Curd H. Wendt
PARKER
spürt den
„Kraken” auf
»Flug AF 389 aus Paris ist soeben gelandet«, tönte es aus den Lautspr...
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Curd H. Wendt
PARKER
spürt den
„Kraken” auf
»Flug AF 389 aus Paris ist soeben gelandet«, tönte es aus den Lautsprechern. »Das ist sie, Mister Parker.« Agatha Simpson schien aufgeregt. Die ältere Dame zappelte förmlich vor Ungeduld. »Vor zehn Jahren habe ich die kleine Denise zum letztenmal gesehen«, erinnerte sie sich. »Seitdem wird meine Großnichte ein gutes Stück gewachsen sein.« »Eine Vermutung, der man sich nur anschließen kann, Mylady«, bemerkte Josuah Parker mit höflicher Verbeugung. Er war das Urbild eines hochherrschaftlichen Butlers. Als »die kleine Denise« wenig später den Zoll passiert hatte und winkend auf das wartende Paar zukam, wurde seine unerschütterliche Gelassenheit allerdings auf eine überraschende Probe gestellt. »Unmöglich, Mister Parker«, schüttelte Lady Agatha den Kopf, als der Butler sie auf die junge Dame aufmerksam machte. »Das kann doch nicht Denise de Tavernay sein. Sieht so vielleicht ein junges Mädchen aus einer angesehenen Familie aus?
Die Hauptpersonen: Ted Roll legt Platten auf und wird von einer älteren Dame nachdrücklich zur
Ordnung gerufen.
Eric Plight vermittelt »Fotomodelle« über Kleinanzeige.
Stanley Stevenson hat Hemmungen, die Verwüstung seines Stripclubs bei
der Polizei anzuzeigen.
Odilon versetzt eine sonst recht resolute Dame in Angst und Schrecken.
Howard Mulligan hofft auf das große Geschäft, muß aber klein beigeben.
Ray Moore zieht erst seinen Revolver und anschließend den kürzeren.
Denise de Tavernay verhilft Lady Simpson zu neuartigem Musikgenuß und
einem aufregenden Kriminalfall.
Lady Agatha mißbraucht die Ouvertüre einer bekannten Oper zu
akustischer Folter und richtet beträchtlichen Flurschaden in einer Diskothek
an.
Butter Parker hantiert mit rollenden Stolperfallen und bewährt sich als
Kapitän eines Hausboots.
»Du hast dich aber sehr verändert, Kindchen«, stellte Parkers Herrin fest, als die Sechzehnjährige ihr einen Kuß auf die Wange drückte. »Fast kommen mir Zweifel, ob ich wirklich meine Großnichte Denise de Tavernay vor mir habe.« »Dafür habe ich dich sofort erkannt, Tante Aggi«, lachte die junge Verwandte vom Kontinent. »Du siehst noch genauso aus wie auf dem Foto in Mamas Schlafzimmer.« Ohne weiteres war die passionierte Detektivin jedoch nicht zu überzeugen. Das Strahlen freudiger Erwartung auf ihrem Gesicht hatte einem leicht verkniffenen Lächeln Platz gemacht. »Wie auch immer«, entgegnete sie kühl. »Ich möchte nun mal genau wissen, wen ich unter meinem Dach beherberge.« »Ist das der englische Humor, von dem man so viel erzählt? « wunderte sich Denise und zog gleichzeitig ihren Paß aus der Tasche. »Hier, damit du mir auch glaubst, Tantchen.« Mit gefurchter Stirn verglich Mylady das Foto im Ausweis mit dem jungen Mädchen, das vor ihr stand und behauptete, es wäre Denise de Tavernay aus Paris. Sollte das etwas schüchtern wirkende Mädchen mit den langen, dunklen Locken, das ihr aus dem Bild entgegenblickte, wirklich mit diesem zerlumpten, grell geschminkten Etwas identisch sein, dem die rot und grün gefärbten Haare in Büscheln zu Berge standen? »Was halte ich davon, Mister Parker?« wandte sich die mißtrauische Dame an den Butler. »Meine Wenigkeit sieht keinerlei Anlaß, an der Echtheit von Mademoiselle Denise zu zweifeln, Mylady«, gab Parker nach einem flüchtigen Blick auf das Paßfoto Auskunft. »Aber dieser Aufzug, Kindchen«, beharrte die konservative Lady und musterte Denise von Kopf bis Fuß, 2
wobei sie unbewußt die Nase rümpfte. »Hattet ihr etwa Geiselgangster an Bord?« Lächelnd sah das junge Mädchen an sich herunter. Das künstlich zerfetzte Sweatshirt aus einer sündhaft teuren Boutique an den Champs-Élsées, Großvaters abgeschabtes Jackett, dazu die hautengen, violett gestreiften Hosen und die neuen Westernstiefel -was fand Tante Agatha nur an diesem Aufzug auszusetzen? »In Paris fahren gerade alle voll auf Punk ab, Tante Aggi«, versuchte Denise zu erklären. »Womit fahren die Leute in Paris? Mit Tankern?« fragte Agatha Simpson irritiert. »Ich meine: Punk ist bei uns der letzte Schrei«, teilte die Besucherin von jenseits des Kanals mit. »Der letzte Schrei?« wiederholte Mylady. »Ist das ein neuer Kriminalfilm?« »Falls man nicht sehr irrt, geruht Mademoiselle Denise zu meinen, daß ihre Kleidung der aktuellen Pariser Mode entspricht«, schaltete Parker sich erläuternd ein. »Hui, hat der aber 'n Slang drauf, raunte Denise ihrer englischen Großtante ins Ohr. »Ist das dein Macker... äh ... ich meine: dein Lebensgefährte, oder wie sagt man da?« »Aber Kindchen!« entrüstete sich die ältere Dame. »Mister Parker ist mein Butler.« »Wie heißt der ulkige Typ denn mit Vornamen, Tante Aggi?« flüsterte das Mädchen, während Parker sich um ihr Gepäck kümmerte. »Josuah, Kindchen«, gab Lady Agatha Auskunft. »Aber ich nenne ihn grundsätzlich Mister Parker.« »Ich werde ihn Onkel Joschi nennen«, entschied Denise. »Oder haben Sie etwas dagegen, Mister Parker?« wandte sie sich mit einem entwaffnenden Lächeln an den Butler, der gerade mit ihren Koffern zurückkehrte. »Wie Mademoiselle Denise zu wünschen belieben«, erwiderte Parker, ohne eine Miene zu verziehen. * »Das ist ein affengeiler Kasten!« staunte die muntere Punkerin, als man wenig später den Flughafen verlassen hatte und vor Parkers hochbeinigem Monstrum stand. »Auf so was fahr' ich total ab.« »Wie bitte, Kindchen?« Agatha Simpson verstand kein Wort. »Es dürfte sich um einen bewundernden Ausdruck handeln, der der Umgangssprache der heutigen Jugend entstammt, Mylady«, spielte der Butler erneut Dolmetscher und verstaute die Koffer der jungen Dame im Wagen. Was sie für sechs Wochen Sprachstudien in London eingepackt hatte, war nicht gerade wenig. Dennoch blieb das Reisegepäck der sechzehnjährigen Denise hinter dem zurück, was Lady Simpson für einen Wochenendausflug zu benötigen glaubte. Gleich darauf rollte das altertümlich wirkende Gefährt vom Parkplatz und nahm Kurs auf die Autobahn in Richtung 3
Stadtmitte. Der schwarze Kasten war früher als Taxi durch die Straßen der britischen Hauptstadt gerollt - bis Parker ihn erwarb und für seine speziellen Zwecke umbauen ließ. Seitdem hatte sich die brave Droschke in eine >Trickkiste auf Rädern< verwandelt, die über schußsichere Panzerung, einen PS-starken Motor und ein hochbeiniges Spezialfahrwerk verfügte. Mit diversen Hebeln am Armaturenbrett, deren Funktion nur ihm selbst bekannt war, konnte der Butler zusätzlich gewisse Überraschungen auslösen, die schon manchen Verfolger in den Straßengraben oder in die Verzweiflung getrieben hatten. Während das schwerfällig wirkende Vehikel mit gleichmäßig summender Maschine über die breite Betonpiste glitt, geriet Agatha Simpson unversehens ins Plaudern. Sie hatte inzwischen ihr Mißtrauen begraben und berichtete von den Glanzpunkten ihrer kriminalistischen Karriere, während Denise in ungläubigem Staunen zuhörte. Josuah Parker blickte nur hin und wieder über den Rückspiegel in den luxuriös gepolsterten Fond, wo Großtante und Großnichte einträchtig bei sammensaßen. Doch plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit gefesselt. Das spitze Schnäuzchen, das neugierig schnuppernd aus einer Jackentasche der jungen Französin schaute, die rosaroten Augen, das schneeweiße Fell... Fraglos handelte es sich um eine weiße Ratte, einen sogenannten Albino, der sich an seinem Platz sicher und geborgen zu fühlen schien und keinerlei Neigung zeigte, die wärmende Tasche zu verlassen. Der Butler konzentrierte sich deshalb wieder auf die Straße, wurde aber Sekunden später von einem markerschütternden Schrei aufgeschreckt. Dabei war das zutrauliche Tier nur auf die Schulter seiner Besitzerin gehuscht und hatte Mylady aus kleinen, klugen Augen interessiert angesehen. Mit einer Vehemenz, die man der fülligen Dame nicht im entferntesten zugetraut hätte, warf Agatha Simpson sich entsetzt in die Ecke der Polster bank. Ächzend legte sich das hochbeinige Monstrum unter der plötzlichen Ge wichtsverlagerung auf die Seite, als wäre es von einer Orkanbö gepackt worden. Der Wagen wäre vermutlich ins Schlingern geraten, hätte Parker nicht routiniert gegengesteuert. »Können Sie mir vielleicht verraten, wie die ekelhafte Ratte hier herein kommt, Mister Parker?« wollte die ältere Dame wissen. Sie drückte sich immer noch in die Ecke des Fonds, obwohl der weiße Nager längst den Rückzug angetreten hatte und wieder in der vertrauten Jackentasche verschwunden war. »Aber Tante Aggi!« rief Denise mit allen Anzeichen von Entrüstung. »Das ist doch keine ekelhafte Ratte. Das ist Odilon.« »O... Odilon?« stammelte Lady Agatha, völlig außer Fassung. »Ich habe ihn schon zwei Jahre«, berichtete das Mädchen stolz. »Odilon ist zutraulich und schläft jede Nacht in
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meinem Bett. Sieh mal, wie hübsch sein Fell ist« Lächelnd zog sie den nun etwas mißtrauisch wirkenden Odilon aus der Tasche und strich vorsichtig über das glatte, schneeweiße Fell. Agatha Simpson atmete heftig. Sie prustete wie eine altersschwache Dampflok. Aber dem frechen Charme des jungen Mädchens von der Seine konnte sie nicht lange widerstehen. Als Parker über die belebte Brompton Road dem heimischen Shepherd's Market zusteuerte, hatte Mylady es sogar schon über sich gebracht, Odilon mit ausgestrecktem Arm ein wenig zu streicheln. »Aber nicht, daß es nachher in meinem Haus von Ratten wimmelt, Kind chen«, bemerkte Lady Agatha in strengem Ton. »Solange es nur Odilon ist...« »Keine Angst, Tantchen«. Denise lachte. »Odilon ist natürlich ein Männ chen.« »Bist du da auch wirklich sicher, Kindchen?« wollte die ältere Dame argwöhnisch wissen. »Ganz sicher, Tante Aggi«, nickte das junge Mädchen. »Hoffentlich«, erwiderte die Detektivin, noch nicht ganz überzeugt. Sie fand es schwierig, einer Ratte anzusehen, ob sie männlichen oder weiblichen Geschlechts war, ließ das Thema aber fallen, da der Butler in diesem Moment auf den Vorplatz des Fachwerkhauses einschwenkte. »Jetzt hat mein Kreislauf dringend kleine Aufmunterung nötig, Mister Parker«, ächzte die Lady, während der Butler ihr den Wagenschlag aufhielt und diskret beim Aussteigen half. »Darf man höflich fragen, ob Mylady Cognac oder Sherry bevorzugen?« erkundigte sich Parker und ließ die beiden Damen in den verglasten Vorflur treten. »Ich werde einen Cognac zu mir nehmen, Mister Parker«, entschied die Hausherrin nach kurzem Überlegen. »Ich glaube, das war alles ein bißchen viel für mich.« * Zwanzig Minuten später hatte der Butter in Lady Simpsons Wohnhalle den Tisch gedeckt. Verführerisch duftende Sachertorte, knuspriges Blätter teiggebäck und erlesener Darjeelingtee standen bereit. In würdevoller Haltung legte Josua Parker seiner Herrin und der jungen Besucherin Tortenstücke vor, schenkte Tee ein und trat anschließend in seiner unvergleichlichen Art einen halben Schritt zurück. »Ich fühle mich gestört«, sagte die ältere Dame, als in diesem Moment die Haustürglocke läutete. »Lassen Sie niemanden herein, Mister Parker.« Myladys Unmut legte sich jedoch wieder, als sie sah, wer geklingelt hatte. »Die Kinder! Was für eine freudige Überraschung!« rief die Hausherrin strahlend, als der Butler die Besucher in die Wohnhalle geleitete. Mike Rander und seine gut zehn Jahre jüngere Begleiterin, die attraktive
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Kathy Porter, waren häufige Gäste in der Villa in Shepherd's Market. Sie hatten schon manche Ganovenjagd erfolgreich mitgemacht. Rander, dessen sportliche Erscheinung an einen bekannten James BondDarsteller denken ließ, hatte vor Jahren zusammen mit Josuah Parker in den Staaten eine Reihe aufsehenerregender Kriminalfälle gelöst. Als der Butler dann an die Themse zurückkehrte und in Lady Simpsons Dienste trat, war auch der Anwalt bald gefolgt und hatte in der nahen Curzon Street eine Kanzlei eröffnet. Seit Parker ihn im Hause Simpson eingeführt hatte, bestand Randers wichtigste Aufgabe jedoch darin, Vermögen zu verwalten. In Shepherd's Market hatte der Anwalt auch Myladys Gesellschafterin kennengelernt, mit der ihn längst mehr als nur berufliches Interesse verband. Mit ihren leicht mandelförmig geschnittenen Augen und dem Kasta nienschimmer im dunklen Haar war die zierliche Kathy Porter eine ausge sprochen reizvolle Erscheinung von eurasischem Flair. Manchmal bewunderte Rander die Sanftmut, mit der die junge Dame Agatha Simpsons Launen ertrug. Bisweilen konnte die hübsche Kathy aber auch ganz anders sein. Wenn ein aufdringlicher Kerl ihr zu nahe kam, konnte sie sich blitzschnell in eine reißende Pantherkatze verwandeln, die ihrem Gegner die Krallen zeigte. Dabei kam ihr zugute, daß sie jahrelang mit Hingabe die hohe Kunst fernöstlicher Selbstverteidigung studiert hatte. Während Lady Simpson die >Kinder< mit der Besucherin von der Seine bekannt machte, legte Parker noch zwei Gedecke auf. »Und jetzt willst du in London deine englischen Sprachkenntnisse aufpo lieren?« wandte Rander sich an Denise. »Stimmt«, bestätigte das junge Mädchen und zog eine Grimasse. »Aber wenn ich an die Paukerei denke, bringt mich das ganz schön in die Knie.« »Lernen muß nun mal jeder«, schaltete die Hausherrin sich ein. »Du mußt schließlich an deine Zukunft denken, Kindchen.« »Ich weiß. Papa und Mama nerven mich täglich mit solchen Sprüchen«, erwiderte Denise. »Aber ich will auch was erleben. Und in London soll ja mordsmäßig die Post abgehen, wenn Alain nicht übertrieben hat.« »Morde bei der Post?« fragte Lady Agatha irritiert, aber mit plötzlich ge weckter Neugier nach. »Warum habe ich da noch keine Ermittlungen aufge nommen, Mister Parker?« »Falls man nicht sehr irrt, dürfte Mademoiselle Denise gemeint haben, daß London eine Vielzahl von Attraktionen zu bieten hat, die den Interessen und Bedürfnissen junger Menschen entsprechen, Mylady«, übersetzte der Butler. »Und wer ist dieser Alain, Kindchen?« wollte die passionierte Detektivin weiter wissen. »Der netteste Junge von Paris«, teilte Myladys Großnichte unbefangen mit und setzte zugleich ein schwärmerisches
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Lächeln auf. »Er ist eine Klasse über mir und war letztes Jahr für sechs Wochen in London.« »Hm«, kommentierte die ältere Dame knapp und wandte sich wieder den Köstlichkeiten zu, mit denen Parker sie versorgte. »Wenn man zum ersten Mal in London ist, sollte man wirklich die Gele genheit nutzen, um etwas von der Stadt zu sehen«, pflichtete Kathy Porter der Besucherin vom Kontinent bei. Zu diesem Thema habe ich mir natürlich längst Gedanken gemacht«, gab Agatha Simpson postwendend bekannt. »Morgen werde ich Denise zunächst das Britische Museum zeigen.« »Museum?« unterbrach das junge Mädchen enttäuscht. »Von Kulturtempeln haben wir in Paris mehr als genug ... an jeder Straßenecke ...« »Vorher werden wir zusammen einige renommierte Fachgeschäfte aufsuchen, damit ich dir etwas Ordentliches anzuziehen kaufen kann, Kindchen«, breitete Lady Agatha unbeirrt ihre Planungen weiter aus. »In diesen zerlumpten Fetzen, die nicht mal auf einem Trödelmarkt Abnehmer finden...« »Aber Mylady«, schaltete Kathy Porter sich ein. »Die Sachen die Denise trägt, sind topmodisch. Allein das Sweatshirt dürfte ein kleines Vermögen gekostet haben.« »Wie auch immer«, schob die Hausherrin den Einwand mürrisch beiseite. »Zum Glück befinden wir uns nicht in Paris, sondern in der Metropole des britischen Weltreichs.« »Manchmal hat man wirklich den Eindruck, daß die Uhren hier anders gehen als im übrigen Europa«, gab Rander seinen Kommentar. »Aber warum lassen Sie Denise nicht die Freude an ihren ausgeflippten Klamotten, Mylady?« »Da sieht man wieder, mein lieber Junge, daß Männern jeder Sinn für Mode abgeht«, mußte er sich belehren lassen. »Und überhaupt werde ich mit dem Mädchen gleich morgen früh zum Friseur gehen. Vielleicht ist an den Haaren noch was zu retten.« »Nie und nimmer!« schwor Denise. Es schien ihr bitter ernst zu sein. »Wenn jemand es wagen sollte, an meiner Bürste rumzufummeln, klinke ich auf der Stelle aus. Und Faltenröcke mit weißen Blusen ziehe ich schon gar nicht an.« »Würde ich auch nicht, Denise«, flüsterte Kathy Porter mit verschmitztem Lächeln. »Wie auch immer«, versuchte Agatha Simpson den Schlußstrich unter die unfruchtbare Diskussion zu ziehen. »Meine arme, kleine Denise ist von der anstrengenden Reise bestimmt sehr müde und wird sich bald zur Ruhe begeben. Morgen sehen wir dann weiter.« »Müde? Wovon denn, Tantchen?« protestierte die Sechzehnjährige. »Der Flug hat eine Stunde gedauert.« »Aber der Klimawechsel«, hielt die ältere Dame entgegen. »Ich fühl' mich topfit und hab' total Bock, heute abend noch 'ne richtige Show abzuziehen«, konterte Denise und warf trotzig den Kopf in den Nacken.
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»Willst du nicht bis morgen warten?« griff die attraktive Kathy vermittelnd ein. »Dann könnten wir dir zeigen, wo hier was los ist. Für heute abend haben Mike und ich schon Theaterkarten.« »Nicht nötig, Kathy«, winkte die junge Besucherin ab. »Ich hab' schon 'ne heiße Adresse. Von Alain natürlich.« Umständlich kramte sie in ihrer Jackentasche und zog schließlich einen zerknitterten Zettel heraus. >Night Fever. Clark Street< stand darauf. »Nicht gerade die nobelste Gegend, Mädchen«, warf Rander ein. »Aber über die Disco selbst habe ich noch nichts Negatives gehört.« »Wenn ich nicht dringend an meinem Roman arbeiten müßte, würde ich dich begleiten, Kindchen«, behauptete Agatha Simpson. »Aber mein Verleger läßt mir keine Ruhe mehr.« Daß die Detektivin seit Jahren an einem Kriminalroman arbeitete, der völlig neue literarische Maßstäbe setzen sollte, war dem Butler hinlänglich bekannt. Allerdings war Mylady noch nicht über das erste Kapitel hinausgekommen. Daß sie schon einen Verleger gefunden hatte, der es nicht erwarten konnte, das Werk der Öffentlichkeit zu präsentieren, hörte er allerdings zum ersten Mal. Denise de Tavernay ließ die Ausrede ihrer Großtante gänzlich unbeeindruckt. »Dann fahre ich eben allein«, verkündete sie selbstbewußt. »Ich bin ja kein Baby mehr.« »Nur, wenn Mister Parker dich begleitet, Kindchen«, entschied Lady Agatha in einem Ton, der jeden Widerspruch von vornherein ausschloß. »Von mir aus«, nahm das Mädchen widerstrebend die Bedingung an. »Dann ist ja alles geklärt, und ich kann mich zurückziehen«, stellte die Hausherrin erleichtert fest und erhob sich. »Die Pflicht ruft. Vergessen Sie nicht, mir Stärkungsmittel ins Studio zu bringen, Mister Parker.« Lady Agatha verabschiedete sich mit huldvollem Nicken von den Anwesenden. »Man wird es keinesfalls versäumen, Mylady«, versprach der Butler mit einer höflichen Verbeugung, während die Dame des Hauses über die geschwungene Freitreppe im Obergeschoß verschwand, wo ihre privaten Gemächer lagen. »Tante Aggi hat nicht den leisesten Dunst, was heutzutage in ist«, schüttete Denise ihr Herz bei Kathy Porter aus. »Dagegen ist Onkel Joschi richtig flott. Irgendwie ein cooler Typ in seiner Art.« »Kann man wohl sagen«, grinste der Anwalt und warf seiner attraktiven Begleiterin einen belustigten Blick zu. »Mister Parker ist eben ...« setzte Kathy Porter an. Aber sie brachte den Satz nicht zu Ende, sondern riß unvermittelt die Augen auf, stieß einen spitzen Schrei aus und brachte sich mit einem Sprung hinter die Sofalehne in Sicherheit. »Das ist doch nur Odilon«, erklärte Denise fröhlich. »Tante Aggi hat ihn sogar schon gestreichelt.« Dem neugierigen Tier war es in der
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Jackentasche zu langweilig geworden. Es war auf den Teetisch gehüpft und schnupperte interessiert an den letzten Resten der Sachertorte. Behutsam holte die junge Französin ihren ständigen Begleiter zurück und ließ ihn wieder in der Tasche verschwinden. Dabei drohte sie Odilon scherzhaft mit dem Finger: »Onkel Joschi mag es nicht, wenn du auf dem Tisch herumläufst.« »Eine Feststellung, der man keinesfalls widersprechen möchte, Mademoiselle Denise«, meldete Parker sich höflich zu Wort. »Hoffentlich wird es Odilon in der Disko nicht zu laut«, meinte Kathy Porter, die ihren Schrecken schnell überwunden hatte. Anschließend verabschiedete man sich, und der Butler geleitete das junge Paar zum Ausgang. »Hat Mylady momentan nichts zu ermitteln, daß sie Zeit zum Schreiben findet, Parker?« wollte Rander noch unter der Tür wissen. »Sie sagen es, Sir«, bestätigte Parker. »Das wird sich schon bald wieder ändern«, mutmaßte Kathy Porter, ohne zu ahnen, wie recht sie mit dieser Äußerung hatte. »Was man keinesfalls bezweifeln möchte, Miß Porter«, stimmte der Butler ihr zu. »Im übrigen erlaubt man sich, noch einen möglichst angenehmen Abend zu wünschen.« * Eine Stunde später war die unternehmungslustige Denise de Tavernay bereit. »Wollte Tante Aggi nicht an ihrem Kriminalroman arbeiten?« fragte die Besucherin verwundert, als sie die Geräusche wahrnahm, die aus dem Ober geschoß in die Wohnhalle drangen: quietschende Autoreifen, peitschende Schüsse und gellende Schreie. »Momentan dürfte Mylady sich den unerläßlichen Vorstudien widmen, falls man eine Vermutung äußern darf, Mademoiselle Denise«, klärte der Butler das junge Mädchen auf, das mit den Bräuchen im Hause Simpson noch nicht vertraut war. Das akustische Inferno gehörte zu einem Action-Thriller, den Parker als Videokassette in einem Verleih besorgt hatte. Da Mylady die Vorstudien zu ihrem Werk ausgesprochen ernst nahm, war ihr Bedarf an > Studienmaterial< beträchtlich. »Ach, so nennt man das«, bemerkte Denise verschmitzt, während der Butler in der Diele nach seinem Universal-Regenschirm griff und die Melone aufsetzte. Wenig später rollte das hochbeinige Monstrum aus dem stillen Wohnviertel in die belebte Durchgangsstraße und nahm rasch Fahrt auf. Parkers altväterliche Taschenuhr, deren Sprungdeckel wie eh und je funktionierte, zeigte exakt halb acht, als er sein schwarzes, eckiges Gefährt schräg gegenüber der Diskothek >Night Fever< ausrollen ließ. Die Gegend wirkte in der Tat alles andere als einladend. Das Lokal selbst
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war aber gut besucht und machte einen unverdächtigen Eindruck. Das Angebot des Butlers, mit hineinzugehen oder vor der Diskothek zu warten, schlug Denise lachend aus. »Ich brauch' keinen Babysitter, Onkel Joschi«, antwortete sie ihm. »Wenn du mich um elf abholst, ist das total okay.« »Wie Mademoiselle Denise zu wünschen belieben«, erwiderte Parker in seiner höflichen Art und ließ das junge Mädchen aussteigen. Als er eine halbe Stunde darauf wieder die Villa in Shepherd's Market betrat, hatte Lady Agatha ihre geräuschvollen Vorstudien beendet oder zumindest unterbrochen. Mit sorgenumwölkter Stirn saß die ältere Dame vor dem prasselnden Kaminfeuer in der Wohnhalle und hatte eine Cognacflasche vor sich stehen. »Ich hätte die Kleine auf keinen Fall allein in den Sumpf der Großstadt schicken dürfen«, machte Mylady sich Selbstvorwürfe. »Zumindest hätten Sie nicht von ihrer Seite weichen dürfen, Mister Parker.« »Mademoiselle Denise legte ausdrücklich Wert darauf, die Diskothek unbegleitet zu besuchen, Mylady«, teilte Parker mit. »Denise ist doch noch ein Kind, Mister Parker«, entgegnete Agatha Simpson und ließ sich das geleerte Glas nachfüllen. »Mylady befürchten, daß der jungen Dame etwas zustoßen könnte?« verge wisserte sich der Butler. »Das befürchte ich nicht nur, Mister Parker«, reagierte die Detektivin ge reizt. »Ich bin mittlerweile sicher, daß Denise in großer Gefahr schwebt. Wie Sie wissen, hat sich mein kriminalistischer Instinkt schon oft als unfehlbar erwiesen.« »Nichts liegt meiner Wenigkeit ferner, als diese Feststellung anzuzweifeln, Mylady«, antwortete Parker in seiner höflichen Art. »Sofern Mylady es wünschen, würde man unverzüglich zu der schon mehrfach erwähnten Diskothek zurückkehren, um in der Nähe von Mademoiselle Denise zu sein.« »Am besten fahre ich mit«, entschied die resolute Lady. »Wenn es hart auf hart kommt, sind Sie ja meistens überfordert, Mister Parker.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, erwiderte der Butler. »Der Wagen steht startbereit auf dem Vorplatz, falls der Hinweis erlaubt ist.« »Ich muß mich nur noch ein wenig frischmachen, Mister Parker.« Es dauerte aber noch über eine Stunde, bis Mylady fertig war. Mit Vehemenz hatte sie ihre Garderoben-Schranke durchforstet und Kleidungsstücke aus der Versenkung geholt, die sich ihrer Ansicht nach für den Besuch eines Tanzlokals schickten. Daß das mit glitzernden Pailletten besetzte Tanzkleid einmal modern gewesen war, ließ sich kaum bestreiten. Allerdings mußte das Jahrzehnte her sein. »Ohne Frage werden Mylady im Mittelpunkt des Geschehens stehen«, ser vierte Parker das erwartete Kompliment, als Agatha Simpson mit heraus fordernden Blicken die Freitreppe
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herabkam und sich in der Wohnhalle nach Mannequin-Art im Kreis drehte. Ihr reifes Alter hinderte Mylady durchaus nicht, gegen gelegentliche Anwandlungen von Eitelkeit gefeit zu sein. »Selbstverständlich werde ich im Mittelpunkt stehen, Mister Parker«, nickte die selbstbewußte Dame geschmeichelt, während man den Ausgang ansteuerte. »Das bin ich meinem Stand und meinem Ruf einfach schuldig.« * Den standesgemäßen Platz im Mittelpunkt des Interesses sicherte sich die ebenso wohlhabende wie sparsame Lady noch vor dem Betreten der Diskothek. Sie verweigerte nämlich hartnäckig die Zahlung des Eintrittspreises und sorgte für einen kleinen Aufruhr. Diskobesucher, denen der Zwischenfall wegen des herrschenden Phonpegels entgangen war, wurden wenig später auf Mylady aufmerksam, als sie sich auf der Suche nach Denise zwischen den Tischen hindurchzwängte. Allenthalben machte man ehrfürchtig Platz, wenn die füllige und maje stätische Dame näher kam, doch unversehens änderte Mylady die Richtung. Mit der ihr eigenen Gründlichkeit wollte sie die ohnehin schon überfüllte Tanzfläche genauer in Augenschein nehmen, was für etliche Tänzer aisgesprochen schmerzhafte Folgen hatte Schreie übertönten das akustische Gewitter aus den eindrucksvollen Lautsprecherboxen. Lady Agatha ließ sich durch wehleidige Äußerungen junger Leute nicht irritieren. Sie bahnte sich weiter eine Gasse durch die wo genden Knäuel der Tanzenden, indem sie sich hier genußvoll auf ein Hühner auge stellte und dort beherzt gegen ein störendes Schienbein trat. Über allem schwebte ihr baritonal gefärbtes Organ. »Platz da, junger Mann! Oder muß ich Ihnen erst Manieren beibringen?« Doch der Erfolg der vehementen Aktion war und blieb gleich Null. Selbst Parker konnte das junge Mädchen, das er vor zweieinhalb Stunden gebracht hatte, nirgends entdecken. »Habe ich es nicht gesagt, Mister Parker?« stellte Agatha Simpson in bitterem Triumph fest. »Und was nun?« »Gegebenenfalls dürfte es sich als sinnvoll erweisen, den Herrn zu befragen, der den Plattenspieler bedient, Mylady«, schlug der Butler vor. »Wenn Sie sich etwas davon versprechen ... worauf warten Sie noch, Mister Parker?« gab die resolute Dame zurück. »Meine bescheidene Wenigkeit eilt, Mylady«, antwortete Parker und steuerte in würdevoller Haltung auf Diskjockey Ted Roll zu, der hinter einem hölzernen Verschlag seines Amtes waltete. Doch der Mann drehte ihm den Rücken zu, und der Butler konnte sich räuspern, so oft er wollte - gegen die Phonkaskaden, die Roll mit seinen
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empfindlichen Geräten produzierte, kam er nicht an. »Herhören, junger Mann!« fuhr Lady Simpson mit ihrer voluminösen Stimme dazwischen und hatte Erfolg. Ted Roll zuckte förmlich zusammen und ließ vor Schreck die Platte fallen, die er gerade in die Hand genommen hatte. Er fuhr auf dem Absatz herum und starrte fassungslos in die Gegend. »Keine Zeit!« schrie er gegen den rhythmischen Lärm aus den Boxen an. »Eine Lady Simpson ist es nicht gewohnt, daß man sie warten läßt, junger Mann«, konterte die energische Dame unbeeindruckt. »Verdammt, ich hab' keine Zeit!« brüllte Roll zurück und trat dabei einen Schritt näher auf die ältere Dame zu. Das hätte er besser nicht getan, denn dadurch begab er sich in die Reichweite von Lady Agathas rechter Hand. Ohne Vorwarnung kassierte der Diskjockey eine der berüchtigten Ohrfeigen. Ted Roll jaulte wie ein Hund, der mit dem Schwanz in eine Drehtür geraten ist, als er die stürmische Liebkosung empfing. Mit hervorquellenden Augen taumelte der Mann rückwärts und suchte vergeblich an einer Stellage Halt, in der etliche hundert Langspielplatten untergebracht waren. Der plötzlichen Beanspruchung war das schlanke Regal jedoch nicht ge wachsen. Augenblicklich verlor es das Gleichgewicht und entledigte sich seines Inhalts. Erschreckt versuchte Roll, dem kippenden Regal zu entkommen, doch die Schallplatten, die sich in breiter Flut auf den Boden ergossen, nahmen unter seinen Schuhsohlen die tückische Glätte von Bananenschalen an. Unter hysterischem Kreischen absolvierte der Diskjockey eine Darbietung, die an Eisschnellauf denken ließ. Die sportliche Einlage endete allerdings damit, daß Roll mit der Stirn gegen den noch laufenden Plattenspieler prallte, worauf er sich zu einer kleinen Verschnaufpause auf den Boden legte. Die Nadel schrammte über die volle Breite der Platte, und die Musik riß ab. Plötzlich war es totenstill in dem Raum. Wie erstarrt blieben die Tänzer stehen. Auch an den Tischen rührte sich niemand. »Jetzt beantworten Sie gefälligst meine Frage, junger Mann!« dröhnte Agatha Simpsons Stimme in das beklommene Schweigen. »Oder muß ich erst ungehalten werden?« »Und wer bezahlt mir den Schaden?« stöhnte Roll, während er sich wimmernd vom Boden aufraffte. »Wollen Sie mich vielleicht für Ihre Tolpatschigkeit verantwortlich machen?« ließ die Detektivin nicht locker. »Schließlich habe ich nur versucht, Ihnen Manieren beizubringen.« »Ich werde die Polizei rufen«, knurrte ihr Gegenüber. »Die lassen Sie besser aus dem Spiel, junger Mann«, entgegnete Lady Agatha. »Die Polizei ist mit der Regelung des Verkehrs ausgelastet. Außerdem würde ich es mir an Ihrer Stelle
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dreimal überlegen, ob ich die Bobbys rufe.« »Was wollen Sie damit sagen?« Der Blick des Diskjockeys wurde lauernd. »Daß Sie dringend im Verdacht stehen, aus niedrigen Beweggründen meine Großnichte verschleppt zu haben«, herrschte Agatha Simpson ihn an. »Wo halten Sie Denise versteckt?« »Was zum Teufel, geht mich Ih ...« setzte Roll an, doch er unterbrach sich mitten im Wort, als er gewahrte, wie Mylady erneut versuchte, die Lektion in gutem Benehmen fortzusetzen. »Wie... wie sah sie denn aus?« stammelte der Diskjockey und wich gleichzeitig zwei Schritte zurück. »Geben Sie diesem Lümmel eine Personenbeschreibung, Mister Parker.« Lady Simpson streifte Roll mit grimmigem Blick. »Ach, die meinen Sie!« rief der Diskjockey, sobald der Butler Frisur und Kleidung des Mädchens geschildert hatte. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« »Und wo ist Denise?« drängelte die ältere Dame. »Das Mädchen ist heute abend >Disko-Queen< geworden«, teilte Roll mit. »Jetzt sitzt sie beim Chef, bei Mister Millar. Wahrscheinlich reden sie über Probeaufnahmen.« »Probeaufnahmen?« wiederholte Lady Agatha mißtrauisch. »Was für Probeaufnahmen? « So wie das Mädchen aussieht und auftritt, hat sie gute Chancen, Covergirl zu werden«, gab der Diskjockey Auskunft. »Praktisch, daß Eric Plight auch gerade da ist.« »Darf man höflich fragen, wer der erwähnte Mister Plight ist, und warum Sie seine Anwesenheit praktisch zu nennen geruhen. Mister Roll?« schaltete Parker sich ein. »Plight hat eine gutgehende Modellagentur«, wußte Roll zu berichten. »Da hat schon manches Mädchen sein Glück gemacht.« »Das muß ich natürlich persönlich überprüfen, junger Mann«, entschied die resolute Dame und ließ sich von Ted Roll den Weg zu Bob Millars Büro zeigen. »Und gnade Ihnen Gott, wenn Sie gelogen haben!« Wut und Verzweiflung standen dem Diskjockey im Gesicht geschrieben, als er dem skurrilen Paar aus Shepherd's Market nachblickte. Erst allmählich wich die lähmende Stille, die auf den Besuchern der Dis kothek gelegen hatte. Stimmengewirr wurde laut. Scharenweise strebten die Gäste dem Ausgang zu. Die wenigen, die nicht sofort aufbrachen, überzeugten sich kurz vom desolaten Zustand der Musikanlage. »Diesem Schurken würde ich es glatt zutrauen, daß er mich in eine Falle schickt, Mister Parker«, argwöhnte die passionierte Detektivin, während man auf die Tür zuschritt, die Roll bezeichnet hatte. »Ein Verdacht, der nicht gänzlich von der Hand zu weisen sein dürfte, Mylady«, kommentierte der Butler und schritt voran. Seine würdevoll aufrechte Haltung ließ den Eindruck entstehen, als hätte er einen Ladestock verschluckt. * 13
Hinter der Tür mit der Aufschrift >Büro<, durch die Parker seine Herrin eintreten ließ, lag keineswegs Millars Büro, sondern ein langer, schummrig beleuchteter Gang, der durch abgestelltes Gerumpel zusätzlich eingeengt wurde. Er endete vor einer aufwärts führenden Steintreppe, deren oberer Absatz zunächst nicht zu sehen war. Um so deutlicher drangen die Stimmen zweier Männer an Parkers Ohr, die sich oben gedämpft unterhielten. »Ist da nicht einer gekommen?« hörte der Butler einen der Unbekannten sagen. »Ich seh' mal nach«, bot der andere an und kam schwerfällig die Treppe herunter. »Hier können Sie nicht durch«, knurrte der Mann unfreundlich, sobald er die Lady und ihren Butler erblickte. »Der Ausgang ist in der entgegengesetzten Richtung.« »Mylady hat keinesfalls den Ausgang verfehlt, sondern befindet sich auf dem Weg zu Mister Millars Büro«, setzte Parker den knapp dreißigjährigen Hünen mit dem schwarzen Schnauzbart ins Bild. »Millar will nicht gestört werden. Er hat eine wichtige Besprechung«, ver suchte der Türsteher, die unerwünschten Besucher abzuwimmeln. Dabei strich er wie unabsichtlich über die auffällige Ausbuchtung seiner grauen Lederjacke. »Papperlapapp, junger Mann«, machte die ältere Dame deutlich. »Wenn Sie mich nicht unverzüglich Ihrem Chef melden, sehe ich mich leider gezwungen, ausgesprochen ungemütlich zu werden.« Dazu schwenkte Agatha Simpson kokett ihren perlenbestickten Pompadour. Der Beutel, dessen lederne Tragriemen sie ums rechte Handgelenk gewickelt hatte, enthielt ihren >Glücksbringer<, ein massives Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereigaul stammte. Diesen sogenannten Glücksbringer, der aus humanitären Gründen in eine dünne Lage Schaumstoff gewickelt war, setzte die energische Dame ebenso treffsicher wie wirksam im Nahkampf ein. Den Empfängern brachte dies in der Regel aber alles andere als Glück. »Hoho, hast du das gehört, John?« brummte der Schnauzbärtige und setzte ein Grinsen auf, das man nur als unverschämt bezeichnen konnte. »Die abgetakelte Fregatte will frech werden.« »Dann gib's ihr doch, Brian«, rief John von oben herab. »Warum so zim perlich?« »Habe ich mich verhört, oder hat mich dieser ungehobelte Rüpel soeben beleidigt, Mister Parker?« erkundigte sich Mylady in einem Ton, der an das bedrohliche Grollen eines aufziehenden Gewitters denken ließ. »Mylady haben den juristischen Tatbestand in einer Weise genannt, die man nur als brillant bezeichnen kann«, ließ der Butler sich mit unbewegter Miene vernehmen. Doch dieser Bestätigung hätte es eigentlich nicht
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bedurft. Noch ehe Parker seinen Satz beendet hatte, war Lady Agatha dazu übergegangen, sich in ihrer spontanen und sehr persönlichen Art Genugtuung zu verschaffen. Zischend gab der schnauzbärtige Türwächter alle Atemluft von sich, als Agatha Simpsons Glücksbringer sein Brustbein massierte. Röchelnd verdrehte der Mann die Augen und versuchte, die ältere Dame mit einer Darbietung zu erfreuen, die ihm bei jedem Rock 'n' Roll-Wettbewerb den Beifall von Preisrichtern und Publikum eingebracht hätte. Da seine Zuschauer jedoch keinerlei Sinn für abenteuerliche Verrenkungen zeigten, brach er die Einlage vorzeitig ab und ließ sich zu einer Ver schnaufpause auf den Stufen nieder. In dieser Situation kam dem Mann, der von seinem Komplizen mit Brian angeredet wurde, die Idee, es mit einer sportlichen Vorführung zu versuchen. Nach kurzem Schwanken kippte der Mann von seinem harten Sitzplatz nach vorn, absolvierte eine makellose Rolle vorwärts und landete zu Füßen der Detektivin, wo ihn endgültig der Mut zu weiteren Unternehmungen verließ. Mit einem erlösten Seufzer streckte er sich auf dem Betonboden aus und glitt lächelnd ins Reich der Träume. Den großkalibrigen Revolver, der dabei aus der Schulterhalfter des Schnauzbärtigen rutschte, ließ Parker wie beiläufig in einer der unergründlichen Innentaschen seines schwarzen Covercoats ver schwinden. Auf Türhüter John, der sich durch den breitbeinigen Gang eines Seemanns und rotblonde Stoppelhaare auszeichnete, übte das Geschehen am Fuß der Treppe eine eindeutige belebende Wirkung aus. Eilig kam er die Stufen herab und griff gleichzeitig in den Ausschnitt seiner Jacke. Josuah Parker, der mit einer Verschärfung des Diskussionsklimas längst gerechnet hatte, ließ dem Mann jedoch keine Chance, seine Waffe zu ziehen. Mit fast lässig zu nennender Bewegung faßte der Butler seinen steifen Bowler an der Krempe und schickte ihn dem Ganoven wie eine schwarze Frisbeescheibe entgegen. In elegantem Bogen segelte die halbkugelförmige Kopfbedeckung davon und suchte sich unfehlbar ihr Ziel. Der rothaarige John stieß einen Laut aus, der an die Urwaldsignale eines gewissen Tarzan erinnerte, als die messerscharfe, mit Stahlblech gefütterte Krempe über seinen Handrücken strich. Jammernd ließ er den Revolver fallen und hatte nur noch Augen für das rasche Anschwellen seiner Hand. Darüber vergaß der Mann allerdings völlig, daß er sich nicht auf ebenem Boden, sondern auf der Treppe befand. Als er das Gleichgewicht verlor und schwankend nach einem Halt suchte, war es schon zu spät. John suchte sein Heil in einem spontanen Gleitflug, der aber unter einem unglücklichen Stern stand, da der unerfahrene Flieger den Einfluß der Schwerkraft unterschätzte. Parker fing den Mann auf und ließ
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ihn neben seinem friedlich schlummernden Komplizen sanft zu Boden gleiten. Augenblicke später hatten Agatha Simpson und Butler Parker die Treppe überwunden und standen vor einer Tür, hinter der unzweifelhaft die Stimme von Denise de Tavernay zu vernehmen war. Allem Anschein nach unterhielt sich das junge Mädchen prächtig mit zwei Männern, bei denen es sich vermutlich um Disko-Chef Bob Millar und den Modellagenten Eric Plight handelte. Sogar das Klingen von Gläsern war zu hören. »Man erlaubt sich, allerseits einen möglichst angenehmen Abend zu wünschen«, sagte Parker, während er seiner Herrin mit einer höflichen Ver beugung die Tür aufhielt. »Tante Aggi und Onkel Joschi!« rief Denise überrascht. »Aber es ist doch noch gar nicht elf Uhr.« Verblüfft zeigten sich auch die beiden Männer, mit denen das junge Mädchen am Tisch saß. In den Blicken, mit denen sie die Ankömmlinge bedachten, drückten sich allerdings Ärger und Argwohn aus. »Ich weiß, Kindchen«, begann die Detektivin. »Aber ich konnte es einfach nicht verantworten, dich noch länger dem Einfluß undurchsichtiger Subjekte auszusetzen.« »Aber Tantchen . . .«, protestierte Denise. »Aber Mylady...«, empörte sich ihr Sitznachbar, ein etwa dreißigjähriger Mann von schlaksiger Gestalt, dessen aschblonde Haare ein auffallend blasses Gesicht umrahmten. »Sind Sie etwa der Besitzer dieses zweifelhaften Etablissements?« wollte die ältere Dame wissen. »Allerdings, Mylady«, bestätigte der Blondschopf mit leicht verquältem Lächeln und stellte sich als Bob Millar vor. »Sie sollten Ihr Personal etwas sorgfältiger aussuchen, Mister Killer«, setzte Lady Agatha an. »Pardon, Mylady«, unterbrach der Disko-Chef. »Mein Name ist Millar.« »Ich habe schon richtig verstanden, Mister Killar«, erwiderte Parkers Herrin in gereiztem Ton. »Doch zurück zu Ihrem Personal: Leider mußte ich einem jungen Mann erst Manieren beibringen, ehe er bereit war, sich höflich mit mir zu unterhalten.« Millars blasses Gesicht glich einem Fragezeichen. »Wie hieß der ungehobelte Rüpel noch, Mister Parker?« erkundigte sich die passionierte Detektivin. »Mylady dürften den Diskjockey Ted Roll zu meinen geruhen, falls man nicht sehr irrt«, antwortete der Butler. »Richtig, Doll hieß der Lümmel«, nickte Agatha Simpson. »Der Name lag mir auf der Zunge.« »Aber Mylady«, meldete Millar erneut Protest an. »Kein Aber, Mister Killer«, fuhr die resolute Dame ihm ins Wort. »Der Bursche hat bekommen, was er verdiente. Darüber hinaus muß ich miß billigend feststellen, daß Sie ein 16
minderjähriges Mädchen zum Alkoholgenuß verführen.«
»Aber es war doch nur ein Schlückchen, Mylady«, griff Plight vermittelnd ein.
»Warum sollte Denise ihren Erfolg nicht mit einem Glas Champagner feiern?« »Ihre zauberhafte Nichte ist nämlich heute abend Disco-Queen geworden«, setzte Millar erläuternd hinzu. »Das ist mir selbstverständlich längst bekannt, junger Mann«, entgegnete Agatha Simpson grollend. »Aber jetzt ist Schluß mit dem faulen Zauber. Denise kommt unverzüglich mit nach Hause. Und wagen Sie es nicht noch mal, sich dem Kind zu nähern!« Zögernd erhob sich die Sechzehnjährige und warf den Männern einen bedauernden Blick zu. »Es bleibt aber trotzdem dabei?« vergewisserte sie sich. Millar und Plight nickten. »Nicht mal der Champagner taugt etwas«, stelle Mylady abschätzend fest, nachdem sie den letzten Schluck aus dem Glas ihrer Großnichte gekostet hatte. »Sie sollten sich nach einem anderen Lieferanten umsehen.« »Man erlaubt sich, den Herren noch einen möglichst harmonischen Abend und eine ungestörte Nachtruhe zu wünschen«, sagte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. Anschließend geleitete er Lady Simpson und Denise de Tavernay hinaus. Unten im Gang mußte man über die noch ausgesprochen apathisch wirkenden Türwächter hinwegsteigen, die erst allmählich aus ihren Träumen in die Realität zurückfanden. »Was.. .was ist denn hier passiert?« wollte Denise mit vor Schreck geweiteten Augen wissen. »Nichts Besonderes, Kindchen«, gab die Detektivin mit einer wegwerfenden Geste Auskunft. »Die Lümmel wollten sich mir in den Weg stellen. Da habe ich sie kurzerhand zur Strecke gebracht.« »Du, Tante Aggi?« fragte die junge Französin ungläubig. »Selbstverständlich, Kindchen«, nickte Lady Agatha geschmeichelt. »Wer sich mit mir anlegt, zieht unausweichlich den kürzeren. Das wird Mister Parker dir bestätigen.« »Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, als Myladys Fest stellungen in Zweifel zu ziehen«, kam der Butter der Aufforderung nach. »Nanu, Kindchen«, fragte Lady Agatha besorgt, als Denise am nächsten Morgen zum Frühstück in der Wohnhalle erschien. »Hast du dir die Ohren erkältet?«
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Wie die junge Besucherin tänzelnd und unter rhythmischem Fingerschnippen die geschwungene Freitreppe herabgekommen war, machte sie keineswegs den Eindruck, als hätte sie sich etwas zugezogen. Aus der Tatsache aber, daß Denise keine Antwort gab, daß sie die Frage nicht mal gehört zu haben schien, schloß die Hausherrin, daß mit den Ohren ihrer Großnichte etwas nicht stimmen mußte. »Denise!« Mylady mit ihrem baritonal gefärbten Organ war unüberhörbar. Augenblicklich fuhr das Mädchen zusammen und nahm den schmalen Stahlbügel mit den schaumgummiüberzogenen Ohrmuscheln vom Kopf. »Hast du mich gerufen, Tantchen?« fragte sie anschließend und drückte der älteren Dame einen schmatzenden Gutenmorgenkuß auf die Wange. »Soll Mister Parker dich zum Ohrenarzt fahren, Kindchen?« reagierte Lady Simpson mit einer Gegenfrage. »Zum Ohrenarzt?« wiederholte Denise verblüfft. »Was soll ich denn da?« »Hast du keine Ohrenschmerzen?« erkundigte sich die Detektivin irritiert. »Nicht die Spur, Tante«, Myladys Großnichte lachte. »Wie kommst du denn darauf?« »Normale Menschen benutzen solche Schutzklappen, um einer Erkältung vorzubeugen«, erklärte Agatha Simpson. »Außerdem fiel mir natürlich sofort auf, daß du schlecht hörst, Kindchen.« »Aber das ist doch ein Walkman, Tante Aggi«, erläuterte Denise. »Ach so«, nickte Agatha Simpson sachverständig, während der Butler Kaffee einschenkte und danach in seiner unvergleichlichen Art einen halben Schritt zurücktrat. »Was verstehe ich unter einem Talkman, Mister Parker?« »Ein Walkman, Mylady, ist ein Kassettenspieler mit Kopfhörern, den man überallhin mitnehmen kann«, antwortete Parker. »Die heutige Jugend benützt ein solches Gerät mit besonderer Vorliebe.« »Willst du mal probieren, Tante Aggi?« fragte Denise, als sie den zögernden Blick der älteren Dame bemerkte. Kurz entschlossen nahm sie die Kopfhörer und stülpte sie Agatha Simpson über die Ohren. Die Folgen dieses kleinen Experiments waren beträchtlich. »Was für ein gräßlicher Lärm!« stieß Mylady hervor. Hektisch versuchte sie, sich den Stahlbügel mit den gepolsterten Ohrmuscheln vom Kopf zu zerren. Unglücklicherweise stand die Porzellankanne mit frisch aufgebrühtem Tee in Lady Simpsons Reichweite. In hohem Bogen segelte das gute Stück vom Tisch und absolvierte einen passablen Gleitflug in Richtung Kamin, der allerdings mit einer etwas harten Landung endete. Der fein geschliffenen Kristallschale, in der Parker Hummermayonnaise angerichtet hatte, erging es nur wenig besser. Das gläserne Behältnis kippte von seinem schlanken Jugendstil-Fuß und rollte im Halbkreis über den Tisch, wobei sich der Inhalt gleichmäßig
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über glasierte Rehmedaillons, Toastscheiben und eine sorgfältig garnierte Käseplatte verteilte. Ehe der Butler, der an der Anrichte gestanden hatte, Schlimmeres verhüten konnte, hatte die Schale schon die Tischkante erreicht und folgte dem Gesetz der Schwerkraft. Die Zahl der Einzelteile nach der Landung lag jedoch deutlich niedriger als bei der Teekanne. »Das tut mir aber leid, Tantchen«, bekannte Denise mit schuldbewußter Miene, als die ältere Dame sich endlich von den Kopfhörern befreit und dabei ihre Frisur in ein Chaos grauer Strähnen verwandelt hatte. »Das ist nicht weiter schlimm, Kindchen. Mister Parker bringt das in Ord nung«, erwiderte die Hausherrin mit einem Bück auf den verwüsteten Frühstückstisch. »Aber von dem gräßlichen Gequäke dröhnen mir noch jetzt die Ohren.« »Gequäke?« Denise schien eingeschnappt. »Das ist doch Billy Idol, der Größte überhaupt. Da heb' ich voll ab.« »Mich schmettert solch grauenhafter Lärm nieder«, konterte Lady Agatha. »Mein Gehör ist eben an die Harmonie der klassischen Musik gewöhnt.« »Du wolltest mal Opernsängerin werden, stimmt's, Tante Aggi? « hakte das Mädchen nach. »Ich hatte eine glänzende Karriere vor mir«, bestätigte Agatha Simpson mit schwärmerischem Blick. »Man riß sich förmlich um mich, von der königlichen Oper hier in London ganz zu schweigen. Heute abend werde ich eine kleine Kostprobe geben, Kindchen. Da wird dir erst aufgehen, was wahre Kunst ist.« »Eine Feststellung, die man nur mit allem Nachdruck unterstreichen kann, Mademoiselle Denise«, bemerkte Parker, der die gelegentlichen Ge sangsversuche seiner Herrin in alptraumartiger Erinnerung hatte. »Du kannst ja auch mal 'ne Opernkassette im Walkman ausprobieren, Tante Aggi«, schlug Denise vor. »Der Sound ist jedenfalls affenstark.« »Waffenstark?« fragte Mylady mit gerunzelter Stirn. »Ich meine ... einfach super«, übersetzte das Mädchen. »Du mußt es mal testen, Tante.« »Nun gut, später vielleicht«, entgegnete die ältere Dame und wandte sich mit konzentriertem Interesse wieder dem Frühstückstisch zu, den der Butler mit routinierten Griffen entrümpelt und ebenso rasch wie lautlos von neuem gedeckt hatte. Die Mahlzeit verlief in gelockerter Atmosphäre und ohne jede Störung. Mylady schien den Vorfall vom Abend zuvor vergessen zu haben. Sie plauderte munter drauflos, soweit es die lebenswichtige Aufgabe der Kalorienzufuhr zuließ. Ihre Laune sank jedoch schlagartig auf den Gefrierpunkt, als sie gerade den letzten Käsewürfel in den Mund steckte. Das Läuten der Haustürglocke klang ausgesprochen stürmisch. »Ich sehe mal nach«, bot Denise sich an und wollte schon aufspringen.
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»Das ist Mister Parkers Aufgabe, Kindchen«, stellte die Hausherrin in so strengem Ton klar, daß das Mädchen widerspruchslos sitzen blieb. »Wenn es Mister McWarden ist, sagen Sie ihm, daß ich vorläufig nicht zu sprechen bin, Mister Parker«, baute Lady Agatha vor, während der Butler in würdevoller Haltung den verglasten Vorflur ansteuerte. »Wie Mylady zu wünschen belieben«, erwiderte Parker mit einer ange deuteten Verbeugung im Hinausgehen. »Wer ist denn dieser McWarden, Tantchen?« wollte Denise wissen. »Ach, das ist so ein Beamter von Scotland Yard«, teilte die Detektivin mit. »Meistens sitzt er hinter dem Schreibtisch und wartet darauf, daß ich seine Fälle löse.« Daß Chief-Superintendent McWarden als ebenso einflußreicher wie fähiger Kriminalist galt, der unmittelbar dem Innenminister unterstellt war und eine Sondereinheit zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens leitete, fand Mylady nicht der Erwähnung wert. Über die britische Polizei im allgemeinen und McWarden im besonderen hatte sie ihre sehr persönliche Meinung. McWarden fehlte es mitunter an Gelassenheit, um die verbalen Giftpfeile der älteren Dame abzuschütteln. Dennoch ließ er sich immer wieder in Shepherd's Market blicken, vor allem, wenn seine konventionellen Ermitt lungsmethoden Probleme aufwarfen. Dabei galten seine Besuche aber vorrangig Josuah Parker, dessen ausgewogenes Urteil er seit Jahren schätzte. Bei dem Besuch, der sich durch stürmisches Läuten bemerkbar gemacht hatte, handelte es sich jedoch nicht um den Yard-Beamten. * »Draußen sind zwei Herren, die Mademoiselle Denise zu sprechen wünschen«, teilte Parker mit, als er gemessen und würdevoll in die Wohnhalle zurückkehrte. »Das sind die Fotografen«, wußte das junge Mädchen sofort. »Sie wollen mich zu Probeaufnahmen abholen.« »Was für Fotografen, was für Probeaufnahmen, Kindchen?« wollte Agatha Simpson mißtrauisch wissen. »Mister Millar und Mister Plight meinten gestern abend, ich hätte gute Chancen, Covergirl für ein Jugendmagazin zu werden«, gab Denise zur Ant wort. »Ob wirklich was draus wird, hängt von den Probeaufnahmen ab, die heute gemacht werden sollen.« »Und dafür willst du dich hergeben, Kindchen? So etwas schickt sich nicht für eine junge Dame aus gutem Hause.« »Aber Tantchen«, erwiderte Myladys Großnichte lachend. »Wir machen doch keine Pornos.« »Wie auch immer«, entschied die Hausherrin in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Wenn Aufnahmen gemacht werden, dann nur in meiner Gegenwart.« Dabei blieb es denn auch. Denise maulte zwar ein wenig, und die beiden 20
smarten Herren, die sich als Fotografen ausgaben, schienen auch nicht erbaut von der Anwesenheit einer Aufsichtsperson. Aber niemand wagte es, der älteren Dame zu widersprechen. Zehn Minuten später hatten die Männer ein beeindruckendes Ungetüm von Plattenkamera aus ihrem Kombi geholt und auf dem Vorplatz des repräsentativen Fachwerkhauses aufgebaut. »Das alte Gemäuer gibt einen ganz passablen Hintergrund ab«, meinte der ältere von beiden, ein schlanker Mittvierziger mit grauen Schläfen, der in einem eleganten Straßenanzug steckte. »Noch besser wäre der altertümliche Schlitten da drüben«, schlug sein Begleiter vor und deutete auf Parkers hochbeiniges Monstrum. Die Besucherin von der Seine zeigte zwar eindeutige Symptome von Lam penfieber, aber sie bewältigte ihre Aufgabe mit der Routine eines profes sionellen Fotomodells. Denise de Tavernay räkelte sich auf der schwarzen Haube des schwerfällig wirkenden Vehikels, stellte sich winkend aufs Trittbrett oder baute sich in der Pose einer Anhalterin auf, während die Männer emsig mit ihrer Kamera hantierten. »Was machen Sie mit den vielen Aufnahmen, junger Mann?« wandte Mylady sich an den Grauhaarigen, der die Regie zu führen schien. »Wir suchen die besten aus«, antwortete der Mann. »Natürlich bekommen Sie Abzüge, wenn Sie möchten.« »Kostenlos?« vergewisserte sich die gutsituierte Dame mit dem ausgeprägten Hang zur Sparsamkeit. »Selbstverständlich«, erwiderte ihr Gegenüber. Das großzügige Entgegenkommen des Mannes ließ Lady Agathas Mißtrauen schmelzen wie Schnee in der Märzsonne. Man kam ins Plaudern, und als die Fotografen später einen Standortwechsel vorschlugen, um Denise noch vor der Kulisse der ehrwürdigen Tower Bridge abzulichten, hatte die vorher so besorgte Lady keinerlei Einwände mehr vorzubringen. Mylady hätte sogar darauf verzichtet, das Mädchen zu begleiten, wäre Parker nicht gewesen. Während der Aufnahmen hatte der Butler scheinbar unbewegt unter dem spitzgiebeligen Vordach an der Haustür gestanden. Dabei wirkte er, als hätte er einen Ladestock verschluckt. Sein glattes, undurchdringliches Pokergesicht machte einen teilnahmslosen Eindruck. Seinen wachen Augen entging jedoch keine Einzelheit. Aussehen und Auftreten der Unbekannten verdienten eindeutig das Prädikat >seriös<. Dennoch wurde Parker den Verdacht nicht los, daß das foto grafierende Duo ganz andere Pläne hegte als die Herstellung eines Titelfotos für ein Jugendmagazin. Die Handgriffe, mit denen die Männer ihre Ausrüstung bedient hatten, wirkten auf den Butler alles andere als professionell. * Trotz gewisser Bedenken, die Josuah Parker in seiner höflichen Weise 21
vorbrachte, hatte Denise darauf bestanden, im Auto der Fotografen mitzufah ren. Mit ausschlaggebend für diesen Entschluß war die pompöse Stereoanlage gewesen, über die der fast fabrikneue Volvo-Kombi verfügte. So saß Agatha Simpson allein im luxuriös gepolsterten Fond und ließ ihr baritonal gefärbtes Organ hören. Der Butter hatte zwar die gepanzerte Trennscheibe zwischen Fond und Fahrerplatz hochgefahren und die Ge gensprechanlage abgeschaltet, aber das milderte den Druck aufsein Trom melfell nur geringfügig. Inzwischen bereute er, daß er den Walkman der jungen Besucherin mit einer Kassette aus Myladys umfangreichen Beständen bestückt hatte, die berühmte Arien aus Wagner-Opern enthielt. Aber wann hätte Parker jemals einem Wunsch seiner Herrin widersprochen? Jedenfalls hatte Mylady den Lautstärkeregler bis zum Anschlag geschoben und bemühte sich nach Leibeskräften, gegen das Orchester und diverse Solisten anzusingen. Phonmäßig gelang ihr das durchaus. Dafür nahm die ältere Dame es mit der Notentreue nicht so genau, was im Moment aber nur den Butter störte. Parker war indes viel zu höflich, um Lady Simpson bei der Kunstausübung zu stören. Dabei war in diesem Augenblick seine volle Aufmerksamkeit gefordert. Fast unmerklich hatte es der Kombilenker auf der Fahrt in Richtung Buckingham Palace geschafft, erst zwei, dann drei andere Fahrzeuge zwischen sich und Parkers schwarzen Kasten zu bringen. Gerade schaltete der Mann in den dritten Gang zurück, gab Vollgas und wollte durch riskantes Lückenspringen den Abstand weiter vergrößern. Der angebliche Fotograf hatte aber nicht nur die >Trickkiste auf Rädern< unterschätzt, sondern auch den schwarz gewandeten Mann hinter dem Lenkrad. Gelassen schaltete Parker das Zusatztriebwerk ein, das sich umgehend durch dumpfes Röhren unter der schwarzen, eckigen Haube bemerkbar machte. Gleichzeitig wurde das schwerfällig wirkende Vehikel förmlich nach vorn katapultiert, wobei der Butter kaltblütig jede Möglichkeit zu blitzschnellem Spurwechsel nutzte. Zwei Ampeln weiter lagen nur noch zwei Wagen zwischen Ausreißer und Verfolger. Mit ungläubigen Blicken sah der Volvolenker im Rückspiegel das schwarze Monstrum unaufhaltsam näher kommen. Der Mann entschied sich, sein fruchtloses Bemühen einzustellen, da kam ihm der Zufall zu Hilfe... Im Galopp preschte ein durchgegangenes Pferd aus dem St. James's Park und schickte sich an, ohne Rücksicht auf die elementarsten Verkehrsregeln die belebte Autostraße zu überqueren. Der Fahrer des Kombis schaffte es gerade noch, vor dem scheuenden Tier durchzukommen. Der nächste Fahrzeuglenker hatte es nur seinen perfekt eingestellten Bremsen zu
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verdanken, daß er vor dem völlig desorientierten Vierbeiner zum Stehen kam, der mitten auf der Fahrbahn überraschend Halt machte und sich aufbäumte. Bei der chromblitzenden Luxuslimousine, die als nächste folgte, schien es mit den Bremsen dagegen nicht zum Besten bestellt zu sein. Oder der Lenker hatte es an der nötigen Konzentration fehlen lassen. Jedenfalls bohrte der schwere Wagen seine Stoßstangenhörner in den Kofferraum des Vordermannes. Anschließend schleuderte das Fahrzeug herum und stellte sich quer. Der stets wachsame Butler konnte sein schwarzes Gefährt rechtzeitig vor dem gestrandeten Straßenkreuzer stoppen. Allerdings schaffte er es nicht mehr, Mylady auf das bevorstehende Bremsmanöver hinzuweisen. So fand die Opernmatinee ein abruptes Ende, und Lady Agathas wogende Leibesfülle geriet ins Rutschen. »Können Sie denn nicht aufpassen, Mister Parker?« entrüstete sich Agatha Simpson, während sie ihre kuriose Hutschöpfung geraderückte und den etwas deformierten Kopfhörer zurechtzubiegen versuchte. »Da ist ja ein Pferd«, stellte sie dann sichtlich überrascht fest. »Was hat das Tier denn auf der Straße zu suchen, Mister Parker?« »Man bedauert zutiefst, Myladys Frage nicht schlüssig beantworten zu können«, erwiderte der Butler über die inzwischen eingeschaltete Gegen sprechanlage. »Das Tier dürfte sich bei einem Ritt durch den benachbarten Park erschreckt und seinen Reiter abgeworfen haben, falls man eine Ver mutung äußern darf.« »Und da ist ja ein Unfall«, entdeckte die passionierte Detektivin erst jetzt. »Meiner armen, kleinen Denise wird doch nichts passiert sein?« »Erfreulicherweise wurde das Fahrzeug, in dem Mademoiselle Denise sitzt, in keiner Weise von dem Unfallgeschehen tangiert, Mylady«, teilte Parker mit. »Welch ein Glück!« seufzte Agatha Simpson erleichtert. »Andererseits sieht man sich zu der ausgesprochen unerfreulichen Mitteilung genötigt, daß das fragliche Fahrzeug, ein Volvo-Kombi, mittlerweile außer Sicht ist«, lieferte der Butler die Hiobsbotschaft gleich hinterher. »Wie ... außer Sicht?« erkundigte sich Mylady irritiert. »Der erwähnte Volvo-Kombi hat seine Fahrt mit unvermindertem Tempo fortgesetzt, obwohl dem Fahrer der Zwischenfall nicht entgangen sein kann, Mylady«, wurde Parker deutlicher. Eine Pause entstand. Im Rückspiegel registrierte der Butler, wie das eben noch gerötete Gesicht seiner Herrin erbleichte. »Diese ... diese kriminellen Subjekte wollen meine arme, kleine Denise entführen?« vergewisserte sich Agatha Simpson mit bebender Stimme. »Bedauerlicherweise dürfte der von Mylady angesprochene Tatbestand bereits erfüllt sein«, warf Parker ein. »Unsinn!« konterte die resolute Dame. »Ich werde mir die Lümmel vor
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vorknöpfen und ihnen ein paar Maulschellen verpassen, daß ihnen Hören und Sehen vergeht. Die Subjekte werden für alle Zeiten die Finger von Denise lassen.« »Was man nicht bezweifelt, Mylady«, antwortete der Butler. »Allerdings dürfte es mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein, die Spur der Entführer wiederzufinden.« »Wie auch immer«, zeigte Agatha Simpson unerschütterlichen Optimismus. »Ihnen wird schon was einfallen, Mister Parker. Warum verfolgen Sie die Burschen nicht?« »Ein derartiges Unterfangen dürfte als nahezu aussichtslos erscheinen, falls der Einwand erlaubt ist«, antwortete Parker. »Mehr dürften sich Mylady von einem Besuch bei Mister Bob Millar versprechen.« »Ron Killer? Wo habe ich diesen Namen schon mal gehört, Mister Parker?« wollte die Detektivin wissen. »Mister Bob Millar, den Mylady zweifellos zu meinen geruhen«, korrigierte der Butler in seiner höflichen Art, »dürfte Mylady als Inhaber der Diskothek >Night Fever< in Erinnerung sein.« »Richtig«, nickte Agatha Simpson. »Ich wollte nur nachprüfen, ob Sie aufgepaßt haben, Mister Parker. Wie Sie wissen, ist mein Namensgedächtnis phänomenal.« »Eine Feststellung, die man keinesfalls in Zweifel ziehen möchte, Mylady«, sagte Parker und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Drei beherzte Männer hatten das Pferd eingefangen, die demolierten Autos wurden an den Fahrbahnrand geschoben. Mit der schwarz behandschuhten Linken am Schalthebel wartete der Butler auf die erste Lücke, die sich bot. Se kunden später schoß das hochbeinige Monstrum auf quietschenden Pneus davon. Natürlich würde Bob Millar vehement abstreiten, irgend etwas mit der Entführung zu tun zu haben, dachte Parker auf der Fahrt zur Clark Street. Aber daß er oder Modellagent Eric Plight die Kidnapper mit Informationen versorgt hatten, stand für Butler Parker außer Zweifel. * Bei hellem Tageslicht wirkte die Umgebung der Diskothek >Night Fever< fast noch schäbiger als am Abend zuvor. Nur zwei Wagen parkten vor dem Haus: ein grellrot lackierter Spitfire und ein leicht ramponierter Ford-Kombi, der nach dem Werkzeug-Sammelsurium auf der Ladefläche einem Handwerker zu gehören schien. Während Josuah Parker seine vor Tatendrang fast berstende Herrin über die wenig befahrene Straße zum Eingang geleitete, zog er das handliche Universalbesteck aus der rechten Außentasche seines schwarzen Covercoats. Doch wenig später ließ er das bewährte Werkzeug wieder in die Tasche gleiten. Die Tür zur Diskothek war nur angelehnt. »Sehr verdächtig«, kommentierte Agatha Simpson. »Garantiert will der Schurke mich in eine Falle locken.« 24
»Eine Möglichkeit, die man vorsichtshalber nicht ausschließen sollte«, ließ der Butler sich vernehmen. »Andererseits dürften Mylady damit rechnen, daß Mister Millar zu einer derartigen Eskalation bislang keinen Anlaß sieht.« »Wie wird der Lümmel sich nach Ihrer Einschätzung verhalten, Mister Parker?« wollte die Detektivin wissen. »Mister Millar dürfte zunächst den Eindruck zu erwecken versuchen, er habe mit der beklagenswerten Entführung der bedauernswerten Mademoiselle Denise nicht das geringste zu tun«, tat Parker seine Ansicht kund. »Da hat er bei mir kein Glück«, verkündete Agatha Simpson und bedachte ihren perlenbestickten Pompadour mit einem liebevollen Blick. »Eine Kriminalistin durchschaut auch die raffiniertesten Ablenkungsmanöver.« »Was meine bescheidene Wenigkeit nie anzweifeln würde, Mylady«, sagte der Butler und drückte vorsichtig die Eingangstür ein Stück auf. Die geheimnisvolle innere Stimme, die ihn schon oft vor einem gefährlichen Hinterhalt gewarnt hatte, hüllte sich in Schweigen. Dennoch ließ Parker höchste Wachsamkeit walten, als er mit geräuschlosen Schritten in den düsteren Vorflur trat und Mylady hereinbat. »Funken Sie mir nicht immer dazwischen, wenn ich gerade richtig in Schwung bin, Mister Parker«, mahnte die resolute Dame. »Ich brauche drin gend ein bißchen Bewegung, und der Erfolg meiner Vernehmungsmethoden spricht ohnehin für sich.« »Eine Feststellung, die man nur nachdrücklich unterstreichen kann, Mylady«, antwortete der Butler und schob langsam den schweren Vorhang beiseite, der den Blick in die eigentliche Diskothek verdeckte. Erst beim zweiten Hinsehen gewahrte Parker die beiden Männer, die in dem immer noch verwüstet wirkenden Verschlag des Diskjokeys kopfschüttelnd in einem undurchdringlichen Gewirr von Drähten und Kabeln herumkrochen. Die schlanke, blondgelockte Gestalt im himmelblauen Jeansanzug war un verkennbar Diskjockey Ted Roll. Bei dem breitschultrigen Jüngling im grünen Arbeitskittel schien es sich um einen Handwerker zu handeln, dem die undankbare Aufgabe zugefallen war, die Trümmerstätte bis zum Abend in eine funktionierende Musikanlage zu verwandeln. Lautlos machte der Butler seine Herrin auf das sehr beschäftigt wirkende Duo aufmerksam. »Hier scheint Denise jedenfalls nicht zu sein«, stellte Lady Agatha enttäuscht fest. »Ich werde Mister Killer also einem gnadenlosen Verhör unterziehen. Fragen Sie die Burschen da drüben, wo das gewissenlose Subjekt sich versteckt hält.« »Wie Mylady zu wünschen belieben«, erwiderte Parker mit einer ange deuteten Verbeugung und schritt auf die Männer zu. Beide schienen unter einer gewissen Schwerhörigkeit zu leiden, was zumindest bei Ted Rolls beruflichen Belastungen plausibel erschien. Jedenfalls
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fuhr das Paar erst von seiner Aufgabe auf, als der Butler schon hinter ihnen stand und durch vernehmliches Räuspern auf sich aufmerksam machte. »S... Sie?« stammelte Roll und wurde augenblicklich leichenblaß. »Mylady wünscht, Mister Bob Millar zu sprechen, sofern der Herr anwesend ist«, kam Parker ohne Umschweife auf den Anlaß des Besuchs zu sprechen. »Der Chef ist heute früh nach Brighton gefahren«, teilte Roll wie aus der Pistole geschossen mit. »Hab' auch keine Ahnung, wann er wieder hiersein will.« »Eine Mitteilung, die man nur mit dem allergrößten Bedauern zur Kenntnis nehmen kann, Mister Roll«, erwiderte der Butler. * »Der Lümmel lügt!« dröhnte plötzlich Lady Simpsons Bariton aus dem Hintergrund. »Klar, daß er seinen kriminellen Brötchengeber decken will.« Diskjockey und Elektriker tauschten einen raschen Blick. Anschließend gingen sie ohne lange Vorrede zum Angriff über. Parker, der mit unfreundlichen Reaktionen stets rechnete, war jedoch schnell genug, um die Pläne ebenso rechtzeitig wie gründlich zu durchkreuzen. Ted Roll ließ ein scharfes Zischen und gleich darauf unartikulierte Blub berlaute hören, als die bleigefüllte Spitze des schwarzen Universalschirms neugierig seinen ohnehin überreizten Magen abtastete. Bei einem spontanen Hechtsprung in die Richtung des Butlers hatte der Mann völlig übersehen, wie das altväterlich gebundene Regendach ruckartig hochwippte und sich ihm entgegenstreckte. Mit hervorquellenden Augen torkelte der Diskjockey im Zickzack durch seinen Verschlag und fegte dabei beträchtliche Werte an fabrikneuer Elek tronik aus den Regalen, die der Elektriker gerade erst installiert hatte. An schließend knickte er wie eine Gliederpuppe in allen Gelenken gleichzeitig ein und suchte sich im Kabelgewirr einen möglichst behaglichen Ruheplatz. Der Elektriker, der ein paar Schritte weiter gestanden und ebenfalls Anstalten getroffen hatte, sich spontan auf Josuah Parker zu stürzen, ließ sich durch dieses Beispiel immerhin warnen. Wie angewurzelt blieb der ausgesprochen durchtrainiert wirkende junge Mann stehen und maß den schwarz gewandeten Gegner mit lauernden Blicken. Seine Rechte hielt den Griff eines Schraubenziehers von eindrucksvollem Format umklammert. Wie ein Boxer hüpfte er federnd hin und her und hielt nach einer Angriffs möglichkeit Ausschau. Parker sorgte jedoch dafür, daß der hitzige Bursche die scharf geschliffene Klinge seines Werkzeugs nicht mißbrauchen konnte. Der athletische Jüngling jaulte wie ein Hund, als die bleigefütterte
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Schirmspitze nachdrücklich gegen seine Fingerknöchel pochte. Reflexartig spreizte er die Hand und ließ den Schraubenzieher fallen. Geschlagen gab sich Parkers Gegner aber noch nicht. Mit dumpfem Aufschrei warf der Elektriker sich dem Butler entgegen. Sein Ziel erreichte er allerdings nicht. Mit der Gelassenheit eines erfahrenen Matadors trat Parker einen Schritt zur Seite und ließ den Angreifer ins Leere laufen. Gleichzeitig ließ er das schwarze Regendach ruckartig in die Höhe steigen, faßte nach der bleigefüllten Spitze und ließ den Bambusgriff einen Halbkreis dicht über dem Boden beschreiben. Der breitschultrige junge Mann, den Parkers unverhofftes Ausweichen oh nehin aus dem Tritt gebracht hatte, verlor vollends den Kopf, als die Krücke sich unwiderstehlich um seine Fußgelenke ringelte und ihm buchstäblich die Beine unter dem Körper wegriß. Sein Entschluß, es mit einem Gleitflug zu versuchen, erwies sich als aus gesprochen unüberlegt. Die Schwerkraft machte dem Bemühen des fliegenden Elektrikers rasch ein Ende, mochte er auch noch so heftig mit den Armen rudern. Dafür verdiente die Bauchlandung, mit der der Mann auf dem spiegelblanken Tanzparkett aufsetzte, das Prädikat > makellos <. In vorbildlich gestreckter Haltung glitt er über die hochglanzpolierte Fläche und rutschte der passionierten Detektivin vor die Füße, die pompadourschwingend in das Geschehen einzugreifen sich anschickte. »Funken Sie mir nicht ständig dazwischen, Mister Parker« sagte die resolute Lady. Der Elektriker zuckte nicht mal zusammen. Die ungewohnte Anstrengung des Fluges mit anschließender Landung ohne Fahrwerk war anscheinend über seine Kräfte gegangen. Jetzt machte der Mann einen eindeutig entspannten Eindruck. »Meine Wenigkeit bedauert zutiefst, Myladys Unwillen erregt zu haben«, versicherte der Butler. »Allerdings sah man sich zu gewissen Verteidigungs maßnahmen förmlich genötigt, falls der Hinweis erlaubt ist.« »Wie auch immer«, überging Agatha Simpson souverän den höflichen Ein wand. »Wo steckt denn nun Mister Killer? Und vor allem: Wo ist Denise?« »Mister Roll versicherte, sein Arbeitgeber wäre heute morgen nach Brighton gefahren«, teilte Parker mit. »Zu weitergehenden Fragen fand man bislang noch keine Gelegenheit.« »Ich werde diesen gewissenlosen Subjekten schon die Wahrheit entlocken«, meinte die ältere Dame zuversichtlich. »Sorgen Sie dafür, daß die Burschen für eine Vernehmung zur Verfügung stehen, Mister Parker.« »Mylady belieben, von einer Inspektion des Hauses abzusehen?« erkundigte sich der Butler. »Möglicherweise dürfte in Betracht zu ziehen sein, daß sich noch weitere Personen in der Nähe aufhalten.« »Den entsprechenden Hinweis wollte ich gerade geben, Mister Parker«
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behauptete die ältere Dame. »Als Kriminalistin habe ich die Ausflüchte von Mister Rock 'n' Roll natürlich sofort durchschaut. Ich bin sicher, daß sich sein Chef irgendwo versteckt hält.« »Eine Möglichkeit, die man keinesfalls ausschließen sollte. Mylady«, ant wortete Parker. »Im übrigen meine ich, daß Sie den Inspektionsgang allein machen können, Mister Parker«, fuhr Lady Agatha mit huldvoller Geste fort. »Irgendwann sollten Sie sich an selbstständiges Arbeiten gewöhnen.« »Man dankt für den ehrenvollen Auftrag und wird sich bemühen, Myladys Erwartungen nicht zu enttäuschen«, erwiderte der Butler. »Ich bleibe so lange hier und passe auf die Gefangenen auf«, bot die pas sionierte Detektivin an. »Aber sehen Sie gründlich nach, Mister Parker! Auch wenn es ein paar Minuten länger dauert.« Die Erklärung für die ungewohnte Großzügigkeit seiner Herrin fand Parker, als er sich im Weggehen noch mal kurz umwandte. Mylady hatte die her renlose Bar entdeckt und war offensichtlich fest entschlossen, die Wartezeit zu einer Qualitätsprüfung der ansehnlichen Bestände zu nutzen. * »Die sonstigen Räumlichkeiten des Hauses sind in der Tat menschenleer, Mylady«, meldete der Butler, als er zehn Minuten später in den Gastraum zurückkehrte. »Im übrigen ist möglicherweise die Mitteilung erlaubt, daß sich in Mister Millars Privatwohnung keinerlei Anzeichen eines überstürzten Aufbruchs gefunden haben.« Agatha Simpson, die inzwischen einen beachtlichen Teil ihres Testprogramms absolviert hatte, ließ sich durch die Mitteilung nicht aus dem Konzept bringen. »Ich werde die Lümmel hier gründlich in die Zange nehmen, sobald sie wieder vernehmungsfähig sind«, erwiderte die ältere Dame. »Die werden mir schon verraten, wo ihr Chef sich verkrochen hat.« »Sofern Mister Roll über Mister Millars derzeitigen Aufenthalt tatsächlich unterrichtet ist, dürfte daran kaum zu zweifeln sein, Mylady«, pflichtete Parker bei und wandte sich anschließend den immer noch müden Kämpfern zu. Bevor er den Männern das Fläschchen mit Riechsalz, einem bewährten Hausmittel, unter die Nase hielt, griff der Butler in eine der unergründlichen Innentaschen seines schwarzen Covercoats und förderte zwei Paar Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl zutage. Damit schränkte er die Bewegungsfreiheit des Duos so weit ein, daß Störungen der Vernehmung nicht mehr zu befürchten waren. »Ist mir übel«, jammerte Ted Roll, als der stechende Geruch der Riech salzkristalle ihn energisch in die unerfreuliche Gegenwart zurückrief. »Stellen Sie sich gefälligst nicht so wehleidig an, junger Mann!« herrschte Agatha Simpson ihn an. »Schließlich haben Sie sich alles selbst zuzu schreiben.« »Oooh...« Roll stöhnte nur. Sein 28
Gesicht war kreideweiß wie die Klippen von Dover und mit Schweißperlen übersät. »Sie werden jetzt unverzüglich und wahrheitsgemäß auf die Fragen ant worten, die Mister Parker Ihnen stellt«, ordnete die Detektivin an. »Oder muß ich erst ungemütlich werden, Mister Rock 'n' Roll?« »Nein, nein«, erwiderte der Diskjokey eilig und folgte mit argwöhnischen Blicken dem perlenbestickten Pompadour, der aufdringlich vor seiner Nase wippte. »Dann darf man möglicherweise erneut um detaillierte Auskunft bitten, wo Mister Bob Millar sich derzeit aufhält, Mister Roll«, übernahm der Butler das Ruder. »In Brigthon. Hab' ich Ihnen doch schon gesagt«, beharrte Roll. »Mehr weiß ich nicht.« »Der Bursche besitzt tatsächlich die Dreistigkeit, einer Kriminalistin ins Gesicht zu lügen, Mister Parker«, ereiferte sich Lady Agatha. »Ich werde ihm eine einprägsame Lektion erteilen müssen, ehe ich mit der Befragung fortfahre.« »Bloß nicht!« schrie Roll. »Sie lassen mir keine andere Wahl, junger Mann«, entgegnete Mylady. »Oder möchten Sie jetzt endlich die Wahrheit sagen?« »Das war die Wahrheit!« beteuerte ihr Gegenüber mit weinerlicher Stimme und angstvoll geweiteten Augen. »Was halte ich von diesem wehleidigen Subjekt, Mister Parker?« wandte sich die resolute Detektivin an ihren Butler. »Vermutlich eine bedeutungslose Randfigur, die von ihrem Auftraggeber sowieso nur unvollständig informiert wird?« »Eine Vermutung, der meine Wenigkeit sich ausdrücklich anschließen möchte, Mylady«, ließ Parker sich mit einer angedeuteten Verbeugung ver nehmen. »Und warum ist der andere Lümmel noch nicht bei Bewußtsein?« wollte die ältere Dame wissen. In der Tat hatte das Riechsalz bei dem Elektriker bisher eine durchgreifende Wirkung vermissen lassen. Er hatte zwar mit eindeutigen Lebenszeichen auf die Dämpfe aus dem Fläschchen reagiert, zeigte aber immer noch keine Neigung, die Augen aufzuschlagen und sich an der Unterhaltung zu beteiligen. »Mylady schätzen die Wahrscheinlichkeit, daß der Elektriker über Mister Millars Aufenthalt Auskunft geben kann, als außerordentlich gering ein, falls man nicht sehr irrt«, gab der Butler zu bedenken. »Gegebenenfalls dürfte es sich jedoch empfehlen, Mister Roll nach der Anschrift von Mister Plight zu fragen.« »Richtig, darum wollte ich Sie gerade bitten, Mister Parker«, nickte Agatha Simpson. »Wer ist noch mal dieser Mister Fight?« »Mister Eric Plight, den Mylady fraglos zu meinen belieben, dürfte als Inhaber einer Modellagentur gelten«, lieferte Parker die gewünschte Infor mation. »Wie Mylady sich ohne Zweifel erinnern, nahm Mister Plight gestern abend an dem Gespräch zwischen Mister Millar und der 29
bedauernswerten Mademoiselle Denise teil.« »Ich weiß, ich weiß, Mister Parker«, wehrte Lady Agatha ab. »Mein Ge dächtnis arbeitet mit der Präzision eines Computers. Ich sehe den Schurken förmlich vor mir.« »Woran meine Wenigkeit keine Sekunde zweifelt, Mylady«, versicherte der Butler. »Raus mit der Sprache, junger Mann!« wandte Agatha Simpson sich abrupt an Ted Roll, der wieder in tiefe Lethargie versunken war und wimmernd den desolaten Zustand seines überreizten Verdauungsorgans beklagte. »Wo finde ich Fred Night?« »Wen?« fuhr der Diskjockey erschreckt hoch. »Mylady geruht, Mister Eric Plight zu meinen, falls der erläuternde Hinweis erlaubt ist, Mister Roll«, schaltete Parker sich ein. »Was wollen Sie denn von dem?« antwortete der Diskjockey mit einer Gegenfrage. »Das ist Ermittlungsgeheimnis. Im übrigen stelle ich hier die Fragen und niemand sonst«, beschied ihn die ältere Dame. »Plights Agenturbüro und die Fotostudios liegen an der Adelina Grove in Stepney«, teilte Ted Roll nach kurzem Zögern mit. »Die Hausnummer weiß ich nicht, aber Sie werden das Gebäude schon finden.« »Woran meine Wenigkeit nicht im geringsten zweifelt, Mister Roll«, gab der Butler zur Antwort. »Ansonsten darf man sich möglicherweise erlauben, für die geradezu freudige Auskunftsbereitschaft zu danken und noch einen möglichst friedvollen Nachmittag zu wünschen.« Anschließend lüftete er höflich seine schwarze Melone, verneigte sich knapp und geleitete Agatha Simpson hinaus. * »Ägyptischer Strom mit drei Buchstaben?« fragte die aufdringlich ge schminkte Blondine, die in Eric Plights Agenturbüro die Funktion der Empfangsdame zu bekleiden schien. Es war Mittagspause, und die gutgebaute Mittdreißigerin hatte ihre langen Beine dekorativ auf die Schreibtischplatte gelegt. Auf dem Schoß hielt sie ein Kreuzworträtselheft, von dem sie nicht mal aufblickte, als das skurrile Paar aus Shepherd's Market eintrat. »Nil natürlich«, half ein schätzungsweise fünfundzwanzigjähriger Mann mit kantigem Gesicht und breiten Schultern, der weiter hinten an einem Tisch saß und lustlos in einem Karteikasten mit Fotografien kramte. »Und römische Jagdgöttin mit fünf Buchstaben?« wollte die Rätselfreundin wissen. »Diana, falls der Hinweis erlaubt ist«, sagte Parker und lüftete zum Gruß seinen Bowler. »D-i-a-n-a« buchstabierte die junge Frau, während sie das Wort eintrug. Aber sie blickte noch immer nicht auf. »Mylady wünscht Mister Eric Plight zu sprechen«, trug der Butler das Anliegen des mittäglichen Besuches vor. 30
»Bis drei ist Pause«, teilte die langbeinige Blondine mit, ohne weiter von den Ankömmlingen Notiz zu nehmen. »Es handelt sich um eine Angelegenheit, die man nur als ausgesprochen dringlich bezeichnen kann und muß«, informierte Parker auf seine höfliche Art. »Das behauptet jeder«, versuchte Plights Angestellte, die Besucher ab zuwimmeln. »Mag ja sein, Kindchen«, schob die Detektivin sich dazwischen. »Eine Lady Simpson ist aber nicht jeder. Entweder Sie melden mich unverzüglich Ihrem Chef, oder Sie lernen mich von meiner unangenehmsten Seite kennen.« »Solche Töne sind wir hier nicht gewöhnt, Madam«, ergriff der junge Mann im Hintergrund die Partei seiner Kollegin. »Am besten kratzen Sie sofort die Kurve und lassen sich vor drei nicht wieder blicken.« Dabei erhob er sich langsam vom Stuhl und reckte sich demonstrativ zu voller Größe auf. Schritt für Schritt kam der durchtrainierte Jüngling näher und gab dabei das Bild eines Mannes ab, der vor lauter Kraft kaum hoch laufen konnte. »Die alte Schachtel hat wohl nicht alle Tassen im Schrank«, raunte er der Blondine zu. Dabei streifte er die füllige Detektivin und ihren Butler mit verächtlichem Blick. Der Satz war eigentlich nicht für Agatha Simpsons Ohren bestimmt gewesen. Aber die ältere Dame hatte ihn gehört. »Habe ich mich verhört, Mister Parker«, vergewisserte sie sich, »oder hat dieser Rüpel mich mit seinen unqualifizierten Äußerungen beleidigt?« Ehe Parker seiner Herrin in gewohnter Höflichkeit beipflichten konnte, ging die resolute Lady dazu über, sich in ihrer spontanen und direkten Weise Genugtuung zu verschaffen. Blitzartig versetzte Mylady dem ungalanten Jüngling eine ihrer. berüchtigten Ohrfeigen. Ihr Gegenüber heulte wie ein liebeskranker Wolf bei Vollmond, als Lady Agathas Rechte sich mit Nachdruck an seine Wange legte. Die Augen des Mannes wollten aus den Höhlen springen, während sein Kopf haltlos von einer Schulter zur anderen pendelte. Torkelnd suchte der Gemaßregelte mit dem kantigen Gesicht nach einem Halt und betastete gleichzeitig die roten Striemen, die sein Gesicht zierten. Dabei zeigte er jedoch ein ausgesprochen tolpatschiges Verhalten, das die ältere Dame mit mißbilligendem Kopfschütteln quittierte. Bei dem Versuch, auf die Detektivin loszugehen, übersah der momentan etwas entnervte Jüngling seine blonde Kollegin, die immer noch samt Rätsel heft auf ihrem Drehstuhl saß und die schlanken Gehwerkzeuge auf dem Schreibtisch geparkt hatte. Augenblicklich kippte der Stuhl zur Seite und beförderte die hysterisch kreischende Besitzerin schwungvoll auf den Teppichboden. Ihr Kollege fegte noch rasch eine Schreibmaschine vom Tisch, ehe er eilig folgte. »Verdammt, was ist denn hier los?« fuhr eine schneidende Männerstimme
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dazwischen, während die beiden sich noch auf dem Teppich kugelten. Josuah Parker erkannte das zornige Gesicht, das unvermittelt im Hintergrund aufgetaucht war, auf den ersten Blick. Auch Eric Plight wußte sofort, mit wem er es zu tun hatte. Der Griff, mit dem er in den Ausschnitt seiner Anzugsjacke langte, wirkte fast wie ein unbewußter Reflex. Der Butler war jedoch um die entscheidenden Sekundenbruchteile schneller und vereitelte die ungastlichen Absichten des Hausherrn ebenso wirksam wie nachhaltig. Ehe Plight den großkalibrigen Revolver aus der Schulterhalfter gerissen hatte, war Parkers schwarze Melone schon unterwegs. Mit einer fast lässig wirkenden Handbewegung hatte der Butler die Kopfbedeckung an der stahlverstärkten Krempe gefaßt und ließ sie dem Modellagenten entgegenschwirren. Wie eine schwarze Frisbeescheibe segelte der Bowler durch das Büro, legte sich sanft in die Kurve und steuerte unbeirrt sein Ziel an. Plight stieß einen spitzen Schrei aus, als die Krempe über seinen Hand rücken glitt und von dort zur Nasenwurzel weiterhüpfte. Mit der Waffe schien Parkers Gegner nun nichts mehr im Sinn zu haben. Achtlos ließ er sie in einen Schirmständer fallen, der sich zufällig in Reichweite befand. Dafür entschloß er sich spontan, Besucher und Mitarbeiter durch ein im provisiertes Tänzchen zu erfreuen. Er probierte es mit Samba und Rock 'n' Roll, mit alpenländischem Schuhplattler und orientalischem Bauchtanz. Doch keine Darbietung wollte zur Zufriedenheit gelingen. Plight gab schließlich frustriert auf. Mit der Eleganz eines Tanzbärs wankte er noch ein paar Schritte auf den Butler zu, streckte mit hilfloser Geste die Arme aus und ließ sich schließlich auf den nächsten Schreibtisch fallen. Dort blieb er wie ein nasses Handtuch über der Platte hängen. * Als der Modellagent Minuten später wieder zu sich kam, hatte Parker ihn schon in sein separates Büro verfrachtet und auf den Drehsessel hinter dem Schreibtisch gesetzt. Plights rätselbegeisterte Empfangsdame und ihr an griffslustiger Kollege waren in einer fensterlosen Abstellkammer eingeriegelt. »Verdammt!« knurrte der Hausherr und starrte das skurrile Paar aus trüben Augen an. »Was soll der hirnverbrannte Unsinn?« »Darf man höflich nachfragen, was Sie mit >hirnverbranntem Unsinn< zu meinen belieben, Mister Plight?« erkundigte sich der Butler mit unbewegter Miene. »Sie führen sich auf wie eine Rockerbande«, gab der Agent wütend zurück. »Und das in den Geschäftsräumen eines seriösen Unternehmens.« »Papperlapapp, Mister Night«, nahm Agatha Simpson das Wort. »Pardon, Mylady«, unterbrach der
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Mann. »Mein Name ist Plight. Eric Plight.« »Nichts anderes habe ich gesagt, Mister Fight«, konterte die Detektivin. »Im übrigen können Sie heilfroh sein, daß ich mir bisher strengste Zurückhaltung auferlegt habe.« »Das nennen Sie Zurückhaltung?« fragte Plight bitter. Dabei betastete er abwechselnd seine geschwollene Hand und das eindrucksvolle Horn, das über seiner Nasenwurzel sprießend sich entfaltete. »Am liebsten hätte ich Sie gleich verprügelt, junger Mann«, teilte Lady Agatha mit. »Aber als Kriminalistin billige ich selbst ruchlosen Verbrechern die faire Chance zu, sich zu verteidigen.« »Ich glaub', ich bin im falschen Film«, schüttelte der Agenturbesitzer den Kopf. »Was wird hier überhaupt gespielt? « »Sie haben die Unverfrorenheit besessen, meine geliebte Großnichte Denise zu entführen«, sagte Mylady ihm auf den Kopf zu. »Und dafür werden Sie büßen, Mister Fight. So wahr ich Agatha Simpson heiße!« »Aber das ist doch blanker Unsinn«, ereiferte sich der Hausherr. »Ich will das Mädchen groß herausbringen, weil es Talent hat und blendend aussieht. Das ist alles.« »Eine Mitteilung, die man in dieser oder ähnlicher Form erwartet hatte, Mister Plight«, schaltete Parker sich ein. »Dennoch ist gegebenenfalls die Frage erlaubt, ob es sich bei den beiden Herren, die Mademoiselle Denise heute vormittag zu Probeaufnahmen abholten, um Mitarbeiter ihrer Firma handelte.« »Jetzt wird mir was klar«, rief Agenturchef. »Welch ein Mißverständnis!« »Darf man um Auskunft bitten, wie Sie diese Äußerung verstanden wissen möchten, Mister Plight?« hakte der Butler nach. »Natürlich waren es meine Mitarbeiter«, bestätigte Plight. »Zuverlässig wie Phil Cocker und Hank Marley sind, haben sie mich auch schon angerufen und über das kleine Mißgeschick berichtet.« »Kleines Mißgeschick? Was soll das heißen?« mischte Agatha Simpson sich wieder ein. »Hank Marley teilte mir, daß er Sie auf der Fahrt zur Tower Bridge leider aus den Augen verloren hätte«, gab der Hausherr zur Antwort. »So was kann im Stadtverkehr schon mal passieren.« »Eine Feststellung, der kaum zu widersprechen sein dürfte, Mister Plight«, sagte Parker. »Andererseits ist unter Umständen der Hinweis erlaubt, daß der Verkehrsunfall, durch den Mylady an der Weiterfahrt gehindert wurde, Mister Marley kaum entgangen sein dürfte.« »Ich war nicht dabei, also kann ich auch nichts dazu sagen«, wich Plight aus. »Aber von einer Entführung kann überhaupt nicht die Rede sein.« »Und wo stecken die Lümmel jetzt?« wollte die ältere Dame wissen. »Nach den Aufnahmen vor der Tower Bridge sind Hank und Phil mit Ihrer Nichte zu einem Geschäftsfreund
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weitergefahren, dem die Förderung junger Tanztalente ein Herzensanliegen ist«, berichtete der Modellagent. »Möglicherweise darf man um nähere Informationen bitten, wie die erwähnte Förderung konkret aussieht, Mister Plight«, nahm der Butler wieder das Wort. »Zunächst werden Probeaufnahmen gemacht«, erwiderte der Mann hinter dem Schreibtisch. »Anschließend legt Stan Stevenson das Trainingsprogramm fest.« »Sofern man richtig unterrichtet ist, verfügen Sie in diesem Hause über ein komplett eingerichtetes Fotoatelier, Mister Plight«, warf Parker ein. »Daraus zieht meine Wenigkeit den Schluß, daß die entsprechenden Aufnahmen auch hier möglich gewesen wären.« »Das ist nicht so einfach, wie ein Laie sich das denkt, Mister Parker«, entgegnete der Agenturbesitzer. »Hier fehlt es an Platz, an Musik und an der notwendigen Effektbeleuchtung. Stans Tanzstudio bietet dagegen ideale Bedingungen.« »Eine Feststellung, der man momentan nicht widersprechen möchte, Mister Plight«, antwortete der Butler. »Darf man in diesem Zusammenhang gegebenenfalls die Frage stellen, wo Mister Stevensons Tanzstudio sich be findet?« »Wollen Sie etwa hinfahren?« erkundigte sich der Hausherr. »Selbstverständlich werde ich hinfahren, junger Mann«, stellte die pas sionierte Detektivin unmißverständlich klar. »Und keine Macht der Welt wird mich davon abhalten.« »Vermutlich würden Sie bei den Aufnahmen nur stören«, gab Plight zu bedenken. »Am besten fahren Sie wieder nach Hause und warten dort die Rückkehr Ihrer Großnichte ab, Mylady. Hank und Phil haben versprochen, das Mädchen am frühen Nachmittag wieder bei Ihnen abzuliefern.« »Auf derart plumpe Tricks falle ich nicht herein, Mister Night«, entgegnete Agatha Simpson. »Wer weiß, was dem Kind in der Zwischenzeit passiert. Also: Wie ist die Adresse?« »Nun gut, wenn Sie darauf bestehen, werde ich Stan anrufen und fragen, ob Sie vorbeikommen dürfen«, schlug der Agenturchef vor und griff zum Telefonhörer. »Finger weg, junger Mann«, grollte die Detektivin. »Ich brauche keine Er laubnis, wenn ich mich um das Wohlergehen meiner geliebten kleinen Großnichte kümmern will.« Reflexartig zog Eric Plight tatsächlich die Hand vom Telefon zurück. Und das war sein Glück. Im nächsten Augenblick jagte Myladys perlenbestickter Pompadour durch die Luft und nahm Kurs auf Plights Telefon. »Sind Sie wahnsinnig?« fuhr der Modellagent auf. »Sie sollten sich mäßigen, Mister Fight«, erwiderte die resolute Dame ungerührt. »Andernfalls könnte ich mich beleidigt fühlen, und das hätte ausgesprochen unangenehme Folgen für Sie.« »Was meine Wenigkeit nur mit dem 34
größten Nachdruck unterstreichen kann, Mister Plight«, warf Parker mit undurchdringlicher Pokermiene ein. »Okay, okay«, lenkte der Hausherr ein. »Fahren Sie zur Salmon Lane vierundachtzig in Limehouse.« »Ein Vorschlag, den man unverzüglich in die Tat umsetzen wird, Mister Plight«, ließ der Butler sich vernehmen. »Im übrigen darf man auch in Myladys Namen für die entgegenkommende Auskunftsbereitschaft danken und noch einen möglichst angenehmen Nachmittag wünschen.« Anschließend lüftete er höflich seine schwarze Melone und geleitete Lady Agatha hinaus. Auf dem Weg durch das vordere Büro blieb Josuah Parker noch kurz am Verteilerschrank der Telefonanlage stehen. Wenige gezielte Handgriffe ge nügten, um das System bis auf weiteres unbrauchbar zu machen. * »Ich hatte doch gleich gewußt, daß der Lümmel lügt wie gedruckt«, äußerte die Detektivin, als der Butler ihr wenig später in der Salmon Lane aus dem Fond des hochbeinigen Monstrums half. »Sofern Mylady Mister Eric Plight zu meinen belieben, kann man sich dieser Einschätzung nur vorbehaltlos anschließen«, pflichtete Parker ihr bei. »Ihnen fehlt die Erfahrung, Mister Parker«, fügte die ältere Dame hinzu. »Sonst wären Sie nicht auf das plumpe Ablenkungsmanöver dieses Schurken hereingefallen.« »Darf man höflich um Auskunft bitten, wie Mylady diese Äußerung ver standen wissen möchten?« »Sehen Sie vielleicht das Tanzstudio, von dem der Lümmel sprach?« reagierte Agatha Simpson mit einer Gegenfrage und sah sich suchend um. »Bei der Bezeichnung >Tanzstudio< dürfte es sich um eine vornehme Um schreibung handeln, falls die Formulierung erlaubt ist, Mylady«, antwortete der Butler. Dabei deutete er mit der schwarz behandschuhten Rechten auf das Haus, das die Nummer 84 trug. Das flache, etwas heruntergekommen wirkende Gebäude beherbergte ein Stripteaselokal der untersten Kategorie, das sich unter dem Namen >La Rose< empfahl. Der Volvo-Kombi, in dem Denise zusammen mit Phil Cocker und Hank Marley gesessen hatte, war nirgends zu entdecken. Lady Agatha räusperte sich und musterte den schmuddeligen Eingang des Etablissements mit angewiderten Blicken. »Die gewissenlosen Subjekte werden es doch wohl nicht gewagt haben, meine arme, kleine Denise in eine derartige Lasterhöhle zu verschleppen«, meinte die passionierte Detektivin. Dabei ließ der grollende Unterton ihrer Stimme an ein aufziehendes Gewitter denken. »Mylady könnten sich durch eingehende Besichtigung des Hauses Gewißheit schaffen, falls der Hinweis genehm ist«, schlug Parker vor. »Das hatte ich natürlich ohnehin 35
vor, Mister Parker«, nickte Lady Simpson und steuerte mit forschen Schritten den Eingang an. Obwohl zur nachmittäglichen Zeit mit Sicherheit keine Gäste erwartet wurden, war die Tür der Stripteasebar nur angelegt. Während die resolute Dame schon ungeduldig ihren wohlgefüllten Pompadour kreisen ließ und vor Tatendrang vibrierte, warf der Butler einen vorsichtigen Blick in das Lokal. Es dauerte ein paar Sekunden, bis seine Augen sich an die Dämmerung gewöhnt hatten, die im Inneren herrschte. Die eigentliche Bar, der Gastraum und die kleine Bühne boten einen chao tischen Anblick. Tische und Stühle waren umgeworfen, die Deckenlampen heruntergerissen, der Boden mit Scherben übersät. Von dem dunkelroten Bühnenvorhang waren nur noch traurige Fetzen vorhanden. Über allem lag schwerer Alkoholdunst aus den zertrümmerten Flaschenbatterien. »Was ist denn hier passiert«? wunderte sich die Detektivin und schnupperte interessiert. »Mister Stevensons Lokal dürfte Ziel eines Überfalls geworden sein, der höchstens eine halbe Stunde zurückliegt, falls man sich nicht gründlich täuscht, Mylady«, gab Parker Auskunft. »Wahrscheinlich hat der Bursche sich mit Schutzgelderpressern angelegt«, kommentierte die ältere Dame sachverständig. »Eine Möglichkeit, die man keinesfalls von vornherein ausschließen sollte, Mylady«, ließ der Butler sich vernehmen. »Andererseits dürften Mylady auch in Betracht ziehen, daß es sich um eine gezielte Inszenierung handeln könnte...« »Durch die man mir Sand in die Augen streuen will«, ergänzte Agatha Simpson grimmig. »Mylady sagen es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.« »Dann wäre der Überfall also nur vorgetäuscht?« vergewisserte sich die Detektivin. »Ein entsprechender Verdacht dürfte kaum von der Hand zu weisen sein, Mylady«, bestätigte Parker und ging voran. Von Denise und ihren Begleitern war erwartungsgemäß keine Spur zu entdecken. Auch sonst ließ sich kein menschliches Wesen blicken. Dennoch hielt der Butler alle Sinne in Alarmbereitschaft, während er über die demolierten Reste der Einrichtung stieg. Für einen Heckenschützen hielt das gründlich verwüstete Lokal Verstecke in Hülle und Fülle bereit. Doch die geheimnisvolle innere Stimme, die Parker schon vor manchem tödlichen Hinterhalt gewarnt hatte, hüllte sich in Schweigen. Das Paar aus Shepherd's Market hatte schon fast alle Winkel durchforstet, als der Butler unvermittelt stehenblieb und aufmerksam lauschte. Auch Lady Agatha hatte etwas gehört. »Was war das für ein seltsames Geräusch, Mister Parker?« wollte sie wissen. »Falls man eine Vermutung äußern
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darf, dürfte es sich um menschliches Stöhnen gehandelt haben, Mylady«, lautete Parkers Definition. Anschließend öffnete er langsam eine seitliche Tür, die auf einen kurzen Flur führte. Der schwach erleuchtete Gang endete vor einer zweiten Tür, die sperr angelweit offenstand. Jetzt war auch das Stöhnen wieder zu hören, und zwar wesentlich deutlicher als zuvor. Zweifellos kamen die Klagelaute aus dem Zimmer am Ende des Flurs. Die offene Tür gab allerdings nur den Blick auf einen kleinen Ausschnitt des Raumes frei. »Nun sehen Sie doch nach, Mister Parker«, drängelte Agatha Simpson. »Womöglich ist es Denise, die hier gefangengehalten wird.« »Meine bescheidene Wenigkeit eilt, Mylady«, versicherte der Butler mit gedämpfter Stimme und näherte sich geräuschlos der offenen Tür. Schon der erste, vorsichtige Blick um die Ecke bestätigte seine Vermutung. Bei dem Menschen, der durch sein Stöhnen auf sich aufmerksam gemacht hatte, handelte es sich keineswegs um Myladys sechzehnjährige Großnichte Denise de Tavernay. * Der knapp über vierzigjährige Mann mit der behäbigen Figur und den schwarzen, fettigen Haarsträhnen über dem schwammigen Gesicht war mit Elektrokabeln an einen Stuhl gefesselt. In seinem Mund steckte ein Knebel. »Geht man möglicherweise recht in der Annahme, Mister Stanley Stevenson gegenüberzustehen?« erkundigte sich Parker, nachdem er den Mann von Fesseln und Knebel befreit hatte. »Ja, ja«, nickte Stevenson. »Ein Glück, daß Sie gekommen sind. Fast wäre ich an dem verfluchten Knebel erstickt.« »Darf man hoffen, daß Sie die Täter beschreiben können, die Sie in derart prekäre Lage brachten, Mister Stevenson?« wollte der Butler wissen. »Leider nicht«, erwiderte der Stripclubbesitzer kopfschüttelnd und massierte seine Handgelenke, die noch die Spuren der Fesseln trugen. »Die verdammten Gangster waren alle maskiert.« »Ein Umstand, den man nur mit ausdrücklichem Bedauern zur Kenntnis nehmen kann, Mister Stevenson«, erwiderte Parker. »Dennoch wäre Mylady Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich bereitfinden könnten, den Hergang des Überfalls detailliert zu schildern.« »Moment mal«, wandte sein Gegenüber ein. »Wer sind Sie überhaupt, daß Sie solche Fragen stellen? Sie kommen doch nicht etwa von Scotland Yard?« »Nein, natürlich nicht. Im übrigen können Sie von Glück reden, daß eine Kriminalistin die Fäden der Ermittlungen in der Hand hat«, warf Mylady sich in die ohnehin füllige Brust. »Dann sind Sie Lady Simpson?« mutmaßte der Mann mit dem schwammigen Gesicht und den blaßblauen Augen. »Sie haben also schon von mir 37
gehört?« fragte die Detektivin geschmeichelt. »Allerdings«, seufzte Stevenson. »O Gott, o Gott!« »Darf man gegebenenfalls erfahren, was Sie zu diesem Ausruf veranlaßt, Mister Stevenson?« erkundigte sich Parker. »Wie soll ich Ihnen das bloß beibringen«, jammerte Stevenson und schlug die Hände vors Gesicht. »Kann und muß man vermuten, daß Sie die gewaltsame Entführung einer jungen Dame namens Denise de Tavernay zu meinen belieben?« hakte der Butler nach. »Sie wissen schon?« zeigte Stevenson sich überrascht. »Man war so frei, aus dem beklagenswerten Zustand Ihres Lokals die entsprechenden Schlüsse zu ziehen, Mister Stevenson«, gab Parker mit un bewegter Miene zur Antwort. »Die junge Dame war eine Verwandte von Ihnen, stimmt's Mylady?« wandte sich der Hausherr an Agatha Simpson. »Die arme, kleine Denise ist meine Großnichte«, bestätigte die ältere Dame. »Aber ich werde die Schurken finden, die das arme Kind entführt haben.« »Hoffentlich«, nickte Stevenson düster. »So ein hübsches Mädchen! Und so talentiert! Haben Sie denn die Polizei schon alarmiert, Mylady?« »Kommt überhaupt nicht in Frage, junger Mann. Ich lasse mir doch nicht in die Ermittlungen hineinpfuschen.« »Sie müssen's wissen, Mylady«, entgegnete der Schwammgesichtige. »Ich will Ihnen da nicht reinreden.« Die Mitteilung schien ihn zu überraschen. Unwillkommen war sie offenbar nicht. Parker, der den Mann ebenso unauffällig wie konzentriert beobachtete, registrierte sogar eine gewisse Erleichterung, die sich in Stevensons Zügen spiegelte. »Möglicherweise darf man an dieser Stelle an die Frage nach dem Hergang des Geschehens erinnern, Mister Stevenson«, meldete der Butler sich wieder zu Wort. »Vor schätzungsweise einer Stunde traf das Mädchen hier ein«, berichtete der Hausherr. »Begleitet wurde sie von zwei Mitarbeitern eines befreundeten Geschäftsmannes, der eine erfolgreiche Modellagentur betreibt.« »Dabei dürfte es sich um Mister Phil Cocker und Mister Hank Marley ge handelt haben, die in den Diensten eines gewissen Eric Plight stehen«, warf Parker ein, und Stevenson nickte. »Hank und Phil hatten gerade begonnen, alles für die Aufnahmen vor zubereiten, als die maskierten Gangster hereinstürmten«, fuhr der Mann mit dem Schwammgesicht fort. »Sie gaben mehrere Warnschüsse an die Decke ab und schnappten sich das Mädchen.« »Das werden die Schurken mir büßen!« schwor Agatha Simpson grimmig und strich zärtlich über ihren perlenbestickten Pompadour. »Und Sie sahen keine Möglichkeit, die Entführung zu verhindern, Mister Stevenson?« wollte der Butler wissen. »Was sollten wir denn tun?« erwiderte 38
sein Gesprächspartner betrübt. »Die Kerle waren bis an die Zähne bewaffnet. Hank und Phil, die feigen Hunde, sind gleich durch den Hinterausgang verduftet ...« » ...während man Sie an der Flucht hinderte«, ergänzte Parker. »Nein, nein, Mister Parker«, entgegnete Stevenson mit einem Unterton von Entrüstung. »Ich wollte mich den Schurken noch in den Weg stellen, aber sie schlugen mich brutal nieder und fesselten mich anschließend hier an den Stuhl.« Zur Bekräftigung verwies der Stripclubinhaber auf eine nicht besonders eindrucksvolle Beule an seinem Hinterkopf. »Können Sie denn Angaben zu dem Fahrzeug machen, in dem die krimi nellen Subjekte mit meinem armen Liebling geflüchtet sind, junger Mann?« ließ Lady Agatha sich vernehmen. »Gesehen habe ich nichts, Mylady«, erklärte Stevenson mit bedauerndem Schulterzucken. »Nur den Motor habe ich gehört. Demnach könnte es ein Ford gewesen sein. Aber sicher bin ich da nicht.« »Sehr bedauerlich, junger Mann«, erwiderte die Detektivin. »Wie soll ich denn bei solch verschwommenen Angaben das arme Mädchen finden?« »Mademoiselle Denise in London aufzuspüren, dürfte der Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen entsprechen, falls die Anmerkung erlaubt ist«, meinte der Butter. »Trotzdem werde ich sie finden, Mister Parker«, verkündete die resolute Dame. »Eine Hoffnung, der auch meine bescheidene Wenigkeit sich mit allem Nachdruck anschließen möchte, Mylady«, betonte Parker. »Obwohl mein sensibler Kreislauf dringend eine kleine Stärkung brauchen könnte, werde ich unverzüglich mit der Suche beginnen, Mister Parker«, teilte Agatha Simpson mit und erhob sich. »Gnade Gott den Schurken, wenn ich sie erwische!« »Was lediglich eine Frage der Zeit sein dürfte«, setzte der Butler hinzu, bevor er sich höflich von Stanley Stevenson verabschiedete. »Mister Plight schilderte Sie als engagierten Förderer talentierter Nach wuchstänzerinnen, Mister Stevenson«, bemerkte Parker beiläufig, während man zu dritt dem Ausgang zustrebte. »Kann und muß man diese Äußerung so verstehen, daß die fraglichen jungen Damen Gelegenheit erhalten, in Ihrem Club aufzutreten«? »Gott bewahre, Mister Parker«, entgegnete Stevenson in etwas zu dick aufgetragener Entrüstung. »Das würde ich einer jungen Dame wie der rei zenden Denise de Tavernay nie zumuten. Vermutlich hat Plight auf meine guten Beziehungen zum Königlichen Ballett und zu diversen Opernhäusern angespielt.« »Eine Mitteilung, die man nicht ohne Überraschung zur Kenntnis nimmt, Mister Stevenson«, sagte der Butler. »Darf man im übrigen von der Annahme ausgehen, daß Sie den
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Überfall auf Ihr Lokal der Polizei anzeigen werden?« »Das laß ich lieber bleiben, Mister Parker«, antwortete der Hausherr mit leicht verlegenem Grinsen. »Für einen Mann meines Gewerbes wäre es tödlich, sich in der Szene unbeliebt zu machen.« »Eine Einschätzung, der kaum zu widersprechen sein dürfte, Mister Ste venson«, erwiderte Parker, lüftete höflich die schwarze Melone und geleitete seine Herrin zum Wagen. * Die Stimmung, die beim Fünfuhrtee in Lady Simpsons Wohnhalle herrschte, war bedrückend. Gleich nach der Rückkehr hatte der Butler einen alten Bekannten und be währten Mitarbeiter telefonisch um Unterstützung gebeten. Der ehrenwehrte Mister Pickett, wie Parker ihn meist nannte, hatte einst als >König der Londoner Taschendiebe« zur Unterwelt gehört. Allerdings hatte er seine flinken Finger nur dort aktiviert, wo der Verlust eines Bündels Pfundnoten nicht schmerzte. Das war der Grund, weshalb er seine frühere Tätigkeit manchmal als >Eigentumsumverteiler< umschrieb. Seit der Butler ihm in einer kritischen Situation das Leben gerettet hatte, stand der etwa sechzigjährige Horace Pickett jedoch auf der Seite des Gesetzes und rechnete es sich zur Ehre an, für das Paar aus Shepherd's Market tätig werden zu dürfen. Dabei hatten sich seine intimen Kenntnisse der Londoner Szene schon oft als außerordentlich nützlich erwiesen. Nebenbei galt Pickett nicht zu Unrecht als Meister der diskreten Observation. »Ich werde sofort meine Verbindungen spielen lassen und mich möglichst bald wieder melden, Mister Parker«, versprach der einstige Eigentumsver teiler, als der Butler ihn in das Geschehen einweihte und um Auskünfte über Discochef Bob Millar, über den Modellagenten Eric Plight sowie über Stripclubinhaber Stanley Stevenson bat. Auf Anwalt Mike Rander und die attraktive Kathy Porter, die kurz nach dem Telefonat in Shepherd's Market eintrafen, wirkte die Nachricht von der Entführung Denise de Tavernay wie ein Schock. »Haben Sie die Eltern von Denise schon verständigt, Mylady?« wollte Kathy Porter wissen, als sie neben der Hausherrin am Tisch Platz nahm. »Natürlich nicht, Kindchen«, erwiderte die Detektivin kopfschüttelnd. »Warum sollen die Ärmsten sich unnötig aufregen?« »Vielleicht sollte man doch die Polizei einschalten, Mylady«, gab Rander zu bedenken. »Ich kenne zwar Ihre Meinung über unsere Polizei, aber immerhin hat Scotland Yard genug Leute, um ganze Stadtviertel zu durchkämmen.« »Mag ja sein, mein lieber Junge«, schien Agatha Simpson überzeugt »Aber ich vertraue doch lieber auf meine eigenen Fähigkeiten. Bisher habe ich noch keinen Gangster kennengelernt, der mir gewachsen gewesen
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wäre. Warum sollte das in diesem Fall anders sein?« »Aber wie wollen Sie das Mädchen denn in der Riesenstadt finden, Mylady?« fragte Kathy Porter mit besorgter Miene. »Das ist nur eine Frage der Taktik, Kindchen. Und meinen Fähigkeiten auf diesem Gebiet haben die Kidnapper nichts entgegenzusetzen«, versuchte Lady Agatha, Zuversicht zu verbreiten. Wie es um ihre Gemütsverfassung in Wirklichkeit bestellt war, blieb den Besuchern aber ebensowenig verborgen wie Josuah Parker, der die kleine Teerunde schweigend bediente. Die köstliche Nougattorte, die der Butler in einer renommierten Konditorei erstanden hatte, blieb unberührt, auch das knusprige, verführerisch duftende Blätterteiggebäck. Mylady nippte nur kurz an dem rotgoldenen Assamtee, den Parker eingeschenkt hatte, und verlangte dann nach einer Stärkung für ihren angegriffenen Kreislauf. »Was versprechen sich die Gangster denn eigentlich von der Entführung des Mädchens?« fragte Kathy Porter, während Parker der älteren Dame einen Cognac edelster Herkunft einschenkte. »Das möchte ich auch wissen, Kindchen«, entgegnete Lady Simpson. »Die Lümmel glauben doch nicht etwa, sie könnten von einer alleinstehenden Dame Lösegeld erpressen.« »Rechnen sollte man damit«, warf der Vermögensberater der sparsamen Hausherrin ein. »In diesem Fall wäre über kurz oder lang damit zu rechnen, daß die Kidnapper ihre Forderung präsentieren.« »Sobald sie das tun, schlage ich natürlich gnadenlos zu, mein Junge«, schwor die Detektivin und genoß ihren Cognac. »Allerdings kämen auch andere Möglichkeiten in Betracht...« meinte Rander zögernd. »Und welche, Mike?« wollte seine attraktive Begleiterin wissen. »Nun ... die Burschen könnten zum Beispiel versuchen, das Mädchen zur Prostitution zu zwingen«, lautete des Anwalts Antwort. »Nie und nimmer!« grollte Lady Agatha. »Eher drehe ich den Schurken den Hals um!« »Dazu müssen Sie die Kerle aber erst mal haben, Mylady«, ließ Mike Rander sich vernehmen. »Warum rufen die gewissenlosen Subjekte denn nicht endlich an, Mister Parker?« wollte die ältere Dame wissen und ließ ihr Glas nachfüllen. »Meine Wenigkeit bedauert zutiefst, Myladys Frage unbeantwortet lassen zu müssen«, erwiderte der Butler mit einer angedeuteten Verbeugung. »Da! Das sind sie!« fuhr die Hausherrin förmlich auf, als zwei Minuten später das Telefon klingelte. »Man eilt, den Anruf entgegenzunehmen«, versicherte Parker und machte sich in würdevoller Haltung auf den Weg. »Hier bei Lady Simpson«, meldete er sich.
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»Hallo, Mister Parker«, tönte die wohlvertraute Stimme des früheren Eigentumsumverteilers aus dem Hörer. »Viel habe ich in der kurzen Zeit nicht herausbekommen, aber mit einem kleinen Zwischenbericht ist Ihnen vielleicht schon geholfen.« »Meine Wenigkeit ist ganz Ohr, Mister Pickett.« »Daß Bob Millar, Eric Plight und Stanley Stevenson zumindest partiell zusammenarbeiten, ist Ihnen ja bekannt«, begann Pickett seinen Bericht. »Dabei scheint es eine klare Arbeitsstellung zu geben.« »Darf man hoffen, daß Sie zu diesem Punkt nähere Ausführungen machen können, Mister Pickett?« »Alle drei haben ihre Finger mehr oder weniger im schmutzigen Geschäft der illegalen Prostitution«, teilte der Anrufer mit. »Dabei konzentrieren sie sich offenbar darauf, den Markt mit Nachwuchskräften, sprich: blutjungen Mädchen, zu versorgen, die besonders hohen Profit versprechen.« »Wobei Mister Millar die Aufgabe zufallen dürfte, erste Kontakte zu knüpfen, falls man nicht sehr irrt«, warf der Butler ein. »Richtig, Mister Parker«, bestätigte Pickett. »Anschließend tritt Plight mit seiner sogenannten Modellagentur in Aktion. Mit der seriösen Vermittlung professioneller Fotomodelle gibt der Bursche sich allerdings nicht ab.« »Eine Mitteilung, die man ohne besondere Überraschung zur Kenntnis nimmt, falls die Anmerkung erlaubt ist, Mister Pickett.« »Plights angebliche Fotomodelle werden, wie ich erfahren konnte, in Kleinanzeigen der Boulevardpresse feilgeboten«, fuhr der Eigentumsum verteiler fort. »Natürlich haben die Kunden, die sich telefonisch auf solche Anzeigen melden, ganz anderes im Sinn, als die Mädchen abzulichten.« »Konnten Sie möglicherweise auch in Erfahrung bringen, welche Funktion innerhalb dieses Trios Mister Stanley Stevenson zufällt, Mister Pickett?« wollte Parker wissen. »Stevenson pickt sich anscheinend die Mädchen heraus, die das nötige Talent haben, um ihm als Striptänzerin die Kasse zu füllen«, wußte der Anrufer zu berichten. »Manche vermietet er auch weiter oder verkauft sie sogar.« »Nicht immer dürften sich die bedauernswerten Opfer widerspruchslos mit ihrer Rolle abfinden«, merkte der Butler an. »Natürlich nicht, Mister Parker«, bestätigte Pickett. »Vor Gewaltanwendung schreckt keiner der Kerle zurück. Außerdem gibt es da noch den vierten im Bund, der mit Schlägern und Killern aushilft, wenn wütende Väter und Brüder eingeschüchtert oder zum Schweigen gebracht werden sollen.« »Eine Mitteilung, die zweifellos auf Myladys ungeteiltes Interesse stoßen dürfte, Mister Pickett«, sagte Parker. »Dieser Mann heißt Ray Moore und betreibt ein Kraftsportstudio an der Lindley Street in Stepney«, fuhr Pickett fort. »Mehr habe ich im Augenblick
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an verläßlichen Informationen nicht zu bieten.« »Darf man aus Ihrer Formulierung schließen, daß Ihnen noch weitere Einzelheiten zugetragen wurden, Mister Pickett?« hakte der Butter sofort nach. »Das sind aber nur Gerüchte, Mister Parker«, gab der einstige Eigentums umverteiler zu bedenken. »Gerüchte, die vermutlich einen gemeinsamen Auftraggeber des Quartetts betreffen dürften«, kombinierte Parker. »Von dem haben Sie auch schon gehört, Mister Parker?« wunderte sich Pickett. »Keineswegs und mitnichten, Mister Pickett«. antwortete der Butler. »Man sieht sich lediglich zu der Annahme gedrängt, daß ein solcher Auftraggeber existieren muß, da die genannten vier Herren ausnahmslos der zweiten Stufe in der Hierarchie des organisierten Verbrechens zuzurechnen sein dürften.« »Genau, Mister Parker«, stimmte der Anrufer zu. »Und Kleinunternehmer, die auf eigene Rechnung arbeiten, gibt es im horizontalen Gewerbe schon lange nicht mehr.« »Eine Einschätzung, die meine bescheidene Wenigkeit vorbehaltlos teilt, Mister Pickett.« »Über den Drahtzieher, der sich im Hintergrund hält und bei den Vieren abkassiert, konnte ich bisher nichts Näheres in Erfahrung bringen«, bekannte Horace Pickett. »Nur, daß es sich um einen Mann handeln soll, der in eingeweihten Kreisen unter dem Decknamen >Der Krake< bekannt ist.« »Ein Hinweis, den man zum Anlaß gezielter Nachforschungen nehmen sollte, Mister Pickett.« »Klar, ich höre mich weiter um«, versprach der Eigentumsumverteiler. »Sobald ich Konkretes über den >Kraken< erfahre, rufe ich wieder an.« »Ein Angebot, daß man mit aufrichtiger Dankbarkeit annimmt, Mister Pickett«, sagte Parker, bevor er den Hörer auflegte und in die Wohnhalle zurückkehrte, wo ihn das Trio schon in banger Spannung erwartete. »Der Fall liegt sonnenklar, Kinder«, dozierte die Detektivin, nachdem der Butler Picketts Vorab-Informationen weitergegeben hatte. »Was diesen Tin tenfisch angeht, hat der gute Mister Pickett sich jedenfalls einen Bären aufbinden lassen.« »Möglicherweise darf man auf nähere Erläuterungen hoffen, wie Mylady diese Äußerung verstanden wissen möchten«, ließ Parker sich vernehmen. »Für eine Kriminalistin gibt es keine Zweifel, wer sich hinter dem Tintenfisch verbirgt«, fuhr Agatha Simpson mit bedeutungsvoller Miene fort. »Darf man vermuten, daß Mylady den sogenannten >Kraken< zu meinen belieben?« korrigierte der Butter auf seine höfliche Art. »Krake oder Tintenfisch - wo liegt denn da der Unterschied?« reagierte Agatha mürrisch. »Jedenfalls ist das der Deckname, unter dem dieser Kraftprotz arbeitet.«
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»Sie meinen Ray Moore, Mylady?« vergewisserte sich Rander. »Eindeutig, mein Junge«, nickte die Hausherrin. »Und wie kommen Sie darauf?« wollte die attraktive Kathy Porter wissen. »Der Schurke verfügt über Killer und Schläger, mit denen er die anderen drei unter Druck setzen kann«, teilte die ältere Dame ihre Überlegungen mit. »Also ist er auch ihr Chef, der die Gewinne einstreicht.« »Eine Vermutung, die man keinesfalls grundsätzlich ausschließen sollte, Mylady«, bemerkte Parker. »Damit steht weiterhin fest«, fuhr die Detektivin in belehrendem Ton fort, »daß dieses kriminelle Subjekt für die Entführung meiner armen, kleinen Denise verantwortlich ist.« Herausfordernd blickte die ältere Dame in die Runde und wartete auf den Beifall, den solch kühnes Gedankengebäude nach ihrer Ansicht verdient hatte. Doch sie wartete vergeblich. »Natürlich werde ich unverzüglich aufbrechen, Denise zu befreien und gnadenlos mit dem Tintenfisch abzurechnen«, gab die Detektivin nach kurzer Pause ihre Pläne bekannt. »Sie haben sich doch hoffentlich die Anschrift geben lassen, Mister Parker?« * Eine Viertelstunde später war alles zum Aufbruch gerüstet. Mike Rander und Kathy Porter hatten sich spontan entschlossen, an der Besichtigung von Ray Moores Kraftsportstudio teilzunehmen. Josuah Parker hatte gerade die Haustür geöffnet, um Mylady und ihre Besucher hinauszulassen, als unüberhörbar das Telefon schrillte. Gemessenen Schrittes kehrte der Butler zum Apparat zurück und meldete sich. »Es geht um Denise«, sagte eine, fremde Stimme. »Wenn Sie das Mädchen lebend wiedersehen wollen, hören Sie jetzt ganz genau zu.« »Darf man gegebenenfalls erfahren, mit wem man die Ehre hat?« erkundigte sich Parker. »Ihre dämlichen Fragen können Sie sich sparen, Parker«, gab der Anrufer unwirsch zurück. »Das Mädchen befindet sich in meiner Gewalt. Alles Weitere hat Sie nicht zu interessieren.« »Eine Einschätzung, der man sich nicht unbedingt anschließen möchte«, widersprach der Butler in seiner höflichen Art. »Ihr Problem, Parker«, entgegnete der Unbekannte knapp. »Die Bedin gungen, unter denen wir unser Geschäft abwickeln, diktiere ich.« »Vermutlich darf man erwarten, daß Sie sie jetzt nennen?« »Erstens: Die Polizei bleibt aus dem Spiel«, verlangte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Andernfalls können Sie die Kleine irgendwann aus der Themse fischen.« Der Anrufer räusperte sich, ehe er fortfuhr: »Zweitens fordere ich ein Lö segeld, das den finanziellen Möglichkeiten
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Ihrer Brötchengeberin angemessen ist.« »Darf man höflich um eine konkrete Zahl bitten?« fragte Parker. »Da Ihre Lady nicht gerade zu den Ärmsten im Lande zählt, wird es die alte Schachtel nicht gleich an den Bettelstab bringen, wenn sie eine runde Million rausrückt. In kleinen Scheinen, versteht sich.« »Wann und wo soll nach Ihren Vorstellungen die Übergabe des Geldes stattfinden?« wollte der Butler wissen. »Heute abend um elf Uhr in Waterloo Station«, teilte der Gangster mit. »Deponieren Sie das Geld in einem Schließfach links vom Haupteingang und lassen Sie den Schlüssel im Schloß stecken.« »Demnach kann und muß man davon ausgehen, daß einer Ihrer Mitarbeiter sich in der Nähe befindet und meine Wenigkeit diskret observiert?« »Kluges Kerlchen«, spottete der Unbekannte. »Aber kommen Sie allein, Parker, und unterlassen Sie alle faulen Tricks! Vor allem: Halten Sie die Bullen aus der Sache raus. Sonst werde ich ausgesprochen ungemütlich. Ich bin ein humorloser Mensch, müssen Sie wissen.« »Was meine Wenigkeit nicht bezweifelt«, ließ der Butler sich vernehmen. »Darf man im übrigen erwarten, daß Sie willens und in der Lage sind, ein Lebenszeichen von Mademoiselle Denise de Tavemay zu übermitteln?« »Ich denke ja nicht daran, mir unnötige Risiken aufzuladen, Parker«, blockte der Gangster ab. »Entweder Sie glauben mir - oder nicht.« Josuah Parker hätte noch eine Reihe weiterer Fragen auf Lager gehabt. Aber in diesem Moment knackte es in der Leitung. Der Unbekannte hatte aufgelegt. »Eine Million Pfund?« entrüstete sich Lady Simpson gleich darauf. »Der Schurke ist größenwahnsinnig. Wie soll eine alleinstehende Dame derart horrende Summen aufbringen, dazu noch innerhalb weniger Stunden?« »Sie denken doch nicht etwa daran, das Geld zu zahlen, Mylady?« verge wisserte sich Rander. »Für meine geliebte Großnichte würde ich natürlich alles tun, Mike«, erklärte die Detektivin mit pathetischer Gebärde. »Wenn es unbedingt sein muß und meine bescheidenen Verhältnisse nicht übersteigt«, schränkte sie gleich darauf ein. »Ihre wirtschaftliche Basis wäre auch nach Abzug einer Million noch ausgesprochen solide, Mylady«, teilte Mike Rander mit, der als Vermögens verwalter natürlich wußte, wovon er sprach. »Kommt nicht in Frage, Mike«, entschied Lady Agatha, wobei sie den Anwalt mit einem erbosten Blick bedachte. »Warum sollte ich einem Gangster Lösegeld bezahlen, der schon bald auf den Knien vor mir liegen und mich anflehen wird, ein Geständnis ablegen zu dürfen?« »Hoffen wir, daß es so abläuft, Mylady«, erwiderte Rander und steuerte zusammen mit Kathy Porter seinen dunkelblauen Austin an, der am Stra ßenrand parkte.
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»Warum sollte es nicht so ablaufen?« Agatha Simpson schien fast ein geschnappt, während Parker ihr den Wagenschlag des hochbeinigen Mon strums aufhielt. »Der Ganove, der mir gewachsen wäre, muß erst noch geboren werden.« * Parkers ungeteilte Aufmerksamkeit galt der Straße. Mike Rander und Kathy Porter waren schon vorausgefahren, um die Umgebung von Moores Kraftsportstudio diskret in Augenschein zu nehmen. Die schmale Wohnstraße, die aus dem stillen Viertel herausführte, lag verlassen da. Kein Mensch, kein Fahrzeug war zu sehen. Erst an der Ein mündung in die belebte Durchgangsstraße kam dem Butler ein Wagen ent gegen, den er bei einbrechender Dämmerung als roten Fiat Spider identifi zierte. In rasantem Tempo schoß das mit zwei Männern besetzte, sportliche Fahrzeug an Parkers schwerfällig wirkendem Kasten vorbei. Sekunden später registrierte der Butler im Rückspiegel, womit er schon gerechnet hatte: Unmittelbar vor Myladys Anwesen wendete der Fahrer und nahm mit aufheulender Maschine die Fährte des hochbeinigen Monstrums auf. Gelassen fädelte sich Parker in den mehrspurig fließenden Durchgangs verkehr ein und wartete darauf, daß der rote Flitzer wieder im Rückspiegel auftauchte. Schon an der zweiten Ampel hatten die Verfolger, die rücksichtslos jede Lücke zum Spurwechsel benutzten, dicht aufgeschlossen. »Darf man sich erlauben, Myladys Aufmerksamkeit auf den roten Fiat zu lenken?« meldete der Butler über die Sprechanlage, die Fahrerplatz und Fond verband. »Ich werde doch nicht etwa verfolgt, Mister Parker?« tippte Lady Agatha sofort richtig. »Mylady haben den Tatbestand mit bewundernswerter Genauigkeit erfaßt«. »Die Lümmel in dem blauen Ford kamen mir sofort verdächtig vor, Mister Parker«, behauptete die ältere Dame. »Als Kriminalistin hat man für so was einen sechsten Sinn.« »Eine Feststellung, die meine Wenigkeit keineswegs und mitnichten bezweifeln würde, Mylady«, versicherte Parker ebenso höflich wie wahr heitsgemäß. »Dennoch ist unter Umständen der Hinweis erlaubt, daß es sich bei dem Verfolgerfahrzeug um einen roten Fiat Spider handelt, falls man nicht sehr irrt.« »Den meine ich natürlich auch«, erwiderte die Detektivin postwendend. »Heutzutage ähneln sich die Autos ja wie ein Ei dem anderen.« »Darf man möglicherweise um Auskunft bitten, wie Mylady mit den Herren zu verfahren gedenken?« »Wen vermute ich denn als Auftraggeber der zudringlichen Kerle, Mister Parker?« »Für eine eindeutige Antwort dürfte es noch etwas zu früh sein, Mylady. Allerdings scheint außer Zweifel zu 46
stehen, daß die Verfolger dem Umkreis der Herren Millar, Plight, Stevenson und Moore entstammen.« »Der Tintenfisch hat also Lunte gerochen, Mister Parker?« »Mister Ray Moore, den Mylady vermutlich zu meinen , geruhen, dürfte fraglos von den anderen drei Herren über Myladys Ermittlungen unterrichtet worden sein.« »Wie auch immer. Der Schurke entgeht mir auf keinen Fall, Mister Parker.« »Eine Ankündigung, die man nur mit größter Genugtuung zur Kenntnis nehmen kann, Mylady.« »Mit Sicherheit haben die Burschen den Auftrag, mich unterwegs abzufangen und kaltblütig niederzuschießen, Mister Parker. « »Eine Vorstellung, die an Gräßlichkeit kaum zu übertreffen sein dürfte, Mylady.« »Keine Sorge, Mister Parker. Ich werde mit den Lümmeln schon fertig.« »Wovon meine Wenigkeit zutiefst überzeugt ist, Mylady.« »Ich werde den Schurken einen Denkzettel verpassen, daß sie es bis ans Ende ihrer Tage bereuen, sich mit Lady Simpson angelegt zu haben. Die Details sind wie üblich Ihre Sache, Mister Parker. Hoffentlich lassen Sie sich etwas Hübsches einfallen.« »Man wird sich eingehend bemühen, Mylady nicht zu enttäuschen«, versprach der Butler und bog im nächsten Moment auf wimmernden Pneus in eine schmale Seitenstraße. Der Fiatlenker, der mit diesem Manöver offensichtlich nicht gerechnet hatte, mußte fahrerisches Können aufbieten, um den Anschluß nicht zu verpassen. Um Haaresbreite schlitterte der rote Sportwagen an einem Mast vorbei. Doch Sekundenbruchteile später hatte der Fahrer sein Auto wieder in der Gewalt und gab Vollgas. Parker ließ die Verfolger dicht aufschließen, ehe er das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat. Der Rennmotor trat in Aktion und katapultierte das altertümlich wirkende Vehikel förmlich nach vorn. Die Männer im roten Flitzer glaubten, ihren Augen nicht trauen zu dürfen, als der schwarze Kasten wie ein Formel-Eins-Wagen davonzog. Um so dankbarer registrierten sie, daß der Butler vor der nächsten Kreuzung bremste und nach links einbog. Das gab ihnen Gelegenheit, den Abstand wieder zu verkürzen. Verbissen hängten sie sich an die Stoßstange des hochbeinigen Monstrums, entschlossen, sich auf keinen Fall von dem schwerfällig wirkenden Gefährt abhängen zu lassen. Dabei ließen sie allerdings die gebotene Vorsicht mehr und mehr außer acht. Josuah Parker, der sich in den verwinkelten Straßen und Gassen dieses Viertels ebenso perfekt auskannte wie in den zahlreichen Taschen seines schwarzen Covercoats, lockte die schon entnervt wirkenden Verfolger mal hierhin, mal dorthin. Abwechselnd schoß er mit Vollgas davon und ließ sich anschließend wieder einholen. Das linke Auge an den Rückspiegel
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geheftet, das rechte auf die Straße gerichtet, spielte der Butler mit teilnahmslos wirkender Miene das gehetzte Wild und weckte damit den Jagdtrieb der Verfolger. So verbissen nahmen die Männer inzwischen ihre Aufgabe wahr, daß sie nicht mal die Warnung verstanden, die Parker ihnen zukommen ließ. * Seelenruhig legte der Butler einen der zahlreichen Kipphebel am Arma turenbrett um, deren Funktion nur ihm bekannt war. Postwendend sprühten zwei Düsen am Heck des hochbeinigen Monstrums eine wasserklare Flüssigkeit auf die Fahrbahn. Der Fiatlenker registrierte diesen Vorgang zwar, schöpfte aber noch keinen Verdacht. Wie sollte der Mann auch darauf kommen, daß es sich bei der Flüssigkeit, die sofort einen unsichtbaren Film auf der Straße bildete, um flüssige Seife handelte? Eine dunkle Ahnung dämmerte dem Ganoven erst, als unvermittelt auf gerader Strecke die Bremslichter des eckigen Gefährts aufleuchteten. Instinktiv trat der Verfolger, der sich gerade wieder bis auf eine Wagenlänge herangearbeitet hatte, auf die Bremse und... stieß vor Schreck einen Schrei aus. Glatteis! war sein erster Gedanke, doch diese Möglichkeit schied angesichts sommerlicher Temperaturen aus. Parker hatte sofort wieder Gas gegeben, um einen Auffahrunfall zu ver meiden, aber der rote Flitzer wollte plötzlich partout nicht mehr so wie sein Fahrer. Eigensinnig drehte sich das Fahrzeug um seine Achse und schlingerte von der linken auf die rechte Straßenseite. Verzweifelt kurbelte der Gangster am Lenkrad, um den Wagen wieder unter Kontrolle zu bringen. Er schaffte es sogar, aber erst nachdem der sportliche Zweisitzer eine ganze Batterie von Mülltonnen beiseite gefegt hatte, die zur Leerung am Straßenrand standen. Der ungestüme Kontakt mit den blechernen Gefäßen blieb nicht ohne Folgen für den roten Flitzer. Der rechte Scheinwerfer splitterte und versagte den Dienst, aber auch die elegant gestylte Karosserie bekam neben langen Schrammen einige ausgesprochen dekorativ wirkende Knitterfalten ab. Weniger hartnäckige Verfolger hätten sich vielleicht schon durch diesen kleinen Zwischenfall entmutigen lassen. Nicht so das Duo im Fiat. »Jetzt erst recht!« reagierte der Fahrer wütend und holte aus der hochtou rigen Maschine heraus, was drinsteckte. Er hätte sich die Mühe sparen kön nen, denn es dauerte nur Sekunden, bis er endgültig aus dem Rennen aus schied. Parker näherte sich inzwischen einer rechtwinkligen Straßeneinmündung, die er zum Ort des Geschehens auserkoren hatte. Näher kam die gläserne Front eines großen Autohauses. Zwar hatte das Geschäft schon geschlossen, aber die Auslage, in denen
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chromblitzende Luxuslimousinen auf betuchte Käufer warteten, war taghell erleuchtet. Wenige Wagenlängen vor der Einmündung betätigte der Butler erneut einen Kipphebel am Armaturenbrett. Diesmal öffnete sich eine kleine Klappe am Heck seines Wagens, und gleichzeitig rieselte eine Dosis sogenannter Krähenfüße auf die Straße. Dabei handelte es sich um Stahlnägel, die im Winkel miteinander verschweißt waren. Wie immer diese Krähenfüße auf die Fahrbahn auch fielen - eine der nadelscharfen Spitzen zeigte stets nach oben und wartete nur darauf, sich in einen prall gefüllten Reifen bohren zu können. Das taten sie denn auch, als Parker seinen Privatwagen gerade um die Ecke gelenkt hatte. Zum zweiten Mal durchfuhr den Fiatlenker ein eisiger Schrecken. Knallen und Zischen signalisierten dem Mann, daß sich alle vier Reifen seines Fahrzeuges gleichzeitig ihres Überdrucks entledigten. Da half kein Bremsen und erst recht kein Lenken. Auf bloßen Felgen schoß der Fiat geradeaus weiter, hüpfte holpernd den Bordstein hinauf und nahm unbeirrbar Kurs auf die verglaste Auslage des Autohauses. Mit vernehmlichem Knall zerbarst die riesige Schaufensterscheibe, als der Sportwagen seine flache Schnauze hineinbohrte. Glassplitter prasselten nieder wie ein Hagelschauer. Aber noch hatte der rote Flitzer seinen Bestimmungsort nicht erreicht. Wie eine Billardkugel schoß der Wagen kreuz und quer durch die Halle, brachte den ausgestellten Nobelkarossen beträchtliche Blessuren bei und absolvierte eine eindrucksvolle Pirouette, ehe er vor einer Insel mit künstlichen Palmen strandete, die als Dekoration diente. »Recht hübsch, Mister Parker«, ließ Lady Agatha sich zu einem Lob hin reißen. »Die Burschen werden es kein zweites Mal wagen, meinen Unmut herauszufordern.« Gemächlich ließ der Butler sein altertümliches Vehikel weiterrollen, umrundete den Häuserblock und stoppte dort, wo den Reifen des Sportwagens schlagartig die Luft ausgegangen war. Während er die verbliebenen Krähenfüße mit der Fußspitze in einen Kanalschacht kickte, warf der Butler einen flüchtigen Blick zum Autohaus hinüber. Offenbar hatten sich doch mehrere Mitarbeiter der Firma im hinteren Ge bäudeteil aufgehalten. Dabei handelte es sich um kräftig gebaute junge Män ner, die auf handfeste Art damit begonnen hatten, den Fiat-Insassen Nachhilfe in verkehrsgerechtem Verhalten zu erteilen. * »Der Tintenfisch wird ganz schön geschockt sein, wenn ich plötzlich hier auftauche, obwohl er extra ein Killerkommando losgeschickt hat, um mich abzufangen«, frohlockte die Detektivin, während Parker ihr diskret beim Verlassen des hochbeinigen Monstrums behilflich war. 49
»Völlig überraschend dürfte Myladys Besuch für Mister Moore allerdings nicht sein, falls der Hinweis erlaubt ist«, entgegnete der Butter und deutete unauffällig auf die beiden grimmig dreinblickenden Muskelprotze, die rechts und links vom Eingang des Kraftsportstudios >Olympia< standen. »Um so besser, Mister Parker«, kommentierte die energische Lady. »Ein hübscher, kleiner Zwischenfall käme mir jetzt gerade recht. Das belebt den Kreislauf und verscheucht trübe Gedanken.« »Eine Feststellung, der man nur aus vollem Herzen zustimmen kann, Myla dy«, sagte Parker und geleitete seine Herrin über die Fahrbahn. Wie zufällig tauchten in diesem Augenblick an der nahen Straßenecke Mike Rander und Kathy Porter auf, die ebenfalls den Eingang der Muskelfabrik ansteuerten. Die bulligen Türsteher verfolgten die Ankunft der passionierten Detektivin und ihres Butlers mit ungeteilter Aufmerksamkeit, während sie dem Anwalt und seiner Begleiterin vorläufig keine Beachtung schenkten. Die mit Jeanshosen und knappen T-Shirts bekleideten Männer, die bisher rechts und links von der Tür gestanden hatten, rückten lediglich mit einem träge wirkenden Schritt in der Mitte zusammen, als das skurrile Paar aus Shepherd's Market nahte. Die nackten Arme hielten sie weiterhin vor der Brust verschränkt, ließen aber demonstrativ ihre wirklich eindrucksvollen Muskel spielen. Offenbar vertrauten die breitschultrigen Brecher auf die abschreckende Wirkung ihrer bloßen Anwesenheit Agatha Simpson und Josuah Parker bereiteten den Männern jedoch schon innerhalb der nächsten Sekunden eine herbe Enttäuschung. Als wären die Wachposten Luft für sie, marschierte die resolute Dame zum Eingang. Ihren Pompadour hatte sie bereits in hektische Schwingung versetzt. Ehe der rechte Muskelprotz auch nur Luft holen konnte, jagte der wohl gefüllte Lederbeutel schon auf seiner Kreisbahn davon, stieß wie ein angrei fender Raubvogel herab und schmiegte sich mit dem Zartgefühl einer Dampframme an seinen Hinterkopf. Augenblicklich lockerten sich nicht nur die angespannten Muskelpakete des Mannes; auch der grimmige Ausdruck auf seinem kantigen Gesicht verflog im Handumdrehen und machte einem gelösten Lächeln Platz. Leider blieben die Blubberlaute, die der Ganove ausstieß, völlig unver ständlich. Die Blicke, mit denen er die ältere Dame bedachte, wirkten jeden falls ausgesprochen zärtlich. Im Zeitlupentempo sank der Mann auf die Knie, blickte noch mal zu Lady Simpson auf und warf sich ihr dann zu Füßen. Sein Kollege, der den filmreifen Kniefall sicher gern miterlebt hätte, fand dazu keine Gelegenheit. Er stöhnte dumpf und verdrehte in furchterregender Weise die Augen, als der bleigefüllte Bambusgriff von Parkers schwarzem Universal-Regenschirm
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an seine Schädeldecke klopfte. Anschließend suchte der Mann eilig den innigen Kontakt zu Mutter Erde. »Schon erledigt?« wunderten sich Mike Rander und Kathy Porter, die erst jetzt herankamen. »Mit unbedarften Tölpeln dieses Formats halte ich mich nie lange auf, meine Lieben«, brüstete sich die Detektivin. »Allerdings dürfte es sich erst um das Vorspiel gehandelt haben, falls man diese Formulierung benutzen darf«, gab der Butler zu bedenken. »Das will ich hoffen, Mister Parker«, tönte Lady Agatha siegessicher. »Und was mache ich solange mit den faulen Lümmeln hier?« »Möglicherweise sollte man die Herren mit hineinnehmen, Mylady«, schlug Parker vor. »Die kühle Nachtluft könnte die Gefahr einer Erkältung heraufbeschwören.« »Ob die Burschen Ihnen diese Fürsorge danken werden, muß sich erst noch herausstellen, Parker«, schmunzelte der Anwalt und lud sich den linken Türsteher auf die Schulter. Der Butler nahm den rechten. Unbehelligt gelangte man durch einen kurzen Flur zu einer zweiflügeligen Schwingtür, die den Weg in eine ehemalige Fabrikhalle freigab. Der weitläufige Trainingssaal war mit allem bestückt, was der Markt an Geräten zur Stärkung der Kampfkraft bot. In erster Linie diente die professionelle Ausstattung vermutlich Moores eigenen Leuten. Auf zahlende Kunden mußte der verwahrloste Anblick, den das Gebäude von der Straße her bot, eher abschreckend wirken. Im Augenblick jedenfalls schien die Halle dem hausinternen Training vor behalten zu sein. Mit einem Blick zählte Parker neun durchtrainierte Gestalten, die schlagartig von ihren schweißtreibenden Beschäftigungen abließen, als das Quartett mit den immer noch recht apathisch wirkenden Türstehern eintrat. Eisiges Schweigen herrschte, während der Butler und der Anwalt ihre menschliche Last auf eine Massagebank legten. »Mylady wünscht, Mister Ray Moore zu sprechen«, teilte Parker anschließend den Anlaß des abendlichen Besuches mit und lüftete höflich den schwarzen Bowler. Keiner der Männer sagte ein Wort, doch dann setzten die neun sich langsam in Bewegung. Mit jedem Schritt wurde der Halbkreis, den sie um die Ankömmlinge machten, enger. Rechts blitzte der kalte Stahl einer Messerklinge auf. Links zog jemand unter leisem Klirren eine massive Eisenkette aus der Tasche. Gelassen griff der Butler in ein Regal, das einen ansehnlichen Vorrat kleinerer Hanteln enthielt, nahm zwei heraus und ließ sie der finsteren Phalanx entgegenrollen. Wie auf Kommando taten es die anderen ihm gleich. Sekunden später war es schon ein volles Dutzend eiserner Hanteln, die auf dem glatten Betonboden der anrückenden Schutztruppe Ray Moores entgegentrudelten.
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Bei den Männern, die ohnehin vor Kraft kaum gehen konnten, lösten die kreuz und quer kullernden Stolperfallen beträchtliche Verwirrung aus. Und immer noch kamen neue hinzu. Mylady, die ohnehin zu leichten Übertrei bungen neigte, schickte dem Schwarm kleinerer Artgenossen noch eine Hundertkilohantel hinterher. Spontan brachen die Kraftsportler ihre etwas steif wirkende Darbietung ab und betätigten sich als emsige, aber leider nicht sehr talentierte Steptänzer. Tolpatschig und hilflos wirkte ihre improvisierte Darbietung, so daß die Zuschauer sich zum Eingreifen genötigt sahen, um das chaotische Geschehen zu beenden. Seelenruhig pickte Josuah Parker sich den temperamentvollsten Tänzer heraus und überredete ihn augenblicklich zum Abbruch seiner Bemühungen, indem er die bleigefüllte Schirmspitze auf dem Solarplexus des Mannes spazierenführte. Beherzt demonstrierte die zierliche Kathy Porter einen schulmäßigen Schulterwurf und schickte im selben Atemzug einen weiteren Zweizentner mann durch einen Tritt in die Kniekehlen zu Boden. Mike Rander hatte die Ärmel aufgekrempelt, zeigte sich bei bester Laune und ließ seine Fäuste fliegen. Mitten im Getümmel stand Agatha Simpson wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung und ließ ihren Glücksbringer kreisen. * Parker hatte den schätzungsweise vierzigjährigen Mann im sportlich ge streiften Anzug nicht rechtzeitig bemerkt. Wie aus dem Boden gewachsen stand die untersetzte Gestalt mit dem tief in die Stirn gezogenen Filzhut plötzlich in der Halle. Daß der Mann sich nicht mit einer Zuschauerrolle begnügen wollte, war eindeutig. Die beiden schallgedämpften Revolver, die er in Händen hielt, sprachen eine unmißverständliche Sprache. »Geht man möglicherweise recht in der Annahm«», Mister Ray Moore vor sich zu haben?« erkundigte sich der Butter höflich, nachdem er noch rasch den letzten der Muskelmänner ins Reich der Träume befördert hatte. »Und Sie sind sicher Mister Parker«, gab Moore zurück. »Wie ich sehe, er zählt man sich in der Szene nicht ohne Grund, daß Sie 'ne Menge Tricks draufhaben.« »Man tut, was man kann, Mister Moore«, erwiderte Parker bescheiden und rief sich gleichzeitig die Stimme des Erpressers ins Gedächtnis zurück, der vor etwa einer Stunde in Shepherd's Market angerufen und eine Million Pfund Lösegeld gefordert hatte. Sie hatte mit Moores Stimme nicht die geringste Ähnlichkeit. »Sind Sie der gewissenlose Schurke, der meine geliebte Großnichte Denise de Tavernay gewaltsam entführt hat?« platzte Lady Simpson mit ihrem baritonal gefärbten Organ dazwischen. »Halt's Maul, alte Schachtel!« demonstrierte der Mann im Filzhut auf 52
ruppige Weise, wer der Herr im Haus war. »Der Rüpel hat es auch noch gewagt, mich zu beleidigen, Mister Parker«, beschwerte sich die resolute Dame und wickelte die ledernen Halteriemen ihres Pompadours straffer ums Handgelenk. »Mister Moore verfügt in der Tat über Manieren, die man als beklagenswert bezeichnen kann und muß, Mylady«, ließ der Butler sich vernehmen. »Allerdings dürfte der Versuch einer Wiedergutmachung momentan tödliche Risiken in sich bergen, falls der Hinweis erlaubt ist.« »Wahrscheinlich sind die lächerlichen Schießeisen nicht mal geladen«, spottete die Detektivin unbekümmert »Außerdem habe ich noch nie gehört, daß ein Tintenfisch mit Schußwaffen umgehen kann. Sie etwa, Mister Parker?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, versicherte der Butler mit höflicher Verbeugung. »Was soll das heißen: ein Tintenfisch?« hakte Moore mißtrauisch nach. »Warum gestehen Sie nicht endlich, daß Sie der Tintenfisch sind, junger Mann?« grollte Lady Agatha. »Gegen eine Kriminalistin haben Sie sowieso nicht den Hauch einer Chance.« »Tintenfisch? Ich verstehe immer nur Tintenfisch«, reagierte der Gangster kopfschüttelnd. »Was soll der Unsinn?« »Mylady geruhen einen Mann zu meinen, der in gewissen Kreisen unter dem Decknamen >Der Krake< bekannt ist«, griff der Butler erläuternd ein. Moores Gesicht wirkte plötzlich wie aus Stein gemeißelt. Nur seine Mund winkel zuckten. Aber die konzentrierte Wachsamkeit ließ keinen Augenblick nach. »Davon haben Sie also auch schon Wind bekommen«, stellte der Gangster im Streifenanzug nüchtern fest. »Höchste Zeit, daß Ihnen jemand das Schnüffeln austreibt. Am besten ein für allemal« »Versuchen Sie's nur, junger Mann. Sie werden Ihr blaues Wunder erleben«, stichelte Parkers Herrin munter weiter. »Mit Lady Simpson legt man sich nur einmal an.« »Schluß jetzt, verdammte Vogelscheuche!« brüllte Moore unbeherrscht los. Gleichzeitig ballerte er zwei-, dreimal in den Fußboden, daß die Betonsplitter nach allen Seiten spritzten. Wenn der Gangster geglaubt hatte, durch die Demonstration der Macht für Ruhe und Ordnung sorgen zu könne, sah er sich gleich darauf gründlich getäuscht. »Mein Herz«, stöhnte Mylady unvermittelt und griff mit zitternder Hand an die Brust Schlagartig nahm ihr Gesicht eine Farbe an, die an die Kreidefelsen von Dover erinnerte. Mike Rander, der am nächsten stand, fing die schwankende Dame mit seinen starken Armen auf und half ihr, es sich auf einer gepolsterten Bank bequem zu machen. Irritiert nahm Ray Moore den Schwächeanfall der Agatha Simpson
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zur Kenntnis, den er durch seine Schüsse ausgelöst zu haben glaubte. Die Probe ihres Schauspieltalents, die sie dem Gangster servierte, war derart überzeugend, daß der Mann für Sekundenbruchteile vergaß, das ganze Quartett im Auge zu behalten. Parker, der schon längst auf eine Gelegenheit gewartet hatte, das Blatt zu wenden, sah seine Chance. Und er nutzte sie kaltblütig. Mit ruckartiger Bewegung zog der Butler die schwarze Melone vom Kopf und schickte sie zu Moore hinüber. Wie ein geheimnisvolles Miniatur-Ufo segelte die stahlblechverstärkte Halbkugel davon und suchte sich ihr Ziel. Der Mann brüllte wie ein verwundeter Kampfstier, als die Krempe des Bowlers sirrend über seine Schläfe strich und ihm den Hut vom Kopf fegte. Instinktiv riß er die Hände hoch, um nach der heftig schmerzenden Stelle zu greifen. Dabei ließ er die schweren Revolver fallen, was ihn im Moment aber nicht weiter zu interessieren schien. Röchelnd torkelte der Gangster ein paar Schritte auf Parker zu, wobei er unablässig mit den Augen rollte. Da er sich auf diesem Weg hoffnungslos mit den Füßen in seinen kreuz und quer herumliegenden Befehlsempfängern verhedderte, erreichte er sein Ziel jedoch nicht. Heftig mit den Armen rudernd, ging Ray Moore zu Boden und kuschelte sich zwischen seine friedlich schlummernden Bodyguards, um erst mal eine Verschnaufpause einzulegen. * Josuah Parker und Mike Rander hatten ein hartes Stück Arbeit zu bewältigen, bis Moores gesammelte Mannschaft ausbruchsicher in einem geräumigen Heizungskeller mit abschließbarer Stahltür untergebracht war. Der Chef des Hauses träumte derweil unter leisem Schnarchen seiner Vernehmung durch Agatha Simpson entgegen. Sicherheitshalber hatte der Butler ihn durch Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl nachhaltig in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. »Ich habe mich entschieden, heute eine neue Methode auszuprobieren«, setzte Mylady Parker ins Bild, nachdem die Kraftsportfreunde fürs erste versorgt waren. Anschließend raunte sie dem Butler etwas ins Ohr, das weder Kathy Porter noch Mike Rander verstanden. »Wie Mylady zu wünschen belieben«, erwiderte Parker, verneigte sich kurz und schritt von dannen. Eine Minute später war er schon wieder zurück, Denises Walkman in der schwarz behandschuhten Rechten. »Setzen Sie dem dreisten Lümmel die Kopfhörer auf und drehen sie auf volle Lautstärke, Mister Parker«, ordnete die ältere Dame mit geradezu dia bolischem Lächeln an. »Und jetzt: Ton ab!« kam gleich darauf das nächste Kommando. Selbst in zehn Schritten Umkreis war noch auszumachen, daß es die Ouvertüre zu Bizets >Carmen< war, die
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aus den Kopfhörern in Ray Moores Ohren drang. Wie elektrisiert fuhr der Gangster hoch und riß erschreckt die Augen auf. In heilloser Panik wollte er sich die Hörer vom Kopf reißen, doch dieses Bemühen scheiterte ebenso kläglich wie schmerzhaft an den Handschellen. Ray Moore wand sich wie ein Aal und verzog das Gesicht zu eindrucksvollen Grimassen. Er schüttelte heftig den Kopf, um der akustischen Folter zu entrinnen, doch nichts half. Erst als Parker auf einen Wink seiner Herrin den Lautstärkeregler zu rückschob, atmete der Mann im gestreiften Anzug erleichtert auf und ließ sich in seine bequeme Position zurücksinken. »Raus mit der Sprache!« herrschte Agatha Simpson ihn an. »Wo halten Sie meine arme, kleine Denise versteckt?« »Ich hab' mit der Entführung des Mädchens nichts zu tun«, beteuerte der Gangster. »Der Schurke ist verstockt, Mister Parker«, stellte die Detektivin grimmig fest. »Drehen Sie die Lautstärke wieder auf.« »Um Himmel willen!« schrie Moore in höchster Not. »Nicht noch mal!« »Sie gestehen also, daß Sie der Tintenfisch sind?« schnappte Lady Agatha sofort zu. »Nein!« gab ihr Gegenüber barsch zurück. »Ich bin nicht der >Krake<. Sie verwechseln mich.« »Darf man aus Ihrer Äußerung schließen, daß Ihnen der Mann, den man den >Kraken< nennt, persönlich bekannt ist, Mister Moore?« fügte der Butler sofort hinzu. Ray Moore zögerte. »Aufdrehen, Mister Parker!« befahl die resolute Dame. »Ja, ich kenne ihn«, stieß der Gangster hastig hervor. »Vermutet man möglicherweise zu Recht, daß Sie zumindest zeitweilig für den >Kraken< tätig sind, Mister Moore?« wollte Parker wissen. »Stimmt«, nickte der Hausherr. »Aber in dem Kidnapping habe ich meine Finger nicht drin. Ehrlich«! »Darf man möglicherweise auf eine Mitteilung hoffen, wie Ihr Auftrag lautete, Mister Moore«, ließ Parker sich vernehmen. »Ich sollte Sie nur beschatten und eventuelle Gegenaktionen abblocken«, behauptete der Gangster. »Ich hätte Ihnen von vornherein sagen können, daß das aussichtslos ist, junger Mann«, warf die ältere Dame mit herablassender Gebärde ein. »Mich hält keine Macht der Welt auf.« »Eine Feststellung, der man sich aus reicher Erfahrung nur anschließen kann«, unterstrich der Butler die großen Worte seiner Herrin. »Und wer ist denn nun der sogenannte >Krake« kam Kathy Porter mit einer naheliegenden Frage auf das Wesentliche zurück. »Er... er heißt Howard Mulligan und wohnt in einem der neuen Appar tementhäuser an der Narrow Street in Limehouse«, gab Moore resignierend Auskunft. Für ihn war das Spiel vorbei. 55
»Darf man gegebenenfalls erwarten, daß Mister Mulligan sich momentan dort aufhält?« erkundigte sich Parker. »Davon gebe ich aus«, antwortete sein Gegenüber und nannte gleich noch die genaue Hausnummer. »Auf zu Mister Milligun!« tönte postwendend Lady Agathas Schlachtruf durch den Saal. »Und was wird mit mir?« fragte Moore. »Sie dürfen Ihren Mitarbeitern Gesellschaft leisten, bis die Polizei hier eintrifft, Mister Moore«, setzte der Butler ihn ins Bild und schritt unverzüglich zur Tat. Zwei Minuten später war der Hausherr ebenfalls im Heizungskeller verstaut, und Mylady hatte wieder im luxuriös gepolsterten Fond des hochbeinigen Monstrums Platz genommen. »Was für ein Banause«, entrüstete sich die ältere Dame, während der Butler sein schwarzes Gefährt anrollen ließ. »Mister Moore sollte mir dankbar sein, daß ich ihm Gelegenheit gegeben habe, Bizets edle Tonkunst kennenzulernen.« * Mulligans Wohnung lag im vierten Stock des repräsentativ wirkenden Neubaus, der anstelle verfallender Lagerschuppen in Themsenähe errichtet worden war. Heruntergekommene Reste der ursprünglichen Bebauung gab es im weiteren Umkreis noch genug. »Im Treppenhaus ist wahrscheinlich mit Wachen zu rechnen«, bemerkte Mike Rander, während man das Terrain aus einiger Entfernung in Au genschein nahm. »Aber es gibt auch eine andere Möglichkeit, um zu Mulligan zu kommen.« »Darf man vermuten, daß Sie eine Kletterpartie über die Balkonbrüstungen meinen, Sir?« vergewisserte sich Parker. In der Tat bot das terrassenförmig errichtete Gebäude ausreichend Mauervorsprünge, um zu dem hell erleuchteten Fenster im vierten Stock vorzudringen. »Genau, Parker«, nickte der Anwalt. »Was halten Sie davon? « »Sofern Mylady keine Einwände erhebt, würde man Sie gern auf dem ge nannten Weg begleiten, Sir«, antwortete der Butler. »Für mich ist das aber nichts«, zeigte die füllige Detektivin eine ungewohnte Einsicht in ihre Grenzen. »Bringen Sie mir den Lümmel einfach her, damit ich ihn nach allen Regeln der Kunst in die Zange nehmen kann, Mister Parker. Ich werde solange mit Kathy im Wagen warten.« »Wie Mylady zu wünschen belieben«, erwiderte Parker in seiner höflichen Art und machte sich mit Rander auf den Weg. Wenige Minuten später hatten die Männer den Balkon des >Kraken< erreicht und stiegen lautlos über das Geländer. Die bodenlangen Vorhänge waren zugezogen, aber die Tür stand eine Handbreit offen, so daß man hören konnte, was drinnen gesprochen wurde. »Mach deinen Leuten Feuer unterm Hintern«, vernahm der Butler eine 56
Stimme, die sich ihm unvergeßlich eingeprägt hatte. Sie gehörte dem >Kraken<, der die junge Denise in seine Gewalt hatte und von der Großtante des entführten Mädchens eine Million Lösegeld erpressen wollte. »Sag ihnen, sie sollen den Kahn einfach absaufen lassen«, redete Mulligan weiter. »Was?« fragte der offensichtlich telefonierende >Krake< nach kurzer Pause. »Natürlich geht die Kleine mit unter. Meinst du vielleicht, ich will mir 'ne Laus in den Pelz setzen, Eric?« Gleich darauf legte Mulligan auf. »Was ist passiert?« meldete sich eine Stimme zu Wort, die Parker ebenfalls vertraut war. Es handelte sich eindeutig um Stripclubbesitzer Stanley Ste venson, der so überzeugend das Überfallopfer gespielt hatte. »Die beknackte Lady und ihr stocksteifer Butter sind bei Ray gewesen und haben total aufgeräumt«, teilte Mulligan wütend mit. »Eric Plight kam zufällig hin, um mit Ray was zu besprechen und hat die Bescherung entdeckt.« »Verdammt!« entfuhr es Stevenson. »Dann würde es mich auch nicht wun dern, wenn die beiden bald hier auftauchen.« »Unsinn!« knurrte Mulligan. »Mach dir nicht gleich die Hosen voll, Stan. Aber das Mädchen muß verschwinden. Die Sache wird mir zu heiß.« »Ein Verfahren, mit dem man sich keinesfalls einverstanden erklären kann, Mister Mulligan«, schaltete der Butter sich unvermittelt in das Gespräch ein, drückte die Tür vollends auf und stand im Zimmer. Howard Mulligan war sprachlos, aber keineswegs untätig. Mit der blitzschnellen Routine des mit allen Wassern gewaschenen Profis langte er in seinen Jackenausschnitt. Doch Parker kam den feindseligen Absichten zuvor und durchkreuzte sie nachhaltig. Gelassen tippte er mit der bleigefüllten Spitze seines altväterlich gebundenen Regenschirmes auf Mulligans Handrücken, als der Gangster gerade einen großkalibrigen Revolver aus dem Schulterhalfter riß. Jaulend ließ der >Krake< die Waffe fallen, als hätte er sich daran verbrannt, und hatte plötzlich nur noch Augen für sein schwellendes Handgelenk. Gleichzeitig stöhnte Stanley Stevenson. Mike Rander hatte ihn mit einem rechten Haken auf den Teppich geschickt. »Los, Mulligan!« herrschte der Anwalt den Gangsterboß an. »Wo hast du das Mädchen versteckt?« Dabei hielt er den Revolver, den er vom Boden aufgehoben hatte, auf den >Kraken< gerichtet. »Ich perforier' dich mit deiner eigenen Bleispritze, wenn du nicht sofort singst!« drohte Rander, als Howard Mulligan mit der Antwort zögerte. »Sie ist da unten in dem Kahn«, verriet der >Krake< mit einem besorgten Blick auf das kleine, schwarze Loch der Revolvermündung. Gemessenen Schrittes begab sich Parker in der angedeuteten Richtung ans Fenster und sah hinaus. Tatsächlich
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lag in schätzungsweise zweihundert Schritten Entfernung ein halb verrottet wirkendes Hausboot am spärlich beleuchteten Kai. »Kann und muß man davon ausgehen, daß das Boot bewacht wird, Mister Mulligan?« erkundigte sich der Butler. »Das Mädchen ist ganz allein«, versicherte der >Krake< in einem Ton, der durchaus glaubwürdig klang. »Möglicherweise darf man Sie bitten, die beiden Herren zu Mylady zu geleiten, Sir«, sagte Parker, während er Mulligan und Stevenson mit Hand schellen versorgte. »Meine Wenigkeit würde in der Zwischenzeit Mademoiselle Denise aus ihrem schwimmenden Versteck befreien.« »Sie wissen ja, daß Plights Leute unterwegs sind, Parker?« gab der Anwalt zu bedenken. »Bis zum Eintreffen der erwähnten Herren dürfte noch ausreichend Zeit verstreichen, falls man nicht sehr irrt, Sir«, antwortete der Butler und war schon zur Balkontür hinaus. Das Hausboot, auf dem Myladys entführte Großnichte gefangengehalten wurde, war tatsächlich unbewacht, wie Parker beim Näherkommen feststellte. Ein hölzerner Steg ohne Geländer führte zu dem nicht gerade seetüchtig wirkenden Wasserfahrzeug. In würdevoller Haltung begab sich der Butler an Bord und wollte gerade seine stiftförmige Taschenlampe einschalten, um Kabine und Laderäume zu inspizieren, als Motorengeräusch ihn aufmerken ließ. Mit aufgeblendeten Scheinwerfern brauste eine schwere Limousine auf den Kai und stoppte unmittelbar vor dem Steg. Gleich darauf flogen die Türen auf, und vier Männer schickten sich an, das sanft in der Strömung dümpelnde Boot zu entern. Soweit ließ Parker es allerdings nicht kommen. Er hatte bereits den Platz am Steuer eingenommen und ließ die Dieselma schine des betagten Hausbootes vorglühen. Kaum hatte auch der letzte der Ankömmlinge seinen Fuß auf den schwankenden Steg gesetzt, da tuckerte das schwere Aggregat los. Bei dem Quartett auf dem Steg löste dieser Umstand begreiflicherweise eine gewisse Panik aus. Schreiend ruderten die Männer mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Doch ihr Bemühen war vergeblich. In der nächsten Sekunde rutschte der am Ufer festgezurrte Steg von der Bordkante ab und entpuppte sich als Rutschbahn, die alle vier im Handum drehen ins kalte Wasser beförderte. Umgehend drosselte der Butler die Maschine und warf den heftig planschenden Gangstern Rettungsringe zu. Im selben Augenblick trafen auch Lady Simpson, Mike Rander und Kathy Porter am Ort des Geschehens ein. Sie halfen den Männern aus dem nassen Element und sorgten dafür, daß Fluchtgedanken gar nicht erst aufkamen. In würdevoller Haltung und mit unbewegter Pokermiene ließ Parker es über sich ergehen, daß Denise de
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Tavernay ihm stürmisch um den Hals fiel, sobald er das Mädchen aus dem Laderaum des Hausbootes befreit hatte. »Man tat lediglich seine Pflicht, Mademoiselle Denise«, erwiderte der Butler bescheiden. »Das hat dir hoffentlich ein für allemal die Lust auf Diskotheken genommen, Kindchen«, meinte Lady Agatha, nachdem sie ihre Großnichte an die Brust gedrückt hatte. »Von wegen, Tantchen«, protestierte Denise. »Morgen abend geht schon wieder die Post ab.« »Aber nur, wenn Mister Parker ständig in deiner Nähe bleibt«, verlangte die ältere Dame. »Wie Mylady zu wünschen belieben«, sagte Parker. »Meinetwegen«, willigte Denise ein, und machte einen Schmollmund. ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 382 Edmund Diedrichs
PARKER schließt das »Paradies« An einer Ampel in der City dringen zwei stämmige Männer gegen den Willen
eines Bentley-Fahrers in dessen Wagen und wollen ihre Mitfahrt erzwingen.
Mylady kann zufällig mit Parkers Hilfe eingreifen, den Fahrer retten und die
Zusteiger in die Schranken weisen.
Wenig später meldet sich ein gewisser Adams und zeigt sich erbost über dieses
»gewalttätige« Handeln. Chief-Superintendent McWarden erfährt in Scotland
Yard von einer rätselhaften Selbstmordwelle unter bestimmten Personen.
Josuah Parker und Mylady finden zu einem Versicherungs- und Kreditmakler,
der mit Ganoven seine Geschäfte macht. In einem Fitneßstudio scheut sich
Agatha Simpson nicht, ihre Kenntnisse in Bodybuilding vorzuführen.
Schließlich helfen auch noch delikate Videos, daß »Myladys Fall«
vorankommt...
Edmund Diedrichs, bewährter PARKER-Autor, schrieb die Story, die Sie
nicht versäumen dürfen!
Gönnen Sie sich jede Woche BUTLER PARKER!
Butter Parker erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag GmbH, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Redaktion, Druck und Vertrieb: Erich Pabel Verlag GmbH. Anzeigenleitung: Verlagsgruppe Pabel-Moewig, Pabelhaus, 7550 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 13. Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Genehmigung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Einzelheft-Nachbestellungen sind zu richten an: EX-PRESS-Vertag GmbH, Zehntwiesenstraße 5, 7505 Ettlingen 1. Lieferung erfolgt bei Vorauskasse zzgl. DM 3,50 Porto- und Verpackungskostenanteil auf Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 85234-751 oder per Nachnahme zum Verkaufspreis zzgl. Porto- und Verpackungskostenanteil. Ab DM 40- Bestellwert erfolgt Lieferung porto und verpackungskostenfrei. Abonnement-Bestellungen sind zu richten an: Pabel Verlag GmbH, Postfach 2352, 7550 Rastatt. Lieferung erfolgt zum Verkaufspreis plus ortsüblicher Zustellgebühr. Printed in Germany. Juli 1988
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