgleich (finanziell oder in Form von Freizeit) Anzahl der regelmäßigen, wöchentlichen Überstunden ohne Ausgleich Subjektive Erfüllung Fühlen Sie sich in der Regel den Anforderungen durch die von Anforderungen Arbeitsmenge bzw. das Arbeitspensum gewachsen, eher überfordert oder eher unterfordert? 1 = gewachsen, unterfordert, 0 = überfordert Zielvereinbarungen Wie häufig kommt es bei Ihrer Arbeit vor, dass Ihnen eine genaue Stückzahl, eine bestimmte Mindestleistung oder die Zeit vorgeschrieben ist, um eine bestimmte Arbeit zu erledigen? 1 = häufig, 0 = manchmal, selten, nie Zunahme des LeisWie haben sich Stress und Arbeitsdruck in den letzten 2 Jahtungsdrucks ren verändert? 1 = zugenommen, 0 = gleich, abgenommen Vereinbarte Wochenar- in Stunden beitszeit Berufliche Stellung Arbeiter: Un-/Angelernt, Facharbeiter, Vorarbeiter/ Meister Angestellte: Einfach, Qualifiziert, Leitend Soziodemographische Merkmale Alter in Jahren Kinder im Haushalt 1 = ja, 0 = nein Einkommen Bruttomonatsgehalt der Befragten Geschlecht 1 = weiblich, 0 = männlich Quelle: BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2005/06
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