Dieter Rucht · Mundo Yang · Ann Zimmermann Politische Diskurse im Internet und in Zeitungen
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Dieter Rucht · Mundo Yang · Ann Zimmermann Politische Diskurse im Internet und in Zeitungen
Dieter Rucht · Mundo Yang Ann Zimmermann
Politische Diskurse im Internet und in Zeitungen Das Beispiel Genfood
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frank Schindler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15942-3
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Inhalt
Vorwort
11
Einleitung
13
1
19
Theoretische Grundlagen und Forschungsstand
1.1 Öffentliche Diskurse 1.2 Besonderheiten der Internet-Kommunikation – Diskussions- und Forschungsstand
19
2
31
Der Risikodiskurs um Genfood
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
22
Risikokommunikation Allgemeine Aspekte der Genfood-Debatte Anwendungen und Risiken der grünen Gentechnik Politische Kontroversen um direkte Folgen der grünen Genforschung Kontroversen um wirtschaftliche und soziale Folgen Kontroversen um Landwirtschaft, Lebensmittelmarkt und Verbraucherrechte 2.7 Der politische Regulierungsdiskurs 2.8 Genfood als eigenständiges und vielschichtiges Politikfeld
31 34 41 45 48
3
Empirische Untersuchungen
63
3.1 3.2 3.3 3.4
Untersuchungshypothesen Methodische Konzeption der Studie Kategorienbildung Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten 3.4.1 Untersuchungsdesign 3.4.2 Auswertung der Textanalyse 3.4.3 Zusammenfassung der Textanalyse: Konstruktionen von Genfood in Zeitungsartikeln und Internet-Texten
63 65 69 76 76 80
52 55 60
136
6
Inhalt
3.5 Hyperlinkanalyse 3.5.1 Untersuchungsdesign 3.5.2 Ergebnisse 3.5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der Hyperlinkanalyse 3.6 Webseitenanalyse 3.6.1 Untersuchungsdesign 3.6.2 Auswertung der Webseiten 3.6.3 Zusammenfassung der Webseitenanalyse
142 142 149 165 165 166 167 174
4
177
Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse
4.1 Zu den Untersuchungshypothesen 4.2 Reflexionen zur Methode und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse
178 181
5
185
Fazit
Anhang A: Auswahl der Suchbegriffe
187
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen
193
Literaturverzeichnis
211
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Protestereignisse zu Gentechnik und Landwirtschaft Abbildung 2: Berichterstattung über Genfood in der TAZ, 1992 bis 2005 Abbildung 3: Das dreistufige Untersuchungsdesign Abbildung 4: Anzahl der Artikel zum Thema Genfood in den Zeitungen Abbildung 5: Adressaten (Y-Achse), an die sich die Sprecher (X-Achse) im Internet und in den Zeitungen wenden, nach Akteursgruppen Abbildung 6: Adressaten (Y-Achse), an die sich die Sprecher (X-Achse) im Internet und in den Zeitungen wenden, nach geographischen Bezügen Abbildung 7: Objektakteure (Y-Achse) der Forderungen/Handlungen der Sprecher (X-Achse) im Internet und in den Zeitungen nach Akteursgruppen Abbildung 8: Objektakteure (Y-Achse), für die die Forderungen/Handlungen der Sprecher (X-Achse) Konsequenzen haben, im Internet und in den Zeitungen nach geographischen Bezügen Abbildung 9: Struktur der Hyperlinks nach Akteurskategorien Abbildung 10: Struktur der Hyperlinks nach Herkunftsländern Abbildung 11: Ausschöpfung unterschiedlicher Medienformate Abbildung 12: Interaktivität der untersuchten Webseiten
37 40 68 86
110
114
116
118 161 163 170 174
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14:
Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25:
Internet-Texte nach Anbietern in Akteurskategorien Übersicht zur Datenstruktur der Textanalyse Texttypen im Internet und in den Zeitungen Tendenz der Texte zum Thema Genfood Texttendenz zu Genfood nach Suchwortkombinationen und Zeitungen (Häufigkeiten) Anteil von Texten mit Hyperlinks nach Ziel und Position Politische Sprecher/Handelnde nach Akteurskategorien Internet-Texte nach geographischem Bezug ihrer Anbieter Politische Sprecher/Handelnde nach geographischem Bezug Bewertung der Adressaten durch die Sprecher nach Akteursgruppen im Internet und in den Zeitungen Bewertung der Adressaten durch die Sprecher nach geographischen Bezügen im Internet und in den Zeitungen Objektakteure in der Kategorie „Sonstige“ im Internet und in den Zeitungen Art der Wirkung der Forderung/Handlung auf die Objektakteure im Internet und in den Zeitungen Art der Wirkung der Forderung/Handlung der Sprecher auf die Objektakteure nach geographischen Bezügen der Akteure im Internet und in den Zeitungen Formen politischer Stellungnahmen Unterthemen von Genfood Geographischer Bezug der Unterthemen von Genfood Positive und negative Frames in der Debatte um Genfood Tendenz der Unterthemen zu Genfood Verhältnis von Texttendenz und Positionierung zu Einzelthemen Anbieter aus dem ersten Download der Textanalyse Auswertung der erhobenen Hyperlinks Freeman’s degree centrality measures der Ausgangsakteure Freeman’s degree centrality measures der Zielakteure Ausgangsakteure nach Akteurskategorien
83 91 94 95 97 99 100 106 107 112 115 116 117
119 120 122 124 131 133 134 145 148 151 152 154
Tabellenverzeichnis Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37: Tabelle 38: Tabelle 39: Tabelle 40:
Zielakteure und eingehende Hyperlinks nach Akteurskategorien Ausgangsakteure nach Herkunftsland Zielakteure nach Herkunftsland Ausgangsakteure nach Haltung zum Thema Genfood Zielakteure nach Haltung zum Thema Genfood Ausgangsakteure nach Bedeutung des Themas Genfood Zielakteure nach Bedeutung des Themas Genfood Hyperlinkstruktur nach Akteurskategorien Hyperlinkstruktur nach Herkunftsländern Hyperlinkstruktur nach Positionen zu Genfood Hyperlinkstruktur nach Akteurskategorien und Position Herkunft der ausgewählten Untersuchungseinheiten Geographischer Bezug der Anbieter Suchwortliste Auswahl der Suchwortkombinationen zum Thema Genfood
9
155 156 157 158 158 159 159 160 162 164 164 167 168 189 191
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Vorwort
Diese Studie beruht in ihrem Kern auf einem Gutachten, das die Autoren im Auftrag des Deutschen Bundestages, vermittelt durch das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, im November 2004 vorgelegt haben. Allerdings geht der nun präsentierte Band in mehrfacher Hinsicht über das ursprüngliche Gutachten hinaus. Zum ersten wurde die empirische Untersuchung der medialen Thematisierung und Problematisierung von Genfood in einen breiteren Rahmen gestellt. Hierzu gehört eine im Vergleich zum Gutachten umfassendere Diskussion des Forschungsstands zur Risikokommunikation sowie zu den wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen um Genfood. Zum zweiten haben wir an einigen Stellen die empirische Analyse verfeinert und vertieft. Schließlich wurden im Schlusskapitel unsere Ergebnisse im Lichte anderer einschlägiger Studien, auch wenn diese nicht Genfood zum Gegenstand hatten, diskutiert. Wir danken dem Deutschen Bundestag und speziell dem dort angesiedelten Büro für Technikfolgenabschätzung, dass sie diese Studie ermöglicht und auch zur Publikation freigegeben haben. Wir sind zudem dankbar dafür, dass uns am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung die Bedingungen geboten wurden, um eine derartige Studie bzw. die darauf aufbauende Buchpublikation anzufertigen. Berlin, im Oktober 2007 Dieter Rucht, Mundo Yang, Ann Zimmermann
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Einleitung
Einzelne Vorteile des Internet stehen außer Zweifel. Man denke etwa an den schnellen Zugriff auf eine nahezu unendliche Fülle von angebotenen Informationen, die weltweit mögliche und bequeme Kommunikation per e-mail sowie die kommerzielle Nutzung des Netzes für Preisvergleiche und den Kauf bzw. die Verbreitung von Gütern und Diensten. Daneben wird das Internet, ursprünglich „eine US-amerikanische Erfindung aus der Zeit des Kalten Krieges“ (Ramonet 2005: 1), aber auch als ein Medium der politischen Kommunikation und vor allem der offenen, diskursiven und egalitären Meinungsbildung gepriesen. „Vom Internet wird erwartet, es werde ein ideales Instrument zur Förderung der Demokratie sein – und diese Erwartung gibt es noch immer.“ (Castells 2005: 165) Vielfach wird behauptet oder zumindest vermutet, das Internet habe eine Reihe von Eigenschaften, die einer aktiven Teilnahme der Bürgerschaft an öffentlichen politischen Debatten besonders förderlich seien. Insbesondere biete das Internet im Vergleich zu anderen Medien den Raum für ein breiteres Spektrum von Sprechern bzw. Akteuren, bilde damit auch ein differenzierteres Meinungsspektrum ab und erlaube insgesamt eine dezentrale und interaktive Kommunikation. Damit würden, so eine These, die Möglichkeiten für „civic learning and engagement“ vervielfacht (Bimber 2000: 323) und die Zivilgesellschaft gestärkt.1 Zudem ermögliche das Internet, mit den herkömmlichen Medien kritischer umzugehen: „The monopoly of the traditional mass media will erode. No longer will the news editors and anchorpersons of television networks and newspapers solely determine what the mass audience learns and thinks about current events. An increasingly skeptical audience will be able to compare raw news reports with the predigested, incomplete, out-of-context and sometimes biased renditions offered by televisions and newspapers.”2 Im Sinne der demokratischen Teilhabe informierter und aktiver Bürgerinnen und Bürger wären all dies wünschenswerte Effekte. Aber stimmen diese Annahmen? Stellt das Internet jenen offenen Kommunikationsraum dar, in dem ein
1
„The Internet has become a vitally important arena for civil society. While more powerful political and economic interests dominate traditional media, the Internet has allowed the voices of the ordinary citizens and organisations lacking strong financial resources to be heard.“ (GreenNet ULR, zit. nach Naughton 2001: 154) 2 Charles Swett, ein Angestellter des Pentagon, zitiert nach Ferdinand (2000: 179).
14
Einleitung
breitenwirksamer und wahrhaft authentischer, offener und machtfreier politischer Diskurs stattfinden kann?3 Nach unserem Kenntnisstand liegen bisher kaum empirische Studien vor, in denen die Themen, Sprecher, Positionen/Meinungen sowie die Bezugnahme von Sprechern aufeinander im Kommunikationsraum Internet mit dem von herkömmlichen Medien, insbesondere Zeitungen, verglichen würden. Hier liegt der Ansatzpunkt unserer Arbeit. Wir wollten den vermuteten Annahmen über die Vorzüge des Internet im Rahmen einer überwiegend quantitativ ausgerichteten Analyse der Kommunikation zu einem kontroversen Thema im deutschsprachigen Raum nachgehen. Den Impuls dazu gab der Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags. Er hatte, vermittelt durch das dem Bundestag zugeordnete Büro für Technikfolgen-Abschätzung, eine Projektausschreibung zum Thema „Analyse netzbasierter Kommunikation unter kulturellen Aspekten“ vorgenommen. Die bereits in einer ersten Phase erstellten Gutachten, die vor allem den aktuellen Stand der Forschung zu bilanzieren hatten, sollten in einer zweiten Phase „durch empirische Untersuchungen netzbasierter Kommunikation ergänzt werden.“4 Die leitende Fragestellung der Ausschreibung zielte auf die Einschätzung der „Möglichkeiten und Auswirkungen des Internet hinsichtlich neuer Formen der Information, Kommunikation und Kooperation in Kultur und Politik“. Teilfragen richteten sich auf:
3
die Veränderung der technischen und ökonomischen Grundlagen medialer Öffentlichkeit und deren Bedeutung für die Gestaltungs- und Interaktionsmöglichkeiten von Individuen sowie politischen Organisationen und soziokulturellen Gruppen, die neuen Möglichkeiten kultureller Selbstentfaltung und Teilhabe, des Wissenserwerbs sowie netzbasierter Interaktion für die Qualität politischer Diskurse, für Partizipationsansprüche und das Ziel der Chancengleichheit bei Information und Bildung, die Untersuchung der These vom Internet als einer neuen Form politischer Öffentlichkeit.
Skeptische Kommentare mehren sich in jüngster Zeit, basieren jedoch im Allgemeinen auf Common Sense-Argumenten oder einzelnen empirischen Illustrationen (z.B. Ayres 2000). 4 In einem ersten obligatorischen Schritt war eine Kartierung ausgewählter politischer Diskurse (Modul 1) gefordert. In zwei weiteren optionalen Vertiefungsschritten konnte eine vergleichende Nutzeranalyse ausgesuchter Angebote im Netz (Modul 2) sowie eine Inhaltsanalyse ausgewählter Angebote, die im Modul 1 als besonders interessant erkannt wurden, erstellt werden.
Einleitung
15
Auf diese Ausschreibung haben wir mit einem Angebot reagiert, aus dem die Auftragsstudie hervorgegangen ist. Diese bildet wiederum die Grundlage für die hier in Buchform vorgelegte erweiterte Studie. Wir haben uns letztlich dazu entschieden, die vom Auftraggeber gestellten Fragen am Beispiel des Diskurses zum Thema Genfood zu untersuchen. Es handelte sich dabei lediglich um eine thematische Option neben anderen (z.B. neben dem Zuwanderungsgesetz), die den geforderten bzw. nahe liegenden Auswahlkriterien entsprach, nämlich:
thematisch relativ klar abgrenzbar, Gegenstand aktueller Debatten („Echtzeitrecherche“, da ansonsten die Internet-Kommunikation nicht oder nur in teilweise zufälligen Ausschnitten rekonstruierbar wäre), den Handlungsbereich des Deutschen Bundestages berührend, eine breitere Öffentlichkeit ansprechend.
Die Festlegung auf das Thema Genfood erfolgte in Absprache mit dem Auftraggeber der Studie. Für uns stand dabei nicht das Thema also solches im Mittelpunkt, also weder die im Einzelnen eingenommenen Positionen, vorgebrachten Argumente und eingeschlagenen Kommunikationsstrategien, noch die damit verbundenen bzw. daraus hervorgehenden politischen Entscheidungen. Vielmehr galt es, die vermutete Besonderheit der Internet-Kommunikation exemplarisch an einem kontroversen Thema zu untersuchen5, das es uns erlauben sollte, die gestellten Fragen – im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten und bezogen auf ein Fallbeispiel – zu beantworten. Den Ausgangspunkt dazu bildeten insbesondere folgende Annahmen über Spezifika des Internet:
Auch ressourcenschwache politische Akteure können mit ihren Anliegen eine relativ breite Öffentlichkeit erreichen. Ansonsten eher randständige und wenig beachtete Themen können größere Sichtbarkeit erlangen. Im Vergleich zu den herkömmlichen Massenmedien bietet die netzbasierte Kommunikation ein breiteres argumentatives Spektrum im Rahmen politischer Diskurse. Es wird eine interaktive und dezentrale Kommunikation weitgehend ohne Ansehen der Person bzw. Gruppe ermöglicht.
Diese Fragen, so unsere zentrale forschungsstrategische Überlegung, lassen sich nicht durch den – zumeist üblichen – isolierten und teilweise durch Wunschden5 Damit stellt sich die Frage der Repräsentativität des gewählten Diskursgegenstands für politische Diskurse schlechthin. Wir kommen auf diese Frage in Kapitel 4 zurück.
16
Einleitung
ken getrübten Blick auf Internet-Kommunikation, sondern nur durch den systematischen Vergleich der Kommunikation im Internet und in etablierten Medien (hier: Zeitungen) beantworten. Obgleich die Analyse netzbasierter Kommunikation im Zentrum des Interesses steht, gelten somit doch erhebliche Energien auch der Analyse des Diskurses in herkömmlichen Medien. Im Einzelnen wird anhand eines Themenfeldes und bezogen auf die beiden Gattungen der Online- und Offline-Kommunikation untersucht,
ob und wie sich das Spektrum der Akteure unterscheidet, ob und wie sich die Interaktion zwischen Kommunikationsteilnehmern unterscheidet, ob und wie sich die Informationsangebote unterscheiden, ob und wie sich das Spektrum an Subthemen und Argumenten unterscheidet, welche Diffusionseffekte und expliziten Verweise zwischen beiden Mediengattungen vorliegen.
Analysiert wurden Texte, Links und Webseiten im Internet sowie Texte in Zeitungen innerhalb eines Zeitraums von zehn Wochen im Sommer 2004. Dabei haben wir hinsichtlich der Internetanalyse teilweise innovative methodische Wege beschritten, da für diese Art von Untersuchung keine ausgereiften und weithin praktizierten Verfahren bereit stehen. Diese Verfahren sowie ihre Voraussetzungen und Begründungen werden zunächst in einem Überblick zum methodischen Vorgehen erläutert (3.2 und 3.3). Weitere, den drei zentralen Untersuchungsblöcken vorangehende methodische Ausführungen beschreiben diese Schritte dann im Einzelnen. Der Einleitung zu dieser Studie folgt als erstes ein Kapitel zu den theoretischen Grundlagen und dem Forschungsstand unserer Thematik. Das zweite Kapitel gibt einen Überblick zu Fragen der Risikokommunikation und insbesondere der Auseinandersetzung um Genfood in den wichtigsten Arenen (Wissenschaft, Öffentlichkeit, regulative Politik). Das zentrale und mit Abstand umfangreichste dritte Kapitel ist unserer empirischen Primäruntersuchung gewidmet. Den Bemerkungen zum Untersuchungsdesign und methodischen Vorgehen folgen die drei an jeweils verschiedenen Untersuchungsweisen orientierten Blöcke: (1) die Inhaltsanalyse von Texten im Internet und in Zeitungen, (2) die Hyperlinkanalyse und (3) die Webseitenanalyse. Im abschließenden vierten Kapitel werden die Befunde im Lichte der anfangs vorgestellten Fragen und Hypothesen eingeordnet und interpretiert, hinsichtlich ihrer Verallgemeinerbarkeit bewertet und mit den Ergebnissen anderer Studien verglichen.
Einleitung
17
Wir gehen nicht davon aus, mit dieser Studie definitive Antworten bieten zu können, bleibt sie doch auf ein Sachthema (Genfood), einen Sprachraum (deutsch), eine kurze Zeitspanne (Sommer 2004) und relativ kleine Ausschnitte (z.B. bestimmt durch eine Suchmaschine) aus der Vielzahl der Medienangebote beschränkt. Immerhin legen wir innerhalb dieses engen Rahmens empirisch fundierte Ergebnisse vor, deren Untersuchung in anderen und weiter gespannten Feldern wünschens- und lohnenswert erscheint. Zudem zeichnen wir im Hinblick auf die Untersuchung der politischen Potentiale des Internet methodische Wege auf, die künftige Arbeiten inspirieren könnten.
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1 Theoretische Grundlagen und Forschungsstand 1 Theoretische Grundlagen und Forschungsstand
Fragt man nach der Art und Weise, in der das Internet politische Kommunikationsprozesse verändert, so ist zunächst zu klären, auf welche spezifische Form von politischer Kommunikation man sich bezieht. Den Gegenstand unserer Untersuchung bildet politische Kommunikation im Sinne solcher Diskurse. Nach der Darstellung der Funktionen und Strukturen öffentlicher Diskurse in modernen demokratischen Gesellschaften (vgl. 1.1) wenden wir uns der Frage zu, wie das Internet diese Strukturen verändern könnte (vgl. 1.2). Anhand eines Überblicks über die wissenschaftliche Diskussion werden positive und negative Erwartungen aufgezeigt, die mit dem neuen Medium verbunden werden. Vor dem Hintergrund einer kritischen Diskussion des empirischen Forschungsstands wird das eigene methodische Vorgehen skizziert.
1.1 Öffentliche Diskurse 1.1 Öffentliche Diskurse Öffentlichkeit ist nicht gleich Öffentlichkeit. In autoritären oder diktatorischen Systemen fungiert sie als ein Raum der symbolischer Machtdarstellung und staatlich gelenkter Agitation. Da freie Themenwahl und erst recht freie Meinungsäußerung unterbunden werden, besteht Öffentlichkeit lediglich im Sinne eines für alle sichtbaren Podiums. Was dort stattfindet, ist einer strengen Regie unterworfen. Teilweise wird sogar die Bevölkerung verpflichtet, an öffentlichen Darstellungen als Komparsen oder Zuschauer teilzunehmen. In demokratischen Systemen dagegen ist Öffentlichkeit ein Raum, in dem sich Kommunikationsprozesse relativ frei entwickeln können. Öffentlichkeit ist somit eine Art Marktplatz für Kommunikationen. Der Zugang von Publikum und Sprechern, die Themenwahl und die Positionen zu den Themen unterliegen im Prinzip und somit idealiter keinen Restriktionen, wenngleich, weitgehend verdeckt, Vermachtungsprozesse in demokratischen Öffentlichkeiten erkennbar sind (Habermas 1962). In der autoritär reglementierten wie der liberal strukturierten Form wird Öffentlichkeit mit der Metapher eines Raums umschrieben. Zugleich wird in demokratischen Kontexten der Begriff Öffentlichkeit im Sinne eines Makroakteurs verwendet, der in bestimmten Situationen eine konsonante Position entwickelt, um etwa einen Skandal anzuprangern oder sich dem Machthunger einer Regierung entgegen zu stellen. Schließlich bezeichnet – durchaus missverständlich – Öffentlichkeit bzw. öffentliche Meinung das Aggregat von in Umfragen ermittelten
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1 Theoretische Grundlagen und Forschungsstand
individuellen Auffassungen und Positionen zu einem Thema, obgleich diese Individualmeinungen nicht an die Öffentlichkeit gerichtet und im Hinblick auf öffentliche Resonanzen kalkuliert wurden. Im Kontext unserer Fragestellung beziehen wir uns auf Öffentlichkeit als einen Raum, in dem sich eine Vielzahl von individuellen und kollektiven Sprechern zu Themen meldet, die weithin als res publica, als öffentliche Angelegenheiten, gelten und deshalb auch vor einem prinzipiell unabgeschlossenen Publikum verhandelt werden. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass sich dieses Publikum aus praktischen Gründen – zum Beispiel aufgrund der Kapazitätsgrenzen physischer Räume – als limitiert erweist. Gerhards und Neidhart (1990) folgend können drei Ebenen von Öffentlichkeit unterschieden werden: (1) weitgehend unstrukturierte Interaktionsöffentlichkeiten kleiner Gruppen ohne feste Rollenverteilung (z.B. Kneipen, Wartezimmer, Plätze vor Imbissbuden), (2) Veranstaltungsöffentlichkeiten, die einen organisierten Rahmen mit zugeteilten Rollen für Moderatoren, Vortragende, Publikum usw. bieten; (3) massenmediale Öffentlichkeiten, in denen relativ wenige Sprecher einem großen, nicht miteinander interagierenden Publikum gegenüber stehen und die Themen und Rollen durch einen professionalisierten Apparat bestimmt werden. Kategoriale Unterscheidungen dieser Art und daran anknüpfende Überlegungen sind durchaus vorhanden, doch ist insgesamt zu konstatieren, dass eine Soziologie der Öffentlichkeit noch relativ wenig zu bieten hat. Wichtige Anfänge sind jedoch gemacht (Luhmann 1990; 1995; Neidhardt 1994a; 1994b; 2000; Peters 1994). Empirische Forschungen, die sich vergleichend den Voraussetzungen, Strukturen und Wirkungen dieser drei Öffentlichkeitsformen zuwenden, sind nicht vorhanden. Anders verhält es sich dagegen im Hinblick auf die Massenmedien. Das ist nicht erstaunlich, sind sie doch hinsichtlich der Themen und Sprecher, der Größe des Publikums und der Zeit, die das Publikum für den Medienkonsum investiert, die mit weitem Abstand bedeutendste Form von Öffentlichkeit, insbesondere der politischen Öffentlichkeit (Gerhards 1991). Massenmedien sind für nahezu alle Arten von politischen Akteuren unumgänglich und nicht zuletzt deshalb auch ein Objekt politischer Regulierung. Zudem sind sie ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor als eigenständiger Arbeitsmarkt mit ausdifferenzierten Professionsrollen. Entsprechend ihrer großen Bedeutung bilden Massenmedien auch einen zentralen Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung, namentlich der Mediensoziologie und der Kommunikationswissenschaft, die ihrerseits wiederum in spezifische Felder, z.B. Zeitungswissenschaft, Medienwirkungsforschung usw. ausdifferenziert ist (für einen Überblick siehe Jarren/Sarcinelli/Saxer 1998; Pürer 2003). Medienwissenschaft und Kommunikationswissenschaft haben überzeugend dargelegt, dass Massenmedien nicht einfach Realität widerspiegeln (z.B. Tuch-
1.1 Öffentliche Diskurse
21
mann 1978). Obgleich ein „Fenster zur Welt“, sind Medien doch mehr als nur ein Rahmen, der den Bildausschnitt bestimmt. Sie sind vielmehr Konstrukteure eines Bildes, das sie selbst nur sehr partiell aus erster Hand, d.h. als Augenzeugen gewinnen. Und selbst wo sie dies tun, sind – wie bei jeder Beobachtung – immer schon vorgängige Selektions- und Deutungsmuster am Werk, die in die Realitätskonstruktion einfließen. In einer kurzen Formel: media are not mirrors but moulders. Massenmedium ist nicht gleich Massenmedium. Die mediale Wirklichkeitskonstruktion, die ja nicht einfach Fiktion ist, sondern an erfahrbare und teilweise nachprüfbare Tatsachen und Vorgänge rückgebunden bleibt, ist auch von den Besonderheiten des jeweiligen Mediums – insbesondere Zeitungen, Radio, Fernsehen, Film und Internet – geprägt. Und selbst innerhalb dieser Mediengattungen bestehen wiederum Strukturunterschiede (z.B. öffentlich-rechtliches vs. privates Fernsehen; Qualitätszeitung vs. Boulevardzeitung), die die Auswahl und Präsentation der Themen beeinflussen. Ein großer Teil des Themenangebots der Massenmedien hat einen unterhaltenden oder Unterhaltung und Information verbindenden Charakter (infotainment). Ein anderer Teil zielt darauf, kontroverse Positionen und Argumente zu bestimmten Themen wiederzugeben und auch – mehr oder weniger offen – von Medien selbst vertretene Meinungen zur Geltung zu bringen. In diesem Zusammenhang kann von öffentlichen bzw. spezifischer: massenmedialen Diskursen gesprochen werden. Allerdings wird damit ein anspruchsloser Begriff von Diskurs verwendet, der im Regelfall nicht den Voraussetzungen von Habermas’ Diskurs entspricht. Öffentlicher Diskurs bedeutet nicht mehr als eine in der Öffentlichkeit ausgetragene Debatte um ein kontroverses Thema, sei es um die Ästhetik eines auf dem Marktplatz ausgestellten Kunstobjekts, sei es um die Vor- und Nachteile der neoliberalen Globalisierungsstrategie. Eingeschlossen ist auch der zumeist latent bleibende Sachverhalt, dass viele Meinungsäußerungen nicht als solche explizit kenntlich sind (z.B. in der Rubrik „Kommentar“), sondern auch im Gewande eines Faktenberichts, z.B. einer Nachrichtensendung, vorkommen (van Dijk 1998). Diskurse werden in wissenschaftlichen Kontexten durch Diskursanalysen erschlossen. Mit diesem Sammelbegriff werden jedoch höchst unterschiedliche theoretische Zugänge und empirische Verfahren benannt, die hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden sollen. Sie können sich u.a. auf Alltagsgespräche, wissenschaftliche Auseinandersetzungen, parlamentarische Debatten und massenmediale Thematisierungen von Konfliktthemen beziehen, können qualitativ oder quantitativ angelegt sein oder beide Elemente verbinden; können auf die Erhebung formaler oder stärker inhaltlicher Merkmale abzielen usw. Hierzu gibt es eine Fülle von Literatur und einen reichen Erfahrungsschatz auch hinsichtlich
22
1 Theoretische Grundlagen und Forschungsstand
der methodischen Zugänge. In unserem Zusammenhang ist die quantitative Inhaltsanalyse von politischen Diskursen von besonderem Interesse. Auch hierzu liegen zahlreiche Studien vor (Weßler 1999; Gerhards/Neidhardt/Rucht 1998; Ferree et al. 2002). Allerdings gibt es kaum Studien, in denen themenzentrierte Diskurse im Internet und in anderen Mediengattungen miteinander verglichen werden. Und noch seltener sind derartige Vergleiche, die das Internet als eine Gattung einbeziehen würden, zumal es aufgrund seiner besonderen Eigenschaften besondere Probleme aufwirft, da es, im Unterschied zu einzelnen Zeitungen oder Rundfunksendungen, einen tief gestaffelten und nahezu unendlichen Kommunikationsraum darstellt, der besondere Anforderungen an die Prinzipien und Verfahren der Auswahl des zu untersuchenden Diskursmaterials stellt. Dieser Herausforderung suchen wir uns im Rahmen unserer bescheidenen Möglichkeiten zu stellen.
1.2 Besonderheiten der Internet-Kommunikation – Diskussions- und Forschungsstand 1.2 Besonderheiten der Internet-Kommunikation Das Internet, obgleich im wissenschaftlichen und militärischen Bereich schon länger verfügbar, hat sich als Massenmedium erst ab Mitte der 1990er Jahre, dann allerdings in enormem Tempo, verbreitet. Laut der im Frühjahr 2005 durchgeführten ARD/ZDF-Online-Studie nutzten zu diesem Zeitpunkt 58 Prozent der Erwachsenen in Deutschland das Internet (Eimeren/Frees 2005). Damit liegt Deutschland im Mittelfeld der europäischen Länder.6 Experten gehen allerdings davon aus, dass das Internet – ähnlich wie schon heute das Telefon – längerfristig von 95 Prozent der Bevölkerung genutzt werden wird. Diese Erfolgsgeschichte legt die Annahme nahe, das Internet biete eine Reihe von Vorteilen, die herkömmliche Medien nicht oder nur in weitaus geringerem Maße aufweisen. Einige dieser Vorteile, darunter die niedrigen Kosten, die Möglichkeit des raschen Zugriffs auf riesige Informationsbestände und Adressatenkreise sowie das ortsunabhängige Senden und Empfangen von Mitteilungen, liegen auf der Hand. Hinsichtlich anderer Möglichkeiten des Internet bestehen schon aufgrund seiner kurzen Existenz als Massenmedium erhebliche Unsicherheiten. Das betrifft (1) sein Potential als Medium der politischen Information, Partizipation und Mobilisierung, (2) seinen Beitrag zu mehr Chancen6
Nach einer Eurostat-Umfrage im Jahr 2005 benutzten in Deutschland 54 % der Personen im Alter von 16 bis 74 Jahren das Internet mindestens einmal pro Woche. EU-weit lag der entsprechende durchschnittliche Anteil bei 43 % (EU 25) bzw. 46 % (EU 15) (http://epp.eurostat.cec.eu.int/portal/ page?_pageid=1996,39140985&_dad=portal&_schema=PORTAL&screen=detailref&language=de& product=Yearlies_new_science_technology&root=Yearlies_new_science_technology/I/I5/ecb125 60).
1.2 Besonderheiten der Internet-Kommunikation
23
gleichheit für alle Arten von wirtschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und politischen Akteuren sowie (3) den Grad der Nutzung interaktiver und dezentraler netzbasierter Kommunikationsformen. Hierzu finden sich auf der einen Seite euphorische Erwartungen, auf der anderen Seite aber grundlegende Skepsis. Die Mehrzahl der vorliegenden Darstellungen der wissenschaftlichen Debatte um das politische Potential des Internet zeigt die Positionen dementsprechend entlang eines bipolaren Kontinuums auf, beispielsweise zwischen Utopisten und Dystopisten (Fisher/Wright 2001) oder Euphorikern und Skeptikern (Donges 2000). Die Positionen, die innerhalb der Debatte eingenommen werden, lassen sich hinsichtlich der Frage nach der Macht- und Herrschaftsrelevanz des Internet anhand von drei Theoremen unterscheiden (vgl. Bühl 1998: 353f.): (1) das Demokratisierungstheorem, dem zufolge das Internet zur Demokratisierung gesellschaftlicher Strukturen führt; (2) das Reproduktionstheorem, gemäß dem das Internet ein Spiegel der Realwelt ist, der die Herrschaftsverhältnisse in der wirklichen Welt im virtuellen Raum abbildet, und (3) das Potenzierungstheorem, nach dem das Internet zu einer neuen Stufe der Machtkonzentration durch die Vertiefung und Potenzierung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse führt. Innerhalb der Debatte scheinen sich die extremen Positionen – ob positiv oder negativ – seit einigen Jahren jedoch abzuschwächen, sodass differenzierende und faktengestützte Meinungen und Annahmen an Gewicht gewinnen (Leggewie/ Bieber 2001; Papacharissi 2002; Agre 2002; Barnett 1997; Marschall 1999; Donges 1999). Gespalten ist die Diskussion auch hinsichtlich des Internet als eines Mediums der politischen Information und Partizipation. Zugespitzt lautet die Kernfrage: Verändert das Internet die Bedingungen politischer Kommunikation in dem Sinne, dass die Bürgerschaft breiter und besser informiert ist und sich aktiver an politischen Diskursen und Auseinandersetzungen beteiligt? Bezogen auf diese Kernfrage ist zunächst festzuhalten, dass der Anteil politischer Kommunikation im Internet verschwindend gering ist. Sie macht nach Schätzungen nur einen Bruchteil des gesamten Datenverkehrs aus. „Auf der Seite der Angebote sind vielleicht 0,5 Prozent der Webseiten explizit politisch, noch weit weniger Mailinglisten oder Newsgroups sind dezidiert politisch.“ (Rilling 2001) Auf der Nachfrageseite sind laut ARD-ZDF-Online Studie zwar 47 Prozent der erwachsenen Onlinenutzer häufig bis gelegentlich im Internet, um „aktuelle Nachrichten und Informationen über das Geschehen in Deutschland und im Ausland“ zu verfolgen (Eimeren/Frees 2005: 367). Am häufigsten aber wird das Internet wohl für Unterhaltungszwecke und für wirtschaftliche Funktionen genutzt. Laut einer in Erfurt und Kassel durchgeführten Telefonbefragung werden nur 5 Prozent der Online-Zeit für politische Anliegen verwendet (Em-
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1 Theoretische Grundlagen und Forschungsstand
mer/Voss 2004: 207).7 Selbst wenn immer größere Teile der Bevölkerung das Internet nutzen werden, ist nicht zu erwarten, dass der relative Anteil politischer Kommunikation deutlich zunehmen wird. Gleichwohl können auch von kleinen Kommunikationsanteilen innerhalb eines Informationsnetzes, das Hunderte Millionen von Menschen umfasst, große Wirkungen ausgehen. Dies ist jedenfalls die Hoffnung vieler – und zumal transnational agierender – zivilgesellschaftlicher Gruppen, die verstärkt das Internet beanspruchen und daran hohe Erwartungen knüpfen.8 Einzelne Beispiele, wie der Fall des Studenten Peretti, der den Nike-Konzern herausforderte und eine Lawine von Kommunikationen auslöste (Bennett 2001; Rucht 2003), oder die breiten und erfolgreichen Mobilisierungen für den Bann von Landminen (Yang 2003) und gegen die WTO-Konferenz in Seattle 1999 (Smith 2001b), bestärken diese Sichtweise. Entsprechend wird gefolgert, das Internet begünstige, gemessen an anderen Kommunikationsmedien, kleine und ressourcenschwache Akteure,9 fördere den politischen Informationsstand und Informationsaustausch und trage insgesamt zu einer Demokratisierung der Massenkommunikation und zu einer Stärkung der politischen Partizipation bei.10 So meint zum Beispiel Smith (2001a): „The new technologies, in short, help decentralize access to information – about political and legal processes, about policy critiques, and about resistance strategies and organization. This serves to reinforce the democratic, participatory norms that pervade much of the movement.” Ein weiterer Vorteil wird darin gesehen, dass das Internet von Zensur weitgehend frei sei: Nirgendwo „sonst werden gesellschaftlich und politisch relevante Themen unzensiert von einer so breiten Öffentlichkeit diskutiert“ (Musch 1996). Schließlich wird darauf hinge-
7 Auch im Vergleich zu den herkömmlichen Massenmedien wird das Internet weniger stark zur politischen Information herangezogen. Einer Umfrage zufolge nahm bei der Nutzung von Tageszeitung, Hörfunk und Fernsehen die gezielte Information über das politische Geschehen den ersten Rang unter 21 Antwortkategorien ein. Hingegen wird das Internet vorrangig bei der Suche nach Informationen über Kino, Musik, Literatur sowie für wirtschaftliche Anliegen eingesetzt (Blödorn et al. 2005: 643 f.). 8 Hingegen sieht Siedschlag (2003: 14) den Beitrag des Internet für die „sich abzeichnenden erweiterten Möglichkeiten für Willensbildung und Partizipation“ vor allem „im Bereich der Partei- und Parlamentsarbeit“. 9 „Die neuen Netztechnologien begünstigen Gruppierungen, die über viel Idealismus und Engagement, aber wenig Geld verfügen, während reichliche Geldmittel allein keinen Erfolg verbürgen. Unter ihrem Einfluss wird die Binnenmobilisierung und das Mitgliederengagement zu den bestimmenden Kriterien, die die innere Kohäsion eines Verbands einerseits und seine externen Artikulationsund Handlungsfähigkeiten andererseits determinieren.“ (Geser 2000) 10 Dies meint auch eine Minderheit in der Bevölkerung. „Insgesamt 29 % der Befragten in Deutschland (34 % der Onliner, 25 % der Offliner) glauben, dass das Internet dazu beitragen kann, dass der einzelne Bürger stärker an politischen Entscheidungen teilhaben kann. Damit sind sie im internationalen Vergleich vergleichsweise positiv eingestellt.“ (Groebel/Gehrke 2003: 202; siehe auch Hill/ Hughes 1998; Rogg 2003; Ferndinand 2004; Siedschlag/Bilgeri 2004).
1.2 Besonderheiten der Internet-Kommunikation
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wiesen, zivilgesellschaftliche Organisationen könnten durch das Internet mehr Mitglieder rekrutieren und diese enger an sich binden. „A reduction in information costs will improve the quality and quantity of information about groups available to prospective members. People will be more likely to find a group that fits their interests and less likely to join a group that does not fit their interests. The result is a better fit from the start of their membership and a reduced likelihood that they will drop out. Lower organization costs may also draw members into the organization more fully. By participating more actively in the organization, members may be less likely to leave.” (Bonchek 1995)
Dagegen steht allerdings eine ganze Reihe von Argumenten, die zusammengenommen zu Skepsis gemahnen (Rucht 2004a; 2004b). Unter anderem wird auf Folgendes verwiesen: Durch das Internet würde die Fragmentierung der Öffentlichkeit beschleunigt, was der Qualität von Demokratie abträglich sein könnte (Sunstein 2001); bei der praktischen Nutzung des Internet stünden die ohnehin schon dominanten Interessengruppen und sonstigen Akteure im Vordergrund; die schiere Fülle des Informationsangebots erzwinge radikale Selektionen und den Gebrauch entsprechender Selektionshilfen, die wiederum kleine Akteure benachteiligten; nur die bereits politisch interessierten und aktiven Personen nutzten das Internet auch für politische Zwecke; auch antidemokratische Gruppierungen profitierten vom Internet; Informations- und Diskussionsangebote im Internet genügten nicht, wie journalistisch kontrollierte Medien, bestimmten Qualitätsstandards; das Internet könnte längerfristig den Charakter einer „Herrschaftsarchitektur“ (Lessig 2004) annehmen usw. Während die Diskussion in ihren Anfängen11 auf einer weitgehend spekulativen Ebene ohne empirisch fundierte Erkenntnisse stattfand, nimmt spätestens seit Ende der 1990er Jahre der empirische Kenntnisstand kontinuierlich zu (Wellman 2004: 378). Empirische Studien, die das politische Potential des Internet untersuchen, lassen sich in Studien der Internetnutzer, der Anbieter und der strukturellen Besonderheiten des Internet unterteilen (vgl. Zimmermann 2006). Studien auf der Nutzerebene untersuchen in erster Linie Verbreitung, Häufigkeit und Art der Internetnutzung sowie soziodemographische und sozioökonomische Merkmale von Nutzern und Nicht-Nutzern. Die meisten Arbeiten in diesem Feld sind quantitative Erhebungen, die auf herkömmliche Befragungsmethoden zurückgreifen, teilweise aber auch Online-Befragungen. Zu Beginn waren solche Studien in erster Linie von wirtschaftlichen Interessen geleitet und wur11
Die Kontroverse um das demokratische Potential des Internet hat sich Anfang der 1990er Jahre in den USA entzündet und wird seit Mitte/Ende der 1990er Jahre auch in Deutschland geführt (vgl. Bieber 1999).
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1 Theoretische Grundlagen und Forschungsstand
den von Marktforschungs- und ähnliche Unternehmen durchgeführt. Später gaben auch staatliche Institutionen derartige Studien in Auftrag, wissenschaftlich initiierte Forschung nahm zu und Langzeitprojekte wurden ins Leben gerufen, wie beispielsweise das Pew Internet & American Life Project (http://www. pewinternet.org) oder das World Internet Projekt (http://www. worldinternetproject.net/; vgl. Wellman 2004). In Bezug auf das demokratische Potential des Internet sind insbesondere solche Studien von Interesse, die sich mit dem so genannten digital divide beschäftigen (z.B. Katz/Rice 2002; Norris 2001; Chen/Wellman 2003; Selwyn 2004). Dabei können drei Formen unterschieden werden: (1) ein global divide, das die ungleichen Zugangs- und Nutzungschancen des Internet zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufzeigt, (2) ein social divide, das die Schere zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft in Bezug auf Internetzugang und -nutzung sichtbar macht (information rich und information poor), und (3) ein democratic divide, das die Kluft zwischen den Bürgern aufzeigt, die die neuen Chancen für politisches Engagement, Mobilisierung und Partizipation nutzen und denen, die sie nicht nutzen (z.B. Norris 2001). Optimistische Einschätzungen gehen davon aus, dass sich diese Ungleichheiten zumindest in den Industrieländern allmählich abschwächen werden. Pessimistische Einschätzungen sehen hierin hingegen den Beginn einer tief greifenden strukturellen Spaltung innerhalb und zwischen Gesellschaften. Andere Studien untersuchen das Verhältnis zwischen Internetnutzung und politischer Partizipation (z.B. Weber/Loumakis 2003; Tolbert/McNeal 2003; Bimber 2001; Norris 2001; Scheufele/Nisbet 2002). Die meisten kommen zu dem Schluss, dass das Internet vor allem von jenen Bürgern zur politischen Partizipation und Information genutzt wird, die ohnehin politisch interessiert und aktiv sind, während der Teil der Bevölkerung, der kein Interesse an Politik hat, auch das Internet nicht zur politischen Information oder Partizipation heranzieht.12 In der überwiegenden Mehrheit basieren Untersuchungen der Nutzerseite auf Analysen statistischer Zusammenhänge. Einen Sonderfall der Nutzerstudien stellen die Untersuchungen von OnlineDiskussionsforen, Electronic Bulletins, Mailing-Listen oder USENET-Gruppen dar (Jensen 2003; Tsaliki 2002; Reid 1999; Jankowski/van Os 2004; Roberts et al. 2002; Rheingold 1993; Schulz 2000; Schneider 1997). Hier wird das Verhalten von Nutzern bestimmter Webseiten, welche einen kommunikativen Austausch oder Diskussionen ermöglichen, anhand inhalts- bzw. diskurstheoretischer Methoden untersucht. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird die Kommuni12
„With the important exception of age, if the profile for Net users is similar to the profile for those already most likely to participate politically, the Internet may function to reinforce rather than transform the existing social inequality in civic society.“ (Norris 2000)
1.2 Besonderheiten der Internet-Kommunikation
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kation in Online-Foren an den idealtypischen Maßstäben deliberativer Öffentlichkeit gemessen, wobei das Resultat meist ernüchternd ausfällt.13 Studien auf der Angebotsseite lassen sich danach unterscheiden, welche Anbieter untersucht werden. Lange Zeit konzentrierten sich die Untersuchungen auf die Angebote etablierter politischer Akteure wie Regierungen, Parlamente, Parteien, Politiker im allgemeinen oder in besonderen politischen Phasen wie beispielsweise Wahlkämpfen (z.B. Prümm 1996; Bieber 1999; Davis 1999; Norris 2001, 2003; Döring 2003; Kaiser 1999). Untersuchungen der Online-Angebote sozioökonomischer Interessengruppen, zivilgesellschaftlicher Akteure oder Medien nehmen erst in den letzten Jahren zu (Martínez 2003; Kaiser 1999; Ward/Lusoli 2003; van den Donk et al. 2004; Salaverria 2005; Zürn 2000). Zumeist handelt es sich hierbei um Fallstudien, die ausschließlich auf Inhaltsanalysen einzelner Webseiten beruhen. Studien zu strukturellen Besonderheiten des Internet im Hinblick auf dessen politisches Potential beziehen sich in erster Linie auf Hyperlinks. Diese verknüpfen unterschiedliche Webseiten miteinander und übernehmen somit im komplexen Informationsraum des Internet eine strukturierende Funktion. Hyperlinkanalysen untersuchen, welche Strukturen im Internet durch diese Verknüpfungen entstehen. In der informationswissenschaftlichen Forschung stößt die Hyperlinkanalyse schon seit einigen Jahren auf reges Interesse. Im Rahmen sozialwissenschaftlicher Fragestellungen erhält die Hyperlinkanalyse jedoch erst seit kurzem verstärkte Aufmerksamkeit. Ein Teil der Forschung stützt sich hierbei vornehmlich auf die Methoden der klassischen Zitationsanalyse und wird im englischsprachigen Raum als „Webometrics Approach“ bezeichnet. Angewandt wurde dieser Ansatz bisher auf die unterschiedlichsten Bereiche, beispielsweise die Verlinkung von Zeitschriftenartikeln (z.B. Goodrum et al. 2001), von Ländern (z.B. Thelwall 2001), von Universitäts-Webseiten (vgl. Thelwall et al. 2003) oder von kommerziellen Webseiten (z.B. Thelwall 2001). Der andere Teil der Forschung steht in der Tradition der Netzwerkanalyse.14 Die Untersuchungen erstrecken sich bisher weitgehend auf Hyperlinknetzwerke im Rahmen von E-commerce (z.B. Krebs 2000), politischen Parteien (Ackland/Gibson 2004), sozialen Bewegungen (z.B. Rogers/Marres 2000; Halavais/Garrido 2003), politischen Angeboten (Meurer 2003), interpersonaler Kommunikation (z.B. Park et al. 2000), interorganisatorischer Kommunikation (z.B. Park et al. 2002) oder inter13 Unter Deliberation wird hierbei eine Vielzahl von Konzepten verstanden, denen gemein ist, vernunftgestützte, gleichberechtigte Kommunikation als Basis demokratischer Öffentlichkeit zu sehen. Das Internet mit seinen technischen Möglichkeiten wurde in diesem Sinne zum Hoffnungsträger deliberativer Politik. Dies schlägt sich zum einen in zahlreichen diskurstheoretischen Arbeiten nieder (Dahlberg 2004; Habermas 2005; Janssen/Kies 2005), zum anderen auch in der breiteren Debatte über die Bedeutung des Internet für die Demokratie (Leggewie 2004; Siedschlag 2004). 14 Einen guten Überblick für beide Ansätze bieten Park/Thelwall (2003).
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nationaler Kommunikation (Brunn/Dodge 2001). Untersucht wurden zudem Veränderungen von Hyperlinkstrukturen im Laufe von Wahlkämpfen (Foot/ Schneider 2002; Foot et al. 2003). Auch gibt es erste Versuche, Hyperlinkanalysen mit Inhaltsanalysen von Webseiten zu verknüpfen, wie z.B. die Untersuchung von Tateo (2005) über italienische rechtsextremistische Gruppen im Internet. Das Forschungsfeld, das sich zur Frage nach dem politischen Potential des Internet entwickelt hat, ist somit mittlerweile durchaus lebendig; es bleibt jedoch wenig innovativ und wird den Besonderheiten, die das Internet aufweist, nur eingeschränkt gerecht. Die Untersuchungen der drei unterschiedlichen Ebenen (Nutzer, Anbieter und strukturelle Besonderheiten des Internet) stehen weitgehend unvermittelt nebeneinander. Im Internet bilden sich jedoch durch das Zusammenwirken dieser drei Ebenen völlig neue Informations- und Kommunikationsräume, die weitgehend unberücksichtigt geblieben sind. Eine Ausnahme stellt ein Ansatz dar, der innerhalb des Europub-Projekts entwickelt wurde.15 Ausgehend von der Frage, wie Leute auf der Suche nach Informationen das Internet nutzen, wurden hier Suchmaschinen und Hyperlinks als die wichtigsten Orientierungshilfen identifiziert. Auf Grundlage von Umfrage-Daten ist das Nutzungsverhalten in der Bevölkerung weitgehend bekannt (Machill/Welp 2003). Laut der ARD/ZDF-Online-Studie 2004 sind Suchmaschinen für 74 Prozent der Nutzer die zentrale Quelle für das Auffinden neuer Seiten und damit der wichtigste Zugangsweg (Neuberger 2005). Nach Eimeren/Frees (2005: 369) surft jeweils die Hälfte aller Internet-Nutzer in Deutschland ziellos im Internet oder sucht bestimmte Informationsangebote über Suchmaschinen.16 Die Nutzer verstehen insbesondere das gezielte Suchen nach Informationen im Internet als Äquivalent zur Lektüre einer Tageszeitung (Eimeren/Frees 2005: 369f.). Suchmaschinen und Hyperlinks fungieren als die beiden zentralen Formen der Strukturierung von Online-Aufmerksamkeit bzw. -selektion, durch die neue internetspezifische Informations- und Kommunikationsräume entstehen. Diese Formen können wie folgt charakterisiert werden (vgl. Koopmans/Zimmermann 2003):
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Vertikale hierarchische Selektion durch Suchmaschinen, die den Internetnutzern Orientierung durch die Präsentation einer hierarchischen Auswahl von relevanten Webseiten hinsichtlich eines bestimmten Suchbegriffs bieten, der vom Nutzer gewählt wurde. Deshalb können Suchmaschinen als ga-
Informationen über das Projekt sowie Codebücher und Berichte sind unter http://europub.wzberlin.de/ erhältlich. 16 Lediglich 16% der Befragten gaben an, Chats, Gesprächsforen oder Newsgroups zu nutzen (Eimeren/Frees 2005: 370).
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tekeeper bezeichnet werden, die einen bestimmten Teil der „Online-Realität” auf der Grundlage festgelegter Kriterien sichtbar machen. Horizontale Netzwerkselektion durch Hyperlinks, die Nutzer auf andere Webseiten hinweisen. Durch die Hyperlinks, die Akteure auf ihren Webseiten anbieten, agieren diese Akteure selbst als gatekeeper, die informative und kommunikative Online-Räume aufspannen, die bestimmte Akteure einschließen und andere nicht.
Insbesondere die Informations- und Kommunikationsräume, die im Internet durch die Nutzung von Suchmaschinen entstehen, wurden im Rahmen der bisherigen Forschung kaum berücksichtigt. Die Untersuchungen von Hyperlinkstrukturen zwischen Webseiten konzentrierten sich bisher weitgehend auf einzelne Akteursgruppen oder spezifische Ereignisse. In Anlehnung an die im Europub-Projekt entwickelte Konzeption werden in der vorliegenden Studie die Nutzer- und Angebotsseite sowie die strukturellen Besonderheiten des Internet nicht nur auf theoretischer Ebene verknüpft. Auch das empirische Vorgehen ist so ausgerichtet, dass die Chancen unterschiedlicher Akteure, Online-Aufmerksamkeit zu erzeugen, unter Berücksichtigung des Verhaltens der Nutzer (Suchmaschinen) und der strukturellen Besonderheiten des Internet bzw. des Verhaltens der Anbieter (Hyperlinks) bestimmt werden. Weiter werden die so gefundenen Angebote auf ihre internetspezifischen Besonderheiten untersucht. Gleichzeitig wird nicht nur der Grad der Aufmerksamkeit, der unterschiedlichen Akteuren online entgegen gebracht wird, beachtet; es wird auch der Grad der Aufmerksamkeit, der diesen Akteuren in herkömmlichen Medien entgegen gebracht wird, als Vergleichsmaßstab herangezogen. Insbesondere die Kommunikations- und Informationsräume, die durch Suchmaschinen strukturiert werden, können mit den Selektionsleistungen herkömmlicher Medien verglichen werden. Suchmaschinen bieten dem Nutzer auf ähnliche Weise wie herkömmliche Medien Positionen und Ansichten unterschiedlicher Akteure zu bestimmten Themen. Damit lässt sich überprüfen, ob das Internet bestimmten Akteursgruppen tatsächlich bessere Möglichkeiten bietet, eine massenmediale Öffentlichkeit zu erreichen, als ihnen dies die herkömmlichen Massenmedien erlauben. Dies ist eine Hypothese, die sich seit Beginn der Debatte um das demokratische Potential des Internet ungeprüft durch die Diskussion zieht. Das Europub-Projekt hat hier mit einer quantitativen Studie, die einen Vergleich zwischen sieben Ländern, sieben Politikfeldern sowie dem Internet und Zeitungen umschließt, einen Anfang gemacht. In der vorliegenden Arbeit wird dieser Ansatz im Rahmen einer Fallstudie zum deutschsprachigen Genfood-Diskurs weiterentwickelt. Dabei sollte insbesondere das methodisch eingeschränkte Vorgehen vieler Internetstudien über-
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1 Theoretische Grundlagen und Forschungsstand
wunden werden. Während Nutzerbefragungen zumeist Repräsentativität beanspruchen können und darüber hinaus auch das tatsächliche Nutzerverhalten erforscht wird, steht bei den bisherigen Inhalts-, Webseiten- und Hyperlinkanalysen die Frage nach den Potentialen des Internet im Vordergrund. Dabei wurden die Untersuchungsfälle häufig nach Gesichtspunkten auf der Anbieterseite ausgesucht, ohne genauer zu prüfen, inwieweit diese Angebote auch einem breiten Publikum zugänglich sind. So basiert die Hyperlinkanalyse von Marres und Rogers (2000) zum Thema Genfood in Großbritannien im Wesentlichen auf ausgewählten Akteuren, um die herum ein Netzwerk mittels eines Schneeballverfahrens rekonstruiert wurde. Auch bei vielen Untersuchungen von Gesprächsforen und Webseitenanalysen bleibt unklar, nach welchen Kriterien die Auswahl der meist wenigen Fälle erfolgt. Die Stichprobenziehung des Europub-Projektes reagierte darauf, indem Webseiten nach ihrer Auffindbarkeit mittels Suchmaschinen ausgewählt wurden. Somit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass Nutzer nur einen sehr geringen Teil des Internet-Angebots zur Kenntnis nehmen. Die vorliegende Studie erweitert diesen Ansatz, indem die Text-, Hyperlink- und Webseitenanalysen auf einer gemeinsamen Stichprobe von in Google aufgefundenen Einträgen basieren. Hierbei wurden solche Suchwortkombinationen verwendet, die mit hoher Wahrscheinlichkeit besonders häufig genutzt werden. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die Quellen, die im Internet untersucht wurden, von einem am Thema Genfood interessierten Nutzer auch tatsächlich aufgefunden werden. Bei diesem Vorgehen werden zum einen die Untersuchungen der kommunikativen Räume durch Suchmaschinen und durch Hyperlinks aufeinander bezogen bzw. in Abhängigkeit voneinander untersucht. Zum anderen ermöglicht die Webseitenanalyse im Vergleich zu bisherigen Studien eine tiefer gehende Analyse des durch vertikale und horizontale Selektion entstehenden Online-Kommunikationsraums. Auch wenn nicht zu erwarten ist, dass hierdurch über die oben angeführten Argumente und Gegenargumente definitiv entschieden werden kann, so lässt sich auf diese Weise zumindest für ein begrenztes Themenfeld und eine begrenzte Menge von Kommunikationsteilnehmern prüfen, ob die behaupteten Vor- und Nachteile des Internet nachweisbar sind.
2 Der Risikodiskurs um Genfood 2 Der Risikodiskurs um Genfood
Die Fokussierung auf das Thema Genfood bietet erstens den Vorteil, dass es sich dabei um ein relativ klar abgrenzbares Themenfeld handelt, wodurch eine systematische Informationssuche im Internet erleichtert wird. Zweitens stellt es einen Gegenstand aktueller Debatten dar, sodass eine Echtzeitrecherche möglich ist. Schließlich spricht die Genfood-Thematik ein breites Publikum an, da sie alle Bürger in ihrer Eigenschaft als Konsumenten betrifft. Vor allem handelt es sich hierbei um einen Risikodiskurs, der ein hohes gesellschaftliches Konfliktpotential in sich birgt, wodurch von einer relativ breiten Aufmerksamkeit auszugehen ist. Zunächst werden die allgemeinen Eigenschaften von Risikokommunikation dargestellt, dann Ursprung, Entwicklung, Inhalte und Folgen der Debatte über Genfood in Deutschland nachgezeichnet und schließlich die politischen und rechtlichen Regulierungen skizziert.
2.1 Risikokommunikation 2.1 Risikokommunikation Ursprünglich war die Risikoforschung eine Domäne von naturwissenschaftlichtechnischen Experten, die sich mit statisch berechenbaren Wahrscheinlichkeiten und Ausmaßen von Risiken befassten. Im Prinzip wurde damit nicht über die Risikokalküle im Zusammenhang mit älteren technischen Geräten (z.B. Dampfkessel, Munitionsfabriken) hinausgegangen, wenngleich die Anforderungen an derartige Berechnungen aufgrund der Komplexität moderner technischer Systeme enorm gestiegen sind. Mit der gesteigerten Reichweite und Eingriffstiefe moderner Techniken rückten deren manifeste wie auch potentielle negative Folgen als Systemzusammenhänge in den Vordergrund. Im Zuge der damit verbundenen sozialen und politischen Auseinandersetzungen entwickelte sich die soziale Wahrnehmung von und Kommunikation über Risiken zu einem Feld der Theoriebildung und empirischen Forschung. Dieses Thema wurde insbesondere im Bereich der Techniksoziologie, der sozialwissenschaftlichen Risikoforschung und der Kommunikationswissenschaften bearbeitet. Dabei wurde auch das Bewusstsein dafür geschärft, dass es sich um sozial und kulturell konstruierte Risiken handelt, die ungeachtet der „objektiven“ Risiken, auf die sich die Wahrnehmung bezieht, eine „soziale Tatsache“ im Sinne Emile Durkheims darstellen und entsprechende soziale Konsequenzen zeitigen. Bahnbrechend für diese Sicht war das Buch von Aaron Wildavsky und Mary Douglas mit dem Titel „Risk and
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
Culture: An Essay on the Selection of Technological and Environmental Dangers“ (1982). Bereits im Folgejahr erschien eine erste Literaturübersicht zur Risikowahrnehmung (Covella 1983; siehe auch Covella et al. 1986) und bald darauf wurde eine Buchserie zum Thema „Technology, Risk, and Society“ aufgelegt. In Deutschland sorgte Ulrich Becks Risikogesellschaft (1987) für Furore und popularisierte den Gedanken, dass die Wahrnehmung von Risiken ein gesellschaftlich relevantes und insofern auch von der Politik ernst zu nehmendes Phänomen darstellt. Beck ging allerdings über die Analyse von Risikokommunikation insofern hinaus, als er die historisch keineswegs gesicherte These vertrat, dass sich moderne Gesellschaften tatsächlich durch eine Steigerung realer Risiken (und nicht nur der Kommunikation über Risiken) auszeichneten. Die Konjunktur der sozialwissenschaftlichen Risikoliteratur seit den 1980er Jahren verdankt sich nicht primär innerwissenschaftlichen Gründen. Entscheidend ist vielmehr die Tatsache, dass wesentliche Teile der Bevölkerung von Risikowahrnehmungen umgetrieben werden. Dabei scheint die Sensibilität für Risiken gewachsen zu sein. Laut einer 1980 durchgeführten Studie in den USA glaubten rund vier Fünftel der Befragten, „…people are subject to more risk today than they were 20 years ago“. Nur sechs Prozent meinten dagegen, dass die Risiken abgenommen hätten (Covello/Johnson 1987: vii). Die Konflikte um die zivile Nutzung der Atomenergie bildeten für die intensivierte Risikokommunikation die wohl einschneidendste Schlüsselerfahrung, mussten doch Politiker wie Betreiber von Atomanlagen feststellen, dass man einer beunruhigten Bevölkerung Risikowahrnehmungen nicht einfach unter Berufung auf die „herrschende Meinung“ von Experten oder durch einen staatlich geförderten „Kernenergiedialog“ ausreden konnte. So war es nur konsequent, im Rahmen von kerntechnischen Institutionen auf nationaler wie internationaler Ebene eigene sozialwissenschaftliche Abteilungen einzurichten, die sich weniger mit „Akzeptanzbeschaffung“, sondern vielmehr den Entstehungsgründen und Merkmalen von Risikowahrnehmungen und Risikokommunikation befassten.17 Ging es der soziologischen Risiko- und Konfliktforschung sowie der auf Akzeptanzprobleme ausgerichteten Forschung zur Technikpolitik vor allem um die Hintergründe und Muster von Risikowahrnehmungen, so zielten kommunikations- bzw. medienwissenschaftliche Ansätze auf die Frage, wie, von wem und mit welchen Themen und Argumenten technisch bedingte Risiken in Medien beund verhandelt werden. Dabei kamen herkömmliche Verfahren der qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse zum Einsatz, die sich zu ihrem spezifischen 17 Im Rahmen der World Energy Conference wurde eine „International Research Group on Risk Communication“ als Untergruppe des Committee „Energy technologies and the public“ eingerichtet. In Deutschland war vor allem die 1988 eingesetzte Arbeitsgruppe „Mensch und Technik“ im Rahmen der Programmgruppe Technik und Gesellschaft der Kernforschungsanlage Jülich von Bedeutung.
2.1 Risikokommunikation
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Gegenstand weitgehend indifferent verhalten, also Kommunikation über Risiken lediglich als einen Anwendungsfall von Kommunikation über X behandeln. Weitgehend ignoriert wurde damit eine Besonderheit von Risikokommunikation über komplexe Technologien, nämlich der Sachverhalt, dass die Beurteilung von Risiken nur auf Wahrscheinlichkeiten gründet (Risiko als Produkt von Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und Schadenshöhe), nicht aber auf vorhandene Zustände oder unmittelbare Erfahrungen. Insofern wird die Kommunikation über Risiken einerseits stärker vom Rekurs auf Fachleute, andererseits aber auch stärker von Ängsten bestimmt – im Unterschied etwa zur Kommunikation über die Angemessenheit einer Lohnerhöhung. Die Risikokommunikation über Techniken war in den letzten Jahrzehnten in erster Linie Kommunikation über die Paradefälle der Atomenergie, der neuen Informationstechniken und der Biotechnik. Diese Anwendungsbereiche haben auch am meisten organisierten Widerstand auf sich gezogen und sind nicht zuletzt deshalb zu einem bevorzugten Gegenstand sozialwissenschaftlicher Analyse geworden (Gerlach 1987; Bauer 1995). Dabei ergab sich eine markante Verlagerung der Themenschwerpunkte: „…biotechnology has replaced nuclear power as a symbol of ‚technology-out-of-control‘“ (Nelkin 1995: 381). Ein wichtiger Grund dafür ist nicht nur eine gewisse Erschöpfung der Atomdebatte und das in vielen Ländern erreichte de facto-Moratorium hinsichtlich des weiteren Ausbaus der Atomenergietechnik, sondern die Tatsache, dass sich die Biotechnik weit später als die Atomtechnik als ein eigener industrieller Komplex entwickelte (Krimsky 1991) und einen entsprechenden staatlichen, bis heute noch nicht abgeschlossenen Regelungsbedarf nach sich zog. Ein spezifisches Anwendungsgebiet der Biotechnik ist die Gentechnik, die – im Unterschied zur Atomtechnik und zu Informationstechniken – von Anfang an zu scharfen innerwissenschaftlichen Kontroversen geführt hat. Dieser Faktor, aber auch die durch den Streit um die Atomtechnologie verbreitete Technikskepsis bei signifikanten Teilen der Bevölkerung in hoch entwickelten kapitalistischen Ländern, führte rasch auch zu einer öffentlich-politischen Kontroverse (van den Daele 1993). Wie im Hinblick auf die Atomtechnik wird auch für die Gentechnik von manchen Autoren behauptet, dass erst die aktive und keineswegs sachneutrale Intervention von Journalisten der Thematik besondere Resonanz verliehen hat. Kepplinger (1995) sucht dies für die Bundesrepublik mit dem Hinweis empirisch zu untermauern, dass bei der Thematisierung von Gentechnik die politischen Journalisten – im Gegensatz zu den Wissenschaftsjournalisten – eine prägende Rolle gespielt haben. Entscheidender scheinen uns jedoch zumal bei der Politisierung von Genfood andere Faktoren zu sein: erstens die von Anfang an vorhandenen innerwissenschaftlichen Bedenken; zweitens die geteilten Meinungen auch innerhalb der Bauernschaft; drittens der Sachverhalt, dass von
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
Genfood alle Menschen als Konsumenten von Nahrungsmitteln zumindest potentiell betroffen sind, sofern solcherart behandelte Nahrungsmittel in großem Maßstab und ohne explizite Kennzeichnung eingeführt werden. Im Grad der Problematisierung und Politisierung von Genfood zeigen sich allerdings große Unterschiede im Ländervergleich. Immer spielen jedoch Risikoaspekte eine zentrale Rolle, gibt es doch große Unsicherheiten zumindest darüber, wie sich der auf breiter Front eingeführte Anbau gentechnisch behandelter Nutzpflanzen langfristig auf ökologische Systeme und auf die menschliche Gesundheit auswirken wird. Im Vordergrund einschlägiger Arbeiten stehen zusammenfassende Darstellungen der Akteure und Argumente des Konflikts. Studien aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive, zumal solche auf Basis einer quantitativen Inhaltsanalyse, sind bislang selten. Auch aus diesem Grund ist die Wahl unseres Untersuchungsgegenstandes von Interesse.
2.2 Allgemeine Aspekte der Genfood-Debatte 2.2 Allgemeine Aspekte der Genfood-Debatte Die aufgeworfenen Fragen zu den Besonderheiten netzbasierter Kommunikation lassen sich schwerlich durch eine Vollerhebung der gesamten im Internet stattfindenden politischen Kommunikation untersuchen. Bekanntermaßen stünde ein solches Unterfangen vor dem Problem, eine schier unendliche Anzahl von Webseiten, Dokumenten und Hyperlinks zu untersuchen. Somit ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, den Untersuchungsgegenstand thematisch einzugrenzen. Das zu wählende Thema sollte allerdings ein idealtypisches Beispiel einer großen und facettenreichen öffentlichen Kontroverse sein. So müssten die hypothetisch formulierten Besonderheiten netzbasierter Kommunikation oder aber deren Fehlen deutlich hervortreten. Mit der politischen Debatte um Genfood wurde also bewusst ein Thema ausgewählt, das eine Untersuchung der eingangs vorgestellten Annahmen (vgl. Einleitung) in nahezu idealer Weise ermöglicht. Wie eine Reihe anderer Technologien (z.B. Atomenergie, Humangenetik) ist auch die gentechnische Behandlung von Nahrungsmitteln politisch stark umstritten und wird von anhaltenden Protesten begleitet. Die Einführung einer neuen Technik im Lebensmittelbereich ruft ein breites Spektrum unterschiedlicher Akteure auf den Plan. Zudem weist das Thema starke internationale Bezüge auf. Im folgenden Abschnitt 2.3 wird zunächst verdeutlicht, welche Formen, Anwendungen und Risiken von Genfood diskutiert werden. Im Mittelpunkt steht dabei die so genannte „grüne Gentechnik“18, also die gentechnische Behandlung 18
Davon zu unterscheiden sind zum Beispiel die „rote Gentechnik“, bei der es um die gentechnische Veränderung von menschlichem oder tierischem Material geht, sowie die „weiße Gentechnik“, die sich mit der Veränderung von Mikroorganismen befasst. Wir verwenden in unserem Kontext den
2.2 Allgemeine Aspekte der Genfood-Debatte
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von Pflanzen, weil diese überwiegend die Grundlage für Genfood bildet. Anschließend wird die öffentliche Debatte um Genfood dargestellt, um dann auszuführen, welche Diskussionen um die gesetzliche Regulierung von Genfood stattfinden. Als Quellen dienen vor allem Stellungnahmen gesellschaftlicher Akteure selbst, einschlägige Literatur über die politische Regulierung und über die verschiedenen, mit dem Thema Genfood verbundenen gesellschaftspolitischen Anliegen. Hierbei kamen auch die untersuchten Internet-Texte und Printmedienveröffentlichungen zum Tragen. Die Darstellung der öffentlichen Debatte bezieht sich auf mehrere größere Kontroversen, die nacheinander angestoßen wurden und alle bis heute bedeutend geblieben sind. Dabei haben sich genetisch veränderte Lebensmittel von der abstrakten Möglichkeit zum regulierungsbedürftigen Problemfeld und schließlich zum umstrittenen Gegenstand politischer Implementation entwickelt. Seit Mitte der 1980er Jahre diskutierten zunächst technische und wissenschaftliche Experten sowie ein überschaubarer Kreis vor allem umweltpolitischer Aktivisten die potentiellen Risiken und Gefahren der grünen Gentechnik, insbesondere deren direkte gesundheitliche und ökologische Folgen. Mit den ersten Protesten zielten die Gegner auf eine stärkere öffentliche Behandlung des Themas. Aber auch konfrontative Protestformen, wie Zerstörungen von Versuchsfeldern, kamen zum Einsatz, um die Einführung der neuen Technik zu behindern. Mit den ersten großflächigen Bewirtschaftungen in anderen Ländern Anfang und Mitte der 1990er Jahre wurde die Diskussion um Genfood durch neue Aspekte (Abschnitt 2.5) stärker politisiert. An den Diskussionen im Rahmen der Biodiversitätskonvention im Gefolge der Rio-Konferenz 1992 lässt sich die Ausweitung der Debatte auf wirtschaftliche, soziale und weiter gefasste ökologische Auswirkungen zeigen. Auch verschafften verschiedene Ereignisse dem Thema Genfood bald eine breitere gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Die ersten Importe genetisch veränderten Sojas 1996 in die EU wurden ebenso von lautstarken Protesten beispielsweise von Greenpeace und Friends of the Earth International begleitet wie die ersten Markteinführungen genetisch veränderter Lebensmittel gegen Ende der 1990er Jahre in verschiedenen europäischen Ländern. Konkrete politische Fragen zu Gentechnik in der Landwirtschaft, auf dem Lebensmittelmarkt und zu den Rechten von Verbrauchern (Abschnitt 2.6) gewannen nun an Gewicht. Das Thema Genfood rückte stärker in den Alltag der Bevölkerung. Begriff „grüne Gentechnik“, obwohl die Bestandteile „grüne“ und „-technik“ vielfach in Frage gestellt wurden. Kritiker bemängeln, dass die Übertragung von Fremdgenen auf Pflanzen durch die Bezeichnung „grüne Gentechnik“ beschönigt werde. Häufig werde mit den Attributen „grün“ und „Bio“ (zum Beispiel im Begriff Biotechnologie) der Anschein erweckt, es handele sich um ökologisch besonders verträgliche Verfahren. Wir verwenden dennoch den Begriff „grüne Gentechnik“, da er sich im Unterschied zu Begriffen wie „transgene Pflanzen“ mittlerweile eingebürgert hat und auch handhabbarer erscheint.
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
Neben den bisherigen politischen Akteuren beteiligten sich nun vermehrt ökologisch und konventionell wirtschaftende Landwirte, Lebensmittelhändler, Verbraucherschützer, Parteien, Gewerkschaften und globalisierungskritische Organisationen wie Attac an der politischen Debatte. Auch führten in den folgenden Jahren die Auswirkungen der BSE-Krise in Deutschland zu einem sehr einschneidenden Wandel im öffentlichen Diskurs über Landwirtschafts- und Lebensmittelpolitik. Konsumentenrechte und Forderungen nach Transparenz bei Lebensmittelherstellung und -handel gewannen an Gewicht. Die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen und ökologisch erzeugten Lebensmittelprodukten nahm zu. Parallel zur Ausweitung des Themenspektrums entwickelte sich auch das Protestgeschehen zu Genfood in Deutschland (siehe Abbildung 1). Anhand der Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung und der TAZ lässt sich gut erkennen, dass es bis 1997 im Abstand von drei bis vier Jahren wiederholt zu vermehrten Protesten kam. Es scheint, dass je stärker Genfood zur Marktreife gelangte und je mehr sich Anbaugebiete und Handel ausweiteten, desto häufiger wurde protestiert. Nach den besonders intensiven Jahren 1996 und 1997, als die ersten größeren Importe von Genfood nach Deutschland kamen, flaute der Protest jedoch ab. Grund hierfür ist wahrscheinlich, dass seit 1998 die EU ein Moratorium für die Zulassung von genetisch veränderten Pflanzen erließ (siehe Abschnitt 2.7) und auch Lebensmittelhändler vermehrt Abstand von Genfood nahmen (siehe Abschnitt 2.6). Nach dem Fall des EU-Moratoriums im Jahr 2004 nahmen die Proteste wieder deutlich zu. Der aktuelle Genfood-Diskurs in Deutschland beruht auf Debatten und Konflikten, die seit Jahrzehnten andauern und dabei Wandlungen durchliefen, bestimmte Muster aber auch beibehielten. Im Vergleich zu früher wird nun bedeutsam, dass Genfood und gentechnisch veränderte Pflanzen sich stetig ausgebreitet haben. Weltweit ist Genfood mittlerweile in Lebensmittelwirtschaft, handel und der Landwirtschaft alltäglich geworden. Auch ist die Debatte um Genfood nicht mehr stellvertretend für die allgemeine Diskussion um Gentechnik zu verstehen. Ging es in der Vergangenheit noch vor allem darum, die Einführung der Gentechnik als solche kritisch zu begleiten,19 so stehen heute bei Genfood dessen spezifische Folgen und Risiken im Mittelpunkt. Die Befürworter weisen zum Beispiel darauf hin, dass viele Verfahren der so genannten weißen Gentechnik, also zum Beispiel die Herstellung von Enzymen für Waschmittel, kaum noch öffentlich in Zweifel gezogen würden. Aufschlussreicher sind allerdings die Eurobarometer-Befragungen. Ihnen zufolge wird sehr deutlich zwi19
Die Debatte um die Risiken und ethischen Implikationen der Gentechnik begann schon sehr früh. Häufig wird die Fachkonferenz in Asilomar/Kalifornien 1975 mit dem Beginn dieser ersten Diskurse verbunden, die vor allem von Genforschern selbst geführt wurden (Grobstein 1979).
2.2 Allgemeine Aspekte der Genfood-Debatte
37
schen Genfood und anderen gentechnischen Anwendungsbereichen unterschieden (Gaskell et al. 2003). So wurden zum Beispiel 2002 Befragte aus 15 europäischen Ländern dazu aufgefordert, ihre Meinung zu sechs vorgegebenen gentechnischen Anwendungen zu äußern. Im Unterschied zu den übrigen Anwendungsbereichen wurde Genfood dabei im Durchschnitt negativ bewertet. Anders als gentechnische Anwendungen wie Gentests, Klonen von Humanzellen oder gentechnische Enzymherstellung wurde Genfood überwiegend als nutzlos, unmoralisch und nicht weiter förderungswürdig erachtet. Die Befragten stuften die verschiedenen gentechnischen Anwendungen lediglich in Hinsicht auf erwartete Risiken ähnlich ein (Gaskell et al. 2003: 13). Abbildung 1:
Protestereignisse zu Gentechnik und Landwirtschaft20
18
15
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9
6
3
0 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004
Prodat
TAZ
Mit der zunehmenden Vielfalt thematischer Aspekte und der deutlicheren Abgrenzung von Genfood von anderen gentechnischen Verfahren ist auch das Spektrum der beteiligten politischen Akteure breiter geworden. Zwar werden in den folgenden Abschnitten tendenzielle Zuordnungen der gesellschaftspolitischen Gruppen vorgenommen, doch erscheint eine genaue Aufteilung, welche politischen Akteure für oder gegen Genfood sind, kaum noch möglich. Die Dro20 Prodat: überregionale Berichterstattung von Montagsausgaben der FR und SZ. TAZ: gesamte überregionale Berichterstattung. Dargestellt ist die Anzahl der Proteste.
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
hung des Unternehmers Claus Hipp von Anfang 2006,21 er werde die Produktion von Babynahrung ins Ausland verlagern, falls der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutschland zunehme, zeigt, dass herkömmliche Gegenüberstellungen von gentechnikfreundlicher Wirtschaft und wirtschaftsfernen Gegnern zusehends fragwürdig werden. Hipps Drohung basierte schließlich auf unternehmerischem Kalkül. Das Vertrauen der Kunden in ökologisch angebaute Vorprodukte sei demzufolge nur durch garantiert gentechnikfreie Landwirtschaft zu sichern. Auch das lange Zeit ins Feld geführte Argument neuer Arbeitsplätze durch innovative Genfood-Produkte hat sich mittlerweile ins Gegenteil verkehrt. So spricht die Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt davon, dass eine Ausbreitung der grünen Gentechnik in Europa schätzungsweise 100.000 Arbeitsplätze gefährden könne.22 Zu beachten ist zudem, dass seit den 1990er Jahren die Debatte um Genfood zunehmend unter den Vorzeichen der Globalisierung steht (vgl. Hampel 2005). So vertreiben multinationale Konzerne Genfood und genetisch verändertes Saatgut grenzüberschreitend. Genforscher arbeiten in internationalen Teams. Kaum eine rechtliche Regulierung ist heute noch unabhängig von internationalen Vorgaben. Auch die Gegner von Genfood mobilisieren grenzüberschreitend und verweisen auf globale ökologische Folgen. Die ersten Importe von Gen-Soja entfachten 1996 eine europaweite Welle öffentlichen Protests, sodass eine internationale „Sychronisierung“ (Seifert 2002) vormals eher national orientierter Genfood-Kontroversen vermutet werden kann. Stärker als früher scheinen dabei transnational agierende soziale Bewegungsorganisationen wie Greenpeace auf der einen Seite, aber auch konzertierte europaweite PR-Strategien von genfoodfreundlicher Seite, eine wichtige Rolle zu spielen. Laut den EurobarometerUmfragen war in Folge der Kontroversen zwischen 1996 und 1999 in fast allen europäischen Ländern ein deutlicher Stimmungsumschwung zugunsten der Kritik an Genfood zu verzeichnen (Gaskell et al. 2003). Gerade in den südeuropäischen Ländern, aber auch in Belgien oder Großbritannien, also besonders dort, wo zuvor weite Teile der Bevölkerung Genfood eher befürwortet hatten, war diese Entwicklung besonders markant. Mit Beginn des neuen Jahrtausends stellte sich die viel zitierte „German angst“, also die vermeintlich übertriebene Skepsis in Deutschland gegenüber Genfood, als europäisches Mittelmaß heraus. Der vermehrte internationale Bezug in Debatten über Genfood hat allerdings nationale Besonderheiten nicht völlig eingeebnet. So steht José Bové als bekannte Leitfigur der Confédération Paysanne für eine Gegnerschaft zu Genfood in Frank-
21
TAZ, 14.01.2006, S. 7. Online unter: http://www.igbau.de/db/v2/inhalt.pl?e1=&e2=1&did=1611&mode=detail&edit= 0&persid=1075031677.44682.
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2.2 Allgemeine Aspekte der Genfood-Debatte
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reich, die vor allem durch die Ablehnung einer „McDonaldisierung“ der nationalen Landwirtschaft und Esskultur motiviert ist. Im Themenfeld Genfood entwickelten sich die Medien zu wichtigen politischen Mittlern zwischen Wirtschaft, politischen Eliten, Forschung, Protestgruppen und allgemeiner Bevölkerungsmeinung. Allerdings wurde ihr Einfluss auf die Debatte um Genfood und andere gentechnische Anwendungen seit den 1980er Jahren kontrovers diskutiert. Die deutschen Medien hatten ihre Berichterstattung über Genfood nach 1996 nicht nur deutlich ausgeweitet, sondern auch stärker internationalisiert. Zwar liegen keine genauen Zeitreihen über die Presseberichterstattung zu Genfood vor. Aber in einer Untersuchung über die Thematisierung von Gentechnologie in Spiegel und Frankfurter Allgemeine Zeitung wurde festgestellt, dass bis Anfang der 1990er Jahre noch vorrangig über die USA und das Inland berichtet wurde und dabei zum Beispiel Aspekte der Landwirtschaft, die gewöhnlich eng mit Genfood verbunden sind, kaum eine Rolle spielten. Danach gewann sowohl die Berichterstattung über landwirtschaftliche Themen als auch über das europäische Ausland und andere außereuropäische Länder deutlich an Gewicht (Görke et al. 2000). Eine von uns angestellte Recherche in der linksalternativen TAZ kommt zu einem sehr ähnlichen Ergebnis (siehe Abbildung 2).23 Demzufolge nahm die TAZ-Berichterstattung über Genfood seit 1996 zu und fand im Jahr 2004 einen vorläufigen Höhepunkt. Diese unterschiedlichen Thematisierungsschübe und Wendepunkte in den Diskussionen um Genfood haben allerdings in Deutschland nicht dazu geführt, dass bestimmte Kontroversen – sei es um die gesundheitlichen Gefahren oder die sozialen Auswirkungen in südlichen Ländern – einander abgelöst hätten. Vielmehr dehnte sich die Diskussion um Genfood auf immer neue Aspekte und gesellschaftspolitische Akteursgruppen aus, ohne dass in bereits seit Jahrzehnten diskutierten Fragen Konsens erreicht worden wäre. Genfood hat sich als Gegenstand von Expertendiskursen zu einer öffentlichen Angelegenheit entwickelt, zu der ein sehr breites Spektrum gesellschaftlicher Akteure Stellung bezieht.
23 Gesucht wurde mit den Suchwortkombinationen „Grüne Gentechnik“, „Gentechnik“ in Kombination mit „Landwirtschaft“ und „genfood“ im Volltext der TAZ zwischen 1992 und 2005. Die Ergebnisse basieren auf der Anzahl der Artikel, die eine der Suchwortkombinationen an beliebiger Stelle enthielten.
40
2 Der Risikodiskurs um Genfood
Abbildung 2:
Berichterstattung über Genfood in der TAZ, 1992 bis 2005
90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1992
1993
1994
"genfood"
1995
1996
1997
1998
"Grüne Gentechnik"
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
"Gentechnik" und "Landwirtschaft"
Gerade die thematische Komplexität, die Vielfalt der beteiligten Akteure sowie die vielen Kontroversen waren mit ein Grund dafür, das Thema Genfood auszuwählen (zu weiteren Auswahlkriterien vgl. die Einleitung). Gleichwohl stellen diese Charakteristika die Inhaltsanalyse von Internet-Texten und Zeitungsartikeln vor besondere Herausforderungen. Um die inhaltliche Struktur des Untersuchungsmaterials hinreichend zu erfassen, war es notwendig, die verwendeten analytischen Kategorien und Schemata mit Hilfe inhaltlicher Vorkenntnisse zu konstruieren. So wurde zum Beispiel bei der Konzeption der Textanalyse deutlich, was eine stärker internationale Berichterstattung im Themenfeld Genfood bedeuten könnte. Bekannt war, dass die EU die maßgeblichen politischen Rahmenbedingungen für Genfood in Deutschland setzt und dass die Folgen von Genfood insbesondere für die Länder des Südens kontrovers diskutiert werden. Bei der Textanalyse wurde dementsprechend zwischen den verschiedenen grenzüberschreitenden Bezügen unterschieden. Auch flossen Vorkenntnisse in die inhaltliche Interpretation der quantitativen Analysen ein. Zum Beispiel wurde die Hypothese zur Rolle schwacher zivilgesellschaftlicher Gruppen im Internet nicht nur durch die reine Auszählung dieser Akteure überprüft. Darüber hinaus wurde gefragt, inwieweit das Internet für solche Themen, Positionen und Problemkon-
2.3 Anwendungen und Risiken der grünen Gentechnik
41
struktionen genutzt wird, die besonders von den ressourcenschwachen und vor allem aus der Umwelt- und Dritte-Welt-Bewegung stammenden Genfood-Gegnern betont werden. Diese Vorkenntnisse werden im Folgenden vorgestellt, weil sie für die Konzeption und Interpretation der Textanalyse bedeutend waren und weil sich damit auch die inhaltsanalytischen Ergebnisse besser verstehen und einordnen lassen.
2.3 Anwendungen und Risiken der grünen Gentechnik 2.3 Anwendungen und Risiken der grünen Gentechnik Die praktische Anwendung der grünen Gentechnik ist weit fortgeschritten. 1983 wurde erstmals ein gentechnisches Verfahren der Weltöffentlichkeit vorgestellt, mit dem ein fremdes Genom erfolgreich in eine Pflanze eingesetzt werden konnte.24 Bereits damals kam es aus Protest gegen die Gentechnik auch zur Zerstörung von Versuchsfeldern (Sauter 2005: 120). Zur Zeit sind weltweit ca. 90 verschiedene genetisch veränderte Pflanzen für Freilandanbau zugelassen. Bereits jetzt ist zudem eine Reihe von gentechnisch behandelten Produkten auf dem deutschen Markt. Dazu zählen (1) Agrarrohstoffe aus Sojabohnen, Mais, Raps, Baumwolle, (2) Zusatzstoffe (z.B. Vitamine und Enzyme) sowie (3) Futtermittel für die Erzeugung von Fleisch, Eiern und Milch. Frei von Gentechnik sind dagegen die in Deutschland erhältlichen Obst und Gemüsesorten.25 Momentan stehen vor allem genetisch veränderte Agrarrohstoffe, die auch häufig als Futtermittel dienen, im Mittelpunkt der Kontroverse.26 In der Forschung wird dabei oft zwischen der so genannten ersten, zweiten und dritten Generation von Genfood unterschieden (Sauter 2003). Diese Unterscheidung bezieht sich auf Sorten, die noch in der Laborphase befindlich sind (dritte), die in Freilandversuchen getestet (zweite) oder schon angebaut und vermarktet werden (erste Generation). In Planung und Erprobung ist bereits eine sehr große Anzahl genetisch veränderter Obst- und Gemüsesorten. Auch gibt es erste Versuche an Tieren wie zum Beispiel Speisefischen. Tatsächlich großflächig angebaut werden 24 Entwickelt wurde die Methode vom Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln und zeitgleich auch von dem Unternehmen Monsanto (Akademieunion 2005: 9). 25 Die so genannte “Flavr-Savr” oder “Anti-Matsch”-Tomate, die Mitte der 1990er Jahre auf den USamerikanischen Markt gebracht wurde, konnte sich nicht durchsetzen. Produktion und Vertrieb wurden kurze Zeit später eingestellt. In Europa ist sie nie in den Handel gelangt. 26 Enzyme, also Proteine, die als Katalysatoren in der Lebensmittelherstellung verwendet werden, werden hingegen kaum noch kontrovers beurteilt. Genetisch veränderte Enzyme haben sich in der Lebensmittelherstellung ähnlich wie bei Waschmitteln oder Medikamenten weitgehend durchgesetzt. Die Kontrollierbarkeit von Risiken wird hier kaum noch in Zweifel gezogen. Auch trug die Tatsache, dass nach EU-Vorschriften keine Kennzeichnung notwendig war, dazu bei, dass sich diese genetisch veränderten Inhaltstoffe ohne breite politische Debatte durchsetzten (Sauter 2005: 121).
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
hingegen nur einige wenige Getreidesorten. Hierbei zielen die genetischen Modifikationen dieser ersten Generation von Genfood fast ausnahmslos auf verbesserte Anbaubedingungen in der konventionellen Landwirtschaft. Etwa drei Viertel der ausgesäten Sorten weisen eine Herbizidresistenz auf. Während bei herkömmlichen Verfahren spezielle auf Unkräuter ausgerichtete Mittel eingesetzt werden müssen, können auf Feldern mit herbizidresistenten Gen-Pflanzen Breitbandherbizide angewandt werden, die alle anderen unerwünschten Pflanzensorten abtöten (BMVEL 2002a). Ein zweites großes Anwendungsgebiet ist die durch genetische Modifikation erreichte Herstellung des seit Jahrzehnten gebräuchlichen Toxins aus dem Bacillus thuringiensis (Bt) durch die angebauten Pflanzen selbst. Solche Bt-Toxin produzierende Pflanzen stellen Insektenbekämpfungsmittel selbst her und sollen so die Anwendung von chemischen Kampfstoffen von außen erübrigen (BMVEL 2002a). In Hinsicht auf die zweite Generation von Genfood versprechen die Befürworter, dass auch gesundheitsförderliche und dezidiert umweltfreundliche Funktionen eingebaut werden könnten. Die Gegner befürchten mit der zweiten Generation noch bedrohlichere Risiken, wenn Medikamentenwirkstoffe und Lebensmittel gentechnisch miteinander kombinierbar werden oder wenn auch genetisch veränderte tierische Nahrungsmittel auf den Markt kommen sollten. Für die öffentliche Auseinandersetzung um Genfood ist diese Unterscheidung von Generationen deshalb von Bedeutung, weil häufig kritisiert wird, dass eine unsachliche Vermischung von Gegenwart und Zukunft stattfindet. Skeptiker und Befürworter tendierten dazu, selektive Szenarien zu erstellen, wenn ihnen Argumente ausgingen, die sich auf gegenwärtige Tatsachen beziehen. Die erste Generation genetisch veränderter Nutzpflanzen bestand 2004 weltweit vor allem aus genetisch veränderten Soja-, Mais-, Baumwoll- und Rapssorten. Diese wurden auf ca. 81 Mio. Hektar angebaut. Die Anbauflächen verzeichnen insgesamt hohe Zuwachsraten. So wird bereits auf mehr als der Hälfte der Anbaufläche für Soja genetisch verändertes Saatgut ausgebracht. Allerdings liegt knapp die Hälfte der Anbauflächen aller genetisch veränderter Pflanzen in den USA. Ungefähr 94 Prozent der Anbaugebiete für Genfood sind in Nord- und Lateinamerika. Der Rest wird größtenteils von China, Südafrika und Indien gestellt. Deutschland gehört zu den europäischen Ländern, in denen genetisch veränderte Pflanzen angebaut werden. Bislang beschränkte sich dies jedoch auf Versuchs- und Erprobungsanbau. Seit Frühjahr 2006 werden erstmals Genpflanzen für die rein kommerzielle Nutzung in Deutschland angebaut. In Europa findet ein umfangreicher Anbau für die direkte kommerzielle Nutzung bislang nur in Rumänien und Spanien statt.27 Da der Import genetisch veränderter Pflanzen und 27
Die Daten entstammen dem International Service for the Acquisition of Agri-biotech Applications (http://www.isaaa.org/).
2.3 Anwendungen und Risiken der grünen Gentechnik
43
Lebensmittel in die EU seit 1996 schrittweise zugelassen wurde, befindet sich Genfood allerdings längst in den Regalen des deutschen Lebensmittelhandels. Ähnlich wie in anderen Anwendungsbereichen der Gentechnik gibt es in Hinsicht auf die Risikoabschätzung von Genfood nach wie vor konsensuelle und kontroverse Bereiche. Im Rahmen der behördlichen Risikoabschätzung herrscht in der deutschen Forschung ein breiter Konsens über die grundsätzlichen Verfahren zur Feststellung der Risiken der grünen Gentechnik und von Genfood: „Grundsätzlich wird für jeden Einzelfall – auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, plausibler Annahmen und Szenarien – eine Risikoabschätzung durchgeführt (case-by-case), und in einem Schritt-für-Schritt-Verfahren (steb-by-step) werden Erfahrungen mit dem jeweiligen gentechnisch veränderten Organismus gewonnen.“ (Sauter/Meyer 2000: 7, Hervorhebung im Original) Das Zusammenspiel von Eintrittswahrscheinlichkeit, Schadenshöhe und Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr ergibt in diesem standardisierten wissenschaftlichen Kalkül die jeweilige Risikoabschätzung für eine genetisch veränderte Pflanze (Sauter/Meyer 2000: 8). Nach den herkömmlichen Risiko-Abschätzungsverfahren können direkte gesundheitliche Schäden bei zugelassenen Produkten nahezu ausgeschlossen werden. Hierbei wird immer wieder betont, dass eine vollkommene Sicherheit nie gewährleistet werden kann. Konsens scheint auch hinsichtlich der allgemeinen Einschätzung von gentechnischen Verfahren zu bestehen. So könnten „grundsätzliche Einwände gegen die Sicherheit der grünen Gentechnik (gesundheitliche oder ökologische Risiken) nicht mehr pauschal als Argument gegen den Einsatz der Technik herangezogen werden“ (BBAW 2005b: 25). Mit anderen Worten sei nicht von einer allgemeinen Gefährlichkeit der Gentechnik, vergleichbar mit den Auswirkungen radioaktiver Strahlung auf Menschen, auszugehen. Vielmehr müssten Risiken im Einzelfall bewertet werden. Hierbei werden von – ihrem Selbstverständnis nach – politisch neutraler, wissenschaftlicher Seite zwei Einschränkungen gemacht: Erstens bleibt das genaue Ausmaß ökologischer Risiken, Fernwirkungen und Langzeitfolgen ungeklärt. Die bisherige wissenschaftliche Risikobewertung sei methodisch auf einen eingrenzten Bereich von Szenarien beschränkt. Auch wird darauf verwiesen, dass von Seiten der Behörden und Politik kein eindeutiger Indikatoren-Katalog für die Risikobewertung vorliege (BBAW 2005b: 24). Hintergrund für diese Einschränkung ist die Vielfalt der unterschiedlichen methodischen Paradigmen, mit denen verschiedene Wissenschaftsdisziplinen operieren. Für die naturwissenschaftliche Risikoforschung, die mit analytischen Verfahren labortechnisch beherrschbare Bereiche untersucht, erscheint die grüne Gentechnik kontrollierbar. In diesem Rahmen werden vorrangig die direkten und zeitlich unmittelbaren Folgen transgener Pflanzen auf die menschliche Gesundheit und ihre direkte Umgebung untersucht. Hingegen bleiben Fragen aus einer stärker ganzheitlichen, öko-
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
logischen und langfristig angelegten wissenschaftlichen Sichtweise unbeantwortet. Beklagt wird, dass der politische Wille fehle, aus dieser Perspektive zu ergründen, welche Langzeitfolgen, welche Auswirkungen auf Öko-Systeme und auf räumlich weiter entfernte Organismen zu erwarten sind. Aus Sicht der in der Risikobewertung vorherrschenden reduktionistischen Forschung sind jedoch solche Szenarien wegen ihrer Unüberschaubarkeit und Vagheit kaum in der Forschung umzusetzen (Sauter/Meyer 2000: 7). Schließlich könnten ökologische Auswirkungen oft nicht – wie für eine Risikobewertung teilweise nötig – unter geschlossenen Laborbedingungen untersucht werden. Kritiker wie der Präsident des Naturschutzbundes Deutschland Olaf Tschimpke bemängeln hingegen, dass die bisherigen Sicherheitsforschungen über sekundäre ökologische Risiken zu selten stattfänden und dass Risikodaten von den GenUnternehmen selbst geliefert würden. Vor allem fehlten bislang Langzeitstudien. Eher skeptische Forscher verweisen insbesondere auf ökologische Auswirkungen und auf Langzeitfolgen. Sie befürchten beispielsweise die „Nicht-Rückholbarkeit“ im Falle eines horizontalen bzw. vertikalen Gentransfers auf Wildpflanzen.28 Auf diese Weise könnten Super-Unkräuter entstehen, die das ökologische Gleichgewicht störten, indem sie andere Arten verdrängten. Ein weiteres häufig genanntes Risikoszenario sind mögliche Resistenzbildungen bei Schädlingen. Monokulturen genetisch veränderter Pflanzen, die gegen Schädlinge resistent sind, könnten nur kurzfristig Erfolge erzielen. Auf längere Sicht würden sich durch evolutionäre Auswahl resistente Schädlinge entwickeln und die genetischen Veränderungen nutzlos machen. Ähnlich wie Super-Unkräuter könnten so Super-Schädlinge entstehen, die abrupte Ernteverluste und nicht wieder rückgängig zu machende ökologische Schäden verursachen (Shiva 2002: 48). Schließlich sehen die Gegner hierin eine Gefährdung der biologischen Vielfalt (Biodiversität). Auch Forschungen über den ökonomischen Nutzen und die Einsparung von Herbiziden liefern widersprüchliche Ergebnisse. Wissenschaftliche Studien, die der grünen Gentechnik Ertragssteigerungen, Arbeitserleichterungen und Einsparungen von Herbiziden bescheinigen, scheinen zu überwiegen. Allerdings halten die Gegner von Genfood an Forschungsergebnissen fest, denen zufolge die grüne Gentechnik vielmehr zu abrupten Ertragseinbußen und gleichem oder sogar
28
Vertikaler Gentransfer bedeutet zum einen die schrittweise Verwilderung genetisch veränderter Sorten, die auch außerhalb der eigentlichen Anbauflächen auftreten könnte. Horizontaler Gentransfer bezieht sich auf das sehr unwahrscheinliche Szenario einer Weitergabe von genetisch verändertem Pflanzenmaterial an Wildpflanzen durch nicht-sexuelle Übertragungswege. Von solchen Auskreuzungen wird befürchtet, genetisch veränderte Pflanzen könnten verwildern und sich unkontrolliert in der nicht-kultivierten Umwelt ausbreiten.
2.4 Politische Kontroversen um direkte Folgen der grünen Genforschung
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höherem Einsatz von Herbiziden führt (BMVEL 2002b: 7; Maxeiner/Miersch 2003). Die zweite Einschränkung bezieht sich darauf, dass sich keine zwingenden gesellschaftspolitischen Bewertungen aus diesen wissenschaftlichen Ergebnissen vornehmen ließen. So können einzelne Forschungsergebnisse von der Wissenschaft selbst unterschiedlich interpretiert werden. Beispielsweise wurde entdeckt, dass bei der Einbringung von Paranussgenen auf eine Sojabohnensorte allergieauslösende Potentiale übertragen wurden. In einem anderen Falle zeigte eine Untersuchung schädliche Auswirkungen einer Bt-Maissorte auf nützliche Insekten. Gentechnik-freundliche Wissenschaftler, wie Ingo Potrykus, sehen diese von kritisch eingestellten Forschern immer wieder herangezogenen Fälle als deutlichen Beleg für die gute Kontrollierbarkeit der grünen Gentechnik (Ohne Autor 2001). Schließlich seien diese Einzelfälle mit den herkömmlichen Sicherheitsüberprüfungen entdeckt worden (BBAW 2005a: 311).
2.4 Politische Kontroversen um direkte Folgen der grünen Genforschung 2.4 Politische Kontroversen um direkte Folgen der grünen Genforschung Die oben benannten negativen Kritikpunkte an der grünen Gentechnik spiegeln wohl nicht die mehrheitliche Stimmungslage der wissenschaftlichen Verbände in Deutschland wider. Zum wiederholten Male sprach sich 2004 eine ganze Reihe dieser Verbände29 ausdrücklich für Genfood aus und kritisierte gleichzeitig die restriktive Politik des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) unter der Leitung von Ministerin Renate Künast (BBAW 2005a: 342f).30 Aus Sicht dieser Verbände entbehrten die rot-grünen Haftungsregelungen „jeglicher rationalen Grundlage“. Ein wesentliches Ziel der gentechnikfreundlichen Forschung ist es, Gentechnik bei der Lebensmittelherstellung als normales Verfahren darzustellen. So verweist man darauf, dass es keinen Unterschied mache, ob Pflanzen durch gentechnische Verfahren, Züchtung oder andere herkömmliche Methoden in ihrer Erbsubstanz verändert würden.31 Es werde vergessen, dass die beschworenen ökologischen Risiken bereits 29 Zu ihnen gehören Deutsche Forschungsgemeinschaft, Akademie der Naturforscher Leopoldina, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. 30 Die Vereinigung deutscher Wissenschaftler lehnte zwar die Kritik der BBAW und anderer Verbände an der rot-grünen Gentechnikpolitik ab, bezog allerdings keine eindeutige Position für oder gegen Genfood. 31 Es sei daher auch korrekterweise nicht von „genetisch veränderten“, sondern von „transgenen“ Pflanzen zu sprechen, da so gut wie alle Nutzpflanzen genetisch veränderte Wildpflanzen darstellten und der Unterschied lediglich darin bestehe, dass nun Gen-Bestandteile von einem Lebewesen auf
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
Jahrhunderte lang bei der konventionellen Züchtung eingegangen worden seien (Ohne Autor 2001). Wissenschaftliche Verbände in Deutschland sehen Genfood also überwiegend positiv. Die schlecht informierten politischen Gegner von Genfood gefährdeten die Forschungsfreiheit. Es handele sich bei der grünen Gentechnik um eine zukunftsträchtige Technologie, die das Wirtschaftswachstum ankurbele und Arbeitsplätze schüfe. Man sieht sich in enger Kooperation mit der Wirtschaft und fordert von der Politik geringere bürokratische Hürden für Forschung und Anwendung im Bereich Genfood. Wegen der anhaltend übertriebenen Skepsis habe die deutsche Forschung bereits ihre Vorreiterrolle an innovationsfreudigere Länder wie die USA verloren (Akademieunion 2004). In der internationalen Standortkonkurrenz könne man so nicht mithalten. Der wissenschaftliche Nachwuchs wandere in andere Länder ab (BBAW 2005b: 26). Die Gegner von Genfood kritisieren die vermeintlich von partikularen Interessen geleitete Politik der Forschungsverbände. So verlangten Umwelt-, Verbraucherschutz- und Ökolandbau-Verbände in einem Offenen Brief an den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Winnacker, Auskunft darüber, in wessen „Diensten“ er stehe. Hintergrund waren die energischen Voten Winnackers für Genfood und seine verschiedenen Ämter in Unternehmen der gentechnischen Wirtschaft.32 Die negative Interpretation von Forschungsergebnissen von Seiten der Gentechnikgegner beruht hierbei nicht, wie von Seiten der Forschungsverbände vermutet wird, vorrangig auf moralischen und ethischen Bedenken. Vielmehr wird der wissenschaftliche Ansatz der Genforschung selbst in Frage gestellt. Statt der auf Kooperation mit der Wirtschaft angelegten analytisch-reduktionistischen Optimierung einzelner Teile der konventionellen Landwirtschaft sei eine ökologisch und sozial verantwortliche Forschung notwendig. Die indische Autorin und Aktivistin Vandana Shiva steht beispielhaft für diese grundlegende Kritik an der Genforschung (Shiva 2002: 38ff). Maßstab zur Bewertung der Gentechnik solle nicht die herkömmliche Orientierung auf Wachstum und Innovation, sondern die nachhaltige Nutzung der gegebenen Biodiversität und die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse sein. Bezugsrahmen dieser ökologisch orientierten Kritik an der Genforschung und ihrer Anwendung in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion ist eine kritische Einstellung gegenüber der Rolle von Wissenschaft bei der Einführung neuer Technologien, wie z.B. der Atomkraft. Es wird zudem auf die Diskussionen um BSE oder Asbest verwiesen, bei denen Experten mögliche Bedenken aufgrund mangelnder wissenschaftlich fundierter Beweise ignoein anderes übertragen werden. Die Betonung der Besonderheit dieser Pflanzen sei daher völlig übertrieben. 32 http://www.foodwatch.de/cmsimages/1098780664Winnacker_offener_brief.pdf
2.4 Politische Kontroversen um direkte Folgen der grünen Genforschung
47
rierten. Daher drohe ein „Gen-Gau“. In einem vielzitierten Artikel spricht Agrarexperte Graefe zu Baringdorf mit Verweis auf die Diskussionen um die Atomenergie gar von einem möglichen „gentechnischen Tschernobyl“.33 Die Gegner betonen, dass gerade die Übertragung von Genen von einem auf einen anderen Organismus eine unkontrollierbare und irreversible Beschleunigung der bisherigen Züchtungsmethoden darstelle. Auch würden die erkennbaren ökologischen und sozialen Risiken in der bisherigen Forschung heruntergespielt, indem diese bewusst nicht untersucht würden. Es gelte das Prinzip „don’t look, don’t find“ (Mertens 2003; Schneider 2003: 12ff). Von Seiten der kritisierten Forschung wird wiederum darauf verwiesen, dass die von den Gegnern verwendeten Begriffe wie „Biodiversität“, „ökologischer Schaden“ und die Unterscheidung zwischen „Kulturpflanzen“ und „Wildpflanzen“ problematisch seien. Sie entzögen sich wissenschaftlich eindeutiger Definitionen und Risikobewertungen. Manche Gegner von Genfood beschwören den Mythos der „Büchse der Pandora“ und wenden ein, dass der von partikularen Interessen geleitete unvorsichtige Umgang mit der neuen Technik und die schiere Neugier auf das Machbare dazu führen könnten, dass bislang nicht sichtbare Risiken die Allgemeinheit gefährdeten und nicht mehr rückgängig zu machende Veränderungen hervorrufen könnten. Um diesen Entwicklungen vorzubeugen, sollte Genfood zum einen entsprechend dem „Vorsorgeprinzip“ (precautionary principle) auch ohne eindeutige wissenschaftliche Befunde restriktiv behandelt werden, um mögliche Gefahren abzuwehren. Zum anderen sollte das „Verursacherprinzip“ zur Anwendung kommen, dem zufolge die Unternehmen und Forschungseinrichtungen für alle möglichen Folgeschäden haftbar gemacht werden können. Die Befürworter von Genfood sehen in diesen Argumentationsmustern eine innovationsfeindliche und irrationale Sichtweise. Eine den bisherigen Naturzustand konservierende Haltung sei moralisch nicht vertretbar. Ohne gewisse Risiken einzugehen, wäre keine der heute bedeutenden technologischen Neuerungen möglich gewesen. So bemühte der amerikanische Rechtsphilosoph Ronald Dworkin den Prometheus-Mythos, um seine positive Sichtweise auf die Gentechnik zu begründen. Es sei eben eine dem Menschen ureigene Neigung, Gefahren einzugehen und den Fortschritt voranzutreiben (Dworkin 1999).
33
TAZ, 27.4.2004, S. 6.
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
2.5 Kontroversen um wirtschaftliche und soziale Folgen 2.5 Kontroversen um wirtschaftliche und soziale Folgen Ein weiterer Schwerpunkt der unterschiedlichen Diskussionen um Genfood sind die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Gentechnik. In Deutschland erhoffen sich die Befürworter und insbesondere Pharma- und Agrarunternehmen neue Innovationsmöglichkeiten und Wachstumschancen. Diese brächten auch Vorteile für die Landwirte und Konsumenten mit sich und schüfen Arbeitsplätze. Da Genfood und grüne Gentechnik in einer globalisierten Wirtschaft nicht mehr allein national reguliert würden, müssten positivere Bedingungen allein schon aus Gründen der Standortkonkurrenz geschaffen werden. Die Gegner wenden ein, dass die wirtschaftlichen Erfolge auf sich warten ließen und eher Projektionen in die Zukunft darstellten. Stattdessen machten Gentech-Firmen wie Monsanto hohe Verluste. Statt genereller Ertragssteigerungen seien in einigen Fällen Erträge sogar gesunken und steigende Produktionskosten für Landwirte zu beobachten gewesen. Dagegen verweisen die Befürworter auf die rasanten Zuwächse der Anbauflächen und auf positive Erfahrungsberichte von Landwirten. Gegenwärtig befürchten die Gegner analog zum Bild „David gegen Goliath“ eine größere Abhängigkeit der Landwirte von großen Gentech-Firmen. Die patentrechtlich geschützten Gen-Pflanzen von Großkonzernen könnten mittelfristig zu einer Verdrängung von kleinen und mittelständischen Agrarunternehmen führen (Schneider 2003). Eine idealtypische und viel zitierte Erzählung unter den Gegnern ist der Rechtsstreit zwischen dem kanadischen Bauern Percy Schmeiser34 und dem multinationalen Saatgutunternehmen Monsanto. Auf den Feldern des konventionell wirtschaftenden Kleinbauern in der kanadischen Provinz Saskatchewan fanden private Ermittler von Monsanto erhebliche Anteile des firmeneigenen patentrechtlich geschützten round-up-ready-Rapses. Monsanto zufolge habe Schmeiser diese Saaten illegal erworben und keine Lizenzen an das Unternehmen gezahlt. Schmeiser hingegen bestreitet, jemals bewusst fremdes Saatgut verwendet zu haben. Der Anteil von Monsanto-Raps könne nur aus der Kontamination von Nachbarfeldern herrühren.35 Die darauf folgende Klage von Monsanto gegen Schmeiser avancierte zum weltweiten Paradebeispiel der Gegner für die negati34
Siehe www.percyschmeiser.com. Im August 1998 verklagte Monsanto Schmeiser daraufhin auf Schadensersatz. Es folgte eine Reihe von Gerichtsverhandlungen, die Schmeiser zunächst verlor. Schließlich entschied 2004 der Oberste Gerichtshof Kanadas, dass Schmeiser die Schadenssumme in Höhe von umgerechnet ca. 90.000 Euro zwar nicht bezahlen müsse. In der Hauptsache untermauerte allerdings das Gericht Monsantos allgemeinen Anspruch auf das Patent und die Lizenzen für round-up-ready-Raps. Der mittlerweile 75jährige Schmeiser reagierte auf das Urteil und das Verhalten von Monsanto, indem er das Unternehmen nun seinerseits auf Schadensersatz wegen der Kontamination seiner Felder verklagte. Die Klage ist bislang nicht entschieden.
35
2.5 Kontroversen um wirtschaftliche und soziale Folgen
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ven wirtschaftlichen Auswirkungen von Patenten auf genetisch veränderte Pflanzen und die unkontrollierte Ausbreitung von Gen-Saaten. Die Gegner sehen das Gerichtsverfahren zwischen Schmeiser und Monsanto als Beispiel für die sozial ungerechten Auswirkungen von Genfood. Die Befürworter von Genfood haben diese Deutung wirtschaftlicher und sozialer Folgen der Gentechnik erkannt und sind bemüht, einen Rollentausch in der öffentlichen Auseinandersetzung vorzunehmen und sich als Opfer übertriebener Technikfeindlichkeit darzustellen. Ansatzpunkte hierfür sind in Deutschland die konfrontativen Protestaktionen von Umweltaktivisten und insbesondere die Zerstörungen von Versuchsfeldern. So klagt der bekannte Genforscher Ingo Potrykus über Drohungen per Telefon und Internet. Er sei bei Veranstaltungen von Studierenden seiner Universität niedergeschrieen worden, und wegen solcher Proteste hätte der Sicherheitsdienst öfters einschreiten müssen. Dieses nahm er zum Anlass, sein Gewächshaus, „handgranatensicher“ mit zehn Zentimeter dickem Spezialglas umzubauen (Ohne Autor 2001). Allerdings ist der zentrale Bezugspunkt der Gentechnik-Befürworter nicht so sehr die Situation in nördlichen Industrieländern, sondern die in Ländern des Südens. Genfood-Gegner wie Vandana Shiva hatten bereits Mitte der 1990er Jahre vor den fatalen Auswirkungen der „grünen“ Gentechnik in den Ländern des Südens gewarnt. Shiva fasst die grüne Gentechnik als die logische Fortsetzung vergangener ökologischer Zerstörung und sozialer Ausbeutung durch die grüne Revolution auf. Durch diese setze sich der Kolonialismus in Form von „Biopiraterie“ fort. Während es früher um die Eroberung und Unterwerfung der äußeren Welt, also um Rohstoffe und Landrechte ging, würde nunmehr die Kolonisierung auf die inneren Räume, also die Gene von Lebewesen in den Ländern des Südens, ausgedehnt. Shiva kritisiert, dass durch Patente auf genetische Informationen, die durch Freihandelsabkommen geschützt werden, nunmehr der vollkommene Durchgriff auf vormals subsistenzwirtschaftliche Strukturen ermöglicht werde (Shiva 2002: 38ff.). Andere befürchten durch Genfood einen weiteren Schub hin zu konventionellen landwirtschaftlichen Großbetrieben und dadurch eine beschleunigte Expropriation oder Verarmung von Kleinbauern im Süden (Spangenberg 2003). Auch hier stehe Monsanto als Beispiel dafür, wie von Kleinbauern Lizenzgebühren für ökologisch und ökonomisch schädliche sowie gesundheitsgefährdende Technologien gefordert würden. Shiva sieht in den bestehenden gentechnischen Wirtschaftsstrukturen „ein System der totalen Privatisierung der Profite, bei totaler Sozialisierung der Kosten“ am Werk (Shiva 2002: 49). Kritisiert werden insbesondere Terminator-Technologien bei Saatgut. Gemeint sind bereits in Erprobung befindliche Anwendungen, mit denen verhindert wird, dass genetisch veränderte Pflanzen eine keimfähige Ernte produzieren, die als Saatgut verwendet werden kann. So kann erzwungen werden, dass Bauern
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nach jeder Ernte erneut Saatgut kaufen müssen. Viele Skeptiker und Gegner von Genfood in Deutschland haben sich die Kritik an der Gentechnik aus dem Süden zu eigen gemacht. So äußern sich kirchliche Vertreter und insbesondere Akteure aus der Entwicklungszusammenarbeit wie Misereor oder die im linksradikalen Spektrum angesiedelte BUKO-Agrarkoordination kritisch zu den Folgen der Gentechnik in den Ländern des Südens. Die Befürworter sehen das anders. Insbesondere die Terminator-Technologie berge die Chance, eine unkontrollierte Auskreuzung von genetisch veränderten Pflanzen zu verhindern. Während es nicht überrascht, dass Genforscher und die bekämpften Unternehmen auf den Nutzen der Gentechnik für südliche Länder hinweisen, gibt es durchaus auch Stimmen von Umweltschützern und Akteuren aus der Entwicklungszusammenarbeit, die in der Gentechnik mehr Chancen als Gefahren sehen. Sie halten den Gegnern entgegen, dass sie kein Recht hätten, für die Bevölkerung im Süden zu sprechen.36 Faktisch begrüßten sowohl die Bevölkerungen als auch die Regierungen vieler südlicher Länder vermehrte Forschungen über Genfood. Aus Sicht der Befürworter sei der Nutzen für die Dritte Welt schon deshalb evident, weil die Anbauflächen sehr schnell zunähmen. Die Bauern entschieden sich freiwillig für genetisch veränderte Pflanzen, weil so Pestizide eingespart und höhere Gewinne erzielt würden. Mit der Beibehaltung bisheriger Anbaumethoden wären dagegen weitere Umweltzerstörungen durch die Ausdehnung von Ackerflächen nicht zu verhindern, da eine wachsende Weltbevölkerung auch mit einer wachsenden Menge von Nahrungsmitteln versorgt werden müsse (Maxeiner/Miersch 2003). In diesem Sinne spricht die Food and Agriculture Organization (FAO) in Analogie zur „grünen Revolution“ von einer möglichen „gene revolution“.37 In gleicher Weise befürwortete 2001 das United Nations Development Programme in seinem jährlichen Bericht die grüne Gentechnik. Als Fortsetzung der grünen Revolution, die seit den 1960er Jahren vor allem durch chemische Hilfsmittel, ertragreichere Sorten und Maschineneinsatz zu einer Verbesserung der Ernährungslage in Ländern des Südens geführt habe, solle nun die Gentechnik den Hunger in den Ländern des Südens bekämpfen helfen (UNDP 2001).38
36 Hier ist auch Vandana Shiva, die als Trägerin des alternativen Friedens-Nobel-Preises eine prominente Stellung in der Weltöffentlichkeit einnimmt, ins Visier der Kritik geraten. So verlieh das gentechnikfreundliche Liberty Institute India 2002 Vandana Shiva am Rande der Konferenz über nachhaltige Entwicklung in Johannesburg den „Bullshit Award for Sustaining Poverty“. Shiva trage durch ihre Positionen zur Verfestigung der Armut im Süden bei (Katzek 2003). 37 http://www.fao.org/newsroom/en/news/2004/41714/index.html. 38 In ähnlicher Weise hat sich auch die internationale Umweltorganisation IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) positiv über die Entwicklungschancen von Genfood geäußert.
2.5 Kontroversen um wirtschaftliche und soziale Folgen
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Besonders erzürnt zeigten sich die Befürworter von Genfood, als 2002 mehrere afrikanische Staaten Entwicklungshilfe aus den USA in Form von genetisch verändertem keimfähigem Getreide zurückwiesen. Die Ablehnung durch die afrikanischen Regierungen sei mit wissenschaftlich völlig unhaltbaren Argumenten drastischer Gesundheitsschäden durch die Lieferungen begründet worden. Hingegen sahen die Gegner von Genfood in dieser Form der Hungerhilfe für Afrika den Versuch, Genfood durch die Schaffung von Fakten durchzusetzen (Tippe 2003). Diese Art von Entwicklungshilfe sei ein trojanisches Pferd gewesen. Dies sei schon dadurch bewiesen, dass die US-Regierung sich weigerte, nicht genetisch verändertes Getreide zur Verfügung zu stellen. Die Ablehnung sei somit ein mutiger Schritt gewesen. Auch das wohl am häufigsten angeführte Beispiel für die positiven Potenziale von Genfood für die Länder des Südens, nämlich der so genannte Goldene Reis, ist umstritten. Ausgangspunkt für die genetische Veränderung des Reis war der Wunsch, ein Grundnahrungsmittel aus dem Süden zum Nutzen der dortigen Bevölkerung zu optimieren. Die einseitige Ernährung mit Reis wird von Ernährungswissenschaftlern als Ursache für frühzeitigen Tod, Mangelerkrankungen und die Erblindung von Kindern insbesondere in Südostasien gesehen. Daher entwickelten Ingo Potrykus von der Technischen Hochschule Zürich und Peter Beyer von der Universität Freiburg eine Reissorte, die dank genetischer Veränderung deutlich mehr Vitamin A produziert und so die Entstehung von Mangelerscheinungen verhindern soll.39 Für die Befürworter von Genfood ist diese Entwicklung der Beweis, dass wirtschaftliche und soziale Fortschritte vereinbar sind und die grüne Gentechnik ein hohes Potenzial für die Bekämpfung von Hunger und Elend in südlichen Ländern aufweist. Die Gegner führen jedoch zwei Gründe gegen den Goldenen Reis an. Zum einen basiere die Konzeption auf einer ähnlich fehlerhaften Diagnose des Ernährungsproblems, die schon bei der grünen Revolution mehr Schaden als Nutzen gestiftet habe (Shiva 1991). Mangelernährung beruhe wie Hunger vor allen Dingen auf sozial ungerechter Verteilung gesellschaftlichen Reichtums. Die einseitige Mangelernährung mit weißem Reis sei auch ohne Gentechnik mit sozial und kulturell besser verträglichen Maßnahmen zu beheben. Die Betroffenen müssten in die Lage versetzt werden, die mit traditionellen Anbau- und Esskulturen verschwundenen vitaminreichen Gemüsepflanzen wieder anbauen zu können. Die konventionelle, auf Monokulturen ausgerichtete Landwirtschaft habe gerade zur Mangelernährung beigetragen, indem eine einseitige Ernährung mit Reis vorprogrammiert wurde (Brauner 2003). Einfache Abhilfe wie der Verzehr von Fleisch, Gemüse und Obst scheitere eben an drückender Armut. So kam der Greenpeace39
Der Goldene Reis wurde erstmals 1999 vorgestellt und seitdem ständig weiter entwickelt.
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
Sprecher Michael Hopf zu dem Schluss, dass momentan „Gen-Reis die teuerste, am schlechtesten ausgereifte und ökologisch gefährlichste Methode“ sei, um gegen Vitamin-A-Mangel vorzugehen (Ohne Autor 2001). Zum anderen handle es sich bei der Entwicklung des Goldenen Reis um ein Täuschungsmanöver, um die Öffentlichkeit für Genfood einzunehmen. In diesem Sinne bezeichnete Vandana Shiva den Goldenen Reis als „ein trojanisches Pferd, um gentechnisch veränderte Nutzpflanzen und Lebensmittel in den Markt zu drücken” (Ohne Autor 2001). Die Entwicklung des Goldenen Reis sei eine Missachtung der Ernährungssouveränität, also des Rechts, über die Zusammenstellung der eigenen Nahrung selbst bestimmen zu können, und des Rechts auf eigene unabhängige Nahrungsmittelproduktion (BMVEL 2002b: 27). Diese Entwicklung aus nördlichen Labors diene dazu, das alltägliche Leben in südlichen Ländern zu kontrollieren. Nicht minder scharf reagieren die Befürworter von Gentechnik auf die Vorwürfe. So warf Ingo Potrykus Greenpeace und anderen Kritikern wörtlich vor, „letzten Endes dafür verantwortlich“ zu sein, „dass viele Kinder erblinden und sterben“. Er halte ein solches ideologisch motiviertes Verhalten „für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Ohne Autor 2001).
2.6 Kontroversen um Landwirtschaft, Lebensmittelmarkt und Verbraucherrechte 2.6 Kontroversen um Landwirtschaft, Lebensmittelmarkt, Verbraucherrechte Insbesondere mit dem Wechsel zu einer rot-grünen Bundesregierung war – auch in Folge von BSE und anderer Lebensmittelskandale – eine Schwerpunktverlagerung des Diskurses zu bemerken. Hintergrund waren nicht nur neue EU-Vorgaben zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von Genfood. Der Lebensmittelbereich erlebte eine verstärkte Politisierung. Die dezidiert politische Strategie der Verbreitung ökologischer Landwirtschaft und Lebensmittel sollte bestehende Potentiale politisch bewussten Konsums realisieren. Eine Abkehr von konventionellen landwirtschaftlichen Methoden, die vor allem auf Effizienz und Masse ausgerichtet waren, bildete neuen Stoff für die Diskussion um Genfood. Insbesondere der Öko-Landbau, umweltfreundliche Verbraucherschutzverbände wie foodwatch und Umweltorganisationen sahen in Genfood eine Marktstrategie, die gegenwärtigen Tendenzen auf dem Lebensmittelmarkt zu mehr Qualität, umwelt- und verbraucherfreundlicheren Methoden und höherwertigen Produkten diametral entgegenstehe. Die bisherigen Gen-Pflanzen hätten stattdessen vor allem Kostenreduktionen für die konventionelle Landwirtschaft zum Ziel. Angesichts landwirtschaftlicher Überproduktion und fallender Preise bei konventionellen Lebensmitteln wäre dies keine wirtschaftlich nachhaltige Strategie.
2.6 Kontroversen um Landwirtschaft, Lebensmittelmarkt, Verbraucherrechte 53 Allerdings wurden schon früher Diskussionen über Genfood in Hinsicht auf Lebensmittelwirtschaft und Verbraucherrechte geführt. Ende der 1990er Jahre sorgten die offensiven Markteinführungen von Genfood, wie z.B. des Schokoriegels Butterfinger in Europa oder der Anti-Matsch-Tomate in den USA, für Aufsehen. Allerdings verkannten die Produzenten die Skepsis der Verbraucher und scheiterten kläglich. Die Ende 2000 bekannt gewordene Starlink-Affäre in den USA sorgte auch in Deutschland für Diskussionen über die politische Regulierbarkeit von Genfood bei der Lebensmittelherstellung. Der wegen seiner Zusammensetzung nur als Tierfutter zugelassene genetisch veränderte StarlinkMais der Firma Aventis wurde damals von Genfood-Gegnern in Nahrungsmitteln nachgewiesen. Die Markteinführung scheiterte aus zwei Gründen: Zum einen nahm man fälschlicherweise an, die Verbraucher würden Genfood nur deswegen ablehnen, weil sie als „Laien“ noch keine Erfahrungen damit gemacht hatten. Zum anderen wurden zum Teil zweifelhafte, teils schlicht manipulative Kommunikationsstrategien angewendet. Zum Beleg verweisen Genfood-Gegner immer wieder auf ein internes Strategiepapier, das von der PR-Firma Burson Marsteller für den gentechnischen Unternehmensverband Europa-Bio erstellt wurde. Aufgelistet werden in diesem Papier Mittel der „psychologischen Kriegsführung“, manipulatives Wahrnehmungsmanagement und die Beschwörung von Symbolen statt Logiken (Ohne Autor 1998). Auch wird insbesondere Firmen wie Monsanto und Aventis vorgeworfen, Profitinteressen durch „ethische Köder“ zu kaschieren (Schneider 2003: 12). So konterkarieren Genfood-Gegner den Firmennamen „Monsanto“, dessen Namen im romanischen Sprachraum eine religiöse Konnotation aufweise („Mon“ franz.: „Mein“, „Santo“ span.: „Heiliger“), als „Mon Satan“ oder „Mutanto“ (Hofmann 2003: 43). Kleinere Gruppen von Genfood-Gegnern belassen es nicht bei bloß verbaler Kritik. So wurden in mehreren Ländern in den vergangenen Jahren immer wieder Sabotageakte verübt. Eine größere Aktion fand in Frankreich statt, als im August 2004 rund 1.500 Aktivisten ein Feld mit gentechnisch behandeltem Getreide vorzeitig und illegal abmähten. Ähnliche Proteste wurden in den letzten Jahren auch in Deutschland durchgeführt. Die Kampagne „GENDRECK WEG! – Freiwillige Feldbefreiung“ führte beispielsweise im Sommer 2005 eine Feldzerstörung nahe Berlin durch.40 Die Gegner veranstalteten auch Protestzüge, Kundgebungen und andere demonstrative und symbolische Aktionen. Eine breite mediale Aufmerksamkeit erreichte Greenpeace mit seinen Aktionen gegen Lebensmittelproduzenten wie Müller-Milch im Jahr 2004 oder gegen Landliebe zwei Jahre später. Unter anderem etikettierten dabei Aktivisten Milchprodukte in Super40
http://www.gendreck-weg.de
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
märkten nachträglich als Genfood, um gegen fehlende Kennzeichnungsvorschriften zu protestieren. Als symbolischen Protest gegen die Praxis des EU-Patentamts meldete beispielsweise Greenpeace im Juni 2002 ein Patent auf Currywurst an.41 Damit sollte die Verwischung von Entdeckung und Entwicklung durch die Europäische Patentrichtlinie persifliert werden. Hintergrund war unter anderem die Befürchtung, dass durch die Vergabe von Patenten an multinationale Konzerne die Kleinbauern in Ländern des Südens in neue Abhängigkeitsverhältnisse getrieben würden. Weder manipulative PR-Strategien noch die durchaus plurale Berichterstattung in den Medien haben etwas an der grundlegenden Ablehnung der Verbraucher in Europa geändert. In den letzten zehn Jahren haben Umfragen mit unterschiedlichen Frageformulierungen immer wieder zu dem Ergebnis geführt, dass mal zwei Drittel, mal drei Viertel oder mehr der Befragten Genfood ablehnend gegenüber stehen und eine überwältigende Mehrheit eine generelle Kennzeichnung solcher Nahrungsmittel fordert.42 Auch die „Abstimmung mit den Füßen“ auf dem Lebensmittelmarkt untermauert diesen Eindruck. So versprechen mittlerweile europaweit namhafte Händler und Produzenten von Lebensmitteln sowie Supermarktketten, auf Genfood zu verzichten.43 Die ablehnende Haltung in der Bevölkerung rührt wahrscheinlich von der Wahrnehmung her, dass Genfood keinen konkreten Nutzen für den Endkonsumenten verspricht und Risiken nicht völlig auszuräumen sind. Die Gegner fühlen sich bestärkt und betonen, dass nicht alles, was machbar ist, auch realisiert wer41
http://archiv.greenpeace.de/gp_grafik/karten/currypat.pdf; www.diecurrywurst.de/ Neben den Eurobarometer-Daten zeigt auch die GFK-Marktforschung eine deutliche Ablehnung von Genfood. Im Frühjahr 1999 lehnten über 75 Prozent der Befragten die Entwicklung und Einführung gentechnisch veränderter Lebensmittel ab. Fast alle Befragten (95 %) waren für eine durchgängige Kennzeichnungspflicht. Auch Fokusgruppen-Untersuchungen in Baden-Württemberg bestätigen diese Ergebnisse (Renn 2003). Das Meinungsforschungsinstitut TNS-Emnid ermittelte im September/Oktober 2003, dass sich knapp 75 Prozent der deutschen Konsumenten nicht oder eher nicht mit gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln ernähren würden. 88 Prozent der Befragten hielten eine Kennzeichnung genetisch veränderter Nahrungsmittel für wichtig (http://www.welthungerhilfe.de/ whhde/aktuelles/presse_archiv/gentechumfrage1.html). Weiterhin ermittelte im April 2004 das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der Wochenzeitschrift Stern, dass 68 Prozent der deutschen Verbraucher keine gentechnisch veränderten Lebensmittel kaufen wollten (http://www.stern.de/poli tik/deutschland/index.html?id=522974&q=gentechnik). Auch kam eine methodenkritische Untersuchung, die nach instabilen und künstlichen Aspekten von Befragungsergebnissen zur Gentechnik fragte, zu dem Schluss, dass die Einstellungen in der Bevölkerung „hochgradig stabil“ seien (Urban 1998: 40). 43 Europaweit sprachen sich Ende der 1990er Jahre mit Tesco (Italien), Sainsbury (Großbritannien) und Carrefour (Frankreich) große Lebensunternehmen gegen Genfood aus. In Deutschland sicherten nach den gescheiterten Markteinführungsversuchen Firmen wie Tegut, Metro, Nestlé und Rewe schriftlich zu, auf Genfood im Sortiment zu verzichten, was im Umkehrschluss allerdings auch heißt, dass Genfood von anderen Firmen weiter vermarktet wird. 42
2.7 Der politische Regulierungsdiskurs
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den müsse. Kommt eine Wahrnehmung hoher Risiken hinzu, sprechen die Gegner gar von Genfood als „Frankenstein-Lebensmittel“ (Shiva 2001: 91) und von einem Feldversuch mit der Bevölkerung. Hinzugekommen ist im Verlaufe der Debatte auch die Frage, inwieweit Verbraucher das Recht auf transparente Kennzeichnung von Genfood haben sollten. Dabei gingen die Befürworter lange Zeit davon aus, dass Genfood dann nicht gekennzeichnet zu werden braucht, wenn es zwar zur Anwendung gekommen ist, später allerdings nicht mehr technisch nachweisbar ist. Wie weiter unten ausgeführt wird, hat die EU-Gesetzgebung in dieser Hinsicht allerdings die Kennzeichnungsbestimmungen für Genfood verschärft. Bis 2004 wurde immer wieder der Vorwurf erhoben, dass die Verbraucher getäuscht würden und keine echte Wahlfreiheit hätten, indem der Eindruck erweckt werde, „kennzeichnungsfreie“ Nahrungsmittel seien auch „gentechnikfrei“. Über die Ausweitung des Anbaus genetisch veränderter Pflanzen geraten auch die Interessen der Landwirtschaft stärker in die Diskussion. Mit Verweis auf mögliche Kontaminationen, wie im obigen Falle des kanadischen Farmers Schmeiser, befürchten ökologische Landwirte enorme Behinderungen, eventuell sogar das eigene wirtschaftliche Ende durch die Einführung von genetisch veränderten Pflanzen, weil für sie zumeist vorgeschrieben ist, dass keine Gentechnik zum Einsatz kommen darf. Radikalere Stimmen fordern daher ein Verbot der Gentechnik, selbst wenn keine konkreten Risiken und Gefahren nachzuweisen sind. Eine Koexistenz von Gen-Landwirtschaft und anderen Anbauformen sei praktisch unmöglich. Vermischungen, Kontaminationen und Auskreuzungen seien nicht zu verhindern, und somit werde die Gentechnik über kurz oder lang durch die Hintertür erzwungen (Schneider 2003: 12ff). Nimmt man hingegen an, dass eine Koexistenz technisch machbar ist, entschärft sich der Konflikt. Insbesondere ist zu klären, in welchem Ausmaß Schutzvorkehrungen zu treffen sind, wer die Kosten hierfür trägt und inwieweit dieser Prozess für die Verbraucher transparent sein sollte. Insbesondere die Frage, wer finanziell für die unkontrollierte Ausbreitung von Genpflanzen haften soll, sorgte für Streit beim neuen Gentechnikgesetz der rot-grünen Bundesregierungen, wie im Folgenden näher erläutert wird.
2.7 Der politische Regulierungsdiskurs 2.7 Der politische Regulierungsdiskurs Einzelne Länder haben den Umgang mit Genfood überhaupt nicht, andere Länder (u.a. die USA) haben ihn sehr großzügig geregelt. Gerade im Vergleich zu den gesetzlichen Bestimmungen in den USA bestehen in Europa gegenüber Genfood weitaus größere Bedenken, die sich auch in einer anderen Rechtslage nie-
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
derschlagen. So wird in der EU jede genetisch veränderte Pflanzensorte eingehender auf Risiken hin untersucht als in den USA (Heine et al. 2002; Sauter/Meyer 2000: 52). Da die USA und die EU durch ihre wirtschaftliche Stellung weltweit tonangebend in der Regulierung von Genfood sind, wird den Unterschieden in den rechtlichen Vorkehrungen großes Gewicht zugeschrieben. Grund hierfür ist, dass beispielsweise EU-Regelungen einen hohen ökonomischen Einfluss auf Anbaubedingungen in Agrarexportländern haben. Weltweit zögern daher viele Länder damit, den Anbau von Gen-Pflanzen zu forcieren, weil sie befürchten, ihre Exportchancen in den EU-Agrarmarkt zu gefährden. In vielen Ländern des Südens, aber auch im nördlichen Asien und Osteuropa scheint zudem die Lage uneindeutig und gesetzlich kaum reguliert zu sein. Die Haltung von Regierungen variiert von Land zu Land und unterliegt teilweise auch abrupten Kurswechseln. In Brasilien ließ die Regierung im Dezember 1999 illegal angebaute Gen-Soja-Pflanzungen in großem Maßstab zerstören,44 hat aber seit 2003 den Anbau per Dekret erlaubt. Die österreichische Regierung hatte bereits 1997 Freilandversuche mit gentechnisch manipulierten Pflanzen untersagt. In Deutschland sind in den letzten Jahren wesentliche Änderungen in der rechtlichen Rahmensetzung für Genfood vorgenommen worden.45 So wurden die Standorte für den 2004 zu Versuchszwecken in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und einigen weiteren Bundesländern ausgesäten Gen-Mais durch die Landesregierungen geheim gehalten, um die Felder mit einer Größenordnung von insgesamt 300 Hektar vor Zerstörung zu schützen. 2005 wurde diese Praxis durch das neue Gentechnik-Gesetz der rot-grünen Bundesregierung geändert. Nun sind alle Versuchsfelder in einem öffentlich einsehbaren Standortregister beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) verzeichnet. Ziel ist es, die Transparenz des bisherigen Versuchsanbaus zu sichern. Auch spielen die parlamentarischen Kräfteverhältnisse und der parteipolitische Einfluss auf einzelne Ministerien und Behörden eine wichtige Rolle. Wie in anderen Ländern war in Deutschland in den Ministerien für Forschung, Wirtschaft und Landwirtschaft bislang eine deutlich gentechnikfreundlichere Haltung vorzufinden als in Ministerien und Behörden für Umwelt- und Naturschutz (BBAW 2005b; Brauner 2003). Hier fand im Gefolge der BSE-Krise und vor allem auf Druck der rot-grünen Regierung eine deutliche Verschiebung zugunsten der Gentechnik-Skeptiker statt, indem das ehemalige Landwirtschaftsministerium in das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Land44 Nach inoffiziellen Schätzungen betrug die Anbaufläche für solche Pflanzen zwischen 600.000 bis eine Million Hektar (TAZ, 29.12.1999, S. 4). 45 Anfang der 1990er Jahre gab es mit dem damaligen Gentechnik-Gesetz bereits erste Regulierungen.
2.7 Der politische Regulierungsdiskurs
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wirtschaft (BMVEL) überführt und unter die Leitung der Grünen-Politikerin Renate Künast gestellt wurde.46 Nicht nur im Bereich Genfood sollten Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit und konventionelle Landwirtschaft zunehmend in die Diskussion um eine ökologische Landbauwende einbezogen werden. Deutschland ist bei der Regulierung von Genfood im Wesentlichen von Vorgaben der EU direkt abhängig und hat internationale Abkommen zu berücksichtigen (vgl. BMVEL 2002b: 25). So muss EU-Recht in nationales Recht überführt werden, wenn es einerseits um die Kennzeichnung von Genfood geht und andererseits genetisch veränderte Anbausorten zugelassen werden sollen. Innerhalb der EU wurde die Kennzeichnung von Genfood erstmals in der Novel Food-Verordnung von 1997 geregelt. Demnach war die Anwendung von gentechnisch veränderten Pflanzen oder Mikroorganismen bei der Herstellung von Lebensmitteln nur dann kennzeichnungspflichtig, wenn gentechnisch veränderte Bestandteile im Endprodukt nachgewiesen werden konnten. Seit 1998 galt innerhalb der EU für die Zulassung von Gen-Pflanzen ein de facto-Moratorium, sodass nur der Anbau weniger Sorten erlaubt war. Nach Art. 26 der aktuell gültigen Freisetzungsrichtlinie aus dem Jahre 2001 (2001/18/EG)47 können die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um die Abgrenzung zwischen Gen-Pflanzen und natürlichen Organismen sicherzustellen. Dies soll durch einen räumlichen Abstand zwischen Feldern mit gentechnisch veränderten und herkömmlichen Pflanzen gewährleistet werden, damit letztere nicht kontaminiert werden bzw. sich nicht mit Gen-Pflanzen kreuzen können. In Deutschland hätten die ursprünglichen Freisetzungs-Regelungen der EU bereits bis Oktober 2002 in einem Gesetz Berücksichtigung finden müssen.48 Ein erster Entwurf wurde im Frühjahr 2004 im Bundesrat abgelehnt, woraufhin das von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz im Juni in einen zustimmungspflichtigen und einen nicht zustimmungspflichtigen Teil aufgespaltet wurde. Letzterer enthielt einige stark umstrittene Regelungen, darunter das geforderte öffentlich einsehbare Register des Anbaus von Gen-Pflanzen sowie ein gesamtschuldnerisches Haftungsprinzip der Anwender von Gentechnik für den Fall, 46 Außerdem wurde die Kompetenz zur Zulassung von Genfood vom beim Gesundheitsministerium angelagerten Robert-Koch-Institut auf das neu geschaffene Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im Bundesministerium für Verbraucherschutz und Landwirtschaft übertragen (Sauter 2005: 126). 47 http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc = 32001L0018&model=guichett 48 So ermahnte die EU-Kommission in einer Presseerklärung Deutschland und elf weitere EU-Mitgliedsstaaten im April 2003, die Freisetzungs-Richtlinien schnellstens in nationales Recht umzusetzen. EU-Kommission, Genetically Modified Organisms: Commission requests twelve Member States to adopt and notify legislation (2003; http://europa.eu.int/rapid/pressReleasesAction.do?reference =IP/03/528&format=HTML&aged=0&language=EN&guiLanguage=en). Im Juli 2003 kündigte sie schließlich an, Klage beim Europäischen Gerichtshof einzureichen.
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dass bei gentechnikfreien Betrieben eine Verunreinigung durch Gen-Pflanzen vorliegt. Moderate Gegner von Genfood wie die Umweltverbände BUND und NABU begrüßten dieses neue Gentechnikgesetz.49 Die unionsgeführten Länder, von denen Sachsen-Anhalt sogar mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht gedroht hatte, hatten dank der zunächst ausgesprochenen Unterstützung durch zwei SPD-geführte Länder50 das im Vermittlungsausschuss „hängende“ Gesetzgebungsverfahren verzögern können. Ebenso hatten sich 23 der 25 „Bioregionen“ (regionale Zusammenschlüsse von Forschungsinstituten und BiotechFirmen) gegen das geplante Gesetz ausgesprochen, das einen „Innovationskiller“ darstelle. Eine erneute Abstimmung im Bundesrat führte im Juli 200451 aufgrund der Mehrheit der unionsregierten Länder wiederum zu einer Ablehnung des Gesetzesentwurfes der rot-grünen Bundesregierung. Jedoch verabschiedete daraufhin der Bundestag mehrheitlich den nicht zustimmungspflichtigen Teil des Gesetzes Ende November 2004 gegen das Votum des Bundesrats.52 Das Gesetz blieb bis zuletzt umstritten. Auch die EU-Kommission stellte im Juli 2004 fest, dass die deutsche Auslegung des Gentechnik-Gesetzes gegen die ursprünglichen Vorgaben verstieße.53 Zwar trat der nicht zustimmungspflichtige Teil des Gesetzesentwurfes schließlich im Februar 2005 in Kraft. Nach den Neuwahlen kündigte jedoch die neue Regierungskoalition aus Union und SPD umgehend an, beide Teile und insbesondere die bereits geltenden Haftungsregelungen umzugestalten. Hintergrund der Kontroverse um die Haftungsregelung ist die Frage, mit welchen Maßnahmen eine Koexistenz von gentechnikfreier und Gentechnik verwendender Landwirtschaft ermöglicht werden sollte. Hierbei ist das rot-grüne Gentechnik-Gesetz als Durchsetzung des Verursacherprinzips zu charakterisieren, da die Kosten einer unkontrollierten Ausbreitung von den Urhebern, also der Gentechnik anwendenden Landwirtschaft, zu tragen sind. Renate Künasts Nachfolger im umbenannten Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, hat allerdings sehr deutliche Änderungen der bisherigen Regelungen angekündigt und sorgte dafür, dass bis Ende 2005 drei gentechnisch veränderte Maissorten für den uneingeschränkten kommerziellen Anbau zugelassen wurden. Die vom Europäischen Parlament und Rat im September 2003 beschlossenen Verordnungen 1829/2003 und 1830/2003 regeln die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von Genfood. Die EU-Verordnungen gelten seit dem 18. 49
Vgl. Presseerklärung von NABU und BUND: http://www.bund.net/lab/reddot2/pressemitteilungen _3746.htm. 50 Im Oktober 2004 stimmten allerdings diese SPD-Länder im Vermittlungsausschuss der Vorlage der Bundesregierung zu. 51 http://www.biosicherheit.de/aktuell/298.doku.html. 52 http://www.biosicherheit.de/aktuell/313.doku.html. 53 http://www.biosicherheit.de/aktuell/299.doku.html.
2.7 Der politische Regulierungsdiskurs
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April 2004 in allen EU-Ländern. Ihnen liegt, anders als in der Vergangenheit, das „Anwendungsprinzip“ zugrunde. Demnach ist jede direkte Anwendung von gentechnisch veränderten Organismen bei der Herstellung oder Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln kennzeichnungspflichtig. Dabei ist es unerheblich, ob der Einsatz von Gentechnik im Endprodukt nachweisbar ist. Anstelle der bis dato geltenden Nachweiskontrolle muss jetzt die Information vorliegen, ob Nahrungsmittel aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden. Für die Lebensmittel- und Futterwirtschaft bedeutet dies, dass aufwändige Kontroll- und Nachweissysteme eingerichtet werden müssen. Aus Sicht der Verbraucher ergibt sich, dass für mehr Produkte als bisher eine Kennzeichnungspflicht besteht. Somit erhöhte sich die rechtlich vorgeschriebene Transparenz, und der Verbraucher erhält die Möglichkeit, mit seiner Kaufentscheidung nicht nur Einfluss auf die endgültige Zusammensetzung des Produkts, sondern auch auf die ursprünglich verwendeten Zutaten nehmen zu können. Mit diesen Regelungen wurden erneute Diskussionen über die Auslegung der Bestimmungen, Ausnahmen, Verbote und Einsickermöglichkeiten von Genfood entfacht. Auf internationaler Ebene sind die Vorschriften der WTO und des Biosicherheits-Protokolls der Vereinten Nationen für die Regulierung von Genfood relevant. Im September 2003 wurde das Biosicherheits-Protokoll der Vereinten Nationen (auch Cartegena-Protokoll über Biosicherheit), das bereits 2000 in Montreal beschlossen worden war, wirksam.54 Die dort vorgesehenen Regelungen beziehen sich auf den internationalen Handel mit lebenden genetisch veränderten Organismen, die zur Freisetzung bestimmt sind. Wenn beispielsweise genveränderter Mais exportiert wird, um als Saatgut verwendet zu werden, muss das Empfängerland im Rahmen festgelegter Verfahren um Erlaubnis gefragt werden. Anders als in der WTO sind vorsorgliche Einfuhrverbote im Biosicherheits-Protokoll auch ohne genaue wissenschaftliche Beweisführung möglich. Die im Rahmen der WTO vorgesehenen Regelungen über Hygienestandards und Artenreinheit (so genanntes SPS-Abkommen) erlauben Einfuhrbeschränkungen nur, wenn sich Sicherheitsbedenken auf wissenschaftlich unzweifelhaft nachgewiesene Schäden beziehen können. Für den Handel mit Saatgut bestehen also konkurrierende internationale Regelungen (BMVEL 2002b). Im Unterschied zu vielen anderen Ländern sehen die USA ihre Vorstellungen in den WTO-Regelungen besser vertreten als im Biosicherheitsabkommen. Auch führten schärfere EU-Regelungen zu einem Streit zwischen den USA und der EU innerhalb der WTO. Die US-Regierung klagte schließlich 2003 gegen die EU-Zulassungsbestimmungen. Zeitungsberichten55 über einen Zwischen54
Das Cartagena-Protokoll ist ein Nachfolgeabkommen der in Rio 1992 verabschiedeten Konvention über Biodiversität, das erstmals genetische Vielfalt als schützenswertes Gut einstufte. 55 TAZ, 08.02.2006, S. 7.
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bericht der WTO zufolge ist zu erwarten, dass der Streit zugunsten der USA entschieden wird. Die US-Regierung kündigte auch an, gegen die verschärften EU-Kennzeichnungsregelungen vor der WTO zu klagen. Sie sah darin Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten von Vertragsstaaten, die mit genetisch veränderten Pflanzen und Genfood handeln. In der EU ist man bezüglich Genfood zögerlicher und vorsichtiger als in anderen Ländern. Jedoch wird auf lange Sicht eine schrittweise Nutzbarmachung der Technologie angestrebt. So fiel das de facto-Moratorium innerhalb der EU im Mai 2004 mit der Neuzulassung einer genetisch veränderten Maissorte. Zuvor herrschte Zurückhaltung. So wurde beispielsweise die Entscheidung über die Zulassung einer umstrittenen Genmais-Sorte (MON 863), die von dem Konzern Monsanto beantragt worden war, im September 2004 aufgrund eines Votums des zuständigen Fachausschusses bei der Kommission verschoben. Dem vorausgegangen waren Bedenken vor allem französischer Forscher, die in Tierversuchen bei der Verfütterung dieser Maissorte zahlreiche „Anomalien“ festgestellt hatten. Umstritten ist bis dato auch, welcher Schwellenwert für die Kennzeichnung gentechnisch behandelten Saatguts (im Unterschied zu Lebensmitteln) festgelegt werden soll. Hatte die Kommission zunächst eine Kennzeichnung ab einer Verunreinigung von 0,3 Prozent ins Auge gefasst,56 so forderten Politiker der Grünen im Verbund mit Umwelt- und Verbraucherverbänden eine Schwelle von 0,1 Prozent.
2.8 Genfood als eigenständiges und vielschichtiges Politikfeld 2.8 Genfood als eigenständiges und vielschichtiges Politikfeld Genfood hat sich zu einem eigenständigen Politikfeld entwickelt, das ein breites Spektrum von politischen Akteuren, Handlungsformen, Thematisierungen und Positionen beinhaltet. Die in früheren Studien häufig anzutreffende Herangehensweise, Genfood lediglich als eine Facette des allgemeinen Diskurses um Gentechnik zu begreifen, wäre dieser Vielfältigkeit kaum noch gerecht geworden. Zwar sind Debatten über die direkten Folgen von Genfood nach wie vor an Fragen der Risikobewertung der Gentechnik allgemein gebunden. Insbesondere landwirtschaftliche und verbraucherrechtliche Aspekte treten jedoch zunehmend in den Vordergrund und verleihen der Problematik ein eigenständiges Profil. So stellt es für viele Gegner von Genfood keinen Widerspruch dar, Gentechnik bei der Herstellung von Medikamenten zu begrüßen.
56 Nach geltendem EU-Recht ist ein Anteil von 0,9 Prozent gentechnisch veränderter Substanz in einem Produkt erlaubt. In diesem Fall gilt eine Kennzeichnungspflicht.
2.8 Genfood als eigenständiges und vielschichtiges Politikfeld
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Genfood wird nicht nur als eigenständiges, sondern auch in sich kohärentes Politikfeld verstanden, obwohl die Thematik vielfältige Aspekte aufweist. Beteiligte können sehr wohl die wirtschaftlichen Aspekte von Genfood begrüßen und trotzdem die ökologischen Folgen von Genfood fürchten, um sich letzten Endes insgesamt für oder gegen Genfood auszusprechen. Auch nehmen an den Kontroversen um Genfood Akteure wie z.B. Verbraucherschutzverbände oder Saatgutfirmen teil, die zu anderen gentechnischen Anwendungen selten Stellung beziehen. Trotz dieser Eigenständigkeit kann kaum von einer einheitlichen Konfliktstruktur beim Thema Genfood gesprochen werden. Mal geht es vornehmlich um die Verteidigung der Entscheidungsautonomie von Konsumenten, mal reproduzieren sich ältere Konflikte zwischen neuen sozialen Bewegungen einerseits und Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft andererseits. So werden zuweilen Parallelen zur Atomkraft oder „grünen Revolution“ bemüht. Schließlich wird Genfood auch zum Streitpunkt zwischen linken und rechten politischen Parteien sowie zwischen Machtblöcken auf internationaler Ebene. Dabei wurden im Zeitverlauf immer neue Teildiskurse eröffnet, sei es um die Folgen von Genfood in Ländern des Südens oder um die Auslegung von EU-Recht. Allerdings gelang es keiner Seite, bestimmte Themenfelder für sich zu besetzen. Weder können die Befürworter unwidersprochen behaupten, Genfood sichere und schüfe Arbeitsplätze, noch haben es die Gegner erreicht, ökologische Schäden und Risiken in Folge von Genfood als wissenschaftlich unstrittige Tatsache zu etablieren. Dabei wiederholt sich ein Muster: In der Hoffnung, bestehende Diskursblockaden und Pattsituationen in bereits ausgiebig erörterten Bereichen zu überwinden, eröffnet eine Seite einen zusätzlichen Teildiskurs. Umgehend folgt ihr jedoch die andere Seite und entwickelt das entsprechende Gegenargument. Wie viel Aufwand dabei mitunter betrieben wird, verdeutlicht das Beispiel des Goldenen Reis. Dieser sollte nicht nur die Behauptung der Gegner entkräften, derzufolge Genfood negative Auswirkungen für die Länder des Südens habe, sondern auch ein positives Licht auf Forschung und Anwendung im Norden werfen, um so Bedenken gegen den Verzehr von Genfood zu zerstreuen. Die Reaktionen von Seiten der Gegner erfolgten prompt und heftig. Sie erstellten Gegenexpertisen zur Tauglichkeit des Goldenen Reis und kritisierten, dass die Ernährungssouveränität südlicher Bevölkerungen unterminiert werde. Trotz der Ausdifferenzierung verschiedener Teilkontroversen sorgte also das Spannungsverhältnis von Gegnern und Befürwortern stets dafür, dass die unterschiedlichen Themen und Argumente eng miteinander verknüpft blieben. Die Komplexität und Eigendynamik der zahlreichen eng miteinander verknüpften Kontroversen sollten allerdings nicht zu dem Schluss verleiten, es handele sich um ein abgesondertes und ganz einzigartiges Themengebiet. Vielmehr
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2 Der Risikodiskurs um Genfood
treten Konfliktstrukturen und Akteurskonstellationen auf, die Parallelen zu anderen gesellschaftspolitischen Bereichen aufweisen. Dies zeigt sich allein schon daran, dass kaum Akteure und Deutungsmuster in der Debatte vorzufinden sind, die erst mit dem Aufkommen von Genfood und unabhängig von tradierten Politikmustern entstanden sind. Von Anfang an wurde das Thema von bestehenden politischen Akteuren wie z.B. Umweltorganisationen oder wirtschaftsliberalen politischen Eliten aufgegriffen und in den Begrifflichkeiten bereits existierender Konflikte erörtert. Zusammenfassend kann unsere anfängliche Feststellung, beim Thema Genfood handele es sich um ein für unsere Fragen ideales Untersuchungsfeld, nun näher spezifiziert werden. Das Thema Genfood lässt sich nicht nur forschungspraktisch klar eingrenzen. Es wird auch von den Beteiligten selbst als eigenständiges Politikfeld begriffen. Zudem müssten die vermuteten Besonderheiten des Internet gerade beim Thema Genfood deutlich in Erscheinung treten. Die Beteiligten führen kontroverse Dialoge über eine Vielfalt thematischer Bezüge und Positionen. Die zahlreichen Diskursstränge sind dabei dicht miteinander verwoben. Ressourcenschwache zivilgesellschaftliche Akteure sind in starkem Maße vertreten und auch grenzüberschreitende Bezüge sind von hoher Bedeutung. Diskurse um Genfood unterscheiden sich somit deutlich von Politikfeldern, wie z. B. dem Steuer- oder Gesundheitssystem, die weniger offen für ressourcenschwache oder ausländische Akteure sind. Die Auswahl dieses Untersuchungsgegenstandes ist auch von methodischem Wert. Spielten die theoretisch formulierten Besonderheiten des Internet selbst in einem solcherart strukturierten Politikfeld kaum eine Rolle, so wäre zu vermuten, dass in weniger offenen Politikbereichen demokratieförderliche Impulse des Internet noch seltener zur Geltung kommen.
3 Empirische Untersuchungen 3 Empirische Untersuchungen
Unsere empirische Untersuchung orientiert sich an Hypothesen, die sich aus der Debatte um das politische Potential des Internet ableiten lassen (vgl. Abschnitt 3.1). Unser empirische Analyse gliedert sich in drei Teile: Den ersten Teil (Abschnitt 3.4) bildet einerseits eine Inhaltsanalyse von Texten, die durch die Verwendung der Suchmaschine Google im Internet gefunden wurden. Zum Vergleich wird andererseits eine Inhaltsanalyse von Zeitungsartikeln durchgeführt. Im zweiten Teil (Abschnitt 3.5) wird die Struktur der Hyperlinkverweise auf den Webseiten politischer Akteure untersucht. Der dritte Teil (Abschnitt 3.6) besteht aus einer Webseitenanalyse von Online-Angeboten politischer Akteure.
3.1 Untersuchungshypothesen 3.1 Untersuchungshypothesen Die Hoffnungen und Befürchtungen, die sich insbesondere um Online-Diskurse ranken, lassen sich anhand technischer Eigenschaften des Internet aufzeigen. Darauf bauend formulieren wir vier leitende Hypothesen, die teilweise vor dem Hintergrund eines Vergleichs des Internet mit Zeitungen zu verstehen sind. Erstens ist das Internet eine Kommunikations- und Informationstechnologie, die es jedem erlaubt, seine Informationen und Anliegen einem breiten Publikum medial zugänglich zu machen. Die Kosten, eine Webseite zu betreiben, sind – im Vergleich zur Produktion einer Zeitung, eines Radio- oder Fernsehsenders – verschwindend gering. Politische Akteure sind demnach nicht mehr darauf angewiesen, dass die Medien über sie berichten, um öffentliche Sichtbarkeit zu erlangen. Stattdessen können sie die Bürger über ihre eigene Webseite erreichen. Da es insbesondere ressourcenschwachen zivilgesellschaftlichen Akteuren ohne politischen Einfluss und Macht nur selten gelingt, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, scheint das Internet gerade ihnen neue Möglichkeiten der Teilhabe an politischen Diskursen zu bieten. Entsprechend lautet unsere erste Hypothese: 1.
Diskurse im Internet zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine größere Bandbreite von Sprechern bzw. Akteuren einschließen sowie einen höheren Anteil an kleinen und ressourcenschwachen Akteuren aufweisen. In diesem
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3 Empirische Untersuchungen Sinne begünstigen sie – relativ zu Diskursen in Zeitungen – in stärkerem Maße die zivilgesellschaftlichen Akteure der „politischen Peripherie“.57
Aus der Hypothese 1 ergibt sich zweitens, dass die größere Bandbreite von Sprechern auch zu einem breiter gefächerten Meinungsbild führt als dies in herkömmlichen Massenmedien der Fall ist. Weiterhin ist zu vermuten, dass die Akteure die Möglichkeit, sich direkt an ein breites Publikum zu richten, in erster Linie dazu nutzen, ihre eigenen Positionen zu stärken und dafür Unterstützung zu erlangen. Daraus leitet sich unsere zweite Hypothese ab: 2.
Diskurse im Internet enthalten in ihrer Gesamtheit ein breiteres argumentatives Spektrum. Allerdings sind aufgrund weitgehend abwesender journalistischer Kriterien und Kontrollen die einzelnen Texte stärker parteilich und repräsentieren somit auch weniger die Argumente der jeweiligen Gegenseite. Entsprechend enthalten sie auch mehr auf Mobilisierungen ausgerichtete Elemente (z.B. Protestaufrufe).
Neben der Möglichkeit, das Publikum über eine eigene Webseite zu erreichen, bietet das Internet drittens neue Möglichkeiten der interaktiven Kommunikation und weist keine inhärent hierarchischen Kommunikationsstrukturen wie die herkömmlichen Massenmedien auf. Vielmehr stellt es in seiner Gesamtheit ein dezentral organisiertes Kommunikations- und Informationsnetzwerk dar. Hieraus ergibt sich unsere dritte Hypothese: 3.
Diskurse im Internet weisen eine stärker interaktive, verzweigte und dezentrale Kommunikationsstruktur auf.
Viertens ist das Internet ein transnationales Medium, das keine räumlichen Grenzen kennt, sondern eine weitgehend unbeschränkte weltweite Information und Kommunikation ermöglicht. Dementsprechend lautet unsere vierte Hypothese: 4.
Diskurse im Internet weisen einen höheren Grad an grenzüberschreitender Information und Kommunikation auf.
57 Die Unterscheidung von politischem Zentrum und Peripherie nimmt Habermas im Anschluss an Peters (1992: 337 ff.) vor. Der Kernbereich des Zentrums besteht aus den „institutionellen Komplexen der Verwaltung (einschließlich der Regierung), des Gerichtswesens und der demokratischen Meinungs- und Willensbildung (mit parlamentarischen Körperschaften, politischen Wahlen, Parteienkonkurrenz usw.)“ (Habermas 1992: 430). Die polyarchisch strukturierte Peripherie besteht aus Assoziationen, Verbänden, sozialen Bewegungen, kulturellen Einrichtungen, public interest groups, Kirchen und dergleichen.
3.2 Methodische Konzeption der Studie
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3.2 Methodische Konzeption der Studie 3.2 Methodische Konzeption der Studie Wie in Abschnitt 1.2 dargestellt wird, beschränken sich die meisten der bisher durchgeführten Untersuchungen von Online-Diskursen auf Inhaltsanalysen von Diskussionsforen und Chats. Hierbei wird das Internet als eine bloße Ansammlung einzelner unzusammenhängender Webseiten betrachtet. Stattdessen wählen wir zur Überprüfung unserer Hypothesen ein mehrdimensionales Untersuchungsdesign, das zum einen sowohl die Angebots- als auch die Nutzerseite berücksichtigt. Zum anderen erlaubt unsere Vorgehensweise einen direkten Vergleich der Strukturen neuer Formen von Online-Diskursen mit herkömmlichen massenmedialen Diskursen. Hierbei lehnen wir uns an den Ansatz an, der im Rahmen des Europub-Projekts entwickelt wurde (vgl. Abschnitt 1.2). Ausgehend von der Unterscheidung zwischen vertikaler hierarchischer Selektion durch Suchmaschinen und horizontaler Netzwerkselektion durch Hyperlinks ist unser Vorgehen auf der methodischen Ebene dreistufig angelegt. Hinsichtlich der Datengrundlage und der Operationalisierung gliedert es sich in folgende, klar abgrenzbare Analysevorhaben (vgl. die graphische Darstellung in Abbildung 3): 1. 2. 3.
Inhaltsanalyse von Texten, die durch Suchmaschinen gefunden wurden, und der Berichterstattung in herkömmlichen Massenmedien, Analyse der Hyperlinkverbindungen zwischen unterschiedlichen Webseiten, Webseitenanalyse der Online-Angebote ausgewählter Akteure.
Im Vergleich zu den meisten bisherigen Studien in diesem Forschungsfeld erlaubt diese Konzeption neue Kommunikationsräume im Internet einzugrenzen, sichtbar zu machen und zu untersuchen. Wie in Abschnitt 1.2 dargestellt wurde, entstehen öffentlichkeitsrelevante Kommunikationsräume im Internet durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Ebenen: die der Internetnutzer, der Anbieter von Online-Informationen und der Hyperlinkverbindungen zwischen Webseiten. Interessierte Internetnutzer werden nicht nur die Webseiten besuchen, die hohe Positionen in den Ergebnislisten von Suchmaschinen einnehmen (Inhaltsanalyse). Sie werden vermutlich auch Hyperlinkverweisen folgen, die auf diesen Webseiten angeboten werden und so auf neue Webseiten gelangen (Hyperlinkanalyse). Schließlich werden nicht nur die von den Suchmaschinen ausgewiesenen Teile von Webseiten oder anderweitig verlinkte Seiten wahrgenommen, sondern auch die umliegenden Teile der jeweiligen Webseite (Webseitenanalyse). Die erste Stufe der Untersuchung bildet eine inhaltsanalytische Auswertung von Texten im Internet. Um diese Texte zu finden, wird das Verhalten eines durchschnittlichen Internetnutzers simuliert, der Informationen zum Thema Genfood sucht. Wenn ein Nutzer in diesem Fall nicht nur an Informationen eines
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3 Empirische Untersuchungen
bestimmten Akteurs zu diesem Thema oder dessen Meinung dazu interessiert ist, sondern – ähnlich wie bei der Nutzung herkömmlicher Massenmedien – einen breiteren Blick auf das Thema bekommen möchte, so wird er wahrscheinlich eine Suchmaschine verwenden, um sich im Informationsdschungel des Internet zurecht zu finden.58 Um dieses Verhalten abzubilden, haben wir mit der in Deutschland am meisten genutzten Suchmaschine unter Verwendung der am häufigsten verwendeten Suchwortkombinationen zum Thema Genfood eine Suche nach Informationen bzw. Texten zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführt. Im Untersuchungsjahr 2004 war Google die am häufigsten genutzte Suchmaschine in Deutschland.59 Laut Schätzungen der Bertelsmann-Stiftung hält Google als Suchmaschine einen Marktanteil von 70 Prozent (Neuberger 2005). Nielsen-Netrating zufolge wurde Google von 55 Prozent der aktiven Internetnutzer im März 2004 verwendet und stand damit unter den Suchmaschinen mit Abstand an erster Stelle. Im Zeitraum von der ersten und bis zur zweiten Stichprobenziehung wurden parallel zur Textsuche mit Google alle Artikel, die in ausgewählten deutschen Printmedien zum Thema Genfood veröffentlicht wurden, selektiert. Unabhängig davon, ob sie online oder offline gefunden wurden, wurden diese Texte – bis auf einige medienspezifische Unterschiede – inhaltsanalytisch auf die gleiche Art und Weise ausgewertet. Dadurch wurde unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Medienarten ein höchstmöglicher Grad an Vergleichbarkeit geschaffen. Im Zentrum der Untersuchung steht hierbei die Überprüfung der Hypothese 1, nach der sich Diskurse im Internet im Vergleich zu Zeitungsdiskursen durch eine größere Bandbreite von Sprechern bzw. Akteuren auszeichnen und insbesondere in stärkerem Maße zivilgesellschaftliche Akteure der „politischen Peripherie“ begünstigen. Weiter soll untersucht werden, ob sich auch Aussagen der Hypothese 2 auf dieser Ebene bestätigen lassen, die besagt, dass Diskurse im Internet in ihrer Gesamtheit zwar ein breiteres argumentatives Spektrum aufweisen, aufgrund weitgehend fehlender journalistischer Kriterien und Kontrollen jedoch stärker parteilich sind und weniger die Argumente der jeweiligen Gegenseite präsentieren. Entsprechend enthalten sie auch mehr auf Mobilisierung ausgerichtete Elemente (z.B. Protestaufrufe). 58 Wenn jemand nur an den Informationen eines bestimmten Akteurs interessiert ist, wird er die Webseite dieses Akteurs direkt aufsuchen. Wäre dies (durch Eingabe der URL der gesuchten Webseite) jedoch der einzige Weg, Informationen im Internet zu finden, so wäre von vorneherein von einer bloßen Replikation der herkömmlichen Aufmerksamkeitsstrukturen in Bezug auf unterschiedliche politische Akteure auszugehen. In diesem Fall könnten nur Informationen von Akteuren online abgerufen werden, die auch unabhängig von ihrer Online-Präsenz bekannt wären. Die Bekanntheit politischer Akteure wird in modernen Gesellschaften jedoch maßgeblich durch ihre Präsenz in den herkömmlichen Massenmedien beeinflusst. 59 Das Wort „googeln“ gelangte sogar in die 23. Auflage des Dudens.
3.2 Methodische Konzeption der Studie
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Auf der zweiten Stufe des Vorgehens wird die Verlinkungsstruktur zwischen den Webseiten von Akteuren untersucht, deren Angeboten durch Google ein prominenter Platz zugewiesen wird. Nachdem also auf der ersten Stufe geklärt wurde, welcher Informations- und Kommunikationsraum sich den Nutzern durch die Verwendung von Google eröffnet, wird nun gefragt, in welcher Form die Informationsanbieter selbst Aufmerksamkeit im Internet strukturieren, indem sie Hyperlinks zu anderen Akteuren anbieten. Neben Suchmaschinen sind die Hyperlinks, die von Webseiten auf andere Webseiten verweisen, eine der wichtigsten Orientierungshilfen von Internetnutzern. Durch die Platzierung von Hyperlinks treten Anbieter im Internet, ähnlich wie Journalisten in herkömmlichen Medien, als gatekeeper auf, die entscheiden, wem in ihren Augen öffentliche Aufmerksamkeit gebührt und wem nicht. Forschungsleitend auf dieser Ebene ist in erster Linie die Überprüfung der Hypothese 3, die u.a. besagt, dass das Internet eine stärker verzweigte und dezentrale Kommunikationsstruktur aufweist. Ähnlich wie bei der Hypothese 1 wird auch hier nach der Bedeutung bzw. Sichtbarkeit zivilgesellschaftlicher Akteure der politischen Peripherie in den kommunikativen Räumen gefragt, die sich durch die Verlinkung verschiedener Webseiten ergeben. Außerdem wird sowohl bei der Untersuchung der Hyperlinkstruktur zwischen den Webseiten als auch der Textanalyse die Hypothese 4 zu überprüfen sein, nach der Diskurse im Internet einen höheren Grad an grenzüberschreitender Information und Kommunikation aufweisen. Auf der dritten Stufe der Untersuchung werden die Webseiten der Akteure analysiert, die in der Suchmaschinenanalyse und/oder der Hyperlinkanalyse als besonders relevant im Online-Diskurs zum Thema Genfood identifiziert wurden. Die Fragestellung dieses Teils richtet sich vor allem auf mögliche Veränderungen der Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten politischer Organisationen und soziokultureller Gruppen aufgrund strukturell neuer Bedingungen medialer Öffentlichkeit. Von Interesse sind Auswirkungen auf die Gestaltungs- und Interaktionsmöglichkeiten von Individuen und Gruppen wie auch auf die generelle Qualität des politischen Diskurses (Hypothese 2 und 3). Um diesen Fragen anhand des ausgewählten politischen Diskurses nachzugehen, wurde ein eigenes inhaltsanalytisches Instrumentarium entwickelt, das die systematische Untersuchung verschiedener Aspekte ermöglicht, wie beispielsweise Art und Aktualität der angebotenen Informationen, das Angebot internetspezifischer kommunikativer und interaktiver Tools, vorherrschende Kommunikationsstrategien, Zielpublikum sowie inhaltliche und argumentative Positionierung.
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3 Empirische Untersuchungen
Abbildung 3:
Das dreistufige Untersuchungsdesign
Textselektion durch Google
Textselektion in Printmedien
TEXTANALYSE Internettexte (N = 119)
Die wichtigsten Anbieter (N = 16)
Die wichtigsten Anbieter (N = 11)
Vergleich
Zeitungsartikel (N = 148)
HYPERLINKANALYSE (N = 16) Die am häufigsten verlinkten Akteure (N = 14)
WEBSEITENANALYSE (N = 27)
Wir reagierten mit unserer mehrdimensionalen, nutzerzentrierten Analyse eines Themenbereichs auch auf die neuen methodischen Herausforderungen (vgl. Rössler/Wirth 2001), die sich durch das relativ junge Untersuchungsfeld Internet ergeben haben. Indem wir drei Analyseverfahren (Text-, Hyperlink- und Webseitenanalyse) auf Grundlage einer auf Google basierenden Stichprobe miteinander verbanden, trugen wir der hohen Komplexität des Internet mit seinen vielfältigen Anwendungsformen Rechnung. Die Flüchtigkeit und der ständige Wandel dieser
3.3 Kategorienbildung
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vielfältigen Angebote (so genannte Transitorik60) veranlassten uns dazu, die Zeitpunkte der Erhebungen sehr genau einzugrenzen und möglichst zeitnah zur Stichprobenziehung Hyperlinks und Webseiten zu analysieren. Bei der Textanalyse wurde daher auch mit Offline-Kopien der zum jeweiligen Zeitpunkt aufgefundenen Texte gearbeitet. Eine weitere Herausforderung stellt die klare Abgrenzung der Untersuchungseinheiten dar. Daher werden diese in den folgenden methodischen Abschnitten genau beschrieben (vgl. Abschnitt 3.4.1, 3.5.1 und 3.6.1). Im Vergleich zur Analyse herkömmlicher Medien fehlen für die Analyse des Internet verlässliche und umfassende Reichweitenkriterien, also Angaben darüber, wie viele Nutzer tatsächlich von einem einzelnen Angebot erreicht werden.61 Mit dem Begriff der Reaktivität von Internetangeboten verweisen Rössler und Wirth (2001) zudem darauf, dass durch neuere technische Möglichkeiten die Zahl der Angebote steigt, die erst in Reaktion auf eine Nutzeranfrage erzeugt werden. Wir trugen dieser Problematik Rechnung, indem wir mit Bezug auf repräsentative Nutzerbefragungen und häufig verwendete Suchwortkombinationen plausible Annahmen für die Auswahl von Texten und Anbietern aufgestellt haben.
3.3 Kategorienbildung 3.3 Kategorienbildung In der Darstellung des Untersuchungsdesigns wurde die Auswahl der systematisch zueinander in Bezug stehenden Untersuchungsmaterialen erläutert. Nun ergibt sich die Aufgabe der Operationalisierung der Hypothesen. In der Inhaltsanalyse wird dieser Prozess Kategorienbildung (vgl. Früh 1991; Mayring 1988) oder auch Konstruktion des Erhebungsinstruments bzw. der Variablen (Merten 1995) genannt. Es geht dabei um die Festlegung des verwendeten Sets von Kategorien und Variablen (im Folgenden lediglich Kategorienbildung bzw. Kategorien). Dabei wird zwischen empiriegeleiteter und theoriegeleiteter Kategorienbildung unterschieden (Früh 1991: 132ff). Werden bei der ersteren die später verwendeten Kategorien aus einem Teil des zu untersuchenden Materials abgeleitet, so werden bei der letzteren vorgefasste theoretische Konzepte in Untersuchungskategorien überführt. Anstelle rein empiriegeleiteter bzw. theoriegeleiteter Kate-
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So wird geschätzt, dass ein Viertel aller Webseiten innerhalb eines Jahres verschwindet (Köhler 1999; zitiert nach Rössler/Wirth 2001: 281). 61 Bislang wurden hier vor allem die Analyse von log-files auf Seiten der Webseitenbetreiber oder sozialpsychologische Experimente, bei denen das Nutzerverhalten ausgewählter Versuchspersonen per Video mitgeschnitten wird, als Lösungswege vorgeschlagen. Beide Optionen stellen jedoch überaus aufwändige Verfahren dar und sind methodisch nicht unproblematisch (vgl. Rössler/Wirth 2001).
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3 Empirische Untersuchungen
gorienbildungen62 wird mittlerweile eine Kombination aus beiden Ansätzen empfohlen (Früh 2001; 1981). Wir folgten dieser methodischen Position bei der Konzeption der Kategorien. Zunächst konstruierten wir auf Grundlage der Hypothesen und des in Kapitel 1 dargelegten Forschungsstandes Variablen und Kategorien, die teilweise aus früheren Studien entnommen wurden (Ferree et al. 2002; Koopmans/Zimmermann 2003). Anschließend wurden Erkenntnisse aus Zeitungsartikeln, Internet-Texten und auch aus der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Genfood herangezogen (siehe Kapitel 2), um anhand des so gewonnenen Basiswissens die zunächst rein theoriegeleiteten Kategorien zu modifizieren, zu erweitern bzw. zu kürzen. Maßgeblich waren dabei die üblichen Gütekriterien für Kategorien (vgl. Früh 1991: 76ff): Der für die Fragestellung relevante Inhalt sollte möglichst erschöpfend erfasst werden. Jede einzelne Kategorie sollte sich trennscharf von anderen abgrenzen lassen und in sich möglichst exklusiv sein, d.h. nicht Dazugehöriges ausschließen. Die daraus resultierenden Kategorien werden in den folgenden Abschnitten noch detailliert vorgestellt (siehe auch Anhang B). Hier stehen vor allem jene Kategorien im Mittelpunkt, die besonders entscheidend für die Untersuchung der Hypothesen sind. An ihnen soll der theoretische und empirische Gehalt der Kategorien verdeutlicht werden. Hierdurch wird nicht nur der Prozess der Kategorienbildung transparent gemacht. Auch kann so besser nachvollzogen werden, welche inhaltlichen Schlüsse bei der Auswertung der analytischen Kategorien möglich sind. Zudem ist die Offenlegung der Kategorienbildung für die Methode der Inhaltsanalyse von Wert. In diesem Feld fehlen standardisierte Kategorien weitgehend, sodass eine allgemeine Theoriebildung aufgrund der Unterschiedlichkeit vieler inhaltsanalytischer Studien erschwert wird (vgl. Hüning 2001). Die Offenlegung der theoretischen und empirischen Bezüge der verwendeten Kategorien kann dieses Problem zwar nicht beheben. Allerdings wird sichtbar, welche Kategorien aus früheren Studien übernommen wurden, wie mit Problemen bei der Kategorienbildung umgegangen wurde und wo zumindest tentative Vergleichsmöglichkeiten mit bisherigen Untersuchungsergebnissen bestehen. Meist bestehen solche Vergleichsmöglichkeiten am ehesten bei der Frage nach den in den Medien auftretenden Akteuren. Aufgrund zahlreicher Studien ist deutlich geworden, dass in den herkömmlichen Massenmedien tendenziell die nicht-profitorientierte, ressourcenschwache Zivilgesellschaft – im Vergleich zu 62
So wird zum Beispiel kritisiert, dass rein empiriegeleitete Kategorienbildungen trotz möglichst unvoreingenommener Lektüre des Untersuchungsmaterials stets mit unbewussten theoretischen Vorannahmen arbeiten. Die „Theoriebeladenheit“ von Kategorienbildung lässt sich also nicht vermeiden, sondern nur transparent machen. Rein theoriegeleitete Kategorienbildungen laufen hingegen Gefahr nach Merkmalen zu suchen, die im Untersuchungsmaterial nicht vorhanden sind. Auch wird häufig inhaltlich Wichtiges, das nicht in den vorgefassten Kategorien enthalten ist, übersehen. So kann es zu verzerrten Ergebnissen kommen (vgl. Bilandzic et al. 2001).
3.3 Kategorienbildung
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staatlichen, parteipolitischen oder wirtschaftlichen Akteuren – eine zahlenmäßig untergeordnete Rolle spielt. Da dieser Befund unsere erste Hypothese, die eine größere Bandbreite von Sprechern bzw. Akteuren im Internet vermutet, berührt, verwendeten wir an frühere Studien angelehnte Akteurskategorien (vgl. Koopmans/Zimmermann 2003). Unserem Untersuchungsdesign zufolge treten allerdings verschiedene Arten von Akteuren in die Öffentlichkeit. In der Textanalyse werden nicht nur Webseitenbetreiber und Zeitungen als Anbieter der untersuchten Veröffentlichungen untersucht. Hinzu kommen auch die in den Texten behandelten Akteure. In der Hyperlink- und Webseitenanalyse dagegen werden nur die Webseitenbetreiber analysiert. Die unterschiedlichen Arten von Akteuren wurden daher leicht unterschiedlich dargestellt, wobei jedoch dasselbe 36 Kategorien umfassende Schema zugrunde liegt. In vielen der folgenden Auswertungen werden vier grobe Akteursklassen gebildet: Staat und Parteien, sozioökonomische Interessengruppen, nicht profitorientierte Akteure der Zivilgesellschaft und Medien. Aufgrund unseres empirischen Basiswissens waren keine Änderungen an diesem Schema notwendig. Typische Akteure wie Umweltverbände (Zivilgesellschaft) und profitorientierte Saatgutfirmen (sozioökonomische Interessengruppen) werden ebenso erfasst wie die seltener sichtbaren Bauern, Lebensmittelhändler (beide Wirtschaft) und Kontroll-Behörden (Staat und Parteien). An manchen Stellen werden statt dieser groben Akteursklassen jedoch feinere Unterscheidungen vorgenommen. Dies war zum Beispiel geboten, um ein differenzierteres Bild der Medienanbieter im Internet zu zeichnen. Diese setzten sich teilweise aus politisch stark einseitig gerichteten, themenspezifischen Online-Portalen oder Online-Ausgaben herkömmlicher Medien zusammen. Bei den folgenden Auswertungen sollte also beachtet werden, dass Medien im Internet keine besonders exklusive Kategorie darstellen. Im Vergleich zu herkömmlichen Medien weisen Internetmedien ein sehr heterogenes Verständnis journalistischer Arbeitsweise auf. Neben einem breiten Akteursspektrum soll der zweiten Hypothese entsprechend auch nach Meinungsvielfalt gefragt werden. Gerade hierzu ist eine hohe Anzahl von inhaltsanalytischen Kategorien und Untersuchungskonzepten vorzufinden, die von breiten Diskursstrukturen im Sinne Foucaults (vgl. Jäger/Jäger 2000) bis hin zu kleinteiligen Konzepten, z.B. Idee-Elementen, reichen (Ferree et al. 2002). In unserer Studie wird der Untersuchungskomplex „Meinung“ in Positionen, Unterthemen und Frames unterteilt. Die Analyse von Positionen ist von besonderem Interesse, da die Frage nach dem Für oder Wider die Kontroversen zu Genfood entscheidend strukturiert (siehe Kapitel 2). Aufgrund unseres Basiswissens wurde allerdings deutlich, dass neben Pro- und Contra-Positionen auch neutral gehaltene und im Unterschied dazu ambivalente Positionen zu berücksichtigen sind. So wird gerade bei der wis-
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3 Empirische Untersuchungen
senschaftlichen Risikoabschätzung von vielen Experten betont, keine Bewertungen der Ergebnisse im Sinne eines Für oder Wider zu Genfood vornehmen zu wollen. Auch wägen viele Journalisten und Internet-Autoren sowohl Pro- als auch Contra-Positionen gegeneinander ab und kommen so zu einem ambivalenten Urteil. Die Analyse von Positionen bestimmter Akteure allein reicht jedoch nicht aus, um das Meinungsspektrum zum Thema Genfood zu erfassen. Wie bereits deutlich wurde, geht nicht jede Befürwortung hinsichtlich eines Aspekts mit einer allgemeinen Zustimmung zu Genfood einher. Auch gibt es entschiedene Gegner, die nichtsdestotrotz einzelne positive Aspekte von Genfood sehen. Daher wurde das Thema Genfood auf Grundlage der im zweiten Kapitel dargestellten Kontroversen in verschiedene Unterthemen aufgeschlüsselt: Staatliche Regulierung (Abschnitt 2.7), Forschung (2.3 und 2.4), Produktion/Handel (2.6), Verbraucherschutz (2.6), Wirtschaft (2.5 und 2.6) und Gesundheit/Ökologie/Soziales (2.3., 2.4 und 2.5). Diese Unterthemen beruhen nicht auf begriffslogisch klar voneinander abgegrenzten Konzepten. So mag zum Beispiel eine Regulierungsfrage vor allem die Forschung betreffen. Allerdings wurden bei der Erhebung die im Hintergrund stehenden gesellschaftspolitischen Kontroversen als Bezugspunkt gedacht. So war entscheidend, ob eine Thematisierung als Teil der Kontroverse um Regulierungs- oder um Forschungsfragen dargestellt wurde. Diese Orientierung auf zugrunde liegende gesellschaftspolitische Kontroversen wurde auch in Hinblick auf unsere Hypothesen gewählt. So kann zum Beispiel erörtert werden, ob im Internet Unterthemen, die traditionell stärker von ressourcenschwächeren zivilgesellschaftlichen Akteuren (z.B. Verbraucherschutz, Gesundheit, Ökologie, Soziales) behandelt werden, verstärkt zur Geltung kommen. Aufgrund unseres Basiswissens zum Thema Genfood wurde allerdings deutlich, dass auch die Kategorien für Unterthemen und Positionen nicht hinreichten, um das Meinungsspektrum adäquat zu erfassen. Viele Journalisten und Autoren enthielten sich einer Positionierung in ihren Texten, um eine unparteiliche Behandlung des Themas zu wahren, gaben jedoch deutlich zu erkennen, dass Genfood aus einer spezifischen Sicht, zum Beispiel unter dem Aspekt „Zukunftsfähigkeit“, zu betrachten ist. Auch würden ohne eine feinere Aufschlüsselung sehr unterschiedlichen Problemdefinitionen von Akteuren vernachlässigt, die eine ähnliche Haltung zu Genfood einnehmen. Beispielsweise könnten ein Umweltverband und eine Verbraucherschutzorganisation eine verschärfte Regelung der Kennzeichnungspflicht für Genfood fordern. Allerdings könnte der Umweltverband Genfood als ähnlich risikoreich wie die Atomenergie einstufen, während die Verbraucherschutzorganisation Genfood unter dem Gesichtspunkt der „Ernährungssouveränität“ problematisiert. Um auch diese inhaltlichen Rahmungen erfassen zu können, haben wir eine so genannte Frame-Analyse in die Katego-
3.3 Kategorienbildung
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rienbildung einbezogen. Die Analyse von Frames geht auf die sozialkonstruktivistischen Arbeiten von Goffman (1974) zurück, der die grundlegende Tatsache betonte, dass jede zwischenmenschliche Interaktion in bereits vorhandene Sinnstrukturen eingebettet ist. Inhaltsanalytische Verfahren nahmen diesen Ansatz auf und konzentrieren sich meist auf die inhaltliche Rahmung eines zuvor bestimmten Themas. Bisherige Arbeiten in diesem Bereich (z.B. Gamson/Modigliani 1989) argumentieren, dass nicht allein die Position zu einem Thema, sondern vielmehr der inhaltliche Rahmen, in den es gestellt wird, Einfluss darauf nimmt, wie es bewertet wird.63 In der Inhaltsanalyse wird dieser Zusammenhang von Rahmung und Bewertung eines Themas anhand der Darstellungsweise des Textes herausgearbeitet. Dafür galt es, verschiedene Frame-Kategorien auf Grundlage unseres Basiswissens und bisheriger Frame-Analysen zu konzipieren. Da wir in unserer Textanalyse einen Vergleich verschiedener Mediengattungen vornahmen, entschieden wir uns für eine Kategorienbildung, die drei Anforderungen stellte. Um einen Vergleich sehr unterschiedlicher Texte handhabbar zu machen, wurde erstens darauf geachtet, nur solche Frames zu erheben, die sich auf einen einzelnen Begriff bringen lassen. Zwar hat jeder Text vielfältige inhaltliche Rahmungen. Für einen Vergleich zwischen Rahmungen in unterschiedlichen Texten ist es jedoch nötig, sich auf solche Bezüge zu konzentrieren, die sich auf ein tertium comparationis, d.h. auf einen in allgemeinen Begrifflichkeiten fassbaren Vergleichsmaßstab beziehen lassen. Zweitens wurde darauf geachtet, dass sich die Frames deutlich untereinander und von anderen Kategorien abgrenzen lassen. Schließlich wurden drittens nur solche Frames ausgewählt, die ein Unterthema derart darstellen, dass eine positive, negative oder ambivalente Positionierung nahe liegt. Die hier analysierten Frames stellen also keine erschöpfende Kategorisierung der in Diskursen zu Genfood verwendeten Rahmungen dar. So könnte auch nach dem Ausmaß der Risikofreudigkeit oder der Zuschreibung von Verantwortung bzw. Verursachung (vgl. Iyengar 1991) gefragt werden. Allerdings waren für einen handhabbaren Vergleich Beschränkungen notwendig. Dabei erwies sich bei unseren inhaltlichen Vorarbeiten die Frage nach dem Für und Wider von Genfood als besonders entscheidend. Im Ergebnis wurden sieben Frames identifiziert. Als positive Frames stehen „Fortschritt“, „Markt“ und „Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheit (Humanität)“. Ein Beispiel ist Genfood. Genfood sei zukunftsträchtig („Fortschritt“), schüfe Arbeitsplätze („Markt“) und der Goldene Reis lindere den Ernährungsmangel in der Dritten Welt („Humanität“). Negative Frames sind „Ausbeutung“, „Risiko“ und „Eingriff in die Schöpfung/Anmaßung“. So wird der 63
Sozialpsychologische Arbeiten belegten beispielsweise in Experimenten, dass unterschiedliche Rahmungen funktional identischer Entscheidungsoptionen zu erheblichen Unterschieden im Entscheidungsverhalten von Probanden führen können (Kahnemann/Tversky 1982).
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3 Empirische Untersuchungen
Verweis auf den Fall Percy Schmeiser (vgl. Abschnitt 2.5) sehr häufig von den Gegnern genutzt, um auf die Problematik ökonomischer Ausbeutung hinzuweisen. Während das Frame „Risiko“ selbsterklärend ist, wurde „Eingriff in die Schöpfung/Anmaßung“ einbezogen, um zum Beispiel Verweise auf die Widernatürlichkeit von Genfood zu erfassen. Mit dem Frame „Pakt mit dem Teufel“ wurde schließlich berücksichtigt, dass viele Argumentationen auf eine Abwägung von Chancen und Gefahren abzielen. So lautet ein beliebtes Argument, dass zwar durchaus Risiken von Genfood bestünden, diesen allerdings auch erhebliche Vorteile gegenüber stünden. Unserem Untersuchungsdesign zufolge treten also Akteure öffentlich in Erscheinung und geben ihre Position zu Aspekten von Genfood innerhalb eines diskursiven Rahmens wieder. Entsprechend der zweiten und dritten Hypothese wurde vermutet, dass diese Akteure im Internet auch bestimmte Handlungsmuster aufweisen. Zum einen wurde deshalb nach der Rolle von Protestmobilisierung, zum anderen nach besonders interaktiven, verzweigten und dezentralen Mustern gefragt. In der Textanalyse schlugen sich diese Vorhaben in der Bildung von Handlungskategorien für die in den Texten genannten Sprecher und Handelnden nieder. Dafür konnte auf die sehr breit angelegten Handlungskategorien des Europub-Projektes (Koopmans/Zimmermann 2003) zurückgegriffen werden, die unter anderem auch unterschiedliche Protestformen enthielten. Auf den Aspekt der Protestmobilisierung wurde zusätzlich reagiert, indem bei der Einordnung der Textarten im Internet auch nach dem Texttyp „Protestaufruf“ gefragt wurde. In unserer Hyperlinkanalyse dienen, wie in bisherigen Arbeiten üblich, die Verknüpfungen zwischen verschiedenen Webseiten als Hinweise für die Verzweigtheit und Dezentralität im Internet. Auch bei der Webseitenanalyse haben wir uns bei der Kategorienbildung vor allem von unseren theoretisch formulierten Vermutungen leiten lassen. Es wurde nach interaktiven Modulen geforscht, bei denen Nutzer mit dem Anbieter und/oder anderen Nutzern in Kontakt treten können. Zudem wurde untersucht, ob die Webseite der Protestmobilisierung diente. Neben besonderen Interaktionsmustern und breiten Meinungs- und Akteursspektren werden häufig auch vermehrte grenzüberschreitende Bezüge im Internet vermutet. Es liegt nahe, hier eine einfache Kategorisierung von internationalen, in- und ausländischen geographischen Bezügen vorzunehmen. Da bei Kontroversen um Genfood häufig die EU oder internationale Saatgutfirmen thematisiert werden, wurden jedoch weitere geographische Kategorien gebildet. Neben auf Deutschland beschränkten Akteuren und Thematisierungen wurden EU-Institutionen und andere zwischenstaatliche Organisationen als gesonderte Kategorien behandelt. Zusammenfassend wird im Folgenden auch von supranationaler Ebene gesprochen. Transnationale Bezüge ergaben sich dort, wo sich nicht-staatliche
3.3 Kategorienbildung
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Akteure über zwei oder mehr Länder erstreckten. Dabei wurden supranationale und transnationale Nennungen häufig für Auswertungen zusammengefasst und als internationale Bezüge bezeichnet.64 Schließlich wird von ausländischen Akteuren und Thematisierungen gesprochen, wenn diese auf einzelne Länder außerhalb Deutschlands bezogen waren. Aufgrund unseres Basiswissens wurde allerdings deutlich, dass eine trennscharfe Zuordnung eines geographischen Bezugs häufig problematisch sein würde. So weisen beispielsweise Greenpeace-Aktivisten aus Deutschland, die in Polen gegen Genfood protestieren, mehrere geographische Bezüge auf. Sie arbeiten zwar hauptsächlich in Deutschland, verstehen sich aber als Teil einer transnationalen Organisation und treten in diesem Fall durch ihre Protestteilnahme im Ausland in Erscheinung. Um hier eine trennscharfe Zuordnung zu ermöglichen, wurde vorrangig der Standort und der allgemeine Aktionsradius der Akteure und ihrer Mitarbeiter bzw. Mitglieder zugrunde gelegt. Im hier genannten Beispiel wurden also die Greenpeace-Aktivisten dem Inland zugeordnet. Mit der Erläuterung der geographischen Zuordnungen ist die Darstellung der verwendeten Kategorien vorerst abgeschlossen. Anhand einiger Beispiele soll an dieser Stelle lediglich deutlich werden, unter welchen methodischen Gesichtspunkten die Kategorienbildung insgesamt erfolgte. Die einzelnen Kategorienschemata für Text-, Hyperlink- und Webseitenanalyse unterscheiden sich im Detail, da sie für verschiedene Untersuchungsmaterialen konzipiert wurden. Merkmale größerer Teile von Webseiten bedürfen beispielsweise anderer Kategorien als einzelne Textinhalte. Auf diese Besonderheiten wird jeweils in den entsprechenden Abschnitten näher eingegangen. Die beschriebene Vorgehensweise stellt erstens eine enorme Reduktion und zweitens – im ursprünglichen Wortsinne von Analyse – eine Zerlegung zusammenhängender Sinnstrukturen dar. Dies sind typische Merkmale quantifizierender Inhaltsanalysen, die in der Literatur kontrovers diskutiert wurden (vgl. Gläser/Laudel 1999; Kracauer 1952). Zum ersten Problem ist zu betonen, dass eine vollständige Beschreibung der untersuchten Texte, Akteure und Handlungen nicht Ziel der Untersuchung war. Vielmehr wurde eine Beschränkung auf das Wesentliche, nämlich auf empirische Informationen zu den Hypothesen, vorgenommen. Bei den folgenden Auswertungen sollte also beachtet werden, dass 64 Die von uns vorgenommene Unterteilung internationaler Themen und Akteure in transnationale und supranationale Bezüge ist bewusst gewählt worden, widerspricht jedoch anderen begrifflichen Konventionen. So sprechen wir der klaren Abgrenzung wegen bei zwischenstaatlichen Organisationen von supranationalen statt wie üblich internationalen Akteuren. Damit soll den hier untersuchten zwischenstaatlichen Organisationen nicht notwendigerweise eine subordinierende Funktion zugesprochen werden. Außerdem wird in der Literatur von Transnationalität gesprochen, wenn es um die Überschreitung nationalstaatlicher Grenzen geht. In dieser Studie definieren wir hingegen nur grenzübergreifend basierte nicht-staatliche Akteure als transnational.
76
3 Empirische Untersuchungen
jeweils nur ein kleiner Teil des Untersuchungsmaterials sichtbar wird. Wir reagierten auf das zweite Problem, indem wir die einzelnen statistischen Befunde aufeinander bezogen und anhand allgemeiner Eindrücke vom Untersuchungsmaterial interpretierten. Bei der Erörterung der Hypothesen wurde also nicht nur darauf geachtet, wie häufig beispielsweise zivilgesellschaftliche Akteure im Internet auftreten. Darüber hinaus galt es, nach Verknüpfungen von Akteuren, Meinungen und geographischen Bezügen zu forschen, die zur Bearbeitung der Hypothesen beitragen. So kann z.B. auch erfasst werden, ob Genfood-Gegner aus Umweltverbänden und entwicklungspolitischen Gruppen Proteste organisieren, um schwach organisierte gesellschaftliche Gruppen in den Ländern des Südens zu unterstützen.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten 3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten Die Analyse von Internet-Texten, die durch Suchmaschinen gefunden wurden, sowie von Zeitungsartikeln bildet den Kern der vorliegenden Untersuchung. Sie ermöglicht zum einen den direkten Vergleich zwischen herkömmlichen massenmedialen Diskursen und Online-Diskursen. Die Webseiten, die durch die Suchmaschinenerhebung gefunden wurden, dienen zum anderen als Basis für die Untersuchung der Hyperlinkstruktur und der Webseitenanalyse. Bevor die Ergebnisse der Textanalyse vorgestellt werden, wird zunächst das Untersuchungsdesign, das der Inhaltsanalyse der unterschiedlichen Medientexte zugrunde liegt, erläutert.
3.4.1 Untersuchungsdesign Online-Diskurse werden in diesem Vorhaben – vergleichbar mit herkömmlichen massenmedialen Diskursen – als ein kommunikativer Raum konzipiert, in dem Informationen und Meinungen unterschiedlicher politischer Akteure öffentlich zugänglich sind. Zum Vergleich ziehen wir den massenmedialen Diskurs in Zeitungen heran.65 Die allgemeine Bedingung eines öffentlichen Zugangs zu Texten ist bei weit verbreiteten Tageszeitungen ohnehin gegeben. Komplizierter stellt 65
Aus forschungs- und zeitökonomischen Gründen erscheint es sinnvoll, sich bei der Offline-Kommunikation auf das klassische Medium Zeitungen zu beschränken. Die Einbeziehung des Fernsehens als eines audiovisuellen Mediums wäre nicht nur methodisch anspruchsvoller und zeitaufwändiger, sondern würde auch den Vergleich mit Texten als dem primären, wenngleich nicht exklusiven Material im Internet erschweren. Die Einbeziehung des Rundfunks wiederum würde aufgrund der sehr unvollständigen Dokumentation von Rundfunksendungen erhebliche Probleme aufwerfen.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
77
sich dieses Kriterium im Falle des Internet dar. Theoretisch stehen allen Nutzern im Internet alle nicht durch Zugangssperren geschützten Informationen zur Verfügung. Im Unterschied zum durchschnittlichen Leser einer Tageszeitung, der sich schnell einen Überblick zu berichteten und ihn speziell interessierenden Themen verschaffen kann, wird der Nutzer des Internet nur einen Bruchteil des tatsächlichen Angebots aufrufen können.66 Hierbei wird er zumeist innerhalb des gesuchten Themenfeldes den Relevanzkriterien von Suchmaschinen folgen. Dem entsprechen wir mit einer Suchstrategie, die dieses Verhalten imitiert: Mit Blick auf das Internet wurden daher diejenigen Texte ausgewählt, die in der Suchmaschine Google unter Verwendung der am häufigsten eingegebenen Suchwortkombinationen zum Thema Genfood auf vordersten Rängen der Ergebnislisten erscheinen. Die Identifikation der Suchwortkombinationen für einschlägige Texte zum Thema Genfood erfolgte in einem relativ komplexen, mehrstufigen Verfahren, dessen Einzelheiten im Anhang A näher beschrieben sind. Dabei wurde darauf geachtet, möglichst alle synonymen und relevanten Suchwortkombinationen zu berücksichtigen, um methodische Verzerrungen zu vermeiden (vgl. Hagen 2001). Wir haben uns bei diesen Schritten außerdem von dem üblichen Nutzerverhalten leiten lassen und es unter Einbeziehung der in Deutschland am häufigsten verbreiteten Suchmaschine Google operativ simuliert. Aus 100 möglichen Suchwortkombinationen wurden mittels Google-Adwords67 diejenigen ermittelt, die am häufigsten von Nutzern eingegeben wurden. Dieses Verfahren führte im Ergebnis zur Verwendung von sechs Suchbegriffen: „Genfood“, „genmanipulierte“, „gentechnisch veränderte“, „genmanipulierte Lebensmittel“, „genveränderte“, „genetisch veränderte“. Auf dieser Basis erstellte Google Ergebnislisten. Die Platzierung der Webseiten innerhalb dieser Ergebnislisten basiert u.a. auf der Anzahl der Links, die auf eine bestimmte Webseite verweisen. Die Texte wurden entsprechend ihrer Rangfolge in den Ergebnislisten der Reihe nach auf ihre Relevanz hin untersucht, bis zehn Texte pro Suchanfrage identifiziert wurden. Die Relevanz eines Textes bestimmte sich anhand von vier Kriterien:
66
Sprache: Es wurden nur Texte erhoben, die in deutscher Sprache publiziert wurden.
Ein direktes Messen der Aufrufe aller Texte im Internet zum Thema Genfood ist nur theoretisch möglich. Mittels Log-file-Analyse könnte die Anzahl der Aufrufe bestimmter Dateien miteinander verglichen werden. Da diese Daten jedoch nur selten und in sehr unterschiedlicher Form zur Verfügung stehen und darüber hinaus die Anzahl verfügbarer Angebote im sechsstelligen Bereich liegt, bietet sich dieses Verfahren nicht an. 67 Siehe Google-Adwords ( https://adwords.google.com/select/ ).
78
3 Empirische Untersuchungen Inhaltliche Relevanz: Die Texte wurden nur dann in die Codierung aufgenommen, wenn sie sich mit dem Thema Genfood beschäftigten. Politische Stellungnahme oder Handlung: In Anlehnung an die Methode der Claims-Kodierung (vgl. Koopmans/Statham 1999; Koopmans/Zimmermann 2003) wurden nur Texte erfasst, in denen einem Akteur eine politische Stellungnahme oder Handlung zugeordnet werden konnte. Nicht erfasst wurden somit bloße Erwähnungen der Thematik in Verbindung mit einer Auflistung weiterer Themen sowie reine Sachstandsberichte, z.B. Zahlen zum Anteil genetisch behandelter Lebensmittel auf dem Weltmarkt. Textlänge: Bei umfangreicheren Texten wurde lediglich der erste Textabschnitt bis zu einer Länge von ca. zwei DIN A4-Seiten codiert.
Das Internet wird im Unterschied zu Zeitungen nicht durch einen spezifischen Kaufakt zugänglich, sondern steht als Kommunikationsraum insgesamt jedem Nutzer offen, sofern er über die geeigneten technischen Voraussetzungen verfügt. Das Netz ist insoweit als eine (!) Quelle allen Interessenten und damit auch gleichermaßen der Forschergruppe verfügbar. Dagegen ist bei den Zeitungen aufgrund der Vielzahl von Produzenten eine Auswahl erforderlich. Ein wichtiges Kriterium hierbei war die Ausrichtung auf eine bundesweite und allgemeine Öffentlichkeit (im Unterschied zu lokalen Öffentlichkeiten und Fachpublika). Ein weiteres Kriterium war die Bandbreite der vertretenen ideologischen Linien und sozialen Schichten der Leserkreise. Folgende Zeitungen wurden in das Sample aufgenommen: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, TAZ, WELT und Bild sowie die Nachrichtenmagazine Der Spiegel, Focus und das Wochenblatt DIE ZEIT. Innerhalb des Untersuchungszeitraums wurden alle Artikel, die in diesen Zeitungen und Zeitschriften zum Thema Genfood veröffentlicht wurden, berücksichtigt. Für die Auswahl galten die gleichen Relevanzkriterien wie bei den Internet-Texten (s.o.). Der Untersuchungszeitraum für die ausgewählten Zeitungen erstreckte sich über zehn Wochen in der Zeit vom 24. Mai bis zum 3. August 2004. Im Internet wurde zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten eine Stichprobe gezogen, zunächst am 21. Juni und – acht Wochen später – am 3. August. Die zeitliche Platzierung der ersten Erhebung mit Google wurde gewählt, um die mögliche Rezeption von zeitlich vorausgehenden Zeitungsartikeln im Internet nachvollziehen zu können. Die im Internet und in den Zeitungen ausgewählten Artikel bzw. Texte wurden anhand eines weitgehend identischen analytischen Instrumentariums untersucht, um eine direkte und methodisch korrekte Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Die Inhaltsanalyse von Texten in beiden Mediengattungen richtete sich in erster Linie auf allgemeine Merkmale der untersuchten Texte, die Anbieter der Texte und die darin erwähnten Sprecher bzw. Handelnden, die an-
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
79
gesprochenen Themen sowie die vorgebrachten Forderungen, Positionen und Argumente. Die Codierung erfolgte dementsprechend auf vier Ebenen (Anhang B):68 1. 2. 3. 4.
Suchvariablen (z.B. Identifikationsnummer, Codernummer, Quelle, Suchwortkombinationen), Textvariablen (u.a. Rang in Ergebnisliste, Erscheinungsdatum bei Zeitungen, Texttyp, Titel, Tendenz der Aussage, Autor, Institution)69, Politische Stellungnahmen bzw. Handlungen (Sprecher bzw. Handelnder, Handlungsform, Art verbaler Stellungnahmen, Handlung online/offline, Unterthemen der Forderungen und Handlungen und dazu geltend gemachte Positionen sowie einbezogene Adressaten und Objektakteure.
Für die zu analysierenden Texte wurde nach der Eintragung von Suchvariablen im nächsten Schritt ermittelt, um welche Textsorte es sich handelt (politisches Positionspapier, Presseartikel, Kommentar, Aufrufe etc.) und welche Akteure diese Texte anbieten (staatliche Akteure, Parteien, Interessenverbände, NGOs, herkömmliche Massenmedien, Online-Medien etc.). Auf dieser Grundlage lässt sich u.a. ermitteln, ob – bezogen auf das Thema Genfood – im Internet tatsächlich eine größere Bandbreite von Sprechern präsent ist als in Berichten von Tageszeitungen. Auch kann geprüft werden, ob im Internet verstärkt kleinere und ressourcenschwache Akteure am Diskurs beteiligt sind (Hypothese 1). In weiteren Schritten wurden der konkrete Gegenstand von Aussagen und Handlungen sowie die dazu eingenommenen Positionen und Forderungen festgehalten, um u.a. die Breite des argumentativen Spektrums und die Verteilung von Positionen zu ermitteln (Hypothese 2). Weiterhin wurde untersucht, an welche Akteure sich die Äußerungen oder Handlungen richten (Adressaten) und welche Akteure dadurch unmittelbar betroffen sind (Objektakteure).
68 In Entsprechung zu diesen Untersuchungsdimensionen wurde auf Basis des Programms „Access“ eine relationale Datenbankstruktur erstellt, die die vier Ebenen, und somit vier miteinander verknüpfbare Datensätze, umfasst. Diese Struktur, ebenso wie das Codierschema, lehnt sich in Teilen an Arbeiten an, die im Rahmen des Europub-Projektes entstanden sind (http://europub.wz-berlin.de/). Die technische Bereitstellung dieser Datenbank-Struktur erfolgte im Rahmen eines Werkvertrags mit Mitteln des WZB. An dieser Stelle gilt unserer besonderer Dank Tobias Schlecht, der die Erstellung und Programmierung dieser Struktur übernommen hatte. 69 Bei Texten, die Abbildungen enthielten, wurden nur Textüberschriften, Bildunterschriften und Texte außerhalb von grafischen Darstellungen erfasst, nicht dagegen Bilder und Animationen.
80
3 Empirische Untersuchungen
3.4.2 Auswertung der Textanalyse Die Ergebnisse der Textanalyse zum Thema Genfood werden auf drei Ebenen festgehalten: Erstens auf der Ebene der untersuchten Texte. Hier wurden Merkmale erhoben, die für den Text als Ganzes stehen. Gefragt wurde beispielsweise, wer die Anbieter der Texte waren, welche Tendenz die Texte zum Thema Genfood aufwiesen oder ob Hyperlinks zu anderen Internet-Texten angeboten wurden. Zweitens wurde die Ebene der politischen Stellungnahmen oder Handlungen, die in den Texten enthalten sind, untersucht. Gefragt wurde beispielsweise, welche Akteure eine politische Stellungnahme abgeben, wo diese Akteure geographisch zu verorten sind und mittels welcher Handlungsformen sie politisch Stellung beziehen. Da Nutzer auch die in den Texten wiedergegebenen politischen Handlungen nur sprachlich vermittelt wahrnehmen, sprechen wir im Folgenden meist zusammenfassend von „politischen Stellungnahmen“. Folgerichtig werden die innerhalb der Texte durch eine politische Stellungnahme in Erscheinung tretenden Akteure „Sprecher“ genannt, auch wenn sie nicht in allen Fällen mit Sprechakten Aufmerksamkeit erlangen, sondern teilweise auch durch andere Handlungsformen. Drittens wurde die Ebene der unterschiedlichen Themen, auf die sich die politischen Stellungnahmen bezogen, untersucht. Hier wurde beispielsweise nach den Unterthemen und Aspekten der Genfood-Thematik, nach dem geographischen Bezug der politischen Stellungnahmen und nach tendenziellen Bewertungen der einzelnen Aspekte von Genfood gefragt. Für die Untersuchung der eingangs dargestellten Fragestellungen werden im Folgenden die Ergebnisse der Textanalyse auf den drei Untersuchungsebenen in mehreren Schritten dargestellt. 3.4.2.1
Allgemeine Merkmale der Internet-Texte
Bei der Auswahl der untersuchten Internet-Texte wurde angestrebt, das Suchverhalten interessierter Nutzer nachzuahmen, die zu zwei Zeitpunkten zum Thema Genfood recherchieren. Dabei wurden jeweils sechs Suchwortkombinationen in Google eingegeben und jeweils zehn Internet-Texte pro Suchwortkombination erhoben. Daraus ergab sich die Vorgabe, insgesamt 120 Texte zu analysieren. Bei der Erhebung der Internet-Texte kam es zu geringfügigen Abweichungen.70 So wurden beim ersten Download am 21. Juni 2004 insgesamt 61 Texte und beim zweiten Download am 03. August 2004 weitere 58 Texte erhoben. Um die 70 Erst im Verlauf der Analyse stellte sich heraus, dass zwei ursprünglich zur Codierung herangezogene Texte nicht verwendbar waren, da sie keine politische Stellungnahme enthielten. In einem anderen Falle wurde zusätzlich ein Artikel herangezogen, der nachträglich als verwendbar eingestuft wurde, da er wider Erwarten den Relevanzkriterien entsprach.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
81
untersuchten 119 Texte zu erhalten, musste in jeder der zwölf Suchergebnislisten durchschnittlich bis zum 15. Eintrag vorgedrungen werden. Insgesamt wurden also 182 Texte auf ihren politischen Bezug zum Thema Genfood geprüft. 63 Texte wiesen keine politische Stellungnahme zum Thema Genfood auf und wurden daher nicht codiert. Knapp 35 Prozent der Suchergebniseinträge waren also nicht hinreichend relevant. Dies verdeutlicht die vielfach kritisierte Eigenschaft von Suchmaschinen: Anders als bei den Zeitungen müssen Nutzer innerhalb der Ergebnislisten von Google eigenständig Unwichtiges von Wichtigem trennen. Allerdings ist die Relevanz von knapp zwei Dritteln der Suchergebnisse als ein relativ gutes Ergebnis für die Treffsicherheit der Suchmaschine Google zum Thema Genfood anzusehen.71 Weitere Besonderheiten von Suchmaschinen im Vergleich zu herkömmlichen Medien wurden anhand der insgesamt zwölf zeitlich bzw. semantisch auseinander liegenden Suchläufe sichtbar. Zeitungen verfolgen das gesellschaftliche Geschehen zeitnah und vermeiden es, bereits veröffentlichte Artikel erneut zu publizieren. Zudem sind sie darum bemüht, originäre Artikel anzubieten, d.h. Beiträge zu veröffentlichen, die nicht bereits in identischer Form in anderen Zeitungen erschienen sind. Suchmaschinen hingegen verweisen reaktiv, d.h. in Folge einer spezifischen Nutzeranfrage, auf Webseiten. Weder beeinflussen sie die Aktualisierung der Webseiten noch wird gesteuert, inwieweit mehrfach auf dieselben Angebote verwiesen wird. Zieht man Zeitungen zum Vergleich heran, ist also die Tatsache, dass bestimmte Angebote wiederholt von Suchmaschinen ausgewiesen werden, als Nachteil zu sehen. Auch unser Sample von Internet-Texten wurde durch diese Besonderheiten geprägt. Die Überschneidung zwischen den inhaltlich synonymen Suchwortkombinationen war gering. Insgesamt acht Texte, also knapp sieben Prozent, traten wiederholt auf, da sie auch unter anderen Suchwortkombinationen aufgefunden wurden. Beim zweiten Download erschienen zudem 38 Texte, die bereits zuvor erhoben worden waren. Zwar hatte sich die genaue Reihenfolge der Suchmaschineneinträge verändert. Insgesamt ergab sich aber, dass acht Wochen nach dem ersten Download am 21. Juni mit 20 von 58 nur knapp ein Drittel der jeweils ersten zehn relevanten Suchmaschineneinträge neu war. Da einige Texte bis zu drei Mal sowohl unter verschiedenen Suchwortkombinationen als auch zu einem anderen Zeitpunkt auftraten, stellten letztlich insgesamt 43 Texte, also etwa ein Drittel der 119 Texte, Duplikate bereits erhobener Texte dar. Alle fol-
71 Im Rahmen einer Studie, die für die Themenfelder „Arbeitslosigkeit“ und „Rückenschmerzen“ die inhaltliche Treffsicherheit verschiedener Suchmaschinen prüfte, ergab sich – allerdings entlang anders gefasster Relevanzkriterien –, dass nur ein Drittel der Suchergebnisse relevant war (vgl. Neuberger 2005).
82
3 Empirische Untersuchungen
genden Auswertungen beziehen sich also im Grunde auf 76 originäre InternetTexte, die teilweise wiederholt auftraten. Während sich die in Google angebotenen Ergebnisse nur teilweise zwischen den beiden Zeitpunkten unterschieden, zeigt sich, dass die Auswahl einer Suchwortkombination entscheidend für die Art der aufgefundenen Texte ist. Für den potentiellen Nutzer einer Suchmaschine ist es somit von enormer Bedeutung, mit welcher Suchwortkombination er zum Thema Genfood recherchiert. Um bei den beiden Download-Zeitpunkten insgesamt 20 zutreffende Suchergebnisse zu erzielen, mussten bei den Suchwortkombinationen unterschiedlich viele irrelevante Funde in Kauf genommen werden. Bei „Genfood“ war dies nur ein irrelevantes Ergebnis. Auch der Begriff „gentechnisch veränderte“ gehörte zu den Suchwortkombinationen mit den häufigsten inhaltlich relevanten Ergebnissen. Auf der anderen Seite wiesen die Suchwortkombinationen „genmanipulierte“ mit 18 und „genveränderte“ mit 15 am häufigsten nicht zutreffende Suchergebnisse auf.72 Die so gewonnene Stichprobe von Internet-Texten wies grundlegende Besonderheiten auf. Während bei Zeitungen der Anbieter eines veröffentlichten Artikels jeweils ein privatwirtschaftliches Unternehmen ist, kann zumindest potentiell im Internet eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure einen Text präsentieren. Für diese im Folgenden untersuchten Anbieter von Internet-Texten wurde mittels eines 36 Kategorien umfassenden Schemas nach der Stellung der Akteure im politischen System gefragt. Die einzelnen Kategorien wurden in fünf Akteursklassen zusammengefasst. Die Klassen „Staat und Parteien“ sowie „sozioökonomische Interessengruppen“ konnten durchschnittlich als ressourcenstärker und die Klasse „Zivilgesellschaft, non-profit“ als ressourcenschwächer eingestuft werden. Medienakteure bildeten eine fünfte Klasse, die vor allem eine Mittlerrolle zwischen den anderen gesellschaftspolitischen Akteuren und dem Publikum einnimmt, allerdings nicht als politisch unbeteiligt verstanden werden darf. Die Auszählung der untersuchten Texte nach ihren Anbietern stützt das polyarchische Bild vom Internet (siehe Tabelle 1). Internetmedien, Radio, Fernsehen und Zeitungen stellten in den untersuchten Internet-Texten etwas mehr als die Hälfte der Texte. 34 Prozent davon entfielen auf reine Internetmedien. Der Anteil zivilgesellschaftlicher, nicht profitorientierter Gruppen war hierbei mit 24 Prozent höher als der Anteil staatlicher Akteure und Parteien mit 19 Prozent. Bemerkenswerterweise spielten einschlägige sozioökonomische Interessengruppen – im Falle von Genfood z.B. Landwirtschaftsverbände oder die Pharmaindustrie – nur eine marginale Rolle.
72
Sofern 19 bzw. 21 Texte erhoben wurden, wurde die Quote der Fehleinträge für die Basis 20 berechnet und anschließend gerundet. Bei den Suchwortkombinationen „genmanipulierte lebensmittel“ waren 13, bei „genetisch veränderte“ acht Fehleinträge für 20 relevante Texte in Kauf zu nehmen.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
83
Tabelle 1: Internet-Texte nach Anbietern in Akteurskategorien N Staat und Parteien
%
23
19
4
3
Zivilgesellschaft, non-profit
29
24
Medien
61
51
Sozioökonomische Interessengruppen
Printmedien
4
3
Radio
8
7
Fernsehen
8
7
Allgemeine Internetportale
12
10
Themenspezifische Portale
29
24
Sonstige (Privatersonen) Gesamt
2
2
119
100
Von den vier Texten, die von sozioökonomischen Interessengruppen angeboten wurden, konnte lediglich Syngenta als in der Debatte um Genfood einschlägig bekanntes Agrarunternehmen identifiziert werden, das naturgemäß Genfood eindeutig befürwortete. Überraschenderweise stammten die drei übrigen Texte sozioökonomischer Akteure von der Mannheimer Versicherung sowie der auf genetische Analysen spezialisierten Firma Lambda und waren tendenziell gegen Genfood eingestellt. Von der vielfach kritisierten, durch finanzielle Zahlungen zugunsten wirtschaftlich mächtiger Akteure verzerrten Suchmaschinenpolitik war bei den hier vorgenommenen Suchvorgängen nichts zu bemerken (Introna/ Nissenbaum 2000). Die mit hohem finanziellem Aufwand verbreiteten PR-Texte einschlägig bekannter Genfood-Unternehmen und positiv eingestellter Verbände erlangten kaum Sichtbarkeit.73 Aus Nutzerperspektive erscheinen die Suchergebnisse als unverbundene Sammlung, weil Zusammenhänge und inhaltliche Schwerpunktsetzungen im Unterschied zu thematisch sortierten Internet-Verzeichnissen bei Suchmaschinen grundsätzlich fehlen. Neben gentechnikfreundli73 Vergleiche hier zu das Kompendium „Gentechnologie und Lebensmittel“ unter: http://www.transgen.de/features/download_pdf.php?file=/pdf/downloads/Kompendium_B1.pdf&absolute_dl=true.
84
3 Empirische Untersuchungen
chen Vertretern aus der Wirtschaft waren auch Anbieter aus der wissenschaftlichen Forschung kaum sichtbar. Bei den sehr gut vertretenen staatlichen Behörden fanden sich vermehrt Landeseinrichtungen und nur zwei bundesweite, allerdings nachgeordnete Institutionen. So sind das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sowie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mit Beiträgen vertreten. Das für die bundesweite politische Debatte ungleich gewichtigere Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sowie das Bundesamt für Naturschutz tauchten ebenso wenig auf wie andere Ministerien oder Behörden. Die EU hingegen als bedeutende gesetzgebende Instanz war mit drei Texten vertreten. Allerdings richteten sich diese wohl vorrangig an ein Expertenpublikum. Es handelt sich ausschließlich um Texte, die einem breiteren Publikum nicht verständlich gemacht wurden. Auch bezog sich ein Text auf eine sehr spezifische Kommissionsentscheidung von 1996, ohne dass ein Bezug zur aktuellen Debatte dargelegt wurde. In der politischen Bewertung von Genfood war das Angebot von staatlicher und behördlicher Seite ausgewogen. Von 23 Texten wiesen nur acht eine erkennbare politische Tendenz zum Thema Genfood auf. Die eine Hälfte dieser Texte lehnte Genfood eher ab. Die andere befürwortete Genfood eher, wobei deutliche Meinungsbekundungen weitgehend fehlten. Ein Grund für das Übergewicht neutraler Positionen war sicher, dass Positionen von Parteien durchgängig fehlten. Es wurde lediglich auf einen Text der parteinahen Konrad-Adenauer-Stiftung verwiesen. Die Google-Ergebnisse lieferten also auf Anhieb kein besonders aufschlussreiches Bild der Positionen staatlicher Stellen oder Parteien, also von wichtigen Akteuren, die Genfood keineswegs neutral gegenüberstehen. Die in Google weit oben gelisteten zivilgesellschaftlichen Akteure sind hingegen aus früheren Debatten und Diskurszusammenhängen geläufig. Mit Greenpeace, dem Evangelischen Entwicklungsdienst und der „Coordination gegen BAYER-Gefahren“ erschienen einschlägig bekannte Gegner von Genfood. Die angebotenen Texte lehnten Gentechnik überwiegend ab und bezogen sich mit wenigen Ausnahmen auch auf aktuelle Diskussionen. Allerdings wurden 12 der 29 Texte, die von zivilgesellschaftlichen Anbietern stammen, von einer Webseite (www.netlink.de/gen) angeboten. Diese gab sehr ungenügend Aufschluss über ihre Urheber und präsentierte vorrangig Nachrichtenmeldungen, die von Mitte der 1990er Jahre stammten. Jedoch fehlten Stellungnahmen anderer einschlägiger zivilgesellschaftlicher Organisationen. Weder der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Naturschutzbund (NABU) und der Deutsche Naturschutzring (DNR) noch die diversen ökologischen Landbau- und Lebensmittelhandelsverbände waren mit Texten vertreten. Auch verwiesen die Google-Ergebnislisten nicht auf die Online-Angebote des seit den 1980er Jahren im Themenfeld aktiven gen-ethischen Netzwerkes.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
85
Eine knappe Mehrheit der Anbieter bestand aus Medienakteuren. Fast ein Fünftel waren herkömmliche Medienakteure aus Presse, Funk und Fernsehen. Internetmedien stellten mit einem Drittel die größte Gruppe unter den Anbietern. Dominant waren nicht so sehr die Online-Angebote der Printmedien. Vielmehr nutzten Radio und Fernsehen die Chance, zum Thema Genfood Stellung zu beziehen. Auf Seiten der allgemeinen Internetportale fanden sich einschlägig bekannte Anbieter wie zum Beispiel „Telepolis.de“. Besonders bemerkenswert war, dass sich unter den themenspezifischen Portalen auch auf Genfood oder grüne Gentechnik spezialisierte Internetportale befanden, die sehr eingehend über Genfood berichteten. Während bei den übrigen Medien Genfood eines von vielen Themen war, widmete sich bei diesen Angeboten ein Großteil des Webauftritts dem Thema Genfood. Seiten wie www.transgen.de oder www.genfood. at boten so einem breiten Publikum die Möglichkeit sich umfassend zu informieren. In ihrer Ausrichtung waren auch die Texte der Medienakteure Genfood gegenüber eher ablehnend eingestellt. Allerdings beschreibt jeder vierte Text das Thema ambivalent oder neutral. Dies steht im Gegensatz zu den von zivilgesellschaftlichen Akteuren angebotenen Texten. Hier fanden sich in 29 Fällen nur vier ambivalente Texte. Insgesamt sind die Texte von Webseiten der Medien allgemeinverständlicher und an die aktuelle politische Debatte anschlussfähiger als die anderer Anbieter. Kaum ein Text war an ein rein fachliches Publikum gerichtet. Die herkömmlichen Medien, bei denen aktuelle Nachrichten überwogen, folgten allerdings dem Tagesgeschehen stärker als die Internet-Medien. Hier waren mehrheitlich Hintergrundartikel vorzufinden. Die vielfach beklagte Tendenz insbesondere der Printmedien, sich vorrangig auf aktuelle Ereignisse in Kurzform zu konzentrieren, wurde nicht von den Internet-Medien gespiegelt. Diese hatten oft den Charakter themenspezifischer Zeitschriften, die sich an ein Laienpublikum wenden. Allerdings fällt auf, dass keine der Webseiten einschlägiger Fachzeitschriften zum Beispiel der „gen-ethische Informationsdienst“ (GID), in den Ergebnissen auftauchte. Dass etwa die Hälfte der Anbieter von Internet-Texten keine Medienakteure waren, weist auf einen markanten Unterschied hin. Im Gegensatz zu Zeitungen, die vorrangig als Mittler zwischen Leserschaft und den verschiedenen Nachrichtenquellen auftreten, bot Google bei etwa der Hälfte der Texte einen vergleichsweise direkten Zugang. Diese Texte wurden von politischen Akteuren angeboten, die nicht als Medienakteure einzustufen sind. Bei der Diskussion um Genfood scheint sich die These zu bestätigen, im Internet könnten sich auch kleinere Akteure behaupten. Diese Akteure haben jedoch nur in Relation zu etablierten Akteuren wie Zeitungen und staatlichen Einrichtungen eine periphere Position. Nicht formell organisierte Akteure wie zum Beispiel lose Gruppen von Privat-
86
3 Empirische Untersuchungen
personen stellten nur einen Anteil von 12 Prozent der 119 untersuchten Anbieter von Internet-Texten. 3.4.2.2
Allgemeine Merkmale der Zeitungsartikel
Anders als bei den Internet-Texten spiegelt die Anzahl der Zeitungsartikel den Umfang der Berichterstattung über Genfood zwischen dem 24. Mai und dem 03. August 2004 in den überregionalen Teilen der untersuchten Zeitungen wider. Hierbei wurden 148 Artikel analysiert (siehe Abbildung 4). Die Anzahl zu codierender Zeitungsartikel pro Woche schwankte beträchtlich. Abbildung 4:
Anzahl der Artikel zum Thema Genfood in den Zeitungen
40 35 30
24.05. SachsenAnhalt
25
23.06. Müller vs. Greenpeace 18.06. GentechnikGesetz
20 15 10 5 0 bis 30. Mai*
bis 06. Juni
bis 13. Juni
bis 20. Juni
* Die Woche bis zum 30. Mai ist um einen Tag kürzer. ** Die Woche bis zum 02.August ist um einen Tag länger.
bis 27. Juni
bis 04. Juli
bis 11. Juli
bis 18. Juli
bis 25. Juli
bis 02. Aug**
in Wochen
Wie aus Abbildung 4 deutlich wird, konzentrierte sich die Medienberichterstattung stark auf die Monate Mai bis Juni, während in den folgenden Wochen die Berichterstattung deutlich geringer ausfiel. Ausschlaggebend für eine umfangreiche Berichterstattung waren insbesondere drei Ereignisse:
24.05.2004: Greenpeace und weitere Umweltschutzorganisationen drohen öffentlich mit Klagen gegen die Landesregierung von Sachsen-Anhalt, um die Veröffentlichung von geheim gehaltenen Standorten von Versuchsfeldern, auf denen gentechnisch veränderter Mais angebaut wird, zu erzwingen. Anfang Mai war bekannt geworden, dass die Landesregierung zusammen mit sechs weiteren Bundesländern den ersten systematisch betriebenen
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
87
Anbau an 29 Standorten unterstützte und hierbei entgegen geltendem EURecht eine Geheimhaltung der Standorte betrieb. 18.06.2004: Die Novelle des Gentechnik-Gesetzes74 zur Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG der Europäischen Union wird vom Deutschen Bundestag mit rot-grüner Mehrheit gegen die Stimmen der Opposition beschlossen. Der Bundesrat lehnt das Gesetz kurz vor der Sommerpause ab. Dies hat zur Folge, dass zur endgültigen Verabschiedung des nicht zustimmungspflichtigen Gesetzes eine zweite Abstimmung im Bundestag notwendig wird. Aufsehen erregen die strengen Haftungsregelungen, die eine gesamtschuldnerische Haftung für Landwirte vorsehen, die Genfood anbauen. Die Opposition im Bundestag protestiert, da das Gesetz kurzfristig durch den Bundestag nach der Trennung des ursprünglichen Gesetzesentwurfes in einen zustimmungspflichtigen und einen nicht zustimmungspflichtigen Teil beschlossen wird. 23.06.2004: Der Rechtsstreit zwischen Greenpeace und der Unternehmensgruppe Theo Müller (mit der Marke „Müller-Milch“) wird zu ungunsten von Greenpeace durch das Kölner Landgericht entschieden. Streitpunkt waren die Behauptungen von Greenpeace, in einem der Produkte der Unternehmensgruppe seien Bestandteile gentechnisch veränderter Futtermittel nachgewiesen worden. Greenpeace wird somit untersagt, seine Kampagne gegen die Unternehmensgruppe fortzusetzen.
Wie an der Anzahl der Artikel pro Woche zu ersehen ist, war die Berichterstattung in den Zeiträumen kurz vor bzw. kurz nach diesen drei Ereignissen deutlich umfangreicher als in anderen Untersuchungsphasen. Allein in der Woche vom 21.06. bis zum 27.06.2004, in der das „Müllermilch“-Urteil fiel, wurde 29 mal über Genfood berichtet. Somit stellten Artikel aus dieser Woche knapp ein Fünftel aller untersuchten Artikel. Die meisten Artikel zum Thema Genfood fanden sich im Untersuchungszeitraum in der TAZ mit 36 Artikeln und in der WELT mit 35 Artikeln. Mit jeweils zwei Artikeln war der Umfang der Berichterstattung in Bild, Spiegel und ZEIT am geringsten (siehe Tabelle 2). Als einzige der untersuchten Zeitungen widmete die TAZ dem Thema Genfood eine ganzseitige wöchentliche Serie mit dem Titel: „TAZ-Serie Grüne Gentechnik“. Diese zehnteilige Serie vom 24.04. 04 bis zum 03.07.2004 fiel somit teilweise in den gewählten Untersuchungszeitraum. Während also mit Google-Suchen jederzeit die vorhandenen Informationen im Netz abgerufen werden können, ist der Zeitungsleser davon abhängig, ob über ein Thema berichtet wird. Es muss betont werden, dass bestimmte Ereignis74 Gesetz zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gentechnik und zur Änderung der Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung.
88
3 Empirische Untersuchungen
se, aber auch die Tatsache, dass 2004 eine ganze Reihe politischer Weichenstellungen auf EU- wie auf nationaler Ebene erfolgte, eine eingehende politische Thematisierung von Genfood in den Printmedien beförderten. Die Zeitungsartikel bedienen ein allgemeines Laienpublikum mit Informationen und Meinungen, die zumeist mit aktuellen Ereignissen verknüpft werden. Die allein schon sprachlich wenig allgemein zugänglichen Expertentexte, die sich im Internet finden, werden in den Zeitungen nicht geboten. Die besondere Struktur der Berichterstattung in den Zeitungen lässt sich mit einem publizistikwissenschaftlichen Ereignisbegriff verbinden (Kepplinger 2001). Die Behandlung von Genfood erfolgt also vor allem dann, wenn Zeitungen der Meinung sind, dass Ereignisse vorhanden sind. Ereignisse sind dabei nicht immer „originär“ in dem Sinne, dass sie von den Medien völlig unabhängig stattfinden. Im Untersuchungszeitraum kann lediglich die Debatte um das Gentechnikgesetz als „originär“ gelten. Das heißt, die Novellierung wäre auch erfolgt, wenn nicht darüber berichtet worden wäre. Schließlich handelte es sich um die längst überfällige Umsetzung bereits geltenden EU-Rechts. Im Gegensatz dazu sind die „Müller-Milch-Entscheidung“ und die „Klagedrohung wegen Geheimhaltung von Versuchsfeldern“ als Verkettung verschiedener mediatisierter Ereignisse zu verstehen. Hier wird Berichterstattung motiviert, weil gesellschaftspolitische – in diesem Falle vor allem zivilgesellschaftliche – Akteure mit medienwirksamen Äußerungen und Handlungen hervortraten. Für die Rolle zivilgesellschaftlicher und ressourcenschwacher Akteure ist diese besondere Struktur der Medienberichterstattung wichtig. Sie müssen ein hohes Maß an Geschick und/oder Ressourcen aufbringen, um mediale Aufmerksamkeit zu erreichen und nehmen in Kauf, dass ihre ursprünglichen Positionen durch die Massenmedien selektiv oder verzerrt wiedergegeben werden könnten (Rucht 2004b). Im Untersuchungszeitraum ist die Erregung medialer Aufmerksamkeit offensichtlich gelungen. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass dies in früheren bzw. späteren Zeitabschnitten durchaus anders aussehen könnte. Die von Medienereignissen getragene Berichterstattung schlägt sich, wie im Folgenden gezeigt wird, auch in der Struktur der Artikel wieder. Es werden besonders solche Akteure, Themen und Positionen in Szene gesetzt, die einen direkten Bezug zu medialen Ereignissen haben. Im Internet hingegen spielen Ereignisse eine geringere Rolle, da hier eine tagesaktuelle Berichterstattung nicht das wichtigste Kriterium für die Veröffentlichung von Beiträgen ist. Vielmehr bestimmen die politische Position der Anbieter und die thematische Ausrichtung der Webseiten die inhaltliche Struktur der Internet-Texte.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten 3.4.2.3
89
Allgemeine Textmerkmale im Vergleich
Tageszeitungen konstruieren und thematisieren Genfood mit Blick auf aktuelle Ereignisse. Hier wird Genfood „an sich“ nur selten thematisiert. Es geht weniger um die Frage, ob Genfood im Grunde abzulehnen oder zu befürworten sei. Vielmehr wird gefragt, ob beispielsweise im Rechtsstreit zwischen Müller-Milch und Greenpeace die Interessen der Verbraucher durch die Entscheidung des Gerichts positiv oder negativ berührt werden. Oder es steht zur Diskussion, wie die Gesetzesvorlage von Ministerin Künast zu bewerten sei. Im Internet finden sich viele abwegige und thematisch kaum einschlägige Beiträge. Allerdings werden dort auch ausführliche Abhandlungen angeboten, die sich hauptsächlich und intensiv mit dem Für und/oder Wider von Genfood beschäftigen. Anhand der Betitelung von Internetbeiträgen und Zeitungsartikeln lässt sich dies gut veranschaulichen. Gemeinsam ist Internet-Texten und Zeitungsartikeln, dass eine ganze Reihe von Beiträgen einen Titel trägt, der Bezug auf ein konkretes Ereignis nimmt wie „Washington und Brüssel – Weiter Streit um genetisch veränderte Lebensmittel“ oder „Ermittlungen gegen Greenpeace wegen GenWeizen-Zerstörung“. Von den untersuchten Zeitungsartikeln behandelten allerdings ca. 30 Prozent das Thema Genfood nicht im Titel, Untertitel oder ersten Satz (im Folgenden: Lead). Das allgemeine Für und Wider zu Genfood war dementsprechend nicht der zentrale inhaltliche Bezugspunkt. Titel wie „Wir müssen mehr wagen“ (Spiegel, 05.07.2004. S. 90), „Grüner Zugriff“ (FR, 17.06.2004, S. 3), „Kraftvoll ins Abseits“ (FAZ, 04.06.2004, S. 13) leiten Artikel ein, die zwar Genfood ansprechen. Im Mittelpunkt steht aber ein anderes Thema, z.B. die Zielstrebigkeit, mit der die grüne Partei ihre Ziele verfolgt. Bei den Internet-Texten gilt es angesichts hoher Quoten irrelevanter Ergebnisse in Suchmaschinen auf den ersten Blick deutlich zu machen, welche Inhalte präsentiert werden. Neben Artikelüberschriften, die auf aktuelle Ereignisse verweisen, sind hauptsächlich drei Arten von Titeln zu finden. Die Texte wenden sich erstens im Sinne allgemeiner Aufklärung an ein breites Publikum in einer allgemeinverständlichen Sprache. Titel wie „Worum geht es in der Debatte um genetisch veränderte Nahrungsmittel?“75 oder „Sind genmanipulierte Lebensmittel sicher?“76 mögen wenig originell sein und wiederholen sich mit leichten Modifikationen häufig an anderen Stellen. Sie signalisieren dem Internet-Nutzer jedoch unmissverständlich Ausrichtung und Anliegen des Textes. Anhand dieser leicht lesbaren Einführungstexte kann sich der Nutzer Schritt für Schritt ein Bild von der Diskussion um Genfood machen. Über Hyperlinks und Schlüsselbegriffe 75 76
http://www.wsws.org/de/1999/aug1999/gene-a18.shtml. http://gruppen.greenpeace.de/koblenz/stuff/sind_gen_lebensmittel_sicher.pdf.
90
3 Empirische Untersuchungen
sollen die von den jeweiligen Autoren als wichtig erachteten Diskursstränge und Unterthemen in der Diskussion dargestellt werden. Eine Reihe von Texten richtet sich jedoch zweitens dezidiert an Experten aus unterschiedlichen Bereichen oder thematisiert sehr spezifische Themen, die in Zeitungsberichten seltener auftreten. So erfährt man, dass französische Weinkellereien wie „Latour und Romanée gegen genveränderte Reben“77 seien oder dass „Unilever … 13 Prozent mehr Gewinn“78 verzeichne, allerdings weiterhin an der Entwicklung von Genfood festhalte. Auch die bereits beschriebenen, zuweilen wenig verständlich kommentierten Rechtsakte der EU gehören zu dieser Art von Texten. Schließlich macht eine Gruppe von Texten unmissverständlich klar, welche Position zu Genfood nach Meinung der Autoren eingenommen werden soll. Stil und Inhalt zielen darauf, den Rezipienten von dem Für oder Wider von Genfood zu überzeugen, manchmal auch in etwas reißerischer Absicht zu überreden. Angeboten werden zum Beispiel „10 Argumente gegen Genfood“79. Häufig werden auch Negativszenarien wie „Geklonte Pandabären und genmanipulierte Riesenkarpfen“80 oder „Genveränderte Turbolachse“81 als Bestandteil der Überschrift gewählt. Berücksichtigt werden muss, dass die Betitelung und Auszeichnung eines Artikels etwas darüber aussagt, welcher erste Eindruck beim Nutzer hinterlassen wird. Ob sich allerdings hinter einem abwägenden oder neutralen Titel nicht letztendlich doch eine politisch einseitige Kampfschrift verbirgt, lässt sich nur durch eine genauere Inhaltsanalyse klären. Beim Vergleich zwischen InternetTexten und Zeitungsartikeln ist zunächst zu beachten, dass drei inhaltliche Ebenen analysiert wurden (siehe Spalten in Tabelle 2). Auf der Textebene wurden Merkmale erfasst, die dem untersuchten Schriftstück aus dem Internet bzw. aus den Zeitungen als Ganzem zuzuordnen waren. Unterhalb der Textebene wurden auf der Sprecherebene politische Stellungnahmen und Handlungen, die in den Texten enthalten waren oder über die berichtet wurde, einzeln untersucht. Schließlich wurden auf der darunter befindlichen Themenebene die unterschiedlichen inhaltlichen Bezüge und Aspekte von Genfood innerhalb der politischen Stellungnahmen codiert. Sobald also ein Text mehrere politische Stellungnahmen enthielt, wurden diese erfasst und dem Text zugewiesen. Ebenso konnten auf diese Weise mehrere thematische Aspekte von Genfood einer politischen Stellungnahme zugeordnet werden. 77
http://www.wein-plus.de/magazin/?show=fullnews&nr=1965. http://www.netlink.de/gen/Zeitung/970211a.htm. http://www.naturkost.de/schrotundkorn/genfood/dossier/gruende.html. 80 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/4281/1.html. 81 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/9544/1.html. 78 79
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
91
Tabelle 2: Übersicht zur Datenstruktur der Textanalyse
N 20 21 19
Sprecherebene N 82 77 37
Themaebene N 125 99 57
20
110
133
5,5
6,7
20 19 119
96 76 478
110 110 634
4,8 4,0 4,0
5,5 5,8 5,3
Textebene Internet Genfood Genmanipulierte Gentechnisch veränderte Genmanipulierte Lebensmittel Genveränderte Genetisch veränderte Internet gesamt
Sprecher/ Themen/ Texte Texte Ratio Ratio 4,1 6,3 3,7 4,7 1,9 3,0
Tageszeitungen Bild
2
3
3
1,5
1,5
FAZ
27
96
115
3,6
4,3
FR
18
42
54
2,3
3,0
SZ
26
85
101
3,3
3,9
TAZ
36
145
191
4,0
5,3
Welt
35
130
161
3,7
4,6
144
501
625
3,5
4,3
Spiegel
2
3
3
1,5
1,5
Zeit
2
4
7
2,0
3,5
Tageszeitungen gesamt Wochenzeitungen
Wochenzeitungen gesamt
4
7
10
1,8
2,5
Zeitungen gesamt
148
508
635
3,4
4,3
Internet + Zeitungen gesamt
267
986
1269
3,7
4,8
In den 119 Internet-Texten konnten 478 politische Stellungnahmen und 634 Themen identifiziert werden (siehe Tabelle 2). Ähnlich ist das Ergebnis für die Zeitungsartikel. Dort fanden sich in 148 Artikeln 508 politische Stellungnahmen und 635 Themen. Pro Text wurden also in den untersuchten Internet-Texten im Durchschnitt vier politische Stellungnahmen veröffentlicht, in den Zeitungsartikeln hingegen nur 3,4. Ebenso wird das Thema Genfood in den Internet-Texten thematisch breiter behandelt als in den Zeitungsartikeln. Im Durchschnitt enthiel-
92
3 Empirische Untersuchungen
ten die untersuchten Internet-Texte 5,3 unterschiedliche Themen. In den Zeitungen waren es hingegen 4,3 Themen pro Artikel. Diese moderate Reduzierung von politischen Positionen und thematischer Bandbreite in den Zeitungen ist wohl auf den Druck zur Tagesaktualität, den geringeren Textumfang und die Konkurrenz mit einer Vielzahl anderer Themen und Ereignisse zurückzuführen. Zu beachten ist, dass diese Differenz wohl deshalb relativ klein ist, weil im Internet nur die beiden ersten DIN A4 Seiten von Texten berücksichtigt wurden (vgl. Abschnitt 3.4.1). Welche Zeitung oder welches Suchwort ein potentieller Nutzer bei der Recherche zum Thema Genfood nutzt, spielt auch für die Frage der thematischen Breite und der Anzahl der politischen Positionen eine Rolle. So erbrachten im Vergleich zu den übrigen Suchwörtern die Kombinationen „genmanipulierte Lebensmittel“ sowie „genveränderte“ deutlich mehr politische Stellungnahmen. Zudem förderten die Kombinationen „genmanipulierte Lebensmittel“ sowie „Genfood“ ein größeres thematisches Spektrum zu Tage. Während es bei den Zeitungen erhebliche Unterschiede in der Breite und im Umfang der Berichterstattung zu Genfood gab, kann dies für die unterschiedlichen Bezugskanäle im Internet, nämlich die sechs Suchwortkombinationen, nicht eindeutig festgestellt werden. Zwar ergeben die Suchwortkombinationen „genmanipulierte Lebensmittel“ und „genveränderte“ mehr Positionen. Gleichzeitig weisen sie jedoch bei der Suche in Google hohe Quoten nicht relevanter Texte aus. Umgekehrt liefert die Suchwortkombination „gentechnisch veränderte“ mit 27 Prozent eine relativ geringe Quote irrelevanter Ergebnisse in Google. In den anschließend untersuchten Texten fanden sich jedoch durchschnittlich nur knapp zwei Stellungnahmen sowie drei unterschiedliche Themen. Im Gegensatz hierzu sind die Unterschiede zwischen den Zeitungen berechenbar. Solche Zeitungen, die häufiger über Genfood berichteten, enthielten für jeden einzelnen Text im Durchschnitt mehr Positionen und wiesen gleichzeitig ein größeres thematisches Spektrum auf als Zeitungen, die seltener Genfood thematisierten. Hinsichtlich der Versorgung mit Informationen sind also auf der Ebene sehr abstrakter Indikatoren – wie der Anzahl der Themen und Akteure, die eine politische Stellungnahme abgeben – Internet und Zeitungen durchaus ähnlich. In beiden Medien gibt es für einen hypothetischen Nutzer, der sich allein für das Thema Genfood interessiert, bestimmte Hürden. So müssen Zeitungsleser auf das Erscheinen einschlägiger Artikel warten. Auch sind nicht alle Artikel, die sich mit Genfood beschäftigen, durch Überschrift bzw. Lead kenntlich gemacht. In Google hingegen müssen Suchende zunächst einen Gutteil der angebotenen Suchergebnisse verwerfen. In beiden Fällen ist zudem die Nutzung von mehr als einer Bezugsquelle sinnvoll, um sicher zu stellen, überhaupt hinreichend mit Informationen versorgt zu werden. Wer lediglich Spiegel, ZEIT oder Bild zu
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
93
Rate zieht, wäre zumindest im Untersuchungszeitraum nicht gut informiert gewesen. Ähnlich wäre Interessierten anzuraten, mehr als eine Suchwortkombination in Google anzuwenden. 3.4.2.4
Texttypen im Internet und in den Zeitungen
Wie bereits dargelegt, ergeben sich klare Unterschiede hinsichtlich des Publikums, das die jeweiligen Texte ansprechen wollen. Hier zeigte sich, dass die Internet-Texte nicht durchgängig an ein allgemeines Publikum gerichtet sind. Vielmehr werden auch sehr spezifische Expertendiskurse wiedergegeben. Diese Tendenz wird beim Vergleich der einzelnen Texttypen besonders deutlich. Die Zeitungen folgen hierbei bekannten und relativ stabilen Mustern. Die Stichprobe der Zeitungsartikel besteht zu drei Achteln aus Hintergrundartikeln und zu einem Drittel aus Nachrichten. Kommentare, Leserbriefe und Interviews machen den Rest aus. Aus dem Rahmen fällt hierbei die TAZ, deren Berichterstattung zu mehr als der Hälfte aus Hintergrundartikeln besteht, was mit der bereits angesprochenen Artikelserie zum Thema Genfood zu tun hat. Die FR weicht unter den Tageszeitungen erheblich ab. Sie berichtete insgesamt seltener und publizierte nur zwei Hintergrundartikel. Anbieter von Texten im Internet sind nicht wie Zeitungen darauf festgelegt, eine allgemeine Berichterstattung über eine Vielzahl von Themen und Gebieten zu liefern und dabei interessante Ereignisse für ein größeres Publikum zu verarbeiten. Vielmehr lassen sich im Groben drei zusätzliche Textformen im Internet unterscheiden. Diese sind „Selbstdarstellung“, „Mobilisierung“ und „Diskussionsforum“. Die Textform „Selbstdarstellung“ zielt darauf ab, die eigene Position und den eigenen Arbeitsbereich durch den Anbieter selbst in der Öffentlichkeit darzustellen. Hierzu können Positionspapiere, Programmatiken, Pressemitteilungen, wissenschaftliche Texte und die Veröffentlichung von Gesetzen und Verordnungen zählen. Mit der Textform „Mobilisierung“ soll ein breiteres Publikum zu politischem Handeln bewegt werden. Hierzu gehören vor allem Protestaufrufe. Die Textform „Diskussionsforum“ kann von einem breiten Publikum als Autor und Rezipient gleichzeitig verwendet werden. Sie zeichnet sich also dadurch aus, dass Beiträge verschiedener Nutzer aufeinander bezogen sind. Es wäre zu erwarten, dass durch die geringere marktförmige Einbettung der Anbieter von Texten im Internet eher ein direkter und ungezwungener politischer Meinungsaustausch stattfindet. Dies würde bedeuten, dass agitatorische, polemische oder auch diskursive Textformen häufiger vorkämen als solche, die eher deskriptiv, verlautbarend oder informierend sind (vgl. Hypothese 2).
94
3 Empirische Untersuchungen
Tabelle 3: Texttypen im Internet und in den Zeitungen Internet
Zeitungen
N
%
N
%
2
2
18
12
Hintergrundartikel / Infomaterial
52
44
57
39
Nachrichten
34
29
46
31
Interview
-
-
4
3
Leserbriefe / Nutzer-Beiträge
2
2
20
14
11
9
-
-
Protestaufruf
1
1
-
-
Pressemitteilung
3
3
-
-
Forschung, Expertisen
2
2
-
-
Lehre
6
5
-
-
Gesetze und Verordnungen
3
3
-
-
Sonstige
3
3
3
2
119
100
148
100
Kommentar
Positionspapier, Programmatik
Gesamt
Die Verteilung der Textformen deutet darauf hin, dass die untersuchten Anbieter im Internet das ihnen zugeschriebene Potential kaum ausschöpfen (siehe Tabelle 3). Die Bandbreite an Textformen ist im Internet zwar bedeutend größer als in den Printmedien. So finden sich in den Printmedien nur fünf verschiedene Arten von Texten, während in den untersuchten Internet-Texten zehn Textformen vertreten sind. Lediglich Interviews sind in den Internet-Texten nicht enthalten. Jedoch zeigen die Verteilungen zwischen den Texttypen, dass sich Internet-Texte und Zeitungsartikel ähnlicher sind als vielfach angenommen wird. Hauptgrund ist hierfür die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Anbieter von Texten im Internet Medienakteure waren, die ein den Zeitungen ähnliches Muster der Berichterstattung reproduzieren. Mehr als zwei Drittel der Pressetexte waren Hintergrundartikel und Nachrichten (39 % und 31 %). In den untersuchten InternetTexten gehörten sogar 71 Prozent der Texte diesen beiden Gattungen an (44 % bzw. 29 %). Im Internet sind hingegen Kommentar und Leserbrief selten. Hieraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Erstens werden die Potentiale der „Mobilisierung“ und des „Diskussionsforums“ in den untersuchten Internet-Texten kaum genutzt. Texttypen der Selbstdarstellung (wie Pressemitteilungen und Positions-
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
95
papiere) waren hingegen deutlich häufiger vertreten als z.B. Nutzerbeiträge (2 %) oder Protestaufrufe (1 %). Zweitens sind auch in Hinsicht auf die Textformen politische Überzeugungsversuche in Internet-Texten nicht deutlich häufiger als bei den Zeitungsartikeln. Textformen, die prinzipiell darauf angelegt sind, politische Meinungen zu propagieren – also eher zu überreden, statt zu informieren bzw. zu überzeugen – sind in beiden Mediengattungen klar in der Minderheit. Allerdings zeigen sich je nach dem, welche Organisationen Texte anbieten, deutliche Unterschiede. Während staatliche Stellen und Medienakteure vor allem informative Texte anboten, machen sich zivilgesellschaftliche Akteure durchaus die Möglichkeit zunutze, politische Positionen, Programmatiken und Forderungen zu vermitteln. 3.4.2.5
Tendenz der Texte: Für oder Gegen Genfood?
Die vermeintliche Einseitigkeit der Diskussionsbeiträge in den herkömmlichen Massenmedien ist ein häufig wiederkehrender Kritikpunkt. Durch die Einbettung in privatwirtschaftliche Zusammenhänge und durch die politische Festlegung der Zeitungsredaktionen werde ein Abwägen des Für und Wider nach sachlichen Gesichtspunkten kaum ermöglicht. Vielmehr stünden die herkömmlichen Massenmedien einem pluralistischen öffentlichen Diskurs im Wege. Das Internet als verhältnismäßig offener und polyzentrischer Raum verspräche hier Abhilfe. Daher wird im Folgenden untersucht, inwieweit Pro- und Contra-Argumente in der Genfood-Debatte gegeneinander abgewogen werden. Zusätzlich werden neutrale oder ambivalente Positionen berücksichtigt (siehe Tabelle 4). Tabelle 4: Tendenz der Texte zum Thema Genfood Internet
Zeitungen
N
%
N
%
Positiv
22
19
36
24
Negativ
61
51
62
42
9
8
19
13
27
23
31
21
119
100
148
100
Ambivalent Neutral/keine Tendenz Gesamt
Keine oder eine neutrale Tendenz enthält in beiden Mediengattungen etwas mehr als ein Fünftel der Texte (Internet: 23 %, Zeitungen: 21 %). Die untersuchten Texte im Internet beurteilen das Thema Genfood wesentlich häufiger negativ
96
3 Empirische Untersuchungen
(51 %) als die zum Vergleich herangezogenen Zeitungsartikel (42 %). Zudem berichten die Zeitungsartikel häufiger ambivalent (13 %) über das Thema als die Internet-Texte (8 %). Grund für die häufiger negative Behandlung von Genfood ist nicht nur, dass gentechnikfeindliche zivilgesellschaftliche Anbieter in Google selbst Texte anbieten, während gentechnikfreundliche sozioökonomische Interessengruppen wie Gen-Firmen oder die Pharma-Industrie nicht zu Wort kommen (vgl. Tabelle 1). Vielmehr stammen Genfood ablehnende Internet-Texte auch von anderen Anbietern. Genfood wird im Internet zudem entschiedener abgelehnt. Viele Texte wenden sich häufig schon in Titeln wie „Gen-Food, nein danke!“82 offensiv und eindeutig gegen Genfood. Die Befürwortung erschließt sich hingegen häufig erst durch die genauere Lektüre und wird erst nach der Ablehnung des Widerstandes gegen Genfood verdeutlicht. Die Zeitungsartikel sind weniger meinungsbetont. Mit Ausnahme der TAZ, die Genfood auch als „Frankenstein-Food“83 bezeichnet, enthält man sich deutlicher Schlagworte oder Parolen. Auch hier gilt allerdings, dass die Befürwortung von Genfood eher über die Diskussion der ablehnenden Position hergeleitet wird und mit einigen Ausnahmen in der WELT und FAZ auch nur sehr moderat ausfällt. Bisher beruhten die quantitativen Ergebnisse vor allem auf Gesamtwerten für alle untersuchten Zeitungen und Internet-Texte. Bekanntermaßen bestehen allerdings deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Printmedien. Auch die Suchwortkombinationen selbst unterscheiden sich bereits in ihrem politischen Gehalt. Insbesondere ist die Rolle wertender Begriffe in der Debatte um Genfood nicht zu unterschätzen. Nicht ohne Grund sprechen Skeptiker eher von „Genmanipulation“, während Befürworter eher zu Begriffen wie genetische „Veränderung“ oder „Verbesserung“ neigen. Tabelle 5 macht die Bedeutung der unterschiedlichen Bezugsquellen der Texte für die Haltung zu Genfood deutlich.
82 83
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/13311/1.html. „Frankenstein-Food“, TAZ 12./13.06.2004, S. 4.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
97
Tabelle 5: Texttendenz zu Genfood nach Suchwortkombinationen und Zeitungen (Häufigkeiten) Positiv
Negativ
Ambivalent
Neutral
Gesamt
Google-Suche Genfood, „genmanipulierte“, „genmanipulierte Lebensmittel“ „gentechnisch veränderte“, „genveränderte“, „genetisch veränderte“
4
46
2
9
61
18
15
7
18
58
22
61
9
27
119
FAZ
10
6
5
6
27
WELT
16
6
5
8
35
FR
2
9
3
4
18
SZ
3
15
4
4
26
TAZ
4
24
2
6
36
Spiegel
1
1
0
0
2
ZEIT
0
1
0
1
2
Bild
0
0
0
2
2
Gesamt
36
62
19
31
148
Gesamt Zeitungen
Tatsächlich waren die Beiträge der konservativen Tageszeitungen FAZ und WELT häufiger positiv gegenüber Genfood eingestellt. Während in der FAZ ambivalente und neutrale Texte etwa zwei Fünftel ausmachten und mehr als jeder fünfte Beitrag tendenziell gegen Genfood gerichtet war, dominierte eine gentechnikfreundliche Berichterstattung in der Tageszeitung DIE WELT sehr viel deutlicher. Zwei Drittel der TAZ-Artikel und 15 der 26 SZ-Artikel waren Genfood gegenüber negativ gestimmt. Diese sehr eindeutigen Botschaften an ihre Leser stehen also im Einklang mit der allgemeinen politischen Linie der jeweiligen Tageszeitungen. Im Internet wäre jedoch im Sinne eines offenen kommunikativen Raumes eine solche Aufteilung der Positionen nicht zu erwarten. Und die politisch indifferente Suchmaschine Google bietet auch wenig Anlass hieran zu zweifeln. Wie in Tabelle 5 jedoch ersichtlich ist, entscheidet in den
98
3 Empirische Untersuchungen
untersuchten Internet-Texten maßgeblich das eingegebene Suchwort über die aufgefundenen politischen Positionen zu Genfood. Zumindest für die gewählten beiden Download-Zeitpunkte standen die Texte, die unter den Suchwortkombinationen „Genfood“, „genmanipulierte“, „genmanipulierte Lebensmittel“ unter die ersten zehn relevanten Suchergebnisse gelangten, überwiegend Genfood ablehnend gegenüber (70 % bis 81 %, im Durchschnitt 75 %). Die Suchwortkombinationen mit dem Zusatz: „veränderte“ erbrachten hingegen eine absolute Mehrheit für Anbieter, die Genfood befürworteten. Auf der Ebene der untersuchten Texte im Internet zeigt sich also, dass die angebotenen Texte ähnlich stark nach Gegnern und Befürwortern sortiert sind, wie dies bei den jeweiligen Zeitungen der Fall ist. 3.4.2.6
Aktualität, Textlänge, Hyperlinks
In der Debatte um die Besonderheiten des Internet spielen technische Möglichkeiten eine bedeutende Rolle. Insbesondere im Vergleich zu den herkömmlichen Printmedien sei ein höheres Maß an Aktualität und mehr Raum auch für längere inhaltliche Darstellungen gegeben. Zusätzlich wird das grundlegende Potenzial der Verknüpfung unterschiedlicher Texte durch so genannte Hyperlinks betont. Die Untersuchung der Texte im Internet ergab jedoch, dass diese keineswegs so aktuell waren, wie oft vermutet wird. Im Schnitt waren die Texte über zwei Jahre alt. Der älteste Text wurde vor neun Jahren veröffentlicht. Nur 57 Prozent der Texte waren jünger als ein Jahr und nur 11 Prozent nicht älter als eine Woche. Somit hinkt das Internet den täglich erscheinenden Zeitungsartikeln in seiner Aktualität deutlich hinterher.84 Anders verhält es sich hinsichtlich des Platzangebotes für ausgiebige Erörterungen. Die untersuchten Internet-Texte sind deutlich länger als die untersuchten Zeitungsartikel. Da viele Internet-Texte für eine praktikable Codierung deutlich zu lang waren, beschränkten wir uns auf zwei DIN A 4 Seiten (vgl. Abschnitt 3.4.1). Zur Messung der tatsächlichen Länge der Texte wurde zusätzlich eine Stichprobe nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, die jeweils 30 Fälle aus Zeitungen und dem Internet beinhaltete. Anschließend wurde die Anzahl der Wörter für diese 60 Texte ermittelt. Das Ergebnis war eindeutig. Die InternetTexte waren mit ca. 1.310 Wörtern (ca. vier DIN A4 Schreibmaschinenseiten) im
84 Hierbei sollte jedoch einschränkend bemerkt werden, dass in der vorliegenden Untersuchung die kürzlich eingerichtete Suchfunktion unter Google (http://news.google.de/nwshp?hl=de&gl=de), die sich auf tagesaktuelle Texte konzentriert, ebenso wenig einbezogen wurden wie Möglichkeiten, Suchanfragen auf Seiten zu beschränken, die von den Betreibern in einem bestimmten Zeitraum aktualisiert wurden.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
99
Durchschnitt mehr als doppelt so lang wie die Zeitungsartikel mit durchschnittlich 640 Wörtern (ca. zwei DIN A4 Schreibmaschinenseiten). Auch die Möglichkeit des Internet, Texte mit anderen Texten durch so genannte Hyperlinks zu verknüpfen, unterscheidet es von den Zeitungen (siehe Tabelle 6). Während knapp 65 Prozent der Internet-Texte Hyperlinks zu anderen Internet-Quellen verwendeten, wiesen nur 3 Prozent der Zeitungsartikel auf Internet-Texte hin. Solche Hinweise standen bei Zeitungsartikeln immer unterhalb des Textes. Die Vernetzungsmöglichkeiten durch Hyperlinks wurden bei den Internet-Texten nur unzureichend ausgeschöpft. Mehr als ein Drittel der Texte wies keine Hyperlinks auf. Wiederum knapp ein Viertel der Texte verlinkte lediglich zu Webseiten desselben Anbieters, und etwas weniger als ein Drittel der Texte verwendete Hyperlinks innerhalb des Textes. Tabelle 6: Anteil von Texten mit Hyperlinks nach Ziel und Position (Prozente) Innerhalb
Innerhalb und unterhalb
Unterhalb
Gesamt
Extern
3
1
8
13
Intern und extern
7
8
13
28
Intern
9
4
11
24
19
13
32
65
Gesamt
Keine Hyperlinks 35 %, N = 42. Texte insgesamt N = 119
Es kann also nur eingeschränkt von einer grundlegenden Veränderung politikbezogener Texte durch die technischen Vorteile des Internet gesprochen werden. Zum einen werden Hyperlinks nur selten in den Zeitungen angegeben. Zum anderen werden Hyperlinks, die innerhalb des Fließtextes eingebaut werden und auf externe Quellen verweisen, nur von 19 Prozent der untersuchten InternetTexte verwendet. In seiner Aktualität hinkt das Internet sogar deutlich den Zeitungsartikeln hinterher. Veraltete Berichte können oft irreführend sein. Gerade im Themenbereich Genfood, in dem viele wichtige politische Entscheidungen kurz vor und innerhalb unseres Untersuchungszeitraumes gefällt wurden, erscheinen im Internet häufig Texte, die von inzwischen hinfälligen politischen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgehen. Lediglich die Möglichkeit, längere Texte zu platzieren, wird im Internet häufig genutzt.
100 3.4.2.7
3 Empirische Untersuchungen Sprecher nach Akteurskategorien
Sowohl einzelne Zeitungsartikel als auch Internet-Texte bieten Raum für die politischen Stellungnahmen mehrerer Akteure. Diese Sprechenden und Handelnden adressieren wiederum häufig andere Akteure (Adressaten) und haben dabei Auswirkungen auf Dritte im Blick (Objektakteure). Für die Untersuchung unserer Hypothesen ist die Erörterung dieser Akteurskonstellationen in Texten von besonderem Interesse. So lässt sich eruieren, ob auch Akteure aus der Zivilgesellschaft oder aus geographisch weit entfernten Gegenden zu Wort kommen bzw. in der politischen Auseinandersetzung berücksichtigt werden. Zunächst untersuchen wir politische Sprecher und Handelnde und behandeln anschließend die Rolle von Adressaten und Objektakteuren. In der bisherigen Forschung über das Internet wurde, wie bereits mehrfach erwähnt, die These vertreten, das Internet biete auch ressourcenschwachen politischen Akteuren die Möglichkeit, eine relativ breite Öffentlichkeit zu erreichen. In dieser Argumentation wird das Internet als polyarchisches Netzwerk heterogener Akteure den herkömmlichen Massenmedien als relativ homogenen, hierarchischen Organisationen gegenübergestellt. Es wurde bereits dargelegt, dass sich dieses Bild vom Internet im Hinblick auf seine breitere Anbieterstruktur bestätigt. Über Suchmaschinen wie Google werden auch Texte von Anbietern, die nicht als Medienunternehmen tätig sind, zugänglich. Allerdings ist offen, ob sich dies auch inhaltlich in den im Internet erscheinenden Texten widerspiegelt. Deshalb wird gefragt, welche Sprecher in den untersuchten Texten auftauchen. (siehe Tabelle 7). Tabelle 7: Politische Sprecher/Handelnde nach Akteurskategorien Internet
Zeitungen
N
%
N
%
236
49
217
43
61
13
85
17
130
27
143
28
Medien
32
7
46
9
Sonstige
19
4
17
3
Gesamt
478
100
508
100
Staat und Parteien Sozioökonomische Interessengruppen Zivilgesellschaft, non-profit
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
101
Im Ergebnis zeigt sich, dass – anders als auf der Ebene der Anbieter – staatliche Akteure als Sprecher häufiger vorkommen als zivilgesellschaftliche Gruppen. Zivilgesellschaftliche Akteure treten mit 27 Prozent in den untersuchten InternetTexten fast ebenso oft in Erscheinung wie in den Zeitungsartikeln, wo sie 28 Prozent der politischen Stellungnahmen ausmachen. Häufiger als in den untersuchten Internet-Texten (13 %) sind sozioökonomische Akteure in den Zeitungen vertreten (17 %). Bei den Medienakteuren, die politische Stellungnahmen abgeben, handelt es sich überwiegend um die Anbieter der Texte. Obwohl der Anteil zivilgesellschaftlicher Akteure in den Zeitungsartikeln fast gleich hoch wie in den Internet-Texten ist, fällt das Spektrum der zu Wort kommenden zivilgesellschaftlichen Akteure in den Internet-Texten breiter aus. Anders als in den Zeitungsartikeln erscheinen in den Internet-Texten auch Kirchen, Verbraucherschutz- und Gesundheitsverbände. Von den Umweltverbänden kommen allerdings sowohl im Internet als auch in den Zeitungen überwiegend Sprecher von Greenpeace zu Wort. Nur gelegentlich tauchen auch Organisationen wie BUND oder NABU auf. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Parteien auch innerhalb der Texte und Artikel kaum in Erscheinung treten. In den Internet-Texten treten sie nur zweimal auf. In den Zeitungen kommen deutlich mehr parteipolitische Sprecher vor, die allerdings insgesamt nur 2 Prozent aller Stellungnahmen ausmachen. Sprecher aus der Gentechnik-Wirtschaft wie z.B. InnoPlanta, Monsanto oder Syngenta sind sowohl in Zeitungen als auch im Internet mit 4 Prozent schwach vertreten. Darüber hinaus bezieht in den Zeitungsartikeln gelegentlich die Versicherungswirtschaft – vorwiegend zur Frage der Haftung bei unkontrollierter Auskreuzung von Gen-Pflanzen – Stellung. Die übrigen sozioökonomischen Interessengruppen bestehen in beiden Medien zum Großteil aus dem konventionellen Lebensmittelhandel. Ökologische oder alternative Lebensmittelmärkte spielen nur sehr selten eine Rolle in der Berichterstattung. Auf Vertreter aus der konventionellen Landwirtschaft und dem Ökoland-Bau gehen im Internet nur 3 Prozent und in den Zeitungen nur 5 Prozent der politischen Stellungnahmen zurück. In den Zeitungen finden sich jedoch etwas häufiger Stellungnahmen der einschlägigen Verbände wie z.B. des Deutschen Bauernverbandes. Im Einklang mit bisherigen Forschungsergebnissen zur medialen Debatte um Gentechnik allgemein steht das Ergebnis, dass in beiden Medien nur etwa jede zehnte Stellungnahme aus der Genforschung selbst kommt (Kepplinger 1995). Insgesamt werden die Sprecher in den Zeitungsartikel mit 40 Prozent deutlich häufiger namentlich genannt als in Internet-Texten (24 %). Im Internet kommen hierbei US-Präsident George W. Bush (sechsmal), der für seine strikte Ablehnung von Genfood bekannte Prince Charles (viermal) sowie Ministerin Renate Künast (dreimal) häufiger zu Wort als andere Personen. In den Zeitungsartikeln hingegen kommt Renate Künast 18 mal zu Wort und wird somit mit
102
3 Empirische Untersuchungen
Abstand am häufigsten genannt. Es folgt danach der Greenpeace-Experte Henning Strodthoff (achtmal). Die Internet-Texte bieten also nicht den Umfang an Personalisierung, der prägend für die herkömmliche Berichterstattung ist. Dies mag daran liegen, dass häufiger pauschal von „Umweltverbänden“ oder „Greenpeace“ gesprochen wird, ohne dass eine konkrete Stellungnahme eines Organisationssprechers zugrunde liegt. Zudem scheint bei der Rezeption politischer Stellungnahmen in Internet-Texten kein Druck zu bestehen, einige wenige Sprecher und Stellvertreter zu exponieren. Insbesondere für stärker informelle, basisdemokratische zivilgesellschaftliche Initiativen schwächt sich scheinbar das einschlägige Problem ab, einerseits eine breitere Öffentlichkeit zu suchen, aber andererseits auf Repräsentanten oder markante Gesichter verzichten zu wollen. Allerdings waren, wie bereits erwähnt, die Texte informeller Anbieter kaum vertreten. Untersucht wurde auch, ob die Sprecher eine formalisierte Rolle einnehmen. Bemerkenswert ist hierbei, dass in beiden Stichproben der Anteil informeller Sprecher mit rund 10 Prozent gleich niedrig ist, wenn man politische Stellungnahmen, die von den Anbietern selbst vorgenommen wurden, ausklammert. Nimmt man hingegen die Anbieter der Texte, die selbst in ihren Texten Stellung beziehen, hinzu, so ist der Anteil der nicht formell organisierten Sprecher im Internet höher, da alle ausgewählten Zeitungen formell organisiert sind. Die These, dass ressourcenschwächere und zivilgesellschaftliche Akteure über Google eher eine breite Öffentlichkeit erreichen könnten, bestätigt sich also nicht durchgängig. Allerdings ist die Tendenz zur Personalisierung im Internet schwächer ausgeprägt. Die unterschiedlichen Sprecherstrukturen in InternetTexten und Zeitungsartikeln lassen sich vor allem durch die sehr unterschiedliche Herangehensweise der Autoren erklären. Die Zeitungsjournalisten folgen bei der Auswahl der in den Artikeln auftretenden Sprecher typischen professionellen Prinzipien. So berichtet man vor allem von Personen und Organisationen im Zusammenhang mit einigen wenigen aktuellen Medienereignissen (siehe Abbildung 4). Dies erklärt beispielsweise die Häufigkeit von Stellungnahmen von Greenpeace, Müller-Milch, Verbraucherministerin Renate Künast sowie der sachsenanhaltinischen Landesregierung. Die Auswahl der Sprecher orientiert sich an Nachrichtenwerten, also an inhaltlichen Merkmalen, die Pressetexte für Rezipienten attraktiv machen (Staab 1990; Hocke 2002). Im Untersuchungszeitraum spielten hier vor allem Konfrontationen in großer Nähe, also innerhalb Deutschlands, eine zentrale Rolle. So ist ein Artikel in der FAZ am 14. Juni 2004 (S. 44) mit „Der Undercover-Bauer“ übertitelt und bezieht sich auf die aktuelle Diskussion um den probeweisen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen und die Geheimhaltung der Standorte, um Feldzerstörungen durch Genfood-Gegner zu vermeiden. Die allgemeine Erörterung des versuchsweisen Anbaus erfolgt vor-
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
103
wiegend durch Stellungnahmen von Greenpeace, Biotech-Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern. Eingerahmt wird der Beitrag jedoch von einer personenorientierten Episode, die den Beitrag einleitet und am Ende wieder aufgenommen wird. Dieses Feature-Schema findet sich in vielen Artikeln. Häufiger als in Internet-Texten werden in den Zeitungen auch Personen wörtlich zitiert, um den Eindruck der unmittelbaren Nähe und der direkten Teilnahme zu vermitteln. In diesem Falle besucht der Reporter am Anfang des Artikels einen unbedarften Bauern, der sich bereit erklärt hat, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen: „Der Landwirt und seine Saatgutlieferanten wollen mit dem Ortstermin einerseits vermitteln, warum die Gentech-Pflanzen eine gute Sache sind, aber andererseits wollen sie den Standort des Ackers geheim halten, damit es nicht zu tätlichen Übergriffen kommt. (…) Der zum Acker gehörende Landwirt präsentiert sich als unerschrockener Mann, den an der Gentechnik ‚das Neue, Fortschrittliche’ reizt, doch er lässt sich lieber von hinten fotografieren, wie es sonst nur Geheimdienstagenten oder verschreckte Verbrechensopfer tun. (…) Erst im Frühjahr haben unbekannte Täter des Nachts bei Bernburg ein Versuchsfeld der Firma Syngenta abgeräumt.“
Die Äußerungen des Landwirtes werden hier vor allem vor dem Hintergrund der – so wörtlich – „gewaltsamen“ Konfrontationen im Rahmen von Versuchsfeldzerstörungen wiedergegeben. Die eigentlichen inhaltlichen Aussagen zur Frage des Für und Wider der Geheimhaltung von Anbauflächen durch die Landesregierung von Sachsen-Anhalt folgen später im Artikel von Seiten einiger Organisationsvertreter. Wie in vielen anderen Zeitungsartikeln steht hier die Position von Greenpeace stellvertretend für die Seite der Genfood-Gegner. Interessant ist vor allem die Konfrontativität beim Streit um den Versuchsanbau, die in militärischer Sprache ausgedrückt wird: „Doch Greenpeace und andere grundsätzliche Gegner der Gentechnik sehen in dem bescheidenen Anbauprogramm keine Friedensinitiative, sondern eine Kriegserklärung.“
Im Gegensatz dazu scheint die Auswahl politischer Sprecher in vielen InternetTexten seltener durch Medienereignisse und Nachrichtenwerte bestimmt zu sein. Viele Internet-Texte streben eine allgemeine Erörterung des Themas Genfood unabhängig von bestimmten Episoden und Ereignissen an. Im Sinne von Iyengars Unterscheidung zwischen episodischer und thematischer Berichterstattung sind die Internet-Texte stärker an Genfood an sich als an einzelnen Geschehnissen im Zusammenhang mit Genfood orientiert (Iyengar 1991). Dieser Eindruck verstärkt sich zudem, wenn man die Anbieter betrachtet. Zeitungen publizieren
104
3 Empirische Untersuchungen
auch themenorientierte Hintergrundartikel. Aufhänger sind jedoch stets aktuelle Ereignisse. Internet-Seiten wie transgen.de stellen hingegen umfassende Dossiers zur Verfügung, die ein breites Spektrum thematischer Beiträge umfassen. Dadurch erklärt sich auch, warum in den Internet-Texten seltener Einzelpersonen namentlich genannt werden. Häufiger werden dagegen die Positionen kollektiver Akteure wiedergegeben, um die generellen Konfliktlinien zum Thema Genfood zu verdeutlichen. Aufschlussreich ist die Presseerklärung des Evangelischen Entwicklungsdienstes: „Brot für die Welt, Caritas International, EED, FIAN Deutschland, Greenpeace und MISEREOR haben sich gegen die Versorgung der Staaten Angola und Sudan mit genveränderten Nahrungsmitteln durch das Welternährungsprogramm (WFP) ausgesprochen.“85
Hintergrund dieser Stellungnahme ist eine allgemeine Praktik des Welternährungsprogramms der UN, gentechnisch veränderte Nahrungsmittel im Rahmen der Hungerhilfe nach Afrika zu entsenden. Auch wird verdeutlicht, dass es sich um die gemeinsame Position christlicher Entwicklungshilfeorganisationen (Brot für die Welt, Caritas International, EED, Misereor), der humanitären, auf Nahrungsversorgung spezialisierten Menschenrechtsorganisation FIAN sowie von Greenpeace – also eines breiten Teils des gentechnik-skeptischen Spektrums von Assoziationen in Deutschland – geht. Die zitierte Presseerklärung erwähnt nicht, dass es sich um eine höchst kontroverse Frage handelt. Ob gesellschaftspolitische Akteure mit Stellungnahmen präsent sein können, ist in Zeitungsartikeln von anderen Kriterien abhängig als in InternetTexten. Allerdings lassen sich wegen der Heterogenität der Internet-Texte nur grobe Tendenzen beschreiben. Äußerungen werden im Internet möglich, wenn man selbst Anbieter des Textes ist oder dem Anbieter nahe steht. In InternetTexten werden auch sehr deutliche Schwerpunkte gesetzt, wenn es um die Auswahl politischer Sprecher geht. Während die Verteilung der Sprechertypen im Internet und in den Zeitungsartikeln fast identisch ist, lassen staatliche Anbieter primär staatliche Akteure sowie sozioökonomische Interessengruppen ebenfalls vor allem jeweils ihresgleichen in den Texten zu Wort kommen. Lediglich die zivilgesellschaftlichen Non-profit-Akteure weisen ein relativ ausgeglichenes Spektrum an Sprechern auf. Von den 158 eine Position ergreifenden Äußerungen in den Texten dieser Anbieter stammt immerhin jeweils ein Fünftel von staatlichen und von sozioökonomischen Interessengruppen. Eine Bezugnahme auf andere gesellschaftliche Diskussionszusammenhänge fehlt demzufolge vor allem in den Texten von sozioökonomischen und staatlichen Akteuren. So thematisiert 85
Siehe: http://www.eed.de/de.home/de.aktuell.short.23/ vom 01.06.2004.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
105
eine im Internet veröffentlichte Fachstudie der Konrad-Adenauer-Stiftung, die aufgrund ihrer Parteinähe und Finanzierungsbasis zur Klasse der staatlichen Akteure gezählt wurde, den Streit um Genfood in Brasilien fast ausschließlich vor dem Hintergrund behördlicher und legislativer Praktiken. Der insgesamt fünfseitige Beitrag86 konzentriert sich vor allem auf die Rolle der brasilianischen Regierung und der dortigen Behörden; die Positionen zivilgesellschaftlicher Akteure werden nur beiläufig erwähnt. Die Vermutung, dass Journalisten vor allem die Sichtweise derjenigen Akteure, die der politischen Linie des Blattes nahe stehen, wiedergeben, lässt sich in Hinsicht auf die Akteursklassen nicht erhärten. So beziehen FR und FAZ zivilgesellschaftliche Stellungnahmen deutlich häufiger ein als TAZ oder WELT. Umweltverbände kommen in SZ und FR häufiger zu Wort als in WELT und FAZ. Die links-alternative TAZ rekurriert sogar noch seltener auf Stellungnahmen von Umweltverbänden als die konservative WELT. Die Positionen der Genforschung werden besonders häufig in FAZ und FR wiedergegeben. Äußerungen von Biotech-, Pharma- und Chemieunternehmen werden hingegen am häufigsten in Artikeln der TAZ abgedruckt. 3.4.2.8
Anbieter und Sprecher nach geographischem Bezug
Oft wird geäußert, dass im Internet geographisch weit entfernte Akteure eher zu Wort kommen als in den klassischen Medien wie z.B. Zeitungen (vgl. Hypothese 4). Daher wurden die Anbieter der Internet-Texte auf ihren geographischen Bezug hin in ausländische und internationale Akteure klassifiziert, wobei internationale Akteure wiederum nach transnationalen und supranationalen Bezügen unterschieden wurden (vgl. Abschnitt 3.3). Im Gegensatz zu den ausgewählten Zeitungen war für die Internet-Texte keine Beschränkung auf deutsche Akteure gegeben. Stattdessen wurde die Perspektive eines durchschnittlichen deutschen Internetnutzers eingenommen. Entsprechend wurde in der deutschen GoogleVersion mit deutschsprachigen Suchwortkombinationen zum Thema Genfood recherchiert. Anschließend wurde die geographische Basis derjenigen Anbieter ermittelt, deren Webseiten aus den Suchergebnislisten ausgewählt wurden. Da in deutscher Sprache gesucht wurde, ist es nicht erstaunlich, dass 70 Prozent der Anbieter von Texten im Internet als deutsche Akteure einzustufen sind (siehe Tabelle 8). Immerhin wurden 25 Prozent der untersuchten deutschsprachigen Internet-Texte von ausländischen oder internationalen Akteuren angeboten. Hierbei spielten nationale Anbieter aus dem Ausland mit 16 Prozent 86
Siehe http://www.kas.de/db_files/dokumente/laenderberichte/7_dokument_dok_pdf_3843_1.pdf 07.01.2004. Neben den ersten beiden für die Kodierung herangezogenen Seiten wurde hier der gesamte Beitrag für die Bewertung der Sprecherstruktur berücksichtigt.
106
3 Empirische Untersuchungen
eine größere Rolle als EU-Akteure mit 7 Prozent, die wiederum deutlich häufiger in Erscheinung traten als supranationale Akteure. Keine Rolle spielten transnationale Nichtregierungsorganisationen. Organisationen wie Greenpeace folgen in ihrem Webauftritt dem Prinzip nationaler Selbständigkeit, sodass lediglich die Webseiten von Greenpeace Deutschland und von regionalen Greenpeace-Gruppen in Erscheinung traten. Allerdings konnte der zivilgesellschaftliche Anbieter „Campaign to ban genetically engineered foods“, der die Webseite „netlink.de“ betreibt und immerhin sieben Texte anbot, die in die Stichprobe eingegangen sind, wegen mangelnder Informationen geographisch nicht zugeordnet werden. Tabelle 8: Internet-Texte nach geographischem Bezug ihrer Anbieter N
%
National: Deutschland
83
70
National: andere Länder
19
16
Transnational
0
0
Supranational: EU
8
7
Supranational: Nicht-EU
2
2
Unbekannt
7
6
119
100
Gesamt
Bei den ausländischen und internationalen Anbietern der Internet-Texte handelt es sich überwiegend um österreichische und schweizerische Organisationen sowie politische Institutionen der EU. Der Großteil der gefundenen politischen Stellungnahmen stammt allerdings nicht von den Zeitungsjournalisten oder den Anbietern der Internet-Texte. Vielmehr werden durch Berichte, Zitate oder Interviews politische Stellungnahmen anderer Akteure wiedergegeben. Daher wird im Folgenden untersucht, ob die These fallender nationaler Barrieren im Internet auch für die Sprecher innerhalb der publizierten Texte gilt. Aus Tabelle 9 wird sichtbar, dass in den untersuchten Internet-Texten lediglich ein Drittel der identifizierten Sprecher nur innerhalb Deutschlands verortet ist, obwohl, wie oben gezeigt, knapp drei Viertel der Texte von deutschen Anbietern veröffentlicht werden. Hingegen stellt die Gruppe der deutschen Sprecher in den untersuchten Zeitungsartikeln 71 Prozent. Den größten Anteil in den untersuchten Internet-Texten nehmen ausländische Sprecher mit 34 Prozent ein. Nicht auf einen Nationalstaat beschränkte, internationale Akteure stellen 28 Prozent der Internet-Sprecher. Mit Abstand die größte Gruppe
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
107
bilden EU-Akteure, die fast ein Viertel aller Sprecher in den Internet-Texten stellen. Insgesamt zeigt sich für alle Kategorien, dass internationale und ausländische Akteure in den Zeitungen deutlich seltener auftreten als im Internet. Mit Bezug auf die oben angeführten Beispiele der Presseerklärung des EED, der Fachstudie der KAS (Konrad-Adenauer-Stiftung) und des Artikels aus der FAZ lässt sich beispielhaft zeigen, dass weit entfernte Sprecher aus dem Ausland im Internet eher zu Wort kommen als in den Zeitungen. So wird in der Presseerklärung des Evangelischen Entwicklungsdienstes ein öffentlicher Aufruf von 65 afrikanischen NGOs erwähnt, der sich gegen Genfood in Form von Hungerhilfe richtet; auch gibt die KAS-Studie über den Streit um Genfood in Brasilien fast ausschließlich brasilianische Positionen wieder. Ganz anders hingegen der FAZArtikel, in dem es um den Streit über den Probeanbau in Sachsen-Anhalt geht. Hier wie in den meisten der Zeitungsartikel – mit Ausnahme der TAZ – kommen vorrangig inländische Sprecher zu Wort. Die links-internationalistische Ausrichtung der TAZ dokumentiert sich in großformatigen Artikeln, die sich ausführlich mit Genfood mal mit Schwerpunkt auf Osteuropa oder mal konzentriert auf Brasilien beschäftigen.87 Dementsprechend häufig sind politische Äußerungen aus dem Ausland. Tabelle 9: Politische Sprecher/Handelnde nach geographischem Bezug Internet
Zeitungen
N
%
N
%
National: Deutschland
148
31
360
71
National: andere Länder
162
34
72
14
13
3
9
2
112
23
49
10
8
2
5
1
35
7
13
3
478
100
508
100
Transnational Supranational: EU Supranational: Nicht-EU Unbekannt Gesamt
In Bezug auf die viel diskutierte Rolle von transnationalen Nichtregierungsorganisationen und nationalen Nichtregierungsorganisationen auf internationaler Ebene stellt sich jedoch die Frage, ob der höhere Grad an Internationalität in den 87
Siehe: „Gentechnik erobert Brasilien“ (TAZ, 26.06.2004, S. 5) bzw. „In Osteuropa wachsen die Designpflanzen – mit Hilfe von US-Dollars“ (TAZ, 29.05.2004, S. 4).
108
3 Empirische Untersuchungen
untersuchten Internet-Texten lediglich das strukturelle Übergewicht etablierter Akteure in den Zeitungsartikeln reproduziert oder ob transnationale Politik – also nichtstaatliches, grenzüberschreitendes politisches Handeln – im Internet eher zur Geltung kommt. Betrachtet man allein die transnationalen und supranationalen Sprecher im Internet, so zeigt sich, dass zwischenstaatliche Akteure, z.B Organe der EU, um ein Vielfaches häufiger vertreten sind als transnationale Nichtregierungsorganisationen, die in den Internet-Texten nur 13 mal (3 %) und in den Zeitungsartikeln nur 9 mal (2 %) zu Wort kamen. Dabei handelte es sich in den InternetTexten vorwiegend um profitorientierte Unternehmen wie Monsanto und Unilever, wohingegen die Zeitungsartikel häufiger zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Greenpeace und Friends of the Earth Raum zur Stellungnahme boten. Erweitert man die Analyse um ausländische Sprecher, verändert sich das Bild kaum. Behördliche oder staatliche Sprecher stellen in Texten beider Mediengattungen zwei Drittel dieser Gruppe. Das restliche Drittel nichtstaatlicher Sprecher teilt sich in etwa zur Hälfte in profitorientierte und zivilgesellschaftliche Akteure. Hier zeigen sich kaum nennenswerte Unterschiede zwischen Zeitungsartikeln und Internet-Texten. Sprecher aus einem anderen Land sind jeweils zu etwa einem Viertel zivilgesellschaftliche Akteure. Zusammenfassend kann also die These eines breiteren Akteursspektrums in den untersuchten Internet-Texten teilweise und die Annahme stärkerer grenzüberschreitender Bezüge deutlich bestätigt werden. Hierbei unterscheiden sich die Ergebnisse auf den beiden Untersuchungsebenen. Auf der Anbieterebene sind im Internet tatsächlich viele zivilgesellschaftliche Akteure vertreten. Gleichwohl ist nur ein kleiner Teil aller Anbieter von Internet-Texten nicht formell organisiert. Ressourcenschwache und periphere Akteure kommen auf der Sprecherebene in den Internet-Texten hingegen sogar etwas seltener zu Wort als in den Zeitungsartikeln. Die beiden Ebenen unterscheiden sich ebenfalls hinsichtlich der geographischen Streuung des Akteursspektrums. Auf der Textebene treten im Internet vorwiegend deutsche Anbieter auf. Auf der Ebene der politischen Stellungnahmen hingegen sind ausländische und EU-Sprecher deutlich häufiger als in den untersuchten Zeitungsartikeln vertreten. 3.4.2.9
Adressaten und Objektakteure
Innerhalb öffentlicher Diskurse spielen nicht nur die Informationsanbieter und die Sprecher eine wichtige Rolle, sondern auch die Akteure, die von den Sprechern in den Diskurs einbezogen werden – und zwar als Adressaten und Objektakteure. Adressaten sind diejenigen, an die sich die Sprecher in ihrer politischen Stellungnahme wenden. Adressaten können aufgefordert werden etwas zu tun
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
109
bzw. zu unterlassen oder sie können Gegenstand von Unterstützung/Lob oder Ablehnung/Kritik sein. Objektakteure sind diejenigen Akteure, welche von den Äußerungen oder Handlungen der Sprecher unmittelbar betroffen sind. Der Objektakteur einer Forderung ist somit der Akteur, der entweder einen Nutzen oder einen Schaden hätte, wenn die Forderung eines Sprechers durchgesetzt werden würde.88 Insgesamt wiesen ein Drittel der 478 politischen Stellungnahmen, die online gefunden wurden, mindestens einen Adressaten und 45 Prozent einen Objektakteur auf. In den Zeitungen bezogen sich etwas weniger als die Hälfte der 508 politischen Stellungnahmen auf mindestens einen Adressaten und 58 Prozent auf einen Objektakteur.89 Diese Befunde wirken auf den ersten Blick so, als wäre die journalistische Qualität der Internet-Texte geringer. Zumindest wurde seltener deutlich, wer was zu wem und zu wessen Gunsten oder Ungunsten sagt. Insbesondere bei politischen Äußerungen in Nachrichten und Hintergrundinformationen aus dem Internet wurde deutlich seltener ein Adressat oder Objektakteur bestimmt als in vergleichbaren Zeitungsartikeln. Berücksichtigt man aber die Heterogenität der Internet-Texte, stellt man große Unterschiede fest. Während in Zeitungsartikeln relativ gleichmäßig Objektakteure und Adressaten benannt wurden, machten politische Sprecher in Protestaufrufen, Kommentaren und Leserbriefen aus dem Internet besonders häufig deutlich, welche der von Genfood Betroffenen einbezogen werden. Dagegen waren Äußerungen in Internet-Texten, die politische Stellungnahmen der Anbieter darstellen, besonders häufig an einen bestimmten Adressaten gerichtet. Angesichts dieser Unterschiede stellt sich darüber hinaus auch die Frage, inwieweit sich das Akteursspektrum der Adressaten und der Objektakteure im Internet von dem in den Zeitungsartikeln unterscheidet. Bislang wurde die These, das Internet biete zivilgesellschaftlichen Akteuren Zugang zu einer breiteren Öffentlichkeit, allein daraufhin untersucht, wie stark Anbieter und Sprecher von zivilgesellschaftlicher Seite zu Wort kommen. Die Analyse der Adressaten bringt zusätzlich Erkenntnisse darüber, welche Bedeutung zivilgesellschaftliche Positionen in Relation zu Positionen anderer Akteure haben. Dabei fällt zunächst auf, dass im Internet staatliche Akteure im Durchschnitt aller Akteursgruppen mit 58 Prozent am häufigsten adressiert wurden (vgl. Abbildung 5). Dies liegt nicht nur daran, dass staatliche Sprecher vor allem 88
Die Konstellation von Sprechern, Adressaten und Objektakteuren kann z.B. so aussehen: Greenpeace (Sprecher) fordert von der Lebensmittelindustrie (Adressat), dass sie alle Lebensmittel, die genmanipulierte Bestandteile enthalten, gut sichtbar kennzeichnen, damit die Verbraucher (Objektakteure) wissen, was sie zu sich nehmen. 89 In der vorliegenden Untersuchung wird jeweils nur der erste Adressat und der erste Objektakteur einer Äußerung oder Handlung berücksichtigt.
110
3 Empirische Untersuchungen
andere staatliche Akteure ansprechen (72 %). Auch die Medienakteure richteten im Internet ihre politischen Stellungnahmen zu drei Vierteln auf staatliche Akteure aus. Sozioökonomische Interessengruppen waren die einzigen Akteure, die zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure zu gleichen Teilen adressierten. Zivilgesellschaftliche Akteure richteten beinahe die Hälfte ihrer Äußerungen an staatliche Akteure. Abbildung 5: 100%
80%
2 2 4 20
Adressaten (Y-Achse), an die sich die Sprecher (X-Achse) im Internet und in den Zeitungen wenden, nach Akteursgruppen 3 18
15
27
7 2 10
5 2 13
6 6
25
27 23
6 1 23
22 33 29
11
24
75
72 48 36
32
off N=41
48
20%
8 2 10
50
38
27
on N=28
40%
33
36
60%
35
22
58
50
41
44
42
29
Staat und Parteien
sozio-ökonom. Interessengr.
Zivilgesellschaf t, non-prof it
Medien
Sonstige
off N=254
on N=187
off N=9
on N=85
off N=17
on N=85
off N=82
on N=58
off N=105
on N=85
0%
Gesamt
Sonstige (N: on=15/of f =14) Medien (N: on=3/of f =3) Zivilgesellschaf t/non-prof it (N: on=19/of f =58) sozio-ökonomische Interessengruppen (N: on=41/of f =73) Staat und Parteien (N: on=58/of f =42)
Von einer ausgewogenen Adressierung der politischen Stellungnahmen, die eine Grundbedingung dialogischer Kommunikation darstellt, kann somit nicht gesprochen werden. Ausnahmen bildeten die Bezüge zwischen sozioökonomischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die relativ häufig die jeweils andere Seite adressierten. Besonders einseitig waren die Äußerungen von Seiten der Journalisten in den Internet-Texten. Sie meldeten sich deutlich häufiger zu Wort als ihre Kollegen in den Printmedien und richteten ihre (meist gentechnikkritischen) Äußerungen zu drei Vierteln an staatliche und zu einem Viertel an sozioökonomische Akteure. Politische Äußerungen wurden weder in den Zeitungsartikeln
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
111
noch in Internet-Texten in nennenswerten Umfang an Medienakteure selbst gerichtet. Die Mittlerfunktion von Journalisten und ihr politischer Einfluss auf die öffentliche Debatte wurden in den untersuchten Texten auch sonst kaum thematisiert. Politische Kommunikation in den Internet-Texten nimmt also überwiegend nicht die Form eines dialogischen Forums zwischen den grob gefassten Akteursklassen an, sondern wird eher als Sprachrohr für Forderungen an den Staat genutzt. Die Lektüre der meist gentechnik-kritischen zivilgesellschaftlichen Internet-Texte bestärkt den Eindruck, dass es vorrangig um die Entwicklung eigener Positionen geht, die zu einer politischen Mobilisierung gegen Genfood führen soll und die meist in Forderungen an die Adresse politischer Entscheidungsträger bzw. der Gentechnik-Unternehmen kulminiert.90 Deutlich anders sieht es in den untersuchten Zeitungsartikeln aus. Hier wurden die Adressaten weitaus öfter als in den Internet-Texten genau bestimmt, wodurch die Struktur eines politischen Dialogs deutlicher zu erkennen war. In den Zeitungsartikeln äußerten sich staatliche Akteure wesentlich häufiger zu den Positionen zivilgesellschaftlicher Akteure und auch sozioökonomischer Interessengruppen. Gleichzeitig richteten auch sozioökonomische Interessengruppen und zivilgesellschaftliche Akteure ihre Forderungen häufiger an Akteure aus den eigenen Reihen. Dementsprechend zeigt das Gesamtbild der Adressierungen im Durchschnitt aller Akteursgruppen in den Zeitungen ein ausgewogeneres Spektrum von Bezugnahmen zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft als im Internet. Im nächsten Schritt ist zu untersuchen, in welcher Form die Akteure adressiert werden. So können die mit einer Äußerung oder Handlung Angesprochen kritisiert/abgelehnt (negative Bewertung) oder unterstützt/gelobt (positive Bewertung) werden. Der Bezug auf die Adressaten kann aber auch ambivalent oder neutral ausfallen. Tabelle 10 zeigt, dass in beiden Mediengattungen die meisten der Äußerungen oder Handlungen sich kritisch auf die jeweiligen Adressaten bezogen.91 Allerdings war der Anteil positiver Bezugnahmen auf die Adressaten im Internet mehr als doppelt so hoch (28 %) als in den Zeitungen (12 %). Offline bezogen sich die Sprecher hingegen häufiger neutral auf ihre Adressaten (offline: 22 %, online: 12 %).
90 Ein gutes Beispiel ist hier der Kampagnenaufruf der Coordination gegen Bayer-Gefahren. Siehe: http://www.cbgnetwork.org/Ubersicht/Kampagnen/Genfood/genfood.html. 91 Für herkömmliche mediale Diskurse wie die innerhalb der Presse ist das wenig überraschend, da die Akteure meistens in erster Linie daran interessiert sind, ihr Profil in der Öffentlichkeit zu stärken, was in Abgrenzung zu anderen Akteuren einfacher zu erreichen ist als durch Zustimmung.
112
3 Empirische Untersuchungen
Tabelle 10: Bewertung der Adressaten durch die Sprecher nach Akteursgruppen im Internet und in den Zeitungen (Prozente) Staat und Parteien ON
OFF
Sozioökonom. Interessen
Zivilgesellschaft
ON
OFF
ON
OFF
Medien
ON
Sonstige
Gesamt
OFF
ON
OFF
ON
OFF
Positiv
18
7
27
23
63
3
-
-
53
36
28
12
Negativ
66
60
68
60
21
90
-
100
27
14
58
65
3
1
-
4
-
-
-
-
-
-
2
2
13
32
5
13
16
7
100
-
20
50
12
22
Gesamt %
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
Gesamt N
101
106
41
70
19
58
1
3
15
14
177
251
Ambivalent Neutral
Interessant ist weiter, dass der Bezug auf staatliche Adressaten im Internet häufiger positiv ausfiel (18 %) als in den Zeitungen (7 %), auch wenn negative Einschätzungen in beiden Medien mit 66 Prozent bzw. 60 Prozent dominierten. In den Zeitungen wurden staatliche Akteure hingegen beinahe dreimal so häufig auf eine neutrale Art und Weise adressiert (32 %) wie im Internet (13 %). Vor allem die Beurteilungen zivilgesellschaftlicher Adressaten unterscheiden sich in den beiden Medienformaten. Online waren 63 Prozent der Bezüge auf zivilgesellschaftliche Akteure positiv, wohingegen die Sprecher in den Zeitungen in der großen Mehrzahl der Fälle eine negative Haltung gegenüber zivilgesellschaftlichen Akteuren einnahmen (offline: 90 %, dagegen online nur: 21 %). Grund hierfür war vor allem die Zeitungsberichterstattung über den Gerichtsstreit zwischen Greenpeace und Müller-Milch. Rund zwei Drittel der negativen Äußerungen über zivilgesellschaftliche Akteure hatten Greenpeace zum Adressaten. Negativ wurde Greenpeace besonders häufig in der WELT und der FAZ bewertet. So bezeichnete die WELT die Umweltorganisation im Titel der Reportage vom 24.06.2004 (S. 10) als „Protestkonzern“ und rechnete aus Anlass des Gerichtsurteils wegen der Müller-Milch-Kampagne mit Greenpeace ab. Die Greenpeace Kampagne, bei der es um die Verfütterung von genetisch veränderten Pflanzen zur Erzeugung von Müller-Milch-Produkten ging, sei typisch für Greenpeace als „Supertanker der Ökobewegung“: „(...) ein wenig kommt Erinnerung auf an die bisher größte Havarie der PROrganisation: Ihre Kampagne Mitte der neunziger Jahre gegen den Shell-Konzern und die Entsorgung der Ölplattform ‚Brent Spar’ – Greenpeace hatte mit vollkommen unhaltbaren Argumenten gekämpft, musste sich beim Gegner entschuldigen.“
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
113
Weiter wird ausgeführt, dass Greenpeace vor allem auf Emotionen und Ängste der Bürger setze und resistent gegenüber wissenschaftlich erwiesenen Tatsachen sei. Wirtschaftsunternehmen könnten durch solche Kampagnen in den Ruin getrieben werden. Greenpeace sei vor allem auf Spendengelder aus. Folgerichtig seien daher Pläne, der Organisation den Status der Gemeinnützigkeit abzuerkennen. In den Internet-Texten hingegen fand zur selben Zeit kaum eine negative Adressierung von Greenpeace oder anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren statt. Die nicht nur in der konservativen Presse unter Beschuss stehenden Vertreter von Greenpeace hatten hier die Möglichkeit, ihre eigene, unvermittelte Stellungnahme zu verbreiten, die jedoch wenig später aufgrund des Gerichtsurteils wieder vom Netz genommen wurde:92 „In den Müller-Produkten Müller, Weihenstephan, Sachsenmilch und Loose landet Milch von Kühen, die mit genmanipulierten Pflanzen gefüttert wurden. Zwar müssen Zutaten aus Gen-Pflanzen und Gen-Futtermittel nach der neuen EU-Verordnung umfassend gekennzeichnet sein, jedoch mit Ausnahmen: Produkte wie Joghurt, Eier oder Fleisch, die von Tieren stammen, die Gen-Futter gefressen haben, müssen nicht deklariert werden. ‘Müller glaubt, weiter Gen-Soja verfüttern zu können, weil die Milch nicht gekennzeichnet werden muss’, sagt Mirella Avantagiatto, Gentechnik-Referentin der Greenpeace-Gruppe Saar. ‚Nach dem Motto ‘was der Verbraucher nicht weiß, macht ihn nicht heiß’ wird Gen-Milch verwendet, ohne dass der Verbraucher davon erfährt. Wir fordern von Müller die Garantie, dass die Kühe kein Gen-Futter mehr erhalten.’“
Deutlich wird durch die Gegenüberstellung des WELT-Artikels und des Beitrages der Greenpeace Gruppe Saar, welche Bedeutung das Internet für ressourcenschwächere zivilgesellschaftliche Akteure hat. Sie wurden im Internet weitaus seltener negativ adressiert und konnten sich selbst in ein positives Licht rücken. Abbildung 6 zeigt die Verteilung der geographischen Bezüge der Sprecher und ihren jeweiligen Adressaten im Internet und in den Zeitungen. Im Durchschnitt beider Medien fällt zunächst auf, dass im Internet deutsche Akteure deutlich seltener adressiert wurden (20 %) als in den Zeitungen (69 %). Hingegen bezogen sich im Internet die meisten Sprecher auf ausländische nationale Akteure (34 %) und EU-Akteure (26 %). Aus Abbildung 6 geht hervor, dass diese Verteilung nicht nur dadurch zustande kommt, dass im Internet ausländische nationale Akteure und EU-Akteure signifikant häufiger als Sprecher vorkamen als in den Zeitungen (vgl. Tabelle 9) und diese sich in erster Linie an Akteure 92 http://gruppen.greenpeace.de/weblogs/gpsaar/lebensmittel/muellermilch_kuehe_fressen_genmani pulierte_pflanzen.html.
114
3 Empirische Untersuchungen
wandten, die auf der gleichen geographischen bzw. politischen Ebene agieren wie sie selbst. Vielmehr adressierten im Internet auch deutsche Akteure in ihren Äußerungen oder Handlungen deutlich häufiger EU-Akteure (27 %) im Vergleich zu den Zeitungen (3 %). In den Zeitungen richteten sich deutsche Akteure hingegen fast ausschließlich an andere deutsche Akteure (90 %, zum Vergleich online: 56 %).
3 2 3 2 0
4 5 19
80%
9 9
27 12
0
0
40
38 50
53
42
50
0
40 56
46
29
National: nicht DE
20
18
13
26
10
off (N=8)
International
6 0 10
33
10 0
0
30
17
3
on (N=5)
on (N=73) off (N=35)
on (N=59) off (N=182) National: DE
11
6 3 7 5
34
69
50
44
3
8
100
50
20%
0%
0
Supranational: EU
0
0
Supranational: nicht EU
20
0
on (N=12) off (N=10)
0
90
56
9 5
42
14
3 2
40%
0 11 0
off (N=2)
60%
0 11
on (N=2)
8 3
on (N=36) off (N=17)
100%
Adressaten (Y-Achse), an die sich die Sprecher (X-Achse) im Internet und in den Zeitungen wenden, nach geographischen Bezügen
Unbekannt
on (N=187) off (N=254)
Abbildung 6:
%
Unbekannt (N: on=17/of f =16) Supranational: nicht EU (N: on=9/of f =7) Supranational: EU (N: on=49/of f =19) International (N: on=11/of f =12) National: nicht DE (N: on=64/of f =25) National: DE (N: on=37/of f =175)
Die Adressaten wurden auf allen geographischen und politischen Ebenen im Internet positiver bewertet als in den Zeitungen – allerdings vor dem Hintergrund, dass sowohl online als auch offline die meisten Bezüge auf die Adressaten negativ ausfielen (vgl. Tabelle 11). Gleichzeitig waren die Akteure auf allen geographischen und politischen Ebenen – mit Ausnahme deutscher Akteure – im Internet auch häufiger Gegenstand von Kritik, während in den Zeitungen öfter ambivalente oder neutrale Positionen eingenommen wurden.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
115
Tabelle 11: Bewertung der Adressaten durch die Sprecher nach geographischen Bezügen im Internet und in den Zeitungen (Prozente) National: DE
National: nicht DE
International
Supranat: EU
Supranat: nicht EU
Unbekannt
Gesamt
ON OFF ON OFF ON OFF ON OFF ON OFF ON OFF ON OFF Positiv
24
10
32
20
55
33
26
5
-
-
20
19
28
12
Negativ
51
76
60
28
45
56
60
21
78
57
60
63
58
65
Ambivalent
3
1
-
4
-
11
5
-
-
-
-
6
2
2
Neutral
22
13
8
48
-
-
9
74
22
43
20
13
12
22
Gesamt %
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
Gesamt N
37
175
62
25
11
9
43
19
9
7
15
16
177
251
Neben den Adressaten wurden auch die Objektakteure, für die die politische Stellungnahme eines Akteurs unmittelbar Folgen hat oder haben kann, codiert. Abbildung 7 zeigt, dass die Unterschiede im Durchschnitt beider Medien in Bezug auf die Akteurskategorien deutlich geringer sind als dies bei den Adressaten der Fall war. Die im Durchschnitt am häufigsten in einer politischen Stellungnahme angesprochenen Objektakteure waren sowohl im Internet als auch in den Zeitungen sozioökonomische Interessengruppen mit Anteilen von 42 Prozent bzw. 44 Prozent. An zweiter Stelle folgte eine Akteursgruppe, die bisher nur in geringem Maße sichtbar war, nämlich die Kategorie „Sonstige“ (29 % bzw. 19 %). Diese Reihenfolge dürfte in erster Linie themenspezifisch sein, da sich gerade beim Thema Genfood viele der Forderungen an Unternehmen richten, Richtlinien einzuhalten oder kein Genfood zu verwenden, um die Verbraucher zu schützen. Tabelle 12 zur Verteilung der Akteure in der Kategorie „Sonstige“ zeigt erwartungsgemäß, dass es sich hierbei sowohl im Internet als auch in den Zeitungen in mehr als 90 Prozent der Fälle um die Allgemeinheit handelte.
116
3 Empirische Untersuchungen
Abbildung 7:
Objektakteure (Y-Achse) der Forderungen/Handlungen der Sprecher (X-Achse) im Internet und in den Zeitungen nach Akteursgruppen
100% 10 19
23
80%
29 20
26
17
18
11
0 19
22 68
13
60%
17
25
20
10
41 69
40%
50
44
53
42
44
20
18
50
36
3
50 19 29
sozio-ökonom. Zivilgesellschaf t, Interessengruppen non-prof it
off
N=350
on
Sonstige
N=286
off
N=12
on
Medien
N=16
off
8
N=50
on
off
14
10
N=93
on
N=94
off
on
off
N=127
on
N=103
Staat und Parteien
16
4
N=31
14
10
0%
N=68
35
N=42
20%
28 8
14
28
19
25
30
2
Gesamt
Sonstige (N: on=81/of f =67) Medien (N: on=0/of f =1) Zivilgesellschaf t/non-prof it (N: on=30/of f =66) sozio-ökonomische Interessengruppen (N: on=119/of f =153) Staat und Parteien (N: on=56/of f =63)
Tabelle 12: Objektakteure in der Kategorie „Sonstige“ im Internet und in den Zeitungen Internet
Zeitungen
N
%
N
%
3
4
2
3
75
93
63
94
Nationale Volkswirtschaften
2
2
-
-
Anonyme Personen/Organisationen
-
-
2
3
Sonstige
1
1
-
-
Gesamt
81
100
67
100
Privatpersonen Die Allgemeinheit
Im Internet waren die von Sprechern unterstellten Folgen für die Objektakteure in der Mehrzahl der Fälle positiv (69 %), wie aus Tabelle 13 hervorgeht. In den
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
117
Zeitungen war das Verhältnis zwischen positiven (48 %) und negativen (43 %) Folgen für die Objektakteure hingegen relativ ausgeglichen. Wiederum bestanden besonders bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren auffallende Unterschiede zwischen den beiden Medien. Im Internet unterstellten 83 Prozent der politischen Stellungnahmen positive Effekte auf zivilgesellschaftliche Akteure. In den Zeitungen traf dies nur auf 27 Prozent der Fälle zu, wobei 72 Prozent der Stellungnahmen von negativen Effekten für diese Akteursgruppe ausgingen. Dies ist ein Ergebnis, das den Befunden auf Ebene der Adressaten entspricht. Hier wurde in den Zeitungen auf zivilgesellschaftliche Akteure überwiegend kritisch Bezug genommen, wohingegen die Beurteilung dieser Akteure im Internet meist positiv ausfiel. Fast ausschließlich positive Folgen wurden den Akteuren in der Kategorie „Sonstige“ zugeordnet: Sowohl im Internet als auch in den Zeitungen erklärten ca. 90 Prozent der Akteure, dass ihre Ziele oder Forderungen positive Auswirkungen auf diese Akteursgruppe, die in erster Linie aus der Allgemeinheit besteht, haben würden.93 Tabelle 13: Art der Wirkung der Forderung/Handlung auf die Objektakteure im Internet und in den Zeitungen (Prozente) Staat und Parteien
ZivilSozioökonom. Interes- gesellschaft, non-profit sengruppen
Medien
Sonstige
Gesamt
ON
OFF
ON
OFF
ON
OFF
ON
OFF
ON
OFF
ON
OFF
Positiv
56
22
54
51
83
27
-
-
91
89
69
48
Negativ
38
60
42
40
17
72
-
100
9
5
29
43
Ambivalent
-
5
4
3
-
2
-
-
-
-
1
2
Neutral
6
13
1
7
-
-
-
-
-
6
1
6
Gesamt %
100
100
100
100
100
100
-
100
100
100
100
100
Gesamt N
48
63
112
152
30
64
-
1
80
66
270
346
Betrachtet man die Sprecher und ihre jeweiligen Objektakteure nach ihren geographischen Bezügen (vgl. Abbildung 8), so zeigen sich – wie auf Ebene der Adressaten – deutliche Unterschiede zwischen den beiden Medien. Im Internet war die durchschnittliche Verteilung der Objektakteure nach ihren geographi93
Das heißt jedoch nicht, dass alle das Gleiche unter positiven Folgen für die Allgemeinheit verstehen. So kann z.B. ein Akteur fordern, genveränderte Lebensmittel zu verbieten, um die Verbraucher zu schützen, wohingegen ein anderer Akteur fordert, genveränderte Lebensmittel unbeschränkt zuzulassen, damit die Verbraucher davon profitieren können.
118
3 Empirische Untersuchungen
schen Bezügen zwischen den erfassten Kategorien beinahe ausgeglichen. In den Zeitungen dominierten hingegen eindeutig deutsche Objektakteure (67 %). Die Verteilungen nach den einzelnen geographischen Einheiten zeigen jedoch große Unterschiede zwischen den einzelnen Akteursgruppen. Die Äußerungen oder Handlungen der einzelnen Akteursgruppen hatten tendenziell eher Folgen für Akteure, die jeweils auf der gleichen geographischen bzw. politischen Ebene agieren wie sie selbst, als für Akteure auf anderen Ebenen. Allerdings gilt auch hier, dass sich deutsche Sprecher online deutlich seltener in erster Linie um die Belange deutscher Objektakteure kümmerten (51 %) als offline (84 %). Während im Internet bei nicht-deutschen Akteuren deutsche Objektakteure so gut wie keine Rolle spielten (0 % bis 2 %), machten deutsche Akteure offline immerhin zwischen 8 Prozent (bei ausländischen nationalen Sprechern) und 17 Prozent (bei EU-Sprechern) aller Objektakteure nicht-deutscher politischer Stellungnahmen aus. Abbildung 8:
6 0 2 6 2
80%
8 14
17
0
10
9
33
13
27
50
57
15
55
42
19
9 0 5 8
21
10
0
59
7 3
36 100
56
0 9 0
54
9
25
29
51
20%
33
National: nicht DE
Supranational: EU
18
36
9 0
0
off (N=3)
off (N=7)
International
67
23
17
on (N=4)
13 2
0
on (N=5)
on (N=123) off (N=265) National: DE
on (N=87) off (N=39)
2
0%
14
22
50
18
8
14
33 4
84
40%
0 13
on (N=56) off (N=24)
60%
0 16
Supranational: nicht EU
Unbekannt (N: on=53/of f =31) Supranational: nicht EU (N: on=0/of f =1) Supranational: EU (N: on=61/of f =19) International (N: on=41/of f =28) National: nicht DE (N: on=64/of f =36) National: DE (N: on=67/of f =234)
Unbekannt
on (N=286) off (N=349)
25
on (N=11) off (N=11)
100%
Objektakteure (Y-Achse), für die die Forderungen/Handlungen der Sprecher (X-Achse) Konsequenzen haben, im Internet und in den Zeitungen nach geographischen Bezügen
Gesamt
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
119
Tabelle 14 zeigt, dass ausländische nationale Akteure die einzige Gruppe waren, für die sich die Äußerungen und Forderungen in den Zeitungen häufiger positiv auswirken sollten (75 %) als im Internet (60 %). Gleichzeitig war dies auch die einzige Gruppe, die online häufiger negative Effekte zu erwarten hatte (30 %) als offline (17 %). In allen anderen Fällen waren die Auswirkungen für die Akteure online häufiger positiv als offline. Tabelle 14: Art der Wirkung der Forderung/Handlung der Sprecher auf die Objektakteure nach geographischen Bezügen der Akteure im Internet und in den Zeitungen (Prozente) National: DE
National: nicht DE
International
Supranat: EU
Supranat: nicht EU
Unbekannt
Gesamt
ON OFF ON OFF ON OFF ON OFF ON OFF ON OFF ON Positiv
58
46
60
75
84
57
87
32
Negativ
OFF
-
-
62
40
69
48
40
49
30
17
16
32
12
32
-
100
38
43
29
43
Ambivlent
-
-
7
6
-
7
-
5
-
-
-
7
1
2
Neutral
1
5
3
3
-
4
2
32
-
-
-
10
1
6
Gesamt % 100
100
100
100
100
100
100
100
-
100
100
100
100
100
Gesamt N
232
60
36
38
28
52
19
-
1
53
30
270
346
67
Hinsichtlich der Adressaten und der Objektakteure kann festgehalten werden, dass insbesondere zivilgesellschaftliche Akteure in den Zeitungen wesentlich häufiger Gegenstand von Kritik waren und ihnen in den politischen Stellungnahmen auch häufiger negative Folgen unterstellt wurden als im Internet. Im Internet fielen die meisten Bezüge auf zivilgesellschaftliche Akteure hingegen positiv aus. Ebenso wurden ihnen zumeist positive Folgen zugeschrieben. Wie auch schon auf der Ebene der Sprecher festgestellt wurde, ist hinsichtlich der Adressaten und Objektakteure der Diskurs im Internet wesentlich weniger auf deutsche Akteure fokussiert als in den Zeitungen. Dabei wendeten sich auch die deutschen Akteure im Internet häufiger an ausländische nationale Akteure oder an EU-Akteure als in den Zeitungen. 3.4.2.10 Themen und Positionen Im Rahmen der Diskussion um die Besonderheiten netzbasierter Kommunikation wurde die These verfochten, das Internet weise im Vergleich zu den herkömmlichen Massenmedien ein breiteres argumentatives Spektrum im Rahmen politi-
120
3 Empirische Untersuchungen
scher Diskurse auf. Vielfach wurde das Bild eines für gegensätzliche Positionen und randständige Themen offenen Kommunikationsraums Internet gezeichnet. Auch sei ein größeres Spektrum von einfachen Nachrichten bis hin zum OnlineProtest in Echtzeit relevanter Bestandteil der politischen Kommunikation im Internet. Für die hier untersuchten Zeitungsartikel und die Ergebnisse der Google-Suchmaschine können diese Thesen überprüft werden. Mittels unserer relationalen Datenbank können auch die unterschiedlichen Formen politischer Stellungnahmen innerhalb der Texte untersucht werden. Zu diesem Zwecke wurde die insgesamt 62 Kategorien umfassende Liste politischer Handlungsformen zu fünf Handlungstypen zusammengefasst: staatliche Entscheidungen, verbale Stellungnahmen, Handlungsaufforderungen, demonstrative/konfrontative sowie gewaltförmige Proteste. Verbale Stellungnahmen wurden als politische Stellungnahmen definiert, die nicht mit einem der anderen Handlungstypen einhergingen. Tabelle 15: Formen politischer Stellungnahmen Internet
Zeitungen
N
%
N
%
Staatliche Entscheidungen
163
34
144
28
Verbale Stellungnahmen
250
52
292
58
Handlungsaufforderungen
50
11
36
7
Demonstrativer/konfrontativer Protest
8
2
19
4
Gewaltförmiger Protest
6
1
17
3
Sonstige
1
-
-
-
478
100
508
100
Gesamt
Das Spektrum der berichteten Handlungsformen in den Internet-Texten ähnelt stark der Berichterstattung in den Zeitungen (siehe Tabelle 15). Verbale Stellungnahmen (Pressemitteilungen, öffentliche Reden, Artikel, Bücher oder Interviews) sind in den Zeitungsartikeln mit 58 Prozent etwas häufiger als in den Internet-Texten mit 52 Prozent. Staatliche Entscheidungen werden in den untersuchten Internet-Texten öfter (34 %) als in den Zeitungen wiedergegeben. Während Handlungsaufforderungen in den untersuchten Internet-Texten etwas häufiger enthalten sind, ist die Wiedergabe von Protestereignissen deutlich geringer als in den Zeitungsartikeln.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
121
Es findet sich in den untersuchten Internet-Texten also kein deutlich größeres oder ausgeglicheneres Spektrum politischer Handlungsformen als in den Zeitungen. Auch die Analyse aller 62 Kategorien zeigt, dass beispielsweise in den untersuchten Internet-Texten über die Protestformen Flugblatt, Besetzung, Blockade und Boykott nicht berichtet wurde, während dies in den Zeitungsartikeln im Zusammenhang mit Genfood durchaus der Fall war. Textformen, die nur im Internet vertreten waren, spielen eine verhältnismäßig geringe Rolle. Auch folgt die Verteilung der Handlungsformen innerhalb der Internet-Texte dem Muster der Zeitungsartikel. Paradoxerweise wird im Internet weniger über Proteste berichtet, obwohl es dort viele zivilgesellschaftliche und ihnen nahe stehende Anbieter gibt. InternetTexte bieten auch nur selten interaktive Möglichkeiten zu protestieren. Das Internet ist kein Ort, in dem über Protest wie in den Zeitungen berichtet wird, die auf öffentlichkeitswirksam inszenierte kollektive Manifestationen politischen Willens reagieren, um die Aufmerksamkeit ihrer Leser für ein Thema zu gewinnen. Vielmehr dienen zivilgesellschaftliche Texte der politischen Überzeugungsarbeit und sind in diesem Sinne als Vorarbeit für politische Mobilisierung anzusehen. Ein breiteres argumentatives Spektrum äußert sich allerdings nicht nur in unterschiedlichen Handlungsformen und Texttypen. So ist die Debatte um Genfood vielschichtig und wird von unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen beeinflusst. Dieser Tatsache wurde Rechnung getragen, indem mittels einer der Textanalyse vorangehenden Lektüre einschlägiger Zeitungsartikel und InternetTexte zwölf Einzelthemen der Debatte um Genfood identifiziert wurden. Diese wurden für die Analyse wiederum zu sechs Kategorien zusammengefasst (siehe Tabelle 16). Zu ihnen zählen Themen, die sich mit der staatlichen Regulierung von Genfood befassen. Im Einzelnen sind dies Zulassungen, Patentierungen, Gesetze und Verordnungen, die Anbau, Verbreitung und Handel von genmanipulierten Organismen regeln, welche zu Genfood verarbeitet werden. Einzelthemen der Forschung beziehen sich vor allem auf Befunde, die als Argument für oder gegen den weiteren Einsatz von Genfood genutzt werden. Das Unterthema Produktion und Handel betrifft die Handhabung von Genfood durch die in den entsprechenden Branchen tätigen Professionellen (Bauern, Pharma-Industrie, Supermärkte). Dies ist der Fall, wenn beispielsweise ein Nahrungsmittelkonzern seine Position zum Einsatz von Genfood im Lebensmittelmarkt wiedergibt. Der Verbraucherschutz als eines der wichtigsten Themen bezieht sich immer auf die Interessen und Rechte der Käufer von Lebensmitteln. In der Kategorie Wirtschaft wird – anders als in der Kategorie Produktion und Handel – nach den allgemeinen marktwirtschaftlichen Auswirkungen von Genfood gefragt. In negativem Sinne werden Monopole, Marktmacht und ökonomische Ausbeutung the-
122
3 Empirische Untersuchungen
matisiert. In positivem Sinne werden Themen behandelt, die nach dem innovativen Potential von Genfood fragen oder die das Prinzip des Freihandels in Bezug auf Genfood thematisieren. Mittels dieser Kategorien kann die These eines breiteren argumentativen Spektrums in den Internet-Texten im Vergleich zu den Zeitungsartikeln untersucht werden. Tabelle 16: Unterthemen von Genfood Internet
Zeitungen
N
%
N
%
Staatliche Regulierung Forschung Produktion, Handel Verbraucherschutz Wirtschaft Gesundheit, Ökologie, Soziales Genfood allgemein Sonstige Themen
248 31 80 81 30 140 24 -
39 5 13 13 5 22 4 -
236 55 89 108 32 86 26 3
37 9 14 17 5 14 4 1
Gesamt
634
100
635
100
Für das Thema Genfood lassen sich beim Vergleich beider Mediengattungen kaum große Unterschiede in der thematischen Bandbreite entdecken (siehe Tabelle 16). So ist sowohl in den Zeitungsartikeln (37 %) als auch in den InternetTexten (39 %) die staatliche Regulierung von Genfood das häufigste Thema. Größere Abweichungen zeigen sich nur beim Thema „Verbraucherschutz“, das in den Zeitungsartikeln mit 17 Prozent etwas häufiger aufgegriffen wird als im Internet mit 13 Prozent. Auch immerhin 22 Prozent der Themen in den untersuchten Internet-Texten beschäftigten sich mit gesundheitlichen, ökologischen oder sozialen Aspekten von Genfood. In den Zeitungsartikeln betrug der entsprechende Anteil hingegen nur knapp 14 Prozent. Insbesondere das Einzelthema Gesundheit wurde mit knapp 13 Prozent besonders häufig in den untersuchten Internet-Texten aufgegriffen. Während also die thematische Bandbreite von Internet-Texten und Zeitungsartikeln durchaus ähnlich ist, werden einzelne Themen wie Gesundheit, Ökologie und Soziales in den Internet-Texten stärker betont als in den Zeitungsartikeln. Da solche Aspekte vor allem von zivilgesellschaftlichen Akteuren thematisiert werden, welche Genfood ablehnen, liegt es nahe zu prüfen, ob diese Akteure mit ihren Anliegen eher im Internet zu Wort kommen. Hierzu wurde gefragt, zu welchen Themenfeldern die verschiedenen
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
123
Akteursklassen Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Medien Stellung beziehen. Während sowohl in Internet-Texten wie in Zeitungsartikeln staatliche Akteure vor allem Fragen der politischen Regulierung, wirtschaftliche Akteure vor allem wirtschaftliche Aspekte und mediale Akteure vor allem ökologische, gesundheitliche und soziale Aspekte von Genfood ansprechen, thematisieren zivilgesellschaftliche Sprecher primär in den Internet-Texten, nicht aber in Zeitungen, ökologische, gesundheitliche und soziale Folgeaspekte von Genfood. In den Zeitungsartikeln hingegen kommen sie am häufigsten zu Fragen des Verbraucherschutzes zu Wort.94 Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass zivilgesellschaftliche Akteure in beiden Mediengattungen zu ihren je spezifischen Themen Stellung beziehen können. Sie sind nicht gezwungen, ausschließlich auf staatliche und wirtschaftliche Themensetzungen zu reagieren. Bei näherer Betrachtung der zivilgesellschaftlichen Thematisierungen in den Zeitungsartikeln (mit Ausnahme der TAZ) fällt allerdings auf, dass in der Tendenz Genfood sowohl positiv wie negativ in Hinsicht auf ökologische, soziale und gesundheitliche Folgen betrachtet wird. So wird der „Goldene Reis“ als Mittel zur Verbesserung der gesundheitlichen Lage in Ländern des Südens beschrieben und darauf verwiesen, dass keine ökologischen oder gesundheitlichen Folgen nachweisbar seien. Das Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung wird mit der Äußerung wiedergegeben, der „Goldene Reis“ würde „den Menschen allein auf den Philippinen tausende zusätzliche gesunde Lebensjahre bringen“ (FR, 13.07.2004, S. 28). Umweltorganisationen wie Greenpeace, BUND oder NABU kommen zwar in Zeitungsartikeln gelegentlich in Hinsicht auf Ökologie und Naturschutz, nicht jedoch in gesundheitlichen Fragen zu Wort. Zudem beziehen sich die Stellungnahmen vorwiegend darauf, dass Risiken nicht geklärt seien. In der Mehrzahl werden Äußerungen von zivilgesellschaftlicher Seite in Zeitungsartikeln entweder als Bedenken zu den möglichen ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Folgen der Gentechnik oder unter dem Aspekt der Wahlfreiheit der Konsumenten thematisiert. Ganz anders sieht dies in den Internet-Texten aus. Hier werden Allergien auslösende Bestandteile in Genfood oder die Resistenzbildung bei Schädlingen in Folge von gentechnisch veränderten Pflanzen angesprochen. Verheerende soziale Folgen werden insbesondere in den Ländern des Südens durch die Einführung gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft befürchtet. Während aus Sicht der Zeitungen (mit Ausnahme der TAZ) die wissenschaftliche Meinung zu Genfood dahin tendiert, keine oder nur mäßige Risiken anzunehmen, ist 94 31 % der 189 Thematisierungen von Seiten zivilgesellschaftlicher Akteure in den Internet-Texten beziehen sich auf ökologische, gesundheitliche und soziale Folgen (nur gesundheitliche Folgen: 10 %). In den Zeitungsartikeln beziehen sich 29 % der 176 Thematisierungen zivilgesellschaftlicher Akteure auf Verbraucherschutz (nur ökologische, gesundheitliche und soziale Folgen: 15%).
124
3 Empirische Untersuchungen
aus Sicht vieler zivilgesellschaftlicher Internet-Beiträge wissenschaftlich erwiesen, dass Schäden eintreten. 3.4.2.11 Geographischer Bezug der Themen Im Anschluss an die bereits untersuchte Frage nach dem geographischen Bezug netzbasierter Kommunikation (siehe Tabelle 8 und 9) wird im Folgenden ermittelt, ob in den Internet-Texten vermehrt Fragen angesprochen werden, die grenzüberschreitender Natur sind. Hierbei wurden die in Abschnitt 3.3. beschriebenen Kategorien verwendet. Tabelle 17: Geographischer Bezug der Unterthemen von Genfood Internet
Zeitungen
N
%
N
%
National: DE
127
20
354
56
National: andere Länder
123
19
74
12
86
14
51
8
198
31
106
17
Supranational: Nicht-EU
11
2
8
1
Unbekannt
89
14
42
7
634
100
635
100
Transnational Supranational: EU
Gesamt
Die Vermutung einer breiteren geographischen Streuung im Internet bestätigt sich für die untersuchten Texte sehr deutlich (siehe Tabelle 17). Größere Teile der Berichterstattung wurden ausländischen, transnationalen und EU-Themen gewidmet. In den Zeitungsartikeln waren hingegen die rein deutschen Themen mit 56 Prozent deutlich häufiger vertreten als alle übrigen Themen. Transnationale und supranationale Bezüge stellten hingegen zusammen nur ein Viertel der Themen. Im Einklang mit den Ergebnissen zu Anbietern, Sprechern, Adressaten und Objektakteuren überwogen in den untersuchten Internet-Texten die ausländischen und internationalen Themen (zusammen 66 %), während die Zeitungsartikel sich weitgehend auf die nationale Ebene in Deutschland beschränkten. Bei der Lektüre der untersuchten Texte wurde deutlich, dass dieses Übergewicht grenzüberschreitender Berichterstattung in den Internet-Texten hauptsächlich auf drei Muster zurückgeht:
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
125
Erstens: Anders als in Zeitungen sind die Anbieter im Internet häufig selbst ausländische oder grenzüberschreitende Akteure. Die trotzkistische World Socialist Website stellt ein typisches Beispiel für transnationale Anbieter im Internet dar, die verstärkt über das eigene Land hinausgehende Thematisierungen vornehmen. Der generelle Webauftritt wird vom Internationalen Komitee der Vierten Internationalen durchgeführt und ist in länderspezifische Webseiten untergliedert. Der deutschsprachige Teil wird von einer hiesigen Redaktion betrieben, beinhaltet aber eine ganze Reihe von englischsprachigen Texten, die ins Deutsche übersetzt wurden. Der von uns analysierte Text der World Socialist Website trägt den Titel „Worum geht es in der Debatte um genetisch veränderte Nahrungsmittel?“.95 Inhaltlich wird jedoch sehr stark auf Großbritannien verwiesen, da der Text in diesem Kontext entstanden ist. Eine zweite Art grenzüberschreitender Berichterstattung durch transnationale Anbieter lässt sich anhand der Einstiegsseite der Initiative zum Verbot von genmanipulierter Nahrung veranschaulichen. Zunächst erscheint die starke Bezugnahme auf die Europäische Union zwar inhaltlich zutreffend. Sie konzentriert sich aber nicht auf das eigentliche Anliegen, Nutzer aus Deutschland gegen Genfood zu mobilisieren. Zielführend wäre hier auch eine Kritik an der deutschen Bundesregierung gewesen, die an anderer Stelle als hauptsächlicher Adressat für E-Mails genannt wird, die Nutzer aus Protest gegen Genfood verschicken sollen. Betrachtet man die Struktur der Webseite genauer, wird allerdings deutlich, dass es sich bei der Thematisierung der EU nicht nur um eine inhaltliche Entscheidung handelt. Vielmehr hängt sie damit zusammen, dass eine europaweite Kampagne gegen Genfood angestrebt wird. Unter der Überschrift befinden sich anderssprachige Hyperlinks, die zu inhaltlich identischen Versionen des Textes führen. Es wurde also eine einzelne Originalversion des Textes in verschiedene Sprachen übersetzt. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, den Text vorab so zu formulieren, dass sich Bürger in mehreren Ländern gleichzeitig angesprochen fühlen. Dies kann durch EU-Thematisierungen, nicht aber durch länderspezifische Bezüge erreicht werden. Vermutlich war dabei die Wahl, die EU zu thematisieren, inhaltlich begründet. Die EU ist die entscheidende politische Instanz in Fragen zu Genfood im europäischen Raum.
95
http://www.wsws.org/de/1999/aug1999/gene-a18.shtml.
126
3 Empirische Untersuchungen
Faksimile:
Einstiegsseite der Initiative zum Verbot von genmanipulierter Nahrung
INITIATIVE ZUM VERBOT GENMANIPULIERTER NAHRUNG Campaign to ban genetically engineered foods Kampanj: Förbjud genetiskt manipulerade livsmedel Campaña para prohibir alimentos transgénicos Im März 1996 hat das Europäische Parlament eine vollständige und lückenlose Kennzeichnungspflicht von genmanipulierter Nahrung abgelehnt. Am 3. April 1996 hat die Europäische Kommission dem Import, der Lagerung und der Verarbeitung von Monsantos genmanipulierter Sojabohne, Roundup Ready, in der Europäischen Union zugestimmt. Die Sojabohnen müssen beim Import nicht gekennzeichnet werden. Sojabohnen werden in 60% aller Lebensmittel, wie Brot, Pasta, Bonbons, Speiseeis, Torten, Gebäck, Margarine, Fleischprodukten und vegetarischem Fleischersatz verwendet. Ab Herbst 1996 erwarten den Verbraucher diese Produkte ungekennzeichnet in den Geschäften. Diese Entscheidungen wurden getroffen, ohne die Öffentlichkeit entsprechend zu informieren. Die Wünsche der Bevölkerung werden dabei völlig ignoriert. Umfragen ergeben, dass 97% der europäischen Verbraucher eine klare Kennzeichnung aller genmanipulierten Nahrungsmittel fordern und 80% genmanipulierte Nahrungsmittel vollständig ablehnen.
Zweitens: Da die Internet-Texte häufiger thematisch über Genfood berichteten und sich weniger auf aktuelle Ereignisse in Deutschland konzentrierten, thematisierten sie Genfood auch häufiger grenzüberschreitend. Aufgrund ihrer wichtigen Rolle kommt die EU in fast jeder thematischen Abhandlung über Genfood vor. So enthält der oben genannte Text der World Socialist Website, der stark auf den britischen Kontext bezogen ist, mehrere Bezüge auf die EU. Dies liegt nahe, da im Titel der Anspruch erhoben wird, Genfood thematisch zu behandeln. Die generelle thematische Behandlung von Genfood ist allerdings auch ein Grund dafür, dass geografische Bezüge häufiger fehlen bzw. sehr allgemein gehalten werden (vgl. Tabelle 17). So weist die Genfood befürwortende Webseite bionetonline.org eine Textform auf, die eher im Internet anzutreffen ist.96 Nach einer kurzen Vorstellung des Themas werden in diesem Text die Vor- und Nachteile von gentechnisch verändertem Raps aufgelistet, wobei der genaue geografische Bezug keine Rolle spielt: 96
http://www.bionetonline.org/deutsch/Content/ff_cont1.htm.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
127
Pestizid-resistenter Raps Pestizid-resistenter Raps enthält ein Gen, das es der Pflanze ermöglicht, einem bestimmten Unkrautvernichtungsmittel zu widerstehen. Dieses Gen stammt aus einem Bakterium, das von Natur aus in der Lage ist, bestimmten Pestiziden zu widerstehen. Der Landwirt kann nun solche Felder mit dem betreffenden Pestizid besprühen und so die meisten unerwünschten Pflanzen auf dem Feld vernichten, ohne den Raps zu schädigen. Vorteile: Der Landwirt kann größere Mengen anpflanzen, weil es nun leichter ist, Schädlinge zu bekämpfen. In einigen Fällen kann der Landwirt ein umweltfreundlicheres Spritzmittel einsetzen. Der Landwirt kann weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen, was ebenfalls der Umwelt zugute kommt. Nachteile: Die neuen Gene aus dem Raps könnten auf andere Pflanzen übertragen werden, die dann ebenfalls pestizid-resistent werden könnten. Der Einsatz des betreffenden Pflanzenschutzmittels würde sinnlos. Manche „Unkräuter“ sind nahe mit Raps verwandt und der Raps-Pollen kann diese Pflanzen bestäuben. So könnten Resistenzgene aus dem Raps z.B. auf die Kohlrübe oder Wruke, ein in Rapsfeldern häufiges Unkraut, übertragen werden. Ein pestizid-resistentes Unkraut wäre entstanden. Bislang wurde argumentiert, dass der hohe Anteil grenzüberschreitender Thematisierungen in deutschsprachigen Internet-Texten darauf beruht, dass sich einerseits die Anbieter häufig nicht als auf Deutschland begrenzte Akteure verstehen und dass andererseits ihre inhaltliche Zielsetzung häufig zu grenzüberschreitenden (aber auch zu geografisch nicht spezifizierten) Bezügen führt. Beide Charakteristika stehen im deutlichen Unterschied zu den untersuchten Zeitungen, die vorrangig für ein deutsches Publikum schreiben und daher eine entsprechende Perspektive aufweisen. Drittens: Grenzüberschreitende Thematisierungen erfolgen aber auch in den Internet-Texten, um – analog zu den Zeitungen – aus einer spezifisch deutschen Sichtweise gezielt das Ausland bzw. das internationale Geschehen zu beobachten. So berichtet ein Text des Internet-Mediums telepolis.de über „Geklonte Pandabären und genmanipulierte Riesenkarpfen“97 in China. Auch die bereits 97
http://www.tor.at/resources/focus/telepolis/science/heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/4281/1.html.
128
3 Empirische Untersuchungen
genannte Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Situation in Brasilien ist hierfür ein Beispiel. Deutlich wird in beiden Fällen, dass es sich um Beobachtungen geografisch entfernter Länder handelt. Dabei dient der eigene Kontext als Maßstab des Vergleichs. Im Text von telepolis.de führt dies zu einer grundlegenden kulturellen Abgrenzung zwischen dem gentechnikfreundlichen „konfuzianischen“ China und der risikobewussteren „westlichen Kultur“. Der stärker grenzüberschreitende Bezug der Internet-Texte basiert also auf sehr unterschiedlichen Herangehensweisen. Dabei setzen die Internet-Texte auch andere inhaltliche Akzente. Betrachtet man die Daten zu geografischen Bezügen genauer und setzt sie in Bezug zu den Unterthemen, so lässt sich feststellen, dass vermehrt wirtschaftliche, ökologische und soziale Aspekte in Ländern des Südens und in der EU thematisiert werden. Mit Ausnahme der TAZ, die relativ häufig aus dem Ausland und über Internationales berichtet, konzentrierten sich die Zeitungen eher auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen in Deutschland. Fast drei Viertel der Thematisierungen in den Zeitungsartikeln über Landwirtschaft, Lebensmittelmarkt und Verbraucherrechte beziehen sich nur auf Deutschland. Im Internet sind dies hingegen lediglich 37 Prozent. Hintergrund ist in den Zeitungen die stark verbraucher- und landwirtschaftspolitische Berichterstattung. Die Gesetzesvorlage der Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Renate Künast, die Geheimhaltung von Versuchsfeldern in Sachsen-Anhalt, der Müller-Milch-Skandal und andere nationale Medienereignisse lenkten die Aufmerksamkeit der Presse stark auf Deutschland. Gerade die Debatte um die Gesetzesvorlage der Ministerin Künast wurde in den Zeitungen vorwiegend aus nationaler Perspektive geführt, sodass gelegentlich ignoriert wurde, dass es sich hierbei um eine Umsetzung von EU-Richtlinien handelte. Während sich in den Internet-Texten nur jede zehnte Thematisierung staatlicher Regulierungen allein auf Deutschland bezog, war dies in den Printmedien mehr als die Hälfte. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Berichterstattung über den neuen Gesetzesentwurf zur Umsetzung von EU-Recht im Juni 2004. So stellte beispielsweise die Frankfurter Rundschau am 17. Juni auf der ersten Seite die Geschehnisse um die plötzliche Streichung zustimmungspflichtiger Teile aus dem ursprünglichen Gesetzesentwurf durch Verbraucherministerin Künast dar. Der Gesetzesentwurf wird inhaltlich kurz umrissen und als alleiniges Produkt der rot-grünen Regierung charakterisiert. Der Vorgang wird als rasche, unerwartete Durchsetzung des Vorhabens beschrieben. Renate Künast wolle nicht bis zum „Sankt-Nimmerleins-Tag“ warten. Deutlich wird nicht, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie zu diesem Zeitpunkt längst überfällig war. In den Internet-Texten werden grenzüberschreitende Aspekte von Regulierungsfragen hingegen weitaus häufiger thematisiert. Ein Viertel der Internetthemen zur politischen Regulierung behandelt Ordnungsmodelle in anderen Län-
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
129
dern. Die Hälfte beschäftigt sich mit der EU. So fielen unter die relevanten Suchergebnisse Textbeiträge, die überwiegend die Auswirkungen von EU-Regelungen für Verbraucher in Deutschland erläuterten. Die Thematisierungen zu Regulierungsfragen in den Zeitungsartikeln beschäftigten sich dagegen nur zu einem Drittel mit der EU. Auch wird die EU im Internet thematisch breiter behandelt. Während in den Printmedien mit der EU hauptsächlich Regulierungsfragen verbunden werden, spielen z.B. wirtschaftliche, soziale, ökologische und verbraucherpolitische Aspekte in der EU in den Internet-Texten eine deutlich stärkere Rolle. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass aus einer Reihe von Gründen, darunter bestimmten strukturellen Merkmalen des Internet, aber auch der journalistischen Orientierung von Zeitungsjournalisten an den Interessen ihrer Leserschaft, transnationale Aspekte von Genfood weitaus häufiger im Internet als in Zeitungen zur Sprache gebracht werden. 3.4.2.12 Frames in der Debatte Bislang wurde untersucht, welches Spektrum von Themen und Handlungsformen in den Texten sichtbar wurde. Dabei konzentrierten wir uns auf einige wenige Merkmale, z.B. die Häufigkeit unterschiedlicher Unterthemen. Dieser enge Blickwinkel abstrahiert von bestimmten Sinnzusammenhängen. Bei der Frage nach der geografischen Vielfalt interessierte beispielsweise nur, wie oft grenzüberschreitende Thematisierungen erfolgten. In welche spezifischen Argumentationsmuster sie eingebettet waren, wurde jedoch ignoriert. Eine Antwort auf die Frage, wie breit das Meinungsspektrum zu Genfood ist, erfordert jedoch ein anderes Vorgehen. Daher wurden nicht nur die Unterthemen selbst, sondern auch ihre inhaltlichen Rahmungen, d.h. so genannte Frames, identifiziert. Frames sind gedankliche Konstrukte, die den ideologischen und politischen Horizont oder Deutungsrahmen für ein bestimmtes Thema – in diesem Falle Genfood – vorgeben (Snow et al. 1986; Gamson 1992). Diese Konstrukte werden von Sprechern genutzt, um einem Thema durch die Einbettung in breitere Zusammenhänge eine bestimmte normative bzw. interpretative Wendung zu geben. So beinhalten im Falle Genfood Frames wie „Fortschritt“, „Erhöhte Produktivität“ oder „Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheit“ eine positive Sichtweise auf Genfood. Frames wie „Risiko“, „Ausbeutung“ oder „Anmaßung“ hingegen sollen Genfood zum Negativen wenden. Eine ambivalente Position zu Genfood wiederum wird durch den Frame „Pakt mit dem Teufel“ oder „Nachteile in Kauf nehmen“ nahe gelegt. Ein gutes Beispiel für die Verwendung eines Frames ist der bereits zitierte Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Titel „Der Underco-
130
3 Empirische Untersuchungen
ver-Bauer“. So antwortet der Bauer auf die Frage, warum er gentechnisch veränderten Mais anbaue, dass ihn „an der Gentechnik ‚das Neue, Fortschrittliche’ reizt“. Hier dient der Rekurs auf das Frame „Fortschritt“ als alleinige Begründung für eine gentechnikfreundliche Einstellung. Die diskursive Bedeutung von Frames wird im Artikel anhand der Position der Saatgutfirma KWS, mit der der Bauer zusammenarbeitet, noch deutlicher: „Die KWS wolle die Gentechnik nicht mit der Brechstange durchsetzen, und überhaupt sei gar nicht ausgemacht, ob man damit jemals mehr Geld verdienen werde als mit konventionellem Saatgut oder mit organischem Saatgut, das die Firma auf ihrem eigenen Bauernhof bei Northeim nach allen Regeln des ökologischen Landbaus gewinnt. ‚Aber ganz ohne Gentechnik bleiben wir global nicht wettbewerbsfähig.’“
In diesem Artikel wird Genfood zunächst wenig attraktiv dargestellt. Die Firma kann noch keine ökonomischen Vorteile von Genfood erkennen. Allerdings spielt der anderen Bedenken übergeordnete Sachzwang globaler Wettbewerbsfähigkeit letztlich die entscheidende Rolle für die Absicht, am Programm mit gentechnisch verändertem Saatgut festzuhalten. Was die Verteilung der Frames betrifft, so wurden in den Internet-Texten mit knapp 22 Prozent aller Thematisierungen etwas häufiger Frames eingesetzt als in den Zeitungsartikeln, wo der Anteil knapp 19 Prozent betrug. In den Zeitungsartikeln wird weitaus stärker zwischen positiven und negativen Frames abgewogen als im Internet, wo die Frames „Ausbeutung“ und „Risiko“ überwiegen (Tabelle 18). Beispielsweise wird auf der Webseite des Norddeutschen Rundfunks die Frage gestellt: „Wie viel Kilo genmanipulierten Mais muss eine Kuh fressen, damit sie einen Liter Frostschutzmittel gibt?“98 Damit soll der unnatürliche und deshalb abstoßende Charakter von Genfood verdeutlicht werden. Auf der Webseite der Coordination gegen BAYER-Gefahren wird die häufig verwendete Formel genutzt, Genfood komme einem „Feldversuch mit der Bevölkerung“99 gleich. Bezüglich des Akteursspektrums und hier insbesondere der Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure fällt auf, dass 44 Prozent der Internet-Frames in den Internet-Texten von zivilgesellschaftlichen Sprechern vorgebracht werden. Diese Sprecher verwenden überwiegend negative Frames, sind aber auch in der Gruppe der positiven Frames am häufigsten vertreten. In den Zeitungsartikeln haben die Journalisten selbst mit etwa mehr als einem Viertel den höchsten Anteil an Frames. Es folgen staatliche Akteure mit etwas weniger als einem Viertel und dann erst zivilgesellschaftliche Akteure mit etwa 22 Prozent. Tragen zivilgesellschaft98 99
http://www.ndr.de/tv/nordmagazin/service/20040419.html http://www.cbgnetwork.org/Ubersicht/Kampagnen/Genfood/genfood.html
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
131
liche Akteure im Netz vor allem negative Frames vor, so ist in den Zeitungsartikeln das Verhältnis negativer und positiver Frames von zivilgesellschaftlicher Seite in etwa ausgeglichen. Zivilgesellschaftliche Sprecher haben somit in den Internet-Texten eine Deutungshoheit. Dort können sie selbst viel häufiger als in den Zeitungsartikeln den diskursiven Rahmen bestimmen, in dem Genfood erörtert wird. Tabelle 18: Positive und negative Frames in der Debatte um Genfood Internet
Zeitungen
N
%
N
%
Fortschritt, allgemein („Fortschritt“)
8
6
22
19
Erhöhte Produktivität („Markt“)
17
13
18
16
Bekämpfung von Armut, Hunger, Krankheit („Humanität“)
10
8
15
13
Enteignung, Kontrollverlust, Schäden („Ausbeutung“)
54
40
34
29
Risikotechnologie, Ungewissheit („Risiko“)
33
25
21
18
6
5
7
6
8
6
2
2
Frames Gesamt
136
100
119
100
Unterthemen Gesamt
634
22
635
19
Positiv:
Negativ:
Eingriff in Schöpfung („Anmaßung“) Ambivalent: Nachteile in Kauf nehmen („Pakt mit dem Teufel“)
Der geographische Bezug der Internet-Texte ist auch bei den Frames stärker international als bei Zeitungen. Während ein Viertel der Frames in den InternetTexten im deutschen Kontext verortet wird, ist dies in den Zeitungsartikeln knapp die Hälfte.
132
3 Empirische Untersuchungen
3.4.2.13 Abwägung unterschiedlicher Positionen Bisher wurde untersucht, welche unterschiedlichen Akteure und welche unterschiedlichen Argumente, Themen und Positionen im Internet zum Thema Genfood vorgefunden wurden. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Themen und Positionen abgewogen werden. Leitend ist dabei die Hypothese 2 über stärker parteiliche bzw weniger ausgewogene oder abwägende Texte im Internet. Zunächst ist festzustellen, dass die Analyse von Texten hierzu nur in begrenztem Ausmaß Antworten geben kann, da die Interaktion zwischen Nutzer und Anbieter an dieser Stelle nur innerhalb einzelner Texte betrachtet wurde. Daher wird im Abschnitt 3.5 die Hyperlinkstruktur zwischen den Anbietern untersucht. Im darauf folgenden Abschnitt 3.4 werden schließlich die unterschiedlichen Kommunikationsangebote der gesamten Webauftritte ausgewählter Anbieter analysiert. Die Tendenzen gesamter Texte wurden bereits zu Beginn vergleichend dargestellt (siehe Abbildung 4). Dies gibt allerdings keinen Aufschluss über das Vorkommen von Pro und Contra in den einzelnen Teilen eines Textes. Deshalb wurde auch die Tendenz der einzelnen Thematisierungen innerhalb der Texte bewertet. Ein Beispiel aus der links-alternativen TAZ soll die Logik dieser Kodierung offen legen. Der Hintergrundartikel „Das grüne Meer wird immer häufiger gedüngt“ vom 26.06.2004 (S. 5) beginnt zunächst mit einer positiven Thematisierung von Gen-Soja im wirtschaftlich erschütterten Argentinien: „Während die Städte verarmen, floriert die Wirtschaft auf dem Land dank dem Geschäft mit genetisch manipulierten Sojabohnen. Und der Bohnenboom kurbelt die gesamte Wirtschaft des Landes an.“
Weiter wird ausgeführt, dass dank eines hohen Weltmarktpreises staatliche Sozialprogramme „fast komplett“ durch Steuereinnahmen aus dem Soja-Export finanziert würden und dass 98 Prozent des Sojas in Argentinien genetisch manipuliert seien. Werden wirtschaftliche und auch soziale Aspekte von Genfood zunächst positiv thematisiert, kommt der Artikel im weiteren Verlauf dennoch zu einer Genfood ablehnenden Tendenz, die auf der negativen Thematisierung langfristiger wirtschaftlicher Resultate und bereits sichtbarer ökologischer und gesundheitlicher Folgen beruht. Bemängelt wird das Fehlen eines „nachhaltigen Wirtschaftsprogrammes“, da schließlich der Weltmarktpreis schnell wieder fallen könne. Gravierende ökologische Folgen seien bereits heute zu beobachten, da durch Gen-Soja Unkräuter resistent geworden seien und deshalb immer mehr Pestizide ausgebracht würden. Diese Pestizide wiederum „vergiften Land und Leute“.
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
133
Festgehalten wurde nicht nur, ob ein Text in seiner allgemeinen Tendenz für oder gegen Genfood eintritt (siehe oben), sondern auch, wie viele positive, negative, ambivalente und neutrale/ungerichtete Bewertungen zu den einzelnen Aspekten und Unterthemen von Genfood innerhalb der Texte vorgenommen wurden. Für alle Aspekte und Genfood-Unterthemen, die innerhalb der Texte bewertet wurden, zeigt sich wie für die Ebene der Texte, dass im Internet seltener (30 %) für Genfood Stellung bezogen wird als in Zeitungsartikeln (37 %). Die negativen Thematisierungen von Genfood sind in den untersuchten InternetTexten hingegen nur geringfügig höher als in den Printmedien (53 % bzw. 51 %). Unterthemen werden im Internet geringfügig häufiger ambivalent oder neutral dargestellt. Tabelle 19: Tendenz der Unterthemen zu Genfood Internet
Zeitungen
N
%
N
%
Positiv
189
30
232
37
Negativ
335
53
322
51
Ambivalent
37
6
19
3
Neutral/keine Tendenz
73
12
62
10
634
100
635
100
Gesamt
Internet-Texte lehnen Genfood in der Gesamttendenz zwar deutlich häufiger ab als Zeitungsartikel (siehe Tabelle 19). Die negative Tendenz der Internet-Texte folgt aber nicht daraus, dass dort deutlich öfter negative Bewertungen zu den einzelnen Aspekten von Genfood enthalten sind. Vielmehr werden in Zeitungen enthaltene positive Thematisierungen von Genfood im Internet selten erwähnt, während den ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Folgen ein sehr viel höheres Gewicht beigemessen wird. Dies zeigt die Verteilung der Positionen zu einzelnen Themen im Vergleich zur Tendenz gesamter Texte (Tabelle 20). Die allgemeine Tendenz des Textes geht zwar sehr häufig mit den Positionen zu Unterthemen einher. Jeweils etwa drei Viertel der Pro- bzw. Contra-Thematisierungen in den Internet-Texten und weniger als zwei Drittel in den Zeitungsartikeln entsprechen der Tendenz des Textes. Allerdings wird in den Zeitungen innerhalb des Textes das Für und Wider stärker abgewogen als im Internet.
134
3 Empirische Untersuchungen
Tabelle 20: Verhältnis von Texttendenz und Positionierung zu Einzelthemen (Prozente) Texttendenz
Positiv
Negativ
Ambivalent/ Neutral
Gesamt
Positiv
75
19
28
30
Negativ
14
73
30
53
Ambivalent/neutral
12
8
43
17
Gesamt %
100
100
100
100
Gesamt N
95
377
162
634
Positiv
62
23
31
37
Negativ
31
65
48
51
7
12
21
13
Gesamt %
100
100
100
100
Gesamt N
182
294
159
635
Themenpositionierung Internet
Printmedien
Ambivalent/neutral
Tabelle 20 verdeutlicht das Muster, welches bereits anhand des TAZ-Artikels erkennbar wurde. Die Tendenz eines Textes insgesamt bedeutet nicht notwendig, dass entweder nur positive oder negative Aspekte von Genfood angesprochen werden. Man gesteht Genfood kurzfristige wirtschaftliche und soziale Erfolge zu, um sogleich zu vermitteln, warum die dauerhaften Folgen für Wirtschaft, Umwelt und Gesundheit letztlich doch ein negatives Urteil begründen. Die These über mangelnde Abwägung und stärkere Polarisierung bestätigt sich also für die Internet-Texte, sofern man Zeitungsartikel zum Vergleich heranzieht. Einschränkend muss jedoch bemerkt werden, dass dieses Ergebnis auf den aggregierten Daten für jeweils alle Internet-Texte und Zeitungsartikel beruht. Daher wurde das Verhältnis von Texttendenzen und Thementendenzen auch getrennt nach einzelnen Zeitungen bzw. Suchwortkombinationen untersucht. In den Artikeln der jeweiligen Zeitungen werden häufig positive (oder negative) Thematisierungen vorgenommen, auch wenn ansonsten die Gesamttendenz der einzelnen Texte dem nicht entspricht. Die WELT thematisiert Genfood sogar auf der Ebene der Unterthemen überwiegend negativ, während die allgemeine Tendenz der Texte
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
135
eher positiv ausfällt. Gibt man hingegen in Google die Suchwortkombinationen „genfood“, „genmanipulierte“ oder „genmanipulierte Lebensmittel“ ein, erhält man zu drei Vierteln Genfood ablehnende Texte. Auch sind die Thematisierungen zu mehr als zwei Dritteln negativ. Hingegen erscheinen unter den Suchwortkombinationen „gentechnisch veränderte“, „genveränderte“ oder „genetisch veränderte“ sowohl Genfood ablehnende wie befürwortende Texte und Thematisierungen. Daraus lässt sich folgern, dass das Internet nicht durchgehend stärker polarisiert. Der Grad an Polarisierung ist vielmehr von der politischen Bedeutung der eingegebenen Suchwortkombinationen abhängig. Die Begriffe „Genfood“ bzw. „genmanipuliert“ entstammen offensichtlich eher dem Vokabular der Gegner, wohingegen der Begriff „Veränderung“ von Genen tendenziell in einem neutralen bzw. ambivalenten Deutungskontext gebraucht wird. Welche Texte ein Nutzer also zu Gesicht bekommt, hängt also davon ab, welche Suchwortkombinationen er favorisiert. Und diese Entscheidung wiegt schwerer als die Wahl einer der untersuchten Zeitungen. In den Internet-Texten auf Grundlage der Suchwortkombinationen „Genfood“, „genmanipulierte“ und „genmanipulierte Lebensmittel“, die überwiegend gegen Genfood Stellung bezogen, fanden sich positive Aspekte von Genfood seltener als in der TAZ. Umgekehrt wurden in Genfood befürwortenden Texten im Internet unter den Suchwortkombinationen mit dem Adjektiv „veränderte“ weniger negative Aspekte erwähnt als beispielsweise in der FAZ. 3.4.2.14 Nachvollziehbarkeit und Begründungen von politischen Stellungnahmen Ein weiteres Merkmal der Texte im Internet und in den Zeitungen war die Nachvollziehbarkeit der darin enthaltenen politischen Stellungnahmen. Hierzu wurde untersucht, ob politische Stellungnahmen Analysen, Behauptungen oder Vermutungen enthalten oder aber auf Handlungen beruhen. Dahinter steht die Annahme, dass Vermutungen weniger verlässliche Informationen darstellen als Behauptungen und Behauptungen wiederum weniger verlässlich erscheinen als berichtete Handlungen. Maßstab hierfür ist die intersubjektive Nachvollziehbarkeit. Berichtete Handlungen können von Dritten leichter geprüft werden als Behauptungen bzw. Vermutungen. Gesetzesentwürfe, politische Abstimmungen, Protestereignisse oder gerichtliche Klagen sollten eher nachvollziehbar sein als mündliche Kommentare zu Gesetzesentwürfen, Interview-Aussagen, bloße Ankündigungen von Protestereignissen oder Vermutungen über den Ausgang eines Gerichtsprozesses. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Berichterstattung in den untersuchten Internet-Texten und Zeitungsartikeln nicht wesentlich. In den
136
3 Empirische Untersuchungen
untersuchten Internet-Texten wurden etwas seltener Vermutungen ausgesprochen als in den Zeitungsartikeln, während es sich bei berichteten Handlungen umgekehrt verhielt. Weiterhin wurde gefragt, ob die Sprecher auch Begründungen für ihre jeweiligen Positionen anführen. Im Sinne der Abwägung des besseren Arguments ist dies ein wichtiger Anhaltspunkt für die Qualität eines Textes. Fehlen Begründungen, so lässt sich eine politische Stellungnahme nur sehr eingeschränkt mit entgegen gesetzten Positionen abwägen. Auch hier zeigen sich nur geringfügige Unterschiede, die keinen Anlass dafür geben, das Internet als einen qualitativ anderen oder gar höherwertigen Ort für politische Kommunikation aufzufassen (Anteil begründeter Aussagen im Internet 56 %, in Zeitungsartikeln 54 %). Es zeigen sich hingegen Unterschiede, wenn man nach den Akteuren fragt, die ihre politischen Äußerungen und Handlungen begründen. In den Internet-Texten stehen weit vor anderen Akteursklassen die zivilgesellschaftlichen Akteure, von denen 40 Prozent aller Aussagen mit Begründungen stammen. In den Zeitungsartikeln werden jeweils knapp ein Drittel der begründeten Aussagen von zivilgesellschaftlicher und staatlicher Seite in die politische Diskussion eingebracht. Dieser Befund ist so zu interpretieren, dass zivilgesellschaftliche Sprecher im Internet ihre Positionen ausgiebiger darstellen und begründen können, weil sie häufig selbst Anbieter der Texte sind und viele Internet-Medien ihnen den entsprechenden Platz in ihren Texten einräumen. Zusammen mit dem Ergebnis, dass zivilgesellschaftliche Akteure häufiger als andere Akteursklassen Frames im Internet benutzen, weist dies auf eine gewisse Diskurshoheit zivilgesellschaftlicher Akteure im Netz hin. Einschränkend muss jedoch bemerkt werden, dass der Anteil zivilgesellschaftlicher Stellungnahmen in den untersuchten InternetTexten nicht deutlich höher ist als in den Zeitungsartikeln.
3.4.3 Zusammenfassung der Textanalyse: Konstruktionen von Genfood in Zeitungsartikeln und Internet-Texten Die in der bisherigen Analyse dargestellten Befunde erlauben eine erste Einschätzung im Hinblick auf die leitenden Hypothesen, die in Abschnitt 3.1 vorgestellt wurden. Bevor wir die einzelnen Hypothesen auf der Basis des Vergleiches von Internet-Texten und Zeitungsartikeln erörtern, gehen wir kurz auf das Verhältnis beider Mediengattungen ein. Die bisherigen Ergebnisse stehen dabei im Einklang mit der mittlerweile gängigen Erkenntnis, dass Internet-Texte für Zeitungsartikel eher eine Ergänzung, nur begrenzt eine Konkurrenz und sicher keinen vollständigen Ersatz darstellen (vgl. Blödorn et al. 2005). Hinsichtlich der Diffusion zwischen beiden Mediengattungen zeigte sich in unserer Untersu-
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
137
chung, dass sich Internet und herkömmliche Massenmedien nur marginal und dabei sehr asymmetrisch durchdringen. Zwar wurde eine nennenswerte Anzahl von Texten herkömmlicher Massenmedien im Internet gefunden, doch umgekehrt spielten Verweise auf Informationen aus dem Internet in den untersuchten Zeitungsartikeln kaum eine Rolle. Auch wurde in den Zeitungen so gut wie nicht über politische Stellungnahmen oder Handlungen, die nur online vollzogen wurden, berichtet. Offline wurde dem Internet als eigenständigem politischen Handlungsraum somit keine Aufmerksamkeit entgegen gebracht. Hinsichtlich der ersten Hypothese, die das breite Akteursspektrum und die Rolle peripherer Akteure im Internet hervorhebt, fällt unsere Einschätzung ambivalent aus. Auf der Ebene der Anbieter, die mit ihren Webseiten auf den oberen Rängen in den Google-Ergebnislisten Sichtbarkeit erlangten, war das Akteursspektrum zum einen sehr breit, und zum anderen wurden diese Webseiten tatsächlich häufiger von zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben als von staatlichen oder sozioökonomischen Akteuren. Zusätzlich war eine signifikante Anzahl alternativer Medien-Anbieter wie beispielsweise telepolis.de vertreten, die Positionen und Sichtweisen vor allem ökologisch und links-alternativ orientierter zivilgesellschaftlicher Genfood-Gegner wiedergaben. Unternehmen und Forscher, die eine stärkere Verbreitung von Genfood wünschen, wurden dagegen nur selten gefunden. Die zivilgesellschaftlichen Akteure richteten sich auf ihren Webseiten mit einigen Ausnahmen an ein breites Publikum und nutzten die Chance, ihre grundsätzliche Meinung über Genfood zu verbreiten, was ihnen in Zeitungen in der Regel nicht möglich war. Staatliche Anbieter sprachen stattdessen häufig primär ein begrenztes Fachpublikum mit ihren Texten an. Ausführlich und manchmal auch durch Hyperlinks vernetzte Hintergrundtexte, Positionspapiere und andere Schriftstücke, die explizit der politischen Meinungsbildung dienen, stellten zwar nicht die Mehrheit der Online-Texte, wurden jedoch relativ häufig angeboten. In den Zeitungen wurde entsprechend der ausgewählten Formate durchgängig ein allgemeines Publikum angesprochen. Anders als bei den Anbietern lagen auf der Ebene der Sprecher, die online und offline zu Wort kamen oder über deren politische Stellungnahmen berichtet wurde, in Bezug auf ihre anteilige Zusammensetzung nach Akteursgruppen kaum Unterschiede zwischen den beiden Medien vor. Sowohl im Internet als auch in den Zeitungen traten staatliche Akteure am häufigsten als Sprecher auf, gefolgt von zivilgesellschaftlichen Akteuren und sozioökonomischen Interessengruppen. Medien-Akteure waren in beiden Medien am seltensten als Sprecher vertreten. Während die Zeitungen als gatekeeper zwischen dem Publikum und den politischen Akteuren agieren, können sich die politischen Akteure im Internet direkt an ihr Publikum richten. Sie können aber auch anderen Akteuren eine Plattform auf ihren Webseiten bieten. So kamen zivilgesellschaftliche Sprecher
138
3 Empirische Untersuchungen
hauptsächlich auf ihren eigenen Webseiten zu Wort oder auf den Webseiten, die von anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren angeboten wurden. Auf den Webseiten nicht-zivilgesellschaftlicher Anbieter war dies hingegen vergleichsweise selten der Fall. So setzt sich das Spektrum der Anbieter im Internet zwar anteilsmäßig anders zusammen als in den Zeitungen; das Spektrum der Sprecher unterscheidet sich hinsichtlich der anteiligen Zusammensetzung der Akteure – entgegen Hypothese 1 – zwischen den beiden Medien hingegen kaum. Bei der Untersuchung, an welche Akteure sich die Sprecher mit ihren politischen Stellungnahmen wendeten (Adressaten) oder wer ihrer Meinung nach davon betroffen war oder sein sollte (Objektakteure), fiel auf, dass in den Zeitungen solche Akteurskonstellationen (Sprecher, Adressat, Objektakteur) häufiger auftraten als im Internet. Allerdings liegen hier deutliche Unterschiede beispielsweise zwischen Online-Hintergrundartikeln und -Protestaufrufen vor. Wenn andere Akteure im Internet von den Sprechern adressiert wurden, handelte es sich meistens um staatliche Akteure. Im Vergleich zeigte das Gesamtbild der Adressierungen in den Zeitungen im Durchschnitt aller Akteursgruppen ein deutlich ausgewogeneres Spektrum von Bezugnahmen durch Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Umgekehrt wurden im Internet mehr Themen und Frames benannt als in den Zeitungen, in dem die Online-Texte eher einzelne thematische Aspekte von Genfood erörterten, als dass sie wiedergaben, wer was zu wem mit welchen Auswirkungen auf wen sagt. In beiden Medien wurde Genfood häufiger negativ als positiv bewertet. Anders als in den Zeitungen fiel im Internet auch die Mehrzahl der Beurteilungen negativ aus. Die meisten der ablehnenden Artikel wurden auf den Webseiten von Medien-Anbietern und zivilgesellschaftlichen Akteuren gefunden. Zusätzlich wurde in den Internet-Texten häufiger eine links-progressive, ökologisch orientierte Konstruktion von Genfood vorgenommen. So zeigten sich beispielsweise im Ausspruch „Genfood – nein danke!“100 die Wurzeln in der Anti-Atomkraftbewegung. Weiter wiesen einige der gefundenen Online-Anbieter wie die Coordination gegen BAYER-Gefahren, Greenpeace oder der Evangelische Entwicklungsdienst klare Bezüge zu neuen sozialen Bewegungen auf. Grundsätzlich vertraten Genfood-Gegner in beiden Medien überwiegend eine „grüne“ Perspektive, wobei ökologische, soziale und gesundheitliche Folgen online allerdings stärker thematisiert wurden als offline. Nicht die Anmaßung gegenüber der Schöpfung, sondern Frames wie Ausbeutung und Risiko wurden angeführt, um eine ablehnende Haltung darzulegen. Gerade bei der Formulierung von Frames und Begründungen gaben zivilgesellschaftliche Sprecher im Internet den Ton an,
100
Siehe: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/13311/1.html
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
139
während dies in Zeitungsartikeln häufiger Journalisten und staatlichen Vertretern vorbehalten blieb. Trotz vieler Ausnahmen – wie der links-alternativen TAZ auf der einen oder der Webseite der EU auf der anderen Seite – zeigte sich das Internet scheinbar offener für eine eigenständige zivilgesellschaftliche Fassung von Genfood als ‚Gefahr für Mensch und Umwelt’ als die Zeitungen. Eine Reihe von Texten lässt sich gut mit Snow und Benfords (1988: 200 ff.) Elementen des Frame einer sozialen Bewegung beschreiben, das aus Problemdiagnose, -prognose und Handlungsmotivation/-aufruf besteht: Die genetische Manipulation von Nahrung sei ein Prozess der Unterwerfung und Zerstörung von Natur, der auf Kosten der Allgemeinheit gehe und vor allem Unternehmen und staatlichen Akteuren diene. Daraus entstünden jetzt und in Zukunft Schäden für Mensch und Umwelt. Die notwendige Konsequenz sei die generelle Abwehr von Genfood. Demgegenüber wurde in den Zeitungen stärker versucht, die Interessen der Verbraucher gegen die von Wirtschaft, Wissenschaft und politischen Verbänden abzuwägen. Die unterschiedliche Beschreibung der politischen Positionen zivilgesellschaftlicher Akteure online und offline lässt sich auch sinnfällig anhand der Unterscheidung von expressiven und instrumentellen Problemkonstruktionen fassen (Rochefort/Cobb 1994). Im Internet nehmen Texte zivilgesellschaftlicher Akteure Stellung zu der Frage, ob Genfood prinzipiell befürwortet oder abgelehnt werden soll (expressiv). In den Zeitungsartikeln werden zivilgesellschaftliche Stellungnahmen darüber hinaus auch dazu herangezogen, um Ereignisse instrumentell zu erörtern: So wird im Falle des Streits um die Firma Müller-Milch gefragt, inwieweit durch die bisherige Kennzeichnungspflicht, die Milch, Fleisch und Eier ausnimmt, eine Wahlfreiheit des Verbrauchers gewährleistet werden kann. Beim Gentechnikgesetz wurde diskutiert, inwieweit eine Koexistenz von gentechnisch behandelten und nicht behandelten Pflanzen in der Landwirtschaft bewerkstelligt werden kann. Dieser Befund gilt freilich nur im Groben und nur für einen kurzen Zeitraum. Zum Beispiel muss beachtet werden, dass im Untersuchungszeitraum zivilgesellschaftliche Akteure (vor allem Greenpeace) eine hohe Aufmerksamkeit in den Zeitungen aufgrund des Falls Müller-Milch genossen. Die Vermutung liegt nahe, dass in Zeitabschnitten ohne Proteste und Konfrontationen mit zivilgesellschaftlicher Beteiligung auch eine geringere mediale Aufmerksamkeit besteht. Außerdem verändert sich das Bild, wenn die eingegebenen Suchworte und herangezogenen Tageszeitungen einzeln betrachtet werden. Die Sichtweise eines „Risikos für Umwelt und Gesundheit“ findet man in Google mit dem Suchbegriff „Genfood“ oder in Kombination mit „genmanipuliert“ sehr viel häufiger als mit dem Begriff „gentechnisch veränderte“. Unter den Zeitungen wiederum bietet vor allem die TAZ mit ihrer hohen Aufmerksamkeit für kritische Argu-
140
3 Empirische Untersuchungen
mente und Proteste zu Genfood ein abweichendes Muster im Vergleich zu den anderen Zeitungen. In Bezug auf Hypothese 2 bestätigt die Textanalyse die Vermutung einer stärkeren Parteilichkeit und geringeren argumentativen Abwägung im Internet im Vergleich zu den Zeitungen. Einseitig ausgerichtete Texte kommen online relativ häufig vor. Letztlich hängt das argumentative Spektrum, das sich dem Nutzer bietet, jedoch maßgeblich von Art und Anzahl der benutzten Wortkombinationen ab, die er zur Suche einsetzt. Nutzer, die nur eine Suchwortkombination verwenden, werden eher auf einseitige Positionen stoßen als solche, die mehrere unterschiedliche Suchwortkombinationen verwenden. Beispielsweise erhalten Nutzer, die nur die Suchwortkombinationen „Genfood“ oder „genmanipulierte“ eingeben, vor allem solche Beiträge, die genetisch veränderten Lebensmittel ablehnend gegenüber stehen. Während viele Anbieter im Internet eine thematisch orientierte Positionierung und Teilnahme am Diskurs anstreben, zielen Zeitungen ihrem Anspruch entsprechend stärker auf eine ausgewogene Berichterstattung. Auch wenn konservative Blätter tendenziell positiver gegenüber Genfood eingestellt sind und links-liberale Blätter negativer, wird offline häufiger auf die Position der Gegenseite Bezug genommen als online. Zivilgesellschaftliche, sozioökonomische und staatliche Akteure, die im Internet als Anbieter auftreten, präsentieren hingegen vorrangig ihre eigenen Positionen zum Thema Genfood. Hierzu werden Dossiers mit Hintergrundtexten und Informationsmaterial angelegt sowie Programme und Positionspapiere veröffentlicht. Allerdings sind auch Medienakteure im Internet tendenziell stärker politisch ausgerichtet und beziehen weitaus häufiger eine eindeutige Position als in den Zeitungsartikeln. Auch wenn somit die Texte im Internet im Durchschnitt häufiger parteilich und weniger ausgewogen sind als die Zeitungsartikel, bestätigt sich nicht die ebenfalls in Hypothese 2 zum Ausdruck gebrachte Vermutung, dass im Internet auf Mobilisierung ausgerichtete Elemente eine wichtigere Rolle spielen als in den Zeitungen. Nur Positions- und Programmatikpapiere sind online häufiger zu finden als offline. Protestaufrufe spielen hingegen in beiden Medien keine Rolle. Die Gesamtheit der Internet-Texte bildet kaum einen Sinnzusammenhang. Während sich die Zeitungen offensichtlich an einer gemeinsamen (vorrangig nationalen) Agenda orientieren, die von zentralen Medienereignissen bestimmt wird, stellt das Internet kein Forum, sondern eher einen ‚Jahrmarkt der Möglichkeiten’ dar. Leicht verständliche, an ein allgemeines Publikum gerichtete Einführungen stehen neben Erörterungen von Experten und Gesetzestexten. Aktuelle Texte mischen sich mit veralteten, zeitlich nicht datierten oder nicht zeitgebundenen Texten. Allerdings ist es im Internet eher möglich, informative Grundlagentexte über Genfood zu bekommen. Der Nutzer kann sich unabhängig von der
3.4 Textanalyse von Zeitungsartikeln und Internet-Texten
141
Auswahl und Vorstrukturierung durch Zeitungsredaktionen kundig machen. Dabei ist der Nutzer im Internet allerdings gezwungen, selbst die Vielfalt der Positionen und Stellungnahmen zu strukturieren, Für und Wider in Bezug zu setzen und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Die Textanalyse ermöglicht nur eine eingeschränkte Einschätzung hinsichtlich Hypothese 3 zur Verzweigtheit, Interaktivität und Dezentralität des Internet, da nur die Merkmale einzelner Texte untersucht wurden und nicht die gesamten Webseiten. Die Struktur der Texte scheint relativ wenig durch das technische Potential des Internet beeinflusst zu sein. Die Möglichkeit, Hyperlinks auf externe Quellen anzubieten, wurde nur bei einem kleinen Teil der Texte genutzt. Interaktive Module wie Diskussionsforen wurden nur vereinzelt in die Texte selbst integriert. Tiefergehende Erkenntnisse über die Struktur der Hyperlinks und interaktive Module bietet der folgende Abschnitt 3.5 über die Hyperlinkanalyse und der Abschnitt 3.6 über die Webseitenanalyse. Schließlich weisen die Ergebnisse der Textanalyse daraufhin, dass Diskurse im Internet – entsprechend Hypothese 4 – einen höheren Grad an grenzüberschreitender Information und Kommunikation aufweisen als solche in Zeitungen. Genfood wird online sehr viel stärker mit Bezug auf andere Länder und supranationale Institutionen thematisiert als offline, wobei insbesondere die EU eine wichtige Rolle spielt. Während sie in Zeitungsartikeln häufig auf ihre Funktion als Gesetzgeber reduziert wird, erörtern Internet-Texte auch die Folgen von Genfood für die EU. Die politischen Stellungnahmen – auch von deutschen Sprechern – waren im Internet häufiger auf Akteure außerhalb Deutschlands bezogen. Transnationale Vernetzungen zivilgesellschaftlicher Initiativen spielten allerdings auch im Internet keine Rolle. Thematisch war das geographische Spektrum im Internet ebenfalls breiter als in den Zeitungen, wo vor allem ein nationaler Diskurs geführt wurde, der sich auf hiesige Probleme von Regulierung, Landwirtschaft, Lebensmittelmarkt und Verbraucherrechte konzentrierte. Dies ist umso erstaunlicher, da, wie eingangs in Kapitel 2 dargelegt wurde, sowohl Befürworter als auch Gegner globale Perspektiven betonen. Viele der Internet-Texte behandeln Genfood dagegen stärker thematisch und relativ unabhängig von Medienereignissen. Sie scheinen eher der allgemeinen gesellschaftspolitischen Diskussion darüber zu folgen, ob Genfood im Grundsatz und unabhängig davon, ob es in Deutschland oder anderswo auf dem Lebensmittelmarkt ist, zu befürworten oder abzulehnen ist. Im Berichtszeitraum waren für die Zeitungen, die sich naturgemäß auf aktuelle politische Ereignisse und Zusammenhänge konzentrieren, kaum Ereignisse mit internationalem Bezug und ausreichenden Nachrichtenwerten verfügbar. So waren es im Sommer 2004 – anders als Mitte der 1990er Jahre, als die ersten Importe von Gen-Soja in Europa eintrafen und die Gegner ihren Protest medienwirksam in Szene setzten – vor allem nationale Ereignisse, die die
142
3 Empirische Untersuchungen
Aufmerksamkeit von Zeitungen fanden. Hinzu kommt, dass Genfood in Zeitungsartikeln vorrangig für ein nationales Publikum aufbereitet wird, wodurch offenbar eher solche Fragen interessieren, die deutsche Landwirte, Verbraucher und politische Akteure betreffen. Im Internet wurde hingegen der gesamte deutschsprachige Raum durch die verwendeten Suchwortkombinationen erfasst. So erreichten auch österreichische und schweizerische Anbieter mit ihren Texten den Nutzer.
3.5 Hyperlinkanalyse 3.5 Hyperlinkanalyse Die Hyperlinkanalyse innerhalb dieser Studie basiert auf folgender theoretischer Annahme: Öffentlichkeitsrelevante Kommunikationsräume – im Sinne massenmedialer Öffentlichkeit – entstehen im Internet durch Selektion. Hierbei können zwei zentrale Mechanismen unterschieden werden: Selektion durch Suchmaschinen und Selektion durch Hyperlinks. Die Untersuchung des Kommunikationsraums, der durch Suchmaschinen und deren Selektionskriterien geprägt ist, war Gegenstand der Textanalyse in Abschnitt 3.4. Hierauf baut die Analyse des Kommunikationsraums auf, der durch Hyperlinks gebildet wird. Aufgrund von Suchmaschinenergebnissen zu spezifischen Suchbegriffen, die sich auf das Themenfeld Genfood beziehen, konnten zentrale Akteure ermittelt werden, die mit ihren Webseiten eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit erlangen. Geht man davon aus, dass viele Internetnutzer bei der Informationssuche auch den Hyperlinks folgen, die auf Webseiten angeboten werden, erscheint es sinnvoll, die Hyperlinks auf den Webseiten dieser zentralen Akteure als zweiten Untersuchungsgegenstand innerhalb der empirischen Analyse von Online-Diskursen zu wählen.
3.5.1 Untersuchungsdesign Um einzelne Webseiten im Internet ansteuern zu können, ist jede Webseite unter einer eindeutigen Adresse (der URL bzw. Uniform Resource Locator) abgespeichert. Anhand dieser Adresse kann – in der Form von Hyperlinks – jede Seite des Internet mit beliebig vielen anderen Seiten verknüpft werden. Hyperlinks sind eine technische Einrichtung, die entweder die Navigation innerhalb einer Webseite ermöglicht oder Webseiten direkt mit anderen Webseiten verbindet. Dadurch bestimmen Hyperlinks die gesamte Struktur des Internet. „Erst die Hypertextualität macht das WWW zu dem, was es in der Tat ist, nämlich ein weltumspannendes Netz.“ (Wirth/Schweiger 1999: 47) Hyperlinks sind keine
3.5 Hyperlinkanalyse
143
technische Gegebenheit, sondern der technische Ausdruck bewusster Entscheidung und damit auch bewusster Selektion: „ ...every link is planned and, most often, specifically created by the web designer. Thus, the presence of a link reflects a communicative choice made by the designer. A link, therefore is strategic. The possible variations for the structure are shaped by communicative ends, rather than technological means. The use of the link in the creation of Web structure enables the designer to control the potential ways a user can move through information.” (Jackson 1997)
Hyperlinks können als eine neue Form sozialer Beziehungen verstanden werden oder, gemäß Park und Thelwall (2003), als „a newly emerging social and communicational channel“. Natürlich kann nicht allein aufgrund einer Hyperlink-Verbindung zwischen den Webseiten zweier Akteure auf eine enge Beziehung zwischen diesen geschlossen werden. Zudem sagt ein Hyperlink für sich genommen nichts über die Intention des Verweises aus. So kann sich ein Akteur durch einen Hyperlink zu der Webseite eines anderen Akteurs von diesem abgrenzen, sich zu ihm in Opposition stellen, ihn unterstützen usw. Unabhängig davon, welche Intention hinter einem Hyperlink steht, kann jedoch davon ausgegangen werden, dass damit einem Akteur eine Wichtigkeit im Diskurs zugesprochen wird – gleich ob in einem positiven, negativen oder neutralen Sinne. Vor dem Hintergrund dezidiert öffentlichkeitstheoretischer Fragestellungen wurden Hyperlinks bisher kaum untersucht, wie im Abschnitt 1.2 gezeigt wurde. Ein erster Ansatz wurde in den Arbeiten von Koopmans/Zimmermann (2003) und Zimmermann/Schlecht/Koopmans (2004) entwickelt, an den sich unser Vorgehen anlehnt und ihn in zentralen Aspekten weiterentwickelt, beispielsweise durch Berücksichtigung der Suchmaschinenanalyse zur Stichprobenziehung und einer zusätzlichen Identifikation von Akteuren für das Sample über die vorgefundenen Hyperlinkstrukturen. Insgesamt gliederte sich das Vorgehen in fünf Arbeitsschritte: 1.
2. 3. 4.
Auswahl der Akteure, auf deren Webseiten die Hyperlinks erhoben werden, nach dem Relevanzkriterium der Position, welche die Angebote der einzelnen Akteure in den Ergebnislisten der Suchmaschinen einnehmen, Codierung untersuchungsrelevanter Informationen zu den einzelnen Akteuren, Erhebung der Hyperlinks, die auf den Webseiten der ausgewählten Akteure angeboten werden, Auswahl der relevanten Zielakteure, auf deren Webseiten mindestens drei Ausgangsakteure durch Hyperlinks verweisen,
144 5.
3 Empirische Untersuchungen Codierung der gefundenen Akteure und Auswahl der thematisch relevanten Webseiten.
Der erste Schritt der Hyperlinkanalyse bestand in der Bestimmung der Akteure, deren Webseiten wir als Ausgangspunkt für die Untersuchung verwendeten (im Folgenden: Ausgangsakteure). Da die Hyperlinkanalyse aufgrund unserer theoretischen Annahmen an die vorausgegangene Textanalyse anknüpfen sollte, standen zwei Vorgehensweisen zur Auswahl. Die eine Möglichkeit bestand darin, diejenigen Akteure auszuwählen, die im Rahmen der gesamten Erhebung besonders häufig vorkamen. Die andere Möglichkeit war, sich auf die Akteure zu konzentrieren, die prominente Positionen einnahmen. Dies wurde dadurch operationalisiert, dass die Texte, die die Akteure anbieten, auf der Suchergebnisliste unter den ersten fünf Plätzen vorkommen mussten. Somit standen sich zwei unterschiedliche Messungen von Zentralität gegenüber: Zentralität durch Häufigkeit und Zentralität durch Platzierung. Da gerade im Internet mit seinem riesigen Informationsangebot die Erzeugung von Aufmerksamkeit eine zentrale Rolle spielt, haben wir uns für das Kriterium „Platzierung der Angebote“ entschieden. Dieses Vorgehen wird zudem durch die Annahme gerechtfertigt, dass die Mehrzahl der Nutzer sich vor allem die ersten Suchergebnisse genauer ansieht und die Aufmerksamkeit mit sinkendem Rang der Angebote abnimmt. Hinzu kommt, dass zentrale Akteure aus all unseren Suchen einbezogen werden sollten. Hätten wir uns nur auf die Akteure konzentriert, die insgesamt am häufigsten vorkommen, wäre es möglich, dass wichtige Akteure aus Suchläufen mit einem bestimmten Suchbegriff nicht auftauchen, da das Akteursspektrum innerhalb dieser Suchen besonders breit ist. So könnte es z.B. sein, dass innerhalb einer Suche die ersten zehn relevanten Texte von zehn unterschiedlichen Akteuren angeboten werden, während bei einer anderen Suche innerhalb dieser ersten zehn Plätze nur drei Akteure vorkommen, die mit jeweils unterschiedlichen Texten mehrmals vertreten sind. Diese drei Akteure wären somit überproportional häufig präsent, während die fünf Akteure auf den ersten Plätzen der anderen Suche ignoriert würden. In Tabelle 21 sind alle Akteure aufgelistet, die im Rahmen der Textanalyse im Internet als Anbieter von relevanten Texten und Informationen auf Basis der ersten Stichprobenziehung vorkamen. Die Angebote, die innerhalb der einzelnen Suchläufe auf einen der ersten fünf Ränge gelangten, sind grau unterlegt. Aufgrund des Kriteriums „Platzierung der Angebote“ enthält unsere Stichprobe insgesamt 17 Akteure.101 Die Akteure, die mehr als einmal vorkamen, sind fett 101
Theoretisch gibt es bei sechs unterschiedlichen Suchen insgesamt 30 Akteure, die unter den ersten fünf Suchergebnissen der sechs unterschiedlichen Suchen auftauchen können. Die deutlich geringere Zahl von 17 Akteuren ergibt sich dadurch, dass bei unterschiedlichen Suchen dieselben Akteure
3.5 Hyperlinkanalyse
145
markiert. Eine Auswahl nach diesem Kriterium hätte 16 Akteure umfasst. Würde man ein strengeres Kriterium wählen und nur die Akteure einbeziehen, die mindestens dreimal vorkommen, wären nur noch vier Akteure in der Stichprobe. Das Akteursspektrum der Anbieter aus der Suchmaschinenanalyse ist demnach breit gestreut, was schon in den vorhergegangenen Textanalysen deutlich wurde. Vergleicht man die Akteure, die häufig vorkamen, mit den Akteuren, die die obersten Ränge einnahmen, fallen Unterschiede hinsichtlich der beiden Kriterien auf. Die zwei Akteure, die insgesamt am häufigsten vorkamen („Telepolis“ und „Campaign to ban genetically engineered foods“), waren nicht auf einem der ersten fünf Plätze vertreten. Es bleibt abzuwarten, ob diese Akteure durch die Hyperlinkanalyse in die Studie miteinbezogen werden. Dies muss nicht zwangsläufig der Fall sein. Auch wenn bei Google die eingehenden Hyperlinks für die Reihenfolge der Ergebnisse zentral sind, so heißt das nur, dass die Akteure auf den oberen Rängen von auffällig vielen anderen Akteuren verlinkt werden – nicht jedoch, dass auch diese Akteure ihrerseits häufig verlinken. Tabelle 21: Anbieter aus dem ersten Download der Textanalyse102 Höchster Rang
Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft Brainbows (Genfood.at) Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Greenpeace Deutschland Paradisi.de Radio Eins Live (WDR) Bionet BIOPRO Baden-Württemberg GmbH FH Darmstadt, Studiengang Online-Journalismus Greenpeace, Gruppe Saar ORF Science Hauske, Thomas Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (Österreich) Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V. Evangelischer Entwicklungsdienst Greenpeace, Koblenz Flensburg meint (Stadtbuch-Redaktion Flensbuch)
1 1 1 1 1 1 2 3 3 3 3 4 4 4 4 4 5
Vorkommen N %
1 3 2 2 1 2 1 1 1 1 2 1 2 2 1 1 1
2 5 3 3 2 3 2 2 2 2 3 2 3 3 2 2 2
vorgekommen sind und auch innerhalb derselben Suchen dieselben Akteure mehrmals unter den ersten fünf Suchergebnissen vertreten waren. 102 Alle Akteure, die innerhalb der Google-Ergebnisliste auf Rang 1 bis 5 vorkamen, sind grau unterlegt. Alle Akteure, die mindestens dreimal in der Textanalyse als Anbieter vorkamen, sind fett markiert.
146
3 Empirische Untersuchungen
Initiative zum Verbot genmanipulierter Nahrung Konrad-Adenauer-Stiftung Universität Mainz, DaF Vista Verde (Portal für Umwelt – Natur – Nachhaltigkeit) Bredtstedt im Internet FAZ Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz & Lebensmittelsicherheit NDR (Nordeutscher Rundfunk, Fernsehen) Telepolis – Magazin der Netzkultur Campaign to ban genetically engineered foods Wissenschaft.de TransGen – Transparenz für Gentechnik bei Lebensmittel WDR Scientificjournals (Portal für Fachzeitschriften) EUFIC, Europäisches Informationszentrum für Lebensmittel Mannheimer Versicherung ZDF Heute MDR (Mitteldeutscher Rundfunk) World Socialist Website Netzeitung.de www.gesundheit.de Kantonales Labor Zürich Gesamt
6 6 6 6 8 8
3 1 1 2 1 1
5 2 2 3 2 2
8
2
3
8 8 9 9 10 10 11 12 12 12 14 15 17 21 22
2 5 3 1 2 2 1 2 1 1 1 1 1 1 1 61
3 8 5 2 3 3 2 3 2 2 2 2 2 2 2 100
Die ausgewählten Akteure wurden im zweiten Schritt nach unterschiedlichen Merkmalen codiert. Das Codierschema folgte weitgehend der vorausgegangenen Akteurscodierung im Rahmen der Textanalyse und umfasste die Art des Akteurs (Einordnung des Akteurs in Akteurskategorien), formaler Organisationsgrad, Name, Ebene des räumlichen Bezugs und Herkunftsland. Zusätzlich wurden zwei Variablen aus der Webseitenanalyse übernommen (vgl. Abschnitt 3.6): zum einen die Bedeutung der Thematik Genfood im Rahmen der Aktivitäten des Akteurs („Hauptthema“, „Unterthema“ oder „Nebenthema“) und zum anderen die Position des Akteurs zum Thema Genfood („positiv“, „negativ“, „ambivalent“, „neutral“ oder „keine Position“). Im dritten Untersuchungsschritt wurden die Webseiten der ausgewählten Ausgangsakteure mit einem sogenannten „Link-Crawler“ nach Hyperlinks durchsucht.103 Nach Tests verschiedener Programme in vorherigen Untersuchun103
Link-Crawler sind Computerprogramme, die einzelne Webseiten automatisch nach Hyperlinks durchsuchen. Aufgrund der enormen Größe einzelner Webseiten ist eine manuelle Erfassung nicht möglich, und die Gefahr, dass ganze Seiten innerhalb eines Webauftrittes unberücksichtigt bleiben, ist aufgrund unübersichtlicher Strukturen groß. Allerdings haben Crawler auch ihre Nachteile. Unterschiedliche Programme können zeitgleich zu leichten Differenzen führen (Park/Thelwall 2003). Vor
3.5 Hyperlinkanalyse
147
gen wurde für die vorliegende Analyse das Programm Xenu’s Link Sleuth TM (im folgenden: Xenu) ausgewählt.104 Xenu erstellt Listen, die sowohl die internen als auch die externen Hyperlinks einer Webseite enthalten. Wilkinson/Thelwall/Xuemi (2003) definieren interne Hyperlinks als solche, die von einer Webseite innerhalb eines Webangebots zu einer anderen Webseite des gleichen Webangebots verweisen. Externe Hyperlinks hingegen zielen auf Webseiten, die zu einem anderen Webangebot gehören, das meistens auch von einem anderen Akteur betrieben wird. In den Fällen, in denen ein Akteur mehrere Webangebote unter verschiedenen URLs bereitstellt, würden Hyperlinks zwischen diesen Angeboten auch als externe Hyperlinks gelten. Insgesamt konnten 16 der 17 ausgewählten Webseiten herangezogen werden.105 Die Listen mit den jeweils gefundenen Hyperlinks wurden abgespeichert. Werden alle Hyperlinks, die auf den 16 Webseiten registriert wurden, addiert, erhält man eine Gesamtzahl von 319.413 (siehe Tabelle 22). Diese Zahl schließt sowohl die internen als auch die externen Hyperlinks ein, wobei für unsere Analyse nur die externen Hyperlinks von Bedeutung sind. Nachdem die Hyperlinks registriert wurden, galt es im vierten Schritt diejenigen herauszufiltern, die auf Webseiten verweisen, welche von mindestens drei Webseiten aus unserem Sample angelinkt wurden. Um diesen Prozess für 319.413 Hyperlinks zu erleichtern, wurde ein Programm geschrieben, das diese Auswahl automatisch durchführt. Insgesamt wurden so 379 Hyperlinks gefunden. Dahinter standen 112 Akteure, wobei auf dieser Ebene jeder Hyperlink nur einmal als Treffer gezählt wurde, auch wenn der Akteur mit mehreren Hyperlinks auf dieselbe Webseite verwies (siehe Tabelle 22). dem Hintergrund, dass selbst mittelgroße Webseiten Zehntausende von Hyperlinks aufweisen und große Webseiten sich in einer Größenordnung von Hunderttausenden von Hyperlinks bewegen, können diese Unterschiede wohl vernachlässigt werden. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Hyperlinks, die auf bestimmte Art und Weise programmiert wurden, nicht von den Crawlern erfasst werden können (Zimmermann et al. 2004). Das gilt insbesondere für dynamische Hyperlinks, die in JavaScript oder ähnlichen Programmiersprachen geschrieben wurden. Bisher liegen allerdings keine Erkenntnisse darüber vor, dass z.B. bestimmte Arten von Akteuren eine Art der Programmierung bevorzugen, sodass durch vereinzelte Ausfälle mit strukturellen Verzerrungen zu rechnen wäre. 104 Xenu kann kostenlos im Internet heruntergeladen werden (http://snafu.de/tilman/senulink.html). Das Programm wurde entwickelt, um auf Webseiten Hyperlinks zu finden, die nicht mehr funktionieren, um es den Betreibern einer Seite zu erleichtern, ihre Webseite zu warten. Obwohl die Intention der Programmgestaltung somit keine wissenschaftliche war, ist das Programm für unsere Zwecke geeignet. Um die nicht mehr funktionierenden Hyperlinks zu finden, durchsucht Xenu die gesamte Webseite und erstellt eine Liste mit allen Hyperlinks, die auf der entsprechenden Seite angeboten werden. 105 Die Webseite des Studiengangs Online-Journalismus der FH Darmstadt (http://www.online-journalismus-darmstadt.de/) konnte aufgrund technischer Probleme nicht einbezogen werden. Da jedoch dem Thema „Genfood“ auf der gesamten Webseite kaum eine Bedeutung zukommt, dürfte dieser Ausfall keine relevanten Konsequenzen haben.
148
3 Empirische Untersuchungen
Tabelle 22: Auswertung der erhobenen Hyperlinks Links (Total)
Relevante Links nach Häufigkeit
Relevante Links nach Häufigkeit und Thema
Relevante Links nach Häufigkeit und Thema (% vom Total)
N
N
%
N
%
%
ORF Science Brainbows (Genfood.at) Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (AT) Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Coordination gegen BAYERGefahren e.V. Greenpeace Deutschland Greenpeace, Koblenz BIOPRO Baden-Württemberg Bionet Radio1 Greenpeace, Gruppe Saar Paradisi.de Evangelischer Entwicklungsdienst Stadtbuch-Redaktion Flensburg Hauske, Thomas
198.232 1.172 4.642
99 49 48
26 13 13
63 42 33
26 17 14
64 86 69
5.236
30
8
22
9
73
3.626
28
7
20
8
71
4.973
21
6
18
7
86
8.485 486 9.279 1.685 40.393 80 39.138 1.526
21 16 11 5 18 4 21 2
6 4 3 1 5 1 6 1
14 10 8 4 6 2 2 -
6 4 3 2 2 1 1 -
67 63 73 80 33 50 10 -
103
1
0
-
-
-
5
1
-
-
-
Gesamt
319.413
379 100
244
100
64
357
Das zweite Auswahlkriterium bezieht sich auf die thematische Ausrichtung der Akteure, die die Webseiten betreiben. Werden aus den 112 Akteuren nur die ausgewählt, die sich mit dem Thema Genfood beschäftigen (entweder als Haupt-, Neben- oder Unterthema), bleiben 69 Akteure übrig, auf die 244 Hyperlinks entfallen. Das heißt, dass 64 Prozent aller Akteure, auf die mindestens drei Ausgangsakteure verwiesen, das Thema Genfood behandelten und 75 Prozent der identifizierten Hyperlinks auf ihre Webseiten verwiesen. Dies spricht dafür, dass
3.5 Hyperlinkanalyse
149
wir durch unsere Vorgehensweise einen themenspezifischen Kommunikationsraum eingegrenzt haben. Wie schon erwähnt, bildeten 17 Akteure unsere Ausgangsbasis. In der Untersuchung selber waren allerdings nur noch 13 dieser Akteure vertreten. Vier Akteure entfielen, da keiner der Hyperlinks, die auf den Webseiten dieser Akteure gefunden wurden, beiden Relevanzkriterien entsprach.106 In der Spalte „Links insgesamt“ in Tabelle 22 ist die Anzahl der Hyperlinks aufgelistet, die auf den einzelnen Webseiten gefunden wurden. Die Zahl reichte von 198.232 Hyperlinks auf der Webseite von ORF Science bis zu 80 Hyperlinks auf der Webseite der Greenpeace Gruppe Saar. Die Spanne ist also ausgesprochen hoch und erweckt den Eindruck, dass die Anzahl der angebotenen Hyperlinks von der Art des Akteurs abhängt. Insbesondere Medien-Anbieter scheinen ebenso wie ressourcenstarke Akteure eine sehr hohe Anzahl von Hyperlinks aufzuweisen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese Zahlen auch die internen Hyperlinks beinhalten. Je aufwendiger eine Webseite ist, desto mehr interne Hyperlinks gibt es zu Navigations- und gestalterischen Zwecken. Allerdings ist davon auszugehen, dass ressourcenstarke Akteure eher aufwendige und umfangreiche Webseiten betreiben als ressourcenschwache Akteure. Im fünften und letzten Schritt der Datenerhebung wurden die 69 Zielakteure anhand desselben Variablenschemas wie die Ausgangsakteure codiert. Es wurden drei Datenbanken erstellt: eine Datenbank, die alle relevanten Ausgangsakteure beinhaltet (N = 13), eine Datenbank, die alle Zielakteure umfasst (N = 69) und eine Datenbank, die die Information enthält, welcher Ausgangsakteur auf welchen Zielakteur anhand eines Hyperlinks verweist (N = 244, ein Fall entspricht einem Hyperlink).107
3.5.2 Ergebnisse Die folgenden Ausführungen sind als eine exemplarische Analyse zu verstehen, da die kleine Datenbasis von 13 Ausgangsakteuren keine Verallgemeinerung der Ergebnisse zulässt. Sie erlaubt dennoch interessante Einblicke in den spezifischen Kommunikationsraum Genfood, der durch Hyperlinks zwischen zentralen Akteuren entsteht. Die Auswertung gliedert sich in zwei Teile: Zunächst werden die strukturellen Merkmale der Akteure und Hyperlinks untersucht. Anschlie106 Nicht mehr in der Analyse ist die Webseite des Evangelischen Entwicklungsdienstes (http://www. eed.de/), die Webseite „Flensburg meint“ der Stadtbuchredaktion Flensburg (http://www.flensburgmeint.de/) und die Webseite von Thomas Hauske (http://www.hauske.de/). 107 Die Auswertungen wurden zum größten Teil mit SPSS ausgeführt und die netzwerkanalytischen Berechnungen und Darstellungen mit UCINET (Borgatti/Everett 2002).
150
3 Empirische Untersuchungen
ßend wird der Frage nachgegangen, welche Akteure zu welchen anderen Akteuren verlinken. 3.5.2.1
Strukturelle Merkmale der Akteure und Hyperlinks
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen den Akteuren, die durch die Verlinkung untereinander einen kommunikativen Raum bilden, und den Hyperlinks, die diesen Raum strukturieren: 1.
2.
Akteure: solche, die Hyperlinks auf ihren Webseiten zu anderen Akteuren anbieten (im Folgenden: Ausgangsakteure), und solche, auf deren Webseite diese Hyperlinks verweisen (im Folgenden: Zielakteure). Auf dieser Ebene der Betrachtung kommt jeder Akteur nur einmal vor (N = Anzahl der Akteure: 13). Hyperlinks: solche, die entweder von der Webseite eines Akteurs ausgehen (im Folgenden: ausgehende Hyperlinks), oder solche, die auf die Webseite eines Akteurs verweisen (im Folgenden: eingehende Hyperlinks). Auf dieser Ebene können die Akteure mehrfach vorkommen, da ein Akteur zu unterschiedlichen Webseiten Hyperlinks anbieten kann und dementsprechend auch Hyperlinks von unterschiedlichen Webseiten auf die Webseite eines Akteurs verweisen können (N = Anzahl der Hyperlinks: 244).
Tabelle 23 zeigt anhand des netzwerkanalytischen Maßes des Freeman’s Degree für jeden Ausgangsakteur die Anzahl der Hyperlinks an, die von dessen Webseite auf die Webseiten von Zielakteuren verweisen (Outdegree).108 Sie enthält auch die Hyperlinks, die die Ausgangsakteure von anderen Ausgangsakteuren erhalten (Indegree), solange mindestens drei von diesen auf die Webseite eines bestimmten anderen Ausgangsakteurs verweisen. Auffällig ist zunächst, dass nur zwei der Ausgangsakteure auch Zielakteure waren. Zum einen galt das für die Webseite der Biologischen Bundesanstalt für Forst- und Landwirtschaft und zum 108 In netzwerkanalytischer Begrifflichkeit haben wir uns bei dem Vorgehen innerhalb der Hyperlinkanalyse an den egozentrierten Ansatz der Stichprobenziehung angelehnt. Egozentrierte Ansätze konzentrieren sich eher auf einzelne Akteure als auf ein gesamtes Netzwerk. Ähnlich wie bei unserem Vorgehen legen sie Ausgangsakteure fest, deren Beziehungen zu anderen Akteuren (alter) untersucht werden. Damit das so eingegrenzte Geflecht als Netzwerk qualifiziert werden kann, ist es erforderlich, dass auch die Verbindungen zwischen den Bezugsakteuren erhoben werden (Jansen 1999: 58). Aufgrund der begrenzten Ressourcen war dies in unserem Fall nicht möglich. Gleichwohl erlauben uns einige netzwerkanalytische Verfahren und Abbildungstechniken, die Beziehungen der Ausgangsakteure noch einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Zu beachten ist, dass Hyperlinks von den Zielakteuren zu den Ausgangsakteuren empirisch durchaus vorhanden sein können, jedoch von uns nicht erhoben wurden.
3.5 Hyperlinkanalyse
151
anderen für die Webseite von Greenpeace Deutschland. Beide hatten einen Indegree von fünf und wurden damit von jeweils fünf unterschiedlichen Ausgangsakteuren angelinkt. Tabelle 23: Freeman’s degree centrality measures der Ausgangsakteure Outdegree
Indegree
ORF Science
63
0
Brainbows (Genfood.at)
42
0
Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (Österreich)
33
0
Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft
22
5
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
20
0
Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.
18
0
Greenpeace Deutschland
14
5
Greenpeace, Koblenz
10
0
BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
8
0
Radio1
6
0
Bionet
4
0
Paradisi.de
2
0
Greenpeace, Gruppe Saar
2
0
Tabelle 24 enthält den Indegree jedes Zielakteurs. Der Outdegree entfällt, da wir auf den Webseiten der Zielakteure die Hyperlinks nicht registriert haben. Die meisten Zielakteure (45) erhielten von drei Ausgangsakteuren Hyperlinks. Der Rest wurde am häufigsten von vier Ausgangsakteuren angelinkt. Die Europäische Kommission war der einzige Akteur, auf dessen Webseite neun unterschiedliche Akteure verlinkten.
152
3 Empirische Untersuchungen
Tabelle 24: Freeman’s degree centrality measures der Zielakteure Europäische Kommission Belgian Biosafety Server Bund European Food Safety Authority Greenpeace Archiv (DE) Robert Koch Institut 3SAT Biosicherheit.de Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (Karlsruhe) Department for Environment Food and Rural Affairs FAO Greenpeace International Greenpeace Österreich Nature.com OECD Taz (die Tageszeitung) Transgen – Transparenz für Gentechni U.S. Food and Drug Administration Umweltbundesamt UN WDR (Westdeutscher Rundfunk) WHO (regional office for Europe) Arbeiterkammer Österreich Archive Greenpeace International Berlin.de Biosafety Information Network and Advisory Service (BINAS) Biotechnology & GMOs Bundesamt für Gesundheit (Schweiz) Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (Kiel) Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Bundesregierung Bündnis 90 / Die Grünen Convention on Biological Diversity CORDIS – Community Research & Development Information Service Dialog Gentechnik Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft Europaparlament Food Standards Agency Forschungszentrums Jülich Friends of the Earth (UK) Gen Suisse
Indegree 9 6 5 5 5 5 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3
3.5 Hyperlinkanalyse Genechnik-Webseite des Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (AT) Gen-ethisches Neztwerk GeneWatch UK GOBAL 2000 (AT) Greenpeace cyberactivist community (Int.) Greenpeace Magazin (DE) Guardian IFZ – Interuniversitäres Forschungszentrum für Technik, Arbeit & Kultur (AT) INFOgen JRC – Joint Research Center of the European Commission NABU Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH Österreichisches Ökologie-Institut für angewandte Umweltforschung Parlament (Österreich) Save our Seeds Tagesschau Telepolis – Magazin der Netzkultur U.S. Department of Agriculture U.S. Environmental Protection Agency Umweltbundesamt Österreich UNESCO Union of Concerned Citizens and Scientists for Environmeal Solutions US National Library of Medicine WHO – World Health Organisation WTO WWF Deutschland
153 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3
Der Vergleich zwischen Tabelle 24 und Tabelle 21 zeigt, welche Akteure wir durch die Hyperlinkanalyse erfasst haben, die schon in der Suchmaschinenanalyse eine zentrale Rolle gespielt haben, aber aufgrund des Kriteriums „Platzierung der Angebote“ nicht in unser Ausgangssample aufgenommen wurden. Dabei handelte es sich um drei der insgesamt neun Akteure: Telepolis – Magazin der Netzkultur, Transgen – Transparenz für Gentechnik bei Lebensmitteln sowie Westdeutscher Rundfunk (WDR). Ordnet man die Ausgangsakteure in verschiedene Kategorien ein, ergibt sich ein relativ ausgeglichenes Bild (siehe Tabelle 25). Staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure wiesen jeweils einen Anteil von ca. 31 Prozent innerhalb der Ausgangsakteure auf, wobei der Schwerpunkt bei den staatlichen Akteuren auf Behörden und bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren auf Umweltverbänden und -organisationen lag. Medien stellten ca. 39 Prozent der Ausgangsakteure. Sozioökonomische Interessengruppen (wie z.B. Unternehmen) fehlten vollkommen.
154
3 Empirische Untersuchungen
Tabelle 25: Ausgangsakteure nach Akteurskategorien Ausgehende Hyperlinks
Ausgangsakteure N
%
N
%
4
31
83
34
Regierung
1
8
33
14
Behörden
3
23
50
21
4
31
44
18
Solidaritätsgruppen
1
8
18
7
Umweltverbände
3
23
26
11
5
39
117
48
Radio, allgemein
2
15
69
28
Internetportale, themenspezifisch
3
23
48
20
13
100
244
100
Staat und Parteien
Zivilgesellschaft, non-profit
Medien
Gesamt
Die beiden rechten Spalten in Tabelle 25 geben an, wie viele der erhobenen Hyperlinks von den Webseiten der einzelnen Akteursgruppen ausgingen, wobei einige Abweichungen auffallen. Medienakteure verwiesen mit knapp 50 Prozent überproportional häufig auf eine der relevanten Webseiten, während zivilgesellschaftliche Akteure und NGOs mit einem Anteil von 18 Prozent am seltensten auf eine der relevanten Webseiten verlinkten. Ein anderes Bild ergibt sich für die Verteilung der Hyperlinks auf die Webseiten der unterschiedlichen Zielakteure in Tabelle 26.
3.5 Hyperlinkanalyse
155
Tabelle 26: Zielakteure und eingehende Hyperlinks nach Akteurskategorien Eingehende Hyperlinks
Zielakteure N
%
N
%
Staat und Parteien
38
55
137
56
Regierung
15
22
59
24
Behörden
18
26
63
26
Legislative
2
3
6
3
Sonstige
2
3
6
3
Grüne
1
1
3
1
2
3
6
3
Gewerkschaften
1
1
3
1
Biotech-/Pharmazie-/ChemieUnternehmen
1
1
3
1
19
28
65
27
Wissenschaft (nicht Genforschung)
2
3
6
3
Pro-und Anti-Kampagnen zu Genfood
2
3
6
3
12
17
44
18
3
4
9
4
10
15
36
15
Medien (allgemein)
1
1
4
2
Printmedien (allgemein)
2
3
7
3
Fernsehen (allgemein)
2
3
7
3
Internetportale, nicht themenspezifisch
2
3
6
3
Internetportale, themenspezifisch
3
4
12
5
69
100
244
100
Sozioökonomische Interessengruppen
Zivilgesellschaft, non-profit
Umweltverbände Sonstige Interessengruppen & NGOs Medien
Gesamt
Insgesamt wurden 69 unterschiedliche Akteure gefunden, auf die mindestens drei der Ausgangswebseiten verwiesen. Die meisten der Zielakteure waren staatliche Organe (55 %), wobei es sich hauptsächlich um Regierungsakteure und
156
3 Empirische Untersuchungen
Behörden handelte. Die zweite größere Gruppe bildeten zivilgesellschaftliche Akteure und NGOs. Auffallend war der geringe Anteil wirtschaftlicher Akteure und sozioökonomischer Interessengruppen von drei Prozent, der auch schon unter den Ausgangsakteuren ähnlich gering war. Die Medien nahmen insgesamt zwar eine bedeutendere Stellung ein, waren jedoch mit 15 Prozent nicht dominant. Immerhin die Hälfte der Medien waren internetspezifische Formate; die Angebote der traditionellen Medien überwogen somit nicht. Die Mehrzahl der Ausgangsakteure unserer Untersuchung kam aus Deutschland. Drei der Akteure waren aus Österreich und ein Akteur war der EU zuzurechnen (siehe Tabelle 27). Tabelle 27: Ausgangsakteure nach Herkunftsland Ausgangsakteure
Ausgehende Hyperlinks
Hyperlinks pro Akteur
N
N
%
N (Ø)
Deutschland
9
102
42
11
EU
1
4
2
4
Österreich
3
138
57
46
13
244
100
19
Gesamt
Betrachtet man die mittlere Spalte in Tabelle 27, so fällt auf, dass die österreichischen Akteure maßgeblich die Verteilung der Hyperlinks bestimmten, also deutlich häufiger zu einem (nach unserer Definition) relevanten Zielakteur verlinkten als deutsche Akteure. Die österreichischen Akteure stellten mit drei Akteuren knapp ein Viertel der Ausgangsakteure, bestritten jedoch mehr als die Hälfte aller ausgehenden Hyperlinks (57 %). Dementsprechend war die durchschnittliche Anzahl von Hyperlinks für österreichische Akteure mit 46 viermal höher als die durchschnittliche Anzahl von elf Hyperlinks für deutsche Akteure. Obwohl die meisten der Hyperlinks von österreichischen Webseiten ausgingen, zeigt Tabelle 28, dass insgesamt die deutschen Akteure mit Abstand die größte Gruppe innerhalb der Zielakteure darstellten. In Bezug auf die Hyperlinkstruktur bleibt dieses Bild konstant.
3.5 Hyperlinkanalyse
157
Tabelle 28: Zielakteure nach Herkunftsland Zielakteure
Eingehende Hyperlinks
N
%
N
%
1
1
6
2
25
36
91
37
Europa
2
3
8
3
Europäische Union
6
9
26
11
Großbritannien
5
7
16
7
International
12
17
41
17
Österreich
11
16
34
14
Schweiz
2
3
6
2
USA
5
7
16
7
69
100
244
100
Belgien Deutschland
Gesamt
Tabelle 29 unterscheidet die Ausgangsakteure und ausgehenden Hyperlinks nach ihrer Position zum Thema Genfood. Nur ein Ausgangsakteur wies eine positive Einstellung zum Thema auf. Die Mehrzahl war dem Thema gegenüber negativ eingestellt (54 %). Knapp ein Viertel aller Ausgangsakteure nahm eine neutrale Position ein. Dieses Viertel scheint jedoch besonders häufig auf andere relevante Akteure verwiesen zu haben, da es mehr als 40 Prozent aller relevanten Hyperlinks bestritt.
158
3 Empirische Untersuchungen
Tabelle 29: Ausgangsakteure nach Haltung zum Thema Genfood Ausgangsakteure
Ausgehende Hyperlinks
N
N
%
Positiv
1
8
3
Negativ
7
94
39
Ambivalent
2
37
15
Neutral
3
105
43
Gesamt
13
244
100
Die Zielakteure hatten mit 15 Prozent häufiger eine positive Einstellung zu Genfood als die Ausgangsakteure (Tabelle 30). Insgesamt nahm allerdings die Mehrzahl der Zielakteure entweder eine negative (36 %) oder eine neutrale (32 %) Position zu Genfood ein. Tabelle 30: Zielakteure nach Haltung zum Thema Genfood Zielakteure
Eingehende Hyperlinks
N
%
N
%
Positiv
10
15
38
16
Negativ
25
36
82
34
9
13
45
18
22
32
76
31
3
4
3
1
69
100
244
100
Ambivalent Neutral Keine Tendenz Gesamt
Tabelle 31 zeigt, dass nur einer der Ausgangsakteure sich hauptsächlich mit dem Thema Genfood beschäftigte. Für die übrigen Ausgangsakteure bildete Genfood hingegen ein Unterthema eines übergeordneten Hauptthemas oder wurde nur als ein Nebenthema behandelt.
3.5 Hyperlinkanalyse
159
Tabelle 31: Ausgangsakteure nach Bedeutung des Themas Genfood Ausgangsakteure
Ausgehende Hyperlinks
N
N
%
Hauptthema
1
42
17
Unterthema
8
123
50
Nebenthema
4
79
32
13
244
100
Gesamt
Auch wenn nur ein Akteur sich hauptsächlich mit Genfood beschäftigte, so prägte er mit 17 Prozent aller ausgehenden Hyperlinks überproportional stark das Gesamtbild. Ähnlich wie die Ausgangsakteure befassten sich jedoch die meisten Zielakteure mit dem Thema Genfood als Unterthema eines übergeordneten Themas (siehe Tabelle 32). Nur 6 Prozent widmeten sich hauptsächlich dem Thema Genfood. Tabelle 32: Zielakteure nach Bedeutung des Themas Genfood Zielakteure
Eingehende Hyperlinks
N
%
N
%
Hauptthema
4
6
14
6
Unterthema
40
58
149
61
Nebenthema
25
36
81
33
Gesamt
69
100
244
100
3.5.2.2
Wer verlinkt zu wem?
Die weitere Betrachtung konzentriert sich darauf, wie die dargelegte Akteursund Hyperlinkverteilung zustande kam und welche Ausgangsakteure auf die Webseiten welcher Zielakteure verwiesen. Tabelle 33 zeigt, dass staatliche Akteure vor allem auf die Webseiten anderer staatlicher Akteure verwiesen (78 % aller staatlichen Akteure). Die Medien neigten ebenfalls dazu, überwiegend staatliche Akteure anzulinken (56 %). Nur
160
3 Empirische Untersuchungen
ein Viertel aller Medienlinks galt den Webseiten zivilgesellschaftlicher Akteure und NGOs. Die zivilgesellschaftlichen Akteure konzentrierten sich vor allem auf Webseiten von anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Interessant ist jedoch, dass bei den verbleibenden zivilgesellschaftlichen Hyperlinks die Medien einen deutlich höheren Anteil aufwiesen als staatliche Akteure. Tabelle 33: Hyperlinkstruktur nach Akteurskategorien (Prozente) Zielakteure
Ausgangsakteure
Staat und Parteien
Sozioökonomische Interessengruppen
Zivilgesellschaft, non-profit
Medien
Gesamt %
N
Staat und Parteien
78
2
10
10
100
83
Zivilgesellschaft, non-profit
14
0
66
20
100
44
Medien
56
3
24
16
100 117
Gesamt %
56
2
27
15
100
Gesamt N
137
6
65
36
-
- 244
Abbildung 9 verdeutlicht anhand unseres eingeschränkten Netzwerkansatzes die strukturelle Verteilung der Hyperlinks auf die einzelnen Akteurskategorien. Die dicksten Pfeile zeigen deutlich, dass staatliche Akteure die meisten Links auf ihren Webseiten vereinten, vor allem durch Hyperlinks von anderen staatlichen Akteuren und Medien. Zwischen den Ausgangsakteuren (hier: EGO) waren kaum relevante Verbindungen vorhanden. Wirtschaftsakteure und sozioökonomische Gruppen spielten nur eine periphere Rolle und wurden lediglich von staatlichen Akteuren und Medien miteinbezogen – ein erstaunliches Ergebnis, bedenkt man wie wichtig wirtschaftliche Interessen im Rahmen der Diskussion um Genfood sind. Anscheinend wurde jedoch nur über diese Akteure kommuniziert; direkt eingebunden in den Diskurs wurden sie jedoch nicht, zumindest nicht durch die kommunikative Verweisstruktur zentraler Akteure innerhalb der Genfood-Diskussion im Internet.
3.5 Hyperlinkanalyse Abbildung 9:
161
Struktur der Hyperlinks nach Akteurskategorien
Tabelle 34 zeigt, wie sich die Hyperlinks auf die Herkunftsländer verteilten. Auffällig ist, dass die Ausgangsakteure aus Deutschland kaum auf die Webseiten von Zielakteuren aus anderen Ländern verwiesen. Man könnte erwarten, dass aufgrund sprachlicher Barrieren Hyperlinks, die über die nationalen Grenzen hinausgehen, vor allem auf Akteure aus Ländern mit der gleichen Sprache verweisen. Davon ist in unserem Fall jedoch nicht auszugehen, da sowohl österreichische als auch schweizer Akteure kaum als Zielakteure deutscher Ausgangsakteure in Erscheinung traten. Wichtiger scheinen hingegen Zielakteure aus dem englischsprachigen Raum gewesen zu sein. Zusammengenommen verwiesen immerhin 11 Prozent aller Hyperlinks, die von deutschen Akteuren ausgingen, auf Webseiten englischer oder US-amerikanischer Akteure. Abgesehen von den deutschen Zielakteuren scheinen internationale Akteure eine wesentlich bedeutendere Rolle als nationale Akteure gespielt zu haben. Sowohl die deutschen als auch die österreichischen Akteure verwiesen zu mehr als einem Drittel auf internationale Akteure, wobei solche auf der institutionellen Ebene der EU eine geringere Rolle spielten als andere internationale Akteure. Bei österreichischen Ausgangsakteuren ist die Bedeutung deutscher Zielakteure hervorzuheben, die mit 28 Prozent sogar etwas häufiger angelinkt wurden als österreichische Zielakteure (23 %). Dies legt die Vermutung nahe, dass die österreichischen Akteure sich im Untersuchungszeitraum stark an der deutschen Genfood-Debatte orientierten.
162
3 Empirische Untersuchungen
Tabelle 34: Hyperlinkstruktur nach Herkunftsländern (Prozente) International109
Gesamt %
Gesamt N
5
5
10
18 100
102
EU
0
25
0
0
0
25
0
25
25 100
4
AT
23
2
4
28
7
7
2
11
16 100
138
Gesamt %
14
2
2
37
7
7
3
11
17 100
-
Gesamt N
34
6
6
91
16
16
8
26
41
Ausgangsakteure
Europa
6
USA
52
UK
1
DE
2
CH
2
BE
DE
AT
EU
Zielakteure
-
244
Abbildung 10 veranschaulicht die grafische Netzwerk-Verteilung der Hyperlinks entsprechend den Herkunftsländern der Akteure. Das Gesamtbild dominieren deutlich die drei Achsen von deutschen und österreichischen Ausgangsakteuren zu deutschen Zielakteuren und zwischen österreichischen Ausgangs- und Zielakteuren. Ansonsten heben sich nur noch die Verbindungen zu EU-Akteuren und internationalen Akteuren in besonderem Maße ab. Trotz dieser dominanten Verbindungen entsteht insgesamt das Bild einer vielfältigen Kommunikations- und Informationsverflechtung durch Hyperlinks über nationale Grenzen hinweg – ebenso, wie dies auch die statistischen Analysen nahe legten.
109
Die Kategorie „International“ bezieht sich auf alle internationalen Ebenen, die nicht Europa oder die Europäische Union betreffen.
3.5 Hyperlinkanalyse
163
Abbildung 10: Struktur der Hyperlinks nach Herkunftsländern
Tabelle 35 vermittelt einen Eindruck darüber, welchen Einfluss die Positionen von Ausgangs- und Zielakteuren zu Genfood auf die Hyperlinkstruktur hatten. Da nur ein Ausgangsakteur eine positive Haltung zu Genfood einnahm, soll auf die Hyperlinks aus dieser Quelle nicht weiter eingegangen werden. Auffallend ist, dass gegenüber Genfood negativ eingestellte Ausgangsakteure hauptsächlich auf Webseiten von Zielakteuren verwiesen, die diese negative Grundhaltung teilten (54 %). Die neutralen Ausgangsakteure aus unserem Sample vergaben ihre Hyperlinks mehr oder weniger ausgeglichen auf Akteure mit unterschiedlichen Positionen. Allerdings verwies der kleinste Anteil aller ausgehenden Hyperlinks auf die Webseiten von Zielakteuren, die eine positive Haltung gegenüber Genfood einnahmen. Interessant ist ebenfalls, dass die ambivalenten Ausgangsakteure ungefähr doppelt so häufig auf Webseiten von Akteuren verwiesen, die positiv zu Genfood eingestellt waren, als auf die Webseiten von Akteuren mit einer negativen Haltung. Dies lässt vermuten, dass Akteure, die rhetorisch eine ambivalente Haltung gegenüber Genfood einnahmen, faktisch eher eine positive Grundhaltung aufwiesen, dies aber nicht so deutlich vertreten wollten oder konnten.
164
3 Empirische Untersuchungen
Tabelle 35: Hyperlinkstruktur nach Positionen zu Genfood (Prozente) Zielakteure
Ausgangsakteure
Positiv
Negativ
Ambivalent
Neutral
Keine Tendenz
Gesamt %
N
Positiv
13
13
13
63
0
100
8
Negativ
9
54
14
22
1
100
94
Ambivalent
27
14
22
35
3
100
37
Neutral
18
24
22
35
1
100 105
Gesamt %
16
34
18
31
1
100
Gesamt N
38
82
45
76
3
-
- 244
Tabelle 36: Hyperlinkstruktur nach Akteurskategorien und Position (Prozente) Zielakteure
Ausgangsakteure
Positiv
Staatliche Akteure & politische Parteien
Negativ
Ambivalent
Neutral
Keine Tendenz
Gesamt %
N
22
13
23
41
1
100
83
7
77
7
9
0
100
44
Medien
15
32
20
32
2
100 117
Gesamt %
16
34
18
31
1
100
Gesamt N
38
82
45
76
3
Zivilgesellschaft & NGOs
-
- 244
Aus Tabelle 36 geht hervor, dass zivilgesellschaftliche Akteure und NGOs mit Abstand am häufigsten auf die Webseiten von solchen Zielakteuren verwiesen, die eine kritische Haltung zu Genfood einnahmen (77 %). Dagegen bezogen staatliche Akteure und Medien stärker auch solche Akteure ein, die eine positive Meinung zu Genfood vertraten (22 % bzw.15 %). Negativ eingestellte Zielakteu-
3.6 Webseitenanalyse
165
re wurden von staatlichen Ausgangsakteuren wesentlich seltener angelinkt (13 %) als von anderen Akteuren. Staatliche Akteure legten hingegen einen deutlich stärkeren Schwerpunkt auf neutrale Zielakteure (41 %), was mit der Dominanz von Behörden innerhalb dieser Akteurskategorie zusammenhängen könnte. Insgesamt wiesen die Medien das relativ ausgeglichenste Spektrum im Hinblick auf die Einstellungen der Zielakteure auf.
3.5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der Hyperlinkanalyse Obwohl staatliche Akteure, zivilgesellschaftliche Akteure und Medien sich ziemlich ausgewogen über unser Ausgangsample verteilten, wies der Kommunikationsraum, der durch Hyperlinks auf den Webseiten zentraler Akteure im Internet gebildet wurde, deutliche strukturelle Asymmetrien auf. Die stark institutionalisierten staatlichen Akteure waren am häufigsten vertreten. Bemerkenswert ist allerdings, dass zivilgesellschaftliche Akteure wichtiger waren als Medienakteure, denen häufig nachgesagt wird, sie würden auch das Internet als Kommunikations- und Informationsraum beherrschen. Allerdings beeinflussten die Medien indirekt die Kommunikationsstruktur, indem gerade sie eher zu staatlichen als zu zivilgesellschaftlichen Akteuren verlinkten. Unsere Ergebnisse stützen die Vermutung, dass das Internet grenzüberschreitende Kommunikation fördert. Knapp zwei Drittel der Hyperlinks verwiesen auf die Webseiten ausländischer Akteure. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass unsere Analyse nicht das „deutsche“, sondern das „deutschsprachige“ Internet umfasste. Rechnet man alle Hyperlinks zu deutschsprachigen Anbietern zusammen, so verbleibt die Hälfte der Hyperlinks im deutschsprachigen Raum. Somit nahmen Hyperlinks zu Akteuren aus dem nicht-deutschen Sprachraum ebenfalls die Hälfte aller Hyperlinks ein, wobei Hyperlinks zu internationalen Akteuren deutlich dominierten. Auch wenn man bedenkt, dass Hyperlinks zunächst nur ein Angebot zur Kommunikation und Information darstellen, ist festzuhalten, dass der kommunikative Raum, den zentrale Akteure in Bezug auf das Thema Genfood durch Hyperlinks zu anderen Akteuren bilden, durchaus Potenziale einer grenzüberschreitenden Information und Kommunikation bietet.
3.6 Webseitenanalyse 3.6 Webseitenanalyse Die innerhalb des Medienvergleichs angewandte Methode der Textanalyse (vgl. Abschnitt 3.4) ist, trotz ihrer mehrere Ebenen umfassenden Struktur, Beschränkungen unterworfen. Bislang nicht analysiert wurden die Anbieter, die die unter-
166
3 Empirische Untersuchungen
suchten Texte publizierten. Dies waren einerseits Zeitungen, die hinsichtlich eines breiten Themenspektrums und überwiegend mit Blick auf aktuelle Ereignisse ein breites Publikum ansprechen. Für die mittels Google identifizierten Texte wurden in der Textanalyse lediglich grundlegende Merkmale der Anbieter analysiert. Zwar untersucht die Hyperlinkanalyse die Beziehungen verschiedener Anbieter im Internet untereinander. Richtet man das methodische Vorgehen jedoch am Verhalten der Nutzer aus, die nicht nur externen Hyperlinks, sondern auch internen Verweisen auf einer Webseite folgen, so wird eine Webseitenanalyse unumgänglich. Insbesondere in Hinsicht auf die dritte leitende Hypothese, die die interaktiven Möglichkeiten des Internet betont, soll hier geklärt werden, welche Merkmale relevante Webauftritte zum Thema Genfood aufweisen.
3.6.1 Untersuchungsdesign Webseitenanalysen werden häufig durchgeführt, um die Besonderheiten des Internet zu erforschen. Es handelt sich hierbei um ein sehr aufwändiges Verfahren, da jede einzelne Webseite durch einen Codierer in Echtzeit analysiert werden muss. Dies beansprucht viel Zeit, da moderne Internetauftritte insbesondere von ressourcenstarken Anbietern eine unüberschaubare Menge von einzelnen Webseiten und oft auch eine komplizierte interne Struktur aufweisen. Für die hier vorgenommene Webseitenanalyse wurden 27 Webauftritte untersucht, die nach dem zweiten Download (zwischen dem 3. und 10. August 2004) selektiert worden waren. Ausgewählt wurden Webauftritte von Anbietern, die durch die Textanalyse des ersten Downloads identifiziert wurden und eine relevante politische Stellungnahme enthielten (d.h. zumindest eine Rubrik zu Genfood aufwiesen oder die sich hauptsächlich mit Genfood beschäftigten). Zudem mussten sie innerhalb der sechs Google-Suchergebnislisten eine zentrale Position innehaben. Zur Codierung wurde jeweils nur ein Teil der Webseiten herangezogen, die sich unter der Startadresse des Anbieters befanden. Im Falle des Webauftritts „www. greenpeace.de“ wurde die Eingangswebseite identifiziert, die im Zentrum der Rubrik zu Genfood stand.110 Eine Codierung erfolgte, wenn sich eine Rubrik mittels zweier Hyperlinks von der Startadresse des Anbieters auffinden ließ und wenn sie erkennbar demselben Webauftritt zuzurechnen war.111 In anderen Fäl110
Im Falle von Greenpeace Deutschland war dies die URL „http://www.greenpeace.org/deutsch land/fakten/einkaufsnetz /index“. 111 Für die im Folgenden beschriebene Codierung von Interaktivität auf den Webseiten wurde eine Ausnahme gemacht, da die meisten Anbieter solche Diskussionsforen oder Eingabe-Formulare von der Startadresse und nicht von der Rubrik zu Genfood ausgehend verlinken. Alle interaktiven Module wurden codiert, die mittels zweier Hyperlinks entweder von der Startadresse oder der Eingangswebseite erreichbar waren.
3.6 Webseitenanalyse
167
len war die Eingangswebseite der Genfood-Rubrik die Startadresse, da sich der gesamte Webauftritt hauptsächlich mit Genfood beschäftigte. Insgesamt 13 der 37 Anbieter des ersten Google-Downloads erfüllten die genannten Selektionskriterien. Zusätzlich wurden diejenigen Anbieter aus der Hyperlinkanalyse mit in das Sample aufgenommen, auf die mindestens drei unterschiedliche Akteure von ihren Webseiten aus mit Hyperlinks verwiesen und die ebenfalls Genfood als Unter- oder Hauptthema behandelten. Hierdurch wurden 14 Anbieter gewonnen, von denen zwei bereits aus den Google-Ergebnissen bekannt waren. Somit beinhaltet die Analyse insgesamt 27 Webseiten (siehe Tabelle 37). Tabelle 37: Herkunft der ausgewählten Untersuchungseinheiten N Hyperlinkanalyse
14
Google-Suchergebnisse
11
In beiden Untersuchungen Gesamt
2 27
Diese Stichprobe hat den Vorteil, dass nicht nur die durch den Google-Suchmechanismus als relevant eingestuften Akteure einbezogen werden, sondern auch solche, die als Knotenpunkte im Netzwerk von Webauftritten identifiziert wurden. So wurde sichergestellt, dass zentrale Webseiten zum Thema Genfood erfasst wurden, die von durchschnittlichen Nutzern aufgefunden werden können. Einerseits kann davon ausgegangen werden, dass Nutzer, die über Einträge in Google auf Webseiten landen, innerhalb thematisch einschlägiger Webseitenrubriken weiter recherchieren. Andererseits beginnen viele Nutzer mit Google-Einträgen, um sich anschließend über Hyperlinks auf neue Webseiten zu begeben. Der Großteil der untersuchten Webauftritte beschäftigt sich nicht ausschließlich mit Genfood. Vielmehr ist Genfood bei 22 Webauftritten eine Rubrik unter anderen. Für die Codierung der Webseiten wurde ein eigenes inhaltsanalytisches Instrumentarium entwickelt, das sich an die Hyperlink- und Textanalyse anlehnt (vgl. Anhang B).
3.6.2 Auswertung der Webseiten Im Folgenden werden die ausgewählten Anbieter von Webseiten zum Thema Genfood untersucht.
168
3 Empirische Untersuchungen
Beschrieben wird, welche Positionen sie zu Genfood einnehmen, wo sie verortet sind und ob es sich um staatliche, zivilgesellschaftliche oder wirtschaftliche Akteure handelt. Anschließend werden die wesentlichen Formate der analysierten Webseiten dargestellt, um beispielsweise erkennen zu können, ob hier tatsächlich andere Formen der politischen Kommunikation zu erkennen sind, die nicht den üblichen journalistischen Kriterien unterliegen. Schließlich soll der Grad an Interaktivität untersucht werden. 3.6.2.1
Allgemeine Merkmale der Anbieter
Wie bereits beschrieben, stellen die hier analysierten 27 Webseiten eine Auswahl von zentralen Anbietern der Hyperlink- und Textanalyse dar. Acht Webseiten wurden von Umweltverbänden und Kampagnen gegen Genfood betrieben. Hierunter befand sich auch der einzige nicht formell organisierte Anbieter. Regierungsstellen und Behörden stellten elf Webseiten. Die verbleibenden acht Webseiten gingen auf Medienakteure zurück, darunter allein fünf auf Genfood spezialisierte Internetportale. Bemerkenswert ist, dass weder Wirtschaft noch sozioökonomische Interessenverbände zu den zentralen Akteuren gehören. Diese Verteilung ist in etwa deckungsgleich mit den Ergebnissen der Hyperlinkanalyse. Im Vergleich zur Textanalyse haben allerdings sozioökonomische Interessengruppen keine Bedeutung. Sie sind in der Webseitenanalyse überhaupt nicht mehr präsent. Medienakteure treten hingegen häufiger auf. Ähnlich wie bei der Textanalyse und Hyperlinkanalyse sind die meisten der hier untersuchten Anbieter in Deutschland angesiedelt (siehe Tabelle 38). Unterschiede ergeben sich vor allem daraus, dass nur die Webseiten der Google-Suche und der Hyperlinkanalyse berücksichtigt wurden, die nicht nur einen einzelnen Text im Internet anboten, sondern dem Thema Genfood eine ganze Rubrik widmeten oder sich auf ihren Webseiten hauptsächlich mit dem Thema Genfood befassten. Tabelle 38: Geographischer Bezug der Anbieter N Deutsche Anbieter Ausländische Anbieter Transnationale Anbieter EU-Anbieter Andere Supranationale Anbieter
16 6 1 2 2
Gesamt
27
3.6 Webseitenanalyse
169
Zusätzlich zu diesen Merkmalen, die bereits in der Text- und Hyperlinkanalyse untersucht wurden, wurde die Mehrsprachigkeit der Angebote erfasst. Es zeigt sich, dass ein Viertel der 16 deutschen Webseiten zugleich eine fremdsprachige Version anbot. Insgesamt blieben allerdings Webseiten, die lediglich eine deutsche Version anbieten, mit 15 von 27 Webseiten in der Mehrheit, da drei österreichische Webseiten hinzuzählen sind, die keine fremdsprachigen Versionen anboten. Alle fremdsprachigen Webseiten wiesen zumindest eine englische Version auf. Fünf von ihnen waren allerdings nicht zugleich in Deutsch verfügbar. Deutlich seltener als Englisch war Französisch vertreten (in fünf der elf fremdsprachigen Webseiten). Darüber hinaus wurde keine andere Fremdsprache häufiger als zweimal angeboten. Wie die Text- und Hyperlinkanalysen zeigten, beziehen die untersuchten Texte im Internet deutlich häufiger gegen als für Genfood Stellung. Unter den zentralen Anbietern von Webseiten ist diese Tendenz ebenfalls ausgeprägt. Zwölf der 27 Anbieter lehnten Genfood tendenziell ab. Während acht der Anbieter ambivalente Positionen vertraten und weitere fünf keine eindeutige Meinung hatten, befürworteten lediglich zwei der Anbieter Genfood. 3.6.2.2
Formate der Webseiten
Zeitungen als typische Vertreter herkömmlicher Massenmedien weisen im Kern nur zwei Medienformate auf. Tageszeitungen berichten zeitnah über ein breites Spektrum von Ereignissen und Themen für ein breites Publikum meist mittels relativ kurzer Texte, während Wochenzeitungen auch etwas weiter zurückliegende Themen aufgreifen und häufiger längere Texte anbieten. Anders verhält es sich jedoch bei den hier untersuchten Webseiten. Zunächst ist zu beachten, dass nicht alle Webseiten an ein allgemeines Publikum gerichtet sind. Viele erfüllen auch die Funktion einer online angebotenen Verbandszeitschrift, die sich an einen exklusiven Kreis richtet. Bei 24 von 27 der hier untersuchten Webseiten kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sie sich an eine allgemeine Öffentlichkeit wenden. Indikatoren für ein eingeschränktes Publikum waren Botschaften an explizit angesprochene spezielle Personenkreise auf den Webseiten und die Häufigkeit von Fachbegriffen. Lediglich drei Webseiten von staatlichen Anbietern schienen sich eher an ein Expertenpublikum zu richten. Dies betraf die Webseiten des Belgian Biosafety Server (Belgien), der European Food Safety Authority (EU) und des Robert Koch-Instituts (Deutschland). Neben dem angesprochenen Kreis des Publikums unterscheiden sich die Webseiten jedoch noch in weiteren Dimensionen. Vereinfachend wurden für die Analyse der Webseiten vier Medienformate identifiziert: „Information“, „Selbst-
170
3 Empirische Untersuchungen
darstellung“, „Mobilisierung“ und „Diskussionsforum“.112 Mischformen dieser Kategorien wurden im Rahmen von Mehrfachnennungen ausdrücklich zugelassen (siehe Abbildung 11). Abbildung 11: Ausschöpfung unterschiedlicher Medienformate113 Information 27
25
18
9
Forum
4
17
0
Selbstdarstellung
10
Mobilisierung
112 Das Format „Information“ beinhaltet eine faktenorientierte Berichterstattung zum Thema Genfood. Im Unterschied zur „Selbstdarstellung“ kommt es hierbei nicht darauf an, vorrangig die eigene Arbeit oder Position zu präsentieren. Vielmehr soll dem Nutzer die Möglichkeit geboten werden, seinen Wissensstand zu Genfood zu erweitern. Bei der „Selbstdarstellung“ ist der jeweilige Anbieter bestrebt, die Arbeit und die politischen Positionen seiner Organisation oder Gruppe einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Eine Webseite weist das Format „Mobilisierung“ auf, wenn die dargebotenen Informationen dazu dienen, die Nutzer zu konkreten politischen Handlungen anzuleiten. Hierbei wurde gefordert, dass es sich um konkrete Informationen zu den jeweiligen politischen Handlungen handelt. Dies betrifft beispielsweise die Möglichkeit, online oder offline an einer Unterschriftensammlung teilzunehmen, einen vorformulierten Brief an politische Entscheidungsträger zu senden oder Informationen über anstehende Protestereignisse zu erhalten. Ein „Diskussionsforum“ liegt vor, wenn es den jeweiligen Nutzern möglich ist, auf den Webseiten eigene Beiträge zu veröffentlichen. Diese müssen sich auf die Beiträge anderer Nutzer beziehen. 113 Von 27 Webseiten. Mehrfachnennungen waren möglich.
3.6 Webseitenanalyse
171
Das Format „Information“ ist auf fast allen Webseiten anzutreffen. 25 der 27 Webseiten stellen Informationen über die Genfood-Thematik auch unabhängig von politischen Handlungsaufforderungen und Selbstdarstellungen zur Verfügung. Allerdings konzentrierten sich nur sechs der Anbieter ausschließlich auf das Format „Information“. Die Webseiten der verbleibenden 19 Anbieter nutzten auch die Formate „Selbstdarstellung“, „Mobilisierung“ und „Diskussionsforum“. 17 der 27 Webseiten dienten auch der Selbstdarstellung der Anbieter. Allerdings nahm nur ein Anbieter, nämlich die „European Food Safety Authority“, nicht die Möglichkeit wahr, dieses Format mit anderen Formaten zu verbinden. Deutlich seltener als die vornehmlich darstellenden Formate waren die zu Aktivität anregenden Formate „Mobilisierung“ und „Diskussionsforum“. Immerhin zehn der 27 Webseiten enthielten das Format „Mobilisierung“. Auffällig war, das unterschiedliche Gruppen und Webseiten von Greenpeace allein sechs dieser Webseiten stellten. Die Möglichkeit, auf Webseiten ein Diskussionsforum für unterschiedliche Beiträge von Nutzern einzurichten, wurde nur von vier der untersuchten Webseiten genutzt. Solche Diskussionsforen wurden nur im Rahmen themenspezifischer Internet-Portale angeboten, die gleichzeitig auch andere Formate enthielten. Alle vier Betreiber von Diskussionsforen boten auf ihren Webseiten auch informative Formate an. Zwei nutzten ihren Internet-Auftritt zudem zur Selbstdarstellung. Abbildung 11 zeigt anhand der untersuchten Medienformate zentraler Anbieter, dass das Potential des Internet, politische Handlungen und Stellungnahmen zu stimulieren, kaum ausgeschöpft wird. Stattdessen ähneln die untersuchten Anbieter in dieser Hinsicht den Offline-Medien. Es geht ihnen wie den Zeitungen darum, einem breiten Nutzerkreis Informationen über das Thema Genfood zu vermitteln. Darüber hinaus wird das Medium Internet aber auch genutzt, um die eigene Gruppe oder Organisation in der Öffentlichkeit darzustellen. In Ergänzung zu den Formaten kann auch nach dem Kommunikationsstil der Webseiten gefragt werden, wobei ein agitierender und ein diskursiver Stil unterschieden werden. Zudem kann ermittelt werden, welche Kommunikationsstile die Webseiten insgesamt aufweisen, da hier keine Mehrfachantworten zugelassen wurden. Das Ergebnis steht im Einklang mit der Untersuchung der Formate. 15 Webseiten wiesen einen überwiegend deskriptiven bzw. verlautbarenden Kommunikationsstil auf. Weitere acht waren eher polemisierend und agitatorisch, und nur drei konnten als eher diskursiv eingestuft werden. Während die Formate „Information“ und „Selbstdarstellung“ nur bedingt mit einem deskriptiven Kommunikationsstil einhergingen (acht von 25 bzw. acht von 17), waren neun der zehn Webseiten mit dem Format „Mobilisierung“ überwiegend agitierend oder polemisierend. Das Format „Diskussionsforum“ war hingegen nur in zwei von vier
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3 Empirische Untersuchungen
Fällen mit einem überwiegend diskursiven Kommunikationsstil der Webseite verbunden. Die Hypothesen 2 und 3, die Pluralität bzw. Interaktivität unterstellen, bestätigen sich also für die Frage nach den Medienformaten der Webseiten nicht bzw. nur in geringem Maße. Es überwiegt der Eindruck, dass die Webseiten eher Funktionen der Verlautbarung und Selbstdarstellung haben. 3.6.2.3
Interaktivität der Webseiten
Mit der Verbreitung von Massenmedien, insbesondere industriell hergestellten Druckerzeugnissen, Radio oder Fernsehen, kamen auch Bedenken auf, dass ohnehin bestehende Asymmetrien in der politischen Kommunikation verstärkt würden. Es habe eine Zentralisierung der Position des Senders stattgefunden, die einem politischen Missbrauch Vorschub leiste. So sei der Zugang zu Radiostationen, Fernsehanstalten und Verlagen vorwiegend ressourcenstarken und politisch mächtigen Akteuren vorbehalten. Zweitens gehe kaum eine Kommunikation vonstatten, bei der die Empfänger von Informationen auch leicht zu Sendern werden könnten. Eine symmetrische Interaktion wie beim herkömmlichen Gespräch von Angesicht zu Angesicht sei somit kaum möglich. Mit der Verbreitung des Internet wurde hingegen die Hoffnung verbunden, die Asymmetrien der herkömmlichen Massenmedien abzuschwächen (vgl. Hypothese 3). Theoretisch gesehen kann auf Webseiten mit relativ geringem finanziellen und technischen Aufwand eine große Anzahl unterschiedlichster Akteure gleichzeitig zu Sendern und Empfängern werden (so genannte „many to many“Kommunikation). Mit dieser Möglichkeit schien daher im Internet die erste Asymmetrie, nämlich das Ungleichgewicht weniger Sender und vieler Empfänger, nicht mehr gegeben zu sein. Die zweite Asymmetrie, nämlich das Fehlen hinreichender Möglichkeiten interaktiver Kommunikation, scheint ebenfalls durch die technischen Möglichkeiten der Webseiten überwindbar, indem zum Beispiel Foren für einen OnlineChat bereitgestellt werden. Im Rahmen der Webseitenanalyse kann zumindest die erstgenannte Möglichkeit, die implizit in der Hypothese 3 enthalten ist, näher untersucht werden. Auch wurde im vorangegangenen Abschnitt bereits nach dem grundlegenden Medienformat der Webseiten gefragt. Hierbei wurde eine Webseite als „Diskussionsforum“ eingestuft, wenn sie Räume für eine Vielzahl unterschiedlicher Autoren bot und die unterschiedlichen Positionen miteinander in Bezug standen. Keine zwingende Bedingung war dabei die Verwendung interaktiver Mittel, d.h. eine Webseite konnte auch dann als „Diskussionsforum“ eingestuft werden, wenn – wie z.B. in den Leserbriefspalten der Tageszeitungen üblich – verschie-
3.6 Webseitenanalyse
173
dene Positionen zu einem Thema nach redaktioneller Bearbeitung abgebildet wurden. Wir analysieren daher nun weitergehend potenziell interaktive „many to many“-Kommunikation. Dabei handelt es sich um Webseitenangebote, bei denen jeder Nutzer jedem anderen Nutzer nicht nur eine Mitteilung schicken kann, sondern zudem auch in der Lage ist zu antworten. Diese technischen Angebote werden von den Webseiten-Anbietern meist „Online-Foren“, „chats“, „threads“ oder „blogs“ genannt. Als nicht interaktive „many to many“-Kommunikation werden solche Angebote eingestuft, die es jedem Nutzer (bzw. Empfänger) ermöglichen, einen Beitrag an den Anbieter (bzw. Sender) und gegebenenfalls zusätzlich an einen eingeschränkten Kreis weiterer Akteure zu schicken. Da hier viele Sender, aber nur sehr wenige Empfänger vorliegen, wurde dieses als interaktive „many to one“-Kommunikation codiert. Darunter fallen beispielsweise Online-Formulare oder E-Mail-Adressen, über die jeder Nutzer Fragen an den Webseitenanbieter stellen kann. Auch Online-Postkarten-Aktionen, bei denen jeder Nutzer einen persönlichen Brief an einen politischen Entscheidungsträger verschickt, gehören hierzu.114 Die Unterscheidung zwischen interaktiver „many to many“- und interaktiver „many to one“-Kommunikation ist für die Asymmetrie der Sprecher in herkömmlichen Medien von Interesse. Für die Untersuchung der Interaktivität sind beide Merkmale bedeutend. Die interaktive „many to one“-Kommunikation ist von besonderem Interesse, da sie Interaktivität und Akteurssymmetrie vereint.115 Wie in Abbildung 12 zu erkennen ist, wurde das Potential der interaktiven „many to many“-Kommunikation von fünf der 27 Webseiten genutzt. Dabei handelte es sich um drei Internet-Portale und zwei zivilgesellschaftliche Akteure. Deutlich häufiger, nämlich bei 15 der 27 Webseiten, wurden interaktive „many to one“-Module angeboten. Somit wurden die Möglichkeiten interaktiver Kommunikation nur teilweise ausgeschöpft.
114 Hierbei ist zu beachten, dass diese „many to one“-Interaktionen nicht deshalb erhoben werden, weil eine Kommunikation zwischen dem politischen Entscheidungsträger und dem Nutzer zustande kommt, sondern weil Nutzer und Webseitenanbieter interagieren können. Denn der Nutzer richtet mit seinem Brief an einen Dritten auch eine explizite Botschaft an den Anbieter der Webseite. 115 Die hohe Anzahl von Leserbriefen in den untersuchten Zeitungen zeigt nämlich, dass auch dort eine freilich redaktionell gesteuerte „many to one“-Kommunikation stattfindet. Auch in Radio und Fernsehen kommen vereinzelt Hörer und Zuschauer zu Wort.
174
3 Empirische Untersuchungen
Abbildung 12: Interaktivität der untersuchten Webseiten Nur „many to one“, N = 11
N = 27
Nur „many to many“, N=1
„many to many“ und “many to one”, N = 4
Bezieht man die Überschneidungen zwischen den „many to many“- und „many to one“-Kommunikationen ein, so ergibt sich, dass elf der 27 untersuchten Webseiten keine interaktiven Module anboten. „Many to many“-Module gingen in vier der fünf Fälle auch mit einem Angebot von „many to one“-Modulen einher. Insgesamt wurde also auf 16 der 27 Webseiten dem Nutzer die Möglichkeit gegeben, mit dem Anbieter oder anderen Akteuren zu kommunizieren. Differenziert man zwischen Anbietern, die auf ihren Webseiten Interaktionsmöglichkeiten offerieren und solchen, die dieses nicht tun, zeigt sich lediglich für staatliche Akteure ein deutlicher Unterschied. Während sieben der neun zivilgesellschaftlichen Akteure und fünf der sechs Internetportale interaktive Module anboten, waren dies bei den staatlichen Akteuren nur vier von elf.
3.6.3 Zusammenfassung der Webseitenanalyse Ein großer Teil der untersuchten Anbieter ist als parteilich anzusehen, weil sie ihre Webseiten zur Darstellung der eigenen politischen Positionen nutzten. In dieser Hinsicht bestätigt sich die Hypothese 2. Allerdings wurden auch Webseiten vorgefunden, die zwischen verschiedenen Positionen abwägen oder in ihren Stellungnahmen ambivalent waren. Der Kommunikationsstil war häufiger deskriptiv/verlautbarend als agitierend/polemisierend. Nicht bestätigt werden konn-
3.6 Webseitenanalyse
175
te, dass Webseiten oft zu politischer Mobilisierung genutzt werden. Stattdessen überwiegen informative Angebote oder Formate der Selbstdarstellung. Schließlich bestätigt die Webseitenanalyse teilweise die Hypothese 3 über eine stark verzweigte und interaktive Kommunikation. Interaktive Module waren bei der Mehrheit der untersuchten Webseiten vorhanden. Meist handelt es sich jedoch um Resonanzkanäle, mittels derer Nutzer Botschaften an den jeweiligen Anbieter schicken können. Nur wenige Webseiten waren als „Diskussionsforen“ einzustufen. Webseiten mit interaktiven „many to many“-Modulen waren deutlicher seltener als solche mit interaktiven „many to one“-Möglichkeiten. Das Potenzial interaktiver „many to many“-Kommunikation wurde somit nur teilweise ausgeschöpft. Im Vergleich zu den herkömmlichen Medien ist dies dennoch ein deutlicher Unterschied. Die Ergebnisse der Webseitenanalyse unterscheiden sich somit nicht wesentlich von denen der Textanalyse. Dies ist vor dem Hintergrund unterschiedlicher Untersuchungseinheiten und Erhebungsverfahren in den unterschiedlichen Analyseteilen bemerkenswert.
7050_book.fm Page ii Wednesday, July 12, 2006 3:27 PM
4 Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse 4 Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse
An das Internet wurden in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre überwiegend euphorische Erwartungen gerichtet. Es soll zur breitenwirksamen Information, diskursiven Meinungsbildung und Demokratisierung beitragen. Inzwischen hat mehr Zurückhaltung und Nüchternheit Platz gegriffen. Zwar wird das Internet zunehmend, und insbesondere von der jüngeren Generation, intensiv genutzt. Aber nur ein sehr kleiner Bruchteil der Nutzung bezieht sich auf politische Kommunikation im weitesten Sinne des Wortes.116 Viele derer, die ohnehin politisch interessiert sind und schon von den bisherigen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und Meinungsäußerung Gebrauch gemacht haben, beziehen das Internet als ein zusätzliches und effizientes Medium ein. Andere Gruppen dagegen nutzen das Internet gar nicht oder ausschließlich für Zwecke der Unterhaltung, der privaten E-Mail-Kommunikation oder des Konsums. Für politisch interessierte und mit seinem Umgang versierte Personen bietet das Internet aufgrund seiner technischen Eigenschaften die allseits bekannten Vorteile, mit denen jedoch auch eine Kehrseite verbunden ist. Das Internet gleicht aufgrund seiner schieren Größe, Verzweigtheit und Unübersichtlichkeit einem riesigen Dschungel, neben dem sich herkömmliche Medien – Zeitungen, Radio und Fernsehen – wie penibel geordnete Kleingärten ausnehmen. Allerdings erlauben es leistungsfähige Suchmaschinen, in diesen Dschungel rasch und gezielt einzudringen. Dadurch können einzelne Angebote auch ohne Kenntnis der URL-Adresse in Sekunden ausfindig gemacht werden, sofern deren spezifische Eigenschaften dem Suchenden bekannt sind bzw. die geeigneten Suchbegriffe gewählt werden. Prinzipiell bleiben jedoch die Zahl der Angebote, ihre komplexen Verbindungen untereinander und damit auch die Struktur des Dschungels im Dunkeln. Das bedeutet auch, dass themenorientierte Kommunikationsflüsse und Diskurse im Internet, ganz zu schweigen vom Universum aller dort stattfindenden Kommunikationen, immer nur in kleinen Ausschnitten sichtbar werden. Wenn also selbst thematisch relativ klar abgrenzbare Diskurse wie die hier untersuchte Debatte zum Thema Genfood nur partiell sichtbar werden, ist es 116
Neben den schon in der Einleitung erwähnten Hinweisen zeigt die Studie von Emmer/Vowe (2004) der Internetnutzer in Kassel und Erfurt, dass 90 Prozent der Befragten weniger als 5 Prozent ihrer Onlinezeit für politische Aktivitäten nutzten.
178
4 Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse
umso wichtiger, den gesuchten Ausschnitt aus dem Universum der InternetKommunikation anhand von wohl überlegten und transparenten Kriterien zu wählen. Dabei haben wir uns von dem üblichen Verhalten eines neugierigen, aber nicht unbedingt technisch versierten und thematisch spezialisierten InternetNutzers leiten lassen. Ein solcher Nutzer wird die für ihn nahe liegenden Stichworte aufgreifen und in die weitaus gebräuchlichste Suchmaschine Google eingeben. Anhand von Ergebnislisten, die von dieser Suchmaschine produziert wurden, wird der Nutzer einzelne oder alle der weit oben platzierten WebAdressen konsultieren. Dieses Verfahren haben wir in exakt dokumentierten Schritten imitiert, um auf diesem Wege eine Teilmenge von Webseiten, Texten und Links zum Thema Genfood auszuwählen und zu analysieren. Da die möglichen Besonderheiten des Internet erst im Vergleich mit anderen Medien sichtbar und nachvollziehbar werden, erstreckte sich unsere Analyse auch auf den Diskurs zu Genfood in ausgewählten Tageszeitungen.
4.1 Zu den Untersuchungshypothesen 4.1 Zu den Untersuchungshypothesen Leitend für die gesamte Untersuchung waren vier Hypothesen zu den Besonderheiten des Internet, die hier nochmals wiedergegeben werden. 1.
2.
3. 4.
Diskurse im Internet zeichnen sich dadurch aus, das sie eine größere Bandbreite von Sprechern bzw. Akteuren einschließen sowie einen höheren Anteil kleiner und ressourcenschwacher Akteure aufweisen. In diesem Sinne begünstigen sie – relativ zu Diskursen in Zeitungen – in stärkerem Maße die zivilgesellschaftlichen Akteure der „politischen Peripherie“. Diskurse im Internet enthalten in ihrer Gesamtheit ein breiteres argumentatives Spektrum. Allerdings sind die einzelnen Texte aufgrund weitgehend abwesender journalistischer Kriterien und Kontrollen stärker parteilich und repräsentieren somit auch weniger die Argumente der jeweiligen Gegenseite. Entsprechend enthalten sie auch mehr Elemente, die auf Mobilisierungen ausgerichtet sind (z.B. Protestaufrufe). Diskurse im Internet weisen eine stärker interaktive, verzweigte und dezentrale Kommunikationsstruktur auf. Diskurse im Internet zeichnen sich durch einen höheren Grad an grenzüberschreitender Information und Kommunikation aus.
Diese Hypothesen sowie eine Reihe spezifischerer Annahmen wurden am Beispiel des deutschsprachigen Diskurses zu Genfood mittels dreier methodisch getrennter Zugänge untersucht, nämlich der Inhaltsanalyse von „relevanten“ Texten
4.1 Zu den Untersuchungshypothesen
179
im Internet und in Tageszeitungen sowie – ausschließlich auf das Internet bezogen – der Hyperlinkanalyse und der Webseitenanalyse. Mit diesem Vorgehen, das teilweise dem methodischen Ideal der Hypothesenprüfung durch mehrere und getrennte Verfahren bzw. Quellen („Triangulation“) entspricht, glauben wir auch in methodischer Sicht die Forschung vorangetrieben zu haben. Bezogen auf die Untersuchungshypothesen lassen sich verallgemeinernd – unter Vernachlässigung vieler interessanter Einzelbefunde – folgende Ergebnisse festhalten: 1.
2.
Das Spektrum der am Genfood-Diskurs beteiligten deutschsprachigen Akteure ist im Internet durchaus breit. Insbesondere sind zivilgesellschaftliche Akteure in Relation zu staatlichen Akteuren als Anbieter von Informationen im Internet stärker präsent. Allerdings überwiegen, wie bei den konventionellen Medien, auch im Internet die eher gut organisierten und größeren Akteure gegenüber informellen und eher ressourcenschwachen Akteuren. Das Spektrum der Sprecher bzw. Handelnden (im Gegensatz zu den Anbietern) unterscheidet sich dagegen im Internet nicht wesentlich von dem in Zeitungen. Die erste Hypothese wird also nur teilweise bestätigt. Neben der Bandbreite von Texttypen ist auch das argumentative Spektrum zum Genfood-Diskurs – insbesondere bei einer Reihe von Unterthemen – im Internet breiter als in Tageszeitungen. Allerdings erschließt sich dieses Spektrum im Internet erst durch die Zusammenschau voneinander unabhängiger oder nur durch Links verbundener Texte. Diese Links beziehen sich nicht nur auf Akteure mit ähnlicher Haltung zu Genfood, sondern auch auf gegenteilige Positionen. Dies gilt jedoch in geringerem Maße für die Gegner von Genfood. Hingegen tendieren Tageszeitungen eher dazu, das Für und Wider von Genfood innerhalb ihrer jeweiligen Berichte bzw. Artikel abzuhandeln. Tageszeitungen entsprechen somit eher der journalistischen Norm einer distanzierten und ausgewogenen Berichterstattung, während sich im Internet mehr parteiliche Akteure mit ihren jeweiligen Positionen in authentischer Form präsentieren. Dies legt den Schluss nahe, dass das diskursive Element mit seiner Bezugnahme von Akteuren und Argumenten aufeinander im Internet schwächer ausgebildet ist. Eher als Zeitungen ist das Internet somit ein Medium von Selbstdarstellungen, Verlautbarungen und agitatorischen Texten, die zudem keiner (externen) Kontrolle unterliegen. Allerdings fanden sich auch im Internet relativ wenige Texte, die ausdrücklich zu Handlungen bzw. Kampagnen aufriefen. Dies stützt die Vermutung, dass das Internet als Medium politischer Mobilisierung zumeist überschätzt wird (Rheingold 1993; Schönberger 2004; kritisch dagegen Rucht 2005). Auf welche Akteure und Texte ein Nutzer des Internet trifft, ist in hohem Maße von den gewählten Suchbegriffen und der nachfolgenden
180
3.
4 Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse Entscheidung abhängig, innerhalb einer Ergebnisliste nur bestimmte Webseiten aufzurufen. Somit verleitet das Internet vermutlich stärker als die Lektüre von Zeitungen oder die Wahrnehmung von Nachrichten im Radio oder Fernsehen dazu, nur ganz bestimmte Ausschnitte des Spektrums von Akteuren, Positionen und Argumenten zu wählen, andere dagegen völlig auszublenden. In diesem Sinne verstärkt vermutlich das Internet den ohnehin stattfindenden Prozess einer Fragmentierung politischer Öffentlichkeit in eine Vielzahl von Teilöffentlichkeiten, an die nur spezifische Publika angeschlossen sind. Auch dürfte das Internet eher als herkömmliche Massenmedien dazu beitragen, bestehende Positionen zu Streitfragen zu verfestigen und abwägende bzw. vermittelnde Positionen in den Hintergrund zu drängen. Die Möglichkeiten des Internet für interaktive Kommunikation im Sinne von „many to many“ werden – gemessen an gängigen Behauptungen und Vermutungen – eher selten angeboten und vermutlich noch seltener genutzt. Auch im Internet dominieren Kommunikationsflüsse nach dem Muster von „one to many“. Im Vergleich zu herkömmlichen Massenmedien ist allerdings die interaktive Qualität des Internet deutlich höher zu veranschlagen. Mehr Kommunikationsteilnehmer können und werden sich auch aktiv einschalten. Anders als in Zeitungen, die Themen und Sprecher rigoros selektieren, stehen im Internet die Angebote großer und mächtiger Akteure gleichermaßen neben denen von kleinen und machtlosen Akteuren. Die damit scheinbar gegebene Gleichheit auf der Angebotsseite wird jedoch dadurch unterlaufen, dass am Ende primär die ohnehin schon bekannten Akteure eine hohe Sichtbarkeit im Netz erlangen. Dies geschieht sowohl aufgrund der Wahrnehmungen der Nutzer, die durch herkömmliche Medien geprägt sind, als auch durch die Heranziehung von Suchmaschinen, die auf mehrfache Weise, vor allem aufgrund der Häufigkeit der Aufrufe und der Zahl von Links zu bestimmten Adressen, die Prominenz der Anbieter honorieren. Obgleich also der Adressatenkreis, den große wie kleine Anbieter im Internet ansprechen wollen, theoretisch eine riesige Zahl von Menschen einschließt, dürfte es faktisch wohl so sein, dass die Angebote insbesondere der kleinen Akteure nur relativ wenige Adressaten erreichen. Zudem ist zu vermuten, dass wichtige Adressaten („Meinungsmacher“, politische Entscheidungsträger) sich nach wie vor eher an herkömmlichen Medien als am Internet orientieren. Das Ausmaß, in dem sich Internet und Zeitungen aufeinander beziehen, bildete für uns keinen zentralen Untersuchungsgegenstand, wird aber doch anhand einiger Indikatoren sichtbar. Beide Mediengattungen stellen keine für sich geschlossenen Welten dar. In Zeitungsartikeln wird gelegentlich auf In-
4.2 Reflexionen zur Methode und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse
4.
181
formationsangebote im Netz verwiesen; umgekehrt finden sich im Netz nicht nur Artikel bzw. Dokumente aus herkömmlichen Medien, sondern sind auch Medienakteure in nennenswertem Maße mit eigenen Webauftritten und – außerhalb unseres Untersuchungsgegenstandes – mit eigenen Online-Redaktionen (wie z.B. www.spiegel.de) vertreten. In deutscher Sprache auftretende Sprecher aus dem Ausland, obgleich absolut in der Minderheit, sind im Internet mit einem doppelt so hohen Anteil wie in Zeitungen vertreten. Noch stärker ist diese Kluft zwischen Internet und Zeitungen bei den Unterthemen zu Genfood. Bei den Hyperlinks, für die es naturgemäß bei den Zeitungen kein Pendant gibt, bestätigt sich die über das eigene Land hinausgehende Orientierung. Ein großer Teil der verlinkten Webseiten wird von ausländischen und internationalen Akteuren betrieben.
Zusammenfassend ergibt sich somit auf Basis unterschiedlicher Zugänge und Materialien eine nur teilweise Bestätigung der ersten, eine tendenzielle Bestätigung der zweiten und dritten sowie eine deutliche Bestätigung der vierten Hypothese. Jedoch fallen die empirischen Belege für die drei ersten, zumeist im Mittelpunkt der Diskussion stehenden Hypothesen weitaus schwächer und gebrochener aus, als es die einschlägige Literatur und zumal politisch aktive Gruppen nahe legen.
4.2 Reflexionen zur Methode und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse 4.2 Reflexionen zur Methode und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse Bei unserem Fazit gilt es zu berücksichtigen, dass wir bei allen drei methodischen Zugängen – Inhaltsanalyse, Hyperlinkanalyse und Webseitenanalyse – die im Internet sichtbaren Texte mittels der Suchmaschine Google und weiterer Prozeduren ausgewählt haben. Im Sinne des beschriebenen Verfahrens wurde also bewusst keine Zufallsstichprobe aller im Internet verfügbarer Texte zu Genfood zugrunde gelegt. Eine solche Stichprobe hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine größere Bandbreite von Sprechern, Themen und Argumenten zutage gefördert und damit im Einklang mit den Untersuchungshypothesen den Unterschied zwischen Internet und Zeitungen viel deutlicher hervortreten lassen. Damit wäre jedoch nicht der Kommunikationsraum erfasst worden, wie er durch den durchschnittlichen Internet-Nutzer erschlossen wird. Dieser Nutzer wird kaum jene Texte aufsuchen, die in der Hierarchie der Suchergebnisse weit hinten aufgelistet sind. Man bedenke, dass allein die Eingabe des Stichwortes „genfood“ in die Suchmaschine Google rund 270.000 Treffer erzielt (11. Juli 2006). Wir haben
182
4 Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse
also mit unserem Vorgehen keinen methodischen Artefakt erzeugt, sondern vielmehr den tatsächlich überwiegend genutzten Kommunikationsraum zum Thema Genfood untersucht. Dieser Raum, und nicht der theoretisch verfügbare aber praktisch nie erschlossene Raum, ist für die Mehrheit der Nutzer maßgeblich (siehe auch Gerhards/Schäfer 2006: 78f.). Dies wird in vielen euphorischen Annahmen über die Qualität des Internet verkannt, die sich lediglich auf theoretische Potentiale des Internet beziehen (so tendenziell Kettner 2004). Lassen sich unsere Ergebnisse – über das Thema Genfood hinausgehend – verallgemeinern? Obgleich wir einen Risikodiskurs herangezogen haben, der beispielsweise einen relativ hohen Bedarf an Sachinformation mit sich bringt, sehen wir a priori keinen Grund zu der Annahme, dass wir ein Thema untersucht haben, das wegen des beteiligten Akteursspektrums oder aus anderen Gründen als Sonder- oder Ausnahmefall zu gelten hat, was seine medienspezifischen Kommunikationsstrukturen angeht. Mit anderen Worten: In ihrer Tendenz ähnliche Befunde dürften auch zu erwarten sein, wenn ein anderes Thema, etwa der Diskurs um das Zuwanderungsgesetz oder eine sonstige aktuelle politische Streitfrage, gewählt worden wäre. Diese Annahme ist freilich spekulativ und ließe sich nur durch weitere Untersuchungen von Diskursen zu unterschiedlichen Materien (z.B. Konflikte zu Verteilungsfragen, moralischen Fragen und rechtlich-institutionellen Fragen) prüfen. Auch ist anzunehmen, dass der Anteil ausländischer Anbieter stark von der Art des Themas und der Ansiedelung der Regulierungskompetenz (z.B. EU oder nationale Regierung) abhängt. Insofern liefert unsere Untersuchung auch keine abschließenden Ergebnisse, sondern stützt bzw. relativiert lediglich allgemeine und bislang kaum untersuchte Annahmen anhand eines kleinen Untersuchungsfeldes. Unser methodisches Vorgehen orientierte sich an einer Internetstudie, die innerhalb des Europub-Projekts in den Jahren 2002 und 2003 durchgeführt wurde, und entwickelte das Untersuchungsdesign weiter (vgl. Abschnitt 1.2). Die Fragestellung innerhalb des Europub-Projekts richtete sich in erster Linie auf das politische Potential des Internet, einen transnationalen europäischen Kommunikationsraum zu eröffnen (vgl. Zimmermann/Koopmans 2003; Zimmermann; Koopmans; Schlecht 2004; Europub 2005). Hierbei wurde ebenfalls zwischen Kommunikationsräumen unterschieden, die durch Suchmaschinen entstehen und solchen, die durch Hyperlinks strukturiert werden. Im Gegensatz zu unserer Untersuchung wurden die jeweiligen Kommunikationsräume in unterschiedlichen Ländern und verschiedenen Politikfeldern miteinander verglichen.117 117 Die Studie umfasste Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Schweiz und Spanien. In der Suchmaschinenanalyse wurden die Politikfelder EU-Integration, Geld-, Agrar-, Immigrationspolitik, Truppenstationierung, Renten- sowie Bildungspolitik untersucht. Pro Politikbereich wurden ein allgemeiner und ein spezifischer Suchbegriff verwendet.
4.2 Reflexionen zur Methode und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse
183
Der Hyperlinkanalyse, die im Europub-Projekt durchgeführt wurde, lag ein anderes methodisches Vorgehen zugrunde als in der vorliegenden Studie. Dort wurden in den Untersuchungsländern die wichtigsten politischen Akteure in drei Politikbereichen und aus vier Akteursgruppen nach festgelegten Kriterien selektiert.118 Zusätzlich wurden transnationale europäische und nicht-europäische Akteure in die Stichprobe einbezogen. Die Untersuchungsbasis bildeten nur die Hyperlinks, die zwischen den Webseiten der ausgewählten Akteure angeboten wurden. Bei der Inhaltsanalyse von Texten, die über Suchmaschinen und Zeitungen gefunden wurden, sind die Ergebnisse des Europub-Projekts unseren Befunden ähnlich. Auch im Europub-Projekt zeigte sich, dass andere Anbieter außer den Medienakteuren im Internet Sichtbarkeit zu erlangen vermochten. Die wichtigsten Anbieter blieben jedoch weiterhin die Medienakteure. Auf der Ebene der Sprecher waren die Unterschiede zwischen Internet und Zeitungen sehr gering ausgeprägt, wiesen tendenziell allerdings in eine andere Richtung als bei unserer Untersuchung: Zivilgesellschaftliche Akteure waren im Internet etwas häufiger vertreten als in den Zeitungen. Europäisierte transnationale Kommunikationsbezüge waren hingegen online nicht stärker ausgeprägt als in den Zeitungen. Die Unterschiede zwischen Internet und Zeitungen waren gering, wenn jeweils die Befunde für einzelne Länder und Politikfelder verglichen werden. Die Hyperlink-Analyse im Europub-Projekt ergab ebenso wie unser Projekt, dass die Mehrzahl der Hyperlinks zu Akteuren aus dem eigenen Land verwies. Zusätzlich wurde der Grad an Europäisierung des Hyperlinkverhaltens untersucht. Dabei wurde zwischen vertikaler und horizontaler Europäisierung unterschieden. Eine vertikale Europäisiertheit bezieht sich auf Hyperlinkverweise zwischen nationalen Akteuren und supranationalen EU-Akteuren. Eine horizontale Europäisierung ergibt sich aus Verweisen zwischen nationalen Akteuren aus verschiedenen EU-Mitgliedsländern. Im Europub-Projekt konnte eine deutliche vertikale Europäisierung festgestellt werden, jedoch waren kaum Tendenzen einer horizontalen Europäisierung zu beobachten. „Summing up our main conclusion then, hyperlink structures among websites facilitate access to and exchange with the supranational level, but the Internet does not nearly to the same extent fulfill its promise of being a transnational communicative space.” (Europub 2005: 48) In der Studie von Gerhards/Schäfer (2006) zur Darstellung der Humangenomforschung in den USA und Deutschland wurde in erster Linie die Tagespresse analysiert, aber in kleinerem Rahmen auch das Internet berücksichtigt. Die Suchstrategie für Beiträge im Internet war ähnlich der unseren, wobei allerdings 118
Die Politikfelder waren EU Integration, Agrarpolitik und Immigrationspolitik. Die Akteursgruppen umfassten: staatliche Akteure und Parteien, sozioökonomische Interessengruppen, zivilgesellschaftiche Akteure und Medien.
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4 Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse
pro Land drei Suchmaschinen herangezogen wurden. Aufgrund des speziellen Untersuchungsgegenstands ist es nicht überraschend, dass in beiden Ländern die Wissenschaft als wichtigster Anbieter von Internetseiten auftrat, wenngleich in erheblich höherem Maße in den USA (62,3 %) als in Deutschland (31,3 %). Auch war in den USA der Anteil politischer Institutionen höher (18,2 vs. 7,5 %), dagegen der Anteil der Zivilgesellschaft (1,3 vs. 13,4 %) und der externen Journalisten (13,0 vs. 37,3 %) weitaus geringer. Zusammenfassend folgern die Autoren, „dass im Internet ein breiteres Akteursspektrum zu Wort kommt als in den Printmedien und dass die professionalisierten Akteure die Debatte in geringerem Maße beherrschen“ (2006: 162). Diese Folgerung steht im Einklang mit unseren Ergebnissen. Eine an der Universität Hamburg durchgeführte Untersuchung zur „Regulierung der ‚grünen Gentechnik’“ in fünf deutschen Tageszeitungen vom Mai 2003 bis April 2004 bestätigt den relativ hohen Anteil von Sprechern aus Staat und Politik (36,6 %) im Vergleich zu Verbänden (22,8 %), Medien (20,6 %), Einzelakteuren (7,0 %), Wirtschaft (5,5 %) und einer Reihe weiterer Akteure (Feindt et al. 2005: 9). Ingesamt überwogen, deutlicher als in unserer Untersuchung von Zeitungsartikeln, die ablehnenden Stellungnahmen (55,8 %) gegenüber den zustimmenden Stellungnahmen (47,2 %) zur Gentechnik. Das Internet wurde in dieser Studie nicht berücksichtigt. Wie schont betont: Es bedarf weiterer Vergleiche zwischen herkömmlichen Medien und dem Internet, um zu klären, ob die von uns festgestellten Unterschiede zwischen diesen Mediengattungen lediglich für das gewählte Thema innerhalb des untersuchten Zeitraums zutreffen oder, wie wir vermuten, ein allgemeineres Muster zeigen.
5 Fazit 5 Fazit
Auch wenn wir nur einen kleinen Ausschnitt für unsere Studie gewählt haben, so lassen sich doch, gestützt auch durch Befunde anderer Untersuchungen, einige verallgemeinernde Feststellungen treffen: Als Medium der politischen Kommunikation bietet das Internet wohl vor allem denen Vorteile, die genau wissen, was sie suchen bzw. die einen bereits bestehenden Kreis von Kommunikationsteilnehmern ansprechen wollen. Entgegen verbreiteter Behauptungen (z.B. Léon/ Burch/Tamayo 2001) dürfte das Internet als Medium der politischen Mobilisierung nur eine geringe Bedeutung haben. Zwar nutzen politisch Motivierte und Engagierte das Internet als eine Informationsquelle für anstehende Proteste und Kampagnen, doch hat die Überzeugungsarbeit dafür in der Regel außerhalb des Internet (im Freundeskreis, bei Treffen von Gruppen und Organisationen) stattgefunden. Es steht also nicht zu vermuten, dass das Internet die politische Kommunikation revolutionieren und die relative Reichweite und Bedeutung herkömmlicher Medien reduzieren wird. „The Internet is a supplement to political discourse, not a gigantic paradigm shift.“ (Hill/Hughes 1998: 177) Es stellt gewiss eine bedeutsame Erweiterung des politischen Kommunikationsraumes dar, die bestehende Asymmetrien etwas abschwächen, aber keinesfalls beseitigen kann (Grunwald et al. 2005). So folgert auch Siedschlag (2004: 80): „Herkömmliche Massenmedien behalten die Agenda-Setting-Macht auch für die netzgestützte Kommunikation.“ Bei einer Bewertung des Internet im Vergleich zu herkömmlichen Medien ist weiterhin zu bedenken, dass es einen stärker fragmentierten Kommunikationsraum darstellt, da konträre Positionen seltener innerhalb eines Beitrags auftauchen und zudem seltener gegeneinander abgewogen werden. Als ein Medium der Deliberation ist das Internet zwar theoretisch geeignet, wird aber in diesem Sinne wohl nur spärlich genutzt. Ein Blick auf Diskussionsforen und Chat-Räume, die hier nicht untersucht wurden, würde zeigen, dass von diesen Möglichkeiten nur relativ wenige Menschen, darunter aber einige mit einer hohen Zahl von Beiträgen, Gebrauch machen (siehe Ward/Gibson/Lusoli 2003). Schließlich hat das Internet weitere, bislang nur wenig beachtete Nachteile. Es verstärkt die Zersplitterung politischer Öffentlichkeit in voneinander weitgehend unabhängige Teilöffentlichkeiten. Zudem unterliegen viele Informationsund Diskussionsbeiträge im Internet keinerlei Qualitätskontrolle, sodass sich ihre Seriosität und ihr Wahrheitsgehalt schwer abschätzen lassen. Damit stehen den
186
5 Fazit
erwähnten demokratietheoretisch wünschbaren Effekten des Internet auch unerwünschte Effekte gegenüber, die sich jedoch in ihrem Gewicht kaum bestimmen lassen. Es gilt nochmals zu betonen, dass politische Kommunikation nur einen winzigen Bruchteil der webgestützten Kommunikation ausmacht und vor allem diejenigen einbezieht, die ohnehin politisch interessiert und aktiv sind. Als Mittel der politischen Kommunikation bietet das Internet einige Vorteile aus der Sicht interessierter Bürgerinnen und Bürger, wird aber in seiner Bedeutung als Medium zur Aktivierung der Bürgerschaft und zur Demokratisierung von politischen Diskursen überschätzt.
Anhang A: Auswahl der Suchbegriffe Anhang A: Auswahl der Suchbegriffe
Nach mehreren Tests wurde ein Verfahren zur Festlegung einschlägiger Suchbegriffe entwickelt, um diese Begriffe dann in Google einzugeben. Der erste Schritt bestand in der Eingrenzung des als relevant erachteten semantischen Raums zum Thema Genfood. Dieser wurde bestimmt als das Spektrum der Themen, die die semantischen Konzepte (nicht speziell die Begriffe!) „genetisch verändert“ und „Lebensmittel“ enthalten. Hierzu steht eine unüberschaubare Menge an Wortkombinationen bereit, die nur einen zusammengesetzten Begriff enthalten können (wie z.B. Genfood), sich potentiell aber auch über mehrere Sätze erstrecken mögen. Aus praktischen Gründen ist somit die Eingrenzung aus einer Fülle möglicher und semantisch einschlägiger Suchwortkombinationen unabweisbar. Ausgeschlossen wurde sowohl eine Reihe allgemeiner als auch spezifischer Begriffe zur Umschreibung von Genfood. Relativ allgemein sind z.B. die in manchen Definitionen enthaltenen Wörter wie Produkte, Organismen, DNA, Pflanzen und Tiere, da sie nicht per se auf den Sachzusammenhang Genfood verweisen oder im Kontext sonstiger Begriffe andere Bedeutungshorizonte eröffnen (z.B. genetischer Vaterschaftstest). Spezifischere Begriffe oder Wortgruppen wie „Soja-Lecithin aus dem Labor“, „Gen-Mais“ oder „Marker-Gene einbringen“ wurden ebenfalls ausgeschlossen, da sie in der Regel nur das Suchverhalten von Experten leiten, nicht aber den allgemeineren Informationsbedarf von politisch interessierten Laien zum Thema Genfood.119 Somit wurden für die Suche nur die Begriffe „genetisch verändert“ und „Lebensmittel“ und deren Synonyme verwendet. Für den Begriff „Lebensmittel“ wurde ein Thesaurus zu Rate gezogen. Für die Kategorie „genetisch verändert“ wurden in Ermangelung aktueller Lexika alle Suchwörter berücksichtigt, die im deutschen Sprachraum als verständlich und relativ verbreitet erachtet wurden. Aus der hieraus resultierenden Liste wurden dann Wörter ausgeschlossen, die in Google – in Kombination mit dem sehr allgemeinen Wort „genetisch“ – kaum nennenswerte oder sogar irreführende Ergebnisse erbrachten.120 Ausgeschlossen 119
Beispiel: „Wo kann ich den genmanipulierten Schokoriegel Butterfinger kaufen?“ oder „Das genetisch veränderte Soja Lecithin hat neuartige chemische Eigenschaften...“ 120 Ein Beispiel hierfür ist „Gericht“ als Synonym für Lebensmittel (und in diesem Sinne Homonym für „Gericht“ im juristischen Sinne), das zusammen mit „genetisch“ vor allem zu Texten über Gerichtsurteile führte; ein anderes Beispiel ist das Synonym „Speise“, das als veralteter Begriff kaum nennenswerte Ergebnisse zeitigte.
188
Anhang A: Auswahl der Suchbegriffe
wurden weiterhin alle Flexionen (außer Erweiterungen des Nominativs) und alle Verbformen wie „genetisch manipulieren“ oder „verzehren“, denn sie markieren weder inhaltliche Unterschiede zu den gewählten grammatikalischen Varianten noch liegt ihre Verwendung als Suchbegriffe nahe. Neben Flexionen wurden schließlich alle Bindestrich-Kombinationen ausgeschlossen. So wurde nur nach Genfood, nicht aber nach gen-food gesucht. Welcher Nominativ Verwendung fand, wurde von dem beigeordneten Substantiv abhängig gemacht (Beispiel: „genmanipuliertes Essen“, „genmanipulierte Nahrung“. Es wurde nur eine Flexion der kürzesten Form (genmanipuliert) verwendet. Die Tabelle 39 enthält die nach diesen Schritten verbleibenden Stichworte, aus denen sich verschiedene Kombinationen für Suchbegriffe ergeben.121 Die bisherige Eingrenzung, der logische Argumente wie auch Plausibilitätsgesichtspunkte zugrunde liegen, wurde in einem weiteren Schritt durch das empirische Suchverhalten von Internet-Nutzern verengt, die sich Google bedienen. Daraus ergab sich erstens der Hinweis, längere Wortreihen wie z.B. „Konsum gentechnisch veränderter Produkte“ auszuschließen, da sie (1) keinen semantischen Unterschied zu ein- oder zweiteiligen Wortreihen bezeichnen und (2) in dieser Verbindung als Suchbegriffe kaum Verwendung finden. Letzteres bestätigt die monatliche Veröffentlichung der zehn meistbenutzten Suchwortkombinationen von April 2003 bis März 2004 in Google (Google Zeitgeist 2004, siehe Fußnote 122). Unter den 120 Suchwortkombinationen befanden sich wenige dreiteilige und zweiteilige Suchwortkombination. Diese waren überwiegend Eigennamen (zum Beispiel „Der Herr der Ringe“) und keine Begriffe oder Sachwörter. Die einzigen zweiteiligen Begriffe unter den 120 Ergebnissen, die keine Eigennamen (wie z.B.: „Stiftung Warentest“) darstellten, waren „IQ Test“ und „Mitfahrzentrale“. Somit wurde nur ein kleiner Teil der möglichen dreiteiligen Suchwortkombinationen einbezogen, während längere Umschreibungen wie „Konsum genetisch veränderter Produkte“ a priori ausgeschlossen wurden.
121
So wurden alle gültigen Flexionen, Kombinationen und Kombinationen von Flexionen der in den Zeilen angegebenen Wörter einbezogen.
Anhang A: Auswahl der Suchbegriffe Tabelle 39: Suchwortliste Suchwort Kategorie: genetisch verändert genetisch behandelt/e/s genetisch manipuliert/e/s genetisch modifiziert/e/s genetisch verändert/e/s gentechnisch behandelt/e/s gentechnisch manipuliert/e/s gentechnisch modifiziert/e/s gentechnisch verändert/e/s genbehandelt/e/s genmanipuliert/e/s genmodifiziert/e/s genverändert/e/s Kategorie: Lebensmittel Essen Lebensmittel Nahrung Nahrungsmittel Kategorien: Lebensmittel und genetisch verändert Genfood Genlebensmittel Gennahrung Gennahrungsmittel
189
190 Übersicht:
Anhang A: Auswahl der Suchbegriffe Die häufigsten Eingaben in Google von April 2003 bis März 2004122
2 fast 2 Furious - ADAC - air - aldi - antivir - Aquarium - arbeitsamt - berlin Bewerbung - Beyblade - big brother - billigflüge - blumen - BMW - chinese new year 2004 - christian ditfurth - deutsche bahn - Diddl - dido - elektroheizung Eminem - fernsehprogramm - ferrari - feuerwehr - findet nemo - frisuren - Garten - Gebrauchtwagen - Gedichte - germanwings - halloween - Heidi Klum heizung - hellsing - herr der ringe - Hochzeitssprüche - Horoskop - IAA - iq test - jeanette biedermann - Jobsuche - karneval - klimageräte - Kochrezepte - lotto loveparade - manga - Mars - Matrix - Metallica – Mitfahrzentrale - Muttertag nasa - neckermann - nikolaus - oktoberfest - orlando bloom - das örtliche - Osterhase - ostern - paris hilton - Picasso - preisvergleich - rasmus - reisen - robbie williams - routenplaner - Ryanair - SARS - schwangerschaft - Smallville - songtexte - Sonne - spiele - stiftung warentest - tatoo - tchibo - telefonbuch - terminator 3 - tour de france - urlaub - weihnachten - wetter - winterreifen - witze - wörterbuch - yu-gi-oh Aus den möglichen Kombinationen der Wortliste in Tabelle 39 wurden am Ende nur wenige Kombinationen nach folgendem Verfahren ausgewählt: Da den meisten Suchoperationen offenbar einteilige und zweiteilige Begriffe zugrunde liegen, wurde der Übersichtlichkeit halber eine Gruppe mit ein- bis zweiteiligen und eine Gruppe mit dreiteiligen Suchwörtern gebildet. Anschließend ermittelten wir die Häufigkeit der Eingabe durch alle Google-Nutzer, indem für jede Suchwortkombination eine Online-Abfrage bei Google-Adwords durchgeführt wurde.123
122
Siehe Google-Zeitgeist (http://www.google.com/press/zeitgeist/archive.html). Dargestellt sind jeweils die monatlichen Top Ten aus diesem Zeitraum. 123 Google-Adwords (https://adwords.google.com/select/) ist ein Online-Angebot von Google, das Werbekunden dient. Diese können mittels einer Online-Abfrage ermitteln, welche Suchwortkombinationen häufig von den Google-Nutzern verwendet werden. Dadurch können Werbekunden entscheiden, auf welche Suchwortkombinationen Werbeanzeigen geschaltet werden sollten, um die meisten Nutzer zu erreichen.
Anhang A: Auswahl der Suchbegriffe
191
Tabelle 40: Auswahl der Suchwortkombinationen zum Thema Genfood GoogleAdwords Klicks pro Tag
GoogleErgebnisse insgesamt
Relevante Einträge unter den ersten zehn GoogleErgebnissen
genfood
2,7
52100
10
genmanipulierte
1,8
18600
10
gentechnisch veränderte
1,0
48700
10
genmanipulierte lebensmittel
0,7
9710
10
genveränderte
0,6
3990
6
genetisch veränderte
0,5
22500
8
genmanipuliert
0,3
3420
6
gentechnisch verändert
0,3
18100
6
genmanipulierte nahrung
0,2
3130
10
genmanipulierte nahrungsmittel
0,1
2920
10
genmanipuliertes essen
0,1
731
10
genverändert
0,1
311
9
Tabelle 40 zeigt, dass einschlägig interessierte Nutzer eindeutig den Begriff Genfood bevorzugen. Zudem werden die Wörter „genmanipulierte“ und „gentechnisch veränderte“ häufiger verwendet als die in Gesetzestexten übliche Wendung „genetisch veränderte“. Aufgelistet wurden hier nur die häufigsten zwölf Suchwortkombinationen, da Google-Adwords unterhalb von 0,1 Klicks pro Tag124 keine genauen Angaben mehr über die Nutzungshäufigkeit macht. Die restlichen Suchwortkombinationen (vgl. Tabelle 39) rangierten also gemäß Google-Adwords unterhalb der Schwelle von 0,1 Klicks pro Tag. Erwartungsgemäß erreichten die dreiteiligen Suchwörter keine Platzierung in der obigen Liste. Aus der in Tabelle 39 enthaltenen Suchwortliste wurden aufgrund des Indikators „Klicks pro Tag“ die ersten sechs Suchwortkombinationen für die Identifikation potentiell relevanter Texte ausgewählt: „Genfood“, „genmanipulierte“, „gentechnisch veränderte“, „genmanipulierte lebensmittel“, „genveränderte“, „genetisch 124
Der Indikator „Klicks pro Tag“ ist eine Schätzung über die Anzahl der Nutzer, die mit der jeweiligen Suchwortkombination in Google gesucht und anschließend auf einen gesponsorten Link geklickt haben.
192
Anhang A: Auswahl der Suchbegriffe
veränderte“. Diese sechs Suchwörter wurden nur bei der Internet-Analyse zugrunde gelegt. Bei der Zeitungsanalyse legten wir ebenfalls das durchschnittliche Leseverhalten zugrunde. Daher wurde auf eine Einschränkung durch Suchwortkombinationen verzichtet. Stattdessen wurden alle Artikel nach relevanten politischen Stellungnahmen zum Thema Genfood durchsucht.
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen
Variablenliste Textanalyse Ebene 1: Suche-Variablen Variable SUID (numerisch) ‘Identifikationsnummer der Suche bzw. der Zeitung’ IDs für die erste Internet-Suche beginnen mit „10” IDs für die zweite Internet-Suche beginnen mit „20” IDs für Tageszeitungen beginnen mit „30” IDs für Wochenzeitungen beginnen mit „40” Variable SUCODER (numerisch) ‘Identifikationsnummer des Kodierers’ Variable SUSUCHMA (numerisch) ‘Erhobene Zeitung’ 30 Bild 31 FAZ 32 FR 33 SZ 34 TAZ 35 DIE WELT 40 Focus 41 Spiegel 42 DIE ZEIT Variable SUSTRING (numerisch) ‘verwendete Suchwortkombination – nur Internet’ 1 genfood 2 genmanipulierte 3 gentechnisch veränderte 4 genmanipulierte lebensmittel
194 5 6
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen genveränderte genetisch veränderte
Ebene 2: Text-Variablen Variable TXID (numerisch) ‘Identifikationsnummer des Textes’ (TXID = SUID mal 100 + Nummer des Textes) Bsp.: 101 01 Variable TXDOPP (numerisch) ‘Nur Internet: Wenn Text schon kodiert, Angabe der ersten TXID’ siehe TXID Variable TXURL (nur Internet) (String-Variable) ‘URL der Webseite, auf der der relevante Text zu finden ist’ Es wird die URL des letztendlich zu kodierenden Textes eingegeben. Diese muss nicht identisch mit der URL in der Google-Ergebnisliste sein. Variable TXSPONSO (nur Internet) ‘Ist der Suchmaschinen-Ergebniseintrag ein gesponsorter Link?’ 1 „ja“ 2 „nein“ Variable TXRANK1 (TXRANK2, TXRANK3) (nur Internet) (numerisch) ‘Rang des Ergebnisses innerhalb der Ergebnisliste’ Mehrfachnennungen verweisen auf wiederholte Einträge desselben Ergebnisses in der Suchmaschinen-Ergebnisliste. Variable TXDATUM (eigentlich TAG, MONAT, JAHR) Für Zeitungen: Erscheinungsdatum der Zeitung. Für Internet: Erscheinungsdatum des Textes auf der Webseite, falls angegeben. Variable TXTYP ‘Art des Textes’ numerisch 1 Kommentar (auch Internet) 2 Hintergrundartikel/Infomaterial 3 Nachrichten
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 99
195
Politische Stellungnahmen, z.B.: Positionspapier, Programmatik Spendenaufruf Protestaufruf Resolution Pressemitteilung Forschung, akademische Beiträge, Expertisen Lehre Konferenzpapiere Interview Reden Label Leserbriefe, Internet-Diskussionsforum-Beiträge, Chats Gesetze und Verordnungen Tabellen, Grafiken/Bilder mindestens mit Betitelung Sonstige
Variable TXLINK (nur Internet) ‘Werden thematische Links zu dem Artikel angeboten? Wo? Wohin?’ 1 intern / innerhalb 2 interne / unterhalb 3 intern / innerhalb und unterhalb 4 extern / innerhalb 5 extern / unterhalb 6 extern / innerhalb und unterhalb 7 intern und extern / innerhalb 8 intern und extern / unterhalb 9 intern und extern / innerhalb und unterhalb Interne Links: Links, die auf Seiten innerhalb der Anbieter-URL verweisen. Externe Links: Links, die auf Seiten außerhalb der Anbieter-URL verweisen. Links, innerhalb: Links, die innerhalb des Textes stehen. Links, unterhalb: Links, die direkt unterhalb des Textes stehen und dem Text auch inhaltlich folgen. Variable TXTITEL (String-Variable) ‘Headline bzw. Überschrift des Textes’ Variable TXTENDEN ‘Tendenzielle Bewertung von Genfood durch den Text’ (numerisch) 1 ‘positiv’ 2 ‘negativ’
196 3 4 9
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen ‘ambivalent’ ‘neutral’ ‘keine Angabe’
Variable TXWEIGHT (numerisch) 'Ist Genfood Haupt- oder Nebenthema im Texte?' 1 ‘Hauptthema’125 2 ‘Nebenthema’126 Variable TXKOPF ‘Taucht das Thema inhaltlich im Titel, Überschrift, oder ersten Satz auf?’ 1 ja 2 nein Variable TXLAENGE (numerisch) ‘Länge des Textes in Worten’ Variable TXANBKAT (nur Internet) (numerisch) ‘Einordnung des Anbieters in Akteurskategorien’ Staatliche Akteure: 100 Staat allgemein oder insgesamt, ‚whole polities’ 101 Regierung/Exekutive 102 Opposition 103 Behörden 104 Legislative 105 Jurisdiktion 106 Politiker, unspezifisch 107 Ehemalige, ausgeschiedene Entscheidungsträger 199 Sonstige Politische Parteien 200 Parteien allgemein 201 SPD 202 CDU/CSU 203 Bündnis 90/Die Grünen 204 FDP 205 PDS 299 Sonstige 125 126
Hauptthemen nehmen ca. 50 % oder mehr des Textes ein. Nebenthemen nehmen weniger als 50 % des Textes ein.
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen
197
Verbände/Zivilgesellschaft/NGOs 300 Zivilgesellschaft allgemein 301 Gewerkschaften 302 Biotech-/Pharmazie-/Chemie-Unternehmen 303 Andere Unternehmen 304 Wirtschaftsverbände ohne Landwirtschaft 305 Landwirtschaft 306 Kirchliche, religiöse Verbände/Gruppen 307 Wissenschaft, Genforschung, Medizin, Agrarwissenschaft, Lebensmitteltechnik 308 Wissenschaftlich, andere 309 Studenten, Schüler, Eltern 310 Solidaritätsgruppen (Globalisierungskritiker, Menschenrechte, Eine Welt, Hilfsorg.) 311 Verbraucherschutzverbände 312 Gesundheitsverbände (Allergiebund) 313 Pro- und Anti-Kampagnen zu Genfood 314 Umweltverbände 315 Lebensmittel-Verarbeiter und -Distributoren 319 Sonstige Medien 500 Allgemein: „Die Medien” 501 Allgemeine Printmedien 502 Printmedien themenspezifisch 503 Allgemein Radio 504 Allgemein Fernsehen 505 Nachrichtenagenturen 506 Internet, Allgemeine Portale, redaktionelle Teile von Suchmaschinen 507 Internetportale themenspezifisch Sonstige 800 Privatmenschen 900 Die Allgemeinheit, die „Öffentlichkeit”, die Wähler 901 Nationale Volkswirtschaften, wenn explizit genannt 999 Sonstige/Anonym Variable TXANBORG (numerisch) ‘Organisationsgrad des Anbieters’ 1 informell – (Repräsentant einer) unorganisierte(n) Gruppe 2 formell – (Repräsentant einer) organisierte(n) Gruppe
198
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen
Variable TXANBORS (String-Variable) ‘Repräsentierte Organisation‚ Name der Organisation des Anbieters’ Variable TXANBEBE (numerisch) ‘Ebene des räumlichen Bezugs des Anbieters’ 1 lokal/regional 2 national 3 international 4 institutionelle Ebene der EU 5 supranationale, institutionelle Ebene 9 keine Nennung Variable TXANBLAN (String-Variable) ‘Räumlicher Bezug des Anbieters. String für Länder, Organisationen, Verbände, z.B.: G8, EU, Deutschland, USA’ Variable TXQUEKAT ‘Einordnung der Quelle in Akteurskategorien’ siehe TXANBKAT. 0 ‘Quelle und Anbieter/Zeitung sind der gleiche Akteur Variable TXQUEORG ‘Organisationsgrad der Quelle’ siehe TXANBORG. Variable TXQUEORS ‚Repräsentierte Organisation‚Name der Organisation der Quelle’ siehe TXANBORS. Variable TXQUEEBE ’Ebene des räumlichen Bezugs der Quelle’ siehe TXANBEBE. Variable TXQUELAN (String-Variable) ’Räumlicher Bezug der Quelle. String für Länder, Organisationen, Verbände, z.B.: G8, EU, Deutschland, USA’ siehe TXANBLAN. Variable TXAUTKAT ’Einordnung des Autors in Akteurskategorien’
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen
199
siehe TXANBKAT. 0 ‘Autor und Anbieter/Zeitung sind der gleiche Akteur’ Variable TXAUTORG ‘Organisationsgrad des Autors’ siehe TXANBORG. Variable TXAUTORS ‘Repräsentierte Organisation‚Name der Organisation des Autors’ siehe TXANBORS. Variable TXAUTEBE ‘Ebene des räumlichen Bezugs des Autors’ siehe TXANBEBE. Variable TXAUTLAN (String-Variable) ‘Räumlicher Bezug des Autors. String für Länder, Organisationen, Verbände, z.B.: G8, EU, Deutschland, USA’ siehe TXANBLAN.
Ebene 3: Claim-Variablen Variable CLID (numerisch) ‘Identifikationsnummer des Sprechers/Handelnden’ (CLID = TXID mal 100 + Nummer des Sprechers/Handelnden) Bsp.: 101 01 01. Variable CLAIKAT 1,2 ‘Einordnung des Sprechers/Handelnden in Akteurskategorien’ siehe TXANBKAT. 0 ‘Claimant und Anbieter/Zeitung sind der gleiche Akteur’ Variable CLAIORG 1,2 ‘Organisationsgrad des Sprechers/Handelnden’ siehe TXANBORG. Variable CLAINAM 1,2 ‘Name der Quelle, Einzelperson, Repräsentant’ siehe TXANBNAM.
200
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen
Variable CLAIORS ‘Repräsentierte Organisation‚Name der Organisation des Claimants’ siehe TXANBORS. Variable CLAIEBE 1,2 ‘Ebene des räumlichen Bezugs des Sprechers/Handelnden’ siehe TXANBEBE. Variable CLAILAN 1,2 (String-Variable) ‘Räumlicher Bezug des Sprechers/Handelnden. String für Länder, Organisationen, Verbände, z.B.: G8, EU, Deutschland, USA’ siehe TXANBLAN. Variable CLAIOTHE (String-Variable) ‘Claimants außer Claimant1 und Claimant2. Sonstige beigeordnete Claimants’ Variable CLFORM (numerisch) ‘Handlungsformen Kategorien online als auch offline’ Politische Entscheidungen 10 Gesetzesentwürfe einbringen 11 Parlamentarische Beschlüsse 12 Exekutive Entscheidungen, Anordnungen 13 Resolutionen von Parteien 14 Urteile 15 Rücktritte, Amtsenthebungen, Ernennungen 19 Sonstige Exekutives Handeln 20 Finanzhilfen, materielle Unterstützung 21 Strafverfolgung 22 Überwachung, Kontrolle 29 Sonstige Judikatives Handeln 30 strafrechtliche Anklagen 31 zivilrechtliche Klagen 32 Verwaltungsklagen 33 Verfassungsklagen 39 Sonstige Verbale Stellungnahmen 40 unspezifische Stellungnahmen 41 Pressekonferenzen, Pressemitteilungen
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen 42 Interview 43 Reden 44 Offener Brief 45 Artikel 46 Buch, Forschungsbericht 47 Flugblatt 48 Graffitti 49 Präsentation von Umfragen/Statistiken 50 Öffentlichkeitskampagnen, inklusive politische Werbung 59 Sonstige Treffen (nur in geschlossenen Räumen/geschlossener Gesellschaft) 60 Staatstreffen, -besuche 61 Kabinettssitzungen der Regierung 62 Parteikongress 63 Parlamentssitzungen/-debatten 64 Wahlkampftreffen 69 Sonstige Direkt-demokratisches Handeln 70 Volksentscheid/Volksabstimmung bis zur Abstimmung, Vorstufen 71 Abstimmung des Volksentscheids/der Volksabstimmung 79 Sonstige Petition/Unterschriftensammlung 80 Unterschriftensammlung/Petition 81 Briefe/Postkarten/Mail-Aktionen 89 Sonstige Demonstrative Proteste 90 Protestkundgebung 91 Legaler Protestmarsch/Demonstrationszug 92 Mahnwachen 99 Sonstige Konfrontative Proteste 100 illegale nichtgewalttätige Demo 101 Boykott 102 Streik 103 Selbstverletzung, Hungerstreik, Selbsttötung 104 Blockade 105 Besetzung 106 Stören von Veranstaltungen 107 Symbolische Konfrontation 109 Sonstige
201
202
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen
Gewalttätige Proteste 110 Drohung, Bombendrohung 111 Symbolische Gewalt 112 Gewalt gegen Eigentum 113 Sabotage 114 Gewalttätige Demo 115 Sprengstoffanschlag gegen Eigentum 116 Sprengstoffanschlag gegen Personen 117 Physische Gewalt gegen Personen 119 Sonstige Variable CLONOFF (numerisch) ‘Fand diese Handlung online oder offline statt?’ 1 offline 2 online 9 keine Angaben
Ebene 4: Thema-Variablen Variable THEMAID (numerisch) ‘Identifikationsnummer des Inhalts bzw. Unterthemas’ (THEMAID = CLID mal 100 + Nummer des Unterthemas) Bsp.: 101 01 01 01. Variable THEMAKAT (numerisch) 01 Genfood allgemein/unspezifisch 10 Staatliche Regulierung von Anbau, Verarbeitung und/oder Handel 11 Patentierung 12 Forschung 13 Umfang, Verbreitung (rein quantitative Anteile) 14 Anbau und Verarbeitung, rein technisch 15 Handel 16 Aufklärung, Kennzeichnung, Verbraucherrechte, -schutz 20 Wirtschaftlichkeit, Produktivität 21 Monopole, Marktmacht, Profite 22 Soziale Aspekte 23 Ökologische Aspekte 24 Gesundheitliche Aspekte 99 Sonstige
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen
203
Variable THINHALT (String-Variable) ‘Kurzzusammenfassung des Gesagten/der Handlung’ Variable THEMPOS (numerisch) ‘Positionierung zum Thema’ 1 ‘positiv’ 2 ‘negativ’ 3 ‘ambivalent’ 4 ‘neutral’ Variable THEXPOST (numerisch) ‘Wird der Claim durch eine Analyse, Behandlung des Themas ex post in Bezug auf die Variable THEMPOS/CLFORM begründet?’ 1 behaupten mit Begründung 2 behaupten ohne Begründung 3 vermuten mit Begründung 4 vermuten ohne Begründung 5 handeln mit Begründung 6 handeln ohne Begründung Variable THPROGN (numerisch) 1 behaupten mit Begründung 2 behaupten ohne Begründung 3 vermuten mit Begründung 4 vermuten ohne Begründung 5 keine Prognose möglich Variable THEMEBE ‘Ebene des räumlichen Bezugs des Themas’ siehe TXANBEBE. Variable THEMLAN (String-Variable) ‘Räumlicher Bezug des Themas. String für Länder, Organisationen, Verbände, z.B.: G8, EU, Deutschland, USA’ siehe TXANBLAN. Variable THFRAME1 (THFRAME2, THFRAME3) (numerisch) ‘Rahmung (Framing des Themas)’ 1 Fortschritt, allgemein („Fortschritt“)
204 2 3 4 5 6 7
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen Erhöhte Produktivität, Qualität, Schädlingsresistenz („Markt“) Bekämpfung von Armut/Hunger/Krankheit („Humanität“) Enteignung, Kontrollverlust, Schäden („Ausbeutung“) Risikotechnologie, Ungewissheit („Risiko“) Eingriff in Schöpfung („Anmaßung“) Nachteile in Kauf nehmen („Pakt mit dem Teufel“)
Variable THFRAST1 (THFRAST2, THFRAST3) (String-Variable) ‘Wörtliches Zitat des Frames’ Thematisierte Akteure in Reihe: 1, 2, 3 Alle folgenden Variablen mit Suffix –1 werden noch zweimal wiederholt. Also THADPOS1, THADPOS2, THADPOS3. Die Wiederholung erfolgt für die gesamte Reihe, nicht für einzelne Variablen. Also Addressat1-Variablen, Objektakteur1-Variablen, dann Addressat2-Variablen, Objektakteur2-Variablen usw. Adressaten Variable THADPOS1 (numerisch) ‘Charakterisierung des Adressaten’ 1 ‘positiv’ 2 ‘negativ’ 3 ‘ambivalent’ 4 ‘neutral’ Variable THADKAT1 ‘Einordnung des Adressaten in Akteurskategorien’ siehe TXANBKAT. Variable THADORG1 ‘Organisationsgrad des Adressaten’ siehe TXANBORG. Variable THADNAM1 ‘Name der Quelle, Einzelperson, Repräsentant’ siehe TXANBNAM. Variable THADORS1 ‘Repräsentierte Organisation‚ Name der Organisation des Adressaten’ siehe TXANBORS.
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen
205
Variable THADEBE1 ‘Ebene des räumlichen Bezugs des Adressaten’ siehe TXANBEBE. Variable THADLAN1 (String-Variable) ‘Räumlicher Bezug des Adressaten. String für Länder, Organisationen, Verbände, z.B.: G8, EU, Deutschland, USA’ siehe TXANBLAN. OBJEKT AKTEURE Variable THOBKAT1 ‘Einordnung des Objektakteurs in Akteurskategorien’ siehe TXANBKAT. Variable THOBORG1 ‘Organisationsgrad des Objektakteurs’ siehe TXANBORG. Variable THOBNAM1 ‘Name der Quelle, Einzelperson, Repräsentant’ siehe TXANBNAM. Variable THOBORS1 ‘Repräsentierte Organisation‚Name der Organisation des Objektakteurs’ siehe TXANBORS. Variable THOBEBE1 ‘Ebene des räumlichen Bezugs des Objektakteurs’ siehe TXANBEBE. Variable THOBLAN1 (String-Variable) ‘Räumlicher Bezug des Objektakteurs. String für Länder, Organisationen, Verbände, z.B.: G8, EU, Deutschland, USA’ siehe TXANBLAN. Variable THOBEFF1 (numerisch) ‘Wie wirkt sich die Forderung/Handlung des Sprechers/Handelnden auf den/die Objektakteur(e) aus?’ 1 ‘negativ’
206 2 3 4
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen ‘positiv’ ‘ambivalent’ ‘neutral’
Variablenliste der Link- und Webseitenanalyse Variable ID (auch Linkanalyse) (numerisch) ‘Fall-ID’ Variable KAT (auch Linkanalyse) (numerisch) ‘Einordnung des Webseiten-Anbieters in Akteurskategorien’ Siehe TXANBKAT. Variable ORG (auch Linkanalyse) (numerisch) ‘Organisationsgrad des Webseiten-Anbieters’ Siehe TXANBORG. Variable ORGNAM (auch Linkanalyse) (String-Variable) ‘Repräsentierte Organisation‚Name der Organisation des Webseiten-Anbieters’ Siehe TXANBORS. Variable EBENE (auch Linkanalyse) (numerisch) ‘Ebene/räumlicher Bezug des Webseiten-Anbieters’ Siehe TXANBEBE. Variable LAND (auch Linkanalyse) (String-Variable) ‘Räumlicher Bezug des Anbieters. String für Länder, Organisationen, Verbände, z.B.: G8, EU, Deutschland, USA’ Siehe TXANBLAN. Variable TENDENZ (auch Linkanalyse) (numerisch) ‘Tendenzielle Bewertung von Genfood durch den Anbieter’ 1 ‘positiv’ 2 ‘negativ’ 3 ‘ambivalent’ 4 ‘neutral’ 9 ‘keine Tendenz’ Variable WEIGHT (auch Linkanalyse) (numerisch)
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen
207
‘Ist Genfood Haupt-, Unter- oder Randthema des Anbieters?’ 1 ‘Hauptthema’ 2 ‘Unterthema’ 3 ‘Randthema’
Variablen – nur für die Linkanalyse Variable EGO (numerisch) ‘Gehört der Anbieter zu der Start-Gruppe des egozentrischen Ansatzes?’ 1 ja 2 nein Variable ANBLINUM (numerisch) ‘Wie viele Links werden angeboten?’ Variable ANBLIDAT (String-Variable) ‘Dateiname unter dem die Linkliste als Datei abgespeichert wurde’ Variable ANBLIZIT (numerisch) ‘Anzahl der Links, die auf das Angebot verweisen’ Variable ANBLISTR ‘String-Variable: Probleme und Anmerkungen’
Variablen – nur für die Webseitenanalyse Variable WID (numerisch) ‘Fall-ID für Anbieter, die sowohl in der Linkanalyse als auch in der Webseitenanalyse vorkommen. WID ist gleich der ID des Anbieters innerhalb der Linkanalyse.’ Variable WURL (String-Variable) ‘URL der Rubrik bzw. der Eingangswebseite des Bereichs über Genfood’ Variable WSAMPLES (numerisch) ‘In welcher Stichprobe ist der Anbieter enthalten?’ 1 ‘Linkanalyse’ 2 ‘Google-Suchergebnisse’
208 3
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen ‘In beiden’
Variable WMANYONE (numerisch) ‘Interaktivität: Resonanz-Kanal für Nutzer, Many to one, d.h. viele Sender und wenige Empfänger, wird angeregt.’ 1 ja 2 nein Variable WMANYANY (numerisch) ‘Interaktivität: Many to many, d.h. viele Sender und viele Empfänger, wird angeregt.’ 1 ja 2 nein Variable WINFORMA (numerisch) ‘Kommunikationsstrategie: Informationsstrategie’ 1 ja 2 nein Variable WREPRAES (numerisch) ‘Kommunikationsstrategie: Repräsentation („Wer wir sind.“)’ 1 ja 2 nein Variable WMOBILIS (numerisch) ‘Kommunikationsstrategie: Mobilisierungs-Strategie („Jetzt handeln...“)’ 1 ja 2 nein Variable WFORUM (numerisch) ‘Kommunikationsstrategie: Forum für unterschiedliche Autoren, Diskurs, Diskussion’ 1 ja 2 nein Variable WANDEREA (String-Variable) ‘Andere Kommunikationsstrategien’ Variable WKOMSTIL (numerisch) ‘Kommunikationsstil: agitierend, diskursiv’
Anhang B: Datenstruktur, Variablen und Variablenausprägungen 1 2 3
209
Agitation/Polemik Diskurs Mitteilung (Deskription, Verlautbarung)
Variable WPUBLIK1 (numerisch) ‘An wen richtet sich die Webseite? Welches Publikum soll erreicht werden?’ 1 Die Allgemeinheit 2 Teilöffentlichkeit Variable WPUBLIKA (nur Webseitenanalyse) (String-Variable) ‘Wenn Teilöffentlichkeit, welche?’ Variable WADDRES1 (numerisch) ‘An wen richten sich Handlungsaufforderungen?’ 1 Die Allgemeinheit 2 Teilöffentlichkeit Variable WADDRESA (nur Webseitenanalyse) (String-Variable) ‘Wenn Teilöffentlichkeit, welche?’ Variable WSPRACHA (nur Webseitenanalyse) (String-Variable) ‘In welchen Sprachen außer Deutsch ist die Webseite verfügbar?’
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