Prekäre Legitimitäten
Staatlichkeit im Wandel Herausgegeben von Philipp Genschel, Stephan Leibfried, Patrizia Nanz un...
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Prekäre Legitimitäten
Staatlichkeit im Wandel Herausgegeben von Philipp Genschel, Stephan Leibfried, Patrizia Nanz und Frank Nullmeier für den Sonderforschungsbereich »Staatlichkeit im Wandel« der Deutschen Forschungsgemein schaft in Bremen.
Frank Nullmeier ist Professor an der Universität Bremen und Leiter eines For schungsprojekts am SFB »Staatlichkeit im Wandel«, in dem auch seine Mit autorinnen und Mitautoren Dominika Biegoń, Jennifer Gronau, Martin Nonhoff, Henning Schmidtke und Steffen Schneider beschäftigt sind.
Frank Nullmeier, Dominika Biegoń, Jennifer Gronau, Martin Nonhoff, Henning Schmidtke, Steffen Schneider
Prekäre Legitimitäten Rechtfertigung von Herrschaft in der postnationalen Konstellation
Campus Verlag Frankfurt/New York
Dieser Band ist im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 597 »Staatlichkeit im Wandel« an der Universität Bremen entstanden und wurde auf Veranlassung des Sfb unter Verwendung der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-593-39211-0 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2010 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main Gedruckt auf Papier aus zertifizierten Rohstoffen (FSC/PEFC). Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
Inhalt
Dank ......................................................................................................................... 7 1 Einleitung Frank Nullmeier.................................................................................................. 9 2 Der Wandel des Legitimitätsdenkens Frank Nullmeier und Martin Nonhoff...............................................................16 3 Empirische Legitimationsforschung Steffen Schneider .................................................................................................45 4 Der demokratische Nationalstaat – hohe Unterstützung Steffen Schneider .................................................................................................68 5 Die Vereinten Nationen – gespaltene Legitimität Henning Schmidtke ..........................................................................................107 6 Die G8 – wirkungsloses Spektakel oder mächtiger Club der Reichen? Jennifer Gronau ................................................................................................147 7 Die Europäische Union – zwischen Effektivität und Demokratie Dominika Biegoń .............................................................................................186 8 Legitimation in der postnationalen Konstellation Martin Nonhoff und Steffen Schneider..............................................................222 9 Ausblick Frank Nullmeier..............................................................................................243
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INHALT
Abbildungsverzeichnis.......................................................................................249 Tabellenverzeichnis............................................................................................253 Literatur................................................................................................................255 Autorinnen und Autoren ..................................................................................268
Dank
Dieses Buch geht aus den Untersuchungen des Forschungsprojektes »Legitimationswandel durch Internationalisierung und Deparlamentarisierung: Auf dem Weg zu postnationaler und postdemokratischer Legitimation?« hervor, das im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 597 »Staatlichkeit im Wandel« von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Den thematisch benachbarten Teilprojekten im Sonderforschungsbereich 597 verdanken wir vielerlei Rat und Hilfestellung. Besonders seien hier Andreas Hepp, Katharina Kleinen-von Königslöw, Jens Steffek und Hartmut Wessler genannt. Der Sonderforschungsbereich hat sich von Beginn an als Raum intensiver wechselseitiger Kritik und besonders auch der Ermutigung erwiesen, hier gilt der Dank besonders denjenigen, die sich über die Zusammenführung der Forschungsresultate aus allen Teilprojekten Gedanken machen mussten und wollten: Philipp Genschel, Stephan Leibfried, Gerd Winter, Bernhard Zangl, Michael Zürn. Viele wichtige inhaltliche Hinweise verdanken wir auch Stefan Gosepath, Christoph Humrich und Silke Weinlich. Das ständige Bemühen um Verbesserung in den »großen« Fragen des Projektdesigns wie den »kleinen« Fragen der Textverfeinerung hat uns Stephan Leibfried als Sprecher des Sonderforschungsbereichs gelehrt. Ohne die Kooperation mit ideenreichen und hilfsbereiten Kolleginnen und Kollegen von anderen Universitäten kann ein derartiges Unternehmen nicht auskommen. Beratung in Fragen der Anlage von Textanalysen haben uns – aus ganz unterschiedlichen Perspektiven – Rainer DiazBone, Manfred Stede und Ruth Wodak gegeben. Die Erstellung des Bandes ist nur möglich geworden durch den außerordentlichen Einsatz aller Autorinnen und Autoren auch bei der Datenerhebung. Legitimationsrelevante Artikel, Passagen und Sätze in der Fülle der Zeitungsbeiträge zu identifizieren, war und ist eine Aufgabe, die von computerisierten Suchverfahren nur unterstützt und (durchaus: leider) nur in einzelnen ausgewählten Verfahrensschritten delegiert werden kann. Als
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DANK
Projektleiter möchte ich dem gesamten Team für die enge und ausdauernde Zusammenarbeit bei der Datenerhebung meinen Respekt aussprechen. Zum Projektteam gehörte in der Phase der Datenerhebung auch Zuzana Krell-Laluhová, die inzwischen zur EU nach Brüssel gewechselt ist und daher nicht mehr als Autorin mitwirken konnte. Tanja Pritzlaff hat bei allen Fragen, die die normative Dimension des Legitimitätsbegriffs betreffen, ihre Kompetenz eingebracht und dem Autorenteam mit ihrem Rat geholfen. Die studentischen Hilfskräfte Clara Friedrich, Tomislav Grbešić, Lina Jakobs, Viktoria Jeske, Klara Kopperschmidt, Jannis Lambert, Hanna Naoumis, Marten Menger, Nils Plambeck, Jan Prinzwald, Lukas Schmid und Simon Striegel haben die Bereinigung der Texte, die Eingabe der Kodierungen und weitere Arbeiten in der Textanalysesoftware MaxQDA übernommen. Als die Mengen der zu bearbeitenden Medientexte und die Mühen der Selektion immer größer wurden, hat Lena Siemon unser Team als wissenschaftliche Mitarbeiterin für einige Monate ergänzt. Mein Dank gilt ganz besonders auch Erika Steiner für die große Unterstützung im Sekretariat. Maritta Zimmer und Dieter Wolf verkörpern im Sonderforschungsbereich einen Stil von Verwaltung und Management, der ganz im Zeichen der Erleichterung der Forschungsarbeit steht. Mein Dank gilt weiterhin allen Diskutanten im Sonderforschungsbereich, die mit Argumenten und Gegenthesen unser Verständnis von Legitimität in der postnationalen Konstellation geschärft haben, sowie allen Mitarbeitern und Kollegen an der Universität Bremen, die auf andere Weise geholfen haben, dieses Buch möglich zu machen. Schließlich sei der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung dieses Projektes und des großen Abenteuers Sonderforschungsbereich gedankt. Frank Nullmeier Bremen, Juni 2010
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Einleitung
Frank Nullmeier
Liest man heute einen Text von Niklas Luhmann zum Begriff der Legitimität aus den 1960er Jahren, so ist das Befremden groß. Politik könne die komplexen Aufgaben moderner Gesellschaften nur dann erfolgreich bearbeiten, wenn die Entscheidungsträger »über das Symbol ›verbindliche Entscheidung‹ verfügen können wie über einen Geldschein«. Der Begriff Legitimität besage, so Luhmann weiter, »dass die fraglose Hinnahme bindender Entscheidungen des politischen Systems unabhängig von den konkreten persönlichen Motivationsstrukturen durch Institutionalisierung sichergestellt« sei (2010: 96). Legitimität entlaste die Regierenden von den Zumutungen der Motivlagen der Entscheidungsbetroffenen und erzeuge eine »Verselbständlichung des Hinnehmens« (ebd.: 97) – schon durch Verfahren (Luhmann 1969). Zwar ist Luhmanns Position bereits damals auf breite Kritik gestoßen, doch schien seine Skizze so realistisch, dass auf der Gegenseite, man denke an die Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus von Jürgen Habermas (1973), die Möglichkeit einer befriedeten Gesellschaft im Sinne des von rationaler Willensbildung und praktischer Vernunft entkoppelten Laufs einer sich selbst legitimierenden Verwaltung als Schreckgebilde sehr ernst genommen wurde. Die Angst vor einer derart »legitimierten« Welt, die die Hinnahme zur alltäglichen Haltung in allen politischen Fragen macht, ist geschwunden. Statt der fraglosen Hinnahme von Entscheidungen aufgrund von Verfahren verbinden wir heute mit dem Begriff der Legitimität ein stetes Ringen um Rechtfertigungen für politische Herrschaftsordnungen. Legitimität ist diskursiv geworden. Der Begriff verweist auf die Suche nach Argumenten für die Anerkennungswürdigkeit einer politischen Ordnung. Legitimitätssicherung ist zu einer immer dringlicheren Aufgabe geworden, und Legitimität muss stets aufs Neue erzeugt, kommuniziert und erhalten werden. Auf jeden Fall ist sie nichts Leichtes. Sie einfach »zu haben« kommt keinem Beobachter mehr in den Sinn. Und auch Verfahren genügen nicht, da
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FRANK NULLMEIER
auch sie sich ständig als anerkennungswürdig erweisen müssen. Legitimität ist aber auch keineswegs – wie in den 1960er Jahren – nur ein Thema, das auf den nationalen Staat bezogen wird. Heute ist nicht allein der Staat ein Herrschaftsträger, der legitimiert werden muss. Die Konzentration aller Legitimationsfragen auf ihn war nur solange möglich, wie beim Nationalstaat alle wesentlichen Entscheidungskompetenzen gebündelt waren, im internationalen Raum keine eigenständigen Akteure auftraten und sich noch keine Formen supranationaler politischer Ordnung herausgebildet hatten. Eine Welt als Staatenwelt kennt nur einen zentralen politischen Herrschaftsträger, den Staat. Das ist heute allerdings nicht mehr der Fall. UNO, G8, EU und die Vielzahl internationaler Organisationen, die in einzelnen Politikbereichen wirksam werden, haben die Weltordnung verändert. Jenseits des Nationalstaates hat sich ein hoch differenziertes (und fragmentiertes) Feld neuer Akteure herausgebildet, an die die Nationalstaaten ausgewählte Kompetenzen delegiert haben. Zudem bestimmen nicht mehr allein völkerrechtliche Verträge zwischen Nationalstaaten das Bild globaler Zusammenarbeit. Norm- und Rechtsbildung durch internationale Organisationen und Regimes sind hinzugekommen. Zudem ist das Prinzip der Einstimmigkeit als Bedingung der internationalen Entscheidungsfähigkeit in etlichen Fällen durchbrochen. Schiedsgerichte und internationale Gerichtshöfe sorgen für Rechtsfindung auch gegen den Willen einzelner Staaten. All das rechtfertigt es, mit Jürgen Habermas (1998) von einer »postnationalen Konstellation« zu sprechen. Staaten sind weiterhin wesentliche Herrschaftsträger, aber sie teilen sich in dieser Konstellation mit inter- und supranationalen Organisationen wesentliche Herrschaftskompetenzen. Angesichts dieser Veränderungen wird es zunehmend relevant zu untersuchen, ob und wie die Legitimität inter- und supranationaler Regimes als neuer Mitspieler im politischen Raum einerseits normativ zu bewerten ist und andererseits auch in der politischen Öffentlichkeit bewertet wird. Der ersten Frage haben sich viele Studien im Übergangsfeld von Politischer Theorie und Internationalen Beziehungen gewidmet. In diesem Band wird der Versuch unternommen, durchaus in Rezeption dieser normativen Überlegungen die Legitimität der neuen politischen Ordnungen im Vergleich zu den tradierten staatlichen Ordnungen empirisch zu untersuchen. Empirische Legitimationsforschung hat sich bisher wesentlich auf den Nationalstaat und die EU beschränkt. Doch Legitimationsfragen erstrecken sich nunmehr auf ein breiteres Feld von Organisationen und Re-
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gimes. Legitimation kann nicht mehr im nationalstaatlichen Käfig eingefangen werden und sie wird auch nicht nur dort relevant, wo staatsähnliche Regimes wie die EU entstanden sind. Diese Einsicht hat die globalisierungseuphorische Erwartung befeuert, dass ein Kompetenzverlust des Nationalstaates einen entsprechenden Legitimationsverlust mit sich bringe, bei gleichzeitigem Legitimationsgewinn auf Seiten der neuen internationalen Ordnungen. Wie über politische Ordnungen jenseits des Nationalstaates geurteilt wird, ob ihnen Legitimität zugemessen wird oder nicht, ist es daher wert, detaillierter empirisch untersucht zu werden. Dieses Buch bietet eine erste vergleichende empirische Untersuchung öffentlicher Legitimationskommunikation zu den politischen Ordnungen von vier ausgewählten Nationalstaaten sowie von UNO, G8 und EU. Wir haben genau diese drei Formen des Regierens jenseits des Nationalstaates in die Untersuchung einbezogen, weil sie mehr als nur eine enge, auf ein Politikfeld begrenzte Kompetenz besitzen. Die drei politischen Ordnungen kommen also jener Allkompetenz nahe, wie wir sie vom Nationalstaat kennen. Funktional klar spezifizierte internationale Organisationen eignen sich weit weniger für einen Vergleich mit nationalstaatlichen politischen Ordnungen. Legitimitätsfragen sind Fragen nach der Anerkennungswürdigkeit einer politischen Gesamtordnung, nicht Fragen danach, wie ein bestimmtes Politikfeld neu gestaltet werden soll. Bei spezialisierten Regimes ist oft schwer zu unterscheiden, wann es nur um die inhaltliche Ausrichtung im jeweiligen Politik- und Funktionsfeld und wann es um die institutionelle Grundordnung geht. Zudem repräsentieren die drei von uns gewählten politischen Ordnungen auch jene Typen politischer Ordnungen, die im Vordergrund stehen, wenn nach tragfähigen Institutionen für eine zukünftige kooperative Weltordnung gesucht wird. Ist es wie im Fall der G8 ein Club der Nationalstaaten, der den Nukleus für ein funktionsfähiges Weltregieren darstellt, auch wenn er exklusiv bleibt oder den Exklusionsgrad nur ein wenig abschwächt – Richtung G20? Oder ist die UNO als »Weltgemeinschaft« und wahrlich allgemeine Institution, als Musterfall einer universellen intergouvernementalen Einrichtung, schon jene gesuchte politische Ordnung, die nur durch eine Reihe von Reformen verbessert werden muss? Oder sind regionale Zusammenschlüsse mit stark ausgeprägtem supranationalen Charakter wie die EU die Basis globaler Kooperation? Um diese drei Ordnungstypen untereinander und mit nationalstaatlichen Ordnungen vergleichend auf die ihnen zukommenden Legitimitäts-
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urteile hin untersuchen zu können, musste eine Methodik entwickelt werden, die direkt die öffentliche Diskussion und damit das öffentliche Bild der untersuchten politischen Regimes erhebt. Das unterscheidet unsere Untersuchung von der Meinungsforschung, die immer nur die einzelnen, in diesem Sinne privaten Bürgereinstellungen im Rahmen vorgegebener Fragekategorien erheben kann. Wechselnde Rahmungen eines Themas und die Fülle der auftretenden Argumentationen zu den einzelnen politischen Regimes sind in der Einstellungsforschung nicht zu erfassen. Keineswegs soll der Wert dieser entwickelten Forschungsrichtung (vgl. jüngst Westle/ Gabriel 2009) damit geschmälert werden, doch die Erfassung der öffentlichen Diskussion über die Anerkennungswürdigkeit politischer Ordnungen ist ein eigenes Untersuchungsfeld, das mit einer anderen Methodik als der der Meinungsforschung zu bearbeiten ist. Ein Vorteil dieser Ausrichtung liegt darin, dass sie einem Verständnis von demokratischen politischen Prozessen als wesentlich öffentlichkeitsvermittelt entgegenkommt. Wenn die Vorstellung, dass die politische Willensbildung durch das Spiel der Meinungen in der Öffentlichkeit mindestens mitbestimmt ist, nicht gänzlich falsch sein sollte, kommt der Untersuchung der veröffentlichten Meinung eigenständiger Wert zu. Die Untersuchung veröffentlichter Meinung ist allerdings ein höchst aufwändiges Vorhaben, das mit den Mitteln der Textanalyse zu bewältigen ist. Sicherlich wäre es von Vorteil gewesen, alle Medien und alle Arenen der Öffentlichkeit und der politischen Diskussion in die Untersuchung einzubeziehen. Das Ziel einer vergleichenden Untersuchung für mehrere Länder und für gleich vier politische Regimetypen – nationale politische Ordnungen, UNO, G8 und EU – nötigte allerdings dazu, nur einen Ausschnitt der veröffentlichten Meinung, die Qualitätsprintmedien, zur Grundlage zu machen. In vier Ländern – in der Schweiz, Deutschland, Großbritannien und den USA – sind für jeweils zwei Qualitätszeitungen zu bestimmten, gezielt ausgewählten Zeitpunkten in einem Zeitraum von zehn Jahren die Stellungnahmen und Bewertungen der genannten vier politischen Ordnungen erhoben worden. Eine Untersuchung, in der nicht ausgewählte Zeitpunkte, sondern Tag für Tag ein Jahr lang diese acht Zeitungen ausgewertet wurden, beschränkt auf die Bewertungen der je eigenen nationalen politischen Ordnung, liegt inzwischen in englischer Sprache vor (Schneider u.a. 2010). Durch das gewählte Untersuchungsdesign ist es uns nun möglich, Kritiken und Rechtfertigungen, die sich auf die UNO, die G8, die EU oder die nationalstaatlichen Systeme der Schweiz, Deutsch-
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lands, Großbritanniens und der USA beziehen, über einen für Medientextanalysen erheblichen Zeitraum von zehn Jahren zu analysieren. Damit wird jener Zeitraum erfasst, in dem der Wandel zur postnationalen Konstellation sich nach Meinung fast aller wissenschaftlichen Beobachter vollzogen hat. Wie hat sich die öffentliche Zuschreibung von Legitimität in der neuen Konstellation globalen Regierens verändert? Haben die Nationalstaaten ihre hohe Anerkennung beibehalten oder führen die Kompetenzverluste und die verstärkte Aufmerksamkeit für die internationale Ebene zu einem Legitimationsverlust auf der Ebene nationaler politischer Ordnungen? Und welche Einrichtung jenseits des Nationalstaates verfügt über die höchste öffentliche Anerkennung und Zustimmung? Ist es die supranationale Ordnung der EU, ist es das Gipfel-Clubregime der G8 oder ist es die Weltorganisation UNO? Oder werden diese gar nicht als relevant wahrgenommen, geht die Kritik wie das Lob an ihnen vorbei? Werden die internationalen und supranationalen Einrichtungen an denselben Kriterien gemessen wie die Nationalstaaten? Sind sie daher in gleichem Maße dem Ansinnen ausgesetzt, sich als demokratische politische Ordnungen auszuweisen? Ist der Vorwurf des Demokratiedefizits das stärkste Argument, das gegen sie vorgebracht wird? Und auf der anderen Seite: Wie steht es um die nationalen Demokratien? Werden sie als legitime und hinreichend demokratische Regimes anerkannt oder werden auch bei ihnen Demokratiedefizite beklagt? Wir vergleichen politische Ordnungen von ganz unterschiedlicher Qualität: Nationalstaaten; intergouvernementale Arrangements wie die G8; supranationale Einheiten, die einem Bundesstaat näher sind als einem Staatenbund, aber doch kein Bundesstaat sind und deshalb als Gebilde sui generis bezeichnet werden müssen wie die EU; und schließlich die UNO als jene internationale Organisation, die über das Gewaltverbot für Staaten gebietet, ohne selbst über eigene Gewaltmittel zu verfügen. Ein derartiger Vergleich ist gewiss ungewöhnlich. Noch immer folgt die Forschung eher dem subdisziplinären Muster, den Vergleich von Nationalstaaten als exklusives Feld der Vergleichenden Politikwissenschaft zu betrachten, die Untersuchung globaler politischer Institutionen hingegen den Internationalen Beziehungen und die Erforschung der europäischen supranationalen Ordnung der EU-Forschung zuzuschlagen. Dieses Buch bricht mit dieser Arbeitsteilung und erhofft sich von einem quer liegenden Vergleich über die Ebenen und Typen hinweg einen weiter reichenden Beitrag zum Verständ-
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nis der politischen Gesamtkonstellation im postnationalen Zeitalter. Denn die einzelnen Akteure stehen durchaus in einer Legitimitätskonkurrenz zueinander. Noch ist nicht entschieden, wie die Architektur des globalen politischen Raums in Zukunft aussehen wird. Sinkt die UNO in ihrer Bedeutung gegenüber der G20, die zudem auch die G7/8 ablöst als Instanz der Kooperation zwischen den wichtigsten nationalen Akteuren auf Weltebene? Kommt supranationalen Zusammenschlüssen wie der EU eine Vorbildrolle zu? Oder sind es Nationalstaaten, die nach wie vor das Geschehen bestimmen, im Zweifel auch auf eine Art und Weise, die das erreichte Niveau internationaler Kooperation wieder unterschreitet? Sind mithin Renationalisierungstendenzen wahrscheinlich? Bei der Beantwortung dieser Fragen wird es auch darauf ankommen, welche Legitimitätsmuster die jeweiligen politischen Ordnungen mobilisieren können und ob sie in den Augen der verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten überhaupt als legitim – oder als höchst kritikwürdig oder gar als verwerflich – angesehen werden. Legitimationsdebatten sind ein Teil der Auseinandersetzung über die zukünftige Gestalt der Weltordnung und des Zusammenspiels zwischen Staaten, supranationalen und internationalen Einrichtungen. Insofern ist es keineswegs zweitrangig zu wissen, wie all diese Regimes öffentlich eingeschätzt und bewertet werden. Die Legitimitätsdifferenzen zwischen ihnen können sich politisch besonders dann auswirken, wenn die Beziehungen zwischen Nationalstaat und internationalem Regime in einer konkreten politischen Streitfrage zum Ausgangspunkt politischer Konflikte werden. Ein Mangel an demokratischer Legitimität z.B. der EU kann im Verhältnis zu einer nationalen politischen Ordnung im Konfliktfall zu Tendenzen der nationalstaatlichen Selbstabschließung führen. Welche politische Kraft kann in einem solchen Konflikt auf Dauer die europäische Integration stützen, wenn die Legitimitätsdifferenz eindeutig zugunsten des Nationalstaats ausfällt? Und ist eine internationale Politik durchzuhalten, die allein auf dem Club der alten, reichen Nationen bei den G8-Treffen beruht? Im Gefolge der wirtschaftlichen Krisen seit dem Jahre 2008 wird der Bedarf an globaler Koordination und einem globalen Regieren in wichtigen Politikfeldern immer größer. Die Frage, wer wann mit welchem Verbindlichkeitsgrad in welchem Politikfeld entscheiden und Entscheidungen implementieren darf, spitzt sich daher weiter zu. Und in all diesen Auseinandersetzungen wird es nicht allein darauf ankommen, wer sich qua Machtressourcen durchsetzen kann oder welche Lösung die
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höchste Effektivität verspricht, sondern es wird auch darauf ankommen, welches Regime, welche politische Ordnung sich als legitim erweist. Unsere Studien werden zeigen, dass sich in den letzten zehn Jahren eine Verteilung von Legitimitätsurteilen ergeben hat, die dazu zwingt, eine neue Kategorisierung in die Legitimationsforschung einzuführen. Denn in den meisten der von uns analysierten Fälle finden wir weder eine stabile Legitimitätslage noch eine Zuspitzung der Kritik, die dazu nötigt, von einer Legitimationskrise zu sprechen. Die von uns identifizierten Zwischenlagen sollen mit dem Titel dieses Buches angesprochen werden: prekäre Legitimitäten. Prekär ist aber nicht nur die Legitimationslage einzelner politischer Ordnungen, prekär erscheint vielmehr auch die Legitimität der gesamten globalen politischen Architektur. Denn während in keinem der von uns untersuchten Fälle von einer vollends gesicherten Legitimität zu sprechen ist, muss in einigen Fällen durchaus von krisenhafter Legitimität ausgegangen werden; zudem zeigt sich ein Legitimitätsgefälle zwischen den alles in allem positiver bewerteten Nationalstaaten auf der einen und den inter- bzw. supranationalen Regimes auf der anderen Seite. Sollten aber die Differenzen in der Anerkennung zwischen Nationalstaaten und neuen inter- und supranationalen Ordnungen sehr groß werden, bleibt das Gesamtgebäude instabil, und die Bestrebungen, Macht und Kompetenzen dahin zu verlagern, wo man legitime Ordnungen vermutet, dürften Auftrieb gewinnen. Prekäre Legitimitäten sind ein Faktor der Instabilität jenes Arrangements, das als Global Governance inthronisiert und gefeiert wurde. In der Euphorie wurde und wird also leicht übersehen, dass Global Governance noch keine Gestalt gefunden hat, die ein legitimes Zusammenspiel von je für sich legitimen politischen Ordnungen darstellt.
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Der Wandel des Legitimitätsdenkens
Frank Nullmeier und Martin Nonhoff
Die aktuellen politischen und wissenschaftlichen Debatten zur Legitimität inter- und supranationaler Organisationen und Regimes verweisen nicht einfach auf ein Hinzutreten zusätzlicher Legitimationsprobleme für neue Formen politischen Regierens, sondern tangieren grundsätzlich unser Verständnis von Legitimität und Demokratie – auch auf der nationalstaatlichen Ebene. Mit der Ausdehnung der Legitimitätsfrage auf die Ebene jenseits des Nationalstaates werden die Grundlagen des Legitimitätsdenkens brüchig und die Legitimitätsarchitektur moderner politischer Ordnungen steht insgesamt zur Disposition. Ja, selbst der Begriff der Legitimität erfährt eine Veränderung im Zuge seiner Anwendung auf internationale Organisationen und Regimes. Zum traditionellen Folgebereitschaftsbzw. Compliance-Modell von Legitimität tritt, wie wir im Folgenden ausführen, ein Bewertungsmodell hinzu, das nicht mehr auf die Frage des Ersatzes von Gewaltsamkeit und Erzwingung durch Zustimmung in der Folgebereitschaft gegenüber politischer Herrschaft ausgerichtet ist, sondern die Angemessenheit einer politischen Ordnung im Lichte einer Vielzahl von Bewertungskriterien in den Vordergrund stellt. Dieser Wandel vollzieht sich auf dem Gebiet normativer Legitimitätstheorie. Das folgende Kapitel wird sich zunächst diesem Wandlungsprozess und damit auch dem Felde normativer Theorie zuwenden, um schließlich Schlussfolgerungen für eine Neukonzeption empirischer Legitimationsforschung zu ziehen: Wenn Legitimation zunehmend im Sinne von Bewertung begriffen wird, sollte empirische Forschung so angelegt sein, dass sie einen Zugriff auf Bewertungen und die sie leitenden Maßstäbe ermöglicht. Als Kontrastfolie für das zu entwerfende Bewertungsmodell wird im folgenden ersten Abschnitt das traditionelle Folgebereitschaftsmodell vorgestellt. Für die Thematik einer durch Global Governance komplizierter gewordenen politischen Architektur sind dabei zwei Varianten relevant. Beide sind durch eine strikte Dichotomie gekennzeichnet. Während die
DER WANDEL DES LEGITIMITÄTSDENKENS
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Dichotomie aus »legitim« und »illegitim« vorrangig in der Rechtswissenschaft verankert ist (2.1.1), beruht die Gegenüberstellung von »legitim« und »a-legitim« auf Konzepten aus der Subdisziplin der Internationalen Beziehungen (2.1.2). Die anschließenden Ausführungen rekapitulieren zunächst die beiden grundlegenden Denksysteme, die das Nachdenken über die Legitimität globaler politischer Ordnungen anleiten und den Denkraum vorstrukturieren. Sie skizzieren dann verschiedene, von einer Vielzahl von Autoren und Autorinnen unternommene Versuche, aus diesem Denkraum auszubrechen, insbesondere getrieben von dem Wunsch, den Trend zum Bedeutungszuwachs internationaler Organisationen zu unterstützen und das Argument ihrer mangelnden demokratischen Legitimität abzumildern oder aufzuheben (2.2). Aus diesen Versuchen, eine für internationale Organisationen angemessene Legitimitätskonstruktion zu entwickeln, resultiert der Durchbruch eines neuen Legitimitätsverständnisses, das hier als Bewertungsmodell bezeichnet werden soll (2.3). Während im Folgebereitschaftsmodell durch die Konzeption einer ununterbrochenen Legitimationskette die Zuweisung des Attributs »demokratisch legitim« eindeutig geregelt war, treten beim Bewertungsmodell Verschiebungen auf, die als Ermäßigung der demokratischen Anforderungen und als Öffnung gegenüber nicht mehr an politische Gleichheit und inklusive Partizipation gebundenen Legitimitätskonzepten interpretiert werden können. Die vorrangige Offenheit dieses Legitimitätsverständnisses für eine Vielzahl von Bewertungskriterien macht im Interesse der Begriffsschärfung eine stärkere Betonung der Unterscheidung zwischen Legitimität und demokratischer Legitimität notwendig. Im Ergebnis wird gezeigt, dass der Wandel zum Bewertungsmodell nicht inhärent eine Ermäßigung des Demokratiebegriffs mit sich bringen muss (2.4). Das Bewertungsmodell kommt einer empirischen Legitimationsforschung durchaus entgegen, wird doch die Pluralität der Bewertungsmöglichkeiten und -maßstäbe betont. Zugleich aber zwingt dieses Modell die empirische Forschung, nunmehr genauer die Muster und Kriterien zu erheben, die zu positiven oder negativen Urteilen über eine politische Ordnung führen, eine Aufgabe, die die bisherige Forschung nicht erfüllt hat (2.5.1). Schließlich entlastet das Bewertungsmodell die empirische Legitimationsforschung von der Verantwortung dafür, mit der Untersuchung von Legitimation einen unmittelbaren Hinweis auf Stabilität oder Fragilität einer Herrschaft in ihrem Kern, der Bereitschaft zum Gehorsam gegenüber dem Erzwingungsapparat, liefern zu müssen. Damit wird die For-
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schung auch offener für die detaillierte Analyse der Zwischenzustände jenseits von gelungener Legitimation und gefährdeter Stabilität in einer Legitimationskrise. Um dieser neuen Ausrichtung auf Zwischenzonen eine begriffliche Basis zu bieten, sprechen wir von »prekären Legitimitäten« (2.5.2). Da die Veränderungen des Legitimitätsverständnisses ihren Ursprung in normativer politischer Theorie haben, wird abschließend darauf hinzuweisen sein, dass die empirische Legitimationsforschung, die in den folgenden Kapiteln des Buches entfaltet wird, über den Begriff demokratischer Legitimität an die normative Theorie rückgebunden bleiben muss (2.6.).
2.1
Das Folgebereitschaftsmodell der Legitimität
2.1.1 Die ununterbrochene demokratische Legitimationskette Ihren prägnantesten Ausdruck hat die dichotome Legitimitätstheorie im Bild der »Legitimationskette« erhalten. In einer Kette können die Glieder zusammenhängen oder nicht, entweder ist die Kette gerissen oder sie hält. Demokratische Legitimität wird daher bei Ernst-Wolfgang Böckenförde (1991: 299) wie folgt definiert: Die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse bedarf einer Legitimation, die auf das Volk selbst zurückführt bzw. von ihm ausgeht (sogenannte »ununterbrochene demokratische Legitimationskette«) […].
Den leichtesten Zugang zu dieser Denkweise erhält man, wenn man die Legitimationskette als Kette der Berufungsakte versteht und damit die personale Dimension von Legitimationsakten in den Vordergrund rückt.1 Das
—————— 1 Diese Denkweise findet sich nicht erst bei Böckenförde, sie ist vorgebildet bei Roman Herzog. Bereits in Herzogs Allgemeiner Staatslehre (1971: 214) findet sich die Verbindung der Kettenmetaphorik mit der Konzeption demokratischer Legitimation: »Es kommt aber darauf an, daß jeder einzelne Amtswalter individuell in sein Amt berufen wird, und da auch derjenige, der diese Berufung im Einzelfall ausspricht, selbst wieder Amtswalter ist und daher auch selbst wieder individuell ernannt oder gewählt worden sein muß, ergibt sich daraus, daß in einer auf dem Prinzip der individuellen Berufung aufgebauten demokratischen Staatsorganisation von jedem einzelnen Amtswalter eine Kette individueller Berufungsakte bis auf das Volk als den Träger der Staatsgewalt zurückführen muß – wenn man so will: eine Kette von auf die einzelne Person bezogenen Vertrauensentscheidungen. Nur wenn diese Kette in allen Fällen vollständig ist, ist die demokrati-
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Konzept der Legitimationskette verlangt gerade keine allseitige Einbeziehung und Partizipation der Bürgerinnen, sie fundiert durchaus eine eher partizipationsferne Demokratietheorie: Diese Legitimation muß, wie schon der Ausdruck Legitimations»kette« besagt, nicht unmittelbar auf das Volk zurückführen; mittelbare wie unmittelbare Berufung durch das Volk sind gleichermaßen zulässig, wenngleich die unmittelbare Berufung eine höhere demokratische Dignität begründen mag (Böckenförde 1991: 302).
Diese vom Bundesverfassungsgericht mitgestaltete bzw. übernommene Konzeption bildet heute weithin die Grundlage juristischen Nachdenkens über das Thema Legitimation. Wann aber wird dieses Denken, das die Dichotomie von legitim versus illegitim erzeugt, relevant? Erst dort, wo Herrschaft Folgebereitschaft einfordert. Die Theorie der Legitimität ist in der Tradition Max Webers mit dem Konzept der gewaltfreien Folgebereitschaft engstens verknüpft. Legitimitätsüberzeugungen ersetzen Sanktionen bis hin zum Einsatz von Gewaltmitteln, um Herrschaft aufrechtzuerhalten und Herrschaftsfunktionen effektiv zur Ausführung zu bringen. In einer demokratischen politischen Ordnung, die dem Mehrheitsprinzip einen zentralen Stellenwert zumisst, laufen staatliche Entscheidungen den Präferenzen vieler Bürgerinnen entgegen, die dennoch aufgefordert sind, sich an diese Entscheidungen als legal gesetzt und kollektiv verbindlich zu halten. Müsste die Folgebereitschaft immer mit hohem Kontroll- und Sanktionsaufwand eingefordert werden, stiegen die Herrschaftskosten bis zur Unregierbarkeit und Selbstblockade einer politischen Gemeinschaft. Zu Recht ist daher jüngst ein solches Legitimitätsverständnis als »funktional« bezeichnet worden (Scharpf 2009: 245). Denn Überzeugungen zur Anerkennungswürdigkeit aktuell bestehender Herrschaft führen zu einer freiwilligen Folgebereitschaft, erleichtern die Ausübung von Herrschaft und lassen die Funktionsweise des politischen Systems auch dann intakt, wenn gerade keine Zustimmung zu den einzelnen Maßnahmen und Entscheidungen vorliegt. Umgekehrt wird von einer Legitimationskrise dort gesprochen, wo Institutionen nicht länger in der Lage sind, normenbefolgendes Verhalten sicherzustellen (Reus-Smit 2007: 161).
—————— sche Legitimität der staatlichen Organisation gewährleistet«. Dem fügt Herzog wenig später die gegenüber dem Bild der »vollständigen Kette« passendere Metaphorik der »ununterbrochenen Kette individueller Berufungen bis auf den Auftrag des Volkes« (Herzog 1971: 215) hinzu, die über Böckenförde dann tradiert und verbreitet wird. Diesen Hinweis verdanken wir Tanja Pritzlaff.
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Die Theorie der Legitimationsketten expliziert in normativ-juristischer Perspektive das, was Max Webers Idealtyp der rationalen, d.h. legalen Herrschaft in empirisch-soziologischer Einstellung beschrieben hatte: Legitim ist danach eine politische Herrschaft, die sich auf gesatztes Recht beziehen kann. Allerdings gibt es zwei wesentliche Unterschiede zu Weber: Erstens kennt dieser unterschiedliche, jeweils idealtypische Quellen von Legitimität (neben der legalen Prozedur die Tradition und das Charisma), und er macht auch darauf aufmerksam, dass es im Konkreten stets zu unterschiedlichen Mischungen dieser idealtypischen Legitimitätsquellen kommen kann (Weber 1922: 19–20). Diese Pluralität der Legitimitätskonstituierung bekommt die normativ-juristische Perspektive zumeist nicht in den Blick. Zweitens bezieht die Theorie der Legitimationsketten überall dort, wo Weber nur die Verwaltung als Bürokratie im Blick hatte, die zentralen Konstrukte der freien Rechts-Satzung und der Amtshierarchie nunmehr auf den gesamten demokratischen Prozess. Den Weisungsketten, die den Amtsleiter mit den Referenten verbinden, entsprechen die durch Wahlvorgänge geschaffenen Ketten zwischen Bürgerschaft und Parlament, Parlament und Regierung. An die Stelle der einseitigen Amtskette Weberscher Art, die nur die Beziehungen innerhalb einer Exekutive und in einer ausschließlich rechtsstaatlichen Perspektive erfasst, tritt die auf Delegation, Wahlen und Weisungen zurückgreifende, zweiseitige Legitimationskette Böckenfördes, die Legislative und Exekutive erfasst und damit eine Theorie demokratischer Legitimität entwirft, einen Typus, den Weber nicht kennt. Die Theorie der Legitimationsketten ist somit aus einer zweifachen Transformation der Weberschen Legitimitätskonzeption hervorgegangen: Aus einer empirischen Legitimationstheorie wird erstens eine normative und aus einer Theorie der Verwaltungsherrschaft wird zweitens eine Theorie demokratischer Herrschaft. Die Konsequenzen der Legitimationskettentheorie liegen vor allem darin, dass leicht zu entscheiden ist, ob eine Herrschaft demokratisch legitim ist oder nicht: Es geht dabei ausschließlich um die Rechtsbeziehungen. Nur wenn Delegations-, Wahl- und Weisungsakte rechtlich vorgeschrieben sind, und nur wenn sie sich als eine Äußerungsform der Apparate politischer Herrschaft auf den Willen der Bürgerschaft zurückführen lassen, können diese Akte als legitim gelten. Dies ist in der Regel leicht zu überprüfen, entsprechend ist immer nur mit der Zuweisung der Prädikate »legi-
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tim« oder »illegitim« zu rechnen. Zwischenformen – prekäre Legitimitäten – sind nicht zu erwarten oder bestenfalls seltene Streitfälle für Juristen. Die Auswirkungen dieser Legitimationskonzeption auf die Untersuchung neuer inter- und supranationaler politischer Ordnungen sind gravierend. Da keine direkten Wahlbeziehungen zwischen der Weltbevölkerung, d.h. einer Weltbürgerschaft, und den Gremien dieser internationalen Organisationen bestehen, kann von direkter Legitimität nicht die Rede sein. Die Rede vom »demokratischen Defizit« ist in dieser Perspektive fast eine Untertreibung, da es sich um prinzipiell demokratisch illegitime Ordnungen handelt. Die Legitimitätsfrage stellt sich hier – und das ist die entscheidende Weichenstellung – aber nur, wenn Folgebereitschaft eingefordert wird, also eine wirkliche Herrschaftsbeziehung zwischen der internationalen Institution und der Weltbevölkerung existiert. Wo keine Herrschaft, da kein Bedarf an Folgebereitschaft, wo kein Bedarf an Folgebereitschaft, da auch keine Legitimitätsfrage. Aber handelt es sich bei inter- und supranationalen Regimes wie UNO, G8 und EU um Formen politischer Herrschaft? Und wenn ja, von wem fordern sie Folgebereitschaft, nur von den Mitgliedstaaten oder auch von den Bürgerinnen all dieser Staaten? Damit rückt die Compliance-Thematik ins Zentrum der Überlegungen. Auch Fritz W. Scharpf hat diese Frage in aller Schärfe aufgeworfen und am Fall derjenigen internationalen politischen Ordnung, die nach übereinstimmender Sicht aller Beobachter im Grad der Staatlichkeit bzw. Supranationalität am weitesten fortgeschritten ist, der Europäischen Union, beantwortet. Da es keine eigenen Vollzugsbehörden der EU gibt, sind die Bürgerinnen nie mit der Europäischen Union direkt konfrontiert. Überall dort, wo europäisches Recht umgesetzt wird, sind es die Organe der Mitgliedstaaten, die die Folgebereitschaft der Bürgerinnen einfordern.2 Folglich gibt es keine direkte Legitimationsproblematik in der Beziehung zwischen Bürgerinnen und EU-Organen. Die Klage über das Demokratiedefizit ist insofern verfehlt, als die eigentliche Struktur der EU verkannt wird. Statt der direkten
—————— 2 Scharpf (2009: 252) führt als Ausnahme nur die Ahndung der Verletzung von Wettbewerbsregeln durch die Kommission an, die die betreffenden Unternehmen direkt bindet. Ob die von Scharpf unterstellte Interpretation der EU als zweistufige Herrschaftsstruktur zutrifft oder ob es doch direkte Beziehungen zwischen EU und der EU-Bürgerschaft gibt, ist hier nicht zu diskutieren. Problematisch scheint jedoch, dass Scharpf die Unterschiede zwischen der zweistufigen Herrschaftsbeziehung im deutschen Föderalismus und in der EU nicht rein rechtlich herleitet, sondern von dem empirisch zu beobachtenden Zurechnungsverhalten der Bürgerinnen (Adressierung von politischen Forderungen im deutschen Föderalismus an den Bund) abhängig macht.
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Beziehung ist eine zweistufige Legitimationsbeziehung vorhanden – zum einen zwischen Bürgerinnen und den Nationalstaaten, zum anderen zwischen den Mitgliedstaaten und der EU: Im europäischen Zwei-Ebenen-Gemeinwesen muss deshalb die Union nicht als eine Regierung von Bürgern, sondern als eine Regierung von Regierungen angesehen und als solche auch legitimiert werden. […]. Statt über die Frage des »demokratischen Defizits« im unmittelbaren Verhältnis zwischen der EU und den Bürgern der Mitgliedstaaten zu streiten, sollten wir die legitimierenden Argumente diskutieren, welche den Gehorsam der Mitgliedstaaten gegenüber den Anordnungen der EU rechtfertigen können. Und wir sollten die Bedingungen klären, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, diese Folgebereitschaft gegenüber ihren Bürgern zu rechtfertigen (Scharpf 2009: 253).
Damit ist der Schritt zu einer in Legitimationsfragen konsequent intergouvernementalistischen Sicht der Europäischen Union vollzogen. Die Frage der Legitimität der EU stellt sich nicht aus Bürgersicht, sondern nur aus Sicht des folgebereiten Mitgliedstaates (vgl. hierzu kritisch Steffek 2007). Die Zweistufigkeit des »Mehrebenensystems EU« zeigt sich als Auseinandertreten von Bürgerlegitimitäten (gegenüber ihrem Mitgliedstaat) und Staatslegitimitäten (gegenüber der EU). Aber auch wenn man nur die Legitimität der EU aus Sicht der Mitgliedstaaten thematisiert, bleibt die Logik des Legitimationskettenarguments intakt. Solange und soweit das Einstimmigkeitserfordernis für EU-Entscheidungen bestimmend ist, kann es keinen Zweifel daran geben, dass Entscheidungen auf der Zustimmung und damit der signalisierten freiwilligen Folgebereitschaft der Mitgliedstaaten beruhen. Und auch bei Entscheidungen mit (qualifizierten) Mehrheiten ist nicht die Anerkennungswürdigkeit der politischen Ordnung EU tangiert – die Input-Legitimität im Sinne ununterbrochener Ketten besteht auch hier –, sondern allein die Reformfähigkeit aufgrund erschwerter Reversibilität, wie sie für alle Systeme mit übergroßen Mehrheitserfordernissen gilt (Scharpf 2009: 255). Wirklich problematisch können nur jene Vorgänge sein, die Scharpf als »nicht-politische Politikprozesse« bezeichnet (ebd.) und die vielleicht besser als Problem von nicht gewählten Organen und Herrschaftseinheiten bzw. von extrem weit gefassten Befugnissen und Autonomiespielräumen einzelner Organe erfasst sind – hier ist vor allem der Europäische Gerichtshof gemeint. Illegitimität liegt nur dort vor, wo die Kette unterbrochen ist (»unelected bodies«) oder wo ein Organ aufgrund von Autonomiegraden, die eine Rückbindung an den Willen der übergeordneten Ein-
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heiten nicht mehr erlauben, »von der Kette gelassen« worden ist.3 Prekär ist hier bestenfalls die ganz genaue Bestimmung des erlaubten gegenüber dem nicht mehr vertretbaren Handlungsspielraum eines Organs. Die Zone der Unbestimmtheit ist aber schmal und Sache des Expertenstreits. Prekäre Legitimitäten zeigen sich hier noch nicht. Die Legitimationskettentheorie kommt zu sich, wenn sie die Legitimitätsfrage für politische Ordnungen jenseits des Staates letztlich verneint. Sie spaltet die Legitimitäten auf in die von Staaten gegenüber den sie bindenden internationalen Organisationen und jene Bürgerlegitimitäten, die immer nur auftreten zwischen Bürgerinnen und ihren Verwaltungen, da sie mit Herrschaftsakten anderer Verwaltungen gar nicht konfrontiert werden. Da Bürgerinnen aber sehen können, dass inländische Verwaltungsakte auf internationalen Vorgaben beruhen, ist diese Trennung hoch künstlich. Zwar kann Folgebereitschaft nur gegenüber einer ausführenden Instanz verweigert werden, aber sie kann sich doch an einen anderen Adressaten wenden als die unmittelbar ausführende nationale Exekutive. Und zwar kann die Verweigerung auch darauf zielen, den Nationalstaat dazu zu bewegen, seine Compliance gegenüber der EU zurückzuziehen, sie kann sich aber ebenso gut direkt auf die Entscheidungen der EU-Ebene beziehen. Die Kette ist auch aus Bürgersicht erkennbar, jeder Handlungsakt muss sich aber nicht allein auf das Handlungsglied beziehen, das mit dem der Bürgerinnen unmittelbar konfrontiert ist. Man kann sehr wohl an einer Kette zerren, um das letzte Element aus seiner Verankerung zu ziehen. Scharpf reformuliert die Legitimationstheorie wieder unter dem Blickwinkel der Folgebereitschaft. Damit wird eine konsequent herrschafts- und damit zwangszentrierte Sicht auf Legitimationsfragen reetabliert, die nur ein legitim oder illegitim kennt.
2.1.2 A-Legitimität des internationalen Systems als Staatensystem Das nach dem Dreißigjährigen Krieg entstandene Staatensystem, beruhend auf den Grundsätzen des Westfälischen Friedens, gilt in der Disziplin der Internationalen Beziehungen als ein von keiner Herrschaft, keinem Zwangsapparat gesteuertes System. Zwar kann es Vorherrschaften (Hegemonien)
—————— 3 Diese Position unterscheidet sich von Positionen, die ungewählten Körperschaften eine eigene, nicht-demokratische und vor allem auf Expertise beruhende Legitimität zuschreiben wollen (etwa Vibert 2007).
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statt einer relativen Gleichgewichtigkeit der Kräfte geben, aber die Grundstruktur des Staatensystems ist nicht-herrschaftlich, also anarchisch (Waltz 1979). Ein anarchisches internationales System kann per definitionem keine Legitimitätsproblematik aufwerfen, da es keine Probleme der Folgebereitschaft erzeugt. Da nur Verträge zwischen souveränen Staaten geschlossen werden und sich aus dem Zusammenwirken von Staaten allein das internationale System ergibt, fehlt es an einer eigenständigen Herrschafts- oder Sanktionsinstanz. Wenn es im internationalen Raum aber keine neue Form der Herrschaft gibt, bleibt es allein bei der Folgebereitschaft gegenüber dem jeweiligen Staat. Das internationale System ist ein System ohne Herrschaft, es beruht nur auf den Willensakten der es begründenden Staaten. Ohne Herrschaft kein Problem der Folgebereitschaft, ohne Aufwerfen der Frage der Folgebereitschaft aber keine Legitimitätsproblematik. Daher ist das Westfälische System der Staatenwelt zwingend a-legitim.4 Diese Theorie der A-Legitimität kann solange Bestand haben, wie es im internationalen Raum keine anderen politischen Akteure und vor allem keine anderen Herrschaftsträger als Staaten gibt. Erst die Überwindung eines reinen Intergouvernementalismus kann die Legitimitätsfrage relevant werden lassen. Man kann jedoch auch die diese Theorie leitende Annahme bestreiten, das Westfälische System sei a-legitim. Denn es handelt sich dabei keineswegs mehr um eine unregulierte Anarchie mit Staaten, die sich im reinen Naturzustand befinden. Vielmehr beinhaltet das Westfälische System die Etablierung der Grundlagen des Völkerrechts als Normen einer Staatenwelt, die Staaten als Gleiche anerkennt. Mit dieser Norm erst wird »Staat« zu einer relevanten Kategorie. Nicht beliebige Akteure im Naturzustand, sondern eine bestimmte Kategorie von Akteuren – Staaten und nur sie – sind die anerkannten Akteure. Zugehörigkeit zu dieser Kategorie heißt Ansprüche auf Ansprüche zu haben, z.B. den auf Souveränität. Das Staatensystem erst konstituiert, welche Herrschaftsform als Staat gelten kann. Übernimmt man diese Sicht auf das internationale System (Waltz 1979; Wendt 1999), stellt sich ein Legitimationsproblem anderer Art. Die Legitimation von Staaten erfolgt nicht durch den Akt der Folgebereitschaft durch die Herrschaftsunterworfenen, sondern als Anerkennung durch andere, die gerade nicht Herrschaftsunterworfene sind. Die Staaten legitimieren sich wechselseitig, indem sie sich in ihrer Staatlichkeit anerkennen.
—————— 4 Wir entlehnen unser Verständnis des A-Legitimen der Verwendungsweise bei Jens Steffek, der als a-legitim Institutionen bezeichnet, die gar nicht erst zum Gegenstand öffentlicher Debatten werden (Steffek 2007: 190).
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Damit wird die übliche Sicht auf Legitimität als ein allein in der Vertikalen angesiedeltes Problem verlassen. Legitimation wird zum Problem der Anerkennung, wobei die Verkehrung des Legitimationsproblems von der Vertikalen in die Horizontale selbst bereits Teil dieser Anerkennung ist: »Gleiche« werden Staaten erst durch die wechselseitige Zuschreibung des Status als »Staat«. Diese Anerkennung von Staatlichkeit durch die Staatenwelt bleibt aber auch nicht ohne Folge für die Beziehung zwischen den Herrschaftsunterworfenen in einem Staat und dieser politischen Ordnung. Denn mit der internationalen Etablierung der Kategorie »Staat« als jenem (einzigen) legitimen Typus politischer Ordnung, der die Anerkennung anderer politischer Herrschaftsträger verdient, erhält der Staat eine besondere Auszeichnung, mit der er auch vor seine Untertanen oder Bürgerinnen treten kann. Er ist ein Element der Menge »Staaten«, jener Menge sich wechselseitig anerkennender politischer Akteure und Ordnungen. Dadurch tritt er als Exempel einer größeren Kategorie vor diejenigen, die Folgebereitschaft zeigen sollen, er ist nicht nur ein konkreter Herrschaftsträger ganz besonderer Art. Er ist ein Fall aus der Menge eines wohl bestimmten Typus von Herrschaftsträgern. Mit dieser Außenlegitimierung qua Kategorisierung und wechselseitiger Anerkennung verändert sich auch die vertikale Binnenlegitimierung. Die Analyse des Westfälischen Systems als Normordnung lässt es jedenfalls nicht zu, die Rede von der A-Legitimität weiter aufrechtzuerhalten. Die Grundeinschätzung des internationalen als eines a-legitimen Systems verbindet sich in jüngeren Analysen mit der Annahme, dass nach dem Zweiten Weltkrieg eine Veränderung stattgefunden habe – zunächst mit der Etablierung der Vereinten Nationen und dem Bretton Woods-System internationaler Organisationen, später mit dem rapiden Wachstum internationaler Regimes. Die Entstehung eines Systems von internationalen Regimes werfe zunehmend Legitimationsfragen auf, weil aus den Vertragswerken der Nationalstaaten ein mehr als nur intergouvernementales System entstanden sei: die Welt der Global Governance, eines Regierens jenseits des Nationalstaats (Zürn 2004; Zürn u.a. 2007). Nicht nur Legitimität wird nunmehr eingefordert, sondern gleich demokratische Legitimität. Das neue Weltregieren müsse sich demokratischen Ansprüchen stellen – und solange diese nicht erfüllt würden, bestehe ein demokratisches Defizit. Was aber sind die entscheidenden Faktoren, die das internationale System von einem a-legitimen zu einem legitimierbaren, zunächst aber wohl demokratisch illegitimen System machen? Ist es die pure Fülle der internationalen Orga-
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nisationen? Ist es die Forderung nach Einhaltung der Beschlüsse und Entscheidungen dieser Organisationen, die ein Problem der Folgebereitschaft der Staaten gegenüber internationalen Regimes aufwirft? Folgt man der neueren Debatte über die Politisierung des internationalen Systems, scheinen die Einführung von Schiedsgerichtsbarkeit und Mehrheitsbeschlüssen sowie ungleichen Stimmverhältnissen – also all jener Normen und Institutionen, die eine Abkehr von den Prinzipien der Staatengleichheit und der Einstimmigkeit beinhalten – ausschlaggebend zu sein für das Entstehen von Legitimationsproblemen. In konsequenter Weiterführung des Theorems der A-Legitimität des Westfälischen Systems wird erst die Abkehr von diesem System zu einem Fall für Legitimationsfragen. Solange zwischenstaatlich die volle Gleichberechtigung herrscht in allen Fragen internationaler Rechtssetzung und Entscheidungsfindung, bleibt es bei der ALegitimität. Formal institutionalisierte Ungleichheit zwischen Staaten ist die Vorbedingung für das Auftreten der Legitimitätsproblematik. Bezieht man sich in seinem Legitimationsverständnis aber stärker auf Max Webers Soziologische Grundbegriffe (1922: 1–30), wo der Begriff des Legitimen keineswegs an Herrschaft, sondern an Normen gebunden ist, kann die Geschichte des internationalen Systems auch anders interpretiert werden. Nur wenn man die Legitimitätsbegrifflichkeit an Gehorsam und Folgebereitschaft (Compliance) bindet, macht eine Datierung Sinn, die das Entstehen von Legitimationsproblemen auf das Jahr 1945 mit der Errichtung der UNO zurückführt. Damit erscheint das Legitimitätsproblem als etwas sehr Neues und Junges. In der Debatte über die Politisierung internationaler Institutionen (Zürn u.a. 2007) wird der Durchbruch Folgebereitschaft einfordernder internationaler Normsysteme noch weiter in die Nähe der Gegenwart verlegt, so dass erst der Ausbau internationaler Regimes seit den 1980er Jahren zusammen mit der Einrichtung von Anwendungs- und Durchsetzungsorganen (im Bereich der Judikative: Schiedsgerichte) Anlass gibt, über Legitimitätsfragen nachzudenken. Die Vergangenheit wird entsprechend als eine beschrieben, in der es an internationalen Normen fehlte. Dies ist jedoch nur so lange richtig, wie man das Bestehen einer Normordnung an die Existenz eines Erzwingungsapparates bindet. Dieser existiert in der Tat bis zur Verabschiedung der UN-Charta nicht. Doch differenziert man zwischen Normordnung und Erzwingungsapparat, dann erscheint durchaus auch das System des Westfälischen Friedens als Normordnung, die von den Staaten anerkannt, befolgt und gerechtfertigt (mithin legitimiert) werden musste. Folgt man dieser Überlegung einer bereits vor 1945
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international existierenden Normordnung, dann kann auch das Legitimitätsproblem nicht neu sein. Es hat sich sicherlich intensiviert und verschärft. Doch kann die Zeit vor 1945 oder 1980 nicht als legitimationsfreie Sphäre bloßer Machtauseinandersetzung verstanden werden, nur weil ein Sanktionsapparat fehlte und Gehorsam gegenüber der Ordnung nur als Selbstbindung der Staaten erfolgen konnte.
2.2
Pluralisierung normativer Legitimitätskriterien
Mit der Bildung einer Vielzahl internationaler Organisationen ist die globale Ordnung aber nicht mehr als Staatenwelt zu beschreiben. Die von Staaten gegründeten Organisationen entwickeln ein institutionelles Eigenleben und Eigengewicht, zudem erzeugen sie eine neue Form kollektiver und korporativer Akteure, die sich an die internationalen Organisationen und nicht an die Nationalstaaten hängen. Die beiden alten Legitimationsprinzipien genügen nicht mehr, um das faktische Geschehen mit einer ihm annähernd entsprechenden normativen Konzeption zu versehen. Versagt die Logik der Staatengleichheit in der Erfassung aller normativ relevanten Phänomene, so führt der Wechsel auf Bürgergleichheit zu einer vollkommen klaren Anzeige eines Legitimations- und Demokratiedefizits des internationalen Systems. Das derzeitige In- und Nebeneinander von internationalen Organisationen, der EU als supranationaler Einheit und den Nationalstaaten als weiterhin starken politischen Mächten kann sich nicht insgesamt als legitim erweisen. Ein Weltstaat wie ein föderales Weltsystem oder eine EU als Bundesstaat wären dagegen als legitim zu bezeichnen – ebenso wie ein Zurück zur Vormacht souveräner Nationalstaaten. Nur die heutige Situation, verstanden als »postnationale Konstellation« (Habermas 1998; Leibfried/Zürn 2005), vermag schon aus Gründen der bisherigen Anlage der Legitimitätstheorie nicht legitim genannt zu werden. Diese Situation hat in den letzten Jahren eine Fülle theoretischer Bemühungen ausgelöst, passförmigere neue Kriterien für Global Governance zu entwickeln. Zwei Strategien sind dabei erkennbar: Häufig geht es (a) um eine Abschwächung oder Neu-Interpretation von Kriterien demokratischer Legitimität; alternativ wird (b) der Legitimationsbedarf inter- und supranationaler Regimes argumentativ gemindert.
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(a) Neu-Interpretationen demokratischer Legitimität sind auf die eine oder andere Weise stets bemüht, das harte Kriterium einer über Wahlen und Abstimmungen ausgeübten Volkssouveränität zu überwinden, zumeist mit Varianten des Arguments, dass solche elektoralen Institutionen eine gemeinsame Identität der Wählenden voraussetzen bzw. dass es eine Solidaritätsbeziehung zwischen ihnen geben müsse (z.B. Majone 2005: 192). Es lassen sich drei Varianten dieser Neu-Interpretationsstrategie ausmachen. Erstens ist mittlerweile breit akzeptiert, dass es zur Legitimität einer demokratischen Ordnung nicht nur beiträgt, wenn sie aus dem Volk als Souverän hervorgeht, sondern auch, wenn sie das Wohlergehen des Volkes befördert. Fritz Scharpf (1999) hat dementsprechend zwischen Input- und Output-Legitimität unterschieden. Diese Unterscheidung wird auch mit Blick auf Global Governance-Institutionen aufgenommen; es wird dann argumentiert, dass insbesondere in diesem Fall die Problemlösungskompetenz, mithin der Output, für die Legitimität maßgeblich sei (z.B. Breitmeier 2008). Zweitens wird die Messlatte für die Verwendung des Begriffs des Demokratischen niedriger angelegt. Dies geschieht dort, wo demokratische Legitimität nicht länger ausschließlich an die faktische Möglichkeit der (repräsentativen) Selbstregierung durch Akte der Wahl und der Abwahl gebunden wird, sondern wo nach funktionalen Äquivalenten hierfür gesucht wird, also nach Möglichkeiten, den idealtypischen Effekt von Wahlen zu erzielen (Auswahl, Kontrolle, Zwang zur Rechtfertigung des Tuns durch die Regierenden), ohne tatsächlich eine – im internationalen Kontext zumeist als unmöglich erachtete – Wahl durchführen zu müssen. Als ein wesentliches funktionales Äquivalent der Legitimitätssicherung gelten Mechanismen der Deliberation. Deliberation wurde im Rahmen von auf den Nationalstaat bezogenen Diskussionen zumeist nur im Zusammenhang mit dem Wahlmechanismus als legitimierendes Verfahren diskutiert (Manin 1987; Habermas 1992; Buchstein 2009), allerdings gibt es auch das Bemühen, diese Verbindung zu lösen und sie etwa durch eine Verknüpfung deliberativer Verfahren in Expertenzirkeln mit anschließenden Einspruchsverfahren zu ersetzen (Pettit 2006). Mit Blick auf internationale Institutionen werden deliberative Verfahren als Alternative zu parlamentarisch-elektoralen Verfahren betrachtet, weil das vernünftige Argument in diesen oft sektoralen und sehr spezialisierten Institutionen seine legitimierende Kraft entfalten könne, während zugleich die Legitimationsquelle eines demos nicht verlässlich angenommen werden kann (Steffek 2003,
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2007; vgl. auch Deitelhoff 2007). Wichtig ist dabei zwar die Offenheit der Deliberation nicht nur für Vertreter der Staaten, sondern auch für »Bürger«, doch die Universalität der politischen Mitbestimmung, die dem allgemeinen Wahlrecht eigen ist, wird aufgegeben. Zu einer noch weitergehenden Absenkung demokratischer Standards der Legitimität kommt es dort, wo die aktive Mitwirkung am politischen Prozess, die ja in (offenen) deliberativen Verfahren durchaus noch gesichert ist, auf eine rein beobachtende oder reaktive Rolle reduziert wird. Dies geschieht vor allem dort, wo Standards der Transparenz oder der »accountability« als funktionale Äquivalente demokratischer Entscheidungsverfahren etabliert werden sollen (z.B. Buchanan/Keohane 2006; Macdonald/Macdonald 2006; Übersicht zur »accountability«-Debatte bei Keohane 2003; Held 2005; KohlerKoch/Rittberger 2007). Insbesondere an internationale Regimes mit spezifischem Policy-Zuschnitt, an denen oft auch nicht-staatliche Akteure beteiligt sind, wird die Forderung gerichtet »to improve the accountability to their members [!] and [to] be open to the participatory claims from outsiders« (Breitmeier 2008: 37). Drittens wird oft stark gemacht, dass für Demokratien die in Wahlen und Abstimmungen ausgeübte Volkssouveränität nicht der einzige Wert sei, jedenfalls sofern sie sich – wie alle modernen Demokratien – als konstitutionelle Demokratien verstünden. In diesen treten nämlich neben die Volkssouveränität Werte wie Deliberation, Minderheitenschutz, »checks and balances«, die Bekämpfung von Einzel- und die Förderung von Gemeininteressen (Thomassen 2007; Keohane u.a. 2009). Internationale Institutionen könnten viele dieser Normen nicht nur erfüllen, sondern sogar zu ihrer Beförderung in den Nationalstaaten beitragen; so könnten sie z.B. Deliberationsprozesse erzwingen, die im nationalen Parteienstreit ausgeblendet zu werden drohen (Keohane u.a. 2009: 18–22). Offenheit für Partizipation ist dabei für die internationalen Institutionen hilfreich, aber keine conditio sine qua non. Auch die Perspektive, dass sich Legitimität (der EU) gerade aus einer Pluralität von bzw. einer Umstrittenheit von Legitimitätskonzeptionen speisen könne, schwächt Demokratie als Referenzpunkt für Legitimitätsüberlegungen (Lord/Magnette 2004). (b) Konstruktionen, die den Legitimationsbedarf inter- oder supranationaler Regimes mindern wollen, zielen auf eine Rückführung in den Bereich des A-Legitimen. Dabei kann allerdings nicht mehr die A-Legitimität der Staatengleichheit als Folie dienen. Nunmehr muss eine A-Legitimität aufgrund der verhandelten Entscheidungsmaterien etabliert werden. So
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argumentiert etwa Andrew Moravcsik, dass es Policy-Felder gebe, die auch in nationalstaatlichen Demokratien kaum partizipatorisches Interesse hervorriefen. Moravcsik bezieht sich auf die Europäische Union und verweist darauf, dass dort nahezu ausschließlich Gegenstände verhandelt würden, die nicht zu den »salient issues for the mass public« gehörten (Moravcsik 2006: 225). Wo sich aber niemand für Politik interessiere, könne es auch kein Demokratiedefizit geben (Moravcsik 2008). Bestimmte Materien sind nach dieser Argumentation schlicht nicht relevant für demokratische Selbstbestimmung durch das ganze Volk, und somit stellen sich auch keine Fragen nach demokratischer Legitimität. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass Politik, die sich mit diesen Policy-Feldern befasst, a-legitime Politik ist. Wo sich nur sehr kleine, spezielle Kreise für politische Problemlösungen interessieren, wo deshalb oft (die EU ist hier eine Ausnahme) auch nur sehr spezifisch zugeschnittene Regimes entstehen (vgl. auch Breitmeier 2008: 17–20), stellt sich, folgt man dieser Lesart, die Frage nach der Legitimität genau deshalb nicht, weil die Materie für den Großteil des postulierten Souveräns einfach nicht interessant genug ist. Der Zustand der A-Legitimität verändert damit seinen Stellenwert, letztlich wird hier eine neue Theorie der A-Legitimität entwickelt.
2.3
Legitimation als Bewertung
Die Versuche, alternative Kriterien demokratischer Legitimität zu entwickeln, machen deutlich, dass sich das Verständnis dessen, was Legitimität bedeuten soll, verändert hat. Der Begriff der Legitimation löst sich von seinem herrschaftssoziologischen Ausgangspunkt der Analyse der Bedingungen einer Folgebereitschaft, die nicht durch Gewalt erzwungen wird. Deshalb ist grundsätzlicher zu fragen, was »legitimieren« eigentlich heißt. Die empirische Legitimationsforschung, die bisher überwiegend als Einstellungsforschung agierte, hat zur Klärung dieses Begriffs leider nur wenig beigetragen, weil sie Legitimitätsfragen als Teil einer übergeordneten Erforschung der politischen Kultur, der Gesamtheit politischer Orientierungen oder als spezifische Form der politischen Unterstützung begriff. Der Legitimitätsbegriff wurde dann entweder für die Unterstützungsleistungen gegenüber dem politischen Regime, d.h. der politischen Ordnung (im Unterschied zur politischen Gemeinschaft und zu den politisch aktuell
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Regierenden) oder für Unterstützung in der Form moralischer Handlungsorientierung (im Unterschied zu instrumentell-nutzenbezogener und affektiver) reserviert. Die tradierte und letztlich sozialpsychologische Konzentration auf Einstellungen lässt das Interesse an den Motiven und der Art politischer Orientierung, sei sie gefühlsmäßig oder wertgetragen, in den Vordergrund rücken. In jüngeren Arbeiten aus dieser Tradition rückt aber deutlicher in den Vordergrund, dass es sich bei der Untersuchung von Legitimität um die Untersuchung von Legitimitätsurteilen, also von Bewertungen, handelt (Westle/Gabriel 2009). Wir sind es gewohnt, Wissen und Normen zu unterscheiden, eine kognitive und eine normative Dimension von Überzeugungssystemen. Aber erst aus der Verbindung beider erwächst ein Urteil, das als Bewertung bezeichnet werden kann. Bewertungen gehen aus der Bezugnahme eines Bewertungsmaßstabes auf ein Bewertungsobjekt hervor. Sobald ein wie immer abstrakt zu denkendes Objekt in Relation gesetzt wird zu einem Maßstab und an diesem gemessen wird, findet eine Bewertung des Objekts statt. Vorausgesetzt ist, dass der Bewertungsmaßstab, das Beurteilungskriterium etwas darstellt, das einen Wert für denjenigen bildet, der die Bewertung äußert. Nur dann erscheint das Objekt in einem positiven oder negativen Licht, nur dann ist gezeigt, dass es mehr oder weniger wert ist (was immer der Bewertungsmaßstab sein mag). Erstaunlicherweise ist das Bewerten nach dem Niedergang der materialen Wertethik und anderer Wertphilosophien kaum als eigenständiges Objekt der Sprachtheorie in Erscheinung getreten. Eine seltene Ausnahme bildet die Einführung des Typs Evaluativa in die Searlesche Sprechakttheorie bei Holger Schmitt (2000; vgl. auch Stede 2007). Die aus den Sozialwissenschaften bekannte Evaluationsforschung hat sich überwiegend um die Verfeinerung von Methodiken der Bewertung bemüht – durchaus auch mit dem Erfolg, dass uns Evaluationen allerseits begegnen. Aber eine Beachtung von Grundlagenfragen zum Stellenwert des Bewertens im Gesamtkontext sozialer und politischer Interaktion fand nicht statt. Legitimität muss, wie bereits Weber (1922: 19) feststellt, zugeschrieben werden (vgl. auch Barker 2001; Reus-Smit 2007). Diese Zuschreibung von Legitimität – die durchaus auch eine negative Zuschreibung, also ein Entzug von Legitimität, sein kann – ist nichts anderes als eine besondere Art der Evaluation bzw. Bewertung.5 Legitimitätsurteile sind, folgt man Weber
—————— 5 Auch die Begriffsentwicklung in der sozialwissenschaftlichen Forschung und Lehre geht dahin, Legitimieren und Bewerten als wechselseitig austauschbare Termini zu behandeln.
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weiter, insofern spezifisch, als sie sich auf die grundlegende Ebene einer normativen Ordnung beziehen, die wir hier als politische, normative Ordnung verstehen wollen. Ihr Gegenstand sind also die Gesamtheit des politischen Systems oder seine tragenden Elemente, nicht hingegen einzelne Maßnahmen, Entscheidungen oder Gesetze. Auch einzelne Personen oder Parteien sind in diesem Sinne nicht als legitim beurteilbar. Wenn Legitimität als Konsequenz von bewertenden Zuschreibungen verstanden wird, so lässt sich der konkrete Prozess der Bewertung als Legitimation beschreiben. In diesem Prozess kann man auf Maßstäbe aller Art zurückgreifen; man kann eine politische Ordnung »langweilig« und »unschön« finden und damit ein eher expressives oder ästhetisches Urteil fällen, man kann sie wegen ihrer Folgewirkungen loben oder tadeln oder ihre innere Konstruktion gutheißen als Ausdruck der Realisierung höchster Werte. Ein Verständnis von Legitimation als Bewertung schränkt den Horizont der möglichen Maßstäbe gerade nicht ein. Christian Reus-Smit (2007: 159) weist darauf hin, dass legitimation is a normative process, it is characterized by actors seeking to justify their identities, interests, practices, or institutional designs. These justifications constitute legitimacy claims. Actors making legitimacy claims is the lifeblood of the politics of legitimation, and such politics is essential to the cultivation and maintenance of an actor’s or institution’s legitimacy.
Allerdings bestehen, anders als Reus-Smit hier nahelegt, Legitimationsprozesse keineswegs nur aus rechtfertigenden Äußerungen. Bewertungen können zwei Formen annehmen, sie treten als Rechtfertigungen oder als Kritik auf. Bei Rechtfertigungen wird eine bestrittene oder bestreitbare Äußerung in Bezug auf ein Bewertungskriterium mit Argumenten untermauert – so etwa, wenn die Äußerung »ich unterstütze Volksentscheide« ergänzt wird um die rechtfertigende Äußerung »weil sie viel mehr Partizipation erlauben«.6 Enthalten ist in dieser Rechtfertigung eine kausale Behauptung über den Zusammenhang von Beteiligung und der rechtlichen Möglichkeit der Volksgesetzgebung, vor allem aber der Bezug auf Partizipation als positive normative Größe. Kritik dagegen bezeichnet die nega-
—————— »Legitimieren« heißt »positiv bewerten«, delegitimieren dagegen »entwerten« und »negativ einschätzen«. 6 Wir verstehen den Begriff der Rechtfertigung spezifischer als in seiner jüngst sehr bekannt gewordenen, aber durchaus nicht genau geklärten Verwendung bei Boltanski/ Thévenot (2007).
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tive Bewertung, die Verwendung eines Wertmaßstabes zur Identifikation von Schwächen oder Verfehlungen auf Seiten des Bewertungsobjekts. Sicherlich ist diese Fassung des Legitimationsverständnisses als Bewertung »weicher« und weiter als im Folgebereitschaftsmodell. Sie ist »weicher«, weil die Frage des Zwangs in den Hintergrund tritt. Im Paradigma der Folgebereitschaft ist die Herrschaft noch ganz auf Gewalt und Zwang gegründet, nur mühsam abgefangen durch den Legitimitätsglauben als Form der Anerkennung von Herrschaft. Wenn den Anweisungen des Herrschers aber nicht gefolgt wird, schlägt die »Härte« des Gesetzes, der Polizei oder sonstiger Ordnungsmächte zu. Diese ohne Zweifel weiterhin bestehende Möglichkeit der gewaltsamen Herstellung von Folgsamkeit rückt aber heute in den Hintergrund, weil in modernen demokratischen Systemen schon weit vor der manifesten Verweigerung von Folgebereitschaft Schwierigkeiten der effektiven Herrschaftsführung entstehen. Es werden Signale also weit vor der expliziten Verweigerung als Symptom der Herrschaftsgefährdung wahrgenommen wie auf der anderen Seite Folgeverweigerung als nicht geahndete Normalität geduldet wird – ohne jede Folgen für die Herrschaftsausübung. Explizite Illegalität vermag sogar Herrschaft zu stabilisieren, während bekundete Folgebereitschaft ein Alarmsignal darstellen kann. Die Beziehungen zwischen Legitimitätsüberzeugungen, Überzeugungen über die Anerkennungswürdigkeit einer politischen Ordnung, Folgebereitschaft und Herrschaftsstabilisierung sind gegenüber Max Webers Annahmen (und vielleicht auch gegenüber Webers Zeiten) flexibler, wenn nicht kontingent geworden. In gewisser Weise entwertet dies die empirische Legitimationsforschung, mindert ihren Stellenwert für die politische Praxis wie die Erforschung politischer Systeme. Aber die demokratischen politischen Ordnungen der OECD-Staaten bleiben seit schon recht langer Zeit intakt, werden nicht gestürzt, unabhängig davon, ob geringe oder hohe »trust«-Werte in der Einstellungsforschung gemessen werden, und unabhängig davon, ob die Wahlenthaltung zu- oder abnimmt und die Protestintensität steigt oder fällt. Die Erhebung von Daten unter dem Titel Legitimationsforschung kann also weniger als Untersuchung von Indikatoren für Stabilität oder Instabilität politischer Systeme verstanden werden. Man muss daher annehmen, dass diese Daten weniger im Sinne eines Symptoms in eindeutiger Weise auf etwas anderes, nämlich auf Folgebereitschaft verweisen, als dass sie zunächst für sich stehen, ein eigenes Phänomen bezeichnen, die Bewertung politischer Ordnungen. Ob aus einer negativen Bewertung bereits eine
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Abminderung der Folgebereitschaft folgt, muss angesichts des kaum beobachtbaren Konstrukts der Bereitschaft offen bleiben. Selbst derjenige, der negativ bewertet, wird sich nicht sogleich daraufhin Rechenschaft abgeben, ob er mit dieser negativen Äußerung seine Bereitschaft zur freiwilligen Folgsamkeit absenkt. Und ob daraus eine Veränderung der faktischen Folgsamkeit, eine Verhaltensänderung dem politischen System gegenüber, etwa die Verweigerung der Gesetzesbefolgung in konkreten Fällen oder eine verstärkte Teilnahme an Protestveranstaltungen, abgeleitet werden kann, muss als ungeklärt gelten. Wenn Legitimationsfragen als Fragen der Bewertung, der Kritik und Rechtfertigung aufgefasst werden, die mit Folgebereitschaft verbunden sein können, aber nicht müssen, dann stellt sich auch die Frage der Legitimität internationaler und supranationaler Regimes auf eine andere Weise. Im Folgebereitschaftsmodell, expliziert im Zweistufigkeitskonzept von Scharpf, das sicherlich nicht nur gegenüber der EU, sondern erst recht gegenüber der G8 und der UNO zur Geltung gebracht werden könnte, kennt man nur eine einzige Legitimitätsbeziehung: die Beziehung zum Nationalstaat. Das Bewertungsmodell lässt aber zu, dass mehreren politischen Ordnungen gleichzeitig Anerkennung zu- oder abgesprochen wird. Bewertungen müssen sich keineswegs auf die politische Ordnung beschränken, der man unmittelbar in Herrschaftsakten ausgesetzt ist, und ebenso können Rechtfertigungen sich auf diverse Ordnungen erstrecken, sie können selbst gleichzeitig mehrere Ordnungen adressieren. Das Entstehen eines Raums inter- und supranationaler politischer Ordnungen, die Bewertung, Kritik und Rechtfertigung erfahren, erhöht die Zahl und damit die Kombinierbarkeit von Bewertungen der grundlegenden Strukturen. Wenn man den eigenen Nationalstaat für prinzipiell unfähig hält, mit den großen gesellschaftlichen Problemen fertig zu werden, stellt sich sofort die Frage nach der Fähigkeit der EU, dies zu tun. Jedoch kommt es häufig nicht zu solchen direkten Vergleichen und Relationierungen. Die Bewertungen können auch nebeneinander stehen bleiben – ohne Bezug aufeinander: Die UNO scheint »ohne Wirkung« zu sein, die EU wirkt wie »ein bürokratisches Ungeheuer« und der Nationalstaat wird »immer handlungsunfähiger«.
DER WANDEL DES LEGITIMITÄTSDENKENS
2.4
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Legitimität und demokratische Legitimität
Welche Folgen hat diese Umstellung auf das Bewertungsmodell von Legitimität aber für unser Verständnis demokratischer politischer Ordnungen? Schließlich haben die jüngsten Debatten gezeigt, dass es im Unterschied zur Konzeption der Legitimationskette eine Vielzahl von Kriterien zur Beurteilung politischer Ordnungen geben kann, wenn man versucht, internationale Ordnungen als demokratisch auszuweisen. Dieser Übergang zur pluralen statt monokriterialen Legitimitätsbeurteilung politischer Systeme lässt aber sofort die Frage nach der Relation all dieser Kriterien auftreten. Kann die Verletzung einiger Kriterien durch die Erfüllung anderer ausgeglichen werden? Liegen die Kriterien alle auf einer Ebene oder stehen sie in Verhältnissen der Unter- und Überordnung zueinander? Gibt es so etwas wie Zentralwerte oder sind alle Kriterien gleich zu gewichten? Als Vorklärung bedarf es aber strikter, als dies bisher erfolgt ist, einer Unterscheidung zwischen Legitimität und demokratischer Legitimität (vgl. Majone 2005). Macht man diese Unterscheidung nicht, wird das Interesse daran, auch internationalen Organisationen den Status der Legitimität normativ zuzuweisen, den Demokratiebegriff entscheidend aufweichen. Die normative Legitimitätstheorie schwankt zwischen der Lösung, sich im Prokrustesbett der Theorie der Legitimationsketten darauf einzurichten, internationale Organisationen nur bei Einführung globaler Wahlen als legitim, weil demokratisch, bezeichnen zu können, oder ein umfangreiches Set an (alternativen) Legitimationskriterien aufzubauen, das insgesamt bei Erfüllung als Einlösung demokratischer Legitimität gilt. Löst man die Engführung des Legitimitätsbegriffs an den Demokratiebegriff und unterscheidet zwischen Legitimität und demokratischer Legitimität, kann man beide Begriffe in ihrer normativen Eigenwürde intakt halten. Demokratie muss dann nicht mehr zu Verantwortlichkeit plus Transparenz ermäßigt werden und Legitimität kann zugesprochen werden, auch wenn weiterhin ein demokratisches Defizit besteht. Freilich ist damit auch eine Zweistufigkeit der normativen Wertigkeit politischer Ordnungen verbunden, die die Grundeinsichten der Theorie demokratischer Legitimationsketten bewahrt. Internationale Organisationen ohne Weltbürgerwahlen oder ähnliche Rückbindungsmechanismen an den Willen der Betroffenen können bei Erfüllung bestimmter Kriterien immer nur legitim sein, niemals demokratisch legitim. Demokratischen Nationalstaaten kommt damit eine höhere normative Wertigkeit zu: Diese
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sind nicht nur legitim, sondern auch demokratisch legitim. Ein enger, auf politischer Gleichheit und Volkssouveränität basierender Demokratiebegriff ist derart aufrechtzuerhalten. Eine den Nationalstaaten gegenüber verantwortliche und transparente Form globalen Regierens mit Entscheidungsbeteiligung dieser Nationalstaaten kann mithin als normativ legitim bezeichnet werden, aber nicht als demokratisch legitim, und zwar sowohl, weil nicht alle beteiligten Nationalstaaten Demokratien sind, als auch deshalb, weil es keinen Rückbindungsmechanismus an eine Weltbürgerschaft und keine Partizipationsmöglichkeiten derselben gibt. Demokratische Legitimität kann nur unter genau bestimmten Bedingungen normativ zugesprochen werden. Nur wenn Volkssouveränität als Ausgang aller Gewalt von der Bürgerschaft unter Mitwirkung derselben, politische Gleichheit und die Sicherung der liberalen und politischen Menschenrechte als Grundlage eines offenen politischen Prozesses gegeben sind, kann von demokratischer Legitimität gesprochen werden.7 Eine Erfüllung von Gerechtigkeitsforderungen im rein distributiven Sinne kann niemals demokratische Legitimität genannt werden, und auch ein noch so transparentes System mit noch so großen Beiträgen zur Stabilität und zur Errichtung globaler Handlungsfähigkeit wird nicht demokratische Legitimität, sondern nur Legitimität beanspruchen können. Die Pluralisierung der Legitimitätskriterien stellt per se keine Möglichkeit dar, aus dem tradierten Verständnis von Demokratie auszubrechen. Auch bei einer Vielzahl von Kriterien stellt sich noch die Frage, welche davon die Verleihung des Etiketts »demokratisch« erlauben. Weil man Legitimität mit vielen Kriterien zusprechen kann, ist damit nicht zugleich über den Charakter demokratischer Legitimität neu entschieden. Die Unterscheidung von Legitimität und demokratischer Legitimität ist also intern im Bewertungsmodell deutlich einzuziehen. Solange keine Wahlsysteme auf der Basis politischer Gleichheit etabliert sind, kann es kein demokratisch legitimes politisches System auf globaler Ebene geben. Eine Ermäßigung des Demokratiebegriffs im Kontext der vorrangigen Verwendung der
—————— 7 Die Differenzierung zwischen Legitimität und demokratischer Legitimität erlaubt es auch, hoch komplexe und hoch problematische Situationen zu identifizieren. Wenn durch Wahlen, Sicherung der politischen Grundrechte, politische Gleichheit und Partizipationsmöglichkeiten an die Bürgerschaft rückgebundene politische Systeme ganz überwiegend mit Argumenten der charismatischen Führung, der Stabilitätssicherung und des Beitrags zum ökonomischen und sozialen Fortschritt gerechtfertigt werden, liegt eine ernste Störung der Legitimation von Demokratie vor. Sie wird in der Öffentlichkeit nicht mehr mit den Maßstäben gerechtfertigt, die sie ausmachen.
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Legitimitätsbegrifflichkeit ist nicht zulässig. Aber es mag politische Ordnungen geben, die wir politisch akzeptieren können, auch wenn sie nicht demokratisch sind. Die Webersche Typologie der Formen legitimer Herrschaft in ihrer universalhistorischen Ausrichtung ist längst einer evolutorischen Sicht gewichen. Aus dieser Perspektive wird traditionelle Herrschaft als bloßer Vorläufer legaler Herrschaft eingeordnet, und Fälle von charismatischer Herrschaft erscheinen als gefährliche Einbrüche in einem auf Fortschritt hin zur Demokratie gerichteten Verlauf. Die bei Weber nicht auftretende demokratische Legitimität schließlich wird als eine Fortentwicklung der bei ihm bloß rechtsstaatlich gedachten legalen Herrschaft dargestellt. Insgesamt kann man sich somit eine wirklich »legitime« Legitimität nur als demokratische vorstellen. Eine nicht-demokratische Legitimität kann nicht als »wirklich« legitim gedacht werden, da sich alles Politische als demokratisch rechtfertigen muss. Den Ausweg, der von jenen gewählt wird, die den Legitimationsbedarf herunterrechnen (so etwa Moravcsik 2002, 2005; Pettit 2006; Vibert 2007), kann man entgegen den Intentionen der Verfasser auch interpretieren als Konzepte funktionaler, sachlicher Legitimität – jenseits der demokratischen. Die Kritik der Technokratie steht jedoch bereit, um diese Form der Legitimität als unangemessen und strikt nichtdemokratisch auszuweisen. Der Ausweg in Richtung Output und sachlicher Richtigkeit scheint in einer Zeit des notorischen Expertendissenses schlicht versperrt (vgl. auch Bellamy 2007: 164). Entsprechend wird die von vielen gesuchte Legitimität zur Rechtfertigung der Zwischenzustände von Global Governance zwischen nationaler und fehlender Weltstaatlichkeit eine nicht-demokratische Input-Legitimität (also etwa beruhend auf Tradition, Handlungsvermögen oder Führungsstärke) sein. Aber ob es gelingt, nicht nur zwischen den Polen demokratisches und autoritäres Regime eine Zwischenform zu etablieren, sondern diese Gradualität gerade zu vermeiden und sich jenseits der Skala von demokratisch versus autoritär zu situieren, mag bezweifelt werden. Genau das, eine nicht-demokratische Input-Legitimität war aber dem Konzept der Staatengemeinschaftssouveränität zumindest in der Konstruktion der UNO gelungen. Im Kern wäre ein Ersatz für die Gleichheits- und Allgemeinheitskonzepte, die in den Legitimationsprinzipien der Volkssouveränität und der Staatengemeinschaftssouveränität enthalten sind, zu suchen: Man benötigt ein Äquivalent für die Gleichheit der Bürgerinnen und die Einbeziehung aller Bürgerinnen verstanden als Volk bzw. für die Gleich-
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heit der Staaten und die Einbeziehung aller Staaten verstanden als Staatengemeinschaft. Um aber als legitim gelten zu können, müssen in die institutionellen Grundstrukturen einer politischen Ordnung derartige Gleichheits- und Allgemeinheitsbedingungen (Möllers 2008: 80; vgl. Möllers 2005) als kontrafaktische Institutionalisierungen eingelassen sein. Erst wenn es gelingt, zwischen Staaten und Bürgerinnen einen anderen Träger/ Akteur ausfindig zu machen, auf den analog Gleichheits- und Allgemeinheitsanforderungen übertragen werden könnten, erst dann ist eine in sich kohärente Legitimität von Einrichtungen der Global Governance zu erwarten – und auch sie wäre (ebenso wie die Staatengemeinschaftssouveränität) keine demokratische.8
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Konsequenzen des Bewertungsmodells für die empirische Legitimationsforschung
2.5.1 Legitimationsforschung und die Analyse der Bewertungskriterien Die Differenzierung zwischen Legitimität und demokratischer Legitimität ist hier zunächst auf dem Boden normativer Legitimitätstheorie eingeführt worden. Sie hat aber auch Folgen für die empirische Legitimationsforschung. Diese muss in der Lage sein, nicht nur zwischen Legitimitätszuschreibung und Illegitimitätsvermutung zu unterscheiden, sondern auch den Bewertungsmaßstab zu identifizieren, anhand dessen die Unterstützung einer politischen Ordnung erfolgt. Das stellt die dominierenden Stränge der empirischen Legitimationsforschung vor besondere Schwierigkeiten. Die auf Handlungen und kollektive Aktivitäten zentrierte Forschung kann ihren Daten – Wahlbeteiligung, Protestevents, Ausmaß der Nutzung von Formen konventioneller und unkonventioneller politischer Partizipation – nicht entnehmen, mit welchen Überzeugungen diese jeweils erfolgen oder unterlassen worden sind. Nur durch detaillierte Aufschlüsselung der Motivlagen einzelner sozialer Bewegungen lässt sich das Bewertungsgerüst bestimmen, das einzelne Protestaktionen zumindest nach Ver-
—————— 8 Als bisher einziger Kandidat für eine derartige Zwischenebene zwischen Staaten und Bürgerinnen bieten sich Regionen an, verstanden als Weltregionen oder Kontinentalzusammenschlüsse. Ein konzises Legitimationskonzept für diesen Träger fehlt jedoch auch auf der Ebene normativer politischer Theorie.
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lautbarungen der Promotoren dieser kollektiven Aktionen trägt. Zu ganz wesentlichen Teilen ist Legitimationsforschung aber Einstellungsforschung, die Bürgermeinungen erhebt und Legitimitätszuschreibungen über das Item »Vertrauen in ein politisches System« misst. Die stärker differenzierten Forschungen nutzen eine von David Easton stammende Unterstützungshierarchie (aufbauend auf der Unterscheidung von Regime und »authorities« sowie der Policy-Ebene) und entwickeln diese fort, um Orientierungen der Politik gegenüber zu erfassen (Fuchs 1989; Norris 1999; Westle 1989, 2007). In dieser Hierarchie werden aber Objekte der Unterstützung oder Ablehnung recht eng mit bestimmten Bewertungsmaßstäben in Beziehung gesetzt (vgl. Westle/Gabriel 2009: Nationalstolz mit Unterstützung der politischen Gemeinschaft, Demokratie mit Unterstützung der politischen Ordnung). Alternative Bewertungskonzepte für die politische Ordnung oder die politische Gemeinschaft kommen daher nicht in den Blick. Die Unterstützung der demokratischen politischen Ordnung eines Landes aus Gründen des Nationalstolzes (»wir sind die Erfinder der Demokratie, deshalb ist sie unterstützenswert«) kann in einer solchen theoretisch vorgegebenen Zuordnung z.B. nicht erfasst werden. Eine genaue Erfassung von Bewertungsmaßstäben und damit eine Unterscheidung zwischen Legitimität und demokratischer Legitimität sind in diesem Bezugsrahmen mithin nur schwer möglich. Zudem ist diese Forschung noch stark auf Nationalstaaten und deren Vergleich ausgerichtet, von den internationalen politischen Ordnungen kommt allein die EU stärker in den Blick. Weitere internationale Organisationen – wie etwa die in diesem Band näher zu betrachtende UNO und die G8 – sind bisher noch nicht etablierte Untersuchungsobjekte einer Forschung, die ihre Wurzeln im Political Culture-Ansatz hat (Almond/Verba 1963). Gefordert ist gerade angesichts der bei internationalen Organisationen zu erwartenden veränderten Bewertungsmaßstäbe eine stärkere Ausrichtung der Legitimationsforschung auf eine differenzierte Erhebung der Kriterien und Wertmaßstäbe, die einer Legitimitätszuschreibung zugrunde liegen. Legitimitäten sollen – in einer derart auf die Erhebung der Kriterien zentrierten Forschung – verstanden werden als Formationen von Mustern, die politische Ordnungen bewertend deuten; Legitimationsforschung begreifen wir als Deutungsmusteranalyse in diesem Sinne.9 Dabei eröffnet
—————— 9 Wir gehen also davon aus, dass Bewertungen anhand von bestimmten Schemata stattfinden, die zwar nicht gesellschaftlich-diskursiv fixiert sind, aber einen vergleichsweise stabilen Vorrat an möglichen Begründungen für Bewertungen darstellen. In diesem Sinne
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sich folgendes Fragenfeld: In welchen Begrifflichkeiten und mit welchen Kriterien werden politische Ordnungen negativ oder positiv bewertet? Und in welchem Ausmaße finden positive Bewertungen statt? Welche Muster der Bewertung kennzeichnen das Lob eines politischen Systems, welche den Tadel? In einer solchen empirischen Forschung, die an das Bewertungsmodell politischer Legitimität bruchlos anknüpfen kann, wird die Unterscheidung demokratischer Kriterien von solchen, die nicht im engeren Sinne demokratisch sind, zu einem ebenso zentralen Unterfangen, wie dies oben für die normative Legitimitätstheorie aufgezeigt wurde. Es sind alle Muster der (De-)Legitimierung empirisch zu erheben, aber die Qualifizierung bestimmter Muster als demokratisch liefert erst jene entscheidenden Informationen, die eine an Demokratie interessierte Forschung benötigt.10
2.5.2 Prekäre Legitimitäten Mit der Zuwendung zu Legitimitätskriterien sind die Folgerungen für eine Neuausrichtung der empirischen Legitimationsforschung aber nicht erschöpft. Betrachtet man den Raum der Legitimitätsurteile, so fällt auf, dass ein empirisches Vorgehen, das nur darüber Aufschluss gibt, ob eine politische Ordnung legitim oder illegitim bzw. legitim oder a-legitim ist, zu holzschnittartig ist, um die Vielheit der nebeneinander stehenden Bewertungen und die Komplexität der Urteile zu erfassen. Legitimität ist nie fraglos gegeben, und sie kollabiert auch nicht einfach. Bewertungen vielfältiger Art treten auf, widersprechen sich, stehen nebeneinander, werden von verschiedener Seite gleichgerichtet oder auch gegensätzlich geäußert, finden heute Anklang und sind morgen bereits vergessen. Die einzelnen Urteile über die Güte und Qualität politischer Systeme sind zwar in der Regel in ihrer Bewertungsrichtung eindeutig zu bestimmen. Positiven Urteilen der Legitimation (Rechtfertigungen) stehen negative Urteile der Delegitimation (Kritiken) gegenüber. Einzelne Bewertungen zeichnen sich nahezu immer
—————— schließen wir an die wissenssoziologische Deutungsmusteranalyse an (vgl. z.B. Plaß/Schetsche 2001; Keller 2008: 209). 10 Ob auch nicht-politische, insbesondere ökonomische Ordnungen in Kategorien der Legitimität untersucht werden sollten, mithin mit der Unterstellung konfrontiert werden, dass sie in Legitimationsprobleme geraten können, soll erst in einem Folgeprojekt näher untersucht werden (vgl. auch Schneider u.a. 2010: Kapitel 6).
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durch einen klar identifizierbaren Urteilstenor aus, oder sie lassen sich – als abwägende Beurteilung – in eine Verbindung aus einem negativen und einem positiven Bestandteil zerlegen. Während also zwar einzelne Bewertungen für gewöhnlich eine klare Urteilsrichtung haben, wird das Bild vielschichtiger, wenn man auf das Gesamtgefüge der Vielzahl von Legitimitätsurteilen blickt. Dann wird nämlich deutlich, dass wir es mit einem Kontinuum zu tun haben oder besser: mit Kontinua in mehreren Dimensionen, in denen zentrale politische Institutionen schlecht und zentrale Prinzipien gut bewertet werden können (aber auch umgekehrt); in denen bestimmte Sprecherinnen bestimmte Argumentationen zur Delegitimation verwenden, die durch andere Sprecherinnen wiederum zur Legitimation herangezogen werden; in denen schließlich auch politische Ordnungen in bestimmten thematischen Kontexten besser abschneiden als in anderen. Kurzum, das diskursive Legitimationsgeschehen ist erstens mehrschichtig und zweitens keineswegs auf die Dichotomien von legitim und illegitim oder a-legitim zu beschränken. Um an der Spannung von Lob und Rechtfertigung auf der einen Seite, Kritik und Entwertung auf der anderen Seite festzuhalten, zugleich aber eine Möglichkeit zu finden, die diversen Zwischenlagen besser zu erfassen als mit den Worten mehr oder weniger legitim, verwenden wir in diesem Buch das Attribut »prekär«. Der Ausdruck »prekär« fehlte bisher in politischen wie wissenschaftlichen Beiträgen zu Fragen der Legitimität politischer Ordnungen. Dagegen durchlief er eine stürmische Karriere in der Soziologie. Die theoretische Überhöhung des Alltagsverständnisses erfolgte in den Schriften des französischen Sozialwissenschaftlers Robert Castel, insbesondere in Die Metamorphosen der sozialen Frage (2000; vgl. auch Castel 2005). »Prekär« und »Prekarisierung« bezeichnen in dieser Theorie sozialstruktureller Entwicklung die Entstehung von Übergangszonen. Der Begriff ist bei Castel polemisch gegen eine dichotome Logik gerichtet, speziell gegen die Vorstellung, dass es nur zwei grundlegende soziale Lagen gebe. In der Konzeption sozialer Integration hatte sich gerade in Frankreich recht früh die Begrifflichkeit von Inklusion und Exklusion durchgesetzt. Castel widerspricht dieser Vorstellung zweier alternativer Zustände und entfaltet einen Denkrahmen, in dem Zwischenzustände definierbar sind. An die Stelle der Inklusions- und Exklusionslogik tritt bei ihm eine Typologie von vier »Zonen« sozialer Verdichtung: Zwischen die Zonen der Integration und der Exklusion treten die Zonen der Verwundbarkeit und der Fürsorge, die zusammen das Feld des Prekären bezeichnen (Castel/Dörre 2009). Prekarisierung als
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Prozess ist daher als Bewegung in Richtung dieser beiden Zwischenzonen und als Wiederkehr sozialer Unsicherheit zu verstehen. Für die empirische Legitimationsforschung kann man sicherlich nicht direkt an diese Zonengliederung anschließen, aber die Grundidee eines Zwischenreichs soll von der Gegenüberstellung von Exklusion und Inklusion auf die von legitim und illegitim übertragen werden. Um in der Legitimationsforschung dieses Zwischenreich zu identifizieren, sind vier Dimensionen zu berücksichtigen, die für die Beurteilung des Zustandes der öffentlichen Legitimationskommunikation relevant sind: – die Bewertungsrichtung, entweder positiv oder negativ, – der zur Kritik oder Rechtfertigung eingesetzte Maßstab, das Bewertungskriterium, – der Gegenstand der Bewertung, entweder das politische System oder die politische Gemeinschaft insgesamt oder einzelne es tragende Prinzipien, Institutionen oder Akteursgruppen und schließlich – die Sprecherinnen, die kritisieren oder loben: Dort ist die Unterscheidung zwischen den politischen Eliten (insbesondere der Exekutive) als innerem Zirkel und den weiter davon entfernten Akteuren in sozialen Bewegungen und nicht regierungsnahen NGOs besonders zu beachten. Nur wenn man all diese Dimensionen in Rechnung stellt, bekommt man ein zutreffendes Bild: Jenseits des Zustandes gesicherter Legitimation und dem Fall eines nahenden Legitimationszusammenbruchs, einer Legitimationskrise, ist eine breite Zwischenzone prekärer Legitimität zu gewärtigen. Die Zone gesicherter demokratischer Legitimität ist dadurch gekennzeichnet, dass in ihr positive Bewertungen einer politischen Ordnung deutlich und dauerhaft vorherrschen; und dass sowohl das Gesamtgefüge dieser Ordnung als auch ihre Regimeprinzipien (z.B. demokratische Verfahren und Institutionen sowie Rechts- und Verfassungsstaatlichkeit als wesentliche Prinzipien liberaler Demokratien) positiv bewertet werden (periphere Elemente wie einzelne Institutionen oder Akteursgruppen können auch schlechter beurteilt werden); und dass diese Ordnung insbesondere anhand demokratischer Maßstäbe positiv beurteilt wird. Zusätzlich gestützt wird eine Ordnung dadurch, dass die jeweiligen Systemeliten (Politikerinnen auf der nationalen oder internationalen Ebene) sie klar positiv bewerten und zugleich die Presse und die Zivilgesellschaft nicht außergewöhnlich negative Einschätzungen abgeben.
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Von einer Legitimationskrise kann man dagegen dann sprechen, wenn die Ordnung überwiegend als illegitim angesehen wird, wenn also die Bewertungen einer politischen Ordnung weitgehend negativ ausfallen; und wenn das Gesamtgefüge mit seinen Prinzipien wie auch einzelne Elemente dieser Ordnung stark kritisiert werden; und wenn diese Ordnung sogar anhand nicht-demokratiebezogener Maßstäbe (etwa: Effektivität) negativ bewertet wird, während demokratiebezogene Kriterien an Bedeutung verlieren. Erst wenn diese drei Bedingungen gemeinsam erfüllt sind, soll hier von einer Legitimationskrise die Rede sein. Diese spitzt sich zu, sollte eine vierte Bedingung erfüllt sein: Wenn die Kritik sogar von den Trägern eines politischen Systems, d.h. den politischen Eliten, mitgetragen wird, die Legitimität also auch im organisatorisch-institutionellen Kern dieses Systems bezweifelt wird, ist ein Höchstmaß an Krisenhaftigkeit erreicht. Als prekär sind die Zwischenzonen der Legitimitätszuschreibung zu bezeichnen: Eine politische Ordnung befindet sich dann in einem Zustand prekärer Legitimität, wenn es weder zu einer ausgesprochenen Legitimationskrise kommt noch zu einem Zustand gesicherter Legitimation. Von prekärer Legitimität ist daher immer nur mit Blick auf den Gesamtzustand einer öffentlichen Debatte zu sprechen, eine einzelne Äußerung, ein einzelnes Legitimationsstatement kann – in dem hier verwendeten Sinne – nicht prekär sein. Von prekären Legitimitäten politischer Ordnungen sprechen wir dann, wenn die Bewertungen dieser Ordnung weder ganz überwiegend positiv noch weitestgehend negativ sind, wenn einige Teilelemente dieser Ordnung eher kritisiert werden, andere dagegen positive Erwähnung finden, oder auch wenn tragende Legitimationsmaßstäbe in nur eingeschränktem Maße zur Kritik dieser politischen Ordnung eingesetzt werden. Prekär sind aber nicht nur Zonen öffentlicher Legitimitätskommunikation, bei denen in allen Dimensionen mittlere Werte vorliegen. Prekär sind auch die Situationen, in denen nur eine von drei Bedingungen einer Legitimationskrise erfüllt ist, in den anderen Dimensionen aber mittlere Werte vorliegen. Prekäre Legitimität kann daher recht unterschiedliche Formen annehmen, so dass der Plural gewählt werden soll: prekäre Legitimitäten.
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FRANK NULLMEIER UND MARTIN NONHOFF
Demokratische Legitimität als Bezugspunkt empirischer Forschung
Der Übergang vom Folgebereitschafts- zum Bewertungsmodell kommt dem Bedürfnis der empirischen Legitimationsforschung durchaus entgegen, ein differenziertes Bild der Gesamtheit der Legitimationsurteile zu politischen Ordnungen zu zeichnen, seien diese nationaler, inter- oder supranationaler Art. Und mit der Einführung des Konzepts prekärer Legitimitäten verfügen wir auch über eine Begrifflichkeit, die aus der Dichotomie von legitim und a-legitim/illegitim herausfindet und sich auf die Zwischenbereiche zwischen Legitimationskrise und gelungener Legitima-tion konzentriert. Zu beachten ist jedoch, dass auch eine Einsicht, die aus der Diskussion der normativen Legitimitätstheorie gewonnen wurde, in der empirischen Legitimationsforschung gewahrt bleibt. Eine Legitimationsforschung, die möglichst exakt die Gesamtlage der Legitimitätsurteile erheben will und dabei nationale und nicht-nationalstaatliche Ordnungen miteinander vergleicht, muss sich einerseits allen Urteilsformen und Bewertungskriterien gegenüber offen halten, sie darf andererseits aber nicht die Unterscheidung demokratischer Legitimität und bloßer Legitimitätszuschreibung ohne Bezug auf Demokratie fallen lassen. Eine umfassende empirische Legitimationsforschung muss identifizieren, wann eine politische Ordnung als demokratische legitimiert wird – und wann nur als effiziente oder gerechte. Sie muss unterscheiden können, ob eine Demokratie, d.h. eine institutionelle Ordnung, die politische Gleichheit in allgemeinen, freien und kompetitiven Wahlen kennt, mit Argumenten, die sich auf demokratische Basisprinzipien beziehen, kritisiert wird, oder ob eine internationale Einrichtung, die keine Wahlen und nur das Prinzip der Staatengleichheit kennt, als demokratisch gerechtfertigt wird. Eine empirische Legitimationsforschung muss daher in Kontakt bleiben zur normativen Legitimitätstheorie, sie muss eine Vorstellung demokratischer Legitimität als normativen Kern der Forschung bewahren, auf den hin die empirische Legitimationslage analysiert wird.
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Empirische Legitimationsforschung
Steffen Schneider
Unsere Studie befasst sich mit empirischer Legitimität. Wir fragen, in welchem Maße Öffentlichkeiten nationale und internationale politische Ordnungen unterstützen und auf welchen normativen Grundlagen – hier als soziale Fakten verstanden und analysiert – diese Unterstützung fußt. Gegenstand unserer Studie sind mediale Diskurse in der Schweiz, Deutschland, Großbritannien und den USA, die wir auf ihren legitimatorischen Gehalt – ihre Legitimationsprofile – hin untersuchen. Dabei interessiert uns zum einen die Legitimation oder Delegitimation der jeweiligen nationalen politischen Ordnung, zum anderen auch die von drei internationalen Regimes: der Vereinten Nationen (UNO), der »Gruppe der Acht« (G8) und der Europäischen Union (EU). Bewertende Aussagen zu diesen vier Demokratien und drei internationalen Regimes sind die Grundeinheiten unserer empirischen Analysen. Mit der Untersuchung solcher Aussagen betreten wir durchaus methodisches Neuland in der Legitimationsforschung. Indikatoren für Legitimität oder verwandte Konzepte wie Eastons (1965, 1975) »diffuse support« werden üblicherweise auf dem Wege der Umfrageforschung und mithin in der Dimension politischer Einstellungen erhoben. Alternativ zur Untersuchung dieses Legitimitätsglaubens bietet es sich an, politisches (Partizipations- oder Protest-)Verhalten als Indikator für Folgebereitschaft und Legitimität zu nutzen. Beide Perspektiven blenden tendenziell zwei wichtige Aspekte von Legitimationsprozessen aus. Erstens ignorieren sie den Umstand, dass diese Prozesse interaktiv sind. Legitimität wird dort erfolgreich (re)produziert, wo die Legitimitätsbehauptungen politischer Eliten öffentlich wahrgenommen und akzeptiert werden. Nicht allein die Herrschaftsunterworfenen nehmen also an Legitimationsprozessen teil, sondern auch die Repräsentanten politischer Ordnungen selbst mit Hilfe verschiedener Selbstlegitimationspraktiken und -rituale (Barker 2001). Zweitens und vor allem wird in traditionellen Perspektiven der Legitimationsforschung die Rolle vernach-
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STEFFEN SCHNEIDER
lässigt, die Sprache, Kommunikation und Öffentlichkeiten für das Funktionieren demokratischer Ordnungen generell (Peters 2005, 2007) und insbesondere in Prozessen der Herstellung, Infragestellung oder Transformation von Legitimität und ihren normativen Grundlagen spielen. Die Legitimität politischer Ordnungen ist, in einem Wort, sozial – und diskursiv – konstruiert (Berger/Luckmann 1966; Luckmann 2001; Raufer 2005).11 Wir verzichten hier auf eine bereits anderweitig eingehender geführte Diskussion der möglichen Perspektiven und methodischen Zugriffe empirischer Legitimationsforschung mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen (Schneider u.a. 2007: 127–133, 2010: 19–31). Wichtig erscheint uns aber die Feststellung, dass Einstellungen und Verhalten durch intersubjektive, öffentliche Kommunikation informiert, vermittelt und beeinflusst werden. So ist davon auszugehen, dass sich individuelle politische Einstellungen und subjektiver Legitimitätsglaube vor dem Hintergrund öffentlicher Diskurse herausbilden oder verändern. In diesen Diskursen dominieren zumeist bestimmte kollektive Repräsentationen der politischen Wirklichkeit und normative Orientierungen, die indes auch regelmäßig herausgefordert werden. Somit haben jene individuellen Einstellungsmuster oder Legitimationsurteile besonderes Gewicht, die mit Erfolg öffentlich artikuliert, also von einer breiteren Öffentlichkeit und nicht zuletzt den politischen Eliten zur Kenntnis genommen oder von ihnen selbst geäußert werden. In ähnlicher Weise sind affirmative oder kritische Verhaltensformen (von Feiertagsritualen auf der einen bis zu Protestkundgebungen auf der anderen Seite; vgl. etwa Etzioni/Bloom 2004; Haunss 2007) zumindest mit diskursiven Praktiken eng verbunden – und wiederum erschließt sich die Bedeutung dieser Verhaltensformen erst mit einem Blick darauf, wie sie gegenüber der Öffentlichkeit begründet werden und ob sie in öffentlichen Diskursen Resonanz finden. Die diskursive Öffentlichkeit ist also unseres Erachtens ein wesentlicher Ort des Entstehens und Vergehens von Legitimität. Mit verschiedenen anderen Autoren – allen voran Jürgen Habermas (2008) und Bernhard
—————— 11 Im Kontext der etwa von Jens Steffek (2007: 176) herausgearbeiteten »novel dynamics in the age of global communication« gilt dies ohne Zweifel nicht allein für den demokratischen Nationalstaat, sondern zunehmend auch für internationale Regimes; diese treten – so unsere Steffek folgende Vermutung – mit wachsender öffentlicher Thematisierung und ihrer Bewertung im Lichte normativer Kriterien aus dem Zustand der A-Legitimität heraus (vgl. auch Reus-Smit 2007).
EMPIRISCHE LEGITIMATIONSFORSCHUNG
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Peters (2005, 2007) – sehen wir dabei Öffentlichkeit insbesondere durch die drei folgenden Aspekte charakterisiert: Erstens gehen wir davon aus, dass sich nationale und transnationale Öffentlichkeiten durch ein Nebeneinander miteinander mehr oder weniger kommunizierender Diskursarenen mit je eigenen Sprechergruppen und Diskurseliten auszeichnen. Zweitens unterstellen wir (siehe auch Gaskell/Bauer 2001; Gerhards u.a. 2007; Wessler u.a. 2008), dass Medien für die Konstitution von Öffentlichkeiten entscheidend sind – als Transmissionsriemen und »gatekeeper« zwischen politischem System und Bürgerinnen sowie als selbständige Teilnehmer an öffentlichen Debatten mit eigenen Agenden und Überzeugungen (Gamson/Modigliani 1989; Ferree u.a. 2002). Drittens folgen wir den zitierten Autoren in der Einschätzung, dass die Qualitätspresse trotz wachsender Konkurrenz durch andere Print- und elektronische Medien und trotz vergleichsweise niedriger Auflagen weiterhin eine besonders wichtige, meinungsführende und zwischen verschiedenen Arenen vermittelnde Rolle in öffentlichen Diskursen spielt. Die erfolgreiche (Re-)Produktion von Legitimität begreifen wir als das temporäre Ergebnis öffentlicher Auseinandersetzungen über die Anerkennungswürdigkeit politischer Ordnungen, über die Angemessenheit der vorgetragenen Bewertungen und der dabei verwendeten normativen Kriterien etc. Neben politischen Eliten im engeren Sinne – und den Unterstützern eines Regimes (seinen Legitimierern) – können auch »einfache« Bürgerinnen oder ihre (Interessen-)Vertreter mit systemunterstützenden oder kritischen Positionen (als Delegitimierer) an dieser Art politischer Kommunikation teilnehmen. Sofern wir es mit politischen Ordnungen zu tun haben, die die Meinungs- und Pressefreiheit achten, ist somit nicht zu erwarten, dass jemals ein Zustand »völliger« Legitimität eintritt – also ein genuiner öffentlicher Konsens über die Anerkennungswürdigkeit eines Regimes und seine normative Basis. Demokratietheoretisch wäre dieser auch keineswegs unproblematisch – schließlich haben demokratische Öffentlichkeiten ja gerade die Funktion, Kritik an politischen Ordnungen, Institutionen und Akteuren oder ihren Entscheidungen zu ermöglichen. Ein gewisses Maß an »critical citizenship« dürfte somit den in normativer Perspektive durchaus erwünschten Normalfall öffentlicher Legitimitätsdiskurse darstellen (Sniderman 1981; Norris 1999).
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3.1
STEFFEN SCHNEIDER
Legitimationskommunikation und ihre Grammatik
Wie identifiziert man Aussagen zu Legitimationsfragen im Gesamtfeld politischer Kommunikation? Was macht Legitimationsaussagen aus? Wir nehmen die Definition bewertender Sprechakte aus Kapitel 2 auf und lehnen uns an die Forschung zum politischen »claims-making« an, um solche Aussagen mit Hilfe einer stilisierten Grammatik zu identifizieren und zu analysieren (Koopmans/Statham 1999; Franzosi 2004; Gerhards u.a. 2007). Als basale Einheiten von Legitimationsdiskursen begreifen wir Äußerungen, die politische Ordnungen als Ganze, ihre Regimeprinzipien, Kerninstitutionen oder zentralen Akteursgruppen bewerten. Diese Legitimationsstatements sind – wie Tabelle 1 illustriert – vor allem über drei Variablen definiert: ihren legitimierenden (positiven) oder delegitimierenden (negativen) Urteilstenor, das bewertete Legitimationsobjekt und das zur Bewertung herangezogene Evaluationskriterium oder Legitimationsmuster. Zusätzlich von Interesse sind die Autoren der – z.B. von Journalistinnen selbst vorgebrachten oder von ihnen bloß zitierten – Äußerungen, die sich in medialen Diskursen identifizieren lassen, also Sprechergruppen, und schließlich die thematischen Kontexte, in denen die Statements innerhalb der ausgewerteten Zeitungsartikel stehen. Die erste dieser Variablen – den Urteilstenor der Statements – operationalisieren wir in den empirischen Kapiteln als dichotom: Ein politisches System oder seine Regimeprinzipien, Kerninstitutionen und tragenden Akteursgruppen werden entweder gerechtfertigt oder kritisiert, also legitimiert oder delegitimiert; Intensitätsgrade oder eine »neutrale« Form der Bewertung berücksichtigen wir nicht. Zwar treten sehr wohl abwägende Positionen auf, die durch die Kombination positiver und negativer Statements gekennzeichnet sind. Diese können mit Hilfe unserer Grammatik indes abgebildet werden, indem wir sie in ihre affirmativen und kritischen Einzelbestandteile zerlegen. Legitimationsstatements können sich zweitens – wie die Beispiele illustrieren – auf unterschiedliche Aspekte politischer Systeme oder Ordnungen – also unterschiedliche Legitimationsobjekte – beziehen. Während wir Bewertungen einzelner Politiken und der »authorities«, also einzelner politisch Verantwortlicher, unberücksichtigt lassen, weil sie nicht auf Legitimität, also die Anerkennungsfähigkeit einer politischen Ordnung zielen, differenzieren wir in den folgenden Kapiteln zwischen vier Hierarchie-Ebenen von Objekten:
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Tabelle 1: Legitimationsgrammatik mit Beispielen Beispiel 1: The Liberal Democrat leader [Paddy Ashdown] told a rally in Eastbourne that the system was now so […] inefficient and secretive that it no longer served the citizen. He said: »Next Tuesday you could elect […] 650 saints; but it wouldn’t make any difference if our system no longer works« (Times, 3.4.1992). Das politische ist illegitim… weil es… (1) ineffizient und System Groß(2) intransparent ist. britanniens… Beispiel 2: Die Brüsseler Behörde [EU-Kommission] ist gewiß kein Lehrbetrieb der Mafia; aber zuletzt ist schon einiges an Betrug, Schlamperei und Korruption zusammengekommen (FAZ, 16.12.1998). Die EUist illegitim… Kommission…
weil sie…
(1) ineffizient und (2) nicht im Einklang mit dem Gesetz arbeitet. Beispiel 3: They [the G8] are pure conspicuous consumption, make-work for the »rich white trash« of international diplomacy. They yield vacuous communiques and mountains of unread paper. Their only substantive conclusion is »to meet again« (Times, 20.7.2001).
Die G8…
ist illegitim…
weil sie …
Die UNO…
ist illegitim…
weil sie …
(1) ineffizient/ineffektiv ist und (2) die Weltbevölkerung nicht angemessen repräsentiert. Beispiel 4: The United Nations that the heads of state left behind last week is simply not worth such sacrifice [the 2003 bombing of the UN headquarters in Baghdad] – its structures are too ossified; its practices too compromised; its potential too limited (New York Times, 24.9.2005). (1) als Institution veraltet, (2) zu konsensorientiert und (3) ineffektiv ist.
– Das politische System oder die politische Gemeinschaft als Ganze werden bewertet in Statements wie »die Bundesrepublik ist ein ineffizientes politisches System«, »wir Amerikaner sind die globale Führungsnation« oder »die EU (G8, UNO) ist intransparent« (Objektebene I). – Zentrale Regimeprinzipien – Demokratie, Territorial-, Rechts- und Wohlfahrtsstaatlichkeit – werden bewertet in Statements wie »die Schweizer (oder europäische) Demokratie sichert die Menschenrechte« (Objektebene II).
Demokratie Territorialstaatlichkeit Rechts- und Verfassungsstaatlichkeit Wohlfahrtsstaatlichkeit Souveränität/Gewaltmonopol
Varianten der Demokratie (direkt vs. repräsentativ; Westminster vs. Konsens; parlamentarisch vs. präsidentiell) Monarchie, Republik Legislative Exekutive Judikative Nationale Zentralbanken Wahlsystem Unitarismus, Föderalismus politische Eliten, politische Klasse Parteiensystem Interessengruppensystem
(III) politische Institutionen
(IV) Akteursgruppen
politisches System als Ganzes politische Gemeinschaft (Nation)
(II) Regimeprinzipien
(I) politisches System oder politische Gemeinschaft als Ganze
Nationalstaat
Politische Eliten Mitgliedstaaten (als Gruppe) Interessengruppensystem
Varianten der Demokratie (v.a. Konsensdemokratie) Europäisches Parlament Rat der Europäischen Union (Ministerrat) Europ. Kommission/EU-Bürokratie Europäischer Gerichtshof Europäische Zentralbank Europäischer Rat Wahlsystem
Varianten der Demokratie ( v.a. Konsensdemokratie) Generalversammlung Generalsekretär/-sekretariat Sicherheitsrat Internationaler Gerichtshof ECOSOC/Trusteeship Council Wahlsystem
Politische Eliten Mitgliedstaaten (als Gruppe)
Demokratie Verfasstheit der EU/EU-Verträge Wohlfahrtsstaat(lichkeit)
politisches System als Ganzes/»die EU« politische Gemeinschaft (»die Europäer«)
EU
Demokratie (Welt-)Staatlichkeit Völkerrecht/Verfasstheit der UNO/ UN-Charta Kollektive Sicherheit (Gewaltverbot, Gewaltmonopol, Multilateralismus)
politisches System als Ganzes/»die UNO« politische Gemeinschaft (Weltgemeinschaft/Staatengemeinschaft)
UNO
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Tabelle 2: Legitimationsobjekte bei Nationalstaat, UNO und EU
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– Auch einzelne Kerninstitutionen können bewertet werden, so auf der nationalstaatlichen Ebene die Institutionen der Exekutive, Legislative und Judikative, der Föderalismus und das Wahlsystem (»das amerikanische Wahlsystem ist unfair«) sowie äquivalente Institutionen der untersuchten internationalen Regimes, also etwa die EU-Kommission (»die Kommission ist nicht demokratisch legitimiert«) oder der UNO-Sicherheitsrat (Objektebene III). – Tragende politische Akteursgruppen werden bewertet, etwa die politischen Eliten bzw. die politische Klasse eines Regimes (»unsere Politiker sind korrupt«), sein Parteien- oder sein Interessengruppensystem (Objektebene IV). Tabelle 2 gibt detaillierte Auskunft darüber, welche Legitimationsobjekte für die Nationalstaaten, die Europäische Union und die UNO berücksichtigt wurden. Für die G8 wurden keine einzelnen Legitimationsobjekte erhoben, da dieses Regime erstens institutionell kaum ausdifferenziert ist und zweitens nahezu ausschließlich als Gesamtregime (»die G8«) bewertet wird. Dass wir im Einklang mit der Literatur (Norris 1999; Westle 2007) von einer Hierarchie ausgehen, beruht auf dem Gedanken, dass Legitimationsstatements auf den vier Ebenen eine je unterschiedliche Bedeutung für die Legitimation politischer Ordnungen als Ganzer haben. Negative Bewertungen einzelner Institutionen (Objektebene III) und Akteursgruppen (Objektebene IV) erscheinen uns als weniger schwerwiegende diskursive Angriffe auf die Legitimität politischer Ordnungen als die Kritik an zentralen Regimeprinzipien (Objektebene II) oder die Delegitimation ganzer politischer Systeme und Gemeinschaften (Objektebene I). Legitimationsstatements können drittens – wie die Beispiele ebenfalls demonstrieren – mit ganz unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben – Legitimationsmustern – argumentieren. Wir unterscheiden 29 aus der Literatur zur Demokratietheorie und zur Legitimation politischer Systeme oder induktiv aus dem Textmaterial selbst gewonnene Kriterien für die Anerkennungswürdigkeit politischer Ordnungen; diese fassen wir mit Hilfe einer zweidimensionalen Typologie zu vier Gruppen zusammen. Dabei unterscheiden wir zwischen input- und output-orientierten sowie zwischen demokratiebezogenen und nicht-demokratiebezogenen Mustern. Ein Legitimationsmuster ist input-orientiert, wenn es sich auf die Natur von Entscheidungsverfahren oder die an ihnen beteiligten Akteure bezieht; es ist output-orientiert, wenn die Ergebnisse von Entscheidungsprozessen, deren Qualität
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oder die Konsequenzen von Entscheidungen zum Bewertungsmaßstab gemacht werden (Scharpf 1999: 6–28). Außerdem bezeichnen wir Legitimationsmuster – im Sinne »realistischer« demokratietheoretischer Perspektiven – als demokratiebezogen, wenn sie auf notwendige Bedingungen für »a system of governance in which rulers are held accountable for their actions in the public realm by the citizens, acting indirectly through the competition and cooperation of their elected representatives« zielen (Schmitter/Karl 1996: 500). Einen Qualitätsmaßstab, der nicht essentiell für die Aufrechterhaltung eines demokratischen Regimes ist bzw. auch in autoritären Regimes erfüllt werden kann – ohne deshalb notwendig antidemokratisch zu sein – nennen wir nicht-demokratiebezogen. Diese Unterscheidung macht die theoretischen Überlegungen aus Kapitel 2 für die empirische Legitimationsforschung frucht- und anwendbar. Auf der Basis dieser Unterscheidung lässt sich identifizieren, ob ein politisches System als legitim oder als im engeren Sinne demokratisch legitim bewertet wird. Indes fällt die Input-Output-Dichotomie nicht – wie oft suggeriert – mit der Unterscheidung zwischen demokratiebezogenen Kriterien – also solchen, die auf zentrale Elemente demokratischer Qualität gemünzt sind – und anderen Standards zusammen. Ebenso denkbar sind Legitimationsmuster, die auf nicht-demokratiebezogene Inputs in Entscheidungsprozesse (z.B. Teilnahme von Experten oder religiösen Autoritäten) zielen. Auch kann es Outputs geben, die notwendig für die Reproduktion demokratischer Ordnungen sind (so etwa die Sicherung von Bürger- und Menschenrechten oder der materiellen Bedingungen, die die Partizipation der Bürgerschaft erst ermöglichen – »empowerment«). Daher sind zur Sortierung von Bewertungskriterien die beiden genannten Dimensionen zu unterscheiden, und es ergeben sich die vier in Tabelle 3 wiedergegebenen Gruppen von Legitimationsmustern: demokratiebezogener Input und Output (DI, DO); nicht-demokratiebezogener Input und Output (NDI, NDO). Des Weiteren ist für uns von Interesse, ob Bewertungen – Legitimationsstatements – von Journalistinnen selbst vorgetragen oder aber die Positionen anderer Sprechergruppen zitiert werden (wobei die »Authentizität« der direkt oder indirekt zitierten Bewertungen für uns keine Rolle spielt: Statements können bestimmten Sprecher von Journalisten in den Mund gelegt werden – in jedem Fall repräsentieren auch zitierte Statements eine bewusste Auswahl der Medien, die damit bestimmten Sprechergruppen »voice« geben oder vorenthalten). Neben den Wertungen von Journalistin-
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nen unterscheiden wir Legitimationsstatements der Repräsentantinnen nationaler und internationaler politischer Ordnungen selbst und die Statements verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure und Gruppen im weitesten Sinne (Vertreterinnen von Nicht-Regierungsorganisationen oder der Wirtschaft, akademische Expertinnen und Kulturschaffende etc., daneben auch Sammelkategorien wie »einfache« Bürgerinnen oder Demonstranten). Tabelle 3: Gruppen von Legitimationsmustern Demokratiebezogen
Nicht-demokratiebezogen
Input
»accountability« Deliberation Existenz eines demos, einer politischen Gemeinschaft Glaubwürdigkeit/Vertrauenswürdigkeit (internationale) Legalität Partizipation Transparenz Volkssouveränität
Ernsthaftigkeit Expertise Führungskompetenz, Charisma Handlungsfähigkeit Mäßigung Religiöse Autorität Tradition
Output
Demokratisches »empowerment« Gemeinwohlorientierung Reversibilität/Nachhaltigkeit Schutz der Menschenrechte
Effektivität Effizienz Förderung bestimmter Moralkonzeptionen Förderung der kollektiven Identität Förderung der Souveränität und Macht des politischen Systems Förderung des internationalen Ansehens des politischen Systems Förderung politischer Stabilität Innovativität Relevante Agenda Verteilungsgerechtigkeit
Schließlich wurde auch kodiert, in welchem thematischen Kontext Legitimationsstatements vorgetragen wurden. Wir unterscheiden zwischen den folgenden Politikfeldern und thematischen Kontexten: Finanz- und Wirt-
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schaftspolitik, Infrastrukturpolitik, Umweltpolitik, Bildungs-, Forschungsund Kulturpolitik, Sozialpolitik, Innere Sicherheit und Migrationspolitik, Außenpolitik sowie Institutionenfragen.
3.2
Legitimationsprofile und ihre Analyse
Die empirischen Analysen der folgenden Kapitel basieren in erster Linie auf statistischen Häufigkeitsauswertungen der identifizierten Statements im Lichte der genannten Variablen und ihrer Merkmalsausprägungen. Das Ziel hierbei ist letztlich die Erstellung von regimespezifischen Legitimationsprofilen. Vorgeschaltet ist jeweils der Blick auf die Intensität von Legitimationsdiskursen, hier operationalisiert als die Menge der einschlägigen Statements mit Bezug auf ein Regime in einer bestimmten Öffentlichkeit und einem bestimmten Zeitraum. Legitimationsdiskurse sind ungeachtet ihrer spezifischen Ausprägungen unterschiedlich zu beurteilen in Abhängigkeit davon, ob sie ein marginales Phänomen politischer Kommunikation bleiben oder ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit rücken, wobei man die Abwesenheit solcher Diskurse im Einzelfall entweder als Zeichen der Systemzufriedenheit oder auch als Indikator einer bloß passiven Hinnahme deuten mag. Wo ein Regime (fast) nicht in Legitimationsdiskursen thematisiert und bewertet wird, sprechen wir von A-Legitimität. Zumindest für die nationalstaatliche Ebene unterstellen wir, dass Legitimationsdiskurse als Teil politischer Kommunikation tatsächlich eine erhebliche Rolle spielen – für die von uns untersuchten internationalen Regimes erscheint diese Vermutung vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 umrissenen Forschungsliteratur weniger selbstverständlich. Legitimationsprofile beschreiben wir mit Hilfe des Legitimationsniveaus sowie der Objekt-, Muster- und Sprechervariablen. Legitimationsniveaus – der Prozentanteil positiver Bewertungen einer politischen Ordnung und ihrer Elemente in einer bestimmten Öffentlichkeit, einem bestimmten Zeitraum usw. – stellen das Pendant der Variable Urteilstenor auf der Ebene individueller Statements dar. Geht man davon aus, dass ein völliger Konsens über die (Il-)Legitimität politischer Ordnungen – ein Legitimationsniveau von null oder hundert Prozent – in empirischer Perspektive kaum zu erwarten ist und Legitimationsdiskurse sich typischerweise im Kontext politischer Debatten entfalten, erscheint es plausibel, von einer
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breiten Übergangszone mehr oder weniger umstrittener Legitimität im Mittelbereich des Spektrums auszugehen. Von niedrigen bzw. hohen Legitimationsniveaus wollen wir deshalb erst sprechen, wenn die Anteile positiver bzw. negativer Statements mehr als zwei Drittel bzw. weniger als ein Drittel der Legitimationsurteile ausmachen (ohne die Bedeutung dieser pragmatisch gesetzten Schwellenwerte überzuwerten). Doch »nicht alle Legitimationsstatements sind gleich«. Vielmehr sind die verschiedenen Bestandteile solcher Statements und ihre Ausprägungen differenziert zu betrachten. So ist erstens – mit Blick auf die Variable des Legitimationsobjekts und jenseits der bloßen Unterscheidung zwischen rechtfertigenden und kritischen Bewertungen – zu prüfen, welche Einzelobjekte und Hierarchie-Ebenen der vier Objektgruppen die untersuchten Diskurse beherrschen. Die Legitimität einer politischen Ordnung kann als stabil gelten, wenn die Legitimationsniveaus aller Einzelobjekte und Ebenen als hoch einzustufen sind. Grundsätzlich als problematisch beurteilen wir sie, wenn die Objekte der beiden oberen Hierarchie-Ebenen (politisches System/politische Gemeinschaft sowie die Regimeprinzipien) starker Kritik ausgesetzt sind. Doch auch wenn dies der Fall ist, können einzelne Legitimationsobjekte (die Verfassung, die direkte Demokratie usw.) die Rolle von Ankerobjekten bzw. Ankerinstitutionen übernehmen. Darunter verstehen wir Legitimationsobjekte, die auf der einen Seite besonders häufig thematisiert werden (mindestens fünf Prozent der Statements zu einem Regime) und auf der anderen Seite deutlich positiver als die Gesamtheit der Legitimationsobjekte bewertet werden. Die Existenz solcher hinreichend positiv bewerteter Ankerobjekte kann die Legitimität politischer Ordnungen als Ganzer stabilisieren und das Abrutschen in eine Legitimationskrise verhindern. Umgekehrt lassen sich in der Zusammenschau der Niveau- und Objektvariable die Hauptzielscheiben von Legitimationsdiskursen bestimmen. Nur wenig problematisch erscheint ein Szenario, in dem sich Kritik auf wenige, periphere Objekte und die unteren zwei Ebenen – Einzelinstitutionen und Akteursgruppen – konzentriert. So mag bei insgesamt hohem Legitimationsniveau die Einzelinstitution des (deutschen, Schweizer oder amerikanischen) Föderalismus, das Parteiensystem oder die politische Klasse eines Landes zur Zielscheibe der Kritik werden. Je mehr Objekte ins Visier von Delegitimierern geraten und je höher diese in unserer Hierarchie angesiedelt sind, desto gefährdeter erscheint hingegen die Legitimität einer politischen Ordnung. Kritik mag dann beispielsweise neben einer größeren Zahl von Einzelinstitutionen auch das Regimeprinzip
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Wohlfahrtsstaatlichkeit oder die Verfassung eines Landes erfassen. Besonders ernsthaft gefährdet ist Legitimität dort, wo das politische System und die politische Gemeinschaft als Ganze sowie alle Ebenen der Objekthierarchie negativ bewertet werden. Auch mit Blick auf die verwendeten Legitimationsmuster sind Unterschiede zu analysieren – hier stellt sich die Frage nach der Verteilung der vier Mustergruppen und dem Verhältnis demokratiebezogener zu nichtdemokratiebezogenen Legitimationsmustern; zudem ist von Interesse, inwiefern demokratie- und nicht-demokratiebezogene Muster jeweils zur Legitimation oder Delegitimation verwendet werden. Als besonders problematisch darf ein Zustand gelten, in dem sowohl demokratische als auch nicht-demokratische Muster größtenteils negativ eingesetzt werden. Aus der Kombination von (positivem oder negativem) Urteilstenor und der Variable der Legitimationsmuster lassen sich aber auch (als Pendant zu Ankerobjekten) einzelne Legitimationsmuster oder Mustergruppen identifizieren, die besonders oft und dabei überdurchschnittlich häufig in rechtfertigender Absicht eingesetzt werden. Diese bezeichnen wir als Legitimationsressourcen. Die Existenz solcher zumeist positiv gewendeter Muster kann – wie Ankerobjekte – Legitimationsprobleme eines Regimes abmildern und damit tendenziell krisenhafte Entwicklung verhindern. Je größer die Zahl der Ressourcen und je stärker positiv ausgeprägt ihre Verwendungsweise in Diskursen sind, desto stabiler erscheint die Legitimationsbasis politischer Ordnungen. Normativ betrachtet muss freilich ein Zustand als besonders problematisch gelten, in dem demokratiebezogene Muster tendenziell delegitimierend (und selten) eingesetzt werden und »nur« nicht-demokratiebezogene Muster als Legitimationsressourcen funktionieren; unproblematischer erscheint das umgekehrte Szenario. Aus der Kombination der Niveau- und der Muster- bzw. Demokratievariable (demokratiebezogene vs. nicht-demokratiebezogene Muster) lässt sich auch eine Typologie der Legitimationsstile ableiten (Tabelle 4). Wir unterscheiden dabei in ähnlicher Form wie Richard Hofferbert und Hans-Dieter Klingemann (2001) einen Legitimationsstil »zufriedener Demokraten« (gesicherte demokratische Legitimität, IV) von einem Legitimationsstil, der auf der Basis nicht-demokratiebezogener Legitimationsmuster zu negativen Bewertungen gelangt. Wo demokratiebezogene Bewertungsmaßstäbe an Bedeutung verlieren und der Urteilstenor zugleich negativ ist, sprechen wir entsprechend vom Kollaps demokratischer Legitimität (II). Die beiden weiteren Stile deuten entweder auf mangelnde bzw. erodierende demokra-
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tische Legitimität (I) hin, wo demokratische Legitimationsmuster in negative Bewertungen münden, oder auf eine Transformation demokratischer Legitimität (III), wo die Bewertungen zwar positiv ausfallen, sich jedoch auf nicht-demokratiebezogene Kriterien (z.B. Effektivität) stützen. Der Häufigkeit der einzelnen Legitimationsstile ist also zu entnehmen, welche Legitimationsmuster mit welchem Urteilstenor in der politischen Debatte vorherrschen. Von einer Öffentlichkeit, die von einem Legitimationsstil geprägt ist, sprechen wir dann, wenn eine der vier möglichen Stilausprägungen deutlich häufiger als die anderen drei Stile in der Öffentlichkeit auftritt. Eine Dominanz der Stile IV (gesicherte demokratische Legitimität) oder II (Kollaps demokratischer Legitimität) markiert dabei den positivsten bzw. negativsten Zustand. Tabelle 4: Vier Legitimationsstile Demokratiebezogene Legitimationsmuster
Nicht-demokratiebezogene Muster
Delegitimation
Legitimationsstil I: Erosion demokratischer Legitimität
Legitimationsstil II: Kollaps demokratischer Legitimität
Legitimation
Legitimationsstil IV: gesicherte demokratische Legitimität
Legitimationsstil III: Transformation demokratischer Legitimität
Relevant sind auch die Sprechergruppen, die bewertende Aussagen zu einem politischen System formulieren. Besonders problematisch ist die Situation dort, wo selbst die ein politisches System repräsentierenden Eliten mit größtenteils negativen Bewertungen an Diskursen teilnehmen. Solange hingegen unter den Systemeliten Unterstützung vorherrscht und auch die Presse und die Zivilgesellschaft nicht übermäßig kritisch sind, kann dies als ein Beitrag zur Stabilisierung der Legitimität eines Regimes gelten. In der Zusammenschau der hier umrissenen Dimensionen ergibt sich damit ein Bild der Legitimationsprofile politischer Ordnungen. Allein für diese Zusammenschau von Legitimationsniveaus, Legitimationsobjekten, Legitimationsmustern und Sprechergruppen verwenden wir die Begrifflich-
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keiten von gesichert, prekär und krisenhaft. Unser Kriterium für die Diagnose gesicherter bzw. krisenhafter Legitimität ist dabei, wie in Kapitel 2 angedeutet, strikt: Es müssen jeweils alle vier Einzelvariablen in die eine oder die andere Richtung weisen – und dies mit hinreichender Stabilität im Zeitverlauf. Wir werden den Begriff der Prekarität bzw. Prekarisierung deshalb zusätzlich mit der Zeitdimension unserer empirischen Analysen in Verbindung bringen. Als prekär soll die Legitimität einer politischen Ordnung auch dann bezeichnet werden, wenn sie in der Gesamtbetrachtung ihres Legitimationsprofils und im Zeitverkauf häufig und stark zwischen den Extremzuständen gesicherter und krisenhafter Legitimität hin- und herschwankt (das Konzept prekärer Beschäftigung in der Arbeitsmarktforschung dient hier nur als Anregung; vgl. Castel/Dörre 2009). Damit wird die Übergangszone der Prekarität recht weit gefasst. Dies erfolgt bewusst vor dem Hintergrund folgender Überlegung: Der Begriff der Legitimationskrise ist in der bisherigen Literatur recht häufig zur Anwendung gelangt. Das Wort Krise sollte jedoch nicht inflationär eingesetzt werden, auch im Bewertungsparadigma nicht, könnte dies doch nur einen weiteren, diesmal wissenschaftlichen Beitrag zur Dramatisierung des öffentlichen Kommunikationsgeschehens darstellen. Umgekehrt suggeriert eine allzu undifferenzierte Diagnose gesicherter (demokratischer) Legitimität womöglich, politische Ordnungen oder einzelne ihrer Institutionen hätten nicht immer wieder mit Herausforderungen – einer kurzfristig stärkeren Infragestellung ihrer Legitimität als gemeinhin üblich – zu kämpfen. Legitimität erscheint dagegen häufig prekär, wobei der Raum prekärer Legitimität freilich – als mehr oder weniger problematisch einzustufende – Abstufungen aufweist. Diese prekären Legitimitäten im Plural gilt es näher zu beschreiben und zu analysieren.
3.3
Forschungsdesign und Hypothesen
Unserer empirischen Studie liegt ein doppelt vergleichendes Längs- und Querschnittdesign zugrunde (Lijphart 1971). Erstens werden Legitimationsdiskurse in der Qualitätspresse von vier westlichen Demokratien – der Schweiz, Deutschland, Großbritannien und den USA – verglichen. Dabei nehmen wir zweitens sowohl Diskurse zur Legitimität der jeweiligen nationalen politischen Ordnung mit ihren Regimeprinzipien, Kerninstitutionen
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und wichtigsten Akteursgruppen als auch Diskurse zur Legitimität der UNO, der G8 und der EU ins Visier. Diese Diskurse werden drittens, um auch Entwicklungen im Zeitverlauf adäquat erfassen zu können, über zehn Jahre hinweg (1998–2007) untersucht. Mit diesem Forschungsdesign tragen wir dem Umstand Rechnung, dass politische Herrschaft zunehmend in einem komplexen Mehrebenengefüge ausgeübt wird; zugleich ist davon auszugehen, dass die Herausbildung dieser postnationalen Konstellation und mit ihr die Produktion von Legitimität für das entstehende Herrschaftsgefüge noch im Fluss ist – der relativ lange Zeithorizont unserer Studie erlaubt es, vorsichtige Trendaussagen zu machen. Grundlage unserer Studie ist ein umfangreiches Korpus relevanter Zeitungsartikel, in denen wir mit Hilfe der vorgestellten Grammatik nach Legitimationsstatements gesucht haben; jeder Artikel im Korpus enthält eine oder mehrere dieser Bewertungen, die der Grammatik entsprechend kodiert wurden (Sprechertyp und Themenkontext, Urteilstenor, Legitimationsobjekt und -muster). Pro Land wurden zwei meinungsführende, jeweils als mitte-links- bis mitte-rechts-orientiert einzustufende Qualitätszeitungen ausgewertet: Tagesanzeiger, Neue Zürcher Zeitung (Schweiz); Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung (Deutschland); Guardian, Times (Großbritannien); New York Times, Washington Post (USA).12 Die übergeordnete Vermutung, der wir mit unserem komparativen Design nachgehen, besteht darin, dass die (Re-)Produktion von Legitimität durch die Herausbildung der postnationalen Konstellation in der Tat – und in mehrfacher Hinsicht – prekär geworden ist. Für nationalstaatliche politische Ordnungen wie die vier Demokratien im Mittelpunkt unserer Studie heißt die Kernfrage dabei: Ist die Legitimität, die der demokratische Nationalstaat als Regimeform in seinem Goldenen Zeitalter mutmaßlich – empirische Studien auf ähnlicher Materialbasis fehlen – genoss (Hurrelmann u.a. 2007; Hurrelmann/Schneider/Steffek 2007), heute bedroht – oder verändern sich die Grundlagen seiner Legitimität? Für internationale Regimes,
—————— 12 Dieses Sample erscheint jedenfalls dann wenig kontrovers, wenn man daran erinnert, dass es hier gerade nicht um eine »repräsentative« Abdeckung des ideologischen Spektrums oder die Berücksichtigung regionaler Medien, sondern um Meinungsführerschaft auf nationaler Ebene geht – vor diesem Hintergrund arbeiten etwa folgende Studien mit demselben oder ähnlichen Samples: Gaskell/Bauer 2001; Gerhards u.a. 2007; Wessler u.a. 2008. Es wurden – soweit möglich – die über die Datenbank Factiva (global.factiva.com) verfügbaren elektronischen Versionen der Artikel verwendet; ansonsten wurde auf CD-ROM-Archive zurückgegriffen; auf die Erhebung von Textdaten für den Tagesanzeiger 1998 – die nicht elektronisch verfügbar waren – musste verzichtet werden.
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die im Rahmen der postnationalen Konstellation zunehmend Macht und Zuständigkeiten an sich ziehen, lautet die Frage: Befinden sie sich im Zuge von Internationalisierungsprozessen noch im Zustand der A-Legitimität oder sind sie bereits legitimationsbedürftig – und wenn Letzteres, erweisen sie sich als legitimationsfähig? Für unsere Fallauswahl zentral ist somit die Unterscheidung zwischen nationalen und internationalen politischen Ordnungen auf der einen sowie unterschiedlichen Typen internationaler Regimes auf der anderen Seite. Wir gehen – wie oben angedeutet – für die vier untersuchten westlichen Demokratien von der Existenz relativ dichter, intensiver Legitimationsdiskurse zu den nationalen politischen Ordnungen aus – zu prüfen ist hier vor allem, ob sich die Legitimationsprofile der Schweiz, Deutschlands, Großbritanniens und der USA im Gefolge von Internationalisierungsprozessen verändert haben und ob Länderunterschiede bestehen. Für die drei analysierten internationalen Regimes ist hingegen zu prüfen, ob sie in der kommunikativen Dimension überhaupt den Zustand der A-Legitimität hinter sich gelassen haben, es also identifizierbare Diskurse zu ihrer Anerkennungswürdigkeit in den Medien gibt; dann sind auch hier Unterschiede zwischen den Legitimationsprofilen der Regimes und Entwicklungen im Zeitverlauf ins Visier zu nehmen. Was sollte man zunächst in Bezug auf die Legitimationsprofile nationaler politischer Ordnungen in den vier untersuchten Öffentlichkeiten erwarten? Nicht wenige Forschungsbeiträge unterstellen große Ähnlichkeit bzw. konvergente Entwicklungen, was die Legitimationsniveaus und -grundlagen westlicher Demokratien angeht – z.B. eine Erosion oder Transformation demokratischer Legitimität vor dem Hintergrund von Globalisierung und politischer Internationalisierung. Demgegenüber erwarten wir zumindest mit Blick auf Diskurse zu den je eigenen nationalen politischen Ordnungen die Existenz und den Fortbestand länderspezifischer Legitimationsprofile (eine Erwartung, die sich in unseren Vorarbeiten bestätigt hat – vgl. erneut Hurrelmann u.a. 2009; Schneider u.a. 2010). Diese Legitimationsprofile sind ihrerseits – wie wir vermuten – erheblichen Unterschieden in den Institutionenarrangements, den politischen (Diskurs-)Kulturen (Hepp/Wessler 2009) und den nationalen Mediensystemen (Hallin/Mancini 2004) der Untersuchungsländer geschuldet. Unser Sample maximiert so weit wie möglich die Varianz innerhalb des Regimetyps liberaler Demokratien und erlaubt es uns damit, in Kapitel 4 solchen Zusammenhängen nachzugehen (siehe auch Biegoń u.a. 2010).
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Die von uns untersuchten internationalen Organisationen (UNO, G8, EU) wurden für den Vergleich mit nationalen politischen Ordnungen ausgewählt, weil ihnen (fast) wie Nationalstaaten vergleichsweise breite Zuständigkeit und Problemlösungskompetenz zugeschrieben wird bzw. sie diese für sich selbst in Anspruch nehmen. Darin unterscheiden sie sich von solchen internationalen Regimes, die lediglich einen eng umgrenzten Funktionsbereich abdecken (wie etwa IWF, Weltbank, WTO oder NATO). Neben dieser Gemeinsamkeit weisen die drei untersuchten Organisationen aber auch bedeutende Unterschiede auf. Zum einen sind sie verschieden alt: Die UNO ist das älteste der drei Regimes, gefolgt von der EG/EU (deren aktuelle, zunehmend supranationale Gestalt freilich sehr viel jüngeren Datums ist; vor allem das Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (1987) und des Vertrags von Maastricht (1993) markieren hier eine Zäsur) und der G8 (ursprünglich G6 und G7). Sie unterscheiden sich zweitens in ihrem geographischen Zuschnitt und Mitgliederkreis: Die UNO ist ein globales Regime, dem inzwischen nahezu alle Staaten der Erde (und seit 2002 auch die Schweiz) angehören, die G8 ursprünglich ein »Club« führender westlicher Demokratien,13 die EU schließlich auf Europa beschränkt. Letztlich – und in engem Zusammenhang mit anderen Faktoren wie dem Institutionalisierungsgrad – haben wir in der Fallauswahl zum einen die (tatsächliche oder potenzielle) Mitgliedschaft, den mehr oder weniger offenen, (nahezu) globalen oder aber geschlossenen, geographisch bzw. kulturell exklusiven Charakter (»Club Governance«) der drei Regimes auf der einen Seite sowie die Unterscheidung zwischen dem eher intergouvernementalen oder supranationalen Charakter der UNO, G8 und EU mit ihren Institutionenarrangements und Entscheidungsprozessen auf der anderen Seite berücksichtigt. Die UNO repräsentiert den Typus des »klassischen« intergouvernmentalen, dabei aber globalen Regimes, die G8 den eines exklusiven intergouvernementalen und die EU den eines exklusiven supranationalen Regimes; der vierte denkbare Typus – also eine ebenso inklusive wie supranationale Weltregierung – bleibt bis auf weiteres nur eine theoretische Möglichkeit. Im Lichte der IB-Diskussion zur (A-)Legitimität internationaler Regimes erscheint es plausibel, eine verstärkte Problematisierung ihrer Anerkennungswürdigkeit vor allem dort zu erwarten, wo Regimes einen ge-
—————— 13 Ein Club, dessen exklusive Aufnahmekriterien natürlich schon mit der Aufnahme Russlands und nunmehr mit der Debatte um eine G20 ins Wanken geraten sind.
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schlossenen, exklusiven Charakter haben oder zunehmend supranationale Züge annehmen, also institutionelle Komponenten und Verfahren entwickeln, die Entscheidungen auch gegen den Willen einer betroffenen nationalen Regierung ermöglichen (etwa innerhalb der EU durch die Delegation von Entscheidungskompetenzen an die Kommission und den EuGH sowie die Anwendung der Mehrheitsregel im Rat; vgl. Zürn et al. 2007: 143). Zu vermuten ist also, dass die Legitimität der UNO insgesamt am wenigsten Aufmerksamkeit auf sich zieht, ihr Legitimationsniveau dabei jedoch wegen ihres intergouvernementalen Charakters und globalen Zuschnitts vergleichsweise hoch ist. Die G8 weist ein möglicherweise problematisches Element – einen geschlossenen, exklusiven Charakter – auf; größere öffentliche Aufmerksamkeit auf die Frage ihrer Legitimität und zugleich ein niedrigeres Legitimationsniveau sind hier zu erwarten. Die EU schließlich könnte sowohl ob ihres geographisch-kulturell exklusiven Charakters als auch wegen ihrer zunehmend gewichtigeren supranationalen Tabelle 5: Hypothesen – internationale Regimes Mitgliedschaft ist… Institutionenarrangements, Entscheidungsprozesse sind…
…offen, global
…geschlossen, exklusiv
…intergouvernemental
UNO (niedrige Legitimationsintensität, hohes Legitimationsniveau, wenige demokratiebezogene Legitimationsmuster)
G8 (mittlere Legitimationsintensität, mittleres Legitimationsniveau, mittlere Zahl demokratiebezogener Legitimationsmuster)
---
EU (hohe Legitimationsintensität, niedriges Legitimationsniveau, viele demokratiebezogene Legitimationsmuster)
…supranational
Elemente als problematisch angesehen werden; für sie erwarten wir deshalb die höchste Legitimationsintensität und das niedrigste Legitimationsniveau unter den drei Regimes. Entsprechend würde man erwarten, dass
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dort, wo Partizipationschancen für Mitgliedstaaten oder supranationales Entscheiden in Legitimationsdiskursen eine größere Rolle spielt, die Bedeutung demokratiebezogener Legitimationsmuster steigt; wir vermuten also mehr von ihnen in G8- als in UNO-Diskursen und noch einmal mehr in EU-Diskursen. Prüft man diese Hypothesen für einzelne nationale Öffentlichkeiten, sollte auch die (Nicht-)Mitgliedschaft eines Landes in der jeweiligen internationalen Organisation eine Rolle spielen: Ist ein Land kein Mitglied, gibt es prima facie wenig Anlass für öffentliche Legitimationsdebatten und kritische Stellungnahmen (eine Vermutung, die natürlich gleich wieder zu qualifizieren ist: schließlich operieren kleine Staaten wie die Schweiz fraglos im Schatten der EU, der G8 und der UNO, auch wenn oder solange sie diesen Regimes nicht angehören). Ausgehend von der Annahme, dass nationale Diskurskulturen nur schwer veränderbar sind, ist vielleicht sogar ein Transfer national bedeutsamer Legitimationsobjekte, -muster oder -stile auf Evaluierungen internationaler Regimes zu erwarten. Man könnte z.B. vermuten, dass sich der Schweizer oder der britische Diskurs zur Legitimität der EU auf die europäischen Pendants wichtiger nationaler Institutionen – etwa direkt- oder repräsentativ-demokratische Institutionen – und auf demokratische InputArgumente konzentriert, wobei der Urteilstenor von Bewertungen der demokratischen Qualität der EU oder der Responsivität des Europäischen Parlaments gerade auf der Basis dieser Argumente negativer ausfallen mag als auf der nationalen Ebene. Eine Übertragung nationaler Legitimationsstile auf die internationale Ebene ist in ähnlicher Weise auch in den USamerikanischen und deutschen Mediendiskursen – und in Diskursen zu allen drei untersuchten Regimes – denkbar. Schließlich sind wir an der Entwicklung von Legitimationsdiskursen im Zeitverlauf interessiert und untersuchen sie deshalb über zehn Jahre (1998–2007) hinweg. Zwar lassen sich der einschlägigen Literatur in ihrem Tenor ganz unterschiedliche Diagnosen zur Legitimität des demokratischen Nationalstaats und internationaler Regimes entnehmen, doch suggerieren sie zumeist einen über westliche Demokratien hinweg relativ uniformen Trend in die eine oder andere Richtung. Demgegenüber konnten wir in unseren Vorarbeiten zu dieser Studie bereits zeigen, dass mediale Legitimationsdiskurse durch ausgeprägte zyklische Effekte charakterisiert sind. Wie andere öffentliche Debatten auch vollziehen sich Debatten zur Legitimität politischer Ordnungen typischerweise nach dem Muster des
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STEFFEN SCHNEIDER
zuerst von Anthony Downs (1972) herausgearbeiteten »issue attention cycle«. Freilich hatte schon Downs darauf hingewiesen, dass kurzfristige zyklische Effekte bisweilen durch längerfristige gerichtete Trends – etwa wachsende Aufmerksamkeit auf das Thema Umwelt oder hier Legitimität – überlagert werden. Unsere Zeitreihe gibt uns die Möglichkeit, Aussagen über solche Entwicklungen zu treffen: Gibt es also Anzeichen für klare Trends in die eine oder andere Richtung oder lediglich für eine zyklische Fluktuation von Legitimationsdiskursen? Die Konstruktion der Zeitreihe nimmt dabei die der kommunikationswissenschaftlichen Literatur entlehnte Idee auf, dass sich politische Debatten sehr oft an fokussierenden Ereignissen (»events«) entzünden (Couldry u.a. 2010). Die Ereignisse können dabei singulär – eine außenpolitische Krise, ein innenpolitischer Skandal usw. – oder zyklisch wiederkehrend sein – so etwa politische Rituale und Fixpunkte des politischen »business cycle« wie Wahlen, Regierungserklärungen und Haushaltsdebatten. In der Konstruktion unserer Zeitreihe zu Legitimationsdiskursen über nationale politische Ordnungen haben wir in ihrem Stellenwert möglichst vergleichbare Ereignisse vom zweiten Typ zugrunde gelegt. Legitimationsdebatten und -statements wurden jeweils in einem zwölftägigen Zeitfenster rund um jährlich etwa zum selben Zeitpunkt wiederkehrende politische Rituale und die zugehörigen Debatten identifiziert und ausgewertet.14 Dabei handelt es sich um Verlautbarungen der nationalen Exekutive – Regierungserklärungen oder ihre nationalen Äquivalente: die Vorstellung und parlamentarische Diskussion der so genannten Jahresziele durch den Schweizer Bundesrat, Regierungserklärungen des deutschen Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin im Rahmen der Haushaltsdebatten, die Thronreden der Königin von England in Großbritannien und die State of the Union Addresses des US-Präsidenten. Tabelle 6 dokumentiert diese Zeitfenster sowie die jeweils auf der Basis unserer Legitimationsgrammatik identifizierten relevanten Statements. Diese auf Ereignisse bezogene Datenerhebungsstrategie erschien mit Blick auf Legitimationsdebatten zu internationalen Regimes noch plausibler. Obwohl die UNO, die EU und inzwischen ansatzweise sogar die G8 einen auf Dauer gestellten, mehr oder weniger institutionalisierten Charakter haben, werden sie für die (mediale) Öffentlichkeit in erster Linie rund um Gipfelereignisse lebendig; dann erreicht – wie wir in Pretests
—————— 14 Genauer: jeweils zehn Zeitungstage unter Ausschluss gegebenenfalls existierender Sonntagsausgaben.
65
EMPIRISCHE LEGITIMATIONSFORSCHUNG
bestätigen konnten – die ansonsten oft eher kursorische Medienberichterstattung ihren Höhepunkt und dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sich mit den Gipfeln vielfach Protestaktivitäten verbinden. Kurzum, Gipfeltreffen haben besonderen Nachrichtenwert und lassen sich von den Medien hervorragend als Ereignisse inszenieren. Sie eignen sich daher in besonderer Weise dazu, wahrgenommene Legitimationsdefizite politischer Ordnungen Tabelle 6: Zeitfenster und Statementzahlen – nationale Ebene CH
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Σ
Termin
Zeitfenster
07.12. 13.12. 11.12. 03.12. 26.11. 01.12. 02.12. 28.11. 11.12. 03.12.
05.12.-16.12. 11.12.-22.12. 09.12.-20.12. 01.12.-12.12. 23.11.-04.12. 29.11.-10.12. 27.11.-08.12. 26.11.-07.12. 09.12.-20.12. 01.12.-12.12.
DE N 68 45 58 36 63 74 104 23 51 81 603
Termin
Zeitfenster
10.11. 24.11. 28.11. 28.11. 04.12. 26.11. 24.11. 30.11. 22.11. 28.11.
07.11.-18.11. 20.11.-01.12. 25.11.-06.12. 24.11.-05.12. 30.11.-11.12. 22.11.-03.12. 20.11.-01.12. 26.11.-07.12. 18.11.-29.11. 24.11.-05.12.
GB
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Σ
Termin
Zeitfenster
24.11. 17.11. 06.12. 20.06. 13.11. 26.11. 23.11. 17.05. 15.11. 06.11.
21.11.-02.12. 13.11.-24.11. 02.12.-13.12. 16.06.-27.06. 09.11.-20.11. 22.11.-03.12. 20.11.-01.12. 14.05.-25.05. 11.11.-22.11. 03.11.-14.11.
N 106 90 46 53 84 102 115 82 44 30 752
US N 120 145 192 158 92 87 89 90 69 91 1133
Termin
Zeitfenster
27.01. 19.01. 27.01. 27.01. 29.01. 28.01. 20.01. 02.02. 31.01. 23.01.
24.01.-04.02. 16.01.-27.01. 22.01.-02.02. 27.01.-07.02. 26.01.-06.02. 25.01.-05.02. 17.01.-28.01. 29.01.-09.02. 28.01.-08.02. 20.01.-31.01.
N 98 184 98 30 94 200 173 124 148 84 1233
66
STEFFEN SCHNEIDER
Tabelle 7: Zeitfenster und Statementzahlen – internationale Regimes N Ort
Termin
Zeitfenster CH DE GB US Σ
Wien Berlin Nizza Laeken Sevilla Brüssel Brüssel Brüssel Lahti * Brüssel
11.12.-12.12. 24.03.-25.03. 07.12.-11.12. 14.12.-15.12. 21.06.-22.06. 12.12.-13.12. 25.03.-26.03. 16.06.-17.06. 20.10. 21.06.-22.06.
05.12.-16.12. 20.03.-31.03. 02.12.-13.12. 08.12.-19.12. 15.06.-26.06. 06.12.-17.12. 20.03.-31.03. 11.06.-22.06. 14.10.-25.10. 16.06.-27.06.
29 52 46 39 29 60 18 120 12 72 477
57 161 254 166 68 190 83 276 66 168 1489
25 115 82 134 37 184 16 221 44 92 950
15 41 39 15 11 22 12 58 5 11 229
126 369 421 354 145 456 129 675 127 343 3145
Birmingham Köln Okinawa Genua Kananaskis Évian Sea Island Gleneagles St. Petersburg Heiligendamm
15.05.-17.05. 18.06.-20.06. 21.07.-23.07. 20.07.-22.07. 26.06.-27.06. 01.06.-03.06. 08.06.-10.06. 06.07.-08.07. 15.07.-17.07. 06.06.-08.06.
09.05.-20.05. 12.06.-23.06. 15.07.-26.07. 14.07.-25.07. 22.06.-03.07. 28.05.-07.06. 05.06.-16.06. 02.07.-13.07. 08.07.-19.07. 02.06.-13.06.
10 4 8 15 7 68 6 12 5 54 189
27 14 19 63 11 42 23 44 48 201 492
28 7 35 61 29 94 24 80 13 54 425
14 0 10 19 1 13 2 13 10 7 89
79 25 72 158 48 217 55 149 76 316 1195
New York New York New York New York New York New York New York New York New York New York
21.09.-02.10. 20.09.-02.10. 12.09.-22.09. 10.11.-16.11. 12.09.-20.09. 23.09.-02.10. 21.09.-30.09. 14.09.-19.09. 19.09.-27.09. 25.09.-03.10.
21.09.-02.10. 20.09.-02.10. 12.09.-22.09. 08.11.-18.11. 11.09.-21.09. 23.09.-03.10. 21.09.-01.10. 14.09.-24.09. 18.09.-28.09. 24.09.-04.10.
4 11 2 1 45 22 14 46 11 15 171
15 25 3 19 25 42 52 114 32 20 347
4 29 1 10 56 50 46 84 26 5 311
15 29 10 29 46 55 23 45 31 4 287
38 94 16 59 172 169 135 289 100 44 1116
EU 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Σ
G8 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Σ
UN 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Σ
* Sondergipfel mit Russland.
EMPIRISCHE LEGITIMATIONSFORSCHUNG
67
öffentlich zu thematisieren. Das Textkorpus für die UNO basiert deshalb auf Legitimationsdebatten im zeitlichen Kontext der jährlichen Vollversammlungen, das Korpus für die G8 wurde rund um die jährlichen Gipfel erhoben und für die EU wurde je einer der bis zu fünf Ratsgipfel pro Jahr ausgewählt.15 Tabelle 7 dokumentiert die erneut zehntägigen Zeitfenster für die drei internationalen Regimes, die Gipfelorte sowie die Statementzahlen.16 In den angegebenen Zeitfenstern wurden, wie die Tabellen 6 und 7 zeigen, über die zehn Untersuchungsjahre und die verschiedenen politischen Regimes hinweg 9177 Legitimationsstatements kodiert. Der detaillierten Auswertung dieser Statements wenden sich die nun folgenden Kapitel zum Nationalstaat, zu den Vereinten Nationen, zur »Gruppe der Acht« und zur Europäischen Union zu.
—————— 15 Die Auswahl erfolgte bewusst in einem automatisierten Verfahren – für jedes Jahr wurden diejenigen Gipfel berücksichtigt, für die ein EU-Suchvokabular die meisten Treffer in der elektronischen Datenbank Factiva liefert. In die Auswahl ging also keine Wertung zur politischen Bedeutung oder Legitimationsrelevanz der Gipfel ein, und in der Tat zeigt sich erhebliche Varianz in der Legitimationsintensität. 16 Hier wurden wie in der nationalen Zeitreihe die Sonntagsausgaben einiger Zeitungen im Sample nicht berücksichtigt. Weitere Erläuterungen zu Forschungsdesign, Textkorpora und Methodenfragen finden sich auf unserer webpage (http://www.sfb597.unibremen.de/pages/forProjektBeschreibung.php?SPRACHE=en&ID=5).
4
Der demokratische Nationalstaat – hohe Unterstützung
Steffen Schneider
Folgt man einer in der Literatur weit verbreiteten Argumentationslinie, so ist durch die von Jürgen Habermas (1998) und andere beschriebene »postnationale Konstellation« – also durch die Prozesse der Privatisierung und Internationalisierung der vergangenen Jahrzehnte – zuallererst die Legitimität nationaler politischer Ordnungen und insbesondere des demokratischen Rechts- und Interventionsstaates westlicher Prägung herausgefordert (Dalton 2004; Pharr/Putnam 2000; Torcal/Montero 2006). Solche Krisendiagnosen implizieren umgekehrt, dass die Legitimität nationaler politischer Ordnungen in ihrem Goldenen Zeitalter auf einer Kombination aus demokratischer Qualität auf der Input-Seite und hoher Leistungsfähigkeit bei der Produktion normativer Güter wie Rechtsstaatlichkeit, Wohlfahrt und Sicherheit auf der Output-Seite beruhte (Hurrelmann u.a. 2007; Hurrelmann/Schneider/Steffek 2007). Mit der Verlagerung politischer Autorität auf internationale Regimes oder private Governance-Arrangements scheint indes ein Kontroll- und Bedeutungsverlust demokratischer Verfahren und repräsentativer Institutionen – also letztlich eine Erosion demokratischer Qualität – einherzugehen (Dahl 1994; Burns 1999). Pessimistische Beobachter erwarten deshalb, dass eine wachsende Zahl von »dissatisfied democrats« (Hofferbert/Klingemann 2001) vor allem die demokratische Input-Legitimität nationaler politischer Ordnungen gefährdet. Doch auch die Performanz und Steuerungskapazität demokratischer Regimes und ihrer Regierungen scheint in Zeiten der Globalisierung unter Druck zu geraten. Selbst wo nicht-demokratiebezogene Bewertungskriterien wie Effektivität zugrunde gelegt werden und damit die Output-Dimension in den Vordergrund rückt, erscheint die Legitimität nationaler politischer Ordnungen also zunehmend gefährdet. Und während kaum ein akademischer Beobachter heute optimistisch genug ist, die Legitimität des demokratischen Nationalstaates als unproblematisch und gesichert einzustufen, erscheint eine Transformation demokratischer
DER NATIONALSTAAT – HOHE UNTERSTÜTZUNG
69
Legitimität – der Übergang zu nicht-demokratiebezogenen Legitimationsgrundlagen – zumindest in normativer Perspektive und für die Ebene nationaler demokratischer Regimes wenig attraktiv: Es ist zwar nicht auszuschließen, dass eine solche Verschiebung dem Nationalstaat empirisch auch weiterhin ein hohes Maß an Unterstützung sichern könnte, doch normativ wäre auch diese Verschiebung als problematisch – nämlich als ein Bedeutungsverlust demokratischer Evaluationskriterien – einzustufen. Spätestens im Zuge der politischen und medialen Debatten zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/09 oder auch im Umfeld der Debatten und Referenden zu EU-Verfassung und zum Lissabon-Vertrag konnte man aber den Eindruck gewinnen, dass der demokratische Nationalstaat eine Renaissance erlebt – und dass es um seine Legitimität zumindest im Vergleich mit inter- oder supranationalen Regimes (oder gar der ökonomischen Ordnung eines weitgehend deregulierten Kapitalismus) nicht einmal so schlecht bestellt ist. Diesen Eindruck stützen auch die Ergebnisse einer Pilotstudie, in der wir für das Jahr 2004 Legitimationsdiskurse zu den politischen Systemen der Schweiz, Deutschlands, Großbritanniens und der USA analysiert und westlichen Demokratien eine im Lichte der zitierten Krisendiagnosen bemerkenswert robuste demokratische Legitimität attestiert haben (Hurrelmann u.a. 2009; Schneider u.a. 2010). Diese Momentaufnahme ergänzen wir hier um eine Längsschnittperspektive für die Jahre 1998 bis 2007. Wir vergleichen mit Hilfe unserer in Kapitel 3 erläuterten Grammatik die Legitimationsprofile der vier Untersuchungsländer und suchen nach Verschiebungen in Richtung des einen oder anderen der von uns unterschiedenen Legitimationsstile. Dabei wenden wir uns zunächst dem Aspekt der Legitimationsintensität und den Sprechergruppen in den vier nationalen Öffentlichkeiten zu (4.1), um sodann Legitimationsniveaus (4.2), Legitimationsobjekte (4.3) sowie Legitimationsmuster und -stile (4.4) ins Visier zu nehmen. Abschließend erörtern wir die Frage, ob sich die Legitimität einer oder mehrerer der untersuchten Demokratien im Lichte ihrer Legitimationsprofile als zunehmend prekär oder gar krisenhaft erweist (4.5).
70
4.1
STEFFEN SCHNEIDER
Legitimationsintensität und Sprechergruppen: Echte Interaktion, schwankende Aufmerksamkeit
Die erste und elementarste Frage mit Blick auf unser empirisches Material lautet: Findet die in Kapitel 3 operationalisierte Form politischer Kommunikation – Legitimationsdiskurse – überhaupt in nennenswertem Umfang statt? Wenn unsere Vermutung zutrifft, dass die Herstellung, Infragestellung und Transformation von Legitimität und ihren normativen Grundlagen sich in erster Linie mit Hilfe kommunikativer Praktiken vollzieht, sollten jedenfalls auf der nationalen Ebene – also mit Blick auf die weiterhin zentrale politische Herrschaftsordnung, den demokratischen Rechts- und Interventionsstaat mit seinen Regimeprinzipien, Kerninstitutionen und tragenden Akteursgruppen (Genschel/Zangl 2008) – einschlägige Statements zahlreich sein. Auch wenn ein Zustand der A-Legitimität gerade hier deshalb nicht zu erwarten ist, mag es jedoch Länderunterschiede in der Legitimationsintensität und Verschiebungen im Zeitverlauf geben. So sollte man für die vergangenen Jahre eine Zunahme der Legitimationsintensität – also einschlägiger Mediendebatten unter Beteiligung politischer wie zivilgesellschaftlicher Akteure und Stimmen – erwarten, wenn es zutrifft, dass die Anerkennungswürdigkeit des demokratischen Nationalstaates tatsächlich zunehmend unter Druck gerät oder sich eine Transformation seiner normativen Grundlagen vollzieht. Unter Legitimationsintensität verstehen wir dabei schlicht die Zahl der pro Land und Jahr identifizierten Legitimationsstatements. Wie Tabelle 8 zeigt, sind die Legitimationsintensitätswerte über die vier Länder hinweg durchaus vergleichbar. Allerdings stoßen die parlamentarischen Aussprachen zu den Jahreszielen des Schweizer Bundesrates bzw. die Regierungserklärungen des deutschen Bundeskanzlers im Kontext der Haushaltsdebatten deutlich weniger Legitimationskommunikation an als die sehr viel öffentlichkeitswirksameren politischen Rituale der Thronrede in Großbritannien und der State of the Union Address in den USA. Handelt es sich bei den Aussprachen zu den Jahreszielen und den Haushaltsdebatten in der Schweiz und Deutschland um eher geschäftsmäßige Praktiken, die in den Medien oft nur zu Bewertungen einzelner Politiken oder der jeweiligen Amts- und Mandatsträgerinnen Anlass geben, ist die amerikanische State of the Union Address inzwischen wie die britische Thronrede zu einem Höhepunkt des politischen Jahres, zur pompös inszenierten Demonstration der »personal« oder gar »imperial presidency« geworden
DER NATIONALSTAAT – HOHE UNTERSTÜTZUNG
71
(Lowi 1985; Schlesinger 1989); überdies trägt die jährliche Rede des Präsidenten vor dem Kongress und an die amerikanische Nation die Aufforderung zu Regime-Bewertungen schon in ihrem Namen (zur State of the Union Address vgl. Teten 2003, zur Bedeutung politischer Symbole und Rituale auch Edelman 2005; Bendix 2002; Etzioni/Bloom 2004). Tabelle 8: Nationale Ebene – Legitimationsstatements pro Land und Jahr Legitimationsstatements (N) Jahr
CH
DE
GB
US
Σ
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
68 45 58 36 63 74 104 23 51 81
106 90 46 53 84 102 115 82 44 30
120 145 192 158 92 87 89 90 69 91
98 184 98 30 94 200 173 124 148 84
392 464 394 277 333 463 481 319 312 286
(1998–2007)
603
752
1133
1233
3721
Die Tabelle und Abbildung 1 belegen freilich auch die Existenz zyklischer Aufmerksamkeitseffekte (»issue attention cycles«). Solche Effekte hatten wir in unserer Pilotstudie – den Begriff von Downs (1972) aufnehmend – sehr kleinteilig für den Verlauf eines einzelnen Jahres (2004) und im Kontext national spezifischer Ereignisse und Debatten nachgezeichnet (Schneider u.a. 2010: Kapitel 3). Offenkundig kommen sie auch in einer längeren Zeitperspektive zum Tragen – keine der nationalen Öffentlichkeiten schenkt den hier in den Blick genommenen politischen Großereignissen von Jahr zu Jahr dieselbe Aufmerksamkeit (oder genauer: nutzt sie jeweils im selben Maß für Debatten zur Legitimität der vier politischen Systeme). Dabei kann es natürlich nicht überraschen, dass die vier nationalen Aufmerksamkeitszyklen selbst wenig miteinander gemein haben, weil ihnen je unterschiedliche Zeitfenster und innenpolitisch bedeutsame Ereignisse zugrunde liegen; die Zyklen sind also unabhängig voneinander im Lichte der vier nationalen politischen Agenden zu interpretieren.
72
STEFFEN SCHNEIDER
In der Schweiz gaben die Aussprachen zu den Jahreszielen nach 1998 nur wenig Anlass zu Legitimitätsdebatten und der z-score sinkt 2001 auf den ersten zyklischen Tiefpunkt, um 2004 auf den Höchstwert im Untersuchungszeitraum zu klettern. Politische Entwicklungen in den Jahren bis 2004 – und gerade auch in den untersuchten Zeitfenstern – rückten dann aber zentrale Regimeprinzipien, Institutionen und Akteursgruppen der Schweiz ins Visier der öffentlichen Aufmerksamkeit: Das Zeitfenster von 2002 liegt kurz vor einem wichtigen Referendum zur Änderung der Volksrechte, also der direkt-demokratischen Verfahren, die am 9. Februar 2003 mit 70,4 Prozent der Stimmen angenommen wurde. Das Zeitfenster von 2003 endet am 10. Dezember mit der Wahl des rechtslastigen Vorsitzenden der Schweizer Volkspartei, Christoph Blocher, in den Bundesrat – ein Ereignis, mit dem das Konkordanzprinzip der Schweizer »Zauberformel« massiv herausgefordert wurde. Am 28. November 2004 fand ein Referendum zur Neuordnung des Schweizer Finanzausgleichs statt, die der Souverän mit 64,4 Prozent der Stimmen guthieß. Mit der »Normalisierung« der Bundesratsarbeit nach dem Paukenschlag von 2003 und den erfolgreichen Verfassungs- und Föderalismusreformen verebbten Legitimationsdebatten bis 2005 wieder; die Gesamterneuerungswahl des Bundesrates am 12. Dezember 2007 – in deren Zuge Blocher aus dem Bundesrat ausschied – führte aber zu einem weiteren Hoch der Legitimationsintensität. In der Bundesrepublik lenkte die erste Haushaltsdebatte der neuen rotgrünen Koalitionsregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder offensichtlich auch überdurchschnittliche Aufmerksamkeit auf die Legitimität der politischen Ordnung Deutschlands, doch in der Folge sinkt die Legitimationsintensität bis 2001 rasch auf den Tiefstwert im Untersuchungszeitraum. Der Wiederanstieg bis 2004 scheint sich parallel zu den wachsenden Problemen der Koalition zu vollziehen; so belebte die sukzessive Abwahl sozialdemokratisch geführter Regierungen in den Ländern und die 2005 in der nordrhein-westfälischen Landtagswahl kulminierende Machtverschiebung im Bundesrat zugunsten der Opposition wieder Debatten um die Defizite und Reformblockaden der Systemelemente Föderalismus, Konsensdemokratie und Parteiensystem, die in ähnlicher Form bereits unter umgekehrten Vorzeichen in der Endphase der Kohl-Ära prominent waren und auch Debatten in der Schweiz nicht unähnlich sind. Bemerkenswert ist, dass der neuerliche Regierungswechsel zur von Angela Merkel geführten Großen Koalition ein vorläufiges Abreißen des Diskurses nach sich zieht – dies in der zunächst auch in den Medien genährten Erwartung, die
73
DER NATIONALSTAAT – HOHE UNTERSTÜTZUNG
breite Koalition werde die institutionellen Blockaden des deutschen Systems gewissermaßen kurzschließen und sich als Problemlösungskoalition erweisen; 2007 markiert den Tiefstpunkt der Legitimationsintensität im Untersuchungszeitraum. Abb.1: Legitimationsintensität nach Ländern im Zeitverlauf (nationale Ebene) 3 2 1 0 -1 -2 1998
1999 CH
2000
2001
2002 DE
2003
2004 GB
2005
2006
2007 US
Die Datenpunkte stellen die z-transformierte Anzahl der Legitimationsstatements pro Land und Jahr dar. Der Berechnung wurde jeweils die durchschnittliche Zahl der Statements pro Land über den Untersuchungszeitraum (1998–2007) hinweg zugrunde gelegt; z-scores errechnen sich aus der Differenz zwischen der tatsächlichen Zahl der Statements pro Land und Jahr und diesen vier Mittelwerten, dividiert durch die zugehörige Standardabweichung.
Der britische Diskurs erreicht seinen Rekordwert schon im Jahr 2000, um sodann zu verebben. Im Hintergrund dieser Entwicklung stehen augenscheinlich Institutionen- und Verfassungsreformdebatten, die die Medien und Politik des Landes über die gesamten 1990er Jahre hinweg, also bereits vor dem ersten Wahlsieg Tony Blairs 1997, stark beschäftigt hatten. Gestritten wurde – nicht zuletzt auch zwischen Tories und Labour – um das britische Wahlsystem, die Zukunft des Oberhauses, die Notwendigkeit einer kodifizierten Verfassung mit einem Grundrechtekatalog, die Schaffung eines Verfassungsgerichts u.a.m. (Foley 1999). Der Guardian – eine der beiden britischen Zeitungen in unserem Sample – begann im Untersuchungszeitraum überdies eine Kampagne zur Abschaffung der Monarchie. Die Labour-Regierung setzte ihrerseits einige der versprochenen Reformen
74
STEFFEN SCHNEIDER
um oder brachte sie zumindest auf den Weg. Augenscheinlich genügte dies – oder, ganz im Sinne von Downs, allein schon die Wahrnehmung der (materiellen und politischen) Kosten solcher Reformen durch Öffentlichkeit und Regierung –, um die Medienaufmerksamkeit nach 2000 wieder vom Regime ab- und dem politischen Handeln der »authorities« zuzuwenden, also der Regierungsarbeit Tony Blairs bzw. seit Juni 2007 Gordon Browns und den Familienskandalen des Windsor-Königshauses. In den USA schließlich registrieren wir ein erstes Aufmerksamkeitshoch im Jahr 1999 und ein zweites 2003. 1999 fand die State of the Union Address von Präsident Clinton auf dem Höhepunkt seines ImpeachmentVerfahrens statt. Die Legitimationsintensität sank in der Folge bis 2001 bemerkenswerterweise auf einen Tiefpunkt, obwohl das Zeitfenster dieses Jahres im unmittelbaren zeitlichen Kontext der umstrittenen Präsidentschaftswahlen von 2000 steht – rund um die erste große Rede George W. Bushs nach seiner Vereidigung waren die Legitimationsdebatten, die sich an dem Wahldebakel entzündet hatten (und durchaus weiter schwelen hätten können), offensichtlich bereits an ihr Ende gelangt. Die State of the Union Addresses ab 2002 standen im Kontext des 11. September 2001 und der politischen Entwicklungen in seiner Folge. Die Legitimationsintensität kulminierte indes nicht 2002, sondern ein Jahr später: Mit der State of the Union Address 2003 mobilisierte Präsident George W. Bush die amerikanische Öffentlichkeit für den bevorstehenden, als Teil des »war on terror« verkauften Irakkrieg. In den drei letzten Jahren des Untersuchungszeitraums ging die Legitimationsintensität wieder zurück. Doch welchen Sprechergruppen bieten die untersuchten Zeitungen eine Plattform für ihre Legitimationsurteile? Von Interesse ist hier zum einen die Unterscheidung zwischen Bewertungen, die Journalistinnen selbst vortragen, und solchen, die sie zitieren (oder bestimmten Sprecherinnen in den Mund legen); zum anderen gilt unser Interesse vor allem den Legitimationsurteilen politischer Akteure und Eliten auf der einen, den Bewertungen von Vertreterinnen der Zivilgesellschaft auf der anderen Seite. Wie Abbildung 2 illustriert, stammen gut ein Drittel der Legitimationsstatements in unserem Textkorpus von Journalistinnen selbst. In Großbritannien (55,2 Prozent) und Deutschland (39,8 Prozent) steuern sie eine absolute bzw. relative Mehrheit der Äußerungen bei. Über alle Länder hinweg ist es also gängige Praxis, Legitimationsurteile politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure zu zitieren bzw. Bewertungen als Positionen
75
DER NATIONALSTAAT – HOHE UNTERSTÜTZUNG
dieser Akteure auszugeben (und damit ggf. die Autorität von akademischen Expertinnen oder auch »einfachen Bürgerinnen« für sich zu reklamieren). Die Sprecherkategorie der internationalen politischen Akteure spielt dabei – wenig überraschend – kaum eine Rolle. Dagegen repräsentieren Legitimationsurteile nationaler politischer Akteure in den USA sogar die absolute Mehrheit (52,5 Prozent) der Statements, in Deutschland stellen die politischen Eliten mit 36,3 Prozent immerhin die zweithäufigste Sprechergruppe dar. Mithin gelingt es nationalen politischen Eliten sehr gut, ihre Legitimationsurteile – von denen man bereits hier vermuten darf, dass es sich überwiegend um Selbstlegitimationen handelt – in der nationalen Qualitätspresse zu platzieren. Besonders in der amerikanischen Presse – die z.B. regelmäßig neben den State of the Union Addresses die Entgegnungen der Opposition und andere Politikerreden komplett im Wortlaut abdruckt – ist dies der Fall. Nur in der Schweiz wird der Anteil dieser Sprechergruppe (30,8 Prozent) von dem der zivilgesellschaftlichen Akteure (38 Prozent) übertroffen; in den anderen drei Öffentlichkeiten steuern diese immerhin rund ein Viertel der Urteile bei. Abb. 2: Sprechergruppen nach Ländern (nationale Ebene, %) CH
DE
GB
US
Gesamt 0%
20% Journ.
40% Nat. Pol.
60% Int. Pol.
80%
100% Zivilges.
Ein Blick auf Abbildung 3 zeigt im Übrigen, dass die Verteilung der Sprechergruppen zwar ebenfalls gewissen zyklischen bzw. ereignisbezogenen Effekten zu unterliegen scheint, sich dabei aber am beschriebenen Grund-
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STEFFEN SCHNEIDER
muster im Zeitverlauf wenig ändert. Die Medien – hier die Qualitätspresse – erweisen sich augenscheinlich als wichtige Teilnehmer an nationalen Legitimationsdiskursen und geben dabei als Vermittler zwischen politischem System und Bürgerschaft sowohl den Regierenden als auch den Regierten »voice«. Ab 2003 steigt der Diskursanteil der zivilgesellschaftlichen Akteure sogar, während der der politischen Eliten sinkt und 2006 wie 2007 leicht hinter die zivilgesellschaftlichen Sprecherinnen zurückfällt. Dieser Trend ist indes vor dem Hintergrund schwankender Aufmerksamkeit für Legitimationsfragen zu sehen – von einer zunehmenden Politisierung des demokratischen Nationalstaates im Sinne zunehmend intensiverer politisch-zivilgesellschaftlichen Debatten zu Legitimationsfragen, gar über alle vier untersuchten Fälle hinweg, kann also nicht die Rede sein. Als Nächstes gilt es freilich in Augenschein zu nehmen, wie diese Sprechergruppen die vier Demokratien bewerten und welche Aspekte dabei im Vordergrund stehen. Wir wenden uns also den Profilen der nationalen Legitimationsdiskurse zu, die wir mit Hilfe unserer Grammatik beschreiben. Abb. 3: Sprechergruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) 60
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4.2
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Legitimationsniveau: Musterschüler und Sorgenkinder
Die Betrachtung der Legitimationsintensität allein verrät offenkundig nichts über den Tenor von Legitimationsdiskursen. Von besonderem Interesse ist jedoch gerade, wie viel Unterstützung politische Ordnungen, ihre Regimeprinzipien, Kerninstitutionen und wichtigsten Akteursgruppen in Legitimationsdiskursen erfahren. Man mag vermuten, dass Systemzufriedenheit sich nicht selten in einem Ausbleiben umfangreicher und anhaltender Legitimationskommunikation manifestiert – dass die relativ hohe Intensität solcher Diskurse in unseren vier Demokratien und in einzelnen der zehn Untersuchungsjahre also auf politische Debatten und Konflikte hindeutet, in deren Zusammenhang die Legitimität der vier nationalen politischen Ordnungen zum Thema gemacht und dabei herausgefordert wurde. Hinzu kommen zwei Punkte: Erstens erscheint die Existenz einer genuinen und damit bisweilen auch kritischen Öffentlichkeit (»critical citizenship«) empirisch wie normativ geradezu als Voraussetzung der demokratischen Regierungsform (Norris 1999). Zweitens entspricht es der ökonomischen Logik ebenso wie der »watchdog«-Funktion privater Medien, eher Konflikte ins Visier zu nehmen oder selbst kritische Regime-Bewertungen vorzutragen als unbesehen affirmative Positionen oder gar die Selbstlegitimationen politischer Eliten zu verbreiten (Galtung/Ruge 1974; Eilders 1997). Wir sollten also nicht überrascht sein, dem vielfach unterstellten negativen Medienbias, und damit einem relativ hohen Anteil kritischer Bewertungen, auch in Legitimationsdiskursen zu begegnen – und der Anteil delegitimierender Statements sollte deshalb mit einer gewissen Zurückhaltung interpretiert werden. Auf der anderen Seite haben wir Legitimation als einen interaktiven Prozess beschrieben und oben gesehen, dass politische Eliten tatsächlich eine gewichtige Rolle in medialen Legitimationsdiskursen spielen. Ihre Selbstlegitimationen sind in unserem Korpus umso mehr zu erwarten, als wir Diskurse rund um politische Rituale erfasst haben, die es den Eliten besonders leicht machen, mit ihrem eigenen Tun zugleich auch die Regimes, die sie vertreten, zu rechtfertigen. Es geht hier also um unsere zweite Variable, das Legitimationsniveau – definiert als der Anteil positiver Legitimationsstatements in einer nationalen Öffentlichkeit. Wir betrachten zunächst die Legitimationsniveaus der vier untersuchten Öffentlichkeiten insgesamt und sodann den Urteilstenor einzelner Sprechergruppen bzw. in einzelnen Themenkontexten.
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Abb. 4: Legitimationsniveaus nach Ländern (nationale Ebene, %) 60
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Wie Abbildung 4 zeigt, liegt das Legitimationsniveau über alle vier Öffentlichkeiten hinweg mit gut 40 Prozent im mittleren Bereich: Rechtfertigungen und Kritik halten sich – wie man es erwarten sollte, wenn unsere Argumentation zur Rolle von Debatten in demokratischen Öffentlichkeiten und zur Medienlogik zutrifft – in etwa die Waage. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den nationalen Öffentlichkeiten beträchtlich – damit bestätigt sich für den hier untersuchten Zeitraum von zehn Jahren weitgehend unser früherer Befund für 2004: Während positive Bewertungen des eigenen politischen Systems in den USA und auch der Schweiz (knapp) überwiegen, sind fast zwei Drittel der Statements zum politischen System Deutschlands kritisch. Eindeutiges Schlusslicht in puncto diskursiver Unterstützung ist aber Großbritannien, wo mediale Legitimationsurteile nicht einmal zu einem Viertel positiv sind. Wie Abbildung 5 illustriert, schwanken zwar auch die Legitimationsniveaus des Schweizer und des amerikanischen Diskurses beträchtlich, liegen indes zumeist bei mindestens 50 Prozent – und damit fast durchweg über den deutschen und britischen Werten. Doch wird zugleich erkennbar, dass sich die britische Debatte um die Anerkennungswürdigkeit der eigenen politischen Ordnung in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums – offensichtlich im Zuge der Verfassungsreforminitativen der Labour-Regierung – entspannt; die Legitimationsniveaus schließen immerhin zu denen
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des deutschen Diskurses auf, der selbst durch starke zyklische Effekte geprägt ist. Abbildung 6 illustriert freilich, dass die höheren Legitimationsniveaus der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums – ganz wie wir es eingangs als mögliches Szenario beschrieben hatten – mit sinkendem Interesse an Legitimitationsfragen einhergehen. Abb. 5: Legitimationsniveaus nach Ländern im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) 100
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Erneut scheint im deutschen Diskurs auch ein Zusammenhang mit der (partei-)politischen Entwicklung zu bestehen: Regierungswechsel – und mithin die Hoffnung auf Lösungen der unterstellten Probleme Deutschlands – verbinden sich mit einem Anstieg der Legitimitationsintensität und zugleich recht hohen Legitimationsniveaus, doch erweisen sich diese »honeymoon«-Phasen jeweils als kurzlebig. Tiefpunkte werden 2002 – einem Jahr, in dem die rot-grüne Koalition trotz großer Schwierigkeiten zwar wiedergewählt wird, die vermeintlichen Defizite des politischen Systems aber gerade nicht von der Tagesordnung verschwinden – und 2006, nur ein Jahr nach dem Regierungsantritt der Großen Koalition, erreicht. Dieses Tief wie das Hoch 2007 sind indes vor dem Hintergrund zurückgehender Legitimationsintensität zu sehen.
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Abb. 6: Legitimationsintensität und -niveaus (Großbritannien, z-transformiert) 3
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In der Schweiz sinken die Legitimationsniveaus im Kontext der Ereignisse, die zur Wahl Blochers in den Bundesrat führen, klettern bis 2007 aber sogar auf einen Rekordwert; augenscheinlich markieren die Turbulenzen um den SVP-Politiker eine temporäre Krise, die erfolgreich bewältigt wird. Durchaus bemerkenswert – und dabei zugleich illustrativ für die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung zwischen »authorities« und Regime – ist auch die amerikanische Trendlinie. Sie erreicht ihren Höhepunkt ausgerechnet im Jahr 1999, einem Moment größter Demütigung für Präsident Clinton und (vermeintlich) für die amerikanische politische Gemeinschaft als Ganze. Doch wird in der politischen und medialen Kommentierung des Impeachment-Verfahrens sehr genau zwischen der Person Clintons und ihren Verfehlungen auf der einen Seite, der Würde und den Selbstheilungskräften des US-Regimes oder der politischen Gemeinschaft und sogar des Präsidentenamtes selbst auf der anderen unterschieden. So kommentierte Helen Chenoweth (Republikanerin aus Idaho) 1998, als das Verfahren eingeleitet wurde: »Character does count. […]. It’s important that we stand up for the strong moral fiber of the United States of America« (New York Times, 30.1.1998). Und während der abschließenden Beratungen im Senat bemerkte der republikanische Senator Hyde – ebenso deutlich auf das Amt und wohl kaum auf seinen damaligen Inhaber gemünzt: »He is the national role model. He is the man. He is the flag bearer in front of our country«
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(New York Times, 24.1.1999). Ähnlich sein Parteifreund aus dem Repräsentantenhaus, George W. Gekas: »The Presidency is we. The Presidency is America. The Presidency is the banner under which we all work and live and strive in this nation: We revere the Presidency« (New York Times, 17.1.1999). Dass die Probleme Clintons auch das Amt und gar das gesamte politische System beschädigen, ist dagegen eine Einschätzung, die eher selten und dann zumeist im Pressespiegel der beiden US-Zeitungen als Sicht der ausländischen Presse vorgetragen wird; so bemerkt die Moskauer Zeitung Slovo mit unverhohlener Schadenfreude: »Mr. Clinton’s problems [have] undermined the image of ›citadel of law, high morals and morality pushed on the world for decades‹« (New York Times, 18.1.1999). Diskursive Strategien und Mechanismen, die das Regime selbst ggf. zu Lasten von »incumbents« stützen, scheinen sich auch in der Präsidentschaft George W. Bushs zu bewähren. Wie wir in unseren früheren Arbeiten gezeigt haben, gab der umstrittene Wahlsieg Bushs im November 2000 durchaus Anlass zu echten und hitzigen Legitimationsdebatten, die indes schon bald zu Auseinandersetzungen um einzelne Personen, Maßnahmen oder Gerichtsurteile herabgestuft und letztlich mit der Aufgabe Al Gores und der Amtseinführung Bushs – einem weiteren politischen Ritual mit nicht zu unterschätzender Integrations- und Legitimationswirkung – eingehegt wurden (Hurrelmann u.a. 2009; Schneider u.a. 2010). Allerdings sinkt das Legitimationsniveau 2001 dennoch auf einen ersten Tiefpunkt im Untersuchungszeitraum (Ackerman 2002; Dworkin 2002; Jacobson/Rosenfeld 2002). Für 2002 und die Folgejahre darf man einen patriotischen »9/11«-Effekt unterstellen, der sich allerdings mit der Zeit abschwächt – ohne Zweifel unter dem Eindruck wachsender Frustration über die BushAdministration, der schließlich auch auf das Regime überzugreifen scheint. Den niedrigsten Wert im Untersuchungszeitraum erreicht der amerikanische Diskurs 2007. Das Prozesshafte von Legitimationsdiskursen – Legitimität muss stets aufs Neue gesichert und bisweilen gegen Herausforderungen verteidigt werden – schlägt sich in diesen Trends erneut deutlich nieder und damit zugleich der Einfluss verschiedener, eher de- oder relegitimierender Sprechergruppen, denen sich für ihre Diskursbeiträge je nach politischer Konjunktur mal bessere und mal schlechtere »windows of opportunity« bieten. Abbildung 7 erhellt diese Zusammenhänge; sie dokumentiert für jede nationale Öffentlichkeit die Legitimationsniveaus der verschiedenen Sprechergruppen. Zu erkennen ist, dass zum positiven Tenor des Schweizer Dis-
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kurses alle vier Sprechergruppen beitragen. Nur die Journalistinnen bleiben mit 49,4 Prozent affirmativen Statements (knapp) unter der Marke von 50 Prozent; überwiegend positiv bewertet wird das politische System der Schweiz daneben nicht nur von der nationalen politischen Klasse (und in den Bewertungen internationaler politischer Akteure), sondern auch von zivilgesellschaftlichen Sprecherinnen. Demgegenüber fällt selbst der amerikanische Diskurs ab: Hier sind es nur die Beiträge nationaler (und überraschenderweise internationaler) politischer Akteure, die – allerdings deutlich – zur positiven Seite hin tendieren. Journalistinnen und Zivilgesellschaft erweisen sich als sehr viel kritischer. Damit rücken unsere Daten wieder stärker in die Nähe jener Befunde der Einstellungsforschung, die den Amerikanern starke Politik- und sogar Demokratieverdrossenheit – »political cynicism« – attestieren (vgl. etwa Dionne 1992; Hibbing/TheissMorse 1995, 2002; Hetherington 2004). Abb. 7: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen und Ländern (nationale Ebene, %) 100 80 60 40 20 0 CH Journ.
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Ein ähnliches Bild vermitteln auch die Daten zu Deutschland und Großbritannien: Die kritische Haltung einer Sprecherkoalition aus Journalistinnen und zivilgesellschaftlichen Akteuren wird hier partiell durch die Selbstlegitimationen der nationalen politischen Klasse abgefedert. Die beiden erstgenannten Sprechergruppen stellen also durchweg außer in der Schweiz das Lager der Delegitimierer, während die nationalen politischen Eliten – wie zu
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erwarten – tendenziell rechtfertigende Urteile in die Diskurse einspeisen. Umso bemerkenswerter ist, dass in Großbritannien das Legitimationsniveau selbst der politischen Eliten nicht den Schwellenwert von 50 Prozent überspringt. Dieser Befund – wie der Umstand, dass die Legitimationsniveaus politischer Akteure auch sonst nicht immer so positiv ausfallen, wie man es erwarten hätte können – lässt sich mit Blick auf die nächste Variable unserer Grammatik, Legitimationsobjekte, verständlich machen (4.3). Abb. 8: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) 80
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Über die vier nationalen Öffentlichkeiten hinweg und im Zeitverlauf (Abb. 8) wird deutlich, dass Journalistinnen ihre kritische Funktion durchweg ernst nehmen, auch wenn ihr Urteilstenor in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums etwas freundlicher wird. Die nationalen politischen Akteure äußern sich 2001 überraschend skeptisch, erweisen sich vor allem davor und auch wieder danach jedoch als die klar am positivsten gestimmte Sprechergruppe (zu bedenken ist hierbei, dass – wie unten ausgeführt – politische Akteure oft nicht etwa das von ihnen repräsentierte politische System als Ganzes, sondern konkurrierende Teilinstitutionen angreifen, wenn sie sich delegitimierend äußern). Zivilgesellschaftliche Sprecherinnen schließlich sind vor allem in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums kritisch eingestellt, doch auch ihr Urteilstenor scheint sich danach aufzuhellen.
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Abb. 9: Legitimationsniveaus nach Themenkontexten und Ländern (nationale Ebene, %) 80
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Abb. 10: Themenkontexte im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) 80
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Finanz- und Wirtschaftspolitik Innere Sicherheit Außenpolitik
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Sozialpolitik Institutionenfragen
Abbildung 9 schließlich verdeutlicht, in welchen Themenkontexten bzw. Politikfeldern der demokratische Nationalstaat heute tendenziell kritisch gesehen wird und in welchen immer noch Rechtfertigungen überwiegen.
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Mit Abstand die meisten Legitimationsstatements in allen vier Diskursen kreisen ohne expliziten Policy-Bezug unmittelbar um politische Verfahren und Institutionen(-reformen). Diese Statements haben in Deutschland und Großbritannien sehr viel niedrigere Legitimationsniveaus als in der Schweiz und den USA. Die der Häufigkeit nach folgenden Themenkontexte Außenpolitik bzw. Innere Sicherheit und Migration haben durchweg sehr hohe Legitimationsniveaus – der souveräne, Sicherheit nach außen und innen verbürgende Territorialstaat bleibt also weithin positiv besetzt. Anders verhält es sich – allerdings mit Abstufungen zwischen den vier Öffentlichkeiten – für Wirtschafts- und Sozialpolitik als Themenkontexte. Sozialpolitische Kontexte sind vor allem in Großbritannien und Deutschland zumeist von negativen Legitimationsurteilen begleitet, in Deutschland daneben auch wirtschaftspolitische. Im Lichte von Abbildung 10 – die zeigt, dass der oft negativ besetzte Themenkontext Institutionenfragen an Bedeutung verliert – darf man schließen, dass sich die Legitimationsprobleme des Nationalstaates jedenfalls insofern nicht verschärfen.
4.3
Legitimationsobjekte: Unterstützung der politischen Systeme insgesamt, fokussierte Kritik
Erfasst haben wir auch, welcher Aspekt oder welches Element politischer Ordnungen in den einzelnen Legitimationsstatements jeweils bewertet wird. Die einzelnen Legitimationsobjekte haben wir – wie in Kapitel 3 erläutert – vier hierarchisch angeordneten Objektkategorien zugeschlagen. Wie vergleichbare Objekthierarchien in der Einstellungsforschung ist auch unsere der Überzeugung geschuldet, dass es einen Unterschied macht, welche und wie viele Objekte in Legitimationsdiskursen thematisiert und dabei positiv oder negativ bewertet werden. Eine Frage ist dabei, ob es Ankerinstitutionen der Legitimation (und umgekehrt besondere Zielscheiben der Kritik) gibt und auf welchen Hierarchie-Ebenen diese ggf. angesiedelt sind. Gerade hier sollte man im Übrigen einen starken Einfluss der in Kapitel 3 erwähnten Unterschiede in den Institutionenarrangements und den politischen (Diskurs-)Kulturen der Schweiz, Deutschlands, Großbritanniens und der USA vermuten. Wenn es z.B. zutrifft, dass die Prinzipien der Volks-, Parlaments- und Verfassungssouveränität eine unterschiedliche
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Rolle im Selbstverständnis der vier Demokratien spielen, mag man eine besondere Prominenz der Legitimationsobjekte politische Gemeinschaft und (direkte) Demokratie in der Schweiz, des Parlaments und vor allem des Unterhauses in Großbritannien sowie der Verfassungen und des Regimeprinzips Rechtsstaatlichkeit in den USA und Deutschland erwarten (Ackerman 1991; Abromeit 1995; Vorländer 2002; siehe auch Biegoń u.a. 2010). Plausibel erscheint es des Weiteren anzunehmen, dass sich Diskurse in Westminster-Demokratien wie Großbritannien stark auf einzelne Institutionen (Parlament, Regierung) konzentrieren, in mehr oder weniger dem Konsens-Modell entsprechenden Systemen mit vielen Vetospielern (den anderen Ländern in unserem Sample) hingegen in diesem Punkt fragmentierter sind (Lijphart 1999; Tsebelis 2002; Schmidt 2003). Auch wenn es vermutlich zutrifft, dass Internationalisierungsprozesse eine Herausforderung für die (demokratische) Legitimität nationaler Regimes darstellen, sind außerdem womöglich nicht alle vier Demokratien in unserem Sample gleichermaßen betroffen. So erscheint der Bedeutungsund Kontrollverlust repräsentativer Institutionen im präsidentiellen System der USA geringer, weil der Senat weiterhin internationale Verträge ratifiziert und diesen Schritt nicht selten auch gegen den Wunsch der Exekutive Abb. 11: Legitimationsobjektgruppen nach Ländern (nationale Ebene, %) CH
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verweigert. Auch im direkt-demokratischen Regime der Schweiz ist die Rolle der Exekutive durch plebiszitäre Elemente weitaus stärker gemildert als in den repräsentativ-demokratischen und parlamentarischen Systemen Deutschlands und Großbritanniens. Ein Blick auf Abbildung 11 enthüllt zunächst, dass Legitimationsdiskurse außer in Großbritannien überwiegend recht unspezifisch bleiben, was ihre Objekte angeht. Mit Ausnahme des britischen Diskurses entfällt eine relative oder sogar absolute Mehrheit (Schweiz und vor allem USA) der Legitimationsstatements auf die erste Hierarchie-Ebene, also Bewertungen des politischen Systems oder der politischen Gemeinschaft insgesamt, mit Ausnahme des deutschen Diskurses gefolgt von Bewertungen einzelner Kerninstitutionen (III). Nur in Großbritannien ist diese Rangordnung vertauscht – und auch in der Schweiz ist der Anteil von Statements des Typs III beträchtlich. In beiden nationalen Öffentlichkeiten, aber insbesondere in Großbritannien entzünden sich Legitimationsdiskurse mithin besonders häufig an Debatten zu Institutionen und ihrer Reform. Nur in Deutschland folgen Legitimationsstatements zu Regimeprinzipien denen zum politischen System oder zur politischen Gemeinschaft auf Rang zwei. Geringere und sehr ähnliche Anteile entfallen schließlich auf die Hierarchie-Ebenen II (Regimeprinzipien) und IV (Akteursgruppen). Abb. 12: Legitimationsobjektgruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) 80
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Die in Abbildung 12 dargestellten Trendkurven für die vier Legitimationsobjektgruppen illustrieren zudem, dass das geringe Interesse an den Hierarchie-Ebenen II und IV recht stabil ist. Die Konzentration auf das politische System oder die politische Gemeinschaft als Ganze nimmt sogar noch zu, der Anteil von Bewertungen einzelner Kerninstitutionen (III) geht hingegen zurück. Die volle Bedeutung dieses Befundes erschließt sich freilich erst in einer Analyse der Legitimationsniveaus der vier Objektgruppen, der wir uns nun zuwenden (Abb. 13). Die Auswertung der Legitimationsniveaus nach Land und Hierarchie-Ebene bestätigt sehr deutlich einen Befund unserer Pilotstudie, der zugleich die auf den ersten Blick vielleicht relativ niedrig wirkenden Legitimationsniveaus der vier politischen Systeme weiter relativiert. Abb. 13: Legitimationsniveaus nach Legitimationsobjektgruppen und Ländern (nationale Ebene, %) 100 80 60 40 20 0 CH
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Gesamt IV
Denn wir erkennen, dass in allen Diskursen die Legitimationsniveaus der beiden obersten Hierarchie-Ebenen über denen der unteren beiden liegen, und dies zumeist deutlich. In der Schweiz haben sogar auch die einzelnen Institutionen einen ähnlich positiven Urteilstenor, während Akteursgruppen überaus kritisch bewertet werden. Im deutschen und amerikanischen Diskurs sind es nicht einmal unspezifische Aussagen zum politischen System oder der politischen Gemeinschaft, sondern gerade Bewertungen der
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zentralen Regimeprinzipien des demokratischen Rechts- und Interventionsstaates, die besonders gut abschneiden. In Deutschland, Großbritannien und den USA ist die Kluft zwischen den Hierarchie-Ebenen I und II auf der einen, den Ebenen III und vor allem IV auf der anderen Seite jeweils groß. Abb. 14: Legitimationsniveaus nach Legitimationsobjektgruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) 80
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Wie Abbildung 14 zeigt, erholen sich die Legitimationsniveaus der Objektkategorien I, II und sogar III nach Zwischentiefs Anfang der 2000er Jahre – einer Phase, in der selbst nationale politische Akteure relativ häufig (Institutionen-)Kritik zu üben scheinen – wieder deutlich, während die Niveaus der Akteursgruppen kaum tiefer sinken könnten. Dies ist ein Ergebnis, das uns die in der Literatur stark verbreiteten Krisendiagnosen zur Legitimität des demokratischen Nationalstaates relativieren lässt. Die kritischen Diskursbeiträge sind durchweg stark auf einzelne Institutionen und Akteursgruppen fokussiert. Legitimationsdebatten und -gefahren, die sich an ihnen entzünden, kann aber von politischer Seite verhältnismäßig leicht durch Institutionenreformen – oder von den Bürgerinnen durch Abwahl ungeliebter Amts- und Mandatsträger (»throwing the rascals out«), Gründung und Wahl neuer Parteien und Interessengruppen etc. – begegnet werden. Genau dieser Effekt scheint im Untersuchungszeitraum eine Rolle
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gespielt zu haben. Richtig ist also zwar, dass sich der britische Fall im Lichte dieser Daten immer noch vergleichsweise problematisch darstellt (die Legitimationsniveaus aller Hierarchie-Ebenen mit Ausnahme der ersten sind im niedrigen Bereich angesiedelt). Doch konnten wir oben bereits zeigen, dass selbst hier das beschriebene Grundmuster Bestand hat und zwei potenzielle Indikatoren einer krisenhaften Entwicklung – Legitimationsintensität und Niveaus – in der zweiten Hälfte unseres Untersuchungszeitraums, nach dem Regierungsantritt Blairs und seinen Reforminitiativen, tendenziell Entspannung signalisieren. Wie ist es aber um Ankerinstitutionen oder Zielscheiben der Kritik auf der Ebene der Einzelobjekte in den vier Ländern und nationalen Öffentlichkeiten bestellt? Hier ergibt unsere Auswertung (vor dem Hintergrund der in Tabelle 9 dargestellten Ergebnisse über die vier Öffentlichkeiten hinweg) durchaus charakteristische Länderunterschiede. In der Schweiz sind die zwei häufigsten Einzelobjekte das politische System (41,8 Prozent) bzw. die politische Gemeinschaft als Ganze (9,3 Prozent) – und beide haben mit 60,3 Prozent bzw. 66,1 Prozent besonders hohe Legitimationsniveaus. Die Eidgenossenschaft erscheint Christoph Blocher als »Erfolgsmodell« (Tagesanzeiger, 4.12.2007), »›Swissness‹ ist Trumpf« (NZZ, 7.12.2007), die Schweiz »ein Fest der Verbrüderung« und ein »Haus auf einem soliden Fundament« (Tagesanzeiger, 4.12.2007) – kurzum, »[r]ot-weiss ist hip« (7.12.2007). Es folgen Bewertungen der Konsensdemokratie (8,3 Prozent), des Föderalismus und der Legislative (jeweils sechs Prozent). Während Konsensdemokratie und Föderalismus – also zentrale Elemente des Schweizer politischen Systems – mit Legitimationsniveaus von 56,0 Prozent bzw. 69,4 Prozent als Ankerinstitutionen gelten können, wird das Parlament weitaus häufiger zur Zielscheibe kritischer Legitimationsurteile (Legitimationsniveau: 27,8 Prozent): »Das Parlament habe an Ansehen verloren; der Nationalratssaal sei in letzter Zeit zur grössten Telefonkabine der Schweiz und zu einer Verpflegungsstätte verkommen. Da sei wieder mehr Disziplin vonnöten« (NZZ, 2.12.2003). Schließlich hat die politische Klasse (mit 5,3 Prozent knapp über unserem Schwellenwert für diskursive Relevanz) ein besonders niedriges Legitimationsniveau von 3,1 Prozent – in der Schweiz wird die Blitzableiterfunktion dieser untersten Objektkategorie (vor deren Hintergrund die Kerninstitutionen und das System als Ganzes umso heller erstrahlen) sehr deutlich; nicht das Konkordanzprinzip (dem allerdings gelegentlich bescheinigt wird, dass es »harzt«, so die NZZ am 27.11.2004), sondern die Akteure stehen im Mittelpunkt der Kritik: »Fünf Tage vor den Bundesrats-
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wahlen spielen die Regierungsparteien noch immer Mikado: Wer sich […] zuerst bewegt, verliert« (NZZ, 6.12.2003). Tabelle 9: Legitimationsobjekte und Legitimationsniveaus (nationale Ebene) Legitimationsobjekte
%
Legitimationsniveau (%)
Politisches System und politische Gemeinschaft als Ganze (I) Politisches System Politische Gemeinschaft
49,7 34,7 15,0
51,5 47,7 60,2
Regimeprinzipien (II) Wohlfahrtsstaat Rechtsstaat Demokratie
13,3 4,3 3,9 3,1
55,1 34,0 77,2 62,1
Einzelinstitutionen (III) Legislative Exekutive Judikative
28,6 8,4 5,7 3,6
27,8 15,0 27,7 27,6
Akteursgruppen (IV) Politische Klasse Parteien Interessengruppen
8,4 6,1 1,3 1,0
4,5 4,0 4,1 8,1
100,0
41,2
N = 3721
Dargestellt sind die Prozentanteile und Legitimationsniveaus der vier Objektgruppen und der (bis zu) drei häufigsten Legitimationsobjekte in jeder Gruppe.
Auch in Deutschland werden das politische System (26,9 Prozent) und die politische Gemeinschaft (15,4 Prozent) am häufigsten bewertet – indes »nur« mit Legitimationsniveaus von 36,6 Prozent und 49,1 Prozent; das Regime der Bundesrepublik wird also durchaus häufig kritisiert: »Deutschland leidet unter einer Vertrauenskrise« (FAZ, 29.11.2003) – und wie in der Schweiz stehen dabei oft die (hier von Ex-Bundespräsident Roman Herzog) unterstellten »Verkrustungen und Fehlkonstruktionen des politischen Systems der Bundesrepublik« im Mittelpunkt (FAZ, 28.11.2005). Es folgen mit dem Wohlfahrtsstaat (13,0 Prozent) – der den »Bürgern Kummer und Normen [beschert]« (FAZ, 2.12.2005) – und der politischen Klasse
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(7,8 Prozent) zwei Legitimationsobjekte auf den Hierarchie-Ebenen II und IV, die mit Legitimationsniveaus von 26,5 Prozent und 3,4 Prozent zumeist überaus kritisch beurteilt werden: »Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass die Regierenden – egal welcher Partei sie angehören – sich nicht mehr erinnern, von wem und für wen sie gewählt worden sind« (SZ, 21.11.2006). Schlimmer noch, »Deutschland schläft. Seine Politiker erstarren in zynischer Einfallslosigkeit« (SZ, 4.12.2002). Ähnlich kritisch sind in aller Regel Bewertungen der Legislative (6,8 bzw. 7,8 Prozent): »Der politische Apparat, im und außerhalb des Parlaments, ist nicht von den Leistungsträgern in diesem Land geprägt, sondern von jenen«, so Stefan Aust in der FAZ vom 9.12.2002, »die den Marsch durch die Institutionen gemacht haben«. Erneut haben also eher Legitimationsobjekte auf den unteren Hierarchie-Ebenen und insbesondere die politische Klasse Blitzableiterfunktion. Dagegen erweisen sich die zwei weiteren Legitimationsobjekte mit einem Anteil von mehr als fünf Prozent – Rechtsstaat (5,7 Prozent) und Demokratie (5,5 Prozent) – als bemerkenswert klare Anker des deutschen Legitimationsdiskurses (Legitimationsniveau: 81,4 bzw. 65,9 Prozent). So wird bemerkt, »unsere Demokratie [sei] kein zartes Pflänzchen mehr, sondern ein starker Baum« (Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner ersten Regierungserklärung, FAZ, 11.11.1998), und »[d]as Rechtswesen in Deutschland stehe im internationalen Vergleich für Qualität, Schnelligkeit und Rechtssicherheit und sei damit ein positiver Standortfaktor« (FAZ, 26.11.2004). Ein deutlich anderes Bild gibt Großbritannien ab. Auch dort liegt zwar das politische System als Ganzes in der Häufigkeitsverteilung vorne, aber nur mit 19,1 Prozent der Erwähnungen und einem niedrigen Legitimationsniveau von 32,4 Prozent, denn – so der Guardian (14.5.2005) – »something is very wrong with the body politic«. Dem Anteil nach auf Platz zwei rangiert mit dem Parlament (vor allem das Oberhaus wird dabei thematisiert) eine Einzelinstitution (16,2 Prozent) – und sie ist mit einem Legitimationsniveau von nur 12,0 Prozent Gegenstand scharfer Kritik: »the theatre of the House of Commons, all sound and fury signifying nothing much« (Guardian, 9.11.2007). Dasselbe gilt für die Monarchie (10,9 Prozent der Statements und ein Legitimationsniveau von 22,6 Prozent), die Exekutive (8,6 bzw. 10,2 Prozent) und die politische Klasse (8,6 bzw. 4,1 Prozent): »Greedy, cynical, out-of-touch, the Political Class runs this country much as the Whig elite did in the 18th century, chiefly in pursuit of selfenrichment and the retention of office« (Guardian, 3.11.2007). Nur die
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politische Gemeinschaft – mit 12,9 Prozent der Statements – schneidet wegen der »essential decency of the British character« (Tony Blair zitiert im Guardian, 18.5.2005) mit einem mittleren Legitimationsniveau von 42,5 Prozent unter den häufiger thematisierten Legitimationsobjekten etwas besser ab. Damit existieren kaum genuine Legitimationsanker (Demokratie und Wohlfahrtsstaat werden zwar ebenfalls relativ positiv bewertet, aber insgesamt nur selten evaluiert) – und nahezu alle Kerninstitutionen der Westminster-Demokratie waren oder sind Gegenstand der Kritik. Hier ist indes erneut auf den positiven Effekt von Reforminitiativen zu verweisen – und vermutlich umgekehrt auch darauf, dass die Kritik an politischer Klasse und Parteien doch sehr stark durch die Abnutzung der Blair- und LabourEuphorie überlagert und »kontaminiert» ist: Mit ihr leidet offensichtlich auch die Begeisterung für »cool Britannia», doch kann man in der bloßen Regierungskritik auch eine Entschärfung genuiner Delegitimation des politischen Systems sehen. In den USA schließlich konzentriert sich der Diskurs mit 50,4 Prozent und 19 Prozent besonders stark auf das politische System oder die Gemeinschaft der Amerikaner als Ganze – und mit 75 Prozent ist das Legitimationsniveau der Nation sogar noch deutlich höher als der Wert für das politische System (51,5 Prozent). Nicht allein Präsident Clinton (in seiner State of the Union Address) ergeht sich in Lob über the old and continuing glory of America, an America that has continued to rise through every age, against every challenge; a people of great works and greater possibilities, who have always, always found the wisdom and strength to come together as one nation, to widen the circle of opportunity, to deepen the meaning of our freedom, to form that more perfect union (New York Times, 28.1.1998).
Es folgen mit klarem Abstand Bewertungen der Exekutive (5,4 Prozent) und – allerdings knapp unter unserem Schwellenwert – Bewertungen des Rechtsstaats bzw. der Verfassung (4,9 Prozent): »Our constitutional system is simple, and it’s genius all at the same time« (New York Times, 17.1.999). Während die Exekutive mit 40,9 Prozent ein relativ schwaches, aber immer noch mittleres Legitimationsniveau erzielt, sind einige andere Institutionen und vor allem Parteien bzw. politische Klasse durchaus Gegenstand scharfer Kritik – indes sind Bewertungen dieser Legitimationsobjekte zahlenmäßig kaum von Bedeutung, und angesichts des überaus positiven Urteilstenors zum politischen System und der amerikanischen Nation fällt die Abwesenheit weiterer klarer Ankerinstitutionen kaum ins Gewicht: Wie am Beispiel von Bush v. Gore oder des Impeachment-Verfahrens gegen Clinton
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erläutert, gehen kritischere Evaluierungen einzelner Institutionen oder Akteursgruppen in einem »patriotischen Grundrauschen« unter, das in dieser Form in keinem der anderen Diskurse feststellbar ist. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Die stets hochgestimmte State of the Union Address des amerikanischen Präsidenten wird von der New York Times und der Washington Post typischerweise komplett und zusätzlich auszugsweise in diversen Berichten und Kommentaren zu dem Ereignis abgedruckt. Allein die als Legitimationsstatement zu wertende Standardformulierung »the state of our union is strong« wird damit medial vielfach transportiert, und bezeichnenderweise können es sich nicht einmal die Sprecherinnen der Opposition in ihren Entgegnungen leisten, auf sie und ähnliche Floskeln zu verzichten. Der Kontrast zur britischen Thronrede, die selbst ein ums andere Mal zum Symbol für alles wird, was Journalistinnen – und Politikerinnen – für veraltet und falsch am Unterhaus oder dem britischen politischen System insgesamt halten, könnte schwerlich größer sein. Der folgende Kommentar des Guardian (21.11.) zur Thronrede 1998 verdeutlicht dies exemplarisch: The theatricality of our body politic shows how seriously we take drag. Our parliamentarians dash around in ermine, dog collars, gowns and tights. MPs pass a top hat around the chamber in the heat of debates. […]. Many people have been certified insane or arrested for doing much less eccentric things in the privacy of their homes than those we expect our politicians to do in public. […]. The customs of the House of Commons make it difficult for people to follow what is going on. They follow a set of rules that is not clear, even to many new MPs, let alone to the public at large. […]. By dressing in bizarre clothes, speaking a language that people don’t understand and celebrating rituals that are beyond most people’s comprehension, they are simply reinforcing the growing alienation from mainstream politics. […]. Britain is the only European state where rituals are so deeply entangled with the government of the country, and the functioning of society. That is why, when people tire of our rituals, and the drag society loses its appeal, we are thrown into […] crises. A crisis of identity, and a crisis of institutions.
4.4
Legitimationsmuster und -stile: Demokratische Input-Kriterien bekommen Gesellschaft
Zuletzt gilt es in Augenschein zu nehmen, welche Legitimationsmuster – also Bewertungskriterien – die nationalen Diskurse beherrschen. Wir un-
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terscheiden – wie in Kapitel 3 erläutert – 29 Einzelmuster, die wir in vier Gruppen einordnen: demokratiebezogene Input- und Output-Kriterien auf der einen, nicht-demokratiebezogene Input- und Output-Standards auf der anderen Seite. Hinzu kommen unspezifische Bewertungen, die nicht explizit ein Legitimationsmuster nennen. Im Hintergrund unserer Analyse steht die in der Literatur weit verbreitete Annahme, dass demokratiebezogene Kriterien jedenfalls im Goldenen Zeitalter des demokratischen Nationalstaats eine besondere Rolle für seine Legitimation spielten, im Kontext der postnationalen Konstellation indes zunehmend problematisch werden könnten. Die Forschung hält zwar das Szenario einer Transformation demokratischer Legitimität bereit, doch auch dieses erscheint mit Blick auf den Nationalstaat empirisch eher unwahrscheinlich und normativ mindestens ambivalent. Abb. 15 illustriert zunächst, dass demokratiebezogene (Input- und Output-)Kriterien die nationalen Legitimationsdiskurse heute in der Tat keineswegs dominieren. Durchweg spielen zudem unspezifische Bewertungen mit Anteilen von etwa zwanzig Prozent eine nicht unbedeutende Rolle. Während sich in Großbritannien und den USA demokratie- und nichtdemokratiebezogene Muster ansonsten nahezu die Waage halten, rangieren letztere in Deutschland und Großbritannien auf Rang eins. Kurzum, Diskurse zur Legitimität nationalstaatlicher politischer Ordnungen sind nur Abb.15: Legitimationsmustergruppen nach Ländern (nationale Ebene, %) CH DE GB
US Gesamt 0%
20% DI
DO
40%
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NDI
NDO
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unspez./andere
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mehr bedingt Diskurse zu ihrer demokratischen Qualität – Output- und Performanzkriterien sind mindestens ebenso wichtig. Damit liegt die Mustergruppe DI insgesamt und im britischen Diskurs zwar an erster Stelle, freilich nur mit einem Anteil von etwa einem Viertel (Großbritannien: 32,7 Prozent). Die NDO-Gruppe folgt mit einem nur geringfügig niedrigeren Anteil und liegt im amerikanischen, deutschen und Schweizer Diskurs sogar auf dem ersten Rang. Die Anteile der NDI-Gruppe sind mit rund zwanzig Prozent in den vier Öffentlichkeiten jeweils sehr ähnlich, ebenso die der DO-Gruppe, die in den USA eine vergleichbare, sonst aber mit rund zehn Prozent eine weniger große Rolle spielt. Ein Blick auf Abbildung 16 und Tabelle 10 zeigt jedoch, dass die vier Mustergruppen, die unspezifischen Bewertungen und einzelne Muster recht unterschiedlich – nämlich eher positiv oder negativ – eingesetzt werden. In allen nationalen Öffentlichkeiten ragen die DO-Mustergruppe und die unspezifischen Bewertungen mit den höchsten Legitimationsniveaus heraus – in der Schweiz und Deutschland liegt erstere knapp vorne, in Großbritannien und den USA sind es letztere. Die unspezifischen Bewertungen nehmen dabei eine Sonderstellung ein – es sind wie gesehen oftmals gerade rechtfertigende Bewertungen, die auf das Nennen von Evaluationskriterien verzichten und damit ihre Unstrittigkeit suggerieren Abb. 16: Legitimationsniveaus nach Legitimationsmustergruppen und Ländern (nationale Ebene, %) 80
60
40
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0 CH DI
DE DO
GB NDI
US NDO
Gesamt unspez./andere
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(»America is great« – wer wollte dem in den USA widersprechen oder auch nur eine Begründung einfordern?). Von besonderem Interesse ist aber die Legitimationsressourcenfunktion der DO-Gruppe – und hier vor allem (Tabelle 10) das Kriterium eines erfolgreichen Schutzes der Menschenrechte, das durchweg häufig und mit einem hohen Legitimationsniveau (64 Prozent) versehen eingesetzt wird. Dies ist im Lichte der Werte für die DI-Gruppe, also traditioneller, inputorientierter Standards demokratischer Qualität zu sehen. Hinsichtlich der Legitimationsniveaus rangieren sie insgesamt, in Großbritannien und den USA nur auf dem dritten, in der Schweiz und Deutschland gar auf dem letzTabelle 10: Legitimationsmuster und Legitimationsniveaus (nationale Ebene) Legitimationsmuster
%
Legitimationsniveau (%)
Demokratiebezogener Input (DI) Volkssouveränität Glaubwürdigkeit »accountability«
25,3 7,1 5,3 3,1
28,3 27,9 17,4 24,8
Nicht-demokratiebezogener Input (NDI) Handlungsfähigkeit Charisma/Führungskraft Mäßigung Tradition
19,3 6,7 2,6 2,2 2,2
32,2 35,1 45,7 26,8 28,0
Demokratiebezogener Output (DO) Schutz der Menschenrechte Gemeinwohlförderung »empowerment«
12,2 8,7 2,5 0,7
60,1 64,0 44,2 66,7
Nicht-demokratiebezogener Output (NDO) Effektivität Moral Verteilungsgerechtigkeit
23,6 4,7 3,3 3,2
39,5 30,5 40,5 21,7
Unspezifisch/Andere
19,7
57,1
100,0
41,2
N = 3721
Dargestellt sind die Prozentanteile und Legitimationsniveaus der vier Mustergruppen sowie der unspezifischen Legitimationsstatements und die Legitimationsniveaus der drei häufigsten Legitimationsmuster in jeder Gruppe.
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ten Platz. Und während diese Niveaus in der Schweiz und den USA immerhin noch mittlere Werte erreichen, sind sie in Deutschland und Großbritannien frappierend niedrig – eine Bewertung der demokratischen Qualität der politischen Systeme ist dort mit anderen Worten mit großer Wahrscheinlichkeit eine negative, delegitimierende Bewertung. Damit verlieren zwar Aspekte demokratischer Qualität in den vier Legitimationsdiskursen keineswegs generell an Bedeutung, doch fungieren sie nur auf der OutputSeite als Legitimationsressourcen, während die Qualität demokratischer Verfahren offensichtlich in der Tat – wie von einem Großteil der Literatur erwartet – zunehmend problematisiert wird (Wiesner u.a. 2006). Zwischen diesen beiden Polen liegen die Legitimationsniveaus der NDI- und NDO-Gruppe. Beide weisen allerdings nur in der Schweiz und den USA mittlere Legitimationsniveaus auf, und keines der Einzelmuster in diesen beiden Kategorien fungiert als Legitimationsressource. Auch hier lohnt ein Blick auf die Entwicklung im Zeitverlauf (Abb. 17). Der Bedeutungsverlust demokratiebezogener Input-Kriterien kann augenscheinlich durch demokratiebezogene Output-Kriterien nicht aufgefangen werden. Die Bedeutung der nicht-demokratiebezogenen Output-Kriterien hingegen steigt – ein im Lichte unserer normativen Überlegungen und der hier diskutierten Legitimationsniveaus problematischer Befund. Immerhin zeigt Abbildung 18, dass die Legitimationsniveaus der demokratischen Input-Kategorie nach 2001 wieder etwas steigen und vor allem dass die demokratischen Output-Kriterien, außer zu Anfang der 2000er Jahre, konstant hohe Niveaus aufweisen, sich also als Ressourcen bewähren. Ähnliches gilt für die unspezifischen Bewertungen. Erhellend ist auch hier der Blick darauf, welche Einzelmuster aus den vier Gruppen in den untersuchten nationalen Öffentlichkeiten vor dem Hintergrund der länderübergreifenden Befunde in Tabelle 10 besonders häufig aufgerufen werden; als Kriterium für diskursive Bedeutung dient uns erneut ein Schwellenwert von fünf Prozent. In der Schweiz sind Glaubwürdigkeit und Volkssouveränität mit 5,8 Prozent bzw. 4,8 Prozent (also knapp unter unserem Schwellenwert) die beiden wichtigsten Einzelmuster in der demokratischen Input-Kategorie. Während Glaubwürdigkeit nur ein Legitimationsniveau von 31,4 Prozent aufweist, liegt der Vergleichswert für Volkssouveränität immerhin bei 44,8 Prozent. Hinzu kommt das demokratiebezogene Output-Muster Sicherung der Menschen- und Bürgerrechte mit 8,5 Prozent der Statements und einem Legitimations-
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Abb. 17: Legitimationsmustergruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) 40
30
20
10
0 1998
1999
DI
2000
2001
DO
2002
2003
NDI
2004
2005
NDO
2006
2007
unspez./andere
Abb. 18: Legitimationsniveaus nach Legitimationsmustergruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) 80
60
40
20
0 1998
1999
DI
2000
2001
DO
2002
NDI
2003
2004
NDO
2005
2006
2007
unspez./andere
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niveau von 64,7 Prozent – gerne werden hier auch die humanitäre Tradition der Schweiz, das Rote Kreuz usw. ins Feld geführt. In der nicht-demokratiebezogenen Input-Gruppe dominieren mit 6,6 bzw. 4,4 Prozent die Muster Handlungsfähigkeit und Mäßigung. Das Schweizer politische System wird wie das deutsche oft als träge und wenig reformfreudig bezeichnet. Seine Handlungsfähigkeit wird deshalb zumeist negativ beurteilt (Legitimationsniveau: 27,5 Prozent). Die Neue Zürcher Zeitung (27.11.2002) etwa zitiert eine Einschätzung der Schweiz aus dem Economist, die das Land mit einem »verfetteten Igel« vergleicht; Nationalrätin Evi Allemann von der Sozialdemokratischen Partei schließt sich diesem Urteil an: Der Schweiz drohe »Verfettung und Verkrustung«, gar ein »zu hoher mentaler Cholesterinspiegel« – das Land sei »wie ein Off-Roader: stark, aber träg« (Tagesanzeiger, 2.12.2003). Dagegen weist Mäßigung als Systemelement der Konsensdemokratie ein hohes Legitimationsniveau von 53,8 Prozent auf (und verpasst unseren Schwellenwert für Legitimationsressourcen nur knapp). Dass in der nicht-demokratiebezogenen Output-Gruppe das Kriterium Beitrag zu politischer Stabilität (4,7 Prozent der Statements) zumeist positiv gewendet eingesetzt wird (96,4 Prozent) überrascht vor dem Hintergrund der Schweizer Geschichte nicht – eher schon das mit 50 Prozent recht hohe Legitimationsniveau des Effektivitätskriteriums vor dem Hintergrund von Debatten über die mangelnde Reformfähigkeit des politischen Systems. Volkssouveränität und Glaubwürdigkeit sind mit 6,6 und 5,2 Prozent der Nennungen auch im deutschen Diskurs die beiden häufigsten demokratischen Input-Standards – mit Legitimationsniveaus von hohen 55,1 bzw. sehr niedrigen 7,7 Prozent. Ein noch höheres Legitimationsniveau (60,8 Prozent) erzielt wiederum das Kriterium Sicherung der Menschenund Bürgerrechte (DO). Dagegen werden Handlungsfähigkeit (NDI, 9,7 Prozent der Statements, Legitimationsniveau: 30,1 Prozent), Effektivität und Effizienz (NDO, 5,6 und fünf Prozent der Statements, Legitimationsniveaus: 19 und 13,2 Prozent) überwiegend kritisch gewendet – ganz so, wie es die bekannten akademischen und Mediendebatten zum deutschen Reformstau erwarten ließen (siehe etwa Kitschelt/Streeck 2003). Auch im britischen Diskurs dominieren Volkssouveränität und Glaubwürdigkeit die demokratiebezogene Input-Gruppe (11,2 bzw. 5,2 Prozent); es folgt »accountability« mit fünf Prozent. Die zugehörigen Legitimationsniveaus sind mit 12,6 Prozent, 10,2 Prozent und 8,8 Prozent überaus niedrig – hier manifestiert sich also massive Kritik an den Input-Aspekten der britischen »elective dictatorship«. Mit einem Legitimationsniveau von
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43,5 Prozent kann das Menschen- und Bürgerrechtskriterium diese Kritik nur bedingt auffangen – dieser niedrigste Wert für alle vier Öffentlichkeiten verweist darauf, dass die Fähigkeit des britischen Systems, Menschenrechte zu garantieren, im Zuge der vielfach als überzogen empfundenen Anti-Terror-Maßnahmen der Blair-Regierung und vor dem Hintergrund der Debatten über das Fehlen einer kodifizierten Verfassung und einer echten Verfassungsgerichtsbarkeit aktuell keinesfalls unumstritten ist. Glaubwürdigkeit (5,0 Prozent), Volkssouveränität (4,7 Prozent) und Menschen- bzw. Bürgerrechtsschutz (12,4 Prozent) liegen zuletzt auch im amerikanischen Diskurs unter den demoratiebezogenen Input- und Output-Kriterien vorne. Während die beiden erstgenannten Kriterien hier ebenfalls überwiegend zu kritischen Bewertungen führen (Legitimationsniveaus: 22,6 bzw. 29,8 Prozent) ist der positive Urteilstenor des drittgenannten (78,3 Prozent) sogar noch stärker als in den anderen Öffentlichkeiten; der zumeist bestätigte freiheitliche Charakter des amerikanischen politischen Systems erweist sich somit als echte Legitimationsressource. Daneben wird die Supermacht USA zumeist (Legitimationsniveau: 62,2 Prozent, 6,7 Prozent der Statements) als (außen- und sicherheitspolitisch) handlungsfähig eingestuft, während das Kriterium Moralität zwiespältiger ist (Legitimationsniveau: 46,8 Prozent, 6,4 Prozent der Statements). So heißt es etwa »America’s recent success is, above all, a triumph of values« (New York Times, 28.1.2000), aber auch: »It is this puritan tyranny which sometimes imbues the beautiful American democracy with an unfortunate resemblance to police states« (New York Times, 24.1.1998); der Republikaner Alan Keyes diagnostiziert gar ein »howling moral void« in seinem Land (New York Times, 28.1.2000). Abschließend werfen wir einen Blick auf die in den Diskursen verwendeten Legitimationsstile, also Kombinationen aus positivem bzw. negativem Urteilstenor und demokratiebezogenen bzw. nicht-demokratiebezogenen Legitimationsmustern. In allen nationalen Öffentlichkeiten außer der britischen – allerdings nur in Deutschland mit einer deutlichen (relativen) Mehrheit – dominiert der Legitimationsstil II (Delegitimation auf der Basis nicht-demokratiebezogener Muster). Insgesamt und im deutschen Diskurs folgt der Legitimationsstil I (Delegitimation auf der Basis demokratiebezogener Kriterien). Im britischen Diskurs ist der Rang dieser
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Abb. 19: Legitimationsstile nach Ländern (nationale Ebene, %) CH
DE
GB
US
Gesamt 0%
20%
40%
I
60%
II
80% III
100% IV
N = 2989.
Abb. 20: Legitimationsstile im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) 60
40
20
0 1998
1999 I
N = 2989.
2000
2001
2002 II
2003
2004 III
2005
2006
2007 IV
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beiden Stile vertauscht. Unter Vernachlässigung der unspezifischen Legitimationsstatements, deren knappe Mehrheit rechtfertigenden Charakter hat, sind damit mehr als die Hälfte der Legitimationsstatements insgesamt delegitimierend, was allerdings vor allem dem britischen und deutschen Diskurs geschuldet ist. Dagegen halten sich de- und relegitimierende Statements im amerikanischen und Schweizer Diskurs nahezu die Waage (dort erreicht auch der Legitimationsstil IV – demokratische Legitimation – über 20 Prozent). Während in der Schweiz Legitimationsstil III (Legitimation auf der Grundlage nicht-demokratiebezogener Kriterien) am zweithäufigsten ist, folgt in den USA auf Legitimationsstil II mit über einem Viertel der Statements die Diagnose gesicherter demokratischer Legitimität. Nur in der Schweiz und den USA erreicht Legitimationsstil III eine ähnliche Bedeutung, während er sonst unter 20 Prozent bleibt. Der Blick auf Abbildung 20 zeigt schließlich, dass die Anteile des demokratische Legitimität affirmierenden Legitimationsstils IV stabil bei etwa 20 Prozent bleiben. Die Anteile des ebenfalls legitimierenden Legitimationsstils III schlagen etwas stärker aus, scheinen zuletzt aber in der Tat – wie von so manchem akademischem Beobachter erwartet oder erhofft – an Bedeutung zu gewinnen. Umgekehrt scheinen die kritischen Legitimationsstile – und hier vor allem Stil I – an Bedeutung zu verlieren. Abb. 21: Legitimationsstile nach Sprechergruppen (nationale Ebene, %)
Nat. Pol.
Int. Pol.
Zivilges.
Journ. 0%
20% I
N = 2989.
40% II
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Abschließend kehren wir noch einmal zu den Sprechergruppen zurück (Abb. 21). Es zeigt sich, dass die Legitimationsstile durchaus nach Sprechergruppen differieren, wenn auch nicht in ausgeprägter Form. Kritische Diagnosen (Stile I und II) sind unter Journalistinnen und in der Zivilgesellschaft weitaus verbreiteter als unter politischen Eliten – und zugleich kritisieren erstere die Anerkennungswürdigkeit nationaler Regimes besonders häufig auf der Basis ihrer demokratischen Qualität. Umgekehrt negieren Regierungsvertreterinnen, Parteivorsitzende, Verbandsvorsitzende oder Parlamentsabgeordnete demokratische Qualitätsverluste sehr viel öfter (attestieren also demokratische Legitimität, Stil IV) oder sie weichen für ihre (Selbst-)Legitimationen auf nicht-demokratiebezogene Kriterien aus (Stil III).
4.5
Zusammenfassung
Vielfach wird in der Literatur unterstellt, der demokratische Nationalstaat als Regimeform sei im Zeitalter der Globalisierung mit einer Legitimationskrise und insbesondere einer Erosion demokratischer Legitimität konfrontiert. Derartige Krisendiagnosen bestätigt unsere Analyse nicht. Die Daten suggerieren vielmehr recht unterschiedliche nationale Gegebenheiten – und statt eines gerichteten Trends eher zyklische Prozesse. Insgesamt legen unsere Befunde für die einzelnen Dimensionen in der Zusammenschau das Bild prekärer Legitimitäten in den vier nationalen Öffentlichkeiten nahe – wobei der Plural auf merkliche Länderunterschiede in Art und Umfang der Prekarität verweist. Der Begriff Prekarität selbst ist – daran sei hier noch einmal erinnert – keineswegs als Synonym für Krisenhaftigkeit gemeint, sondern markiert eine ambivalente Übergangszone. Er bringt damit zugleich unsere Überzeugung zum Ausdruck, dass Legitimität nur in kontinuierlicher, permanenter Legitimationsarbeit der Systemeliten und ihrer Unterstützerinnen in der Bürgerschaft (re-)produziert werden kann. Eben deswegen ist Legitimität auch Schwankungen unterworfen. Dass diese Legitimationsarbeit stattfindet und Legitimationsdiskurse zum demokratischen Nationalstaat erhebliche Bedeutung im Rahmen politischer (Medien-)Kommunikation haben, illustrieren unsere Befunde zur Legitimationsintensität. Die politischen Ordnungen westlicher Demokratien sind wie erwartet keineswegs a-legitim. Die Daten zu Legitimations-
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niveaus zeigen, dass diese Regimes mit durchaus kritischen Öffentlichkeiten konfrontiert sind, denen gegenüber Legitimität immer wieder begründet werden muss. Nur in Großbritannien (und in zwei Jahren in Deutschland) rutschen die Legitimationsniveaus indes in den von uns als krisenhaft gewerteten Bereich ab, ansonsten verharren sie in der Zone der Prekarität (und erreichen in der Schweiz und den USA zum Teil sogar bemerkenswert hohe Werte). Dass die Befunde nicht auf eine generalisierte Legitimationskrise des demokratischen Nationalstaates verweisen, unterstreichen des Weiteren unsere Befunde zu Legitimationsobjekten. Zwar gibt es durchweg Einzelobjekte, die zu Zielscheiben der Kritik werden, doch sind diese zumeist auf den beiden unteren Ebenen unserer Objekthierarchie angesiedelt; am meisten Kritik ziehen nicht Institutionen, sondern Akteursgruppen auf sich. Umgekehrt handelt es sich bei den ebenfalls fast durchweg identifizierbaren Ankerobjekten eher um höherrangige Regimeprinzipien oder Institutionen. Außerdem sind die Legitimationsniveaus politischer Systeme und Gemeinschaften als Ganzer bzw. ihrer Regimeprinzipien durchweg höher als die der Einzelinstitutionen und Akteursgruppen. Als krisenhaft ist allenfalls die diskursive Unterstützung des britischen politischen Systems zu bewerten, doch selbst hier konnten wir legitimatorische Auffangmechanismen identifizieren. Mit Blick auf die Schweiz und die USA bzw. die beiden oberen Ebenen der Objekthierarchie ist dagegen fast schon von gesicherter Legitimität zu sprechen. Eine gehörige Portion Ambivalenz bergen auch unsere Ergebnisse zu den normativen Grundlagen der Legitimationsdiskurse und einzelner Statements. Zentraler Befund ist hier zunächst die überaus breite Palette an Evaluationskriterien, auf die diese Diskurse zugreifen. Allein sie schützt nationale Regimes vermutlich vor massiver Delegitimation – denn ein Versagen im Lichte all dieser Standards (und in den Augen ganzer Öffentlichkeiten) erscheint wenig wahrscheinlich. Als problematisch mag man dann die zumeist niedrigen Legitimationsniveaus demokratiebezogener Input-Standards werten, doch werden sie durch die Legitimationsressourcenfunktion demokratiebezogener Output-Kriterien – allen voran Menschenrechtsschutz – zumindest partiell ausgeglichen. Hinzu kommt die affirmative Rolle pauschaler Legitimationen (unspezifische Statements mit positivem Urteilstenor). Insgesamt halten sich damit rechtfertigende und kritische Bewertungen auf der Grundlage einer breiten Palette von Evaluationskriterien bzw. positive und negative, demokratiebezogene und nicht-
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demokratiebezogene Legitimationsstile annähernd die Waage – ein Befund, den wir im Lichte unserer demokratie- und öffentlichkeitstheoretischen Überlegungen nicht als alarmierend einstufen. Die Prekarität diskursiver Regime-Unterstützung unterstreichen neben unserer Analyse von Schwankungen im Zeitverlauf auch die Auswertungen der Sprechergruppen- und Themenkontextvariablen. Die diskursive Unterstützung politischer Akteure für die Regimes, die sie vertreten, bleibt wie erwartet hoch (und die Medien geben diesen Selbstlegitimationen erheblichen Raum), auch wenn politische Akteure sich gelegentlich im Stile des »blame shifting« an der Kritik einzelner Institutionen beteiligen. Die Medien selbst und die Zivilgesellschaft sind bisweilen kritischer, indes nicht in einem Maße, das uns Legitimationskrisen diagnostizieren ließe. Mit Blick auf Themenkontexte wurde deutlich, dass politische Akteure es durchaus in der Hand haben, durch Institutionenreformen und überzeugende Performanz in Politikfeldern, auf denen dem Nationalstaat in der Öffentlichkeit weiterhin Kompetenzvorteile zugestanden werden, temporäre Krisen zu entschärfen. Kurzum, der demokratische Nationalstaat erfährt insgesamt ein Maß an diskursiver Unterstützung, das wir zwar als prekär einstufen, das man aber nicht unterschätzen sollte; daneben verfügt er augenscheinlich über eine Reihe durchaus effektiver Bewältigungsstrategien für temporäre oder punktuelle Krisen.
5
Die Vereinten Nationen – gespaltene Legitimität
Henning Schmidtke
Mit der Untersuchung der empirischen Legitimität der Vereinten Nationen wendet sich dieses Kapitel dem ältesten der drei internationalen Regimes in unserer Fallauswahl zu. Die Nachfolgerin des zwischen den beiden Weltkriegen gescheiterten Völkerbundes wurde am 26. Juni 1945 in San Francisco von 51 Staaten gegründet. Heute umfasst sie mit 192 Mitgliedern nahezu alle Staaten der Erde und ist somit auch das mitgliederstärkste der untersuchten Regimes. Obwohl sich die UNO in den vergangenen Jahrzehnten zu einem komplexen Netzwerk von Haupt- und Nebenorganen sowie assoziierten Sonderorganisationen entwickelt hat, das in nahezu allen Bereichen des internationalen Regierens vertreten ist, steht eine Aufgabe bis heute im Zentrum: die Schaffung und Erhaltung kollektiver Sicherheit. Mit der Verabschiedung der Charta der Vereinten Nationen wurde 1945 ein Erzwingungsapparat für das bis dahin lediglich in der losen Normordnung des Westfälischen Systems verankerte Gewaltverbot zwischen Staaten festgeschrieben. Die UNO nimmt somit im System des internationalen Regierens eine herausgehobene Stellung ein und gilt vielen Beobachterinnen als zentraler Akteur bei der Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (Rittberger 2001). Die Vereinten Nationen repräsentieren in unserer Fallauswahl aufgrund ihrer intergouvernementalen Entscheidungsstrukturen einerseits und der nahezu universellen Mitgliedschaft andererseits den Typus der klassischen internationalen Organisation. Als eine der prägenden Institutionen der Nachkriegsgeschichte orientiert sich die UNO bis heute weitgehend am Prinzip des exekutiven Multilateralismus. Entscheidungen werden parlaments- und öffentlichkeitsfern getroffen und dienen vor allem der zwischenstaatlichen Koordinierung nationaler Politiken (Zürn u.a. 2007: 133). Somit liegt die Erwartung nahe, dass das Legitimationsprofil der Vereinten Nationen – also die Art und Weise, wie sie in der öffentlichen Kommunikation bewertet werden – weiterhin an den »üblichen Effektivitätsmaßstä-
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HENNING SCHMIDTKE
ben zwischenstaatlicher Politik« (Zürn 2006: 242) orientiert ist und demokratiebezogene Bewertungskriterien seltener zum Einsatz kommen. Ferner ist zu vermuten, dass sich Bewertungen aufgrund der herausgehobenen Rolle der Vereinten Nationen für die Erhaltung des zwischenstaatlichen Friedens insbesondere auf die für diesen Aspekt zuständigen Organe Sicherheitsrat und Generalversammlung konzentrieren. In seiner Struktur folgt das Kapitel der vorangegangenen Untersuchung nationalstaatlicher Legitimationsdiskurse. So stehen auch hier Unterschiede und Gemeinsamkeiten der vier untersuchten Öffentlichkeiten (Deutschland, Schweiz, Großbritannien, USA) in Legitimitätsbewertungen der Vereinten Nationen sowie die Entwicklung der vier Diskurse über den Untersuchungszeitraum (1998–2007) hinweg im Mittelpunkt des Interesses. In einem ersten Schritt werden in Abschnitt 5.1 die Konturen der vier nationalen Legitimationsdiskurse anhand der Variablen Legitimationsintensität (Häufigkeit von Legitimationsaussagen) und der am Diskurs beteiligten Sprecherinnen nachgezeichnet; Abschnitt 5.2 ergänzt die Analyse der Legitimationsniveaus (Anteile positiver Bewertungen). Die nachfolgenden Abschnitte arbeiten heraus, welche Teilaspekte des Regimes im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen (5.3, Legitimationsobjekte) und welche Maßstäbe für deren Bewertungen vornehmlich herangezogen werden (5.4, Legitimationsmuster und -stile). Abschließend werden diese Erkenntnisse mit Blick auf die Frage zusammengeführt, ob die Legitimität der Vereinten Nationen als gesichert, prekär oder krisenhaft zu qualifizieren ist. Bewirkt die immer schneller voranschreitende Transformation der internationalen Politik eine Prekarisierung der Legitimation klassischer internationaler Organisationen oder stürzt sie die Entstehung der postnationalen Konstellation (Habermas 1998; Leibfried/Zürn 2005) gar in eine Legitimationskrise?
5.1
Legitimationsintensität und Sprechergruppen: Zwei Debatten mit wechselnden Protagonisten
Um einen ersten Eindruck von den Legitimationsdiskursen zur UNO zu erhalten, soll zunächst bestimmt werden, wie häufig sie in den vier untersuchten Medienöffentlichkeiten bewertet wird. Treten die Vereinten Nationen in der veröffentlichten Meinung überhaupt als Objekt von Legitimati-
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UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
onsdiskursen in Erscheinung oder stellen sie ein Randphänomen dar? Als Indikator ziehen wir die Legitimationsintensität – also die Anzahl bewertender Aussagen zur UNO – heran. Dabei sind drei Aspekte von Bedeutung: Unterscheidet sich die Legitimationsintensität der UNO erstens zwischen den vier Untersuchungsländern – und wenn ja, wie? Kommt es zweitens im Sinne einer Politisierung der Vereinten Nationen (Zürn u.a. 2007) zu einer Zunahme der Intensität über unseren Untersuchungszeitraum hinweg oder unterliegen die Legitimationsdiskurse anderen Faktoren wie etwa themenspezifischen Aufmerksamkeitszyklen? Welche Sprechergruppen treten drittens besonders häufig als (De-)Legitimierer in Erscheinung? Ist die Legitimation der Vereinten Nationen, wie von vielen Autoren (z.B. Claude 1966; Hurd 2008) angenommen, ausschließlich ein Thema staatlicher Akteure? Spielen somit lediglich Staaten und deren Regelbefolgung eine Rolle (Caron 1993; Hurd 1999)? Oder treten auch zivilgesellschaftliche Akteure mit Bewertungen der UNO auf die öffentliche Bühne (Voeten 2005) und machen deren Legitimation so zu einem viele Gruppen der Weltgesellschaft einbeziehenden Phänomen? Tabelle 11: UNO-Vollversammlungen – Termine, Legitimationsstatements pro Land und Jahr Legitimationsstatements (N) Termin 21.09.–02.10.1998 20.09.–02.10.1999 12.09.–22.09.2000 10.11.–16.11.2001 12.09.–20.09.2002 23.09.–02.10.2003 21.09.–30.09.2004 14.09.–19.09.2005 19.09.–27.09.2006 25.09.–03.10.2007 (1998–2007)
CH
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US
Σ
4 11 2 1 45 22 14 46 11 15
15 25 3 19 25 42 52 114 32 20
4 29 1 10 56 50 46 84 26 5
15 29 10 29 46 55 23 45 31 4
38 94 16 59 172 169 135 289 100 44
171
347
311
287
1116
Bereits der erste Blick auf unsere Ergebnisse (Tabelle 11) macht deutlich: Die UNO kann keinesfalls als legitimatorisch unbedeutend und damit als »a-legitim« (Steffek 2007: 190) gelten. So bewegt sich die Legitimations-
110
HENNING SCHMIDTKE
intensität zwar zwischen 1998 bis 2001 in allen vier Untersuchungsländern auf einem niedrigen Niveau, nimmt anschließend jedoch in allen Ländern deutlich zu. Mit einer Fallzahl von insgesamt 1116 Legitimationsstatements liegt empirisches Material vor, das von einem relevanten Diskurs zeugt und hinreichend umfangreich ist, um als Basis weiterer Interpretationen zu fungieren. Abb. 22: Legitimationsintensität nach Ländern im Zeitverlauf (UNO) 3 2 1 0 -1 -2 1998
1999 CH
2000
2001
2002 DE
2003
2004 GB
2005
2006
2007 US
Die Datenpunkte stellen die z-transformierte Anzahl der Legitimationsstatements pro Land und Jahr dar. Der Berechnung wurde für jedes Land die durchschnittliche Zahl der Statements pro Jahr im Untersuchungszeitraum zugrunde gelegt; z-scores errechnen sich aus der Differenz zwischen diesen vier Mittelwerten und der tatsächlichen Zahl der Statements pro Land und Jahr, dividiert durch die zugehörigen Standardabweichungen.
Die Entwicklung der Legitimationsintensität im Zeitverlauf (Abb. 22) offenbart sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen Ländern und Jahren. Besonders auffällig ist indes der weitgehend parallele Verlauf der Intensitätskurven. Obwohl mit der Schweiz (Mitglied der UNO seit 2002), Deutschland (Mitglied seit 1973), Großbritannien und den USA (Gründungsmitglieder mit einem Veto im Sicherheitsrat) vier Länder mit unterschiedlichen Bezügen zu den Vereinten Nationen untersucht wurden, ist zu erkennen, dass sich die Legitimationsintensität im Zeitverlauf für alle Länder ähnlich entwickelt. Während bis zum Jahr 2005 – unterbrochen durch die beiden schwächeren Jahre 2000 und 2001 – ein Intensitätsanstieg
111
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
zu verzeichnen ist, erkennen wir seit diesem Zeitpunkt einen Einbruch der Intensität, deren Niveau 2007 wieder auf einen ähnlich niedrigen Stand wie 1998 zurückfällt. Neben den erklärungsbedürftigen Gemeinsamkeiten in der Entwicklung der Legitimationsintensität deutet dieser Befund auf einen weiteren Punkt hin: Von einem durchgängigen Politisierungstrend, wie ihn beispielsweise Zürn u.a. (2007) vermuten, kann ebenso wenig gesprochen werden wie von einer ansteigenden »conference fatigue« (Schechter 2005: 155). Zwar scheint die Entwicklung bis zum Jahre 2005 der These zu entsprechen, dass es im Zuge der wachsenden Eingriffstiefe und Entscheidungsautonomie internationaler Institutionen, wie sie für den UNO-Sicherheitsrat nach dem Ende des Kalten Krieges konstatiert werden kann (Chestermann 2002: 299), zu einem Anstieg öffentlicher Kontroversen kommt. Doch deuten der starke Rückgang nach 2005 sowie die bemerkenswert niedrige Intensität zu Beginn des Untersuchungszeitraums – also nach den neuartigen UNO-Friedensmissionen der 1990er Jahre (Malone 2004) – darauf hin, dass weitere Erklärungsfaktoren herangezogen werden müssen, um die Entwicklung der Kommunikationsintensität zur Legitimität der Vereinten Nationen nachvollziehen zu können. Abb. 23: Themenkontexte im Zeitverlauf (UNO, absolute Werte)
160
120
80
40
0 1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Finanz- und Wirtschaftspolitik
Innere Sicherheit
Institutionenfragen
Sicherheitspol./Entw.hilfe
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HENNING SCHMIDTKE
Um das Auf und Ab der Legitimationsintensität im Zeitverlauf besser verstehen zu können, nehmen wir die zentralen weltpolitischen Ereignisse sowie die damit einhergehenden Hauptthemen der UNO-Vollversammlungen im Untersuchungszeitraum genauer unter die Lupe. Einen ersten Fingerzeig bietet die deutliche Zunahme der Legitimationsintensität seit dem Jahr 2001. In diesem Jahr steht die UNO-Vollversammlung noch unter dem Schock der wenige Wochen zuvor verübten Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon. Dieser Angriff auf die USA zieht in den Folgejahren mit dem »Krieg gegen den Terror« sowie der damit in Verbindung stehenden Invasion Afghanistans und des Iraks durch die USA eine deutliche Fokussierung der Vereinten Nationen auf sicherheitspolitische Themen nach sich und könnte somit die Zunahme der Legitimationskommunikation erklären. Und in der Tat deutet eine Aufschlüsselung unserer Daten nach Politikbereichen – also dem Themenkontext, in dem ein Legitimationsstatement geäußert wurde – darauf hin, dass sicherheits- und entwicklungshilfepolitische Themen – allen voran die Frage nach Frieden und Krieg – einen wichtigen Kontext für Legitimationsauseinandersetzungen zur UNO bilden. Wie sich in Abbildung 23 erkennen lässt, nimmt die Menge von Legitimationsstatements mit diesem Hintergrund ab 2002 deutlich zu und entwickelt sich anschließend bis zum Ende unseres Untersuchungszeitraumes in ähnlicher Form wie die Intensitätskurven in Abbildung 22. Es lässt sich also festhalten, dass der Verlauf der Legitimationsintensität in allen vier Ländern mit der neuen Agenda der UNO im Zeichen des 11. September 2001 in Verbindung zu stehen scheint. Während viele aufgegriffene Politikbereiche nicht das Potenzial haben, eine mediale Auseinandersetzung mit der Legitimität der Vereinten Nationen zu befördern, ist das Kernthema der UNO – Frieden und Krieg – dafür geradezu prädestiniert. Neben diesen sicherheitspolitischen Fragen scheint es mindestens eine weitere Antriebskraft für Legitimationsdiskurse zu den Vereinten Nationen zu geben. So markiert die nochmalige Zunahme bewertender Aussagen ab 2003 den Beginn einer intensiv geführten Debatte um die institutionelle Struktur der Vereinten Nationen (Slaughter 2005). Just in diesem Jahr hatte der damalige Generalsekretär Kofi Annan das sogenannte High Level Panel on Threats, Challenges and Change einberufen, das sich mit der Frage beschäftigen sollte, welche strukturellen Reformen nötig seien, um den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden (Prins 2005). Abbildung 23 kann entnommen werden, dass es seit diesem
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
113
Zeitpunkt tatsächlich zunehmend Legitimationsstatements mit einem institutionellen Themenhintergrund sind, die den Legitimationsdiskurs tragen und im Jahr 2005 sogar für die absolute Spitze der Intensität verantwortlich zeichnen. Scheint der 2004 vorgestellte Report dieser Kommission noch einen eher moderaten Einfluss auf das Legitimationsgeschehen rund um die UNO zu haben, ruft ein Jahr später die »Schadensbilanz […], daß aus der ambitionierten Reformagenda des UN-Generalsekretärs ein zerzaustes Dokument geworden ist« (FAZ, 19.9.2005), einen regelrechten Aufschrei hervor. Zusammengenommen lassen die Verläufe der sicherheitspolitischen und der um institutionelle Fragen kreisenden Legitimationsdebatten darauf schließen, dass die Dynamik der Legitimationsintensität in Anlehnung an Downs (1972) durch Aufmerksamkeitszyklen geprägt ist. Während sich beide Themen zu Beginn des Untersuchungszeitraums noch in einer »preproblem«-Phase mit niedriger Intensität befinden, folgt für die sicherheitspolitische Auseinandersetzung ab 2002 eine Phase, in der die Anzahl entsprechender Statements schlagartig auf ein sehr hohes Niveau ansteigt. Ähnliches lässt sich auch für die Reformdebatte feststellen, die mit der Einberufung der oben angesprochenen Kommission zunächst leicht an Bedeutung gewinnt und im Jahr 2005 plötzlich zum zentralen Gegenstand des Legitimationsdiskurses wird. Diesen kurzen Aufmerksamkeitshochs folgen jeweils Perioden sinkenden Interesses. Diese fallen allerdings ungleich aus. Das Sicherheitsthema erweist sich im Kontext der zweijährigen Auseinandersetzung um den Irak im UNO-Sicherheitsrat (2002–2003) als deutlich stabiler und überdauert sogar den Einmarsch der »Koalition der Willigen«, bevor das Thema schließlich 2006 und 2007 wieder gänzlich von der Bildfläche verschwindet. Die Legitimationsauseinandersetzung um institutionelle Fragen durchläuft diese Phasen hingegen in einer Art Schnelldurchlauf. Nachdem »[u]nterschiedliche nationale Interessen die Erneuerung der Weltorganisation verhindert haben« und es somit 2005 lediglich zu einer »verwässerte[n] Reform« (SZ, 14.9.2005) der Vereinten Nationen gekommen ist, kollabiert die Aufmerksamkeit in den folgenden Jahren regelrecht und fällt auf ein niedriges Niveau zurück. Bei aller Gleichförmigkeit sind jedoch auch Unterschiede zwischen den Intensitätskurven der Untersuchungsländer zu beobachten (Tabelle 11). Diese werden im Lichte der jeweiligen Machtpositionen der vier Staaten verständlich. So lässt die Analyse der Themenverläufe in den einzelnen Untersuchungsländern erkennen, dass die Öffentlichkeiten der beiden
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HENNING SCHMIDTKE
Vetomächte – USA und Großbritannien – einen besonders ausgeprägten Fokus auf Fragen der Sicherheitspolitik aufweisen. Mit einer deutlich stärkeren Zunahme sicherheitspolitisch geprägter Legitimationsstatements zwischen 2001 und 2002 in Großbritannien und den USA unterscheiden sich diese beiden Länder erkennbar von Deutschland, das zu diesem Zeitpunkt nicht Mitglied des Sicherheitsrates ist. Die Schweizer Öffentlichkeit, die im September 2002 Zeugin des Beitritts der Eidgenossenschaft zu den Vereinten Nationen wird, verzeichnet den deutlichsten Sprung. Auch diese Entwicklung nährt die Vermutung, dass die machtpolitische Stellung der vier Länder bzw. Veränderungen in der Bedeutung der UNO für sie Einfluss auf die Legitimationsintensität in Mediendiskursen haben. Deutschland bildet in diesem Zusammenhang nur scheinbar eine Ausnahme. Obwohl für die Jahre 2003 und 2004, in denen die Bundesrepublik zum vierten Mal seit ihrem Beitritt zur UNO zum nicht-ständigen Mitglied des Sicherheitsrates aufstieg, kein deutlicher Anstieg der Legitimationsintensität zu verzeichnen ist, wird auch für Deutschland der Zusammenhang zwischen politischem Gewicht in der UNO und Legitimationsintensität erkennbar. So widersetzt sich der Verlauf der Intensitätskurve dem Abwärtstrend in den drei anderen Staaten und steht 2004 auf dem höchsten Stand seit Beginn unseres Untersuchungszeitraumes (Abb. 22). Während die Legitimationsintensität allgemein nachlässt, steigt sie in Deutschland für den Zeitraum der Sicherheitsratsmitgliedschaft leicht an. Abschließend kann festgehalten werden: Die Entwicklung der Legitimationsintensität im Zeitverlauf wird in allen vier Untersuchungsländern von sicherheitspolitischen und institutionellen Themen bestimmt, die ihrerseits Aufmerksamkeitszyklen unterliegen. Die Unterschiede in der Intensität, mit der sich die vier untersuchten Öffentlichkeiten auf diese Themen konzentrieren, scheinen vom politischen Gewicht des jeweiligen Landes in der UNO abzuhängen. So ist zu erkennen, dass Nicht-Mitglieder den Vereinten Nationen die geringste und Mitglieder des Sicherheitsrates eine besonders hohe Aufmerksamkeit zukommen lassen. Statuswechsel – also beispielsweise der Beitritt zu den Vereinten Nationen – ziehen wie im Fall der Schweiz eine Zunahme der Legitimationsintensität nach sich. Während die bisherige Diskussion der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der vier nationalen Legitimationsdiskurse und der Entwicklung über den Untersuchungszeitraum hinweg einen Einblick in die Dynamik der Legitimitätsintensität vermitteln konnte, hat sie ein zentrales Thema außer Acht gelassen: Wer spricht? Da die vorliegende Untersuchung Legitimation
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UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
als kommunikatives Phänomen versteht, ist die Frage nach den Diskursteilnehmerinnen zentral. Sie sind es, die als Sprecherinnen in einer legitimierenden oder delegitimierenden Rolle die Ausprägung der Diskurse bestimmen. Und so stellt sich zunächst die Frage, ob die Verteilung der Sprecherinnen im Vergleich zwischen den Untersuchungsländern ähnlich gleichförmig ausfällt, wie dies für die Legitimationsintensität der Fall ist. Wir unterscheiden vier Sprechergruppen: Journalistinnen, Vertreterinnen nationaler bzw. internationaler politischer Institutionen sowie zivilgesellschaftliche Sprecherinnen. Abb. 24: Sprechergruppen nach Ländern (UNO, %) GB
DE
CH
US
Gesamt 0%
20% Journ.
40% Nat. Pol.
60% Int. Pol.
80%
100% Zivilges.
Wie Abbildung 24 zeigt, kann von einer auch nur annähernd ähnlichen Verteilung der Sprechergruppen für die vier Untersuchungsländer nicht die Rede sein. Zwar kommt eine Vielzahl verschiedener Sprecherinnen zu Wort, doch sind deren Anteile an den nationalen Diskursen recht unterschiedlich. Während in Deutschland und Großbritannien Journalistinnen – also die Autorinnen der von uns ausgewerteten Zeitungsartikel – den Diskurs dominieren, spielen diese in der Schweiz und in den USA nur eine untergeordnete Rolle. In diesen beiden Ländern nehmen vor allem hohe Vertreterinnen der nationalen politischen Klasse – also Staats- und Regierungschefs, Ministerinnen usw. – eine herausgehobene Position ein. Die Diskurse in der Schweiz und den USA scheinen damit der oben angespro-
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HENNING SCHMIDTKE
chenen Annahme zu entsprechen, dass die Legitimität internationaler Institutionen vornehmlich zwischen Staaten und ihren Repräsentanten verhandelt wird. Mit jeweils mehr als 40 Prozent erreicht die Sprechergruppe der nationalen politischen Akteure in der Schweiz und den USA einen mehr als doppelt so hohen Anteil an Statements, wie dies für Journalistinnen der Fall ist. Doch auch innerhalb der beiden Länderpaare (GB/DE und CH/US) sind Unterschiede zu erkennen. So haben zivilgesellschaftliche Akteure in der Schweiz kaum Zugang zum Diskurs und liegen mit einem Anteil von neun Prozent noch weit hinter Vertreterinnen internationaler Institutionen (19 Prozent), während diese beiden Sprechergruppen mit 19 bzw. 13 Prozent in den USA häufiger zu Wort kommen. Ähnliche Unterschiede können wir auch für Deutschland und Großbritannien beobachten. Hier spielen zwar Sprecherinnen internationaler Regierungsorganisationen – insbesondere der Generalsekretär der UNO selbst – eine vergleichbare Rolle im öffentlichen Diskurs (DE: 16,7 Prozent, GB: 17,4 Prozent). Doch haben zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland (neun Prozent) deutlich mehr Mühe, sich in den Diskurs einzubringen, als dies in Großbritannien (20 Prozent) der Fall ist. Die im Ländervergleich ähnliche Entwicklung der Legitimationsintensität ist mithin auf ganz unterschiedliche Sprecherkonstellationen zurückzuführen. Obwohl der Diskurs in Deutschland und Großbritannien von Journalistinnen und in der Schweiz bzw. den USA von nationalen politischen Akteuren dominiert wird, verläuft die Aufmerksamkeitsintensität bemerkenswert gleichförmig. Ein möglicher Grund für die nationalen Unterschiede bei den Sprechergruppen mag in der Medien- und Diskurstradition des jeweiligen Landes liegen. In der Kommunikationsforschung haben Hepp u.a. (2009) aufbauend auf den Überlegungen von Bernhard Peters (2007) das Konzept der »politischen Diskurskulturen« entwickelt, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten bzw. die Konvergenz politischer Öffentlichkeiten besser nachvollziehen zu können. In diesem Konzept spielen u.a. Eigenheiten der Medienproduktion – also Arten der Darstellung und Vermittlung von Themen – eine Rolle. Diesem Ansatz folgend nehmen wir an, dass die unterschiedlichen Häufigkeitsverteilungen für Sprecherinnen auf solche Eigenheiten der politischen Diskurskulturen zurückzuführen sind (Biegoń u.a. 2010). Journalistinnen in den USA und der Schweiz machen für den Transport ihrer eigenen Einschätzungen zur UNO häufiger von Zitaten gerade nationaler politischer Akteure Gebrauch als ihre Kolleginnen in Deutschland und Großbritannien.
117
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
Die Entwicklung des Anteils zivilgesellschaftlicher Akteure am Legitimationsdiskurs zu den Vereinten Nationen ist noch unter einem anderen Gesichtspunkt von Bedeutung: Sie kann als ein weiterer Indikator zur Überprüfung der Politisierungsthese eingesetzt werden. Da sich diese These auf die Zunahme gesellschaftlicher Kontroversen über bzw. gesellschaftlicher Forderungen an internationale Institutionen bezieht (Zürn u.a. 2007: 130), könnte ein steigender Anteil zivilgesellschaftlicher Sprecherinnen ein Indiz für Politisierung darstellen. Aber auch ein solcher Trend ist nicht zu beobachten. Abbildung 25 macht deutlich, dass zivilgesellschaftliche Sprecherinnen nahezu über den ganzen Untersuchungszeitraum hinweg mit einer relativ geringen Zahl (de-)legitimierender Statements im Diskurs vertreten sind. Mit Ausnahme des Jahres 2001, in dem sie die zu diesem Zeitpunkt allerdings sehr schleppend verlaufende Debatte dominieren, kommen Vertreterinnen der Zivilgesellschaft nur selten in größerem Umfang zu Wort (Abb. 22, 25). Abb. 25: Sprechergruppen im Zeitverlauf (UNO, %) 60
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0 1998
1999 Journ.
2000
2001
2002
Nat. Pol.
2003
2004 Int. Pol.
2005
2006
2007
Zivilges.
Ein klarer Trend und eine in allen Untersuchungsländern über die Zeit hinweg dominante Sprechergruppe lassen sich nicht ausmachen. Die Legitimationsintensität verändert sich für alle Sprechergruppen mit geringen Abweichungen entlang der identifizierten Aufmerksamkeitszyklen. Bemerkenswert erscheint jedoch die mit dem Jahr 2004 einsetzende Dominanz
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HENNING SCHMIDTKE
der Gruppe der Journalistinnen. Diese verdrängen alle anderen Sprechergruppen und liegen ihrem Statementanteil nach schließlich 2005 weit über dem aller anderen Gruppen. Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die beiden herausgearbeiteten Aufmerksamkeitszyklen – die sicherheitspolitische Debatte ab 2001 sowie die kurz aufflackernde institutionelle Kontroverse 2005 – von unterschiedlichen Sprechergruppen getragen werden. In den Jahren 2002 und 2003 ist die Zunahme der Legitimationsintensität vor allem mit einer deutlichen prozentualen Zunahme von Statements nationaler Politikerinnen verbunden. Diese werden ab 2004 jedoch wieder seltener und von journalistischen Auseinandersetzungen um die Legitimität der institutionellen Struktur der UNO überlagert. Angestoßen durch die Reformvorschläge des damaligen Generalsekretärs Kofi Annan und unter zusätzlichem Druck angesichts einer Zwischenbilanz zu den 2000 beschlossenen Millenniumszielen (Schechter 2005) generiert der »Millennium+5«-Gipfel in der schreibenden Zunft eine starke Erwartungshaltung. Kurz nach Bekanntgabe der mageren Ergebnisse des bis zu diesem Zeitpunkt größten Regierungsgipfels finden sich Aussagen, die insbesondere die institutionelle Trägheit der Weltorganisation ins Visier nehmen: »Uneinige Staaten sorgen dafür, daß die UN ein Herz aus Gold hat, aber mit ihren Beinen aus Lehm nicht vorankommt« (FAZ, 15.9.2005).17 2006 ist das Thema Institutionenreform der UNO bereits wieder weitgehend vergessen und erlebt damit einen ähnlich rasanten Abschwung wie die Dominanz der Sprechergruppe Journalistinnen. Insgesamt kommen wir zu dem Ergebnis, dass sich die vier nationalen Öffentlichkeiten in der Sprecherverteilung deutlich voneinander unterscheiden. Trotz ähnlicher Legitimationsintensität der Diskurse nehmen vor allem Journalistinnen und politische Akteure in der Schweiz und den USA eine andere Rolle ein als in Deutschland und Großbritannien. Erklären lässt sich dies zum einen durch Unterschiede in den politischen Diskurskulturen der Länder, zum anderen durch Zusammenhänge zwischen Thema und Sprechergruppe. Nationale politische Akteure treten insbesondere in Verbindung mit der Sicherheitsdebatte im Gefolge der Anschläge vom 11. September 2001 sowie im Kontext des herannahenden Irakkrieges in Erscheinung. Die Reform des institutionellen Gefüges der Vereinten
—————— 17 Zwar gelingt es auf dem Gipfel, einen Ersatz für die UNO-Menschenrechtskommission und die Schaffung einer Kommission für Friedenskonsolidierung zu beschließen. Doch kommt die Reform des UNO-Sicherheitsrats und der Generalversammlung nicht erkennbar voran (Volger 2008: 339).
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
119
Nationen ruft in besonderem Maße Stellungnahmen von Journalistinnen hervor. Verbindet man beide Erklärungsstränge, wird verständlich, warum die unterschiedliche Themenrelevanz in den Untersuchungsländern vor dem Hintergrund unterschiedlicher Diskurs- und Medienkulturen zu verschiedenen Häufigkeitsverteilungen bei den Sprechergruppen führt.
5.2
Legitimationsniveau: Ein Wechselbad rechtfertigender und kritischer Bewertungen
Wir haben gesehen, dass die Vereinten Nationen Gegenstand eines dynamischen Legitimationsdiskurses sind, in dem nicht nur Staaten und ihre Repräsentantinnen zu Wort kommen, sondern auch Journalistinnen, Vertreterinnen internationaler Organisationen sowie in geringerem Maße zivilgesellschaftliche Akteure. Doch wie beurteilen sie die UNO? Tragen ihre jeweiligen Aussagen zu einer hohen Legitimität der Vereinten Nationen bei – oder hat es die UNO vielmehr mit einer instabilen Situation mangelnder öffentlicher Unterstützung zu tun? Diese Frage ist der Kern des vorliegenden Abschnitts. Um sie zu beantworten, wird im Folgenden die Ausprägung des Legitimationsniveaus – also des prozentualen Anteils positiv gewendeter Bewertungen – für die vier Öffentlichkeiten und einzelne Sprechergruppen untersucht. Besonderes Augenmerk soll wiederum auf nationalen Unterschieden sowie Entwicklungen über den Untersuchungszeitraum hinweg liegen. Es wird analysiert, ob sich das Legitimationsniveau der Vereinten Nationen in den vier untersuchten Demokratien ähnlich gleichförmig entwickelt, wie dies für die Legitimationsintensität der Fall ist, oder ob wir es – wie bei der Verteilung der Sprecherinnen – mit deutlichen nationalen Unterschieden zu tun haben. Zudem wird die Frage weiterverfolgt, warum es in den einzelnen Ländern zu unterschiedlichen Sprecherkonstellationen kommt. Die Vermutung liegt nahe, dass nicht nur bestimmte Aufmerksamkeitszyklen, sondern auch der Urteilstenor der jeweiligen Aussagen Einfluss darauf hat, wer als Sprecherin in Erscheinung tritt bzw. in den Printmedien Erwähnung findet. Betrachtet man die Legitimationsniveaus der UNO in den vier untersuchten Demokratien zunächst unabhängig von Sprechergruppen, wird deutlich, dass sich die Weltorganisation einer nicht zu vernachlässigenden Unterstützung erfreut (Abb. 26). Mit 45 Prozent positiven Bewertungen in
120
HENNING SCHMIDTKE
der Schweiz, 40,1 Prozent in den USA und 35,4 Prozent in Großbritannien erreichen die Legitimationsniveaus in drei von vier Untersuchungsländern durchaus akzeptable Werte. Zwar ist nicht von einer hohen Legitimität der Vereinten Nationen zu sprechen, legt man jedoch einen tendenziell negativen Medienbias sowie die für Demokratien charakteristische kritische öffentliche Auseinandersetzung mit politischen Regimes zugrunde, sind diese Werte durchaus beachtlich. Lediglich das mit 28,8 Prozent deutlich niedrigere Legitimationsniveau im deutschen Diskurs trübt dieses Ergebnis und trägt aufgrund seines starken Einflusses auf das Legitimationsniveau über die vier untersuchten nationalen Öffentlichkeiten hinweg dazu bei, dass der Gesamtwert nicht über 36 Prozent hinauskommt. Entgegen der in der Politik- und Rechtswissenschaft durchaus verbreiteten These, selbst klassische internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen könnten sich nur auf ein geringes Maß an gesellschaftlicher Legitimation stützen (Dahl 1999; Rabkin 2005: 244–248), erreicht die UNO also immerhin ein mittleres Maß an Unterstützung. Trotz mancher Krise, einer Reihe von Misserfolgen und vielen Kritikern aus Wissenschaft und Politik (Gray 2007; Morris/Wheeler 2007) werden die Vereinten Nationen in den vier Untersuchungsländern keinesfalls als weitgehend illegitim eingestuft. Daneben ist die – mit der Ausnahme Deutschlands – recht ähnliche Höhe der Legitimationsniveaus in den untersuchten Öffentlichkeiten zu konstatieren. Aber verlaufen die jeweiligen Niveaukurven ähnlich uniform über die zehn Jahre hinweg, wie dies bei der Intensität der Legitimationskommunikation der Fall ist? Bringen Aufmerksamkeitshochs bzw. -tiefs besondere Ausschläge der Legitimationsniveaus mit sich? Führt die Zu- bzw. Abnahme der Legitimationsintensität etwa zu einer entsprechenden Zu- bzw. Abnahme der Legitimationsniveaus? Abbildung 27 offenbart hier zunächst deutliche Schwankungen. Das oben vorgestellte Ergebnis eines insgesamt mittleren Legitimationsniveaus resultiert demnach aus einer Abfolge von Hochs, wie wir sie zu Beginn des Untersuchungszeitraums und nochmals zwischen 2002 und 2003 beobachten können, und ausgeprägten Tiefs, die insbesondere 2000, 2001 und 2005 auftreten. Diese einer Berg- und Talfahrt gleichende Entwicklung der Legitimationsniveaus weist darauf hin, dass die Legitimität der UNO nicht als uneingeschränkt stabil einzustufen ist. Trotz des insgesamt mittleren Legitimationsniveaus muss aufgrund der starken Schwankungen im Zeitverlauf davon ausgegangen werden, dass die Weltorganisation in den untersuchten Demokratien auf kein stabiles Fun-
121
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
dament an Legitimitätszuschreibungen bauen kann. Dies verdeutlicht das häufige Absinken der nationalen Legitimationsniveaus auf äußerst niedrige Werte. Während dieser Fall für die beiden deutschsprachigen Länder noch vergleichsweise selten eintritt, beobachten wir für die beiden ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates in mehr als der Hälfte aller Untersuchungsjahre solch niedrige Legitimationsniveaus. Abb. 26: Legitimationsniveaus nach Ländern (UNO, %) 60
40
20
0 CH
DE
GB
US
Gesamt
Neben diesen Schwankungen fällt auf, dass sich das Bild der ähnlichen Höhe der Legitimationsniveaus in den vier Öffentlichkeiten verliert, sobald man die zeitliche Entwicklung betrachtet. So verlaufen zwar die Niveaukurven der USA und Großbritanniens von 1998 bis 2004 ähnlich. Doch während das Legitimationsniveau der UNO in Großbritannien auch 2005 weiterhin zurückgeht, steigt es in den USA wieder an. Dieser kleine, aber doch erkennbare Unterschied in der Entwicklung der beiden Diskurse setzt sich auch in den Folgejahren fort. Noch deutlicher zeigt sich die Spreizung für den Verlauf des Legitimationsniveaus in Deutschland und der Schweiz. So neigt die Legitimationskommunikation in Deutschland offenbar nicht nur zu geringeren Ausschlägen als die anderen drei Diskurse und kann somit als stabiler eingestuft werden, sondern sie entwickelt sich zu verschiedenen Zeitpunkten auch entgegen dem von den USA und Großbritannien eingeschlagenen Trend. Wir beobachten beispielsweise in
122
HENNING SCHMIDTKE
Deutschland zwischen den Jahren 2001 und 2002 einen leichten Rückgang des Legitimationsniveaus, während es in den beiden englischsprachigen Demokratien für diesen Zeitraum zu einer deutlichen Zunahme positiver Legitimationsaussagen kommt. Der deutsche Legitimationsdiskurs zu den Vereinten Nationen bildet insofern einen Sonderfall. Neben seinem insgesamt niedrigeren Legitimationsniveau zeichnet er sich vor allem durch einen stabileren Verlauf aus. Obwohl sich die UNO in Deutschland einer geringeren Anerkennung erfreut als in den anderen Untersuchungsländern, ist ihre Legitimation dank der größeren Stabilität des Legitimationsniveaus nicht unbedingt als problematisch einzustufen. Abb. 27: Legitimationsniveaus nach Ländern im Zeitverlauf (UNO, %) 100
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1999 CH
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2001
2002 DE
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2004 GB
2005
2006
2007 US
Im eidgenössischen Diskurs erreichen die Vereinten Nationen mit einem Legitimationsniveau von 45 Prozent im Ländervergleich zwar den Bestwert, allerdings weist der Diskurs mit 88,9 Prozent im Jahr 2002 auch den höchsten und mit 10,9 Prozent im Jahr 2005 den zweitniedrigsten gemessenen Jahreswert für alle Länder auf und ist somit besonders starken Schwankungen unterworfen. Zwar entspricht der Verlauf der Niveaukurve ab 2002 grob dem allgemeinen Trend, doch scheint es, als reagierten die Schweizer Medien durchweg stärker, als dies in den anderen Untersuchungsländern der Fall ist. So kommt es etwa ähnlich wie in Großbritannien und den USA zwischen 2002 und 2005 zu einem starken Rückgang
123
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
des Legitimationsniveaus. Dieser beginnt jedoch ein Jahr früher als in diesen beiden Ländern und führt letztlich auch zu einem absoluten Tiefststand im Jahr 2005. Die starken Ausschläge setzen sich in den folgenden Jahren fort. Während das Legitimationsniveau der UNO in Deutschland insgesamt auf einem niedrigen Niveau bleibt, erweist sich die Legitimität der UNO in der Schweiz in anderer Form als nicht gänzlich gefestigt. Das Legitimationsniveau der Weltorganisation ist hier besonders instabil. Abb. 28: Legitimationsintensität und Legitimationsniveaus im Zeitverlauf (UNO, z-transformiert) 3
2
1
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-2 1998
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Niveau CH Niveau US
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Niveau DE Intensität Gesamt
2004
2005
2006
2007
Niveau GB
In der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums zeigen sich einige bemerkenswerte Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern. Mit dem Tiefpunkt 2005 lässt sich eine Tendenz der Angleichung bei insgesamt sinkenden Legitimationsniveaus in allen vier Ländern feststellen. Dieser Abwärtstrend in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums deutet darauf hin, dass die beobachteten Niveauhochs vor allem durch spezifische Faktoren wie etwa die Schweizer Beitrittseuphorie 2002 oder den amerikanischen Ruf nach einem kollektiven Vorgehen gegen den internationalen Terrorismus hervorgerufen wurden, wohingegen die deutlichen Niveauverluste zwischen 2003 und 2005 einen gemeinsamen Auslöser zu haben scheinen. Einen ersten Anhaltspunkt für diese Vermutung liefert bereits die Entwicklung der Legitimationsintensität. Wie anhand von Abbildung 28 zu
124
HENNING SCHMIDTKE
erkennen ist, tritt eine Spreizung der nationalen Legitimationsniveaus immer in Phasen niedriger Intensität auf. Sobald also die Anzahl der wertenden Aussagen zurückgeht bzw. auf ein sehr niedriges Niveau fällt, kommt es in den Untersuchungsländern zu größeren Unterschieden zwischen den jeweiligen Legitimationsniveaus. Dieser Befund mag zwar teilweise ein statistischer Effekt sein. Allerdings ist die Beobachtung, dass umgekehrt eine Verdichtung der Legitimationskommunikation – wie zwischen 2002 und 2005 – mit der Annäherung und dem Sinken der nationalen Legitimationsniveaus einhergeht, ein Beleg dafür, dass die Angleichung der Legitimationsniveaus in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums einen gemeinsamen Auslöser hat. In der Tat ist Abbildung 23 und 27 zu entnehmen, dass die Zeiträume starker Niveaudiskrepanz jeweils durch eine breitere Streuung der Themenfelder gekennzeichnet sind, während die Perioden relativer Ähnlichkeit eine Prägung durch die dominanten Themenfelder Sicherheits- und Entwicklungshilfepolitik sowie institutionelle Fragen erkennen lassen.18 Diese beiden Themen rufen in allen vier Untersuchungsländern jeweils ähnliche Bewertungen der UNO hervor. Dies wird in Abbildung 29 deutlich: In sicherheitspolitischen Zusammenhängen werden die Vereinten Nationen in allen vier Ländern durchweg positiv bewertet, während die Institutionenreformdebatten rund um das Jahr 2005 vor allem delegitimierende Aussagen nach sich ziehen. Dieser Befund erklärt nicht nur, warum es in Phasen hoher Intensität zu einer Angleichung nationaler Legitimationsniveaus kommt, sondern auch das relative Hoch zwischen 2002 und 2003 bzw. das Niveautief 2005. Der Einbruch der Legitimationsniveaus zum Ende des Untersuchungszeitraumes lässt sich demnach vornehmlich auf den misslungenen Reformgipfel 2005 zurückführen, während ein allgemeines Hoch der Legitimationsniveaus bemerkenswerter Weise rund um den Beginn des Irakkrieges 2003 und die damit einhergehende Debatte um die sicherheitspolitische Rolle der UNO erkennbar wird. Anders als viele Experten und Kommentatoren aus der Wissenschaft vermuteten (Johnstone 2004; Morris/Wheeler 2007), nahm die Legitimität der Vereinten Nationen durch den amerikanischen Alleingang keineswegs Schaden, sondern ging daraus sogar gestärkt hervor. Während die UNO real an Bedeutung verlor,
—————— 18 Eine Auswertung der nationalen Intensitätskurven für Themenkontexte macht deutlich, dass dies in Deutschland in geringerem Maße der Fall ist. Das Thema der Außen- und Sicherheitspolitik führt dort zu geringen Ausschlägen.
125
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
wurde ihr in den Öffentlichkeiten Europas und auch der USA verstärkt Vertrauen entgegengebracht. Abb. 29: Legitimationsniveaus nach Themenkontexten im Zeitverlauf (UNO, %) 80
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Sicherheitspol./Entw.hilfe
Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt gezeigt werden konnte, sind die beiden Themenstränge nicht nur an unterschiedliche Legitimationsniveaus gekoppelt, sondern auch an bestimmte Sprechergruppen. Abbildung 25 ließ erkennen, dass die sicherheits- und entwicklungshilfepolitische Debatte vor allem von Vertreterinnen der nationalen politischen Klasse sowie hochrangigen Repräsentanten der UNO selbst getragen wurde und dass die intensiven Diskussionen rund um den Reformgipfel von 2005 in besonderem Maße durch Journalistinnen geprägt waren. Zu fragen ist deshalb, ob und inwiefern sich Statements von Vertreterinnen der politischen Klasse und der schreibenden Zunft hinsichtlich des Legitimationsniveaus unterscheiden. Zeigt sich, wie die vorangegangene Diskussion vermuten lässt, eine deutliche Diskrepanz zwischen den dominanten Sprechergruppen und finden diese ggf. in anderen Gruppen Unterstützerinnen, mit denen sie jeweils eigene Sprecherkoalitionen bilden? Der Urteilstenor einzelner Sprechergruppen gilt uns mit Blick auf die Legitimation der Vereinten Nationen als ein weiterer Indikator. Wir gehen davon aus, dass kritisch gewendete Bewertungen insbesondere dann als problematisch einzuschätzen sind, wenn sie nicht nur von Journalistinnen und Sprecherinnen der
126
HENNING SCHMIDTKE
Zivilgesellschaft, sondern auch von Systemeliten – also Politikerinnen – vorgebracht werden. Abb. 30: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen und Ländern (UNO, %) 80
60
40
20
0 CH Journ.
DE
GB Nat. Pol.
US Int. Pol.
Gesamt Zivilges.
Abbildung 30 zeigt die Legitimationsniveaus für die verschiedenen Sprechergruppen. Sie bestätigt unsere Vermutung. Während für nationale politische Akteure in allen vier Ländern mittlere bis hohe Legitimationsniveaus vorliegen, bewegen sie sich für Journalistinnen jeweils im niedrigen Bereich. Zudem ist zu erkennen, dass sich die Legitimationsdiskurse in den vier untersuchten Demokratien zwischen zwei Koalitionen – jeweils bestehend aus einem »Senior«- und einem »Juniorpartner« – abspielen. Vertreterinnen der Nationalstaaten als Trägerinnen befürwortender Stellungnahmen nehmen häufig im Zusammenspiel mit Sprecherinnen internationaler Organisationen – vor allem aus den Reihen der UNO selbst – am Diskurs teil. Dies verdeutlicht etwa ein Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung, in dem der damalige Schweizer Bundespräsident Villiger mit den Worten zitiert wird, die »Vereinten Nationen seien angesichts der globalen Wohlstandsunterschiede, der zahlreichen gewalttätigen Konflikte in der Welt, des Terrorismus und der Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen nötiger denn je«. Einige Zeilen später wird ihm Generalsekretär Kofi Annan als weiterer Unterstützer der UNO zur Seite gestellt: »Die Schweiz, so Annan, sei ein wunderbares Beispiel dafür, was die Uno bedeute. Sie sei ein hoch
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
127
demokratischer Staat mit einem starken Glauben an die Macht des Rechtes« (NZZ, 11.9.2002). Kritische Töne hingegen lassen sich erwartungsgemäß von Journalistinnen sowie von zivilgesellschaftlichen Sprecherinnen vernehmen. Sie treten jedoch selten in direkter Folge auf, so dass wir vielfach auf Artikel stoßen, in denen mal die eine und mal die andere Gruppe zu Wort kommt. So erhält in einem Artikel der Washington Post der politisch aktive, inzwischen verstorbene Schauspieler Ron Silver die Möglichkeit, über »[…] the United Nations’ failures to resolve human rights abuses, improve economic and social development and enhance world security« (Washington Post, 23.9.2005) zu sprechen, ohne dass er dabei von weiteren delegitimierenden Aussagen des Journalisten unterstützt würde. Die Ergebnisse für das je nach Themenkontext und Sprechergruppe unterschiedliche Legitimationsniveau der Vereinten Nationen lassen folgende Schlüsse zu: Zwar erreichen die vor allem von Systemeliten getragenen Diskurse in drei der vier Untersuchungsländer immerhin ein mittleres Legitimationsniveau, doch wird dieser Befund durch eine Reihe von Beobachtungen eingeschränkt. Insbesondere die starken Schwankungen der Verlaufskurven sowie die Abhängigkeit des Legitimationsniveaus von einem positiv besetzten Thema lassen erkennen, dass die Legitimität der UNO keinesfalls als vollkommen stabil gelten kann. Obwohl die Unterstützung der Vereinten Nationen im Themenkontext der Sicherheits- und Entwicklungshilfepolitik trotz der problematischen Situation rund um die Entscheidung zugunsten des Irakkrieges 2003 recht hoch blieb, ist zu erwarten, dass Ereignisse wie die misslungenen UNO-Friedenseinsätze zu Beginn der 1990er Jahre oder die jahrzehntelange Blockade des Sicherheitsrates durch den Kalten Krieg in Zukunft ohne weiteres zu einem Einbruch der im Moment durch ihre Rolle in der Sicherheitspolitik getragenen Legitimität der Vereinten Nationen führen könnten.
5.3
Legitimationsobjekte: Breite Basis und zwei Zielscheiben
Ähnlich wie die anderen politischen Ordnungen, deren Legitimation im vorliegenden Buch untersucht wird, besteht auch die UNO aus einer Reihe von Unterorganisationen, beruht auf institutionellen Prinzipien und wird letztlich durch das Handeln politischer Akteure mit Leben erfüllt. Diese
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HENNING SCHMIDTKE
Teilaspekte sind es, die eine politische Ordnung ausmachen und die wir deshalb als Legitimationsobjekte berücksichtigen. Mit Blick auf die Legitimation der Vereinten Nationen fragen wir deshalb, welche dieser Teilelemente besonders im Fokus des öffentlichen Interesses stehen und ob einige Objekte zu ausgesprochenen Zielscheiben der Kritik oder im Gegenteil zu Legitimationsankern werden. Während das Vorherrschen von Zielscheiben – also die besonders negative Bewertung zugleich vergleichsweise häufig genannter Objekte – zu einer Erosion der Legitimität der Vereinten Nationen beitragen könnte, ließe sich die Beobachtung von Ankerinstitutionen – die vergleichsweise positive Bewertung oft diskutierter Objekte – als stabilisierender Faktor verstehen. Wir unterscheiden erneut vier Objektgruppen, die jeweils eine Reihe von Einzelobjekten umfassen: die Vereinten Nationen als politisches System und die zugehörige politische (Welt-)Gemeinschaft als Ganze (I), die Regimeprinzipien der UNO (II), ihre Kerninstitutionen (III) sowie die sie repräsentierenden Akteursgruppen (IV). Unsere in Kapitel 3 vorgestellte Objekthierarchie wurde dabei den Eigenheiten der Vereinten Nationen angepasst. So haben wir in die Gruppe der Regimeprinzipien den für die UNO zentralen Grundsatz der kollektiven Sicherheit sowie die Charta als Pendant zur nationalstaatlichen Verfassung aufgenommen. Im Bereich der Institutionen differenzieren wir trotz der weitaus komplexeren Organisationsstruktur der Vereinten Nationen lediglich zwischen ihren sechs Hauptorganen: dem Generalsekretariat bzw. dem Amt des Generalsekretärs, dem Sicherheitsrat, dem Internationalen Gerichtshof, der Generalversammlung und dem Wirtschafts- und Sozialrat sowie dem Treuhandrat. Wie erwähnt gehen wir davon aus, dass es für Legitimationsdiskurse von Bedeutung ist, auf welche Objektgruppen sie sich konzentrieren. Dementsprechend wäre die Legitimation der UNO als angegriffen einzuschätzen, wenn die Vereinten Nationen als Ganze nur ein niedriges Legitimationsniveau aufwiesen und zur Zielscheibe der öffentlichen Kritik avancierten. Sollte sich die Kritik hingegen – ähnlich wie in weiten Teilen der wissenschaftlichen Literatur (Gray 2007; Morris/Wheeler 2007) – vornehmlich auf einzelne Organe wie etwa den UNO-Sicherheitsrat beziehen, wäre die Legitimität der Vereinten Nationen weit weniger bedroht. Neben dieser Frage greifen wir im Folgenden auch das Thema der Politisierung der UNO erneut auf und gehen auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten der nationalen Diskurse ein. Abb. 31: Legitimationsobjektgruppen nach Ländern (UNO, %)
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CH
DE
GB
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Gesamt 0%
20% I
40% II
60% III
80%
100% IV
Ein erster Blick auf die Häufigkeitsverteilungen der Legitimationsobjekte (Abb. 31) macht zweierlei deutlich: Erstens konzentrieren sich die Legitimationsdebatten im Wesentlichen auf zwei Objektgruppen. Die Weltorganisation als Ganze (I) sowie die Institutionen der UNO (III) machen den Kern des Diskurses aus. Die Regimeprinzipien der UNO (II) und die Akteursgruppen (IV) sind von deutlich untergeordneter Bedeutung. Mit einer Häufigkeit von 58,2 Prozent wird die erste Gruppe nahezu doppelt so häufig Ziel (de-)legitimierender Aussagen, wie dies für die Gruppe der Institutionen (29,1 Prozent) der Fall ist. Im Gegensatz zu unserer Ausgangsvermutung einer starken Konzentration des Diskurses auf den für sicherheitspolitische Fragen zentralen UNO-Sicherheitsrat beobachten wir also überwiegend (de-)legitimierende Aussagen, die die Vereinten Nationen als Ganze und nicht einen ihrer Teilaspekte ansprechen: »Die Vereinten Nationen werden als ein außenpolitisches Werkzeug angesehen, das manchmal nützlich und manchmal überflüssig sein kann« (SZ, 22.9.2004). Zweitens erhält die Vermutung der Gleichförmigkeit der nationalen Diskurse, die nach der Auswertung des Legitimationsniveaus nur bedingt Bestand zu haben schien, neue Unterstützung. In allen vier Ländern dominieren die beiden angesprochenen Objektgruppen (I, III), während weder Akteure (IV) noch Regimeprinzipien (II) eine entscheidende Rolle spielen. Eine Einzelauswertung der Objekte unterstreicht dieses Ergebnis, da ne-
130
HENNING SCHMIDTKE
ben dem Gesamtgefüge UNO vor allem der Sicherheitsrat und die Generalversammlung Kritik und Unterstützung erhalten (Tabelle 12). Tabelle 12: Legitimationsobjekte und Legitimationsniveaus (UNO) Legitimationsobjekte
Politisches System und politische Gemeinschaft als Ganze (I) Politisches System Politische Gemeinschaft Regimeprinzipien (II) Kollektive Sicherheit Völkerrecht Demokratie Einzelinstitutionen (III) Generalversammlung Sicherheitsrat Generalsekretär/-sekretariat Akteursgruppen (IV) Mitgliedstaaten Politische Eliten N = 1116
%
Legitimationsniveau ( %)
58,3 54,5 3,8
44,6 46,4 19,0
7,6 5,0 1,8 0,7
72,9 73,2 70,2 87,5
29,5 13,7 11,9 2,0
12,9 13,7 13,5 13,6
5,0 4,4 0,6
14,3 12,2 28,6
100,0
36,0
Dargestellt sind die Prozentanteile und Legitimationsniveaus der vier Objektgruppen und der (bis zu) drei häufigsten Legitimationsobjekte in jeder Gruppe.
Auch die Auswertung der Objekthäufigkeiten über den Untersuchungszeitraum hinweg lässt keine größeren Unterschiede zwischen den nationalen Diskursen erkennen (Abb. 32). Es kommt in allen Ländern zu einer vergleichbaren Annäherung der Prozentanteile der beiden zentralen Objektgruppen. Während wir zunächst eine Dominanz von Bewertungen der UNO als Gesamtgebilde erkennen, die sich 2001 nochmals erhöht, beobachten wir für den Rest unseres Untersuchungszeitraums eine Annäherung, die 2005 in eine kurzfristige Umkehr der Rangfolge mündet. Die Analyse zeigt: Bei den Legitimationsobjekten lassen sich die nationalen Diskurse kaum voneinander unterscheiden.
131
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
Abb. 32: Legitimationsobjektgruppen im Zeitverlauf (UNO, %) 80
60
40
20
0 1998
1999
2000 I
2001
2002 II
2003
2004 III
2005
2006
2007 IV
Auch wird deutlich, dass eine Politisierung einzelner Legitimationsobjekte oder Objektgruppen – also eine Zunahme bewertender Aussagen zu diesen Objekten oder Gruppen – nicht zu erkennen ist. Vielmehr scheinen sich die relativen Unterschiede zwischen den Gruppen entlang der Aufmerksamkeitszyklen (Abb. 22) zu entwickeln. So markiert die wachsende Zahl von Statements, die die UNO als Ganze (de-)legitimieren, den Beginn der sicherheitspolitisch geprägten Legitimationsdebatte. Dieses Hoch geht in den Folgejahren langsam zurück. Die 2003 beginnende Diskussion um die Legitimität der institutionellen Struktur der Vereinten Nationen im Jahr 2005 führt dazu, dass sich Legitimationsstatements in besonders starkem Maße mit einzelnen UNO-Institutionen und hier vor allem mit dem Sicherheitsrat und der Generalversammlung beschäftigen. Es wird deutlich, dass der Sicherheitsrat nicht etwa im Zentrum der sicherheitspolitischen Debatte steht, sondern erst im Zuge der anschließenden Institutionenreform an Bedeutung gewinnt. Gerade im Jahr des Reformgipfels wird gehäuft offenbar, was Kritikerinnen den Vereinten Nationen vorhalten: Die UN müssen aus ihrer Sinnkrise geführt werden, der Verein braucht eine neue Legitimation, weil die alte aufgebraucht ist. Sinnbild für diese Abnutzung ist – institutionell betrachtet – der Sicherheitsrat in seiner Zusammensetzung von 1945
(SZ, 15.9.2005).
132
HENNING SCHMIDTKE
Abb. 33: Legitimationsniveaus nach Legitimationsobjektgruppen und Ländern (UNO, %) 100 80 60 40 20 0 CH
DE I
GB II
US III
Gesamt IV
Doch wie steht es um die Legitimationsniveaus der einzelnen Objektgruppen? Deutet die starke Konzentration der Diskurse auf die Weltorganisation als Ganze auf eine ausgeprägte Bedrohung ihrer Legitimität hin oder erfreut sie sich einer starken Legitimationsbasis? Abbildung 33 macht zwei Dinge deutlich. Zunächst hat die Ähnlichkeit der nationalen Diskurse auch bezüglich der Legitimationsniveaus einzelner Objekte Bestand. Der Sicherheitsrat und die Generalversammlung (III) ziehen in allen vier Ländern negative Legitimationsaussagen wie die folgende auf sich: [Es] sollte nicht nur der Sicherheitsrat reformiert werden, dessen Zusammensetzung und Verfahrensweisen auf die internationale Ordnung von 1945 zurückgehen. Auch andere Organe der Vereinten Nationen funktionieren längst nicht optimal (FAZ, 27.9.2006).
Dagegen erreichen Bewertungen der UNO als Ganzer (I) jeweils ein mittleres und Regimeprinzipien (II) – insbesondere das der kollektiven Sicherheit – sogar ein hohes Legitimationsniveau. Lediglich für die Objektgruppe der Akteure (IV) bestehen zwischen den Ländern leichte Unterschiede. So nehmen die Eidgenossinnen diese beispielsweise gar nicht zur Kenntnis, während britische und amerikanische Sprecherinnen ihnen zumindest ein gewisses Maß an positiven Bewertungen zuteil werden lassen.
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
133
Der Legitimationsdiskurs zu den Vereinten Nationen ist von einer starken Bindung an das Gesamtgebilde UNO und der Präsenz eines Legitimationsankers in Form des Prinzips kollektiver Sicherheit geprägt. Hinzu kommen zwei Zielscheiben der Kritik. Während die gesamte Organisation (I) und eines ihrer Kernprinzipien überwiegend positiv bewertet werden, so dass »[d]ie Grundgedanken eines Systems der kollektiven Sicherheit, wie es die Vereinten Nationen darstellen, […] unverändert attraktiv [erscheinen]« (FAZ 13.9.2002), stellen insbesondere Sicherheitsrat und Generalversammlung Zielscheiben der Kritik dar. Deshalb macht z.B. der ehemalige Schweizer Bundespräsident Pascal Couchepin deutlich, dass »[d]ie Schweiz […] sich sowohl für eine Revitalisierung der träge gewordenen Generalversammlung als auch für eine Erweiterung des Sicherheitsrates [einsetze], der künftig die veränderte Welt besser repräsentieren müsse« (NZZ, 24.9.2003). Es bleibt zu klären, ob die Sprecherkoalitionen zwischen politischen Eliten auf der einen und Journalistinnen sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren auf der anderen Seite auch hinsichtlich der Legitimationsniveaus einzelner Objektgruppen zu beobachten sind. Dies ist in Abbildung 34 zu erkennen. Journalistinnen wie Vertreterinnen der Zivilgesellschaft weisen für die beiden zentralen Objektgruppen (I und III) sowie für die weniger häufig verwendeten Gruppen II und IV niedrige Legitimationsniveaus auf. Für Sprecherinnen nationaler Regierungen und internationaler Organisationen zeigen sich lediglich bei Legitimationsstatements zu einzelnen Institutionen vergleichbar niedrige Niveaus. Wir sehen demnach unsere Vermutung der zwei Sprecherkoalitionen bestätigt. Während sich das Bündnis zwischen Journalistinnen und Zivilgesellschaft vornehmlich der kritischen Bewertung einzelner Institutionen, aber auch der UNO insgesamt verschrieben hat, treten die Repräsentanten nationaler politischer Ordnungen und internationaler Regierungsorganisationen an, um die Legitimität der Vereinten Nationen sowie deren Prinzip der kollektiven Sicherheit zu stützen. Insgesamt hat nach der Untersuchung der Legitimationsobjekte die Diagnose einer relativ gefestigten Legitimität der UNO weiterhin Bestand. Es werden zwar nicht alle Objektgruppen durchweg positiv bewertet. Doch dank einer Koalition aus nationaler und internationaler Politik erfahren insbesondere das Gesamtgebilde der Vereinten Nationen, das in allen vier Ländern das zentrale Objekt der Debatten darstellt, und in geringerem Umfang das Prinzip der kollektiven Sicherheit mittlere bis hohe Unterstüt-
134
HENNING SCHMIDTKE
zung. Sehr viel negativer werden vor allem die Organe Sicherheitsrat und Generalversammlung bewertet. Die im vorangegangen Abschnitt herausgestellten Schwankungen der Legitimationsniveaus werden demnach vor allem durch delegitimierende Urteile zu einer nachgeordneten Objektkategorie hervorgerufen. Die Vereinten Nationen als Organisation der global organisierten kollektiven Sicherheit werden in den vier untersuchten Demokratien weitgehend für legitim gehalten, es gibt jedoch ähnlich wie im wissenschaftlichen Diskurs starke Zweifel an der Ausgestaltung ihrer Organe (Barnett 1997). Abb. 34: Legitimationsniveaus nach Sprecher- und Legitimationsobjektgruppen (UNO, %) 100 80 60 40 20 0 Journ. I
5.4
Zivilges. II
Int. Pol.
Nat. Pol.
III
IV
Legitimationsmuster und -stile: Spezifische Kritik, pauschale Rechtfertigung
Wie werden Unterstützung und Kritik der UNO begründet, welche Kriterien werden zu ihrer Bewertung verwendet und welche Argumentationsstile prägen den Legitimationsdiskurs? Es macht sicher einen Unterschied, ob der ehemalige Schweizer Bundespräsident Joseph Deiss Kritik am »undemokratischen Veto« im Sicherheitsrat (Tagesanzeiger, 22.9.2004) übt oder ob ein Argument ohne Bezug zu Kriterien demokratischer Qualität vorge-
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
135
bracht wird: »Darfur shows the weakness of the UN, acknowledging a duty of protection but unable to implement it« (Guardian, 20.9.2006). Auf der Grundlage dieser Unterscheidung zwischen demokratie- und nicht-demokratiebezogenen Legitimationsmustern sowie der rechtfertigenden oder kritischen Wendung dieser Argumente definieren wir vier Legitimationsstile. Während die Legitimation der UNO anhand demokratiebezogener Argumente (Stil IV) als Anzeichen für eine besonders starke Unterstützung zu werten ist, stellen Rechtfertigungen unter Bezug auf nicht-demokratiebezogene Legitimationsmuster (Stil III) sowie Kritik mit Hilfe demokratiebezogener Argumente (Stil I) eine Zwischenzone dar. Als besondere Gefährdung der Legitimität der UNO verstehen wir eine Dominanz von Legitimationsaussagen vor einem nicht-demokratiebezogenen Hintergrund (Stil II). Neben der Zweiteilung in demokratiebezogene und nicht-demokratiebezogene Legitimationsmuster differenzieren wir zwischen Input- und Output-Argumenten; die 29 von uns unterschiedenen Einzelmuster fallen also letztlich in vier Gruppen – demokratiebezogener Input (DI), demokratiebezogener Output (DO), nicht-demokratiebezogener Input (NDI) und nicht-demokratiebezogener Output (NDO) – sowie eine fünfte Kategorie von unspezifischen Bewertungen. Mit Blick auf die Legitimation der UNO spielt auch der Urteilstenor einzelner Legitimationsmuster eine wichtige Rolle. Wir gehen davon aus, dass die Koppelung eines hohen Legitimationsniveaus mit besonders häufig verwendeten Argumenten auf Legitimationsressourcen – also auf für die UNO besonders wertvolle Legitimationsmuster – hindeutet. Schließlich behandelt dieser Abschnitt einen weiteren Aspekt der These von der Politisierung internationaler Institutionen. Sie geht davon aus, dass ein Mehr an gesellschaftlichen Kontroversen um internationales Regieren mit einer Zunahme kritischer Bewertungen der demokratischen Qualität der bewerteten Organisationen einhergeht (Zürn u.a. 2007: 150). Von einer Politisierung der Vereinten Nationen wäre also bei einer Zunahme demokratiebezogener Legitimationsstatements über den Untersuchungszeitraum hinweg zu sprechen. Ein Blick auf die Häufigkeitsverteilung der Mustergruppen (Abb. 35) offenbart zunächst einen mit 23,2 Prozent bemerkenswert hohen Anteil unspezifischer Legitimationsstatements. Sie repräsentieren oft eine spezielle Form von Statements, die in der wissenschaftlichen Literatur unter der Überschrift der kollektiven Legitimation verhandelt werden (Claude 1966; Voeten 2005). Hierbei handelt sich um Bewertungen der folgenden Art:
136
HENNING SCHMIDTKE
»Nur die UN schaffen Legitimität« (SZ, 25.9.2003). In dieser und vielen anderen Formulierungen nehmen Sprecherinnen augenscheinlich an, dass die UNO über eine stark ausgeprägte Legitimität verfügt und in der Lage ist, diese – ähnlich dem Modell der Legitimationskette (Böckenförde 1991) – auf andere Aspekte des internationalen Regierens, wie etwa den Einsatz »externer Zwangsgewalt« (FAZ, 24.9.2007), zu übertragen. Auf eine Begründung ihrer Legitimationszuschreibung verzichten Sprecherinnen in dieser Art der Aussagen häufig ganz. Abb. 35: Legitimationsmustergruppen nach Ländern (UNO, %) CH DE
GB
US Gesamt 0%
20% DI
40% DO
NDI
60% NDO
80%
100%
unspez./andere
Neben dem auffällig hohen Anteil der unspezifischen Bewertungen beobachten wir ein starkes Gewicht von Legitimationsurteilen anhand nichtdemokratiebezogener Kriterien. Fast ein Drittel aller Legitimationsstatements ist mit dem nicht-demokratiebezogenen Output der Vereinten Nationen (31,0 Prozent) verbunden. Von besonderer Bedeutung sind innerhalb dieser Gruppe die Kriterien der Effektivität (12,9 Prozent) und der Förderung politischer Stabilität (7,3 Prozent). So kommt beispielsweise der scheidende Generalsekretär Kofi Annan mit der folgenden Bewertung der Effektivität der UNO im Tagesanzeiger vom 20. September 2006 zu Wort: In all ihren Kernaufgaben – dem Schutz der Menschenrechte, der globalen Sicherheit und der Entwicklung – habe die UNO in seiner Amtszeit zwar durchaus Fort-
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
137
schritte gemacht. »Doch die drei Herausforderungen sind in den letzten zehn Jahren nicht gelöst worden, sondern haben sich weiter verschärft«.
Zur Dominanz nicht-demokratiebezogener Legitimationsmuster trägt ferner eine Reihe von Bewertungen des politischen Prozesses (NDI) der Vereinten Nationen bei (21,7 Prozent). So zeigt sich z.B. die New York Times unzufrieden mit den traditionellen Strukturen des Sicherheitsrates, wenn sie schreibt: »The composition of the Council, with its five most powerful members unchanged since the end of World War II, rankles many nations« (21.9.1999). Insgesamt machen diese beiden Gruppen (NDI und NDO) mehr als die Hälfte (52,7 Prozent) aller Legitimationsstatements aus und treten somit mehr als doppelt so häufig in Erscheinung wie demokratiebezogene Legitimationsmuster (24,1 Prozent). Die UNO als klassische internationale Organisation wird somit in der Tat, wie eingangs vermutet, weiterhin vornehmlich anhand der üblichen Effektivitätsmaßstäbe zwischenstaatlicher Politik bewertet. Anders als bei nicht-demokratiebezogenen Mustern dominieren innerhalb der demokratiebezogenen Muster die Input-Kriterien. Ein illustratives Beispiel dafür bietet ein vielschichtiges Zitat des damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac: »There is no alternative to the United Nations... Multilateralism is the key, for it ensures the participation of all in the management of world affairs. It is a guarantee of legitimacy and democracy« (Times, 24.9.2003). Mit einem Gesamtanteil von 18,4 Prozent ist die Gruppe der demokratiebezogenen Input-Kriterien (DI) der Häufigkeit nach vergleichbar mit nicht-demokratiebezogenen Input-Kriterien (NDI) sowie den nicht genauer spezifizierten Bewertungen. Noch häufiger ist, wie bereits erwähnt, die Gruppe der nicht-demokratiebezogenen Output-Kriterien (NDO), mit knapp sechs Prozent sehr viel seltener hingegen die der demokratiebezogenen Output-Muster (DO). Nicht-demokratiebezogene Argumente dominieren also deutlich. Nationale Unterschiede sind dabei kaum zu erkennen. Trotz leichter Abweichungen ist die Dominanz dieser Argumente und hier insbesondere die starke Konzentration auf den Output der Vereinten Nationen durchweg gegeben. Dieser Befund ist über unseren Untersuchungszeitraum hinweg relativ stabil. Zwar kommt es auch hier wie bei Legitimationsintensität, Niveau und Objekten zu zyklischen Schwankungen, doch ein Trend kristallisiert sich nicht heraus. Entgegen der Vermutung von Zürn u.a. (2007) verlagern sich die Legitimationsdiskurse zu den Vereinten Nationen also auch nicht weg von nicht-demokratiebezogenen und hin zu demokratie-
138
HENNING SCHMIDTKE
bezogenen Bewertungskriterien. Letztere machen über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg nur einen geringen Teil der Legitimationsmuster aus, so dass auch diesbezüglich keine eindeutigen Belege für einen Politisierungsprozess der UNO zu identifizieren sind. Abb. 36: Legitimationsniveaus nach Legitimationsmustergruppen und Ländern (UNO, %) 80
60
40
20
0 CH DI
DE DO
GB NDI
US NDO
Gesamt unspez./andere
Die Diskurse scheinen sich also auch mit Bezug auf Legitimationsmuster zu gleichen. Es bleibt zu klären, ob dieser Befund unter Berücksichtigung der Legitimationsniveaus Bestand hat. Abbildung 36 verrät, dass dies nur bedingt der Fall ist. So weisen zwar für Deutschland, Großbritannien und die USA vier der fünf Gruppen (DI, DO, NDI, NDO) niedrige bis mittlere Legitimationsniveaus auf, die lediglich durch ein hohes Niveau für die Gruppe der unspezifischen Bewertungen ausgeglichen werden, doch weichen die Ergebnisse für den Schweizer Diskurs ab. Hier sind nämlich neben unspezifischen Aussagen auch demokratiebezogene Output-Kriterien mit einem hohen, nicht-demokratiebezogene Output-Kriterien mit einem immerhin mittleren Legitimationsniveau verbunden. Während sich das insgesamt mittlere Legitimationsniveau der UNO in Großbritannien und den USA vornehmlich aus unspezifischen Bewertungen speist, scheint die Unterstützung der Vereinten Nationen im Schweizer Diskurs auf mehrere Säulen verteilt zu sein. Zieht man jedoch die Häufigkeitsverteilung der
139
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
Mustergruppen in Betracht, wird deutlich, dass die beobachteten Unterschiede bezüglich des Urteilstenors letztlich eine untergeordnete Rolle spielen. So fallen die verschieden hohen Legitimationsniveaus für demokratiebezogene Output-Kriterien nur bedingt ins Gewicht, weil diese Gruppe in allen vier Untersuchungsländern nur selten Verwendung findet. Insgesamt lässt sich demnach festhalten, dass sich die vier untersuchten Diskurse auch mit Blick auf die Legitimationsniveaus der verschiedenen Mustergruppen ähneln. Für die Einschätzung der Legitimität der Vereinten Nationen bedeutet dieser Befund: Das mittlere Legitimationsniveau wird insbesondere durch unspezifische Legitimationsstatements getragen, während weder demokraTabelle 13: Legitimationsmuster und Legitimationsniveaus (UNO) Legitimationsmuster
%
Legitimationsniveau (%)
Demokratiebezogener Input (DI) Partizipation Legalität Glaubwürdigkeit
18,4 5,4 4,2 3,2
24,9 11,7 30,4 30,6
Nicht-demokratiebezogener Input (NDI) Handlungsfähigkeit Mäßigung Tradition
21,7 6,9 5,3 3,1
16,9 19,5 25,4 11,4
5,7 3,4 2,2 0,1
37,5 53,8 8,3 100,0
Nicht-demokratiebezogener Output (NDO) Effektivität Förderung politischer Stabilität Effizienz
31,0 12,9 7,3 3,0
37,3 20,8 81,7 12,1
Unspezifisch/Andere
23,2
60,6
N = 1116
100,0
36,0
Demokratiebezogener Output (DO) Schutz der Menschenrechte Gemeinwohlförderung »empowerment«
Dargestellt sind die Prozentanteile und Legitimationsniveaus der vier Mustergruppen sowie der unspezifischen Legitimationsstatements und die Legitimationsniveaus der drei häufigsten Legitimationsmuster in jeder Gruppe.
140
HENNING SCHMIDTKE
tiebezogene noch nicht-demokratiebezogene Muster eine besondere Quelle der Legitimität darstellen. Dieses Ergebnis wird durch eine Auswertung des Legitimationsniveaus für die jeweiligen Einzelmuster weitgehend bestätigt (Tabelle 13). So finden wir eine Vielzahl delegitimierender Aussagen, die z.B. kritisieren, dass »[…] der [Sicherheits-]Rat seine Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit verloren [habe] und […] nicht mehr das Vertrauen der Weltgemeinschaft [genieße]« (FAZ, 21.9.2006) und mithin eine Fülle von Einzelmustern, die ausgesprochen niedrige Legitimationsniveaus aufweisen. Einzig der Beitrag der UNO zu Stabilität – und dass »die Vereinten Nationen […] für mehr Ordnung in der Welt sorgen« (SZ, 25.9.2003) – kristallisiert sich mit einer Häufigkeit von gut sieben Prozent und einem hohen Legitimationsniveau von 81,7 Prozent als Legitimationsressource heraus und bildet so eine weitere Stütze der Legitimität der Vereinten Nationen. Dieses Muster kann als Pendant zu dem im vorangegangenen Abschnitt herausgearbeiteten Legitimationsanker der kollektiven Sicherheit verstanden werden, weil es sich ebenso wie dieses Legitimationsobjekt auf die Kernaufgabe der UNO – die Gewährleistung kollektiver Sicherheit – bezieht. Diese Interpretation verdeutlicht nochmals: Die Legitimität der Vereinten Nationen entspringt insbesondere ihrer Funktion der global organisierten kollektiven Sicherheit. Zu untersuchen bleibt, ob dieser Befund mit einer Dominanz des besonders problematischen Legitimationsstils II – Kritik an der UNO anhand nicht-demokratiebezogener Kriterien – oder vielmehr des Stils III – ihrer Rechtfertigung unter Bezug auf nicht-demokratiebezogene Kriterien – einhergeht. Wir fragen also unter Ausklammerung unserer Restkategorie der unspezifischen Legitimationsstatements nach der Häufigkeitsverteilung der vier Legitimationsstile. Das Ergebnis ist deutlich. Wie Abbildung 37 erkennen lässt, wird die UNO in allen vier Untersuchungsländern nur selten mit nicht-demokratiebezogenen Argumenten legitimiert. Legitimationsstil II nimmt jeweils mit deutlichem Abstand eine dominierende Stellung im Diskurs ein. Mit einem Anteil von 48,8 Prozent tritt diese Art von negativen Bewertungen mehr als doppelt so häufig auf wie Statements, die dem Legitimationsstil I entsprechen, also auf Demokratiedefizite verweisen. Insgesamt sind diese beiden Legitimationsstile, die jeweils auf Legitimationsprobleme der UNO hindeuten, in weit mehr als zwei Dritteln aller Statements, in denen explizit Bewertungskriterien verwendet werden, präsent. Obwohl wir für die Vereinten Nationen mit 36 Prozent ein mittleres Legitimationsniveau, insbesondere in Bewertungen der Organisation als
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UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
Ganzer, beobachten, gibt die Vorherrschaft von Statements, die den Legitimationsstilen I und II entsprechen, Anlass zu Zweifeln an diesem Befund. Abb. 37: Legitimationsstile nach Ländern (UNO, %) CH
DE
GB
US
Gesamt 0%
20% I
40% II
60%
80% III
100% IV
N=857.
Wie passen die präsentierten Ergebnisse also zusammen? Um den Eindruck zu relativieren, dass die UNO trotz insgesamt mittlerem Legitimationsniveau und der Verankerung ihrer Legitimität im Prinzip der kollektiven Sicherheit von einem Mangel nicht-demokratiebezogener Legitimation bedroht zu sein scheint, müssen zwei Faktoren bedacht werden: Erstens gilt es Bewertungen ohne Bezug auf spezifische Kriterien, die knapp ein Viertel des gesamten Korpus ausmachen, zu bedenken. Mit einem hohen Legitimationsniveau von 60,6 Prozent bilden diese unspezifischen Aussagen ein starkes Gegengewicht zu den beobachteten delegitimierenden Argumentationsweisen und stellen somit eine wichtige Legitimationsressource dar. Neben der Häufigkeit dieser Art von Legitimationsstatements ist auch ihre inhaltliche Bedeutung zu bedenken. Unser Forschungsansatz geht davon aus, dass politische Akteure in öffentlichen Legitimationsauseinandersetzungen Kriterien definieren, Normen aufstellen oder auf Normen Bezug nehmen müssen, an denen sich die Anerkennungswürdigkeit
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HENNING SCHMIDTKE
einer politischen Ordnung bemisst. Der Verzicht auf eine explizite Begründung – das Legitimationsmuster – ist mithin insbesondere dann anzunehmen, wenn eine Sprecherin die Unstreitigkeit ihrer Aussage als gegeben ansieht. Sobald Akteure davon ausgehen, dass die Legitimität einer politischen Ordnung innerhalb der diskursiven Arena, in der die Aussage vorgebracht wird, als Konsens begriffen wird, erübrigt sich eine Begründung von Legitimitätszuschreibungen. In qualitativer Hinsicht scheint der hohe Anteil dieser Art legitimierender Bewertungen der UNO demnach darauf hinzudeuten, dass eine Reihe von Sprecherinnen die Legitimität der Vereinten Nationen für unstrittig hält. Abbildung 38 lässt erkennen, dass dies für die Koalition aus nationalen und internationalen Politikerinnen in der Tat zutrifft. Da diese beiden Gruppen für über 60 Prozent aller unspezifischen Legitimationsstatements verantwortlich sind und diese zudem in über 70 Prozent der Fälle positiv gewendet einsetzen, können wir festhalten, dass die Sprecherkoalition der Politikerinnen tief von der Legitimität der UNO überzeugt ist. Wie wir im Zusammenhang mit der Untersuchung der Legitimationsobjekte festgestellt haben, ist die Mehrheit legitimierender Statements dieser Sprecherkoalition an die UNO als Ganze geknüpft. Es verwundert deshalb nicht, dass ein ähnlicher Zusammenhang auch zwischen Legitimationsobjekten und -kriterien besteht. Eine große Zahl von LegitimationsAbb. 38: Legitimationsniveaus nach Demokratiebezug und Sprechergruppen (UNO, %) 80
60
40
20
0 Journ. demokratiebezogen
Zivilges.
Int. Pol.
nicht-demokratiebezogen
Nat. Pol. unspez./andere
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UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
statements bleibt nicht nur hinsichtlich ihres Objekts, sondern auch mit Blick auf Legitimationsmuster auf einer allgemeinen Ebene: Bisher herrschte Einvernehmen darüber, daß Staaten, die […] entscheiden, Gewalt gegen größere Bedrohungen des internationalen Friedens und der Sicherheit anzuwenden, dafür die einzigartige Legitimität der UN benötigen (Kofi Annan in der FAZ, 24.9.2003).
Das von einem Politiker in einem sicherheitspolitischen Kontext vorgetragene Legitimationsstatement bewertet die Vereinten Nationen als Gesamtorganisation und verzichtet gänzlich auf eine Begründung der Einschätzung, die UNO sei legitim. Es sind diese »Nicht-Argumentationen«, die die Legitimität der Vereinten Nationen in allen vier Untersuchungsländern tragen, sowohl die Schwankungen des Legitimationsniveaus als auch das Vorherrschen der Legitimationsstile I und II zu guten Teilen ausgleichen und so die Legitimität der UNO stabilisieren. Der zweite Faktor, der in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden muss, ist die Entwicklung der Legitimationsstile über den Untersuchungszeitraum hinweg. Obgleich keine Zunahme von Legitimationsstatements erkennbar ist, die auf eine Stabilisierung demokratischer Legitimation (IV) oder auch des Legitimationsstils III (nicht-demokratiebezogene Abb. 39: Legitimationsstile im Zeitverlauf (UNO, %) 80
60
40
20
0 1998
1999 I
N=857.
2000
2001
2002 II
2003
2004 III
2005
2006
2007 IV
144
HENNING SCHMIDTKE
Rechtfertigung) hindeuten (Abb. 39), lässt sich zumindest ein leichter Rückgang des besonders problematischen Legitimationsstils II ab 2005 – verbunden mit einen Anstieg des immerhin auf demokratiebezogenen Argumenten fußenden Delegitimationsstils I – ausmachen. Ferner lässt die Entwicklung der Verlaufskurven auf eine ähnliche Bindung an Aufmerksamkeitszyklen schließen, wie wir sie bereits für Legitimationsniveaus und -objekte zeigen konnten. Während das Einsetzen der sicherheitspolitischen Debatte 2002 nicht nur zu einer Annäherung zwischen den Niveaus, sondern insbesondere auch zu einem deutlichen Rückgang von Legitimationsstatements des Stils II beiträgt, lässt das »krachende Scheitern« (FAZ, 15.9.2005) des Reformgipfels von 2005 diese wieder in die Höhe schnellen. In diesem Jahr ist es vor allem der »Jubiläumsgipfel der Uno, der nicht hält, was man sich davon versprochen hat« (Tagesanzeiger, 14.9.2005) und deshalb Kritik auf sich bzw. die Generalversammlung zieht. Trotz des Vorherrschens delegitimierender Aussagen, die sich auf nicht-demokratiebezogene Maßstäbe stützen, verfügen die Vereinten Nationen in allen vier Untersuchungsländern über eine letztlich stabile Legitimationsbasis. Die Sprecherkoalition aus nationalen und internationalen Politikerinnen verleiht der UNO durch die Verwendung unspezifischer Legitimationszuschreibungen eine besondere, wenig argumentativ untermauerte Form der Unterstützung. Die allgemein gehaltenen Formulierungen erwecken den Anschein der Unumstrittenheit der Legitimität der UNO.
5.5
Zusammenfassung
Ziel dieses Kapitels war die Darstellung des Legitimationsprofils der Vereinten Nationen in vier westlichen Demokratien. Es sollten zwei Fragen beantwortet werden: Kann die UNO erstens auf eine gesicherte Legitimationsbasis bauen und somit als starker Akteur im Rahmen internationalen Regierens gelten oder trägt sie vielmehr die Bürde prekärer oder gar krisenhafter Legitimität, die auch ihr Wirken beeinträchtigt? Zweitens sollten durch den Vergleich vierer westlicher Demokratien mit jeweils unterschiedlichen Bezügen zu den Vereinten Nationen Unterschiede und Gemeinsamkeiten nationaler Diskurse herausgearbeitet und somit der Frage
UNO – GESPALTENE LEGITIMITÄT
145
spezifischer Diskurskulturen mit Blick auf die Legitimation der Vereinten Nationen nachgegangen werden. Für den zweiten dieser beiden Fragenkomplexe ergeben unsere Untersuchungen letztlich ein klares Bild. Obwohl unsere Länderauswahl nicht nur Unterschiede hinsichtlich des UNO-Bezuges maximiert, sondern auch unterschiedliche Varianten des Regimetyps liberale Demokratie abdeckt, ähneln sich die vier untersuchten Diskurse sehr, so dass von ausgeprägten nationalen Kulturen im Kontext von Legitimationsdiskursen zu den Vereinten Nationen kaum die Rede sein kann. Zwar deutet die unterschiedliche Verteilung der Sprechergruppen darauf hin, dass Journalistinnen in Deutschland und Großbritannien etwas anders verfahren, um ihre Bewertungen der UNO zu transportieren, als dies ihre Kolleginnen in der Schweiz und den USA tun. Doch machen die erheblichen Gemeinsamkeiten der Diskurse in den Bereichen Legitimationsintensität, -niveaus, -objekte und -muster diesen Unterschied durchaus wett. Die Legitimität der UNO ist in allen Untersuchungsländern ein umstrittenes Thema, das insbesondere unter Bezug auf die Organisation als Ganze und deren Hauptorgane und vor dem Hintergrund der Legitimationsstile I (Delegitimation anhand von demokratiebezogenen Kriterien) und II (Delegitimation unter Bezug auf nicht-demokratiebezogene Muster) diskutiert wird. Tabelle 14: Formen der Legitimation der Vereinten Nationen
Sprecherkoalition
Bewertungstenor Themenkontext Legitimationsobjekt Legitimationsmuster
Form I
Form II
Nationale und internationale Politikerinnen Positiv Sicherheitspolitik UNO als Weltorganisation Allgemeine Bewertungen
Journalistinnen und zivilgesellschaftliche Sprecherinnen Negativ Institutionelle Fragen Institutionen der UNO Demokratiebezogene und nicht-demokratiebezogene Muster
Insgesamt lassen sich aus den im Ländervergleich ähnlichen Diskursen zwei Formen der Legitimation herausarbeiten, die sowohl in allen vier Ländern als auch im Zeitverlauf immer wieder auftreten und so das Legitimationsprofil der UNO bestimmen (Tabelle 14). Es ergibt sich also das
146
HENNING SCHMIDTKE
Bild einer gespaltenen Legitimität. Die Sprecherinnen der Vereinten Nationen selbst und der Nationalstaaten können sich in der Öffentlichkeit mit ihrer generellen Legitimation der UNO als Weltorganisation, die gerade in sicherheitspolitischen Fragen das einzig legitime Regime darstelle, insbesondere in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums durchsetzen. Die UNO-Hauptorgane – Sicherheitsrat und Generalversammlung – gelten dagegen insbesondere Journalistinnen und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft als überholt und unangemessen. Diese zweite Form der Legitimationserzählung setzt sich zum Ende des Untersuchungszeitraums durch. Da wir von gesicherter Legitimität nur dann sprechen wollen, wenn sowohl das allgemeine Legitimationsniveau als auch die Niveaus sämtlicher Legitimationsobjekte hoch sind, diese Häufung legitimierender Aussagen nicht nur von den Systemeliten, sondern auch von Journalistinnen und Sprecherinnen der Zivilgesellschaft ausgeht und dabei vorwiegend demokratiebezogene Argumente zum Einsatz kommen, kann im Lichte der beiden aufgezeigten Formen der Legitimation der UNO kaum von gesicherter Legitimität gesprochen werden. Ebenso wenig erweisen sich jedoch all unsere Variablen als eindeutige Indikatoren für krisenhafte Legitimität. Vielmehr liegt eine Mischung aus positiv und negativ zu wertenden Indikatoren vor, die auf eine prekäre Legitimität der UNO hindeutet. Auf der positiven Seite stehen dabei ein mittleres Legitimationsniveau, eine starke Bindung der Diskurse an die Organisation als Ganze sowie die Präsenz eines Legitimationsankers und einer Legitimationsressource, die das Prinzip der kollektiven Sicherheit in den Vordergrund rücken. Auf der negativen Seite bringen die schlechten Bewertungen des Sicherheitsrats und der Generalversammlung anhand von demokratiebezogenen und nicht-demokratiebezogenen Kriterien Einschränkungen für die Sicherheit der Legitimität der UNO mit sich. Sowohl Legitimationsanker als auch Legitimationsressourcen deuten aber darauf hin, dass die Vereinten Nationen nicht auf dem Weg in eine ausgeprägte Legitimationskrise sind. Vielmehr ist nicht auszuschließen, dass – so die Mitgliedstaaten der UNO in der Lage sind, die bestehenden und im Diskurs deutlich zum Vorschein kommenden institutionellen Probleme zu lösen – das Prinzip Vereinte Nationen gesicherter Legitimität entgegenstreben könnte.
6
Die G8 – wirkungsloses Spektakel oder mächtiger Club der Reichen?
Jennifer Gronau
Seit ihrer Gründung 1975 versteht sich die heutige »Gruppe der Acht« (G8) als Zusammenschluss der wichtigsten Industrienationen und verkörpert damit in unserer Fallauswahl den Typus eines exklusiven intergouvernementalen Regimes. Sie unterscheidet sich darin von der supranationalen EU und der auf globale Inklusion angelegten UNO. Die Hälfte der heutigen Mitgliedstaaten ist zugleich Teil der EU (Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland). Der Präsident der Europäischen Kommission nimmt als Beobachter teil. Daneben sind zwei nordamerikanische Staaten (USA und als siebtes Mitglied Kanada) sowie Japan und Russland vertreten. Japan galt in der Gründungsphase der G6/G7 im Kontext der ersten Ölkrise und im Zeichen des Kalten Krieges als zuverlässiger Partner für die Verbreitung eines geteilten westlichen Wertekanons. Die Beteiligung des ehemaligen Systemgegners Russland seit 1998 – wenn auch unter Ausschluss von den finanzpolitischen Treffen der G7 – wurde auch damit begründet, dass eine Aufnahme in den Kreis westlich geprägter Demokratien die Demokratisierung des Landes fördere (Bayne 1997, 2000: 116–118). Was mit einer globalen Ölkrise begann, könnte nun mit einer weiteren globalen Krise enden, denn der Finanzcrash im Herbst 2008 hat zu einer Intensivierung der bereits vor einigen Jahren einsetzenden Debatten über die Reform der G8 geführt. Erstmals gibt es aus dem Kreis der Mitgliedstaaten kritische Stimmen, die die Problemlösungsfähigkeit dieses auf wenige Staaten beschränkten Regimes anzweifeln und eine Kompetenzabgabe an die G20 zur Diskussion stellen (z.B. Merkel 2009).19 Die Stärken und
—————— 19 Die G20 umfasst 19 Industriestaaten und die Europäische Union und kommt seit 1999 jährlich im Rahmen der Finanzministertreffen mit Vertretern des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zusammen. Der erste Gipfel auf Ebene der Staats- und Regierungschefs fand anlässlich der Finanzkrise im November 2008 in Washington statt (Kirton 2009a). Derzeit ist eine Erweiterung um Spanien und die Niederlande im Gespräch.
148
JENNIFER GRONAU
Schwächen einer internationalen Politikbearbeitung in exklusiven Foren wie der G8 werden derzeit unter dem Stichwort »Club Governance« diskutiert. Im Kern geht es um konfligierende Kriterien für die Bewertung des Club-Formats: Defizite in Bezug auf normative Kriterien wie Repräsentativität oder Transparenz werden häufig dem funktionalen Ziel der Effektivität und Effizienz, also einer stärkeren Output-Orientierung, gegenübergestellt. Die G8 firmiert in dieser Literatur als prominentes Beispiel für »Club Governance« (z.B. Fues 2007a; Melber 2007; Schneckener 2009; Alexandroff 2010; Kirton 2010). Lange Zeit erzeugte sie jedoch weit weniger wissenschaftliche Aufmerksamkeit als klassische internationale Institutionen wie UNO oder WTO: »In fact, it could be argued that the G8 was traditionally probably the least written about and the least understood entity in the study of international relations« (Dobson 2007: XVI). In der G8-Forschung verweist die derzeitige Welle an Literatur zur Reformdiskussion auf ein erhöhtes Interesse an der Anerkennungswürdigkeit der G8 (Fues 2007b; Kirton 2009a; Leininger 2009). Doch in den Internationalen Beziehungen kann die G8 selbst vor dem Hintergrund gesteigerter Aufmerksamkeit für die Legitimität politischer Ordnungen jenseits des Nationalstaats (Steffek 2003, 2007; Clark 2007a, 2007b; Zürn u.a. 2007; Hooghe/Marks 2009; Keohane u.a. 2009) weiterhin als »Stiefkind« gelten.20 Dies muss verwundern. Denn spätestens seit den 1990er Jahren kann sich die G8 einer internationalen Protestaufmerksamkeit während ihrer Gipfeltreffen sicher sein. Aber auch der in Gleneagles 2005 begonnene Dialog mit den Schwellenländern China, Indien, Südafrika, Mexiko und Brasilien (»Outreach Five« bzw. G5) ist Ausdruck eines Umdenkens, dessen Befürworterinnen sich sowohl auf den wahrgenommenen Mangel an Partizipationsmöglichkeiten als auch auf die mangelnde Problemlösungsfähigkeit der G8 berufen.21
—————— 20 Es gibt durchaus einschlägige ältere Arbeiten, die jedoch zumeist nicht explizit mit dem Begriff der Legitimation arbeiten. Eine frühe Kritik am »summit elitism« liefern z.B. Schaetzel und Malmgren (1980: 134). 21 Seit 2005 nehmen die Schwellenländer China, Indien, Mexiko, Brasilien und Indien auf Einladung des jeweiligen Vorsitzes an den Gipfeln teil. In Heiligendamm 2007 wurde ein zunächst zweijähriger Erweiterungsprozess initiiert, der eine schrittweise informelle Einbindung der sich selbst als »Group of Five« (G5) bezeichnenden Schwellenländer vorsieht (Fues 2007b; Gnath 2007; Cooper/Antkiewicz 2008; Leininger 2009). Seit 2009 wird der Dialog auf Ebene der Regierungsspitzen unter dem Namen »HeiligendammL´Aquila-Prozess« erneut für zwei Jahre weitergeführt (Kirton 2009b).
G8 – WIRKUNGSLOSES SPEKTAKEL ODER MÄCHTIGER CLUB?
149
Die G8 ist ein Club par excellence, und deshalb ist ihre Infragestellung nicht nur durch zivilgesellschaftliche Akteure, sondern auch durch Repräsentantinnen der Nicht-Mitgliedstaaten und anderer Institutionen zu erwarten. Denn die Eingriffstiefe der G8-Politik ist in großen Teilen global und geht über die Grenzen ihrer Mitglieder weit hinaus: Die G8 gilt als internationale Meta-Institution (Gnath/Reimers 2009), da ihre Mitglieder über ihre Stimmanteile in den großen Organisationen wie IWF und Weltbank die internationale Agenda beeinflussen und Aufgaben an andere Institutionen wie die OECD delegieren können. Im Folgenden wird das Legitimationsprofil der G8 in den Mediendiskursen der Schweiz, Deutschlands, Großbritanniens und der USA ermittelt und untersucht, ob und inwiefern die dem Club-Format inhärenten Eigenschaften in den medialen Auseinandersetzungen zu einer Infragestellung der G8 führen. Die Darstellung der Grundstrukturen der Diskurse zeichnet in einem ersten Schritt nach, ob und mit welcher Legitimationsintensität die G8 zum Bezugspunkt medialer Legitimationsdiskurse wird. Welche thematischen Kontexte entfachen die Debatten über die Anerkennungswürdigkeit der G8 und wer gestaltet sie (6.1)? In einem zweiten Schritt wird das Legitimationsniveau der G8 in den nationalen Debatten bestimmt und der Urteilstenor der Sprechergruppen nachvollzogen (6.2). Der nächste Abschnitt widmet sich den argumentativen Mustern und Stilen, die in der Legitimationskommunikation zur G8 dominieren (6.3). Abschließend wird das Legitimationsprofil der G8 zusammenfassend beurteilt. Befindet sich die G8 in einer nur prekären Situation oder kann man bereits von einer Legitimationskrise sprechen (6.4)?
6.1
Legitimationsintensität und Sprechergruppen: »Post-Genua-« und »Westeuropa-Effekt«
Um von einem Legitimationsdiskurs sprechen zu können, muss bewertende Kommunikation zur G8 in einem nennenswerten Umfang stattfinden. Die Legitimationsintensität gibt Aufschluss darüber, ob sich die G8 im Status der A-Legitimität befindet oder ob ihre Anerkennungswürdigkeit zum Gegenstand medialer Auseinandersetzungen geworden ist. Massenproteste und Kampagnen von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) sind zum verlässlichen Begleiter der jährlichen Gipfeltreffen geworden und als sicht-
150
JENNIFER GRONAU
bares Indiz einer zivilgesellschaftlichen Infragestellung der G8 zu werten. Nimmt man diese Proteste als Indikator, kann von A-Legitimität also keine Rede mehr sein. Doch provozieren die Demonstrationen und Kampagnen auch eine mediale Auseinandersetzung über die G8? Hier ist zu fragen, ob es den Protestgruppen gelingt, Eingang in die Berichterstattung zu finden und die mediale Legitimationsintensität nennenswert zu erhöhen. Studien aus der Bewegungsforschung zeigen, dass Protestierende und Vertreterinnen von NGOs oft wenig Einfluss auf die Berichterstattung nehmen können und dass es dazu gezielter Strategien bedarf (Kolb 2005; Rucht/Teune 2008). Aber Demonstrationen wie in Genua 2001 und die daran anschließenden Repressionen der italienischen Polizei haben das Potenzial, zu diskursiven Ereignissen zu werden, durch die Legitimationsdebatten ausgelöst, intensiviert und geprägt werden (Schwab-Trapp 2002). Ob die Infragestellung der G8 nicht nur auf der Straße sichtbar ist, sondern auch in der medialen Öffentlichkeit aufscheint, kann anhand der Gesamtzahl aller Legitimationsstatements pro Gipfel bestimmt werden, also über unseren Indikator für die Legitimationsintensität (Tabelle 15). Im Untersuchungszeitraum 1998 bis 2007 wurden insgesamt 1195 Legitimationsstatements identifiziert, die sich auf das G8-Regime beziehen. Diese beachtliche Zahl zeigt, dass mediale Legitimationskommunikation über die G8 stattfindet und sie somit Gegenstand von Legitimationsdiskursen ist. Tabelle 15: G8-Gipfel – Orte, Termine, Legitimationsstatements pro Land und Jahr Legitimationsstatements (N) Ort Birmingham Köln Okinawa Genua Kananaskis Évian Sea Island Gleneagles St. Petersburg Heiligendamm
CH
DE
GB
US
Σ
15.05.–17.05.1998 18.06.–20.06.1999 21.07.–23.07.2000 20.07.–22.07.2001 26.06.–27.06.2002 01.06.–03.06.2003 08.06.–10.06.2004 06.07.–08.07.2005 15.07.–17.07.2006 06.06.–08.06.2007
10 4 8 15 7 68 6 12 5 54
27 14 19 63 11 42 23 44 48 201
28 7 35 61 29 94 24 80 13 54
14 0 10 19 1 13 2 13 10 7
79 25 72 158 48 217 55 149 76 316
(1998–2007)
189
492
425
89
1195
Termin
G8 – WIRKUNGSLOSES SPEKTAKEL ODER MÄCHTIGER CLUB?
151
Die Medienaufmerksamkeit in Deutschland und Großbritannien sticht mit 492 und 425 Legitimationsstatements deutlich hervor. Rang drei mit 189 Statements belegt die Schweiz. Das Schlusslicht bildet der amerikanische Mediendiskurs mit nur 89 Aussagen in zehn Untersuchungsjahren. Die Intensität dieser nationalen Debatte erscheint uns als zu gering, um von einem genuinen Legitimationsdiskurs sprechen zu können. Im amerikanischen Diskurs bleibt die G8 weitgehend a-legitim und die Daten zu den USA werden deshalb im Folgenden zurückhaltend interpretiert. Die Untersuchungsländer schenken der Legitimität der G8 demnach unterschiedlich viel Beachtung. Als Mitgliedstaaten haben Deutschland und Großbritannien ein besonderes Interesse an ihr. Hinzu kommt, dass die beiden Länder im Vergleich zu den USA als multilateralismus-freundlich gelten. Die Gipfel sind eine Gelegenheit zur nationalen und internationalen Inszenierung der eigenen Regierung, und die G8-Mitgliedschaft ist für die beiden europäischen Staaten eine Frage des Prestiges sowie ein Ausweis der eigenen weltpolitischen Bedeutung. Der multilateralismusskeptische Hegemon USA definiert sich weiterhin als Supermacht, deren Teilnahme am G8-Prozess als einer von vielen Pflichtterminen erscheint. Die Schweiz als Nicht-Mitglied übernimmt die Rolle eines aufmerksamen Beobachters. Es schlägt sich zudem in den Zahlen nieder, dass die Untersuchungsländer von unterschiedlichen Mediensystemen geprägt sind: Während die Medienlandschaft in den europäischen Staaten als vergleichsweise offen und an außenpolitischen Themen interessiert gelten kann, ist das Mediensystem in den USA überaus parochial. Abbildung 40 stellt die Legitimationsintensität in den Untersuchungsländern im Zeitverlauf dar. Die Intensität der wertenden Berichterstattung in allen vier Ländern über die Zeit hinweg hält sich nicht auf einer Höhe, und es ist auch kein gerichteter Aufwärts- oder Abwärtstrend erkennbar. Vielmehr verweisen Hochs und Tiefs der Intensitätskurven auf gipfelbezogene Besonderheiten. Die Kurven verlaufen bemerkenswert parallel. Im letzten Untersuchungsjahr kommt es zu einem Anstieg der Legitimationsintensität. Allein in den amerikanischen Medien verringert sich die Intensität der Auseinandersetzung in diesem Jahr noch weiter. Vor allem für die Gipfel in Genua 2001, Évian 2003, Gleneagles 2005 und Heiligendamm 2007 ist (mit Ausnahme des amerikanischen Diskurses 2007) ein deutlicher Anstieg der Intensität gegenüber den jeweiligen Vorjahren zu verzeichnen. In manchen Jahren unterscheidet sich die mediale Legitimationsaufmerksamkeit jedoch auch merklich.
152
JENNIFER GRONAU
Abb. 40: Legitimationsintensität nach Ländern im Zeitverlauf (G8) 3 2 1 0 -1 -2 1998
1999 CH
2000
2001
2002 DE
2003
2004 GB
2005
2006
2007 US
Die Datenpunkte stellen die z-transformierte Anzahl der Legitimationsstatements pro Land und Jahr dar. Der Berechnung wurde für jedes Land die durchschnittliche Zahl der Statements pro Jahr im Untersuchungszeitraum zugrunde gelegt; z-scores errechnen sich aus der Differenz zwischen der tatsächlichen Zahl der Statements pro Land und Jahr und diesen vier Mittelwerten, dividiert durch die zugehörigen Standardabweichungen.
Die Schweiz als Nicht-Mitgliedsland nimmt eine Beobachterposition ein. Nur in zwei Jahren fallen die medialen Legitimationsauseinandersetzungen in diesem Länderdiskurs überdurchschnittlich intensiv aus. Die zwei Gipfel in den Schweizer Nachbarländern Frankreich (Évian 2003) und Deutschland (Heiligendamm 2007) markieren die Höhepunkte der untersuchten Legitimationskommunikation in der Schweiz. Der Gipfel in Évian war durch grenzüberschreitende Protestaktivitäten der globalisierungskritischen Bewegung gekennzeichnet. Derart von den Auseinandersetzungen über den G8-Gipfel unter französischem Vorsitz betroffen reagierten die Schweizer Medien mit verstärktem Interesse. Für den Anstieg im Jahr 2007 kann neben der mutmaßlichen generellen Aufmerksamkeit für Geschehnisse im Nachbarland Deutschland ebenfalls auf die Vielfalt und Intensität der Protestaktivitäten verwiesen werden. Der Gipfel im Nachbarland Italien 2001 hingegen erzeugte zwar weniger wertende Berichterstattung als die Gipfel in Évian und Heiligendamm, doch ist hier im Vergleich zu den Vorjahren und zum Folgejahr eine größere Legitimationsauseinandersetzung in den Schweizer Medien zu verzeichnen.
G8 – WIRKUNGSLOSES SPEKTAKEL ODER MÄCHTIGER CLUB?
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Die Medienaufmerksamkeit in Deutschland erreicht 2007, also in einem Jahr mit deutscher Präsidentschaft, ihren Höhepunkt. Ebenfalls überdurchschnittlich intensiv, aber keinesfalls dem Niveau von 2007 entsprechend, fällt das Interesse am Genueser Gipfel 2001 aus. Hingegen führt das Präsidentschaftsjahr Köln 1999 nicht zu einer Intensivierung der Debatte in der deutschen Presse. Im britischen Diskurs ist erneut ein Zusammenhang zwischen gesteigertem Medieninteresse für die Anerkennungswürdigkeit der G8 und der nationalen G8-Präsidentschaft zu erkennen. Der Entschuldungsgipfel in Gleneagles 2005 erzeugt eine deutlich überdurchschnittliche Intensität der wertenden Berichterstattung in der britischen Qualitätspresse, wird aber noch übertroffen von den Auseinandersetzungen rund um Évian 2003, den Höhepunkt nicht nur im Schweizer, sondern auch im britischen Legitimationsdiskurs. In den USA hingegen scheint sich selbst der G8-Vorsitz nicht auf die Intensität der Legitimationskommunikation auszuwirken. So führt der Gipfel in Sea Island 2004 zu nur zwei legitimatorisch relevanten Statements (Tabelle 15). Auch der Gipfel in Kananaskis 2002 im Nachbarland Kanada erzeugt in der amerikanischen Berichterstattung eine unterdurchschnittliche Aufmerksamkeit (nur ein Statement). Der Anstieg in Genua 2001 dokumentiert das vorübergehende Aufscheinen eines rudimentären Legitimationsdiskurses in der amerikanischen Presse. Zwei Reformgipfel markieren den Anfangs- und Endpunkt unseres Untersuchungszeitraums. Die Diskrepanz zwischen der Legitimationsintensität des Reformgipfels in Birmingham 1998 und der des Treffens in Heiligendamm 2007 ist über alle Untersuchungsländer hinweg bemerkenswert, denn die Reformdebatte in Heiligendamm hat außer im amerikanischen Diskurs deutlich mehr mediale Auseinandersetzungen provoziert als die erste intensive Reformdiskussion 1998. Dies gilt besonders für den deutschen Legitimationsdiskurs. Eine Abhängigkeit der medialen Legitimationsintensität von Reformdiskussionen auf den Gipfeln der G8 ist danach auszuschließen, denn anderenfalls hätte der Birminghamer Gipfel 1998 ebenfalls zu einer höheren Aufmerksamkeit führen müssen. Lenkt man den Blick jedoch stärker auf die inhaltliche Ausrichtung der Reforminitiativen, so kann ein erheblicher Unterschied festgehalten werden: Während man in Birmingham 1998 Änderungen innerhalb des bestehenden Mitglie-
154
JENNIFER GRONAU
derkreises vornahm,22 ging es in Heiligendamm darum, den wenig formalisierten Outreach-Dialog, also die Ausweitung der bestehenden Gruppe, aufzuwerten. Konkrete Überlegungen zur Erweiterung des G8-Kreises führten zu einer Intensivierung der Legitimationsaufmerksamkeit, da mit ihnen die Frage der Partizipation eng verknüpft ist. Der Unterschied zwischen der Intensität 1998 und 2007 könnte jedoch auch auf einen »Post-Genua-Effekt« und eine aus den Protestereignissen folgende Aufmerksamkeitssteigerung für die Legitimität der G8 zurückgeführt werden. Auch wenn es bereits vor 2001 Protestaktionen wie z.B. die kirchliche Entschuldungskampagne »Jubilee 2000« gab, sticht der Gipfel in Genua 2001 nicht nur durch die Anzahl der Protestierenden, sondern auch durch das repressive Auftreten der Polizeibehörden hervor. Der von Gewalt überschattete Gipfel in der italienischen Hafenstadt führte in allen Untersuchungsländern zu einem deutlichen Anstieg der Legitimationskommunikation gegenüber den Vorjahren. Doch die jährlich schwankende Intensität der Berichterstattung seither widerspricht der Annahme eines unmittelbaren »Post-Genua-Effekts«. So war die Medienaufmerksamkeit im Folgejahr 2002 in allen vier Ländern deutlich geringer als beim Gipfel in Genua. Das jährliche Pendeln – in den ungeraden Jahren ein Anstieg, in den geraden ein Rückgang der Legitimationsintensität – erweckt vielmehr den Eindruck einer Kombination zweier Phänomene. Mit den Ereignissen in Genua 2001 war eine mediale Aufmerksamkeitssteigerung verbunden, die von zyklischen Bewegungen überlagert ist. Auslöser des zyklischen Effekts sind die Austragungsorte der Gipfel. Denn diejenigen Treffen, die in westeuropäischen Mitgliedsländern stattfinden, erzeugen immer mehr mediale Auseinandersetzung als Gipfel in den übrigen Mitgliedstaaten USA, Kanada, Japan und Russland. Man kann die Ausschläge zwischen den Jahren 1998 und 2007 auch in Abhängigkeit vom zentralen politischen Thema der einzelnen Gipfel erklären. Die jährlich variierende Agenda, die vom jeweiligen Vorsitz vorgeschlagen und im Vorfeld von den nationalen Beraterinnen (Sherpas und Sous-Sherpas) ausgehandelt wird, könnte bestimmte Themenkonjunkturen
—————— 22 Seit 1998 werden die jährlichen Gipfeltreffen wieder im ursprünglichen Format der Zusammenkünfte der Staats- und Regierungschefs (»heads only«) durchgeführt. Die Fachministerkonferenzen (G8-Außen-, Finanz- und Entwicklungshilfeministertreffen) wurden zeitlich vorverlagert. Mit dieser Veränderung in der Gipfelarchitektur sollte der deliberative und informelle Austausch auf höchster Regierungsebene wieder intensiviert werden (Bayne 2005: 37-48).
G8 – WIRKUNGSLOSES SPEKTAKEL ODER MÄCHTIGER CLUB?
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zur Folge haben. So ging Köln 1999 als »Entschuldungsgipfel«, Gleneagles 2005 als dessen Fortführung und Heiligendamm 2007 als »Klimagipfel« in die Geschichte der G8 ein, obwohl jeweils eine Vielzahl von Themen auf den Gipfeln verhandelt wurde. Die Auswertung der Themenvariable ergibt jedoch ein differenzierteres Bild für die inhaltlichen Kontexte, die mehr oder weniger intensive Legitimationsauseinandersetzungen über die G8 entfachen. Über alle Untersuchungsländer und über den gesamten Zeitraum hinweg bezieht sich die Hälfte aller Statements (56,7 Prozent) auf Institutionenfragen, wie etwa auf die Entscheidungsprozesse der Gipfel oder auf die Reformdiskussion zur G8. Der Legitimationsdiskurs wird demnach von institutionellen Aspekten der G8 dominiert. Derartige Stellungnahmen machen in der deutschen und Schweizer Medienlandschaft sogar 70 Prozent aller Aussagen und mehr aus. Knapp ein Viertel aller wertenden Aussagen (22,8 Prozent) wird im Kontext der Sicherheits- und Entwicklungshilfepolitik formuliert. Das ursprüngliche Themenfeld der G8, die Finanz- und Wirtschaftspolitik, ist nur mit 15,1 Prozent der Statements vertreten und somit erstaunlich selten Auslöser für Legitimationskommunikation. Die Themenkomplexe Sozialpolitik, Umweltpolitik, Innere Sicherheit und Migration sowie Bildungs-, Forschungs- und Kulturpolitik bleiben mit jeweils weniger als zwei Prozent der Statements unbedeutend. Die Auseinandersetzungen entzünden sich demzufolge nur selten an den Schwerpunkten der jährlich wechselnden Gipfelagenda, die häufig einzelne Themenkomplexe wie Klima- oder Entschuldungspolitik beinhaltet. Vielmehr konzentrieren sich die Diskurse oft ohne Umwege über Policy-Debatten auf das G8-Regime selbst, seine jährlichen Gipfeltreffen und seine Entscheidungsverfahren. Abbildung 41 zeigt die drei häufigsten Themenfelder in den untersuchten Zeitungsartikeln im Zeitverlauf. Sie lässt erkennen, dass allein im Diskurs rund um Kananaskis 2002 Fragen der Sicherheits- und Entwicklungshilfepolitik der G8 vorherrschten. Den ersten Gipfel nach den terroristischen Anschlägen auf die USA im September 2001 richtete die G8 entlang des Themas der Terrorismusbekämpfung aus und konzentrierte sich dabei u.a. auf Fragen der Nicht-Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Transportsicherheit (G8 2002). In Gleneagles 2005 ist der Diskurs über die Untersuchungsländer hinweg von den Themenkontexten institutionelle Fragen und Sicherheitsoder Entwicklungshilfepolitik gleich stark geprägt. Die Bombenanschläge am 7. Juli 2005 in London veranlassten die Medien zu einer Bewertung der
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JENNIFER GRONAU
unmittelbaren Reaktionen der G8-Mitgliedstaaten, die zeitgleich in Schottland tagten. Einer der Schwerpunkte dieses Gipfels war die Weiterführung der G8-Entschuldungspolitik, die zum Referenzpunkt von Auseinandersetzungen über die G8 wurde und somit den Anstieg der finanz- und wirtschaftspolitischen Themen 2005 erklärt. Abb. 41: Themenkontexte im Zeitverlauf (G8, %) 80
60
40
20
0 1998
1999
2000
2001
2002
2003
Finanz- und Wirtschaftspolitik
2004
2005
2006
2007
Institutionenfragen
Sicherheitspolitik/Entwicklungshilfe
Das Jahr 2005 markiert zudem den Ausgangspunkt für eine auffällige Weiterentwicklung der thematischen Bezugspunkte. Während es in den beiden Folgejahren bis zum Reformgipfel in Heiligendamm zu einer Intensivierung von Bezugnahmen auf die G8-Architektur kommt, nimmt die Thematisierung von sicherheits- und entwicklungshilfepolitischen Fragen zugleich beständig ab. Die Diskussion um die Anerkennungswürdigkeit der G8 entlang institutioneller Fragen gewinnt hier wieder an Fahrt und verweist bereits im Vorjahr des »Heiligendamm-Prozesses« auf die wahrgenommene Dringlichkeit einer Reformdebatte. Das ursprüngliche Themenfeld der Finanz- und Wirtschaftspolitik, das noch am ehesten im rudimentären amerikanischen Diskurs und daneben auch in der britischen Presse relevant ist, bildet den dritthäufigsten Bezugspunkt, überholt jedoch in zwei Gipfeljahren die Fragen zur Sicherheits- und Entwicklungshilfepolitik. 1998 in Birmingham wurde die Entschuldungspolitik der G8 als Maßnahme zur globalen Armutsbekämpfung
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– anders als in Gleneagles – explizit thematisiert. Dasselbe gilt für den Genueser Gipfel 2001, auf dem die Entschuldungspolitik im Rahmen der »Enhanced Heavily Indebted Poor Countries (HIPC) Initiative« konkretisiert wurde (G8 2001a). Eine Abhängigkeit der Legitimationsintensität von den thematischen Kontexten der Legitimationsaussagen ist demnach nur bedingt festzustellen. Vielmehr dreht sich die Debatte vor allem um die institutionelle Architektur der G8. Abb. 42: Sprechergruppen nach Ländern (G8, %)
CH
DE
GB
US
Gesamt 0%
20% Journ.
40% Nat. Pol.
60% Int. Pol.
80%
100% Zivilges.
In welchem Umfang sind die Sprechergruppen – Journalistinnen, Vertreterinnen der nationalen bzw. internationalen Politik und Akteure der Zivilgesellschaft (z.B. NGO-Sprecherinnen, Kulturschaffende, Bürgerinnen, Demonstranten oder Gewerkschafterinnen) – an den Legitimationsdiskursen beteiligt? Gelingt es zivilgesellschaftlichen Akteuren, Eingang in die Diskurse zu finden? Und wie viel Raum nehmen demgegenüber Vertreterinnen der nationalen und internationalen Politik, also auch der G8 selbst, ein? Unsere Daten zur Präsenz von Zivilgesellschaft und etablierter Politik in den Medien geben Aufschluss über die Zugangsmöglichkeiten potenzieller Delegitimierer und Verteidiger der G8 zu den Diskursen. Dass Demonstrierende sich in Wort und Tat eher kritisch äußern, ist bereits in ihrer Artikulationsform angelegt. Mit Protesten tragen zivilgesellschaftlichen Aktivistinnen ihren Unmut sichtbar auf die Straße. Es gibt aber auch zivil-
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JENNIFER GRONAU
gesellschaftliche Akteure, die nicht zu den Demonstrantinnen und den sie unterstützenden NGOs gehören und die mithin abweichende Positionen vertreten könnten. Die Sprecherinnen der etablierten Politik hingegen dürften eher als Verteidigerinnen der G8 agieren, unter ihnen allen voran die Vertreterinnen der G8 selbst. Es ist jedoch zugleich zu erwarten, dass sich die politischen Repräsentanten von Nicht-Mitgliedstaaten der G8 – die aus dem Club Ausgeschlossenen – kritisch zu Wort melden, so sie denn Eingang in den Diskurs finden. Dies könnte auch für die Vertreterinnen anderer internationaler Institutionen gelten. Thomas Fues spricht von einer schrittweisen Aushöhlung der wirtschaftspolitischen Autorität der UNO durch die G8 (Fues 2007a: 5), die Anlass zur Kritik geben könnte. Wie der untere Balken in Abbildung 42 zeigt, stammen – die vier Länder zusammengenommen – knapp 60 Prozent aller bewertenden Aussagen von den Medienschaffenden selbst. Sie zählen somit zu den Hauptgestalterinnen der legitimatorischen Auseinandersetzungen über die G8. Mit einem Viertel aller Aussagen ist die Zivilgesellschaft am zweithäufigsten im Diskurs vertreten. Am meisten Gewicht haben hier die Sprecherinnen von Nicht-Regierungsorganisationen, aber auch einzelne Bürgerinnen und Demonstrierende sind präsent.23 Auf Rang drei der Häufigkeitsverteilung folgen die Akteure der nationalen Politik mit etwas über zehn Prozent aller Legitimationsaussagen. Nicht eingeschlossen in diese Sprechergruppe sind diejenigen Staats- und Regierungschefs, die in ihrer Funktion als Vorsitzende der G8 auftraten. Sie wurden als internationale Politikvertreter kodiert. Die Stimmen von Regierungsvertreterinnen aus Nicht-Mitgliedstaaten der G8, etwa der Schwellenländer der »Outreach Five«, finden kaum Eingang in die Auseinandersetzungen. Das Schlusslicht der Häufigkeitsverteilung bilden die Vertreterinnen der internationalen Politik mit lediglich 2,4 Prozent aller Statements im gesamten Untersuchungszeitraum. Mit Blick auf das weite Feld der internationalen Politik und somit eine Vielzahl von potenziellen Sprecherinnen ist bemerkenswert, dass gut zwei Drittel dieser wenigen Statements den jeweiligen G8-Vorsitzenden zuzuordnen ist. Ferner ist auffällig, dass die Legiti-
—————— 23 Mit der Repräsentation zivilgesellschaftlicher Stimmen in den Mediendiskursen können noch keine Aussagen über die Qualität der Darstellung ihrer Anliegen durch die Medienschaffenden getroffen werden. Vgl. hierzu u.a. die Studie zur Einhaltung journalistischer Qualitätsstandards im Zusammenhang mit den Protesten in Heiligendamm 2007 von Rucht/Teune (2008).
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mationsäußerungen von G8-Vorsitzenden in den englischsprachigen Qualitätszeitungen keine Beachtung finden und als Phänomen der deutschen sowie – wenn auch deutlich seltener – der Schweizer Berichterstattung gelten können. Sprecherinnen anderer internationaler Institutionen sind kaum vertreten. Ihre Positionierung zur G8 oder ihrer Reform ist im medialen Diskurs nicht repräsentiert. Abbildung 43 gibt Aufschluss über die Entwicklung im Zeitverlauf. Es zeigt sich, dass bestimmte Sprechergruppen in den Legitimationsdebatten rund um einzelne G8-Gipfel nicht vertreten sind. In den Jahren 1998, 1999, 2002, 2003 und 2004 nehmen Akteure der internationalen Politik keinen Einfluss auf den Diskurs. Beim »Entschuldungsgipfel« in Köln 1999 ist zusätzlich auch die Zivilgesellschaft nicht am medialen Legitimationsgeschehen beteiligt. Mit Blick auf die Kampagnen für eine vollständige Schuldenbefreiung der Entwicklungsländer verwundert das Ausbleiben zivilgesellschaftlicher Stimmen in den medialen Legitimationsauseinandersetzungen über diesen Gipfel. Abb. 43: Sprechergruppen im Zeitverlauf (G8, %) 100 80 60
40 20 0 1998
1999 Journ.
2000
2001
2002
Nat. Pol.
2003
2004 Int. Pol.
2005
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Zivilges.
Eine Ursache könnte die thematische Zuspitzung der Forderungen zivilgesellschaftlicher Gruppen sein, die häufig im Rahmen von Ein-ThemenKampagnen wie Entschuldung oder Klima artikuliert werden. Wird die G8 zum Adressaten dieser Forderungen, so wird sie – zumindest in diesen
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Fragen – als relevanter Akteur wahrgenommen, sei es, weil sie für einen Missstand verantwortlich gemacht wird oder weil sie als handlungsmächtiger Akteur gilt. Kritik zum Beispiel an der Schuldenpolitik der G8 stellt jedoch eine bewertende Aussage zu einer Policy dar, die wir in unserer Analyse zur Legitimität politischer Ordnungen nicht erfassen. Eine Diskussion des G8-Regimes unterbleibt in diesen Fällen. Die Kritik der sozialen Bewegungen richtet sich in diesem Fall nur auf spezielle Politikansätze und Entscheidungen in einzelnen Politikfeldern, nicht gegen die G8 insgesamt. Erneut sprechen die Daten für einen »Post-Genua-Effekt«. Es liegt nahe, dass die Medienschaffenden in den Jahren nach 2001 aufmerksamer für die Anliegen der Zivilgesellschaft geworden sind und dieser ein größeres Gewicht in den Legitimationsdiskursen einräumen. Abbildung 43 zeigt, dass diese Sprechergruppe in Genua 2001 erstmals deutlich hervortritt und in den Folgejahren nicht wieder hinter ihre Präsenz vor 2000 zurückfällt. Weitere nennenswerte Ausschläge gibt es in den Jahren 2003, 2005 und 2007. Ein unmittelbarer Einfluss von Genua 2001 kann durch unsere Ergebnisse jedoch nicht belegt werden. Vielmehr ist mit Blick auf diese Sprechergruppe erneut ein Aufeinandertreffen zweier Effekte zu beobachten. Nach Genua 2001 ist die Zivilgesellschaft häufiger in den Mediendiskursen vertreten als in den Vorjahren. Bei den Gipfeln in Westeuropa intensiviert sich dieser Eindruck, denn zivilgesellschaftliche Sprecherinnen sind in diesen Jahren präsenter als in den übrigen. Für die Journalistinnen ist der Eindruck indes gegenläufig. Nach dem Gipfeltreffen in Genua bringen sie sich seltener als zuvor aktiv in die Diskurse ein, allen voran in den Jahren, in denen die Gipfel in Westeuropa stattfinden. Somit wirkt sich die Kombination dieser beiden Effekte – der Ereignisse in Genua 2001 und der westeuropäischen Austragungsorte – auf spezifische Weise aus: Die Journalistinnen als Produzentinnen der Medientexte greifen in den westeuropäischen Gipfeljahren stärker auf die Stimmen der Zivilgesellschaft zurück und bringen diese ein. In den anderen Jahren hingegen steigt ihre eigene diskursive Sichtbarkeit deutlich an. Es kann festgehalten werden, dass die Diskussion über die Anerkennungswürdigkeit der G8 von einer Thematisierung institutioneller Fragen rund um das G8-Regime gekennzeichnet ist. Der Austragungsort der Gipfel ist in Kombination mit einem gestiegenen Interesse nach den Auseinandersetzungen in Genua 2001 sowohl für die Legitimationsintensität als auch für die mediale Präsenz der Zivilgesellschaft prägend und führt zu zyklischen Effekten. Die Gipfel in Westeu-
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ropa wirken sich dabei intensivierend, diejenigen in den USA, Kanada, Russland und Japan hemmend aus.
6.2
Legitimationsniveau: Dauerhaft kritischer Urteilstenor und schwankende Selbstlegitimation
Im Folgenden geht es um den Urteilstenor der Legitimationsauseinandersetzungen über die G8. In welche Richtung weist der Tenor der Debatten? Können Sprechergruppen identifiziert werden, die sich in ihrer kritischen oder befürwortenden Haltung gegenüber der G8 ähneln und in die gleiche Richtung argumentieren? Aufschluss darüber gibt die Anzahl affirmativer Aussagen zum G8-Regime, unser Indikator für das Legitimationsniveau. Mit nur 21,9 Prozent positiven Bewertungen im gesamten Untersuchungszeitraum über die vier Länder hinweg sind weniger als ein Viertel aller Legitimationsaussagen zur G8 wohlwollend. Damit ergibt sich weit mehr als nur ein kritisches Hintergrundrauschen: Die G8 befindet sich den Mediendiskursen folgend in der Situation weithin bestrittener Legitimität. Besonders kritisch eingestellt ist die britische Qualitätspresse. Ihr Anteil an Abb. 44: Legitimationsniveaus nach Ländern (G8, %) 60
40
20
0 CH
DE
GB
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Gesamt
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positiven Aussagen verbleibt deutlich unter 20 Prozent, während die Schweizer Presse mit 23,8 Prozent zustimmenden Aussagen etwas milder gestimmt ist. Der deutsche und der amerikanische Diskurs fallen mit etwa einem Viertel affirmativer Aussagen am positivsten aus. Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede im Hinblick auf Legitimationsniveaus ergeben sich im Zeitverlauf? Abbildung 45 zeigt die Über- bzw. Unterdurchschnittlichkeit der Legitimationsniveaus pro Untersuchungsland und Gipfeljahr. Auf den ersten Blick ergibt sich der Eindruck einer Berg- und Talfahrt, und auch hier ist kein positiver oder negativer Trend in den nationalen Medienlandschaften zu erkennen. Anders als bei der Intensität der Berichterstattung ist für die Niveaukurven jedoch keine Gleichförmigkeit zwischen den Untersuchungsländern zu beobachten. So erzeugt der Reformgipfel von Birmingham 1998 in der Schweiz, Großbritannien und den USA ein vergleichsweise positives Medienecho, während die deutsche Presse überdurchschnittlich negativ berichtet. Auch für andere Gipfeljahre zeigen sich nationale Differenzen. Allein der Gipfel in Gleneagles 2005 erzielt in allen vier Ländern eine überdurchschnittlich positive Bewertung. 2005 setzte Tony Blair die Weiterführung der Schuldenthematik des Kölner Gipfels ganz oben auf seine Prioritätenliste. Zugleich konnte er die ersten Ergebnisse der im Frühling Abb. 45: Legitimationsniveaus nach Ländern und Legitimationsintensität insgesamt im Zeitverlauf (G8, z-transformiert) 3
2
1
0
-1
-2 1998
1999
Niveau CH Niveau US
2000
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2002
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Niveau DE Intensität Gesamt
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Niveau GB
2007
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2004 etablierten Afrika-Kommission für seine Zeit als G8-Präsident beanspruchen. Der Gipfel wurde zudem durch die terroristischen Anschläge am 7. Juli 2005 in London überschattet. Dieses Bedrohungsszenario führte zu einem deutlichen Schulterschluss der G8-Staaten, der in den Medien mehrfach als Zeichen der Stärke gewertet wurde (z.B. FAZ, 8.7.2005). Doch auch der erste Entschuldungsgipfel in Köln 1999 wird in der Schweiz, Großbritannien und im Gastgeberland Deutschland überdurchschnittlich positiv bewertet. In den USA bleibt er in den Medien allerdings gänzlich unbeachtet (Tabelle 15). Beim Gipfeltreffen in Köln wurde ein Schuldenerlass von bis zu 70 Milliarden US-Dollar für ausgewählte Entwicklungsländer beschlossen. Diese konkrete Zusage schien vielen Kampagnennetzwerken und NGOs wie Oxfam zwar nicht ausreichend, wurde von anderen jedoch als Schritt in die richtige Richtung und als eine umsetzbare Zielvorgabe gewertet. Derartige Bewertungen der G8 als »gut, aber nicht gut genug« gingen zweifach – als affirmativ und als negativ bewertend – in unsere Auswertung ein und erklären das positivere Bild der G8 in Köln. Auch wenn Angela Merkel 2007 in Heiligendamm erneut zwei Themen aufgriff, die in der so genannten Antiglobalisierungsbewegung und in der Reformdebatte zur G8 prominent sind – Klimapolitik und die Erweiterungsgespräche im Rahmen des »Heiligendamm-Prozesses« –, konnte das Niveau von Gleneagles 2005 in keinem der Untersuchungsländer wieder erreicht werden. Zwischen den beiden Jahren mit vergleichsweise positivem Urteilstenor (1999 und 2005) liegt der Tiefpunkt der Zustimmung für das G8-Regime: Der Gipfel 2002 im kanadischen Kananaskis sticht durch die besonders geringen Anteile positiver Bewertungen in allen vier Ländern hervor. Konnte zuvor ein unmittelbarer Effekt der Auseinandersetzungen in Genua auf die Intensität der Auseinandersetzungen in den Folgejahren verneint werden, ergibt sich mit Blick auf den Urteilstenor ein anderes Bild. Die G8 erzeugt nach den Auseinandersetzungen in Genua im Folgejahr 2002 zwar weniger Aufmerksamkeit, ist zugleich jedoch stärker in die Kritik geraten.24 Dieser Eindruck hält sich jedoch nur bis 2003, denn in den Jahren ab 2004 ist das Niveau in einzelnen Ländern wieder deutlich höher.
—————— 24 Dieser Effekt könnte sich durch die Abgeschiedenheit des Gipfels, der in einer abgelegenen Bergregion stattfand, verstärkt haben. Der Club-Charakter der G8 zeigt sich für viele Kritikerinnen bereits in der schweren Erreichbarkeit für Proteste.
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Es stellt sich die Frage, welche Sprechergruppen dieses dauerhaft negative Bild der G8 erzeugen. Politische Entscheidungsträgerinnen, unter ihnen auch die Vertreterinnen der Mitgliedstaaten der G8, weisen den verschiedenen Sprecherinnen im politischen Gefüge unterschiedlich viel Bedeutung zu. Sie orientieren sich in ihrer Entscheidungsfindung stärker an den politischen Eliten als beispielsweise an der Meinung einzelner Bürgerinnen. Somit verfügen die Sprechergruppen aufgrund ihres unterschiedlich wahrgenommenen Status über ein unterschiedliches Potenzial zur »politisch-diskursiven Wahrnehmbarkeit« (vgl. Nonhoff 2006: 175–177, 187– 188, sowie Barker 1990: 113) und damit verbunden zur Beeinflussung politischer Zukunftsentscheidungen. Im insgesamt kritischen Getöse können die politischen Entscheidungsträger durchaus Nuancen erkennen und sind – selbst bei unterschiedlicher Präsenz in den Diskursen – für einige Stimmen empfänglicher als für andere. Den zivilgesellschaftlichen Aufschrei kennen sie schon, aber solange die Träger der G8 selbst zu einem positiven Urteil kommen, scheinen die Legitimationsprobleme des Regimes begrenzt. Die Vertreterinnen der internationalen politischen Klasse erreichen mit über 50 Prozent zustimmenden Aussagen im gesamten Diskurs ein vergleichsweise hohes Niveau (Abb. 46). Dieser relativ positive Tenor erweist sich als noch ausgeprägter, wenn wir den Blick auf die Repräsentanten der G8 richten, auf die zwei Drittel aller Statements aus der internationalen Politiksphäre entfallen. Mit einem Niveau von hundert Prozent im Schweizer und über 95 Prozent im deutschen Diskurs werden sie ihrer Rolle als Verteidiger ihrer eigenen Politik gerecht. Diese positiven Stimmen können somit als Selbstlegitimationen der G8 gewertet werden, wie ein Gastbeitrag Tony Blairs in der Neuen Zürcher Zeitung anlässlich der britischen Präsidentschaft in Birmingham 1998 verdeutlicht. Blair sei wichtig, dass bei den Gipfeln »mehr als nur Geschwätz herauskommt«, und die Treffen hätten sich »als ein zuverlässiges Forum bewährt, in dem man Ideen zur Diskussion stellen, Kooperationspartnerschaften entwickeln und gemeinsames Handeln in für unsere Bürgerinnen wichtigen Fragen vereinbaren kann« (NZZ, 15.5.1998). Unterstützung finden die Selbstlegitimierer in der nationalen Politik. Das Legitimationsniveau dieser Sprechergruppe liegt im Länderdurchschnitt bei 64,9 Prozent und fällt insgesamt am positivsten aus. So äußert sich 2005 während der britischen G8-Präsidentschaft eine namentlich nicht genannte Vertreterin der britischen Regierung in der amerikanischen Presse:
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The G-8 is a massive opportunity. You have the world’s richest economies taking practical measures to deal with the issue, and it’s not just the world’s richest economies, it’s the world’s emerging economies (Washington Post, 2.7.2005).
In der Schweiz sind sogar 83 Prozent der Statements positiv, in den USA hingegen fällt das Urteil mit 59 Prozent affirmativen Beurteilungen der nationalen Politikvertreterinnen etwas ausgeglichener aus. Abb. 46: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen und Ländern (G8, %) 100 80 60 40 20 0 CH Journ.
DE
GB Nat. Pol.
US Int. Pol.
Gesamt Zivilges.
Wie ein Blick auf die übrigen Diskursbeteiligten zeigt, ist der Urteilstenor jenseits der etablierten Politik aber überaus negativ. Die Journalistinnen als dominierende Sprechergruppe beurteilen die G8 mit nur 21,9 Prozent positiven Statements ganz überwiegend kritisch. Die amerikanischen Journalistinnen kommen mit fast 30 Prozent affirmativen Statements zu einer etwas positiveren Einschätzung der G8 als ihre Kolleginnen in den übrigen Untersuchungsländern. Eine der wenigen positiven Ausnahmen stellt die folgende Bilanz eines Journalisten aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bezüglich des Gipfels in Heiligendamm 2007 dar: Obwohl es als chic gilt, die G-8-Gipfel als überflüssige Spektakel zu bezeichnen, weil der Aufwand angeblich in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen stehe, ist in Heiligendamm mehr erreicht worden, als von vielen erwartet worden war (FAZ, 9.6.2007).
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Die Sprecherinnen aus dem zivilgesellschaftlichen Spektrum agieren erwartungsgemäß noch kritischer als die medienschaffende Zunft. Im gesamten Diskurs fallen weniger als zehn Prozent ihrer Bewertungen positiv aus. Die politischen Aktivistinnen finden dabei häufig über ihre Transparente und Plakate Eingang in die Diskurse. So berichtet die Neue Zürcher Zeitung, dass die Protestierenden in Évian 2003 »ein grosses Transparent mit der Aufschrift ›Kein Gipfel für die Ungerechtigkeit‹« trugen und dass auf »anderen Plakaten stand ›G-8 versenken‹« (NZZ, 30.5.2003). Unmut und Enttäuschung artikulieren auch die Sprecherinnen aus dem NGO-Spektrum: With disappointed campaigners complaining that little progress had been made on Third World debt relief and environmentalists calling the summit »not much greener than an oil slick«, the leaders last night left a dazed Birmingham to recover from their three-day stay (Guardian, 18.5.1998).
Aber auch die Meinungen einzelner Bürgerinnen erwecken den Eindruck, dass der G8 aus Sicht der Zivilgesellschaft nicht viel abgewonnen werden kann. So hält ein Leserbriefschreiber empört fest: Die Chefs der neuen Weltordnung mit ihrem Gigantonomie-Wahnsinn stossen immer schneller an ihre Grenzen. […]. Der G-8-Gipfel ist ein dreistes Machtspektakel, und die Regie führen US-Super-Rüstungsdespoten. Reiche erhalten noch mehr Boni, und das Fussvolk bezahlt die Zeche bis zum Umfallen. Wer stoppt diese Machtpoker- und Verbrechensindustrie? (Tagesanzeiger, 5.6.2003)
Es ist auffällig, dass die im weniger intensiven amerikanischen Mediendiskurs vertretenen Stimmen aus dem zivilgesellschaftlichen Spektrum doppelt so häufig positiv ausfallen wie im deutschen Diskurs. Doch mit nur 15 Prozent positiven Stellungnahmen scheint die G8 auch von einer Unterstützung durch die amerikanische Zivilgesellschaft weit entfernt zu sein. Abbildung 47 lenkt den Blick auf gipfelbezogene Besonderheiten und zeichnet den Verlauf der Legitimationsniveaus für jede Sprechergruppe nach. Die internationalen Politikvertreterinnen – unter ihnen vor allem Sprecherinnen der G8 – kommen im Untersuchungszeitraum erstmals 2000 zu Wort. In den Jahren, in denen sie Einfluss auf die Diskurse genommen haben (2000, 2001, 2003, 2005–2007), pendelt das Legitimationsniveau zwischen über 40 und hundert Prozent. Ihre potenzielle Unterstützungsfunktion durch eine hohe »politisch-diskursive Wahrnehmbarkeit« kann somit relativiert werden. Erstens sind die Vertreterinnen der internationalen Politik nicht kontinuierlich präsent, zweitens äußern sie sich in den Jahren medialer Präsenz nicht einmal konstant positiv. Der Anstieg ihres
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Legitimationsniveaus in Genua 2001 kann mit einer gesteigerten Selbstlegitimationstendenz der G8-Staaten begründet werden. Die G8 hat die Legitimität ihres Handelns in Reaktion auf den Tod des Demonstranten Carlo Giuliani in einer Sonderstellungnahme wie folgt herausgestellt: »It is of vital importance that democratically elected leaders, legitimately representing millions of people can meet to discuss areas of common concern« (G8 2001b). Abb. 47: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen im Zeitverlauf (G8, %) 100 80 60 40 20 0 1998
1999
2000
Journ.
2001
2002 Nat. Pol.
2003
2004
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Int. Pol.
2006
2007 Zivilges.
In diesem Auszug des offiziellen G8-Statements spiegelt sich nicht nur das in der Politikwissenschaft lange Zeit vorherrschende Verständnis der ununterbrochenen Legitimationsketten wider, über die sich ein Zusammenschluss gewählter Nationalstaaten durch ihre demokratische Verfasstheit legitimieren könne. Er verweist auch darauf, dass die G8 in ihrer Selbstwahrnehmung eine globale Zuständigkeit hat. In einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung argumentieren die G8-Staaten 2001 mit Blick auf die »Aktion militanter Jugendlicher« beispielsweise, dass »sie, nicht die Randalierer, […] sich um die wahren Belange der Dritten Welt« kümmerten (FAZ, 23.7.2001). Auch die Bewertungen von Mitgliedern der nationalen politischen Klasse fallen von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich aus: Während sie 1998 erwartungsgemäß für die G8 sprechen (über 88 Prozent positive Bewer-
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JENNIFER GRONAU
tungen) und so ihre Legitimität stabilisieren, sinkt das Niveau bei den zwei Folgegipfeln deutlich ab. Der umstrittene Genueser Gipfel hingegen veranlasst auch die nationalen politischen Akteure, wieder stärker die Rolle der Legitimierer zu übernehmen und etwas milder (61,5 Prozent) zu reagieren. Diese Fürsprache steigt bis 2004 (100 Prozent) sogar erneut an. Zwischen den Jahren 2005 und 2007 entziehen die politischen Akteure jedoch ihre Stabilisierungsleistungen für die Legitimität der G8, das Niveau fällt kontinuierlich bis knapp über 40 Prozent. Die Unterstützungsleistungen von Vertreterinnen der nationalen und internationalen Politik variieren demnach stark von Gipfel zu Gipfel. Gerade der von Kritik und Protesten überschattete Gipfel in Genua veranlasst die politischen Eliten zu Legitimitätsbekundungen. Die Auseinandersetzungen in Genua erzeugen einen Rechtfertigungsdiskurs. Dem medialen Eindruck folgend sehen sich die Mitgliedstaaten der G8 durch die Proteste gezwungen, ihre Zusammenkunft intensiver zu begründen. Derart herausgefordert greifen sie auf öffentlich wirksame Strategien der Selbstlegitimation zurück (vgl. zur Vielfalt der Legitimationspolitiken Gronau 2010). Neben den Presseerklärungen, die in Teilen von den Medien aufgegriffen werden, ist die Sondererklärung zum Tode Giulianis (G8 2001b) ein eindrückliches Zeugnis ihrer Rechtfertigungsbestrebungen. Der in den vorherigen Abschnitten vermutete »Post-Genua-Effekt« trifft demzufolge in den Bemühungen der G8 zur Selbstlegitimation unmittelbar in Erscheinung. Im gesamten Diskurs zeichnen sich Koalitionen von Sprechergruppen ab. Die G8 steht einer kritischen »vierten Gewalt«, den Medien, und einer kritischen Zivilgesellschaft gegenüber. Erstere bewertet die G8 im Jahr 2005 unter britischem Vorsitz am positivsten, aber selbst in diesem insgesamt milderen Klima bleibt ihr Tenor überwiegend kritisch. Das einzige aus ihrer Sicht etwas positiver, aber nach wie vor überwiegend kritisch abschneidende G8-Jahr fällt auf den Birminghamer Reformgipfel 1998. Somit ziehen beide Gruppen gemeinsam an einem »Strang nach unten«. Auf den ersten Blick stellen die Vertreterinnen sowohl der nationalen als auch der internationalen Politik ein Gegengewicht dar. Jedoch provozieren einige Gipfel stärkeren Zuspruch als andere, wie das Beispiel Genua 2001 eindrucksvoll zeigt. Ihre Unterstützung variiert demnach stark zwischen den Gipfeln, und die G8 kann somit nicht auf eine konstant hohe Legitimation durch die medial insgesamt wenig repräsentierten Politikvertreterinnen bauen. Das Problem ist jedoch nicht deren Marginalität in den Diskursen, die durch größere »politisch-diskursive Wahrnehmbarkeit«
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politischer Entscheidungsträgerinnen ausgeglichen werden könnte. Vielmehr besteht das Problem im Entzug legitimitätsstabilisierender Leistungen durch die politischen Eliten selbst. Die aktuellen Bekundungen aus dem Kreis der G8, die in Richtung der G20 weisen, geben einen ersten Vorgeschmack auf die Sichtbarkeit dieses Phänomens jenseits der Medien. Der »Club« muss sich selbst erweitern, um auch in der Sicht seiner Träger als legitim gelten zu können.
6.3
Legitimationsmuster und -stile: Spiele ohne Brot
Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass sich die G8 in einer überaus problematischen Legitimationssituation befindet. Im Folgenden soll das argumentative Repertoire vorgestellt werden, das diese intensive Kritik trägt. Zudem ist zu klären, welche Legitimationsmuster die wenigen positiven Stellungnahmen stützen und ob diese als Legitimationsressourcen der G8 fungieren könnten.25 Demokratiebezogene Maßstäbe wie Partizipation und Transparenz galten in der Politikwissenschaft lange Zeit allein für die Bewertung nationalstaatlicher Legitimität als relevant. In der intergouvernementalen Perspektive, die das Feld der Internationalen Beziehungen dominierte, wurde Legitimität tendenziell als »non-issue« bewertet. Die Legitimation politischer Ordnungen jenseits der nationalstaatlichen Grenzen, so die Erwartung, konnte über die »üblichen Effektivitätsmaßstäbe zwischenstaatlicher Politik« (Zürn 2006: 242) gewährleistet werden. Dies ändert sich aktuell im Zuge der Diskussionen über die Politisierung internationaler und supranationaler Institutionen. Michael Zürn u.a. (2007) folgend zeigt sich das Phänomen der Politisierung in einer Zunahme zivilgesellschaftlicher Forderungen nach einer normativ gehaltvollen internationalen Ordnung. Vor allem internatio-
—————— 25 In den anderen Fallstudien widmet sich ein eigenständiges Unterkapitel den Legitimationsobjekten. Für nationale Regimes und supra- oder internationale Institutionen wie EU oder UNO ist diese Differenzierung in unterschiedliche Legitimationsobjekte sinnvoll, weil mit ihr die Legitimation unterschiedlicher Organisationseinheiten wie z.B. des Europäischen Rats oder der Europäischen Kommission nachvollzogen werden kann. Für die G8 erübrigt sich eine solche Unterscheidung aufgrund ihrer gering ausgeprägten und wenig sichtbaren institutionellen Ausdifferenzierung. Öffentlich wahrnehmbar ist seit 1996 nur die Internetpräsenz des vorsitzenden Mitgliedsstaats, so etwa ein Blog des kanadischen Sherpa 2010 (http://g8.gc.ca/g8-summit/sherpas-blog/).
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JENNIFER GRONAU
nale Institutionen mit dem Verfahren der Mehrheitsentscheidung oder quasi-juristischen Verfahren würden zum Bezugspunkt für eine Auseinandersetzung über die Anerkennungswürdigkeit des politischen Gefüges jenseits der Nationalstaaten. Sichtbar werde dieser Politisierungsprozess beispielsweise in transnationalen Protesten gegen internationale Institutionen (ausführlicher Ecker-Ehrhardt/Zürn 2007; kritisch hierzu Brock 2007; Nölke 2007; Nonhoff u.a. 2009). Können wir in den Legitimationsdiskursen über die G8 eine Übertragung demokratiebezogener Legitimationsmaßstäbe aus dem nationalstaatlichen in den internationalen Kontext beobachten? Wenn ja, so wäre es ein Indiz für das von Zürn u.a. angenommene Verlangen nach einer normativ anspruchsvollen internationalen Ordnung, denn ein solches Begehren müsste sich in der Existenz und im Gewicht demokratiebezogener Legitimationsmuster widerspiegeln. Mit Blick auf die voranschreitende Supranationalisierung der EU werden auch demokratisch weniger anspruchsvolle Kriterien diskutiert (Scharpf 1999; Moravcsik 2002, 2005; Føllesdal/Hix 2006). Die Legitimität einer nicht nationalstaatlich verfassten Ordnung könne durch nicht-demokratiebezogene Legitimationsmuster gesichert werden. Somit sind Kriterien wie Effektivität und Effizienz weiterhin im Fokus der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen. Zeugen die medialen Legitimationsdiskurse von einer Aufrechterhaltung dieser üblichen Effektivitätsmaßstäbe zwischenstaatlicher Politik? Mit Blick auf die Problemlösungsfähigkeit der G8 lässt sich in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion zur Ablösung der G8 durch die »Leaders of Twenty« (G20/L20) eine bemerkenswerte Verknüpfung zwischen demokratiebezogenen und nicht-demokratiebezogenen Argumenten beobachten. Informalität und ein mit ihr verbundener Mangel an Transparenz, aber auch die Beschränkung auf wenige Staaten galten lange Zeit als Erfolgsrezept einer effektiven, auf dem Konsensprinzip fußenden Abstimmung nationaler Politiken durch die G8-Staaten (Alexandroff 2010: 5). Die Prosperität der Mitgliedstaaten sollte sich, wie in der ersten Abschlusserklärung festgehalten wurde, längerfristig auf die ganze Welt ausweiten (vgl. G6 1975). Ulrich Schneckener fasst diese Argumente aus der Club-Governance-Diskussion im Vergleich zu den Strukturen des globalen UN-Regimes wie folgt zusammen: Während das VN-System bei der Umsetzung von Beschlüssen als sehr schwerfällig und wenig effektiv gilt, sind die selektiven Formate eher in der Lage, ihre (zumeist) begrenzten Zielsetzungen konsequent zu verfolgen. Die Konzentration auf »gleich-
G8 – WIRKUNGSLOSES SPEKTAKEL ODER MÄCHTIGER CLUB?
171
gesinnte Partner« dürfte dies erleichtern, auch wenn gerade in Allianzen und Koalitionen im Laufe der Zeit immer wieder Friktionen und Meinungsverschiedenheiten auftreten, die die Effektivität beinträchtigen können (Schneckener 2009: 5).
Interessanterweise verläuft diese Verhältnisbestimmung zwischen demokratie- und nicht-demokratiebezogenen Legitimationsmaßstäben – je kleiner der Kreis, desto größer das Problemlösungspotenzial – in der aktuellen Diskussion über die Ablösung der G8 durch die G20 unter umgekehrten Vorzeichen. Weil die G8 nicht repräsentativ sei und wichtige Industrienationen nicht partizipierten, könne sie die neuen globalen Herausforderungen nicht zufriedenstellend meistern. In der G20, so lautet das Argument weiter, seien die aufstrebenden Schwellenländer, die mit der Architektur um die G8 bisher nur locker verwoben sind, bereits gleichberechtigte Mitglieder (vgl. zum Beispiel Cooper/Jackson 2007). Auch in den Pressetexten deuten sich ähnliche Argumente an. Das folgende Zitat bemängelt, dass die G8 – selbst bei vorhandenem politischem Willen zur globalen Förderung demokratischer Partizipationschancen – nicht über ausreichend Lösungskapazität verfüge, weil sie nur etwas mehr als ein Zehntel der Weltbevölkerung repräsentiere und an die nationalstaatlichen Interessen rückgebunden sei: But were the G8 nations governed by angels, they would still be incapable of promoting global democracy. These eight hungry men represent just 13 percent of the world’s population. They were all elected to pursue domestic imperatives: their global role is simply a byproduct of their national mandate. The decisions they make are haphazard and ephemeral (Guardian, 17.7.2001).
Im Lichte dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzungen stellt sich die Frage, welcher Legitimationsstil in den medialen Diskursen dominiert. Leistet das Regime nach Meinung der Sprecherinnen in den Diskursen nicht genug und wird hauptsächlich anhand nicht-demokratiebezogener Maßstäbe delegitimiert? Oder besteht das Problem der G8 vorwiegend darin, dass demokratiebezogene Mängel wahrgenommen werden? In den medialen Diskursen müssten sich dann nicht nur ergebnisorientierte Maßstäbe finden lassen, die beispielsweise Fragen der Effektivität und Effizienz in den Vordergrund stellen. Vielmehr dürfte die Legitimationsproblematik der G8 in diesem Fall auch darin bestehen, dass sie Club-Charakter hat und »behind the border issues« adressiert, wie es von Demonstrierenden mit Slogans wie »There are only eight of them and billions of us« (Guardian, 31.5.2003) immer wieder vorgetragen wurde.
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JENNIFER GRONAU
Abb. 48: Legitimationsmustergruppen nach Ländern (G8, %)
CH DE
GB
US Gesamt 0%
20% DI
DO
40% NDI
60% NDO
80%
100%
unspez./andere
Aufschluss und somit Möglichkeit zur Verortung des G8-Legitimationsprofils geben die Legitimationsmuster, die den Statements zugrunde liegen. Abbildung 48 zeigt die herausragende Bedeutung von nicht-demokratiebezogenen Kriterien für den gesamten Diskurs. Insgesamt machen die beiden Gruppen nicht-demokratiebezogener Input und Output (NDI und NDO) mehr als die Hälfte aller Legitimationsaussagen aus (57,7 Prozent) und treten damit mehr als doppelt so häufig in Erscheinung wie die Gruppen demokratiebezogener Input und Output (DI und DO; 27,4 Prozent). Dennoch: Eine Übertragung demokratiebezogener Muster auf das intergouvernementale Regime findet durchaus statt. Wie von der Politisierungsthese suggeriert vollzieht sich die Diskussion über die Anerkennungswürdigkeit der G8 auch im Rahmen von normativ gehaltvolleren Bewertungsmaßstäben. Sie sind jedoch weniger prägend für die Legitimationsauseinandersetzungen als die nicht-demokratiebezogenen Eigenschaften des G8-Regimes. In der zweiten Dimension unserer Vierfeldermatrix für die Legitimationsmuster kommt die Differenzierung in Input und Output der G8 zum Tragen. Der Großteil aller Legitimationsaussagen bezieht sich auf die nichtdemokratiebezogene Output-Dimension der G8 (Abbildung 48). Viele Sprecherinnen betrachten somit aufmerksam die Leistungen zwischenstaatlicher Politik (Zürn 2006: 242). Wenn demokratiebezogene Kriterien
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angeführt werden, dann beziehen sich die Diskursteilnehmerinnen jedoch häufiger auf die Input-Dimension der G8-Architektur und damit auf »klassische« Bewertungsmaßstäbe nationalstaatlicher Legitimität. Äußerungen zu den Partizipationskanälen, zur Glaubwürdigkeit oder zur Transparenz der G8 sind somit präsenter als die Thematisierung ihres demokratiebezogenen Outputs, also etwa des von ihr garantierten Menschenrechtsschutzes oder der Reversibilität ihrer Entscheidungen. Nationale Unterschiede sind kaum erkennbar. Allein die amerikanische Berichterstattung hebt sich durch die in Relation zu anderen Maßstäben häufigere Thematisierung demokratiebezogener Kriterien zum Input der G8 erneut von den anderen Untersuchungsländern ab. Hier ist also eine stärker konventionelle, an demokratischen Kriterien orientierte Bewertung der G8 zu beobachten. Dieser Eindruck bleibt über die Zeit hinweg stabil, auch wenn erneut wie bereits bei der Legitimationsintensität und dem Niveau einige zyklische Effekte erkennbar sind. Ein deutlicher Trend bleibt aus. Abbildung 49 gibt Aufschluss darüber, welche dieser Mustergruppen besonders häufig für Kritik an der G8 herangezogen wird. Hierfür wurden die vier Gruppen sowie die Restkategorie nicht-spezifischer Bewertungen und ihre jeweiligen Legitimationsniveaus ausgewertet. Abb. 49: Legitimationsniveaus nach Legitimationsmustergruppen und Ländern (G8, %) 100 80 60 40 20 0 CH DI
DE DO
GB NDI
US NDO
Gesamt unspez./andere
174
JENNIFER GRONAU
Alle fünf Kategorien von Statements sind überwiegend mit delegitimierenden Bewertungen der G8 verbunden. Es ist demnach keine Gruppe von Mustern erkennbar, die in den Mediendiskursen häufiger positiv gewendet benutzt wird und deshalb als Legitimationsressource bezeichnet werden könnte. Aussagen zu den nicht-demokratiebezogenen Leistungen der G8 sind im Gesamtdiskurs nicht nur am häufigsten, sondern fallen auch weitaus häufiger negativ als positiv aus. Der amerikanische Diskurs fällt erneut aus der Rolle. In ihm sind demokratiebezogene Input-Kriterien nicht nur am häufigsten vertreten, sondern fallen auch positiver als die anderen Gruppen von Mustern aus. In einem weiteren Analyseschritt untersuchen wir, ob die Diskursteilnehmerinnen die Gruppen von Legitimationsmustern in spezifischer Weise verwenden (Abb. 50). Zweierlei fällt auf. Erstens ist der Anteil nicht-spezifischer Statements bei den nationalen Politikvertreterinnen im Vergleich zu den übrigen Diskursbeteiligten beachtenswert. Unspezifische Evaluierungen machen fast ein Drittel ihrer Diskursbeiträge aus und weisen zugleich ein relativ hohes Legitimationsniveau auf (Abb. 51). Für diejenigen nationalen Politikvertreterinnen, die solche generalisierten Zuschreibungen an die G8 vornehmen, scheint das G8-Regime somit unbestritten, so dass sie auf eine Begründung ihrer Legitimationszuschreibung verzichten. Ähnliches ist auch für die internationalen Politikvertreterinnen – unter ihnen Abb. 50: Legitimationsmuster nach Sprechergruppen (G8, %)
Journ.
Nat. Pol.
Int. Pol.
Zivilges.
0%
20% DI
DO
40%
60%
NDI
NDO
80%
100%
unspez./andere
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vornehmlich die G8-Vorsitzenden – zu beobachten. Und selbst die Journalistinnen wenden diese allgemeinen Evaluierungen etwas häufiger positiv als Bewertungen unter Rückgriff auf explizite Legitimationsmuster. Wenn der nicht-demokratiebezogene Input der G8, also Aspekte ihrer Führungskompetenz oder ihrer Ernsthaftigkeit von den internationalen Sprecherinnen evaluiert werden, dann fallen die Bewertungen internationaler politischer Akteure sogar zu hundert Prozent positiv aus. Aber auch für die anderen Gruppen von Mustern, die von nationalen und internationalen Politikvertreterinnen verwendet werden, sind Legitimationsniveaus von mindestens 50 Prozent erreicht. Abb. 51 : Legitimationsniveaus nach Legitimationsmuster- und Sprechergruppen (G8, %) 100 80 60 40 20 0 Journ. DI
Nat. Pol. DO
NDI
Intern. Pol. NDO
Zivilges. unspez./andere
Zweitens ist zu bemerken, dass die zivilgesellschaftlichen Sprecherinnen durch ihre relativ häufige Bezugnahme auf den demokratiebezogenen Input der G8 herausstechen. Die herkömmlichen Legitimationsmuster nationalstaatlicher Legitimität wie Partizipation und Transparenz sind hier mit einem Drittel ihrer Aussagen ebenso präsent wie die üblichen leistungsbezogenen Legitimationskriterien internationaler Legitimität. Verwenden die zivilgesellschaftlichen Akteure demokratiebezogene Kriterien (DI und DO), so fallen diese häufiger negativ aus als Bezugnahmen auf die allerdings öfter in den Diskurs eingebrachten nicht-demokratiebezogenen Maßstäbe (Abb. 50, 51). Hier zeigt sich ein bemerkenswerter Grad an Politi-
176
JENNIFER GRONAU
sierung der G8 durch die Zivilgesellschaft, der jedoch nach wie vor von der Dominanz der Output-Evaluierungen überlagert wird. Im Folgenden gehen wir der Frage nach, wie sich die bisherigen Erkenntnisse zum argumentativen Repertoire der Diskursteilnehmerinnen in den medialen Diskursen konkretisieren. Hierzu werden diejenigen einzelnen Legitimationsmuster innerhalb der Gruppen von Mustern vorgestellt, die mit über fünf Prozent in den Legitimationsdiskursen vertreten sind. Effektivitätsmängel werden dem G8-Regime insgesamt am häufigsten attestiert. In diesen Bezugnahmen auf den nicht-demokratiebezogenen Output wird die G8 zu »acht paralysierte[n] Giganten« (FAZ, 18.5.1998) oder zum »Club der Sklerotiker, von dem seit Jahren kaum noch Impulse für die Weltwirtschaft ausgehen« (FAZ, 2.7.2003), degradiert.26 Sie wird als »angeschlagener Kurgast« wahrgenommen, dem »dämmert, dass seine Kraft nicht mehr ausreicht, um die Probleme der Welt zu lösen« (SZ, 2.6.2007). So entstand bereits im ersten Untersuchungsjahr der Eindruck, »daß über alles ein bißchen und über nichts richtig gesprochen worden ist. Birmingham war ein Gipfel des Potpourri« (FAZ, 18.5.1998). In den britischen Zeitungen geht es ebenfalls bissig zu. Für einen Journalisten des Guardian sind die »summit communiqués […] toothless; they hold nobody to account and are instantly forgotten« (Guardian, 11.6.2004). Doch diese Einschätzungen scheinen nicht neu, denn »[d]ie Gipfelgespräche wurden von Jahr zu Jahr mehr zu einer Farce, weil sie zu einer bloßen Alibiveranstaltung für die Verlesung vorgefertigter Kommuniques degenerierten« (SZ, 18.5.1998). Oftmals verbinden die Diskursteilnehmerinnen mehrere Legitimationsmuster, wie das folgende Beispiel zeigt. Hier wird Kritik am Mangel ihrer Effektivität mit Kritik an den geringen Partizipationsmöglichkeiten zusammengeführt: They are pure conspicuous consumption, make-work for the »rich white trash« of international diplomacy. They yield vacuous communiqués and mountains of unread paper. Their only substantive conclusion is »to meet again« (Times, 20.7.2001).
—————— 26 In einer Sonderauswertung haben Gronau und Schneider (2009) eine ausführliche Analyse der Metaphern in den Legitimationsdiskursen zu den untersuchten Nationalstaaten, der G8 und der EU vorgenommen.
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Tabelle 16: Legitimationsmuster und Legitimationsniveaus (G8) Legitimationsmuster
%
Legitimationsniveau (%)
Demokratiebezogener Input (DI) Partizipation/Repräsentativität Glaubwürdigkeit Volkssouveränität
21,9 7,3 5,1 3,8
16,0 12,6 3,3 23,9
Nicht-demokratiebezogener Input (NDI) Ernsthaftigkeit Mäßigung Tradition
21,8 11,6 6,9 1,2
27,7 10,8 58,5 0,0
5,4 3,2 1,5 0,5
15,5 13,2 11,1 50,0
Nicht-demokratiebezogener Output (NDO) Effektivität Effizienz Relevante Agenda
41,2 16,1 5,2 4,3
17,5 13,5 6,5 42,3
Unspezifisch/Andere
14,9
35,2
100,0
21,9
Demokratiebezogener Output (DO) Gemeinwohlorientierung Schutz der Menschenrechte »empowerment«
N = 1195
Dargestellt sind die Prozentanteile und Legitimationsniveaus der vier Mustergruppen sowie der unspezifischen Legitimationsstatements und die Legitimationsniveaus der drei häufigsten Legitimationsmuster in jeder Gruppe.
Ebenfalls häufig vertreten und mit einem Legitimationsniveau von nur 13,5 Prozent meistens negativ gewendet sind Bezugnahmen auf die Effizienz der G8. Zwar tragen »[d]ie 90 bis 100 Millionen Euro, die der Gipfel kostet, […] eine politische Dividende, auch wenn sich diese nicht unbedingt in Inhalten, in Problemlösungen niederschlägt« (NZZ, 8.6.2007). Doch im Schweizer Tagesanzeiger fragt man sich, ob »dies das teure Spektakel wert [war]. […]. Vordergründig steht der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag« (Tagesanzeiger, 11.6.2007). Es gelingt der G8 demzufolge nicht, ihr selbstgestecktes Ziel umzusetzen. Hatte doch eine Sprecherin Chiracs 2003 in Évian daran erinnert, dass die G8 »kein ›Weltverwaltungsrat‹« sei und es vielmehr ihre Aufgabe sei,
178
JENNIFER GRONAU
»Impulse zu schaffen« (NZZ, 31.5.2003). Dem entgegen drängt sich der aus den Medien gewonnene Gesamteindruck auf, »die G8 seien im Hamsterrad gefangen: Das Rad dreht sich immer schneller, aber sie kommen nicht von der Stelle« (SZ, 2.6.2007). Verschiebt sich dieser negative Eindruck, wenn man die Bewertungen demokratiebezogener Leistungen der G8, etwa Menschenrechtsschutz oder die Förderung demokratischer Partizipationsmöglichkeiten, detaillierter betrachtet? Mit nur 5,4 Prozent derartiger Stellungnahmen im gesamten Diskurs kann selbst bei positiver Ausrichtung kaum von einem solchen Effekt ausgegangen werden. Bemerkenswert ist jedoch, dass die wenigen Statements zur Demokratieförderung ein Legitimationsniveau von 50 Prozent aufweisen. Laut Times preist etwa Südafrikas Präsident Thabo Mbeki die G8-Gipfel als Symbol für das Ende der kolonialen und neo-kolonialen Epoche: »Gone were the days when Africans took no role in the decisions which affected the fate of hundreds of millions of people« (Times, 1.7.2002). Von einer Legitimationsressource kann mit Blick auf die Marginalität dieses Musters in den Diskursen jedoch nicht gesprochen werden. Mit der am häufigsten vertretenen Bezugnahme auf Effektivitätsdefizite der G8 ist ein zentraler Ausgangspunkt ihrer problematischen Legitimationslage identifiziert. Doch die unsichere Situation der G8 ist nicht allein auf die wahrgenommene Ergebnislosigkeit ihrer Politik zurückzuführen. Ein weiterer Ausgangspunkt ihrer überwiegenden Delegitimation ist in der Gruppe der nicht-demokratiebezogenen Input-Dimension (NDI) verankert und nimmt vor allem die mangelnde Ernsthaftigkeit der Gipfel und des G8-Handelns im Allgemeinen in den Fokus. Mit 11,6 Prozent im Gesamtdiskurs und einem Legitimationsniveau von nur 10,8 Prozent positiven Stellungnahmen wird die symbolische Ebene der G8-Politik solchermaßen zum Anlass für Kritik genommen. Die G8 erscheint als »carnival of debate« (Guardian, 12.6.2007), »pseudo-ökonomischer Wanderzirkus« (SZ, 24.7.2001) oder »entspannte Party der Mächtigen« (FAZ, 9.6.2009). Ein britischer Journalist macht die Teilnehmer der G8 zu Superhelden und spitzt seine Kritik am G8-Regime auf diese Weise ironisch zu: These meetings, in this case held on a small, heavily-guarded island, resemble those inter-galactic confederation congresses in big budget sci-fi films, featuring weird monsters, triumphs of special effects. You imagine him [Tony Blair] floating in on a sort of fluorescent flying saucer, wearing a cape made out of moulded blue bakelite, and with webbed fingers, or perhaps two heads. The task? To bring peace to the warring galaxies and to crush the empire of the dreaded Klingons. Or Daleks (Guardian, 15.6.2004).
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In den wenigen positiven Bezugnahmen auf die symbolische Dimension betonen die Verteidigerinnen der G8 die durch sie geschaffene Möglichkeit zur nationalen und internationalen Inszenierung oder wenden das Argument positiv, um zu äußern, dass die G8 mehr als nur Show sei. Den Ausgangspunkten für die Kritik in der nicht-demokratiebezogenen Input-Dimension steht ein häufiger positiv bewertetes Merkmal der G8Architektur gegenüber: ihr Beitrag zur Mäßigung, also zum friedlich-kompromissbereiten Umgang der Staaten und Regierungen miteinander. Die Möglichkeit, im Rahmen dieser intergouvernementalen Ordnung die Interessen der Industriestaaten abzugleichen, kann durchaus als Legitimationsressource bewertet werden. 58,5 Prozent dieser Adressierungen der G8 als Austauschforum fallen positiv aus: Doch statt scheinheilig nach den konkreten Ergebnissen zu fragen und dabei die Komplexität der globalen Probleme auszublenden, soll man sich vielmehr überlegen, was wäre, wenn es dieses Forum nicht gäbe. Wer würde dann zumindest den Versuch unternehmen, im Klimaschutz einen härteren Kurs zu fahren? Wer befasste sich dann mit der Armut in Afrika? (Tagesanzeiger, 11.6.2007)
In der wissenschaftlichen Diskussion ist mehrfach betont worden, dass die Bedeutung der G8 für das internationale Politikgefüge unter anderem in dieser Funktion der Mäßigung liege, die zu einer informellen und partiellen Koordination transnationalen Regierens führen könne. Die hier identifizierte Legitimationsressource unterstreicht diese wahrgenommene Funktion der G8 in der internationalen Institutionen-Architektur, gilt sie doch vielen weniger als Policy-Forum, sondern vielmehr als internationaler Agenda-Pusher und Weichensteller (etwa Kirton 1999; Dobson 2007). Abschließend wenden wir uns den klassischen Mustern demokratiebezogener Input-Legitimation zu, die mit etwas weniger als einem Viertel aller Aussagen im Gesamtdiskurs vertreten sind. Ein in dieser Dimension sehr präsenter Kritikpunkt bezieht sich auf die mangelnden Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen der G8. Nur 12,6 Prozent der Aussagen zu den Möglichkeiten der Partizipation sind positiv ausgerichtet. Der Ursprungsgedanke der G8 findet seine bildliche Entsprechung in Bezeichnungen wie »fireside chat« (Guardian, 23.7.2001) oder »Kaminkränzchen« (SZ, 7.7.2005), die bereits die private und somit abgeschlossene Atmosphäre der Gipfel andeuten. Die massive Kritik an diesem Club-Format zeigt sich in weiteren Metaphoriken. Die G8-Gipfel erscheinen als »Stammtischrunden am Wochenende« (FAZ, 19.5.1998), als »world’s most exclusive summer camp« (New York Times, 27.6.2002), »Klub der westlich orientierten Demokratien«
180
JENNIFER GRONAU
(FAZ, 8.6.2007) oder auch einfach »rich men`s club« (Guardian, 23.7.2001). Dass die G8 »lediglich ein exklusiver Klub Satter und Wohlhabender« (NZZ, 21.7.2001) sei, findet sich auch in der Kritik an ihrer mangelnden Repräsentativität wieder. Das folgende Zitat aus dem Schweizer Tagesanzeiger vermittelt den häufig vorgetragenen Kritikpunkt mangelnder Partizipation und unterstützt die Anliegen der Protestierenden gegen die G8: Es lag Würde darin. Angesichts der Machtdemonstration, die das riesige Sicherheitsdispositiv rund um das Treffen der Staatschefs darstellt, laut und deutlich zu sagen: »Ihr mögt die Reichtümer der Welt nach eurem Gutdünken verteilen. In meinem Namen tut ihr es nicht« (Tagesanzeiger, 2.6.2003).
Zugleich verweist das Zitat auf das Problem der Unerreichbarkeit der Gipfel, durch welche die Anliegen der Protestierenden vor Ort kein Gehör finden können. Dieser wahrgenommene Mangel an Partizipationsmöglichkeiten wird in mehreren Äußerungen durch das Bild einer abgeschlossenen Festung charakterisiert: Beim Betrachten der Festung Genua lässt sich der Eindruck nicht verdrängen, dass Aufwand und Ergebnis aus dem Lot geraten sind. Die Führer der westlich-demokratischen Welt treffen sich hinter hohen Gittern und aufgereihten Polizeibataillonen und sind gezwungen, auf ein Kreuzfahrtschiff zu fliehen (NZZ, 21.6.2001).
Weiterhin scheinen »Sinn und Zweck der G-8-Treffen […] der breiten Öffentlichkeit ebenfalls unklar« (Tagesanzeiger, 19.7.2001), denn die G8 biete nur begrenzten Einblick in ihre Strukturen. Dennoch sind Bewertungen der (In-)Transparenz der G8 mit insgesamt 2,1 Prozent im gesamten Diskurs erstaunlich selten vertreten. Ein in dieser Dimension häufiger vorgetragener Kritikpunkt bezieht sich auf die mangelnde Glaubwürdigkeit der G8 (5,1 Prozent aller Statements). In nur 3,3 Prozent der Aussagen mit diesem Legitimationsmuster werden die G8 und ihre Politik als aufrichtig bewertet: Die Regierungschefs würden zwar gerne von den »Chancen der Globalisierung« reden, aber dann zuerst an ihre eigenen Interessen denken. Jedenfalls hätten sich die gross angekündigten Versprechungen zur Lösung der Nord-Süd-Fragen als »die grossen Rohrkrepierer der G-8« erwiesen (Tagesanzeiger, 28.5.2003).
Seltener als mit fünf Prozent vertreten, aber häufiger positiv gewendet als andere Muster sind Aussagen zum demokratiebezogenen Legitimationsmuster schlechthin, dem Standard der Volkssouveränität. In 23,9 Prozent dieser Aussagen (einem Wert, der etwas über dem allgemeinen Legitimationsniveau liegt) halten die Sprecherinnen die Anbindung der G8 an einen demos für
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gegeben. Wie das folgende Zitat zeigt, werden derartige Äußerungen vom Bild der ununterbrochenen Legitimationskette auf Ebene der Staatenwelt getragen. Die Legitimität des selbstkonstituierten Staatenclubs ohne formale Aufnahmekriterien ergebe sich aus der Legitimationszuweisung an die nationalen Regierungen, die durch das jeweilige Elektorat erfolge: Die Menschen vor den Absperrungen [die Demonstrierenden, Anm. JG] mag die Vorstellung verbinden, dass die Großmächtigen hinter den Mauern die Probleme hinter den Nachrichten lösen könnten. Allein: Sie irren, denn in Genua hat sich keine Weltregierung versammelt und auch keine Geheimloge zur Unterdrückung der Erde – es handelt sich lediglich um acht Staatsmänner, die von ihren Landsleuten mit einer Mehrheit ins Amt gewählt wurden und deshalb nach den Regeln der Demokratie legitimiert sind, für ihre Nationen zu verhandeln (SZ, 21.6.2001).
Die Fähigkeit der G8, demokratische Partizipationschancen zu fördern, eine relevante Agenda zu setzen, den Rahmen für Deliberation zu schaffen und dabei ein gewisses Maß an Innovation hervorzubringen, kann die massive Kritik an ihrer Ineffektivität und mangelnden Ernsthaftigkeit aufgrund der sehr geringen Präsenz dieser Bewertungsmuster in den Diskursen nicht relativieren. Allein die Fähigkeit der G8 zur Mäßigung kann als Legitimationsressource gelten. Der von den beiden Legitimationsmustern Ineffektivität und mangelnde Ernsthaftigkeit getragene kritische Diskurs erscheint dadurch bestenfalls etwas mehrstimmiger. Abschließend wollen wir die Rolle der in Kapitel 3 eingeführten Legitimationsstile in den Diskursen untersuchen. Abbildung 52 zeigt, dass ein Großteil der Statements dem Delegitimationsstil II, Kritik auf der Basis nicht-demokratiebezogener Standards, zuzurechnen ist. Es folgt Delegitimationsstil I, Kritik auf der Basis demokratiebezogener Kriterien. In keinem der vier Untersuchungsländer können hingegen Bewertungen auf der Basis der Legitimationsstile III oder gar IV die massive Kritik an der G8 auffangen. Abbildung 53 zeigt zudem, dass dieser Eindruck im Zeitverlauf kaum variiert. Folgt man den medialen Auseinandersetzungen in den vier Untersuchungsländern, so wird die G8 mithin vor allem als Showveranstaltung ohne Ergebnisse wahrgenommen: »Seit Jahren klafft ein Abgrund zwischen dem ohrenbetäubenden Gipfel-Brimborium, dem immer grösseren Aufwand einerseits und dem immer bescheideneren Ertrag andererseits« (Tagesanzeiger, 4.6.2007).
182
JENNIFER GRONAU
Abb. 52: Legitimationsstile nach Ländern (G8,%) CH
DE
GB
US
Gesamt 0%
20%
40%
I
60%
II
80% III
100% IV
N = 1015.
Abb. 53: Legitimationsstile im Zeitverlauf (G8, %)
60
40
20
0 1998
1999 I
N = 1015.
2000
2001
2002 II
2003
2004 III
2005
2006
2007 IV
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6.4
183
Zusammenfassung
Die Ergebnisse unsere Medienanalyse in vier westlichen Demokratien zeigen, dass die Öffentlichkeit die G8 schon seit langem intensiv bewertet. Allein in der amerikanischen Qualitätspresse ist die Diskussion über die Anerkennungswürdigkeit der G8 gering ausgeprägt. Von einer A-Legitimität der G8 als diplomatischer Veranstaltung hinter verschlossenen Türen und ohne öffentliche Aufmerksamkeit kann man daher sicherlich nicht sprechen. Im Untersuchungszeitraum von 1998 bis 2007 zeigt sich insgesamt das krisenhafte Legitimationsprofil einer intergouvernementalen Institution, deren Politik vor allem als ergebnislos und unseriös wahrgenommen wird. Seit Jahren erzeugt die G8 demnach weit mehr als nur ein kritisches Hintergrundrauschen – sie befindet sich nach unseren Kriterien eindeutig in einer Legitimationskrise. Die Situation der G8 ist nicht mehr nur prekär, sie geht über diesen unsicheren Zwischenstatus hinaus: Ihr Legitimationsniveau ist sehr niedrig, es dominieren nicht-demokratiebezogene Legitimationsmuster, und dieser Zustand ist von Dauer. Das folgende Zitat aus dem Anfangsjahr unseres Untersuchungszeitraums fasst diesen aus der untersuchten Qualitätspresse gewonnenen Gesamteindruck zusammen: These talks, now known as the G-7, the G-8 or the G-Whatever, have become the ultimate BOGSAT (Bunch of Guys Sitting Around a Table). These talks are no longer about power. They are about the illusion of power, created and sustained in the summit’s press releases and wall-to-wall puffery (Washington Post, 13.5.1998).
Mit Blick auf Legitimationsintensität und Legitimationsniveaus konnte kein Trend hin zu verbesserter öffentlicher Anerkennung festgestellt werden. Vielmehr verweisen unsere Ergebnisse auf gipfelbezogene und zyklische Besonderheiten, die durch die Kombination zweier Phänomene, der Protestereignisse in Genua 2001 und der Abhängigkeit vom Austragungsort, begründet werden konnten. Die Gipfel in Westeuropa erzeugen eine höhere mediale Legitimationsintensität und Präsenz der Zivilgesellschaft als diejenigen in den USA, Kanada, Japan oder Russland. Die G8 wird vor allem von einer kritischen Zivilgesellschaft herausgefordert und steht einer gleichfalls größtenteils kritischen »vierten Gewalt«, den Medienschaffenden, gegenüber. Jedoch treten die G8-Vorsitzenden als Verteidiger dieser Gipfeltreffen auf und werden in großen Teilen von den positiven Bekundungen der nationalen Politik flankiert. Allein diese Rechtfertigung durch politische Eliten vermag eine Zuspitzung der Legitimati-
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JENNIFER GRONAU
onskrise zu verhindern. Doch auch die Vertreterinnen der etablierten Politik können der G8 nicht zur Stabilisierung ihrer in den Medien verhandelten Legitimität verhelfen, weil das Ausmaß ihrer Unterstützung starken Schwankungen unterliegt. Die sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der medialen Debatte betonte Eigenschaft der G8, den Rahmen zur Mäßigung zu schaffen, ist die einzige Legitimationsressource, auf die sie bauen kann. Aufgrund der Singularität dieses Arguments kann die mit vielen anderen Kriterien bestrittene Legitimation der G8 nicht ausgeglichen werden. Die politikwissenschaftliche Diskussion zur Politisierung internationaler Institutionen – und hier speziell die Variante von Zürn u.a. (2007) – kann durch unsere Ergebnisse ergänzt werden. Es werden offenkundig nicht nur diejenigen Institutionen jenseits nationalstaatlicher Grenzen vom Phänomen der gestiegenen Legitimationsanforderungen erfasst, die mit dem Prinzip der Mehrheitsentscheidung oder mit quasi-juristischen Verfahren ausgestattet sind. Wie das Protestgeschehen und die Ergebnisse unserer Medienanalyse zeigen, kann mit der G8 ein auf dem Konsensprinzip beruhendes, intergouvernementales Regime ebenfalls als politisiert gelten (siehe auch Nonhoff u.a. 2009). Demokratiebezogene Legitimationsmuster, die den gesellschaftlichen Anspruch an eine normativ gehaltvolle Ordnung repräsentieren, werden in der medialen Diskussion um die Anerkennungswürdigkeit der G8 am häufigsten aus der Zivilgesellschaft hervorgebracht. Es findet jedoch weiterhin eine Überlagerung durch nichtdemokratiebezogene Legitimationsmuster statt. Es bedurfte erst eines weiteren diskursiven Ereignisses nach Genua 2001, um die Infragestellung der G8 jenseits der Proteste und medialen Kritik auf die internationale Politikagenda zu befördern. Mit dem Finanzcrash ab Herbst 2008 trat die eingeschränkte Handlungsfähigkeit der G8 deutlich zu Tage, gerade weil sie ein begrenzter Club ist. Ihre früheren Versuche, sich der Zivilgesellschaft, anderen Staaten und privaten Akteuren auf gering institutionalisierter Ebene zu öffnen, erscheinen im Lichte der derzeitigen Diskussion als gescheitert. Ein wichtiger Ausgangspunkt der nun sichtbar gewordenen Grenzen der G8 ist die gegenüber ihrer Gründungszeit deutlich gewachsene Bedeutung von Schwellenländern wie China oder Indien. Zudem ist die G8 durch die Existenz der G20 nicht alternativlos und ihre Abwertung ist aufs engste mit der Aufwertung der G20 verknüpft.
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Zu untersuchen bleibt, inwiefern die aktuellen Reaktionen der Vertreterinnen der G8 auf die andauernde Legitimationskrise zurückzuführen sind. Verblieb die grundlegende Kritik an der G8 zunächst jahrelang im Umfeld der Proteste, der Medien und im Kreis einiger intellektueller Kritikerinnen, so übertragen sich die Auseinandersetzungen im Zuge der globalen Herausforderungen nach dem Finanzcrash 2008 auf die G8 und ihr politisches Umfeld. Spätestens mit der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zeigt sich ihre bereits seit langem bedenkliche Situation. Den Resonanzboden hierfür haben die dauerhaften Proteste, kritischen Mediendiskurse und Reformdiskussionen geschaffen. Die architektonische Verschiebung in Richtung »Leaders of Twenty« ist ein sichtbares Zeichen für den Versuch der Vertreterinnen der G8, ihre Legitimität über die Erweiterung des Clubs zurückzugewinnen. Es bleibt abzuwarten, wie lange sich die acht »lonely captains of the ships of state« (Schaetzel/Malmgren 1980: 133) im Rahmen des bestehenden Formats noch halten und inwiefern die dem Club-Format inhärenten Probleme durch die G20 behoben werden können. Die G20 befindet sich hier in einer besonderen Position, weil sie in der Phase ihrer Neuausrichtung aus den Erfahrungen der G8 lernen kann.
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Die Europäische Union – zwischen Effektivität und Demokratie
Dominika Biegoń
Spätestens seit dem Vertrag von Maastricht und dem Aufbrechen des »Permissive Consensus« (Lindbergh/Scheingold 1970) ist die Legitimität der Europäischen Union (EU) zum Gegenstand zahlreicher politischer und wissenschaftlicher Debatten geworden. Die EU, so ein grundlegender Befund der wissenschaftlichen Literatur, befinde sich im »postfunktionalistischen« Zeitalter (Hooghe/Marks 2009): Nicht nur die fernab intensiver öffentlicher Beobachtung anfallenden wirtschaftlichen Effekte und funktionalen Erträge einer europäischen Kooperation entscheiden danach über den Verlauf des europäischen Integrationsprozesses, sondern zunehmend auch die öffentliche Meinung. Europäische politische Eliten »must look over their shoulders when negotiating European issues« (ebd.: 5). Die Vorstellung, dass die europäische Integration einen elitenorientierten und öffentlichkeitsfernen Prozess darstellt, kann nach dieser Auffassung nicht mehr aufrechterhalten werden. Im Zuge einer zunehmenden Politisierung der Europäischen Union, so die zentrale These der neueren Literatur (ebd.; siehe auch Börzel/Risse 2009 und Schmitter 2009), treten Fragen der öffentlichen Anerkennung dieser politischen Ordnung verstärkt ins Zentrum wissenschaftlicher Untersuchungen. Dabei ist – weit mehr als bei der Analyse anderer politischer Ordnungen jenseits des Nationalstaates – auch die Empirie der Anerkennung der EU erörtert worden (Niedermayer 1995; Schmidberger 1997; Thomassen/Schmitt 1999; Hix 2008). Anders als in den bisher vorliegenden Arbeiten zur empirischen Legitimität der Europäischen Union steht in diesem Kapitel jedoch – wie in den vorangegangenen auch – die öffentliche Legitimationskommunikation im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Europäische Union stellt ein internationales Regime sui generis dar. Sie ist diejenige internationale Organisation, in der Prozesse der Supranationalisierung am weitesten fortgeschritten sind. Diese Aushebelung des traditionellen Konsensprinzips internationaler Politik soll auch Auswirkun-
EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
187
gen auf das Legitimationsgeschehen haben (Zürn 2006: 244). Die EU werde – so etwa Michael Zürn – nicht mehr mit den »üblichen Effektivitätsmaßstäben zwischenstaatlicher Politik, sondern mit Ansprüchen einer guten politischen Ordnung konfrontiert« (ebd.: 242). Für unsere Untersuchung ist diese theoretische Annahme von besonderer Relevanz: Wir vermuten, dass die Legitimität der EU – im Gegensatz zu anderen internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der G8 – stark anhand von Maßstäben demokratischer Qualität bewertet wird. Im Zentrum unserer Analyse des Legitimationsprofils der EU steht die Frage, ob ihre Legitimität als prekär oder gar krisenhaft zu bezeichnen ist und welcher Legitimationsstil die öffentliche Debatte zur EU prägt. Die Analyse des öffentlichen Legitimationsgeschehens erfolgt in fünf Schritten. Zunächst wird die breite wissenschaftliche Literatur zum Legitimitätsdefizit der EU kurz skizziert und es werden die wesentlichen Fragestellungen der empirischen Analyse herausgearbeitet (7.1). In den ersten beiden empirischen Abschnitten des Kapitels steht sodann die Frage im Vordergrund, mit welcher Intensität die Legitimität der EU überhaupt in den Medien diskutiert wird (Legitimationsintensität, 7.1) und ob ein Großteil dieser Bewertungen einen legitimierenden oder delegitimierenden Charakter hat (Legitimationsniveau, 7.2). Es folgt eine Auswertung unserer Daten nach Legitimationsobjekten (7.3). Im letzten Abschnitt des empirischen Teils nehmen wir schließlich eine ausführliche Analyse der Legitimationsmuster und -stile vor, also der Argumente, mit denen die EU in öffentlichen Debatten (de-)legitimiert wird (7.4). In der Zusammenfassung diskutieren wir, ob die Legitimität der EU als prekär oder gar krisenhaft einzustufen ist (7.5).
7.1
Die Legitimität der EU: Debatten und Krisendiagnosen
In der wissenschaftlichen Literatur zur Legitimität der EU findet sich eine unübersichtliche Vielzahl von Krisendiagnosen und Reformvorschlägen. Versucht man, das breite Feld der Diagnosen zur Legitimität der EU zu ordnen, zeigt sich, dass die bestehende Literatur grob in zwei Klassen fällt. Diese unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Kriterien, die angewendet werden, um die Legitimität der EU zu bewerten. Besonders verbreitet sind Krisendiagnosen, in denen die Legitimität der EU anhand
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DOMINIKA BIEGOŃ
demokratiebezogener, normativ anspruchsvoller Standards bewertet wird (Zürn 2006). Kriterien demokratischer Qualität werden also für die Legitimität politischer Ordnungen als normativ alternativlos angesehen. Die wissenschaftliche Diskussion über das Legitimitätsdefizit der EU firmiert daher zumeist als Demokratiedefizit-Debatte. Ein anderer, weitaus kleinerer Strang der Literatur behauptet, dass die Legitimität der EU anhand normativ weniger anspruchsvoller, nicht-demokratiebezogener Maßstäbe zu bewerten sei. Bei dieser Art von Diagnosen stehen Maßstäbe der Effektivität und Effizienz im Mittelpunkt der Legitimitätsbeurteilungen. Legitimitätsdefizite der EU vor dem Hintergrund demokratiebezogener normativer Maßstäbe werden auf drei Ebenen diagnostiziert. Zum einen beschäftigt sich ein prominenter Forschungsstrang mit der Input-Legitimität des politischen Systems der EU (Lord/Beetham 2001; Føllesdal/Hix 2006; Lord 2006, 2008). In dieser Tradition argumentiert beispielsweise Lord (2006), dass Maßstäbe des demokratiebezogenen Inputs wichtiger seien als jene des demokratiebezogenen Outputs, um die Legitimität eines politischen Systems wie der Europäischen Union zu begründen (Bellamy 2010; Hüller 2010). Üblicherweise wird dabei auf klassische normative Demokratieprinzipien wie politische Gleichheit und Volkssouveränität und deren mangelhafte Verwirklichung auf europäischer Ebene verwiesen. Dem stehen jene Wissenschaftlerinnen gegenüber, die die repräsentative, nationale Demokratie als Maßstab für die Legitimität der EU in Frage stellen. Hier wird die Input-Legitimität der EU im Lichte normativer Kriterien wie Transparenz (Héritier 1999, 2003), Partizipation (Nanz/Steffek 2005 und die Beiträge zur partizipativen Demokratie in Kohler-Koch/Rittberger 2007), Deliberation (Eriksen/Fossum 2007) und »accountability« (Harlow 2002; Fisher 2004) gemessen – jedoch ebenfalls (meist) kritisch bewertet. Eine weitere demokratietheoretische Defizitdiagnose setzt grundlegender an. Prominente Autoren wie Dieter Grimm (1995), Fritz Scharpf (1999), Claus Offe (2003) und Peter Graf Kielmansegg (2003) argumentieren, der EU fehlten die »soziokulturellen Vorbedingungen« (Scharpf 1999: 18) input-orientierter Demokratie. Vertreter dieser »no-demos«-These (Weiler 1995: 10; vgl. auch Hurrelmann 2005) verweisen meist auf das Fehlen einer belastbaren europäischen Identität. Aber auch andere, damit zusammenhängende Defizite wie eine unzureichend entwickelte europäische Öffentlichkeit oder die Vielsprachigkeit der Europäischen Union seien ein Grund
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dafür, die »[D]emokratiefähig[keit]« (Kielmansegg 2003: 56) der EU grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Schließlich wird ein Mangel an demokratischer Legitimität auch für die Output-Seite des politischen Systems der EU behauptet. Fritz Scharpf bekräftigt, dass sich »das europäische politische System grundlegend von nationalen Demokratien unterscheidet, da es derzeit nur Output-Legitimität erreichen kann« (Scharpf 1999: 21).27 Er unterstreicht, dass sein Konzept von Output-Legitimität auf demokratischen Kriterien beruhe (Scharpf 2005: 708).28 Einer politischen Ordnung wie der Europäischen Union kann demnach dann Output-Legitimität zugesprochen werden, wenn es das »reflexive Kriterium der Gewährleistung des demokratischen Verfassungsstaates und der dafür konstitutiven Freiheits- und Mitwirkungsrechte der Regierten« erfüllt und wenn »die Regierenden […] mit Mitteln des Herrschaftsverbandes Schaden [abwenden] und den gemeinsamen Nutzen des ›Volkes‹ […] fördern« (ebd.: 711). Zentral für die Output-Legitimität eines politischen Systems ist nach Scharpf also die Frage, ob die »Ausübung der Herrschaft die Interessen der Mitglieder wirksam förder[t]« (ebd.: 709), was ihm zufolge insbesondere für die nicht-politischen Institutionen der EU – also den Europäischen Gerichtshof, die Europäische Zentralbank und die Europäische Kommission – immer weniger der Fall ist. Das tatsächliche Demokratiedefizit der EU bestehe mithin in ihrer Unfähigkeit zur kollektiven Lösung von gemeinsamen Problemen – insbesondere solchen, die redistributive Entscheidungen verlangen. Alle bisher zitierten Autorinnen teilen, trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen, die Ansicht, dass die Legitimität der EU erstens anhand demokratiebezogener normativer Standards zu bemessen und zweitens vor dem Hintergrund einer solchen Bemessungsgrundlage als problematisch zu qualifizieren sei.
—————— 27 Im Prinzip hält Fritz Scharpf auch in seinen neueren Publikationen an dieser These fest. Er hebt zwar hervor, dass die EU liberalen Legitimitätsstandards sowohl auf der Inputals auch auf der Output-Seite durchaus entspricht (2009: 249). Gemessen an republikanischen Demokratietheorien könne die EU aber »keinen Anspruch auf input-orientierte […] Legitimation erheben« (ebd.: 250). Ihr fehlten weiterhin alle gesellschaftlichen und institutionellen Voraussetzungen der input-orientierten Demokratie, wozu er europaweite Kommunikationsmedien, europaweite politische Parteien, einen auf europapolitische Entscheidungen konzentrierten Parteienwettbewerb und eine politisch verantwortliche, europäische Regierung zählt. Daher wird der Fokus von Scharpf weiterhin auf die Output-Legitimität des europäischen Mehrebenen-Systems gerichtet. 28 Im Gegensatz zu Majone (2006) beispielsweise, der sein Konzept von Output-Legitimität von demokratischer Legitimität abgrenzt.
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Ein weiterer Strang der wissenschaftlichen Debatte – sehr prominent vertreten durch Andrew Moravcsik (2002, 2006) und Giandomenico Majone (1996, 1998) – spricht sich für eine Senkung der Messlatte aus, anhand derer die Legitimität der EU bewertet wird. Moravcsik wendet sich explizit dagegen, die Legitimität der EU anhand abstrakter normativer Standards zu bewerten. Stattdessen solle die Legitimität der EU im Vergleich zur bestehenden Regierungspraxis der Mitgliedstaaten beurteilt werden. Ein Vergleich zwischen den Mitgliedstaaten und der EU deutet dabei nach seiner Analyse auf keine gravierenden Legitimitätsdefizite der EU hin. Die Delegation bestimmter Funktionen an spezialisierte Agenturen und deren Abschottung von parlamentarischer Kontrolle werde auch in den Mitgliedstaaten praktiziert und sei normativ gerechtfertigt (Moravcsik 2002: 613– 614). Zudem betont Moravcsik, dass Entscheidungen über die wichtigen Politikinhalte weitestgehend auf der Ebene der Nationalstaaten getroffen würden und dort hinreichend legitimiert seien. Auf EU-Ebene würden nur solche Politikinhalte geregelt, die nicht kontrovers seien und bei denen daher auf eine demokratische Autorisierung verzichtet werden könne. Ähnlich gelagert ist auch das Argument von Majone (1996), der die EU als »regulativen Staat« konzipiert. Nach diesem Modell werden auf EUEbene vor allem solche Entscheidungen getroffen, die keine größeren redistributiven Wirkungen haben und Pareto-Verbesserungen ermöglichen. Die normativen Maßstäbe, anhand derer die Legitimität der EU zu bewerten sei, müssten diesem Umstand angepasst werden. Klassische demokratiebezogene Legitimitätsstandards seien für die EU irrelevant. Vielmehr müsse die Legitimität der EU anhand von Effizienz- und Effektivitätsmaßstäben bemessen werden.29 Damit lassen sich – trotz der Unterschiede in ihrer Argumentation – zwei Gemeinsamkeiten zwischen Moravcsik und Majone ausmachen. Beide Autoren ziehen verstärkt nicht-demokratiebezogene Kriterien wie Effizienz und Effektivität für ihre Legitimitätsbeurteilungen heran. Zudem kommen sie – im Gegensatz zu den zuvor
—————— 29 Nach Majone basiert die Legitimität von nicht-majoritären Institutionen wie der Kommission, dem EuGH und der EZB auf ihrer Fähigkeit, zur effektiven Problemlösung beizutragen. Sie sollen Politikversagen der Mitgliedstaaten ausgleichen und Probleme lösen, die sich im Nationalstaat nicht länger erfolgreich bearbeiten lassen: »[Nonmajoritarian institutions] have to acquire their legitimacy by other means: they must prove their ›distinctive institutional competence‹ by generating and maintaining the belief of being, of all feasible institutional arrangements, the most appropriate one for a given range of problems« (Majone 2006: 619).
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diskutierten Autorinnen – zu dem Schluss, dass die Legitimität der EU weitgehend gesichert sei. In seinen jüngeren Publikationen schärft Majone sein Argument, indem er wiederholt die Bedeutung von Effizienz und Effektivität für die Bewertung der Legitimität der EU herausstellt. Im Gegensatz zu früheren Publikationen unterstreicht er jedoch nachdrücklich, dass die Europäische Union auch gemessen an diesen normativ weniger anspruchsvollen Kriterien ein Legitimitätsproblem habe (Majone 2006: 619; vgl. auch Majone 2005: 36–40, 2010). Dies äußere sich darin, dass die effiziente und effektive Problemlösungsfähigkeit – insbesondere der Europäischen Kommission – durch den stetigen Kompetenzzuwachs und die damit einhergehende unklare Abgrenzung der Aufgabenbereiche deutlich abgenommen habe. Die vielfältigen Funktionen und Zielsetzungen der Kommission führten dazu, dass diese zunehmend suboptimale Lösungen produziere. Dies trage erheblich zum Legitimitätsdefizit der Europäischen Union bei (Majone 2010). Der normative Maßstab, anhand dessen Majone die Legitimität der Europäischen Union bewertet, bleibt also unverändert. Nicht-majoritäre Institutionen der EU – insbesondere die Kommission, die EZB und der EuGH – sind nach seiner Ansicht legitim, sofern sie zur effektiven Problemlösung beitragen. Allerdings wird von Majone nun die Legitimität der EU selbst anhand der Kriterien Effizienz und Effektivität zunehmend in Zweifel gezogen. Die in der Wissenschaft kursierenden Diagnosen lassen sich den bereits vorgestellten Legitimationsstilen zuordnen (vgl. Kapitel 3). Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass die Diagnosen zur Legitimität der EU auf der Basis von zwei Variablen klassifizierbar sind. Wie gesehen plädiert ein Großteil der Autorinnen dafür, die Legitimität der EU anhand von Maßstäben demokratischer Qualität zu bewerten. Auf der anderen Seite finden sich aber Wissenschaftlerinnen, die alternative Kriterien als Maßstab für Legitimitätsbeurteilungen heranziehen. Darüber hinaus lassen sich die diskutierten Ansätze zur Legitimität der EU auch hinsichtlich des diagnostizierten Ausmaßes der Legitimität der Europäischen Union differenzieren. Hier unterscheiden sich jene Autorinnen, die die Legitimität der EU als weitestgehend gesichert ansehen, von denen, die die Legitimität der EU als problematisch einschätzen. Die Vierfeldermatrix in Tabelle 17 veranschaulicht die in der Wissenschaft diskutierten Befunde zur Legitimität der EU. In diesem Kapitel soll erörtert werden, welche empirische Relevanz diese wissenschaftlichen Diagnosen zur Legitimität der EU haben. Anders
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als im Großteil der Legitimitätsforschung zur Europäischen Union geht es hier nicht darum, einen normativen Bewertungsmaßstab zu definieren und die Legitimität der EU anhand dieses Maßstabes zu überprüfen. Hier interessiert allein die Entwicklung von Legitimationsdiskursen samt den herangezogenen normativen Bewertungsmaßstäben in medialen Öffentlichkeiten. Die oben skizzierten wissenschaftlichen Legitimationstheorien und Krisendiagnosen dienen dabei als Anhaltspunkte, anhand derer sich mediale Legitimationsdiskurse zur Europäischen Union interpretieren lassen. Wir wollen diese in der Wissenschaft existierenden Argumentationen zum Legitimitätsdefizit der EU nutzen, um das empirisch beobachtete, öffentliche Legitimationsgeschehen einzuordnen. Tabelle 17: Wissenschaftliche Diagnosen zur Legitimität der EU und Legitimationsstile
Delegitimation
Relevanz demokratiebezogener Legitimationskriterien
Relevanz nichtdemokratiebezogener Legitimationskriterien
Legitimationsstil I: Mangel an demokratischer Legitimität
Legitimationsstil II: Kollaps demokratischer Legitimität (Majone 2005, 2006, 2010)
(Grimm 1995; Héritier 1999, 2003; Scharpf 1999, 2009; Føllesdal/Hix 2006; Lord 2006, 2008) Legitimation
Legitimationsstil IV: Gesicherte demokratische Legitimität
Legitimationsstil III: Transformation demokratischer Legitimität (Majone 1996, 1998; Moravcsik 2002, 2006)
Die wissenschaftlichen Diagnosen zur Legitimität der EU lassen sich dabei empirisch beobachtbaren Legitimationsstilen zuordnen: Wenn die EU anhand demokratiebezogener normativer Standards überwiegend positiv bewertet wird, werten wir dies als einen empirischen Beleg für die gesicherte demokratische Legitimität der EU (hier: Legitimationsstil IV). Ange-
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193
sichts der Heftigkeit, mit der die Legitimität der EU in der wissenschaftlichen Debatte diskutiert wird, scheint ein solches Szenario allerdings wenig wahrscheinlich. Drei andere Ausprägungen der Legitimationsdebatte sind nach unserer Systematik weit eher zu erwarten. Von einem Mangel an demokratischer Legitimität wollen wir dann sprechen, wenn die EU in öffentlichen Debatten heftiger Kritik ausgesetzt ist und diese überwiegend von demokratiebezogenen Argumenten geprägt ist (Legitimationsstil I). Denkbar ist allerdings auch eine Entwicklung, bei der die EU ebenfalls weitgehend kritisiert wird, der Zweifel an ihrer Anerkennungswürdigkeit indes mit nicht-demokratiebezogenen Argumenten – beispielsweise mangelnder Effektivität, Effizienz oder Expertise – begründet wird (Legitimationsstil II). Der öffentliche Legitimationsdiskurs zur EU würde dann einen Kollaps demokratischer Legitimität anzeigen. Doch könnten nicht-demokratiebezogene Argumente auch herangezogen werden, um die Europäische Union positiv zu bewerten. Ergibt unsere empirische Analyse eine Dominanz nicht-demokratiebezogener Argumente, mit denen die EU legitimiert wird, wollen wir diesen Befund als ein Indiz für die Transformation demokratischer Legitimität interpretieren (Legitimationsstil III). Überwiegen also positive oder negative Legitimitätsbeurteilungen der EU? Welche normativen Grundlagen werden bemüht, wenn die Legitimität der EU in den Medien diskutiert wird? Sind die öffentlichen Urteile an Maßstäben demokratischer Qualität oder vielmehr an alternativen Kriterien orientiert? Und schließlich: Inwiefern kann von einer öffentlichen Legitimationskrise der EU gesprochen werden? Welchem unserer vier Legitimationsstile kommen die Argumentationsweisen in öffentlichen Debatten am nächsten?
7.2
Legitimationsintensität: Die EU als Gegenstand hoher medialer Aufmerksamkeit
Ein erster Hinweis auf Legitimationsprobleme der EU könnte sein, dass Fragen der Anerkennungswürdigkeit der EU in den Medien sehr intensiv erörtert werden. Daher wollen wir eingangs untersuchen, ob und in welchem Umfang die Legitimität der EU in den Medien thematisiert wird. Unser Indikator hierfür – die Legitimationsintensität, d.h. die Anzahl an Legitimationsstatements pro EU-Gipfel – soll Aufschluss darüber geben,
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in welchem Umfang es zu einer bewertenden Aufmerksamkeit in den Medien kommt.30 Tabelle 18: EU-Ratsgipfel – Orte, Termine, Legitimationsstatements pro Land und Jahr Legitimationsstatements (N) Ort Wien Berlin Nizza Laeken Sevilla Brüssel Brüssel Brüssel Lahti * Brüssel
Termin
CH
DE
GB
US
Σ
11.12.–12.12.1998 24.03.–25.03.1999 07.12.–11.12.2000 14.12.–15.12.2001 21.06.–22.06.2002 12.12.–13.12.2003 25.03.–26.03.2004 16.06.–17.06.2005 20.10.2006 21.06.– 22.06.2007
29 52 46 39 29 60 18 120 12 72
57 161 254 166 68 190 83 276 66 168
25 115 82 134 37 184 16 221 44 92
15 41 39 15 11 22 12 58 5 11
126 369 421 354 145 456 129 675 127 343
(1998–2007)
477
1489
950
229
3145
* Sondergipfel mit Russland.
Insgesamt haben wir 3145 Statements kodiert (Tabelle 18). Damit genießt die Frage der Anerkennungswürdigkeit der EU im Untersuchungszeitraum hohe mediale Aufmerksamkeit. Doch variiert die Zahl der Äußerungen zwischen den Untersuchungsländern stark. In den zwei Mitgliedsländern – Deutschland und Großbritannien – wird die EU deutlich häufiger zum Gegenstand von Legitimationsbewertungen als in den USA und der Schweiz. Die Mitgliedschaft in der EU macht also in Bezug auf die Häufigkeit, mit der diese Organisation im medialen Diskurs evaluiert wird, einen erkennbaren – und wenig überraschenden – Unterschied. Die Entwicklung der Legitimationsintensität im Zeitverlauf zeigt zudem, dass kein eindeutiger Trend nach oben oder unten zu erkennen ist. Vielmehr folgt die Intensität der öffentlichen Legitimationskommunikation einem zyklischen Verlauf: Bestimmte EU-Gipfel lösen intensivere mediale
—————— 30 Für jedes Jahr wurde jeweils derjenige EU-Gipfel für die Analyse ausgewählt, der laut einer Suchabfrage mit EU-Vokabular in unserer Mediendatenbank Factiva die intensivste Medienberichterstattung – dabei aber nicht unbedingt intensive Legitimationsdebatten – auslöste.
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EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
Debatten über die Legitimität der EU aus als andere. Die Legitimationsintensität der nationalen EU-Diskurse folgt demnach Aufmerksamkeitszyklen (Hurrelmann u.a. 2009; Schneider u.a. 2010: Kapitel 3). In Abbildung 54 ist die Entwicklung der Legitimationsintensität über die Zeit in standardisierter Form dargestellt. Datenpunkte über bzw. unter der x-Achse deuten auf über- bzw. unterdurchschnittliche Legitimationsintensität hin. Abb. 54: Legitimationsintensität nach Ländern im Zeitverlauf (EU) 3 2 1 0 -1 -2 1998
1999 CH
2000
2001
2002 DE
2003
2004 GB
2005
2006
2007 US
Die Datenpunkte stellen die z-transformierte Anzahl der Legitimationsstatements pro Land und Jahr dar. Der Berechnung wurde für jedes Land die durchschnittliche Zahl der Statements pro Jahr im Untersuchungszeitraum zugrunde gelegt; z-scores errechnen sich aus der Differenz zwischen der tatsächlichen Zahl der Statements pro Land und Jahr und diesen vier Mittelwerten, dividiert durch die zugehörigen Standardabweichungen.
Auffällig ist, dass gerade diejenigen EU-Gipfel, auf denen die Staats- und Regierungschefs grundlegende institutionelle Entscheidungen verhandelten, zu einer Zunahme der Legitimationsaussagen führten. Das ist beispielsweise für den Gipfel von Nizza im Jahr 2000 und den Brüsseler Gipfel 2003 der Fall. Während auf dem Gipfel von Nizza eine wesentliche institutionelle Weichenstellung in der Geschichte der EU erfolgte, die im Vertrag von Nizza fixiert wurde, fanden auf dem Brüsseler Gipfel im Dezember 2003 Verhandlungen über den Entwurf des Konvents zum »Vertrag über eine Verfassung für Europa« statt. Dieser wurde dem Ratsvorsitz im Juli des gleichen Jahres vom Konvent überreicht. Auf dem EU-Gipfel
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im Dezember 2003 sollten die grundlegenden Streitpunkte dazu aus dem Weg geräumt und die Verhandlungen über eine endgültige Fassung des Verfassungsvertrages zum Abschluss gebracht werden. Beide Gipfel zeichnen sich also durch einen Fokus auf institutionelle Themen aus. Gleichzeitig zogen beide Gipfel ein erhöhtes Maß an legitimatorischer Aufmerksamkeit auf sich. Die Tatsache, dass Legitimationsstatements verstärkt im Zusammenhang mit institutionellen Reformgipfeln auftreten, reicht jedoch nicht aus, um den Verlauf der Intensitätskurve nachzuvollziehen. In diesem Fall hätte beispielsweise der Gipfel von Laeken (2001), auf dem der Europäische Konvent zur Ausarbeitung eines Verfassungsvertrages einberufen wurde, eine erheblich intensivere Debatte über die Legitimität der EU auslösen müssen. Ebenso lässt sich der dramatische Anstieg der Legitimationsstatements im Jahr 2005 dadurch nicht erfassen. Dieser Brüsseler Gipfel ist vielmehr ein Beispiel dafür, dass die Zerstrittenheit der maßgeblichen Akteure und ein daraus resultierendes Scheitern des Gipfels ebenfalls als Auslöser für eine umfangreiche Diskussion zur Legitimität der EU dienen können. Das Treffen, das kurz nach den gescheiterten Referenden zum EU-Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden stattfand und auf dem der EU-Haushalt für die Jahre 2007–2013 festgelegt werden sollte, endete erfolglos. Die Ergebnislosigkeit des Gipfels und vor allem die zum Teil heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Staats- und Regierungschefs wurden von den nationalen Medien ausführlich diskutiert. Ähnliche Faktoren könnten auch für den Anstieg der Intensität der öffentlichen Legitimitätsdebatte während des Nizza-Gipfels im Jahr 2000 verantwortlich gewesen sein. Denn auch dieser Gipfel endete ergebnislos nach intensiven Streitigkeiten über den Abstimmungsmodus der doppelten Mehrheit, den Polen und Spanien strikt ablehnten. Zusammenfassend lassen sich mindestens zwei Faktoren ausfindig machen, die einen Anstieg der Legitimationsintensität begünstigen: Stehen auf EU-Gipfeln grundlegende institutionelle Reformen auf der Agenda, kann dies ebenso zu einem Anstieg an öffentlicher Legitimationskommunikation führen wie das Scheitern eines Gipfels. Unabhängig von den beschriebenen zyklischen Schwankungen, denen der EU-Legitimationsdiskurs offensichtlich unterliegt, kann für diesen Teil der Analyse festgehalten werden, dass die Legitimität der EU bemerkenswert intensiv in der Öffentlichkeit verhandelt wird.
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EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
7.3
Legitimationsniveau und Sprechergruppen: Abnahme der Unterstützung durch nationale politische Eliten
Neben dem Indikator der Legitimationsintensität ist jedoch das Legitimationsniveau für eine nähere Bestimmung des Legitimationsprofils der EU entscheidend. Das Legitimationsniveau stellt den Anteil derjenigen Äußerungen dar, in denen die EU positiv bewertet wurde (Abb. 55). Die Auswertung der Legitimationsniveaus zeichnet das Bild einer extrem kritischen Medienöffentlichkeit. Der Anteil positiver Bewertungen liegt über die zehn Untersuchungsjahre hinweg bei 22,4 Prozent, wobei die Unterschiede zwischen den Ländern sehr gering sind. Die Legitimität der EU wird also in den analysierten Qualitätsmedien weitgehend bezweifelt. Abb. 55: Legitimationsniveaus nach Ländern (EU, %) 40
30
20
10
0 CH
DE
GB
US
Gesamt
Die Entwicklung im Zeitverlauf veranschaulicht, dass auch das Legitimationsniveau starken Schwankungen ausgesetzt ist (Abb. 56). Die EU wird also nicht in allen Ländern durchgängig negativ bewertet. Rund um einige wenige Gipfel und in manchen Ländern genießt die EU ein höheres Maß an diskursiver Unterstützung. Von einer vergleichsweise anerkennenden Medienöffentlichkeit begleitet wurden dabei gerade diejenigen Gipfel, auf denen die Staats- und Regierungschefs in Krisensituationen relativ unproblematisch und zügig einen Konsens erzielen konnten und damit
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Handlungsfähigkeit bewiesen. Das ist insbesondere für die Schweizer und die amerikanische Berichterstattung zum Brüsseler Gipfel im Jahr 2004 der Fall, der kurz nach den Terroranschlägen in Madrid stattfand. Auf diesem Gipfel demonstrierten die politischen Eliten Einigkeit. Spanien und Polen gaben ihren Widerstand gegen den Abstimmungsmodus der doppelten Mehrheit im Rat auf, was dazu führte, dass die wichtigsten Weichen für eine Einigung über den »Vertrag über eine Verfassung für Europa« gestellt wurden. Nur in Großbritannien übersteigt der Anteil an positiven Bewertungen der EU zu keinem Zeitpunkt ein niedriges Niveau. Abb. 56: Legitimationsniveaus nach Ländern im Zeitverlauf (EU, %) 80
60
40
20
0 1998
1999 CH
2000
2001
2002 DE
2003
2004 GB
2005
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2007 US
Umgekehrt werden diejenigen Gipfel von einer besonders kritischen Medienöffentlichkeit begleitet, auf denen sich die Staats- und Regierungschefs heftige Auseinandersetzungen liefern und die Konsensfindung scheitert. Einen absoluten Tiefpunkt erreicht der Urteilstenor der Berichterstattung in allen Ländern während des Brüsseler Gipfels 2005. Dieser Gipfel scheint nicht nur einen besonders hohen Anstieg der öffentlichen Legitimationskommunikation ausgelöst zu haben; zugleich nimmt der Anteil an positiven Legitimationsäußerungen im Zuge dieses Gipfels drastisch ab. Die Verhandlungsführung der Staats- und Regierungschefs scheint zumindest in einigen Ländern Auswirkungen auf das Legitimationsniveau zu haben.
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Die Auswertung der beiden Indikatoren Legitimationsintensität und Legitimationsniveau ergibt ein recht dramatisches Bild der Legitimation der EU: Ihre Anerkennungswürdigkeit wird in den analysierten vier Medienöffentlichkeiten – insbesondere in den beiden Mitgliedsländern Großbritannien und Deutschland – intensiv und vor allem weithin negativ erörtert. Nur sehr selten – etwa während des Brüsseler Gipfels 2004 oder des Berliner Gipfels 1999 – erreichen die Legitimationsniveaus in einigen Ländern den mittleren Wertebereich. Insgesamt wird die Legitimität der EU in lediglich 22,4 Prozent aller Äußerungen positiv bewertet. Beide Befunde zusammen bieten handfeste Anhaltspunkte dafür, dass die EU erhebliche Legitimationsprobleme hat. Abb. 57: Sprechergruppen nach Ländern (EU, %) CH
DE
GB
US
Gesamt 0%
20% Journ.
40% Nat. Pol.
60% Int. Pol.
80%
100% Zivilges.
Im nächsten Schritt wollen wir untersuchen, wie verschiedene Sprechergruppen die EU in öffentlichen Debatten bewerten. Wir fragen also, ob einzelne Gruppen besonders häufig als Legitimierer oder Delegitimierer in Erscheinung treten. In der Literatur zum Demokratiedefizit der Europäischen Union, insbesondere in den empirischen Arbeiten zum sogenannten »Öffentlichkeitsdefizit« (z.B. Eder/Kantner 2000; Trenz 2004; Wessler u.a. 2008), finden sich Untersuchungen, die ihre Aufmerksamkeit auf die Verteilung diverser Sprechergruppen im europäischen »öffentlichen Raum« richten. Einige dieser Untersuchungen legen nahe, dass sich nationale öf-
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fentliche Debatten zur EU auf der Sprecherebene durch eine außerordentliche Dominanz nationaler und internationaler Politikerinnen gegenüber zivilgesellschaftlichen Akteuren auszeichnen (vgl. insbesondere Koopmans 2004, 2007). Abb. 58: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen (EU, %) 60
40
20
0 CH Journ.
DE
GB Nat. Pol.
US Int. Pol.
Gesamt Zivilges.
Abbildung 57 zeigt, dass die bei weitem sichtbarste Gruppe von Sprecherinnen Journalistinnen sind (59,4 Prozent). Politikerinnen – sowohl nationale als auch internationale – sind am zweithäufigsten vertreten (24,8 Prozent).31 Aber auch zivilgesellschaftliche Sprecherinnen – also etwa Vertreterinnen von NGOs, Gewerkschaften oder der Wissenschaft – steuern vergleichweise häufig Bewertungen der EU bei (15,8 Prozent). In jedem Fall ist deren Anteil im Bereich der öffentlichen Legitimationskommunikation deutlich höher als in allgemeinen öffentlichen Debatten mit Bezug zur europäischen Integration. Dort liegt der Anteil zivilgesellschaftlicher Sprecherinnen bei gerade einmal sieben Prozent (Koopmans 2004: 45). Sobald es also um die Legitimität der EU geht, nehmen zivilgesellschaftliche Gruppen eine wichtigere Stellung ein als in der generellen Be-
—————— 31 Die Gruppe der internationalen Sprecherinnen besteht zu 95,3 Prozent aus EU-Sprecherinnen, d.h. Vertreterinnen der Kommission, des Europäischen Parlamentes, des Europäischen Rates und anderer EU-Institutionen.
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richterstattung zu EU-Themen. Der von Ruud Koopmans (2004: 28) konstatierte elitäre Charakter öffentlicher Debatten zur europäischen Integration gilt damit nur bedingt für die öffentliche Legitimationskommunikation. Abb. 59: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen im Zeitverlauf (EU, %) 80
60
40
20
0 1998
1999
2000
Journ.
2001
2002 Nat. Pol.
2003
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2005
Int. Pol.
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2007
Zivilges.
Für unsere Untersuchung ist darüber hinaus die Bewertungsrichtung, also der legitimierende oder delegitimierende Urteilstenor der Äußerungen, von Bedeutung. Hier sind beachtliche Unterschiede zwischen den Sprechergruppen zu erkennen (Abb. 58). In allen Ländern treten nationale Politiker eher als Legitimierer im öffentlichen Diskurs zur EU auf. Das Legitimationsniveau der Äußerungen dieser Sprechergruppe ist genauso wie jenes internationaler Politikerinnen überdurchschnittlich hoch. Betrachtet man die zeitliche Dynamik der Legitimitätsbeurteilungen nationaler und internationaler Politikerinnen, ergibt sich eine aufschlussreiche Tendenz (Abb. 59). Während nationale Politikerinnen gerade zu Beginn unseres Untersuchungszeitraums einen wesentlichen Beitrag zur diskursiven Unterstützung der EU geleistet haben, bewertet diese einflussreiche Sprechergruppe die EU – mit Ausnahme des Jahres 2004 – zunehmend negativ. Seit 2005 pendeln die Legitimationsniveaus ihrer Äußerungen im unteren Drittel unserer Skala. Demgegenüber treten EU-Sprecherinnen zunehmend als offensive Unterstützerinnen auf. Seit 2004 steigt der Anteil positi-
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ver Bewertungen der EU innerhalb dieser Sprechergruppe langsam, aber kontinuierlich. Sehr viel kritischer fallen die Beurteilungen von zivilgesellschaftlichen Sprecherinnen und Journalistinnen aus. Auch im Zeitverlauf ist diese Tendenz annähernd konstant. Zudem veranschaulicht die Analyse der Bewertungsrichtung von Sprecherinnen, dass die Legitimationsprobleme der EU sich seit 2005 zugespitzt haben, weil seither sogar Bewertungen der nationalen politischen Eliten zum Großteil negativ ausfallen. Diese Tendenz wird nur teilweise durch eine leichte Zunahme der positiven Bewertungen durch Sprecherinnen der EU-Institutionen abgefedert.
7.4
Legitimationsobjekte: Divergierende Legitimitäten
Die bisherige Auswertung unserer Daten hat ergeben, dass die Legitimationsintensität und die Legitimationsniveaus der EU in den analysierten öffentlichen Diskursen auf eine problematische Legitimationslage der Europäischen Union hinweisen. Ob es sich um eine bloß prekäre Situation handelt oder um eine manifeste Legitimationskrise, ist indes erst unter Hinzuziehung weiterer Befunde zu entscheiden. Deshalb ist im nächsten Schritt zu untersuchen, ob sich die delegitimierenden Äußerungen nur auf einzelne Institutionen beziehen oder auf die gesamte politische Ordnung. Wenn sich Legitimationsanker im Mediendiskurs erkennen ließen, spräche dies für eine eher prekäre, aber noch nicht krisenhafte Lage. Dieser Begriff ist auf Legitimationsobjekte gemünzt, die vergleichsweise häufig und dabei überdurchschnittlich positiv bewertet werden; solche Anker können eine Verallgemeinerung von Legitimationszweifeln gegenüber dem gesamten politischen System der EU verhindern. Tabelle 19 zeigt die Verteilung und Legitimationsniveaus der vier von uns unterschiedenen Objektkategorien: das politische System oder die politische Gemeinschaft der EU als Ganze, zentrale Regimeprinzipien, Einzelinstitutionen und Akteursgruppen der EU (diese hierarchisch gegliederten Objektkategorien werden in Kapitel 3 näher erläutert). Legitimationsstatements der Objektkategorie »politisches System oder politische Gemeinschaft als Ganze« (I) können sich entweder mit dem Regime der EU im engeren Sinne befassen (indem beispielsweise schlicht auf »die EU« ohne weitere Spezifizierung verwiesen wird) oder mit der politischen Gemeinschaft der »Europäer«. Statements, die sich auf Re-
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gimeprinzipien wie Demokratie, Wohlfahrtsstaatlichkeit oder Verfassungsstaatlichkeit beziehen, sind in der Objektkategorie II zusammengefasst. Bewertungen der Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza wurden ebenfalls in diese Kategorie eingeordnet.32 Im Bereich der Kerninstitutionen (III) unterscheiden wir zwischen den Hauptorganen der Europäischen Union, also der Kommission, dem Europäischen Parlament, dem Europäischen Gerichtshof, dem Rat, dem Europäischen Rat und der Europäischen Zentralbank. In der Objektkategorie der Akteursgruppen (IV) differenzieren wir zwischen Bewertungen der politischen Klasse der EU im Allgemeinen und der Gruppe der Mitgliedstaaten. Abb. 60: Legitimationsobjektgruppen nach Ländern (EU, %)
CH DE GB US Gesamt 0%
20%
I
40%
II
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80%
III
100%
IV
Die meisten Legitimationsstatements entfallen auf die Gesamtheit des politischen Systems der EU (I). Mit einem Anteil von 40,2 Prozent werden aber auch einzelne Institutionen (III) in einem ähnlich hohen Maß Gegenstand (de-)legitimierender Äußerungen, während Akteursgruppen (IV) deutlich seltener bewertet werden. Noch seltener stehen Regimeprinzipien (II) im Zentrum von Legitimationsäußerungen (Tabelle 19).
—————— 32 Aussagen, in denen die Legitimität der EU-Verträge im Zentrum stand, sind nur berücksichtigt worden, wenn die Verträge bereits ratifiziert wurden.
204
DOMINIKA BIEGOŃ
Um uns einen genaueren Überblick über das Legitimationsgeschehen zu verschaffen, werden wir im Folgenden Besonderheiten hinsichtlich der Verteilung und der Legitimationsniveaus einzelner Objekte herausarbeiten. Sind im Mediendiskurs spezifische Legitimationsanker auszumachen, d.h. Legitimationsobjekte, die überdurchschnittlich häufig positiv bewertet werden, oder finden sich spezifische legitimatorische Angriffsobjekte, die einen überdurchschnittlich hohen Anteil an negativen Bewertungen auf sich ziehen? Tabelle 19: Legitimationsobjekte und Legitimationsniveaus (EU) Legitimationsobjekte
%
Legitimationsniveau ( %)
46,7 44,5 2,2
29,2 28,5 44,1
Regimeprinzipien (II) EU-Verträge Wohlfahrtsstaatlichkeit Demokratie
2,5 2,1 0,2 0,1
15,4 11,9 33,3 50,0
Einzelinstitutionen (III) Europäischer Rat Kommission Europäisches Parlament
40,2 24,8 8,7 2,3
19,4 19,0 12,0 32,4
Akteursgruppen (IV) Politische Eliten Gruppe der Mitgliedstaaten
10,6 6,2 4,3
5,7 7,2 3,0
100,0
22,4
Politisches System und politische Gemeinschaft als Ganze (I) Politisches System Politische Gemeinschaft
N = 3145
Dargestellt sind jeweils der Anteil und das Legitimationsniveau der Objektgruppen und der (bis zu) drei häufigsten Legitimationsobjekte in jeder Gruppe.
Innerhalb der Gruppe »politisches System als Ganzes« ist es vor allem die politische Gemeinschaft der »Europäer«, die mit einem Legitimationsniveau von 44,1 Prozent erstaunlich positiv bewertet wird. Jedoch machen Bewertungen dieses Legitimationsobjektes lediglich 2,2 Prozent aller Statements aus. Trotz ihrer bemerkenswert positiven Bewertung kann die poli-
EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
205
tische Gemeinschaft daher nicht als Legitimationsanker fungieren. Äußerungen, die sich mit der Legitimität des politischen Systems der EU im engeren Sinne beschäftigen, sind dagegen mit einem Legitimationsniveau von 28,0 Prozent weit seltener positiv und liegen damit in der Nähe des Wertes für alle Legitimationsstatements. Regimeprinzipien werden in den analysierten Mediendiskursen zur Legitimität der EU äußerst selten bewertet. Die EU wird in den Medien so gut wie nie als »europäische Demokratie« oder »europäischer Wohlfahrtsstaat« thematisiert. Es finden sich lediglich Hinweise auf die Verfassungsstaatlichkeit der EU in Form von Äußerungen, die die Verträge der EU bewerten. Jedoch ist auch die Anzahl dieser Bewertungen mit einem Anteil von 2,5 Prozent an allen Statements sehr gering. Innerhalb der Gruppe der Institutionen lohnt sich eine differenziertere Auswertung unserer Daten. Schließlich stehen einzelne EU-Institutionen und ihr Verhältnis zueinander auch im Zentrum der wissenschaftlichen Demokratiedefizit-Debatte. Legitimatorische Zweifel konzentrieren sich in der Wissenschaft im Wesentlichen auf die supranationalen Institutionen der Europäischen Union. Besonders harsch fällt die Kritik am technokratischen und bürokratischen Charakter der Europäischen Kommission aus (Føllesdal/Hix 2006; Hix 2008). Sie habe eine Schlüsselrolle in der europäischen Gesetzgebung und sei daher vergleichbar mit nationalen Exekutiven, sei aber weder dem Europäischen Parlament noch den Bürgerinnen gegenüber auch nur annähernd vergleichbar verantwortlich. Reformvorschläge richten sich meist auf eine Politisierung der Europäischen Kommission, die mittels einer direkten oder indirekten Wahl des Kommissionspräsidenten erreicht werden könne (Hix 2008).33 Das europäische Parlament wiederum, dessen Funktion als »Garant von Legitimität« (Kohler-Koch u.a. 2004: 212) aufgrund seiner mangelnden Legislativ- und Haushaltsrechte sowie seiner eingeschränkten Rolle bei der Bestellung des politischen Personals jahrelang bezweifelt wurde, hat in den letzten Vertragsrevisionen eine erhebliche Aufwertung erfahren (Rittberger 2007). Es bestehen jedoch weiterhin Zweifel, ob dieses Organ zur Überwindung des demokratischen Defizits beitragen kann und soll, da grundsätzlich die Eignung des repräsentativen parlamentarischen Systems für die spezifische Verfassung der EU in Frage gestellt wird (Kohler-Koch/Rittberger
—————— 33 Eine kritische Diskussion dieser Reformvorschläge nehmen Majone (2005) und Scharpf (2003) vor.
206
DOMINIKA BIEGOŃ
2007).34 Jüngst hat sich darüber hinaus eine in aller Schärfe geführte Debatte an der Legitimität des Europäischen Gerichtshofs entzündet. Fritz Scharpf (2009), Martin Höpner und Armin Schäfer (2008) verweisen in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des EuGH, die zunehmend marktliberale Tendenzen aufweist und gegen wichtige, politisch höchst bedeutsame Gesetze der Mitgliedstaaten vorgeht. Auch die Europäische Zentralbank ist Gegenstand wissenschaftlicher Legitimitätsdiskussionen. Insbesondere das im Vergleich zu nationalen Währungsinstitutionen erheblich höhere Maß an politischer Unabhängigkeit wird in Teilen der Literatur als kritikwürdig eingeschätzt (Majone 1998, 2010; Magnette 2000; Moravcsik 2002; Scharpf 2005). Auf der intergouvernementalen Seite verweisen einige wenige Autorinnen auf die Legitimitätsdefizite des Rates der Europäischen Union. Diesem wird insbesondere Intransparenz vorgeworfen. Er entwickle sich gerade im Bereich des Mitentscheidungsverfahrens zunehmend in Richtung einer klassischen Legislative und müsse daher – zusätzlich zu bisher beschlossenen Reformmaßnahmen (Europäischer Rat 2006) – noch weitere Schritte in Richtung Offenheit und Transparenz unternehmen (Hix 2008: 74). Die Legitimität des Gremiums, in dem die intergouvernementale Entscheidungsfindung am deutlichsten vorherrscht – nämlich des Europäischen Rates – scheint im Gegensatz dazu in der Wissenschaft deutlich weniger umstritten zu sein. Folgt man der in Kapitel 2 dargestellten Theorie der Legitimationsketten, wird diese vergleichsweise indifferente Haltung seitens der Wissenschaft gegenüber Legitimitätsfragen des Europäischen Rates nachvollziehbar: Die europäischen Staats- und Regierungschefinnen sind durch nationale Wahlen direkt legitimiert. Der dominante Entscheidungsmodus des Konsenses, der auch im Vertrag von Lissabon bestätigt wurde (Art. 15 Abs. 4 EUV), lässt – jedenfalls in normativer Perspektive – kaum Zweifel an der (Input-)Legitimität dieses Gremiums aufkommen. Unser empirisches Material zeigt, dass sich diese in der wissenschaftlichen Literatur kursierenden Kritiken an einzelnen EU-Institutionen zum Teil in den analysierten nationalen Mediendiskursen wiederfinden. Für unseren Untersuchungszeitraum sind eindeutige Unterschiede in der Intensität und Bewertungsrichtung einzelner Institutionen zu erkennen: Das niedrigste Legitimationsniveau aller Institutionen hat die Europäische Kommission (zwölf Prozent), die – neben dem Europäischen Rat – am
—————— 34 Eine kritische Diskussion dieses Arguments bietet Lord (2007); siehe auch Lord/ Beetham (2001).
EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
207
häufigsten Gegenstand von Legitimationsäußerungen ist. Gerade in der Berichterstattung zum Europäischen Gipfel, der kurz nach dem Rücktritt der Santer-Kommission in Berlin im März 1999 stattfand, sind delegitimierende Äußerungen zur Kommission besonders verbreitet. Negative Bewertungen dieser Institution als »organisation driven by a missionary zeal to accumulate power« (Guardian, 24.3.1999), als »majestic and pointless [bureaucracy]« (Guardian, 20.3.1999), als »korruptes Machtkartell« (SZ, 30.3.1999) oder als »undurchschaubare Polit-Bürokratie« (SZ, 25.3.2004) unterstreichen, wie unverhohlen die Kritik an der Kommission in den Medien zum Teil ausfällt. Legitimationsstatements, die sich mit den anderen supranationalen Institutionen befassen, sind hingegen deutlich affirmativer. Die Legitimationsniveaus des Europäischen Parlaments oder der Europäischen Zentralbank liegen bei 32,4 bzw. 36,8 Prozent. Jedoch ist der Anteil der Aussagen, die sich mit dem Europäischen Parlament (2,3 Prozent) bzw. der Europäischen Zentralbank befassen (2,2 Prozent), zu gering, als dass sie die Funktion eines Legitimationsankers im Mediendiskurs übernehmen könnten. Der Anteil von Bewertungen des EuGH ist noch geringer und liegt bei unter 1,5 Prozent. Die aktuelle wissenschaftliche Kritik am EuGH findet in der Medienöffentlichkeit also noch wenig Widerhall. Was die Bewertung intergouvernementaler Gremien der Europäischen Union betrifft, genießt der Europäische Rat ein hohes Maß an Aufmerksamkeit im medialen Legitimationsgeschehen (24,8 Prozent). Der Anteil der Äußerungen, die sich mit dem Rat befassen, liegt demgegenüber bei unter zwei Prozent. Angesichts unserer Analysezeitfenster rund um die Ratsgipfel kaum überraschend ist der Europäische Rat das am häufigsten bewertete Organ der EU. Gleichzeitig liegt das Legitimationsniveau dieser Institution mit 19 Prozent deutlich unter dem Gesamtwert. Es scheinen also auch solche Institutionen, in denen die intergouvernementale Entscheidungslogik vorherrscht, einem hohen Maß an kritischer Legitimationskommunikation ausgesetzt zu sein. In allen Untersuchungsländern stellt schließlich die Kategorie der Akteursgruppen ein beliebtes Angriffsobjekt dar. Die politische Klasse der EU wird in nur 7,2 Prozent aller Aussagen positiv evaluiert. Aber auch die Gruppe der Mitgliedstaaten ist harscher Kritik ausgesetzt. Das Legitimationsniveau dieser Objektkategorie liegt sogar nur bei 3,0 Prozent. Welche Relevanz haben diese Ergebnisse nun in Bezug auf die Frage, ob eine Legitimationskrise der EU festzustellen ist? Wie bereits erläutert
208
DOMINIKA BIEGOŃ
gehen wir davon aus, dass die Legitimität politischer Ordnungen von delegitimierenden Beurteilungen mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen wird, je nachdem auf welche Hierarchie-Ebene des Regimes die Kritik in erster Linie zielt. Eine Delegitimation des politischen Systems bzw. der politischen Gemeinschaft als Ganzer spricht demnach für einen höheren Grad der Krisenhaftigkeit als weit verbreitete negative Bewertungen der politischen Klasse oder einzelner Institutionen und Regimeprinzipien. Tatsächlich fallen Bewertungen des politischen Systems der EU insgesamt positiver aus als jene anderer Legitimationsobjekte, was den Negativbefund etwas abmildert. Sobald sich Sprecherinnen auf die Legitimität des politischen Systems insgesamt – und nicht auf einzelne Regimeprinzipien, politische Institutionen oder Akteursgruppen – beziehen, scheinen affirmative Äußerungen zuzunehmen. Jedoch kommt das Legitimationsniveau aller vier Objektkategorien nicht über einen niedrigen Wert hinaus. Europa als politische Gemeinschaft, das Europäische Parlament und die Europäische Zentralbank, denen ein vergleichsweise hohes Maß an diskursiver Unterstützung zuteil wird und die immerhin ein mittleres Legitimationsniveau erreichen, sind zu selten Gegenstand expliziter Bewertungen, als dass sie die Funktion eines Ankers im EU-Legitimationsdiskurs übernehmen könnten. Die Abwesenheit von Legitimationsankern und die Tatsache, dass zentrale Institutionen der EU wie die Kommission zur Zielscheibe der Kritik im öffentlichen Legitimationsgeschehen werden, bestätigen den Befund gravierender Legitimationsprobleme der EU.
7.5
Legitimationsmuster und -stile: Aufstieg demokratiebezogener Bewertungsmaßstäbe?
Um die Frage beantworten zu können, ob sich die EU in einem Zustand prekärer Legitimation oder gar einer Legitimationskrise befindet, wenden wir uns im letzten Schritt der Frage zu, mit welchen Gründen der EU die Legitimität weitgehend abgesprochen wird. In der bereits zitierten Literatur zur Politisierung internationaler Regimes gibt es diesbezüglich einschlägige theoretische Annahmen. Die EU ist unbestritten diejenige internationale Organisation, die zwischenstaatliche Kooperationsformen am weitesten durch supranationale Arrangements ersetzt hat. Diese Entwicklung, so Zürn (2006: 244), wird nicht folgenlos bleiben:
EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
209
Im Ergebnis […] wird die EU anhand der Kriterien einer normativ anspruchsvollen politischen Ordnung bemessen und gerät unter Legitimationsdruck. In dem Maße, in dem die Gesellschaft und die politischen Akteure beginnen, die supranationale Kraft der EU zu begreifen, werden sie Fragen nach der richtigen, guten politischen Ordnung jenseits der Grenzen des Nationalstaates transportieren und die skizzierten Veränderungen in Frage stellen bzw. neue und normativ gehaltvolle Forderungen an eine entstehende politische Ordnung stellen.
In diesem Teil wollen wir der von Michael Zürn formulierten These nachgehen. Inwiefern lassen sich in unserem Datenmaterial Anzeichen dafür finden, dass die Legitimität der EU anhand normativ anspruchsvoller Maßstäbe – also anhand demokratiebezogener Legitimationskriterien – bewertet wird? Eine erste Auswertung der Legitimationsmuster anhand der oben bereits eingeführten Gruppen (vgl. Kap. 3) demokratiebezogener Input (DI), nicht-demokratiebezogener Input (NDI), demokratiebezogener Output (DO), nicht-demokratiebezogener Output (NDO) bietet durchaus Unterstützung für die Zürnsche These (Abb. 61). Zwar spielen nicht-demokratiebezogene Output-Argumente – insbesondere Effektivität und Effizienz – bei der Evaluierung der EU die zentrale Rolle. Insgesamt 38,1 Prozent aller Legitimationsstatements bedienen sich derartiger Argumentationsmuster. Gleichzeitig haben aber auch demokratiebezogene Input-Argumente eine wichtige Position im Mediendiskurs inne. Es ist insbesondere das Argument der Volkssouveränität (8,6 Prozent aller Äußerungen), das in diesem Zusammenhang bemüht wird. In diese Gruppe gehören u.a. solche Statements, in denen das direkte Verhältnis zwischen den Bürgerinnen und der EU diskutiert und oftmals als entfremdet dargestellt wird: Europe’s »threadbare« political elites must abandon their grandiose schemes for an EU constitution and set about re-establishing their fractured relationships with voters at home who have been left bewildered by the series of »perpetual Maoist revolutions« emerging from Brussels (Guardian, 13.6.2005).
Aber auch Argumente, in denen das Kriterium der Transparenz im Vordergrund steht, prägen einen beträchtlichen Teil dieser Legitimationsäußerungen (5,3 Prozent).35 Insgesamt liegt der Anteil der demokratiebezoge-
—————— 35 Andere demokratiebezogene Input-Kriterien wie Deliberation, Rechenschaftspflichtigkeit oder Legalität werden hingegen deutlich seltener als Maßstab zur Bewertung der Legitimität der EU herangezogen. Die in der Wissenschaft so heftig geführte Debatte um die gesellschaftlichen Vorbedingungen für demokratisches Regieren auf europäischer Ebene (Grimm 1995; Kielmansegg 2003) wird in den Medien praktisch nicht geführt.
210
DOMINIKA BIEGOŃ
nen Input-Kriterien bei 25,8 Prozent und ist in den europäischen Ländern (Schweiz: 27,0 Prozent; Deutschland: 24,9 Prozent; Großbritannien: 7,8 Prozent) etwas höher als in den USA (20,1 Prozent). Abb. 61: Legitimationsmustergruppen nach Ländern (EU, %) CH DE
GB
US Gesamt 0%
20% DI
DO
40% NDI
60% NDO
80%
100%
unspez./andere
Seltener wird die EU hingegen mit nicht-demokratiebezogenen Input-Argumenten bewertet (18,8 Prozent), also beispielsweise solchen, in denen auf die Handlungs(un)fähigkeit der Europäischen Union oder ihre (Un-) Fähigkeit, zu Mäßigung und Ausgleich beizutragen, verwiesen wird. Das folgende Zitat stellt ein gutes Beispiel für eine Kombination der Argumente Handlungsunfähigkeit und mangelnde Mäßigung dar: Europa ist nicht erst in Brüssel gestorben. Es ist vielmehr in einer Mittelmäßigkeit versunken, die chronisch werden könnte. Stagnierend. Es ist von der Ambition zur Resignation übergewechselt […]. Und es hat gezeigt, dass es für lange Zeit nicht mehr als eine Freihandelszone sein kann; keine politische Entität, die auf der Weltbühne neben den anderen großen Machtzentren von heute und morgen auftreten kann. Im Vergleich zur Übermacht Amerikas, zu China und zu einem stetig wachsenden Indien erscheint Europa als ein Club von streitlustigen Händlern und frustrierten Verbrauchern (FAZ, 20.6.2005).
Eine eher untergeordnete Rolle spielen auch demokratiebezogene OutputKriterien (7,3 Prozent). Unter den Argumenten des demokratiebezogenen Outputs stellt das Kriterium der Gemeinwohlförderung (5,2 Prozent aller
211
EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
Statements) einen bedeutsamen Bewertungsmaßstab dar, der in den drei europäischen Medien – insbesondere in Deutschland – mehr als doppelt so häufig herangezogen wird wie in den US-amerikanischen Medien. Abb. 62: Legitimationsmustergruppen im Zeitverlauf (EU, %) 50
40
30
20
10
0 1998
1999
DI
2000
DO
2001
2002
NDI
2003
2004
NDO
2005
2006
2007
unspez./andere
Dabei ist kein zeitlicher Trend auszumachen (Abb. 62). Weder demokratiebezogene noch nicht-demokratiebezogene Argumente nehmen im öffentlichen Legitimationsdiskurs zur EU zu. Manche Gipfel wie der Berliner Gipfel 1999, auf dem über die Nachfolge von Jacques Santer als Kommissionspräsident entschieden wurde, oder der Brüsseler Gipfel im Juni 2007 befördern Argumentationen, in denen die EU stärker anhand von demokratiebezogenen Maßstäben bewertet wird. Bei anderen Gipfeln greift die bewertende Medienöffentlichkeit hingegen überwiegend auf Effektivitätsund Effizienzmaßstäbe zurück (das gilt insbesondere für die Brüsseler Gipfel im Dezember 2003, im März 2004 und im Juni 2005). Um die Qualität der öffentlichen Legitimationskommunikation genauer zu bestimmen, ist darüber hinaus eine Auswertung der Legitimationsniveaus der vier Mustergruppen und der Einzelkriterien sinnvoll. Welche Legitimationsmuster werden besonders häufig herangezogen, um die EU zu legitimieren, und welche, um sie zu delegitimieren? Abbildung 63 verdeutlicht, dass es für die EU eine Legitimationsressource – also ein Legitimationsmuster, das überdurchschnittlich häufig für positive Bewertungen
212
DOMINIKA BIEGOŃ
der EU herangezogen wird – nicht gibt.36 Auffällig ist, dass in allen Ländern normative Kriterien des demokratiebezogenen Inputs häufiger zur Delegitimation als zur Rechtfertigung der Europäischen Union eingesetzt werden. Insgesamt fallen über 85 Prozent der Äußerungen, in denen die EU anhand solcher Kriterien bewertet wird, negativ aus. Abb. 63: Legitimationsniveaus nach Legitimationsmustergruppen und Ländern (EU, %) 60
40
20
0 CH DI
DE DO
GB NDI
US NDO
Gesamt unspez./andere
Die bisherige Auswertung hat ergeben, dass sowohl demokratiebezogenen als auch nicht-demokratiebezogenen Legitimationsmustern eine vergleichsweise große Bedeutung zukommt. Im Folgenden werden weitere Kontextfaktoren untersucht, die einen Einfluss darauf haben, ob demokratiebezogene oder nicht-demokratiebezogene Kriterien der Bewertung im öffent-
—————— 36 Innerhalb der Mustergruppen existieren durchaus einzelne Bewertungsmaßstäbe, die überwiegend zur Legitimation der EU herangezogen werden; sie werden allerdings zu selten genannt, als dass sie als Legitimationsressource fungieren und negative Bewertungen auf der Grundlage anderer Muster ausgleichen könnten. Dazu zählen insbesondere Argumentationen, die den Beitrag der EU zum Schutz der Menschenrechte thematisieren. Das Legitimationsniveau dieses Musters, das wir der Gruppe des demokratiebezogenen Outputs zuordnen, liegt bei 54,7 Prozent. Erwähnenswert sind außerdem Äußerungen, die sich mit dem Beitrag der EU zu Stabilität und Sicherheit beschäftigen. Der Urteilstenor dieses Legitimationsmusters, das wir der Gruppe des nicht-demokratiebezogenen Outputs zurechnen, ist ausgesprochen hoch und liegt bei 78,6 Prozent.
EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
213
Tabelle 20: Legitimationsmuster und Legitimationsniveaus (EU) Legitimationsmuster
%
Legitimationsniveau (%)
Demokratiebezogener Input (DI) Volkssouveränität Transparenz Deliberation
25,8 8,6 5,3 2,7
14,2 15,9 10,2 12,9
Nicht-demokratiebezogener Input (NDI) Handlungsfähigkeit Mäßigung Charisma, Führungskompetenz
18,8 7,0 4,4 3,0
17,6 25,0 19,7 13,8
7,3 5,2 1,7 0,3
29,3 19,4 54,7 75,0
Nicht-demokratiebezogener Output (NDO) Effektivität Förderung der Souveränität/Macht Förderung der kollektiven Identität
38,1 25,0 2,4 2,4
25,5 23,3 3,9 24,7
Unspezifisch/Andere
14,9
35,2
100,0
22,4
Demokratiebezogener Output (DO) Gemeinwohlförderung Schutz der Menschenrechte »empowerment«
N = 3145
Dargestellt sind die Prozentanteile und Legitimationsniveaus der vier Mustergruppen sowie der unspezifischen Legitimationsstatements und die Legitimationsniveaus der drei häufigsten Legitimationsmuster in jeder Gruppe.
lichen Legitimationsgeschehen vorherrschend sind. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der Sprecherinnen, der Themenkontexte und der bewerteten Legitimationsobjekte. Mit Blick auf die Sprecherebene fällt die Zivilgesellschaft auf (Abb. 64). Diese steht der EU nicht nur besonders kritisch gegenüber. Zudem begründet sie ihre Kritik an der Legitimität der EU häufiger mit demokratiebezogenen Input-Kriterien als andere Sprecherinnen. Insgesamt werden demokratiebezogene Bewertungsmaßstäbe (41 Prozent) nur von dieser Sprechergruppe etwas häufiger herangezogen als nicht-demokratiebezogene (40,4 Prozent). Journalistinnen sowie nationale und internationale Politikerinnen neigen hingegen viel stärker dazu, die EU anhand von Kri-
214
DOMINIKA BIEGOŃ
terien wie Effektivität, also des nicht-demokratiebezogenen Outputs, zu evaluieren. Schließlich ergibt die Auswertung der Sprechergruppen, dass eine Sprecherkoalition zwischen nationalen und internationalen Politikerinnen besteht. Sie bewerten die EU mit Legitimationsniveaus von gut 40 bzw. 30 Prozent nicht nur deutlich positiver als andere Sprechergruppen. Auch die Argumente, mit denen die EU legitimiert wird, sind ähnlich. Die Bewertung der EU durch Politikerinnen erfolgt zum Großteil anhand von Effektivitäts- und Effizienzmaßstäben. Abb. 64: Legitimationsmustergruppen nach Sprechergruppen (EU, %)
Journ.
Nat. Pol.
Int. Pol.
Zivilges.
0%
20% DI
DO
40%
60%
NDI
NDO
80%
100%
unspez./andere
Des Weiteren wird die Verteilung der Legitimationsmuster vom Themenkontext, in den die Äußerung eingebettet ist, beeinflusst. Die Auswertung der fünf häufigsten Themenkontexte verdeutlicht, dass Legitimationsbeurteilungen, die sich an demokratiebezogenen Maßstäben orientieren, besonders häufig zustande kommen, wenn sich die Medien unmittelbar auf das alltägliche Funktionieren der europäischen politischen Institutionen oder auf ihre Reform beziehen (Abb. 65). Die Beschäftigung mit den Routinen und der Reform politischer Verfahren und Institutionen auf EUEbene bildet offensichtlich einen wichtigen Hintergrund für Auseinandersetzungen, in denen mit demokratiebezogenen Legitimationsmustern operiert wird. Ferner ist der Anteil an demokratiebezogenen Input-Kriterien auch in solchen Statements vergleichsweise hoch, in denen es um Fragen
215
EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
der Inneren Sicherheit – vor allem um die Asyl- und Einwanderungspolitik der EU – geht. Der Anteil der Legitimationsäußerungen zu diesem Thema ist allerdings mit 2,4 Prozent zu gering, als dass hier ein robuster Befund vorläge. Alle anderen Themenkontexte, insbesondere aber solche, die sich mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik befassen, führen hingegen zu Legitimationsauseinandersetzungen, die sich durch eine Dominanz nicht-demokratiebezogener Argumentationsmuster auszeichnen. Abb. 65: Legitimationsmustergruppen nach Themenkontexten (EU, %) Finanz- und Wirtschaftspolitik Sozialpolitik Innere Sicherheit Sicherheits- und Entw icklungspolitk Institutionenfragen 0%
20% DI
DO
40% NDI
60% NDO
80%
100%
unspez./andere
Schließlich ergibt sich, dass demokratische Legitimationsmuster nicht nur in Bezug auf bestimmte Sprechergruppen und Themenkontexte gehäuft auftreten. Die Auswertung der Legitimationsmusterverteilung nach Legitimationsobjekten verdeutlicht, dass die Legitimität einzelner Legitimationsobjekte deutlich häufiger anhand von demokratiebezogenen Kriterien diskutiert wird als die anderer Objekte. Abbildung 66 illustriert dies für eine Auswahl von Legitimationsobjekten. Obwohl die Fallzahlen für einige Objekte sehr gering sind, lassen sich dennoch deutliche Unterschiede ausmachen. Demokratiebezogene Legitimationsmuster sind besonders verbreitet bei der (De-)Legitimation des Europäischen Parlaments. Diese Objektkategorie ist die einzige, deren Legitimität häufiger anhand von demokratiebezogenen Maßstäben bewertet wird als auf der Basis alternativer Kriterien.
216
DOMINIKA BIEGOŃ
Abb. 66: Legitimationsmustergruppen nach Legitimationsobjekten (EU, %) Politisches System
Kommission
EP
EZB
Europäischer Rat
0%
20% DI
40% DO
NDI
60% NDO
80%
100%
unspez./andere
Ferner fällt auf, dass Maßstäbe des demokratiebezogenen Inputs auch bei der Legitimation der beiden anderen zentralen supranationalen Institutionen – der Kommission und der Europäischen Zentralbank – eine wichtige Rolle spielen. Bemerkenswert ist der hohe Anteil dieser Legitimationsmuster deshalb, weil in Teilen der wissenschaftlichen Literatur zum Legitimitätsdefizit der Europäischen Union behauptet wird, diese Institutionen bezögen als nicht-majoritäre Institutionen ihre Legitimität weitgehend aus der Fähigkeit zur effektiven Lösung bestimmter eingegrenzter Probleme, die sich auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht mehr lösen lassen (Majone 1996, 2005). Offensichtlich wird in der medialen Öffentlichkeit hingegen nur geringfügig zwischen nicht-majoritären Institutionen, die nicht direkt gegenüber der Bevölkerung verantwortlich sind, und majoritären Institutionen wie dem Europäischen Parlament unterschieden. Vielmehr scheint der Aspekt der Supranationalität bei Legitimitätsbeurteilungen in öffentlichen Debatten eine Rolle zu spielen, da die Legitimität der drei zentralen supranationalen Institutionen vergleichsweise häufig an Kriterien des demokratiebezogenen Inputs bemessen wird. Nicht-demokratiebezogene Legitimitätsmaßstäbe sind hingegen bei der Beurteilung des Europäischen Rates und des politischen Systems der Europäischen Union als Ganzer relevant. Während für die Legitimation des Europäischen Rates Effizienz- und Effektivitätsargumente vorherrschend
EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
217
sind – 50,1 Prozent aller Statements, die den Europäischen Rat bewerten, basieren auf diesen Argumentationsmustern – sieht das Bild für die Bewertung des politischen Systems der EU differenzierter aus. Diesem wird neben einem Mangel an Effektivität und Effizienz besonders häufig mangelnde Handlungsfähigkeit vorgeworfen. Insgesamt zeigt sich, dass die anfänglichen empirischen Befunde zur Verteilung bestimmter Legitimationsmuster im öffentlichen Mediengeschehen differenziert werden müssen. Auf der aggregierten Ebene haben wir festgestellt, dass nicht-demokratiebezogene Kriterien eine gewichtige Rolle im öffentlichen Legitimationsgeschehen zur Europäischen Union spielen. Eine differenzierte Analyse der Legitimationsmuster macht darüber hinaus deutlich, dass der Legitimation der Europäischen Union eine gewisse Systematik zugrunde liegt. Das Aufkommen demokratiebezogener oder nicht-demokratiebezogener Argumentationsmuster ist einerseits abhängig davon, welches Legitimationsobjekt im Mittelpunkt des Interesses steht, und andererseits davon, welcher Sprecherin die Aussage zugeschrieben werden kann. Auch der Themenkontext des Legitimationsstatements spielt für die Verteilung demokratiebezogener und nicht-demokratiebezogener Argumentationsmuster eine Rolle. Demokratiebezogene Argumente werden gerade dann bemüht, wenn die zentralen supranationalen Institutionen – also das EP, die Kommission und die EZB – bewertet werden. Ferner bilden öffentliche Debatten zum Funktionieren und Tätigwerden der EU-Institutionen einen Nährboden für Legitimationsäußerungen, die sich an demokratischen Kriterien legitimen Regierens orientieren. Darüber hinaus konnten wir belegen, dass zivilgesellschaftliche Akteure eine entscheidende Rolle im öffentlichen EU-Legitimationsdiskurs spielen, weil sie wie keine andere Sprechergruppe die Legitimität der EU anhand von Maßstäben einer normativ anspruchsvollen politischen Ordnung bewerten. Auf nicht-demokratiebezogene Legitimationsmuster wird hingegen besonders häufig von internationalen und nationalen Politikerinnen sowie von Journalistinnen Bezug genommen. Legitimationsauseinandersetzungen sind darüber hinaus besonders dann von alternativen Kriterien der Legitimität geprägt, wenn sie im Kontext der Wirtschafts- und Finanzpolitik stattfinden und wenn der Europäische Rat oder das politische System der EU als Ganzes im Zentrum des Interesses steht. Wie sind diese EU-Ergebnisse nun im Lichte der von uns eingangs formulierten Legitimationsstile zu bewerten? In einem letzten Schritt wollen wir die Art der Legitimation der EU unter Rückgriff auf diese Stile näher
218
DOMINIKA BIEGOŃ
bestimmen. Dazu werden die beiden Variablen Legitimationsmuster und Legitimationsniveau miteinander gekoppelt (Abb. 67). Abb. 67: Legitimationsstile nach Ländern (EU, %) CH
DE
GB
US
Gesamt 0%
20% I
40% II
60%
80% III
100% IV
N=2829.
Die Auswertung unserer Daten ergibt, dass zwei Legitimationsstile im öffentlichen Legitimationsdiskurs besonders ausgeprägt sind. In 48,8 Prozent aller Aussagen wird die Legitimität der EU kritisch eingeschätzt, wobei die Begründung dieser Einschätzungen auf normativ weniger anspruchsvollen, nicht-demokratiebezogenen Maßstäben – insbesondere Effizienz, Effektivität und Handlungsfähigkeit – beruht (Legitimationsstil II). Dieser Typ von Legitimationsstatements ist mit einem Anteil von 59,0 Prozent in den USA weitaus häufiger als in der Schweiz (45,3 Prozent), in Deutschland (47,2 Prozent) oder in Großbritannien (50,7 Prozent). Ein erheblicher Teil der Statements (30,3 Prozent) lässt sich aber auch dem ersten Legitimationsstil zuschreiben, der sich dadurch auszeichnet, dass normativ anspruchsvolle demokratiebezogene Maßstäbe zur Delegitimation der EU herangezogen werden. In Bezug auf diesen Legitimationsstil lässt sich ebenfalls ein Unterschied zwischen den europäischen Mediendiskursen und dem amerikanischen Diskurs ausmachen: Diese Variante von Legitimationsäußerungen findet sich etwas häufiger in der Schweizer
219
EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
(30,9 Prozent), der deutschen (30,0 Prozent) und der britischen (32,3 Prozent) als in der US-amerikanischen (22,4 Prozent) Qualitätspresse. Demgegenüber liegt der Anteil an Aussagen, in denen die EU positiv bewertet wird, sei es anhand nicht-demokratiebezogener (Stil III) oder demokratiebezogener (Stil IV) Kriterien, insgesamt nur bei 6,4 bzw. 14,5 Prozent und spielt damit eine eher untergeordnete Rolle. Abb. 68: Legitimationsstile im Zeitverlauf (EU, %) 80
60
40
20
0 1998
1999 I
2000
2001
2002 II
2003
2004 III
2005
2006
2007 IV
N=2829.
Die empirische Bedeutung der beiden ersten Legitimationsstile wird noch klarer, wenn man die Entwicklung im Zeitverlauf betrachtet. Abbildung 68 verdeutlicht die dominante Position, die delegitimierende Äußerungen auf der Basis nicht-demokratiebezogener Kriterien auch im Zeitverlauf einnehmen (Stil II). Seit dem Gipfel im Jahr 2003 in Brüssel, auf dem über den Entwurf des Konvents zum »Vertrag über eine Verfassung für Europa« beraten wurde, bedienen sich delegitimierende Äußerungen jedoch zunehmend demokratiebezogener Argumentationsmuster. Dies ist insbesondere für die drei europäischen Länder der Fall. Bei der Berichterstattung zum Gipfel im Jahr 2007 wurden kritische Äußerungen zur Legitimität der EU in der Schweiz, in Deutschland und in Großbritannien sogar häufiger mit demokratiebezogenen als mit nicht-demokratiebezogenen Kriterien begründet.
220
7.6
DOMINIKA BIEGOŃ
Zusammenfassung
Die in der Wissenschaft diskutierten Krisenbefunde zur Legitimität der Europäischen Union finden im öffentlichen Mediengeschehen weitgehend ihre Entsprechung. Der mediale Legitimationsdiskurs zur EU zeichnet sich durch ein hohes Maß an Krisenhaftigkeit aus, das auf mindestens zwei Ebenen zu konstatieren ist. Krisenhaft und nicht nur prekär ist die Legitimation der EU zum einen, weil die Legitimität der EU im analysierten Mediendiskurs außerordentlich intensiv und in einem hohen Maße kritisch verhandelt wird. Wenn auch einige Gipfel, vor allem solche, auf denen grundlegende institutionelle Reformen auf der Agenda stehen, eine intensive Legitimationskommunikation mehr begünstigen als andere, bleibt die Legitimationsintensität – also die Anzahl an (de-)legitimierenden Äußerungen – doch im gesamten Untersuchungszeitraum konstant hoch. Zugleich scheint dieses hohe Maß an Legitimationskommunikation einen kritischen Urteilstenor zu begünstigen. Die Legitimität der EU wird in 77,6 Prozent aller analysierten Aussagen in Zweifel gezogen. Das Legitimationsniveau der Aussagen ist damit insgesamt sehr gering – auch wenn einzelne Sprecherinnen (insbesondere nationale sowie internationale Politikerinnen) dazu neigen, die EU positiver zu evaluieren als andere. Beide Befunde zusammen bieten handfeste Anhaltspunkte dafür, dass sich die Europäische Union einer Legitimationskrise ausgesetzt sieht. Auch die Analyse der im Mediendiskurs bewerteten Objekte kann diesen Befund nicht abmildern. Einzelne Institutionen der EU wie das Europäische Parlament und die Europäische Zentralbank, aber auch die politische Gemeinschaft der Europäer, werden zwar etwas positiver bewertet als andere, allerdings sind diese Objekte zu selten Gegenstand expliziter Bewertungen, als dass sie den Legitimationsdiskurs nachhaltig in eine affirmative Richtung beeinflussen könnten. Diejenigen Legitimationsobjekte, die besonders häufig im Zentrum des Legitimationsgeschehens stehen – also das politische System als Ganzes, der Europäische Rat und die Kommission –, erfahren nur ein geringes Maß an diskursiver Unterstützung. Krisenhaft ist die Legitimation der EU zweitens also deshalb, weil kein Legitimationsanker im Mediendiskurs auszumachen ist, der eine Verallgemeinerung der Legitimationszweifel gegenüber dem gesamten politischen System verhindern könnte.
EU – ZWISCHEN EFFEKTIVITÄT UND DEMOKRATIE
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Schließlich verdeutlicht die Analyse der im Mediendiskurs verwendeten Legitimationsmuster und der zugehörigen Legitimationsniveaus, dass die EU sowohl anhand normativ anspruchsvoller demokratiebezogener Kriterien als auch anhand alternativer Kriterien – insbesondere Effektivität und Effizienz – größtenteils delegitimiert wird. Insgesamt zeichnen sich die Legitimationsauseinandersetzungen zur Europäischen Union durch ein Wechselspiel der Bewertungsmaßstäbe aus, in dem je nach Sprecherin, Themenkontext und Legitimationsobjekt entweder demokratiebezogene Kriterien der Legitimität oder solche der Effektivität, Effizienz und Expertise überwiegen.
8
Legitimation in der postnationalen Konstellation
Martin Nonhoff und Steffen Schneider
Wie die vorangegangenen drei Kapitel gezeigt haben, wird die Legitimität der Vereinten Nationen, der G8 und der EU heute – wie von uns erwartet – in einem mit nationalstaatlichen politischen Ordnungen vergleichbaren Umfang zum Gegenstand öffentlich-medialer Legitimationsdiskurse. Das folgende Kapitel vergleicht und resümiert die Einzelbefunde der Fallstudienkapitel. Zunächst vergleichen wir die Ergebnisse hinsichtlich einzelner Variablen; dabei gehen wir insbesondere auf den Befund eines Legitimationsgefälles zwischen nationaler und internationaler Ebene ein (8.1). In einem zweiten Schritt werden die Legitimationsprofile als Ganze daraufhin befragt, ob sie als gesichert, prekär oder kritisch einzuschätzen sind (8.2).
8.1
Das Legitimationsgefälle zwischen Nationalstaat und internationalen Organisationen
Unser Maß für die Intensität von Legitimationsdiskursen war schlicht die Zahl der in den einzelnen nationalen Öffentlichkeiten und im Untersuchungszeitraum identifizierten Legitimationsstatements. Auch wenn uns für die absolute Zahl dieser Statements ein »harter« Bewertungsmaßstab fehlt, darf die Menge der identifizierten Legitimationsurteile doch als beträchtlich gelten. Die Zahl der zwar über zehn Jahre hinweg, dabei indes jeweils nur in engen zehntägigen Zeitfenstern erhobenen Statements liegt für die UNO und die G8 bei über 1.000, für die EU und die vier nationalen Regimes zusammen sogar bei etwa 3.000 bzw. fast 4.000. Auch in den vier nationalen Öffentlichkeiten lassen sich über das untersuchte Jahrzehnt hinweg in aller Regel mehrere hundert und zum Teil sogar über 1.000 Legitimationsurteile zum eigenen nationalen politischen System wie auch zu den drei internationalen Regimes finden. Und schließlich ist die Menge der
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Statements sogar in den einzelnen Jahren zumeist hoch genug, um von genuinen Legitimationsdiskursen zumindest im Umfeld der unseren Zeitfenstern zugrunde liegenden politischen Ereignisse zu sprechen. Nur in wenigen Fällen, etwa dem amerikanischen Diskurs zur G8 oder dem frühen Schweizer Diskurs zur UNO, finden wir so geringe Legitimationsintensitäten, dass es nahe liegt, von A-Legitimität zu sprechen. Die festgestellten Abstufungen in der Legitimationsintensität können dabei nicht überraschen. Weiterhin ziehen nationale politische Ordnungen die größte Aufmerksamkeit in Legitimationsdiskursen auf sich (ein Befund, der für andere Typen politischer Kommunikation ebenso gilt; vgl. etwa Wessler u.a. 2008). Es folgt mit der EU das Regime, das aufgrund seiner supranationalen Elemente einerseits und der wachsenden Zuständigkeiten und Eingriffstiefe andererseits als das staatsähnlichste der drei untersuchten internationalen Regimes gelten darf. Die UNO und die G8 – letztere trotz der medial durchaus sichtbaren Protestaktivitäten rund um ihre Gipfel – werden weit seltener zum Gegenstand von Legitimationskommunikation. Im Zeitverlauf lassen sich keine Trends oder Regelmäßigkeiten der Legitimationsintensitäten feststellen. Vielmehr scheinen Ausschläge nach oben in manchen Fällen davon abhängig zu sein, welche Themen verhandelt werden (z.B. Sicherheitsfragen bei der UN oder institutionelle Reformen bei der EU), in anderen davon, wo ein Gipfel stattfindet (G8-Gipfel in Westeuropa generieren eine höhere Legitimationsintensität). In den vier auf die nationalen politischen Ordnungen bezogenen Legitimationsdiskursen wiederum lassen sich die Ausschläge der Intensitäten am ehesten mit den je eigenen nationalen Agenden der vier untersuchten Demokratien erklären (so prägt den Diskurs in den USA 2003 der sich abzeichnende Irakkrieg). Die wichtige Variable des Legitimationsniveaus verdeutlicht zuallererst, dass den Nationalstaaten und ihren Regime-Elementen – mit Ausnahme Großbritanniens – vergleichsweise hohe Legitimität zugesprochen wird. Zum einen liegen die Legitimationsniveaus in der Schweiz, Deutschland und den USA im mittleren Bereich (in der Schweiz und den USA sogar über 50 Prozent). Auch wenn diese politischen Systeme damit keine ausgesprochen hohe Legitimität beanspruchen können (eine solche würden wir bei Legitimationsniveaus im oberen Drittel annehmen), können diese Ergebnisse als relativ unproblematisch eingeschätzt werden, weil für Demokratien, die ja auch von offen geäußerter Kritik und Problematisierung
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MARTIN NONHOFF UND STEFFEN SCHNEIDER
leben, Legitimationsniveaus im mittleren Bereich als charakteristisch gelten dürfen. Abb. 69: Legitimationsniveaus der vier Regime-Ebenen nach Ländern (%) 80
60
40 20
0 CH National
DE
GB UNO
US G8
Gesamt EU
Zum anderen erkennt man ein klares Legitimationsgefälle zwischen der nationalen Ebene und den internationalen Regimes. In den vier Öffentlichkeiten – erneut mit der Ausnahme Großbritanniens – ist das Legitimationsniveau des jeweiligen Nationalstaats deutlich höher als das der UNO, das wiederum die stets eng beieinander liegenden, sehr niedrigen Niveaus von G8 und EU übertrifft. Nimmt man sowohl die absoluten Niveaus als auch das Legitimationsgefälle als Indiz, so drängt sich der Eindruck auf, dass in der postnationalen Konstellation gerade nicht der vertraute demokratische Nationalstaat unter Legitimationsdruck gerät. Vielmehr werden komplexe Legitimationsanforderungen auch für die jüngeren Mitspieler der Global Governance, die internationalen Regimes, aufgebaut, allerdings ohne dass diese ihnen bislang in ähnlicher Weise gerecht würden wie die Nationalstaaten. Die markante Ausnahme bildet Großbritannien, wo die nationale politische Ordnung zwar besser abschneidet als EU und G8, aber (deutlich) schlechter als die UNO; zudem sind die Legitimationsniveaus insgesamt sehr niedrig. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass offenbar die britische Öffentlichkeit fast immer die kritischste Öffentlichkeit ist – nur in Bezug auf die UNO ist die deutsche Öffentlichkeit kritischer –, muss die Tatsache, dass die politische Ordnung Großbritanniens in der eigenen
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Presse in solch geringem Ausmaß positiv bewertet wird, als ein Anzeichen für eine Legitimationskrise bewertet werden. Allerdings ist auch das britische Bild nicht komplett verdunkelt, weil sich tendenziell Besserung andeutet: Zum einen schwächt sich ab 2002 die Legitimitätsdebatte ab (d.h. die Legitimationsintensität geht zurück), zum anderen steigen seit dem Jahre 2003 auch die Legitimationsniveaus deutlich an (1998–2002: 17,8 Prozent; 2003–2007: 33,1 Prozent). Der insgesamt sehr niedrige britische Wert drückt das aggregierte Legitimationsniveau für die politischen Ordnungen der Untersuchungsländer, weshalb diese Größe über alle vier Staaten hinweg mit 41,2 Prozent nur mittleres Niveau erreicht. Damit liegt sie nur gut fünf Prozentpunkte höher als der Wert für die UNO (36,0 Prozent). Das angesprochene Gefälle zwischen nationalen und internationalen Regimes bleibt aber trotzdem auch in der Gesamtschau bestehen.37 Tabelle 21: Hypothesen und Ergebnisse zu den Legitimationsniveaus internationaler Regimes Mitgliedschaft ist… …offen, global
…geschlossen, exklusiv
…intergouvernemental
UNO: 36,0 %
G8: 21,9 %
…supranational
---
EU: 22,4 %
Institutionenarrangements, Entscheidungsprozesse sind…
Vergleicht man nur die internationalen Regimes, so zeigt sich, dass der UNO insgesamt und in allen nationalen Öffentlichkeiten außer der deutschen ein mittleres Legitimationsniveau zukommt, wohingegen sich die Niveaus von G8 und EU über Ländergrenzen hinweg als besonders ähnlich und zudem als besonders niedrig erweisen. Unsere Vermutung, dass es
—————— 37 Im Folgenden werden die Daten für die vier Regime-Ebenen (Nationalstaat, UNO, G8, EU) grundsätzlich aggregiert über die vier Länder hinweg betrachtet. Dass insbesondere auf der nationalen Ebene Großbritannien aufgrund des sehr niedrigen Legitimationsniveaus einen Sonderfall bildet, ist dabei stets in Rechnung zu stellen.
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MARTIN NONHOFF UND STEFFEN SCHNEIDER
geschlossene und damit exklusive Club-Regimes legitimatorisch schwerer haben als inklusive Organisationen wie die UNO, findet sich also bestätigt. Weniger relevant scheint hingegen der Unterschied zwischen intergouvernementalen und supranationalen Arrangements zu sein; die Legitimationsniveaus von G8 und EU sind bemerkenswert ähnlich, wie Tabelle 21 nochmals vergleichend zeigt (siehe auch Tabelle 5). Während wir hinsichtlich der Legitimationsniveaus verhältnismäßig markante Unterschiede zwischen nationaler und internationaler Ebene ausmachen konnten, sind die Unterschiede weniger auffällig, wenn man genauer betrachtet, welche Legitimationsobjekte (de-)legitimiert werden. Zur Erinnerung: Wir haben die Legitimationsobjekte in vier Gruppen unterteilt: politisches System oder politische Gemeinschaft allgemein; wichtige Regimeprinzipien (z.B. Rechts- oder Wohlfahrtsstaatlichkeit auf der nationalen Ebene; kollektive Sicherheit bei der UNO); einzelne Institutionen (z.B. Exekutive, Legislative); Akteursgruppen. Für die G8 wurden keine differenzierten Legitimationsobjekte erhoben, weil hier fast ausschließlich die G8 als Ganze bewertet wird. Abb. 70: Häufigkeit der Legitimationsobjektgruppen (Nationalstaat, UNO, EU, %)
National
UNO
EU
0%
20%
Pol. System/pol.Gemeinsch.
40% Prinzipien
60% Institutionen
80%
100% Akteursgruppen
Wie Abbildung 70 zeigt, werden sowohl Nationalstaaten als auch UNO und EU mit Abstand am häufigsten auf der höchsten Abstraktionsebene bewertet, nämlich der des politischen Systems bzw. der politischen Gemeinschaft. Mit klarem Abstand nach oben wie nach unten folgt dann die
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Bewertung der Institutionen, die allerdings bei der EU häufiger thematisiert werden als bei UNO und den Nationalstaaten (disaggregiert man die Daten für die Nationalstaaten, wird aber deutlich, dass die britischen Institutionen noch häufiger zum Bewertungsobjekt werden als die EU-Institutionen). In den Nationalstaaten, darunter insbesondere in Deutschland, gibt es noch eine relativ ausgeprägte Auseinandersetzung über Regimeprinzipien, allen voran um den Wohlfahrts- und den Rechtsstaat. Im Fall der UNO wird vor allem das Prinzip der kollektiven Sicherheit diskutiert, während bei der EU Regimeprinzipien keine besondere Aufmerksamkeit erzielen. Dafür entzünden sich Legitimitätsdebatten in der EU stärker an Akteursgruppen wie der politischen Klasse oder der Gruppe der Mitgliedstaaten. Alles in allem sind zwischen den Regime-Ebenen die Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeit, in der bestimmte Legitimationsobjektgruppen zum Gegenstand von Bewertungen werden, gering. Fragt man nun danach, ob es immer bestimmte Legitimationsobjekte sind, die besonders kritisch oder besonders positiv bewertet werden, so muss man eine differenzierte Antwort geben: Sowohl auf der Ebene des Nationalstaats (dies gilt für alle vier Untersuchungsländer) als auch im Fall der UNO werden das politische System als Ganzes und die politische Gemeinschaft einerseits und die Regimeprinzipien andererseits deutlich besser bewertet als einzelne Institutionen oder Akteursgruppen (Abb. 71). Die Niveaus für das politische System und die politische Gemeinschaft liegen zudem für alle Nationalstaaten und für die UNO im mittleren Bereich; dasselbe gilt größtenteils für die Niveaus der quantitativ weniger bedeutsamen Prinzipienbewertungen, wo nur der britische Wert ganz knapp (mit 33,3 Prozent) das mittlere Drittel verfehlt. Da wir annehmen, dass eine Delegitimation des Systems oder der Gemeinschaft bzw. der Prinzipien problematischer ist als Kritik an einzelnen Institutionen oder Akteursgruppen, ist dies eine positive Nachricht bezüglich der Legitimität von Nationalstaaten und UNO. Die Europäische Union bietet hier allerdings einen Kontrast: Bei ihr verbleiben die Legitimationsniveaus aller vier Gruppen unter 30 Prozent, wobei aber auch hier das Gesamtarrangement (politisches System plus politische Gemeinschaft) besser abschneidet als die einzelnen Aspekte. Wir können damit generalisierend konstatieren, dass politische Regimes offensichtlich in Aussagen, die sich auf das politische System als Ganzes bzw. die politische Gemeinschaft beziehen, auch dann gut evaluiert werden, wenn zugleich verschiedene konkrete Aspekte in der Kritik stehen – es kann viele faule Reben geben, ehe der Weinstock als verdor-
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MARTIN NONHOFF UND STEFFEN SCHNEIDER
ben gilt. Als besondere Zielscheibe der Kritik gelten im Übrigen regimeunabhängig die jeweils wichtigen Akteursgruppen. Abb. 71: Legitimationsniveaus nach Legitimationsobjektgruppen (Nationalstaat, UNO, EU, %) 100 80 60 40 20 0 National
UNO
Polit. System/polit. Gemeinschaft Institutionen
EU Prinzipien Akteursgruppen
Die Legitimität einer politischen Ordnung kann weniger prekär oder krisenhaft sein, wenn sie über das verfügt, was wir einen Legitimationsanker nennen. Dabei handelt es sich um ein spezifisches Legitimationsobjekt, das quantitativ eine relevante Rolle spielt (also in mindestens fünf Prozent der Statements vorkommt) und zugleich ein hohes Legitimationsniveau erreicht. Die beiden Staaten, die die höchsten Legitimationsniveaus haben, besitzen zugleich auch gewichtige Legitimationsanker: So werden im Schweizer Fall sowohl das politische System als Ganzes als auch die Schweizer politische Gemeinschaft bzw. Nation außerordentlich positiv bewertet (jeweils im oberen Drittel); im amerikanischen Fall gilt das immerhin für die Nation. Auch Deutschland verfügt über Legitimationsanker, hier sind es aber nicht die politische Gemeinschaft oder die Nation, sondern die Prinzipien des Rechtsstaats und der Demokratie, die besonders oft lobend Erwähnung finden. In Großbritannien finden wir hingegen keine Institutionen oder Prinzipien, die als Legitimationsanker dienen könnten. Blicken wir auf die internationalen Organisationen, so lässt sich für die UNO das Prinzip der kollektiven Sicherheit als sehr oft positiv betonter Anker hervorheben, während die Legitimationsdiskurse an der EU kein Objekt besonders positiv bewerten.
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Damit kommen wir zu den Gründen, anhand derer Legitimität zugeschrieben oder abgesprochen wird; wir bezeichnen sie als Legitimationsmuster. Wir haben sie einerseits danach unterschieden, ob sie auf den Input oder Output abheben, und andererseits danach, ob es sich um demokratiebezogene oder nicht-demokratiebezogene Gründe handelt. Zu den somit verfügbaren vier Gruppen von Legitimationsmustern (demokratiebezogener Input und Output: DI und DO, nicht-demokratiebezogener Input und Output: NDI und NDO) kommt noch eine ganze Reihe weiterer Bewertungen, von denen die meisten unspezifische, nicht begründete Wertungen sind (etwa: »the state of the Union is strong«) und nur einige wenige Bewertungsmuster nutzen, die sich als nicht in unsere Vierermatrix einzuordnen erwiesen. Wie Abbildung 72 zeigt, kommen diese fünf Mustergruppen bei den verschiedenen Regimes zwar nicht auf radikal unterschiedliche Weise zum Einsatz; einige Besonderheiten zeigen sich aber dennoch. Abb. 72: Häufigkeit der Legitimationsmustergruppen nach Regime-Ebene (%) National
UNO
G8
EU
0%
20% DI
DO
40% NDI
60% NDO
80%
100%
unspez./andere
Zunächst fällt ins Auge, dass alle vier Regime-Ebenen häufiger mit Hilfe nicht-demokratiebezogener als auf der Basis demokratiebezogener Muster bewertet werden. Es scheint, als ob die Öffentlichkeiten der Funktionalität politischer Ordnungen alles in allem mehr Bedeutung beimessen als ihrer demokratischen Konstituiertheit. Auch den unspezifischen Urteilen kommt auf allen vier Ebenen stets relativ große Bedeutung zu, am meisten im Fall der UNO. Jenseits dieser allgemeinen Aussagen kann man aber zwischen
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MARTIN NONHOFF UND STEFFEN SCHNEIDER
den Ebenen sehr wohl auch markante Unterschiede ausmachen: So werden erstens alle drei internationalen Regimes am häufigsten an ihrem nichtdemokratiebezogenen Output gemessen (jeweils 31 Prozent und mehr), während dies bei den Nationalstaaten deutlich seltener der Fall ist (ca. 24 Prozent). Die gefühlt fernen internationalen Regimes werden also eher mit Fragen nach ihrem materiellen Nutzen konfrontiert als die vertrauteren Nationalstaaten. Vom Nationalstaat erwartet man hingegen deutlich öfter als von den internationalen Regimes demokratiebezogenen Output, also die Verteidigung und Stärkung der demokratischen Ordnung und der ihr zugrunde liegenden Rechte. Des Weiteren kann man beobachten, dass an den Nationalstaat, indes auch an die EU mit jeweils gut 25 Prozent am häufigsten die klassischen demokratiebezogenen Input-Kriterien angelegt werden, d.h. hier werden am ehesten politische Prozesse erwartet, die demokratischen Prinzipien entsprechen. Auch wenn man demokratiebezogene (Input- und Output-)Kriterien zusammennimmt, haben sie für die nationale und die EU-Ebene eine höhere Bedeutung als für die G8 und die UNO. Man erkennt nun auch, was einen der wesentlichen Gründe für die Legitimitätsprobleme der EU darstellt: Geht es um die demokratische Qualität, vor allem den demokratiebezogenen Input, werden an sie dieselben Anforderungen gestellt wie an den Nationalstaat; zugleich aber erwartet man von ihr noch stärker als bei den anderen internationalen Regimes angemessene und effektive Leistungserbringung. Die EU, der ja oft eine eigene institutionelle Form zwischen Staatlichkeit und internationaler Organisation zugeschrieben wird, gerät also parallel zu dieser unentschiedenen Zuschreibung auch in eine Art legitimatorische Zwickmühle. Dass sie auf diese Zwickmühle noch keine rechte Antwort gefunden hat, erkennt man, wenn man die Legitimationsniveaus der fünf Mustergruppen betrachtet: Die Legitimationsniveaus der EU sind allein für die Gruppe der unspezifischen Äußerungen im Mittelbereich, für alle anderen Mustergruppen aber im unteren Drittel (Abb. 73). Was ist auffällig jenseits der Daten für die Europäische Union? Zunächst erkennt man, dass das beschriebene Legitimationsgefälle von Nationalstaaten, UNO und den Schlusslichtern G8 und EU (die ähnliche Werte erreichen) nicht nur auf der Ebene der für jeden Regimetyp aggregierten Legitimitätsniveaus, sondern auch in der nach Legitimationsmustergruppen differenzierten Betrachtung beobachtet werden kann. Am klarsten ist das Gefälle bei den Bewertungen mit Hilfe demokratiebezogener Input-Kriterien zu erkennen: Zwar werden hier alle Regime-Ebenen sehr kritisch beurteilt, doch die
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Nationalstaaten schneiden im Verhältnis zur UNO besser und im Verhältnis zu G8 und EU sogar deutlich besser ab. Auch die beiden OutputMustergruppen lassen sich im Sinne des Legitimationsgefälles interpretieren, wobei es hier im niedrigen Bereich einen klaren Unterschied zwischen der (besser bewerteten) EU und der G8 gibt. Ausnahmen sind die Gruppe der nicht-demokratiebezogenen Input-Muster, wo die UNO schlechtere Werte als die G8 aufweist, und die unspezifischen Bewertungen, wo die Nationalstaaten und die UNO jeweils vergleichsweise hohe Niveaus um die 60 Prozent und die G8 und die EU immer noch mittlere Niveaus um die 35 Prozent erreichen. Unspezifische Legitimationsmuster werden damit insgesamt am positivsten verwendet, was eine interessante Parallele zur ebenso positiven Bewertung der allgemeiner gefassten Legitimationsobjekte »politisches System« und »politische Gemeinschaft« darstellt. Es festigt sich damit der Eindruck, dass Bewertungen politischer Ordnungen umso positiver ausfallen, je allgemeiner und unspezifischer sie gehalten sind. Abb. 73: Legitimationsniveaus der Legitimationsmustergruppen nach Regime-Ebene (%) 80
60
40
20
0 National DI
UNO DO
NDI
G8 NDO
EU unspez./andere
Zweitens kann man sehr gut erkennen, dass für die Nationalstaaten und für die UNO bestimmte Mustergruppen fast unseren (anspruchsvoll formulierten) Bedingungen für eine Legitimationsressource entsprechen. Von einer Legitimationsressource sprechen wir, wenn ein Muster oder eine Gruppe von Legitimationsmustern überdurchschnittlich häufig positiv
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verwendet wird. Abbildung 73 zeigt zwar, dass keine der Mustergruppen unser anspruchsvolles Kriterium von wenigstens zwei Dritteln legitimierender Bewertungen erreicht; die Statements, die demokratiebezogene Output-Muster anführen, kommen jedoch auf der nationalen Ebene diesem Schwellenwert recht nahe, ebenso die unspezifischen Äußerungen auf der nationalen Ebene und bezüglich der UNO. Ähnlich wie Legitimationsobjekte zu Legitimationsankern werden können, stellen Muster Legitimationsressourcen dar, wenn sie vergleichsweise häufig (in mindestens fünf Prozent aller Statements) und mit besonders positiver Bewertungsrichtung Verwendung finden. Hier fällt auf, dass in drei der vier Nationalstaaten (Schweiz, Deutschland, USA) der Schutz der Menschen- und Bürgerrechte (ein demokratiebezogenes Output-Kriterium) als außerordentliche Leistung des Staates betont wird. In Deutschland (und interessanterweise nicht in der Schweiz) kommt zudem dem Argument der Volkssouveränität der Charakter einer Legitimationsressource zu (analog zum Legitimationsanker der Demokratie). In den USA wird das Argument der amerikanischen Handlungsmacht und -fähigkeit sehr häufig positiv gewendet. Von den internationalen Organisationen verfügt neben der UNO (Förderung internationaler Stabilität) auch die G8 über eine genuine Legitimationsressource (ihre Fähigkeit, zur Besonnenheit bzw. Mäßigung beizutragen). Der EU fehlt eine Legitimationsressource ebenso wie ein Legitimationsanker. Eine etwas andere Perspektive auf die Legitimationsniveaus der verschiedenen Mustergruppen wirft unsere Auswertung der Legitimationsstile (Abb. 74). Von gesicherter demokratischer Legitimität kann man offenbar bezüglich keines unserer Untersuchungsfälle sprechen, da überall der Legitimationsstil IV, die positive Verwendung demokratiebezogener Legitimationsmuster, am seltensten ist. Allerdings kommt er bezüglich der Nationalstaaten noch sehr viel häufiger zur Anwendung als bei den internationalen Regimes, so dass man von einem ausgeprägten Kern demokratischer Legitimität allenfalls bei ersteren sprechen kann. Am häufigsten findet bei allen vier Regimes Legitimationsstil II Verwendung, also delegitimierende Statements auf der Basis nicht-demokratiebezogener Legitimationsmuster. Die untersuchten Regimes scheitern also samt und sonders selbst dort, wo weniger anspruchsvolle Maßstäbe angelegt werden. Freilich ist auch hier zu konstatieren, dass unter allen betrachteten politischen Ordnungen die Nationalstaaten immer noch die demokratisch legitimsten sind, da hier der Legitimationsstil II wesentlich weniger dominiert als bei den internationa-
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len Regimes. Zur Rechtfertigung anhand nicht-demokratischer Gründe (Legitimationsstil III) kommt es überall eher selten, während die Delegitimation auf Basis demokratiebezogener Muster – die immerhin noch von der diskursiven Präsenz des Standards demokratischer Qualität in den untersuchten Diskursen zeugt – jeweils am zweithäufigsten zu finden ist. Abb. 74: Legitimationsstile nach Regime-Ebene (%) National
UNO
G8
EU
0%
20% I
40% II
60% III
80%
100% IV
Zuletzt lohnt sich noch der Blick darauf, wer an der Kommunikation über Legitimationsfragen teilhat. Abbildung 75 zeigt vor allem, dass Urteile von Journalistinnen die Diskurse zu G8 und EU klar dominieren, während die Medienschaffenden hinsichtlich der Nationalstaaten und der UNO zurückhaltender sind und den Bewertungen anderer Akteure mehr Platz einräumen. Dass auf der nationalen Ebene nationale politische Eliten am meisten und internationale politische Eliten kaum zu Wort kommen, ist wenig überraschend. Interessant ist aber, dass Politikerinnen, die internationale Institutionen vertreten, in den UNO-Diskursen häufiger als in EU-Diskursen (16,3 Prozent zu 10,1 Prozent) zu Wort kommen und für die G8-Diskurse so gut wie keine Rolle spielen (2,4 Prozent).38 Auffällig ist auch, dass die Zivilgesellschaft an nationalen Legitimationsdiskursen großen Anteil
—————— 38 Ein Grund für die geringe Präsenz internationaler Sprecherinnen in G8-Diskursen kann sein, dass als G8-Sprecherin nur die jeweiligen Vorsitzenden kodiert wurden. Doch darüber hinaus gibt es im Unterschied zu UNO und EU auch kaum eigenes G8-Personal, das zu Wort kommen könnte.
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hat (27,8 Prozent). Dies liegt im Erwartungsbereich des tradierten Denkens über Legitimität, etwa im Sinne des Folgebereitschaftsparadigmas: Die der Herrschaft unmittelbar Unterworfenen beteiligen sich an der Bewertung der Strukturen, von denen die Herrschaft ausgeht. Was aber nicht recht in die Vorstellung des Folgebereitschaftsparadigmas passen will, ist der Umstand, dass sich die Zivilgesellschaft noch etwas intensiver (28,5 Prozent) als auf der nationalstaatlichen Ebene dann Gehör verschafft, wenn es um die G8 geht. Die vier von uns untersuchten Gesellschaften sind allenfalls mittelbar den Entscheidungen der G8 ausgesetzt, denn diese fordert von den Bürgerinnen der vier Länder kaum Folgebereitschaft ein. Dennoch mischen sich Sprecherinnen und Organisationen der Zivilgesellschaft vehement in den Legitimationsdiskurs zur G8 ein, und zwar – wie wir gleich sehen werden – in äußerst kritischer Form. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass Legitimität im Bewertungsparadigma vielschichtiger und komplexer erfasst wird als im Folgebereitschaftsparadigma. Abb. 75: Sprechergruppen nach Regime-Ebene (%)
National
UN
G8
EU
0%
20% Journ.
40% Nat. Pol.
60%
80% Int. Pol.
100% Zivilges.
Abbildung 76 gibt Aufschluss darüber, wie die unterschiedlichen Sprechergruppen die vier Regimes beurteilen. Der auffälligste Befund ist dabei, dass wir über alle Regimes hinweg sehr ähnliche Konstellationen von Sprecherinnen finden: Die höchsten Legitimationsniveaus erreichen die Regimes stets bei den Systemeliten, also nationalen und internationalen Politikerinnen, wobei – wie eben gesehen – Äußerungen von nationalen Politikerin-
LEGITIMATION IN DER POSTNATIONALEN KONSTELLATION
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nen sehr viel häufiger zu finden sind als von internationalen. Dem stehen eine deutlich kritischere Presse und Zivilgesellschaft gegenüber. Beide zusammen werden damit ihrer idealtypischen Rolle als diskursive Kontrolleure der politischen Akteure durchaus gerecht. Abb. 76: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen und Regime-Ebene (%) 80
60
40
20
0 National Journ.
UNO Nat. Pol.
G8
EU
Int. Pol.
Zivilges.
Obwohl die angesprochene Sprecherkonstellation überall existiert, sind die Niveaus doch verschieden. Die Unterstützung durch die Systemeliten ist auf nationaler Ebene sowie bei der G8 am oberen Ende des mittleren Drittels und bei der UNO auch noch jenseits der 50-Prozent-Marke. Demgegenüber fällt die Elitenunterstützung für die EU deutlich ab (42,3 Prozent durch nationale und nur 29,0 Prozent durch internationale, vor allem EU-Politikerinnen). Trotz dieses vergleichsweise schlechten Wertes weist die Sprechervariable auch für die EU nicht in Richtung einer krisenhaften Legitimität, weil die Unterstützung durch die Systemeliten insgesamt (nationale und internationale Sprecherinnen zusammengenommen über zehn Jahre) immer noch auf einem mittleren Niveau verbleibt. Daneben ist zu vermerken, dass Presse und Zivilgesellschaft im Fall der Nationalstaaten am wenigsten kritisch sind. Die Legitimationsstatements aus der Zivilgesellschaft sind sogar zu 34,9 Prozent positiv. Zudem erfährt die nationale politische Ordnung in allen vier Fällen von ihren eigenen Eliten wenigstens mittlere Unterstützung (der niedrigste Wert ist erneut der britische mit 42,2 Prozent), im amerikanischen Fall ist sie mit 73,1 Prozent sogar im oberen Drittel angesiedelt.
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8.2
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Legitimationsprofile: zwischen Prekarität und Krise
Im Unterschied zum Folgebereitschaftsparadigma der Legitimitätsforschung gehen wir im Rahmen des Bewertungsparadigmas davon aus, dass Legitimität nicht einfach als gegeben oder als fehlend konstatiert werden kann. Blickt man auf die Vielfalt bewertender Legitimationsäußerungen, so lassen sich die Dichotomien legitim – illegitim oder legitim – a-legitim nicht sinnvoll einsetzen. Stattdessen ergibt sich – bezogen auf alle hier betrachteten Fälle – ein Kaleidoskop ineinander greifender Legitimitätselemente. Diese lassen sich allerdings jeweils miteinander in Beziehung setzen, wodurch eine zusammenfassende Beurteilung der Legitimität auch im Bewertungsparadigma möglich ist. Da das bewertende Legitimationsgeschehen komplex ist, haben wir es in verschiedene Aspekte zerlegt und nicht nur untersucht, ob ein Nationalstaat oder eine internationale Organisation insgesamt ein positives oder negatives Legitimationsniveau aufweist, sondern auch, welche Elemente eines Regimes legitimierend oder delegitimierend eingesetzt werden, welche Gründe als rechtfertigende oder anklagende herangezogen werden, und welche Sprecherinnen auf welche Weise am Rechtfertigungsgeschehen beteiligt sind. Für jede dieser Dimensionen haben wir erste Maßstäbe dafür entwickelt, welche Ausprägungen als stabil, unproblematisch oder problematisch gelten können. Diese seien nochmals kurz in Erinnerung gerufen: – Ein Legitimationsniveau von etwa 66 Prozent oder besser gilt als stabil, eines von 33 Prozent oder weniger als problematisch, der Zwischenbereich als unproblematisch. – Die Variable der Legitimationsobjektgruppen haben wir mit der des Legitimationsniveaus zu einem zweiten, komplexeren Indikator verbunden. Als besonders maßgeblich erscheinen uns die Legitimationsniveaus der beiden am höchsten stehenden Legitimationsobjektgruppen – politisches System bzw. politische Gemeinschaft und Regimeprinzipien. Sind sie im oberen Drittel, gehen wir von einer stabilen Ausprägung der Objektvariable aus, im mittleren Drittel von einer unproblematischen und im unteren Drittel von einer problematischen. Dieser grundsätzliche Befund ist allerdings einerseits im Lichte der Häufigkeit, in der die jeweiligen Legitimationsobjekte verwendet werden, zu sehen; andererseits können deutlich positive oder negative Ausprägungen der institutionellen oder auf Akteursgruppen bezogenen Legitimationsobjekte
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(also Ankerobjekte und Zielscheiben) eine abweichende Interpretation nahe legen. – Noch komplexer stellt sich die Situation hinsichtlich der Legitimationsmuster dar. Hier legen wir zwei Maßstäbe an. Erstens fragen wir nach dem relativ häufigsten Legitimationsstil. Handelt es sich dabei um Legitimationsstil IV, also legitimierende Äußerungen mit demokratiebezogenen Begründungen, so erscheint uns die legitimatorische Situation eines Regimes grundsätzlich als stabil, und zwar im normativ anspruchsvollen Sinne demokratischer Legitimität. Handelt es sich dagegen um Legitimationsstil II, also delegitimierende Äußerungen mit nichtdemokratiebezogenen Begründungen, so beurteilen wir dies als besonders problematisch. Zwischenformen lassen sich aufgrund der Komplexität nur im Einzelfall beurteilen; denkbar sind unproblematische Fälle von Legitimität, die aber keine demokratische Legitimität darstellen. Unser zweiter Maßstab ist das Legitimationsniveau demokratiebezogener Legitimationsmuster (Input und Output zusammen genommen); ist dieses im untersten Drittel, so erscheint es uns angemessen, von einer problematischen Ausprägung der Mustervariable zu sprechen. – Bei der Sprechervariable schließlich sehen wir im Legitimationsniveau der Äußerungen von Systemeliten (den nationalen Politikerinnen im Fall des Nationalstaats; nationalen und internationalen Politikerinnen im Fall der internationalen Regimes) das zunächst maßgebliche Kriterium. Unterstützen die Systemeliten ihr Regime überproportional (also zu zwei Dritteln oder besser), gilt uns das als Beitrag zur Stabilisierung der Legitimität. Kommt ein Regime nicht einmal auf ein Drittel positiver Bewertungen durch die Systemeliten, gilt es uns hingegen als problematisch. Sehr niedrige oder sehr hohe Legitimationsniveaus von journalistischen und zivilgesellschaftlichen Äußerungen können ggf. zu einer genaueren Einschätzung der Variable herangezogen werden. Es sei auch in Erinnerung gerufen, dass die Sprechervariable nicht als Kernvariable des Legitimationsprofils gewertet wird, sondern nur als verstärkende oder abschwächende Variable. Erst die Zusammenschau der Ausprägungen aller vier Variablen ergibt das Legitimationsprofil eines Regimes. Wir würden ein solches Legitimationsprofil als Ausdruck gesicherter Legitimität beurteilen, wenn das Legitimationsniveau insgesamt, aber auch die Objekt- und die Mustervariable in die Richtung gesicherter Legitimität weisen (die Sprechervariable ist ein weite-
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rer, verstärkender oder abschwächender Indikator). Von einem solch positiven, gesicherten Legitimationsprofil kann man allerdings in keinem Fall sprechen. Alle untersuchten politischen Ordnungen bewegen sich im Raum des Prekären oder Krisenhaften. Insgesamt können wir drei Cluster von Legitimationsprofilen unterscheiden: 1. Als vergleichsweise stabil, aber nach unseren Schwellenwerten doch bereits im Bereich des Prekären liegend, ist die Legitimität des schweizerischen und des amerikanischen Nationalstaats zu bewerten. Hier sind nicht nur die Legitimitätsniveaus insgesamt im mittleren Drittel (und oberhalb der 50-Prozent-Marke) angesiedelt. Auch die zentralen Legitimationsobjekte (das politische System als Ganzes, die politische Gemeinschaft und die meisten Regimeprinzipien) werden positiv bewertet; die Kritik konzentriert sich hingegen auf einzelne Institutionen und Akteursgruppen. Zwar kann man für die Schweiz und die USA keine stabile demokratische Legitimität konstatieren, weil der Diskurs nicht von legitimierenden demokratiebezogenen Legitimationsmustern dominiert wird (nicht-demokratiebezogene delegitimierende Muster sind jeweils leicht häufiger zu finden), doch das Niveau dieser Muster ist auch nicht besonders niedrig (also jeweils über einem Drittel). Außerdem werden demokratiebezogene Muster in beiden Fällen häufiger zur Legitimation als zur Delegitimation verwendet. Die Stabilität wird weiter dadurch abgesichert, dass die Systemeliten sich stets äußerst positiv äußern. 2. Als deutlich prekär können die Legitimationsprofile Deutschlands und der Vereinten Nationen beurteilt werden. In beiden Fällen sind die Legitimationsniveaus im mittleren Bereich angesiedelt (mit jeweils ca. 36 Prozent sind beide aber vergleichsweise nahe am unteren Drittel). Zudem geraten auch hier vor allem einzelne Institutionen und Akteursgruppen in den Fokus der Kritik, während die meisten zentralen Legitimationsobjekte überwiegend legitimiert werden. Im Unterschied zu den USA und der Schweiz haben wir es jedoch mit einer problematischen Begründungslage zu tun. Beide, der deutsche Nationalstaat wie die UNO, werden sowohl mit demokratiebezogenen als auch mit nicht-demokratiebezogenen Legitimationsmustern eher delegitimiert als legitimiert. Zudem basieren jeweils mit Abstand die meisten Äußerungen (Deutschland: 42 Prozent, UNO: 48,8 Prozent) auf einer delegitimierenden Verwendung nicht-demokratiebezogener Begründungen (Legitimationsstil II), so dass sie regelmäßig sogar an normativ ermäßigten Legitimationsanforderungen scheitern. Ein ausgleichendes Element sind jedoch in beiden Fällen die unspezifischen,
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also unbegründeten Beurteilungen. Sie kommen jeweils sehr häufig vor und sind dabei zu etwa 60 Prozent positiv, so dass sie ein besonderes legitimierendes Gegengewicht bilden. Es gibt also mit beiden Regimes eine verbreitete, nicht begründete, fast affektive Zufriedenheit, die aber zurückgeht, wenn es darum geht, Gründe für die Herrschaftsordnung anzugeben. Daneben verfügen die zwei Regimes dieses Clusters über stabilisierende Legitimationsanker; im Fall Deutschlands sind es Rechtsstaat und Demokratie, im Fall der UNO das Prinzip der kollektiven Sicherheit. Auch die Systemeliten verteidigen jeweils ihre Regimes (wenn auch etwas weniger euphorisch als im amerikanischen Fall). Alles in allem sind beide Legitimationsprofile uneinheitlich – mit Schatten, aber auch mit Licht. Insofern kann man von einem deutlich prekären Legitimationsprofil sprechen. 3. Als krisenhaft zu bezeichnen sind dagegen die Legitimationsprofile Großbritanniens sowie der Europäischen Union und der G8. Auch hier sehen wir als erste Gemeinsamkeit ähnlich niedrige Legitimationsniveaus, jeweils deutlich im unteren Drittel. Im Zeitverlauf erkennt man allerdings auch, dass im Fall Großbritanniens das Legitimationsniveau für die zweite Hälfte unseres Untersuchungszeitraums mit 33,1 Prozent beinahe doppelt so hoch ist wie in der ersten Hälfte und nur ganz knapp im unteren Drittel verbleibt. Bei G8 und EU ist ein vergleichbar positiver Trend nicht erkennbar, so dass unter den drei krisenhaften Fällen der nationalstaatliche noch am besten abschneidet und sich, so kann man vermuten, auf dem Weg zurück in die Prekarität befindet. Die Kritik richtet sich in den Fällen Großbritanniens und der EU nicht nur gegen einzelne Institutionen und Akteursgruppen, sondern auch gegen das Regime als Ganzes. Im Fall der G8 wurden keine differenzierten Legitimationsobjekte erhoben, weil sich die Legitimationsstatements ohnehin fast ausschließlich auf die Gesamtinstitution bezogen; insofern ist die Bewertungslage als problematisch zu beurteilen. Schließlich werden auch hier sowohl demokratiebezogene als auch nicht-demokratiebezogene Legitimationsmuster vor allem delegitimierend eingesetzt, ohne dass allerdings – wie im vorangehenden Cluster – die unspezifischen Bewertungen ein Gegengewicht bilden. Zwar kann man für Großbritannien und die G8 (nicht aber für die EU) Legitimationsressourcen konstatieren (Großbritannien: Schutz der Menschenrechte, G8: Mäßigung), doch werden die entsprechenden Muster insgesamt deutlich seltener eingesetzt als die unspezifischen Bewertungen im Fall Deutschlands und der UNO. Zudem verfügen weder Großbritannien noch die G8 oder die EU über stabilisierende Legitimationsanker. Allein die weitgehend beste-
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hende Verteidigung der Regimes durch die jeweiligen Systemeliten mildert den Krisenbefund ab. Allerdings ist im Fall der EU auch diese Variable eher problematisch ausgeprägt, denn wir können im Zeitverlauf einen negativen Trend feststellen, im Zuge dessen sogar die Vertreter des Systems dieses immer kritischer sehen. Aufbauend auf dieser Einordnung der Legitimationsprofile lassen sich drei Beobachtungen im Blick auf das gesamte Legitimationsgeschehen machen: die »Normalität« des Prekären, das Legitimationsgefälle zwischen Nationalstaaten und internationalen Organisationen, das allerdings kein striktes ist, und schließlich die allgemeine Vergleichbarkeit von nationaler und inter- bzw. supranationaler Ebene. Erstens stellen wir fest, dass prekäre Legitimität nichts Außergewöhnliches darstellt. Drei von vier Nationalstaaten und die UNO sind hier zu verorten; im vierten nationalstaatlichen Untersuchungsfall (Großbritannien) ist die Legitimität über die zehn Jahre hinweg zwar krisenhaft, doch gegen Ende des Untersuchungszeitraums nähern sich auch hier die Ergebnisse dem prekären Bereich an. Die Öffentlichkeiten in den vier Untersuchungsländern sind ihren eigenen nationalen, aber auch den inter- und supranationalen politischen Ordnungen gegenüber so kritisch eingestellt, dass eine gesicherte Legitimität nicht auftritt. Dass Legitimität damit zumeist prekär bleibt, ist ein Befund, der unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten nachdenklich macht, aber auch nicht unbedingt Zweifel an der Stabilität dieser Ordnungen aufwerfen muss. Denn zunächst bestätigt er nur die Selbstverständlichkeit, dass Legitimität niemals einfach gegeben ist, sondern immer aufs Neue diskursiv etabliert und verteidigt werden muss. Auch muss man infolge dieses Befunds nicht an der Bestandsfähigkeit der von uns untersuchten Regimes zweifeln. Selbst wenn Skepsis und Kritik in der Öffentlichkeit überwiegen, muss daraus keine direkte Bedrohung resultieren. Legitimitätsstatements sind Bewertungen und keine Gehorsamserklärungen. Entsprechend ist auch harte Kritik nicht mit dem Entzug von Folgebereitschaft gleichzusetzen. Dennoch ist Prekarität als Normalfall keine Petitesse. Vielmehr unterstützt dieser hier detailliert aufbereitete Befund die Annahmen einer politischen Publizistik, die eine zunehmende Entfernung zwischen Politik und Öffentlichkeit, zwischen politischer Klasse und Bürgerschaft, zwischen dem politischen Geschehen und der Gesellschaft insgesamt postuliert. Die Identifikation mit politischen Ordnungen fehlt ebenso wie die Ausbildung einer klar demokratisch ausgerichteten Bürgerkritik. Vielmehr erscheinen die politischen Ordnungen
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als defizitär vor dem Hintergrund einer Fülle von Kriterien, seien diese auf Demokratie gerichtet oder auf Effektivität und Gerechtigkeit. Das Unwohlsein gegenüber der Politik bündelt sich nicht in einem Argumentationsstil, sondern wandert ein in alle möglichen Arten von Bewertungen. Prekarität als Normalfall ist damit Ausdruck einer eher unzufriedenen, aber unfokussierten politischen Öffentlichkeit, die ihr Unbehagen aber auch nicht zum Angriff auf ein politisches System oder eine bestimmte Institution steigert. Zweitens lässt sich ein Legitimitätsgefälle zwischen der Ebene des Nationalstaats und der der inter- und supranationalen Organisationen konstatieren. Die Nationalstaaten werden im Schnitt positiver bewertet. Das gilt für die Legitimationsniveaus insgesamt, aber z.B. auch für die Bewertungen demokratischer Legitimität. Trotz Prekarität vergleichsweise stabil erscheint die Legitimität der Schweiz und der USA. Auch die Legitimität des deutschen Nationalstaats erscheint zwar deutlich prekär, aber nicht krisenhaft. Von den drei internationalen Organisationen erreicht nur die UNO die Zone prekärer Legitimität, verbleibt aber (wie Deutschland) am unteren Ende dieser Zone. G8 und EU weisen hingegen sehr negative Werte auf; ihre Legitimität darf als krisenhaft gelten. Diese Beurteilung trifft zwar auch auf Großbritannien zu, doch finden wir hier den schon mehrfach erwähnten zeitlich positiven Trend. Daher besteht für Großbritannien wohl – nach einigen wichtigen inneren Reformen wie jener des Oberhauses oder der Devolution – eher Hoffnung, aus dem Legitimationstief herauszukommen als für G8 und EU. Ungeachtet des britischen Falls als »Ausreißer« bleibt somit der Befund eines Legitimationsgefälles zwischen nationalstaatlicher und inter- bzw. supranationaler Ebene bestehen. Dieses Gefälle ist jedoch nicht ganz strikt, mit den Nationalstaaten am einen Ende eines Kontinuums und den inter- oder supranationalen Organisationen am anderen; vielmehr stechen die UNO positiv und Großbritannien negativ heraus. Drittens können wir feststellen, dass es trotz des Legitimationsgefälles in Bezug auf die Formen und Prozesse des Bewertens keinen qualitativen Bruch zwischen nationalen und internationalen Regimes gibt. Gewiss existieren Unterschiede. Neben dem Legitimationsgefälle betrifft dies z.B. auch die Legitimationsintensität. Nationalstaaten werden häufiger zum Gegenstand von Legitimationskommunikation als inter- oder supranationale Organisationen und unter den letztgenannten ist für jene die Legitimationskommunikation am intensivsten, deren Organisationsform noch am
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ehesten der von Nationalstaaten gleicht: die EU. Dass das Legitimationsgefälle nicht strikt ist, verdeutlicht aber ebenso die Tatsache, dass die verschiedenen Regimes mit vergleichbaren Maßstäben gemessen werden, dass wir es also weder mit politischen Ordnungen zu tun haben, die als völlig disparat wahrgenommen werden, noch mit entkoppelten Legitimationsdiskursen. Regierungsformen, national wie international, werden in vergleichbarer Weise und mit vergleichbaren Ergebnissen zum Gegenstand von Legitimationsdiskursen. Daher unterstützt eine Perspektive, die Legitimität als Folge von Bewertungen begreift, die Vorstellung eines komplexen Feldes von Legitimitäten, einer den Gegebenheiten der postnationalen Konstellation entsprechenden Mehrebenenlegitimität.
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Ausblick
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Unsere Analyse hat ergeben, dass die Legitimität der untersuchten Demokratien und internationalen Regimes treffend mit dem Begriff »prekär« umschrieben werden kann. Doch prekär ist sicherlich nicht nur die Legitimität der einzelnen untersuchten politischen Ordnungen, prekär ist auch die Legitimität der gesamten globalen politischen Architektur. Wenn Nationalstaaten tendenziell einen besser gesicherten Legitimationsstatus aufweisen als die Einrichtungen, die sich um Formen regionaler oder globaler Kooperation bemühen, ist der Schritt in ein neues stabiles Arrangement globalen Regierens noch nicht gelungen. Dass dieses Legitimitätsgefälle relativ stabil über die letzten zehn Jahre geblieben ist und sich mithin keine Tendenz zu einer »nachholenden« Legitimierung inter- und supranationaler Regimes abzeichnet, stimmt nicht optimistischer. Dass einige Nationalstaaten ebenfalls recht niedrige Legitimationswerte aufweisen, könnte auch – nunmehr weniger die Differenzen als das allgemeine Niveau betonend – als allgemeine Prekarisierung politischer Ordnungen gewertet werden. Zwischen diesen beiden Deutungen muss nicht entschieden werden, sie beleuchten und betonen unterschiedliche Bestandteile jenes Bildes, das im vergleichenden Kapitel 8 gezeichnet wurde. Welche politischen Folgen kann aber ein Zustand allgemeiner Prekarisierung bei fortbestehendem Legitimitätsgefälle auslösen? Sicherlich ist damit ein hinreichend großes Potenzial für Renationalisierungsprozesse gegeben. Wenn die nationalstaatliche Ebene eher als sicherer Hort anerkennungswürdiger politischer Ordnung gilt, ist die Versuchung gegeben, sich bei internationalen Krisen oder beim Zusammenprall europäischer oder globaler Problemlösungen und nationalstaatlicher Interessenlagen aus den legitimatorisch gering eingeschätzten Formen der zwischenstaatlichen und supranationalen Zusammenarbeit zu lösen, durchaus auch in der eher unspektakulären Art eines entschiedenen Unterlaufens von Entscheidungen. Rechtspopulistische Bewegungen können bei Fort-
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bestehen des Legitimitätsgefälles an eine »seriöse« und etablierte öffentliche Bewertung anschließen, sie müssen eine Kritik internationaler Kooperation als wenig legitim nicht erzeugen, sie müssen sie nur verstärken. Ist die eigene nationalstaatliche Demokratie legitimatorisch schon beschädigt, dann wird es jenen Bewegungen weniger schwer fallen, die Kritik an den internationalen politischen Regimes mit der Kritik der eigenen Staatlichkeit zu verbinden. Die niedrigen Legitimationsniveaus politischer Ordnungen gleich welcher Art – also der geringe Anteil positiver Bewertungen – verschaffen dem Gestus radikaler Reform unter eher nationalistischen Vorzeichen eher noch mehr Raum. Der Niveau- wie der Differenzeffekt könnten mithin zusammenwirken in Richtung einer De-Europäisierungs- und De-Internationalisierungspolitik (vgl. auch Kriesi u.a. 2008). Die Möglichkeit eines Rückzugs auf den Nationalstaat wird aber auch in wissenschaftlichen Positionen sichtbar, die den Schutz nationaler Souveränität (insbesondere gegen europäische Entscheidungskompetenzen) als »Demokratieschutz« (Grimm 2009) interpretieren. Das dauerhafte Legitimitätsgefälle könnte nach dieser Argumentation bedeuten, dass allein die nationalstaatliche Ebene demokratische Legitimität gewährleisten kann. Vor diesem Maßstab müssen, so die normative Perspektive der Rechtswissenschaft (und auch der in diesem Buch leitenden Demokratietheorie), die neuen Regimes jenseits des Nationalstaats als defizitär erscheinen. Sie können zwar eine gewisse Legitimität erlangen, aber keine demokratische Legitimität. Die empirische Legitimitätszuweisung in der Öffentlichkeit folgt dann nur den normativen Konzepten von Rechtswissenschaft und Demokratietheorie. Aus dieser Interpretation des hier aufgezeigten empirischen Befundes können allerdings zwei Schlussfolgerungen gezogen werden – und da scheiden sich die Positionen. Das Konzept demokratischer Legitimität kann zur Begrenzung überstaatlicher Befugnisse und zur Einschränkung der Wirksamkeit internationaler und europäischer Institutionen genutzt werden. Dies ist die defensive Nutzung des Konzepts demokratischer Legitimität mit der mindestens impliziten Konsequenz der Unterstützung von Renationalisierungs- bzw. Reetatisierungsprozessen. Es ist aber auch eine offensive Variante denkbar. Diese setzt auf eine zunehmende Realisierung potenziell demokratisch legitimer Prozesse auf internationaler und europäischer Ebene. Das Legitimitätsgefälle ist dann Ausdruck eines Drängens auf weitere Demokratisierungsschritte im internationalen Raum, es ist Ausdruck von Forderungen nach Umbauten der neuen Regimes, die demokra-
AUSBLICK
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tieähnliche Formen auf globaler Ebene aufbauen. Selbst wenn man das empirische Legitimitätsgefälle als angemessenen Ausdruck einer Differenz zwischen demokratischen Nationalstaaten und nicht demokratisierten internationalen Regimes ansieht, ist die politische Konsequenz nicht notwendig der Rückzug in die nationale Demokratie. Sollte sich aber in der Rechts- und Politikwissenschaft die Position einer Souveränitätsbetonung als Demokratieschutz durchsetzen, würde seitens der wissenschaftlichen Experten eine defensiv-abwehrende Haltung gegenüber weiterer Europäisierung und Internationalisierung bestärkt. Die gegenteilige, offensive Argumentation kann sich durchaus auch auf Ergebnisse der empirischen Untersuchung stützen. Bereits heute werden die nationalen wie die internationalen Regimes durchaus an demokratischen Maßstäben gemessen. Dabei sind positive Beurteilungen nach demokratischen Mustern für die Nationalstaaten zwar häufiger als für die internationalen Institutionen, aber keineswegs so viel ausgeprägter, dass man von völlig verschiedenen Legitimationsbedingungen ausgehen sollte. Daraus kann man auch den Schluss ziehen, dass eine weitere Politisierung internationaler Regimes durchaus Erfolgschancen besitzt, weil der Boden für die Forderung nach weiterer Demokratisierung schon bereitet ist. Und normativ gibt es keine Gründe, von der Vorstellung demokratischer Legitimität abzuweichen und die internationale Ebene prinzipiell für nicht demokratisierbar zu halten. Aber um die aktuellen Entwicklungen im Geflecht der verschiedenen Institutionen der Global Governance einordnen zu können, wird man sich nicht auf das Schicksal demokratischer Legitimität beschränken können. Zwei Punkte sind hier von besonderer Bedeutung. Unser Befund, dass die UNO eine höhere Anerkennung erreicht als die beiden anderen internationalen Regimes (G8, EU) und in den Legitimitätsstatements auch anders zur Geltung gebracht wird, verdient Beachtung. Die UNO wirkt dort selbst als eine Art Legitimationsquelle, wo sie als im Prinzip legitimer Ausdruck des Gemeinwillens der Weltgemeinschaft verstanden wird. Gleichheit und Inklusivität auf der Ebene der Staaten sichern der UNO einen Legitimationsvorsprung, der die Maßnahmen der UNO gegenüber einzelnen Staaten legitimieren kann. Staatengleichheit und Staatengemeinschaftssouveränität bilden eine Art legitimatorische Basis, die sowohl zur Befürwortung und Unterstützung einzelner Maßnahmen der UNO als auch zur Kritik des Sicherheitsrates und dessen abweichender Verfassung genutzt werden kann. Das Legitimitätsgefälle zwischen der UNO auf der einen und EU bzw. G8 auf der anderen Seite verweist ja
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darauf, dass es unter den nicht-demokratischen Formen internationalen Regierens legitimatorisch akzeptablere und weniger akzeptable Formen geben kann. Die UNO mit ihrer Inklusivität scheint hier eine in sich kohärentere Legitimitätslösung darzustellen als die exklusiven Regimes der EU, die aber immerhin auf der Ebene eines nicht näher bestimmten Verständnisses von Europa auf Inklusivität zielt, und vor allem der G8, die sich allein auf vormalige Wirtschaftskraft als Kriterium der gewählten ClubForm beziehen kann. Wenn Gleichheit und Allgemeinheit bzw. Inklusion bezogen auf Bürgerinnen demokratische Legitimität als kohärentes Legitimationskonzept ausbilden können, bezogen auf Staaten ein ebenso kohärentes Konzept der Staatenlegitimität, bleibt die Frage, ob es eine dritte Ebene neben Staaten und Bürgerinnen gibt, auf der ebenfalls Gleichheit und Allgemeinheit zur Anwendung gebracht werden kann, um eine dritte Form kohärenter Legitimität auszubilden. Will man die Möglichkeit einer Legitimität jenseits nationalstaatlicher Demokratie und intergouvernementaler Staatengemeinschaft erreichen, bedürfte es genau einer solchen dritten Zurechnungsebene. Erst wenn es gelänge, eine solche Ebene ausfindig zu machen, auf die analog Gleichheits- und Allgemeinheitsanforderungen übertragen werden könnten, erst dann ist eine in sich kohärente, wenn auch nicht demokratische Legitimität von Einrichtungen der Global Governance zu erwarten. Im Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen um die G7/8 und G20 könnte sich eine derartige Ebene abzeichnen, womit bereits der zweite Punkt angesprochen wäre, der hier zur Sprache kommen soll. Es ist bemerkenswert, dass jene Einrichtung, die in den letzten zehn Jahren die geringste öffentlich-mediale Anerkennung erhalten hat, jene Einrichtung, die sich stabil in einem Legitimationstief ohne Beispiel befindet, dennoch in den letzten beiden Jahren zum Ausgangspunkt neuer politischer Hoffnungen geworden ist – und durchaus nicht nur auf Seiten der Regierungen. Zwar nicht die G8 selbst, aber der Typus des intergouvernementalen Clubs ist durch den Outreach-Prozess der G8 und die Aktivierung der G20 im Zuge der Finanzmarktkrise als Vorbote einer wirksamen und inklusiven Form des internationalen Managements von globalen Krisen und Dauerproblemlagen angesehen worden. Dass jene Organisationsform, die am stärksten dem tradierten Konzept einer Staatenwelt entspricht und auch mit 19 Mitgliedstaaten aus allen Kontinenten (und der EU) noch hochexklusiv ist, in diese Rolle geraten kann, verwundert. Erklärt werden kann dieses Phänomen durch negative Erfahrungen mit in-
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klusiven Formen intergouvernementalen Handelns, wie zuletzt vielleicht beim Kopenhagener Klimagipfel 2009. Es bietet sich aber auch eine andere, positive Deutung an: Es könnte sich die Vorstellung eines Club-Hegemons herausbilden, einer Weltregierung der Wenigen, die aber durch Inklusion der starken Staaten aus allen Regionen und Kontinenten der Welt einen regional repräsentativen Charakter erhält. Im Unterschied zur UNO, die auf Staatenebene weitestgehend inklusiv angelegt ist, wäre eine G20 nach wie vor ein exklusiver Club, aber er hätte die Möglichkeit, sich als repräsentativer Club zu verstehen. Zwar gäbe es keine Wahlmöglichkeiten, keine Abwählbarkeit der Clubmitglieder. Aber die faktische ökonomische, politische und auch militärische Stärke von Ländern gelten als Anzeichen dafür, einen Staat in die G20 aufzunehmen. So ist die Entstehung von regionalen Champions oder Regionalhegemonien bei Beachtung der Anerkennung anderer Staaten (was die Nicht-Etikettierung als Schurkenstaat einschließt) faktisch ausschlaggebend für die Aufnahme in die G20. Diese erhält durch die Einbeziehung solcher regional bedeutsamer Staaten den Charakter einer Club-Versammlung der Starken dieser Welt. Sollte sich diese Denkweise verstärken, würde die aktuelle Legitimationskrise der G8 zum Startpunkt einer ganz neuen Konstruktion von Legitimität: Das Inklusionspostulat würde nur indirekt erfüllt. Es wird nicht mittels Partizipation eines jeden Staates erfüllt. An ihre Stelle tritt die repräsentative Vertretung der Staaten einer Region durch die jeweils stärksten Staaten dieser Region. Die regionale Beschränkung der G8 auf den Norden und den »Werte-Westen« wird überwunden zugunsten einer Einbeziehung von Staaten aus allen Regionen der Welt. Damit könnte eine Teilhabe aller Regionen, eine regionale Inklusivität erreicht werden, die sich von der Forderung nach universeller Staateninklusion lösen kann. Die regionale Inklusion – und das ist der Schritt, der sich nur andeutet, aber noch nicht vollzogen ist – könnte sich mit der Vorstellung einer Repräsentanz der Weltregionen verbinden. Repräsentanz meint hier sicherlich nicht Beauftragung und Wahl von Vertretern. Repräsentanz bedeutet nur Sichtbarkeit, ein Vertretensein durch den jeweiligen regionalen Hegemon. Dieser, auch das zeigt den höchst rudimentären Charakter einer derartigen Konstruktion an, ist aber keineswegs auf die Interessen der Nicht-Hegemone in seiner Region verpflichtet. Diese auf faktischer Stärke beruhende Regionenrepräsentanz bildet das Gerüst eines eher beratenden und koordinierenden denn unmittelbar agierenden Weltstaatenclubs. Gelingt es der G20 nicht, eine derartige Konstruktion zu entwickeln, könnte sie ein ähn-
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liches Legitimitätsdefizit erleiden wie die G8. Kann sich dagegen ein Konzept regionaler Staatenrepräsentation herausbilden, das sich vom Wahlprinzip sowohl auf der Ebene der Bürgerinnen als auch auf der Ebene der Staaten löst, aber Gleichheit und Allgemeinheit bzw. Inklusion auf der Ebene der Weltregionen gewährleistet, weil es mit einem Konzept der Repräsentation als regionaler Teilhabe und Stellvertretung verbunden ist, könnte eine dritte kohärente Legitimitätskonstruktion entstehen. Dann fände etwas statt, das analog zum Schritt von der republikanischen Tradition der Antike und den Stadtrepubliken des Mittelalters bzw. der Renaissance mit ihrer Konzentration auf die Versammlungsdemokratie zur Madisonschen Republik als repräsentative Demokratie zu verstehen ist. Die UNO erschiene dann als intergouvernementales Gegenstück zur Versammlungsdemokratie der unmittelbaren Teilhabemöglichkeit jeder Bürgerin auf der Ebene der Staaten. Das Äquivalent zur Madisonschen repräsentativen Demokratie wäre eine Konzeption staatenrepräsentativer Weltregierung, zunächst auf der Basis naturwüchsiger (d.h. rein faktischer und damit machtgestützter) Vorrangstellung, die sich durch die Formalisierung von Bestellungs- und Repräsentationsverfahren zu einer repräsentativen Staatendemokratie fortentwickeln könnte. Dass mit dieser Nachbildung repräsentativ-demokratischer Verfahren auf Staatenebene keineswegs die Hoffnungen erfüllt sind, die sich mit dem Konzept demokratischer Legitimität verbinden, muss hinzugefügt werden. Auch eine staatenrepräsentativ verfasste G20 bedürfte der Demokratisierung, um auf Ebene der Bürgerinnen demokratische Legitimität beanspruchen zu können.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16:
Legitimationsintensität nach Ländern im Zeitverlauf (nationale Ebene)...............................................................................73 Sprechergruppen nach Ländern (nationale Ebene, %) ...............75 Sprechergruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %)...............76 Legitimationsniveaus nach Ländern (nationale Ebene, %) ........78 Legitimationsniveaus nach Ländern im Zeitverlauf (nationale Ebene, %).........................................................................79 Legitimationsintensität und -niveaus im Zeitverlauf (Großbritannien, z-transformiert)...................................................80 Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen und Ländern (nationale Ebene, %).........................................................................82 Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %).........................................................................83 Legitimationsniveaus nach Themenkontexten und Ländern (nationale Ebene, %).........................................................................84 Themenkontexte im Zeitverlauf (nationale Ebene, %)...............84 Legitimationsobjektgruppen nach Ländern (nationale Ebene, %).........................................................................86 Legitimationsobjektgruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %).........................................................................87 Legitimationsniveaus nach Legitimationsobjektgruppen und Ländern (nationale Ebene, %).........................................................88 Legitimationsniveaus nach Legitimationsobjektgruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) ....................................................89 Legitimationsmustergruppen nach Ländern (nationale Ebene, %).........................................................................95 Legitimationsniveaus nach Legitimationsmustergruppen und Ländern (nationale Ebene, %).................................................96
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 17: Legitimationsmustergruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %).........................................................................99 Abb. 18: Legitimationsniveaus nach Legitimationsmustergruppen im Zeitverlauf (nationale Ebene, %) ..............................................99 Abb. 19: Legitimationsstile nach Ländern (nationale Ebene, %).............102 Abb. 20: Legitimationsstile im Zeitverlauf (nationale Ebene, %)............102 Abb. 21: Legitimationsstile nach Sprechergruppen (nationale Ebene, %).......................................................................103 Abb. 22: Legitimationsintensität nach Ländern im Zeitverlauf (UNO).....................................................................110 Abb. 23: Themenkontexte im Zeitverlauf (UNO, absolute Werte) ........111 Abb. 24: Sprechergruppen nach Ländern (UNO, %)................................115 Abb. 25: Sprechergruppen im Zeitverlauf (UNO, %) ...............................117 Abb. 26: Legitimationsniveaus nach Ländern (UNO, %).........................121 Abb. 27: Legitimationsniveaus nach Ländern im Zeitverlauf (UNO, %)...............................................................122 Abb. 28: Legitimationsintensität und Legitimationsniveaus im Zeitverlauf (UNO, z-transformiert)........................................123 Abb. 29: Legitimationsniveaus nach Themenkontexten im Zeitverlauf (UNO, %) .........................................................................................125 Abb. 30: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen und Ländern (UNO, %) .........................................................................................126 Abb. 31: Legitimationsobjektgruppen nach Ländern (UNO, %) ............129 Abb. 32: Legitimationsobjektgruppen im Zeitverlauf (UNO, %) ...........131 Abb. 33: Legitimationsniveaus nach Legitimationsobjektgruppen und Ländern (UNO, %) .................................................................132 Abb. 34: Legitimationsniveaus nach Sprecher- und Legitimationsobjektgruppen (UNO, %) ......................................134 Abb. 35: Legitimationsmustergruppen nach Ländern (UNO, %) ...........136 Abb. 36: Legitimationsniveaus nach Legitimationsmustergruppen und Ländern (UNO, %) .................................................................138 Abb. 37: Legitimationsstile nach Ländern (UNO, %) ...............................141 Abb. 38: Legitimationsniveaus nach Demokratiebezug und Sprechergruppen (UNO, %)..........................................................142 Abb. 39: Legitimationsstile im Zeitverlauf (UNO, %) ..............................143 Abb. 40: Legitimationsintensität nach Ländern im Zeitverlauf (G8) ......152 Abb. 41: Themenkontexte im Zeitverlauf (G8, %) ....................................156 Abb. 42: Sprechergruppen nach Ländern (G8, %).....................................157
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Abb. 43: Sprechergruppen im Zeitverlauf (G8, %)....................................159 Abb. 44: Legitimationsniveaus nach Ländern (G8, %)..............................161 Abb. 45: Legitimationsniveaus nach Ländern und Legitimationsintensität insgesamt im Zeitverlauf (G8, z-transformiert).......................................................................162 Abb. 46: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen und Ländern (G8, %) ..............................................................................................165 Abb. 47: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen im Zeitverlauf (G8, %).................................................................................167 Abb. 48: Legitimationsmustergruppen nach Ländern (G8, %)................172 Abb. 49: Legitimationsniveaus nach Legitimationsmustergruppen und Ländern (G8, %)......................................................................173 Abb. 50: Legitimationsmuster- nach Sprechergruppen (G8, %)..............174 Abb. 51: Legitimationsniveaus nach Legitimationsmuster- und Sprechergruppen (G8, %) ..............................................................175 Abb. 52: Legitimationsstile nach Ländern (G8,%) .....................................182 Abb. 53: Legitimationsstile im Zeitverlauf (G8, %) ...................................182 Abb. 54: Legitimationsintensität nach Ländern im Zeitverlauf (EU) .....195 Abb. 55: Legitimationsniveaus nach Ländern (EU, %) .............................197 Abb. 56: Legitimationsniveaus nach Ländern im Zeitverlauf (EU, %)..............................................................................................198 Abb. 57: Sprechergruppen nach Ländern (EU, %) ....................................199 Abb. 58: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen (EU, %) .............200 Abb. 59: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen im Zeitverlauf (EU, %).........................................................................201 Abb. 60: Legitimationsobjektgruppen nach Ländern (EU, %) ................203 Abb. 61: Legitimationsmustergruppen nach Ländern (EU, %) ...............210 Abb. 62: Legitimationsmustergruppen im Zeitverlauf (EU, %) ..............211 Abb. 63: Legitimationsniveaus nach Legitimationsmustergruppen und Ländern (EU, %) .....................................................................212 Abb. 64: Legitimationsmustergruppen nach Sprechergruppen (EU, %)..............................................................................................214 Abb. 65: Legitimationsmustergruppen nach Themenkontexten (EU, %)..............................................................................................215 Abb. 66: Legitimationsmustergruppen nach Legitimationsobjekten (EU, %)..............................................................................................216 Abb. 67: Legitimationsstile nach Ländern (EU, %) ...................................218 Abb. 68: Legitimationsstile im Zeitverlauf (EU, %)...................................219
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 69: Legitimationsniveaus der vier Regime-Ebenen nach Ländern (%)......................................................................................224 Abb. 70: Häufigkeit der Legitimationsobjektgruppen (Nationalstaat, UNO, EU, %) ..................................................................................226 Abb. 71: Legitimationsniveaus nach Legitimationsobjektgruppen (Nationalstaat, UNO, EU, %) .......................................................228 Abb. 72: Häufigkeit der Legitimationsmustergruppen nach Regime-Ebene (%) ..........................................................................229 Abb. 73: Legitimationsniveaus der Legitimationsmustergruppen nach Regime-Ebene (%).................................................................231 Abb. 74: Legitimationsstile nach Regime-Ebene (%) ................................233 Abb. 75: Sprechergruppen nach Regime-Ebene (%) .................................234 Abb. 76: Legitimationsniveaus nach Sprechergruppen und Regime-Ebene (%) ..........................................................................235
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18:
Legitimationsgrammatik mit Beispielen...................................49 Legitimationsobjekte bei Nationalstaat, UNO und EU........50 Gruppen von Legitimationsmustern........................................53 Vier Legitimationsstile ................................................................57 Hypothesen – internationale Regimes .....................................62 Zeitfenster und Statementzahlen – nationale Ebene.............65 Zeitfenster und Statementzahlen – internationale Regimes .........................................................................................66 Nationale Ebene – Legitimationsstatements pro Land und Jahr .......................................................................71 Legitimationsobjekte und Legitimationsniveaus (nationale Ebene).........................................................................91 Legitimationsmuster und Legitimationsniveaus (nationale Ebene).........................................................................97 UNO-Vollversammlungen – Termine, Legitimationsstatements pro Land und Jahr ........................109 Legitimationsobjekte und Legitimationsniveaus (UNO) .........................................................................................130 Legitimationsmuster und Legitimationsniveaus (UNO) .........................................................................................139 Formen der Legitimation der Vereinten Nationen..............145 G8-Gipfel – Orte, Termine, Legitimationsstatements pro Land und Jahr .....................................................................150 Legitimationsmuster und Legitimationsniveaus (G8) .........177 Wissenschaftliche Diagnosen zur Legitimität der EU und Legitimationsstile...............................................................192 EU-Ratsgipfel – Orte, Termine, Legitimationsstatements pro Land und Jahr .................................................194
254 Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21:
TABELLENVERZEICHNIS
Legitimationsobjekte und Legitimationsniveaus (EU) .............................................................................................204 Legitimationsmuster und Legitimationsniveaus (EU).........213 Hypothesen und Ergebnisse zu den Legitimationsniveaus internationaler Regimes .....................225
Literatur
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Autorinnen und Autoren
Dominika Biegoń ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Teilprojekt »Legitimationswandel durch Internationalisierung und Deparlamentarisierung: Auf dem Weg zu postnationaler und postdemokratischer Legitimation?« am Sonderforschungsbereich »Staatlichkeit im Wandel«, Universität Bremen. Forschungsschwerpunkte: Legitimität der EU, Diskurswissenschaft. Ausgewählte Publikationen: »Europäische Identität in Polen – Numerische Zuschreibung oder qualitative Identität«, Berliner Debatte Initial 17, 1, S. 4455 (2006); »Diskurskulturen und die Legitimation (inter-)nationaler politischer Ordnungen. Mediale Legitimationskurse in vier westlichen Demokratien«, in: Andreas Hepp/Marco Höhn/Jeffrey Wimmer (Hg.), Medienkultur im Wandel, Konstanz: UVK, S. 145-161 (2010, mit J. Gronau, M. Nonhoff, F. Nullmeier, H. Schmidtke, S. Schneider). Jennifer Gronau, Dipl. pol., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Teilprojekt »Legitimationswandel durch Internationalisierung und Deparlamentarisierung: Auf dem Weg zu postnationaler und postdemokratischer Legitimation?« am Sonderforschungsbereich »Staatlichkeit im Wandel«, Universität Bremen. Forschungsschwerpunkte: Legitimationsforschung, Diskurswissenschaft, internationale Institutionen (vor allem G8 und G20). Ausgewählte Publikationen: Auf blinde Flecken zeigen. Soldatische Gedenkpraktiken und Möglichkeiten des Widerspruchs am Beispiel der Gebirgsjäger in Mittenwald, Oldenburg: BIS (2009); »Spiele ohne Brot? Die Legitimationskrise der G8«, Leviathan, 37, 1, S. 117-143 (2009, mit M. Nonhoff, F. Nullmeier, S. Schneider). Martin Nonhoff, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen. Forschungsschwerpunkte: Politische Ideengeschichte, politische Theorien der Gegenwart, Demokratietheorie, Diskurstheorie und -analyse, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Ausgewählte
AUTORINNEN UND AUTOREN
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Publikationen: Politischer Diskurs und Hegemonie, Bielefeld: transcript (2006); Diskurs, radikale Demokratie, Hegemonie. Zum politischen Denken von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, Bielefeld: transcript (2007, Hg.); »Zur Politisierung internationaler Institutionen. Der Fall G8«, Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 16, 2, S. 237-268 (2009, mit J. Gronau, F. Nullmeier, S. Schneider). Frank Nullmeier, Dr. rer. pol., ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen und Leiter der Abteilung »Theorie und Verfassung des Wohlfahrtsstaates« am Zentrum für Sozialpolitik. Forschungsschwerpunkte: Theorie des Wohlfahrtsstaates, Policy-Forschung, Politische Theorie. Ausgewählte Publikationen: Deutschland – eine gespaltene Gesellschaft, Frankfurt/New York: Campus (2006, Hg. mit S. Lessenich); Entscheiden in Gremien. Von der Video-Aufzeichnung zur Prozessanalyse, Wiesbaden: VS Verlag (2008, mit T. Pritzlaff, A.C. Weihe, B. Baumgarten). Henning Schmidtke, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Teilprojekt »Legitimationswandel durch Internationalisierung und Deparlamentarisierung: Auf dem Weg zu postnationaler und postdemokratischer Legitimation?« am Sonderforschungsbereich »Staatlichkeit im Wandel«, Universität Bremen. Forschungsschwerpunkte: Internationale Beziehungen, Diskurs und Staatswandel in der postnationalen Konstellation, Mixed Methods. Ausgewählte Publikationen: »Diskurskulturen und die Legitimation (inter-) nationaler politischer Ordnungen. Mediale Legitimationskurse in vier westlichen Demokratien«, in: Andreas Hepp/Marco Höhn/Jeffrey Wimmer (Hg.), Medienkultur im Wandel, Konstanz: UVK, S. 145-161 (2010, mit D. Biegoń, J. Gronau, M. Nonhoff, F. Nullmeier, S. Schneider). Steffen Schneider, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Teilprojekt »Legitimationswandel durch Internationalisierung und Deparlamentarisierung: Auf dem Weg zu postnationaler und postdemokratischer Legitimation?« am Sonderforschungsbereich »Staatlichkeit im Wandel«, Universität Bremen. Forschungsschwerpunkte: Vergleichende Regierungslehre, Parteien-, Policy- und Legitimationsforschung. Ausgewählte Publikationen: Democracy’s Deep Roots: Why the Nation State Remains Legitimate, Basingstoke: Palgrave Macmillan (2010, mit A. Hurrelmann, Z. Krell-Laluhová, F. Nullmeier, A. Wiesner), Legitimacy in an Age of Global Politics, Basingstoke: Palgrave Macmillan (2007, Hg. mit A. Hurrelmann, J. Steffek).
Globalisierung
Stefan Luft Staat und Migration Zur Steuerbarkeit von Zuwanderung und Integration 2009, 417 Seiten, ISBN 978-3-593-38888-5 Regina Kreide Globale Politik und Menschenrechte Macht und Ohnmacht eines politischen Instruments 2008, 264 Seiten, ISBN 978-3-593-38597-6 Thorsten Bonacker, Christoph Weller (Hg.) Konflikte der Weltgesellschaft Akteure – Strukturen – Dynamiken 2006, 324 Seiten, ISBN 978-3-593-38226-5 Christopher A. Bayly Die Geburt der modernen Welt Eine Globalgeschichte 1780 – 1914 2008, 650 Seiten, ISBN 978-3-593-38724-6 Alexander Engel Farben der Globalisierung Die Entstehung moderner Märkte für Farbstoffe 1500 – 1900 2009, 386 Seiten, ISBN 978-3-593-38869-4 Sebastian Conrad, Andreas Eckert, Ulrike Freitag (Hg.) Globalgeschichte Theorien, Ansätze, Themen 2007, 347 Seiten, ISBN 978-3-593-38333-0
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Politikwissenschaft
es Buch d rische to ft ri is h h c s s eit »D a « der Z er Jahres : 2. Platz in d « ße LS A M A D kans tö n e D » rie Katego
Hubertus Buchstein Demokratie und Lotterie Das Los als politisches Entscheidungsinstrument von der Antike bis zur EU 2009, 493 Seiten ISBN 978-3-593-38729-1 Fritz W. Scharpf Föderalismusreform Kein Ausweg aus der Politikverflechtungsfalle? 2009, 174 Seiten, ISBN 978-3-593-38901-1 Renate Mayntz Über Governance Institutionen und Prozesse politischer Regelung 2009, 171 Seiten, ISBN 978-3-593-38892-2 Frank Berner Der hybride Sozialstaat Die Neuordnung von öffentlich und privat in der sozialen Sicherung 2009, 345 Seiten, ISBN 978-3-593-38862-5
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