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Das riesenhafte Gebilde, das wie eine Wolke aussah, hatte Dragon und seine Begleiterin Danila betäubt, sie mit Ten...
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1.
Das riesenhafte Gebilde, das wie eine Wolke aussah, hatte Dragon und seine Begleiterin Danila betäubt, sie mit Tentakeln erfaßt und sie sich aufgeladen. Daraufhin erhob sich die Wanderwolke in die Lüfte und segelte mit ihren beiden Gefangenen über die Graslandschaft davon. Schon nach kurzer Flugdauer wurde sie langsamer und landete nahe eines Lagerplatzes, der von einem großen Feuer erhellt wurde. Verwegen gekleidete Gestalten tauchten im Feuerschein auf, bestiegen die Wolke und besahen sich die Gefangenen. »Was für ein knuspriges Mädchen«, sagte einer. »Finger weg!« »Willst sie wohl für dich aufheben, was, Ecriol?« »Rührt sie nicht an, bevor Darraco nicht bestimmt hat, was mit ihr zu geschehen hat.« »Bis Sonnenaufgang ist es noch lang ...« »Und was soll mit dem Kerl da geschehen?« »Auch darüber wird Darraco bestimmen.« »Na, du spielst dich ganz schön auf, Ecriol. Fühlst dich wohl schon als Erster Wolkenstecher, ha, ha!« »Da gibt‘s überhaupt nichts zu meckern. Solange
Darraco fort ist, übernehme ich Nifregos Posten. Ich bestimme hier, verstanden?« Ecriol machte eine kurze Pause. Als es niemand wagte, ihm zu widersprechen, fuhr er fort: »Kehrt jetzt zum Lager zurück. Die beiden Gefangenen sind ohne Bewußtsein und werden es wohl auch bis zu Darracos Rückkehr bleiben. Laßt sie, wo sie sind. Ich möchte nicht sehen, daß sich einer von euch hier in der Nähe herumtreibt.« Die düsteren Gestalten zogen sich wieder zurück. Dragon und Danila, die allein und unbewacht zurückblieben, hatten nichts davon bemerkt, denn sie waren noch immer besinnungslos. Doch wenn Dragons Bewußtsein auch ausgeschaltet war, sein Unterbewußtsein war rege und aufnahmefähig. Und wenn seine Augen auch blind, seine Ohren taub waren, in dem Amulett auf seiner Brust hatte er ein Sinnesorgan, das die Eindrücke aus dem Bereich des Übersinnlichen empfing und an das Unterbewußtsein weiterleitete. Es war niemand in Dragons Nähe, der es hätte bemerken können, wie das Amulett aufleuchtete, als es die Gedanken der Wolke aufnahm und Dragons Unterbewußtsein vermittelte. Auf diese Weise erlebte Dragon den Traum der zweitausend Jahre alten Wanderwolke ...
Ich bin ein Kind aller fünf Elementargeister, obwohl ich Aerula-thane heiße, was soviel wie »Geschöpf des Luftgeists« bedeutet. Meine Geburtsstunde schlug am Feuerberg Moa motu, wo sich die fünf Elementargeister nach ihrer Befreiung durch den Namenlosen zu ihrem ersten Fest trafen. Ohne es zu wollen, hatte der Namenlose die Macht von Vesta gebrochen und dem Herrn der Elemente die Herrschaft über diese entrissen. Und nun waren sie frei: Vitu, der Lebensgeist, Erthu, der Erdgeist, Skortsch, der Feuergeist, Tyde, der Wassergeist, Aerula, der Luftgeist« Ich, Aerula-thane, bin ihr Geschöpf, von ihnen gezeugt – geboren aus der Verbindung, die diese fünf Elementargeister am Feuerberg Moa-motu nach ihrer Entfesselung eingingen. Vom Luftgeist habe ich die kostbare Gabe des Fliegens erhalten, deshalb benannte ich mich nach ihm. Aber auch Vitu, Erthu und Tyde gaben mir viele kostbare Eigenschaften mit auf den Lebensweg. Nur Skortsch, der Feuergeist, war mir nicht wohl gesinnt. Während die anderen Elemente das Leben für mich bedeuten, so bestimmte Skortsch, daß die Flamme mein Tod sein sollte. Die Elementargeister werden nach mir noch andere Wanderwolken gezeugt haben, doch ich bin die
Urmutter aller Wanderwolken. Ich habe in meinem langen Leben schon viele Kinder geteilt, so viele, daß sie dieses Land von Meer zu Meer bedecken könnten, würden sie sich aneinanderreihen. Viele von ihnen sind aber auch schon in Skortsch eingegangen ... Das Leben war für mich alle Zeit eine Lust, die voll auszukosten ich verstand. Schon bald erkannte ich, daß es außer den feuerspeienden Bergen, den mit Windeseile über das Land greifenden Bränden, den monströsen Tieren, die aus ihren Rachen Flammensäulen steigen lassen können und den furchterregend anzusehenden Blitzen, die aus dem Himmel kommen – daß es außer diesen kaum Gefahren für mich gab. Und dieser Umstand prägte wohl auch meine innere Einstellung; ich brauchte nicht um mein Leben zu kämpfen, konnte den Bedrohungen der Lüfte ausweichen und konnte es mir erlauben, auch die anderen in Frieden leben zu lassen. Am glücklichsten war ich, wenn ich hoch am Himmel dahintrieb und unter mir den bunten Teppich der Welt sah. So verging die Zeit für mich in Ruhe und Beschaulichkeit, während ich Erfahrungen sammelte und die Welt verstehen zu lernen versuchte. Ich wuchs in vielen Sommern zu imposanter Größe heran – und
dann kam der Tag, an dem ich mich zum erstenmal teilte. Wir Wanderwolken besitzen nicht die Gabe des Sprechens wie die Menschen. Aber auch wir können uns untereinander verständigen, Trauer und Freude, Glück und Leid, Schmerz und Wohlempfinden ausdrücken. Und ich ließ meinem ersten Kind, das ich teilte, alle Liebe angedeihen, derer ich fähig war. Ich nannte es Aerulante, das Erstgeborene der Lüfte. Es ist inzwischen schon in Skortsch eingegangen. Ich habe später nie mehr mit solchem Schmerz und Glück geteilt, und wenn ich eines meiner Kinder ähnlich stark geliebt habe wie Aerulante, dann war es Aerulazz, das vom Luftgeist vergessene. Allerdings muß ich hinzufügen, daß hier Mitleid eine große Rolle spielte. Doch über Aerulazz später mehr – ich will der Reihe nach erzählen. Ich lebte das Leben in vollen Zügen und nützte die Möglichkeiten weidlich aus, die mir die Elementargeister gegeben hatten. Bald mußte ich jedoch einsehen, daß es doch noch andere Gefahren als das Feuer für mich gab. Das waren zum Teil die trügerischen Winde, gegen deren Gewalt es kaum ein Aufbäumen gab und die oftmals so starke Wirbelströmungen in sich hatten, daß darin eine Wanderwolke aufgerieben werden konnte. Aber noch viel heimtückischer waren die Stillen
Zonen, die von den Menschen bevorzugt wurden. So wie bei den fünf Elementargeistern wirkte sich die Ausstrahlung der metallischen Vorkommen der Stillen Zonen auch auf uns Wanderwolken verhängnisvoll aus. Doch nach den ersten unliebsamen Erlebnissen blieb ich diesen Landstrichen fern und bald danach auch den Menschen. Am Anfang zeigten diese winzigen, zweibeinigen Wesen, zu denen auch du gehörst, Dragon, ganz erbärmliche Furcht vor mir. Doch diese verstand ich zu zerstreuen. Da ich mit wachsender Größe auch in der Lage war, mehr und größere Mengen der verschiedensten Elemente in mich aufzunehmen, konnte ich diese – Wasser und Sand und Erde und Gestein und auch die Saat von Pflanzen – wirkungsvoller einsetzen. Ich wollte den Menschen zeigen, daß ich friedlich und ihnen wohlgesinnt war. Ich wollte ihre Freundschaft – also brachte ich ihnen Regen, wenn ihre Felder zu verdorren drohten, löschte ihre Brände mit Wasser und Sand, säte mit Hilfe des Windes Samen der für sie lebensnotwendigen Pflanzen in ihr Gebiet und brachte über alle jene, die in der Sonnenglut zu verschmoren drohten, labenden Schatten. Doch je mehr die Zweibeiner vor mir und meinen Artgenossen – zumeist Kinder und Kindeskinder von mir – die Scheu ablegten, desto dreister wurden sie
auch. Und mancher Wanderwolke wurde es zum bitteren Verhängnis, daß sie den Menschen zu sehr vertraut hatte. Ich blieb vorsichtig – und so erfreute ich mich vieler Jahrhunderte hindurch meiner Freiheit. Doch so klug ich mich auch wähnte, die Zweibeiner waren klüger. Vor allem aber war es ihre Grausamkeit und Hinterlist, die mir selbst fremd ist und mir deshalb auch zum Verhängnis wurde. Ich erwähnte schon Aerulazz, ein Kind, das ich vor nunmehr fünfzehn Sommern geteilt hatte. Schon während der Teilung wußte ich, daß aus ihm nie eine rechte Wanderwolke werden würde. Ihm fehlte der beseelende Hauch von Aerula, dem Luftgeist. Nach der Teilung bewahrheiteten sich meine Befürchtungen – Aerulazz würde nie richtig fliegen können. Ich schenkte deshalb diesem vom Luftgeist vergessenen Kind meine besondere Liebe und Fürsorge. Doch ich konnte es nicht ständig beaufsichtigen, und so kam es eines Tages wie es kommen mußte. Es mag zehn Sommer her sein, ich äste friedlich auf einer saftigen Weide inmitten einer der wildesten Wilden Zonen. Ich glaubte nicht, daß sich hierher jemals Menschen verirren würden. Deshalb kam es für mich völlig überraschend, als ich plötzlich die Klagelaute von Aerulazz vernahm.
Ich verließ sofort die Weide, erhob mich in die Lüfte und flog in Windeseile in die Richtung, aus der das Klagen meines Kindes kam. Schon von weitem sah ich, was mit Aerulazz passiert war. Eine Schar wilder Menschengestalten hatte sich auf mein flugbehindertes Kind gestürzt und quälte es nun mit ihren langen Wolkenspeeren. Blind vor Haß und Angst um Aerulazz stürzte ich mich auf die Meute der Zweibeiner. Ich besaß im Umgang mit ihnen Erfahrung genug, um glauben zu können, daß es mir ein leichtes sein würde, sie mit Steinregen und Schlägen meiner Tentakel zu vertreiben. Doch ich hatte es mit ganz ausgesuchten Bösewichtern zu tun, die grausamer und verschlagener waren als alle ihre Artgenossen zusammen. Sie schützten sich vor dem Steinhagel, den ich auf sie niederließ, mit großen Schilden und hieben mir einige der Tentakel mit ihren scharfen Schwertern ab. Noch glaubte ich nicht an eine Niederlage, denn ich dachte, diese verwegenen Gesellen würden nur so verbissen kämpfen, um sich ihres Lebens zu erwehren. Ich hätte sie auch ziehen lassen, trotz des Schmerzes, den sie mir zufügten. Mir wäre es genug gewesen, Aerulazz vor der Versklavung zu retten und die Peiniger in die Flucht zu schlagen. Doch zu spät erkannte ich, daß diese es überhaupt nicht auf mein flugbehindertes Kind, sondern auf mich
abgesehen hatten. Einige schwangen Seile mit Widerhaken herauf und hakten sie in mir fest. Auf den Seilen kletterten sie dann auf meinen Rücken und begannen mit ihren vorbereiteten Attacken gegen mich. Sie kannten sich im Umgang mit Wanderwolken aus und wußten, wo ihre empfindlichen Stellen lagen. Ich versuchte alle möglichen Tricks und Finten, die ich in den Jahrhunderten meines langen Lebens gelernt hatte. Doch ich konnte sie nicht abschütteln. Und dann durchraste mich ein höllischer Schmerz, als der erste Speer in eine meiner sechs empfindlichen Stellen eindrang. Ich glaubte im ersten Moment, sterben zu müssen. Aber die Piraten waren viel zu geschickt, als daß sie mich getötet hätten. Sie wollten mich gefangen nehmen und mich sich Untertan machen. Der erste Speerstich lähmte einen Teil meines Widerstandes. Der zweite Speerstich verursachte einen Reiz in mir, der mich veranlaßte, alle Elemente, die ich in mir gespeichert hatte, abzuwerfen. Und der dritte Speerstich zwang mich zur Landung. Kaum war ich zu Boden gegangen, da bestiegen mich weitere Piraten, stießen zum Zeichen ihres Sieges über mich ihre Wolkenspeere in mich und stimmten ein Triumphgeheul an. Aerulazz aber verbrannten sie in meiner Gegenwart.
So geriet ich in die Gewalt des Piraten Darraco.
2.
Darraco war Herr über Leben und Tod von etwa dreihundert Männern und Frauen. Er war seit fünf Sommern ihr umstrittener Herrscher und führte sie mit strenger Hand. Es gab niemanden mehr unter den Piraten, der ihm seine Position streitig machen wollte. Jene, die es einst versucht hatten, lebten nicht mehr. Darraco zählte damals dreißig Sommer. Er war ein grobschlächtiger Mann, über und über mir Narben bedeckt, die Zeugnis von seinen unzähligen Kämpfen und Siegen ablegten. Sein Kinn war ihm einmal im Zweikampf zerschmettert worden, deshalb verdeckte er diesen Makel mit einem wilden Bart. Sein dunkles Haupthaar klebte ihm in der Stirn, hing ihm in Strähnen über die breiten Backenknochen und wallte sich ihm als verfilztes Gestrüpp in den muskulösen Nacken. Mehr noch als seine verwilderte Erscheinung gaben seine Augen über ihn Auskunft. In ihnen war nie Wärme, Güte oder Liebe, nicht einmal dann, wenn er mit einem Weibe schäkerte. Diese Augen lagen tief in
den Höhlen, wurden von den hervorspringenden Backenknochen verdeckt. Dennoch entging niemandem die Grausamkeit und die seelenlose Kälte dieser Augen, wenn er in sie sah. Für viele hatte dieser Blick schon den Tod bedeutet. »Mit dieser Wolke besitzen wir nun die schlagkräftigste Flotte im ganzen Land«, sagte Darraco in einer Ansprache an seine Leute. »Ist diese Wanderwolke nicht ein Prachtstück? Sie mißt mehr als hundert Mannslängen in Breite und Länge, und sie könnte doppelt soviele von uns tragen. Sie ist noch etwas widerspenstig. Aber in einigen Tagen schon wird sie sich uns unterworfen haben. Seht sie euch an, sie hat sich zu unserem Empfang in ihr schönstes weißes Gewand gekleidet. Wie deutet dieses Zeichen unser Prophet Efftriar?« Ein alter, gebeugter Mann, dessen Gesicht ein mit Haut bespannter Totenschädel war und der kein Haar mehr am Körper hatte, trat in den Kreis der Piraten und sagte: »Das weiße Kleid ist ein gutes Omen. Es bedeutet Glück für Aeru-la-thopa und die seinen.« Die Prophezeiungen des Alten sollten sich bewahrheiten – wenn man erfolgreiche Plünderung, Versklavung und Zerstörung als Glück bezeichnen konnte. Das blasse Kleid, das ich trug, und das als gutes
Omen gewertet wurde, war nur darauf zurückzuführen, daß ich alle Elemente, die ich in mir getragen, abgestoßen hatte. Ich war eine leere Hülle und fühlte mich wie eine unbeseelte Wolke. Darraco machte seine Worte wahr. Er benötigte nur vier Tage, um mich zu zähmen. In diesen vier Tagen zeigte er mir mit seinen Aeruskorten, den Männern mit den Wolkenspeeren, daß sie stärker und ausdauernder waren als ich. Sie fügten mir mit den Wolkenspeeren Schmerz zu und ließen mich gleich darauf erkennen, daß sie gewillt waren, meine Qualen zu lindern, wenn ich ihnen gehorchte. Sie ließen ihre Speerspitzen in meine sechs empfindlichen Zonen vordringen, verursachten dadurch die verschiedensten Reize, durch die ich zu Handlungen gezwungen wurde, oder die mir verständlich machten, was die Wolkenstecher von mir wollten. Kam ich ihren Wünschen nach, so belohnten sie mich – widersetzte ich mich oder verstand ich ihre Befehle nicht sofort, so bestraften sie mich erbarmungslos. Wie gesagt, es dauerte nur vier Tage, bis mein Widerstand gebrochen war und ich die Speersprache der Aeruskorten beherrschte. Ich ergab mich, und Darraco schien zu glauben, mich für alle Zeiten in seiner Gewalt zu haben. Doch in
mir war nach wie vor die Sehnsucht nach der verlorenen Freiheit – und ich war fest entschlossen, sie wiederzugewinnen. Darracos Flotte bestand aus insgesamt sieben Wanderwolken. Außer mir gab es noch sechs kleinere Wolken, die ich zu meiner traurigen Überraschung als Kinder von mir erkannte. Der Piratenführer merkte, daß wir zusammengehörten. Ich habe bis heute nicht genau erfahren, woran er dies merkte. Aber er muß die Verhaltensweise von uns Wanderwolken sehr genau erforscht haben und ein großes Einfühlungsvermögen besitzen. Man kann über ihn sagen, was man will, aber er kennt uns Wanderwolken besser als irgendein anderer Mensch. Schade, daß er ein solches Scheusal ist. Am Anfang hielt uns Darraco getrennt, und er ließ ständig einige Wolkenstecher als Wachen auf mir zurück, die jeden Fluchtversuch sofort mit ihren Speeren unterbunden hätten. Es gingen vierzehn Tage ins Land, bevor Darraco es mir zum erstenmal gestattete, daß ich über Nacht meine Kinder bei mir aufnahm. Es war der Vorabend zu einem großen Ereignis. Die Piraten hatten seit meiner Versklavung keinen einzigen Raubzug unternommen, sie konnten es sich leisten, von
der Beute aus vergangenen Unternehmungen zu zehren. Doch vor zwei Tagen hatte ein Spähtrupp, der mit einem meiner Kinder unterwegs war, um das Gelände zu erforschen, ein Bauerndorf in einer Hochebene entdeckt. Darraco plante nun, dieses Dorf am nächsten Tag zu überfallen. Die Piraten waren sich ihres Erfolges so sicher, daß sie die Siegesfeier bereits vorwegnahmen. Und wahrscheinlich gewährte es mir Darraco auch nur deshalb, mich in dieser Nacht mit meinen Kindern zu vereinen, weil ihn der Gedanke an reiche Beute zu Großmut verleitete. Zuerst dachte ich aber, daß er einen Hintergedanken hätte, denn eine Wolke ließ sich besser bewachen als deren sieben. Aber als sich die Piraten dann nacheinander in eine Schlucht zurückzogen, wo sie über Lagerfeuern ihr Fleisch brieten und Kraftbrühen kochten, stellte ich mit Erstaunen fest, daß überhaupt kein Aeruskorte als Wache zurückblieb. Mein erster Gedanke war Flucht. Ich wartete aber noch und wollte die Durchführung meines Planes solange aufschieben, bis sich die Piraten die Bäuche vollgeschlagen hatten und ihre Sinne vom Wein benebelt waren. Das war mein Glück, denn Darraco suchte mich noch einmal auf. Er hatte einen Wolkenspeer bei sich,
als er mich bestieg. »Bist eine brave Wolke«, sagte er und trieb den Wolkenspeer über einer meiner empfindlichen Stellen in mich. Er führte den Stich kraftvoll, aber auch wieder so gefühlvoll aus, daß die Speerspitze knapp oberhalb des Nervenstrangs zum Stillstand kam und ich keinen Schmerz verspürte. Darraco fuhr fort: »Du kannst ein angenehmes Leben bei mir haben und als die Wanderwolke des großen Piraten in die Geschichte eingehen. Wenn du mir treu bleibst und mir immer gehorchst!« Er machte eine Pause und stützte sich auf den Wolkenspeer, der unter seinem Gewicht tiefer in mich eindrang. »Wenn du aber glaubst, dich gegen mich auflehnen zu müssen, dann ...« Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern ließ die Speerspitze in mein Nervenzentrum eindringen. Ein wilder Schmerz durchraste mich und übertrug sich auf meine Kinder ... und als der Schmerz abebbte, war ich wie gelähmt. »Versuche nie, mich zu hintergehen, Wolke«, sagte Darraco eindringlich. »Überlege es dir gut, bevor du etwas gegen mich unternimmst. Und vor allem – schlage dir den Gedanken an Flucht aus dem Sinn.« Seine Drohung hätte mich eigentlich warnen sollen. Aber als er wieder zu den anderen zurückgekehrt war,
da wurde der Gedanke an Flucht in mir noch übermächtiger. Ich lag mit meinen Kindern in einem kleinen Tal, von dem die Schlucht abzweigte, in dem die Piraten ihren bevorstehenden Sieg feierten. Das Tal war umgrenzt von hohen Felsmauern und windgeschützt. Das schränkte mich in meinen Möglichkeiten ein, denn selbst wenn ich allen Ballast abwarf, konnte ich nur langsam an Höhe gewinnen. Dennoch glaubte ich, schnell genug aufsteigen zu können, um außerhalb der Reichweite der Piraten zu gelangen, bevor sie meine Flucht entdeckten. Ich holte meine Kinder enger an mich und ging mit ihnen in die Lüfte. Wir waren schnell zwanzig Mannslängen über dem Boden und noch immer schlugen die Piraten keinen Alarm. Plötzlich jedoch ertönte über mir Darracos zornbebende Stimme. »Habe ich es mir beinahe gedacht, daß du meine Warnung nicht ernst nehmen wirst, Wolke. Aber sei gewiß, ich werde dich Gehorsam lehren.« In den Felswänden rings um das Tal waren überall Piraten aufgetaucht. In welche Richtung ich auch auswich, von überall schnellten die Seile mit den Enterhaken auf mich zu. Einige bohrten sich in mich, und die Piraten verankerten sie in den Felsen. Dann klommen sie an den gespannten Seilen zu mir und
ließen mich ihre Wolkenspeere spüren. Die ganze Nacht hindurch. Danach war mein Widerstand endgültig gebrochen. Der Überfall auf das von Darraco ins Auge gefaßte Bauerndorf verlief nicht viel anders als alle späteren, die ich während meiner zehnjährigen Versklavung noch miterleben sollte. Besondere Bedeutung kommt ihm nur deshalb zu, weil Darraco nicht auf Plünderung von Nahrung und anderen Gütern aus war, sondern weil er es auf die jungen, kräftigen Bauernburschen und -mädchen abgesehen hatte. Die Piraten hatten jederzeit große Verluste, sei es durch die Tiere und Pflanzen der Wilden Zonen, durch Naturkatastrophen und Kämpfe mit gegnerischen Piraten oder eben durch Überfälle wie diesen. Die meisten Piraten verloren aber ihr Leben bei Machtkämpfen innerhalb der eigenen Reihen. Deshalb holten sich Darracos Piraten einmal im Sommer Sklaven aus den Stillen Zonen. So mancher, der heute ein nichtswürdiger Pirat war, hatte noch vor einigen Sommern ein Feld bestellt. Zu solchen Ehren brachte es aber nur einer, der stark genug, grausam genug und verschlagen genug war. Auf wen diese Voraussetzungen nicht zutrafen, der brachte es zu nichts – außer vielleicht zu einem unrühmlichen Ende –
und blieb Zeit seines Lebens ein verachtenswerter Aerzel, ein »Mitreiter«, der zu den niedrigsten Arbeiten angehalten wurde. Dasselbe traf auf die Sklavinnen zu. Entweder sie fanden sich in der Piratensippe zurecht und einen Beschützer, der gerne Kinder mit ihnen geteilt hätte, oder sie kamen über den Stand einer Aerzel nicht hinaus. Darracos Späher hatten berichtet, daß die Bauern gerade Ernte auf ihren Feldern nahe der Wilden Zone hielten. Das traf sich gut, denn mir als Wanderwolke war es nicht möglich, tiefer in eine der Stillen Zonen vorzudringen. Die Felder, von denen die Späher gesprochen hatten, lagen noch innerhalb meiner Reichweite. Der Piratenführer schickte zuerst die sechs Kleinwolken aus, die sich mit einer Handvoll Piraten von Süden her näherten. Als die Bauern ihrer ansichtig wurden, ließen sie alles liegen und stehen und rannten in wilder Panik in die entgegengesetzte Richtung – genau in die Richtung, wo ich mit der Hauptstreitmacht hinter einem Hügel in Deckung gegangen war. Die Bauern liefen Darraco geradewegs in die Hände. Sie wehrten sich zwar mit dem Mut der Verzweiflung, aber gegen die kampferprobten Piraten richteten sie nichts aus.
Bevor noch die Bauern Verstärkung aus der nahen Festung schicken konnten, waren wir schon längst in die Wilde Zone geflüchtet. Mit uns nahmen wir sieben Mädchen und neun kräftige Burschen. Darraco verteilte die Mädchen noch während des Fluges. Sein Erster Wolkenstecher Vericon beanspruchte ein dunkelhaariges, glutäugiges Mädchen, das nicht gewillt war, seinen Namen zu nennen und die Piraten auch sonst mit Verachtung strafte. Darraco entlockte der Stolz des Mädchens nur ein hämisches Grinsen. Er hatte seine eigene Methode, Widerspenstige zu zähmen. Als er jedoch mit der Rechten ausholte, um das Mädchen zu schlagen, stürzte sich einer der gefangenen Burschen auf ihn. Es war der Schmächtigste von ihnen, und es sah so aus, als würde nie etwas aus ihm werden und er das Dasein eines Aerzel auf ewig fristen müssen. Und gerade dieser schwächliche Jüngling wagte es, die Hand gegen Darraco zu erheben! Er sprang den Piratenführer an und verkrallte sich mit den Fingernägeln in seinem Gesicht. Darraco schüttelte ihn ab und wischte sich dann das Blut aus dem Gesicht, in dem die Fingernägel des Jünglings tiefe Furchen hinterlassen hatten. »Überlasse ihn mir«, sagte Vericon, der Erste Wolkenstecher und Segelmeister. Er packte den
Burschen bei den Haaren und drückte ihm den Kopf in den Nacken, während er gleichzeitig ein langes Messer aus dem Gürtel zog. »Nein!« schrie das Mädchen in diesem Augenblick. »Ich flehe Euch an, tut meinem Bruder nichts zuleide. Schenkt ihm das Leben und ich will für immer Eure Dienerin sein.« »Halt den Mund, Cyrinal« herrschte ihr Bruder sie an. »Ich werde nicht zulassen, daß du dich meinetwegen diesen Bastarden opferst. Das ist Männersache, misch dich nicht ein.« »Ho, ho!« grölte Darraco, den die Situation sichtlich zu amüsieren begann. »Hältst du dich denn für einen Mann?« Die Piraten stimmten ein ungestümes Gelächter an. »Ihr seid jedenfalls keine Männer«, rief ihnen der schwächliche Jüngling zu. »Sonst würdet ihr euch nicht an wehrlosen Mädchen vergreifen. Ihr seid Feiglinge, jawohl. Auch du, der du diese Bande von ehrlosen Halunken anführst. Oder wagst du es, dich mit mir im Zweikampf zu messen?« Diese Herausforderung war dazu angetan, Darraco zu verblüffen. Er hätte den Bauernlümmel zwischen seinen Händen zermalmen können, ja, er hätte es sogar mit bloßen Händen und mit verbundenen Augen gegen ihn aufnehmen können. Warum forderte er ihn heraus? Die einzige Antwort war, daß der Jüngling im
Angesicht des unabwendbaren Todes die winzige Möglichkeit wählte, seinen Tod hinauszuzögern. Darraco schlug ihm erst einmal über sein keckes Maul. Dann umfaßte er ihn mit einer Hand am Hals, daß ihm schier die Luft wegblieb und zerrte ihn zum Rand. Der Jüngling verlor alle Farbe im Gesicht, als er über mich hinaus in die Tiefe blickte. »Ich könnte dich augenblicklich hinunterstoßen«, sagte Darraco. »Du hättest diese Strafe verdient. Aber das wäre mir zu einfach. Du sollst Gelegenheit haben, zu deinem Wort zu stehen. Du wirst im Kampf auf Leben und Tod gegen einen Mann deiner Wahl antreten. Aber damit der Zweikampf nicht ungleich ist, werde ich zuvor einen Mann aus dir machen. Denn wie du jetzt bist, wärest du eine Verhöhnung für jeden Gegner ...« Darraco hatte den Jüngling losgelassen. Das wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden. Der Bauernbursche holte mit seiner Faust aus und schlug Darraco damit in den Unterleib, machte einen Schritt nach vorne, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren – und trat ins Leere. Es wäre verloren gewesen, wenn ich ihn nicht mit einem Tentakel aufgefangen und ihn wieder an seinen Platz zurückgestellt hätte. Darraco ließ sich nichts von seinen Gefühlen
anmerken – wenn er Todesangst ausgestanden hatte, dann zeigte er es jedenfalls nicht. Er wirkte nicht einmal wütend, als er den Jüngling anstarrte, der nun zitternd vor ihm zurückwich. »Wie heißt du?« fragte ihn Darraco. »Nifrego.« »Ich mache dich zu meinem Beutesohn, Nifrego.«
3.
Die Piraten nahmen Darracos Entschluß mit Staunen, ja sogar mit Unwillen auf. Wenn man einen Sklaven zu seinem Beutesohn machte, dann nur, wenn er sich durch eine heldenhafte Tat oder durch besondere Treue zu seinem Herrn ausgezeichnet hatte. Aber Nifrego hatte versucht, Darraco heimtückisch zu töten. Niemand verstand das Verhalten des Piratenführers. Aber ich glaube, erkannt zu haben, warum Darraco den schmächtigen Jüngling zu seinem Beutesohn erklärte. Nifrego besaß einen eisernen Kern. So schwächlich und zerbrechlich er körperlich auch wirkte, tief in seinem Herzen war er stark. Und noch
eine Eigenschaft besaß er, die Darraco beeindrucken mußte, weil auch er sie besaß. Nifrego war in der Anwendung von Mitteln nicht wählerisch. Darraco mußte damals erkannt haben, daß Nifrego all das besaß, was ein Pirat zum Erfolg brauchte – nur eben nicht die erforderliche Körperkraft, um sich in dieser brutalen Welt durchzusetzen. Aber Darraco hatte gesagt: »Ich werde dich zum Mann machen.« Und er tat alles, um sein Versprechen zu halten. Zuerst war Nifrego widerspenstig, wie ich es gewesen war. Doch Darraco kannte die richtigen Mittel – und wandte sie auch in der richtigen Reihenfolge an – um ihn erkennen zu lassen, wie sinnlos sein Widerstand war. Darraco demütigte seinen Beutesohn. Er ließ ihn die schlimmste Schmutzarbeit verrichten und schlug ihn zur Belohnung. Darraco machte Nifregos Schwester seinem Ersten Wolkenstecher zum Geschenk und zwang seinen Beutesohn, dazu sein Einverständnis zu geben. »Warum läßt du es zu, daß man deine Schwester verschachert?« fragte der Piratenführer dann Nifrego. »Noch vor wenigen Tagen hättest du dein Leben für ihre Ehre hingeworfen.« »Ich bin dein Knecht«, sagte Nifrego.
»Nein, mein Beutesohn«, berichtigte Darraco. »Aber nicht deshalb hast du dich meinem Willen gebeugt. Ich werde dir sagen, warum du es getan hast. Du bist bereit, alle Demütigungen hinunterzuschlucken und so zu tun, als hätte ich deinen Willen gebrochen. Aber dabei wartest du nur auf die Gelegenheit, mich zu töten.« »Eines Tages wird sich mir diese Gelegenheit auch bieten«, sagte Nifrego. Ich dachte, daß Darraco ihn auslachen würde, doch der Piratenführer sagte mit ernstem Gesicht: »Eines Tages werde ich dir diese Gelegenheit geben, aber dann wirst du nicht imstande sein, die Waffe gegen mich zu erheben.« Darraco setzte seine Bemühungen fort, aus Nifrego einen »ganzen Mann« zu machen – oder zumindest zu dem, was er darunter verstand. Die Tage gingen dahin, Nifrego mußte weiterhin die schwerste Arbeit verrichten, und er durfte nicht einmal dann ruhen, wenn den anderen Sklaven Rastpausen gegönnt wurden. Darraco erreichte damit immerhin etwas: An Nifregos Armen und Beinen begangen sich Muskeln zu bilden, sein Brustkorb gewann an Umfang, und sein Nacken wurde breiter. Einmal schlug er sich mit einem anderen Aerzel, der eine beleidigende Bemerkung über seine Schwester
gemacht hatte, und brach ihm im Zweikampf das Genick. »Du kämpfst immer noch wie ein Bauer«, sagte Darraco, der zufällig Zeuge des Vorfalls geworden war und die Aerupen, die Krieger, am Einschreiten gehindert hatte. »Das reicht aus, um einen Sklaven zu besiegen, aber nicht, um es gegen einen geschulten Krieger aufnehmen zu können.« »Wenn ich mich im Umgang mit Waffen üben könnte, dann würde ich es in dreißig Tagen gegen deinen besten Aerupen aufnehmen.« »Das sind große Worte, die du beweisen mußt. Ich selbst werde dich in der Kunst des Waffengebrauchs unterrichten.« Darraco war ein guter Lehrmeister und Nifrego ein gelehriger Schüler. Der Piratenführer veranstaltete mit ihm Messerkämpfe, wobei sich Darraco mit einer harmlosen Nachbildung aus Stein begnügte und Nifrego eine scharfe Klinge bekam. Darraco war sich klar darüber, daß Nifrego ihn töten würde, wenn er sich nur die kleinste Blöße gab. Doch Darraco war ein zu erfahrener Kämpfer. Er machte Nifrego vor den Zuschauern lächerlich, indem er ihn immer wieder ins Leere laufen ließ, versetzte dem Stolpernden Tritte und verhöhnte ihn noch zusätzlich, um seine Wut noch mehr anzustacheln ...
Nifrego ging bei Darraco durch eine harte Schule, aber er lernte in diesen dreißig Tagen mehr als andere Krieger in ihrem ganzen Leben. Am Ende seiner Lehrzeit beherrschte er jede Waffe, von Pfeil und Bogen über das Blasrohr bis zum Wurfmesser gleichermaßen gut. Ihm fehlte nur noch die Übung, um sich in diesen Waffengattungen zu vervollkommnen. Niemand zweifelte unter den Piraten mehr daran, daß in Nifrego das Zeug zu einem guten Aerupen steckte. Das stellte der Erste Wolkenstecher und Segelmeister Vericon mit besonderem Unbehagen fest, denn er glaubte nicht, daß Nifrego es ihm jemals verzeihen würde, daß er seine Schwester Cyrina erschlagen hatte, weil sie sich ihm widersetzt hatte. Nicht, daß Verico ein Kräftemessen mit Nifrego zu fürchten gebraucht hätte, aber er war eben Darracos Beutesohn und deshalb für jedermann ein »Unberührbarer«. Andererseits war es möglich, daß sich Nifrego nicht an die Gesetze hielt, wonach es ein tödliches Vergehen war, Hand an einen der nächsthöheren Kaste zu legen, wenn dieser nicht die Herausforderung sprach. Vericon traute Nifrego einen Meuchelmord ohne weiteres zu, und deshalb hatte der Erste Wolkenstecher unruhigere Nächte, seit Darracos Beutesohn die Handhabung von Waffen gelernt hatte. Völlig unbeschwert dagegen nahm dies Erpota zur Kenntnis. Das war jener Krieger, den Nifrego zum
Zweikampf herausgefordert hatte. Ich brachte die Piraten an den Rand einer Stillen Zone in ein unbewohntes Tal, das von einem breiten Strom durchquert wurde. In der Mitte des reißenden Flusses ragte ein zerklüfteter Felsen heraus. Dort sollte der Zweikampf stattfinden. Eines meiner Kinder brachte die beiden Gegner zum Felsen. Jeder von ihnen war mit einer Fangschlinge und einem Messer ausgerüstet. Sie belauerten sich nicht erst lange, sondern gingen sofort aufeinander los. Nifrego war jedoch der Klügere von beiden, das wurde sofort ersichtlich, als er sich mit dem Rücken zur tiefstehenden Sonne stellte. Erpota war entweder zu siegessicher, oder er wurde sich erst später dieser Benachteiligung bewußt. Jedenfalls behinderte ihn der Schein der Sonne, und er konnte seinen Gegner nie genau sehen. Er merkte es auch nicht, daß Nifrego seine Fangschlinge ausgeworfen hatte und er genau hineintrat. Nifrego zog die Fangschlinge sofort an. Erpota wurde das Bein unter dem Körper weggerissen, und er stürzte vom Felsen in die Fluten. »Kannst du schwimmen, Erpota?« rief Nifrego ihm zu. »Nein«, erwiderte Erpota prustend und spuckend und verzweifelt mit den Armen um sich schlagend. Erpota hatte es kaum gesagt, da ließ Nifrego die
Fangschlinge los, und der Aerupe wurde von der reißenden Strömung fortgespült. Nifrego wandte sich den Piraten zu und blickte Darraco fest in die Augen, der ob des Sieges seines Beutesohnes mit stolzgeschwellter Brust dastand. Nifrego sagte nur: »Ich kann schwimmen.« Dann sprang er in die Fluten und ließ sich bis hinunter zum Dschungel treiben, wo er das Ufer aufsuchte und im dichten Pflanzenwerk untertauchte. Darraco machte sich auf einem meiner Kinder sofort an die Verfolgung. Was sich bei dieser wilden Jagd abspielte, erfuhr ich nicht, denn Darraco verließ schon bald die Kleinwolke und setzte den Weg zu Fuß fort. Suchkommandos, die sofort ausgeschickt wurden, stießen nach drei Tagen auf die beiden. Sie waren dem Tode näher als dem Leben, aber nach drei weiteren Tagen waren sie wieder halbwegs wohlauf. Nur – Nifrego hatte sich verändert. Nifrego war jetzt ein Aerupe. Er durfte schon den nächsten Raubzug mitmachen, der sieben Tage später an der Meeresküste im Norden stattfand. Ich habe ihn beobachtet – er ging grausamer und brutaler gegen die Tempeldiener des Tiergötzen Vayay vor als alle anderen und war schrecklicher und gnadenloser als selbst Darraco.
War es dem Piratenführer auf irgendeine Art und Weise während ihres Beisammenseins im Dschungel gelungen, Nifrego nach seinem Willen zu formen? Es schien so, und doch glaube ich nicht, daß Darraco seinen Beutesohn endgültig für sie gewonnen hatte. Und ich behielt recht. Nach dem Raubzug gegen die Tempel des Götzen Vayay, der den Piraten neben wertvoller Beute auch noch eine Schar exotischer Priesterinnen einbrachte, fand die Siegesfeier auf einem der Küste weit vorgelagerten Korallenriff statt. Ich selbst brachte sie dorthin und bildete dann mit meinen Kindern unter der Bewachung von drei Wolkenstechern ein Dach über dem Riff. Es hatte zu regnen begonnen, doch es war ein Unwetter ohne Blitz, so daß ich nichts zu befürchten hatte. Und hier versuchte Nifrego zum zweitenmal, den Piratenführer zu töten. Wieder war ich es, die das verhinderte. Und wieder tat ich es nicht deshalb, weil mir an Darraco etwas lag, sondern weil bestimmt kein besserer Nachfolger für ihn gekommen wäre. Indem ich ihm das Leben rettete, stieg ich wenigstens in seiner Gunst und durfte mir von ihm eine bessere Behandlung erwarten. Dabei dachte ich allerdings nicht, daß ich dadurch Nifregos Haß auf mich lenken könnte. Aber ich will den Geschehnissen nicht vorgreifen.
Es war gegen Ende des Festes, die meisten Piraten waren am Rande der Volltrunkenheit. Darraco war am Busen einer Vayay-Priesterin eingeschlafen, als sich ihm Nifrego näherte. Niemand war in der Nähe, der den Piratenführer hätte beschützen können. So machte ich mich bereit. Nifrego blickte von dem völlig verstörten Mädchen auf den Piratenführer. Er blickte ihn lange an. Dann zog er den Dolch und setzte ihn Darraco über dem Herzen an. Als ich sah, daß sich die Armmuskeln von Nifregos Rechter anspannten, schleuderte ich einen kindskopfgroßen Felsbrocken auf ihn, der seinen Schädel traf und ihn augenblicklich fällte. Darraco sprang blitzschnell auf, reckte die geballte Faust zu mir herauf und rief wütend: »Was mischt du dich in meine Familienangelegenheiten, Wolke! Hältst du mich für so einen Tölpel, daß ich mich wirklich ahnungslos hinlege. Ich war die ganze Zeit über wach und wollte Nifrego nur auf die Probe stellen.« Nach einer Weile hatte sich sein Zorn gelegt, und er sagte mit einem nachdenklichen Blick auf seinen bewußtlosen Beutesohn: »Ich glaube, er hätte es tatsächlich getan.« Wovon ich überzeugt war. Am nächsten Tag, zur Mittagsstunde, als wir wieder zum Festland aufbrachen, tat Darraco so, als sei nichts
vorgefallen. Während des Fluges in die Wilde Zone fragte er seinen Beutesohn: »Willst du dich damit begnügen, ein Wolkenreiter zu bleiben, Nifrego?« »Nein«, sagte Nifrego gepreßt und betastete die Beule auf seinem Kopf. »Ich möchte ein Wolkenstecher werden – und zwar der beste.« Damit begann Nifregos Ausbildung zum Aeruskorten. Er war überaus klug und auch auf dem Gebiet des Wolkenstechens ein gelehriger Schüler, nur – wie soll ich das sagen? – ging er viel zu brutal ans Werk. Er begriff sehr wohl, worauf es beim Wolkenstechen ankam, aber er tat des Guten, oder besser gesagt, des Schlechten zuviel. Und das bekam ich schmerzhaft zu spüren. Wenn er mich durch einen Speerstich dazu bringen wollte, nördlichen Kurs einzuschlagen, wenn sein Speer eines meiner Nervenzentren traf, wodurch ich veranlaßt wurde, Segel zu setzen, oder wenn er mich nur zu größerer Geschwindigkeit antreiben wollte – immer tat er es so, daß es schmerzhaft für mich war. Wenn er als Wachtposten eingeteilt wurde, dann lähmte mich sein Wolkenspeer so, daß ich zu überhaupt keiner Bewegung fähig war und der Schmerz so übermächtig wurde, daß ich nicht einmal einen klaren Gedanken fassen konnte. Einmal zwang er mich durch Reizung meiner Sinne
dazu, soviel Wasser aufzunehmen, daß ich beinahe geplatzt wäre und durch mein Gewicht nur mit Mühe wenigstens knapp über dem Boden dahinfliegen konnte. Das alles konnte jedem Anfänger passieren, der die Kunst des Wolkenstechens erlernte. Doch bei Nifrego war das anders. Ich wußte, daß er mir Schmerzen zufügen wollte und erkannte auch schnell den Grund: Er wollte mich auf diese Weise dafür bestrafen, daß ich ihm schon einmal eine Niederlage zugefügt und Darracos Leben gerettet hatte. Er haßte mich, und dieser Haß lebte auch dann noch fort, als Nifrego seinen Beutevater schon längst lieben und achten gelernt hatte. Jawohl, es gelang Darraco, seinen Beutesohn für sich zu gewinnen. Aber ich muß mich berichtigen, Liebe und Achtung war dabei nicht im Spiel. Nifrego konnte ebensowenig lieben wie Darraco, darin waren sie sich gleich – wie sie einander überhaupt immer ähnlicher wurden, je länger sie beisammen waren. Sie waren fast wie Vater und Sohn, standen zueinander aber mehr wie zwei Kampfgefährten, von denen einer ohne den anderen nicht auskommen konnte. Bis es aber soweit war, gingen zwei Sommer ins Land. Darraco hatte Nifrego noch einmal auf die Probe gestellt. Einmal waren sie auf einer Kleinwolke zu
einem Erkundungsflug gestartet, nur sie beide allein. Von der Wolke erfuhr ich, daß Darraco in einem lebensfeindlichen Gebiet Nifrego allein auf der Wolke zurückgelassen hatte. Die Gelegenheit wäre für Nifrego günstig zur Flucht gewesen. Doch er wartete Darracos Rückkehr ab. Als der Piratenführer aus dem Dschungel trat, hatte sein Beutesohn das Blasrohr auf ihn gerichtet. »Ich könnte dich jetzt spielend töten«, sagte Nifrego. »Und warum tust du es nicht?« wollte Darraco wissen. »Wer sagt, daß ich es nicht tun werde?« »Ich lese es an deinen Augen ab ...« Da blies Nifrego in das Mundstück des Blasrohrs, die gefiederte Nadel schoß heraus, strich einen Fingerbreit an Darracos Gesicht vorbei und bohrte sich zwischen den vier Augen eines Untiers in dessen Gehirn. »Warum hast du mir das Leben gerettet?« wollte Darraco wissen, nachdem er auf die Wolke zurückgekehrt war. »Tötet ein Mann auf so feige Art seinen verhaßtesten Feind?« lautete Nifregos Gegenfrage. »Ich werde warten, bis ich stark genug bin, dich im Zweikampf zu töten!« Aber zu diesem Zeitpunkt war Darraco schon längst nicht mehr Nifregos Feind, nur wußten es beide noch
nicht. Darracos zweite Probe für seinen Beutesohn bestand darin, daß sich der Piratenführer absichtlich in Lebensgefahr begab, aus der er sich aus eigener Kraft nicht hätte retten können. Sie unternahmen wieder zu zweit einen Erkundungsflug zu einer Stillen Zone, in der ein mächtiges Volk lebt, in dessen Gebiet sich vorher noch nie eine Piratensippe gewagt hatte. Man erzählt sich, daß dieses Volk unter dem Schutz von Vesta, dem Herrn der Elemente, steht. Darraco wollte dieses Gerücht nicht glauben und sich mit eigenen Augen von den Gegebenheiten in diesem sagenhaften Land überzeugen. Auf dem Flug zu dieser Stillen Zone mußten sie auch das Land der wandernden Steine überqueren. Hier war die Wilde Zone am wildesten, obwohl es keine ungeheuerlichen Tiere oder Pflanzen gab, hier gab es überhaupt kein Leben, denn die wandernden Steine zermalmten alles, was sich regte oder bewegte. Das Land war hier so zerklüftet wie das Hochland der Himmelsberge – und überall waren die wandernden Steine zu sehen, deren Größe von der einer Faust bis zu der einer Kleinwolke reichte. Wenn es still war, dann lagen die Steine einfach da. Sie sahen aus wie ganz normale Steine. Doch wenn auch nur das leiseste Geräusch aufkam – und da
genügte schon das Pfeifen des Windes – gerieten die Steine in Bewegung. Ein Vogelschrei ließ die Steine von der Größe einer Faust ins Rollen kommen, der Schrei eines Mannes konnte die Steine seiner Größe zum Wandern bringen und ein Donnergrollen konnte hier kleine Berge versetzen. Die Steine folgten immer dem Ursprung des Geräusches, sie bewegten sich dabei aber nicht in gerader Linie, sondern im Zickzack. Da sie dabei selbst Geräusche verursachten, lockten sie wiederum andere Steine an, setzten noch größere in Bewegung, so daß es ständig zu Zusammenstößen kam – und der dabei entstehende Lärm brachte immer größere Steine zum Wandern. Oftmals genügte ein einziger Knall, um das Land der wandernden Steine in Aufruhr zu versetzen. Die Steine rollten bergauf, gegen die Strömung von Flüssen, wanderten schmale Grate entlang, senkrechte Felswände hinauf und hinunter und setzten sogar über Schluchten hinweg. Als der Piratenführer mit seinem Beutesohn über dieses Land des Todes hinwegflog, veranlaßte Darraco die Kleinwolke dazu, einige dürre Äste herunterregnen zu lassen, die als Zunder für die Lagerfeuer dienten. Der Aufprall der Äste auf dem Boden und das dabei entstehende Geräusch setzte zuerst nur das Geröll in Bewegung. Dabei kam es zu unvermeidlichen
Zusammenstößen, und der folgende Lärm brachte immer größere Felsen zum Wandern. Als nach einiger Zeit die wandernden Steine wieder zur Ruhe gekommen waren, ging Darraco mit der Wolke tiefer. Er deutete über ihren Rand zu Boden, und Nifrego konnte sich davon überzeugen, daß die vormals oft mannslangen Äste zu kleinen Spänen und Holzmehl zermalmt worden waren. Darraco beugte sich dabei zu weit über die Wolke hinaus, was er mit Absicht tat, und stürzte daraufhin in die Tiefe. Der Schrei, der dabei über seine Lippen kam, brachte das Geröll zum Wandern, und als er aufprallte, wurde er von den rollenden Steinen davongetragen, wie von der Strömung des Flusses. Nifrego war im ersten Moment vor Schreck und Überraschung wie gelähmt, aber er verhielt sich selbst in diesem Augenblick mustergültig. Darraco hatte ihm gesagt, daß die wandernden Steine auf jedes Geräusch ansprachen, und Nifrego gab keinen Laut von sich. Ein einziger Schrei von ihm hätte Darracos Todesurteil besiegeln können, doch er machte von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch. Er blieb still und abwartend. Wahrscheinlich hoffte er auch, daß sich die wandernden Steine wieder von selbst beruhigen würden. Doch als er sah, daß immer mehr und größere von ihnen in Bewegung gerieten, da handelte er.
Er steuerte die Wolke dem davontreibenden Darraco nach und setzte den Speer so ein, daß die Wolke gleichmäßig über dem Piratenführer dahinflog. Dann warf er eine Fangschlinge. Sie erreichte Darraco zwar, doch war der Wurf insofern mißglückt, weil sie sich um seinen Hals legte. Nifrego blieb dennoch nichts anderes übrig, als den Piratenführer daran hochzuziehen, weil aus zwei Richtungen mannsgroße Steine heranrollten, die ihn zwischen sich zerdrückt hätten. Der Pirat baumelte nun einige Augenblicke mit der Schlinge um den Hals von der Wolke. Sein Gesicht verfärbte sich bereits bläulich und Blut quoll aus der Wunde, die ihm die Schlinge schnitt. Es hätte nicht mehr lange gebraucht, bis Darraco sein Leben ausgehaucht hätte. Doch Nifrego tat alles, um Darracos Tod zu verhindern. Er veranlaßte die Wolke durch geschicktes Handhaben des Speeres dazu, daß sie ihre Tentakel ausfuhr, Darraco einfing und ihn sich auf den Körper hob. Nifrego setzte den Erkundungsflug nicht mehr fort, sondern kehrte ins Piratenlager zurück. Als Darraco zu Bewußtsein kam, sagte er als erstes: »Morgen sollst du die Prüfung als Aeruskorte ablegen.« Es verdient keiner besonderen Erwähnung, daß Nifrego die Prüfung meisterlich bestand. Er mußte eine
Wolke, die ich erst vor wenigen Tagen geteilt hatte und die überhaupt noch keine Lebenserfahrung besaß, in eine von Stürmen und Blitzen heimgesuchte Gewitterfront und wieder heraus lenken. Nifrego kam unbeschadet wieder zurück, die Kleinwolke aber – mein Kind – überlebte dieses Abenteuer nicht und ging bald darauf in Skortsch ein. Bei seiner Rückkehr fragte Nifrego den Ersten Wolkenstecher: »Wie wird man Erster Segelmeister, Vericon?« »Wenn du wartest, bis ich an Altersschwäche sterbe, dann könntest du Erster Wolkenstecher werden«, sagte Vericon herablassend. »Und wenn ich nicht länger warten will?« »Dann mußt du mich besiegen, um meinen Platz einnehmen zu können.« »Das wird mir nicht schwerfallen.« Bevor die Frage jedoch entschieden wurde, ob wir einen neuen Ersten Wolkenstecher bekämen oder nicht, wurde das Problem der Nachfolge für unseren Propheten Efftriar aufgeworfen. Denn Efftriar lag im Sterben.
4.
So niederträchtig, grausam und erbarmungslos die Piraten waren – so abergläubisch waren sie auch. Bevor sie auf Raubzug gingen oder ein Urteil über einen Gefangenen fällten, befragten sie vorher immer ihren Propheten. Ein Prophet hatte die Macht, dem Piratenführer, dem er diente, zu Ruhm zu verhelfen, oder ihn zu Fall zu bringen. Deshalb suchte sich ein kluger Piratenführer einen Propheten nach zwei Gesichtspunkten aus. Erstens mußte er ihm natürlich treu sein, damit er nicht gegen ihn intrigierte. Zweitens mußte er ein geschickter Gaukler sein und einen unerschöpflichen Vorrat an Tricks haben. Beides traf auf Efftriar zu, und Darraco hatte ihm viel zu verdanken. Als der Piratenführer an diesem Abend jedoch den Propheten aufsuchte, empfing ihn dieser mit den Worten: »Es geht mit mir zu Ende, Darraco. Wenn du meine Dienste noch einmal beanspruchen möchtest, dann mußt du dich beeilen.« Efftriar hatte sich von den anderen zurückgezogen und saß, in ein Fell gehüllt, obwohl es eine laue Nacht
war, abseits des Lagers an einem einsamen Feuer. »Das kannst du mir nicht antun, Efftriar«, sagte Darraco. »Du kannst mich nicht einfach im Stich lassen. Bevor du dein Leben aushauchst, solltest du wenigstens einen Nachfolger für dein Amt finden.« »Ich habe mir den Zeitpunkt meines Abgangs nicht ausgesucht. Wenn es nach mir ginge ...« Efftriar verstummte. Nach einigen schweren Atemzügen fügte er hinzu: »Vestas Wege sind unergründlich, sein Wille ist göttlich.« Darraco setzte sich neben den haarlosen Alten, der trotz der Wärme des Feuers zitterte. »Du tust ja gerade so, als glaubtest du selbst schon den Unsinn, den du für meine Leute verzapfst«, sagte der Piratenführer. Der Alte starrte schweigend ins Feuer. Schließlich sagte er: »Warum hast du mich aufgesucht, Darraco?« »Ich bin nicht zu dir als Propheten gekommen, sondern weil ich dich auch als weisen Mann schätze«, antwortete Darraco. »Mich beschäftigt eine Frage, auf die ich gerne eine Antwort bekommen hätte.« »Dann beeile dich, diese Frage an mich zu richten, solange ich noch in der Lage bin, dir zu antworten.« »Es geht um Nifrego«, sagte Darraco. »Ich werde aus diesem Burschen nicht klug.« »Bist du mit ihm unzufrieden?« wunderte sich Efftriar. »Er ist ein gelehriger Schüler gewesen. Du hast
aus ihm einen Mann gemacht, sowohl körperlich als auch in seiner geistigen Haltung. Er ist zu deinem besten Kämpfer geworden und beherrscht auch das Wolkenstechen wie kaum ein anderer.« »Das alles mag zutreffen, aber habe ich ihn auch wirklich so geformt, wie ich es wollte?« »Warum bezweifelst du das?« »Nun – als ich Nifrego zu meinem Beutesohn machte, da gelobte er, mich zu töten. Er hat dies auch zweimal versucht. Doch später hat er einmal mein Leben verschont und es mir einmal gerettet. Ich möchte wissen, warum er das tat, Efftriar. Tat er es nur, um mich zu täuschen und um sich später doppelt grausam an mir zu rächen? Oder rettete er mich um meinetwillen? Das muß ich wissen, Efftriar.« Der Alte ließ nicht lange mit seiner Antwort warten. »Nifrego hat früher ein gänzlich anderes Leben geführt. Er hatte Ideale und Ziele, die einem Piraten völlig fremd sind. Du hast ihn aus diesem Leben gerissen, deshalb haßte er dich. Du hast ihm dieses erste Leben zerstört und ihm dafür ein anderes gegeben. Jetzt erkennt er, daß er für das Leben als Pirat besser geschaffen ist als für das eines Bauern – und er ist dir dafür dankbar.« »Du meinst also, daß er mir das Leben gerettet hat, weil er sich mir verbunden fühlt, Efftriar?« »Ja, dessen bin ich gewiß.«
Darraco atmete auf. »Du hast eine große Last von mir genommen, Efftriar.« »Kann ich noch etwas für dich tun. Darraco?« »Ja, und zwar in deiner Eigenschaft als Prophet. Du weißt, daß ich einen Überfall auf das Volk der Atheker plane, das die Stille Zone in der Mitte unserer Welt bewohnt. Die Atheker gelten als unüberwindlich – aber gerade deshalb reizt mich diese Sache. Meinen Leuten gefällt das weniger, zumal sie schon viele Legenden über die Unbesiegbarkeit der Atheker gehört haben.« »Daran wird etwas Wahres sein, Darraco«, meinte Efftriar mit schwacher Stimme. »Ich habe in meinem langen Leben noch nie gehört, daß es einem Piraten oder einem Heerführer gelungen wäre, in Atheka einen Sieg zu erringen.« »Ich werde der erste sein, der die Ahteker besiegt«, behauptete Darraco. »Ich habe Erkundigungen eingezogen und weiß auch schon, wie ich vorgehen muß, um reiche Beute zu machen. Es gilt jetzt nur noch, meinen Leuten die Unbesiegbarkeit der Atheker auszureden. Dafür brauche ich dich, Efftriar. Mit ein bißchen Zauberei und einigen deiner Tricks sollte es dir gelingen, die Männer davon zu überzeugen, daß Aerula uns nur dann wohlgesonnen bleibt, wenn wir die Atheker um einige Reichtümer erleichtern.« »Gut, wenn du es verlangst, werde ich die
Elementargeister anrufen. Aber ich kann dir noch nicht sagen, wie ihre Antwort ausfallen wird.« Darraco packte Efftriar an der Kehle. »Die Antwort wird nach meinem Wunsch sein. Lasse dir nur nicht einfallen, Aerula irgend etwas in den Mund zu legen, was gegen meine Pläne ist. Ich will Atheka plündern, und der allmächtige Luftgeist wird mir seinen Segen dazu geben. Hast zu verstanden, Prophet?« »Ja, Darraco«, sagte Efftriar. »Aerula wird mit dir sein.« Alle dreihundert Männer und Frauen aus Darracos Mannschaft hatten sich um das Lagerfeuer geschart, das in der Mitte der unzugänglichen Hochebene am Rande der Himmelsberge entfacht worden war. Das Fest nahm seinen normalen Verlauf, bis Efftriar erschien. Auf den Spießen drehten sich halbe Ochsen, die noch vom letzten Raubzug stammten. Ich schenkte mit einem meiner Rüssel Wein aus, den ich in einer meiner Vorratskammern lagerte und den Darraco für sich selbst und für besondere Anlässe aufbewahrte. Die Aerzel rannten geschäftig hin und her und mußten sich, obwohl sie ihr Bestes gaben, wie immer von den Wolkenreitern und den Wolkenstechern Beschimpfungen und Fußtritte gefallen lassen. Aber im großen und ganzen ging es noch recht friedlich zu, weil Darraco seine Piraten ermahnt hatte, nicht über den
Durst zu trinken und auch nicht anzudeuten vergaß, daß der Prophet heute noch in Erscheinung treten würde. Selbst Nifrego und Vericon, deren Feindschaft seit Nifregos Herausforderung offen zutage getreten war, gingen sich aus dem Wege, um nicht aneinanderzugeraten. Dazu muß gesagt werden, daß Nifrego von den beiden der Besonnenere war. Und dann erschien Efftriar am Lagerfeuer. Er war immer noch in das Fell gehüllt, das er vorne mit den Händen zusammengerafft hatte. Er ging gebeugter als sonst, wirkte kraftlos und niedergeschlagen, sein Gesicht war vom Tode gezeichnet. Nur in seinen Augen loderte noch ein schwaches Feuer, das an seine Weisheit und Klugheit vergangener Tage gemahnte. Jetzt war Efftriar nur noch ein alter Mann. Das hatten sicherlich viele gemerkt, dennoch ließen sie ihm die ihm zustehende Hochachtung angedeihen. Denn sie wußten, daß Propheten in den letzten Augenblicken ihres Lebens nicht selten ihre großen Leistungen vollbrachten. Es schien, als wolle Aerula sie vor ihrem Abgang aus dieser Welt noch einmal belohnen, damit sie ein gutes Andenken bei den Überlebenden hinterließen. Efftriar mußte von zwei Aerupen gestützt werden, als er sich ganz nahe der Flammen im Kreise der Versammelten setzte.
Die Gespräche waren schon längst verstummt, andächtiges Schweigen hatte sich über die Runde der Piraten gesenkt. Darraco nahm hinter Efftriar Platz und raunte ihm bei passender Gelegenheit zu: »Vergiß nicht, Aerula dazu zu veranlassen, daß er uns den Segen für den Überfall auf die Atheker gibt.« Efftriar gab keine Antwort. Feierlich breitete er seine Utensilien vor sich aus. Es handelte sich um einige Lederbeutel mit verschiedenen Pulvern darin, einen faustgroßen Stein, der ein unheimliches Leuchten von sich gab und der von einem Feuerberg ausgespien worden war; einen Klumpen seltener Erde, der ständig sein Aussehen veränderte; einen fingerlangen Wassertropfen, der sich nie auflöste und nie verdunstete; und einige ständig ihre Farbe verändernde Tierknochen als Sinnbilder des Lebensgeistes Vitu. Efftriar baute die Göttersymbole so vor sich auf, daß sie in etwa die Gestalt von Vesta, dem Herrn der Elemente darstellten. Dabei gab er einen unverständlichen Singsang von sich. Niemand wußte, ob es sich um Worte einer alten Sprache, vielleicht der Sprache der Götter selbst, oder um sinnlose Laute handelte, die nur in ihrer besonderen Aneinanderreihung eine Bedeutung besaßen. Der erste Höhepunkt in Efftriars Zeremoniell war, als er den seltenen Erdbrocken in die Flammen warf.
»Erthu, wir rufen dich«, sagte Efftriar dabei. Als der Erdbrocken in die Flammen fiel, wurde er auf einmal größer, vervielfachte seinen Umfang und wurde zwischen den Flammen hin und hergeschleudert, so als würden sie ihn abstoßen. »Entfesselter Erthu, der du dich von Skortsch für immer getrennt hast und als Erdgeist über diese Welt wachst – gibt deinen Gläubigen ein Zeichen!« Durch die Reihen der Piraten ging ein Raunen, als sich auf der Oberfläche des Erdbrockens, der nun eine volle Armlänge durchmaß, Bilder abzuzeichnen begannen. Sie waren verschwommen und wirbelten so schnell durcheinander, daß man keine Einzelheiten sehen konnte. Doch Efftriar hatte die Gabe, diese Bilder zu deuten. »Ich sehe ein Land, das groß und reich ist. Die Menschen, die dort leben, besitzen ungeahnte Schätze, die sie hinter dicken Mauern verbergen. Ihre Getreidekammern sind zum Bersten gefüllt, auf den saftigen Weiden grast gutgenährtes Vieh ... Der Wohlstand hat diese Menschen träge und zufrieden gemacht – aber auch feige ... Es ist das Land Atheka.« Wieder erhob sich ein Gemurmel unter den Piraten; einer versicherte dem anderen, daß er das Land Atheka durch Efftriars Augen gesehen habe. Ich konnte nichts dergleichen erkennen, sondern sah nur den aufgeblähten Erdbrocken, der wie ein Irrwisch
in den Flammen herumschoß. Darraco mochte es ebenso ergangen sein, denn das Schauspiel erregte ihn überhaupt nicht. Aber er machte ein zufriedenes Gesicht – der Prophet beeinflußte die abergläubischen Piraten ganz in seinem Sinne. »Skortsch, wir rufen dich!« sagte Efftriar und warf den strahlenden Stein in die Flammen. Dort blieb er liegen, und das Lagerfeuer bekam eine grünliche Farbe. »Entfesselter Skortsch, hier übergebe ich dir jenen heiligen Stein als Pfand, den du mir Sterblichen zum Geschenk gemacht hast. Lege deine Kraft in ihn, auf daß er uns den Weg zeigen möge, den wir als nächstes gehen sollen.« Für einige Atemzüge verfiel Efftriar wieder in seinen Singsang. Er hatte kaum geendet, als es plötzlich einen Knall gab, der die Piraten zusammenzucken ließ, und der Erdbrocken und der strahlende Stein wurden aus dem Lagerfeuer geschleudert. Sie flogen fünf Mannslängen weit in nördliche Richtung. Dort lag das Land Atheka. »Skortsch hat uns den Weg nach Atheka gewiesen!« murmelten die Piraten ehrfürchtig. Nun öffnete Efftriar einige seiner Lederbeutel, griff in sie und streute Pulver in die Flammen, woraufhin mannslängenhohe Leuchterscheinungen in den Himmel schossen und sich dort wie Pflanzenblüten ausbreiteten.
»Vitu und Tyde«, rief Efftriar, »die ihr beseelt und Leben erhaltet, gebt euren Kindern ein Omen.« Die Leuchterscheinungen, die wie Pflanzen aussahen, begannen, sich wie im Wind zu bewegen. »Tyde, besprenge das Leben, auf daß es wächst!« rief Efftriar und schleuderte den seltsamen Wassertropfen in die Flammen. Der Wassertropfen stieg in den Flammen empor und schwebte dann hoch über den Köpfen der Piraten. Sie alle sahen ihn, denn in ihm brach sich das Licht des Lagerfeuers tausendfach. »Vitu!« rief Efftriar den Lebensgeist an. »Zeige deine Macht.« Und da begannen sich die farbenschillernden Tierknochen zu bewegen – wie Insekten glitten sie über den Boden, bildeten einen Pfeil der nach Norden wies. »Aerula, gib auch du uns ein Zeichen, der du der Schutzgeist der Herren der Lüfte bist!« Obwohl es windstill war, wirbelte der Rauch des Feuers auf einmal durcheinander und zog in nördliche Richtung ab – genau in meine Richtung. Funken sprühten und trieben zusammen mit dem Rauch auf mich zu. Mich erfaßte solche Panik, daß ich mich in die Lüfte erheben wollte. Doch die drei Aeruskorten, die bei mir Wache hielten, trieben ihre Wolkenspeere in mich und lähmten mich auf diese Weise. Als sie ihre Speere lockerten und ich wieder klarer
Sehen konnte, stellte ich erleichtert fest, daß sich der Funkenregen wieder gelegt hatte. Efftriar stand mit erhobenen Händen da und rief: »Ihr habt alle die Zeichen gesehen, die uns die Elementargeister gaben. Sie sind uns wohlgesonnen und wünschen, daß wir reiche Beute in Atheka machen ...« Die Stimme des Propheten brach nach dem letzten Wort ab, seine Hände sanken langsam herunter. Einige Augenblicke lang hatte er noch die Kraft, sich auf den Beinen zu halten, doch dann fiel er zu Boden. Er war tot.
5.
Der einsame Wanderer war groß und hager. Sein wettergegerbtes Gesicht und der feste Blick seiner Augen, die schon soviel gesehen hatten, daß nichts mehr sie überraschen konnte, ließen ahnen, daß er viel in der Welt herumgekommen war. Sein langes, bis auf die Schultern fallendes Haar war in den 62 Sommern eines turbulenten und wechselseitigen Lebens weiß
geworden. Der Wanderer hielt einen langen Stab in der Hand, doch sein fester, weit ausholender Schritt zeigte, daß er ihn nicht als Krücke zu verwenden brauchte; trotz seines hohen Alters war er noch rüstig und voll geballter Lebenskraft. Als er das wilde Land hinter sich ließ, verhielt er den Schritt und ließ seine Augen über die Wiesen und Felder wandern, die sich bis zum Horizont hin erstreckten. Die Sonne stand schon recht tief. Der Alte setzte sich wieder in Bewegung, schneller diesmal, als gelte es, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, bevor die Sonne untergegangen war. Er hielt auf einige Häuser zu, die auf der anderen Seite des Tales und bereits im Schatten lagen. Von hier aus wirkten sie winzig, wie Spielzeug – oder wie gemalt. Ja, als sei der Himmel auf eine Staffelei gespannt, worauf ein begnadeter Künstler in schwungvollem Grün Hügel, in streng abgezirkelten Flächen gelbe Ährenfelder und braune und graugescheckte Flecken gemalt hatte: die Häuser eines Gutshofs oder eines kleinen Dorfes. Die Siedlung wurde von einem Zaun umgeben. Eigentlich waren es Palisaden von doppelter Mannslänge, wie der Alte aus seiner Erinnerung wußte, doch aus dieser Entfernung sahen die Befestigungen wie ein einfacher Zaun aus.
Er durcheilte ein Feld, dessen reife Kornähren sich unter dem Gewicht der Frucht zur Seite neigten, und erreichte bald eine Gruppe von Leuten, die trotz der späten Stunde noch bei der Ernte waren. Sie schienen den einsamen Wanderer überhaupt nicht bemerkt zu haben, jedenfalls kümmerten sie sich bis zuletzt überhaupt nicht um ihn und ließen sich in ihrer Arbeit nicht stören. Erst als er sie fast schon erreicht hatte, wandten sie sich ihm zu. Die vier Frauen hielten ihre Sicheln plötzlich wie Waffen, die drei Männer vertauschten ihre Sensen mit Pfeil und Bogen, Schwert und Steinschleuder. Der Alte blieb stehen, breitete seine leeren Hände aus und sagte mit voller wohltönender Stimme: »Laßt die Waffen ruhen, ich komme in Frieden.« Der älteste der drei Männer betrachtete den Alten prüfend, deutete dann auf den prallen Beutel, den er über die Schulter gehängt hatte und fragte: »Was trägst du in deiner Tasche mit, Fremder?« »Nur das notwendigste zum Leben – und einige Geschenke für die Meinen.« »Du willst ein Atheker sein, Fremder?« »Es ist schon viele Sommer her, daß ich von hier fortging. Aber Atheka ist immer noch mein Land. Ich bin zurückgekehrt, um meinen Lebensabend hier zu verbringen.«
»Heute wirst du nicht mehr weit kommen, Fremder.« Der Alte deutete zur Häusergruppe auf der anderen Seite des Tales und sagte: »Bis dorthin werde ich es wohl noch schaffen. Aber sage, warum nennst du mich einen Fremden, Fethan, mein Sohn? Habe ich mich so stark verändert, daß du mich nicht wiedererkennst?« Da erkannte der andere den weißhaarigen Wanderer und rief aus: »Umkathel! Mein Vater ...« Vater und Sohn fielen sich in die Arme. Der Alte drückte seinen Sohn an sich, schweigend, ein glückliches und zugleich doch scheues Lächeln um die Lippen. Fethan ließ seinen Vater wieder los, betrachtete ihn, schüttelte verwirrt den Kopf, war ganz durcheinander, aber glücklich. »Daß du zu uns zurückkommst ... Du mußt uns alles erzählen, was du in den vielen Sommern deiner Wanderschaft erlebt hast. Wir haben oft von dir gesprochen, Riola und ich, und wir haben Priapa soviel über dich erzählt, daß sie beschlossen hat, dir nachzugehen und dich zu suchen ... Aber komm, ich bringe dich nach Hause ...« Nach Hause! Das waren Worte, die zu hören sich der Alte nicht mehr erträumt hatte. Fethan deutete der Reihe nach auf die Männer und Frauen, die ihm bei der
Arbeit halfen und nannte ihre Namen. Aber der Alte behielt sie nicht für sich. Nur ein einziger hatte sich in seinem Kopf festgesetzt. »Wer ist Priapa?« fragte er. Fethan lachte. »Du wirst sie gleich sehen.« Und er nahm Umkathel am Arm und wollte ihn mit sich führen. Doch Umkathel rührte sich nicht vom Fleck und sagte ernst: »Ich habe auf dem Weg hierher eine Horde von Plünderern beobachtet. Sie lagern nahe der Grenze von Atheka und haben Wanderwolken bei sich. Sie führen sicherlich nichts Gutes im Schilde. Du solltest deine Mägde und Knechte besser nicht allein hier draußen lassen, Fethan.« Aber Fethan lachte nur und machte eine wegwerfende Handbewegung. Auf dem Weg zu dem befestigten Gutshof erzählte er dem Heimkehrer, daß sie die Piraten schon längst entdeckt hatten, als sie auf ihren kleinen Wanderwolken die Gegend erkundeten. »Laß sie nur kommen, wir sind darauf vorbereitet!« »Unterschätze diese Räuber nicht, Fethan«, warnte Umkathel. »Sie sind viele, und sie fliegen auf einer Wanderwolke, die größer ist als jede, die ich zuvor gesehen habe. Es sind dreihundert an der Zahl und die Hälfte davon bestimmt Krieger.« »Für so stark hätte ich sie nicht gehalten«, meinte
Fethan stirnrunzelnd. Er zuckte die Achseln. »Aber wir brauchen sie dennoch nicht zu fürchten, denn wir sind vorbereitet. Und in dieser Nacht kommen sie bestimmt nicht, denn Luftpiraten greifen nur selten des nachts an. Sie können kein Feuer machen, weil ihre Wanderwolken leicht brennbar sind, deshalb ziehen sie das Tageslicht der Dunkelheit vor. Zumeist kommen sie im Morgengrauen ... Aber lassen wir uns das Wiedersehen von den Räubern nicht verderben. Wir können unbesorgt feiern.« Als sie zum Tor in den Palisaden kamen, wurde es ihnen von zwei Kriegern geöffnet. Auf dem Innenhof befanden sich noch weitere Krieger. »Als wir die Piraten entdeckten, ließ ich sofort Verstärkung herbeiholen«, erklärte Fethan. Er lachte wieder. »Die Grenzen von Atheka waren noch nie so gut abgesichert wie jetzt. Es gibt keinen Feind, den wir fürchten müßten.« »Aber dein Hof liegt in der Randzone, die von einer so großen Wanderwolke, wie ich sie gesehen habe, mühelos überflogen werden kann.« »Zerbrich dir darüber nur nicht den Kopf, Umkathel ... Vater!« Bevor sie das Wohngebäude erreichten, kam aus dem Eingang eine Frau mittleren Alters heraus, die aber für eine Bäuerin überraschend jugendlich wirkte. Es war Riola, Fethans Frau. Sie erkannte den Vater
ihres Mannes sofort. »Umkathel!« Sie war so gerührt von dem Wiedersehen, daß ihre Augen feucht wurden. Umkathel küßte sie auf jede Wange und drückte sie dann an sich. Aber als er dann über ihre Schulter blickte und das kleine Mädchen sah, das zögernd aus dem Haus kam, vergaß er Riola völlig. Fethan, der seinen Vater beobachtete, sagte: »Das ist Priapa, unsere Tochter.« Umkathel wußte, wie sehr sich Fethan und Riola ein Kind gewünscht hatten. Aber als er vor zwanzig Jahren von Atheka auszog und seinem Sohn den Hof überließ, waren ihre Gebete bislang von den Göttern nicht erhört worden. Umkatehl näherte sich dem Mädchen, das ihm neugierig entgegensah. Er kniete vor ihr nieder, nahm ihre kleinen Hände und fragte: »Wer, glaubst du, bin ich?« »Du bist ein ururalter Mann.« Priapa hatte Umkathel rasch ins Herz geschlossen. Sie wich schon am ersten Abend nicht von seiner Seite und schlief erst spät in der Nacht auf seinem Schoß ein. Umkathel ließ sich in der ersten Morgendämmerung von Fethan wecken. Die Soldaten waren in Stellung gegangen, hatten Feuer entfacht, um daran ihre Brandpfeile zu entzünden. Aber die Piraten kamen
nicht. Sie kamen auch nicht am darauffolgenden Morgen, und die Krieger wurden mürrisch und ungehalten. Ihr Anführer beschloß, noch eine Nacht zu bleiben und sich dann zu dem einen halben Tagesritt entfernten Stützpunkt zurückzuziehen. Fethan glaubte auch nicht mehr daran, daß die Plünderer noch kommen würden. Er vermutete, daß sie die Wachmannschaft entdeckt hatten und von ihrem Vorhaben, in Atheka auf Raubzug zu gehen, abgekommen waren. Darin wurde er auch bestärkt, weil keine weitere von Piraten gelenkte Wanderwolke mehr gesichtet worden war. Die Mägde und Knechte wagten sich nun auch wieder auf die weiter entfernten Felder hinaus, um die Ernte einzuholen. Das Leben auf dem Gutshof nahm langsam wieder seinen gewohnten Verlauf. Umkathel bot seine Hilfe an, doch Fethan und Riola bestanden darauf, daß er sich vorerst einmal von seiner anstrengenden Reise erholen solle. Nach ein paar Tagen, wenn dann die Ernte eingebracht war, wollten sie mit ihm und Priapa in die Hauptstadt reiten. Umkathel freute sich darauf, doch Priapa schien nicht besonders davon erbaut zu sein. Am folgenden Tag, als sich die Krieger gerade klarmachten, den Hof zu verlassen und zu ihrem Stützpunkt zurückzukehren, traf Umkathel seine
Enkelin außerhalb der Palisaden an einem Bach. »Es ist unvorsichtig von dir, so weit vom Haus fortzugehen, Priapa«, ermahnte er sie. »Noch dazu allein.« »Ich wollte allein sein«, sagte sie. »Dafür habe ich Verständnis«, entgegnete er und schickte sich an, seinen Weg in Richtung des nahen Waldes fortzusetzen. »Nein, geh nicht, Umkathel«, bat sie. »Du darfst bei mir bleiben, du störst mich nicht.« Er ließ sich neben ihr ins Gras sinken. »Was bedrückt dich denn, kleine Priapa?« Sie hob den Kopf und blickte ihn an. »Ich will nicht in die Stadt. Ich möchte bei dir bleiben, Umkathel.« »Das verstehe ich nicht«, sagte er ehrlich erstaunt. »Für ein Mädchen wie dich gibt es in einer Stadt doch allerhand zu sehen. Sicher wird dich dein Vater mit neuen Kleidern und Schmuck – oder was sich eine junge Dame sonst wünscht – überraschen. Außerdem fahre ich mit euch. Ich freue mich jedenfalls schon darauf« »Aber du wirst wieder aus der Stadt fortgehen – und ich muß bleiben. Ich bin zwölf, und Ma und Pa bestehen darauf, daß ich eine gute Ausbildung bekomme und daß aus mir eine kluge Dame mit guten Sitten wird, die einen klugen Mann aus gutem Hause
findet ... Ach, ich bin so unglücklich, daß ich sterben könnte. Umkathel!« »Ja?« »Du bist doch klug und weißt alles. Willst du nicht mein Lehrer sein? Dann brauche ich nicht in die Stadt zu gehen. Bitte, Umkathel, tu das für mich.« Umkathel seufzte. »Das liegt nicht an mir, kleine Priapa. Aber Fethan und Riola meinen es nur zu deinem Besten, wenn sie sich um eine gute Erziehung für dich bemühen. Und in der Stadt lernst du mehr als bei mir. Ich bin ein alter Mann, der ...« Umkathel unterbrach sich, als er über dem Wald plötzlich die Ausläufer einer Wanderwolke auftauchen sah. Es war nur eine Kleinwolke, die höchstens fünf Mann Platz bot, und sie wurde auch nur von einem einzelnen Wolkenstecher befehligt. Doch dahinter tauchten drei weitere Kleinwolken und eine riesige Wanderwolke auf. Umkathel wußte sofort, daß es dieselbe Wanderwolke war, die er im Lager der Luftpiraten gesehen hatte. Sie flog viel schneller, als Umkathel laufen konnte, außerdem war er vom Gutshof zu weit entfernt, um ihn noch erreichen zu können. Deshalb rief er Priapa zu: »Lauf in den Wald und verstecke dich dort!«
Priapa zögerte keinen Augenblick und rannte sofort davon. Doch die Piraten schnitten ihr mit einer Kleinwolke den Weg ab. Priapa gelang es zwar, der Kleinwolke auszuweichen, aber dadurch geriet sie unter die Riesenwolke. Diese entließ aus ihrer Unterseite ein nebelartiges Gas, von dem Priapa eingehüllt wurde. Umkathel versetzte es einen Stich im Herzen, als er sah, wie das Mädchen betäubt zusammenbrach und von einem Tentakel der Wolke hochgehoben wurde. Ohne zu überlegen stürmte er nach vorne und zog im Laufen sein Schwert. Er hieb nach dem Tentakel über sich, von dem Priapa festgehalten wurde. Doch dieser befand sich für ihn bereits in unerreichbarer Höhe, so daß sein Schwert ins Leere schlug. Bevor Umkathel zum zweiten Streich ausholen konnte, wurde er in einen Nebel gehüllt, der sich ihm auf die Atemwege legte. Ein Schwindel erfaßte ihn, und vor seinen Augen wurde es schwarz. Darraco kümmerte sich nicht um den Alten und das Mädchen, die ihnen in die Hände gefallen waren. Sein Ziel war der Gutshof. Es hatte sich doch gelohnt, einige Späher zu Fuß loszuschicken. Sie pirschten sich durch den Wald bis nahe an das Anwesen heran und entdeckten so, daß es von einer starken Kriegertruppe bewacht wurde. Nifrego, der sich unter den Spähern befunden hatte,
wußte jedoch Interessantes zu berichten: Er hatte sich im Dunkel der Nacht bis an die Palisaden herangeschlichen und ein Gespräch der Krieger belauscht, aus dem hervorging, daß man nun nicht mehr mit einem Überfall der Piraten rechnete und die Krieger an diesem Morgen wieder in ihren Stützpunkt zurückkehren wollten. Darraco hatte gewartet, bis die Soldaten abgezogen waren, dann erst gab er den Befehl zum Angriff. Jetzt würde das Anwesen eine leichte Beute sein – dachte Darraco zumindest. Doch in diesem Punkt erlebte er eine böse Überraschung. Gerade als ich über dem Bauernhof schwebte und sich die ersten Piraten an den Enterseilen herunterließen, kamen die Krieger in breiter Front aus dem Wald geritten. Sie hatten Darraco nur eine Falle gestellt, als sie vorgaben, sich in ihren Stützpunkt zurückzuziehen. Darraco hätte trotzdem noch nicht aufgegeben. Er glaubte, nachdem er die Bauern überwältigt hatte, den Hof leicht gegen die Krieger verteidigen zu können, die nun die Angreifer waren. Darraco brauchte nur die Zeit, um alle Gebäude zu plündern, und konnte sich dann unter Mitnahme einiger Geiseln zurückziehen. Aber diesen Plan vereitelten die Brandpfeile der Krieger.
Zwar hatten auch im Innenhof des befestigten Anwesens einige Feuer gebrannt, und die Bauern versuchten mir mit Fackeln und brennenden Lanzen Angst einzujagen. Doch besaß ich Wasservorräte genug in mir, um diese Feuer leicht löschen zu können. Gegen die Brandpfeile war ich dagegen machtlos. Abgesehen davon, daß ich kaum mehr Wasser besaß, schossen sie zu schnell und in zu großer Zahl heran. Als zwei meiner Kinder in einem Hagel von Feuerpfeilen verbrannten, wollte ich die Flucht ergreifen. Doch der Erste Wolkenstecher Vericon stieß seinen Speer auf eine Art in mich, daß ich wie gelähmt war. »Verdammt, Vericon!« wurde der Erste Wolkenstecher von Nifrego angeschrien. »Willst du, daß wir hier alle umkommen? Wenn wir nicht sofort flüchten, werden wir mitsamt der Wolke verbrennen.« »Wir können unsere Leute nicht im Stich lassen«, erwiderte Vericon. »Mehr als ein Dutzend von uns sind schon auf dem Bauernhof – und Darraco ist unter ihnen.« Nifrego erhob seinen Wolkenspeer drohend gegen Vericon. »Wenn du nicht sofort Vernunft annimmst, dann bist du die längste Zeit Erster Wolkenstecher gewesen!« Vericon lachte ihn aus. Ohne den Wolkenspeer aus
mir zu nehmen, zog er ein Messer aus dem Gürtel und wollte es nach Nifrego schleudern. Doch Nifrego war schneller. Er bohrte Vericon die Speerspitze in die Schulter und warf ihm, während dieser sich noch vor Schmerz aufbäumte, die Fangschlinge um den Hals. Nifrego zog die Schlinge so stark zu, daß sie sich tief in Vericons Hals grub. Der Erste Wolkenstecher taumelte, versuchte, sich von der tödlichen Schlinge zu befreien, was ihm jedoch nicht mehr gelang. Bevor ihm jemand zu Hilfe kommen konnte, stolperte er und fiel über mich hinaus in die Tiefe. Nifrego bediente jetzt Vericons Wolkenspeer. Er nahm die Lähmung von mir, veranlaßte mich dazu, Darraco mit einem meiner Tentakel an Bord zu holen und während dieses Vorganges davonzufliegen. Die mehr als zehn Männer, die in dem Bauernhof zurückblieben waren verloren; das stand fest. Aber ihr Opfer war gerechtfertigt, da war ich mit Nifrego einer Meinung. Die Krieger von Atheka nahmen auf ihren Pferden zwar die Verfolgung auf, doch ihre Brandpfeile erreichten mich nicht mehr. Ich fuhr ein Segel aus, in dem sich die Winde fingen und mich mit unglaublicher Geschwindigkeit aus Atheka forttrugen – zurück in die Wilde Zone, in die sich die Krieger nicht vorwagten. Wir waren gerettet. Darraco war aber keineswegs zufrieden. Er hatte die
schlimmste Niederlage in seiner langjährigen Piratenlaufbahn hinnehmen müssen. Das traf ihn schwer, und er büßte dadurch auch bei seinen Leuten viel Ansehen ein. Hinzu kam noch etwas, das seine Niederlage vollkommen machte: Sein Beutesohn Nifrego hatte den Ersten Wolkenstecher getötet, und zwar nicht in einem ehrlichen Zweikampf, sondern ganz eindeutig bei einer Meuterei. Zudem hatte Nifrego durch seine Handlungsweise ein Dutzend seiner Kameraden schmählich im Stich gelassen. Darraco wollte aber weder seinen Beutesohn Nifrego verlieren, noch die Niederlage vor seinen Leuten eingestehen. Und listig wie er war, fand er auch einen Ausweg aus seiner mißlichen Lage. Darraco umrundete seine beiden Gefangenen, die mit dem Rücken aneinandergefesselt waren. Der Alte blickte durch ihn hindurch, beachtete seine Anwesenheit überhaupt nicht. Die Augen des kleinen Mädchens folgten dagegen jeder von Darracos Bewegungen ängstlich. Der Piratenführer sah auch zum Fürchten aus, vor allem für ein Mädchen wie Priapa mit noch kindlicher Phantasie. Er trug nur seine weiten Pluderhosen, die unterhalb des Knies zusammengebunden waren und in den
Stulpenstiefeln steckten. Der Oberkörper war nackt, so daß seine behaarte Brust und die Muskelstränge der Arme und des Rückens zu sehen waren; bei jeder Bewegung trat irgendwo ein Muskelberg hervor. Sein gezacktes Flammenschwert steckte im Gürtel, ebenso hatte er die Dolche in den Stiefelschäften gelassen. Seine Linke war leer, und er stützte sie in die Hüften. Seine Rechte war in einem Totenschädel versteckt. Dieser ausgehöhlte Totenschädel war in Darracos Händen eine tödliche Waffe. Ein Schlag damit konnte das Gesicht eines Feindes zerschmettern. Endlich beendete der Piratenführer seinen Rundgang und blieb vor Umkathel stehen. »Wie heißt du, Alter?« Keine Antwort. Darraco wandte sich grinsend dem Mädchen zu. »Gut, du willst schweigen. Dann werde ich die Kleine mit auf meine Wolke nehmen und mich auf meine Art mit ihr unterhalten. Wie ist denn dein Name, süßes Kind?« Das brach den Widerstand des Alten. »Sie heißt Priapa und ist meine Enkelin. Mein Name ist Umkathel«, sagte er schnell. Darraco ließ von dem Mädchen ab und ging zu Umkathel. Er setzte sich mit überkreuzten Beinen vor ihm hin. »Umkathel«, wiederholte er und schien dem Klang
des Namens zu lauschen. »Das hört sich nicht schlecht an. Er paßt zu deiner Erscheinung, Alter – und die beeindruckt mich sehr.« »Wenn ich etwas jünger wäre, würde ich dir deinen Spott mit Prügeln austreiben«, sagte Umkathel ruhig. »Ich spotte nicht«, versicherte Darraco. »Es ist mein voller Ernst, daß ich jemanden in meiner Mannschaft brauchen würde, der so aussieht wie du. Willst du mit mir zusammenarbeiten, Umkathel?« »Zu Skortsch mit dir!« sagte Umkathel haßerfüllt. »Hm«, machte Darraco unbeeindruckt. »Ich kann gehen, aber dann werde ich Priapa mitnehmen. Einer meiner Männer wird sie sicherlich zum Weibe nehmen wollen, obwohl sie noch lange nicht zur Frau gereift ist.« »Wehe, du vergreifst dich an Priapa ...« Darracos Rechte sauste blitzschnell nach vorne, und der Totenkopf traf Umkathel vor das Brustbein. Der Alte schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft. »Das nächste Mal überlege es dir gut, bevor du eine Drohung gegen mich aussprichst, Alter«, sagte Darraco. »Wenn es unter deiner Würde ist, dich vernünftig mit mir zu unterhalten, dann kann ich auch andere Töne anschlagen. Aber eine Reue käme für dich dann zu spät. Denk darüber nach, was dir lieber ist – unter Qualen zu sterben, oder ein Leben bei mir und
von allen geachtet und verehrt zu werden.« »Was kann dir denn an meiner Mitarbeit liegen?« erkundigte sich Umkathel, noch nach Luft ringend. »Ich bin ein alter Mann von über sechzig Sommern, der bald nicht mehr in der Lage sein wird, eine Waffe zu handhaben. Ich kann dir nicht von Nutzen sein, höchstens als Tauschobjekt. Wenn du Priapa und mich nach Atheka zurückschickst, dann bekommst du einen Preis, der dich für deine Niederlage voll entschädigen wird, das verspreche ich dir.« »Ich nehme keine Almosen an«, erklärte Darraco unerbittlich. »Nicht einmal, wenn man dich und das Mädchen in Edelsteinen aufwöge, würde ich euch gehen lassen. Das kann ich mir in meiner Lage nicht leisten. Ich brauche dich, Umkathel. Wenn du mir nicht dienen willst, dann werde ich dich Aerula opfern – dann leistest du mir eben durch deinen Tod wertvolle Dienste.« Umkathel überlegte kurz, dann fragte er: »Was versprichst du dir von mir?« »Vor dem Überfall auf deine Landsleute ist unser Prophet verstorben«, antwortete Darraco. »Ich möchte, daß du seine Stelle einnimmst.« »Mehr verlangst du nicht?« Darraco lachte hämisch. »Glaube nur ja nicht, mich hintergehen zu können. Wenn du auf meiner Wolke Prophet werden willst,
dann bekommst du nur Macht über meine Leute, nicht aber über mich.« »So übel hört sich dein Angebot nicht an«, meinte Umkathel. »Aber ich fürchte, daß ich dich enttäuschen werde. Ich besitze nur geringe Kenntnisse der Magie und besitze keine Erfahrung als Prophet.« »Du hast das Aussehen eines Propheten, und das genügt für den Anfang«, erklärte Darraco. »Du wirst meine Leute allein mit deiner Erscheinung beeindrucken, was du sonst noch brauchst, um ihren Aberglauben anzusprechen, wirst du in der Hinterlassenschaft deines Vorgängers finden.« »Und was erwartest du im besonderen von mir?« »Du sollst die Niederlage, die ich in Atheka erlitten habe, als Triumph hinstellen«, sagte Darraco. »Mit deiner Hilfe werde ich die Sache so drehen, als sei es bei dem Raubzug gar nicht um weltliche Güter gegangen. Ich werde sagen, Efftriars letzter Wille sei es gewesen, einen Nachfolger für sein Amt zu beschaffen. Und den habe ich in dir gefunden. Deshalb hätten wir uns gleich nach deiner Gefangennahme wieder aus Atheka zurückgezogen.« »Und du glaubst, deine Leute werden das für bare Münze nehmen?« wunderte sich Umkathel. »Sie fressen alles, was ihnen unter dem Mantel der Zauberei dargeboten wird«, behauptete Darraco. »Du brauchst nur einige von Efftriars Pülverchen ins Feuer
zu streuen und in Aerulas Namen einige salbungsvolle Worte finden. Auch mußt du meinen Beutesohn Nifrego von der Meuterei freisprechen und ihn als Nachfolger von Vericon bestimmen. Wenn du deine Sache gut machst, können wir mit einem Schlag alle Schwierigkeiten aus dem Wege räumen. Und wenn du mich nicht enttäuschst, kannst du zum zweitmächtigsten Mann auf meiner Wolke werden. Allerdings verlange ich von dir bedingungslosen Gehorsam.« »Ich habe keine andere Wahl«, sagte Umkathel. »Würde ich mein Gewissen befragen, so müßte ich dein Angebot ablehnen – aber der Wille zum Überleben ist stärker. Ich denke weniger an mich selbst als an Priapa. Wenn ich dir dienen soll, dann aber nur unter der Bedingung, daß du Priapa freiläßt und zurückschickst.« »Das werde ich bestimmt nicht tun«, versicherte Darraco grinsend. »Denn nur das Mädchen, an dessen Sicherheit dir mehr zu liegen scheint als an deiner eigenen, gewährleistet mir, daß du nicht falsches Spiel mit mir treibst.« »Und wie kann ich sicher sein, daß Priapa, sei es von deinen Leuten oder von dir selbst, nichts zu befürchten hat?« fragte Umkathel. »Es dauert nicht mehr lange, dann ist sie zu einer Frau herangereift. Und dann soll sie für deine Leute kein Freiwild sein.«
»So barbarisch, wie du zu glauben scheinst, geht es auf einer Wolke doch nicht zu«, entgegnete Darraco. »Auch wir Piraten haben unsere Gesetze. Und eines davon besagt, daß ein Prophet das Recht hat, einen von ihm Erwählten zu seinem Schützling zu machen. Wenn du es willst, dann wird Priapa zu einer ›Unberührbaren‹ und steht fortan im Stande einer Hohenpriesterin, der niemand zu nahe kommen darf. Selbst für mich wäre sie heilig.« »Wenn das so ist, will ich dein Prophet sein«, erklärte Umkathel. »Ich werde mein Bestes geben, um dir ein guter Prophet zu sein. Aber wisse, wenn Priapa irgendein Leid geschieht, dann werde ich alles tun, um dich ins Verderben zu stürzen.« »Der Pakt ist geschlossen«, sagte Darraco lachend. »Priapa ist solange eine Unberührbare, wie du mir treu bist.« Das ist die Geschichte, wie Umkathel, der Atheker, zum Propheten der Piraten wurde. Den ersten Teil habe ich aus zweiter Hand erfahren, indem ich Gespräche belauschte, die Umkathel mit den Piraten und seiner Enkelin führte – diese beiden tauschten in den acht Sommern, die sie nun schon bei Darraco sind, oft nächtelang ihre Erinnerungen aus. Doch das Land Atheka, das weit weg von hier im Mittelpunkt unserer Welt liegt, wird wohl für ewig ein unerfüllbarer Traum für sie bleiben.
Umkathel wurde ein guter Prophet. Schon bei der ersten Prophezeiung, mit der er sich in sein Amt einführte und Darracos und Nifregos guten Ruf wiederherstellen mußte, schlug er die Piraten in seinen Bann und ließ sie Efftriar schnell vergessen. Auch Darraco hatte in den acht Sommern nie über Umkathel zu klagen. Ich bin sicher, daß in Umkathel auch heute noch der Wunsch brennt, die Piraten zu verlassen. Doch wenn er auch noch soviele Fluchtpläne geschmiedet hatte, er wagte es nie, sie auch auszuführen, weil er um Priapas Leben bangte.
6.
Priapa reifte bald zu einer Frau heran. Schon mit vierzehn war sie eine ausgesprochene Schönheit, deren Anblick einem Mann den Verstand rauben konnte. Und dazu kam es auch bald. Die Piraten prügelten sich um ihre Gunst und fochten Zweikämpfe auf Leben und Tod aus. Im Laufe der Zeit kam gut ein Dutzend zusammen, die zum Tode verurteilt worden waren,
weil sie sich an der »Unberührbaren« zu vergreifen versucht hatten. Soviele Anträge Priapa auch bekam und auf welche Art sie auch vorgetragen wurden, sie gab deutlich zu verstehen, daß sie nicht daran dachte, mit einem der Piraten eine Verbindung einzugehen. Nifrego schien sie noch am ehesten zugetan zu sein. Doch das auch nur anfangs. Als sie hörte, daß ihm ein ähnliches Schicksal wie ihr widerfahren war, fühlte sie sich sofort zu ihm hingezogen, ohne sich ihm jedoch hinzugeben. Sie hörte in dieser Beziehung auf Umkathel, der ihr riet, ihre Liebe aufzusparen für den Tag, da sie wieder frei sein würde und einem Mann von höherer Gesinnung begegnete. Priapa blieb also auch Nifrego gegenüber zurückhaltend, was sie aber nicht daran hinderte, mit ihm auf die Jagd zu gehen und auch sonst viele Stunden ihrer Freizeit mit ihm zu verbringen. Nifrego war klug genug, um Priapas Unberührbarkeit zu achten, nachdem seine Bewerbung um ihre Gunst keine Früchte getragen hatte. Je öfter sie ihn jedoch abwies, desto stärker entbrannte sein Herz für sie. Er brachte ihr von Raubzügen die kostbarsten Geschenke mit, doch Priapa weigerte sich, sie anzunehmen.
»Warum demütigst du mich auf diese Weise?« fragte Nifrego verbittert, als sie ihm ein kostbares Gewand vor die Füße warf, das er bei einem Überfall auf eine Karawane erobert hatte. »Warum trägst du diese Kleider nicht mir zu Ehren, der ich mein Leben dafür aufs Spiel gesetzt habe?« »An diesen Kleidern klebt Blut, Nifrego«, sagte sie. »Jawohl – mein Herzblut«, antwortete er. Priapa merkte, daß er nicht verstand, was sie meinte. Deshalb versuchte sie es ihm zu erklären. Sie versuchte ihm klarzumachen, daß sie an Dingen, für die Menschen getötet worden waren, keine Freude haben konnte. Und sie erklärte: »Die Toten, denen diese Dinge gestohlen wurden, würden mich in meinen Träumen verfolgen.« »Ich habe für dich getötet, Priapa, das sollte dich mit Stolz erfüllen!« Da erkannte Priapa, daß Nifrego schon zu sehr Pirat war, um ihre Einstellung überhaupt begreifen zu können. Das Leben an Darracos Seite hatte ihn so sehr beeinflußt, daß er nicht mehr den Maßstab für die wahren Werte des Lebens besaß. Sie verdammte ihn deswegen aber nicht. Sie hoffte immer noch, daß seine Liebe zu ihr stärker wäre und es ihr gelingen würde, ihn auf den rechten Weg zurückzuführen. Wenn sie auf ihren ausgedehnten Wanderungen
oder Flügen durch die Wilde Zone allein waren, sprach sie viel mit ihm über seine Vergangenheit, über das Leben, das er vor der Aufnahme bei den Piraten geführt hatte. Sie wollte seine Erinnerung an diese Zeit wecken, um ihm so deutlich zu machen, in welchen Abgrund er gestürzt war. Doch Nifrego erinnerte sich nur mit Verbitterung an seine Jugend. »Es war die Hölle für mich«, sagte er leidenschaftlich. »Ich war von zartem Wuchs und schwächlich und konnte gegen die anderen Jungen in meinem Alter meine Rechte nicht mit den Fäusten oder dem Messer verteidigen. Und nur das hätte gezählt. So lernte ich, mich durch Hinterlist und Falschheit zu behaupten. Wenn es überhaupt einen Menschen gab, außer mir, für den ich mich geopfert hätte, dann war es meine geliebte Schwester ...« »Haßt du die Piraten denn nicht, weil sie deine Schwester auf dem Gewissen haben?« »Vericon, der meine Schwester auf dem Gewissen hatte, wurde von mir bestraft«, antwortete Nifrego. »Als Cyrina starb, war das der Schlußpunkt hinter meinem früheren Leben. Ich mußte nur noch Rache an ihrem Mörder nehmen. Jetzt bin ich frei, lebe nur noch für mich. Und ich genieße dieses neue Leben.
Wahrscheinlich war ich schon immer so, einfach zum Abenteurer geboren, doch kam diese Veranlagung in meinem schwächlichen Körper nicht zum Keimen. Erst als Darraco meinen Körper stählte, da wuchs ich über mich hinaus ...« Nifrego konnte stundenlang so von sich reden. Er glaubte nicht, daß es irgend etwas gab, das ihn in die Kniee zwingen konnte und sagte einmal sogar, daß er sich stark genug fühle, es im Zweikampf gegen Darraco aufzunehmen. »Und warum tust du es nicht?« wollte Priapa wissen. »Weil Darraco mein Beutevater ist.« »Du fühlst dich ihm verpflichtet? Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß du außer dir selbst auch noch jemand anderem treu sein könntest.« »Sage so etwas nicht, Priapa. Ich bin nicht ehrlos!« »Und kannst du jemanden außer dir selbst lieben?« »Ich begehre dich, Priapa!« Das wollte sie ihm auch glauben, aber Liebe war das nicht. Ihre Hoffnung, ihn auf den rechten Pfad zu bringen, schwand deshalb aber nicht. Sie hielt die Liebe für stärker als die Gewalt. Wenige Tage nach diesem Gespräch kam Nifrego von einem Raubzug zurück. Er stellte sich bei Priapa mit einem kostbaren Teppich unter dem Arm ein. »Wie oft soll ich dir noch sagen, daß ich keine
Geschenke annehmen kann, die du gestohlen hast, Nifrego«, sagte sie enttäuscht. Er grinste dämonisch. »Diesmal handelt es sich um ein besonderes Geschenk.« Er entrollte den Teppich – und ihr vor die Füße rollte der Kopf eines Mannes. »Er war mein erbittertster Gegner, Priapa«, sagte Nifrego voll Stolz. »Und ich habe ihn in einem ehrlichen Zweikampf besiegt. Ich bringe dir seinen Kopf als Trophäe, damit er dich stets an den Mut und die Kraft des Mannes erinnert, der dich liebt.« Priapa rannte schreiend davon und flüchtete in Umkathels Arme. Nifrego, vor Wut ob dieser Schmähung schäumend, zertrümmerte das Beutestück mit einigen Schwerthieben. Er schwor bei sich, Priapa für diese Beleidigung zu bestrafen. Doch Wochen nach diesem Vorfall machte er einen Bußgang zu Umkathel. »Ich könnte Priapa noch einmal verzeihen – wenn sie mich zum Manne nimmt«, sagte Nifrego. »Sie hat mir gesagt, daß sie nichts mehr von dir wissen will«, erwiderte Umkathel. »Darauf gebe ich überhaupt nichts«, sagte Nifrego. »Ich weiß, daß sie den Groll gegen mich bald vergessen haben wird. Du brauchst dich nur mit deinem Wort bei ihr für mich einzusetzen.«
Umkathel nickte nachdenklich. »Ich wüßte schon einen Weg, wie du ihre Zuneigung wieder gewinnen könntest«, sagte er nach einer Weile. »Und wenn du sie wirklich liebst, wirst du diesen Weg beschreiten.« »Los, Alter, nenne mir schon das Mittel, wie ich Priapas Herz gewinnen kann! Ich will alles für sie tun.« »Wirklich alles? Nun, dann ist dir ihre Liebe gewiß. Du brauchst sie nur an der Hand zu nehmen, mit ihr in eine der Stillen Zonen zu gehen und dort mit ihr ein neues Leben anzufangen. Niemand würde eure Flucht verhindern können, denn als Erster Wolkenstecher kannst du kommen und gehen, wie du willst.« »Und was wird aus dir, Umkathel?« »Mir genügt es, Priapa in Sicherheit zu wissen.« Da trat jedoch Priapa, die das Gespräch belauscht hatte, aus der Dunkelheit und sagte entschlossen: »Ich gehe nur mit dir, Nifrego, wenn Umkathel mitkommt.« Die Gelegenheit zur Flucht ergab sich in der kommenden Nacht. Nifrego erschien in voller Kampfausrüstung im Zelt des Propheten und sagte, daß er bereits alle Vorbereitungen getroffen habe. Darraco glaubte, daß er mit Umkathel und Priapa ausfliegen wolle, um einige seltene Kräuter zu pflücken, die des Nachts wuchsen. Priapa und Umkathel rafften die wichtigsten
Habseligkeiten an sich und folgten dann Nifrego. Niemand im Lager bemerkte ihre Flucht. Die Wachen, die bei mir zurückgeblieben waren, ließen Nifrego anstandslos gewähren, als er mit brutaler Gewalt eines meiner Kinder von mir trennte. Auf dieser Kleinwolke flogen die drei gen Westen, und von meinem Kind habe ich auch erfahren, was sich in der Folge abspielte. Nifrego landete mit Priapa und Umkathel auf einer von Hecken umrankten Insel inmitten eines reißenden Stromes. Dort hängte er sie an den Händen am Ast eines Baumes auf und peitschte sie solange, bis sie die Besinnung verloren. Als Priapa wieder zu sich kam, sagte er ihr: »Das war die Strafe für euren versuchten Verrat. Niemand wird davon etwas erfahren, denn sonst wäre das euer Tod. Da Umkathel meinem Beutevater bisher ein guter Prophet war, will ich nicht, daß er ihn verliert. Und den Gedanken an Flucht habe ich ihm bestimmt ausgetrieben. Was dich betrifft, Priapa ...« »Sprich es nicht aus« unterbrach sie ihn, und in ihren Augen loderte unbändiger Haß. »Du kannst mich töten, Nifrego, aber du kannst mich nicht zu deiner Sklavin machen. Jetzt kenne ich dein wahres Gesicht und weiß, daß du eine Bestie bist.« Von diesem Tage an haßte sie Nifrego abgrundtief. Er aber stellte ihr weiterhin nach.
Nifrego wurde in der folgenden Zeit immer grausamer. Er brach mutwillig Streitigkeiten vom Zaun und tötete seine Widersacher im Zweikampf; er ließ bei keinem einzigen der Besiegten Gnade walten. Im Umgang mit uns Wanderwolken war er noch nie rücksichtsvoll gewesen, aber von nun an behandelte er uns noch viel brutaler als früher. Einmal – es war auf dem Flug zu einem Überfall auf eine Karawane, die sich durch die Wilde Zone wagte – hatte Nifrego durch sein Ungestüm eines meiner Nervenzentren verletzt, so daß ich mich nicht mehr recht in der Gewalt hatte. Obwohl er erkannt haben mußte, daß ich mich seinen Befehlen nicht absichtlich widersetzte, stach er in blindem Zorn auf mich ein und hätte sicherlich früher oder später meinen Tod bewirkt, wenn Darraco nicht eingeschritten wäre und seinen Beutesohn niedergeschlagen hätte. Das Leben unter dem Kommando von Nifrego wurde immer unerträglicher für mich und meine Kinder. Er ließ sich zwar nie mehr wieder so gehen, wie dieses eine Mal, aber er quälte uns deshalb nicht weniger. Er war von kühler, berechnender Bösartigkeit und trieb sein grausames Spiel mit uns bis an die Grenzen des Möglichen. Wie oft habe ich mich schon nach dem Feuertod gesehnt, alles, selbst in der ewigen Flamme zu schmoren, erschien mir wünschenswerter, als dieses
Leben in nie endenwollender Qual. Einmal war ich schon drauf und dran, meinem Dasein ein Ende zu bereiten. Wir flogen nahe dem Krater eines rauchenden Feuerberges. Umkathel und Priapa flogen auf einer Kleinwolke voran, so daß ich überhaupt keine Bedenken hatte, mich in den Schlund des Feuerberges zu stürzen. Es wäre nicht nur für mich die Erlösung gewesen, sondern hätte auch für den Propheten und seine Enkelin die Freiheit bedeutet – ganz abgesehen davon, daß diese von so vielen Übeln heimgesuchte Welt wenigstens von einer Plage befreit worden wäre. Ich setzte Nifrego vorher außer Gefecht, indem ich ihn durch eine Erschütterung zu Fall brachte, dann ließ ich mich in die Tiefe fallen – genau auf den glühenden Krater zu. Ich hatte den erlösenden Tod schon nahe vor mir, als Darraco mit einem Wolkenspeer eingriff und mich aus der Gefahrenzone lenkte. Ich hatte überhaupt keine Gewalt mehr über mich, mein Körper gehorchte nur noch den Reizstößen von Darracos Speerspitze. Danach wurde ich schärfer bewacht und war kaum mehr Herr über mich selbst. Ich erhielt nicht mehr die geringste Gelegenheit zur Flucht oder um freiwillig in Skortsch eingehen zu können. Auch war ich so sehr mit mir selbst beschäftigt, daß ich mich kaum mehr mit Umkathel und Priapa
befassen konnte. Aber der Prophet schien sich mit seinem Los abgefunden zu haben, und Priapa wurde von den Piraten behandelt, wie es einer Unberührbaren zustand. Nifrego zeigte in der Öffentlichkeit nicht, welche Gefühle er für sie hegte. Aber wenn er sich einmal nicht beobachtet fühlte, dann belauerte er sie mit seinen Blicken. Und wenn sie allein waren, richtete er auch das Wort an sie. Ich weiß nicht, was er ihr sagte, doch an ihrer eisigen Ablehnung erkannte ich, daß sie entschlossen war, den Abstand zu ihm zu wahren. Erst vor wenigen Tagen meldete mir eines meiner Kinder, daß Nifrego die Enkelin des Propheten am Arm gepackt und an sich gerissen hatte, als niemand es sehen konnte. Doch Priapa hatte ihn nur angesehen, worauf er sie losließ und mit wutverzerrtem Gesicht von dannen ging. Zwei Tage darauf kam alles das auf einmal zum Ausbruch, was sich in den langen Jahren in Nifrego angestaut hatte. Ich sagte schon, daß er ein Mann ist, der nichts vergessen kann, nicht fähig ist, zu verzeihen. Er hatte auch Darraco nicht verziehen, war ihm aber dankbar, weil er zu der Erkenntnis gekommen war, daß der Piratenführer Gutes für ihn getan hatte. Aber es kann eines Tages dazu kommen, daß Darraco von seinem Beutesohn gestürzt wird ... Das heißt, es wäre sicherlich so gekommen, wenn
sich vorher nicht etwas anderes ereignet hätte, das eine völlig neue Entwicklung einleitete. Wir landeten auf dieser vom Dschungel eingeschlossenen Ebene, wo das Lager der Piraten auch jetzt noch steht. Wie immer schickte Darraco seine Späher aus, die ihm schließlich die Meldung überbrachten, daß sie ganz in der Nähe ein am Rande einer Stillen Zone lebendes friedliches Völkchen gesichtet hätten, das leicht zu besiegen wäre. Darraco machte sich sofort mit einer Kleinwolke auf den Flug, um die Lage mit eigenen Augen zu erkunden. Nifrego blieb zurück. Es kam, wie es kommen mußte. Nifrego, der Priapa in letzter Zeit immer mehr Beachtung geschenkt und auch vor den anderen Kontakt mit ihr gesucht hatte, stellte die Enkelin des Propheten während des Kräutersammelns zwischen Büschen auf einer Lichtung. Da sie allein waren und es keine Zeugen für die vorangegangenen Geschehnisse gab, wußte niemand genau, wie sich alles abgespielt hat. Aber Nifrego ließ sich dazu hinreißen, die »unberührbare« Priapa zu schlagen. Danach versuchte er, sich an ihr zu vergehen. Ihre Hilferufe lockten aber Umkathel und einige Aerupen heran, so daß Nifrego an seinem Vorhaben gehindert werden konnte.
Nifrego ließ sich widerstandslos entwaffnen, und die Piraten taten dies verständlicherweise mit besonderer Genugtuung, denn er hatte sich durch sein Verhalten viele Feinde geschaffen. Jetzt ist Nifrego ein Gefangener jener Männer, deren Anführer er hätte werden können, wenn er nicht für einen Augenblick die Beherrschung über sich verloren hätte. Wer sich an einer Person vergreift, die als »unberührbar« gilt, muß mit einer harten Bestrafung rechnen – und unter den Piraten gibt es kaum einen, der sie Nifrego nicht gewünscht hätte. Man sieht mit größter Spannung Darracos Rückkehr entgegen, der über Nifrego zu richten und ein Urteil zu fällen hat. Denn so sehr der Piratenführer an seinem Beutesohn auch hängt, er kann sein Vergehen nicht ungesühnt lassen, denn sonst würde er vor seinen Leuten das Gesicht verlieren. Ich bin neugierig, wie der schlaue Darraco diese Situation meistert. Er wird bei Sonnenaufgang zurückerwartet. Was dich und deine Gefährtin betrifft, die du Danila nennst, so kann ich nicht voraussagen, was Darraco mit euch tun wird. Du bist kräftig und würdest dich gut als Sklave eignen. Aber es ist ebenso möglich, daß Darraco sehen möchte, wie du dich mit der Waffe in der Hand
bewährst, und er dich deshalb gegen einen seiner Aerupen kämpfen läßt. Ist Darraco aber in schlechter Laune, dann kann er dich auch töten lassen, ohne dir Gelegenheit zur Gegenwehr zu geben. Deine Gefährtin Danila ist so schön, daß ich mir vorstellen könnte, daß sich einige Piraten um ihre Gunst bewerben. Sofern ich mir ein Urteil über den Geschmack von Darracos Männern erlauben darf, möchte ich sagen, daß sie es für wert erachten werden, um ihre Gunst zu kämpfen. Aber ich glaube nicht, daß Darraco sofort über eure Verwendung bestimmen wird. Er hat vordringlichere Probleme, so daß er sich erst später um euch kümmern wird. Ich wünsche dir viel Glück, Dragon. Und ich wünsche auch für mich, daß du Glück hast und am Leben bleiben wirst. Denn du bist der erste Mensch, dem ich mich mitteilen kann. Nicht einmal zu Darraco, der ein großes Einfühlungsvermögen in mich bewiesen hat, ist mir ein so tiefer Kontakt möglich. Ich habe mein Leben und meinen Werdegang vor dir ausgebreitet, während du schliefst. Jetzt merke ich, daß du wieder zu Bewußtsein kommst, und ich fürchte, daß du dann keine Beziehung mehr zu mir hast und alles nur für einen Traum hältst. Ich möchte dich aber noch wissen lassen – und hoffe, daß dies in deiner Erinnerung haften bleibt –,
daß ich nun zutiefst bedaure, was ich dir und deiner Gefährtin antat. Es kann nun nicht mehr ungeschehen gemacht werden, aber es mag dir ein Trost sein, daß ich euch nicht böse gesonnen bin. Ich bin selbst eine Sklavin der Piraten und muß mich ihren Befehlen fügen. Aber ich hoffe immer noch auf Erlösung und daß es mir wenigstens gewährt ist, in Skortsch einzugehen, wenn ich schon nicht meine Freiheit zurückgewinnen kann ... Die phantastischen Bilder verblaßten langsam. Dunkelheit senkte sich über Dragon. Doch die Leere in seinem Geist hielt nicht lange an, sein Bewußtsein regte sich, Gedanken wurden geboren, die schnell von ihm Besitz ergriffen. Was für ein Traum! Aber – war es wirklich nur ein Traum gewesen? Dragon erinnerte sich wieder der Vorfälle, ehe er die Besinnung verloren hatte. Er und Danila waren von einer riesigen Wanderwolke überfallen worden, die sie durch ein betäubendes Gas außer Gefecht gesetzt hatte, bevor sie sich zur Wehr setzen konnten. Diese Wolke war Wirklichkeit. Aber Dragon konnte sich nicht an Piraten erinnern. Er hatte keine Menschenseele zu Gesicht bekommen, nur die Wolke, die plötzlich über sie hergefallen war.
Wieso kam er auf Piraten und die phantastische Geschichte von Wolkenstechern und Aerupen, Vesta, dem Herrn der Elemente und den entfesselten Elementargeistern, die die Wanderwolken während eines ausschweifenden Festes gezeugt hatten? War das betäubende Gas daran schuld? Hatte es diese Trugbilder in seinem Geist entstehen lassen? Dragon hatte die Augen immer noch geschlossen. In seinen Ohren war ein dumpfes Dröhnen, aus dem sich langsam andere Geräusche herauskristallisierten. Er konnte sie noch nicht genau unterscheiden, aber er war sicher, menschliche Laute aus den anderen Geräuschen herauszuhören. Die Stimmen waren aber so fern, daß er keine Einzelheiten verstehen konnte. Da er nun überzeugt war, daß es Menschen oder sonstige Lebewesen in seiner Nähe gab, gemahnte er sich zur Vorsicht. Ein Versuch zeigte ihm, daß er sich ungehindert bewegen konnte, daß seine Arme und Beine nicht gefesselt waren. Er öffnete die Augen einen Spalt. Um ihn war Dunkelheit, die nur durch ein von rechts einfallendes Licht erhellt wurde. Er wagte es aber noch nicht, den Kopf zu wenden, um nach der Lichtquelle zu sehen. Von dort kamen aber auch die Geräusche. Als er eine Weile in die Dunkelheit über ihm gestarrt hatte, entdeckte er darin einige Lichtpunkte, die immer
mehr wurden, je länger er darauf starrte. Das mußten Sterne sein. Er lag unter freiem Himmel ... und auf einer Wolke! Als er vorsichtig nach dem Amulett auf seiner Brust tastete, vermeinte er seine Pulsation zu verspüren. War es möglich, daß das Amulett als Vermittler zwischen den Gedanken der Wolke und seinem Unterbewußtsein gedient hatte? Die Wolken waren organische Lebewesen mit einigem Verstand – das hatte er schon von Danila erfahren und durch sein persönliches Erlebnis herausgefunden. Aber war diese Wanderwolke so intelligent, daß sie imstande war, so kluge Gedankenketten aneinanderzureihen, um ihm während des ohnmachtsähnlichen Schlafes ihren Lebensweg und die damit verbundenen Menschenschicksale zu schildern? Habe ich geträumt? dachte Dragon eindringlich. Nein, ich, Aerula-thane, habe geträumt und dich diesen Traum erleben lassen, drang es in Dragon Geist. Ich bin unsagbar glücklich, daß ich auch noch nach deinem Erwachen Verbindung mit dir habe. Woran liegt es, daß ich mich mit dir verständigen kann wie mit keinem anderen Menschen? Bist du auch ein Geschöpf Aerulas? Nein. Ich selbst besitze nicht die Gabe der Gedankenübertragung, sondern das Amulett auf
meiner Brust vermittelt sie mir. Du meinst das seltsam leuchtende Ding, das du trägst, Dragon? »Jawohl, Aerula-thane, durch dieses Amulett habe ich alles über dich erfahren«, sagte Dragon unwillkürlich vor sich hin. »Was ...?« Danila regte sich neben ihm. Er griff schnell nach ihrer Hand und drückte sie. »Still!« raunte er ihr zu. »Ich möchte noch nicht, daß man unser Erwachen merkt!« »Wer soll es nicht merken?« »Wir sind in die Hände einer Bande von Plünderern geraten«, klärte Dragon sie auf. »Aber das ist kein Grund, verzweifelt zu sein. Ich werde schon einen Ausweg finden.« Dann dachte er: Wärst du bereit, uns zu helfen, Aerula-thane? Wenn du das tust, verspreche ich dir, alles in meiner Macht stehende zu deiner Befreiung zu tun. Ich würde euch gerne unterstützen. Aber die Wolkenspeere der Piraten machen mich hilflos. Zusammen sind wir stark. Ich weiß noch nicht, was wir tun können. Aber wenn ich einen Plan gefaßt habe, werde ich dich noch rechtzeitig darin einweihen. Verfüge über mich und meine Kinder, Dragon. Ich werde keine Gefahren scheuen, wenn ich Aussicht auf ein Leben in Freiheit habe.
Damit war der Pakt zwischen den beiden so unterschiedlichen Lebewesen geschlossen.
7.
»Die Gefangenen kommen zu sich!« Dragon hatte sich kaum aufgerichtet, als einer der Wachtposten, die Aerula-thane mit ihren Wolkenspeeren in Schach hielten, sein Erwachen mit lauter Stimme bekanntgab. Er sprach ein abgewandeltes Atlantisch. Bevor Dragon noch richtig auf den Beinen stand, kamen aus Richtung des Lagerfeuers ein halbes Dutzend gedrungener Gestalten heran. Einige von ihnen waren ziemlich betrunken, aber ihre Waffen hielten sie sicher in den Händen. Dragon und Danila, die sich schutzsuchend an ihn klammerte, wurden von einem der drei postenstehenden Wolkenstechern mit dem Speer bis an den Rand der Wolke getrieben. Von dort blickte Dragon den sich nähernden Piraten abwartend entgegen.
Zehn Schritte vor Aerula-thane blieben sie stehen. Sie unterschieden sich weder in ihrer Kleidung noch in ihrem Auftreten kaum von den Piraten der Schlangeninsel, fand Dragon. Ihre Kleidung war bunt zusammengewürfelt und farbenprächtig, ebenso wie ihre Kopfbedeckungen, die von breitrandigen, federgeschmückten Hüten bis zu einfach geknüpften Kopftüchern reichten. Der vorderste von ihnen, ihr Wortführer, wie sich gleich darauf herausstellte, war ein Riese von einem Mann und gut einen halben Kopf größer als Dragon, der auch nicht gerade von zwergenhaftem Wuchs war. Ecriol, wie dieser affenartig behaarte Hüne hieß, trug eine ärmellose Jacke, die aus Menschenhaar geflochten war. Um die Körpermitte hatte er eine breite Schärpe aus grüner Seide gebunden, die mit großen Edelsteinen besetzt war. Seine bis zu den Knöcheln reichende Lederhose hatte er in Abständen von einer Handspanne mit Lederriemen an die Beine gebunden; in diesen Riemen steckte ein Arsenal von verschieden geformten Messern. Unter die linke Achsel hatte er ein breites, langes Schwert geklemmt, das in einer Scheide aus schwarz-gelb gesprenkeltem Fell steckte. Seine eindrucksvollste Waffe war jedoch eine eisenstachelbewehrte Keule, die ihm die rechte Hand ersetzte. Der rechte Arm steckte vom Ellbogen an in einem eisenbeschlagenen Lederschaft, an dessen Ende
besagte Keule befestigt war, die ihm bis zum Knie reichte, wenn er den Arm herunterbaumeln ließ. Jetzt deutete er mit seiner Keulenhand auf Dragon und rief zu ihm hinauf: »Komm mit deiner Gefährtin zu uns herunter, daß wir euch aus der Nähe begutachten können, los, spring schon.« Als Dragon zögerte, denn von der Wolke bis zum Boden waren es gut zwei Mannslängen, setzte der Pirat hinter ihm die Speerspitze in seinem Rücken an. Da sprang Dragon. Danila folgte kurz darauf, und Dragon fing sie in seinen Armen auf. »Er hat Kraft, das sieht man, und er weiß, wie man mit Weibern umgehen muß!« rief Ecriol, und die anderen lachten grölend. »Nenn uns deinen Namen, Fremder«, forderte Ecriol Dragon auf, »damit wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.« »Ich heiße Dragon ...« »Und wie nennst du dich, Mädchen?« »Das ist Danila. Sie ...« Ecriol ließ seine Keulenhand drohend an Dragons Gesicht vorbeistreichen und brachte ihn so zum Verstummen. »Ich habe sie nach ihrem Namen gefragt«, sagte der Pirat. »Also soll auch gefälligst sie selbst antworten. Oder bist du stumm, Mädchen?« »Wie Dragon schon sagte, heiße ich Danila.«
Sie erschauerte, als sie die eindeutigen Blicke des Piraten auf sich ruhen sah und verschränkte unwillkürlich die Arme vor ihrem kaum verhüllten Busen. Ecriol machte Anstalten, nach ihren Armen zu greifen, doch da schaltete sich Dragon ein. »Wir sind in Frieden gekommen«, sagte er, um die Aufmerksamkeit des Piraten wieder auf sich zu lenken. Es gelang ihm auch, Ecriols Absicht zu durchkreuzen; der Pirat ließ von Danila ab. Schnell fuhr Dragon fort: »Ich bin nicht von dieser Welt, sondern bin nach hier verschlagen worden, als ich mich aufmachte, Danila zu ihrem Stamm zu bringen, der irgendwo im Norden dieses Landes lagert. Wir waren völlig ahnungslos, als uns diese Wolke überfiel und betäubte.« »Ich kann mir schon vorstellen, daß ihr völlig überrascht wart«, meinte Ecriol lachend. »Aerula-thane ist eben gut abgerichtet.« »Ich beneide euch um diese Wolke«, gestand Dragon. »Ich würde viel darum geben, um in den Besitz eines solchen Transportmittels zu gelangen. Aber ich wage es nicht, euch darum zu bitten. Ich will eure Gastfreundschaft nicht über Gebühr beanspruchen. Wenn ihr uns ein wenig zu essen und zu trinken gebt, wäre ich euch schon dankbar.« »Deine Bescheidenheit rührt mich«, sagte Ecriol belustigt. »Aber sie ist bei uns fehl am Platz. Du kannst unsere Gastfreundschaft ruhig für längere Zeit
beanspruchen. Wir werden euch nicht nur bewirten, sondern auch solange euren Schutz übernehmen, bis entschieden worden ist, was mit euch zu geschehen hat. Ihr seid unsere Gäste.« »Du meinst wohl, eure Gefangenen?« Die Piraten krümmten sich vor Lachen. »Du kannst es nennen, wie du willst«, erklärte Ecriol. »Jedenfalls werden wir euch nicht so schnell wieder laufenlassen. Außer wenn Darraco bestimmt, daß ihr um euer Leben laufen sollt. Ha, ha!« Dragon ging in Kampfstellung. Aber da ihm die Piraten alles außer seinem Amulett abgenommen hatten, besaß er als Waffe nur noch seine bloßen Fäuste. »Wenn das so ist, dann können wir gleich ...« sagte er, unterbrach sich jedoch, als ihm die Piraten plötzlich ihre Schwertklingen an die Brust setzten. »Nur nichts überstürzen«, ermahnte Ecriol. »Du wirst noch früh genug Gelegenheit bekommen, deinen Mut und deine Kraft zu zeigen. Es wäre schade, wenn du unvernünftig bist und wir dich vorzeitig töten müßten. Zügle also dein Temperament.« An seine Leute gewandt, sagte Ecriol: »Los, führt die beiden ab. Bringt sie zu den anderen Sklaven und habt ein wachsames Auge auf sie. Wenn euch Dragon entkommen sollte, dann erwartet euch das Schicksal, das Darraco ihm zugedacht hätte.«
Mit einem letzten Blick auf Danila machte Ecriol kehrt und begab sich wieder zum Lagerfeuer zurück, wo süßer Wein und die weiblichen Aerzel seiner harrten. Je zwei Piraten nahmen Dragon und Danila bei den Armen, hielten sie mit ihren Dolchen in Schach und wollten sie fortbringen. Da ertönte eine sanfte, jedoch befehlsgewohnte Männerstimme: »Was geht hier vor?« Dragon erblickte einen Alten mit schlohweißem Haar, der völlig lautlos aus der Dunkelheit aufgetaucht war. Er trug eine mit magischen Symbolen bestickte Kutte und stützte sich auf einen reichlich verzierten Stock, obwohl er sich auch ohne dessen Hilfe aufrechthalten konnte. Bei seinem Anblick wurden die selbstherrlichen Piraten ganz klein und demütig. Es war keine Frage, daß sie vor diesem Alten großen Respekt hatten. »Die Wolke hat uns zwei Gefangene gebracht«, sagte einer der Piraten mit Ehrfurcht in der Stimme. »Ecriol hat befohlen, sie einstweilen bei den Sklaven unterzubringen, bis Darraco zurückkommt und über ihr weiteres Schicksal bestimmen wird.« »Ecriol hat überhaupt nichts zu bestimmen«, sagte der Alte abfällig. »Führt die beiden in mein Zelt, damit ich sie in Augenschein nehmen kann.«
»Aber ... dieser Bursche ist gefährlich«, wandte der Pirat ein. »Er könnte die Lage ausnutzen und dich ...« »Die Elementargeister schützen mich«, unterbrach ihn der Alte unwillig. »Außerdem ist der Gefangene unbewaffnet. Wenn es eure ängstlichen Gemüter beruhigt, dann könnt ihr vor meinem Zelt Wache halten.« Damit drehte sich der Alte um und ging davon. Die Piraten folgten ihm mit ihren Gefangenen. Sie brachten Danila und Dragon zu einem halbkugelförmigen Zelt, das aus gespannten Tierhäuten bestand und etwas abseits des Lagers lag. Danila und Dragon wurden durch den mit einer Decke verhangenen Eingang gestoßen. Drinnen erwartete sie der Alte vor einer mit kleiner Flamme brennenden Öllampe. Er saß mit überkreuzten Beinen da, war aber nicht allein. Bei ihm im Zelt befand sich noch ein Mädchen mit langem blondem Haar, das mit verschlafenen Augen um sich blickte. Als sie Dragon sah, wurde sie hellwach. Während das Mädchen mit offener Neugierde in seinem Gesicht forschte, hatte der Alte nur Augen für sein Amulett. Mit einer sparsamen Geste bedeutete er Dragon und Danila, vor ihm Platz zu nehmen. Nachdem die beiden seiner Aufforderung gefolgt waren und die Wachen sich zurückgezogen hatten, sagte Dragon: »Du mußt Umkathel sein, und das Mädchen ist
wohl dein Schützling Priapa.« »Du kennst uns?« wunderte sich Umkathel. Dann lächelte er wissend. »Sicherlich haben die Piraten unsere Namen genannt, so daß es für dich nicht schwer war, mich als Propheten zu erkennen.« »Ich habe mein Wissen über dich nicht von den Piraten«, erwiderte Dragon. Der Alte zuckte die Achseln. »Das ist auch nicht von besonderer Bedeutung ...« »Doch«, widersprach Dragon. »Es ist sogar von großer Bedeutung, woher ich die Auskünfte über dich habe. Ich weiß alles über dich, Umkathel. Ich kenne die Geschichte, wie du mit Priapa den Piraten in die Hände gefallen bist, weiß, welche Schwierigkeiten es mit Nifrego gegeben hat – und ich kenne auch deine geheimsten Wünsche.« Der Alte erwiderte seinen Blick schweigend, sein Gesicht blieb dabei aber ausdruckslos. Endlich sagte er in das erwartungsvolle Schweigen: »Ich muß gestehen, daß du mich neugierig gemacht hast. Wer bist du? Und welche Absichten hast du? Schickte Darraco dich, um mich zu prüfen? Oder bist du hier, um mir den Posten des Propheten streitig zu machen?« »Alle deine Vermutungen treffen nicht zu«, erklärte Dragon. »Es ist die Wahrheit, daß Danila und ich den Piraten zufällig in die Hände gefallen sind. Vor unserer
Gefangennahme wußte ich weder etwas von Darraco noch von dir und deiner Enkelin Priapa. Du kannst auch unbesorgt sein, ich werde mein Wissen nicht gegen dich verwenden. Es ist eher so, daß ich eine Zusammenarbeit mit dir anstrebe. Ich habe nicht vor, lange Darracos Gefangener zu bleiben, sondern beabsichtige, bald zu fliehen. Und ich weiß, daß auch du eine gute Gelegenheit zur Flucht wahrnehmen würdest.« Priapa warf Dragon ängstliche Blicke zu und murmelte: »Dieser Fremde ist mir unheimlich, Umkathel. Wie kommt er dazu, in dieser Art mit dir zu reden?« Dragon wandte sich ihr zu. »Du tust mir unrecht, Priapa. Wenn ich forsch und vielleicht sogar herausfordernd wirke, dann nur deshalb, weil ich mich nicht mit langen Vorreden aufhalten möchte, und sofort auf die Kernprobleme zu sprechen komme.« »Dennoch wirkst du auch auf mich etwas unheimlich, Fremder«, sagte Umkathel. »Willst du nicht dein Geheimnis lüften und uns sagen, woher du dein Wissen hast, obwohl du angeblich vorher nie etwas mit Darraco und seinen Piraten zu schaffen hattest?« Dragon nannte seinen Namen und stellte auch Danila vor. Er erzählte, daß er das Mädchen, das von
den Menschenbestien auf eine andere Welt verschleppt worden war, gerettet und durch das Weltentor gebracht hatte, um es zu seinem Stamm zu führen. Er vergaß auch nicht zu erwähnen, daß ihm die Rückkehr in seine Welt durch eine Explosion unmöglich gemacht worden war. Umkathel lauschte ihm schweigend. Doch als Dragon erklärte, daß er sein Wissen während seines Betäubungsschlafs von Aerula-thane erhalten hatte, zeigte Umkathel Verblüffung. Dragon ergriff sein Amulett und sagte: »Durch dieses Amulett war es mir möglich, die Gedanken der Wanderwolke zu erfahren. Und ebenso wie ich dadurch ihre Gedanken vernehmen konnte, konnte ich mich ihr durch meine mitteilen. Deshalb ist es für mich auch kein Geheimnis, daß du nur zum Schein auf alle Forderungen Darracos eingehst und dabei nur auf eine Gelegenheit zur Flucht wartest. Ich könnte sie dir bieten.« »Höre nicht auf ihn, Umkathel«, sagte Priapa zu dem Alten. »Laß dich von ihm nicht beschwatzen. Er ist ein Spion, den Darraco geschickt hat, um dich auszuhorchen. Merkst du denn nicht, was er bezweckt? Er will von dir ein Schuldbekenntnis, um dich zu Fall zu bringen.« »Du tust mir unrecht, Priapa«, sagte Dragon. »Ich kann verstehen, daß du während der Jahre, die du bei
den Piraten zugebracht hast, mißtrauisch geworden bist. Du hast hier nur Verrat, Ehrlosigkeit und Grausamkeit kennengelernt und kannst nicht mehr glauben, daß es auch noch anderes gibt. Aber wenn du dein Mißtrauen überwindest und mir vertraust, dann gereicht es euch bestimmt nicht zum Schaden. Ist es nicht ein Beweis meiner Ehrlichkeit, daß auch ich euch vertraue?« Priapa senkte den Blick. »Wie gern würde ich einen Menschen kennenlernen, dem ich vertrauen könnte.« »Hast du einen Beweis dafür, daß du Aerula-thanes Freundschaft besitzt?« wollte Umkathel wissen. »Dein Amulett hat mich sofort beeindruckt, es hat etwas Überirdisches an sich. Aber es allein kann mich nicht von der Wahrheit deiner Worte überzeugen.« »Aerula-thane hat mir eine Begebenheit erzählt, die außer euch beiden und Nifrego nur den Wanderwolken bekannt sein kann«, sagte Dragon. »Von welcher Begebenheit sprichst du?« fragte Umkathel. »Aerula-thane erzählte mir, daß Nifrego Gefallen an Priapa gefunden hatte«, berichtete Dragon. »Du, Umkathel, glaubtest, daß seine Liebe so stark wäre, daß er mit euch flüchten würde. Als es dann aber soweit war, hat euch Nifrego zwar aus dem Lager gebracht, aber er landete auf einer Insel, wo er euch auspeitschte
für den Verrat, den ihr an seinem Beutevater begehen wolltet. Nifrego hat zu niemandem darüber gesprochen, und Aerula-thane erfuhr es von der Kleinwolke, auf der ihr geflüchtet seid.« Umkathel sah seine Enkelin an. »Es ist wahr, Nifrego hat nicht einmal Darraco etwas davon erzählt. Wenn Dragon es nicht von Nifrego weiß, dann muß Aerula-thane ihm davon berichtet haben.« »Wenn ich es nur glauben könnte!« sagte Priapa verzweifelt. »Aber es klingt alles so unwahrscheinlich ... Wie gerne würde ich mich an die Hoffnung klammern, daß dieses Leben unter den Piraten bald ein Ende haben wird.« In diesem Moment schaltete sich zum erstenmal Danila ein. Sie legte den Arm um Priapa und sagte: »Dragon ist ein Mann von Ehre, ein Mann, wie man keinen besseren finden kann. Ich habe mein Leben in seine Hände gelegt. Wenn er ein Versprechen abgibt, dann steht er zu seinem Wort.« Danilas Worte erzielten bei Priapa eine größere Wirkung als jede logische Beweisführung. Priapa mußte fühlen, daß das Mädchen es ehrlich meinte und brachte keinen weiteren Einwand mehr vor. »Ich kann mir gut vorstellen, daß du dich nicht der Gewalt der Piraten beugen möchtest, Dragon«, sagte Umkathel. »Aber Mut und Entschlossenheit allein
genügen nicht. Glaube mir, wenn es so einfach gewesen wäre, hätte ich schon längst die Flucht ergriffen. Aber Darraco ist nicht dumm, und er hat hundertundfünfzig kampferprobte Aerupen. Das ist eine zu große Übermacht.« »Ich verlasse mich auch nicht allein auf meine Fäuste«, entgegnete Dragon. »Ich habe in Aerula-thane eine mächtige Verbündete gewonnen. Für die Wanderwolke ist das Leben bei den Piraten nicht minder unerträglich als für dich. Sie will ebenfalls die Freiheit – und wird uns mit sich nehmen.« »Wer hätte jemals gedacht, daß ein Mann eine Blutsbrüderschaft mit einer Wanderwolke eingeht«, sagte Umkathel beeindruckt. »Uns allen ist bekannt, daß Wanderwolken kluge Wesen sind, aber daß sie denken wie ein Mensch ... und ebenso fühlen!« »Aerula-thane und ihre Kinder sind meine Verbündeten«, sagte Dragon bekräftigend. »Wenn auch du dich mir anschließt, dann wird es uns gelingen, Darraco und seiner Meute ein Schnippchen zu schlagen.« Umkathel nickte bedächtig. »Ich will diese Gelegenheit wahrnehmen. Du kannst auf mich zählen.« »Nur werden meine Pläne ein Traum bleiben, wenn der Piratenführer beschließen sollte, mich hinrichten zu lassen«, sagte Dragon bekümmert.
»Das laß nur meine Sorge sein«, beruhigte ihn Umkathel. »Ich besitze großen Einfluß auf Darraco. Zwar wird es mir nicht gelingen, Danila und dich freizubekommen. Aber als Sprachrohr der Elementargeister kann ich eine Prüfung für dich verlangen, die du nur zu bestehen brauchst, um deine Lage zu verbessern. Bist du dir der Unterstützung der Wanderwolken ganz sicher?« »Auf Aerula-thane kann ich mich verlassen«, versicherte Dragon. »Gut.« Umkathel lächelte. »Dann weiß ich, was ich zu tun habe. Ich werde vor Darraco den Anschein erwecken, als fällte ich über dich das Todesurteil.« Dragon runzelte die Stirn. »Das hört sich nicht sehr verlockend an.« »Möglich. Aber wenn du verlangst, daß ich dir vertrauen soll, dann mußt auch du Vertrauen zu mir haben.« »Ich vertraue dir, Umkathel.« »Das habe ich erwartet.« Der Alte erhob sich. »Ich muß euch jetzt aus dem Zelt weisen und den Piraten übergeben. Wenn ich euch noch länger aufhalte, dann könnte das Verdacht wecken. Ich werde dafür sorgen, daß man euch bis zum Urteilsspruch gut behandelt.« Als Dragon und Danila das Zelt des Propheten verließen, graute bereits der neue Morgen. Die vier Piraten nahmen sie in ihre Obhut und brachten sie zum
Lager der Sklaven. Sie hatten ihr Ziel noch nicht erreicht, da ertönte der Ruf: »Darraco ist zurückgekehrt!«
8.
Die beiden Aeruskorten zwangen die Kleinwolke mit ihren Speeren zur Landung. Nachdem Darraco abgesprungen war, brachten sie die Wolke zu Aerula thane, die sie bei sich aufnahm. Darraco war sofort von einer Schar Neugieriger umringt. Er ließ die Huldigungen und Ehrerbietungen zufrieden über sich ergehen. Aber als sein Blick die Runde machte und er Nifrego nirgends erblicken konnte, überschattete sich sein Gesicht. »Ich habe gute Kunde für euch, Männer!« rief der Pirat. »Aber bevor ich euch berichte, möchte ich mich stärken.« Er bahnte sich einen Weg zum Lagerfeuer, wo einige unausgeschlafene Aerzel ein mächtiges Stück Fleisch brieten. Dort erwartete ihn auch Umkathel, der sich,
wie es der Brauch verlangte, vor Darraco in den Staub warf, bis dieser ihm aufzustehen gestattete. Umkathel drückte ihm auf jede Schläfe einen »Kuß Vestas« und ließ sich dann an Darracos Rechten vor dem Lagerfeuer nieder. Jetzt wurde Darracos Gesicht düster. Normalerweise war an seiner rechten Seite der Platz für den ersten Wolkenstecher, und der Prophet saß links. Da aber Umkathel den Platz des Ersten Wolkenstechers einnahm und Ecriol an Darracos linker Seite erschien, mußte etwas Besonderes vorgefallen sein. Darraco hatte es schon geahnt, als er Nifrego nicht in der Menge erblickt hatte. Darraco machte sich aber keine Gedanken darüber, er würde über die Vorfälle noch rechtzeitig unterrichtet werden. Er vermutete aber, daß sein Beutesohn Nifrego in irgendeiner wichtigen Mission unterwegs war. Den Appetit ließ er sich jedenfalls nicht verderben. Er schüttete zuerst einige Becher Wein hinunter, dann führte er einige ordentliche Happen des brutzelnden Fleisches zum Mund und kaute sie schmatzend und rülpsend. Nachdem sich Darraco auf diese Weise einigermaßen gestärkt hatte, verkündete er zwischen zwei Bissen: »Männer, heute abend ist euch reiche Beute gewiß.« Die Piraten brachen in Hochrufe aus. Nachdem sich
ihre Begeisterung gelegt hatte, fuhr Darraco mit vollem Mund fort: »Es hat sich gelohnt, daß ich die Mühen des Erkundungsfluges auf mich genommen habe. Die Späher, die den Nomadenstamm am Rande der Stillen Zone entdeckt haben, haben nicht übertrieben. Im Schutz der Nacht gelang es uns, ganz nahe an das Lager der Hirten heranzufliegen. Ja, es sind in der Hauptsache Hirten, die die wilden Rinder gezähmt haben und nun züchten. Der Handel mit dem Vieh scheint sich für sie gelohnt zu haben, denn sie leben in herrlich geschmückten Zelten und Hütten. Sie sind wohlgenährt und haben es darüber hinaus zu einigem Reichtum gebracht. Und was auch nicht zu verachten ist – die Mädchen sind von außergewöhnlicher Schönheit!« Die Männer brachen wieder in Begeisterungsrufe aus. »Wir waren so nahe am Lager, daß wir ihre Reize genau erkennen konnten. Aber wir haben nicht nur ihre Weiber belauscht. Auch die Männer sahen wir uns genau an. So schön die Mädchen sind, solche Schwächlinge sind die Männer. Es hatte ganz den Anschein, als trügen sie ihre Waffen nur zur Zierde, wie ihre Frauen den Schmuck. Wenn sie um das Lagerfeuer saßen, hatten sie ihre Waffen abgelegt – ein Zeichen dafür, daß sie den Umgang mit ihnen scheuen.
Ihr Anführer heißt Odalik – wir konnten seinen Namen genau hören, der während des Gesprächs am Lagerfeuer nicht selten fiel. Ich habe mir sein Gesicht genau gemerkt und werde ihm meine besondere Aufmerksamkeit schenken.« Das entlockte den Piraten einige derbe Spaße über die Möglichkeiten für die Verwendung von Odaliks Kopf. Nachdem die Zwischenrufe wieder verstummt waren, sprach Darraco weiter. »Ich habe deshalb beschlossen, daß der Überfall am Abend und nicht im Morgengrauen stattfindet, weil die Hirten zeitig auf den Beinen sind. Zwar haben wir von ihnen kaum Gegenwehr zu erwarten, Aber ich möchte diesmal keinen einzigen Mann verlieren. Am Abend sind die Hirten vollauf mit ihren Herden beschäftigt, und wenn wir zu diesem Zeitpunkt über sie herfallen, können wir sie einfach überrumpeln. Haltet also im Trinken Maß, Männer, und hebt euch euren Durst für die Siegesfeier in der kommenden Nacht auf.« Darraco wischte sich mit dem Handrücken seinen fetttriefenden Bart ab und wandte sich an Umkathel: »Was hältst du von meinem Plan, Prophet?« »Vesta selbst hätte ihn nicht geschickter ausdenken können«, schmeichelte Umkathel. »Und ich bin sicher, daß die Tat deine Worte noch bei weitem in den Schatten stellen wird. Wenn du es gestattest, werde ich zuvor noch die Elementargeister beschwören, damit sie
dir und deinen tapferen Männern bei eurem Vorhaben Schutz und Segen geben.« »Befrage nur die Elementargeister«, stimmte Darraco zu. »Vielleicht haben sie noch einen guten Rat für mich, wie ich noch schneller und einfacher ans Ziel gelangen kann. So, aber nun berichte mir endlich, was während meiner Abwesenheit hier vorgefallen ist. Ich ertrage dein beharrliches Schweigen nicht mehr länger, los, Prophet, heraus mit der Sprache!« »Leider habe ich schlechte Nachricht für dich, Aerula-thopa«, sagte Umkathel. »Während deiner Abwesenheit ist etwas vorgefallen, für das ich nicht die richtigen Worte finde. Es betrifft deinen Beutesohn und Ersten Segelmeister Nifrego.« »Ich habe ihn schon vermißt«, meinte Darraco. »Ist ihm etwas zugestoßen? Ist er tot?« »Nein, erhabener Günstling des Luftgeists«, antwortete Umkathel. »Es ist viel schlimmer, er benahm sich plötzlich wie von allen Elementargeistern verlassen – oder wie von ihnen besessen. Er war auf einmal nicht mehr der schlaue und stolze Sohn des Aerula-thopa, sondern ein wilder, ehrloser Dämon. Er versuchte, der ›Unberührbaren‹ Gewalt anzutun.« Umkathel sagte die letzten Worte, als schäme er sich ihrer. Darraco, der schon die schlimmsten Befürchtungen gehabt hatte, konnte bei dieser Eröffnung nur mühsam
ein Grinsen verbeißen. Das ruchlose Verbrechen, das sein Beutesohn begangen haben sollte, war eigentlich nur ein normales Verhalten für einen Mann, der eine Frau begehrte. Aber Darraco wußte natürlich, daß die Dinge nicht so einfach lagen. Selbst ein Erster Wolkenstecher durfte sich nicht alles erlauben, auch für ihn gab es Grenzen, die zu überschreiten ihn den Kopf kosten konnten. »Wo ist Nifrego jetzt?« wollte Darraco wissen. »Ihm wurden die Waffen abgenommen – und er darf das Lager nicht verlassen«, antwortete Umkathel. Einem Mann die Waffen abzunehmen, war eine der schlimmsten Schmähungen – und das nur, weil eine Jungfer Angst um ihre Unschuld hatte. »Mußtest du ihm das antun, Umkathel?« fragte Darraco mit Bitternis in der Stimme und so leise, daß es die anderen nicht hören konnten. Umkathel antwortete ebenso leise: »Ich konnte nicht anders, denn die anderen wurden Zeugen des Vorfalls. Im übrigen gibt es auch für den Beutesohn eine Piratenführers keine Ausnahme. Wer gegen die Gesetze verstößt, und sei es nur, daß er sich an einer ›Unberührbaren‹ vergreift, muß die Strafe der Götter über sich ergehen lassen. Ich werde als Prophet und im Namen von Priapa Klage gegen Nifrego führen müssen, will ich nicht mein Gesicht verlieren.« Darraco nickte, das verstand er. Er blickte die
Umstehenden der Reihe nach an und herrschte sie dann an: »Verfluchte Bande! Geht mir aus den Augen!« Und leiser fügte er hinzu: »Es ist keiner unter ihnen, in dessen Augen nicht die Schadenfreude zu lesen ist. Ich könnte sie am liebsten alle erwürgen.« »Das würdest du tun – nur deines unwürdigen Beutesohnes wegen?« fragte Umkathel. Darraco wartete, bis sich die Piraten zerstreut hatten. Als er mit dem Propheten allein war, sagte er: »Ich kann und will nicht meinen besten Aeruskorten opfern, nur weil einmal seine Leidenschaft mit ihm durchgegangen ist. Du hättest ihm Priapa geben sollen, dann wäre es nicht soweit gekommen. Aber ich weiß, daß du Nifrego haßt. Du haßt auch mich!« »Habe ich dir in alle den Jahren meiner Gefangenschaft nicht gute Dienste geleistet?« fragte Umkathel. »Ja, das stimmt«, mußte Darraco zugeben. »Du hast dein Amt als Prophet zu meiner vollsten Zufriedenheit erledigt – und mehr kann ich von dir auch nicht erwarten. Ich will dir nicht grollen, daß du Priapa meinem Beutesohn verweigert hast. Ein Prophet soll eine seinem Stande zukommende Handlungsfreiheit haben. Aber ich werde nicht zulassen, daß du den Stab über Nifrego brichst. Hast du verstanden, Umkathel?« »Ich werde die Götter befragen«, antwortete
Umkathel ruhig. »Sie werden über Nifrego das Urteil sprechen.« »Ja, befrage nur deine Elementargeister, das macht sich vor den anderen immer gut«, sagte Darraco. »Aber du wirst Vitu, Erthu, Skortsch, Tyde und Aerula so beeinflussen, daß sie ein mildes Urteil über Nifrego sprechen. Solltest du ihn in deinem Urteilsspruch deinen Haß fühlen lassen, dann sollst du sehen, wie schnell ein Prophet zu Fall kommen kann.« »Du hast keinen Grund, dich aufzuregen, Darraco«, meinte Umkathel. »Die Götter haben uns ein gutes Omen geschickt.« »Wirklich?« fragte der Pirat mißtrauisch. »Wenn ich es dir sage!« Umkathel grinste verschwörerisch. »Die Elementargeister haben ein Mädchen und einen Mann in unser Lager entsandt, die dazu ausersehen sind, Nifregos Schuld zu büßen.« Jetzt grinste auch Darraco und brach in ein schallendes Gelächter aus. »Bist du gerissen, Umkathel«, sagte er, nachdem er sich beruhigt hatte. »Ich wußte doch, daß ich mich auf dich verlassen kann. Willst du mir nicht verraten, was du mit den beiden vorhast?« Umkathel machte ein unschuldiges Gesicht. »Wie soll ich denn jetzt schon wissen, wie die Elementargeister entscheiden werden?« Diese Bemerkung löste einen zweiten Lachsturm bei
Darraco aus. Es kostete ihm sichtlich Mühe, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten und wieder eine ernste Miene aufzusetzen. Er durfte sich nicht zu unbekümmert geben, denn sonst wäre das seinen Leuten doch zu seltsam vorgekommen, zumal sein geliebter Beutesohn einem fürchterlichen Gottesurteil entgegensah. Umkathel hatte sich gut auf seinen Auftritt vorbereitet. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht, als er sich zu dem von Steinen abgesteckten Kreis begab, in dessen Mitte ein großer Scheiterhaufen brannte. Die Piraten standen dichgedrängt außerhalb des steinernen Kreises und warteten angespannt auf das zu erwartende Schauspiel. Nachdem Umkathel seinen Platz vor dem Feuer eingenommen hatte, erschien Nifrego an der Seite seines Beutevaters. Als Umkathel dem Blick des Ersten Segelmeisters begegnete, sah er darin leidenschaftlichen Haß lodern. Nun, wenn alles nach Umkathels Plan verlief, dann wäre dies das letzte Mal, daß er in Nifregos Augen blicken mußte. Jetzt erschien auch Priapa, die sich zu Nifrego auf die andere Seite des Feuers begab. Wenig später wurden Dragon und Danila vorgeführt und bekamen den Platz zwischen Priapa und Nifrego zugewiesen. Man hatte darauf verzichtet, sie zu fesseln, und
Umkathel stellte auch mit Erleichterung fest, daß Dragon sein Amulett behalten hatte. Das war wichtig, denn Umkathels ganzer Plan war darauf aufgebaut, daß Dragon im Besitz des Amuletts blieb. Und natürlich war Voraussetzung, daß Dragon mit Hilfe des Amuletts in Gedankenverbindung mit der Wanderwolke Aerula-thane treten konnte. Hatte er gelogen, dann ... nun, dann hatte er sich seine Niederlage selbst zuzuschreiben. Umkathel ging in keinem Fall ein Wagnis ein. Nachdem die Voraussetzungen gegeben waren, begann Umkathel mit dem Zeremoniell. Er breitete seine magischen Hilfsmittel vor sich aus, die Lederbeutel mit den verschiedenen Pulvern, die Symbole, die die Elementargeister Vitu, Erthu, Skortsch, Tyde und Aerula darstellten – und formte sie zu dem Bildnis von Vesta, dem Herrn der Elemente. Zuerst tat Umkathel etwas aus einem der Beutel ins Feuer, damit sich die Flammen bläulich verfärbten und einen eindrucksvollen Qualm entwickelten. Es war windstill, so daß der Rauch senkrecht in den Himmel stieg – was die Piraten immer gerne sahen, weil sie darin ein Zeichen für unerschöpfliche Manneskraft sahen. Immer wenn die Rauchentwicklung schwächer wurde, schüttete Umkathel etwas Pulver in die Flammen. Zwischendurch warf er auch für diese
Zwecke hergerichtete Holzstäbchen ins Feuer, damit es eindrucksvoll knisterte und knallte und die Funken sprühten. Die Piraten sollten ihre Phantasie nur ruhig anstrengen und den Funkenregen nach eigenem Gutdünken auslegen. Umkathel verzichtete diesmal darauf, die Hinterlassenschaft seinen Vorgängers Efftriar zum Einsatz zu bringen und ließ den Feuerstein, den Erdbrocken, den nie verdunstenden Wassertropfen und die schillernden Tierknochen beiseite. Das wurde nur bei Weissagungen benötigt, nicht aber bei Wahrsprechungen. Heute sollte nicht die Zukunft gedeutet, sondern ein Gottesurteil eingeholt werden. Während Umkathel seinen Singsang von sich gab und den Inhalt seiner Lederbeutel ins Feuer streute, schob er sich zwischendurch immer wieder fingernagelgroße Stücke einer Baumrinde in den Mund, die er solange zerkaute, bis sie sich in seiner Mundhöhle aufgelöst hatten. Die dabei entstehenden Dämpfe atmete er tief ein, die Säfte schluckte er. Die Rinde stammte von einem Baum mit seltsamen Eigenschaften. Die Piraten nannten ihn »Traumbaum« und blieben ihm tunlichst fern, denn wenn ein Lebewesen in seine Nähe kam, schüttelte er Blütenstaub von den Ästen, der, atmete man ihn ein, einen den Verstand verlieren und die
unglaublichsten Dinge anstellen ließ. So hatte Umkathel einmal mit eigenen Augen gesehen, wie ein von diesem Blütenstaub beeinflußter Pirat sich lachend den eigenen Bauch aufgeschlitzt hatte ... Nichtsdestotrotz hatte es Umkathel gewagt, sich die Rinde von diesem Baum zu beschaffen. Er hatte die verschiedensten Versuche damit angestellt, bis er erkannte, daß der bloße Genuß dieser Rinde die Sinne stärkte und die Lebensgeister anregte, gleichzeitig aber den Körper zu seltsamen Reaktionen veranlaßte. Die Glieder begannen plötzlich unkontrollierbar zu zucken, das Gesicht schnitt wie von selbst Grimassen – es sah ganz so aus, als sei man von einem Geist besessen. Niemand konnte diesen Zustand so täuschend echt vorspielen, wie es unter der Wirkung der Rinde des »Traumbaums« gelang. Wichtig für Umkathels Zwecke war dabei, daß er nie die Herrschaft über seinen Geist verlor. Wenn sein Körper auch die verrücktesten Dinge anstellte, so hatte er sich geistig immer in der Gewalt. Es kam sogar für Umkathel überraschend, als seine Arme zu zucken begannen. Und dann konnte er auch nicht mehr die Beine still halten. Sie gehorchten ihm nicht mehr und begannen ein selbständiges Leben zu führen. Innerlich blieb Umkathel völlig ruhig, während sich
sein Körper wie in Ekstase gebärdete. Umkathel gab zuerst einige Klagelaute von sich, dann folgte ein schriller Schrei. Er wiederholte das solange, bis er sich heiser geschrien hatte und seine Stimme einen fremdartigen Klang bekam. Sein Körper verrenkte sich weiter unter konvulsivischen Zuckungen, seine Arme und Beine schlenkerten wie an Schnüren, die Finger verkrampften sich und sein Gesicht wurde zu einer dämonischen Fratze. »Aerula!« rief Umkathel wieder und wieder in den verschiedensten Tonarten: »Aerula! Aerula!« Der ekstasische Tanz des Alten ging weiter. Er richtete sich auf, sank wieder in sich zusammen und wand sich schlangengleich über den Boden. Seine Füße stampften, seine Hände trommelten. »Aerula – ich bin du!« Ein Raunen ging durch die Menge. Darraco hielt den Atem an. Wenn er den Alten so betrachtete, glaubte er beinahe selbst, daß der Luftgeist von ihm Besitz ergriffen hatte. Kein Mensch war in der Lage, sich aus eigener Kraft zu solchen Verrenkungen hinreißen zu lassen – nur ein von einem Elementargeist Bessener. »Ich, Aerula, richte durch den Mund dieses Gläubigen das Wort an meine Kreaturen!« kam es mit fremder Stimme über Umkathels Lippen. Er lag jetzt einigermaßen ruhig bäuchlings im Staub,
nur seine Finger waren in Bewegung und zeichneten seltsame Figuren auf den Boden. »Ich bin in diesen Körper geschlüpft, um Klage im Namen der Unberührbaren gegen den Schänder Nifrego zu führen!« kam es keuchend, abgehackt und kaum verständlich über Umkathels Lippen. Dennoch konnten ihn alle hören, denn die Piraten verhielten sich still, waren wie gelähmt auf ihre Plätze gebannt. »Wollt ihr tun, was ich euch befehle? Werdet ihr das Urteil vollstrecken, das ich fälle, wie immer es auch ausfällt?« »Wir werden dein Urteil vollstrecken«, sagte Darraco mit belegter Stimme. Es folgte eine kurze Pause, während der Umkathels Finger weiterhin magische Figuren und Formen in den Sand zeichneten. »So höret!« Wieder entstand eine kurze Pause, bevor sich Aerula neuerlich aus Umkathels Mund meldete. »Ich habe den Schänder beobachtet und schon lange mein Urteil über ihn gefällt, bevor er diesen Frevel beging. So schickte ich lange zuvor schon zwei meiner Diener auf den Weg, deren Namen Dragon und Danila lauten. Danila und Dragon sind von mir ausersehen, Nifregos Schuld zu tilgen. Danila ist die Fleischwerdung der entweihten Unberührbaren. Dragon ist die Fleischwerdung von Nifregos Schuld.«
Umkathel verstummte wieder für einige Zeit. Während Darraco zufrieden grinste, fühlte sich Dragon plötzlich ziemlich unbehaglich. Hatte er sich in Umkathel getäuscht und wollte dieser ihn und Danila als Sündenbock für das Vergehen eines anderen benützen, nur um seine eigene Haut zu retten und die Rache des Piratenführers nicht fürchten zu müssen?« Dragon wollte es nicht recht glauben, doch Umkathels Verhalten ließ eigentlich keinen anderen Schluß zu. Als Dragon zu Priapa blickte, erkannte er, daß auch sie von Umkathels Verhalten überrascht war. Doch Dragons Zweifel wurden gleich darauf von Umkathel zerstreut. »Nifrego kann zeigen, ob er ein aufrechter Mann ist, der nur einmal gefehlt hat«, gab Umkathel in Aerulas Namen von sich. »Er soll sich mit Dragon in einem ehrlichen Wettstreit messen. Verliert Nifrego das Kräftemessen, dann soll sein Leben mir geopfert werden, indem Aerula-thane ihn zu Tode stürzt. Ist aber Nifrego der Sieger, dann ist er frei von jeder Schuld.« Umkathel schien das Sprechen immer schwerer zu fallen. Er selbst spürte, wie sich die Wirkung der Traumbaumrinde verflüchtigte und sich die Müdigkeit in seinem Körper einstellte. Er mußte alle seine Willenskraft in Anspruch nehmen, um die Müdigkeit zu verdrängen und seine Rolle zu Ende spielen zu können.
»Folgende Regeln müssen bei dem Wettstreit beachtet werden ... Es ist mein Wille, daß Nifrego und der Gefangene mit dem Amulett jeder eine Wanderwolke besteigen sollen, um sie zu einem Wahrzeichen, das ich noch zeigen werde, und wieder zurück zu steuern. Jeder darf nur einen Wolkenspeer bei sich haben und was er sonst am Leibe trägt, jedoch untersagt der Verzicht auf Waffen nicht auch den Kampf. Innerhalb dieser Grenzen ist es den Wettkämpfern erlaubt, sich aller ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu bedienen. Sieger ist derjenige, der zuerst wieder hierher zurückkommt. Der andere aber lädt alle Schuld auf sich und soll von Aerula-thane zu Tode gestürzt werden.« Umkathel hatte kaum geendet, da brach er vor Erschöpfung zusammen. Sofort kümmerten sich einige Aeruskorten um ihn und brachten ihn in sein Zelt. Darraco war der Erste, der den Propheten aufsuchte, nachdem dieser wieder zu sich gekommen war. »Du warst großartig, Umkathel«, lobte der Piratenführer. Fast bin ich geneigt zu glauben, daß wirklich Aerula aus deinem Mund gesprochen hat, denn das Urteil war weise und gerecht.« »Du kannst leicht zufrieden sein«, sagte Umkathel mit noch schwacher Stimme. »Denn der Fremde mit dem Amulett hat nach menschlichem Ermessen keine Aussicht, den Wettkampf zu gewinnen.«
»Das ist richtig«, meinte Darraco grinsend. »Der Fremde ist schon so gut wie tot – und Nifregos Schuld somit gesühnt. Und du behältst deinen Kopf ebenfalls. Was für ein weiser Prophet du bist, Umkathel! Mit jedem Mal steigst du in meiner Achtung.« Darraco unterbrach sich, als vor dem Zelt ein Tumult entstand. Er ging hinaus, um nachzusehen, was vorgefallen war. Die Piraten redeten alle durcheinander, so daß er kein Wort verstehen konnte. Aber er brauchte nur der Richtung ihrer Arme zu folgen, um die Ursache für ihre Aufregung zu sehen. Eine Reitstunde vom Lager entfernt, am Rande des tödlichen Dschungels hatte ein Baum, der alle anderen an Größe überragte, Feuer gefangen und brannte lichterloh. »Das muß das von Aerula bestimmte Ziel für den Wettflug sein!« behaupteten die Piraten. Als Darraco ins Zelt kam, wurde ihm das von Umkathel bestätigt. »Wie hast du nur das wieder zuwege gebracht?« sagte der Piratenführer ehrfürchtig. »Mit Aerulas Hilfe«, antwortete Umkathel. Er dachte nicht daran, dem Piratenführer seine Tricks zu verraten. Dabei war es recht einfach gewesen, den Baum zum Brennen zu bringen. Er hatte am Vormittag Priapa, unter dem Vorwand Kräuter zu sammeln, auf einer Kleinwolke zu dem Baum geschickt
und ihn von ihr mit einer Masse bestreichen lassen, die sich nach längerer Sonnenbestrahlung von selbst entzündete.
9.
Für die Piraten war der Ausgang des Wettfliegens eine klare Sache, und die Begeisterung war lange nicht so groß, wie bei ähnlichen Ereignissen, bei denen sich zwei gleichwertige Gegner gegenüberstanden. Der Fremde befand sich auf verlorenem Posten, denn wie sollte er, der von Wolkenstechen überhaupt keine Ahnung hatte, den geschicktesten Segelmeister weit und breit übertrumpfen können? Aber ein Gottesurteil war nun mal ein Gottesurteil und mußte hingenommen werden. Das Interesse der Piraten wurde wieder etwas angefacht, als es zur Wahl der Wolkenspeere kam. Nifrego wollte mit einer großmütigen Geste seinem Widersacher die erste Wahl lassen, doch dieser lehnte mit den Worten ab: »Danke, ich benötige keinen Wolkenspeer.«
»Was soll das!« regte sich Darraco auf. »Willst du, anstatt wenigstens wie ein Mann zu kämpfen, freiwillig in den Tod gehen?« »Ich will siegen, aber dazu brauche ich keinen Wolkenspeer«, antwortete Dragon. »Wie denn, willst du mit bloßen Händen die Wolke stechen?« »Ich begnüge mich mit meinem Amulett, das bringt mir Glück.« Darraco wandte sich hilfesuchend an den Propheten. »Ist das zulässig, Umkathel?« »Ein solches Schmuckstück, wie Dragon es trägt, ist wohl nicht als Waffe zu bezeichnen, oder?« antwortete der Prophet. »Dann soll es sein«, seufzte Darraco. »Sind die beiden Wettkämpfer bereit?« Dragon und Nifrego stellten sich nebeneinander auf. Dragon beachtete seinen Gegner überhaupt nicht, spürte aber dessen spöttische Blicke auf sich ruhen. Die beiden Kleinwolken lagen zehn Meter von ihnen entfernt auf dem Boden. Dragon blickte zu Aerula thane hinauf, die unter der Aufsicht von vier Wolkenstechern zehn Mannslängen über ihnen schwebte und sich so noch in Reichweite von Dragons Amulett befand. Hast du meine Wolke, wie versprochen, davon
unterrichtet, was sie zu tun hat? erkundigte sich Dragon in Gedanken. Ich habe alle beide eingehend unterwiesen, kam Aerula-thanes Antwort. Deine Wolke heißt Aeruufa und ist die klügere. Dafür ist Nifregos Wolke schneller. Ich konnte es nicht verhindern, daß er sie bekommt, doch das wird kein Nachteil für dich sein. Aeruufa weiß, was auf dem Spiel steht und wird das letzte für dich hergeben. Nifregos Wolke dagegen wird sich allen Befehlen widersetzen, um den Flug zu verzögern. Du kannst nicht verlieren, Dragon. Nifregos Wolke wird eher sterben, als ihn vor dir ans Ziel zu bringen. Das beruhigte Dragon. Es sah dem Wettkampf zuversichtlich entgegen. Als Umkathel das Zeichen zum Start gab, rannten die beiden Wettkämpfer los. Dragon war etwas schneller und hatte seine Wolke früher als Nifrego erklommen. Kaum hatte Dragon auf der Wolke Halt gefunden, als sie wie von der Schleuder geschnellt davonschoß. Ein überraschtes Raunen ging durch die Piraten, und langsam begannen sie zu hoffen, daß es doch noch ein spannender Wettflug werden würde. Nifrego ballte in hilfloser Wut die Fäuste, als er sah, daß Dragon schon einen Vorsprung von gut zehn Metern hatte, bevor er selbst seinen Wolkenspeer überhaupt einsetzen konnte und die Wolke dazu brachte, vom
Boden abzuheben. Und Dragons Vorsprung vergrößerte sich immer mehr. Jetzt lag er schon mit zwanzig Mannslängen voran. Als er sich umdrehte, sah er Nifrego wild mit seinem Wolkenspeer hantieren – er tat es mit solchem Einsatz, als gelte es, gegen die Wolke zu kämpfen und nicht, sie zu führen. Als sie die Hälfte des Weges zu dem brennenden Baum zurückgelegt hatten, war Dragons Vorsprung auf zehn Wolkenlängen angewachsen. Aber bald mußte Dragon feststellen, daß er langsam wieder kleiner wurde. Aeruufa, schneller! dachte Dragon angestrengt. Die Wolke hatte sich so verformt, daß sie vorne spitz zulief und der Luft weniger Widerstand bot. Als etwas Rückenwind aufkam, ließ sich die Wolke ein Segel wachsen, um auch diese Möglichkeit für eine Erhöhung der Geschwindigkeit auszunutzen. Dragon merkte, daß Aeruufa das letzte aus sich herausholte. Dennoch konnte sie nicht verhindern, daß der Abstand zwischen ihnen und dem Verfolger dahinschmolz. Dragon erreichte mit seiner Wolke den Baum. Aeruufa zog eine enge Schleife, wurde aber vom Wind, der ihr nun entgegenschlug etwas abgetrieben und verlor auch an Höhe. Bis sie das Segel eingeholte hatte, verging eine für Dragon endlos erscheinende Zeit, und
er war sicher, daß Nifrego dadurch mindestens zwei Mannslängen auf sie gutgemacht hatte. Brav, Aeruufa, dachte Dragon. Wir schaffen es. Wir müssen es schaffen! Sie hatten den brennenden Baum hinter sich gelassen. Dragon stellte plötzlich fest, daß Nifrego, der ihnen entgegenkam, geradewegs auf sie zuschoß. Weiche ihm aus, Aeruufa! dachte er. Nifrego führt bestimmt irgendeine Gemeinheit im Schilde. Dragons Wolke versuchte nun, dem entgegenkommenden Nifrego in die Höhe auszuweichen. Doch Nifrego hatte diese Absicht durchschaut und lenkte seine Wolke ebenfalls in steilem Bogen hinauf. Und hier erwies es sich, daß seine Wolke die flugtüchtigere war, denn trotz brutaler Gewaltanwendung, mit der Nifrego ihren Widerstand brechen mußte, stieg sie schneller empor als Aeruufa. Und dann befanden sich die beiden Wolken für einige Augenblicke dicht nebeneinander. »Du Schurke!« rief Nifrego zu Dragon herüber. »Welche Tricks du auch immer anstellst, um deine Wolke zu beflügeln – ich werde dich schlagen!« Dragon lachte ihn aus. Das brachte Nifrego so in Wut, daß er seinen Wolkenspeer über dem Knie entzweibrach und das abgebrochene Ende nach Dragon warf. Dragon wich dem Wurfgeschoß geschickt aus, und
es bohrte sich mit der Spitze in seine Wolke. Im nächsten Moment durchlief Aeruufa eine Erschütterung. Dragon hörte ihren gedanklichen Schmerzensschrei und wurde dadurch gewarnt. Er hielt sich an einer Erhöhung fest, als sich die Wolke plötzlich zur Seite legte und zu trudeln begann. Dragon sah, daß sich die Wolke immer mehr zur Seite neigte und befürchtete, daß sie sich überschlagen würde. Sie schien sich überhaupt nicht mehr in der Gewalt zu haben. Ihr Körper zuckte ständig, Blasen bildeten sich auf ihrer Oberfläche, die mit lautem Knall platzten und denen ein übelriechendes Gas entströmte. Dragon spürte, wie ihm die Sinne zu schwinden drohten. Das Gas, das Aeruufa in einer Schreckreaktion abließ, hatte eine betäubende Wirkung auf ihn. Wieder drohte sich Aeruufa zu überschlagen, doch konnte sie ihr Gleichgewicht im letzten Moment noch wiederfinden. Aber inzwischen hatten sie schon soviel an Höhe verloren, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis sie auf dem Boden aufprallte. Dragon sah eine Armlänge vor sich den ellenbogenlangen Speerschaft aus der Wolke ragen, der an allem schuld war. Ohne Zweifel hatte er ein wichtiges Nervenzentrum von Aeruufa getroffen und wirkte nun wie ein Wolkenspeer, nur daß damit eine nachteilige Wirkung erzielt wurde. Mit zwei Klimmzügen brachte sich Dragon
schließlich zu dem Speerschaft und zog ihn mit einem Ruck aus der Wunde. Sofort fand Aeruufa wieder ihr Gleichgewicht und schoß mit steigender Geschwindigkeit in die Höhe. Aber Nifrego war inzwischen mit seiner Wolke auf drei Mannslängen herangekommen. Nifrego wußte, daß er die schnellere Wolke hatte, deshalb war es ihm auch anfangs unerklärlich, wie es möglich war, daß ihn der Fremde mit dem Amulett so spielerisch hatte abhängen können. Doch jetzt zerbrach er sich nicht mehr den Kopf darüber, denn das lenkte ihn nur ab. Er wußte, daß er der bessere Mann war und einfach gewinnen mußte. Alles andere zählte nicht. Als Nifrego dann auf gleicher Höhe an der Wolke seines Gegners vorbeiflog, und den abgebrochenen Speerschaft warf, da zielte er gar nicht auf Dragon, sondern auf die Wolke. Und sein Geschoß traf genau dort, wo er es wollte. An der empfindlichsten Stelle der Wolke, wo ein einziger Druck genügte, um alle ihre Körperfunktionen praktisch lahmzulegen. Nach der Umrundung des brennenden Baumes beobachtete Nifrego die verzweifelten Bemühungen des anderen, den Speerschaft aus der Wunde zu ziehen. Und es gelang ihm auch. Inzwischen war Nifrego aber bereits auf drei Mannslängen herangekommen. Das Lager war schon
ziemlich nahe, man konnte Einzelheiten an den Männern erkennen, die vor Begeisterung rasten. War das die Vorfreude auf seine Niederlage? Er würde es ihnen zeigen. Er, Nifrego, war der bessere Wolkenstecher und flog die bessere Wolke. In diesem Wettkampf war noch alles drin. Er würde siegen. Der Vorsprung, der auf eineinhalb Mannslängen zusammengeschrumpft war, konnte leicht aufgeholt werden. Nifrego hatte bisher seiner Wolke noch nicht das Allerletzte abverlangt. Er hatte die Wolke geschunden, er hatte sie spüren lassen, daß er ihr unumschränkter Meister war; er hatte sie durch Druck auf ihre Reizstellen aufgepeitscht und ihr gleichzeitig Schmerz zugefügt. Aber er war nicht so weit gegangen, ihr bleibende Schäden zuzufügen. Wenn er sie auch quälte, so wollte er ihr Leben doch schonen. Nun, so knapp vor dem Ziel, da er immer noch im Hintertreffen lag und seine Existenz bedroht sah, kannte er keine Rücksichtnahme mehr. Er trieb den Speer tief in die Wolke hinein und tastete sich mit der Speerspitze zum Herzen der Wolke vor. Sein Beutevater hatte ihn gelehrt, daß dieser Stich unweigerlich zum Tode der Wolke führen mußte. Aber bevor sie endgültig ihren Geist aufgab, kam es noch einmal zu einer wahren Kräfteexplosion, die sie für
einige Atemzüge zu der doppelten Leistung antrieb, zu der sie normalerweise fähig war. Und dies müßte genügen, um ihm den Sieg zu bringen. Das Ziel war nur noch zehn Wolkenlängen entfernt, die Piraten stoben bereits auseinander, um den Landeplatz für die Wanderwolken freizugeben. Da stieß Nifrego den Speer der Wolke ins Herz. Sie bäumte sich auf – und schnellte dann mit rasender Geschwindigkeit nach vorne. Doch plötzlich wurde sie ganz ruhig. Sie war auf einmal wie gelähmt. Nifrego hatte seinen Gegner schon längst überholt und um zwei Mannslängen hinter sich gelassen. Nun aber flog Dragons Wolke an ihm vorbei, ließ ihn immer weiter zurück, bis der Vorsprung uneinholbar war. Nifrego stieß wie von Sinnen immer wieder den Speer in die Wolke hinein. Er war sicher, auf ihr Herz zu zielen, doch die Wolke reagierte überhaupt nicht mehr darauf. Gemächlich schwebte sie dem Ziel zu und setzte auf dem Boden auf, nachdem Dragon schon längst seine Wolke verlassen hatte. Bevor Nifrego ebenfalls von der Wolke stieg, versuchte er noch einmal, ihr Herz zu treffen. Er ließ den Speer ganz langsam in sie einsinken – und jetzt spürte er, daß die Sperrspitze an einem Widerstand abglitt und das Herz verfehlte. Es mochte sich um einen Stein handeln, den die Wolke in sich
aufgenommen hatte, um ihr wichtigstes Organ zu schützen ... Aber das war jetzt nicht mehr von Bedeutung. Nifrego war wie benommen. Er, der sich für den besten Wolkenstecher hielt, hatte einen Wettflug gegen einen Fremden, der des Wolkenstechens völlig unkundig war, verloren. Aerula-thane hatte während des ganzen Wettfluges die gedanklichen Schmerzensschreie ihre Kindes mitanhören müssen. Sie hatte mit der Kleinwolke gelitten, als Nifrego seinen Speer erbarmungslos in sie hineingetrieben hatte – und Aerula-thane hatte um ihr Leben gebangt. Als dann Nifrego ihr Kind töten wollte, nur um noch einmal eine übermächtige Leistung aus ihm herauszuholen, da hätte Aerula-thane fast nicht mehr an sich halten können. Nur die Speere der Wolkenstecher hinderten sie daran, ihrem Kind zu Hilfe zu kommen und Nifrego zu töten. Doch zum Glück war der tödliche Speerstoß an einem Stein, den die Kleinwolke in sich gespeichert hatte, abgeprallt und konnte keinen Schaden anrichten. Nifrego hatte den Wettkampf verloren, und nicht einmal Darraco konnte das Urteil anfechten. Aerula-thane lud den Beutesohn des Piratenführers mit großer Befriedigung auf sich und stieg mit ihm in
die Höhe. Nifrego konnte sich auf ihr frei bewegen, doch er war unbewaffnet. Er lief wie ein gereiztes Tier auf ihr herum, während sie sich hoch in die Lüfte schwang. Nifrego hämmerte mit den Fäusten auf sie ein, verfluchte sie, sparte nicht mit Drohungen. Doch Aerula-thane ließ sich nicht beeindrucken, sie stieg fast senkrecht in die Höhe. Erst als sie dreißig ihrer Körperlängen über dem Lager der Piraten war, hielt sie an. Nifrego hatte sich in letzter Verzweiflung mit seinem Gürtel an einem ihrer einfahrbaren Tentakel festgebunden. Als sie diesen Tentakel jetzt einzog, war Nifrego so hilflos wie zuvor. Langsam neigte sich Aerula-thane zur Seite. Nifrego rutschte ab, konnte sich aber im letzten Moment noch einmal in ihr festkrallen. Aerula-thane drehte sich einmal um ihre Achse, bis sie mit dem Rücken nach unten in der Luft hing. So wartete sie geduldig, bis Nifrego die Kräfte verließen und er loslassen mußte, so daß er in die Tiefe fiel. Sie sah zu, wie er tief unten auf dem Boden aufschlug, dann kehrte sie zum Piratenlager zurück. Sie hätte die Gelegenheit zur Flucht wahrnehmen können, doch wollte sie nicht, daß ihre Kinder für sie büßen mußten. Außerdem wußte sie, daß sie in Dragon einen starken Verbündeten bei den Piraten hatte. Und sie setzte so großes Vertrauen in Dragon, daß
sie fest an ihre baldige Freiheit glaubte. Darraco trat vor Dragon hin. Er konnte nicht anders, als den Fremden zu bewundern, obwohl er ihn eigentlich hassen müßte, weil er seinen Beutesohn auf dem Gewissen hatte. »Du bist als ehrlicher Sieger aus dem Wettstreit hervorgegangen, Dragon«, sagte Darraco. »Es war der Wille Aerulas, Nifrego zu bestrafen und dich zu belohnen. Wir beugen uns diesem Gottesurteil. Wie es unsere Gesetze verlangen, wird dir nicht nur das Leben geschenkt, sondern wir erkennen dich auch als einen der unsrigen an. Durch deinen Sieg über Nifrego hast du dich nicht nur in den Besitz seiner weltlichen Güter gebracht, sondern hast auch sein Amt übernommen. Von nun an bist du unser Erster Wolkenstecher und Segelmeister.« Darraco überreichte ihm feierlich einen Wolkenspeer aus dem Besitz Nifregos und händigte ihm auch sein Schwert aus. Bei den Piraten herrschte darob nur mäßige Begeisterung. Sie hatten zwar mit eigenen Augen gesehen, daß Dragon auch mit bloßen Händen geschickt mit einer Wanderwolke umgehen konnte – durch Zufall hatte er bestimmt nicht über Nifrego gesiegt. Aber trotz allem war er ein Fremder, und wenn es die Gesetze auch verlangten, es würde ihnen nicht leicht fallen, ihn als einen der ihren – und als ihren
Vorgesetzten – anzuerkennen. Ecriol, der sich schon als Nifregos Nachfolger gesehen hatte, warf Dragon haßerfüllte Blicke zu. Und als Darraco die Piraten aufforderte, jetzt ihre Bedenken gegen seine Entscheidung zu äußern, oder für immer zu schweigen, da trat Ecriol zwei Schritte vor uns sprach das aus, was die meisten Piraten dachten: »Nach dem Gesetz bist du von nun an der Meister aller Aeruskorten, aber in meinen Augen wirst du immer ein Taut-Aeru bleiben, ein Bastard der Lüfte. Und da ich die Entwürdigung nicht über mich ergehen lasse, Befehle von einem Taut-Aeru entgegenzunehmen, fordere ich dich zum Zweikampf.« Nun faßten auch die anderen Piraten Mut. Ecriol war kaum abgetreten, als der nächste Pirat vor Dragon hin trat. »Sollte es dir gelingen, über Ecriol zu triumphieren, dann wisse, daß auch ich, Atham, in dir einen ganz schäbigen Taut-Aeru sehe. Diese Meinung ändere ich nur, wenn du mich im Zweikampf eines anderes belehren kannst.« Nach und nach schlossen sich weitere Piraten an, so daß es am Ende ein Dutzend waren, die Dragon zum Zweikampf gefordert hatten. »Wie soll ich denn all diesen Verpflichtungen nachkommen?« erkundigte sich Dragon etwas ratlos
bei Darraco. Dieser hieb ihm lachend auf die Schulter. Seine gute Laune war wohl darauf zurückzuführen, daß er nun bald doch noch einen Ersten Wolkenstecher aus seinen eigenen Reihen bekommen würde, vermutete Dragon. »Heute auf jeden Fall noch nicht, denn wir feiern heute deine Feuertaufe als Aeruskorte«, erklärte Darraco. »Unser Prophet Umkathel wird in deinem Namen die Elementargeister anrufen, um sie dir gnädig zu stimmen. Auch morgen brauchst du dich noch nicht mit Ecriol messen, denn da ziehen wir in den Kampf.« Darraco machte in Richtung seiner Leute eine Geste des Bedauerns. »Eigentlich war der Überfall für heute geplant, doch durch den Wettkampf haben wir soviel Zeit verloren, daß wir noch eine Nacht hier lagern müssen. Morgen abend ist es aber soweit, dann soll der Überfall auf Odaliks Stamm stattfinden.« »Sagtest du Odalik?« erkundigte sich Dragon ungläubig. »Jawohl, Odalik« Darraco runzelte die Stirn. »Ist dir dieser Stamm bekannt?« »Nein, nicht, daß ich wüßte«, sagte Dragon. Als sich die Gelegenheit bot, nahm Dragon Danila zur Seite. »Soeben habe ich von Darraco erfahren, daß sich
dein Stamm hier ganz in der Nähe aufhalten muß«, erklärte er ihr. Danila nickte. »Ich weiß. Ich habe mitangehört, daß Darraco plant, meinen Stamm zu überfallen.« Sie griff verzweifelt nach seinem Arm. »Ach, Dragon, was sollen wir nun nur machen?« »Es bleibt uns keine andere Wahl, als noch in der kommenden Nacht zu flüchten«, sagte Dragon kurzentschlossen. »Wir haben nicht mehr die Zeit, lange Vorbereitungen zu treffen.« Sie wurden in ihrer Unterhaltung gestört, als Ecriol zu ihnen trat. Er packte Danila am Arm und riß sie brutal an sich. »Willst du mir nicht zu deiner Feuertaufe deine kleine Freundin zum Geschenk machen, Dragon?« sagte er. »Sie entspricht genau der Schlafgenossin, die Vitu mir in meinen Träumen erscheinen läßt.« »Vergreife dich nicht an diesem Mädchen, sonst hauchst du noch heute dein Leben aus«, drohte Dragon und griff nach seinem Schwert. Ecriol stieß Danila von sich, nahm Kampfstellung ein und streckte Dragon seine Keulenhand entgegen. »Komm nur her, Taut-Aeru! Je eher ich diese Angelegenheit hinter mich bringe, desto schneller bekommt Darraco einen würdigen Segelmeister.« »Halt!« ertönte da eine befehlende Stimme.
Es war Umkathel, der sich einen Weg durch die Schaulustigen bahnte und sich zwischen die beiden Kampfhähne stellte. »Habt ihr nicht gehört, was Darraco befohlen hat?« ermahnte er sie. »Wenn ihr nicht wollt, daß ihr alle beide zu Tode gestürzt werdet, so hebt eure Händel für später auf.« Dragon entspannte sich wieder. Ecriol spie vor ihm aus und ging stapfend davon. »Ich muß dich sprechen«, sagte Dragon zu Umkathel. Der Prophet nickte leicht, setzte sich in Bewegung, und Dragon ging neben ihm her. »Es hat sich etwas ereignet, das schnellstes Handeln notwendig macht«, erklärte Dragon. »Wir müssen noch in der kommenden Nacht flüchten.« »Warum nicht«, sagte Umkathel ohne besondere Überraschung. »Ich würde lieber heute als morgen flüchten.« »Dazu ist es aber notwendig, daß du die Aufmerksamkeit der Piraten auf dich lenkst«, sagte Dragon. »Obwohl ich ihr Erster Wolkenstecher bin, werden die Piraten ein wachsames Auge auf mich haben. Deshalb wird es deine Aufgabe sein, sie abzulenken. Ist es möglich, daß du bei Einbruch der Dunkelheit einige deiner Zauberkunststücke zum Besten gibst, um die Piraten zu fesseln?«
»Ich werde über mich hinauswachsen«, versprach Umkathel. »Die Piraten werden so im Banne meiner Darbietungen stehen, daß sie es nicht einmal merken, wenn rund um sie die Welt untergeht.« Dragon war zufrieden. »Ich werde dich die Einzelheiten meines Planes noch rechtzeitig wissen lassen, Umkathel. Halte dich bereit.«
10.
»... Mit Herz und Kraft und Speerestechen, Den Widerstand der Wolken brechen, Wir, die Herren des Himmels, Piraten der Lüfte.« Der laute Gesang der Piraten hallte von den Lagerfeuern weit über die Grasebene. Dragon hatte sich im Kreise von Darracos engsten Vertrauten niedergelassen und war aufgefordert worden, beim Essen und Trinken tüchtig mit ihnen mitzuhalten. Doch er nippte höchstens von dem schweren Wein und verschüttete ihn, wenn er sich unbeobachtet wähnte. Dragon hatte erwartet, auch Ecriol an Darracos Seite vorzufinden, doch der
Einarmige war am Lagerfeuer noch nicht aufgetaucht. Als der Gesang verstummte und Umkathel auftauchte, beugte sich Dragon zu Darraco und sagte zu ihm: »Ich werde einmal einen Rundgang machen und nach den Wachen sehen. Es könnte ja sein, daß sie insgeheim mitfeiern und ihre Pflichten vernachlässigen.« Darraco nickte und klopfte ihm zustimmend auf den Schenkel. Dragon erhob sich und schlenderte durch die Reihen der grölenden Piraten langsam zum Rand des Lagers. Umkathel hatte seinen Platz vor dem Lagerfeuer eingenommen und begann mit seinen eindrucksvollen Darbietungen für die abergläubischen Piraten. »Aerula, erhöre uns!« Dragon ließ die letzten Zelte hinter sich und erreichte das freie Gelände. Er war nur noch dreißig Mannslängen vom Rande der Riesenwolke entfernt, die sich für die Schlafenszeit mit all ihren Kindern zusammengeklumpt hatte. Links von Dragon tauchten zwei Schatten auf. Er hielt auf sie zu, und als sie in einem Zelt verschwanden, folgte er ihnen. »Wir sind es«, hörte Dragon eine flüsternde Mädchenstimme. »Priapa und Danila.« »Bleibt in diesem Versteck«, befahl Dragon ihnen.
»Behaltet Aerula-thane im Auge. Erst wenn die Wanderwolke vom Boden abhebt, dürft ihr ins Freie kommen. Das ist ein Zeichen dafür, daß ich die Wachen überrumpeln konnte.« »Du kannst dich auf uns verlassen«, versicherte Danila. Dragon verließ das Zelt und näherte sich wieder der Wanderwolke. Aerula-thane, kannst du mich hören? dachte er angestrengt. Dragons Amulett begann leicht zu pulsieren, und dann vernahm er die lautlose Antwort: Ich vernehme deine Gedanken, Dragon. Aber ich kann mich nicht bewegen. Es sind drei Wolkenstecher bei mir, die mich bewachen. Wo haben sie Posten bezogen? Sie haben sich verteilt. Einer steht im Norden, einer hält meine Mitte besetzt, der Dritte wacht in westlicher Richtung. Sei vorsichtig, Dragon! Das ganz gewiß! Dragon hatte die Wolke erreicht. Er hatte beschlossen, zuerst den Wachtposten auszuschalten, der Aerula-thanes westliche Seite kontrollierte. Lautlos klomm er die wolkenartigen Erhebungen hinauf und sah vorsichtig über den Rand. Der Wolkenstecher war keine fünf Mannslängen vor ihm. Er stand, auf seinen Wolkenspeer gestützt da, und
kaute bedächtig an einer Wurzel. Die Spitze des Speeres steckte tief unter der gelben Oberfläche der Wolke. Die gelbe Verfärbung von Aerula-thanes Körper kam daher, weil sie große Mengen von Steinen und Staub geladen hatte. Dragon hatte ihr aufgetragen, beim Äsen so viele Steine wie nur irgend möglich in sich aufzunehmen, um sie später als Wurfgeschosse einsetzen zu können. Dragon überlegte sich lange, wie er unbemerkt an den Wachtposten herankommen könne, doch das Wagnis war zu groß. Wenn er entdeckt wurde, und der Aeruskorte einen Warnruf von sich gab, dann war alles verloren. Dragon mußte ihn völlig lautlos überwältigen. Kannst du die Aufmerksamkeit des Wächters nicht in die mir entgegengesetzte Richtung lenken, Aerula thane? dachte Dragon. Ich werde es versuchen. Gleich darauf sah Dragon, wie sich zur Mitte der Wolke zu eine Blase bildete, die leicht pulsierte. »He!« murmelte der Aeruskorte überrascht. »Was ist denn mit dir los, Wolke?« Da er in die andere Richtung blickte, sah er nicht, wie sich hinter ihm ein langgestreckter Schatten vom Boden schnellte. Als er sich, von seinem Instinkt gewarnt, umdrehen wollte, traf ihn Dragon mit der
Handkante gegen den Kehlkopf. Ohne einen einzigen Laut sackte der Pirat in sich zusammen. Dragon stieß ihn über den Wolkenrand und sprang dann selbst hinterher. Nachdem er sich noch überzeugt hatte, daß der überrumpelte Wachtposten ohne Besinnung war, rannte er die Wolke entlang, bis er nach Norden kam. Noch bevor er den Wachtposten sah, hörte er ihn. Er sang mit krächzender Stimme das Kampflied der Piraten vor sich hin. Als Dragon die Wolke erklettert hatte, sah er den Wachtposten zehn Mannslängen von sich entfernt, halb unter Wolkenbergen verborgen. Diesmal hatte Dragon keine Mühe, sich an den Mann heranzupirschen. Dragon befürchtete auch nicht, sich durch ein Geräusch zu verraten, denn der mißtönende Gesang des Piraten schluckte jeden Laut. Dragon löste seinen Gürtel, nahm in jede Hand ein Ende, warf den Gürtel von hinten über den Kopf des Wächters und spannte ihn ihm wie einen Knebel um den Mund. Nur ein gedämpftes Gurgeln war zu hören, als Dragon den Gürtel bis zum Zerreißen festzog und sofort danach mit der Handkante gegen die Schläfe des Piraten schlug. Somit war auch der zweite Wachtposten ausgeschaltet. Dragon schlich nun lautlos ins Zentrum der Wolke.
Aerula-thane, in ihrer Bewegungsfreiheit nicht mehr so eingeschränkt, ließ Erhebungen aus sich wachsen, hinter denen Dragon Schutz fand. Es dauerte nicht lange, bis er den dritten Posten zwischen Wolkenbäuschen auf einer mannshohen Erhebung sitzen sah. Schon von weitem erkannte Dragon, daß es sich um Ecriol handelte. Kannst du Ecriol nicht von seinem Hochstand schleudern? dachte Dragon. Ich bin in diesem Bereich völlig bewegungsunfähig, antwortete Aerula-thane. Ecriols Wolkenspeer lähmt mich. Dragon sah keine Möglichkeit, sich dem Piraten unbemerkt zu nähern, er besaß einen zu guten Überblick. So erhob er sich einfach zu voller Größe und ging auf ihn zu. Ecriol sprang bei seinem Anblick sofort von der Erhebung herunter, ohne jedoch den Wolkenspeer loszulassen. »Sieh an, welch überraschender Besuch«, empfing er Dragon. »Ich befinde mich auf einem Rundgang, um zu überprüfen, ob alle Wachen tatsächlich auf ihren Posten sind«, erklärte Dragon. »Gibt es keine besonderen Vorkommnisse?« Ecriol grinste und verankerte seinen Wolkenspeer
so, daß er ihn nicht mehr zu halten brauchte. »Bisher keine besonderen Vorkommnisse, Erster Segelmeister«, sagte er spöttisch und hielt plötzlich in seiner gesunden Linken eine Fangschlinge. »Aber das kann sich rasch ändern.« »Mach keine Dummheiten, Ecriol«, ermahnte ihn Dragon. »Du weißt, daß Darraco befohlen hat, daß wir unsere Auseinandersetzung für später aufheben sollen. Ich würde dir ja sofort Gelegenheit zu einem Zweikampf geben. Aber ich fürchte, daß Darraco deine Schmerzensschreie hören könnte.« »Wenn du nicht um dein Leben winselst, dann wird Darraco nichts merken«, sagte Ecriol. Er winkte Dragon mit seiner Keulenhand heran. »Na, komm schon, TautAeru!« Dragon zog sein Schwert, machte eine Finte und schlug dann Ecriols Keulenhand mit einem einzigen Hieb vom Stumpf. Ecriol stieß die Luft wütend aus, warf dann mit einer blitzschnellen Bewegung die Fangschlinge nach Dragon. Dieser wich zur Seite aus, ergriff Ecriols Linke und bog sie ihm auf den Rücken. Der Pirat stöhnte vor Schmerz auf. »Nicht schreien, Ecriol, das war abgemacht!« Der Pirat verbiß einen Schrei, und sein Gesicht verzerrte sich. Er wand seinen Körper, um Dragon abzuschütteln, doch dieser warf Ecriols eigene
Fangschlinge über seinen Hals und band ihm das andere Ende um das Gelenk der auf den Rücken gebogenen Hand. Als Dragon Ecriol losließ, erwürgte sich dieser selbst. Dragon brauchte nur noch den Wolkenspeer herauszuziehen, dann war Aerula-thane frei. Schicke jetzt die Kleinwolken aus und nähere dich dicht über dem Boden dem Lager, damit du nicht sofort entdeckt wirst, trug Dragon der Wolke auf. Bei den Zelten warten Danila und Priapa, die wir noch an Bord holen müssen. Dragon begab sich zum Rande der Wolke. Als er ihn erreicht hatte, schwebte Aerula-thane bereits auf die ersten Zelte zu. Aus einem waren zwei Gestalten aufgetaucht. Danila und Priapa. Die Wolke fuhr zwei Tentakel aus und brachte damit die Mädchen an Bord. »Jetzt gilt es nur noch, Umkathel herauszuhauen«, sagte Dragon. »Dann geht es zu deinem Stamm, Danila.« »... es werden harte Tage kommen, die schwere Prüfungen für alle Aerupen und Aeruskorten und für ihren Aerula-thopa mit sich bringen«, prophezeite Umkathel in seinem Singsang. »He, Prophet, kannst du die Zukunft nicht rosiger zeichnen!« rief Darraco mißmutig. »Ich kann nur wiedergeben, was ich von den Elementargeistern erfahre«, sagte Umkathel und warf
gewöhnlichen Sand ins Feuer. Er hatte den Piraten davon abgeraten, noch mehr Holz ins Feuer zu werfen und erreichte somit, daß die Flammen klein gehalten wurden. Auch das gehörte zu Dragons Plan. »Schluß jetzt mit diesem Unsinn über harte Jahre«, verlangte Darraco, dem an diesem Tage schon genug Schlimmes widerfahren war, so daß er auf die düsteren Weissagungen seines Propheten verzichten konnte. »Laßt uns lieber den bevorstehenden Sieg über Odaliks Stamm feiern. Sklaven bringt Wein. Schürt die Feuer, bringt Holz heran und laßt es brennen, bis die Flammen hoch in den Himmel schlagen. Ich will ein Feuer brennen sehen ...« »Die Wolke!« Darraco blickte verwirrt um sich, um den Störenfried zu entdecken, der ihn in seiner Rede unterbrochen hatte. »Die Wolke hat sich befreit und kommt über uns!« »Was?« Darraco war augenblicklich auf den Beinen. Da sah auch er, wie die Riesenwolke aus Richtung der Zelte angeflogen kam. Sie ließ Wasser herabregnen und löschte so mühelos ein Feuer nach dem anderen, die von Umkathel klein gehalten worden waren. »Meuterei!« schrie Darraco. »Alle Männer an die Waffen! Greift euch eure Wolkenspeere und zähmt die Wolken. Und wenn sie widerspenstig sind, dann holt
euch Fackeln, um diese aufsässige Brut auszutilgen.« Darraco selbst sprang zum Lagerfeuer, ergriff einen übermannsgroßen Ast, der lichterloh brannte und schwang ihn über seinem Kopf. Dies gelang ihm gerade noch, bevor eine Kleinwolke eine wahre Sturzflut von sich gab und damit auch das letzte Lagerfeuer auslöschte. In grenzenloser Wut schleuderte Darraco den brennenden Ast nach der Wolke. Er stieß ein Triumphgeheul aus, als er sein Ziel traf und sah, wie die Wolke Feuer fing und abtrudelte. Er konnte diesen Triumph aber nicht lange auskosten. Denn nun war Aerula-thane auch über ihm. Sie öffnete die Schleusen ihrer Kammern und ließ Felsbrocken und Sand auf die Piraten herunterregnen. Darraco wurde von einem schweren Stein an der Schulter getroffen und von der Wucht des Schlages zu Boden geworfen. Er war aber sofort wieder auf den Beinen. »Umkathel, mein Prophet!« schrie er über die Schmerzensschreie seiner Leute hinweg. »Mach diesem Spuk ein Ende. Ruf Aerula an, ruf alle Elementargeister zu Hilfe, damit sie die aufsässigen Wolken zu Boden zwingen. Umkathel!« Darraco drangen beinahe die Augen aus den Höhlen, als er sah, wie Aerula-thane mit einem Tentakel nach dem Propheten griff und ihn zu sich
hinauf holte. »Umkathel hat euch harte Tage prophezeit«, kam da eine volltönende Stimme von der Wolke. »Seine Weissagung wird sich von diesem Augenblick an erfüllen. Ihr seid die längste Zeit die Herren der Lüfte gewesen. Von nun an werdet ihr keine Gelegenheit mehr haben, Wolken zu stechen und auf ihnen zu fliegen und die Stillen Zonen unsicher zu machen. Aerula-thane ist wieder frei und wird darüber wachen, daß euch nie mehr wieder eines der Geschöpfe Aerulas in die Hände fällt.« Als die Wolke über Darraco dahingeglitten war, sah er an ihrem Rande Dragon stehen. Darraco ergriff einen Speer und schleuderte ihn nach dem Mann. Doch der Speer verfehlte Dragon um Handbreite. »Du verfluchter Taut-Aeru!« rief ihm Darraco nach. »Komm herunter und kämpfe mit mir wie ein Mann.« Dragon gab keine Antwort, sondern bückte sich und stieß einen leblosen Körper über den Rand der Wolke. Ecriol fiel Darraco genau vor die Beine. Der Piratenführer machte erschrocken einen Satz zurück und blickte dann in das entstellte Gesicht des Mannes, der sich selbst erwürgt hatte. Seine Piraten, die von den Steinwürfen Aerula thanes blutig geschlagen worden waren, scharten sich um ihn und starrten den entschwebenden Wolken nach.
»Das ist die Strafe Vestas, des Herrn der Elemente«, wagte einer der Piraten zu sagen. »Das ist das Werk von Verrätern«, schrie Darraco ihn an und schlug ihn mit der Breitseite seine Schwertes nieder. Dann richtete er die Waffe in jene Richtung, in die Dragon mit seinen Gefährten und den Wolken entschwunden war, und schwor: »Bei Aerula, ich werde diese Verräter finden – und dann wird sie meine furchtbare Rache treffen!«
Epilog Aerula-thane brachte die vier Menschen sicher zu Odaliks Stamm. Beim Anblick der Riesenwolke und deren kleineren Begleitern dachten die Hirten zuerst an einen Überfall und rüsteten sich zum Kampf. Aber als nach der Landung Danila von der Wolke stieg und den staunenden Männern und Frauen von ihren abenteuerlichen Erlebnissen und der Errettung aus allen Gefahren durch Dragon erzählte, da wurden die Waffen beiseitegelegt. Danilas Eltern waren überglücklich, als sie ihre verlorengeglaubte Tochter wieder in die Arme schließen konnten. Aber noch glückstrahlender war Adaran, jener Mann von zweiundzwanzig Sommern,
über den Danila Dragon berichtet hatte, daß sie ihm zur Frau versprochen war. Danila zeigte etwas Wehmut, als sie sich von Dragons Seite in die Arme ihres Geliebten begab. Dragon, dem das nicht entging, war jedoch überzeugt, daß Adaran sie die Schwärmerei für ihn, Dragon, bald vergessen machen würde. Dragon, Priapa und Umkathel fanden bei dem friedlichen Völkchen Odaliks freundliche Aufnahme. Und da es Dragon hier gefiel und er kein festes Ziel vor Augen hatte, entschloß er sich, Odaliks Gastfreundschaft anzunehmen und für einige Zeit bei seinem Stamm zu bleiben. Von den Piraten der Lüfte drohte ihnen so schnell keine Gefahr, dessen war sich Dragon sicher, zumal Aerula-thane ihm versicherte, daß sie ein wachsames Auge auf die Plünderer haben und diese von ihren Kindern bewachen lassen würde. Ich werde dafür Sorge tragen, daß Darraco niemals mehr eine Wolke sticht, versicherten die Gedanken der Wolke. Ich habe das Los der Gefangenschaft kennengelernt und werde meine Freiheit nun mehr behüten und genießen als je zuvor. Wie aber stellst du dir deine Zukunft vor, Dragon? Zukunftspläne? Er war ein Fremder in einer fremden Welt. Sein oberstes Gebot war, einen Weg zu finden, um auf seine Erde zurückkehren zu können. Aber das war ein fernes Ziel, vielleicht unerreichbar für
ihn ... Er wollte den Kopf sich nicht mit diesen Gedanken schwer machen. »Wenn mir die Tage bei Odaliks Stamm zu lang werden, dann ziehe ich wieder weiter«, sagte Dragon laut vor sich hin. Ich werde für dich da sein, wenn du mich brauchst, Dragon, meldeten sich Aerula-thanes Gedanken. Du hast mir zu meiner Freiheit verholfen, und dafür bin ich dir lebenslangen Dank schuldig. Ich werde dich zu jedem Ziel auf dieser Welt fliegen. Dragon blickte der Wolke solange nach, bis sie im Dunst des Horizonts verschwand. Dann kehrte er zu Priapa, Umkathel und den Männern und Frauen von Odaliks Stamm zurück. ENDE Der Atlanter hat es verstanden, Darracos Piraten zu überlisten und mit Hilfe von Aerula-thane, der von den Wolkenstechern versklavten Wanderwolke, das Hirtenvolk zu erreichen, dem Danila entstammt. Was aber widerfährt inzwischen Ubali, der zusammen mit Dragon die fremde, bizarre Welt Danilas betrat ...? Über Ubalis Schicksal berichtet Hugh Walker im nächsten Dragon-Band. Der Roman erscheint unter dem Titel:
UBALI, DER PANTHER