Parker geht auf >Wanzenjagd< Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Pete Clepton wa...
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Parker geht auf >Wanzenjagd< Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Pete Clepton war ein kleiner Einbrecher, was sein Format und auch seine Statur anbetraf. Er arbeitete auf eigene Rechnung, ging jedem unnötigen Risiko aus dem Weg und lebte in bescheidenen Verhältnissen. Mit Safes und Tresoren wußte er nichts anzufangen. Er hatte sich auf das spezialisiert, was offen in Wohnungen herumlag. Er knackte Türschlösser und Fenstersicherungen, zu mehr reichte es bei ihm nicht. In der Nacht von Samstag auf Sonntag war Pete Clepton wieder mal unterwegs. Es ging auf Mitternacht zu, doch so etwas wie eine Geisterstunde fürchtete er nicht. Er wußte nur, daß die Bewohner des Hauses, das er besuchen wollte, mit Sicherheit im Theater waren. Das hatte er geduldig ausbaldowert, denn unnötige Risiken scheute Pete. Er war immerhin ein Mann in gesetzten Jahren, der schon seit geraumer Zeit mit einer gewissen Elsie Avon zusammenlebte. Pete stand seit zehn Minuten in dem kleinen Garten hinter dem Haus, dem er seinen Besuch abstatten wollte. Als vorsichtiger Mensch prüfte er immer wieder die Lage. Er hatte Zeit in dieser Nacht, auf seinem Programm standen nur noch zwei weitere Einbrüche.
Nachdem Pete sicher war, daß das Einzelhaus auch wirklich verlassen war, traute er sich hinter dem schützenden Strauch hervor, huschte zur Hintertür und setzte sein Werkzeug an. Er brauchte nur wenige Minuten, bis er die Tür öffnen konnte. Sorgfältig schloß er sie hinter sich, wartete in der Küche, in der er sich befand, noch mal ab und stahl sich dann weiter ins Haus. Im Eßraum des Erdgeschosses besichtigte er das Silber auf der Anrichte und in deren Schubladen. Clepton war rundherum zufrieden. Die Bewohner des Hauses hatten ihr Geld gut angelegt. Dieses Silber ließ sich bei einem Hehler leicht absetzen. Ordnungsliebend, wie Pete Clepton war, stellte er Leuchter, Schalen und Service zusammen, um dann das Besteck daneben aufzuhäufen. Anschließend stieg er über die Treppe ins Obergeschoß und schaute sich in den Schlafräumen um. Mit kostbarem Schmuck rechnete er erst gar nicht. Erfahrungsgemäß befand er sich in einem Safe. Nein, ihm ging es um Dinge, die man nicht wegschloß: Radiowecker waren interessant, dann Toilette-Garnituren und um all die kleinen Dinge, die man mit Sicherheit in Wäscheschränken und Nachttischen
fand. Pete Clepton kannte sich da recht gut aus. Seine Rechnung ging auch hierauf. Er fand genau das, woran er gedacht hatte. Als er seine Beute zusammenstellte, richtete er sich plötzlich auf und erstarrte. Er hatte unten im Haus ein Geräusch gehört... Clepton war alarmiert. Auf Zehenspitzen ging er zurück ins Treppenhaus und schaute vorsichtig hinab. Zu seiner Überraschung entdeckte er unten in der Wohnhalle zwei Männer, die augenscheinlich auch nicht gerade offiziell ins Haus gekommen waren. Sie verzichteten nämlich darauf, das Licht einzuschalten. Sie benutzten abgedunkelte Taschenlampen und verschwanden gerade in einem Raum, der als Büro eingerichtet war, wie Clepton inzwischen wußte. Er lächelte jetzt unwillkürlich und beruhigte sich sofort wieder. Dieser Zufall war fast schon so etwas wie ein Witz. Da hatten sich Konkurrenten ins Haus gestohlen und wollten ebenfalls kassieren. So etwas war Pete Clepton noch nie passiert... Natürlich hütete er sich, nach unten zu gehen. Komplikationen ging man besser aus dem Weg. Er wußte ja schließlich nicht, wie diese beiden Konkurrenten reagieren würden. Clepton schaute sich nach einem geeigneten Versteck um und entschied sich für die Treppe, die auf den Speicher führte. Geräuschlos stieg er nach oben, verschwand auf dem Speicher und ließ die Tür angelehnt. Er wollte mit den »Berufskollegen« in Sichtkontakt bleiben.
Erstaunlicherweise kamen sie nicht herauf ins Obergeschoß. Sie blieben für etwa sechs bis acht Minuten im Arbeitszimmer des Hausherrn und erschienen dann wieder im Treppenhaus. Wenig später stahlen sie sich durch die Haupttür aus dem Haus. Pete Clepton verstand die Welt nicht mehr. Was waren das für eigenartige Kollegen! Hatten diese Leute denn keine Berufserfahrung? Wie konnten sie nur darauf verzichten, auch die oberen Räume nach Beute zu durchsuchen! Cleptons Neugierde war geweckt worden. Er lief hinunter ins Obergeschoß in eines der vorderen Zimmer und sah auf die Straße. Er bekam gerade noch mit, wie ein unscheinbarer Morris sich in Bewegung setzte. Automatisch merkte Clepton sich das Kennzeichen, als der Morris in den Lichtkreis einer Straßenlaterne kam. Clepton stieg ins Erdgeschoß und wunderte sich erneut. Seine Kollegen hatten sogar die von ihm bereits zusammengetragenen Stücke unberührt gelassen, ja, sie schienen überhaupt nicht im Wohnraum gewesen zu sein. Clepton fragte sich also nicht zu Unrecht, ob diese beiden Männer tatsächlich »Berufskollegen« gewesen waren. * Cora Lanessi hatte Migräne. Entgegen ihrer Absicht war sie nur knapp anderthalb Stunden auf der Party geblieben. Als sie vor dem Apartmenthaus aus ihrem Ford stieg,
hatte sie nur einen Wunsch, sich möglichst schnell ins Bett zu legen. Der Kopf drohte zu zerspringen. Ihr war übel, und sie hatte schon während der Heimfahrt mit einem leichten Brechreiz gekämpft. Natürlich ärgerte sie sich, daß sie so schnell gehen mußte. Die Party war für sie sehr wichtig gewesen. Interessante Leute waren erschienen, vor allen Dingen Männer, auf die sie sich spezialisiert hatte. Cora Lanessi hieß mit bürgerlichem Namen schlicht und einfach Rose Bloom, aber den hatte Sie fast schon vergessen. Sie war im weitesten Sinne des Wortes in der Showbranche tätig, hatte sogar zwei winzig kleine Filmrollen gehabt und betätigte sich hauptberuflich als Callgirl. Sie ließ sich einladen und lud ein, betreute diskret und auch gekonnt erlebnishungrige Männer und kassierte dafür Geld- und Sachwerte. Cora Lanessi sah gut aus, war etwas über mittelgroß, platinblond und schlank wie eine Gerte. Dennoch besaß sie all das, was erlebnishungrige Männer schätzten. Cora gehörte zur Snobiety und war gerngesehener Gast auf leicht anrüchigen Partys. Gerade von dieser Nacht hatte sie sich sehr viel versprochen, aber da war eben diese verflixte Migräne dazwischengekommen ... Sie fuhr mit dem Aufzug in die sechste und letzte Etage des Apartmenthauses, stakste auf ihren hochhackigen Schuhen zur Wohnungstür und sperrte auf. Als sie im Wohnraum war, merkte sie, daß etwas nicht stimmte. Sie
blieb stehen, schaltete hastig das Licht ein und sah sich um. Verändert hatte sich nichts. Dennoch traute sie sich nicht ins angrenzende Schlafzimmer. Sie spürte instinktiv, daß ihr von dort Gefahr drohte. Entschlossen griff sie nach dem Türknauf, öffnete und lief durch den Korridor zurück zum Fahrstuhl und stöhnte. Der Lift war inzwischen von einem anderen Hausbewohner heruntergeholt worden und befand sich laut Lichtanzeige im dritten Stock. Cora Lanessi drehte sich um, beobachtete die Zimmertür und rannte dann zur nahen Feuertreppe. Die junge Frau kam gar nicht auf die Idee, laut um Hilfe zu rufen, und handelte ganz automatisch. Sie rannte über die Feuertreppe nach unten, blieb erst im nächsten Stockwerk stehen und lauschte nach oben. Dann spürte sie plötzlich einen scharfen Luftzug, der durch das schmale Treppenhaus blies. Oben im sechsten Stock mußte die Tür gerade geöffnet worden sein. Cora beugte sich über das eiserne Treppengeländer und hatte den Eindruck, daß sich dort oben etwas bewegte. Erkennen konnte sie jedoch nichts, dazu reichte die eingeschaltete Notbeleuchtung nicht aus. Sie rannte weiter nach unten, wollte zum Hausbesorger und ihn alarmieren. Der Mann war ihr verpflichtet. Sie steckte ihm hin und wieder eine Pfundnote zu, wenn er kleine Besorgungen für sie erledigte. Atemlos erreichte Cora Lanessi das Erdgeschoß, drückte die Tür zur Eingangshalle auf und vergewisserte sich, daß dort kein Mensch stand.
Dann faßte sie ihren ganzen Mut zusammen und verließ die Tür. Sie eilte auf die Treppe zu, die hinunter ins Souterrain führte, wo die Wohnung des Hausbesorgers lag. In diesem Moment kam der Aufzug unten in der Halle an. Zwei Männer stiegen aus die einen völlig unverdächtigen Eindruck machten. Sie trugen Smokings, lachten miteinander und schlenderten wie selbstverständlich auf den Eingang zu. Sie konnten unmöglich oben in ihrer Wohnung gewesen sein. Dennoch blieb Cora Lanessi auf der Halbtreppe stehen und wartete, bis sie draußen in der Dunkelheit verschwunden waren. Der Hausbesorger, ein älterer, stämmiger Mann, sah Cora Lanessi erstaunt an. Er war durch ihr stürmisches Klingeln aus dem Schlaf geweckt worden. Hastig teilte sie ihm mit, daß oben in ihrer Wohnung etwas nicht stimme, daß wahrscheinlich Einbrecher dort seien. »Bitte, kommen Sie mit«, sagte sie. »Allein habe ich einfach zu große Angst.« »Das werden wir gleich haben.« Der Mann lächelte beruhigend und nickte dankbar, als Cora ihm eine Pfundnote in die Hand drückte. Er verschwand für einen Moment in der Diele seiner kleinen Wohnung und kam mit einem Baseballschläger zurück. »Nichts«, erklärte er wenige Minuten später, als er ihre Wohnung abgesucht hatte. »Aber auch rein gar nichts, Miß Lanessi. Alles in bester Ordnung! Vermissen Sie denn was?«
»Ich . .. Ich muß erst nachsehen.« Die junge Frau war beruhigt und wollte allein sein. Sie brachte ihn zur Tür, riegelte und schloß hinter ihm ab. Dann ließ sie sich erschöpft in einen Sessel fallen und massierte ihre hämmernden Schläfen. Und plötzlich wußte sie, was sie hatte mißtrauisch werden lassen: Es war der Zigarettenrauch gewesen, den sie beim Betreten der Wohnung wahrgenommen hatte. Jawohl, sie erinnerte sich deutlich. Es hatte nach frischem und noch warmem Zigarettenrauch gerochen. * Josuah Parker hatte sich zu Bett begeben. Er befand sich in seinen privaten Räumen, die im Souterrain von Lady Simpsons Stadthaus in Shepherd's Market lagen. Obwohl es inzwischen auf ein Uhr zuging, war er nicht sonderlich müde. Er hatte sich eine interessante Lektüre mitgenommen, in der er blätterte. In diesem Magazin für fortgeschrittene Bastler und Heimwerker gab es einen Sonderteil, in dem technische Neuerungen vorgestellt wurden. Einen Josuah Parker mußte das interessieren, denn er war ein Erfinder, der auf seine Leistungen stolz sein konnte. Natürlich bot er diese Dinge nicht an, sondern entwickelte sie nur für den ausschließlich privaten Bedarf. Als ein Mann, der sich in einer permanenten Auseinandersetzung mit der Unterwelt befand, brauchte er immer wieder neue technische Gags, um sich seiner Haut zu
wehren. Darüber hinaus galt es, eine gewisse Lady Agatha Simpson zu beschützen, die sich als Amateurdetektivin betätigte und von einem Abenteuer ins nächste stolperte. Parkers Interesse am Sonderteil des Magazins erlosch schon nach kurzem Durchblättern. Neuigkeiten waren nicht zu erfahren. Er legte das Heft aus der Hand, schaltete das Licht aus und wollte gerade die Augen schließen, als ein feiner Summton ertönte. Parker schaute hinüber auf die große Schalttafel neben seinem Bett. Eine kleine rote Glühbirne flackerte und schuf so etwas wie Alarmstimmung. Butler Parker geriet aber nun keineswegs in Aufregung. Gemessen stieg er aus dem Bett, warf sich seinen Morgenrock über und studierte die optische Anzeige. Das Quadrat, in dem die kleine Lampe flackerte, zeigte ihm an, daß sich im Haus ungebetene Gäste befanden. Genauer gesagt, standen sie im kleinen Vorflur hinter der Eingangstür und kamen nicht weiter. Dieser Vorflur war eine raffiniert getarnte Falle. Das Türschloß präsentierte sich Gaunern und Gangstern in mehr als schlichter Einfalt. Jeder noch so ungeübte Anfänger konnte es mit einem Sperrhaken leicht öffnen. Das aber war nichts als reine Absicht. Die Herren Eindringlinge wurden so eingeladen, erst mal freundlichst näher zu treten. Standen sie jedoch im Vorflur, dann gab es kein Vor und kein Zurück mehr. Die Eingangstür klappte mit Sicherheit zu und erwies sich auf der
Innenseite als eine Art Tresortür, die kaum mit Sprengmitteln aus ihren Angeln zu heben war. Und die nächste Tür, die vom Vorflur ins eigentliche Haus führte, war nicht weniger solide. Butler Parker hatte jetzt zwei Möglichkeiten, um Eindringlinge außer Gefecht zu setzen. Er konnte sie durch eine Falltür hinunter in einen Tiefkeller befördern. Oder aber er konnte eine Art Lachgas in den Vorflur einströmen lassen und den Einbrechern einen kurzen Tiefschlaf bescheren. Dies alles ließ sich von seinem Wohnteil aus ferngesteuert erledigen. Parker entschied sich für die zweite Möglichkeit. Seines Wissens nach lag zur Zeit keine akute Auseinandersetzung mit Gangstern vor, was Lady Agatha übrigens sehr bedauerte. Seit gut drei Tagen hatte sich nichts mehr ereignet, was sie hätte elektrisieren können. Vielleicht handelte es sich da im Vorflur wirklich nur um gewöhnliche Einbrecher, die keine Ahnung davon hatten, wie gefährlich dieses altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady Simpson war. Butler Parker löste die Lachgasdusche aus, band sich mit gemessenen Bewegungen den Gürtel des Morgenmantels zu, stieg in die schwarzen Lederpantoffeln und schritt dann hinauf ins Haus. In der Empfangshalle angekommen, öffnete der Butler einen kleinen Wandschrank und schaltete die hauseigene Fernsehanlage ein. Wenig später sah er die beiden Männer, die malerisch
und schlafend auf dem Boden des Vorflurs lagen. Zu Parkers Überraschung machten sie einen durchaus gepflegten Eindruck, denn sie trugen Smokings, Lackschuhe und Rüschenhemden. Einbrecher normaler Machart, so sagte Parker sich, pflegten in solch einer Kleidung nicht zu arbeiten. Er fragte sich gerade, ob er Mylady wecken sollte, als er oben von der Treppe her grollendes Räuspern hörte. Dann marschierte eine stattlich aussehende Dame von gut und gern sechzig Jahren die Treppe herunter. Sie trug über ihrem fußlangen Nachtkleid ebenfalls einen Morgenmantel. »Wen haben wir denn da eingefangen?« fragte sie hoffnungsfroh. »Wer sind diese Flegel, Mr, Parker? Hoffentlich richtige Gangster! Es wird nämlich Zeit, daß mal wieder was passiert!« * »Die Herren führen keinerlei Papiere mit sich, aus denen Name oder Beruf hervorgeht«, berichtete Parker seiner Herrin, die es sich in ihrem Wohnraum gemütlich gemacht hatte. »Das klingt gut«, stellte die passionierte Detektivin fest. »Die beiden Herren trugen nur je eine Wanze mit sich«, redete der Butler weiter. »Eine Wanze, Mr. Parker?« Lady Agatha schien entrüstet. »Eine Wanze elektronischer Bauart, Mylady«, stellte Josuah Parker klar. »Es handelt sich um die neuesten Modelle, die auf dem
einschlägigen Markt angeboten werden. Wenn Mylady sich vielleicht überzeugen wollen, wie qualitätvoll diese Kleinstsender gearbeitet sind.« »Verschonen Sie mich, Mr. Parker! Davon verstehe ich nichts. Erklären Sie mir das!« »Dank einer möglichen Miniaturisierung, Mylady, können solche Wanzen sehr klein gehalten werden. Diese Ausführungen hier verfügen über eine Mini-Batterie, die erst dann Energie liefert, wenn gesendet wird.« Während Parker noch sprach, präsentierte er auf seiner Handfläche die beiden Mini-Abhörsender. Sie waren nicht größer und dicker als ein normaler Klei-derknopf und konnten mittels Klebefolie oder Magnet ganz nach Belieben befestigt werden. »Wann senden denn diese schrecklichen Geräte?« erkundigte die ältere Dame sich. »Man kann sie durch einen Fernimpuls zur Sendung veranlassen«, berichtete Parker weiter. Er befand sich in seinem Element. »Ein- und Ausschaltung erfolgt durch ein Funksignal.« »Widerlich.« Agatha Simpson schüttelte sich. »Und welche Reichweite haben diese mechanischen Insekten, Mr. Parker?« »Bei dieser Ausführung, Mylady, sollte man davon ausgehen, daß man sie in einem Umkreis von drei bis vier Kilometern empfangen kann. Es hängt natürlich davon ab, wo man sie installiert und welchen Weg die Signale zu überwinden haben.
Hochhäuser etwa könnten sich als sehr störend erweisen.« »Und so etwas wollte man bei uns doch wohl einschmuggeln, wie?« »Davon, Mylady, sollte man ausgehen.« »Man wollte mich also belauschen.« Agatha Simpson schüttelte sich förmlich. »Ich brauche direkt einen Kreislaufbeschleuniger, Mr. Parker. Mir wird schlecht.« Parker versorgte seine Herrin umgehend mit einem alten französischen Kognak und goß reichlich ein. Lady Simpson genoß ihre Medizin und fühlte sich danach prompt wohler. »Haben Sie eine Ahnung, wer uns diese Sender ins Haus setzen wollte?« »Zu meinem tiefsten Bedauern, Mylady, muß ich verneinen.« »Sind diese beiden Subjekte schon wieder zu sich gekommen?« »Gewiß, Mylady. Ich war so frei, in einem der Keller vorläufiges Quartier anzubieten.« »Ich werde diese Subjekte verhören.« Lady Agatha erhob sich aus ihrem bequemen Sessel. »Darf ich mich erkühnen, Mylady einen anderen Vorschlag zu machen?« »Das klingt nicht gut, Mr. Parker.« Sie schaute ihren Butler sofort mißtrauisch an. »Aussagen werden Myladys Gäste sicher nicht«, schickte Parker voraus.' »Man sollte ihnen das schenken, was man gemeinhin die Freiheit nennt.«
»Typisch. Genauso etwas habe ich erwartet. Sie mit Ihrer Gefühlsduselei!« »Man sollte davon ausgehen, Mylady, daß die beiden Herren nach ihrer Freilassung unverzüglich ihr Quartier aufsuchen«, erklärte Butler Parker. »Möglicherweise werden sie auch Kontakt mit ihrem Auftraggeber aufnehmen. In beiden Fällen könnte man Myladys Zwangsgäste diskret verfolgen.« »Das klingt schon wieder bedeutend besser, Mr. Parker.« Agatha Simpson nickte wohlwollend. »Treffen Sie alle Vorbereitungen! Ich werde mich an dieser Verfolgung natürlich beteiligen. Ihnen allein kann man so etwas ja nicht überlassen.« »Wie Mylady meinen.« Parker verzog keine Miene. Er wußte längst aus Erfahrung, wie sehr seine Herrin sich überschätzte. * »Mensch, das hat ja gerade noch mal geklappt«, freute sich Herb Findon. »Mit dem Kohlenschacht haben sie bestimmt nicht gerechnet«, fügte Al Swanley hinzu. »Jetzt aber nichts wie weg.« Die beiden Smokingträger hasteten an den Fachwerkhäusern des kleinen Platzes entlang und erreichten die Hauptstraße. Sie durchquerten einen nahen kleinen Park und stiegen dann in ihren Morris. Herb Findon setzte sich ans Steuer, Al Swanley zündete zwei Zigaretten an und reichte dann eine seinem Partner. Er, der etwas stämmigere
der beiden Wanzen-Installateure, entspannte sich. »Worauf wartest du noch?« fragte er seinen Partner Herb Findon.« Für heute machen wir Schluß. Zurück in den Bau!« »Aber wir haben noch zwei Aufträge«, erwiderte Herb Findon. »Unsere Smokings sind versaut. So können wir uns nicht mehr sehen lassen, Junge. Wir würden sofort auffallen. Nein, Schluß jetzt! Ich regele das schon mit dem Chef.« »Du bist der Boß.« Herb Findon zuckte die Achseln. »Aber hoffentlich gibt's keinen Ärger.« »Den hätten wir beinahe gehabt. Moment mal, haben wir die beiden Wanzen noch?« Al Swanley fingerte in der rechten Außentasche seines Jacketts herum und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Dann sah er seinen Partner Findon an, der ebenfalls nachsuchte und dann beruhigend nickte. »Wer vermutet auch schon was hinter solch 'nem Knopf?« fragte Findon und lachte leise auf. »Aber verdammt, Al, wohin sind wir da eben nur geraten?« » Denke ich auch gerade drüber nach «, räumte Swanley ein. »Das war 'ne raffinierte Falle.« »Und wir sind immerhin mit irgendeinem Gas betäubt worden.« Herb Findon schüttelte ratlos den Kopf. »In 'nem normalen Haus gibt's so was eigentlich nicht.« »Eben!« Al Swanley war der Ansicht seines Partners. »Das war schon ganz schön profihaft. Sag mal, hat die Adresse auch wirklich gestimmt?«
»Natürlich, Shepherd's Market. Habe ich mir genau eingeprägt.« »Und der Name?« »Lady Agatha Simpson. Der Name stand auf dem Messingschild an der Tür.« »Auf was hat der Chef uns da nur gehetzt?« Al Swanley wunderte sich. »Na, ich werde ihn mal fragen, wenn ich ihn gleich anrufe.« Die beiden Smokingträger Findon und Swanley waren der festen Überzeugung, sich aus eigener Kraft befreit zu haben. Sie kamen gar nicht auf den Gedanken, daß ein Mr. Parker ihnen den Fluchtweg freundlichst angeboten hatte. Parker hatte es den beiden Männern natürlich nicht zu leicht gemacht, um ihr Mißtrauen nicht zu erregen. Sie hatten sich schon ziemlich abstrampeln müssen, bis sie den Weg durch den engen Kohleeinfüllschacht für den Keller freigelegt hätten. Findon und Swanley hatten die City von London erreicht und näherten sich Soho, wo sich ihr Quartier befand. Sie wohnten hier in einem angemieteten Apartment und gaben sich als Bühnenagenten aus. Sie besaßen erstklassige amerikanische Pässe und stammten auch wirklich aus den Staaten. Sie waren erst vor knapp einer Woche in London eingetroffen. In ihrer Überheblichkeit übersahen sie die Möglichkeit, daß man sie eventuell verfolgt haben könnte. London, das war für sie so etwas wie Provinz. Sie, die Spezialisten aus den Staaten, konnten über ihre Branchenkollegen hier in England nur milde lächeln. Diese Leute hat-
ten doch kein- Format und zeigten sich als wahre Hinterwäldler, die so etwas wie Entwicklungshilfe brauchten. Findon und Swanley ließen ihren Morris sehr ungeniert vor dem Haus stehen, in dem ihr Apartment sich befand. Sie achteten überhaupt nicht auf die ein wenig grell wirkende junge Dame, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus einem Mini-Cooper stieg und dann in einer Nachtbar verschwand. Als Herb Findon und Al Swanley im Haus waren, erschien die junge Dame wieder auf der Straße, setzte sich zurück in den Mini und hatte wenig später ein kleines Funksprechgerät in der Hand. * »Verdammt, was ist denn das?« Al Swanley starrte auf den Knopf, den er aus der Tasche seines Smoking-Jacketts geholt hatte. »Was ist denn los?« Herb Findon war aufmerksam geworden. »Das ist ja nur ein Knopf«, stellte Swanley entgeistert fest. »Nur ein ganz normaler Knopf, Herb.« »Moment mal.« Herb Findon bemühte auch seine getarnte Wanze. Und nach wenigen. Sekunden erkannte auch er, daß man ihm eine Imitation in die Tasche geschoben hatte. Er sah seinen Partner Swanley kopfschüttelnd an. »Ausgetauscht«, meinte er dann. »Das gefällt mir aber gar nicht.« »Ich werd' sofort den Chef anrufen.« Swanley ging zum Telefon hinüber und sah seinen Partner
überrascht an, der ihn überholte und den Kopf schüttelte. »Mußt du anrufen, Al? « fragte Findon. »Wieso nicht?« »Für uns is' das 'ne satte Blamage«, meinte Herb Findon. »Da is' was dran.« »Möglich, daß der Chef uns sofort feuert.« »Könnte stimmen.« Swanley nagte an seiner Unterlippe. »Und was sollen wir jetzt machen?« »Wir müssen uns noch mal mit dieser Lady Simpson befassen. Die scheint's dick hinter den Ohren zu haben.« »Wir erledigen das intern?« fragte Swanley. »Schlage ich vor, Al.« Herb Findon nickte. »Bist du sicher, ob wir nicht vielleicht beschattet worden sind?« Diese Vorstellung gefiel den beiden Vollprofis aus den Staaten überhaupt nicht. Es schmerzte sie, so hereingelegt worden zu sein. Sie liefen fast gleichzeitig hinüber an eines der Fenster und schauten nach unten auf die Straße. Dort entdeckten sie ein völlig normal aussehendes Taxi, das vor einem Nachtlokal hielt. Ferner einen Mini-Cooper, der sich gerade in Bewegung setzte. Außerdem bemerkten sie einige völlig harmlos aussehende Zivilwagen, die langsam durch die enge Straße fuhren. Echt verdächtige Bewegungen waren nicht zu registrieren. »Nichts«, sagte Swanley erleichtert.
»Warum brausen wir nicht sofort zurück zu der Lady?« tippte Herb Findon an: »Eben.« Swanley war einverstanden. »Wir holen uns die Wanzen zurück und verpassen der Dame 'nen saftigen Denkzettel. « Die beiden Spezialisten aus den Staaten setzten ihr Vorhaben sofort in die Tat um. Jetzt wollten sie es genau wissen! Es ging um ihr Selbstgefühl, zum anderen aber um die saftigen Zahlungen, die sie auch in Zukunft einstecken wollten. Ihr zukünftiger Job bestand schließlich nicht darin, Wanzen zu installieren. Das war nur eine Vorarbeit. Ihr eigentlicher Job sollte in den kommenden Wochen beginnen. Findon und Swanley stiegen in ihren Morris und fuhren zurück nach Shepherd's Market, wo sich das altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady Agatha Simpson befand. Für die beiden stand fest, daß man sie nicht noch mal hereinlegte. Sie ahnten immerhin, daß sie es mit einer Dame zu tun hatten, die recht listenreich sein mußte. Herb Findon und Al Swanley kamen übrigens nicht weit. Ihr Morris befand sich noch in Soho, als der Motor schon hustete und bald danach stotterte. Herb Findon, der am Steuer saß, fluchte ungeniert und konnte sich diese Panne nicht erklären. Er mußte den Morris auslaufen lassen und hielt dann am Straßenrand. »Komisch«, bemerkte er. »Eben hat er's noch getan.« »Schnappen wir uns ein Taxi«, schlug Al Swanley vor. »Die Kiste
hier lassen wir morgen abschleppen.« Die beiden Spezialisten stiegen aus und hielten Ausschau nach einem Taxi. Erfreulicherweise' brauchten sie nicht lange zu warten. Aus einer Seitenstraße kam ein schwarzer, hochbeiniger Wagen, dessen Fahrer ihr Handzeichen erst mal gründlich übersah. Dann aber - mit erheblicher Spätzündung - hielt das Taxi jäh an und setzte zurück Der Fahrer, ein älterer, mürrisch aussehender Mann mit geflickter Nickelbrille, sah die beiden Unglücksraben fragend an. »Shepherd's Market«, sagte Swanley. »Unser Wagen ist ausgefallen.« »Ich hab' eigentlich schon Feierabend«, meinte der mürrische Driver. »Sie bekommen 'n Extratrinkgeld«, schmeichelte Herb Findon. »Los, steigen Sie ein«, forderte der Taxifahrer sie auf. Herb Findon und Al Swanley hüpften elastisch in den Wagen und nickten sich zu. Das hatte noch mal geklappt. Sie brauchten ihre Absicht, Lady Simpson einen zweiten Besuch abzustatten, nicht zu verschieben. Übrigens bekamen sie überhaupt nicht mit, daß eine Art Lachgas in den Fahrgastraum strömte. Dieses Lachgas war geruchlos und ungemein wirkungsvoll. Es breitete sich in dem geschlossenen Raum sehr schnell aus und konnte wegen der Trennscheibe zum Fahrer hin weiter kein Unheil anrichten. Das Taxi hatte die nächste Querstraße noch nicht ganz erreicht,
da befanden die beiden Superspezialisten aus den Staaten sich bereits im Tief schlaf. Wie satte Säuglinge hingen sie in den Polstern und schnarchten um die Wette. * Die ein wenig zu grell hergerichtete und geschminkte Blondine befand sich im Apartment der beiden Spezialisten und nahm so etwas wie eine gründliche Haussuchung vor. Sie interessierte sich für das wenige Gepäck der beiden WanzenInstallateure, für einige Briefe und Papiere, die aber völlig unverdächtig waren, und vermißte eigentlich einige handliche Schußwaffen. Die junge Dame schien sich in den Gepflogenheiten gewisser Spezialisten gut auszukennen. Sie vergeudete keine Zeit damit, jeden noch so versteckten Winkel abzusuchen. Sie verließ das Apartment und schloß die Tür hinter sich. Im Korridor, der hinüber ins Treppenhaus führte, blieb sie abwartend stehen und schien Witterung aufzunehmen. Ihr Blick strich über die wenigen Bilder an den Wänden, deren Rahmen fest an die Wand geschraubt waren. Die Blondine ging an diesen Bildern entlang und prüfte die Schraubköpfe. Sie untersuchte sie auf frische Kratzspuren, konnte aber nichts entdecken. Anschließend widmete sie sich der verglasten Wandnische, in der sich ein kleiner Hydrant befand. Ein Feuerwehrschlauch, der dort
angeschraubt war, lag fest um eine Art Trommel. Die Blondine kapitulierte keineswegs, als sie den Vierkantverschluß der Glasscheibe sah. Aus ihrer kleinen Handtasche holte sie einen passenden Schlüssel, mit dem sie die Glastür ohne weiteres öffnen konnte. Ihre Hand tastete hinter den Anschlußstutzen, ihre Finger berührten prompt einen flachen Schlüssel, der mit Klebestreifen daran befestigt war. Die Blondine nahm diesen flachen Schlüssel an sich, verschloß die viereckige Nische und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten. »Nun, Kindchen?« fragte Agatha Simpson neugierig, als die Blondine zu ihr in den Mini-Cooper stieg. »Ich habe ihn im Hydrantenkasten gefunden.« Kathy Porter zeigte Lady Agatha den Schlüssel. »Er dürfte auf ein Schließfach passen, Mylady.« »Sehr raffiniert.« . Agatha Simpson nickte anerkennend. »Diese beiden Lümmel sind recht vorsichtig.« »Man hätte Ihnen niemals etwas beweisen können«, erwiderte die blonde Kathy Porter. Sie war die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady und arbeitete bei der Aufklärung von Kriminalfällen begeistert mit. Als gelehrige Schülerin Butler Parkers liebte sie die Maskerade. Innerhalb weniger Sekunden konnte sie sich in einen völlig neuen Typ verwandeln und ihn auch glaubwürdig darstellen. »Den Schlüssel hätten wir also«, sagte die ältere Dame. »Und wo ist das Schließfach?«
»Der Name des Bahnhofs ist leider weggefeilt worden, Mylady, aber das macht wohl nichts.« »Natürlich nicht.« Agathe Simpson hatte keine Ahnung, worauf ihre Gesellschafterin hinaus wollte. »Die beiden Männer heißen Herb Findon und Al Swanley«, sagte Kathy. »Sie kommen aus den Staaten und sind angeblich Bühnenagenten. Das wenigstens geht aus ihren Briefen hervor.« »Zur Sache, Kindchen«, drängte die passionierte Detektivin ungeduldig. »Was hat das mit dem Schließfach zu tun?« »Als Ortsfremde werden sie entweder Waterloo-Station oder Victoria-Station gewählt haben.« »Das dürfte ja auf der Hand liegen«, behauptete die ältere Dame prompt. »Für mich war das überhaupt keine Frage, Kindchen. Und wo fangen wir an?« »Vielleicht mit dem WaterlooBahnhof, Mylady? Der ist von Soho aus schneller zu erreichen.« »Genau das wollte ich gerade vorschlagen.« Lady Simpson nickte wohlwollend. »Sie machen sich, Kindchen! Langsam lernen Sie, wie man folgerichtig denkt. Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen, Kathy...« * Herb Findon hörte ein schallendes, aber auch gedämpftes Gelächter, glaubte zu träumen und merkte Sekunden später, daß dies nicht der Fall war. Er schlug vorsichtig die Augen auf und fand sich in einem Doppelbett wieder, in dem er nicht schlecht lag.
Wie er in dieses Bett geraten war, vermochte er nicht zu erklären. Noch weniger begriff er, was diese Frau in seinen Armen sollte. Er konnte sich wirklich nicht erinnern, sie zu dieser ausgedehnten Ruhe eingeladen zu haben. Er hielt sie nachdrücklich umschlungen und spürte die reservierte Kälte, die von ihr ausging. Vorsichtig löste Findon Sich von ihr und ... erstarrte! Das war keine Frau aus Fleisch und Blut, sondern eine moderne, wohlgestaltete Schaufensterpuppe. Und während er hastig vor ihr zurückwich, brauste das Gelächter deutlich auf. Irgendwo schien man sich köstlich zu amüsieren ... Noch fühlte er sich nicht frei von jener seltsamen Benommenheit, die ihn im Bett festhielt. Er schloß noch mal kurz die Augen und versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Wie war denn das noch gewesen? Er war zusammen mit Swanley in das Taxi gestiegen, um Lady Simpson einen zweiten Besuch abzustatten. Auf dem Weg dorthin mußte etwas Schwerwiegendes passiert sein. Wo war Swanley? Herb Findon schlug die Bettdecke zurück und stand auf. Worauf das Gelächter wie eine Brandung anschwoll, wie er deutlich hörte. Findon schaute an sich hinunter und.... fuhr zusammen. Er war splitternackt, was ihn völlig irritierte. Dann nahm er den Kopf herum und ... blieb wie versteinert stehen.
Vor dem riesigen Schaufenster draußen auf der Durchgangsstraße standen gut und gern dreißig männliche und weibliche Zuschauer, die ihn interessiert musterten. Findon, der abgebrühte Spezialist aus den Staaten, bekam einen roten Kopf und sauste zurück ins Bett. Hastig zog er die Bettdecke über sich und hielt für einen Moment den Atem an. Langsam ging ihm ein Licht auf... Der Taxifahrer! Dieser mürrische Mann mußte ihm diesen Streich gespielt haben. Wie es dazu aber kommen konnte, blieb ihm schleierhaft. Findon überlegte krampfhaft, wie er sich absetzen konnte. Vermutlich dauerte es nicht lange, bis amtliche Vertreter erschienen, um ihn wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festzunehmen. Sollte er die Bettdecke um seinen nackten Körper wickeln? Nein, darin konnte er sich ja kaum bewegen. Er fingerte zu seiner Nachbarin hinüber und ertastete deren kurzes, neckisches Nachthemd. Herb Findon schluckte diese bittere Pille, riß ihr das Shorty vom Kunststoffkörper und richtete sich dann auf. Ein wenig ungelenk streifte er sich das sexy wirkende Gewand über seinen durchtrainierten Körper, holte tief Luft und begann seine Flucht. Vor dem Schaufenster waren inzwischen zwei Bildreporter eingetroffen, die man alarmiert hatte. Sie ließen sich diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen und schössen unter Zuhilfenahme von Blitzlicht serienweise Fotos.
Der Superspezialist wurde von diesen Blitzen geblendet und stolperte über einen Fellteppich des Ausstellungsschlafzimmers. Er warf verzweifelt die Arme hoch und ... landete krachend auf einer Kommode, die unter seinem Gewicht zusammenbrach. Findon stöhnte, rappelte sich hoch und rieb sich, während er auf einem Bein tanzte, das Schienbein. Da er nur das kurze Shorty trug, wirkte sein Solotanz recht albern. Er raffte sich wieder auf, setzte seine Flucht fort und wollte Um jeden Preis heraus aus diesem Schaufenster. Er verwickelte sich prompt in einem Vorhang, der wie ein Netz von der Decke herunterhing, schlug wütend um sich und ließ sich schließlich von zwei Angestellten des Möbelhauses einfangen. Donnernder Applaus belohnte ihn für seine Galavorstellung, doch Herb Findon reagierte darauf überhaupt nicht. Als seelisch angeschlagener Mann ließ er sich im Netz wegschleppen, wobei er verzweifelt darum bemüht blieb, seine Blößen zu bedecken. * Als Swanley träumte, er würde recht derb an der Schulter gerüttelt, knurrte er verärgert und merkte, daß er gar nicht träumte und öffnete verwirrt die Augen. Vor ihm stand ein Londoner Bobby mit einem sehr dienstlichen Gesicht. Al Swanley, gegen Uniformen allergisch, zuckte zusammen, schaute um sich und
begriff überhaupt nichts mehr. Er saß auf einem Gehsteig, mit dem Rücken gegen eine Haus wand gelehnt. Zwischen seinen leicht gespreizten Beinen lag ein uralter, zerbeulter Hut, in dem die Pennies sich häuften. Um seine Schultern lag eine alte Wolldecke, die penetrant nach Müll roch. »Gehen Sie weiter, Mann«, sagte der Bobby. »Sie müssen ja nicht unbedingt vor der Admiralität herumsitzen und betteln.« »Betteln?« Al Swanley, der zweite Superspezialist aus den Staaten, bekam einen roten Kopf und ähnelte darin seinem Partner Findon, den er jedoch vermißte. »Sie laden nicht gerade zu einer Lotterie ein«, stellte der Bobby fest. »Weitergehen, Mann! Oder wollen Sie mit zur nächsten Polizeistation?« »Ich . .. Ich weiß gar nicht.. .!« Mehr brachte Al Swanley nicht heraus. Auch er versuchte sich zu erinnern. Wie war er hierhergekommen? Was war denn überhaupt passiert? Wieso bettelte er? War er plötzlich verrückt geworden. »Also?« Der Bobby wurde ungeduldig. »Scho... Schon gut«, murmelte Swanley mit belegter Stimme. Er hatte nur den einen Wunsch, sich so schnell wie möglich zu verdrücken. Er stand auf und begriff nicht, warum der Bobby Augen bekam, die so groß waren wie Untertassen. »Mann, setzen Sie sich schleunigst wieder«, fuhr der Bobby ihn an. »Los, Sie sollen sich setzen! Wollen Sie einen Aufstand verursachen?«
Als Swanley an sich hinunterschaute, ging ihm ein Licht auf. Und er konnte den Bobby plötzlich nur zu gut verstehen. Die Decke war nämlich sein einziges Kleidungsstück, und sie bestand praktisch nur aus mehr oder weniger großen Löchern. »Ich . . . Ich begreife das nicht«, sagte Swanley verschämt. Er ließ sich hastig auf dem Gehweg nieder und schwitzte Blut und Wasser. »Das werden wir gleich haben«, versprach der Bobby ihm. Er griff nach seinem Funksprechgerät und informierte kurz und knapp seine Station. »Ich .. . Ich begreife das nicht«, versicherte Swanley dem Bobby. »Ich auch nicht«, antwortete der Londoner Polizist. »Erzählen Sie das später dem Richter, klar?« »Dem Richter?« »Selbstverständlich, Mann. Wir in London sind ja schon verflixt großzügig, aber das hier geht wohl doch zu weit!« Al Swanley wollte mit einem Richter nichts zu tun haben. Für ihn stand fest, daß es nur eine schnelle Flucht gab. Er spannte seine Muskeln und ... warf sich gegen den Bobby. Doch er geriet an den falschen Mann. Der Streifenpolizist schien mit solch einem Fluchtversuch gerechnet zu haben. Er langte kurz mit seinem Schlagstock zu, worauf Swanley sofort sehr ruhig sitzen blieb, bis ein Streifenwagen erschien . . . »Noch ein Verrückter?« fragte der diensttuende Sergeant verblüfft, als
Swanley auf der Station eingeliefert wurde. »Noch ein Verrückter?« erkundigte der Bobby sich. »Eben haben wir einen bekommen, der sich splitternackt in 'nem Möbelschaufenster produziert hat«, meinte der Sergeant. »Ich denke, wir packen die beiden Typen zusammen.« »Nackt in einem Schaufenster?« murmelte Al Swanley, dem ein schrecklicher Verdacht kam. »Schlafen Sie erst mal Ihren Rausch aus«, empfahl der Sergeant und winkte einen Beamten heran. »Sammelzelle vier, Constable. Wahrscheinlich werden die beiden Burschen sich prächtig verstehen.« Al Swanley ließ sich willig abführen. Als man ihn in die Zelle führte, stöhnte er leise auf. Auf einer Pritsche saß sein Partner Herb Findon. Man hatte ihm eine Decke spendiert, doch der Spitzensaum des neckischen Shorty schaute an der Seite deutlich hervor. »Das überleb' ich nicht«, sagte Findon, »das überleb' ich nicht.« »Den Taxifahrer bringe ich um«, versprach Swanley. »Ich begreife überhaupt nichts mehr«, murmelte Findon. »Wenigstens halb London war vor dem Schaufenster, Al. Und ich im Shorty! Und Bilder haben sie geschossen! Ich kann mich in den Staaten nie wieder blicken lassen ...« »Bis auf die Knochen blamiert«, beschwerte sich nun Al Swanley. »Ich als mieser Bettler! Kein Hund nimmt mehr ein Stück Brot von mir. Den Taxifahrer bring' ich um, Ehrenwort!«
* »Zwei Achtunddreißiger mit Schalldämpfern und eine Maschinenpistole«, berichtete Kathy Porter dem Butler, der zurück in Myladys Haus gekommen war. »Und die haben Kathy und ich gründlich unbrauchbar gemacht«, sagte Lady Agatha. »Wir haben die Schlagbolzen entfernt und die Waffen zurück ins Schließfach gesteckt. Aber wo waren denn Sie die ganze Zeit über, Mr. Parker? Ich mußte meinen Morgentee allein nehmen.« »Ich war so frei, Mylady, mich in einschlägigen Kreisen nach einer eventuell neu gegründeten Organisation zu erkundigen, die sich auf elektronische Wanzen spezialisiert hat.« »Hatten Sie Erfolg, Mr. Parker?« »Mit entsprechenden Andeutungen oder gar Hinweisen konnte man meiner bescheidenen Wenigkeit nicht dienen, Mylady.« »Wieso glauben Sie an eine neue Organisation?« Lady Agatha machte einen sehr interessierten Eindruck. »Eine eingehende Durchsuchung des Morris' der beiden Herren förderte genau einundzwanzig MiniSender zutage, Mylady. Das läßt darauf schließen, daß die beiden Einbrecher diese elektronischen Insekten in einer ausgesprochen großzügigen Art und Weise installieren wollten. Möglicherweise handelte es sich bei diesen einundzwanzig Kleinstgeräten nur um die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges.«
»Das habe ich mir gleich gedacht«, behauptete die resolute Dame natürlich prompt. »Diese Subjekte wollen damit die ganze Stadt Oberschwemmen.« »Aber wahrscheinlich doch nach einem bestimmten System«, warf Kathy Porter ein. »Wie? Natürlich, Kindchen, natürlich.« Lady Agatha nickte. »Wieso übrigens?« »Man sollte, wie Mylady es bereits andeuteten, von einer massierten Lauschaktion ausgehen«, sagte Josuah Parker gemessen, seiner Herrin einen Ball zuspielend. »Muß man sogar, wie ich's bereits sagte.« Sie fing den Ball wie selbstverständlich auf. »Das Abhören .aber lohnt sich nur bei Personen, die etwas zu sagen haben, was für die Öffentlichkeit nicht bestimmt ist«, führte der Butler weiter aus. »Verfügt man einmal über dieses Wissen, könnte man Erpressungen großen Stils vornehmen.« »Und das werden wir verhindern«, versprach Agatha Simpson grimmig. »Aber wie bekommen wir heraus, wem man solch eine Wanze bereits in die Wohnung gesetzt hat?« »Mylady treffen damit den Kern des Problems.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Wer hat diese Aktion veranlaßt, wer steuert sie und wer erpreßt möglicherweise bereits, das sind Fragen, die einer Antwort bedürfen.« »Ich hoffe, Sie lassen sich da etwas einfallen, Mr. Parker. Ich kann ja nicht alles allein tun«, grollte die ältere Dame. »Könnte man nicht die Öffentlichkeit warnen?«
»Das, Mylady, würde nur eine Unsicherheit größten Stils verursachen«, warnte Butler Parker. »Mißtrauen, Angst und Panik könnten das Ergebnis sein. Wie Mylady es bereits sagten, sollte man diesen Fall in der Tat diskret behandeln und lösen.« »Das möchte ich noch mal nachdrücklich wiederholen«, entgegnete Agatha Simpson energisch. »Nur nichts an die große Glocke hängen. Darauf muß ich bestehen, Mr. Parker.« »Wie Mylady wünschen.« Parker nickte andeutungsweise. »Aber wie kommen wir an den Mann heran, der das alles inszeniert hat?« wiederholte sie ihre Frage noch mal. »War es richtig, Mr. Parker, diese beiden Subjekte Findon und Swanley für eine gewisse Zeit auszubooten? Ihre Albernheit hat Ihnen wieder mal einen Streich gespielt, nicht wahr? Geben Sie es schon zu!« »Myladys Tadel trifft meine bescheidene Wenigkeit tief«, antwortete Parker. »Ich erlaubte mir davon auszugehen, daß die Herren Findon und Swanley ab sofort recht ärgerlich auf Mylady sein dürften. Mit Sicherheit aber werden sie auch ärgerlich auf ihren Auftraggeber werden, der sie im Fall von Myladys Haus nicht gewarnt hatte.« »Wieso rechnen Sie eigentlich mit einem Auftraggeber?« wollte die Detektivin wissen. »Könnten Findon und Swanley nicht auf eigene Rechnung arbeiten?« Als Amerikaner, Mylady, wüßten die beiden Herren hier in London kaum, wo sie den Hebel anzusetzen
hätten, wenn ich es so umschreiben darf.« »Hebel?« Lady Agatha war irritiert. »Wanzen, Mylady«, korrigierte der Butler sofort. »Sie zu installieren lohnt sich nur bei Personen, die Geld versprechen. Dies aber kann meiner bescheidenen Ansicht nach nur ein Insider beurteilen. « »Sehr schön, daß Sie mir mal wieder beistimmen müssen«, entgegnete die Detektivin wie selbstverständlich und wurde noch nicht mal rot. »Also, Mr. Parker, finden Sie dieses Subjekt!« * Clive Dulving war ein wirklich gemütlich aussehender Fünfziger, dessen braune Augen stets freundlich blinzelten. Er war ein Mann, dem man nichts Böses unterstellte, und betrieb ein kleines Ladenlokal, in dem er Souvenirs verkaufte. Sein langer, schlauchartiger Laden, der sich im Hintergrund in dämmriges Halblicht verlor, war vollgestopft mit Kitsch und kunstgewerblichen Artikeln. Der Umsatz in Soho, das von neugierigen Besuchern stets überlaufen war, garantierte ihm ein gutes Auskommen. Er zahlte regelmäßig seine Steuern und hatte noch nie versucht, ausländische Kunden übers Ohr zu hauen. Clive Dulving befand sich an diesem Mittag in seinem kleinen Büro und telefonierte. Vorn im Ladenlokal waren seine beiden weiblichen Angestellten gerade damit beschäftigt, die Insassen eines Sightseeing-Busses zu bedienen.
»Mit Ihrem Namen kann ich überhaupt nichts anfangen«, sagte Clive Dulving. »Sind Sie sicher, daß Sie ausgerechnet mich sprechen wollten?« »Sie sind doch Clive Dulving, nicht wahr?« fragte die kühle Stimme zurück. »Clive Dulving, Andenken aller Art«, erwiderte Dulving. »Wie war doch noch Ihr Name?« „ »Arthur Miller«, lautete die wenig befriedigende Antwort. Der Name war eindeutig erfunden. »Möchten Sie fünftausend Pfund verdienen?« »Sie machen einen Witz, wie?« Clive Dulving lachte fröhlich, obwohl er innerlich längst auf Wachsamkeit umgeschaltet hatte. »Wer möchte nicht fünftausend Pfund verdienen?« »Sie sind mir empfohlen worden.« »Wie viele Tonnen Geschenkartikel brauchen Sie denn?« wollte Dulving wissen. »Mir genügen da einige Unzen Blei, Mr. Dulving.« »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.« Natürlich hatte Dulving sehr gut verstanden, aber das spielte keine Rolle. »Ein paar Unzen Blei«, wiederholte Arthur Miller. »So etwas ist für Sie doch eine Kleinigkeit.« »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen, oder?« »Mein Angebot ist sehr ernst gemeint, Mr. Dulving«, antwortete die kühle Stimme. »Ich kann Ihre Vorsicht ja verstehen, aber Sie können mir vertrauen.« »Ende«, sagte Clive Dulving. »Ich habe hier eine Menge zu tun, Mr.
Miller. Sie hatten Ihren Spaß, okay. Aber jetzt muß ich wieder an die Arbeit.« Er legte einfach auf und zündete sich eine Zigarre an. 1 Clive Dulving starrte auf den Telefonapparat und fragte sich, wer dieser Miller wohl sein könnte. Von wem mochte er an diesen unbekannten Mann empfohlen worden sein? Das Telefon klingelte erneut, wie Dulving es auch erwartet hatte. Er hob ab und meldete sich. Es war dieser Arthur Miller. »Wo kann man sich in aller Ruhe unterhalten?« fragte der Anrufer. »Kommen Sie doch zu mir«, schlug Dulving vor. »Ich hab' 'ne wundervolle Tower-Bridge in Kleinstformat. Sie können auch das Parlament als Zuckerdose haben. Oder den Buckingham-Palast als Briefbeschwerer. Ich bin gut sortiert.« »Das wurde mir gesagt, Mr. Dulving.« Die kühle Stimme ging auf Dulvings Scherz nicht ein.« Darum möchte ich mit Ihnen ja auch ins Geschäft kommen. Ich werde also vorbeikommen.« »Und wann?« »Sagen wir, in gut einer Stunde. Ich rufe von auswärts an.« »Und wie erkenne ich Sie?« »Ich werde mich vorstellen, Mr. Dulving. Ende!« Jetzt legte der Anrufer auf. Clive Dulving tat es ebenfalls und ärgerte sich. Es paßte ihm gar nicht, daß sein spezieller Service sich herumgesprochen hatte. Gerade er lebte von der Diskretion. Und an einer Geschäftsausweitung war er schon gar nicht interessiert.
Er verließ sein kleines Büro und begab sich hinüber in das Ladenlokal. Der Ansturm der Touristen dauerte noch an, seine beiden Verkäuferinnen hatten alle Hände voll zu tun, die Wünsche zu befriedigen. »Mr. Dulving?« wurde er von einem schmalen und drahtig aussehenden Mann angesprochen. Seinem Akzent nach zu urteilen kam er aus den Staaten. Der Mann war etwa dreißig Jahre alt, trug einen gut geschnittenen, sportlichen Anzug und hatte tadellose Manieren. »Genau der bin ich.« »Arthur Miller«, stellte der Drahtige sich vor. Und Dulving wußte sofort, daß das nicht stimmte. »Haben wir eben miteinander gesprochen?« erkundigte er sich und tat verblüfft. »Wo kann man sich ungestört unterhalten?« »Gehen wir in mein Büro, Mr. Miller.« Clive Dulving ärgerte sich erneut. Dieser Besuch kam ihm etwas zu schnell und zu überraschend. Er hatte noch nicht mal Zeit gehabt, gewisse Vorbereitungen zu treffen. »Machen wir es kurz«, schlug der angebliche Arthur Miller vor, nachdem er die Glastür hinter sich geschlossen hatte. »Fünftausend Pfund für das Blockieren von Lady Simpson und Butler Parker. Bar auf die Hand!« »Lady Simpson und Butler Parker?« Clive Dulving hüstelte. »Hören Sie, Sie müssen mich verwechseln.« »Ich weiß, daß Sie im Hauptberuf delikate Probleme erledigen«,
erwiderte der angebliche Mr. Miller. »Mein Vorschlag ist keine Falle. Butler Parker und Lady Simpson stören meine Geschäfte.« »Mann, haben Sie überhaupt eine Ahnung, wer Butler Parker ist?« »Und Lady Simpson!« »Also schön, Butler Parker und Lady Simpson. Das ist ohnehin ein verrücktes Gespann. Ihr Pech, wenn Sie denen in die Quere gekommen sind.« »Mein Glück aber, daß Sie mir emp-1 fohlen wurden.« Arthur Miller lächelte dünn. »Hier sind zweitausend Pfund Anzahlung, Mr. Dulving. Ich erwarte, daß Sie mich innerhalb von zwei Tagen bedienen können. Das müßte eigentlich reichen.« Während er noch redete, blätterte er Dulving die Banknoten auf den Schreibtisch, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.« »Wie sind Sie an meine Adresse gekommen?« wollte Dulving wissen. »Fragen Sie im >Vampir< nach mir«, entgegnete der angebliche Mr. Miller. »Der Clubmanager hat mir Ihre Adresse gegeben.« »Oscar Driffeld etwa?« Clive Dulving konnte sich nur noch wundern. »Genau der, Mr. Dulving. Ich werde Sie in einer Stunde noch mal anrufen. .Auf Wiedersehen! Sie sollten mir übrigens nicht nachspionieren, das zahlt sich nicht aus.« Arthur Miller, wie er sich nannte, verließ mit kurzem Nicken das Büro, mischte sich unter die Käufer vorn im Ladenlokal und war wenig später
bereits draußen auf der Straße verschwunden. Er ließ einen geldgierigen, verärgerten und auch neugierigen Clive Dulving zurück, der umgehend im >Vampir< anrief. * »Den Typ da kenn' ich«, sagte Pete Clepton überrascht. Er saß in der Küche der kleinen Wohnung und tippte mit dem Zeigefinger auf ein verrücktes Bild, das er gerade in der Mittagsausgabe der Zeitung gefunden hatte. »Das mußt du dir ansehen, Elsie.« »Ich kenne das Bild«, erwiderte Elsie, eine deutlich aus der Form geratene, üppige Blondine. »Und ich muß schon sagen, daß das 'ne ziemliche Zumutung ist.« »Im Smoking sah er besser aus«, meinte Pete Clepton. »Und da war er nicht allein.« »Sich nackt in ein Schaufenster zu legen!« Elsie hatte strenge Grundsätze, was Moral, Sitte und Anstand anbetraf. »Der hängt da wie'n Schinken im Netz«, amüsierte sich Clepton. Das Bild zeigte überdeutlich einen nackten Mann in einer netzartigen Gardine, der gerade von zwei Männern eingefangen wurde. »Woher kennst du ihn?« fragte Elsie. Sie rauchte eine Zigarette und bereitete das Frühstück. Nach seiner nächtlichen Einbruchsarbeit schlief Pete Clepton stets bis Mittag. Er hielt auf Gesundheit.
Der Einsteigedieb lehnte sich zurück und schilderte seiner Freundin das nächtliche Erlebnis. »Sie haben nichts mitgenommen?« wunderte Elsie sich. »Nicht die Bohne.« Pete Clepton nickte. »Das scheinen verdammt schräge Vögel gewesen zu sein.« »In der Zeitung steht, dieser Mann da auf dem Bild kam' aus den Staaten und war' Bühnenagent«, sagte Elsie. »Das paßt doch niemals zusammen.« »Soll nicht mein Bier sein, Elsie.« »Sollte es aber, Pete! Vielleicht läßt sich daraus was machen. Überleg' doch mal!« »Erpressung, Elsie?« Er sah sie vorwurfsvoll an und war unangenehm berührt. »Das liegt nicht auf meiner Linie. Und das weißt du ganz genau.« »Was hatten die beiden Kerle in dem Haus zu suchen, willst du mir das mal sagen?« »Geht mich nichts an,« »Wem gehört das Haus, in dem du sie gesehen hast?« »Bruce Chessing. Der Mann is'n hohes Tier in der Regierung. Seit wann interessiert dich so was, Elsie? « »Weil du endlich mal an das große Geld kommen kannst, Pete.« »Wir kommen auch so zurecht, oder?« »Aber wir leben von der Hand in den Mund, Pete.« »Und wie komme ich an das große Geld?« »Klemm' dich ans Telefon und ruf diesen Chessing an, Pete. Verkauf ihm das, was du gesehen hast!«
»Kapiert. Ich soll ihm gegen Geld sagen, was in der Nacht bei ihm gelaufen ist, wie?« »Richtig, Pete. Vielleicht läßt er sich den Tip was kosten.« »Und wenn er mich an die Polizei verpfeift?« »Dankbar wird er dir sein, verlaß dich darauf! Und dann könnte man doch noch die beiden Typen anrufen.« »Warum denn das?« Pete begriff nicht gerade schnell. Im Denken war Elsie ihm weit überlegen. »Ich weiß ja noch nicht mal, wo die beiden Typen wohnen.« »Das sagt dir die Zeitung. Wenn sie das Bild bringen, werden sie ja wohl auch wissen, wo der Kerl wohnt.« »Und was soll ich dem sagen?« »Daß du den Mund hältst, falls er zahlt.« »Elsie, was ist nur mit dir los?« wunderte Pete Clepton sich. »Das is' doch nicht fair. So was tut man nicht.« »Also schön, dann sprich nur mit diesem Regierungstyp, Pete.« Sie lenkte scheinbar ein, doch für sie stand es fest, daß sie dieses Geschäft auch gegen den Willen ihres Freundes ausweiten würde. Er brauchte davon vorerst nichts zu wissen. Manche Leute mußte man eben zu ihrem Glück zwingen, und Pete gehörte mit Sicherheit dazu. Sie kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß sie ab sofort mit Nitroglycerin spielte. *
»Darf ich davon ausgehen, daß Mylady sich nicht strapazieren?« erkundigte Josuah Parker sich nach einer knappen Stunde. Seit dieser Zeit war er mit seiner Herrin unterwegs und suchte nach elektronischen Wanzen. Agatha Simpson saß im abgeteilten Fond des hochbeinigen Monstrums und hörte über einen zweiten Ohrclips mit, was Parkers Spezialempfänger aufnahm. Josuah Parker hatte für diese Suche ein besonderes Gerät mitgenommen, das über eine große Frequenzbreite empfing. Es war mit einem Tonbandgerät gekoppelt, das sämtliche Aufnahmen automatisch mitschnitt. Die eigentliche Auswertung wollte Parker erst nach dieser Ausfahrt durchführen. »Ich und strapaziert?« Agatha Simpson lachte spöttisch auf. »Ein besseres Rundfunkprogramm habe ich noch nie gehört, Mr. Parker.« »Dann sind Mylady damit einverstanden, daß ich mich jetzt dem Stadtteil Kensington zuwende?« »Nur zu, Mr. Parker! Ich freue mich schon darauf.« Parker enthielt sich jeden Kommentars. Er hatte Belgravia bereits abgehakt und war innerlich entsetzt. Sein Empfänger lieferte auf allen einschlägigen Frequenzen private Gespräche, die nur auf dem Umweg über Mini-Sender, sprich Wanzen, weitergegeben worden sein konnten. Die Verbreitung dieser elektronischen Insekten war bestürzend. Es gab kaum ein Bürohaus, aus dem keine Sendung kam. Die Frequenzen wechselten zwar, aber das spielte, natürlich keine Rolle.
Sekunde für Sekunde wurden Interna ausgestrahlt und an interessierte Zuhörer weitergegeben. Oft überschnitten und überlagerten sich diese Sendungen. In einzelnen Bürohäusern schienen sich ganze Wanzennester zu befinden. Parker hatte die Kleinstsender, die er im Morris gefunden hatte, genau studiert. Er besaß ein Zusatzfunkgerät, mit dem er diesen >Wanzentyp< aktivieren und sendebereit machen konnte. In sechs Fällen war er bereits auf diese speziellen Kleinstsender gestoßen, die offensichtlich von Herb Findon und Al Swanley heimlich eingeschmuggelt worden waren. In welchen Wohnungen und Büros sie sich genau befanden, konnte er vom Wagen aus natürlich nicht sagen. Dies bedurfte noch genauerer Ermittlungen, die er später vorzunehmen gedachte. Im Augenblick wollte er sich nur ein grobes Arbeitsmuster verschaffen. Parker hielt vor einem modernen Apartmenthaus und schickte das Funksignal in den Äther. Er hatte die Antenne auf dieses Haus gerichtet, dessen Bewohner mit Sicherheit hohe Mieten zahlen mußten, dementsprechend also über einen guten finanziellen Hintergrund verfügten. Mylady lehnte sich erwartungsvoll zurück und wartete auf die Antwort der >Wanze<, die aktiviert worden war, falls sich in diesem Haus ein Minisender befand. Nun, sie brauchte nicht lange zu warten...
Eine weibliche, einschmeichelnde Stimme fragte ein Häschen, ob alles in Ordnung sei. Das Häschen antwortete mit einem dunkel gefärbten Bariton und gab zu verstehen, daß es noch einen Drink brauche. Und noch mehr, wie sich bald herausstellte. Das Häschen äußerte Wünsche, die man nicht gerade als sittsam bezeichnen konnte. Agatha Simpson schüttelte entrüstet den Kopf. »Das muß ja ein wahrer Sittenstrolch sein«, stellte sie dann fest. »Wünschen Mylady, daß ich diese Abhöraktion unterbreche?« erkundigte Parker sich. »Auf keinen Fall«, gab seine Herrin zurück. »Ich will und werde mich sittlich entrüsten, Mr. Parker.« »Wie Mylady wünschen.« »Glauben Sie nur ja nicht, das würde mir Spaß machen, Mr. Parker.« »Natürlich nicht, Mylady.« »Ich höre aus rein wissenschaftlichem Interesse zu, Mr. Parker«, gab sie streng zu verstehen. »Dieses Häschen scheint ja unersättlich zu sein.« »Es entwickelt in der Tat ungeahnte Aktivitäten«, kommentierte Josuah Parker. »Aber auch die Dame scheint nicht das zu sein, was man desinteressiert nennen sollte.« »Was ich da höre, Mr. Parker, ist ja direkt ein Porno!« Agatha Simpson wunderte sich. »Du lieber Himmel, das ist schon direkt eine Orgie.« »In der Tat, Mylady!« Parker beobachtete das Apartmenthaus und konzentrierte seine Aufmerksamkeit
auf die sechste Etage. Wenn er die kleine Richtantenne darauf richtete, war der Empfang besonders stark und sehr naturalistisch. » Und das alles liefert solch eine Wanze aus dem Besitz dieser beiden Subjekte?« wunderte sich die Detektivin. »Damit wir uns recht verstehen, Mr. Parker, ich schäme mich für diesen Lüstling dort drüben im Haus.« »Durchaus verständlich, Mylady.« »Stellen Sie gefälligst nicht zu leise«, grollte Lady Agatha in Richtung Parker. »Aber mit dem Namen >Häschen< kann ich nichts anfangen.« »Vielleicht wird der bürgerliche Name noch zu irgendeinem Zeitpunkt fallen, Mylady.« Butler Parker hatte richtig vermutet. Nach den Aktivitäten zwischen dem Häschen und seiner Betreuerin war jetzt im Empfänger deutlich das Klirren von Eiswürfeln in einem Glas zu vernehmen, hörte man Schritte, Lachen und dann das Surren einer Wählerscheibe. »Hier Fleets«, sagte die Stimme des Häschens. Und sie war wieder klar, ja schon fast überdeutlich zu hören. »Sagen Sie Ruthermore, daß ich eine halbe Stunde später kommen werde. Ich bin aufgehalten worden. Und legen Sie mir noch den Vorgang Friars zu den Akten. Das ist dann ein Aufwaschen. Ja, Ende!« Die Elektronik der Wanze drüben im Apartmenthaus lieferte das klickende Auflegen des Telefonhörers. Dann lachte das Häschen alias Fleets wieder satt auf.
»Fleets, Fleets?« wunderte Lady Simpson sich halblaut. »Mr. Parker, kennen wir einen Fleets?« »Gewiß, Mylady. Nelson Fleets, wie ich vermuten möchte. Sir Nelson leitet die Königliche Untersuchungskommission in Sachen Mittelstandspolitik.« »Eine Schande!« Agatha Simpson entrüstete sich noch ein wenig. »Wir werden hier warten, Mr. Parker. Ich will ihn mit meinen Augen sehen.« Die resolute Sechzigerin brauchte nicht lange zu warten. Nach zwanzig Minuten erschien ein mittelgroßer, seriös aussehender Herr im verglasten Eingang. Er schaute sich verstohlen um und ging dann zu einem Wagen, der unscheinbar weiter unten am Straßenrand stand. »Das ist er«, stellte Agatha Simpson fest. »Sir Nelson! Er betrügt seine Frau, Mr. Parker. Gut, ich kenne sie und kann Sir Nelson durchaus verstehen, aber dennoch...« »Eine Bandaufzeichnung von Sir Nelsons privaten Ambitionen dürfte ein kleines Vermögen wert sein«, antwortete Butler Parker. »Hier scheint man Erpressungen größten Stils vorzubereiten oder gar bereits schon zu betreiben, Mylady.« »Weiter, weiter«, drängte Lady Simpson. »Was werden wir sonst noch alles hören.« »Wenn Mylady erlauben, möchte ich feststellen, wo Sir Nelson geweilt hat. Es dauert nur wenige Minuten. Hier scheinen mir die Aussichten, den Ort der Wanze feststellen zu können, recht günstig zu sein, zumal eine Frau im Spiel . ist.« Er stieg aus dem Wagen, legte sich den Bambusgriff seines Universal-
Regen-Schirms über den linken Unterarm und überquerte die Straße. Nach wenigen Minuten kannte er den Namen Cora Lanessi, die tatsächlich im sechsten Stock wohnte. Als Parker zurück zum hochbeinigen Monstrum ging, fiel sein Blick wirklich rein zufällig auf einen kleinen Kastenlieferwagen, in dem laut Firmenaufschrift »Frische Farmeier« transportiert wurden. Das war an sich überhaupt nicht auffällig. Es war die drehbare und sehr modern wirkende Stabantenne auf dem Wagendach, die Parkers Interesse erregte. Warum, so fragte er sich, brauchte ein Eierlieferant solch eine moderne Peilantenne? Hatte er es mit einem HiFi-Fanatiker zu tun, oder war er den Wanzeninstallateuren auf der Spur? * Die beiden Spezialisten aus den Staaten waren äußerst schlechter Laune. Sie befanden sich zwar wieder in ihrem Apartment in Soho, doch sie litten noch sichtlich unter ihrer peinlichen Niederlage. Sie waren in die Freiheit entlassen worden, doch man hatte sie nachdrücklich verwarnt. Darüber hinaus hatten sie inzwischen erfahren, daß sie noch vor einem Gericht zu erscheinen hatten. Gewiß, auf sie wartete zwar nur eine Geldstrafe, doch darum ging es ihnen überhaupt nicht. Die beiden Berufsgangster Herb Findon und Al Swanley waren zum ersten Mal in
ihrer Laufbahn lächerlich gemacht worden. »Eine miese Presse haben die hier in London«, beschwerte sich Findon und klatschte die Mittagszeitung gereizt auf den Couchtisch. »Wie kann man nur solche Fotos bringen?« »Du siehst in dem Shorty zum Piepen aus«, meinte Swanley anzüglich. »Richtig neckisch, Herb!« »Halt bloß die Klappe!« Findon sah seinen Partner Swanley abschätzend an. »In der löchrigen Decke warst du auch nicht gerade 'ne Augenweide.« »Aber ich bin wenigstens nicht fotografiert worden«, freute Al Swanley sich nachträglich. »Aber in Ordnung, Schwamm drüber! Was soll jetzt geschehen?« »Wir werden uns diese Lady kaufen, Al. Sie und diese Type, die uns mit dem komischen Schlitten reingelegt hat.« »Und wie?« wollte Swanley wissen. »Die pusten wir um!« Findon wollte Blut sehen. »Grundsätzlich nichts gegen einzuwenden.« Auch Swanley war für einen harten Vergeltungsschlag. Doch er hatte in diesem Fall einige Bedenken. »Eine größere Wut habe ich auf den Burschen, der uns engagiert hat.« »Wieso denn das?« Findon wunderte sich sichtlich. »Warum hat er uns nicht gewarnt? Warum hat der uns so einfach auf diese Lady gehetzt?« »Richtig, der mußte doch wissen, wie hinterlistig die ist.« Findon war
mit dieser Sicht der Dinge durchaus einverstanden. »Eben, Herb, eben.« Swanley nickte. »Der hat uns doch ins offene Messer rennen lassen.« »Und dafür soll er blechen.« Findon dachte an das Foto, an das sehr kurze Nachthemd und sah bereits wieder rot. »Aber wer ist der Chef?« »Wir kennen schließlich diesen Miller, der uns für ihn engagiert hat.« »Natürlich, Al.« Findon witterte Morgenluft. »Und der Bursche wird uns verraten, wer sein Chef ist. Worauf warten wir eigentlich noch?« Die beiden Superspezialisten barsten schon wieder vor Tatendrang und wollten gerade ihr Apartment verlassen, als das Telefon anschlug. »Sie sind das, Miller?« fragte Swanley, nachdem er abgehoben und sich gemeldet hatte. »Moment mal, schön der Reihe nach! Wie wir das? Wiederholen Sie das noch mal. Sie sollen uns kündigen? Wir werden nicht mehr gebraucht? Mann, wissen Sie eigentlich, mit wem Sie da sprechen! Sie können uns doch nicht ganz nach Belieben feuern, was bildet Ihr Chef sich eigentlich ein? Wie, sagen Sie das noch mal! Aha, weil wir angeblich versagt haben und kein Format besitzen? Sie und Ihr komischer Chef werden sich noch wundern, unser Wort darauf. Zum Teufel mit dem Geld, das wir bereits bekommen haben! Darum geht's gar nicht. Gut, Ende, aber das sage ich Ihnen, Sie werden das noch bereuen. Es war schließlich Ihr Chef, der uns diese Pleite beschert hat. So, jetzt ist Ende! Klar?«
Er knallte den Hörer auf die Gabel und atmete tief durch. Dann schaute er abwartend zu Herb Findon hinüber. »Prima«, sagte Findon. »Unterschreibe ich voll und ganz. Und jetzt holen wir uns die Schießeisen aus dem Schließfach und machen mal 'nen kleinen Besuch bei diesem Miller. Wenn der dann nicht innerhalb von zehn Minuten freiwillig sagt, wo sein Chef steckt, dann will ich 'nen Besen fressen.« Die beiden Superspezialisten verließen das Apartment, pirschten sich an den Hydranten in der verglasten Wandnische heran, und Findon löste den flachen Schließfachschlüssel. Sie waren fest entschlossen, sich in doppelter Hinsicht zu revanchieren: Lady Simpson stand auf ihrer Liste, deren Butler und schließlich jener Mann, der sie aus den Staaten hierher nach London eingeladen hatte. * Der Eierlieferant schien unter einer gewissen Entschlußlosigkeit zu leiden. Der Fahrer, den Parker inzwischen ausgemacht hatte, fuhr langsam durch die Straßen von Kensington und hielt immer wieder kurz an, doch er lieferte das begehrte Eiweiß nicht aus. Nein, nur die Peilantenne drehte sich immer wieder in neue Richtungen und visierte ganz eindeutig bestimmte Hausobjekte an. Butler Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum inzwischen in ein nach außen hin vollkommen echtes Taxi verwandelt. Durch einen
entsprechenden Knopfdruck war auf dem Dach seines Wagens das offizielle Taxischild erschienen. Da Parkers Monstrum ohnehin ein ehemaliges Taxi war, das allerdings nach seinen Wünschen und Vorstellungen umgestaltet worden war, konnte man sich keine perfektere Tarnung vorstellen. Dieses Auto fiel im Verkehrsgewühl überhaupt nicht mehr auf. Sein Äußeres hatte Parker ebenfalls diesem neuen Aussehen angepaßt. Nachdem er die schwarze Melone abgesetzt und gegen eine einfache Schirmkappe ausgetauscht hatte, war er als Josuah Parker kaum noch zu erkennen. Die Verfolgung des angeblichen Eierlieferanten bot also keine Schwierigkeiten mehr. »Das ist natürlich unser gesuchter Mann«, behauptete Lady Agatha frisch und munter wie gewohnt. »Dieses Subjekt hört ab, was seine Wanzen übertragen. « »Solch eine Vermutung, Mylady, liegt nahe«, lautete Parkers Antwort. »Vermutung?« Sie lachte verächtlich. »Ich sage es noch mal, Mr. Parker, das ist unser Mann!« »Wie Mylady befehlen.« »Hoffentlich notieren Sie sich alle Adressen, die dieses Subjekt belauscht.« .»Selbstverständlich, Mylady. Ich verfüge bereits über eine beachtliche Liste.« »Warum rammen wir diesen Lümmel nicht? Warum ziehen wir ihn nicht aus dem Verkehr?« Sie wurde ungeduldig. »Man sollte vielleicht erst eruieren, Mylady, wo der Fahrer tatsächlich wohnt.«
»Na gut! Das wollte ich auch gerade vorschlagen, Mr. Parker.« Sie nickte wohlwollend. »Können wir nicht mal überholen? Ich möchte mir die Visage dieses Flegels ansehen.« »Darf ich Myladys Anregung aufgreifen und ein Foto des Eierlieferanten schießen?« »Hatte ich das vorgeschlagen? Richtig, natürlich!« Sie schluckte diese Behauptung ohne weiteres und lehnte sich zufrieden zurück, als Parker den kleinen Kastenlieferwagen überholte, der gerade wieder am Straßenrand anhielt. Parker fand einen günstigen Platz vor dem Fahrzeug und hielt in knapper Entfernung. Er beobachtete den Fahrer im Rückspiegel. Der Eierlieferant war überraschenderweise ein Mann von rund fünfundfünfzig Jahren. Er war kahl und hatte ein rotwangiges, rundliches Gesicht. Parker öffnete das Handschuhfach und holte einen Fotoapparat hervor, der mit einem Teleobjektiv versehen war. Durch das rückwärtige Fenster seines hochbeinigen Monstrums schoß er eine Reihe von Aufnahmen. Trotz aller Vorsicht und Diskretion schien der Eierlieferant Verdacht geschöpft zu haben. Er fuhr plötzlich an, kurvte um Parkers Wagen herum und jagte mit Vollgas Richtung nächste Straßenkreuzung. »Jetzt möchte ich aber etwas erleben«, rief Agatha Simpson ihrem Butler zu. »Ich hoffe nicht, daß Sie sich abhängen lassen, Mr. Parker. Vielleicht sollte ich das Lenkrad übernehmen, wie?«
»Mylady dürfen versichert sein, daß ich mir jede erdenkliche Mühe geben werde«, war die etwas hastige Antwort Parkers, während er den Wagen anrollen ließ. Parker graute vor der Vorstellung, seine Herrin könnte ihren Vorschlag in die Tat umsetzen. Parker war leider nur zu gut bekannt, wie Mylady sich in dieser Hinsicht überschätzte. * »Aber das ist ja eine richtige Hühnerfarm«, stellte Agatha Simpson verärgert fest, als Parker auf der sanften Anhöhe hielt. »Eine ausgezeichnete Tarnung, Mylady«, antwortete Parker. »Eben«, sagte sie prompt. »Worauf warten Sie noch, Mr. Parker? Diese Hühnerfarm werde ich mir aus nächster Nähe ansehen. Ihre Skepsis ist überhaupt nicht angebracht.« Parker hatte sie keineswegs gezeigt, doch er nahm diesen Vorwurf wie selbstverständlich hin. Er ließ sein hochbeiniges Monstrum über die schmale Straße hinunter ins Tal rollen, in dessen Mittelpunkt sich ein Farmhaus mit weiträumigen Stallungen befand. In weiten Freigehegen tummelte sich das weiße Federvieh. Der Besitzer der Hühnerfarm schien von den sogenannten Batterien nichts zu halten. Parker fiel übrigens sofort auf, daß das gesamte Gelände ungewöhnlich gut gesichert war. Es gab da einen soliden Maschendraht, der an starken Eisenpfählen befestigt war. Der Besitzer dieser Eierfarm mußte ein ausgeprägtes Schutzbedürfnis haben.
Parker hielt vor dem hohen Tor, stieg aus und begab sich hinüber zu dem kleinen Schaltkasten, der eine Sprechanlage aufwies. Der Butler drückte die Sprechtaste und nannte seinen Namen. »Lady Simpson möchte den Besitzer der Farm sprechen«, fügte er dann hinzu. »Mylady kommt in einer Angelegenheit von einiger Wichtigkeit.« Parker zuckte zwar mit keiner Wimper, als daraufhin das Tor sich wie durch Geisterhand öffnete, doch er war natürlich überrascht, daß der Besitzer dieser Hühnerfarm sich den Luxus solch einer ferngesteuerten Bedienung leisten konnte. Parker setzte sich ans Steuer zurück und rollte mit dem hochbeinigen Monstrum auf das Farmhaus zu. Es war zwei Stockwerke hoch, besaß nur ein flaches Dach und schien sehr solide zu sein. Ihm fiel auf, daß sämtliche Blenden geschlossen waren. Parker hielt vor dem Hauseingang. Solide Blenden aus Stahlblech verbargen die eigentliche Tür. Parker registrierte beiläufig, daß eine schwenkbare Fernsehkamera oben am Dachrand befestigt war. Sie bewegte sich gerade. . »Sehr seltsam«, stellte die Detektivin mißtrauisch fest. »Haben Sie mitgekriegt, daß sich das Tor hinter uns geschlossen hat?« »Gewiß, Mylady, das entging keineswegs meiner Aufmerksamkeit.« »Ich komme mir vor wie in einer Falle, Mr. Parker.« »Solch ein Eindruck entsteht in der Tat, Mylady.«
»Melden Sie mich noch mal an, Mr. Parker!« Der Butler stieg aus, und bemerkte, daß die schwenkbare Kamera sich erneut bewegte. Sie hielt jede seiner Bewegungen fest. Der Hühnerfarmer Vergewisserte sich, wer ihn da besuchte. Parker ging davon aus, daß dieser Mann über viele technische Tricks verfügte. »Willkommen, willkommen«, war plötzlich eine angenehme, höfliche Stimme zu vernehmen. Sie kam aus einem Lautsprecher, der irgendwo versteckt angebracht war. »Es ist mir eine Ehre, Mylady begrüßen zu können!« Parker half seiner Herrin aus dem Wagen. Sie schaute sich grimmig nach allen Seiten um. Ihr Unbehagen wuchs. Sie fühlte sich in dieser Umgebung nicht wohl. »Klatschen Sie dreimal kurz in Ihre Hände«, sagte die höfliche Stimme. »Und, Mr. Parker, Vorsicht im Korridor! Dort bekommen Sie neue Anweisungen.« Parker klatschte dreimal in die Hände, worauf die beiden Stahlblechblenden sich nach außen hin gehorsam öffneten. Die schwere Holztür dahinter schwang nach innen auf. Parker ging voraus, steif und würdevoll. Mylady hingegen schaute sich neugierig um. Der perlenbestickte Pompadour an ihrem Handgelenk war bereits in recht intensive Schwingungen geraten, ein sicheres Zeichen dafür, daß die energische Dame ein wenig erregt und auch gereizt war. Es gefiel ihr nicht, wie man sie empfing. Zudem war ihr unklar, warum die
Stahlblechblenden sich auf das dreimalige Händeklatschen hin automatisch geöffnet hatten. »Was soll das alles?« fragte sie den Butler barsch. »Das macht überhaupt keinen Eindruck auf mich.« »Natürlich nicht, Mylady«, antwortete Parker. Seine Augen verengten sich nur leicht, als die schwere Holztür hinter ihnen hart ins Schloß fiel. Lady Agatha hingegen drehte sich erstaunlich flink um und stieß einen grollenden Ton aus. Bruchteile von Sekunden später strahlte ein scharf gebündelter Punktscheinwerfer auf und tauchte eine zweite, schwarze Holztür in gleißendes Licht. »Die ersten Takte der Nationalhymne, wenn ich bitten darf«, sagte dann wieder die angenehme und sympathische Stimme. »Die Tür wird sich dann automatisch öffnen.« »Kann sie auch gesungen werden?« fragte Agatha Simpson gereizt. Sie bückte in Richtung Tür. »Richtig, ich vergaß, Mylady«, entschuldigte die Stimme sich. »Die Takte müssen schon gepfiffen werden. Das Öffnungsrelais spricht heute nur auf Pfeiftöne und damit auf hohe Frequenzen an.« »Mr. Parker, pfeifen Sie!« Lady Agatha sah Butler Parker ungeduldig an. »Wenn Mylady gestatten, möchte ich mir erst die Lippen ein wenig anfeuchten«, erwiderte Parker, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Zudem möchte ich Mylady vorwarnen. Meine Kunstfertigkeit auf dem Gebiet des Kunstpfeifens
möchte ich als ausgesprochen bescheiden bezeichnen.« * Die beiden Spezialisten aus den Staaten befanden sich auf dem Waterloo-Bahnhof und beschäftigten sich mit ihrem Schließfach. Sie holten die einfache Reisetasche heraus und überzeugten sich kurz davon, daß die diversen Mordinstrumente noch vorhanden waren. Sie kamen allerdings nicht auf den Gedanken, die Funktionstüchtigkeit der Schußwaffen zu überprüfen. Sie hatten schließlich keine Ahnung, daß ihr Waffenversteck bereits besichtigt worden war. In der Toilette des Bahnhofs schoben sie die Achtunddreißiger in ihre Schulterhalfter. Sie setzten die Maschinenpistole zusammen, packten sie in die Reisetasche zurück und machten sich auf den Weg, einem gewissen Arthur Miller einen Besuch abzustatten. Das war für sie schließlich der Mann, der sie zu jenem bringen konnte, der sie ausgebootet hatte. Die beiden Gangster aus den Staaten, für die London so etwas wie finstere Provinz bedeutete, achteten nicht auf die kleine graue Maus, die ihnen heimlich folgte. Es handelte sich natürlich um eine zweibeinige Maus. Und diese Maus mochte durchaus ihre fünfundzwanzig Jahre alt sein. Sie trug eine schlecht sitzende Brille, einen etwas zu langen Trenchcoat und ein Kopftuch. Sie mochte irgendeine unterbezahlte kleine Angestellte sein, die da hinter ihnen hertrippelte
und in der Menge überhaupt nicht auffiel. Kathy Porter hatte wieder mal Maske gemacht. Einen besseren Lehrmeister als Butler Parker hätte sie nicht finden können. Kathy Porter verstand es inzwischen, mit den sparsamsten Mitteln eine gründliche Veränderung vorzunehmen. Gang, Haltung und Stimmfall paßten auf jeden Fall zu den gewählten Rollen. Die Verwandlung war perfekt. Sie hatte im Waterloo-Bahnhof auf das Erscheinen der beiden USGangster geduldig gewartet. Parkers Rechnung war aufgegangen. Seiner Ansicht nach mußten Herb Findon und Al Swanley früher oder später erscheinen, um ihre Schußwaffen aus dem Versteck zu holen. Nach ihrer Panne und Blamage konnten solche Gangster nur aktiv werden. Und Parker wollte gern wissen, was diesen Herren an Aktivität vorschwebte. Um den Morris kümmerten sie sich im Moment nicht weiter. Sie hatten es eilig, diesen Arthur Miller zu stellen. Sie benutzten einen Linienbus und konnten der sie verfolgenden Kathy Porter damit keinen größeren Gefallen erweisen. Herb Findon und Al Swanley verließen in Soho den Bus und gingen zu Fuß weiter. Als sie die Wardour Street erreicht hatten, betraten sie ein kleines Hotel, in dem sie verschwanden. Kathy Porter blieb in der Nähe des Eingangs vor einem Schaufenster stehen und wartete. Ihr war klar, daß Findon und Swanley die Schußwaffen aus einem ganz
bestimmten Grund aus dem Schließfach geholt hatten. Wollten sie hier im Hotel mit jemand abrechnen? Waren sie hierher bestellt worden, um einen neuen Auftrag in Empfang zu nehmen? Wer war dann diese Person? Etwa derjenige, der die elektronischen Wanzen installieren ließ? Es dauerte nur wenige Minuten, bis Findon und Swanley wieder auftauchten. Al Swanley hielt einen Brief in Händen und redete mit seinem Partner Findon. Die beiden Männer schienen sich nicht besonders einig zu sein. Findon schüttelte wiederholt den Kopf und machte einen ärgerlichen Eindruck. Kathy Porter hätte nur zu gern erfahren, was in diesem Brief stand. Hatten die beiden US-Gangster neue Anweisungen erhalten? Standen in diesem Schreiben neue Befehle? Findon schien inzwischen überzeugt worden zu sein. Al Swanley steckte den Brief in die Außentasche seines Jacketts und schlenderte zusammen mit seinem Partner die Straße hinunter. Sie hielten offensichtlich Ausschau nach einem Taxi. Kathy Porter schloß jetzt dicht auf, überholte Swanley und ... stieß absichtlich-unabsichtlich mit ihm zusammen, als sie einem entgegenkommenden Passanten auswich. Sie hielt sich an Swanley fest, stammelte ein paar Entschuldigungen und bekam gekonnt einen roten Kopf vor Verlegenheit. Sie bekam allerdings auch den Brief, den sie geschickt und mit der professionellen Routine eines Diebes aus Swanleys Tasche zupfte.
Die beiden Gangster übersahen sie. Kathy Porter war in ihrer gegenwärtigen Aufmachung keine Frau, nach der man sich umdrehte oder mit der man auch nur scherzte. Findon und Swanley hatten inzwischen tatsächlich ein Taxi abgewunken und fuhren wenig später davon. Kathy Porter überlas die wenigen Zeilen, die mit Schreibmaschine geschrieben waren. Man teilte Findon und Swanley mit, sie hätten eine letzte Chance, ihren Job zu behalten. Die beiden Superspezialisten wurden aufgefordert, Lady Simpson und Butler Parker umgehend auszuschalten. Damit war für Kathy alles klar. Findon und Swanley waren bestimmt auf dem Weg nach Shepherd's Market, um ihren Opfern aufzulauern. Wahrscheinlich wollten sie sich dort in einen Hinterhalt legen und auf den günstigsten Moment für zwei gezielte Schüsse warten. Kathy disponierte um. Sie mußte ebenfalls sofort nach Shepherd’s Market. Aber vorher wollte sie feststellen, ob Lady Simpson und Butler Parker bereits zu Hause waren. Kathy Porter beschleunigte ihre Schritte, ging auf eine Telefonzelle zu und übersah, leider einen kleinen, drahtig aussehenden Mann, der ihr folgte. Dieser Beobachter trug einen gut sitzenden, grauen Anzug und wirkte durchaus seriös. Als Kathy nach dem Telefonhörer griff, öffnete sich die Tür zur Zelle. Sie sah in kalte Augen, die sie aufmerksam musterten.
»Kommen Sie«, sagte der Mann kühl. »Ich brauche Ihnen ja wohl nicht zu sagen, daß mein Achtunddreißiger einen Schalldämpfer hat - oder doch?« * »Wentham, John Wentham«, stellte der kahlköpfige Mann sich vor. »Professor der Physik, Regeltechnik und mit Schimpf und Schande von der Universität verjagt.« Professor John Wentham empfing seine Gäste in einem spärlich eingerichteten Wohnraum. Er stand neben dem einfachen Kamin aus Bruchsteinen und deutete einladend auf zwei alte, aber sehr bequem aussehende Sessel. »Sie sind auf die Eierproduktion umgestiegen, Professor?« fragte Agatha Simpson. »Der Mensch muß leben«, antwortete John Wentham. »Darf ich Ihnen etwas anbieten, Mylady?« »Mylady bevorzugt einen guten Kognak« , schaltete Parker sich ein. Er beobachtete den rotwangigen Mann sehr aufmerksam, konnte sich übrigens an den Namen Wentham vage erinnern. Da gab es tatsächlich eine Affäre Um einen Mann dieses Namens. Diese Geschichte lag aber sicher schon einige Jahre zurück. John Wentham klatschte in einem bestimmten Rhythmus in die Hände. Dann streckte er den rechten Arm aus und deutete mit der Hand auf eine Art Truhe, die an der Wand stand. Diese Truhe setzte sich plötzlich wie durch Zauberei in Bewegung
und rollte wie auf unsichtbaren Schienen schnell und geräuschlos durch den großen Wohnraum. Vor den Sesseln hielt sie an und öffnete sich. Der Schließdeckel klappte hoch, und aus der Truhe hob sich ein Einsatz, in dem Flaschen und Gläser standen. »Bedienen Sie sich«, forderte Wentham seine Gäste auf. »Sie wundern sich?« »Sehr hübsch, diese elektronischen Spielereien«, erwiderte Lady Agatha. »Was haben Sie in dieser Hinsicht sonst noch zu bieten?« . »Schrot«, gab der Professor zurück, um dann abgehackt zu hüsteln. Der Effekt war frappierend. Über dem Stellbord des Kamins öffnete sich blitzschnell ein langer, schmaler Schlitz. Und aus diesem Schlitz hervor ragten die Doppelläufe von drei ausgewachsenen Schrotgewehren, die auf Mylady und Butler Parker zeigten. »Was darf man jetzt nicht tun?« erkundigte Parker sich. »Wird nicht verraten«, gab Professor Wentham zurück. »Aber Sie können sich darauf verlassen, daß die Läufe samt und sonders geladen sind! Sie dienen meiner Selbstverteidigung!« »Sie fühlen sich bedroht, Sir?« erkundigte Parker sich gemessen. »Etwa von mir?« Lady Agathas Stimme grollte. Sie schielte zu den Gewehrläufen hinüber und fühlte sich unbehaglich. »Können Sie diese schrecklichen Dinger nicht wieder in der Wand verschwinden lassen? «
»Ich bin stets bedroht«, lautete die Antwort des Professors. »Ich lebe gefährlich. « »Gibt es dafür einen Grund, Sir?« Parker behielt seine Ruhe, obwohl auch ihm die Gewehre deutlich mißfielen. Falls die Schrotpatronen abgefeuert wurden, mußte die Wirkung schrecklich sein. »Ein Mann wie ich lebt gefährlich«, sagte Wentham.« Ich bin ein gefürchteter und gehaßter Mensch.« »Weil Sie elektronische Wanzen installieren lassen, Sir?« Parker hatte sich entschieden, ein offenes Wort mit diesem Mann zu reden. »Wie war das? Ausgerechnet ich lasse elektronische Wanzen installieren?« Wentham lachte glucksend. »Das Gegenteil ist der Fall.« »Sie wußten, daß wir Sie verfolgten, Professor?« Lady Simpson schielte erneut nach den Schrotläufen. »Als ich fotografiert wurde, habe ich es bemerkt«, räumte Wentham ein. »Ich sagte Ihnen ja gleich, daß Sie vorsichtig sein sollten«, blaffte Lady Agatha den Butler an. »In Zukunft werde ich so etwas machen, Mr. Parker. Dazu braucht man Nerven.« »Wie Mylady wünschen.« Parker ließ den Professor nicht aus den Augen. »Sir, Ihren Worten darf ich entnehmen, daß Sie gefürchtet und gehaßt sind. Hat dies etwas mit Ihren elektronischen Fachkenntnissen zu tun?« »Ich jage diese Wanzen gnadenlos«, flüsterte Wentham und sah seine beiden Gäste aus zusammengekniffenen Augen an.
»Ich spüre sie auf, ich finde sie. Es gibt keine Wanze, die mir entgeht. Ich werde dafür sorgen, daß die Intimsphäre der Menschen wiederhergestellt wird. Und meine Jagdbeute ist bereits groß. Sie wird von Tag zu Tag immer weiter anwachsen. Ich werde London wanzenfrei machen!« »Ein löbliches Unterfangen, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf.« Parker nickte andeutungsweise. »Warum waren Sie hinter mir her?« fragte Professor Wentham scharf. »Sagen Sie die Wahrheit! Lügen dulde ich nicht!« »Mylady ist eine Verbündete von Ihnen, Sir«, gab Parker zurück.« Lady Simpson und meine bescheidene Wenigkeit jagen ebenfalls Wanzen.« »Und das Subjekt, das sie über die Stadt verteilt«, fügte die ältere Dame grimmig hinzu. »Und jetzt lassen Sie endlich diese verdammten Gewehrläufe verschwinden und benehmen Sie sich gefälligst wie ein vernünftiger Mensch!« »Sie sprechen eine deutliche Sprache«, stellte Professor Wentham fest. »Die hoffentlich verstanden wird«, ergänzte Parker höflich. »Sie sollten Mylady und meine bescheidene Person als Verbündete im Kampf gegen die Wanzen betrachten.« Professor Wentham hüstelte, allerdings diesmal in einer anderen Tonlage. In Bruchteilen von Sekunden verschwanden die Gewehrläufe im sich gleichzeitig schließenden Schlitz. » Beweisen Sie mir das ? « bat Wentham dann. Sein Ton war wieder friedlich geworden.
»Wenn Mylady gestatten, möchte ich einige Worte der Aufklärung »sagen«, schickte Parker voraus. »Aber fassen Sie sich wirklich kurz«, grollte die Detektivin. »Gewiß, Mylady.« Parker servierte seiner Herrin zuerst einen Kognak, um ihren Kreislauf in Ordnung zu halten. Dann widmete er sich ausschließlich Wentham und erzählte von ihrem Kontakt mit den Wanzen. »Eine entsprechende Auswahl befindet sich im Wagen«, schloß er. »Vielleicht interessieren Sie sich für dieses Modell, Sir.« »Sehr interessant, sehr interessant.« Wentham war beeindruckt, als Parker seinen Bericht beendet hatte. »Ich beneide Sie, wirklich. Sie haben es wenigstens mit einem greifbaren Gegner zu tun, ich jedoch kämpfe gegen eine anschwellende Flut. Wenn ich mich nicht dagegen stemme - wer soll es sonst tun?« »Sie haben Ihre speziellen Gründe, Sir, diesen Kampf dennoch fortzusetzen?« Parker paßte sich dem Stil seines Gegenübers an. »Wanzen haben meine wissenschaftliche Laufbahn beendet«, war die überraschende Antwort. »Wanzen haben mich ruiniert, mein Lebensglück zerfressen und mich in diese Stellung des Außenseiters der Gesellschaft gebracht. Ihnen also gilt mein Vernichtungsfeldzug. Möchten Sie sehen, wie viele Wanzen ich bereits aufgespürt habe?« »Myladys Interesse ist groß«, antwortete Parker. Wentham nickte, um dann mit dem linken Fuß viermal
auf den Boden zu stampfen. Gleichzeitig deutete er auf die Wand rechts neben dem Kamin. Es war schon beeindruckend, was sich daraufhin an dieser Wand tat: Die Tapete rollte blitzschnell nach oben und gab den Blick frei auf eine große Projektionsleinwand. Gleichzeitig wurde es dunkel im Raum. Auf der Projektionsleinwand erschien eine Stadtkarte, die sich als die des Stadtteils Belgravia entpuppte. Überall befanden sich kleine, rote und fast lebensecht wirkende Wanzen, die die Straßenzüge säumten und sich an verschiedenen Stellen förmlich zusammendrängten. »Das ist nur ein einziger Stadtteil von London«, hörte man Wenthams Stimme. »Die roten Wanzen sind die bereits aufgespürten, jetzt aber zeige ich Ihnen die schwarz eingezeichneten. Und die sind noch zu erledigen.« Erneut stampfte er auf den Boden, diesmal wieder in einem anderem Rhythmus. Prompt schien sich eine zweite Folie über das Schaubild zu legen. Und nun war es an Parker, sichtlich zu staunen. Die schwarzen Wanzen häuften sich zu Klumpen. Der ganze Stadtteil schien von diesen Kleinstsendern zugedeckt zu sein. »Ein Kampf, der nie enden wird«, sagte Wentham eindringlich, fast beschwörend. »Wir leben bereits im Zeitalter eines George Orwell. Die Wände haben Ohren und werden bald schon Augen bekommen. Keine Bewegung wird unentdeckt bleiben. Der Mensch wird total überwacht und kontrolliert werden. Eine Schreckensvision? Nein, nein,
bereits Realität! Ich weiß, wovon ich rede. Angst, Mißtrauen und Terror wird in den Städten herrschen. Aber ich, Professor Wentham, nehme diesen Kampf für eine bessere und freiere Zukunft auf.« Ein erneutes Stampfen auf dem Boden, und in Sekundenschnelle waren Schaubild und Projektionsfläche verschwunden. Sanft strahlte das Licht wieder auf. »Und wie entfernen Sie diese schrecklichen Insekten, lieber Professor?« erkundigte Lady Simpson sich wohlwollend. Sie war ebenso beeindruckt wie Parker. »Die Zeit reicht nicht, all diese Wanzen genau zu orten und zu entfernen«, gab Wentham zurück. »Ich warne die Bewohner all jener Häuser, in denen ich Wanzen entdeckt habe. Ich verweise auf die Gefahren und schlage den Leuten vor, sich an Spezialinstitute zu wenden. Entsprechende Formbriefe stellt mein elektronischer Drucker her. Wollen Sie ihn sehen?« »Später vielleicht, Sir.« Parker lächelte höflich. »Gibt es Spezialinstitute, die solche Kleinstsender entfernen?« »Natürlich«, sagte Wentham. »Ich werde Ihnen die Adressen mitgeben. Haben Sie etwa auch Wanzen im Haus, Mylady?« »Mr. Parker, haben wir Wanzen im Haus?« Agatha Simpson sah ihren Butler streng an. »Zur Zeit nicht, Mylady«, antwortete der Butler. »Aber zu sicher sollte man nach dieser Demonstration wohl nicht sein!« *
»Nennen Sie mich einfach Arthur Miller«, sagte der kleine Drahtige gelassen. »Und versuchen Sie keine Tricks, Sie würden damit doch nur Pech haben.« »Also schön.« Kathy Porter, die den Ford fuhr, hatte sich blitzschnell für eine neue Rolle entschlossen. »Wie haben Sie mich entdeckt?« »Als Sie sich als Taschendiebin betätigten«, meinte der Mann, der sich Arthur Miller nannte. »Sehr gut gemacht, muß ich zugeben. Sie sind Profi, wie?« »Irgendwie muß man sich ja sein Geld verdienen«, gab Kathy ein wenig patzig zurück. »Und Sie sind nicht von der Polizei, stimmt's?« »Ich bin nicht von der Polizei, und Sie sind keine Taschendiebin«, antwortete. Arthur Miller. »Sie waren nicht scharf auf eine Brieftasche, sondern auf den Brief.« »Wohin soll ich fahren?« Sie vermied eine direkte Antwort und wollte erst mal Zeit gewinnen. »Ich werde Sie dirigieren. Fahren Sie erst mal in die Oxford Street!« »Was haben Sie eigentlich mit mir vor? Warum haben Sie was dagegen, daß ich einen Brief klaue?« »Der Brief ist gar nicht so wichtig. Findon und Swanley sind es. Nein, kommen Sie mir bloß nicht damit, Sie hätten diese beiden Namen noch nie gehört.« »Wer sind Sie eigentlich?« »Die Fragen wollte eigentlich ich stellen. Sie arbeiten für Lady Simpson, nicht wahr?« »Und für Butler Parker.« Kathy Porter nickte. Warum sollte sie das abstreiten? Dieser Arthur Miller
wußte ja ohnehin Bescheid. Es war vielleicht taktisch klug, auf diesen Mann einzugehen und ihm das Gefühl einer Überlegenheit zu geben. »Sie streiten das nicht ab?« seine Frage klang erstaunt. »Warum sollte ich?« Sie zuckte die Achseln. »Sie wissen ja ohnehin genau Bescheid. Oder falls nicht, werden Sie's aus mir herausholen.« »Sie sind ein kluges Mädchen. Seit wann arbeiten Sie für dieses komische Duo?« »Seit knapp einem halben Jahr«, antwortete sie. »Wir sind auf der Oxford Street. Und wohin geht es jetzt?« »Biegen Sie gleich in die Newman Street ein. Ich sage Ihnen dann, wo Sie halten sollen. Sie arbeiten für die Lady als Sekretärin?« »Auch«, meinte sie. »Ich heiße Kathy Porter. Die nächste Frage brauchen Sie also erst gar nicht zu stellen.« »Wer hat Findon und Swanley hereingelegt?« Arthur Miller lächelte spöttisch. »Butler Parker«, sagte sie. »Sind Sie der Mann, der den beiden Typen eine neue Chance geben will?« »Ich bin auch nur so etwas wie ein Sekretär«, erwiderte Arthur Miller. »Aber Sie können unmöglich aus London stammen, Mr. Miller.« »Und warum nicht?« »Dann müßten Sie Lady Simpson und Butler Parker gekannt haben. Ich meine, wenn Sie sich in der Untergrundszene bewegt hätten.« »Gut gefolgert, Miß Porter.« Er nickte anerkennend. »Es stimmt. Ich bin erst vor einigen Wochen nach
London gekommen. Ich habe jahrelang im Ausland gelebt.« »Und pflanzen jetzt mit einem Mitarbeiterstab Wanzen in Wohnungen?« »Eine sehr lohnende Sache.« »Sie hätten Findon und Swanley nicht zu Lady Simpson schicken sollen.« »War ein Fehler, der aber wieder korrigiert wird, Miß Porter. So, dort drüben vor dem Obstgeschäft halten Sie an. Wir gehen dann 'rüber in die Schusterwerkstatt im Souterrain. Ich habe das Ladenlokal gemietet.« »Könnte es sein, daß Sie sich vor Findon und Swanley in Sicherheit bringen?« Sie hielt an und klinkte die Wagentür auf. Kathy Porter spielte einen Moment lang mit dem Gedanken, diesen Arthur Miller jetzt zu überrumpeln. Sie traute sich das durchaus zu und war sicher, daß es auch klappen würde. Doch sie war neugierig. Arthur Miller schien ein redseliger Mensch zu sein. Kathy Porter wollte noch mehr erfahren. Sie passierten das Obstgeschäft und stiegen dahinter über die verschmutzte, mit Unrat übersäte Treppe hinunter zu der ehemaligen Schusterwerkstatt. Er drückte ihr einen Schlüssel in die Hand und nickte auffordernd. Kathy Porter sperrte die Ladentür auf und trat ein. Dumpfer, abgestandener und muffiger Geruch schlug ihr entgegen. In dem leer geräumten Ladenlokal herrschte nur Zwielicht, denn die eisernen Rolläden vor den beiden schmalen Fenstern links und rechts der Tür wären geschlossen.
»Schließen Sie wieder ab«, sagte er zu ihr. »Und dann weiter durch nach hinten! Da haben wir ein paar nette Räume, in denen wir ungestört sind .. .« »Wollen Sie mich umbringen?« »Unsinn«, lautete seine Antwort. »Sie sollen der Speck in meiner Falle sein.« »In die etwa Mylady und Butler Parker tappen sollen?« Sie lachte leise auf. »Du lieber Himmel, haben Sie eine Vorstellung von Lady Simpson! Die rührt keine Hand für mich.« »Dann werden Sie mir eben verraten, wie man in ihr Haus kommt. Wahrscheinlich habe ich auch noch andere Fragen, Miß Porter, aber die werden Sie noch frühzeitig hören.« Kathy Porter ging durch das Ladenlokal, öffnete eine schmale Tür und betrat eine kleine Wohnung, in der noch altes und verrottetes Mobiliar herumstand. Sie drehte sich erwartungsvoll zu Arthur Millerum. Er ließ sie jetzt in den Lauf seiner Schußwaffe bücken. »Ziehen Sie sich aus«, sagte er. »Ich möchte Ihre Bewegungsfreiheit etwas einschränken! Worauf warten Sie noch?« * »Was halten Sie von Professor Wentham?« fragte Agatha Simpson. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums, das von Butler Parker zurück in die City gesteuert wurde. »Seine elektronischen Kenntnisse sind hervorragend«, erwiderte er.
»Die stehen für mich nicht zur Debatte«, erwiderte die ältere Dame. »Wollen Sie sich schon wieder um eine Stellungnahme drücken?« »Das, Mylady, würde ich mir nie erlauben.« »Ist er nun verrückt oder nicht?« fragte Lady Agatha rund heraus. »Professor Wentham dürfte das sein, Mylady, was man gemeinhin besessen nennt?« »Durch eine Wanze der sogenannten Ersten Generation, Mylady«, gab der Butler zurück. »Professor Wenthams Rendezvous mit einer Dame wurde mittels solch einer Wanze bekannt.« - »Und diese Dame war die Frau eines Mitglieds des Verwaltungsrates«, meinte die Detektivin und amüsierte sich köstlich. »Schrecklich, diese Wanzen. Wissen Sie, Mr. Parker, ich traue diesem Wentham nicht über den Weg.« »Mylady haben eine Theorie?« »Worauf Sie sich verlassen können! Wentham ist genau der Mann, den wir suchen. Und ich will Ihnen auch mal sagen, nach welcher Methode er arbeitet.« »Mylady machen meine bescheidene Wenigkeit ausgesprochen neugierig.« »Diese ganze Wanzenjagd ist ein einziger Schwindel«, fuhr Lady Agatha energisch fort. »Das alles ist nur Tarnung. Natürlich verschickt er Warnungen, wie er sagte. Aber in Wirklichkeit sorgt er dafür, daß immer neue Wanzen installiert werden. Unangreifbarer kann doch kein Alibi sein!« »Eine bestechende Theorie, Mylady.«
»Das will ich meinen.« Die Sechzigjährige nickte bedeutungsvoll. »Ich werde Ihnen noch etwas sagen.« »Mylady treiben mich in eine Art Hochspannung.« »Diese drei Spezialfirmen, die die Wanzen beseitigen, gehören Professor Wentham.« »Mylady machen mich bestürzt.« »Das liegt doch auf der Hand, Mr. Parker, aber Sie haben eben keine Phantasie! Woher hat Wentham das Geld, um seine elektronischen und albernen Spielereien zu finanzieren? Haben Sie darüber schon mal nachgedacht? Natürlich nicht! An solche Feinheiten denken Sie natürlich nicht. Glauben Sie, er könnte das alles mit seiner Eierfarm bezahlen? Das ist ausgeschlossen! Bei den augenblicklichen Eierpreisen ist das sogar unmöglich! Nein, nein, er verfügt über zusätzliche Einnahmen. Und genau die verschafft er sich mit den Wanzen.« »Mylady nehmen an, Professor Wentham baut Wanzen in Serienproduktion?« »Das natürlich auch. Aber noch einträglicher sind doch die Erpressungen, die er mit den abgelauschten Gesprächen durchführt. Er erfährt intime Dinge aus dem geschäftlichen und privaten Bereich, droht mit deren Veröffentlichung und läßt sich dann sein Schweigen horrend bezahlen. Mir macht man nichts vor.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit betroffen.« »Wie üblich! Ich muß Sie mal wieder mit der Nase auf die
Tatsachen stoßen. Was wären Sie ohne mich!« »Man sollte diese drei Spezialfirmen vielleicht mal besuchen, Mylady.« »Reine Zeitverschwendung! Wir sollten uns auf Wentham konzentrieren. Er hat diese beiden Subjekte Findon und Swanley engagiert. Für mich ist das sonnenklar. Sie sind seine Handlanger. Ich bin gespannt, was Kathy zu berichten hat.« »Falls die Herren Findon und Swanley zum Waterloo-Bahnhof gekommen sind, Mylady.« »Natürlich sind Sie dort aufgekreuzt, Mr. Parker! Solche kriminellen Elemente brauchen ihre Waffen. Wie gut, daß ich Kathy zum Bahnhof geschickt habe.« Das stimmte zwar nicht, doch Parker verzichtete auf jeden Einspruch. Ja, er Heß sich Myladys Theorie sogar gründlich durch den Kopf gehen. An ihrer Beweisführung war einiges recht überzeugend. Parker traute sich hinsichtlich des Professors noch kein endgültiges Urteil zu. Dieser besessene Mann war schwer zu durchschauen. Er konnte durchaus ein doppeltes Spiel treiben. Sie hatten sich inzwischen Shepherd's Market genähert, Und Butler Parker verminderte das Tempo seines hochbeiniges Monstrums. Seine innere Alarmanlage schlug leise, aber unüberhörbar an. Gefahr lag in der Luft. Hatten Findon und Swanley irgendwo Posten bezogen? Warteten sie auf eine Gelegenheit, sich für
ihre peinlichen Niederlagen zu rächen? Josuah Parker bog vom Picadilly zur Curzon Street ab und erläuterte Lady Agatha den Grund dieses kleinen Umweges. »Sehr schön«, sagte Lady Simpson prompt. »Diese beiden Lümmel werden wir uns schnappen, Mr. Parker. Wo, glauben Sie, könnten sie sich versteckt halten?« »Mit einiger Sicherheit im Nachbarhaus, Mylady«, antwortete Parker. »Ich gehe dabei von der Voraussetzung aus, daß die Gangster sich wie Gangster verhalten.« »Wovon Sie ausgehen, ist mir völlig gleichgültig«, lautete ihre Antwort. »Hauptsache, wir fangen sie ein! Und dann werden diese beiden Subjekte mich mal von einer anderen Seite kennenlernen!« * Findon und Swanley verhielten sich wie Profi-Gangster. Sie befanden sich tatsächlich in einem benachbarten Haus und konnten von einem der oberen Fenster den Eingang zu Myladys altehrwürdigem Fachwerkhaus blendend einsehen. Das Schußfeld hätte gar nicht besser sein können. Sie hatten natürlich keine Ahnung, auf welch gefährlichem Boden sie sich befanden. Sie waren vollkommen ahnungslos und konnten nicht wissen, daß dieses Haus sich ebenfalls in Myladys Besitz befand. Wie übrigens auch das Haus auf der anderen Seite. Beide Nachbarhäuser, ebenfalls im Fachwerkstil errichtet, waren
vollständig möbliert und schufen so den irrigen Eindruck, auch tatsächlich bewohnt zu werden. Untereinander standen alle drei Häuser in Verbindung, doch es handelte sich dabei um geheime Türen und Treppen. In der Vergangenheit hatte diese Anlage sich schon oft bestens bewährt. Wurde das Haupthaus belagert, dann konnten die Insassen leicht ihre Absetzmanöver durchführen. Darüber hinaus luden die beiden Nachbarhäuser mordlüsterne Killer immer wieder ein, sich dort einzunisten. Findon und Swanley befanden sich im rechten Nachbarhaus und betrachteten es als ihr Glück, daß die Bewohner offensichtlich verreist waren. Sie hatten ihre Taktik geändert und sich auf eine neue Reihenfolge ihrer Aktivitäten geeinigt. Zuerst sollten nun Lady Simpson und Butler Parker aus dem Verkehr gezogen werden, wie sie es nannten. Damit wollten sie ihrem geheimnisvollen Chef Einlenken vortäuschen, damit wollten sie aber auch erneut Kontakt mit diesem Arthur Miller aufnehmen. Nach wie vor aber war es ihre Absicht, diesen geheimnisvollen Chef zu stellen und ihn zur Ader zu lassen. Findon und Swanley wollten das ganz große Geschäft machen, darüber hinaus aber etwas für ihr angeschlagenes Selbstbewußtsein tun. Sie hatten es sich vor einem der Fenster gemütlich gemacht und warteten geduldig auf das Erscheinen ihrer Opfer. Früher oder später mußten Agatha Simpson und
ihr Butler ja erscheinen. Dann brauchten sie ihre schallgedämpften Schußwaffen nur noch sprechen zu lassen. Für Swanley und Findon konnte es diesmal zu keinen Komplikationen kommen. »Eigentlich schade«, meinte Findon, »so einfach nur drauf halten, nee, daß paßt mir nicht.« »Du bist für 'ne langsame Tour?« fragte Swanley. »Für 'ne ganz langsame«, redete Findon weiter. »Schließlich haben die mich ins Schaufenster gelegt.« »Und mich als Bettler auf die Straße gesetzt«, fügte Swanley hinzu. »Aber sicher ist sicher, Herb! Wir gehen besser kein Risiko mehr ein. Dabei könnten wir draufzahlen.« »Sehe ich ja ein.« Findon nickte und wechselte das Thema. »Ob dieser Arthur Miller noch mal auftauchen wird?« »Nachdem er sein Hotel geräumt hat?« Swanley nickte nachdenklich. Natürlich wird er sich wieder melden, wenn die Alte und ihr Butler ausgeschaltet sind. Denk doch mal an den Wisch, den er uns in seinem Hotel zurückgelassen hat! Die brauchen hier Vollprofis wie uns.« Sie merkten überhaupt nicht, daß sich die Tür eines Barockschranks öffnete. Und sie sahen auch nicht, daß sich durch den schmalen Türspalt die Spitze eines Regenschirms ins Zimmer schob. Dafür aber hörten sie wenig später ein schwaches Geräusch, das wie ein leises Schnalzen klang. »Verdammt«, sagte Herb Findon und langte automatisch nach seiner Kehrseite. »Verdammt, da hat mich was gestochen.«
»Mich auch«, stellte Al Swanley verdutzt fest. Auch er griff nach seinem verlängerten Rücken. Und gemeinsam zogen die beiden Superspezialisten kleine, bunt gefiederte Blasrohrpfeile aus ihren Sitzflächen. »Komisch«, wunderte Findon sich. »Wo kommen denn die her?« fragte Swanley, dessen Zunge bereits schwer wurde. »Alarm«, sagte Findon und gähnte. »Vorsicht«, fügte Swanley hinzu, schloß aber bereits die Augen. Er war von einer geradezu lähmenden Müdigkeit erfaßt worden, rutschte nach vorn und kippte zu Boden. Findon legte sich über seinen Partner und schnarchte bereits. Die beiden Berufsgangster aus den Staaten sahen und hörten nicht, wie Josuah Parker aus dem Schrank stieg und sich ihnen näherte. Er ging damit kein Risiko ein. Er wußte nur zu gut, wie schnell dieses spezielle Pfeilgift wirkte. * Kathy Porter schien sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben. Sie kam der ungewöhnlichen Aufforderung Arthur Millers nach und streifte ihr Kleid ab. »Könnte man nicht zusammenarbeiten?« fragte sie. »Ich würde jederzeit umsteigen, Mr. Miller.« »Sie wollten mich wohl 'reinlegen, wie?« Er schüttelte lächelnd den Kopf.
»Ich möchte nur nicht für etwas bezahlen, was mich eigentlich gar nichts angeht«, gab sie zurück! »Schön, reden wir später mal über eine Zusammenarbeit«, erklärte Arthur Miller dann. »Aber darüber habe ich nicht zu entscheiden. Vorerst bleiben Sie für uns der Speck in der Falle. Übrigens, Sie sind ein sehr reizvoller Köder, wie ich sehe.« Kathy trug nur noch BH und Slip. Sie sah tatsächlich hinreißend aus und hätte jede Schönheitskönigin ausgestochen. Von der grauen Maus war an ihr nichts mehr zu bemerken. »Gut, dann lasse ich mich überraschen«, sagte sie. »Aber Sie machen einen Fehler, Mr. Miller. Keiner weiß besser als ich, wie man Lady Simpson und Butler Parker erwischen kann. Ich kenne sie schließlich aus nächster Nähe.« »Das werden Sie mir gleich alles sehr gern sagen, Miß Porter. Machen Sie weiter! Ausziehen, hatte ich gesagt!« Sie zuckte die Achseln und griff mit ihrer rechten Hand nach hinten zum BH-Verschluß. Diese Bewegung war völlig normal und weckte keinen Argwohn. Arthur Miller, der die Schußwaffe noch immer in seiner rechten Hand hielt, fühlte sich verständlicherweise als Herr der Situation. Was sollte ihm schon passieren? Zu überraschen war er nicht. Sein Schuß wäre in jedem Fall schneller gewesen als ein noch so schneller Angriff. »Verflixt, er hakt«, murmelte Kathy Porter und zerrte am Verschluß des BH. »Könnten Sie nicht mal...?«
»Ich werde mich hüten.« Er schüttelte den Kopf und lachte. »Ihnen traue ich nicht über den Weg, Miß Porter.« »Müssen Sie aber eine Angst vor mir haben. Aha, jetzt klappt es aber.« Er lehnte sich gegen die Wand und ließ die Waffe sinken. Der Abstand zwischen ihm und Kathy Porter betrug gut und gern drei Meter. Nein, sie hatte wirklich keine Chance, den Mann durch einen Trick zu überraschen. Sie hatte die Träger ihres Büstenhalters abgestreift und drehte sich ein wenig zur Seite. Kathy schien sich nun doch zu genieren. Sie nahm schützend ihre Unterarme hoch und konnte sich nicht entschließen, den BH aus der Hand zu legen. »Stellen Sie sich bloß nicht so an, Miß Porter«, sagte Arthur Miller und genoß seine Überlegenheit. »Ich soll mich wohl umdrehen, wie?« »Werfen Sie das Ding weg!« Er deutete auf den BH. »Und dann auch weg mit dem Slip! Ich laß' mich auf nichts ein...« Kathy seufzte vernehmbar, warf den BH zur Seite und . .. richtete dann blitzschnell die schmale, lange Metallhülse auf Millers Gesicht. Gleichzeitig drückte sie ab. Miller wurde völlig überrascht. Seine Augen wurden von einem ungemein starken Lichtblitz getroffen. Geblendet schloß er die Augen, riß seine rechte Hand hoch und feuerte in wütendschneller Reihenfolge drei Schüsse ab, die wegen der hervorragenden Schalldämpfung kaum zu hören waren.
Kathy hatte sich zur Seite verdrückt und stand nur anderthalb Meter von Miller entfernt ebenfalls an der Wand. Miller stöhnte, rieb sich mit der freien linken Hand die schmerzenden Augen und spürte eine schreckliche Angst in sich aufsteigen. War er blind? Er konnte nichts mehr sehen. Vor seinen Augen war nur noch ein grelles Weiß, daß in ein feuriges Orange überging. Kathy Porter wartete nicht auf den vierten Schuß. Mit der Handkante schlug sie knapp zu, wartete nicht ab, bis die Waffe auf dem Boden landete, sondern schlug erneut zu und schickte Arthur Miller ins Land der wirren Träume. * »Mensch, ist mir schlecht«, stöhnte Herb Findon. Er fühlte die Bekanntschaft mit einer harten Unterlage, doch fehlte ihm die Kraft, sich aufzurichten. Er stierte zur niederen Decke und fühlte sich elend. »Wir sind wieder 'reingelegt worden«, stellte Findon ächzend fest. »Ich steig' aus«, antwortete Swanley. »Ich mach' nich' mehr mit.« »Zum Teufel mit dem Geld!« Findon stemmte sich mühsam hoch und musterte seine Umgebung. Sein Schädel brummte, er hatte das Gefühl, nächtelang billigsten Fusel getrunken zu haben. »Mann, is' das'n Rattenloch«, konstatierte Swanley, der sich ebenfalls aufgerichtet hatte. »Widerlich.«
Er übertrieb keineswegs. Die beiden einfachen Betten standen in einem kleinen niedrigen Raum, der fensterlos war. .Die Wände bestanden aus Kistenbrettern, die nachlässig zusammengenagelt worden waren. Es gab einen Tisch, auf dem Bierkonserven herumlagen. An der schmalen Tür und an Nägeln in den Wänden hingen Lumpen, die früher mal Kleidungsstücke gewesen sein mußten. Auf dem Bretterfußboden türmte sich der Unrat wie Kartoffelschalen, Strohhülsen von Weinflaschen, Gemüseabfall und richtiger Schmutz in Form von Lehm und Staub. In dem Raum roch es penetrant nach faulem Müll. Herb Findon schaute an sich herunter. Ihn schauderte. Er trug viel zu weite, zerrissene Hosen, ein speckiges Hemd und hatte Socken an, die eigentlich nur noch aus Löchern bestanden. Er sah hinüber auf Swanley. Sein Partner bot keinen besseren Anblick. »Wohin haben die uns gebracht?« Findon setzte die Füße auf den Bretterfußboden und rieb sich den Kopf. »Wie war das noch gewesen?« »Die Pfeile«, erinnerte Swanley. »Die Pfeile »Die muß Parker abgeschossen haben!« Findon beugte sich vor und schaute sich seinen Partner genauer an. »Was is' mit deinem Gesicht los? Und mit deinen Armen?« »Wieso?« Swanley fingerte an seinen Wangen herum und stellte fest, daß sich die Haut zu dicken Quaddeln aufgewölbt hatte. Er betrachtete seine nackten Unterarme
und entdeckte hier ebenfalls dicke Beulen. »Hab' ich die auch?« fragte Findon Und rieb sich unwillkürlich die linke Hüfte. Sie juckte fast unerträglich. »Als ob du die Beulenpest hättest«, erwiderte Swanley. »Überall dicke Beulen, Herb. Was . .. Was hat das zu bedeuten?« '»Mensch, juckt das!« Findon konnte es nicht länger ertragen. Er schob sich den Hosenbund herunter und inspizierte seine Hüfte. Er fand einige frische Beulen und entdeckte so etwas wie kleine, braune Linsen, die sich schnell über die Decke, die auf dem Bett lag, fortbewegten. Es dauerte fast zwei Sekunden, bis er endlich begriff. Er wollte etwas sagen, doch er brachte vor Ekel keinen Ton hervor. »Was ist denn?« fragte Swanley. »W . . . Wa ... Wanzen!« Findons Stimme überschlug sich fast. Er deutete auf weitere Linsen, die über die Decke marschierten und auf die Bettritzen zueilten. »Wanzen, Al, richtige Wanzen!« Swanley sprang vom Bett hoch, schüttelte sich und untersuchte sein Lager. Schon nach wenigen Sekunden wußte er Bescheid. Auch in seinem Bett befanden sich wahre Legionen von hungrigen Wanzen, die seinen Blutvorrat angezapft hatten. Die beiden Killerspezialisten aus den Staaten spurteten gleichzeitig los und rannten auf die schmale Tür zu. Die Vorstellung, von Wanzen umgeben zu sein, machte sie fast verrückt.
Findon war schneller als Swanley. Er riß die Tür auf und ... prallte zurück. Hinter der Tür war nichts als nackter Beton. Swanley drängte sich an seinem Partner Findon vorbei und ... stierte nun ebenfalls entsetzt auf die solide Wand. »Irgendwo muß es doch 'ne Tür geben«, sagte er dann verzweifelt.« Wir müssen hier 'raus, bevor die Wanzen uns fressen.« »Wanzen... Wanzen! Merkst du was?« Herb Findon nickte seinem Partner zu. »Die haben das wörtlich genommen, Al; begreifst du? Die haben uns mit richtigen Wanzen zusammengesperrt.« Findon und Swanley klopften sämtliche Bretterwände ab, rissen Stücke aus ihnen heraus und stießen überall immer nur auf Beton. Sie fanden allerdings auch wahre Wanzennester. Findon, erschöpft von den Aktivitäten, setzte sich auf die Bettkante, um dann sofort wieder hochzuschnellen und mißtrauisch auf die braune Decke zu schauen. Swanley riskierte es erst gar nicht, sich auf die Bettkante zu setzen. Er war so leichtsinnig, sich erschöpft in einen wackeligen Strohsessel fallen zu lassen. »Das verdanken wir Lady Simpson und Butler Parker«, sagte er. »Das verdanken wir dem Kerl, der uns auf sie gehetzt hat«, fügte Findon hinzu. »Wo könnten wir uns befinden?« »Es ist nichts zu hören.« Swanley rutschte zuerst automatisch auf dem Sitz herum,
kratzte sich am Gesäß und merkte erst mit erheblicher Verspätung, daß er sich die falsche Sitzgelegenheit ausgesucht hatte. Als er hochsprang, setzte sich eine Kompanie von diesmal schwarz aussehenden Wanzen in Bewegung und verschwand in der hinteren Wölbung des Strohsessels. Swanley keuchte. Er griff nach dem Strohsessel, hob ihn an und rammte ihn dann hart zurück auf den Holzfußboden. Ein' kleiner, lokal begrenzter Regen von Wanzen fiel auf den Fußboden und flüchtete zu den Kistenbrettern hinüber. Andere wieder verschwanden geschickt in den Ritzen des Bretterfußbodens. »Ich bleib' ab sofort nur noch stehen«, sagte Swanley. »Und ich auch.« Findon nickte. »Fragt sich nur, wie lange wir das durchhalten.« Sie wollten sich gegenseitig Mut zusprechen, doch dann flackerte das Licht der nackten Glühlampe, die nur an der Leitung befestigt von der niederen Decke herunterbaumelte. Wenig später war es vollkommen dunkel in ihrer Zwangsunterkunft. »Jetzt werden sie aufmarschieren«, flüsterte Findon und dachte an die echten Wanzen. »In Kolonnen«, sagte Swanley mit überlegter Stimme. »Das hier ist ja schlimmer als die Hölle.« * »Ich hatte mir fast schon Sorgen um Sie gemacht, Kindchen«, sagte Agatha Simpson.
Sie befand sich in der kleinen Wohnung hinter der Schuhmacherwerkstatt und schaute sich mißbilligend um. »Vielleicht hätte ich das Spiel noch weiter mitmachen sollen, Mylady«, antwortete Kathy Porter. Sie sah nun auch zu Butler Parker hinüber, der sich um Arthur Miller kümmerte. Der Gangster saß wohlverschnürt auf dem schmutzigen Fußboden und nahm sehr übel. Er starrte den Butler aus gereizten Augen an. »Sie haben sich meiner bescheidenen Ansicht nach vollkommen richtig und überlegt verhalten, Miß Porter«, kommentierte der Butler. »Der geheimnisvolle Chef dieser Wanzenbande, um es einmal salopp auszudrücken, muß jetzt selbst aktiv werden, nachdem seine Hilfstruppen immer weiter zusammenschmelzen.« »Er nennt sich Arthur Miller«, wiederholte die Detektivin und maß den Gangster mit grimmigen Bücken. »Nun, diesem Wanzenfreund werden bald schon die Augen übergehen.« »Sie ... Sie können mir überhaupt nichts beweisen«, beschwerte der angebliche Arthur Miller sich jetzt. »Dafür werde ich Sie gerichtlich belangen.« »Und wer hat Miß Porter hierher verschleppt?« fragte die resolute Dame grollend. »Sie ist freiwillig mitgegangen«, behauptete Miller weiter. »Wenn hier einer reingelegt und verschleppt worden ist, dann bin ich das gewesen.« Myladys Pompadour geriet in leichte Schwingungen. Und dann
passierte es auch schon. Der perlenbestickte Handbeutel schwang ein wenig zu weit und klatschte gegen die Kinnlade des Gangsters. Myladys >Glücksbringer< im Pompadour ließ die Kinnlade seitlich leicht verrutschen. Der >Glücksbringer<, ein kleines Pferdehufeisen, nur oberflächlich mit Schaumstoff umwickelt, tat seine Wirkung. Arthur Miller kippte zur Seite und hatte sofort ein flaues Gefühl in der Magengegend. »Ist was?« erkundigte Lady Agatha sich gespielt harmlos bei Miller. Der Mann wollte antworten, doch seine Kinnlade erlaubte das im Augenblick nicht. Er schaute entsetzt auf die ältere Dame, die wie eine ziemlich füllige Rachegöttin vor ihm stand. Und der Pompadour schwang nach wie vor hin und her. »Sie können glücklich sein, junger Mann, daß ich mich so gut beherrschen kann«, erklärte Agatha Simpson. »Und Sie können froh sein, daß Mr. Parker so schrecklich empfindlich ist, sonst würde ich anders mit Ihnen reden.« »Falls Mylady darauf bestehen, könnten Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit den Raum für einige Minuten verlassen«, ließ der Butler sich vernehmen. »Nein, nein«, keuchte Miller mühsam. »Wer ist Ihr Chef?« Agatha Simpson ließ den Pompadour jetzt um ihren starken Zeigefinger kreisen. Ein gefährlicheres Instrument konnte man sich kaum vorstellen.
»Ehrlich, ich weiß es nicht!« Vor Angst hatte die Kinnlade sich wieder eingerenkt, Miller konnte wieder reden. »Ehrenwort, Mylady! Ich habe mich mit ihm immer nur im >Vampir< getroffen. Das ist ein Nachtlokal in Soho. Ich sage die Wahrheit, wirklich!« Sein Kopf bewegte sich wie ein Perpendikel. Von links nach rechts, dann wieder zurück, sein Blick hing an dem schwingenden Pompadour. Inzwischen wußte Arthur Miller, wie hart; die Füllung dieses Handbeutels war. »Und wie sieht dieser Chef aus?« fragte Agatha Simpson weiter. Sie ließ den Pompadour an Millers Kinnspitze. vorbeizischen. Miller nahm ruckartig den Kopf zurück, daß sein ausladendes Hinterhaupt gegen die Wand bumste. »Ich rede ja schon«, sagte Miller übereifrig. »Er ist etwa fünfundfünfzig Jahre alt, ziemlich klein, etwas dick und hat eine Glatze.« Agatha Simpson und ihr Butler tauschten einen schnellen Blick. Beide dachten natürlich sofort an Professor Wentham. Die gerade gelieferte Beschreibung paßte sehr gut auf ihn. »Und wann treffen Sie sich wieder mit ihm?« wollte die Detektivin weiter wissen. »Er rief immer in meinem Hotel an und hinterlegte eine Nachricht«, war die prompte und schnelle Antwort. »Oder er rief auch im > Vampir< an und sprach mit Driffeld, der mir dann Bescheid gab.« »Vielleicht sollten Sie Mylady noch zusätzlich erklären, warum Sie
nie versucht haben, die Identität dieses Mannes in Erfahrung zu bringen«, ließ Parker sich gemessen vernehmen. »Egal, wie die Antwort auch ausfallen wird, ich nehme sie Ihnen nicht ab«,warf die ältere Dame grollend ein. »Ich merke schon wieder, daß mein Temperament mit mir durchgehen will. Mr. Parker, halten Sie mich zurück!« »Nein, ja, nein, das heißt, natürlich habe ich versucht 'rauszubekommen, wer der Chef ist«, sagte Miller hastig und dachte an seine Kinnlade. »Und was war das Ergebnis Ihres Denkprozesses?« schaltete Butler Parker sich ein. »Es gibt da eine Eierfarm«, sagte Miller weiterhin hastig. »Der Besitzer heißt Wentham und war mal Professor. Inzwischen scheint er verrückt geworden zu sein.« Lady Simpson und Parker tauschten erneut einen schnellen Blick. »Und wieso halten Sie diesen Professor für den Initiator der ganzen Wanzenaktion?« stellte Parker seine nächste Frage. »Der Mann war mal Elektroniker. Und dann gleicht er dem Mann, mit dem ich mich im >Vampir< getroffen habe. Mehr weiß ich tatsächlich nicht.« »Soll ich ihm glauben, Mr. Parker?« Lady Agatha sah ihren Butler ungeduldig an. »Sie sprachen gerade von einer Eierfarm«, meinte Parker, ohne auf Lady Simpsons Frage einzugehen. Er wollte das Eisen schmieden, solange es heiß war. »Wo liegt sie und waren Sie schon mal dort?«
»Ich bin meinem Chef mal nachgefahren«, gestand Arthur Miller sofort. »Er verschwand knapp vor der Eierfarm. Und da dort weit und breit sonst kein Haus steht, müßte er dort wohnen. Das ist aber reine Vermutung.« »Eine sehr abenteuerliche Geschichte«, fand Lady Agatha unmutig. »Aber Sie werden Zeit haben, sich das alles noch mal gründlich durch den Kopf gehen zu lassen. Sie werden mein Gast sein, Mr. Miller!« »Wie ... Wie soll ich das verstehen?« Arthur Miller geriet in Unruhe. »Wie ich es gesagt habe. Sie werden von freundlichen Wanzen umgeben sein. Aber vor diesen Insekten fürchten Sie sich ja sicher nicht, oder? Sie kennen sich ja mit diesen kleinen Blutsaugern gut aus.« »Sie werden bereits erwartet«, meinte Parker gemessen. »Die Herren Findon und Swanley werden sich freuen, Sie begrüßen zu können. Ich darf mir erlauben, Ihnen bereits jetzt schon gute Unterhaltung zu wünschen.« * Wie lange sie bereits standen, hätten sie nicht sagen können. Die Beine taten ihnen weh, und sie sehnten sich danach, sich flach ausstrecken zu können, doch genau das riskierten sie nicht. Sie wußten schließlich genau, wie verseucht gerade die beiden schmalen Betten waren. Sie schienen der Lieblingsaufenthalt der Wanzen zu sein.
»Ich steh' das bald nicht mehr durch«, sagte Findon. »Wenn doch wenigstens Licht brennen würde!« »Man hört die kleinen Biester richtig scharren und krabbeln«, behauptete Swanley. »Vielleicht sollte man mal versuchen, sich auf den Boden zu setzen.« »Nach dir«, erwiderte Findon und schüttelte sich. »Die Fußbodenritzen sind doch voll von Wanzen.« »Ich kann das Wort Wanze nicht mehr hören.« Swanley gähnte. »Ich hab' 'ne Idee, Herb. Ich werde mich auf den Tisch setzen.« »Ich bleibe stehen.« Swanley riskierte es. Er tastete sich durch die Dunkelheit, bis er den kleinen Tisch erreicht hatte. Er fegte mit dem Unterarm alles herunter, was sich auf der Platte befand und seufzte wohlig, als er auf dem Tisch Platz nehmen konnte. »Sagenhaft«, rief er in die Dunkelheit hinein. »Das war die Idee meines Lebens.« »Abwarten«, erwiderte Findon. »Ich werd' mich auf 'ne Stuhllehne setzen. Das ist sicherer.« Findon schob sich vorsichtig durch die Dunkelheit und fluchte leise, als sein Knie gegen die Stuhlkante stieß. Er tastete sich weiter, bis er die Lehne gefunden hatte. Dann stieg er auf den Stuhl und setzte sich auf die Stuhllehne. Die Beine ließ er auf der Sitzfläche stehen. »Wunderbar«, sagte er dankbar und erleichtert. »Hier oben werden die Wanzen mich bestimmt nicht erwischen.« Er kämpfte gegen die Müdigkeit an und wollte nicht das Gleichgewicht
verlieren. Er horchte in die Dunkelheit hinein und wartete darauf, daß sein Partner Swanley sich meldete. Seine Gedanken irrten ab und beschäftigten sich mit dem Job, den sie leichtsinnigerweise angenommen hatten. Diese Arbeit mit den Wanzen hatte er sich leichter vorgestellt. Und von Provinz konnte hier in London keine Rede mehr sein. Findon verfluchte Lady Simpson und Butler Parker, die den Begriff Wanze voll beim Namen genommen hatten. Das hier war Folter reinster Art. Auf so etwas war man selbst drüben in den Staaten noch nicht gekommen . .. Plötzlich hörte Findon einen wütenden Fluch. Swanley sprang hastig vom Tisch und klopfte seine Kleidung ab. »Hatten sie dich?« fragte er. »Die sind überall«, schimpfte Swanley. »Der ganze Tisch ist voll damit.« »Ich hatte dich ja gleich gewarnt.« . »Laß mich jetzt mal auf den Stuhl«, sagte Swanley. »Jeder bekommt 'ne halbe Stunde.« »Meine ist aber noch längst nicht um.« Findon grinste genießerisch. »Wir fangen jetzt damit an. Zuerst ich, dann du.« »Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank, wie?« Findon war wütend. »Zuerst werd' ich mal meine halbe Stunde absitzen.« Er hatte seinen Satz noch nicht beendet, als er plötzlich einige bösartige Stiche in seiner Kehrseite verspürte. Wanzen!
»Okay«, rief er in die Dunkelheit und lächelte hintergründig. »Warum sollen' wir Streit anfangen. Aber nach 'ner halben Stunde bin ich dran.« »Los, schwirr ab!« Swanley konnte es kaum erwarten, auf der Stuhllehne Platz zu nehmen. Er schob seinen Partner ziemlich jäh und roh an die Seite, um dann auf den rettenden Stuhl zu steigen. Er sah natürlich nicht das schadenfrohe Grinsen seines Partners, der den Platz nur zu gern geräumt hatte. »Sitzt du auch gut?« fragte Findon nach einigen Minuten. »Verdammt«, war die wütende Reaktion. »Wenn mich nicht alles täuscht, fallen sie mich schon wieder an.« »Wer?« Findon lachte lautlos. »Die Wanzen!« Swanley polterte vom Stuhl herunter und schmetterte ihn dann gegen eine der Wände. »Total verwanzt! Hast du eigentlich nichts davon gemerkt?« »Moment mal, was war das gerade?« Findon hatte ein leises Stöhnen gehört. »Da stöhnt doch wer«, sagte nun auch Swanley. »Bist du das gewesen?« »Hätte ich sonst gefragt?« »Da ist noch einer im Raum«, redete Swanley weiter. »Verdammt, wenn wir doch nur Licht hätten!« Ein besseres Stichwort hätte er gar nicht aussprechen können. Die nackte Glühbirne flackerte, glomm auf und warf dann ihr kalkiges Licht in den Wanzenraum. »Miller«, sagte Findon fast andächtig. »Das tut mir gut.«
»Unser Verbindungsmann«, bestätigte Swanley. »Das ist 'ne echte Überraschung! Der Bursche scheint noch nicht ganz bei sich zu sein.« Sie bauten sich vor dem am Boden liegenden Arthur Miller auf, der tatsächlich noch benommen war und stöhnte. Die beiden US-Spezialisten fragten sich gar nicht, wie Miller in diesen türlosen Raum gekommen war. Sie sahen nur den Mann, der ihnen diese Suppe eingebrockt hatte. »Warum tun wir nichts für ihn? « fragte Findon und grinste Swanley an. »Der braucht jetzt Ruhe«, fand auch Swanley. »Packen wir ihn doch ins Bett.« »Wollte ich gerade vorschlagen. Hilf mal mit!« Die beiden Samariter griffen nach Armen und Beinen des dritten Gangsters und schleppten ihn an eines der beiden Betten, um ihn dann auf die Wolldecke zu legen. Sie wußten ja inzwischen, was passieren würde. »Warum decken wir ihn nicht zu?« fragte Swanley. »Klar doch.« Findon war sofort einverstanden. »Wir nehmen einfach die andere Decke. Bequem soll er's haben!« Wie zwei Krankenpfleger versorgten sie Arthur Miller, der inzwischen etwas ruhiger geworden war. Die jetzige Unterlage schien seinem Körper zu behagen. »Wanzen sind lichtempfindlich«, erinnerte sich dann Findon. »Eben.« Swanley hatte sofort verstanden. Er griff nach der Glühbirne und versengte sich fast die
Finger, hielt aber durch. Er wollte um jeden Preis das Licht löschen, damit die kleinen Wanzen sich ungestört auf ihr nächstes Opfer stürzen konnten. * Clive Dulving, der freundliche Andenkenhändler aus Soho," saß im >Vampir< und wartete auf den drahtigen Mann, der sich als Arthur Miller vorgestellt hatte. Der Anruf, ins >Vampir< zu kommen, war vor knapp einer Viertelstunde erfolgt. Clive Dulving war längst entschlossen, sich zu den bereits zweitausend Pfund noch weitere dreitausend zu verdienen. Gegen Blutgeld hatte er noch nie etwas gehabt. Er winkte Oscar Driffeld zu sich in die Nische. Der Manager des Clubs, ein Mann von schmieriger Eleganz, wieselte heran. Dulving und Driffeld kannten sich, doch der Manager fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Ihm war schließlich bekannt, welchem Nebenberuf Dulving nachging. »Wie war das noch?« fragte Dulving. »Wie nannte der Mann sich, der mich sprechen will?« v »Auf jeden Fall Arthur Miller«, wiederholte Driffeld, »aber ich meine, es ist nicht seine Stimme gewesen.« »Erzähl' mir mehr über diesen Miller. Wie hast du ihn kennengelernt?« »Er war eines Tages hier und kam sofort zur Sache«, berichtete Driffeld noch mal. »Vielleicht hätte ich
deinen Namen nicht so schnell nennen sollen, wie?« »Schwamm drüber, Driffeld! Sei in Zukunft etwas zurückhaltender damit, klar?« »Und ob!« Driffeld geriet ins Schwitzen. »Aber dieser Miller wirkte überzeugend. Ein Bulle ist das nicht. Das hätte ich sofort gerochen.« » »Ist ja schon gut, Driffeld.« Dulving nickte freundlich. »Nun bau' vor Angst nicht gleich ab! Erzähl' weiter!« »Also, der kam eines Tages hierher und sagte, er würde was aufziehen. Das ist jetzt drei Tage her. Er fragte nach einem Spezialisten, der für den Fall des Falles bestimmte Sachen diskret erledigen könnte. Da hab' ich deinen Namen genannt. Das heißt, ich habe gesagt, über dich könnte er vielleicht an solch einen Mann 'rankommen.« »Wieviel hast du dafür bekommen?« »Na, hör' mal...« - »Wieviel, Driffeld?« Dulving lächelte verstehend. »Umsonst ist noch nicht mal der Tod. Keiner weiß das besser als ich.« »Hundert Pfund«, gestand Driffeld. »Also wenigstens dreihundert«, korrigierte der Andenkenhändler. »Nein, schon gut, warum sollst du nicht auch 'nen anständigen Schnitt machen? Nichts gegen einzuwenden. Und wieso war das eben nicht seine Stimme?« »Die klang nicht so drahtig wie sonst, eher weich und höflich. Ich glaube nicht, daß es Arthur Miller
gewesen ist. Hör' zu, Dulving, du bist doch nicht sauer?« »Kann ich jetzt noch nicht sagen. Moment mal, verschwinde! Da erscheint 'ne komische Type ...« Driffeld drehte sich um und schaute dem eintretenden Gast ins Gesicht, der ein wenig linkisch und verlegen wirkte. Er schien mit der schwülen Atmosphäre des Clubs nichts anfangen zu können. Das Nachtlokal war als eine Art surrealistische Hölle aufgemacht. Rotes Licht wurde von den silberbespannten Wänden gebündelt und zurückgeworfen.' Die Bedienung bestand aus sehr weiblichen und attraktiven Vampiren, die alle die berüchtigtberühmten Fangzähne zeigten, wie man sie aus einschlägigen Filmen kannte. Diese weiblichen Vampire trugen netzartige Kostüme, die viel von ihrer Anatomie zeigten. Blutgierig sahen sie dennoch nicht aus, eher geldgierig. Drei dieser Vampire stürzten sich auf den Gast und wollten ihn in die Vorhölle lotsen, die sich in der Nähe der Bar befand. »Den hab ich hier schon ein paar Mal gesehen«, sagte Driffeld zu Dulving. »Der hat sich immer mit diesem Miller' unterhalten.« »Noch vor diesen drei Tagen, von denen du eben gesprochen hast?« »Genau, Dulving! Damals hielt ich Miller für einen normalen Gast. Da hatte er noch nicht nach dir gefragt.« Der scheue Gast mit dem kahlen Kopf und den linkischen Bewegungen hatte Driffeld und Dulving in der Nische entdeckt Gefolgt von den drei Vampiren eilte
er nun auf diese Nische zu. Driffeld scheuchte seine Hausvampire mit einer knappen Handbewegung zurück. Sie gehorchten aufs Wort. »Mr. Dulving, nicht wahr?« fragte der Gast höflich und nickte dem Andenkenhändler zu. »Und wer sind Sie?« fragte Dulving, während Driffeld sich schleunigst absetzte. »Wentham«, lautete die Antwort. »Mr. Miller läßt sich entschuldigen. Er ist verhindert. Ich hoffe, Sie nehmen mit mir vorlieb.« »Kann ich jetzt noch nicht sagen.« Dulving hatte den Kahlköpfigen bereits eingeschätzt. Er kam zu dem Schluß, daß diese Scheu und Höflichkeit nur gespielt waren. Er spürte sofort, daß er es mit einem Profi zu tun hatte. Und genau das beruhigte ihn.. »Mr. Miller hat Ihnen bereits zweitausend Pfund angezahlt«, sagte der Mann, der sich als Wentham vorgestellt hatte. »Ich erhöhe mein Angebot, daß er Ihnen in meinem Namen gemacht hat. Zusätzlich noch viertausend Pfund, Mr. Dulving! Aber dafür erwarte ich Präzisionsarbeit!« »Lady Simpson und Butler Parker?« »Unangenehme Leute«, sagte Wentham pikiert. »Sie stören meine Kreise.« »Unangenehme Leute und verdammt gefährlich.« »Wem sagen Sie das, Mr. Dulving!« Der Mann, der sich Wentham nannte, nickte traurig. »Werden Sie es schaffen?« »Natürlich«, gab Dulving zurück. »Eine Frage am Rand. Ist Ihr Arthur
Miller etwa von diesem komischen Duo erwischt worden?« »Leider, leider.« Der angebliche Wentham nickte. »Und darüber hinaus noch zwei an sich tüchtige Spezialisten, die aus den Staaten stammen. Sie dürften die Verhältnisse hier unterschätzt haben.« »Was ist aus den drei Typen geworden? Wissen Sie, wo sie stecken?« »Vielleicht werden Sie es mir in einigen Stunden sagen können«, entgegnete der Mann, der sich Wentham nannte. »Übrigens, Mr. Dulving, an diesen drei Männern bin ich nicht mehr interessiert.« »Das erhöht den Preis.« Dulving war ein korrekter Geschäftsmann, der seine Kalkulation abstimmte. »Das sehe ich ein, Mr. Dulving. Nennen Sie mir Ihren Zusatzpreis!« »Pro Person, weil's wahrscheinlich ein Aufwachen sein wird, noch mal tausendfünfhundert.« »Tausend, Mr. Dulving. Die Dinge müssen ja überschaubar bleiben. Moment, bevor Sie antworten, möchte ich Ihnen noch etwas sagen. Sind Sie in der Lage, eine kleine, schlagkräftige Organisation aufzuziehen? Es müßten geschickte Männer sein, die handwerklich geschult sein sollten. »Ist alles nur eine Geldfrage«, antwortete Dulving. »Sie haben keine Angst, daß ich Sie übers Ohr hauen könnte?« »Warum sollten Sie sich ein einmalig gutes Geschäft entgehen lassen?« fragte der Mann zurück und strich sich über den kahlen Kopf. »Sie sind Geschäftsmann, was ich
schätze. Ich liefere das gewisse Know-how, Sie hingegen die Praxis. Eine bessere Basis kann man sich doch gar nicht vorstellen, wie?« »Ich mache mich umgehend an die Arbeit«, versprach Dulving. »Nageln Sie mich aber nicht auf 'ne gewisse Zeit fest! Was ich anpacke, bereite ich gründlich vor.« »Sie sind mir sympathisch«, sagte der Mann, der sich als Wentham vorgestellt hatte. »Ich denke, Sie und ich werden noch sehr viel Geld verdienen. Voraussetzung dazu aber ist, daß Lady Simpson und Butler Parker nicht länger stören!« * »Lady Simpson?« Nelson Fleets, der Mann, der von einer gewissen Cora Lanessi >Häschen< genannt wurde, war ehrlich überrascht, die Dame vor sich zu sehen. Es war Abend geworden. Lady Agatha und Butler Parker waren zum Amtssitz des Mannes gefahren, um ihm einige Fragen zu stellen. Ein Mann wie Fleets, der die Königliche Untersuchungskommission in Sachen Mittelstand leitete, verfügte über Informationswege, die Butler Parker jetzt dringend brauchte. »Ich hoffe, Sie haben ein paar Minuten Zeit für mich«, sagte Agatha Simpson. »Immer, Mylady!« Nelson Fleets zeigte sich von seiner höflichsten und charmantesten Seite. »Ich freue mich, wenn ich Ihnen behilflich sein kann.« »Ich brauche da ein paar Auskünfte, Sir Nelson. Lassen Sie Ihre Verbindungen spielen! Mr.
Parker wird Ihnen sagen, um was es sich handelt.« »Die erbetenen Auskünfte, Sir, beziehen sich auf drei Firmen, die sich mit dem Aufspüren von elektronischen Wanzen befassen. Die Namen sind Swall, Edenhall und Baston, alle hier in London ansässig.« »Es geht uns darum, wer hinter diesen Firmen möglicherweise steht«, fügte die Detektivin hinzu. »Sie wissen schon, Geldgeber, Hintermänner oder finanzielle Verflechtungen.« »Das wird allerdings schwierig sein, Mylady. Und es wird sehr viel Zeit kosten.« Sir Nelson Fleets hatte seine Gäste in sein Büro geführt und die gepolsterte Tür geschlossen. Er tat ein wenig wichtig und wollte offensichtlich hofiert werden. »Einem Häschen dürfte das aber nicht schwerfallen«, meinte die ältere Dame mehr als anzüglich. »Wie, ähem, wie...?« Sir Nelsons Blick wurde sofort unsicher, was kein Wunder war. Mit dem Kosenamen >Häschen< wußte er natürlich etwas anzufangen. »Mr. Parker, legen Sie meine Karten auf den Tisch«, sagte die Detektivin. »Spielen Sie Sir Nelson das Tonband vor!« Parker öffnete den Lederverschluß des winzig kleinen Tonbandgeräts, das nicht größer war als ein normales Buch. Dann schaltete er das Gerät ein und ließ das Tonband abspulen. Sir Nelson saß nach wenigen Minuten gebrochen in seinem Sessel. Er wagte es nicht, Mylady anzusehen. Er war kreidebleich geworden.
»Diese Unterhaltung, Sir, wurde mittels einer elektronischen Wanze gesendet«, erklärte Parker. »Details zu solch einem Vorgang brauche ich ja wohl nicht zu geben.« »Wie .. . Wie sind Sie . ..?« Sir Nelson hustete, stand auf und gab sich einen Ruck. »Ich werde selbstverständlich die Konsequenzen tragen und den Vorsitz zurückgeben.« »Papperlapapp, Sir Nelson«, unterbrach Lady Agatha ihn barsch. »Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Ich wollte Ihnen nur demonstrieren, hinter welchen Gaunern ich her bin. Mr. Parker unterstützt mich dabei ein wenig. Wahrscheinlich werden nicht nur Sie belauscht. Man muß davon ausgehen, daß hier eine Bande am Werk ist, die Erpressungen im großen Stil betreiben will.« »Darf man höflichst fragen, Sir, ob man vielleicht auch schon erpreßt wurde?« »Bis .. . Bisher nicht.« Sir Nelson Fleets ließ sich wieder zurück in den Schreibtischsessel fallen. »Weiß Cora, ich meine, weiß Miß Lanessi davon?« »Sie hat natürlich keine Ahnung, Sir Nelson«, antwortete Agatha Simpson. »Und Ihr Privatleben interessiert mich nicht. Ich finde, daß die Intimsphäre eines jeden Menschen grundsätzlich geschützt bleiben muß.« »Ich ... Ich bin entsetzt«, sagte Sir Nelson. Er stand wieder auf und begann eine intensive Wanderung vor seinem Schreibtisch. »Regen Sie sich später auf, Sir Nelson«, schlug die resolute Dame vor. »Besorgen Sie uns jetzt
umgehend die Informationen. Je schneller ich diese Wanzenbande fasse, desto weniger Unheil wird angerichtet.« »Verfügen Sie über mich«, gab Sir Nelson zurück. »Wie waren noch die Namen?« »Ich war so frei, sie aufzuschreiben.« Parker reichte dem Mann einen Notizzettel. »Und ob ich mitarbeiten werde!« Sir Nelson hatte sich endlich wieder gefaßt und zitterte vor Tatendrang. »Diesen Gangstern muß das Handwerk gelegt werden!« »Das sagte ich bereits«, raunzte die Sechzigjährige. »Wiederholen Sie mich nicht, Sir Nelson, tun Sie endlich was!« * Clive Dulving, der Andenkenhändler aus Soho, war von seinem kleinen Ausflug in einen der Außenbezirke von Groß-London zurückgekehrt. Natürlich hatte er sich an die Fersen dieses Mr. Wentham gehängt und ihn verfolgt. Er wollte schließlich wissen, mit wem er es zu tun hatte. Inzwischen sah er klarer. Dieser Mann, der sich Wentham nannte, mußte der Besitzer der Eierfarm sein, die in einem sanften Talgrund in der Nähe von Harrow lag. Diese Richtung hatte sein Geldgeber genommen und war dann nicht mehr aufgetaucht. Clive Dulving hatte noch mehr getan. Er war bis an das Drahttor herangefahren und hatte sich den Namen an der Sprechanlage aus
nächster Nähe angesehen. Hier war der Name Wentham noch mal zu lesen gewesen. Clive Dulving war nun zufrieden. Für den Fall eines Falles wußte er, wo er Wentham auftreiben konnte. Nun aber galt es erst mal, sich die ausgesetzten Prämien zu verdienen. Lady Simpson und Butler Parker standen auf der Liste. Dulving wußte nur zu gut, was er da übernommen hatte. In Kreisen der Unterwelt hatten Lady Simpson und Butler Parker einen gefürchteten Namen. Man ging diesem Duo liebend gern aus dem Weg und versuchte vor allen Dingen dem Trickreichtum des Butlers auszuweichen, der für jede noch so verrückte Überraschung gut war. Man wußte, daß Agatha Simpson allein keine Gefahr bedeutete. Aber ihr Reichtum erlaubte es dem Butler, selbst sehr kostspielige Hilfsmittel zu verwenden. Nein, normalerweise wäre auch ein Clive Dulving diesem Paar aus dem Weg gegangen, doch in diesem, Fall stand eine Summe zur Debatte, auf die man nicht so ohne weiteres verzichtete. Darüber hinaus hatte dieser Wentham Geschäfte größten Stils für die Zukunft verheißen. Dulving wollte da gern mitmachen. Es war bereits dunkel geworden, als er in Shepherd's Market eintraf, jeher Oase der Stille und Ruhe inmitten der hektischen Millionenstadt London. Hier gab es noch erstaunlich viele Fachwerkhäuser, die wie kostbare Geschenke einer traditionsreichen Vergangenheit gehegt und gepflegt wurden.
Dulving war kein Mann, der sich Hals-über-Kopf in ein Abenteuer stürzte. Zuerst wollte er mal gründlich die Lage sondieren. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, etwa ins Haus eindringen zu wollen. Ein Mann wie dieser Butler Parker war so nicht zu überraschen und zu stellen. Das Fachwerkhaus, in dem Lady Simpson und Butler Parker wohnten, war wahrscheinlich besser gesichert als ein Banktresor. Dulving fragte sich, ob Arthur Miller und die beiden anderen Männer, von denen Wentham gesprochen hatte, sich dort drüben im Haus befanden. Gewiß, dieses Fachwerkhaus sah nicht gerade geheimnisvoll aus, doch das besagte nichts. Wer konnte wissen, was ein schlauer Fuchs wie Butler Parker dort alles eingebaut hatte. Clive Dulving schlenderte weiter. Er hatte sich nicht in das von Fachwerkhäusern umstandene kleine Viereck hineingetraut. Er verschwand in einer Seitenstraße und wollte sich Myladys Haus von der Rückseite aus ansehen. Es gab da tatsächlich eine schmale Gasse, die von hohen und soliden Gartenmauern eingefriedet wurde. Besondere Alarmeinrichtungen vermochte Dulving auf den Mauerkronen nicht zu entdecken, doch was besagte das schon? So auffällig würde Parker diese Sicherheitseinrichtungen nie montieren lassen. Der Berufskiller fühlte sich nicht wohl in dieser schmalen Gasse. Er kam sich plötzlich vor wie in einer überdimensional großen Falle, er
hatte plötzlich das sichere Gefühl, heimlich beobachtet zu werden. Er beeilte sich, wieder hinaus auf eine der regulären Straßen zu kommen. Hier fühlte er sich schon bedeutend sicherer. Er nahm sich vor, Lady Simpson und Butler Parker auf quasi neutralem Boden zu stellen. Er mußte sie abfangen, wenn sie unterwegs waren. Vielleicht klappte es auch, sie in eine Falle zu locken. Als Clive Dulving zur nächsten Untergrund-Station ging - er hatte absichtlich darauf verzichtet, einen Wagen zu benutzen - schaute er sich wiederholt nach etwaigen Verfolgern um. Und später, während der UBahn-Fahrt zurück nach Soho, stieg er mehrmals um, um alle Spuren zu verwischen. Er kannte sich in allen Tricks aus und war sicher, auch den raffiniertesten Beschatter abgeschüttelt zu haben, als er am Picadilly Circus ausstieg und in Richtung Soho verschwand. Trotz aller Vorsicht aber war ihm eine Art zweibeinige graue Maus entgangen, die sich an seine Fersen geheftet hatte. Sie hatte sich auch durch den raffiniertesten Trick nicht ausschalten lassen. Sie war dank einer Lehre durch einen gewissen Josuah Parker noch cleverer als dieser Berufskiller. * Arthur Miller litt Höllenqualen. Längst war er wieder zu sich gekommen. Er lag im Bett und mußte den Ansturm der kleinen braunen und schwarzen Linsen über sich ergehen lassen. Links und rechts vom Bett standen Findon und Swanley. Sie
hatten ihn bisher sehr nachdrücklich daran gehindert, dieses Marterbett zu verlassen, und sorgten auch dafür, daß Miller zugedeckt blieb. Zuerst war es ja ihre Absicht gewesen, Arthur Miller ihren bisherigen Verbindungsmann, nach allen Regeln der Kunst zu verprügeln, aber dann war ihnen eine bessere Idee gekommen. Was waren denn sie schon gegen diese Wanzen? . Findon und Swanley hatten sich mit Stuhlbeinen ausgerüstet und klopften ihren Mitgangster immer wieder zurück ins Bett. Sie sorgten dafür, daß er auf keinen Fall die Besinnung verlor. Arthur Miller sollte seine Bettruhe voll genießen. »Laßt mich 'raus«, stöhnte Miller wieder mal. »Das hält ja kein Mensch aus. Die Biester fressen mich auf.« »Gönn' ihnen doch mal was Herzhaftes«, sagte Findon mit tückischer Freundlichkeit. »Du bist aber auch gar kein Tierfreund«, klagte Swanley nicht weniger ironisch. »Wer hat denn die netten Wanzen ins Gespräch gebracht?« fragte Findon weiter. »Durch wen sind wir denn hier gelandet?« wollte Swanley wissen. »Wer hat uns denn die Wanzen auf den Hals geschickt, he?« »Das war doch nicht ich!« Arthur Miller stemmte sich wieder hoch. Eine ganze Kompanie von Wanzen schwärmte gerade auf seinen Hüften aus. Es handelte sich wahrscheinlich um eine Angriffswelle, die bisher noch nicht an der Reihe gewesen war, frisches und warmes Blut zu
tanken. Sie holten nach, was sie versäumt hatten. »So, das bist du also nicht gewesen?« Findon langte mit seinem Stuhlbein relativ menschlich zu. »Und wer war es tatsächlich?« fragte Swanley und klopfte ein wenig nachdrücklicher mit seinem Stuhlbein zu. »Wentham«, stöhnte Arthur Miller. »Und wer ist das?« Findon nickte zufrieden, als Miller sich zurücksinken ließ. »Ein Professor, der 'ne Eierfarm hat«, antwortete Miller. »Jetzt ist er verrückt geworden«, mutmaßte Swanley. »Ehrenwort«, stöhnte Miller. »Der Mann hat mal 'nen Lehrstuhl für Elektronik gehabt. Ich bin ihm nachgefahren. Seine Eierfarm liegt in einem Tal bei Harrow.« »Und der läßt die Wanzen einbauen?« Findon hatte das Gefühl, daß Miller die Wahrheit sagte. »Läßt er.« Miller nickte und scheuerte seinen Rücken fast wütend gegen die unterliegende Decke. »Laßt mich 'raus, Leute! Ich werde wahnsinnig ...« »Und warum läßt er?« erkundigte Swanley sich. »Er will 'ne Riesenerpressung abziehen«, redete Arthur Miller hastig weiter. »Er sammelt alle Gespräche, die die Wanzen übertragen. Und dann setzt er die Leute unter Druck. So hat er es mir wenigstens erklärt.« »Und wieso hat er uns aus den Staaten kommen lassen?« Findon drohte mit dem Stuhlbein, worauf Miller sich wieder zurückfallen ließ.
»Um jede Nachforschung zu unterbinden«, sagte Miller mit gepreßter Stimme. Er strampelte mit den Beinen unter der schweren, wanzenverseuchten Decke herum. »Wieso jede Nachforschung?« Swanley wollte alles genau wissen. »Er will nur mit Leuten zusammenarbeiten, die hier in London noch nicht bekannt sind. Ich komme ja auch aus dem Ausland.« »Und wie ist dieser Professor an deine Adresse gekommen?« Findon beobachtete interessiert ein mittleres Armeekorps von Wanzen, das sich anschickte, Millers Hals zu attackieren. Er warnte den Mann allerdings nicht. »Das weiß ich nicht. Er sagte nur, er hätte früher mal meinen Namen gehört.« »Und dich dann so ganz einfach im Ausland angerufen, wie?« Swanley lachte gespielt amüsiert auf. »Erzähl' das deiner Großmutter, mein Junge! Du bleibst im Bett, bis wir alles wissen.« »Also gut, ich sag' die Wahrheit.« Millers Hals wurde gerade angegriffen. Er wehrte sich verzweifelt gegen die Linsen, die sich jedoch nicht verscheuchen ließen. »Ich sag' die Wahrheit.« »Nicht versprechen, reden.« Findon grinste. »Ich hab' Wentham angeschrieben, als er gefeuert wurde«, lautete die schnelle, sich fast überstürzende Erklärung. »Ich hatte davon in den Zeitungen gelesen, das aber erst nach Monaten so richtig begriffen. Ich meine, was da für ein Geschäft drinsteckt.«
»Und Wentham hat einfach so geantwortet?« Swanley strich mit seinem Stuhlbein die Decke glatt; die sich durch die Strampelbewegungen etwas verschoben hatte. »Überraschend schnell. Er lud mich ein, nach London zu kommen.« Miller keuchte. »Wir wurden schnell einig. Ehrlich! Und ich ließ euch dann aus den Staaten kommen. Ich hatte von euch gehört.« »Per Radio, wie?« Findon schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Nein, über Freunde in Paris. Ihr müßt da mal gearbeitet haben. Und auch in Marseille, oder?« »Lang ist's her«, sagte Swanley und nickte. »Damals habe ich an Wanzen noch nicht mal gedacht.« »Das ist aber auch schon alles«, schloß Miller sein Geständnis.« Laßt mich jetzt 'raus, ja? Ihr braucht mich noch, Jungens.« »Wozu eigentlich?« fragte Findon. Er sah seinen Partner Swanley kopfschüttelnd ah. »Wenn wir hier 'raus sind, könnten wir uns den Professor vornehmen«, schlug Arthur Miller vor. »Der Mann ist stinkreich. « »Und hat inzwischen bestimmt neue Leute engagiert, oder?« Findon war mißtrauisch und dachte weiter. »Die setzt er dann auf uns an, weil wir zuviel wissen.« »Nur Clive Dulving«, brachte Arthur Miller mühsam hervor. »Das ist ein Berufskiller aus Soho. Er hat da 'nen Andenkenladen. Den setzen wir schnell außer Gefecht.« Während er noch redete, sprang er aus dem Bett. Ihm war es jetzt gleichgültig, was mit ihm passierte.
Lieber sich schlagen lassen, als weiter von Wanzen gepeinigt werden, war seine Devise! Findon und Swanley zeigten menschliche Regungen. Sie ließen es geschehen und musterten den nackten Körper ihres früheren Verbindungsmannes. Bevor sie ihn ins Bett gesteckt hatten, waren Miller die Kleider abgestreift worden. Sein Körper hatte Quaddeln und rote Pünktchen. Miller schleppte sich zum Strohsessel. Weder Findon noch Swanley warnten ihn. Soweit ging ihre Menschlichkeit nun auch wieder nicht. * »Diese Auskünfte stimmen mich aber überhaupt nicht froh«, sagte Agatha Simpson grollend. »Glauben Sie, daß Sir Nelson auch richtig nachgefragt hat, Mr. Parker?« »Sir Nelson wird sich alle erdenkbare Mühe gegeben haben, Mylady«, gab Parker zurück und half seiner Herrin in den Wagen. Sie hatten gerade das Bürohaus verlassen, in dem Sir Nelson residierte. »Drei vollkommen seriöse Firmen«, grollte die ältere Dame weiter. »Das paßt mir aber gar nicht.« »Man sollte ihnen vielleicht einen Besuch abstatten, Mylady.« »Das wollte ich Ihnen gerade vorschlagen.« Sie schöpfte sofort neue Hoffnung. »Man muß sich diese Leute aus der Nähe ansehen.«
»Darüber hinaus handelt es sich um Firmen, die von Professor Wentham genannt wurden, Mylady.« »Natürlich, wie wären wir sonst an diese Namen gekommen.« Sie nickte, hatte ihren Butler aber nicht verstanden. »Es gibt möglicherweise noch andere Firmen, die sich mit dem Aufspüren von Wanzen beschäftigen, Mylady. Und diese, Firmen könnten dann durchaus unseriös sein.« »Daran dachte ich gerade auch.« »Wenn Mylady gestatten, werde ich entsprechende Auskünfte einziehen.« »Ich bitte darum, Mr. Parker. Was machen wir jetzt? Die Firmen Swall, Edenhall und Baston sind um diese Zeit wahrscheinlich geschlossen.« »Ich möchte auf keinen Fall widersprechen, Mylady, doch Firmen mit solch einem speziellen Service dürften auch über das verfügen, was man einen Nachtdienst nennt.« »Klappern wir also diese Leute ab, Mr. Parker.« Lady Agatha war einverstanden. »Aber eigentlich bin ich dafür, diesem Wentham noch mal auf den Zahn zu fühlen. Denken Sie an das, was dieser Miller gesagt hat!« »Er beschuldigte in der Tat Professor Wentham auf eine sehr massive Art und Weise.« »Grundlos? Seine Beschreibung paßt auf unseren Wentham, Mr. Parker, vergessen Sie das nicht!« »Es könnte sich um eine Art Ablenkungsmanöver handeln, Mylady.« »Sie müssen wohl grundsätzlich dagegen sein, nicht wahr? «
»Darf ich mir erlauben, einen weiteren Vorschlag zu unterbreiten, Mylady?« »Zurück nach Hause?« »Man sollte vielleicht in Erfahrung bringen, was Myladys Gäste sich inzwischen zu sagen hatten«, schlug Parker vor. »Ich möchte unterstellen, daß es zwischen den Herren Findon, Swanley und Miller zu einem angeregten Gedankenaustausch gekommen ist.« »Ihnen will einfach nicht in den Kopf, daß Wentham unser Haupttäter ist, nicht wahr?« »Professor Wentham machte einen zwar skurrilen, aber doch glaubwürdigen Eindruck auf meine bescheidene Wenigkeit, Mylady.« »Er ist ein Psychopath, Mr. Parker, ist Ihnen das wirklich noch nicht aufgegangen? Er leidet unter seiner damaligen Blamage und unter dem Rausschmiß. Jetzt rächt er sich. So einfach ist das! Wanzen haben seine Karriere beendet, Wanzen sollen nun auch anderen Menschen schaden. Für mich liegt das sonnenklar auf der Hand.« »Eine bestechende Theorie, Mylady.« »Von der Sie natürlich überhaupt nichts halten. Ich kenne Sie doch!« »Man sollte sich vielleicht mal fragen, Mylady, ob Professor Wentham identisch mit Professor Wentham ist.« Parker ging auf den Vorwurf von Agatha Simpson sicherheitshalber nicht ein. »Wie soll ich denn das nun wieder verstehen?« Sie schnaufte ärgerlich. »Mylady wurden ein Professor Wentham vorgestellt, der
möglicherweise gar nicht Professor Wentham ist.« »Sie glauben, daß der Mann von der Eierfarm, den wir besucht haben, gar nicht Wentham ist?« »Nur eine Theorie, Mylady.« » Und wo befindet sich dann der richtige Wentham, Mr. Parker?« »Soweit, Mylady, ist meine Theorie noch nicht gediehen. Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß er vielleicht gefangen gehalten wird - oder nicht mehr lebt.« »Und wie wollen Sie das alles beweisen, Mr. Parker?« »Von Professor Wentham müssen Bilder existieren, Mylady«, antwortete Josuah Parker. »Und diese Bilder sollte man mit dem Mann vergleichen, der sich auf der Eierfarm als Professor vorgestellt hat.« »Genau das, was ich gerade vorschlagen wollte.« Lady Agatha nickte. »Erledigen Sie die Details, Mr. Parker! Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht gern ab. Ich habe wichtigere Dinge zu tun.« * »Das war deutlich«, sagte Agatha Simpson eine halbe Stunde später, nachdem Josuah Parker ihr das Tonband abgespielt hatte, auf dem die Unterhaltung zwischen Findon, Swanley und Miller festgehalten worden war. Im Wanzenkeller befanden sich nämlich nicht nur echte, sehr aktive und bluthungrige Insekten, nein. Parker hatte sicherheitshalber auch eine jener elektronischen Wanzen
zurückgelassen, die er im Wagen der beiden US-Spezialisten gefunden hatte. Über einen Empfänger, der mit einem Tonbandgerät gekoppelt war, war diese Unterhaltung mitgeschnitten worden. »Der Schlüssel zum Geheimnis, Mylady, dürfte sich auf der Eierfarm befinden«, erwiderte Parker zustimmend. »Mr. Miller sprach erneut von Professor Wentham.« »Im Morgengrauen werden wir diese Farm unter die Lupe nehmen«, sagte Lady Agatha. »Und wir werden uns sehr genau umsehen. Sorgen Sie für eine entsprechende Tarnung, Mr. Parker!«, »Sehr wohl, Mylady! Sind Mylady unter Umständen mit einem Motorrad einverstanden? Man könnte sich als Touristen ausgeben.« »Ein Motorrad? Meinen Sie etwa dieses scheußliche Ding in der Garage?« »Ein zwar erheblich altes, aber noch voll gebrauchsfähiges Modell. Darin wird man Mylady kaum vermuten. Ich darf darauf verweisen, daß ein sogenannter Seitenwagen vorhanden ist.« »Also gut, Hauptsache, man erkennt uns nicht auf den ersten Blick. Und wie werden wir über den Zaun kommen?« »Man könnte die Kontrolle über das Kraftrad verlieren, Mylady. Das Motorrad könnte scheinbar den Maschendraht zerfetzen.« »Scheinbar?« Sie schüttelte den Kopf. »Anscheinend, Mylady«, korrigierte Parker. »Das Durchgehen des Kraftrades würde natürlich nur vorgetäuscht.«
»Das klingt recht nett«, freute die Detektivin sich. »Nehmen Sie also ein paar anständige Sprengladungen mit, damit auch alles klappt.« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen.« »Und was geschieht nun mit diesem Andenkenhändler Dulving? Sie haben dieses Subjekt natürlich schon wieder vergessen.« »Keineswegs, Mylady, zumal ich davon ausgehe, daß Miß Porter besagtem Andenkenhändler auf der Spur sein dürfte. Miß Porter hinterließ eine Tonbandnachricht. « Parker hielt ein kleines Diktiergerät hoch, das nicht größer war als zwei Packen Zigaretten. Er schaltete es ein und ließ das Band abspielen. Kathy Porter berichtete von einem verdächtigen Mann, der um das Haus gestrichen war. Sie sagte weiter, sie würde diesen Mann verfolgen und man brauche sich keine Sorgen zu machen. »Sie wird sich doch hoffentlich nicht in Gefahr bringen?« Agatha Simpson war mit Kathy Porters Alleingang überhaupt nicht einverstanden. »Glauben Sie wirklich, daß dieser verdächtige Mann Dulving sein könnte?« »Laut Tonbandgespräch zwischen den drei Gangstern liegt dieser Verdacht recht nahe, Mylady. Clive Dulving dürfte im Moment der einzige Gangster sein, über den der geheimnisvolle Chef der Wanzenbande verfügt.« Wie richtig Parker die Lage beurteilt hatte, sollte sich bald zeigen. Als er nach dem Dinner den obligaten Mokka samt Kognak
servierte, läutete das Telefon. Gemessen schritt Parker zum Apparat und meldete sich. »Miß Porter, es ist mir eine ehrliche Freude«, sagte er. »Ja, selbstverständlich, Mylady fühlen sich äußerst wohl. Sie haben inzwischen feststellen können, wie der verdächtige Mann heißt? Clive Dulving? Ja, ich notiere mir seine Geschäftsadresse. Nein, Sie sollten vielleicht dort bleiben. Mylady wollen diese Einladung wahrscheinlich höchstpersönlich an Mr. Dulving richten. Meiner bescheidenen Schätzung nach könnte man in etwa zwanzig Minuten an Ort und Stelle sein.« Als Parker sich umdrehte, stand seine Herrin bereits ungeduldig an der Tür, die in die vordere Halle führte. In Anbetracht der Situation hatte sie auf den Mokka verzichtet und sich mit dem doppelten Kognak begnügt. Sie konnte sich einschränken, wenn es die Lage erforderte. * Clive Dulving befand sich allein in seinem Laden. Er hatte seine Mitarbeiterinnen nach Hause geschickt und wollte gerade das Scherengitter schließen, als im Eingang eine aufgedonnerte Kundin erschien, die er als Fachmann, sofort als exzentrische Amerikanerin identifizierte. Sie hatte lila gefärbtes, dauergelocktes Haar und trug eine riesige Sonnenbrille, die reichlich mit Straß verziert war, und einen Hut, den man nur als ein kleines
Blumenbeet bezeichnen konnte. Über das Tweedkostüm hatte sie sich einen Lackmantel gezogen, der überhaupt nicht zu ihr paßte. »Ich brauche noch ein paar Kleinigkeiten«, sagte die Touristin aus den Staaten. Sie hatte eine erstaunlich dunkle Stimme. »Meine Maschine geht schon in einer Stunde.« »Zu Ihren Diensten, Madam«, erwiderte Dulving, der ein, paar schnell verdiente Pfund witterte. »Meine Auswahl ist einmalig.« »Lassen-Sie sehen!« Sie drängte ihn zurück in das Ladenlokal und interessierte sich sofort. Sie baute sich vor einem der großen Regale auf und stieß kleine Schreie der Verzückung aus. »Ist etwas dabei für Sie, Madam?« fragte Dulving. »Ist das aber reizend«, sagte die stattlich aussehende Dame und griff nach dem Tower in Kleinstformat. »Solide Arbeit«, antwortete Dulving. »Das hält schon einen Sturm aus, Madam .« »Sind Sie sicher?« Die füllige Dame war ein wenig ungeschickt und ließ den Tower aus der Hand fallen. Der Kunstgewerbegegenstand landete auf dem Boden und löste sich in seine Bestandteile auf. Dulving hüstelte und bückte sich, doch das hätte er besser nicht getan. Die angebliche Amerikanerin hatte blitzschnell ihre Hutnadel aus dem Blumenbeet gezogen und stieß damit herzhaft in den rechten Oberarm des Gangsters. »Auuu!« Dulving richtete sich auf und starrte die Dame an, die einen verlegenen Eindruck machte.
»Ich bin wohl etwas ungeschickt«, sagte sie, Selbstkritik übend. »Entschuldigen Sie!« »Schon gut«, meinte Dulving, der immer noch keinen Verdacht geschöpft hatte. »Kann ja mal pas . . . pas . . . passieren...« Er fühlte sich plötzlich sehr müde. Sein rechter Arm wurde schwer wie Blei. Er merkte, daß ihm der Schweiß ausbrach. Und erst jetzt, mit erheblicher Spätzündung, ging Dulving so etwas wie ein schwaches Licht auf: Diese Frau war keine reguläre Kundin. Sie hatte ihm etwas vorgemacht. Sie hatte ihn hereingelegt. Dulving wollte nach seiner Schußwaffe greifen, die sich in der Schulterhalfter befand, doch er bekam seinen Arm nicht hoch. Der Stich mit der Hutnadel hatte die Muskeln gelähmt. »Herrlich«, hörte er die Dame sagen. Ihre Stimme kam von sehr weit her. »Der Buckingham Palast sieht ja richtig solide aus.« Dulving kickste auf, als der Buckingham Palast auf seinen Hinterkopf gestellt wurde. Anschließend wurde sein Kopf dann noch mit dem Parlament belastet. Kurz, Dulving fiel auf die Knie, glich für einen Moment einem gläubigen Moslem, der sein Abendgebet spricht, und kippte dann nach vorn. Das Schloß Windsor gab dem Killer den Rest. Nachdem die stattliche Dame diese königliche Unterkunft nachdrücklich gegen Dulvings Nackenpartie gepreßt hatte, verlor er das Bewußtsein.
Die Kundin ging zur Ladentür und winkte energisch nach draußen. Wenig später erschien ein Mann, der wie ein Filmbutler aussah. Er lüftete höflich seine schwarze Melone. »Mylady waren erfolgreich?« erkundigte sich der Butler. »Das war ja schon fast peinlich einfach«, antwortete die Dame, die natürlich Lady Simpson war. »Dieser Dulving hat die Weisheit auch nicht gerade mit Löffeln gegessen, Mr. Parker.« »Dies, Mylady, sollte man nicht bedauern«, gab der Butler zurück. »Ich darf mir erlauben, Mr. Dulving in den Wagen zu schaffen? Wenn er wieder wach wird, sollte er sich nicht allein fühlen.« »Reichen die Wanzen eigentlich aus, Mr. Parker?« »Mylady kommen Bedenken?« »Werden sie sich nicht schon überfressen haben? Bisher konnten sie immerhin drei Gangster anzapfen.« »Mylady sollten sich keine Sorge machen«, lautete Parkers Antwort. »Wie man mir im Institut für Insektenkunde versicherte, handelt es sich bei den ausgeliehenen Exemplaren um besonders ausgehungerte Heteroptera. Sie dürften auch mit Mr. Dulving fertig werden.« »Wie war das? Hete ...?« »Heteroptera, Mylady«, gab Parker gemessen zurück. »Der Fachbegriff für Wanzen, wenn ich es so umschreiben darf. Im Gegensatz dazu gibt es noch die Homoptera, die ...« »Später, Mr. Parker, später«, sagte Agatha Simpson und unterbrach ihn
jäh. »Sie können mir das ja schriftlich vorlegen. Im Moment steht mir nicht der Sinn nach einer zoologischen Vorlesung.« * Als das Licht wieder aufglomm, entdeckten sie, daß sich ein vierter Mann zu ihnen gesellt hatte. Er lag schlafend auf dem Bretterfußboden und merkte nicht, wie interessiert er betrachtet wurde. »Das ist Dulving«, sagte Arthur Miller, den die beiden USSpezialisten inzwischen erlöst hatten. Miller stand neben dem Wanzenbett und freute sich. »Der Killer?« fragte Findon. »Der Typ, den Wentham auf uns angesetzt hat«, erwiderte Miller sehr pauschal. »Warum packen wir ihn nicht auch ins Bett? Warum soll er's besser haben als wir?« »Dann nehmen wir aber das andere Bett«, warf Swanley ein. »Jetzt brauchen wir frische Wanzen.« Die drei Gangster waren sich einig. Fast liebevoll kümmerten sie sich um Clive Dulving. Sie streiften ihm die Kleider ab, dann die Unterwäsche. Sie begutachteten seinen Körper und die rosige Haut, die zum freundlichen Mahl förmlich einlud. Anschließend wanderte Dulving in das zweite Bett. Nachdem man ihn sorgfältig niedergelegt hatte, machte Findon sich auf die Suche nach erlebnishungrigen Wanzen. Arthur Miller beteiligte sich am Einsammeln der niedlichen Linsen, und sie brauchten nur etwa drei Minuten, bis sie mit reicher Beute
ans Bett zurückkehrten. Sie ließen die Insekten auf Dulvings Körper regnen, legten die schützende Decke über den Körper und nickten sich dann zu. Es dauerte nicht lange, bis Clive Dulving sich bewegte. Zuerst strampelte er ein wenig mit den Beinen, scheuerte die Augen, stierte die drei Beobachter an und sagte etwas, was man allerdings nicht verstand. Clive Dulving strampelte stärker und kratzte sich den Nacken. Es war klar, daß die Wanzen bereits in Aktion getreten waren. »Wo ... Wo ist die Alte?« fragte der Killer schließlich und richtete sich etwas auf. Er erkannte jetzt Miller und schüttelte irritiert den Kopf. »Welche Alte?« erkundigte Miller sich, obwohl er natürlich wußte, wen Dulving meinte. »Die Alte«, sagte Dulving. »Sie hat mich 'reingelegt.« »Warum auch nicht?« Findon schob sich in das Bückfeld des Killers. »Wir alle sind reingelegt worden.« »Was ... Was ist los mit mir? « Dulving scheuerte ungeniert seinen Rücken gegen die rauhe Decke, auf der er lag. »Wanzen«, sagte Swanley. »Wir kennen das bereits«, meinte Miller. »Wanzen! Hier im Bett?« Dulving wollte hastig aufspringen, doch er hatte die Rechnung ohne die Gangster gemacht. Sie zeigten ihre Stuhlbeine und halfen Dulving damit zurück auf die verseuchte Unterlage.
»Seid ihr wahnsinnig?« fluchte Dulving und hob abwehrend die Arme. »Was soll denn das?« »Hier gibt's keine Sonderrechte«, antwortete Miller. »Hier kommt jeder dran.« Dulving wollte das nicht einsehen. Er fühlte sich stark und versuchte seine Kräfte an Findon, Swanley und Miller zu erproben. Er unternahm einen Überraschungsangriff, doch er erlitt jämmerlichen Schiffbruch. Schon nach wenigen Sekunden lag er wieder hilflos im Bett und schielte beeindruckt nach den diversen Stuhlbeinen. Er büßte für alle Sünden, die er bisher begangen hatte, und hatte das Gefühl, daß sein Körper immer mehr zu einer einzigen Beule wurde. Er nahm sich vor, einen bürgerlichen Beruf zu ergreifen, wenn er alles überstanden hatte. * Agatha Simpson fühlte sich von Minute zu Minute wohler. Sie saß in dem unförmig großen Seitenwagen und entwickelte zunehmend ein Gefühl für Kurven. Parker thronte im Sattel des reichlich alten Motorrads und schien aus einer vergangenen Zeit zu kommen. Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß er auf der Maschine und handhabte die diversen Hebel und Bedienungselemente. Natürlich trug er die schwarze Melone, seinen schwarzen Zweireiher und führte zudem auch noch seinen altväterlich gebundenen Regenschirm mit. Lady Simpson hatte sich auf Parkers Anraten hin eine
Motorradbrille aufgesetzt. Sie legte ihren fülligen Körper leicht übertrieben in die Kurven und brachte den Butler einige Male durchaus in nicht geringe Verlegenheit. Er hatte dann alle Hände voll zu tun, das Seitenwagengespann stabil zu halten. Lady Agatha und Butler Parker hatten vor ihrer Fahrt hinaus zur Eierfarm des Professor Wentham einen kleinen Umweg gemacht und sich für etwa zwanzig Minuten in der Fleet Street aufgehalten. Parker, ein gern gesehener Gast in den dortigen Zeitungsredaktionen, hatte alte Zeitungsbände durchgeblättert und sich auch in einem Archiv umgesehen. Nun, er wußte jetzt, wie Professor Wentham aussah, doch dies hatte seine Theorie nur erschüttert. Der Professor Wentham, den er inzwischen kannte, entsprach genau jenem Mann, den man ihm im Bildarchiv der Zeitung präsentiert hatte. Demnach schien Lady Agatha von Beginn an recht gehabt zu haben: Professor Wentham war der Haupttäter, den man jetzt zu stellen hatte. Es war erstaunlich, was die alte Maschine noch leistete. Gewiß, man hörte überdeutlich, wie der Motor arbeitete. Und aus dem Auspuff Quollen umweltfeindliche Rauchwolken, die darauf hinzudeuten schienen, daß der Motor dicht vor einer endgültigen Explosion stand. Aber sonst war wirklich alles in bester Ordnung... Parker übersah souverän die teils belustigten, teils entsetzten Blicke der übrigen Verkehrsteilnehmer auf
der nordwestlichen Ausfallstraße. Es war noch früher Morgen, doch der Betrieb war bereits sehr stark. Parker slalomte mit dem Seitenwagengespann um elegante, schnittige Wagen herum und' ließ sich nicht beirren. Er hatte es eilig, nach Harrow zu gelangen. Er wollte endlich wissen, wer diese ganze Wanzenaktion in die Wege geleitet hatte. Falls Professor Wentham tatsächlich ein Doppelspiel betrieb, dann mußte er so schnell wie möglich -zur Verantwortung gezogen werden. Der gut gefederte Seitenwagen geriet in wilde Schwingungen, als Parker von der Hauptstraße abbog und querfeldein fuhr. Lady Agatha wurde durchgeschüttelt, daß es nur so eine Art war. Sie klammerte sich an den Haltegriffen fest und beschwerte sich nicht. Insgeheim aber nahm sie sich vor, auf dem Rückweg den Platz zu wechseln. Dann konnte Parker sich in den Seitenwagen setzen. Auch sie wollte mal das befreiende Gefühl erleben, solch ein Gespann zu fahren. , Der Morgen hatte seine graue Farbe verloren, als Parker auf einer sanften Anhöhe anhielt. Mit dem Schirm deutete er nach unten auf die Eierfarm. »Darf ich mir erlauben, Mylady noch mal zu warnen?« schickte er voraus. »Es kann unter Umständen zu einer harten Auseinandersetzung kommen, die nicht ganz ungefährlich verlaufen wird.« »Papperlapapp, Mr. Parker! Sie wissen doch, daß Sie mich brauchen. Fahren Sie schon los! Es bleibt bei meinem Plan!«
Parker legte mühsam den Gang ein und rollte dann mit dem Gespann wieder los. Er fuhr über eine Wiese, visierte die Hühnerhäuser an und hoffte, daß man sie nicht zu früh identifizierte. Ihm war nicht bekannt, wie viele Personen sich auf der Farm aufhielten. Professor Wentham war aber sicher nicht allein. Die Hühner mußten schließlich gewartet und die Eier gesammelt werden. Das alles konnte Wentham allein nie schaffen, Parker schaute prüfend zur schmalen Landstraße. Er konnte jetzt sein hochbeiniges Monstrum erkennen, das in schneller Fahrt ebenfalls auf die Eierfarm zuhielt. Kathy Porter saß am Steuer des Wagens und sorgte dafür, daß die Beobachter abgelenkt wurden. Bisher stimmte alles und verlief genau nach Plan. Der Zaun aus Maschendraht war erreicht. Parker stieg von der Maschine und ließ sich von Mylady einen Ball reichen, wie ihn Kinder zum Spielen benutzen. Er drückte mit seinen schwarz behandschuhten Fingern das Ventil tief ein und beeilte sich dann, diesen Ball, der offensichtlich gefährlich war, in Richtung Drahtzaun zu werfen. Er rollte über das Gras und blieb genau vor einem Pfosten liegen. Zwei, drei Sekunden später erfolgte eine diskrete Detonation. Der Pfosten knickte zur Seite weg, der starke Maschendraht riß auf. Parker ignorierte die Erdbrocken, die noch durch die Luft wirbelten. Er saß bereits wieder im Sattel der Maschine und fuhr an. Er preschte durch die Zaunlücke, jagte an den
aufgeregten Hühnern vorbei und hielt auf das eigentliche Farmhaus zu. Jetzt kam alles darauf an, die Insassen des Hauses zu überraschen, bevor sie Gegenmaßnahmen ergriffen. Auf der Rückseite des steinernen Farmhauses hielt Parker an. Er sah, wie die Eisenblenden sich vor den Fenstern schlössen. Man schien sich einigen zu wollen. Parker holte seine Gabelschleuder aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers und legte eine kastaniengroße Tonmurmel in die Lederschlaufe. Bevor die Blendläden sich ganz schlössen, gelang es ihm, drei dieser seltsamen Geschosse in das Hausinnere zu befördern. Daß dabei die Fensterscheiben zu Bruch gingen, störte ihn nicht weiter. »Achtung, sehen Sie doch!« Agatha Simpson stieß ihrem Butler energisch in die Seite und deutete dann mit ihrer Hand auf einen offenen Jeep, der um die Hausecke preschte. Parker reagierte sofort. Wer am Steuer saß, konnte er nicht genau erkennen. Es handelte sich jedoch um einen Mann, der von der Statur aus Professor Wentham glich.. Parker stieg zurück auf das Gespann und nahm sofort die Verfolgung auf. Der Jeep jagte auf die Lücke im Zaun zu, die Parker gesprengt hatte. Der Mann am Steuer des Jeep drehte sich um und feuerte aus einer Pistole auf Parker und Lady Simpson. Die Geschosse jaulten gefährlich nahe an den beiden Verfolgern vorbei. Der Jeep hatte die Zaunlücke bereits hinter sich gelassen. Parker
holte alles aus der betagten Maschine heraus, was noch in ihr war. Er holte sichtlich auf und kurvte stets so herum, daß der Mann, der immer wieder schoß, kein genaues Ziel fand. Dann trat Lady Agatha in Aktion, die jetzt ihren Pompadour wie ein Lasso schwang. Jagdfieber glomm in ihren Augen. Sie zog sich mit der linken Hand am Haltegriff hoch, um frei werfen zu können. Und dann, Parker blieb einen Moment lang auf geradem Kurs, ließ sie ihren gefährlichen > Glücksbringer < durch die Luft zischen. Der Effekt war überwältigend. Der Pompadour landete auf dem Hinterkopf des Jeepfahrers, der sich daraufhin jäh aufrichtete, um dann das Steuer zu verreißen. Der Jeep machte einen wilden Sprung nach rechts, worauf der. Fahrer nach links aus dem offenen Wagen hinausgeschleudert wurde. Der Fahrer überschlug sich einige Male und blieb regungslos im Gras liegen. »Was wären Sie ohne mich!« Agatha Simpson nickte triumphierend, als Parker das Gespann neben dem Fahrer anhielt. »Ich möchte mir erlauben, Mylady zu diesem Wurf zu beglückwünschen«, antwortete Parker. Er zerrte sie diskret aus dem Beiwagen und half seiner Herrin auf den Boden. Dann gingen sie gemeinsam zu dem Fahrer hinüber, der sich erfreulicherweise schon wieder bewegte. » Sehr eigenartig«, staunte die Detektivin. Sie schaute auf Professor Wentham hinunter, um den es sich
handelte. Agatha Simpsons Erstaunen war allerdings berechtigt, denn die ausgeprägte Glatze des Professors hatte sich verschoben. »Auch die Rotwangigkeit, Mylady, scheint nur vorgetäuscht zu sein«, stellte Parker zufrieden fest. »Eine sehr gute Maske«, fand die resolute Dame. »Dieser Mann hat das Aussehen Professor Wenthams nur vorgetäuscht«, faßte Parker zusammen. »Den wirklichen Professor dürfte man drüben im Farmhaus finden, wie ich hoffe.« * »Weiter, weiter«, drängte Superintendent McWarden. »Haben Sie ihn gefunden?« »In der Tat, Sir«, antwortete Parker würdevoll. »Professor Wentham befand sich in seinem Labor, das im Keller des Farmhauses eingerichtet ist. Er war wohlauf und erstaunt, daß man hinter seinem Rücken eine Gangsterorganisation aufgezogen hatte.« McWarden, ein recht reizbarer Mann vom Yard, zappelte unruhig auf seinem Stuhl herum. Er war vor einer Viertelstunde in Myladys Haus eingetroffen. Butler Parker hatte ihn zu diesem Besuch eingeladen. »Und wer ist nun der falsche Professor?« fragte er ungeduldig. »Professor Wenthams Sekretär«, erwiderte der Butler. Von der Statur her gleicht er Professor Wentham. Er brauchte nur ein wenig Maske zu machen, um in seiner Rolle mit diversen Gangstern zu verhandeln.«
»Und Wentham hatte tatsächlich keine Ahnung?« McWarden war noch nicht ganz überzeugt. »Ein weltfremder Gelehrter, Sir«, entgegnete der Butler höflich. »Hinzu kommt, daß er tatsächlich eine Art Feldzug gegen elektronische Wanzen führt. Seine Unterlagen über bisher aufgespürte Wanzen sind beachtlich und bestürzend zugleich.« »Diese Unterlagen haben seinen Sekretär erst auf die Idee gebracht, sie verbrecherisch zu nutzen«, schaltete die Detektivin sich grimmig ein. »Canderly heißt dieses Subjekt. Wahrscheinlich ist er bereits polizeibekannt, McWarden, aber das ist bereits Ihre Sache.« »Demnach haben Sie und Mr. Parker stets mit dem richtigen Professor gesprochen?« wollte McWarden wissen. »Dies ist der Fall, Sir.« Parker nickte. »Die Gangster hingegen standen Mr. Canderly gegenüber.« »Womit meine Theorie sich auf der ganzen Linie wieder mal bestätigt hat«, behauptete die ältere Dame. »Gut, ein paar Kleinigkeiten haben zwar nicht gestimmt, aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an.« »Wird Professor Wentham uns seine Unterlagen zur Verfügung stellen?« fragte McWarden. »Die Leute, die es mit diesen Wanzen zu tun haben, müssen gewarnt werden.« »Professor Wentham wird es sich zur Ehre anrechnen, Sir, mit der Polizei zusammenarbeiten zu können«, antwortete Josuah Parker. »Eine entsprechende Zusage hat er bereits meiner bescheidenen Wenigkeit gegenüber gegeben.«
»Und wo steckt dieser Sekretär?« McWarden nahm sich vor, sich nicht zu ärgern. Lady Simpson und Butler Parker hatten ihm wieder mal einen fertig gelösten Fall serviert. Damit mußte man sich wohl abfinden... »Mr. Canderly befindet sich in bester Gesellschaft«, sagte Parker. »Mr. Canderly macht gerade Bekanntschaft mit echten Wanzen.« »Wie soll ich denn das nun wieder verstehen?« McWarden seufzte. Parker war gut für jede noch so verrückte Überraschung. »Mr. Canderly, Sir, ist Gast des Hauses«, erläuterte der Butler. »Einzelheiten wird er Ihnen wahrscheinlich selbst erzählen. Aber bis dahin sollte man ihm noch etwas Zeit lassen.« Sie haben echte Wanzen im Haus?« McWarden stand unwillkürlich auf und schaute mißtrauisch auf die Polsterung des Stuhls. »Sehr echte, McWarden«, erklärte Agatha Simpson grimmig. »Aber natürlich nicht hier! Seien Sie gefälligst nicht so naiv, so etwas anzunehmen. Übrigens, Mr. Parker, der Keller muß anschließend gründlich desinfiziert werden. Sind Sie sicher, daß diese kleinen Biester nicht ausbrechen können?« Auch sie wuchtete sich mißtrauisch aus ihrem Sessel und beäugte die Polsterung. »Der Keller, Mylady, ist ausbruchssicher, für Wanzen wie auch für Gangster«, versicherte Parker seiner Herrin. »Zudem arbeite ich bereits an einer Art Wanzengroßfalle, wenn ich es so umschreiben darf. Ich möchte dem
Institut die Insekten selbstverständlich wieder gut genährt zurückgeben.« * Pete Clepton, der kleine Einbrecher, hatte sich von seiner Freundin und Lebensgefährtin Elsie doch noch überreden lassen. Pete und Elsie hofften auf ein gutes Geschäft. Sie befanden sich in der Halle jenes Hotels in Soho, in dem die beiden amerikanischen Bühnenagenten Findon und Swanley laut Zeitungsbericht wohnten. Elsie war resoluter als Pete. Sie ging hinüber zum Empfang und erkundigte sich nach den beiden Bühnenagenten. Der Empfangschef lächelte höflich und drehte sich zum Telefon um. Er sagte, er würde oben in den Zimmern anrufen und den Besuch anmelden. Pete hatte wieder mal ein sehr unbehagliches Gefühl. Er schlenderte scheinbar unabsichtlich zurück zur Tür und zündete sich hier eine Zigarette an. Dann sah er, daß ein mittelgroßer, schlanker Mann aus dem Office kam und auf Elsie zuging. Pete wußte sofort Bescheid, dieser Mann roch förmlich nach Polizei, Uniform und Staatsgewalt. Pete drehte sich auf dem Absatz um, rief Elsie aber fairerweise noch eine Warnung zu. Auch sie reagierte nicht schlecht, Elsie spurtete sofort los und folgte ihrem Lebensgefährten. Sie knallte die Glastür vor der Nase des sie verfolgenden Beamten ins Schloß und rannte hinter Pete her, der
bereits eine beachtliche Geschwindigkeit erreicht hatte. Keuchend und außer Atem fanden sie sich in einer kleinen Seitenstraße wieder, verschnauften und stahlen sich dann in einen Pub, der zwei Ausgänge hatte. »Du mit' deinem Riesengeschäft«, knurrte Pete. »Wer konnte das denn ahnen?« reagierte sie. »Nie wieder«, schwor sich Pete. »Ich bleib' bei meinem Job.« »Schon gut, schon gut«, lenkte sie ein. »Ich sag' ja auch nichts mehr.« »Warum ist der Typ wohl aufgetaucht?« wunderte Pete sich. »Weil diese beiden Bühnenagenten Dreck am Stecken haben«, sagte die gute Elsie. »Wie wäre es denn, wenn wir den Mann warnten, bei dem sie gewesen sind? Du weißt doch, wo du in der Nacht gearbeitet hast.« »Fängst du schon wieder an?« Er sah sie wütend an. »Ich dachte ja nur.« Sie zog den Kopf ein. Dann fügte sie nachdenklich hinzu: »Ich wüßte ja liebend gern, um was es da gegangen ist. Hast du wirklich keine Ahnung?« »Doch«, sagte er spöttisch. »Sie werden da 'ne Wanze eingebaut haben. Biste jetzt zufrieden?« »Eine Wanze?« Elsie verstand nicht recht. »'ne Wanze«, wiederholte er amüsiert. »So'n Ding, mit dem man abhören kann, was so in 'ner Wohnung alles passiert.« »So was gibt es?« Elsies Gedanken überschlugen sich. »Natürlich gibt's so was.« Er sah sie herablassend an.
Pete sagte nichts. Nun überschlugen sich nämlich auch seine Gedanken. Er ahnte nicht, welche gefährliche Richtung sein Denken nahm. Er wußte nicht, daß es auch echte und sehr blutgierige Wanzen gab . ..
»Und damit kann man alles abhören?« Elsies Gedanken formierten sich bereits. »Alles«, erklärte Pete. »Du, Pete, ich habe eine Idee«, ließ Elsie sich daraufhin vernehmen.« Warum steigen wir nicht um auf Wanzen? Vielleicht -kann man damit das große Geschäft machen?« ENDE
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Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen neuen
Nr. 165
Parkers Sturzflug In die »Hölle« Der Besitzer der »Hölle« hatte schon lange darauf gewartet, den verhaßten Butler Parker aus dem Verkehr ziehen zu können. Als Kathy Porter in der Schweiz war, sah er seine große Chance. Sie verschwand wie von der Bildfläche, und Parker mußte zusammen mit Lady Agatha Hals-über-Kopf In die Schweiz. Hier nun sah der »Geheimnisvolle«, wie er sich gern nannte, die Möglichkeit, seine Trümpfe ausspielen zu können. Er wollte Parkers Improvisationskunst nicht nur imitieren, nein, er wollte den Butler sogar noch übertreffen. Und für eine gewisse Zelt sah es tatsächlich so aus, als sollte Ihm dies gelingen, bis Parker dann ein wenig unwirsch wurde und zum Sturzflug in die Hölle ansetzte. Günter Dönges verfaßte einen neuen Parker-Krimi, in dem es wieder mal turbulent zugeht. Nervenkitzel, Hochspannung und Ironie sind eine glückliche Mischung und garantieren Stunden bester Unterhaltung. In der Neuauflage erscheint Butler Parker Krimi Nr. 133
PARKER narrt die Kidnapper ebenfalls von Günter Dönges