Eva Diana Wendt Sozialer Abstieg und Konsum
GABLER RESEARCH Marketing-Management Herausgegeben von Professor Dr. Chri...
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Eva Diana Wendt Sozialer Abstieg und Konsum
GABLER RESEARCH Marketing-Management Herausgegeben von Professor Dr. Christian Belz, Universität St. Gallen Professor Dr. Alfred Kuß, Freie Universität Berlin Professor Dr. Thomas Rudolph, Universität St. Gallen Professor Dr. Torsten Tomczak, Universität St. Gallen
In der Reihe werden Forschungsergebnisse aus unterschiedlichen Teilgebieten des Marketing veröffentlicht, die einen deutlichen Anwendungsbezug haben. Die Arbeiten gelten Fragestellungen aus dem Bereich des operativen und strategischen Marketing und sind zum großen Teil durch die Einbeziehung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse sowie eine empirische Vorgehensweise geprägt.
Eva Diana Wendt
Sozialer Abstieg und Konsum Auswirkungen finanzieller Verknappung auf das Konsumverhalten Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Peter Weinberg und Prof. Dr. Alfred Kuß
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Freie Universität Berlin, 2009 D 188
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Anita Wilke Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2356-1
Geleitwort Eva Wendt beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit einem Thema aus dem Gebiet des Konsumentenverhaltens, das einerseits in der wissenschaftlichen Literatur bisher wenig beachtet wurde und andererseits in den letzten Jahren große Aktualität und auch praktische Relevanz erhalten hat. Hintergrund ist der soziale und ökonomische Wandel in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen Ländern, der dazu geführt hat, dass nicht nur eine relativ große Zahl von Menschen länger arbeitslos ist, sondern dass vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre längere Arbeitslosigkeit bei den Betroffenen zu erheblicher Verarmung und deswegen auch zu gravierenden Veränderungen des Konsumverhaltens führt. In der Konsumentenforschung ist zwar vereinzelt die Wirkung sozialen und materiellen Aufstiegs auf das Konsumverhalten behandelt worden, die umgekehrte Richtung, der soziale Abstieg, und der damit verbundene Übergang zu verändertem bzw. vermindertem Konsum ist aber bisher – wohl auch vor dem Hintergrund jahrzehntelangen wirtschaftlichen Aufstiegs – kaum betrachtet worden. Lediglich zu einzelnen Aspekten des Verhaltens dauerhaft armer Konsumenten (z.B. „The poor pay more“) finden sich gelegentlich Publikationen. Auch im Blickwinkel der Marketing-Praxis wirft diese Entwicklung relevante Fragen auf. Dazu nur zwei Beispiele: Welche Bereiche des Konsums werden durch sozialen Abstieg stärker oder schwächer betroffen? Wie stark werden langfristig entwickelte Markenbindungen in Frage gestellt oder aufgegeben? Eva Wendt betritt mit ihrer Dissertation wissenschaftliches Neuland und kann eben nur sehr begrenzt an bisherige einschlägige Forschung anknüpfen. Dementsprechend bilden die Entwicklung theoretischer Ansatzpunkte zur Erklärung von Änderungen des Konsumverhaltens beim sozialen Abstieg und eher explorative empirische Untersuchungen zu diesem Phänomen Schwerpunkte der Dissertation. Mit der vorliegenden Arbeit werden Grundlagen für die Untersuchung eines für Gesellschaft und Marketing-Praxis relevanten Aspekts des Konsumentenverhaltens gelegt. Gleichzeitig wird wieder einmal deutlich, dass die Relevanz der Konsumentenforschung nicht auf Anwendungen im Marketing begrenzt ist. Vor diesem Hintergrund wünschen wir der Arbeit von Eva Wendt angemessene Beachtung bei den entsprechenden Adressaten. Peter Weinberg Alfred Kuß
Vorwort Die einem Individuum zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen besitzen einen hohen individuellen und gesellschaftlichen Stellenwert. So beeinflussen sie nicht nur den gesellschaftlichen Status und das Selbstwertgefühl eines Menschen, sondern auch seine Kaufkraft und damit das Ausmaß an realisierbarer Wahl- und Konsumfreiheit. Angesichts dieser großen Bedeutung finanzieller Ressourcen stellt sich die Frage, wie Menschen auf eine deutliche Verringerung ihrer finanziellen Ressourcen reagieren und wie sich dies auf ihr Konsumverhalten auswirkt. Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser angesichts der fortschreitenden Prekarisierung von Erwerbs- und Familienbiographien gesellschaftlich wie auch wissenschaftlich an Relevanz zunehmenden Fragestellung. Diese Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professoren Dr. Alfred Kuß und Dr. Michael Kleinaltenkamp am MarketingDepartment der Freien Universität Berlin. Sie wurde im Juni 2009 vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaft als Dissertation angenommen. An dieser Stelle möchte ich allen Personen, die mich auf unterschiedlichste Art und Weise unterstützt und damit zum Gelingen dieser Dissertation beigetragen haben, herzlich danken. Herrn Prof. Dr. Kuß danke ich für die Betreuung meiner Doktorarbeit. Er gab mir die Freiheit, mich mit einem für die Konsumverhaltensforschung auf den ersten Blick eher untypischen Thema zu beschäftigen. Seinen methodischen Anregungen folgend konnte ich im Laufe der Zeit einen Einblick in eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden sowohl quantitativer als auch qualitativer Art gewinnen. Herrn Prof. Dr. Martin Eisend danke ich für sein immer wieder gezeigtes Interesse am Fortschritt meiner Dissertation und seine konstruktiven inhaltlichen Anregungen. Herrn Prof. Dr. Peter Weinberg danke ich für die stetige freundliche Unterstützung und die Übernahme des Zweitgutachtens. Danken möchte ich auch allen im Rahmen dieser Untersuchung interviewten Personen für ihre Gesprächsbereitschaft und Offenheit. Sie haben es mir ermöglicht, mich der Forschungsfrage empirisch zu nähern und einen genaueren Einblick in die Denk- und Verhaltensmuster von finanziell deprivierten Personen zu gewinnen. Mein Dank gilt auch allen meinen Kollegen und Kolleginnen am Lehrstuhl. Ihnen verdanke ich ein angenehmes Arbeitsumfeld und -klima. Für viele Gespräche und freund-
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Vorwort
schaftliche Unterstützung danke ich vor allem Anja Fell, Jana Möller und Franziska Küster. Besonders danken möchte ich Markus Ungruhe, der mich nicht nur praktisch unterstützte, sondern mich immer wieder motivierte und durch seine methodisch wertvollen Anregungen wichtige Impulse für meine Arbeit gab. Wertvolle Unterstützung in allen Phasen meiner Doktorarbeit habe ich auch aus meinem Freundeskreis erfahren dürfen. Mein tief empfundener Dank gilt dabei insbesondere Lara Zscherlich, David Ignatieff, Torsten Wiemken, Mareen Scholl und Julia Freunscht, die mir auch in „Krisen“-Phasen meiner Dissertation beigestanden haben. Ihr jederzeit offenes Ohr für meine größeren und kleineren Probleme, viele intensive Gespräche und ihre aufmunternden Worte halfen mir über Zeiten schwankender Motivation hinweg. Die schöne gemeinsame Zeit mit ihnen verschaffte mir zudem immer wieder den notwendigen Abstand zu meiner Arbeit und damit die Möglichkeit, neue Energie zu schöpfen. Ich danke ihnen für ihre großartige Freundschaft. Mein innigster Dank gilt meinen Eltern Rudolf und Hildegard Wendt, die mir in unvergleichlicher Weise während der gesamten Zeit meines Studiums und meiner Promotion zur Seite standen. Sie haben immer an mich geglaubt und mir nach all ihren Kräften unermüdlich den Rücken gestärkt. Ohne sie hätte ich meinen Weg nicht gehen können und das Ziel, das ich mir gesetzt hatte, nicht erreicht. Ihnen widme ich diese Arbeit und danke ihnen von Herzen. Eva Wendt
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis............................................................................................... XIII Tabellenverzeichnis .....................................................................................................XV Abkürzungsverzeichnis.............................................................................................XVII
1
Einleitung................................................................................................................. 1 1.1 Problemstellung und Forschungsfrage........................................................... 1 1.2 Relevanz des Themas........................................................................................ 1 1.3 Aufbau der Arbeit ............................................................................................ 6
2
Grundlagen.............................................................................................................. 9 2.1 Konsumverhalten.............................................................................................. 9 2.1.1 Zum Begriff „Konsumverhalten“............................................................. 9 2.1.2 Lebensstandard in der Bundesrepublik Deutschland ............................. 10 2.1.2.1 Realisierter Lebensstandard ...................................................... 10 2.1.2.2 Erstrebter Lebensstandard......................................................... 13 2.1.3 Wohlstands- und Konsumgesellschaft – Merkmale............................... 17 2.1.4 Rolle von Geld und Konsum in der Wohlstandsgesellschaft................. 19 2.1.4.1 Bedeutung finanzieller Ressourcen für das Individuum........... 19 2.1.4.2 Bedeutung und Funktionen von Konsum ................................. 22 2.2 „Sozialer Abstieg“ – definitorische Abgrenzung ......................................... 28 2.2.1 Absolute versus relative Armut/Deprivation ......................................... 29 2.2.2 Objektive versus subjektive Deprivation ............................................... 31 2.2.3 „Sozialer Abstieg“ bzw. „finanzielle Deprivation“ ............................... 32
X
Inhaltsverzeichnis
3
Ergebnisse bisheriger Forschung (State of the Art) .......................................... 35 3.1 Finanzielle Deprivation – Ursachen und Risikogruppen............................ 35 3.1.1 Grundlegende Erkenntnisse der (dynamischen) Armutsforschung ....... 37 3.1.2 Ursachen finanzieller Deprivation ......................................................... 40 3.2 Auswirkungen erheblicher finanzieller Knappheit (in den USA).............. 46 3.3 Auswirkungen (neuer) finanzieller Verknappung ...................................... 52 3.3.1 Grundlegende Verhaltensreaktionen und materielle Konsequenzen ..... 53 3.3.2 Psychische und soziale Konsequenzen von Armut................................ 57 3.3.3 Prioritätensetzung im Konsumverhalten................................................ 61 3.3.4 Ver- und Überschuldung ........................................................................ 62 3.4 Ableitung des Forschungsproblems .............................................................. 65
4
Vorstellung und Begründung der methodischen Herangehensweise .............. 69 4.1 Quantitative Analyse von Sekundärdaten.................................................... 70 4.1.1 Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP)................................................ 71 4.1.2 Spezifika des SOEP, geeignete Items und Vorgehen bei der Analyse .. 72 4.2 Qualitative Datenerhebung und -auswertung.............................................. 76 4.2.1 Qualitative Methodik ............................................................................. 76 4.2.1.1 Qualitativ orientierte Fallanalysen............................................ 77 4.2.1.2 Das problemzentrierte (Leitfaden-)Interview ........................... 80 4.2.2 Zugang zum Feld und Beschreibung der Stichprobe ............................. 84 4.2.3 Datenerhebung und -erfassung............................................................... 88 4.2.4 Datenauswertung.................................................................................... 89 4.2.5 Sicherung der internen Validität ............................................................ 92
5
Ergebnisse der empirischen Untersuchung........................................................ 95 5.1 Ergebnisse der quantitativen Analyse der Daten des SOEP ...................... 95 5.2 Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation vor dem Hintergrund theoretischer Erklärungsansätze . 101
Inhaltsverzeichnis
XI
5.2.1 Das Anspruchsniveau des Konsumenten (theoretischer Rahmen) ...... 102 5.2.1.1 Wesen und Bedeutung des Anspruchsniveaus........................ 103 5.2.1.2 Determinanten des Anspruchsniveaus .................................... 105 5.2.1.3 Veränderung des Anspruchsniveaus durch Gewöhnung ........ 107 5.2.2 Die kognitiv-transaktionale Stresstheorie (theoretischer Rahmen) ..... 111 5.2.3 Die finanzielle Einbuße als Auslöser von Stress ................................. 115 5.2.4 Emotionale Bewältigung...................................................................... 118 5.2.4.1 „Control of Meaning“ bzw. kognitive Restrukturierung ........ 119 5.2.4.1.1 Kompensation und selektive Ignoranz ........................... 119 5.2.4.1.2 Priorisierung nicht-materieller Lebensziele ................... 121 5.2.4.1.3 Positiver (sozialer) Vergleich......................................... 122 5.2.4.1.3.1 Vergleich mit „ähnlichen“ Personen........................ 124 5.2.4.1.3.2 Sozialer „Abwärtsvergleich“.................................... 126 5.2.4.1.3.3 Distanzierung und Abwertung ................................. 128 5.2.4.2 Eingeständnis der Selbstverantwortlichkeit............................ 130 5.2.4.3 Anspruchsniveaubezogene Bewältigung ................................ 131 5.2.4.3.1 Senkung des konsumbezogenen Anspruchsniveaus ...... 131 5.2.4.3.2 Akzeptanz der temporären Abweichung vom Anspruchsniveau ohne Senkung des Anspruchsniveaus 135 5.2.5 Bewältigung auf der Verhaltensebene ................................................. 139 5.2.5.1 Finanzmanagement ................................................................. 140 5.2.5.1.1 Determinanten und Gestaltungsparameter des Konsumbudgets.............................................................. 140 5.2.5.1.2 Budgetplanung ............................................................... 143 5.2.5.2 Veränderung der Budgetallokation ......................................... 148 5.2.5.2.1 Determinanten der Ausgabenstruktur............................. 148 5.2.5.2.2 Reduzierung von Fixkosten............................................ 151 5.2.5.2.3 Temporäre Aspekte ........................................................ 152 5.2.5.3 Prioritätensetzung bei der Budgetallokation........................... 154 5.2.5.3.1 Eigene Bedürfnisse versus Bedürfnisse der Kinder ....... 154 5.2.5.3.2 Hedonistische Bedürfnisse ............................................. 156 5.2.5.3.3 Mangelnde Relevanz sozial sichtbaren Konsums .......... 158 5.2.5.3.3.1 Ursprüngliche Erwartung ......................................... 158 5.2.5.3.3.2 Ergebnisse ................................................................ 160 5.2.5.3.3.3 Interpretation/Erklärung........................................... 166 5.2.5.4 Rationalisierung des Kaufentscheidungsverhaltens................ 170
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Inhaltsverzeichnis
5.2.5.4.1 Vermeidung von Verlockungen (Selbstkontrolle) ......... 171 5.2.5.4.2 Rationalisierung einzelner geplanter Konsumakte......... 174 5.2.5.4.3 Abweichungen – Aufgabe der Selbstkontrolle .............. 177 5.2.5.5 Veränderung des Kaufverhaltens............................................ 178 5.2.5.5.1 Strategien zur Senkung der Ausgaben ........................... 179 5.2.5.5.2 Determinanten der gewählten Einsparstrategie.............. 181 5.2.5.5.2.1 (Günstigere) Alternativen außerhalb des Marktes ... 182 5.2.5.5.2.2 (Preisgünstigere) Alternativen innerhalb des Marktes..................................................................... 185 5.2.5.5.2.3 Charakteristika des Konsumenten............................ 189 (i) Wissensstand des Konsumenten ..................................... 189 (ii) Werte und Einstellungen ............................................... 190 (iii) Produktinvolvement ..................................................... 191 (iv) Persönlichkeit/individuelle Schamgrenzen................... 194 (v) Konsumvergangenheit und Dauer der Einbuße............. 195 (vi) Restriktionen................................................................. 196 5.2.5.5.2.4 Charakteristika des Produktes .................................. 198 (i) Kaufrisiko und wahrgenommene Produktqualität.......... 199 (ii) Art des primären Produktnutzens .................................. 204 (iii) Produktkategorie und Haushaltsausstattung................. 206 5.2.5.5.2.5 Nicht-monetäre Transaktionskosten ........................ 208 5.2.6 Auswirkungen der Einschränkung auf die Konsumzufriedenheit ....... 211 5.2.7 Auswirkungen der Einschränkung auf die Konsumerfahrung............. 213
6
Fazit und Diskussion........................................................................................... 215 6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse.............................................................. 215 6.2 Limitationen und Forschungsausblick ....................................................... 221 6.3 Implikationen für die Praxis........................................................................ 224
Inhaltsverzeichnis des Anhangs.................................................................................. 229 Literaturverzeichnis .................................................................................................... 231
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Angst vor Arbeitslosigkeit....................................................................... 3 Abbildung 2: Differenzen in der Einschätzung der Notwendigkeit einzelner Lebensstandardmerkmale (Anteile "notwendig" in %)....................... 16 Abbildung 3: Zufriedenheit mit Chancen der Teilhabe nach Bevölkerungsgruppen.. 22 Abbildung 4: Armut im Lebenszyklus......................................................................... 37 Abbildung 5: Rentenniveau der Zukunft ..................................................................... 42 Abbildung 6: Bedarfsgewichte Pro-Kopf-Einkommen und Einkommensarmut......... 44 Abbildung 7: Gruppenspezifisches Armutsrisiko nach Erwerbsstatus, Haushaltstyp und Nationalität ................................................................................... 46 Abbildung 8: Einschränkung während der Arbeitslosigkeit........................................ 55 Abbildung 9: Entwicklung der Überschuldung privater Haushalte............................. 63 Abbildung 10: Ausgewählte Auslöser der Überschuldung 2006 ................................ 63 Abbildung 11: Die Entwicklung des Untersuchungsdesigns....................................... 69 Abbildung 12: Ereignisabfolge in einem Anspruchsniveau-Experiment .................. 104 Abbildung 13: Gewohntes und nach der Einbuße realisierbares Konsumniveau ..... 107 Abbildung 14: Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens und des Glücksempfindens in den USA ......................................................... 109 Abbildung 15: Entwicklung des tatsächlichen Einkommens und des benötigten (für notwendig gehaltenen) Einkommens in den USA ..................... 110 Abbildung 16: Die finanzielle Einbuße als Auslöser von Stress............................... 118 Abbildung 17: Arten emotionaler Bewältigung......................................................... 138 Abbildung 18: Wesentliche Determinanten des Konsumbudgets ............................. 141
XIV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 19: Arten problemorientierter Bewältigung ............................................ 179 Abbildung 20: Einsparoptionen bzw. alternative Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung…………………………………................... 180 Abbildung 21: Das „Awareness Set“ der Einsparoptionen ....................................... 190 Abbildung 22: Charakteristika des Konsumenten als Determinante der gewählten Einsparstrategie/n .............................................................................. 198 Abbildung 23: Charakteristika des Produktes als Determinante der gewählten Einsparstrategie/n .............................................................................. 198 Abbildung 24: Transaktionskosten als Determinante der gewählten Einsparstrategie/n .............................................................................. 211 Abbildung 25: Zentrale Ergebnisse zu den Auswirkungen der finanziellen Einbuße im Überblick...................................................................................... 217 Abbildung 26: Determinanten der gewählten Einsparsstrategie/n im Überblick ...... 219
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Was sich die Deutschen leisten können und was nicht (in %) ................... 12 Tabelle 2: Die Einschätzung der Notwendigkeiten für einen angemessenen Lebensstandard in Ost- und Westdeutschland (in %) ................................. 15 Tabelle 3: Wichtigkeit einzelner Bereiche in verschiedenen Bevölkerungsgruppen Ost- und Westdeutschlands ......................................................................... 20 Tabelle 4: Armutsbilder im Wandel ............................................................................ 36 Tabelle 5: Mittlerer Belastungswert kritischer Lebensereignisse.............................. 111 Tabelle 6: Strategien der Stressbewältigung.............................................................. 114 Tabelle 7: Belege für die mangelnde „soziale“ Bedeutung von Konsum ................. 163
Abkürzungsverzeichnis ALG II
Arbeitslosengeld II
ALLBUS
Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften
BMFSFJ
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
BMI
Bundesministerium des Inneren
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
dpa
Deutsche Presseagentur
EVS
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
FMCG
Fast Moving Consumer Goods
GfK
Gesellschaft für Konsumforschung
IAQ
Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ)
i.d.R.
in der Regel
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
u.U.
unter Umständen
SCHUFA
Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung
SOEP
Sozio-oekonomisches Panel
Vorbemerkung Zur sprachlichen Vereinfachung und zur Erleichterung des Leseflusses wird in der vorliegenden Arbeit in der Regel die männliche Form zur Bezeichnung von Personen verwendet, womit jedoch stets beide Geschlechter gemeint sind.
1 Einleitung 1.1 Problemstellung und Forschungsfrage Das Individuum befriedigt viele seiner Bedürfnisse durch den Kauf und Konsum von Gütern und Dienstleistungen. Als Voraussetzung einer solchen über den Markt vollzogenen Bedürfnisbefriedigung und damit als wesentliche Determinante von Konsumentscheidungen gelten die finanziellen Ressourcen, über die ein Konsument verfügt. Finanzielle Ressourcen als „unabdingbare Voraussetzung für den Konsum“ (Hauser, S. 12) sind damit die Basis von Wahl- bzw. Konsumfreiheit (Bauman 2005, S. 31) und damit selbstbestimmter Teilhabe an der Wohlstandsgesellschaft (Schulze 1997, S. 283). Sie determinieren das Ausmaß des „persönlichen Möglichkeitsraums“ (Schulze 1997, S. 263). Was geschieht nun, wenn die finanziellen Ressourcen des Konsumenten knapper werden? Thema dieser Untersuchung sollen die Auswirkungen „sozialen Abstiegs“, verstanden als spürbare Verknappung der finanziellen Ressourcen, auf das Konsumverhalten sein. „Spürbar“ ist eine Verknappung der finanziellen Ressourcen dann, wenn sie so stark ist, dass sie eine Einschränkung der Konsummöglichkeiten zur Folge hat, der Konsument also eine Verschlechterung, sprich relative Deprivation („Mangelerfahrung“), seiner materiellen Situation erlebt. Erforscht werden soll, wie Konsumenten auf emotionaler und Verhaltensebene auf die Einschränkung ihrer Konsum- und Wahlfreiheit reagieren, welche Bewältigungsstrategien sie entwickeln und durch welche Faktoren diese beeinflusst werden. Möglicherweise lassen sich hier unterschiedliche Typen von Bewältigungsmustern ausfindig machen.
1.2 Relevanz des Themas Die Verknappung finanzieller Ressourcen und deren Auswirkungen ist eine Thematik, die nicht nur aus gesellschaftlicher, sondern auch aus marketingtheoretischer und -praktischer Perspektive zunehmend an Relevanz gewinnt. Das liegt in erster Linie daran, dass tendenziell immer mehr Menschen – zunehmend auch höherer gesellschaftlicher Schichten – zumindest mit einer temporären Verschlechterung ihrer finanziellen Situation konfrontiert bzw. davon bedroht sind (Gahleitner 1996; Klocke/ Hurrelmann 2001, S. 11; Leibfried et al. 1995, S. 12; Zwick 1994, S. 10). Dies spiegelt
2
Einleitung
sich auch in dem in den letzten Jahren gestiegenen Anteil der von sogenannter Einkommensarmut betroffenen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung wider (Buhr 2004, S. 10). Als „armutsgefährdet“ gelten Personen, deren Einkommen weniger als 60% des Mittelwerts (Median) des Äquivalenzeinkommens1 beträgt. Dementsprechend wird der Anteil der Personen mit einem Äquivalenzeinkommen unterhalb dieser Armutsrisikogrenze an der Gesamtbevölkerung, als Armutsgefährdungs- bzw. Armutsrisikoquote definiert (Schlichting/Reinbach 2007, S. 523). Die Armutsgefährdungsquote in Deutschland lag nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2005 bei 13% (dpa 2008). Gleichzeitig wächst die (am Gini-Koeffizienten gemessene) Spreizung zwischen Arm und Reich (Wiswede 2007, S. 168). Gegenstand dieser Untersuchung sind die Auswirkungen spürbarer finanzieller Verknappung auf das Konsumverhalten. Ein solcher sozialer Abstieg bedeutet, wie klarzustellen ist, für die Betroffenen nicht zwangsläufig einen Abstieg in die Armut, dennoch spiegelt sich in der Zunahme von einkommensarmen Haushalten das gestiegene Risiko eines finanziellen Abstiegs wider. Auch die Angst vor Arbeitslosigkeit kann als wichtiger Indikator für die Verunsicherung vieler Menschen und die Antizipation eines bevorstehenden sozialen Abstiegs herangezogen werden. Diese Angst hat bei allen Bevölkerungsschichten seit Ende der 1980er Jahre deutlich zugenommen. Die stärkste relative Zunahme der Angst vor Arbeitslosigkeit seit den 1980er Jahren haben die Mittel- und Oberschicht zu verzeichnen (siehe Abbildung 1). Bei einer von dem Sozialwissenschaftler Heitmeyer durchgeführten Befragung, deren Ergebnisse im Jahr 2007 veröffentlicht wurden, äußerten 51% der Befragten, seit der Umsetzung des Hartz IV-Konzeptes durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BGBl. I 2003, S. 2954), das die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) zum Arbeitslosengeld II zusammenführte, Angst vor einem sozialen Abstieg zu haben. Laut dieser Studie fürchten große Teile der Unterschicht, 40% der Mittelschicht und 25% der in gehobenen Positionen Beschäftigten die Arbeitslosigkeit (Schlicht 2007).
1
Zur Berechung des „bedarfsgewichteten Äquivalenzeinkommens“ wird das tatsächlich erzielte Haushaltseinkommen (einschließlich Sozialtransfers) nach einem Gewichtungsschlüssel auf die Haushaltsmitglieder verteilt. Danach galt im Jahr 2005 eine alleinlebende Person, deren Monatseinkommen unter 781 Euro lag, als armutsgefährdet (o.V. 2008a).
Relevanz des Themas
3
Abbildung 1: Angst vor Arbeitslosigkeit
Quelle: eigene Darstellung nach Böhnke (2005, S. 35), Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988, 1998, Allbus 2004
Auch eine ebenfalls im Jahr 2007 vom Meinungsforschungsinstitut Emnid im Auftrag des Versicherungskonzerns ARAG durchgeführte Umfrage zeigt, dass auch die obere „Mittelschicht“ zunehmend den sozialen Abstieg fürchtet. 89,7% der 1018 Befragten äußern Angst vor einem sozialen Abstieg. Das gilt insbesondere für die Berufsgruppe der leitenden Angestellten und Beamten (o.V. 2007b). Die geäußerte Angst vor dem Abstieg ist vielfach nicht unbegründet. Tatsächlich lässt sich eine Tendenz zur sogenannten „Abwärtsmobilität“ ausmachen. Die Mittelschicht schrumpft und „ihre Vertreter steigen eher ab als auf“ (Grigat 2008, S. 678). Selbst Spitzen-Verdiener sind vor dem Abstieg nicht gefeit. So hat das Abstiegsrisiko auch bei den reichsten 7% der deutschen Bevölkerung zugenommen. Im Zeitraum von 1998 bis 2001 rutschten 44% der reichsten Haushalte Deutschlands (Haushalte mit einem Einkommen oberhalb des doppelten Durchschnittseinkommens) in niedrigere Einkommensklassen ab. Im Zeitraum von 1995 bis 1998 hatte der Anteil dieser Absteiger noch bei nur 34 Prozent gelegen (Schmid 2002). Warum ist diese Entwicklung aus gesellschaftlicher Perspektive relevant? Die Bekämpfung von Armut zählt zu den wichtigsten Aufgaben des Sozialstaats Deutschland. Ableiten lässt sich dies aus dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes (Artikel 20 Abs.
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Einleitung
1), wonach eine Verantwortung des Staates für eine Gewährleistung eines sozialen Existenzminimums und die Sicherstellung sozialer Teilhabemöglichkeiten für alle Bevölkerungskreise besteht. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird angesichts der Zunahme der Anzahl unterstützungsbedürftiger Personen immer schwerer zu bewältigen sein. Aus sozialpolitischer Perspektive werden oft weniger die finanzielle Knappheit als solche, sondern vielmehr die damit verbundenen negativen sozialen Konsequenzen als Problem wahrgenommen. Sowohl das Auftreten sozialer Exklusion (Buhr 2004, S. 16 f.; Kronauer 2002) als auch eine misslingende Sozialisation bei Kindern (Klocke/ Hurrelmann 2001, S. 10; Neuberger 1997, S. 97 und 110-115) oder auch Jugendkriminalität (Stephens/Hill 1994) werden nicht selten – zumindest in Teilen – auf einen Mangel an finanziellen Ressourcen zurückgeführt. Auch darüber, ob bzw. inwieweit ökonomische Zwänge und die Unzufriedenheit mit der persönlichen finanziellen Situation sozial deviantes Verhalten (Schwarzarbeit, Leistungsmissbrauch, [Sozial-]Versicherungsbetrug etc.) auslösen können, wird von einigen Wissenschaftlern diskutiert (Lamnek/Luedtke 1999, S. 40 ff.). Aus sozialpolitischer Perspektive sind aber nicht nur die sozialen, sondern auch die konkreten materiellen Auswirkungen einer finanziellen Verknappung von Interesse. So sollte angesichts der nach wie vor kontroversen Diskussion über die adäquate Berechnung und Festlegung der notwendigen Höhe staatlicher Transferleistungen (wie beispielsweise des Hartz IV-Satzes) (Beikler 2008; Kneist 2007) evaluiert werden, wie ein angemessener Lebensstandard zu definieren ist und welche finanziellen Ressourcen hierfür erforderlich sind. Dementsprechend werden Forderungen laut, bei der Evaluation der Wirksamkeit von sozialpolitischen Maßnahmen, die auf eine Partizipation der Betroffenen am gesellschaftlichen Wohlstand abzielen, nicht nur das nominale Einkommen, sondern auch dessen Verwendung (und damit reale Konsummuster) stärker als Beurteilungskriterium einzubeziehen (Bögenhold/Fachinger 2005, S. 11). Dies setzt eine intensivere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der durch Zwänge und subjektive Präferenzsysteme geprägten realen Einkommensverwendung voraus (Bögenhold/ Fachinger 2005, S. 19). Zentraler Gegenstand dieser Untersuchung ist die marketingtheoretische und -praktische Seite der skizzierten Entwicklung. Die Einkommensverwendung unter restriktiveren Bedingungen liegt auch im Erkenntnisinteresse der Marketingwissenschaft. Aus marketingtheoretischer Perspektive ist die Auseinandersetzung mit den Wirkungen finanzieller Verknappung von Interesse, weil Wesen und Einflussfaktoren des Kauf- und Konsumverhaltens wesentliches Erkenntnisobjekt der interdisziplinär
Relevanz des Themas
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ausgerichteten Konsumverhaltensforschung darstellen. Daher erstaunt, dass der konkrete Einfluss finanzieller Ressourcen in der Marketingwissenschaft eher vernachlässigt wird. Als Determinante des Konsumverhaltens werden finanzielle Ressourcen eher in indirekter Form und aus einer statischen Perspektive berücksichtigt, z.B. in Klassen- und Schichtmodellen. Abgesehen davon, dass das Maß der finanziellen Ressourcen in der Regel nur eine von mehreren Dimensionen innerhalb einer derartigen sozialen Kategorisierung darstellt, wird die Aussagekraft entsprechender Modelle ohnehin zunehmend in Frage gestellt (näher dazu u.a.Wiswede 2000, S. 38). In direkterer Form werden finanzielle Ressourcen als Einkommen in makro- bzw. mikroökonomischen Theorien der Haushaltsnachfrage berücksichtigt (Felderer/Homburg 1999; Hardes et al. 1998). Allerdings bleibt die Aussagekraft dieser Ansätze bezogen auf das tatsächliche Konsumverhalten aufgrund ihrer von der Komplexität der Realität abstrahierenden Annahmen ebenfalls eher beschränkt. Bezüglich der psychischen Auswirkungen von Einkommenseinbußen auf Konsumenten und deren Verhaltensreaktionen existieren nach alldem bisher nur wenige Erkenntnisse. Erste Ansatzpunkte zur Untersuchung dieser Thematik lassen sich vor allem in Studien finden, die unter dem Rahmenthema „Low-Income“ bzw. „Poor Consumer“ (Caplovitz 1967; Hill 1991; Hill 2001; Hill 2002; Hill/Stamey 1990; Hill/Stephens 1997) durchgeführt wurden. Nicht nur aus marketingtheoretischer, sondern folgerichtig auch aus marketingpraktischer Perspektive stellt die Ressourcenverknappung beim Konsumenten ein wichtiges Thema dar. In Zeiten zunehmenden Wettbewerbsdrucks können marktorientierte Unternehmen es sich nicht erlauben, die Bedürfnisse und Probleme einer immer größer – und in ihrer Zusammensetzung immer heterogener – werdenden Gruppe von Konsumenten zu vernachlässigen. Bezogen auf das einzelne Unternehmen stellt sich hier die Frage, inwieweit Kauf- und Konsumentscheidungen bezüglich der eigenen angebotenen Produkte durch finanzielle Einbußen, die Konsumenten erfahren, tangiert werden. Für die Unternehmenspraxis sind unter anderem folgende Fragen von Interesse: Hat eine Einkommenseinbuße Auswirkungen auf das Produkt- und Markenwahlverhalten, wenn ja, welche? Werden Konsumgewohnheiten aufgebrochen? In welchen Bereichen wird eher eingespart, in welchen weniger? Verändern sich die individuellen Präferenzen in gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht? Verändert sich das Anspruchsniveau hinsichtlich der Preis- und/oder der Qualitätserwartungen? Spielt die soziale Sichtbarkeit von Konsum hier eine Rolle? Möglicherweise ergeben sich aus den Antworten auf diese Fragen wichtige Impulse für den Marketingmix und insbesondere die Gestaltung der Preis- und Konditionenpolitik.
6
Einleitung
1.3 Aufbau der Arbeit Finanzielle Ressourcen bestimmen über die Art und das Ausmaß der Bedürfnisbefriedigung, die der Konsument durch Erwerb und Konsum von über den Markt vermittelten Gütern und Dienstleistungen realisieren kann. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit den Auswirkungen einer durch sozialen Abstieg bedingten Schmälerung verfügbarer materieller Ressourcen auf das Konsumverhalten. Nach dem einleitenden Problemaufriss und der Skizzierung der Forschungsfrage (Kapitel 1) bedarf es zunächst einer Erläuterung der für die Arbeit grundlegenden Begrifflichkeiten. Dieser Erläuterung ist das zweite Kapitel gewidmet (Kapitel 2). Es beginnt mit einer Heranführung an das Konsumverhalten. Dabei wird zunächst dargelegt, dass die deutsche Gesellschaft eine Wohlstands- bzw. Konsumgesellschaft ist, in der große Teile der Bevölkerung einen hohen Lebensstandard realisieren können (Böhnke/Delhey 1999, S. 13). Vor diesem Hintergrund gilt es sodann, die Bedeutung von Geld und Konsum in der deutschen Gesellschaft zu erörtern und herauszustellen, welche Funktionen Konsum in einer konsumgesellschaftlich geprägten Gesellschaft aus der Sicht des Konsumenten erfüllen muss. Im zweiten Teil des Kapitels wird das Phänomen des sozialen Abstiegs bzw. finanzieller Deprivation näher beleuchtet. Vor dem Hintergrund der in der Wissenschaft vorhandenen Armutsdefinitionen wird der Begriff der finanziellen Deprivation im Sinne der Forschungsfrage definiert und abgegrenzt. Im darauffolgenden dritten Kapitel (Kapitel 3) wird der aktuelle Forschungsstand zum Problem der Bewältigung finanzieller Deprivation durch den Konsumenten dargestellt. Zunächst sollen – basierend auf Erkenntnissen der deutschen Armutsforschung2 – mögliche Ursachen finanzieller Verknappung erörtert und Risikogruppen identifiziert werden. Dann sollen Forschungsergebnisse aus der amerikanischen „Low-Income Consumer“-Literatur vorgestellt werden. Diese Erkenntnisse beziehen sich in erster Linie auf „dauerhaft“ – und nicht neuerdings und fortschreitend – deprivierte Menschen und deren Bewältigungsstrategien, lassen sich aber unter Umständen in begrenztem Maße auf den hier anvisierten Personenkreis übertragen. Anschließend sollen empirische Erkenntnisse der – überwiegend deutschen – Forschung zu finanzieller Verknappung dargestellt werden. Letztlich sollen Forschungsdefizite herausgearbeitet und
2
(Berger 1990; Berger 1994; Berger 1996; Buhr 1995; Buhr 2004; Hauser 2005; Leibfried et al. 1995; Zwick 1994).
Aufbau der Arbeit
7
daraus die konkrete Forschungsaufgabe dieser Untersuchung und Fragestellungen für ihren empirischen Teil abgeleitet werden. Das vierte Kapitel (Kapitel 4) dient der Hinleitung zum empirischen Teil der Untersuchung. Hier wird die methodische Herangehensweise vorgestellt und begründet. Zur Beantwortung der Forschungsfrage soll zum einen vorhandenes Datenmaterial einer Sekundäranalyse unterzogen werden. Zum anderen soll – aufgrund der bisher mangelnden Erforschung des Themas – mit Hilfe einer qualitativen Methode ein vertiefter Einblick in das Konsumverhalten von Menschen, die mit einer erheblichen finanziellen Einbuße konfrontiert (gewesen) sind, gewonnen werden. Um den Forschungsprozess nachvollziehbar zu machen, erfolgt eine detaillierte Darstellung der wesentlichen Charakteristika der gewählten Methode und der konkreten Vorgehensweise bei der empirischen Datenerhebung und -auswertung. Im fünften Kapitel (Kapitel 5) werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung vorgestellt. Die gewonnenen Erkenntnisse werden vor dem Hintergrund geeignet erscheinender theoretischer Ansätze dargestellt, interpretiert und diskutiert. Zunächst werden dazu die die Interpretation im wesentlichen leitenden theoretischen Ansätze, die kognitiv-transaktionale Stresstheorie (Lazarus/Folkman 1984) und die Theorie des Anspruchniveaus (Lewin et al. 1944; Simon 1957) erörtert. Dann folgt die ausführliche Darstellung der auf emotionaler und Verhaltensebene von Konsumenten vollzogenen und empirisch identifizierten Reaktionen bei der Bewältigung eines sozialen Abstiegs. Die Untersuchung endet mit dem Fazit (Kapitel 6). Hier erfolgt eine zusammenfassende Darstellung der gewonnenen Erkenntnisse. Des weiteren werden die Grenzen der vorliegenden Untersuchung und auch Ansatzpunkte für die zukünftige Forschung aufgezeigt sowie einige Implikationen für die Unternehmenspraxis herausgearbeitet.
2 Grundlagen 2.1 Konsumverhalten 2.1.1 Zum Begriff „Konsumverhalten“ Im Fokus dieser Arbeit steht das Konsumverhalten. Das Konsumverhalten stellt das zentrale Erkenntnisobjekt der in der Marketingwissenschaft verankerten Konsumentenforschung dar. Diese verfolgt das Ziel, das Verhalten der Konsumenten zu erklären, das heißt, „Gesetzmäßigkeiten über das Verhalten zu formulieren und zu prüfen sowie an die Praxis weiterzugeben“ (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 10). Wesentliches Merkmal der Konsumverhaltensforschung ist ihre interdisziplinäre Ausrichtung. Dabei integriert sie als Forschungsdisziplin nicht nur Erkenntnisse anderer verhaltenswissenschaftlicher Disziplinen (Psychologie, Sozialpsychologie, Soziologie, etc.), sondern nutzt diese auch als Ausgangbasis eigener Forschung (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 10 ff.). Generell beschreibt der Begriff „Konsumentenverhalten“ das Verhalten von Einzelpersonen oder privaten Haushalten beim Kauf und Konsum von wirtschaftlichen Gütern oder Dienstleistungen (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 4). Der Konsum stellt einen Prozess dar, bei dem sich folgende – aufeinanderfolgende – Phasen unterscheiden lassen: Entstehung von Bedürfnissen; Aktivitäten der Informationssuche, -verarbeitung und Entscheidungsfindung; Nutzung bzw. Verbrauch von Gütern und deren Entsorgung (Wiswede 2007, S. 328). Dem Konsum werden außerdem alle Gefühle und Verhaltensweisen zugerechnet, die der Konsument bezogen auf die jeweiligen Güter und Dienstleistungen entwickelt (Schneider 2000, S. 12). Als wesentliche Determinanten des Konsumverhaltens werden kulturelle Einflussfaktoren (wie Werte, Normen, Trends, Subkulturen und Schichtzugehörigkeit), soziale Determinanten (wie Bezugsgruppen, Familie, Lebensphasen und -lagen), Persönlichkeitsmerkmale, externe Einflüsse (wie Werbung, Medien), situative Einflüsse (wie z.B. physische und soziale Umgebung) und soziodemographische und materielle Determinanten (z.B. Einkommen) betrachtet (siehe z.B. Kuß/Tomczak 2007). Eine zentrale Rolle in der Konsumentenforschung spielt das Entscheidungsverhalten des Konsumenten. Der Konsument muss täglich eine Vielzahl ökonomischer Entscheidungen treffen (Karlsson et al. 2004). Beispielsweise muss er Einkaufsprioritäten festlegen und Entscheidungen darüber treffen, ob und gegebenenfalls aus welchen
10
Grundlagen
Gründen (z.B. mangelnde Liquidität oder Zögern, einen weiteren Kredit aufzunehmen etc.) er eine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung aufschiebt (Fitzmaurice/Comegys 2006, S. 288). Generell muss er entscheiden, welche Güter und Dienstleistungen er wo, wann, wie und in welcher Qualität und Quantität kauft. Dieser Untersuchung soll ein solches entscheidungsfokussiertes Verständnis des Konsumverhaltens zugrunde gelegt werden.
2.1.2 Lebensstandard in der Bundesrepublik Deutschland Die Rahmenbedingungen des Konsums haben sich in Deutschland in den letzten 150 Jahren deutlich verändert. Wirtschaftlicher Fortschritt verbunden mit starken Produktivitätssteigerungen und sozialstrukturellen Veränderungen haben zu einer Steigerung des gesellschaftlichen Wohlstandes geführt (Bögenhold/Fachinger 2005, S. 14). Die Gesellschaft Deutschlands gilt heute als Wohlstandsgesellschaft (Böhnke/Delhey 1999, S. 3), in der ein Großteil der Bevölkerung materielle Bedürfnisse weit über dem Existenzminimum realisieren kann (Duden 2004). Dies manifestiert sich im allgemeinen Lebensstandard der deutschen Bevölkerung. Der Lebensstandard drückt sich allgemein in der Gesamtheit der Güter und Dienstleistungen aus, die einem Individuum zu Verfügung stehen. Dabei kann es sich grundsätzlich sowohl um Marktgüter als auch um öffentliche Güter handeln (Böhnke/Delhey 1999, S. 11). Bolte (1990, S. 37) sieht den Lebensstandard demgemäß u.a. bestimmt durch die einem Menschen „verfügbaren Konsumgüter, die ihm zugänglichen Infrastruktureinrichtungen (Verkehrsmittel, Schulen, Theater, Sporteinrichtungen usw.), seine Wohnverhältnisse und Wohnumwelt (...) sowie den Grad sozialer Versorgung und Absicherung“. Andreß/Lipsmeier (1999, S. 5) fassen den Begriff noch weiter und unterscheiden folgende Dimensionen des Lebensstandards: individuelle und haushaltbezogene Ressourcen, nicht-monetäre Ressourcen (soziale Netzwerke), öffentliche und private Infrastruktur (Markt, Staat).
2.1.2.1 Realisierter Lebensstandard Erhebungen wie der Wohlfahrtssurvey und das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) geben Aufschluss über den in Deutschland realisierten Lebensstandard. Im Wohlfahrtssurvey, der als bewährtes Instrument der Sozialberichterstattung zur repräsenta-
Konsumverhalten
11
tiven Erfassung der objektiven und subjektiv wahrgenommenen Lebensbedingungen in Deutschland eingesetzt wird (Böhnke/Delhey 1999, S. 6), wird der Lebensstandard beispielsweise im Jahr 1998 anhand einer 22 Items umfassenden Liste abgefragt (siehe Tabelle 1). Erfasst wird der Besitz bestimmter Konsumgüter und Haushaltsausstattungen bzw. die Ausübung bestimmter Aktivitäten der finanziellen Vorsorge. Alle abgefragten Items sind Güter, die über den Markt erworben werden und damit finanzielle Ressourcen der Befragten voraussetzen. Der jeweilige Anteil der Personen, die sich die abgefragten Dinge und Aktivitäten leisten können („habe ich/tue ich“) (siehe Tabelle 1), belegen, dass sowohl in West- als auch Ostdeutschland große Teile der Bevölkerung in der Lage sind, einen hohen Lebensstandard zu realisieren. So können sich fast alle Befragten Dinge wie z.B. Innenbad, Fernseher, Telefon und Waschmaschine leisten. Zu den Dingen, die weniger als 50% der Befragten haben oder tun, gehören der monatliche Restaurantbesuch, die private Altersvorsorge und der Computer. Am wenigsten verbreitet ist die zusätzliche private Krankenversicherung (Böhnke/ Delhey 1999, S. 13). Dabei geben nur wenige Personen – maximal ein Viertel der Befragten in Westdeutschland – einen Mangel an finanziellen Ressourcen als Grund für das Fehlen einer Sache oder das Nichtausüben einer Aktivität an. Das bedeutet: „Ein überwiegender Teil könnte sich die Annehmlichkeiten leisten, tut dies aber nicht – sei es aus Fragen der Lebensführung, des Lebensstils oder schlicht und ergreifend, weil kein Bedarf gesehen wird“ (Böhnke/Delhey 1999, S. 15). In Ostdeutschland sieht es ähnlich aus, auch wenn hier der Anteil derer, die für kostspieligere Dinge, die eines permanenten Einkommensüberschusses bedürfen, wie z.B. private Altersvorsorge, zusätzliche private Krankenversicherung, das Sparen von mindestens 100 Mark im Monat etc., keine Mittel haben, etwas größer ist (Böhnke/Delhey 1999, S. 15). Auch eine von Andreß et al. (2004) durchgeführte Studie auf der Basis des SOEP zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen sich alle elf im SOEP 2003 erfassten „Lebensstandardmerkmale“ leisten kann (Andreß et al. 2004, S. 19). Ursache für das Fehlen einer Sache oder Aktivität sind auch hier häufig nicht finanzielle Gründe, sondern individuell unterschiedliche Präferenzen (Andreß et al. 2004, S. 14). Am ehesten aufgrund finanzieller Restriktionen nicht möglich sind Dinge, die nicht zum notwendigen Grundbedarf zählen und einen größeren finanziellen Aufwand voraussetzen, wie beispielsweise Urlaub, die Bildung finanzieller Rücklagen oder die Anschaffung neuer Möbel. Der Grundbedarf ist selten aus finanziellen Gründen bedroht (Andreß et al. 2004, S. 16).
12
Grundlagen
Tabelle 1: Was sich die Deutschen leisten können und was nicht (in %) Westdeutschland „Habe ich/ tue ich“
„Kann ich mir nicht leisten“
Ostdeutschland „Habe ich/ tue ich“
„Habe ich nicht aus anderen Gründen“
„Kann ich mir nicht leisten“
„Habe ich nicht aus anderen Gründen“
WC oder Bad in der Wohnung
99
1
1
97
1
2
Fernseher
99
0
1
98
0
1
Telefon
98
2
1
95
2
3
Waschmaschine
96
2
1
95
1
4
Eine warme Mahlzeit am Tag
96
1
3
95
1
4
Eigenes Zimmer für jedes HH-Mitglied
89
7
5
85
6
8
Garten, Balkon oder Terrasse
87
4
10
76
5
19
Stereoanlage
80
6
14
71
7
23
Auto
79
8
12
75
11
14
Videorekorder
73
6
21
69
7
25
Mind. 100 DM/ Monat sparen können
71
19
10
62
30
8
Zeitungsabonnement
68
7
25
68
8
24
Einwöchige Urlaubsreise im Jahr
68
16
17
60
21
20
Regelm. neue Kleidung kaufen können
64
15
20
54
23
23
Geschirrspülmaschine
60
10
30
33
18
49
Zahnbehandlung jederzeit möglich
61
21
17
62
23
15
Freunde zum Essen einladen
55
11
35
41
16
42
Abgenutzte Möbel durch neue ersetzen
51
18
30
41
29
30
Restaurantbesuch einmal im Monat
48
17
35
33
23
44
Private Altersvorsorge
44
25
31
29
35
36
Computer (PC)
43
10
46
35
14
51
Zusätzliche private Krankenversicherung
29
26
44
15
37
49
Die Frage im Wohlfahrtssurvey 1998 lautet: „Wenn Sie an sich selbst denken, was von dieser Liste haben bzw. tun Sie, was davon haben bzw. tun Sie nicht, weil Sie es sich nicht leisten können, was davon haben bzw. tun Sie aus anderen Gründen nicht?“
Quelle: eigene Darstellung nach Böhnke/Delhey (1999, S. 14), Datenbasis: Wohlfahrts survey 1998
Konsumverhalten
13
Der hohe Lebensstandard spiegelt sich auch in der Ausgabenstruktur der privaten Haushalte wieder. Während die Ausgaben eines privaten Haushalts allein für Nahrungs- und Genussmittel im Jahr 1950 noch 43% seines Konsumbudgets ausmachten, sind es im Jahr 2000 weniger als 19%. Auch die Ausgaben für Kleidung und Schuhe haben sich in diesem Zeitraum halbiert. An dieser Veränderung der Ausgabenstruktur zeigt sich der durch Einkommenssteigerungen (gesamtgesellschaftlich) gewachsene Wohlstand sehr deutlich. Durch die Reduzierung der Ausgaben für den lebensnotwendigen Bedarf (Grundbedürfnisse) hat sich der Ausgabenspielraum der Konsumenten für weniger notwendige Güter erhöht (Schmidt 2000, S. 240). Auch aktuellere Erhebungen wie die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 1998 und 2003 zur Ausgabenstruktur privater Haushalte in Deutschland weisen daraufhin, dass die Grundbedürfnisse tendenziell mit immer weniger finanziellen Mitteln befriedigt werden können. So machten im Jahr 2003 die Ausgaben zur Deckung der Grundbedürfnisse wie Ernährung, Kleidung und Wohnen einen Anteil an den Konsumausgaben von 51,0% im Westen und 51,2% im Osten aus (1998: 51,7% und 51,5%) (Datenreport 2006, S. 117).
2.1.2.2 Erstrebter Lebensstandard In Deutschland ist nicht nur der faktisch realisierte Lebensstandard hoch, sondern auch die Vorstellungen hinsichtlich des als angemessen empfundenen (Mindest-)Lebensstandards. Piachaud (1992) führt dies unter anderem auf eine durch den gesellschaftlichen Strukturwandel und technologische Entwicklungen (z.B. Verbesserung der Transportmöglichkeiten, Fortentwicklung der Informationstechnologien) verursachte Veränderung der Bedarfe zurück. Parallel zu dieser Entwicklung verändern sich auch die gesellschaftlichen Vorstellungen darüber, welche Güter als lebensnotwendig betrachtet werden. So sind etwa in den letzten hundert Jahren die Standards für Wohnen, Kleidung, Nahrung und Freizeit erheblich angestiegen. Dies hat auch die Entwicklung neuer sozialer Normen in Bezug auf die Mindestvoraussetzungen für eine Beteiligung an der gesellschaftlichen Entwicklung zur Folge (Piachaud 1992, S. 64). „Ein Höhlenbewohner mag ohne das Licht von Sonne und Sternen gut ausgekommen sein. Heute keinen elektrischen Strom zu haben, wäre dagegen gesellschaftlich nicht akzeptabel“ (Piachaud 1992, S. 64). Als Beleg für den tendenziell hohen Anspruch an den Lebensstandard in Deutschland kann eine ebenfalls im Rahmen des Wohlfahrtssurveys durchgeführte Befragung he-
14
Grundlagen
rangezogen werden (siehe Tabelle 2). Die Befragten sollten hier angeben, für wie notwendig sie bestimmte (in einer Itemliste vorgegebene) Dinge für die Realisierung eines angemessenen Lebensstandards halten. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass die Ansprüche an einen angemessenen Lebensstandard in West- und Ostdeutschland annähernd gleich und generell hoch sind. So wird nur der Computer in West und Ost von einer Mehrheit der Bevölkerung als „verzichtbar“ eingestuft (Böhnke/Delhey 1999, S. 17). Heute, im Jahr 2009, dürfte auch der Computer nicht mehr als verzichtbar gelten. Andreß et al. (2004) können im Rahmen einer vergleichbaren Untersuchung zeigen, dass die Einschätzungen von befragten Deutschen hinsichtlich dessen, was zum notwendigen Lebensstandard gehört, weitgehend homogen und zeitlich konstant sind. Unterschiede in den Notwendigkeitseinschätzungen zeigen sich allerdings bei Merkmalen des erweiterten Lebensstandards, die mehrheitlich als eher verzichtbar eingestuft werden. Hier existieren zum Teil deutliche Unterschiede in den Prioritäten zwischen verschiedenen sozialen Gruppen (Andreß et al. 2004, S. 13). Ähnliches stellen auch Böhnke/Delhey (1999) fest. Trotz der weitgehenden Übereinstimmung der Ansprüche an den Lebensstandard in Ost- und Westdeutschland existieren subjektive Unterschiede in der Einschätzung der „Notwendigkeit“ einzelner Lebensstandardmerkmale, wenn man einzelne soziale Gruppierungen unterscheidet (siehe Abbildung 2). Bei einer differenzierten Analyse können Böhnke/Delhey (1999) mit Hilfe von Korrelationsberechnungen zeigen, dass diese Unterschiede in den Notwendigkeitseinschätzungen zum Teil bildungs-, insbesondere aber alters- und lebensphasenbedingt sind. Dass das Auto insbesondere von Familien mit Kindern als notwendig betrachtet wird, lässt sich als Bedarf interpretieren. Eine stärkere Sensibilisierung für die Rentenproblematik oder bessere finanzielle Möglichkeiten der Realisierung könnten die stärkere Bedeutung der privaten Altervorsorge bei höheren Bildungsschichten erklären. Die Unterschiede hinsichtlich der Einschätzung der Notwendigkeit eines Computers lassen sich am ehesten auf alters- und generationenspezifisch bedingte Unterschiede in der Arbeits- und Freizeitgestaltung zurückführen (Böhnke/Delhey 1999, S. 18).
Konsumverhalten
15
Tabelle 2: Die Einschätzung der Notwendigkeiten für einen angemessenen Lebensstandard in Ost- und Westdeutschland (in %) Westdeutschland
Ostdeutschland
„Unbedingt notwendig“
„Wünschenswert, aber nicht unbedingt notwendig“
„Verzichtbar“
„Unbedingt notwendig“
„Wünschenswert, aber nicht unbedingt notwendig“
„Verzichtbar“
WC oder Bad in der Wohnung
92
7
1
93
5
2
Waschmaschine
88
11
2
92
7
1
Eine warme Mahlzeit am Tag
87
11
2
91
9
1
Telefon
74
21
5
76
19
6
Fernseher
59
33
8
72
22
6
Zahnbehandlung jederzeit möglich
53
43
5
66
31
3
Eigenes Zimmer für jedes HH-Mitglied
48
48
4
55
39
6
Auto
46
36
18
61
25
14
Mind. 100 DM/ Monat sparen können
38
55
6
43
51
6
Private Altersvorsorge
36
52
12
27
52
21
Einwöchige Urlaubsreise im Jahr
29
54
16
34
15
51
Zeitungsabonnement
27
39
35
34
33
34
Regelm. neue Kleidung kaufen können
24
64
13
26
61
13
Stereoanlage
22
48
31
22
47
32
Garten, Balkon oder Terrasse
20
68
12
19
62
19
Geschirrspülmaschine
20
46
34
12
42
46
Freunde zum Essen einladen
18
58
24
17
56
27
Abgenutzte Möbel durch neue ersetzen
15
70
15
19
66
15
Computer (PC)
14
32
54
13
36
51
Zusätzliche private Krankenversicherung
14
58
28
13
50
37
Videorekorder
12
41
47
15
44
41
Restaurantbesuch einmal im Monat
12
54
34
12
54
34
Die Frage im Wohlfahrtssurvey ´98 lautet: „Es gibt verschiedene Meinungen darüber, was man in Deutschland zum Leben braucht. Was meinen Sie, was auf der folgenden Liste sollte sich jeder Haushalt in Deutschland leisten können? Was ist verzichtbar, was ist wünschenswert, aber nicht unbedingt notwendig, und was ist unbedingt notwendig?“
Quelle: eigene Darstellung nach Böhnke/Delhey (1999, S. 16), Berechnung auf Basis des Wohlfahrtssurveys 1998
16
Grundlagen
Abbildung 2: Differenzen in der Einschätzung der Notwendigkeit einzelner Lebensstandardmerkmale (Anteile "notwendig" in %)
Quelle: eigene Darstellung nach Böhnke/Delhey (1999, S. 18), Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1998
Es spricht einiges dafür, dass die sich in diesen Notwendigkeitseinschätzungen widerspiegelnde individuelle Anspruchshaltung hinsichtlich der Höhe des Lebensstandards nicht nur durch soziodemographische Faktoren wie die genannten, sondern auch durch subjektive Erfahrungen der Vergangenheit bzw. den gewohnten Lebensstandard des Einzelnen beeinflusst wird. So deuten von Böhnke/Delhey (1999) gewonnene Erkenntnisse auf einen positiven Zusammenhang zwischen tatsächlicher Haushaltsausstattung und Notwendigkeitseinschätzung hin. Je eher ein Haushalt über eine bestimmte Sache (z.B. Waschmaschine, Auto etc.) verfügt, desto eher betrachtet er sie auch als notwendig, also als etwas, das man sich leisten können sollte (Böhnke/Delhey 1999, S. 18). In eine ähnliche Richtung weisen die Ergebnisse einer Studie von Karlsson et al. (2004). Hier wird allerdings der Zusammenhang zwischen finanziellen Ressourcen und Notwendigkeitseinschätzungen betrachtet. Je besser die ökonomische Situation eines Haushalts (Einkommen und Vermögen) ist, desto höher sind nach den gewonnenen Ergebnissen die an der Anzahl der als notwendig betrachteten Güter und Dienstleistungen gemessenen Konsumansprüche (Karlsson et al. 2004, S. 764). Und je höher die Ansprüche sind, desto mehr wird auch konsumiert. Es scheint also ein Zusammenhang zwischen realisiertem und erstrebtem Lebensstandard zu bestehen.
Konsumverhalten
17
2.1.3 Wohlstands- und Konsumgesellschaft – Merkmale Aufgrund der in den letzten Jahrzehnten zunehmend gestiegenen disponiblen Einkünfte und des vergleichsweise hohen Lebensstandards wird die Gesellschaft der Bundesrepublik häufig als Wohlstands- bzw. Konsumgesellschaft oder auch als Überflussgesellschaft im Sinne Galbraiths (1958) bezeichnet. Was aber macht eine Konsumgesellschaft genau aus? Zu ihren charakteristischen Merkmalen gehören nach Brewer (1998, S. 52 ff.) folgende: Existenz eines umfassenden, ausdifferenzierten Warensortiments, das für viele oder alle Bevölkerungsgruppen erreichbar ist und damit den sogenannten „Massenkonsum“ ermöglicht. Hervorzuheben ist, dass es sich bei dem Warensortiment vielfach um Güter handelt, bei denen die Erfüllung von Konsumwünschen und nicht die Befriedigung von Grundbedürfnissen im Vordergrund steht. Vorhandensein ausdifferenzierter Kommunikationssysteme (z.B. Werbewirtschaft und Marktforschung), die Güter mit symbolischer Bedeutung aufladen und so die Bedürfnisse von Konsumenten stimulieren und lenken. Bündel von zusammengehörigen Gütern, die Abstufungen von Geschmack, Mode und Stil demonstrieren, so dass Konsum trotz Massenkonsum (und der dadurch erzeugten zunehmenden Nivellierung) als Mittel zum Ausdruck sozialer Differenzierung genutzt werden kann. Hoher Stellenwert von Freizeit und Konsum, die vor allem mit Freiheit, Kreativität und Selbstverwirklichung in Verbindung gebracht werden. Insgesamt hat sich Deutschland im Rahmen eines starken sozialen Wandels seit den 1960er Jahren zu einer Gesellschaft mit einer ausgeprägten hedonistischen Konsumund Erlebnisorientierung entwickelt, bei der nicht mehr die Sättigung, sondern die Erregung im Vordergrund steht. Konsum wird als gesellschaftliche „Pflicht“ wahrgenommen (Schneider 2000, S. 17). Existenz des „Konsumenten“, verstanden als Rolle des Individuums und soziale Kategorie. „Als soziale Kategorie wird der Konsument durch darauf ausgerichtete soziale Systeme geschützt, umworben, informiert, erforscht und beeinflusst“ (Schneider 2000, S. 12). Gleichzeitig identifiziert sich das Individuum mit seiner Rolle als Konsument, was sein Selbstbild und Lebensgefühl prägt. In
18
Grundlagen
manchen Fällen ersetzt die Rolle als Konsument sogar ehemalige Klassen-, Familien- oder Heimatzugehörigkeiten. Eine institutionalisierte Konsumkritik als Manifestation einer starken „Ambivalenz gegenüber Konsummentalität und Massenkonsum und als Menetekel der aus dem Massenkonsum erwachsenden Gefahren für Mensch, Natur und Gesellschaft“ (Schneider 2000, S. 12). Zum Umgang mit den negativen Folgen des Konsums stehen „Reparatureinrichtungen“ wie Schuldnerberatungsstellen und Therapieeinrichtungen für Kaufsüchtige bereit. Viele Industrieländer sind durch eine Ausbreitung solcher „konsumgesellschaftlicher Strukturmerkmale“ geprägt (Schneider 2000, S. 18). Generell ist eine Ausweitung des Warenangebots festzustellen, die sich insbesondere in vier Tendenzen manifestiert (Schneider 2000, S. 18 f.):
Ausdifferenzierung der Produktpalette und Erschließung neuer Zielgruppen: Die Diversifikation von Gütern findet dabei nicht nur über ihren Zusatznutzen, sondern auch über ihren Gebrauchswert statt. So werden beispielsweise Fahrräder nicht mehr – wie früher – nur in verschiedenen Farben, Größen, Qualitäten und Preisen angeboten, sondern auch zur Verwendung für unterschiedliche Zwecke (Rennräder, Mountainbikes, Trekking- und Shoppingräder).
Massenverbreitung billiger Substitutionsgüter: Mit Hilfe von „billigen Substitutionsgütern, die entweder einen vergleichbaren Gebrauchswert (z.B. Deklaration von industrieller Überschussproduktion als Billigmarken) oder einen ähnlichen Symbolwert (z.B. Imitate von Exklusivmarken) aufweisen“ (Schneider 2000, S. 19), gelingt es, bei immer mehr Produkten immer mehr Käufer auch in den unteren und untersten Einkommensschichten zu gewinnen. Ausweitung des Konsummarktes auf vormals nicht dem Konsummechanismus unterworfene Bereiche (z.B. Kunst, Sex, Freizeit) mit der Folge, dass soziale Beziehungen immer stärker durch ökonomische Aspekte geprägt sind und zunehmend „marktvermittelt“ organisiert werden. Expansion der Mode und Aufladung der Güter mit Emotionen und sozialer Symbolik.
Konsumverhalten
19
2.1.4 Rolle von Geld und Konsum in der Wohlstandsgesellschaft 2.1.4.1 Bedeutung finanzieller Ressourcen für das Individuum Die Bedeutung von finanziellen Ressourcen und Konsum für das Individuum bedarf einer näheren Beleuchtung. Finanzielle Ressourcen stellen aus ökonomischer Perspektive in erster Linie Kaufkraft, aus soziologischer Perspektive einen Statusfaktor und aus psychologischer Perspektive eine Quelle des Selbstwertgefühls und der sozialen Anerkennung dar (Wiswede 2007, S. 166). In einer durch Konkurrenz- und Leistungsstreben geprägten Gesellschaft wie derjenigen Deutschlands, in der Reichtum als Gratifikation für Erfolg gilt, stellt materieller Reichtum ein gesellschaftliches Leitbild dar (Huster 1997, S. 29). Dementsprechend hoch ist der Stellenwert individueller finanzieller bzw. materieller Ressourcen in unserer Gesellschaft. Deutlich wird dies beispielsweise in den Ergebnissen des SOEP, nach dem ein Großteil der deutschen Bevölkerung – unabhängig von Geschlecht, Alter, Erwerbsstatus und Familienstand – angibt, dass das (Lebens-) Ziel, „sich etwas leisten zu können“, wichtig bzw. sehr wichtig ist (siehe Tabelle 3). Dabei bleibt allerdings offen, was es bedeutet, „sich etwas leisten können“. Es ist aber anzunehmen, dass die Befragten in erster Linie an die Verfügbarkeit ausreichender finanzieller Ressourcen denken. In diesem Sinne führt Schulze (1997, S. 263) zutreffend aus, dass materielle Ressourcen wesentlich den „persönlichen Möglichkeitsraum“ bestimmen. Darunter versteht er das, „was ein Mensch zu einem gegebenen Zeitpunkt in einer gegebenen Gesellschaft alles haben oder machen könnte“ (Schulze 1997, S. 264). Der persönliche Möglichkeitsraum ist zum einen von den situativen Gegebenheiten (Warenangebot, Kontaktmöglichkeiten, soziales Umfeld etc.), zum anderen vom persönlichen Realisierungspotenzial, das heißt den zur Realisierung von Möglichkeiten einsetzbaren Mitteln (Geld, Bildungszertifikate, Kompetenzen etc.) abhängig (Schulze 1997, S. 263). Fokussiert man die über den Markt vermittelten Möglichkeiten, „so lässt sich der Wert des (eingeschränkten) Möglichkeitsraums abgekürzt durch Geld ausdrücken“ (Schulze 1997, S. 264). Finanzielle Ressourcen bestimmen nicht nur den Handlungsspielraum eines Menschen (Wiswede 2007, S. 160), sondern auch das Ausmaß einer selbstbestimmten Teilhabe an der Gesellschaft (Schulze 1997, S. 283). Nach Bauman (2005) sind finanzielle Ressourcen, also Vermögen und Einkommen, wesentliche Determinanten der Wahl- und Konsumfreiheit, der in Wohlstandsgesellschaften eine herausgehobene Bedeutung zu-
20
Grundlagen
Tabelle 3: Wichtigkeit einzelner Bereiche in verschiedenen Bevölkerungsgruppen Ost- und Westdeutschlands Sich Erfolg im Sich selbst Die Welt Glückliche etwas leisBeruf haverwirkli- sehen, vie- Ehe/ Partten können ben chen le Reisen nerschaft machen haben West
Ost
West
Ost
West
Ost
West
Ost
West
Ost
wichtig/ sehr wichtig in % 82
85
71
76
68
73
45
42
91
90
Männer
83
86
79
80
71
75
46
43
93
92
Frauen
81
84
64
72
66
72
45
41
89
89
16-34 Jahre
89
89
87
91
85
87
55
52
93
93
35-49 Jahre
84
87
79
86
73
77
42
39
95
95
50-65 Jahre
81
84
65
72
61
68
46
41
91
90
66 Jahre und älter
72
76
38
35
46
54
37
35
82
80
Erwerbstätig
87
88
85
90
75
78
48
46
93
96
Schüler/ Student
86
90
92
95
90
91
64
60
87
88
Rentner
75
79
40
39
51
56
40
37
84
83
Arbeitslos
83
85
78
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75
77
44
28
90
93
Hausfrau/-mann
78
76
47
72
59
76
38
31
97
91
Ledig
86
88
86
89
84
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57
51
84
86
Verheiratet
82
84
68
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63
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41
39
99
99
Verwitwet
73
74
37
35
50
51
34
36
70
64
Geschieden
83
85
74
75
71
76
52
40
79
79
Gesamt Geschlecht
Alter
Erwerbsstatus
Familienstand
Quelle: eigene Darstellung nach dem Datenreport (2006, S. 455), Datenbasis: SOEP 2004
kommt. Das Ausmaß an zur Verfügung stehender und gleichzeitig ausgenutzter „Wahlfreiheit“ stellt das sozial stratifizierende Merkmal der Konsumgesellschaft dar. Sie entscheidet über die Stellung des Einzelnen in der sozialen Hierarchie. „Wahl“und Konsumfreiheit machen ein „gutes“ Leben aus und stellen damit ein erstrebenswertes Lebensziel dar (Bauman 2005, S. 31). Dies macht – ähnlich wie das folgende Zitat – auf den instrumentellen Wert finanzieller Ressourcen aufmerksam: „To be happy is a goal in itself [while money and income] we do not want them for them-
Konsumverhalten
21
selves, but rather to give us the possibility of making ourselves happier” (Frey/Stutzer 2002, S. 173). Finanzielle Ressourcen benötigt der Konsument jedoch nicht nur, um seine individuellen Bedürfnisse zu befriedigen und nach selbst gesetzten Maßstäben an der Gesellschaft teilzuhaben, sondern darüber hinaus auch, um den in Konsumgesellschaften vorzufindenden, durch die Umwelt bestimmten „Konsumzwängen“ gerecht zu werden. Beispielsweise muss für einen Anzug kein physiologisches Bedürfnis vorhanden sein, „noch das Gefühl der Freude, wenn man ihn trägt, und doch wird es einfach erforderlich sein, so ein Ding zu besitzen beziehungsweise zu tragen“ (Pipping 1953, S. 73 ff. zitiert nach Fellner 2005, S. 63). Allein schon um in einer Gesellschaft „mithalten“ zu können, also zumindest das Minimum eines gesellschaftlich als akzeptabel betrachteten Lebensstandards realisieren zu können, braucht man in wohlhabenderen Gesellschaften (in denen Transportmittel, Kleidung, Fernseher usw. zum allgemeinen Lebensstandard gehören) mehr kostspielige Güter und damit mehr Einkommen als in ärmeren Gesellschaften (Sen 1985, S.18 zitiert nach Fellner 2005, S. 75). Dementsprechend kann auch Armut nur vor dem Hintergrund der Anforderungen, die eine Gesellschaft zusätzlich zu den physiologischen Mindestanforderungen stellt, bewertet werden (Fellner 2005, S. 75). Berücksichtigt man, dass finanzielle Ressourcen in vielfältiger Weise zugleich die Möglichkeiten individuellen Handelns, das Ausmaß „gesellschaftlicher Teilhabe“ und das Maß des „Mithalten-Könnens“ mit anderen bestimmen, erkennt man, daß bei einem Mangel an hinreichenden finanzielle Ressourcen „soziale Ausgrenzung“ droht. Diese kann ganz allgemein als Verlust von gesellschaftlicher Einbindung verstanden werden. Konkret geht es um die Möglichkeiten zur Realisierung eines allgemein akzeptierten Lebensstandards und die Einbindung in soziale Netzwerke und gesellschaftliche Partizipation (Böhnke 2005, S. 32). Abbildung 3 verdeutlicht die Relevanz finanzieller Ressourcen in diesem Zusammenhang. Während vor allem reiche und gutverdienende Personen eine überdurchschnittliche Zufriedenheit mit ihren Teilhabemöglichkeiten bekunden, gehen insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit und Armut mit verschlechterten Teilhabemöglichkeiten einher (Böhnke 2005, S. 34). Soziale Ausgrenzung bedeutet für die Betroffenen heute oft, nicht entsprechend den Normen der „Konsumgesellschaft“ leben zu können (Kronauer 1996, S. 61). Auch wenn sich Ausgrenzung auf verschiedene Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens beziehen kann, zeigt sich, dass sie für viele, wie bei-
22
Grundlagen
spielsweise für Jugendliche, in erster Linie einen „Ausschluss von dem als ‚normal’ geltenden Lebensstandard der Mittelschicht“ bedeutet (Dubet/Lapeyronnie 1994, S. 108-110). Abbildung 3: Zufriedenheit mit Chancen der Teilhabe nach Bevölkerungsgruppen
Quelle: eigene Darstellung nach Böhnke (2005, S. 33), Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1998
Geld besitzt in Wohlstandsgesellschaften wie der Gesellschaft Deutschlands also einen hohen Stellenwert. Es dient als Erfolgsmaßstab und als Instrument zur Erreichung anderer Ziele, insbesondere zur Schaffung von Wahl- und Konsumfreiheit. Gleichzeitig stellt es eine Voraussetzung gesellschaftlicher Integration dar.
2.1.4.2 Bedeutung und Funktionen von Konsum Eine Ursache für den – oben angesprochenen – stark ausgeprägten Wunsch, sich etwas leisten zu können, kann unter anderem in der Veränderung und der Zunahme der Be-
Konsumverhalten
23
deutung des Konsums gesehen werden. Der Konsum hat sich von seiner – bis ins 18. Jahrhundert vorherrschenden – primären Funktion der Existenzsicherung, d.h. der Befriedigung der Grundbedürfnisse, immer weiter entfernt (Stihler 2000, S. 169 f.). Der frühere „Notwendigkeitskonsum“ ist einem „Wahl- und Wunschkonsum“ gewichen, da viele Konsumentscheidungen auf der Basis befriedigter Grundbedürfnisse gefällt werden und viele konsumierte Produkte somit „tendenziell verzichtbar“ sind (Wiswede 2000, S. 48). Aufgrund weitestgehend befriedigter Grundbedürfnisse (wie Essen, Nahrung und Obdach) rücken in Wohlstandsgesellschaften „höherrangige“ Bedürfnisse wie Selbstverwirklichung, soziale Anerkennung, sensuale Stimulierung etc. immer deutlicher in den Vordergrund (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 148 f.). Damit einhergehend nimmt die Bedeutung des Grundnutzens bzw. des reinen Gebrauchswerts eines Produktes als der „objektiv messbaren Verwendbarkeit einer Ware für einen bestimmten Zweck“ (Stihler 2000, S. 176) zunehmend ab. Stattdessen werden sozialpsychologisch begründete Nutzenkomponenten (wie Prestige, Erlebnisse, Kompensation innerer Defizite etc.) zu immer wichtigeren Kaufentscheidungskriterien (Stihler 2000, S. 169 f.) und damit vermutlich zu wichtigen Triebfedern finanzieller Ausgaben (Papastefanou 2000, S. 269). Tendenziell lässt sich eine Verlagerung vom praktischfunktionalen Nutzen eines Produktes in Richtung seines „imaginär-symbolischen“ Nutzens3 erkennen (Stihler 2000, S. 176). Damit rückt die Bedeutung des Konsums als Mittel der Selbstdarstellung von Konsumenten ins Blickfeld. Auf die Bedeutung der Selbstdarstellung im Alltag weist bereits Goffman (1959) hin. Die auf ihn zurückgehende, in der Sozialpsychologie verankerte „Impression-Management-Theory“ besagt, dass jedes Individuum versucht, sich selbst so zu präsentieren, wie es gerne durch das Individuum oder die Gruppe, mit der es interagiert, wahrgenommen werden will. Das Impression-Management umschreibt damit die Motivation und die Strategien, mit deren Hilfe Menschen versuchen, die Eindrücke, die sich andere von ihnen bilden, zu beeinflussen und zu kontrollieren. Um die soziale Umwelt über die eigene Rolle zu informieren und sich vor anderen Menschen „in einem für die soziale Wertschätzung günstigen Licht zu zeigen“, errichten Menschen „Verhaltensfassaden“, welche sich im Konsumverhalten in sogenannten „Konsumfassaden“ widerspiegeln (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 520). Gleichzeitig die-
3
Symbole sind wahrnehmbare Zeichen, die etwas nicht Wahrnehmbares, das heißt immaterielle Vorstellungen und Beziehungen, Werte und Ideale repräsentieren (Stihler 2000, S. 176).
24
Grundlagen
nen solche Selbstdarstellungsaktivitäten auch der Formung der Selbstbildes4 des Konsumenten, da dieses sehr stark dadurch beeinflusst wird, wie andere den Konsumenten sehen (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 523). Bezugsgruppen spielen hier eine wichtige Rolle, da eine Anpassung an ihre Meinungen und Standards wesentliche Voraussetzung dafür sind, sich in einer sozial akzeptierten Weise zu inszenieren (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 521). Konsum und Besitz bestimmter Güter können also bestimmte Aspekte der Identität des Individuums gegenüber der sozialen Umwelt als auch gegenüber dem eigenen „Selbst“ ausdrücken (Schneider 2000, S. 15; van Kempen 2004, S. 207). Diese Erkenntnis lässt sich mit dem „Selbstkonzept“5 des Konsumenten in Verbindung bringen. Dieses beinhaltet zwei Dimensionen: das Selbstbild und das Fremdbild. Beide können jeweils real (so sehe ich mich, so sehen andere mich) oder ideal (so würde ich mich gerne sehen, so möchte ich von anderen gesehen werden) sein (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 584). Sowohl das Selbst- als auch das Fremdbild können das Konsumverhalten beeinflussen. Zunächst sei hier das von seiner Intention auf die Gestaltung des Fremdbildes ausgerichtete Konsumverhalten eingegangen. Aus sozialpsychologischer Perspektive werden insbesondere folgende nach außen, also auf andere Personen ausgerichtete Funktionen des Konsums unterschieden: 1. Die Demonstration von Zugehörigkeit zu und Abgrenzung (Distinktion) von bestimmten sozialen Gruppen: Im Konsumverhalten spiegelt sich häufig die Zugehörigkeit oder der Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sozialschicht, Berufs- oder Bezugsgruppe wieder (Wiswede 2000, S. 49). Umgekehrt können Konsum und Besitz materieller Güter auch der bewussten sozialen Differenzierung (Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton 1981, S. 38) bzw. Distinktion/Abgrenzung von anderen Personen und damit der „Manifestation vertikaler und vor allem horizontaler Disparitäten“ dienen (Schneider 2000, S. 12). Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Demonstration des sozialen Status’. 2. Ausgestaltung und Bestätigung bestimmter Rollen und sozialer Identitäten.
4 5
Das Selbstbild beschreibt die Einstellungen einer Person zu sich selbst (Wiswede 2007, S. 96). Ein Forschungsüberblick zum Selbstkonzept des Konsumenten findet sich bei Sirgy (1982).
Konsumverhalten
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Zu 1.: Bezogen auf das Bedürfnis nach sozialer Differenzierung werden in den Wirtschaftswissenschaften insbesondere das „Prestige- und Statusstreben“ und die damit verbundene Verwendung von „Statussymbolen“ thematisiert. Der Status wird in der Regel definiert als die relative Position eines Individuums oder einer Gruppe in einer „unter bestimmten Wertgesichtspunkten entwickelten Rangordnung eines sozialen Systems“ (Stihler 2000, S. 170). Der Status beruht auf einer besonderen Wertschätzung einer Person aufgrund persönlicher Charakteristika oder Merkmale wie Herkunft, Beruf, Einkommen oder Konsumverhalten (Stihler 2000, S. 170) bzw. Vermögensstand, Macht oder Prestige (Fitzmaurice/Comegys 2006, S. 287). „Statussymbole“ bzw. „statuskennzeichnende“ materielle Güter verdeutlichen eine überlegene Position des Eigentümers in der sozialen Hierarchie. Sie rufen Respekt, Bewunderung und Neid anderer Menschen hervor und dienen dem Konsumenten dazu, sich „von der Masse abzuheben“ (van Kempen 2004, S. 207). Voraussetzung dafür, dass materielle Güter als Statussymbole fungieren können, ist, dass sie „sie gesellschaftlich knapp, begehrt und sichtbar sind und darüber hinaus von den Gesellschaftsmitgliedern übereinstimmend hoch bewertet werden“ (Stihler 2000, S. 172). Bereits Thorstein Veblen (1899) diskutiert in seinem Werk „The Theory of the Leisure Class“ diese spezielle auf Selbstdarstellung abzielende Ausprägung bzw. Form des demonstrativen (Luxus-)Konsums. Er spricht von „Geltungskonsum“ (conspicious consumption) und definiert diesen als auffälliges, auf öffentliche Wirksamkeit zielendes Güter verbrauchendes Handeln. Als „demonstrativer Verbrauch“ zielt solches Handeln darauf ab, öffentlich zu konsumieren (zu prunken, prahlen, protzen), um damit zu zeigen, was man sich alles leisten kann, und durch Besitz und Darstellung materieller Güter seinen sozialen Status gegenüber anderen aufzuwerten und soziale Anerkennung zu erhalten (Stihler 2000, S. 171). Während eine besondere Auszeichnung früher durch Machtausübung oder durch in Kriegen erworbenen Ruhm erlangt wurde (Stihler 2000, S. 171), entwickelten sich im Laufe der Zeit Eigentum und Reichtum zum Indikator für persönlichen Erfolg und zur – unabdingbaren – Voraussetzung einer angesehenen gesellschaftlichen Stellung (Veblen 1899, S. 45 f.). Früher manifestierte sich das von Veblen festgestellte Streben nach Prestige bzw. sozialem Aufstieg darin, dass Mitglieder niedrigerer Schichten versuchten, dem Konsumverhalten höher stehender Schichten nachzueifern („Trickle-down-Mechanismus“). In heutigen Gesellschaften orientiert sich der Konsument weniger an der gesellschaftlichen Schicht, sondern eher an Bezugsgruppen. Die Position des Einzelnen ist damit von der jeweiligen Gruppe, mit der er sich als Individuum jeweils vergleicht, abhän-
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Grundlagen
gig. Bezugsgruppen üben einen sozialen Druck auf das Individuum aus, den „definierten ‚angemessenen’ Konsumstandard zu erfüllen“ (Stihler 2000, S. 171). Theoretisch verwandt mit dem Demonstrationseffekt von Produkten ist die soziale Auffälligkeit von Produkten (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 520). Mit dieser beschäftigen sich Bearden/Etzel (1982). Sie zeigen den Einfluss konsumrelevanter Bezugsgruppen auf die Produkt- und Markenwahl von Konsumenten. Einen besonders starken Einfluss üben Bezugsgruppen aus bei sozial auffälligen Produkten, die von anderen gesehen – weil sie öffentlich konsumiert werden – und beachtet – weil sie nicht jeder besitzt – werden (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 519). Zu 2.: Nach außen gerichteter Konsum dient jedoch nicht nur der Positionierung im sozialen Raum, sondern häufig auch als Instrument zur Identitätsstiftung und -sicherung. Anders als in früheren Zeiten ist das Individuum aufgrund der zunehmenden Auflösung sozialer Milieus und klassenkultureller Lebensformen nicht mehr in klare – identitätsdeterminierende – Sozialstrukturen eingebettet (Wiswede 2000, S. 60). Auch die Erwerbsarbeit kann aufgrund zunehmender Diskontinuitäten im Arbeitsleben heute nicht mehr als Basis einer lebenslang andauernden Identität dienen (Bauman 2005, S. 27 f.). Vor diesem Hintergrund entwickelt sich der Konsum zu einem wichtigen Instrument der Bildung, Erweiterung und Bewahrung der eigenen Identität (Friese 1998). Durch die Ausgestaltung seiner – in modernen Gesellschaften an Bedeutung zunehmenden – Rolle als „Konsument“ (siehe 2.1.3) konstruiert der Einzelne seine – in früheren Zeiten vorgegebene – soziale Identität zu großen Teilen selbst. “Having dismantled the ‘pre-modern’ – traditional, ascriptive mechanisms of social placement, which left to men and woman only the relatively straightforward task of sticking to one´s own kind’, of living up to (but not above) the standards attached to the ‘social category’ into which they were born – modernity charged the individual with the task of “self-construction”: building one’s own social identity if not fully from scratch, at least from its foundation up. Responsibility of the individual – once confined to obeying the rules that defined in no uncertain terms what it meant to be a nobleman, a tradesman, a mercenary soldier, a craftsman, a farm tenant or a farm hand – now extended to include the choice of social definition itself and having this socially recognized and approved” (Bauman 2005, S. 27). Tatsächlich beeinflusst der für andere sichtbare Konsum von Gütern die Eindrücke, die sich andere von dem Verwender bzw. Besitzer dieser Dinge bilden. So konnte Belk (1978) im Rahmen einer Studie nachweisen, dass sichtbare Produkte die Basis für Inferenzen bezüglich des Status, der Persönlichkeit und der „Disposition“ der Eigentü-
Konsumverhalten
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mer oder Konsumenten dieser Güter sind (Belk 1978, S. 39). Auch Christopher/ Schlenker (2000) zeigen, dass der wahrgenommene materielle Wohlstand einer Person sich auf die Eindrucksbildung („first impression“) bzw. interpersonale Attributionen gegenüber anderen, auswirkt. Versuchspersonen bekamen Beschreibungen von Personen in mehr oder weniger sichtbar wohlstandsgeprägter häuslicher Umgebung vorgelegt und mussten diese Personen bezüglich 20 persönlicher Eigenschaften beurteilen. Die wohlhabenden Menschen wurden dabei im Vergleich zu weniger wohlhabenden Personen beispielsweise als persönlich begabter (z.B. Intelligenz, Selbstdisziplin), als kultivierter und erfolgreicher beurteilt. Neben der Gestaltung des Fremdbildes kann Konsum (bzw. können Gütersymbole) – wie oben bereits angesprochen – in einem nach innen gerichteten Prozess das Selbstbild beeinflussen bzw. dem Aufbau und der Sicherung der personalen Identität des Konsumenten dienen. Die Identität des Selbst entwickelt sich durch die „symbolische Hereinnahme der materiellen Wirklichkeit“ (Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton 1981). Nach diesem Verständnis werden materielle Objekte genutzt, um ein Gefühl der Identität zu gewinnen oder zu erhalten, wodurch das „self-esteem“ und das persönliche Wohlbefinden gesteigert wird. Aus dieser Perspektive betrachtet sind die Identität und der materielle Besitz einer Person so eng miteinander verbunden, dass materielle Güter als Erweiterung des „Selbst“ verstanden werden (Dittmar 1992). Als Objekte des „erweiterten Selbst“ spiegeln materielle Güter nicht nur vorhandene Eigenschaften (Ist-Zustände) wider, sondern fördern sogar das Zustandekommen bisher nicht vorhandener, in der Regel erwünschter oder angestrebter Wesenszüge (SollZustände). Beispielweise findet sich eine mäßig attraktive Frau durch das Tragen eines neuen Kleides attraktiv und begehrt. Die symbolische Bedeutung eines Produktes beschränkt sich häufig nicht nur auf eine Abbildung der Realität, sondern trägt häufig auch dazu bei, diese Realität überhaupt erst zu produzieren (Stihler 2000, S. 178). Da über den Konsum nicht-vorhandene, aber erwünschte Eigenschaften dargestellt werden können, kommt dem Konsum häufig auch eine kompensatorische Funktion zu. Kompensation beschreibt ein Verhalten, das nicht vorrangig auf die diesem Verhalten üblicherweise zugrunde liegenden Ziele, sondern auf den Ausgleich eines Defizits ausgerichtet ist, das aus dem Nicht-Lösen anderer Probleme entstanden ist (Stihler 2000, S. 179). Diese Kompensation eines Mangels vollzieht sich häufig über den Konsum. Menschen nutzen den Konsum, um die verschiedensten Defizite – sowohl kurzfristige negative affektive Zustände (Traurigkeit, Unruhe etc.) als auch andauernde Mangelzustände – zu kompensieren (Woodruffe 1997, S. 326). Ursache kompensatori-
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Grundlagen
schen Verhaltens ist häufig eine Selbstwertschwäche, die durch einen subjektiven erlebten Mangel an Status, Kompetenz, Erfahrung und Erfolg verursacht wird (Stihler 2000, S. 179). Diese Selbstwertschwäche wird „durch übertriebene Betonung erwünschter Eigenschaften auszugleichen versucht“ (Stihler 2000, S. 179). Caplovitz (1967, S. 48) versteht unter kompensatorischem Konsum ein Konsumverhalten, bei dem das Individuum versucht, einen aufgrund begrenzter bildungs- und beruflicher Leistungen vorhandenen Mangel an Status durch den Konsum von statuskennzeichnenden Gütern auszugleichen. Studien belegen, dass Individuen durch den Kauf und die öffentliche Darstellung von – stereotypen – Symbolgütern die individuell empfundene Diskrepanz zwischen ihren Idealvorstellungen bezüglich einer bestimmten sozialen Rolle, die sie erfüllen wollen, und ihrer Fähigkeit, diese zu erfüllen, zu verringern versuchen (Stihler 2000, S. 179). Nach Wicklund/Gollwitzer (1982, S. 31 ff.) handelt es sich bei einem solchen Verhalten um eine symbolische Selbstergänzung (Symbolic Self-Completion).
2.2 „Sozialer Abstieg“ – definitorische Abgrenzung Trotz des tendenziell steigenden Wohlstandniveaus gibt es auch in der Bundesrepublik Deutschland Menschen, die mit relativ begrenzten Mitteln auskommen müssen (Schneider 2000, S. 17 f.). Zudem steigt nicht nur die Anzahl möglicher abstiegsauslösender Faktoren, sondern auch die Anzahl der Personen, die schon jetzt oder in Zukunft mit einer Verknappung ihrer finanziellen Ressourcen konfrontiert sind. Zusätzlich wächst in Deutschland die Kluft zwischen Arm und Reich, d.h. Arme werden tendenziell ärmer und Reiche reicher (Sirleschtov 2008). Im Folgenden soll der dieser Arbeit zugrunde liegende Begriff des „sozialen Abstiegs“, der hier im wesentlichen als deutliche „finanzielle Verknappung“ verstanden werden soll, von verwandten Konzepten abgegrenzt werden. Dazu soll die „finanzielle Verknappung“ zunächst zu dem Begriff der Armut, die häufig als eine Knappheit an finanziellen Mitteln definiert wird, in Beziehung gesetzt werden. Betont wird in einem nächsten Schritt der Unterschied zwischen objektiver und subjektiv wahrgenommener Armut. Darauf aufbauend wird das dieser Untersuchung zugrunde gelegte Verständnis der „finanziellen Verknappung“ entwickelt.
„Sozialer Abstieg“ – definitorische Abgrenzung
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2.2.1 Absolute versus relative Armut/Deprivation Armut lässt sich in einem absoluten und einem relativen Sinne definieren. Absolute Armut beschreibt einen Mangelzustand, der dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Mensch nicht über die notwendigen Ressourcen (Ernährung, Kleidung, Unterkunft, Gesundheitsfürsorge) zur Sicherung seiner physischen Existenz verfügt (Hauser/ Neumann 1992, S. 245 f.). Aufgrund des hohen Wohlstandsniveaus und des gleichzeitig im deutschen Sozialstaat verankerten Systems der sozialen Absicherung, welches grundsätzlich allen Menschen das Recht auf staatliche Unterstützungsleistungen zur Vermeidung oder Reduzierung von Hunger und Obdachlosigkeit zusichert (Klocke/Hurrelmann 2001, S. 12), ist der lebensnotwendige Grundbedarf in Deutschland in der Regel nicht bedroht (Andreß 1999a, S. 264). In hochentwickelten Gesellschaften wie der deutschen ist damit die Anwendung eines absoluten Armutskonzepts, das Armut als Unterschreitung eines Existenzminimums definiert, nicht geeignet (Schlichting/Reinbach 2007, S. 522). Armut in Deutschland lässt sich nur relativ, bezogen auf den gesellschaftlichen Wohlstand, definieren (Schlichting/Reinbach 2007, S. 522). Nach diesem relativen Verständnis ist Armut „zeit- und raumgebunden“ (Buhr 2004, S. 7) und muss im Verhältnis zum durchschnittlichen Lebensstandard der Bevölkerung eines Landes definiert werden (Böhnke/Delhey 1999, S. 8). Relative Armut bezeichnet einen Mangel, der durch das Unterschreiten eines historisch entwickelten, sozial und kulturell bedingten Standards zustande kommt. Dieser normativ zu definierende Standard wird auch häufig als Armutsgrenze oder soziokulturelles Existenzminimum bezeichnet (Hauser/ Neumann 1992, S. 246). Es existieren unterschiedliche Definitionen des soziokulturellen Existenzminimums. Diese orientieren sich in der Regel weniger an eindeutigen objektiven Kriterien als an Wertentscheidungen (Buhr 2004, S. 7). Die Definitionen basieren meist auf zwei Ansätzen: dem Ressourcen- oder dem Lebenslagen-Ansatz. Der Ressourcen-Ansatz richtet den Blick auf die ökonomischen Ressourcen, „die eine potentielle Versorgungslage charakterisieren“ (Hauser/Neumann 1992, S. 246). Nach diesem Ansatz gilt eine Person als arm, wenn sie nicht über die notwendigen Ressourcen, insbesondere das notwendige Einkommen verfügt, um die Güter zu erwerben, die zu einem „normalen“ Lebensstandard, dem soziokulturellen Existenzminimum, gehö-
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Grundlagen
ren (Buhr 2004, S. 7). Relative Armut wird in der Regel als Einkommensarmut6 definiert, da das Einkommen als notwendige, wenn auch nicht ausreichende Bedingung für die Erfüllung der Grundbedürfnisse betrachtet wird (Böhnke/Delhey 1999, S. 8). Die sogenannte Einkommensarmut beschreibt „die Position einer Person oder eines Haushalts in der Einkommensverteilung der Gesamtbevölkerung unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze“ (Böhnke/Delhey 1999, S. 6). In Deutschland gelten Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen bedarfsgewichteten Netto-Haushaltseinkommen beträgt, als einkommensarm. Berechnet wird dazu zunächst der Median aller nach der Haushaltsgröße gewichteten Nettoeinkommen, das sogenannte „Äquivalenzeinkommen“ (Noll/Weick 2007, S. 1). Die Armutsgrenze liegt dann bei 60% dieses Einkommens. Die so – auf der Basis der im 5-JahresRhythmus durchgeführten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe – vom Statistischen Bundesamt berechnete Armutsrisikogrenze lag im Jahr 2007 bei 1000 Euro im Monat (o.V. 2007a). Zu kritisieren ist an diesem Ansatz zum einen, dass der Schwellenwert von 60 Prozent willkürlich gesetzt ist. Ein weiterer Einwand erwächst gerade aus dem Umstand, dass es sich bei der auf diese Weise definierten Armut um eine relative Größe handelt. Selbst wenn das Einkommen aller Menschen verdoppelt würde, bliebe der Anteil der Armen gleich (o.V. 2007a). Das schmälert die Aussagekraft dieser Definition erheblich. Problematisch ist weiter die mangelnde Berücksichtigung nicht regelmäßig zur Verfügung stehender Einkünfte (z.B. Erbschaften, Vermögen) und die Höhe der Haushaltsbelastungen (Schulden, Ratenzahlungen etc.). Wichtigster Kritikpunkt an diesem Ansatz ist jedoch, dass das Einkommen nur geringe (bis keine) Aussagekraft bezüglich der Einkommensverwendung bzw. der tatsächlichen Wohlfahrtsposition des Haushaltes besitzt (Böhnke/Delhey 1999, S. 8). Es bleibt nämlich unberücksichtigt, inwieweit das Individuum seine Ressourcen nutzt, um das soziokulturelle Existenzminimum auch faktisch zu realisieren (Hauser/Neumann 1992, S. 246). Ein Ansatz, der diese Schwächen zu überwinden versucht, ist das erwähnte Lebenslagen-Konzept. Dieses Konzept fasst den Armutsbegriff weiter und definiert Armut multidimensional, indem es neben dem Einkommen auch andere, immaterielle Aspekte berücksichtigt, die für ein menschenwürdiges Leben nötig sind. Einbezogen wird beispielsweise eine Unterversorgung in Bezug auf Bildungschancen, Ernährung, Ge-
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Eine alternative, aber seltener herangezogene, ressourcenbasierte Armutsgrenze stellt die Sozialhilfeschwelle dar (Buhr 2004, S. 7).
„Sozialer Abstieg“ – definitorische Abgrenzung
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sundheit, Wohnverhältnisse, Freizeit oder das subjektive Empfinden, nicht die „normale, gesellschaftliche“ Lebensweise praktizieren zu können. Auch dieser Ansatz birgt die Problematik, dass die Definition von Schwellenwerten der Unterversorgung auf normativen Entscheidungen beruht (detaillierter dazu Böhnke/Delhey (1999, S. 8). Ein wieder anderes Konzept liegt dem – an Townsend (1979) angelehnten – Lebensstandard-Ansatz von Andreß/Lipsmeier (2001a) zugrunde. Armut wird hier als „relative Deprivation“ definiert. Diese wird als ein Mangel an den materiellen und immateriellen Dingen verstanden, die als notwendig für einen angemessenen Lebensstandard und eine normale Teilhabe an der Gesellschaft betrachtet werden. Als Indikator der Deprivation wird der realisierte Lebensstandard herangezogen. Um nicht normativen Entscheidungen des Sozialwissenschaftlers ausgeliefert zu sein, sprich seiner „Willkür“ beim Setzen von Armutsschwellenwerten, wird hier durch Umfragen zunächst empirisch ermittelt, welche Bestandteile aus Sicht der Bevölkerung zum allgemein notwendigen Lebensstandard gehören und somit als Indikatoren herangezogen werden können. Arm sind nach diesem Ansatz solche Personen, die über eine bestimmte Anzahl der als notwendig angesehenen Ausstattungsmerkmale des Lebensstandards aus finanziellen Gründen nicht verfügen (Andreß et al. 2004, S. 6 ff.). Trotz seiner Vorzüge weist auch dieser Ansatz Schwächen auf. Kritisiert wird u.a. die mangelnde Berücksichtigung nicht erfasster, aber im Haushalt vorhandener, wenn vielleicht auch weniger notwendiger Güter sowie milieutypischer Differenzierungen in den Lebensstandardansprüchen (genauer dazu siehe Böhnke/Delhey 1999, S. 9).
2.2.2 Objektive versus subjektive Deprivation Den obigen Definitionen liegt eine objektive Perspektive von Armut zugrunde. Armut kann aber auch aus subjektiver Perspektive definiert werden. Objektive Armut ist ein durch Außenstehende feststellbarer Zustand, der unabhängig von der Wahrnehmung der Betroffenen definiert wird (Wolf 2008, S. 27). Sie liegt dann vor, wenn es Einzelnen, Gruppen oder ganzen Bevölkerungen nicht möglich ist, ihren Lebensbedarf (Existenzminimum) aus eigenen Kräften und Ressourcen zu sichern (Kraus 2008, S. 5). Bei subjektiver Armut wird die Sichtweise der Armen selber berücksichtigt. Subjektive Armut liegt vor, wenn eine Person das Gefühl hat, über zu wenig Mittel zur individuellen Bedürfnisbefriedung zu verfügen. Bei einer solchen Betrachtung interessiert, ob Armut als Belastung empfunden wird bzw. ob Menschen sich selbst als arm einstufen
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Grundlagen
würden. Dies muss selbst bei aus objektiver Perspektive vorliegender Armut nicht der Fall sein. Gleichzeitig können sich Betroffene subjektiv als arm empfinden, obwohl objektiv kein Anlass dazu besteht (Kern 2002, S. 71 f.). Es kann also eine Differenz zwischen objektiver Mängellage und subjektiver Einschätzung existieren. Erklären lässt sich dies beispielsweise mit schicht- und milieutypisch unterschiedlichen Erwartungen an den Lebensstandard (Kern 2002, S. 73). Auch soziodemographische Faktoren (Bildung, Region, Geschlecht) dürften eine Rolle spielen. So ist davon auszugehen, dass alleinstehende junge Menschen, die sich in der Ausbildung befinden, sich nicht unbedingt als arm oder benachteiligt empfinden, selbst wenn sie ein Einkommen unterhalb der Sozialhilfeschwelle beziehen, da sie noch keine hohen Ansprüche bezüglich ihrer Bedürfnisbefriedigung ausgebildet haben. Die subjektive Zufriedenheit mit dem Lebensstandard ist außerdem sehr stark von dem Vergleich mit anderen Personen abhängig (Kern 2002, S. 73).
2.2.3 „Sozialer Abstieg“ bzw. „finanzielle Deprivation“ Den vorgestellten Definitionen ist gemeinsam, dass Armut bzw. Knappheit als Zustand und damit aus statischer Perspektive betrachtet werden. Finanzielle Vergangenheit und Zukunft bleiben unberücksichtigt. Armut bzw. finanziell knappere Ressourcen stellen aber für viele Betroffene häufig keinen permanenten, sondern nur einen temporären Zustand dar (siehe 3.1.1), der durch eine Variabilität der finanziellen Ressourcen zustande kommt. Dieser Erkenntnis soll im Rahmen dieser Untersuchung Rechnung getragen werden. Schon der Begriff des „sozialen Abstiegs“ beinhaltet eine dynamische Komponente, nämlich die einer Veränderung, die hier im Sinne einer – neu oder erneut – erfahrenen Reduzierung der finanziellen Ressourcen verstanden werden soll. Dieser Untersuchung soll eine Definition „sozialen Abstiegs“ zugrundegelegt werden, die Elemente der obigen Ansätze aufgreift, sich aber dennoch von ihnen unterscheidet. „Sozialer Abstieg“ muss nicht zwangsläufig ein Abrutschen in Armut – und schon gar nicht in die absolute – bedeuten. Vielmehr soll „sozialer Abstieg“ im Sinne einer (vom Individuum erlebten) deutlichen finanziellen Deprivation definiert werden. Allgemein bezeichnet der Begriff Deprivation (lat. de-„privare” = berauben) einen Zustand der Entbehrung, eines Entzuges von etwas Vertrautem, eines Verlustes, eines Mangels (Wahrig 2006) oder das Gefühl einer – sozialen – Benachteiligung. Das Konzept der
„Sozialer Abstieg“ – definitorische Abgrenzung
33
Deprivation ist relativ. Anders allerdings als bei der relativen Armut (siehe 2.2.1) soll Deprivation nicht als Unterschreitung einer bestimmten Einkommensgrenze (Einkommensarmut) oder „Benachteiligung“ im Vergleich zum gesellschaftlichen „normalen Lebensstandard“ (siehe 2.2.1) verstanden werden, sondern als Schlechterstellung im Vergleich zum bisherigen individuellen Ressourcenniveau. Der Bezugspunkt ist also individueller Natur. Sozialer Abstieg bzw. die individuelle Deprivation (Mangelerfahrung) soll in dieser Arbeit als eine durch eine deutlich spürbare Verknappung der finanziellen Ressourcen hervorgerufene und auf subjektiver Ebene wahrgenommene – oder jedenfalls eigentlich notwendige – Einschränkung der Konsummöglichkeiten verstanden werden. Es findet eine Reduzierung des realisierbaren Lebensstandards im Vergleich zum bisher gewohnten und möglicherweise auch im – sozialen –Vergleich zu dem Lebensstandard der Bezugsgruppe, der man bisher angehörte, statt. Hinsichtlich dieser Kontextbedingungen unterscheiden sich „Neu-Deprivierte“ von „Dauerhaft-Deprivierten“. Im Rahmen dieser Untersuchung soll der Begriff „sozialer Abstieg“ ausschließlich auf seine materielle, „ökonomische“ Dimension, also auf die Konsequenzen der Einkommensreduktion, begrenzt werden. Psychische und andere Folgen sollen nur insoweit berücksichtigt werden, als dass sie auf die Veränderung der materiellen Situation zurückzuführen sind.
3 Ergebnisse bisheriger Forschung (State of the Art) 3.1 Finanzielle Deprivation – Ursachen und Risikogruppen Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Knappheit finanzieller Mittel“ in der Bundesrepublik Deutschland hat bisher vor allem in der Soziologie, und zwar im Rahmen der sogenannten „Armutsforschung“, stattgefunden. Innerhalb dieser Forschung ist es in den letzten Jahrzehnten zu einem starken Wandel gekommen (Leibfried et al. 1995; Schäfers 1992). In Deutschland lassen sich drei Richtungen soziologischer Forschung zum Thema Armut unterscheiden. Zu nennen ist zum einen die traditionelle Ungleichheitsforschung, in deren Fokus Klassen und Schichten stehen (Makrosoziologie). Zum anderen ist die auf amerikanischer Theorietradition aufbauende Randgruppenforschung (Mikrosoziologie) zu nennen, die in den siebziger Jahren aufkam, nachdem die Thematik seit der Überwindung der Nachkriegsarmut lange vernachlässigt worden war, und seitdem viele Untersuchungen insbesondere zu dauerhaft von der Gesellschaft ausgegrenzten Menschen (Obdachlosen, Nicht-Seßhaften, Sozialhilfeempfängern, straffälligen Jugendlichen etc.) ausgelöst hat (Böhnke/Delhey 1999, S. 3; Leibfried et al. 1995, S. 13 ff.). Schließlich existiert „eine breite, nicht genau abgrenzbare Tradition, die eher beschreibend und sozialpolitisch als theoretisch orientiert ist“ und „mit Statistiken über Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug und Einkommenslagen arbeitet“ (Leibfried et al. 1995, S. 13). Dieser dritten Richtung lassen sich auch die meisten Arbeiten der neueren, sogenannten „dynamischen“ Armutsforschung zurechnen. Diese setzt sich vor allem mit Armutsverläufen und -karrieren, Ursachen von Einkommensarmut, Risikogruppen und der Dauer von Einkommensarmut auseinander (Buhr 1995; Buhr 2001; Buhr 2004). Die Entwicklung der Armutsforschung ist überblicksartig in Tabelle 4 dargestellt. Ein wesentlicher Perspektivenwechsel in der Armutsforschung fand in den 1980er Jahren statt. Dabei rückte die Erkenntnis, dass Armut kein soziales Randphänomen mehr ist, sondern zunehmend auch „Normalhaushalte“, also Bevölkerungsschichten, deren finanzielle Position oberhalb der Armutsgrenze früher als gesichert galt, treffen kann, immer mehr in den Vordergrund. Die zunehmende Heterogenität der Armutsbevölkerung macht die Knappheit finanzieller Ressourcen zu einem gesamtgesellschaftlich relevanten Thema. Diskutiert wurde diese Entwicklung unter dem Schlagwort „Neue Armut“ (Klocke/Hurrelmann 2001, S. 11). Im Gegensatz zur „alten“ Armut, deren Betroffene arbeitsunfähig, krank und/oder alt waren, sind die Betroffenen der neuen
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Ergebnisse bisheriger Forschung (State of the Art)
Armut heute tendenziell arbeitsfähig, aber arbeitslos, und größtenteils jung (LudwigMayerhofer 1992, S. 380). Tabelle 4: Armutsbilder im Wandel Fünfziger Jahre
Sechziger Jahre
Siebziger Jahre
Achtziger Jahre
Neunziger Jahre
„Träger von Armut“
Armut des Volkes
Armut des Einzelnen
Armut von Gruppen
Armut von Gruppen: unteres Drittel
Armut einer Region/ Volksteil
Ursachen
strukturell (Kriegsfolgen)
individuell (Lebensschicksal)
„gesellschaftlich“, sozial-staatlich
strukturell (Arbeitsmarkt)
gesellschaftlicher Umbruch
Dauer individueller Armutslagen
vorübergehend
vorübergehend
dauerhaft
dauerhaft
dauerhaft
Politische Bekämpfung
Wirtschaftsund Wohnungspolitik, Renten reform
Sozialhilfe, Sozialarbeit
„Gesellschaftspolitik“
Sozialpolitik, Familienpolitik
Regionale Entwicklungspolitik, sozial-politische Übergangsregelungen
Gesellschaftsbild
„soziale Marktwirtschaft“/ „Wohlstand für alle“
„nivellierte Mittelstandsgesellschaft“
„moderner Sozialstaat“
„Zweidrittelgesellschaft“
Transformationsgesellschaft
Thematisierung von Armut
kollektive Themati-
Latenz
selektive Wiede-
Wiederentdeckung
Breite Thematisier-
rentdeckung
(„neue Armut“)
ung
sierung
Quelle: eigene Darstellung nach Leibfried et al. (1995, S. 231)
Finanzielle Deprivation – Ursachen und Risikogruppen
37
3.1.1 Grundlegende Erkenntnisse der (dynamischen) Armutsforschung Die frühere Armutsforschung lehnt sich theoretisch an Konzepte der „Sozialstruktur“ und „Klassen- und Schichtmodelle“ an, bei denen die Zugehörigkeit zu Klassen und Schichten in der Regel als (lebenslang) konstantes Merkmal von Individuen betrachtet wird. Dies hat auf empirischer Ebene eine Orientierung an – häufig auf Stichtagserhebungen basierenden – Querschnittsdaten und damit eine Vernachlässigung des zeitlichen Charakters von Armut zur Konsequenz (Berger 1990, S. 322 f.; Zwick 1994, S. 14). Unberücksichtigt bleibt, dass viele Lebenslagen und -phasen nicht dauerhaft stabil sind und sich individuelle Handlungskontexte und Handlungschancen sowie die Verfügbarkeit und die Zusammensetzung von Ressourcen, aber auch der Bedarf an Ressourcen, im Zeitablauf ändern können (Berger 1990, S. 323). Die jüngere – dynamische – Armutsforschung (Buhr 1995; Buhr 2001; Leibfried et al. 1995; Leibfried/ Voges 1992) hingegen berücksichtigt den zeitlichen Faktor stärker und stellt die bisher unberücksichtigte Dynamik von Armutsverläufen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Die „lebenslauftheoretische“ Perspektive von Armut geht auf B. Seebohm Rowntree (1901) zurück. Dieser kam Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen einer empirischen Armutsstudie in der Stadt York in England mittels einer längsschnittlichen Perspektive von Lebensverläufen einer ausgewählten Population zu dem Ergebnis, dass Armut kein statisches Phänomen ist (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Armut im Lebenszyklus
Quelle: eigene Darstellung nach Rowntree 1901, S. 171 zitiert nach Leibfried et al. 1995, S. 63
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Ergebnisse bisheriger Forschung (State of the Art)
Er stellte fest, dass ein Arbeiter nicht sein komplettes Leben lang, sondern nur in bestimmten Phasen des Lebenszyklus arm ist, nämlich als Kind, wenn er eine Familie ernähren muss, oder wenn er aus Altersgründen nicht mehr vollständig erwerbsfähig ist. Auch die jüngere, an Rowntrees (1901) dynamische „Lebenszyklusbetrachtung“ angelehnte, i.d.R. auf Längsschnittdaten basierende „lebenslauforientierte“ Armutsforschung zeigt, dass Armut, anders als lange angenommen, selten einen dauerhaften Zustand, sondern häufig nur eine Episode im individuellen Lebenslauf darstellt (Krause/Wagner 1997, S. 82). Heute bergen allerdings längst nicht mehr nur die Phasen erhöhter familiärer Belastung oder verringerter Erwerbskraft das Risiko eines finanziellen Abstiegs (Leibfried et al. 1995, S. 65). Angesichts von Individualisierungsprozessen und der Pluralisierung von Lebenslagen hat die Anzahl der Faktoren, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Lebenslauf eine „Armutsepisode“ auslösen können, zugenommen (Böhnke/Delhey 1999, S. 10). Häufig sind es bestimmte Lebensphasen und -ereignisse, die einen finanziellen Mangel auslösen können. Vielfach handelt es sich dabei um Veränderungen der Statuslage, also beispielsweise Statuspassagen in das, aus dem und im Erwerbssystem (z.B. Übergang von der Ausbildung in den Beruf, Ende der Erwerbstätigkeit) Schwankungen im Versorgungsniveau und Bedarf hervorrufende Übergänge im Familiensystem (Eheschließung, Familiengründung oder Scheidung) Wechsel zwischen Erwerbs- und Familiensystem (Berger 1990, S. 323; Mayer/Blossfeld 1990, S. 299). Ebenso unterschiedlich wie die Anzahl der Faktoren, die eine Armutsperiode auslösen können, sind die Dauer und die Häufigkeit von Mängelphasen im individuellen Lebenslauf. Ein Absinken unter die Armutsgrenze ist häufig nur temporärer Natur (Böhnke/Delhey 1999, S. 10). Mayer/Blossfeld (1990, S. 298 f.) verweisen exemplarisch „auf die erratischen Berufsverläufe von Baufacharbeitern, die, je nach Konjunkturlage, zu hochverdienenden selbstständigen Bauunternehmern werden und ebenso rasch wieder in schlechter bezahlte und unsichere Facharbeiterpositionen zurückfallen, im Gegensatz zur Dauerhaftigkeit und Stetigkeit von Beamtenpositionen“. Aber auch andere, „reguläre“ Erwerbsbiographien werden durch Arbeitslosigkeit unterbrochen. Diese Unterbrechungen werden für viele zu einem fast „normalen“ Zwischenereignis in ihrer beruflichen „Standardbiographie“: „Phasen der Arbeitslosigkeit wechseln sich
Finanzielle Deprivation – Ursachen und Risikogruppen
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mit Phasen der Erwerbstätigkeit ab, beides kann kürzer oder länger, mit unterschiedlichen Ressourcenmengen und -quellen verbunden sein (...)“(Berger 1990, S. 326). Die Erfahrung finanzieller Knappheit wird damit zu einem „biographischen Ereignis“ unterschiedlicher Dauer mit mehr oder weniger weitreichenden Konsequenzen für die Lebensplanung, -führung und -identität. Allgemein ist bei den im Rahmen von Längsschnittanalysen durchgeführten Studien zu Armutsverläufen und -karrieren auf der individuellen Ebene oft eine hohe Mobilität und damit Diskontinuität festzustellen. Damit sind Erwerbsverläufe zunehmend durch Diskontinuitäten geprägt (Bonß 1999; Mutz et al. 1995, S. 305). Eine vorübergehende Arbeitslosigkeit, eine temporäre Armut oder ein kurzfristiges Absinken des Einkommens treten sehr häufig, dauerhaft problematische Lebenslagen im Sinne einer Langzeitarmut jedoch eher selten auf (Buhr 2004, S. 14; Bundesregierung 2005, S. 24; Ludwig-Mayerhofer 1992, S. 382). Anders ausgedrückt, zeigt sich, dass der permanent in Armut lebende Bevölkerungsanteil relativ gering ist, „während das Risiko, im Zeitablauf in Armut abzurutschen, für einen relativ großen Bevölkerungsteil recht hoch ist“ (Hauser/Neumann 1992, S. 244). Gleichzeitig zeigen diese Erkenntnisse, dass, über eine längere Zeitspanne betrachtet, deutlich mehr Menschen – wenn vielleicht auch nur kurzfristige – Arbeitslosigkeit erfahren bzw. unter die Armutsgrenze absinken, als es die jeweils zu bestimmten Zeitpunkten erhobenen Bestandsdaten wie etwa die jährlichen Armutsquoten angeben (Buhr 2004, S. 10; Kronauer 1996, S. 65)7. Deutlich wird außerdem, dass Armut nicht nur das Problem einer „festen Schicht dauerhaft Unterprivilegierter“ ist (Zwick 1994, S. 11). Vielmehr bedroht sie als temporäre Lebenslage/-phase und latentes Risiko nicht mehr nur traditionelle Randgruppen, sondern zunehmend auch mittlere soziale Schichten (Klocke/Hurrelmann 2001, S. 11; Leibfried et al. 1995, S. 9). Insgesamt zeigt sich, dass das Risiko eines finanziellen Abstiegs gestiegen ist. Der Umstand, dass die hier zu untersuchende Personengruppe finanzieller Absteiger sich nicht auf Personen beschränkt, die zugleich unter die gesellschaftlich definierte Armutsgrenze fallen, vergrößert die Zahl der möglichen Betroffenen erheblich.
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Siehe dazu auch Habich/Krause (1995); Leibfreid/Voges (1992); Zwick (1994).
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Ergebnisse bisheriger Forschung (State of the Art)
3.1.2 Ursachen finanzieller Deprivation Hinter dem für die Gesamtbevölkerung ermittelten Risiko der Einkommensarmut verbergen sich unterschiedliche gruppenspezifische Betroffenheiten (Bundesregierung 2005, S. 20). Dies hängt damit zusammen, dass die Gründe für das gesamtgesellschaftlich steigende Risiko sozialen Abstiegs (siehe 1.2) vielfältiger Natur sind. Gesellschaftlicher Wandel und die mit der Individualisierung (Beck 1996) einhergehende Pluralisierung von Lebensstilen und -verlaufsmustern sowie die wirtschaftliche Entwicklung (Globalisierung, mangelndes wirtschaftliches Wachstum etc.) führen dazu, dass Familien- und Erwerbsbiographien immer prekärer werden und somit mehr Abstiegsrisiken bieten (Berger 1994, S. 26; Leibfried et al. 1995, S. 7; Leibfried/Voges 1992). Zudem ist davon auszugehen, dass das Risiko finanzieller Verknappung angesichts bereits durchgeführter und geplanter politischer Maßnahmen zumindest für bestimmte Gruppen und in bestimmten Lebenssituationen noch zunehmen wird (Buhr 2004, S. 26). Im Folgenden sollen die wesentlichen „Armutsrisiko“- und damit Abstiegsrisikofaktoren erörtert werden. Insbesondere Arbeitslosigkeit geht mit einem erhöhten Armutsrisiko einher. Da Arbeitslosigkeit den Verlust des Erwerbseinkommens als der dominanten Einkommensquelle in Deutschland bedingt, zählt sie zu den wesentlichen Ursachen finanzieller Verknappung (Hauser 2005, S. 30). Auch wenn geringqualifizierte Personen bzw. Personen ohne Schulabschluss oder Berufsausbildung nach wie vor das höhere Risiko der Arbeitslosigkeit tragen (Schlichting/Reinbach 2007, S. 526), so betrifft Arbeitslosigkeit als vorübergehende Unterbrechung der Erwerbsbiographie doch immer breitere Bevölkerungsschichten (Kronauer 1996, S. 53). Zu einer Verschärfung der Situation von Arbeitslosen haben zusätzlich die „Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die damit verbundene Ausgrenzung von Arbeitslosen aus dem Sozialversicherungssystem, aber auch die vorgenommenen Kürzungen beim Arbeitslosengeld und die mögliche Zunahme von Personen in gering bezahlten Beschäftigungsverhältnissen ohne oder mit geringer sozialer Absicherung im Falle von (erneuter) Arbeitslosigkeit“ (Buhr 2004, S. 26) beigetragen. Die mögliche Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wurde im Jahr 2006 von vorher bis zu 32 Monaten (Wolf-Doettinchen 2004) auf 12 Monate (bei Personen unter 50 Jahren) verkürzt (Arbeitsagentur 2009). Die sich am früheren Einkommen orientierende darauffolgende Arbeitslosenhilfe wurde abgeschafft, und das neue
Finanzielle Deprivation – Ursachen und Risikogruppen
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in der Regel niedrigere Arbeitslosengeld II (Hartz IV) erhalten nur Bedürftige (WolfDoettinchen 2004). Selbst Erwerbstätigkeit schützt immer weniger vor finanzieller Knappheit (Buhr 2004, S. 27). Verantwortlich dafür ist die Zunahme von gering bezahlten oder nichtexistenzsichernden diskontinuierlichen Beschäftigungsverhältnissen (Buhr 2004, S. 27). Das in den USA schon länger existierende Phänomen der sogenannten „Working Poor“, das den Zustand von Armut trotz Erwerbstätigkeit beschreibt, gewinnt auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung (Strengmann-Kuhn 2003). Begünstigt wird diese Entwicklung durch das starke Wachstum des sogenannten Niedriglohnsektors in Deutschland. So ist der Anteil der Geringverdiener laut den Ergebnissen einer Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) innerhalb der letzten zehn Jahre von 15 auf 22 Prozent angestiegen (o.V. 2008b). Zu den Niedriglöhnern zählen Personen, die weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns verdienen (o.V. 2008b). Schon heute gibt es in Deutschland mehr als eine Million sogenannter „Aufstocker“, wovon etwa die Hälfte Vollzeitbeschäftigte in regulären Jobs sind (Bruns 2007; o.V. 2007d). Da das Erwerbseinkommen dieser Menschen unter dem liegt, was ihnen an Geld bei Arbeitslosigkeit zustünde, wird ihr Einkommen durch soziale Transferleistungen des Staates auf Hartz-IV-Niveau aufgestockt (Bruns 2007). Drei Viertel der Niedriglöhner haben entweder eine Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss. Erwerbstätige im Gastgewerbe, im Einzelhandel und im Dienstleistungsbereich sind unter den Niedriglöhnern besonders stark vertreten und tragen damit ein tendenziell höheres Knappheitsrisiko (o.V. 2008b). Zu beachten ist allerdings, dass das Armutsrisiko von der spezifischen Erwerbskonstellation des Haushalts abhängig ist. Ein erhöhtes Armutsrisiko tragen Personen, die nicht in „Normalarbeitsverhältnissen“ (d.h. abhängig beschäftigt in einem Vollzeitbeschäftigungsverhältnis) beschäftigt sind, die Kinder haben und in deren Haushalt es nur einen Verdiener gibt (Buhr 2004, S. 13). Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Bundesministeriums für Wirtschaft weisen auch darauf hin, dass Arbeitslosigkeit nach wie vor das größte Armutsrisiko in Deutschland darstellt. Begründet wird dies mit dem Ergebnis, dass Niedriglohnbezieher in Deutschland im Durchschnitt nur ein Viertel zum gesamten Einkommen ihres Haushaltes beitragen und die meisten sogenannten „Working Poor“ nur vorübergehend ein niedriges Gehalt beziehen (Germis/Siedenbiebel 2008). Auch Selbstständige sind mit einem zunehmenden Abstiegsrisiko konfrontiert. Insbesondere bei kleinen Selbstständigen und Gewerbetreibenden in Deutschland nimmt die „verdeckte“ Armut im Sinne von Einkünften unterhalb der Armutsgrenze und Privat-
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Ergebnisse bisheriger Forschung (State of the Art)
insolvenzen nach Einschätzung von Experten deutlich zu. Betroffene sind hier häufig zusätzlich noch mit dem Problem konfrontiert, dass sie aus der privaten Krankenkasse herausfallen und ihnen von der gesetzlichen Kasse der Zutritt verweigert wird (Rau 2006). Der immer größer werdenden Gruppe der Selbstständigen – und sozialrechtlich nicht erfassten – Personen, droht materielle Knappheit nicht nur als Konsequenz einer schlechten Auftragslage während ihrer Erwerbstätigkeitsphase, sondern aufgrund mangelhafter Altersvorsorge auch im Alter (Fachinger 2002, S. 45). Armut im Alter ist nicht nur ein Problem der Selbstständigen. Wie eine 2007 von TNS Emnid durchgeführte Studie belegt, fürchten sich viele Deutsche vor Altersarmut (Jahrberg 2007). Diese Angst ist nicht unbegründet. So warnt die OECD vor einem Anstieg der Altersarmut in Deutschland (insbesondere für Geringverdiener). Den Berechnungen der OECD zufolge werden Personen, die im Alter von 20 Jahren zu arbeiten anfangen und 45 Jahre lang Beiträge zahlen, nach der Pensionierung nur 39,9 Prozent ihres vorherigen Durchschnittsverdiensts aus der gesetzlichen Rente (siehe Abbildung 5) beziehen (o.V. 2007c). Abbildung 5: Rentenniveau der Zukunft
Quelle: eigene Darstellung nach o.V. (2007c)
Auf längere Sicht ist allgemein von einer Steigerung der Altersarmut auszugehen, „da das Rentenniveau sinken wird und die individuellen Rentenanwartschaften durch den Wegfall von Ausfallzeiten und die mögliche Zunahme von diskontinuierlichen und gering bezahlten Beschäftigungsverhältnissen mit geringer sozialer Absicherung ab-
Finanzielle Deprivation – Ursachen und Risikogruppen
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nehmen werden“ (Buhr 2004, S. 27). In dem Ausmaß, in dem das Niveau der staatlichen Altersversorgung sinkt, werden private Vorsorgestrategien immer wichtiger. Eine private Altersvorsorge können sich jedoch nicht alle Menschen leisten, und auch von der staatlichen Förderung bei der sog. „Riester-Rente“, die eine Form der privaten Altersvorsorge darstellt, profitieren eher die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen. Immer mehr Menschen werden damit wahrscheinlich in Zukunft auf eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter angewiesen sein (Buhr 2004, S. 27). Auch aktuelle und geplante politische Maßnahmen werden zum Teil recht gravierende Wirkungen entfalten. So wird davon ausgegangen, dass beispielsweise die von der Bundesregierung beschlossene Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre in wachsendem Maße soziale Abstiegsprozesse hervorrufen wird (Schwenn 2006). Es ist zu befürchten, dass die Erwerbsmöglichkeiten älterer Personen „nicht voll mit den Altersgrenzen mitziehen, schon gar nicht in Form vollwertiger und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung“ (Brussig/Knuth 2006, S. 312). Für Personen, die aus objektiven (Nachfrage) oder subjektiven Gründen (Leistungsfähigkeit) nicht bis zum Alter von 67 Jahren erwerbstätig sein können, werden die Lebensbedingungen prekärer. Der „Ausweg“ in die vorzeitige Altersrente bedeutet für ältere Arbeitslose bis zu 18% Rentenabschlag (Brussig/Knuth 2006, S. 312). Auf längere Sicht tangieren auch die Pläne der Bundesregierung zum Abbau des Kündigungsschutzes sowie die Diskussion über Mindestlohn, soziale Grundsicherung (o.V. 2006c) und Grundeinkommen (und Kombilohn) mehr oder weniger direkt die finanzielle Situation des Einzelnen. Buhr (2004, S. 31) geht davon aus, dass die Armut zumindest bei bestimmten Bevölkerungsgruppen bzw. in bestimmten Lebensphasen zunehmen wird. Darüber hinaus können auch familiäre Veränderungen Ursache eines finanziellen Abstiegs sein. So geht beispielsweise die Trennung oder Scheidung vom Partner häufig mit einer finanzielle Einbuße einher (Andreß 2004). Mehr als jede dritte deutsche Ehe wird heute geschieden. Eine Scheidung kann zum Teil massive Auswirkungen auf die materielle Situation der Partner haben. Wesentliche Ursachen dafür liegen in der steigenden steuerlichen Belastung (Wegfall des Splitting-Vorteils, begrenzte Abzugsmöglichkeiten von Kinder- und Betreuungskosten) und der Notwendigkeit zur Gründung und Finanzierung eines zweiten Haushalts (Kamann 2006). Die materiellen Folgen einer Scheidung sind vermutlich häufig größer als die anderer sozialer Risiken, da sie nicht, wie beispielsweise Arbeitslosigkeit, durch den deutschen Wohlfahrtstaat abgesichert sind (Andreß 2004, S. 2). Andreß (2004) stellt im Rahmen einer Analyse von Daten des SOEP (zwischen 1984 und 1999) fest, dass insbesondere Frauen nach
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einer Trennung erhebliche Einkommensverluste erfahren (zu den Ursachen siehe Andreß 2004, S. 1). Wie Abbildung 6 zu entnehmen ist, sind Frauen im Jahr der Trennung (t) mit einer ganz erheblichen Einkommenseinbuße konfrontiert, von der sie sich auch in den Folgejahren nicht wesentlich erholen. Parallel steigt die Armutsquote der Frauen im Jahr der Trennung deutlich an (Andreß 2004, S. 2). Gleichzeitig sind es häufig auch die Frauen, die als Alleinerziehende die gemeinsamen Kinder versorgen müssen (Klocke/Hurrelmann 2001, S. 15). Laut dem 2. Armuts- und Reichtumsbericht betreuen 95% der geschiedenen Mütter mindestens ein minderjähriges Kind im Haushalt, während dies nur auf 23% der geschiedenen Väter zutrifft (Bundesregierung 2005, S. 83). Abbildung 6: Bedarfsgewichte Pro-Kopf-Einkommen und Einkommensarmut8
Quelle: eigene Darstellung nach Andreß (2004, S. 2), Datenbasis: SOEP 1984 -1999
Allgemein stellt das Eintreten in die Rolle des „alleinerziehenden“ Elternteils ein Armutsrisiko dar. In den vergangenen Jahren ist die Zahl alleinerziehender Personen deutlich angestiegen. Im Jahr 2007 sind etwa 18% aller Familien in der Bundesrepublik Deutschland „Einelternfamilien“. In den neuen Bundesländern (inklusive Berlin) liegt der entsprechende Anteil mit 26% deutlich höher als in den alten Bundesländern
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Ersteres ist definiert als Quotient aus Haushaltseinkommen und Quadratwurzel der Haushaltsgröße, letztere als Anteil der Personen, deren bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen weniger als die Hälfte des west- bzw. ostdeutschen Durchschnitts betragen (Andreß 2004, S. 5).
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mit 17% (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2008, S. 5). Nach einer Studie des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2005 sind 30% der Alleinerziehenden arm (o.V. 2006b). Hauser (2005, S. 30) sieht den steigenden Anteil Alleinerziehender neben der Arbeitslosigkeit als wesentliche Ursache für die Zunahme der Einkommensarmut in Deutschland. Auch Familienzuwachs kann zu einer spürbaren Beeinträchtigung der finanziellen Situation eines Haushalts führen. Die Geburt eines Kindes kann das Armutsrisiko erhöhen, weil aufgrund der zum Lebensunterhalt von Kindern und Jugendlichen notwendigen beachtlichen finanziellen Ausgaben zusätzliches Einkommen benötigt wird. Gleichzeitig schränkt die Betreuung der (Klein-)Kinder die Möglichkeiten des Einkommenserwerbs für die Betreuungspersonen – mindestens phasenweise – erheblich ein (Andreß/Lipsmeier 2001b). Das „Verarmungsrisiko“ für Familien steigt naheliegenderweise mit zunehmender Kinderanzahl. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes werden in Deutschland für ein Kind monatlich zwischen 278 und 813 Euro, im Durchschnitt knapp 500 Euro, aufgewendet (Ruh 2004). Angesichts der Höhe der mit Kindern verbundenen Kosten wird deutlich, dass die Ausgaben bei drei oder mehr Kindern „eine Normalverdiener-Familie in den Bereich der Einkommensarmut drängen“ (Klocke/Hurrelmann 2001, S. 15). Auch Kinder selbst sind immer häufiger von Armut betroffen (Butterwege et al. 2005; Fahrion 2007). Seit 1990 ist die Einkommensarmut von Kindern in Deutschland stärker gestiegen als in den meisten anderen Industrienationen. Heute lebt jedes zehnte Kind in relativer Armut (Corak et al. 2005, S. 7). Die Armutsbetroffenheit und das Armutsrisiko ist je nach Lebenssituation, Geschlecht, Alter, Erwerbsstatus der Eltern und Haushaltstyp unterschiedlich stark ausgeprägt (Bundesregierung 2005, S. 21). So tragen insbesondere die Kinder alleinerziehender Eltern ein erhöhtes Armutsrisiko (Walper 2001, S. 170). Ihr Risiko, in schlechten finanziellen Verhältnissen aufzuwachsen, liegt bei 40 Prozent (Rasche 2009). Abbildung 7 veranschaulicht die je nach Erwerbsstatus, Familienstatus und Nationalität unterschiedlich hohen Armutsrisikoquoten. Auffällig ist insbesondere das hohe Niveau der Quoten bei Arbeitslosen und Alleinerziehenden. Deren durch die mangelnden Erwerbsmöglichkeiten verursachten Einkommensengpässe können offenkundig nicht ausschließlich durch Transferleistungen aufgefangen werden (Bundesregierung 2005, S. 22).
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Ergebnisse bisheriger Forschung (State of the Art)
Abbildung 7: Gruppenspezifisches Armutsrisiko nach Erwerbsstatus, Haushaltstyp und Nationalität
Quelle: eigene Darstellung nach Böhnke (2005, S. 12), Datenbasis: Armuts- und Reichtumsbericht 2004/2005
3.2 Auswirkungen erheblicher finanzieller Knappheit (in den USA) Welche Konsequenzen sich aus der Knappheit bzw. Verknappung finanzieller Ressourcen für das Konsumverhalten ergeben, ist bisher wenig erforscht. Die diesbezügliche Marketingforschung befindet sich – trotz der zunehmend auch in der Öffentlichkeit anerkannten Relevanz der Thematik – noch in ihren Anfängen (Hamilton/Catterall 2006b, S. 125). Zu den Pionierarbeiten in dem Forschungsfeld „knapper Ressourcen“ zählt die Arbeit „The Poor Pay More“ von Caplovitz (1967). In dieser Arbeit untersuchte Caplovitz das Konsumverhalten armer Haushalte in New York. Sein Interesse galt dabei insbesondere dem Kauf langlebiger Gebrauchsgüter. Caplovitz zeigte, dass die untersuchten
Auswirkungen erheblicher finanzieller Knappheit (in den USA)
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Haushalte offensichtlich unklug mit ihren finanziellen Ressourcen umgingen, aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten zu hoher Verschuldung neigten, nur einen geringen Gegenwert für ihr Geld bekamen und zudem häufig mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. In der darauffolgenden Zeit erhielt die unter dem Schlagwort des „Low-Income Consumers“ diskutierte Thematik in der Forschung relativ nur wenig bis keine Aufmerksamkeit. „Low-Income Consumers” werden definiert als Individuen, deren finanzielle Ressourcen oder Einkommen nicht ausreichen, um die für einen als „angemessen“ oder „sozial akzeptablen“ geltenden Lebensstandard notwendigen Güter und Dienstleistungen zu erwerben (Darley/Johnson 1985 zitiert nach Hamilton/Catterall 2005, S. 627). Seit den 1990er Jahren ist ein gewisses Wiedererwachen des Interesses zu erkennen. Zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich in jüngerer Vergangenheit mit dem Einfluss knapper finanzieller Ressourcen auseinandergesetzt haben und so einen Beitrag zum besseren Verständnis des Konsumverhaltens deprivierter Konsumenten geleistet haben, zählt Ronald Paul Hill. Gemeinsam mit Debra Lynn Stephens entwickelt er auf der Basis einer Literatursynopse das „Model of the impoverished consumer behaviour” (Hill/Stephens 1997), das drei Dimensionen hat, denen ein Großteil der bisher existierenden Forschungsarbeiten zum Thema „Armut“ zugeordnet werden kann. Dabei handelt es sich um: 1. Austauschrestriktionen, 2. Konsequenzen der Benachteiligung und 3. Bewältigungsstrategien. Diesem wegweisenden Ansatz soll in der vorliegenden Untersuchung gefolgt werden. Die erste Dimension bezieht sich auf die Austauschbeziehungen zwischen Anbietern und „armen“ Konsumenten. Der Austausch von Waren gegen Geld zwischen Anbieter und Konsument stellt ein konstitutives Merkmal des Konsumverhaltens dar (Hill/Stephens 1997, S. 32). Gleichzeitig machen über den Markt erworbene Güter einen Großteil des Lebensstandards eines Menschen in entwickelten Gesellschaften aus. Das Kräfteverhältnis innerhalb dieser Austauschbeziehung ist häufig unausgeglichen (Alwitt/Donley 1996; Hill 2002). Finanzschwache Konsumenten sind häufig benachteiligt (Hill/Stephens 1997, S. 32). Dies manifestiert sich in Austauschrestriktionen wie z.B. direkten und indirekten Formen der Preisdiskriminierung: Ö Direkte Preisdiskriminierung: Arme müssen in ihrem Wohnbezirk mehr für Lebensmittel bezahlen, da preisgünstigere Supermärkte (große Ket-
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Ergebnisse bisheriger Forschung (State of the Art)
ten) nicht in der unmittelbaren Wohnnachbarschaft angesiedelt sind (Chung/Myers 1999). Ö Indirekte Preisdiskriminierung: o Eine mangelnde Kapitalausstattung (Ermangelung von Auto oder Lagermöglichkeiten) hindert den Konsumenten, Angebote wahrzunehmen, die anderen Konsumenten zu Verfügung stehen („bulks“) (Williams 1977). o Aufgrund finanzieller Restriktionen können Konsumenten – etwa in Entwicklungsländern – häufig nur kleinere Mengen kaufen und sind deshalb oft mit höheren Preisen konfrontiert (Rao 2000) der aus finanziellem Mangel oft erzwungenen Inkaufnahme von Gütern niedrigerer Qualität: Beispielsweise sind ärmere Konsumenten häufiger gezwungen, gebrauchte Waren (Second Best) zu konsumieren (Williams/Windebank 2000). der begrenzten Verfügbarkeit bzw. Erhältlichkeit von Produkten für ärmere Konsumenten Ö aufgrund eines erschwerten physischen Zugangs (z.B. wegen nicht vorhandener Einkaufsmöglichkeiten (Curtis 2000) oder allgemein schwächerer Infrastruktur (Alwitt/Donley 1997) oder Ö aufgrund eines erschwerten Zugangs zu Informationen (Arme werden beispielsweise von Finanzunternehmen nicht mit Informationen versorgt) (Kempson et al. 2000). Auch Andreasen (1993; 1997) beschäftigt sich mit Marktrestriktionen. Er identifiziert drei Restriktionen, die unter armen Konsumenten weit verbreitet sind: 1. Schwierigkeiten, niedrigpreisige Produkte in großen Packungsgrößen zu erwerben, 2. Schwieriger Zugang zu Bankleistungen (inklusive zu Kreditkarten und Scheck-Konten), 3. Mobilitätsbarrieren (u.a. ein Mangel an Transportmitteln, die den Konsumenten erlauben würde, in anderen Gegenden einzukaufen). Darüber hinaus fallen arme Konsumenten häufiger „ausbeuterischen“ Geschäftspraktiken von Unternehmen zum Opfer (Hill/ Kozup 2007; Hill et al. 1998). Als Determinanten der auf dem Mark vorhandenen Benachteiligung armer Konsumenten nach dem Motto „die Armen zahlen mehr“ identifiziert Scherl (1978, S. 112): 1. individuelle psychische Dispositionen (als mögliche Ursache einer schwach ausgeprägten Informationssuche und geschäftlicher Unbeholfenheit), 2. Faktoren, die in di-
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rektem Zusammenhang mit der Einkommensschwäche stehen (z.B. Einkauf in kleinen Mengen, verstärkter Ratenkauf) und 3. residentiale Segregation (in den Armenghettos in den USA). Das materielle Ausmaß solcher Benachteiligungen ist nur schwer quantifizierbar. Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass von einem gegebenen Budget nur bedingt auf den realisierbaren Konsumstandard geschlossen werden kann. Es ist anzunehmen, dass die faktischen Realeinkommensunterschiede bei den Haushalten, die auf der unteren Hälfte der Nominaleinkommensskala liegen, größer sind als die Nominaleinkommensunterschiede (Scherl 1978, S. 119). Das bedeutet, je einkommensschwächer ein Haushalt ist, desto geringer ist seine faktische Kaufkraft. Die zweite Dimension des von Hill/Stephens entwickelten Modells stellen die für den Konsumenten aus der Benachteiligung auf dem Markt häufig resultierenden negativen Konsequenzen dar. Dazu gehören beispielsweise die durch materielle Einschränkungen hervorgerufene Fehlernährung und die daraus erwachsenden gesundheitlichen Risiken (Kempson 1996). Ein Mangel an finanziellen Ressourcen bedeutet nicht nur materielle Einschränkungen, sondern hat häufig auch soziale bzw. psychische Konsequenzen: “(…) the propriety of human existence is measured by the standards of decent life practised by any given society, inability to abide by such standards is itself a cause of distress, agony and self-mortification” (Bauman 2005, S. 37 f.). Armut bedeutet einen Ausschluss aus dem als “normal” betrachteten Leben, ein Abgeschnittensein von dem, was ein „glückliches“ Leben ausmacht. Sie kann somit Ursache eines sinkenden Selbstwertgefühls und von Scham- und Schuldgefühlen sein (Bauman 2005, S. 37 f.). Während Hill/Stephens (1997, S. 34) und auch Andreasen (1975) ebenfalls auf die Entfremdung von der Konsumkultur aufmerksam machen, thematisiert Ridge (2002) die Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls von Kindern durch die Angst vor sozialer Differenzierung. Diskutiert wird auch der Zusammenhang zwischen emotionalem Stress und Alkohol- und Drogenkonsum (Hill/Stephens 1997, S. 35). Zu den potenziellen sozialen Konsequenzen von finanzieller Knappheit zählen: stressbelastete persönliche Beziehungen (Kempson 1996), (zu) wenig Geld für „Socialising“ (Alwitt/Donley 1996) und Stigmatisierungserfahrungen (Hill/Stephens 1997, S. 41). Die von Konsumenten ergriffenen Bewältigungsstrategien kennzeichnen die dritte Dimension des von Hill/Stephens (1997) entwickelten Modells. Forschungsergebnisse zeigen, dass sich die Bewältigung einer angespannten finanziellen Situation nicht erst im Verhalten, sondern bereits auf der emotionalen Ebene vollzieht. Eine emotionale Bewältigung findet in erster Linie durch eine gedankliche Distanzierung von der sozialen Umwelt statt (Hill/Stamey 1990). Von den Betroffenen wird beispielsweise argu-
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mentiert, dass man sich von anderen Armen dadurch unterscheide und sich damit von ihnen abhebe, dass man durch „legitimere“ Umstände in diese schlechte Situation geraten sei und/oder dass man – anders als andere – das Wohlfahrtssystem nicht missbrauche (Hill/Stephens 1997, S. 43 f.). Bei der emotionalen Bewältigung spielen außerdem Fantasien über eine materiell positivere Zukunft eine wichtige Rolle (Hill 1991, S. 306 f.). Zusätzlich dazu wird häufig emotionale Unterstützung im sozialen Umfeld gesucht (Hill/Stephens 1997, S. 43 f.). Auf der Verhaltensebene werden folgende Strategien identifiziert: Handlungen, die auf die Generierung eines zusätzlichen Einkommens und somit eine Erhöhung der monetäreren Ressourcen abzielen Ö Ö Ö Ö
Finden einer (besser) bezahlten Vollzeit-Stelle (Kempson et al. 1994) Verkauf nichtnotwendiger Gegenstände (Kempson et al. 1994) Aufnahme von Krediten (Hill/Stephens 1997, S. 35 f.) Generieren von finanziellen Ressourcen aus Schwarzarbeit und illegalen Aktivitäten (Prostitution, Drogen, Diebstahl etc.) (ebd. S. 35 f.)
Inanspruchnahme externer Hilfe (Familie, Freunde, Wohltätigkeitsorganisationen) und gegenseitige Hilfe unter Betroffenen (ebd. S. 42 f.) Budgetierung bzw. Sparen (für das Ende des Monats) (ebd. S. 42 f.) Aufschieben der Zahlung von Rechnungen (Kempson et al. 1994). Insgesamt zeigt sich, dass Konsumenten Fähigkeiten entwickeln, ihre Umwelt zu „nutzen“ und eine bestimmte Kontrolle über ihr Leben auszuüben (Alwitt/Donley 1996; Hill 2002; Hill/Stephens 1997). Im Folgenden sollen die im Rahmen dieser Arbeit interessierenden Erkenntnisse der wesentlichen Arbeiten von Hill kurz dargestellt werden, um einen vertieften Einblick in den Forschungsstand zu geben. Hill und Stamey (1990) analysieren die Überlebensstrategien von Obdachlosen in den USA. Dabei erkunden sie, über welche Arten von Besitzgütern Obdachlose verfügen, auf welche Art und Weise diese Güter beschafft werden (z.B. Sammeln und Recyceln von weggeworfenen Produkten, Tauschen, Teilen, Kauf etc.) und auf welche Einkommensquellen Obdachlose zurückgreifen können. Von Bedeutung für die vorliegende Untersuchung sind vor allem die in der Studie gewonnenen Erkenntnisse zur Entwicklung des Selbstkonzeptes von Obdachlosen: Obdachlose distanzieren sich von
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ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld („I´m not like shelter users“) und dem institutionellen Umfeld („Welfare? Forget it!“), um sich von sozialen Identitäten abzugrenzen, die inkonsistent mit ihrem erwünschten Selbstbild sind (Hill/Stamey 1990, S. 318). Sie unterstützen damit vor sich selbst ein Bild ihrer Person, das sie anders als den gemeinen Wohlfahrtsempfänger erscheinen lässt und ihre Unterstützungsbedürftigkeit durch Wohlfahrtsinstitutionen in Abrede stellt. Auf diese Weise können sie eine gewisse Selbstwertschätzung (self-esteem) aufrechterhalten (Hill/Stamey 1990, S. 318). Die Studie zeigt außerdem, dass Obdachlose im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung materiellem Besitz eine andere Bedeutung beimessen und ihr Anspruchsniveau (z.B. bezogen auf ihre Vorstellungen, was als „akzeptables“ Wohnen betrachtet wird) ein niedrigeres ist. Hill (1991) beschäftigt sich speziell mit der Obdachlosigkeit junger Frauen im Kontext des Konsumentenverhaltens. Dabei analysiert er vor allem die Wege, die in die Obdachlosigkeit geführt haben (Arbeitsplatzverlust, Drogenmissbrauch, körperliche Gewalt etc.), ferner, wie sich frühere Lebenserfahrungen auswirken, auf welche emotionale Unterstützung diese Frauen zurückgreifen können und welche Bedeutung verlorengegangenen, aufgegebenen, behaltenen und während der Obdachlosigkeit neu erworbenen Besitzgegenständen zukommt. Bei armen Konsumenten sinkt die Bindung zu typischen Konsumgütern, statt dessen wird Erinnerungen, Beziehungen und religiösen Überzeugungen eine größere Bedeutung beigemessen (Hill 1991, S. 308). In seinem Buch „Surviving in a Material World“ (Hill 2001) setzt sich Hill mit sechs unterschiedlichen Armutssubpopulationen auseinander. Dies sind: Obdachlose, obdachlose Frauen mit Kindern, kriminelle Kinder, „welfare mothers“, Arme auf dem Land und Einheimische, deren Kultur von Einwanderern gestört wird. Gemeinsam ist den untersuchten Personen, dass sie Probleme haben, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen (Hill 2001). Hills Forschungsinteresse gilt insbesondere den „Bewältigungsstrategien“, mit deren Hilfe es den Betroffenen gelingt, effektiv ihre schwierige Lebenssituation zu meistern. Hingewiesen sei an dieser Stelle auf den grundsätzlich unterschiedlichen gesellschaftlichen und auch individuellen Stellenwert von Armut in den USA und Deutschland. Im Gegensatz zu Deutschland kennt die amerikanische Gesellschaft „keinen ‚Sozialstaat’ mit breiter Armutsprävention und -repression, sondern einen ‚Wohlfahrtsstaat’ subsidiären, partiellen und späten Zuschnitts“ (Leibfried/Voges 1992, S. 27). Dies ist vermutlich auch mit ein Grund dafür, dass sich Hill in seinen Studien auf Konsumenten
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konzentriert, die in sogenannter „absoluter“ Armut leben und bei denen in erster Linie die Befriedigung der existenziellen Bedürfnisse gefährdet ist. Es gilt zu beachten, dass absolute Armut in Deutschland aufgrund der sozialstaatlichen Absicherung nur selten – und namentlich nicht in einem mit den USA vergleichbaren Ausmaß – vorzufinden ist, so dass der Konsum wie auch in anderen Wohlstandsgesellschaften größtenteils eher „auf der Basis bereits befriedigter Grundbedürfnisse“ erfolgt (Schneider 2000, S. 12). Dies beschränkt die Möglichkeit der Übertragung der Forschungsergebnisse. Festhalten lässt sich aus den vorliegenden Erkenntnissen dennoch folgendes: Die Knappheit finanzieller Mittel mündet häufig in einer benachteiligten Marktposition mit negativen Konsequenzen für die Betroffenen. Gleichzeitig machen die Forschungsergebnisse aber auch deutlich, dass finanziell deprivierte Menschen auch unter sehr restriktiven finanziellen Bedingungen effektive Strategien zur Bewältigung ihrer Situation entwickeln (Hamilton/Catteral 2006, 126). Den vorhandenen Forschungsarbeiten liegt meist eine statische Perspektive zugrunde, das heißt, die Knappheit finanzieller Ressourcen wird als permanenter Zustand betrachtet. Zumindest werden in der Regel Personen untersucht, die sich bereits länger in Armut befinden. Bisher unbeantwortet, aber wenigstens genauso interessant ist aber die Frage, ob Konsumenten, die erst seit kurzer Zeit über deutlich weniger finanzielle Ressourcen verfügen, ihre Situation ähnlich effektiv bewältigen (Hamilton/Catteral 2006, 126) und auf welche Art und Weise dies geschieht.
3.3 Auswirkungen (neuer) finanzieller Verknappung Im Folgenden werden die vorhandenen Forschungsergebnisse zur – neu erlebten – Verknappung individueller finanzieller Ressourcen dargestellt. Eingegangen wird dabei zunächst auf grundlegende Verhaltensmuster betroffener Individuen. In einem nächsten Schritt werden die psychischen und sozialen Konsequenzen eingeschränkter finanzieller Ressourcen und Erkenntnisse zur Prioritätensetzung im Konsumverhalten erörtert. Zuletzt wird der Zusammenhang zwischen finanziellem Abstieg und Ver- und Überschuldung diskutiert.
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3.3.1 Grundlegende Verhaltensreaktionen und materielle Konsequenzen Grundsätzlich stehen einem Haushalt nach Andreß (1999b, S. 47 ff.) folgende Reaktionsweisen auf ein deutliches Sinken des Einkommens zur Verfügung:
Mobilisierung von Arbeitskraftreserven Einsparung von laufenden Ausgaben Zurückstellung von Anschaffungen Senkung der Sparquote und Auflösung von Vermögen Kreditaufnahme und Ratenzahlung Aufnahme einer Nebentätigkeit Inanspruchnahme staatlicher Transfers Schwarzarbeit
Alle diese Verhaltensoptionen zielen entweder darauf ab, die verfügbaren finanziellen Ressourcen des Haushalts zu erhöhen, oder darauf, seine Ausgaben zu verringern (Andreß 1999b, S. 50). Die genannten Verhaltensoptionen decken sich größtenteils mit den von Brinkmann/Spitznagel (1984) im Rahmen einer Wiederholungsbefragung gewonnen Erkenntnissen zu den Reaktionen von Arbeitslosenhaushalten auf eine veränderte finanzielle Situation. Als wesentliche Verhaltensstrategie steht hier die Senkung des Konsumniveaus im Vordergrund. Zu diesem Zwecke wird insbesondere bei den persönlichen Ausgaben eingespart und auf Anschaffungen verzichtet. Verschuldung spielt bei den Befragten nur eine untergeordnete Rolle. Mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit reicht die Ausgabensenkung allerdings nicht aus, und es müssen Einschränkungen in weiteren Bereichen (Urlaub, Anschaffung langlebiger Gebrauchsgüter) hingenommen werden. Zu recht ähnlichen Ergebnissen kommt Hess (1991) in einer Untersuchung zu den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit. Der Verlust des Erwerbseinkommens zieht hier für über 40% der befragten Personen „große“ finanzielle Schwierigkeiten nach sich. Zur Bewältigung der finanziellen Restriktionen wird von den befragten Haushalten mindestens eine der folgenden Strategien realisiert: Rückgriff auf Erspartes, Verzicht auf Anschaffungen oder Aktivitäten, Reduzierung der Ausgaben im Konsumbereich und bei elementaren Lebensgütern, Verschuldung bei Verwandten, Freunden und/oder Kreditinstituten, Erschließung neuer Einkünfte durch Erwerbsarbeit anderer Haushaltsmitglieder. Dabei stellt die Senkung laufender Konsumausgaben die am häufigs-
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ten gewählte Strategie dar (Hess et al. 1991, S. 181). Gleichzeitig kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass eine so praktizierte Einschränkung auf Dauer häufig nicht ausreichend ist und mit einem Andauern der Arbeitslosigkeit die Gefahr mit Zahlungsverpflichtungen in Verzug zu geraten, zunimmt (Hess et al. 1991, S. 182). Nur wenige Befragte geben an, sich zu verschulden. Häufiger werden bestehende Versicherungen gekündigt. Das kann weitreichende Konsequenzen haben, weil „jeder Unfall, jedes Missgeschick für diese Familien zur Katastrophe werden können“ (Hess et al. 1991, S. 182). Während Ausgaben für Grundbedürfnisse wie Essen oder Kleidung grundsätzlich reduziert werden können, ist dies bei den Ausgaben für das Wohnen in der Regel kaum möglich. Mietrückstände oder der Umzug in eine kleinere oder schlechtere Wohnung sind die Konsequenz (Hess et al. 1991, S. 182). Abbildung 8 zeigt die durch Arbeitslosigkeit bzw. Einkommensverlust ausgelösten Einschränkungen der Befragten in unterschiedlichen Bereichen auf. Andere Studien zeigen ähnliche Reaktionsmuster, machen aber auch auf weitere interessante Aspekte des Bewältigungsverhaltens von Konsumenten aufmerksam. Hamilton/Catteral (2006b) stellen in ihrer qualitativen Studie mit „frisch“ verarmten Haushalten fest, dass nach einer Einkommenseinbuße in bestimmten Konsumbereichen (z.B. Urlaub) komplett auf den Konsum verzichtet wird, während in anderen (z.B. Take-away-Nahrung) lediglich eine Kürzung der Ausgaben stattfindet (Hamilton/ Catterall 2006b, S. 130). Des weiteren ändert sich, beispielsweise bei Lebensmitteln, zum Teil die Art der gekauften Produkte, da bisher gekaufte Markenprodukte als zu teuer empfunden werden (Hamilton/Catteral 2006, 128). Außerdem wird die (Finanz)Planung längerfristig ausgerichtet, das heißt, dass Konsumenten für zukünftige Ereignisse, wie beispielsweise Weihnachten, sparen, um eine Kreditaufnahme zu vermeiden (Hamilton/Catteral 2006, 127). Die Notwendigkeit einer kostengünstigeren Bedürfnisbefriedigung führt bei betroffenen Konsumenten häufig zu einer gleichzeitigen Veränderung von Konsum- und Zeitverwendungsmustern. In der Studie von Hess et al. (1991, S. 186) geben die Befragten auf die Frage, was sie seit ihrer Arbeitslosigkeit häufiger tun, folgende Antworten: „Sich mehr mit der Familie beschäftigen“ (76%), „Hausarbeit machen“ (64%), „Spazieren gehen“ (59%), „Fernsehen“ (55%). Deutlich seltener als zuvor wird in die Gastsstätte, Kneipe oder Disco gegangen (35%), Sport getrieben (21%), das Theater oder Kino besucht (19%) und Besuch empfangen (18%). Kostenaufwändigere Freizeitaktivitäten werden also durch günstigere oder „kostenfreie“ Freizeitaktivitäten substituiert. Nach der Studie von Hamilton/Caterrall (2006b, S. 129) führt der finanzielle
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Abstieg dazu, dass das Fernsehen bei einem Befragten zum zentralen Mittel der Befriedigung des Bedürfnisses nach Unterhaltung avanciert. Abbildung 8: Einschränkung während der Arbeitslosigkeit
Quelle: eigene Darstellung nach Hess (1991, S. 181)
Neben dem Verzicht auf bestimmte Dinge, wird von Betroffenen auch zu alternativen Mitteln der Bedürfnisbefriedigung gegriffen. Beispielsweise reagierten die Bulgaren auf das mit der Vermarktlichung („Marketization“) Bulgariens einhergehende dramatische Absinken des Lebensstandards Mitte der 1990-er Jahre keineswegs nur mit Einsparungen (insbesondere bei Kleidung, Alkohol, Kultur und Freizeit, Möbeln, Ener-
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gie), sondern auch mit der durch Eigenerstellung von Leistungen. Einerseits bewirtschafteten sie verstärkt ihr Land, um sich selbstständig mit Lebensmitteln zu versorgen. Andererseits nahmen sie weniger bezahlte Dienstleistungen in Anspruch und führten beispielsweise Reparaturen selber durch (Milanova 1999, S. 421). Etwas konkreter und stärker auf das Konsumverhalten konzentriert sind die Ergebnisse einer Studie von Tobias/Boettner (1992), die im Armutsstadtteil DuisburgBruckhausen durchgeführt wurde. Hier wurde der Umgang Betroffener mit einer bereits länger andauernden Mängelphase untersucht. Bei den Befragten wurden folgende Verhaltensanpassungen an die finanzielle Knappheit identifiziert (Tobias/Boettner 1992, S. 12): informeller Gebrauchtwarenaustausch innerhalb des Stadtteils Katalogbestellung auf Teilzahlungsbasis im Versandhandel (teilweise verbunden mit der Reservierung eines bestimmten Betrags nur für Ratenzahlungen, um sich vor drohender Verschuldung zu schützen) Festlegung bestimmter Ausgabenprioritäten (mit dem Ziel, die Unübersichtlichkeit des Wirtschaftens zu mindern) Zweckbindung der verfügbaren finanziellen Mittel mit erforderlichen Ausgaben (in der Regel Kopplung bestimmter Einnahmen, wie z.B. des Kindergelds, mit bestimmten Ausgaben, wie z.B. der Begleichung der Stromrechnung, um die Zahlungen sicherzustellen) Ausrichtung des Einkaufsverhaltens auf Dispositionen zur Absicherung des Nötigsten: keine Spontaneinkäufe, sondern extreme Sparsamkeit und Fixierung auf Sonderangebote. Bemerkenswerterweise kollidierten die Ausgabenprioritäten teilweise mit den Vorgaben des Sozialamtes. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt der Landesarmutsbereicht des Landes Schleswig-Holstein (Hradil/Müller 1999, S. 196). Auch hier gaben die interviewten Familien an, sich auf Sonderangebote zu konzentrieren, Spontankäufe zu vermeiden und eine ausgeprägte Vorratshalthaltung zu praktizieren. Außerdem war in der Regel eine besondere Sensibilität für das Preis-Leistungs-Verhältnis vorhanden. Und ähnlich wie bei Tobias/Boettner (1992) war ein Zweckbindung der Finanzmittel zu erkennen. Zum Beispiel wurden bestimmte Einnahmen wie das Kindergeld von vorneherein an regelmäßig wiederkehrende Ausgaben gekoppelt.
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Auf schichtspezifische Differenzen in der Bewältigung materieller Not macht Neuberger (1997) aufmerksam. Dazu weist er auf eine Studie Hornsteins (1988) hin. Diese auf Basis qualitativer Interviews durchgeführte Studie (Hornstein 1988) kommt zu dem Ergebnis, dass in Unterschichtfamilien die durch Arbeitslosigkeit ausgelöste ökonomische Belastung im Vergleich zu Mittelschichtfamilien gravierender ist. Zurückgeführt wird dies auf die in Mittelschichtfamilien eher vorhandenen „social skills“, „d.h. eine Geschicklichkeit im Umgang mit sozialstaatlichen Institutionen und Kenntnisse über bestehende Sozialleistungen, welche halfen, wichtige ergänzende Einkommensquellen zu erschließen“ (Neuberger 1997, S. 85). Informationsdefizite und die Hilflosigkeit im Umgang mit Behörden führten bei den Unterschichtfamilien zu einer zusätzlichen Verschärfung ihrer Situation (Neuberger 1997, S. 85). Möglicherweise spiegeln sich auch in den ergriffenen Konsumverhaltenstrategien solche Unterschiede wider.
3.3.2 Psychische und soziale Konsequenzen von Armut Als wesentliche psychische und soziale Konsequenzen von Armut werden in der Armutsforschung u.a. „soziale Ausgrenzung“ bzw. „soziale Exklusion“ (Böhnke 2001; Bude 2008; Kronauer 1999; Kronauer 2002) und „sozialer Rückzug“ (Müller 1993) oder „soziale Isolation“ (Kern 2002) der Betroffenen diskutiert. Auf indirekte Weise spiegeln sich darin wichtige konsumverhaltensrelevante Aspekte, da diese Phänomene zumindest in Teilen mit einer mangelnden Konsumfähigkeit in Verbindung stehen. Angesichts der wichtigen Funktion des Konsums als Instrument der Selbstdarstellung (siehe 2.1.4.2) kann die mangelnde Konsumfähigkeit zu einer „Beschädigung“ des Selbst- und Fremdbildes der Betroffenen führen, was sich nicht nur auf das Verhalten der Betroffenen, sondern auch auf das der sozialen Umwelt auswirken kann. Eine insbesondere aus der Perspektive des Konsumverhaltens relevante psychische Konsequenz eines finanziellen Abstiegs stellt die Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls (bzw. des Selbstbildes) dar. Mit einem finanziellen Abstieg geht häufig nicht nur die Angst vor einem Statusverlust, sondern gleichzeitig auch die Angst vor dem Selbstwertverlust einher (Wagner 1991, S. 25). Diese Angst vor dem Selbstwertverlust führt zu einer Vermeidung von Verhaltensweisen, die einen Abstieg signalisieren. Wegerich vom Forschungsinstitut Rand Europe in Berlin stellt diesbezüglich „Versuche einer Abgrenzung nach unten fest, die über Formen und Symbole einen Rest an
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wirtschaftlicher Sicherheit bewahren soll“ (Fischermann 2007, S. 22). Ein Schuldnerberater stellt fest: „Selbst viele von denen, die es sich nicht mehr leisten können, halten an der bürgerlichen Lebensweise fest, solange es geht“, und weiter: „Die Leute wehren sich dagegen, Dinge zu tun, die klare Zeichen sind: es geht jetzt bergab“ (Fischermann 2007, S. 22). Diese Verhaltensweisen lassen sich als Bemühungen zur Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes und Selbstwertgefühls interpretieren. Hamilton/Catteral (2006b, S. 129) gehen in Entsprechung dazu davon aus, dass die Aufgabe bzw. der Verlust bestimmter Besitzgegenstände sich negativ auf das Selbstbild auswirken kann. Auch Roberts (1991) interpretiert die Ergebnisse einer von ihm durchgeführten Studie in dieser Richtung. Im Rahmen einer Fallstudie untersucht er die Reaktionen von Haushalten auf einen Arbeitsplatz- und damit Einkommensverlust. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass neben Einsparungen auch in neue, oft teure und vor allem „sozial sichtbare“ Gebrauchsgegenstände (neuer Truck, gebrauchter Mercedes) investiert wird. Obwohl von den Betroffenen immer praktische Gründe für den Erwerb angegeben werden, interpretiert Roberts (1991) dieses Verhalten als einen Versuch, sichtbaren Konsum durch Verzicht in anderen Bereichen aufrechtzuerhalten (Roberts 1991, S. 41). Die durch den Arbeitsplatzverlust verursachte Beschädigung des Selbstbildes drängt den Konsumenten zur „symbolic self-completion“ (Wicklund/Gollwitzer 1982) durch sein Konsumverhalten (Roberts 1991, S. 40 f.). Gleichzeitig erfüllt der Konsum im Sinne Veblens (1899) eine Signalfunktion nach außen (vgl. 0). Somit erlaubt die in der Studie festgestellte Neuanschaffung teurer und sichtbarer Gebrauchsgegenstände trotz vorheriger starker finanzieller Einbuße dem Konsumenten, sein Selbstbild zu schützen und möglicherweise das bisherige Verständnis dessen, wer er ist und wer er sein möchte, umzudefinieren (Roberts 1991, S. 42). Bereits Newman (1988) hatte den Versuch das „Gesicht zu wahren“ als Verhaltensstrategie bei un- bzw. unterbeschäftigten Amerikanern der Mittelklasse identifiziert. Ein materieller Abstieg hat, wie festgestellt, häufig auch soziale Konsequenzen. Insbesondere in Konsumgesellschaften werden die sozialen Beziehungen eines Menschen durch seine ökonomische Situation beeinflusst (Müller 1993, S. 209). Geld kann über soziale Zugehörigkeit entscheiden: „Money buys membership in industrial society” (Rainwater 1974, S. 105).
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Gleichzeitig führt Armut häufig zur Stigmatisierung9 und Marginalisierung. Das bedeutet, dass Arme von anderen ausgegrenzt werden (Kern 2002, S. 177). Nach Goffman (1998, S. 13) findet Stigmatisierung dann statt, wenn ein Individuum ein Merkmal besitzt, das andere, nachdem sie auf es aufmerksam geworden sind, zum Anlass nehmen, sich von ihm abzuwenden. Armutsbezogene Stigmatisierung kann zum einen dadurch zustande kommen, dass Armut mit „Nicht-Arbeiten“ im Sinne von „Faulheit“ und „Müßiggang“ assoziiert wird (Müller 1993, S. 211). Eine solchgeartete Stigmatisierung spiegelte sich in dem negativen Bild, das die Medien lange Zeit von Arbeitslosen zeichneten (Klinger/König 2006, S. 28). Aber auch äußere Attribute, z.B. Kleidung, die Armut erkennen lassen, können Anlass zur Stigmatisierung sein. Kleidung, die sonst häufig als Statussymbol fungiert, wird nun zum „Stigmasymbol“ (Goffman 1998, S. 59). Insbesondere Jugendliche laufen Gefahr, von Altersgenossen stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden, wenn sie nicht in der Lage sind, bestimmte begehrte Markenprodukte, z.B. Markenschuhe, zu kaufen (Elliott/Leonard 2004; Kempson 1996, S. 67). Ursache dafür ist die Tatsache, dass sich die Wertschätzung gegenüber anderen bei Jugendlichen stark an äußeren Merkmalen wie Kleidung und dem Besitz von statusrelevanten Gütern festmacht (Neuberger 1997, S. 97 ff.). Stigmata werden zum Teil auch von den Betroffenen selber internalisiert (Kern 2002, S. 177). So identifizierten sich in der Studie von Hess et al. (1991) die befragten Arbeitslosen – in Übereinstimmung mit den Ergebnissen einer früheren Studie zu arbeitslosen Jugendlichen (Schober 1987) – mit der „öffentlichen Meinung und den Klischeevorstellungen über Arbeitslose“ (Hess et al. 1991, S. 186). Da Armut in der Konsum- und Leistungsgesellschaft grundsätzlich als Makel und persönliches Versagen begriffen wird, entwickeln von Armut Betroffene häufig unterschiedliche Strategien, um ihre finanzielle Situation zu verbergen. In Übereinstimmung hiermit stellen Hamilton/Caterall (2006b, S. 131) in ihrer Studie bei Deprivierten die Tendenz fest, aus Angst davor, im Vergleich zu der eigenen Bezugsgruppe aufgrund eines Mangels an Ressourcen als unterlegen beurteilt zu werden (Angst vor Stigmatisierung), zu versuchen, ein ähnliches Konsumniveau wie die Bezugsgruppe zu aufrechtzuerhalten. Wenn dies nicht mehr gelingt, findet letztlich ein bewusster Rück-
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Der Begriff Stigmatisierung beschreibt die zu sozialer Diskriminierung führende Charakterisierung einer Person oder Gruppe durch die Zuschreibung gesellschaftlich oder gruppenspezifisch negativ bewerteter Merkmale (Goffman 1963, S. 6).
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zug aus bestehenden sozialen Netzwerken statt (Müller 1993, S. 200). Sowohl Stigmatisierung als auch deren bloße Antizipation können dazu führen, dass der Kontakt zu anderen freiwillig gemieden wird (Miller/Kaiser 2001, S. 79). Dies belegt beispielsweise eine Studie von Hess et al. (1991), bei der über ein Drittel der Befragten angibt, sich aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zurückgezogen zu haben. „Fast die Hälfte (46%) hat Angst, über die eigene Arbeitslosigkeit zu sprechen, weil negative Reaktionen der Umwelt befürchtet werden“ (Hess et al. 1991, S. 186). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Neuberger (1997) in seiner Untersuchung. Auch hier hat Arbeitslosigkeit zur Konsequenz, dass sich viele deprivierte Familien nach und nach aus dem öffentlichen – außerfamiliären – Leben zurückziehen. Und auch hier gelten neben lebenslagenspezifischen Ausgrenzungsfaktoren (Verlust beruflicher sozialer Kontakte, veränderte Wohnbedingungen) insbesondere persönliche Erfahrungen der Stigmatisierung und sozialen Abwertung, Ängste und Schamgefühle als wesentliche Ursachen des sozialen Rückzugs (Neuberger 1997, S. 100). Die Furcht vor Stigmatisierung und sozialer Herabsetzung führt auch dazu, dass Kinder „sich zurückziehen und auf individuelle Bewältigungsstrategien wie das Verschweigen der familiären Situation zurückgreifen“ (Neuberger 1997, S. 100). Untersuchungen zeigen, dass sich mit zunehmender Dauer der finanziellen Mängelphase das soziale Umfeld Betroffener dahin verändert, dass dieses einen wachsenden Anteil von ebenfalls finanziell Deprivierten aufweist (Müller 1993, S. 200). Ähnliche Ergebnisse zeigt eine im Jahr 2001 in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union durchgeführte Meinungsumfrage auf. Für alle Länder (außer Schweden) gilt: Je ärmer ein Mensch ist, desto eher besteht auch sein Freundeskreis aus ärmeren Menschen (Gallie/Paugam 2002, S. 49). Die Studie macht darauf aufmerksam, dass über den Wechsel in eine neue, ärmere Bezugsgruppe hinaus mit der Armut auch das Risiko sozialer Isolation verbunden ist. Die Studie zeigt, dass Personen mit niedrigem Einkommen weniger soziale Beziehungen haben und sich sozial eher isoliert fühlen als Besserverdienende. Dieses Ergebnis wird zumindest teilweise mit den recht hohen Kosten der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (Sport, Kultur, Freizeit, Ausflüge) in Verbindung gebracht (Gallie/Paugam 2002, S. 46). Nach Ansicht Bococks (1993) wird die gesellschaftliche Entfremdung armer Menschen durch ihren Ausschluss aus der sie umgebeben Konsumkultur verstärkt. Diese Erkenntnisse lassen die Schlussfolgerung zu, dass sowohl die durch die Knappheit ausgelöste Bedrohung des Selbst-, als auch diejenige des Fremdbildes Grund dafür
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sein können, dass Konsumenten bestimmte Konsum- und Verhaltensstrategien entwickeln, um ihre Armut vor anderen, aber letztlich auch vor sich selbst, zu verbergen.
3.3.3 Prioritätensetzung im Konsumverhalten Von erheblichem Interesse für die vorliegende Fragestellung ist, ob der Konsument bei seinen Anpassungsbemühungen nach verschiedenen Konsum- bzw. Ausgabebereichen differenziert und möglicherweise bestimmte Prioritäten hat oder bildet. Insgesamt lassen sich in der Literatur nur wenige Hinweise auf eine solche Prioritätensetzung finden. Grundsätzlich ist die konkrete Einkommensverwendung einer Person oder eines Haushaltes von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Erkenntnisse bereits durchgeführter Studien lassen darauf schließen, dass – neben individuellen Präferenzen – auch soziodemographisch begründete bzw. lebensphasenspezifische Bedarfe eine wichtige Rolle spielen. Sehr deutlich zeigt sich dies bei Familien mit Kindern. Den Ausgaben für die Kinder wird meist eine sehr hohe Priorität eingeräumt. Eltern sind oft bemüht, ihre Kinder die materiellen Folgen von Arbeitslosigkeit nicht spüren zu lassen (Neuberger 1997, S. 85). Vor allem Mütter entwickeln kreative Strategien, „um zu sichern, dass ihre Kinder so wenig wie möglich missen müssen“ (Harker/Lister 2001, S. 269). Dies manifestiert sich häufig in einer starken Opferbereitschaft der Eltern für ihre Kinder (Walper 2001, S. 172). Die Bedürfnisse der Kinder werden vor die eigenen Bedürfnisse und manchmal sogar vor die Begleichung offener Rechnungen gestellt (Kempson et al. 1994). Die erste britische Dokumentation von Ausgaben für Kinder (Middleton et al. 1997 zitiert nach Harker/Lister 2001, S. 266) brachte folgende Ergebnisse zutage: Jede zwanzigste Mutter verzichtete auf eigene Nahrung, um ihren Kindern mehr Essen zukommen zu lassen. Mehr als jede achte Mutter verzichtete auf neue Kleidung und Schuhe, Unterhaltung oder Urlaub. Die Opferbereitschaft der Eltern bewahrt die Kinder häufig vor der unmittelbaren Armut. So hatte die Hälfte aller armen Eltern Kinder, die – aus dieser Perspektive betrachtet – nicht arm waren. Zudem zeigte sich, dass Mütter tendenziell eher zurückstecken als Väter und alleinerziehende Mütter eher als Mütter aus vollständigen Familien.
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Mütter verwalten häufig das Familienbudget. Oft nutzen sie diese Möglichkeit, um das Einkommen innerhalb der Familie auf ihre Kosten und zugunsten der Kinder und des Partners umzuverteilen. Kempson (1996) spricht in diesem Zusammenhang von „intrafamiliärer“ Redistribution finanzieller Ressourcen zugunsten der Kinder. Diese Bewältigungsstrategie zielt unter anderem darauf ab, die schwierige finanzielle Situation gegenüber dem sozialen Umfeld zu verbergen (Harker/Lister 2001, S. 269), um Minderwertigkeitsgefühle und Statusverlustängste zu reduzieren (Neuberger 1997, S. 85). Abgesehen von dieser Priorisierung von Ausgaben für bestimmte Familienmitglieder lassen sich Unterschiede bei der Ressourcenallokation unter Umständen auch an der „Verbindlichkeit“ von Ausgaben festmachen. So zeigt beispielsweise eine Studie von Walker et al. (1995), dass Lebensmittel von armen Haushalten häufig als „flexibles“ Element des Budgets betrachtet und behandelt werden, was dementsprechend auch die Auswahl der Nahrungsmittel und damit die Ernährung beeinflusst. Meist wurde das verfügbare Budget bestimmten Ausgabenbereichen zugeteilt. Wurde das Geld irgendwo knapp, wurde zunächst insbesondere auf das für Nahrungsmittel eingeplante Geld zurückgegriffen (Walker et al. 1995, S. 7). Einen Hinweis darauf, dass die Notwendigkeit von Produkten eine wichtige Rolle spielen könnte, liefern Ergebnisse der von Kempson (1996) durchgeführten qualitativen Armutsstudien. Hier werden die Ausgaben für Dinge, die zur Steigerung der Lebensqualität beitragen (z.B. soziale Aktivitäten, Freizeitaktivitäten) stärker reduziert als die Ausgaben für grundlegende Notwendigkeiten wie Lebensmittel und Kleidung. Allerdings lassen Ergebnisse wie diejenigen der Studie von Roberts (1991), nach der Konsumenten trotz massiver finanzieller Einbuße in neue, teure und vor allem sichtbare Gegenstände investieren (genauer siehe 3.3.2) Zweifel an der Vermutung aufkommen, dass notwendige Produkte immer priorisiert werden.
3.3.4 Ver- und Überschuldung Auch die zunehmende Tendenz zur sukzessiven Ver- und Überschuldung von Privathaushalten kann zumindest in Teilen als Konsequenz einer – tatsächlich vorhandenen oder zumindest empfundenen – Knappheit bzw. Verknappung von finanziellen Ressourcen betrachtet werden. Allein zwischen 1999 und 2002 ist die Anzahl der überschuldeten Haushalte um 13% von 2,77 Mio. auf 3,13 Mio Haushalte angestiegen
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(siehe Abbildung 9). Ein Privathaushalt ist dann überschuldet, wenn Einkommen und Vermögen über einen längeren Zeitraum trotz Reduzierung des Lebensstandards nicht ausreichen, um fällige Forderungen zu begleichen (Bundesregierung 2008, S. 49). Abbildung 9: Entwicklung der Überschuldung privater Haushalte
Quelle: eigene Darstellung nach dem 2. Armuts- und Reichtumsbericht (Bundesregierung 2005, S. 50)
Zwar können auch unzureichende Allgemeinbildung in finanziellen Belangen oder hauswirtschaftliche Inkompetenz Ursachen von Überschuldung sein, doch zählen insbesondere kritische Lebensereignisse wie Arbeitslosigkeit und Trennung/Scheidungen und der mit ihnen einhergehende finanzielle Abstieg zu den wichtigsten Auslösern von Überschuldung (siehe Abbildung 10). Abbildung 10: Ausgewählte Auslöser der Überschuldung 2006
Quelle: eigene Darstellung nach Datenreport (2008, S. 160)
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Ergebnisse bisheriger Forschung (State of the Art)
Als wichtigster Auslöser gilt dabei die Arbeitslosigkeit (Bundesregierung 2008, S. 51; Creditreform 2008, S. 49). So geben 30% der von Schuldnerberatungsstellen beratenen überschuldeten Personen Arbeitslosigkeit als Grund für ihre finanziellen Schwierigkeiten an (Datenreport 2008, S. 160). Im Folgenden wird kurz erläutert, warum Arbeitslosigkeit in Überschuldung resultieren kann. „Viele Menschen können die sich plötzlich wandelnden Lebensumstände nicht auffangen“ (Maibaum 2006, S. 89). Eine mangelnde Anpassung oder unzureichend schnelle Reaktion auf eine Verknappung der finanziellen Ressourcen kann entweder auf mangelndes Wissen, mangelnde Fähigkeit oder mangelnde Bereitschaft zur Einschränkung zurückgeführt werden. Viele Personen sind zumindest zu einem Teil mitverantwortlich für ihre finanzielle Misere. So ist mangelndes ökonomisches Wissen laut Schuldnerberatern eine häufige Ursache von Schulden. „Viele Schuldner leben auch bei Einkommensreduzierungen bzw. gestiegenen Pflichtausgaben (Miete, Energiekosten, Familienzuwachs) so weiter wie bisher und geben regelmäßig mehr Geld aus, als ihnen zur Verfügung steht. Es fehlt häufig am Wissen, was man sich leisten kann und was nicht.“(o.V. 2006a, S. 25). Neben diesem Unwissen – auch bezüglich der Konditionen von Kredit- oder Versicherungsverträgen – kann auch eine mangelhafte Budgetplanung den Weg in die Schulden ebnen (von Hofe 2008). Auch mangelnde Bereitschaft zur Einschränkung kann finanzielle Engpässe verursachen. Vielen Menschen fällt es sehr schwer, ihren Lebensstandard einzuschränken. Aus diesem Grund versuchen sie, so lange wie möglich an ihrer bisherigen „bürgerlichen“ Lebensweise festzuhalten (Fischermann 2007, S. 22). Eine wichtige Rolle dürften in diesem Zusammenhang auch persönliche Charakterzüge oder grundlegende Einstellungen der Konsumenten spielen. So neigen stark materialistisch denkende Menschen im Vergleich zu weniger materialistisch eingestellten Personen generell eher dazu, sich zur Anschaffung von nichtnotwendigen Gütern Geld zu leihen (Fitzmaurice/ Comegys 2006, S. 288). Aber auch die mangelnde ökonomische Fähigkeit zu einer Reaktion spielt häufig eine Rolle. Problematisch stellt sich für viele eine finanzielle Verknappung vor allem deshalb dar, weil in besseren Zeiten langfristige Verbindlichkeiten (z.B. für ein Haus, Möbel oder ein Auto) eingegangen wurden, denen man nun nicht mehr nachkommen kann. Familien können in eine sogenannte „Ausgabenarmut“, was bedeutet, dass ihre
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fixen Ausgaben (wie Wohnkosten, Schuldenrückzahlung, Versicherungsbeiträge, berufliche Fahrkosten und Aufwendungen für Krankheit, Behinderung und Pflege) über ihren Gesamteinnahmen liegen und dies zu einer deutlichen Einengung des verfügbaren Einkommensspielraums führt. Besonders ins Gewicht fallen dabei die Fixkosten für das Wohnen (die insbesondere Alleinerziehende und kinderreiche Familien belasten) sowie eventuell vorhandene Kreditverpflichtungen (Hradil/Müller 1999).
3.4 Ableitung des Forschungsproblems Aus der Perspektive der Konsumverhaltensforschung lässt sich angesichts des Forschungsstandes zur Verknappung finanzieller Ressourcen auf Konsumentenseite ein deutliches Forschungsdefizit identifizieren. So hat die Armutsforschung zwar erkannt, dass finanzielle Knappheit in Deutschland in vielen Fällen kein permanenter, sondern häufig nur ein temporärer Zustand ist (siehe 3.1.1). Dennoch werden in entsprechenden Studien die nur temporär von einer finanziellen Verknappung Betroffenen bzw. die in einem Prozess finanzieller Deprivation Befindlichen, die vielfach auch mittleren und höheren sozialen Schichten angehören können, häufig unzureichend berücksichtigt (Neuberger 1997, S. 119). Zudem werden konsumverhaltensrelevante Aspekte – da nicht wesentliches Erkenntnisobjekt der Soziologie – in der soziologisch orientierten Armutsforschung eher peripher betrachtet. Aber auch die Konsumverhaltensforschung ist, was die Erfassung von Prozessen finanziellen Abstiegs und die Auseinandersetzung mit diesen angeht, noch ausgesprochen defizitär. Selbst in der USamerikanischen Konsumverhaltensforschung (siehe 3.2) wird in der Regel allein das Konsumverhalten von Menschen, die dauerhaft und massiv depriviert sind, untersucht. Kaum untersucht ist aber, wie betont, die Frage, wie Menschen mit einer Veränderung, sprich Reduzierung, ihrer finanziellen Ressourcen umgehen. Wie wirkt sich eine beispielsweise durch den Verlust des Arbeitsplatzes ausgelöste massive Einkommenseinbuße auf das Konsumverhalten aus? Konsumenten, die erstmals oder zum wiederholten Male mit einer solchen Verknappung ihrer finanziellen Ressourcen konfrontiert sind, unterscheiden sich in einigen wesentlichen Merkmalen von Menschen, die schon immer oder seit sehr langer Zeit gewohnt sind, mit knappen Mitteln auszukommen. Erstens müssen Konsumenten, für die die Verknappung ihrer finanziellen Ressourcen etwas Neues ist, aus ihrem beschränkteren Budget nicht nur ihre aktuellen Lebensbedürfnisse befriedigen, sondern sind häufig zusätzlich noch gezwungen, für Verpflich-
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Ergebnisse bisheriger Forschung (State of the Art)
tungen aufzukommen, die aus dem früheren luxuriöseren Lebensstil resultieren. Solche Verpflichtungen können, wenn sie nicht mehr bedient werden können, Ursache von Ver- und Überschuldung sein (siehe 3.3.4). Zweitens stellt der bisher praktizierte Lebensstil für betroffene Konsumenten den Bezugspunkt im Sinne eines Vergleichsmaßstabs dar. Im Gegensatz zu „langfristig“ deprivierten – und somit an die Deprivation gewöhnten – Konsumenten sind sich die an ein höheres Konsumniveau gewöhnten Konsumenten vermutlich sehr wohl der Dinge bewusst, die ihnen fehlen. Drittens ist davon auszugehen, dass sich der neu von einem Prozess des sozialen Abstiegs betroffene Konsument – anders als viele dauerhaft Deprivierte – in einem sozialen Umfeld befindet, dessen Mitglieder höhere Einkommen realisieren. Das Umgebensein von wohlhabenderen Personen kann unter Umständen zu einer Verstärkung der subjektiv empfundenen Deprivation beitragen (Hamilton/Catterall 2006b, S. 132). Ein Schritt zur Schließung der aufgezeigten Forschungslücke – insbesondere der Vernachlässigung des dynamischen Aspekts der Einbuße – soll im Rahmen dieser Untersuchung getan werden. Konkret soll analysiert werden, wie sich ein erheblicher finanzieller Abstieg auf das Konsumverhalten auswirkt. Fokus der vorliegenden Untersuchung sind deshalb nicht Personen, die dauerhaft mit knappen Ressourcen umgehen müssen, sondern solche, die aufgrund eines erheblichen finanziellen Abstiegs „neuerdings“ über weniger Ressourcen verfügen und dementsprechend auch höheren gesellschaftlichen Schichten angehören können. Da bisher erst wenige diesbezügliche Erkenntnisse vorliegen, stellt sich die Frage, ob, wie schnell und auf welche Art sich Konsumenten an beschränktere Konsummöglichkeiten anpassen. Welche Handlungsund Bewältigungsmuster lassen sich identifizieren? Welche Faktoren spielen hierbei eine Rolle? Konkret lassen sich folgende – grob richtungsweisende – Forschungslücken und damit -fragen identifizieren: Wie geht der Konsument emotional mit der Einbuße um? Fühlt er sich aufgrund seiner beschränkteren Konsummöglichkeiten gegenüber Personen aus dem engeren sozialen Umfeld, denen es finanziell besser geht, möglicherweise unterlegen? Wie wirkt sich die Verknappung auf das Konsumverhalten aus? Versucht der Konsument, mit seinen knapperen Ressourcen „auszukommen“, oder versucht er/ist er gezwungen, seinen finanziellen Spielraum auszuweiten, um seinen Konsumstandard aufrechtzuerhalten? Falls das zweite der Fall ist, wie geschieht dies? Verändern sich die Allokation und Struktur des Konsumbudgets? Wenn ja, inwieweit geschieht dies bewusst/intendiert bzw. zufällig/zwangsläufig? Findet eine An-
Ableitung des Forschungsproblems
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passung an das niedrigere Budget sofort, mit zeitlicher Verzögerung oder gar nicht statt? Möchte der Konsument sein Ausgabeverhalten an das niedrigere Budget anpassen, so muss er seine Ausgaben senken. Wie geht er dabei vor? Senkt er in allen oder nur in bestimmten Bereichen seine Ausgaben? Lassen sich Muster hinsichtlich der zeitlichen Reihenfolge von Verhaltensreaktionen identifizieren? Lassen sich bestimmte Prioritäten, sprich Bereiche, in denen nicht eingespart wird, identifizieren? Angesichts der Funktion des Konsums als Mittel der Selbstdarstellung gegenüber sich selbst und anderen (siehe 2.1.4.2 und 3.3.2) wäre zum Beispiel denkbar, dass der Konsument versucht, seinen Abstieg zu verbergen und deshalb insbesondere sozial sichtbaren Konsum aufrechtzuerhalten. Dementsprechend wäre auch denkbar, dass bei Einkäufen für andere Personen weniger auf das Geld geachtet wird, als wenn man für sich selber einkauft. Ändert sich das Kaufentscheidungsverhalten des Konsumenten? Verändern sich die individuellen Präferenzen oder Kaufmotive in gegenständlicher oder zeitlicher Hinsicht? Führt die Einbuße zu einer Veränderung der Preis- und Qualitätsvorstellungen? Wie manifestiert sich die finanzielle Verknappung im Kaufverhalten? Mit Hilfe welcher Strategien versucht der Konsument, seine Ausgaben zu senken? Findet eine Veränderung des Produkt- und Markenwahlverhaltens statt? Wodurch wird die Wahl der Einsparstrategie beeinflusst? Wie wirken sich die Einsparbemühungen (z.B. ein Markenwechsel) auf die Konsumerfahrung allgemein und bezogen auf bestimmte Produkte aus?
4 Vorstellung und Begründung der methodischen Herangehensweise Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln bisherige Forschungsergebnisse und in Ansätzen auch bereits theoretische Vorüberlegungen zur Thematik dargestellt wurden, liegt der Fokus dieses und der folgenden Kapitel auf der empirischen Untersuchung der Forschungsfrage. Die Entwicklung des Designs dieser Untersuchung lässt sich zusammenfassend wie folgt darstellen: Abbildung 11: Die Entwicklung des Untersuchungsdesigns Definition des Problems: Immer mehr Konsumenten erleben eine deutliche Einbuße ihrer finanziellen Ressourcen. Wie gehen sie damit um?
Ziel der Untersuchung: Deskription
Art des Untersuchungsdesigns: Längsschnitt-Design
Festlegung der Untersuchungsmethode: Analyse von Paneldaten (SOEP)
Exploration
Qualitatives Design
Einzelfallanalysen auf der Basis von Einzelinterviews mit Betroffenen
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Kuß (2007, S. 54)
Das Ziel dieser Arbeit ist es zu erforschen, auf welche Art und Weise Konsumenten auf eine starke Einkommenseinbuße reagieren und welche Konsequenzen dies in Bezug auf ihr Konsumverhalten mit sich bringt (zu den konkreten Forschungsfragen siehe 3.4). Um sich dem komplexen Untersuchungsgegenstand des Konsumverhaltens möglichst exakt anzunähern und gleichzeitig dem in der Sozialwissenschaft verstärkt vorzufindenden Postulat der Methodentriangulation (Flick et al. 2004) Rechnung zu tragen, wird eine multimethodische Vorgehensweise praktiziert.
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Vorstellung und Begründung der methodischen Herangehensweise
4.1 Quantitative Analyse von Sekundärdaten Da eine Auswertung bereits vorhandener Daten im Gegensatz zur Primärforschung in der Regel weniger zeit- und kostenintensiv ist (Kuß 2007, S. 41), wird zunächst geprüft, ob – offen zugängliches – Datenmaterial existiert, das für eine Sekundäranalyse geeignet ist. Interessant wären im Kontext der vorliegenden Fragestellung insbesondere Längsschnitt- bzw. Paneldaten, anhand derer mögliche Prozesse, Übergange und Brüche im Konsumverhalten analysiert werden könnten. Ein Panel ist „eine festgelegte, gleichbleibende Menge von Erhebungseinheiten, bei denen über einen längeren Zeitraum wiederholt oder kontinuierlich die gleichen Merkmale erhoben werden“ (Kuß 2007, S. 138). Panels ermöglichen es, auf der Ebene einzelner Erhebungseinheiten (z.B. Personen oder Haushalten) Entwicklungen im Zeitablauf zu untersuchen (Kuß 2007, S. 138). Zur wissenschaftlichen Untersuchung der an Prozessverläufen orientierten Frage, wie sich eine starke Einkommenseinbuße auf das Konsumverhalten Betroffener auswirkt, wäre eine Datenbasis erforderlich, der eine synchrone Erfassung von Einkommensund Konsum- bzw. Ausgabendaten einzelner Haushalte im Zeitablauf zugrunde liegt. Die detailliertesten Daten bezüglich der Konsumausgaben dürften sogenannte Verbraucherpanels enthalten, in deren Rahmen das Einkaufsverhalten von Einzelpersonen oder Haushalten erfasst wird (Kuß 2007, S. 138). Soweit derartige Verbraucherpanels vorliegen, sind diese allerdings nicht öffentlich zugänglich. An öffentlich zugänglichen Quellen existiert für die Bundesrepublik Deutschland im Grunde kein statistisches Datenmaterial, das den genannten Anforderungen vollständig genügt. Zwar bieten beispielsweise die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) und die laufenden Wirtschaftsrechungen (LWR) des Statistischen Bundesamtes eine recht genaue Erfassung der Ausgaben von Privathaushalten. Zur Untersuchung der vorliegenden Fragestellung sind sie allerdings beide nicht geeignet, da es sich um Querschnittserhebungen handelt. Aus Querschnittsdaten lassen sich jedoch keine direkten Erkenntnisse bezüglich dynamischer Aspekte wie beispielsweise einer Anpassung der Ausgabenstruktur an eine Veränderung des Einkommens oder der Änderung von Präferenzen für bestimmte Gütergruppen gewinnen (Bögenhold/Fachinger 2005, S. 24). Aus demselben Grund zur Analyse ungeeignet sind der Armuts- und Reichtumsbericht (Bundesregierung 2001; 2005; 2008), der Wohlfahrtssurvey und die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS).
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Die einzige öffentlich zugängliche Quelle, die für das vorliegende Forschungsproblem bedingt verwertbar ist, ist das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erhobene Sozio-oekonomische Panel (SOEP). Dieses ist zumindest zur Analyse der Einkommensmobilität, also einkommensbasierter Auf- und Abstiege, geeignet (Hauser 2005, S. 3). Da die denkbare Alternative einer eigenen Panelerhebung im Rahmen dieser Dissertation angesichts begrenzter finanzieller, zeitlicher und personeller Mittel verworfen werden muss, beschränkt sich die quantitative Analyse auf eine Auswertung der Daten des SOEP.
4.1.1 Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP)10 ist eine vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) seit 1984 in jährlichen Abständen durchgeführte repräsentative Wiederholungsbefragung von Deutschen, Ausländern und Zuwanderern in den alten und neuen Bundesländern. Zur Erweiterung der Analysemöglichkeiten kamen im Laufe der Jahre zur ursprünglichen Stichprobe von 12290 realisierten Personen- und 5921 realisierten Haushaltsinterviews weitere Samples11 hinzu.12 Befragt werden im SOEP – abgesehen von diversen Zusatzerhebungen – in erster Linie die in privaten Haushalten lebenden Personen über 16 Jahren. Fokus des SOEP sind die objektiven und subjektiven Lebensbedingungen in Deutschland. Inhaltliche Themenschwerpunkte des Panels sind u.a.: Haushaltszusammensetzung, Erwerbs- und Familienbiographie, Erwerbsbeteiligung und berufliche Mobilität, Einkommensverläufe, Bildungsstand, Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Neben kontinuierlich, d.h. jährlich erhobenen, standardisierten Fragebatterien existieren Fragenmodule, die nur in einzelnen Erhebungswellen erhoben werden (DIW 2009; Haisken-DeNew/Frick 2005).
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Detailliertere Information zum SOEP (z.B. zur Stichprobenentwicklung etc.) finden sich unter: http://www.diw.de/deutsch/soep/uebersicht_ueber_das_soep/27180.html und bei Haisken-DeNew (2005). Insgesamt umfasst das Panel bisher folgende Samples: A Westdeutschland (1984), B Westdeutschland Ausländer (oversampled) (1984), C Ostdeutschland (1990), D Einwanderer (1994/1995), E Ergänzungsstichprobe West-/Ostdeutschland (1998), F Ergänzungs-/Innovationsstichprobe West/Ostdeutschland (2000), G Oversampling von Hocheinkommensbeziehern (2002), H Ergänzungsstichprobe (2006). Informationen zur Panelmortalität siehe Kroh/Spieß (2008).
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Vorstellung und Begründung der methodischen Herangehensweise
4.1.2 Spezifika des SOEP, geeignete Items und Vorgehen bei der Analyse Die Auswertung der Daten des SOEP stellt den ersten Analyseschritt bezüglich der Frage, ob und welche Auswirkungen eine starke Einkommenseinbuße auf das Konsumverhalten hat, dar. Bei der Analyse werden alle bis zur Erhebungswelle W (2006) vorhandenen Samples berücksichtigt. Das SOEP weist einige Besonderheiten auf, die eine der Forschungsfrage angemessene Analyse erschweren bzw. einschränken und deshalb im Folgenden kurz erläutert werden. Zunächst einmal ist die grundsätzliche „Verwertbarkeit“ der SOEP-Daten angesichts der vorliegenden Forschungsfrage dadurch eingeschränkt, dass im SOEP unmittelbar konsumverhaltensrelevante Aspekte nur recht beschränkt berücksichtigt werden. Eine detaillierte Übersicht über die grundsätzlich in Frage kommenden, sprich konsumrelevanten Items, inklusive der dazugehörigen Fragen, findet sich in Anhang A1. Neben dem Haushaltsnettoeinkommen werden folgende für die vorliegende Fragestellung relevanten Variablen erfasst:
Ausgaben für Lebensmittel/ Monat Wohnen: Mietausgaben + Umzug Finanzielle Rücklagen (Vorhandensein und Höhe) Autobesitz (Vorhandensein: ja/nein) Urlaubsreise (Vorhandensein: ja/nein) Neuanschaffung von abgenutzten Möbeln Haushaltsausstattung mit langlebigen Gebrauchsgütern Häufigkeit von Freizeitaktivitäten
Auch diese Variablen sind allerdings im Hinblick auf die vorliegende Fragestellung mit Problemen behaftet. So wird zwar die Ausstattung des Haushalts mit langlebigen Gebrauchsgütern abgefragt. Eine diesbezügliche Analyse (beispielsweise der Neuanschaffungen) hat aber nur begrenzten Sinn, da hier in erster Linie Gegenstände (Farbfernsehgerät, Videorecorder, Stereoanlage, PC, Geschirrspülmaschine, Waschvollautomat, Telefon etc.) erfasst werden, über die ein Großteil der deutschen Haushalte ohnehin verfügt (Datenreport 2008, S. 153 ff.). Ein weiteres Problem stellen variierende Itemformulierungen dar, die eine sinnvolle vergleichende Analyse unterschiedlicher Jahre verhindern. Beispielsweise wird bei den in ihrer Häufigkeit abgefragten Freizeitaktivitäten die gestellte Frage in unterschiedlichen Jahren nicht nur unterschiedlich formuliert (was automatisch Verzerrungen mit sich bringen dürfte), sondern sie wird
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gleichzeitig auch mit einer unterschiedlichen Anzahl von Antwortausprägungen versehen (Skalenbreite und Codierung) (siehe Anhang A 1). Aus diesen Gründen werden beide Variablen aus der Analyse ausgeschlossen. Als grundsätzlich problematisch ist auch zu beurteilen, dass bei vielen Items – außer bei Auto, Urlaubsreise und der Neuanschaffung von Möbeln – keine Präferenzkontrolle durchgeführt wird. In der Regel wird also nur abgefragt, ob man etwas besitzt oder tut, aber nicht, warum man etwas nicht besitzt oder tut. Es kann also nicht ermittelt werden, ob etwas aus finanziellen Gründen oder aufgrund des Vorhandenseins anderer Präferenzen fehlt. Diese Problematik darf, wie unterschiedliche Studien zeigen, nicht vernachlässigt werden. So zeigen Untersuchungen auf der Basis der im SOEP erfassten Lebensstandardmerkmale (Andreß et al. 2004, S. 14) und auf der Basis des Wohlfahrtsurveys (Böhnke/Delhey 1999, S. 13 ff.), bei denen eine solche Kontrolle vorgenommen wurde, dass nur selten der Mangel an finanziellen Ressourcen als Grund für das Fehlen von Dingen angegeben wird. Eindeutige kausale Zusammenhänge zwischen einem Einkommensverlust und dem Fehlen oder der Nichtanschaffung von Dingen im Sinne einer durch einen Einkommensverlust bedingten Veränderung können ohne Präferenzkontrolle nicht ermittelt werden. Eine weitere wesentliche Problematik ergibt sich aus den vorhandenen zeitlichen Abständen zwischen den Erhebungsterminen einzelner Variablen (siehe Anhang A 2). Viele Variablen – und insbesondere die im Rahmen der vorliegenden Fragestellung interessierenden – werden nur einmal im Jahr oder noch seltener erhoben. Beispielsweise wird die für die vorliegende Untersuchung zentrale Variable Haushaltsnettoeinkommen nur einmal im Jahr erfasst. Damit geht eine gravierende Gefahr von Verzerrungen einher, da ausschließlich Zustandswechsel zwischen zwei Jahren festgestellt werden können. Was sich zwischen den beiden Messzeitpunkten ereignet, bleibt offen. Nicht berücksichtigt werden können beispielweise der Zeitpunkt des Eintritts einer finanziellen Einbuße oder auch relativ kurz andauernde Phasen finanziellen Mangels, die aufgrund des häufig temporären Charakters finanziellen Mangels (siehe Kapitel 3.1) nicht selten vorzufinden sein dürften. Es lässt sich weder analysieren, wie lange der aktuelle Zustand schon andauert, noch, ob während des Jahres möglicherweise mehrere Zustandswechsel stattgefunden haben. Problematisch erscheint dies insbesondere deshalb, weil Arbeitslosigkeit, die als eine der wesentlichen Ursachen von finanziellen Einbußen gilt (siehe 3.1.2), meistens nur ein vorübergehendes Problem darstellt (Andreß 1999a, S. 266). Verzerrungen sind somit gleichsam programmiert. Die mit den Erhebungsterminen verbundene Problematik verschärft sich naheliegenderweise
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Vorstellung und Begründung der methodischen Herangehensweise
bei zunehmenden Zeitabständen zwischen den Messzeitpunkten. Einige der zur Analyse ausgewählten Items wurden ausschließlich in den Jahren 2001, 2003 und 2005 erfasst. Der somit vorhandene Zwei-Jahres-Rhythmus hat eine noch größere Unschärfe und damit eine mangelnde Aussagekraft der Feststellungen zur Konsequenz. Die beispielsweise nachgewiesene Fähigkeit von Konsumenten zur schnellen Reaktion auf Preissteigerungen bei Lebensmitteln (o.V. 2008c) lässt berechtigte Zweifel an der Aussagekraft von Untersuchungen auf der Basis von im Zwei-Jahres-Takt erhobenen Stichtagsdaten zu, da analoge Reaktionen auf Einkommensänderungen in anderen Konsumbereichen vermutlich ähnlich schnell stattfinden. Die beschriebenen Probleme führen zu einer Einschränkung der Analysemöglichkeiten, die aber angesichts des Fehlens anderer Datenquellen in Kauf genommen werden muss. Analysiert werden die Auswirkungen einer starken Einkommenseinbuße auf Lebensmittelausgaben, Mietausgaben, finanzielle Rücklagen, das Vorhandensein eines Autos, das Durchführen einer Urlaubsreise bzw. die Neuanschaffung von Möbeln. Eine Übersicht der dazugehörigen Fragen im SOEP befindet sich in Anhang A1. Da die anvisierten Informationen in der Regel nicht in gleichem Umfang in identischen Jahren vorliegen (siehe Anhang A2), muss bei der Auswertung auf unterschiedliche Jahre zurückgegriffen werden. In den konkreten Analysen werden jeweils die aktuellsten Jahre, die für die gewünschten Informationen zur Verfügung stehen, herangezogen. Da beispielsweise Lebensmittelausgaben nur in den Jahren 2000 und 2001 aufeinanderfolgend erhoben werden, erscheint es aufgrund der vermuteten zeitlich unmittelbaren Auswirkung der Einkommenseinbuße zweckmäßig, diese beiden Jahre zur Analyse heranzuziehen. Grundsätzlich werden bei der Analyse nur die Haushalte berücksichtigt, für welche die jeweils relevanten Informationen in der entsprechenden Erhebungswelle vorliegen, fehlende Werte werden also ausgeschlossen. Die Auswertung der SOEP-Daten erfolgt anhand bivariater Analysen in Form von Kreuztabellen und Korrelationsberechnungen (und den dazugehörigen Assoziationsmaßen) mit Hilfe von SPSS. Diese Analyse soll einen ersten Aufschluss über mögliche Zusammenhänge zwischen Einkommensveränderung und Konsumverhalten liefern. Weitergehende Analysen bieten sich angesichts der vorhandenen Datenlage nicht an. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung Arbeit wird der soziale Abstieg mit einer starken finanziellen Einbuße gleichgesetzt. Ähnlich wie Armut, als deren Indikator häufig das Einkommen herangezogen wird (siehe 2.2.1), soll die finanzielle Einbuße als eine deutliche relative Veränderung des einem Haushalt zur Verfügung stehenden
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Haushaltsnettoeinkommens operationalisiert werden. Der Einkommensabstieg wird durch einen Vergleich der Angaben des aktuellen Jahres t0 und des Vorjahres t-1 berechnet. Konkret wird die relative Einkommensveränderung wird wie folgt berechnet:
Veränderungen von anderen monetären Größen werden analog berechnet (zur Operationalisierung der verwendeten Variablen siehe Anhang A 3) 13. Um über Korrelationsberechnungen hinausgehende Analysen durchzuführen, wurde die relative Einkommensveränderung zusätzlich folgendermaßen kategorisiert: unendlich bis - 0,3 = sehr starker Einkommensverlust - 0,3 bis 0 = schwacher bis moderater Einkommensverlust 0 = Einkommen konstant 0 bis unendlich = Einkommens-Gewinn In der Literatur existiert keine ökonomische – bzw. quantitative Definition – sozialen Abstiegs. Eine Orientierung an den armutsdefinierenden gesamtgesellschaftlichen Einkommensgrenzen (z.B. 60 Prozent des durchschnittlichen bedarfsgewichteten Netto-Haushaltseinkommen, siehe 2.2.1), erscheint wegen der hier interessierenden subjektbezogenen Veränderung des Einkommens wenig sinnvoll14. Ein finanzieller Abstieg ist nicht als eine einkommensbasierte Schlechterstellung in Relation zu einer Referenzpopulation, sondern – gemäß der hier verwendeten Definition von sozialem Abstieg (siehe 2.2.3) – als eine subjektive Schlechterstellung in Relation zum bisherigen Einkommensniveau zu verstehen und zu operationalisieren. Dementsprechend muss eine eigene Kategorisierung der Einkommensveränderung vorgenommen werden. Aus Gründen der Verallgemeinerbarkeit der auf den Daten des SOEP basierenden Aussagen werden für alle Analysen die zu diesem Zweck kalkulierten Hochrechnungs-
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Bei Variablen, die nur alle zwei Jahre erhoben werden, wird die Veränderung in Relation zum vorletzten Jahr berechnet. Zudem sind diese Grenzen in der Regel anhand statistischer Kriterien definiert, die „theoretisch kaum begründbar sind und letztlich aus normativen Entscheidungen resultieren, die einer gewissen Willkür nicht entbehren“ (Andreß et al. 2004, S. 25).
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bzw. Gewichtungsfaktoren15 einbezogen. Damit wird das Ziel verfolgt, Stichprobenverzerrungen auszugleichen, die sich bezüglich der Ursprungsstichprobe (Welle A) durch den Ausfall von Untersuchungseinheiten sowie durch das Hinzukommen von neuen Haushalten und das Aufspalten von alten Untersuchungshaushalten in späteren Jahren ergeben. Durch die Gewichtung ergeben sich im Querschnitt Populationen, die denen des Mikrozensus entsprechen, wobei nur Privathaushalte Berücksichtigung finden (Pannenberg et al. 2005, S. 183).
4.2 Qualitative Datenerhebung und -auswertung 4.2.1 Qualitative Methodik Die Verhaltensreaktionen von Betroffenen auf eine starke Einkommenseinbuße bilden das wesentliche Erkenntnisinteresse dieser Arbeit. Da das menschliche Verhalten in erster Linie durch individuelle Motive und Einstellungen determiniert ist (KroeberRiel et al. 2009, S. 167 ff.) und zudem die Erfahrung materieller Deprivation immer auch subjektiv und sozial konstruiert ist (siehe Kapitel 2.2), kommt der subjektiven Sichtweise der Betroffenen bei der Untersuchung ihres Bewältigungsverhaltens eine zentrale Bedeutung zu. Allgemein sind quantitative Analysen aufgrund der oft starken Standardisierung der angewandten Messtechniken nur in begrenztem Umfang in der Lage, der „Komplexität des menschlichen Verhaltens“ Rechnung zu tragen (Kuß 2007, S. 45). Abgesehen davon, dass die Paneldaten des SOEP aufgrund ihres inhaltlichen Zuschnitts nur bestimmte Teilbereiche des Konsumverhaltens abbilden, liefern sie keinerlei Aufschluss über die Motive und damit keinen Einblick in die individuelle Handlungsrationalität der Betroffenen. Kompensiert werden kann dieser Mangel durch den komplementären Einsatz einer qualitativen Forschungsmethode, da diese den Anspruch erhebt, „Lebenswelten ‚von innen heraus’, aus Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben“
15
Es werden jeweils die Querschnitts-Gewichtungsfaktoren des jeweils betrachteten zweiten Jahres herangezogen (vgl. zur Logik und Berechnung der Gewichtungsfaktoren detaillierter Pannenberg et al. 2005, S. 172 ff.). Da die Analyse alle Subsamples berücksichtigt, können die StandardGewichtungsfaktoren verwendet werden (Haisken-DeNew/Frick 2005, S. 38).
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(Flick et al. 2004, S. 16). Auf diese Weise rückt die „subjektive Sichtweise“ (Flick 1995, S. 16) von Individuen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Qualitative Erhebungsmethoden erscheinen angesichts der vorliegenden Fragestellung auch deshalb als ein geeignetes Instrument, weil sie insbesondere zur Erschließung wenig erforschter Bereiche eingesetzt werden können (Flick et al. 2004, S. 25). Gleichzeitig steht in der qualitativen Forschung weniger die Repräsentativität und die damit in der Regel verbundene Reduktion von Antworten auf statistische Kennwerte und deren Häufigkeitsausprägung im Vordergrund (Diekmann 2004, S. 445). Bei der qualitativen Forschung geht es anders als in der quantitativen Methodologie also nicht um die Häufigkeit bestimmter Handlungsmuster, sondern vielmehr darum, „ein möglichst zutreffendes Set der relevanten Handlungsmuster“ (Lamnek 2005, S. 384) zu identifizieren. Statt die Antwortmöglichkeiten der Befragten auf wenige, vorgegebene Alternativen zu reduzieren, sollen die jeweils Befragten „möglichst authentisch und ausführlich zu Wort kommen“ (Faltermaier 1996, S. 113), um so mehr Tiefe zu erreichen. Anders als in der quantitativen Forschung stellt nicht die Prüfung bereits im Vorfeld formulierter Hypothesen, sondern vielmehr die Generierung von Hypothesen das Ziel dieser Methode dar. Wesentliches Charakteristikum der qualitativen Forschung ist demnach auch die Offenheit des Forschers gegenüber dem theoretischen Konzept, den untersuchten Personen und der Erhebungssituation (Lamnek 1993, S. 17), welche der „Differenziertheit des Alltags“ (Flick 1995, S. 14) Rechung tragen soll. Eine qualitative Herangehensweise scheint zur Erforschung eines möglichst zutreffenden Sets an relevanten Handlungs- bzw. Bewältigungsmustern geeignet und notwendig.
4.2.1.1 Qualitativ orientierte Fallanalysen Qualitative Forschung wird im Bereich der Konsumentenforschung häufig mit dem Durchführen persönlicher Interviews in Verbindung gebracht oder gleichgesetzt (Moisander/Valtonen 2006, S. 71). Tatsächlich bietet die qualitative Forschung aber weitere Möglichkeiten. Von den in der qualitativen Forschung zu Verfügung stehenden Instrumenten scheinen Einzelfallanalysen ein adäquates Instrument zur Untersuchung von durch Einkommenseinbußen ausgelösten Veränderungsprozessen zu sein. Einzelfallbetrachtungen generell (Mayring 1996, S. 132) und namentlich auch Fallstudien nach dem Verständnis Yins (Eisenhardt 1989, S. 534) ermöglichen grundsätzlich die Berücksichtigung einer längsschnittlichen Perspektive und damit dynamischer Aspekte.
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Fallstudien (nach Yin 2003) erscheinen mithin als das attraktivste Instrument zur Untersuchung von Prozessverläufen. Die wesentliche Stärke und gleichzeitig Voraussetzung dieses Forschungsansatzes liegt darin, dass neben dem persönlichen Interview, als Basis der Analyse, zusätzlich multiple Datenquellen berücksichtigt werden (de Vaus 2004, S. 231; Yin 2003b, S. 97). Die herangezogenen Quellen müssen sich auf dieselben Sachverhalte beziehen und zudem in einer stark komplementären Beziehung zueinander stehen (Yin 2003b, S. 85). Ingesamt können in Fallstudien, folgt man Yin, sechs unterschiedliche Datenquellen herangezogen werden (Yin 2003b, S. 85 ff.): Dokumente (Briefe, Memos, schriftliche Berichte, Agenden, administrative Dokumente, Zeitungsartikel über den Untersuchungsgegenstand, d.h. in der Regel über die zu untersuchende Organisation), Archivmaterial, Interviews, direkte und teilnehmende Beobachtung und physische Artefakte. Welche dieser Datenquellen sich nutzen lässt, hängt von der praktischen Realisierbarkeit und der ethischen Vertretbarkeit der dazugehörigen Datenerhebungsmethode im konkreten Untersuchungsfall ab (de Vaus 2004, S. 231). Verwendet werden Fallstudien (nach Yin 2003) insbesondere zur Prozessevaluation in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung (Yin 2003a, S. xi), also in organisationalen Kontexten, in denen in der Regel auf eine Vielzahl der hier erwähnten unterschiedlichen Datenquellen zurückgegriffen werden kann. Eine Anwendung des Fallstudienkonzepts auf die Untersuchung individuellen Verhaltens unterliegt demgegenüber, wie im Folgenden erläutert wird, gewissen Restriktionen. So muss die teilnehmende Beobachtung als potentielle Datenquelle der Fallstudie für das vorliegende Forschungsvorhaben von vorneherein verworfen werden. Begründung: Weil längere Zeiträume untersucht werden. Die direkte Beobachtung im Sinne der Registrierung eines bestimmten Status’ hingegen wäre grundsätzlich ein geeignetes Mittel, um sich einen Einblick in das materielle Umfeld einer Person bzw. eines Haushalts (z.B. durch eine Analyse des Inhalts des Kleider- oder Kühlschrankes) zu verschaffen. Allerdings sprechen sowohl praktische, erkenntnistheoretische und nicht zuletzt forschungsethische Gesichtspunkte gegen den Einsatz dieses Instruments. Schon die Auswahl und Definition von als relevant zu betrachtenden Einzelmerkmalen birgt zwangsläufig die Gefahr der Willkürlichkeit. So ist fraglich, welche konkreten
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Kriterien zur Beurteilung der materiellen Lage des Betroffenen geeignet wären. Gleichzeitig müsste bei dem Interviewer ein enormes Maß an Sach- und Markenkenntnis vorausgesetzt werden. Ein grundsätzliches Problem stellt auch die Validität solcher Beobachtungsdaten dar. Naderer (2007, S. 387 f.) weist in diesem Zusammenhang auf die Gefahr von sogenannten „Übersetzungsfehlern“ hin. Solche entstehen zum Beispiel dann, wenn unklar ist, ob ein per Foto dokumentierter Wohnstil eher als „klassisch“, „elegant“ oder eher „konservativ“ beschrieben werden soll. Selbst wenn geeignete Beurteilungskriterien definiert werden könnten, bliebe die grundsätzliche Frage offen, inwieweit beobachtete Merkmale tatsächlich einen Rückschluss auf den untersuchten Sachverhalt erlaubten (Kuß 2007, S. 133). Welche Aussagekraft kommt dem materiellen Umfeld tatsächlich zu? Gibt es überhaupt einen Zusammenhang zwischen dem materiellen Umfeld einer Person (z.B. ihrer Wohnungseinrichtung) und der aktuellen finanziellen Situation eines Haushaltes? Folgt man der Diskussion Becks zum Thema sozialer Sichtbarkeit von Armut und Reichtum (Beck 1997), so ist eine solche Annahme zweifelhaft. So kann beispielsweise eine teure Wohnungseinrichtung lange Zeit vor der Einkommenseinbuße angeschafft worden sein. Aber selbst wenn ein Zusammenhang bestünde, kann davon ausgegangen werden, dass dieser sehr stark von der Dauer der erlebten finanziellen Deprivation abhängig ist (Andreß 1999b, S. 47 ff.), was die Analyse solcher Beobachtungen zusätzlich erschwert. Anders als Befragungen, die sich auch auf die Vergangenheit oder Zukunft beziehen können, ist die Beobachtung in ihrer Aussagekraft in erster Linie auf den Zeitpunkt ihrer Erhebung beschränkt. Beobachtungen sind somit zur Untersuchung längerfristiger Prozesse grundsätzlich eher ungeeignet (Kuß 2007, S. 133). Neben diesen theoretischen Überlegungen sprechen weitere Aspekte im gegebenen Kontext gegen die Erhebung von Beobachtungsdaten. So ist davon auszugehen, dass Betroffene auf ein solches – vermutlich selten erwünschtes – Eindringen in ihre Privat- und Intimsphäre aufgrund von Schamgefühlen sehr sensibel reagieren. Der inquisitorische Charakter dieser Vorgehensweise ist also auch aus forschungsethischer Perspektive (Gläser/Laudel 2004, S. 50) kritisch zu beurteilen. Er kann gleichzeitig dazu führen, dass die Untersuchungsperson sich unter Rechtfertigungsdruck gesetzt fühlt. Dies kann nicht nur zur Beeinträchtigung, sondern sogar zum Abbruch des Interviews führen. Auch die grundsätzlich erstrebenswerte Dokumentation der Beobachtung (per Fotos oder Videoaufnahmen) scheint im Kontext der vorliegenden Untersuchung kaum realisierbar. Ähnlich problembehaftet dürfte die von Yin (2003) empfohlene Auswertung von Dokumenten und Archivmaterial im sensiblen Kontext der vorliegend verfolgten Forschungsfrage sein. Grundsätzlich wäre es wünschenswert, einen besseren Einblick in
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die Situation Betroffener beispielsweise durch eine Analyse von Kontoauszügen und Kassenzetteln bzw. Rechnungen zur Erfassung der Konsumausgaben zu erlangen. Praktisch scheint dies aber kaum realisierbar. Gerade das persönliche Einkommen stellt für die meisten Menschen – zumindest in Deutschland – nach wie vor ein äußerst sensibles, wenn nicht gar Tabuthema dar (o.V. 2004). Die Bereitschaft der Untersuchungspersonen, einem Fremden anhand von Kontoauszügen, sofern diese überhaupt vorhanden sind, ihre finanzielle Situation offenzulegen, dürfte dementsprechend gering sein. Angesichts der angesprochenen Problematik des Zugangs zu und der Aussagekraft von unterschiedlichen Datenquellen scheint eine Fokussierung der Fallanalysen auf das Kernelement des persönlichen qualitativen Interviews nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig zu sein. Im Rahmen von Interviews kann durch die subjektive Rekonstruktion vergangener Erfahrungen grundsätzlich eine Annäherung an eine längschnittliche Perspektive erlangt werden und so der prozessuale Charakter der Anpassungsreaktionen berücksichtigt werden.
4.2.1.2 Das problemzentrierte (Leitfaden-)Interview Das Interview (mündliche Befragung) stellt ein wichtiges Instrument der Befragung dar, die ihrerseits zu den Standardinstrumenten der empirischen Sozialforschung zählt (Schnell et al. 1999, S. 299). Bereits Belk et al. (1989) nutzten in ihrer beindruckenden Studie „Theodicy in Odyssey“ qualitative Interviews als wesentliches Instrument zur Interpretation des Alltagsverhaltens der Amerikaner. Der Einsatz von Interviews ist insbesondere dann sinnvoll, wenn Erzählungen generiert werden sollen, Argumente und Begründungen erkundet werden sollen, „wenn es um Themen geht, die ein vertrauensvolles Gesprächsklima voraussetzen“ (Mey/Mruck 2007, S. 272), wenn der soziale und biographische Kontext rekonstruiert werden soll (Faltermaier 1996, S. 120) oder wenn Motive und Einstellungen (beispielsweise Markenpräferenzen, Kaufverhalten, konsumententypologische Merkmale) erforscht werden sollen (Aghamanoukjan et al. 2007, S. 420). Dies trifft auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand zu. Das Ziel qualitativer Interviews ist es, die subjektive Realität der Handlungswelt der interviewten Person zu erforschen (Schwarz 2000, S. 221). Qualitative Interviews bezeichnen Verfahren, die sich unter verschiedenen Gesichtspunkten voneinander ab-
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grenzen lassen.16 Zum einen unterscheiden sich Interviews durch den Grad ihrer Strukturierung und Standardisierung, das heißt durch das Ausmaß, in dem das Gespräch durch den Interviewer gesteuert wird (Mey/Mruck 2007, S. 249; Schnell et al. 1999, S. 300 f.). Differenzieren lassen sich qualitative Interviews auch nach der durch das Interview primär generierten Textsorte: „Erzählungen über Erfahrungen und Erlebnisse, Berichte als komprimierte und generalisierende Darstellungsform oder Einstellungen, Meinungen, Gründe, Argumentationen, die direkt erfragt und von den Antwortenden, soweit bewusst repräsentiert, benannt werden – und nicht über den (Um-)Weg der Erzählung erschlossen werden müssen“ (Mey/Mruck 2007, S. 250). Dementsprechend lassen sich nach Mey und Mruck (2007, S. 250 ff.) folgende Typen qualitativer Interviews unterscheiden: 1. narrative Interviews, 2. diskursiv-dialogische Interviews und 3. Experteninterviews. Im Rahmen der vorliegenden Fragestellung sollen Erkenntnisse bezüglich unterschiedlicher Verhaltensreaktionen und der individuellen Handlungsrationalität der Untersuchungspersonen gewonnen werden. Zu diesem Zwecke besonderes geeignet erscheinen diskursiv-dialogische ausgerichtete Interviews und im speziellen das sogenannte „problem-zentrierte (Leitfaden-)Interview“. Das problemzentrierte Interview wurde von Andreas Witzel (1982) entwickelt. Es kennzeichnet eine Form der offenen, halbstrukturierten Befragung, bei der dem Befragten viel Freiraum gelassen wird, die aber „auf eine bestimmte Problemstellung zentriert ist“, auf die der Interviewer immer wieder zurücklenkt (Kurz et al. 2007, S. 465). Problemzentrierung meint eine Orientierung an objektiv vorhandenen Problemstellungen, die wahrscheinlich für die Befragten relevant sind (Kurz et al. 2007, S. 466). Das Interview wird auf der Basis eines aus offenen Fragen bestehenden Gesprächsleitfadens durchgeführt (Mey/Mruck 2007, S. 261). Offene Fragen bieten im Gegensatz zum standardisierten Fragebogen mit weitgehend vorgegebenen Antwortkategorien den Vorteil, dass „oberflächliches Antwortverhalten“ eher vermieden und gleichzeitig für den Forschenden unerwartete, neue Erkenntnisse generiert werden können (Kuß 2007, S. 82). Ziel dieses „offenen“ Vorgehens ist die bestmögliche Erfassung der subjektiven Sichtweise des Befragten (Flick 1995, S. 112). Die durch den Leitfaden gewährleistete teilweise Standardisierung bie-
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Hinsichtlich weiterführender Literatur und Übersichten über Formen qualitativer Interviews siehe Lamnek (2005) und Flick (2007).
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tet gleichzeitig den Vorteil einer besseren Vergleichbarkeit und Verallgemeinerbarkeit verschiedener Interviews (Kurz et al. 2007, S. 465). Das problemzentrierte Leitfadeninterview eignet sich insbesondere bei Fragestellungen, die einen Hypothesen generierenden wie auch prüfenden Charakter haben, zu deren Untersuchungsgegenstand also bereits ein gewisses theoretisches Vorwissen besteht, dass überprüft und weiter vertieft werden soll (Kurz et al. 2007, S. 465). Dieses Vorwissen speist sich aus Literaturstudium, eigenen Erkundungen im Untersuchungsfeld und der Aneignung von Expertenwissen (Lamnek 2005, S. 364). Die Tatsache, dass bezüglich der vorliegenden Fragestellung bereits einige empirische Befunde existieren und auch theoretische Ansatzpunkte herausgearbeitet werden konnten, spricht dafür, dass ein sinnvoller Einsatz dieser Interviewform möglich ist. Außerdem orientieren sich problemzentrierte Interviews in der Regel an einer gesellschaftlich relevanten Problemstellung (Witzel 1982, S. 67). Dies trifft auch für die vorliegende Fragestellung zu. Ebenfalls für die Verwendung dieser Methode spricht, dass der zugrunde gelegte Leitfaden – zumindest in Maßen – eine gewisse Strukturierung des Gesprächs erlaubt. Ein rein narratives Interview würde die gesuchten Informationen möglicherweise nicht zu Tage bringen. Vielmehr erscheint aufgrund des Umfangs und der Komplexität des Themas eine Steuerung und Vertiefung in Bezug auf das Problem notwendig und sinnvoll . Der Erkenntnisgewinn vollzieht sich beim problemzentrierten Interview in Form eines induktiv-deduktiven Wechselspiels, das Theoriegeleitetheit mit Offenheit zu kombinieren versucht (Witzel 2000). Die theoretischen Vorüberlegungen dienen der Einbettung des Themas und damit auch als Basis des Leitfadens, der eine Orientierung des Gesprächs an theoretisch relevant erscheinenden Aspekten gewährleisten soll. Das Interview ist somit zwar thematisch strukturiert, aber hinsichtlich seines Verlaufs sehr flexibel (Faltermaier 1996, S. 121). Die Offenheit wird weiterhin dadurch gewährleistet, dass der Forscher bereit ist, seine theoretischen Vorstellungen aufgrund neu gewonnener Erkenntnisse zu modifizieren (Lamnek 2005, S. 368). Allgemein ist das problemzentrierte Interview dem von Schütze (1983) entwickelten biographisch-narrativen Interview, dem Klassiker innerhalb der rekonstruktiven Sozialforschung, in vielerlei Hinsicht überlegen (Mey 2000). Unter anderem ist es dem Interviewer, anders als beim narrativen Interview, erlaubt, seine Passivität (Zurückhaltung) teilweise aufzugeben (Kurz et al. 2007, S. 465). So darf er „schon sehr früh strukturierend und nachfragend in den Gesprächsverlauf eingreifen, Themen einfüh-
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ren, Kommentare und Bewertungen erbitten oder im Sinne des dialogisch-diskursiven Vorgehens bereits im Interview selbst beginnen, die eigenen Interpretationen kommunikativ zu validieren (...)“ (Mey/Mruck 2007, S. 252). Dazu werden unterschiedliche Kommunikationsstrategien eingesetzt (zu den Kommunikationsstrategien im Detail mit Beispielen siehe Witzel 1982, S. 92 ff.). Zum einen werden erzählgenerierende Kommunikationsstrategien angewandt. So wird zu Beginn eine vorformulierte Einleitungsfrage gestellt, die das Gespräch einerseits auf das zu untersuchende Problem lenken soll, andererseits dem Interviewten aber ausreichend Raum für die Artikulation eigener Inhalte bieten soll (Witzel 2000). Darauffolgend kommen allgemeine Sondierungen zum Zuge. Der Interviewer nimmt hierbei Bezug auf thematische Aspekte der auf die Einleitungsfrage gegebenen Antwort und versucht, mit gezielten Nachfragen gleichzeitig den von den Befragten angestoßenen roten Faden weiterzuentwickeln und zu detaillieren (Witzel 2000). Ziel ist die Materialgenerierung durch Sachnachfragen und Erzählaufforderungen (Mey/Mruck 2007, S. 252). Das „Entlocken“ konkreter Erfahrungsbeispiele kann die Erinnerungsfähigkeit des Befragten steigern. Mit Hilfe von Ad-hoc-Fragen können Themenbereiche des Leitfadens, die zur Vergleichbarkeit des Interviews vonnöten sind und von dem Interviewten ausgelassen wurden, angesprochen werden (Witzel 2000). Zum anderen werden auf der Basis des sowohl vor dem Interview als auch während des Interviews vom Befrager erworbenen Wissens an die Gesprächspsychotherapie angelehnte verständnisgenerierende Kommunikationsstrategien genutzt. Durch die Zurückspiegelung von Aussagen der Befragten – im Sinne von bilanzierenden Zusammenfassungen der Äußerungen des Befragten durch den Interviewenden (Mey 2000, S. 142) – soll der Befragte dazu angeregt werden, seine eigene Sichtweise zu reflektieren, zu verdeutlichen und „Unterstellungen des Interviewers zu korrigieren (kommunikative Validierung)“ (Witzel 2000). Verständnisfragen dienen der Klärung bei ausweichenden oder widersprüchlichen Antworten (Mey 2000, S. 142). Durch Konfrontationen, kann – sofern ein gutes Vertrauensverhältnis vorhanden ist – möglicherweise ein tieferer Einblick in die Sichtweise der Befragten gewonnen werden (Witzel 2000), indem den Befragen durch Provokationen Statements entlockt werden (Mey/Mruck 2007, S. 262). Das problemzentrierte Interview bedient sich folgender Instrumente (Witzel 1982, S. 89 ff.; Witzel 2000):
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Standardisierter Kurzfragebogen: Mit seiner Hilfe werden in erster Linie soziodemographische Merkmale (Alter, Geschlecht, Haushaltsgröße etc.) erfasst. Dies trägt nicht nur zu einer Entlastung des nachfolgenden Interviews bei, sondern die hier abgefragten Informationen können auch den Gesprächseinstieg erleichtern. Tonträgeraufzeichnung: Diese dient der exakten (authentischen und präzisen) Erfassung des Kommunikationsablaufs und als Basis der anschließenden Transkription. Leitfaden: Der Leitfaden enthält die auf dem wissenschaftlichen Vorwissen und den Annahmen des Forschers basierenden Forschungsthemen. Als eine Art Gedächtnisstütze bzw. „Hintergrundfolie“ soll der Leitfaden helfen, zu kontrollieren, inwieweit einzelne Bereiche/Themen angesprochen wurden. Gleichzeitig dient er als Orientierungsrahmen, der die der Vergleichbarkeit der Interviews sichern soll. Postskripte: Diese umfassen Skizzen zu Gesprächsinhalten, Anmerkungen zu situativen und nonverbalen Aspekten, Schwerpunktsetzungen des Interviewpartners, spontane thematische Auffälligkeiten.
4.2.2 Zugang zum Feld und Beschreibung der Stichprobe Anders als beispielweise bei vielen Experimenten ist der Forscher bei der Feldforschung häufig mit einem problematischen Zugang zum Feld17 konfrontiert. De Vaus (2004, S. 242) bezeichnet den Zugang zum Feld als kritische Variable, die nicht nur die Zahl der zu erforschenden Fälle, sondern auch die konkret auswählbaren Fälle beeinflusst. „Certain cases may be identified as being strategically ideal for the design but practical matters may mean that such cases are not available for research purposes” (de Vaus 2004, S. 242). So ist beispielsweise die empirische Arbeitslosenforschung, deren Untersuchungssubjekte sich teilweise mit dem im Rahmen dieser Arbeit anvisierten Personenkreis decken, in der Regel mit enormen Stichproben- und Feldproblemen konfrontiert, die den Zugang zu Arbeitslosen in der Regel verkomplizieren (Hess
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Das „Feld“ bezeichnet hier die Gruppe der Personen, die mit einer starken Einbuße ihrer finanziellen Ressoucen konfrontiert sind oder waren
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et al. 1991, S. 179). Mit ganz ähnlichen Problemen ist man bei der Untersuchung der vorliegenden Fragestellung konfrontiert. Die Realisierung eines Zufallssamples, bei dem alle Betroffenen (Grundgesamtheit) mit der gleichen Wahrscheinlichkeit für ein Gespräch gewonnen werden können, ist aus vielerlei Gründen nicht möglich. Dazu zählen zeitliche und finanzielle Restriktionen, eine erschwerte Kooperation mit Institutionen, unterschiedliche Teilnahmebereitschaft etc.18 Da qualitative Forschung aber ohnehin keine Generalisierung im Sinne der quantitativen Methodologie anstrebt, ist die Frage der Stichprobengewinnung und -ziehung und damit auch der Repräsentativität, deren Vorraussetzung ja repräsentative Zufallsstichproben sind, weniger relevant (Lamnek 2005, S. 384). Da nicht Repräsentativität bzw. Verteilungsaussagen, sondern die Identifizierung typischer Strukturen und Gegebenheiten im Vordergrund steht, muss bei der Auswahl keine Zufallsstichprobe gezogen werden (Helfferich 2005, S. 152 f.; Kurz et al. 2007, S. 468; Lamnek 2005, S. 386). In Fällen, in denen die Mitglieder der zu untersuchenden Gruppe nirgendwo registriert und damit schwierig zu fassen sind und gleichzeitig möglicherweise nicht auskunftswillig sind, wird mit einem sogenannten Convenience Sample (Weiss 1995, S. 24) gearbeitet, bei dem jede Person interviewt wird, die man „bekommen“ kann. Convenience Samples stellen je nach Forschungsfrage die einzige Möglichkeit dar, überhaupt eine Evaluation durchführen zu können (Flick 2007, S. 166). Angesichts der vorhandenen gravierenden Probleme beim Zugang zum Feld wurde hier mit einem Convenience Sample gearbeitet. Grundsätzlich muss die Stichprobe einer Untersuchung gerade die Personen umfassen, die in der Lage sind, die zur Befriedigung des Forschungsinteresses notwendigen Informationen zu liefern (Weiss 1995, S. 18). Im Fokus des Forschungsinteresses der vorliegenden Arbeit steht die Untersuchung von konsumbezogenen Erfahrungen und Verhaltensweisen von Menschen, die mit einer deutlichen finanziellen Einbuße konfrontiert sind oder waren. Die konkreten Ursachen dieser Einbuße bleiben bei der Definition der Stichprobe „unberücksichtigt“. Einzig die deutlich spürbare Einbuße wird zur zwingenden Vorraussetzung für die Aufnahme in das Sample gemacht. Als potenzielle Interviewpartner kommen also grundsätzlich alle Personen, die einen „sozialen Abstieg“ (nach der Definition in Kapitel 2.2.3) erlebt haben, in Frage.
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Ausführlicher zu den Problemen des Feldzugangs siehe Flick (2007, S. 142 ff.).
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Folgende Maßnahmen wurden zur Rekrutierung geeigneter Versuchspersonen durchgeführt: Schaltung einer Anzeige in einem der beiden großen Berliner Stadtmagazine (Print und Online) Weiterleitung eines an Betroffene gerichteten Anschreibens über diverse Schuldnerberatungsstellen Kontaktaufnahme mit diversen Sozialverbänden Weiterleitung eines an Betroffene gerichteten Anschreibens an die Eltern eines Berliner Gymnasiums direkte, persönliche Kontaktaufnahme zu Betroffenen bei der regelmäßig durchgeführten Aktion „Laib und Seele“.19 Den Interviewpartnern wurde jeweils eine finanzielle Aufwandsentschädigung von 20 Euro angeboten. Insgesamt konnten im Rahmen dieser Rekrutierungsbemühungen zwölf geeignete Personen für ein Interview gewonnen werden. Es meldeten sich noch weitere Personen, die aber nicht in die Studie einbezogen werden konnten, da sie zwar über knappe finanzielle Ressourcen verfügten, dies aber ein dauerhafter Zustand war und sie deshalb dem zugrunde gelegten Auswahlkriterium des deutlichen finanziellen Abstiegs nicht gerecht wurden. Nach Ansicht von Griffin/Hauser (1993) sind etwa 15 einstündige Interviews ausreichend, um etwa 80% der für eine Forschungsfrage relevanten Aspekte zu beleuchten. Nach Zaltman/Higie (1993) reichen bereits sieben bis fünfzehn Einzelgespräche (Dauer 90 bis 120 Minuten). Nach Ansicht von Weiss (1995, S. 21) ist die Stichprobe dann groß genug, wenn man durch neue Interviews redundante Informationen erhält bzw. die neuen Informationen nur einen geringen Erkenntniszuwachs zu dem bisher Bekannten hinzufügen. In Anlehnung an obige Autoren und angesichts des abnehmenden Erkenntniszuwachses bei den zuletzt durchgeführten Interviews wurde die Erhebung mit dem zwölften Interview abgeschlossen.
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Kooperationsprojekt der Berliner Tafel und der Berliner Kirchen, bei dem in Kirchengemeinden Ausgabestellen eingerichtet werden, wo sich Bedürftige für einen Euro Lebensmittel abholen können (siehe www.laib-und seele.de)
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Bei den Personen, die auf die obigen „Kontaktaufnahmeversuche“ reagierten, handelte es sich überwiegend um Akademiker. Dies überrascht insofern nicht besonders, als es allgemein als leichter gilt, Zugang zu Menschen aus höheren Bildungsschichten zu erlangen, da soziale und sprachliche Schranken bei dieser Klientel in der Regel am geringsten sind (Schwarz 2000, S. 176). Bei den gewonnen Personen handelt es sich um Personen mittleren Alters, von denen alle bis auf eine Person Abitur haben, und von denen sieben einen Hochschulabschluss besitzen, von denen acht Personen mindestens ein schulpflichtiges Kind alleine oder mit ihrem/ihrer Partner/in aufziehen und die aufgrund unterschiedlicher Ursachen (gescheiterte Selbstständigkeit, Scheidung, Arbeitslosigkeit, Veränderung des Tarifvertrages, Reduzierung der Arbeitszeit) starke finanzielle Einbußen hinnehmen müssen oder mussten. Somit ist es gelungen, eine Stichprobe zu generieren, an der ein großes theoretisches Interesse besteht, da zum Umgang von Personen höherer Schichten mit finanzieller Verknappung bisher kaum Erkenntnisse vorliegen (siehe S. 65). Gleichzeitig handelt es sich bei Akademikern um eine Personengruppe, bei der ein Einkommensabstieg häufig besonders gravierend sein dürfte, da Akademiker im Vergleich zu niedriger Gebildeten über das höchste Einkommen verfügen (Frank-Bosch 2001, S. 35), bei einem finanziellen Abstieg also um so tiefer fallen können. Anhang B1 enthält differenziertere Informationen zu den befragten Personen. Um die Anonymität der Befragten zu gewährleisten, sind den einzelnen Interviewten Buchstaben zugeordnet, die nicht im Zusammenhang mit dem Nachnamen der Befragten stehen. Im weiteren Verlauf der Untersuchung werden Zitate mit dem der jeweiligen Person zugeordneten Buchstaben ausgewiesen. Zusätzlich werden hinter den verwendeten Zitaten jeweils „Zeitmarken“ angegeben, die Aufschluss darüber geben, wo das Zitat im jeweiligen Transkript, das sich ebenfalls im Anhang befindet, zu finden ist. An Stellen, an denen keine direkten Äußerungen der Befragten in diese Arbeit übernommen werden, sondern nur Bezug auf diese genommen wird, wird durch eine Fußnote auf die entsprechende Textstelle im Transkript verwiesen.
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4.2.3 Datenerhebung und -erfassung Mit den Untersuchungspersonen wurden problemzentrierte Interviews (siehe 4.2.1.2) auf der Basis eines Gesprächleitfadens durchgeführt. Dieser Leitfaden (siehe Anhang B5) integriert die wesentlichen interessierenden Aspekte im Sinne der obigen Forschungsfragen (0), und basiert damit auf den Erkenntnissen der vorhandenen Forschung und theoretischen Vorüberlegungen. Die Befragten durften, wie von Mey/Mruck (2007, S. 265) empfohlen, selbst wählen, wo das Interview stattfinden sollte. Die Interviews wurden in Universitätsräumen, zu Hause bei den Interviewpartnern oder bei der einen nicht in Berlin lebenden Person telefonisch durchgeführt.20 Sie dauerten in der Regel anderthalb bis zwei Stunden. Nach einer Erläuterung von Funktion, Ablauf und Zielsetzung des Interviews (Mey 2000, S. 137; Witzel 2000), der Zusicherung der Anonymisierung der gewonnenen Daten und der Einwilligung zur Datenaufzeichnung wurden die Befragten um die Ausfüllung des Kurzfragebogens (siehe Anhang B2) gebeten und anschließend ein Interview entsprechend der obigen „Anleitung“ (siehe 4.2.1.2) durchgeführt. Das Gespräch orientierte sich an dem zuvor formulierten Leitfaden, ohne jedoch eine komplette Abdeckung aller Einzelaspekte in der Befragung zu forcieren. Statt einer peniblen „Abarbeitung“ der vorliegenden Fragen, wurde eine flexible Herangehensweise praktiziert, die eine Anpassung der Fragen an den jeweiligen Gesprächsverlauf und somit das Entdecken von nicht im Leitfaden enthaltenen Aspekten ermöglichte. Im Verlaufe des Interviews wurden die Befragten aufgefordert, zwei weitere kurze Fragebögen auszufüllen. Damit wurde das Ziel verfolgt, dass Gedächtnis des Befragten hinsichtlich seiner Verhaltensreaktionen in verschiedenen Konsumbereichen (siehe Anhang B3) und der zeitlichen Reihenfolge ergriffener Einsparbemühungen (siehe Anhang B4) „aufzufrischen“. Die Fragebögen wurden erst eingesetzt, wenn der Befragte sich von selber nicht (mehr) zu den im Fragebogen enthaltenen Aspekten äußerte. Die Gespräche wurden mit einem digitalen Diktiergerät aufgenommen, um möglichen Informationsverlusten entgegenzuwirken.
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Ein Großteil der Interviews fand in der Wohnung und damit in der „natürlichen Lebenswelt“ der Befragten statt. Dadurch könnte einem wesentlichen Gütekriterium der qualitativen Forschung, nämlich dem der „Gegenstandsangemessenheit“ bzw. „Nähe zum Gegenstand“, nachgekommen werden. Dabei wird das Ziel verfolgt, „möglichst nahe an der Alltagswelt der Beforschten“ anzuknüpfen (Mayring 2002, S. 146).
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Um eine Kontrolle des Interviewablaufs und der nachfolgenden Interpretation zu ermöglichen (Lamnek 2005, S. 390), wurden die Interviews anschließend transkribiert. Die vollständigen Transkripte finden sich in Anhang B7. Wie in der Literatur (Flick 2007, S. 380; Weiss 1995, S. 55) empfohlen, wurde entsprechend den Zielen dieser Studie auf eine vollständige Transkription der Interviewmitschnitte verzichtet und hauptsächlich die Inhalte transkribiert, die im Hinblick auf die Forschungsfragen relevant erschienen. Der Rest der Interviews wurde paraphrasiert oder in Stichworten zusammengefasst. Da bei der durchgeführten Studie die Inhalte – und weniger die Art, wie etwas gesagt wird – im Vordergrund stehen, wurden folgende – an Gläser/Laudel (2004, S. 188 f.) angelehnte – Transkriptionsregeln angewandt: Verwendung der Standardorthographie Nichtverbale Äußerungen (z.B. Lachen, Stottern) werden nur dann transkribiert, wenn sie einer Aussage eine andere Bedeutung geben Unverständliche Passagen werden gekennzeichnet Unterbrechungen im Gespräch werden vermerkt. Ein Zögern des Interviewten bzw. Gesprächspausen wurden mit „...“ erfasst. Weniger wichtige Aussagen der Befragten wurden paraphrasiert und mit Spiegelstrichen versehen in die Transkripte aufgenommen. Bei den in dieser Arbeit wiedergegebenen wörtlichen Zitaten wird die Auslassung irrelevanter Textstellen mit (...) gekennzeichnet. Zum Verständnis notwendige Ergänzungen der Verfasserin werden mit [ ] gekennzeichnet.
4.2.4 Datenauswertung Qualitativ erhobene Daten können mit Hilfe verschiedener Techniken ausgewertet werden. Ganz allgemein lassen sich jedoch vier Phasen identifizieren, die in der Regel unabhängig von der konkreten Auswertungsmethode praktiziert werden (Lamnek 2005, S. 402): Transkription, Einzelanalyse, generalisierende Analyse, Kontrollphase. Diese Phasen finden sich auch bei Witzel (1982) wieder. Dieser unterscheidet bei der Auswertung problemzentrierter Interviews zwei Ebenen: 1. die Einzelfallanalyse, 2. die Herausarbeitung von Verallgemeinerungen (Generalisierungen) aus den Einzelaussagen (Witzel 1982, S. 110). Dementsprechend geht es zunächst um die
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Identifizierung der zentralen im Interviewleitfaden enthaltenen Problemfelder sowie die vom Befragten zusätzlich explizierten Themen (Witzel 1982, S. 110). Bei der darauffolgenden generalisierenden Analyse wird eine Komprimierung der Ergebnisse unter besonderer Berücksichtigung interindividueller Gesichtspunkte angestrebt. Angesichts der vorliegenden Fragestellung – und des Ziels der Darstellung von Einstellungen, Erfahrungen und Handlungen – scheint eine vergleichende Systematisierung der Ergebnisse erstrebenswert. Dabei sollen möglichst alle für die zu untersuchende Problematik relevanten Aspekte erfasst werden und auf der Ebene kollektiver Deutungsmuster verallgemeinerungsfähige Ergebnisse gewonnen werden. Dazu werden die Einzelinterviews vergleichend analysiert (Witzel 1982, S. 112). Ziel ist die Identifizierung kollektiver Handlungsmuster (Lamnek 2005, S. 368). Es geht unter anderem darum, vergleichbare Aussagen über verschiedene Fälle hinweg zu sammeln. „Die Individualität der Daten wird dabei vernachlässigt, die thematische Einbindung dem individuellen Kontext vorangestellt, die Position im Gesprächsverlauf ignoriert“ (Naderer 2007, S. 373). Letztlich geht es um eine Ordnung, Systematisierung und Strukturierung der Ergebnisse (Naderer 2007, S. 373). Für das hier gewählte Ordnungssystem ist die inhaltlich-thematische Struktur prägend. Die qualitative Inhaltsanalyse stellt eine der gängigen Methoden zur Auswertung problemzentrierter Interviews dar (Flick 2007, S. 113). Sie lässt sich mit der Vorgehensweise Witzel`s (1982) vereinbaren, liefert aber konkretere und systematischere Regeln zur Durchführung der Analyse. Die qualitative Inhaltsanalyse eignet sich vor allem, wenn eine „an der Klassifikation von Inhalten orientierte Auswertung“ stattfinden soll (Flick 2007, S. 416). Durch Bündelung, Zusammenfassung und Paraphrasierung ähnlicher Aussagen wird das Datenmaterial systematisch reduziert und strukturiert. Diese Methode konzentriert sich auf „inhaltliche Themenfelder mit dem Ziel, ein problemadäquates, strukturierendes Ordnungssystem zu identifizieren (Naderer 2007, S. 378). Statt sich auf eine reine Deskription der Ergebnisse zu beschränken, versucht die qualitative Inhaltsanalyse, die gewonnenen Ergebnisse „durch die Generierung von Hypothesen und die Entwicklung theoretischer Erklärungsmodelle zu rekonstruieren“ (Naderer 2007, S. 368). Im Fokus der hier durchzuführenden Analyse stehen die Auswirkungen einer veränderten finanziellen Situation auf das Konsumverhalten und deren subjektive Wahrnehmung durch die Betroffenen. Im Vordergrund steht somit die Identifizierung von
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prinzipiellen Bewältigungs- und Anpassungsstrategien von Betroffenen (die sich einer veränderten Haushaltsführung, veränderten Kaufentscheidungsprozessen etc. niederschlagen können). Um dieser Problemstellung Rechnung zu tragen, müssen die Gesprächsprotokolle in Hinblick auf die angesprochenen Aspekte untersucht werden. Die Auswertung soll in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2008) erfolgen. Bei der qualitativen Inhaltsanalyse handelt es sich um ein relativ stark strukturiertes Vorgehen zur Analyse qualitativer Daten (Naderer 2007, S. 376), bei dem verschiedene Arbeitsschritte durchlaufen werden (siehe allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell im Anhang B6). Das methodische Vorgehen der qualitativen Inhaltsanalyse orientiert sich im wesentlichen an drei Techniken (Mayring 1988, S. 53; Mayring 2008, S. 58): Zusammenfassung: Der erste Schritt besteht in eine Reduzierung des umfangreichen Datenmaterials. Dies geschieht durch ein Herausfiltern der relevanten Textstellen („Extraktion“). Ausschlaggebend für die Relevanz bzw. Auswahl dieser Textstellen ist der Untersuchungsgegenstand und die vorab formulierte Zielsetzung der Studie (Naderer 2007, S. 372). Für die inhaltsanalytische Auswertung werden also nur jene Textpassagen ausgewählt, in denen ein expliziter Bezug zur Forschungsfrage vorliegt (Lamnek 2005, S. 518). Zur Beschreibung von relevanten Interviewinhalten bzw. Themenschwerpunkten werden „Kategorien“ verwendet, die zur Kennzeichnung des Einzelfalls herangezogen werden (Lamnek 2005, S. 519 ff.). Diese Kategorien können theoretisch basiert, aber auch empirisch begründet sein (Lamnek 2005, S. 518; Mayring 2008, S. 74 f.). Ziel dieses Vorgehens ist eine Generalisierung im Sinne einer Zusammenfassung auf einem höheren Abstraktionsniveau. Explikation: Zu den einzelnen interpretationsbedürftigen Textstellen wird zusätzliches Datenmaterial herangezogen, um die Textstelle zu erklären, verständlich zu machen, zu deuten und zu erläutern (Mayring 2008, S. 77 ff.). Strukturierung: Diese zentrale Technik zielt auf eine Strukturierung der selektierten bzw. explizierten Daten ab (Mayring 2008, S. 82). Hierbei geht es um das Herausfiltern bestimmter Aspekte und eine Querschnittsanalyse des Materials nach zuvor festgelegten Kriterien oder die Beurteilung des Materials anhand bestimmter Kriterien (Mayring 2008, S. 58). Die Strukturierung kann nach formalen, inhaltli-
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Vorstellung und Begründung der methodischen Herangehensweise
chen oder typisierenden Gesichtspunkten erfolgen (Mayring 2008, S. 85). Beim vorliegenden Untersuchungsproblem erscheint eine Strukturierung nach inhaltlichen Kriterien am sinnvollsten. Bei der inhaltlichen Strukturierung wird Material zu bestimmten für die Fragestellung relevanten Inhaltsbereichen bzw. Themen extrahiert und zusammengefasst (Mayring 2008, S. 89). Im letzten Schritt der Inhaltsanalyse werden die Ergebnisse „in Richtung der Hauptfragestellung interpretiert“ (Mayring 2003, S. 53). Ziel ist eine „fallübergreifende Generalisierung“ der in den Einzelanalysen gewonnenen Erkenntnisse (Lamnek 2005, S. 528). Die Einzelanalyse dient somit als vorbereitender Arbeitsschritt, auf den hier nicht mehr gesondert eingegangen wird. Wie von Lamnek (2005, S. 404) vorgeschlagen, werden am Ende zur Kontrolle und zur Vermeidung von Fehlinterpretationen die Ergebnisse noch einmal mit den vollständigen Transkripten abgeglichen. Aufgrund des insgesamt überschaubaren Kategoriensystems wurden die Daten, der Empfehlung von Mayring/Brunner (2007, S. 677) folgend, manuell ausgewertet. Die Interviewergebnisse werden nach thematischen Schwerpunkten (Kategorien) geordnet dargestellt. Diese Ordnung spiegelt sich im Aufbau des fünften Kapitels, das die Ergebnisse der empirischen Untersuchung wiedergibt, wider.
4.2.5 Sicherung der internen Validität Anders als in der quantitativen Forschung besteht in der qualitativen Forschung bislang noch keine Einigkeit bezüglich der Frage, welche Gütekriterien an qualitative Forschungsergebnisse angelegt werden können oder sollten (Bortz/Döring 2002, S. 167; Flick 2007, S. 487; Lamnek 2005, S. 143). Insbesondere gilt das für die Methode der Inhaltsanalyse (Mayring 2008, S. 109). Aus methodologischen und forschungsstrategischen Gründen lassen sich die klassischen Gütekriterien der quantitativen Forschung wie Validität, Reliabilität und Objektivität nicht auf qualitative Forschung anwenden (Bortz/Döring 2002, S. 327; Froschauer/Lueger 2003, S. 166; Helfferich 2005, S. 138; Lamnek 2005, S. 143). Trotzdem besitzen die Ergebnisse qualitativer Forschung Gültigkeit. Die Validierung qualitativer Ergebnisse setzt allerdings – da sie auf einem anderen „Wirklichkeitsverständnis“ als die klassischen Gütekriterien beruht (Lamnek 2005, S. 143) – an anderer Stelle an. Als wichtigstes Gütekriterium der qualitativen und quantitativen Forschung gilt die interne Validität (Lamnek 2005, S. 153). Als valide gilt ein Untersuchungsergebnis dann, „wenn es den Sachverhalt, der ermit-
Qualitative Datenerhebung und -auswertung
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telt werden soll, tatsächlich wiedergibt“ (Kuß 2007, S. 31). Eine Technik zur Sicherung der internen Validität von qualitativer Forschung stellt die „argumentative Validierung“ dar. Dabei geht es um die argumentative Absicherung der vorgenommenen Interpretationen, welche in der qualitativen Forschung eine zentrale Rolle spielen (Mayring 2002, S. 145). Ziel ist es, Übereinstimmungen und Widersprüche sowie daraus abgeleitete Annahmen und Ideen zu erklären und die Argumentationskette nachvollziehbar zu machen (Borchardt/Göthlich 2007, S. 45). Zu diesem Zwecke werden die in der vorliegenden Untersuchung gewonnenen Ergebnisse theoriegeleitet interpretiert und zu vorhandenen Forschungsergebnissen in Beziehung gesetzt. Gleichzeitig soll sich die Auswertung in erster Linie auf den manifesten Textgehalt der Interviews konzentrieren. Bei einer solchen Vorgehensweise, die auch die Vorgehensweise der vorliegenden Untersuchung ist, ist die „Gefahr einer Einfärbung der Ergebnisse mit der persönlichen Meinung der InterpretInnen gering“ (Froschauer/Lueger 2003, S. 159). Ein weiteres Postulat und gleichzeitig wesentliches Gütekriterium qualitativer Forschung stellt die intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses dar (Borchardt/Göthlich 2007, S. 45; Lamnek 2005, S. 146). Um dieser Anforderung gerecht zu werden, werden in der vorliegenden Untersuchung wie von Mayring (2002, S. 145) empfohlen, das theoretische und empirische Vorverständnis geklärt, die methodische Vorgehensweise erläutert und begründet, die Durchführung und Auswertung der Ergebnisse beschrieben und außerdem die Interviewtranskripte bereit gestellt. Damit wird die Absicht verfolgt, den Forschungsprozess transparent und die interpretativen und hypothesengenerierenden Gedanken nachvollziehbar und valide zu machen.
5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Im Fokus dieses Kapitels steht die Darstellung der Ergebnisse der empirischen Untersuchung. Zunächst werden die Ergebnisse der quantitativen Analyse vorgestellt. Dann erfolgt eine Darstellung der qualitativen Ergebnisse.
5.1 Ergebnisse der quantitativen Analyse der Daten des SOEP Im Folgenden sollen die zentralen Ergebnisse21/22 der Analyse der SOEP-Daten vorgestellt werden. Die dazu gehörenden und darüber hinausgehenden ausführlichen Statistiken befinden sich in dem im Internet veröffentlichten Anhang A4 zu dieser Arbeit. Auf diesen kann im OnlinePLUS-Programm unter www.gabler.de und „Eva Wendt“ zugegriffen werden. Auf die entsprechenden Tabellen wird im Text verwiesen. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Auswirkung der Einkommenseinbuße aufgrund der oben (siehe 4.1.2) bereits angesprochen Problematik der mangelnden Präferenzkontrolle möglicherweise überschätzt wird, da nicht alle Veränderungen des Konsumverhaltens Resultate der Einkommenseinbuße sein müssen. Wenn im Folgenden von signifikantem Zusammenhängen gesprochen wird, so ist mit dem Begriff „signifikant“ immer eine zweiseitige Signifikanz auf dem Niveau von 0,001 gemeint. Lebensmittelausgaben Grundsätzlich korreliert die Höhe des Einkommens mit der Höhe der Lebensmittelausgaben (Korrelation nach Pearson=0,52; signifikant auf dem Niveau von 0,001 [2-seitig]) (Tabelle A1, Anhang S. 7 f.). Haushalte, die eine Einkommenseinbuße hinnehmen müssen, senken ihre Lebensmittelausgaben häufiger als Haushalte mit konstantem oder gestiegenem Einkommen. Der Anteil der Haushalte, die von 2000 auf 2001 ihre Lebensmittelausgaben senken (erhöhen), ist bei den Haushalten, die in diesem Zeitraum eine Einbuße er-
21 22
Die Beurteilung der Stärke des Zusammenhangs orientiert sich an Brosius (2006, S. 519). Es wird mit paarweisem Fallausschluss (Brosius 2006, S. 527) gearbeitet.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
lebt haben, deutlich höher (niedriger) als bei den Haushalten mit konstantem oder gestiegenem Einkommen. So senken 50,4% Prozent der stark deprivierten Haushalte ihre Ausgaben, während dies nur 29,1% der Einkommensgewinner tun. Während 46,2% der Einkommensgewinner ihre Ausgaben steigern, tun dies nur 28,6% der Einkommensverlierer (Tabelle A2, Anhang S. 9 f.). Zwischen den beiden Variablen der relativen Einkommensveränderung und der relativen Veränderung der Lebensmittelausgaben besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi-Quadrat =1,572E5), welcher allerdings als sehr schwach einzustufen ist (vgl. Zusammenhangsmaße in Tabelle A2, Anhang S. 9 f.). Wenn das Einkommen sinkt, dann steigt der Anteil der Lebensmittelausgaben am verfügbaren Haushaltsbudget bzw. Haushaltsnettoeinkommen. Obwohl viele Haushalte ihre Lebensmittelausgaben senken, steigt der Anteil der Lebensmittelausgaben am Haushaltsnettoeinkommen bei 81,3% der stark deprivierten Haushalte nach einer Einkommenseinbuße an. Bei schwächer bzw. nicht deprivierten Haushalten ist dieser Anteil deutlich geringer (Tabelle A3, Anhang S. 11 f.). Zwischen der Veränderung des Anteils der Lebensmittelausgaben und der Veränderung der Art der Einkommensveränderung besteht ein signifikanter Zusammenhang (ChiQuadrat=3,473E6), der als recht stark einzuschätzen ist (vgl. Zusammenhangsmaße in Tabelle A3, Anhang S. 11 f.). Der durchschnittliche Anteil der Lebensmittelausgaben am Gesamtbudget ist bei den Einkommensdeprivierten am höchsten. Einkommensdeprivierte müssen im Jahr nach der Einbuße einen größeren Anteil ihres verfügbaren Budgets als bisher für Lebensmittelausgaben aufwenden. So steigt der Anteil der Lebensmittelausgaben am Gesamtbudget bei den stark deprivierten Haushalten im Durchschnitt (Mittelwert) von 18,8% auf 30,8% an (Tabelle A4 und A5, Anhang S. 13 ff.). Gleichzeitig ist der Anteil der Lebensmittelausgaben am Haushaltseinkommen bei einkommensdeprivierten Haushalten im Durchschnitt (Mittelwert=30,8%; Median=25%) sehr viel höher als bei den Einkommens-Konstanten (Mittelwert=21,8%; Median=20%) bzw. -Gewinnern (Mittelwert=19,6%; Median=17,4) (Tabelle A5, Anhang S. 14 f.). Stark einkommensdeprivierte Haushalte geben im Vergleich zum Vorjahr im Durchschnitt 3,4% (Mittelwert) weniger für Lebensmittel aus, während EKGewinner knapp 17% (Mittelwert) mehr als im Vorjahr ausgeben (Tabelle A6, Anhang S. 15 f.).
Ergebnisse der quantitativen Analyse der Daten des SOEP
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Wohnung Grundsätzlich korrelieren Haushaltsnettoeinkommen und die Höhe der Mietausgaben eines Haushaltes (Korrelation nach Pearson=0,565; signifikant auf dem Niveau von 0,001 (2-seitig)) (Tabelle A7, Anhang S. 16 f.). Bei 36,1% der von 2005 auf 2006 deprivierten Haushalte sind die Mietkosten 2006 geringer als im Vorjahr. Bei den Einkommensgewinnern liegt der entsprechende Anteil nur bei 20,8%. Zwischen der Einkommensveränderung und der Veränderung der Mietausgaben besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi-Quadrat =2,356E5), der allerdings als sehr schwach einzuschätzen ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A8, Anhang S. 17 f.). Wenn das Einkommen sinkt, steigt der Anteil der Mietausgaben am Gesamtbudget (Haushaltsnettoeineinkommen) im Vergleich zum Vorjahr an. Bei 97,7% der von 2005 auf 2006 stark deprivierten Haushalte steigt der Anteil der Mietausgaben am Haushaltsnettoeinkommen an, bei den Einkommensgewinnern liegt dieser Anteil nur bei 16% (Tabelle A9, Anhang S.19 f.). Zwischen der Einkommensveränderung und der Veränderung des Anteils der Mietausgaben besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi-Quadrat=1,230E6), der als recht stark einzuschätzen ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A9, Anhang S.19 f.). Haushalte mit einem starken Einkommensverlust geben im Durchschnitt 43,3% (Mittelwert) bzw. 36,76% (Median) ihres Haushaltsnettoeinkommens für das Wohnen aus, Einkommensgewinner hingegen nur 25,8% (Mittelwert) bzw. 24,09% (Median) (Tabelle A10, Anhang S.21 f.). Unabhängig davon, ob eine Einkommensveränderung stattgefunden hat, ändert sich die Höhe der Mietausgaben im Vergleich zum Vorjahr im Durchschnitt nicht (Median=1 bei allen Einkommensgruppen) (Tabelle A11, Anhang S. 22 f.). Wenn das Einkommen sinkt, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Haushalt umzieht. 12,5% der einkommensdeprivierten Haushalte ziehen um, der entsprechende Anteil liegt bei den Einkommensgewinnern nur bei 8,4%. Zwischen der Einkommensveränderung und der Tendenz in eine andere Wohnung umzuziehen, besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi-Quadrat=1,722E5), der allerdings sehr schwach ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A12, Anhang S. 23 f.).
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Ein Großteil der deprivierten Haushalte, die nach einer Einkommenseinbuße umziehen, zieht in preisgünstigere Wohnungen. So ziehen 66,1% der von 2005 auf 2006 stark deprivierten Haushalte, die nach einer starken Einkommenseinbuße umziehen, im Jahr 2006 in eine preisgünstigere Wohnung. Bei einkommensbegünstigteren Haushalten ist dieser Anteil mit 27,9% wesentlich niedriger. Zwischen der Einkommensveränderung und der Veränderung der Mietausgaben, besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi-Quadrat=1.271E5), der allerdings recht schwach ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A13, Anhang S. 25 f.). Eine starke Einkommenseinbuße kann auch dazu führen, dass die Miete nicht immer pünktlich gezahlt wird. So geben 14,3% der stark einkommensdeprivierten Haushalte an, nicht immer pünktlich ihre Miete zu zahlen. Der entsprechende Anteil bei den Einkommensgewinnern liegt bei nur 6%. Zwischen beiden Variablen besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi=5,700E5), der allerdings schwach ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A14, Anhang S. 28 f.).
Monatliche Rücklagen Die Höhe des Haushaltsnettoeinkommens und die Höhe des Sparbetrags (monatliche Rücklagen) korrelieren (Korrelation nach Pearson=0,58; signifikant auf dem Niveau von 0,001 [2-seitig]). Auch die relative Einkommensveränderung und die relative Veränderung der Rücklagenhöhe korrelieren, wenn auch deutlich schwächer (Korrelation nach Pearson=0,12; signifikant auf dem Niveau von 0,001 (2seitig)) (Tabelle A 15, Anhang S. 30 f.). Einkommensdeprivierte Haushalte bilden weniger häufig finanzielle Rücklagen als einkommensbegünstigtere Haushalte. Knapp 40% der von 2005 auf 2006 stark deprivierten Haushalte, die im Jahr 2005 eine Rücklage gebildet haben, tun dies im Jahr 2006 nicht mehr. Bei den Einkommensgewinnern liegt der entsprechende Teil bei 14,2%. Zwischen der Einkommensveränderung und der Bildung monatlicher Rücklagen besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi-Quadrat=550403,911 signifikant (2-seitig) p<0,001a), der recht stark ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A 16, Anhang S. 31 f.).
Ergebnisse der quantitativen Analyse der Daten des SOEP
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Während stark deprivierte Haushalte die Höhe ihres monatlichen Sparbetrags im Durchschnitt um knapp 6% (Mittelwert) senken, erhöhen Einkommensgewinner diesen im Durchschnitt um 40% (Mittelwert) (Tabelle A 17, Anhang S. 37 f.).
Urlaub, Auto, Neuanschaffungen Einkommensdeprivierte fahren weniger häufig in Urlaub und geben dafür auch häufiger finanzielle Gründe als finanziell begünstigtere Haushalte an. 28,2% der stark Deprivierten, die 2003 noch in Urlaub gefahren sind, tun dies 2005 nicht mehr. Bei den Einkommensgewinnern liegt der entsprechende Anteil bei 15,6%. Zwischen der Einkommensveränderung und der Tendenz, eine Urlaubsreise zu unternehmen, besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi-Quadrat=1,643E5), der allerdings sehr schwach ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A18, Anhang S. 38 f.). Von den stark deprivierten Haushalten, die nicht in Urlaub fahren, geben knapp 72% finanzielle Gründe dafür an, bei den Einkommensgewinnern liegt der entsprechende Anteil bei 55,2%. Zwischen der Einkommensveränderung und den Gründen für den Verzicht auf eine Urlaubsreise besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi-Quadrat=1.504E5), der allerdings sehr schwach ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A19, Anhang S. 41 f.). Ähnlich verhält es sich mit dem Halten eines Autos. Knapp 12% der stark Deprivierten, die 2003 noch ein Auto hatten, haben 2005 kein Auto mehr. Bei den Einkommensgewinnern liegt der entsprechende Anteil bei 2,5%. Zwischen der Einkommensveränderung und der Tendenz zur Abschaffung eines Autos besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi-Quadrat=4,497), der allerdings sehr schwach ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A20, Anhang S. 43 f.). Gleichzeitig geben Einkommensdeprivierte häufiger finanzielle Gründe (57,5%) für das Fehlen eines Autos an als andere Einkommensgruppen (37,9% Einkommensgewinner). Zwischen der Einkommensveränderung und den Gründen für die Abschaffung des Autos besteht ein signifikanter Zusammenhang (Chi-Quadrat=2.345E5), der allerdings sehr schwach ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A21, Anhang S. 46 f.). 62,7% der von 2003 auf 2005 stark deprivierten Haushalte geben an, abgenutzte Möbel nicht durch neue zu ersetzen. Bei den Einkommensgewinnern liegt der entsprechende Anteil nur bei 52%. Zwischen der Einkommensveränderung und der Tendenz zu Neuanschaffungen von Möbeln besteht ein signifikanter Zusammen-
100
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
hang (Chi-Quadrat=1.307), der allerdings sehr schwach ist (vgl. Zusammenhangsmaße Tabelle A22, Anhang S. 48 f.). Bei den einkommensdeprivierten Haushalten, die keine Neuanschaffungen tätigen, geben 61,2% finanzielle Gründe dafür an, bei den Einkommensgewinnern liegt der entsprechende Anteil bei 45,8% (Tabelle A23, Anhang S. 49 f.). Zusammenfassend kann folgendes festgehalten werden. Eine deutliche Einkommenseinbuße hat diverse Veränderungen des Konsumverhaltens zur Folge. Die zentralen Ergebnisse der Analyse der SOEP-Daten zeigen: 1) Im Vergleich zu Haushalten mit konstantem oder gestiegenem Einkommen, finden bei Haushalten, die im Zeitraum zwischen t-1 und t023 eine Einkommenseinbuße erlebt haben, folgende Veränderungen signifikant24 häufiger statt: Senkung der Lebensmittelausgaben Umzug in eine andere – meist günstigere – Wohnung und unpünktliche Mietzahlungen Verzicht auf monatliche finanzielle Rücklagen oder Senkung ihrer Höhe (neuerdings) Verzicht auf Urlaub oder die Neuanschaffung von Möbeln (aus finanziellen Gründen) Aufgabe des eigenen Autos (aus finanziellen Gründen) 2) Mit sinkendem Einkommen steigt der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel und Wohnen (Grundbedürfnisse) am Gesamtbudget an. Die hier durchgeführten Berechnungen zeigen außerdem, dass der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel und Wohnen am Haushaltsnettoeinkommen steigt. Bei sinkendem Einkommen verkleinert sich also der relative finanzielle Spielraum, der für den Erwerb nicht lebensnotwendiger Güter zur Verfügung steht. Mit der Einkommenselastizität von Nahrungsmitteln und Wohnen haben sich bereits Ernst Engel (1821-1896)
23 24
t0=Jahr, in dem die Einbuße stattfindet; t-1= je nach Item und Datenlage ein oder zwei Jahre vor der Einbuße (siehe dazu auch Kapitel 4.1.2). Alle Ergebnisse sind zweiseitig signifikant auf dem Niveau 0,001.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
101
und Heinrich Schwabe (1830-1874) auseinandergesetzt. Sie stellten einen langfristigen Zusammenhang zwischen der Einkommenshöhe und den Ausgaben für Ernährung und Wohnen fest. Nach dem Engel’schen Gesetz nehmen bei steigendem Einkommen die Ausgaben für Nahrungsmittel zwar absolut zu, ihr Anteil an den Gesamtausgaben aber sinkt. Das Schwabe’sche Gesetz stellt den entsprechenden Zusammenhang für Einkommen und Wohnungsausgaben fest (Hardes et al. 1998, S. 156). Die Höhe des Haushalts(netto-) Einkommens wirkt sich somit auf die Struktur der Konsumausgaben aus. Beispielsweise zeigt auch der Datenreport 2008, dass Haushalte der untersten Einkommensgruppe im Jahr 2005 durchschnittlich 62% (601 Euro) ihrer monatlichen Ausgaben zu Deckung der Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnen) aufbringen müssen, wohingegen der entsprechende Anteil bei Mitgliedern der höchsten Einkommensklasse bei nur 44% (1661 Euro) liegt (Datenreport 2008, S. 152). Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführte Analyse der SOEP-Daten zeigt erneut, dass die von Engel und Schwabe formulierten Gesetzmäßigkeiten nach wie vor Gültigkeit beanspruchen können. Die aus der Analyse der SOEP-Daten gewonnenen Erkenntnisse bieten einen wichtigen Ansatzpunkt für eine – auf der Basis des SOEP nicht zu bewerkstelligende – weitergehende, intensivere Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer finanziellen Einbuße auf das Konsumverhalten. Diese findet im Rahmen der qualitativen Datenerhebung und -auswertung statt, deren Ergebnisse im Folgenden dargestellt werden.
5.2 Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation vor dem Hintergrund theoretischer Erklärungsansätze Im Folgenden werden die Ergebnisse der qualitativen Untersuchung dargestellt und – dem Vorschlag von Weiss (1995, S. 185 ff.) folgend – vor dem Hintergrund geeignet erscheinender theoretischer Ansätze interpretiert und unter Bezugnahme auf vorhandene Forschungsergebnisse diskutiert. Konkret erfolgt die Darstellung der Ergebnisse auf die von Lofland (1974) vorgeschlagenen Weise: „(1) Der Bericht ist mittels eines allgemeinen konzeptuellen Rahmens organisiert; (2) der verwendete Rahmen ist neuartig; (3) der Rahmen wird ausgearbeitet oder entwickelt im und durch den Bericht; (4) der Bericht ist ereignisreich im Sinne von reichlich dokumentiert in qualitativen Daten; (5) der Rahmen ist mit empirischem Material verwoben“ (Lofland 1974, S. 102 zitiert nach Lamnek 2005, S. 533).
102
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Als theoretischer Rahmen zur Interpretation der hier gewonnen Ergebnisse sollen sowohl die Theorie des Anspruchsniveaus (Simon 1957) als auch die kognitivtransaktionale Stresstheorie (Lazarus/Folkman 1984) dienen. Aus diesem Grund werden diese beiden Ansätze der Darstellung der Ergebnisse vorangestellt. Zur Illustration und zur Förderung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit werden Originalzitate in die Darstellung integriert. Dabei werden, wie von Weiss (1995, S. 191) empfohlen, nicht alle bezüglich einer Ergebniskategorie grundsätzlich geeigneten Zitate angeführt, sondern nur die aussagekräftigen ausgewählt. Um eine Überfrachtung der Darstellung zu vermeiden, wird an einigen Stellen ausschließlich auf die die Aussagen belegenden Interviewausschnitte im jeweiligen Transkript verwiesen. Die vollständigen Interviewtranskripte befinden sich in dem im Internet veröffentlichten Anhang dieser Arbeit. Auf diesen kann im OnlinePLUS-Programm unter www.gabler.de und „Eva Wendt“ zugegriffen werden.
5.2.1 Das Anspruchsniveau des Konsumenten (theoretischer Rahmen) Eine Einkommenseinbuße führt meist zu einer Verringerung des Konsumbudgets und erfordert damit in der Regel eine Veränderung des Konsumverhaltens. Inwieweit Menschen in der Lage sind, Konsumgewohnheiten zu ändern, d.h. Ansprüche an Preis, Qualität und/oder Häufigkeit des Konsums von Produkten zu senken, ist letztlich vom individuellen Anspruchsniveau und dessen Anpassungsfähigkeit an restriktivere Rahmenbedingungen abhängig. Aufgrund der zentralen Bedeutung individueller Ansprüche sollen hier zunächst die „Theorie des Anspruchsniveaus“ (Simon 1957) und die „Adaptation Level Theory“ (Helson 1964) einführend dargestellt werden. Sie sollen als Teil des theoretischen Rahmens fungieren, vor dem die gewonnen Ergebnisse interpretiert werden sollen.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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5.2.1.1 Wesen und Bedeutung des Anspruchsniveaus25 Der Begriff des Anspruchsniveaus wurde von Dembo (1931) in die psychologische Fachliteratur eingeführt. Das Anspruchsniveau beschreibt die Gesamtheit von „Erwartungen, Zielsetzungen oder Ansprüchen an die zukünftige eigene Leistung“ (Hoppe 1930, S. 217). Frank (1935) definiert das Anspruchsniveau als „die Höhe der zukünftigen eigenen Leistung, die eine Person bei einer ihr bekannten Aufgabe [momentan] explizit zu erreichen sucht und dabei die Höhe ihrer letzten Leistung bei dieser Aufgabe kennt“ (Frank 1935, S. 119). Das Anspruchsniveau wird bei der Erklärung von Erfolg oder Misserfolg in Leistungssituationen herangezogen. Dabei hängt das Erleben von Erfolg bzw. Misserfolg „nicht von der tatsächlichen (objektiven) Leistungsfähigkeit des Individuums, sondern vielmehr von den Wechselbeziehungen zwischen erbrachter Leistung und Leistungserwartung, die sich im Anspruchsniveau ausdrückt, ab“ (Lewin et al. 1944, S. 333 ff.). Das (Miß-)Erfolgserleben ist demnach nicht nur vom objektiv definierten Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe, sondern insbesondere auch von dem zuvor individuell gesetzten Anspruchsniveau und dessen Über- bzw. Unterschreiten durch die aktuelle Leistung abhängig, welches sich in der Zielerreichungsdiskrepanz (siehe Abbildung 12) widerspiegelt (Heckhausen 1989, S. 173). Das Anspruchsniveau kann sich verändern. Erfolg und Misserfolg wirken sich auf die zukünftige Setzung des Anspruchsniveaus aus. Bei Misserfolg wird das Anspruchsniveau gesenkt, bei Erfolg erhöht (Simon 1955, S. 262 ff.; Simon 1957, S. 111). Sauermann/Selten (1962) führen den Begriff des Anspruchsniveaus in die ökonomische Theorie ein. Im Rahmen der „Anspruchsanpassungstheorie der Unternehmung“ arbeiten sie die Bedeutung des Anspruchsniveaus für das unternehmerische Entscheidungsverhalten heraus. Sie definieren das individuelle Anspruchsniveau als „das Bündel aller Ansprüche, die befriedigt sein müssen, damit das Individuum zufriedengestellt wird“ (Sauermann/Selten 1962, S. 579). Das Anspruchsniveau wird auch zur Er-
25
Das Anspruchsniveau stellt einen vom Individuum herangezogenen Referenzpunkt dar. Referenzpunkte spielen auch in der deskriptiven Entscheidungstheorie im Rahmen der von Kahneman und Tversky entwickelten Prospekttheorie (Kahneman/Tversky 1979, S. 263 ff.; Tversky/Kahneman 1981), deren Fokus Entscheidungen unter Unsicherheit sind, eine wichtige Rolle. Aufgrund ihes mangelnden Erklärungsbeitrags für die vorliegende Fragestellung wird hier aber nicht weiter auf diesbezügliche Ansätze eingegangen.
104
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
klärung des Entscheidungsverhaltens von Konsumenten26 herangezogen. Das Anspruchsniveau wird auch hier definiert als „ein vom Individuum als verbindlich erlebter Standard der Zielerreichung“ (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 434). Da der Mensch sich in seinem Verhalten an seinem individuellen Anspruchsniveau („aspiration level“) orientiert, entscheidet er sich in der Regel für die Handlungsoption, die dieses trifft oder möglichst weit übersteigt (Simon 1959, S. 262 f.). Dementsprechend bestimmt das Anspruchsniveau auch, welche zur Wahl stehenden Alternativen als akzeptabel oder als ablehnenswert beurteilt werden (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 434). Das Anspruchsniveau bestimmt zudem die Zufriedenheit des Konsumenten mit einem gegebenen Einkommen oder Konsumniveau. Anders als in neoklassischen Modellen unterstellt ist diese Zufriedenheit weniger durch das absolute Niveau dieser Größen bestimmt, sondern vielmehr dadurch, welcher Vergleichsmaßstab bzw. Bezugsrahmen herangezogen wird (Frank 1989, S. 80). Abbildung 12: Ereignisabfolge in einem Anspruchsniveau-Experiment
Quelle: eigene Darstellung nach Lewin et al. (1944, S. 344)
26
Weinberg (1981, S. 57 f.) setzt sich differenzierter mit dem Anspruchsniveau des Konsumenten auseinander. Er unterscheidet dabei zwischen zwei Arten von Ansprüchen und zwar solchen, die sich auf die Entscheidungsziele des Konsumenten beziehen und solchen, die sich auf das Entscheidungsverhalten per se beziehen.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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5.2.1.2 Determinanten des Anspruchsniveaus Zu den wesentlichen Determinanten des Anspruchsniveaus gehören nach Gilboa/ Schmeidler (2001b, S. 270): 1) vergangene (Konsum-)Erfahrungen, 2) interpersonaler Vergleich und 3) Entschuldigungen („psychological accounting“). Vergangene Konsumerfahrungen prägen das Anspruchsniveau insofern, als Menschen sich in der Regel an ihre Lebensumstände anpassen und deshalb in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen zukünftige Erwartungen und Ansprüche beeinflussen. Wenn ein Individuum zum Beispiel einen gewissen Lebensstandard gewöhnt ist, dann ist sein Wohlbefinden von der Art und dem Ausmaß der Abweichung von diesem Standard abhängig (Gilboa/Schmeidler 2001b, S. 270). Diese Idee liegt auch der relativen Einkommenshypothese von Duesenberry (1967) zugrunde. Danach richten sich Konsumenten in ihrem Lebensstandard nach dem höchsten in der Vergangenheit erzielten Einkommen. Dies hat zur Konsequenz, dass Konsumenten, weil sie ihren gewohnten Konsumstandard nicht ohne weiteres aufgeben wollen, bei einem kurzfristigen Einkommensrückgang ihre Konsumausgaben, wenn überhaupt, nur langsam reduzieren und so an das geringere Einkommen anpassen (Hardes et al. 1998, S. 379; Woll 2000, S. 435). Laufende Konsumausgaben werden somit bei einer Einkommenseinbuße nicht automatisch revidiert.27 Dem interpersonalen bzw. sozialen Vergleich als zentraler Determinante des Anspruchsniveaus wurde in den Wirtschaftswissenschaften am meisten Aufmerksamkeit geschenkt (Gilboa/Schmeidler 2001b, S. 278). Menschen vergleichen sich hinsichtlich Einkommen, Status und Nutzen mit anderen Menschen (siehe auch 5.2.4.1.3) und insbesondere mit relevanten Bezugsgruppen (Hayakawa/Venieris 1977). Bezugsgruppen können das konsumrelevante Anspruchsniveau insbesondere in sozial sichtbaren Kon-
27
Man bezeichnet diesen bei sinkendem Einkommen beobachtbaren Effekt als Sperrklinken-Effekt bzw. Ratchet-Effekt. Die Habit-Persistence-Hypothese greift die Idee des Sperrklinkeneffekts auf. Sie geht davon aus, dass der Konsum in einer Zeitperiode nicht nur vom Einkommen, sondern auch vom Konsum in früherer Zeitperioden abhängig ist (Hardes et al. 1998, S. 379). Dementsprechend benötigen Konsumenten Zeit, um ihre Konsumgewohnheiten an Einkommensänderungen anzupassen, da Gewohnheiten „ziemlich träge reagieren“ (Woll 2000, S. 435).
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
sumbereichen beeinflussen. Eine zu starke Diskrepanz zwischen den eigenen Möglichkeiten und den durch die Bezugsgruppe vermittelten (und übernommenen) Ansprüchen kann „zur Quelle dissonanter Vergleiche werden und Stress im Sinne des „keeping up with the Jones’“ auslösen (Wiswede 2007, S. 356). Thematisiert wird die anspruchsniveaubestimmende Rolle des sozialen Vergleichs auch in der relativen Einkommenshypothese (Duesenberry 1967). Nach dieser ist die Konsumquote eines Haushalts von ihrer perzentilen Position in der Einkommensverteilung abhängig. Konkret bedeutet das, dass wenn jemand einer bestimmten Einkommensschicht angehört, deren Konsumverhalten er übernimmt, seine durchschnittliche Konsumquote um so höher ist, je geringer sein Einkommen im Vergleich zum durchschnittlichen Einkommen dieser Schicht ist (Woll 2000, S. 435). Darüber hinaus existieren Faktoren, die die Erwartungen an Leistungsergebnisse auf individueller Ebene beeinflussen können. Zum Beispiel können positive Wirtschaftsprognosen dazu führen, dass ein Individuum ein höheres Einkommen erwartet. Die Tatsache, dass man altert, kann die eigenen Erwartungen an die Gesundheit abschwächen. Zwar beeinflusst das Altern das eigene Wohlbefinden direkt und negativ, es erleichtert es dem Individuum aber gleichzeitig, das Nachlassen der körperlichen Fitness zu akzeptieren. Durch diesen als „psychological accounting“ bezeichneten Prozess kann eine Entschuldigung zu einer Anpassung des individuellen Anspruchsniveaus führen und so die Wirkung niedriger Ergebnisse abmildern (Gilboa/Schmeidler 2001b, S. 270). Welche Bedeutung haben diese theoretischen Darstellungen nun für die vorliegende Problemstellung? Entsprechend der beschriebenen Theorie des Anspruchsniveaus ist davon auszugehen, dass Konsumenten zur Beurteilung ihres aktuellen Konsumniveaus ihr bisher realisiertes Konsumniveau als Vergleichsmaßstab heranziehen. Entsprechend der Theorie kann also davon ausgegangen werden, dass das in der Vergangenheit realisierte Konsumniveau die Höhe des Anspruchsniveaus bestimmt, so dass das gewohnte Konsumniveau in der Regel – zumindest ungefähr – mit dem Anspruchsniveau gleichgesetzt werden kann28. Basierend auf dieser Annahme dürfte die durch die
28
Für die Angemessenheit einer solchen „Gleichsetzung“ spricht der festgestellte positive Zusammenhang zwischen vorhandener Haushaltsausstattung bzw. vorhandenen finanziellen Ressourcen und den sich in den „Notwendigkeitseinschätzungen“ bestimmter Güter widerspiegelnden individuellen Ansprüchen an den Lebensstandard (siehe schland, Frankfurt am Main u.a).
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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finanzielle Einbuße hervorgerufene Minderung der Konsummöglichkeiten und die dadurch erzeugte negative Abweichung von diesem „gewohnten“ und gleichzeitig als notwendig erachteten Konsumniveau als „Misserfolg“ wahrgenommen werden (siehe Abbildung 13). Abbildung 13: Gewohntes und nach der Einbuße realisierbares Konsumniveau
Quelle: eigene Darstellung
Es ist auch davon auszugehen, dass der Konsument um eine Verringerung dieser Unzufriedenheit auslösenden Diskrepanz zwischen dem aktuell realisierbaren und gewohntem Niveau bemüht sein wird, sei es durch eine Steigerung des Konsumniveaus, sei es durch eine Senkung seiner Ansprüche.
5.2.1.3 Veränderung des Anspruchsniveaus durch Gewöhnung Interessante Ansatzpunkte zum Umgang mit der Abweichung von Referenzpunkten wie dem Anspruchsniveau liefert die mit der Theorie des Anspruchsniveaus verwandte „Adaptation Level Theory“ (Helson 1964). Mit Hilfe dieser Theorie macht Helson (1964) auf die Rolle des Kontextes bei der Wahrnehmung aufmerksam. Seiner Beobachtung nach wird von den Menschen dem Ausmaß einer Abweichung der aktuellen Situation von einem Referenz-Level oft eine stärkere Bedeutung beigemessen als den absoluten Charakteristika einer Situation bzw. der absoluten Höhe eines Stimulus (Helson 1964). Beispielsweise mag dieselbe Temperatur, die sich kalt anfühlt, wenn
108
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
man an hohe Temperaturen gewohnt ist, hoch erscheinen, wenn man an kalte Temperaturen gewohnt ist29 (Frank 1989, S. 80). Dies lässt sich auf den hier zu untersuchenden Sachverhalt übertragen. So dürfte eine Verknappung des Budgets unabhängig von seiner aktuellen absoluten Höhe als Verlust empfunden werden, da das alte Budget den Referenzpunkt darstellt. Die „Adaptation Level Theory“ liefert aber auch Hinweise dafür, dass dieses Verlustempfinden nicht dauerhafter Natur sein muss. So basiert die „Adaptation Level Theory“ auf der Annahme, dass sich Menschen an bestimmte Stimuli anpassen können. In der Regel wird diese Anpassungsfähigkeit unterschätzt, da man nicht berücksichtigt, dass sich Referenzpunkte ändern können (Rabin 1998, S. 33). Untermauert wird die zentrale Annahme der Anpassungsfähigkeit von Individuen u.a. durch Studien von Brickman et al. (1978) und Hartman et al. (1991).30 Diese untersuchten LottoGewinner und deren selbstberichtetes Glücksgefühl. Dabei fanden sie heraus, dass im Unterschied zu Gewinnern, die soeben über ihren Gewinn informiert worden waren, Gewinner nach dem Verstreichen einer kurzen Zeit – auch wenn der Gewinn noch relativ „frisch war“ , nicht mehr glücklicher als Kontrollpersonen waren. Sie erklärten dieses Phänomen mit Hilfe der „adaptation level theory“ anhand der Konzepte von Kontrast und Gewöhnung (habituation): Dass die Gewinner kurz nach der Lotterie im Vergleich („contrast“) zu dem Zeitpunkt, zu dem sie über ihren Gewinn informiert wurden, nicht mehr so glücklich waren, wurde damit erklärt, dass sie sich an ihr neues Wohlstandsniveau bereits gewöhnt hatten. Eine solche Gewöhnung kann mit einer Anpassung des Anspruchniveaus gleichgesetzt werden. Solche Gewöhnungseffekte erklären auch, warum ein hohes Einkommen nicht unbedingt mit hoher Lebensqualität oder Glück gleichgesetzt werden kann. Dies bestätigt auch die ökonomische Glücksforschung (Ruckriegel 2007, S. 516). In den meisten Studien korreliert das Einkommen nur schwach mit dem subjektiven Wohlbefinden (Diener/Diener 1996).
29
30
Dies bedeutet aber nicht, dass der absolute Stimulus niemals eine Rolle spielt. Fällt die Temperatur ausreichend, dann wird eine Person, unabhangig von den Bedingungen an die sie gewöhnt ist, frieren. Dies wird auch von Helson nicht in Frage gestellt. Er will in erster Linie generell auf die Rolle des Kontexts aufmerksam machen (Frank 1989, S. 80). Weitere Studien zur Anpassung des Anspruchniveaus siehe z.B. March (1988), Payne (1980).
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
109
Befragungen sowohl in den USA (siehe Abbildung 14) als auch in Europa zeigen, dass die Lebenszufriedenheit trotz eines zum Teil starken Wirtschaftswachstums in den letzten 50 Jahren nicht zugenommen hat (Ruckriegel 2007, S. 516). Abbildung 14: Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens und des Glücksempfindens in den USA
Quelle: eigene Darstellung nach Layard (2005, S. 44) zitiert nach Ruckriegel (2007, S. 517)
Dieses Phänomen wird als Easterlin-Paradoxon31 bezeichnet. Dieses wendet sich gegen die Annahmen der gängigen ökonomischen Theorie, die davon ausgeht, dass eine durch verbesserte finanzielle Konditionen ermöglichte Vermehrung der einem Menschen zu Verfügung stehenden materiellen Güter zu einer Steigerung des persönlichen Wohlbefindens führt (Easterlin 2005, S. 55). In der mikroökonomischen Konsumententheorie werden eben zu Unrecht Gewöhnungseffekte („habit formation“) und aus Vergleichen resultierende interdependente Präferenzen (Duesenberry 1967), nicht berücksichtigt (Ruckriegel 2007, S. 517). Erklärt wird der ausbleibende Zuwachs an Zufriedenheit dadurch, dass mit steigendem Einkommen auch die Ansprüche wachsen,
31
Zum Zusammenhang zwischen subjektivem Wohlbefinden, Einkommen und Anspruchsniveau im Detail siehe Easterlin (2001).
110
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
so dass aus einem steigendem Einkommen keine größere Zufriedenheit erwächst (Ruckriegel 2007, S. 517) (siehe Abbildung 15). Abbildung 15: Entwicklung des tatsächlichen Einkommens und des benötigten (für notwendig gehaltenen) Einkommens in den USA
Quelle: eigene Darstellung nach Layard (2005, S. 54) zitiert nach Ruckriegel (2007, S. 517)
Überträgt man diese Erkenntnisse auf das vorliegende Forschungsproblem, so müsste – umgekehrt – ein Einkommensverlust bzw. eine Einbuße an Konsummöglichkeiten aufgrund des Gewöhnungseffekts langfristig mit einer Senkung des Anspruchsniveaus einhergehen. Doch dürfen Ursachenzusammenhänge nie isoliert betrachtet werden. So weisen Kahneman/Varey (1991) zu Recht darauf hin, dass nicht zu vernachlässigende Bereiche existieren, in denen keine Anpassung möglich ist, und dass Anpassung und Gewöhnung auch vom sozialen Kontext eines Individuums abhängig sind. So wird ein Individuum niemals mit einem gegebenen Einkommen zufrieden sein, wenn alle um es herum ein höheres Einkommen erzielen (Kahneman/Varey 1991).
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
111
5.2.2 Die kognitiv-transaktionale Stresstheorie (theoretischer Rahmen) Da die durch die Einbuße ausgelöste Belastung des Individuums von zentraler Bedeutung ist, sollen stresstheoretische Überlegungen als zweiter Bestandteil des theoretischen Gerüsts der Ergebnisinterpretation dienen und dieser deshalb vorangestellt werden. Nach den Erkenntnissen der psychologischen Stressforschung können einschneidende Lebensereignisse als Stressauslöser fungieren. Den konkreten Beleg, dass durch eine Einkommenseinbuße Stress ausgelöst werden kann, liefert eine Studie von Holmes/Rahe (1967). Stress wird in dieser Studie definiert als das Ausmaß, in dem Menschen sich verändern bzw. ihr Verhalten als Reaktion auf ein äußeres Ereignis anpassen müssen. Je mehr Veränderung notwendig wird, desto größer der erlebte Stress. In ihrer Untersuchung, bei der die Stressintensität unterschiedlicher stressauslösender Lebensereignisse (Stressoren) gemessen wurde, kommen Holmes/Rahe (1967) zu dem Ergebnis, dass auch eine erhebliche Einkommensveränderung Stress auslösen kann. Im Vergleich zu anderen Ereignissen besitzt eine deutliche Einkommenseinbuße einen recht hohen mittleren Stresswert. In einer Rangliste von Stressoren (100 = höchster Stresswert, an dem sich die anderen messen) erreichen spürbare finanzielle Veränderungen einen mittleren Stresswert von 38 (siehe Tabelle 5). Tabelle 5: Mittlerer Belastungswert kritischer Lebensereignisse Stressor
Stresswert
Tod des Ehepartners
100
Scheidung
73
Trennung
65
Gefängnis
63
Verlust Arbeitsplatz
47
Erhebliche Einkommensveränderung
38
... Quelle: eigene Darstellung nach Holmes/Rahe (1967, S. 216)
Nicht weiter untersucht ist aber, wie Menschen konkret mit dem durch die finanzielle Einbuße hervorgerufenen Stress umgehen bzw. wie sich dies auf ihr Konsumverhalten auswirkt.32 Generell existieren bisher erst wenige Studien, die einen Bezug zwischen
32
Zwar lehnt sich auch Andreß (1999b) in seiner Studie an die transaktionale Stresstheorie an, doch fokussiert er das Verhalten von Menschen in ökonomisch prekären Alltagssituationen.
112
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
dem durch bedeutende Ereignisse ausgelösten Stress und dem Konsumverhalten herstellen. Zu diesen zählt beispielsweise eine Studie von Andreasen (1984), die zu dem Ergebnis kommt, dass sich in der Initiierung, Intensivierung oder Veränderung von Konsumgewohnheiten Bemühungen zur Bewältigung stressender Lebensereignisse widerspiegeln. Bei Lee et al. (2001) wird Stress als Erklärungsvariable für die Veränderung von Einkaufsstättenpräferenzen herangezogen. Die aktuellste Studie stammt von Mathur et al. (2006) und kommt zu dem Ergebnis, dass Personen, die mit bestimmten Lebensereignissen (wie z.B. Heirat, Geburt eines Kindes, Scheidung etc.) konfrontiert sind, eher zu einer Veränderung ihrer Markenpräferenzen neigen als Personen, die die entsprechenden Ereignisse nicht erlebt haben (Mathur et al. 2006, S. 137). Zwar wird die Stresstheorie als eine theoretische Erklärung dieses Ergebnisses herangezogen, der konkrete Wirkungszusammenhang zwischen Stress und Konsumverhalten wird allerdings unzureichend diskutiert. Angesichts dessen scheint eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des durch finanzielle Einbußen bewirkten Stress’ auf das Konsumverhalten um so notwendiger. Zur Interpretation der in der vorliegenden Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse bietet die kognitiv-transaktionale Stresstheorie (Lazarus/Folkman 1984), die zu den am häufigsten rezipierten Ansätzen der Bewältigungsforschung zählt, interessante Ansatzpunkte. Die kognitiv-transaktionale Stresstheorie betrachtet Stresssituationen als komplexe Wechselwirkungsprozesse zwischen den aus einer Situation erwachsenden Anforderungen und der handelnden Person (Lazarus/Folkman 1984, S. 293). Stress wird gemäß dieser Theorie definiert als „a particular relationship between the person and the environment that is appraised by the person as taxing or exceeding his or her resources and endangering his or her well-being” (Lazarus/Folkman 1984, S. 19). Im Gegensatz zu früheren Stresstheorien geht Lazarus davon aus, dass nicht die Beschaffenheit der Reize oder Situationen für eine Stressreaktion von Bedeutung ist, sondern deren individuelle kognitive Verarbeitung durch den Betroffenen. Ob ein Ereignis Stress auslöst, ist insbesondere davon abhängig, wie dieses Ereignis durch das Individuum bewertet wird (Starke 1999, S. 7). Jeder Mensch bewertet Situationen und die aus ihnen erwachsenden Belastungen und damit auch deren Bedrohlichkeit unterschiedlich. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang das “Cognitive Appraisal”. Dabei handelt es sich um einen evaluativen Prozess, der beschreibt, warum und in welchem Ausmaß eine bestimmte Transaktion zwischen Person und Umwelt als stressend wahrgenommen wird (Lazarus/Folkman 1984, S. 19). Bei diesem Bewertungsprozess werden zwei Dimensionen unterschieden: die Ereigniseinschätzung (Primary Appraisal) und die Ressourcenwahrnehmung (Secondary Appraisal). Die
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
113
Ereigniseinschätzung beschreibt die subjektive Beurteilung eines Ereignisses (bzw. Problems) und seiner Konsequenzen hinsichtlich der Relevanz für das Wohlempfinden des Individuums. Ereignisse können nach Lazarus/Folkman (1987) als positiv, irrelevant oder stressrelevant (potenziell gefährlich) bewertet werden. Wird eine Situation als stressrelevant empfunden, so kann dies in drei Ausprägungen geschehen: als schon erfahrener Verlust („harm“), als Bedrohung („threat“) im Sinne eines antizipierten Verlusts oder als Herausforderung („challenge“), die noch das Potential zum Meistern bzw. zum Gewinn enthält (Lazarus/Folkman 1987, S. 145). Wie eine Situation eingeschätzt wird, hängt von den Erwartungen, Werten und Zielen des Individuums ab (Starke 1999, S. 9). Damit eine Situation als relevant eingestuft wird, müssen die Ziele des Individuums betroffen sein (Lazarus/Folkman 1987, S. 146). Beim „Secondary Appraisal“ überprüft das Individuum, ob die stressende Person-Umwelt-Beziehung mit den verfügbaren subjektiven Ressourcen verändert werden kann (Lazarus/Folkman 1987, S. 148).33 Diese Einschätzung hängt nicht nur von den Merkmalen der Person (Kompetenzen, Zielen etc.), sondern auch von Umweltfaktoren (z.B. der Verfügbarkeit eines sozialen Netzes) ab (Starke 1999, S. 9). Stress entsteht dann, wenn ein Ereignis im Hinblick auf das eigene Wohlergehen als relevant eingestuft wird und gleichzeitig Anforderungen an das Individuum stellt, die seine Bewältigungsmöglichkeiten (Ressourcen) beanspruchen oder überfordern (Lazarus/Folkman 1984, S. 19). Stress ruft beim Individuum in der Regel Bewältigungsreaktionen hervor. Die Bewältigung, das sogenannte „Coping“, wird definiert als “the person's constantly changing cognitive and behavioral efforts to manage specific external and/or internal demands that are appraised as taxing or exceeding the person's resources” (Folkman et al. 1986, S. 993). Die Bewältigung von Stress kann durch eine Änderung des Verhaltens und/oder des psychischen Zustands erreicht werden. Da zwischen psychischen und verhaltensorientierten Bemühungen des Individuums differenziert werden kann, lassen sich zwei Funktionen der Bewältigung unterscheiden: die problem- und die emotionsfokussierte Bewältigung.34 Diese beiden Kategorien beinhalten verschiedene Stressbewältigungsstrategien (siehe Tabelle 6):
33
34
Primäres und sekundäres Appraisal beeinflussen sich gegenseitig, indem beispielsweise die wahrgenommene eigene Handlungsfähigkeit beeinflusst, als wie bedrohend eine Situation wahgenommen wird (Lazarus/Folkman 1987, S. 147). Diese beiden grundlegenden Funktionen des Coping werden in der Literatur akzeptiert, Uneinigkeit herrscht jedoch bezüglich der Klassifkation konkreter Verhaltensweisen. Zudem ist es möglich,
114
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Tabelle 6: Strategien der Stressbewältigung Emotionsorientierte Reaktionen
Problemorientierte Reaktionen
Konfrontative Bewältigung Distanzierung (Reizselektion)
Problemorientierte soziale Unterstützung Direktes problemorientiertes Handeln
Selbstkontrolle Selbstverantwortlichkeitseinge-ständnis bzw. Akzeptieren von Mitverantwortung Eskapismus, Vermeidung (u.a. Wunschdenken) Positive Neubewertung
(„planful problem-solving“) Informationssuche
Quelle: eigene Darstellung nach Folkman et al. (1986, S. 995)
Bei den emotionsorientierten bzw. kognitiven Strategien geht es um eine Regulierung des emotionalen „Leids“, das aus der gestörten Person-Umwelt-Beziehung resultiert (Lazarus/Folkman 1987, S. 147). Ziel ist, die durch die Situation entstandene negative Emotion abzumildern, ohne sich direkt mit der Quelle dieser Emotion auseinanderzusetzen (Luce/Irwin 1997, S. 36). Dementsprechend zielen manche Formen des emotionsorientierten „Copings“ eher auf die Neubewertung einer Situation als auf deren objektive Veränderung ab. Das Individuum bewertet hierbei ein Ereignis um, um dessen Relevanz abzuwerten und sich so zu beruhigen (Starke 1999, S. 77). Oder es werden stressrelevante Situationen vermieden oder Aktivitäten ergriffen, mit deren Hilfe das Problem verdrängt werden kann (Folkman et al. 1986, S. 995). Problemfokussierte Bewältigungsaktivitäten sind auf eine Veränderung der gestörten Person-Umwelt-Beziehung ausgerichtet (Lazarus/Folkman 1987, S. 147). Bei dieser „Coping“-Strategie wird das Problem direkt angegangen, indem man durch planvolles Handeln auf eine Lösung oder Verringerung des Problems, das die negative Emotion auslöst, hinarbeitet (Luce/Irwin 1997, S. 36). Problemorientiertes Coping beinhaltet zum Teil Problemlösestrategien in dem Sinne, dass das Problem definiert wird, über Handlungsalternativen nachgedacht wird, Kosten und Nutzen gegenübergestellt wer-
dass Copingstrategien sowohl emotions- als auch problemorientiert sein können (Andreß 1999b, S. 288). Weitere Klassifikationssysteme konkreter Verhaltensstrategien finden sich bei: Houston (1987); Lazarus/Launier (1978); Moos/Billings (1882); Pearlin/Schooler (1978).
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
115
den und letztlich eine Entscheidung gefällt wird, nach der gehandelt wird (Starke 1999, S. 78). Einen etwas anderen Verhaltenskanon von Stressbewältigungsstrategien als Folkman et al. (1986, S. 995) entwerfen Pearlin/Schooler (1978). Sie unterscheiden dabei im Wesentlichen: die selektive Ignoranz und die damit verbundene Hierarchisierung von Lebensprioritäten, positive Vergleiche, Devaluierung und Durch- oder Aushaltestrategien. Diese Strategien stellen laut Andreß (1999b, S. 288) im wesentlichen eine Ausdifferenzierung der von Folkman et al. (1986) identifizierten Strategien des Eskapismus bzw. der kognitiven Neubewertung dar, weil die von den Autoren beobachteten Situationen häufig als unabänderlich bewertet wurden. Zur Interpretation der hier gewonnen Ergebnisse werden beide genannten Quellen herangezogen. Bei der Auswertung der vorliegenden Interviews wurde deutlich, dass die kognitivtransaktionale Stresstheorie (Lazarus/Folkman 1984) und insbesondere die von Folkman et al. (1986) und Pearlin/Schooler (1978) aufgezeigten Bewältigungsstrategien als globaler Interpretationsrahmen der qualitativen Ergebnisse geeignet sind. Eine Vielzahl der bei den hier Befragten identifizierten Verhaltensmuster lässt sich sinnvoll in das vorgestellte Raster emotionaler und verhaltensorientierter Reaktionen im Sinne der Stresstheorie einordnen und dementsprechend interpretieren. Dementsprechend ist deshalb die Darstellung der Ergebnisse zum Umgang der Betroffenen mit der finanziellen Einbuße gegliedert. Zunächst wird aufgezeigt, inwiefern die finanzielle Einbuße bei den im Rahmen der vorliegenden Untersuchung Befragten Stress auslöst. Danach wird dargestellt, wie dieser Stress von den Befragten bewältigt wird.
5.2.3 Die finanzielle Einbuße als Auslöser von Stress Eine finanzielle Einbuße kann auf unterschiedliche Art und Weise Stress auslösen. Abgesehen davon, dass Konsumansprüche nicht mehr wie bisher befriedigt werden können, kann eine finanzielle Einbuße häufig auch andere negative und den Konsumenten belastende, und damit stressauslösende Konsequenzen mit sich bringen. Wie die Ausführungen in Kapitel 0 deutlich machen, können mit einem finanziellen Abstieg insgesamt folgende – ebenfalls mit dem Konsum im Zusammenhang stehende – negativen Konsequenzen verbunden sein:
116
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
eine durch die Minderung der finanziellen Ressourcen hervorgerufene Minderung der Konsummöglichkeiten (materielle Dimension) eine Angst von sozialer Stigmatisierung (soziale Dimension) eine Minderung des Selbstwertgefühls (psychologische Dimension). Angesichts dieser möglichen Konsequenzen bietet ein finanzieller Abstieg ein beträchtliches Belastungspotenzial für den Konsumenten. Buhr (2001, S. 89) stellt fest, dass bereits die Antizipation von Arbeitslosigkeit das Individuum belasten kann. In der vorliegenden Untersuchung wird deutlich, dass eine tatsächlich erlebte finanzielle Einbuße und deren Konsequenzen von den Betroffenen erst recht als psychische Belastung empfunden werden. Verstärkt wird diese Belastung durch die persönliche Empfindung, dass finanzielle Ressourcen in beinahe jedem Lebensbereich eine Rolle spielen: „Also, es war die komplette Krise, privat als auch beruflich, als auch wirtschaftlich. (...) Also eine gute bürgerliche Existenz innerhalb von sechs Monaten komplett vernichtet.“ (Person C, 00:05:57-4) „Also, die Phase für die Familie war schrecklich. Die war echt schrecklich. Da leidet alles, da leidet die Beziehung, da leiden die Kinder, da leidet die Lebensqualität. Ja, eigentlich leben sie immer mit so ne schwarzen Wolke über sich.“ (Person H, 00:23:05-6) „(...) wenn man so ein Arbeitslosengeld II-Empfänger ist, so ein Hartz IV-er, hat man natürlich finanziell nicht viel zu lachen. Und das Problem ist, dass die Situation nicht rausgeht aus dem Kopf, dass man ständig dran denken muss. Egal, was man macht in der Wohnung, oder wenn man mal rausgeht in den Supermarkt oder so, man hat das immer vor Augen dummerweise. Also das finanzielle Problem geht nicht weg. Das kommt immer wieder hoch. (...) So andere Problemchen kriegt man irgendwie mal für drei, vier Stunden oder nen Tag oder zwei mal verdrängt oder so, aber so ein finanzielles Problem kommt immer wieder hoch.“(Person I, 00:34:14-5) „Diese existenzielle Überlegung, die ganze Zeit. Bei mir ist das eigentlich permanent. Ich träum da auch von. Es ist permanent so, dass man, dass einen das so blockiert und man sich so ärgern muss auch, über diese Sachen.“(Person L, 00:47:475) „Also, alles hat ja irgendwo mit Konsum zu tun. Und selbst wenn man den Fernseher anmacht oder einfach nur zu Hause telefoniert oder sonst irgendwas, also da rattert ja irgendwo ein Zähler und das ist ... ich weiß nicht, vielleicht bin auch nur ich irgendwie so gestrickt. Vielleicht habe ich auch eine Zählermacke oder so. Aber genau das hat man ja vor Augen ständig. Dass man halt kein Geld hat, aber gerade was macht, was Geld kostet. Und man kann natürlich auch nicht nur rumsitzen ...“ (Person I, 00:35:07-3)
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
117
Als große Belastung wahrgenommen wird auch die aus der Einbuße resultierende Notwendigkeit zu ständigen kognitiven Abwägungsprozessen und der damit verbundene Verlust an „Sorglosigkeit“: „Na ja, und es ist halt einfach lästig, sich immer alles irgendwie hundertmal zu überlegen. Was mache ich jetzt, was mache ich nicht?“ (Person A, 00:43:27-5) „Das Leben ist nicht mehr so leicht. Man muss irgendwie immer überlegen, machen, tun und muss sich halt bei vielem einfach sagen, nein, geht nicht.“ (Person C, 01:14:56-4) „Man verliert so dieses Laisser-faire. Man muss immer mitdenken. Man muss immer nachdenken. Das Leben ist einfach dunkler, es ist dunkler. Wenn man bei jedem Schritt drüber nachdenken muss. Und das verfolgt einen wirklich.“ (Person H, 00:34:47-9)
Anzumerken ist, dass sich die psychische Belastung Betroffener häufig nicht ausschließlich auf die materielle Einschränkung und die gesunkene Konsumfähigkeit zurückführen lässt, sondern auch auf die sie auslösenden oder parallel zu ihr stattfindenden Ereignisse (Scheidung, Arbeitsplatzverlust etc.). Solche Ereignisse können das Individuum unter Umständen ähnlich stark oder möglicherweise noch stärker als die finanzielle Einbuße belasten, so dass die finanzielle Einbuße im Grunde in vielen Fällen nicht isoliert betrachtet werden kann. Mindestens ähnlich stark wie die finanzielle Einbuße belastet beispielsweise Herrn E seine Kündigung aus einer verantwortungsvollen Unternehmensposition35 und Person K ihre Scheidung. „Det is ja so ein einschneidender Moment im Leben, wenn dann so ne langjährige Beziehung auseinanderjeht, da stellt man ja allet in Frage. Und dann ist det Geld ein Problem, aber es ist nicht das einzige.“ (Person K, 01:29:17-2)
Dieser Aspekt wird im Folgenden jedoch vernachlässigt, da der Fokus dieser Arbeit auf der durch die finanzielle Einbuße erzeugten Belastung und deren Konsequenzen für das Konsumverhalten liegt. Erfahrungen und Wahrnehmungen wie die oben geäußerten machen jedenfalls deutlich, dass die durch die finanzielle Einbuße hervorgerufene Situation von den Betroffenen als psychisch belastend empfunden wird. Diese Belastung kann als Stress im obigen Sinne interpretiert werden. Stress stellt eine soziale, aus der Umwelt stammende oder interne Anforderung dar, die dem Individuum abverlangt, seine gewohnten Verhaltensmuster zu verändern und anzupassen (Thoits
35
Person E, 00:19:08-8 und 00:28:17-2.
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1995, S. 54). Im Folgenden soll nun dargestellt werden, wie Konsumenten mit dem durch die Einbuße verursachten Stress umgehen bzw. welche Bewältigungsreaktionen sie zeigen (siehe Abbildung 16). Zunächst soll dabei auf die emotionalen Bewältigungs-Reaktionen eingegangen werden. Abbildung 16: Die finanzielle Einbuße als Auslöser von Stress
Quelle: eigene Darstellung
5.2.4 Emotionale Bewältigung Einige der von Pearlin/Schooler (1978) identifizierten Stressbewältigungsstrategien zielen auf eine sogenannte „Bedeutungskontrolle“ („Control of Meaning“) ab. Wie bereits erwähnt, ist die von einem Ereignis ausgehende Bedrohung wesentlich davon abhängig, wie dieses Ereignis wahrgenommen wird und welche Bedeutung ihm vom Individuum beigemessen wird. Durch eine kognitive Neutralisierung der einem Ereignis beigemessenen Bedeutung, kann das Individuum den mit einer Bedrohung einhergehenden Stress reduzieren (Pearlin/Schooler 1978, S. 6). Zu den Strategien der „Bedeutungskontrolle“ zählen die selektive Ignoranz, die Hierarchisierung von Lebensprioritäten, positive Vergleiche und die Devaluierung. Da sich die Untersuchungsergeb-
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nisse in dieses „Raster“ von Bewältigungsstrategien einordnen lassen, soll es – gemeinsam mit zwei weiteren Bewältigungsstrategien – als übergeordneter Gliederungsrahmen der folgenden Abschnitte dienen.
5.2.4.1 „Control of Meaning“ bzw. kognitive Restrukturierung 5.2.4.1.1 Kompensation und selektive Ignoranz Die aufgrund der finanziellen Einbuße beschränktere Konsumfähigkeit stellt grundsätzlich eine Bedrohung des Selbst- und Fremdbildes des Konsumenten dar (siehe 3.3.2). Wie geht der Konsument damit um? Die Erkenntnis, dass man (neuerdings) über weniger finanzielle Ressourcen als zuvor verfügt, scheint das Selbstbild der hier Befragten augenscheinlich nicht allzu stark zu beeinträchtigen. Man ist sich seines finanziellen Abstiegs und auch der Tatsache, dass Bezugspersonen über mehr Geld verfügen, durchaus bewusst, aber dafür ist man selber beruflich zufriedener bzw. erfolgreicher (berufliche Selbstverwirklichung) „Ich habe eine Freundin, die ist Schauspielerin (...) Also da verdient man ganz gut, aber ich glaube, die ist nicht so glücklich beruflich wie ich, zum Beispiel. Die Fernsehfilme, die die macht, die sind halt alle ziemlich Scheiße. Ja, ist halt keine gute Qualität. Und ich meine, die spielt gut und die hat auch schöne Rollen, aber die Filme sind doof. Könnte besser sein.“ (Person D, 1:11:36-7)
ist man anderen intellektuell überlegen (oder zumindest nicht unterlegen) „Auch wenn es vielleicht ein bisschen arrogant klingt, aber ich weiß, dass meine Mutter und ich zusammen viel mehr Bücher haben als, sagen wir mal, mein Schulkollege aus meinem Leistungskurs Geschichte, der sich da vor mich setzt und irgendwie meint, dass er mit seinen, weiß ich nicht, 500, 600, 700 Euro Taschengeld allein pro Monat besser wäre. Also ich weiß nicht. Und sich dann so intelligent vorkommt. Das finde ich lächerlich.“ (Person J, 00:52:50-6)
hat man persönliche Erfolge bzw. eine stabile bzw. starke Familie (bzw. Freundesund Bekanntenkreis), worauf man bauen kann „Wir sind eine Familie. Man war wirklich siebzehn Jahre verheiratet. Wir haben gemeinsame Kinder. Das kriegt einen enormen Stellenwert. Und wir sind durch diese Phase ohne Schaden in der Familie. (...) Unsere Ehe ist nicht zerbrochen, die Familie ist nicht zerbrochen. Also ich denke mal, wir haben da wirklich ein Tal durchschritten, wo viele Beziehungen einfach kaputtgehen. Und das ist etwas, wo
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
ich sage, gut, das haben wir. Wo ich auch glücklich bin, wenn man sich mal so mit Leuten über Sachen unterhält. Ja, wir sind aber jetzt siebzehn Jahre verheiratet und wir haben einiges hinter uns.“ (Person H, 00:23:05-6) „Also bei unseren Freunden, die in der Regel ja so alt sind wie wir und dann, na ja, haben so im Durchschnitt so bis zu drei Kindern, da sind die Kinder eben schon raus. Und das merkt man ganz deutlich. Die fahren zweimal im Jahr in Urlaub, wir nicht einmal. Also da merkt man es [den finanziellen Unterschied] schon. Gut, dafür sind die aber noch nicht Großeltern, dafür sind wir schon einmal Großeltern. Also bei einer Tochter schon drei Mal, aber eben schon Großeltern, so. Ja, das ist dann wieder ne schöne Bestätigung.“ (Person G, 00:59:49-7) „(...) vielleicht noch mal die Voraussetzungen, unter denen ich nicht darunter leide, dass wir jetzt weniger Geld haben. Wenn die nicht mehr wären…also das heißt, dass meine Kinder gesund sind, ich gesund bin, mein Mann gesund ist und dass wir eine tolle Liebesbeziehung haben, kann ich mir vorstellen, dass ich das überhaupt nicht so easy alles... Also ich glaube, dass mir das sehr viel Kraft gibt und ich glaube, wenn da jetzt irgendetwas schief wäre oder irgendwie eine Katastrophe wäre, dass ich dann auch an den Umständen, nicht genug Geld zu haben oder nicht das, was ich so kenne oder so, also weniger zu haben, leiden könnte, was ich jetzt nicht so empfinde. Aber ich glaube, das hat damit zu tun. (...) aber eben diese Umstände, dass ich also was mache, und immer was finde, was ich gerne mache, dass ich einen Freundeskreis habe, die mich so lieben wie ich bin… ob ich jetzt mehr oder weniger Geld habe, spielt da jetzt keine Rolle.“ (Person D, 1:28:03-9)
verfügt man über einen integeren Charakter. So spekuliert Person K beispielsweise über einen möglichen Lottogewinn und kommt zu dem Schluss, dass zuviel Geld zu Persönlichkeitsveränderungen führen könne. „Ähm, es wäre nicht die Erfüllung, 3.5 Mio., um überhaupt irjend ne Zahl zu nennen, zu jewinnen. Es würde vielleicht auch den Charakter en bisschen versauen. Ob man will oder nich, man wird anders. Man wird einfach anders.“ (Person K, 02:18:22-7)
Diese Aussagen lassen darauf schließen, dass viele Befragte in der Lage sind, die finanzielle Einbuße und den Verlust von Konsummöglichkeiten durch einen Erfolg in anderen Lebensbereichen (Familie, Beruf, Intellekt, Persönlichkeit) zu „kompensieren“. In der Regel rücken nicht-materielle Aspekte bei der Selbstwahrnehmung und -darstellung in den Vordergrund. Erklären bzw. interpretieren lassen sich die gewonnenen Erkenntnisses anhand der Theorie der Selbstwertbestätigung („self-affirmation theory“) (Steele 1988). Das Selbstwertgefühl einer Person wird wesentlich von den Dimensionen des Selbst bestimmt, auf die die Person ihre Aufmerksamkeit lenkt (Selbstaufmerksamkeit). Unter bestimmten Bedingungen kann das Individuum „bei deprivierenden Vergleichen defizitäre Aspekte mit auf anderer Ebene liegenden bedeutsamen Selbstaspekten kompensieren“ (Wiswede 2007, S. 97). Dementsprechend
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ist bei einer Bedrohung des Selbstwertgefühls nicht unbedingt die Wiederherstellung des verletzten Aspekts des Selbst, also etwa die Wiedergewinnung der Konsumfähigkeit, notwendig. Der Selbstwert kann auch dadurch wiederhergestellt werden, dass ein anderer Aspekt des Selbsts aufgewertet wird (Wiswede 2007, S. 97). Aus der Perspektive der Stressbewältigung lässt sich diese Form der Selbstaufwertung als eine Form der Bedeutungskontrolle, und zwar die der „selektiven Ignoranz“, interpretieren. Selektive Ignoranz liegt dann vor, wenn das Individuum nach positiven Attributen oder Umständen innerhalb der beschwerlichen Situation Ausschau hält. Sobald die Person so etwas Positives gefunden hat, kann sie die schädlichen Aspekte ignorieren und ihre Aufmerksamkeit auf das lenken, was sie als lohnenswerte Aspekte der Erfahrung betrachtet (Pearlin/Schooler 1978, S. 6). Abgesehen von der Fokussierung auf positive Aspekte des Selbstbildes lässt sich auch eine Suche nach positiven mit der Einkommenseinbuße verbundenen Aspekten feststellen. Als positiv wird beispielsweise wahrgenommen, dass man seit der Arbeitslosigkeit über mehr Zeit als andere verfügt36, dass die Ernsthaftigkeit von Freundschaften auf den Prüfstand gestellt wird37, dass die Kinder indirekt von der Einbuße profitieren, weil sie besser auf das „wahre“ Leben vorbereitet werden38, oder dass die durch Arbeitslosigkeit ausgelöste Mängelphase Auslöser einer beruflichen Neuorientierung (z.B. Schritt in die Selbstständigkeit) ist39.
5.2.4.1.2 Priorisierung nicht-materieller Lebensziele Eng verwandt mit der „selektiven Ignoranz“ verwandt sind Prozesse, bei denen eine Hierarchisierung von Lebensprioritäten im Vordergrund steht. Menschen messen unterschiedlichen Lebensbereichen unterschiedliche Wichtigkeiten bei. Stress kann in dem Ausmaß vermieden werden, in dem Menschen in der Lage sind, die belastendsten Erfahrungen auf die am wenigsten wichtigen Lebensbereiche zu beschränken. Wenn Belastendes auf unwichtigere Lebensbereiche eingegrenzt werden kann, dann führt
36 37 38 39
Person C, 01:05:25-2. Person B, 01:58:43-4. Person K, 00:57:24-1. Person B, 00:33:28-1.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
dies weniger wahrscheinlich zu Stress, weil das Selbst weniger stark bedroht ist (Pearlin/Schooler 1978, S. 7). Folgende Äußerungen lassen die Schlussfolgerung zu, dass manche Befragte dadurch, dass sie anderen Dingen im Leben (z.B. der beruflichen Selbstverwirklichung) einen deutlich höheren Stellenwert als materiellen Dingen einräumen, besser mit ihrer deprivierten finanziellen Situation umgehen können. So nimmt beispielsweise die freiberuflich tätige Interviewte D lieber materielle Einschränkungen in Kauf, als auf ihre berufliche Freiheit zu verzichten oder nicht mehr ihrer Leidenschaft des Schreibens nachgehen zu können. Und auch Person G versucht, sich auf ihre „wahren“ Lebensziele zu besinnen. „Also wir [die Befragte und ihr Mann] lieben beide diese Freiheit, und es stand auch nicht zur Diskussion, sich irgendwo als Angestellte zu bewerben oder das Leben sonst zu ändern. Und ich würde auch lieber mit trocken Brot und Wasser leben, aber schreiben können, als irgendetwas machen, um irgendwie eine Miete zu bezahlen.“ (Person D, 00:11:11-7) „Aber ich versuche eigentlich mich immer wieder mit dem hochzuhalten, was mir eigentlich wirklich wichtig ist.“ (Person G, 01:23:57-7)
Man versucht also, dem Einkommen und materiellem Wohlstand möglichst wenig Gewicht beizumessen. In dieser Abwendung von materiellen Werten spiegelt sich möglicherweise auch ein gesellschaftlicher Trend. So zeigen Erkenntnisse der Glücksforschung, dass dem Einkommen heute als Determinante persönlichen Wohlbefindens bzw. Glücks „nicht einmal mehr eine herausgehobene Bedeutung“ zukommt (Ruckriegel 2007, S. 518). Inwieweit allerdings eine solche Vernachlässigung von materiellen Zielen auf individueller Ebene tatsächlich stattfinden kann, ist vermutlich auch stark von der Persönlichkeit des Konsumenten als auch davon abhängig, ob solche subjektiv höherwertigen Lebensziele überhaupt existieren.
5.2.4.1.3 Positiver (sozialer) Vergleich Eine weitere, ebenfalls auf eine kognitive Neutralisierung abzielende Strategie der Stressbewältigung stellt der positive Vergleich dar (Pearlin/Schooler 1978; Taylor et al. 1990). Auch diese Strategie wird von den Befragten genutzt. Viele der Interviewpartner vergleichen sich – meist ungefragt (!) – mit anderen Personen.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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Der soziale Vergleich stellt ein in der Sozialpsychologie bekanntes und intensiv untersuchtes Phänomen dar. Nach der Theorie des sozialen Vergleichs (Festinger 1954) vergleichen Menschen sich mit anderen, um Kenntnis über ihr eigenes Selbst, ihre eigenen Fähigkeiten, Einstellungen und (Handlungs-)Ergebnisse zu erlangen. Ein Vergleich mit anderen findet vor allem in solchen Bereichen statt, in denen keine objektiven Orientierungsmaßstäbe existieren und wo sich das Individuum unsicher fühlt. Welche Personen als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, hängt von den Zielen des Individuums ab. Verfolgt das Individuum das Ziel, seine eigenen Fähigkeiten und Meinungen akkurat einschätzen zu können, so wird es sich am ehesten mit jemandem vergleichen, der ihm ähnlich ist. Wenn es darum geht herauszufinden, was der höchste erreichbare Standard ist (Motiv: „Self-improvement“), dann findet ein Vergleich mit Personen statt, die einem bezüglich Leistung und/oder Persönlichkeitseigenschaften überlegen sind. In diesem Fall findet ein sogenannter aufwärtsgerichteter Vergleich („upward social comparison“) statt (Aronson et al. 2004, S. 175 f.). Soziale Vergleiche können sich auch auf das Konsumverhalten auswirken. Beispielsweise gilt das „Keeping up with the Jones’“ – als das aus sozialem Aufwärtsvergleich resultierende „Mithalten-Wollen“ – als wichtige Erklärungsvariable des in der Literatur beschriebenen „Overspendings“ von Niedrig-Einkommens-Haushalten (Walker 1996, S. 793). Verfolgt das Individuum das Ziel, sein Selbstwertgefühl zu steigern, dann vergleicht es sich mit Personen, die ihm bezüglich der interessierenden Aspekte unterlegen oder weniger begünstigt sind („downward social comparison“) (Brown/Dutton 1995). Durch den Abwärtsvergleich kann das Individuum seinen Selbstwert schützen bzw. steigern (Reis et al. 1993; Wood et al. 1999). Eine „Selbstaufwertung“ („Self-Enhancement“) kann allgemein durch einen Vergleich mit anderen Personen, die ähnliche Makel aufweisen oder noch eher durch einen Abwärtsvergleich mit Personen, die noch mehr von der unerwünschten Eigenschaft aufweisen, realisiert werden (Falk/Knell 2004, S. 420). Daneben stellt auch die Abwertung anderer Personen ein Mittel zur Selbstaufwertung dar (Wiswede 2007, S. 97). Bei den hier Befragten lassen sich alle drei Strategien der Selbstaufwertung feststellen. Keinerlei Ansatzpunkte finden sich jedoch für die bei Niedrigeinkommenshaushalten identifizierte – und das Konsumverhalten beeinflussende – Tendenz zu „Aufwärtsvergleichen“ (siehe oben).
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
5.2.4.1.3.1 Vergleich mit „ähnlichen“ Personen Einige der Befragten neigen zu einem Vergleich mit ihnen „ähnlichen“ Personen40. „Ich denke mal so dieses Bewusstsein, man ist in der Situation nicht der Einzige, dem es passiert, das ist ganz wichtig. Also das ist ganz wichtig. Also, dass es unverschuldet ist und dass man nicht allein ist. Es gibt viele, viele, denen es genauso geht. Also das muss man sich irgendwie immer, immer wieder herholen. Das ist ne ganz wichtige Sache. (...) Ja, und es kann einfach jeden treffen. Das ist Fakt. Also diesen Nimbus des Geschützten, weil man gut ausgebildet ist, diese Zeiten sind vorbei. Es kann jeden jederzeit treffen. Und das ist leider ne bittere Erkenntnis, aber die ist so.“ (Person H, 02:01:19-0) „Das einzige, was einen ein bisschen tröstet (...) Mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen, kenn ich kaum jemanden, den es nicht getroffen hat. Also man lebt ja in so nem Wahn, man ist Akademiker, man hat ne gute Ausbildung gemacht, man hält sich für doch durchaus intelligent, durchaus lebensfähig und geht so ein bisschen mit so ner Naivität ins Leben, was soll mir passieren. (...) Und mein Jahrgang... die hat es alle... und alle arbeitslos, insolvent und Scheidung und so. Ich kenn ganz wenige, die es nicht erwischt hat und das ist so ein bisschen ... Also man leckt dann gegenseitig so ein bisschen die Wunden, so nach dem Motto: Wie schlecht geht es Dir denn gerade? Also nicht mehr: Welches Haus hast du, sondern wie schlecht geht es dir denn gerade?“ (Person H, 00:23:05-6) „Aber gut, ich meine, ich weiß nicht, wie viel Prozent der deutschen Bevölkerung jetzt mittlerweile in dem Bereich dümpeln. Es ist schon eine ganze Menge. Also in Berlin, sieht es so aus (...) als wären fast alle so, bis auf ein paar wenige.“(Person C, 01:00:47-0) „(...) man ist nicht der Einzige in dieser Situation, sondern grade in unsere Straße kenn ich 15, 20 Familien, die in einer ähnlichen Situation permanent leben.“ (Person B, 00:16:53-7)
Die subjektive Erkenntnis, dass immer mehr Menschen – auch ähnlich hohen Bildungsniveaus (wie das der Befragten) – ebenfalls einen finanziellen Abstieg und einen Verlust an Lebensqualität und Konsummöglichkeiten hinnehmen müssen, vermittelt den Betroffenen ein Gefühl von „Du bist nicht allein“ und macht gleichzeitig deutlich, dass ein finanzieller Abstieg nicht unbedingt auf individuelles Versagen zurückzuführen ist. Vielmehr sind es die äußeren Umstände bzw. die veränderten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Prekarisierung der Arbeitswelt), die einen in diese Lage gebracht haben. Diese Wahrnehmung der eigenen Situation spendet nicht nur Trost, sondern schützt auch das persönliche Selbstwertgefühl, da man sich nicht in 40
Auch Person F, 01:26:39-8.
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der Rolle eines „Versagers“ zu sehen braucht. Sich selbst von der Verantwortung für ein – wie im Fall von Person H – negatives Ereignis freizusprechen stellt gleichzeitig eine der von Houston (1987, S. 390) identifizierten Strategien zur Stressbewältigung dar. Das hier zum Ausdruck kommende Gefühl des „Es kann jeden treffen“ entspricht der von Fischermann (2007, S. 21) festgestellten, mittlerweile auch in der Mittelschicht zunehmenden Angst vor dem finanziellen Abstieg. Auch wenn diese Wahrnehmung etwas überzogen wirkt, so beschreibt sie tendenziell die gesellschaftliche Realität. So zeigen Ergebnisse der Arbeitsmarktforschung, dass Akademiker (die den überwiegenden Teil der hier Befragten ausmachen) zwar noch immer das niedrigste Arbeitslosigkeitsrisiko tragen, trotzdem aber vor Arbeitslosigkeit nicht gefeit sind (Scharfenberg 2004). Qualifizierte Berufsabschlüsse machen Arbeitslosigkeit zwar unwahrscheinlicher, vor unsicheren und brüchigen Beschäftigungsformen schützen sie aber nicht (Grimm/Vogel 2008, S. 677). Gefördert wird diese Wahrnehmung des „Es kann jeden treffen“ vermutlich auch durch die Medienberichterstattung. Wurde früher von den Medien ein tendenziell negatives Bild von Arbeitslosen gezeichnet, machen heute Porträts von Menschen, die aus unterschiedlichsten sozialen und beruflichen Positionen in die Arbeitslosigkeit „rutschten“, auf das für viele gestiegene Risiko des sozialen Abstiegs aufmerksam (Klinger/König 2006, S. 23). Voraussetzung einer solchen selbstwertschützenden Interpretation der eigenen Situation ist häufig die Veränderung des Vergleichsmaßstabs. Diese manifestiert sich in der Erkenntnis der Befragten, dass die durch Stabilität bestimmte berufliche und finanzielle Situation der eigenen Eltern nun nicht länger als Orientierungspunkt dienen kann: „Mein Vater ist dieses Jahr 65 Jahre alt geworden. Der hat fünfzig Jahre lang im gleichen Unternehmen gearbeitet, und das permanent. Kein Tag Arbeitslosigkeit dabei. Sozusagen eine Berufsbiografie wirklich vom Schulabschluss bis zum Renteneintritt kontinuierlich von der Ausbildung hochgearbeitet bis ins Management. Das sind Phänomene, die heute, so in dem Maße, nicht mehr erlebbar sind. Hier waren im Prinzip gesicherte Rahmenbedingungen über einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten gewährleistet. (...) So etwas kann man sich schlichtweg kaum noch vorstellen. (...) es ging einer Reihe von Menschen über Jahrzehnte sehr, sehr gut. Und sie haben sich sicherlich aus einfachen Verhältnissen, aber dann so auch entwickeln können, dass man hier kontinuierlich ein gesichertes Einkommen hat und jetzt auch den Wohlstand wirklich sehr, sehr positiv genießen kann.“ (Person B, 00:24:38-8) „So die Generation unserer Eltern, da haben manchmal beide... aber häufig ja nur die Väter... und die sind in den Beruf eingestiegen und dann sind sie in Rente gegangen. Und dazwischen gab´s nicht viele Eruptionen. Das war irgendwie so kon-
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tinuierlich. Und das ist vorbei. Das Thema ist ein für allemal durch. Also dieses Bewusstsein, also das war, denke ich, das was die, die ich kenne, die es auch getroffen hat, so erschüttert hat. Hallo (ruft), das war nicht geplant! Das hat uns keiner gesagt. Und das macht diese Phase dann noch mal ein bisschen anstrengender, weil man erst mal damit klar kommen muss. Deine Lebensplanung geht leider nicht so, wie du dir das vorgestellt hast.“ (Person H, 02:01:19-0)
Statt der Eltern wird nun die eigene Generation als Vergleichsmaßstab herangezogen. Die hier feststellbare Veränderung des Vergleichsmaßstabs dient der individuellen Entlastung. Angesichts der realen Umwelterfordernisse scheint diese „Umorientierung“ aber auch aus objektiver Perspektive durchaus rational zu sein. Tatsächlich sind nämlich die Erwerbskarrieren der im Zeitraum von 1931–45 Geborenen (der Eltern der Befragten) im Sinne von dauerhafter und unbefristeter Vollzeitbeschäftigung am stabilsten (Bonß 1999, S. 224). In den darauffolgenden Jahrzehnten hat dauerhafte und unbefristete Vollzeitbeschäftigung zunehmend an Bedeutung verloren (Bonß 1999, S. 218) und gleichzeitig die Unsicherheit von Erwerbskarrieren zugenommen (Bonß 1999, S. 221).
5.2.4.1.3.2 Sozialer „Abwärtsvergleich“ Deutlich häufiger als ein Vergleich mit Personen in ähnlicher Lage findet ein Abwärtsvergleich statt. Nach dem Motto „im Vergleich zu anderen geht es mir noch gut“ vergleichen sich die hier Befragten mit Personen, denen es (vermutlich) noch schlechter geht, weil deren finanzielle Situation noch ernster als die eigene ist „Dann haben wir eigentlich ... nicht den rosigen Abstand, den ich mir gerne gewünscht hätte mit meinem Vorruhestand, aber ich denke mal, o.k., ist halt so. Und manchmal muss man damit auch klar kommen. Ich denke mal, gemessen an vielen Menschen, geht es uns immer noch sehr gut, trotz aller Einschränkungen.“ (Person E, 00:33:48-3) „Aber ich denke, mir geht es ja trotzdem noch irgendwie besser als einem Hartz IV- Empfänger.“ (Person C, 00:36:50-9)
deren Mängelphase dauerhafter (bzw. grundsätzlicherer) Natur ist. „(...) Ich hab die Hoffnung, dass ich jetzt in den nächsten Wochen wirklich wieder, entweder durch eine Selbstständigentätigkeit oder einen neuen Arbeitsplatz sozusagen, an die alten Verhältnisse anknüpfen kann, was jedenfalls finanzielle Einnahmen anbetrifft. Viele um uns herum aus der Nachbarschaft kommen aus
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dieser Situation [der finanziellen Knappheit] dauerhaft nicht mehr heraus. Das ist etwas, das mir jetzt erst so richtig bewusst wurde. (...) Mensch, es geht einem vielleicht nicht so besonders gut, aber es gibt ne ganze Menge von Menschen um einen herum, im direkten Freundes- und Bekanntenkreis, die müssen mit der Situation dauerhaft (!) umgehen. Das ist schon wirklich ne sehr, sehr große Anstrengung.“ (Person B, 00:16:53-7) „Ick globe, ick könnte Jeschichten erzählen über die, die wirklich unten sind (..). Und wo ick so manches Mal och denke, haste es eijentlich noch jut. Ick orientier mich sehr in diese Richtung.“ (Person K, 02:33:13-2)
Diese Zitate machen deutlich, dass viele der Befragten sich mit schlechter gestellten Personen vergleichen, um die Unzufriedenheit mit der eigenen Situation zu reduzieren. Bei einem solchen Vergleich findet dadurch, dass die eigene Situation als weniger ernst – oder zumindest nicht als ernster – als die von relevanten anderen Personen beurteilt wird, eine kognitive Neutralisierung statt (Pearlin/Schooler 1978, S. 6). Auch wenn viele der Befragten sich nach unten vergleichen, so gelingt es keineswegs allen: „Wenn ich in Afrika leben würde, ginge es mir wahrscheinlich auch schlimmer. Aber es ist ja alles in meinem Kontext zu sehen, in der Relation.“ (Person L, 00:07:34-8)
Berücksichtigt man das Umfeld der zu einem Abwärtsvergleich neigenden Befragten, so lässt sich die Vermutung aufstellen, dass die Tendenz bzw. die Fähigkeit zu einem sozialen Abwärtsvergleich mit zunehmender sozialer und räumlicher Nähe (berufliches, direktes nachbarschaftliches Umfeld) zu finanziell schlechter Gestellten tendenziell zunimmt. „Mein beruflichet Umfeld [soziale Einrichtung zur Unterstützung hilfebedürftiger Frauen] is ja nu wirklich so, dass ick mich so ein bisschen willkommen im Club fühle. Ick weiß nicht, wie es wäre, wenn ick woanders arbeiten würde (...) Ick weiß inzwischen nicht mehr, was normal is. Aus meiner Sicht ist es normal, janz wenig Jeld zu haben und zu sehen, wie man über die Runden kommt.“ (Person K, 00:31:11-6)
Tendenziell unterstützt wird diese Annahme durch Studien von Lewis (1959; 1968), die sich allerdings mit dauerhaft Deprivierten auseinandersetzen. Diese zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Anpassung an eine Deprivationssituation und somit ein positiver Umgang mit der Armut um so wahrscheinlicher ist, je mehr das direkte soziale Umfeld ähnlich depriviert ist (wie beispielsweise in Slums). Verfügt man über einen tendenziell und homogen wohlhabenderen Freundeskreis (wie dies bei Person A und F der Fall ist), fällt ein Vergleich nach unten naheliegenderweise schwerer und wird dementsprechend auch nicht angestellt. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit
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Feststellungen von Kahneman/Varey (1991). Diese gehen davon aus, dass ein Individuum niemals mit einem gegebenen Einkommen zufrieden sein kann, wenn alle um es herum ein höheres Einkommen erzielen. Eine andere, ebenfalls auf einem positiven Vergleich – wenn auch keinem sozialen – beruhende Strategie zur Bewältigung negativer Lebensereignisse ist die der „Conceivable worse alternatives“ (Wills 1987, S. 246) nach dem Motto „Es hätte noch schlimmer kommen können“. Indem man sich eine noch schlimmere Version des gleichen Ereignisses vorstellt, kann man die aktuelle Situation leichter bewältigen, da man sich im Vergleich zu dieser Variante noch als „gut dran“ sieht. Auch von dieser Strategie wird – wenn auch nur von einer Befragten explizit geäußert – Gebrauch gemacht: „Manche Menschen werden ja auch richtig krank davon, und das bin ich Gott sei Dank nicht geworden. Irgendwie, toi, toi, toi... bis jetzt jedenfalls. Also ich bin weder in eine Komplettdepression verfallen, noch andere Sachen, also da habe ich ja noch Glück.“ (Person C, 01:14:56-4)
5.2.4.1.3.3 Distanzierung und Abwertung In seltenen Fällen lassen sich auch Formen einer Abwertung bzw. Distanzierung von anderen Personen beobachten. Dies äußert sich beispielsweise darin, dass man sich von anderen finanziell Deprivierten distanziert, da man sich ihnen gegenüber überlegen fühlt, weil man zum Beispiel vergleichsweise mehr Wert auf Bildung oder Ernährung legt: „Also (...) viele, zum Beispiel Hartz IV-ler, ernähren sich ja dann so wahnsinnig ungesund und werden so dick. Das versuche ich natürlich zu vermeiden. Also Süßigkeiten und dieses ganze Billigzeugs, und auf Vorrat und sieben Kilo Schweinekamm, mache ich alles nicht.“ (Person C, 00:44:27-7) „Aber bei uns raucht keiner, bei uns trinkt keiner. Wir haben keinen Hund oder so was, wo andere dann eben drei Hunde haben oder so, und die kriegen dann immer ihr Fresschen. Und für die Kinder reicht es dann mal für McDonalds und sonst nicht, oder so.“ (Person G, 01:23:57-7)
Diese Art Distanzierungsstrategie wird auch von den „Low-Income Consumers“ in den USA genutzt (siehe 3.2). So versuchen beispielsweise die Obdachlosen in der Studie von Hill/Stamey (1990), sich von ihrem direkten sozialen Umfeld, also anderen Deprivierten, zu distanzieren (genauer 0). Eine andere Möglichkeit zur Aufrechterhaltung ihres Selbstwertgefühls bleibt ihnen auch kaum, wenn man berücksichtigt, dass
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die in der US-amerikanischen Forschung untersuchten Personen in der Regel bereits am Rande des absoluten Existenzminimums leben und finanziell kaum tiefer sinken können. Die Möglichkeit eines sozialen Abwärtsvergleichs – wie ihn die hier Befragten praktizieren (5.2.4.1.3.2) – bleibt ihnen damit verwehrt. Eine andere Variante des Bemühens um die Aufrechterhaltung des Selbstwerts stellt die Distanzierung von finanziell Bessergestellten dar. Diese vollzieht sich dadurch, dass finanziell Bessergestellten negative Eigenschaften – hier z.B. die Eigenschaft, langweilig zu sein – zugeschrieben werden. Diese Distanzierung vollzieht sich zunächst auf einer mentalen, dann aber möglicherweise auch auf der physischen Ebene, d.h. der Kontakt wird gemieden: „So ewig jut jelaunte, satte Leute, die alles haben, die langweilen mich wirklich zu Tode. So auch janz privat kenn ick so jemand nich. Also hab ick nich an meinem Tisch, kann ick mir ja aussuchen. (...) Man kann aus so nem Freundeskreis, aus so nem lang jewachsenen Freundeskreis, einfach auch rausfallen, nicht nur durch Krankheit, Tod und Teufel und en neuet Kind, sondern einfach och mal durch zu viel Geld. Genauso wie durch zu wenig. Det is immer so en Ausreißen in irjend ne Richtung und och dieset zuviel kann negativ sein.“ (Person K, 02:18:227) „Ick hatte mal Freunde, (...) die waren so stinkreich, det war schon irjendwie lustig, weil wir waren die Exoten für Sie. Die Leute mit denen sie sich abjegeben haben, die waren vom anderen Stern. Det waren eben solche Langweiler für mich, die dann so saudumme Jespräche vom Zaun reißen. Wie, ihr lebt nur in ner Mietwohnung? Is ja ein Ding! Oder: Sag mal, kennst Du nen guten Anlageberater? Hä? Was? Anlageberater? Oder: Wie? Keene neue Küche? Also ihr werdet doch noch 5000 Euro für ne neue Küche haben? Nee, ham wir nich. Nee, können die sich echt nicht vorstellen. Können die sich wirklich echt nicht vorstellen. Und da hab ick jemerkt, det jet nich solange gut.“ (Person K, 00:31:11-6)
Durch aktive Abwertung der Fähigkeiten (hier: der Zuschreibung der mangelnden Fähigkeit zu einer ausgewogenen Ernährung oder zu einem vernünftigen Lebensstil) und persönlichen Merkmale (hier: der Vorwurf, langweilig zu sein) anderer können Personen die psychologische Distanz zwischen sich selbst und anderen vergrößern und so eine Art von Abwärtsvergleich konstruieren. Indem man anderen negative Züge attribuiert oder ihre persönlichen Eigenschaften abwertet, kann das bedrohte Selbstwertgefühl geschützt werden (Wills 1987, S. 248). Die vorangegangenen Abschnitte zusammenfassend kann festgehalten werden, dass dem Individuum verschiedene, auf eine „Bedeutungskontrolle“ (siehe 5.2.4) der Situation abzielende Stressbewältigungsstrategien zu Verfügung stehen. Die vorliegende Untersuchung lässt vermuten, dass deren Einsatz allerdings an bestimmte Vorausset-
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
zungen geknüpft ist. So scheint eine Person (Person F) unter den hier Befragten besonders unter ihrer finanziellen Lage zu leiden. Dies liegt vermutlich zum einen daran, dass sie wirklich mit sehr knappen Mitteln wirtschaften muss. Eine weitere Ursache für die starke Belastung – oder zumindest ein verstärkender Faktor – könnte aber auch in den bei ihr erschwerten Möglichkeiten der „Bedeutungskontrolle“ liegen. Sie ist nicht nur die ärmste in ihrem Freundeskreis (kein sozialer Abwärtsvergleich möglich), sondern verfügt gleichzeitig über eine eher negative finanzielle Perspektive (kein Aufschieben der Bedürfnisbefriedigung möglich) (siehe 5.2.4.3.2), und auch die Möglichkeit eines Ausgleich in anderen Lebensbereichen (z.B. berufliche Selbstverwirklichung) ist ihr verwehrt. Diese Faktoren, gekoppelt mit der eingeschränkten Konsumfähigkeit, sind auch dafür verantwortlich, dass sie unter „Minderwertigkeitsgefühlen“ (Person F, 00:44:48-5) und einem beschädigten „Selbstwertgefühl“ (Person F, 01:55:31-5) leidet. Inwieweit also die Maßnahmen der Bedeutungskontrolle als Mittel zur Stressbewältigung zum Zuge kommen können, dürfte also sowohl von individuellen als auch von objektiven Umständen abhängen.
5.2.4.2 Eingeständnis der Selbstverantwortlichkeit Eine bei den Befragten ebenfalls, wenn auch selten, vorzufindende Stressbewältigungsstrategie stellt das Akzeptieren von Mitverantwortung dar (Folkman et al. 1986, S. 995). Hierbei erkennt das Individuum an, dass es zumindest in Teilen selbst Verantwortung für die negative Situation, in der es sich befindet, trägt. Beispielsweise gesteht Person A sich ein, dass ihre Einbuße Resultat ihrer eigenen freien Entscheidung für ein Studium ist.41 Aus diesem Grunde meint sie, nun auch mit den Konsequenzen leben zu müssen. Und auch Person F, bei der gleich mehrere einschneidende und keineswegs immer selbstverschuldete Lebensereignisse Ursache der Einbuße waren, bedient sich dieser Strategie: „Trotz, dass es mich aufwühlt und nervt und zu einer psychischen Belastung führt, denke ich mir, du musst es doch akzeptieren. Du hast es gewählt. (...) Es ist die Frage, inwieweit ich mir meine Unzufriedenheit erlauben darf, dadurch, dass es irgendwie eine Lebensentscheidung war, in einem fremden Land zu wohnen.“ (Person F, 01:27:51-4)
41
Person A, 01:24:06-4.
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5.2.4.3 Anspruchsniveaubezogene Bewältigung 5.2.4.3.1 Senkung des konsumbezogenen Anspruchsniveaus Die bisher geschilderten Bewältigungsreaktionen zielen häufig in erster Linie darauf ab, das durch verringerte Ressourcen und Konsummöglichkeiten bedrohte Selbstwertgefühl zu schützen. Im Folgenden soll dargestellt werden, wie Konsumenten mit dem „Misserfolgserlebnis“, das durch eine Abweichung der tatsächlich noch verbliebenen Konsummöglichkeiten von ihren Konsumansprüchen zustande kommt, umgehen. In der Regel bedeutet ein finanzieller Abstieg für die Betroffenen, den bisherigen Konsumstandard nicht mehr aufrechterhalten zu können. Dies löst negative Emotionen aus: „Also das ist schon nicht so schön, wenn man auch nicht essen gehen kann und so. Also gerade, weil ich es vorher oft gemacht habe.“ (Person I, 00:38:58-4) „Das Philharmoniker-Konzert ist dieses Jahr nicht drin. Es sind, klingt überheblich, aber es sind Momente, wo man in den zwei Stunden eine Inspiration, eine Begeisterung spürt, die einem noch monatelang erhalten bleibt. Und wo man sieht, das sind Punkte, die hat man vielleicht bislang mitgenommen, so das gehört zum Jahresrepertoire dazu. Aber wenn es dann mal nicht da ist, ist es schon schwer.“ (Person B, 01:05:35-4)
Wie geht der Konsument mit der durch die Einbuße erzeugten Diskrepanz zwischen gewohntem und realisierbarem Konsumniveau und der daraus meist resultierenden Unzufriedenheit um? Eine in den Interviews häufig zum Vorschein tretende Strategie stellt die Senkung des Anspruchsniveaus dar. Gelingt es einer Person, ihr Anspruchsniveau zu senken, so macht sie dies in Bezug auf ein gegebenes objektives Ergebnis glücklicher (Gilboa/Schmeidler 2001b, S. 281). Die Anspruchsniveausenkung manifestiert sich auf unterschiedliche Arten: Der Konsum als solcher wird kritischer hinterfragt Der alltägliche Konsum wird kritischer hinterfragt. Der Konsument macht sich etwa bewusst, dass sein bisheriges Kaufverhalten stärker durch äußere Einflüsse (z.B. Maßnahmen am Point of Sale) als durch seine tatsächlichen Bedürfnisse determiniert war. Über die tatsächliche Notwendigkeit bestimmter konsumierter Produkte wurde bisher nicht oder zu wenig nachgedacht. Diese Erkenntnis veranlasst den Konsumenten dazu, bewusstere Kaufentscheidungen zu fällen und verstärkt (Kosten-)Nutzenüberlegungen anzustellen.
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„Der Konsum wird deutlich kritischer hinterfragt. Das ist, denke ich auch, ne ganz positive Erfahrung dabei. Vor allen Dingen ist mir auch klar geworden, dass die bisherige Konsumstrategie, die man an den Tag gelegt hat, die muss man permanent überprüfen. (...)“ (Person B, 02:09:25-8) (...) „Dass man Produkte sehr viel stärker auf ihren Nutzen hin überprüft und wo sozusagen das Nutzenprofil nicht nahe hundert Prozent ist, zu sagen, nee, das hat für mich nicht den Wert. Dann auch mal viele Kaufentscheidungen nicht zu realisieren, wenn sozusagen der Nutzeneffekt nicht mehr belegbar ist.“ (Person B, 02:10:19-1) „(...) ich kaufe nur das, was jetzt auf der Liste steht. Und nichts von dem, was einem da noch aufgedrängt wird an wunderbaren Produkten, die es sicherlich gibt, aber die kein Mensch im Prinzip benötigt. (...) Dass man sich nicht mehr... ja, manchmal auch von Situationen übertölpeln lässt, nur weil etwas besonders hübsch ausschaut oder beworben wird, dass man einfach mal nein sagt, und dem auch widerstehen kann.“ (Person B, 02:08:47-9)
Viele Güter, die man vorher als notwendig erachtet hat, braucht man, wie man jetzt erkennt, tatsächlich nicht Konsumenten stellen in der Situation der Einkommensschmälerung fest, dass sie bestimmte Dinge, die sie bisher als notwendig erachtet haben, bei genauerer Betrachtung tatsächlich nicht brauchen. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass zwischen der tatsächlichen Ausstattung eines Haushalts mit Gütern und der Einschätzung der Notwendigkeit dieser Dinge ein Zusammenhang besteht (Böhnke/Delhey 1999, S. 18) (siehe 2.1.2.2). Offenbar kann diese „Notwendigkeitseinschätzung“ von manchen Personen bei einer Einbuße nach unten angepasst werden. „Aber sonst hab ick durch diesen Umzug, durch dieset Verkleinern, festjestellt, man braucht auch janz viel jar nicht. (...) Also ick kann schon so durch die Kaufhäuser laufen, aber ick muss dat allet auch zum größten Teil jar nicht mehr haben. Also ick dachte mal, ick muss janz viel haben, und hab dann festjestellt beim Umzug, mein Gott, wat hast Du bloß, ist doch furchtbar.“ (Person K, 00:31:11-6)
Aspekte des früheren Lebens- bzw. Konsumstils werden in Frage gestellt Nicht nur der Besitz bestimmter Güter, sondern auch das konkrete Konsumverhalten als solches wird in Frage gestellt. „Es jeht mit wenijer und es jeht mit mehr. Und wenn man nich uffpasst, hat man, wenn man mehr verdient, nich mehr übrig am Ende. Man hat nur vielleicht wat anderet jemacht. Die Frage ist nur, ob man det wirklich brauchte. Also so ein Theaterbesuch ist toll, aber er hätte jetzt nicht zum Überleben sein müssen.“ (Person K, 01:24:04-9) „Also früher hätt ick eher ma noch so en Fummel zwischendurch jenommen. Den hätt ick nich unbedingt jebraucht, aber der wär jetzt mal so janz schick jewesen
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und hätte sich eventuell auch als Fehlkauf entpuppt. Kann ick mir heute gut sparen.“ (Person K, 00:53:17-5)
In einigen Fällen scheint die Notwendigkeit zu sparsamerem Verhalten einen Denkprozess in Gang zu setzen, der ein bewussteres Konsumverhalten zur Folge hat. Beispielsweise ist ein Befragter während seiner Mängelphase dazu übergangen, Tee statt teurer Erfrischungsgetränke (Vittel, Cola etc.) zu konsumieren, und behält dies auch bei, als es ihm finanziell wieder besser geht. Er bedauert geradezu, dass er sich vor der Einbuße so „unökonomisch“ verhalten hat.42 „Also das [die Umstellung] fand ich großartig. Da dachte ich mir, na ja, hättest du schon viel früher machen können. (...) am Wochenende die Wasserflaschen zu tragen, exorbitant Geld hinzulegen für Vittel und so einen Quatsch, wenn es aus der Leitung kommt. Da bin ich aber auch erst drauf gekommen.“ (Person I, 00:42:59-2)
Man ist mit einer zeitlichen Streckung der Bedürfnisbefriedigung einverstanden Einige Befragte haben viele ihrer Bedürfnisse in der Vergangenheit in der Regel jeweils umgehend befriedigen können. Nun versuchen sie, die Befriedigung ihrer Bedürfnisse zeitlich zu „strecken“. Die innere Bereitschaft dazu lässt sich als eine Senkung des Anspruchsniveaus bezüglich des Zeitpunktes der Bedürfnisbefriedigung interpretieren. „Also ick war früher wirklich drei, vier Mal die Woche im Buchladen. Wat mir jefallen hat, dat hab ick mir jekauft. Und jetzt kann ick det abwarten.“ (Person K, 00:31:11-6) „Dass man Dinge auch abwarten kann, denk ich mal, das habe ich auch gelernt daraus [aus der Mängelphase]. (...) ja, dass man nicht sofort irgendwo hinrennt und irgendwas haben will oder so. Dass man sagt, o.k., ist ja bald Weihnachten, ist ja bald der Geburtstag oder so, dass man sich dann sagt, o.k., dann wünsche ich mir das halt.“ (Person I, 01:18:33-2)
Gewöhnung an die veränderte Situation In einigen Bereichen erlebt der Konsument durchaus Verschlechterungen, die er nicht so einfach „wegstecken“ kann. Doch auch in solchen Fällen kann eine Senkung des Anspruchsniveaus stattfinden. Allerdings vollzieht sich diese eher unbewusst, im Sin-
42
Person I, 00:42:59-2.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
ne einer Gewöhnung an die neuen Umstände. Folgende Äußerung einer Befragten zu ihrem notwendigen Umzug von einer schönen großen Altbauwohnung in eine wesentlich kleinere Plattenbauwohnung belegt dies: „Ick hab früher ne schöne Altbauwohnung jehabt. Dat is ja jetzt hier meine erste Platte. Und ick hätts nicht wahrhaben wollen, dass ick in so wat mal einziehe, aber ick muss ehrlich sajen, ick finds jar nischt so schlimm. Und für mich war es praktisch. Da unten fährt allet. Det is nich lauter als vorher. Der Alex [Alexanderplatz in Berlin] is da. Ick arbeite in Kreuzberg, bin in ner Viertelstunde mit dem Rad da. Allet prima. Hier is et vor allem ruhig.“ (Person K, 00:31:11-6)
Dieses Zitat macht deutlich, dass sich die Befragte, obwohl ihr das vorher unvorstellbar schien, an die neue, qualitativ schlechtere Wohnung gewöhnt hat. Interpretieren lässt sich dies als eine durch Gewöhnung erzeugte Anspruchsniveauanpassung wie sie durch die „Adaptation-Level-Theory“ (Helson 1964) postuliert wird (siehe 5.2.1.3). Es fällt auf, dass sich die Befragte bei dem Gedanken an ihre neue Wohnung insbesondere deren Vorteile vor Augen ruft. Erklärt werden kann dies mit der Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger 1957). Das Wohnen in der schlechteren Wohnung verursacht eine dissonante Beziehung zwischen der ursprünglichen Einstellung zu Plattenbauten und dem tatsächlich praktiziertem Verhalten, nämlich dem Umzug in eine solche. Durch die Veränderung der Kognitionen, hier in Form der Bewusstmachung der Vorteile der schlechteren Alternative und der dadurch erzielten Aufwertung derselben können die Dissonanz und das mit ihr einhergehende Unbehagen verringert werden. Es konnte bereits in anderen Bereichen gezeigt werden, dass Menschen dazu neigen, sich negative Ereignisse, selbst wenn sie nicht selbst dafür verantwortlich sind, „schön zu reden“ (Kay et al. 2002). Gleichzeitig lässt sich die hier feststellbare Suche nach positiven Aspekten in einer insgesamt negativen Erfahrung auch im Sinne der Stressbewältigungsstrategie der selektiven Ignoranz interpretieren (siehe 5.2.4.1.1). Insgesamt scheint folgende Interpretation angemessen: Grundsätzlich ist bei den Befragten eine starke Tendenz zur kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten zu erkennen. Es wird intensiver über den Konsum als solchen, bestimmte Gewohnheiten und konkret über die Notwendigkeit bestimmter Produkte nachgedacht. Möglicherweise macht sich der Konsument erstmals Gedanken darüber, welche Produkte er tatsächlich benötigt und auf welche er verzichten kann, ohne allzu sehr darunter zu leiden. Bei diesem Evaluierungsprozess mag er zu der Erkenntnis gelangen, dass er bestimmte Produkte vor der Einbuße einfach nur deshalb konsumierte, weil die dazu notwendigen Ressourcen eben vorhanden waren, nicht aber, weil er sie wirklich brauchte oder jedenfalls als notwendig betrachtete. Solche Erkenntnisprozes-
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se lassen sich zum Teil weniger als eine Senkung des Anspruchsniveaus, sondern vielmehr als eine „Festlegung“ des individuellen Anspruchsniveaus interpretieren, über welches man sich zuvor kaum oder keine Gedanken gemacht hat. In anderen Bereichen, nämlich dort, wo angegeben wird, dass bestimmte Produkte früher als notwendig betrachtet wurden und jetzt nicht mehr, ist dagegen durchaus eine Senkung des Anspruchsniveaus zu erkennen. Diese Anspruchsniveausenkung fördert die Zufriedenheit mit dem gegebenen Lebensstandard: „Im Grunde, also ich mein, et fehlt ja nich wirklich wat. Die Bude is völlig voll mit dem wat man so braucht. En bisschen mehr Luxus, o.k.. Altersvorsorge wär wichtig, jeht nich. Gesundheitsvorsorge, na ja, jut, o.k., könnte och besser sein. Aber ob es nun wirklich so wichtig is, den Wocheneinkauf komplett im Bioladen zu machen, statt bei Aldi, det weeß ick nich so richtig. Weiß ick wirklich nich. Mit mehr Geld steigen die Ansprüche.“ (Person K, 02:33:13-2)
Nur eine einzige Befragte ist äußerst unzufrieden mit ihrem Lebensstandard und bezeichnet ihr Leben als „derbe monotone Existenz“ (Person F, 01:18:42-9). Auch wenn die Befragten in vielen Konsumbereichen ihre Ansprüche senken können, so gelingt dies nicht überall. Insbesondere in existenzielleren Bereichen wie Gesundheit und Altersvorsorge bleiben die vorhandenen Ansprüche stabil, obwohl man ihnen nicht mehr gerecht werden kann. Beispielsweise reichen die momentanen Ressourcen kaum oder nicht aus, um im Grunde notwendige medizinische Maßnahmen (wie z.B. eine kieferorthopädische Behandlung) zu finanzieren43 oder um für das Alter vorzusorgen44. Den Ansprüchen und Notwendigkeitseinschätzungen in diesen Bereichen nicht gerecht zu werden stellt für die hier Befragten die größte Belastung dar.
5.2.4.3.2 Akzeptanz der temporären Abweichung vom Anspruchsniveau ohne Senkung des Anspruchsniveaus In anderen Fällen senkt der Konsument seine Ansprüche bezüglich seiner angestrebten Bedürfnisbefriedigung nicht, ist aber bereit, eine temporäre Abweichung von diesen in Kauf zu nehmen. Für eine gewisse Zeit ist er bereit, mit der im Grunde inakzeptablen Alternative zu leben.
43 44
Person B, 01:12:31-0 und 01:18:40-2; Person D, 1:20:00-8. Person K, 02:10:56-6; 02:12:43-4.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
„(...) auf Dauer würde ich so nicht leben wollen. (...) auch meine Wohnung oder so, da bin ich ja überhaupt nicht mit zufrieden. Obwohl, jetzt habe ich mich einigermaßen dran gewöhnt, aber das war am Anfang ganz schwierig. Da konnte ich mir das überhaupt nicht vorstellen... ja, nee, auf Dauer könnte ich mir das nicht vorstellen.“ (Person A, 00:44:12-8)
Diese Strategie zur Bewältigung materieller Einschränkungen lässt sich auch als eine „aufgeschobene Bedürfnisbefriedigung“ interpretieren. Ganz nach dem Motto „Wenn nicht heute, dann morgen“ versucht man sich mit der Aussicht auf die zukünftige Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung über die mangelnde Bedürfnisbefriedigung zum aktuellen Zeitpunkt „hinwegzutrösten“. „Aber ich vermisse jetzt nichts Großartiges. Also halt natürlich meine Volkshochschule [wo sie vorher Sprachkurse besuchte], aber ich weiß ja, dass es wieder kommt. Insofern ist das o.k.. (Person J, 00:46:13-9) (...) Irgendwann krieg ich das schon wieder hin und dann hab ich halt mal ein Jahr Pause.“ (Person J, 00:46:345) „Ich höre immer das Fernsehprogramm der Nachbarn. Ist so hellhörig. Ich hab noch nie im Neubau gewohnt. (...) ich kann damit leben und denke auch, das geht wieder vorbei und dann können wir wieder eine spannendere, schönere Wohnung finden.“ (Person D, 00:11:11-7) „...aber ich sage mir dann immer, o.k, das ist ja absehbar. (...) Da muss ich jetzt durch, und dann geht es schon irgendwie.“ (Person A, 00:43:27-5) „Ja, dann sage ich mir lieber, kommen schon irgendwie wieder goldene Zeiten oder irgendwann ist das runtergesetzt und dann hol ich mir das Ding [Produkt].“ (Person I, 00:46:48-3) „Also ich hab' so so meine eigenen Bedürfnisse, das hab' ich wirklich zurückgestellt. Und ich denke mir, irgendwann kommt das, dass ich da mich dann so ausleben kann... vielleicht, ne?“ (Person F, 01:37:02-8)
Die hier festgestellte Fähigkeit zu einem temporären Abweichen vom Anspruchsniveau mag in Teilen auf den soziodemographischen Hintergrund der hier Befragten zurückzuführen sein. So ist in der Mittelschicht, der die hier Befragten angehören, allgemein eine ausgeprägtere Zukunftsorientierung vorhanden. Personen mit höherem Einkommen zeigen – auch wenn sie sich viele Dinge problemlos leisten könnten – im Vergleich zu Personen mit geringerem Einkommen allgemein eine stärkere Tendenz zu aufgeschobener Bedürfnisbefriedigung („deferred gratification“) (Moschis 1994, S. 69). Eine wesentlich wichtigere Determinante der Fähigkeit zur Hinnahme einer vorübergehenden Abweichung vom Anspruchsniveau dürfte aber die individuelle Zukunfts-
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perspektive des Betroffenen sein. Allgemein kann die Aussicht auf eine positive Zukunft eine als unangenehm erlebte Situation leichter erträglich machen (Pearlin/ Schooler 1978, S. 6). Die Hypothese, dass sich diese stresstheoretische Annahme auch auf die vorliegende Untersuchung übertragen lässt, wird auch gestützt durch eine von Grimm/Vogel (2008, S. 676) durchgeführte qualitative Panelbefragung von Personen, die sich in prekären Erwerbssituationen befanden. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Zukunftsperspektive beeinflusst, wie Menschen ihre unsichere (Erwerbs-)Situation bewerten. Auch Bisky (2008) weist darauf hin, dass Lebensrisiken je nach Status und Position unterschiedlich verarbeitet werden. Die hier Befragten verfügen tendenziell über eine positive Zukunftsperspektive, und zwar entweder, weil die Dauer bzw. das Ende der Mängelphase bereits absehbar oder die subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit, in Zukunft wieder über ein besseres Einkommen zu verfügen, groß ist. Zwei der hier Befragten (Person A und Person I) haben sich für ein Studium entschieden. Der finanzielle Mangel stellt bei ihnen eine unangenehme, aber unvermeidbare Begleiterscheinung dieser Entscheidung dar. Die Mangelphase wird aber von vorneherein als zeitlich begrenzte Phase verstanden. Andere Befragte verfügen generell über eine positive finanzielle Perspektive: „Ich hab die Hoffnung, dass ich jetzt in den nächsten Wochen wirklich jetzt wieder, entweder durch eine Selbstständigentätigkeit oder einen neuen Arbeitsplatz sozusagen, an die alten Verhältnisse anknüpfen kann, was jedenfalls finanzielle Einnahmen anbetrifft. Viele um uns herum aus der Nachbarschaft kommen aus dieser Situation dauerhaft nicht mehr heraus.“ (Person B, 00:16:53-7)
Hier gilt zu berücksichtigen, dass die hier vorliegende Stichprobe zu einem großen Teil aus Akademikern besteht. Akademiker sind hinsichtlich ihrer beruflichen und damit finanziellen Zukunftsperspektive generell begünstigt. So können arbeitslose Akademiker ihre Lebenssituation mit mehr Optimismus betrachten, da sie bezogen auf ihre berufliche Zukunft in der Regel über bessere Lebensperspektiven verfügen als Menschen mit niedrigerem Bildungsstand. So gelingt es Personen mit höherer Bildung nach einer Studie von Schulte (1999, S. 26) im Vergleich zu Personen mit niedrigerer Bildung tendenziell eher, eine einmal erlebte Armutsphase zu überwinden. Und auch Böhnke/Delhey (1999, S. 10) weisen darauf hin, dass „die Chancen, aus Unterversorgungslagen wieder aufzusteigen“, sehr unterschiedlich verteilt sind. Angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der Armutsbevölkerung aus Personen mit niedrigerer Bildung besteht (Schulte 1999, S. 27), dürfte ein auf optimistischen Zukunftserwartungen beruhender Umgang mit der finanziellen Einbuße möglicherweise keine „massentaugliche“ Bewältigungsoption darstellen. Andererseits zeigt sich, dass auch von den
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
„Low-Income“-Konsumenten positive Zukunftsfantasien – trotz objektiv bescheidener Zukunftsperspektive – zur emotionalen Bewältigung einsetzen (vgl. Hill 1991). Für den hier betrachteten, noch unzureichend untersuchten und immer wichtiger werdenden Personenkreis (siehe 3.1.1) dürfte diese Bewältigungsoption erst recht eine wichtige Rolle spielen. Ingesamt zeigt sich, dass dem Konsumenten eine Vielzahl unterschiedlicher emotionaler Bewältigungsstrategien zu Verfügung steht. Abbildung 17 dient der überblicksartigen Darstellung derselben. Abbildung 17: Arten emotionaler Bewältigung
Quelle: eigene Darstellung
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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5.2.5 Bewältigung auf der Verhaltensebene Eine finanzielle Einbuße muss von den Betroffenen in der Regel nicht nur emotional bewältigt werden, sie erfordert meist auch eine mehr oder weniger tiefgreifende Reorganisation des Konsumalltags. Im Folgenden wird dargestellt, wie sich die finanzielle Einbuße auf das Verhalten der befragten Konsumenten auswirkt. Dabei wird zunächst auf das Finanzmanagement des Konsumenten eingegangen, das für den Konsumenten den grundlegenden Orientierungsrahmen aller weiteren Verhaltensreaktionen darstellt. Darauffolgend geht es um die Verteilung des Budgets auf unterschiedliche Konsumbereiche. Schließlich wird auf die Veränderungen des Kaufentscheidungsverhaltens und auf die vom Konsumenten ergriffenen Einsparstrategien und deren Determinanten eingegangen. Alle im Folgenden darzustellenden Erkenntnisse zu den Verhaltensreaktionen der Befragten lassen sich als verhaltensorientierte Stressbewältigungsstrategien (siehe 5.2.2) interpretieren. So ergreifen die Befragten zur Veränderung ihrer angespannten Situation gut durchdachte und problemorientierte Verhaltensstrategien, die auch analytische Elemente beinhalten (beispielsweise das Erstellen von Budgetplänen und Einkaufslisten). Dieser Umgang mit der Situation lässt sich als Bewältigung im Sinne des „planful problem-solving“ interpretieren. Eine wichtige Rolle spielt auch die von Folkman et al. (1986, S. 995) thematisierte „Informationssuche“. Sowohl die Identifizierung als auch das Praktizieren verschiedener Einsparstrategien sind ohne das Einholen von Informationen nicht möglich. Zur Bewältigung ihre Mängellage greifen die Befragten auch auf soziale Unterstützung aus dem Familien- und Freundeskreis zurück und bedienen sich damit der Strategie des „seeking for social support“ (Folkman et al. 1986, S. 995). Einige der zum Einsatz kommenden Strategien zielen auf eine Regulierung des eigenen Verhaltens ab, so dass auch die „self-control“ (Folkman et al. 1986, S. 995)45 das Bewältigungsverhalten der Befragten prägt. Im Folgenden findet eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse bezüglich der von den hier Befragten ergriffenen problem- bzw. verhaltensorientierten Bewältigungsstrategien statt.
45
Zwar wird die „self-control“ eher den emotions-fokussierten Strategien zugeordnet, aber es wird auch eingeräumt, dass diese Strategie möglicherweise multidimensional ist (Folkman et al. 1986, S. 1001). Da die Selbstkontrolle auch Handlungen beinhalten kann, wird dieser Kategorisierungproblematik auch angesichts ihrer mangelnden Relevanz für die vorliegende Fragestellung keine weitere Beachtung geschenkt.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
5.2.5.1 Finanzmanagement 5.2.5.1.1 Determinanten und Gestaltungsparameter des Konsumbudgets Zunächst stellt sich die Frage, wie sich die finanzielle Einbuße konkret auf das Konsumbudget des Konsumenten auswirkt. Da finanzielle Ressourcen die wesentliche Voraussetzung für den Erwerb von Gütern darstellen, müsste sich eine deutliche Verringerung der finanziellen Ressourcen (in der Regel des Einkommens) eigentlich in einer deutlichen Verringerung der Konsumausgaben widerspiegeln. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigen allerdings, dass selbst eine starke Einkommenseinbuße nicht zwangsläufig (oder zumindest nicht direkt) zu einer Schmälerung des Konsumbudgets von gleichem Gewicht führen muss. So kann es zum Beispiel sein, dass eine erst vor kurzer Zeit erlebte Einbuße (noch) keine einschneidenden Veränderungen des Konsumverhaltens mit sich bringt46, weil der Konsument Zeit benötigt, um sein Verhalten anzupassen. Außerdem gilt zu berücksichtigen, dass das aktuelle Einkommen unter Umständen nur einen Teil der tatsächlich verfügbaren Ressourcen darstellt, weil beispielsweise Rücklagen (bzw. Vermögen) vorhanden sind, von denen gezehrt werden kann47, Haushalte vielleicht bisher einen Teil ihres Einkommens gespart haben und daher als Reaktion auf die Einbuße ihre Sparquote senken können (siehe entsprechende Ergebnisse der hier durchgeführten SOEP-Datenanalyse, S. 117), bei durch Kündigung des Arbeitsplatzes hervorgerufenen Einbußen zum Teil Abfindungen48 anfallen, Haushalte möglicherweise finanzielle (und nicht-finanzielle) Unterstützung durch Familie und Bekanntenkreis erhalten, Kredite aufgenommen werden können49, alternative Einnahmequellen (neue Arbeitsaufträge, Nebenjobs, Verkauf von Besitzgegenständen) erschlossen werden können50.
46 47 48 49 50
Person L, 00:04:42-5. Person E, 00:23:19-1. Person E und L. Person F. Person A.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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Diese Faktoren sind dafür verantwortlich, dass eine Einkommenseinbuße je nach den Umständen in Teilen kompensiert werden kann und sich dementsprechend nicht in einer gleichgewichtigen Schmälerung des Konsumbudgets niederschlägt. Diese Feststellungen decken sich auch mit den Ergebnissen der bisherigen Forschung, die allgemein nur einen recht schwachen Zusammenhang zwischen Einkommen und Konsumausgaben attestiert (Bögenhold/Fachinger 2000). Böhnke/Delhey (1999, S. 24) und Andreß et al. (2004, S. 33) zeigen in ihren quantitativen Studien (auf der Basis von Daten des SOEP, des Wohlfahrstsurveys und des Sozialwissenschaften-Bus), dass die durch Einkommen ausgedrückte potentielle Verfügbarkeit von finanziellen Ressourcen sich nicht unbedingt im tatsächlich realisierten Lebensstandard widerspiegelt. Dafür werden auch hier Kompensationseffekte – ähnliche wie die im Rahmen der vorliegenden Studie identifizierten – als Erklärungsansatz herangezogen (Böhnke/Delhey 1999, S. 27). Und auch Noll/Weik (2007) stellen in ihrer auf Daten der EVS aufbauenden Studie eine deutliche Diskrepanz zwischen der Einkommens- und der an Ausgaben gemessenen Konsumarmut fest. Ein niedriges Einkommen muss demnach nicht mit entsprechend niedrigen Konsumausgaben einhergehen. Der Studie zufolge liegen die Konsumausgaben vieler einkommensschwacher Haushalte über ihrem Einkommen. Einkommensarme Haushalte finanzieren ihre über dem Einkommen liegenden Ausgaben oft zumindest für eine gewisse Zeit durch den Verzehr früherer Ersparnisse bzw. die Liquidierung vorhandener Vermögenswerte und in seltenen Fällen über Kredite (Noll/Weick 2007, S. 4). Diese Studien untermauern die in der vorliegenden Studie gewonnene Erkenntnis, dass das Einkommen nur eine von mehreren Determinanten des Konsumbudgets darstellt (siehe Abbildung 18). Abbildung 18: Wesentliche Determinanten des Konsumbudgets
Quelle: eigene Darstellung
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Nun stellt sich die Frage, von welchen „Ausgleichsmöglichkeiten“ der Konsument in welchem Ausmaß Gebrauch macht. Bei den hier Befragten lässt sich eine deutliche Tendenz erkennen. Obwohl teilweise von den erwähnten Möglichkeiten zur Ausweitung des Konsumbudgets Gebrauch gemacht wird, streben fast alle der hier Befragten in erster Linie eine Anpassung ihres Verhaltens an das begrenztere Budget an. Konkret bedeutet dies: In seltenen Fällen werden von den hier Befragten Besitzgegenstände verkauft. Person I verkauft zum Beispiel ihr Auto, Person B ausrangierte Gegenstände bei Ebay. Relativ häufig, aber in beschränktem Ausmaß, wird finanzielle Unterstützung aus dem Familienkreis51, und seltener aus dem Freundeskreis52 in Anspruch genommen. Kredite werden nur im Notfall, nämlich zum Erwerb lebensnotwendiger Produkte53, aufgenommen und nur zur Überbrückung einer sehr kurzen, in ihrer Dauer absehbaren Phase überhaupt in Betracht gezogen54. Begründet wird die mangelnde Bereitschaft zur Aufnahme von Krediten folgendermaßen: „Man kann sich nur auf dem Spielfeld bewegen, das markiert ist. Sobald man da außerhalb der Bande spielt, wird das ganz, ganz schwierig. Und das Wichtigste ist, dass man hier nicht in so ne Situation hineinkommt und irgendwelche Kleinkredite oder ähnliches eben aufnimmt. Ich kenn das aus unserer Nachbarschaft. (...) Das ist ein Teufelskreis, wo man letztlich nicht mehr herauskommen kann. Da muss man sich einfach vor hüten. Ich kann nur das ausgeben, was hereinkommt.“ (Person B, 01:50:20-7) „Ick geb nich mehr aus, als ick habe. Ick würde och nie Kredite für irgend nen Quatsch aufnehmen.“ (Person K, 01:43:07-2) „Und da habe ich halt drauf geachtet, dass ich das [in die Schuldenfalle geraten] halt nicht mache. Habe ich halt auch so vom Elternhaus mitbekommen, dass man halt nicht über seine Verhältnisse lebt und so ne Sachen. Ich meine, das weiß jeder, aber das ist halt schwierig, das zu schaffen in solchen Situationen.“ (Person I, 00:36:40-7) „Nee. Also ich würde das nur im Notfall machen, wenn ich wirklich nicht mehr meine Miete zahlen kann oder so, dann. Aber so, nee. Also einen Kredit würde ich auch nicht aufnehmen. Das ist ja... nee. Aber das war schon immer meine Einstellung.“ (Person A, 00:09:32-5)
51 52 53 54
Person G, 00:29:36-9; Person H, 00:34:47-9; Person I, 00:10:41-2; Person L, 00:25:12-3; Person H, 00:47:03-0. Person J, 00:08:11-2. Von Familie H zum zwingend notwendigen Kauf einer Küche (Person H, 01:13:49-7). Person B, 01:51:18-9.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
143
„(...) wir sind auch noch so erzogen, am Ende des Monats muss immer was übrig bleiben.“ (Person G, 01:07:39-3)
In diesen Äußerungen spiegeln sich deutlich die bei einer Mehrzahl der Befragten vorzufindenden grundlegenden Einstellungen zum Umgang mit Geld und zur Aufnahme von Krediten wider55. Hier kommt eine ausgeprägte Kreditfeindlichkeit zum Vorschein. In den Aussagen einiger Befragter lassen sich auch Hinweise dafür finden, dass diese Einstellungen vielfach schon während der Sozialisationsphase entwickelt und geprägt wurden. Diese Vermutung deckt sich mit den Erkenntnissen der Konsumverhaltensforschung, die der Familie – insbesondere den Eltern – und den Bezugsgruppen eine große Bedeutung bei der Konsumentensozialisation, also dem Hineinwachsen des Menschen in seine Rolle als Konsument, zuschreibt (Cotte/Wood 2004; Moore et al. 2002). Hier wird ebenfalls davon ausgegangen, dass zentrale Einstellungen zum Konsum-, Verwendungs- und Sparverhalten schon sehr früh geprägt werden (Wiswede 2007, S. 354 f.). Neben der negativen Einstellung gegenüber Krediten dürfte auch die vorhandene Fähigkeit zum Aufschieben von Bedürfnissen (siehe 5.2.4.3.2) und die mangelnde Orientierung an „wohlhabenderen“ Personen (siehe 5.2.4.1.3) mit dafür verantwortlich sein, dass die Aufnahme eines Kredites nicht in Betracht gezogen wird.
5.2.5.1.2 Budgetplanung Wie bereits dargelegt, sind die Befragten bemüht, mit ihren beschränkteren Ressourcen auszukommen. Die Erkenntnis der Notwendigkeit, „den Gürtel enger schnallen zu müssen“, ist für viele Befragte Anlass, sich mit ihren Ausgaben auseinanderzusetzen und ihr Budget zu planen. Auch wenn eine gewisse Art der Budgetplanung beinahe in jedem der befragten Haushalte initiiert wird, so existieren doch recht große Unterschiede hinsichtlich ihrer Komplexität bzw. der Rigorosität, mit der ihre Umsetzung verfolgt wird. Werden in dem einem Haushalt alle Konsumbereiche auf den Prüfstand gestellt, so bleibt in einem anderen Haushalt die Planung auf das Ziel beschränkt, bis zum Monatsende mit dem verfügbaren Budget auszukommen. Fast allen Befragten gemeinsam ist jedenfalls das zentrale Ziel, das verfügbare Gesamtbudget nicht zu überschreiten:
55
Auch bei Person F, 00:36:06-0.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
„Also es gibt keine Ausgabepositionen (...), bei denen man sagt, da wird jetzt überproportional eingespart. Das muss sich halt insgesamt im verfügbaren Budget bewegen, und das ist für uns die Zielgröße. Dass man das Limit setzt, hier das Budget ist jeden Monat verfügbar, daran machen sich die Grenzen fest. (02:02:586) (...) Ich kann nicht im luftleeren Raum herumschweben und immer sagen, das hätt ich noch gerne und dieses und jenes... Da muss man eben auch die Grenzen kennen und ...das ist dann eben auch ein Punkt, um realistisch mit Situationen umzugehen.“ (Person B, 02:11:06-9)
Folgende Einzeldarstellungen veranschaulichen mögliche Ausprägungsformen der Budgetplanung: Budgetplan für alle Konsumbereiche Für den arbeitslos gewordenen B ist die Einkommenseinbuße Anlass einer sehr differenzierten Budget- und Ausgabenplanung. Er reagiert im Grunde idealtypisch auf die Einbuße: Unmittelbar nachdem B weiß, mit welchen staatlichen Unterstützungsleistungen er rechnen kann, stellt er einen Haushaltsplan auf. Dazu listet er alle Ausgabenposten auf und prüft zunächst, welche vertraglichen, also fixen Pflichten (z.B. Miete) vorhanden sind. Er stellt alle Ausgabenbereiche auf den Prüfstand und bildet Prioritäten. In jedem Bereich überlegt er, ob das Produkt unbedingt notwendig ist und welche Einsparmöglichkeiten (z.B. Vertragsänderungen) möglicherweise vorhanden sind. Diese Überlegungen haben in der Konsequenz auch direkte Auswirkungen auf sein Konsumverhalten. So werden in einem nächsten Schritt bisher konsumierte Produkte entweder komplett „aussortiert“, bei einem günstigeren Anbieter oder zu schlechterer Qualität erworben oder durch andere, günstigere Produkte mit ähnlicher Funktion (Internet statt Konzert) ersetzt. Das Taschengeld der Kinder bleibt unangetastet. Er reagiert in allen Bereichen im Grunde sofort, Zeitverzögerungen bei seinen Anpassungsreaktionen treten nur in den Bereichen auf, in denen aus organisatorischen Gründen ein zeitlicher Vorlauf notwendig ist (z.B. Wärmedämmung der Wohnung) oder aufgrund von Vertragsverpflichtungen Kündigungsfristen bestehen (Zeitungsabonnements, Fitnessstudio).56 Ein anderer Haushalt setzt sich ähnlich intensiv mit seiner Finanzplanung auseinander, obwohl bei ihm noch gar keine akute Notwendigkeit zum Einsparen gegeben ist. So führt E, der aufgrund seiner überraschenden Kündigung eine starke Einbuße erlebt hat,
56
Budgetplanung im Detail siehe Transkript Person B, 00:16:53-7.
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momentan aber noch von seinen Reserven leben kann, seit seiner Einbuße ein detailliertes Haushaltsbuch, in dem jede einzelne Ausgabe erfasst wird. Er weiß genau, wie hoch seine Ausgaben im jeweiligen Konsumbereich sind, und hat sich bereits einen Plan (Prioritätenliste) aufgestellt, der Auskunft darüber gibt, in welchen Bereichen er zuerst einsparen würde, um sein Konsumverhalten im Notfall direkt anpassen zu können57. Festlegung von Budgetgrenzen für ausgewählte Konsumbereiche Anders vollzieht sich die Budgetplanung bei Person D. Sie richtet eine „Küchenkasse“ ein, von der Güter des alltäglichen Bedarfs (wie Lebensmittel, Hygieneprodukte, Putzmittel etc.) gekauft werden.58 „Also jetzt ist es ganz konkret so, dass ich eine Küchenkasse eingerichtet habe. Das haben wir noch nie gehabt. (...) Und wir haben jetzt pro Person pro Woche 25 Euro, also 100 Euro, und damit wird gehaushaltet und zwar eisern. Es gibt nicht mehr.“ (Person D, 00:31:09-7)
Abgesehen von Festlegung der Budgetgrenze in diesem Bereich hat sie ausgerechnet, wie groß der im Budget verbleibende finanzielle Spielraum nach Abzug der Fixkosten ist. Der verbleibende Betrag (von etwa 300 Euro) wird genutzt für neue Kleidung, Urlaub, Geschenke etc. Ausgaben in diesen weniger notwendigen Bereichen werden nur getätigt, wenn sie mit diesem frei verfügbaren Betrag zu bewältigen sind.59 Auf die Nichtüberschreitung des Gesamtbudgets begrenzte (kognitive) Budgetplanung In manchen Haushalten läuft die Budgetplanung weniger differenziert ab. Unter Umständen beschränkt sie sich auf das Ziel, mit dem vorhandenen Monatsbudget auszukommen. Die Nichtüberschreitung des verfügbaren Budgets gilt somit als einziger Orientierungsmaßstab. Dies hat zur Konsequenz, dass vor der Tätigung größerer Neuanschaffungen zunächst eruiert werden muss, welche anderweitigen Ausgaben (z.B. Rückzahlungen, Geburtstagsgeschenke, Restaurantbesuche) das Budget im aktuellen
57 58 59
Person E, 00:31:44-1, 00:37:28-2, 00:47:57-3 und 00:49:21-8. Budgetplanung im Detail siehe Transkript Person D, 0:58:56-0. Person D, 0:58:56-0.
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Monat sonst noch belasten.60 Es werden keine bewussten Ausgabegrenzen für bestimmte Konsumbereiche festgesetzt, sondern es wird vielmehr erst dann auf Konsum verzichtet, wenn kein Geld mehr vorhanden ist. Das führt beispielsweise bei Familie J dazu, dass am Ende des Monats nur noch Geld für Lebensmittel und Zigaretten vorhanden ist und auf alle weiteren Ausgaben verzichtet wird61. Die stattfindende Einschränkung ist somit eher zeitlich determiniert, als dass sie auf einer vorherigen Festlegung von Konsumprioritäten basieren würde. „Also so die letzten paar Tage im Monat, da sparen wir halt immer besonders, weil das Geld dann meistens irgendwie schon komplett weg ist. Und dann wird halt keine Zeitung mehr gekauft und dann geht man natürlich nicht mehr essen.“ (Person J, 00:27:02-3)
Fehlen einer Budgetplanung Von den meisten Personen wird über eine Art Haushaltsplan nachgedacht. Verzichtet wird nur in seltenen Fällen, und zwar dann, wenn der Sinn dieser Maßnahme wegen mangelnden Einsparpotenzials in Frage gestellt ist, bzw. man sich die unangenehme finanzielle Situation nicht ständig vor Augen führen will. „(...) aber es ist einfach so eine Kleinkrümeligkeit irgendwie. War mir einfach zuwider, so jede Mark und jeden Euro irgendwie aufzuschreiben. Ja, ich habe mir eine Eiskugel gekauft, 30 Cent oder so. Also das war mir dann zu doof irgendwie. Also so buchhalterisch wollte ich dann auch meine Situation nicht so auseinanderpflücken. Ich weiß nicht, ob man sich dann noch mehr über seine Situation Gedanken macht. (...) Aber ich glaube, es würde auch nichts verändern, wenn ich das Schwarz auf Weiß hätte, dass es nicht funktioniert. Ich sehe es ja dann am Ende des Monats, dass es nicht funktioniert hat, aber das sagt mir das Buch dann auch. Wo soll ich dann einsparen? Ich kann es zwar dann sehen, aber ich meine, ich muss ja essen, und auf andere Sachen will man halt nicht verzichten.“ (Person I, 00:56:51-2)62 „In dieser Phase hab ich es [einen Budgetplan aufgestellt] nicht gemacht, weil es einfach... es wäre so erschreckend gewesen. Also, mir wäre jeden Monat bewusst geworden, es geht eigentlich nicht. Deswegen hab ich es nicht gemacht, also eher unterbewusst. Aber ich hab es einfach nicht gemacht. Ich hab irgendwie geguckt, wie kommen wir da durch. Aber ich hab keine Aufstellung gemacht, soundsoviel Geld hast Du für Lebensmittel, soundsoviel für Versicherungen. So im Groben, so im Kopf wusste ich das, aber ich hab keinen... also ich glaub, da wäre ich... das
60 61 62
Person J, 00:27:02-3. Person J, 00:27:02-3. Ähnlich argumentiert A, 01:05:46-5.
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wär so frustrierend gewesen. Das hab ich gelassen (lacht). Nee, hab ich nicht gemacht. Immer wirklich so von der Hand in den Mund gelebt. Wo es grad geht. O.k., jetzt können wir mal ne Hose kaufen, so eigentlich.“ (Person H, 01:40:00-8)
An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass das bei den Interviewten fast durchgängig gezeigte Verhalten der bewussten Auseinandersetzung mit den eigenen Ausgaben offensichtlich keineswegs selbstverständlich ist. Gerade ein mangelndes Finanzmanagement stellt eine häufige Ursache für die Verschuldung von Privathaushalten dar (Wiswede 2007, S. 182). „Viele Menschen stellen in der Mitte des Monates erstaunt fest, dass Portemonnaie und Konto leer sind“ (von Hofe 2008). Die bisher vorliegenden, recht überschaubaren Erkenntnisse zur Budgetplanung von Konsumenten sind in erster Linie in Studien zum „Mental Budgeting“ oder „Mental Accounting“ 63 zu finden. „Mental Accounting“ ist eine kognitive Form der Buchhaltung und beschreibt die Menge an kognitiven Maßnahmen, die Individuen und Haushalte ergreifen, um finanzielle Ereignisse zu organisieren, zu bewerten und nachzuvollziehen. Zur Planung und Reglementierung ihrer Ausgaben teilen Individuen ihr verfügbares Budget auf verschiedene „mentale“ Konten (z.B. für Essen oder Unterhaltung) auf (Thaler 1999, S. 184). Für jedes mentale Konto bzw. jede Ausgabenkategorie wird eine Budgetgrenze, also ein bestimmter Geldbetrag, festgesetzt. In einer Kategorie auftretende Ausgaben werden dem einschlägigen mentalen Konto zugeschrieben, belasten dieses also (Cheema/Soman 2006, S. 34). Dies führt zu einer Minderung der verfügbaren Finanzmittel und macht zukünftige Einkäufe in diesem Bereich unwahrscheinlicher (Heath/Soll 1996, S. 40). Mentale Konten zielen damit auf einen rationaleren Umgang mit Finanzmitteln ab. Durch die Festlegung von Budgetgrenzen wird versucht, ein „Overspending“ bei verführerischen Produkten zu vermeiden. Mentale Konten dienen somit als Mechanismen der Selbstregulation bzw. der Selbstkontrolle (Cheema/Soman 2006, S. 33), die dem Individuum helfen seine Ausgaben so einzuteilen, dass diese innerhalb des Budgets bleiben.
63
Mental Accounting wird in einigen Bereichen zur Erklärung des Konsum- und Ausgabeverhaltens herangezogen. Die Forschung hat sich bisher beipielsweise mit der Rolle des Mental Accounting in Bezug auf das Sparverhalten (Shefrin/Thaler 1992), Kreditenscheidungen und Schulden (Prelec/ Loewenstein 1998; Ranyard et al. 2006), Effekte der zeitlichen Abstands zwischen Zahlung und Konsum (Gourville/Soman 1998) und das Ausgabeverhalten bei Zufallsgewinnen (Arkes et al. 1994) auseinandergesetzt (ausführliche Diskussion siehe Thaler 1999).
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Möglicherweise engagieren sich auch die hier Befragten zusätzlich in einer solchen Art der mentalen Budgetplanung. Ihre beschriebene manifeste Budgetplanung ist allerdings regelmäßig weitaus weniger differenziert und zielt in erster Linie darauf ab, sich einen Überblick über die Ausgaben zu verschaffen und das Gesamtbudget nicht zu überschreiten. Nur im Fall der „Küchenkasse“ wird ein „Konto“ eingerichtet bzw. findet die explizite Festsetzung einer Budgetgrenze in einem Konsumbereich statt. Die hier gewonnene Erkenntnis, dass finanzielle Verknappung zur Initiierung eines Budgetplans führt, lässt sich auch mit den Ergebnissen Thalers (1999) in Einklang bringen. Nach Thaler (1999, S. 193 f.) ist die Budgetplanung bei ärmeren Haushalten in der Regel strikter und gleichzeitig auf kürzere Zeiträume bezogen als bei reicheren Haushalten.
5.2.5.2 Veränderung der Budgetallokation 5.2.5.2.1 Determinanten der Ausgabenstruktur Findet – wie bei den hier Befragten der Fall – eine Anpassung an das niedrigere Budget statt, so hat dies eine Senkung der Ausgaben zur Konsequenz. Welche konkreten Auswirkungen hat dies auf die Ausgabenstruktur eines Haushalts? Werden die Ausgaben in allen oder nur in bestimmten Bereichen gesenkt? Zunächst gilt zu berücksichtigen, dass es bestimmte „fixe“ Posten gibt, die fest im Ausgabenbudget verankert sind und die oft kaum bzw. nicht kurzfristig durch den Konsumenten veränderbar sind. Dazu gehören die Ausgaben für notwendige Grundbedürfnisse wie Wohnen und Nahrung. Wie die oben durchgeführte Analyse der SOEPDaten (5.1) zeigt, steigt bei einer Einkommensverknappung der Anteil der Ausgaben für Grundbedürfnisse am Gesamtbudget – trotz Einsparbemühungen – quasi automatisch an. Daneben existieren häufig feste Verpflichtungen, die vor der Zeit der Einbuße eingegangen wurden und denen man – zumindest bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens einer möglichen Kündigung – weiter nachkommen muss (z.B. Kosten für laufenden Vertrag mit einem Fitnessstudio). Auch deren Anteil am Gesamtbudget steigt bei einer Einkommensverknappung natürlich an. Ebenfalls nur begrenzt durch den Konsumenten beeinflussbar sind Ausgabeposten, die in direktem Zusammenhang mit notwendigen Umstrukturierungen des Alltags stehen.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
149
Auch diese wirken sich quasi automatisch auf die Budgetallokation aus. Beispielsweise kann die durch einen Arbeitsplatzverlust erzeugte neue Lebenssituation zur Konsequenz haben, dass in bestimmten Konsumbereichen Ausgaben neu anfallen (Bewerbungskosten bei Arbeitslosigkeit, Ausgaben für Fachbücher für ein Studium)64 sich bestehende Ausgaben erhöhen (z.B. steigen die Energie- und Betriebskosten der eigenen Wohnung aufgrund der bei Arbeitslosigkeit zunehmenden Zeit, die in der eigenen Wohnung verbracht wird)65 aber auch Ausgaben wegfallen (z.B. bisheriger Restaurantbesuch in der Mittagspause des Betriebs, in dem man beruflich tätitg war66). Angemerkt sei an dieser Stelle, dass zwischen verschiedenen Ausgabenkategorien häufig ein Zusammenhang bestehen dürfte, den man als „nachfragedeterminierende Produktinterdependenzen“ bezeichnen könnte. Sinkt die Häufigkeit oder Menge des Konsums des einen Produkts, steigt diejenige eines anderen an. So geht beispielsweise der Wegfall des täglichen Restaurantbesuchs in der Mittagspause des Betriebs, in dem man arbeitete, mit einer Steigerung der Lebensmittelausgaben, die für die häusliche Verpflegung anfallen, einher. Ausgaben für private Telefongespräche, die früher mit dem Handy geführt wurden, weil man beruflich unterwegs war, fallen weg, dafür steigen die Ausgaben für die Festnetztelephonie.67 Verantwortlich für eine Veränderung der Ausgabenstruktur während der Mängelphase können aber auch Faktoren sein, die nicht in Zusammenhang mit der Einbuße stehen. Auf Ausgaben in bestimmten Bereichen wird z.B. verzichtet, weil sich Bedürfnisse (wie z.B. das Bedürfnis nach dem Besuch von Diskotheken68) oder Markenpräferenzen69 unabhängig von der Einbuße verändern. Ursachen eines Konsum- und damit
64 65 66 67 68 69
Person I, 00:50:51-2; Person A, 00:39:01-1. Person I, 00:02:51-2. Person I, 00:07:33-2. Person A, 00:55:26-0; Person I, 00:32:12-1. Person I, 00:50:11-6. Person L, 00:52:59-5.
150
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Ausgabenverzichts können im Übrigen bei einer konstanten Zahlungsbereitschaft auch Preissteigerungen bisher konsumierter Produkte sein70. Neben den angesprochenen Determinanten beruht die Budgetallokation jedoch in erster Linie auf bewussten Entscheidungen und damit individuellen Präferenzen des Konsumenten. Es fällt auf, dass in Familien die Bedürfnisse der Kinder in den Vordergrund gestellt werden. Dies lässt vermuten, dass neben Persönlichkeitscharakteristika auch soziodemographische Faktoren (wie beispielsweise Haushaltsgröße und -zusammensetzung, Lebensphase) eine wichtige Rolle spielen. Untermauert wird diese Vermutung sowohl durch die Ergebnisse hinsichtlich der Einschätzung der Notwendigkeit von Gütern (siehe 2.1.2.2) als auch durch die nach Haushaltstyp (Haushaltszusammensetzung) und sozialer Stellung der Haupteinkommensbeziehers differierende Ausgabenstruktur privater Haushalte (Datenreport 2008, S. 150 ff.). Festhalten lässt sich folgendes: Die finanzielle Einbuße führt zu einer Veränderung der Ausgabenstruktur eines Haushalts. Nicht alle Veränderungen lassen sich jedoch direkt auf die Einbuße zurückführen, so dass weitere Determinanten der Budgetallokation zu berücksichtigen sind. Ursache von Veränderungen der Geldverwendung und/oder Ausgabenstruktur können sein: bewusste (Einspar-)Entscheidungen, in denen sich die individuellen Prioritäten der Konsumenten widerspiegeln quasi-automatische Veränderungen (z.B. aufgrund der veränderten Alltagsgestaltung oder des steigenden „Gewichts“ fester Verpflichtungen) externe Einflüsse (steigende Preise etc.) und Präferenzänderungen. Theoretische Überlegungen zur Budgetverwendung und Ressourcenallokation finden sich auch in der Mikroökonomie. Die mikroökonomische Theorie der Haushaltsnachfrage thematisiert die optimale, sprich nutzenmaximierende Konsumgüterwahl des privaten Haushalts bei Veränderung des (Konsum-)Budgets (Hardes et al. 1998, S. 125 ff.) und lenkt somit den Blick in die Richtung einer möglichen Veränderung der „Gütergewichtung“ bei der Ressourcenallokation. Verändert sich das Einkommen, so ver-
70
Person I, 00:50:11-6; Person L, 00:13:24-5.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
151
ändert sich die Mengenkombination des nachgefragten – annahmegemäß aus nur zwei Gütern bestehenden – Güterbündels (Hardes et al. 1998, S. 125 ff.). Zu groß ist allerdings die Diskrepanz zwischen den dieser Theorie zugrunde gelegten Annahmen und der Realität, als dass die Theorie der Beantwortung der vorliegenden Fragestellung dienlich sein könnte. Viele der hier erwähnten Determinanten des Ausgabeverhaltens (siehe oben) finden dort keine Berücksichtigung. Zwangsläufig vernachlässigt werden z.B. schwankende Bedürfnisse bzw. Präferenzen sowie kaufbeeinflussende Faktoren neben Preis und Einkommen (z.B. die Möglichkeit der Substitution von Gütern durch funktionell quasi-identische, aber günstigere Produkte).
5.2.5.2.2 Reduzierung von Fixkosten Auch wenn die konkreten Veränderungen der Budgetallokation individuell recht unterschiedlich sind, weist das Verhalten der Befragten doch eine wesentliche Gemeinsamkeit auf. Fast alle Befragten versuchen, ihre Fixkosten, also ihre regelmäßig anfallenden finanziellen Verpflichtungen, zu senken. Dabei bedienen sie sich unterschiedlicher Strategien. Fixkosten können ganz eingespart (z.B. Kündigung des Vertrages mit dem Fitnessstudio) reduziert (kostenorientierte Optimierung von Verträgen, Herunterhandeln der Miethöhe) oder in variable Kosten umgewandelt werden (z.B. Wechsel zu einem HandyVertrag ohne Grundgebühr, so dass erst beim tatsächlichen Telefonieren Kosten anfallen; Abschaffung des Zeitungsabonnements und Erwerb von Zeitungen über Gutscheinhefte71). Die Hälfte der Befragten zieht in eine kostengünstigere Wohnung um und reduziert so ihre Mietkosten, die in der Regel einen beträchtlichen Anteil an den monatlichen Gesamtfixkosten eines Haushaltes ausmachen72. In anderen Fällen werden das Auto ab-
71 72
Person B nutzt alle diese Strategien. Die Deutschen wendeten im Jahr 2005 etwa ein Drittel ihres Konsumbudgets für den Bereich Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung auf (Datenreport 2006, S. 149).
152
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
gestoßen und Versicherungen bis auf die Haftpflichtversicherung gekündigt.73 Die konkreten der Fixkostenreduzierung zugrunde liegenden Motive können dabei unterschiedlicher Art sein. Angestrebt wird dadurch beispielsweise eine grundsätzlich geringere Belastung des Konsumbudgets74, die Erweiterung des Budgetrahmens für hedonistische Produkte oder die Verringerung der Angst vor mangelnder Zahlungsfähigkeit. „Die Fixkosten runter, (...) damit man ein bisschen flexibel ist bei den Vergnügungen.“ (Person C, 00:34:29-6) Person A ist umgezogen, um ihre Mietkosten zu reduzieren: „Weil die [ Mietkosten] muss ich ja jeden Monat zahlen. Wenn da nichts rein kommt [d.h. sie kein Geld verdient] und man hat die Miete da im Nacken... also da will ich mir auch nicht so viel aufbürden, dass... Nee, da mache ich jetzt lieber Abstriche [bei der Wohnung] und habe nicht so einen Druck.“ (Person A, 00:22:29-2)
Die Verringerung der Fixkosten erhöht grundsätzlich die Flexibilität des Konsumenten, da anschließend schneller und problemloser auf weitere finanzielle Einbußen oder ungeplant anfallende Ausgaben reagiert werden kann. Die Angaben der Befragten (vor allem Person D und Person F) lassen außerdem die Schlussfolgerung zu, dass die Tendenz zur Fixkostenreduktion vermutlich um so höher ist, je unsicherer bzw. schlechter die finanzielle Zukunftsperspektive ist.
5.2.5.2.3 Temporäre Aspekte Deutlich wird in den durchgeführten Interviews auch, dass die Veränderung des Konsumverhaltens meist zwar recht schnell, aber nicht umgehend stattfindet, weil der Konsument Zeit braucht, um 1. eine Bereitschaft zur Veränderung von Konsumgewohnheiten zu entwickeln, und um 2. Informationen einzuholen und preisgünstigere Alternativen der Bedürfnisbefriedigung zu testen. „Man ist noch in so alten Gewohnheiten, bis man dann irgendwann mal registriert, oh, die Karte [des Handys] ist schon wieder leer. Das muss jetzt auch mal ein bisschen im Blick behalten werden.“ (Person A, 01:01:30-3)
73 74
Person I, 00:04:57-0. Person I, 00:04:57-0.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
153
„Das Einsparen bei Lebensmitteln war so ein schleichendes Ding. Ich glaube, ich musste mich auch erst mal daran gewöhnen, dass man halt so guckt, was so geht, was einem schmeckt oder wo es das dann nun auch günstiger gibt.“ (Person I, 00:48:18-3)
Die bereits angesprochene Tendenz zur Reduzierung der Fixkosten (siehe 5.2.5.2.2) lässt sich aus diesem Grund nicht nur durch den Wunsch nach größerer Flexibilität erklären. Auch praktische Gesichtspunkte dürften hier eine Rolle spielen. Grundsätzlich rücken die Fixkosten eher als variable Ausgabegrößen ins Blickfeld des Konsumenten. Dies liegt daran, dass sie in der Regel greifbarer sind. Man ist sich ihrer eher bewusst und kennt normalerweise ihre Höhe. Während sich die meisten ihrer kontinuierlichen Zahlungsverpflichtungen im Sinne von „festen Kosten, die man halt auch so schön sieht, wie Miete und Krankenversicherung“ (Person A 00:52:32-4), sehr schnell oder sofort bewusst sind, sieht das bei variablen Kosten häufig anders aus, wie folgendes Zitat zeigt: „Sparen beim Ausgehen. Das kam erst im Verlauf. Wo ich irgendwie gemerkt habe, o.k., da geht ja auch ganz schön viel Geld irgendwie für weg, worüber ich mir früher nie Gedanken gemacht habe oder mir das aufgefallen ist.“ (Person A, 00:57:25-6)
Dieses mangelnde Wissen über die Höhe dieser Ausgaben führt – so im Fall von Person A – dazu, dass zunächst in anderen Bereichen eingespart wird75. Als Person A zu einem späteren Zeitpunkt ihre Ausgaben mit Hilfe eines Kassenbuches registriert, um sich einen Überblick über ihre Ausgaben zu verschaffen, ist sie vom Ergebnis überrascht: „Ich war wirklich irgendwie schockiert, was da für Lebensmittel draufgeht. Das hätte ich gar nicht gedacht, weil ich mir ja jetzt auch gar nicht so große Sachen... also ich habe ja auch gar keine Ausgaben für Fleisch oder so... (...) das ist ja wahnsinnig teuer... also, ich hätte nicht gedacht, dass das so viel ist.“ (Person A, 01:03:19-2)
Eine solches „Bewusstwerden“ mag häufig erst die Möglichkeit zur Identifizierung von Einsparpotenzialen bieten und somit Auslöser von Veränderungen im Konsumverhalten sein. Die hier gewonnene Erkenntnis, dass eine Anpassung an ein niedrigeres Budget meist mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung stattfindet, deckt sich mit der in der mikroökonomischen Theorie der Haushaltsnachfrage verankerten Hypothe-
75
Person A, 00:51:50-0 und 00:52:55-1.
154
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
se, dass die Reagibilität der nachgefragten Menge auf Preis- oder Einkommensänderungen im Zeitablauf zunimmt (Hardes et al. 1998, S. 125). Außer der festgestellten Tendenz zur Fixkostenreduktion konnten – trotz Einsatz eines diesbezüglichen Fragebogens (siehe Anhang B4) – keine weiteren Muster bezüglich der zeitlichen Reihenfolge von Verhaltensreaktionen bzw. der Frage, ob in bestimmten Konsumbereichen früher als in anderen eingespart wird, identifiziert werden.
5.2.5.3 Prioritätensetzung bei der Budgetallokation Abgesehen von den bisher dargestellten grundlegenden Aspekten zur Budgetallokation ist für das Marketing auch interessant, ob bei einer Einbuße bestimmte Bedürfnisse des Konsumenten in den Vordergrund rücken. Existieren bestimmte Konsumbereiche, in denen Konsumenten Prioritäten setzen, die also von Einschränkungen weitgehend verschont bleiben? Eine ganz eindeutige Prioritätensetzung, die sich in einem selektiven Einsparverhalten manifestieren müsste, lässt sich bei den Befragten – außer bei Familien – zwar nicht identifizieren, wohl aber gewisse Tendenzen. Die diesbezüglich gewonnenen Erkenntnisse sind Inhalt des folgenden Kapitels.
5.2.5.3.1 Eigene Bedürfnisse versus Bedürfnisse der Kinder Konsistent zu früheren Forschungsergebnissen (siehe 3.3.3) zeigt sich auch bei den hier befragten Familien, dass die Ausgaben für die Kinder in der Regel an erster Stelle stehen. Um diese finanzieren zu können, sind die Eltern bereit, bei ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen zum Teil deutliche Abstriche zu machen.76 „Man spart an sich selber, aber, wir jedenfalls, nicht an den Kindern.“ (Person G, 00:27:41-7)
76
So auch Person J, 00:12:50-5 und 00:50:43-7; sehr ausführlich siehe Person B, 00:28:54-9 und 01:38:12-0.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
155
Person F plagt umgehend ein schlechtes Gewissen, sobald sie auch nur mit dem Gedanken spielt, eigenen Konsumbedürfnissen wie z.B. dem Wunsch nach einem Konzertbesuch nachzukommen: „Und dann verpulver' ich dieses Geld an einem Abend und dann ist da gleich dieser Stoppgedanke. Tu was für deine Tochter!“ (Person F, 01:12:27-1)
Interessanterweise geht es dabei häufig weniger um die von den Kindern direkt geäußerten Bedürfnisse. Markenkleidung, die unter Jugendlichen häufig einen zentralen Stellenwert besitzt (siehe 3.3.2), zählt beispielsweise nicht zu den von den Eltern geförderten Ausgaben.77 Vielmehr geht es um die Realisierung der Wertvorstellungen der Eltern. Wie die folgenden Äußerungen belegen, legen die befragten Eltern hierbei besonderen Wert auf die vielfältige Förderung bzw. Bildung ihrer Kinder. So besuchen die Kinder der in dieser Stichprobe enthaltenen Familien alle eine Privatschule, für die monatlich ein Schulgeld (60 Euro/Monat) gezahlt werden muss. Zusätzlich unterstützt ein Großteil der Eltern ihre Kinder durch andere Arten der Förderung (z.B. Klavierunterricht, Mitgliedschaft im Sportverein, Computerlernprogramme etc.). Und auch die sozialen Aktivitäten mit anderen Kindern/Jugendlichen werden gefördert: „Also, wenn Sie bewusst Elternschaft leben, dann sparen sie nicht an den Kindern, jedenfalls nicht an den Sachen, die für die Entwicklung der Kinder notwendig sind.“ [Klassenfahrten, Lehrmaterialien] (Person G, 00:27:20-8) „Und da [bei der Bildung] den Rotstift anzusetzen war für uns bisher weitestgehend ein Tabufeld, weil wir einfach da großen Wert drauf legen. Unsere Einschränkungen gingen eher in viele, viele andere Bereiche.“ (Person B, 00:28:54-9) „ (...) an der Bildung der Kinder haben wir nicht gespart. (...) Also wir haben die Kinder ganz bewusst auf Privatschulen gegeben. (...) Da kann ich auch ganz klar sagen, da würde ich auch niemals, niemals dran sparen. Also das ist das einzige, das einzige, was ich den Kindern mitgeben kann, gute Bildung.“ (Person H, 01:25:07-9) „Auch wenn die Kinder dann mit Freunden ins Kino gehen wollten, dann haben wir immer gesagt: Ja, geht. Also wir haben immer versucht, dass sie nicht aufgrund unserer finanziellen Not ausgegrenzt werden. Wenn Kindergeburtstage waren, war natürlich immer ein Geschenk zu kaufen. (...) Ich hab immer versucht, dass sie was haben und dass sie auch was haben, was in den Rahmen passt. Also, dass sie nie dadurch ausgegrenzt werden.“ (Person H, 01:25:59-7)
77
Person G, 00:27:20-8.
156
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Die hier durchweg zum Vorschein kommende Bildungsorientierung der Eltern ist vermutlich auf das fast durchgängig hohe Bildungsniveau der Befragten zurückzuführen und damit vermutlich nicht bei allen Bevölkerungsgruppen gleich stark ausgeprägt. Gestützt wird diese Vermutung durch die Ergebnisse einer Studie von Hamilton/Catterall (2006a) zum Konsumverhalten armer Familien in Nordirland. Eltern zeigen auch hier eine große Opferbereitschaft für ihre Kinder. Investiert wird hier allerdings weniger in Bildungsmaßnahmen, sondern vor allem in sozial sichtbaren Konsum, d.h. in teure Markenkleidung. Der Kauf von teurer Markenkleidung reflektiert das zentrale Bemühen der Eltern, ihre Kinder vor potentieller Stigmatisierung durch Altersgenossen zu schützen. Dabei haben sie sehr wohl oft eine skeptische Einstellung gegenüber den gekauften Marken, insbesondere auch deshalb, weil deren Kauf mit ihrem Bemühen um eine sinnvolle Budgetplanung und eine Vermeidung unnötiger Ausgaben konfligiert (Hamilton/Catterall 2006a, S. 1040). Eine in Deutschland von der Konrad-Adenauer-Stiftung (Henry-Huthmacher 2008) durchgeführte Studie kommt zu ähnlichen Ergebnissen: „So versuchen viele Eltern in den bildungsfernen Milieus am unteren Rand der Gesellschaft durch demonstratives Unterstützen ihrer Kinder mit einer technischen Ausstattung durch PC, Playstation, X-Box, Handy, DVD-Player etc. einem Förderanspruch zu genügen“ (Henry-Huthmacher 2008, S. 18). Ähnlich wie die Eltern in der Studie von Hamilton/Catterall (2006a) hoffen auch sie, eine soziale Ausgrenzung ihrer Kinder auf diese Weise zu vermeiden (HenryHuthmacher 2008, S. 18). Die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung gewonnenen Ergebnisse decken sich also hinsichtlich des Stellenwertes, der den Ausgaben für Kinder eingeräumt wird, mit früheren Ergebnissen. Sie erweitern den vorliegenden Wissensstand jedoch auch um die Erkenntnis, dass die Ausgaben für Kinder in deprivierten Haushalten keineswegs immer an sozial sichtbaren Konsum gekoppelt sein müssen. Gleichzeitig lenken die Ergebnisse die Aufmerksamkeit in Richtung soziodemographischer Einflussfaktoren.
5.2.5.3.2 Hedonistische Bedürfnisse Personen ohne Kinder setzen, sofern es der finanzielle Spielraum zulässt, naheliegenderweise andere Schwerpunkte. Zwar sind es unterschiedliche Produkte, auf die die hier Befragten nicht verzichten wollen, gemeinsam ist diesen Produkten jedoch ihr hedonistischer Charakter. Der aus der griechischen Philosophie stammende Begriff des „Hedonismus“ beschreibt das Streben des Menschen nach Lust und Genuss (Stihler
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
157
2000, S. 172). Insbesondere in Wohlstandsgesellschaften ist dieses Streben fest im individuellen Wertesystem des Menschen verankert (Inglehart 1977). Nach Hirschman/Holbrook (1982, S. 92) beschreibt der hedonistische Konsum die Facetten des Konsumverhaltens, die verbunden sind mit den „multisensory, fantasy and emotive aspects of one’s experience with products“. Der hedonistische Nutzen eines Produktes beschreibt das Potential eines Produktes, den Konsumenten bei seiner Verwendung Freude, Vergnügen und Spaß erleben zu lassen (Richins 1994, S. 507). Aus den Angaben der Befragten ohne Kinder lässt sich schlussfolgern, dass diese Orientierung an hedonistischem Konsum offenbar auch bei einer Verschlechterung der finanziellen Situation bestehen bleibt. Dies hat zum Teil ein selektives Einsparen zur Folge. So fällt auf, dass die Befragten im Grunde in fast allen Konsumbereichen (auch bei Kleidung und Nahrung) zu Einschränkungen bereit sind, auf ihre „Vergnügungen“ aber nur ungern verzichten. So ist beispielsweise der 33-jährige I, der in fast allen Konsumbereichen Einsparungen vornimmt, nicht bereit, die Ausgaben für seine Hobbys (Ausgehen, Ausflüge, Schwimmen, Kino) einzuschränken. Seine sich hierin manifestierende Erlebnis- und Genussorientierung rechtfertigt der Befragte damit, dass diese Dinge notwendig seien, um die schwierige finanzielle Situation emotional bewältigen zu können. „... war ich aber immer bereit dafür [Geld für Ausflüge auszugeben], weil ich fand, das ist gut für den Kopf, das ist Input, der irgendwie einen irgendwie auch wieder ein bisschen rausholt aus der ganzen Misere, und darum habe ich darauf auch nie verzichten wollen. Bei Hobbies ist das natürlich ähnlich.“ (Person I, 00:25:27-4) „ (...) ich meine, irgendwie muss sich der Geist und der Körper mal erholen von der ganzen Situation.“ (Person I, 00:25:56-4) „Und Kultur, Kino und so, das ist einfach wichtig, finde ich (...) Das macht einfach den Geist wieder locker. Weil, wenn man nur zu Hause sitzt und die Wand anstarrt, wird man blöde im Kopf. Das ist einfach so. (...) einfach mal raus, einfach mal was anderes sehen, einfach mal was auf die Netzhaut bekommen, was nicht mit seiner Situation zu tun hat. Die vier Ecken und keine Arbeit, oder die vier Ecken und wenig Geld oder so.“ (Person I, 00:34:14-5)
158
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Auch die junge Person J gibt ihr frei verfügbares Budget vollständig für das Ausgehen mit Freunden aus78. Dass diese Genussorientierung aber nicht eine Frage des Alters ist, beweist die 49-jährige Person C. Beispielsweise verzichtet sie – obwohl auch sie beinahe überall spart – nur ungern auf ihren Skiurlaub oder das Ausgehen: „Also, Ski fahren ist super, super schön. Es ist toll für den Körper, es ist gute Luft, und es ist einfach auch so eine Fun-Stimmung (lacht). Oder Tanzen gehen, Disco, auch so was. Oder mal, wenn man besonders schlecht drauf ist, klar, dann wird auch mal in ne Disco gegangen (...). “ (Person C, 01:05:25-2) „Ausgehen mit Freunden. Da sparen wir auf keinen Fall dran (lacht). Da wird nicht gespart.“ (Person C, 00:30:07-2)
Diese Äußerungen spiegeln nicht nur die hedonistisch orientierte Prioritätensetzung der Befragten wider, sie weisen auch darauf hin, dass mit Hilfe genussbringender Aktivitäten versucht wird, die mit der Einbuße verbundenen negativen Emotionen „abzumildern“. Die wiedergegebenen Äußerungen zeigen zudem, dass sich auch im untersuchten speziellen Kontext die von Assael getroffene Feststellung bestätigt, dass je eher in der Vergangenheit schon hedonistische Bedürfnisse befriedigt wurden, desto größer das Verlangen nach ihrer Befriedigung in der Zukunft ist (Assael 2004, S. 35).
5.2.5.3.3 Mangelnde Relevanz sozial sichtbaren Konsums 5.2.5.3.3.1 Ursprüngliche Erwartung Es liegt die Annahme nahe, dass Konsumenten bei einem finanziellen Abstieg vor allem um die Aufrechterhaltung sozial sichtbaren Konsums bemüht sind. Hinweise in diese Richtung liefern die vorliegenden Erkenntnisse der Armutsforschung. Für den vielfach festgestellten sozialen Rückzug und die Abnahme sozialer Kontakte von finanziell Deprivierten (siehe 3.3.2) werden neben sozialen Faktoren79 insbesondere konsumverhaltensrelevante Faktoren verantwortlich gemacht:
78 79
Person J, 00:18:26-6. Soziologisch erklärt wird ein sozialer Rückzug Deprivierter außerdem durch 1. eine durch materielle Not hervorgerufene Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt und die damit infrastrukturell bedingte Reduzierung sozialer Kontakte (Neuberger 1997, S. 94) und 2. den gleichzeitigen
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
159
Eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten verhindern das Beibehalten bisheriger Lebens- und Konsumgewohnheiten. Das „Mithalten“ mit den Konsumstandards der Bezugsgruppe (Besuch von Kneipen, Diskotheken, Dorffesten, Wohnungseinrichtung) ist nicht mehr möglich, was zu einem Rückzug aus der bisherigen Bezugsgruppe führt (Müller 1993, S. 201). Des weiteren findet nicht selten eine Ausgrenzung durch das soziale Umfeld statt. Aus verminderter Konsumfähigkeit sich ergebende Prozesse der Stigmatisierung können zu einer Abwendung des Freundeskreises bis hin zu starker Diskriminierung führen (Müller 1993, S. 201; Neuberger 1997, S. 94). Als weitere Ursache für den Rückzug gilt die Unmöglichkeit zu reziprokem Handeln. Die gesellschaftliche Norm, wonach Einladungen und Geschenke mit Gegeneinladungen und Gegengeschenken beantwortet werden müssen (Müller 1993, S. 201), führt dazu, dass Einladungen zu peinlichen Bloßstellungen werden, „weil sie jetzt die eigene Bedürftigkeit und Abhängigkeit sicht- und fühlbar machen“ (Wagner 1991, S. 15). Aufgrund der mangelnden finanziellen Mittel für Gegeneinladungen werden selbst Einladungen aus dem engeren sozialen Umfeld abgelehnt (Neuberger 1997, S. 94). Insgesamt ist das Verhalten sowohl der Betroffenen als auch ihres sozialen Umfeldes stark durch die Befolgung von Konsum- und Leistungsnormen geprägt, was dazu führt, dass finanzielle Knappheit häufig eng mit „erzwungener Isolation und verinnerlichter Scham infolge fehlender Konsummöglichkeiten“ einhergeht (Müller 1993, S. 201). Aus den vorangegangenen Ausführungen (siehe auch 3.3.2) und auch den Erkenntnissen zu den Funktionen von Konsum (siehe 2.1.4.2) lässt sich folgende Erwartung bezüglich des (Konsum-)Verhaltens von Betroffenen ableiten: Der Eintritt von Arbeitslosigkeit bzw. finanzieller Deprivation geht häufig mit Schamgefühlen und der Angst vor einem Statusverlust bzw. sozialer Degradierung und Stigmatisierung einher. Insbesondere bei sozialem Abstieg sind Schamgefühle zu erwarten, da man in der Regel aus seinem gewohnten sozialen Umfeld herausgerissen wird (Sorokin 1994), dieses aller-
Rückzug aufgrund von (durch Arbeitslosigkeit bedingten) veränderten Lebensrhythmen und Alltagsproblemen (Müller 1993, S. 201).
160
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
dings auch nach dem Abstieg noch als Vergleichsmaßstab heranzieht. Betroffene werden deshalb in der Regel bestrebt sein, sich vom – häufig auch selbst anerkannten – Arbeitslosenstereotyp bzw. -cliché zu distanzieren (siehe Selbst- und Fremdbild, 3.3.2). Sie versuchen, den finanziellen Abstieg und die mangelnde Konsumfähigkeit zu verbergen und weiterhin mit dem Konsumverhalten der Bezugsgruppe mitzuhalten. Es wird dementsprechend davon ausgegangen, dass Menschen dem für andere Menschen sichtbaren Konsum eine erhöhte Priorität einräumen. Das heißt, dass sie – zumindest zunächst – versuchen, Einsparungen eher im privaten Bereich vorzunehmen, um ihren sozial sichtbaren bzw. öffentlichen Konsum möglichst lange beizubehalten.80/81 Dies bedeutet auch, dass sie, um die Norm der Reziprozität nicht zu verletzen, bemüht sind, den in sozialen Interaktionen notwendigen Konsum aufrechtzuerhalten und, wenn nötig, in anderen Bereichen einzusparen. Wenn das nicht mehr möglich ist, findet ein Rückzug im Sinne einer Trennung von der bisherigen Bezugsgruppe statt. Grundsätzlich ist außerdem davon auszugehen, dass ein unfreiwilliger Abstieg Ängste vor dem Verlust des Selbstwertgefühls auslösen kann (siehe 3.3.2). Das Selbstwertgefühl ist vermutlich um so stärker bedroht, je stärker der eigene Wert bisher von sichtbarem Konsum (z.B. Auto) bzw. vom Besitz materieller Dinge abhängig gemacht wurde, die nun aufgegeben werden müssen, je stärker also die „Fremdorientierung des eigenen Selbstwertgefühls am gesellschaftlichen Status“ (Wagner 1991, S. 16) ist. Der empfundene Statusverlust könnte – wie in der Studie von Roberts (1991) (siehe 3.3.2) – zu einer „symbolic completion“ über den Konsum führen.
5.2.5.3.3.2 Ergebnisse Inwieweit treffen diese Annahmen und Überlegungen auf die vorliegende Stichprobe zu? Um den Lesefluss nicht zu unterbrechen, sind die wesentlichen der folgenden Er-
80
81
Feemers (1992) formuliert im Zusammenhang mit demonstrativem Konsum eine ganz ähnliche Überlegung. Er geht davon aus, dass der Konsument gegenüber seiner Bezugsgruppe nicht an Prestige einbüßen will und deshalb versucht, den sozial sichtbaren Konsum durch den Rückgriff auf Erspartes, Kreditaufnahme oder Einsparungen im sozial nicht sichtbaren Bereich aufrechtzu erhalten. Zurückführen lässt sich diese Annahme bereits auf Veblens Überlegungen (1971) zum Prestigestreben des Menschens. Da Prestige von finanziellen Mitteln abhängt, versucht das Individuum, auch in Notlagen seinen demonstrativen Konsum aufrechtzuerhalten. Erst wenn keinerlei finanzieller Spielraum mehr vorhanden sei, wird auf diesen verzichtet (Veblen 1971, S. 73).
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gebnisauswertung zugrunde gelegten Zitate gesondert in Tabelle 7 aufgelistet. Interessanterweise spiegelt sich die vermutete starke Bedeutung des sozial sichtbaren Konsums nicht in den Interviews wieder. Die im Rahmen dieser Untersuchung gewonnenen Ergebnisse widersprechen geradezu den oben skizzierten Erwartungen. Mit anderen finanziell bzw. materiell nicht „mithalten“ zu können stellt für die Befragten in der Regel kein großes Problem dar: „(...) also der Mensch ist so, dass er sich [materiell] vergleicht, also machen wir uns nichts vor. Da kommt man ja gar nicht drum rum. Die Frage ist, welchen Raum man dem einräumt.“ (Person G, 01:14:07-5)
Gleichzeitig zeigt sich, dass die hier untersuchten Personen – zumindest nach eigenen Angaben – nicht versuchen, ihre finanzielle Situation zu verbergen, um nach außen den Schein zu wahren. Sie sind im Gegenteil bereit, bei klassischen Statusgütern Abstriche zu machen. So zieht beispielsweise die Hälfte der Personen in eine kleinere, günstigere Wohnung um. Zwei Personen geben ihr Auto auf.82 Damit stellen sie unter Beweis, dass sozial sichtbarer Konsum für sie keine allzu große Rolle spielt. Auch lassen sich keine Hinweise dafür finden, dass ein (z.B. durch Arbeitsplatzverlust ausgelöster) Statusverlust über den Konsum von Statusgütern kompensiert wird. Insgesamt messen die Interviewten dem Konsum als Mittel der Selbstdarstellung keine große Bedeutung bei (Belege siehe Tabelle 7, Punkt a)). Eine Befragte gibt an, von ihrem sozialen Umfeld – allerdings nicht bewusst und eher indirekt – diskriminiert zu werden. So „vergessen“ ihre finanzstärkeren Freunde manchmal, dass die Befragte sich bestimmte Dinge, die sie sich problemlos leisten können, nicht finanzieren kann. Dies verursacht bei ihr Schamgefühle und führt dazu, dass sie manchmal vorgibt, keine Zeit zu haben, wenn ihr Unternehmungen mit Freunden in Wirklichkeit zu teuer sind. Auch Person F fühlt sich ein „bisschen“ isoliert.83 Alle anderen Befragten fühlen sich von ihrem sozialen Umfeld weder stigmatisiert noch ausgegrenzt (Belege siehe Tabelle 7 Punkt b)). In manchen Fällen passt das soziale Umfeld sogar sein eigenes Konsumverhalten an die beschränkteren finanziellen Möglichkeiten der deprivierten Freunde an. Bei gemeinsamen Unternehmungen, die
82 83
Person C, 00:36:18-5 und Person I, 00:04:57-0. Person F, 00:58:12-5.
162
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
etwas kosten, werden die preisgünstigeren Optionen gewählt (Belege siehe Tabelle 7, Punkt c)). Die unter den Befragten am stärksten Deprivierte äußert zwar: „(...) dass man so in Armut geraten ist. Man zeigt das nicht gerne“ (Person F, 00:58:34-1). Außer ihr entwickelt aber kaum einer der anderen Befragten Schamgefühle aufgrund seiner prekären finanziellen Situation. Aus diesem Grunde wird die eigene finanzielle Lage in der Regel auch nicht verschwiegen, sondern sogar offen kommuniziert. Dadurch versucht man nicht nur Akzeptanz und Rücksichtnahme, sondern in manchen Fällen auch Unterstützung aus dem sozialen Umfeld zu gewinnen84. Gleichzeitig scheint das oben angesprochene Problem der Reziprozität (siehe S. 106) für die hier Befragten nicht zu existieren. So haben die meisten Befragten wenige Hemmungen, sich selbst bei anderen einzuladen, statt selber Gäste einzuladen, oder aber Gäste einzuladen, diese ihr Essen aber selber mitbringen zu lassen. Geschenke für andere fallen ebenfalls kleiner aus oder werden durch Blumen aus dem eigenen Garten ersetzt. Eine Befragte schildert sogar, dass, wenn ein Freund ihr einen gemeinsamen Restaurantbesuch vorschlägt, sie nur unter der Bedingung zusagt, dass er die Rechnung begleicht. Nur der stark deprivierten F ist es äußerst unangenehm, Einladungen auszusprechen und dabei um einen „Essensbeitrag“ bitten zu müssen (Belege siehe Tabelle 7 Punkt d). Ein sozialer Rückzug, schon gar nicht aus Scham, weil man sich weniger leisten kann oder keine gleichwertigen „Gegenleistungen“ in sozialen Interaktionen erbringen kann, ist bei den meisten hier Befragten definitiv nicht zu erkennen (Belege siehe Tabelle 7, Punkt e). Nur vereinzelt führt die finanzielle Einbuße zu einem Verlust an sozialen Kontakten. In der Regel bleibt das soziale Umfeld stabil, und zum Teil findet durch die Einbuße noch eine Intensivierung von Freundschaften statt (Belege siehe Tabelle 7, Punkt f). Die Befragten werden also in der Regel nicht wegen mangelnder Konsumfähigkeit stigmatisiert, sie empfinden keine Scham, sie werden also weder von anderen gemieden, noch ziehen sie sich selber zurück. Insgesamt gelingt es den hier befragten Erwachsenen also, ihre Situation erfolgreich zu meistern. Im Gegensatz zu ihnen haben ihre Kinder zum Teil jedoch durchaus Probleme mit den Konsequenzen der finanziel-
84
Person D, 0:43:57-8; Person H, 00:47:03-0.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
163
len Einbuße. Bei ihnen spielt, wie aus der Forschung bereits bekannt (siehe 3.3.2), der soziale Vergleich, der daraus resultierende Druck und damit sozial sichtbarer Konsum tendenziell eine größere Rolle (Isaksen/Roper 2008; Neuberger 1997, S. 97; Walper 2001, S. 172). Die starke Bedeutung der Selbstdarstellung über Konsum bei Jugendlichen manifestiert sich in der vorliegenden Stichprobe zum Beispiel darin, dass Markenkleidung offenbar nicht mehr ausreicht, um sich von anderen abzuheben. So werden von Jugendlichen in der Schule Marken zur Schau gestellt, die es nur in den USA gibt und die deswegen nicht für jeden erhältlich sind. Der Vergleich mit Klassenkameraden wird von Kindern aus deprivierten Haushalten als „schmerzlich“ empfunden. Gleichzeitig spielen bei Kindern auch Schamgefühle eine Rolle. So lädt die Tochter einer Befragten keine Schulfreundinnen zu sich nach Hause ein, weil sie sich für die Wohnung ihrer Familie schämt. Verschärfend dürfte sich hier noch auswirken, dass die Klassenkameraden der Kinder der hier Befragten beinahe durchweg aus „Besserverdiener“-Haushalten stammen (Belege siehe Tabelle 7, Punkt g). Tabelle 7: Belege für die mangelnde „soziale“ Bedeutung von Konsum
a) Vernachlässigbare Bedeutung des Konsums als Mittel zur Selbstdarstellung „Also, wir haben überhaupt keine Blender irgendwie im Freundeskreis, was ich auch sehr gut finde. Also da muss sich keiner irgendwie was beweisen oder so. Gott sei Dank! Das habe ich auch nicht gemacht.“ (Person I, 01:10:22-5) „(...) wenn man sein Lebensglück daran hängt, dass man mit dem Konsum mithalten kann. Das ist auch so eine Sache, wo viele denken, dass sie sich über den Konsum darstellen oder ihren eigenen Wert damit darstellen. Und nach unserer Auffassung jedenfalls bestimmt das nicht den Wert eines Menschen.“ (Person G, 01:10:08-9)
b) Keine (bewusste) Stigmatisierung durch das soziale Umfeld „Nee, dass das aktiv von außen an mich herangetragen wird, kann ich nicht sagen. Aber ich habe so eher das Gefühl, das wird halt manchmal vergessen. Manche Leute, die denken halt, na ja, ihnen geht es gut oder sie können sich das alles leisten und setzen es bei den anderen so voraus... und reden dann irgendwie so, als würde man dazu gehören, aber eigentlich... (Person A, 01:11:34-9) „Das liegt aber auch an meinem Freundeskreis. Und ich glaube, da bin ich einfach sehr gut aufgehoben und fühle mich... Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass mich so was ausgrenzen könnte.“ (Person D, 1:03:32-6) „(...) so im Freundeskreis habe ich da nie irgendwie ne Spitze erlebt oder so.“ (Person I, 01:02:25-0)
164
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
c) Das soziale Umfeld grenzt Deprivierte nicht aus, sondern passt sich an „Nee, also sie [die Freunde] sagen jedenfalls, dass es sie nicht stört, und sie stellen sich auch ein. Also es gibt ja mehrere mittlerweile, die in der Situation sind. Also eine Freundin, die sehr viel Geld hat, die lädt dann entweder die ärmeren Freundinnen ein oder sie geht halt mit ihnen am Kinotag ins Kino, oder halt in eine Kneipe, wo das Bier nur einen Euro kostet. Da stellt sich dann auch das soziale Umfeld der anderen ein. Das ist eigentlich sehr schön.“ (Person C, 00:53:14-9) d) Offener Umgang mit der Situation und keine Probleme aufgrund der Notwendigkeit zu reziprokem Verhalten „Dass man stärker sich selbst bei Freunden und Bekannten einlädt (lacht), und sagt, hurra, dieses Jahr findet das Sommerfest mal bei Euch statt. Wir kommen gerne vorbei. Und das hat bisher tadellos funktioniert. Da wird auch, ja, offen und kreativ mit umgegangen. Das ist überhaupt kein Handicap. Also wir hatten das zum Beispiel jetzt vor vierzehn Tagen, dass wir dann eben in der Nachbarschaft gefeiert haben und jeder hatte etwas mitgebracht. Es war für wirklich kleines Budget zu machen. Und so etwas gelingt. Da muss man nicht großartig drum herum reden, sagt einfach, o.k., das ist dieses Jahr im Budget nicht drin. Und da finden sich andere Lösungen.“ (Person B, 01:39:51-6) „Empfang und Bewirtschaftung von Freunden und Gästen. Ja, das hat sich insofern geändert, dass ich zwar Gäste empfangen und bewirtet habe, aber mit den Sachen, die sie selber mitgebracht haben (lacht)“. (Person D, 0:39:33-7) „Und ich hab durch den Garten auch oft die Gelegenheit, einfach eine Blume auszubuddeln und mitzubringen, und das ist dann auch gut. Und nö, das [teure Geschenke] wird auch nicht von mir erwartet.“ (Person D, 0:57:14-7) „(...) ick hab dann einfach ein paar Blumen dabei und habe kein Geschenk. Det war mal anders, und da würde auch nie jemand wat sagen. Det liegt so in der Natur der Sache. Det jeht nich. (...) Det sehen die und können wir auch drüber reden. Geht auch jeder sehr taktvoll mit um.“ (Person K, 01:30:56-2) „Es ist auch o.k., wenn jetzt die Party in Kleinmachnow stattfindet, (...) wenn man jetzt nicht so was Teueres schenkt, ist in Ordnung.“ (Person C, 00:52:37-6) „Also wenn mich ein Freund anruft und sagt, sollen wir uns in der und der Kneipe treffen oder gehen wir essen? Dann sage ich, ja, wenn Du mich einlädst, sonst nicht. Und das ist auch o.k.. (...) Also ich habe da auch kein Problem mit. Ich kenne aber Freunde, auch gerade in Künstlerkreisen, die damit Probleme haben, die dann eben nicht gehen, weil sie eben gerade nicht bezahlen können. Oder nur dann, wenn es wirklich ganz enge Freunde sind, wo sie sich dann nicht blöd fühlen und so. Und ich fühle mich, Gott sei dank, nicht blöd.“ (Person D, 0:36:45-4)
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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Ausnahme: „(...) es ist mir auch unwohl dabei, dass ich bei der Einladung schreibe "Beitrag, also so Buffetbeitrag, ist herzlich willkommen" (...). es ist mir unwohl dabei, dass ich dann sage "Bitte komm, aber bring deinen Kuchen mit" oder so. ...Richtig unwohl dabei. Aber ich muss es machen. (Person F, 01:03:36-0)
e) Kein Rückzug „(...) wir haben keinerlei Kontakte irgendwie jetzt einschlafen lassen. Also, wir haben Kontakte weiter gehalten. Wir haben auch geguckt, dass man, ja, auch Leute weiter einlädt und auch zu Bekannten den Kontakt einfach hält. Also wir haben uns jetzt nicht abgekapselt. Wir sind auch jetzt nicht irgendwie deswegen geschnitten worden oder so, sondern ich denke mal, unser soziales Umfeld ist eigentlich so weitergelaufen.“ (Person H, 01:16:30-5)
f) Veränderung des sozialen Umfeldes „Man lernt sehr deutlich, Freunde von Feinden zu unterscheiden, weil sich der Freundes- und Bekanntenkreis auch sehr schnell positioniert hat. Und der Kontakt zu einzelnen Freunden ist schlagartig abgerissen. Das wurde auch ganz klar damit begründet, nach dem Motto, das ist jetzt eine soziale Schwelle, da möchte man nichts mit zu tun haben. Gleichzeitig haben sich aber auch Beziehungen, die bisher vielleicht nicht so gefestigt waren, sehr wunderbar entwickelt und verstärkt.“ (Person B, 01:58:43-4) „Es hat eher auch die Freundschaften, die sowieso schon Freundschaften waren, auch ganz eng noch mal zusammengeführt.“ (Person H, 01:19:20-6) „Das private [Umfeld] muss ich sagen, ist mir tapfer treu geblieben, also alle eigentlich. (...) Gut, es gibt immer ein bisschen Schwund irgendwie, aber jetzt nicht aus den finanziellen Gründen. Sie hatten sehr viel Verständnis.“ (Person C, 00:52:37-6)
g) Kinder und Jugendliche – Sozialer Vergleich und Schamgefühle „Also die [Mitschüler] sind alle (...) sehr, sehr reich, und das lassen sie einen auch spüren (...). (Person J, 00:35:55-3(...) Also sie tragen dann ganz bewusst irgendwelche Marken, nur um zu zeigen, dass sie in den USA waren, weil es die Marke hier nicht gibt, und dann wird das erzählt, wie toll das ist und wie viel Geld sie nach dem Abitur bekommen und was sie für ein Auto geschenkt bekommen. Aber das finde ich nicht wichtig.“ (Person J, 00:36:41-3) „Also ich orientiere mich jetzt auch nicht wirklich an meinen Freunden, weil ich weiß, dass das illusorisch wäre und eher schmerzlich, als dass das irgendwie realistisch wäre.“ (Person J, 00:38:04-1) „Aber natürlich hat sie [Tochter] auch Mitschüler, deren Eltern wesentlich mehr Geld haben und da sieht sie das vielleicht auch und denkt, warum haben wir so ein altes Schrebbelauto.“ (Person L, 00:04:36-8).
166
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
„Also meine Tochter vor allem hatte so das Gefühl so sozial total... also, die lädt bis heute ihre Klassenkameradinnen nicht nach Hause ein. (00:11:12-4) Also, die kommt damit auch nicht so gut klar (00:11:11-7) (...) aber die lädt niemand ein, weil sie die Wohnung... weil sie sich dafür schämt. (...) Sie beschwert sich auch über die Einrichtung. (...) ich glaube, subjektiv ist das für sie gravierend.“ (Person D, 1:23:45-8) Quelle: eigene Darstellung
5.2.5.3.3.3 Interpretation/Erklärung Wie lassen sich diese angesichts der theoretisch und empirisch basierten Vorüberlegungen überraschenden Ergebnisse erklären? Bei genauerer Betrachtung lassen sich einige plausible Erklärungsansätze für das Zustandekommen der vorliegenden Ergebnisse finden. Diese werden im Folgenden erläutert: Eine naheliegende Erklärung für den mangelnden Einfluss des sozialen Umfeldes auf das eigene Konsumverhalten ist die – bei den meisten Befragten vorhandene – Heterogenität der Ressourcenausstattung im engeren sozialen Umfeld: „Die Quervergleiche so im Freundes- und Bekanntenkreis, das wäre einfach zu vielfältig, also da hab ich wirklich quer durch alle Spannen Kontakte.“ (Person B, 02:19:37-7) „Manchen geht es sehr, sehr gut. Mein Exfreund zum Beispiel, der ist Millionär. (...) Naja, und dann gibts natürlich andere, die leben auch von Hartz IV, ne? Also es gibt beides. Ich hab alles im Freundeskreis. Alles vertreten. Vom meinem Standard zu, also eher an der unteren Grenze, bis hin zu, bis hin zum Superreichen, finanziell wirklich komplett unabhängigen Leuten.“ (Person L, 00:39:35-0) „Ich habe nen großen Freundeskreis, wo halt viele auch noch rumkrepeln, also sprich, im Studium sind, in irgendwelchen schlecht bezahlten Jobs sind (...) so dass man sich da auch noch ein bisschen geborgen fühlt und sagt, o.k., wenn man sich an den anderen orientiert, sag ich mir, o.k., du bist noch nicht so alt und bei den anderen läuft es jetzt auch noch nicht so rund. Wäre wahrscheinlich schlimmer, wenn ich jetzt irgendwie in so nem festen Freundeskreis wäre, wo es schon alle gepackt hätten, oder so.“ (Person I, 01:01:10-8)
Ist der Freundes- und Bekanntenkreis sehr unterschiedlich mit finanziellen Ressourcen ausgestattet, so existiert kein einheitlicher „Konsumstandard“, an dem sich der Konsument orientieren könnte und der ihm somit als „Vergleichsmaßstab“ und damit als Basis seiner eigenen Anspruchsniveausetzung (siehe S. 106) dienen könnte. Aus diesem Grunde kann auch kein Bedürfnis nach dem „Mithalten-Wollen“ mit der Bezugsgruppe entstehen. Die im dritten Zitat deutlich werdende homogen schwache Ressour-
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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cenausstattung in der Bezugsgruppe dürfte das Bedürfnis nach demonstrativem Konsum ebenfalls eindämmen. Das aus einem sozialen Vergleich resultierende und sich in demonstrativen Konsum manifestierende „Mithalten-Wollen“ mit der Bezugsgruppe kann demnach nur dann auftreten, wenn ein Großteil der relevanten Bezugsgruppe aus Personen mit einem homogen zumindest gleichem, wenn nicht höherem Ressourcenniveau besteht. Hierbei handelt es sich um einen in der Konsumverhaltensforschung bisher unzureichend berücksichtigten Aspekt des Bezugsgruppeneinflusses. Neben dem engeren sozialen Umfeld spielt auch das Wohnumfeld des Konsumenten eine nicht zu unterschätzende Rolle85. Elf der zwölf Befragten dieser Untersuchung leben in Berlin. Dieser Umstand muss besonders berücksichtigt werden, da Berlin als Wohnort gewisse Spezifika aufweist. So verfügt Berlin beispielsweise generell über eine schwache Wirtschaftskraft. In einem diesbezüglichen Vergleich der Bundesländer nimmt Berlin im Jahr 2008 den letzten Platz ein (Asmuth 2008). Zudem bezieht beinahe die Hälfte aller Berliner soziale Transferleistungen. Dies macht Berlin einerseits zu einer Stadt, in der Armut und Knappheit objektiv vorhanden sind, in der andererseits aber die „gefühlte“ Armut relativ schwach ausgeprägt ist (Brussig 2006). „(...) da Berlin die Eigenschaft hat, Armut nicht zu stigmatisieren, wird Armut weniger gefühlt und findet also weniger statt“ (Brussig 2006). Ein Grund dafür mag auch darin liegen, dass Berlin über eine vergleichsweise hohe Akademikerarbeitslosigkeit (10% versus 4% im Bundesdurchschnitt) verfügt und materielle Knappheit einen Akademiker nicht in die Unterschicht abrutschen lässt. „Es ist kein Automatismus, dass Armut zugleich Stigma, Ausschluss, Persönlichkeitsverlust oder Selbstaufgabe bedeutet“ (Brussig 2006). Berlin zeichnet sich nach Ansicht des Stadtforschers Lindner zudem dadurch aus, dass sich die Bewohner Berlins in prekären Verhältnissen wohlfühlen und sich gleichzeitig den „von außen verordneten Kriterien wie Wohlstand und Outfit nicht so sehr unterordnen“ (Apin 2008). Im Vergleich zu anderen Städten stellt Brussig (2006) in Berlin „eine Gleichgültigkeit gegenüber den teuren Dingen“ fest. Und auch die Ergebnisse einer Studie der Hertie-Stiftung zeigen, dass sich die Menschen in Berlin trotz angespannter finanzieller Lage wohlfühlen. So kommt der typische Berliner nach Angaben von 80% der in der Studie Befragten „immer wieder über die Runden“ und „versteht es, sich zu amüsieren“ (Asmuth 2008). Diese Erkenntnisse müssen bei der Interpretation der vorliegenden Ergebnisse berücksichtigt werden. Es ist durchaus denkbar, dass 85
Person B, 00:24:38-8.
168
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
in anderen Städten Deutschlands bzw. in ländlicheren Gegenden mit homogenerer Sozialstruktur, in denen möglicherweise auch die „soziale Kontrolle“ stärker als in einer durch Anonymität geprägten Großstadt ist, dem Fremdbild des Konsumenten eine größere Bedeutung beigemessen wird. Finanzielle Knappheit dürfte dort eher zu Stigmatisierung bzw. Ausgrenzung führen und dementsprechend auch mehr Bemühungen zur Aufrechterhaltung einer (Konsum-)Fassade auslösen. Auch die Orientierung an materiellen Lebenszielen überhaupt könnte anderswo eine größere Rolle spielen. Bemühungen finanziell Deprivierter, den sozial sichtbaren Konsum bzw. eine Konsumfassade aufrecht zu erhalten, mögen heute im Unterschied zur Vergangenheit auch deshalb nicht mehr so stark ausgeprägt sein, weil eine durch die materielle Situation hervorgerufene Stigmatisierung durch die zunehmende Dynamik von Lebenslagen ohnehin erschwert ist. Aufgrund dieser Dynamik lässt sich heute kaum noch unterscheiden zwischen Personen, die „augenblicklich“ noch reich/arm oder schon arm/reich sind oder schon wieder reich/arm sind (Beck 1997, S. 63). Dies hat zur Konsequenz, dass es zunehmend schwieriger ist, jemanden aufgrund seines Lebensstils als arm oder reich einzustufen. Heute existieren im Gegensatz zur proletarischen und bürgerlichen Kultur keine eindeutigen (Zuordnungs-)Kriterien für Armut oder Reichtum mehr. Der Besitz hochwertiger Konsumgüter, der früher beruflichen Erfolg signalisierte, sagt heute nicht mehr viel über die aktuelle finanzielle Situation einer Person aus (Beck 1997, S. 63). Unabhängig davon ist ein zunehmender Bedeutungsverlust von Statusgütern festzustellen. Der Konsum und Besitz von hochpreisigen Gütern büßt an sozialer Diskriminierungskraft (siehe 2.1.4.2) ein und kann somit immer weniger als Indikator des sozialen Status bzw. der ökonomischen Lebensverhältnisse herangezogen werden (Bolte 1990, S. 41 f.; Schulze 1990, S. 415; Schulze 1997, S. 274 f.). Zwar existieren noch Statussymbole, aber ihre gesamtgesellschaftliche Orientierungsfunktion im Sinne einer eindeutigen Zuordnung eines Menschen zu einer „sozialen Lage“ ist eingeschränkt. Dies liegt daran, dass Statussymbole zum Teil nur „Insidern“ bestimmter Gruppierungen bekannt sind, (ehemalige) Statussymbole durch Kredite, schwer identifizierbare Imitationen und zunehmende Massenproduktion und die damit verbundenen sinkenden Preise immer mehr Menschen zugänglich sind,
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die Güterverwendung zunehmend eher die Verschiedenartigkeit (beispielsweise von Lebensstilen) als die soziale Stellung symbolisiert (Bolte 1990, S. 41 f.). 86 Das Fehlen der in der bisherigen Forschung immer wieder thematisierten, aber in dieser Untersuchung nicht feststellbaren Stigmatisierungserfahrungen Deprivierter (siehe oben) ist vermutlich auch durch die begrenzte Dauer der erlebten Mängelphase erklärbar. Ein Großteil der vorhandenen Forschung konzentriert sich auf Personen, deren finanzielle Knappheit dauerhafter Natur ist. Bei den meisten der hier Befragten dauert die Mängelphase jedoch (noch) nicht so lange an (maximal vier Jahre), und gleichzeitig ist die Zukunftsperspektive dieser Personen i.d.R. positiv. „Wer einen mit Stigma verbundenen Status nur für kurze Zeit einnimmt, wird meist nicht mit diesem Status identifiziert“ (Coser 1992, S. 37). Vorübergehend – beispielsweise durch einen wirtschaftlichen Abschwung oder Krankheit – Deprivierte werden in der Regel weiterhin „als Anwärter auf ihren vorherigen Status“ (Coser 1992, S. 37) betrachtet. Dies ändert sich erst, wenn die Deprivation zum wesentlichen Charakteristikum der Lebenslage wird (Coser 1992, S. 37). Auch Böhnke (2005, S. 36) betont, dass Marginalisierungserfahrungen insbesondere an „dauerhafte, ausweglos erscheinende, materiell prekäre und sozial wie emotional verarmte Lebenslagen gebunden“ sind und ihr Auftreten damit in erster Linie von schichtspezifischen Risikofaktoren abhängig ist. Insgesamt dürfte die Dauer der Mangelphase also von entscheidender Bedeutung sein. So kann vermutet werden, dass der Freundes- und Bekanntenkreis der hier Befragten mit zunehmender Dauer der Mängelphase – gemäß der Norm der Reziprozität – doch auch gewisse Gegenleistungen einfordert. Vorstellbar ist auch, dass es den Betroffenen langfristig immer schwerer fällt, soziale Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Eine ganz zentrale Rolle beim Umgang mit der Verknappung dürfte neben diesen Faktoren aber auch das Selbstwertgefühl (Selbstbild) des Konsumenten spielen. Die hier Befragten zeigen keine Tendenz zu einer „Symbolic Completion“ in dem Sinne, dass
86
Die gesamtgesellschaftliche Erhöhung des Einkommens- und Bildungsniveaus haben zu einer Auflösung subkultureller Klassenidentitäten und einer Individualisierung von Lebenslagen und -wegen (Beck 1986) und damit auch zu einer Auflösung rollenspezifischer Konsumnormen und homogener schichtspezifischer Konsumstile (Featherstone 1987) geführt. Schon in den 1960er Jahren wurde festgestellt, dass sich Schichtunterschiede eher im Verwendungs- und Nutzungsverhalten als im Kauf und Besitz von Gütern ausdrücken (Wiswede 2000, S. 38). Heute sind nicht mehr Klassen, sondern unterschiedliche Erlebnismilieus mit jeweils unterschiedlichen Konsum- und Zeitverbringungsmustern Strukturierungsmerkmal der Gesellschaft (Bögenhold/Fachinger 2005, S. 18).
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
ein empfundener Selbstwertverlust über den Konsum kompensiert wird. Auch dafür gibt es Erklärungen. Das Selbstwertgefühl der hier Befragten ist in der Regel nicht so stark bedroht, weil die Selbstdefinition bzw. das Selbstwertgefühl der hier Befragten grundsätzlich nicht so stark auf Konsum basiert bzw. spätestens zum Zeitpunkt der Einbuße andere „positive“ Aspekte des Selbstbildes in den Vordergrund rücken (siehe S. 121) der finanzielle Abstieg aus der Sicht der Befragten nicht mit einem Statusverlust verbunden ist bzw. nicht unbedingt als individuelles Versagen wahrgenommen wird (siehe S. 124) und somit keine Notwendigkeit zu einem Ausgleich besteht bei zwei Personen die finanzielle Einbuße Resultat einer freiwilligen Entscheidung ist (Person I, Person A). Zu beachten ist natürlich auch, dass sich Personen mit stark ausgeprägten Schamgefühlen, die durchaus um ein „Verbergen“ ihrer Situation bemüht sein könnten, vermutlich tendenziell nicht zu einem Interview bereit erklären würden (Selbstselektion). Diese Ausführungen lassen vermuten, dass sowohl gesellschaftliche Rahmendingungen (z.B. der Bedeutungsverlust von Statusgütern) und die Zusammensetzung des engeren und weiteren sozialen Umfeldes als auch die Persönlichkeit des Konsumenten Einfluss darauf haben, welche Bedeutung dem Konsum zur Selbstdarstellung beigemessen wird und inwieweit Prozesse des sozialen Vergleichs das Konsumverhalten beeinflussen können. Deutlich wird auch, dass eine Einkommenseinbuße nicht immer den Drang zum Aufbau bzw. der Aufrechterhaltung einer Konsumfassade zum Schutze des Selbst- und Fremdbildes auslöst.
5.2.5.4 Rationalisierung des Kaufentscheidungsverhaltens Die problemorientierte Bewältigung des Konsumenten beschränkt sich keineswegs auf Grundsatzentscheidungen bezüglich der Budgetplanung und -allokation und die Lösung der Frage, ob und in welchen Bereichen möglicherweise Prioritäten gesetzt werden. Konsumenten entwickeln darüber hinaus konkrete Verhaltensstrategien und eine Art von „Kaufentscheidungsregeln“, die es ihnen ermöglichen, trotz des geringeren
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Budgets ein zufriedenstellendes Maß an Bedürfnisbefriedigung zu erlangen, ohne dabei ihren Budgetrahmen zu überschreiten. Insgesamt wird dabei eine Rationalisierung des Kaufentscheidungsverhaltens angestrebt.
5.2.5.4.1 Vermeidung von Verlockungen (Selbstkontrolle) Ganz allgemein führt die finanzielle Einbuße bei den hier Befragten zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten. Dabei wird nicht nur überlegt, wo man Ausgaben einsparen kann, sondern auch wie dies geschehen kann. Dabei macht der Konsument sich auch bewusst, dass er sein Konsumverhalten nicht immer unter „Kontrolle“ hat, er also Ausgaben tätigt, die mit seinem eigentlichen bzw. übergeordneten Ziel des Einsparens in Konflikt stehen. Nach Cheema/Soman (2006, S. 34) kann ein solcher Konflikt zwischen den kurz- und den langfristigen Konsequenzen des Konsums beim Konsumenten ein Bedürfnis nach Selbstkontrolle hervorrufen. Selbstkontrolle hilft dem Konsumenten, der Versuchung nach bestimmten Produkten zu widerstehen. Dabei stehen die Versuchung und die eigene Willenskraft kontinuierlich in Konflikt miteinander. Selbstkontrolle wird von Baumeister (2002, S. 670) definiert als die Eigenkapazität, seine Gemütszustände und Reaktionen zu verändern. Durch sie wird ein anfängliches Reaktionsmuster überspielt und durch ein anderes ersetzt. Diese Reaktionsmuster können dabei Gedanken beinhalten, Emotionen verändern, Impulse regulieren (z.B. einer Versuchung zu widerstehen) und die Leistungsfähigkeit beeinflussen (Baumeister 2002, S. 670). Allgemein resultiert das Bewusstsein, dass man sich in bestimmten Situationen nicht so verhält, wie man es eigentlich gerne würde, häufig in Versuchen, das eigene zukünftige Verhalten zu beeinflussen (Rabin 1998, S. 40). Bei den hier Befragten können eindeutig Verhaltensweisen identifiziert werden, die der Selbstkontrolle dienen. Ziel dieser Verhaltensweisen ist nicht nur die Vermeidung von ungeplanten – und in der Regel durch eine mangelnde kognitive Kontrolle geprägten (Rook/Hoch 1985, S. 24; Weinberg 1981, S. 14) – „Impulskäufen“, sondern in manchen Fällen wohl auch die Unterbindung eines antizipierten Leidens, das aus dem finanziell bedingten „Nicht-Kaufen-Können“ eines begehrten Produktes entstehen könnte.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Um den Verlockungen des Warenangebots nicht zu erliegen, werden von den Befragten folgende Verhaltensstrategien entwickelt: Während die einen bestimmte „Einkaufsgelegenheiten“ generell meiden, „ (...) ich verfolge das Programm [Kulturprogramm] dann auch erst gar nicht, weil ich denke, dann ist es nur ärgerlich, wenn Du nicht hingehen kannst. Also, das hatte ich nämlich jetzt gerade irgendwie. Da ist so etwas im Bode-Museum. Und da sind ja die Preise ab 40 Euro aufwärts, wo ich dann dachte, o.k. (schluckt). (Person A, 00:32:54-8)“ „Das habe ich früher viel gemacht. (...) Sachen gekauft, die ich eigentlich gar nicht brauche, aber dem gehe ich aus dem Weg, indem ich halt wirklich nicht in die Stadt oder auf den Flohmarkt gehe oder mich halt so Situationen gar nicht aussetze, wo ich irgendwie in die Versuchung kommen könnte.“ (Person A, 01:15:32-1)
andere zuvor gern und häufig besuchte Geschäfte meiden, um einer unangenehmen Konfrontation mit begehrten Produkten aus dem Wege zu gehen, „Ick meide dann aber auch diese Situationen. Ick geh jetzt einfach nich mehr dreimal die Woche rein aus Interesse in den Buchladen. Ick geh da jar nich hin“ (Person K,01:39:35-3)
oder innerhalb von Geschäften bestimmte Marken (Orte in Geschäften) meiden, „Ich gucke bestimmte Firmen nicht an, und ick guck auch bestimmte Preise nich an. Ick würde auch nie ne Jacke anprobieren, nich mal aus Gag, die so teuer ist, dass sie mir einfach zu teuer ist. Die muss ick dann auch jar nicht anziehen. Guck ick vorbei. Es jibt da so Ecken, da sind so sauteure Sachen. Da geh ick weiter.“ (Person K, 01:54:23-9)
greifen andere Befragte sogar zur exakten Festlegung der Artikel (strikter Einkaufszettel)87, die in bestimmten Geschäften gekauft werden dürfen, um somit bei Konfrontation mit verlockenden Produkten standhaft zu bleiben. „Wir haben so ne Art Checkliste entwickelt, was ist zu kaufen, wenn ich im Unternehmen A, B, C einkaufen gehe. Und dann wird auch nur das gekauft, was sozusagen auf der Liste draufsteht und keine zusätzlichen Produkte, sondern wirklich nur ganz klar nach Lieferschein, sozusagen. Und das spart enorme Summen. Man wird nicht abgelenkt. Man muss nicht unbedingt noch das ein oder andere
87
Auch die in den USA untersuchten „Low-Income-Consumers“ neigen (im Vergleich zur Restbevölkerung) eher dazu, präzise Einkaufslisten zu erstellen (Alwitt/Donley 1996, S. 114).
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mit dazugreifen. (...) Ein kleiner Effekt, wirklich mit der Einkaufsliste loszugehen, und plötzlich merkt man, man hat auch wirklich nur das im Korb, was man nun wirklich für die Situation benötigt. Nicht mehr, kein Sonderangebot, kein gar nichts. (...) Und die ganzen kleinen geheimen Verführer (lacht) kann man dann außen vor lassen. “ (Person B, 02:07:46-6) „Da [in den Supermarkt] geht man halt mit nem Zettel hin, was man braucht, und orientiert sich an dem Zettel und schlendert nicht noch rum und schippt da noch irgendwas in den Korb rein.“ (Person I, 01:06:39-1)
Auch die Festsetzung eines Maximalpreises (Schmerzgrenze), der nicht überschritten werden darf, dient der Selbstkontrolle. „Und mir haben andere [Schuhe] auch total jut jefallen, und die wären vielleicht auch viel weicher jewesen, aber die kosteten dann 120 Euro. Und 70 Euro war echt die absolute Schmerzgrenze, also über diesen Preis wär ick auf keinen Fall jejangen.“ (Person K, 01:52:48-9) „Da setze ich mir ein Limit für Pullover oder Hose.“ (Person C, 00:09:20-1)
Eine ähnliche Strategie besteht darin, zu Ereignissen, die eine hohe Gefahr des „Schwachwerdens“ und des ungewollten Geldausgebens bergen, nur einen bestimmten (beschränkten) Betrag an Bargeld mitzunehmen. So schildert ein Befragter, dass er beim Ausgehen nicht mehr als 20 oder 30 Euro mitnehme, um der Gefahr zu entgehen, in einer – möglicherweise aufgrund von Alkoholeinfluss – unkontrollierten Situation zu viel Geld auszugeben. „Also, früher ist man mit vollem Portemonnaie rein [in Kneipen, Diskotheken] und mit einem leeren raus. Und jetzt, denke ich mal, weil es auch gar nicht anders geht und in meiner finanziellen Schieflage, habe ich mir einfach nur 20 oder 30 Euro oder so eingesteckt. (...) Man hat gesagt, o.k., das ist einfach mein Limit und dann war es das. Und sonst war es, och, na ja, ist doch egal und dann eingeladen und hier und da, willst Du auch noch einen und zack...so ne Sachen halt. Also da spart man dann schon, weil man schon von vorneherein sagt, o.k., wenn alle, dann alle.“ (Person I, 00:21:27-8)
Die im Rahmen dieser Untersuchung zum Vorschein tretenden Selbstkontrollstrategien ähneln denen, die Konsumenten zur Vermeidung von Impulskäufen anwenden. Beispielsweise kann die antizipative Vermeidung von verführerischen und Selbstkontrollkonflikte erzeugenden Situationen – konkret von Einkaufsgelegenheiten, Geschäften und der Konfrontation mit bestimmten Marken – als Distanzierungsstrategie (Rook/ Hoch 1985, S. 26) im Sinne einer räumlichen Distanzierung interpretiert werden. Die Aufstellung von Einkaufslisten, das Mitnehmen eines beschränkten Geldbetrages und das Festsetzen von Preisobergrenzen können als Formen eines „Precommitments“, also einer Art der Selbstverpflichtung bzw. willentlichen Einschränkung der Hand-
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
lungsmöglichkeiten, verstanden werden. Zwar werden diese Selbstkontrollstrategien teilweise auch von nicht-deprivierten Personen ergriffen, da sie aber von den hier Befragten erst als Reaktion auf die Einbuße ergriffen werden, ist von einer verstärkten Anwendung dieser Handlungsstrategien bei einer Verknappung des Budgets auszugehen.
5.2.5.4.2 Rationalisierung einzelner geplanter Konsumakte Die Veränderung des Kaufentscheidungsverhaltens manifestiert sich nicht nur in dem Ergreifen von Selbstkontrollstrategien, sondern auch in der Art und Weise, wie einzelne Kaufentscheidungen getroffen werden. So hat die durch die finanzielle Einbuße angestoßene intensivere Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten zur Konsequenz, dass Konsumgewohnheiten hinterfragt und möglicherweise aufgebrochen werden. Gewohnheiten spielen in vielen Bereichen des Konsumverhaltens eine wichtige Rolle. Als ein Resultat von Verstärkerprozessen setzen Gewohnheiten ein Verhalten fort, das sich in der Vergangenheit als nützlich erwiesen hat (Wiswede 2007, S. 334). Die sich im wiederholten Kauf eines Produktes manifestierende Gewohnheit (Habitualisierung) verschafft dem Konsumenten eine kognitive Entlastung (Foscht/Swoboda 2007, S. 155 f.). Insbesondere der Kauf von Gütern des täglichen Bedarfs ist in der Regel stark habitualisiert (Wiswede 2007, S. 335). Interessanterweise führt die finanzielle Einbuße bei den meisten Befragten zu Verhaltensänderungen in diesem durch starke Habitualisierung geprägten Konsumbereich. So setzt man sich – möglicherweise erstmals seit langer Zeit – mit dem Kauf von Lebensmitteln auseinander. Die Bereitschaft zur kognitiven Auseinandersetzung mit dem Kauf von sogenannten Low-Involvement-Produkten88 signalisiert auch die gestiegene Relevanz der einzelnen Kaufentscheidung. Jeder noch so kleine Konsumakt wird rational geprüft. Diese gestiegene Bedeutung des einzelnen Kaufakts manifestiert sich außerdem in einer veränderten Evaluierung von Fehlentscheidungen und -käufen.
88
Das Involvement beschreibt das „gedankliche Engagement und die damit verbundene Aktivierung, mit der sich jemand einem Sachverhalt oder einer Aktivität zuwendet“ (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 386).
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
175
„(...) wenn noch zehn Euro übrig sind, dann würde ich das schon ins Kino investieren. Man ärgert sich aber dann natürlich um so mehr, wenn man dann feststellt, eh, das waren die letzten Pimperlinge und dann hast Du so nen Scheißfilm gesehen.“ (Person I, 00:24:02-8)
Die finanzielle Verknappung verursacht sozusagen eine produktübergreifende Zunahme des „Fehlkaufrisikos“. Vergleichbar damit ist das in der Konsumverhaltensforschung vorzufindende „psychische“ Risiko. Dieses bezieht sich auf die Gefahr, eine ineffiziente Entscheidung zu treffen und bedauern zu müssen (Kuhlmann 1978, S. 103). Um dieses Risiko zu reduzieren, werden Kaufentscheidungen wesentlich bewusster getroffen. Das bedeutet, dass mit der einzelnen Kaufentscheidung in der Regel ein größerer zeitlicher und kognitiver Aufwand als vor der Einbuße verbunden ist. „Na ja, [der Kaufentscheidungsprozess] hat sich schon geändert. Weil ich jetzt einfach darüber nachdenke, irgendwie. Also ich brauche jetzt viel länger im Supermarkt, weil ich dann immer vor irgendwas stehe, erst mal den Preis suche und dann überlege. Das hat sich schon geändert. Das ist jetzt irgendwie, ja, wie sagt man, überlegter, zeitaufwändiger geworden.“ (Person A, 01:18:00-7) „Bislang hat man sich von vielen, vielen Faktoren stärker beeinflussen lassen, jetzt wird einfach mal sehr rational geprüft und danach gehandelt. Weniger Bauchentscheidungen ist manchmal auch gut, jedenfalls fürs Portemonnaie.“ (Person B, 02:10:19-1)
Gleichzeitig wächst auch die Bedeutung des Preises89 als Kaufentscheidungskriterium und damit die Preissensibilität des Konsumenten. „Also, ich achte jetzt genau auf den Preis. Und was ich mir früher halt gekauft habe, wenn ich jetzt Lust auf irgendwelche Kekse hatte (...), dann habe ich mir die gekauft und nicht auf den Preis geachtet. Und jetzt achte ich natürlich darauf, und alles, was mir dann zu teuer erscheint, das leiste ich mir dann nicht.“ (Person A, 00:04:58-8) „(...) aber ich gucke schon sehr genau auf die Preise, und wenn ich weiß, irgendwo kann ich es preiswerter bekommen, dann nehme ich die andere Variante.“ (Person F, 00:29:33-9) „Also, wir, ich kauf nur noch etwas, das reduziert ist. Ich kauf nie mehr zu normalen Preisen. Mir kann das noch so gut gefallen.“ (Person H, 00:47:03-0)
In der Regel wird mehr Zeit und Energie sowohl in die Informationssuche als auch in den Beschaffungsakt investiert. Zum Teil wird auf neue Informationsquellen90 zurück89
So auch bei K , 01:52:48-9.
176
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
gegriffen, um bestimmte Produkte möglichst preisgünstig zu erwerben. Dies kann in einem nächsten Schritt auch zu einer Veränderung von Beschaffungsort und -zeitpunkt führen. „Also, ich habe dann auch irgendwelche Flyer von Netto durchgelesen. Mach ich ja heute auch noch, hätte ich früher natürlich nicht gemacht. Und wenn dann irgendwie Duschbad günstig ist, klar, dass man dann dahin rennt und nicht irgendwie, wenn es dann wieder das Doppelte kostet.“(Person I, 01:12:03-9)
Insgesamt werden rationalere Kaufentscheidungen getroffen. Diese Rationalisierung zeigt sich zum einen in der Art der Produkte, die (überhaupt) gekauft werden, zum anderen auch in den Kriterien, die der konkreten Auswahlentscheidung zwischen Produktalternativen zugrunde gelegt werden. Die meisten Produkte werden nicht mehr nach „Lust und Laune“, sondern nur noch gekauft, wenn tatsächlich ein Ersatzbedarf vorhanden ist. Die wahrgenommene Notwendigkeit wird also zum zentralen Entscheidungskriterium bezüglich der Frage, welche Produkte gekauft werden. „Also, man ist dann nicht mehr in den Laden reingegangen, ah, das gefällt mir, sondern eher so: Wo ist denn das Günstige, aber das ist trotzdem schön, und das kaufe ich mir dann, wenn man es halt braucht. Also, ich hab es dann auch so gemacht, dass nur nach Notwendigkeit gekauft worden ist. Also nicht, hier, ich schlender mal rum, kaufe. Sondern, ja, ich brauche jetzt eine Hose, und ich kaufe eine.“ (Person I, 00:13:13-1) „Also was ich jetzt nicht unbedingt brauche, kaufe ich nicht.“ (Person C, 00:42:10-9) „(...) ich kaufe nur das, was jetzt auf der Liste [Einkaufsliste] steht. Und nichts von dem, was einem da noch aufgedrängt wird an wunderbaren Produkten, die es sicherlich gibt, aber die kein Mensch im Prinzip benötigt. (...) Dass man sich nicht mehr... ja, manchmal auch von Situationen übertölpeln lässt, nur weil etwas besonders hübsch ausschaut oder beworben wird (...)“ (Person B, 02:08:47-9)
Bei der konkreten Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Produktalternativen („Worauf achte ich beim Kauf“) rückt der funktionale Produktnutzen (Gebrauchs-
90
Person F, 01:49:24-0.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
177
wert, Kernnutzen) in der Regel in den Vordergrund und wird damit zum wesentlichen Kaufentscheidungs- bzw. Auswahlkriterium. So werden beispielsweise bei der Auswahl von Kleidung ästhetische Produktattribute weniger stark berücksichtigt als die potentielle Verwendungsdauer und die Kombinierbarkeit der Kleidung mit der vorhandenen Garderobe. „(...) aber ich kaufe nicht mehr das, was mir gefällt oder weil es modisch ist, sondern nur nach Qualität und Langlebigkeit und nach Klassik.“ (Person C, 00:09:201) „(...) Lange tragbar. Schwarze Hose, hier (zeigt auf ihre Hose), zum Beispiel klassischer Schnitt, nicht so super eng oder weit, sondern so, dass man es eben auch ein paar Jahre tragen kann.“ (Person C, 00:12:10-4) „Auch Möbel. Da müssen Sie gucken, dass es eben möglichst lange hält.“(Person G, 00:59:49-7) „Also, Sie kaufen [bei Büchern] eher die Paperbacks oder so, oder versuchen eben die zweite Runde zu kriegen. Aber Bücher kaufen wir schon noch.“ (Person G, 00:57:45-2)
Feststellen lässt sich also eine veränderte Gewichtung der Kaufmotive, die auch zu einer Veränderung der nachgefragten Produktalternative führen kann. Das bedeutet, dass – wie letzten Fall – ein auf seinen Kernnutzen (nämlich den Inhalt des Buches) beschränktes Produkt nachgefragt wird.
5.2.5.4.3 Abweichungen – Aufgabe der Selbstkontrolle Auch wenn die Befragten grundsätzlich wohlüberlegte und preisbewusste Kaufentscheidungen treffen, verhalten sie sich nicht immer dementsprechend und gönnen sich in seltenen Fällen „Ausreißer“. Ein solches inkonsistentes Verhalten, bei dem je nach Konsumbereich oder Situation unterschiedlich konsumiert wird, wird in der Marketing-Literatur auch unter dem Begriff des „hybriden“ Konsumverhaltens diskutiert (Wiswede 2000, S. 60). Diese seltenen „Ausreißer“ erlauben sich die Befragten insbesondere bei solchen Produkten, deren Konsum mit Genuss verbunden ist und die in der Regel als erstes möglichen Einsparungen zum Opfer gefallen sind. „Wir haben aber immer wieder Phasen, wo wir einfach sagen, jetzt, scheißegal, komm, jetzt machen wir das einfach mal. Und jetzt neulich waren wir mal sechs Tage in Berlin. So, und da kommt es uns auch nicht drauf an. Da gehen wir dann ins Theater, machen dieses und jenes und fahren hierhin und dahin. Da gucken
178
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
wir auch nicht auf den Euro.“ (00:41:24-3) (...) „Dann wohnt man halt eben im Novotel. Kostet zwar ein bisschen mehr, eigentlich können wir uns das gar nicht leisten, wir machen das aber trotzdem.“ (Person E, 00:43:15-2)
In anderen Fällen „gönnt“ man sich etwas, weil man sich vom Konsum eine Verbesserung seiner emotionalen Befindlichkeit (Stimmung), die durch den Einkommensverlust beeinträchtigt sein dürfte, erhofft. „Klar, das ist ja auch ein Highlight. (...) Das holt dich ja auch wieder ein Stück weit raus. Ah, hast was Neues! Cool, hast mal wieder ne neue Beschäftigung mit irgendwas oder nen neuen Fummel oder, was weiß ich, wo man sich halt wieder gut fühlt. Ist natürlich nur so ne Insel auf Zeit irgendwie, aber... (Person I, 01:09:45-1) „Oder wenn man nach Hause kommt und total fertig ist, dann gönne ich mir auch schon mal was.“ (Person C, 00:27:27-2)
Die Konsumverhaltensforschung belegt, dass Menschen in negativen Gemütszuständen eher zu einer Aufgabe der Selbstkontrolle neigen. Sie geben plötzlichen Impulsen nach, weil sie glauben, sich dadurch besser zu fühlen, und präferieren somit die kurzfristige Affektregulation gegenüber anderen selbstregulatorischen Zielen (Tice et al. 2001). Beispielsweise können „Shopping“ oder auch der Konsum von „sündigen“, aber hedonistisch belohnenden Produkten der Kompensation negativer affektiver Zustände dienen (Woodruffe 1997, S. 326).
5.2.5.5 Veränderung des Kaufverhaltens Das Bestreben des Konsumenten, sich an sein niedrigeres Budget anzupassen, manifestiert sich nicht nur in der Rationalisierung seines Kaufentscheidungsverhaltens. Ebenso findet eine Veränderung seines faktischen Kaufverhaltens statt. Diese Verhaltensänderung stellt die letzte Form der insgesamt im Rahmen dieser Arbeit identifizierten problemorientierten Bewältigungsformen des Konsumenten dar, welche in Abbildung 19 überblicksartig dargestellt sind. Diese Verhaltensänderung manifestiert sich darin, dass der Konsument in den verschiedenen Konsumbereichen unterschiedliche Verhaltensstrategien (Einsparstrategien) entwickelt, um seine Bedürfnisse weiterhin befriedigen zu können.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
179
Abbildung 19: Arten problemorientierter Bewältigung
Quelle: eigene Darstellung
5.2.5.5.1 Strategien zur Senkung der Ausgaben Die meisten Konsumbedürfnisse können auf unterschiedliche Art und Weise befriedigt werden. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass dem Konsumenten in vielen Konsumbereichen preisgünstigere Alternativen der Bedürfnisbefriedigung zu Verfügung stehen, auf die er im Falle einer finanziellen Einbuße zugreifen kann. Macht er von diesen Gebrauch, so kann er Ausgaben einsparen. In Abbildung 20 sind die von den hier Befragten berichteten Einsparstrategien überblicksartig zusammengestellt. Diese Strategien werden in den folgenden Abschnitten wieder aufgegriffen und näher erläutert.
180
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Abbildung 20: Einsparoptionen bzw. alternative Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung 1. Senkung der Kaufhäufigkeit bzw. -menge 2. Kauf des preisgünstigeren (quasi-)identischen Produkts Wechsel zur preisgünstigeren Marke (Markenwechsel) Wechsel zum preisgünstigeren Anbieter (Anbieterwechsel) Kauf von zeit-, raum-, mengenbezogen preisreduzierten Produkten Preisreduzierung als Resultat von Verhandlungen mit dem Anbieter 3. Kauf des preisgünstigeren, qualitativ bzw. funktional minderwertigeren Produkts
Wechsel zum preisgünstigeren, im Leistungsumfang beschränkteren Produkt Kauf gebrauchter Waren
4. Substitution durch ein alternatives, günstigeres Produkt mit derselben Kernfunktion 5. Alternativen außerhalb des Marktes (ohne Bereitstellung eines direkten monetären Ausstauschswerts seitens des Konsumenten) Eigenerstellung von Leistungen Eigentumsloser Konsum Hilfe, Sach- und Geldspenden aus sozialen Netzwerken
(„Umsonst“-)Angebote der privaten und öffentlichen Infrastruktur (Markt und Staat) Quelle: eigeneDarstellung
Es zeigt sich, dass sich die genannten Strategien zum Teil auch innerhalb der einzelnen Konsumbereiche kombinieren lassen und von dieser Option auch Gebrauch gemacht wird. Zum Beispiel wird nicht nur die Häufigkeit von Kinobesuchen eingeschränkt, sondern gleichzeitig findet ein Besuch auch nur noch an Kinotagen statt, wenn also eine temporäre Preisreduzierung in Anspruch genommen werden kann. Oder man wechselt nicht nur zu einem günstigeren Friseur, sondern nimmt auch zugleich nur noch die Kernleistung, den Haarschnitt, in Anspruch, während man das Färben der Haare selber zu Hause vornimmt (Person C, 00:09:20-1). Eine Senkung der Kaufhäufigkeit bzw. -menge bis hin zum kompletten Verzicht auf den Konsum, als die praktisch am einfachsten zu realisierende, aber gleichzeitig hinsichtlich der Bedürfnisbefriedung am wenigsten befriedigende Strategie, steht bei den hier Befragten nicht im Vordergrund ihrer Einsparbemühungen. Im Gegenteil ist festzustellen, dass bezüglich der Art und Menge der konsumierten Produkte häufig keine drastische Veränderung stattfindet. Wohl aber ändert sich häufig die Art des Aufwandes, der zum Erwerb der Güter „investiert“ wird. In der Regel werden weniger finan-
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
181
zielle, aber mehr zeitliche, energetische und kognitive Ressourcen eingesetzt, um weiterhin gleiche oder – funktional bzw. qualitativ – weitgehend ähnliche Produkte zu erwerben. Vergröbernd gesagt, steht der Konsument somit in vielen Fällen vor der Wahl, entweder den Aufwand, der zur Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses aufzubringen ist, zu intensivieren oder sein Anspruchsniveau (siehe 5.2.1) bzgl. der Quantität und/oder Qualität eines Produktes zu senken. In der Realität werden aber regelmäßig trotz einer Aufwandssteigerung auch gewisse Abstriche hinsichtlich der Qualität und Quantität zu machen sein. Alle Befragten bedienen sich zumindest eines Teils dieser Strategien. Abgesehen von der festgestellten Grundtendenz zur Reduzierung von Fixkosten (siehe 5.2.5.2.2) lassen sich keine Muster oder vorherrschenden Einsparstrategien identifizieren. Allerdings unterscheiden sich die Befragten hinsichtlich der Bandbreite der insgesamt verwendeten Strategien und somit hinsichtlich des Ausschöpfungsgrades des hier skizzierten Spielraums an Einsparmöglichkeiten des Einsatzes nicht-monetärer Ressourcen (Zeit, Energie, kognitive Ressourcen). Diese aufgezeigten Faktoren bestimmen das Ausmaß, in dem der durch die Einbuße erzeugte Lebensstandardverlust in Teilen kompensiert werden kann.
5.2.5.5.2 Determinanten der gewählten Einsparstrategie Wie gezeigt, kann der Konsument auf eine Vielzahl unterschiedlicher – meist mit höherem Aufwand verbundenen – Strategien zugreifen, die es ihm in vielen Konsumbereichen erlauben, seine Bedürfnisse auf beinahe gleichem Niveau wie bisher zu befriedigen. Für das Marketing interessant ist nun die Frage, ob Faktoren existieren, die die Art der gewählten Einsparstrategie beeinflussen. Den Angaben der Befragten lassen sich diesbezüglich einige Anhaltspunkte entnehmen, die im Folgenden dargestellt und diskutiert werden sollen. Hierbei lässt sich eine Brücke zu den Erkenntnissen der Konsumverhaltensforschung schlagen. So wird das Problem des Konsumenten, sich zwischen unterschiedlichen Verhaltensoptionen entscheiden zu müssen, in der Konsumverhaltensforschung bereits diskutiert. Bislang beschränkt sich diese Diskussion allerdings in erster Linie auf die Wahl zwischen unterschiedlichen Produktalternativen (Trommsdorff 2002, S. 96). Wie im Folgenden gezeigt werden soll, lässt sich die dieser Forschung konzeptionell zugrunde liegende Idee des „Available Set“, des „Aware-
182
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
ness Set“ und des „Consideration Set“ aber auch auf die vorliegende Thematik, nämlich die Wahl zwischen unterschiedlichen Einsparoptionen, übertragen.
5.2.5.5.2.1 (Günstigere) Alternativen außerhalb des Marktes Die Bandbreite der einem Konsumenten grundsätzlich zu Verfügung stehenden Einsparstrategien wird durch die innerhalb und außerhalb des Markts vorhandenen alternativen günstigeren Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten bestimmt. Betrachtet seien zunächst die möglichen Alternativen der Bedürfnisbefriedigung außerhalb des Marktes. Für einen Großteil des menschlichen Lebensstandards sind zwar gegen Geld am Markt erworbene Güter bestimmend, weshalb der Lebensstandard in hohem Maße von dem Vorhandensein finanzieller Ressourcen abhängig ist. Der Lebensstandard wird aber – und das wird auch in der vorliegenden Untersuchung deutlich – nicht ausschließlich über den Markt vermittelt (Andreß et al. 2004, S. 3). Er wird außerdem durch individuelle und haushaltsbezogene Ressourcen, nicht-monetäre Ressourcen (soziale Netzwerke) und durch die privatwirtschaftliche und öffentliche Infrastruktur (Markt und Staat) bestimmt (Andreß/Lipsmeier 1999, S. 5). Dies impliziert, dass der Konsument zumindest einen Teil seiner Bedürfnisse auch außerhalb des Marktes, dass heißt ohne Bereitstellung eines direkten monetären Austauschwertes bzw. ohne bestimmte Dinge direkt erwerben zu müssen, befriedigen kann. Die vorliegende Untersuchung macht deutlich, dass die erwähnten nicht-monetären Ressourcen und Rahmenbedingungen wesentlich bestimmen, inwieweit der Konsument Mittel der Bedürfnisbefriedigung, die er bisher über den Markt bezogen hat, substituieren und so einen durch die Einbuße drohenden Lebensstandardverlust zumindest in Teilen auffangen kann. Zu den grundlegenden hier zur Verfügung stehenden Optionen gehört beispielsweise die – die individuellen Ressourcen des Konsumenten beanspruchende – Eigenerstellung von Leistungen. Dabei geht der Konsument nach der Einbuße dazu über, (Dienst-) Leistungen, die er bisher über den Markt bezogen hat, selber zu erstellen, um Kosten einzusparen. Von den Befragten werden diesbezüglich beispielsweise folgende Maßnahmen ergriffen:
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
183
Haare selber schneiden anstelle eines Friseurbesuchs (von fast allen Befragten angegeben)91 CDs brennen statt kaufen92 Essen und Kaffeetrinken zu Hause statt im Restaurant oder Café93 Verschenken von Blumen aus dem eigenen Garten statt gekaufter Geschenke Eigenanbau von Gemüse statt Einkauf im Geschäft94 Umstieg vom Öffentlichen Personennahverkehr auf das Fahrrad95 Eigendurchführung von Reparaturen im Haushalt96 Eine weitere Option stellt der „eigentumslose“ Konsum dar. Hierbei erwirbt der Konsument in der Regel für eine gewisse Dauer das Recht, eine Sache nutzen zu dürfen. Dafür zahlt er zwar einen gewissen Geldbetrag, dieser ist aber normalerweise deutlich kleiner, als wenn er diese Sache kaufen würde, also Eigentumsrechte erwerben würde. Durch den „eigentumslosen Konsum“ kann der Konsument einsparen. Zu solchen Aktivitäten zählen beispielsweise – die von vielen Befragten genutzte – Buchausleihe in einer Bibliothek oder die gelegentliche Inanspruchnahme eines Mietwagens (anstelle der Unterhaltung eines eigenen Autos)97. Ebenfalls in diese Kategorie fallen Aktivitäten, bei denen sich mehrere Konsumenten zusammenschließen und Gebrauchsgüter, deren Kauf und Unterhaltung für den einzelnen zu kostspielig ist, gemeinsam nutzen und so den Kostenanteil für den einzelnen zum Teil erheblich reduzieren können. Als Beispiel sei hier auf das „Car-Sharing“ verwiesen. Eine wichtige Rolle bzgl. der Bedürfnisbefriedigung außerhalb des Marktes spielen auch soziale Netzwerke. Sie bieten u.a. die Möglichkeit zum – geldlosen – Tausch von Gegenständen, z.B. von Kinderkleidung98. Des weiteren bietet der Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis den von einer Einbuße Betroffenen häufig Unterstützung in Form von Sach- und Geldgeschenken oder physischer Hilfe. Zu solcher Unterstützung gehört beispielsweise auch die Hilfe unter Nachbarn. In einem Fall reparieren
91 92 93 94 95 96 97 98
Z.B. Familie G, 00:56:15-6; Person I, 00:16:11-4; Person H, 01:22:41-2. Person K, 00:42:50-0. Person A, 00:55:26-0 und Interview mit Person H, 00:34:47-9. Person D, 0:32:02-7. Person C, 00:09:20-1. Person C, 00:52:37-6. Person L, 00:13:24-5. Person B, 01:27:14-2; Person F 00:51:37-2.
184
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
mehrere Nachbarn in Gemeinschaftsarbeit defekte Küchengeräte einer Nachbarin, um dieser die Kosten für einen Servicetechniker zu ersparen99. Durch solche Unterstützung oder gegenseitigen Austausch von Gegenständen können Bedürfnisse befriedigt werden, ohne dass dabei Ausgaben für den Konsumenten anfallen. Darüber hinaus von Bedeutung ist auch die privatwirtschaftliche und öffentliche Infrastruktur mit ihren Angeboten, zu denen beispielsweise kostenlose Kulturveranstaltungen gehören. Auch davon machen viele Befragte Gebrauch. „(...) gerade Berlin ist eine Stadt, wo man kostenlos so unglaublich viel machen kann. Also, es gibt so viele Sachen. Und man wird dann auch sehr erfinderisch. Und man guckt dann auch rum. Und es gibt ganz, ganz viele tolle Sachen, wo man trotzdem immer noch irgendwie dabei ist, weil man es einfach kostenlos machen kann. Man kann zum Beispiel zur Generalprobe des Sommerkonzerts der Philharmoniker gehen. Kostet nichts.“ (Person H, 00:34:47-9)
Die in vielen Konsumbereichen gegebene Möglichkeit, sogenannte „öffentliche“ – und damit für den Einzelnen kostenfreie – Güter in Anspruch zu nehmen, kann erhebliche Bedeutung haben. So kann eine Befragte ihr Badebedürfnis weiterhin dadurch befriedigen, dass sie seit ihrer Einbuße zum Baden nicht mehr den Wannsee, sondern den (eintrittsfreien) Schlachtensee aufsucht100. Je nach Stadt und Region dürfte dieses infrastrukturelle Angebot unterschiedlich ausgestaltet sein, so dass die diesbezüglichen Möglichkeiten zur Kompensation der Einkommenseinbuße variieren dürften. Inwieweit auf die anderen angesprochenen Alternativen außerhalb des Marktes (wie Eigenerstellung, eigentumslosen Konsum und soziale Netzwerke) zugegriffen werden kann, dürfte von den individuellen Charakteristika des Konsumenten, der Beschaffenheit seines sozialen Umfeldes und der Art der zu befriedigenden Bedürfnisses abhängen. So gilt es zu berücksichtigen, dass in manchen Bereichen (bzw. bei manchen Bedürfnissen) grundsätzlich keine Alternativen außerhalb des Marktes existieren. Beispielsweise ist man zum Zurücklegen einer größeren geographischen Distanz entweder auf ein Auto oder auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen.
99 100
Person B, 01:57:05-2. Person C, 00:19:06-3.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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5.2.5.5.2.2 (Preisgünstigere) Alternativen innerhalb des Marktes Noch wichtiger für den Konsumenten und vor allem zahlreicher als die möglichen Alternativen der Bedürfnisbefriedigung außerhalb des Marktes sind die Alternativen innerhalb des Marktes. Deren Vorhandensein ist in erster Linie vom dem Grad der Ausdifferenziertheit des Warenangebots in einem Produktbereich abhängig. Diese bestimmt darüber, inwieweit Konsumenten zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse auf preisgünstigere Substitutprodukte, die dasselbe Bedürfnis befriedigen, ausweichen können. Grundsätzlich zeichnen sich gesättigte Märkte durch ein wachsendes Angebot qualitativ hochwertiger und zunehmend homogener – und damit substituierbarer – Produkte aus (Schneider 2000, S. 19). Dies manifestiert sich auch in den Antworten der Befragten, die in vielen Bereichen von der Austauschbarkeit von Produkten Gebrauch machen. Das Warenangebot in einem Produktbereich bestimmt demnach wesentlich, welche der folgenden – bei den Befragten identifizierten – Einsparstrategien realisiert werden können. Wechsel zur preisgünstigeren Marke Eine in vielen Produktbereichen realisierbare Strategie zur Ausgabensenkung stellt der Wechsel zur preisgünstigeren Marke (Markenwechsel) dar101. Einen solchen Markenwechsel vollziehen die Befragten insbesondere im Lebensmittelbereich. Dabei greifen die Befragten entweder zur preisgünstigeren Handelsmarke innerhalb der bisher besuchten Einkaufsstätte oder – was häufiger der Fall ist – zur günstigeren Marke beim Discounter. Bei einigen Befragten – nämlich denen, die auch vor der Einbuße schon Discounter aufgesucht haben – führt dies dazu, dass ein größerer Anteil des Gesamtbedarfs an FMCG-Gütern als bisher über den Einkauf beim Discounter abgedeckt wird.102 Wechsel zum preisgünstigeren Anbieter Eine andere – im Lebensmittelbereich seltener genutzte Strategie – stellt der Wechsel zum preisgünstigeren Anbieter103 dar. Hierbei wird dieselbe Marke wie bisher gekauft,
101 102 103
Z.B. Person G, 00:32:56-1. Person H, 00:47:03-0. Günstigere Angebote veranlassen manche Konsumenten auch zum Vorratskauf. Eine Befragte weiß zum Beispiel, dass die Mayonnaise in einem Bio-Supermarkt 20 Cent günstiger ist. Da sie
186
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
aber bei einem anderem, nämlich preisgünstigeren Anbieter. Beispielsweise können bestimmte (Marken-)Produkte beim Discounter preisgünstiger als im Supermarkt (Netto statt Reichelt)104 und im Internet preisgünstiger als im stationären Einzelhandel erworben werden105. Erleichtert wird die Suche nach dem günstigsten Anbieter durch das Internet, welches die Informationsbeschaffung und Preisvergleiche des Konsumenten erleichtert und beschleunigt. Kauf von u.a. zeit-, raum-, oder mengenbezogen preisreduzierten Produkten Ein weiteres Einsparpotenzial bietet die Inanspruchnahme von Leistungen, die aufgrund preispolitischer Maßnahmen des Anbieters – in der Regel Maßnahmen der Preisdifferenzierung – zu günstigeren Preisen angeboten werden. Beispielsweise bieten viele Kultur- und Freizeiteinrichtungen (z.B. Zoo, Theater, Museum)106 eine personenbezogene Preisdifferenzierung an. In vielen Einrichtungen werden Studenten, Rentnern und Sozialhilfeempfängern niedrigere Eintrittspreise eingeräumt. Auch im öffentlichen Nahverkehr können finanziell Deprivierte häufig von Preisvergünstigungen profitieren. So wird beispielsweise in Berlin Empfängern von Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Sozialhilfe u.a. das Recht eingeräumt, das preisermäßigte Sozialticket für den Öffentlichen Personennahverkehr zu erwerben (Sprenger 2009). Auch kann diese Personengruppe sich von der Rundfunkgebührenpflicht befreien lassen (o.V. 2009). Allerdings muss berücksichtigt werden, dass viele dieser permanenten Preisermäßigungen nur den Beziehern von staatlichen Transferleistungen eingeräumt werden. Konsumenten, die keinen Anspruch auf solche Preisermäßigungen haben, stehen in vielen Konsumbereichen aber andere Möglichkeiten des preisgünstigeren Erwerbs von Gütern und Leistungen zu Verfügung. Wichtige – von den Befragten auch genutzte – Einsparpotenziale bieten zum Beispiel preisgünstigere Angebote, die auf räumlicher Preisdifferenzierung (schlechtere Sitzplätze zu günstigeren Preisen) oder zeitlicher Preisdifferenzierung (ermäßigte oder freie Eintritte an bestimmten Wochentagen107,
104 105 106 107
diese Einkaufsstätte aufgrund ihrer weiter entfernten Lage nur selten aufsuchen kann, kauft sie bei einem einzigen Einkauf gleich fünf Packungen Mayonnaise, um möglichst viel einzusparen (Person D, 1:18:18-0). Person I, 00:07:33-2, 00:43:59-2. Person B, 00:54:32-8. Zu Eintrittspreisen für Zoobesuche vgl. Kühne/Bobik (2009); zu ermäßigten Eintrittspreisen in Berliner Museen, Theatern und Konzerthäusern siehe Infoblatt der SPD-Fraktion (o.V. 2005). Person A, 00:43:27-5.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
187
Sonderangebote in Geschäften108 etc.) beruhen. Andere von den Befragten genutzte Angebote beruhen auf anderen Arten der zeitlichen Preisdifferenzierung. So werden beispielsweise zum Ende eines Wochenmarkts von vielen Verkäufern die Preise gesenkt. Manche Geschäfte senken kurz vor dem Wochenende die Preise ihrer frischen Produkte.109 Konsumenten können Produkte auf diesen Wegen preisgünstiger erwerben, müssen aber häufig eine begrenztere Warenauswahl, eine Qualitätseinbuße und/oder einen höheren Beschaffungsaufwand in Kauf nehmen. Weiteres Einsparpotenzial bieten Mengenrabatte, als Form der mengenorientierten Preisdifferenzierung. Einsparungen sind hier zum Beispiel möglich durch einen Wechsel vom „Einzelkauf“ einer Zeitschrift zum Abschluss eines Abonnements.110 In anderen Bereichen werden Produkte auf Vorraut gekauft, um einen Mengenrabatt nutzen zu können.111 Preisreduzierung als Resultat von Verhandlungen mit dem Anbieter Die Möglichkeit, Produkte zu günstigeren Preisen zu erwerben, sind nicht immer nur auf anbieterseitig initiierte preispolitische Maßnahmen zurückzuführen. Sie können auch das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Konsument und Anbieter sein. So versuchen manche Befragte, durch Verhandlungen die Höhe bisher gezahlter Preise zu drücken. Verhandelt wird nicht nur mit dem Obsthändler, sondern auch mit dem Vermieter über die Möglichkeit von Mietpreissenkungen.112 Bei den bisher vorgestellten Einsparstrategien wird ein identisches oder quasiidentisches Produkt zu einem günstigeren Preis gekauft. Daneben existieren auch Einsparstrategien, bei denen ein im Leistungsumfang reduziertes oder qualitativ minderwertiges Produkt oder ein ganz anderes Produkt erworben wird: Wechsel zum preisgünstigeren, im Leistungsumfang beschränkteren Produkt Sind Konsumenten in erster Linie am Kernnutzen eines Produktes interessiert, so haben sie in einigen Produktbereichen die Möglichkeit, „abgespeckte“ auf die Kernfunktionen fokussierte und damit preisgünstigere Produktangebote (beschränktes Leis-
108
Person H, 01:47:15-3. Person B, 00:54:32-8. 110 Person A, 00:39:48-4. 111 Person B, 02:15:49-1. 112 Person B. 109
188
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
tungsbündel) zu nutzen. Als Beispiel für solche Angebote sei auf die niedrigpreisigen Angebote der sogenannten „Billig-Airlines“ verwiesen, bei denen das Leistungsangebot weitestgehend auf die Kernleistung des Transports beschränkt ist. In anderen Bereichen kann der Konsument selbst den Umfang der Leistungen, die er in Anspruch nehmen will, bestimmen. Für die hier befragten finanziell Deprivierten erweist sich auch dies als Instrument der Ausgabensenkung. So entscheiden sich Befragte beispielsweise dafür, bei ihrer Krankenkasse in den Tarif mit dem geringsten Leistungsumfang zu wechseln, um die mit der Krankenversicherung verbundenen (Fix-)Kosten zu reduzieren.113 Des weiteren wird versucht, Fixkosten durch eine veränderte Vertragsgestaltung, oft im Sinne einer Optimierung von Tarifen (z.B. beim Handy114), zu reduzieren. Kauf gebrauchter Waren Der Kauf gebrauchter Waren stellt eine weitere Einsparstrategie dar, die allerdings nur selten genutzt wird. 115 Substitution durch ein alternatives, günstigeres Produkt mit derselben Kernfunktion In manchen Bereichen bietet der Markt günstigere, andersartige, aber denselben Kernnutzen/dieselbe Kernfunktion bietende Produktalternativen. Durch Nutzung dieser Gegebenheit eingespart wird von den Befragten beispielsweise folgendermaßen: Statt ein mit einem hohen Eintrittspreis verbundenes Konzert physisch zu besuchen, wird dieses live über das Internet verfolgt.116 Oder es wird statt des eigenen Autos der Öffentliche Personennahverkehr zur Fortbewegung genutzt, und in manchen Monaten statt des ÖPNV das Fahrrad.117 Andere steigen von teuren Erfrischungsgetränken oder Säften auf billigere und andersartige Produkte wie Tee und Wasser um.118 Trotz dieser in vielen Konsumbereichen vorhandenen vielfältigen Möglichkeiten zur preisgünstigeren Bedürfnisbefriedigung gibt es auch Produkte, für die im Grunde kei-
113 114 115 116 117 118
Person H, 01:00:50-2. Person H, 01:28:06-1 oder C, 00:33:50-8. Person G, 00:21:47-9 Person B, 00:54:32-8. Person C, 00:09:20-1. Person F, 01:43:14-8.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
189
ne Substitute vorhanden sind. In solchen Fällen bleibt dem Konsumenten nichts anderes übrig, als zwischen Konsum und Verzicht entscheiden.
5.2.5.5.2.3 Charakteristika des Konsumenten Das Angebot an (preis-)günstigeren Alternativen der Bedürfnisbefriedigung innerhalb und außerhalb des Marktes determiniert den „Entscheidungsspielraum“ des Konsumenten. Die somit erfasste Gesamtheit der objektiv insgesamt zur Verfügung stehenden preisgünstigeren Verhaltensoptionen des Konsumenten ließe sich – in Anlehnung an Trommsdorff (2002, S. 96 f.) – als sogenanntes „Available Set“ der Einsparoptionen definieren. Dieses umfasst in der Regel mehr Optionen, als vom Konsumenten tatsächlich in Betracht gezogen werden. Eine Einschränkung erfährt dieses „Available Set“ unter anderem aufgrund bestimmter Charakteristika des Konsumenten.
(i) Wissensstand des Konsumenten So gilt es zu berücksichtigen, dass individuelle Wahlentscheidungen allgemein durch einen Mangel an Informationen beschränkt sein können. Konsumenten wissen häufig nicht, welche Produkte überhaupt oder wo unterschiedliche Produkte erhältlich sind (Botti et al. 2008, S. 187). Dementsprechend – und das zeigt sich auch in der vorliegenden Untersuchung deutlich119 – kennt auch nicht jeder Konsument in jedem Produktbereich alle Einsparoptionen, unter denen er theoretisch wählen könnte. Das mangelnde Wissen wirkt sich auf die individuell vorhandene „Alternativenmenge“ aus und führt in der Regel zu einer Einschränkung des „Available Sets“. Die in der Regel kleinere Anzahl von Alternativen, die dem Konsumenten bewusst sind, beschreibt das sogenannte „Awareness Set“ (Trommsdorff 2002, S. 96 f.). In Abbildung 21 ist die sukzessive Einschränkung des Alternativenspielraums des Konsumenten schematisch dargestellt. Bezogen auf ein bestimmtes Konsumbedürfnis sind in der Regel nicht alle grundsätzlich denkbaren, oben aufgezeigten Einsparoptionen gegeben. Die „wegfallenden“ Alternativen sind jeweils durchgestrichen.
119
Person A, 00:31:42-4 und 00:32:54-8; Person F, 01:39:54-6.
190
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Abbildung 21: Das „Awareness Set“ der Einsparoptionen
Quelle: eigene Darstellung
Wie die folgenden Ausführungen zeigen, werden aber auch nicht alle im „Awareness Set“ vorhandenen Alternativen tatsächlich vom Konsumenten in Betracht gezogen. Es lassen sich weitere Faktoren identifizieren, die zu einer Einschränkung der Alternativenmenge führen.
(ii) Werte und Einstellungen Welche Einsparstrategie im konkreten Konsumbereich in Betracht gezogen wird, hängt auch davon ab, wie die vorhandenen Alternativen bewertet werden. Es zeigt sich, dass Konsumenten nicht jede potentielle Einsparstrategie auch tatsächlich für sich in Betracht ziehen. Bestimmte Alternativen (anderer Anbieter, Produktalternative) werden als grundsätzlich inakzeptabel betrachtet: „Ick war och jetzt öfter bei Humana [Secondhand-Laden], aber ick kann da ums Verrecken nichts finden. Ick kann machen, wat ick will. Ick find’ sogar, hinterher muss ick duschen, weil irjendwat krabbelt mich überall. Schon der Gedanke. Es riecht auch so nach Mottenkugeln, auch wenn se [die Verkäufer] sich bestimmt viel Mühe geben. (Person K, 02:25:50-0) „Ich kaufe auch Biomilch und keine Penny-Markt-Milch oder so. Also das bring ich nicht übers Herz, und das möchte ich auch irgendwie nicht. Also den Gedanken find ich ganz furchtbar.“ (Person L, 00:17:12-5).
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
191
„Und mein absoluter Albtraumurlaub wär dann so ne Bettenburg in Spanien oder so ein Sonderangebot. Also dann lieber gar nix. Det mach ich nich.“ (Person K, 00:41:11-8)
Welche Produktalternativen – und damit Einsparoptionen – als akzeptabel betrachtet werden, ist in erster Linie vom individuellen Anspruchsniveau abhängig (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 434). Neben den konkreten Einstellungen gegenüber Produkten, Marken und Institutionen können auch generelle Einstellungen das Konsumverhalten beeinflussen (Wiswede 2007, S. 337). Das wird auch in dieser Untersuchung deutlich. Beispielsweise können übergeordnete Ziel- bzw. Wertvorstellungen den Konsumenten davon abhalten, zum kostengünstigeren Substitut zu wechseln. So gibt eine Befragte beispielsweise an, dass eine Flugreise aufgrund einer (vermutlich) ökologischen Grundorientierung für sie keine Alternative zu einer Bahnreise darstellt und sie deshalb lieber auf Reisen verzichte. „Nach München wäre ich gerne mal hingefahren, aber das ist einfach teuer. Also mit der Bahn kann man es ja schon gleich ganz vergessen, das ist ja unbezahlbar, sag ich mal. Und irgendwie fliegen (...) da kann ich mich dann auch nicht zu überwinden. Das wäre vielleicht mal drin, wenn man sich da irgendwie rechtzeitig drum kümmert, aber so innerdeutsch fliegen bin ich auch nicht so dafür (...) Wäre schon lieber mit dem Zug gefahren, aber Zug ist zu teuer. Selbst Sparpreis und was weiß ich... von daher, Urlaub verkneife ich mir erst mal“. (Person A, 00:24:00-7)
Negative Einstellungen gegenüber bestimmten Verhaltensoptionen führen augenscheinlich zu einer Einschränkung der im „Awareness Set“ vorhandenen Alternativen. Verhaltensrelevant sind nur die Verhaltensoptionen, gegenüber denen der Konsument eine positive Einstellung hat. Diese Alternativen lassen sich als „Consideration Set“ begreifen. Das „Consideration Set“ stellt die „individuell (nicht unbedingt bewusst) wahrgenommene bzw. spontan erinnerte, für relevant gehaltene Alternativenmenge, unter der zu unterscheiden ist“ dar (Trommsdorff 2002, S. 96). Das Consideration Set enthält nur die Alternativen, die überhaupt in Betracht gezogen werden (Trommsdorff 2002, S. 97). In den folgenden Abschnitten werden Faktoren dargestellt, die die Entscheidung für eine der im Consideration Set vorhandenen Optionen beeinflussen.
(iii) Produktinvolvement Insgesamt zeigen die Befragten eine ausgeprägte Bereitschaft zur Einschränkung, allerdings nicht in allen Konsumbereichen gleichermaßen. Beispielsweise stellt es für Person D kein Problem dar, in eine kleinere Wohnung umzuziehen, nicht vorstellbar
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
aber ist es für sie, von Biofleisch auf preisgünstigeres Fleisch umzusteigen120. Als Erklärung für diese je nach Konsumbereich unterschiedliche Bereitschaft bzw. Fähigkeit zur Senkung des Anspruchsniveaus kann vermutlich das für die Konsumverhaltensforschung zentrale Konstrukt des Produktinvolvements herangezogen werden. Das Produktinvolvement beschreibt das “aktive Produktinteresse” (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 545). Es lässt sich definieren als „a person´s perceived relevance of the object based on inherent needs, values and interests” (Zaichkowsky 1985, S. 342). Die Äußerungen der hier Befragten bieten Anlass zu der Vermutung, dass die Stärke des Produktinvolvements maßgeblich beeinflusst, ob bzw. wie in einem Produktbereich eingespart wird: „Also, Hobby ist (...) noch mal so ne andere Sache, glaube ich. Für Hobby sagt man sich: Lieber wartest du, bis es dir wieder gut geht und kaufst dir dann das Richtige, als dass du dir was kaufst, was dir nicht gefällt, oder so. Also da tickt, glaube ich, der Mensch ganz anderes irgendwie. Da macht er auch keine Abstriche. (...) ich kaufe mir dann nicht irgendeinen Schnulli, nur weil es billig war oder so. Ja, dann sage ich mir lieber, kommen schon irgendwie wieder goldene Zeiten oder irgendwann ist das runtergesetzt und dann hol ich mir das Ding, oder so.“ (Person I, 00:46:48-3) „Also früher gab es dann auch mal das 4-Sterne-Hotel. Jetzt gibt es halt 3-SterneHotel, aber nicht... Also ich würde lieber nur zwei, drei Tage irgendwo hin, wo es aber schön ist, anstatt jetzt zwei Wochen in super billig, Tunesien, keine Ahnung, jetzt als schreckliches Beispiel, für 200 Euro Roulette. Das würde ich gar nicht machen. Also wenn ich dann wirklich genau wüsste, das ist so günstig, dann ist es entweder Totalausbeute, totaler Schmuh oder ganz schreckliche Leute. Dann lieber nicht. (00:29:48-2) Ja, ja, war meine Lieblingsbeschäftigung, Reisen.“ (Person C, 00:29:56-9) Also, zum Beispiel, wenn ich jetzt zum Friseur gehe, glaube ich, gehe ich halt wieder zu meinem alten. Und es gibt bestimmt billigere, denke ich. Wenn ich dann schon gehe, dann gucke ich nicht, ob das jetzt bei dem einen zwanzig Euro mehr oder weniger kostet. Beim Essen auch. Also, wenn es irgendwie geht, dann lieber Bioprodukte. Also, sowohl bei Fleisch als auch bei Butter (...) Aber lieber irgendwie dann zehn Tage keins und einmal Biofleisch als zweimal Fleisch.“ (Person D, 1:15:41-1)
Die in den Äußerungen angesprochenen Produkte bzw. Aktivitäten (Hobbies, Reisen, Biofleisch) sind – wie sich an mehreren Stellen der Interviews zeigt – für die jeweiligen Personen jeweils sehr wichtig. Die finanzielle Einbuße führt dazu, dass der Kon-
120
Person D, 00:11:11-7.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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sument diese für ihn wichtigen Produkte nicht mehr in gewohntem Umfang konsumieren kann. Aufgrund seines hohen Involvements – und seinen dementsprechend hohen Ansprüchen an das jeweilige Produkt – kommen (auch aus Gesichtspunkten des Kaufrisikos) keine oder nur wenige preisgünstigere Alternativen in Betracht. Aus diesem Grund senkt der Konsument bei nicht zwingend notwendigen Produkten in einer Mängelphase die Kaufmenge bzw. -häufigkeit bis hin zum kompletten Verzicht. Bei Produkten, auf die er nicht verzichten kann, im Fall einer Befragten z.B. Kosmetika, weicht er gezwungenermaßen auf eine preisgünstigere Alternative aus.121 In beiden Fällen ist davon auszugehen, dass der Konsument aufgrund seines hohen Involvements bei steigendem Einkommen wieder zum ursprünglichen Produkt greifen wird bzw. dessen Konsumquantität erhöhen wird. So gibt zum Beispiel Person D, die ihren Konsum von Biofleisch stark eingeschränkt hat, an, dass ihre Ausgaben für Lebensmittel „sofort“ wieder auf das alte Niveau ansteigen würden, sobald wieder mehr Geld vorhanden wäre.122 Das Involvement – welches auch die Höhe des Anspruchsniveaus steuert (Weinberg 1981, S. 60) – beeinflusst also vermutlich maßgeblich, ob bzw. welche preisgünstigeren Alternativen in Betracht gezogen werden. Je höher das Produktinvolvement, desto geringer ist vermutlich die Anzahl der als akzeptabel beurteilten Alternativen. Aufgrund eines Mangels an in Frage kommenden Alternativen wird eher auf das Produkt verzichtet oder zumindest seine Konsumhäufigkeit oder –menge eingeschränkt, als zu einer preisgünstigeren Alternative gewechselt. Deutlich wird auch, dass für den Konsumenten bestimmte Dimensionen eines Produkts wichtiger sein können als andere. So wäre beispielsweise Person C grundsätzlich bereit, in eine kleinere Wohnung umzuziehen, um ihre Kosten zu senken. Einen Umzug in eine andere, schlechtere Wohngegend innerhalb Berlins oder in eine Wohngemeinschaft, was den Verlust ihrer Privatsphäre bedeuten würde, schließt sie aber für sich aus123. Hier wird deutlich, dass Konsumenten bereit sind, bezüglich bestimmter Produktdimensionen Abstriche zu machen. Die Senkung des Anspruchsniveaus kann sich somit unter Umständen auch nur auf einzelne Dimensionen eines Produkts beschränken. Letztlich beeinflusst also nicht nur das generelle Produktinvolvement, son-
121 122 123
Person A, 00:18:05-8. Person D, 1:16:00-9. Person C, 00:51:01-1.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
dern – differenzierter betrachtet – auch die Wichtigkeit, die einzelnen Produktdimensionen eingeräumt wird, welche konkrete Einsparstrategie in Betracht gezogen wird.
(iv) Persönlichkeit/individuelle Schamgrenzen Neben den bisher erwähnten Einflussfaktoren dürfte auch die Persönlichkeit des Konsumenten die Wahl der Einsparstrategie beeinflussen. Grundsätzlich kann finanzieller Abstieg bei Betroffenen Schamgefühle auslösen (siehe 3.3.2). Scham kann grundsätzlich daraus resultieren, dass „das Bild, wie eine Person von anderen gesehen wird, als unerwünscht betrachtet wird“ (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 134). Das Ergreifen bestimmter Einsparstrategien setzt voraus, dass Konsumenten sich ihrer mangelnden Konsumfähigkeit nicht schämen und ihre finanzielle Situation nicht vor ihrem Umfeld verbergen wollen. Der Großteil der hier Befragten zeigt wenig bis keine Schamgefühle. Dies äußert sich unter anderem darin, dass Hilfe aus dem sozialen Umfeld ohne Hemmungen angenommen und in manchen Fällen sogar „eingefordert“ wird. „Ich hab schon ein bisschen gezielt lanciert, was bei uns los ist. Also, wenn dann eben Patentanten am Tisch saßen oder irgendwie die engere Verwandtschaft am Tisch saß, hab ich schon durchblicken lassen, dass uns das Wasser mehr als nur bis zum Hals steht.“ (Person H, 00:47:03-0) „(...) da war ich bei einer Freundin in der Schweiz und habe gerade erzählt, ja, Scheiße, ich weiß jetzt nicht, wie ich mir eine Hose kaufen soll, es ist kein Geld da und da fängt schon ein Loch an, und da sagt sie, komm wir gehen, und da hat sie mir eine Hose gekauft.“ (Person D, 0:43:57-8)
Obwohl Schamgefühle bei den hier Befragten tendenziell nur sehr schwach ausgeprägt sind, lassen sich – wie die folgenden Zitate verdeutlichen – dennoch auch hier unterschiedliche „Schamgrenzen“ feststellen: „Das find ick wirklich peinlich. Wenn ich jetzt hier bar zahle, wie sieht es dann aus mit nem kleinen Rabatt? Der Satz würde mir gar nicht über die Lippen gehen.“ (Person K, 01:44:50-3) „(...) durch mein Umfeld kann ich auch alles kriegen sozusagen. Also ich habe eben kein Problem, wenn ich Lust habe essen zu gehen, auch selber zu sagen, äh, kannst Du mich einladen oder so.“(Person D, 1:10:00-8) „Jenauso wenig möchte ick mich einladen lassen.“ (Person K, 01:20:14-8) „Körperpflegeprodukte gibt´s in wundervollen Test-, Probe- und allen möglichen Give-Away-Formen, so dass man da wirklich auch über Monate und Jahre hinweg ohne Kostenaufwand sich versorgen kann (lacht). (01:29:43-9) (...) Man muss nur
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
195
freundlich fragen, lieb und höflich sein. Also für umsonst bekommen Sie da fast alles. Das ist echt verblüffend.“(Person B, 01:29:57-7) „Ick geh aber sehr gerne zum Beispiel im Kaufhof unten in die Parfumabteilung und mach mal Pfff (deutet an, sich mit Parfum einzusprühen) und dann aber wirklich nur mit den ganz teuren Fläschen. Ja, also hier sowat Preiswertet für 14,95 könnt ick ja kaufen. Ick nehm dat für 108. Und geh wieder. Dann riech ick gut beim Elternabend. (...) Macht Spaß. Und ick finde, da is auch jar nischt bei.“ (Person K, 00:39:30-7)
Hier wird tendenziell erkennbar, dass Schamgefühle durchaus einen Einfluss auf das Verhalten haben. Schamgefühle können den Handlungs- und damit Konsumspielraum vermutlich enorm einschränken. Es ist davon auszugehen, dass ein von Schamgefühlen geplagter Konsument einige der genannten Verhaltensoptionen, wie beispielsweise Preisverhandlungen, Verhandlungen mit Gläubigern124 oder die Inanspruchnahme von Unterstützung aus dem Freundeskreis (Sach-, Geld-, und immaterielle Spenden), scheuen wird und andere Verhaltensoptionen präferieren wird.
(v) Konsumvergangenheit und Dauer der Einbuße Konsumentscheidungen in der Gegenwart sind zu einem Teil auch durch die Konsumvergangenheit geprägt. So können vor der Einbuße getroffene Entscheidungen aktuelle Konsum- und damit auch Einsparentscheidungen explizit (im Sinne eines „Lock-in“) oder implizit beeinflussen. Eine explizite – in der Regel aus jetziger Perspektive unfreiwillige – Bindung liegt beispielsweise vor, wenn ein in der Vergangenheit abgeschlossener Vertrag mit kontinuierlichen Zahlungsverpflichtungen (z.B. Fitnessstudio) nicht umgehend gekündigt werden kann. Die Art der hier vorgenommen Bindung entscheidet darüber, ob bzw. wie schnell zu einer günstigeren Alternative gewechselt werden könnte. Eine implizite – freiwillige – Bindung kann aufgrund von in der Vergangenheit herausgebildeten Konsumgewohnheiten vorliegen (Markentreue bei Person I, 00:42:59-2). In solchen Fällen ist eine Veränderung des Verhaltens aufgrund von individuellen Determinanten – wie beispielsweise dem individuellen Anspruchsniveau – in Frage gestellt, und dies vermutlich um so eher, je eher der Wechsel zu preisgünstigeren Alternativen mit Mühen oder einem Risiko verbunden ist. Konsumgewohnheiten können ein Einsparen aber auch auf andere Art und Weise erschweren. Auch wenn
124
Person H, 01:13:49-7.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
der Konsument für eine gewisse Zeit auf vieles verzichten kann, so hat er doch seine Konsumvergangenheit immer vor Augen. Und diese beeinflusst vermutlich seine aktuellen Konsumansprüche nicht nur im Sinne des bloßen Wunsches nach Fortsetzung des Gewohnten. So wird in der Literatur die Hypothese formuliert, dass ein bestimmtes Bedürfnis (Motiv), um so stärker ausgeprägt ist, je umfassender es in der Vergangenheit befriedigt wurde (Trommsdorff 2002, S. 117). Assael (2004, S. 35) geht beispielsweise davon aus, dass das Bedürfnis nach hedonistischem Konsum vermutlich um so stärker ausgeprägt ist, je eher dieses Bedürfnis in der Vergangenheit bereits befriedigt wurde. Wird ein solches Bedürfnis, dem man früher nachgekommen ist, dauerhaft nicht befriedigt, kann dies unter Umständen zur Entstehung eines „Bedürfnisstaus“ bzw. zu einem Nachholbedürfnis führen, dem man dann eines Tages auch nachkommt. So berichtet ein Befragter, zu Beginn seiner Mängelphase auf das zuvor sehr häufig und intensiv praktizierte Ausgehen verzichtet zu haben, später aber – trotz finanzieller Knappheit und steigender Preise – wieder in seine alten Verhaltensmuster zurückgefallen zu sein. „ (...) wahrscheinlich hat man irgendwann mal so ein Defizit aufgebaut, dass man sagt, ach nee, jetzt geh ich mal wieder weg, und dann lass ich es mal krachen, oder so. Also, zum Anfang habe ich eingespart, aber später dann halt nicht mehr so viel.“ (Person I, 00:20:35-1)
Je nachdem, wie stark dieses Bedürfnis ist, wird die Einsparstrategie des Verzichts ab einem gewissen Zeitpunkt nicht länger praktizierbar sein. Möglicherweise sinkt die Fähigkeit zur Selbstkontrolle mit zunehmender Dauer der Einschränkung und steigender Wichtigkeit des unbefriedigten Bedürfnisses.
(vi) Restriktionen Nicht immer kann der Konsument ganz frei zwischen den grundsätzlich in einem Produktbereich gegebenen Einsparoptionen wählen. Bestimmte Einsparoptionen können dem Konsumenten aufgrund bestimmter Restriktionen verwehrt bleiben. Diese Restriktionen ähneln in gewisser Art den in Armutsstudien identifizierten „Austauschrestriktionen“ (siehe 3.2), sind aber – zumindest bei den hier Befragten – von geringerer Tragweite. Folgende Aspekte sind hier relevant: Eine mangelnde Ressourcenausstattung des Konsumenten kann dazu führen, dass bestimmte preisgünstigere Angebote nicht wahrgenommen werden können. Beispielsweise kann ein geringes Einkommen der Inanspruchnahme von Mengenrabat-
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
197
ten – als Einsparoption – im Wege stehen. So kann beispielsweise wegen mangelnder finanzieller Ressourcen statt einer Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr nur die über das Jahr gesehen teurere Monatskarte gekauft werden.125 Mangelnde Ressourcenausstattung kann auch den Wechsel zu einem weniger ressourcenintensiven Einkaufsverhalten verhindern. Beispielsweise ist ohne ein Auto ein Wechsel zum geographisch entfernteren preisgünstigeren Anbieter (Einkaufsstätte) nicht nur erschwert, sondern u.U. sogar unmöglich, so dass der Konsument auf die Geschäfte in seiner direkten Umgebung angewiesen ist. 126 Auch ein negativer Schufa-Eintrag kann zu einer Einschränkung von Verhaltensoptionen führen. So ist der Wechsel zu einem günstigeren Anbieter erschwert, wenn dieser vor dem Abschluss eines neuen Vertrages eine Schufaauskunft bezüglich des potentiellen Vertragspartners einholt. Bei den hier Befragten stand ein negativer Schufaeintrag beispielsweise dem Wechsel in eine günstigere Wohnung oder zu einem günstigeren Telekommunikationsanbieter im Wege.127 Andere Einsparoptionen stehen ausschließlich Beziehern staatlicher Transferleistungen (Hartz IV-Empfängern) zu, da beispielsweise bestimmte Vergünstigungen und Ermäßigungen nur bei entsprechendem Nachweis (Berechtigung) in Anspruch genommen werden können.128 Die hier erwähnten Restriktionen können in einer Phase des finanziellen Abstiegs befindliche Konsumenten unter Umständen an dem Ergreifen bestimmter Einsparoptionen hindern, obwohl der Markt diese günstigeren Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten grundsätzlich zur Verfügung stellt. Ingesamt wird deutlich, dass die Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Einsparoptionen duch eine Vielzahl konsumentenbezogener Faktoren (siehe Abbildung 22) beeinflusst werden kann.
125 126 127 128
Person C, 00:09:20-1. Person C, 01:07:57-7. Person C, 00:09:20-1, Person H, 01:06:12-1. Person K, 00:43:44-0 und 00:44:08-6; Person C, 00:19:06-3.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Abbildung 22: Charakteristika des Konsumenten als Determinante der gewählten Einsparstrategie/n
Quelle: eigene Darstellung
5.2.5.5.2.4 Charakteristika des Produktes Neben konsumentenbezogenen Faktoren beeinflussen offenbar auch Charakteristika des Produktes die Wahl der Einsparstrategie (siehe Abbildung 23). Abbildung 23: Charakteristika des Produktes als Determinante der gewählten Einsparstrategie/n
Quelle: eigene Darstellung
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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Als die Einsparentscheidung beeinflussende Faktoren wurden in der vorliegenden Untersuchung das mit einem Produkt verbundene Kaufrisiko, die wahrgenommene Produktqualität, die einem Produktkauf zugrunde liegenden Motive bzw. der primäre Produktnutzen und die Art des Produktes (Produktkategorie) identifiziert.
(i) Kaufrisiko und wahrgenommene Produktqualität Mit dem Kauf unbekannter Produkte ist immer ein gewisses Risiko verbunden. Der von Bauer (1960) in die Marketingdisziplin eingeführte Begriff des wahrgenommenen Kaufrisikos beschreibt die vom Konsumenten schwer vorhersehbaren potentiellen negativen Konsequenzen eines Produktkaufs. Dieses Risiko kann finanzieller, funktionaler, psychischer oder sozialer Art sein (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 436). Das finanzielle Risiko beschreibt die Unsicherheit des Konsumenten gegenüber den mit dem Erwerb eines Produktes eventuell verbundenen finanziellen Einbußen. Es beschreibt unter anderem die Gefahr, einen zu hohen Preis für ein Produkt zu zahlen (Gerhard 1995, S. 20). Das funktionale Risiko bezeichnet die Gefahr, dass ein Produkt nicht die erwartete Leistung bietet bzw. sich als nicht funktionstüchtig erweist (Bohlmann 2007, S. 78). Das soziale Risiko beschreibt die Unsicherheit des Konsumenten in Bezug auf mögliche mit dem Kauf eines Produktes verbundene Ansehensverluste im sozialen Umfeld (Bohlmann 2007, S. 79 f.). Das psychische Risiko bezieht sich auf die Gefahr, eine ineffiziente, Dissonanzen auslösende Kaufentscheidung zu treffen (Bohlmann 2007, S. 80). Als eines der wesentlichen Instrumente zur Reduzierung des Kaufrisikos gilt die Markentreue (Weinberg 1977, S. 112 f.). Durch die Markentreue kann das Kaufrisiko minimiert werden, weil vergangene Erfahrungen mit der Marke auf die Zukunft übertragen werden (Bohlmann 2007, S. 133). Markentreue spielt auch bei einem (!) der hier Befragten offensichtlich eine wichtige Rolle. Der Einkauf bei Aldi kommt für ihn nicht in Frage, weil er die dort vertriebenen Marken nicht kennt und auch wenig Bereitschaft aufbringt, diese zu testen: „(...) wenn ich mal bei Aldi war, kannte ich mich nicht so aus, und ich wollte auch keine Experimente futtern. Da habe ich keinen Bock drauf gehabt.“ (Person I, 00:42:59-2). Zwar probiert er vereinzelt Produkte aus, doch überzeugen tun sie ihn nicht: „Also klar, so Lidlsachen und so, habe ich auch stellenweise probiert, aber ich glaube, ich bin drei- oder viermal (...) einfach reingefallen, auf irgend so ein Miracoli-Verschnitt-Produkt. Und dann machst Du das, und dann sagst Du, geht gar nicht. Oder irgendwie so ne nicht schmeckende Wurst. Und dann sagst Du Dir auch, nee, und dann gehst Du halt wieder die kaufen, die du hast, aber dann
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
guckst Du, wo es die günstig gibt. Also, so war das Verfahren. Irgendwann war ich fertig mit dem Billigkram.“ (Person I, 01:13:37-5) „Und so von den Marken her bin ich stellenweise auch treu geblieben, bloß dass sie halt günstiger eingekauft worden sind. Also bei Netto kostet halt das Nutella nicht so viel wie bei Kaisers, ist einfach so. Und der Kakao, den ich trinke, der ist bei Netto auch günstiger als bei Kaisers. Und da freut man sich schon, wenn man nen großen Korb hat für das gleiche Geld.“ (Person I, 00:42:59-2)
Da er seinen bisher konsumierten Produkten treu bleiben will und ihm das wahrgenommene Kaufrisiko zu hoch ist, bleibt ihm die Einsparoption des Wechsels zur günstigeren Marke verwehrt. Da er aber eine Senkung seiner Ausgaben anstrebt, muss er jetzt prüfen, wo bzw. wann er seine Marken günstiger erwerben kann. Diese Skepsis gegenüber günstigeren Alternativen und die sich in der Markentreue manifestierende geringe Wechselbereitschaft stellen eine Ausnahme unter den im Rahmen dieser Untersuchung interviewten Personen dar. Die meisten der hier Befragten wechseln im Lebensmittelbereich bei fast allen Produkten im Laufe ihrer finanziellen Mängelphase zur preisgünstigeren Marke und brechen damit ihre Konsumgewohnheiten auf. In der Regel vollzieht sich dieser Wechsel so, dass zunächst verschiedene preisgünstigere Produkte ausprobiert werden. Als Grundlage der Qualitätsbewertung dieser Produkte dient den Konsumenten nicht der Preis oder die Marke – die vom Konsumenten generell häufig als Qualitätsindikator herangezogen werden (Weise 2008, S. 100) – sondern die eigene Konsumerfahrung oder externe, als glaubwürdig empfundene Informationen (Öko-Test etc.).129 Inwieweit wiederholt oder sogar dauerhaft zur preisgünstigeren Alternative gegriffen wird, ist von der wahrgenommenen Produktqualität abhängig130. Diese wird bei vielen preisgünstigeren Produkten – und zwar keineswegs nur bei Lebensmitteln – als akzeptabel oder sogar als gleichwertig mit den bisher konsumierten Produkten betrachtet. „Und ick weiß janz jenau, dass man in Edelboutiquen oder in Kaufhäusern nicht unbedingt hohe Qualität zu erwarten hat. (...) Ick kann Ihnen sagen, dass ick bei Aldi mit Klamotten nie schlechte Erfahrungen jemacht hab. Die Kinder hab ick da einjekleidet. (...). Nee, ick achte sehr auf die Qualität. Aber ick kauf nich irjendwat, weil et teurer is und bilde mir ein, dass es besser is. Es ist nich besser. Es muss überhaupt nich besser sein. Hat mit dem Preis nischt zu tun.“ (Person K, 01:58:11-2)
129 130
Person K, 00:49:37-1. Z.B. Person C, 01:12:54-4.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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„Auch wenn man es [Geld] hat, muss man nicht unbedingt eine teure Jeans kaufen. Es gibt auch andere, die sind auch gut.“ (Person D, 0:29:32-3) „Also, es gibt so ein paar Handelsmarkenprodukte, die kann man einfach nicht kaufen. (..) Reis ist so ein Thema. Da hab ich schlechte Erfahrungen gemacht. Aber ansonsten, würd ich sagen, kann ich damit gut leben. (...) Ich muss nicht Marke kaufen. Ich muss es wirklich nicht. Und deswegen habe ich eigentlich wirklich nur noch konsequent dann nach Angeboten geguckt (...) Ich habe dann eben auch Fleischsachen auf Aldi umgestellt, so was. Und würde auch sagen, die Produkte, die wir dann gekauft haben, sprich Hähnchenbrustfilet, selbst das Schweinefilet, das kann man auch gut da kaufen. Ich schmecke den Unterschied nicht. (...) Ich hab da gute Erfahrungen mit gemacht.“ (Person H, 01:49:07-5)
Aus diesem Grund stellt der Wechsel zur günstigeren Marke bzw. Handelsmarke im Lebensmittelbereich für die Konsumenten geradezu eine „Überzeugungstat“ dar. Der Wechsel ist aus ihrer Wahrnehmung keineswegs zwangsläufig mit einer Qualitätseinbuße verbunden und wird deshalb auch nicht als Senkung des Anspruchsniveaus empfunden. Konsumenten, die mehr zu zahlen bereit sind, werden geradezu für dumm erklärt. „Ick bin auch wirklich überzeugt von vielen Sachen. Ick hab mich da sehr für interessiert, hab recherchiert. Dann wußt ick, welche Marken stecken dahinter. Jahrelang die Öko-Test jelesen. Aldi hat immer vorne mit abjeschnitten, einfach bei fast allem. (..) Ne Zahnpasta für 36 Cent reicht völlig aus. Und is einfach dann, wenn die bei Öko-Test sehr jut jekriegt hat und die anderen für drei Euro mangelhaft, dann nehm ick doch lieber die. Es ist nicht unbedingt nur ne Frage des Geldes. Also ick guck da schon hin. Ick würde auch zu Reichelt gehen, wenn die jetzt irgendwat hätten, wat ick haben will, wo die sagen, Mensch, et is da wirklich super, super toll, dann würd icks machen.“ (Person K, 00:49:37-1) „Seife ist Seife. Ob da nun Parfum dran ist oder nicht. Also entweder ist das Seife, dann macht sie die Hände sauber, oder es ist keine Seife. Aber da muss ich nicht für das Stück drei Euro hinlegen, wenn es eins für 50 Cent auch macht. (...) Ich würde mir auch nie Bad Reichenhaller Salz kaufen. Das ist auch bloß Natriumchlorid. Also die Leute, die das kaufen, die haben eine Macke. (...) Gibt kaum was Billigeres. Da muss ich kein teures Salz kaufen, nur weil Bad Reichenhall... Das ist Quatsch.“ (Person G, 01:23:57-7)
Wird die Produktqualität als akzeptabel empfunden, dann stellt der Kauf der preisgünstigeren Alternative eine – auf einer positiven Einstellung beruhende – dauerhafte Verhaltensoption dar, die häufig auch bei steigendem Einkommen beibehalten wird. In der vorliegenden Stichprobe trifft dies auf die meisten Befragten zu. „(...) und das behalte ich auch bei, ich kaufe bei Aldi, Plus und Lidl. Und nur das, was ich da wirklich nicht kriege, das kaufe ich dann in der nächsten Stufe bei Extra, und in ganz, ganz wenigen Ausnahmefällen geh ich zu Reichelt. Also, ich hab mein Konsumverhalten wirklich so weiter behalten [trotz finanziellen Aufstiegs].
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Ich hab es runtergefahren auf preiswert, wie immer es geht, und das hab ich beibehalten. Ich sehe keinen Grund, es zu ändern. Wir sind gut damit gefahren. Es ist in Ordnung, die Qualität ist wirklich gut, also aus unseren Erfahrungen. Warum soll ich mehr Geld ausgeben? (...) ich sehe nicht ein, warum ich, nur weil bei Reichelt die Butter schöner einsortiert ist als bei Aldi, zehn Cent mehr zahlen soll. Das sehe ich nicht ein.“ (Person H, 01:50:39-0)
Die tendenziell hohe Wechselbereitschaft der meisten Befragten lässt sich anhand der aus der Konsumverhaltensforschung vorliegenden Erkenntnisse plausibel erklären. So gehören Güter des alltäglichen Bedarfs eher zu den Low-Involvement-Produkten (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 413). Bei Produkten mit geringem Involvement spielt die Risikowahrnehmung tendenziell eine geringere Rolle (Kroeber-Riel et al. 2009, S. 437). Bei Gütern des alltäglichen Bedarfs ist das finanzielle Risiko wegen des niedrigen Stückpreises dieser Güter begrenzt, und auch das soziale Risiko ist infolge der Tatsache, dass der Konsum dieser Güter in der Regel privat erfolgt, zu vernachlässigen. Das funktionale Risiko spielt offensichtlich ebenfalls keine bedeutsame Rolle. Generell werden bei risikoarmen Produkten Gewohnheiten eher aufgebrochen. Es kann, auch ohne dass eindeutig bessere Alternativen vorhanden sind, zu einem Wechsel des Produktes kommen (Wiswede 2007, S. 334). Eine weitere – zur differenzierteren Betrachtung des Kaufrisikos geeignete – und theoretisch naheliegende Erklärung für die von den Befragten geäußerte hohe Wechselbereitschaft bietet die Informationsökonomie. Nach dem Verständnis der informationsökonomischen Eigenschaftstypologie lassen sich Produkte anhand von Inspektions-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften beschreiben. Diese Eigenschaften haben einen wesentlichen Einfluss auf das wahrgenommene Kaufrisiko (Weiber/Adler 1995, S. 43). Das Vorhandensein und Ausmaß dieser Eigenschaften bestimmt die Möglichkeit der Qualitätseinschätzung des Produktes durch den Konsumenten und damit auch vermutlich in erheblichem Umfang das Maß der Wechselbereitschaft. Inspektionsbzw. Sucheigenschaften stellen die Eigenschaften dar, die der Konsument vor dem Kauf eines Produktes problemlos feststellen kann (z.B. der Preis). Erfahrungseigenschaften sind Eigenschaften, die der Konsument erst durch Ver- oder Gebrauch des Gutes feststellen kann (Geschmack, Nutzungsdauer). Vertrauenseigenschaften können – auch nach dem Kauf – nicht oder nur zu prohibitiv hohen Kosten überprüft werden (z.B. die Umweltfreundlichkeit eines Deosprays) (Trommsdorff 2002, S. 302). Viele Güter des FMCG-Bereichs zeichnen sich durch einen hohen Anteil an Such- und Erfahrungseigenschaften aus. Das bedeutet, dass sich ihre Qualität vom Konsumenten bereits vor dem Kauf bzw. spätestens nach dem Konsum beurteilen lässt und der Konsument aus dieser Einschätzung alsbald seine Konsequenzen ziehen kann, so dass sei-
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
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ne Wechselbereitschaft vergleichsweise hoch ist. Allerdings gilt dies nicht für alle FMCG-Güter. Eine Ausnahme stellen beispielsweise Bio-Lebensmittel dar. Es ist davon auszugehen, dass der wesentliche Nutzen, den Konsumenten aus dem Konsum von Bioprodukten ziehen, in erster Linie auf Vertrauenseigenschaften beruht. Der Kauf von Produkten mit einem hohen Anteil an Vertrauenseigenschaften ist grundsätzlich mit einem höheren Kaufrisiko verbunden (Mitra et al. 1999, S. 217). Die große Bedeutung der Vertrauenseigenschaften bei Bioprodukten erklärt vermutlich, warum bei diesen Produkten bei einem ausreichend hohen Involvement nicht zur günstigeren „Non-Bio-Variante“ gegriffen wird (siehe Person D) und stattdessen lieber die Konsumhäufigkeit bzw. –menge reduziert wird. Das Produktrisiko mag auch der Grund dafür sein, dass beispielsweise bei Körperpflegeprodukten eher die Marke beibehalten wird131 als bei Lebensmitteln, da man hier die Qualität schlechter einschätzen kann. Festgehalten werden kann folgendes: Konsumenten neigen – vermutlich aufgrund eines eher schwachen Involvements und gleichzeitig als niedrig empfundenen Kaufrisikos – bei vielen Gütern der FMCG-Bereich dazu, kostengünstigere Marken (i.d.R. Handelsmarken) auszuprobieren. Die Qualität der Marken wird in den meisten Fällen als zufriedenstellend empfunden. Diese subjektive Einschätzung scheint auch objektiv zutreffend zu sein. Laut der Zeitschrift Öko-Test existieren bei einem Großteil der entsprechenden Produkte keine qualitativen Unterschiede zwischen Discounter- und Supermarktprodukten (Gersmann 2009). Wird die Qualität als akzeptabel empfunden, was in der Regel der Fall ist, dann wird die Marke dauerhaft konsumiert. Der Markenwechsel stellt somit bei FMCG-Gütern eine gängige Einsparstrategie dar. Wird die Qualität als nicht akzeptabel betrachtet – was aufgrund der funktionalen Homogenität der Produkte (siehe oben) nur selten der Fall sein dürfte – kommt ein Markenwechsel für den Konsumenten nicht in Betracht. Er muss also auf alternative Strategien ausweichen. Entweder sucht er dazu nach einem dauerhaft günstigeren Anbieter, oder er versucht, temporäre Sonderangebote zu nutzen, um weiterhin dieselbe Marke zu günstigeren Preisen zu erwerben. Der Wert mancher Produkte (z.B. von Bioprodukten) beruht insbesondere auf ihren Vertrauenseigenschaften. Aufgrund des damit verbundenen hohen Risikos kommt für stärker involvierte Konsumenten auch hier kein Wechsel in Betracht. Als Einsparstrategie bleibt nur die Reduzierung der Kaufhäufigkeit bzw.
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Person H, 01:47:15-3.
204
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
-menge. Hier addieren sich praktisch die Sperren für einen Wechsel: die große Bedeutung der Vertrauenseigenschaften und das hohe Produktinvolvement. Neben dem Produktrisiko existieren weitere das Kaufentscheidungs- und Einsparverhalten beeinflussende Risiken. So mag das mit einer Transaktion verbundene (Beschaffungs-)Risiko dafür verantwortlich sein, dass man nicht zu einem günstigeren Anbieter wechselt. In diesem Sinne gibt eine Befragte an, keine Kleidung über E-Bay kaufen zu wollen, weil sie befürchtet, dass sie nicht die richtige Ware geliefert bekommt oder dass die ausgewählten Kleidungsstücke nicht passen könnten.132 Die hier geäußerte Einstellung passt zu der in der „E-Commerce“-Forschung gewonnenen Erkenntnis, dass Konsumenten Produkte (wie Kleidung), die einer „physischen Inspektion“ vor dem Kauf bedürfen, nur ungern über das Internet kaufen. Bevorzugt werden Produkte mit Sucheigenschaften über das Internet erworben (Soopramanien et al. 2007, S. 2159). Der Einkauf über das Internet birgt nicht nur das generelle Risiko des Kreditkartenbetrugs, sondern auch produktspezifische Risiken, wie zum Beispiel das Risiko, nicht das „richtige“ Produkt zu bekommen (Soopramanien et al. 2007, S. 2166). Beide Arten von Risiken mögen den Wechsel zum möglicherweise günstigern Online-Händler verhindern.
(ii) Art des primären Produktnutzens Der Wert, den ein Konsument einem Produkt beimisst, ist abhängig von dem Nutzen, den er durch den Konsum oder Besitz dieses Produktes realisieren kann. Neben dem funktionalen Nutzen, der aus dem problemlösenden Charakter eines Produktes resultiert, kann der Konsument auch andere aus dem Ge- oder Verbrauch resultierende Nutzen – wie den hedonistisch-sinnlichen oder symbolischen Nutzen – ziehen (Richins 1994, S. 507). Diese Nutzenarten lassen sich wie folgt unterscheiden: Utilitaristischer bzw. funktionaler Nutzen (problemlösender Nutzen, Grundnutzen): In der klassischen ökonomischen Theorie ist der Wert eines Produktes durch seinen utilitaristischen Wert bestimmt. Dabei steht die praktische Funktionalität eines Produktes bzw. dessen Beitrag zu einem effizienteren Leben im Vordergrund (Okada 2005, S. 44; Richins 1994, S. 507).
132
Person C, 00:22:15-9.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
205
Hedonistisch-sinnlicher Nutzen oder Nutzen durch „Selbstbelohnung“: Der hedonistische Nutzen beschreibt das Potential des Produktes, den Konsumenten bei seiner Verwendung Freude, Vergnügen und Spaß erleben zu lassen (Richins 1994, S. 507). Produkte können dem Konsumenten außerdem einen Nutzen aus einer Art Selbstbelohnung verschaffen. Diese Selbstbelohnung kann dadurch realisiert werden, dass die Anschaffung oder die Nutzung des Konsumguts durch internalisierte Standards (z.B. die Genugtuung, ökologisch orientiertes Konsumverhalten zu praktizieren) gebilligt wird (Wiswede 2000, S. 30). Symbolischer Nutzen (Geltungsnutzen, Demonstrationseffekt): Güter können auch als Mittel zum Ausdruck oder Verstärkung der eigenen Identität genutzt werden (siehe 2.1.4.2). Grundsätzlich können mehrere oder alle Nutzenkomponenten den Wert, den ein Konsument einer Sache beimisst, beeinflussen. Eine Nutzenkomponente steht aber häufig im Vordergrund (Richins 1994, S. 507). Die Nutzenarten, die durch den Konsum eines Produktes realisiert werden, finden ihre Entsprechung in den Konsummotiven des Konsumenten. Die vorliegende Untersuchung lässt vermuten, dass das dem Kauf eines Produktes zugrunde liegende Hauptmotiv einen wesentlichen Einfluss auf die Art der gewählten Einsparstrategie bei verminderter Konsumfähigkeit im Falle einer finanziellen Einbuße hat. Beispielsweise stellt bei Produkten, die in erster Linie einen hedonistischen Nutzen (wie Urlaub, Restaurant, Ausgehen) vermitteln, die Senkung der Konsumhäufigkeit bzw. der Verzicht die am häufigsten direkt gewählte Einsparstrategie dar133. Erklärt werden kann dieses Verhalten möglicherweise dadurch, dass hedonistischer Konsum häufig als verschwenderisches Verhalten und damit wahrscheinlich als verzichtbar betrachtet wird. Hedonistischer Konsum ist generell häufig mit Schuldgefühlen verbunden (Okada 2005, S. 44). Die Relevanz dieser Schuldgefühle dürfte bei finanzieller Verknappung noch zunehmen. Daraus entsteht ein stärkeres Bedürfnis, hedonistischen Konsum vor sich selbst rechtfertigen zu können (Okada 2005, S. 46). Dies wird auch bei den hier Befragten deutlich. Zwar zeigt sich bei Befragten ohne Kinder eine Tendenz zur Aufrechterhaltung hedonistischen Konsums, deutlich wird aber auch, dass dieser gerechtfertigt werden muss (siehe 5.2.5.3.2). Steht der utilitaristische Nutzen im Vordergrund, wird in der Regel versucht, das Produkt weiter zu kon-
133
Z.B. Person L, 00:13:24-5
206
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
sumieren, es aber preisgünstiger zu erwerben. Wird der Nutzen in erster Linie aus dem symbolischen Wert einer Marke gezogen, so kommt beispielsweise der Wechsel zu preisgünstigerer, nicht-gelabelter Kleidung nicht in Betracht.134 Wie folgendes Zitat vermuten lässt, beeinflussen Kaufmotive nicht nur die Art der gewählten Einsparstrategie, sondern auch, ob diese sich zu einer dauerhaften – also auch bei einem finanziellen Aufstieg beibehaltenen – Verhaltensstrategie entwickelt: „Na ja, ich sag mal so, vom Produkt [Kosmetika] her, denke ich, kann ich zufrieden sein. Ist halt eher so eine Kopfsache, dass ich eigentlich lieber das andere [Produkt] unterstützen würde und mich wohler bei fühlen würde, weil das ist ja tierversuchsfrei. Also, das ist eher so das gedankliche Gebäude, was da dahinter steckt. So von dem Produkt kann ich... ich kriege ja jetzt keine Hautausschläge oder so, ich denke das ist o.k., aber ich würde lieber wieder das andere benutzen, aber (...) das verkneife ich mir noch, obwohl ich auch immer so hin und her gerissen bin.“ (Person A, 00:18:05-8)
Diese Äußerung macht auf einen interessanten Aspekt aufmerksam. Wie auch bei den anderen Befragten festgestellt (siehe 5.2.5.4.2), rücken im Moment der Einbuße augenscheinlich der funktionale Produktnutzen/Kernnutzen und der Preis als Kaufentscheidungskriterien in den Vordergrund. Allerdings – darauf lässt die Ambivalenz der Befragten schließen – ist die „Tierversuchsfreiheit“ von Kosmetika für die Befragte nach wie vor wichtig. Es ist davon auszugehen, dass dieser nicht-funktionale, sondern eher selbstbelohnende Nutzen als Kaufmotiv bei steigendem Einkommen vermutlich wieder stärker in den Vordergrund rückt und seine Kaufentscheidungsrelevanz wieder zunimmt. Wird diesen Nutzenkomponenten und damit Kaufmotiven ein ausreichend starkes Gewicht eingeräumt, so findet – trotz als akzeptabel empfundener Produktqualität der Alternative – keine Veränderung der ursprünglichen Präferenzen statt. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass bei einem finanziellen Aufstieg wieder zum vor der Einbuße konsumierten Produkt gegriffen wird.
(iii) Produktkategorie und Haushaltsausstattung Welche Einsparstrategie gewählt wird, ist auch von der Produktkategorie abhängig. Zu unterscheiden ist hier zwischen Ver- und Gebrauchsgütern. So verzichten beinahe alle
134
Dieser letzte Aspekt wird bereits in einer Untersuchung von Neuberger (1997, S. 86) angesprochen.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
207
Befragten während der Mängelphase auf die Neuanschaffung von Gebrauchsgütern, wie z.B. Möbeln und Kleidung135. Dies ist für eine gewisse Zeit relativ mühelos möglich, da auf einen gewissen „Bestand“, der vor der Einbuße angeschafft wurde und der weiter genutzt werden kann, zurückgegriffen werden kann. Für die Konsumverhaltensforschung ebenfalls interessant ist die Erkenntnis, dass diese Einsparstrategie nicht nur eine Veränderung des Kauf-, sondern auch des Konsumverhaltens mit sich bringt. So geht mit dem Verzicht auf Neuanschaffungen in der Regel eine Erhöhung der Verwendungsdauer und -intensität von langlebigen Produkten einher. Um Neuanschaffungen hinauszuzögern, werden die im Haushalt vorhandenen Produkte so lange wie möglich genutzt. Neuanschaffungen werden erst dann getätigt, wenn tatsächlich „Ersatzbedarf“ vorhanden ist, eine Neuanschaffung also zwingend notwendig ist. „Also, zum Beispiel meine Brille ist auch schon zehn Jahre alt, wird nicht gewechselt, es sei denn natürlich medizinisch notwendig, dann geht es nicht anders, ansonsten bleibt das alte Gestell.“ (Person C, 00:12:10-4) „Man versucht, wenn jetzt irgend etwas kaputtgeht, irgendwelche Uhren oder irgendetwas, was man früher einfach weggetan hätte, versucht man halt noch mal zu reparieren ...oder noch mal zum Schuhmacher... oder Klamotten noch mal nähen, irgendwie halt möglichst lange auftragen. (Person B, 00:36:18-5) „Null. Gar nichts. [Bezieht sich auf getätigte Neuanschaffungen] Also auch bei Tellern zum Beispiel. Wenn da mal einer kaputt geht, na gut. Oder die haben halt Sprünge... also dann stelle ich sie vielleicht nach hinten (lacht)... Also, ich überlege auch zum Beispiel schon bei der Pfanne, das ist so ne Art Teflon oder so was, und eigentlich müsste man die austauschen, aber da denke ich mir, na ja, warte noch ein bisschen.“ (Person C, 00:38:01-8)
Es kann um so länger auf Neuanschaffungen verzichtet werden, je besser die Qualität der vorhandenen Güter ist. Die hier Befragten können von ihren vor der Einbuße getätigten Investitionen in hochwertige Qualität und dem damit verbundenen vergleichsweise geringeren Verschleiß der Güter profitieren. „Und dadurch, dass wir in den letzten Jahren sehr viele ja qualitativ hochwertige Produkte gekauft haben, merkt man, dass die einfach auch länger getragen werden können. Dass da der Verschleiß auch nicht so gegeben ist, dass man sagt, Mensch,
135
Z.B. Person A, 00:07:40-8; Person H, 01:38:16; Person C, 00:12:10-4; Person H, 01:21:36-2.
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Ergebnisse der empirischen Untersuchung
wir müssen jetzt hier permanent neue Kleidung anschaffen.“ (Person B, 00:54:328) „Da [vor der Einbuße] haben wir auch richtig viel Geld ausgegeben, was aber im nachhinein gut war, weil wir damals sehr, sehr hochwertige Möbel gekauft haben. Die haben diese Phase auch einfach gut überstanden, weil wir eben sehr, sehr gutes Geschirr, sehr gute Möbel haben. Die halten dann auch einfach ein paar Jahre länger. (...) Nee, es hat uns einfach in einem gewissen Status weiterleben lassen, ohne dass uns jetzt unsere Möbel unterm Hintern weggebrochen sind (lacht), bis auf ein Sofa.“ (Person H, 01:41:33-9)
Unabhängig von der Qualität der Güter können Neuanschaffungen unterschiedlich schnell erforderlich werden. Während Erwachsene beispielsweise relativ problemlos für eine gewisse Zeit von ihrem vorhandenen Bestand an Kleidung zehren können, ist dies bei Kindern aufgrund von sich mehr oder weniger kontinuierlich/schnell verändernden Kleidergrößen nicht ohne weiteres möglich136. Ob und inwieweit, auch in zeitlicher Hinsicht, auf den Kauf von Gebrauchsgütern verzichtet werden kann, ist damit in erster Linie abhängig von: der vorhandenen Haushaltsausstattung (Menge der Gebrauchsgüter), deren Qualität und den Zyklen des Ersatzbedarfs. Es gilt zu beachten, dass diese Einsparstrategie – insbesondere wenn es sich um lebensnotwendige Güter (wie z.B. Kleidung) handelt – keine dauerhaft praktizierbare Strategie darstellt. Konsumenten müssen langfristig sehr wohl Ersatzanschaffungen tätigen und dann darüber entscheiden, auf welche Art und Weise sie dies tun wollen.
5.2.5.5.2.5 Nicht-monetäre Transaktionskosten Wägt ein Konsument zwischen den verschiedenen ihm bekannten Einsparstrategien ab, so stellt er auch Kosten-Nutzen-Überlegungen an. Ein „Hinderungsgrund“ für das Ergreifen einer bestimmten Einsparstrategie kann der mit ihr verbundene Aufwand sein. Stehen mehrere vergleichbare Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedung zu Verfü-
136
Person H, 01:21:36-2.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
209
gung, wird vermutlich die mit dem geringsten Aufwand gewählt. Nicht-monetäre Kosten und damit potentielle Barrieren von Einsparstrategien können sein: die räumliche Distanz Beispielsweise geben Befragte an, dass sie günstigere Einkaufsstätten nicht aufsuchen, weil diese zu weit von ihrer Wohnung entfernt sind. An Bedeutung gewinnt dieser Aspekt bei Personen, die über kein Auto verfügen und ihre Einkäufe zu Fuß erledigen137. Untermauert wird die Relevanz dieses Aspekts durch die vorhandene Forschung. So gehört die Erreichbarkeit der Einkaufsstätte bei Gütern des alltäglichen Bedarfs grundsätzlich zu den wichtigsten Determinanten der Einkaufsstättenwahl (Briesch et al. 2009, S. 186). der zeitliche Aufwand Die Suche nach preisgünstigeren Alternativen ist häufig mit einem großen Zeitaufwand verbunden. Zeit kostet nicht nur die Informationssuche, sondern auch das Zurücklegen des möglicherweise weiteren Weges zum günstigeren Anbieter, das Verhandeln mit Anbietern oder aber die Eigenerstellung etc.138 Zu einem Zeitaufwand, wie er gemäß dem folgenden Zitat zur Befriedigung eines Bedürfnisses erforderlich ist, ist vermutlich nicht jeder Konsument bereit: „(...) ich hab es jetzt gemerkt bei meinen Bücherkonsum, der wird jetzt befriedigt durch nen regen Besuch der Bibliotheken. Das schmerzt nicht sehr, das ist einfach mit ein bisschen mehr Zeitaufwand verbunden und nicht ganz so bequem. Manchmal gibt es auch das Problem, dass man wochen- und monatelang auf gewisse Bücher wartet, aber es ist händelbar.“ (Person B, 01:05:35-4)
der kognitive Aufwand Insbesondere die in der Regel notwendige Informationssuche beansprucht die kognitiven Ressourcen des Konsumenten. Auseinandersetzen muss/kann sich der Konsument beispielsweise mit folgenden Fragen: Welche alternativen Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten gibt es, auch außer den mir bisher bekannten? Wie hoch sind deren Preise? Wie verschaffe ich mir Zugang zu diesen Alternativen etc.? Entscheidet sich
137 138
Person C, 01:07:57-7; Person I, 00:15:26-6. Person B, 00:43:08-7; Person C, 01:18:11-4.
210
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
der Konsument beispielsweise für die Strategie, an bisher konsumierten Markenprodukten festzuhalten, diese aber nur zu kaufen, wenn sie irgendwo im Sonderangebot erhältlich sind, setzt dies eine kontinuierliche Beschäftigung mit Reklame und anderen Informationsquellen voraus. Ist der Konsument dazu nicht bereit oder fähig, wird er sich – ceteris paribus – vermutlich eher für die kognitiv weniger anstrengende Alternative des Wechsels zur preisgünstigeren Marke entscheiden, sofern diese vorhanden ist. Das Ergebnis, dass beinahe alle Befragten bei Lebensmitteln die Marke wechseln, stützt diese Vermutung. Die mangelnde Bereitschaft zur kognitiven Auseinandersetzung mit potenziellen Alternativen kann auch dazu führen, dass keine Einsparstrategie außer Konsumverzicht in Frage kommt. Beispielsweise leidet eine Befragte sehr darunter, eine bestimmte Kulturveranstaltung aus finanziellen Gründen nicht besuchen zu können, nach Preisvergünstigungen – die gerade im Kulturbereich nicht selten sind – erkundigt sie sich aber nicht139. Für welche Einsparoption der Konsument sich entscheidet, ist demnach also auch von dem mit ihrem Ergreifen verbundenen Aufwand und damit von der Höhe der mit ihr verbundenen nicht-monetären Transaktionskosten abhängig (siehe Abbildung 24). Wie groß der insgesamt in die Befriedigung von Konsumbedürfnissen investierte Aufwand ist, hängt vermutlich von der zu Verfügung stehenden Zeit und der Konsumorientierung des Konsumenten ab. Die Aufwandsbereitschaft bezogen auf ein konkretes Produkt ist vermutlich in erster Linie vom Produktinvolvement abhängig. Es ist vorstellbar, dass die Bedeutung dieses nicht-monetären Aufwandes mit zunehmender Dauer der Mängelphase zunimmt. Dafür spricht das Konsumverhalten von Familie J, die immer wieder Phasen der Arbeitslosigkeit und damit finanzielle Mängelphasen erlebt. Einsparungen werden bei dieser Familie in erster Linie durch eine Reduzierung von Fixkosten (z.B. Mietausgaben) und den dauerhaften Verzicht auf große Investitionen (Urlaub, Führerschein der Tochter) realisiert. Im Gegensatz zu fast allen anderen befragten Haushalten spart dieser Haushalt nicht dadurch ein, dass bei kleineren Anschaffungen das preisgünstigste Produkt durch Preisvergleiche ermittelt wird oder dass zur günstigeren Marke (bei Lebensmitteln) gewechselt wird.140
139 140
Person A, 00:32:54-8. Person J, 00:44:16-0 und 00:44:41-5.
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
211
Abbildung 24: Transaktionskosten als Determinante der gewählten Einsparstrategie/n
Quelle: eigene Darstellung
Auch wenn sich insoweit vorschnelle Verallgemeinerungen verbieten, kann doch folgende Vermutung formuliert werden: Eine Geringhaltung bzw. Reduzierung der kontinuierlichen Fixkosten und der Verzicht auf größere Ausgaben ist mit einem geringeren kognitiven und zeitlichen Aufwand als andere Einsparstrategien verbunden (die beispielsweise mit der ständigen Suche nach Sonderangeboten etc. einhergehen). Für den Konsumenten ist es auf lange Sicht möglicherweise attraktiver, sich an wenigen Stellen deutlich einzuschränken, als an vielen verschiedenen „Stellschrauben“ gleichzeitig drehen zu müssen, also beispielsweise bei vielen kleineren Ausgabenposten kontinuierlich die Preise vergleichen zu müssen. Eine solche Vorgehensweise beruht auf wenigen einzelnen Entscheidungen und befreit den Konsumenten von den vielfach beklagten „kontinuierlichen Abwägungsprozessen“ (siehe 5.2.3).
5.2.6 Auswirkungen der Einschränkung auf die Konsumzufriedenheit Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass nur in wenigen Bereichen keine befriedigenden Konsumalternativen existieren und auf den Konsum verzichtet werden muss: „Gut, man kann auch mit ner Flasche Rotwein vom Aldi irgendwie glücklich sein. Sind wir ja auch. Aber mit Kultur ist es eben schon halt schwierig.“ (Person C, 00:35:42-6)
212
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
„Aber bei manchen Dingen in anderen Lebensbereichen [als Nahrung] gibt es diese Alternative nicht, und dann gibt's null.“(Person F, 01:49:24-0)
Insgesamt können die durch den Einkommensverlust drohenden Lebensstandardverluste mit Hilfe der Einsparstrategien in Teilen aufgefangen werden. Das bedeutet, dass es den Konsumenten gelingt, in vielen Konsumbereichen zwar möglicherweise keine optimalen, aber doch zufriedenstellende alternative Bedürfnisbefriedungsmöglichkeiten ausfindig zu machen und zu nutzen. „O.k., es wird nur noch vielleicht zweimal in der Woche Kaffee getrunken und ansonsten schaut man halt. Man muss auch keinen Pfefferminztee mehr kaufen. Der wächst in den Wiesen (lacht). Man kann sich wirklich deutlich, deutlich günstiger in vielen, vielen Bereichen versorgen. Etliche Sachen gibt es umsonst. Wer da ein bisschen mit nem wachen Blick durch die Gegend läuft, der hat da tausend Möglichkeiten.“ (Person B, 01:18:40-2) „Ich habe das Gefühl, ich kann mir alles leisten. Das ist, glaube ich, wirklich auch eine innere Einstellung. Also ich habe kein Problem mir ein Kleid auszuleihen und irgendwie in Cannes über den roten Teppich zu gehen, oder so was. (...) also, so mache ich das dann eben auch, wenn ich mir kein Kleid für 10000 Euro kaufen kann für das Event.“ (Person D, 1:10:00-8).
Beklagt wird – vermutlich auch, weil die Befriedigung der Grundbedürfnisse in Deutschland nicht bedroht ist – selten ein absoluter Mangel als Konsequenz der Einbuße, sondern eher ein Mangel an Möglichkeiten, neue Dinge auszuprobieren141, der Verlust der Vielfalt an Produktalternativen dadurch, dass teurere Produktvarianten nicht mehr konsumiert werden können142 , und bei sehr stark deprivierten Personen die durch die Einbuße erzeugte Monotonie des Lebensstils bzw. die drohenden soziale Isolation143 (Ausnahme).
141 142 143
Person C, 00:34:50-3. Person F, 01:49:24-0. Person F, 01:18:42-9 und 00:58:12-5
Ergebnisse der qualitativen Untersuchung – Darstellung und Interpretation
213
5.2.7 Auswirkungen der Einschränkung auf die Konsumerfahrung In vielen Bereichen schränkt sich der Konsument dadurch ein, dass er ein Produkt in kleinerer Menge oder seltener konsumiert. Dies kann zu einer Veränderung der Konsumerfahrung führen, da der Konsum nicht mehr so selbstverständlich ist. „Also, er [Mann der Befragten] hatte Weihnachten mal ne Stones-Karte bekommen. Die hätte er sich aber nicht alleine gekauft. Der ist fast in Ohnmacht gefallen, als er die gesehen hat. Also für unsere Verhältnisse kostet die richtig was. Ein anderer würde da sagen, mhm, Stones, da gehe ich eben hin.“ (Person G, 00:56:15-6)
Seltenerer Konsum kann eine intensivere und bewusstere Konsumerfahrung zur Folge haben. Dies spiegelt sich in folgenden Äußerungen der Befragten wider: „(...) ist dann schon was Besonderes, ein Theaterbesuch, nicht so etwas, was man so nebenbei macht zur Entspannung, anstatt Fernsehen gucken.“ (Person C, 01:23:35-9) „Man bereitet sich da vor. Man freut sich drauf, und man versucht auch, nicht jetzt abgehetzt von der Arbeit dahinzugehen, wie beispielsweise meine eine Freundin, für die ist es irgendwie ein durchgehend laufender Posten. Also irgendwie schnell dahin, wird auch noch abgehackt, und dann schnell noch einen Drink und dann schnell wieder nach Hause, irgendwie zu den Kindern, was vorlesen und dann schon wieder nächste SMS, nö. Zwischendurch in der Pause sieben SMSe, wohin geht es? In welche Bar? Wohin? Und was macht mein Sohn morgen in der Hockeygruppe? Nee, nee, ist intensiver. Ja, klar.“ (Person C, 01:24:57-0)
Der seltenere Konsum führt offensichtlich zu einer Steigerung des aus dem einzelnen Konsumakt gezogenen Nutzens. Dies deckt sich mit dem in der Mikroökonomie verankerten Grenznutzenkonzept (Hardes et al. 1998, S. 127). Der Grenznutzen beschreibt den Nutzen, den ein Konsument, ausgehend von einem bestimmten Konsumniveau eines Gutes, durch den Erwerb einer zusätzlichen Einheit dieses Gutes erhält. Nach dem ersten Gossen’schen Gesetz nimmt der pro Einheit eines Gutes zusätzlich realisierte Nutzen mit jeder zusätzlich konsumierten Mengeneinheit eines Produktes ab (Hardes et al. 1998, S. 127). Im Umkehrschluss ist davon auszugehen, dass der pro Einheit realisierte Nutzen, der Grenznutzen, bei abnehmender Menge steigt.
6 Fazit und Diskussion 6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Die vorliegende Arbeit beschäftigte sich mit den Auswirkungen eines sozialen bzw. finanziellen Abstiegs auf das Konsumverhalten. Zum Einstieg wurden zunächst die Relevanz und Aktualität der Thematik erörtert (Kapitel 1). Darauffolgend wurden die für die Arbeit grundlegenden Begriffe erklärt, die wesentlichen Rahmenbedingungen des Konsumverhaltens in Deutschland diskutiert sowie eine Definition des dieser Untersuchung zugrundeliegenden Begriffs des sozialen Abstiegs entwickelt (Kapitel 2). Anschließend wurden die zentralen Ergebnisse der bisherigen Forschung zur individuellen Knappheit und Verknappung finanzieller Ressourcen dargestellt (Kapitel 3). Bei der Auseinandersetzung mit den möglichen Ursachen eines finanziellen Abstiegs wurde ersichtlich, dass die Gefahr, finanziell abzusteigen, kein Randgruppenproblem darstellt, sondern in immer weitere Bevölkerungskreise hineinreicht. Deutlich wurde außerdem, dass die durch einen sozialen Abstieg ausgelöste Verknappung finanzieller Ressourcen sich nicht immer zu einem dauerhaften Zustand entwickeln muss, sondern in vielen Fällen nur eine Episode im individuellen Lebenslauf markiert (Kapitel 3.1). In den folgenden beiden Abschnitten wurden die vorhandenen Forschungsergebnisse zur den Auswirkungen finanzieller Knappheit auf das Konsumverhalten dargestellt (Kapitel 3.2 und 3.3). Berücksichtigung fanden hier zum einen die – in ihrer Anzahl recht überschaubaren – in der Konsumverhaltensforschung durchgeführten Studien, zum anderen aus der Soziologie stammende Untersuchungen. Hierbei kristallisierte sich heraus, dass die Marketing-Forschung sich bisher kaum mit der Veränderung finanzieller Ressourcen des Konsumenten auseinandersetzt und die soziologisch verankerte Armutsforschung konsumverhaltensrelevante Aspekte vielfach nur begrenzt berücksichtigt. Dementsprechend bietet die Thematik ein großes Forschungspotenzial. Nach der Ableitung des Forschungsproblems (Kapitel 3.4) galt es, die zur Untersuchung der Forschungsfrage gewählte methodische Herangehensweise vorzustellen und zu begründen (Kapitel 4). Zur Untersuchung des Forschungsproblems wurden zwei unterschiedliche Methoden gewählt. Zum einen wurde eine quantitative Sekundärdatenanalyse durchgeführt (Kapitel 4.1). Als diesbezügliche Datenbasis diente das Soziooekonomische Panel (SOEP), das, wie sich herausstellte, die einzige für Deutschland öffentlich zugängliche Quelle darstellt, die Daten enthält, die, zumindest in Ansätzen,
216
Fazit und Diskussion
für die Forschungsfrage relevant sind. Wegen des bisher insgesamt noch recht defizitären Wissensstands zur vorliegenden Thematik wurde die Forschungsfrage außerdem qualitativ untersucht (Kapitel 4.2). Als zu diesem Zwecke am besten geeignete Methode erschien das dem qualitativen Methodenspektrum angehörige Instrument des problem-zentrierten Interviews. Daher wurden problem-zentrierte Interviews mit Personen, die eine erhebliche finanzielle Einbuße erlebt haben und deren Mängelphase entweder noch andauert oder schon beendet ist, durchgeführt. Anschließend wurden die transkribierten Interviews in Anlehnung an das Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (Mayring 2008). Mit Hilfe der Analyse der SOEP-Daten konnten erste Erkenntnisse zu möglichen Reaktionen des Konsumenten auf eine starke finanzielle Einbuße gewonnen werden (Kapitel 5.1). Bei der genaueren Auswertung der Interviews stellte sich heraus, dass sich die gewonnenen Erkenntnisse bezüglich des Bewältigungsverhaltens von Konsumenten sinnvoll vor dem Hintergrund zweier theoretischer Ansätze interpretieren lassen (Kapitel 5.2.1 und 5.2.2). Dabei handelt es sich um die transaktionale Stresstheorie (Lazarus/Folkman 1984) und die Theorie des Anspruchsniveaus (Lewin et al. 1944; Simon 1957). Abbildung 25 veranschaulicht die wesentlichen Erkenntnisse überblicksartig. Eine finanzielle Einbuße führt in der Regel zu einer Schmälerung des Konsumbudgets und damit zu einer Einschränkung der Konsummöglichkeiten. Dabei muss die Einbuße das Konsumbudget nicht in ihrem vollen Umfang belasten, da sie unter Umständen durch verschiedene Faktoren (z.B. Unterstützung aus dem sozialen Umfeld, Rückgriff auf Rücklagen, Auflösung von Vermögen etc.) in Teilen „kompensiert“ werden kann. Die Schmälerung des Konsumbudgets führt nun zu einer als unangenehm erlebten, stressauslösenden Diskrepanz zwischen dem gewohnten und dem nun noch realisierbaren Konsumniveau, welche auch als Abweichung von dem durch die Vergangenheit geprägten Anspruchsniveau verstanden werden kann. Der Konsument ist um eine Verringerung dieser Diskrepanz bemüht. Um dies zu erreichen, muss er entweder sein Konsumbudget (wieder) erhöhen oder seine Konsumansprüche senken. Zusammenfassend betrachtet reagieren die hier Befragten recht rational auf die finanzielle Einbuße. Zur Bewältigung ihrer deprivierten finanziellen Situation bedienen sie sich sowohl emotions- als auch problemorientierter Strategien, wobei die problemorientierten Strategien eindeutig im Vordergrund ihrer „Coping“-Bemühungen stehen.
Zusammenfassung der Ergebnisse
217
Abbildung 25: Zentrale Ergebnisse zu den Auswirkungen der finanziellen Einbuße im Überblick
Quelle: eigene Darstellung
Die emotionsorientierten Strategien (Kapitel 5.2.4) zielen vielfach auf eine selbstwertschützende „Uminterpretation“ der stressauslösenden Situation ab. Gleichzeitig kann die aus der eingeschränkten Konsumfähigkeit resultierende Unzufriedenheit durch eine Senkung des konsumbezogenen Anspruchsniveaus sowie die Akzeptanz der temporären Abweichung vom Anspruchsniveau reduziert werden. Die identifizierten problem-
218
Fazit und Diskussion
bzw. verhaltensorientierten Strategien (Kapitel 5.2.5) zielen in erster Linie auf einen problemorientierten und planvollen Umgang mit der Situation ab. Im Vordergrund steht dabei das Ziel, den verfügbaren Budgetrahmen nicht zu überschreiten und gleichzeitig die vorhandenen Konsumbedürfnisse weitgehend weiter zu befriedigen. Dazu werden Budgetpläne aufgestellt, in Ansätzen Prioritäten gesetzt und diverse Einsparstrategien entwickelt. Interessanterweise zeigen die Befragten, anders als zuvor vermutet, im Grunde keine Bemühungen, ihren sozial sichtbaren Konsum aufrechtzuerhalten, um ihren sozialen Abstieg vor dem sozialem Umfeld zu verbergen. Dies lässt sich jedoch plausibel erklären. Des weiteren zeigt sich trotz insgesamt recht unterschiedlicher Einsparbemühungen eine allen Befragten gemeinsame Tendenz zur Reduzierung ihrer Fixkosten. Eine weitere problemorientierte Bewältigungsstrategie, die vielfach vorzufinden ist, ist die Rationalisierung bzw. „Vernunftgesteuertheit“ des Kaufentscheidungsverhaltens. Insgesamt sind die Befragten bestrebt, die Kontrolle über ihre persönliche Situation auszuüben und zu bewahren. Diese Tendenz zur Selbstkontrolle manifestiert sich nicht nur in der Festlegung des Budgetrahmens und der mehr oder weniger geplanten Festlegung der Budgetallokation, sondern auch in den ergriffenen „Konsumvermeidungsstrategien“. In der Untersuchung wurde auch deutlich, dass Konsumenten ihre Bedürfnisse in vielen Konsumbereichen auf preisgünstigere Art und Weise befriedigen können. Ob und welche Einsparstrategie (Kapitel 5.2.5.5.1) der Konsument in einem konkreten Konsumbereich realisiert, ist von verschiedenen Faktoren abhängig (siehe Abbildung 26). Die Bandbreite möglicher Einsparoptionen ist zunächst durch extern vorgegebene und vom Konsumenten nicht beeinflussbare Rahmenbedingungen determiniert. Dazu zählt das Vorhandensein von alternativen Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten 1. außerhalb des Marktes und 2. innerhalb des Marktes, die je nach Produkt bzw. zu befriedigendem Bedürfnis in unterschiedlichen Umfang vorhanden sind. Diese externen Faktoren bestimmen die objektiv vorhandenen Alternativenspielraum („Available Set“). Eingeschränkt wird dieser objektive Spielraum auf individueller Ebene durch das begrenzte Wissen des Konsumenten um vorhandene alternative Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten („Awareness Set“). Welche der verbleibenden Einsparoptionen nun für einen konkreten Konsumbereich gewählt wird, wird neben den mit einer Einsparstrategie verbundenen nicht-monetären Transaktionskosten durch verschiedene produkt- und konsumentenbezogene Faktoren beeinflusst (Kapitel 5.2.5.5.2.4 und Kapitel 5.2.5.5.5.2.4).
Zusammenfassung der Ergebnisse
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Abbildung 26: Determinanten der gewählten Einsparsstrategie/n im Überblick
Quelle: eigene Darstellung
Insgesamt wurde in dieser Untersuchung deutlich, dass Konsumenten ihre Konsumansprüche bei einer angestrebten Anpassung an ein niedrigeres Konsumbudget zwar senken müssen, aber – aufgrund von in der Regel vorhandenen Alternativen – in nur wenigen Bereichen ein kompletter Konsumverzicht notwendig ist. Grundsätzlich kann der Konsument durch einen verstärkten Einsatz zeitlicher, energetischer und kognitiver Ressourcen und die Inkaufnahme gewisser quantitativer und qualitativer Einschränkungen die meisten seiner Konsumbedürfnisse weiterhin befriedigen (siehe 5.2.5.5.1). Für das Marketing interessant ist auch die Erkenntnis, dass bestimmte während einer finanziellen Mängelphase entwickelten Denk- und Verhaltensmuster (z.B. Preisvergleiche, der Kauf von Handelsmarken etc.) auch bei einem finanziellen Aufstieg beibehalten werden. Die Notwendigkeit der materiellen Einschränkung führt häufig dazu,
220
Fazit und Diskussion
dass der Konsument sein bisheriges Konsumverhalten überdenkt und in Frage stellt. Möglicherweise stellt er dabei sogar fest, dass er bestimmte bisher konsumierte Dinge gar nicht braucht, er bisher also ein über den eigenen Konsumansprüchen liegendes Konsumniveau realisiert hat. Gleichzeitig findet eine Rationalisierung des zukünftigen Kaufentscheidungsverhaltens statt, das man – hierauf lassen zumindest die Angaben der hier Befragten schließen – auch dauerhaft, also auch bei Verbesserung der finanziellen Lage beibehält, weil man stolz darauf ist, durchdachter, bewusster und „effizienter“ als zuvor zu konsumieren (siehe z.B. S. 133 und S. 201). Die im Rahmen dieser Untersuchung gewonnenen Ergebnisse erweitern den Kenntnisstand hinsichtlich der Bedeutung finanzieller Ressourcen als Determinante des Konsumverhaltens. Die bisher vorhandene, im wesentlichen auf die USA beschränkte Konsumverhaltensforschung konzentriert sich in erster Linie auf den in der Regel dauerhaft deprivierten „Low-Income Consumer“, dessen Konsumverhalten maßgeblich durch die dauerhafte Knappheit seiner finanziellen Ressourcen bestimmt ist. Die im Rahmen der vorliegenden Studie gewonnenen Erkenntnisse zeigen nun auf, welche Auswirkung eine neu erlebte Verknappung der Ressourcen für das Konsumverhalten hat. Damit stehen vor allem Anpassungen bzw. Veränderungen des Konsumverhaltens im Fokus der Betrachtung. Die hier festgestellten Veränderungen des Konsumverhaltens sind nur begrenzt mit dem Konsumverhalten der bisher untersuchten „LowIncome Consumer“ vergleichbar. Das liegt zum einen an der Unterschiedlichkeit der untersuchten Personengruppe (Mittelschicht vs. stark Deprivierte, häufig Obdachlose), zum anderen an den recht unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den USA und Deutschland. Den in der amerikanischen Forschung recht stark thematisierten Austauschrestriktionen kommt in Deutschland deshalb eine eher untergeordnete Bedeutung zu. Verantwortlich dafür sind unterschiedliche raumstrukturelle Rahmenbedingungen (es existiert keine mit den USA vergleichbare residentiale Segregation finanziell Benachteiligter) sowie Unterschiede in der Infra- und Markstruktur (Ausstattung mit Geschäften, umfassendes preisdifferenziertes Warensortiment). Und auch die Konsequenzen eines finanziellen Abstiegs sind in Deutschland allgemein aufgrund der sozialstaatlich verankerten Absicherung der Grundbedürfnisse deutlich weniger gravierend. Dementsprechend unterschiedlich und damit kaum vergleichbar ist auch der Umgang der Konsumenten beider Länder mit der Knappheit bzw. Verknappung finanzieller Ressourcen.
Limitationen und Forschungsausblick
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6.2 Limitationen und Forschungsausblick Im Folgenden sollen die Grenzen der vorliegenden Untersuchung und Ansätze für die zukünftige Forschung aufgezeigt werden. Die in dieser Untersuchung ergriffenen Maßnahmen zur Sicherung der internen Validität bei qualitativen Daten wurde bereits oben diskutiert (siehe 4.2.5). Anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass die Validitat der Ergebnisse qualitativer Interviews grundsätzlich durch eine verzerrte Wahrheitsdarstellung beeinträchtigt sein kann. Verzerrungen kommen beispielsweise dadurch zustande, dass Interviewpartner – mehr oder weniger bewusst – bestimmte Aspekte der Wahrheit auslassen und/oder versuchen, sich selber in einem möglichst positiven Licht darzustellen (Weiss 1995, S. 148 f.). Aber auch Erinnerungslücken, welche der rekonstruierenden und damit retrospektiven Forschung immanent sind, können zu Verzerrungen führen. Da die Interviews nach dem Eintritt der Einbuße stattfanden, gilt auch für die vorliegende Untersuchung: „The design has the obvious problems associated with loss of evidence, reconstruction of the past in the light of present, and mistaking the sequence in which events occurred. However, in many situations there is little choice but to draw on people’s ability to recall the past” (de Vaus 2004, S. 228). Da der Fokus der vorliegenden Untersuchung im übrigen weniger auf der Vollständigkeit und der zeitlichen Reihenfolge bestimmter Abläufe als auf einer Eruierung grundlegender Handlungsmuster von Konsumenten lag, können derartige Verzerrungen tendenziell vernachlässigt werden. Was die Verallgemeinerbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse angeht, ist folgendes anzumerken. Wie oben bereits erläutert (siehe 4.2.2), strebt die qualitative Forschung keine Generalisierung im Sinne der quantitativen Methodologie an. Da hier aber doch zumindest eine begrenzte Generalisierung angestrebt wird, muss die Zusammensetzung der vorliegenden Stichprobe kritisch berücksichtigt werden. Die Übertragbarkeit der hier gewonnenen Erkenntnisse ist möglicherweise beeinträchtigt durch 1. die Homogenität der Befragten hinsichtlich ihres Bildungshintergrundes (siehe 4.2.2) und 2. die aus der freiwilligen Interviewteilnahme resultierende und deshalb nicht zu vermeidende Selbstselektion der Interviewpartner. Mit der Selbstselektion geht die Gefahr einher, dass in der Stichprobe überwiegend Personen enthalten sind, die ihre erschwerte finanzielle Situation erfolgreich meistern. Es wurde aber bereits betont, dass bei der vorliegenden Untersuchung nicht die Repräsentativität bzw. Verteilungsaussagen, sondern die Identifizierung typischer Verhaltensstrukturen und Gegegebenheiten im Vordergrund stand (vgl. 0). Trotz der genannten Einschränkungen spricht einiges dafür, dass sich die gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich bestimmter Reaktionsmuster
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im Kern auch auf andere Personengruppen übertragen lassen. Zum einen werden die Ergebnisse in vielen Punkten durch die Ergebnisse der bisherigen Forschung, die meist andere Personengruppen fokussiert, untermauert, so dass viele Erkenntnisse vermutlich verallgemeinerungsfähig sind. Zudem ist aus Plausibilitätsüberlegungen heraus davon auszugehen, dass emotional möglicherweise unterschiedlich mit einer finanziellen Einbuße umgegangen wird, dass aber auf der Verhaltensebene – unabhängig von der Art der Stichprobe – vielfach recht ähnliche Verhaltensmuster zum Vorschein treten würden. Auch wenn mit der vorliegenden Untersuchung ein vertiefter Einblick in das Konsumverhalten von finanziell abgestiegenen Personen gewonnen werden konnte, ist das diesbezügliche Forschungspotenzial noch nicht erschöpft. Die im Rahmen dieser Untersuchung Befragten reagieren relativ schnell auf die finanzielle Einbuße und zeigen insgesamt weitestgehend ähnliche „rationale“, d.h. vernunftgesteuerte Verhaltensreaktionen. Die steigende Privatverschuldungsrate in Deutschland (siehe 3.3.4) lässt aber darauf schließen, dass ein finanzieller Abstieg nicht immer so erfolgreich wie von den hier Befragten bewältigt wird. Aus diesem Grunde könnte die zukünftige Forschung sich mit der Frage beschäftigen, welche Einflussfaktoren sich möglicherweise differenzierend auf das Bewältigungsverhalten von Konsumenten auswirken. Die vorliegende Studie liefert einige Ansatzpunkte, die dabei berücksichtigt werden könnten: der Bildungshintergrund des Betroffenen, die finanzielle Ressourcenausstattung des engeren sozialen Umfeldes und parallel dazu die Sensibilität des Betroffenen gegenüber sozialem Einfluss bzw. die Tendenz zu Aufwärtsvergleichen, die Einbettung in soziale Milieus und die dort gelebten Lebensstile, die finanzielle Zukunftsperspektive, die Einstellungen zum Umgang mit Geld und Schulden, die Konsumorientierung, eine allgemein eher materialistische Einstellung etc.. Beispielsweise lässt der hohe Stellenwert, der Bildungsgütern in der vorliegenden Untersuchung beigemessen wird, darauf schließen, dass die Prioritätensetzung möglicherweise „schichtspezifisch“ unterschiedlich ist. Fast alle hier Befragten erleben nur eine zeitlich begrenzte Phase finanziellen Mangels – die maximale Dauer beträgt vier Jahre – und beurteilen zum Zeitpunkt des Interviews ihre finanzielle Zukunftsperspektive positiv, gehen also davon aus, dass sie sich nur temporär in einer Mängelphase befinden. Zukünftige Forschung könnte sich der Frage zuwenden, wie sich eine zunehmende Dauer der Mängelphase und/oder eine negative Zukunftsperspektive auf das Konsumverhalten auswirken. Für kurze Zeit kann auf vieles verzichtet werden, aber wie sieht dies langfristig aus? Werden bei einer
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dauerhaften Deprivation andere Prioritäten gesetzt? Bei den hier gewonnenen Ergebnissen lässt sich eine Tendenz zu einem selektiven „Abspecken“ des Konsums im Sinne einer Aufrechterhaltung der Befriedigung hedonistischer Bedürfnisse erkennen (siehe 5.2.5.3.2). Kommt man diesen Bedürfnissen auch unter noch restriktiveren finanziellen Bedingungen nach? Generell wäre es für die Marketingforschung interessant zu eruieren, ob und inwieweit sich Konsumpräferenzen und Verhaltensweisen im Laufe der Zeit verändern. Die vorliegende Untersuchung liefert – abgesehen von der Tendenz, Fixkosten zeitlich vor variablen Kosten zu reduzieren (siehe 5.2.5.2.3) – zwar kaum Hinweise auf sequenzielle Verhaltensreaktionen in dem Sinne, dass in bestimmten Konsumbereichen zeitlich eher als in anderen eingespart wird. Doch gilt zu berücksichtigen, dass qualitative Interviews, da sie auf der Rekonstruktion vergangener Erfahrungen beruhen, auch nur eine begrenzte Berücksichtigung von prozessualen Aspekten des Konsumverhaltens erlauben. Zukünftige Forschungsbemühungen könnten deshalb darauf abzielen, Betroffene vor und nach der Einbuße, oder im Idealfall, kontinuierlich zu befragen. Dazu müsste es allerdings gelingen, Personen zu identifizieren und zu gewinnen, bei denen eine zukünftige Einbuße bereits absehbar ist (beispielsweise aufgrund der Schließung von Unternehmen). Um jedoch eine – für eine möglich realitätsnahe differenzierte Analyse von Prozessen und Veränderungen im Konsumverhalten notwendige – „Verlaufsperspektive“ einnehmen zu können, wären Längsschnittdaten vonnöten. Und zwar wäre konkret eine Datenbasis erforderlich, der eine synchrone Erfassung von Einkommens- und Konsum- bzw. Ausgabedaten einzelner Haushalte im Zeitablauf in möglichst kurzen Intervallen zugrunde liegt. Im Idealfall würden darin zusätzlich sozio- und psychographische Merkmale der Konsumenten berücksichtigt. Wie oben bereits erläutert (siehe 4.1) existieren solche Daten bisher für Deutschland nicht. Sowohl die Ergebnisse der hier durchgeführten Untersuchung als auch bisherige Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass zwischen der finanziellen Lage und der „Notwendigkeitseinschätzung“ von Gütern ein Zusammenhang besteht. Offenbar können Ansprüche an das aktuelle Einkommen angepasst werden. Zukünftige Forschung könnte sich genauer mit der Frage beschäftigen, in welchen Konsumbereichen individuelle Ansprüche tendenziell eher gesenkt werden, wie schnell eine solche Anpassung (Gewöhnung) stattfinden kann und durch welche Faktoren sie beeinflusst wird. Angesichts der Tatsache, dass Erwerbsbiographien immer brüchiger und damit die individuelle Ressourcenausstattung immer instabiler werden, sind nicht nur finanzielle
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Abstiege, sondern auch (Wieder-)Aufstiege ein relevantes Thema für die MarketingForschung. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob ein höheres Einkommen automatisch zu einer stärkeren Konsumneigung führt? Die hier gewonnene Erkenntnis, dass bestimmte während der Mängelphase entwickelten und für gut befundene Einsparstrategien auch bei einem finanziellen Aufstieg weiter praktiziert werden, lassen vermuten, dass Konsumenten ihr Konsumverhalten nicht umgehend – und in Teilbereichen möglicherweise gar nicht – an ein höheres Einkommensniveau anpassen. Auch diese Thematik bedarf weiterer Erforschung.
6.3 Implikationen für die Praxis Abschließend stellt sich die Frage, welche Implikationen sich aus den im Rahmen dieser Untersuchung gewonnenen Erkenntnissen für die Marketing-Praxis ableiten lassen. Warum sollten sich Unternehmen, für die das Interesse an einer Steigerung des Absatzes und Gewinns wesensprägend ist, mit der kleinen Gruppe finanzieller Absteiger, die durch schwindende Kaufkraft und -willigkeit gekennzeichnet ist, beschäftigen? Die vorliegendende Untersuchung liefert dafür Gründe. Zum einen nimmt die Anzahl der von temporären oder dauerhafteren Einkommenseinbußen betroffenen oder bedrohten Konsumenten aufgrund der zunehmenden Prekarisierung des Erwerbs- und Familienlebens kontinuierlich zu. Zum anderen gilt es zu berücksichtigen, dass ein finanzieller Abstieg häufig nur eine zeitlich beschränkte Phase finanzieller Anspannung einleitet, so dass die Zahlungsfähigkeit des betroffenen Konsumenten nicht dauerhaft geschwächt sein muss. Hieraus ergeben sich für Unternehmen Implikationen sowohl in Bezug auf die Stabilisierung des vorhandenen Kundenstammes als auch im Hinblick auf die Gewinnung von Neukunden. Finanzielle Einbußen können zu einer Veränderung des Produkt- und Markenwahlverhaltens von Konsumenten führen. Aus diesem Grunde ist es für Unternehmen sinnvoll, sich im Rahmen der strategischen Marketing-Planung und Marktsegmentierung mit den aufgezeigten alternativen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung, zwischen denen der Konsument wählen kann, auseinanderzusetzen. Dazu sollte das Unternehmen eruieren, welches Bedürfnis des Konsumenten es mit seinem Produkt befriedigt, welche preisgünstigeren Alternativen zu Befriedigung desselben innerhalb und außerhalb des Marktes zu Verfügung stehen und welche davon vom Konsumenten in Betracht gezogen werden („Consideration Set“). Die hier gewonnenen Erkenntnisse können
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wichtige Ansatzpunkte für eine zielgerichtetere Positionierung im Markt sein, sei es, um vorhandene Kunden zu halten, sei es, um neue zu gewinnen. Im Rahmen strategischer Überlegungen gilt es zu berücksichtigen, dass finanzielle Ressourcen das Markenwahlverhalten des Konsumenten beeinflussen. Nach den gewonnenen Erkenntnissen hat eine finanzielle Einbuße häufig zur Konsequenz, dass der Konsument, insbesondere bei Produkten mit einem geringen Kaufrisiko, zur preisgünstigeren Marke wechselt. Nach erfolgtem Wechsel wird diese preisgünstigere Marke hinsichtlich ihrer Qualität häufig wider Erwarten nicht als „Second Best Solution“ betrachtet, so dass der Wechsel häufig dauerhafter Natur ist. Einkommensabstiege führen damit tendenziell zu einer Verstärkung der ohnehin schon feststellbaren Abwendung des Konsumenten von Herstellermarken. Bereits jetzt liegt der Marktanteil der Discounter in Deutschland bei 44 Prozent und wird laut Einschätzung der Gesellschaft für Konsumforschung weiter steigen (Gersmann 2009). Die Bedeutungszunahme der Handelsmarken wird nicht nur auf die im Vergleich zu Herstellermarken niedrigeren Preise zurückgeführt, sondern auch auf die Tatsache, dass Handelsmarken Herstellermarken qualitativ nicht unterlegen sein müssen (Schenk 2004, S. 128). Das wissen die Konsumenten oder erfahren es gerade in Fällen sozialen Abstiegs. So wird ein Großteil der Produkte in Deutschland bereits jetzt von den Konsumenten als gleichwertig beurteilt (Alexander 2005, S. 328). Aufgrund der zunehmenden Markttransparenz, des immer besser informierten und kritischen Konsumenten und der gleichzeitig zunehmenden funktionalen Homogenität vieler Produkte scheint der durch finanzielle Verknappung noch verstärkte Trend zu günstigeren Marken kaum abwendbar. Daraus erwächst insbesondere für die Anbieter sogenannter Low-Involvement-Produkte eine große Herausforderung. Ist der Konsument bei solchen von ihm eher als austauschbar empfundenen Produkten erst einmal zur günstigeren – und dann auch noch qualitativ zufriedenstellenden – Alternative gewechselt, dürfte es sich als überaus schwierig gestalten, ihn bei einem Einkommensaufstieg wieder für das früher konsumierte teurere Produkt zu begeistern. Handelsmarken-Hersteller hingegen könnten von der Wechselbereitschaft der Konsumenten profitieren. Durch eine Intensivierung ihrer – bisher vergleichsweise schwach ausgeprägten – Werbekommunikation könnten sie versuchen, den wechselbereiten Konsumenten, der sich spätestens im Moment der Einbuße auf die Suche nach günstigeren Produktalternativen macht, für sich zu gewinnen. Aus den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich auch Implikationen für die Produktpolitik ableiten. Konsumenten werden in der Regel bestrebt sein, ihre Konsumbedürfnisse auch nach einer Einbuße weiterhin zu befriedigen. Allerdings ist davon auszuge-
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hen, dass – wie bei den hier Befragten – bei einer finanziellen Verknappung der Kernnutzen von Produkten als Kaufentscheidungskriterium in den Vordergrund rückt. Damit einhergehend sinkt die Zahlungsbereitschaft in Hinblick auf zusatznutzenstiftende Produktattribute. Der Konsument senkt also sein Anspruchsniveau bezüglich bestimmter Produkteigenschaften. Beispielsweise reicht dem Konsumenten die im Vergleich zur Hardcover-Version deutlich günstigere Paperback-Version eines Buches aus, um sein weiter existierendes Lesebedürfnis zu stillen. Unternehmen können einer solchen Orientierung des Konsumenten am Kernnutzen Rechnung tragen, indem sie auf den Kernfunktionen beschränkte bzw. „abgespeckte“ und damit auch preisgünstigere Produktalternativen (Leistungsbündel) anbieten. Einen Vorteil gegenüber der preisgünstigeren Konkurrenz könnten Unternehmen dagegen in anderen Bereichen möglicherweise durch ein tieferes Produktsortiment erlangen. Beispielsweise könnte dies bedeuten, dass bestimmte „Nischen-Produkte“, auf die bestimmte Konsumentengruppen angewiesen sind (z.B. Kleidung in Sondergrößen), bei denen aber kein Wechsel zum preisgünstigeren Anbieter möglich ist, da dieser nur auf „Standardbedürfnisse“ ausgerichtete Waren vertreibt, in das Produktsortiment aufgenommen werden. Nicht nur im Rahmen produktpolitischer Entscheidungen, sondern auch im Rahmen der Preispolitik könnten die Bedürfnisse finanziell deprivierten Konsumenten berücksichtigt werden. Die erlebte oder wegen unsicherer Beschäftigung antizipierte Einbuße kann – wie bei den hier Befragten – zur Folge haben, dass Konsumenten immer stärker bestrebt sind, ihren Konsum zu „flexibilisieren“. Das festgestellte Bedürfnis zur Reduzierung bzw. Geringhaltung von Fixkosten dürfte dementsprechend zunehmen. Demzufolge dürfte die Frage, inwieweit fixe Ausgaben von vorneherein gering gehalten oder im Falle einer Einbuße kurzfristig reduziert werden können, das Kaufentscheidungsverhalten – insbesondere beim Abschluss von Verträgen – immer stärker determinieren. Dies könnten Unternehmen in ihrer Preis- und Konditionenpolitik berücksichtigen, indem sie dem Konsumenten verstärkt Möglichkeiten zu einer flexibleren Vertragsgestaltung einräumen. Zur Gewinnung neuer Kunden böten sich u.a. folgende Optionen an: Einräumung von Sonderkündigungsrechten im Falle von Arbeitslosigkeit bei Laufzeitverträgen Auf diese Weise könnten Kunden gewonnen werden, die in prekären Verhältnissen leben und aus der Angst vor laufenden – und nicht reduzierbaren – finanziellen Belastungen möglicherweise sonst gar keinen Vertrag abschließen würden.
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Einräumung einer Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Preiskonditionen von Verträgen Dem Konsumenten wird die Möglichkeit eingeräumt, für die einzelne beanspruchte Leistungseinheit (z.B. für den einzelnen Besuch im Fitnessstudio) zu bezahlen, statt monatlich oder jährlich anfallende fixe Rechungsbeiträge (bzw. Grundgebühren bei Mobilfunkverträgen) begleichen zu müssen. Auf diese Weise fallen für den Konsumenten keine Fixkosten an, und er kann die Höhe seiner Ausgaben besser kontrollieren und gegebenenfalls kurzfristig einschränken. Somit erhielte der Konsument die Möglichkeit, fixe in variable Kosten umzuwandeln. Möglicherweise ist er, um von dieser Möglichkeit Gebrauch machen zu können, sogar bereit, einen Aufpreis bei der einzelnen in Anspruch genommenen Leistungseinheit zu zahlen. Einräumung der Möglichkeit zum temporären Aussetzen von Zahlungsverpflichtungen bei langfristigen Verträgen (Lebensversicherung etc.) Für Unternehmen wäre dies möglicherweise nicht nur attraktiv, um neue Kunden zu gewinnen, sondern auch, um vorhandene Kunden, deren Zahlungskraft ja möglicherweise nur temporär geschwächt ist, zu halten. Auch für die Kommunikationspolitik von Unternehmen lassen sich Ansatzpunkte zum Umgang mit der „Abstiegsproblematik“ finden. Beispielsweise könnte der für finanziell Deprivierte wichtige funktionale Produktnutzen in der Werbekommunikation deutlicher in den Vordergrund gestellt werden. Anbieter hedonistischer Produkte hingegen könnten dem Konsumenten kommunizieren, dass der gelegentliche Konsum Genuss bzw. Freude stiftender Produkte (wie Urlaub, Restaurantbesuche etc.), die in der Regel als erstes Einsparungen zum Opfer fallen, notwendig sei, um besser mit dem durch die Einbuße erzeugten Stress umgehen zu können. Dem Konsumenten könnte somit eine Rechtfertigung für den häufig mit Schuldgefühlen behafteten hedonistischen Konsum geliefert werden. Aus ethischer Perspektive allerdings ist eine solche Vorgehensweise je nach Produkt und Umständen (u.a. Ausmaß des finanziellen Aufwandes) als nicht unproblematisch einzustufen. Abschließend sei kurz auch die verbraucherschutzpolitische Perspektive der vorliegenden Thematik angesprochen. Ein finanzieller Abstieg kann zu ernsthaften finanziellen Engpässen und in einem nächsten Schritt auch zur Ver- und Überschuldung führen. Um solche Konsequenzen im Interesse der Betroffenen, aber auch im Sinne längerfristig ausgerichteter kundenorientierter Unternehmensstrategien zu vermeiden, wird vielfach ein umfassendes Angebot an gesellschaftlicher Unterstützung im Sinne
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von präventiven Beratungs- und Bildungsmaßnahmen (z.B. Einkommensverwendungs- und Budgetberatung) gefordert (Korczak 1997, S. 54) und vielerorts auch praktiziert. Grundsätzlich erscheint die damit angestrebte Verbesserung der Kompetenzen zur effektiven Haushaltsführung (Budget- und Haushaltsplanung) sinnvoll und notwendig. Da sich die hier Befragten aber durchweg als imstande erweisen, durch eigene Anstrengung ihre finanzielle Einschränkung zu bewältigen, zeigt sich vorliegend kaum ein Ansatzpunkt für eine vertiefende Auseinandersetzung mit verbraucherschutzrelevanten Aspekten. Allerdings sollen damit der Sinn und die Notwendigkeit gesellschaftlicher Unterstützung, die für andere Konsumenten vonnöten ist, keineswegs in Frage gestellt werden.
Inhaltsverzeichnis des Anhangs Auf den Anhang im OnlinePLUS-Programm kann unter www.gabler.de und „Eva Wendt“ zugegriffen werden. Anhang A: Material zur quantitativen Analyse des Sozio-oekonomischen Panels ................................................................................................................. 1 A 1: Prinzipiell relevante Items (Fragen im SOEP) ........................................... 1 A 2: Ausgewählte Items des SOEP (Erhebungstermine) ................................... 3 A 3: Variablenverzeichnis (Operationalisierung)............................................... 4 A 4: Berechnungen auf der Basis des SOEP ...................................................... 7 Anhang B: Material zur qualitativen Erhebung...................................................... 51 B 1: Merkmale der Stichprobe.......................................................................... 51 B 2: Kurzfragebogen „Fragen zum Haushalt“.................................................. 54 B 3: Fragebogen „Einsparung nach Konsumbereichen“ .................................. 56 B 4: Fragebogen „Einsparungen im Zeitablauf“ .............................................. 57 B 7: Transkripte ................................................................................................ 59 Interview mit Person A .......................................................................... 59 Interview mit Person B........................................................................... 83 Interview mit Person C......................................................................... 120 Interview mit Person D ........................................................................ 145 Interview mit Person E......................................................................... 169 Interview mit Person F ......................................................................... 179 Interview mit Person G ........................................................................ 209 Interview mit Person H ........................................................................ 230 Interview mit Person I.......................................................................... 267 Interview mit Person J.......................................................................... 291 Interview mit Person K ........................................................................ 314 Interview mit Person L......................................................................... 350
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