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PARKER löst den Harem auf Günter Dönges Parkers Stimmung befand sich auf dem Nullpunkt. Er saß in der großen Lounge des Intercontinental-Hotels auf der Kante eines bequemen Sessels und wartete auf die Rückkehr sei nes jungen Herrn. Der Butler übersah das bunte Treiben in der Hotelhalle und dachte mit tiefem Bedauern daran, daß sie in gut zwei Stunden bereits Beirut verlassen würden. Dieses Bedauern hing keineswegs mit der libanesischen Hafen stadt an sich zusammen. Gewiß, diese Drehscheibe des Orients war exotisch, orientalisch und wirkte abenteuerlich, aber zu ei nem echten Abenteuer oder Zwischenfall war es bisher zu Parkers Leidwesen nicht gekommen. Der kurze Abstecher in diese Stadt hatte seine immerhin hochgespannten Erwartungen keineswegs erfüllt. Sein junger Herr hatte die geschäftlich-juristischen Besprechun gen im Auftrag einer amerikanischen Ölfirma schnell und glatt erledigt. Jetzt sollte es zurück nach Rom gehen. Und das war es, was seine Stimmung auf den Nullpunkt ge bracht hatte. Araber und Libanesen in ihrer malerischen Landes tracht rochen förmlich nach Wüste und Abenteuer, aber sie be fanden sich schließlich in einer Stadt, die eine betäubende Mi schung aus Orient und Manhattan darstellte. Hier war mit einem kleinen Kriminalfall wohl nicht mehr zu rechnen. Und auf solch einen hatte Josuah Parker sich innerlich vorbereitet und auch ge freut. »So, Parker, das wäre erledigt.« Parker schrak aus seinen trü ben Gedanken und erhob sich. Er nickte Mike Rander zu, der ihn zufrieden anlächelte und dann auf die Armbanduhr schaute. »Von mir aus können wir.« »Wenn Sie darauf bestehen, Sir!« »Sie möchten noch für ein paar Tage in Beirut bleiben?« »Ich bin mir nicht sicher, Sir.« »Ich weiß schon, was mit Ihnen los ist, Parker.« Rander schmunzelte zufrieden. »Ist aber nicht! Erfreulicherweise. Bei den Gaunern dieser Stadt scheint es sich herumgesprochen zu haben, daß Sie im Land sind.« 2
»Leider, Sir.« »Gott sei Dank, Parker! Also, zurück ins Hotel, Koffer abholen und dann ab nach Rom. Das heißt…« »Ja, Sir?« Parker betrachtete hoffnungsvoll seinen jungen Herrn, der seine Brieftasche hervorholte und darin suchte. »Das heißt, bis zum Abflug haben wir hoch Zeit, Miß Gilda Glo ver einen Besuch abzustatten. Hätte ich um ein Haar vergessen.« »Miß Gilda Glover, Sir?« Parkers Interesse erlosch schlagartig. Sein Optimismus sank in sich zusammen. »Die Tochter eines Klienten«, sagte Rander beiläufig. »Sie hat seit ein paar Wochen nicht mehr nach Hause geschrieben. Wir sollen dafür sorgen, daß Sie den Kugelschreiber aufschraubt.« * Das Taxi hielt in der Nähe der Altstadt vor einem zweistöckigen Haus, das zur Straße hin nur nackte, weiß getünchte Mauern zeigte: Rander stieg aus, während Parker im Taxi blieb. Der junge Anwalt ging auf die Holztür zu und zog an der Glocke. Es dauerte fast eine Minute, bis die schmale Tür geöffnet wurde. Ein Libanese in Landestracht dienerte und ließ den Anwalt eintre ten. Parker seufzte kaum hörbar und holte seine unförmige Zwie beluhr aus der Westentasche. Noch anderthalb Stunden bis zum Abflug. Wenn jetzt kein Wunder geschah, dann war Rom nahe! Nun, von einem Wunder konnte man nicht sprechen, als Mike Rander zum Taxi zurücckam. Parker stieg aus und ließ es sich nicht nehmen, den Wagenschlag zu öffnen. »Moment noch«, sagte der Anwalt nachdenklich, »wie finden Sie das, Parker? Miß Glover ist seit vier Tagen nicht mehr zurück in ihre Wohnung gekommen.« »Miß Glover wird mit jungen Leuten einen Ausflug gemacht ha ben«, erwiderte Parker. »Der vier Tage lang dauert? Ohne eine Adresse zu hinterlas sen?« »Sie rechnete sicher nicht mit einem Besuch, Sir.« »Komische Geschichte«, wunderte sich Mike Rander. »Sie rief gestern den Hausverwalter an, nannte ihren Namen und legte dann plötzlich auf.« »Tücke der Technik, Sir«, sagte Parker desinteressiert, aber 3
sehr höflich. Was sollte in dieser Stadt, die ihn so enttäuscht hat te, schon passieren. »Zum Henker, Parker, wo bleibt Ihr Instinkt?« wunderte sich Mike Rander sichtlich. »Warum hat es sie dann nicht noch mal versucht?« »Sie vermuten eine Unregelmäßigkeit, Sir?« Parkers Interesse wurde leicht angefacht. »Ich weiß es nicht.« Rander zog ein nachdenkliches Gesicht. »Immerhin trug sie nur Jeans und eine leichte Bluse, als der Hausmeister sie beim Verlassen des Hauses sah. Und eine Stroh tasche, die sie immer zum Marktbesuch mitnahm.« »Dies, Sir, läßt mich in der Tat hoffen«, räumte Parker jetzt ein. »Miß Glover dürfte doch wohl Freunde und nähere Bekannte ha ben.« »Richtig. Aber ich habe vergessen, mich danach zu erkundigen. Gehen Sie doch mal zurück zum Hausverwalter und holen Sie das nach! Ich weiß nicht, Parker, diesmal habe ich das dumpfe Ge fühl, daß hier etwas nicht stimmt.« Parker deutete eine leichte Verbeugung an und ging noch mal in das Haus zurück. Rander sah ihm nach und zündete sich eine Zigarette an. Der Butler brauchte die Türglocke nicht zu betätigen. Er blieb nur für ein paar Sekunden vor der massiven Holztür stehen, die sich plötzlich leicht aufdrücken ließ. Ein Unbeteiligter hätte nie feststellen können, daß Parker das Türschloß auf seine spezielle Weise dazu überredet hatte, sich freundlichst zu offen. Parker steckte sein kleines Spezialbesteck zurück in die Westen tasche, ging ruhig und gemessen durch den Torgang und erreich te einen überraschend gepflegten Innenhof, der von einem zent ralen Springbrunnen geziert wurde. Es gab üppige Sträucher und Büsche, die diesen Springbrunnen einfaßten. Von diesem Hof aus führten Außentreppen hinauf zu Galerien, von denen aus man die jeweiligen Apartments betreten konnte. Links hinter dem Torgang befand sich eine Tür, die nur angelehnt war. Durch den Spalt war eine leise Stimme zu hören, die in mühsamem Französisch telefonierte. Parker, dieser Sprache durchaus mächtig, blieb stehen, zumal er gerade den Namen Glover gehört hatte. Er ging etwas näher an die spaltbreit geöffnete Tür heran. »… war ein Amerikaner«, sagte die Stimme gerade, »er ist auf 4
der Durchreise, wie er gesagt hat. Doch, kann sein, daß er noch mal zurücckehrt. Gut, dann weiß ich Bescheid, Monsieur. Ich wer de sofort anrufen.« Josuah Parker verzichtete darauf, sich dem Hausmeister vorzu stellen. Er betrat den Innenhof und schritt die Türen zu den ein zelnen Apartments ab. Er suchte nach der Wohnung von Miß Glo ver, die er dann auf der gegenüberliegenden Seite auch prompt fand. Auch hier schien die Tür nur darauf gewartet zu haben, sich entgegenkommend öffnen zu dürfen, wogegen Parker nichts ein zuwenden hatte. Er betrat die kleine Wohnung und schaute sich gemessen, aber sehr intensiv um. * Es war eine schlichte Zahnbürste, die das Interesse des Butlers erregte. Sie befand sich in einem Wasserglas in bester Gesellschaft mit einigen Lippenstiften und einem kleinen Make-up-Set. Dies alles stand auf der Ablage über dem Waschbecken. Parker wunderte sich diskret. Er ging zurück in den mittelgroßen, rechteckigen Wohnraum und sah sich weiter um. Er öffnete einen kleinen Wandschrank, sah sich die wenigen Kleidungsstücke an, die Miß Glover zurück gelassen hatte, und wollte sich gerade mit einem einfachen Ar beitstisch befassen, als er laut und deutlich aufgefordert wurde, schleunigst seine Hände zu heben. Parker kam diesem Wunsch sofort nach. Er wollte, wie das bei ihm selbstverständlich war, jedem Ärger aus dem Weg gehen. Er war ein durchaus friedlicher Mensch, dem stets an Verständigung lag. Der Stimme nach zu urteilen, hatte er es mit dem Hausverwal ter zu tun. Als Parker sich langsam umschaute, sah er sich tat sächlich dem Libanesen gegenüber, der seinem jungen Herrn vor etwa zehn Minuten die Tür geöffnet hatte. Der Mann hielt eine Automatik in der Hand und machte erstaun licherweise einen unsicheren und nervösen Eindruck. Parker merkte sofort, daß dieser Mann mit seiner Waffe nicht viel anzu 5
fangen wußte. Ein Profi war er ganz sicher nicht. »Was kann ich möglicherweise für Sie tun?« erkundigte sich Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Wie sind Sie hier ’reingekommen?« wollte der Libanese wissen und versuchte streng und energisch auszusehen. »Fragen Sie dies besser meinen Herrn, Mister Rander«, antwor tete der Butler und benutzte damit einen uralten Trick, der voll seine Wirkung tat. Der Libanese wandte sich halb um und wollte Ausschau nach Mister Rander halten, den der Butler avisiert zu haben schien. Eine Sekunde später war der Hausverwalter waffenlos. Er schien darüber sogar froh zu sein, rieb sich sein leicht schmerzendes Handgelenk und schielte nach der Waffe, die neben ihm auf dem Boden lag. Parker hatte sie ihm mit der Spitze seines UniversalRegenschirms aus der Hand geschlagen. »Mein Name ist Parker – Josuah Parker«, stellte der Butler sich jetzt formvollendet vor und lüftete seine schwarze Melone. »Mög licherweise sehen Sie in meiner bescheidenen Person einen Geg ner. Ich darf Ihnen versichern, daß dem nicht so ist.« »Wer sind Sie?« erkundigte sich der Libanese verblüfft und ver gaß, sich weiterhin mit seinem Handgelenk zu befassen. »Den Namen sagte ich bereits. Ich habe die Ehre, der Butler Mister Randers zu sein. Sie lernten ihn vor einigen Minuten ken nen, als mein Herr sich nach Miß Glovers Verbleib erkundigte.« »Sie – Sie ist weggegangen«, sagte der Mann. »Vor vier Tagen«, bestätigte Parker mit leichtem, Kopfnicken. »Sie sind wie ich der Ansicht, daß ihr etwas zugestoßen sein könnte, nicht wahr?« »Wieso!?« Der Libanese sah den Butler vorsichtig an. »Ich beziehe mich auf Miß Glovers Zahnbürste«, erklärte der Butler, »außerdem auf ihre Lippenstifte und auf ihr kleines Make up-Set. Dies alles hätte Miß Glover niemals zurückgelassen, wenn sie eine reguläre Reise angetreten hätte, nicht wahr?« »Tatsächlich«, sagte der Hausverwalter. »Zudem dürften Sie mit diesem Verschwinden nichts zu tun ha ben«, führte der Butler weiter aus. »Als Mitwisser hätten Sie die gerade von mir erwähnten Gegenstände mit Sicherheit vorzeitig weggeräumt.« »Bestimmt!« sagte der Libanese verblüfft. »Sie sind von der Po lizei?« 6
»Eine bescheidene Gegenfrage: Haben Sie die Polizei inzwischen verständigt?« »Natürlich. Schon zwölf Stunden nach ihrem Verschwinden.« »Und was haben die zuständigen Behörden bisher veranlaßt?« »Das weiß ich nicht«, sagte der Hausverwalter, »aber die Polizei meint, Miß Glover könnte sich bei irgendeinem Freund aufhalten.« »Hat Miß Glover dies in der Vergangenheit schon mal getan?« »Noch nie«, sagte der Libanese und schüttelte energisch den Kopf. »Miß Gilda hat das niemals getan.« Er sah Josuah Parker irritiert an und erkundigte sich dann, was Parker denn vermutete. Parker antwortete nicht, sondern blickte an dem Hausverwalter vorbei und hinüber zur Zimmertür, in der ein Besucher aufge taucht war, der einen kurzläufigen Revolver in der Hand hielt. Dieser Mann, etwa 25 Jahre alt, hatte langes Haar, sah ein we nig abenteuerlich aus und schien im Gegensatz zu dem Hausver walter durchaus mit einer Schußwaffe umgehen zu können. * Mike Rander wurde die Zeit zu lang. Er stand neben dem Taxi, warf die gerade angerauchte Zigaret te weg und schritt zum Haustor. Er wollte nachsehen, wo sein Butler blieb. Er ahnte bereits im vorhinein, daß es Parker wieder mal gelungen war, gewisse Verwicklungen zu erreichen. Mike Rander brauchte die Haustür nicht zu überreden. Sie war noch unverschlossen. Er drückte sie vorsichtig auf und stahl sich in den Innenhof. Der Anwalt schaute sich suchend um und ent deckte dann den jungen Mann, der in der Tür zu einer der Erdge schoßwohnungen stand und irgendeinen Gegenstand in der an gewinkelten rechten Hand hielt. Rander wußte sofort Bescheid. Er pirschte sich an diesen jungen Mann heran und… schlug des sen Arm wuchtig nach oben. Worauf sich ein Schuß löste, der hinauf zur Zimmerdecke sirrte und dort den Putz lädierte. Der junge Mann war völlig überrascht, handelte aber sehr reak tionsschnell. Er fuhr wie der Blitz herum und verabreichte dem Anwalt einen Magenhaken, den Rander voll einstecken mußte. Worauf er einige Luftschwierigkeiten hatte und leicht in die Knie 7
ging. Als der junge Mann sich nach der Waffe bücken wollte, die Rander ihm aus der Hand geschlagen hatte, spürte er einen äußerst haften Gegenstand, der sich auf seine Stirn legte. Er sah darauf hin ein gutes Dutzend Sterne, wurde von, einer wohligen Müdig keit erfaßt und legte sich dann zu einem kleinen Nickerchen auf den Boden. Der Libanese starrte den Butler an, der seinen Regenschirm als Wurfspeer verwendet hatte, und zwar mit bleigefütterten Griff voran. So etwas hatte der Hausverwalter vorher noch nicht gese hen. Er war äußerst beeindruckt. »Kennen Sie diesen jungen Mann?« fragte Parker den Hausver walter. »Das ist – das ist Norman Glance«, stotterte der Libanese. »Könnten Sie zu diesem Namen noch einige Erläuterungen ge ben?« »Er ist mit Miß Glover befreundet.« »Wann telefonierten Sie mit ihm?« wollte Parker wissen, dem ein gewisser Gedanke gekommen war. »Vorhin! Bevor ich Sie hier entdeckte«, sagte der Libanese flüs sig und ohne jedes Stocken. »Ich hatte ihm gesagt, daf: ein Ame rikaner sich nach Miß Glover erkundigt hatte.« »Und wo bitte, wohnt Mister Glance?« »Drüben, im Nebenhaus«, lautete die Antwort, die ebenfalls ehrlich zu sein schien. »Der Junge hat einen verdammt guten Punch«, stellte Rander fest, der sich inzwischen wieder etwas erholt hatte. Er rieb sich vorsichtig die Magenpartie und schluckte. »Warum ist er derart aggressiv?« »Vielleicht hat er Sie für Miß Glovers Entführer gehalten«, mein te der Libanese. »Entführer!?« »Wir glauben, Mister Glance und ich, daß Miß Glover entführt worden ist«, sagte der Libanese. »Von wem, wenn man höflichst fragen darf?« Parker beugte sich knapp vor. »Von Scheich Amal«, kam prompt die Antwort, »genau das ist ihm nämlich zuzutrauen.«
8
*
»Unsere Maschine geht in einer Stunde«, mahnte Mike Rander nervös. Er saß mit seinem Butler im Taxi und tippte zusätzlich auf seine Armbanduhr. »Man könnte diese Maschine vielleicht überspringen«, schlug der Butler gemessen vor, »zumal es um das Schicksal einer jun gen Dame geht, die die Tochter eines Ihrer Klienten ist.« »Glauben Sie an eine Entführung?« fragte Rander skeptisch. »Sie liegt zumindest im Bereich der Möglichkeit«, erwiderte der Butler. »Sollte man Scheich Amal nicht einen Höflichkeitsbesuch abstatten, Sir? Ich erlaube mir natürlich an einen Auftritt zu den ken, der nicht vorangemeldet ist.« »Ich ahne Verwicklungen, Parker.« Rander seufzte. »Sie sind das Salz dieses Lebens«, meinte Parker. »Dann lebe ich lieber mit Diät«, gab Rander lächelnd zurück, »also gut, machen wir den Abstecher! Sie wissen natürlich längst, wo wir diesen Scheich finden?« »Mister Norman Glance war so frei, mir die Adresse zu nennen, Sir.« »Was hat der junge Mann Ihnen sonst noch erzählt?« »Nach seinen Worten muß Scheich Amal ein besonders hartnä ckiger Bewerber um die Gunst Miß Glovens sein. Hartnäckigkeit bis zum Lästigsein, wie Mister Glanoe sich ausdrückte.« »Bei Miß Glover scheint es sich um eine besondere Attraktion zu handeln, wie?« »In der Tat, Sir! Sie ist finanziell unabhängig, dank der Konten ihres Vaters. Sie betreibt, wie Mister Glance es auszudrücken be liebt, Kunststudien hier in Beirut und nennt sich Malerin.« »Gut, sehen wir nach, ob sie bei diesem Scheich ein Gemälde hinterlassen hat«, sagte Rander, »aber das merken Sie sich gleich, Parker, nur noch diesen Abstecher, dann geht es nach Rom! Ich kann diese Verabredung nicht aufschieben. Man wartet dort auf mich!« * Rander betrachtete respektvoll die beiden Wüstensöhne, die gut und gern 1,80 Meter groß waren. In schneeweiße Burnusse ge 9
hüllt, wirkten sie wie Standbilder. Sie rührten keine Muskeln und schielten weder nach ihm noch nach Parker. Sie bewachten eine kunstvoll ausgelegte Tür und öffneten sie würdevoll, fast in Zeit lupe, als der Sekretär des Scheichs in die Hände klatschte. Dieser Sekretär war etwa dreißig Jahre alt, trug europäische Kleidung und wirkte aalglatt. Er hatte sich die Bitte um eine Un terhaltung vortragen lassen und war sichtlich hellhörig geworden, als der Name Gilda Glover fiel. Daraufhin hatte er sich telefonisch mit Scheich Amal in Verbindung gesetzt und sich während der kurzen Unterhaltung wenigstens ein dutzendmal verbeugt. »Bitte zu warten«, sagte er, als er seine beiden Gäste in den großen Raum geführt hatte. Dann verschwand er durch eine Sei tentür und ließ Rander und Parker allein zurück. Parker sah sich interessiert um. Der riesige Teppich auf dem Boden war allein ein Vermögen wert. Entlang den Wänden gab es bestickte Sitzpolster. In der Mitte des Raums plätscherte ein kleiner Springbrunnen und schuf Kühle. Parkers Nase registrierte exotische Düfte. Der Raum war trotz seiner kargen Einrichtung imponierend, was wiederum mit den Teppichen zusammenhängen mußte, die an den Wänden hin gen. Licht fiel durch ein Lichtband dicht unterhalb der Decke. »Ich komme mir ziemlich komisch vor«, sagte Rander leise zu seinem Butler. »Angenommen, Scheich Amal hat etwas mit der gedachten Entführung zu tun. Glauben Sie wirklich, daß er das dann zugeben wird? Er wird uns ablaufen lassen, wie wir’s noch nie erlebt haben!« »Es sind die Reaktionen, Sir, die mich interessieren«, gab Par ker zu überlegen. Dann räusperte er sich kurz und sah hinüber zur Tür, durch die der Sekretär des Scheichs entschwunden war. Dieser Sekretär kehrte jetzt zurück, dienerte und gab dann den Weg frei für einen muskulös und sportlich aussehenden Mann von etwa 40 Jahren. Scheich Jelal el Amal! Nur er konnte es sein, das sah man auf den ersten Blick. Der Mann mit der Bronzehaut wirkte trotz seiner Normalgröße imponierend. Er trug eine helle Hose, ein einfaches Hemd und leichte Schuhe. Der Araber sah intelligent aus, aber auch unnachgiebig. »Sie kommen wegen Miß Glover?« fragte er ohne jede höfliche Einleitung. Er stellte sich erst gar nicht vor und ging wohl von der Tatsache aus, daß man ihn zu kennen hatte. 10
»Rander«, gab der Anwalt sich zu ernennen. »Mein Name ist Parker – Josuah Parker«, stellte sich nun auch der Butler vor. »Mister Rander hatte die Absicht, Scheich Jelal el Amal seine Aufwartung zu machen. Würden Sie ihn freundlicher weise verständigen?« Der Scheich, er war es offensichtlich, schluckte leicht. Dann schoß er einige strafende Blicke auf den Butler ab. »Ich bin Scheich Amal«, sagte er mit sehr viel Nachdruck und Arroganz. »Dann müssen Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit überhört haben, daß Sie sich vorstellten«, räumte Parker höflich ein. »Wollen Sie mich beleidigen?« fauchte der Mann und warf mit tels seiner schwarzen Augen einige Dolche auf den Butler. »Auf keinen Fall«, sagte Parker schnell, bevor Mike Rander ant worten konnte. »Mister Rander möchte nur in Erfahrung bringen, wohin Sie Miß Glover entführt haben!« Jelal el Amal reagierte wie eine gereizte Klapperschlange und hatte die durchaus feste Absicht, den Butler ins Gesicht zu schla gen. Sein Arm fuhr blitzschnell in die Höhe, seine Hand wurde zu einer Faust, die nach vorn schnellte. Dann allerdings prallte sie gegen den Regenschirm, den Parker geistesgegenwärtig erhoben hatte. Der Scheich kickste ein wenig überrascht auf, nahm seinen Arm herunter, betrachtete verblüfft seine wahrscheinlich schmerzende Hand und rief seinem fas sungslosen Sekretär etwas auf arabisch zu. »Möglicherweise habe ich mich ein wenig mißverständlich aus gedrückt«, entschuldigte sich Parker und zog höflich seine schwarze Melone. Was nichts daran änderte, daß die beiden mus kulösen Araber hereinstürmten und ihre Khanjars zückten. * Mike Rander schaute fasziniert auf die Krummdolche in der Hand der beiden Araber. Es handelte sich schon um leichte Schwerter, so ausgeprägt und groß waren sie. Die beiden Männer stürmten auf den Butler los und schirmten ihren Herrn und Meis ter ab. Rander zog sich sicherheitshalber etwas zurück und deckte den Rücken seines Butlers. 11
Josuah Parker ließ sich überhaupt nicht verblüffen. Er musterte die anstürmenden Wüstensöhne gelassen und wandte sich dann an den Scheich, der seitlich hinter den beiden Leibwächtern zu sehen war und sich die Hand rieb. »Muß ich dies als einen unfreundlichen Akt auffassen?« erkun digte sich Parker gemessen. Statt einer Antwort hetzte der Scheich die beiden Söhne der Wüste auf den Butler. Was jetzt folgte, konnte sich durchaus sehen lassen. Rander war beeindruckt. Ebenso auch der Scheich und sein Sekretär. Der Butler hatte seinen Universal-Regenschirm wie ei nen leichten Säbel erhoben und drosch damit auf die beiden Leibwächter ein. Sie waren leicht verwirrt, als sie von der Schirmspitze auf der Brust getroffen wurden. Sie wichen in der ersten Verblüffung zu rück, um dann gemeinsam wieder loszustürmen. Doch sie kamen trotz der geschwungenen Dolche nicht weit. Die Schirmspitze hinderte sie daran. Diese Schirmspitze war blitz schnell und wirkte wie ein Sperrfeuer! Die konsternierten Wüsten söhne wichen zurück und murmelten Worte, die zwar nicht zu verstehen waren, die sicher aber Verwünschungen darstellten. Sie wußten mit ihren Krummdolchen nichts anzufangen. Parker hingegen beherrschte seinen Universal-Reugenschirm. Er war ein vollendeter Säbelfechter, der die beiden Wüstensöhne zurück zur Tür drängte. Ob die Männer es wollten oder nicht, stand überhaupt nicht zur Debatte. Sie wurden völlig durcheinan der gebracht und gerieten bereits in leichtes Schwitzen. Mike Rander sah sich zum Eingreifen gezwungen, als der Sekre tär des Scheichs versuchte, sich hinter Parker zu schleichen. Rander stellte dem aalglatten Mann ein Bein, worauf der Sekretär kopfüber auf eines der Sitzkissen fiel und Schwierigkeiten mit den schwellenden Polstern hatte. Scheich Amal knirschte unhörbar mit den Zähnen – im übertra genen Sinn natürlich –, machte sich einsatzbereit und hechtete mit schnellen Sprüngen auf den Butler, der die beiden Wüsten söhne gerade entwaffnet hatte. Sie sahen sich ohne Dolche, die in diesem Moment durch die Luft segelten, und ergriffen dann die Flucht. Sie machten einen total entnervten Eindruck. Parker schien den Angriff des Scheichs geahnt zu haben. Er drehte sich blitzschnell um und hielt die Schirmspitze in der Hand. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff hakte er den linken Fuß des 12
Scheichs vom Teppich los und zog kurz an. Der folgende Salto war zirkusreif, wie Rander anerkennend fest stellte. Scheich Amal knallte auf den Teppich, erhob sich schnell und geschmeidig wie eine Katze und griff erneut an. Dabei ließ er sich von dem Butler, der gelassen und entspannt wirkte, in die Nähe des Springbrunnens drängen. Rander wußte, was kommen würde. Und er wurde nicht ent täuscht! Sekunden später plätscherte Jelal el Amal im erfrischenden Wasser. Als er wieder auftauchte, kränzten einige Rosenblätter seine ausgeprägte Stirn, was beinahe neckisch und auch ein we nig weibisch aussah. Parker salutierte korrekt mit dem Regenschirm und deutete eine knappe Verbeugung an. »Der allgemeine Gedankenaustausch wurde leider unterbro chen«, sagte er dann höflich, »darf ich mich also auch im Namen von Mister Rander noch mal nach Miß Glover erkundigen?« Scheich Amal stieg aus dem Brunnen uns sah gar nicht mehr sportlich aus. Er hüstelte leicht, spuckte dabei ein wenig Spring brunnenwasser und lachte schallend. Worüber sich neben Mike Rander auch Josuah Parker ehrlich wunderte. Mit solch einer Reaktion hatte er nun wirklich nicht gerechnet. * »Natürlich habe ich mit Miß Glovers Verschwinden nichts zu tun«, sagte der Orientale eine knappe Viertelstunde später, als man bei einem kühlen Drink zusammensaß. »Ich war einfach sauer, als Sie, Mister Parker, diese Frage so unverfroren stell ten.« »Aber Sie könnten sich eine Entführung vorstellen?« schaltete der Anwalt sich ein. »Davon bin ich sogar fest überzeugt. Vier Tage bleibt keine jun ge Frau weg, ohne sich zu melden.« »Sie machen sich also Sorgen, Sir?« wollte Parker von dem Scheich wissen. »Natürlich! Sie müssen das verstehen. Ich bin mit Miß Glover gut befreundet und habe Sie schon öfter gebeten, mich zu heira 13
ten.« »Man darf wohl schließen, daß Miß Glover diese Bitte nicht nachkommen wollte?« »Leider.« Scheich Amal seufzte fast elegisch. »Ich könnte ihr ein Leben wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht bie ten, aber sie zieht es vor, selbständig zu bleiben.« »Sie kennen einen gewissen Mister Glance?« fragte Rander. »Natürlich. Wir sind uns nicht gerade grün. Auch Glance bemüht sich sehr um Gilda. Und er nicht allein!« »Es muß sich demnach also um eine bezaubernde junge Dame handeln?« erkundigte sich der Butler. »Das umschreibt es nur halb«, sagte der Scheich nachdenklich, als horche er in sich hinein. »Sie ist schön, gewiß, aber sie strahlt etwas aus, was man kaum beschreiben kann. Einen natürlichen Charme, eine selbstverständliche Sicherheit. Eine Eleganz der Bewegung. An ihr ist nichts Genormtes. Sie ist einfach einmalig!« »Was Miß Glovers mögliche Entführer ebenfalls bemerkt haben dürften«, versachlichte Parker gemessen. »Bestimmt! Aber ich werde Gilda finden, verlassen Sie sich dar auf!« »Demnach wissen Sie, wo sie zu suchen ist?« schaltete sich jetzt Mike Rander wieder ein. »Ich habe eine ungefähre Ahnung.« »Darf man mitahnen?« fragte Rander lächelnd. »Natürlich. Jetzt weiß ich ja, wer Sie sind. Meiner Ansicht nach ist Gilda entführt worden, um an einen Harem verkauft zu wer den!« * »Was halten denn Sie von dieser Geschichte?« erkundigte sich Rander während der Rückfahrt in die Stadt bei seinem Butler. »Harem! Das klingt doch nach einem Illustriertenroman.« »Oder nach der rauhen Wirklichkeit, Sir!« erwiderte der Butler. »Nach meinen bescheidenen Informationen gibt es nach wie vor einen weiblichen Sklavenhandel. Rassiger und raffinierter selbst verständlich als zu Zeiten der Sklavenblüte!« »Sie glauben wirklich, daß Frauen nach wie vor geraubt und an irgendwelche Scheiche verkauft werden?« Rander schüttelte un 14
gläubig den Kopf. »In der Tat, Sir!« Parker nickte ernst. »Auch im Düsenzeitalter hat sich die Vorliebe arabischer Potentaten für weiße Sklavinnen nicht gelegt, sie ist durch die Technik vielleicht eher noch gestie gen. Ich denke selbstverständlich nicht an die aufgeklärten Ara ber, sondern mehr an Despoten, in deren Machtbereich noch das finstere Mittelalter herrscht.« »Südarabien?« »Gewiß, Sir. Zum Beispiel in gewissen Emiraten in der Nähe des Jemen. Man weiß darüber leider zu wenig.« »Falls Gilda tatsächlich dort gelandet sein sollte, wird man ihr kaum helfen können.« »Dies Sir, sollte man nicht mit letzter Sicherheit ausschalten. Es war schon immer mein heimlicher, aber auch leidenschaftlicher Wunsch, solch ein Emirat mal zu besuchen.« »Zwischen Wunsch und Wirklichkeit gibt es erfreulicherweise ei nen verdammt großen Unterschied.« »Entfernungen, Sir, die man noch vor einigen Jahren nur per Kamel bewältigen konnte, lassen sich heute mit einer entspre chenden Sportmaschine leicht überwinden.« »Ich bin der Ansicht, daß Scheich Amal uns einen Bären aufge bunden hat«, sagte Rander skeptisch. »Er erklärte sich immerhin zu einer Zusammenarbeit bereit, Sir.« »Um uns abzulenken, Parker! Dieser Mann spielt ein doppeltes Spiel, wenn Sie mich fragen!« »Er weiß Ihrer Ansicht nach, Sir, wo Miß Glover sich befindet?« »Falls sie wirklich entführt worden ist, dann nur von ihm!« »Und falls nicht, Sir?« »Ich – ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß unsere Maschine nach Rom jetzt gestartet ist. Es wird höchste Zeit, für den nächs ten Flug umzubuchen, Parker.« »Gewiß, Sir«, antwortete Parker fast unzufrieden. Was wohl mit dem schweren Lastwagen zusammenhing, der vor ihnen quer zur Straße stand und dem Taxi den Weg versperrte. Parker ahnte, daß auch die nächste Maschine nach Rom ohne sie starten würde. * 15
Der Taxifahrer war nicht schlecht. Er stieg voll in die Bremsen und steuerte gegen. Das Heck sei nes Wagens schleuderte herum wie auf Glatteis. Um ein Haar hätte er es geschafft, den Bug seines Wagens in die Richtung zu bekommen, aus der sie gerade gekommen waren. Doch der Feuerstoß aus einer Maschinenpistole hinderte sie an der geplanten Flucht. Parker öffnete seine Tür und stieg aus. Verständlicherweise und aus Zeitgründen verzichtete er darauf, seine schwarze Melone zu ziehen, als Mike Rander ihm mehr als hastig folgte. Die Schnelligkeit zahlte sich aus, wie sich gleich darauf zeigen sollte. Die Geschosse aus der Maschinenpistole lagen ein wenig tief und trafen den Tank, der daraufhin sofort explodierte. Rander riß den Taxifahrer ins Freie und nutzte die dunkle Rauchwolke aus, ihn in den nahen Straßengraben zudrücken. Sie alle hatten großes Glück. Die in der Luft herumwirbelnden Wrackteile richteten keinen weiteren Schaden an. Parker, Rander und der Taxifahrer kamen ohne Verletzungen davon. »Ihr Unschuldslamm Amal hat aber verdammt schnell geschal tet«, rief Rander seinem Butler zu. »Dieses Thema bedarf einer ausgiebigen Diskussion«, räumte Parker ein und setzte gemessen seine Gabelschleuder zusammen, ohne die er nie ausging. An eine Flucht seitlich ins Gelände war nicht zu denken. Sie hätte sicheren Selbstmord bedeutet. Links und rechts von der Straße gab es nur deckungsloses, steiniges Terrain. Hier wären sie von der Maschinenpistole mit Sicherheit erwischt worden. Rander hatte seinen kurzläufigen 38er gezogen und nickte dem Taxifahrer beruhigend zu. Dieser Mann schien erst jetzt begriffen zu haben, wie nahe er dem Tod gewesen war. Er zitterte am gan zen Leib und preßte sich dicht an den Boden, als die Maschinen pistole erneut zu rattern begann. Der Standort des Mannes war noch nicht festzustellen. Zwischen dem brennenden Wagen, der in Rauch gehüllt war, und dem Schützen befand sich jetzt eine Art Mauer aus Qualm und Feuer, schien aber näher heranzukommen. Er wollte wohl sichergehen, daß er seine Opfer auch wirklich voll erwischt hatte. Butler Parker sah diesen Mann als erster. 16
Er spannte die beiden Gummistränge seiner Gabelschleuder und schickte sein erstes Geschoß, auf die Reise. In Anbetracht der Situation benutzte er massive Tonmurmeln, die es in sich hatten. Der Schütze mit der Maschinenpistole im Anschlag, schritt durch die Mauer aus Qualm und Feuer und zuckte wie unter einem Peit schenhieb zusammen, als er voll auf der Stirn getroffen wurde. Er blieb für den Bruchteil einer Sekunde stehen, wollte sich an die Stirn fassen, schaffte es aber nicht mehr. Er wurde weich in den Knien und fiel dann der Länge nach zu Boden. Dabei riß er den Abzug seiner Waffe durch. Die Geschosse pfiffen wirkungslos hin aus ins Gelände. »Wir müssen ihn haben«, rief Rander seinem Butler zu, »geben Sie mir Feuerdeckung!« Erfreulicherweise konnte der junge, tatendurstige Anwalt noch nicht sofort starten, denn das Autowrack löste sich gerade in ei ner Folge kleiner Explosionen weiter auf. Rander mußte wie Par ker und der Taxifahrer volle Deckung nehmen. Als Rander hochsah, stand sein Butler bereits und schritt schnell auf den am Boden liegenden Schützen zu, auf den eine breite Feuerschlange zukroch, die aus dem Taxi kam. Es wurde höchste Zeit, für diesen Mann etwas zu tun, wenn er vom Feuer nicht er wischt werden sollte. Parker benutzte den Bambusgriff seines Regenschirms, um den Schützen aus der Feuerzone herauszuzerren. Dabei sah er den Lastwagen, der dem Taxi den Weg versperrt hatte. Dieses Fahr zeug setzte sich gerade in einem wilden Tempo ab. In diesem Augenblick wußte Parker schon, daß der Mann zu sei nen Füßen nicht mehr lebte. Er beugte sich zu ihm hinunter und sah dann die beiden Einschüsse im Rücken. Der Schütze war ganz offensichtlich von seinen eigenen Leuten erschossen worden. Man wollte wohl verhindern, daß er früher oder später sang. * »Und jetzt?« fragte Rander verärgert. »Man könnte sich zurück zu Scheich Amal begeben«, schlug der Butler vor. »Um in die nächste Falle zu tappen?« fragte Rander und schüt telte den Kopf. »Sie sind sicher, Sir, daß Scheich Amal diesen – Zwischenfall 17
veranlaßt hat?« »Wer sonst?« »Dann bleibt nur der Fußmarsch nach Beirut«, sagte der Butler. »Worauf warten wir noch?« Rander nickte dem Taxifahrer zu, der sich inzwischen wieder beruhigt hatte. Was mit Randers Ver sicherung zusammenhing, daß er für die Regulierung des Scha dens sorgen würde. »Vielleicht könnte man den Wagen stoppen, Sir, der dort auf der Landstraße zu sehen ist«, sagte Parker und deutete mit der Spitze seines Regenschirms auf die Straße. Rander sah die Staub fahne, die das Herannahen eines Wagens ankündigte. »Kommt aus Richtung Scheich Amals Residenz«, stellte er tro cken fest, »der Tanz scheint in die zweite Runde zu gehen, Par ker!« »Auf einen weiteren Zwischenfall sollte man sich in der Tat ein richten«, meinte der Butler. Der schnell herankommende Wagen war bereits gut zu erkennen. Es handelte sich um einen offenen Jeep, in dem vier Personen saßen, die weiße Burnusse trugen. »Zurück in den Straßengraben«, ordnete Rander an und packte seine Schußwaffe erneut aus. Der Taxifahrer hechtete förmlich in den Graben und nahm volle Deckung. Mike Rander machte seinen 38er feuerbereit und hielt ihn mit der Hand auf dem Rücken. Er wollte, falls es notwendig wurde, sofort einsatzbereit sein. Nur Josuah Parker wirkte desinteres siert. Der Jeep war schnell heran und hielt mit quietschenden Brem sen knapp vor dem Taxiwrack. Jelal el Amal, der jetzt gut zu er kennen war, verließ das Steuer und kam mit großen Schritten auf Rander und Parker zu. Hinter ihm erschien der aalglatt aussehende Sekretär. Die beiden Leibwächter blieben beim Jeep, ließen ihren Herrn und Meister jedoch nicht aus den Augen. »Wir hörten die Detonation und sahen dann die Rauchwolke«, sagte Scheich Amal, »ich ahnte gleich, daß etwas passiert sein mußte.« »Ihre Ahnung hat Sie nicht getrogen«, gab Rander lächelnd zu rück und deutete auf das Taxi, das jetzt langsam ausglühte, »ir gendwelche Leute müssen etwas gegen uns gehabt haben.« »Welche Leute?« fragte Scheich Amal knapp. »Dies, Sir, wird sich früher oder später mit letzter Sicherheit herausstellen.« 18
»Wer hat gewußt, daß Sie zu mir fahren wollten?« fragte Scheich Amal. »Norman Glance«, gab Rander zurück, »das wissen Sie doch! Von wem sonst hätten wir Ihren Namen und Ihre Adresse be kommen können?« »Dann muß Glance den Überfall veranlaßt haben«, entschied Amal kategorisch. Er stutzte, als Rander daraufhin nur ironisch lächelte. Er stutzte und begriff. »Sie glauben doch nicht, daß ich das veranlaßt habe?« erkun digte sich Scheich Amal bestürzt. »Habe ich das gesagt?« fragte Rander. »Ihr Lächeln sagt mir genug«, entschied Jelal el Amal. »Sie trauen mir nach wie vor nicht über den Weg, oder?« »Warum sollte Glance an unserem Tod interessiert sein?« fragte Rander etwas kühl zurück. »Ich kann mir picht helfen, aber Glance spielt ein doppeltes Spiel«, sagte der Scheich. »Ich werde Ihnen einen Tip geben. Befassen Sie sich mit seiner jüngsten Vergangenheit!« »Haben Sie’s bereits getan?« »Ich werde das sofort nachholen. Und was Ihr Mißtrauen an geht, Mister Rander, was hindert mich daran, Sie jetzt und hier erschießen zu lassen!?« »Das hier!« gab Rander zurück und zeigte seinen 38er, worauf die beiden Leibwächter ungewöhnlich schnell reagierten. Sie hiel ten ebenfalls Schußwaffen in den Händen, nämlich Maschinenpis tolen, die sie aus den Falten ihrer weiten Burnusse hervorgerissen hatten. Um ein Haar wäre es zu einem bösen Zwischenfall ge kommen, wenn Scheich Amal seine beiden Leibwächter nicht durch eine knappe Handbewegung daran gehindert hätte. »Tun Sie so etwas nie wieder«, sagte er dann scharf zu Rander. »Meine Leute fragen nicht lange, wenn sie mein Leben bedroht sehen. Darüber hinaus hätten Sie auch so keine Chance gehabt. Sehen Sie sich doch mal etwas um!« Was der Butler bereits getan hatte. Seitlich hinter ihnen standen drei weitere Wüstensöhne, eben falls eingehüllt in Burnusse. Sie waren bewaffnet und wahrschein lich in einem weiten Bogen herumgekommen. Parker gestand sich ein, daß Scheich Amal kein schlechter Taktiker war. Als Feind durfte man sich ihn auf keinen Fall wünschen.
19
*
»Er will Ihnen doch nur Sand in die Augen streuen«, sagte Norman Glance etwa eine Stunde später. »Scheich Amal muß mit der Entführung was zu tun haben.« »Und warum hat er uns dann nicht draußen auf der Landstraße beseitigen lassen?« wollte Mike Rander wissen. Er und Josuah Parker hatten den jungen Mann in dessen Wohnung aufgesucht. Glance wohnte überraschend komfortabel, nämlich in einem klei nen Landhaus im Weichbild der Stadt. Er schien nicht unbemittelt, zu sein. Die Einrichtung war zwar nicht kostbar, aber die Einzel stücke konnten sich sehen lassen. »Warum er Sie nicht beseitigt hat?« Glance lächelte mild, »weil Amal kein unnötiges Risiko eingeht. Noch weiß er zu wenig über Sie. Er möchte wohl jede unnötige Verwicklung vermeiden.« »Ich darf und muß an dieser Stelle deutlich machen, daß Scheich Amal Ihnen, Mister Glance, eine Entführung ebenfalls durchaus zutraut!« »Nach dem Motto: Haltet den Dieb, wie?« Glance winkte gelas sen ab. »Warum und wohin sollte ich Gilda entführt haben? Wir haben uns prächtig verstanden.« »Könnte man einige Details über Miß Glovers Aufenthalt hier in Beirut erfahren?« stellte der Butler seine nächste Frage. »Daß sie finanziell unabhängig ist, dürften Sie ja wissen«, zähl te Glance auf. »Gildas Vater muß sehr reich sein. Gilda kam über Rom hierher nach Beirut, um Kunststudien zu betreiben. Sie wis sen ja, daß sie Malerin ist.« »Amateur oder Profi?« warf Rander ein. »Amateur«, sagte Norman Glance und lächelte, »das weiß Gilda selbst am besten. Aber sie ist nicht unbegabt, damit wir uns nicht falsch verstehen.« »Sie schloß sich wahrscheinlich Kreisen an, die mit den Künsten im allgemeinen zu tun haben, Mister Glance?« Parkers Frage klang gelassen und fast desinteressiert. »Natürlich. Und in solchen Kreisen lernte ich Gilda ja vor einigen Monaten kennen. Sie müssen wissen, daß ich Schriftsteller bin. Fragen Sie mich aber nur nicht nach meinen bisherigen Arbeiten! Ich habe bisher noch nichts Fertiges auf die Beine gestellt. Wahr scheinlich bin ich völlig unbegabt.« 20
»Und leben dennoch recht angenehm«, stellte Rander mißtrau isch fest und sah sich in dem großen Wohnraum um. »Und wie angenehm ich lebe«, erwiderte Glance lächelnd, »das hier gehört alles meiner Tante. Sie glaubt an mich und finanziert mich. Ich tue selbstverständlich nichts, um ihr diesen Glauben zu nehmen.« »Ihre Frau Tante ist gut gestellt, wie man es auszudrücken pflegt?« wollte Josuah Parker wissen. »Sie ist Witwe, hat ein tolles Vermögen geerbt und einen Narren an mir gefressen.« Glance wollte noch weiterreden, aber er sah plötzlich hinüber zur Terrasse, deren Türen weit geöffnet waren und sprang auf. Er ging auf eine Frau zu, die etwa 45 Jahre alt war. Sie war mittel groß, nur ein ganz klein wenig füllig und sah gut aus. Sie trug ein apart geschnittenes und wahrscheinlich auch teures Kostüm. Ihre grau-grünen Augen waren lebhaft und verrieten Intelligenz und Energie. Diese durchaus reizvolle Dame befand sich in großer Erregung. »Ich glaube, ich habe eine Spur von Gilda entdeckt«, sagte sie hastig zu ihrem Neffen. Erst dann schien sie Rander und Parker wahrgenommen zu haben und nickte ihnen reserviert zu. Norman Glance stellte seine Gäste vor, die ihrerseits erfuhren, daß sie Normans Tante gegenüberstanden, Mrs. Mabel Blossom. »Das trifft sich gut, daß auch Sie nach Gilda suchen«, meinte Mrs. Blossom, als Norman ihr kurz erklärt hatte, weshalb Ränder und Parker bei ihm waren. »Das trifft sich sogar sehr gut: Gilda nämlich ist gesehen worden. Gestern, und weißt du, Norman, wo? In einem Wagen von Omar ibn Halek. Das sagt doch wohl alles!« »Omar ibn Halek gilt als Sklavenhändler«, erklärte Norman Glance hastig. »Man hat ihm bisher natürlich noch nie etwas nachweisen können. Die hiesigen Behörden fassen ihn mit Glace handschuhen an. Er hat einfach zu gute Beziehungen zur arabi schen High Society.« »Kann man erfahren, wo man diesen Omar ibn Halek findet?« fragte Parker gemessen, »mir scheint, wenn ich Ihnen, Sir, vor greifen darf, daß man auch diesem Herrn einen Höflichkeitsbe such abstatten muß.« * 21
Josuah Parker bat um einige Minuten Geduld, stieg aus dem Ta xi und betrat das große Gewölbe eines Eisenwarenhändlers, im Basar der Stadt. Parker wußte genau, was er brauchte. Es ging ihm um die Er gänzung gewisser Vorräte. Er rechnete mit weiteren Zwischenfäl len und wollte gerüstet sein. Er glaubte zu wissen, wie man zu künftige Gegner leicht und schnell lahm legen konnte. Parker erstand einige Schachteln seiner vielgeliebten Reiß- oder Heftzwecken, kaufte eine kleine Sprühdose zur Pflege von Fußbö den und entschied sich schließlich noch für eine größere Sprühdo se, die zur intensiven Verteilung von Teppich-Reinigungsschaum gedacht war. Als er zahlte, entdeckte er auf einem Regal hinter der Theke Sprühdosen mit Haarfestiger. Parker investierte noch zusätzlich einige Scheine und ließ sich solch eine Dose einpacken. Es handelte sich um kleine Sprühdosen, die er relativ leicht in seinem schwarzen Spezialkoffer unterbringen konnte. »Wir werden nur neuen Ärger bekommen«, unkte Mike Rander, als der Butler wieder neben ihm Platz genommen hatte. »Dieser Halek wird doch niemals etwas zugeben.« »Es sind nach wie vor die Reaktionen, Sir, die meine bescheidene Wenigkeit interessieren«, sagte Parker würdevoll, »ich darf an Mister Amal erinnern.« »Hat uns das weitergebracht?« fragte Rander, »nicht die Spur! Wir werden am laufenden Band gegen Gummiwände anrennen, Parker! Gestehen Sie sich ein, daß wir hier nicht auf vertrautem Boden sind! Die Staaten und der Orient, das sind zwei verdammt verschiedene Dinge. Man muß auch mal verlieren können.« »Gewiß, Sir«, gab der Butler zurück, »dies werde ich den Ent führern von Miß Glover deutlich zu verstehen geben.« »Wir könnten schon fast in Rom sein«, seufzte Mike Rander ele gisch. »Durchaus, Sir«, meinte der Butler, »hingegen ist das Haus von Mister Halek bereits erreicht, wenn ich darauf aufmerksam ma chen darf.« Während Parker noch redete, zeigte er auf die lehm gelbe, hohe Mauer, die ein offensichtlich großes Grundstück umschloß. Dieses Grundstück befand sich ebenfalls vor den Toren der Stadt und erinnerte irgendwie an eine Wüstenfestung.
22
*
Sie hatten das Taxi zurückgeschickt und umschritten die über mannshohe Mauer, die das Halek-Grundstück einschloß. Bis auf eine kleine Pforte war kein zweiter Eingang in der Mauer zu ent decken. Der Eindruck, einer Wüstenfestung gegenüberstehen, verstärkte sich noch. Scheich Halek schien ungemein auf Sicher heit zu gehen. »Klingeln wir?« fragte Rander, als er und sein Butler wieder das große Holztor erreicht hatten. »Könnten Sie dies vielleicht übernehmen, Sir?« »Und was wollen Sie machen?« »Ich würde mich gern noch mal mit jener kleinen Pforte befas sen, die wir eben passierten.« »Was Sie vorhaben, ist Einbruch!« »Falls die Pforte nicht verschlossen ist, Sir…« »Also schön«, seufzte Rander auf, der genau wußte, daß jeder weitere Vorbehalt sinnlos war. »Passen Sie aber auf sich auf. Als Eunuch möchte ich, Sie eines Tages nicht wiedersehen.« Rander wartete etwa drei Minuten, um dann zu klingeln. Als sich daraufhin nichts rührte, ließ er den Zeigefinger auf dem Klingel knopf und wartete auf irgendein Lebenszeichen. Nichts hinter dem Tor passierte. Das Haus schien leer zu sein. Rander legte noch eine zusätzliche Sicherheitspause ein, verließ dann das Tor und ging zurück zur Pforte, die sein Butler sich an sehen wollte. Er erreichte diese Pforte, doch von Parker war weit und breit nichts zu sehen. Rander drückte vorsichtig gegen die schmale Tür, doch sie erwies sich als fest verschlossen. Was den jungen Anwalt nur zusätzlich beunruhigte. Rander suchte den staubigen Boden nach Spuren ab. Nichts war zu sehen. Er zündete sich nervös eine Zigarette an und beschloß zu war ten. Er setzte sich eine Frist. Wenn Parker innerhalb der nächsten 15 Minuten nicht erschien, wollte Mike Rander nach ihm suchen. Und zwar sehr nachdrücklich. *
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Josuah Parker befand sich zu dieser Zeit bereits auf dem Gelän de der Wüstenfestung. Selbstverständlich war die Pforte nicht verschlossen gewesen. Fast nicht, wie er sich ehrlich eingestanden hatte. Er hatte sie sanft dazu überredet, ihm keine Schwierigkeiten zu machen. Dar aufhin war sie leicht und wie frisch geölt aufgeschwungen und hatte ihm den Weg freigegeben. Parker hatte sich das zweistöckige Landhaus von einem dichten Strauch aus genau angesehen, hatte den gepflegten Rasen über quert und näherte sich einem Torweg, der in den Innenhof der Wüstenfestung führte. Natürlich war ihm nicht entgangen, daß das Haus einen unbe wohnten Eindruck machte. Er durchquerte den Torweg und befand sich dann in einem ge räumigen Innenhof, dessen Boden mit teuren Mosaiken ausgelegt war. Um den obligaten Springbrunnen gab es einige Ziersträucher und Sitzbänke aus Marmor. Die Fenster und Türen im Erdgeschoß dieses Innenhofes waren fest verschlossen. Entweder durch daumendicke Eisengitter oder durch hölzerne Blendläden. Die obere Galerie war nur vom Haus innern aus zu erreichen. Diese Galerie war ein durchlaufender Balkon, auf den ebenfalls Fenster und Türen hinausführten. Parker schrak unmerklich zusammen, als er plötzlich ein schep perndes Geräusch vernahm. Er drehte sich langsam um und entdeckte, daß der Torweg plötzlich durch ein Fallgitter geschlossen wurde. Pariser machte sich erst gar nicht die Mühe, die solide Qualität dieses Gitters zu studieren. Er ging davon aus, daß es nicht zu sprengen war. Par ker war schließlich kein Mensch, der sich unnötige Illusionen machte. Dieses Fallgitter bewies ihm auf der anderen Seite, daß man ihn sehr geschickt in eine Falle gelockt hatte. Er befand sich nämlich tatsächlich in einer überdimensional großen Mausefalle, die von den Innenwänden des Landhauses gebildet wurde. Die vergitter ten und mit Blendläden geschlossenen Fenster und Türen ließen kein Entweichen zu. Bis hinauf zur Galerie im Obergeschoß waren es mehr als drei Meter. Nach Parkers Ansicht mußte sich jetzt irgendein Mensch zeigen und hohnlächeln. So passierte es wenigstens in einschlägigen Filmen oder Kriminalromanen. Der Bösewicht mußte oben auf der 24
Galerie erscheinen und ihn höhnisch beschimpfen, daß seine letz te Stunde geschlagen habe. Nichts aber tat sich. Statt dessen hörte der Butler plötzlich ein eigenartiges Maun zen, das von einer Katze stammen mußte. Sollte sich ein schnurrender Vierbeiner mit ihm in die Mausefalle verirrt haben? Parker, Tierfreund durch und durch, sah sich nach der Katze um und war doch ehrlich beeindruckt, als er sie sah. Sie warum einiges größer und schwerer als eine reguläre Haus katze: ein ausgewachsener Tiger machte einen ausgesprochen hungrigen Eindruck. Parker ging sofort zum Gegenangriff über. Er ließ seinen Universal-Regenschirm aufspringen. Der schwarze Stoff, durchwirkt mit Stahlfäden, spannte sich weit auf. Der Tiger war irritiert, er maunzte nicht mehr, sondern knurrte nervös. Und er schlug mit seinem Schwanz, als Parker mit dem aufge spannten Regenschirm auf ihn losmarschierte. Der Tiger, der ver ständlicherweise solch einen schwarzen Schirm noch nie gesehen hatte, zog sich sicherheitshalber etwas zurück und legte die klei nen Ohren an. Er wußte nicht, was er mit dieser komischen Er scheinung anfangen sollte. Bevor er sich darüber klarwerden konnte, hatte der Butler be reits gehandelt, und zwar sehr nachdrücklich und listig. Er hielt die Spraydose mit dem Teppichreinigungsschaum in der linken Hand und sprühte den Tiger an. Das mächtige und an sich wirklich schöne Tier war völlig perplex und kickste erschreckt auf. Der Reinigungsschaum brannte in den Augen und nahm ihm jede Sicht. Womit Parker gerechnet hatte. Er nutzte die Sichtbehinderung der großen Katze, um seine Heftzwecken ausgiebig zu verstreuen. Und zwar dicht vor den Vorderpranken des Tigers. Anschließend zog der Butler sich etwas zurück und postierte sich am Springbrunnen. Von hier aus beobachtete er den Tiger, der sich gerade den üppigen Schaum von den Lefzen leckte. Was dem Tier aber nicht zu schmecken schien. Der Tiger verzog sein Gesicht und stieß gereizte Laute aus, die sich zu einem donnernden Nieser verdichteten. Dann setzte er sich auf seine Hinterläufe und putzte sich mit 25
den Vorderpranken den Schaum aus dem Gesicht. Was irgendwie recht ulkig und putzig aussah. Der Tiger schien jede Gefährlichkeit verloren zu haben. Er wirkte nur noch wie eine kleine, naschhafte Hauskatze nach dem Mittagessen. Parker ließ sich allerdings nicht täuschen oder einlullen, Zumal, wie deutlich zu erkennen war, ein zweiter Tiger neben dem ersten auftauchte. Dieser Tiger verabreichte seinem Gefährten ein paar gezielte Ohrfeigen mit der linken Vorderpranke und heizte ihn an, endlich etwas für das Futter zu tun. Gemeinsam setzten die beiden Tiere sich in Bewegung und tra ten prompt in die Reißzwecken. Parker hatte sie für menschliche Fußsohlen mitgenommen, aber er hatte, nichts dagegen, daß sie jetzt in den Pfotenballen der beiden Tiere landeten. Die Vierbeiner waren ungemein beeindruckt. Sie unterbrachen ihren gedachten, schnellen Vormarsch und nahmen übel. Sie sprangen mit steifen Beinen steil und senkrecht nach oben, um die schmerzenden Reißzwecken loszuwerden. Dann landeten sie, den Gesetzen der Schwerkraft gehorchend, wieder auf dem Boden und prompt in anderen Reißzwecken. Worauf sie erneut mit ihrem Senkrechtstart begannen. Dazu fauchten und knurrten sie – in höchster Wut. Parker sah weitere Komplikationen voraus und bemühte seine zweite Spraydose. Sie enthielt ein flüssiges Bohnerwachs von höchster Gleitfähigkeit. Mit diesem Wachs sprühte Parker die nähere Umgebung des Springbrunnens ab. Er baute damit eine zusätzliche Verteidi gungslinie auf, um die beiden Tiger daran zu hindern, ihn in handliche Stücke zu reißen. Dieses Verfahren erwies sich als ausgesprochen richtig und wichtig, wie sich Minuten später herausstellte, denn die beiden Tiere waren durch die in den Pfotenballen sitzenden Heftzwecken derart gereizt, daß sie ihren Schmerz vergaßen und Blut sehen wollten. Parker, gegen den Rand des Springbrunnens gelehnt, genoß die Szene, die sich seinen Augen bot und die er als ausgesprochen bühnenreif bezeichnen mußte. Die beiden Tiger schienen sich auf Glatteis zu befinden. Ihre Beine rutschten völlig durcheinander. Sie landeten kra 26
chend auf dem geschmierten Marmor und wälzten sich und stie ßen undefinierbare Laute aus. Sie wollten aufstehen, rutschten auf den Marmorplatten wieder aus, fielen übereinander und be hinderten sich gegenseitig ohne Rücksicht auf Verluste. Was sie sich zusätzlich übelnahmen. Ein Tiger machte den an deren für diese Panne verantwortlich. Das Ende vom Lied war, daß sie sich gegenseitig anfielen und bissen. Nach dem altbekannten Sprichwort, daß der dritte lacht, wenn zwei sich streiten, blieb Parker am Springbrunnen zurück und machte sich auf weitere Überraschungen gefaßt. Daß er es noch längst nicht überstanden hatte, war ihm völlig klar. Er hatte gera de wohl den ersten Akt eines gefährlichen und tödlichen Schau spiels miterlebt. Die Viertelstunde war vorüber. Mike Rander ging zur Sache über. Er spürte, daß sein Butler sich in Lebensgefahr befand. Jetzt gab es kein Halten mehr für ihn. Er mußte Parker beistehen. Mike Rander, der von seinem Butler einiges gelernt hatte, was man normalerweise auf keiner regulären Scholle hört, befaßte sich mit dem Schloß der kleinen schmalen Mauerpforte. Er brauchte allerdings immerhin fast zwei Minuten, bis er das an sich einfache Schloß geknackt hatte. Rander zog seinen kurzläufigen 38er, stieß die Holzpforte mit dem Fuß auf und stahl sich vorsich tig ins Gelände. Er kam allerdings nicht weit. Was mit einem Schlag zusammen hing, der auf seinem Hinterkopf landete. Mike Rander ging verständlicherweise in die Knie, stemmte sich mit letzter Kraft hoch und sah vor seinem Abgleiten in die Be wußtlosigkeit über sich zwei braune, hagere Gesichter, die zu echten Wüstensöhnen gehörten. * Die Tiger hatten sich ausgiebig gebissen und angefaucht. Sie hatten bald ihre Nasen davon voll, voneinander gelassen und standen auf rutschenden Beinen vor dem Butler, der sie seiner seits musterte. Die beiden Tiere schienen nicht zu wissen, was sie machen soll ten. Sie fühlten sich auf dem Bohnerwachs nicht besonders glück 27
lich und sicher. Auf der anderen Seite, versuchten sie ihren Ärger jetzt gemeinsam abzureagieren und zur Sache zu kommen. Dazu wollte es Parker aber gar nicht erst kommen lassen. Er hatte inzwischen seine Gabelschleuder zusammengesetzt und geladen. In der Lederschlaufe befand sich eine Tonmurmel, die hart gebrannt war. Als sie in den weit aufgesperrten Rachen des ersten Tigers hin einpreschte, verschluckte sich der Vierbeiner und bekam einen ausgeprägten Hustenanfall. Er röchelte, zog den Schwanz ein und trollte sich dann beleidigt von dannen. Es schien, daß er mit ei nem Mann namens Parker nichts mehr zu tun haben wollte. Der zweite Tiger wurde genau an der Nase getroffen, besser ge sagt, im rechten Nasenloch. Parker hatte damit nicht schlecht gezielt. Der bewußte Tiger litt plötzlich unter Konditionsmängeln, rieb sich ausdauernd, aber vergeblich die Nase und erlitt anschließend solch einen Niesanfall, daß es ihn von allen vier Beinen riß. Die Gewalt dieses Niesers war derart eruptiv, daß der Tiger über den gewachsten Boden davonschlidderte, bis er eine ungebohnerte Zone erreichte, die ihn hart und jäh bremste. Dort rappelte er sich auf und schlich davon. Er verschwand wie sein Partner in einem viereckigen Loch ne ben einer Tür und ward von dieser Minute an nicht mehr gesehen. Parker wischte sich einige unsichtbare Stäubchen von seinem Zweireiher, und verließ den Springbrunnen. Er wollte sich jetzt etwas genauer umsehen, vor allen Dingen mit dem Fallgitter be fassen, da er nicht die Absicht hatte, länger als notwendig in die sem ungastlichen Haus zu bleiben. Als er zum Fallgitter ging, be obachtete er – natürlich unauffällig, aber sehr genau – die Fens terreihen. Nachdem die beiden Tiger derart versagt hatten, war vielleicht mit gezielten Schüssen zu rechnen. Statt dessen hörte er die Stimme seines jungen Herrn. »Parker«, rief Rander, der selbst noch nicht zu sehen war, »ge ben Sie auf! Wir haben sonst keine Chance mehr.« * Mike Rander stand vor einem Fenster im Erdgeschoß, dessen 28
Blendladen man etwas angeliftet hatte. Von seinem Standpunkt aus konnte er den Butler genau erkennen, Parker, der fast das Torgitter erreicht hatte, blieb stehen, wandte sich gemessen um und lüftete seine Melone. »Weiter«, sagte der Wüstensohn, der neben Rander stand und ihm die Mündung einer Pistole gegen die Rippen drückte. »Kommen Sie ins Haus, Parker! Und machen Sie keinen Unsinn, sonst bin ich geliefert«, rief Rander gehorsam, »wir haben nicht die Spur einer Chance.« Der Anwalt konnte nur hoffen, daß sein Butler ihn genau ver standen hatte. Zwischen ihnen gab es eine Art Geheimcode, der speziell für solche und ähnliche Fälle verabredet worden war. Wenn Rander oder Parker davon sprachen, sie hätten nicht die Spur einer Chance, dann hieß das im Klartext, daß man es mit zwei Gegnern zu tun hatte. Parker wußte also, jetzt, was ihn er wartete. Der Wüstensohn hinter Rander trat an die Tür und nahm den schweren Querbalken herunter, dann sperrte er das Schloß auf und öffnete die Tür spaltbreit. Er nahm den Querbalken in die Hände und wartete auf Parker, um den Butler gnadenlos nieder zuknüppeln. »Beeilen Sie sich doch«, rief Rander ohne jede Aufforderung »sonst bin ich total geliefert!« Das Wort total war für Parker ein weiterer wichtiger Hinweis. Es besagte nichts anderes, als daß er beim Passieren der Tür nieder geschlagen werden sollte. Rander hoffte erneut, daß Parker verstand. Nun, danach sah es allerdings nicht aus. Parker, der in großer Sorge zu sein schien, kam mit schnellen Schritten auf die geöff nete Tür zu. Der Wüstensohn mit dem Querbalken in der Hand spannte sich zum Niederschlag. Durch den Druck der Pistolen mündung wurde Rander vom Fenster weggeschoben. Er und sein Bewacher bauten sich hinter der Tür auf. Man wollte den jungen Anwalt wohl daran hindern, im letzten Moment eine Warnung auszustoßen. Dann war es soweit. Die Tür, gerade noch spaltbreit geöffnet, wurde vorsichtig und fast zögernd weiter aufgedrückt. Es schob sich die bekannte schwarze Melone vorsichtig in den Raum. Der Wüstensohn hinter der Tür ließ den schweren, kantigen 29
Querbalken gnadenlos niedersausen und traf voll die Melone. * »Und dann?« fragte Norman Glance voller Spannung. Er beugte sich vor und ließ den Butler nicht aus den Augen. »Er traf ausschließlich meine Kopfbedeckung«, erläuterte Parker gemessen, »ich. hatte es vorgezogen, sie mittels meiner Schirm spitze probehalber ins Zimmer zu schieben.« »Du lieber Himmel«, seufzte Mabel Blossom, in deren Wohnung sie sich befanden. Nach dem Abenteuer im Landhaus des Scheichs Halek waren Rander und Parker zurück zu Glance und dessen Tante gefahren, um die neue Lage zu beurteilen. »Der Schläger kam aus dem Gleichgewicht und wurde von der Tür voll erwischt«, schaltete Rander sich lächelnd ein, »er ging sofort zu Boden. Parker muß die Tür mit einem kräftigen Fußtritt in Schwung gebracht haben.« »Mit einem äußerst kräftigen Fuß tritt, Sir«, bestätigte der Butler zufrieden, »dieser Mann machte dann ab sofort keine Schwierigkeiten mehr.« »Und was passierte mit Ihnen?« wollte Mabel Blossom wissen. Sie sah den Anwalt bewundernd an. »Nicht der Rede wert«, gab Rander lächelnd zurück, »mein Be wacher war halt plötzlich ohne Schußwaffe. Ich hatte sie sicher heitshalber an mich genommen.« »Und die beiden Araber?« Norman Glance nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. »Haben wir erst mal aus dem Verkehr gezogen«, sagte Rander und sah seinen Butler an. »Sie befinden sich an einem sicheren Ort und sollen bei Gele genheit einem kleinen privaten Verhör unterzogen werden.« »Sie wollen sie nicht der Polizei übergeben?« wunderte sich Ma bel Blossom. »Vorerst nicht«, entschied der Anwalt. »Ich fürchte, der Einfluß von Scheich Halek ist zu groß. Er könnte seine Beziehungen spie len lassen. Und dann sind wir die beiden Kronzeugen los, bevor sie ein Geständnis ablegen können.« Es wurde dunkel. Rander und Parker fuhren zurück in das Landhaus des Scheichs Halek. Auf Umwegen und unter Wahrung aller Vorsichtsmaßnah 30
men. Nur Norman Glance und Mabel Blossom wußten, wo die bei den Araber festgehalten wurden. Scheich Jelal el Amal war aus Gründen der Sicherheit gar nicht erst informiert worden. Rander und Parker befanden sich also im Landhaus und inspi zierten es ausgiebig. Sie stellten fest, daß die beiden Tiger sicher in einem großen Käfig untergebracht waren. Hier leckten sie ihre kleinen Wunden und waren nicht mehr ansprechbar. Das Landhaus bot sonst keine Geheimnisse. Bis auf die Tatsache, daß es mit Sicherheit seit Tagen nicht mehr bewohnt wurde. Staub und ein stickiger Geruch deuteten einwandfrei darauf hin. »Die lassen sich aber sehr viel Zeit«, sagte Rander nach einer guten Stunde. »Sie rechnen nach wie vor mit dem Erscheinen von Störenfrie den, Sir?« »Nur, wenn Glance und die Blossom ein doppeltes Spiel spie len«, erwiderte der Anwalt. »Ich möchte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, Sir, daß Mister Glance und Missis Blossom sich zu rückhalten werden«, antwortete der Butler, »immer vorausge setzt, daß sie Sie und meine bescheidene Person belogen haben.« »Wie sehen denn Sie die Situation?« fragte Rander. Bevor Parker antworten konnte, waren plötzlich die Scheinwer fer von zwei Autos zu sehen, die sich in schneller Fahrt näherten. Sie hielten genau auf das Landhaus zu und kamen dann für kurze Zeit außer Sicht, als sie zum Torweg hin abbogen. »Vielleicht sollte man sich jetzt empfehlen«, sagte Parker in sei ner höflichen Art zu Rander. »Diese Anfahrt sieht ungewöhnlich offiziell aus und entspricht keineswegs dem, was ich erwartet hat te.« * Rander und Parker saßen in einem Mietwagen und lauschten den Stimmen, die aus einem kleinen Kofferradio zu hören waren. Was gesprochen wurde, konnten sie nicht verstehen, es handelte sich um ein astreines Arabisch, wie Rander zu wissen glaubte. Die Übertragung war kein Wunder. Sie war von Parker veranlaßt worden. 31
Er hatte in einigen Räumen einige Minisender, deren Effektivität so unheimlich ist. Diese kleinen Sender, nicht größer als ein dop peltes Centstück, sorgten für eine erstklassige Übertragung. Das Kofferradio auf Parkers Knien sorgte für einen ebenso erstklassi gen Empfang. An der Lautstärke der Stimmen war deutlich zu hören, daß die Angekommenen, durch die diversen Räume liefen und nach Spu ren suchten. Dann fanden sie sich im zentralen Raum unten im Erdgeschoß zusammen und debattierten miteinander. Sie unter hielten sich lautstark und offensichtlich nervös. Parker steuerte den Empfang des Kofferradios genau aus und spielte das Gespräch auf ein kleines Tonband über. Er wollte zu einem späteren Zeitpunkt gewissen Leuten ein Dokument vorwei sen und es vor allen Dingen übersetzen lassen. Weder Parker noch Rander verstanden schließlich Arabisch. Nach einer halben Stunde war die Übertragung beendet. Parker stoppte die Bandaufnahme und nickte seinem jungen Herrn zu. Rander ließ den Mietwagen dann anrollen, um zurück in die Stadt zu fahren. Unterwegs machten sie noch einen kleinen Umweg. Rander steuerte ein modernes Rundfunkgeschäft an und verhandelte mit dem Besitzer. Anschließend schnitt der Butler vom Originalband eine Kopie. Er hatte gute Gründe, dies zu tun. Der Inhaber des Geschäfts hatte sie bisher allein in einer Ab hörbox gelassen. Als Parker die Kopie geschnitten hatte, wurde ihm das Band vorgespielt und er um eine Übersetzung gebeten. Der Libanese fühlte, daß er in eine Sache verwickelt wurde, die nicht ganz astrein schien. Er warf allerdings alle Bedenken über Bord, als Rander ihm ein ansehnliches Honorar für die Überset zung im vorhinein überreichte. Nun, was er übersetzte, war nicht gerade weltbewegend, wie Rander und Parker fanden. Die drei Stimmen, die sich auf dem Band unterhielten, stellten nur übereinstimmend fest, daß offen sichtlich eingebrochen worden war. Sie stellten ferner fest, daß es den beiden Tigern aus unerfindlichen Gründen nicht besonders gutging und kamen zu dem Schluß, daß man den Scheich Omar ibn Halek sofort verständigen müßte. Erfreulicherweise ging aus dem letzten Teil dieser Unterhaltung hervor, daß der Scheich sich in seinem Badehaus an der Küste befand. »Dieses Haus muß Ihnen doch bekannt sein«, erkundigte sich 32
Rander und drückte dem Libanesen ein zusätzliches Honorar in die Hand. »Sie lassen sich da auf Sachen ein, die Sie besser nicht anfas sen sollten«, meinte der Mann nervös. »Sie kennen Scheich Halek?« wollte Rander wissen. »Nur vom Hörensagen«, gab der Phonohändler zurück. »Scheich Halek ist… na, wie soll ich’s sagen… er ist mit Vorsicht zu genießen.« »Dem Hörensagen nach zu urteilen, soll er ein moderner Skla venhändler sein«, kam Parker ungewöhnlich direkt zur Sache. »Halek… ein Sklavenhändler?« Der Libanese lachte amüsiert. »Wer hat Ihnen denn das erzählt? Dem Scheich laufen die Play maids doch nur so nach. Er hat’s bestimmt nicht nötig, sich Mäd chen zu kaufen. Ausgerechnet Scheich Halek. Nein, ich denke nur an gewisse Gerüchte…« »Die wie lauten?« fragte Rander gespannt. »Omar ibn Halek soll Waffenhändler sein«, sagte der Libanese leise und sah sich dabei unwillkürlich um, als könne er belauscht werden. »Waffenhändler für wen?« »Für die Nomadenstämme in der Wüste«, erklärte der Libanese weiter. »Wissen Sie denn nicht, daß er den Thron seines Vaters zurückerobern will?« »Welchen Thron?« Rander beugte sich interessiert vor. »Den Thron des Emirats von Abu Arisch«, sagte der Phonohänd ler wie selbstverständlich. »Scheich Haleks Vater wurde vor Jah ren ermordet, sein Sohn mußte über Nacht flüchten. Und jetzt will er sich das Emirat zurückholen. Das sind doch Dinge, die altbe kannt sind.« * »Natürlich werde ich Ihnen eine Übersetzung machen lassen«, sagte Norman Glance eine Stunde später, nachdem er das für ihn hergestellte Tonband entgegengenommen hatte. »Sie wissen nicht, wer die Leute waren, die zurück ins Haus kamen?« »Keine Ahnung«, antwortete Rander achselzuckend, »wir setz ten uns aber sicherheitshalber ab.« »Das war vollkommen richtig.« Glance nickte. »Na, ja, vielleicht ergibt sich etwas Neues aus der Übersetzung.« »Bis wann können wir sie haben?« 33
»In ein, zwei Stunden«, sagte Glance, »ich setze mich sofort mit einem arabischen Freund in Verbindung. Wo werden Sie jetzt unterkommen? Sie können hier bei meiner Tante wohnen.« »Mister Rander äußerte bereits entsprechende Wünsche«, schaltete der Butler sich ein. »Ich war so frei, Zimmer in einem Hotel zu bestellen.« »Wo kann ich Sie also erreichen?« Norman Glance ließ nicht lo cker. »Im Beirut-Central«, gab Parker Auskunft. Glance brachte Rander und Parker hinunter auf die Straße und stutzte, als er die Tür öffnete. Dann warf er sich zurück, prallte gegen Rander und riß ihn mit zurück in den Flur. Parker .wich durch einen unmerklichen Schritt zur Seite aus. »Drüben! Auf der anderen Straßenseite…«, sagte Glance mit gedämpfter, aber aufgeregter Stimme. »Was ist denn?« Rander griff bereits sicherheitshalber nach sei nem 38er. »Ich glaube ein Schütze«, sagte Glance. »Wieso, Sir?« wollte Parker wissen. »Der Mann hielt etwas Glänzendes in der Hand. Wahrscheinlich ein Gewehr.« »Vielleicht darf ich mal intensiver nachschauen«, bot sich der Butler an. Doch Glance hinderte ihn daran. Er baute sich vor der Tür auf. »Benutzen Sie lieber den Hinterausgang durch den Garten«, sag te er eindringlich. Rander sah seinen Butler an, der unmerklich nickte. Dann schloß Rander sich dem jungen Amerikaner an, der sie durch den Hausflur zurück in den großen Wohnraum führte. Von dort aus brachte er seine Gäste über eine Terrasse und durch einen kleine ren Garten zu einer Mauer, die das Anwesen einschloß. Er öffnete eine schmale Tür und… zuckte zusammen, als er den Butler nicht sah. »Oh, Sie vermissen Parker?« fragte Rander lächelnd. »Natür lich… Ich verstehe nicht…« »Er wird den regulären Ausgang genommen haben«, sagte der Anwalt, »Sie ahnen ja nicht, wie störrisch er sein kann. Ein Maul esel ist gegen ihn ein frommes, fügsames Lamm.« Das letzte Wort Randers ging in zwei schallgedämpften Schüssen unter, die jenseits der Mauer in schneller Folge abgefeuert wurden. Bruch 34
teile von Sekunden später war ein erstickter Aufschrei zu hören. »Was? Was war das?« fragte Glance halblaut und starrte den Anwalt betroffen an. »Ein Aufschrei«, sagte Rander. »Warten wir ab, bis sich was tut.« Glance und der Anwalt brauchten nicht lange zu warten, denn plötzlich wurde gegen die schmale Pforte geklopft. Dann war Par kers Stimme zu vernehmen, gemessen und würdevoll. »Die Lage ist bereinigt, Sir. Sie können jetzt, falls Sie es wün schen, hinaus in die Gasse treten.« »Auf der Hauptstraße war also nichts zu sehen?« wunderte sich Rander, als er mit dem Butler allein war. »In der Tat, Sir«, bestätigte Parker. »Dann hat Glance uns etwas vorgeschwindelt, um uns an die Mauerpforte zu locken, wie?« »Diese Möglichkeit sollte man durchs aus in Betracht ziehen, Sir.« »Mord unter Ausschluß der Öffentlichkeit«, murmelte Rander, »der Junge dürfte es also doch faustdick hinter den Ohren ha ben.« »In diesem Zusammenhang, Sir, sollte man auch Mister Glances Tante nicht vergessen.« »Worauf Sie sich verlassen können, Parker! Wer hat auf Sie ge schossen?« »Zwei Individuen, Sir, die in weiße Burnusse gekleidet waren.« »Sie hatten gleich mit einem Trick gerechnet?« »In etwa, Sir. Ich ging von der Überlegung aus, wie ich solch einen Überfall inszenieren würde. Bei dieser Gelegenheit darf ich darauf hinweisen, daß ich einen der beiden Schützen mit letzter Sicherheit getroffen haben muß.« »Mit welchem Spezialgeschoß?« erkundigte sich Rander lä chelnd. »Mit einer jener brüchigen Tonmurmeln, Sir, deren Inhalt aus einem an sich harmlosen Reizmittel besteht, das eine Art Nessel fieber hervorruft.« »Wie lange wird dieser Bursche außer Gefecht sein?« »Wenigstens drei Stunden, Sir!« »War zu schön, wenn wir innerhalb dieser Zeit auf einen Kerl stoßen würden, der sich mit Nesselfieber herumplagt.« »Aus diesem Grund, Sir, sollte man möglichst bald ins Hotel ge 35
hen«, schlug der Butler vor. »Es könnte sein, daß der betreffen de Attentäter sich dort noch mal sehen läßt.« »Sie meinen, Glance würde ihm den Tip geben, wo er uns fin den kann?« »Gewiß, Sir«, sagte der Butler schlicht. * Das Beirut-Central war ein mittelgroßer Kasten, der noch aus der Plüschzeit der Gastronomie stammte. Der Service war gut, die Räume groß und hoch. Zu jedem Zimmer gab es einen kleinen Balkon, der an ein Schwalbennest erinnerte. Der Blick ging hinaus auf See. Parker hatte zwei Zimmer gebucht, die durch eine Tür mitein ander verbunden waren. Das Gepäck hatte Parker vom Flugplatz zurückbeordert und in dieses neue Hotel bringen lassen. Sie konnten sich also in aller Ruhe einrichten. »Was glauben Sie, Parker, werden wir nächtlichen Besuch be kommen?« fragte der Anwalt seinen Butler. »Man sollte davon ausgehen, Sir«, gab der Butler gemessen zu rück, »Mister Glance weiß, wo Sie und meine bescheidene Person zu finden sind. Darüber hinaus könnten wir aber auch bereits seit Stunden von einer ganz anderen Seite aus intensiv beschattet worden sein.« »Okay. Unsere Gegner wissen also, wo wir stecken. Werden Sie dann auch mitbekommen haben, daß wir diesem Phonohändler einen Besuch abgestattet haben?« »Sir, ich muß gestehen, daß ich äußerst bestürzt bin«, sagte der Butler, »diese Möglichkeit hatte ich in der Tat übersehen.« »Worauf warten wir also noch?« Rander und Parker verloren keine unnötige Minute. Sie rüsteten sich schnell aus und verließen das Hotel. Sie benutzten ganz offi ziell den Haupteingang und riefen ein Taxi. Der Butler nannte die Adresse, die sie anzulaufen gedachten. Das Geschäft war inzwischen geschlossen. Im Ladenlokal brann te kein Licht mehr. Ein prüfender Blick durch die beiden Schau fenster ergab nichts Verdächtiges. »Sehen wir uns näher um?« fragte Rander leise. Sie hatten das Taxi etwa hundert. Meter vor dem Geschäft verlassen und waren 36
allein auf diesem Teil der Straße. »Vielleicht könnten Sie meiner bescheidenen Person Rückende ckung geben«, schlug der Butler vor. Während er noch sprach, prüfte er bereits das Türschloß. »Na?« erkundigte sich Rander ungeduldig. »Der Besitzer muß vergessen haben, die Tür abzuschließen«, behauptete der Butler und drückte sie vorsichtig auf. Dann ver schwand er steif und würdevoll im dunklen Ladenlokal. Er hielt es selbstverständlich für unter seiner Würde, sich wie ein Dieb zu bewegen. Nach knapp fünf Minuten erschien er wieder auf der Straße und schloß die Tür leise hinter sich. »Alles in Ordnung?« erkundigte sich der Anwalt. »Vollkommen«, gab Parker zurück. »Der Phonohändler schläft tief und fest.« »Wollen wir ihn unbewacht zurücklassen?« fragte Rander nach denklich. »Keineswegs, Sir.« »Und was schwebt Ihnen vor?« »Man könnte die Polizei informieren«, sagte Parker, »und sie auf die unverschlossene Ladentür hinweisen, die auf einen ge planten und dann gestörten Einbruch aufmerksam macht.« »Das ist gut!« Rander lächelte. »Etwaige Täter würden dann nachhaltig abgeschreckt. Nehmen Sie das in die Hand!« Was der Butler mit großer Freude, aber auch mit Sorgfalt prompt erledigte. Von einer nahen Nachtbar aus verständigte er die Polizei, wobei er jedoch völlig vergaß, seinen Namen zu nen nen. Er vergaß allerdings nicht, die Polizei auf Trab zu bringen. Parker konnte, wenn er wollte, einen Fall unerhört dramatisch schildern. Von der Bar aus beobachteten Rander und Parker das Anrücken zweier Jeeps, die mit je vier Polizisten besetzt waren. Sie fielen förmlich aus ihren Wagen und stürmten das Ladenlokal, dessen Tür von Parker spaltbreit aufgedrückt worden war. Inner halb einer knappen Minute flammten die Lichter im Geschäft auf, dann wurden auch die oberen Räume erhellt. Etwaige Mörder mußten jetzt kalte Füße bekommen. Es war fest damit zu rech nen, daß der Phonohändler für den Rest der Nacht um Polizei schutz bitten würde. Der Mann befand sich also erst mal in Si cherheit, falls er überhaupt auf der Liste von Mördern stand.
37
*
»Warum sehen wir nicht nach unseren beiden Kronzeugen?« schlug Mike Rander vor, als sie wieder im Taxi saßen. »Die beiden Araber aus dem Hause Halek, Sir?« »Natürlich. Vielleicht haben sie sich inzwischen selbst weichge kocht.« »Dazu sollte man das Gefährt wechseln, Sir.« »Einverstanden, Parker. Fahren wir zur nächsten Großgarage und mieten wir uns einen schnellen Schlitten.« Es dauerte knapp dreißig Minuten, bis sie autark waren und in einem Mietwagen saßen, den Parker steuerte. Es handelte sich um einen kleinen Triumph, der noch gut bei Lunge war. Während der Fahrt zum Versteck der beiden Kronzeugen, schaute Rander sich wiederholt nach etwaigen Verfolgern um. Doch die Straße hinter dem Triumph war wie ausgestorben. Parker verließ bald die Hauptstraße und bog östlich der Stadt in einen Feldweg, der hinauf in die Berge führte. Vor einem Oliven hain hielt er den Triumph an und stieg aus. »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich jetzt nach den beiden Her ren sehen«, schlug er vor, »könnten Sie möglicherweise in der Nähe des Wagens bleiben und ihn sichern?« »Die Rosinen sind grundsätzlich für Sie, wie?« gab Rander lä chelnd zurück. »Mir geht es nur darum, Sir, Sie niemals unnötig zu echauffie ren«, entgegnete der Butler, »ich werde mich beeilen.« Rander sah seinem Butler nach, der nach wenigen Sekunden schon in der Dunkelheit verschwand. Das Ziel war ein kleiner, fensterloser Geräteschuppen, der zur Olivenplantage gehörte. Dieser Schuppen war in einen Hang hineingebaut worden und verfügte über eine schmale Tür aus dicken Holzbohlen. Als Parker diese Tür erreicht hatte, geräuschlos, versteht sich, legte er sein Ohr gegen die Bohlen und lauschte. Nichts zu hören! Parker nahm den schweren Querbalken ab, der die Tür sicherte und trat zur Seite. Er dachte nicht im Traum daran, sofort die Hütte zu betreten. Er wußte ja nicht, wie aktiv die beiden Araber geworden waren. In der Hütte rührte sich nach wie vor nichts. Alles blieb unheim lich still. Entweder schliefen die beiden Burnusträger noch, oder 38
aber sie warteten ihrerseits darauf, daß Parker eintrat. Es war ein kleiner Nervenkrieg auf beiden Seiten. Jetzt mußte sich zeigen, wer gelassener und erfahrener war. Die Vorteile in diesem Spiel waren eindeutig auf Parkers Seite. Geduld war schon immer eine seiner Haupttugenden gewesen. Die Sekunden vertropften, die Minuten verstrichen. Parker stand gelassen neben der Tür und hielt den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms schlagbereit in Händen. Um die beiden Gefangenen etwas zu ermuntern, griff Parker dann in eine seiner Westentaschen und holte einen original Schweizer Kracher hervor, dessen Lunte er vorsichtig anzündete. Als der Brennpunkt sich der Pulverladung näherte, warf Parker den Schweizer Kracher lässig in den Erdbunker. Bruchteile von Sekunden später ging der Kracher los und sprang wie ein irrsinnsreifer Frosch kreuz und quer durch die enge Hütte. Dazu lieferte dieser Kracher einige Solodetonationen, die in dem niedrigen Raum wie Kanonenschüsse wirkten. Der Erfolg dieser sanften Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Nacheinander hüpften die beiden Araber hinaus ins Freie. Sie glichen riesigen, irritierten Heuschrecken und stießen dazu schril le Laut der Angst und Panik aus. Für Parkers Regenschirm waren sie eine mehr als leichte Beute. Nacheinander fielen sie von ihren Beinen und betteten sich zur Ruhe. Als sie wieder zu sich kamen, waren sie mittels einer mo dernen Handschelle innig miteinander verbunden. Wie gesagt, Parker hätte sich entsprechend ausgerüstet, bevor er das Hotel verließ. Sie saßen auf dem Boden der Hütte und starrten den But ler ungläubig und wütend zugleich an. »Ich gehe von der Voraus setzung aus, daß Sie englisch sprechen«, sagte Parker gemessen und grüßte sie durch das Lüften seiner schwarzen Melone. »Falls nicht, werden Sie dies zu einem späteren Zeitpunkt sicher bedau ern.« »Quatschen Sie nicht herum«, sagte der erste Araber in Eng lisch, wenn auch mit einem herben harten Akzent. »Sehr schön«, fand Parker, »damit dürfte die erste Basis einer Verständigung erreicht worden sein. Sie gehören zu Scheich Ha leks Mitarbeitern, wie ich wohl unterstellen muß.« »Na, und?« erwiderte der zweite Araber grimmig. »Dann dürfte es sich wohl empfehlen, Sie zurück zu Scheich Ha 39
lek zu schicken, nicht wahr?« »Je schneller, desto besser«, meinte der erste Araber. »Knipsen Sie die Handschelle auf und verschwinden Sie!« »Ich selbst werde den Rücktransport natürlich übernehmen«, schränkte der Butler höflich ein, »ich möchte vermeiden, daß Sie sich unterwegs womöglich verlaufen.« »Was soll das heißen?« erkundigte sich der zweite Araber. »Wie ich es bereits auszudrücken beliebte«, sagte Parker wür devoll. »Ich werde mir die Freiheit nehmen, Sie zu Scheich Halek zu bringen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich den Scheich fra gen, warum er die beiden Tiger auf meine bescheidene Wenigkeit gehetzt hat.« Die beiden Araber sahen sich betreten an. Mit diesem Entge genkommen des Butlers hatten sie sicher nicht gerechnet. Es schien ihnen zudem gar nicht zu gefallen. Und genau das hatte der Butler testen wollen. Die Reaktion sagte ihm bereits genug. »Oder sollten Sie an einer Gegenüberstellung mit Scheich Halek nicht interessiert sein?« tippte Parker an. »Worauf wollen Sie eigentlich ’raus?« fragte der erste Araber. »Ich könnte mir vorstellen – unter anderem selbstverständlich – daß Scheich Halek es auch nachträglich gar nicht schätzen wird, daß Sie sein Landhaus zweckentfremdet haben.« Die Araber schwiegen und schauten sich dabei unergründlich an, was Parker im Strahl seiner Kugelschreiber-Taschenlampe genau verfolgen konnte. Parker hatte den Eindruck, den Finger auf die richtige Stelle gelegt zu haben. »Wir sollten gehen, und Scheich Halek nicht warten lassen«, sagte Parker höflich, »er macht sich sicher bereits Sorgen wegen Ihnen.« »Lassen Sie das mit Halek«, sagte der erste Araber plötzlich, »wir machen Ihnen ein Angebot!« »Und das lautet wie?« »Sie lassen uns ziehen. Dafür geben wir Ihnen einen Tip.« »Der eine gewisse Miß Gilda Glover betrifft?« »Keine Ahnung! Wir können Ihnen nur sagen, wer uns auf Sie angesetzt hat.« »Ich drücke Ihnen bereits im vorhinein meinen tief empfunde nen Dank aus!« »Halten Sie sich an Hamid Khatal«, sagte der Araber weiter, »er hat ein Modeatelier in der Innenstadt.« 40
»Ich bin mir selbstverständlich klar darüber, daß Sie mich belo gen haben können.« »Das Risiko müssen Sie eingehen!« »Nun denn«, sagte Parker, »ich werde Sie noch ein wenig sepa rieren, bis ich festgestellt habe, daß Sie die Wahrheit gesagt ha ben. Ich bin sicher, Sie sind mit dieser Regelung einverstanden. Nun zum Thema, meine Herren, warum wollte Mister Khatal Mis ter Rander und meine Wenigkeit umbringen lassen?« »Vielleicht, weil Sie zu neugierig geworden sind.« »Hinsichtlich einer gewissen Miß Gilda Glover?« »Die kennen wir nicht. Aber wegen Frauen kann’s schon sein. Khatal hat darin einen verdammt großen Verschleiß.« »Könnten Sie dies ein wenig interpretieren?« »Denken Sie mal an seine Mannequins«, sagte der zweite Ara ber, »mehr bekommen Sie nicht aus uns heraus. Wir sind doch keine Selbstmörder!« Bevor Josuah Parker eine weitere Frage stellen konnte, peitsch te unten vom Feldweg her ein Schuß auf. Daraufhin unterbrach der Butler seine Befragung und nahm sich vor, sich schleunigst seinem jungen Herrn zu widmen. * Mike Rander kam seinem Butler bereits entgegen. »Wenigstens drei Männer«, rief er Parker halblaut zu, »sind dicht hinter mir her!« Womit Rander keineswegs übertrieben hatte. Im schwachen Mondlicht waren zwei Gestalten zu erkennen, die sich von Oliven baum zu Olivenbaum heranpirschten und jetzt ihrerseits schos sen. Und zwar nicht schlecht, wie Parker einräumen mußte. Parker setzte sich zusammen mit seinem jungen Herrn taktisch geschickt ab. Sie wichen nach Osten aus und verzichtete auf Ge genwehr. Aber sie ließen die Angreifer nicht aus den Augen, die plötzlich einen friedlichen Eindruck machten. »Die Hütte«, rief Rander Parker zu. Der Butler hatte längst beg riffen. Man hatte sie absichtlich und nicht ungeschickt seitlich ab gedrängt, um hinauf zur Hütte zu kommen. Man wollte wohl die beiden Wüstensöhne befreien. »Haben Sie was ’rausbekommen?« fragte Rander seinen Butler. 41
»Eine Adresse, die aber durchaus falsch und erfunden sein kann, Sir.« »Weiß der Teufel, wie sie uns folgen konnten«, sagte Rander und deutete auf die Angreifer, die inzwischen die Hütte erreicht hatten, »jetzt sind wir aber an der Reihe!« Während er noch sprach, hob er seinen 38er. »Darf ich mir erlauben, von weiteren Schüssen abzuraten?« fragte der Butler, »irgendwie sollten wir erleichtert sein, daß wir uns nicht weiter um die beiden Araber zu kümmern brauchen.« »Da! Hören Sie doch!« Rander hob den Arm und deutete hinauf zur Hütte. Dort waren einige kurze, halb erstickte Schreie zu hö ren. Sie klangen nicht nach Freude, sondern verrieten Angst und Panik. »Dies hört sich allerdings keineswegs nach einer freundlichen Gesamtentwicklung an«, stellte Parker fest und ging dann zu sammen mit Rander zum Angriff über. Der Anwalt feuerte ein paar Schüsse hinauf zur Hütte, aber diese Schüsse würden nicht beantwortet. Wenig später war unten vom Feldweg aus das laute Aufheulen eines Automotors zu hören. Die Angreifer hatten sich bereits in einem weiten Bogen abge setzt und fuhren davon. Rander und Parker pirschten sich vor sichtig an die Hütte heran und… mußten zur Kenntnis nehmen, daß die beiden Araber nicht mitgenommen worden waren. Sie lagen regungslos und still auf dem Boden der Hütte. Was eindeutig mit den Dolchmessern zusammenhing, die man in ihre Körper gerammt hatte. * »Keine Ahnung, wie man uns verfolgt hat«, sagte Rander, »ich habe während der Fahrt hinaus zur Olivenplantage nichts be merkt.« »Kommt’s darauf noch an?« fragte Norman Glance nervös. »Denken Sie an die beiden Figuren, die ich vor der Haustür gese hen habe. Sie existieren tatsächlich, auch wenn Sie’s vielleicht nicht geglaubt haben.« »Schon gut«, sagte Rander abwinkend. »Ich frage mich nur, warum man die beiden Araber erstochen hat?« 42
»Zur Abschreckung, Sir«, schaltete der Butler sich ein, »man ist wohl von der Voraussetzung ausgegangen, daß sie mehr oder weniger geplaudert haben. Um zukünftigem Verrat vorzubeugen, wurden die beiden Morde begangen.« »Wer steckt hinter diesen Dingen?« Rander sah Norman Glance eindringlich an. »Parker und ich müssen doch förmlich in ein Wespennest gestochen haben.« »Ich sage nur Sklavenhandel«, antwortete Norman Glance, der sich im Landhaus seiner Tante befand. Rander und Parker hatten ihn eine Stunde nach diesem Zwischenfall im Olivenhain aufge sucht. Absichtlich, wie sich versteht. Sie sollten bei Glance damit auf den Busch klopfen und hofften, daß er sich vielleicht eine Blö ße geben würde. »Darf ich demnach unterstellen, Mister Glance, daß Sie Scheich Halek für den Hintermann halten?« Parker beugte sich höflich in Richtung Glance vor. »Natürlich!« erwiderte Glance mit Nachdruck, »da gibt’s für mich überhaupt keine Debatte. Omar ibn Halek ist der Mann, der Gilda entführt hat!« »So etwas trauen Sie aber auch Scheich Amal zu, nicht wahr?« »Auch ihm! Sie haben ja keine Ahnung, was hier los ist. Sie können sich das als Ortsfremde überhaupt nicht vorstellen. Es gibt wirklich noch Sklavenhandel mit Farbigen und mit Weißen.« »Bleiben wir doch bei Miß Glover«, sagte Rander abwinkend, »natürlich wissen wir, daß es noch Sklavenhandel gibt. Aber wa rum sollte irgendein Scheich eine weiße Frau kaufen und in sei nem Harem verstecken? Das wäre doch reiner Blödsinn. Diese Leute haben doch Geld genug, um sich interessant zu machen.« »Bei weißen Frauen, von denen wir reden und auf die Geld Ein druck macht.« Glance sah den Anwalt beschwörend an. »Aber nehmen Sie ein junges Mädchen wie Gilda. Ob sie nun arm ist oder reich, Geld dürfte auf sie keinen Eindruck machen. Es sind aber gerade solche Frauen, die für gewisse Scheichs interessant sind. Und da sie sie regulär nicht bekommen können, lassen Sie sich mit solchen Frauen beliefern.« »Klingt scheußlich«, sagte Rander und verzog sein Gesicht. »Ist aber dennoch eine Tatsache«, erwiderte Glance eindring lich, »diese Frauen werden von Spezialisten besorgt, die keine Rücksicht kennen und nehmen. Sie werden fürstlich honoriert, für sie also ein lohnendes Geschäft.« 43
»Nach der Aussage Ihrer Tante soll Halek also ein solcher Spe zialist sein?« »Scheich Halek braucht Geld. Sehr viel Geld. Er stammt aus ei nem Emirat irgendwo im Norden des Jemen. Sein Vater wurde entthront, das Familienvermögen ging verloren. Halek will Mone ten, einmal um sein bisheriges, aufwendiges Leben finanzieren zu können, zum anderen aber auch um eine Truppe aufstellen zu können.« »Eine Truppe?« Rander tat so, als sei ihm dieses Thema fremd. »Eine Truppe«, wiederholte Glance eifrig. »Scheich Halek will sich sein Emirat zurückholen. Dazu braucht er Söldner und sehr viel Geld. Ein Mann wie er fragt nicht danach, woher das Geld stammt. Hauptsache, er kann damit seine Pläne durchsetzen.« »Und wie sehen Sie Scheich Amal?« warf Rander jetzt ein. »Er ist nichts als ein Playboy. Wenn er Gilda entführt hat, dann nur zu seinem persönlichen Vergnügen. Was nicht ausschließt, daß er Gilda nach persönlichem Gebrauch wegwirft, das heißt, weiterverkauft. Entschuldigen Sie diesen Ausdruck, aber ich finde, man sollte völlig offen reden.« »Sie sind kein Freund der Araber?« wollte Rander mit neutraler Stimme wissen. »Ich mag diese Leute nicht«, stieß Glance wütend hervor, »die se Arroganz, diese Relikte aus Tausendundeiner Nacht.« »Ich hatte von Arabern einen wesentlich anderen Eindruck«, meinte Rander spöttisch, »aber das hängt wohl damit zusammen, daß ich nicht nur mit Scheichs zu tun hatte. Aber lassen wir das. Sagt Ihnen der Name Hamid Khatal etwas?« Glance schüttelte nachdenklich den Kopf und hob dann bedau ernd die Schultern. »Fehlanzeige«, sagte er dann, »wer soll das sein?« * »Was machen wir mit der angebrochenen Nacht?« fragte Rander, als sie wieder im Wagen saßen. »Ich könnte mit einem interessanten Vorschlag aufwarten, Sir.« »Sie wollen Scheich Halek einen Besuch abstatten?« »Wie gut Sie meine bescheidene Wenigkeit doch kennen, Sir.« »Sie alter Gauner!« Rander grinste. »Wenn ich den Vorschlag 44
nicht gemacht hätte, hätten Sie ihn mir schon untergejubelt. Aber einverstanden! Sehen wir uns jetzt Halek an. Wie stehen Sie üb rigens zu Glances Glaubensbekenntnis?« »Mister Glances Wut auf die Araber schlechthin war nicht ge spielt, Sir.« »Den Eindruck hatte ich allerdings auch«, sagte Rander, »seine Abneigung scheint sehr persönlich gefärbt zu sein. Gilda und Scheich Amal… Das hat ihm wohl nie gepaßt!« »Daraus ließe sich vielleicht ableiten, daß er nie weiße Frauen an Araber verkauft, Sir.« »Warten wir’s ab, Parker! Ich bin übrigens froh, daß wir nicht nach Rom geflogen sind.« »Diesen Standpunkt, Sir, erlaube ich mir vollkommen zu teilen. Was die Glaubwürdigkeit Mister Glances angeht, so sollte man warten, bis er eine Übersetzung des Tonbandes geliefert hat.« »Richtig! Dann werden wir ja sehen, ob er uns verschaukeln will, Parker. An ein Tonbanddoppel wird er ja wohl nicht denken.« »Nur dann nicht, Sir, falls man Sie und meine Wenigkeit nicht auch im bewußten Phonogeschäft beobachtet hat. Die Überwa chung scheint bisher sehr genau zu sein.« »Jetzt auch?« Rander drehte sich im Wagen um und beobachte te die Straße hinter dem Triumph. Auch jetzt konnte er nichts Verdächtiges feststellen, was aber keineswegs etwas zu besagen hatte. Die Gegner schienen sehr raffinierte und neue Methoden zu verwenden. Was übrigens stimmte, wie sich später herausstellen sollte. Nach einer Fahrt von einer knappen Stunde hatten sie das Ba dehaus von Scheich Halek erreicht. Es befand sich hart an einem felsigen Küstenstreifen und war ein moderner Flachbungalow aus Stein und Glas. Die Zufahrt be stand in einem schmalen, gewundenen Weg, der zur Straße hin durch ein Gittertor verschlossen war. Das Gelände rechts und links dieser Straße war sehr steil und sah unpassierbar aus. Von der Strandseite aus konnte es kaum anders sein. Rander und Parker hatten den Triumph weit vor dieser Zufahrt zurückgelassen und überlegten, wie sie diese kleine Felsenfestung überwinden konnten. Sie wollten plötzlich und unangemeldet bei Scheich Halek auftauchen Sie mußten ja nach wie vor von der Voraussetzung ausgehen, daß Halek mit weißen Frauen handelte. »Wenn wir uns unbedingt den Hals brechen wollen, Parker, 45
dann brauchen wir nur in die Felsen zu steigen«, sagte Rander. »Oder den Zufahrtweg nehmen, Sir.« »Der ist mit tödlicher Sicherheit bewacht, Parker. Machen wir uns doch nichts vor!« »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich den Vorreiter machen«, sagte der Butler. »Ich bitte, sich ein wenig zu gedulden.« Er lüftete seine schwarze Melone, wartete Randers Erlaubnis erst gar nicht ab und marschierte bereits gemessen und würde voll auf das übermannshohe Gittertor zu. Rander kniff die Augen zusammen und schaute seinem eigen willigen Butler nach. Parkers direkte Art brachte ihn manchmal zur Verzweiflung. Während der Butler barocke Erklärungen abgab und umständlich wirkte, war er in Wirklichkeit ein ungemein ziel strebiger Mensch, der stets genau wußte, was er konnte und woll te. Rander folgte vorsichtig seinem Butler, der allerdings schon nicht mehr zu sehen war. Er befand sich bereits im Lichtschatten des Mondes unterhalb einiger steiler Felsklippen. Rander blieb stehen, als er oben vom Bungalow aus plötzlich für Sekunden laute, orientalische Musik hörte, das nasale Wimmern einer Flöte, dann ein hämmerndes, rhythmisches Trommeln. Dann brach die Musik plötzlich ab. Rander schrak zusammen, als Parker plötzlich vor ihm erschien und erneut den Hut lüftete. »Darf ich höflichst bitten, mir zu folgen«, sagte Parker und deu tete in Richtung Gitter. »Der Wärter am Tor dürfte für die nächste halbe Stunde nichts dagegen haben, wie mir scheint.« * Rander stieg über den am Boden liegenden Mann, einen stäm migen Libanesen in einer Art Khakiuniform. Um den Leib schlang sich ein Koppel mit einem gefüllten Pistolenhalfter. Der Libanese schlief tief und fest. Was sicher mit einem kleinen gefiederten Pfeil zusammenhing, der in seinem Gesäß steckte. Parker entfernte diesen harmlos aussehenden Blasrohrpfeil, der aus eigener Produktion stammte. Der Butler hatte diesen Pfeil mittels Preßluft aus dem hohlen Schirmstock seines Universal-Regenschirmes verschossen. Und 46
selbstverständlich auch voll getroffen. Dieses im Regenschirmstock befindliche Blasrohr war ein Präzi sionsinstrument, wie man sich denken kann. Ein BlasrohrIndianer vom Amazonas hätte es wie eine Wunderwaffe bestaunt. Der dünne Lauf im Schirmstock war glatt poliert und garantierte höchste Treffsicherheit. Geblasen wurde diese Waffe durch das Abklappen des Bambusgriffes. Im bleigefütterten Griff selbst be fand sich eine Kohlensäurepatrone, die die Druckluft zur Beförde rung des Pfeils lieferte. Den Druck, und damit auch die Eintauch tiefe eines Pfeils, konnte Parker von Fall zu Fall und beliebig vari ieren. In einer Falte des Patent-Regenschirms befand sich wohl ver näht eine Art Pfeilköcher, der einige präparierte Pfeile enthielt. Selbst auf den zweiten – und dritten Blick hin waren diese Pfeile nicht zu entdecken. Man hätte sie mit dem Gestänge des Schirms verwechselt und glatt übersehen. Die Pfeilspitzen waren in bester Tradition der AmazonasIndianer vergiftet. Natürlich nicht mit Curare, sondern mit einem schnell wirkenden Schlafmittel. Dieses Mittel brauchte nur wenige Sekunden, um den Getroffenen in einen erholsamen Schlaf zu befördern. Gesundheitliche Schäden waren selbstverständlich ausgeschlossen. Ein Josuah Parker haßte Blut, Gewalt und Mord. Rander, der dies alles nur zu gut kannte, schleifte zusammen mit Parker den Torwärter in einen Verschlag, der als eine Art Wachhaus diente. Hier gab es ein Telefon, das wohl direkt mit dem Bungalow verbunden war. »Haben Sie gehört, Parker? Oben im Haus scheint man ein Fest zu feiern«, sagte Rander leise. »Hoffentlich in Anwesenheit einer gewissen jungen Dame«, er widerte Parker höflich. »Es wäre, um eine Spruchweisheit des Volkes zu zitieren, zu schön, um wahr zu sein.« * Sie kamen ungehindert über die Zufahrt hinauf zum Bungalow und erreichten einen Platz, auf dem einige teure amerikanische Wagen standen. Und sie hatten wenig später die Rückseite des Bungalows erreicht, eine Terrasse, von der eine Treppe in den Fels gehauen war und hinunter zum Wasser führte. 47
Orientalische Musik war jetzt deutlich zu hören. Sie kam aus dem Raum, dessen Türen und die bis zum Boden reichenden Fenster waren durch leichte Jalousetten dicht verschlossen. »Nicht gerade einladend«, meinte Rander leise. »Man sollte es auf dem Umweg über das Erdgeschoß versu chen«, schlug der Butler vor. »Wenn Sie erlauben, werde ich mich mit den Örtlichkeiten vertraut machen.« Rander erlaubte nur zu gern. Er blieb an der Hausecke stehen und sah seinem Butler nach, der steif und gemessen über eine kleinere Treppe an der Stirnsei te des Bungalows nach unten verschwand. Sein Ziel waren zwei Garagen mit hochgeklappten Toren. Parker hatte den richtigen Weg gewählt, wie sich schnell zeigte. Von den Garagen aus führte eine Tür in das eigentliche Haus, und zwar in einen Kellerkorridor, der vor einer Innentreppe endete. Diese. Innentreppe nahm Parker selbstverständlich und begab sich hinauf ins Wohngeschoß. Bald darauf erreichte er einen klei nen Flur, von dem aus man in die modern eingerichtete Küche des Hauses sehen konnte. Auf einem langen Wandtisch standen leere und noch gefüllte Sektflaschen, gab es Silberplatten mit erlesenen Delikatessen und Knabbereien aller Art. Die nasale Musik war jetzt laut und deutlich zu hören. Sie wurde manchmal überlagert von Lachen, Stimmengewirr und Gläserge klirr. Scheich Haleks Party schien auf vollen Touren zu laufen. Parker warf einen Blick auf die zweite Tür des Korridors. Seine Augen mußten sich erst an das gedämpfte Licht gewöhnen, das in dem großen, saalartigen Wohnraum herrschte. Parker entdeckte lässig-westlich gekleidete Araber, einige Europäer und dann auch einige Araber, die in kostbaren Burnussen steckten. Sie alle wa ren umgeben von jungen, sehr attraktiv aussehenden Frauen in tief dekolletierten Cocktail- oder Abendkleidern. Neben einem gemauerten Kamin hatte sich die kleine Musicka pelle aufgebaut. Sie bestand aus einheimischen Künstlern und begleitete gerade die Darbietung einer rentabel aussehenden Bauchtänzerin. Diese etwas füllig wirkende Dame, sie war vielleicht 20 Jahre alt, trug durchsichtige; knöchellange Hosen, darunter einen klei nen Slip, hatte einen Bolero an und sonst nichts. Ihre Kunst war atemberaubend, zumal sie gerade mit ihren Hüften kreiste und 48
zitterte. Parker ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen und tat etwas für seinen privaten Kunstsinn. Dabei ließ er die Araber keineswegs aus den Augen. Er konzentrierte sich auf einen etwas dicklichen, jungen Mann von etwa 30 Jahren, der wie ein großes Baby aussah. Er trug ei nen schneeweißen Burnus, der mit Goldfäden durchwirkt war. Um ihn herum gruppierten sich die Gäste. Das Riesenbaby hielt eine Art Hof und gab sich huldvoll. Er sprach mit einem westlich gekleideten Araber, der Parker den Rücken zudrehte. Als dieser Araber sich jetzt etwas zur Seite schob und sein Profil bot, erkannte Parker den Scheich Jelal el Amal. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Jelal el Amal, laut Glance durchaus ein potentieller Entführer von Gilda Glover, erhob sich und ging auf eine junge, weiße Frau zu, die nicht mehr ganz nüchtern war. Sie fiel Jelal el Amal um den Hals und wollte ihn unbedingt küssen. Womit der Scheich aber nicht sonderlich einverstanden war. Er lächelte höflich und versetzte der Frau einen leichten Stoß. Sie kickste animiert auf, stolperte, kam aus dem Gleichgewicht und fiel in die Arme eines Scheichs, der ein Original-Wüstenkostüm trug. Nach einer geheimen Orgie sah dies hier nicht aus, wie Parker längst festgestellt hatte. Schwüle Intimitäten gab es nicht. Es war eine aufgekratzte und angeheiterte Party wie jede andere. Von weißen Sklavinnen war weit und breit nichts zu sehen. Die weibli chen Gäste machten auf Parker einen ungemein willigen und ent gegenkommenden Eindruck. Zu weiteren Feststellungen kam es, allerdings nicht, denn die schwarze Melone wurde plötzlich tief in Parkers Stirn getrieben. Der Rand der Melone nahm ihm jede Sicht, und die Wucht des Schlages ließ den Butler prompt in die Knie gehen. Er schnaufte ein wenig, allerdings sehr diskret und verfiel dann in einen leich ten Schlaf. * Als Parker wieder zu sich kam, wunderte er sich leicht. Er befand sich nach dem Niederschlag keineswegs in einem en gen Verlies und war auch nicht gefesselt. Weiche Kissen stützten 49
ihn, und eine hilfreiche Hand reichte ihm einen Cognacschwenker, aus dem es ungemein verführerisch duftete. »Sie müssen sich verlaufen haben«, sagte eine ihm bekannte Stimme. Parker hob den Blick und erkannte Scheich Jalel el Amal, der ihm den Schwenker in die Hand drückte. Parker widerstand nicht länger und nahm einen diskreten Schluck. »Ich möchte mir erlauben, Ihnen meinen Dank auszusprechen«, sagte der Butler dann und richtete sich auf. Mit einem schnellen, umfassenden Blick hatte er festgestellt, daß er sich in der großen Wohnhalle befand. Der Saal allerdings hatte sich geleert. Die kleine Musik-kapelle war verschwunden, ebenfalls die männlichen und weiblichen Gäs te. Nur die Beleuchtung hatte sich noch nicht geändert. »Sind Sie hinter mir her?« fragte Scheich Amal lächelnd. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hinter Scheich Halek«, korrigierte der Butler gemessen. Er sah seine schwarze Melone und seinen Universal-Regenschirm neben sich zwischen den Kis sen, ein Anblick, der ihn beruhigte. »Sie sind hinter mir her…!?« Neben Scheich Amal tauchte das rosige Riesenbaby auf. Parker stellte bei der Gelegenheit fest, daß dieses Riesenbaby graue Augen hatte und ein energisches Kinn, was zu den weichen Gesichtszügen eigentlich nicht paßte. Er beg riff aber sofort, daß dieser Mann sehr gut wußte, was er wollte. »Scheich Omar ibn Halek?« fragte Parker und erhob sich ge messen. Als er auf seinen Beinen stand, deutete er eine knappe, aber sehr höfliche Verbeugung an. »Richtig«, sagte Scheich Halek. »Er hält Sie wohl auch für einen modernen Sklavenhändler«, ergänzte Scheich Amal lächelnd, »er scheint uns Araber für suspekt zu halten.« »Eine Generalisierung würde ich mir niemals erlauben«, wider sprach der Butler gemessen, »wenngleich ich zugeben und ein räumen möchte, daß Sie mir, Sir, als ein moderner Sklavenhänd ler geschildert wurden, der ahnungslose, junge Mädchen an ver schwiegene Harems vermittelt.« »Ich suche noch einen Hofnarren«, sagte Scheich Halek mit dunkler, sympathischer Stimme, die so gar nicht zu seinem Äuße ren paßte, »wollen Sie sich nicht um diesen Posten bewerben?« * 50
»Sie haben also eine Spur von Miß Glover gefunden?« fragte Mike Rander zehn Minuten später. Er war von Josuah Parker ins Haus geholt worden. Der Butler hatte sich davon überzeugt, daß eine friedliche Unterhaltung nicht schlecht sein konnte. Die beiden Scheichs Amal und Halek hatten ihn darum gebeten. Sie waren von der Voraussetzung ausgegangen, daß der Anwalt sich in der Nähe befand. Parker hatte sich wegen der schlafenden Torwache entschuldigt, aber Halek hatte dies kaum zur Kenntnis genommen. Ihm schien es um etwas anderes zu gehen. »Seit unserer ersten Begegnung habe ich verstärkt nach Miß Glover suchen lassen«, erwiderte Scheich Amal. »Es sieht so aus, als hätten wir tatsächlich eine Spur ausgemacht.« »Die in welche Richtung führt, Sir?« wollte der Butler wissen. »In Richtung Jemen«, sagte Amal, »man scheint Miß Glover tat sächlich in einen Harem verschleppt zu haben.« »Wer könnte dies veranlaßt haben?« Rander sah Scheich Amal aufmerksam an. Dann wechselte sein Blick hinüber zu Scheich Halek, der nur wie abwesend lächelte. »Die Einzelheiten spielen keine Rolle«, meinte Amal, »ich werde diese Spur auf jeden Fall aufnehmen.« »Kann man sich daran beteiligen?« erkundigte sich Mike Rander. »Trauen Sie mir?« Amal lächelte mokant. »Man könnte es ja mal versuchen.« »Es ist Ihr Risiko«, redete Scheich Amal weiter. »Auf welchem Weg wollen Sie sich in Richtung Jemen bewe gen?« Parker stellte die nächste Frage. Die Frage des Risikos schien ihn überhaupt nicht zu beschäftigen. »Mit meiner Privatmaschine. Eine Cessna.« »Ich werde Scheich Amal übrigens, begleiten«, schaltete sich Omar ibn Halek ein. »Demnach dürfte es in Richtung Abu Arisch gehen, nicht wahr?« »Donnerwetter, Sie haben sich aber schon gut informiert«, gab Halek lächelnd zurück. »Sie wissen, was mich an diesem Emirat interessiert?« »Die Rückeroberung des väterlichen Throns, wenn ich es so ba nal ausdrücken darf, Sir.« »Richtig«, bestätigte Halek sehr sparsam. 51
»Es muß sich um ein interessantes Emirat handeln«, tippte der Butler an. »Es gehört rechtmäßig mir«, sagte Scheich Halek, der Araber, der wie ein Riesenbaby aussah. »Wie gut ich Sie verstehen kann, Sir«, kommentierte Parker gemessen. »Dafür lohnt es sich schon, ein Vermögen aus zugeben.« »Wie – wie meinen Sie das, Parker?« Haleks graue Augen wur den scharf und wachsam. Er wirkte plötzlich nicht mehr wie ein Riesenbaby. »Neben dem Thron dürfte es doch sicher um Bodenschätze ge hen«, antwortete Parker trocken. »Ich darf in diesem Zusam menhang vielleicht von Gold, Silber, Schwefel, Eisen und mögli cherweise auch Erdöl sprechen!« Die beiden Scheichs sahen sich daraufhin schweigend, aber sehr intensiv an. Rander, der die beiden Männer beobachtete, erkann te sofort, daß sein Butler genau den Punkt getroffen hatte. Der Hinweis auf mögliche Bodenschätze saß im Schwarzen. »Wie kommen Sie auf Bodenschätze?« wollte Halek dann fast beiläufig wissen. »Eine naheliegende Kombination«, meinte Parker höflich, »darf ich um Entschuldigung bitten, falls ich Dinge andeutete, die nicht genannt werden sollten?« »Legen wir unsere Karten auf den Tisch«, sagte Jelal el Amal nach einigen Sekunden des Schweigens. Dazu nickte der Scheich Halek zu. »Es geht unter anderem tatsächlich um Bodenschätze, die zumindest im Emirat Abu Arisch vermutet werden. Darum haben Scheich Halek und ich uns auch zusammengetan. Ich, um das gleich klarzustellen, bin an diesem Unternehmen mit einem bestimmten Prozentsatz beteiligt und werde meinen Freund un terstützen.« »Dennoch nehmen Sie sich Zeit, Sir, sich um Miß Glover zu kümmern?«, freute sich Parker. »Einen Menschen, den man schätzt, läßt man nie im Stich«, gab Scheich Amal zurück. »Sie können also mitfliegen«, schaltete sich Omar ibn Halek i ronisch ein, »das heißt, falls Sie Mut haben. Die Reise geht ins Mittelalter, um dies gleich vorwegzunehmen.« »Dieser Abschnitt unserer Geschichte hat meine bescheidene Wenigkeit schon immer ungemein interessiert«, sagte Parker höf 52
lich. »Und mich erst«, schloß Rander entschlossen. »Wann soll’s los gehen?« * Mike Rander fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut, als die Cessna vom Rollfeld abhob. Das hing nicht mit dem Start zusammen. Gegen die Fliegerei hatte der Anwalt noch nie etwas einzuwenden gehabt. Was ihm Sorgen machte, war der mehr als hastige Aufbruch, zu dem man Parker und ihn überredet hatte. Nach der Unterhaltung mit den beiden Scheichs waren sie gleich zum Flugplatz gefahren. Halek hatte behauptet, die Party sei eine Abschiedsparty gewesen. Er hatte weiter behauptet, der Flug sei noch in dieser Nacht geplant gewesen. Rander und Parker hatten also keine Gelegenheit gehabt, sich zumindest mit Norman Glance in Verbindung zu setzen, oder im Hotel eine Nachricht zu hinterlassen. Sie waren geschickt und wie zufällig von allen Kommunikationsmöglichkeiten abgeschnitten worden. Und jetzt befanden sie sich also in der Cessna und waren dem Piloten ausgeliefert, der allerdings einen durchaus zuverläs sigen Eindruck machte. Außer Rander und Parker befanden sich in der Maschine noch Scheich Halek und Scheich Amal. »Wie lange werden wir brauchen?« erkundigte sich Rander bei Halek, der sich verwandelt zu haben schien. Das Riesenbaby war einfach nicht mehr vorhanden. Scheich Halek wirkte gestrafft, konzentriert und energisch. »Es wird ein langer Flug werden«, sagte Halek, »wir werden erst in der kommenden Nacht runtergehen und zwar in der Nähe meines Hauptquartiers. Wir werden unterwegs ein paarmal auf tanken müssen.« »Und welche Route nehmen Sie, Sir?« schaltete der Butler sich ein. »Es geht über Dschidda, dann immer östlich des Roten Mee res«, erklärte Halek. »Auftanken werden wir auf kleinen Flugplät zen.« »Sind irgendwelche Zwischenfälle zu erwarten?« wollte Rander weiter wissen. »Kaum«, sagte Halek, »es sei denn, wir geraten in 53
einen Sandsturm, schmieren ab oder werden später in der Nähe des Jemen von Düsenjägern erwischt.« »Herrliche Aussichten«, kommentierte der Anwalt und sah sei nen Butler kurz an, der den Flug allerdings zu genießen schien. Parker saß stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, auf seinem Sitz und schaute nach unten auf die unendliche Weite. Bei dieser Gelegenheit entdeckte Rander zu seiner grenzenlosen Überraschung, daß die beiden Scheichs in ihren Sitzen auf Fall schirmen saßen. Dies ließ ihn stutzig werden, wie Parker es vielleicht ausge drückt hätte. * Der Flug verlief eintönig. Stunde um Stunde spulte die Cessna ab und erwies sich als zu verlässige Maschine. Die beiden Scheichs hatten sich in beharrli ches Schweigen gehüllt und waren kaum ansprechbar. Rander schlief immer wieder kurz ein, um dann hochzuschrecken. Sie befanden sich über einem wüsten und öden Land. Unter ihnen gab es nichts als Sand. Geröllebenen und hin und wieder fern an der Küste kleinere Orte, die sie aber nicht anflogen. Sie hatten zwischendurch zweimal aufgetankt und näherten sich langsam der Staatsgrenze des Jemen. Es war später Nachmittag geworden, und in einer guten Stunde mußte es dunkel werden. Die beiden Scheichs wollten im Schutz der Dunkelheit irgendwo auf einem geheimen Flugfeld niedergehen. Sie hatten sich nicht dazu geäußert, wo dieser Flugplatz war. Rander schrak aus seinen Gedanken hoch, als der Motor der Cessna plötzlich zu husten begann. Er war sofort hellwach und sah die beiden Scheichs an, die allerdings einen völlig unbeteilig ten Eindruck machten. Entweder hatten sie nichts gehört, oder aber die fühlten sich in der Hand Allahs derart wohl, daß sie nichts erschüttern konnte. Der Motor spuckte, und der Pilot kam in Bewegung. Seine rech te Hand glitt schnell und prüfend über die Armaturen und beweg te Hebel und drückte Knöpfe. Dann wandte er sich zu seinen beiden Scheichs und rief ihnen etwas zu. 54
Jelal el Amal nickte und legte sich wie selbstverständlich die Gurte seines Fallschirms um. Omar ibn Halek folgte seinem Bei spiel und vermied es, Rander oder Parker anzublicken. »Gibt es Schwierigkeiten?« erkundigte sich der Anwalt unnöti gerweise. »Irgendeine Vergasergeschichte«, sagte Scheich Halek. »Was wird, wenn der Motor nicht mehr mitspielt?« »Wir alle sind in Allahs Hand«, bekundete Scheich Amal seelen ruhig. »Und sicher in den Gurten der Fallschirme«, warf Rander leicht nervös ein, »hoffentlich haben Sie noch zwei zusätzliche Schirme an Bord.« »Tut mir leid«, schaltete sich Halek achselzuckend ein. »Mister Rander und meiner Wenigkeit ebenfalls«, warf der But ler höflich ein, »zumal ich aus Gründen der Gleichberechtigung so frei war, die Gurte durchzuschneiden, als sie vor dem Start noch mal kurz die Maschine verließen.« * »Wie bitte?« Omar ibn Halek setzte sich ruckartig auf und starr te den Butler ungläubig an. »Eine reine Vorsichtsmaßnahme, um diesen Flug zu einem gu ten Ende für uns alle zu bringen«, antwortete Parker gemessen. Scheich Halek stieß seinen Partner an, der plötzlich lauthals los lachte. »So etwas Ähnliches hatte ich erwartet«, sagte Amal dann und lachte erneut los, »aber auf die Fallschirmgurte wäre ich aller dings nicht gekommen!« Halek prüfte mit fliegenden Händen die Fallschirmgurte und mußte feststellen, daß der Butler nicht gelogen hatte. »Sind Sie wahnsinnig?« brüllte er daraufhin den Butler gereizt an. »Was ist, wenn die Kiste jetzt abschmiert.« »Wie sagten Sie so treffend? Wir alle befinden uns in Allahs Hand«, gab der Butler zurück, während es dem Anwalt eiskalt über den Rücken lief. »Nicht schlecht«, reagierte Amal und nickte dem Butler aner kennend zu. »Sie sind noch gerissener, als ich dachte.« »Sie überschätzen meine bescheidene Person«, gab Parker höf 55
lich zurück, um dann wieder auf den Motor zu hören. Scheich Halek hatte dem Piloten einen wütenden Schwall von Worten zugerufen. Daraufhin schien der Motor sich wieder etwas zu beruhigen. Sein Husten und Spucken legte sich deutlich. Amal grinste und zündete sich eine Zigarette an. Er lehnte sich entspannt im Sitz zurück. »Ich würde Sie liebend gern engagieren«, sagte, er dann zu Parker, »ich biete Ihnen das Dreifache von dem, was Mister Rander Ihnen zur Zeit zahlt.« »Ihre große Chance, Parker.«, Rander nickte seinem Butler iro nisch zu. »Ich werde mir dieses Angebot zu einem späteren Zeitpunkt durch den Kopf gehen lassen«, erwiderte der Butler zurückhal tend. »Ich werde Sie daran erinnern.« Scheich Amal nahm den Kopf herum und horchte jetzt wie die übrigen Insassen auf den Motor, der plötzlich einen echten Aussetzer hatte. »Er wird die Maschine nicht halten können«, rief Omar ibn Halek nervös. »Platz für eine Notlandung dürfte ausreichend vorhanden sein«, antwortete der Butler, »der Pilot sollte sich aber rechtzeitig und früh genug entscheiden.« Der Motor röhrte wieder auf und lief für einige Sekunden regel mäßig. Dann spuckte und hustete er wieder penetrant. Scheich Halek geriet daraufhin in eine mittelschwere Panik und packte sich den nutzlosen Fallschirm auf die Knie. Er zerrte und zupfte an den durchschnittenen Gurten und starrte den Butler dann in tödlicher Gereiztheit an. »Das werde ich Ihnen nicht vergessen«, stieß er anschließend durch die zusammengepreßten Zähne hervor. Jelal el Amal lachte lautlos, Angst schien er nicht zu haben. * Sie standen neben der intakten Maschine und kamen sich auf der kleinen Hochebene ziemlich verloren vor. Die Notlandung war erstklassig gemacht worden, der Pilot konnte sich darauf etwas einbilden. Halek hatte sich etwas abseits von Rander, Parker und Scheich Amal aufgebaut. Er haderte wohl mit seinem Schicksal. 56
Jelal el Amal rauchte eine Zigarette und wirkte völlig gelassen. Er nickte dem Piloten zu, der die Karte studiert hatte und jetzt auf ihn zukam. »Wir stehen dicht vor der Staatsgrenze«, sagte Amal dann zu Rander und Parker, nachdem er sich hatte Bericht erstatten las sen. »Die ganze Geschichte ist kein Beinbruch. Wir werden eine halbe Nacht Fußmarsch brauchen, bis wir das Hauptquartier er reicht haben.« Der Pilot ging zurück zur Maschine und bastelte an dem Motor. Die Sonne stand bereits sehr tief. Innerhalb der nächsten halben Stunde mußte sie untergehen. »Scheich Halek scheint zu schmollen«, sagte Rander zu Amal. »Scheut er nur den Fußmarsch?« »Es sind die Fallschirme«, behauptete Scheich Amal. »Er be trachtete diese Chose als eine persönliche Beleidigung. Nehmen Sie sich vor ihm in acht!« »Könnte man nicht Funkkontakt mit Haleks Hauptquartier auf nehmen?«, fragte Parker, »und dann vielleicht einen Jeep auf die Reise schicken.« »Gute Idee«, meinte Scheich Amal, »wenn’s sich eben einrich ten läßt, möchte ich einen Fußmarsch vermeiden.« Er nickte Par ker und dem Anwalt zu und ging dann hinüber zu dem Piloten. »Dieses Abenteuer hätten wir uns sparen können«, sagte Rander zu seinem Butler. »Blödsinn, daß wir uns darauf eingelassen haben.« »Dies, Sir, wird sich erst noch erweisen müssen«, erwiderte der Butler, »ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß wir Miß Glover sehen werden.« »Sie Optimist«, unkte Rander. »Wenn wir nicht höllisch aufpas sen, werden wir völlig ausgetrickst. Ich traue den beiden Scheichs nicht. Sie haben uns nur hierher in die Wüste gelockt, um uns für immer loszuwerden.« »Funkkontakt«, rief in diesem Augenblick Scheich Amal von der Maschine her. Rander und Parker gingen hinüber zur Cessna. Scheich Halek schmollte weiter vor sich hin und stierte Löcher in den steinigen Wüstenboden. * 57
»Der Jeep müßte in spätestens einer halben Stunde hier sein«, sagte Scheich Amal beruhigend zu seinem Partner Halek. »In zwei Stunden werden Sie in Ihrem Hauptquartier sein.« Parker wartete die Antwort von Halek nicht ab, sondern ging zu rück zu seinem jungen Herrn, der es sich auf einem Felsklotz be quem gemacht hatte. »Was halten Sie von der ganzen Sache?« fragte er Parker. »Mein an sich meist sicheres Gefühl, Sir, teilte mir mit, daß das in der Luft liegt, was man gemeinhin und im Volksmund dicke Luft nennt.« »Fühle ich ebenfalls«, sagte Rander leise. »Die beiden Scheichs benehmen sich irgendwie eigenartig. Halek ist nervös und gereizt, Amal scheint sich zu amüsieren.« »Er scheint sich seiner sehr sicher zu sein.« »Welcher Sache?« »Daß seine Rechnung aufgeht, Sir! Ich war so frei, mir heimlich die Flugkarte anzusehen. Meiner bescheidenen Ansicht nach dürf ten wir uns bereits sehr dicht bei Abu Arisch befinden.« »Auf jemenitischem Gebiet bereits?« »Dies, Sir, könnte durchaus sein.« »Dann säße Halek aber ganz schon in der Tinte. Da darf er sich doch auf keinen Fall sehen lassen.« »In der Tat, Sir!« »Glauben Sie, daß der Pilot gelogen hat? Seinen Angaben zufol ge, befinden wir uns doch noch vor der Staatsgrenze.« »Manche Menschen, Sir, sind käuflich.« »Dann sollten wir uns aber sehr vorsehen«, gab Rander leise zurück, »ich habe keine Lust, in einem jemenitischen Gefängnis zu landen. Haben Sie sich bereits was einfallen lassen?« »Man sollte sich vielleicht ein wenig in die Dunkelheit…« »Moment mal«, unterbrach Rander seinen Butler und hob lau schend den Kopf. »Ist das nicht Motorengeräusch?« Er hatte sich nicht getäuscht. Der Pilot und die beiden Scheichs waren ebenfalls aufmerksam geworden. Sie verließen die Maschine und gingen in die Dunkel heit hinaus, dem Geräusch entgegen. Nach wenigen Minuten war bereits weit draußen in der Wüste das Lichterpaar eines Wagens zu sehen. Rander und Parker waren diesem Wagen nicht entgegen gegan 58
gen. Sie standen seitlich neben einigen Felsklötzen und warteten auf das, was sich eventuell ereignen würde. * Fünf Minuten später war die Nacht nicht mehr ruhig und fried lich. Aus den Mündungen einiger Maschinenpistolen ratterten Bleigarben durch die Dunkelheit. Rander und Parker gingen hinter den Felsklötzen vorsichtshalber in Deckung. Von ihrem Platz aus sahen sie im Licht der Autoscheinwerfer, daß der Pilot getroffen wurde. Er sackte in sich zusammen und blieb regungslos liegen. Die beiden Scheichs rannten zurück in Richtung Flugzeug. Dabei erwies sich Scheich Amal als erstklassiger Sportsmann. Er zick zackte in geduckter Haltung über den Boden und verschwand hinter einer kleinen Geröllerhebung. Scheich Halek war nicht so trainiert. Möglicherweise war er auch in Panik geraten, denn er lief keu chend und in direkter Richtung auf die Cessna zu, ein erstklassi ges Ziel für die Geschoßgarben. Er hielt nicht lange durch. Plötzlich schien ihn eine schwere, unsichtbare Hand getroffen zu habe. Halek warf die Arme haltsuchend hoch in die Luft, stolper te, ging zu Boden, überschlug sich und blieb darin regungslos liegen. »Die im Jeep müssen doch Bescheid gewußt haben«, sagte Rander erregt und leise zu seinem Butler. »Es scheint sich um jemenitisches Militär zu handeln, Sir«, gab der Butler leise zu rück. »Das jetzt auch nach uns suchen wird!« »Mit Sicherheit, Sir. Der Pilot scheint alle wichtigen Einzelheiten per Funk durchgegeben zu haben.« Parker hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als Scheich Amals Stimme zu hören war, laut und energisch. »Mister Rander – Mister Parker! Lassen Sie das Versteckspiel. Kommen Sie zur Maschine! Heben Sie die Arme. Ich gebe Ihnen genau eine Minute Zeit, sonst lasse ich Sie suchen!« »Der wirkliche Chef des Kommandos«, sagte Rander und nickte 59
grimmig, »der Bursche scheint ein doppeltes Spiel getrieben zu haben. Was sollen wir tun?« »Darf ich ein gewisses Abwarten vorschlagen, Sir?« Parker beugte sich etwas vor und schloß die Augen. Was er gerade noch hatte sehen können, war bestürzend. Zwei Uniformierte – im Licht der Autoscheinwerfer waren sie deutlich zu erkennen – hat ten aus nächster Nähe auf Scheich Halek geschossen. Das war zusätzlicher, glatter Mord. Jelal el Amal stand seitlich neben der Leiche und zündete sich wieder eine Zigarette an. Er rief den Soldaten – es handelte sich um sechs Uniformierte – in arabischer Sprache einige Befehle zu. Daraufhin schwärmten sie aus und begannen mit der Suche nach Rander und Parker. »Jetzt wird’s aber verdammt kritisch«, flüsterte Rander, »sollen wir das Feuer eröffnen?« Er hatte seinen 38er schußbereit in der Hand und schaute Par ker, der seinen Universal-Regenschirm gefechtsklar machte. Angst hatte Rander nicht. In der Vergangenheit waren, er und Parker schon mit mehr Gegnern fertig geworden. Sie waren ein erstklassig eingespieltes Team. »Die Minute ist um«, war Scheich Amals Stimme wieder zu hö ren, »ich gebe noch zehn Sekunden zu! Entscheiden Sie sich!« Statt zu antworten, verschoß der Butler seinen ersten Blasrohr pfeil. Er zischte fast lautlos aus dem Schirmstock und bohrte sich in den Oberschenkel eines Uniformierten, der ihrem Versteck nahe gekommen war. Der Mann in seiner Kakiuniform schrie entsetzt auf, faßte nach dem Blasrohrpfeil, schüttelte sich vor Angst und Grauen, warf seine Maschinenpistole weg und rannte dann zurück zu Scheich Amal. Unterwegs aber verließen ihn bereits die Kräfte. Er torkelte wie ein Betrunkener und schrammte dann mit einer klassischen Bauchlandung über den Boden, bis er regungslos lie genblieb. * Jelal el Amal vermied daraufhin jedes weitere Risiko. 60
Nach einigen Befehlen in arabischer Sprache zogen die restli chen Uniformierten sich zurück und verschwanden in der Dunkel heit. Das Scheinwerferlicht des Jeeps wurde abgeschaltet. »Ziehen wir uns weiter zurück?« fragte Rander leise seinen But ler. »Man sollte vielleicht noch etwas abwarten, Sir.« Parker schob seinen Kopf über die Deckung und versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Was sich als unmöglich erwies, wie sich schnell zeigte. Nur der nahe Schatten der Cessna war auszuma chen, mehr nicht. Wo die Uniformierten und Scheich Amal sich befanden, blieb völlig unklar. Bis wieder Motorengeräusch zu hören war. Der Motor des Jeeps war angelassen worden. Das Geräusch ent fernte sich. Wenig später flammten wieder die Lichter des Wa gens auf. Sie deuteten in die Richtung, aus der der Jeep gekom men war. »Glauben Sie wirklich, daß die verschwinden wollen?« wunderte sich Rander. »Auf keinen Fall, Sir! Es scheint sich nach Lage der Dinge um ein Ablenkungsmanöver zu handeln«, gab der Butler zurück. »Scheich Amal will es wohl mit einer Kriegslist versuchen.« Parker traf den Nagel genau auf den Kopf. Der Wagen war verschwunden und auch nicht mehr zu hören. Er schien in einer Bodensenke verschwunden zu sein. »Wollen wir nach Scheich Halek und dem Piloten sehen?« schlug Rander seinem Butler vor. »Davon, Sir, würde ich abraten«, sagte Parker, »man könnte Scheich Amal mit einer Kriegslist antworten.« Während Parker noch redete, nahm er einen geeigneten Stein hoch, wog ihn in der Hand und schleuderte ihn dann in die Rich tung, in der die beiden Toten sich befinden mußten. Der Stein war gerade aufgeschlagen, als aus einigen Maschi nenpistolen ein fast wütendes Feuer eröffnet wurde. Die Ge schoßgarben konzentrierten sich auf den Punkt, wo der Stein jetzt liegen mußte. Jelal el Amals List war einfach, wie sich damit zeigte. Er hatte den leeren Wagen zurückgeschickt und eine Abset zungsbewegung vorgetäuscht. In Wirklichkeit war er mit seinen Leuten am Tatort geblieben und hatte darauf gewartet, daß Rander und Parker ihre Deckung verließen. 61
»Könnten Sie, Sir, inzwischen weitere Steine schleudern?« frag te Parker bei seinem jungen Herrn an. »Ich würde gern hinüber zum Flugzeug geben.« »Was haben Sie vor?« »Das Funkgerät, Sir, erregt nach wie vor meine Aufmerksam keit.« »Lassen Sie sich bloß nicht erwischen!« Rander nickte seinem Butler zu und beförderte anschließend ein gutes Dutzend Steine durch die Luft. Jeder Aufprall wurde mit heftigem Maschinenpisto lenfeuer quittiert. Scheich Amals Leute schienen recht nervös zu sein. Rander zuckte zusammen, als plötzlich eine besondere Detona tion zu hören war. Er warf sich herum und sah hinüber zum Flugzeug. Die Cessna war zu diesem Zeitpunkt bereits kein Flugzeug mehr. Sie war nur noch ein wirrer Trümmerhaufen, eingehüllt in Feuer, Rauch und Qualm. Sie war offensichtlich absichtlich in Brand geschossen worden. Der Tank war in die Luft geflogen und hatte die Cessna auseinan dergerissen. Rander dachte natürlich an seinen Butler. Hatte es ihn erwischt? War er bereits in der Maschine gewesen? Rander hielt es nicht länger hinter seiner Deckung. Er hatte nur das Bestreben, seinem Butler zu helfen. Vielleicht konnte er noch etwas für ihn tun. Der Anwalt rannte in geduckter Haltung auf die brennenden Trümmer zu und spürte plötzlich zu seinem Entsetzen, daß sein linker Fuß von einem hartnäckigen Gegenstand festgehalten wur de. Rander stolperte, wirbelte durch die Luft und landete auf dem steinigen Boden. Als er sich hochrappelte und seinen Angreifer angehen wollte, verspürte er einen derben Schlag im Genick und wurde kurzfristig besinnungslos. * »Ich möchte Sie in aller Form und respektvoll um Entschuldi gung bitten«, hörte Rander die Stimme seines Butlers, als er wie der zu sich kam. »Parker!?« Rander richtete sich ächzend auf und faßte nach sei 62
nem Genick, »Ich mußte Ihren Elan zu meinem ehrlichen Leidwe sen mit dem Griff meines Regenschirms stoppen«, erläuterte der Butler, »darf ich hoffen, daß Sie mir noch mal vergeben werden?« »Der Genickfangschlag stammte natürlich ebenfalls von Ihnen, oder?« »Auch dies ließ sich nicht vermeiden, Sir. Sonst wären die Uni formierten, die sich in der Nähe befanden, auf Sie und meine We nigkeit aufmerksam geworden.« »Sie sind ein ungemein liebenswürdiger Mitarbeiter«, stellte Rander fest. »Wie sieht’s inzwischen aus?« »Vor meinem Eintreffen an der Maschine explodierte sie leider«, berichtete Parker gemessen und würdevoll, als hielte er sich im Studio seines jungen Herrn auf. »Scheich Amal läßt nach wie vor nach Ihnen und mir suchen.« »Sie haben mich hierher getragen?« wunderte sich Rander. Erst jetzt merkte er, wie weit sie von der brennenden Cessna entfernt waren. »Falls Sie in der Lage sind, Sir, sich wieder zu erheben, sollten wir den Marsch fortsetzen«, meinte Parker, »mit etwas Glück er reicht man vielleicht den Jeep.« »Sie Optimist«, meinte der Anwalt skeptisch, »die Nadel im Heuhaufen findet sich leichter. Wie wollen wir uns orientieren? Scheint ja noch dunkler geworden zu sein.« Er folgte auf leicht wackligen Beinen seinem Butler, der die Spitze übernommen hatte. Sie befanden sich nach wie vor auf steinigem, festem Boden und kamen gut voran. Weit hinter sich hörten sie das nervöse Schießen der Uniformierten, die vermeint liche Ziele unter Dauerfeuer nahmen. Scheich Amal hatte sicher die Order gegeben, alles niederzumachen, was sich nur rührte. Rander, immer noch etwas unsicher auf den Beinen, prallte plötzlich gegen Parker, der stehengeblieben war. »Der Jeep, Sir«, sagte Parker und wies höflich mit der Spitze seines Regenschirms auf einen undeutlichen Schatten, der in ei nem Wadi vor ihnen stand. Der Fahrer am Steuer zündete sich gerade eine Zigarette an und sorgte damit ungewollt dafür, daß Parker sich genau orientieren konnte. *
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»Amal wird schäumen vor Wut«, sagte Rander zufrieden. Er saß neben Parker, der das Steuer des Jeeps übernommen hatte. Rander bewachte den Fahrer des Wagens, der auf dem Rücksitz des Jeeps festgebunden worden war. »Ein gewisser zeitlicher Vorsprung dürfte auf jeden Fall gesi chert sein«, stellte Parker fest. Er hielt sich an deutliche Reifen spuren, die auf eine Art Piste zu sehen waren. Sie führten in süd westliche Richtung, wahrscheinlich auf die Stadt Abu Arisch zu. Sie waren schon seit etwa einer halben Stunde unterwegs. Nach Parkers Schätzung näherten sie sich jetzt der Wüstenstadt, deren Namen ihnen überhaupt nichts sagte. Vielleicht handelte es sich nur um einen kleinen Marktflecken, vielleicht sahen sie sich aber auch bald einer geheimnisvollen Stadt gegenüber, die aus einem orientalischen Märchen stammte. Mit dem Uniformierten waren sie nicht ins Gespräch gekommen. Der Mann, der Militärkleidung trug, sprach nur arabisch. Er wurde von Minute zu Minute nervöser, wie Rander deutlich feststellte. Hatte der Mann. Angst, später in Abu Arisch zur Rechenschaft gezogen zu werden? »Abu Arisch, Sir…!« Parker trat sanft auf die Bremse und deute te hinüber auf einige Lichter, die durch die Dunkelheit schimmer ten. Er fuhr langsam wieder an. Sie pirschten sich förmlich an die Stadt heran und entdeckten bald darauf meterhohe Mauern aus Lehm, die eine Art Stadtbefestigung bildeten. Die Piste, auf der sie sich befanden, führte auf ein schmales, hohes Tor zu, das ge schlossen war. »Sieht aber gar nicht gut aus«, stellte Rander fest, »wie sollen wir da ’reinkommen?« »Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich ein einfaches Verfahren anwenden«, erwiderte Parker. »Und das wäre?« »Ich bin der Ansicht, Sir, daß man höflich klopfen sollte.« * Parker hämmerte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms gegen die schweren Bohlen des Stadt tors. Er mußte etwa eine Minute warten, bis sich eine Pforte im rechten Torflügel öffnete. 64
Ein Uniformierter schob seinen Kopf durch den Spalt und kniff ungläubig die Augen zusammen, um sie dann allerdings wieder weit und entsetzt zu öffnen. Was – offen gestanden – vollkommen zu verstehen war. Der rauhe Wüstensohn sah sich einer Entscheidung gegenüber, die er in seinem Leben noch nie gesehen hatte. Es handelte sich um einen schwarz gekleideten Mann, dessen Hals ein weißer Eck kragen mit schwarzer Krawatte zierte. Dieser Mann lüftete jetzt höflich eine halbeiförmige Kopfbedeckung und deutete eine knap pe Verbeugung an. Gleichzeitig schwang die Hand dieses Mannes vor und legte die Wölbung der seltsamen Kopfbedeckung auf die Stirn des Uniformträgers. Da Parkers Melone – um sie handelte es sich natürlich – mit Stahlblech gefüttert war, ging der Torwächter in die Knie, litt sichtlich unter einigen Atemschwierigkeiten und rollte sich Sekun den später müde, aber durchaus zufrieden auf dem Boden zu sammen. Parker wandte sich höflich zu seinem jungen Herrn um, der seit lich an der Mauer Posten bezogen hatte. »Einer Stadtbesichtigung dürfte im Augenblick nichts mehr im Weg stehen«, sagte Parker einladend, »einen Moment noch bitte!« Zur Abwechslung schlug Parker diesmal mit dem bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirms zu. Ein zweiter Torpfosten verdrehte daraufhin die Augen und geseilte sich zu seinem Freund auf dem Boden. Dann trat Parker höflich zur Seite und ließ Mike Rander in die Stadt eintreten. Sie interessierten sich selbstverständlich erst mal für die Wachstube, die sich noch innerhalb des großen Torbogens be fand. Hier entdeckten sie zu ihrem Vergnügen einige weiß-graue Burnusse, die an Wandhaken hingen. Drei Minuten, nachdem sie in der Wachstube verschwunden wa ren, traten zwei Gestalten zurück in den Torbogen, die stilecht arabisch eingehüllt waren. Sie machten Sie auf den Weg zu einer intensiven Stadtbesichtigung. Parkers Neugier war wieder mal riesengroß. * Die Licht- und Sichtverhältnisse hatten sich innerhalb der ver 65
gangenen dreißig Minuten erheblich verbessert. Der Mond war hinter langen Wolkenbänken aufgetaucht, und die Stadt war er staunlich gut erkennbar. Rander und Parker staunten nicht schlecht, als sie sich diese Wüstenmetropole aus der Nähe be trachten konnten. Sie befanden sich am Fuß einer Bergkette, die völlig ohne Be wuchs zu sein schien. Und es gab hier erstaunlich viele zwei und dreistöckige Häuser aus Lehm, alle mit Flachdächern versehen. Treppengassen, Balkons mit reichem Schnitzwerk und dann wie der Gassen- und Straßenpassagen erinnerten an lange Gewölbe. Das alles war in dem Stadtteil, in dem sie sich befanden, aus gel bem Lehm erbaut. Diese Farbe und ein Kalkweiß bildeten die Kon traste. Die an sich engen Straßen waren menschenleer, wogegen Rander und Parker durchaus nichts einzuwenden hatten. Bevor es hell wurde, wollten und mußten, sie sich einen geeigneten Unter schlupf gesucht haben. »Scheint sich hier um die Altstadt zu handeln«, sagte Rander zu seinem Butler. »In der Tat, Sir«, erwiderte Parker, »die Paläste könnten sich meiner bescheidenen Ansicht nach auf den Hängen befinden. Viel leicht sollte man dort hin seine Schritte lenken.« Parkers Vermutung erwies sich als vollkommen richtig. Sie wählten eine steil ansteigende Treppengasse und standen dann unvermittelt vor einer hohen Mauer aus Lehmziegeln. Diese Mau er schien einen Palast zu umschließen. »Hören Sie!« Rander hob warnend den Arm. »Musik. Hinter der Mauer scheint man eine Party zu feiern.« Parker nickte und lauschte auf die orientalischen Klänge, die deutlich zu hören waren. Vielleicht gab es jenseits dieser hohen Mauer das Versteck, das sie so dringend benötigten. Die beiden Torposten würden früher oder später Alarm schlagen. Bis dahin mußten er und sein junger Herr von den Gassen und Straßen ver schwunden sein. Sie schritten an der Mauer entlang und passierten dabei ein größeres Tor, das fest verschlossen war. Bald darauf erreichten sie ein zweites Tor, für dessen Schloß Parker sich interessierte. Rander drehte seinem Butler den Rücken zu und beobachtete die Gasse, durch die sie gekommen waren. Plötzlich stutzte er. 66
Zwei Gestalten, ebenfalls in weiße Burnusse gehüllt, kamen aus dieser Gasse direkt auf sie zu. Rander ließ sich auf die Hacken nieder und zog die Kapuze sei nes Burnus über den Kopf. Parker, den er kurz gewarnt hatte, hockte sich neben den Anwalt. Die beiden Wüstensöhne kamen näher. Sie entpuppten sich als eine Art Nachtwächter. Sie trugen mo derne Maschinenpistolen und machten einen recht kriegerischen Eindruck. Sie übersahen Rander und Parker, bis sie die beiden erreicht hatten. Dann traten sie verächtlich nach ihnen, stießen einen arabischen Wortschwall aus und verscheuchten das Duo von der Mauer. Rander und Parker blieben in ihrer Rolle. Demütig geduckt, unverständliche Worte murmelnd, zogen sie sich in eine Gasse zurück, um dann den beiden Nachtwächtern nachzusehen, die die Mauer weiter abschritten. Augenscheinlich hatten die beiden Wüstensöhne nichts gemerkt. Parkier ging zurück zur Pforte und winkte Rander zu sich heran. »Wenn ich bitten darf, Sir.« Er trat höflich zur Seite und ließ Rander durch die Pforte treten. Er selbst schlüpfte nach und schloß ab. Sie befanden sich in einem stufenförmig angelegten Garten, der üppiges Wachstum verriet. Und sehr viel Pflege. Schmale Wege, bedeckt mit Steinplatten, führten durch einen geschickt angeleg ten Garten, in dem es betörend nach Blüten roch. Parker und Rander benutzten den schmalen Weg, der hinauf zu einer Art Palast führte, der ein flachgedecktes Obergeschoß be saß. Von diesem Palast her war die Musik zu hören. Erst als sie eine Terrasse erreicht hatten, konnten, sie diesen Palast näher in Augenschein, nehmen. Eine Fensterreihe im Erd geschoß war matt erhellt. Von dort her kam auch die wimmernde Musik. Von der Terrasse aus konnte man über die Stadt sehen. Sie war wesentlich größer, als Rander und Parker sich vorgestellt hatten. In östlicher Richtung waren jetzt einige moderne Hochhäuser aus Beton und Glas zu sehen. Sie waren zwischen vier und sechs Stockwerke hoch. Hinter diesen Wohnsilos mußte es eine Art Flugplatz, geben. Man sah einen Tower, der irgendwie an ein Mi narett erinnerte und ein langgestrecktes Abfertigungsgebäude. Den Hintergrund füllten einige Hangars aus, doch Einzelheiten 67
waren nicht auszumachen. »Diesen Flugplatz sollte man sich tunlichst merken, Sir«, sagte Parker. »Und ob!« Rander nickte. »Ich frage mich nämlich die ganze Zeit über, wie wir wieder wegkommen. Ich habe keine Lust, hier Wurzeln zu schlagen. Glauben Sie übrigens immer noch, daß Miß Glover sich hier in der Stadt befindet?« Statt zu antworten, deutete Parker nach rechts und blieb unbe weglich stehen. Rander tat es ihm sofort nach, als er in die Richtung blickte, die Parker ihm gezeigt hatte. Und dies hing mit den beiden Geparden zusammen, die sich langsam und nach Katzenart vorsichtig an sie heranpirschten. Die beiden netten Tiere machten auf Rander einen ausgesprochen hungrigen Eindruck. * Parker ließ sich erst gar nicht auf Zähmungs- oder Vermitt lungsversuche ein. Er griff verstohlen nach seiner Weste und zog aus einer der vie len Taschen eine Art Parfümzerstäuber. Er war nicht größer als jene Spraydosen, wie man sie in Handtaschen von Damen findet. Parker ließ die beiden Geparden näher herankommen. Er blieb jetzt regungslos stehen wie sein junger Herr. Er wollte die großen Katzen nicht unnötig reizen. Sie waren übrigens leicht irritiert und zeigten es auch. Ihre Na ckenhaare sträubten sich und richteten sich zu einem Kamm auf. Sie witterten völlig fremde Gerüche und waren ungemein vorsich tig. Was ihnen jedoch nichts half, denn Parker nutzte seinen technischen Vorteil hemmungslos aus. Die beiden Großkatzen waren innerhalb von Sekunden nicht mehr aktionsfähig. Parker hatte jedem Gepard eine ordentliche Dosis Klebespray in die Augen gespritzt. Dieser Spray war ver setzt mit einem an sich harmlosen Reizmittel, das die Tränendrü sen zur Intensivproduktion anregte. Die beiden Geparden maunzten, setzten sich auf ihre Hinterläu fe und begannen mit dem Hausputz ihrer verklebten Augen. Das Interesse an den beiden Fremden hatten sie bereits völlig verges 68
sen. »Irgendwann werde ich Sie für einen Orden vorschlagen«, meinte Rander erleichtert, »nichts wie weg! Ich kann mir kaum vorstellen, daß die beiden Kätzchen allein durch die Gegend streunen.« Rander hatte damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Parker zog ihn ohne jede Vorwarnung hinter einen dichten Strauch und deutete dann auf einen Schrank von einem Mann, der hinter einer hüfthohen Mauer auftauchte. Der Mann benutzte eine Treppe, denn er wurde von Sekunde zu Sekunde immer grö ßer und stämmiger. Es handelte sich um einen schwarzen Herkules, dessen Ober körper nackt war. Er trug nur eine Art Hotpants. Er entdeckte seine beiden lieben Tiere, blieb bestürzt und über rascht stehen und lief dann schnell auf sie zu. Was die beiden geruchsgestörten Katzen mißverstanden. Sie glaubten sich angegriffen und stürzten sich wütend auf den Her kules. Rander hielt unwillkürlich den Atem an, als der Mann diesen Doppelangriff mit wirklich leichter Hand abwehrte. Er fegte die ausgewachsenen Geparden mit einigen Armbewegungen von sich und schmetterte sie zu Boden. Rander war froh, daß er nicht angegriffen hatte. Gegen ein ge brochenes Rückgrat hatte er eigentlich schon immer etwas ge habt. * Rander und Parker warteten das Ende dieser Auseinanderset zung nicht ab, sondern huschten vorsichtig weiter hinauf zum Palast. Die Musik wurde lauter und eindringlicher. Dann standen sie auf eine Art Terrasse und sahen durch ein Spitzbogenfenster ohne Glasfüllung in einen Saal, dessen Boden mit Mosaiken aus gelegt war, soweit das die dicken Teppiche erkennen ließen. In diesem Saal befand sich die Musickapelle, die aus vier Arabern bestand. Doch diese Leute waren nicht so interessant wie die drei weißen, jungen Damen, die gerade Strandkleider vorführten. Mike Rander rieb sich unwillkürlich die Augen. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Er und sein Butler befanden sich 69
praktisch irgendwo im Mittelalter, in einer Zone dieser Erde, die kaum bekannt war, und dennoch sahen sie sich einigen attrakti ven weißen Mannequins gegenüber, die moderne und äußerst knappe Strandkleidung vorführten. Sie hatten ein sachverständiges Publikum, wie Rander weiter sah. An der Stirnseite des Saals gab es eine durchgehende Erhö hung, die an ein Podium erinnerte. Diese Erhöhung war mit Fellen und Teppichen ausgelegt. Im Mittelpunkt saß ein beleibter, etwa 55jähriger Mann mit weichen, schlaffen Gesichtszügen. Er trug einen weißen, leichten Burnus und rauchte eine Wasserpfeife. Hinter ihm hockten sechs verschleierte Damen, die der Vorfüh rung gespannt und interessiert zusahen. Der Beleibte war nicht der einzige Mann. Links und rechts von ihm hatten sich interessierte Araber auf gebaut, die sich wohl weniger für die Kleider als vielmehr für die Modellträgerinnen zu interessieren schienen. Angesagt wurden die Kreationen von einem fast kleinen, dicken Mann, der 45 Jahre alt sein mochte und westliche Kleidung trug. Parker dachte sofort und unwillkürlich an die Aussagen der beiden Araber, die Parker in die Hütte im Olivenhain gesperrt hatte. Sie hatten deutlich von einem gewissen Hamid Khatal gesprochen, dem Besitzer eines Modeateliers. War der Kleine dieser Mode schöpfer mit dem großen Verschleiß an Frauen? Die drei jungen Damen tänzelten zur Musik zurück zu einer Tür und räumten damit das Feld für weitere drei Mannequins, die in Bikinis hereinkamen und durchaus professionell die wenigen Quadratzentimeter Stoff vorführten. Diese Szenen hatten nichts Schwüles oder Laszives an sich. Sie wirkten fast steril und erinnerten – was Rander deutlich fühlte – gewiß nicht an einen Sklavenmarkt, auf dem weiße Frauen feilge boten wurden. Die schlanken, biegsamen Frauen tänzelten affektiert vor den Zuschauern herum und verschwanden dann wieder von der Bild fläche. Die ersten drei kamen zurück und führten durchsichtige Nachtkleider vor. Der Beleibte gähnte unverhohlen und rief dem Moderator der Mode etwas in arabischer Sprache zu. Dann erhob er sich müh sam und ging auf kurzen, schnellen Beinen aus dem Saal. Hinter ihm waren die Burnusträger, während die Verschleierten zurück 70
blieben und die Mannequins jetzt kichernd und schnatternd um ringten. »Ist ja schon fast enttäuschend«, flüsterte Rander seinem But ler zu. »Diese Leute hier haben es bestimmt nicht nötig, sich Ha remsdamen zu kaufen. Von Entführungen erst gar nicht zu re den.« * »Ich erlaube mir, einen guten Abend zu wünschen«, sagte Par ker und deutete eine Verbeugung an. Die schwarze Melone lüftete er diesmal nicht, sie befand sich fest unter der übergezogenen Kapuze des Burnus, den er noch immer trug. Der kleine Mann mit dem dicklichrunden Aussehen starrte den Butler wie eine Entscheidung aus einer anderen Welt an. Dann schluckte er und hätte sich fast die Augen gerieben. »Mister Hamid Khatal?« vergewisserte sich Parker. »Richtig«, bestätigte der kleine Dicke automatisch und in engli scher Sprache. »Wer… Wer sind denn Sie? Wie sind Sie hierher gekommen?« »Auf dem Luftweg«, sagte Rander jetzt, der neben Parker stand. »Wer… Wer sind Sie…?« »Davon später mehr. Wo befindet sich Miß Gilda Glover?« »Glover? Nie gehört! Seit wann sind Sie hier in Abu Arisch? Sind Sie auch Gast des Emirs?« »In etwa. Er weiß es nur noch nicht«, erwiderte Rander lä chelnd, »seit wann führen Sie hier Modelle vor?« »Ich bin mit meinen Damen seit zwei Tagen hier«, erwiderte Hamid Khatal automatisch. »Eingeladen vom Emir?« »Von Emir Abdul al Sabal«, bestätigte der Kleine und nickte. »Ist dieser Abdul al Sabal mit Scheich Halek verwandt?« wollte Rander wissen. Er hatte den Eindruck, daß der kleine Dicke ge wisse Zusammenhänge gut kannte. »Emir Sabal ist Haleks Vetter«, gab der Modeschöpfer bekannt. »Er hat vor Monaten den Thron hier übernommen.« »Im Handstreich, nicht wahr?« »So ungefähr«, sagte Hamid Khatal, »irgendein Machtkrieg zwi 71
schen nahen Verwandten. Wie das oft üblich ist. Ich kümmere mich nicht darum. Das wäre zu gefährlich.« »Wann werden Sie zurück nach Beirut fliegen?« wollte der An walt wissen. »In zwei Tagen.« »Zusammen mit Ihren Mannequins?« »Selbstverständlich! Was dachten denn Sie?« »In Beirut behauptet man unter der Hand, Sie würden mit wei ßen Frauen handeln.« »Unsinn!« Hamid Khatal verzog verächtlich sein Gesicht. »Reine Märchen! Wer behauptet das?« »Gerüchte…« »Eben…« sagte der Modeschöpfer. »Wenn eines der Mädchen natürlich freiwillig zurückbleibt und sich aus dem Vertrag mit mir auskaufen läßt, so ist das ihre Sache. Geld ist für manches Man nequin eben sehr verführerisch.« »Für Sie nicht?« »Ich bin nur auf Modeschauen spezialisiert«, sagte Khatal lä chelnd, »alles völlig, legal.« »So sehen Sie auch aus!« sagte Rander ironisch. »Wieviel Man nequins lassen sich denn diesmal auskaufen?« »Vier…«, sagte Khatal ungewollt und wieder automatisch. Er bekam anschließend einen roten Kopf. »Aber von Miß Glover wissen Sie nichts, oder?« »Wer ist sie überhaupt?« »Eine junge Amerikanerin. Müßten Sie doch wissen.« Statt zu antworten, handelte Khatal überraschend und nicht un geschickt. Er drehte sich plötzlich auf seinem linken Absatz um und rannte erstaunlich flink und schnell auf eine Tür zu. Er wollte damit offensichtlich eine Absetzbewegung einleiten. Die ihm auch um ein Haar gelungen wäre, wenn er in der Tür, durch die er wollte, nicht mit einem stämmigen Araber zusam mengestoßen wäre, der ein Tablett mit Drinks hereinbringen woll te. Es gab ein Scheppern und Klirren, dann einige Alarmschreie und schließlich ein Angriff auf Rander und Parker. Der stämmige Ara ber stürzte sich auf die beiden Fremden und wollte sie wenig lie bevoll an seine nackte Brust nehmen. Parker bückte sich und zog dem Mann den Teppichläufer unter den Füßen weg. 72
Der Araber verlor das Gleichgewicht und ging nach einem Salto rückwärts prompt zu Boden. Khatal hatte inzwischen das Weite gesucht und brüllte lauthals durch das Gästehaus, in dem sie sich befanden. »Was halten Sie davon, Parker, wenn wir uns jetzt höflich ab setzen?« schlug Rander seinem Butler vor, »wir scheinen nicht sehr willkommen zu sein.« Rander hatte recht. Was sich wenig später leider auch deutlich zeigte, denn sie sa hen sich umgeben von finster aussehenden Gestalten, die mit arabischen Krummschwertern ausgerüstet waren. Diese Typen traten derart massiv auf, daß Rander und Parker es für sinnlos hielten, Gegenwehr zu leisten. Sie hatten schließlich keine Lust, sich vorzeitig in Streifen schneiden zu lassen. * »Sieht nicht besonders einladend aus«, stellte Mike Rander fest, nachdem die Tür aus daumendicken Gitterstäben sich hinter ih nen geschlossen hatten. »Ich erlaube mir, Sir, Ihnen voll und ganz beizupflichten«, sagte Josuah Parker und schaute sich in dem Verlies etwas genauer um. Man hatte sie ohne jeden Kommentar ziemlich unsanft hierher geschafft. Der Raum war hoch und relativ groß. Die Wände be standen aus augenscheinlichen dickem Mauerwerk. Es gab einen schmalen Lichtschacht, der schornsteinartig steil nach oben führ te. Das einfallende Licht bei Tagesanbruch konnte nicht beson ders stark sein. Im Moment brannte eine trübe Öllampe, die an der Wand befestigt war. Parker hatte sich den Weg hierher sehr genau gemerkt. Es war durch schmale, enge Korridore gegangen, über Treppen und wie der durch Gänge. Seiner Schätzung nach befanden sie sich we nigstens zwanzig Meter unterhalb des Palastes. Wahrscheinlich bereits unter dem Berg. Zum Gang hin war das Verlies durch ein daumendickes Gitter gesichert. Alles machte einen sehr handgeschmiedeten, rustikalen Eindruck und wirkte sehr solide und unbezwingbar. Im Gefängnis selbst befand sich an jeder Seite eine gemauerte Liegepritsche. 73
»Wir bekommen Besuch«, sagte Rander und hob lauschend den Kopf. Er hatte sich nicht getäuscht, denn nach wenigen Sekunden waren bereits Schritte zu hören, dann folgte ein zusätzlicher Lichtschein, der von einer starken Taschenlampe herrührte. Rander und Parker schlossen geblendet die Augen, als der Schein der Taschenlampe voll ihr Gesicht traf. Darüber war die ironisch-spöttische Stimme von Scheich Amal zu hören. »So sieht man sich also doch wieder«, sagte Amal, »meine An erkennung, draußen, in der Wüste, da haben Sie mich ganz schön ausgetrickst. Wegen der Fußwanderung, die ich unternehmen mußte, werden wir uns noch privat unterhalten.« Das Licht der Taschenlampe verließ ihr Gesicht und blieb an der Decke des unterirdischen Verlieses hatten. Jelal el Amal war im Widerschein jetzt gut zu erkennen. Er machte einen aufgekratz ten Eindruck und schien sich äußerst wohl zu fühlen. »Sie scheinen durchaus, das erreicht zu haben, wonach Sie strebten«, stellte der Butler höflich fest. »Ich bin zufrieden«, erwiderte Scheich Jelal el Amal. »Halek wird keine Schwierigkeiten mehr machen.« »Sie waren von Anfang an gegen ihn?« fragte Rander. »Natürlich«, antwortete Scheich Amal freundlich und mitteil sam. »Der Emir von Abu Arisch brauchte einen Vertrauensmann in seiner Nähe.« »Sie sprechen jetzt von Scheich Abdul al Sabal, dem Emir die ser Stadt?« »Richtig. Der Vetter des so früh verblichenen Scheich Halek. Er übernahm das Emirat hier durch einen Handstreich. Und Haleks Sohn wollte sich sein Besitztum zurückholen, wie Sie ja inzwi schen wissen.« »Woran Sie ihn entschieden hinderten.« »Es war nicht sonderlich schwer«, sagte Amal lächelnd. »Scheich Halek war im Grunde ein Phantast und ein Kindskopf. Rein Realist!« »Im Gegensatz zu Ihnen, nicht wahr?« »Richtig. Eine innige Freundschaft mit dem neuen Emir hier zahlt sich immer aus.« »Haben Sie für ihn auch Miß Glover besorgt, um es mal so aus zudrücken?« »Lächerlich. In Ihrem Kopf, Mister Rander, scheint immer noch der Sklavenhandel herumzuspuken.« 74
»Aber Sie wissen, wo Miß Glover sich befindet?« »Ich habe nicht die geringste Ahnung! Mein Wort darauf!« »Warum haben Sie uns, Parker und mich, dann hierher ge lockt?« »Weil Sie zu neugierig wurden. In Ihrer Sucht, diese Glover zu finden, stocherten Sie in Dingen herum, die vertraulich behandelt werden mußten. Daher hielt ich es für richtig, Sie von der Bildflä che verschwinden zu lassen.« »Inszenierten Sie daher auch den Zwischenfall mit dem Flug zeug?« »Also das war wirklich nicht geplant«, meinte Amal auflachend und gut gelaunt. »Sie haben ja miterlebt, wie ich den Piloten an schließend bestrafte. Der Mann taugt einfach nichts. Wie kann man mit einem nicht richtig gepflegten Motor in die Wüste flie gen? Beinahe wäre das ins Auge gegangen.« »Sie wollten also regulär auf dem Flugplatz landen?« »Das bot sich doch an, nicht wahr? Halek hätte überhaupt nichts gemerkt. Er war wirklich ein Simpel. Nun, darüber braucht er sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen. Er wird übrigens ein hübsches Begräbnis bekommen. Verunglückt bei einem Flugzeug unglück. Das alles wird bis ins letzte Detail stimmen!« »Dann begreife ich nicht, warum Sie das Risiko eingingen, uns auf Halek zu hetzen.« »Eine rein taktische Maßnahme, um Sie zu beschäftigen! Und Halek natürlich auch. Ihr Erscheinen verunsicherte ihn, wie Sie sich vorstellen können. Er wurde zusätzlich Wachs in meinen Händen.« »Dann waren es also Ihre Leute, die uns in Haleks Landhaus herfielen und die beiden Tiger losließen.« »Selbstverständlich. Schlechte Mitarbeiter übrigens, wie Sie ja selbst festgestellt haben. Ich mußte sie töten lassen. Mich inte ressiert übrigens am Rande, ob sie geplaudert haben.« »Sie verwiesen uns an Mister Khatal.« »Sehr schön. Dann waren sie doch besser, als ich angenommen hatte.« »Hat dieser Khatal mit der ganzen Geschichte nichts zu tun?« »Natürlich nicht«, erwiderte Amal lächelnd. »Khatal ist ein voll kommen harmloser Mann, der inzwischen aber zuviel weiß.« »Zum Beispiel, daß Parker und ich hier sind.« »Richtig. Man wird sehen, wie er verunglücken kann.« 75
»Und seine Mannequins?« »Die werde ich als Gastgeschenke für Interessenten bereithal ten.« »Also doch Sklavenhandel?« »Gastgeschenke, Rander! Sie müssen richtig hinhören. Mehr kann ich für die Damen wirklich nicht tun. Was aber den Sklaven handel betrifft, so haben Sie mich da auf eine nette, Idee ge bracht.« »Ich ahne schon, worauf Sie hinauswollen, Amal.« »Nicht war?« Scheich Amal lächelte. »Können Sie sich vorstel len, als Sklave verkauft zu werden?« »Kaum.« »Sie werden sich wundern, wie schnell Sie sich an solch einen Zustand gewöhnen werden, nur um existieren zu können. Sie dürfen sich darauf verlassen, daß ich mir etwas Nettes einfallen lasse!« »Um noch mal Miß Glover zu erwähnen«, schaltete der Butler sich ein. »Sie wissen also wirklich nicht, wo sie sich befindet?« »Keine Ahnung! Es interessiert mich auch nicht.« »Könnte Khatal darüber etwas wissen?« »Ausgeschlossen. Warum kümmern Sie sich eigentlich derart um dieses verwöhnte Mädchen? Sie allein hat Sie doch in diese Schwierigkeiten gebracht. An Ihrer Stelle würde ich sie jetzt schon verfluchen. Später werden Sie es mit Sicherheit tun, wenn Sie als Sklaven arbeiten müssen. Ich wünsche noch ein paar net te Stunden!« Jelal el Amal verbeugte sich lächelnd und ging. Vor der Biegung des Gangs blieb er noch mal kurz stehen und wandte sich aus schließlich an Parker. »Tricks, die mir durchaus imponiert haben, werden hier nicht verfangen, mein Bester! Sie sitzen bombenfest. Ich fürchte, Ihr Witz wird Sie hier verlassen. Gewöhnen Sie sich daran! Alles im Leben ist nur ein Übergang.« * »Ein liebenswerter Mensch«, stellte Rander ironisch und resig nierend fest, als er mit Parker wieder allein war. »Hinsichtlich Miß Glovers bin ich durchaus geneigt, ihm Glauben 76
zu schenken.« »Ich ebenfalls. Weiß der Himmel, wo diese Glover geblieben ist! Na ja, nicht mehr unser Problem. Herrliche Aussichten, als Skla ven verkauft zu werden, finden Sie nicht auch, Parker?« »Eine Vorstellung, Sir, an die ich mich nicht so recht gewöhnen kann und möchte!« »Wenn schon! Hier kommen wir nicht mehr heraus. Man hat uns restlos gefilzt. Ihre Tricks stehen leider nur noch auf dem Papier!« Statt zu antworten, setzte sich der Butler auf die gemauerte Liege und begann, den Schnürsenkel seines rechten Schuhs los zunesteln. Er tat das mit lässigen, fast automatischen Bewegun gen. Dennoch schöpfte Rander sofort wieder Hoffnung. Er kannte schließlich die Patent-Schnürsenkel seines Butlers. * Es handelte sich um eine Gigli-Säge, wie sie in Fachkreisen ge nannt wird. Diese Säge bestand aus kleinen Einzelgliedern, die das Blatt biegsam wie einen Schnürsenkel machte. Die Legierung dieses Stahls war einmalig. Und ist es noch. Solch ein Sägeblatt ist in der Lage, daumendicke Eisenstäbe in nerhalb einer Viertelstunde zu durchschneiden, ein Vorzug, den geheime Kommando-Unternehmen im zweiten Weltkrieg sehr zu schätzen wußten. Diese Gigli-Säge war im Lauf der Zeit selbst verständlich noch verbessert worden. Und zwar erheblich. Sie ist im freien Handel natürlich nicht zu erhalten, aber es wundert wohl kaum, daß ein Butler Parker über diese Ausrüstung verfügte. Josuah Parker machte sich sofort an die Arbeit. Er hatte den Schnürsenkel an beiden Enden um die Schlaufen seiner Patent-Sockenhalter geschlungen, um mit dem Sägeblatt arbeiten zu können. Die Sockenhalter als Griffe verwendend, be gann er mit der Sägearbeit, die erstaunlich ruhig vonstatten ging. Parker arbeitete ohne jede Hast, gleichmäßig, kraftvoll und ge schickt. Rander schaute fasziniert zu und mußte sich wieder mal gestehen, daß dieser Parker unersetzlich war. »Ich werde mir erlauben, die beiden Angeln des Gittertores zu 77
durchsägen«, verkündete der Butler während der Arbeit. »Mit vereinten Kräften müßte es durchaus möglich sein, die Tür zum Schloß hin aufzuschieben.« »Okay«, sagte Rander, »soll ich Sie mal ablösen?« »Es liegt mir fern, Sir, Sie wegen solch einer Bagatelle unnötig zu echauffieren«, erwiderte Josuah Parker gemessen und trat prüfend zurück. Er hatte die erste Türangel bereits wie Butter durchschnitten. »Hat man Ihnen tatsächlich alle Hilfsmittel abgenommen?« fragte Rander. »Keineswegs, Sir«, antwortete der Butler, während er sich be reits mit der zweiten Türangel befaßte. »Ich verfüge nach wie vor über eine zweite Schnürsenkelsäge, über zwei hohle, aber wohl gefütterte Schubabsätze und schließlich über meine Krawatte, von den Sockenhaltern einmal ganz zu schweigen!« »Krawatte? Sockenhalter!?« Rander konnte nur staunen. »Die Krawatte, Sir, ist eine meiner Neuentwicklungen«, redete der Butler würdevoll weiter. »In ihr eingenäht befinden sich kleine Kunststoffplättchen, die mit Thermit gefüllt sind. Sie entwickeln hohe Hitzegrade.« »Eine verdammt gefährliche Krawatte!« Rander holte tief Luft. »In der Tat, Sir! Nämlich für Gegner«, stellte Parker fest. »Die angesprochenen Sockenhalter sind getarnte Schleudern.« »Für die Sie die entsprechende Munition natürlich ebenfalls nicht vergessen haben, wie?« »In der Tat, Sir! Ich denke da an den Inhalt meines linken Schuhabsatzes.« »Gut, daß Sie auf meiner Seite stehen«, sagte Rander und lä chelte. »Ich danke Ihnen für das Vertrauen, Sir. Die zweite Türangel dürfte innerhalb der nächsten Minuten durchtrennt sein.« Parker hatte seine Arbeit gerade beendet, als wieder Schritte im Gang zu hören waren. Weder Rander noch Parker fanden die notwendige Zeit, um die Gittertür auf die geplante Art und Weise zu öffnen. Sie sahen sich leider drei stämmigen Arabern gegen über, die mit altertümlichen Hand- und Fußschellen anmarschier ten, um Rander und Parker endgültig in Ketten zu schlagen. Rander wurde es prompt warm unter der Haut. Sollten alle An strengungen umsonst gewesen sein?
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* Parker ließ sich nichts anmerken. Er stand knapp vor der Gittertür und schaute zu, wie einer der stämmigen Araber das Schloß öffnete. Interessiert sah der Butler auf den riesigen Schlüssel, ein Kleinod mittelalterlicher Hand schmiedekunst. Dann aber als aufgesperrt war, ließ der Butler sich gegen das schwere Gittertor fallen. Der Erfolg war frappierend. Die Tür, die keineswegs mehr von den Angeln gehalten wurde, verlor prompt jede Standfestigkeit und fiel aus dem Rahmen. Sie wurde innerhalb von Sekundenbruchteilen zu einer riesigen Falle, die auf die drei völlig überraschten Wärter niederging. Sie versuchten zwar, sich durch einen gemeinsamen Rückwärts sprung zu retten, doch sie hinderten sich ungewollt gegenseitig daran. Sie lagen unter der Tür und zappelten wie Fische auf dem Tro ckenen. Sie stöhnten, stießen verständlicherweise einige Schmer zensschreie aus und waren nicht in der Lage, etwas gegen den Butler und Mike Rander zu unternehmen. Wenig später hatten sie dazu keine Chance mehr. Parker hatte sie mittels der Hand- und Fußschellen sorgfältig aneinandergeschmiedet und hob zusammen mit Rander das schwere Gitter zur Seite. Dann wurden die drei Araber ins Verlies gebracht und an einem schweren eisernen Wandring befestigt. »Man sollte vielleicht die Gunst der Stunde nutzen«, schlug der Butler vor und wies einladend in den schmalen Gang. Rander be dankte sich höflich durch ein Kopfnicken, und trat damit die Flucht an. Parker war nicht unfroh, als er in einer Art Wachstube seine schwarze Melone und seinen heißgeliebten Regenschirm wieder fand. Er rüstete sich sofort zusätzlich aus und übernahm die Füh rung durch das unterirdische Gefängnis. Sie stiegen über Treppen immer weiter hinauf und mußten dann eine kleine Zwangspause einlegen. Ein schweres Gitter verschloß das Gefängnis in Richtung Außenwelt. Vor diesem Gitter standen ebenfalls drei stämmige Männer, die mit Maschinenpistolen aus 79
gerüstet waren. Sie standen noch etwa zwei Sekunden, dann sackten sie, von Blasrohrpfeilen getroffen, müde und entspannt zu Boden. Sie merkten schon gar nicht mehr, daß Rander und Parker sich der Maschinenpistolen und des Türschlüssels bemächtigten. »Das klappt ja mal wieder wie in alten Tagen«, stellte Rander außerordentlich zufrieden fest, als sie im Gefängnishof standen. »In einer halben Stunde könnten wir auf dem Flugplatz sein.« »Nicht ohne Mister Khatal, Sir, und die bewußten jungen Da men!« »Donnerwetter«, räumte Mike Rander betroffen ein, »die hätte ich doch beinahe vergessen. Wie bekommen wir die Leute her aus? Ist das nicht zu gefährlich?« »Man wird sich in der Tat einiges einfallen lassen müssen, Sir.« »Wir könnten ja vom Flugplatz aus über Funk Alarm schlagen.« »Gewiß, Sir. Aber dies dürfte Zeit kosten. Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich meine Krawatte ausprobieren. Ich brenne förmlich darauf, diesen Test endlich mal machen zu dürfen!« * Scheich Abdul al Sabal und sein Gast, Scheich Amal, speisten nach Art und Sitte des Landes. Sie waren nicht allein. Würdenträ ger des Emirats saßen mit an der bodennahen Tafel und ließen sich den fetten Hammel samt Reis munden. Emir Abdul al Sabal verschluckte sich fast, als Parker grüßend die schwarze Melone lüftete. Scheich Amal hatte mit einem Stück Hammelfleisch zu kämpfen, das ihm in die Luftröhre geraten war. Die beiden Würdenträger wurden bleich und blieben wie erstarrt sitzen. Jetzt erst bemerkten die übrigen Gäste des Emirs, was sich tat. Sie sprangen auf und wollten etwas für ihren Wohltäter tun. Scheich Sabal bellte jetzt einige Befehle und erhob sich mühsam. Er setzte sich allerdings wieder, als Parker einen schmalen Plas tikstreifen zur Seite warf, nachdem er ihn tief eingerissen hatte. Dort, wo der Plastikstreifen auf dem schweren, kostbaren Teppich landete, schoß eine fast zwei Meter hohe Feuersäule zur Decke. Dazu wurde ein greller Lichtblitz geliefert, der alle Anwesenden ungemein blendete. Nur Rander und Parker nicht, die ihre Augen 80
zusätzlich durch das Vorlegen einer Hand geschützt hatten. »Wenn Sie Wert auf die Vernichtung des Palastes legen, bitte ich um Aktionen«, sagte Parker, zu Scheich Amal gewandt. Jelali el Amal preßte die Lippen zusammen, zwinkerte vorsichtig in Richtung Parker und hob schnell seine Hand. »Was – was wollen Sie?« fragte er mit gepreßter Stimme. »Die Freiheit! Für Mister Rander, für meine Wenigkeit und schließlich für das Atelier Khatal«, erklärte Parker gemessen. Er schaute kurz hinüber zum Teppich, der fast wie wütend brannte und beißender Rauch und Qualm lieferte. »Ich darf versichern, daß ich selbstverständlich über weitere Brandplättchen verfüge.« »Sie sind ein Teufel!« schrie Scheich Amal. »Ich passe mich nur den herrschenden Sitten an«, erwiderte der Butler höflich. »Würden Sie sich, bitte, mit Scheich Sabal ver ständigen?« Nun, die Unterhaltung zwischen den beiden Scheichs verlief wortreich, aber sehr kurz, zumal Parker ein weiteres Brandplätt chen aktiviert hatte. »Scheich Sabal läßt Sie ziehen«, sagte Amal nach wenigen Se kunden. »Er stellt Ihnen sogar ein Flugzeug zur Verfügung.« »Das allerdings groß genug sein muß, um alle Ausreisenden aufzunehmen.« »Inklusive Miß Glover!« fügte Rander ermunternd hinzu. »Sie ist nicht hier in Abu Arisch«, schrie Scheich Amal gereizt, »glauben Sie das doch endlich! Ich habe keine Ahnung, wo das verwöhnte Girl steckt.« »Soll Parker noch weitere Brandplättchen ausstreuen?« fragte Rander. »Und wenn er die ganze Stadt anzündet! Ich habe keine Ah nung, wo sie steckt.« »Nun, dann dürfte einer Abreise nichts im Wege stehen«, sagte Parker. »Mister Rander weiß die Ehre zu schätzen, daß Sie, Scheich Amal, zusammen mit dem Emir Sabal den Abflug aus nächster Nähe mitverfolgen wollen.« * Die beiden Cadillacs hielten vor dem kleinen, langgestreckten Flughafengebäude, knapp neben dem Tower. 81
Khatal und seine sechs Mannequins standen nervös und ängst lich neben dem Wagen, aus dem sie gestiegen waren. Sie hatten im Grund noch nicht begriffen, um was es ging. Parker hielt sich in der Nähe der beiden Scheichs, die ungemein schweigend vor sich hinstarrten und einen ausgesprochen ärgerli chen Eindruck machten. Rander überwachte das Herausschieben einer Focker aus dem Hangar. Die zweimotorige Maschine reichte aus, um sie alle in die Lüfte zu tragen. Aber reichte auch der Sprit? Rander ließ sicherheitshalber volltanken. Und es zeigte sich, daß die Tanks ungemein durstig waren. Dennoch glaubte Parker in den Augen der beiden Scheichs so etwas wie vorsichtigen Opti mismus erkennen zu können. Hing dieser Optimismus mit der Focker zusammen? »Darf ich vorschlagen, Sir, die beiden Scheichs zum Flug zu sätzlich einzuladen?« Die Araber hatten mitgehört und waren gar nicht einverstanden. Als Parker dennoch auf der Begleitung bestand und Rander seine Maschinenpistole wie zufällig drohend erhob, entschied Scheich Sabal sich für eine Korrektur. Die beiden Mechaniker hatten plötzlich noch an den Motoren zu tun. Nicht sonderlich viel eigentlich. Sie bastelten mit Schrauben zieher und Universal-Schlüsseln an den Brennstoffleitungen und gaben dann die Focker frei. Der Aufenthalt hatte nur knapp eine Viertelstunde gedauert. Während dieser Zeit hatte Rander die beiden Scheichs nicht aus den Augen gelassen. Die Maschinenpistole in seiner Hand hielt er die beiden Männer in Schach. Rander wartete, bis Parker und die übrigen Mitreisenden in der Focker Platz genommen hatten. Dann schob er die beiden Scheichs mit entsprechenden Bewegungen der Feuerwaffe näher an die Maschine heran. Sie hatten immer noch den festen Ein druck mitfliegen zu müssen. »Das wäre es«, sagte Rander, als die beiden Propeller sich drehten. Der arabische Pilot, der von Parker überwacht wurde, wollte den Start einleiten. »Was soll das heißen?« fragte Scheich Amal. »Wir verzichten auf Ihren Mitflug!« gab Rander lächelnd zurück, »es war ohnehin nie geplant. Wir wollten damit nur erreichen, daß die Maschine auch in Ordnung ist. Ihr kostbares Leben hätten 82
Sie doch sicher nicht aufs Spiel gesetzt, oder?« * Die Focker jagte über das einfache Rollfeld und hob elegant ab. Der arabische Pilot verstand sein Handwerk und machte keine Schwierigkeiten, die ihm auch nichts genutzt hätten, denn Parker verstand dieses Metier ebenfalls. Ihm wäre jede Unregelmäßigkeit des Piloten sofort aufgefallen, der jetzt aber sicher mitspielte, um sich selbst nicht zu gefährden. Rander brachte sein Gesicht ans Kabinenfenster und sah die Cadillacs und die beiden Scheichs. Und er bemerkte, daß Jelal el Amal sich plötzlich an die Brust griff, um dann in sich zusammen zusinken. »Ein Dolchstoß«, hörte Rander dann hinter sich die ruhige Stimme des Butlers. »Scheich Sabal scheint mit seinem Ver schworenen und Vertrauten, Scheich Amal, nicht sehr zufrieden gewesen sein.« »Ausgleichende Gerechtigkeit«, murmelte Rander leise, »Amal hat damit für seinen Verrat an Halek gebüßt.« * »Ich glaube, ich werde keine Modevorführungen im Inland un ternehmen«, sagte Khatal nach der Landung in Beirut. Der Flug war ohne jeden Zwischenfall verlaufen. »Vielleicht werde ich mich sogar völlig umstellen.« »Dieser Entschluß könnte für Sie lebensverlängernd sein«, sag te Parker gemessen. »Ich glaube, ich werde sogar den Libanon verlassen«, überlegte Khatal Weiterhin laut. »Ihre Lebenschancen steigen bereits erheblich«, stellte Rander fest. »Sabal wird Sie sonst wohl suchen lassen.« »Mein Wort darauf, daß ich keine Frauen verkauft habe«, sagte Khatal, »wenn sie blieben, dann immer freiwillig, weil sie von Geld und Schmuck träumten.« »Machen Sie das mit sich ab!« Randers Gesicht wirkte kalt und abweisend, »und hüten Sie sich vor Sabal! Seine Arme dürften 83
weit reichen.« »Wenn ich’s mir richtig überlege, werde ich noch heute ver schwinden«, meinte Khatal hastig. »Hoffentlich schaffen Sie es noch. Zwischen Abu Arisch und Bei rut könnte immerhin ein gewisser Funkspruch gewechselt worden sein.« »Ich werde nachsehen, ob ich nicht sofort eine Maschine nach Paris bekomme«, sagte Khatal und setzte sich ungemein schnell ab. »Und Sie, Parker, sollten sich um zwei Plätze nach Rom küm mern«, wandte sich Rander an seinen Butler. »Sie wissen doch, wir werden dringend erwartet.« »Darf ich vorschlagen, Sir, der Wohnung Miß Glovers noch einen Besuch abzustatten?« »Also gut. Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Aber das sage ich Ihnen, Parker, weiteren Verwicklungen gehen wir aus dem Weg.« * Das Taxi hielt vor dem Holztor, und Parker, der ausgestiegen war, klingelte. Der Hausbewohner, das bereits bekannte Gesicht, erschien nach qualvoll langen Sekunden und sah den Butler irritiert an. »Zu Miß Glover«, sagte Parker. »Bitte!« Der Libanese trat zur Seite, und der Butler marschierte durch den ebenfalls schon bekannten Torweg in den Innenhof. Hier traf er auf Norman Glance, der einen wütenden Eindruck machte. »Ich bin doch kein Hampelmann«, sagte er zu Parker. »Mir ist nicht bewußt, Sie jemals so genannt zu haben.« »Ich lasse mich doch nicht schon wieder an der Nase herumfüh ren.« »Das liegt auch keineswegs in meinen bescheidenen Absich ten«, stellte Parker fest. »Jetzt ist endgültig Schluß!« »Ich hoffe es.« »Ach! Sie sind es?« Norman Glance schien den Butler erst jetzt richtig erkannt zu haben. »Wo haben Sie denn die ganze Zeit ü 84
ber gesteckt?« »Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit machten ei nen kleinen Ausflug in die Wüste.« »Na, Gott sei Dank! Hauptsache, Sie haben sich nicht weiter ein Bein wegen Gilda ausgerissen.« »Auf keinen Fall!« »Hätte sich auch nicht gelohnt«, redete Norman Glance weiter, »Gilda glaubt, sie könnte tun und lassen, was sie will. Aber nicht mit mir!« »Sie hat sich demnach wieder eingefunden?« »Gestern. Auf einmal war sie da. Als wäre überhaupt nichts passiert.« »Darf man erfahren, wo besagte Miß Glover sich in der Zwi schenzeit aufhielt?« »Bei einer Freundin auf dem Land! Angeblich! Um mich eifer süchtig zu machen. Aber das kann sie mir doch nicht erzählen. Jetzt ist endgültig Schluß!« »Das sagten Sie bereits.« »Für immer!« »Ich hoffe mit Ihnen.« »Aus und vorbei!« Bevor Parker darauf antworten konnte, war eine einschmei chelnde Frauenstimme zu hören, in der Sex und mädchenhaftes Bitten gekonnt gemischt waren. »Norman«, rief diese süße Stimme, »hilf mir doch! Ich bekom me den Reißverschluß nicht auf. Wo stockst du denn?« »Aus und vorbei, wenn ich mich recht erinnere«, sagte Parker zu Norman Glance. »Natürlich«, erwiderte Glance, drehte sich auf dem Absatz um und ging mit fliegenden Fahnen zum Feind über. Er rannte förm lich zurück ins Apartment, aus dem er gekommen war. »So treibt sie es seit Wochen mit ihm«, flüsterte der Libanese dem Butler zu und verdrehte die Augen. »Es scheint Mister Glance aber außerordentlich gut zu gefallen.« Parkers Gesicht verzog sich zur Andeutung eines milden ver ständnisvollen Lächelns. Dann ging er zurück zum wartenden Ta xi. »Alles in Ordnung?« erkundigte sich Rander in gespannter Er wartung, »sagen Sie bloß, die Glover ist wieder aufgetaucht.« »In der Tat, Sir.« 85
»Na! Und wie sieht sie aus? Hat sich dieses ganze Abenteuer, das sie ausgelöst hat, wenigstens gelohnt?« »Mit größter Wahrscheinlichkeit, Sir. Ich hörte nur die Stimme von Miß Glover, aber sie allein schon berechtig zu den größten Hoffnungen und Erwartungen.« »Okay! Dann nichts wie weg, Parker. An weiteren Komplikatio nen bin ich nicht mehr interessiert.« »Ich werde den Taxifahrer bitten, Sir, die Höchstgeschwindig keitsgrenze erheblich zu überschreiten. Jede gewonnene Sekunde zwischen Miß Glover und uns dürfte sich auszahlen.« Parker setzte sich schleunigst in das Taxi und warf noch einen letzten mißtrauischen Blick auf das Haus. Er war nachträglich froh, Miß Glover nicht gesehen zu haben.
ENDE Die nächste Butler-Parker-Story von Günter Dönges erscheint als Silber-Krimi Nr. 952 unter dem Titel
PARKER neppt den »schrägen Otto«
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