PARKER trickst den „Tiger“ aus Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Josuah Parker fühl...
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PARKER trickst den „Tiger“ aus Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Josuah Parker fühlte sich ausgesprochen gestört, als die Bombe hochging. Immerhin war er vom Ort der Explosion nicht sonderlich weit entfernt. Und die Glassplitter, die ihm um die Ohren pfiffen, konnten seinen aufsteigenden Unmut nicht dämpfen. Hinzu kamen etwa 8 Quadratzentimeter Deckenputz, die dicht vor seiner Nase vorbeirauschten und dann aufklatschend in der Suppe landeten, die Parker gerade zu sich nehmen wollte. Parker hatte sich das gemeinsame Essen mit seinem jungen Herrn erheblich anders vorgestellt. Doch Mike Rander, der junge Anwalt, hatte zur Zeit keine Möglichkeit, sich mit seinem Butler über diesen Punkt auszutauschen. Von der Druckwelle der Explosion erfaßt, saß Rander auf dem Fußboden und schüttelte verwirrt den Kopf. Er war leicht benommen und wußte im Grund noch gar nicht, was sich zugetragen hatte. In dem Restaurant, in dem die Bombe vor anderthalb Sekunden hochgegangen war, herrschte erst mal eine fast absolute Stille. Doch diese Stille wurde jetzt von einem schrillen Versuchsschrei unterbrochen. Diesem Schrei, der einwandfrei aus einem Frauenmund stammte, schlossen sich weitere Schreie an, die grell und spitz gegen die durchlöcherte Decke emporstiegen. Dann brüllten die ersten Männer auf und leiteten damit das allgemeine Tohuwabohu ein, das sich sehen und hören lassen konnte. Unter dem Vorzeichen einer Panik rannte und stürzte man zu dem Ausgang und zwängte sich nach draußen. Was nicht ohne einige Prügelszenen und Ruppigkeiten vor sich ging. Es dauerte aber nur eine Minute, bis das Restaurant leer war. Wenn man von Rander und Parker einmal absah — und dem Personal, das sich in Richtung Küche drängte. „Ich fürchte, Sir, daß wir bei der Auswahl des Restaurants keine sonderlich glückliche Hand hatten“, sagte Parker, als er seinem jungen Herrn auf die Beine half. „Das war doch 'ne Explosion, oder?“ Rander wischte sich über die Stirn und schüttelte benommen den Kopf. „In der Tat, Sir — Und sie muß nach meinen bescheidenen Erfahrungen von einer erstaunlich großen Menge Sprengstoff ausgelöst worden sein.“
Parker hatte sich inzwischen vergewissert, daß die Explosion keine Opfer gefordert hatte. Wenn er vom Inhaber des Lokals einmal absah, der aus einigen kleinen Rißwunden blutete. Dieser Mann, Enrico Rassetti, ein beleibter Italiener, stand wie versteinert neben der langen Arbeitstheke und sah auf die Trümmer seines Restaurants. Er hatte sich mit Hingabe den Pizzas gewidmet, für die er berühmt war. Nun blieb ihm nichts mehr übrig. Das Lokal glich einer Wüste, durch die ein mittelschwerer Wirbelsturm gezogen war. Rassetti sah Parker aus leeren Augen an, als der Butler sich ihm näherte. „Kann ich etwas für Sie tun?“ erkundigte sich Parker. „Nichts — Nichts...“ murmelte Rassetti und senkte den Kopf. Über seine lustig aussehenden dicken Hamsterbacken rannen Tränen. „Sachwerte lassen sich ersetzen'„ meinte Parker, „ich darf Ihnen mitteilen, daß irgendwelche Opfer erfreulicherweise nicht zu beklagen sind.“ „Sie werden wiederkommen“, murmelte Rassetti und wandte sich ab. Mit schweren Schritten, die hölzern wirkten, ging er hinüber zur aus den Angeln gerissenen Pendeltür, die in die eigentliche Küche führte. Parker sah dem Mann nach, blieb aber zurück. Er konnte sich sehr gut vorstellen, daß Rassetti jetzt allein sein wollte. *** Etwa um die gleiche Zeit ereignete sich im Garagenbetrieb eines gewissen Marty Owen ebenfalls eine Explosion. bis auf das Stahlblech ausbrannten, Als die Feuerwehr eintraf, war nichts mehr zu machen. Sie konnte sich darauf beschränken, das angrenzende Wohnhaus Owens gegen das wütende Feuer abzuschirmen. Was nur unvollständig gelang. Als die Feuerwehren nämlich abzogen, bestand dieses Wohnhaus nur noch aus einem traurigen Rest. Owen hatte die Brandbekämpfung übrigens nicht abgewartet. Er saß, als die Wehren abzogen, bereits in einem Wagen und preschte im Höllentempo aus der Stadt. Er hatte vor, erst mal auf dem flachen Land zu bleiben und etwas für seine Gesundheit zu tun. *** Diese Zeit fand Charles Effort nicht mehr… Er war um diese Zeit bereits tot und wurde von dem in seinem Haus weilenden Polizeiarzt untersucht. Dieser Polizeiarzt stolperte förmlich über die Todesursache. „Blausäure“, sagte er lakonisch zu Detektiv-Sergeant Small, der aber alles, andere als klein war. Small, ein untersetzter und korpulenter Mann von etwa 45 Jahren, saß in einem tiefen, bequemen Sessel der Wohnung des Toten und nickte zerstreut. Er schien die
Arbeit seiner Leute zu übersehen, die den Tatort sicherten und nach Spuren suchten. „Ziemlich ungewöhnlich“, sagte der Polizeiarzt und streifte sich seine dünnen Untersuchungshandschuhe ab, „Blausäure hatten wir hier in Bloomington schon seit Jahren nicht mehr.“ „Sieht so aus, als sollten Sie sich mal wieder: Ihre Fachbücher vornehmen“, erwiderte Small langsam, „in nächster Zeit werden Sie viel zu tun bekommen.“ „Wieso?“ „Warten Sie's ab“, sagte Small und stand auf. „Hier scheint einer von der Kette gelassen zu sein.“ „Wer ist der Tote?“ fragte der Polizeiarzt. „Charles Effort“, wiederholte Small, „Reporter beim Bloomington-Star — Gerichtsreporter und zuständig gewesen für die Klatschspalte.“ „Hat er zuviel geklatscht?“ fragte der Polizeiarzt. „Im Star stand seit Wochen nichts Wichtiges“, entgegnete Small, „wenn er was auf Lager hatte, so hat er nicht darüber geschrieben.“ „Vielleicht wollte man ihn daran hindern, jetzt zur Sache zu kommen.“ „Sieht so aus“, erwiderte Small. „Aber wer hinderte ihn daran?“ „Sagt Ihnen der Name „Tiger“ etwas?“ „Nicht unbedingt!“ „Warten Sie ein paar Tage oder Wochen ab, dann wird Ihnen dieser Name ein Begriff sein.“ „Ich verstehe immer nur Bahnhof“, sagte der Polizeiarzt. „Nicht mehr lange.“ Small drückte seine Zigarette aus, „wenn wir nur etwas Pech haben, können Sie den Begriff Bahnhof bald gegen Hexenkessel austauschen — Mein Wort darauf!“ Ohne sich um den erstaunten Gesichtsausdruck des Polizeiarztes zu kümmern, ging Small anschließend aus dem Wohnraum. Er kümmerte sich nicht weiter um den Toten. Sein Gang war schwerfällig wie der eines alten Mannes, der ein unförmiges Gewicht zu tragen hat. *** Josuah Parker hatte seinen jungen Herrn im Hotel abgesetzt und saß jetzt in seinem hochbeinigen Spezialwagen, um Randers Sekretärin abzuholen. Sue Weston hatte aus Gründen der Eitelkeit auf das gemeinsame Essen verzichtet und sich zu einem Coiffeur begeben. Vor der Rückfahrt nach Chikago wollte sie sich ihr Haar pflegen lassen. Sie schien die jähe Unterbrechung des Essens irgendwie vorausgeahnt zu haben. Weit hatte Parker es nicht.
Schon nach wenigen Minuten war das Friseurgeschäft erreicht. Parker stellte seinen Wagen am Straßenrand ab, knapp hinter einem auffallenden Sportwagen italienischer Herkunft, dessen Polster mit echten oder imitierten Tigerfellen bedeckt waren. Ein ins Auge springender Wagen, der gewisse Rückschlüsse auf den Besitzer zuließ. Parker, der aber keine Veranlassung sah, darüber zu meditieren, betrat das Geschäft und nickte der mittelalterlichen Dame zu, die erstaunlich nervös und betreten neben der Kasse stand, seinen Gruß kaum beantwortete und intensiv nach hinten ins Geschäft horchte. Was Parker ihr abguckte, denn er hatte das sichere Gefühl, die Stimme von Sue Weston gehört zu haben. Ihre Stimme klang energisch, fast wütend. Sie schien irgendwelchen Ärger zu haben. „Bleiben Sie lieber hier, Sir!“ sagte die Dame neben der Kasse und sah den Butler jetzt fast beschwörend an. „Ich möchte Miß Weston abholen“, erwiderte Parker, der aus Gründen des Takts keineswegs die Absicht hatte, tiefer hinein ins Geschäft zu gehen. Doch die Dame neben der Kasse schluckte und schien ungemein erregt zu sein. „Gehen Sie lieber!“ sagte sie. „Es scheint mir wirklich angebracht, nach Miß Weston zu sehen“, gab der Butler schnell zurück. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß er dringend gebraucht wurde. Und nur zu gern gab er diesem Gefühl nach. *** Der Mann im hellen Anzug sah ordinär aus. Das hing einmal mit der Helligkeit seines Anzugs zusammen, zum anderen aber auch mit seinem Gesicht, das an das eines listigen Ebers erinnerte. Dieser Mann lümmelte am Eingang zur Kabine, in der Sue unter der Trockenhaube saß. Die junge Angestellte im hellblauen Kittel hatte sich ängstlich gegen den Spiegel gedrückt und abwehrend den rechten Arm gehoben. Sie starrte auf den listigen Eber, der sie aber keines Blickes würdigte. Der Eber kümmerte sich ausschließlich um Sue Weston, die gerade wütend unter der Haube hervortauchte. „Scheren Sie sich endlich weg!“ sagte sie wütend und stand auf. „Was ist denn, Süße?“ fragte der Mann im hellen Anzug und zwinkerte ihr zu, „wir gehen aus, wie ich's gesagt habe! Larry Hancock läßt sich doch nicht abspeisen. Das wirst du noch begreifen!“ Während er redete, drehte er sich zu den beiden Typen um, die sich seitlich hinter ihm aufgebaut hatten. Es waren typische Schläger, wie selbst ein Laie ohne Schwierigkeit sofort festgestellt hätte. Man könnte sie auch Vollprofis nennen, die an den Lippen ihres Herrn und Meisters hingen, bereit, jeden Befehl sofort auszuführen. Sie fanden die Bemerkung ihres Bosses erstklassig und grinsten pflichtschuldig.
Womit Sue keineswegs einverstanden war. Sie wußte sich zu helfen. Und zwar sehr nachdrücklich. Sie stieß blitzschnell gegen die bewußte Trockenhaube, die daraufhin aus der Senkrechten geriet und gegen den listigen Eber fiel. Larry Hancock hatte mit dieser Abwehrbewegung überhaupt nicht gerechnet. Es war ihm nicht geläufig, daß man es wagte und sich gegen ihn stellte. So etwas hatte es in der Vergangenheit noch nie gegeben. Er taumelte also zurück, als die Trockenhaube es sich auf seiner Brust bequem machte. Dann verfing er sich im Trennvorhang der Kabine und wäre glatt auf dem Boden gelandet, wenn einer seiner beiden Vollprofis ihn nicht abgefangen hätte. Larry Hancock hatte sich also wieder in der Gewalt und starrte Sue Weston an, die wütend neben dem Stuhl stand. Dann holte Hancock blitzschnell zu einer Ohrfeige aus. Haß und Wut standen in seinen Augen. Er wollte und mußte es dieser Frau zeigen, die ihn lächerlich gemacht hatte. Doch zu der gedachten Ohrfeige kam es nicht. Gerade als die Hand nach vorn schnellen wollte, als Sue bereits instinktiv zurückzuckte, erschien ein Bambusgriff dicht neben und hinter ihm, der zu einem altertümlichen Regenschirm gehörte. Dieser Bambusgriff hakte sich hinter den Ellbogen von Hancock und stoppte den Arm. Hancock wirbelte herum. Er zeigte damit an, .daß er keineswegs auf seine beiden Schläger angewiesen war. Er ließ erkennen,, daß er schnell wie eine zustoßende Klapperschlange war, wenn es darauf ankam. „Ich möchte doch sehr hoffen, in Ihrem Interesse gehandelt zu haben“, sagte der Besitzer des Regenschirms und lüftete höflich seine schwarze Melone. „Sind Sie lebensmüde?“ fragte Hancock gereizt. Er sah sich einem mittelgroßen Mann gegenüber, dessen Alter nicht zu definieren war. Dieser Mann trug einen pechschwarzen Zweireiher und schien — der Kleidung nach zu Urteilen — ein Butler zu sein. Dieser Butler schob sich an Hancock vorbei in die Kabine und nickte Sue Weston zu, die jetzt erleichtert lächelte. „Hau ab, Mann!“ sagte der erste Vollprofi und schob sich an Hancock vorbei auf den Butler zu. „Mach 'ne Fliege!“ fordert der zweite Vollprofi und grinste. „Schafft ihn weg!“ reagierte Hancock überraschend sanft. Er schien so etwas wie Mitleid mit diesem Butler zu haben, der so aussah, als könnte er niemand ein Leid antun. ***
Der erste Vollprofi schob seinen stämmigen Arm vor, der dem Ausleger eines Krans glich. Er hatte vor, Parkers Vorhemd zu packen und den Mann darin anschließend aus der Kabine zu zerren. Parker war verständlicherweise gegen solch eine unwürdige Behandlung. Er hatte so etwas aber kommen sehen und seine entsprechenden Vorbereitungen getroffen. In seiner rechten Hand befand sich längst eine Spraydose mit einem erstklassigen Haarfestiger. Ein kurzer und schneller Knopfdruck genügte, um den Haarfestiger an die frische Luft zu befördern. Unter scharfem Zischen stob das Präparat aus der Düse und legte sich auf die Augenwimpern des verdutzten Vollprofis. Innerhalb von Sekundenbruchteilen war der Mann ohne Sicht. Die feinen Partikelchen mit ihrer großen Klebekraft schlossen ihm die Augen und bildeten einen zähen, festen Film auf den Lidern, die der Mann automatisch geschlossen hatte. Ein wildes Rudern in der Luft war das erste Resultat. Die Arme des Vollprofis suchten nach einem geeigneten Halt in der Luft und fanden ihn. Leider handelte es sich dabei um ein Mißverständnis. Die herumfuchtelnden Arme und Hände fanden einen Gegenstand, der sich als das Gesicht des listigen Ebers entpuppte. Larry Hancock kassierte daraufhin einen gewaltigen Schwinger. Und zwar genau in dem Augenblick, als der Boß der beiden Profis sicherheitshalber nach seiner Schußwaffe greifen wollte. Der Schlag war nicht von schlechten Eltern. Larry Hancock kicherte betroffen und stieg dann zu einem kurzfristigen Höhenflug von etwa anderthalb. Zentimetern auf. Dann senkten seine Schuhe sich zurück auf den Boden, doch die Beine waren nicht mehr in der Lage, den massigen Körper zu tragen. Hancock landete auf dem Boden, und zwar zu Füßen von Sue Weston, die ehrlich beeindruckt war. Der zweite Vollprofi sah sich veranlaßt, etwas zur Ehrenrettung seiner Branche zu tun. Er griff ebenfalls nach der Waffe, doch er fand sie nicht mehr. Seine Bewegungen wurden unkoordiniert, als Parker ihm mit dem Zerstäuber, den er auf dem Waschtisch gefunden hatte, eine Ladung Parfüm ins Gesicht spritzte. Der hochprozentige Alkohol in der Duftmischung brannte wie Höllenfeuer in seinen Augen. Der Mann brüllte auf, vergaß seine Waffe und rieb sich angestrengt die Augen. Dabei tanzte er auf einem Bein. Was noch nicht mal unflott aussah! „Wenn ich vorschlagen darf, Miß Weston, so sollte man jetzt gehen“, sagte Parker zu Randers Privatsekretärin, „es sei denn, die Behandlung Ihrer Frisur hätte noch nicht ihren Abschluß gefunden.“ „Ich bin restlos bedient“, sagte Sue und fuhr sich ordnend durch das Haar.
„Wurden Sie schon seit längerer Zeit belästigt?“ fragte Parker. „Sie kamen gerade richtig“, erwiderte Sue. Dann schaute sie seitlich an Parker vorbei und riß entsetzt und weit die Augen auf. Worauf Parker sich sagte, daß sich irgend etwas hinter seinem Rücken abspielen mußte, was nicht regulär sein konnte. Er hatte richtig geschätzt. Hancock war wieder zu sich gekommen und richtete sich gerade auf. Dabei nahm er gleichzeitig seine Schußwaffe hoch. Er behielt sie nicht sehr lange in der Hand. Parker, der mit einer Brennschere gespielt hatte, die auf dem Waschtisch lag, stieß diesen Gegenstand zielsicher zu Boden fallen. Die beiden heißen Scherenhälften spreizten sich im Fall und schlossen sich dann dicht um Hancocks Handgelenk. Sehr eng übrigens ... Worauf der Chef der beiden Vollprofis einen spitzen Schrei ausstieß und sich von diesem Moment an nur noch um sein Gelenk kümmerte. „Ihre Manieren gleichen denen der sprichwörtlichen Axt im Walde“, stellte Parker mißbilligend fest, „Sie sollten einen Fernkursus für gutes Benehmen absolvieren.“ Dann nickte Parker Sue Weston zu und geleitete sie höflich aus der Kabine. Die Dame an der Kasse war wachsbleich geworden. Und sie wollte auf keinen Fall Geld für Sues Frisur kassieren. Sie bestand mit vor Erregung heiserer Stimme darauf, daß Parker und Sue Weston schleunigst den Salon verließen. Sie schien Hancock zu kennen und fast panische Angst vor ihm zu haben. *** „Er kam mit seiner Freundin ins Geschäft und ließ sofort eine Kabine räumen“, erklärte Sue, als sie in Parkers hochbeinigem Wagen saß. „Er scheint sich als der Herrscher in der Stadt zu fühlen, Mr. Parker.“ „Sein Selbstbewußtsein dürfte nun etwas angeschlagen sein“, erklärte Parker. „Dafür wird dieser Mann sich rächen“, glaubte Sue zu wissen. „Das bringt mich auf ein Versäumnis, das ich mir auf keinen Fall nachsagen lassen möchte“, erklärte Parker und stieg sofort wieder aus dem Wagen, „würden Sie sich freundlicherweise noch ein wenig gedulden, Miß Weston?“ „Was haben Sie vor?“ „Ich benötige dringend eine Zahnbürste“, behauptete der Butler, der schon auf die Tür des Friseursalons zuging, „einen Moment, bitte.“ Sue wußte natürlich, daß Parker sich keineswegs eine Zahnbürste kaufen wollte. Parker ging es sicher darum, Repressalien zu verhindern. Sein Herz schlug ja stets für die Schwachen und Unterdrückten. Wie sehr dieses Herz schlug, sollte Sue bald darauf erleben. Nach knapp dreißig Sekunden erschien der erste Vollprofi in der noch geöffneten Ladentür.'
Er befand sich zu diesem Zeitpunkt auf einer ansteigenden Flugbahn. Als er die Gipfelhöhe erreicht hatte, kam es zu einer Instabilität des Flugkörpers, die mit einem schnellen Absturz endete. Sue schloß unwillkürlich die Augen, als dieser menschliche Flugkörper sich um einen nahen Wasserhydranten schlang und erst dann zur Ruhe kam. Der zweite Flugkörper, der aus dem Friseursalon hervorschoß, hatte grundsätzlich Startschwierigkeiten, der Flugkörper kam nicht von der Bahn hoch, sondern schlitterte über den Gehweg und rammte anschließend den teuren italienischen Sportwagen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Sue ihre Augen längst wieder geöffnet und beobachtete hoffnungsfroh den Eingang zum Friseursalon. Nach Adam Riese mußte bald der dritte Flugkörper auftauchen. Worin sie sich nicht getäuscht haben sollte. Es handelte sich um Larry Hancock, den Boß der beiden bereits gelandeten Vollprofis. Hancock taumelte auf schwachen Beinen heraus auf die Straße, blieb für Bruchteile von Sekunden starr und steif stehen, um dann, wie vom Blitz getroffen, zu Boden zu gehen. Er scharrte noch ein wenig mit seinen Beinen, bevor er sich zur Ruhe begab. Kurz darauf erschien Parker, dem man nichts ansah. Er war nach wie vor korrekt und makellos gekleidet. Es war eigentlich unglaublich, daß er diese drei Männer auf die Straße befördert haben sollte. Von irgendeiner Anstrengung war ihm nichts anzumerken. „Wir sollten Mr. Rander nun nicht länger warten lassen“, sagte Parker zu Sue, die ihn in einer Mischung aus Bewunderung und Ratlosigkeit ansah, „er könnte sich sonst möglicherweise Sorgen machen.“ *** „Natürlich machte ich mir Sorgen“, sagte Mike Rander, als er sich die Geschichte seines Butlers und seiner Sekretärin angehört hatte, „was Sie da abgezogen haben, Parker, war doch wieder' mal Ihr typischer Griff ins Wespennest.“ „Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Sir, Sie daran zu erinnern, daß Miß Weston mehr als massiv belästigt wurde!“ „Die erste Abreibung hätte vollkommen genügt“, entschied Mike Rander, „mußten Sie dieses Trio anschließend noch auseinandernehmen?“ „Es muß über meine bescheidene Wenigkeit gekommen sein'„ räumte Parker ein. „Dann wollen wir dieses nette Bloomington so schnell wie möglich hinter uns bringen“, sagte Rander, „Sie scheinen einem örtlichen Gangsterboß auf die Füße getreten zu haben.“ „Worauf warten wir noch?“ meinte Rander, „die Straße nach Chikago wartet auf uns. Wir wollen sie nicht enttäuschen.“ „Haben Sie wirklich Angst?“ erkundigte sich Sue Weston bei Rander.
„Natürlich“, gab Rander zurück, „fragen Sie doch Parker! Diese größenwahnsinnigen Ortsgangster sind im Grund gefährlicher als die großen Bosse in der Stadt.“ „In diesem Fall möchte ich Mr. Rander beipflichten'„ sagte Josuah Parker. „Dieser Hancock war widerlich!“ Sue schüttelte sich noch nachträglich, „er tat so, als hätte er die ganze Welt in der Tasche.“ „Bitte, was ich gesagt habe — Parker, die Koffer — Hoffentlich kommen wir ungeschoren aus Bloomington heraus.“ „Mr. Rander, ehrlich gesagt, ich verstehe Sie nicht — Sie gehen doch sonst keinem Gegner aus dem Weg!“ Sue Weston sah den jungen Anwalt irritiert an. „Verstehen Sie doch, Sue!“ Rander zündete sich eine Zigarette an, während Parker sich tatsächlich schon mit dem wenigen Gepäck befaßte, „in einer Großstadt würde sich ein Gangsterboß solche Frechheiten niemals gestatten ... Er unterliegt den Gesetzen irgendeines Syndikats, dem er sich angeschlossen hat. Hier in der Provinz aber fühlen die Kerle sich wie die Halbgötter und können es sich nicht leisten, ihr Gesicht zu verlieren. Sie wissen sehr genau, daß sie bei den Gaunern und Ganoven dann unten durch wären.“ „Ich glaube, daß ich langsam begreife.“ „Ein Mann wie Hancock ist einfach gezwungen, jetzt den superwilden Mann zu spielen, wenn er nicht ausgelacht werden will. Und verlassen Sie sich darauf, Sue, er wird zur Sache kommen!“ Rander hatte seinen Satz noch nicht ganz beendet, als sich das Telefon im Hotelzimmer meldete. Parker war sofort am Apparat. „Hallo... Würden Sie sich bitte melden?“ fragte er etwas ungehalten, als es auf der Gegenseite ruhig blieb, „hallo!“ Bruchteile von Sekunden später zuckte er wie unter einem elektrischen Schlag zusammen. Was mit dem Schuß zusammenhing, den das Telefon aus der Hörmuschel heraus lieferte. Josuah Parker legte auf und sah seinen jungen Herrn an. „Was war denn das?“ fragte Rander. „Ein Schuß, unzweifelhaft, Sir. Er muß in unmittelbarer Nähe des Anrufers abgefeuert worden sein.“ „Ein Schuß?“ Sue Weston spürte eine Gänsehaut auf ihrem Rücken. „Entweder als Warnung, Miß Weston, oder bereits als echte Aktion im Hinblick auf den Anrufer!“ *** Bevor Sue Weston eine weitere Frage zu stellen vermochte, meldete sich erneut das Telefon.
Diesmal hob Rander ab und meldete sich. Er hörte einen Moment schweigend zu, dann legte er schnell auf. „In welchem Friseursalon waren Sie?“ fragte er Sue. „Wie er heißt, weiß ich nicht. Aber er liegt ganz in der Nähe. Was ist denn?“ „Eine Frauenstimme... In höchster Todesangst. Sie bat um Hilfe. Sie sagte, man habe auf ihren Mann geschossen!“ „Hancock hat sich gerächt“, stieß Sue erregt hervor, „dieser billige Gangster.“ „Kommen Sie, Parker“, sagte Rander und nickte seinem Butler unternehmungslustig zu, „unsere Abfahrt kann noch eine halbe Stunde warten.“ Parker ließ sich nicht anmerken, wie zufrieden er mit dieser Entwicklung war. Von dem, was die erregte Frauenstimme Rander gesagt hatte, glaubte er allerdings kein Wort. Er ahnte gleich, daß es sich um eine Falle handelte. Doch auch darüber sprach er nicht. Dazu war später immer noch Zeit. „Sie bleiben hier, Sue“, sagte Rander ,zu seiner Sekretärin, die nach ihrer Handtasche griff, „kann durchaus sein, daß es Ärger gibt.“ „Aber ...“ „Sie bleiben hier“, wiederholte Rander noch mal. „Falls es zu einem Zwischenfall kommt, will ich Sie anrufen können. Übernehmen Sie das Telefon!“ „Miß Weston könnte vielleicht im Wagen bleiben, der an sich ja recht sicher ist“, schaltete Josuah Parker sich unterstützend ein. „Gegen eine Sprengladung ist auch Ihr Wagen machtlos“, entschied Mike Rander kategorisch, „ich will mir später keine Vorwürfe machen, Parker. Bis gleich, Sue. Nicht böse sein, aber ich möchte nicht, daß Ihnen etwas passiert!“ Sue war machtlos. Sie nickte und fühlte sich dennoch irgendwie wohl, obwohl Rander gerade jetzt hart gewesen war. Sie spürte natürlich, daß sie für ihn vielleicht mehr war als nur eine Mitarbeiterin. „Passen Sie auf sich auf“, rief sie Rander nach, der bereits das Hotelzimmer verließ. „Schließen Sie sich ein, Miß Weston“, empfahl Parker, der seinem jungen Herrn folgte, „in meiner Reisetasche finden Sie zudem eine Handfeuerwaffe. Rüsten Sie sich damit sicherheitshalber aus!“ Sue nickte. Und sie gestand sich ehrlich ein, daß sie plötzlich Angst hatte, allein im Hotelzimmer zurückzubleiben... *** Als sie den Friseursalon im Wagen passierten, war nichts Außergewöhnliches zu erkennen. Die Ladentür war geschlossen, gewiß, aber warum hätte sie geöffnet sein sollen? Das wenigstens fragte sich Rander halblaut, um dabei seinen Butler anzusehen, der am Steuer des hochbeinigen Wagens saß.
„Nicht, daß wir Hals über Kopf in eine Falle rennen“, schloß der junge Anwalt dann, „halten Sie dort drüben an der Straßenecke!“ Was Parker sofort erledigte. Auch er hatte selbstverständlich schon mit der Möglichkeit einer Falle gerechnet. Selbst jetzt noch, als gerade zwei Frauen den Friseursalon betraten. Die Straße machte übrigens einen völlig unverdächtigen Eindruck. Auf den Gehwegen waren die üblichen Passanten und Käufer, die die vielen Geschäfte frequentierten. Weit und breit war kein Polizeifahrzeug zu sehen. „Hätte ein Schuß, im Friseursalon abgefeuert, nicht gehört werden müssen?“ „Verflixt, Sie haben recht“, sagte Rander, als Parker seinen Verdacht geäußert hatte. „Beeilen wir uns. Geben Sie mir Rückendeckung!“ Rander ging schnell von der bewußten Straßenecke aus zurück zum Friseursalon und blieb einen Moment abwartend vor dem Eingang stehen. Als er sich sicherheitshalber nach seinem Butler umsah, war Parker zu seiner echten Überraschung verschwunden. Nun, Rander war deswegen nicht beunruhigt. Er kannte die oft etwas merkwürdigen Reaktionen seines Butlers. Parker mußte gute Gründe gehabt haben, daß er sich unsichtbar gemacht hatte. Vielleicht hatte er bereits mehr gesehen als Rander. Der junge Anwalt schob seine rechte Hand unter das Jackett und umspannte den Griffkolben seines 38ers. Er war bereit, sofort zu schießen, falls man ihn angriff. Er wußte, daß er es mit harten Vollprofis zu tun hatte, die keinen Fehler verziehen. Nun, um eine Falle handelte es sich keineswegs, wie er sehr schnell feststellte. Von den Gangstern war nichts zu sehen. Neben der Kasse stand die Frau, von der Sue Weston und Parker berichtet hatten. Sie hatte sich in der Zwischenzeit wieder beruhigt und lächelte neutral. Allerdings nicht mehr, als Rander die Kabinen abschritt und sich letzte Gewißheit darüber verschaffte, daß die Gangster wirklich nicht mehr im Laden waren. Bevor die Frau aber dazu' kam, lautstark zu protestieren, hatte Rander den Friseursalon bereits wieder verlassen. ... . Draußen auf der Straße sah er sich nach Parker um, der nach wie vor außer Sichtweite war. Und zu Randers Überraschung vermißte er auch das hochbeinige Monstrum des Butlers. Parker schien spontan gehandelt zu haben. Vielleicht war er auf Dinge aufmerksam geworden, die eine schnelle Reaktion erfordert hatten. Rander kam sich etwas verloren vor. Und diese Verlorenheit wandelte sich langsam in echten Ärger um. Er hatte das Gefühl, von seinem Butler ausgetrickst worden zu sein. Wollte Parker wieder mal seine eigene Suppe kochen? *** Der etwas ältlich aussehende Verkehrspolizist auf der Straßenkreuzung regelte den Verkehr routinemäßig. Schwierigkeiten hatte es für ihn hier noch nie gegeben.
Man kannte ihn. Und er kannte die Mehrzahl seiner Verkehrsteilnehmer. Man hatte sich miteinander arrangiert und respektierte sich gegenseitig. Der bewußte Polizist hatte gerade durch eine stramme Wendung seines noch strammeren Körpers eine Straße freigegeben, als seine Augen sich weit öffneten und groß wurden wir Unterteller. Er wollte diesen Augen nicht trauen. Was da auf ihn zuraste, kam ihm wie ein Alpdruck vor. Von solch einer Situation träumte er schwer wenn er sich den Magen wieder mal zu vollgeschlagen hatte und unter Verdauungsbeschwerden litt. Er sah ein hochbeiniges Vehikel, das sich mit höllischem Tempo näherte. Dieser Wagen schien Slalom zu fahren und sich dabei von Fall zu Fall jeweils auf nur zwei Reifen zu stellen. Dieses eckige Gefährt zischte wie mit Düsenantrieb auf ihn zu und schien ihn rammen zu wollen. Der Polizist blieb wie angewurzelt stehen und war nicht in der Lage, sich auf einen der nahen Gehwege zu retten. Er glich dem Kaninchen, das von der Schlange hypnotisiert wird. Und dann war der hochbeinige Wagen auch schon auf der Kreuzung. Dem Mann blieb der Schrei des Entsetzens in der Kehle stecken. Bruchteile von Sekunden später segelte der hochbeinige Wagen auf zwei Rädern an ihm vorbei. Dabei bemerkte der Polizist mehr im Unterbewußtsein, daß der Fahrer mit Sicherheit eine schwarze Melone trug. Dann war der Spuk auch schon vorbei. Der hochbeinige Alpdruck auf Rädern verschwand in einer Seitenstraße und hinterließ nur noch eine Wolke von dunklen Auspuffgasen. Der Mann in Uniform wischte sich zuerst den Schweiß von der sehr hohen Stirn, suchte dann verzweifelt nach seiner Trillerpfeife, fand sie endlich und schob sie sich zwischen die Lippen. Dann blies er die Backen auf und wollte der Signalpfeife jene Töne entlocken, an die er eigentlich gedacht hatte. Das Ergebnis war mehr als quälend. Aus der Signalpfeife kam nur ein asthmatisches Keuchen, das in ein Wimmern überging. Ohne sich nun um den Verkehr zu kümmern, schleppte der Polizist sich von der Kreuzung herunter und ließ sich auf einem Randstein der Straße erschöpft und entnervt nieder. Er hatte das deutliche Gefühl, jetzt einen Whisky vertragen zu können. Selbst während der Dienstzeit. *** Zu dieser Zeit befand sich der Butler bereits in der Halle jenes Hotels, in dem Sue Weston, Rander und er abgestiegen waren. Nichts an ihm deutete auf eine schnelle Kurvenfahrt hin. Parker machte einen fast unterkühlten, zumindest aber taufrischen Eindruck. Gemessen schritt er hinüber zur Rezeption.
„Sind die beiden Herren bereits eingetroffen,“ erkundigte er sich. „Sehr wohl — Zwei Herrn für Miß Weston“, kam die Bestätigung, die dem Butler alles sagte. „Wann etwa?“ wollte Parker wissen. „Vor etwa fünf Minuten“, lautete die weitere Antwort. „Ausgezeichnet“, meinte Parker, der sich nichts anmerken ließ. Er nickte dem Tagesportier hinter der Rezeption gemessen zu und begab sich hinüber zum Lift. In der zweiten Etage verließ Parker den Lift und schritt den Korridor hinunter. Er nähert sich der Tür Nr. 58, hinter der er Sue Weston zurückgelassen hatte. Bevor er gegen das Türblatt klopfte, griff Parker in eine seiner vielen Westentaschen und holte einen kleinen Parfüm-Taschenzerstäuber hervor. „Telegramm für Miß Weston“, rief er dann mit leicht verstellter Stimme, nachdem er das Anklopfen besorgt hatte. Er hörte schnelle Schritte hinter der Tür und spannte den Druckkolben des Zerstäubers, den er in die Höhe des Schlüssellochs brachte. Dann wartete er noch eine halbe Sekunde ab und versprühte eine Ladung Parfüm durch das Schlüsselloch nach innen ins Zimmer. Das Resultat dieser Frischluftbehandlung war jenseits der Tür ein erstickter Aufschrei. Parker nickte zufrieden und ließ den Zerstäuber wieder verschwinden. Er wußte aus Erfahrung, daß dieser Trick stets nur einmal funktionierte, zumal der Mensch aus der Erfahrung zu lernen pflegte. Was in diesem Fall den Betroffenen jenseits der Tür anging. Parker hörte im Hotelzimmer Sue Westons Stampfen, das an eine mittelgroße Elefantenherde erinnerte. Der Mann, dessen Auge sich eine nicht gerade kleine Parfümdosis zugezogen hatte, versuchte sein Temperament zu entladen. Parker hatte zu dieser Zeit bereits sein Spezialbesteck in der Hand und sperrte das Türschloß auf. Er besorgte das mit einer Lautstärke und Unbeholfenheit, die eigentlich nicht zu ihm paßten. Er schien es darauf angelegt zu haben, daß man seine Öffnungsversuche um jeden Preis vom Zimmer aus beobachtete. Was der Sinn der Übung war, wie sich schnell zeigen sollte. Plötzlich wurde nämlich die Tür aufgerissen. Doch der zweite Vollprofi, der mit gezogener Schußwaffe auf der Türschwelle stand, konnte nur noch stutzen. Vor der Tür stand keineswegs der Mann, den er erwartet hatte. Bevor der Vollprofi sich entschloß, vorsichtig um die Türecke hinaus auf den Korridor zu sehen, erschien dicht vor seiner Stirn der bleigefütterte Bambusgriff von Parkers Universal-Regenschirm. Da der Vollprofi nicht schnell genug zurückwich, wurde er von dem Bambusgriff voll erwischt. Der Mann ließ seine Augen rotieren. Und zwar unabhängig voneinander und fiel dann auf die Knie. Er wollte noch mal aufstehen und sich hochdrücken, doch er
schaffte es nicht mehr. Er streckte sich auf dem Läufer aus und trat geistig erst mal ab. Parker schaute interessiert in das Hotelzimmer. Der erste Vollprofi tanzte noch vor dem Tisch herum und hielt sich beide Augen. Er schien überhaupt nicht begriffen zu haben, was sich da gerade an der Tür abgespielt hatte. Sue Weston ließ es dazu nicht kommen. Sie hielt eine handliche Blumenvase in der Hand, mit der sie hinter den Vollprofi trat. Parker, der Gewalt einfach nicht mit ansehen konnte, schloß höflich die Augen, als Sue die Blumenvase auf den Hinterkopf des Vollprofis setzte und dann abstellte. *** „Wieso wußten Sie, daß er durch das Schlüsselloch sehen würde?“ erkundigte sich Sue und verbiß sich ein Lächeln. „Angewandte Psychologie, Miß Weston'„ erklärte der Butler, „ein Gangsterprofi ist stets mißtrauisch. Vor allen Dingen dann, wenn sich ein Telegrammbote meldet. Ein Gangster sieht wie der normale Bürger Fernsehkrimis, wenn ich es einmal so ausdrücken darf. Er kennt von einschlägigen Filmen her diesen Trick und sieht also durch das Schlüsselloch, um sich nicht düpieren zu lassen. Darauf baute ich meinen kleinen bescheidenen Plan!“ „Der sich gelohnt hat.“ Sue schaute auf die beiden Gangster hinunter, die an der Wand saßen und übelnahmen. Parker hatte sie an Händen und Füßen gebunden, ohne sie aber zu knebeln. „Darf ich erfahren, Miß Weston, auf welche Art und Weise Sie überlistet wurden?“ fragte Parker weiter. „Mit dem Trick, den auch Sie eben angewendet haben“, gestand Sue und mußte unwillkürlich lachen, „sie führten sich als Telegrammboten ein. Und ich dumme Gans fiel auf diesen Trick herein und öffnete die Tür.“ „Wollte man Sie zu einem späteren Zeitpunkt entführen?“ „Das stimmt!“ Sie wurde wieder ernst, „die beiden Kerle wollten Mister Rander und Sie erst erledigen. Dann wollten sie mich zu diesem Hancock bringen. Davon haben sie mehr als einmal gesprochen.“ „Daran ist kein Wort wahr“, sagte der erste Vollprofi. „Erstunken und erlogen“, behauptete der zweite Vollprofi, „los, rufen Sie die Polente. Dann werden wir ja sehen, wer hier die Gangster sind!“ „Auf keinen Fall also besagter Mister, Hancock?“ erkundigte sich Josuah Parker ungläubig. „Hancock ein Gangster? Na, Sie werden sich noch wundern!“ Der erste Vollprofi tat fast beleidigt. Er sah den Butler kopfschüttelnd an. -
„Muß ich Ihren' Worten entnehmen, daß Mister Hancock einem Beruf nachgeht, den man bürgerlich nennen könnte?“ „Hancock ist Immobilienmakler“, fügte der zweite Vollprofi fast stolz hinzu. „Los, binden Sie uns schon los, Sie komische Type“, sagte nun der erste Vollprofi mit einer Arroganz, die überhaupt nicht am Platz war, „oder wir werden Ihnen die Polizei wegen Entführung auf den Hals schicken!“ „Darf man erfahren, seit wann Mister Hancock dem ehrbaren Beruf eines Grundstückmaklers nachgeht?“ „Seit fast einem halben Jahr'„ antwortete der zweite Vollprofi, „spielt das überhaupt 'ne Rolle, Opa?“ Parker verzichtete höflicherweise auf eine Antwort. Auf ein Streitgespräch wollte er sich nicht einlassen. Er hatte andere Pläne, die realisiert werden mußten. „Darf ich Sie zu einer kleinen Informationsfahrt einladen?“ wandte er sich also an Sue Weston. „Fein“' sagte Sue und lächelte etwas unsicher. Sie wußte nicht, worauf der Butler hinaus wollte. „Unsere beiden Gäste werden wir noch ein wenig dem allgemeinen Verkehr entziehen“, redete der Butler weiter, „sie könnten sich sonst störend auswirken.“ Ohne sich weiter um die beiden Vollprofis zu kümmern, verließen Sue Weston und Josuah Parker das Hotelzimmer. „Sie werden nicht lange brauchen, bis sie wieder frei sind“, sagte Sue, als sie draußen auf dem Korridor stand. „Das möchte ich auch sehr hoffen und wünschen, Miß Weston'„ gab der Butler zurück, „von diesen beiden Herren erwarte ich schließlich Informationen aus erster Hand!“ *** Es dauerte etwa zehn Minuten, bis die beiden Profis im Hoteleingang erschienen. Sie blieben wartend stehen, bis am Straßenrand ein Taxi erschien. Sie hatten es sehr eilig, in diesem Wagen zu verschwinden. „Folgen Sie Ihrem Kollegen“, bat Parker den Fahrer seines Taxi, das er für sich und Sue Weston angeheuert hatte. Der Fahrer, ein älterer, solide aussehender Mann, drehte sich etwas überrascht zu Parker um. „Wollen Sie sich wirklich an diese beiden Strolche hängen?“ erkundigte er sich. Sekunden später schien ihm aufgegangen zu sein, daß er den Mund vielleicht doch etwas zu voll genommen hatte. Er hüstelte und fügte hinzu: „Wie man so sagt, meine ich.“ „Sie kennen diese beiden Herren?“ Der Fahrer hatte das Taxi bereits auf Trab gebracht und folgte dem Wagen mit den beiden Profis. „Ich glaube, ich habe mich getäuscht“, gab der Fahrer schnell zurück. Er täuschte sich nicht mehr, als Parker ihm sehr diskret einen Geldschein in das Handschuhfach gelegt hatte. Er taute sogar ungemein auf.
„Wie sie genau heißen, weiß ich nicht, aber daß sie Strolche sind, darauf verwette ich meine Mütze“, sagte er, „ich bin ihnen ein paarmal nachts begegnet. Das heißt, nicht ich. Fahrgäste und so. Man hat als Taxifahrer ja überall seine Augen.“ „Und auch seine bestimmten Informationsquellen, nicht wahr?“ „Na, ja ...“ „Die beiden bewußten Herren im Taxi vor uns sind Angestellte eines gewissen Hancock?“ „Woher wissen Sie...? Ich meine, Sie wissen ja, wer die sind!“ „Nur flüchtig — könnte ich erfahren, wo Mister Hancocks Büro sich befindet?“ „Büro? Meinen Sie Geschäftsräume?“ „In der Tat!“ „Die hat er in seinem Bungalow. Das heißt, ob er überhaupt welche hat, ist noch sehr fraglich.“ „Geht er seinem Beruf denn nicht nach?“ schaltete Sue Weston sich ein. „Fragt sich, welchen Beruf Sie meinen, Miß.“ Der Taxifahrer, der immer zutraulicher wurde, lachte fast höhnisch. „Hancock ist ein Gangsterboß. Das ist uns klar in meiner Branche. Und er will die Stadt an sich reißen. Das ist uns ebenfalls klar. Und er wird sie in seine Tasche stecken, wenn er Billy French erst mal ausgeschaltet hat.“ „Ein neuer Name.“ „Sie sind fremd hier in Bloomington, ja? French ist bisher die große Nummer gewesen. Er scheint keinen Pep mehr zu haben, sonst würde er sich die Frechheiten von Hancock niemals gefallen lassen.“ „French ist demnach ebenfalls ein Gangsterboß, wie Sie sich auszudrücken beliebten?“ „Natürlich. Aber er hat niemals auf die Tube gedrückt, verstehen Sie?“ „Welchem Beruf geht Mister French nach, wenn diese Frage noch gestattet ist?“ „French ist Großhändler — Gemüse und so.. Er hat draußen vor der Stadt 'nen richtigen Musterbetrieb. Und hier in der Stadt ein paar nette Lokale.“ Parker hätte liebend gern noch weitere Fragen gestellt, doch der Taxifahrer hatte angehalten. Ziemlich jäh sogar. Er deutete nach vorn durch die Windschutzscheibe. „Endstation“' sagte er, „dort sind die beiden Typen. Sie steigen genau da aus, wo ich es erwartet habe.“ „Nämlich?“ „Hancocks Bungalow. Dort hinter den Bäumen. Hören Sie, passen Sie auf, wenn Sie ihn besuchen wollen! Auf seinem Grundstück sollen sich ein paar Bluthunde herumtreiben!“ *** Parker hatte den Taxifahrer gebeten, ein wenig zu warten. Er nickte Sue zu und stieg aus dem Wagen. Parker näherte sich dem Eingang des Grundstücks. Das Tor war von innen mit Strohmatten verhängt. Hancock liebte es wohl nicht, daß neugierige Augen sein Hauptquartier musterten.
Parker vergewisserte sich, daß er vom Taxi aus nicht beobachtet werden konnte. Es ging ihm dabei einzig und allein um den Fahrer. Dieser Mann sollte später nicht irgendwem erzählen können, was sich hier zugetragen hatte. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms schob der Butler sich in die Matte hinein und bohrte ein Sichtloch. Er sah gerade noch, wie die beiden Vollprofis im Haus verschwanden. Links und rechts von der imposant aussehenden Tür gab es Fensterreihen, die geschoßhoch waren. Der Bungalow war sicher nicht billig gewesen. Parker zog aus der .Innentasche seines schwarzen Zweireihers die zusammenlegbare Gabelschleuder hervor, die er geschickt gefechtsbereit machte. Dann besorgte er sich die notwendige Munition aus einer seiner vielen Westentaschen. Es handelte sich um Schrotkörner, die aus Jagdpatronen stammten. Sie lieferten, richtig eingesetzt, eine erfreuliche Wirkungskraft. Parker vergrößerte noch ein wenig das Loch in der Sichtmatte. Um dann mit seinem Dauerfeuer zu beginnen! Nacheinander und mit erstaunlicher Schnelligkeit feuerte er einen Schuß nach dem anderen ab. Die Schrotkörner sirrten unhörbar durch die Luft und ließen bereits die ersten Fensterscheiben zerspringen. Die Gabelschleuder in Parkers Hand erwies sich als eine zwar ungewöhnliche, aber äußerst wirkungsvolle Waffe. Sie schoß mit einer Treffsicherheit und Genauigkeit, die schon bühnenreif war. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der erste Vollprofi draußen vor dem Bungalow erschien, um sich nach dem Grund der zerplatzten Fensterscheiben zu erkundigen. Parker konnte einfach nicht widerstehen. Er visierte den Vollprofi sorgfältig an und schickte ein weiteres Schrotkorn auf die Luftreise. Der Vollprofi zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, als seine linke Wange getroffen wurde. Er warf sich dann blitzschnell und routiniert zu Boden und zog seine Schußwaffe aus der Schulterhalfter. Doch mit dieser Schußwaffe wußte er natürlich nichts anzufangen, denn er konnte keinen Gegner sehen, der ihm seine Kleinstgeschosse lautlos entgegenschleuderte. Parker gab sich seinen Neigungen hin und kannte keine Hemmungen mehr. Jetzt war die Hand an der Reihe, die die Schußwaffe hielt. Parker strammte für diesen Schuß die beiden Gummistränge der Gabelschleuder bis an die Grenze des Möglichen. Dieser Gangsterschläger sollte seinen sehr persönlichen Denkzettel bekommen. Volltreffer! Das Schrotkorn zischte gegen den Handrücken des Mannes, der daraufhin seine Waffe förmlich in die Luft warf. Dann schaute der Vollprofi verdutzt auf seine mit Sicherheit schmerzende Hand und suchte verzweifelt nach dem Geschoß, das ihn so voll erwischt hatte.
Parker sah den zweiten Vollprofi, der um die rechte Hausecke herumkam. Er trug ebenfalls seine Waffe in der Hand und rief seinem Partner etwas zu, was Parker wegen der Entfernung nicht verstehen konnte. Parker ließ sich nicht lange bitten. Die beiden Gummistränge der Gabelschleuder schickten ein weiteres Bleikörnchen auf die Reise. Der zweite Vollprofi brüllte überrascht auf. Er besaß, wie sich zeigte, keineswegs die Selbstbeherrschung, die seinen Partner bisher ausgezeichnet hatte. Der zweite Vollprofi, am Hinterkopf getroffen, wirbelte herum, während er sich bereits die Stelle verzweifelt massierte. Dann beeilte er sich, zurück hinter die Hausecke zu kommen. Er war aber nicht schnell genug., Ein weiteres Bleikügelchen war wesentlich eifriger als er. Und von diesem Miniaturgeschoß getroffen, das seine Nackenmuskeln leicht vibrieren ließ, hechtete er in Deckung und ward nicht mehr gesehen. Der erste Vollprofi robbte inzwischen hastig auf die Bildfläche. Und hatte dabei das Pech, daß, zwei Bluthunde erschienen, die fest daran glaubten, mit ihm spielen zu können. Sie ließen ihn nicht hinter das Haus. Sie umhüpften und umsprangen ihn, leckten ihm freundlich und ausdauernd das Gesicht und warfen ihn immer dann wieder zu Boden, wenn der Mann aufstehen und flüchten wollte. Mitleidig, wie Parker nun mal war, beendete er dieses grausame Spiel. Das schaffte er mit zwei Schrotkörnchen, die er den beiden Bluthunden applizierte. Der erste Bluthund jaulte beeindruckt auf, als sein Ohr getroffen wurde. Da er mißverstand und wohl annahm, der Vollprofi habe ihm diesen Schmerz zugefügt, biß er schnell und gründlich in die Wade des Mannes. Der Vollprofi sprang hoch und rannte los. Wobei er von dem zweiten Bluthund wohl für ein jagdbares Wild gehalten wurde. Dieser Bluthund hetzte den Vollprofi und schnappte nach dessen Hinterteil, das er um ein Haar verfehlt hätte. Doch dann gab das edle Tier sich einen ehrlichen Ruck und erwischte gerade noch das Ziel seiner Wünsche. Der zweite Vollprofi heulte auf wie ein Präriewolf, bevor er endgültig hinter der schützenden Hausecke verschwand. *** Parker nutzte die Gunst der Stunde. Er bemühte sein kleines Spezialbesteck, um sich Zutritt zu verschaffen. Bevor er das Grundstück betrat, ging er noch mal zurück zur Straße und winkte Sue Weston beruhigend zu. Dann machte er sich auf den Weg, einem gewissen Mister Hancock einen Besuch abzustatten.
Er hatte den Bungalow noch nicht ganz erreicht, als die beiden Bluthunde auf der Bildfläche erschienen. Sie befanden sich im Stadium gereizten Zorns, denn sie dachten wohl noch an die schmerzenden Stellen an Ohr und Hinterlauf. Parker hatte nämlich durchaus nicht vergessen, auch dem zweiten Hund eine kleine Lektion zu erteilen. Diese beiden Bluthunde standen nun also plötzlich vor Parker und nahmen Maß. Sie starrten Parker aus blutunterlaufenen Augen an und steckten dann kurzfristig ihre Köpfe zusammen. Sie beratschlagten wohl, wer wo beißen sollte. Parker hatte bereits wieder seinen Parfümzerstäuber gezogen und sprühte die lieben Vierbeiner an. Ausgiebig und intensiv. Der erste Bluthund verdrehte daraufhin fast genußvoll die Augen, leckte sich die Lefzen und hüstelte reicht. Dann kratzte er sich am rechten Ohr und brach in Tränen aus. Die Spraypartikelchen, die Hancock bereits zu spüren bekommen hatte, taten auch hier ihre Wirkung. Bluthund Nr. 2 reagierte vollkommen anders. Fast abartig, wie Parker fand. Dieses brave Tier schien von einer intensiven Euphorie erfaßt worden zu sein. Dieser Bluthund hechelte genußvoll und legte sich dann ohne jeden Übergang auf den Rücken und streckte die vier Läufe straff gen Himmel. Dabei stieß er zärtliche Töne aus und zwinkerte dem Butler einladend zu. Parker hatte wenigstens diesen Eindruck. Der Butler hatte leider keine Zeit, sich diesen beiden Tieren zu widmen. Er vergewisserte sich, daß der erste Bluthund immer noch weinte, um dann gemessen und würdevoll auf den Eingang des Bungalows zuzugehen. Er hatte die Tür noch nichts ganz erreicht, als sie von innen aufgerissen wurde. Hancock, mit einem Schrotgewehr in der Hand, stand in der Türfüllung und sah den Butler gereizt an. „Sie sind äußerst leichtsinnig“, sagte Parker und deutete mit der Spitze seines Regenschirms auf die rechte Hausecke. Ein alter Trick, der aber immer wieder wirkte. Wie auch jetzt und hier. Hancock ließ sich verleiten, Parker für einen Moment aus den Augen zu verlieren. Als er den Kopf schnell wieder herumnehmen wollte, war es für ihn bereits zu spät. Ein dunkler, runder Gegenstand befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits dicht vor seinem Gesicht. Bruchteile von Sekunden später wurde er von Parkers schwarzer Melone voll erwischt. Mit einem Geräusch, das fast an ein sattes Lachen erinnerte, sackte Mister Hancock in sich zusammen. ***
„Und dann!?“ wollte Mike Rander eine Stunde später wissen. Er war ins Hotel zurückgekehrt und dort auf Sue Weston und Parker gestoßen, die von ihrem gemeinsamen Ausflug gerade zurückgekommen waren. „Ich war so frei, Sir, Mister Hancock zu warnen“, antwortete der Butler in seiner höflichen Art und Weise, „ich ließ ihn verstehen, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit weitere und unfreundliche Akte mit Mißbilligung zur Kenntnis nehmen würden.“ „Dazu wird es erst gar nicht mehr kommen, Parker. Sie wissen doch, wir fahren. Wir fahren so schnell wie möglich zurück nach Chikago!“ „Sehr wohl, Sir.“ „Ich denke nicht daran, mich für diese Stadt zu engagieren'„ redete Rander weiter, „ich habe inzwischen auch Erkundigungen eingezogen. Und zwar bei einem Anwaltkollegen. Wenn diese Stadt nicht den Mumm hat, etwas gegen Hancock zu tun, dann soll sie halt unter diesem Gangster leiden.“ „Im Prinzip, Sir, würde ich Ihnen beipflichten“, meinte Josuah Parker, während Sue Weston gespannt zuhörte, „im speziellen Fall aber möchte ich dafür plädieren, ein Beispiel zu geben.“ „Ein Beispiel, wie man sich gegen Gangster durchsetzen kann?“ „In etwa, Sir.“ „Das ist nicht unsere Aufgabe, Parker.“ Rander schüttelte heftig den Kopf. Er wollte wieder mal nicht. Wie so oft in der Vergangenheit. „Bloomington hat seine Polizei. Sie ist ja nicht gerade wehrlos.“ „Aber sie braucht vielleicht eine Initialzündung, Sir.“ „Aber nicht von uns. Wir reisen gleich ab. Wir werden... Ja, was ist denn?“ Es hatte an der Tür geklopft, und Rander wandte sich unwillig um. Die Tür öffnete sich. Zwei Zivilisten betraten das Zimmer. Sie waren einwandfrei als Polizeidetektive zu erkennen. Was wohl allein schon damit zusammenhing, daß sie überhaupt nicht auf den Gedanken kamen, ihre Hüte abzunehmen. „Sergeant Small“, stellte sich der massige untersetzte Mann vor. „Das hier ist Detektiv Printon.“ „Was kann ich für Sie tun?“ erkundigte sich Rander wachsam. Parker hingegen sagte nichts, sondern ging auf die beiden Detektive zu und streckte einladend seine rechte, schwarz behandschuhte Hand aus. „Darf ich um Ihre Kopfbedeckung bitten?“ fragte er. Small und Printon sahen sich etwas betreten an, lieferten Parker dann aber ihre Hüte aus. „Gegen Sie liegt eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Körperverletzung vor“, sagte Small dann grimmig. „Sie werden ja wissen, um was es sich handelt.“ „Gegen einen Mann, der so wie Sie aussieht!“ Printon wandte sich an Parker. „Parker mein Name. Josuah Parker“, stellte der Butler sich vor. „Das ist der Name.“ Small nickte bekräftigend, „Sie haben Hancock diesen Namen genannt, nicht wahr?“
„Und überdies die Adresse und den Namen dieses Hotels'„ bekräftigte Josuah Parker, „wie ich sehe, hat Mister Hancock genau so reagiert, wie ich es mir bescheiden gewünscht hatte!“ Small und Printon sahen sich etwas verwirrt an. Was verständlich war, denn die etwas gewundene und barocke Ausdrucksweise des Butlers war ihnen noch relativ unbekannt. „Glauben Sie wirklich, was dieser Hancock Ihnen erzählt hat?“ schaltete Mike Rander sich spöttisch ein, „oder gilt Hancock hier in der Stadt als sakrosankt?“ „Er ist ein Bürger wie jeder andere“, erwiderte Smal1 kühl, „und er ist solange kein Gangster, bis man ihm das Gegenteil nachgewiesen hat!“ „Sehr schön“, sagte nun Sue Weston und schob sich in den Vordergrund, „dann zeige ich Hancock wegen Belästigung an. Und ich glaube, daß ich dafür ein paar Zeugen nennen kann!“ „Wenn Sie sich nur nicht täuschen, Miß“, meinte Printon, der Sue mehr als nur wohlgefällig musterte, „aber ich will Ihnen nicht die Illusion nehmen.“ *** Während Printon noch redete, stand Parker am Fenster des Hotelzimmers und schaute hinunter auf die Straße. Was er auf der gegenüberliegenden Seite sah, veranlaßte ihn, Small und Printon ans Fenster zu winken. „Haben Sie sich Vollzugsbeamte des besagten Mister Hancock bereits mitgebracht?“ wollte er wissen. Er sprach in einem völlig neutralen Tonfall. Und gleichzeitig deutete er hinunter auf seinen hochbeinigen Wagen, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite des kleinen Hotels stand. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Die beiden Vollprofis hatten sich hinter Parkers Gefährt aufgebaut und schienen die Absicht zu haben, den Wagen zu knacken. Details waren allerdings nicht zu erkennen. „Coinbee“, sagte Small fast automatisch. „Malvis“' fügte Printon hinzu. „Die beiden Profis, die Miß Weston entführen wollten“, erklärte Josuah Parker, „darf ich unterstellen, daß Ihnen diese beiden Herren bekannt sind?“ „Natürlich!“ erwiderte Small. Er wollte sich wieder vom Fenster abwenden, als er plötzlich noch intensiver hinunterschaute. Was sich seinen mehr als erstaunten Augen darbot, war geeignet, ihn stutzig werden zu lassen. Coinbee, der Mann mit den besser ausgebildeten Muskeln, schien gerade eine Hochspannungsleitung berührt zu haben. Er zappelte wie eine nervöse Gliederpuppe und zwar in einem bestürzenden Tempo. Er warf die freie Hand hoch in die Luft und versuchte sich vom Wagen abzudrücken. „Was ist denn das?“ fragte Small, sich an den Butler wendend. „Ich war so frei, meine Diebstahlsicherung einzuschalten“, setzte Parker dem Sergeant auseinander, „sie arbeitet nach dem Prinzip eines elektrischen
Weidezauns, wenn ich es so ausdrücken darf. Nur die Intervalle der Stromstöße sind sehr kurz geschaltet, um den Effekt zu vergrößern!“ Small grinste. Und er sah jetzt tatsächlich aus wie ein Mensch, der so etwas wie Schadenfreude kennt. „Sehr gut“, sagt er. Was Coinbee allerdings nicht fand. Er zappelte noch am Wagen herum und stieß dabei derartig hohe und spitze Schreie aus, daß man sie selbst im Hotelzimmer hörte. Malvis, der Mann, der gegen Coinbee etwas schlanker wirkte, umtänzelte seinen Partner und wußte wahrscheinlich nicht so recht, was er tun sollte. Dann aber tat er es. Er griff nach Coinbees Hand und wollte sie von der Türklinke reißen. Dabei geriet auch seine Hand mit den schnellen Stromstößen in Kontakt. Er beteiligte sich ab sofort an dem Zappeln und jaulte wie ein Hund, dem der Vollmond auf die Nerven geht. „Sehr gut“, meinte nun auch Printon und nickte seinem Sergeant freudig zu, „schade, daß ich keinen Fotoapparat bei mir habe!“ „Wann schaltet sich das Ding wieder ab?“ wollte Small wissen. „Jetzt!“ erwiderte Parker, „die Stromstöße arbeiten in Minutenschaltungen. Körperliche Schäden sind nicht zu erwarten. Wenn Sie darauf bestehen, weise ich gern das Gutachten eines physikalischen Sachverständigen vor.“ Small wandte sich zu Rander und Parker um. Er schaute sie intensiv und prüfend an. Er nagte dabei nervös an seiner Unterlippe. „Wer sind Sie nun wirklich?“ wollte er dann wissen. „Wäre das sehr wichtig?“ fragte Rander, der sehr gut verstanden hatte. „Sehr wichtig“, bestätigte Small, „ich laufe nicht gern in ein offenes Messer!“ *** „Ob man ihm trauen kann?“ fragte Sue, als Small und Printon nach einer halben Stunde gegangen waren. „Wir werden es darauf ankommen lassen müssen“, gab Mike Rander zurück, „was meinen Sie, Parker?“ „Man sollte dieses Risiko eingehen, aber gewisse Vorsichtsmaßnahmen nicht vergessen einzubauen.“ „Sie waren doch bemerkenswert offen“, erinnerte sich Rander. Er saß in einem Sessel und rauchte eine Zigarette. Zwischendurch nippte er an dem Drink, den Parker ihm gemixt hatte. „Sie bestätigten die wenigen Informationen, die Miß Weston und meine Wenigkeit bereits von dem Taxifahrer erhielten“, sagte Parker. „Dieser Mister Hancock versucht, jene Zügel in die Hand zu bekommen, die bisher von Mister French gehalten wurden.“
„Wobei wir es in beiden Fällen mit Gangstern zu tun haben, die die Stadt unter ihre Kontrolle gebracht haben, beziehungsweise sie bringen wollen.“ Rander drückte seine Zigarette aus und stand auf. Er wanderte vor dem Fenster auf und ab. „Mister Hancock übt zur Zeit offenen Terror aus“, redete der Butler weiter, das zusammenfassend, was sie von Sergeant Small gehört hatten, „laut Sergeant Small arbeitet er mit Sprengstoff, Gift und Brandstiftung.“ „Ganz schön hart!“ Rander baute sich am Fenster auf und sah hinunter auf die Straße, „erinnern wir uns an das Essen, Parker! Wer die Bombe dort im Restaurant gelegt hat, ist jetzt wohl klar!“ „Man sollte sich vielleicht mit jenem Mordfall beschäftigen, Sir, den Sergeant Small erwähnte. Es handelte sich bei dem Opfer um einen gewissen Charles Effort, seines Zeichens Reporter bei einer der hiesigen Zeitungen.“ „Wir werden doch bleiben, oder?“ Sue Weston sah den jungen Anwalt bittend an. „Worauf Sie sich verlassen können, Sue“, erwiderte Rander und nickte nachdrücklich, „Parker hatte recht. Wir müssen so etwas wie eine Initialzündung auslösen, damit diese Stadt wieder frei atmen kann. Wir müssen... Sehen Sie doch, Parker, schnell!“ Rander deutete hinunter zur Straße. Hinter Parkers hochbeinigem Wagen hielt gerade ein unscheinbar aussehender Ford, dem die beiden Vollprofis Coinbee und Malvis entstiegen. Sie schienen zurückgekommen zu sein, um Versäumtes nachzuholen. Parker sah in Malvis' Hand ein kleines Paket, das nicht größer war als eine Zigarrenkiste. Er hielt dieses Päckchen sehr vorsichtig in der Hand. Parker hätte später nicht sagen können, was ihn veranlaßte, so schnell nach seiner Gabelschleuder zu greifen. In Bruchteilen von Sekunden hatte er sie zusammengesetzt und in die Lederschlaufe eine seiner berüchtigten Tonmurmeln geschoben. Dann ein Strammen der beiden Gummizüge, und schon zischte das Geschoß hinunter auf die Straße. Dabei erwies es sich als ausgesprochen glücklich, daß Sue vor wenigen Minuten erst das Fenster geöffnet hatte. Malvis wurde voll erwischt. Er ließ das kleine Paket fallen. Als er sich nach dem Päckchen bückte, trat er versehentlich dagegen und beförderte es unter den Ford. Malvis brüllte Coinbee etwas zu. Dann wandten die beiden Profis sich mehr als hastig ab und rannten, wie von Furien gehetzt, ein gutes Stück die Straße hinunter. Weit kamen sie nicht. Als der unscheinbar aussehende Ford sich in einer Wolke aus Feuer und Rauch um gut und gern zehn Zentimeter vom Boden hob, wurden sie von der Druckluftwelle erfaßt und zu Boden geschleudert. Sie schrammten noch etwa dreißig Zentimeter über den Asphalt, bis sie regungslos liegenblieben. „Wenn meine bescheidene Wenigkeit nicht alles täuscht, Sir“, sagte Parker zu seinem jungen Herrn, der völlig sprachlos war, „dann dürfte es sich um einen
wenig lieben Gruß Mister Hancocks gehandelt haben, der offensichtlich meinem Kleinwagen galt.“ Passiert war sonst auf der Straße nichts. Als der Rauch sich verzog, sah man zwar eine dicke Lage von Glassplittern auf dem Gehweg und dem Asphalt der Straße, doch Menschen waren nicht zu Schaden gekommen. Die Gewalt der Explosion hatte sich ausschließlich an Fensterscheiben ausgetobt. Die beiden Vollprofis hatten sich übrigens inzwischen absetzt. Sie konnten, und das durfte man unterstellen, mit dem Erfolg ihrer Bemühungen nicht zufrieden sein. Sie hatten sich den Verlauf ihrer Bombenaktion sicher erheblich anders vorgestellt. *** Rander und Parker hatten sich getrennt. Der junge Anwalt war zusammen mit Sue unterwegs, um in Richtung Charles Effort zu recherchieren. Parker hingegen hatte sich für einen gewissen Mister French entschieden. Nach kurzer Fahrt erreichte der Butler in seinem hochbeinigen Monstrum die Musterfarm dieses Mannes, der laut Small auch ein Gangsterboß war. Davon war diesem Musterbetrieb allerdings nichts anzusehen. Überall gab es weißgestrichene Weidezäune, erstklassiges Milchvieh und langgestreckte Stallungen. Hinter einem massigen Herrenhaus waren große Treibhäuser zu sehen, an die sich Freikulturen anschlossen. Dieser Betrieb war nach Parkers vorsichtiger Schätzung gut und gern eine Million Dollar wert, vielleicht sogar noch mehr. Parker stoppte seinen Kleinwagen vor dem Herrenhaus und stieg aus. Bisher war er überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden, obwohl er sich schon seit fast zwanzig Minuten auf farmeigenen Straßen befunden hatte. Dennoch wußte der Butler mit letzter Sicherheit, daß er die ganze Zeit über beobachtet worden war. Ein Mann wie French ging sicher kein Risiko ein. Josuah Parker sollte sich nicht getäuscht haben. Als er die Wagentür schloß, stand oben am Eingang zum Herrenhaus ein schlanker Mann in einem gedeckten Sportanzug. Daß er in der Schulterhalfter eine Schußwaffe trug, sah der Butler mit geschultem Blick. „Ich erlaube mir, einen besonders schönen Tag zu wünschen“, sagte Parker und lüftete seine Melone, „mein Name ist Parker — Josuah Parker. Ich habe die Ehre und das Vergnügen, der Butler Mister Randers zu sein.“ Der junge Mann war ehrlich irritiert. Solch eine Vorstellung hatte er noch nie erlebt oder auch nur gehört. Sicherheitshalber schob er seine rechte Hand zur Halfter hoch. Sicher war sicher! Und für Sicherheit wurde er schließlich bezahlt.
„Läßt es sich ermöglichen, Mister French zu sprechen?“ erkundigte Parker sich inzwischen, „ich würde mich gern mit ihm über einen gewissen Mister Hancock austauschen.“ Die Augen des jungen, alerten Mannes verengten sich. Der Name Hancock schien bei ihm einiges auszulösen. „Kommen Sie schon!“ sagte er hart. „Vielen Dank für die freundliche und so überaus höfliche Einladung“, gab Parker zurück und lüftete erneut seine schwarze Melone. Dann stieg er gemessen und würdevoll die Stufen zum Eingang hoch. „Hände hoch!“ sagte der junge Mann, als Parker ihn erreicht hatte. „Habe ich richtig gehört?“ Parker sah den jungen Mann erstaunt an. „Hände hoch“, wiederholte der junge Mann, „ich muß Sie nach Waffen abklopfen.“ Parker ließ diese wohl wichtige Prozedur über sich ergehen, zumal er wirklich keine Waffen im üblichen Sinne mit sich führte. Seine Waffen Waren stets von besonderer Art. Man erkannte sie immer erst dann als Waffen, wenn es bereits zu spät war. „Kommen Sie!“ Der junge Mann war zufrieden mit seiner Inspektion. Er ließ den Butler allerdings vorausgehen. Sie betraten nicht die große Wohnhalle mit dem mächtigen Kamin aus Bruchsteinen. Sie bogen noch in der großen Vordiele nach rechts ab und betraten einen kleinen Raum. „Warten Sie, ich werde Sie dann holen.“ Parker hörte, wie der junge Mann ungeniert von außen abschloß. In diesem Haus schien nicht nur Mister French, sondern auch die Angst zu wohnen. Parker war jetzt schon in der Lage, gewisse Schlüsse zu ziehen. Da er aber keine Lust hatte, sich einsperren zu lassen, bemühte er sein kleines Spezialbesteck. Er brauchte etwa zehn Sekunden, bis das Schloß sich nachgiebig öffnete. Parker verließ den Warteraum und sah sich in der großen Wohnhalle um. Er hatte übrigens nicht vergessen, die bewußte Tür zum Wartezimmer wieder zu schließen. Ordnung war in seinen Augen das halbe Leben. „...wirklich völlig fremd, Mister French“, sagte in diesem Moment die Stimme des jungen Mannes, die irgendwo von der Wohnhallendecke zu kommen schien, „ziemlich undefinierbarer Bursche. So was haben wir hier noch nie vorher gehabt.“ „Er will mit mir über Hancock sprechen?“ Jetzt kamen sie in Parkers Blickfeld, der ,junge Mann, der ihn empfangen und eingesperrt hatte. Und ein zweiter, der etwa fünfundfünfzig Jahre alt war. Dieser Mann, sicher Mister French, war etwas über mittelgroß, vollschlank und sah durchaus seriös aus. Er trug Stiefel, Reithose und Lederjacke. Parker hatte inzwischen hinter einem der hochlehnigen Sessel vor dem Kamin Deckung genommen und beobachtete die beiden Männer. Das heißt, sein
ausschließliches Interesse galt Mister French, der die Stadt bisher an der Leine geführt hatte. Das eckige, ausgeprägte Kinn und die kräftige Nase verrieten Energie. Diesem Mann war zuzutrauen, daß er sich mit allen Mitteln seine Stellung in der Stadt erkämpft hatte. Auch mit unlauteren Mitteln. Vielleicht sogar mit Mord. „Bleiben Sie in der Nähe, Ben“, sagte French zu seinem jungen Begleiter, „fühlen wir dem Burschen auf den Zahn. Kann sein, daß Hancock ihn geschickt hat. Vielleicht will er sich vergleichen.“ „Hancock und vergleichen!? Niemals! Der will den offenen Kampf, Mister French. Und Sie sollten ihn endlich annehmen. Er bricht uns einen Stein nach dem anderen aus der Fassung.“ „Holen Sie diesen Parker!“ French schien an einer Diskussion überhaupt nicht interessiert zu sein. Er zündete sich eine Zigarre an und schlenderte zum Kamin hinüber, wo er Parker wohl empfangen wollte. „Ich war bereits so frei“, sagte Parker und trat hinter dem mächtigen Sessel hervor. Er lüftete höflich seine schwarze Melone, und er stand so günstig, daß der herumwirbelnde und erstaunte Ben kein Schußfeld hatte. Frenchs Augen weiteten sich. Er schluckte, aber er zeigte Selbstkontrolle. Er preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und deutete auf einen Sessel. „So was kann verdammt gefährlich sein“, sagte er dann. „Sie meinen das Öffnen einer Tür?“ „Erraten, Parker. Also, was wollen Sie? Hat Hancock Sie geschickt?“ „Auf keinen Fall“, erwiderte Parker, „Mister Hancock dürfte sogar ein wenig unwirsch sein, was meine bescheidene Person anbetrifft. Ich komme aus freien Stücken, wie man zu sagen pflegt.“ Ben, der junge Mann mit der Schußwaffe in der Halfter, hatte sich zurück in die Nähe des Kamins gepirscht und wollte die Initiative ergreifen. Es paßte ihm selbst nachträglich nicht, daß Parker sich befreit hatte. Er gluckste, als er einfach nicht mehr in der Lage war, seine rechte Hand vollends bis zur Halfter zu heben. Daran hinderte ihn nämlich ein stechender Schmerz, den eine schwarze Melone verursacht hatte. Genauer gesagt, der Rand dieser stahlblechgefütterten Melone. Bei dieser Waffe handelte es sich um eine Spezialanfertigung des Butlers, die er bereits zu einer Zeit vorgenommen hatte, als ein gewisser James Bond noch ein Twen gewesen sein mußte. Dieser Melonenrand hatte Bens Muskeln gelähmt. Und den Schmerz ausgelöst. Der Mann stöhnte und ging erst mal in die Knie. Jetzt erinnerte er sich, daß er so etwas wie einen schwarzen Diskus gesehen hatte, der auf ihn zugewirbelt war. „Würden Sie die Freundlichkeit haben und Ihrem Angestellten mitteilen, daß ich an weiteren Störungen nicht sonderlich interessiert bin“, sagte Parker, sich an French wendend, „meine Zeit ist das, was man bemessen nennt.“
*** „Na gut, Mister Parker, nehmen wir an, daß Sie die Wahrheit gesagt haben“, meinte French eine Viertelstunde später, als Parker seine erklärende Vorgeschichte beendet hatte, „Hancock hat Ihnen also auf die Zehen getreten. Und Sie haben zurückgetreten. Warum erzählen Sie mir das alles?“ „Weil ich in Erfahrung bringen möchte, warum Sie es zulassen, daß er die Stadt in seinen Griff bekommen will.“ „Vielleicht bin ich müde geworden. Vielleicht interessiere ich mich nur noch für meinen Betrieb.“ „Der dann in einer Stadt liegt, die von einem Hancock beherrscht wird?“ „Hier auf meinem Grund und Boden weiß ich mir zu helfen. Aber was geht Sie das alles an!? Ich habe eben meine Gründe, basta.“ „Sollten Sie sich nicht in Form einer Beschwerde an das Syndikat gewendet haben?“ „Sie sind verdammt unverschämt“, brauste French auf und wuchtete sich aus seinem Sessel hoch, „glauben Sie, ich würde Ihnen so etwas auf die Nase binden? Wie kommen Sie überhaupt darauf, daß ich irgend etwas mit einem Syndikat zu tun habe? Gehen Sie! Ich habe keine Zeit mehr für Sie.“ „Sie finden meine bescheidene Wenigkeit jederzeit im Blooming-Hotel“, sagte Parker, der sich ebenfalls würdevoll erhoben hatte, „es könnte ja sein, daß Sie das dringende Bedürfnis verspüren, mit mir zu sprechen.“ „Ich glaube, Sie leiden an Größenwahn!“ „Wer kennt sich schon selbst?“ Parker sprach diese tiefe Weisheit in einem elegischen Ton aus, „sind wir uns nicht alle stets ein tiefes Rätsel?“ „Ben!“ rief French und sah sich suchend nach seinem Mitarbeiter um. Ben erschien. Diesmal hielt er eine Winchester schußbereit in der Hand. Er sah sehr konzentriert und wachsam aus. Er wollte sich nicht noch mal düpieren lassen. „Mir kommt da gerade ein Gedanke“, sagte Parker und blieb stehen. Taktisch sehr geschickt übrigens, denn Ben hatte schon wieder kein Schußfeld. „Da bin ich aber gespannt.“ French hatte sich entschlossen, Parker als einen harmlosen Irren einzustufen. „Könnte es nicht sein, Mister French, daß Mister Hancock in Ihrem Auftrag arbeitet? Um die Stadt wieder auf Vordermann zu bringen?“ French musterte den Butler jetzt sehr kalt. Er sagte kein Wort, sondern starrte nur. „Zu dieser Schlußfolgerung zwingt mich Ihre Reaktion auf Hancocks Versuche, die Stadt an sich zu reißen“, erläuterte der Butler höflich. „Gehen Sie endlich! Und lassen Sie sich nie wieder hier blicken“, brauste French dann auf, „Ben! Wo stecken Sie denn?“ Ben übersah die Spitze von Parkers Universal-Regenschirm, die der Butler leicht angehoben hatte. Er konnte schließlich nicht ahnen, wie gefährlich und universell dieser Regenschirm war und welche Überraschung er zu bieten hatte.
Parker setzte seinen Schirm als Waffe ein. Er war aber auf der Hut. Die Winchester in Bens Hand paßte ihm nicht. Er wollte keineswegs von einer Bleikugel belästigt werden. „Ich gebe Ihnen einen guten Rat“, sagte French, „verlassen Sie diese Stadt!“ „Ich fürchte, das nicht tun zu können. Ihr Verhältnis zu Hancock beginnt mich immer mehr zu interessieren.“ „Sie müssen wissen, was Sie tun, Parker. Manch einer ist einfach wild darauf, Selbstmord zu begehen!“ *** Parker war von Ben bis an das Haupttor der Farm begleitet worden. Ben hatte dazu seinen Jeep benutzt, während Parker in seinem hochbeinigen Monstrum saß. Der Butler lüftete höflich seine Melone, als Ben den Jeep fast auf der Stelle wendete und dann zurück zum Herrenhaus preschte, das weit im Hintergrund unter einer riesigen Baumgruppe zu erahnen war. Parker fuhr ein gutes Stück weiter und stellte seinen Kleinwagen dann in einem Seitenweg ab. Er schaltete das Radiogerät ein und griff unter das Armaturenbrett. Hier knipste er einen Zusatzschalter ein, der nur ihm bekannt war. Jetzt war er in der Lage, das zu empfangen, was der Miniatursender ihm lieferte, jener Miniatursender, den er in der Wohnhalle des Herrenhauses zurückgelassen hatte. Dieser Sender, nicht größer als eine schlecht geratene Kirsche, befand sich auf dem Kaminsims und haftete dank seines Magneten an der Rückseite einer Zierkanne aus Messing. Parker hatte sich dieses kleine Gerät in seiner Bastelstube zusammengesetzt. Er wußte, wie leistungsstark es war. Was sich gerade wieder zeigte. „Entweder ein Irrer, oder ein gerissener Fuchs.“ Das war Frenchs Stimme, die gerade aus dem Lautsprecher des Autoradios drang. „Stellen Sie fest, Ben, ob er tatsächlich im Bloomington wohnt und woher er kommt.“ „Könnte er vom FBI sein, Chef?“ „Möglich ist alles. Die arbeiten ja auch mit allen Tricks. Mich macht nur seine Offenheit stutzig. So was gibt's doch eigentlich gar nicht.“ „Ein Trick.“ „Natürlich“, gab French unwillig zurück, „aber was bezweckt er damit? Will er mich herausfordern? Soll ich eine Dummheit begehen? Wenn er darauf wartet, ist er auf dem Holzweg. Los, Ben, tun Sie, was ich gesagt habe! Und lassen Sie die Wachen verstärken. Die Farm igelt sich ab sofort vollkommen ein.“ „Wie war das mit Hancock, der angeblich für Sie arbeiten soll?“ Ben schien alles mitbekommen zu haben, was Parker gesagt hatte. Und Parker, der in seinem Wagen zuhörte, wartete gespannt auf die Antwort. „Alles reiner Unsinn!“ erwiderte French prompt, „glauben Sie wirklich, Ben, ich ließe meine Freunde hochgehen? Dafür werde ich Hancock schon in den nächsten Tagen die Quittung ausstellen ...“
„Das war's, Chef, worauf ich gewartet habe. Und auch die anderen Jungens. Es wird höchste Zeit, daß wir Hancock mal zeigen, wer der Boß in der Stadt ist.“ Parker beugte sich etwas näher an das Radiogerät heran, um besser zu hören. Die Informationen, die man ihm hier ungewollt lieferte, waren aufschlußreich, aber nicht eindeutig. Dann aber duckte er sich blitzschnell nach unten und zog mit dem Bambusgriff seines Regenschirms die noch geöffnete Wagentür zu. Ihm war, als habe er drüben in Baumnähe einen irregulären Schatten gesehen. . Vorsichtig und mißtrauisch, wie Parker nun einmal war, wollte er kein Ziel bieten. Parker wartete einen Moment, um sich dann aufzurichten. Blitzschnell und ohne Furcht vor einem Schuß. Was verständlich war, denn die Scheiben seines Wagens bestanden aus schußsicherem Glas. Er hatte sich nicht getäuscht. Für kurze Zeit sah er eine junge Frau im Reitdreß, die jetzt ebenfalls blitzschnell hinter einem Baumstamm verschwand. Parker hatte bemerkt, daß diese junge Frau, die höchstens 25 Jahre alt war, ein Gewehr in der Hand hielt. *** Parker ließ sich auf kein Risiko ein. Er wollte den Wagen verlassen und die junge Dame zur Rede stellen. Auf der anderen Seite wollte er aber auch nicht beschossen werden. Womit vielleicht und unter Umständen zu rechnen war. Parkers rechte Hand glitt über das Armaturenbrett seines Wagens, das mit Kipphebeln, Schaltknöpfen und Instrumenten aller Art bedeckt war. Seine Hand drückte einen Kipphebel um. Worauf sich Erstaunliches tat. Aus einem der Doppel-Auspuffrohre schossen förmlich dunkle Rauchwolken hervor, die erst mal den Eindruck schufen, der Wagen sei in Brand geraten. Diese dunklen Rauchwolken breiteten sich erstaunlich schnell aus und ließen die Konturen des Wagens verschwinden. Nach etwa zwei Sekunden war Parkers hochbeiniger Wagen schon nicht mehr zu sehen. Er hatte sich in die dunkle Wolke zurückgezogen. Parker stieg gelassen und würdevoll aus seinem Wagen. Er konnte sicher sein, daß man ihn nicht sah. Er ging um den eckigen Kühler herum und schloß sich einer Rauchwolke an, die hartnäckig auf das nahe Waldstück zuhielt. Als die bewußte Rauchwolke sich zwischen den Bäumen verlief und auflöste, befand der Butler sich bereits in Deckung. Von seinem Standort aus konnte er jetzt sowohl das Waldstück wie auch seinen Wagen beobachten, dessen Konturen nun wieder sichtbar wurden. Und er konnte auch die junge Dame sehen, die ihre Verblüffung wohl überwunden hatte und sich langsam und mißtrauisch an den Wagen heranpirschte. Dabei hielt sie das Gewehr nach wie vor schußbereit in der Hand. Sie kicherte überrascht, als Parker mit dem Bambusgriff seines UniversalRegenschirms nach der Waffe langte und sie an sich zog.
Die junge Frau wirbelte erstaunlich schnell herum und gab das Gewehr frei. Dann wich sie ängstlich gegen einen Baumstamm zurück und starrte den Butler an. „Ich hoffe, Sie nicht zu sehr erschreckt zu haben“, sagte Parker und lüftete seine schwarze Melone, „mein Name ist übrigens Parker ... Josuah Parker!“ „Ich... ich muß mich verlaufen haben“, bekannt die junge Dame und blickte den Butler unsicher an. „Wenn Sie erlauben, Madam, biete ich Ihnen meinen Wagen an. Ich befinde mich auf dem Weg zurück nach Bloomington...“ „Ich ... gehe lieber zu Fuß.“ „Um sich wieder zu verlaufen, Madam? Muß ich annehmen, daß Sie sich vor einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann fürchten?“ „Unsinn!“ Sie gab sich einen inneren Ruck und kämpfte um ihr Selbstbewußtsein. „Hinzufügen möchte ich, daß ich keineswegs in Diensten eines gewissen Mister French stehe“, redete der Butler weiter. Er glaubte erahnt zu haben, was sie befürchtete. „Ich heiße Judy Effort“, stellte sie sich vorsichtig vor. „Kann ich diesen Namen schon mal gehört haben?“ fragte Parker höflich. Dann schlug es allerdings wie ein Blitz in ihm ein. „Sind Sie möglicherweise mit einem gewissen Mister Charles Effort verwandt?“ „Das... das war mein Bruder!“ Sie schluckte und sah schnell zu Boden. „Ihr Bruder war Reporter beim Bloomington-Star? „ „Und wurde ermordet!“ sagte sie heftig und hob wieder den Kopf, „und ich weiß auch, wer das veranlaßt hat!“ „Mister French?“ „Natürlich.“ „Tragen Sie deshalb eine Schußwaffe mit sich herum? Haben Sie Befürchtungen, ebenfalls ermordet zu werden? Oder wollen Sie das üben, was man gemeinhin Rache nennt?“ „Nehmen Sie mich mit zurück in die Stadt“, bat Judy, ohne auf Parkers Fragen einzugehen, „die Rauchwolke aus Ihrem Wagen ist drüben auf der Farm bestimmt gesehen worden.“ „Man scheint sogar bereits darauf zu reagieren“, sagte der Butler und deutete hinüber auf die Zufahrtstraße, wo ein Jeep auftauchte. „Wenn Sie einverstanden sind, sollten wir jetzt fahren.“ Sicherheitshalber verstaute Parker das Gewehr der jungen Dame im Kofferraum seines hochbeinigen Wagens. Dann, als er mit ihr losfuhr, drückte sein Zeigefinger einen Knopf auf dem Armaturenbrett. Worauf neben dem Doppelauspuff sich eine versteckt angebrachte Klappe öffnete, aus der etwa ein Dutzend Krähenfüße herauspurzelten, die sich mit dem Staub mischten, der auf der Zufahrtsstraße lag. Aus Erfahrung wußte Parker, was gut für etwaige Verfolger war. Nämlich Krähenfüße, spitze Nägel, die winklig zueinander verschweißt wurden. Gleich-
gültig, wie sie auf dem Boden landeten, eine Nagelspitze stand immer bereit, um sich in einen Pneu zu bohren. Was auch diesmal wieder ausgezeichnet klappte. Parker hatte seinen Wagen angehalten und beobachtete durch die Rückscheibe den Jeep, der sehr stark aufgeholt hatte und sich jetzt dem Gebiet näherte, das mit Krähenfüßen ausgelegt war. Der Butler nickte zufrieden. Seine Rechnung ging auf. Zwei Reifen des Jeeps waren plötzlich ohne Luft, wie sich aus den sehr heftigen Steuerbewegungen des Jeeps ablesen ließ. Der kleine, fast viereckige Wagen schleuderte noch ein wenig, bevor er sich auf seinen Felgen ausruhte. „Damit dürfte einer geruhsamen Heimfahrt nichts mehr im Weg stehen“, sagte der Butler, sich an Judy Effort wendend, „vielleicht nutzen Sie die Zeit, sich etwas über die Herren French und Hancock zu verbreiten. Ich bin sicher, daß Ihr Bruder mehr von ihnen weiß als zum Beispiel die zuständigen Behörden.“ *** „Und wußte sie tatsächlich mehr?“ fragte Mike Rander. Er und Sue Weston waren zurück ins Hotel gekommen und konnten sich nur noch wundern, daß es ausgerechnet Parker wieder mal gelungen war, Kontakt mit der Angehörigen des ermordeten Charles Effort aufzunehmen. Sie selbst hatten nichts erreicht. „Miß Effort ist der festen Überzeugung, Sir, daß hinter allen Mord- und Bombenanschlägen ausschließlich Mister French steht. Sie glaubt wie ihr Bruder, daß Hancock von French nur vorgeschoben wurde.“ „Darauf kann ich mir keinen Vers machen. Sind sie denn nicht Todfeinde?“ „Laut Miß Effort nur nach außen hin. Ihr Bruder wollte beweisen, daß der angeblich so ruhig gewordene French die Stadt neu knebeln will. Und um von sich abzulenken, hat er sich so etwas wie einen Konkurrenten geschaffen, der diese Arbeit für ihn ausführt.“ „Glauben Sie an diese Version, Parker?“ Rander sah seinen Butler skeptisch an. „Ich glaube nicht daran“, schaltete Sue Weston sich ein, „dieser Hancock kann sich doch ausrechnen, daß French ihn fallen läßt, sobald er seine Arbeit getan hat.“ „Eine äußerst treffende Bemerkung, Miß Weston“, sagte Josuah Parker, „ein Mann wie Mister Hancock hat sich vielleicht mal für diese Zwecke engagieren lassen, inzwischen dürfte er aber sehr ausgeprägte und eigene Absichten verfolgen.“ „Nach dem Motto, die Geister, die ich rief, werde ich nicht wieder los.“ Rander nickte nachdenklich. „Man sollte ab sofort in jedem Fall das führen, was man in der Sprache der Militärs einen Zweifrontenkrieg nennt“, redete Parker weiter, „unsere schwachen
Bemühungen sollten sich sowohl auf Mister French als auch auf Mister Hancock richten.“ „Sie haben diese beiden Polizeidetektive vergessen.“ Sue Weston verzog etwas abfällig ihr Gesicht, „ich fürchte, Mister Parker, daß sie uns keine Hilfe sein werden. Vielleicht sind sie sogar von French oder Hancock gekauft.“ „Eine schreckliche Vorstellung“, meinte Parker gemessen, „da aber auch Staatsdiener nur Menschen sind, sollte man mit solch einer Möglichkeit rechnen.“ „Ich fürchte, Parker, wir übernehmen uns.“ Rander kamen ehrliche Bedenken. „Dem möchte ich, Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, widersprechen, Sir. Die Herren French und Hancock müßte man doch gegeneinander ausspielen können. Es bieten sich da sehr fruchtbare Möglichkeiten an.“ *** Es war dunkel geworden. Parkers Wagen stand vor dem kleinen Bungalow, der zu einer Reihensiedlung gehörte. Hier ähnelten sich die Holzhäuser wie ein Ei dem anderen. In solch einem Massenhaus befanden sich Rander und Parker, die Judy Effort verabredungsgemäß einen Besuch abstatteten. Sue Weston hatte man im Hotel zurückgelassen. Sie wartete dort auf einige wichtige Anrufe aus Washington. Genauer gesagt, aus der FBI-Zentrale. Rander, der seine engen Beziehungen hatte, wollte sich über die beiden Herren French und Hancock aufklären lassen. Er war sicher, daß sie in der Zentralkartei geführt wurden. Sue Weston hatte übrigens hoch und heilig versprochen, die Tür nicht wieder zu öffnen. Parker hatte sie überdies vor dem Verlassen des Hotelzimmers mit einer seiner kleinen Spezialwaffen ausgerüstet. Und auch mit einem kleinen Sender, über den sie Parker anrufen konnte, falls es erforderlich wurde. Judy Effort, das sah und spürte Parker sofort, schien in der kurze Zwischenzeit seit ihrer letzten Unterhaltung sehr nachhaltig eingeschüchtert worden zu sein. So erklärte sie gerade, sie habe die Arbeitsunterlagen Ihres Bruders nicht mehr finden können. „Vielleicht hat er sie mit in sein Redaktionsbüro genommen?“ sagte sie nervös. „Gehe ich richtig in der Annahme, Miß Effort, daß gewisse Kreise Sie inzwischen unter Druck gesetzt haben?“ fragte Parker rundheraus. Während er redete, beobachtete er das Gesicht von Judy Effort. Parker machte eine lohnende Entdeckung. Rander übrigens auch. Judys Gesicht verfärbte sich sichtlich. Sie schaute zu Boden und nagte an ihrer Unterlippe. Parkers Satz schien sie tief getroffen zu haben. „Ich ... Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden“, meinte sie dann ausweichend, „wer sollte mich schon unter Druck setzen?“ „Die Herren French oder Hancock, zum Beispiel.“
„Nein, bestimmt nicht“, erwiderte sie hastig, „sie haben sich nicht bei mir gemeldet. Ehrenwort!“ „Sie können ja auch Mittelsmänner geschickt haben.“ Rander sah Judy Effort eindringlich an. „Sie müssen Vertrauen zu uns haben. Wir wollen Ihnen helfen, Miß Effort. Denken Sie daran, daß Ihr Bruder ermordet wurde. Und er wurde umgebracht, weil er über diese beiden Gangster zuviel wußte.“ Rander tat es im Grund leid, so hart und ungeschminkt mit ihr reden zu müssen. Aber er verfolgte damit einen bestimmten Zweck Er wollte Judy schockieren und sie dazu bringen, daß sie ihre Angst vergaß. „Den Worten Mister Randers brauche ich kaum noch etwas hinzuzufügen“, schaltete sich jetzt der Butler ein, „darüber hinaus möchte ich Sie aber darauf aufmerksam machen, daß Sie selbst in höchster Lebensgefahr schweben, Miß Effort!“ Sie antwortete zwar nicht, sah ihn aber erstaunt und überrascht zugleich an. „Die Herren French und Hancock müssen doch davon ausgehen, Miß Effort, daß Ihr Bruder Sie eingeweiht hat“, führte der Butler weiter aus, während Rander zustimmend nickte, „also stellen Sie für diese beiden Männer eine akute Gefahr dar. Das ist die schreckliche Schlußfolgerung, deshalb wird man auch Sie umbringen wollen.“ „Das,.. das werden Sie nicht wagen!“ Sie stieß ihre Antwort sehr spontan aus und schien sich damit auf eine ganz bestimmte Sache zu beziehen. Parker verstand augenblicklich. „Sie glauben vielleicht, sich abgesichert zu haben“, sagte der Butler schnell, „wahrscheinlich haben Sie die Unterlagen Ihres Bruders so untergebracht, daß sie im Falle eines Mordes als Bumerang wirken!“ „Selbst wenn diese Unterlagen bei einem Anwalt liegen, sind Sie nicht sicher“, warf Rander ein. Er hatte sofort begriffen, worauf sein Butler hinaus wollte. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden“, wiederholte Judy Effort. Doch es war deutlich zu sehen, daß sie unsicher geworden war. „Nun gut“, sagte Parker, „falls die bewußten Unterlagen doch bei einem Anwalt sein sollten, so lassen Sie wenigstens Kopien herstellen, die sie dann bei einem zweiten Anwalt deponieren, der nicht in dieser Stadt wohnt. Doppelt genäht hält besser, wie der Volksmund zu sagen pflegt!“ „Und Sie sollten mit diesen Fotokopien nicht lange warten“, füge Ränder hinzu. „Aber das wirklich nur für den Fall, daß Sie das getan haben, wovon Mister Parker gerade sprach.“ *** Sue Weston — allein im Hotelzimmer — war nervös. Eine innere Stimme sagte ihr, daß sie sich in größter Gefahr befand. Wiederholt hatte sie bereits die Tür kontrolliert. Sie war nach wie vor fest geschlossen.
Sue hatte sich die beiden Fenster angesehen. Unter ihnen gab es nur eine glatte Front, die man nur mit einer Feuerwehrleiter überwinden konnte. Und auch das kleine Oberlicht im angrenzenden Badezimmer war so gut wie uneinnehmbar. Sue Weston wanderte im Hotelzimmer auf und ab und sehnte sich nach der Rückkehr von Mike Rander und Josuah Parker. Sie zuckte zusammen, als sie plötzlich ein Geräusch an der Tür hörte. Blitzschnell wandte sie sich um und entdeckte einen Bogen Papier, der unter den Türspalt geschoben worden war. Dieser Papierbogen schien eine Mitteilung zu enthalten. Zögernd ging Sue hinüber und beugte sich über den gefalteten Papierbogen. Sie konnte soviel sehen, daß er auf der Innenseite beschrieben war. Sue dachte an Parkers Warnungen. Das konnte doch nur eine Falle sein. Das mußte ein Trick sein, um sie zum Öffnen der Tür zu veranlassen. Während sie das dachte, hob sie bereits den Papierbogen hoch und faltete ihn auf. Schnell überflog sie die wenigen Zeilen, die darauf standen. In großen Druckbuchstaben stand dort: Vorsicht, Lebensgefahr! Sue horchte an der Tür. Draußen auf dem Korridor war nichts zu hören. Es herrschte vor der Tür eine bedrückende Stille. Sue lief hinüber zu einem der Fenster und sah hinunter auf die Straße. Auf der gegenüberliegenden Seite parkte Auto hinter Auto. Besonderes konnte sie nicht ausmachen. Als Sue sich abwandte, fühlte sie bereits eine lähmende Schwäche in ihren Gliedern. Sie dachte an den Papierbogen, dachte daran, daß er vielleicht präpariert worden war, und rutschte halb auf das Bett. Die Augen schlossen sich bleischwer. Sie atmete plötzlich flach und schnell. Mühsam riß sie noch mal die Augen auf. Fast gleichgültig nahm sie jetzt zur Kenntnis, daß sich der Türknopf langsam bewegte. Bevor sie endgültig ohnmächtig wurde, bekam sie gerade noch mit, daß die Tür langsam aufgedrückt wurde. *** Rander und Parker saßen im hochbeinigen Wagen des Butlers und warteten. Der Butler hatte das Autoradio eingeschaltet und den Zusatzhebel betätigt. Da er im Bungalow Judy Efforts einen seiner kleinen Miniatursender zurückgelassen hatte, war mit einer Übertragung aus erster Hand zu rechnen. Der Minisender arbeitete erstklassig. Rander und Parker konnten deutlich hören, wie nervös Judy herumlief. Sie schien mit sich zu ringen und einen Entschluß fassen zu wollen.
„Endlich!“ sagte Rander zu Parker, als dann das leise Surren einer Telefonwählscheibe zu hören war. Parker antwortete nicht. Er konzentrierte sich auf das Surren dieser Scheibe. Er wollte herausfinden, welche Nummer Judy Effort gerade wählte. Doch das war nicht nötig, wie sich bald herausstellte. Judy Effort sprach im Klartext „Hier Judy Effort“, meldete sie sich, als die Verbindung hergestellt war, „hören Sie, Mister Harpers ... Ich muß Sie unbedingt sprechen. Ja, noch heute abend... Es handelt sich um die Unterlagen, die ich Ihnen gebracht habe. Wann? Gut, ich fahre sofort los. Nein, das sage ich Ihnen im Büro. Bis gleich. Und entschuldigen Sie bitte die Störung ...“ „Worauf warten wir noch?“ erkundigte sich Rander unternehmungslustig, als diese Übertragung durch Ausschalten des Radios beendet wurde, „ein Anwalt Harpers wird sich in dieser Stadt doch hoffentlich schnell finden lassen, oder?“ „Ich bin mir dessen fast sicher, Sir“, sagte Parker und setzte den Motor in Gang. „Man könnte das Verfahren allerdings auch vereinfachen und Miß Effort folgen.“ Rander war aus Zeitgründen dagegen. Eine Entscheidung, die sich noch als schwerwiegend herausstellen sollte. *** „Jetzt müßte sie aber eigentlich kommen“, sagte Mike Rander eine halbe Stunde später. Er und Parker saßen im Wagen und beobachteten den Eingang zu dem Bürohaus, in dem sich das Anwaltsbüro Harpers befand. Sie hatten sich die Adresse in einem Telefonbuch verschafft. Zu diesem Zweck hatte Parker in der City kurz vor einer Telefonzelle gehalten. Rander und Parker warteten, aber Judy Effort ließ sich nicht sehen. „Ob sie umdisponiert hat?“ fragte Hand er unruhig, sich an seinen Butler wendend. „Das wäre eine von zwei Möglichkeiten, Sir.“ „Und die zweite Möglichkeit?“ „Man könnte Miß Effort vielleicht abgeholt haben.“ „Im Auftrag von French oder Hancock?“ „Ich fürchte, Sir, daß nur diese beiden Herren in Betracht kommen.“ „Malen Sie bloß nicht den Teufel an die Wand!“ Rander zündete sich eine Zigarette an und rückte sich auf dem Sitz zurecht. Jetzt bedauerte er es, daß sie sich nicht an Judy gehängt hatten. Das wäre wesentlich sicherer gewesen. „Ich werde bei ihr anrufen“, meinte Rander schließlich, „warten Sie einen Moment...“ Er stieg aus dem Wagen und ging ein Stück die Straße hinunter, bis er eine Telefonzelle erreicht hatte. Er wählte die Nummer und wartete ungeduldig darauf, daß Judy Effort abhob.
Doch auf der Gegenseite rührte sich nichts. Rander ließ sehr lange durchläuten, bis er einsah, daß es sinnlos war. Eines stand wohl fest: Judy Effort hatte das Haus verlassen. „Fehlanzeige“, sagte Rander, als er zu dem Butler zurückkam“, ich muß gestehen, Parker, daß ich jetzt ratlos bin.“ „Darf ich höflichst vorschlagen, Sir, Mister Harpers einen Besuch abzustatten?“ „Und was versprechen Sie sich davon?“ „Vielleicht stoßen Sie und meine bescheidene Wenigkeit auf Verständnis“, gab der Butler zurück, „man könnte Mister Harpers ... Oh, mir scheint, daß die Dinge dennoch in Fluß kommen.“ »Was ist denn?“ Rander sah durch die Windschutzscheibe hinüber auf den Eingang zum Bürohaus, in dem sich die Anwaltskanzlei befand. „Miß Effort“, sagte Parker, „und zwar in Begleitung...“ ,,einer offensichtlich sehr miesen Type'„ vollendete Rander den Satz, „die Sache scheint noch zu werden, Parker. Machen wir uns auf die Beine!“ *** Judy Effort bewies eiserne Nerven, als Parker zu ihr und ihrem Begleiter in den Lift stieg. Sie schien den Butler völlig zu übersehen, ihn überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Parker ließ selbstverständlich ebenfalls nicht erkennen, daß er Judy Effort schon mal gesehen hatte. Er konzentrierte sich auf Miß Efforts Begleiter. Dieser Mann, schlank, mittelgroß und etwa 30 Jahre alt, hatte ein pockennarbiges Gesicht und stechende, schwarze Augen. Er musterte den Butler eindringlich. Irgend etwas in ihm schien auf Hochtouren zu arbeiten. Dabei glitt seine rechte Hand bereits hinauf zu den Revers seines Jacketts. Er suchte wohl näheren Kontakt mit seiner Schußwaffe, die sich mit Sicherheit in einer umgeschnallten Halfter befand. Parker handelte schnell. Er wollte und mußte jedes eventuelle Risiko ausschalten. Und als es in den stechenden, schwarzen Augen des Mannes aufflammte, da landete Parker bereits seinen Coup. Er hatte, scheinbar sehr zerstreut, mit dem Ärmelaufschlag seines schwarzen Zweireihers gespielt. Dabei waren die Finger seiner rechten Hand aber keineswegs untätig geblieben. Sie hatten sehr geschickt einen kleinen Gegenstand aus dem Aufschlag gezogen, der nicht größer war als eine Stopfnadel. Diese befand sich in einem kleinen Miniaturetui aus Leder, einer Art Kodier, den man in den Ärmelaufschlag eingelassen hatte. Die Stopfnadel hatte es in sich, wie sich schnell zeigen sollte.
Die Spitze war nämlich vergiftet. Das heißt, das Präparat, mit dem die Nadel behandelt worden war, sorgte für einen erholsamen Tiefschlaf bei derjenigen Person, der man diese Nadelspitze in irgendeinen Körperteil stieß. Was Josuah Parker tat. Der Mann mit dem pockennarbigen Gesicht zuckte leicht zusammen, als das spitze Instrument sich in seine linke Hüfte bohrte. Nicht besonders tief, um es gleich zu sagen. Parker war schließlich gegen unnötige Härte. Automatisch ließ der Pockennarbige seine Hand wieder sinken und griff nach der piekenden Stelle. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, sein Gegenüber könne ihm diesen Stich beigebracht haben. Er vergaß augenblicklich seinen Revolver und verdrehte bereits genußvoll die Augen. Das Präparat tat bereits seine Wirkung. Der Pockennarbige befand sich bereits im fünften Himmel der Seligkeit. Er schnaufte freudig, kicherte und schwang sich hinauf in den sechsten Himmel. Hier angekommen, grinste er Judy Effort und den Butler an. Er schien in der Stimmung zu sein, um die ganze Welt und noch mehr zu umarmen. „Hallo, Nachbar!“ sagte er zu Parker, „tolles Wetter heute...“ „Es könnte in der Tat erheblich schlechter sein“, gab Parker höflich zurück. Und er beobachtete den Aufschwung des Mannes hinauf in den siebten Himmel. Der Pockennarbige nickte jetzt geistesabwesend und rutschte gleichzeitig an der Kabinenwand des Lifts hinunter. Dann bettete er sich auf dem Boden und schloß friedlich die Augen. Wenig später waren bereits intensive Schnarchtöne zu hören. „Was... Was ist mit ihm?“ fragte Judy und sah den Butler irritiert an. „Eine kleine Pause, die seiner inneren Erholung dienen wird“, erwiderte Parker, „darf ich auch nachträglich noch unterstellen, Miß Effort, daß er sie unter Zwang begleitete?“ Sie nickte und schluchzte plötzlich trocken auf. *** Zu Parkers Überraschung war die Tür zum Vorzimmer der Anwaltskanzlei verschlossen. Höflich, aber dennoch nachdrücklich klopfte er an. Die erwartete Antwort blieb aus. Selbst Schritte hinter der Tür waren nicht zu hören. „Sie haben doch mit Anwalt Harpers gesprochen“, erkundigte sich Parker bei Judy Effort, obwohl er es dank seines Minisenders längst wußte. Er wollte nur seine Karten nicht auf den Tisch legen. „Ich bin mit ihm verabredet“, gab sie zurück. „Vielleicht klemmt die Tür auch nur“, meinte Parker, „würden Sie die Freundlichkeit haben, Miß Effort, einmal hinunter auf die Straße zu sehen.“ „Sie meinen, wegen dem zweiten Mann?“ Parker sah sie nur abwartend an.
„Der Mann im Lift war nicht allein“, sagte Judy Effort schnell. „Er kam mit einem anderen Mann zu mir in die Wohnung. Und er fuhr mit einem anderen Wagen hinter uns her.“ „Eine interessante Mitteilung“, kommentierte Parker, „würden Sie freundlicherweise Ausschau nach ihm halten?“ Judy Effort ging zum nächsten Korridorfenster und sah auf die Straße hinunter. Parker nutzte diese Gelegenheit, sein Spezialbesteck zu bemühen. Judy brauchte nicht zu wissen, wie er die angeblich klemmende Tür öffnete. Als sie vom Fenster zurückkehrte, hatte er es bereits geschafft. Er nickte ihr nur zu und schob die Tür vorsichtig auf. Dann ging er schnell auf eine dick wattierte Tür zu, die nur angelehnt war. „Was ist?“ fragte Judy mit ängstlicher Stimme, als Parker stehenblieb und in Harpers' Büro sah. „Leider, oder Gott sei Dank, nichts“, gab der Butler zurück, „es hat allerdings den Anschein, als sei Mister Harpers ungewöhnlich schnell, wenn nicht sogar hastig aufgebrochen.“ „Verstehen Sie das?“ fragte Judy, die jetzt ebenfalls in das Privatbüro sah, „er wollte doch auf mich warten. Ich sagte ihm, daß ich ihn wegen der Unterlagen meines Bruders sprechen wollte.“ „Die Sie hier bei Anwalt Harpers deponiert hatten?“ „Ja ... Sie lagen schon richtig, als Sie das vermuteten...“ „Und wie reagierte Mister Harpers auf Ihren Wunsch?“ „Er meinte zuerst, das hätte ja bis morgen Zeit, aber als ich darauf bestand, bestellte er mich hierher.“ . „Sie sprechen also eindeutig von den Unterlagen Ihres Bruders?“ „Natürlich!“ „Aber am Tag, als Sie ihm die Unterlagen brachten, nicht?“ „Nein!“ entgegnete sie zögernd, „da sprach ich von Familienunterlagen. Ist das so wichtig?“ „Allem Anschein nach, ja. Der Hinweis auf die Papiere und Unterlagen Ihres Bruders scheint für Mister Harpers die allgemeine Lage verändert zu haben.“ „Sie glauben, daß er...“ Judy brach ab und sah ihn erstaunt an. „Mister Harpers scheint Komplikationen zu befürchten“, erwiderte Parker und nickte gemessen, „er dürfte die Machtverhältnisse hier in Bloomington sehr genau kennen. Danach richtet er sich.“ „Ob er die Unterlagen an French oder Hancock weitergegeben hat?“ „Dies, Miß Effort, wird man allerdings überprüfen müssen“, erwiderte Josuah Parker zurückhaltend, „hatte Ihr Bruder einen Kollegen oder Freund, auf den er sich unbedingt verlassen konnte?“ „Steve Records“, sagte Judy spontan, „ich... ich bin sogar gut mit ihm befreundet.“ „Steve Records, also...!“ Parker wiederholte den Namen und nickte, „wenn Sie erlauben, sollte man ihn aufsuchen.“
Parker hatte noch mehr sagen wollen, doch in diesem Moment piepste es in der Brusttasche seines Zweireihers. Judy Effort schaute sich verwirrt um. Sie konnte sich diesen Piepslaut nicht erklären. Parker hingegen sehr gut. Sein junger Herr hatte sich gerade gemeldet. Er hatte den Impuls im Wagen ausgelöst. Und ein kleiner Empfänger, nicht größer als eine Streichholzschachtel, hatte jetzt den Warnruf empfangen und an Parker weitergegeben. Irgend etwas schien sich zu tun. *** Wie ein schnürender Fuchs stahl sich der Mann in das Vorzimmer. In der rechten Hand trug er eine Pistole, auf deren Mündung ein Schalldämpfer montiert war. Der Mann, klein und wendig wie ein Fliegengewicht, mußte den schlafenden Mann im Lift gesehen haben. Dementsprechend war sein Mißtrauen. Er wirbelte zur Tür herum, als sie plötzlich ins Schloß fiel. Und er war derart nervös, daß er sofort und ohne jede Vorwarnung schoß. Mit einem häßlichen Plopp verließ das Geschoß den Lauf und landete klatschend in der Türfüllung des Vorzimmers. Wogegen Josuah Parker nichts einzuwenden hatte. Er änderte seine Pläne sofort. Und er dankte nachträglich dem Luftzug, der das Zufallen der Tür besorgt hatte. Immerhin drehte ihm der Mann dadurch den Rücken zu. Was er besser nicht getan hätte! Parker schoß nämlich ebenfalls. Und zwar sehr treffsicher, wie sich zeigte. Aus dem Lauf seines Blasrohrs, der sich im Stock des Regenschirms befand, sirrte ein kleiner „buntgefiederter Pfeil durch das Vorzimmer und bohrte sich in die rechte Gesäßhälfte des Federgewichts. Parkers Opfer zuckte zusammen und faßte gleichzeitig nach dem schmerzenden Einstich. Aus Augen, die so groß wie Untertassen wurden, starrte er dann auf den Pfeil in seiner Hand. Er verstand die Welt nicht mehr. Mit Geschossen dieser Provenienz hatte er es in der Vergangenheit noch nie zu tun gehabt. Als er instinktiv das Vorzimmer verlassen wollte, machten seine Beine bereits nicht mehr mit. Sie kündigten ihm ohne jede Vorwarnung den Dienst auf und machten schlapp. Das Federgewicht fiel auf die Knie, anschließend auf die Nase. Dann rollte sich der Mann zusammen und trat erst mal geistig weg. Er hatte im übertragenen Sinn des Wortes die Nase voll von dieser schnöden Welt...
*** Anders hingegen fühlte sich eine gewisse Sue Weston, die aus ihrer Ohnmacht erwacht war. Sie hatte den Raum, in dem sie sich befand, bereits gründlich inspiziert. Sie befand sich in einer sehr soliden Blockhütte, deren Inneres allerdings mehr als schäbig war. Außer einem eisernen Feldbett, auf dem sie gefesselt lag, gab es einen eisernen Kanonenofen, einen Halbschrank aus roh zusammengeschlagenen Brettern und einem Tisch mit zwei Stühlen. Sue war gut festgezurrt worden, was einige dicke und fette Ratten wohl genau wußten. Sie beobachteten aus ihren schwarzen, klugen und listigen Augen Randers Sekretärin, die ihrerseits scharf zurückblickte. Gewiß, sie ekelte sich vor diesen kleinen Vierbeinern, aber sie ahnte, daß sie ihren Ekel und ihre Angst auf keinen Fall zeigen durfte. Spürten' die Ratten erst mal, daß sie freies Spiel hatten, würden sie sicher zum Angriff übergehen. Sue war klar, daß der Bogen Papier, den man unter die Tür ihres Zimmers geschoben hatte, präpariert gewesen sein mußte. French oder Hancock hatten sich im Grund jener Mittel bedient, die ansonsten das Privileg eines gewissen Josuah Parker waren. Was die Gangster mit ihrer Entführung bezweckten, konnte Sue Weston nur ahnen. Man wollte sie sicher als Druckmittel gegen Mike Rander und Josuah Parker verwenden, ferner ihre beiden Begleiter zwingen, die Stadt zu verlassen. Aber das war noch die beste Lösung, die sich ihr bot. Es bestand durchaus noch die Möglichkeit, daß man Rander und Parker in eine tödliche Falle lockte. Um danach dann auch sie, Sue, umzubringen. Leider mußte Sue sich eingestehen, daß diese zweite Möglichkeit im Sinn der Gangster wahrscheinlicher war. Sie hatte längst versucht sich zu befreien, aber gegen die geschickten und raffinierten Fesseln kam sie nicht an. Ohne fremde Hilfe war ein Entkommen nicht möglich. Zudem schien die Blockhütte, in der sie sich befand, noch bewacht zu werden. Sie hatte draußen einige Male ein unterdrücktes Räuspern gehört, dann Schritte. Auf dem roh zusammengeschlagenen Tisch brannte immerhin eine Petroleumlampe. Von der sich die fetten Ratten auf keine Weise stören ließen. Sie schienen dem Frieden noch nicht so ganz zu trauen. Wahrscheinlich wußten sie auch, daß ihr Opfer nicht allein war. Gespenstisch, leise und blitzschnell verschwanden sie, als die Tür der Blockhütte geöffnet wurde. Sue schloß sofort die Augen.
Sie hörte Schritte, die sich dem Feldbett näherten, roch die Ausdünstungen von Whisky und spürte dann eine schwere Hand auf ihrer Schulter. „Komm' schon, Puppe!“ sagte eine überraschend helle, fast weibische Stimme, „mach' die Augen auf! Du mußt längst wieder an Deck sein.“ Sue stöhnte ein wenig und entschloß sich, die Augenlider anzuheben. Sie sah neben dem Bett einen langen Schlacks, der etwa 25 Jahre alt war. Er hatte einen schmalen Mund, eine erstaunlich platte Nase und wasserhelle Augen. Das dünne Haar auf seinem Kopf war fast weißblond und strähnig-dünn. Sue fiel weiter und sofort auf, daß das linke Augenlid unentwegt zuckte, als stünde der Mann unter einem besonders starken, seelischen Druck. „Was ich gesagt habe, Mädchen!“ Die Plattnase lächelte dünn, „Joe kann man doch nicht aufs Kreuz legen!“ „Meine Handgelenke... Sie schmerzen ...“ „Prima“, sagte Joe und ließ sein Augenlid zucken, „so was höre ich doch immer liebend gern.“ Er beugte sich über Sue und preßte dann unvermittelt seine Hand auf ihre rechte Brust. Er drückte hart, fast brutal zu und lächelte wieder dünn, als Sue stöhnte. „Wir beiden bekommen noch viel Spaß“, sagte er, „so was wie dich, Kleines, habe ich immer mal haben wollen ... Ich spiele nämlich gern mit kleinen Puppen.“ Er mußte irre sein, sagte sich Sue und schloß wieder die Augen. Dann bäumte sie sich auf, als er nach ihren Oberschenkeln griff ... *** In Parkers Zweireiher piepste es erneut. Der Butler blickte schnell auf den Schlafenden im Vorzimmer des Anwaltsbüros und schleifte den Mann kurz entschlossen aus dem Blickfeld. Er ließ ihn hinter einem Schreibtisch verschwinden. „Der Lift!“ Judy Effort rief von der Tür her. „Sie sollten sich sicherheitshalber in Deckung begeben“, sagte Parker, „mit weiteren Zwischenfällen ist durchaus zu rechnen.“ Während Parker noch mit ihr redete, schob er sie in den kleinen Waschraum, den er inzwischen neben einem Wandschrank entdeckt hatte. Dann baute er sich neben der Tür auf und wartete der Dinge, die da mit Sicherheit kommen mußten. Er brauchte nicht lange zu warten! Mit einem saugenden Geräusch öffnete sich die Tür des Lifts. Schnelle Schritte näherten sich dem Büro. Dann betrat ein kleiner, dicker und offensichtlich schwitzender Mann das Vorzimmer, der allerdings keineswegs wie ein Gangster aussah. Er blieb überrascht in der Tür stehen, als Parker hervortrat und grüßend seine schwarze Melone lüftete.
Der kleine Dicke wollte sich prompt zur Flucht wenden, wobei er gleichzeitig beide Arme hoch in die Luft streckte. Dann taumelte er leicht und sackte entkräftete gegen die Türfüllung. „Ich ... ich kann nicht mehr ...“ sagte er dann und griff nach seinem Herzen. Parker stellte sich formvollendet vor und erkundigte sich höflich, ob er vielleicht die Ehre mit einem gewissen Anwalt Harpers habe. Er hatte! „Was ... was wollen Sie hier?“ fragte- Harpers und ging mit schweren Schritten in das Vorzimmer. Müde ließ er sich in einen Sessel sinken. „Mister Harpers!“ Judy Effort hatte den kleinen Waschraum verlassen und kam jetzt schnell auf Harpers zu, der hochblickte und dann müde abwinkte. „Sie haben mir das alles eingebrockt“, sagte er dann vorwurfsvoll, „warum haben Sie mir nicht gesagt, daß Gangster hinter dem Brief her sind?“ „Gangster?“ fragte Judy bestürzt. „Ich bin gekidnappt worden“, berichtete Harpers müde, „vor einer Viertelstunde ... vor einer halben Stunde. Ich weiß es nicht mehr so genau. Es war schrecklich!“ „Aber man hat Sie doch offensichtlich wieder der Freiheit zurückgegeben“, bemerkte Parker. „Vor dem Haus hat man mich fast aus dem Wagen geworfen“, erzählte Harpers weiter, „ich kann wohl von Glück sagen, daß man mich nicht umgebracht hat!“ „Muß ich annehmen und unterstellen, daß Sie gezwungen wurden, den bewußten Brief auszuhändigen?“ fragte Parker. „Woher wissen Sie von dem Brief? Welche Rolle spielen denn Sie?“ Harpers richtete sich etwas auf und wurde aktiver. „Eine Geschichte, die ich Ihnen gleich ausführlich erzählen werde“, erwiderte Parker, „bleiben wir freundlicherweise bei dem von mir erwähnten Brief.“ „Ich mußte ihn diesen beiden Strolchen ausliefern“, erklärte Harpers nachdrücklich, „sie hätten mich sonst umgebracht. Tut mir leid, Miß Effort, daß es so gekommen ist.“ „Dann dürfte es sich doch empfehlen, die Polizei zu verständigen“, schlug der Butler vor. „Natürlich. Rufen Sie sie an. In welch einer Stadt leben wir, wo man seines Lebens nicht mehr sicher ist!“ „Eine äußerst treffende Bemerkung“, pflichtete der Butler dem Anwalt bei, „falls man, wie ich hinzufügen möchte, sich nicht entsprechend absichert!“ „Was wollen Sie damit sagen?“ fuhr der dickliche Harpers prompt in die Höhe. Er schien sich getroffen zu fühlen. „Sind Sie wirklich sicher, entführt worden zu sein?“ Parker stand am Telefonapparat und hob den Hörer. „Na, hören Sie mal! Aus dem Wagen hat man mich gestoßen, nachdem ich vorher den Umschlag von Miß Effort ausliefern mußte. Unter Waffengewalt. So etwas möchte ich nicht noch mal erleben.“
„Demnach haben Sie also von sich aus weder Mister French noch Mister Hancock von dem bewußten Brief berichtet?“ „Das ist eine Unterstellung, für die ich Sie noch zur Rechenschaft ziehen werde“, brauste Harpers auf, „habe ich es nötig, mich beleidigen zu lassen?“ „Auf diese spezielle Frage werde ich Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt antworten“, gab Parker höflich zurück, um dann die Polizei anzurufen ... *** „Daß man Harpers aus dem Wagen gestoßen hat, stimmt einwandfrei“, erklärte Mike Rander, nachdem er endlich mit seinem Butler allein war. Sergeant Small und Detektiv Printon hatten den Butler endlich gehen lassen, nachdem sie im Büro von Anwalt Harpers ihre Ermittlungen angestellt hatten. Während dieser ganzen Zeit war Rander unten im Wagen geblieben. Nach dem Erscheinen der Polizei vor dem Bürohaus hatte er es vorgezogen, sich nicht in dieses Spiel einzumischen. Aus Vorsicht und aus Sorge um Parker. Er kannte weder Small noch Printon, aber er wußte ja inzwischen, wie die Weichen gestellt waren. Seiner Ansicht nach war es besser, wenn er freie Hand behielt, falls man Parker unter irgendeinem Vorwand aus dem Verkehr zog und vielleicht mit zum Hauptquartier der Polizei nahm. Diese Befürchtung hatte sich erfreulicherweise nicht erfüllt. Small und Printon hatten sich Parkers Geschichte angehört, dann die von Anwalt Harpers, und anschließend ließen sie die beiden nächtlichen Besucher von der Besatzung eines zweiten Streifenwagens abholen. Womit sowohl der Pockennarbige als auch der scheue Fuchs sich erst mal im Gewahrsam der Polizei befanden. „Könnte es sich beim Hinausstoßen aus dem Wagen um eine gewisse Show gehandelt haben, Sir?“ wollte Parker wissen. „Das war keine Show“, gab Rander zurück, „das war knallhart... Aber die Frage bleibt bestehen, ob Harpers die ganze Wahrheit gesagt hat.“ „Ich ... ich glaube ihm einfach nicht“, schaltete sich Judy Effort ein, die im Wagenfond neben Rander saß, „woher wollen die Gangster denn gewußt haben, daß ich die Unterlagen meines Bruders zu ihm gebracht habe?“ „Wie wahr“, sagte Parker und nickte andeutungsweise, „es sei denn, man hat Sie die ganze Zeit über beschattet.“ „Dann hätte man mich doch auf Frenchs Grundstücke sehen müssen.“ „Natürlich“, Rander nickte bestätigend, „wenn schon, dann wird man Sie ja wohl ununterbrochen unter Sichtkontrolle behalten haben.“ „Dennoch muß ich mir die Freiheit nehmen, Sir, an eine Dauerkontrolle zu glauben“, ließ Parker sich vom Steuer her vernehmen, „ich spreche von den beiden Gangstern, die Miß Effort und mir in das Anwaltbüro folgten.“ „Die können auch nur hinter uns hergewesen sein, Parker.“
„In der Tat, Sir... Man wird die Herren Gangster bei Gelegenheit zu diesem Punkt befragen müssen.“ „Wollen Sie denn nach wie vor hier in der Stadt bleiben?“ fragte Judy Effort erstaunt. „Aber selbstverständlich.“ Rander nickte nachdrücklich. „Schon wegen Ihnen, Miß Effort.“ „Wegen mir?“ „Gewiß, Miß Effort“, schaltete der Butler sich ein, „die Gangster können und müssen doch annehmen, daß Sie von Ihrem Bruder informiert wurden. Daß Sie vielleicht im Besitz von Duplikaten sind. Wir sprachen ja schon darüber.“ „Wir wollen Ihnen nichts vormachen, Miß Effort“, fügte Rander warnend hinzu, „ab sofort schweben Sie in Gefahr. Wenn Sie einverstanden sind, werden wir Sie erst mal irgendwo sicher unterbringen.“ „Warum tun Sie das?“ Sie sah Rander ernst an. „Weil Parker und ich etwas gegen Leute haben, die Macht und Geld ausnutzen, um sich ihre eigenen Gesetze zu machen. Sehr einfach! Kein bequemes Steckenpferd, das stimmt Aber es muß geritten werden!“ „Warum denken nicht alle Menschen so wie Sie?“ Judy Effort sah den jungen Anwalt nachdenklich an. „Verlangen Sie nicht zuviel“, meinte Rander lächelnd, „es können halt nicht alle auf die Barrikaden steigen, aber es wäre verdammt wünschenswert, wenn die Menschen endlich etwas mehr Zivilcourage entwickelten. Auch und gerade den Behörden gegenüber. Damit wäre schon viel erreicht.“ „Sollte man Miß Weston nicht informieren, Sir, daß wir Miß Effort an einen sicheren Ort schaffen?“ warf der Butler vom Fahrersitz aus ein. „Natürlich! Fahren Sie am Hotel vorbei, Parker, wir wollen Miß Weston aus Ihrer Klausur erlösen.“ *** Sue Weston bebte vor Zorn. Sie sah zu dem Weißblonden hoch, der einen halben Schritt zurückgetreten war und sie angrinste. Sue hatte sich unter seinen obszönen Griffen geschüttelt, aber sie konnte sich dagegen nicht wehren. Sie lag nach wie vor gefesselt auf dem schmalen, eisernen Feldbett und wartete voller Ekel und Angst darauf, was dieser Mann sich noch alles einfallen ließ. Sie war ihm hilflos ausgeliefert. „Ich bin nicht dein Typ, wie?“ fragte Joe und sein linkes Augenlid schloß sich halb, als zwinkere er ihr zu. „Für Feiglinge habe ich nichts übrig“, erwiderte Sue. „Kann ich das noch mal hören?“ „Für Feiglinge habe ich nichts übrig“, wiederholte Sue tapfer. „Warum vergreifen Sie sich an 'ner wehrlosen Frau?“
„Weil ich keinen Ärger haben will, Puppe'„ gab er schlicht und einfach zurück. „Ihr wehrt euch ja doch nur zum Schein. Eure ganze Ziererei ist doch nur Mache.“ „Sie müssen ja sehr eigenartige Frauen kennengelernt haben'„ sagte Sue verächtlich, „aber bitte, machen Sie weiter! Wenn Sie unbedingt Ihren Spaß haben wollen.“ Joe, der lange Schlacks mit dem weißblonden Haar starrte auf Randers Sekretärin hinunter. Er grinste nicht mehr. Er starrte nur und fixierte Sue. Er schien sich ihre Worte sehr langsam, aber dafür auch sehr genau durch den Kopf gehen zu lassen. Sue war gespannt, wie er reagieren würde. Sie hatte ihn herausgefordert. Sie hatte einfach keine andere Möglichkeit gesehen und konnte nur hoffen, daß sie ihm den Spaß genommen hatte. Zu ihrer grenzenlosen Überraschung und Enttäuschung beugte er sich erneut über sie. Diesmal benahm er sich wie ein wildes Tier. Er fetzte ihre Kleidung über den Brüsten auseinander und schob dann seine erstaunlich weichen, fast weibischen Hände nach vorn. Wider Willen schrie Sue laut und gellend auf... *** Als Parker aus dem Hotel kam und ungewöhnlich schnell auf den Wagen zutrat, ahnte Rander bereits, daß etwas passiert sein mußte. „Ich fürchte, Sir, sehr unangenehme Nachrichten überbringen zu müssen“, sagte Parker, während er sich ans Steuer seines Wagens setzte. „Sue?“ Mehr sagte Rander nicht. „Ist leider nicht mehr im Hotelzimmer, Sir. Sie hat auch keine noch so kurze Nachricht hinterlassen.“ „Verdammt!“ Rander starrte seinen Butler an. „Ist sie... ist sie entführt worden?“ „Darauf deutet nichts hin, Sir.“ „Aber ich hatte ihr doch ausdrücklich verboten ... Ach was, mit Vorwürfen kommen wir jetzt auch nicht weiter. Was sollen wir tun?“ „Es gibt, wie so oft im Leben, Sir, zwei Möglichkeiten.“ „Und die wären?“ „Man könnte sich ins Hotel begeben, Sir, und auf einen Anruf warten.“ „Und die zweite Möglichkeit?“ „Man könnte den Herren French und Hancock je einen nachdrücklichen Besuch abstatten.“ „Im Gegensatz zu sonst bin ich für die zweite Möglichkeit, Parker. Verschenken wir also keine Zeit.“ „Und Miß Effort?“ Parker wandte sich halb um und sah auf Judy, die schweigend zugehört hatte. „Kennen Sie irgendeinen Ort, an dem Sie sicher sind?“ erkundigte Rander sich bei ihr.
Sie nickte. „Ich könnte zu einer Freundin gehen“, sagte sie schnell, „dort wird man mich bestimmt nicht suchen.“ „Parker, was meinen Sie?“ „Ein stilles Motel in der näheren oder weiteren Umgebung dürfte unter Umständen sicherer sein, Sir. Falls Sie, Miß Effort, mit dieser Regelung einverstanden sind.“ Sie war einverstanden, und Parker genierte sich nicht, seinen hochbeinigen Wagen derart auf Touren zu bringen, daß die Reifen eine lange, schwarze Radierspur auf dem Asphalt hinterließen. *** Sue Weston weinte leise vor sich hin. Müde und erschöpft lag sie auf dem eisernen Feldbett. Sie hatte sich mit der Kraft der Verzweiflung gegen seine Hände gewehrt, aber sie hatte gegen sie nichts ausrichten können. Joe hatte Dinge mit ihr angestellt, deren sie sich schämte. Sie hätte ihn umbringen können! Joe stand inzwischen in der geöffneten Tür der Blockhütte und rauchte eine Zigarette. Er schien Sues Schluchzen und Weinen nicht zu bemerken. Randers Sekretärin wurde automatisch still, als seine Lässigkeit sich schlagartig änderte. Er griff an seinen Leibriemen und zog einen kurzläufigen Revolver hervor. Er horchte in die Dunkelheit und räusperte sich dann. In der nächsten Minute verließ er leise und geschmeidig die Tür und verschwand nach draußen in der Dunkelheit. Sue schöpfte Hoffnung. Sie dachte sofort an Parker und an Rander. Hatten sie sie aufgespürt? Diese Hoffnung steigerte sich noch, als das Licht zweier voll aufgedrehter Scheinwerfer für Bruchteile von Sekunden durch die geöffnete Tür fiel und das Innere erhellte. Kam dieses Licht aus Parkers Autoscheinwerfer? Sue versuchte sich aufzurichten, um besser zu sehen und zu hören. Nichts! Der Automotor war plötzlich verstummt. Dafür fiel irgendwo draußen in der Dunkelheit eine Wagentür laut und ungeniert ins Schloß. Schritte näherten sich. Eine Taschenlampe flammte auf, die voll auf sie gerichtet wurde. Geblendet schloß sie die Augen. Dann war das leise, amüsierte Lachen eines Mannes zu hören. „Gegen 'nen kleinen Vorschuß ist nichts einzuwenden, Joe“, sagte dann eine fast kultivierte Stimme, „aber nicht übertreiben, Junge! Die Kleine wird noch gebraucht.“ „Ich reiß' ihr schon kein Bein aus, Chef“, sagte Joes Stimme.
„Was du später mit ihr machst, ist deine Sache, Joe. Vorerst wird die junge Dame noch gebraucht. Halte dich daran!“ . Die Schritte entfernten sich wieder, dann röhrte der Automotor auf. Diesmal langten keine Lichtfinger in die Blockhütte hinein. Und als es vollkommen still geworden war, als man vom wegfahrenden Auto nichts mehr hören konnte, da ertönte plötzlich ein fast irres schrilles Kichern. Sue keuchte angstvoll. Sie wußte, wer so lachte. Und dann hörte sie die schnell näher kommenden Schritte des Weißblonden. *** Sie hatten das Motel erreicht und hielten auf dem kleinen Innenhof. Während Parker zusammen mit Judy Effort in dem kleinen Büro- und Verwaltungsgebäude verschwand, blieb Rander im Wagen zurück. Er bildete eine Art Nachhut, um Parker eventuell den Rücken decken zu können. Rander wie Parker waren nach wie vor von der Voraussetzung ausgegangen, daß sie beschattet wurden. Ein Gangster wie Hancock brauchte sich und seine beiden engsten Mitarbeiter dazu nicht zu bemühen. Aus Angst oder Geldgier verfügte er sicher über so etwas wie eine geheime kleine Armee, die für ihn arbeitete. „Diesmal scheinen wir Glück zu haben“, sagte Rander, als sein Butler allein zum hochbeinigen Wagen zurückkehrte. „Weit und breit nichts zu sehen. Wir scheinen etwaige Verfolger restlos abgeschüttelt zu haben.“ „Miß Effort dürfte nach Lage der Dinge gut untergebracht sein“, meldete Parker, als er sich ans Steuer setzte, „sie hat meiner bescheidenen Wenigkeit ausdrücklich versprochen, auf keinen Fall das Quartier zu wechseln.“ „In ihrem eigenen Interesse kann ich nur hoffen, daß sie sich daran halten wird ... also, dann dürfte Hancock auf der Liste stehen, oder?“ Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum zurück auf die Straße und nahm Fahrt auf. Er schien es sehr eilig zu haben, zurück in die Stadt zu kommen. Doch dann, zu Randers Überraschung, bog er fast rechtwinklig in einen Feldweg ein. So rechtwinklig, daß Rander in eine Sitzecke geschleudert wurde. „Was ist denn, Parker?“ Rander richtete sich mühsam auf und massierte sich die linke Schulter. „Wenn Sie erlauben, Sir, sollte man jetzt vielleicht einen kleinen Fußmarsch unternehmen.“ „Und wozu soll der gut sein?“ „Um Miß Effort vor Unannehmlichkeiten zu bewahren.“ „Ich verstehe kein Wort.“ „Könnte der Inhaber des Motels nicht vielleicht von Mister Hancock bezahlt werden?“ „Das scheint mir aber verflixt weit hergeholt.“
„Mit dem erwähnten Fußmarsch meinte ich selbstverständlich meine bescheidene Wenigkeit, Sir!“ „Wenn schon, denn schon. Ich werde mitkommen.“ „Darf ich Sie vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt zum Motel bemühen, Sir?“ Während Parker noch redete, holte er seinen Miniempfänger aus der Tasche seines Zweireihers und reichte ihn Rander. Der junge Anwalt lächelte und nahm dafür den Kleinstsender aus der Tasche, den jetzt Parker übernahm. Auf diesem Kommunikationsweg war Parker jetzt in der Lage, seinen jungen Herrn herbeizupiepsen, falls er gebraucht wurde. Rander sah seinem Butler nach, der schnell und erstaunlich leichtfüßig in der Dunkelheit verschwand. Dann zündete er sich eine Zigarette an und wartete auf den Piepser. Dabei dachte er natürlich an Sue Weston, die für ihn schon lange mehr war als nur seine Sekretärin. Er konnte nur hoffen, daß sie auch dieses Abenteuer überstand. Und Rander nahm sich für die Zukunft ernsthaft vor, sich nie wieder von Parker in einen Kriminalfall verstricken zu lassen. *** Parker hatte den richtigen Instinkt gehabt. Als er durch das von der Jalousette nur unvollkommen geschlossene Fenster ins Motelbüro schaute, stand der Mann am Wandapparat und telefonierte. Parker schob das Fenster vorsichtig nach oben. Er war an einem einwandfreien Empfang interessiert. „ .., in 'ner halben Stunde können Sie sie abholen“, sagte er gerade und dämpfte unwillkürlich seine Stimme. Der Mann am Wandapparat schien überhaupt nicht auf den Gedanken zu kommen, er könne belauscht werden. „Trifft sich gerade prima, sie will Kaffee haben. Wie der ausfällt, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen, Coinbee, oder?“ Parker hatte bereits genug gehört. Coinbee, dieser Name bedeutete Hancock, denn Coinbee war einer der beiden engsten Mitarbeiter des Gangsterbosses. Er also sollte und wollte irgendwen abholen. Und dieser jemand konnte nur Judy Effort sein, daran gab es keinen Zweifel. Parker ließ den Mann am Wandapparat nicht aus den Augen. Er hatte gerade aufgelegt und hantierte an einer kleinen Kaffeemaschine herum. Er füllte ein Kännchen mit Kaffee und verschwand dann für ein, zwei Minuten in der angrenzenden Küche. Als er zurückkam, hielt er ein Arzneibriefchen in der Hand, das er öffnete. Er ließ den weißen Inhalt dieses Arzneibriefchens in die bereits gefüllte Kaffeekanne gleiten. Anschließend rührte er ausgiebig mit einem Löffel im Kännchen herum. Judy Effort hatte keine Ahnung, als sie die Tür zu ihrem Motelapartment nur spaltbreit öffnete, um das Tablett mit dem Kännchen, der Tasse, der Sahne und
dem Zucker entgegenzunehmen. Dann schloß sie gehorsam, wie Parker es ihr angeraten hatte, wieder die Tür. „Darf ich Sie einen Moment belästigen?“ Parker stand hinter dem Motelbesitzer, der gerade den Kaffee abgeliefert hatte. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, drückte der Butler ihm seinen schwarzbehandschuhten Zeigefinger sehr heftig gegen die Wirbelsäule. Was der Mann mißverstand. Er reagierte so brav wie ein zahmes Hauslamm und hob sofort die Arme. „Miß Effort... Mister Parker hier ... Würden Sie noch mal die Tür öffnen?“ Sie öffnete sehr schnell und starrte den Motelbesitzer an, der brav und gehorsam ins Zimmer trat. „Vom Genuß dieses Kaffees würde ich dringend abraten“, sagte der Butler und deutete auf das Tablett, „mir scheint, daß dieser Herr hier mehr Appetit darauf verspürt als Sie, Miß Effort!“ Er hatte zwar überhaupt keinen Appetit auf diesen Kaffee, aber der Zeigefinger in seinem Rücken kam ihm wie der Lauf einer Schußwaffe vor. Darum bequemte er sich, eine Tasse mit Kaffee zu füllen. „Es spricht nichts dagegen, auch ein wenig Sahne und Zucker zu nehmen“, sagte Parker in seiner höflichen Art, „nur so wird guter Kaffee eigentlich zum richtigen Genuß.“ Der Motelbesitzer wollte alles so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er schloß die Augen und schluckte den Kaffee. Dabei verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes. „Und nun beachten Sie bitte die Reaktionen unseres Gastgebers“, meinte Parker zu Judy, „falls meine Wenigkeit nicht alles täuscht, wird er gleich von einer Müdigkeit erfaßt werden, die man nur noch als lähmend bezeichnen kann.“ Womit Parker nicht zuviel versprochen hatte. Der Motelbesitzer nahm sich noch nicht mal die Zeit zum Gähnen. Er ließ plötzlich nur die Kaffeetasse aus der Hand fallen, schwankte leicht, eigentlich nur andeutungsweise, um dann aber wie ein gefällter Baum zu Boden zu stürzen. Es war wirklich sein sehr persönliches Pech, daß seine Nase diesen Boden zuerst berührte. Daraus ergaben sich später einige Komplikationen für sein Nasenbein. Parker betätigte seinen Kleinstsender und piepste seinen jungen. Herrn samt Wagen zum Motel. „War ... war der Kaffee vergiftet?“ fragte Judy Effort entsetzt und starrte auf den Mann am Boden. „Versetzt“, korrigierte der Butler, „sehr wahrscheinlich mit einem ungemein schnell wirkenden Schlafmittel. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen, zumal dieser präparierte Kaffee ja für Ihren Genuß bestimmt war.“ „Aber wieso?“ „Mister Hancocks Mitarbeiter sind überall“' sagte Parker gemessen, „es wird höchste Zeit, daß auch dies geändert wird.“
*** Coinbee kam nicht allein. Er hatte sich seinen Partner Malvis mitgebracht. Beide Gangster saßen in einem geräumigem Kombi, dessen Ladefläche wohl für die Aufnahme der schlafenden Miß Effort gedacht war. Frech und ahnungslos kurvten sie mit dem Wagen in den kleinen Innenhof und marschierten ohne Umschweife und sofort in das Büro des Motels. Was ihnen nicht sonderlich gut bekam. Weil Rander und Parker sich seitlich hinter der Tür aufgebaut hatten. Rander und Parker verzichteten diesmal auf die feineren Mittel. Sie langten kurz und schmerzhaft zu. Sie langten zu mit je einem derben Holzscheit, das sie im nicht angezündeten Kamin gefunden hatten. Wie von zwei Blitzen getroffen, sackten sie synchron zu Boden. Sie hatten überhaupt nicht mitbekommen, wem sie diesen Niederschlag zu verdanken hatten. Erst als sie wieder zu sich kamen, gingen ihnen verschiedene Lichter auf, aber da war es bereits zu spät. Parker hatte eine seiner persönlichen Handschellen geopfert und sie damit eng miteinander verbunden. Sie sahen aus leicht verglasten Augen zu Parker hoch, der sich vor ihnen aufgebaut hatte. „Ich bin für meine sprichwörtliche Gutmütigkeit in einschlägigen Kreisen bekannt“, schickte der Butler voraus, „in diesem speziellen Fall aber werde ich darauf verzichten. Hoffentlich nehmen Sie das meiner bescheidenen Wenigkeit ab. Ich habe einige Fragen an Sie zu richten, die Sie bitte wahrheitsgemäß beantworten wollen. Sollten Sie die Antworten verweigern, oder mich gar belügen, werden Sie Konsequenzen zu tragen haben, die für Sie nicht sonderlich angenehm sein werden.“ Sie brauchten einige Zeit, bis sie Parkers Worte richtig verstanden hatten. Dann aber grinsten sie mokant. Sie konnten sich kaum vorstellen, um welche Konsequenzen es sich handeln mochte. „Ich denke, zum Beispiel, an eine kleine Wildwasserfahrt auf einem Holzbalken'„ präzisierte der Butler seine Vorstellungen, „mit der bewußten Handschelle, die Ihre Gelenke ziert.“ Sie grinsten nicht mehr. Irgendwie spürten sie den Ernst in den Worten des Butlers. Coinbee hüstelte leicht nervös. „Die erste Frage'„ begann Parker, „wo befindet sich Miß Weston, die Sekretärin Mister Randers, den Sie hier neben mir sehen?“ „Großes Ehrenwort, Parker'„ schaltete Malvis sich schnell ein, „falls sie weg ist, dann ist das nicht von Hancock ausgegangen. Und von uns schon gar nicht.“ „Das ist die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit'„ fügte Coinbee hinzu, „mit dieser Geschichte haben wir nichts zu tun. Wir sollten nur Miß Effort hier abholen.“
„Und wohin bringen?“ Parker sah die beiden Gangster fast gelassen an, aber seine Ausstrahlung hatte es in sich. Coinbee und Malvis spürten verstärkt, daß es um alles ging. Noch nie in ihrem Leben begannen sie so zu schwitzen wie jetzt. Sie schienen sich in einer hoch aufgeladenen Sauna zu befinden. „Zu Hancock!“ erwiderte Malvis. „Der sich zur Zeit wo aufhält und Miß Effort erwartet?“ „In seinem Landhaus.“ „Das wo zu finden ist?“ Nun war Coinbee an der Reihe, Parker die entsprechenden Hinweise zu geben. Er besorgte das ausführlich und mit Akribie. „Was sollte mit Miß Effort geschehen?“ wollte der Butler weiter wissen. Mike Rander schaltete sich bewußt nicht ein. Er spürte seinerseits, daß er einfach nicht die Ausstrahlung hatte wie sein Butler. Er machte sich in dieser Hinsicht nichts vor. „Sie wissen doch, es dreht sich um die Unterlagen von Miß Efforts Bruder“, war nun Malvis wieder an der Reihe. „Hancock hat Angst, davor, sie könnte noch was in der Hinterhand haben.“ „Womit wir bei den bewußten Unterlagen gelandet sind. Wer entführte Anwalt Harpers und stahl die dort hinterlegten Papiere?“ „Welcher Harpers?“ erkundigte sich Coinbee nervös. „Ein Anwalt Harpers... Er wird Ihnen wenigstens namentlich bekannt sein, oder?“ Sowohl Coinbee als auch Malvis wußten von nichts. Sie sahen sich irritiert an und zuckten mit den Schultern. „Ist Ihnen ein Mann bekannt, dessen Gesicht mit Pockennarben übersät ist?“ „Larry, die Pocke!“ sagte Coinbee prompt. „Und Larry arbeitet für French“, fügte Malvis schnell hinzu, „das ist die Wahrheit, ehrlich!“ „Und was sagt Ihnen die Beschreibung eines Mannes, der an ein superleichtes Federgewicht erinnert und sich wie ein schnürender Fuchs bewegt?“ „Little Paul“, kam es prompt von Malvis Lippen. „Und auch der arbeitet für French'„ fügte jetzt Coinbee hinzu. „Hoffentlich sahen Sie sich veranlaßt, das zu sprechen, was man gemeinhin die Wahrheit nennt“, sagte Parker, „nun eine letzte Frage in diesem Zusammenhang. Arbeiten die Herren French und Hancock zusammen?“ „Hancock haßt French wie die Pest“, gab Coinbee spontan zurück, „die kennen sich von Milwaukee her. Damals war Hancock der Vormann von French. Und er muß von ihm ziemlich herumgeschubst worden sein. Dafür fährt er jetzt seine Retourkutsche.“ „Abschließend hätte auch ich eine Frage“, schaltete Mike Rander sich ein, „wieso läßt French sich Ihrer Meinung nach alles gefallen? Er merkt doch, daß Hancock ihm diese Stadt aus der Hand reißen will.“
„Darüber wundert sich auch Hancock“, war Coinbees Antwort, „er kann nicht verstehen, wieso French sich das alles gefallen läßt.“ „Er glaubt, daß French eines Tages zurückschlagen wird.“ Malvis sprach schnell und hastig, „und Hancock wird ihm zuvorkommen, wenn er nur ein bißchen auf Draht ist!“ *** Parker saß am Steuer des großen Kombi und bewegte ihn durch die Nacht. Auf der Ladefläche hinter ihm lagen die beiden Gangster Coinbee und Malvis. Parker hatte zwei im Kombi gefundene Decken über sie ausgebreitet und festgezurrt. Die beiden Gangster sollten nach seinem erklärten Wunsch unter sich sein. Während der Fahrt dachte Parker an die Aussagen der beiden Gangster Coinbee und Malvis. Gewiß, sie hatten vielleicht etwas zu schnell gesprochen. Ob alles die reine Wahrheit gewesen war, mußte sich bald herausstellen. Zeitweilig hatten sie auch von einem gewissen Tiger gesprochen, wie der Spitzname von Hancock lautete. Parker hatte ihn zur Kenntnis genommen, dann aber gefragt, woher dieser Name stammte. Aus Milwaukee, wie er erfahren hatte. Unter diesem Spitznamen hatte Hancock seinerzeit sein negatives Image ausgebaut. Die Zukunft mußte lehren, ob dieser Spitzname richtig gewählt war. Hancock durfte er auf keinen Fall unterschätzen. Parker befand sich übrigens nicht allein auf dem schmalen Feldweg, der jetzt hinauf zum Landhaus Hancocks führte. Etwa fünfhundert Meter hinter dem Kombi bewegte sich Parkers hochbeiniges Monstrum durch die Dunkelheit. Am Steuer seines Wagens saß Mike Rander, dem Judy Effort sich angeschlossen hatte. Parker hatte den Wagentausch aus wohlerwogenen Gründen vorgenommen. Er wollte seinen Kleinwagen auf keinen Fall unnötig lädieren. Solch eine Gefahr aber kam auf den Kombi zu, an dessen Steuer er saß. Parker hatte sich eine recht originelle Art der Überrumpelung ausgedacht. Er richtete sich noch steiler auf, als er ohnehin am Steuer zu sitzen pflegte. Die Scheinwerfer des Kombi hatten nämlich das Landhaus erfaßt, in dem laut Coinbee und Malvis ihr Boß Hancock auf sie wartete. Da man diesen Mann Tiger nannte, war er wahrscheinlich auch so mißtrauisch wie solch eine Raubkatze. Entsprechend mußte Parker vorgehen. Was er eine knappe Minute später dann auch tat. Dabei überschlugen sich die Ereignisse! Parker hielt genau auf den Eingang des leichten, ebenerdigen Holzhauses zu. Der Begriff Landhaus war ohnehin übertrieben gewählt worden. Es handelte sich um ein sehr leichtes Fertighaus, dessen Holzwände mit großen Schindeln bedeckt waren. Parker gab Vollgas.
Die mehr als 300 PS unter der Motorhaube rauschten auf und verliehen dem Kombi die Beschleunigung einer Mittelstreckenrakete. Parker zog den Kopf ein wenig zwischen die Schultern, als der Eingang mit rasender Schnelligkeit auf ihn zukam und groß wurde wie ein Scheunentor. Bruchteile von Sekunden später passierte es. Wie ein Riesengeschoß bohrte sich die Kühlerschnauze in die Tür ... Holz brach und splitterte. Metall kreischte. Glas barst klirrend auseinander. Parker, der sich im letzten Augenblick sicherheitshalber geduckt hatte und unter dem Armaturenbrett verschwunden war, spürte noch die Durchschlagkraft des Wagens. Der hatte bereits den Vorflur erreicht und machte sich auf den Weg, der Diele und dem angrenzenden Wohnraum einen Besuch abzustatten. Damit war die Wucht aber immer noch nicht gemildert. Der Kombi fraß sich auch durch den an sich recht großen Wohnraum und überfuhr einen Couchtisch, zwei nicht gerade billig aussehende Sessel, ließ eine Hausbar zu Bruch gehen und säbelte sich durch einen Fernsehapparat. Dann war aber auch schon die rückwärtige Wand erreicht, deren Stärke keineswegs ausreichte, den Wagen auch nur andeutungsweise zu bremsen. Kurz, der Kombi durchbrach die hintere Wand des Landhauses und... befand sich wieder im Freien. Er blieb mit der Ölwanne des Motors auf einer Steinbank hängen. Parker hatte einige Mühe, aus dem Kombi herauszukommen. Als er endlich neben dem leicht zertrümmerten Wagen stand, hörte er hinter sich die Stimme seines Herrn. „Man kann auch alles übertreiben, Parker“, sagte Rander mit tadelnder Stimme, „oder sollten Sie vielleicht für die nahe Zukunft eine Brille brauchen?“ *** Weder Parker noch Rander fanden ausreichend Gelegenheit, diesen speziellen Punkt zu diskutieren. Ein Schuß hinderte sie daran. Und dieser Schuß lag gefährlich gut, denn das Geschoß landete dicht neben Parkers Kopf klatschend im Aufbau des Kombis. Worauf Rander und Parker es ziemlich eilig hatten, dem Boden einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Sie entwischten einem zweiten Schuß, der nicht weniger gut gezielt war. „Drüben, Sir, neben der kleinen Remise!“ rief Parker seinem jungen Herrn zu. Mike Rander ließ sich nicht lange nötigen. Er hatte schon längst seinen kurzläufigen 38er in der Hand. Mit dem er umzugehen verstand, wie sich jetzt zeigte.
Während Parker sich zurückzog, nachdem er sich mit Rander durch eine entsprechende Handbewegung verständigt hatte, feuerte der junge Anwalt Schuß auf Schuß hinüber zur Remise. Parker war inzwischen schon unterwegs, um sich um Judy Effort zu kümmern. Er fand sie völlig verängstigt in seinem hochbeinigen Wagen, wo sie aber dank der Panzerglasscheiben sicher war wie in einem Tresor. Sie strahlte den Butler an, der sich zu ihr in den Wagenfond schob. „Nur eine kleine Auseinandersetzung, Miß Effort“. beruhigte er seinen Gast, „nach Lage der Dinge wird sich Mister Hancock sehr bald schon dazu überreden lassen, das zu suchen, was man gemeinhin das Weite nennt!“ Parker brauchte nicht lange zu warten. Ein Jeep erregte seine Aufmerksamkeit. Dieser Jeep verzichtete auf das Scheinwerferlicht. Wie ein Phantom brauste der kurzgeachste Wagen seitlich am zertrümmerten Landhaus vorbei und bewegte sich in Richtung Feldweg, der hinunter zur Landstraße führte. Parker wechselte den Sitz. Ohne auf seinen jungen Herrn zu warten, setzte er sich ans Steuer und brauste dem Jeep nach. Dabei verzichtete auch Parker großzügig auf Licht. Der Jeep hatte im Grunde keine Chance, auch wenn er scheinbar geländegängiger war als Parkers Monstrum. Parkers Kleinwagen schluckte allerdings auch jedes Bodenhindernis und holte von Sekunde zu Sekunde weiter auf. Der Feldweg war noch nicht halb geschafft, als Hancock merkte, was sich hinter ihm abspielte. Er wandte sich hastig um und verriß fast das Steuer. Der Kühler von Parkers hochbeinigem Wagen befand sich etwa einen Meter hinter dem Jeep. Dann passierte es. Parker drückte den Jeep in kleinen, harten Stößen vom Feldweg herunter. Der Tiger verlor die Nerven, von der Übersicht einmal ganz zu schweigen. Er gab das Steuer preis und hechtete seitlich aus dem offenen Wagen. Er überschlug sich, kugelte einen kleinen Abhang hinunter und umarmte schließlich eine ausgewachsene Douglastanne. Und zwar derart innig, daß der Tiger besinnungslos liegenblieb... *** Rander saß in Parkers hochbeinigem Wagen und hatte das Radiogerät eingeschaltet. Der Wagen stand in der Nähe der ersten Farmzäune, die die Ländereien Mister Frenchs eingrenzten. Rander hatte den bewußten Zusatzschalter bewegt und war jetzt in der Lage, interne Gespräche mitzuverfolgen, die weit drüben im Herrenhaus geführt wurden.
Diese Gespräche lieferte ein kleiner Minisender, den Parker bei seinem Besuch in Frenchs Herrenhaus mittels eines kleinen Magneten an die Rückseite einer Messingkanne geheftet hatte, die ihrerseits auf dem Kaminsims der Wohnhalle stand. Rander konnte nur hoffen, daß die Miniaturbatterie noch genügend Energie lieferte. Parker hatte sich leider eines Modells bedient, das grundsätzlich und auf Dauer sendete und nicht erst auf Betrieb ging, wenn Stimmen den Schaltkontakt auslösten. Parkers Wagen stand übrigens nach Randers Ansicht gut getarnt zwischen wildgewachsenen Felstrümmern. Nach menschlichem Ermessen konnte er nicht entdeckt werden. Schon gar nicht in dieser inzwischen mondlosen Dunkelheit. Rander beugte sich wie elektrisiert vor, als der Lautsprecher des Autoradios sich meldete. Das schrille Läuten eines Telefons war zu hören. Das mußte Parker sein, so wie Rander und er es vorher verabredet hatten. Im Lautsprecher waren schnelle Schritte zu hören. „Hier bei Mister French“, sagte eine Stimme, die dem Sekretär Ben gehören mußte, „wie, bitte, Parker ...? Butler Parker ... Moment, ich werde Mister French verständigen.“ Rander zündete sich hastig eine Zigarette an. Er war gespannt, wie French auf Parkers Vorschlag und Angebot reagieren würde. „Wer ist Hancock? Wer ist Miß Weston?“ French tat so, als sei sein Name nur Hase. „Ich könnte den besagten Tiger frei Haus liefern“, redete der Butler weiter, ohne sich auf eine längere Diskussion einzulassen, „dafür könnten Sie Ihren Gast zurück in die Stadt schicken.“ „Hören Sie mal gut zu, Parker“, erwiderte French ironisch, „ich habe den Eindruck, daß Sie unbedingt einen Psychiater aufsuchen müssen. Zögern Sie das nicht länger hinaus! Sie reden in Rätseln. Und die sind noch nicht mal gut!“ „Sie haben demnach nichts dagegen, daß ich den erwähnten Tiger frei lasse?“ „Von mir aus! Mit Hauskatzen habe ich nichts zu tun! Ende!“ *** Parker stand in der Telefonzelle einer Tankstelle, die sich an der Hauptstraße nach Norden befand. Hier war er von Rander zu dem Zweck zurückgelassen worden, um das bewußte Gespräch mit French in die Wege zu leiten. „French!“ hörte Parker im Hörer, „was wollen Sie?“ „Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen ein Angebot zu machen“, sagte Parker, „es handelt sich um einen, sagen wir, gewissen Personenaustausch.“ „Ich weiß zwar nicht, wovon Sie reden, Parker, aber lassen Sie mal die Katze aus dem Sack!“ „Hancock gegen Miß Weston, um es auf eine knappe Formal zu bringen, Mister French.“
*** Mike Rander hatte natürlich nur die Antworten von French gehört, aber sie genügten bereits, um sich ein Bild zu machen. French stritt — übrigens verständlicherweise — jede Kenntnis der Zusammenhänge ab. Vielleicht befürchtete er, daß seine Telefonleitung angezapft worden war. Eine klare Antwort auf das Angebot hatten aber weder Rander noch Parker erwartet. Um sie war es ihnen auch gar nicht gegangen. Es kam ihnen darauf an, zu erfahren, was French nach diesem Anruf zu sagen hatte. Und zwar seinem engsten Vertrauten Ben. Parkers Anruf war nichts anderes gewesen als die Auslösung solch einer Unterhaltung. Rander war gespannt, was jetzt kommen würde. Und es war allerhand zu hören. .....war doch eine Falle, Chef“, sagte Ben gerade verächtlich, „so was merkt man doch an Anhieb.“ „Da bin ich nicht so sicher, Ben“, erwiderte French, dessen Stimme im Lautsprecher des Autoradios gut zu hören war, „dieses Angebot klingt ehrlich.“ „Und warum sind Sie dann nicht darauf eingegangen?“ „Einmal wegen der Telefonleitung. Die könnte ja angezapft sein. Und dann, weil's noch notwendig ist. Jetzt haben wir doch einen Hebel, mit dem wir den Tiger loswerden, bevor er seine Krallen richtig benutzen kann.“ „Sie glauben, daß dieser Parker Hancock einbuchten lassen wird?“ „Mit Sicherheit!“ „Dann ist dieser Butler kein Psychopath?“ „Der ist echt wie ein reiner Diamant. Ich habe beim Syndikat nachgefragt, Ben. Parker ist gefährlicher als ein Dutzend G-men. Aber das braucht man ihm ja nicht zu zeigen!“ „Dann werden wir also nichts tun?“ „Wir verhalten uns vollkommen ruhig. Larry, die Pocke, und Little Paul haben ja keine Ahnung, wer sie auf Harpers angesetzt hat. Die können uns also nicht gefährlich werden.“ „Und dieser Parker? Wenn er nun zum Angriff übergeht?“ „Kann er das? Haben Sie Joe vergessen? Und seine kleine Puppe? Das sind echte Druckmittel, mit denen wir auch einen Parker so fromm hinbekommen wie eine alte Betschwester. Sie müssen noch viel lernen, was Taktik anbelangt!“ „Dazu hat das Syndikat mich ja zu Ihnen geschickt, Chef.“ „Lassen Sie die Wachen verstärken und das nähere Gelände zusätzlich absichern“, befahl French, während seine Stimme leiser wurde. Er schien den Platz vor und neben dem mächtigen Kamin im Wohnteil des Herrenhauses verlassen zu haben, „und schicken Sie dann noch...“ Mehr vermochte Mike Rander' nicht zu hören, aber er war durchaus mit dem zufrieden, was ihm der Minisender geliefert hatte. Es stand also eindeutig- fest, daß
French Sue Weston festhielt. Und daß er Sue als Druckmittel verwenden wollte. Daraus ergaben sich erhebliche Konsequenzen. Rander schaltete das Bordradio aus und griff nach dem Zündschlüssel, um Parkers Wagen in Bewegung zu setzen. Er wollte so schnell wie möglich den Butler aufpicken und mit ihm beratschlagen, was jetzt zu tun war. Doch leider hatte er das Wagenfenster heruntergekurbelt. Und leider schob sich durch dieses geöffnete Wagenfenster der Lauf einer schallungedämpften Pistole, deren Mündung eindeutig auf seine Schläfe gerichtet war ... *** Sie stand neben dem Feldbett an der Stirnwand der Blockhütte. Joe hatte ihre Arme ausgebreitet und dann an großen, in die Holzwand hineingetriebenen Nägeln festgebunden. Sue kam sich wie gekreuzigt vor und stöhnte vor Grauen und Angst, als Joe ihr jetzt auch noch die Beine an den Nägeln festzurren wollte. Er hatte eindeutig vor, ihre Beine zu spreizen, eine Stellung, die völlige Hilflosigkeit und restloses Ausgeliefertsein bedeutete. Sue konnte sich vorstellen, was Joe, dieser halbirre Gangster mit dem weißblonden Haar, mit ihr vorhatte,. Es war ein reiner Akt der Verzweiflung, daß Sue plötzlich austrat wie ein bockiges Maultier. Joe, der auf diesen Fußtritt nicht gefaßt war, wurde seitlich am Hals getroffen und stürzte zu Boden. Er blieb einen Moment vollkommen ruhig liegen. Dann hob er langsam den Kopf. Seine Augen schienen die Farbe zu verändern. Sie wurden grün. . Im Zeitlupentempo stand der Bursche auf. Er schien jede seiner Bewegungen sinnlich zu genießen. Dann baute er sich breitbeinig vor Sue auf und schüttelte mißbilligend den Kopf. „Warum nur so keß, Kleines?“ fragte Joe und lächelte dünn. Dazu rieb er sich die Stelle am Hals, wo Sues Fuß ihn erwischt hatte, „spar deine Kräfte, Mädchen! Du wirst sie noch brauchen. Du wirst noch verdammt viel Nerven brauchen!“ Dann ohrfeigte er Sue blitzschnell. Ihr Kopf wurde hin und her gewirbelt, fast vom Hals gerissen. Plötzlich hörte er auf, als habe er keinen Spaß mehr an der Bestrafung. Er lächelte dünn, seiner Gefangenen direkt ins Gesicht. „Nicht wieder verrückt spielen“, sagte er dann fast bittend, „ich bin ein Typ, der leicht gereizt wird. Laß es nicht darauf ankommen! Wir wollen doch noch was voneinander haben, oder nicht?“ Blitzschnell langte er nach dem hinter ihm stehenden Stuhl, wirbelte ihn herum und drückte die Stuhlkante hart und brutal gegen ihre Oberschenkel. Dazu lachte er schrill. Sue konnte ihre Beine nicht mehr bewegen.
Er setzte sich auf die Stuhlkante und sah sie an. Dabei schob er sein Gesicht dicht an das ihre und blies ihr, lautlos pfeifend, seinen Atem entgegen. „Weißt du eigentlich, daß du 'ne nette Puppe bist?“ fragte er und griff wieder nach ihr. Sue wandte angewidert den Kopf zur Seite und schloß die Augen. Sollte dieses grausame und ekelerregende Spiel wieder von neuem beginnen? Sie war derart schockiert, daß sie schon gar nicht mehr an Rander oder Parker dachte. *** „Man muß mit der Zeit gehen“, sagte French und nickte Mike Rander zu, „Infrarot-Fernglas ... Das beste und neueste auf dem Markt. Nicht gerade billig, aber die Anschaffung lohnt sich.“ „Seit wann wissen Sie, daß ich mit dem Wagen drüben zwischen den Felsen stand?“ „Seit Ihrer Ankunft, Rander. Aber das alles ist doch gar nicht wichtig. Hauptsache, Sie sind hier. Meine Chancen werden von Stunde zu Stunde immer besser!“ „Welche Chancen?“ Rander befand sich in der großen Wohnhalle des Herrenhauses. Selbstverständlich mit gefesselten Händen. Und bewacht von zwei sogenannten Farmarbeitern, die nichts anderes waren als Mitglieder dieser Gangsterfamilie. „Ich denke an die Chance, Hancock zu bekommen. Und auch Ihren Butler, der mir allerdings mehr Kopfschmerzen bereitet. Dieser Mann ist nicht nur stur, sondern auch sehr geschickt.“ „Dann arbeiten Hancock und Sie tatsächlich nicht zusammen?“ Rander tat verblüfft. „Aber ich bitte Sie, Mister Rander! Dieser kleine Gernegroß, der sich früher und jetzt Tiger nannte und nennt, dieser kleine Gernegroß hat doch kein Format. So etwas wie Hancock benutzt man höchstens für seine Zwecke.“ „Die wie aussehen? Kann man darüber etwas erfahren?“ „Warum nicht, Mister Rand er. Setzen Sie sich doch! Ben, einen Drink für Mister Rander! Wo waren wir stehengeblieben? Richtig, Hancock ... Sehen Sie, Mister Rander, diese Stadt gehört mir. Verstehen Sie genau, sie gehört mir. Sie hat sich mit mir und ich mich mit ihr arrangiert. Ich habe es nicht mehr nötig, mit der Faust zuzuschlagen, oder gar zu schießen. Das überlasse ich anderen, falls es erforderlich wird.“ „Es scheint demnach erforderlich geworden zu sein, Mister French?“ „Hancock, nicht wahr? Das ist richtig. Die Stadt hatte sich vielleicht zu sehr an mich gewöhnt. Sie hatte vergessen, wie hart ich war, wie hart ich sein kann. Aber sollte ich all das wiederholen, was vorher einmal war? Sollte ich mir noch mal die
Finger schmutzig machen? Nein, nein, um diese Stadt wieder auf Vordermann zu bringen, brauchte ich einen Vollstreckungsgehilfen.“ „Hancock.“ Rander nickte bekräftigend. „Also arbeitet er doch für Sie!“ „Aber ohne es zu wissen, begreifen Sie? Ich habe mir diesen Babytiger vom Syndikat schicken lassen. Hancock hatte sowieso keine Zukunft mehr. Und Hancock glaubte an die Chance seines Lebens, hier endlich doch noch Karriere machen zu können.“ „Ich verstehe“, sagte Rander und nippte an dem Drink, den Ben ihm gereicht hatte, „Hancock sollte als Buhmann wieder für Härte in der Stadt sorgen, damit alles spurt. Und danach ...“ .....hätten die zuständigen Behörden ihn aus dem Verkehr gezogen.“ French lächelte. „Diesen Tiger, der sich von Illusionen nährt.“ „Auf dessen Konto aber der Mord an Charles Effort geht. Und die Sprengungen in Lokalen und so weiter.“ „Das ist richtig.“ „Sie sind sehr selbstsicher“, gab Ränder zurück, „sind Sie aber schon je auf den Gedanken gekommen, daß Hancock für das Syndikat gegen Sie arbeitet, weil Sie einfach zu schlapp geworden sind, weil Sie nicht mehr genügend Anteile an das Syndikat abführen? Vielleicht hat Hancock dem Syndikat mehr versprochen, falls er es schafft!“ „Das könnte schon sein, Rander.“ French sagte nicht mehr Mister, er blieb nur noch beim Namen. Er schien ärgerlich geworden zu sein. „Der Tiger frißt seinen Dompteur!“ stieß Rander geschickt nach. „Dazu wird es nicht mehr kommen, Rander“, erklärte French, „Sie und Parker haben ja diesen Papiertiger parat. Sie wollen ihn gegen diese Miß Weston austauschen, nicht wahr?“ „Ein guter Vorschlag!“ „Nun, ich kenne eine bessere Lösung, Rander. Sie werden mir sagen, wo meine Leute diesen Tiger abholen können. Sie werden übrigens sehr schnell reden, wenn Sie erst mal sehen, wem ich Ihre Sekretärin versprochen habe. Dieser lange Schlacks ist ein wenig gestört, aber er weiß fast zu gut, wie man Frauen langsam umbringt. Deswegen wird er sogar vom FBI gesucht.“ *** Parker war leicht stutzig geworden, als sein junger Herr sich nicht, wie verabredet, an der bewußten Tankstelle einfand. Aus diesem Stutzig werden wurde echte Besorgnis. Es gab nur die . eine Lösung, daß sein junger Herr widrigen Umständen zum Opfer gefallen war. Und dagegen wollte und mußte Josuah Parker unbedingt etwas unternehmen. Er brannte darauf, sich wiedermal zu betätigen.
Da diese widrigen Umstände, mit denen er rechnete, sich nur in der Nähe der French-Farm abgespielt haben konnten, stand es für ihn also fest, sich dorthin zu begeben. Es ging langsam auf den Morgen zu, als Parker sich in Marsch setzte. Gewiß, er hätte sich spielend leicht einen Wagen verschaffen können. Der Tankstelle angeschlossen war ein Schnellimbiß. Und vor diesem kleinen Restaurant standen einige handliche Fahrzeuge. Doch ein Josuah Parker, das Gesetz respektierend, gab seinem inneren Drang nicht nach und blieb sauber. Er verzichtete darauf, sich einen dieser handlichen Wagen unter den Nagel zu reißen, wie der Volksmund es so treffend und plastisch ausgedrückt hätte. Er bediente sich seiner Beine. Es war wieder mal erstaunlich, mit welcher Sicherheit und Geschmeidigkeit Parker sich durch das Gelände in Richtung auf die French-Farm bewegte. Ein Indianer auf dem Kriegspfad wäre sicher vor Neid erblaßt und hätte sich spontan von ihm Nachhilfestunden geben lassen. Parker ging von der Voraussetzung aus, daß French sein Farmgelände genau bewachen ließ. Und ein Mann wie French begnügte sich nach Parkers Ansicht nicht nur mit den üblichen Mitteln. Er hatte sicher gewiß einiges auf Lager, um jedes Risiko auszuschalten. Als Parker sich jener Gegend näherte, wo sein junger Herr mit dem hochbeinigen Wagen Posten bezogen hatte, wie er es mit Parker verabredet hatte, wurde Parker noch vorsichtiger. Und diese Vorsicht wurde zu einem Großalarm in seinem Innern, als er dann diesen Wagen entdeckte. Er stand hinter und zwischen einigen bizarren Felstrümmern und machte einen sehr verlassenen Eindruck. Aber dieser Eindruck mußte täuschen. Sein Wagen war sicher das Objekt sehr wachsamer und neugieriger Augen. Von Rander war weit und breit nichts zu sehen. Entweder hatte er den Wagen freiwillig verlassen, oder aber er war überrumpelt und weggeschafft worden. Der Wagen mochte jetzt als Köder dienen. Nun war Josuah Parker nicht der Mann, der einen noch so schmackhaften Köder ohne weiteres annahm. Genau das Gegenteil war bei ihm der Fall. Schmackhafte Köder waren nur geeignet, sein Mißtrauen zu schüren. Der Butler blieb in geduckter Haltung hinter einem dichten Strauch und beobachtete seinen Wagen. Die Sonne war zwar noch nicht aufgegangen, aber sie kündigte sich bereits am Horizont an. Die Sichtverhältnisse waren nicht gerade ideal, aber immerhin gut genug, die nähere Umgebung des Wagens zu kontrollieren. Die Fallensteller mußten sich erstklassig getarnt haben. Sie waren trotz aller Aufmerksamkeit nicht auszumachen. Es mußte sich um Profis handeln, die ihr Handwerk verstanden. Und dennoch wurden sie verraten.
Zwar nicht durch ihre Unvorsichtigkeit, sondern durch einen neugierigen und dann aufgeschreckten Eichelhäher, der sich noch vor Sonnenaufgang auf den Flug gemacht hatte nach etwas Eßbarem. Dieser Eichelhäher schoß plötzlich vor einem Buschstück senkrecht hoch in die Luft und schlug Alarm. Damit wußte Parker Bescheid. Dort hinter den Sträuchern, etwa sechzig Meter von seinem Wagen entfernt, mußten die Fallensteller sich befinden. Wenigstens einige von ihnen. Sicherheitshalber unterstellte der Butler, daß French eine kleine Streitmacht mobilisiert hatte. Parker bemühte seine Gabelschleuder und Pillendose. Er wählte mit Bedacht und Sachverstand die kleinen Geschosse. Er wußte, daß er sich keinen Fehler leisten durfte. *** Joe, der Mann mit dem weißblonden Haar, hatte zwei Gesichter. Eben noch gemein, fordernd und bedenkenlos, entpuppte er sich jetzt als vollendeter Gastgeber. Er hatte draußen vor der Blockhütte Feuer gemacht und Kaffee gekocht. Sue Weston konnte den frischen Geruch von heißem Kaffee deutlich schnuppern. Und sie schnupperte auch die erfreulichen Düfte von heißem Speck, Pfannkuchen und Eiern. Überrascht und erstaunt sah sie zu Joe hinüber, der in die Blockhütte kam. Er servierte ihr förmlich ein opulentes Frühstück und lächelte dabei gewinnend. Seine Sprache war jedoch nach wie vor eindeutig. „Ich hab's nicht gern, wenn meine Süßen zu schnell schlappmachen“, sagte er, „wie wär's denn mit 'nem kleinen Happen?“ „Ich sterbe fast vor Hunger.“ „Mach schon, Kleines!“ Er band ihre Hände und Füße los, und Sue durfte sich aufrichten. Sie hatte den Rest der Nacht wieder auf dem eisernen Feldbett zugebracht. Ihre Hände waren wie abgestorben, und sie massierte sich die Gelenke. „Das hier hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut“, sagte Sue und deutete mit dem Kinn auf den Stuhl, wo das Frühstück stand. „Nur keine Vertraulichkeiten, Süße“, sagte Joe sofort, „auf so was fall ich nicht 'rein. Ich weiß genau, daß ich dir auf die Nerven gehe und daß ich dich anwidere.“ „Das hat doch mit dem Frühstück nichts zu tun“, gab Sue spontan zurück. Womit sie genau den Ton traf, den er hatte hören wollen. Joe grinste anerkennend. „Hier! Der Kaffee!“ sagte er und reichte Sue einen flachen Becher aus Blech. Sie nahm ihn entgegen und schleuderte den Inhalt aus dem Handgelenk heraus dem Burschen ins Gesicht. Joe, der völlig überrascht wurde, brüllte auf und griff automatisch nach seinen Augen, zumal der Kaffee frisch aufgebrüht war und erstaunliche Hitzegrade aufwies.
Sue war im gleichen Moment auf den Beinen und rannte hinüber zur Tür. Doch sie hatte sich überschätzt. Ihre Fußknöchel spielten nicht so mit, wie sie es sich gedacht hatte. Sue knickte ein, fing sich am Rahmen der Tür und mühte sich ab, hinaus ins Freie zu gelangen. Joe tobte inzwischen wie wahnsinnig in der Blockhütte herum und schrie. Er rannte ihr nach und hätte sie fast erreicht, doch Sue besaß die Geistesgegenwart, ihm die Tür vor der Nase ins Schloß zu schmettern. Dabei geriet seine Stirn in einen äußerst innigen Kontakt mit dem Türblatt. Wie von einer Axt gefällt, rutschte Joe in sich zusammen und war erst mal außer Gefecht gesetzt. *** Nachdem Parker drei kleine Tonmurmeln verschossen hatte, steckte er seine Gabelschleuder wieder ein. Er brauchte sie nicht mehr. Der Inhalt der drei hohlen Tonmurmeln reichte aus, um ein krächzendes Hustenkonzert im Unterholz auszulösen. Animiert durch die Reizstoffe, die aus den geborstenen Tonmurmeln hochwallten, zeigten sich zwei handfest aussehende Farmarbeiter, die statt ihres normalen Handwerkzeuges Schußwaffen mit sich herumtrugen. An die sie jetzt allerdings nicht mehr dachten, denn sie husteten und krächzten wie erkältete Krähen und Raben. Dabei litten sie offensichtlich unter Luftmangel, denn sie wanden und wälzten sich schließlich auf dem staubigen und felsigen Boden herum. Angelockt durch diese ungewöhnlichen Freiübungen, erschienen zwei weitere Farmarbeiter, die ebenfalls mit Schußwaffen ausgerüstet waren. Sie begingen den erfreulichen Fehler, sich um ihre Partner kümmern zu wollen. Dabei geritten sie automatisch in den Dunstkreis der von Parker verschossenen Reizstoffe. Was sich für sie nicht auszahlte. Sie stimmten solidarisch in den Chor der krächzenden und hustenden Raben ein und suchten dann ebenfalls den Boden auf. Dabei übersahen sie einige Karnickel, die hustend und spuckend sich von ihrem Nachtlager erhoben. Und sie übersahen eine Klapperschlange, die sich eines der Karnickel zum Frühstück hatte servieren wollen. Jetzt kam sie nicht mehr dazu. *** Um ein Haar hätte Sue Weston die Winchester übersehen, die draußen an der Hüttenwand lehnte.
Sie lief schnell zurück und nahm diese so wichtige Waffe an sich. Dann rannte sie weiter und verbarg sich erst mal im nahen Unterholz. Von hier aus beobachtete sie die Hütte. Sie wartete darauf, daß der weißblonde Sadist sich sehen ließ. Es dauerte nicht lange, bis er auf der Bildfläche erschien. Er rieb sich noch die Augen, stieß laute Verwünschungen aus und wollte nach seiner Waffe greifen. Als er sie jedoch nicht fand, reagierte er zu Sues Überraschung mehr als eigenartig. Wie ein überängstliches Kind rannte er zurück in die Blockhütte und schmetterte die Tür hinter sich zu. Sue dachte zuerst nur an einen hinterlistigen neuen Trick. Doch als Joe sich nicht rührte, als er stur in der Hütte blieb, da kam sie zu der Erkenntnis, daß der Bursche sich fürchtete. Er wußte, daß sein Opfer die Waffe besaß. Und er wollte nicht die Gefahr eines Schusses riskieren. Sue setzte sich vorsichtig ab. So ganz war ihr Mißtrauen noch nicht geschwunden. Und um Joe zu schocken, um ihn zu warnen, feuerte sie einen Schuß auf die geschlossene Tür ab. Die Reaktion war fast bestürzend. In der Hütte ertönte ein greller, fast spitzer Aufschrei, als habe das Geschoß getroffen. Obwohl es doch kaum stimmen konnte, da Sue den Schuß auf die Tür sehr hoch angesetzt hatte. Dann ging dieser Aufschrei in ein klägliches Wimmern über. Sue hielt sich nun nicht länger mehr auf. Sie machte sich auf den Weg, um eine möglichst große Distanz zwischen sich und Joe zu legen. Ihr Bedarf an Abenteuern war wieder mal mehr als reichlich gedeckt. *** Josuah Parker ging methodisch vor. Er hatte sein hochbeiniges Monstrum in Stellung gebracht, nachdem er sein Fahrzeug geborgen hatte. Die Ab- und Wegfahrt hatte keine Schwierigkeiten gemacht. Die hustenden und krächzenden Gangster rangen noch nach Luft, als Parker das Weite gesucht hatte. Jetzt stand sein Wagen also auf einem Hang, der hinunter in die Talebene führte, in der sich Frenchs Farm befand. Das Herrenhaus mit den Wirtschaftsgebäuden und Stallungen war gut zu erkennen. Es ging dem Butler darum, etwaige Wachen auf Trab zu bringen. Dazu ließ er sich wieder etwas einfallen. Aus dem Kofferraum seines Wagens holte er erst mal eine kleine flache Holzkiste, die Dynamitstangen enthielt. Parker hatte diese Sprengkörper irgendwann mal aus einer Laune heraus in seinem Wagen verstaut. Jetzt brauchte er sie. Er sorgte für die notwendige Zündschnur und bemühte sich dann um das lange Gummiseil, das dicker war als zwei große Männerdaumen. Auch dieses Requisit
hatte er monatelang mit sich herumgeschleppt, ohne es einsetzen zu können. Jetzt bot es sich förmlich an. Parker befestigte die beiden Enden des Gummiseils an den Außenspiegeln seines Kleinwagens. Damit gewann er eine überdimensional große Steinschleuder. Er zündete eine der Lunten, die bereits mit einer Stange Dynamit verbunden war. Als die Lunte erfreulich eindeutig brannte, straffte und spannte Parker das dicke Gummiseil und schoß die Dynamitstange vom Kühler aus über das Wagendach hinaus in die freie Luft. Die Schleuderkraft des Gummiseils war mehr als beachtlich. Die Dynamitstange schoß schräg in den Morgenhimmel hoch, erschreckte zwei ahnungslose Schwalben, die nach Regenwürmern Ausschau hielten, und beschrieb dann eine beachtliche Parabel. Schließlich überschritt sie den Höhepunkt der Flugbahn und landete weit unten in der Ebene irgendwo hinter einer Weidenkoppel. Mit einem Donnerschlag, als habe mittelschwere Artillerie das Feuer aufgenommen, detonierte dann die Dynamitstange und riß eine bemerkenswerte Wolke aus Staub, Qualm und Feuer hoch in die Luft. Um diesen Eindruck noch zu verstärken, setzte der Butler eine zweite Stange Dynamit ein. Sie war nicht weniger wirkungsvoll. Sie landete auf der Zufahrtstraße zum Herrenhaus und ließ ein Stück des Weges in die Luft fliegen. Als Rauch, Qualm und Feuer sich etwas gelegt hatten, entdeckte Parker drei Jeeps, die mit hoher Geschwindigkeit auf die Einschlagstellen zupreschten. Womit für den Butler klar war, daß der Sicherheitsring um die French-Farm geknackt sein mußte. Nun galt es, gewisse Vorteile auszubauen. *** Rander hatte die beiden mächtigen Detonationen gehört, obwohl er seit geraumer Zeit in einem engen, niedrigen Keller saß, der an einen Bunker erinnerte. Man hatte ihn hierher geschafft, um ihn erst mal aus dem Weg zu schaffen. „Durch ein schmales und kleines Fenster konnte Rander hinaus ins Freie sehen. Sein Blick galt der Stirnseite einer Remise und einer angrenzenden Scheune. Und er entdeckte, daß die beiden Donnerschläge viel Unruhe und Nervosität auf der French-Farm auslösten. Man schien völlig konsterniert zu sein. Rander hatte sofort geschaltet und an seinen Butler gedacht. Josuah Parker mußte sich auf dem Kriegspfad befinden. Und wenn ein Josuah Parker sich auf solch einen Weg begab, dann blieb, in der Regel kein Auge trocken. Rander stellte sich auf die Zehenspitzen, um noch besser sehen zu können. Und was er beobachtete, war geeignet, ihn ebenfalls leicht nervös werden zu lassen. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen!
Neben der Stirnseite der Remise landete gerade ein fliegendes, erst mal nicht zu identifizierendes Objekt. Es schlug auf und Wirbelte eine kleine Sandfontäne hoch. Als der Gegenstand dann ruhig lag, erkannte Rander eine Dynamitstange, deren Lunte zischte. Rander beeilte sich, schleunigst den Kopf einzuziehen und in Deckung zu gehen. Er ahnte, was sich innerhalb der nächsten Sekunde abspielte. *** French stand am Fenster seines Schlafzimmers. Er zog sich gerade hastig den Morgenmantel über und wandte sich wütend zur Tür, durch die sein Sekretär Ben eintrat. „Was hat: der Krach zu bedeuten?“ fauchte er Ben an. „Artillerie! Armee!“ stieß der Mann nervös hervor, „vielleicht auch Panzerwagen. Sie müssen schon ganz nahe ...“ Er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden. Denn in diesem Moment ging die Dynamitstange hoch, die seitlich der Remise gelandet war. Die Wirkung war frappierend. French, der noch in Fensternähe stand, wurde von einer unsichtbaren Hand quer durch das Schlafzimmer geschleudert. Die Splitter der Fensterscheiben waren aber noch schneller als er. Als French auf dem Boden landete, wälzte er sich in Glassplittern herum. Ben war nicht mehr zu sehen. Die Wucht des Explosionsdruckes hatte ihn hinaus auf den Korridor geschleudert. Er hing wie ein nasser Waschlappen über dem Treppengeländer. French achtete überhaupt nicht auf ihn. Er kroch aus dem Schlafzimmer und blutete aus kleinen, an sich völlig harmlosen Rißwunden. Dann erhob er sich und rannte über die Treppe nach unten. Was er wohl besser unterlassen hätte! Denn ein gewisser Josuah Parker war ein erstklassiger Richtschütze, wie sich schnell zeigen sollte. *** Parker hatte mit seinem hochbeinigen Wagen den Kordon der Wachen durchbrochen. Und er hatte sich dabei noch nicht mal anzustrengen brauchen. Die Männer in ihren Jeeps untersuchten noch die ersten Einschlagstellen. Parker hatte seinen Wagen erneut in Stellung gebracht. Das Monstrum stand jetzt nahe der Farm unterhalb einer kleinen Windmühle, die zu einem Tiefbrunnen gehörte. Gedeckt von dem großen Trog der Viehtränke, bemühte der Butler seine Riesenschleuder. Sein erklärtes Ziel war die FrenchFarm, die höchstens hundert Meter entfernt vor ihm lag.
Die erste Dynamitstange hatte Parker gerade abgesetzt, sie hatte French hinunter in die Wohnhalle seines Herrenhauses getrieben. Jetzt war Parker gerade dabei, die nächste Ladung in die Luft zu befördern. Ihm kam es selbstverständlich darauf an, nur Verwirrung zu stiften und etwas für die Nerven seiner Gegner zu tun. Darum wählte er sein nächstes Ziel auch sehr sorgfältig aus. Parker wollte Blutvergießen vermeiden. Was ihm wieder mal gelang. Die Dynamitstange mit der zischenden Lunte schoß über das Wagendach und sirrte auf das Herrenhaus zu. Dann senkte sich das Geschoß und fiel elegant in den großen, gemauerten Kamin, der das Dach noch überragte. Von diesem Meisterschuß war selbst Parker angetan. *** Nicht aber French, der gerade die Wohnhalle erreicht hatte. Der Gangster blieb keuchend und enerviert an der Treppe stehen, um dann langsam zum Kamin hinüberzugehen. Genau in diesem Moment kollerte die Dynamitstange durch die Esse nach unten. French hörte dieses Geräusch, konnte es sich aber nicht erklären. Bis die Bombe platzte. Und zwar noch in der Esse, aber dicht vor der Kaminöffnung. Die Wirkung war frappierend. Der gemauerte Kamin platzte wie unter einer Riesenfaust auseinander und schickte seine Bruch- und Mauersteine durch die große Wohnhalle. Dabei löste sich der jahrealte Ruß an den Kaminwänden und beeilte sich, endlich mal frische Luft zu schnappen. Eine Luftmine hätte nicht Stärker wirken können! French fand sich nach einer beachtlichen Luftreise draußen vor dem Herrenhaus. Genauer gesagt, er klebte am Aufbau seines Wagens, bis er langsam nach unten wegsackte und nicht mehr mitspielte. *** „Sehr wirkungsvoll, Mister Parker“, sagte Sue Weston, als der Butler gerade eine weitere Ladung auf die Reise schickte, „aber das müßte eigentlich reichen. Ich habe unterwegs eine Menge Autos gesehen, die alle in wilder Flucht in Richtung Bloomington rasen.“ „Nur dieser kleine Sprengkörper noch.“ Parker strammte das Gummiseil und ließ die letzte Dynamitstange durch die Luft zischen. Sie landete vor dem Haus und brachte den hohen Porticus zum Einsturz. Womit das Herrenhaus eigentlich seine Form verlor. Es erinnerte jetzt an einen wüsten Bretterhaufen.
„Haben Sie auch an Mister Rander gedacht?“ fragte Sue Weston. „Mein junger Herr müßte sich nach Lage der Dinge in einem Tiefkeller befinden“, erwiderte Parker, „dort halten Gangster in der Regel ihre Gefangenen fest, wie Sie vielleicht aus Erfahrung wissen, Miß Weston. Darf ich fragen, wie Sie alles überstanden haben?“ „Das ist eine lange Geschichte, die ich Ihnen später erzählen werde“, meinte Sue unruhig, „kümmern wir uns erst mal um Mister Rander.“ Nun, sie fanden ihn, und Mike Rander war bei bester Laune. Diese Laune steigerte sich noch, als er das in seine Einzelteile zerlegte Herrenhaus sah. „Das Ende eines Tigers und seines Dompteurs'„ sagte Rander, während sein Butler sich daran machte, die Herren French und Ben einzusammeln. Sie leisteten, verständlicherweise keine Gegenwehr und wirkten ziemlich erschöpft. „Was die Herren Hancock und Partner anbetrifft, Sir, so befinden sie sich in sicherem Gewahrsam“, meldete Parker dann, „ich war so frei, sie mittels einiger Handschellen um eine mächtige Fichte zu schließen. Sie werden von Miß Effort betreut. Und wahrscheinlich auch inzwischen von den örtlichen Polizeibehörden.“ *** Small kam allein ins Hotel. Er wirkte etwas unterkühlt, der Detektiv-Sergeant. Vielleicht paßte es ihm nicht, daß er so gar nichts für die Stadt hatte tun können. „Darf man hoffen, Sergeant Small, daß die Gangster ihre diversen Geständnisse abgelegt haben?“ „Hancock hat alles zugegeben. Er ist für den Mord an Charles Effort verantwortlich. Und French hat seinerseits die Segel gestrichen. Er und seifte Leute sitzen wegen Kidnapping.“ „Und die Unterlagen des ermordeten Charles Effort?“ wollte Parker weiter wissen. „Wurden bei French gefunden. Sein Safe ist eine wahre Fundgrube für durchgeführte Erpressungen und Schmiergelder. Wir können die Stadt jetzt ausmisten!“ „Wie war denn das mit Anwalt Harpers?“ wollte Rander wissen, „lieferte er die Effort-Unterlagen freiwillig aus?“ „Harpers hat das inzwischen zugegeben. Als er hörte, was sie enthielten, ließ er sich angeblich kidnappen. Seine Geschichte kennen Sie ja.“ „Sie scheinen dennoch nicht sonderlich froh zu sein, Sergeant“, meinte Rander ironisch, „paßt Ihnen etwas nicht?“ „Na, hören Sie! Sie haben mächtig auf die Tube gedrückt. Schön, wir können jetzt die Stadt sauberkehren, aber ich möchte gern wissen, wann Sie zurück nach Chikago fahren?“ „Weshalb?“
„Weil ich was dagegen habe, daß Sie die Stadt am Boden zerstören.“ Er wandte sich an Parker, „Sie scheinen für so was 'ne erstklassige Hand zu haben, Parker!“ ENDE
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Butler Parker Die nächsten Butler-Parker-Krimis von Günter Dönges erscheinen als Nr. 130
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