Seewölfe 116 1
Kelly Kevin 1.
„Hölle! Muß ich dir erst mit Feuer den Hintern ansengen, bis du das verdammte Herdfeuer ...
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Seewölfe 116 1
Kelly Kevin 1.
„Hölle! Muß ich dir erst mit Feuer den Hintern ansengen, bis du das verdammte Herdfeuer ankriegst?“ Kopfschüttelnd beobachtete der Kutscher; Koch und Feldscher auf der „Isabella VIII.“ die Bemühungen des Schiffsjungen Bill, das Kombüsenfeuer in Gang zu bringen. Der schlanke schwarzhaarige Junge grinste sich eins: er war lange genug auf der „Isabella“, um wüste Flüche und noch wüstere Drohungen nicht mehr so ernst zu nehmen. Der Kutscher widmete ihm noch einen vernichtenden Blick, griff nach seinen Bratpfannen – und stieß im nächsten Moment einen erbitterten Fluch aus. Die „Isabella“ holte schwer nach Steuerbord über. Pfannen flogen durch die Kombüse, in den Schapps begannen Flaschen und Vorratsbehälter zu tanzen. Der Kutscher warf sich hastig über sein Kochgeschirr, um zu verhindern, daß die schweren Eisenpfannen durch die Kombüse segelten. Gleichzeitig dröhnte vom Achterkastell die Stimme Philip Hasard Killigrews herüber. „Gei auf Marssegel! Fier weg Fock und Großsegel!“ „Aye, aye!“ ertönte die Antwort Ben Brightons. „Aye, aye!“ brüllten die Männer, die bereits zu ihren Stationen an Brassen und Fallen eilten. Von einer Sekunde zur anderen wurde es an Deck lebendig, jähe Erregung zerbrach die Eintönigkeit des Tropen-Nachmittags. Bill blitzte durch die Kombüse, um einen Blick aus dem Schott zu werfen — und was er sah, ließ ihn unwillkürlich den Atem anhalten. Der Wind war umgesprungen und wehte plötzlich aus Lee. Die Segel klatschten gegen Wanten und Stage, als eine bösartig heulende Bö sie über den anderen Bug faßte. Wolkenfetzen jagten am eben noch klaren Himmel dahin. Mit aufgerissenen Augen starrte Bill über die aufgewühlte
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See, die plötzlich tiefschwarz geworden war. Der Seewolf stand hoch aufgerichtet auf dem Achterkastell. „Fier weg Besan!“ schrie er. „Nicht so lahm, Kreuzdonnerwetter noch mal!“ Und scharf wie ein Peitschenhieb: „Wasserhose querab Backbord!“ Bill warf den Kopf herum. Fast hätte er aufgeschrien, so gespenstisch war der Anblick des aufgewühlten Horizonts. Ein furchterregendes Ungeheuer schien auf die „Isabella“ zuzurasen, ein schwankendes, sich windendes Etwas, das rasend schnell dahinwirbelte, alles ringsum in undurchdringliche Schwärze hüllend. Es sah aus, als habe sich die See in wilder Wut aufgebäumt, als stürzten sich die schwarzen Wolken aus dem Himmel auf das Wasser, um es zu sich emporzureißen. Schwarz und drohend tanzte die riesige Säule heran, eine Ausgeburt der Hölle, ein gieriges Untier, das alles verschlingen würde, was ihm in den Weg geriet. Wie gelähmt vor Entsetzen erkannte Bill, daß die tückischen Windströmungen und der Druck der sich steil auftürmenden Dünung die „Isabella“ genau auf die unheimliche Erscheinung zudrückten. „Weg mit dem Besan!“ ertönte Hasards Stimme. Gleichzeitig ließ der dröhnende Baß des Profos Bill zusammenzucken: „Hopphopp, ihr lahmen Kakerlaken! Werft das verdammte Fall los, oder ich zieh' euch die Haut in Streifen von euren Affenärschen! Manntaue spannen! Luken verschalken, Ferris, oder der Kahn kriegt den Bauch voll Wasser! Himmelarsch, wollt ihr euch wohl bewegen, ihr verdammten ...“ Das Heulen des Sturms verschluckte den Rest der Worte. Die Seewölfe hätten sich auch ohne Carberrys Flüche bewegt: sie kannten den tückischen Feind, der da auf sie zujagte. Bill flitzte über die Kuhl, um beim Durchholen der Strecktaue zu helfen. Krachend schlug die schräge Gaffelrute des Besans an Deck, als Bob Grey und Sam Roscill das Fall loswarfen. Stenmark,
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Batuti und Matt Davies hingen wie die Klammeraffen am Bugspriet, um die wild schlagende und sich blähende Blinde aus dem Wind zu reißen und festzuzurren. Und im Großmars hockten Donegal Daniel O'Flynn und Arwenack, der Schimpanse — wie gelähmt von dem geisterhaften Schauspiel und unfähig, sich von dem Anblick loszureißen. „O'Flynn!“ brüllte der Seewolf. „Hast du den Verstand verloren?“ Dan zuckte zusammen, dann schwang er sich hastig über die Segeltuchverkleidung der Plattform und enterte ab. Der Schimpanse folgte ihm und keckerte angstvoll. Hasards Augen hatten sich zu schmalen, eisblauen Sicheln verengt, als er herumschwang und mit drei Schritten zum Ruderhaus stürmte, um das Rad zu übernehmen. Immer noch trieb die „Isabella“ auf die Wasserhose zu, von tückischen Kreuzseen geschüttelt, auch ohne Segel Fahrt laufend. Wenn nicht ein Wunder geschah, würde das schwarze, wirbelnde Seeungeheuer genau auf das Vorschiff treffen. „Verdammt!“ brüllte Ben Brighton, was bei diesem ruhigen, beherrschten Mann etwas heißen wollte. „Das Ding saugt uns geradewegs in die Hölle, wenn wir da durchlaufen.“ „Wir werden durchlaufen!“ schrie Hasard zurück. „Scheuch die Leute unter Deck, Ben, schnell!“ „Aber ...“ „Unter Deck mit euch! Sind wir hier ein Debattierklub? Ferris, ein Tau her! Lasch mich fest, aber Tempo, zum Teufel!“ „Aye, aye, Sir ...“ Der rothaarige Schiffszimmermann hangelte sich mühsam den Niedergang zum Achterkastell hinauf. Ben Brighton sprang auf die Kuhl und klammerte sich an den ausgespannten Tauen fest. „Alle Mann unter Deck!“ gellte seine Stimme, während das Tosen und Heulen des Sturms zum rasenden Inferno anschwoll. Hasards Fäuste umspannten die Speichen des Ruders. Sein Blick hing an der schwankenden Säule der Wasserhose,
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während ihn Ferris Tucker mit fliegenden Fingern im Ruderhaus festband, damit er nicht über Bord gespült werden konnte. Protestierende Stimmen wurden laut. Und dann ein Gebrüll, das mühelos das Toben der Elemente übertönte: Ed Carberry, der eisenharte, salzgewässerte Profos, der diesmal schneller als selbst Ben Brighton begriff, was die Stunde geschlagen hatte. „Unter Deck, ihr verlausten Affen! Schneller, ihr Rübenschweine, oder ihr werdet gleich auf dem Meeresgrund spazieren gehen! Kutscher, wenn du mißratener Kombüsenzwerg das Feuer nicht gelöscht hast ...“ „Ich bin doch nicht blöd, du Steinzeitmensch!“ schrie der Kutscher empört. „Kümmere du dich um deinen Kram!“ Der Profos stieß einen Laut aus, bei dem es der Kutscher vorzog, ganz schnell zu verschwinden. „Ab, Ferris!“ schrie Hasard auf dem Achterkastell. Der rothaarige Hüne holte Luft, aber ein Blick in das wilde, verzerrte Gesicht des Seewolfs ließ ihn verschlucken, was er eigentlich hatte sagen wollen. Binnen Minuten war der letzte Mann unter Deck verschwunden. Hasard stand am Ruder und hielt mit eisernen Fäusten die schlingernde, stampfende Galeone mit dem Kopf schräg zur Dünung, damit sie nicht quer zwischen Die Wellenberge geriet. Undurchdringliche Schwärze schien die „Isabella“ zu verschlingen, die schwankende Säule der Wasserhose ragte vor dem Schiff auf wie eine gigantische Geistererscheinung. Der Seewolf biß die Zähne zusammen. Seine blauen Augen funkelten, das schwarze Haar flatterte im Wind. Verbissen starrte er zu dem wirbelnden Ungetüm hinauf, das die „Isabella“ im nächsten Moment zerschmettern mußte, und wartete auf den entscheidenden Moment, auf den Augenblick, in dem die Wasserhose in sich zusammenfiel, weil das große Schiff den Rhythmus der in ihr wirkenden Luftströmungen zerstörte. Jetzt war es soweit!
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Eine Gigantenfaust schien das Vorschiff der „Isabella“ zu packen und schleuderte sie herum. Die rotierende Säule der Wasserhose neigte sich und begann wie ein verwundetes Tier zu taumeln. Einen Augenblick beugte sie sich gleich einem riesenhaften Geisterwesen über die stampfende, torkelnde Galeone, dann brach sie wie von einem Hieb zerrissen in sich zusammen. Kein Mensch hätte sich unter der Gewalt der herunterprasselnden Wassermassen an Deck halten können. Die „Isabella“ tanzte wie ein Korken unter einem Wasserfall. Schwarzes, schimmerndes Wasser ging wie ein Vorhang nieder, hüllte das Ruderhaus ein, ließ Holz bersten und Wanten und Stage wie Spinnweben zerreißen. Treibholz krachte auf die Planken, Tangstreifen, zerfetzte Fischkörper — alles, was die Wasserhose in ihrem unwiderstehlichen Wirbel emporgerissen und in sich eingesaugt hatte. Hasard glaubte jeden Moment, das Ruderhaus werde über seinem Kopf zusammenbrechen. Längst gehorchte das Schiff dem Ruder nicht mehr, die letzten Fetzen des Sturmsegels flogen dem Seewolf um die Ohren. Sturzseen überspülten ihn und ließen die straff gespannten Taue ächzen, die ihn festhielten. Ringsum war die Dunkelheit jetzt fast undurchdringlich. Dichte schwarze Wolken trieben über die „Isabella“ weg, und als seien sie von den Mastspitzen der Galeone aufgerissen worden, öffneten sie ihre Schleusen. Übergangslos wurde das Toben der zusammenfallenden Wasserhose von einer Regenflut abgelöst, die dem Schiff kaum weniger zusetzte. Hilflos torkelte die „Isabella“ in der Dünung. Minuten dehnten sich und wurden zu höllischen Ewigkeiten. Im Chaos der kreuz und quer laufenden Strömungen begann sich die Galeone wie ein Kreisel zu drehen. Brecher hämmerten auf die Bordwände ein, spülten über die Decks, nahmen zersplitterte Spieren, tote Fische
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und wirre Knäuel gebrochener Strecktaue mit. Grün schimmernde Brecher, wie Hasard feststellte. Querab von der schwankenden, schlingernden Galeone zeigte sich ein Streifen blaßgrauer Helligkeit, der erbarmungslos das ganze Chaos an Bord enthüllte und zugleich das Ende der Katastrophe ankündigte. Die Regenflut hörte so plötzlich auf, wie sie eingesetzt hatte. Jäh riß die Wolkendecke auf. Die letzten Sturmböen fegten den Himmel leer, die Sonne brach hervor, die See beruhigte sich, als sei überhaupt nichts geschehen. Der Wind schlief ein. Nicht der leiseste Hauch einer Brise war mehr zu spüren —und die Männer, die jetzt wieder an Deck auftauchten, starrten schwer atmend und mit ungläubigen Augen in die Runde. Selbst Ed Carberry vergaß das Fluchen. „Bei allen Wassermännern“, murmelte er verblüffend leise. „Das ist ja Zauberei, das ...“ Er stockte abrupt. Sein Blick war auf die Verwüstung an Deck gefallen. Er schloß die Augen, öffnete sie wieder, als hoffe er, daß die Vision verschwinden würde, dann stieß er einen abgrundtiefen Seufzer aus. „Teufel, Teufel“, flüsterte er. Das war sein einziger Kommentar. Er drohte nicht einmal, den Männern die Haut abzuziehen und die Streifen an den Mast zu nageln, wenn sie nicht augenblicklich mit dem Aufklaren anfingen. Philip Hasard Killigrew wischte sich das triefende Haar aus der Stirn und löste die Taue, mit denen er festgebunden war. Er war naß wie eine aus dem Wasser gezogene Katze, und er hatte ein paar Schrammen an Gesicht und Armen, wo ihn herumwirbelnde Splitter und Trümmerstücke gestreift hatten. Sein Blick wanderte über das Durcheinander. Die Fockmarsrah existierte nicht mehr, das Steuerbord-Hauptwant bestand aus Fetzen, das Kombüsenschott war Kleinholz. Eine der schweren Culverinen hing buchstäblich an einem Faden: das Brooktau drohte jede Sekunde zu brechen.
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Hasard verzichtete darauf, sich auszumalen, was passiert wäre, wenn sich die Kanone selbstständig gemacht hätte. Mit einem tiefen Atemzug laschte er das Ruder fest und trat an die Schmuckbalustrade. „Klar Schiff überall“, sagte er in die atemlose Stille hinein. „Al, würdest du freundlicherweise dafür sorgen, daß die verdammte Kanone da drüben nicht über Bord geht? Kutscher, Bill, ab in die Kombüse! Ferris, du ...“ „Wasser im achteren Laderaum“, meldete Ferris Tucker, der bereit einen ersten Kontrollgang unternommen hatte. „Die Luke war gut verschalkt, aber jetzt sieht sie trotzdem aus wie Brennholz.“ „Hauptsache, der Kahn ist nicht leck. Klar bei Lenzpumpen! Dan — in den Großmars mit dir! Nimm den Kieker mit und sieh zu, ob du den schwarzen Segler sichtest.“ „Aye, aye, Sir!“ Donegal Daniel O'Flynn wollte besonders schnell sein und griff blindlings hinter sich nach der Webleine. Er griff ins Leere, weil das Steuerbord-Hauptwant keine Webleinen mehr hatte. Erschrocken schrie Dan auf, als er das Gleichgewicht verlor. In der nächsten Sekunde prallte er unsanft auf den Achtersteven und schnitt ein ziemlich verdattertes Gesicht. Brüllendes Gelächter löste die Spannung. „Donegal Daniel O'Flynn“, sagte Hasard sanft, „wenn du genau hinsiehst, wirst du entdecken, daß man notfalls auch über die Backbordwanten in den Großmars entern kann.“ Dan turnte wie ein geölter Blitz über die Nagelbank und enterte auf. Al Conroy, der Stückmeister, hatte die Culverine mit dem beschädigten Brooktau klariert und ging daran, die restlichen Geschütze zu kontrollieren. Ed Carberry brüllte, fluchte, drohte mit sämtlichen Strafen der Hölle und noch ein paar anderen, bei denen der Teufel vor Neid erblaßt wäre, und jeder einzelne der Männer wurde plötzlich ungeheuer emsig. „Dan!“ schrie Hasard zum Großmars hoch. „Kannst du den Schwarzen Segler entdecken?“
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„Keine Spur, Sir!“ rief Donegal Daniel O'Flynn zurück. „Die See ist so leer wie ...“ Er stockte abrupt. Hasard runzelte die Stirn und wartete. Er glaubte, daß Dan nun doch die schwarzen Segel des „Eiligen Drachen über den Wassern“ gesichtet hätte. Siri-Tong und der Wikinger hatten mit dem Viermaster etwas zurückgehangen, als urplötzlich der Sturm über die „Isabella“ hereingebrochen war. Nach Hasards Meinung konnte der Schwarze Segler nicht viel abbekommen haben, von der Wasserhose schon gar nicht. Sobald es aufbriste, würde er wieder erscheinen, aber vorerst war es et- was anderes, das Dans scharfe Augen erspäht hatten. „Deck!“ schrie der junge O'Flynn: „Boot Backbord querab. Der Kahn treibt kieloben! Scheint so, als hinge da jemand über den Planken.“ „Was heißt hier ,scheint so', du grüner Hering?“ fluchte der Profos. „Reiß gefälligst deine Klüsen auf und „Mann und gekentertes Boot ein viertel Strich Backbord querab!“ meldete Dan exakt. „Die Dünung treibt den Kahn auf uns zu.“ Hasard stand bereits am BackbordSchanzkleid. Inzwischen war das Boot auch mit bloßem Auge zu erkennen: eine winzige Nußschale, im Sturm gekentert, im Grunde nur noch ein trauriger Überrest mit geborstenen Planken und halb abgerissenem Kiel. Der Mann, den Dan O'Flynn gesichtet hatte, schien sich mit letzter Kraft an das umgeschlagene Fahrzeug zu klammern. Er lag halb über dem zerfetzten Kiel, mit ausgebreiteten Armen. Erst nach Minuten hob er mühsam den Kopf, starrte zu der ranken Galeone herüber und bewegte die Hand in einer matten Geste, die vermutlich ein Winken darstellen sollte. Im Großmars spähte Dan O'Flynn angestrengt durch das auseinandergezogene Spektiv.
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„He!“ schrie er so schrill, als sei er wieder in den Stimmbruch zurückgefallen. „Der sieht ja wie der leibhaftige Tod aus!“ „Willst du ihn deshalb absaufen lassen?“ fragte Hasard trocken. „Setzt Großsegel und Fock! Pete, du übernimmst ...“ „Klar Ruder!“ meldete Pete Ballie, der längst seinen Platz eingenommen hatte ..und über beide Ohren grinste. „An die Brassen und Fallen! Anluven! Und hoch mit dem Besan, Himmeldonnerwetter noch mal!“ Segeltuch entfaltete sich, begann sich träge unter dem kaum wahrnehmbaren Windhauch zu füllen. Die „Isabella“ schwang schwerfällig herum und erinnerte in diesen Sekunden wahrlich mehr an eine altersschwache Ente denn an einen stolzen Schwan. Aber immerhin: sie bewegte sich und glitt dem kieloben treibenden Boot entgegen. Minuten später konnte auch Hasard den Mann genauer sehen, der sich an das Wrack klammerte - eine ausgemergelte, sonnenverbrannte Gestalt in zerfetzten Lumpen. Sein Schädel war völlig kahl. Ein schmaler, knochiger Schädel, über dem die gelbliche Haut zu spannen schien, große, düster brennende. Augen; ein verzerrter Mund, dessen Oberlippe von einer Narbe nach oben gezogen wurde, als blecke er ständig die Zähne. Knapp über der linken Schläfe klaffte eine handspannenlange, bereits vernarbende Wunde, die schmale, scharf gebogene Nase sprang vor wie ein Geierschnabel. Dan O'Flynn hatte recht: der Bursche sah wirklich wie der leibhaftige Tod aus. Aber er war ein Mensch und brauchte Hilfe. Hasard schüttelte mit einer ungeduldigen Bewegung das unbehagliche Gefühl ab, das ihn beim Anblick des Schiffbrüchigen zu beschleichen drohte. * Ein paar Minuten später wurde auf der „Isabella“ das Beiboot abgefiert, weil der Bursche mit dem Totenkopf-Gesicht
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offenbar nicht mehr in der Lage war, aus eigenen Kräften an der Jakobsleiter aufzuentern. Ferris Tucker und Stenmark hievten den Mann ins Boot. Die kieloben treibende Nußschale nahm Matt Davies mit seiner Hakenprothese in Schlepp. Der Kahn war zwar nur noch ein Wrack, aber noch hatten die Seewölfe keine Gelegenheit gehabt, die restlichen Boote der „Isabella“ zu überprüfen, und falls die Wasserhose größere Schäden angerichtet hatte, konnte man die Reste des halb zerfetzten Fahrzeugs vielleicht noch für die notwendigen Reparaturen gebrauchen. Ferris Tucker brauchte keine Hilfe, um die ausgemergelte, zerlumpte Gestalt an Bord zu schaffen. Der Bursche war nicht bewußtlos, aber er war auch nicht bei klarem Verstand. Seine aufgerissenen, brennenden Augen starrten ins Leere und schienen nicht wahrzunehmen, was um ihn geschah. Eben noch, als er an seine gekenterte Nußschale geklammert auf die „Isabella“ zugetrieben war, hatte er sich wenigstens zu einem matten Winken aufgerafft. Jetzt schien ihn der letzte Funke von Kraft verlassen zu haben. Der Himmel mochte wissen, wie lange er schon in dem kleinen Boot getrieben war, bevor die Ausläufer des Sturms ihn erwischten. Vorsichtig ließ Tucker den Mann auf die Planken der Kuhl gleiten und lehnte ihn mit dem Rücken gegen das Schanzkleid. Der hünenhafte Schiffszimmermann fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das brandrote Haar und blickte auf das jämmerliche Bündel Mensch hinunter. Ed Carberry kratzte sein zernarbtes Rammkinn, schüttelte den Kopf und holte Luft, daß sich sein mächtiger Brustkasten dehnte. „Kutscher!“ brüllte er, ehe Hasard etwas sagen konnte. „Komm her, du lausiger Quacksalber! Es gibt Arbeit!“ „Arbeit habe ich, auch ohne daß du großmäuliger Decksaffe ...“ Der Kutscher verstummte abrupt. Mit einer riesigen gußeisernen Pfanne in der Faust stand er im Kombüsenschott und
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riß die Augen auf. In seinem Allerheiligsten sah es aus, als hätte eine Horde Gorillas mit einem Elefanten gekämpft, daher war ihm im Eifer des Gefechts entgangen, was sich inzwischen abgespielt hatte. Jetzt starrte er verblüfft auf die Szene, wollte sich am Kopf kratzen und schlug sich dabei fast selbst die Bratpfanne um die Ohren. „Klapp den Mund zu, bevor du dir den Gehirnkasten erkältest“, knurrte Carberry. „Der Kerl hier hat den Sturm in 'ner Nußschale abgeritten. Sieh nach, was die Wasserhose von ihm übriggelassen hat, aber ein bißchen plötzlich.“ Normalerweise war der Kutscher nicht auf den Mund gefallen, auch wenn er sich gelegentlich etwas gewählter ausdrückte als die anderen. Dem Arzt Sir Freemont aus Plymouth, bei dem er Kutscher gewesen war, bevor ihn eine Preßgang auf Francis Drakes „Marygold“ verschleppte, hatte er nicht nur einiges über die Wundbehandlung, sondern auch feine Manieren abgeschaut, die er dann allerdings rasch vergaß, weil sie nicht recht für salzgewässerte Schiffsplanken taugten. Jetzt besann er sich sichtlich auf seine Würde als höchste medizinische Instanz an Bord. Wo es darum ging, Blessuren zusammenzuflicken und Halbtote wieder auf die Beine zu bringen, da hatte er das Sagen — und da mußte notfalls sogar der eiserne Profos den Mund halten. Der Kutscher besah sich die reglose, ins Leere starrende Elendsgestalt am Schanzkleid und gab nicht zu erkennen, daß auch ihm die Totenkopf Physiognomie des Burschen unheimlich war. „Hol mal die Rumflasche und den kleinen braunen Lederbeutel aus der Kombüse, Ed“, sagte er sanft. „Und bring auch gleich eine Muck mit, ja?“ „Du hast wohl einen Furz im Hirn, du ...“ „Ed!“ sagte Hasard nur. Der Profos schnaufte erbittert. Immerhin sah er ein, daß der Umgang mit der Rumbuddel aus den Geheimvorräten des Kutschers eine verantwortungsvolle Aufgabe war, die durchaus der
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moralischen Standfestigkeit des Zuchtmeisters bedurfte. Mindestens ein halbes Dutzend Männer hatten sich schon gestrafft, um sich freiwillig zu melden, Garantiert in der edelmütigen Absicht, die Qualität des Rums zu prüfen, bevor man den bedauernswerten Schiffbrüchigen damit traktierte. Ed Carberry hielt das ebenfalls für eine ausgezeichnete Idee. Allerdings konnte er sie jetzt nicht mehr reinen Gewissens in die Tat umsetzen, da er sich sozusagen selbst durchschaut hatte. Fluchend und brummend verschwand er in der Kombüse, während der Kutscher neben dem Schiffbrüchigen niederkniete und ihn leicht an der Schulter rüttelte. Der Mann reagierte nicht. Seine dunklen, brennenden Augen waren weit aufgerissen, der seltsam starre Blick schien durch alles hindurchzugehen. Dicht vor diesen unheimlichen Augen schnippte der Kutscher mit den Fingern und nickte nachdenklich, als sich die Pupillen sekundenlang verengten. „Blind ist er nicht“, stellte er fest, „aber halb verdurstet. Wahrscheinlich hat ihn die Sonne verrückt gemacht.“ „Du meinst, er, hat den Verstand verloren?“ Der Kutscher nickte zögernd. Hasard starrte in das ausgemergelte Gesicht, dessen verbrannte Haut sich wie dunkles, brüchiges Pergament über den Knochen spannte. Der Mann starrte ins Leere. Und da die tiefe rote Narbe seine Oberlippe nach oben zog und die Zähne freilegte, sah es aus, als liege auf seinen Zügen ein ständiges teuflisches Grinsen, das der völlige Mangel an Ausdruck um so unheimlicher wirken ließ. „Ein Jonas!“ flüsterte Blacky schauernd. Hasard fuhr herum. Er sah gerade noch, wie sich Smoky, Decksältester und abergläubischster Mann der Crew, verstohlen bekreuzigte. Old Donegal Daniel. O'Flynn spuckte über die Schulter und scharrte angelegentlich mit seinem Holzbein, als er den Blick des Seewolfs spürte. In Hasard war schlagartig wieder die Erinnerung an den Ärger mit dem
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unheimlichen „Jonas“ in der Karibik wachgeworden, und der Gedanke, daß ihnen etwas Ähnliches bevorstehen könne, ließ seine eisblauen Augen gefährlich glitzern. „Blacky, Smoky“, sagte er scharf. „Wenn ich noch einmal das Wort Joas höre, wird der Bursche tatsächlich Unglück bringen. Nämlich demjenigen, der sein Maul aufgerissen hat. Verstanden?“ „Aye, aye, Sir“, sagte Blacky. „Aye, aye, Sir“, sagte Smoky. „Aye, aye“, murmelte Old O'Flynn, der zwar nicht angesprochen worden war, aber aus Erfahrung wußte, daß man bei dem gewissen scharfen Tonfall in der Stimme des Seewolfs nicht vorsichtig genug sein konnte. „Wer quasselt da was von Jonas?“ erkundigte sich Ed Carberry, der eben im Kombüsenschott auftauchte und nur die Hälfte gehört hatte. „Niemand, Ed“, sagte Hasard. Aber er sagte es so, daß der eiserne Profos lieber darauf verzichtete, lauthals zu verkünden, daß er, verdammt noch eins, schließlich gesunde Ohren habe. Der Kutscher flößte dem Schiffbrüchigen erst eine Muck Trinkwasser und dann einen kräftigen Schluck Rum ein. Anschließend stellte er fest, daß die Kopfwunde schon hinreichend vom Salzwasser des Pazifiks desinfiziert sei, und murmelte etwas von „Kreislauf“ und „Blut in Wallung bringen“. Ein paar von den Männern begannen an ihrem Weltbild zu zweifeln, als sie sahen, wie der Kutscher einen alten Lappen mit Rum tränkte und den starren Körper des Schiffbrüchigen damit abrieb. Die Reaktion war gleich Null. Sträfliche Verschwendung, ließ sich von den Gesichtern der Männer ablesen. Aber im Augenblick verspürte niemand Lust, das laut zu sagen. Der Kutscher erklärte, daß der Unbekannte vorerst nichts weiter als Ruhe, Schatten und kräftiges Essen brauche. Das alles konnte er ohne viel Aufwand kriegen. Er wurde auf eine Persenning im Schatten des Achterkastells gebettet, und
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für den Rest des Tages hatten die Seewölfe keine Zeit mehr, sich um ihn zu kümmern. Die Wasserhose hatte auf der „Isabella“ eine ganze Menge zerschlagen. Eine neue Fockmarsrah mußte geriggt, das Steuerbord-Hauptwant repariert, haufenweise Tauwerk gespleißt und ein neues Fockmarssegel angeschlagen werden. Will Thorne, der Segelmacher, war pausenlos beschäftigt, ebenso wie der Schiffszimmermann und der Stückmeister, der dafür zu sorgen hatte, daß die „Isabella“ wieder gefechtsklar wurde. Die Männer schufteten in der Hitze des tropischen Nachmittags, lenzten den achteren Laderaum leer, klarten auf, überprüften jede Planke, jeden Bolzen, jedes Bändsel, und der Profos tobte von einem Ende des Schiffs zum anderen und drohte jedem mit Kielholen, Hautabziehen und An-der-Rahnock-hängen, der es auch nur wagte, mal den Kopf zu heben. Die Dämmerung brach plötzlich herein, wie immer in den Tropen. Es hatte aufgebrist, die „Isabella“ lief wieder Fahrt. Immer noch war von dem Schwarzen Segler Siri-Tongs nichts zu sehen, aber Hasard wußte, daß der Viermaster rasch wieder aufsegeln würde. Stetig glitt die „Isabella“ nach Westen. Den ausgemergelten Schiffbrüchigen, der im Schatten des Achterkastells kauerte, hatten die Seewölfe fast vergessen. Als er sich wieder in Erinnerung brachte, hockte der Schiffsjunge Bill gerade im Licht einer Schiffslaterne auf der Kuhl und sah dem Segelmacher über die Schulter, um die Bootsmanns-Naht zu lernen. Der weißhaarige Will Thorne zuckte leicht zusammen, als er den Schatten bemerkte, der plötzlich neben dem Niedergang hochschnellte. Auch Hasard hatte die Bewegung gesehen. Er lehnte an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und blickte aus zusammengekniffenen Augen zu dem Fremden hinunter. Bisher hatte der Mann an seinem Platz gekauert, als sei er zu Stein erstarrt, jetzt atmete er heftig. Seine Brust hob und senkte sich rasch, die Hände
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mit den langen, dürren Fingern zuckten unruhig. Er flüsterte etwas. Ein einzelnes Wort, das er zwei-, dreimal wiederholte. Ein Name, wie der Seewolf zu verstehen glaubte. „Morro“, krächzte die dünne, brüchige Stimme. „Morro - Morro ...“ Und dann, mit erschreckender Plötzlichkeit, warf der Mann die Arme hoch und begann zu schreien. „Morro! Meineidiger Hund! An der Rahnock sollst du hängen! Ich bin der Kapitän - der Kapitän! Alle Mann an Deck! Hängen sollst du! Hängen, hängen, hängen ...“ Seine Stimme überschlug sich und kreischte in schrillem Falsett. Wie von einem Katapult abgeschnellt raste er los, quer über die Kuhl. Ganz offensichtlich hatte er vor, über Bord zu springen. Bill und der alte Segelmacher waren wie gelähmt. Hasard reagierte sofort und wollte sich mit einem Satz über die Schmuckbalustrade schwingen, aber da sprangen bereits die Männer auf, die vor den Speigatten gehockt und Tauwerk gepleißt hatten. Mit vier, fünf Schritten erreichte der drahtige, flinke Sam Roskill den Schiffbrüchigen und torkelte im nächsten Moment zurück, als die ausgemergelte Elendsgestalt ihn unversehens mit einem wilden Schwinger erwischte. Viel Dampf saß nicht dahinter, aber der Schlag erfolgte so überraschend, daß sich Sam Roskill auf den Planken überschlug. „Hiergeblieben!“ rief Ed Carberry, der von der anderen Seite heranfegte. Seine riesige Pranke schoß vor und packte den Unbekannten am Kragen. Der Mann kreischte. Sam Roskill sprang auf, fauchend vor Wut, und wollte sich auf den Mann stürzen. Matt Davies streckte nur mal eben die Rechte aus. Roskill schrie wütend auf, als er plötzlich am Haken des Einarmigen festhing. Die anderen wollten sich ausschütten vor Lachen. Sam Roskill wollte etwas ganz anderes, nämlich Matt
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Davies an die Kehle fahren. Aber im nächsten Augenblick vergaß er seine Absicht, denn da begann der Schiffbrüchige in Carberrys Griff zu toben wie ein rasender Derwisch. Er schrie, spuckte, geiferte und sprudelte einen Schwall von unverständlichen Worten hervor, während eine Augen im Wahnsinn glühten. Blindlings schlug er um sich, bäumte ich auf, versuchte zu kratzen und zu beißen. Ed Carberry, der dem armen Kerl nicht ernsthaft wehtun wollte, vermochte ihn kaum zu bändigen. Mit der ausgestreckten Faust hielt er ihn am Kragen, und immer noch kreischte die heisere Greisenstimme Flüche und Verwünschungen. „Verrat“, war zu verstehen. „Meuterei Mordsgesindel - Rache ...“ In wilder Wut drohte der Verrückte irgendwelche Verräter aufhängen zu lassen, und kreischte immer wieder, daß der Tag der Rache kommen und er, der Kapitän, blutiges Gericht halten werde. Inzwischen war auch der Rest der Crew an Deck erschienen und starrte auf die makabre Szene. Zumindest diejenigen unter den rauhen Kerlen, die ohnehin an Wassermänner, Geisterschiffe, Unglücksboten und ähnlichen Spuk glaubten, wurden etwas blaß um die Nasen. Carberry gehörte auch nicht zu denen, die etwa am Mast gekratzt oder vor sich hin gepfiffen hätten, da man schließlich wußte, daß so etwas den Sturm anlockte. Aber im Augenblick erschien ihm der tobende, geifernde, um sich schlagende Kerl in seinem Griff viel zu real, um ihn unheimlich zu finden. Nach dem zweiten Nasenstüber war es der Profos leid. „Na warte, du Affenarsch!“ sagte er erbittert, und dann begann er, den Tobsüchtigen wie einen nassen Lappen zu schütteln. Schlimmer hätte es dem Burschen auch nicht ergehen können, wenn er ins Zentrum der Wasserhose geraten wäre. Er beruhigte sich sehr schnell. Das heißt: er verlor das halbe Bewußtsein; und Carberrys kräftige Fäuste schienen die
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Erinnerungsfetzen in seinem Hirn dermaßen durcheinanderzuschütteln, daß er auch die „Verräter“ und den „Tag der Rache“ vergaß. Er fiel in sich zusammen. Als der Profos ihn mit einem ärgerlichen Brummen wieder auf die Persenning neben dem Niedergang setzte, ließ er den Kopf auf die Knie sinken und rührte sich nicht mehr. Carberry rieb sich über sein Rammkinn und blickte zum Achterkastell hoch. „Der Idiot wollte über Bord springen“, entschuldigte er sich. „Sollte ich ihm vielleicht zu seinem eigenen Besten noch eins auf seinen verlausten Schädel plätten?“ „Wo soll der denn Läuse haben?“ fragte Dan O'Flynn grinsend. „Der ist doch so kahl wie ...“ „Halt deinen vorlauten Mund, sonst bist du auch gleich kahl“, schnauzte der Profos. „Weil ich dir nämlich die Haare einzeln ausreiße, du grüner Hering! Aber im Ernst: man sollte den Kerl vielleicht anbinden.“ „Laßt ihn in Ruhe“, beendete Hasard die Diskussion. „Dan - ab in den Großmars! Wenn wir Thorfin und Siri-Tong nicht bald sichten, werden wir Segel wegnehmen müssen.“ Dan O'Flynn enterte wieder auf. Stille senkte sich über die Decks. Nur Sir John, der Papagei, hockte auf der Nock der Großrah, plusterte sein leuchtendes Gefieder auf und übte sich darin, die dünne, heisere Fistelstimme des Schiffbrüchigen nachzuahmen, die ihm offenbar sehr imponiert hatte. „Meuterei!“ krächzte er. „Verrät -Verrat ...“ 2. „Land ho! Land Steuerbord voraus! Vier Strich vorlicher als dwars!“ Bob Grey war es, der Dan O'Flynn im Ausguck abgelöst hatte. Die Sonne strahlte von einem blaugrauen Himmel, den die wachsende Tageshitze mit opalisierenden Schleiern überzog. Auf dem Achterkastell zog Hasard die Brauen zusammen. Er wußte, daß die Seekarten keine Inseln in
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diesem Gebiet verzeichneten. Aber andererseits war jetzt, um drei Glasen der Morgenwache, die Hitze noch nicht so groß, daß die flimmernde Luft Spiegelungen hätte hervorbringen können. Am Steuerbord-Schanzkleid zog Hasard das Spektiv auseinander. Ruhig schwenkte er die Kimm ab, dann nahm er die Unterlippe zwischen die Zähne, als er den dunklen, verschwimmenden Flecken erkannte. Eine Insel, in der Tat. Er sah den kegelförmigen Buckel einer Anhöhe und einen dünnen weißen Streifen, wo sich die anrollenden Wogen vor dem Riff brachen. Der Kurs der „Isabella“ würde dicht an dem unbekannten Eiland vorbeiführen, das keine Seekarte verzeichnete. Bei vier Glasen waren bereits Einzelheiten zu erkennen. Da war ein geschwungener Strandstreifen, dem die fein zermahlenen Korallen einen rosafarbenen Schimmer verliehen. Sie entdeckten schlanke Palmen, die roten Felsen des Riffs, das das stille dunkelblaue Auge der Lagune einschloß, und das Wrack, das irgendwann einmal an diesem Riff gescheitert war. Hasard blickte durch das Spektiv und betrachtete die kläglichen Reste, die einmal zu einer stolzen, ranken Karavelle gehört haben mußten. Eine spanische Karavelle? Der Seewolf runzelte die Stirn. Er wußte, daß es Spanier in der Südsee gab, wenn sie diesem Gebiet auch nur wenig Aufmerksamkeit schenkten, da es bei den polynesischen Eingeborenen kaum etwas zu räubern und zusammenzuraffen gab. Die Karavelle mochte zu einem Geleitzug gehört haben. Oder zu einem Verband, der nach Westen segelte, um Neuland zu entdecken. Sehr lange konnte sie noch nicht auf dem Riff liegen, das war am Zustand der zerfetzten Segel und des unentwirrbar verknäulten Tauwerks zu erkennen. Der Aufprall hatte das Schiff in der Mitte auseinanderbrechen lassen. In der Lagune schwammen noch ein paar Trümmer, den Rest hatte die See mitgenommen.
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Hasard zuckte unbewußt mit den Schultern. Für seine Begriffe sah es nicht so aus, als könne irgendjemand die Katastrophe überlebt haben. Oder doch? Unwillkürlich war der Blick des Seewolfs zu der ausgemergelten Gestalt neben dem Niedergang gewandert. Jetzt sah er, daß sich der Unbekannte aufgerichtet hatte. Er schwankte und hielt sich offenbar nur mühsam auf den Beinen. Wie von einem Magneten angezogen taumelte er. nach Steuerbord, klammerte die Fäuste um das Schanzkleid und starrte zu dem Wrack hinüber. Hasard konnte sein Gesicht nicht sehen, aber in der ganzen Haltung des Unbekannten lag stumme, angespannte Erregung, eine Erregung, die deutlich von ihm ausstrahlte und sich auf das Wrack dort drüben bezog. Der Fremde kannte das Schiff. Sein Schiff vermutlich, von dem er versucht hatte, sich mit dem kleinen Boot zu retten. Oder von dessen Mannschaft er in der Nußschale ausgesetzt worden war, vollendete Hasard in Gedanken. Die Worte des Unbekannten klangen ihm noch in den Ohren, das Geschrei von Meuterei und Verrätern und Rache. Wenn der Fremde den Schiffbruch der Karavelle überlebt hätte, wäre er ans Gestade getrieben worden und nicht aufs offene Meer. Nein, er mußte bereits in dem kleinen Boot gesessen haben, bevor der Sturm ihn überraschte. Und jetzt, da er das zerschellte Wrack dort drüben sah, erschien ihm der Anblick vielleicht als Fügung des Schicksals, als gerechte Strafe, die die rächende Vorsehung über die Meuterer gebracht hatte. Vermutungen, sagte sich Hasard. Sein Blick streifte die anderen Männer, die ebenfalls zu der Insel mit dem Wrack hinüberstarrten. Auch ihre Gesichter spiegelten Erregung, aber bei ihnen war es erwartungsvolle, unternehmungslustige Erregung. Dan O'Flynn hatte glänzende Augen, der kleine Bill trat von einem Fuß auf den anderen, die übrigen betrachteten das Eiland, als schätzten sie die
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Herausforderung ab, die es darstellte. Ben Brighton, der neben den Seewolf getreten war, lächelte leicht. „Wollen wir die Insel anlaufen?“ fragte er. Hasard zögerte einen Moment, dann schüttelte er entschlossen den Kopf. Auch ihn reizte das Unbekannte. Aber die große, unwiderstehliche Lockung lag im Westen, in dem geheimnisvollen Land, von dem Siri-Tong berichtet. hatte. Sie hatten schon zu viel Zeit verloren. Hasard zog es weiter, in die unbekannte Ferne- wie ein Sog, den er mit jeder Faser spürte und der von Tag zu Tag stärker wurde. Er atmete tief durch. Seine blauen Augen funkelten, das schwarze Haar flatterte im Wind. „Wir segeln weiter“, entschied er. „Wir brauchen weder unsere Vorräte zu ergänzen noch Wasser zu fassen. Und Inseln .werden wir unterwegs noch genug finden.“ * Auf dem Schwarzen Segler raufte sich Thorfin Njal, der Wikinger, seinen mächtigen Vollbart, rief der Reihe nach seine Ahnen, die Teufel der Hölle und sämtliche Götter an und drohte dem Bootsmann Juan, ihn kielholen, an der Rahnock aufhängen, vierteilen und Odins Raben zum Fraß vorwerfen zu lassen ungeachtet der Tatsache, daß die kreischenden Seevögel ringsum nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit Odins Raben hatten. Juan funkelte den tobenden Riesen unter halb gesenkten Lidern an, aber er traute sich nichts zu sagen, obwohl er sich unschuldig fühlte. Konnte er dafür, daß irgendein Idiot das Fall der Besanrute nicht richtig belegt hatte, so daß jetzt Segel und Gaffel beim Teufel waren — oder besser bei den Wassermännern? Der Bootsmann würde das Unwetter an die Besangasten weitergeben. In abgemilderter Form. Nicht etwa, weil er von friedlicher Gemütsart gewesen wäre, aber er konnte nun mal nicht halb so gut und vor allem
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nicht halb so laut fluchen wie der riesige Wikinger mit seiner Donnerstimme. Siri-Tong stand auf dem Achterkastell und beobachtete die Szene. Die Rote Korsarin trug eine knappsitzende Bluse im leuchtenden Farbton der Korallen, die blaue Schifferhose schmiegte sich eng um ihre langen Beine. Da der Viermaster keine Fahrt lief, flatterte ihre schwarze Mähne ausnahmsweise nicht im Wind, sondern spielte sanft wie ein dunkles, schimmerndes Vlies um das rassige Gesicht mit den Mandelaugen. SiriTongs Lippen preßten sich aufeinander, die Flügel der kleinen, energischen Nase vibrierten leicht. Sie war ungeduldig und wollte endlich weiter, aber sie wußte, daß sich Thorfin Njal erst austoben mußte. Ihrer Erfahrung nach würde das so an die zehn Minuten dauern. Siri-Tong faßte sich in Geduld. Und ein paar Minuten später geschah etwas, das den Wutausbruch des Wikingers abrupt unterbrach. „Deck!“ schrie Hilo aus dem Hauptmars. „Boot Backbord querab! Es treibt auf uns zu.“ Siri-Tong wirbelte herum. Unten auf der Kuhl ließ Thorfin Njal den zornbebenden Bootsmann stehen und tobte den Niedergang hoch. Mit einem wütenden Ruck riß er das Spektiv aus dem Gürtel und spähte nach Süden. Zuerst war nur ein Punkt auf dem Wasser zu sehen, dann erkannte auch der Wikinger die Umrisse des kleinen Bootes — einer Pinasse mit geknicktem Mast und zerfetzten Segeln. Steuerlos trieb sie in der Dünung, und nichts wies darauf hin, daß sich Menschen an Bord befanden. Schweigend reichte Thorfin das Spektiv an die Rote Korsarin weiter. Sie hob es an die Augen und beobachtete das Boot, das jetzt rasch näher glitt. Niemand bediente das Ru- der, aber neben der Pinne war etwas wie ein längliches, zusammengesunkenes Bündel zu erkennen. Zwei weitere lehnte oder lagen an der achteren Bordwand. Sie rührten sich nicht — und noch war nicht zu sehen, um was oder wen es sich handelte. Menschen?
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Schiffbrüchige, die in der Endlosigkeit des pazifischen Ozeans trieben? Siri-Tong ließ das Spektiv sinken, da das nähertreibende Boot jetzt auch mit bloßem Auge zu verfolgen war. Ein paar Minuten später hob die Rote Korsarin das Fernglas wieder an die Augen, und jetzt konnte sie die reglosen Bündel an Bord der Pinasse deutlicher erkennen. Es waren wirklich Menschen. Männer, fünf oder sechs mindestens. Ausgemergelte Gestalten in zerfetzten Lumpen, starr und verkrümmt, teilweise übereinanderliegend wie leblose Puppen. Sie mußten tot sein. Siri-Tong biß ,sich auf die Lippen und reichte dem Wikinger das Spektiv. „Bei Odin!“ sagte Thorfin Njal düster. Dann schwieg er eine Weile und starrte angestrengt zu der Pinasse hinüber. Mit einem Ruck setzte er das Fernglas ab und kratzte heftig an seinem zerbeulten Kupferhelm. „Da lebt noch einer“, stieß er hervor. „Er hat sich bewegt, ich habe es gesehen!“ Siri-Tong schwang herum. „Beiboot abfieren!“ ertönte ihre Stimme. „Eike, Arne, Boston-Mann, Mike — ihr holt die Pinasse längsseits!“ „Aye, aye, Madam!“ Die Angesprochenen setzten sich in Bewegung. Siri-Tong und der Wikinger beobachteten das Manöver, das unter dem Kommando des Boston-Manns schnell und exakt ablief. Binnen Minuten erreichte das Beiboot des Schwarzen Seglers die Pinasse, der Boston-Mann sprang an Bord und belegte die Leine, die Mike Kaibuk hinüberwarf. Die Gesichter der Männer waren blaß und verzerrt, als sie die schwer angeschlagene Pinasse in Schlepp nahmen. Am Schanzkleid des „Eiligen Drachen“ stand Siri-Tongs Crew in stummer Spannung. Auch der letzte an Bord konnte jetzt die Toten in dem großen Boot erkennen. Fünf Tote, elend krepiert an Durst und Hitze. Und ein einziger überlebender, den Arne und Eike vorsichtig aus der Pinasse in das Beiboot hoben, um ihn hochhieven zu lassen.
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Männer enterten über die Jakobsleiter auf. Der Bewußtlose wurde aus dem Boot gezogen .und in den Schatten gebettet. Er sah furchtbar aus: verbrannt von der gnadenlosen Sonne, ausgemergelt, mit spröden, rissigen Lippen und einer Haut so trocken wie bei einer Noch atmete er, aber auch der letzte aus der Crew brauchte nur einen Blick, um zu sehen, daß das abgezehrte Gesicht bereits vom Tode gezeichnet war. Siri-Tong sog scharf die Luft durch die Zähne, als sie neben dem Bewußtlosen in die Hocke ging. Vorsichtig schob sie ihm den linken Arm unter den Kopf und setzte ihm mit der Rechten eine Muck Trinkwasser an den Mund. Die spröden, von weißem Schorf bedeckten Lippen zuckten. Gierig öffneten sie sich, die Kehle des Mannes verkrampfte sich in verzweifelten Schluckbewegungen. Siri-Tong benetzte ihm die Lippen und goß ihm etwas Wasser zwischen die Zähne. Ein Hustenkrampf schüttelte die hagere Gestalt. Aber das lebenspendende Naß tat seine Wirkung, die Lider des Unglücklichen begannen zu zucken und hoben sich schließlich. Ein irrer Blick tastete in die Runde. Dumpf und rasselnd klang das Stöhnen, das über die trockenen Lippen drang. Noch einmal goß die Rote Korsarin etwas Wasser in die ausgedörrte Kehle, und diesmal begann der Mann, in jäh erwachender Gier zu schlucken. „Vorsicht”, brummte der Wikinger. „Er darf nicht gleich zu viel trinken.“ Siri-Tong hob den Kopf. „Er stirbt, Thorfin. Er hat nur noch Minuten. Warum soll er in diesen letzten Minuten nicht trinken, soviel er mag?“ Aber schon nach den nächsten zwei, drei Schlucken sank der Mann schlaff zurück, als habe ihn der letzte Funken Kraft verlassen. Seine Zunge fuhr über die schorfigen Lippen. Wieder irrte sein Blick umher, doch diesmal schien er wenigstens zu begreifen, daß er nicht mehr in der Pinasse
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lag, daß Menschen um ihn waren, lebendige Menschen. Seine Lippen bewegten sich. Die Stimme klang brüchig, wie eingerostet, und formte unendlich mühsam Worte. „Der Schatz“, flüsterte er. „Schatz Chiapas ...“ „Schatz?“ fragte Siri-Tong mit gerunzelter Stirn. Die fiebrigen Augen fielen zu und öffneten sich wieder. Für einen Moment schien der irre Blick ein wenig an Klarheit zu gewinnen. „Der Schatz - der Maya“, flüsterte der Sterbende mühsam. „Das Schiff Piratenschiff - zerschellt - die Strafe! Es ist die Strafe! Es ist der Fluch - der Fluch der Maya ...“ „Bei Thors Hammer!“ knurrte der Wikinger. „Wovon, zum Teufel, redet der ...“ „Still, Thorfin! Warte!“ Wieder bewegten sich die Lippen des Todgeweihten. Siri-Tong mußte sich tief über ihn beugen, um die Worte zu verstehen, die nur noch ein Hauch waren. „Der Fluch - der Fluch der Maya wird sie ereilen, alle - nie werden sie das Gold finden - nie - nie ...“ Die Stimme erstarb. Ein letztes krampfhaftes Zucken durchlief die ausgemergelte Gestalt. Dann erschlafften die Glieder des Unbekannten, und tief auf dem Grund der Pupillenschächte schien etwas wie springendes Glas zu zerbrechen. Siri-Tong hob den Kopf. Eine steile Falte stand auf ihrer Stirn. Fragend sah sie Thorfin Njal an, aber der Wikinger hob nur die mächtigen Schultern. Er konnte sich auf die wirren Reden genauso wenig einen Reim bilden wie die anderen. „Verrückt“, brummte er. „Die Mayas leben doch in Yukatan, auf der anderen Seite des Kontinents. Möchte wissen, wieso jemand mitten auf dem Pazifik von Mayas faselt!“ Siri-Tong zuckte mit den Schultern. Es war sinnlos, jetzt darüber nachzugrübeln. Mit einem tiefen Atemzug
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stand sie auf und warf das lange Haar auf den Rücken. „Wir übergeben die Toten der See“, entschied sie. „Und dann sehen wir zu, daß wir eine neue Gaffelrute riggen und endlich die ,Isabella' einholen.“ 3. In der mondlosen Nacht bildeten die geblähten Segel der „Isabella“ nur fahle Flecken. Sternenlicht spiegelte sich verschwimmend im leicht bewegten Wasser, aber auch die Sterne wurden teilweise von Wolken verdeckt, die sich schwarz und bedrohlich über die Kimm schoben. Die Nacht war schwüler als gewöhnlich. Dan O'Flynn wischte sich den Schweiß von der Stirn, spähte aus zusammengekniffenen Augen zum Kreuz des Südens hinauf und versuchte, das unbehagliche Gefühl abzuschütteln. Er lehnte am Schanzkleid des Vorkastells. Das leise Glucksen und Rauschen der Bugwelle drang an seine Ohren. Eigentlich war er nur während seiner Freiwache hier heraufgekommen, um die Freiluft-Toilette zu benutzen. Dann hatte er geglaubt, bei den Drehbassen ein Geräusch zu hören, wo um diese Zeit niemand etwas zu suchen hatte. Normalerweise hätte er sich nicht darum gekümmert, aber jetzt dachte er daran, daß sie einen Fremden an Bord hatten, der ihm, wenn er ehrlich war, trotz aller Argumente der Vernunft ein bißchen unheimlich erschien. Dan O'Flynns Mißtrauen war erwacht, unbegründet, wie er inzwischen einsah. Hier oben war niemand. Dan gähnte und ließ den Blick müßig über die dunklen Decks schweifen. Die „Isabella“ lief nicht unter Vollzeug. Sie hatten nur Blinde, Großsegel und Besan gesetzt, um dem schwarzen Segler Gelegenheit zu geben, sie einzuholen. „Eiliger Drache über den Wassern“ war ein schnelles Schiff, schneller als die dreimastige Galeone der Seewölfe. Spätestens morgen früh, schätzte Dan, mußte der Viermaster der Roten Korsarin
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über der Kimm auftauchen, falls Siri-Tong und Thorfin Njal nicht Pech gehabt und doch mehr von dem Sturm abgekriegt hatten, als der Seewolf glaubte. Und falls sie nicht in das nächste Wetter hineinliefen, das sich irgendwo im Norden zusammenbraute, vollendete Dan seine eigenen Gedanken. Die Wolkenbänke über der Kimm gefielen ihm überhaupt nicht, genauso wenig wie die drückende Schwüle. Etwas knackte leise. Donegal Daniel O'Flynn hielt den Atem an. Auf dem Absatz führ er herum - und stieß gleich darauf erleichtert die Luft aus. Ein massiger Schatten wuchs Vor ihm hoch. Schneeweiße Zähne blitzten, das Weiß von rollenden Augäpfeln schimmerte. Sonst verschmolz die Hünengestalt fast völlig mit der Finsternis, und das brachte an Bord der „Isabella“ hur einer fertig. „Batuti!“ fauchte Dan aufgebracht. „Kannst du schwarzer Affe dich nicht melden, bevor du einen derart erschreckst? Fast hätte ich dir ein Messer in den Bauch gerammt.“ „Kleines O'Flynn dummy im Kopf.“ Batuti, der riesenhafte Gambia -Neger grinste immer noch, denn in Wahrheit waren er und Dan besonders dicke Freunde. „Was willst du? Soll ich schreien Zeter-Mordio, wenn gehen aus der Hose?“ „Von wegen Zeter-Mordio“, unkte Dan. „Der alte Carberry würde dir die Haut in Streifen abziehen.“ „Und nageln an Kombüse, he? Wird sich Kutscher freuen! Haut von schönes schwarzes Affenarsch von Batuti ist ...“ Er stockte abrupt. Jetzt war er es, der unwillkürlich denAtem anhielt. Auch bäh war das leise Geräusch nicht entgangen. Aber nachdem er sich einmal unnötig erschrocken hatte, wollte er sich kein zweitesmal ins Bockshorn jagen lassen. „Noch jemand, der aus der Hose muß“, sagte er. „Scheint ja 'ne wahre Seuche zu sein. He, wer da?“ Er erhielt keine Antwort. Unmittelbar zwischen den beiden Drehbassen schnellte
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eine Gestalt wie ein Springteufel hoch. Trotz der Dunkelheit waren die Umrisse der schweren Muskete nicht zu übersehen. „Rührt euch nicht! Ein Laut oder eine Bewegung, und ich schieße euch in Stücke!“ Die Stimme klang dünn und hoch, scharf wie das Zischen einer gereizten Schlange, das die Seewölfe bei ihren Abenteuern im Amazonas-Gebiet so oft gehört hatten. Dan O'Flynn versteinerte. Er hatte die Stimme erkannt, und er erkannte auch die dürre, hoch aufgerichtete Gestalt, die jetzt überhaupt nicht mehr an einen Halbtoten erinnerte. „Der Jonas!“ keuchte er. „Mann von 'Schiff gebrochen“, flüsterte Batuti, der das Wort Schiffbrüchiger einfach nicht richtig zusammenkriegte. „Verdammich! Ich denke, der dummy im Kopf und ...“ „Still!“ zischte die brüchige Stimme. Ein tiefer, rasselnder Atemzug drang über die Lippen des Unbekannten, und in seiner Haltung schien sich eine unsichtbare Stahlfeder zu spannen. „Hört zu! Ich bringe euch um, wenn ihr nicht gehorcht! Ich töte euch, und wenn es das letzte ist, was ich auf dieser Welt tue. Und ich töte nicht nur euch! Ich werde auch noch andere mitnehmen! Viele andere! Ihr müßt mir helfen, hört ihr — müßt ...“ Für einen Moment war wieder der irre Klang in der Stimme, aber Dan O'Flynn gab sich keinen Illusionen hin. Die ganze Haltung des ausgemergelten Burschen spiegelte Konzentration und hellwache Aufmerksamkeit. Er war fanatisch und offenbar besessen von irgendeiner Wahnidee. Der junge O'Flynn spürte mit jeder Faser, daß dieser Irre seine Drohung rücksichtslos wahrmachen würde. Vorläufig saß der Kerl am längerem Hebel. Wenn er losballert, würde von Dan und Batuti auf diese Entfernung nicht viel übrigbleiben. Und es mochte leicht passieren; daß der Mann es mit Hilfe des Überraschungseffektes tatsächlich schaffen würde, noch ein paar andere Seewölfe mit auf die große Reise zu nehmen.
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Batuti, der riesige Gambia-Neger, atmete tief ein und rollte furchterregend mit den Augen. „Soll Batuti schlagen Kerl Zähne in Gehirn?“ grollte er. „Oder hauen auf Kopf, daß er guckt durch eigene Rippen?“ Dan schüttelte den Kopf. „Denk an die anderen.“ Und etwas lauter: „Was heißt das — helfen? Was haben Sie vor?“ Der Unbekannte grinste. Oder vielleicht sah es auch wieder nur so aus, weil ihm die schreckliche Narbe die Oberlippe von den Zähnen zog. „Ein Boot“, flüsterte er. „Ich brauche ein Boot, ich ...“ „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Dan wollte auffahren, aber er nahm sich sofort zusammen, als er sah, wie sich das ausgemergelte Gesicht zu einer Fratze verzerrte. Der Kerl war tatsächlich nicht bei Sinnen und fähig, hier ein Blutbad anzurichten, wenn es hart auf hart ging. Noch schien er ruhig. Von einer geradezu teuflischen Ruhe, die seine Besessenheit umso gefährlicher werden ließ. Er durfte nicht durchdrehen und mußte in Sicherheit gewiegt werden. Sollte er ruhig darauf bestehen, daß ein Boot abgefiert wurde! Er war ein Wrack und hielt sich nur mühsam auf den Beinen. Lange würde es ganz sicher nicht dauern, bis die beiden Seewölfe die Chance erhielten, ihn zu entwaffnen. Nach Dans Meinung war das wesentlich besser, als die Dinge hier und jetzt auf die Spitze zu treiben. „Ein Boot!“ fragte der blonde junge Mann sanft. „Was wollen Sie denn mitten in der Nacht mit einem Boot, Mister?“ Ein scharfer Atemzug. Wieder hatte Dan das Gefühl, daß der Kerl ihn auf diese unheimliche, ausdruckslose Art angrinste. „Rache!“ flüsterte der Unbekannte mit zuckenden Lippen. „Vergeltung! Ich bin der Kapitän. Ich bin Philipp Montsalve! Ihr werdet ein Boot abfieren und mich zu der Insel pullen, damit ich über die Verräter Gericht halten kann.“
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Wie ein rotes Auge glomm das Feuer durch die Dunkelheit. Über der grasbewachsenen Senke zwischen den roten Felsen hing drückende Schwüle. Die Nacht hatte keine Abkühlung gebracht, die Brise von der See drang nur schwach bis zu dieser von allen Seiten geschützten Stelle. Die schlafenden Männer hätten das Feuer nicht gebraucht, denn es gab weder Eingeborene noch wilde Tiere auf der Insel. Sie hätten auch die Wachen nicht gebraucht, die höher in den Felsen Ausschau hielten. Aber da war die dumpfe Furcht, die sich niemand eingestand. Da waren Bitterkeit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung - und das Feuer bot mit seinem magischen Bannkreis Schutz, so wie die aufgestellten Wachen die Illusion boten, daß irgend etwas Unerwartetes eintreten könnte, um das Geschick der sechzehn Männer noch einmal zu wenden. Einige von ihnen waren trotz der späten Stunde noch wach, kauerten im Gras zwischen den Felsen und starrten in die Glut. Jean Morro, der Bretone, drehte einen schlanken, gefiederten Farnwedel zwischen den Fingern. In seinen harten steingrauen Augen spiegelten sich die kleinen Flammen wie winzige, tanzende Funken. Auch sein Haar war grau, obwohl der große, knochige Mann noch keine vierzig Jahre zählte. Neben ihm kauerten zwei schweigsame, vierschrötige Burschen, von denen nur bekannt war, daß sie aus Burgund stammten und die der Einfachheit halber „Burgunder“ und „anderer Burgunder“ genannt wurden. Der vierte Mann, der noch wachte, lehnte in einer Haltung selbstversunkener Ruhe an einem der Felsen. Sein kräftiges, schwermütiges Gesicht war tiefbraun wie poliertes Holz. Er trug zerfetzte Seemannskleidung genau wie die anderen, aber das lange blauschwarze Haar hatte er auf dem Oberkopf mit bunten Ringen zusammengebunden.
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Niemanden störte diese fremdartige Haartracht. Genauso wenig, wie jemanden die dunklen Kehllaute störten, mit denen der Braunhäutige sprach. Jacahiro war Indianer, ein reinblütiger Maya aus den dichten Regenwäldern Nueva Espanas. Jean Morro warf das graue Haar zurück und betrachtete seine Kumpane mit einem bitteren Lächeln. Jacahiro, der die Sprache der Maya sprach und ihr Land kannte! Der alte Valerio mit seiner fabelhaften Karte! Alles hatte sich so gut angelassen. Und sie waren ihrer Sache so sicher gewesen. Ein unermeßlicher Schatz-Reichtum für alle! Und dann von einer Stunde zur anderen das Ende, als habe das Geschick selber mit eiserner Faust zugeschlagen. Morro preßte die Lippen zusammen. Er dachte an den verrückten Kapitän, den sie zum Teufel gejagt hatten. War die Katastrophe die Strafe dafür gewesen, die Vergeltung, die ausgleichende Gerechtigkeit, von der Vorsehung geübt? Unsinn, dachte der Bretone angewidert. Der Kapitän hatte sein Schicksal tausendmal verdient. Drei Männer hatte er für Verbrechen hängen lassen, die nur in seinem Wahn bestanden, einen Offizier in den sicheren Tod gehetzt - zum Schluß war er nur noch eine reißende Bestie gewesen. Vielleicht war es der Gedanke an das Maya-Gold, der ihn hatte verrückt werden lassen. Jean Morro dachte an die letzten Tage, an den Topf mit dem griechischen Feuer, der die Macht des Kapitäns sicherte, obwohl die ganze Besatzung hinter dem Bretonen stand. Aber dann war das griechische Feuer ins Meer geflogen und achteraus getrieben, und der verrückte Kapitän war in dem kleinen Boot ausgesetzt worden, während die „Caribia“ weitersegelte, ihrem Schicksal entgegen. „Jean?“ ertönte eine halblaute Stimme aus dem Dunkel. Morro hob den Kopf. Der alte Valerio hatte sich auf die Ellenbogen gestützt. In dem bärtigen, verwitterten Gesicht brannten die Augen.
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„Hast du eine Ahnung, wie wir hier wieder wegkommen sollen, Jean?“ Morro lachte auf. Ein hartes, bitteres Lachen. „Was weiß ich! Wir können ja ein Floß hauen. Oder wir warten, bis zufällig ein Schiff vorbeisegelt, und bitten den Kapitän, uns den Kahn zu schenken.“ „Also hängen wir hier für alle Ewigkeit fest?“ Der Bretone zuckte mit den Schultern. „Scheint so, oder'?“ Schweigen senkte sich herab. Nur das Feuer knisterte, und der Wind sang in den Federwipfeln der Palmen am Strand. Der braunhäutige Maya hob den Kopf und bewegte witternd die Nasenflügel. „Sturm“, sagte er mit seiner gutturalen Stimme. „Ja, wir kriegen Sturm.“ Der Bretone nickte. „Vielleicht haben wir Glück, und ein Schiff sucht im Windschatten der Insel Schutz. Oder Lucien und die anderen werden mit der Pinasse angetrieben.“ „Die sind längst krepiert“, sagte der stämmige Burgunder düster. „Wer weiß! Wir müssen abwarten. Gib mir mal die Rumbuddel rüber!“ Jean Morro nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Gerede, dachte er. Ihre Lage war hoffnungslos, und er glaubte längst nicht mehr daran, daß sich das ändern würde. * „Mistvieh! Verdammte Bestie! Dir ziehe ich die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch!“ Ed Carberrys Stimme dröhnte im Vorschiff wie Donnerrollen. Arwenack, der Schimpanse, brachte sich tunlichst außer Reichweite, aber er keckerte genauso laut und eindringlich weiter wie vorher. Neben dem Profos fuhren Stenmark und Matt Davies hoch. Blacky seufzte tief, weil er gerade von einem schönen strammen Hafenliebchen geträumt hatte. Arwenack hüpfte aufgeregt auf und nieder und
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kümmerte sich nicht darum, daß er Big Old Shanes mächtigen Brustkasten malträtierte. Der frühere Schmied der Feste Arwenack riß die Augen auf und starrte die zottige Erscheinung an, die da auf ihm herumhüpfte. Einen Moment glaubte er, sich noch in einem verrückten Alptraum zu befinden, dann zerstörte Ed Carberrys Donnerstimme diese Illusion. „Du karierter Decksaffe! Du von einem triefäugigen Wassermann im Suff gezeugte Mißgeburt!“ „Seit wann säuft der Wassermann'?“ fragte Smoky, der Decksälteste, schlaftrunken. „Halt dein Maul, verdammt! Der Affe muß den Veitstanz haben oder.“ Big Old Shane richtete sich mit einem Ruck auf. „Donegal Daniel O'Flynn!“ brüllte er. „Bring den Affen zur Vernunft, zum Teufel!“ Schweigen. Nur Arwenack keckerte, schlug sich auf die Brust, hüpfte zum Schott und wieder zurück. Dan O'Flynn meldete sich nicht. „Verdammter Rotzbengel!“ brummte sein alter Vater. „Wo steckt diese mißratene Wanze? Wird Zeit, daß ich ihm mal wieder eine Tracht mit dem Holzbein verpasse.“ „Dan ist nicht hier“, stellte Jeff Bowie fest, der ehemalige Karibik-Pirat, der die gleiche Hakenprothese statt einer Hand trug wie Matt. Davies. „Vielleicht mußte er mal“, sagte Bill mit schlagender Logik. „Und wieso, zum Teufel, stellt sich der Affe dann an wie eine Jungfrau im Puff?“ Es war Ed Carberry, der das durch die Zähne stieß. Der Profos erinnerte sich, daß sich Arwenack schon ein paarmal aufgeführt hatte wie ein übergeschnappter Derwisch: nämlich immer dann, wenn sich sein spezieller Freund Donegal Daniel O'Flynn in Gefahr befand. Carberry richtete sich ächzend auf und ließ den Blick durch das Vorschiff schweifen. „Wo steckt eigentlich Batuti?“ knurrte er. „Der hat doch auch Freiwache.“ „Mann!“ stöhnte Smoky. „Wenn du in Zukunft jedesmal 'nen Aufstand anzetteln willst, wenn mal einer zur Galion geht ...“
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„Reiß nur weiter den Maul auf, wenn du das Salzfleisch demnächst direkt im Magen kauen willst“, sagte der Profos trocken. „Dahin schlage ich dir nämlich die Zähne“, fügte er erläuternd hinzu. „Blacky, Stenmark — lüftet mal eure verdammten Affenärsche an. Wir gehen zum Freiluftlokus.“ „Ich muß aber nicht“, sagte Blacky bockig. „Ist mir scheißegal. Ich will wissen, weshalb sich dieser blöde Affe so verrückt benimmt. Anlüften, habe ich gesagt! Wird's bald, ihr Rübenschweine, ihr Kakerlaken, ihr müden Saftsäcke?“ „Der bringt die See zum Kochen“, murmelte Stenmark, während er sich aufrichtete und hinter dem Profos dorthin schlurfte, wo der Schimpanse Arwenack jetzt im Niedergang verschwand. „Der bringt mich gleich zum Kochen“, verbesserte Blacky brummig. „Nicht mal in Ruhe schlafen läßt einen dieser Bastard.“ Er wollte noch mehr sagen, aber ein vernichtender Blick des Profos brachte ihn zum Schweigen. Es empfahl sich nicht, Edwin Carberry zu ärgern. Dem war nämlich hier an Bord nur einer über: Philip Hasard Killigrew, dessen erste Tat damals auf Francis Drakes „Marygold“ darin bestanden hatte, den bis dahin ungeschlagenen Profos nach Strich und Faden zusammenzufalten. Für eine Weile schwelgte Blacky in Erinnerungen. Schmerzliche Erinnerungen für ihn. Denn auch er hatte damals den Fehler begangen, sich mit dem Seewolf anzulegen. Und das Ende war gewesen, daß er, Blacky, mit seiner rechten Faust in einer Querplanke aus massivem Eichenholz festhing, die er zerschlagen hatte. Seine Gedanken stockten. Vor ihm begann der Profos in einer Tonlage zu fluchen, bei der das Schiff zitterte. Blacky und Stenmark zuckten erschrocken zusammen —und im nächsten Moment sahen auch sie die Bescherung. Eins der Beiboote war verschwunden. Und verschwunden waren auch Dan und Batuti, wie sich wenig später herausstellte.
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Genauso verschwunden wie der unbekannte Schiffbrüchige — und diese Tatsache brachte die Männer sofort auf die richtige Schlußfolgerung. Längst hatte Ed Carberrys Gebrüll Hasard auf den Plan gerufen. Jetzt flüsterte der Profos seine Flüche nur noch — und für den Seewolf war das ein Alarmzeichen erster Ordnung. „Sie sind weg“, sagte Carberry tonlos. „Dieser elende Jonas muß sie gezwungen haben, das Boot abzufieren und ...“ „Diese Jammergestalt? Gegen Dan und Batuti?“ Carberry zuckte mit den Schultern. Hasards Augen wurden sehr schmal und glitzerten wie blaues Eis. Einen Moment starrte er auf den leeren Platz des Beibootes, dann atmete er tief durch. Auch seine Stimme klang jetzt ungewöhnlich leise. „Wir gehen auf Gegenkurs“, sagte er. Und mit einem raschen Blick zum Himmel: „Hoffentlich finden wir sie, bevor der Sturm losbricht. Wenn sie mit dem kleinen Boot in das Wetter geraten ...“ Er sprach nicht weiter. Aber die anderen wußten auch so, was er sagen wollte, und für einen Augenblick war die Stille zwischen ihnen wie ein erdrückendes körperliches Gewicht zu spüren. 4. Der Kerl, der sich Kapitän Montsalve nannte, saß aufrecht im Heck des kleinen Bootes und starrte in die Richtung, in die Dan und Batuti pullten. Schußbereit zielte die Muskete auf die beiden Seewölfe. Wenn die Wolkendecke aufriß, leuchtete der kahle Schädel des Dürren im Sternenlicht, und seine von der hochgezogenen Oberlippe ständig entblößten Zähne schimmerten. Auch Batutis prächtiges Raubtiergebiß blitzte ab und zu auf. Aber bei ihm war es ohnmächtige Wut, die ihn die Zähne blecken und mit den Augen rollen ließ, als werde er jeden Augenblick. wie ein Fäßchen Schwarzpulver explodieren.
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Dan O'Flynn keuchte verbissen, um seinen Gegner glauben zu machen, daß er sich mit aller Kraft in die Riemen legte. In Wahrheit pullte er höchst lässig, genau wie der riesige Gambia-Neger. Sie hätten das Tempo leicht verdoppeln können, wenn sie auch nur den geringsten Grund dafür gehabt hätten. So bemühten sie sich, so langsam wie möglich vorwärtszukommen, aber Dan bezweifelte, daß ihnen das etwas nutzen würde. Der Wind hatte aufgefrischt und wehte jetzt mit einer bösartigen Schärfe, die der kurzen Dünung bereits erste Schaumkronen aufsetzte. Immer seltener schimmerten Sterne durch die Wolken, die wie bizarre Luftgeister am Himmel dahinjagten. Über der nördlichen Kimm schob sich die Wand undurchdringlicher Schwärze allmählich höher, und die Seewölfe wußten, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis ein Sturm losbrach, der sich gewaschen hatte. Ein paar Minuten später war es vorbei mit dem laschen Pullen. Die Dünung wurde länger und türmte sich zu beunruhigender Höhe. Dan und Batuti mußten sich mit aller Kraft in die Riemen legen und höllisch aufpassen, daß das Boot nicht quer zwischen zwei Wellenberge geriet, wo es unweigerlich kentern würde. Gischt spritzte und wehte in langen Schleiern über die schwitzenden Männer hin. Der Wind sang und orgelte. Immer wieder kletterte das Boot in schwindelerregende Höhen und schien dann ins Bodenlose zu stürzen. Irgendwann in diesem Auf und Ab übertönte plötzlich ein schriller Triumphschrei das Brausen und Heulen. Das Gesicht des dürren Kapitäns hatte sich verzerrt. Mit aufgerissenen Augen starrte er über das wildbewegte Wasser. Nur für die Dauer eines Herzschlags geriet die Muskete aus der Richtung — und Dan O'Flynn nutzte sofort die Chance, auf die er die ganze Zeit über gelauert hatte. Blitzartig ließ er mit der Rechten den Riemen los und packte den Lauf der Muskete.
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Mit einem Ruck riß er seinem Gegner die Waffe aus der Hand und schleuderte sie so heftig hinter sich, daß sie auf die vordere Ducht knallte. Der Dürre stieß einen krächzenden Schrei aus. Eine Sekunde schien er wie erstarrt, mit schrecklich verzerrtem Gesicht und glühenden Augen, dann schnellte er blindlings vor, um sich auf Dan O'Flynn zu werfen. Was danach geschah, hatte die tödliche Unausweichlichkeit einer Katastrophe. Das kleine Boot schoß mit schwindelerregender Schnelligkeit ins nächste Wellental hinunter. Dan riß instinktiv einen Arm hoch, um den Irren abzuwehren. Heißer Atem schlug ihm ins Gesicht, zwei Hände schnappten um seine Kehle. Die Luft wurde ihm knapp. Er spürte den Druck der langen, sehnigen Finger, hörte Batutis wilden Fluch und riß in einem Reflex beide Hände hoch, um den Würgegriff zu sprengen. Gleichzeitig knallte der riesige GambiaNeger dem Verrückten von hinten die Faust in den Nacken. Das Boot schlug quer. Der Dürre stieß einen gurgelnden Laut aus und sackte über Dans Riemen zusammen. Wie eine Nußschale tanzte das leichte Fahrzeug zwischen den Wellenbergen. Batuti legte sich keuchend in die Riemen, um das Boot herumzusteuern, Dan stieß verzweifelt den Bewußtlosen beiseite. Drohend wie ein brüllendes Ungetüm richtete sich der nächste Wellenberg vor ihm auf, und das Blut schien ihm in den Adern zu gefrieren, als er sah, wie sich der Wellenkamm gischtend neigte. „Wahrschau!“ schrie Dan. „Brecher achteraus!“ Mit einem wilden Ruck riß er an dem Riemen. Das Boot kam halb herum und kletterte schräg an dem steilen Wellenberg hoch. Für einen Moment sah es fast so aus, als könne noch einmal alles gut gehen, dann packte der Sog der sich brechenden Woge das Fahrzeug und schleuderte es wie mit einer Gigantenfaust hoch. Die volle Gewalt des Brechers prallte gegen Kiel und Planken und wirbelte das
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Boot wie ein Spielzeug um die eigene Achse. Dan stürzte, hörte den kreischenden Schrei des Dürren, der aus der Bewußtlosigkeit gerissen wurde, und warf beide Arme hoch, um seinen Kopf zu schützen. Die Kante des Dollbords knallte gegen seine Ellenbogen, brühheißer Schmerz schoß bis in die Schultergelenke. Dan schrie unwillkürlich auf und schluckte Salzwasser. Der Brecher spülte über ihn weg. Verzweifelt vollführte er Schwimmbewegungen, bis sein Kopf die Wasseroberfläche durchstieß. Dicht neben sich sah er einen dunklen Schatten dahinschießen. Mit verzweifelter Kraft schnellte er vorwärts und warf sich mit ausgebreiteten Armen über das kieloben treibende Boot. „Batuti!“ Seine Stimme gellte und übertönte sogar das Orgeln des Sturms. „Batuti! Batuti ...“ Wie ein Geschoß flog der riesige GambiaNeger aus den aufgepeitschten Fluten. Das Kraushaar klebte ihm am Kopf, in seinem schwarzen Gesicht rollten die Augen. Gurgelnd und prustend wühlte er sich vorwärts. Ein neuer Brecher drohte ihn wegzureißen, und in letzter Sekunde schaffte er es, sich mit beiden Fäusten am Kiel des Bootes festzuklammern. „Kleines O'Flynn okay?“ keuchte er, sobald er wieder halbwegs Luft hatte. „Nichts ist okay! Wir werden wie die Ratten absaufen!“ „Kleines O'Flynn nix Angst! Da drüben ...“ „Angst?“ schrie Donegal Daniel O'Flynn empört. „Du hast wohl Seetang im Hirn, du schwarzer Affe! Ich bin ein O'Flynn, verdammt und Zuge ...“ Dan gurgelte, spuckte und schnappte verzweifelt nach Luft, als der nächste Brecher das Boot überspülte. Er brauchte alle Kraft, um sich an der tanzenden, schlingernden Nußschale festzukrallen. Erst als der Sturm den Gischtschleier wieder auseinanderwehte, konnte er sehen, daß Batuti mit blitzenden Zähnen grinste. „Insel da drüben!“ brüllte der schwarze Herkules durch das Toben der Elemente.
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„Wasser treibt uns zu Strand. Aber verdammtes Riff dazwischen, verdammich!“ Was Batuti „verdammtes Riff“ nannte, passierten sie fünf Minuten später. Fünf Minuten, die sich zu höllischen Ewigkeiten dehnten und in denen die beiden keuchenden, verzweifelt an das Boot geklammerten Männer jeden Augenblick darauf gefaßt waren, daß die Brandung ihre Körper gegen die scharfkantigen Felsen schmettern würde. Dan schrie unwillkürlich auf, als eine besonders mächtige Woge sie packte. Urgewalten schienen das Boot emporzutragen. Dans Griff rutschte ab, wie eine Geistererscheinung sah er Batutis Hünengestalt durch die Luft fliegen. Im nächsten Moment wurde er selber unwiderstehlich hochgewirbelt. Er drehte sich, verlor fast das Bewußtsein und sah nur noch ein höllisches Chaos aus Wrackteilen, scharfkantigen Felsen, brüllender Brandung und Gischt. Hart klatschte sein Körper wieder ins Wasser – und es dauerte eine volle Minute, bis er überhaupt begriff, daß die mächtige Woge ihn über die Felsen des Riffs hinweggeschleudert hatte. „Kleines Dan! Himmel, Arsch und Ungewitter ...“ Batutis gurgelnde Stimme. Dan warf sich herum, ließ sich von einem Wellenberg hochtragen und sah ein schwarzes, verzerrtes Gesicht in einer weißgrauen Gischtwolke. Erleichtert atmete er auf –und erhielt prompt eine neue Ladung Salzwasser in die Kehle. Der Sturm peitschte auch das Wasser der Lagune auf, aber immerhin war es den beiden Männern jetzt möglich, zu schwimmen und sich vor allem zu orientieren. Fast eine halbe Stunde brauchten sie, bis sie Boden unter den Füßen spürten. Schwer atmend taumelte Dan auf den fahl schimmernden Strandstreifen und ließ sich einfach in den Sand fallen. Batuti plumpste neben ihn, spuckte Wasser aus, keuchte und grinste abwechselnd.
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„Boot kaputt, aber Knochen von Batuti heil“, verkündete er. „Kleines O'Flynn auch heil?“ „Ich bin nicht kleines O'Flynn, du schwarzer Affe.“ „Gut, großes O'Flynn! Knochen alle heil?“ „Klar. Aber wo sind wir hier, zum Teufel?“ „Insel mit Schiff kaputtes“, verkündete Batuti. Er stemmte den Oberkörper hoch und schüttelte sich. „Wind, verdammtes! Himmel, Arsch und Bruchwolke!“ „Wolkenbruch heißt das“, knurrte Dan, während er sich mühsam aufrichtete. Der Sturm zerrte an ihm, Gischt und Regen peitschten ihm ins Gesicht. Aus zusammengekniffenen Augen starrte er über den Strand, und im nächsten Moment packte er Batuti an der Schulter. „He! Schau dir das an! Ist das nicht unser Irrer?“ Tatsächlich bewegte sich ein dunkles Bündel im gischtweißen Saum des Wassers, überschlug sich und begann schwerfällig wie ein verwundetes Tier über den Sand zu kriechen. Nach drei, vier Yards richtete die Gestalt sich auf, wurde von der Gewalt des Sturms sofort wieder umgeworfen. und kämpfte sich von neuem auf die Knie. Einen Moment blieb der dürre Mann so kauern. Sein Kopf pendelte hin und her, und dabei erfaßte sein Blick den blonden Dan O'Flynn und den hünenhaften Neger. Der Schrei, der über die Lippen des Verrückten brach, war noch schriller als das Heulen und Pfeifen des Sturmes. Taumelnd sprang der Bursche auf. Zwei Sekunden stand er schwankend da, torkelte, ruderte im Kampf um sein Gleichgewicht mit den Armen. Dann warf er sich mit einem neuerlichen kreischenden Schrei herum, hetzte taumelnd durch den Sturm — und war einen Atemzug später in der Finsternis verschwunden. „Dummy im Kopf“, sagte Batuti lakonisch. Dan O'Flynn nickte nur. Aber er fand, daß sie im Augenblick allen Grund hatten, sich um sich selbst zu sorgen, statt um den kahlköpfigen Irren.
Piraten der Südsee *
„Schiff ho!“ brüllte Ed Carberry gegen das Heulen des Sturmes an. „Steuerbord voraus! Himmel, Arsch und Kabelgarn!“ Seine Stimme überschlug sich. Auf dem Achterkastell stemmte sich Hasard verbissen gegen die Schmuckbalustrade, klammerte sich mit der Linken an einem Strecktau fest und nahm die Zähne zur Hilfe, um das Spektiv auseinanderzuziehen. Die „Isabella“ kämpfte sich über Backbordbug mit Besan und Sturmfock gegen den heranorgelnden Wind vorwärts. Ringsum war die Nacht ein tintenschwarzer Hexenkessel, und aus diesem Hexenkessel schien sich jetzt jäh und drohend ein noch schwärzerer Schatten zu lösen. „Es ist der ‚Drache'!“ brüllte Carberry. „Wir liegen auf Kollisionskurs!“ Vor Hasards Augen beschlug das Spektiv, aber der eine kurze Blick hatte genügt. Es war der „Eilige Drache über den Wassern“, der da wie das leibhaftige Verhängnis heranrauschte: Der Schwarze Segler lag platt vor dem Wind. Siri-Tong und der Wikinger hatten vermutlich die schwerste Trosse achteraus rauschen lassen: ein Trick, den die Rote Korsarin von Hasard gelernt hatte und der wiederum von seinem Alten, dem rauhbeinigen, salzgewässerten Sir John, der als Pirat die irische See verunsichert hatte. Der Viermaster lag verhältnismäßig ruhig im Wasser – und lief mit seinen pechschwarzen Sturmsegeln eine Höllenfahrt, die ihn beängstigend rasch auf die „Isabella“ zuführte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde spürte Philip Hasard Killigrew etwas wie eine unsichtbare Pranke, die sich von innen in seine Magenwände krallte. „Anluven!“ brüllte er mit Donnerstimme. „An die Brassen! Ruder hart über! Hol dicht den verdammten Besan!“ Und wie ein fernes Echo glaubte er, im Sturmgeheul den dröhnenden Baß des Wikingers zu hören. „Gei auf Fock! Fier weg Besan!“
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Krachend schlugen die Rahen der „Isabella“ um. In einem blitzartigen Manöver schwang die Galeone nach Steuerbord und schoß in den Wind, während auf dem schwarzen Viermaster ebenso rasch die Sturmsegel aufgegeit wurden. Der „Eilige Drache über den Wassern“ verlor an Fahrt und wurde von der nachschleppenden Trosse eisern auf seinem Kurs gehalten, einem Kurs, der ihn haarscharf an der Backbordseite der „Isabella“ vorbeischeren lassen würde. Und die nachschleppende Trosse bildete eine Schleife, die wesentlich breiter war als das Schiff, in der sich der Kiel der „Isabella“ jeden Augenblick verfangen konnte. „Besan und Fockrah rund!“ brüllte Hasard. „Abfallen, in drei Teufels Namen!“ Das letzte knirschte er fast unhörbar durch die zusammengebissenen Zähne. Er wußte, daß er Mast- und Schot- und Ruderbruch riskierte bei diesem halsbrecherischen Manöver, aber das war immer noch besser, als von der verdammten Trosse aus dem Kurs gebracht und gegen den Schwarzen Segler geworfen zu werden. Die „Isabella“ schien in allen Verbänden zu stöhnen, als die Rahen rundgebraßt wurden und der heulende Wind über den anderen Bug einfiel. Die Galeone holte weit nach Steuerbord über. Ganz knapp rauschte der „Eilige Drache“ an ihrem Heck vorbei, und für einen Moment konnte Hasard sogar die dunklen Gestalten erkennen, die sich an die ausgespannten Manntaue klammerten. Da waren Siri-Tong, in deren schwarzer Mähne der Sturm wühlte, und Thorfin Njal, in Felle gehüllt, den Kupferhelm auf dem Kopf, mit flatterndem grauem Bart. Wie ein Spuk waren sie Sekunden später vorbei. Die schwarzen Sturmsegel, die der Wikinger wieder hatte setzen lassen, verschwammen mit der Dunkelheit, und im nächsten Augenblick war die höllische Sturmnacht so undurchdringlich, als habe es die gefährliche Begegnung nie gegeben. Diesmal ließ Hasard die „Isabella“ wesentlich vorsichtiger über Stag gehen, um wieder auf den alten Kurs zu gelangen.
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Wobei von Kurs eigentlich nicht die Rede sein konnte, weil die Galeone vom heranheulenden Sturm praktisch dwars vertrieben wurde. Aber der Sturm würde auch das Beiboot in dieselbe Richtung vertreiben, falls es nicht schon längst gekentert war. Hasard biß die Zähne zusammen, und der Gedanke, daß Dan und Batuti vermutlich der Willkür dieses Irren ausgeliefert waren, verwandelte sein Gesicht in eine steinerne Maske. Erst gegen Morgen flaute der Sturm ab. Von dem Beiboot mit Dan O'Flynn, Batuti und dem kahlköpfigen Verrückten war weit und breit nichts zu sehen. Auch nicht von dem Schwarzen Segler, der vermutlich beigedreht hatte, nachdem ihm die „Isabella“ auf Gegenkurs begegnet war. Der „Eilige Drache über den Wassern“ konnte nicht weit sein, aber Hasard hatte keine Zeit, jetzt auf sei- ne Verbündeten zu warten. Er ahnte, was der Schiffbrüchige mit seinem Wahnsinnsunternehmen bezweckt hatte. Deutlich sah der Seewolf wieder vor sich, mit welcher Erregung der ausgemergelte Mann zu der geheimnisvollen Insel mit dem Wrack hinübergestarrt hatte. Die Insel war das einzige Stück festes Land im weiten Umkreis, ein paar Felsen in der Endlosigkeit des Pazifik. Wenn überhaupt, dann waren Dan und Batuti auf diesem Eiland zu finden. Hasard brauchte nur wenige Minuten, um den ungefähren Standort der „Isabella“ zu berechnen und den neuen Kurs festzulegen. Er wußte, daß die Chancen für Dan und Batuti höchstens eins zu tausend standen. Aber solange er die Insel nicht gefunden und untersucht hatte, würde er nicht aufgeben. 5. Die ersten Strahlen der Morgensonne wärmten die Felsen, trockneten den Sand und ließen Schwaden von weißem Dampf in die Luft steigen.
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Dan und Batuti kauerten in einer geschützten Mulde zwischen den Palmen, deren Federwipfel sich hoch über ihnen im leichten Wind wiegten. Fünf endlose Stunden hatten der drahtige blonde O'Flynn und der schwarze Herkules in ihrem Schlupfwinkel verbracht, frierend, halb taub vom Heulen des Sturms, bis auf die Haut durchnäßt vom schräg herunterprasselnden Regen. Jetzt reckten sie ihre erstarrten Glieder in der beginnenden Wärme, rieben sich Salz und Sand aus den Gesichtern und blickten sich um. In der Morgensonne sah die Insel aus wie der Inbegriff aller Südsee-Träume: ein kleines Atoll, palmengesäumt, mit perlfarbenen Stränden, roten Felsen und dichten, noch vom Nebel der verdunstenden Feuchtigkeit durchzogenen Wäldern, in denen es vermutlich Früchte im Übermaß gab. Die Lagune lag still in der Sonne, das dunkelblaue Wasser verriet ihre Tiefe — jene geheimnisvolle dämmernde Tiefe, in der sich manche Südsee-Insulaner ihr Jenseits vorstellten. Weiße Schaumkronen und rote Felszacken zeichneten den sanften Bogen des Riffs nach, das der Insel vorgelagert war. Dan ließ den Blick über den friedlichen Spiegel der Lagune gleiten — und schauerte zusammen, als er die dreieckige Rückenflosse sah, die für ein paar Sekunden durch das Wasser schnitt. „Haie!“ flüsterte er. „Verdammt ...“ „Wo Haie?“ Batuti fuhr auf, denn vor den gefräßigen Räubern der Südsee hatte auch er einen Heidenrespekt. Wieder schnitt die schwarze Rückenflosse durch das ruhige Wasser, und der hünenhafte Neger schluckte erschrocken. Mit dem nächsten Atemzug fing er sich und grinste. „Pech für Haie. Dummy im Kopf, wenn sie nicht gesehen haben fette Happen vor eigene Nase.“ Er schüttelte den Kopf. „Boot kaputt“, stellte er fest. „Aber ‚Isabella' wird uns suchen.“ Dan nickte nur. Ja, die „Isabella“ würde sie suchen. Und da diese Insel die einzige weit und breit war, würde man sie vermutlich auch finden. Der
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blonde junge Mann atmete tief durch und sagte sich, daß man der Sache schließlich auch gute Seiten abgewinnen konnte. „Schauen wir uns an, wo wir hier gelandet sind“, schlug er vor. „Am besten marschieren wir erst mal um die Insel herum. Vielleicht finden wir irgendwo am Strand ein intaktes Boot.“ Die Hoffnung war zwar gering, aber ein Versuch konnte nichts schaden. Jetzt, am frühen Morgen, war es sogar recht angenehm, durch die Sonne zu wandern, dicht am Wasser entlang, wo der Sand noch feucht und fest war. Die beiden Männer folgten der sanft geschwungenen Linie der Bucht, kletterten über die vorspringenden Felsen einer Landzunge und erreichten eine weitere Bucht, die genauso aussah wie die erste. Nach Norden hin wurde das Gelände felsiger und endete schließlich in einer mächtigen Klippenformation, die weit ins Meer vorsprang. Dan und Batuti turnten geschickt über die rundgewaschenen roten Steine und blieben am höchsten Punkt einen Augenblick stehen. Die ganze Nordseite der Insel, etwa eineinhalb Meilen lang, war schroffe Steilküste. Auf der geröllübersäten Brandungsplatte wurde das Gehen mühseliger, aber dafür gab es kühlen Schatten. Längst waren die Kleider der beiden Männer getrocknet, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie die Hitze wieder als drückend empfinden würden. Sie beeilten sich nicht, sahen sich sorgfältig um, spähten immer wieder über den Strand und die Brandung, aber im Grunde rechneten sie nicht ernsthaft damit, ein Boot zu entdecken. Der Westzipfel der Insel sah genauso aus wie ihr östliches Ende: rote, von unbekannten Naturgewalten aufgetürmte Felsen, zwischen denen sich die Hitze wie in einem Backofen staute. Dan und Batuti waren froh, als sie wieder den breiten südlichen Strandstreifen erreichten und in den Bereich der sanften Brise gerieten. Sie brauchten keine zwei Stunden, um die Insel zu umrunden. Das Wrack auf den
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Klippen und die Trümmer ihres eigenen Bootes, die sie schließlich wieder vor sich sahen, blieben die einzigen Zeichen menschlichen Lebens. „Wo, zum Teufel, mag der Verrückte stecken?“ murmelte Dan, während er sich aufatmend in den grünlichen Schatten der Palmen sinken ließ. Batuti zeigte mit dem Daumen hinter sich, dorthin, wo jenseits des Palmengürtels der eigentliche Wald wie eine dunkle Wand begann. Ein kleiner und ein höherer Felsenbuckel erhoben sich aus dem Gewirr der tropischen Vegetation. Dazwischen mußte eine geschützte Mulde liegen. Wen oder was der Irre auch immer auf dieser Insel suchte - vermutlich würde er dort oben suchen. „Ich habe Hunger“, sagte Dan. „Und Durst! Wir sollten versuchen, eine Quelle und irgendetwas Eßbares zu finden.“ Kleines O'Flynn immer Hunger.“ Batuti grinste, während er sich bereits von dem umgestürzten Stamm erhob, auf dem er gesessen hatte. Dan war zu müde, um aufzubrausen. Schweigend marschierten sie los, durchquerten den lichten Palmengürtel und begannen, ins Dickicht einzudringen. Bäume bildeten ein undurchdringliches grünes Dach, in ihrem Schatten verfilzten sich Schlinggewächse zu dichten Matten. Schmale Pfade zogen sich hindurch, Wildwechsel vermutlich. Ab und zu durchbrachen rote Felsen den Boden, schließlich wurde der Wald etwas lichter. Das Gelände stieg nicht mehr so steil an, sondern bildete eine Art unregelmäßiger Hochfläche, aus der die beiden Felsenkegel hochragten. Dan wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Am besten klettern wir da 'rauf“, schlug er vor. „Wir müssen uns einen Überblick verschaffen.“ „Und Essen finden“, vollendete Batuti grinsend. „Da drüben Früchte!“ Tatsächlich leuchteten faustgroße blaßrote Früchte aus den Bäumen am Fuß des niedrigen Gipfels. Die beiden Männer kannten den Namen der Dinger nicht, aber
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sie wußten, daß sie ausgezeichnet schmeckten und den Durst löschten. Sie beeilten sich auf dem letzten Stück des Weges, und dann legten sie erst einmal eine Pause ein, um von dem verlockenden Angebot der Natur etwas zu essen. Eine Viertelstunde später gingen sie weiter. Instinktive Vorsicht ließ sie behutsamer auftreten, als sie sich dem Gewirr ansteigender Felsen näherten. Zwischen den Bäumen und über dein Dickicht hatte die Luft nahezu gekocht, hier oben wehte wieder eine erfrischende Brise. Dan O'Flynn musterte die schroffen roten Felsen, suchte nach einem bequemen Aufstieg - und zuckte im nächsten Moment erschrocken zusammen. Hinter einem der Steinblöcke in unmittelbarer Nähe gab es jähe Bewegung. Ein kurzer, halb erstickter Schrei ertönte. Und dann ein heiseres, langgezogenes, irres Lachen. „Der Verrückte!“ stieß Dan durch die Zähne. Batuti nickte nur und kniff die Augen zusammen. Unwillkürlich tastete seine Rechte zum Gürtel, aber genau wie Dan war er unbewaffnet. Er pflegte nicht mit seinem mörderischen Morgenstern zu schlafen, und auch bei der Bordarbeit waren Waffen nur hinderlich. Wie hätten sie auch ahnen. können, daß sie in den dicksten Schlamassel geraten würden, nur weil sie mal ausgetreten waren! Dan O'Flynn bückte sich nach einem stabilen Ast, der neben seinem Fuß lag. Batuti hielt bereits einen handlichen Steinbrocken in der Faust. Vorsichtig schlichen sie um den Felsen herum — und das Bild, das sich ihnen bot, ließ sie völlig überrascht innehalten. In der Mulde zwischen den roten Felsen lag mit dem Gesicht nach unten ein breitschultriger, bulliger Mann. Sein Hinterkopf war nur noch Brei, ein blutbefleckter Steinbrocken verriet, auf welche Weise er getötet worden war. Über ihn beugte sich, zitternd vor Erregung, der irre Kapitän und zerrte die Pistole aus dem Gürtel seines Opfers.
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Triumph zuckte über sein Gesicht, als er sich aufrichtete. Eine Sekunde starrte er Dan und Batuti an, ohne zu begreifen. Seine Lider zogen sich auseinander, der Ausdruck seiner Augen wurde eigentümlich leer. Mit einem Fauchen wie eine gereizte Katze zog er den Kopf zwischen die Schultern — dann warf er sich heftig herum und hetzte ins Gewirr der Felsen. Dan und Batuti dachten nicht daran, ihn blindlings zu verfolgen. Für sie hatte sich die Lage schlagartig geändert. Immer noch starrten sie auf den unbekannten Toten, der vor ihnen lag. Es war ein Weißer in zerfetzter SeemannsKleidung, vermutlich ein Überlebender von dem Wrack, das zerschellt auf dem Riff lag. Dan und Batuti wechselten einen Blick. Sie hatten geglaubt, daß die Insel bis auf den irren Kapitän leer sei, jetzt war ihnen klar, daß sie ihre Vorsicht verdoppeln mußten. Der riesige Gambia-Neger beugte sich rasch über den Toten und zog ihm das Entermesser aus dem Gürtel. Eine zweite Waffe war nicht vorhanden, und Dan packte den stabilen Ast fester. Einen Augenblick lauschte er, aber er hörte nichts, was darauf hingewiesen hätte, daß der Schrei und das kurze Gerangel bemerkt worden waren. Mit zusammengepressten Lippen starrte er zu den Felsen hoch, dann begann er, durch einen tiefen Einschnitt aufwärts zu klettern. Batuti folgte ihm. Binnen Minuten hatten sie den Gipfel erreicht. Ein kahler, runder Buckel markierte den zweithöchsten Punkt der Insel. Die beiden Männer kletterten nicht ganz hinauf, da sie auf der Kuppe von allen Seiten hätten gesehen werden können. Über die flach abfallende Schräge arbeiteten sie sich bis dorthin vor, wo sich das Gelände nach Osten senkte. Geduckt hinter einer roten Felsenbarriere blieben sie stehen. „Heiliger Bambim“, murmelte Batuti.
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„Bimbam“, verbesserte Dan mechanisch, während er in die weitgeschwungene, geschützte Mulde hinunterspähte. Eine Quelle entsprang im Schatten der Felsen und suchte sich gurgelnd und plätschernd ihren Weg durch sattgrünes Gras. Fruchtbäume spendeten Schatten, in den Gesteinsfalten wucherten Ranken, die über und über mit leuchtend blauen Blüten bedeckt waren. Sie sahen eine Feuerstelle, einen Kupferkessel, der an einem provisorischen Dreibein hing, einen Haufen Ausrüstungsgegenstände, die vermutlich von dem Wrack stammten und mindestens ein Dutzend in der Sonne dösender Gestalten. „Männer von Schiff gebrochen“, stellte Batuti fest. Dan nickte nur. Ja, es mußten Schiffbrüchige sein - Überlebende von dem Wrack, das der Sturm auf das Riff geworfen hatte. Abenteuerliche, verwegene Gestalten, wie Dan feststellte. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der alles andere als vertrauenerweckend aussah. Spanier? Dan O'Flynn bezweifelte es. Zwei, drei südländische Typen waren dabei, ein Indianer mit einer seltsamen zopfartigen Haartracht, aber auch eine Reihe hellhaariger, blauäugiger Männer und etliche Mischlinge. Südsee-Piraten, vermutete Dan. Saßen die Männer hier fest? Oder verfügten sie vielleicht noch über Boote? Dan kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Denn im selben Augenblick wurde es unter ihm im Gebüsch lebendig. Ein dünner, heiserer Schrei ertönte, dieser irre Schrei, den die Seewölfe jetzt bereits kannten und von einer Sekunde zur anderen war in dem Camp der Schiffbrüchigen die Hölle los. Eine Pistole krachte. Aufschreiend griff sich einer der dösenden Männer an den Hals und sank ins Gras zurück. Wie der Leibhaftige brach der verrückte Kapitän durch die Büsche. Seine Stimme überschlug sich, kreischte in schrillem Diskant - und immer wieder
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waren die Worte „Meuterei“ und „Verrat“ zu hören. Nur flüchtig registrierte Dan O'Flynn, daß sich der Tobsüchtige auch jetzt noch des Englischen bediente. Vier, fünf von den Männern in dem provisorischen Camp sprangen gleichzeitig auf. Wieder krachte es, der Irre hatte auch den zweiten Lauf der Pistole abgefeuert. Der große grauhaarige Bursche, auf den er zielte, warf sich in letzter Sekunde zur Seite. Er brüllte einen Fluch, einen englischen Fluch - und wälzte sich blitzartig am Boden herum, als der Angreifer mit einem Hechtsprung auf ihn zuflog. „Dummy im Kopf“, flüsterte Batuti überflüssigerweise. „Und wie!“ sagte Dan durch die Zähne. Sein Blick hing an dem Irren, der den eigenen Schwung nicht bremsen konnte, stolperte und stürzte. Das alles hatte nur wenige Sekunden gedauert, und jetzt endlich erholten sich die übrigen Männer von ihrem Schrecken. Wie eine Woge schlugen sie über dem Irren zusammen. Er hatte nicht den Schimmer einer Chance. Binnen einer halben Minute lag er bewußtlos und an Händen und Füßen gefesselt auf dem Boden, und die heimlichen Beobachter zogen sich ein Stück in den Schutz der Felsen zurück. „Und jetzt?“ fragte Batuti tatendurstig. „Kerle auf Kopf hauen?“ Dan grinste. Er war zwar kein Bürschchen mehr, sondern längst zum Mann geworden, doch von seiner Hitzköpfigkeit hatte er wenig verloren. Normalerweise sagte er nie Nein, wenn es galt, einem Gegner aufs Haupt zu schlagen. Daß sie alles in allem nur über ein einziges Messer verfügten, hätte ihn nicht einmal sonderlich gestört. Aber im Augenblick erschien ihm die Lage einfach noch zu undurchsichtig, um irgendetwas zu unternehmen. Er kniff die Augen zusammen und kratzte sich am Kinn.
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„Nicht auf den Kopf hauen“, entschied er. „Anschleichen und ein bißchen die Ohren aufsperren. Zu allererst müssen wir wissen, was wir von den Typen da unten überhaupt zu halten haben.“ Eine knappe Stunde später wußten sie es. Geduckt kauerten sie zwischen Büschen und Felsen, in Hörweite des Piratenlagers. Denn daß es tatsächlich Piraten waren, die der Sturm auf diese gottverlassene Insel verschlagen hatte, war Dan und Batuti inzwischen klar. Genauso klar wie die Tatsache, daß sie mit ihrer Vermutung genau richtig lagen: die Piraten hatten gemeutert und ihren Kapitän, den Kahlköpfigen, in dem winzigen Beiboot ausgesetzt, lange bevor das Schiff im Sturm scheiterte. Jetzt versuchten sie herauszufinden, wie der Irre hierher gefunden hatte, aber der starrte nur stumpf vor sich hin und reagierte auf keinerlei Fragen. Er war offenbar tatsächlich Engländer, und auch die meisten anderen sprachen Englisch, einige allerdings mit französischem oder italienischem Akzent. Der Anführer der Kerle war ein großer, knochiger Mann, trotz des grauen Haars noch ziemlich jung, mit einem hageren Wolfsgesicht und steingrauen Augen. Er wurde Jean genannt, manchmal aber auch „Breton“, stammte also wohl aus der Bretagne. Er wirkte ruhig und hart: ein Mann, den nicht nur körperliche Kraft, sondern auch Intelligenz zum Führer erhob. Dan O'Flynn beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen und versuchte, sich einen Reim auf das zu bilden, was sie bisher erlauscht hatten. Von einem Schatz war die Rede gewesen. Von unermeßlichen Reichtümern, von Maya-Gold, einem verlockenden Ziel - und von der Unmöglichkeit, die Insel zu verlassen. Die Meuterei gegen den verrückten Kapitän war offenbar nicht der einzige Zwischenfall gewesen. Als das Schiff im Sturm zu scheitern drohte und bereits Wasser nahm, hatten sich sechs Männer der Besatzung, darunter alle Offiziere, mit der Pinasse
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davongestohlen und ihre Kameraden im Stich gelassen. Von den sechs war nie wieder eine Spur gesehen worden- und die anderen hatten es nicht geschafft, ihr Schiff zu retten. Jetzt saßen sie auf dem Eiland im Pazifik fest und konnten nur noch auf ein Wunder hoffen. Ein Wunder in Gestalt eines Schiffs, wie Dan klar war. Er dachte an die „Isabella“, die ihn und Batuti suchen würde. Bedeuteten die Piraten eine Gefahr für die Seewölfe? Sicher nicht, dachte Dan spontan. Aber er hatte inzwischen gelernt, daß allzu leichtfertige Schlüsse üble Folgen haben konnten. Auf jeden Fall mußte die „Isabella“-Crew gewarnt werden, wenn sie die Insel anlief. Irgendwie! Dan überlegte, und für einen Augenblick konzentrierte er seine Aufmerksamkeit mehr auf seine eigenen Gedanken als auf die Umgebung. Batuti mit seinem hellwachen Instinkt spürte die Gefahr eher als der blonde Dan O'Flynn. Da war etwas! Ein winziges Geräusch in ihrem Rücken! Der hünenhafte Neger witterte plötzlich mit jeder Faser, daß sie nicht mehr allein waren. Er nahm die Intensität eines fremden Blicks wie eine Berührung wahr und mit der Geschmeidigkeit einer großen Raubkatze schnellte er herum. Der Kerl, der sich zwischen den Felsen aufgerichtet hatte, stieß einen erschrockenen Schrei aus. Er hatte bereits ausgeholt und schwang das Enterbeil hoch über dem Kopf, aber der unvermutete Anblick des schwarzen Gesichts mit den blitzenden Zähnen und den furchterregend rollenden Augen ließ ihn erstarren. Seine Augen wurden groß vor Schreck, und mit einem neuen, diesmal schrill und hysterisch gellenden Schrei zuckte der Kerl zurück, als der schwarze Herkules auf ihn zuschnellte. Dan O'Flynn wirbelte herum. Er sah Batutis gestreckten Körper, das blitzende Enterbeil und den Kerl, der verzweifelt und viel zu spät versuchte, die Waffe niedersausen zu lassen. Batutis
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schwarzer Krauskopf rammte -die Magengrube des Piraten so wuchtig, daß der Bursche wie ein Schilfrohr zusammenknickte. Jäh wurde er nach rückwärts geschleudert. Das Enterbeil mußte er loslassen, da sich die Klinge in eine armdicke Wurzel gebohrt hatte. Gurgelnd und nach Luft schnappend prallte er zu Boden. Batuti landete über ihm - und ehe der Kerl auch nur einen Finger zu rühren vermochte, schloß er bereits mit der mächtigen Faust des Negers Bekanntschaft. Dem Piraten war zumute, als habe ihn ein Belegnagel am Kinn getroffen. Seine Zähne klirrten aufeinander, sein Hinterkopf prallte gegen einen Stein. Er würde mindestens eine halbe Stunde brauchen, bis er sich auf den eigenen Namen besann; aber die beiden Seewölfe wußten nur zu genau, daß ihnen das wenig nutzte. Jenseits der Buschkette wurde es schlagartig lebendig. „Pepe!“ brüllte jemand. „Pepe le Moco ...“ Schritte trampelten. Schritte, die durch das Buschwerk brachen und sich rasch näherten. Dan und Batuti hätten ihr Heil in der Flucht suchen und laufen müssen, was ihre Beine hergaben. Aber schmählicher Rückzug war etwas, das sie in der Seele verabscheuten -und sie brauchten ein paar Sekunden, um sich zu diesem nach Lage der Dinge einzig vernünftigen Entschluß durchzuringen. Ein paar Sekunden zu lange! „Weg hier?“ zischte Dan. Seine Fäuste packten den Stiel des Enterbeils und zerrten es mit. einem Ruck aus der Baumwurzel. Er wollte sich herumwerfen und Batuti mitziehen, aber da brachen schon die ersten Gegner durch die Büsche. Fünf, sechs wilde Kerle, mit Dolchen, Schiffshauern, Säbeln und Pistolen bewaffnet. Der Bursche mit dem schulterlangen grauen Haar stürmte voran. Seine Augen funkelten. Eine Sekunde lang geriet auch er aus der Fassung und prallte fast zurück angesichts der wilden
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schwarzen Schreckensgestalt, die da so plötzlich vor ihm auftauchte. Dann erfaßte sein Blick den reglosen Körper seines bewußtlosen Komplicen. Das hagere Wolfsgesicht verzerrte sich. „Pepe!“ brüllte er auf. Wild schwang er den kurzen, gekrümmten Säbel und holte aus, um Batuti die mörderische Klinge in den Leib zu rennen. Dan O'Flynn handelte ohne Schrecksekunde. „Arwenack!“ schrie er gellend, schwang das Enterbeil und stürmte vorwärts. Der Grauhaarige sah die drohende Bewegung aus den Augenwinkeln und wich blitzartig zurück. Dans Hieb ging ins Leere. Gleichzeitig warf sich Batuti gegen ihn und riß ihn mit seinem ganzen Gewicht zu Boden. Ein breitklingiges Entermesser zischte dort durch die Luft, wo Dan O'Flynn eben noch gestanden hatte. Nur eine Armlänge vor seinen Augen prallte es gegen den Felsen. Wie eine zustoßende Adlerklaue zuckte Batutis Faust vor, und mit einem wilden Kampfschrei schleuderte er das Messer dorthin zurück, wo es hergekommen war. Einer der Piraten kreischte schrill auf, als sich die Klinge in seinen Oberarm bohrte. Dan O'Flynn hatte sich bereits am Boden herumgeworfen. Schattenhaft sah er den Grauhaarigen über sich und riß das Enterbeil hoch — gerade noch rechtzeitig, um den Hieb abzufangen, der ihm den Schädel gespalten hätte. Der Säbel klirrte, als er auf den Schaft des Beils traf. Dan hatte die Waffe wuchtig nach oben gerammt. Der Grauhaarige wich zurück. Wie ein Kastenteufel sprang der drahtige blonde Dan O'Flynn auf die Beine. „Arwenack!“ schrie er. „Ar-wenack!“ brüllte Batuti, der dem nächstbesten Gegner die Pistole aus den Fingern gefegt hatte. Für den Piraten war das ungefähr so, als habe eine Steinzeitkeule seine Hand getroffen. Er stöhnte schmerzlich. Eine halbe Sekunde sah er nur noch bunte Funken — und für Batuti reichte das, um den Kerl zu packen und als lebendes
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Wurfgeschoß in die Linie seiner nachrückenden Kumpane zu schleudern. Dan O'Flynn drang mit dem Enterbeil auf den Grauhaarigen ein. Aber der Kerl konnte mit dem Säbel umgehen, parierte Hieb um Hieb und wich nur langsam zurück, während sich der Gedanke an all die anderen wie ein glühender Nagel in Dans Gehirn bohrte. Batuti wütete wie ein Orkan unter den Piraten. Aber die wurden immer mehr, auch ihre Kumpane brachen jetzt durch die Büsche — und Dan brauchte einfach zu lange, um mit dem grauhaarigen Bretonen fertigzuwerden. Als dessen Säbel unter einem mörderischen Hieb durch die Luft flog, war es zu spät. Dan wollte den Burschen anspringen, doch im selben Moment trat ihm jemand die Beine weg. Vier, fünf Männer warfen sich von hinten auf ihn. Dan hatte keine Chance. Ein brutaler Tritt traf ihn in die Seite. Als er das Enterbeil hochreißen wollte, setzte ihm jemand den Stiefel auf die Hand. Ein Knie rammte sein Kreuz, Fäuste griffen in sein Haar und preßten ihm das Gesicht auf den Boden. Dan bäumte sich vergeblich auf, und mit dem nächsten Atemzug erstarrte er, als er den nadelscharfen Schmerz im Nacken spürte. Die Spitze eines Dolchs ritzte seine Haut. „Weg mit dem Messer!“ fauchte eine Stimme. „Noch eine Bewegung, und der Blonde ist eine Leiche!“ Batuti war gemeint. Dan hörte ein Stöhnen hilfloser Wut, dann ein helles Klirren — das Entermesser, das der schwarze Herkules fallen gelassen hatte. Sekunden später ertönte ein Klatschen und ein dumpfer Fall, und Dan ahnte, daß einer der Kerle Batuti bewußtlos geschlagen hatte, bevor er sich näher an ihn heranwagte. Dan O'Flynn lag immer noch mit dem Gesicht am Boden und konnte sich nicht rühren. Er fluchte innerlich. Und er war einsichtig genug, um vor allem auf sich selbst zu fluchen.
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Zehn Minuten später waren Dan und Batuti an Händen und Füßen gefesselt und lehnten im Lager der Piraten an einem der Felsen. Der grauhaarige Bretone stand vor ihnen. Er hieß Jean Morro, wie sie inzwischen wußten. Den Namen Morro hatte- auch der irre Kapitän genannt, als er auf der „Isabella“ versucht hatte, über Bord zu springen. Jetzt war der Verrückte in einen Zustand völliger Apathie gesunken: als habe sieh der Haß, der ihn bewegte, bei dem vergeblichen Versuch aufgezehrt, den Anführer der Meuterer umzubringen. Jean Morros Augen waren hart wie graue Kiesel. Sein Blick wanderte von Dan zu Batuti und bohrte sich in ehe blauen Augen Dan O'Flynns. „Wer seid ihr?“ fragte er. „Wie kommt ihr hierher? Da nirgends ein Schiff zu sehen ist, müßt ihr mit einem Boot gelandet sein oder?“ Dan O'Flynn schwieg. Er wußte, daß sein Gegner bereits einen Suchtrupp losgeschickt hatte. Die Meuterer brauchten dringend ein Boot, sie wären schon mit einer Nußschale zufrieden gewesen. Dan hätte ihnen sagen können, daß sie sich umsonst bemühten, aber er dachte nicht daran, den Kerlen entgegenzukommen. Jean Morro kniff die Augen zusammen. „Ihr müßt zu einem Schiff gehören“, sagte er mehr zu sich selbst. „Ausgesetzt hat man euch bestimmt nicht. Ihr seid von Bord abgehauen, nicht wahr? Man wird nach euch suchen!“ Dan antwortete immer noch nicht. In den Augen des Grauhaarigen blitzte es flüchtig auf, dann zog er die Lippen von den Zähnen und lächelte. „Hör zu, Junge“, sagte er gedehnt. „Ihr könnt bei uns mitmachen. Wir wollen nach Chiapas, zu den Mayas. Da gibt es einen riesigen Goldschatz, den wir uns unter den Nagel reißen werden - genug für uns alle. Wir haben eine Karte, und Jacahiro kennt das Land.“ Er deutete mit dem Kopf zu dem braunhäutigen Mann mit der
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seltsamen Haartracht, dann starrte er wieder Dan O'Flynn an. „Alles, was wir brauchen, ist ein Kahn, um hier abzuhauen. Verratet uns, wo ihr euer Boot versteckt habt und aus welcher Richtung euer Schiff aufkreuzen wird. Man wird euch garantiert suchen. Ihr könnt mit dem Boot in der Nähe der Insel herumschippern und eure Leute hierherlocken, wenn Sie auftauchen. Dafür nehmen wir euch mit nach Chiapas, und ihr erhaltet einen Anteil von dem Schatz. Na?“ Dan spuckte aus. „Deinen Schatz kannst du dir irgendwo hinstecken“, sagte er wütend. Morro grinste ausdruckslos. „Hast du Hemmungen, deine Leute in die Falle zu locken? Warum denn? Wenn sie eure Busenfreunde wären, hättet ihr keinen Grund gehabt, von Bord zu verschwinden.“ „Und woher willst du wissen, daß wir abgehauen sind, du hirnrissiger…“ „Vorsicht, mein Junge“, sagte Morro scharf. „Ich bin nicht dein Junge! Du mußt Läuse im Hirn haben, sonst würdest du nicht solchen Stuß zusammenfaseln. Mit dem Boot herumschippern, um ein Schiff hierherzulocken! Daß ich nicht lache!“ Jean Morro preßte die Lippen zusammen. Wut zuckte über sein Gesicht. Vermutlich wußte er selbst, daß er nach einem Strohhalm griff. Aber die beiden Unbekannten waren nun einmal da, und die Meuterer klammerten sich blindlings an die Hoffnung, daß das eine Chance für sie bedeuten konnte. Morros Blick wanderte zu Batuti. „Und du? Bist du genauso stur wie der da? Überlege es dir! Ein Haufen Gold für ein paar Auskünfte!“ Batutis Augen rollten. „Nix Auskünfte“, knurrte er tief in der Kehle. „Du dummy im Schädel! Steck dir Gold an Hut!“ Jean Morro sog scharf die Luft durch die Zähne. Einen Moment sah es so aus, als wolle er sich auf seine wehrlosen Opfer stürzen, dann zuckte er mit den Schultern und lächelte matt.
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„Ihr werdet anders reden, wenn ich euch erst einmal eine Weile an den Füßen aufgehängt habe“, versprach er. „Das ist eine äußerst wirksame Methode, um ...“ „Verdammtes Affenarsch!“ schrie Batuti aufgebracht. „Ich dich fressen zum 'Frühstück, wenn du ...“ „Pepe, Burgunder“, sagte Morro knapp. „Ihr könnt anfangen.“ Die beiden Angesprochenen grinsten erwartungsvoll. Batuti fletschte die Zähne und schnitt furchterregende Grimassen. Wenn jemand „kleines O'Flynn“ ein Haar krümmte, pflegte der riesige GambiaNeger zum reißenden Tiger zu werden. Wahrscheinlich wäre er trotz der Fesseln dem Meuterer-Kapitän an die Kehle gesprungen, wenn einer der Kerle Dan angefaßt hätte, aber so weit kam es nicht mehr. „Jean!“ brüllte plötzlich eine Stimme. „Jean!“ Zweige knackten, irgendwo oberhalb der Mulde brachen Schritte durch die Büsche. Ein Mann kletterte die Felsen hinunter, so hastig, daß er ein paarmal abzurutschen drohte. Stolpernd rannte er durch die flache Mulde und blieb zwischen den anderen stehen. „Ein Schiff!“ keuchte er. „Mastspitzen! Sie halten auf die Insel zu!“ „Ein Schiff“, wiederholte Jean Morro flüsternd. Seine Augen begannen zu funkeln. Er starrte dorthin, wo sich jenseits der Felsenbarriere der Pazifik dehnte. „Sollen sie kommen“, sagte er leise. „Wir werden sie gebührend in Empfang nehmen.“ * Wie eine Vision tauchte die Insel aus den Hitzeschleiern. Hasard stand vorn auf der Back und spähte durch das Spektiv. Sie lagen über Backbordbug am Wind, und zufrieden stellte der Seewolf fest, daß sie das Eiland mit dem nächsten Kreuzschlag erreichen würden.
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„Klar zum Wenden!“ befahl er. „Etwas voller halten! Ruder hart über! Anluven!“ Pete Ballie legte Ruder. Die „Isabella“ ging über Stag, die Segel füllten sich wieder. Die Insel lag jetzt genau voraus, und wenig später war sie auch ohne Spektiv zu sehen. Nichts hatte sich verändert. Immer noch lag das Wrack auf dem Riff. Ob ein paar von den verstreuten Trümmern nicht von dem zerschmetterten Schiff, sondern vom Beiboot der „Isabella“ stammten, ließ sich beim besten Willen nicht erkennen. Hasard biß die Zähne zusammen. Sein Blick folgte dem Bogen des weißen Schaumstreifens und tastete die Felsenzacken ab, die in unregelmäßigen Abständen die Wasserfläche durchstießen. Die Brandung zeigte, daß das Riff nirgends tief genug abfiel, um eine gefahrlose Einfahrt in die Lagune zu gestatten. Unter Vollzeug rauschte die Galeone auf die Insel zu, und wenig später waren die palmengesäumten Strände und die beiden Felsenkegel zum Greifen nahe. „Abfallen!“ befahl Hasard. „Wir umsegeln die Insel! Haltet die Augen offen!“ Die Seewölfe hätten diese Aufforderung nicht gebraucht. Wer Freiwache hatte, stand am Schanzkleid und starrte zum Strand hinüber. Auch die Männer an den Brassen warfen immer wieder Seitenblick zu dem Riff und dem Palmengürtel, und nicht einmal der eiserne Profos dachte diesmal daran, sie deswegen mit sämtlichen Höllenstrafen zu bedrohen. Daß er nicht fluchte und brüllte, war ein Gradmesser für die gedrückte Stimmung an Bord. Und es war wirksamer als jedes Geschrei. Ein Profos, der alle zwei bis drei Minuten versprach, jemandem die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch zu ziehen — das hieß, daß die Welt in Ordnung war. Bei einem Edwin Carberry, der nur finstere Blicke um sich schleuderte, zog jeder den Kopf ein und bemühte sich, noch schneller zu arbeiten als gewöhnlich. Unter anderen Umständen hätte Hasard vielleicht
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gelächelt, aber im Augenblick hatte er nicht den geringsten Sinn für komische Aspekte. Die „Isabella“ schwenkte elegant nach Steuerbord herum und lief an dem Riff entlang zum östlichen Ende der Insel. Rote Klippen sprangen dort ins Meer vor, auf der Nordseite fiel die Küste steil ab. Nichts war zu sehen. Keine Spur von Dan, Batuti oder dem Irren, keine Spur von dem Beiboot. Die Männer der Freiwache starrten sich vergeblich die Augen aus, und am westlichen Zipfel der Insel ließ Hasard schließlich beidrehen. Er war überzeugt davon, daß er Dan und Batuti finden würde. Sie konnten sich nur auf diese Insel gerettet haben. An die andere Möglichkeit, daß die beiden längst nicht mehr lebten, wollte der Seewolf nicht denken. Mit einer unbewußt wilden Bewegung warf er das Haar zurück. „Beiboot abfieren“, befahl er scharf. „Ferris, Matt, Gary, Smoky und Pete — wir werden hinüberpullen und auf dieser verdammten Insel das Unterste zuoberst kehren.“ 7. Dan O'Flynn knirschte mit den Zähnen. Seine Handgelenke brannten wie Feuer, die Haut hing in Fetzen. Wieder und wieder rieb er die Stricke über die scharfe Steinkante in seinem Rücken, und neben ihm tat Batuti mit zusammengepreßten Lippen das gleiche. Viel Hoffnung hatten sie nicht. Wenn sie es schafften, sich von den Fesseln zu befreien, konnten sie die beiden Wachtposten, die im Camp zurückgeblieben waren, mit Leichtigkeit überwältigen. Im Augenblick kümmerte sich keiner der beiden um die Gefangenen. Pepe le Moco stierte stumpfsinnig vor sich hin: er hatte den Schlag auf den Kopf noch nicht richtig verdaut. Der zweite Mann, ein drahtiger, finsterer Typ mit nur einem Auge, der Esmeraldo hieß, war zwischen die Felsen geklettert in der Hoffnung, etwas von den Ereignissen
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mitzubekommen. Aber es würde sicher nicht lange dauern, bis er sich wieder umschaute. Dan fluchte innerlich, als er die Bewegung sah, mit der sich der Kerl abwandte. Sein Blick wanderte zu den Gefangenen, und das gesunde Auge funkelte auf. Mit einem Ruck riß er die Radschloß-Pistole aus dem Gürtel und sprang von den Felsen hinunter. Sein tückisch glitzerndes Auge glitt zwischen Dan und Batuti hin und her, die Waffenmündung vollführte die gleiche Bewegung. Mit einem abfälligen Grinsen holte Esmeraldo aus und kickte Dan die Stiefelspitze zwischen die Rippen. Batutis schwarzes Gesicht wurde fast grau vor Wut. Was er schrie, konnte niemand verstehen, da er seine Heimatsprache benutzte. Und was er tat, ging so schnell, daß der Einäugige erst begriff, als es zu spät war. Geschmeidig wie ein Panther schnellte der schwarze Herkules am Boden herum, zog blitzartig die gefesselten Beine an und rammte Esmeraldo wuchtig d e Absätze in die Magengrube. Der Pirat flog mit rudernden Armen zurück und landete mit dem Hintern im Wasser des Bachs. Sein Gesicht wurde schmutzig grün, würgend trennte er sich von seiner letzten Mahlzeit. Dan und Batuti kämpften verzweifelt gegen die Fesseln, aber sie wußten nur zu gut, daß sie keine Chance hatten. Der zweite Pirat war froh, daß sie ihm einen Anlaß boten, sich für die Beule an seinem Kopf zu rächen. Er fing es vorsichtiger an als sein Kumpan. Mit dem langen, handlichen Holzknüppel konnte er zuschlagen, ohne sich in die gefährliche Reichweite des hünenhaften Negers zu begeben. Batuti wurde zweimal am Kopf und einmal im Nacken getroffen, bevor er endlich die Augen verdrehte. Pepe le Moco grinste triumphierend, während er den Knüppel sinken ließ und stattdessen die Pistole aufhob, die Esmeraldo entfallen war.
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Der Einäugige spuckte immer noch. Pepe warf ihm einen verächtlichen Blick zu, dann grinste er Dan O'Flynn an. „Schön ruhig, Kleiner! Ich ...“ „Der Teufel ist dein Kleiner!“ fauchte Dan erbittert. „Rotzfrech bis zum letzten!“ Pepe lächelte mit der satten Selbstzufriedenheit dessen, der seiner Rache sicher ist. „Die große Klappe wird dir noch vergehen, Bürschchen! Dich und den Nigger nehmen wir nämlich mit, wenn wir hier abhauen. Damit ihr euren Freunden nichts von Chiapas und dem Maya-Gold singen könnt. Und dann müßt ihr natürlich arbeiten, wenn ihr was zu fressen haben wollt. Bis euch das Wasser im Hintern kocht und die Zunge aus dem Hals hängt, Freundchen! Was glaubst du, wie ich mich darauf freue?“ „Wenn du dich nur nicht zu früh freust! Die ‚Isabella' kriegt ihr nicht, ihr dämlichen Hunde. Die Crew wird euch in kleinen Häppchen an die Haie verfüttern. Und dir reiße ich persönlich die Ohren ab, du Enkel eines triefäugigen, dreimal um die Großrah gewickelten Bilgengespenstes, du verlauster, stinkender Hurenbock ...“ Weiter gelangte Dan nicht. Bis zu diesem Augenblick hatte Pepe le Moco mit staunenden Augen zugehört, weil ihm die Hälfte der herzerfrischenden Flüche neu war, jetzt drang mit leichter Verspätung das Ausmaß der Beleidigungen in sein Bewußtsein. Berstende Wut überwog die Neugier darauf, wie es weiterging, und blitzartig riß er mit der Linken den Holzknüppel hoch. Dan O'Flynn konnte nicht mehr ausweichen. Er wurde am Kopf getroffen. Mit voller Wucht. Und das war sogar für den Dickschädel eines O'Flynn zu fiel. Zwei Sekunden lang flimmerte ein prachtvoller bunter Funkenregen vor Dans Augen, dann sah er für eine Weile überhaupt nichts mehr. *
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Das zertrümmerte Boot hing so zwischen den Felsen des Riffs fest, daß es von Bord der „Isabella“ nicht gesehen werden konnte. Vom Strand der Bucht aus entdeckten es die Seewölfe sofort. Hasard blieb stehen und spähte aus zusammengekniffenen Augen hinüber. Das Boot war Kleinholz und bestand nur noch aus einem Plankenstück mit zwei dranhängenden Duchten. Wer im Augenblick des Aufpralls noch auf diesen Duchten gesessen hatte, mußte zumindest schwer verletzt worden sein. Hasard nahm an, daß Dan und Batuti nicht so dämlich gewesen waren, sich mit der Nußschale auf die Felsen schmettern zu lassen. Ein Riff ließ sich auch bei Sturm und Dunkelheit erkennen. Und ein Schwimmer hatte durchaus die Chance, durch eine der Lücken in der Felsenbarriere die Lagune zu erreichen. Der Seewolf sah sich um, genau wie die anderen. Aber Spuren waren in dem trockenen, von der auflandigen Brise geglätteten Sand längst nicht mehr zu erkennen. Ferris Tucker wischte sich das schweißnasse rote Haar aus der Stirn. „Quer durchs Dickicht sind sie bestimmt nicht gegangen“, stellte er fest. „Das ist die reine Hölle!“ Hasard zuckte mit den Schultern. Jetzt, da die Sonne fast im Zenit stand, schien jenseits des Palmengürtels tatsächlich die Luft zu kochen. War das am frühen Morgen, als der Sturm abflaute, auch schon so gewesen? Hasard nahm an, daß Dan und Batuti versucht hatten, auf einen der Felsenkegel zu klettern, um sich einen Überblick zu verschaffen. Aber vielleicht gab es von der Welt- oder Ostseite her einen anderen Weg, der nicht durch das Dickicht führte. „Versuchen wir's doch durch die Klippen da drüben“, schlug Pete Ballie vor. „Ich habe da eine Art Hohlweg gesehen. Und weiter oben wird der Wald dann sicher lichter.“ Auch er erinnerte sich an den Einschnitt im Gelände, an dem sie vorbeigesegelt waren.
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Ein paar Minuten später hatten sie ihn wiedergefunden: eine schmale, ansteigende Schlucht, eine Art Klamm, die zwischen den roten Felsen aufwärts führte. Hasard ging voran. Ferris Tucker, Matt Davies, Gary Andrews, Smoky und Pete Ballie folgten ihm dichtauf. Das Rauschen der Brandung drang nur noch schwach zu ihnen, ab und zu unterbrachen die kreischenden Schreie der Seevögel die Stille. Einmal glaubte Hasard, über sich in den Felsen ein Geräusch zu hören, ein leises Scharren, aber er war seiner Sache nicht sicher. „Scheißhitze“, knurrte Ferris Tucker nach ein paar Minuten. „Die Steine werfen die Hitze zurück.“ Pete Ballie grinste und berührte flüchtig mit seiner mächtigen Pranke die Felswand. „Ohne Stiefel würden wir uns glatt die Füße verbrennen. Ich wette, der Kutscher könnte hier Eier braten oder ...“ „Vorsicht!“ .schrie Hasard in derselben Sekunde. Er hatte die Bewegung schräg über sich gesehen. Hochschnellende Schatten, Steine, die durch die Luft flogen. Mit einem Satz warf sich der Seewolf zur Seite, riß Ferris Tucker mit, aber die anderen schafften es nicht mehr, schnell genug auszuweichen. Ein Steinhagel prasselte in die Schlucht hinunter. Matt Davies brüllte auf, als ihm einer der Brock ins Kreuz krachte. Smoky wurde am Kopf getroffen, warf die Arme hoch und klappte lautlos zusammen. Hasard rollte herum und griff nach der sächsischen Reiterpistole in seinem Gürtel. Neben ihm schnellte Ferris Tucker hoch. Seine Faust schloß sich um den Stiel der riesigen Zimmermannsaxt. Im nächsten Augenblick wurde es auch auf der anderen Seite der Schlucht lebendig. Diesmal reagierte selbst der Seewolf nicht schnell genug. Er sah Ferris stürzen, fühlte einen mörderischen Schlag an der Schulter und fiel nach vorn. Instinktiv riß er beide Arme hoch, um seinen Kopf. zu schützen. Ein paar Sekunden hatte er das Gefühl, daß die
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halbe Insel über ihm zusammenstürzte, dann hörte er das wilde Triumpfgeschrei der unbekannten Angreifer. Von beiden Seiten kletterten sie über die Felsen, mindestens ein Dutzend Männer. Die Seewölfe waren zu sechst. Normalerweise hätten sie es spielend mit der doppelten Anzahl von Gegnern aufgenommen. Aber jetzt lagen Ferris Tucker, Matt Davies und Smoky bewußtlos am Boden, Gary Andrews versuchte vergeblich, sich aufzurappeln, Hasard war zumute, als habe er sich jeden Knochen im Leib gebrochen - er wußte verdammt genau, daß es aus dieser Falle keine Flucht mehr gab. Es war ohnmächtige Wut, die ihn den erstbesten der Kerle anspringen ließ wie ein Tiger. Der Bursche schwang einen Säbel in der Faust, aber ehe er ihn auch nur hochreißen konnte, war der schwarzhaarige Hüne mit den eisblauen Augen schon dicht bei ihm und schmetterte ihm eine stahlharte Faust an den Kiefer. Der Säbelschwinger kippte stumm um. Hasard hatte die Pistole fallen lassen, weil er nicht wollte, daß seine Männer zusammengeschossen wurden. Er wirbelte herum und griff zum Degen, doch im selben Augenblick drangen vier, fünf Angreifer gleichzeitig auf ihn ein. Er schaffte es, einen der Kerle zu packen und so herumzuschleudern, daß zwei weitere umgesäbelt wurden. Gegen den dritten, der sich von hinten mit einem Holzknüppel anschlich, war kein Kraut gewachsen. Hasards harter Schädel überstand den Hieb, doch er konnte nicht verhindern, daß er nach vorn fiel. Zum zweitenmal traf ihn der Knüppel, diesmal in den Rücken – und dann schlugen die Kerle wie eine Woge über ihm zusammen. Er war der einzige, der noch kämpfte. Aber gegen die Übermacht von zwölf Männern konnte selbst ein Seewolf nichts ausrichten. Er ging mit fliegenden Fahnen unter – und es dauerte immerhin noch fünf Minuten, bis es den Kerlen endlich gelang, ihn bewußtlos zu schlagen. 8.
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„O verdammt, verdammt!“ fluchte Ed Carberry. „Der Teufel soll mich lotweise holen, wenn da nicht eine Schweinerei passiert ist. Nicht einmal der lahmste Kombüsenhengst braucht drei Stunden, um dieses vom Leibhaftigen im Suff ins Meer geschissene Eiland abzusuchen!“ „Was heißt hier der lahmste Kombüsenhengst?“ empörte sich der Kutscher. „Ich möchte dich verfressenen Steinzeitmenschen mal sehen, wenn ich nicht in meiner Kombüse ...“ „Halt's Maul, oder ich vergesse mich und setze dich mit deinem verdammten Affenarsch in die Bratpfanne. Hasard und die anderen müßten längst zurück sein, kapierst du Esel das nicht?“ „Natürlich kapiere ich das“, sagte der Kutscher mit Würde. „Aber ich kapiere nicht, warum du hier herumbrüllst, statt etwas zu unternehmen. Wir haben doch Boote genug –oder?“ Für einen Moment war Ed Carberry sprachlos. Ben Brighton, der neben ihm am Schanzkleid stand, lächelte leicht. Es war ein flüchtiges Lächeln, das sofort wieder verschwand. Auch der Bootsmann und erste Offizier der „Isabella“ sorgte sich. Genau wie Big Old Shane, der ehemalige Schmied von Arwenack, der unruhig an seinem wirren grauen Bart zupfte, und Old Donegal Daniel O'Flynn, in dessen verwittertem Gesicht es arbeitete. „Klar zur Wende!“ krächzte der Papagei Sir John, dem es nicht gefiel, 'daß alle so still waren. „Halt den Schnabel, du Geier!“ fauchte der Profos aufgebracht. Und mit einem tiefen Atemzug: „Wir. müssen wirklich etwas unternehmen. Ich schlage vor, wir stellen einen Suchtrupp zusammen. Jeff, Sam, Blacky, Bob, Luke und ich.“ Ben Brighton nickte. „Einverstanden! Aber seid vorsichtig, damit ihr nicht auch noch verschwindet.“ „Ha! Der alte Carberry verschwindet nicht, darauf kannst du einen Fliegenpilz frühstücken. Und wenn auf der
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verdammten Insel sämtliche Wassermänner der sieben Meere spuken!“ „W-w-wassermänner?“ stotterte Blacky, leicht blaß um die Nase. „Klar doch“, verkündete Old O'Flynn dumpf. „Hast du noch nie davon gehört, daß die hier in der Lagune lauern, um unvorsichtige Seeleute in die Tiefe zu ziehen? Ist doch klar, daß es nicht mit rechten Dingen zugeht, wenn auf so 'ner Insel einfach jemand verschwindet, oder?“ Blacky schluckte, begriff dann, daß er aufgezogen wurde, und schoß dem grinsenden Alten einen giftigen Blick zu. Ed Carberry stemmte die Fäuste in die Hüften. „Wenn wir einem Wassermann begegnen, werden wir ihn am Schwanz ziehen“, versprach er. „Und jetzt Tempo, ihr lahmen Decksaffen! Glaubt ihr, heute sei Weihnachten, was, wie? Bewegt euch! Beiboot abfieren, aber ein bißchen flott, sonst mach ich euch Feuer unterm Hemd, ihr schlafmützigen, von einer Seekuh im Suff gezeugten Mondkälber!“ Ed Carberry fluchte noch, als die Männer das Beiboot längst im Rekordtempo aufs Wasser gebracht hatten. Sie enterten über die Jakobsleiter ab, nicht ohne sich vorher mit Waffen und Munition versorgt zu haben. Ed Carberry hatte sich zur Abwechslung Batutis fürchterlichen Morgenstern an den Gürtel gehängt. Und die Art, wie er sein Rammkinn vorschob und mit den Zähnen mahlte, verriet deutlich, daß er entschlossen war, das Ding notfalls dem Teufel persönlich um die Ohren u hauen. Das Boot wurde sorgfältig an Land gezogen, neben das zweite Fahrzeug, das Hasard und seine Gruppe zurückgelassen hatten. Genau wie der Seewolf entschied sich auch Ed Carberry dafür, die Insel zunächst einmal zu umrunden, Spuren zu suchen und vielleicht einen bequemen Aufstieg zum höchsten Punkt des Eilands zu finden. Aber der Profos rechnete von vornherein mit Verdruß. Vielleicht war auch ein bißchen zu viel von „Verschwinden“ und
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„nicht mit rechten Dingen zugehen“ gesprochen worden. Ed Carberry teilte den Trupp. Er selbst, Blacky und Jeff Bowie marschierten los. Sam Roskill und Luke Morgen sicherten nach hinten, bis sie dann, von den anderen gedeckt, wieder aufholten. Auf diese Art ging das Unternehmen zwar etwas langsam vorwärts, aber auf jeden Fall wurde eventuellen Angreifern nicht die Möglichkeit geboten, den jeweils letzten Mann der Gruppe lautlos auszuschalten. Lediglich das Felsengewirr der östlichen Landzunge überkletterten sie ohne diese Vorsichtsmaßnahme. An der Steilküste im Norden, marschierten sie jeweils dann gemeinsam, wenn es galt, vorspringende Klippen zu umrunden, die den Sichtkontakt hätten abreißen lassen. Kein Wort fiel - bis sie zum drittenmal, vorsichtig auf der geröllbedeckten Brandungsplatte, an einer vorspringenden Felsennase vorbeiturnten. Ed Carberry prallte zurück. „Verflucht!“ flüsterte er nur. Und auch die anderen blieben wie versteinert stehen und starrten auf das gespenstische Bild vor ihren Augen. Ein Dutzend Schritte weiter befanden sich zwei einzelne übermannshohe Klippen, nicht weiter als eine Armspanne voneinander entfernt. Jemand hatte einen angeschwemmten Balken quer über die beiden Felsen gelegt, einen Balken, der als provisorischer Galgen diente - und an dem eine ausgemergelte Gestalt mit kahlem Schädel baumelte. Der Irre! Der Schiffbrüchige, der zusammen mit Dan und Batuti von der „Isabella“ verschwunden war. Das umgestürzte Fäßchen lag noch vor seinen Füßen. Der fachmännische Henkersknoten hatte ihm das Genick gebrochen. * Dan O'Flynns gefesselte Hände umklammerten den Stein, den er nach
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längeren Anstrengungen in seinem Rücken ertastet hatte. Sein Blick hing an den Wachtposten. Diesmal war es der einäugige Esmeraldo, der schlapp wie ein aus gewrungener Lappen in der Nähe der Feuerstelle hockte, immer noch etwas grün im Gesicht. Pepe le Moco kauerte hoch oben zwischen den Felsen und lauschte gespannt in die Stille. Inzwischen war ein dritter Mann zu ihnen gestoßen, der graubärtige Alte mit dem Namen Valerio. Er hatte den beiden anderen mit triumphierender Stimme erzählt, was passiert war - und für Dan und Batuti bedeuteten die wenigen Worte das Ende ihrer Hoffnungen. Offenbar war eine Gruppe ihrer Kameraden an Land gegangen, um nach ihnen zu suchen, und von den Piraten im Handstreich überwältigt worden. Jetzt warteten die Kerle in aller Ruhe darauf, daß sich etwas tat. Irgendwann würde der Rest der Crew auf der „Isabella“ mißtrauisch werden und vielleicht einen weiteren Suchtrupp losschicken - und dann brauchten die Piraten nicht einmal mehr zu kämpfen. Sie hatten Dan und Batuti nur deshalb nicht als Geiseln benutzt, weil sie immer noch glaubten, die beiden seien heimlich von Bord abgehauen und die anderen würden nicht viel Rücksicht auf ihr Leben nehmen. Jetzt sah das anders aus. Wenn es ihnen gelungen war, eine Gruppe von den Seewölfen gefangen zu nehmen, hatten sie die Möglichkeit, sie als Faustpfand zu benutzen und den Rest der Crew zur Aufgabe zu zwingen. Dan biß sich verzweifelt auf die Lippen. Er hatte einen wachen Verstand, und er wußte, daß es sinnlos war, sich etwas vorzumachen. Die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß es den Piraten tatsächlich gelingen würde, sich die „Isabella“ unter den Nagel zu reißen. Dan und Batuti hätten jetzt auch keine Chance mehr, sich von den Fesseln zu befreien: erstens waren sie noch gründlicher verschnürt worden als vorher, zweitens paßten ihre Gegner besser auf. Die beiden Gefangenen hätten höchstens
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riskiert, daß sie von neuem bewußtlos geschlagen wurden - und das wäre dann das endgültige Aus gewesen. Die Piraten wollten sie mitnehmen. Nach Chiapas, ins Land der Mayas! Dan wußte, daß es jetzt nur noch um eins ging: eine Möglichkeit zu finden, ihren Kameraden irgendwie das Ziel der Piraten mitzuteilen. Denn Hasard und die anderen würden ganz sicher nicht lange auf der Insel festsitzen. Der Schwarze Segler war in der Nähe. Siri-Tong und der Wikinger würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihre Freunde zu finden. „Batuti“, murmelte Dan fast unhörbar. „Ja?“ „Kannst du dich aufrecht hinsetzen?“ „Bin ich Tattergreis? Batuti kann Kopfstand machen, wenn sein muß.“ „Bloß nicht! Hör zu, ich will versuchen, eine Nachricht für Hasard in den Felsen zu ritzen. Wir lehnen uns unauffällig an den Stein da drüben. Und du setzt dich so, daß du meine Hände verdeckst, klar?“ Der schwarze Herkules nickte nur und ließ die Augen rollen. Sie brauchten ein paar Sekunden, um sich langsam und unauffällig näher an die Felsen zu schieben. Batuti richtete sich auf und lehnte sich mit der Schulter dagegen. Dan suchte eine Position, in der er mit dem Stein in seinen Fäusten die glatte Wand hinter sich erreichen konnte. Der einäugige Esmeraldo warf ihnen ab und zu einen flüchtigen Blick zu, aber er schien nichts Verdächtiges an ihrem Verhalten zu finden. Dan biß sich auf die Lippen. „Chiapas“, wollte er in den Felsen ritzen. Das war ein einziges kurzes Wort, aber nach ein paar Minuten mußte er einsehen, daß er sich die Sache bei weitem zu einfach vorgestellt hatte. Der Stein in seinen gefesselten Händen und der Felsen in seinem Rücken wiesen ungefähr den gleichen Härtegrad auf. Dan mußte höllisch aufpassen, um nicht ständig abzurutschen und lediglich ein Gewirr von Linien zustande zu bringen. Nach den ersten drei Buchstaben lief ihm der Schweiß in Strömen über den Körper.
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Beim Querstrich des A zerbröckelte ihm der Stein unter den Fingern, und er mußte einen neuen suchen. Er brauchte eine volle Viertelstunde für das eine läppische Wort, und als er sich schließlich umdrehte, um sein Werk zu begutachten, stellte er fest, daß man schon sehr genau hinsehen mußte, um die Buchstaben als „Chiapas“ zu entziffern. Einerseits ganz gut so, denn auf diese Weise wurde die Gefahr geringer, daß die Piraten die eingeritzten Schriftzeichen bemerkten und dann zerkratzten. Aber würden Hasard und die anderen die Nachricht entdecken? Bestimmt, entschied Dan. Denn sie würden sicher annehmen, daß die beiden Gefangenen eine Nachricht für sie zurückgelassen hatten und ganz gezielt danach suchen. Batuti grinste zufrieden und ließ seine Zähne blitzen. „Kleines O'Flynn hell in Kopf”, stellte er fest. „Und jetzt weg von schönes Wort. Drüben in Schatten!“ Dan nickte nur. Er ließ sich einfach nach vorn fallen und rollte über den Boden. Batuti folgte seinem Beispiel. Der einäugige Esmeraldo hob mit einem Ruck den Kopf, aber seine Haltung entspannte sich sofort wieder. Für ihn sah es so aus, als ob die beiden Gefangenen lediglich Schutz vor der sengenden Sonne suchten. Für Dan und Batuti war der angenehm kühle Schatten nur ein Nebeneffekt. Als sie sich von neuem gegen die Felsen lehnten, waren sie ein beruhigendes Stück entfernt von der Stelle, wo Dan das Wort „Chiapas“ in den Stein geritzt hatte. Sie konnten damit rechnen, daß die Piraten die Nachricht nicht entdecken würden. Beide wußten sie ziemlich genau, daß es eine recht dünne Chance war, auf die sich ihre Hoffnung gründete. Aber immerhin fühlten sie sich jetzt nicht mehr ganz so hilflos wie zuvor. 9. Nur für ein paar Sekunden standen Edwin Carberry und die anderen sprachlos da und
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starrten auf den baumelnden Leichnam in der Sonne. Carberry stieß einen Fluch durch die Zähne, den niemand verstand. Der Profos wußte auf Anhieb, was das makabre Bild zu bedeuten hatte: vielleicht ein Ablenkungsmanöver, ganz sicher eine Warnung. Instinktiv griffen die Männer zu den Waffen und spähten aus zusammengekniffenen Augen zu den Klippen hinauf. Sie ahnten, daß gleich etwas passieren würde, aber als es geschah, hatten sie nicht die geringste Chance, etwas dagegen zu unternehmen. Jäh wurde es über ihnen lebendig. „Keine Dummheiten!“ brüllte jemand im Gewirr der Felsen auf der Hochfläche. „Laßt die Finger von den Waffen! Wenn ihr in der Gegend herumballert, durchlöchert ihr eure eigenen Leute, Freunde!“ Ed Carberry holte tief Luft. Seine Augen waren dunkel vor Wut, sein zernarbtes Gesicht hatte sich verkantet. „Der Teufel ist dein Freund!“ brüllte er zurück. „Komm her, du Hurensohn, dann zeig ich dir, wohin der Wind bläst ...“ Der Profos stockte abrupt. Hoch oben über der Felsenkante tauchte eine Gestalt auf, eine hochgewachsene, breitschultrige Gestalt mit flatterndem schwarzen Haar und eisblauen Augen. Hasard, dachte Carberry erleichtert — und in der nächsten Sekunde wurde ihm bewußt, daß zur Erleichterung nicht der geringste Anlaß bestand. Philip Hasard Killigrew war gefesselt und geknebelt. . Selbst die Füße hatten sie ihm zusammengebunden, so daß er sich nur mit winzigen Schritten vorwärtsbewegen konnte. Von dem Kerl, der hinter ihm stand und ihn an den gefesselten Armen festhielt, war nur ein Schatten zu sehen. Carberry erkannte graues Haar, eine große, hagere Gestalt — und die Pistole, die sich seitlich gegen Hasards Hals preßte. „Ich bin Jean Morro!“ schrie der Unbekannte. „Vielleicht hat euch der kahlköpfige Halunke dort unten genug über mich erzählt, um euch klarzumachen,
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daß ich nicht scherze. Ich knalle .diesen Bastard hier ab, wenn ihr Dummheiten versucht. Und er ist nicht der einzige - wir haben auch die fünf anderen, den verdammten Nigger und dieses großschnäuzige Bürschchen! Also was ist? Wollt ihr eure Leute über die Klinge springen lassen?“ Ed Carberry war weiß vor ohnmächtiger Wut. „Du dreckige Bilgenratte!“ Keuchte er. „Wenn du ihnen auch nur ein Haar krümmst ...“ „Wir werden ihnen mehr als ein Haar krümmen, wenn ihr nicht spurt! Also los, werft eure Waffen weg! Alle schön auf einen Haufen! Und laßt euch nur nicht mit versteckten Messern oder so etwas erwischen! Ein einziger Trick, und wir schmeißen euch die erste Leiche vor die Füße!” Für einen Moment blieb es still. Auch links und rechts von Hasard wurden jetzt gefesselte, geknebelte Männer an den Klippenrand geschoben: Ferris Tucker, Smoky, dem Blut über das Gesicht lief, Matt Davies, Gary Andrews und Pete Ballie. Der Profos ballte die Hände, bis die Knöchel weiß und spitz hervortraten. Er starrte die anderen an. Luke Morgan, der schlanke, flinke Bursche mit dem jähzornigen Temperament, zerbiß sich fast die Unterlippe. Blacky, Bob Grey und Sam Roskill waren blaß geworden, und Jeff Bowie zerrte ratlos an seiner Hakenprothese. „Wir haben keine Wahl, nicht wahr?“ fragte er leise. „Stimmt“, knirschte der Profos. „O verdammt, ich ...“ „Wird's bald?“ peitschte die Stimme des Kerl mit dem Namen Jean Morro dazwischen. „Waffen weg, habe ich gesagt! Oder wollt ihr erst Blut sehen?“ „Du Bastard“, flüsterte der eiserne Profos mit bleichen Lippen. UM in seinen rügen stand kalter Mord, als er langsam Batutis Morgenstern von seinem Gürtel löste. Die schwere Waffe klirrte gegen einen Stein und rollte ein Stück über den Sand der Brandungsplatte. Säbel, Pistolen und
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Musketen flogen hinterher, ein paar Messer und Handspaken. Sam Roskill bückte sich und zog einen schmalen Dolch aus dem Stiefel. Bob Grey legte gleich drei von den Spezial-Wurfmessern ab, mit denen er wie kein zweiter umzugehen verstand. Mit einer wilden Bewegung warf er sein blondes Haar zurück und starrte zum Klippenrand hoch, wo sich das gespenstische Bild immer noch nicht verändert hatte. „Wunderbar!“ lobte der Grauhaarige hinter Hasard spöttisch. „Und jetzt klettert die Klippen hinauf. Schön einer nach dem anderen. Zuerst die Mißgeburt mit dem Haken.“ „Mit meinem Haken reiße ich dir demnächst den Arsch auf“, murmelte Jeff Bowie erbittert, während er sich in Bewegung setzte. Das Kliff hinaufzuklettern, war ziemlich einfach, da es genug Kanten und Vorsprünge gab. Binnen weniger Minuten erreichte Jeff Bowie die Hochfläche. Einer der Piraten rammte ihm die Muskete in den Rücken, stieß ihn ein paar Schritte von der Felsenkante weg - und ein zweiter Mann schlug dem Opfer ohne viel Federlesens einen Holzknüppel über den Schädel. Bob Grey war als nächster an der Reihe. Auch er erhielt einen Schlag auf den Schädel — ganz offensichtlich hatten die Kerle da oben einen beachtlichen Respekt vor der Kampfkraft der Seewölfe und zogen es vor, auf Nummer sicher zu gehen. Sam Roskill, der ehemalige Karibik-Pirat, mußte als nächster die Klippen hinaufklettern, dann folgte ihm der Profos — fauchend vor Wut, weil der Anführer seiner Widersacher ihn als „häßlichen, narbengesichtigen Bullen“ tituliert hatte. Ed Carberry war zu wütend, um sich so einfach einkassieren zu lassen. Oben am Klippenrand gab es ein kurzes, heftiges Gerangel. Der Profos entriß dem Kerl den Knüppel und schlug ihn das Holz um die Ohren, beförderte einen zweiten Mann fast über die Kante, aber das war auch schon alles, was er erreichte. Sie fielen zu fünft über ihn her, und er ging zu Boden.
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Luke Morgan beobachtete die Szene voll hilfloser Wut und wartete auf das Zeichen, ebenfalls nach oben zu klettern. Auch er brannte darauf, wenigstens einem der Kerle ein paar Zähne auszuschlagen oder das Nasenbein zu brechen. Aber mit ihm hatte der Grauhaarige offenbar etwas anderes vor. „Hör zu, du halbe Portion!“ rief er. „Du wirst ...“ „Komm herunter!“ schrie Luke außer sich. „Dann zeige ich dir, wer eine halbe Portion ist, du verlauster Mistbock!“ „Halt dein Maul, bevor wir es dir stopfen! Wir brauchen euer Schiff. Du setzt dich jetzt in das Boot und ...“ „Nie!“ knirschte Luke Morgan. „Nicht? Bist du sicher? Soll ich dem schwarzhaarigen Bastard hier eine Kugel in den Schädel jagen, damit du deine Meinung änderst?“ „Wenn du ihm ein Haar krümmst ...“ „Das hatten wir schon“, sagte der Grauhaarige gelassen. „Und jetzt hör zu und quatsch nicht dauernd dazwischen, wenn du willst, daß deine Leute heil bleiben! Du pullst mit dem Boot zurück zu eurem Schiff. Richte den anderen aus, daß sie genau eine halbe Stunde haben, um uns das Schiff zu übergeben. Wir haben den Verrückten dort aufgeknüpft, damit ihr seht, daß wir es ernst meinen. In einer halben Stunde hängen wir den ersten von unseren Gefangenen daneben. Und dann alle Viertelstunde einen anderen. Solange, bis ihr weich werdet. Oder bis keiner mehr am Leben ist, falls ihr euch stur stellt,“ Luke Morgan schwieg. Es gab nichts mehr zu sagen. Jean Morro, der Südsee-Pirat, meinte jedes Wort seiner Drohung ernst, und es gab nicht den leisesten Zweifel daran, daß er alle Trümpfe in der Hand hielt. * Die „Isabella“ lag am Westzipfel der Insel auf Reede. Eine weit vorspringende Felsennadel verdeckte die Sicht auf die Steilküste auf
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der Nordseite, aber dafür waren Riff und Strand einigermaßen gut zu überblicken. Bill hockte im Großmars und schwenkte immer wieder mit dem Spektiv die Insel ab, in der vergeblichen Hoffnung, etwas zu entdecken. Der Schimpanse Arwenack war in die höchsten Toppen geklettert, um nach seinem Liebling Dan O'Flynn Ausschau zu halten. Von dort aus beschimpfte er keckernd den Papagei Sir John, der sich lautstark revanchierte, da er wegen Carberrys Abwesenheit ebenfalls beleidigt war. „Mistvieh!“ kreischte der karmesinrote Ara. „Affenarsch! Affenarsch ...“ Normalerweise hätte das Geschrei sicher Heiterkeit erregt, da es sich so anhörte, als wisse der Papagei ganz genau, daß es sich bei seinem bevorzugten Kontrahenten um einen Vertreter der Affenart handelte. Im Augenblick allerdings war niemandem aus der Crew nach Heiterkeit zumute. Sie ahnten alle, daß irgendetwas geschehen war. Die Undurchsichtigkeit der Situation, die eigene Hilflosigkeit, die geisterhafte Stille auf der Insel – das alles trug nicht gerade dazu bei, die Stimmung an Bord zu heben. „Deck!“ schrie der Schiffsjunge Bill in seinem luftigen Ausguck. „Da ist jemand! Luke, glaube ich!“ Auf dem Achterkastell hob Ben Brighton das Spektiv an die Augen. Er biß sich auf die Lippen, als er die schlanke Gestalt bemerkte, die zwischen den Ausläufern der Felsen auftauchte. Es war tatsächlich Luke Morgan. Allein! Er lief auf die Boote zu, und dann brauchte er Minuten, um eins davon. ins Wasser zu wuchten und sich auf die Ducht zu schwingen. „Luke allein?“ fragte Bill Old Shane heiser. „Verdammt, was bedeutet das?“ „Wir werden es gleich wissen.“ Ben setzte das Spektiv ab und sah dem Beiboot aus zusammengekniffenen Augen entgegen. Es war zwar nur eine Nußschale im Vergleich zu einem Schiff, eine Nußschale auch, wenn es galt, den tobenden Elementen zu trotzen, aber diese Nußschale bot
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immerhin einem Dutzend Männern Platz. Ein einzelner hatte beträchtliche Schwierigkeiten, sie durch die Brandung zu bringen. Und der kleine, pfiffige Luke Morgan gehörte zwar zu den wildesten, zähesten Männern der Crew, aber nicht zu den muskelbepackten Kraftmenschen, wie es Batuti, Ed Carberry, Big Old Shane oder der rothaarige Ferris Tucker waren. Es dauerte eine Weile, bis das Boot längsseits ging. Luke Morgan enterte an der Jakobsleiter hoch. Daß er so weiß war wie die Gischtkämme der Brandung, ließ sich nicht übersehen. Hastig schwang er sich über das Schanzkleid, schob den Kutscher und Old O'Flynn beiseite und steuerte auf Ben Brighton und Big Old Shane zu. Seine Stimme klang rauh wie ein Reibeisen: „Sie haben Hasard! Und die anderen auch! Sie verlangen ...“ „Wer hat Hasard?“ unterbrach ihn Big Old Shane rauh. „Wovon sprichst du, verdammt und zugenagelt?“ „Von den Kerlen auf der Insel! Piraten, schätze ich! Sie haben Hasard und die anderen gefangengenommen! Sie verlangen, daß wir ihnen die ‚Isabella' übergeben — sonst wollen sie alle Viertelstunde einen unserer Leute umbringen. Den Verrückten haben sie schon aufgehängt. Sie sind mindestens ein Dutzend. Und Dan und Batuti haben sie auch ...“ Luke Morgan schwieg erschöpft. Die anderen starrten ihn an wie eine Geistererscheinung. Ben Brighton knirschte mit den Zähnen und versuchte, sich zusammenzureißen. „Nun mal langsam!“ stieß er hervor. Fang von vorn an, Luke! Die verdammte Insel ist bewohnt?“ „Weiß ich nicht. Die Kerle sprechen jedenfalls Englisch.. Piraten, nehme ich an ...“ Auch Luke Morgan überwand seine Aufregung und begann, der Reihe nach zu berichten. An den Tatsachen änderte das allerdings wenig. Die Herren der Insel hatten es geschafft,. außer Dan und Batuti noch elf weitere Seewölfe gefangen zu
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nehmen. Sie hatten es auf eine verdammt hinterhältige Art und Weise geschafft, aber es war nicht zu bezweifeln, daß sie in diesem schmutzigen Spiel alle Trümpfe in der Hand hielten. „Sie wollen das Schiff“, wiederholte Luke Morgan mit einem tiefen Atemzug. „Sie geben uns eine halbe Stunde Zeit. Und danach wollen sie alle fünfzehn Minuten einen ihrer Gefangenen umbringen. „Für einen Moment blieb es still. Ben Brighton sog scharf die Luft durch die Zähne. Old Donegal Daniel O'Flynn, der mit seinem Holzbein quer über die Kuhl gehinkt war, stieß einen Laut aus, der entfernt an das Schnaufen eines gereizten Bullen erinnerte. „Verflucht!“ fauchte er. „Das darf doch nicht wahr sein, das!“ „Es ist aber wahr! Wir haben keine Wahl! Überhaupt keine!“ Wieder senkte sich Stille herab. Ben Brighton starrte zum Strand hinüber. Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt, in dem sonst so ruhigen, beherrschten Gesicht arbeitete es. „Wir haben keine Wahl“, wiederholte er Luke Morgans Worte. „Wir müssen die ‚Isabella' ausliefern. Und dann?“ „Die Kerle werden uns auf der Insel zurücklassen“, grollte Big Old Shane. „Und nach einer Weile wird hoffentlich der Schwarze Segler aufkreuzen und uns entdecken.“ Ben zog die Unterlippe zwischen die Zähne. „Aber dann werden die Piraten längst weg sein, und wir wissen nicht, wo sie hinwollen. Wir müßten eine Stecknadel im Heuhaufen suchen.“ Er schwieg einen Augenblick und wandte sich Big Old Shane und dem alten O'Flynn zu. „Es muß eine andere Möglichkeit geben. Etwas, womit unsere Gegner nicht rechnen.“ „Aber was? Sie haben alle Trümpfe in der Hand.“ „Wir müssen sie angreifen, wenn sie sich schon in Sicherheit glauben.“ Ben lächelte plötzlich, als er sich dem blonden Stenmark zuwandte. „Sten, kannst du dich noch an die ,Santa Barbara' erinnern?“ „,Santa Barbara'? Da war doch neulich ...“
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„Die nicht! Es ist länger her. Al, du müßtest es auch noch wissen.“ Al Conroy, der Stückmeister, runzelte die Stirn — und dann blitzte plötzlich das Verstehen in seinen Augen auf. „Die ,Santa Barbara' —natürlich! Die Prise, die Hasard damals im Auftrag Kapitän Drakes nach Plymouth segelte. Ferris Tucker hing uns in den Ohren, daß das Vorschiff abgeschottet sei. Wir konnten uns nicht darum kümmern, weil wir in einen knüppeldicken Sturm gerieten. Und als wir alle fix und fertig waren, stürmte aus dem abgeschotteten Vorschiff plötzlich ein Haufen Spanier, die sich dort Versteckt hatten. Wir waren viel zu überrascht, um uns noch viel zu wehren. Später konnten wir den Spieß umdrehen, aber zunächst mal haben uns die Kerle glatt überrumpelt.“ „Genau.“ Ben Brighton nickte. „Das meine ich.“ Und Stenmark: „Mann, das ist die Idee! Wir verstecken uns, warten in aller Ruhe, bis die Piraten ankerauf gegangen sind, und dann fegen wir von Bord, daß es nur so raucht! Das wird ein Fest!“ „Langsam“, brummte Big Old Shane. „Zunächst mal können wir uns nicht alle verstecken, weil die Kerle ungefähr wissen, wie viel Mann noch an Bord sein müssen. Zwei, drei Mann können hierbleiben, mehr nicht. Zwei oder drei Mann gegen ein Dutzend !“ „Drei Seewölfe gegen einen Haufen lausiger Piraten“, sagte Stenmark abfällig. „Unterschätze sie nicht, Sten.“ Ben Brighton schüttelte den Kopf. „Nein, wir machen es anders. Drei von uns verstecken sich in der Vorpiek, warten die Nacht ab und versuchen, sich diesen Jean Morro als Geisel zu schnappen. Ihn und vielleicht noch ein paar andere. Ob es funktioniert, werden wir dann schon sehen. Wenn es den Kerlen völlig gleich ist, was mit ihrem Kapitän passiert, haben wir Pech gehabt. Wir müssen es jedenfalls versuchen.“ „Ich bin dabei“, sagte Stenmark sofort. „Ich auch!” Luke Morgans Augen funkelten.
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„Du nicht, Luke. Die Kerle haben dich hierhergeschickt und würden sich wundern, wenn du plötzlich verschwändest. Stenmark, Big Old Shane und ich bleiben hier.“ „Warum nur drei?“ fragte Al Conroy. „Ich könnte mit der Bugdrehbasse das ganze Vorschiff leerräumen, während ihr euch den Ober-Halunken schnappt.“ „Willst du die ‚Isabella' in Fetzen schießen?“ Ben lächelte leicht. „Nein, drei sind genug. Die Piraten wissen schließlich, wie viele Männer nötig sind, um eine große Galeone zu segeln.“ „Wenn du meinst.“ Al Conroy zuckte mit den Schultern: Man sah ihm an, daß er gern dabei gewesen wäre, genau wie die anderen, aber er sah ein, daß Ben Brighton recht hatte. Mit einem tiefen Atemzug blickte er wieder zu der Insel hinüber - und im nächsten Moment fuhr er leicht zusammen. „He!“ stieß er hervor. „Was ist denn da los?“ „Die Piraten!“ knurrte Luke. „Verdammtes Gesindel! Sie haben unsere Leute bei sich. Hasard, Ferris, Ed ...“ Ben Brighton brauchte das Spektiv nicht, um zu sehen, was drüben am Strand geschah. Gestalten tauchten zwischen den Palmenstämmen auf. Piraten, die ihre Gefangenen mitschleppten. Philip Hasard Killigrews schwarzes Haar flatterte im Wind, Ferris Tuckers roter Schopf leuchtete. Ed Carberry, der Profos, wurde von zwei Kerlen zu einer der Palmen gestoßen, und selbst aus der Entfernung war der wilde Grimm auf seinen Zügen zu sehen, als die Burschen darangingen, ihn an den schlanken Stamm zu fesseln. Hasard war als nächster an der Reihe. Dann Ferris Tucker, Blacky, Smoky, Matt Davies, Gary Andrews und all die anderen. Big Old Shane ballte erbittert die Hände, aber genau wie Ben Brighton und Stenmark war er geistesgegenwärtig genug, sich rasch in den Schatten des Achterkastells zurückzuziehen. Die Piraten durften sie nicht mehr sehen.
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Sie mußten glauben, daß sich nur noch diejenigen an Bord aufhielten, die sich jetzt am Schanzkleid drängten: Al Conroy, der Kutscher, Will Thorne, Bill und der alte O'Flynn mit seinem Holzbein. Und natürlich Arwenack und Sir John, die die jähe Spannung zu spüren schienen, für den Augenblick das Kriegsbeil begraben hatten und sich bemerkenswert still verhielten. Ben Brighton atmete tief durch. Er, der Bootsmann und erste Offizier, hatte während Hasards Abwesenheit das Kommando an Bord. Der nächste Befehl kam ihm nur schwer über die Lippen, aber er wußte, daß er keine Wahl hatte. „Streicht die Flagge“, sagte er. „Wir übergeben das Schiff. Aber wartet einen Moment, bis ihr ins Boot geht, damit Shane, Sten und ich Zeit haben, uns in der Vorpiek einzunisten.“ 10. „Hölle und Verdammnis ...“ Ed Carberry flüsterte nur. Seine Kiefermuskeln traten wie Stränge hervor, und er zerrte wütend, aber vergeblich an den Stricken, die ihn an die Palme fesselten. Hasard tat das gleiche, obwohl er wußte, daß es sinnlos war. Was nutzte es ihnen, wenn es dem einen oder anderen gelang, sich zu befreien? Die Piraten brauchten nur ihre Musketen auf die anderen zu richten, und schon würde alles vorbei sein. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte Hasard Jean Morros Rücken an. Der Bretone stand breitbeinig am Strand und blickte zu der friedlich dümpelnden „Isabella“ hinüber. Auch die anderen Seewölfe konnten das Schiff beobachten. Sie sahen das Boot, dessen Vorleine an einer Sprosse der Jakobsleiter belegt war – und sie sahen die Männer, die einer nach dem anderen abenterten. Luke Morgan, der Kutscher und Al Conroy. Dann Bill, der Schiffsjunge, Will Thorne, der weißhaarige Segelmacher, und Old O'Flynn, der den anderen seine Krücken zugeworfen hatte und sich trotz
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seines Holzbeins verblüffend geschickt bewegte. Arwenacks aufgeregtes Keckern war selbst aus der Entfernung zu hören. Der Papagei Sir John flatterte eine Weile unschlüssig über dem Schanzkleid, dann stieß er ebenfalls auf das Boot hinunter und ließ sich auf Will Thornes Schulter nieder. Hasard kniff die Augen zusammen. Sein Blick hing am Schanzkleid der Kuhl. Er wartete auf Ben Brighton, Big Old Shane und Stenmark, aber niemand schwang sich mehr auf die Jakobsleiter. Das Boot legte ab. „He!“ zischte Ferris Tucker. „Das ist doch…“ „Still!“ murmelte Hasard mit einem warnenden Blick auf die Piraten, die sich in Hörweite befanden. Der rothaarige Schiffszimmermann verschluckte, was er noch hatte sagen wollen. Auch die anderen schwiegen. Sie alle starrten zu dem Boot hinüber, und als es den Strand erreichte, hatte auch der letzte begriffen, was das Fehlen von Ben Brighton, Shane und Stenmark bedeutete. Hasards blaue Augen funkelten flüchtig auf. Er sah zu Ferris Tucker hinüber. Der kniff die Lider zusammen und zog ganz leicht die Lippen von den Zähnen. „,Santa Barbara`“, flüsterte er nur. Und Hasard nickte knapp. Denn weder er noch Ferris noch einer der anderen, die dabei gewesen waren, hatten die Ereignisse auf der „Santa Barbara“ jemals vergessen. Es war die erste Prise gewesen, die der Seewolf als Kapitän gesegelt hatte. Und beinahe wäre es seine letzte geworden, denn die Spanier schienen mit ihrem tollkühnen Trick zunächst Erfolg zu haben. „Trojanisches Vorschiff“, hatte Hasard das völlig abgeschottete Versteck damals genannt, aus dem die Dons hervorgebrochen und über die ahnungslosen, vom Sturm völlig erschöpften Seewölfe hergefallen waren. Auf der „Isabella“ würde es vermutlich eine „trojanische Vorpiek“ geben. Dicht abschließen ließ sich dieses finstere Loch im Vorschiff des Schiffes nicht. Aber die
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Wahrscheinlichkeit war gering. daß Big Old Shane, Ben Brighton und Stenmark dort vor der Zeit entdeckt wurden. Hasard atmete tief durch. Er wußte, daß die Chancen schlecht standen. Aber die hatten schon öfter schlecht gestanden. Und drei Kerle, die notfalls dem Teufel selber den Sonntagsbraten aus der Hölle geklaut hätten, konnten vielleicht auch mit Jean Morro und seinen Halunken fertig werden. * „Nggrr!“ machte Batuti. Mehr konnte er nicht sagen, weil man ihm einen Knebel zwischen die Zähne gerammt hatte. Dan ging es nicht besser. Die beiden Männer stolperten vor ihren Bewachern her, die sie immer wieder mit Stößen und Tritten antrieben, und die hilflose Wut erstickte sie fast. Geknebelt waren sie, um ihnen die Möglichkeit zu nehmen, ihren Kameraden etwas zuzurufen. Dan O’Flynns blaue Augen waren fast schwarz vor Wut, als er die gefesselten Männer am Strand sah. Auch die Gruppe aus dem Boot war an Palmenstämme gebunden worden. Höhnisch grinsend hatte ihnen Jean Morro erklärt, daß sie es sicher schaffen würden, sich zu befreien, bevor sie verdurstet seien. Dan suchte Hasards Blick- und er runzelte die Stirn, als er in den eisblauen Augen des Seewolfs so etwas wie eine stumme Ermunterung las. Ein Stoß mit dem Lauf der Muskete ließ den blonden Jungen weiterstolpern. „Kch!“ machte Batuti dumpf, aber Dan achtete nicht darauf. Sein Blick war über die anderen Männer geflogen, deren Gesichter er im Schatten er Palmen erkennen konnte. Siebzehn Männer! Dan hatte gezählt, weil er wissen wollte, ob jemand fehlte, vielleicht getötet oder schwer verletzt worden war - und jetzt durchfuhr ihn der Schrecken wie eine Stichflamme. Siebzehn! Drei Mann zu wenig!
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Big Old Shane fehlte, Stenmark und Ben Brighton. Dans Magen krampfte sich zusammen. Er starrte Hasard an. Der Seewolf sicherte kurz in die Runde, stellte fest, daß die Piraten vollauf damit beschäftigt waren, in die Boote zu gehen und lächelte. Ein triumphierendes Lächeln. Ganz kürz mir, aber Dan O'Flynn wußte glasklar, daß der Seewolf so nicht gelächelt hätte, wenn einem seiner Männer auch nur ein Haar gekrümmt worden wäre. Ben Brighton, Shane und Stenmark lebten. Und wenn sie nicht hier waren, hieß das... Dan O'Flynn begriff. Ohne den Knebel, der ihn fast erstickte, hätte er jetzt vielleicht einen triumphierenden Pfiff ausgestoßen. So sah er nur Batuti an. Der schwarze Herkules hatte das Fehlen der drei Männer ebenfalls bemerkt. In seinen Augen lag ein Ausdruck von erschreckender Wildheit, und Dan schüttelte unauffällig den Kopf. Batuti runzelte die Stirn, hob fragend die Brauen und fürchte die Stirn noch heftiger. Im nächsten Augenblick unterbrachen die Piraten das stumme Zwiegespräch. Dan und Batuti wurden in eins der Boote gestoßen. Als es ablegte, hatte sich der mörderische Ausdruck in den Augen des riesigen Gambia-Negers etwas gemildert, und Dan wußte, daß auch sein Freund zu begreifen begann. Minuten später erreichten sie die „Isabella“ — ein verwaistes Schiff. So schien es wenigstens. Aber Dan und Batuti wußten, daß sich irgendwo im Bauch der Galeone drei zu allem entschlossene Männer verbargen — und daß sie zumindest noch eine Chance hatten. Die Gefangenen wurden vorerst an die Wanten gefesselt. Triumphgeschrei gellte über die Decks. Die Piraten nahmen die „Isabella“ in Besitz, verteilten sich, prüften, begutachteten, drängten sich vor allem um das Ruder, das sie in dieser Art noch nie gesehen hatten — und Dan mußte sich eingestehen, daß die Kerle zumindest etwas von der Seefahrt verstanden. Jean Morro hatte das Achterkastell in Besitz genommen.
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Valerio und Pepe le Moco waren hei ihm: die drei stellten offenbar so etwas wie die Schiffsführung dar. Zwei der Piraten waren im Kampf mit den Seewölfen getötet worden. Vierzehn Mann standen noch für die Bedienung des Dreimasters zur Verfügung. Sechzehn vielmehr, denn die Kerle hatten ja keinen Zweifel daran gelassen, daß auch die beiden Gefangenen würden schuften müssen. Trotzdem war die „Isabella“ hoffnungslos unterbemannt, und Dan fragte sich flüchtig, warum Jean Morro nicht noch mehr von der Insel mitnahm. Vermutlich weil er am eigenen Leibe erlebt hatte, wie die Seewölfe zu kämpfen verstanden. Zwei Gefangene, mochte er sich sagen, konnte er unter Kontrolle halten. Drei, vier oder gar noch mehr hätten ihn vor Probleme gestellt. Der Bretone war nicht dumm. Er unterschätzte einen Gegner nicht, er ging auf Nummer sicher, das zeigte sich auch daran, daß er nicht daran dachte, Dan und Batuti schon jetzt, in der Nähe der Insel, losbinden zu lassen. Er brauchte nicht lange, um sich mit der „Isabella“ vertraut zu machen. Das Ruder übernahm er selbst. Pepe le Moco teilte die Wachen ein, scheuchte die Männer auf ihre Plätze an Brassen und Fallen. Triumph glitzerte in den grauen Augen des Bretonen, und seine Stimme hallte laut über die Decks. „Heißt Großsegel, Fock und Besan! Esmeraldo, Jacahiro — ans Spill! Hoch mit dem Anker!“ „Anker aus dem Grund!“ ertönte es wenig später. Knatternd entfaltete sich das Segeltuch. Der Wind wehte ablandig, die „Isabella“ erhielt ihn raumschots. Leicht und elegant begann sie, nach Nordwesten zu gleiten, und Jean Morro ließ Marssegel und Blinde setzen. Unter Vollzeug rauschte die „Isabella“ davon. Der Bretone stand am Ruder. Sein graues Haar wehte, und das Funkeln in seinen Augen verriet, daß er sich bereits als Sieger fühlte.
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Erst als sie sich außer Rufweite der Insel befanden, übergab er das Ruder an den einäugigen Esmeraldo. Ein paar knappe Befehle ertönten. Pepe le Moco schlenderte mit einem breiten Grinsen auf die beiden Gefangenen zu. Als erstes nahm er ihnen die Knebel ab, darin zerschnitt er mit einem langen Entermesser ihre Fesseln. „So“, sagte er im Tonfall satter Zufriedenheit. „Jetzt dürft ihr anfangen, euch euer Fressen zu verdienen. Aber ein bißchen plötzlich, wenn ihr nicht die Neunschwänzige zu spüren kriegen wollt!“ * Die Seewölfe zerrten keuchend an den Stricken, die sie an die Palmenstämme fesselten. Ed Carberry fluchte, daß der Teufel errötet wäre. Ferris Tuckers Schläfenadern traten hervor, und der Atem pfiff scharf über seine Lippen. Sie alle wußten, daß es im Grunde sinnlos war und sie nichts mehr ändern konnten, aber der ohnmächtige Zorn verdoppelte ihre Kräfte. Hasard spürte, wie der Palmenstamm in seinem Rücken nachgab. Eine ziemlich junge Palme, wie er festgestellt hatte. Es war leichter, sie zu entwurzeln, als die Stricke zu zerreißen. Hasard spannte die Muskeln, stemmte die Füße gegen den Boden, warf sich mit aller Kraft nach vorn —und diesmal begann die Palme zu kippen. Hasard hing schräg an dem knirschenden, ächzenden Baum. Und er spürte bereits, wie sich die Fesseln nach oben verschoben, wo sich der Stamm verjüngte. Noch einmal bäumte sich der Seewolf auf, warf sich diesmal nach rechts und landete mitsamt der Palme am Boden. Trotzdem brauchte er noch eine Viertelstunde, um sich endgültig zu befreien. Er zerschnitt sich Arme und Hände an den scharfen Palmwedeln, sah aus, als habe er auf einer Schlachtbank gewühlt, aber der brennende Schmerz drang kaum in sein Bewußtsein. Er mußte wissen, welchen
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Kurs die „Isabella“ nahm. Hastig schüttelte er die Reste der nur noch lose um seine Gelenke hängenden Stricke ab, sprang auf und rannte durch den kühlen Palmenschatten zum Westzipfel der Insel. „Hasard!“ hörte er Carberrys Donnerstimme hinter sich. „Himmel, Arsch und Kabelgarn, willst du nicht erst mal ...“ „Später!“ schrie der Seewolf zurück. Geschickt wie eine Katze turnte. er über die roten Felsen. Daß er sich an den sonnendurchglühten Steinen die Finger verbrannte, bemerkte er kaum. Minuten später kauerte er hoch oben auf einem steil aufragenden Felsblock und suchte mit zusammengekniffenen Augen die glitzernde, in der Sonne von unzähligen flirrenden Lichtreflexen sprühende See ab. Die „Isabella VIII.“ war nur noch ein Flecken, fast verschwimmend im Sonnenglast. Die Kerle hatten Vollzeug gesetzt. Über Backbordbug liegend segelte sie mit halben Wind nach Norden. Immer kleiner wurde sie, und schließlich schien sie sich in den opalisierenden Hitzeschleiern über der Kimm aufzulösen. Hasard wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und war sich nicht bewußt, daß er das Blut aus den vielen kleinen Schnittwunden auf seinem Gesicht verteilte. Er starrte immer noch nach Norden. Seine Augen waren sehr kalt und sehr hart. Und jeder, der ihn in diesen Sekunden gesehen hätte, wäre wohl zurückgeschreckt vor der Intensität dieses wilden eisblauen Blicks. In Philip Hasard Killigrews Gesicht zuckte kein Muskel. Seine Züge waren wie versteinert, und seine Stimme klang leise, tonlos, fast unhörbar.. „Jean Morro“, flüsterte er. Mehr nicht. Aber es klang wie ein Schwur. Hasard war sicher, daß er Jean Morro noch einmal begegnen würde — und dann würde der Bretone bereuen, sich jemals mit dem Seewolf angelegt zu haben...
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