Atlan - König von Atlantis Nr. 475 Das Ende der Neffen
Die Traumprüfung von H. G. Ewers
In der Gewalt der Alv...
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Atlan - König von Atlantis Nr. 475 Das Ende der Neffen
Die Traumprüfung von H. G. Ewers
In der Gewalt der Alven
In das Geschehen in der Schwarzen Galaxis ist Bewegung gekommen – und schwerwiegende Dinge vollziehen sich. Da ist vor allem Duuhl Larx, der verrückte Neffe, der für gebührende Aufregung sorgt. Mit Koratzo und Copasallior, den beiden Magiern von Oth, die er in seine Gewalt bekommen hat, rast er mit dem Organschiff HERGIEN durch die Schwarze Galaxis, immer auf der Suche nach weiteren »Kollegen«, die er ihrer Lebensenergie berauben kann. Der HERGIEN folgt die GOLʹDHOR, das magische Raumschiff, mit Koy, Kolphyr und vier Magiern an Bord. Die Pthorer sind Duuhl Larx auf der Spur, um ihm seine beiden Gefangenen abzujagen, und nähern sich dabei immer mehr dem Zentrum der Schwarzen Galaxis. Was Atlan und Razamon betrifft, so ist es den beiden Männern quasi in letzter Minute gelungen, sich von Dorkh, das dem Untergang geweiht ist, abzusetzen. Das Raumfahrzeug, das der Arkonide und der Berserker bestiegen haben, erlaubt es ihnen allerdings nicht, eine andere Welt anzusteuern. Und so müssen die beiden Männer im Grunde froh sein, daß ihr Fahrzeug aufgebracht wird und sie selbst in die Gewalt der Alven geraten. Auf die Gefangenen wartet DIE TRAUMPRÜFUNG …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan und Razamon ‐ Der Arkonide und der Berserker in der Gewalt der Alven. Oddrinn, Chaddion und Yddalara ‐ Drei ranghohe Alven. Bynarph ‐ Ein Gersa‐Predogg. Upanak, Orbanaschol und ES ‐ Gestalten aus Atlans und Razamons Traumprüfung.
1. Endlich ließ unser Zugor den Wölbmantel hinter sich, der diesmal, anders als sonst, nicht durchsichtig, sondern von wallenden Nebeln erfüllt war. Glücklicherweise hatten Razamon und ich in Torstadt einen raumflugtauglichen Zugor erbeuten können, der mit einer teilweise transparenten Abdeckung versehen war. Dennoch war mir klar, daß wir nicht weit kommen würden. Irgendwann mußten wir umkehren und abermals den Wölbmantel durchstoßen, der Dorkh abschirmte, denn kein Zugor ließ sich für interplanetarische Raumfahrt benutzen. Aber vorerst dachten Razamon und ich nicht daran. Schließlich waren wir eben erst mit Mühe und Not jenem unheimlichen dunklen Etwas entkommen, das zahlreiche Orte auf der Oberfläche des Dimensionsfahrstuhls heimgesucht hatte. Der Anblick, der sich unseren Augen bot, ließ uns jedoch vorläufig das Unheimliche vergessen. Es wimmelte von Sonnen in dem Raumsektor der Schwarzen Galaxis, in dem Dorkh nach der vorerst letzten Fahrt durch den Dimensionskorridor herausgekommen war. Dieses Sonnengewimmel war charakteristisch für den Zentrumssektor einer Galaxis. Allerdings befanden wir uns sicher noch nicht im Zentrumskern, aber wir konnten nicht mehr allzu weit von ihm entfernt sein. Dennoch fehlte hier jene blendende gleißende Lichtfülle, wie sie
beispielsweise im Zentrumssektor der Milchstraße herrschte. Das lag daran, daß die schwarzen Kerne der uns umgebenden Sonnen im Vergleich zu denen der weiter draußen liegenden Sonnen ungeheuer groß waren. Ich kämpfte gegen das Entsetzen an, das mich sofort nach dem Durchstoßen des Wölbmantels gepackt hatte. Es gelang mir nach kurzer Zeit, denn ich kannte ja die Ursache dieser Emotionen. Es waren die schwarzen Kerne der Sonnen, die nicht nur optisch wirkten, sondern auf rätselhafte Art die Vorstellung absoluter Düsternis in die Seelen der Betrachter senkten. Nur war eben diese Zwangsvorstellung hier viel stärker als weiter draußen. Als ich mich wieder gefangen hatte, vermochte ich mich auf die Beobachtung der näheren Umgebung zu konzentrieren. Ich erkannte, daß wir etwa eine Astronomische Einheit von der Sonne entfernt waren, die uns am nächsten war. Im nächsten Moment erregte etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Es war ein Planet, der sich ganz in der Nähe befand, so daß er sich dem Auge als helle Scheibe darbot. Der Planet an sich hätte mich nicht so in Erregung versetzt wie der Ring, der ihn umgab. Seine Form glich weitgehend dem Ringsystem des solaren Saturn, aber er leuchtete nicht im Widerschein der Sonne, sondern war tiefschwarz. Augenblicklich mußte ich an jenen Satz denken, den ich von Chirmor Flog erfahren hatte, einen Satz, der bei den Neffen des Dunklen Oheims die Funktion eines Zauberspruchs besaß, der alle »Türen« öffnete. Grüße aus dem Kreis des immerwährenden Lebens! War der schwarze Ring um den Planeten vielleicht identisch mit dem »Kreis«? Ich dachte die Frage intensiver, da ich es gewöhnt war, daß mein Logiksektor solche Überlegungen sofort kommentierte. Doch statt einer Antwort schlug mir panische Angst entgegen.
Mein Extrasinn schien – im übertragenen Sinne – von Grauen geschüttelt zu werden. Ob es an der parapsychischen Ausstrahlung der dunklen Sonnenkerne lag oder ob der schwarze Ring diese Wirkung hervorrief, konnte ich nicht feststellen. Ich blickte mich nach Razamon um – und erschrak erneut. Mein Gefährte lag reglos auf dem Boden des Zugors. Er schien bewußtlos zu sein. Mein erster Gedanke war, mich um ihn zu kümmern, ihm zu helfen, wenn das möglich war. Doch ich kam nicht dazu. Ohne jede Vorwarnung tauchten in unmittelbarer Nähe Raumschiffe auf. Es waren Organschiffe, aber was für welche! Wahrhaft gigantische Kästen schoben sich aus der Düsternis heran, die diesen Sektor des Weltalls erfüllte. Nur wenige waren so nahe, daß ich sie deutlich sah. Einige von ihnen schienen bis zu zehn Galionsfiguren zu haben. Die übrigen Raumschiffe erkannte ich größtenteils nur an ihren Positionslichtern. Schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit wurde mir klar, daß sie Dorkh einkreisten. Was sollte ich tun? Wohin sollte ich fliehen? Zweifellos würden die Organschiffe auf dem Dimensionsfahrstuhl landen und Truppen ausschleusen. Auf Dorkh würden der Berserker und ich also nicht sicher vor ihnen sein. Aber ebenso zweifellos war die Reichweite des Zugors zu gering, um mit ihm auf einen Planeten zu fliehen. Ich entschloß mich, vorerst näher an den Wölbmantel zurückzugehen. Doch bevor ich den Entschluß in die Tat umsetzen konnte, glitt das größte der deutlich sichtbaren Organschiffe auf unseren Zugor zu. An seiner Außenhülle leuchtete plötzlich ein quadratischer Lichtfleck auf: das beleuchtete Innere einer Schleusenkammer. Kurz darauf wurde der Zugor von einem Traktorstrahl gepackt und in die Schleusenkammer gezogen …
* Mir war praktisch der Boden unter den Füßen weggezogen worden, als der Traktorstrahl den Zugor herumriß. Beim Sturz hatte ich mir den Schädel irgendwo angeschlagen, so daß ich einige Zeit benommen auf dem Boden lag, bevor ich mich wieder aufrappeln konnte. Mein erster Blick galt der Umgebung. Der Zugor stand auf dem Boden einer quaderförmigen Schleusenkammer, die so groß war, daß er darin verloren wirkte. Die Wände der Kammer leuchteten in stechendem weißen Licht, aber noch während ich hinsah, wurde es dunkler und verwandelte sich zu einem trübroten Glimmen. Mein zweiter Blick galt meinem Gefährten. Erleichtert stellte ich fest, daß Razamon das Bewußtsein wiedererlangt hatte. Unsere Blicke begegneten sich. Er versuchte zu lächeln und stemmte sich hoch. Erst dann wurde ihm bewußt, daß sich unsere Umgebung radikal verändert hatte. »Wo sind wir hier, Atlan?« fragte er. »Was ist geschehen, während ich …?« Ich nickte. »Ja, du warst bewußtlos, aber nicht lange. Die Zeit reichte jedoch aus, um eine Flotte aus riesigen Organschiffen auftauchen zu lassen, die Dorkh eingekreist haben. Das größte von ihnen hat uns mit einem Traktorstrahl eingefangen.« Razamon lehnte sich gegen die Innenseite der Abdeckung. »Ich möchte nur wissen, warum ich das Bewußtsein verloren hatte!« »Nicht mehr wichtig«, erklärte ich, denn ich sah, wie sich das Innenschott der Schleusenkammer öffnete. »Wir bekommen Besuch.« Razamon fuhr herum und blickte durch eine transparente Fläche
der Abdeckung. Seine Augen weiteten sich ebenso wie meine. Es waren mindestens zehn Lebewesen, die durch die Öffnung in die Schleusenkammer drängten. Ihrer Körperform nach handelte es sich um Hominide. Aber sie waren Zwerge von kaum einem Meter Größe. Das Augenfälligste an ihnen waren die außerordentlich menschlich wirkenden Gesichter mit den hohen Stirnen, großen dunklen Augen, kleinen Nasen und breiten schmallippigen Mündern. Ihre Hautfarbe war ein anthrazitfarbiges Schwarz. Sie trugen allesamt schwarze einteilige Overalls mit goldfarbenen Gürteln, an denen Strahlwaffen und Messer befestigt waren. Die Wesen bewegten sich flink und kraftvoll. Zielstrebig eilten sie zum Schott in der Abdeckung des Zugors, öffneten es und stürmten herein. Razamon und ich verzichteten auf Gegenwehr, als wir erkannten, daß die Fremden uns nicht ans Leben wollten. Sie packten lediglich unsere Arme und zogen und schoben uns aus dem Fahrzeug hinaus. Offenbar gehörte es nicht zu ihrer Aufgabe, mit uns zu reden, denn sie reagierten nicht auf unsere Versuche, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wir wurden aus der Schleusenkammer geführt und in ziemlichem Tempo durch verschiedene Korridore und Hallen gezerrt. Schließlich brachte man uns in eine große Halle, deren Ausstattung verriet, daß sie die Kommandozentrale des Organschiffs war. Hatte in den anderen Hallen und in den Korridoren das trübrote Leuchten wie in der Schleusenkammer geherrscht, so war die Zentrale von bleichem silberweißen Licht erfüllt. Die Besatzungsmitglieder der Kommandozentrale blickten sich nach uns um. Ich starrte verblüfft zurück, denn im Unterschied zu den Wesen, die uns hierhergebracht hatten, war ihre Haut hell und bleich. Sagenhaft! Ich zuckte unwillkürlich zusammen, denn diese Bemerkung meines Extrasinns war identisch mit dem ironisierenden Extrakt der
Überlegungen, die sich mir beim Anblick der schwarzen und bleichen Zwerge aufgedrängt hatten. Die schwarzhäutigen Wesen drängten Razamon und mich zu einem der bleichen Wesen. Es saß auf einem durch ein Podest erhöhten Kontursessel vor halbkreisförmig angeordneten Kontrollen und erhob sich, als wir uns ihm näherten. Ungefähr drei Meter vor ihm hielten unsere Begleiter an. Der Bleiche rief einen Befehl. Zwei andere Bleiche verließen ihre Plätze und kamen zu uns. Sie hielten runde goldfarbene Scheiben mit einem schwarzen Stern in der Mitte in den Händen. An ihnen waren dünne Ketten befestigt, die die Bleichen uns über die Köpfe streiften. Es waren genau die gleichen Scheiben, die unsere Begleiter und auch alle Mitglieder der Zentralebesatzung vor der Brust trugen. Translatoren! bemerkte der Logiksektor meines Extrasinns dazu. Die beiden Bleichen traten zurück. Der Bleiche vor uns, wahrscheinlich der Kommandant des Organschiffs, zeigte mit dem Finger auf sich. Dabei bemerkte ich, daß die Fremden nur vier Finger an jeder Hand besaßen. »Oddrinn!« Razamon und ich begriffen, daß der Fremde uns seinen Namen genannt hatte. Er hatte leise und murmelnd gesprochen, und unsere Translatoren hatten das, was er sagte, unverändert und etwas lauter wiederholt. Translatoren pflegten Eigennamen nicht zu übersetzen. Wir nannten ebenfalls unsere Namen. Daraufhin machte Oddrinn mit dem rechten Arm eine umfassende Bewegung. »PHARYN!« Wieder gaben unsere Translatoren das Wort unverändert wieder. Es mußte sich um den Namen des Organschiffs handeln, auf dem wir uns unfreiwillig befanden. Damit wäre die Vorstellung eigentlich beendet gewesen, wenn meine Überlegungen mich nicht gedrängt hätten, mehr zu erfahren. Deshalb deutete ich auf Razamon und mich und sagte:
»Wir sind Menschen.« Oddrinns Translator übersetzte die ersten beiden Wörter in die Sprache der Fremden, wiederholte das dritte Wort aber unverändert. Das »Gehirn« des Geräts hatte den Begriff demnach als Sammelbegriff für alle Wesen unserer Art erkannt. Hinter Oddrinns Stirn arbeitete es. Offenkundig überlegte er, warum ich ihm diese Information gegeben hatte und ob er mir die entsprechende Gegeninformation geben durfte. Seine Entscheidung fiel ganz in meinem Sinne aus. Er deutete auf sich und danach auf die anderen Anwesenden: Schwarz‐ und Bleichhäutige. »Alven!« »Ich werdʹ verrückt!« entfuhr es Razamon. Er kannte natürlich ebenfalls die alten terranischen Sagen. Ich war zwar sicher, daß Oddrinn »Alven« und nicht »Alfen« gesagt hatte, doch war der Unterschied zu geringfügig, als daß er eine Bestätigung meiner Überlegungen hätte verhindern können. Schließlich wurden die geisterhaften Zwergengestalten der germanischen Sage auch abweichend genannt. Sie hießen sowohl Alben als auch Alfen und Elfen oder Elben. Ausschlaggebend war neben der sprachlichen Ähnlichkeit, daß diese Sagengestalten in schwarzhäutige und hellhäutige unterteilt wurden, in Schwarz‐Elfen und Licht‐Elfen. Die schwarzen Zwerge sollten unter der Erdoberfläche gelebt haben und zu Stein erstarrt sein, wenn sie vom Sonnenlicht getroffen wurden. Die hellhäutigen Zwerge dagegen sollten das bleiche Licht des Vollmonds bevorzugt haben. Laut Sage sollten diese Alfen, Alben, Elfen oder Alven parallel zur Erschaffung der Menschen im Innern der Erde entstanden sein und teilweise Zauberkräfte besessen haben. Bisher hatte ich diese Sage für eine der vielen amüsanten Geschichten gehalten, die die phantasievollen und erfindungsreichen Nordländer Terras so gern gesponnen hatten.
Doch jetzt erschien mir die Sage in einem völlig anderen Licht. Diese schwarzen und bleichen Zwerge, die sich Alven nannten, waren Realität. Zudem schienen die Schwarzalven das trübrote Licht zu bevorzugen, und die Lichtalven bevorzugten offensichtlich eine Helligkeit, wie sie der terranische Vollmond in wolkenlosen Nächten verbreitete. Diese Übereinstimmungen konnten niemals zufällig sein. Ich fragte mich ernsthaft, ob die mit Zauberkräften ausgestatteten Alfen oder Elfen der terranischen Mythologie mit vorzeitlichen Besuchern aus der Schwarzen Galaxis identisch gewesen waren. Und Razamon stellte sich offenkundig dieselbe Frage. Die Alven der PHARYN waren in dieser Hinsicht anscheinend völlig ahnungslos, was Oddrinn bewies, als er Razamon fragte: »Was hat die Erkrankung Ihres Gehirns bewirkt, Razamon?« Der Berserker schaltete schnell. Es wäre sinnlos gewesen, Oddrinn den wirklichen Grund für Razamons impulsiven Ausruf erklären zu wollen. »Es geht mir schon wieder besser«, antwortete er daher. »Wir hatten nur einige Erlebnisse, die unsere Nerven außerordentlich belastet hatten.« »Wo hattet ihr diese Erlebnisse?« fragte Oddrinn. »Auf Dorkh«, sagte ich. * »Auf Dorkh«, wiederholte Oddrinn. Mehrere andere Bleiche Alven näherten sich uns und stellten sich schweigend neben den Kommandanten. Die Schwarzalven, die uns hergebracht hatten, verließen die Zentrale. Da Oddrinn keine weitere Frage gestellt hatte, fand ich Zeit, mich mit der Funktionsweise der Translatoren zu befassen. Ich hatte bemerkt, daß niemals der Translator eines Sprechers arbeitete,
sondern immer nur der des Angesprochenen. Das war ein für mich neues Funktionsprinzip. »Wie konntet ihr dem Einfluß des Dunklen Oheims entkommen?« fragte einer der anderen Bleichen Alven. »Das wissen wir nicht«, erklärte ich, während ich überlegte, was der Alve mit seiner Frage überhaupt gemeint hatte. »Niemand auf Dorkh ist handlungsfähig«, sagte Oddrinn. »Wie also konntet ihr von dort fliehen?« »Woher sollen wir das wissen!« rief Razamon. »Ihr müßt es wissen«, erwiderte ein anderer Alve. »Vielleicht seid ihr euch nur nicht bewußt, wie ihr dem Einfluß entkommen konntet, dem alle anderen Lebewesen auf Dorkh erlagen«, wandte Oddrinn ein. »Erzählt mir, wie es zu dem kam, was auf Dorkh geschah!« Ich berichtete in knapper Form von einigen unserer Abenteuer auf dem Dimensionsfahrstuhl, allerdings ohne unsere wahren Absichten auch nur anzudeuten. Ich stellte es so hin, daß wir im Auftrag des Neffen Duuhl Larx die alte Ordnung auf Dorkh wiederherstellen sollten. Das war ja nicht einmal gelogen, denn Duuhl Larx konnte uns nur zu diesem Zweck auf Dorkh abgesetzt haben. Allerdings hatten wir nicht bewußt für ihn gearbeitet. Doch war es uns gar nicht möglich gewesen, etwas dagegen zu tun, da offensichtlich unsere bloße Anwesenheit auf dem Dimensionsfahrstuhl als Katalysator im Sinne des Duuhl Larx gewirkt hatte. Ich berichtete auch von den Ereignissen, die sich seit dem Eindringen Dorkhs in den Dimensionskorridor abgespielt hatten, vor allem von unserem Kontakt mit der Seele von Dorkh, und ich verschwieg auch nicht, daß ich es gewesen war, der der Seele das Schlüsselwort genannt und ihr befohlen hatte, Kurs auf den Sitz des Dunklen Oheims zu nehmen. Nachdem ich von der Rolle der sechs Gassuaren und ihren Manipulationen im SCHLOSS berichtet hatte, schilderte ich die
Vernichtung des SCHLOSSES und erwähnte, daß die leuchtende Kuppel im Zentrum davon verschont geblieben war. Die Alven hörten interessiert zu, doch als ich von der Schwärze berichtete, die an der Kuppel aufgestiegen war und dann das ganze Areal des SCHLOSSES in undurchdringliche Finsternis gehüllt hatte, erntete ich spöttisches Gelächter. Verwundert brach ich meinen Bericht ab. Die Alven lachten, bis ihnen die Tränen kamen. Sie halten die letzte Aussage für eine Lüge und sind deshalb erheitert, weil sie eine solche Lüge von vornherein erwartet hatten! flüsterte mir mein Logiksektor zu. Schließlich wandte Oddrinn sich wieder Razamon und mir zu. »Sprecht weiter!« befahl er. »Ich sage kein Wort mehr«, erwiderte ich zornig. »Warum nicht?« wollte Oddrinn wissen. »Weil ihr voreingenommen seid und uns nichts glauben wollt«, erklärte ich. Einer der Alven, der am weitesten von Oddrinn entfernt war, sagte etwas zum Kommandanten. Da er die Sprache der Alven benutzte, sprach Oddrinns Translator natürlich nicht an – und Razamons und mein Translator ebenfalls nicht, da die Worte des Alven nicht an uns gerichtet waren. Schnell stellte ich mich zwischen die beiden Alven – und sofort reagierte mein Translator. »… oder erst nach der Rückkehr nach Ritiquian?« übersetzte er. Damit allein ließ sich nicht viel anfangen, aber der kalte, feindselige Blick des Sprechers verriet mir, daß es ihm darum ging, wann man Razamon und mich umbringen sollte. Die Reaktion Oddrinns auf meine Eigenmächtigkeit bestätigte das noch. Der Kommandant schrie mich ausgesprochen bösartig an und befahl mir, wieder zurückzutreten. Ich gehorchte, zumal zwei Bleiche Alven ihre Strahlwaffen auf mich und Razamon richteten.
Von der folgenden Diskussion der Alven vermochten Razamon und ich nichts zu verstehen, außer daß immer wieder der Name Ritiquian fiel, der offenbar der Name jenes Planeten war, von dem die Flotte der Organschiffe gekommen war. Razamon und ich verständigten uns mit Blicken. Wir waren beide entschlossen, uns nicht wehrlos abschlachten zu lassen. Sollten die Alven entscheiden, uns bereits auf der PHARYN umzubringen, würden wir zum Angriff übergehen und versuchen, die Zentrale in unsere Gewalt zu bringen. Wenn wir dabei starben, war das immer noch besser, als das uns zugedachte Schicksal einfach hinzunehmen. Doch die Alven konnten sich anscheinend nicht einigen. Einer von ihnen fand das offenbar zu dumm, denn er stahl sich heimlich davon. Aber wenig später kehrte er zurück. In seiner Begleitung befand sich ein kastenförmiger Roboter, der sich auf vier kurzen Beinen bewegte. Ein Gersa‐Predogg! Unwillkürlich wappnete ich mich gegen die fast unerträglich böse Ausstrahlung, die ich bei den Gersa‐Predoggs erlebt hatte, die in den Revieren der Neffen arbeiteten. Sie blieb aus. Ich spürte nicht die Spur einer Ausstrahlung. Die anderen Alven hatten inzwischen bemerkt, daß einer von ihnen mit einem Gersa‐Predogg zurückgekehrt war. »Was soll das, Chaddion?« fragte Oddrinn – und da ich zwischen ihm und Chaddion stand, übersetzte mein Translator die Frage. »Bynarph könnte die Gefangenen verhören«, erklärte Chaddion. »Das ist keine schlechte Idee«, meinte Oddrinn. »Fange an, Bynarph!« Der Roboter wandte sich an Razamon und mich und sagte mit knarrender Stimme, die ebenfalls von unseren Translatoren übersetzt wurde: »Nennt mir eure Namen!« Er richtete dabei Sensoren auf uns, die sich an den Spitzen seiner tentakelartigen, in zahlreiche ringförmige Segmente unterteilten Arme befanden.
Wir nannten ihm unsere Namen. »Ihr habt eure richtigen Namen genannt«, sagte der Gersa‐ Predogg. Anscheinend hatte er mit seinen Sensoren die elektrischen Ströme, Muskelspannungen und Temperaturveränderungen unserer Haut kontrolliert und daran festgestellt, daß wir die Wahrheit gesagt hatten. »Warum auch nicht!« erwiderte Razamon. Bynarph ging nicht darauf ein, sondern fuhr fort: »Zuerst werde ich Verbindung mit dem Dunklen Oheim aufnehmen und feststellen, ob ihr ihm bekannt seid. Falls ihm Informationen über euch vorliegen, würde das die Befragung erheblich erleichtern.« Ich merkte, wie meine Augen von wäßrigem Sekret überschwemmt wurden. Es war die typische Reaktion eines Arkoniden auf starke Erregungsreize. Wenn der Gersa‐Predogg dem Dunklen Oheim unsere Namen mitteilte, würde unsere Lage noch kritischer werden, als sie es schon war. Ich mußte damit rechnen, daß dem Dunklen Oheim zumindest mein Name als der eines Fremden bekannt war, der bisher nur Unruhe in der Schwarzen Galaxis gestiftet hatte. Das würde genügen, unsere sofortige Vernichtung zu befehlen. Fieberhaft überlegte ich, ob es ein glaubhaftes Argument gegen eine Verbindungsaufnahme mit dem Dunklen Oheim gab und ob der Gersa‐Predogg darauf hören würde, wenn ich, der Gefangene, es vorbrachte. Meine Überlegungen wurden durch Oddrinn unterbrochen. »Das kommt überhaupt nicht in Frage!« rief der Kommandant mit keifender Stimme. »Ich lasse nicht zu, daß der Dunkle Oheim von uns mit einer solchen Nichtigkeit belästigt wird!« »Aber wenn Bynarph es für wichtig hält, Informationen vom Dunklen Oheim einzuholen, dann ist es wichtig!« warf Chaddion ein. »Ich bestehe darauf, daß er das Verhör so führt, wie er es für sinnvoll hält.«
»Und ich will nicht, daß wir beim Dunklen Oheim in Ungnade fallen, weil wir ihn mit Kleinigkeiten belästigen!« entgegnete Oddrinn heftig. »Ich verlange, daß wir darüber abstimmen!« erklärte Chaddion. Anscheinend besaßen alle ranghohen Alven – und alle Bleichen Alven schienen die hohen Ränge zu bekleiden, während die Schwarzalven niedere Dienste verrichteten – das Recht, nach ihrem Gutdünken eine Abstimmung zu fordern, denn Oddrinn versuchte gar nicht erst, sich der Forderung Chaddions zu widersetzen. Wieder verständigten Razamon und ich uns mit einem Blick. Fiel die Abstimmung zugunsten der Forderung Chaddions aus, würde es darauf ankommen, welchen Bescheid der Gersa‐Predogg vom Dunklen Oheim erhielt. Hieß er »Tod für die Gefangenen«, mußten wir kämpfen. Unauffällig schoben wir uns in Positionen, in denen wir nicht mehr direkt von den Waffen der beiden Alven bedroht waren. Es gab eine kurze Ansprache von Oddrinn und Chaddion, dann fällten die Alven der Kommandozentrale ihre Entscheidung. Razamon und ich konnten nur einen Teil davon verstehen, so daß wir weiterhin in Ungewißheit schwebten. Bis an Chaddions Haltung zu erkennen war, daß die Alven ihn überstimmt hatten. Er wandte sich an den Gersa‐Predogg. »Du wirst nicht mehr gebraucht, Bynarph!« Erleichtert lächelten Razamon und ich uns an, als Bynarph davonstapfte. Dennoch wurden wir nicht sorglos, denn unser Leben war weiterhin in Gefahr. Aufmerksam musterten wir die Alven, die ihre Köpfe zu einer Beratung zusammensteckten, von der wir nichts mitbekommen sollten. Nach wenigen Minuten war die Beratung beendet. Die Alven gingen auseinander. Nur Oddrinn blieb und wandte sich uns zu. »Wir haben beschlossen, euch prüfen zu lassen. Yddalara wird gleich hier sein und sich weiter um euch kümmern. Ich erwarte, daß
ihr alles tut, was sie von euch verlangt.« Er wandte sich ab und ging zu seinem Platz zurück, ohne sich weiter um uns zu kümmern. 2. Aus Oddrinns Worten hatten wir herausgehört, daß es sich bei Yddalara um ein weibliches Wesen handelte. Deshalb waren Razamon und ich nicht überrascht, als eine Alvin in der Kommandozentrale erschien und uns aufforderte, ihr zu folgen. Überrascht waren wir allerdings über die unirdische Schönheit dieses Wesens. Zwar waren auch die männlichen Vertreter dieses Zwergenvolks keineswegs häßlich, wenn auch die Arme etwas zu kurz im Verhältnis zum übrigen Körper, die Hände etwas zu groß und die Füße zu plump waren. Yddalara aber erwies sich als Wesen von grazilem Körperbau und beinahe elfenhaft durchsichtiger bleicher Haut. Ihr Haupthaar war nicht stachelig wie bei den männlichen Alven, sondern fiel sanft gewellt bis zu den Hüften. Der einteilige weiße Overall paßte überhaupt nicht zu dieser zarten Erscheinung. Sie hätte meiner Meinung nach ein halbdurchsichtiges Kleid aus feinster Seide tragen müssen. Yddalara schien meine Gedanken zu erraten, denn ihre dunklen Augen unter den langen seidigen Wimpern blitzten spöttisch, und ihre sinnlichen Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln. Ich legte die Hand aufs Herz und verbeugte mich. »Ich bin erfreut, dich kennenzulernen.« »Komm mit!« sagte die Alvin. Sie drehte sich um und ging uns voraus. Razamon und ich folgten ihr, wobei der Berserker mir verstohlen seinen Ellbogen in die Rippenplatten stieß. Aber hinter seiner Erheiterung über mein Benehmen verbarg er nur mühsam eine starke physische Erschöpfung. Sie mußte mit seiner Ohnmacht
zusammenhängen. Ich sorgte mich um ihn. Deshalb beschleunigte ich meinen Schritt, bis ich mich auf gleicher Höhe mit Yddalara befand und sagte: »Erlaubt ihr mir eine Bemerkung, schöne Frau?« Sie musterte mich skeptisch von der Seite, dann erwiderte sie: »Wenn es sich um etwas Wichtiges handelt, ja, Atlan.« »Meinem Gefährten geht es nicht gut«, erklärte ich. »Die durchgestandenen Strapazen auf Dorkh haben ihn völlig ausgelaugt. Ich bitte dich, uns eine Ruhepause zu gönnen.« »Warum sollte ich Mitleid mit ihm haben?« erwiderte die Alvin. »Es ist nicht nötig für dich, Razamon zu bemitleiden«, sagte ich. »Du brauchst nur an dich selbst zu denken. Du kannst ihn nämlich nicht prüfen, wenn er vorher zusammenbricht – und das wird er ohne eine Ruhepause bald tun.« Yddalara blieb stehen. »Du scheinst mich für kalt und gefühllos zu halten, Atlan. Wenn Razamon eine Ruhepause benötigt, soll er sie auch bekommen.« Sie zog ein flötenähnliches Instrument aus einer Tasche ihres Overalls, setzte es an die Lippen und blies darauf. Im nächsten Augenblick wimmelte es im Korridor von Schwarzalven. »Ich brauche nur zwei von euch!« rief Yddalara und klatschte in die Hände. Die Schwarzalven verschwanden – bis auf zwei. »Bringt Atlan und Razamon in Kabine C‐11‐77!« befahl Yddalara. »Sorgt dafür, daß sie zu essen und zu trinken bekommen und schließt sie ein!« Sie wandte sich an mich. »Ich gebe euch Zeit genug, damit dein Gefährte sich erholen kann, Atlan. Danach komme ich zu euch.« Ich nahm ihre Hand und führte sie an meine Lippen. Yddalara riß sich kichernd los und eilte davon. Die beiden Schwarzalven zogen ihre Strahlwaffen und fuchtelten
auffordernd mit ihnen herum. Razamon und ich zuckten die Schultern und gingen in die angedeutete Richtung. Nachdem wir in einem Antigravschacht drei Decks tiefer geschwebt waren, mußten wir einen weiteren Korridor betreten. Einige Minuten später bedeuteten die Schwarzalven uns, stehenzubleiben. Einer von ihnen öffnete das Schott einer Kabine und forderte uns auf, einzutreten. Das Innere der Kabine war in bleiches »Mondlicht« getaucht. Ich sah einen moosfarbenen Teppichboden, hellbraune Wände und eine aus einer Leuchtplatte bestehende Decke. Die Einrichtung bestand aus drei auf Alvenmaß zugeschnittenen Tischen mit je vier Stühlen, einem Versorgungsautomaten und zwölf dreistöckigen Betten. Der Alve, der das Schott geöffnet hatte, ging zum Versorgungsautomaten, aktivierte ihn mit einem Kodegeber und tastete zwei Becher Wasser und zwei Schüsseln Brei. Danach verließen er und sein Gefährte uns ebenso schweigend, wie sie sich die ganze Zeit über verhalten hatten. »Großzügig waren sie nicht gerade«, bemerkte ich und musterte die für menschliche Verhältnisse winzigen Schüsseln und Becher. Razamon hob schnüffelnd die Nase. »Wonach riecht es hier so stark?« Erst jetzt wurde mir der starke Duft bewußt. Prüfend zog ich die Luft durch die Nase. »Nach Rosmarin.« Ich ging schnüffelnd in der Kabine umher und blieb vor dem nächsten Bett stehen. Mit der flachen Hand schlug ich kräftig auf die buntgemusterte Matratze, die auf dem Plastikgestell lag. Eine Wolke Rosmarinduft schlug mir entgegen. »Die Alven scheinen ihre Matratzen mit getrocknetem Rosmarin auszustopfen«, meinte ich. »Davon verlautete aber in den terranischen Sagen nichts.« »Seltsam!« sagte der Berserker nachdenklich. »Rosmarin hat sich auf keinem anderen Planeten entwickelt als auf Terra. Es ist eine
kosmische Gesetzmäßigkeit, daß sich niemals auf mehreren Planeten identische Lebensformen entwickeln.« »Es sei denn, auf Parallelwelten«, erwiderte ich. Langsam ging ich zum Schott und versuchte es zu öffnen. Es gelang mir nicht, aber das hatte ich auch nicht erwartet. »Doch das sollten wir nicht zu unserem Problem machen, Razamon. Ruhe du dich aus! Unterdessen suche ich nach Wanzen. Falls es keine gibt, können wir uns hinterher aussprechen. Ich nehme an, du hast mir einiges zu sagen.« Razamon nickte. »Aber ich werde mich wirklich erst einmal ausruhen.« Er riß drei Matratzen aus den Betten, legte sie hintereinander auf den Boden und streckte sich darauf aus. Sekunden später verriet mir sein gleichmäßig tiefes Atmen, daß er eingeschlafen war. * Ich saß auf dem Boden der Kabine, mit dem Rücken an einer nach Rosmarin duftenden Matratze, die ich hochkant an die Wand gelehnt hatte. Dreieinhalb Stunden waren vergangen, als Razamon erwachte. Er fuhr hoch, sah mich und atmete beruhigt auf. Langsam stand er auf, reckte und streckte sich. Ich sah ihm an, daß er sich viel besser fühlte als vor seiner Schlafpause. »Es gibt keine Mikrospione«, berichtete ich ihm. »Ich habe die Kabine gründlich abgesucht.« Der Berserker lächelte. »Du als Experte mußt es ja wissen, Atlan.« Er schloß die Augen, öffnete sie aber gleich wieder. »Als ich den von einem Ring umgebenen Planeten sah, brachen meine verlorengegangenen Erinnerungen sturzbachartig über mich herein. Es war zuviel für mich. Ich erlitt einen Schock und wurde bewußtlos.«
Abermals schloß er die Augen. Ich wußte, woran er dachte: Mein photographisches Gedächtnis konnte kein noch so winziges Detail vergessen, und in diesem Moment tauchte vor meinem geistigen Auge jener Brocken dunkler Materie auf, den Razamon und ich in einem Raumschiff der Geisterflotte entdeckt hatten, auf die wir gestoßen waren, nachdem Pthor aus dem Korsallophur‐Stau entkommen war und auf die Schwarze Galaxis zustürzte. Wir hatten noch innerhalb des Dimensionskorridors Erkundungsflüge mit der GOLʹDHOR unternommen und waren dabei auf die Geisterflotte gestoßen: Tausende von Wracks, die aus Richtung der Schwarzen Galaxis langsam durch den Dimensionskorridor trieben. Aber der Materiebrocken war nicht alles, was wir entdeckten. In einem zweiten Schiff fanden wir ein achteckiges Gebilde von einem Meter Durchmesser: einen fremdartigen Bordcomputer. Und in einem dritten Schiff fanden wir in Tiefschlafbehältern drei Schlafende, hagere hominide Wesen mit ungewöhnlich langen, spitz auslaufenden Köpfen, flachen Gesichtern und Stielaugenbündeln. Ich erschauderte, als ich mich daran erinnerte, welche Konsequenzen sich daraus ergeben hatten, daß wir diese Fundstücke mitnahmen und in die FESTUNG brachten, um sie dort zu untersuchen. Eines Nachts verschwanden die Schläfer aus ihren Tiefschlafbehältern. Die drei Dellos, die bei ihnen Wache gehalten hatten, fanden wir tot vor. Der fremde Computer war zerstört, die drei Fremden waren mitsamt dem Materiebrocken spurlos verschwunden. Sie blieben auch verschwunden, aber sie schlugen aus dem Dunkel heraus immer wieder zu. Immer wieder fanden wir Pthorer starr und tot, fanden wichtige Einrichtungen zerstört vor. Bis Razamon eine Entdeckung machte. An einer bestimmten Stelle der FESTUNG aktivierte sich sein
Zeitklumpen. Razamon forschte nach und stellte fest, daß die drei Fremden deshalb für uns unsichtbar blieben, weil sie stets zeitversetzt um ein paar Sekunden aus der Vergangenheit oder Zukunft zuschlugen. Der Berserker informierte mich darüber. Er sagte, er wolle durch äußerste Konzentration auf seine organische Zeitmaschine versuchen, einen Sprung in die zeitliche »Nachbarschaft« zu unternehmen und den Feind aufspüren. Das gelang ihm offenbar, denn er verschwand plötzlich für meine Augen spurlos. Wenig später vernahm ich eine schreckliche Explosion, und danach schälten sich die Trümmer des seltsamen Materiebrockens sowie die Leichen der drei Schläfer scheinbar aus dem Nichts heraus. Razamon aber blieb verschwunden, und es dauerte lange, bis ich erfuhr, daß er überhaupt noch lebte. Das war im Marantroner‐ Revier, und ich war damals als Galionsfigur an das Organschiff DARIEN gefesselt. Doch ich verlor seine Spur wieder, bis wir später auf Säggallo überraschend zusammentrafen. Razamon hatte sich bis heute nicht daran erinnern können, wohin er geraten war, nachdem er von Pthor aus in die Schwarze Galaxis geschleudert worden war … »Ich war in der Lebensblase«, fuhr Razamon seltsam monoton fort. »Und ich habe gespürt, daß die Lebensblase identisch ist mit dem schwarzen Ring des Planeten, in dessen Nähe Dorkh aus dem Dimensionskorridor kam.« »Ist dieser Ring identisch mit dem Dunklen Oheim?« erkundigte ich mich. Razamon schüttelte nur den Kopf, ohne nähere Erklärungen abzugeben. »Ich lernte zwei Wesenheiten kennen, die körperlos in der Lebensblase gefangen sind«, berichtete er im gleichen monotonen Tonfall weiter. »Sie fingen irgendwann einen Krejoden ab, der ebenfalls durch die Wirkung eines schwarzen Materiebrockens in
die Lebensblase geschickt worden war. Der laute Quahrt, wie dieses Wesen sich nannte, vermochte aus Gestein, das angeblich aus einem Steinbruch in den Bleichen Marmorbergen stammte, Kugeln herzustellen, die das ›Licht der Freiheit‹ ausstrahlten. Yeers und Olken, wie die Körperlosen sich nannten, erteilten Quahrt den Auftrag, auf Xudon nach dem gleichen Material zu suchen und daraus solange Marmorkugeln herzustellen, bis er eine drehte, die in jeder Hinsicht perfekt war. Diese Kugel sollte er dann zur Lebensblase bringen oder irgendwie hinschicken. Danach versetzten sie ihn nach Xudon.« »Die große Plejade!« entfuhr es mir überrascht. Razamon blickte mich fragend an. »Sie befand sich in meinem Besitz«, erklärte ich. »Und wo hast du sie gelassen?« fragte der Berserker erregt. Er kam zu mir, packte mich an den Schultern und schüttelte mich. »Wo, Atlan?« Er schien außer sich zu sein. »Laß mich los!« fuhr ich ihn an. »Die große Plejade erwies sich zwar als sehr nützlich für mich, aber ohne sie kann ich leben. Ohne meinen Zellaktivator dagegen nicht. Deshalb überließ ich sie auf Cyrsic einigen Wesen, um von ihnen meinen Zellaktivator zurückzubekommen.« »Du hast sie weggegeben!« flüsterte Razamon und ließ mich los. Er musterte mich aus brennenden Augen. »Wußtest du denn nicht, daß die große Plejade die einzige bisher bekannte Waffe gegen den Dunklen Oheim ist!« Ich ahnte, daß ich unwissentlich eine große Dummheit begangen hatte. Deshalb konnte ich nur stumm den Kopf schütteln. Razamon seufzte. »Yeers und Olken waren sicher, mit Hilfe der großen Plejade die Lebensblase auflösen zu können«, erklärte er. »Zwar wissen sie nicht genau, in welcher Beziehung die Lebensblase zum Dunklen Oheim und seinen Neffen steht, aber ihnen ist bekannt, daß die
Herrschaft des Dunklen Oheims über die Schwarze Galaxis jäh beendet werden wird, wenn die Lebensblase erlischt, denn das Ende der Lebensblase bedeutet den Tod aller Neffen.« Betroffen blickte ich Razamon an. Hätte ich das schon damals auf dem Planeten Cyrsic gewußt, ich hätte bestimmt Mittel und Wege gefunden, meinen Zellaktivator zurückzubekommen, ohne dafür die große Plejade hinzugeben. Wieder seufzte Razamon. »Es tut mir leid, daß ich wütend auf dich war, aber du konntest es ja nicht wissen. Ursprünglich wollte ich ja Quahrt nach Xudon folgen, um selbst dafür zu sorgen, daß die große Plejade auf den Weg zur Lebensblase gebracht wurde.« Abermals wurde sein Blick geistesabwesend. »Ich ließ mir von Yeers und Olken extra meine Erinnerungen an Pthor und die Vergangenheit, ja sogar an meine eigene Identität blockieren, damit man mich nicht entlarven konnte. Als Nomazar wurde ich auf die Reise geschickt. Leider ging etwas schief. Ich kam nicht auf Xudon an, sondern fand mich auf dem Planeten Ximmerrähne wieder.« »Tja, wir haben beide alptraumhafte Irrfahrten hinter uns«, sagte ich und erschauderte, als ich an die Zeit als Galionsfigur dachte und an die Zeit danach, als ich meinen Extrasinn verloren hatte. Ob Algonkin‐Yatta, der Kosmische Kundschafter, und seine Gefährtin Anlytha, denen ich die Wiederbeschaffung meines Extrasinns verdankte, wohl inzwischen nach Terra zurückgekehrt waren, um Perry Bericht zu erstatten? »Es ist denkbar, daß auch die große Plejade nach vielen Irrfahrten doch noch die Lebensblase erreicht.« »Das hoffe ich auch«, erwiderte Razamon. »Deshalb fürchte ich mich vor dem Verhör durch die Alven. Sie dürfen niemals erfahren, daß es die große Plejade gibt und welchem Zweck sie dienen soll.« Nehmt ihr Narren wirklich an, diese Marmorkugel könnte dem Dunklen Oheim so großen Schaden zufügen, wie Yeers und Olken hofften? meldete sich der Logiksektor meines Extrasinns. Sie trägt zwar den
Widerschein der Freiheit in sich, aber was besagt das schon gegenüber der gewaltigen Macht des Dunklen Oheims! Widerstrebend mußte ich diesen Zweifel als berechtigt anerkennen. Yeers und Olken konnten sich schließlich irren. Was war schon eine Marmorkugel gegen die Herrschaft des Dunklen Oheims und seiner Neffen über eine ganze Galaxis! Doch ich wollte dem Freund die Hoffnung nicht rauben, deshalb teilte ich ihm meine Zweifel nicht mit. Es war nur schade, daß ich selbst die Lebensblase nicht erreicht hatte, denn nach Razamons Bericht erschien es mir als wahrscheinlich, daß es vom Stern der Läuterung aus weiter zur Lebensblase hätte gehen sollen. Sei froh, daß du damals fliehen konntest! übermittelte mir der Logiksektor. Ich wollte, Razamon und ich könnten auch diesmal fliehen! gab ich gedanklich zurück. Aber die Aussichten darauf waren gering – und sie verringerten sich noch mehr, als das Schott unserer Kabine sich öffnete und Yddalara erschien. Die Alvin war nicht allein, sondern befand sich in der Begleitung von fünf schwerbewaffneten Schwarzalven. »Es ist an der Zeit, mit den Prüfungen anzufangen«, teilte sie uns mit. 3. »Was ist das für eine Hexenküche!« polterte Razamon los, als die Schwarzalven uns in einen saalgroßen Raum drängten, in dem zahlreiche Bleiche Alven mit Töpfen, Tiegeln, Pfannen, Reagenzgläsern, Bunsenbrennern, großen und kleinen Kübeln sowie mit modernem, computergesteuertem Laboratoriumsgerät hantierten. Verschiedenfarbige Dämpfe wallten; Feuer flackerten. Ich schaute mich nach Yddalara um, die uns zu diesem Raum
geführt hatte. Die Alvin beachtete mich nicht, sondern ging zu einem Feuer, über dem ein schwarzer Kessel hing. Graugrüne Dämpfe stiegen plötzlich aus dem Kessel, breiteten sich schnell aus und hüllten die vier Bleichen Alven, die um ihn herumstanden, sowie Yddalara ein. Ich zweifelte an meinem Verstand, als Yddalara sich in meinen Augen plötzlich in eine hochgewachsene Göttin mit sinnlichem Gesichtsausdruck verwandelte. Von Asen und Alben, die hier anwesend sind, ist jeder dein Buhle gewesen! Warst du das? fragte ich meinen Extrasinn. Ein Tachvonenwirbel! raunte es in meinen Gedanken. Als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart! Was soll der Unsinn? Ich schüttelte den Kopf. Im nächsten Augenblick sah ich Yddalara wieder so vor mir, wie ich sie kennengelernt hatte. Die graugrünen Dämpfe hatten sich aufgelöst. Die Alvin sprach mit den vier Bleichen Alven am Kessel, dann kehrte sie zu Razamon und mir zurück. »Was war das?« fragte ich sie. »Ich sah dich verändert und hörte in mir selbst eine geheimnisvolle Stimme einen Spruch sagen, der aus einer uralten Göttersage meiner zweiten Heimat stammt.« Yddalaras Gesicht verzog sich zu einem schmerzlichen Lächeln. »Auch wir Alven haben unsere Sagen«, sagte sie leise. »Aber niemand von uns weiß, was daran wahr ist und was nicht. Manchmal können wir etwas aus ihnen sichtbar machen, doch fürchte ich, es handelt sich nur um die Pseudomaterialisation von Wunschträumen.« »Viel mehr war das nicht, was ich beobachtet habe«, warf Razamon ein und lächelte verächtlich. Yddalara funkelte ihn zornig an. »Du machst dich über mich lustig.« »Ich verachte diese Bemühungen, in eine fremde Identität schlüpfen zu wollen, Yddalara. Noch dazu mit völlig
unzureichenden Mitteln. Im Vergleich zu den Magiern von Pthor sind eure Fähigkeiten gering.« »Nicht zu gering für das, was wir mit euch vorhaben!« entgegnete Yddalara heftig. »Kommt jetzt!« Razamon schüttelte den Kopf. »Erst sagst du mir, was ihr mit uns vorhabt.« »Du weigerst dich, mitzukommen?« fragte Yddalara verwundert. Ich blickte Razamon beschwörend an, um ihm klarzumachen, daß ich es für Dummheit hielte, wenn er sich gegen Yddalaras Befehle auflehnte. Aber der Berserker reagierte nicht darauf. »Genau das tue ich!« erklärte er. Die Alvin zog wieder ihr flötenähnliches Instrument hervor und blies darauf. Zwölf Schwarzalven stürzten hinter uns zur Tür herein. Yddalara deutete auf Razamon. »Verprügelt ihn!« Ohne zu zögern, stürzten sich die Zwerge auf Razamon. Die ersten vier wischte der Berserker mit einem kraftvollen Rundschlag zur Seite. Sie überschlugen sich, rappelten sich aber gleich wieder auf. Razamon ging zum Angriff über und schlug die nächsten Zwerge nieder. Er setzte nur die Hälfte seiner Kraft ein, um sie zu schonen. Das war ein Fehler. Razamon mochte der bessere und stärkere Kämpfer sein, aber die Schwarzalven waren unglaublich zäh und griffen unablässig von allen Seiten an. Ich griff ein, als mein Freund unter dem Ansturm aller Alven zu Boden ging. Mit dem berühmten Achselgriff der Dagorschule Arkons lähmte ich einen Schwarzalven nach dem anderen und warf ihn anschließend hinter mich. Razamon bekam Luft, erledigte die letzten Zwerge und stürmte zu meiner Verblüffung auf die Bleichen Alven los, die mit ihren Gerätschaften hantierten. Töpfe, Tiegel und Pfannen flogen durch die Luft, Alven fanden sich urplötzlich in großen Kesseln wieder, und Reagenzgläser zerplatzten. Die Hexenküche füllte sich mit
Wehgeschrei und beißenden Gasen und Dämpfen. Ich beteiligte mich nicht an diesem Exzeß von Gewalt, sondern versuchte, Razamon festzuhalten und zu beruhigen. Es gelang mir nicht. Ich steckte statt dessen einen Faustschlag in den Magen ein, der mich für mindestens eine Minute außer Gefecht setzte. Als ich mich wieder halbwegs erholt hatte, hielt ich nach einem Schlaginstrument Ausschau, mit dem ich Razamon betäuben könnte. Doch diese Aufgabe wurde mir abgenommen. Ein Gersa‐Predogg erschien plötzlich auf der Bildfläche, fuhr einen Lähmstrahler aus einem seiner Gliederarme und feuerte auf den Berserker. Bevor Razamon zusammenbrach, konnte er noch einen säuregefüllten Glasballon auf den Roboter schleudern. Der Roboter verlor die Orientierung. Seine Oberfläche rauchte und dampfte unter der Einwirkung der Säure, bis ein nur leicht lädierter Bleicher Alve ihm ein Gefäß voll basischer Flüssigkeit über den Körper goß. Entsetzt musterte Yddalara die Verwüstungen, die Razamon angerichtet hatte. Viele Bleiche Alven waren bewußtlos. Andere Alven rappelten sich jammernd und stöhnend wieder auf. Die Einrichtung war zum größten Teil zertrümmert. »Dafür wird er büßen!« drohte sie. Ich erwiderte nichts darauf. Inzwischen waren auch die von Razamon und mir betäubten Schwarzalven wieder zu sich gekommen. Sie warfen mir zornige Blicke zu, versuchten aber nicht, mich anzugreifen. Statt dessen verließen zwei von ihnen die Hexenküche und kehrten mit einer Trage zurück. Sie legten Razamon darauf und folgten Yddalara, die auf die gegenüberliegende Tür zuging und mir bedeutete, ihr zu folgen. Hinter der Tür befand sich eine kleinere Ausgabe der Hexenküche. Auch hier standen Bleiche Alven und hantierten mit Laborgeräten sowie Töpfen, Tiegeln und Kesseln.
»Was sollen wir hier?« wandte ich mich an Yddalara. »Warte ab, Atlan!« erwiderte sie. * Nach etwa zehn Minuten erschien ein Bleicher Alve. Ein Schwarzalve schob eine Antigravplattform hinter ihm her, auf der eine weiße Plastikkiste stand. Der Bleiche Alve trug einen weißen Overall wie alle Bleichen Alven. Doch sein Aussehen veränderte sich schnell. Er griff in die offene Kiste, holte ein Paar federbesetzte Überschuhe heraus und schlüpfte mit den Füßen hinein. Danach entnahm er der Kiste ein gutes Dutzend unterschiedlich langer Smaragdketten und hängte sie sich um den Hals. Zuletzt setzte er sich einen Federhut auf. Als er ein kleines Messer aus der Kiste nahm und sich damit Razamon näherte, wollte ich ihm in den Arm fallen, doch Yddalara sagte: »Er soll Razamon nur von der Lähmung befreien.« Mißtrauisch sah ich zu, wie der »Medizinmann« Razamons linken Hemdärmel hochstreifte und ihm mit seinem Messer einen etwa zehn Zentimeter langen Schnitt in den Unterarm beibrachte. Anschließend ließ er sich von seinem Gehilfen ein Fläschchen aus der Kiste holen. Aus ihm träufelte er eine dunkelgrüne Flüssigkeit in die Schnittwunde. Danach nahm er eine Rassel und hüpfte im Kreis um den Berserker herum. Sein Mund schien magische Formeln zu flüstern, und die Zeremonie mußte sehr anstrengend sein, denn der »Medizinmann« war innerhalb weniger Sekunden schweißgebadet. Nach etwa sechs Minuten lief ein Zittern durch Razamons Körper. Der Mund öffnete sich. Razamon stöhnte schwach. Wenige Sekunden später bewegte er Arme und Beine, dann schwang er sich von der Trage und sah sich um.
Seine Aggressivität war verflogen. Der »Medizinmann« brach seinen Tanz ab und wankte erschöpft zu seinem Gehilfen, der ihn von seiner Arbeitsausrüstung befreite und ihm die Unterarme mit belebenden Essenzen einrieb. Ich ging zu Razamon und musterte ihn prüfend. »Wie geht es dir?« »Nicht schlecht«, erwiderte er mit verstecktem Lächeln. »Tut mir leid, wenn ich grob zu dir war, Atlan.« »Du solltest ab und zu in Eiswasser baden«, erklärte ich verstimmt. »Legt euch dorthin!« sagte Yddalara. Ich drehte mich zu ihr um und sah dorthin, wohin sie zeigte. Im zweiten Drittel des Labors standen zwei Gestelle, die ihrer Form nach dazu geeignet schienen, Razamon und mich in liegender Haltung aufzunehmen. Mir gefiel es nur nicht, daß sich an den Gestellen starke Lederriemen befanden. »Sollen wir gefesselt werden?« fragte ich. »Nur zu eurem eigenen Schutz«, antwortete die Alvin. »Was habt ihr mit uns vor?« fragte ich weiter. »Wir müssen euch in Trance versetzen, um euch prüfen zu können«, erläuterte die Alvin. »Die Prüfungen sind ungefährlich für euch. Sie bestehen aus suggerierten Traumerlebnissen.« »Alles klar!« meinte Razamon und ging auf eines der Gestelle zu. Der jähe Wechsel in Razamons Verhalten kam mir nicht ganz geheuer vor. Aber vielleicht hatte das Mittel, mit dem er aus der Lähmung geholt worden war, auch eine Droge enthalten, die ihn friedfertig stimmte. Ich zuckte die Schultern und begab mich ebenfalls zu einem Gestell. Suggerierte Traumerlebnisse konnten Razamon und mir nicht gefährlich werden. Es sei denn, Yddalara hätte uns angelogen. Aber wie auch immer: Ich sah keine Möglichkeit, daß wir uns den Prüfungen erfolgreich widersetzten. »Ihr müßt euch entkleiden!« sagte Yddalara, als Razamon und ich
uns gerade auf unsere Gestelle schwingen wollten. »Was?« entfuhr es mir. »Das werde ich auf keinen Fall tun.« »Nicht völlig«, erklärte die Zwergin. »Nur so weit, daß wir den größten Teil eurer Körperoberflächen mit Essenzen behandeln können.« »Das ist etwas anderes«, sagte ich. Razamon und ich zogen uns bis auf die Unterhosen aus und legten uns auf die Gestelle. Vier Alven fesselten unsere Arme und Beine, dann schleppten andere Alven mehrere Gefäße herbei, die sie aus Tiegeln, Pfannen und Kesseln mit verschiedenen Flüssigkeiten und Salben gefüllt hatten. Yddalara sagte etwas zu dem »Medizinmann«, was wir nicht verstanden. Ich konnte nur heraushören, daß er Nanughan hieß. Nanughan rief den anwesenden Bleichen Alven etwas zu. Daraufhin wurden elf hockerähnliche Gestelle rings um Razamon und mich aufgestellt. Darauf setzten die Alven Gegenstände, die altterranischen Öllampen ähnelten. Aus großen Glaskolben wurden elf verschiedenfarbige Flüssigkeiten in die »Öllampen« gefüllt. Nanughan klatschte in die Hände. Die Bleichen Alven formierten sich – mit Ausnahme Nanughans selbst und Yddalaras – zu einem Kreis, der die Lampengestelle sowie Razamon und mich einschloß. Danach stimmten sie einen monotonen Singsang an. Nanughan rief seinem Gehilfen etwas zu. Daraufhin entzündete der Schwarzalve einen dünnen schwarzen Stab. Eine kleine blaue Flamme hüllte das obere Ende des Stabes ein und kroch sehr langsam tiefer. Der Gehilfe brachte den Stab seinem Herrn. Nanughan nahm ihn und umtanzte mit seltsamen Körperverrenkungen das erste Lampengestell. Minuten später stieß er einen gellenden Schrei aus und hielt das brennende Ende des Stabes an den Docht der »Öllampe«. Eine grellrote Flamme zuckte auf und brannte dann gleichmäßig weiter. Über ihr stieg graublauer Rauch empor.
Nanughan verfuhr mit den anderen »Öllampen« auf die gleiche Weise. Jede Flamme war anders gefärbt, aber über allen entwickelte sich der gleiche graublaue Rauch. Ein schwerer süßlicher Duft breitete sich aus. Nanughan beendete seinen Tanz. Die Bleichen Alven stellten ihren Singsang ein. Nanughan griff mit beiden Händen in das erste Gefäß, das die Alven in unserer Nähe abgestellt hatten. Er schöpfte eine rosafarbene Flüssigkeit heraus, kam zu mir und verrieb sie auf meiner Haut. Ich empfand ein schmerzhaftes Prickeln und begriff, daß meine Haut durch die rosafarbene Flüssigkeit hypersensibilisiert worden war. Nach mir kam Razamon an die Reihe. Danach wurden wir mit weiteren Flüssigkeiten behandelt. Zuletzt trug Nanughan eine quittengelbe Salbe auf unsere Haut auf. Ich erschrak, als ich plötzlich meinen Körper nicht mehr fühlte. Doch da war es zu spät, mich zu widersetzen. Ich konnte nicht einmal mehr sprechen. Es war, als existierte nur noch mein Bewußtsein. Der graublaue Rauch wehte in mächtigen Schwaden über mich dahin, hüllte mich ein und nahm mir die Sicht auf die Umgebung. Wie aus weiter Ferne hörte ich nach einiger Zeit Yddalara sprechen. Ich verstand nicht, was sie sagte, aber ich spürte, wie sich bleierne Müdigkeit über mein Bewußtsein senkte. Dann spürte ich nichts mehr … 4. Graublauer Rauch wurde in dichten Schwaden durch die Schlucht getrieben, in der ich mit dem varganischen Keruhm gelandet war. Immer, wenn die Schleier aufrissen, sah ich leuchtende blaue, sich windende Schnüre. Es waren die Verankerungen von
Schnurpflanzen, die Hunderte von Metern weiter oben in der Wasserstoff‐MethanAtmosphäre von Chratan schwebten. Ich überlegte, wie ich unbemerkt in den Stützpunkt der Maahks eindringen könnte, der nur wenige tausend Meter von meinem Standort entfernt war. Das schildbuckelähnliche Aggregat, das Ischtar Keruhm nannte und das ich mir auf den Rücken geschnallt hatte, war ein Wunderwerk varganischer Supertechnik. Es enthielt nicht nur ein komplettes Überlebenssystem und einen raumflugtauglichen Antrieb, sondern auch einen Projektor, der eine variable Energiesphäre aufbauen konnte. Diese Sphäre konnte so geschaltet werden, daß sie hauteng anlag, so daß der Träger sich frei bewegen konnte. Sie ließ sich aber auch zu einer fünf Meter durchmessenden Überlebenskugel schalten, die Raumschiff und Schutzschirm zugleich darstellte und gegen Ortung und optische Erkennung schützte. Nur deshalb hatte ich unbemerkt von den Maahks auf Chratan landen können. Ich hatte einen sehr triftigen Grund, mich auf diesen riesigen Giftgasplaneten zu wagen. Mein Todfeind Orbanaschol, der sich durch Mord zum Imperator von Arkon aufgeschwungen hatte, sollte sich hier heimlich mit führenden Maahks treffen. Das hatte mir ein Informant direkt aus dem Hauptquartier Orbanaschols mitgeteilt. Ich ahnte Schlimmes. Einem Verbrecher wie Orbanaschol war es durchaus zuzutrauen, daß er auch vor dem Verrat des eigenen Volkes nicht zurückschreckte, wenn er nur seine persönliche Macht erhalten konnte. Vielleicht wollte er einen Handel mit den Maahks schließen, ihnen die Flotte des Großen Imperiums ausliefern und ihre Vorherrschaft über die Galaxis anerkennen, wenn sie ihm dafür versprachen, das Arkon‐System selbst zu schonen und ihm zu helfen, falls die Admiralität gegen ihn rebellierte. Er mußte den Blick für die Realitäten verloren haben, wenn er glaubte, die Wasserstoffatmer würden sich auf einen solchen faulen
Kompromiß einlassen. Ihre ganze Kriegführung hatte gezeigt, daß es ihnen nicht darauf ankam, dem Großen Imperium ihre Friedensbedingungen aufzuzwingen. Sie wollten die Vernichtung des Imperiums und des arkonidischen Volkes. Vielleicht würden sie sich damit zufrieden geben, sämtliche Industrien unseres Volkes zu vernichten und die Arkoniden in die Steinzeit zurückzubomben. Schon solche Aussichten mußten jedem Arkoniden unerträglich erscheinen. Doch wahrscheinlicher war, daß die Maahks unser Volk so dezimieren wollten, daß es sich niemals wieder davon erholte. Unter diesen Umständen konnte Orbanaschol also gar nichts erreichen, außer daß er das Große Imperium verriet, in dem Irrglauben, die Maahks würden das Arkon‐System und seine Herrschaft nicht antasten. Er würde sehr schnell eines Besseren belehrt werden. Aber darauf durfte ich es nicht ankommen lassen. Wenn Orbanaschol zum Verräter wurde, mußte ich verhindern, daß er Chratan lebend verließ. Mit Hilfe der linsenförmigen, glasartig schimmernden Gürtelschnallen des Keruhms schaltete ich die Energiesphäre so, daß sie eng an meinem Raumanzug anlag. An den Kontrollen meines Anzugs konnte ich ablesen, daß der auf die Außenfläche des Anzugs ausgeübte Druck normal blieb. Die Energiesphäre hielt demnach dem ungeheuren Druck der Atmosphäre des Riesenplaneten mühelos stand. Ich startete und flog aus der Schlucht hinaus und über eine wellige schwarze Ebene, deren Oberfläche gleich massivem Arkonstahl schimmerte. Es wäre sicher dunkel gewesen, wenn in der Hochatmosphäre nicht ununterbrochen Gewitter getobt hätten, die den Grund in flackernde Helligkeit tauchten. Hier unten gab es nur eine schwache atmosphärische Strömung, da die »Luft« zu fest und schwer war, um sich schnell bewegen zu können. Die Strömung war nach oben gerichtet, denn die aus dem
festen Kern des Planeten abgestrahlte Hitze erzeugte eine ziemlich starke Thermik. Doch das behinderte mich nicht. Ich flog über einen »Wald« aus glasartig wirkenden Gebilden, die sich unablässig verformten. Es handelte sich nicht um organisches Leben, sondern um kristalline Daseinsformen ohne individuellen Stoffwechsel. Sie wuchsen und veränderten sich infolge heftiger chemischer Reaktionen mit ihrer Umwelt. Doch es gab auch echtes organisches Leben. Rechts von dem Kristallwald wogte und wallte eine ausgedehnte Ballung tangähnlicher Schnüre, die gelbgrün gefleckt waren und sich möglicherweise der Photosynthese bedienten, um die anorganischen Stoffe des Bodens und der Atmosphäre mit Hilfe des grellen Wetterleuchtens in körpereigene organische Stoffe zu verwandeln. Nach etwa vierzig Minuten Flug entdeckte ich im Schein eines besonders heftigen Wetterleuchtens ungefähr achthundert Meter voraus eine Ansammlung düster wirkender Gebäude: drei Türme und neun Kuppelbauten. Das war der Stützpunkt, den Ischtar bereits von ihrem Raumschiff aus geortet hatte, das drei Millionen Kilometer vor Chratan im Raum wartete – und von dem aus die Energie kam, die das Keruhm brauchte. Plötzlich wußte ich, wie ich in den Stützpunkt hineinkam. Ich flog zu einer der Kuppeln und steuerte die rund drei Meter versenkte Schleuse an. Danach aktivierte ich den Kodetaster meines Mehrzweckarmbands und ermittelte den Öffnungskode des Außenschotts. Anschließend wollte ich ihn in den Kodegeber eingeben. Verblüfft stellte ich fest, daß der Kode bereits eingegeben war. Das ist unmöglich! dachte ich intensiv und wartete auf einen Kommentar meines Logiksektors. Doch mein Logiksektor schwieg. Ich hatte sogar das Gefühl, als wäre mein Extrasinn irgendwie taub. Abermals aktivierte ich den Kodegeber und las im Kontrollfeld
den Kode ab, den ich vorhin ermittelt, aber nicht eingegeben hatte. Doch wie soll er dann eingespeichert worden sein? Ich überlegte, ob ich schon einmal hier gewesen war. Tatsächlich wurde mir klar, daß ich genau das erwartet hatte, was ich vorgefunden hatte, nämlich drei Türme und neun Kuppelbauten. Aber das war kein Beweis dafür, daß ich diesen Stützpunkt schon einmal gesehen hatte (ganz abgesehen davon, daß mein photographisches Gedächtnis es dann nicht hätte vergessen können). Ich wußte, daß die Maahks alle ihre Stützpunkte auf Gasriesen wie diesem nach ein‐ und demselben Schema aus Fertigteilen montierten. Folglich hatte ich gar nichts anderes erwarten können als drei Türme und neun Kuppelbauten. Etwas stimmte nicht. Ich hätte umkehren sollen, aber ich wußte, daß ich nicht länger warten durfte. Sobald Orbanaschol erst wichtigste Geheimdaten weitergegeben hatte, war es zu spät. Das gab den Ausschlag. Ich aktivierte den Kodegeber und sah zu, wie das Außenschott der Schleuse sich öffnete. Ich betrat die geräumige Schleusenkammer und wartete, bis das Außenschott sich geschlossen und das Innenschott sich geöffnet hatte, dann schwebte ich in einen beleuchteten Korridor hinein. * Die Frage war, wo ich nach Orbanaschol suchen sollte. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatten die Maahks ihn in eine mit einem Sauerstoff‐Helium‐Gemisch gefüllte Unterdruckkammer gebracht, damit er seinen Raumanzug ablegen konnte. In der Nähe des Raumhafens! Wie komme ich auf diesen Gedanken? Wahrscheinlich gehört das zu meinen Informationen über maahksche Stützpunkte auf Gasriesen.
Sicher war es so, denn ich wußte schließlich auch, wo sich der Raumhafen befand und daß er keinerlei Oberflächenbauten besaß, sondern aus einem fünf Kilometer tiefen und zwei Kilometer breiten Schacht bestand, von dem die horizontal verlaufenden Hangarröhren für die Walzenschiffe abgingen und der unter einer fünf Meter dicken Platte aus Stahlplastik lag. Am schnellsten würde ich mit einem Vaku‐Expreßzug zum Raumhafen kommen, denn im Alarmfall mußten die Schiffsbesatzungen der Maahks, die in den Kuppeln und unter ihnen einquartiert waren, sehr schnell zu ihren Großkampfschiffen gelangen. Doch wenn ich einen Expreßzug in Marsch setzte, würde das sicher in einer Kontrollzentrale des Stützpunkts registriert werden – und die Maahks würden wissen, daß sich ein Feind im Stützpunkt befand. Unter solchen Umständen hätte ich kaum noch etwas ausrichten können. Also mußte ich eine andere Möglichkeit suchen. Nach knapp einer halben Stunde hatte ich gefunden, was meinem Zweck am besten diente: einen Tunnel, in dem zwei breite gegenläufige Transportbänder verkehrten. Ich stellte mich auf ein Band, das sich ungefähr in die Richtung des Raumhafens bewegte. Nach einer Weile kamen mir auf dem Gegenband fünfzehn maahksche Raumsoldaten entgegen. Unwillkürlich zog ich den Kopf ein. Mit der Unsichtbarkeit ist es immer so eine Sache. Wenn man die Umgebung völlig klar sieht und hört, zweifelt man stets daran, daß die Umgebung einen selbst nicht wahrzunehmen vermag. Ich blickte an mir herab und atmete auf, als ich sah, daß die Kontrollinse meines Keruhms unverändert leuchtete. Das bedeutete, daß das varganische Mehrzweckaggregat zuverlässig arbeitete. Die Maahks nahmen auch keinerlei Notiz von mir. Nach ungefähr einer Viertelstunde weitete sich der Tunnel zu einer Halle. Die beiden gegenläufigen Transportbänder verschmolzen zu einer Scheibe, die sich langsam drehte. Ich ging zu
ihrem Rand und ließ mich an den Öffnungen von acht weiteren Tunnels mit gegenläufigen Transportbandpaaren vorbeitragen. Die Halle war eine Verteilerhalle, und sie befand sich offenkundig unter der nächsten Kuppel. Mir wurde klar, daß ich durch diese Transportbandtunnels zwar jede Kuppel des Stützpunkts erreichen konnte, aber nicht den Raumhafen. Ich mußte also wohl oder übel doch einen Expreßzug benutzen. Allerdings nicht allein. Also suchte ich erst einmal die Expreßzugstation dieser Kuppel. Als ich sie gefunden hatte, wartete ich, bis eine Wartungsmannschaft aus rund zwanzig Maahks den Zug bestieg. Rasch sprang ich dem letzten Maahk nach, bevor sich die Tür wieder automatisch hinter ihm schließen konnte. Die Maahks nahmen in wuchtigen Sitzen Platz, und auch ich setzte mich. Der Zug ruckte leicht an, dann glitt er nahezu lautlos davon. Überraschend bald hielt er wenig später am Ziel. Ich erkannte die Raumhafensektion an der Beschilderung der Wände. Die Suche nach der Unterkunft Orbanaschols dauerte erheblich länger als die Fahrt mit dem Vaku‐Expreß. Als ich sie endlich gefunden hatte, war ich zum Umfallen müde und überlegte, ob ich mich in einen abgelegenen Winkel verkriechen sollte, um wenigstens eine Stunde zu schlafen. Doch dann sah ich durch die transparente Wand, die Orbanaschols Unterdruckkammer gegen einen Korridor abschloß, wie zwei Maahks in Raumanzügen das Quartier betraten. Orbanaschol schien sie ungeduldig erwartet zu haben. Allerdings hatte er bestimmt nicht das erwartet, was im nächsten Augenblick auf ihn zukam. Die beiden Maahks wollten nämlich nicht mit ihm reden. Sie packten ihn und entkleideten ihn trotz seiner heftigen Gegenwehr. Danach schnallten sie ihn auf dem Tisch fest, der in seiner Unterkunft stand. Einer der Maahks verabreichte ihm anschließend mehrere Injektionen; der zweite Maahk schloß Kontrollinstrumente
an Orbanaschols Körper an. Ich glaubte nicht, daß die Maahks ihn medizinisch untersuchen wollten. Das, was ich gesehen hatte, konnte nur der Vorbereitung eines Experiments dienen. Vielleicht wollten die Maahks ihn geistig umkonditionieren, so daß er nach seiner Rückkehr nach Arkon als Marionette der Wasserstoffatmer funktionierte, ohne etwas davon zu ahnen. Ich beobachtete weiter, auch nachdem die beiden Maahks den Usurpator wieder verlassen hatten. Nach einiger Zeit bemerkte ich fleckenhafte Veränderungen seiner Haut und außerordentlich starke Absonderungen von Augen‐ und Nasensekret. Orbanaschols Gesicht verzerrte sich. Er stöhnte, was ich zwar nicht hörte, aber an seinen Mundbewegungen erkannte. Da begriff ich, daß Orbanaschol entsetzliche Qualen litt, an denen er möglicherweise zugrunde gehen würde. Ich war sicher, daß die Maahks ihn nicht absichtlich quälen wollten. Diese von strenger Logik beherrschten Wesen waren zwar unerbittlich, aber sie waren keine Sadisten. Es schien so, als wäre ihnen ein Fehler unterlaufen. Ich brauchte nicht lange, um einen Entschluß zu fassen. Ich haßte Orbanaschol, den Mörder meines Vaters, der dabei war, das große Imperium zugrunde zu richten – und ich wollte ihn vernichten und mein rechtmäßiges Erbe antreten. Aber er war Arkonide wie ich, und ich konnte nicht zusehen, wie die Todfeinde unseres Volkes Orbanaschol töteten. Das stand ihnen nicht zu. Ich mußte ihn befreien. Allerdings würde ich ihn keineswegs nach Arkon zurückkehren und seine Rolle weiterspielen lassen. Sobald er sich erholt hatte, würde er sich mir zu einem fairen Kampf stellen müssen. Graublauer Rauch wallte durch den Korridor …
5. Graublauer Rauch füllte den Stollen. Die fünf Männer aus der Sippe der grabenden Leute, die sich mit mir hierher zurückgezogen hatten, husteten qualvoll. Es war ein Fehler von mir gewesen, mich in dem alten Bergwerk zu verstecken, als ich den Zugor entdeckt hatte, der sich dem Berg näherte. Aber wie hätte ich ahnen sollen, daß die Meute Avanzors die Bergwerksstollen ausräuchern würde. Sie wußten ja nicht, daß ich mich hier verborgen hielt. Oder doch? Sie war zu zielstrebig vorgegangen, als daß sie nur auf eine bloße Vermutung handeln konnte. Jemand mußte mich verraten haben. Ich hustete ebenfalls. »Razamon, was sollen wir tun?« rief Domah, einer der Gräber, verzweifelt. »Geht hinaus!« rief ich. »Euch wird man nichts tun. Ich warte noch etwas, dann folge ich euch.« Um mich herum rumorte es, dann wurde es still. Ich riß die Kapuze aus dem Kragen meiner grünen Montur und zog sie mir über den Kopf. Lange würde auch ich es nicht mehr aushalten können. Ich fragte mich, welches Urteil die Herren der FESTUNG über mich fällen würden. Schließlich hatte ich Verrat begangen, indem ich den Eingeborenen dieses Planeten zu helfen versucht hatte, anstatt das Verderben zu beschleunigen, das der Dimensionsfahrstuhl Pthor über sie hatte hereinbrechen lassen. Aber welche Strafe auch immer mich erwartete, ich würde meine Abkehr von den verfluchten Traditionen der Berserker nicht bereuen. Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich erkannt, daß wir alle auf Pthor von einer fremden finsteren Macht mißbraucht wurden. Und zum erstenmal hatte ich das Gefühl der Freundschaft
kennengelernt. Ein junger Eingeborener namens Upanak hatte es mir entgegengebracht, obwohl ich ihn zum Anfang unserer Begegnung hatte niederschlagen müssen. Der Rauch wurde so dicht, daß er jedes Sauerstoffatom aus der Luft verdrängte. Ich war bereits so stark vergiftet, daß ich mich nur mühsam aufraffen konnte. Stolpernd und schwankend eilte ich durch den Stollen. Als ich einen starken Luftzug spürte, riß ich mir die Kapuze vom Kopf. Um mich war reine klare Luft. Tief atmete ich ein, spürte, wie der Sauerstoff meine Lungen füllte. Aber die Aufnahmefähigkeit meiner roten Blutkörperchen war durch das eingeatmete Kohlenmonoxid so stark blockiert, daß nur ein geringer Teil des Sauerstoffs in die Blutbahn einging. Vor meinen Augen drehte sich alles, dann fiel ein schwarzer Vorhang vor mein Bewußtsein. Als ich erwachte, lag ich auf steinigem Boden. Zwei Technos hockten neben mir und bedienten ein Gerät, in dem mein Blut von Kohlenmonoxid befreit wurde. Ich fühlte mich seltsam leicht und zugleich schwach. Doch ich erholte mich rasch. Nachdem die beiden Technos mich von dem Gerät abgeklemmt hatten, setzte ich mich auf und sah mich um. Ich befand mich am Fuß des steil aufragenden Berges, in dem die Sippe der grabenden Leute das Kupfer förderte, aus dem Messer und Lanzenspitzen gefertigt wurden. Rechts von mir, ungefähr zweihundert Meter entfernt und halb hinter dem Berg verborgen, stieg in dichten Schwaden Rauch auf. Ich erschrak. Dort befand sich das Dorf der grabenden Leute – oder vielmehr hatte es sich dort befunden. Avanzors Leute mußten es angezündet haben. Trauer und Zorn erfüllte mich. Die grabenden Leute waren friedliche Menschen, wie die anderen Eingeborenen auch, soweit ich sie kennengelernt hatte. Sie hatten uns Pthorern nichts getan, und es gab keinen erkennbaren Grund, ihre Dörfer zu verwüsten und sie
zu jagen. Zwei Gestalten näherten sich aus der Richtung, in der das brennende Dorf lag. Eine war ein weiterer Techno, und in der zweiten erkannte ich Avanzor. Ich bemühte mich, Avanzor, einem Berserker wie ich, so gleichgültig wie möglich entgegenzusehen. Es wäre sinnlos gewesen, ihm meinen Zorn ins Gesicht zu schreien. Avanzor war zu gut im Sinne der Herren der FESTUNG konditioniert, als daß er auch nur hätte begreifen können, warum jemand das Wüten der Berserker und vor allem der Horden der Nacht abscheulich fand. Avanzor blieb dicht vor mir stehen und musterte mich. Doch er sagte nichts zu mir, sondern befahl den Technos nur, sie sollten mich an Händen und Füßen fesseln und zum Zugor bringen. Die beiden Technos, die mir eben erst das Leben gerettet hatten, rissen mich unsanft hoch. Sie fesselten meine Hand‐ und Fußgelenke. Einer von ihnen legte mir eine Schlinge um den Hals, nahm das freie Ende der betreffenden Schnur in die Hand und ging vor mir her. Ich hätte ihn am liebsten umgebracht, denn er nahm keine Rücksicht darauf, daß meine zusammengebundenen Füße mir nur winzige Schritte erlaubten. Aber die Möglichkeit, mich aufzulehnen, war gleich null, denn wenn ich auch nur einmal in meinem hastigen Gang, der mehr ein Hüpfen als ein Gehen war, innehielte, würde sich die Schlinge um meinen Hals zuziehen – und ich würde stürzen. Ich war vollkommen erschöpft, als wir beim Zugor anlangten, der mich ins Lager brachte. Dort sah ich Upanak, den Jäger, der mein Freund geworden war. Mir wurde klar, warum mich Avanzor so schnell gefunden hatte. Er mußte Upanak mit Hilfe eines Magiers verhört haben. Unter dem Einfluß magischer Kräfte war es dem Eingeborenen natürlich unmöglich gewesen, etwas zu verschweigen. Zumindest hatte er den Häschern die Richtung angeben können, in die ich mich gewandt hatte.
Ich blickte den Jäger traurig an. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Avanzor mich lauernd ansah. Mir war völlig klar, was er von mir erwartete. Jeder Berserker, dessen Konditionierung im Sinne der Herren der FESTUNG nicht völlig zerstört war, hätte versucht, sich zu rehabilitieren, indem er in blindem Haß über den Menschen hergefallen wäre, der ihn verraten hatte. Von den Herren der FESTUNG wäre das als Ergebenheitsgeste gewertet und mit entsprechendem Entgegenkommen belohnt worden. Ich konnte die Strafe, die mich erwartete, also selbst auf ein erträgliches Maß herabsetzen. Doch ich brachte es nicht fertig. Upanak würde so oder so nicht ungeschoren davonkommen. Es war mir einfach unmöglich, mich dadurch halbwegs zu rehabilitieren, daß ich ihm die Knochen brach. Avanzors Gesicht drückte wilden Zorn auf mich aus, als er merkte, daß ich nicht wie ein Berserker reagierte. »Bringt ihn weg!« befahl er den Technos. Die Technos zerrten mich in den Zugor zurück und verbanden meine Fußfesseln mit einem Eisenring, der am Boden der Flugschale befestigt war. Upanak warf sich zu Boden. Er litt zweifellos darunter, daß er mich verraten hatte. Dabei konnte er doch nichts dafür. Leider gab es nichts, was ich für ihn tun konnte. Ich ließ mich resignierend auf den Boden sinken. Kurz darauf startete die Flugschale und stieß in eine Wolke graublauen Rauches … 6. Als der graublaue Rauch verflog, befand ich mich nicht mehr in einem Korridor des Maahk‐Stützpunkts auf Chratan. Ein Donnern und Tosen zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich sah rechts von mir einen mächtigen Wasserfall in die Tiefe stürzen.
Wolken winzigster Wassertropfen schwebten über ihm und senkten sich immer wieder auf den Dschungel nieder, der Fluß und Wasserfall einrahmte. »Es hat geklappt«, sagte eine vertraute Stimme links von mir. Ich fuhr herum und sah Razamon vor mir. Der Berserker trug eine grün und schwarz gefleckte Montur und einen Speer in der rechten Hand. In der linken Hand hielt er etwas, das wie eine gedrechselte Elfenbeinfigur aussah. Ich blickte an mir herunter und stellte fest, daß ich ebenfalls eine grün und schwarz gefleckte Montur trug, und daß ich in der rechten Hand das Skarg trug, das Schwert meines Pflegevaters und Freundes Fartuloon. Mein Blick wechselte vom Skarg wieder zu Razamon. »Das gibt es doch nicht!« »Was gibt es nicht?« fragte der Berserker. Ich hob Fartuloons Schwert. Die Klinge blitzte im Licht der smaragdgrünen Sonne. »Das Skarg gehört in eine Zeit, die mehr als zehntausend Jahre vor der liegt, in der wir uns kennenlernten, Razamon. Ich kann euch also nicht beide gleichzeitig sehen.« Razamon lächelte und kam näher. »Im Traum ist selbst das möglich, was in der Realität undenkbar wäre, Atlan. Und wir beide befinden uns in einem gemeinsamen Traum.« Er hob die Hand, in der er die handspannengroße Figur hielt. Verblüfft sah ich, daß die Figur, die eben noch ein dreiköpfiges gehörntes Wesen dargestellt hatte, plötzlich ein tonnenförmiges schwarzes Wesen mit vier Schuppenbeinen, zwei Armen und zwei gelbleuchtenden Augen darstellte. »Vorry, der Eisenfresser!« entfuhr es mir. Razamon blickte die Figur an, dann lachte er. »Das Yirparion kann alles darstellen, was existiert, aber das ist nicht seine elementare Funktion. Es handelt sich um einen
Dimensionsverknüpfer. Allerdings verknüpft er nicht das, was man normal unter Dimensionen versteht. Mit seiner Hilfe können Verbindungen zwischen den real‐materiellen und den realimmateriellen Dimensionen hergestellt werden, wobei der Begriff real‐immaterielle Dimension mit einem Traumerlebnis gleichzusetzen ist.« Er blinzelte verschmitzt. »Du erinnerst dich an den Rummel, den ich in der großen Hexenküche veranstaltete? Natürlich, du kannst ja nichts vergessen. Ich inszenierte ihn keineswegs grundlos, wie du dachtest, sondern, weil ich auf einem Labortisch das Yirparion gesehen hatte. Ich kannte seine Funktion. Ich wußte es nicht, aber ich ahnte, daß dieses Yirparion uns nützlich sein würde. Aber ich mußte es unbemerkt an mich bringen, sonst hätten die Alven es mir sicher wieder abgenommen. Das gelang mir, während ich den tobenden Berserker markierte.« »Dein Faustschlag in meinen Magen war keineswegs markiert«, erwiderte ich. Razamons Erklärung leuchtete mir ein. »Was hat das Yirparion denn nun bewirkt? Ich hörte dich vorhin sagen, es hätte geklappt. Was hat geklappt?« Razamon wurde ernst. »Wir erleben einen Traum, aber auf realmaterieller Ebene. Das heißt, der Schauplatz der Handlung ist Wirklichkeit, aber wir befinden uns nicht körperlich hier, sondern nur im Traum. Immerhin aber habe ich mit Hilfe des Yirparions erreicht, daß wir beide denselben Traum träumen. Ich hoffe, daß wir trotz unserer Körperlosigkeit etwas bewirken können, denn die real‐materielle Dimension und die real‐immaterielle Dimension wurden durch das Yirparion überlagert und gegeneinander austauschbar gemacht.« »Ich empfinde das als verwirrend«, erklärte ich. »Außerdem ist es sicher auch gefährlich für uns.« »Warten wir es ab!« meinte der Berserker. »Wir müssen uns erst einmal in unsere neue Szenerie integrieren lassen, dann werden wir
feststellen, was wir hier bewirken können.« »Wobei ›hier‹ offenbar nicht innerhalb der Schwarzen Galaxis ist, Razamon«, gab ich zu bedenken und deutete auf die smaragdgrüne Sonnenscheibe am Himmel. Razamon blickte aus zusammengekniffenen Augen nach oben und wurde plötzlich blaß. Offenbar hatte er vorher die Sonne noch nicht angesehen, sonst hätte er wissen müssen, daß sie nicht jenen schwarzen Kern besaß, der charakteristisch für alle Sonnen der Schwarzen Galaxis war. »Aber wie kommen wir nur hierher?« flüsterte er und verriet damit, daß ihm das Experiment mit dem Yirparion aus seiner Kontrolle geraten war. Wir befanden uns träumend auf einer sehr realen Welt, die Millionen von Lichtjahren von unseren schlafenden Körpern entfernt sein mußte. Welche Folgen das für uns haben konnte, ließ sich noch nicht einmal erahnen … * Razamon und ich befanden uns auf dem Weg ins Unbekannte. Wir hatten uns vorgenommen, nach intelligenten Bewohnern des Planeten zu suchen, auf dem wir träumten. Da wir keinen Anhaltspunkt besaßen, wo sich Niederlassungen solcher Intelligenzen befanden, gingen wir flußabwärts. Nach unseren Erfahrungen siedelten sich intelligente Bewohner aller Welten mit Sauerstoffatmosphäre, reichlich freiem Wasser und einer Photosynthese betreibenden Vegetation meist an den Ufern von Flüssen an, und zwar um so zahlreicher, je näher die Mündung solcher Flüsse war. Deshalb hofften wir, früher oder später auf eine solche Ansiedlung zu stoßen. Unsere Hoffnung verstärkte sich, je mehr wir von der Fauna des Planeten zu sehen bekamen. Es gab nicht nur zahllose
Insektenarten, sondern auch Vögel und viele hochentwickelte Säugetiere. Und es gab gefährliche Raubtiere! Razamon und ich merkten es beinahe zu spät. Wir hatten eine Lichtung betreten und dabei zwei Raubkatzenartige aufgescheucht, die dabei gewesen waren, ihren Hunger an einer frischgerissenen Beute zu stillen. Sie griffen sofort an, zweifellos nicht, weil sie uns als willkommene Beute betrachteten – denn satte Raubtiere sind nicht auf weitere Beute aus –, sondern weil sie uns als Konkurrenten ansahen, die ihnen die Beute streitig machen wollten. Razamon und ich kehrten sofort um und flohen, denn in den meisten Fällen begnügten sich derart gestörte Raubtiere mit einer sehr kurzen Verfolgung, die nur der Vertreibung dient. Doch die beiden Raubkatzenartigen brachen die Verfolgung nicht ab. Wahrscheinlich waren sie auch einfach nur zu schnell, so daß wir keine besänftigende Entfernung zwischen sie und uns bringen konnten. Immerhin hatten sie die doppelte Größe terranischer Tiger. Als wir merkten, daß wir nicht davonkommen würden, brachen wir die Flucht ab und stellten uns zum Kampf. Ich sprang hinter einen etwa drei Meter durchmessenden Baumstamm und entging dadurch dem ersten Sprung meines Verfolgers. Meine Absicht war es, rückwärts um den Baumstamm zu laufen und einen günstigen Augenblick für einen eigenen Angriff abzuwarten. Aber das Tier war einfach zu schnell. Abermals mußte ich mich mit einem schnellen Sprung retten. Ich stürzte über einen halbvermoderten, am Boden liegenden Baumstamm, rollte mich rückwärts über die Schultern ab und sprang wieder auf. Diesmal sprang mein Verfolger nicht, sondern rannte blitzschnell auf mich zu. Mir blieb weiter nichts übrig, als mich zum Zweikampf zu stellen. Ich hob das Skarg. Doch das Tier erreichte mich nicht. Als es den vermoderten
Baumstamm erreichte, sprang es plötzlich mit einem Riesensatz hoch in die Luft, landete in einem Gebüsch und raste kreischend davon, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter ihm her. Ich begriff nichts, bis ich die fingergroßen Insekten entdeckte, die von dem halbvermoderten Baumstamm nach allen Richtungen ausschwärmten. Es mußten viele Tausende sein, und ihre großen und kräftigen Beißzangen bewiesen mir genauso wie ihr entschlossenes Ausschwärmen, daß sie eine tödliche Gefahr darstellten. Die panische Flucht des Raubkatzenartigen erhärtete das nur. Ich hatte keine Wahl. Ich rannte genauso davon wie das Tier, und meine an Razamon gerichteten Warnrufe hörten sich fast so an wie das Gekreische meines Verfolgers. Mehr als ihn durch Zurufe zu warnen, vermochte ich nicht für ihn zu tun. Ich bekam nicht einmal Zeit, mich nach ihm umzusehen. Die Insekten blieben mir auf den Fersen. Als ich einen heftigen Schmerz im linken Fuß verspürte, glaubte ich meine letzte Stunde gekommen. Ich fragte mich, wie sich das damit vereinbarte, daß ich nur träumte. Eigentlich hätte mir ja nichts passieren können. Doch der schmerzhafte Biß des Insekts war so real, daß ich nicht viel Zeit mit theoretischen Überlegungen verschwendete. Ich beschleunigte meinen Lauf noch und schlug ab und zu mit der flachen Klinge gegen meinen linken Fuß. Nach dem vierten oder fünften Versuch hörte ich einen Chitinpanzer krachen. Inzwischen war der Dschungel rings um mich in Raserei verfallen. Zahllose Tiere flüchteten in panischer Furcht vor den ausschwärmenden Raubinsekten. Die Vögel in den Baumwipfeln kreischten ohrenbetäubend. Sie schienen um ihre Eier oder die Brut in ihren Nestern zu fürchten. Immer noch wagte ich nicht, mich umzusehen. Das hätte Zeitverlust und vielleicht den Tod bedeutet. Aber erschrocken stellte ich fest, daß ich bereits geräuschvoll atmete. Es konnte nicht mehr
allzu lange dauern, dann würden meine Kräfte nachlassen. Wenn die Verfolgung durch die Raubinsekten dann noch andauerte, war ich verloren. Als ich über eine aus dem Boden ragende Wurzel stolperte und hinfiel, stieß ich einen Entsetzensschrei aus, denn ich glaubte, schon die Raubinsekten über mich herfallen zu fühlen. Mit vor Grauem verzerrtem Gesicht sprang ich auf und wirbelte herum. Unendlich erleichtert sackte ich zusammen, als ich kein einziges Raubinsekt mehr sah. Es gab auch keine Tiere mehr, die von dort flohen, woher ich gekommen war. Eigentlich war es logisch, daß die Raubinsekten irgendwann stoppen mußten, wenn sie sich nach allen Richtungen ausbreiteten, aber wer denkt schon noch logisch, wenn er mit der Kraft der Verzweiflung durch einen unbekannten Dschungel hetzt! Ich erhob mich wieder, lehnte mich an einen Baum und spürte, wie ich mich körperlich und geistig erholte. Wieder dachte ich darüber nach, ob die Lebewesen dieser Welt mir überhaupt etwas anhaben konnten, da ich meine Anwesenheit hier ja nur träumte. Diesmal konnte ich gefühlsfrei darüber nachdenken, da ich mich nicht mehr in akuter Lebensgefahr befand. Ich kam zu dem Schluß, daß ich sehr wohl auf dieser Welt sterben konnte, denn die Tatsache, daß die Tiere auf mich reagierten, bewies, daß ich für sie körperlich anwesend war. Vielleicht nur als materielle Projektion, aber in dem Fall mußte die Verbindung zwischen dem Originalkörper und der Projektion so stark sein, daß ein gewaltsames Ende der Projektion verheerende Folgen für den Originalkörper haben würde. Nachdem ich mit meinen Überlegungen soweit gekommen war, packte mich die Sorge um Razamon. Ich wußte nicht, ob »sein« Raubtier ihn nicht schon beim ersten Angriff getötet hatte. Wahrscheinlich nicht, denn Razamon war viel stärker und genauso schnell wie ich. Die Frage war nur, ob er anschließend den Raubinsekten entkommen war, denn gegen sie waren seine Körperkräfte völlig bedeutungslos.
Ich schob das Schwert in die Scheide zurück, die an meinem Gürtel befestigt war, formte mit den Händen einen Trichter vor meinem Mund und rief: »Razamon! Antworte! Hier spricht Atlan!« Ich wiederholte den Ruf nach allen Himmelsrichtungen, aber niemand antwortete mir. Das mußte nicht das Schlimmste bedeuten. Falls Razamon in die entgegengesetzte Richtung geflohen war wie ich, dann ließ sich die Entfernung zwischen uns nicht durch Rufen überbrücken. Am schnellsten würden wir uns wiederfinden, wenn einer von uns dort blieb, wo er sich gerade befand. Doch genau das funktionierte nicht, denn es hätte der vorherigen Absprache bedurft, wenn wir nicht beide an unserem Platz stehenbleiben oder von unserem Platz weggehen sollten. Sucht aber jeder von uns nach dem Gefährten, würden wir uns mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfzig Prozent verpassen. Schließlich wäre es Wahnsinn gewesen, den direkten Weg durch das Gebiet der Raubinsekten zu nehmen. Wir konnten es nur umgehen – und zwar entweder links herum oder rechts herum. Gingen wir beide nach rechts, mußten wir uns logischerweise verfehlen. Ich entschied mich deshalb dafür, zum Fluß zurückzugehen, und zwar so, daß ich etwa dreihundert Meter unterhalb der Lichtung wieder auf ihn stieß, wo wir die beiden Raubkatzenartigen gestört hatten. Früher oder später würde Razamon darauf kommen, daß ich diese Möglichkeit gewählt hatte. Wahrscheinlich sogar zur gleichen Zeit wie ich, da sie die mit der größten Aussicht auf Erfolg war. Also brach ich auf. Nach anderthalb Stunden hörte ich das Rauschen des Flusses. Wenige Minuten später sah ich seine reißenden Wassermassen durch die Stämme und Zweige des Uferwaldes schimmern. Und eine halbe Minute später erblickte ich Razamon. Der Berserker saß auf einem Steinbrocken und sah mir lächelnd entgegen.
»Ein scheußlicher Traum war das«, erklärte ich und ließ mich neben ihm nieder. Im nächsten Moment fuhr ich wieder hoch, denn ich hatte bemerkt, daß Razamon nicht auf natürlich gewachsenem Fels saß, sondern auf einem Mauerrest, der freilich wegen der Moosschicht, die ihn größtenteils bedeckte, nicht gleich als Mauerrest zu erkennen war. »Steine beißen nicht, Arkonide«, sagte Razamon und sah an seinen Beinen hinab. Erst jetzt erblickte ich die bis über die Knie zerrissenen blutigen Hosenbeine. »Dich hat es schlimm erwischt«, sagte ich. »Kann ich dir helfen?« »Nicht mehr nötig«, erwiderte Razamon. »Das Tier, das mich zerreißen wollte, hat es schlimmer erwischt als mich. Es war in Sekundenschnelle von diesen liebenswürdigen Insekten bedeckt und dürfte inzwischen nur noch aus sauber abgenagten Knochen bestehen.« Er klopfte mit der flachen Hand auf den Mauerrest. »Setz dich wieder, Freund! Ich habe schon bemerkt, daß es sich um den Rest einer Mauer handelt. Es gibt noch mehr davon in dieser Gegend. Wir dürfen also hoffen, auf dieser Welt intelligenten Wesen zu begegnen.« »Im Traum oder real‐materiell?« fragte ich ironisch. »Ich würde uns jetzt gern bei den Alven wiedersehen, Razamon. Mich interessiert, ob deine Beine dort ebenso aussehen würden wie hier.« Das Lächeln des Berserkers wirkte ausgesprochen verlegen. Ganz bestimmt hatte er endlich erkannt, daß sein Experiment außer Kontrolle geraten war. Fast lethargisch erhob er sich. »Gehen wir weiter, Atlan.« * Etwa vier Stunden später brach die Nacht herein. Wir befanden uns zu dieser Zeit im Mündungsdelta des Flusses. Das Meer konnte nicht mehr weit sein, denn der Wind brachte den
Geruch nach Salz und Tang mit. Auf intelligente Eingeborene waren wir allerdings noch immer nicht gestoßen. Inzwischen plagte uns der Hunger. Wir hatten zwar zahlreiche kleine Säugetiere gesehen und hätten bestimmt einige von ihnen erlegen können, da sie uns sehr nahe an sich heranließen, doch mit dem feuchten Holz des Dschungels ließ sich kein Feuer anzünden und unterhalten – und noch war der Hunger nicht so stark, daß wir uns überwinden konnten, rohes Fleisch zu essen. Der Durst ließ sich ziemlich leicht stillen. Das schlammige Flußwasser rührten wir allerdings nicht an. Wir schöpften relativ klares Wasser aus den Blattrosetten agavenähnlicher Pflanzen, seihten es aber durch unsere Hemden, bevor wir es tranken. Razamon und ich blieben stehen und lauschten auf die Geräuschkulissen, die sich mit dem Anbruch der Nacht schlagartig verändert hatte. Die Tagtiere waren zur Ruhe gegangen und hatten ihre Reviere den Nachttieren überlassen, von denen es offenbar sehr viele gab. »Auf dem Boden dürften wir nicht sicher genug sein«, meinte Razamon. »Jedenfalls nicht, wenn wir schlafen. Ich schlage vor, wir steigen auf einen Baum.« Das war leichter gesagt als getan, denn der Planet der smaragdgrünen Sonne besaß keinen Mond, und das Licht der Sterne wurde von einer dicken Wolkenschicht verdeckt, die kurz vor dem Dunkelwerden aufgezogen war. Wir vermochten nicht einmal die Hand vor den Augen zu sehen. Ein schwerer Körper brach durchs Unterholz. Ein Tier quiekte laut, dann rannte es dicht an uns vorbei. Es mußte sich um eines der wildschweinähnlichen Tiere handeln, die wir am Tage gesehen und gehört hatten. Zweifellos war es von einem Nachträuber aufgescheucht worden und vor ihm geflohen. Ebenso zweifellos mochte sich das Raubtier in unserer unmittelbaren Nähe herumtreiben.
Das gab den Ausschlag. Wir verspürten keine Neigung, hilflos herumzustehen, bis der Nachträuber über uns herfiel. Er zögerte wahrscheinlich nur deshalb noch, weil wir naturgemäß völlig fremd für ihn rochen. Ich tastete herum, bekam einen mannsdicken Stamm zu fassen und fand in etwa Augenhöhe einen ersten Ast, auf den ich mich zog. »Hierher, Razamon!« flüsterte ich, tastete nach dem nächsten Ast und zog mich höher. Der Baum erwies sich als ideal für unsere Zwecke. Er verzweigte sich erst in ungefähr zwölf Metern Höhe in drei etwas schlankere Stämme und bildete eine Astgabel, die Platz für uns beide bot. Der Nachträuber entschloß sich zu spät zum Angriff. Wir hörten ihn mit einem mächtigen Satz vorpreschen, als ich etwa acht Meter hoch war. Der Stamm zitterte nur leicht, als er sich an ihm aufrichtete und versuchte, Razamon zu erreichen. Der Berserker stieß eine Verwünschung aus. »Das ist vielleicht ein großes Vieh!« rief er. »Ich kann seinen Atem riechen. Warte nur!« Offenbar stach er mit seinem Speer zu, denn das Tier brüllte plötzlich auf. Der Stamm zitterte stärker. »Mich kriegst du nicht mehr!« rief Razamon. Wenig später hörte ich, wie er sich mir gegenüber in der Astgabel niederließ, dann berührte eine Hand von ihm mein Knie. »Alles in Ordnung?« fragte er. »Alles klar«, erwiderte ich. »Machen wir es uns gemütlich!« Ich zuckte unwillkürlich zusammen, als etwas lautlos dicht vor meinem Gesicht vorbeiflog. Sekunden später kehrte es zurück. Nur Millimeter von meinem Gesicht entfernt, strich ein geflügeltes Wesen durch die Nacht. »Was, zum Teufel …!« entfuhr es Razamon. Ich lachte leise. »Wahrscheinlich Fledermausähnliche und nicht allzu groß. Ich spüre das.«
Das Flugwesen strich abermals an meinem Gesicht vorbei, dann flog es um meinen Kopf herum – und plötzlich saß es auf meinem Kopf. Ich widerstand dem Impuls, nach dem Tier zu schlagen. Dennoch lauschte ich sehr aufmerksam mit allen Sinnen, um einen möglichen Angriff rechtzeitig zu erkennen. Doch das Tier griff nicht an. Es kuschelte sich statt dessen in mein Haar und schien sich dort wohl zu fühlen. »He, das ist mein Kopf!« rief Razamon. »Bei mir hat sich auch etwas eingenistet«, sagte ich. »Es scheint aber harmlos zu sein.« Plötzlich riß die Wolkendecke auf. An vielen Stellen des Himmels waren die Lichtpunkte ferner Sterne zu sehen. Nach der völligen Dunkelheit zuvor reichte das Sternenlicht aus, um mich die Umgebung sehen zu lassen, vor allem die nähere Umgebung. Mir gegenüber saß Razamon in der Astgabel, die Beine um einen Ast geschlungen und auf dem Kopf, in das dichte blauschwarze Haar gekuschelt, saß ein etwa unterarmlanges Wesen mit fledermausartigen Flughäuten, die es allerdings zusammengefaltet hatte. Es war dunkelbraun behaart, mit Ausnahme des Bauches, der von einem hellgelben Fell bedeckt wurde. Der Kopf sah allerdings keiner mir bekannten Fledermaus ähnlich; er glich mehr dem eines terranischen Rhesusaffen. Doch auch dieser Vergleich stimmte nur teilweise, denn aus der Stirn des Affengesichts ragten zwei lange dünne Hörner schräg nach oben. Die trichterförmigen Ohren befanden sich an den Kopfseiten; die Nase war schwarz und haarlos, wölbte sich zwiebelkuppelförmig etwa acht Zentimeter vor und besaß keine Nasenlöcher. Die beiden schwarzen, kugelförmigen Augen blickten mich aufmerksam an. Ich war sicher, daß das Wesen auf meinem Kopf genauso aussah wie das auf Razamons Schädel – und ich erkannte an Razamons Miene, daß er ebenso dachte. »Aber was wollen sie bei uns?« sagte der Berserker.
Ich zuckte die Schultern, dann winkelte ich den rechten Arm so an, daß die Hand meinen Kopf berührte. Es überraschte mich nur wenig, daß »mein« Flugwesen ohne Zögern auf meine Hand kletterte und von dort auf den Unterarm, als ich den Arm etwas senkte. Es hielt sich mit sechsgliedrigen schwarzen Krallenhänden beziehungsweise füßen fest und spreizte die Flughäute etwas, damit es das Gleichgewicht besser hielt. Dabei sah ich, daß sich in der Mitte der Oberkante der Flughäute je zwei lange Daumen mit Krallen befanden. »Ich finde dich nett«, sagte ich zu dem Tier, was Razamon veranlaßte, spöttisch zu grinsen. Das Flugwesen gab ein moduliertes Quietschen von sich, das beinahe wie »Charlie« klang. »Ich werde dich Charlie nennen«, sagte ich deshalb. Charlie trippelte auf meinem Arm bis zur Schulter, reckte den Kopf und schickte eine Serie zwitschernder Laute in mein Ohr. »Ich werde verrückt!« sagte Razamon. Er winkelte ebenfalls den Arm an und musterte danach das Flugwesen, das sich auf seinem Unterarm niederließ. »Dann sollst du Kalif heißen«, sagte er. Auch Kalif schien mit seinem Namen einverstanden zu sein. Genau wie Charlie trippelte er auf die Schulter seines Freundes und zwitscherte in sein Ohr. Die Tiere blieben auf unseren Schultern sitzen – und sie saßen auch noch dort, als wir gegen Morgen aufwachten. Ich wunderte mich darüber, daß ich so fest geschlafen hatte. Normalerweise brauchte ich dank meines Zellaktivators nur wenige Stunden Schlaf in vier bis fünf Tagen. Ich tastete nach meiner Brust und spürte beruhigt die Wölbung, unter der sich mein Zellaktivator ins Fleisch gesenkt und verankert hatte. Schlagartig wurde es hell. Die Stimmen der Nachttiere verstummten. Dafür setzte das Konzert der Tagtiere ein. Ich blickte
nach Charlie und sah, daß er noch schlief. Kalif schlief ebenfalls. »Ich habe Hunger«, sagte Razamon. »Das dürfte die Untertreibung des Jahres sein, was mich betrifft«, erwiderte ich. »Was essen wir? Schnecken und Würmer?« »Kalif und Charlie«, antwortete Razamon, aber an seinem Lächeln erkannte ich, daß er nur gescherzt hatte. Ich wäre ihm auch ernstlich böse gewesen, hätte er es ernst gemeint. Die beiden Flugwesen waren bei der Nennung ihrer Namen aufgewacht. Als Razamon und ich abstiegen, breiteten sie ihre Flughäute aus und flatterten um uns herum. Plötzlich stießen sie schrille Schreie aus. Es klang, als würden Katzen gepeinigt. Der Berserker und ich begriffen sofort, daß sie uns vor einer Gefahr warnen wollten. Wir unterbrachen unseren Abstieg und spähten ins Dickicht, da wir ein Raubtier in der Nähe vermuteten. Hätte es sich um ein Raubtier gehandelt, wäre das zweifellos die richtige Reaktion gewesen. Doch es handelte sich nicht um ein Raubtier – und unsere Reaktion war nicht nur falsch, sondern verhängnisvoll. Denn aus dem Dickicht traten sechs große hominide Lebewesen. Sie trugen stählerne Rüstungen, aber in den Händen hielten sie Strahlwaffen, deren Mündungen auf uns wiesen. Rund fünf Meter über dem Boden waren wir ihnen hilflos ausgeliefert … 7. Die Hominiden waren etwa zwei Meter groß, breitschultrig und besaßen zwei Arme und zwei Beine. Ihre Haut war von feinen gelben Schuppen überzogen, zwischen denen rötliche Borstenhaare sprossen, soweit die Haut überhaupt zu sehen war. Die glatten Gesichter hatten halbkugelförmige pupillenlose weiße
Augen und farblose, ständig zuckende Lider. Es gab keine Augenbrauen und auch keine Brauenwülste. Die Münder bestanden aus einer wulstigen Oberlippe, in der die beiden Nasenöffnungen saßen und aus einer flachen Unterlippe. An der Stelle von Ohrmuscheln ragten links und rechts der Köpfe in Augenhöhe faustgroße, schwach pulsierende Blasen von hellroter Färbung, die von pinselartigen roten Haarbüscheln umgeben waren. Die Hände waren sechsgliedrig, mit je zwei Daumen, und dunkler gefärbt als die übrige Haut. Es waren keineswegs Krallenhände, sondern fast normale menschliche Hände – bis auf die doppelten Daumen. Eines der Wesen ließ seine Ohrblasen stärker pulsieren – und mit einemmal hörte ich die Laute einer fremdartigen, aber gut modulierten Sprache. Die Fremden sprachen demnach nicht mit den Mündern, sondern mit den blasenartigen Organen, die sich an den Stellen befanden, an denen humanoide Lebewesen ihre Ohren hatten. Ich blickte Razamon an und schüttelte den Kopf. Er antwortete mir mit einem Kopfschütteln. Demnach kannte er die Sprache der Fremden ebenfalls nicht. Die Fremden merkten, daß wir ihre Sprache nicht verstanden. Der, der gesprochen hatte, wahrscheinlich der Anführer der Gruppe, fing zu gestikulieren an. An seinen Hand‐ und Armbewegungen war leicht zu erkennen, was er von uns verlangte. Wir sollten unsere Waffen hinabwerfen, auf den Boden steigen und mit ihnen gehen, wurden also als Gefangene betrachtet. Es gab nichts, was wir dagegen hätten unternehmen können. Unsere Position war ausgesprochen schlecht. Also befolgten wir die Anweisungen, ich mit einem besonders schmerzlichen Gefühl, denn der Verlust des Skargs betrübte mich sehr, obwohl ich immer noch nicht wußte, wie das Schwert Fartuloons in meinen »Traum« gekommen war. Kaum standen wir auf dem Boden, als zwei der Fremden uns die
Hände mit Plastikbändern auf den Rücken fesselten. Anschließend setzten die Fremden sich in Bewegung. Drei gingen vor uns, drei hinter uns. Die drei Fremden hinter uns stießen uns immer wieder ihre Waffen in den Rücken, um uns zur Eile anzutreiben. Nach etwa zehn Metern erreichten wir einen schmalen Trampelpfad. Auf ihm kamen wir relativ schnell voran. Ich blickte suchend nach oben und entdeckte Charlie und Kalif, die uns folgten, indem sie immer ein Stück flogen und dann wieder auf Ästen warteten, bis wir uns ein Stück von ihnen entfernt hatten. Mit einemmal spürte ich auch den Hunger wieder, den ich beim Anblick der auf uns gerichteten Waffen schlagartig vergessen hatte. Unter den gegebenen Umständen sah es jedoch nicht so aus, als würden wir unseren Hunger bald stillen können. Nach ungefähr zehn Minuten erreichten wir eine kleine grasbedeckte Lichtung. Verblüfft blickte ich auf die beiden Zugors, die dort standen. Razamon und ich wechselten einen Blick. Wir hatten Zugors bisher ausschließlich im Machtbereich der Schwarzen Galaxis beziehungsweise ihrer Dimensionsfahrstühle kennengelernt. Da es auch hier Zugors gab, lag der Schluß nahe, daß wir uns immer noch im Machtbereich der Schwarzen Galaxis, wenn auch nicht in der Schwarzen Galaxis selbst befanden. Und die beiden Flugschalen waren exakt mit den Zugors von Pthor beziehungsweise Dorkh identisch: fünf Meter durchmessende und einen Meter hohe Schalen, deren Beschichtung an geschmolzenes Glas erinnerte, in ihnen quadratische Podeste mit den höher aufragenden Instrumentensockeln, außerdem Taster‐ und Funkantennen. Nur Technos waren nicht zu sehen. Die Fremden stießen uns auf die Zugors zu. Razamon und ich mußten mit je drei dieser Wesen in einen Zugor steigen. Unsere Fußgelenke wurden an Eisenringe angeschlossen, die aus den
Wänden der Zugors kamen. Danach trat je ein Fremder auf ein Podest und griff nach den Steuerhebeln. Ich blickte nach oben. Charlie und Kalif kreisten flatternd hoch über den Flugschalen. Traurig sah ich sie an. Sie hatten mir durch ihre Zutraulichkeit mein Herz geöffnet. Leider würde unsere Freundschaft nicht von Dauer sein, denn sie konnten niemals einem Zugor folgen. Lautlos hoben die Flugschalen ab, stiegen senkrecht etwa fünfhundert Meter empor und beschleunigten dann horizontal. Mit ungefähr zweihundert Stundenkilometern jagten sie flußabwärts über das Delta. Und plötzlich sah ich es: Jenseits der Flußmündung ragte eine Insel aus dem blaugrün schimmernden Meer, deren Konturen mir auf fatale Weise vertraut waren. Es handelte sich sicher nicht um Pthor/Atlantis, aber zweifellos um einen weiteren Dimensionsfahrstuhl aus der Schwarzen Galaxis. Und er schien das Ziel der Fremden zu sein … * Aus der Nähe fielen mir doch zahlreiche markante Unterschiede zu Pthor und Dorkh auf. Der Dimensionsfahrstuhl auf diesem Planeten hatte lediglich ähnliche Umrisse wie Pthor, aber sein Zentrum war völlig anders gestaltet als die bisher bekannten Dimensionsfahrstühle. Ein gigantischer stahlblau schimmernder Berg ragte dort auf, ein Tafelberg mit einer riesigen Hochebene. Und auf der Hochebene befand sich etwas, das einer schillernden Energieblase ähnelte. Sie war halb kugelförmig, schätzungsweise dreihundert Meter hoch und bedeckte eine Grundfläche von zirka sechshundert Metern Durchmesser. Und sie veränderte unaufhörlich ihre Färbung, durchlief alle
Farben des Spektrums. Jedesmal, wenn sie die Farbskala durchlaufen hatte, blieb sie für einige Sekunden schwarz. Ich blickte wie gebannt auf diese Erscheinung. Sie wirkte alles andere als harmlos, und weder auf Pthor noch auf Dorkh hatte ich etwas Ähnliches gesehen. Die beiden Zugors nahmen jedoch nicht Kurs auf die Energieblase, wie ich zuerst vermutet hatte. Sie schienen ein Gebirge im Nordosten des Eilands anzusteuern. Gleichzeitig gingen sie tiefer. Ich lehnte mich über den Rand des Zugors und musterte das Gelände, das wir überflogen. Zur Zeit lagen ausgedehnte Sumpfwälder unter uns. Danach überflogen wir einen breiten mäandierenden Strom mit zahlreichen Inseln, auf denen kleine festungsähnliche Bauten standen. Schwarze, insektenhaft aussehende Wesen wimmelten um diese Bauten herum. Als der Fluß scharf nach Westen abknickte, flogen wir über eine Savanne. An ihrem Rand entdeckte ich viele große bleiche Pfähle. Sie schienen eine Grenze zu markieren. Ich ahnte, was für eine Grenze sie markierten, als ich große Flächen völlig zerstampften Grases und mehrere Wasserstellen sah, dessen schlammbedeckte Ränder die Fußspuren gigantischer Lebewesen aufwiesen. Die Savanne mußte der Hordenpferch dieses Dimensionsfahrstuhls sein. Von den Horden der Nacht war allerdings nichts zu sehen. Offenbar waren sie über die Kontinente des Planeten ausgeschwärmt, um sie zu verwüsten. Hinter dem Hordenpferch erstreckte sich eine wellige Sandwüste. Hier gab es viele kleine Oasen – und in jeder Oase stand ein schwarzer Turm mit zahllosen Öffnungen, durch die seltsame geflügelte Wesen ein‐ und ausflogen. Als ich näher hinsah, blinzelte ich überrascht, denn die Flugwesen sahen genauso aus wie Charlie und Kalif. Gehörten diese beiden zutraulichen Wesen demnach zu den Bewohnern des Dimensionsfahrstuhls? War es etwa ihre Aufgabe, intelligente Wesen auf dem Planeten aufzuspüren und die Häscher
zu ihnen zu leiten? Die Sandwüste wurde von einer Geröllwüste abgelöst. Der Boden stieg allmählich an. Aus Geröll wurden große Felsbrocken, dann schwebten die beiden Zugors am Hang eines Berges empor, flogen in ein gewundenes Tal ein und steuerten schließlich den höchsten Berg des Gebirges im Nordosten an. Ich schaute nach oben und erblickte auf dem Gipfel des ungefähr dreitausend Meter hohen Berges einen riesigen Kristallklumpen, in dem sich das Licht der smaragdgrünen Sonne tausendfach brach. Das Gleißen und Funkeln war so grell, daß ich mich abwenden mußte. Ich schätzte den Durchmesser des Kristallklumpens auf vierhundert Meter. Die Zugors flogen genau auf den Kristallklumpen zu. Ich vermochte immer nur ganz kurz hinzusehen, da ich fürchtete, blind zu werden. Das änderte sich schlagartig, als die Flugschalen durch eine Lücke in der Oberfläche des Kristalls flogen. Vor ihnen lag eine graue Dämmerung. Nur, wenn ich mich umdrehte, sah ich noch das grelle Funkeln unzähliger Lichtspeere. Sekunden später landeten die Zugors auf einer Plattform. Unsere Bewacher öffneten die Eisenringe und trieben uns aus den Fahrzeugen. Vor uns öffnete sich ein Tor aus schwarzem Metall. Razamon und ich wurden durch ein Gewirr von schmalen Korridoren getrieben und kamen schließlich in eine Halle mit Wänden aus schwarzem glasähnlichen Material, in denen Milliarden goldener Funken leuchteten. Mitten in der Halle stand eine zylindrische Säule von etwa fünf Metern Höhe und einem halben Meter Durchmesser. Ihre Hülle war farblos und transparent. Dahinter wogten und wallten Fluten irisierend leuchtender Materie. Sie sah aus, als bestünde sie aus gefärbtem Wasser, aber ich nahm an, daß es sich um eine Art Plasma handelte. Unsere Bewacher schoben Razamon und mich bis dicht vor die Säule, lösten unsere Fesseln, dann traten sie einige Schritte zurück.
Wer seid ihr? hallte es plötzlich in meinem Bewußtsein. Ich zweifelte nicht daran, daß die Frage von der Säule gestellt worden war. Ob es sich bei ihr beziehungsweise ihrem Inhalt um eine organische Lebensform oder um eine Art Computer handelte, vermochte ich nicht einmal zu vermuten. Alles schien möglich zu sein. Telepathisch veranlagt war die Säule aber kaum, denn sonst hätte sie versucht, uns durch Anzapfen unserer Gedanken auszufragen. Ich fragte mich, was ich antworten sollte. Es würde sicher unglaubwürdig klingen, wenn ich erklärte, wir wären gar nicht wirklich, sondern nur in unserem gemeinsamen Traum hier. Ganz abgesehen davon, daß ich es selbst nicht glaubte, obwohl ich mir nicht erklären konnte, wie wir uns körperlich hierher geträumt haben könnten. »Razamon und Atlan«, sagte der Berserker. »Wir wurden durch Magie aus der Schwarzen Galaxis auf diesen Planeten versetzt. Wer bist du?« Das Szurgoos von Kroth! vernahm ich die gedankliche Antwort. Sie sagte mir nur soviel, daß dieser Dimensionsfahrstuhl Kroth hieß. Was »das Szurgoos« war und welche Funktionen es auf Kroth erfüllte, ließ sich nicht erraten. Auf jeden Fall schien es aber über den Gelbgeschuppten zu stehen. Verfügt ihr über magische Fähigkeiten? »Nein«, antwortete ich. »Warum werden wir als Gefangene behandelt?« Es gehört zu den Aufgaben der Numiden, Fremdintelligenzen festzunehmen und zum Kristallschloß zu bringen. Welchen Zweck verfolgt euer Besuch auf Numid? Die Gelbgeschuppten hießen also Numiden – und da der Planet Numid hieß, mußten sie eingeborene Intelligenzen sein. Die Mächtigen von Kroth hatten sie offenbar für ihre Zwecke eingespannt. »Wir wollten eigentlich nicht hierher«, erklärte Razamon. »Ein
unbekannter Faktor führte dazu, daß wir aus der Schwarzen Galaxis geschleudert wurden.« Du trägst ein Yirparion! stellte das Szurgoos fest. Ich schaute zu Razamon und sah, daß er den Dimensionsverknüpfer hinter den Gürtel seiner Montur geschoben hatte. Also bist du ein Magier. Warum hat dein Gefährte geleugnet, daß du magische Fähigkeiten besitzt, Razamon? »Ich besitze keine magischen Fähigkeiten«, beteuerte der Berserker. »Das Yirparion gehört nicht mir. Ich wollte nur damit experimentieren. Wie es scheint, ist es mir gründlich mißlungen.« »Ich denke eher, es ist dir zu gut gelungen«, warf ich ein. Ein heftiger Stoß erschütterte das Kristallschloß. Die goldenen Lichtpunkte in den Wänden erloschen. Es wurde fast völlig dunkel in der Halle. Nur das irisierende Leuchten der Säule strahlte schwache Helligkeit aus. Ich schaute mich nach den Numiden um und sah, daß sie sich auf den Boden geworfen hatten. Sie fürchteten sich offenkundig vor etwas, das mit dem Beben zusammenhing. Ein neuer Stoß erschütterte das Kristallschloß noch heftiger. Überall ertönte beängstigendes Knirschen. »Was ist das?« fragte ich, an das Szurgoos von Kroth gewandt. Die Denkende Sphäre steht kurz vor dem Zusammenbruch! erklärte das Säulenwesen. Seit die Suniden spurlos verschwanden und die Sphäre nicht mehr gesteuert wird, trat zunehmende Instabilität auf. In wenigen Stunden wird die Denkende Sphäre in sich zusammenbrechen. Der Sog der Implosion wird Kroth mitreißen. »Wird er auch Numid in Mitleidenschaft ziehen?« fragte ich. Nur geringfügig. Warum fragst du, Atlan? Weil ich wissen möchte, ob die Numiden bald wieder frei sein werden, ohne dafür mit der Auslöschung ihres ganzen Volkes zu bezahlen! dachte ich, aber ich sagte es nicht, denn mir wurde klar, daß dennoch zahllose Unschuldige mit ihrem Leben zahlen würden. Zweifellos war die Bevölkerung von Kroth ebenso unschuldig an
den Machenschaften der Mächtigen in der Schwarzen Galaxis wie die Bevölkerungen von Pthor und Dorkh, die ja auch nur als Werkzeuge mißbraucht wurden. Auch ihr werdet ausgelöscht! übermittelte mir das Szurgoos. Es hatte also meine intensiven Gedanken empfangen. Das beschäftigte mich jedoch im Moment weniger. Ich war entsetzt darüber, daß die Intelligenzen von Kroth ausnahmslos sterben sollten, und ich dachte darüber nach, ob es eine Möglichkeit gab, das zu verhindern. »Seit wann sind die Suniden verschwunden?« fragte ich. Razamon blickte mich durchdringend an. Er schien zu ahnen, worauf ich mit meiner Frage hinaus wollte. Das Szurgoos von Kroth beantwortete meine Frage. Natürlich verwandte es die planetarischen Zeiteinheiten von Numid. Ich rechnete sie nach meinen Erfahrungswerten mit der Tag‐ und Nachtlänge auf Numid um und war plötzlich sicher, daß meine Intuition den Kern getroffen hatte. Denn die Suniden waren zu genau dem Zeitpunkt verschwunden, als Razamon und ich auf Kroth aufgetaucht waren. »Ein Austausch!« entfuhr es dem Berserker. »Deshalb sind wir wirklich. Die Suniden träumen folglich nur noch, auf Kroth zu sein. Ihre real‐materielle Existenz hat sich wahrscheinlich auf die PHARYN verlagert.« Er sah mich betroffen an. »Dann ist mein Experiment mit dem Yirparion daran schuld, daß die Bewohner von Kroth sterben müssen.« »Wir müssen den Austausch rückgängig machen!« erwiderte ich. »Aber wie?« rief Razamon verzweifelt. »Indem wir das Yirparion zerstören«, sagte ich. »Unsere Seelen könnten sich zwischen den Dimensionen von Zeit und Raum verlieren, Atlan«, wandte der Berserker ein. »Wenn wir die Möglichkeit haben, die Bewohner von Kroth zu retten, müssen wir sie wahrnehmen. Eine Evakuierung nach Numid ist unmöglich. Ein magischer Bann verhindert das bei allen
Dimensionsfahrstühlen. Ausnahmen können nur von den Herrschern des jeweiligen Fahrstuhls bewirkt werden – und ich fürchte, nur mit Hilfe der Denkenden Sphäre.« So ist es! warf das Szurgoos ein. Ich würde das Yirparion zerstören, wenn ich dazu in der Lage wäre. Leider ist mir das nicht möglich. Es war nur logisch, daß der Herr des Kristallschlosses uns gegenüber keine Skrupel kannte, da ja wir es gewesen waren, die das Verhängnis über Kroth gebracht hatten. Er verzichtete sicher nur deshalb auf Rache, weil wir ja mit Kroth ebenfalls ausgelöscht wurden. »Aber es ist ganz leicht, die Zerstörungsschaltung des Yirparions zu aktivieren«, sagte Razamon. Für euch ja, da ihr mit seiner Existenz verknüpft seid, erklärte das Szurgoos. Meine Manipfelder könnten es nicht einmal berühren. Es würde in eine andere Dimension ausweichen. Razamon nickte verstehend, dann blickte er mich fragend an. In seinen Augen stand die Furcht aller denkenden und fühlenden Wesen vor dem Nichtsein. »Wir müssen es tun«, sagte ich. Razamon nickte und zog das Yirparion hinter dem Gürtel hervor. Es stellte diesmal etwas dar, das sich mit nichts vergleichen ließ – jedenfalls nicht aus meiner Sicht. Der Berserker preßte die Lippen zusammen, dann berührte er mit den Fingerspitzen mehrere Stellen an der Oberfläche des Dimensionsverknüpfers. Das Yirparion wurde durchsichtig, dann löste es sich in einen Nebelstreif auf, der schnell verwehte. Ich hörte ein unwirkliches Singen und Klingen und fühlte, wie ich den Kontakt zur Realität auf Kroth verlor. Ich sah und hörte nichts mehr außer dem unheimlichen Singen und Klingen. Dann verstummte auch das. Ein Strudel nur erfühlbarer Schwärze sog mich ein und riß mich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit in einen ebenfalls nur
gefühlsmäßig wahrnehmbaren pulsierenden Tunnel … 8. Irgendwann mußte ich das Bewußtsein verloren haben, denn ich fand mich plötzlich lang ausgestreckt auf dem Boden einer seltsamen Welt wieder. Vorsichtig hob ich den Kopf und sah mich um. Vor mir lag eine scheinbar unendliche Ebene, bestehend aus großen halbkugelförmigen Hügeln: Blasen eines erstarrten Schaumes. Selbstverständlich dachte ich das nur als einen Vergleich. Doch ich wurde bald eines Besseren belehrt, als etwa hundert Meter vor mir eine der zirka sechs Meter hohen Blasen zerplatzte. Ich richtete mich auf und drehte mich um. Nur drei Meter hinter mir kniete Razamon auf derselben Blase wie ich. Er lächelte, als unsere Blicke sich trafen, aber an seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, daß er ebenso ratlos war wie ich selbst. Dann fiel mir auf, daß er nicht mehr die grün und schwarz gefleckte Montur trug, sondern einen einfachen grauen Overall. Ich sah an mir herab. Auch meine Kleidung war vertauscht worden. Aber wann, von wem und wie waren Fragen, die sich nicht beantworten ließen. Sie wurden unwesentlich, als die Blase links von uns zerplatzte. Gischt wirbelte auf, fiel wieder herab und wurde genauso wie die übrige, verflüssigte Substanz der Blase in den Trichter gezogen, der sich an ihrer Stelle gebildet hatte. Weißer Schaum brodelte in dem Trichter. Unsere Blase schwankte heftig. Razamon glitt aus und wäre um ein Haar in den Trichter gestürzt, wenn ich ihn nicht mit einem Sprung erreicht und festgehalten hätte. Doch nun schwebten wir beide in der Gefahr, abzurutschen und in
den Trichter zu fallen. Was uns dort erwartete, war ungewiß. Wir konnten nicht sehen, ob sich unter dem brodelnden Schaum fester Boden befand. Wahrscheinlich ertranken wir, wenn wir hineinfielen. Auf Händen und Knien krochen wir zur Kuppe unserer Blase, dann richteten wir uns wieder auf, nahmen Anlauf und sprangen auf die Blase rechts neben unserer. Vorläufig waren wir in Sicherheit. Doch das Platzen einer weiteren Blase ganz in der Nähe zeigte uns, daß diese Sicherheit trügerisch war. »Es muß doch irgendwo festen Boden geben!« rief Razamon und blickte sich suchend um. Aber nirgendwo war auch nur der Anschein festen Bodens zu sehen. Erstmals blickte ich nach oben und entdeckte, daß auch über uns blasenartige Gebilde schwebten. Es waren nicht viele, und zwischen ihnen leuchteten zahlreiche Sterne. Einer von ihnen war als solargroße rote Scheibe zu sehen. Er leuchtete nur trübe, war also ein Roter Riese, eine Sonne, die sich aufgebläht hatte, als der Wasserstoff in seinem Innern verbraucht war. Der Berserker und ich befanden uns anscheinend auf einem Planeten dieses Roten Riesen. Es mußte einer der ehemals äußeren Planeten sein, denn die inneren Planeten der ersten Entwicklungsstufe dieses Sterns waren sicher von der ungeheuerlich aufgeblähten Sonnenmasse verschlungen worden. Aber was für ein Planet war das! Es war fast ein Wunder zu nennen, daß er eine atembare Sauerstoffatmosphäre besaß, denn er war so weit von seiner Sonne entfernt, daß die Temperaturen eigentlich weit unter dem Gefrierpunkt von Wasser liegen mußten. Ein Roter Riese strahlt ja bekanntlich nicht mehr Energie ab als sein Vorgänger. Schmatzend zerplatzte die Blase, auf der Razamon und ich nach unserer »Ankunft« gelegen hatten. Wir retteten uns vorsichtshalber auf eine etwa fünfzig Meter entfernte Blase, im Grunde genommen eine sinnlose Reaktion, denn wir wußten nicht, ob sie nicht früher
zerplatzen würde als die, auf der wir uns eben befunden hatten. Razamon deutete mit ausgestrecktem Arm nach vorn. Ich folgte der angegebenen Richtung mit den Augen und sah, daß die scheinbar unendliche Ebene sich weit vor uns offenbar krümmte, denn deutlich war eine Horizontlinie zu sehen – und über dem Horizont stieg ein fahles Leuchten auf. »Eine zweite Sonne!« rief der Berserker. »Und unser Planet dreht sich«, erwiderte ich. Im nächsten Moment zweifelte ich an meiner Aussage, denn das Leuchten erlosch so plötzlich, wie es aufgetaucht war. Die Oberfläche unserer Blase zitterte und bebte. Razamon und ich begriffen sofort, was das bedeutete. Wir sprangen auf die benachbarte Blase. Gerade noch rechtzeitig, denn die Blase, die wir eben verlassen hatten, zerplatzte, kaum daß wir wieder standen. »So kann das nicht weitergehen!« rief Razamon. In seiner Stimme schwang aufkeimende Panik mit. Auch ich war der Panik nahe, denn es schien, als würden wir früher oder später beim Zerplatzen einer Blase untergehen. Abermals glomm das fahle Leuchten über dem fernen Horizont auf – und wenige Sekunden später erlosch es wieder. »Gehen wir hin!« rief ich. »Vielleicht wird die Leuchterscheinung durch die Technik intelligenter Wesen hervorgerufen.« Razamon nickte. Wir setzten uns in Bewegung, liefen und sprangen, ruhten uns kurze Zeit aus, dann ging es weiter. Ich erinnerte mich daran, daß wir auf Numid nicht einen Bissen gegessen hatten. Eigentlich hätte das Hungergefühl sehr stark sein müssen. Seltsamerweise aber war ich gar nicht hungrig. »Wie sind wir überhaupt hierhergekommen?« fragte ich, als wir wieder eine Pause einlegten. »Ich habe nichts davon gemerkt.« »Ich auch nicht«, meinte Razamon. »Wir sind offenbar durch einen Dimensionstunnel oder ‐korridor gezogen worden und hier gestrandet. Aber wo das ist, weiß ich auch nicht. Vielleicht befinden
wir uns gar nicht mehr in unserem Universum.« Ich erschauderte. Alles hier war so fremdartig, daß der Gedanke, wir könnten in ein anderes Universum verschlagen worden sein, sich förmlich aufdrängte. »Oder wir träumen das nur«, versuchte ich mich zu beruhigen. »Eigentlich ist das ganze Geschehen so unwirklich, daß man es nur träumen kann.« Razamon lachte rauh. »Ich möchte es nicht darauf ankommen lassen, Atlan.« Er nahm Anlauf und sprang auf die nächste Blase. Ich folgte ihm. Aber sofort rannten und sprangen wir weiter, denn die Blase unter uns zitterte und bebte. Sie zerplatze, noch bevor ich mit beiden Füßen auf der benachbarten Blase gelandet war. Nach ungefähr fünf Stunden waren wir so erschöpft, daß wir den Sprung zur nächsten Blase nicht mehr schafften. Wir rutschten in das enge Tal zwischen zwei Blasen und brauchten mehrere Minuten, um auf die Kuppe der nächsten Blase zu kriechen. Schweratmend blieben wir liegen. Ich fühlte ein heftiges Pulsieren in meiner Brust. Mein Zellaktivator arbeitete auf »Hochtouren«, um die Erschöpfung zu kompensieren. Deshalb erholte ich mich auch zuerst wieder. Als ich diesmal den Kopf hob, hing abermals das fahle Leuchten über der blasigen Planetenoberfläche. Doch es hing nicht mehr über dem Horizont – und unter ihm lag eine Art silbrig schimmerndes Floß. Es war so groß wie eine mittlere Stadt auf Terra, und auf ihm lagen gelbe glänzende Kuppeln, die an erstarrte Honigtropfen erinnerten. Wieder erlosch das fahle Leuchten. Aber diesmal erkannte ich, wodurch es hervorgerufen wurde. Es war nur der Widerschein eines stärkeren Leuchtens der gelben Kuppeln gewesen. Sie leuchteten zwar immer noch, aber viel schwächer als zuvor. Ich rüttelte meinen Freund an der Schulter.
»Razamon!« Der Berserker hob ächzend den Kopf. »Dort!« sagte ich und deutete nach vorn. »Eine Art Stadt.« Im selben Moment leuchteten die gelben Kuppeln wieder stärker – und die über der »Stadt« in etwa dreihundert Metern Höhe hängende Wolke aus feinblasigem Schaum brach und reflektierte das Licht. »Ein Silberfloß im milden Schein des Mondes treibt …«, rezitierte der Berserker eine mir unbekannte Versstrophe. Ich dachte schon, sein Verstand hätte gelitten, doch dann sah ich das ironische Aufblitzen seiner Augen. »Hast du eigentlich schon bemerkt, daß in unserer Nähe keine Blase mehr zerplatzt ist, seit wir hier sind?« fragte er. »Nein!« Ich stand auf und sah mich um. Tatsächlich zerplatzte in unserer Nähe keine der Blasen. Sie sahen auch irgendwie anders aus als die, aus deren Bereich wir geflüchtet waren. Ihre Wandungen waren nicht mehr milchglasig, sondern hellgelb. Ich drehte mich um. Weit hinter uns zerplatzten drei Blasen gleichzeitig. Blickte ich dorthin, dann sah ich, daß die Blasen von mir nach dort allmählich heller wurden, bis sie wieder Milchglas ähnelten. Abermals drehte ich mich um. Die Kuppeln leuchteten nur trübe. Erst, als sie wieder hell strahlten, sah ich, daß die Blasen zum Floß hin allmählich dunkler wurden. Direkt am Floß waren sie dunkelgelb. Und sie wurden zum Floß hin immer kleiner. »Sie werden vom ›Floß‹ aus stabilisiert«, erklärte ich. »Dort muß es intelligente Lebewesen geben, Razamon.« »Also, dann auf zum ›Floß‹!« sagte der Berserker. Ich nickte und half ihm auf. *
Aus unmittelbarer Nähe sahen wir, daß das »Floß« aus einem Gespinst dünner Fäden bestand, die an Spinnwebfäden erinnerten. Der silbrige Schimmer kam von Milliarden winziger Tautropfen, die an den Fäden hingen. Wenige Meter vor uns ragte die vordere Wandung des »Floßes« zirka fünf Meter auf. Razamon und ich sahen, wie die stabilisierten dunkelgelben Blasen vor dem »Floß« von ihm absorbiert wurden. Jedenfalls verschwanden sie in der vorderen Wandung, während das »Floß« sich mit der Geschwindigkeit eines terranischen Spaziergängers vorwärts bewegte. Razamon und ich sahen uns an, dann sprangen wir auf die vordere Wandung des »Floßes« und hielten uns an den Fäden fest. Die Tautröpfchen bestanden nicht aus Wasser, obwohl sie so aussahen. Sie waren so glatt wie bestes Maschinenöl. Wir rutschten nur deshalb nicht ab, weil unsere Hände sich um Bündel von Fäden schlossen. So schnell es ging, arbeiteten wir uns hoch. Wenig später standen wir auf der Oberfläche des »Floßes«. Sie war eisglatt. Doch wir waren darauf gefaßt gewesen und bewegten uns entsprechend vorsichtig. Die nächste gelbe Kuppel befand sich etwa zwanzig Meter vor uns. Erst aus dieser Nähe erkannten wir, daß ihre Wandung aus einer transparenten Substanz bestand. Dahinter wallte ein gelbes Gas, das in Abständen von zweieinhalb Minuten taghell aufleuchtete. Eine ganze Weile standen wir nur da und schauten. So etwas wie das riesige »Silberfloß« mit seinen kuppelförmigen Gasleuchten, den darüber schwebenden Blasen und dem scheinbar unendlichen Meer aus mehr oder weniger oder gar nicht stabilisierten Blasen, durch den das seltsame Fahrzeug trieb, hatte noch keiner von uns gesehen. Diese Welt war zugleich ungeheuer faszinierend und unheimlich. »Wo sind die Wesen, die das ›Floß‹ geschaffen haben?« flüsterte
Razamon. Unsere Augen suchten die Oberfläche des »Floßes« ab, doch nirgends sahen sie etwas, das wir als intelligentes Lebewesen hätten einstufen können. Außer der glatten, silbrig schimmernden Oberfläche und den gelben Kuppeln gab es hier oben nichts. Dennoch zweifelte ich keine Sekunde daran, daß intelligente Lebewesen dieses Fahrzeug erschaffen hatten. »Vielleicht wird es automatisch gesteuert«, meinte ich. »Wir sollten versuchen, ob es irgendwo ins Innere geht.« Razamon nickte. Er schaute nachdenklich schräg nach oben. Ich folgte seinem Blick mit den Augen und entdeckte bald darauf, was die Aufmerksamkeit des Berserkers erregt hatte. Dort, wo der Himmel nicht mehr von den Blasen über dem »Floß« verdeckt wurde, leuchteten zahllose Sterne. Aber mitten unter ihnen gab es einen kreisförmigen sternenlosen Fleck totaler Schwärze. »Es sieht aus wie eine kugelförmige Dunkelwolke«, sagte Razamon. »Was meinst du dazu, Atlan?« »Ich habe schon viele kugelförmige Dunkelwolken gesehen«, erwiderte ich. »Auch solche, die sehr dicht waren. Aber sie alle ließen zumindest an ihrem Rand das Licht dahinter liegender Sterne durchscheinen. Dort aber sieht es so aus, als würde alles Licht, das in die Nähe der Wolke gerät, in sie hineingebogen und verschluckt. So etwas geschieht nur bei Black Holes.« »Ein Schwarzes Loch«, sagte Razamon zustimmend. Er blickte mich nachdenklich an. »Es gibt Milliarden Schwarzer Löcher im Universum«, erwiderte ich. »Daran ist nichts Ungewöhnliches.« »Hm!« machte Razamon. »Suchen wir also erst einmal nach einem Eingang in dieses komische ›Floß‹!« Da wir keinen Anhaltspunkt darüber besaßen, ob und wo sich ein Eingang in die vorerst nur hypothetische Innenwelt des »Floßes« befand, gingen wir einfach in gerader Richtung weiter. Aber so intensiv wir unsere Umgebung auch musterten, wir vermochten
weder eine Öffnung noch so etwas wie ein Luk oder ein Tor zu entdecken. Das »Floß« schien tatsächlich nichts anderes zu sein als eine Maschine, dessen Zweck wir nicht durchschauten. Bis wir den genauen Mittelpunkt des Fahrzeugs erreichten! Wir hatten Glück gehabt, daß wir genau an der Mitte der Vorderwand das »Floß« bestiegen hatten und in gerader Richtung zum hinteren Ende weitergegangen waren. Andernfalls hätten wir lange nach der offenbar einzigen Öffnung suchen können. Es handelte sich um ein zirka dreißig Meter durchmessendes kreisrundes Loch von schätzungsweise neun Metern Tiefe. Das »Floß« setzte sich also noch unter die »Wasserlinie« des Blasenmeers fort. Der Boden des Schachtes schien aus spiegelglattem Metallplastik zu bestehen und war konisch aufgewölbt. »Keine Treppe, keine Leiter, ja nicht einmal ein Seil, an dem wir uns hinablassen könnten!« grollte Razamon. »Halte mich an den Füßen fest!« sagte ich und legte mich auf die Oberfläche des »Floßes«. Razamon packte meine Fußgelenke. Langsam schob ich mich vorwärts, bis meine Arme sich über dem Schacht befanden. Ich wollte versuchen, ob es im Schacht ein Kraftfeld gab, so daß wir wie in einem Antigravlift nach unten schweben konnten. Die Schwerkraft des seltsamen Himmelskörpers betrug ungefähr 0,8 Gravos und war deshalb zu hoch, um einfach neun Meter hinab zu springen. Doch als ich die Hände nach unten streckte, begegneten sie einem Widerstand. Es war, als läge eine durchsichtige straffgespannte Plastikhaut über der Schachtöffnung. Ich drückte stärker dagegen – und plötzlich gab die »Haut« nach. »Gib mir einen festen Gegenstand, Razamon!« sagte ich. »Vielleicht einen Schuh von mir.« »Willst du ihn essen?« fragte Razamon spöttisch. »Lieber würde ich meine kleinen Finger essen«, gab ich zurück. Ich spürte, wie Razamon mir den Schuh vom rechten Fuß zog,
dann landete er dicht neben meinen Händen. Federnd sprang er ein paar Zentimeter hoch. »He, was ist das?« rief der Berserker überrascht. Ich antwortete nicht darauf, sondern nahm den Schuh in die rechte Hand und drückte fest gegen die unsichtbare »Haut«. Wieder gab sie nach. Ich hatte das Gefühl, daß sie aus Energie bestand und sich durchstoßen ließ, wenn der Druck stark genug war. Nur einen Moment zögerte ich, dann ließ ich den Schuh los. Ich hielt dabei den Atem an, denn jetzt mußte es sich zeigen, ob der Schacht eine Möglichkeit war, ins Innere des »Floßes« zu gelangen. »Puh!« machte ich, als der Schuh sanft hinabschwebte und auf dem Boden des Schachtes landete. »Vielleicht verrätst du mir endlich, was das alles soll!« rief Razamon verärgert. Ich erklärte es ihm, dann sprangen wir in den Schacht. Auch wir landeten weich. Als erstes zog ich meinen Schuh wieder an. Dabei entdeckte ich auf dem Boden des Schachtes die haarfeine Linie eines Luks. Diese Entdeckung und die seltsame Form des Bodens lösten einen Gedankensprung in mir aus. »Weißt du, was das ist?« fragte ich Razamon. »Der Bug eines Raumschiffs.« Razamons Augen weiteten sich. »Das könnte stimmen. Ha, damit können wir endlich diese unheimliche Welt verlassen, Atlan!« Als wäre das ein Stichwort gewesen, öffneten sich plötzlich an der Innenwand des Schachtes mehrere Luken. Menschengroße, spinnenähnliche Wesen mit abgrundtief häßlichen Köpfen schwebten auf uns zu und schossen zahlreiche klebrige Fäden ab, die Razamon und mich umhüllten und fesselten. Wir bekamen praktisch keine Gelegenheit, uns zu wehren. Die Spinnenwesen schleppten uns durch eine der Öffnungen und brachten uns durch dunkle Röhren tief ins Innere des »Floßes«. In
einem ebenfalls dunklen Raum wurden wir achtlos hingeworfen. Die Spinnenwesen entfernten sich. Wir waren allein. 9. »Atlan?« hörte ich Razamons Stimme nach einiger Zeit von rechts. »Bist du auch so fest eingesponnen?« fragte ich. Razamon ächzte. »Zu fest. Warten wir, bis man uns abholt. Bestimmt sind die Spinnenwesen nur abgerichtete Tiere. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie das ›Floß‹ gebaut haben sollen – und schon gar nicht das Raumschiff. Ihre Herren werden uns früher oder später verhören wollen. Vielleicht sind sie dann so zuvorkommend, uns von dem Gespinst zu befreien.« »Ich weiß nicht«, erwiderte ich. »Du hältst die Spinnenwesen für Tiere, weil sie so häßlich sind – jedenfalls in unseren Augen. Ich finde, das ist voreingenommen von dir. Warte einmal!« Ich überwand meinen Abscheu und suchte mit dem Mund einen Faden. Als ich ihn hatte, biß ich kräftig zu. Mit surrendem Geräusch riß der Faden auseinander. Ich spie aus. »Sie haben die Fäden zu straff gespannt, Razamon. Das ist unsere Chance. Wir können sie durchbeißen.« »Also dann, frisch ans Werk!« spöttelte der Berserker. Es dauerte eine halbe Stunde, bis wir uns befreit hatten. Viel länger hätte es auch nicht dauern dürfen, denn mir war von den widerlich riechenden klebrigen Fäden so übel, daß nicht viel fehlte, und ich hätte mich übergeben. Ich streifte die Überreste des Gespinstes ab und kam mir immer noch übelriechend und klebrig vor. Doch es war keine Zeit für solche Gefühle. Wir mußten unser Vorhaben durchgeführt haben, bevor jemand kam, um uns abzuholen – und unser Vorhaben war,
uns des fremden Raumschiffs zu bemächtigen. Ich tastete nach der Tür, durch die die Spinnenwesen uns gebracht hatten. Erleichtert stellte ich fest, daß es gar keine Tür gab, sondern nur die gleiche energetische Haut, die den Startschacht des Raumschiffs nach außen abschirmte. Ohne große Mühe kamen Razamon und ich in die Röhre vor dem Raum. Wir hatten uns die Richtung gemerkt, aus der wir gekommen waren. In solchen Sachen besaßen wir Übung. So leise wie möglich tasteten wir uns an der Röhrenwand entlang. Aber trotz unserer Übung in Sachen Orientierung gerieten wir in eine falsche Abzweigung. Wir merkten es bald, da die betreffende Röhre nach kurzer Zeit stark von der Richtung abwich, die wir uns gemerkt hatten. »Kehren wir um!« sagte Razamon. »Warte noch!« flüsterte ich. »Dort ist Licht!« Tatsächlich war weit vor uns in der falschen Röhre ein schwacher Lichtschimmer zu sehen. »In Ordnung!« erwiderte Razamon und lachte leise. Ich wußte, warum er lachte. Die Neugier ist ein Trieb, der besonders bei Humanoiden so stark ausgeprägt ist, daß das Individuum oft sogar sein Leben riskiert, um ihn zu stillen. Wir eilten auf den Lichtschimmer zu. Minuten später standen wir vor der Öffnung eines Raumes, in dem sich ein hochwertiger Computer befand. Weder Spinnenwesen noch andere Lebewesen waren zu sehen. Nur eine Energiehaut trennte uns von dem Zimmer. »Genug gesehen?« fragte Razamon. Ich schüttelte den Kopf. »Wir brauchen außer einem Raumschiff vor allem Informationen. Die aber können wir am besten hier erhalten.« Entschlossen drückte ich mich durch die energetische Haut. Ich musterte aufmerksam die Kontrollen des Computers. Sie unterschieden sich nur wenig von den mir bekannten
Computerkontrollen, sozusagen nur im Design. Das war logisch, da die Kontrollen von der Funktion bestimmt werden, und die Funktionsprinzipien hochwertiger Computer glichen sich in allen Teilen des Universums notwendigerweise wie ein Ei dem anderen. Deshalb dauerte es nicht lange, bis ich wußte, wie ich den Computer bedienen mußte. Zuerst schaltete ich auf schriftliche und akustische Beantwortung meiner Fragen. Das brachte allerdings nichts, denn wie ich bereits erwartet hatte, waren die akustische und schriftliche Sprache Razamon und mir völlig unbekannt. Da wir keine Translatoren besaßen, schaltete ich auf optische Datenausgabe. Meine Fragen betrafen ausschließlich den Zweck des »Floßes«, seine Herkunft und seine Besatzung sowie die Leistungen des Raumschiffs. Die positronischen Zeichnungen, die der Computer auf den großen Kontrollschirm überspielte, waren überwiegend leicht verständlich. Razamon und ich erfuhren, daß das »Floß« der Sammlung und Umwandlung jener blasigen Substanz diente, die den relativ kleinen festen Kern des Planeten als hohe Schicht bedeckte. Das »Floß« war mit anderen »Flößen« von einer Wolkenstadt ausgeschickt worden, einer aus künstlich hergestellten und mit Gas gefüllten Blasen gebauten fliegenden Stadt. Seine Besatzung bestand ausschließlich aus jenen Spinnenwesen, wie wir schon gesehen hatten. Aber sie gliederten sich in drei Kasten. Unsere Fänger hatten der untersten Kaste angehört. Das Raumschiff im Startschacht war nicht von den Spinnenwesen konstruiert und erbaut worden. Sie hatten es von Fremden erbeutet, die so leichtsinnig gewesen waren, die Spinnenwesen für friedfertig zu halten. Die Verhöre hatten ergeben, daß das Schiff durch ein Schwarzes Loch aus einem anderen Universum gekommen war. Die Spinnenwesen hatten es auf dem »Floß« untergebracht, weil sie verhindern wollten, daß eventuelle Freunde der Fremden, die nach ihnen suchten, es in der Wolkenstadt entdeckten. Sie selbst konnten
anscheinend nicht mit ihm umgehen. Ich schaltete den Computer aus und blickte Razamon bedeutungsvoll an. »Ein Raumschiff, das Black Holes benutzen kann, um andere Universen zu besuchen, muß extrem leistungsfähig sein. Mit ihm sollten wir die Schwarze Galaxis wiederfinden können.« »Und eventuell auch in den benachbarten Universen nach ihr suchen«, meinte Razamon. »Ich fürchte nämlich, daß wir in ein anderes Universum verschlagen wurden. Hier kommt mir alles so fremd vor. Wahrscheinlich sind wir durch das Black Hole gekommen, das wir gesehen haben.« »Wir kennen ja nur einen kleinen Teil unseres Universums«, erwiderte ich. »Aber das Schiff eignet sich wirklich ideal für unseren Zweck.« Razamon öffnete den Mund zu einer Antwort, dann schloß er ihn wieder und zog mich an die Wand neben der Öffnung. Im nächsten Moment hörte ich die schleifenden Geräusche ebenfalls. Nur Sekunden später drückten sich drei Spinnenwesen durch die Energiehaut der Öffnung. Im Unterschied zu denen, die uns gefangengenommen hatten, trugen sie Kleidung. Es handelte sich um enganliegende lilafarbene Kombinationen, die nur die häßlichen Gesichter freiließen. Razamon und ich sprangen. Wir kannten die Schnelligkeit, mit der die Spinnenwesen ihre klebrigen Fäden verschließen konnten, nur zu gut und wußten deshalb, daß wir nicht zögern durften. Die drei Spinnenwesen wurden völlig überrascht. Mit Faustschlägen an die Hinterköpfe setzten wir sie außer Gefecht. »Violette Kleidung ist die der Mitglieder der höchsten Kaste«, meinte Razamon. Er bückte sich und zog einem der Bewußtlosen eine stabförmige Waffe aus einem an der Bauchseite befestigten Halfter. »Davon gibt es auf dem ›Floß‹ nur drei.« »Und nur diese drei Hochstehenden dürfen Energiewaffen tragen«, erwiderte ich und nahm einem anderen Bewußtlosen die
Waffe ab. Razamon nahm die dritte Energiewaffe an sich. »Damit wären wir allen anderen Spinnenwesen auf dem ›Floß‹ überlegen und können uns das Raumschiff nehmen, auch wenn man uns entdeckt.« Ohne lange zu überlegen, verließen wir den Computerraum und eilten zurück, um die richtige Abzweigung zu finden. * Es dauerte keine halbe Stunde, da betraten wir die Halle, in die das Heck des Raumschiffs ragte, ein Heck allerdings ohne sichtbare Triebwerke. Doch die drei Hochstehenden mußten bald wieder erwacht sein und hatten Alarm geschlagen, denn in der Halle befanden sich mindestens hundert Spinnenwesen der unteren Kaste sowie zwei der mittleren. Wir hoben unsere Waffen, entschlossen, uns den Weg zum Schiff notfalls gewaltsam freizukämpfen, vor dem die Spinnenwesen gleich einer lebenden Mauer standen. Doch ich hatte zu früh frohlockt. Ich brachte es einfach nicht fertig, auf intelligente Wesen zu schießen, vor allem nicht, da sie uns nicht angriffen. Angesichts unserer haushoch überlegenen Bewaffnung wäre das ein Abschlachten Wehrloser gewesen – und so etwas hatte ich noch nie über mich gebracht. Razamon blickte mich düster von der Seite an. »Wir bringen es also beide nicht fertig«, sagte er erbittert. »Was sind wir doch für Helden!« »Helden bringen niemals Wehrlose um«, erwiderte ich. »Sie mögen grundhäßlich sein, aber sie sind intelligente Lebewesen. Trotz allen Abscheus stehen sie für mich damit auf der gleichen Stufe wie Menschen und Arkoniden, was ja dasselbe ist.« »Dennoch können wir nicht auf das Raumschiff verzichten«,
entgegnete der Berserker. »Oder möchtest du dein beinahe ewiges Leben auf dieser Welt verbringen?« Ich schüttelte den Kopf. »Wir müssen es mit einer List versuchen. Ich schlage vor, wir kehren um, als hätte der Anblick der Spinnenwesen uns den Mut geraubt. Natürlich werden sie uns verfolgen. Aber nur einer von uns wird fliehen, nämlich ich. Du schleichst dich unterdessen in den Schacht über dem Schiff, steigst durch das Luk ein und startest. Ich komme nach einer Stunde, von jetzt an gerechnet, an die Oberfläche des ›Floßes‹. Dort nimmst du mich an Bord. Einverstanden?« »Insofern, als ich keinen besseren Plan parat habe, Atlan. Aber ich bestehe auf einem Rollentausch. Ich besitze die Körperkraft von drei Männern wie du, kann also viel schneller laufen und klettern. Dich würden die Spinnenwesen wahrscheinlich bald einholen, mich nicht.« »Reine Spekulation!« protestierte ich. »Sie könnten dich einkreisen.« »Dich auch«, gab er zurück. »Außerdem hast du das bessere Einfühlungsvermögen für fremde Raumschiffstechnik. Folglich bist du besser für die Rolle geeignet, die du mir zugedacht hattest. Siehst du das ein?« Ich nickte, denn das Argument war unwiderlegbar. Rückwärts gehend, zogen wir uns aus der Halle zurück. Die Spinnenwesen folgten uns nur langsam, doch als wir die Halle verlassen hatten, hörten wir an dem anschwellenden Schleifen und Schaben der »Spinnenbeine«, daß sie zum Spurt angesetzt hatten. Wir liefen in rasendem Tempo einen Teil des Weges zurück, den wir gekommen waren. Dort, wo die Röhre nach den Zugängen zum oberen Teil des Startschachts abzweigte, stieß Razamon mich hinein. Er selbst eröffnete das Feuer auf die Verfolger, zielte aber nur vor ihre Beine. Ich hastete die schräge Röhre hinauf und sah mich nicht um. Razamon mußte das Feuer bald wieder einstellen, wenn die
Spinnenwesen nicht Verdacht schöpfen sollten – und er mußte ab sofort so schnell fliehen, daß sie nicht bemerkten, daß er allein war. Das Luk öffnete sich automatisch, als ich das Ende der Röhre erreicht hatte. Ich steckte Kopf, Hände und Waffe gleichzeitig durch die Öffnung. Das war mein Glück, denn das Dutzend Spinnenwesen, die auf dem Bug des Raumschiffs lauerten, hätte mich sonst überwältigt. Ich feuerte, bevor sie ihre klebrigen Fäden nach mir schießen konnten. Allerdings richtete ich den Energiestrahl auf die gegenüberliegende Wand zirka drei Meter über meinen Gegnern. Dadurch kamen sie mit dem Leben davon, aber der Sprühregen glutflüssiger Metallplastiktropfen, der sich von der Wand über sie ergoß, versengte ihre »Felle« stark genug, daß sie in panischer Hast durch die nächsten offenen Röhrenmündungen davonstoben. Ich war sicher, daß sie zurückkehren würden, sobald sie den ersten Schreck überwunden hatten. Sicher fürchteten sie den Zorn der Hochgestellten aus der oberen Kaste nicht weniger als die brennenden Bisse des Glutregens. Deshalb sprang ich schnell auf den Bug des Schiffes und ließ den Hitzestrahl der Beutewaffe so über die Ränder der Öffnungen kreisen, daß sie von glutflüssiger Schmelze halbverstopft wurden. Danach wandte ich mich dem geschlossenen Luk des Schiffes zu. Nunmehr kam es darauf an, ob sich der Lukendeckel ohne technische Hilfsmittel, über die ich nicht verfügte, öffnen ließ. Wenn nicht, konnte ich ihn wahrscheinlich aufbrennen. Aber Gewaltanwendung konnte eine Sicherheitsschaltung des Schiffes auslösen – und ich hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde. Doch ich hatte wiederum Glück. Fast wollte ich es nicht glauben, als der Lukendeckel nach dem Auflegen meiner Handfläche aufglitt. Ich konnte es mir nur so erklären, daß die Spinnenwesen auf diesem »Floß« sich mit der ihnen fremden Raumschiffstechnik nicht auskannten und deshalb nicht in der Lage gewesen waren, diesen Zugang zu versperren.
Ich schlüpfte durch die Öffnung in eine kleine Schleusenkammer. An der Innenwand neben dem Luk entdeckte ich eine einfache Schaltung, mit der sich der Lukendeckel schließen und elektronisch verriegeln ließ. Ich bediente sie und schloß damit eine Verfolgung aus. Nachdem ich das Innenschott geöffnet hatte, war es nicht schwer, die Kommandozentrale des Raumschiffs zu finden. Sie lag ganz in der Nähe des Bugs. Ich warf einen Blick in die nächstliegenden tieferen Sektionen und erkannte im Schein einer grünlichen Notbeleuchtung dicht an dicht gepackte komplizierte Aggregate. Offenbar gab es außer der Zentrale keine leeren Räume oder Unterkünfte, sondern nur Energieerzeuger, Triebwerke und Treibstofftanks. Natürlich würde der Treibstoff bei einem Raumschiff, das durch Black Holes andere Universen besuchen konnte, nicht aus katalysiertem Deuterium bestehen. Die Energieausbeute wäre viel zu gering für den erforderlichen Energieaufwand gewesen. Wahrscheinlich bestand der Treibstoff aus komprimierten Protonen und Antiprotonen, die in Reaktionskammern dosiert zusammengebracht wurden. Ich begab mich in die Zentrale und versuchte, mich in kürzester Zeit mit den Kontrollen vertraut zu machen. Die Kontrollen für Fernflüge interessierten mich vorerst nicht. Ich mußte vordringlich die Kontrollen für Unterlichtflug‐Manöver kennenlernen, damit ich starten und draußen Razamon an Bord nehmen konnte. Der Gedanke an die gefährliche Lage, in der mein Freund sich befand, beflügelte meine Denkprozesse. Ich dachte dabei aber auch an die Spinnenwesen. Wenn ich nicht schnell genug handelte, würde Razamon gezwungen sein, viele von ihnen zu töten, da er sie nicht zu nahe an sich herankommen lassen durfte. Dennoch dauerte es fast eine Dreiviertelstunde, bis ich auch die Feinheiten der Steuerung im Unterlichtflug voll verstanden hatte und sicher war, sie auch zu beherrschen. Ich schaltete den Unterlichtantrieb ein. Es handelte sich dabei um
einen Feldgenerator, der innerhalb des Schwerkraftfelds eines Himmelskörpers als Antigravantrieb funktionierte, indem er die Gravitationsenergie anzapfte. Im stellaren und interstellaren Aktionsbereich wurden die Schwerkraftfelder des Weltalls selbst angezapft, was allerdings schon eine höhere Eigenenergieerzeugung voraussetzte. Langsam stieg das Schiff im Schacht nach oben, durchstieß die energetische Haut über der Mündung und befand sich schon in der Wolke schwebender Blasen über dem »Floß«, bevor ich es stoppen konnte. Ich flog einige Manöver, um sicherer in der Bedienung der Kontrollen zu werden, dann steuerte ich das Schiff bis dicht über die Oberfläche des »Floßes« und hielt mit Hilfe der Außenbeobachtungsbildschirme und Nahortungsgeräte Ausschau nach dem Berserker. Aber von Razamon war nichts zu sehen – auch nicht, als die vereinbarte Zeitspanne verstrichen war. Ich wurde unruhig. Wenn Razamon nicht bald erschien, würde ich wieder landen und das Schiff verlassen müssen, um nach ihm zu suchen. In dieser Zeit würden die Spinnenwesen jedoch alles tun, um uns eine Rückkehr ins Schiff unmöglich zu machen. Vorsichtshalber suchte ich nach Schaltungen für die Schiffsbewaffnung. Ich fand allerdings keine – außer einer Schaltung für drei Gravitationsbombenwerfer. Mit dieser Waffe war ich vertraut, denn alle Kampfschiffe des Großen Imperiums waren damit ausgerüstet gewesen. Bei den Gravitationsbomben handelte es sich allerdings nicht um Geschosse, sondern um lichtschnelle Spiralfelder aus dimensional übergeordneter Energie. Ihre Wirkung bestand darin, Normalmaterie umzuwandeln und sie aus der vierdimensionalen Struktur des Einsteinschen Raum‐Zeit‐ Kontinuums zu schleudern. Das war eine Waffe, die feindliche Raumschiffe vernichten konnte, falls sie keine entsprechenden Schutzschirme besaßen. Auf der Oberfläche eines Planeten durfte sie keinesfalls eingesetzt werden,
dann sie konnte die Kruste bis zum dichten Kern hin aufreißen und bei längerer Beschußdauer den ganzen Himmelskörper vernichten. Ich würde also Razamon kaum helfen können, wenn er auf der Oberfläche des »Floßes« auftauchte und sich nicht von seinen Verfolgern lösen konnte. Kaum hatte ich das gedacht, orteten die Individualtaster zahlreiche Hirnwellenimpulse, die an der Oberfläche des »Floßes« ausgesandt wurden. Ich stellte die Richtung fest und schaltete einen Bildschirm auf Ausschnittvergrößerung. Auf dem Schirm erschien ein einzelnes humanoides Lebewesen, das offenbar aus einer der gelbleuchtenden Kuppeln gekommen war und vor einer Meute von etwa fünfzig Spinnenwesen floh. Ich erkannte, daß ich Razamon nicht an Bord nehmen konnte, bevor die Verfolger ihn eingeholt hatten – und er trug keine Waffe mehr. Kurz entschlossen brachte ich das Schiff bis dicht über den Boden, öffnete die Bodenschleuse und schwebte danach den durchgehenden Antigravschacht hinab. Als ich die Schleuse verließ, war Razamon noch etwa hundertfünfzig Meter vom Schiff entfernt, und die Verfolger befanden sich nur noch wenige Meter hinter ihm. Ich schoß in die Luft und traf einige der über dem »Floß« schwebenden Blasen. Sie zerplatzten und schickten einen Regen aus zerschmolzenem Material herab. Zwar wurden nur wenige Spinnenwesen davon getroffen, aber der Schreck genügte, um sie in alle Richtungen auseinanderstieben zu lassen. Razamon bekam Luft. Er rannte schneller auf mich zu. Doch da besannen sich viele Verfolger wieder und liefen hinter ihm her. Der Abstand war jedoch inzwischen groß genug, so daß ich eine Feuerwand zwischen den Berserker und die Spinnenwesen legen konnte. Sie mußten anhalten, wenn sie nicht verbrennen wollten. Razamon erreichte mich. Er keuchte und sah aus, als wäre er aus einem explodierenden Gleiter geschleudert worden. Ich packte ihn
und schleifte ihn in die Schleuse. Allein hätte er es wahrscheinlich nicht geschafft. Er war völlig erschöpft und mit Brandwunden bedeckt. »Ein Hochstehender hatte mir eine Falle gestellt!« stieß er hervor, während das Außenschott zuglitt. »Beinahe wäre ich verbrannt.« »Später!« erwiderte ich. »Wir müssen starten, bevor die Spinnenwesen eine Waffe ihres ›Floßes‹ einsetzen. Vielleicht ist das ›Floß‹ auch unbewaffnet, aber ich rechne lieber mit dem Schlimmsten.« Ich zog ihn zum Antigravschacht, schwebte mit ihm zur Zentrale und legte ihn auf den Boden, denn die Sitzgelegenheiten waren zu klein für ihn und auch für mich. Danach startete ich das Schiff. 10. Wir wurden nicht beschossen noch sonstwie in Verlegenheit gebracht. Anscheinend besaß das »Floß« keine Bewaffnung. Gerade wollte ich zum Fernflug übergehen, da ließ mich eine Stimme in meinem Bewußtsein zögern. Halt! befahl die Stimme. An Razamons Gesichtsausdruck merkte ich, daß er sie ebenfalls »hörte«. »Wer bist du?« fragte ich überrascht. Ein spöttisches Gelächter in meinem Bewußtsein antwortete mir, ein Gelächter, das in seiner Art einmalig im bekannten Universum war. »Es ist ES«, sagte ich zu Razamon, dann bremste ich das Schiff ab. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß das Kollektivwesen vom Planeten Wanderer gute Gründe hatte, mir das Stoppen des Schiffes zu befehlen – und ich zweifelte nicht daran, daß ES dazu berechtigt war und ich gehorchen mußte. »Warum soll ich stoppen?« fragte ich. Drusir muß vernichtet werden! antwortete ES. Die herrschende Kaste
des Planeten stellt eine Gefahr für alle Zivilisationen unseres Universums dar. Sie will den Tod durch dieses Black Hole schicken. Setze die Gravitationsbomben ein, Arkonide! Ich starrte schockiert ins Leere. Die Aussage des Kollektivwesens bedeutete, daß Razamon und ich uns nicht in unserem Universum befanden, sondern in einem »benachbarten«. Immerhin aber würden wir es mit dem erbeuteten Schiff erreichen können, wenn wir durch das Black Hole flogen. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß ich vorsätzlich einen ganzen Planeten mitsamt seiner Bevölkerung vernichten würde, auch dann nicht, wenn ES das für notwendig hielt. Auf Razamons Gesicht spiegelte sich helles Entsetzen. Er dachte und fühlte demnach wie ich. »Ich werde es nicht tun!« erklärte ich. »Wie könnte die herrschende Kaste eines Planeten, dessen Bevölkerung nicht einmal die Raumfahrt beherrscht, Tod über unser ganzes Universum bringen!« Führe meinen Befehl aus, Atlan! erwiderte ES. Warte nicht ab, bis ich dich dazu zwinge! Ich lachte wütend. »Ist Zwang und Vernichtung deine ganze Antwort auf deine Probleme, ES?« »ES kann uns nicht zwingen, Atlan«, sagte Razamon tonlos. »Es hat keine Macht in diesem Universum.« Ich kann euch für euren Ungehorsam bestrafen, wenn ihr in unser gemeinsames Universum zurückkehrt! teilte ES uns mit. Ich wechselte einen Blick des Einverständnisses mit Razamon, dann sagte ich: »Dann bestrafe uns. Aber wir werden niemals bereit sein, ein Verbrechen zu begehen.« Ich schaltete auf Fernflug. Mit hoher Beschleunigung entfernte das Schiff sich von dem Planeten, den ES Drusir genannt hatte. Aus dem freien Raum und mit Hilfe der Ortungsgeräte erkannten Razamon
und ich, daß es sich um einen fast jupitergroßen Planetenriesen handelte. Die Dichte an der Oberfläche war jedoch bis in rund achthundert Kilometer Tiefe nicht größer als die von normalem Wasser, danach stieg sie allmählich an. Nur ein wenige hundert Kilometer durchmessender Kern war fest, allerdings so fest wie Arkonstahl. Ich nahm Kurs auf das Black Hole, das nach den Tastermessungen ungefähr elf Lichtjahre entfernt war. Sobald ich mich mit den Kontrollen vertraut gemacht hatte, mit denen die Aggregate zur Nutzung eines Black Holes gesteuert wurden, wollte ich zum Überlichtflug übergehen. Als ich mich danach nach Razamon umsah, war er bewußtlos geworden. Mit Hilfe der Internbeobachtungssysteme fand ich neben der Zentrale eine kleine Kammer mit medizinischer Ausrüstung. Ich suchte etwas heraus, das eine Sprühdose mit Wundheilplasma zu sein schien und besprühte Razamons Brandwunden. Anschließend suchte ich nach Wasser und Verpflegung. Auch das fand ich bald. Das Wasser war ganz normales sauberes Trinkwasser, und die feste Nahrung bestand ausschließlich aus Konzentraten. Ich trank und aß. Falls mein Organismus das Wasser und die Nahrung nicht vertrug, würde mir der Zellaktivator das Leben retten. Vertrug ich jedoch alles, dann konnte Razamon es ebenfalls zu sich nehmen, sobald er erwachte. Als der Berserker rund drei Stunden später zu sich kam, fühlte ich mich immer noch gut. Ich flößte ihm etwas Wasser ein, zerdrückte einen Konzentratriegel und fütterte ihn damit. Razamon erholte sich schnell, und auch seine Brandwunden heilten zusehends. Nach einer Stunde fühlte er sich kräftig genug, wieder auf den eigenen Beinen zu stehen. Er ließ sich von mir erklären, wie die Kontrollen des Schiffes bedient wurden, dann schaute er mich nachdenklich an. »Bist du sicher, daß unser Universum ›hinter‹ dem Black Hole
liegt, Atlan?« »ES sagte es«, erwiderte ich. »ES verlangte von uns auch, Drusir zu vernichten und behauptete, die herrschende Kaste dieses Planeten könnte den Zivilisationen unseres Universums den Tod bringen. Diese Behauptung klang nicht sehr glaubwürdig, oder?« Ich zuckte die Schultern. »Ich teile deine Zweifel, Razamon. Andererseits war ES nicht in der Lage, uns zum Gehorsam zu zwingen. Das hätte es jedoch vermocht, wären wir in unserem Universum gewesen. Ich denke, wir sollten den Durchgang wagen. Mit unserem Schiff können wir jederzeit zurückkehren.« »Also riskieren wir es«, meinte Razamon. Er schüttelte den Kopf. »Nach allem, was ich weiß, sollte ES eine positive Wesenheit sein. Wie vereinbart sich das mit dem Befehl, einen bewohnten Planeten zu vernichten?« Vage ahnte ich, was los war, aber im nächsten Moment hatte ich es wieder vergessen. Ich bereitete alles für den Durchgang durch das Black Hole vor. Das Schiff verfügte über die technischen Möglichkeiten, Schwarze Löcher als »Verbindungswege« zwischen verschiedenen Universen zu nutzen. Ein passives Objekt wäre dazu nicht in der Lage gewesen, denn der Superschwerkraftstrudel eines Black Holes hätte es zerrissen. Die Konstrukteure unseres Schiffes hatten eine ebenso geniale wie einfache Lösung gefunden: Die ungeheuren Kräfte eines Black Holes wurden technisch genutzt, um das Schiff vor der tödlichen Rotation zu bewahren und es statt dessen punktgenau in den unsichtbaren Mittelpunkt einer Singularität zu steuern, die mathematisch betrachtet nur ein Punkt ohne Ausdehnung sein dürfte. Die Realität war anders, denn eine Singularität war ein Schwarzes Loch nur dort, von wo es gekommen war, wo es aber nicht existierte. Nachdem die Programmierung abgeschlossen war, beschleunigte
das Schiff mit hoher Überlichtgeschwindigkeit. Es bewegte sich dabei zwischen dem vierdimensionalen und fünfdimensionalen Kontinuum. Erst unmittelbar vor dem Koordinatenpunkt, an dem es keine Umkehr mehr gab, weil der Schwerkraftsog des Black Holes alle technisch erzeugbaren Kräfte übertraf, fiel es in den Normalraum zurück. Ein unwirkliches bläuliches Leuchten füllte die Bildschirme. Das Schiff vibrierte im Kampf gegen die Kräfte des Black Holes, die es für unsere Zwecke ausnutzte. Rasend schnell stieß es ins Zentrum der unsichtbaren Kraft vor. Razamon und ich spürten nicht, daß wir unter den sogenannten Ereignishorizont stürzten, denn als es soweit war, hatte das Schiff bereits wieder Überlichtgeschwindigkeit erreicht. Und wenige Sekunden später wurde es »auf der anderen Seite« des Schwarzen Loches ausgespien, raste abermals durch den Linearraum, aber nicht durch den des Universums, aus dem wir kamen, sondern durch den eines benachbarten Universums. Große Spannung bemächtigte sich uns. Waren wir in unser Heimatuniversum zurückgekehrt oder nur in ein weiteres fremden Universum verschlagen worden? Als ein Signal ertönte, schaltete ich die Linearkonverter aus und blickte auf die Bildschirme der Außenbeobachtung, die gleich die Sterne des Normalraums zeigen mußten. Aber statt dessen waren nur wallende graublaue Nebel zu sehen – und ich fühlte, wie meine Wahrnehmungen allmählich erloschen … * Die graublauen Nebel zerrissen … Ich merkte daran, daß ich wieder denken konnte und meine Umgebung wahrnahm. Verwirrt fragte ich mich, was das Aussetzen meiner Wahrnehmung wohl herbeigeführt haben mochte.
Meine Augen suchten die Bildschirme in der Zentrale des Raumschiffs, fanden sie aber nicht. Statt dessen sah ich auf eine glatte hellgraue Wand. Ich wollte mich aufrichten, denn ich spürte, daß ich flach auf dem Rücken lag. Es ging nicht. Meine Arme und Beine gehorchten meinem Willen nicht mehr. Bin ich gelähmt? Offenbar ist dein Denkapparat gelähmt! vernahm ich eine Stimme in mir. Oder hast du nicht begriffen, daß du soeben aufgewacht bist? Mein Logiksektor! Ich spürte, daß ich nahe daran war, die Zusammenhänge zu erkennen, doch da tauchte ein Gesicht vor mir auf, dessen Anblick mich völlig verwirrte, weil ich mich erinnerte, wem das Gesicht gehörte – und das, was sich in meinem Gehirn beinahe zu einem klaren Gedanken geformt hatte, verflog wieder. »Yddalara!« Ich wußte, wer Yddalara war, aber die Erinnerung an die Alvin war eine Erinnerung an die fernste Vergangenheit. Es mußte Jahre her sein, seit ich sie zuletzt gesehen hatte. »Wie fühlst du dich, Atlan?« fragte Yddalara. Bevor ich antworten konnte, tauchte neben der Bleichen Alvin das Gesicht des »Medizinmanns« auf, der Razamon und mich … Ich runzelte die Stirn, während ich angestrengt darüber nachdachte, was Nanughan mit Razamon und mir gemacht hatte. »Antworte!« befahl Yddalara. »Ich fühle mich gut«, erwiderte ich. »Aber ich kann mich nicht daran erinnern, wie wir von dem Black Hole zurückgekommen sind und wie ich aus dem Schiff hierher kam.« Die Alvin lächelte undefinierbar, während der »Medizinmann« eine stark nach Pfefferminz duftende Essenz auf meiner Stirn verrieb. Mir wurde kalt. Ich zitterte. Yddalara hielt plötzlich einen Dolch in der Hand. Ich zuckte zurück, als sie auf mich zukam, aber viel Bewegungsfreiheit hatte
ich nicht. Die Alvin beugte sich über meine Füße. Im nächsten Moment konnte ich sie wieder bewegen. Yddalara beugte sich über meine Handgelenke. Diesmal sah ich, daß sie Riemen zerschnitt, die mich an ein seltsam geformtes Gestell gefesselt hatten. Und mit einemmal wußte ich wieder, warum Razamon und ich an diese Gestelle gefesselt worden waren. Ich richtete mich auf, blickte zur Seite und sah den Berserker. Er hatte die Augen geöffnet, und Nanughan rieb ihm gerade die Stirn mit der duftenden Essenz ein. Yddalara ging mit dem Dolch zu Razamon und zerschnitt auch seine Fesseln. Razamon fuhr hoch, sah mich an und musterte dann verstört seine Umgebung. »Habe ich geträumt?« Er begreift es schneller als du! teilte mir der Logiksektor meines Extrasinns mit. Ich schüttelte den Kopf, denn ich vermochte auf der bloßen Haut des Berserkers unter abschuppendem Heilplasma noch deutlich die Überreste von Brandnarben zu sehen. Hätte er nur geträumt, dann dürfte er diese Narben nicht haben. Da er sie aber hatte, mußte er körperlich auf Drusir gewesen sein. Und ich mit ihm! Mein Logiksektor erwiderte nichts darauf. Er war ja nicht ebenfalls fort gewesen, doch schien er das nicht wahrhaben zu wollen. Vielleicht war die Trennung von mir aber auch zu schockierend gewesen, so daß er sich die Lüge von einem Traum zurechtgelegt hatte. »Ihr habt beide geträumt«, erklärte Yddalara. »Eure geträumten Handlungen wurden analysiert und für positiv befunden.« »Aber wir waren körperlich abwesend!« rief ich. »Sieh dir doch die Brandnarben Razamons an! Sie sind die Überreste schwerer Verbrennungen, die er auf dem ›Floß‹ der Spinnenwesen erlitten hatte!«
»Es handelt sich um Hautreaktionen auf Traumerlebnisse unter Selbsthypnose«, widersprach die Alvin. »Bei echten Verbrennungen wäre auch der Overall in Mitleidenschaft gezogen worden. Aber er ist unversehrt geblieben, weil er kein lebender Organismus ist.« Auf Razamons Gesicht zeigte sich Verstehen, doch dann schüttelte er zweifelnd den Kopf. »Das Yirparion, Yddalara! Ich hatte es an mich gebracht und dadurch eine fortwährende Vermischung von Träumen und Realitäten hervorgerufen. Atlan und ich haben geträumt, aber zumindest in einem Teil unserer gemeinsamen Träume waren wir körperlich auf realen Welten.« »Das Yirparion wird von Igguuz aufbewahrt«, erwiderte die Bleiche Alvin. »Du kannst es also gar nicht besessen haben, Razamon.« »Dann laß es dir von Igguuz zeigen!« sagte der Berserker. Yddalara blickte ihn nachdenklich an, dann eilte sie ins benachbarte Laboratorium. Es dauerte nicht lange, bis sie zurückkehrte. Verwirrt und bestürzt schaute sie den Berserker an. »Das Yirparion ist verschwunden. Wo hast du es versteckt, Razamon?« Razamon lachte höhnisch. »Versteckt? Wie könnte ich es versteckt haben, wenn ich nur geträumt habe, wie du behauptest?« »Du hast es mitgenommen«, erklärte die Alvin. »In deinem Traum von Numid – in eurem gemeinsamen Traum von Numid und Kroth – zerstörtest du etwas, einen Gegenstand. Wir konnten es nur nicht genau definieren, da der Traumspürer euch immer wieder verlor. Aber es muß das Yirparion gewesen sein.« »Befrage den Traumspürer!« sagte ich. »Vielleicht bekommst du dann heraus, daß Razamon und ich zeitweise durch andere, fremde Körper ersetzt worden waren. Habt ihr uns eigentlich nicht beobachtet?«
»Das war nicht möglich«, sagte Yddalara nachdenklich. »Dieser Raum mußte total isoliert werden, weil der Traumspürer sonst kein verwertbares Ergebnis gebracht hätte.« »Es stimmt übrigens, daß Razamon auf Numid das Yirparion vernichtete, indem er seine Zerstörungsschaltung aktivierte«, sagte ich. »Nur so konnte unser Austausch mit den Suniden rückgängig gemacht und Kroth gerettet werden.« Yddalara preßte die Handflächen gegen ihre Schläfen. »Aber Numid und Kroth sind doch nur fiktive Gebilde!« schrie sie verzweifelt. »Genauso wie die Suniden! Ihr könnt doch nicht etwas gerettet haben, was gar nicht existiert!« »Ich wette mein Leben gegen einen alten Schuh, daß Numid, Kroth und die Suniden real existieren«, erklärte der Berserker. »Genau wie Drusir, das ›Silberfloß‹ und die Spinnenwesen.« Ich schwang mich von meinem Gestell, ging zu Razamon und betastete das abschuppende Heilplasma über einer Brandnarbe. Es fühlte sich wirklich wie abschuppendes Heilplasma an, aber als ich es mit dem Daumen kräftig rieb, sah ich, daß es sich um kleine Hautfetzen handelte, die vom Randgebiet der Narben gebildet worden waren und noch an der neuen Haut klebten, die sich unter ihnen gebildet hatte. »Drusir, das ›Silberfloß‹ und die Spinnenwesen waren nicht real«, stellte ich fest. »Wir haben das alles nur geträumt, aber so realistisch, daß wir wahrscheinlich hier gestorben wären, wenn man uns in dieser Traumwelt umgebracht hätte. Ich bin erleichtert darüber, daß ES uns nicht wirklich befahl, Drusir zu vernichten.« Yddalara beruhigte sich wieder. »Das gestohlene Yirparion hat alles durcheinandergebracht«, meinte sie und sah dabei Razamon vorwurfsvoll an. »Ihr und eure Träume machtet euch dadurch selbständig. Aber eigentlich ist das nicht so wichtig. Wichtig ist nur, daß wir herausbekommen haben, daß ihr beide positiv denkt und handelt. Deshalb werden wir euch demnächst an einen Ort bringen, an
dem ausschließlich solche Wesen leben wie ihr, Wesen, deren Denken und Handeln positiv ausgerichtet sind.« »Und was sollen wir an diesem Ort?« fragte Razamon mißtrauisch – und auch ich traute den wohlklingenden Worten der Alvin nicht. Yddalara lächelte uns freundlich an. »Eine große Chance wartet dort auf euch. Aber bevor es losgeht, werdet ihr in eure Unterkunft zurückgebracht.« Sie blies auf ihrem flötenähnlichen Instrument. Vier Schwarzalven erschienen und nahmen Razamon und mich in die Mitte. Sie hielten ihre Waffen auf uns gerichtet, was in krassem Gegensatz zu Yddalaras Freundlichkeit stand. * Die Schwarzalven brachten uns zu derselben Kabine, in der wir bereits einmal »gewohnt« hatten. Sie war in das gleiche bleiche »Mondlicht« getaucht wie damals, aber die Einrichtung war nicht mehr auf Alvenmaß zugeschnitten, sondern auf uns. Nachdenklich musterte ich die beiden breiten Liegen, den runden Tisch und die beiden großen weichen Sessel, dann ging ich zum Versorgungsautomaten und tippte versuchsweise auf die Sensorpunkte der Anforderungsschaltung. Sekunden später schob sich aus dem Servierschacht ein Tablett mit einer Kanne Limonade, zwei Trinkbechern sowie zwei Tellern mit Fleisch, Gemüsen und einer Art Grütze. Neben den Tellern lagen langstielige Plastiklöffel mit je einer scharfgeschliffenen Kante. »Man ist großzügig geworden«, meinte der Berserker ironisch. »Damals gönnte man uns nur Brei und Wasser. Was hältst du von der plötzlichen Freundlichkeit der Alvin?« Ich legte den Zeigefinger auf die Lippen, dann untersuchte ich die Kabine. Doch ich fand nirgends Abhörgeräte. »Alles sauber«, sagte ich. »Mir kommt die Freundlichkeit
Yddalaras beängstigend vor. Vergessen wir nicht, daß die Alven im Sinne des Dunklen Oheims handeln. Dennoch scheinen sie uns aufgrund unserer Traumhandlungen als positiv einzustufen. Ich frage mich, als positiv in welchem Sinne. Im Sinne des Dunklen Oheims doch wohl kaum.« Razamon nickte. »Mir erscheint es besonders verdächtig, daß die Alven sich überhaupt nicht mehr dafür interessierten, wie wir nach Dorkh kamen, was wir dort getrieben haben und wie wir von Dorkh entkommen konnten. Dabei schienen sie anfänglich doch entschlossen zu sein, uns umzubringen. Nur über den Zeitpunkt hatten sie sich damals nicht einigen können. Und das alles wegen unserer Reaktionen in den Träumen. Ich ahne Schlimmes, Atlan.« »Ich auch, aber ich weiß nicht, was uns erwartet«, erwiderte ich. »Am liebsten würde ich fliehen, aber ich fürchte, daß die Alven dazu zu wachsam sind. Wir sind in diese Kabine eingesperrt, und bestimmt stehen draußen schwerbewaffnete Schwarzalven Wache.« »Diese Alven sind überhaupt ein seltsames Volk«, meinte der Berserker. »Ich habe an ihnen kein Anzeichen dafür festgestellt, daß sie psychisch konditioniert wären oder unter Androhung von Gewalt für den Dunklen Oheim arbeiteten.« »Wahrscheinlich arbeiten sie aus freien Stücken für ihn, weil es vorteilhaft für sie ist«, erwiderte ich. »Aber es wäre sinnlos, wenn wir uns die Köpfe darüber zerbrächen. Lassen wir die Dinge an uns herankommen.« »In unserer Situation zweifellos die beste Philosophie«, erklärte Razamon und setzte sich an den Tisch. »Ich werde jedenfalls nicht hungern, nur um den Alven und mir selbst etwas beweisen zu wollen. Wir haben in unseren Träumen ausgiebig gehungert. Greifen wir also zu!« Ich setzte mich ebenfalls, trank einen Schluck Limonade und griff dann zum Löffelmesser. »Unsere Träume werden mir trotz aller wissenschaftlichen
Erklärungen, die es dafür geben mag, rätselhaft bleiben«, sagte ich nachdenklich. »Allein wenn ich darüber nachdenke, was geschehen wäre, wenn wir auf Numid nicht gezwungen gewesen wären, den Austausch mit den Suniden rückgängig zu machen, bekomme ich eine Gänsehaut. Wären wir dann aus der PHARYN entkommen?« Razamon kaute seinen Mund leer. »Ich weiß es nicht, Atlan. Ich weiß nur, daß ich niemals wieder ein Yirparion benutzen werde. Wenn ich von einer fremden Welt träume, ist es mir lieber, daß mein Körper nicht auch auf diese Welt versetzt wird.« Die Tür unserer Kabine glitt auf. Draußen standen Yddalara und vier Schwarzalven. »Es ist soweit«, sagte die Bleiche Alvin. »Folgt mir, bitte!« »Ich möchte wenigstens meine Mahlzeit beenden«, erklärte Razamon. »Darf ich das?« Seine Frage klang provozierend. Doch Yddalara blieb freundlich. »Selbstverständlich«, antwortete sie. »Soviel Zeit haben wir.« Sie führte uns durch mehrere Korridore und Antigravschächte zu einem Schleusenhangar. Ein kleines Raumboot stand dort auf der Startrampe. Es handelte sich nicht um ein Organschiff, sondern um ein rein technisches Gebilde, um ein Beiboot. »Wie heißt der Ort, zu dem wir gebracht werden sollen?« wandte ich mich an Yddalara. »Luckirph«, antwortete die Alvin wortkarg. Damit vermochte ich nicht viel anzufangen. Luckirph mochte der Name eines Planten sein, einer Region oder einer Stadt. Wie dieser Ort beschaffen war und was uns dort erwartete, verriet der Name nicht. »Kommst du mit?« fragte ich. »Nein«, erwiderte Yddalara. Im Beiboot öffnete sich eine Schleuse. Eine Rampe fuhr aus und senkte sich auf den Boden. Oben auf der Rampe tauchte ein kleiner Gersa‐Predogg auf.
»Geht jetzt!« sagte Yddalara. »Ulldorgh wird euch begleiten.« Ich zögerte nicht lange. Die Alven konnten uns zwingen, wenn wir nicht freiwillig gingen. Außerdem war ihr Schiff auch nicht gerade der Ort, an dem ich leben mochte. Nebeneinander gingen Razamon und ich die Rampe hinauf und auf den Gersa‐Predogg zu, einem neuen und zweifellos keinem harmlosen Abenteuer entgegen … ENDE Weiter geht es in Atlan‐Band 476 von König von Atlantis mit: Welt der Auserwählten von H.G. Ewers