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Antike und Abendland
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Antike Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens herausgegeben von
Wolf gang Harms · Werner von Koppenfels Helmut Krasser · Christoph Riedweg · Ernst A. Schmidt Wolfgang Schuller · Rainer Stillers
Band XLIV
1998
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Inhaltsverzeichnis Redaktionelle Hinweise . . ,
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Verzeichnis der Mitarbeiter des Bandes Gisela Strasburger, Freiburg i. Br. Die Fahrt des Odysseus zu den Toten im Vergleich mit älteren Jenseitsfahrten ...
IV VI l
Sabine Vogt, München Delphi in der attischen Tragödie
30
Matthew Dickie, Chicago Poets äs Initiates in the Mysteries: Euphorion, Philicus and Posidippus
49
Thomas Köves-Zulauf, Marburg a. d. Lahn Die Worte des Sklaven an den Triumphator
78
Kurt Sier, Leipzig Religion und Philosophie im ersten Proömium des Lukrez
97
Wolf-Lüder Liebermann, Bielefeld Methoden der Dichterinterpretation - das Beispiel der <sympotischen Dichtung> des Horaz (unter besonderer Berücksichtigung von carm. 1,11)
107
Andrea Cucchiarelli, Pisa Eumolpo poeta civile. Tempesta ed epos nel Satyricon
127
Walter Mesch, Heidelberg Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie? Zu den ontologischen Voraussetzungen von Confessiones XI. . . .
139
Udo Kühne, Freiburg i. Br. Nodus in scirpo — Enodatio quaestionis. Eine Denkfigur bei Johannes von Salisbury und Alanus von Lilie
163
Ada Neschke-Hentschke, Lausanne Friedrich August Wolf et la science de Thumanite antique («Altertumswissenschaft»). Contribution a l'histoire des sciences humaines
177
Register
191
Manuskripteinsendungen werden an die folgenden Herausgeber erbeten: Prof. Dr. Wolfgang Harms» Institut für Deutsche Philologie, Universität, Sckellingstraßc 3, 80799 Müncnen - Prof. Dr. Werner von Koppenfels, Boberweg 18, 81929 München - PD Dr. Helmut Krasser, Philologisches Seminar, Universität, Wilheimstr. 36, 72074 Tübingen - Prof. Dr. Christoph Riedweg, KJuseggstr. 18, CH-8032 Zürich - Prof. Dr. Ernst A. Schmidt, Philologisches Seminar, Universität, Wilheimstr. 36, 72074 Tübingen - Prof. Dr, Wplfgang Schuller, Philosophische Fakultät, Universität, Postfach 5$60, 78434 Konstanz - Prof. Dn Rainer Stillers, Leinerstr. l, 78462 Konstanz. Korrekturen und Korrespondenz, die das Manuskript und den Druck betrifft, sind an dein Schriftleiter Prof. Dr. Ernst A. Schmidt zu richten. Die Mitarbeiter erhalten von ihren Beiträgen.-25 Sonderdrucke kostenlos; weitere Sonderdrucke können vor der Drucklegung
. ISBN 3 11 015796 9 ISSN 0003-5696 © Copyright 1998 by Walter de Gruyter GmbH & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und ! Verarbeitung in elektronischen Systemen. Primed in Germany Satz und Druck: Saladruck GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz &: Bauer, Berlin
Mitarbeiter des Bandes Dr. Andrea Cucchiärelli, Dipartimento di Filologia Classica, Filologia Latina, Uriiversitä degli Studi di Pisa, Via Galvani l, 1-56126 Pisa Prof. Dr. Matthew W Dickie, 5802 S. Blackstone Ave., Chicago, 111. 60637, USA Prof. Dr. Thomas Köves-Zulauf, Vogelsbergstr. 15,35043 Marburg PD Dr. Udo Kühne, Seminar für Lateinische Philologie des Mittelalters, Universität, Werthmannplatz 1-3, 79085 Freiburg i. Br. Prof. Dr. Wolf-Lüder Liebermann, Danziger Str. 45 b, 33605 Bielefeld Dr. Walter Mesch, Philosophisches Seminar, Universität, Schulgasse 6, 69117 Heidelberg Prof. Dr. Ada Neschke^Hentschke, Universite de Lausanne, Section de Philosophie, BFSH 2 - Dorigny, CH-1015 Lausanne Prof. Dr. Kurt Sier, Nelkenstr. 33, 66386 St. Ingbert Dr. Gisela Strasburger, Urachstr. 37, 79102 Freiburg i. Br. Dr. Sabine Vogt, Händelstr. 7, 81675 München
GISELA STRASBURGER Die Fahrt des Odysseus zu den Toten im Vergleich mit älteren Jenseitsfahrten"" Einleitung Kürzlich las ich in dem Gedichtbändchen eines noch jungen Autors der ehemaligen DDR namens Durs Grünbein, der vor und nach der sogenannten Wende unter einer nicht nur politisch motivierten Obsession von Todesphantasien litt1. «In Tunneln der U-Bahn» von Berlin sammelte er auch visuelle Eindrücke des Todes: «Kulissen für einen Unterweltsfilm mit Hadesstiegen noch aus der Gründerzeit» (a.O. S. 32). Auf denen gelangt er wie «im freien Fall» hinab in die «Stadt unter null, stillgelegt unten am Schlammgrund», wo «alle Toten tot sind», die noch Lebenden aber doch entfliehen und wieder auftauchen können (43 f.), und fragt schließlich: «War da irgend ein Mythos, der all dem entspricht?» (45). Wer die Anspielung noch nicht erraten hat, muß weiterblättern bis zu einem Gedicht im Telegrammstil, datiert auf den 15. Januar 1990, wo von Körpern die Rede ist «Schlange stehend nach dem Tod ... wie die Toten bei Homer» (64). Mit diesem Zitat des Hadesbuches der Odyssee stellt Grünbein seinen modernen Unterweltsvisionen den Homer als einen der Zeugen der Vergangenheit gegenüber, von denen es heißt «ihre vox manet» (153). Dagegen seine heutige Umwelt erscheint dem Dichter schon jetzt abgestorben und anonym hinter der bleibenden Stimme im Niemandsland versunken. Gegen solchen Untergang, für den es gar nicht mehr wert ist, gelebt zu haben, scheint der junge Autor mit seinen eigenen Gedichten ankämpfen zu wollen, indem er wohl für sich das erhofft, was einst der etwa gleichaltrige Hölderlin so ausdrückte: «Was bleibet aber, stiften die Dichter»2. In deren Überlieferung möchte er sich einreihen, sie beginnt für ihn mit Homer. Wenn er den zitiert, evoziert er für den verstehenden Leser mit der Stimme, vox, zugleich eine ganze dahinterstehende Welt. Aus Amerika wird berichtet, daß dortige neuere Autoren nicht nur am Weiterleben unserer klassischen griechisch-römischen Tradition interessiert sind, sondern diese nach rückwärts öffnen und auch die altorientalische Überlieferung in den großen Kulturstrom einbeziehen, denn: «the most ancient and most remöte mythological works still retain the power to challenge modern and postmodern writers»3. Sie können das allerdings erst in dem Maße tun, wie nach und nach diese Werke aufgefunden, entziffert und schließlich auch in Übersetzung dem Publikum zugänglich gemacht wurden. * Dieser Beitrag wurde zuerst als Vortrag gehalten in der Staatlichen Akademie für Lehrerfortbildung in Calw im September 1995. 1 Durs Grünbein, Schädelbasislektion, Ffm. 1991, M995. Der Autor, geboren 1962, ist Preisträger des Peter Huchel-Preises und des Georg Buchner-Preises 1995. 2 Hölderlin, Andenken, letzte Zeile, Jahr 1802 (geboren 1770). 3 S. N. Kramer and John Maier, Myths of Enki, the Crafty God, Oxford UP 1989, 153 f., Autorenliste 245 Anm. 2.
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Diesem Interesse amerikanischer Schriftsteller entspricht auch eine Forschungsrichtung der klassischen Altertumswissenschaft, die sich nicht mit der Erforschung der vorhomerischen Zeit im indoeuropäischen Bereich der mykenischen Welt begnügt, sondern den Vorderen Orient einzubeziehen versucht, zu dem damals rege Kontakte bestanden. Man spricht geradezu von einer gemeinsamen ost-mediterranen Kultur in der 2. Hälfte des 2. Jt. v. Chr.4. Die eigentliche Mykenologie wurde aber vor allem ermöglicht durch die Entzifferung der Linear-B-Schrift, und daher beginnt' Griechische Geschichte heute mit Mykene, also über ein halbes Jahrtausend vor Homer. Da die Jahrhunderte seit dem Zusammenbruch der mykenischen Kultur aber wieder schrift/05 waren, sind es die Archäologen, die dafür das Material erforschen und aufbereiten. Da stoßen sie im Verlauf dieser sogenannten «dark ages» immer wieder auf vom Orient her beeinflußte Fundstücke, und es zeichnet sich deutlicher ein zumindest seit dem 10. Jh. fast ununterbrochener Kontakt ab zwischen Griechen und Orientalen, der sich wahrscheinlich nicht erst in der sogenannten «orientalisierenden Epoche», sondern auch vorher schon in der mündlichen, vorepischen Erzählkultur ausgewirkt hat5. Für diese sind wiederum die Philologen zuständig, denen ja die Oral-Poetry-Forschung ganz starke Impulse zur Neuorientierung der Homer-Philologie gegeben hatte. Inzwischen ist man von der «härd line» des strikten «Parryismus» abgekommen6, seit man verstehen gelernt hat, daß mündlich öder schriftlich keine einander ausschließenden Alternativen sind, sondern beides nebeneinander besteht oder ineinander übergeht in einem sogenannten «Spannungsfeld zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit». Dahinein gehört also die Entstehung der homerischen Epen7, und nun kommt auch der Orient in den Blick der Philologen. Der dazu nötige Austausch mit den Orientalisten verbreitert sich allmählich, zumal diese ihrerseits die Fragestellung der Oral Poetry aufgegriffen haben. In Holland fand schon ein gemeinsamer Kongress zum Thema «Epische Literatur» statt, wobei sich Folgendes herauskristallisierte: «The discussion of oral versus written poetry has now moved into a new direction with ernphasis on audible instead of oral poetry»8* das heißt: ob schriftlich oder-nicht, die Texte sind immer rezitiert worden. Der Blick richtet sich also vom Dichter aus erweiternd auch auf sein Publikum, und damit gelangen wir auf eine von beiden 4
W. Burkert, Oriental and Greek Mythology, in: Interpretations in Greek Mythology, ed. Jan Bremmer, London 1987, 13 f.; vgl.: P. Walcot, The comparative study of Ugaritic and Greek literatures, UgaritForschungen (= UF) l, 1969,111 f. 5 Dazu: M. L. West, the Rise of the Greek Epic, JHS 1988, 169 ff.; einiges im Katalog «Die Phönizier im Zeitalter Homers», Mainz 1990, und die einschlägigen Artikel im Sammelband «Zweihundert Jahre HomerForschung», Colloquium Rauricum 2, 1991; zur mündl. Tradition orientalischer Elemente F. Graf a.O., besonders 344 ff., 350,360; zum ganzen Problem W. Burkert a.O. 155 ff.; P. Högemann in Rez. Gnomon 67, 1995, 519-522; Sammelbd. «Die Begegnung mit dem Fremden», Colloquium Rauricum 4, 1996, Beitrag von R. Bichler, Kap. 2 und 3, S. 54-63. 6 H. Erbse, Milman Parry und Homer, Hermes 122,1994,257-74, zu unserem Problem bes. 261-65. 7 S. die einschlägigen Beiträge im Sammelbd. «Der Übergang von der Mündlichkeit zur Literatur bei den Griechen», hsg. W. Kullmam und M. Reichel, ScriptOralia A Bd. 9,1990; W. Kullmann, Der Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit im frühgriech. Epos, in: Logos und Buchstabe, Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Judentum und Christentum der Antike; hsg. G. Seilin und F. Vouga, Bern/Berlin/New York 1996, 55 ff. 8 Bendt Alster in: Mesopotamian Epic Literature, Oral or Aurai?, ed. by M. E. Vogelzang and H. L. J. Vanstiphout, Edwin Meilen Press, 1992, 62. Der entsprechende terminus von J. Russo a.O. lautet «oral performance poems», vgl. J. Black a.O. 89-91.
Die Fährt des Odysseus zu den Toten
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Seiten her begehbare Verständnisebene9. Parallel hierzu arbeitet man in der Alten Geschichte versuchsweise mit dem Begriff von «Interferenzen» (der eigentlich aus der Physik stammt). Hier bedeutet er etwa «ein Milieu von Einflüssen von einer Kultur auf eine andere», wobei auch der Umgang zwischen schriftlichen und schrift/ose« Kulturen untersucht werden soll10. Für die Homer-Forschung bedeutet dies, daß sie sich nicht mehr auf die Frage versteift, ob Ilias und Odyssee mündlich oder schriftlich konzipiert wurden, sondern daß man sich unbefangener dem Problem widmen kann, aus welchen Quellen die Vielfalt ihrer Inhalte und Vorstellungen zusammengeflossen ist11. Um so aufrichtiger wird man am Ende die grandiose dichterische Einheit an beiden Epen bewundern. Was nun mein konkretes Thema angeht, so stellte sich mir folgende Frage: Wenn unser zeitgenössischer Dichter Grünbein im Zusammenhang mit seiner Totenwelt den dazu passenden Komplex aus einer fernliegenden Dichtung stichwortartig aufgreift, um seinem Werk einen Hintergrund und eine zeitliche Tiefendimension zu verleihen, warum sollten wir nicht dem Odyssee-Dichter ein ähnliches Verfahren zugestehen, welches übrigens auch die Orientalistik für ihre Dichter in Anspruch nimmt12? Die Reise des Odysseus zu den Toten bot sich aus drei Gründen an: Erstens bildet die Nekyia für sich genommen ein Ganzes, das man sich der Form nach auch als selbständiges Gedicht vorstellen könnte, ähnlich wie der Schiffskatalog der Ilias eine einst selbständige Katalogdichtung oder die Schildbeschreibung eine eigene Aspisdichtung gewesen sein könnte, zu schweigen vom Ares-Aphrodite-Lied des Demodokos bei den Phaiaken. Möglicherweise sind bei der Adaptation eines solchen Vorbildes in das Groß-Epos kleine Unstimmigkeiten stehen geblieben, an denen wir heute — dank der erwähnten philologischen Erkenntnisse - nicht mehr den Anstoß nehmen wie die alten Analytiker. Vielmehr versuchen wir zu zeigen, daß solche in sich abgerundeten Stücke gleichwohl ihren festen Platz im Kontext der großen Erzählung haben13. Zweitens bestehen innerhalb der Nekyia wiederum verschiedene, ursprünglich wohl einzeln zu denkende Formen und Vorstellungen nebeneinander und lassen sich nicht harmonisieren14, sondern bilden eine Art «patchwork», wie es auch die Orientalisten in der von ihnen untersuchten Literatur vorfinden, aber: «this does not mean anything in respect of the literary qualities of the poem»15. Schließlich: 9 10
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Zum Problem mündliche Epik und schriftlicher Orient kurz und gut: W. Kullmann, Homerische Motive, Beiträge zur Entstehung, Eigenart und Wirkung von Ilias und Odyssee, Stuttgart 1992,154 f. H.-J. Gehrke im Symposion Freiburg am 2. 7. 1995 mündlich, jetzt als «Bilanz» im Sammelband «Vergangenheit und Lebenswelt, Soziale Kommunikation, Traditionsbildung und historisches Bewußtsein», hsg. von H.-J. Gehrke und Astrid Möller, ScriptOralia 90, 1996, 383-87: «Das ist ein großes Aufgabengebiet für den hier praktizierten interdisziplinären Dialog ... Die Arbeit selbst ist aber noch zu leisten» (S. 387). Dazu vgl. W. Kullmara, Die griechische Epik zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, in: Homer. Motive (wie Anm. 9) 137-39, auch 89. Das Buch von Martin L. West, The East Face of Helicon, WestAsiatic Elements in Greek Poetry and Myth, Oxford 1997, auf das mich die Redaktion dieser Zeitschrift dankenswerterweise aufmerksam machte, konnte ich wegen beschränkter Zeit leider nicht mehr berücksichtigen. B. Alster a.O. (wie Anm. 8) 61. E.-R. Schwinge, Homerische Epen und Erzählforschung, in: Coil. Raur. 2 (wie Anm. 5) 494: «... die einzelnen Erzahlstücke ... immer durch vielfältige Fäden mit dem Gesamt der Erzählung ... verbunden». Gut und kurz: G. Finslei^ Homer II, 1918,332-339. B. Alster a.O. (wie Anm. 8) 53 mit Anm. 113; «Mesopotamian literary patchwork»: Marianna E. Vogelzang a.0.266.
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Drittens besteht für uns der große Vorteil beim Thema Hades-Fahrt darin, daß es hierfür eine Reihe von orientalischen alteren Beispielen gab,, die bekannt und berühmt waren und daher in Abschrift erhalten geblieben und wieder aufgefunden worden sind. Wir haben es also mit real existierenden Texten zu tun statt -wie im Falle der vorhomerischen griechischen Erzählkunst, z. B. dem Argonauten- und Herakles-Thema - mit «nicht vorhandenen und nur erschlossenen Texten»16. Freilich muß auch betont werdenj daß die Ähnlichkeiten zwischen den orientalischen Dichtungen und der Hadesfahrt des Odysseus, was den Gang der Handlung und das Personal betrifft, nur sehr allgemein ausfallen, selbst wenn jemand, wie das neuerdings schon diskutiert wurde, sogar die Gestalten des Odysseus und des Herakles aus dem Orient ableitet17. Um einer Verwandtschaft wirklich anhand der Texte auf die Spur zu kommen, muß man sich daher auf bestimmte Motive konzentrieren, die man auf beiden Seiten nachweisen kann18. Wenn man sich dann nicht auf die bequeme Ausflucht von «Polygenese» zurückzieht, darf man wohl annehmen, daß der homerische Dichter die orientalische Anregung aufgegriffen, aber natürlich in seiner ganz eigenen Weise verarbeitet hat19. Das Problem, wie man sich die Übermittlung orientalischer Erzählungen über lange Zeitspannen und über Sprachbarrieren hinweg konkret vorzustellen habe, scheint zwar ein ernstes Hindernis, aber doch kein unüberwindliches. Gerade epische Dichtung bzw. ihr Inhalt pflegt sich sehr rasch über Sprachgrenzen hinweg auszubreiten20. So werde ich mich im Folgenden nur auf Beispiele aus der narrativen Literatur des Alten Orient beziehen, welche über lange Zeiträume und z. T. an weit voneinander entfernten Orten tradiert und auch übersetzt wurden. Je länger dabei die Überlieferungsgeschichte, um so mehr Zwischenstufen und voneinander abweichende Fassungen sind zu süpponieren und teilweise auch bekannt: berühmtestes Beispiel ist die GilgameS-Überlieferung (s. Anhang Nr. l)21. 16 17
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U. Hölscher, Odyssee, Epos zwischen Märchen und Roman, München 1988,175. Herakles: W. Burkert, Oriental and Greek Mythology (wie Anm. 4), 14 ff. und ders., Structure and History in Greek Mythology and Ritual, California ÜP 1979, 80 ff.; Odysseus: E. Wüst, Odysseus, RE XVItl 1906-10; M. L. West, JHS 1988, 159 n, 61. W. Kullmann, Homer. Mot. 129 Anm. 117 zitiert andere Möglichkeiten, vgl. Verf., «Homer —zeitgemäß?», in: Humanistische Bildung 16,1992, 84. Zur «Motivgeschichtlichen Forschung» s. Kullmann a.O., besonders 101 ff. und passim; A. Heubeck, Gnomon 58,1986, 582; W. Burkert in Coll. Raur. 2 (wie Anm. 5), 162 f. Dazu verweise ich auf einen Vortrag, den 0ivind Andersen/Oslo am 8. 11.1994 in Freiburg gehalten hat: «Vordergrund und Hintergrund im homerischen Epos», in dem er u. a. ausführte, daß kein Sänger/Dichter einen überlieferten Stoff treu weitertradiert, sondern nur auswählt, was ihm gerade paßt, wegläßt, was zum Thema nicht interessiert, und das Vorhandene für seine Zwecke uminterpretiert. In der Diskussion fügte W. Kullmann hinzu, daß der Hörer das Erzählte auch ohne Kenntnis dessen, was vorausliegt, versteht, aber mit Kenntnis um so mehr genießt. Kullmann rechnet mit epischer Tradition von höchstens rund 100 Jahren und meintj daß in der orientalisierenden Epoche sehr viel vom Orient hereingekommen sei, u. U. überhaupt alle Göttergeschichten! Anders stellt sich die Herausbildung speziell der homerischen Götterwelt vor H. Patzer, Die Formgesetze des homerischen Epos, Schriften der Wiss. Gesellschaft an der J. W. GoetheUniversität Ffm., Geisteswiss. Reihe Nr. 12,1996,162 f. So F. Gschnitzer beim Symposion Freiburg (wie Anm. 10) mündlich. Sein Beispiel war das mittelalterliche Rolandslied, das sowohl im arabischen wie im französischen wie im deutschen Sprachraum schnell bekannt wurde. Dazu vgl. M. Curschmann in: Homer, Tradition und Neuerung, ed. J. Latacz, WdF 1979,480 f.; M. L. West JHS 1988,171. Anderes Beispiel: lugal-e bzw. lugal ud melam-bi nirgal, ein $inurta-Epos mit einer 2000jährigen schriftlichen Überlieferung: 112 Textzeugen aus altbabylonischer Zeit und 69 aus dem 1. Jt. v. Chr. bis in seleukidische Zeit; s. Cl. Wilcke in: B. Hrouda, Der Alte Orient, Geschichte und Kultur des alten Vorderasien, Gütersloh 1991,286; J. Bottero et S. N. Kramer, Lorsque les dieux faisaient Thomme, Paris 1989/1993,338 ff.
Die Fahrt des Odysseus zu den Toten
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Im Orient waren die Schreiber eine Elite, das Volk konnte nicht lesen und schreiben. Die Texte wurden je nach ihrer Bedeutung - wie bei den Griechen Homer ^ zum Schultext und deshalb wieder und wieder abgeschrieben oder diktiert oder durch ständige mündliche Wiederholung auswendig gelernt und dann als Übung aufgeschrieben. U. a. daraus erklären sich verschiedene, bisweilen fehlerhafte Textfassungen. Auch gab es Schreiber, die als hochgebildete Leute selbst Texte verfaßten, wohingegen die Vortragenden wohl in der Regel Üliterat waren. Außer den an Tempel oder Palast fest angestellten Sängern und Sängerinnen gab es auch den von Ort zu Ort ziehenden Sänger, der seine Instrumente mitbrachte und ein hochgeehrter Gast war2^. Daneben lief ein breiter Strom von über die Jahrhunderte oder Jahrtausende wahrscheinlich mündlich tradierten Erzählungen, die besonders im Norden von Mesopotamien z. T. erst im 7. Jh. v. Chr. aufgeschrieben wurden23. Man kommt da mit der Verschriftung in die Zeit Homers! Kein Autor gab sich selbst zu erkennen, nur die Schreiber müssen am Ende des Textes ihren Namen notieren (im sogenannten Kolophon), ein Akt der Kontrolle, aber auch des Stolzes. Gelegentlich sind die im epischen Stil sehr beliebten Wiederholungen gar nicht mehr ausgeschrieben, sondern ist Platz leer gelassen oder wie bei uns in der Musik mit einem Zeichen markiert, da ja der Rezitator die Stellen ohnehin auswendig kann. Oder ein geschriebener Text stellt nur ein dürres Konstrukt, ein Hypomnema dar, welches Raum bot für ausgestaltende Improvisation. Andererseits wurden berühmte Dichtungen als bekannt vorausgesetzt, man konnte in der neuen Dichtung auf sie anspielen oder sie wörtlich zitieren. Daneben existierten feste Formeln und typische Szenen, die in verschiedensten Zusammenhängen eingesetzt werden konnten24. Gewisse Parallelen zum Homer-Betrieb sind also nicht zu übersehen! Zudem hatte im Orient Literatur nach Ansicht der Fachleute immer auch einen politischen Zweck, z. B. Aufwertung der Stellung einer bestimmten Stadt oder Anbindung eines historischen Herrschers an eine Gottheit zur Legitimation seiner Herrschaft oder Anpassung an veränderte Machtverhältnisse und dgl. mehr. Mythische Erzählungen konnten auf diese Weise nachträglich eine politische Funktion bekommen und deshalb in die Schullektüre eingehen25. Die Gestalt des GilgameS ist ein besonders herausragendes Beispiel für solch politisch motivierte Verknüpfungen schon lange bevor das große Epos entstand26. Für dieses in seiner endgültigen akkadischen Form ist außerhalb des Textes auch ein Verfassername überliefert, er heißt Sin-leqe-unnini, den «eine spätere Priesterfamilie in Uruk als ihren Stammvater nennt»27. Dort spielte GilgameS's Familie die Gründerrolle. Aber dieser, etwa um 1200 v. Chr. anzusetzende Dichter aus Uruk ist sonst unbekannt. Er wäre also 22 23
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J. G. Westenholz in: Mesopot. Epic Literature (wie Anin. 8), 151 ff. Z. B. die dem Moses ähnliche Geburtslegende des Sargon von Akkade, der im 3. Viertel des 3. Jt. herrschte: Brian Lewis, The Sargon Legend, 1946, Copyright 1980 by American Schools of Oriental Research. Die Komposition geht vermutlich über uns unbekannte Stufen auf die originale Akkad-Zeit zurück. Sargons Epos «Konig der Schlacht» ist hethitisch überliefert. Z. B. Götternamen und ihre Epitheta oder die immer wiederkehrende Formel «In jenen (fernen) Tagen, in jenen (fernen) Jahren als ...» zur Einleitung eines Gedichtes; kleine Übersicht bei J. Black (wie Anm. 8), Appendix B, 92-95. Zum ganzen Abschnitt: Cl. Wilcke in B. Hrouda, Der Alte Orient (wie Anm. 21), 294 f. W. G. Lambert, GilgameS in Religious, Historical and Omen Texts and the Historicity of GilgameS, in: Sammelband GilgameS et sä legende, ed. P. Garelli, Paris 1960, 47 f.; J. Bottero, Les Morts et l'au-delä dans les rituels en accadien contre l'action des «revenams», Zeitschr. für Assyriologie (ZA) 73,1983,200. W. von Soden, Übersetzung Reclam (s. Anhang Nr. 1)8.
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für den Orient etwa das, was für uns Homer ist. Und - das gilt für den hochberühmten Gilgames-Stoff, aber nicht nur für ihn -: «the story itself flourishes beyond the boundaries of any particular language or ethnic group»28. I
Zuerst sei nun eine berühmte Ilias-Szene betrachtet, nämlich wie die des toten Patroklos dem Achill erscheint ( 65 ff.). Diese Szene wu.rde Vorbild für eine ebenso bedeutende Odyssee-Szene, das Gespräch des Odysseus mit der seiner Mutter Antikleia in der Unterwelt ( 152-225). Die Patroklos-Achill-Szene ist aber ihrerseits einer ebenfalls berühmten Szene aus dem Zyklus des GilgameS so ähnlich, daß die Parallelität auch von Gräzisten schon anerkannt wkd. Wir können hier also mit der Möglichkeit einer direkten Abfolge rechnen29. Diese Szene steht in der Erzählung «GilgameS, Enkidu und die Unterwelt» (GEU)30. Es handelt sich um Folgendes: Dem Gilgarnej» waren zwei wichtige Gegenstände, sein pukku und mekku, (aus bisher nicht geklärtem Grund) in die Unterwelt hinabgefallen, und sein Gefährte Enkidu erbot sich, sie ihm wieder heraufzuholen. Da er dabei aber gegen GilgameS's Rat die Tabus der Unterwelt verletzte, wurde er - wie es heißt - «vom kür gepackt», das bedeutet: er mußte sterben (zum Ausdruck kür s. Anhang Nr. 2). Der verzweifelte GilgameS erreichte mit einem Bittgang, daß dem Sonnengott erlaubt wurde, durch eine Öffnung (sum. ab-Ial = Fenster oder Loch) die Erscheinung des Enkidu aus der Unterwelt herauffahren zu lassen «wie einen Windhauch», sodaß sich die beiden umarmen, miteinander seufzen und ein Zwiegespräch führen konnten. Aber GilgameS hatte nur ein Phantom im Arm31, und genau das muß Achill erleben, als er seinen toten Freund umfassen und mit ihm weinen will ( 97-101). Enkidu ist hier im Unterschied zu seiner Rolle im Epos zunächst ein Diener (irn oder Subur, etwa wie Patroklos ein )32, aber dann reden sie einander mit «mein Freund» an, und beide Szenen sind spürbar von der tiefen 28
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Stephanie Dalley, Myths from Mesopotamia, Oxford UP 1989/1990, XVIII; A. Heubeck, Betrachtungen zur Genesis des homerischen Epos, in: GilgameS et sä legende (wie Anm. 26), 191. Vgl. F. Grai in Coll. Raur. 2 (wie Anm. 5), 355: «freilich ist nicht auszuschließen, daß Griechen die nahöstlichen Epen gehört und zuhause in die Tradition von mündlich Erzähltem eingespeist haben». Der Abschnitt 7 seines Beitrages, a.O. 350-60, informiert sehr ruhig und abwägend darüber, was eine vergleichende Literaturbetrachtung für Homer zu leisten und was sie nicht zu leisten vermag. T. B. L. Webster, Von Mykene bis Homer, 1960, 116; W. Burkert, Die orientalisiereride Epoche in der Griechischen Religion und Literatur, Sitzb. Ak. Heidelberg 1984> 65 mit Zitaten von G. S. Kirk und 85, Anm. l oder überarbeitete englische Fassung: W. Burkert, The Orientalizing Revolution: Near Eastern Influence on Greek Culture in the Early Archaic Age, transl. by M. E. Pinder and .W. Burkert, Harvard UP 1992,65 und 88 mit Anm. l S. 200; ders. in Coll. Raur. 2 (wie Anm. 5), 163; M. L. West, JHS 1986,234 und JHS 1988,170 f. Deren 2. Hälfte die angehängte Tafel XII des Epos bildet (s. Anhang Nr. l e). Den vollständigen Text der sumerischen Dichtung, ediert von A. Shaffer, findet man bei Tournay/Shaffer, Üepöpee de Gilgamesh (beides s. Anhang Nr. 4) 248 ff. mit Überblick zur Textüberlieferung in Anm. a, die besprochene Szene 262 ff. So auch Tournay/Shaffer S. 263 Anm. d; anders S. N. Kramer in: GilgamcS et sä legende (wie Anm. 26), 67 Anm. 2. Es besteht evtl. eine Differenz zwischen der sumerischen und der akkadischen Fassung: GEU sum. 244/45, akk. 85/86. Das Verhältnis von Patroklos als und als des Achill hat untersucht T. Krischer, Patroklos, der Wagenlenker Achills, Rh. Mus. N. F. 135, 1992, 97 ff. und ders., Patroklos, Antilochos und die Dias, Mnemosyne XLVII1994,152 ff,
Die Fahrt des Odysseus zu den Toten
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Freundschaft der jeweiligen Partner getragen; diese ist es auch, die ber die nur u ere hnlichkeit hinaus eine gleicherma en ergreifende innere Beziehung herstellt. Die Gespr che der beiden Freundespaare sind nicht direkt vergleichbar. Enkidu soll dem GilgameS die «Ordnungen der Unterwelt» erkl ren (GEU sum. 246 = akk. 88). Deren Entsprechung ist in der Odyssee δίκη βροτχδν (λ 218), welche in der Unterwelt Antikleia dem Odysseus erkl rt33. In beiden F llen folgt eine Kurzbeschreibung des Zustarides der Toten, wobei Antikleia die Aussagen der Ilias-Stelle erweitert. Enkidu sagt, dieser Zustand sei so trostlos, da er den GilgameS nur zum Weinen bringen kann (Text im Anhang Nr. 2). Auf die folgenden Fragen und Antworten dieses Gespr chs komme ich noch zur ck (S. 19). — Patroklos erscheint dem Achill ja im Traum, doch haben Tr ume bei Homer - anders als bei uns - durchaus Realit tscharakter. Weil sein Leichnam noch nicht begraben ist, konnte er das Innere der Totenwelt nicht erreichen. Dasselbe trifft f r Elpenor in der Odyssee zu. Dies sei ein volkst mliches Wiederg ngermotiv - so wird erkl rt -, denn solange der Tote nicht begraben ist, kann er als Gespenst wiederkommen und die Lebenden ngstigen34. Doch davon ist in unseren Texten nicht die Rede, h chstens steht noch ein Anklang in der Anweisung des Achill, Holz zu holen f r die Leichenverbrennung, damit der Tote weggehen kann hinab in die neblige Finsternis und den Lebenden aus den Augen (Ψ 49-53). ber den Weg dorthin erfahren wir nichts, aber in der sonstigen Beschreibung des Patroklos haben wir einige wichtige Unterweltsvorstellungen beieinander: 1. Da sind die Tore des Hades, πύλαι35. Sie bilden den Eingang zu dem breittorigen Haus (αν* εύρυπυλές "Αϊδος δω, Ψ 74) oder den H usern, also dem Palast des Unterweltsgottes Hades. Hier kommt das ber hmteste orientalische Unterweltsepos in den Blick, «Inannas bzw. Istars Gang oder Abstieg zur Unterwelt» (Tabelle Nr. 3), sowie ein weiteres, welches das erste als bekannt voraussetzt: «Nergal und Ere§kigal» (das sind die beiden Unterweltsherrscher, denen Hades und Persephone entsprechen, Tabelle Nr. 5). In beiden Epen spielt das Tor zur Unterwelt mit Namen Ganzir eine wichtige Rolle: es ist ein siebenfaches Tor mit einem oder sieben Torw chtern36, und wer es durchschreitet, dem werden an jeder Torstation nach und nach seine Insignien und Bekleidungsst cke abgenommen, soda er schlie lich nackt, also wie ein Toter in den Unterweltspalast eintritt, der dahinter zu denken ist. Bis zum Eingang dieses Tores Ganzir waren auch dem GilgameS sein pukku und sein mekku gefallen im sumerischen ersten Teil der Erz hlung von «GilgameS, Enkidu und die Unterwelt» (GEU Z. 167), soda er sie nicht mehr erreichen konnte. Da es dort dunkel ist wie bei Homer und zwar nicht neblig, aber staubig und modrig (das h ngt vom Klima des Landes ab, in dem der Text entstand), erfahren wir auch37. 2. ist in der Ilias von einem Flu die Rede, den der Tote berqueren mu (Ψ 73). Dazu sp ter mehr. 33 34
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So auch Lehmann-Haupt RE XI433. F r den Alten Orient: J. Bottero, Les morts et Tau-dd ... (wie Anm. 26) passim, Zusammenfassung 178. F r die Griechen: A. Schnaufer, Fr hgriechischer Totenglaube, Spudasmata XX, 1970, 74 ff., 89 ff., 105 ff.; W. B chner, Probleme der homerischen Nekyia, Hermes 72,1937,116 f. Bis auf eine Stelle immer im Plural oder eigentlich Dual, was mit den beiden Torfl geln erkl rt wird. Nur in Π. E 397 hei t es «εν πύλω εν νεκύεσσι», wo Herakles den Gott Hades mit einem Pfeil traf. Das ist von Schadewaldt sicher richtig gefa t mit «unter den Toten am Tor», w hrend mit R cksicht auf die PluralRegel sonst Pylos (gro geschrieben) gelesen wird, was keinen Sinn ergibt. In der Aniarna-Fassung von Nergal und EreSkigal sind es sogar 14 Torw chter. Ψ 51 und fter, Od. λ 57,155: υπό ζόφον ήερόεντα. GEU 2. 252-254: Staub und Ungeziefer.
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3. sagt Patroklos zu Achill einen Satz, der einem orientalischen topos nachgebildet zu sein scheint, n mlich: «denn ich werde nicht wieder aus dem Hadeshaus zur ckkehren, sobald ihr mich dem Feuer bergeben habt» (Ψ 75 f.). Dies k nnte man zwar als eine Trivialaussage verstehen, eine Erfahrung, die eben jeder Mensch mit dem Tode macht. Aber mit dieser Aussage (ου ... νίσομαι) ist die wichtige Vorstellung von einem Weg verbunden, und zwar einer Einbahnstra e. Sumerisch hei t das kur-rnu-gli (s. Anhang Nr. 2). Alle normalen Stra en k nnen doch in beiden Richtungen begangen oder befahren werden, sogar vom Himmel herab und zum Himmel hinauf kommen G tter oder ihre Boten oder einzelne Auserw hlte38. Aber dort unten unter der Erde ist das Land, aus dem man nicht zur ckkehren kann. Das kur-nu-gi gilt im Orient auch f r die G tter. Darum mu Inanna, die gegen alle Ordnung als Himmelsg ttin (Venus^Stern, Tochter des Himmelsgottes oder des Mondes) zu den Toten eindrang und sich des unterirdischen Reiches bem chtigen wollte, um nur wieder entlassen zu werden, einen Ersatz stellen und liefert schlie lich kalt und schn de ihren Geliebten Dumuzi dem Tode an ihrer statt aus. Aber die nausweichlichkett des Todes gilt auch f r alle Helden der Ilias (nicht strikt der Odyssee)39. Patroklos formuliert also ein St ck Lebens- oder Weltordnung, wie sie das kur-nu-gi ebenfalls meint. Ich erinnere an eine uns zeitlich nahe stehende Parallele: Jn dem Lied «Der Wegweiser» aus Schuberts Winterreise hei t es: Eine Stra e mu ich gehen, Die noch keiner ging zur ck. Der Dichter war Wilhelm M ller, ein Sch ler von Friedrich August Wolf, mit dem Homer vertraut und selbst ein gro er Reisender, dem das Motiv des Wanderns auf allen Wegen st ndig pr sent war. In den von Schubert vertonten Gedichtzyklen sind es Wege zum Tode, und die zitierten beiden Zeilen sind eine Bild-Chiffre f r das Sterben. 4. Ein letztes Stichwort aus Patroklos' Bericht ist die κήρ, die ihn nun mit offenem Maul oder Rachen erwischt hat, so wie sie ihm bereits bei seiner Geburt zugeteilt war40. Von Enkidu hei t-es in dem verglichenen Gedicht, sumerische Fassung: «Der Schrei gegen die Unterweltssonne hat ihn gepackt»4*, weil er der Unterwelt durch tabu-Verletzung verfallen war.'Beide Bilder sind schwierig zu entr tseln, brigens ist (Jas Verschlingen durch die κήρ ein hapax legomenon. Schon die akkadische bersetzung hat den sumerischen Ausdruck nicht mehr recht verstanden und daraus vereinfacht: «der Schrei der Unterwelt hat ihn
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Bei uns am bekanntesten die sog. Jakobsleiter Gen. 28,12: «Eine Leiter war auf die Erde gestellt, und ihre Spitze ber hrte den Himmel, und siehe, die Boten Gottes stiegen darauf auf und nieder» (Elberfelder bersetzung), entsprechend in «Nergal und EreSkigal» (Tabelle Nr. 5). W. Kulimann, Hom. Mot. (wie Anm. 9) 110 und 257 verweist auf den Unterschied zwischen Ilias und Odyssee am Beispiel der Dioskuren: H. Γ 243 f. sind beide tot, Od. λ 301 ff. abwechselnd tot und lebendig. S. dazu auch: Pietro Pucci, Odysseus Polutropos, Intertextual Readings in the Odyssey and the Iliad, CornellUP 1987,151-153. Ψ 78 f. έμέ ... κηρ άμφέχανεί <άμφι-χαίνο> = rundum klaffen, g hnen « verschlingen, sehol. T: κατέπιεν. Sonst tragen die κί]ρες θανάτοιο den Toten weg: B 302; v 207, oder bringen ihn Λ 332, oder bezwingen (έδάμασσε) ihn λ 171 usw. „ ' GEU sum. Z. 221: i-3utu-kur-ra.. .dab. Zu vergleichen auch: Iu-i7-kur-r?i i7-lu-ku-ku-e = der F hrmann des' menschenverschlingenden Unterweltsflusses in «Jinl und Ninlil» Z. 93 und passim (falls richtig rekonstruiert) nach bersetzung von Bottero/Kramer, vgl. unten S. 11 f.
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gepackt»42. Gemeinsam ist allen diesen Bildern jedenfalls etwas von einem bedrohlichen Maul, das sich vor dem Ankommenden öffnet. Bei Hesiod erscheinen dann die beiden Vorstellungen von dem Weg ohne Rückkehr und dem Maul, das den Toten verschlingt, zu einem einzigen sehr eindrucksvollen Bild verschmolzen, das ich so paraphrasiere (Theog. 768 ff.): Vor dem Eingang zum Haus des Hades sitzt ein schrecklicher Wachhund, der mitleidlos einen üblen Trick anwendet: die Hereinkommenden begrüßt er mit Schwanzwedeln und Ohrenschlackern, wieder umkehren läßt er sie aber nicht, sondern packt und verschlingt jeden, der hinauszugehen versucht. Es ist natürlich der später Kerberos genannte Hund, den Herakles als einen seiner aus der Unterwelt heraufholen mußte. Die Patroklos-Szene endet damit, daß die Erscheinung des Toten sich verflüchtigt «wie ein Rauch» ( 100), das entspricht dem Heraufkommen des Enkidu «wie «in Wind» (GEU akk. 84). Die dahinter stehende Vorstellung vom Totengeist scheint in beiden Gedichten ähnlich zu sein43.
II Nach diesem Kurzvergleich zweier exemplarischer Textstellen gehen wir zu Odysseus über: Dieser ist ja im Epos keineswegs wie vielleicht in den Vorstufen der Märchenheld, der auszog, um die Welt kennenzulernen, und im letzten und schwersten Abenteuer sogar mit der Hölle konfrontiert wird, sondern er wird gegen seinen Willen von einer Grenze der Erde zur ändern verschlagen als gottverhängte Strafe für eigenes Verschulden und die tabuVerletzungen seiner Gefährten, wie es der Beginn der Odyssee ja schon ansagt44. Dabei verliert er nach und nach alle seine , sodaß schon deshalb fast alle Reiseetappen als Stationenweg einer Todesfahrt verstanden werden können. Folgerichtig müssen auch alle Schiffe verlorengehen, und selbst den letzten Balken seines Ersatzfloßes muß der Schiffbrüchige noch fahren lassen, sodaß ihn die Wogen verschlungen hätten, wenn nicht doch die Umkehr von den Himmlischen beschlossen gewesen wäre. Die letzte Station des Leidensweges, die Insel Scheria, ist wie die meisten vorherigen im Grunde ein Jenseits-Ort, lokalisiert an den Grenzen der Lebenswelt ( 204 f.), und ihre geheimnisvollen selbsttätigen Schiffe, die den Meeresschlund vom Nebel verhüllt durchfahren ( 556 ff.), lassen sich mit dem besonderen Schiff vergleichen, auf dem man das Gewässer überquert, welches das Diesseits vom Jenseits trennt45. Damit sind wir wieder bei GilgameS, diesmal im Epos: 42 43
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GEU 46; in den nur akkadischen, in den sumerischen Text zusätzlich eingefügten Zeilen 47-53 ist die Formulierung weiter vereinfacht zu: «Die Erde^Umerwelt (akk. ersetu(m)) hat ihn gepackt» (51 -53). Zum Problem bei GilgameS s. oben S. 6 mit Anm. 31; für Antikleia heißt es in der Odyssee «einem Schatten ähnlich oder einem Traum» ( 207 und 222). Zusammenfassend: P, Habermehl, Das Verstummen des Mythologen, diese Zeitschr. 1996,169 f., Anm. 59. a.7 und 75, aufgenommen in v.339-343. S. Karin Alt, Die Dichter und das Böse, in: , Wiener Studien 107/08,1994/95, Hans, Schwabl zum 70. Geburtstag gewidmet, Kap. II. S. 122-129. Lehmann-Haupt RE XI433 (von 1921); W. Büchner (wie Anm. 34) 121 mit Verweis auf Bethe und Meuli; U. Holscher (wie Anm. 16) 109; G. Dietz, Der Weg des Odysseus, Symbolon, Jahrb. für Symbolforschg. N. F. 9,1988,99; M. Köhlmeier im ersten Band seiner geplanten Odyssee-Tetralogie: Telemach, München 1995 = tb. 1997,260.
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Der trauernde GilgameS will sich bei seinem Ahnen UtnapiStim, dem einzigen Gerechten, der mit seiner Frau die große Flut überlebt hat (Vorbild für Noah)46, nach den Möglichkeiten des eigenen Überlebens erkundigen und muß dazu nach Umherirren in der Wüste und Durchqueren des Gebirges noch das Meer oder einen Meeresarm überfahren, der auch das Gewässer des Todes ist. Die Schenkin Siduri erklärt ihm den Weg und betont, daß noch kein Sterblicher ihn zurückgelegt hat, nur der Sonnengott vermag das. UtnapiStim wohnt aber nicht in der Unterwelt, sondern in einem fernen Paradies der Unsterblichkeit. Mit der Hilfe des Fährmanns UrSanabi gelingt mit dem speziellen Wunderschiff doch die Überfahrt. GilgameS scheitert aber an der von ihm verlangten Prüfung, 6 Tage und 7 Nächte hintereinander nicht zu schlafen (Taf. XI Col. IV 197 ff.). Wir denken dabei an Odysseus, dem es zweimal auf der Heimreise zum Verhängnis wurde, daß er eingeschlafen war47. GilgameS also muß zurück, und da ihm auch noch das Lebenskraut, welches als Verjüngungsmöglichkeit einen Ersatz bilden sollte, von einer Schlange entwendet wird, kommt er zusammen mit jenem Fährmann unverrichteter Dinge aus dem Jenseits heim ins diesseitige Menschenleben, zu seiner Stadt Uruk. Er war der erste und soll der letzte sein, dem diese Reise gestattet wurde. Auch UrSanabi ist von seinem Fährmannsamt entlassen, so wie das Phaiaken-Schiff nach Odysseus niemanden mehr in die Heimat befördern wird, sondern nur seine Versteinerung übrig bleibt48. Der Leser wird die Ähnlichkeiten aus dieser resümierenden Nacherzählung herausgehört haben. Selbstverständlich sind es immer nur Motive, deren Vergleich sich anbietet, nie die Erzählung im Ganzen. Aber bestimmte gemeinsame Vorstellungen stecken doch dahinter. Hier kommt es auf zwei verschiedene Jenseitslokalisationen an: im vorigen Beispiel sahen wir die unter der Erdoberfläche befindliche finstere Weit der Toten, zu der man vertikal hinabsteigt. Hier dagegen handelt es sich um einen in weiter Ferne liegenden quasi paradiesischen Jenseitsort, zu dem man eine horizontale Reise antreten muß, die im Orient zuerst durch die Wüste, im Mittelmeergebiet verständlicherweise gleich über's Meer führt49. Das griechische Stichwort heißt oder , und wenn der Ort besonders isoliert vorgestellt wird, dann ist es eine Insel. Zu dieser Kategorie gehören die Wohnsitze der Aithiopen, Kyklopen, Kirke, Kalypso* Phaiaken und die singuläre Nennung eines als Aufenthalt privilegierter Toter, wie es dem Menelaos prophezeit ist. Ihnen gemeinsam ist, daß es dort für Odysseus um Sterben oder Überleben oder - im Falle Kalypso - sogar um ewiges Leben geht (i 421 -23). Selbstverständlich liegen diese Orte alle in einer mythischen Geographie, die auf keiner Erdkarte zu fixieren ist50. Dennoch können echte geographische Kenntnisse darin stecken man denke an die zum Lände Aia gehörige Insel der Kirke, Aia, das später nach Kolchis ver-
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Taf. IX Col. 11-12 und Taf. XI Col. IV189-196 (Zählung Tournay/Shaffer). Zum Namen sum. zi-u4-sudra = «Leben verlängerter Tage», akk. (je nach Lesung) «Tag verlängerten Lebens» oder «er hat das Leben gefunden» s. Tournay/Shaffer S. 189 Anm. e. 1.) das verhinderte Aiolos-Geleit 31 mit 68 f., 2.) auf der Insel des Helios 38 mit 366, 372. Selbst zu dieser scheint es ein Pendant zu geben im Zusammenhang mit dem Fährschiff des UrSanabi, aber , der schwierige Text hat Lücken und ist noch nicht ausreichend aufgeklärt: Taf. X Col. III29-IV 28. J. Bottero, Les morts ... (wie Anm. 26) 154,191 ff.; Ch.JPenglase, GreekMyths andMesopotamia, Parallels and Influence in the Homeric Hyrims and Hesiod, London 1994,91 f. Stellvertretend für viele einschlägige Arbeiten empfehle ich die vergnüglich zu lesende Rezension von W. Marg,Gnomon 42,1970,225-237.
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legt wurde51, oder an den bis heute unter Gräzisten strittigen Fall der Kimmerier, zu denen Odysseus bei seiner Totenreise kommt52. Auch dafür gibt es ein mesopotamisches Aequivalent, nämlich Dilmun, heute Bahrein, welches in literarischen Texten ein mit dem Schöpfergott Enki verbundenes Paradies ist53 und durch einen weiteren, wahrscheinlich dort zu lokalisierenden Gott (NingiSzida) auch mit dem Unterweltsbereich zu tun hat. Dilmun war im 3. Jt. v. Chr. ein real existierender Handelsumschlagplatz, quasi überseeisch, jenseits des Persischen Golfes, und eine Quelle von Einkünften und Wohlstand. Nach dem Ende der sumerischen Seefahrt blieb es nur noch eine ferne, unerreichbare Gegend und wurde so zum mythischen Jenseitsland des UtnapiStim54, und dieses wiederum konnte in andere Räume versetzt werden55. Der Fall Dilmun belegt also, daß die Entwicklung nicht immer vom Mythos zur aufgeklärten Rationalität verlaufen muß, sondern auch umgekehrt aus einstmaliger Realität später eine mehr oder weniger unklare mythische Vorstellung entstehen kann oder - vermutlich meistens - beides ineinanderfließt56. Als Beispiel für letzteres sei kurz die kleine Erzähldichtung «Enlil und Ninlil» vorgestellt (Tabelle Nr. 4), in welcher der oberste Gott der Nippur^Theologie dem griechischen Zeus vergleichbar auf sexuelle Vergnügungen ausgeht. Er vergewaltigt ein jungfräuliches Mädchen, wird dafür von den anderen Göttern in einer Götterversammlung aus seinem Hauptkultort Nippur verbannt und muß seine Stadt verlassen. Seine Partnerin folgt ihm, wodurch es zu drei weiteren erotischen Vereinigungen kommt, sodaß insgesamt vier Götter gezeugt werden. Sämtliche Ortsangaben, Kanal, Tempelbezirk, Stadttor, Fluß, sind namentlich topographisch nachweisbar57. So kam der erste Herausgeber des Textes zu dem Schluß, daß es sich um eine der beliebten Götterreisen handelt, ausgehend von Nippur, vermutlich mit liturgisch-rituellem Hintergrund58. Weil aber die Reise nicht in eine andere Stadt zu deren Stadtgott geht, sondern zum kur, dem Bergland, dessen Herr Enlil ja ist (s. Anhang 51 52 53 54
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A. Lesky, Thalatta, Der Weg der Griechen zum Meer, 1947, Reprint 1973, Kap. Okeanos, 61, 69; A. Heubeck in: A Commentary on Homer's Odyssey, Oxf. UP 1989/92,5. 52 zu 135-39. Kölscher a.0.154 f.: nicht existent. A. Dihle, Homer-Probleme, 1970,155 f. und ders., Die Griechen und die Fremden, 1994,11 f.: die realen Kimmerier. Mehr dazu unten S. 17 mit Anm. 86. Z. B. in den Dichtungen «Enki und die Weltordnung» 2. 238/39 und «Enki und Ninhursag» durchgängig, s. S. N. Kramer/J. Maier, Myths of Enki ... (wie Anm. 3) passim. Überblick bei Tournay/Shaffer, S. 239 Anm. i; B. Alster, Dilmun, Bahrain and the alleged Paradise in Sumerian Myth and Literature, in: New Studies in the Archaeology and Early History of Bahrain, ed. D. T. Potts, Berlin 1983, 39 ff. (war mir nicht zugänglich). W. Kulimann, Hom. Mot. 128: «Versetzungen in andere Räume». In der sumerischen Sinflut-Sage, auch als «Eridu-Genesis» publiziert, einem der Vorbilder für die Sintflutgeschichte unserer Bibel, heißt der überlebende gerechte König Ziusudra (vgl. Anm. 46), uns bekannt als Xisouthros aus dem griechisch schreibenden Babylonier Berossos, 3. Jh. v. Chr. Dieser wird von den Göttern auf einem Berg Dilmun im östlichen Gebirge, also vielleicht dem Zagros, angesiedelt: Th. Jacobsen, The Harps that once ... (s. Anhang Nr. 4) 150. So evtl. auch in Gilgames Taf. IX Col. ff., dazu vgl. V. Haas, Hethitische Berggötter und hurritische Steindämonen, Mainz 1982, 111 f. - Nach erneuter Textrevision übersetzte aber S. N. Kramer: «Ils (les dicux) rinstallerent en une contree transmarine, a Dilmun, la oü se leve le solcil», also jedenfalls im Osten statt im Süden. Lesky, Thalatta (wie Anm. 51) 67: Weltbild mit mythischen und geographischen Bestandteilen. Stadtplan von Nippur, Mitte 2. JL v. Chr., heute in der Hilprecht-Sammlung in Jena, von modernen Ausgrabungsergebnissen bestätigt, s. C. B. E Walker in Hrouda, Der Alte Orient (wie Anm. 21) 257 f. mit Abb. Hermann Behrens, Enlil und Nxnlii, Ein sumerischer Mythos aus Nippur, Studia Pohl, Series maior 8, Rom 1978; Rezensionen von J. S. Cooper und M. W. Green; Unterweltsbedeutung bei Jacobsen, Hutter, Bottero/Kramer.
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Nr. 2), kam man in Rezensionen und Diskussionen nach und nach zu der zweifellos richtigen Auffassung, daß es sich auch hier um eine Unterweltsfahrt handelt, bei der - wenn man die topographischen Namen richtig deutet - weder der Unterweltsfluß (er heißt sogar «rnenschenverschlingend», s. Anm. 41) noch der Fährmann noch das Stadt- bzw. Hadestor fehlen. - Für uns bleibt festzuhalten: erstens eine enge Verbindung von Sexualität und Unterwelt; dieses Motiv ist konstituierend auch im Gedicht «Nergal und EreSkigal» (Tabelle Nr. 5). Zweitens ist wahrscheinlich auch in der Geschichte enthalten die Bedingung des Substitutes, welche in den größeren Epen von Inanna und eben Nergal (Tab. Nr. 3 und 5) eine wichtige Rolle spielt, d. h. die Unterwelt kann ein Gott nur verlassen, wenn er einen Ersatz stellt. Im Falle von Enlil und Ninlil wären das die drei unterwegs gezeugten Götter, die unten bleiben, während der erste, der Mondgott, natürlich zum Himmel kommt. Die Handlung ist eine durch die Doppeldeutigkeit von kür begründete Vermischung von Katabasis und oberirdischer Reise, die Form der Dichtung ein nafrativer Hymnus, mit Lobpreis auf den obersten Gott und seine zur Gemahlin gewordene Partnerin als Schlußdoxologie59, also vergleichbar den sogenannten Homerischen Hymnen. Bei der Rezitation dieses Textes auf einem Götterfest in Nippur dürfte die drastische und fast humorvolle Darstellung der Sexualvorgänge dem versammelten Publikum viel Vergnügen bereitet haben!
III Diese soeben bei «EnliLund Ninlil» konstatierte enge Verbindung von Erotik und Unterwelt leitet nun über auf den vielleicht konsequenzenreichsten meiner Vergleiche69, der hier nicht anhand der Texte vorgeführt, sondern nur resümiert werden kann. Es geht um die Bedeutung der Kirke für die mit ihr verbundene Unterweltsfährt des Odysseüs. Kirke wird nach ihrer Genealogie als Tochter des Helios und Schwester des Aietes aus der Argonautensage abgeleitet, und somit ist sie - ganz gleich ob es ein vorhomerisches Argonautenepos gegeben hat oder nicht61 - verwandt mit der in der Odyssee nicht genannten Medea. Wie diese soll sie aus der. volkstümlichen Märchenwelt stammen, eine bösartige Zauberin und Hexe, die über Kräfte verfügt, mit denen sie Menschen in Tiere verwandeln kann. Genau dieser Zug spielte dann für ihr Weiterleben in der nachhomerischen Literatur und Kunst die Hauptrolle62, im Epos dagegen bleibt er praktisch ohne Folgen. Vielmehr ist es Kirkes erotische Verführungskunst, die für Odysseüs entscheidend wird. Hier sehe ich ein orientalisches Motiv, wiederum über GilgameS, sich mit dem argonautischen verbinden. Das ist von orientalistischer Seite auch schon vorgebracht worden63. Ich setze also Kirkes beide 59 60
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Dazu: J. Black (wie Anm. 8), Appendix C, S. 96-99. Erst nach Fertigstellung des Manuskriptes kam mir das schöne, Stoff- und einfallsreiche Buch von Gabriel Gerraain zur Hand: Genese de lOdyssee, le fantastique et le sacre, Presses universitaires de France, Paris 1954, in dessen Kapitel «Circe» das Folgende detailreich, aber mit anderer Nuancierung, schon ausgeführt ist. Für mich eine Bestätigung! Den Untersuchungen von K, Meuli zustimmend: W. Kulimann, Hom. Mot. 125 ff., dagegen U. Hölscher a.0.170 ff. E. Kaiser, Odyssee-Szenen als Topoi, Drei Kapitel zur Auffassung des homerischen Odysseüs in der antiken Literatur, Diss. Zürich, Basel 1964 (auch Mus. Helv. 21,1964) 199; E Bronamer, Odysseüs, Die Taten * und Leiden des Helden in antiker Kunst und Literatur, 1983, 70-80. Tournay/Shaffer 31, vgl. unten Anni. 70.
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Fähigkeiten, die der Odyssee-Dichter auf die Gefährten einerseits und Odysseus andererseits verteilt hat, wieder zusammen, und dahinter zeigt sich die mächtigste orientalische Göttin Inanna/IStar, von der wir aus mindestens zwei Epen wissen, daß sie ihre menschlichen Liebhaber nach ausgekostetem sexuellen Genuß in Tiere verwandelt und auch mit Tieren Umgang hat, die sie anschließend ihrer Freiheit und Lebenskraft beraubt64. GilgameS wirft ihr das, indem er sie von sich abweist, mit einem Katalog solcher Unglücklichen wutentbrannt vor, woraufhin die beleidigte Göttin mit ihrer Rache ganz Uruk bedroht. Auch Odysseus, hierin ein Nachfolger des Gilgames, vermeidet zunächst einmal durch den Schwur, zu dem er Kirke zwingt, die Gefahr der Impotenz, die einem Menschenmann beim Umgang mit einer Göttin droht65. Die Parallelität gerade dieses Motivs zu I§tar wurde schon länger gesehen und hat ihre Entsprechung auch bei IStars griechischer Nachfolgerin Aphrodite in den Befürchtungen, die der von ihr verführte Anchises nach ihrem gemeinsamen Beilager ausspricht (Aphrodite-Hymnus 187-90). Kirke aber erkennt am Widerstand des Odysseus gegen jegliche Entmachtung den ihr einstmals verheißenen Mann und wandelt sich daraufhin ihrerseits aus der gefährlichen Göttin zur freundlichen Gastgeberin, die ihren Geliebten nun pflegt, statt ihn zu vernichten. Mit dieser positiven Rolle gewinnt sie Züge, die im Gilgames-Epos zwei Frauengestalten tragen: einerseits Siduri, von der wir schon gehört haben. Bei dieser ist die erotische Komponente höchstens noch in ihrem Beruf als Bierschankwirtin angedeutet (sabitu(m)), obwohl auch für sie Istar als dahinterstehende Göttin bezeugt ist66. Eine deutlichere Parallele sehe ich andererseits in der Rolle der Hierodule, durch deren Hilfe am Anfang des Epos aus dem noch tierhaften Enkidu in der Erfahrung der Sexualität als einem Akt der Humanisierung erst ein wahrer Mensch wird. In beiden Epen ist also Erotik sowohl negativ als etwas Lebensbedrohendes wie auch positiv " als etwas zum Leben Hinführendes dargestellt. Auch der äußere Ablauf dieser Begegnungen ist immer ähnlich — wir müssen Kalypso noch dazunehmen —, denn die zugehörigen typischen Wasch-, Salbungs-, Ankleide- und Bewirtungsszenen gehören zum Repertoire sowohl der homerischen wie der orientalischen Epik. Das Gemeinsame von Kirke und der Hierodule, die übrigens ein durchaus angesehenes Amt als Dienerin der I§tar in ihrem Tempelbezirk in Uruk bekleidet, ihr Gemeinsames also ist, daß beide in der Intimität mit ihrem Partner zu dessen vertrauter Ratgeberin werden, die ihm den künftigen Weg zu weisen vermag, allerdings einen gegensätzlichen. Denn die Hierodule führt ins Leben ein, während Korke über das Leben hinaus in die Totenwelt, aber dann auch auf den Heimweg weist. Für beide lauten die Formulierungen fast wörtlich gleich: Die Hierodule zu Enkidu: «Komm, ich werde dich führen nach Uruk» Enkidu zur Hierodule: «Komm, führe mich zum Tempel» Odysseus zu Kirke: «Wer wird mich führen diesen Weg (zum Hades)?»67 64
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Gilgames Taf. VI Col. I and II; «Inanna und Sukaletuda» Schluß, allerdings in Umkehrung des Motivs: die Göttin ihrerseits vom Manne vergewaltigt, s. jetzt K. Volk, Inanna und Sukaletuda: Zur historischpolitischen Deutung eines sumerischen Literaturwerkes, Wiesbaden 1995; V. Haas, Hethitische Berggötter (wie Anm. 55) 83. Ein nackter Odysseus ist wehrlos und kann zum werden; s. A. Heubeck im Commentary zu 301 mit Verweis auf G. Germain (wie Anm, 60) 268 L St. Dalley, Myths of Mesopotamia (wie Anm. 28) 132: eine akkadische Liste nennt Siduri eine «Utar of wisdoms Tournay/Shaffer 199 Anm. e; W. Kuli mann, Hom. Mot. 107; G. Germain a.O. 355. Gilgames Taf. I Col. IV 37 und 44; Od. 501/02: tautnv ; zu vergleichen das Resume bei G. Germain a.0.272-74.
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Auf Grund dieses Befundes lautet nun meine Hypothese, daß in den Irrfahrten-Strang der Odyssee und den damit verquickten Nostos-Strang als dritter noch ein orientalischer Jenseitsfahrten-Strang verwoben ist. Dessen Kenntnis müßte im Fluß des mündlich tradierten GilgameS-Stoffes zu dem homerischen Dichter gelangt sein68, und die Figur der Kirke konnte dann dazu dienen, um auch die Unterweltsfahrt, das , ins Epos einzuarbeiten, etwa so, wie durch Einführung des Utnapi$tim in den Gilgame$-$toff für den Epos-Verfasser die Möglichkeit bestand, in seiner elften Tafel auch hoch die Sintflutgeschichte einzubauen, die bis dahin unabhängig von GilgameS überliefert war. Kirke bekam auf diese Weise eine doppelte Rolle, nämlich Wegweiserin erstens im zu den Toten und zweitens im für den Nostos zu sein. Nur für letzteres hat sie in Kalypso eine Doppelgängerin. Aus prientalistischer Sicht erscheinen die beiden Göttinnen oder Nymphen ohnehin nur als die Verdoppelung der einen Siduri, welche den Weg ins Jenseits kennt* Nimmt man aber die existentielle Bedeutung der Hierodule aus der Enkidu-Geschichte mit in den Vergleich auf, so ergibt sich, daß Kirke für Odysseus diese wirklich führende Rolle spielt, zumal ja im gesanvten Irrfahrten-Strang seine eigentliche Schutzgöttin Athene abwesend ist69 bis zum Übergang in die reale Menschenwelt bei den Phaiaken. Kalypso dagegen hält Odysseus nur in unerwiderter Liebe fest, wodurch seine Sehnsucht nach Gattin und Heimat intensiviert und er seelisch immer weiter von der Göttin entfernt wird. Aber alle diese Frauenfiguren tragen Züge, die aus einem allgemeinen Reservoir gespeist sind, für das die unerschöpfliche Liebesgöttin IStar die Quelle ist70. IV
Hier sei eine kurze Erinnerung eingeschaltet an die schwere Zeit gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und danach: damals scheint die Beschäftigung mit den Irrfahrten des Odysseus und besonders seiner Hadesfahrt einem inneren Bedürfnis entsprochen zu haben. Karl Reinhardt begann seine grundlegende Arbeit «Die Abenteuer der Odyssee» 194271. Wolf gang Schadewaldt veröffentlichte seinen Essay «Die Heimkehr des Odysseus» 1946 und schrieb im selben Jahr einen geistreichen Dialog «Odysseus-Abenteuer»72. In diesem nennt er das «Schattenreich des Todes» ein «Gefilde des Nichts» und knüpft daran in Auseinandersetzung mit der damals herrschenden Existenzphilosophie eine ganze Philosophie des Nichts. Odysseus und die Griechen aber - fährt er fort·-* hätten sich im vollen Bewußtsein dieses Nichts doch lieber der realen Welt zugewandt und statt über das 68
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Auch die Ilias weist ja außer der vorher betrachteten noch weitere parallele Szenen auf, eine sogar zweimal: E 330-431 und 505-513. So beschwert sich Odysseus selber gegenüber Athene v 318-323. Zu den Gemeinsamkeiten von Ilias, Odyssee und GilgameS im Überblick: Am überschwänglichsten der alte Aufsatz von A. Ungriad, GilgameS-Epos und Odyssee, 1923, jetzt in WdF Gilgame$, 1977, .104 ff., bes. 133-37. Dort auch die Beiträge von L. MatouS und G. Furlani; J. B. Wace/E H. Stubbings, A Companion to Homer, London 1963, 205; G. Grane, Calypso, Backgrounds and Conventions of the Odyssey, Athenäum Ff m. 1988 (überladen und vorschnell); St. Dalley, Myths. 47-49; Tournay/Shaffer 30-33 mit Überblick über die Literatur seit 1960. W. Kulimann, Hom. Mot. 105 ff. K. Reinhardt, Die Abenteuer der Odyssee, erschienen iri: Von Werken und Formen, Godesberg 1948, dann auch in: Tradition und Geist, 1960,47 ff. . W. Schadewaldt, Die Heimkehr des Odysseus, Taschenbuch für junge Menschen, 1946; ders., OdysseusAbenteuer, in: Heidegger-Festschrift, Bern 1949,94 ff,, auch in: Hellas und Hesperien !1960; 982 ff.'
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Nichts über das Seiende nachgedacht. Reinhardt resümiert ähnlich: Die Abenteuer und die darin als Extremstes beschlossene Todeserfahrung eröffne die Perspektive auf ein «Lebensganzes», die Nekyia sei «die erste Menschheitsdichtung», der Dichter habe den «Plan eines Weltganzen» im Auge gehabt*3. Den damaligen Zeitbezug aber sprach am sinnfälligsten die Dichterin Marie Luise Kaschnitz aus in einem Aufsatz «Mythos» von 1942: «Wann haben wir den rechten Weg verfehlt? ... Sprich, schöner entrückter Genius Mythos, ich höre dir zu. Wer sind wir, wohin gehen wir?», dazu in einer Tagebuchnotiz von 1950: «... Mythen und Märchen, ewige Themen, immer wiederkehrend ... Der unbekannte Soldat, Stalingrad ...»74. Zur selben Zeit sinnierte in Holland der Assyriologe De Liagre Bohl über die Zusammengehörigkeit der Begriffe Leben und Tod bei den Babyloniern anhand der GügameS-Überlieferung und hielt die Frage nach dem Sinn des Menschenlebens, verbunden mit der Absage an ein ewiges Weiterleben nach dem Tode, für das eigentliche Thema des Epos75. - Alle die Genannten habe ich persönlich gekannt und ihre tiefsinnigen Deutungen immer bewunden. Da ich hier begonnen habe mit einem jungen Dichter unserer Zeit, der die Toten der Odyssee zitiert, möchte ich jedem Leser auch die Dichterin der Nachkriegszeit besonders ans Herz legen, die in ihrer Erzählung «Die Begegnung» den Weg des Odysseus von Kirke bis zum Hades und die dortige Elpenor-Szene so schön beschrieben hat, daß sie nur von Homer selber übertroffen werden kann76. Seit damals ist die wissenschaftliche Homer-Literatur ins Unüberschaubare angewachsen — gerade auch zur angeblich «schwierigsten Partie» der Odyssee77, der Nekyia, auf die wir jetzt noch einen Blick werfen. In der Orientalistik andererseits kommen immer wieder neue Texte hinzu, sodaß dort die Philologie sich noch hauptsächlich in ihrem eigensten Gebiet, der Textherstellung und -kommentierung bewegt. Obendrein wurde schon längst die für beide Seiten geltende prinzipielle «Unscharf e aller Jenseitsvorstellungen» bemerkt, die ständigem Wandel unterworfen sind und deren logische Gongruenz unmöglich und von keinem Dichter zu erwarten ist78. Durch all das wird man zurückhaltend mit zusammenfassenden Interpretationen. Ich picke mir daher auch aus der Nekyia nur heraus, was sich zum Vergleichen anbietet: Odysseus begibt sich also auf Anweisung von Korke mit seinen Gefährten statt auf den Heimweg auf die Reise ins Totenland, das hinter dem Okeanos-Strom liegt. Woher Kirke den Weg dorthin weiß, erfahren wir nicht, können aber vermuten, daß sie als Enkelin des Okeanos eine besondere Verbindung zum Jenseits hat. Okeanos mit seinem nicht-griechischen Namen stammt in der Ilias als «Ursprung der Götter» aus dem Zusammenhang einer orientalischen Kosmogonie79 und umfließt in dem Weltbild des Achilleus-Schildes als 73 74 75 76 77 78
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Reinhardt a.O. 50, 69,107. Mitgeteilt von Dagmar von Gersdorff in der Biographie Marie Luise Kaschnitz, 1992,123. F. M. Th. De Liagre Bohl, Das Problem ewigen Lebens im Zyklus und Epos des Gilgamesch, Vortrag niederländisch 1947, veröffentlicht 1948, deutschen:ders., Opera Minora, 1953, 234 ff. Marie Luise Kaschnitz, Griechische Mythen, 1943, Hamburg 1946,132 ff. A. Lesky, Homeros, RE-Sonderausgabe 1967, Sp. 125. Lesk)· a.O.; vgl. Wüst RE DC 672 ff. s, v. Unterwelt; W. Büchner (wie Anm. 34) 104; W. Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, '1977, 304 f.; M. Hutter, Altorientalische Vorstellungen von der Unterwelt (s. Anhang Nr. 4) 162 f.; Th. Jacobsen, The Harps (s. ebenda) 206, Anm. 1. , 201, 246, 302; Lesky, Thalatta (wie Anm; 51), Kap. Okeanos, S. 58-87; W. Burkert, Orientalisierende Epoche (wie Anm. 29) 88; G. Dietz, Okeanos und Proteus, Poseidon und Skamaoder, Urstrom, Meer und Fluß bei Homer, in: Symbolen, Jahrb. für Symbolforschg. N. F. 13,1997, 35 ff.
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Ringstrom die Erde, was ebenfalls einer orientalischen Vorstellung entspricht (s. Anhang Nr. 3)80. In der Odyssee bildet er dazuhin denjenigen Fluß, der die Lebenden von den Toten oder das Diesseits vom Jenseits trennt, wie es hier ja schon mehrfach begegnete (bei Patroklos, bei Enlil und Ninlil, bei GilgameS). Die Weganweisung, die Kirke dem Odysseus gibt, nennt noch zwei weitere Flüsse, die sich in den Acheron ergießen, und zusammen mit ihnen wird eine ganze Landschaft vor dem Eingang zum Hades beschrieben ( 509-515). Das gehört - auch wenn es aus verschiedenen Vorstellungen zusammengeflossen sein wird zu den besonderen Vorzügen des Odyssee^Dichters, der alle Orte, zu denen sein Held gelangt, für die Zuhörer anschaulich beschreibt81. In der orientalischen Epik ist so etwas selten, wenn es auch nicht ganz fehlt. Z. B. wird in Gilgame$ Tafel IX ein paradiesischer wohlbewässerter Edelstein-Fruchtgarten beschrieben, zu dem der Held gelangt, nachdem er sich durch einen finsteren Berg hindurchgequält hatte. Da genießt er den unerwartet schönen Anblick, und falls dieser Göttergarten mit Siduri zusammengehörte, wäre das eine Parallele zum Garten von Kalypso und würde den Vergleich der beiden stützen (Gilg. Taf. IX Col. V Ende und VI, Od. 63-74), aber das bleibt Vermutung. Allgemein gilt, daß sich die orientalische Epik mehr auf Handlung und vor allem den Dialog der Personen konzentriert, was oft sehr dramatisch ist82. Die umgebende Szenerie aber muß sich der Zuhörer aus der Nennung von bezeichnenden Requisiten selbst ableiten, und das besonders in den Gedichten von der Unterwelt. Wie es dort aussieht, erfahren wir kaum (s. zwei Texte im Anhang Nr. 2), es wird allerdings auch aus der Nekyia nicht recht ersichtlich. Den angesprochenen Unterschied zwischen Spannung der Zuhörer im Orient und behaglichem Auskosten der Erzählung bei Homer können wir auch durch folgenden Vergleich bemerken: Im berühmten Epos «Inannas Gang zur Unterwelt» (Tabelle Nr. 3 a und b) weiß nicht nur der Hörer, sondern weiß auch die Heldin selbst nicht, was sie in der Unterwelt zu erwarten hat und ob sie - die große Göttin - überhaupt lebend wieder heraufkommen wird83. Sie trifft also schon entsprechende Vorsorge, wird auch wirklich überwältigt und müßte wie tot unten bleiben, wenn nicht der Helfergott Enki einen trickreichen Ausweg erfände. Aber die unterweltlichen Richtergötter machen zur Bedingung für Inannas gegen die Ordnung verstoßenden Ausgang aus dem kurnugi die Stellung eines gleichwertigen Ersatzes, und ob und wie und wen sie dafür findet, ist eine weitere dramatische Handlung, 80
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607 f., auch Od. 65, dazu E. G. Schmidt, Himmel - Meer - Erde im frühgriechischen Epos und im AJten Orient, Philologus 125,1981, l -24. Die «Babylonische Weltkarte» aus: W. Horowitz, The Babylonian Map of the World, Iraq 50,1988, 147 ff. Zur Fortentwicklung des Weltbildes s. W. Burkert, Orientalische und griechische Weltmodelle von Assur bis Anaximandros, in: (wie Anm. 44), 179-186. K. Reinhardt, in: Trad. und Geist (wie Anm. 71) 62-64; Lesky Thalatta 154. Vgl. dazu Kirk, Ilias-Kommentar U 28-35, nach Rez. T. Krischer, Gnomon 67,1995,482. Zur Bedeutung der epischen Beschreibung von Lokalitäten und Sachen und überhaupt zum Unterschied zwischen Dramatik und der beschreibenden «Allwissenheit des Erzählers» im Epos s. E.-R. Schwinge, Aristoteles und die Gattungsdifferenz von Epos und Drama, Poetica 22, 1990, 17 f. mit Anm. 35; H. Patzer, Die Formgesetze (wie Anm. 19) 87 ff. Auf die sprachschöpferische Kunst des Odyssee-Dichters, der für seine Beschreibungen zahlreiche Adjektive neu gebildet hat, macht aufmerksam H. Erbse (wie Anm. 6) 272. Die sumerische Ependichtung dagegen war eher arm an Adjektiven, s. Kramer/Maier (wie Anm. 3) 189. So verstehe ich, anders als Alster (wie Anm. 8) 64, trotz Z. 65-67 (Z. 67 sprachlich unklar) mit dem Hinweis oder der Hoffnung auf «Vater Enki», der die Pflanze und das Wasser des Lebens kennt und diese für Inanna einsetzen kann oder wird> vergleichbar vielleicht dem Hermes, der das rettende Kraut Moly kennt ( 302-06). Beides hilft ja dann auch.
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sodaß der Zuhörer bis zuletzt in Atem gehalten wird. Ganz anders in der Odyssee: Kirke schickt ja den Odysseus in die Unterwelt nur zur Befragung des Sehers Teiresias, ob der ihm den weiteren Weg und die Heimkehr, den Nostos, ansagen könne, was der im vordergründigen Sinne gar nicht tut, sondern vielmehr Kirke selber im . Hier liegt also die Verklammerung des mit dem Irrfahrer- und Nostos-Strang offen. Der Kunstgriff des Dichters hat aber zur Folge, daß es von vornherein schon dem Odysseus selber nicht fraglich scheint, ob er aus dem Totenland zurückkehren wird. Zudem ist ja er derjenige, der die Geschichte im Zuge seiner Apologe den Phaiaken erzählt84. Von der dramatischen Spannung also, die durch direkt einsträngige Erzählung im Inanna-Epos erzeugt wird, von solcher Spannung hat sich der Odyssee-Dichter weit entfernt zugunsten seiner raffinierten Form von gleichzeitiger Handlungsführung auf mehreren Ebenen, wodurch es nicht nur auf die Handlung als solche ankommt, sondern genauso darauf, was diese für die Situation der nächsten Ebene bedeutet, auf der sie erzählt wird85. Angesichts dieses großräumigen und mehrdeutigen Erzählungsaufbaus scheint es unerheblich, wenn dabei kleinere Unstimmigkeiten stehen geblieben sind wie z. B. die, daß Odysseus im nicht zu der von Kirke beschriebenen Örtlichkeit, sondern zu den Kimmeriern kommt ( 509—15 entspricht nicht 14—19), einem Land und Volk, für das analog zu dem vorhin erwähnten Beispiel von Dilmun (oben S. 11) eine wahrscheinlich richtige geographische Vorstellung in ein mythisches Szenarium verwoben ist86. Die immerwährende kimmerische Dunkelheit des hohen Nordens korrespondiert gut mit der unterirdischen Finsternis, von der Antikleia später im spricht, und von ihr haben wir eine weitere Wegbeschreibung zum Hades ( 155-59). Allen gemeinsam ist wieder, daß man ein Schiff braucht, um übers Meer zu fahren und den Trennfluß zwischen Diesseits und Jenseits zu " durchqueren. Ein Fährmann fehlt natürlich bei Odysseus und mit ihm auch das Verbot, Lebende in die Totenwelt zu befördern. Daß beides auf die Phaiaken als Jenseitsschiffer zuzutreffen scheint, wurde schon erwähnt (oben S. l O)87. Solche bildhaften Vorstellungen scheinen im Laufe der Jahrhunderte wohl immer irgendwie zwischen Mythos und Realität hin und her zu schwanken. Das möchte ich nun noch an 84 85
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E Jacoby, Die geistige Physiognomie der Odyssee, zuerst in: Die Antike 9, 1933, 159 ff., dann in: ders., Kleine Philologische Schriften I, Berlin 1961, dort 113 f. Vgl. Ann L. T. Bergren, «Odyssean Temporality: Many (Re)Turns» in: Approaches to Homer, ed. by C. A. Rubino and Cynthia W. Shelmerdine, Texas UP, Austin 1983,44 f. Versuch eines Schemas der Erzählebenen für die Nekyia (in aufsteigender Reihenfolge): 1.) Stoff: Reise zu den Toten und Heimreise 2.) Den Weg weist Kirke dem Odysseus 3.) Odysseus berichtet davon den Phaiaken «wie ein Sänger» ( 368), seine Nebenquelle Kalypso nennt er 389 f. 4.) Diese Szene erzählt der wirkliche Narrator/S&nger den Zuhörern 5.) Der Narrator hat sie vom Dichter oder ist selbst der Dichter 6.) Dem Dichter gibt es die göttliche Muse ein (a l und 10) wie jedem Sänger (0 481,499). E Jacoby (wie Anm. 84) 122 f.; C. Nylander, Hermes 93, 1965, 131 f. verweist auf die Bekanntheit der Kimmerier im ganzen Vorderen Orient. Jetzt: R. B. Wartke, Urartu, Das Reich am Ararat, 1993,46-52, und Mirjo Salvini, Geschichte und Kultur der Urartaer, 1995, 84-91 und 98. Aus den von ihnen behandelten Quellen geht hervor, daß einp Schlacht zwischen Kimmeriern und Urartäern schon vor 714 v. Ch. stattgefunden hat und daß ganz Vorderasien unter den vom Kaukasus her einfallenden Kirameriern zu leiden hatte. Lesky, Thalatta 153: Die Zeichnung der Phaiaken ist so, daß ihr Bild schwankt zwischen mythischen Fährleuten und tüchtigen Seefahrern; vgl. auch R Jacoby a. O. 114.
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einem besonders alten sumerischen Text vorführen, der einige erstaunliche Parallelen zum homerischen Totenbuch aufweist, nämlich dem Gedicht, das unter dem englischen Arbeitstitel «The Death of Ur-Nammu and his Descent to the Netherworld» bekannt gemacht wurde, zu deutsch «Urnammus Tod» (Tabelle Nr. l)88. Es handelt nicht von einem Gott oder einem Mythenheld, sondern von dem historischen Begründer und ersten König der Dritten Dynastie von Ur. Dieser Urnammu hat am Ende des 3. Jt. v. Chr. vorn Stadtstaat Ur aus ein größeres Territorium beherrscht, erwarb sich als König große religiöse und kulturelle Verdienste und ist aus Königsinschriften und anderen Textgattungen hinreichend belegt. Das Gedicht erzählt von seinem vorzeitigen Tod in einer Schlacht, seiner Aufbahrung im königlichen Palast, wo seine Frau und seine Soldaten den Toten betrauern. Sein Schicksal mitsamt den Folgen für das ganze Land Sumer wird vom Dichter den Göttern zur Last gelegt und die Frage gestellt, womit er und sein Staat solches Unglück verdient haben, also eine An Theodizee. Daß die Sterblichen sich von den Göttern getäuscht oder grausam behandelt fühlen, kennen wir ja auch aus Homer. In der Odyssee ist die Theodizeefrage sowohl aus der göttlichen wie aus der menschlichen Perspektive zur Sprache gebracht (a 32 ff., 195 f., 201 ff.), daran darf in diesem Zusammenhang erinnert werden. Bei Urnammu folgt dann das Leichenbegängnis in Form einer Schiffsprozession. Dabei ist von einem Boot die Rede, welches den Toten wohl über den Fluß in die Unterwelt bringt, denn auch die Ortsbezeichnung «Dilmun, ein unbekannter Ort» steht dabei (Urnammus Tod Z. 66-68), und merkwürdigerweise wird dort dies Schiff zerschlagen und sinkt, sodaß man vermuten muß, damit werde der Rückweg unmöglich gemacht im Sinne von kur-nu-gi. Jetzt geht die Unterweltsreise in einem Wagen weiter (Z. 73-75), und der Weg ins kür ist leer, d. h. es begegnet ihm niemand, der zurückfahren könnte, bis er zu den 7 Pförtnern an den 7 Toren gelängt (Z. 76-78), Parallele bei Odysseus: er steigt aus dem Schiff und geht zu Fuß am Okeanos entlang zu dem bezeichneten Platz ( 21 f.). Bei Urnammus Ankunft entsteht Unruhe unter den Toten (Urn. Z. 78)> die aber nach Opferschlachten von Ochsen und Schafen durch ein riesiges Gastmahl besänftigt werden, da die Toten sonst nur bitteres Kraut und verdorbenes Wasser genießen (Z. 80-82). Vergleichbar im Odyssee-Text: Die Libationen und das Opferschlachten der Schafe, wodurch angelockt auch hier die toten Seelen sich versammeln ( 23-36). Danach muß Urnammu den Göttern der Unterwelt reiche Opfergeschenke darbringen (Urn. Z. 83-127), entsprechend bringt Odysseus Brandopfer für Hades und Persephone ( 44-47). Zu diesem allen darf man sogar die Archäologie beiziehen, denn die Grabbauten für Urnammu und drei Nachfolger sind bekannt, waren allerdings schon in der Antike ausgeraubt, aber Einrichtungen für Libationen sind festgestellt worden89. Sie dienten dem Totenkult, der die als endlos gedachte Existenz im Jenseitsbereich erträglicher gestalten sollte. Unsere Dichtung zeigt, wie wir noch sehen werden, hiervon schon eine sehr vergeistigte Vorstellung. Doch schwenkt unser Blick zunächst von Urnammu wieder hinüber zu Odysseus, der ja nicht als Toter in die Unterwelt kam, sondern lebend an ihrem Eingang sitzt, wo er für die Libationen und das Blut der Opfertiere eine Grube graben läßt ( 35 f.). Dorthin drängen sich nun die toten Seelen, und das Ganze ist die Situation einer Totenbeschwörung 88
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S. Anhang Nr. 4. Inzwischen ist der Text von S. N. Kramer durch Zusammenfügung zweier Tontafelbestände ergänzt und verbessert. Regierungszeit des Urnammu: 2111-2094 v. Chr. nach der mittleren Chronologie. Altäre und Kanäle bzw. Rinnen, die die Libationen in die darunter liegenden Grüfte leiteten.
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mit aus dem Vorderen Orient bekanntem Ritual90. Auf das vielbehandelte Problem, daß die Nekyia eine Vermischung von drei Themen - nämlich Fahrt ins Totenreich, Nekyomantie und Katabasis - darstellt und daher auch verschiedene, ursprünglich miteinander nicht vereinbare Totenvorstellungen aufweist* kann ich hier nicht eingehen, es ist alles längst aufgearbeitet91. Der Dichter hat offenkundig auf saubere Trennung keinen Wert gelegt, sondern in fließendem Übergang die anfängliche Beschwörungssituation, welche genaugenommen nur für die Befragung des Teiresias paßt, verlassen, um seine großen Totenbegegnungen entfalten zu können. Als literarische Formen verwendet er die Handlungserzählung, den Dialog und den Katalog. Alle drei Formen finden sich auch in den orientalischen Gedichten und sind sowohl für mündliche wie für schriftliche Abfassung konstituierend. Der Katalog aber stützt sich formal zumindest im Orient auf im Übermaß seit ältester Zeit verschriftete Listen und Formulare. Im Folgenden seien nur noch einige Nekyia-Szenen zum Vergleichen herausgegriffen: Schon das erste Erlebnis des Odysseus mit den vom Blut der Opfertiere angelockten toten Seelen umfaßt einen vier Verse langen Katalog ( 38-41), der die von Kirke vorausgesagte Situation ( 529 f.» 36 f.) erweitert und erläutert; er bildet gewissermaßen eine erste Hades-Schau: junge Frauen und Männer gerade im Heiratsalter, also aus einem noch unerfüllten Leben vorzeitig herausgerissen, sind altgewordenen Männern gegenübergestellt, die eben, weil sie lange lebten, auch viel zu erdulden hatten, wovon die Jungverstorbenen verschont geblieben sind - das alles in einem einzigen Hexameter ( 38)! Erst recht bedauernswert noch kindliche Mädchen, die die Trauer im Herzen (im 39) haben, obwohl sie dazu eigentlich noch gar nicht fähig sind, und im Kontrast dazu Kriegsverwundete, die als tote Seelen immer noch ihre blutverschmierten Waffen tragen ( 40 f.). Eine merkwürdige Auswahl: sind es ungewöhnliche Todesfälle oder im Gegenteil häufig vorkommende Alltagsschicksale? Eine Verständnishilfe kann der letzte Teil des schon genannten Gedichts von «GilgameS, Enkidu und die Unterwelt» geben, wo Enkidu dem ihn befragenden GilgameS berichtet, was er bei den Toten gesehen hat (Tabelle Nr. 2). Es ist eine Art systematischer Fallsammlung, die stereotyp mit der Frage beginnt «sahst du den und den?», Antwort «ich sah ihn», Frage «wie geht es ihm?», dann kurze Beschreibung. Dort schließen an die Schicksale von Vätern, denen es mit zunehmender Zahl der Söhne von l bis 7 auch in der Unterwelt entsprechend besser geht, die traurigen Fälle von Menschen an, die es nicht zu einer ordentlichen Familie gebracht haben. Das gilt ja noch heute im Orient und in Griechenland für das größte Unglück im Leben. Unter diesen sind auch die gleichen Beispiele wie in unserer Odyssee-Stelle aufgeführt: die Frau, die noch nicht Mutter geworden ist, der junge Mann, der noch keine Frau erkannt hat, das noch jungfräuliche Mädchen (GEU sum. Z. 273-78) und der Mann, der im Krieg gefallen ist (Z. 291). Dessen Totenschicksal ist sogar anrührender und tröstlicher als bei Homer, denn es heißt von ihm in einem Bild wie einer Statuengruppe: «Sein Vater hält sein Haupt und seine Frau weint über ihm» (GEU sum. Z. 292, akk.: «sein Vater und seine Mutter halten...»). Beide Kataloge *° Dazu: G. Steiner, Die Unterweltsbeschwörung des Odysseus im Lichte hethitischer Texte, UgaritForschungen (UF) 3,1971,265-283 mit reichlichen Lit.-Angaben. 91 S. besonders: W. Büchner 104 ff. und A. Schnaufer III3: Die Nekyia, 80 ff. (beide wie Anm. 34); A. Heubeck, Commentary (wie Anni. 51); kurz und klar: Wace/Stubbings (wie Anna. 70) 448; W. Kullmann, Hom. Mot. 130 f.; diers., Der Übergang ... (wie Anm. 7), 65; ders., The two Nekyiai of the Odyssey and their oral sources, in: (Beiträge vom 6. Kongreß zur Odyssee vom 3.-8. Sept. 1993), Ithaka 1995,41 ff., beides mit Hinweis auf das Gtlgames-Epos, letzteres auch auf GEU und ältere Lit. dazu.
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unterstellen natürlich, daß die Toten in der Unterwelt den Zustand perpetuieren, in dem sie sich auf der Obenveit befanden, ehe sie starben92. Genau das ist die Voraussetzung für sämtliche kommenden großen Szenen der Nekyia. Insofern bildet der kleine Katalog anonymer Toter zu Beginn des eine Art Einführungsszene. Dabei macht Odysseus auch seine ersten neuartigen Sinneserfahrungen: er sieht die Totenseelen und er hört ihr schauerliches Geräusch, das ihm «grünmachende Angst» oder bleiches Entsetzen einflößt ( 43). In genau derselben Situation finden wir Odysseus dann am Ende seiner großen Hades-Schau und zugleich Schluß des Unterweltsgedichtes wieder vor ( 632 f.). Sie ist also eine vom Dichter bewußt gesetzte Klammer, und auch die formale Entsprechung zum GilgameS-Katalog fehlt nicht: alle Berühmtheiten der Vorzeit, die Odysseus zuletzt noch sehen wollte, werden wie auch schon im Heroinen-Katalog mit derselben Formel «[und] ich sah» ( / / ) aufgelistet ( 235 ff. und 568 ff.). Weil aber in dieser Liste das letzte Glied die große Herakles-Szene bildet ( 601 ff.), mußte das Angstmotiv aus der Anfangsszene hier verschoben werden auf die Gorgo, die ihrerseits auf dem Umweg über Chumbäba aus dem GilgameS-Bereich zu stammen scheint ( 634)93. Der bloße Gedanke an Gorgo, die gar nicht erscheint, löst bei Odysseus Panik aus, und diese führt zur Flucht und damit zu einem etwas abrupten Ende der ganzen Nekyia. Flucht ist auch in dem noch folgenden Abenteuer mit Skylla und Charybdis das einzige Mittel zur Rettung, Flucht gehört für Odysseus zur Konfrontation mit unbesiegbaren Monstren. Solche sind ja im Irrfahrten-Strang der Odyssee mehrfach vertreten, fehlen aber ganz im Unterweltsbuch. Das ist nicht selbstverständlich, wie ein Blick auf ein assyrisches Unterweltsgedicht zeigt (Tabelle Nr.. 7), das von seinem Herausgeber in das erste Drittel des 7. Jh. v. Chr. datiert und mithilfe von Schreibernamen versuchsweise auf Assurbanipal bezogen wurde94. Da kämen wir zeitlich der Odyssee ganz nahe oder über sie hinaus, jedoch ist hier nur ein großer Unterschied zu konstatieren: Der Assyrer-Prihz hat es in seinem Unterweltsalptraum mit furchterregenden, aus seiner religiösen Kultur stammenden Mischwesen zu tun und begegnet in einer dramatischen Szene auch den Hauptgöttern Nergal und EreSkigal, die ihn sogar physisch anrühren und mit einer Dauerstrafe belegen, ehe sie ihn entlassen. Wie anders und wieviel aufgeklärter scheint uns der Odyssee-Dichter, der das alles unterdrückt und sich statt dessen ganz auf das menschliche Problem von Leben und Tod konzentrieit hat! Es muß dies seine ganz eigene Leistung sein, mit der er auch das Totenbuch in die «neue individuelle Physiognomie» (E.-R. Schwinge) der Odyssee einbezogen hat. Aber gerade so steht er einem der ältesten Texte nahe, nämlich dem «Tod des Urnammu» (Tabelle Nr. 1), dessen erster Teil, eine Jenseitsfahrt mit Katabasis, ja schon kurz besprochen ist (oben S. 18). Die ganze Komposition - deren Anfang und Schluß leider wie so oft bei Tontafeln ziemlich verstümmelt sind - behandelt das Thema vom Tod.des Königs im Rahmen einer für die Sumerer charakteristischen Literaturgattüng, nämlich der Klage ( ). Am bekanntesten geworden sind bei uns die Klagelieder auf Dumuzi bzw. Tamniuz, den in der Unterwelt festgehaltenen Geliebten der Inanna/IStar. Das gehört in den Bereich der Liturgie und Tempelpraxis und hat ja später über Adonis bis nach Griechenland 92 93
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W. Büchner a.O.117. Zu Gorgo: W. Helck, Die Beziehungen Ägyptens und Vorderasiens zur Ägäis bis ins 7. Jh. v. Chr., EdF 120, Darmst. 1979, 214; W. Burkert, Orientalisierende Epoche (wie Anro. 29) 82 £, ders., Oriental and Greek Mythology (wie Anm. 4) 26 f.; Tournay/Shaffer 31. . ' W. von Soden, Die Umerwehsvision eines assyrischen Kronprinzen, Zeitschr. für Assyriologie (= ZA) 43, Neue Folge 9,1936, l ff.
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hineingewirkt95. Daneben gibt es die sogenannten Städteklagen, deren Thema die Zerstörung von Städten und deren Tempeln und der Auszug ihrer Götter ist, aber auch ihr Wiederaufbau96. Gerade dafür hat sich Urnammu während seiner Regierungszeit energisch eingesetzt (z. B. in Nippur; von seiner Ziqqurat für den Mondgott in Ur ist die unterste Stufe erhalten und heute gut restauriert)* sodaß zwischen dieser -Literatur und unserem Totengedicht Wechselbeziehungen denkbar sind. Darüberhinaus ist das Gedicht aber eine sehr persönlich gehaltene, in keine zeitgenössische literarische Gattung recht passende Erzählung97 von dem Leid des verstorbenen Königs, dem die Götter trotz seiner frommen Lebensführung versagt haben, die Vollendung seiner Werke zu erleben und sich seiner Familie zu erfreuen. Zwar wird er bei den Toten ehrenvoll aufgenommen, trifft seine Soldaten wieder und wird sogar in ein dem toten GilgameS unterstelltes Richteramt eingeführt98: er nimmt Platz auf einem Postament, um den neu ankommenden Toten die «Entscheidung des kür» zu treffen, was auf eine seiner bedeutendsten Leistungen anspielt, solange er noch König in Ur war, nämlich die älteste Rechtssammlung zusammengestellt zu haben, von der wir wissen, über 250 Jahre vor Hammurapi von Babylon99. In der Nekyia gibt es dazu eine Entsprechung ( 568—71): Odysseus sieht Minos im Hadeshaus mit den breiten Toren sitzen und denen, die ihn darum bitten, fällen, also Rechtssprechung am Tor, eine vielfach belegte orientalische Situation1**0. In beiden Fällen hat das übrigens nichts mit dem späteren moralischen Totengericht zu tun101. Den im unterweltlichen Rechtsbereich amtierenden Urnammu überwältigt aber nach einigen Tagen die Sorge um seine Stadt und seine Angehörigen. Er fühlt unten seine Kräfte schwinden und stellt sich gleichzeitig vor, wie oben seine Kinder leiden, oder daß jetzt seine Witwe bei der Totenklage vom Kummer geschlagen ist wie ein Boot, dessen Anker vom Sturm losgerissen wurde (Urn. Z. 181), oder wie wenn sie selbst ertrunken wäre (Z. 165, eine Umkehr des Schiffsmotivs vom Anfang der Katabasisl). Zwar setzt sich Inanna dann in einer Götterversammlung für Urnammu ein, eine Rolle, die sie auch sonst spielt und die an diejenige der Athena in der Odyssee erinnert102, womit unsere Dichtung näher an das epische Genre rückt und zusätzlich ein religiös-politischer Komplex hereinkommt, den ich hier ausklammere (s. Anm. 98) ... aber was uns am meisten bewegt und doch wohl dazu berechtigt, dieses so weit entfernte Stück sumerischer Literatur neben die Odyssee-Nekyia zu halten, obwohl das über Motiv-Vergleichung schon hinausführt, ist die in doppelte Trauer eingefaßte Darstellung der seelisch-gefühlsmäßigen Verbindung zwischen den Verstorbenen und den Lebenden. Das Aneinanderdenken bewegt sich in beiden Richtungen, sodaß man 95
Dazu s. V. Haas, Hethitische Berggotter (wie Anm. 55) 90 f.; W. Burkert, Structure and History in Greek Mythology and Ritual, Sather Classical Lcctures 47,1979,106-111; ders., Antike Mysterien, Funktionen und Gehalt, 1987/1990/92, 64; Fauth, Kl. Pauly s. v. % J. Krecher in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft l, Altorientalische Literaturen, 1978,126-131. 97 S. N. Kramer a.O. (s. Anhang Nr. 4) 110: «neichcr myth nor epic, neither hymn nor lamentation». 98 Zur Verbindung der Ur III - Dynastie mit GilgameS s. W. G. Lambert (wie Anm. 26) 47 f. und Cl. Wilcke in: B. Hrouda (wie Anm. 21) 287 ff. 99 Neuerdings mehr seinem Sohn Sulgi zugeschrieben, der nach ihm 48 Jahre lang regierte. Dazu B. Kienast, Die AJtorientalischen Codices zwischen Handlichkeit und Schriftlichkeit, in: Rechtskodifizierung und soziale Normen im interkulturellen Vergleich, hsg. von H.-J. Gehrke mit E. Wirbelauer, ScriptOralia 66, 1994,13 ff. 100 Z. B. im AT, Gen. 34,20; Deut. 25,7; Ruth 4,1 ff. u. ö. 151 W. Büchner a.O. I I 4 f. 102 Höischer, Odyssee 76: das sei ein «wiederkehrender Typus» des «reifen (homerischen) Epos»!
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sich fragen kann, ob hier vielleicht zum ersten mal versucht wurde, das starre kurnugiGesetz mit einer individuell verinnerlichten Sicht aufzubrechen. Man hat daher schon erwogen, ob vielleicht die Witwe das Gedicht in Auftrag gegeben oder gar selbst verfaßt habe103. Einen solchen persönlichen Ton hören wir auch und natürlich noch viel stärker aus den zentralen Szenen der Nekyia heraus. Dazu gehört vor allem das Gespräch des Odysseus mit seiner Mutter Antikleia, in dem er sie nach den Zuständen auf Ithaka und der Ursache ihres Todes befragt und sie antwortet: ... ( 202 f.), die Sehnsucht nach Dir und Deiner liebreichen Fürsorge hat mir das Leben genommen104. Die AntikleiaSzene und die vorhergehende mit Elpenor scheinen ja nach dem Patroldos-Achill-Modell gebildet und stimmen mit dessen Arrangement und Aussagen über Unterwelt und Totenzustand überein, auch das Verhältnis von wissender Totenseele und noch unkundigem Lebenden ist dasselbe. Hinzu kommt dann die Umkehrung in der großen Begegnung von Odysseus und Achilleus ( 471 ff.), Achill, der sich mit seinem Schicksal wie Urnammu nicht abfinden kann. Auch er sorgt sich um seine Angehörigen und befragt nun seinerseits den Lebenden nach ihnen (492 ff.). Aus der Antwort mit dem Bericht über seinen untadeligen Sohn gewinnt er sogar Trost und Freude: der einzige Lichtblick, der dem strahlendsten IliasHelden nach Verlust aller seiner Vorzüge in der verhaßten Unterwelt noch bleibt105. Die Gedanken und Gefühle gehen also zwischen unten und oben hin und her. Somit ist aus dem äußeren Schrecken der Hades-Katabasis in unserer Odyssee hauptsächlich ein inneres Seelendrama geworden, und das hat natürlich vielfältige Beziehungen zur Haupthaiidlung, zur Heimkehr des schön tot Geglaubten. Ich nenne als Beispiel nur Penelopes Wunsch ( 61 ff.) zu sterben, um Odysseus bei den Toten wiedersehen zu können, während er doch bereits lebend im Hause schläft106, und schließe mit der Bemerkung, daß es sogar für solch feinfühlige Psychologie schon Ansätze im Alten Orient gegeben hat.
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105
106
H. Steible mündlich. Gerade diese Szene greift nach der Anagnorisis Odysseus nebst der Teiresias-Befragung aus der Nekyia heraus, um sie seiner Gattin zu erzählen ( 322-25). Gemildert erscheint dieses Schicksal des Achilleus in der sog. «Zweiten Nekyia» durch die Ansprache des Agamemnon an ihn ( 35^-97), die man als komplementär oder als entgegengesetzt verstehen kann. Dazu s. G. Dietz, Der Mythos von Odysseus in der Unterwelt, Zu den Jenseitsvörstellungen in den Epen Homers, in: Bibliographie zur Symbolik, Ikonographie und Mythologie 22,1989/90,26 f. J, Latacz, Lesersteuerung durch Träume, Der Traum Penelopes im 19. Gesang der Odyssee, in: KOTINOS. Festschrift für Erika Simon, 1992, 76 ff.
Die Fahrt des Odysseus zu den Toten
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Anhang Nr. l Überblick über die GilgameS-Überlieferung ungefähre Zeit: a) (Anzunehmende) Lebenszeit des GilgameS, Stadtfürst von Uruk
frühdynastisch zwischen 2750 und 2600 v. Chr.
.
b) Sumerische Mythendichtungen zu GilgameS Einzeigedichte in sumerischer Sprache überliefert durch Abschriften der Hammurapi-Zeit,
spätestens 3. Dynastie von Ur: . 2111 bis 2003 v. Chr. 1. Hälfte 18. Jh. v. Chr.
c) Altbabylonische Dichtungen in akkadischer Sprache gefunden nur wenige Gilgames-Bruchstücke, die sich von den sumerischen und von der späteren Epos-Fassung unterscheiden, im ganzen Orient verbreitet: d) Bruchstücke davon in akkadischer, hurritischer und hethitischer Sprache gefunden in Boghazköy und Megiddo (Palästina)
1. Hälfte 2. Jt. v. Chr.
vor od. um 1200 v. Chr.
e) Das akkadische GilgameS-Epos, dem Dichter Sin-leqe-unnini zugeschrieben. Es besteht aus 11 Tafeln, an die (später?) eine 12. Tafel angehängt wurde, welche den 2. Teil des sumerischen Gedichts «GilgameS, Enkidu und die Unterwelt» (GEU) in akkadischer Übersetzung enthält. Das Epos ist erhalten durch Abschriften aus späterer Zeit
Kassitenzeit nach Mitte des 2. Jt. v. Chr. ab 1000 v. Chr.
Die größte Textmenge ist uns bekannt als: f) Ninivitische Redaktion des Epos • Abschrift gefunden in der Tontafelbibliothek des neu-assyrischen Königs Assurbanipal in Niniveh, heute im British Museum in London g) Mündliche Überlieferung muß immer nebenher gegangen sein. In Uruk, der Stadt des GilgameS, blieb die Tradition lebendig über die hellenistisch-römische Zeit hinweg bis in die Sassanidenzeit, als Uruk christlicher Bischofssitz war. Das Ende kam erst durch den Islam. Die Texte sind erhältlich in Übersetzungen von: A. Schott/W, von Soden, Reclara 1958 ff., zuletzt 1988/89 H. Schmökel, Stuttgart/Berlin 7. Auflage 1989 St. DaJley, Myths from Mesopotamia, Oxford 1989/90 R. J. Tournay/A. Shaffer, Paris 1994 (s. Anhang Nr. 4)
vielleicht schon ab 11. Jh. v. Chr. 7. Jh. v. Chr.
3. bis 7. Jh. nach Chr.
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Gisela Strasburgcr
Anhang Nr. 2 Der raesopotamische Unterweltsbegriff KUR KUR, Zeichen , bedeutet zunächst Berg, Bergland (suraerisches Wort). Die großen Götter Inanna, An und Enlil haben als eines ihrer stehenden Epitheta den Ausdruck: nin - kür - kür - ra = Herrin aller (Berg)länder lugal - kür - kür - ra = König " " Da vom Bergland die in die Ebene eindringenden Feinde zu kommen pflegten, erhielt das Wort kür die Bedeutung «feindliches Bergland». Genau dort stellte man sich den Eingang zur Unterwelt vor, sodaß kür das normale Wort auch für Unterwelt wurde. Diese Doppelbedeutung wurde bewußt verwendet, z. B. im Gedicht «Enlil und Nirilil». Den Zustand in der Unterwelt beschreibt der älteste bekannte sumerische Text aus der Dichtung «GilgameS, Enkidu und die Unterwelt» (Tabelle Nr. 2) so: Z. 250 (Enkidu zu GilgameS) 251 (Enkidu) 252 " 253 254 (GilgameS)
«Du hast... mit der Hand berührt und dich gefreut in deinem Herzen.» Er erklärte: «Ich gehe [und werde nicht wiederkommen]» (conj.) «Wie... ist mein Kleid von Ungeziefer zerfressen, wie ein ... in der Erdspalte mit Staub bedeckt:» «o weh!?» rief er und setzte sich in den Staub.
Der sumerische Begriff kür - nu—gi4 bedeutet: Land (wer dahin geht) kommt nicht zurück = Land ohne Wiederkehr Dieser Begriff ist verwendet in folgender akkadischer Standard-Beschreibung der Unterwelt, die zum «locus classicus» wurde: Quellen: IStars Abstieg (Tabelle Nr. 3 b), Einleitung Nergal und Ereskigal (Tab. Nr. 5 b) Col. III Einleitung Gilgames-Epos Taf. VII, IV 33 ff., Traum des Enkidu Der jeweilige Held kommt «Zur finsteren Behausung, dem Wohnsitz der Unterweltsgöttin, Dem Haus, das niemals verläßt, wer es betreten hat, Auf der Straße, die ohne Umkehr ist, Zu dem Haus, dessen Bewohner des Lichtes beraubt sind," Die Staub essen müssen, deren Brot aus Lehm besteht. Sie tragen wie Vögel Flügelkleider, In der Finsternis wohnen sie und sehen kein Tageslicht, Staub liegt auf Tür und Riegel.»
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Die jFaJirt des Odysseus zu den Toten
Anhang Nr. 3 Das mesopotamische und homerische Weltbild Die Verteilung der Welt durch Los su mensch GilgaraeS, Enkidu und die Unterwelt, Teil I Z. 11-13
akkadisch Atrachasis 1 13-16
griechisch Ilias O 187-193 (vgl.Y56-65)
sumer. und akkad. Inarinas/IStars Abstieg
HIMMEL
AN
ANU
ZEUS
ERDE
ENLIL
ENLIL
alle Götter
an-gal = großer Himmel an = Himmel (den die Menschen sehen) ki = Erde, Land dort kür = Bergland und Eingang zu Unterwelt
ENKI/EA im SüßwasserApsu
POSEIDON
MEER UNTERWELT
ERESKIGAL
HADES
ki-gal = das große Land, das große Unten mit ERESKIGAL
Zur Weiterentwicklung dieses mehrstöckigen Kosmos: Walter Burkert, Orientalische und griechische Weltmodelle von Assur bis Anaximandros, in: Wiener Studien Band 107/08,1994/95,179-186.
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Gisela Strasburger Der Okeanos - Ringstrom
I.Berge 2. Urartu 3. Assur 4. Babylon 5. Susa 6. Ozean Abb. 1: Die «Babylonische Weltkarte» (B. M. 92687) aus Sipp r, 7. Jh. v. Chr. (aus Horowitz 1988,152). Dazu vgl. Ilias Σ 607/08, Odyssee υ 65.
Die Fahrt des Odysseus zu den Toten
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Anhang Nr. 4 Für die herangezogene Orientalische Literatur wurden folgende Textausgaben und Übersetzungen benutzt: Tabelle Nr. Samuel Noah Kramer, The Death of Ur-Nammu and his Descent to the Netherworld, Journal of l Cuneiform-Studies QCS) 21,1967,110-122, Introduction, sumer. Text, engl. Übersetzung, inzwischen durch Zusammenfügung zweier Tontafelbestände ergänzt und verbessert. 2a Aaron Shaffer, Sumerian Sources of Tablet XII of the Epic of Gilgamesh, Diss. 1963 Arm Arbor, Microfilm, Text und engl. Übersetzung von Gilgamesk, Enkidu und die Unterwelt. Französ. Übersetzung bei Toürnäy/Shaffer (s. Nr. 6). 3a William R. Sladek, Inanna's Descent to the Netherworld, Diss. 1974 Baltimore/Maryland, Text u. engl. Übersetzung. Auch bei Jacobsen und Bottero/Kramer, s. unten. The Descent oflshtarto the Underworld, bei St. Dalley 154 ff., s. unten. Hermann Behrens, Enlil und Ninlil, Ein sumerischer Mythos aus Nippur, in: Studia Pohl, Series maior 8, Roma 1978, Edition mit deutscher Übersetzung. Manfred Hutter, Altorientalische Vorstellungen von der Unterwelt, Literar- und religionsgeschichtl. Überlegungen zu «NergalundEreSkigal», Orbis Biblicus et Orientalis 63,1985. Untersuchung mit Text u. deutscher Übersetzung beider Fassungen. Raymond J. Tournay et Aaron Shaffer, UEpopee de Gilgamesh·, Paris 1994, Introduction, Traduction et Notes. Ist als derzeit vollständigste und wissenschaftlich auf dem neusten Stand befindliche Ausgabe zu empfehlen. Wolfram von Soden, Die Unterweltsvision eines assyrischen Kronprinzen, Zeitschrift für Assyriologie (ZA) 43, Neue Folge 9,1936,1-31, mit assyr. Text und deutscher Übersetzung. Mehrere dieser Texte sind auch aufgenommen in folgenden Sammelausgaben: Thorkild Jacobsen, The Harps thatonce..., Sumerian Poetry in Translation, Yale UP 1987 Stephanie Dalley, Myths from Mesopotamia, Creation, The Flood, Gilgamesh, and others, Oxford UP 1989/1990 Jean Bottero et Sam. Noah Kramer, Lorsque les dieux faisaient Thomme, Mythologie mesopotamienne, Paris, Gallimard 1993
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Gisela" Strasburger
Tabelle Altorientalische UnterweltscÜchtungen Nr.
Sprache
bei uns gebräuchlicher Titel
ungefähre Zeit der Entstehung der schriftlichen Fassung
Umfang
1
sumerisch
Urnammus Tod
vor 2000 v. Chr.
238 Zeilen
Gilgames, Enkidu und die Unterwelt davon 2. Teil als Tafel XII an das Epos von Gilgames; angehängt
evtl. vor 2000 v. Chr.
303 Z.
altbabylonisch
Setzt ein bei Z. 172 des sumer. Textes
Inannas Gang/Abstieg zur UW
derzeitiger Text: altbabylonisch, wahrscheinlich alter veränderte, kürzere Fassung
412 Z.
154 Z.
2 a) sumerisch b) akkadisch 3 a) sumerisch b) akkadisch
Istars
n
.
138 Z.
4
sumerisch
EnlilundNinlil
altbabylonisch
5
akkadischassyrisch
Nergal und Ereskigal
gegen Ende des 2. Jt. v. Chr.
Kurzfassung von Telkel-Amarna Ägypten (Schülerabschrift?) Fassung von Suitan-tepe (Schülerabschrift?)
mittelassyrisch/mittelbabylonisch 7. Jh. v. Chr.
akkadisch
Gilgame5-Epos
erste Fassung altbabylonisch stark, veränderter StandardText des Sin-lege-unnini um 1200 v. Chr.
? 11 + 1 Tafeln
assyrisch
Unterweltsvision eines assyrischen Kronprinzen
c. 670 v: Chr.
75 Z.
a) b)
6
\\
Sa '\t 88 Z. 332 Z. mit Ergänzungen
(Der Prinz Kumma wird vom Herausgeber des Textes, Wolfram von Soden, versuchsweise mit Assurbahipal identifiziert)
[
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Die Fahrt des Odysseus zu den Toten
;
'
Held/Heldin
Katabasis oder Wegbeschreibung
Unterwelt, UW-Götter Tote
Bedingung des Entkommens
historischer König
beides
alles
-
Enkidu als Diener des GilgameS
Katabasis
Hades-Schau der Toten
p
mächtigste Göttin
ausführlich 7-faches Tor Ganzir Torwächter Neu
EreSkigal und ihr Wezir
Stellung eines Ersatzgottes: Dumuzi bzw. Tammuz
Totenrichter
oberster Gott und Gemahlin
Wegbeschreibung zum Kur
Nergal wird erst gezeugt
evtl. 3 noch ungeborene UW-Götter
Die beiden UWHerrscher
Vom Himmel zur UW mit Leiter/Treppe 7-faches Tor 7 Torwächter
Palast der UW: Thron Badezimmer Schlafzimmer
Nergal widersteht allen Angeboten von Essen, Trinken etc. ... erliegt aber der sexuellen Verführung, bleibt daher inderUW
At
historischer König, später vergottlicht historischer König? im Traum
Wegbeschreibung zum Jenseits Katabasis
Hades-Schau mit Schreckensbildern, Nergal und Ereskigal
— Strafe für das restliche Leben auf der Oberwelt (politisch!)
SABINE VOGT Delphi in der attischen Tragödie Die Forschung zum griechischen Drama befaßt sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt mit der politischen Deutung der attischen Tragödie als einer Institution im kultischen Leben der Polis, deren Blütezeit in engem Zusammenhang mit der historischen und sozialen Situation Athens im 5. Jahrhundert v. Chr. steht. Die Gestaltungen der Konflikte, die die Tragiker ihren Mitbürgern und den ausländischen Gasten im Dionysos-Theater in Athen vor Augen führten, sind demnach immer auch vor dem Hintergrund der historischen Situation und politischen Diskussion zum Zeitpunkt ihrer Aufführung zu verstehen und lassen dabei auch Züge eines athenischen Selbstbildes erkennen.1 Dieses Selbstbild kommt nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit dem Schauplatz der jeweiligen Handlung zum Ausdruck. Denn alle Ereignisse in den Tragödien werden bei ihrer Aufführung im Dionysos-Theater nach Athen hineingespiegelt, so daß eine spannungsvolle Beziehung zwischen dem jeweiligen mythischen Schauplatz und dem realen Athen entsteht, zu der sowohl die zeitliche (MythosGegenwart) als auch die räumliche Dimension (Schauplatz-Athen) beitragen. Unter diesem Aspekt wird im folgenden der Bühnenschauplatz Delphi betrachtet. Für die Dramen, die in Theben, Argos und Athen spielen, läßt sich jeweils eine einheitliche Konzeption im Sinne einer Korrelation zwischen dem Ort des Geschehens und dem tragischen Handlungsmuster erkennen, der ein bestimmtes Verhältnis zwischen den drei fiktionalen Schauplätzen und dem realen Aufführungsort Athen entspricht (I). Delphi, das in nur zwei der erhaltenen Tragödien als Schauplatz dient - im ersten Teil der Eumeniden von Aischylos und im Ion von Euripides - wurde bisher noch nicht unter einem solchen typolpgischen Ansatz betrachtet. Die hier zugrundeliegende Konzeption des Ortes ist vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Delphi-Bildes zu sehen: Die Orakelstätte galt als Autorität in religiösen Fragen, und ihr Einfluß reichte weit in das politische Handeln der Polisgemeinschaften hinein. Dabei wird dem Deutungsprozeß der oft doppeldeutigen Orakelsprüche in der Wahrnehmung der Zeitgenossen besondere Aufmerksamkeit zuteil (II-IV). Delphi ist in Eumeniden und Ion durch semantische, mythopoetische und dramaturgische Relationen auffallend eng mit Athen verbunden. Die jeweiligen Züge eines atheniFür wertvolle Anregungen und Kritik danke ich Prof. Dr. Hellmut Flashar, Dr. Peter von Möllendorff und den Herausgebern von
Delphi in der attischen Tragödie
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sehen Selbstbildes finden dabei in beiden Dramen - kraft der von den Zeitgenossen anerkannten Rolle der Orakelstätte als religiöser Autorität in der panhellenischen Welt Bestätigung durch ihren Bezug auf den Schauplatz Delphi. Diese politische Deutung läßt sich ganz konkret am jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrund festmachen (V-VII). /. Ansätze zu einer Typologie der Dramenscbauplätze Für den in den erhaltenen Tragödien2 sechsmal dargestellten Schauplatz Theben entwickelte Froma Zeitlin die These, er bilde als ein einen scharfen Gegensatz zum und sei dementsprechend als <der andere Ort> zu verstehen, auf den besonders bedrohliche Konflikte projiziert werden, die geeignet sind, die Grundfeste der Polis zu erschüttern:3 der Wahnsinn des Herakles im Herakles des Euripides und der Agaue in seinen Bakchen, die Verstrickung des Oidipus in Blutschuld und Inzest im Sophokleischen König Oidipus, die gegenseitige Zerstörung seiner Kinder in Aischylos' Sieben gegen Theben und Euripides' Phoenissen sowie, in ihrer Folge, Antigones Konflikt mit dem Herrscher Kreon in Sophokles* Antigone. Alle diese Dramen sind durch ein schreckliches, hoffnungsloses Ende charakterisiert, an dem die Überlebenden der Katastrophe auf ein entsetzliches Geschehen zurückblicken und im Bewußtsein ihrer eigenen schuldhaften Beteiligung daran weiterleben müssen. Die Rolle von Argos,4 das ebenfalls sechsmal als Schauplatz dient, ist im Sinne eines solchen Schemas nicht so extrem wie die von Theben. Argos ist vielmehr ein Ort der Rückkehr oder des Aufbruchs, und die Handlungen der in Argos spielenden Stücke werden von Ankömmlingen aus anderen Orten bestimmt. Die Danaiden kehren in Aischylos' Hiketiden aus Ägypten als Schutzsuchende heim in die Stadt ihrer Vorfahren. Agamemnon wird ermordet, als er aus dem Trojanischen Krieg nach Hause kommt (Aischylos, Agamemnon); in Aischylos' Choepboren und den beiden Elektra-Oramen von Sophokles und Euripides kehrt Orestes aus dem Exil zurück, um Rache zu nehmen; die Verzweiflungstaten der von den Bürgern von Argos verurteilten Geschwister in Euripides' Orestes werden durch die Ankunft des Menelaos, der nicht zur Hufe bereit ist, erst provoziert und von dem aus Phokis eintreffenden Pylades angeregt. Auch Argos bietet, wie Theben, keine Lösungen der Konflikte: die Hikesie der Danaiden scheitert am Unvermögen der Stadt Argos, ihren
2 3
4
Die aus Fragmenten und Testimonien zum Teil rekonstruierbaren Stücken können in dem hier gegebenen Rahmen nicht berücksichtigt werden. Froma I. Zeitlin, Thebes: Theater of Seif and Society in Athenian Drama, in: Winkler/Zeitlin (vgl. Anm. 1), 130-167. Im Kern lautet ihre These: «Thebes, the other, provides Athens, the seif, with a place where it can play wkh and discharge both terror of and attraction to the irreconcilable, the inexpjable, and the urtredeemable, where it can experiment with the dangerous heights of self-assertion that transgression of fixed boundaries inevitably entails, where the city's political claims to primacy may be exposed and held up to question. Events in Thebes and the characters who enact them both fascinate and repel tbe Athenian audience, finally instructing the spectators äs to how their city might refrain from imitating the other's negao've example.» (145) Vgl. Suzanne Said, Tragic Argos, im Tragedy, Coraedy and the Polis. Papers from the Greek Drama Conference, Nottingham, 18-20 July 1990, hrsg. v. Alan Sommerstein u. a., Bari 1993,167-189.
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Sabine Vogt
Schützlingen militärisch wirksam beizustehen;5 Orestes muß von Argos aufbrechen, um in Delphi und Athen von der Blutschuld entsühnt zu werden (Aisch. Cho., Eur. EL, Or.). Die Lösung der in Theben oder Argos entstandenen Konflikte ist häufig mit Athen verbunden, was den Eindruck verstärkt, daß beide Orte tendenziell Kontrastbilder zu einem idealen Athen darstellen. Ahnlich wie der Argiver Orestes - in der seit der Orestie gleichsam kanonischen Version des Aischylos - in Athen von der Blutschuld freigesprochen wird, finden die beiden Thebaner Herakles und Oidipus in Athen Aufnahme, und zwar beide durch den mythischen König Theseus.6 Dies erinnert an zwei weitere Hikesie-Stücke des Euripides, in denen mythische Könige Athens Schutzflehenden, die sich an Altäre in attischen Demen geflüchtet haben, Asyl und Hilfe in Athen zusichern: Theseus den Söhnen der Sieben in Eleusis (Hiketiden) und Demophon den Kindern des Herakles in Marathon (Herakliden). Die Aufnahme in Athen garantiert eine Sicherheit, die Argos in der DanaidenTrilogie des Aischylos nicht zu gewähren imstande ist. Dies gilt auch für Orestes, denn selbst die Erinyen können der Stadt mit ihren Drohungen nichts anhaben, da Athene sie zu beschwichtigen und in Eumeniden zu verwandeln versteht (Aisch. Ettm.). Das Thema der Hikesie ist offensichtlich ein von den drei Tragikern für Athen in Anspruch genommenes Motiv, das dem Ruhm der Polis dient.7 Die hier vorgestellten Ansätze einer Typologie der Dramenschauplätze Theben, Argos und Athen zeigen, daß die Frage nach einer einheitlichen Konzeption eines bestimmten mythischen Schauplatzes in seinem Bezug auf das aktuelle Athen gerechtfertigt ist. Wenn sie im folgenden für den Schauplatz Delphi gestellt wird, ergibt sich allerdings die Schwierigkeit, daß Delphi im Corpus der ganz erhaltenen Tragödien nur zweimal Schauplatz ist, während Theben und Argos je sechsmal, Athen bzw. Attika immerhin viermal dargestellt sind und somit eine solidere Ausgangsbasis für eine derartige Untersuchung bieten. Die Konzeption des weist jedoch bei allen Unterschieden in beiden Dramen grundsätzliche Übereinstimmungen auf, die sich durch den Bezug auf das
//. Das Orakel von Delphi in der Erfahrungswelt der Griechen der Klassik Einen Eindruck von der Bedeutung des Orakels für alle Lebensbereiche vermitteln - neben Texten über die Orakelstätte von Delphi oder über Mantik im allgemeinen - vor allem die zahlreichen und vielfältigen Kontexte, in denen über die Orakelsprüche berichtet wird, die 5
6 7
In der Danaiden-Trilogie von Aischylos wird im Anschluß an die Hiketiden König Pelasgos, der den Mädchen Schutz versprochen hatte, im Kampf getötet, und die Danaiden werden gegen ihren Willen zur Heirat gezwungen. Nach traditioneller Ansicht geschah dies in den Aigyptioi (so z, B. Latacz, vgl. Anm. l, 145 f.), die man neuerdings jedoch für das erste Drama der Trilogie hält"(vgl. Alan H. Sommerstein, The Beginning and the End of Aescbylus* Danaid Trilogy,iiv. Bernhard Zimmermann, ;Hrsg., Griechisch-römische Komödie und Tragödie, Stuttgart 1995,111-134). Die besagte Handlung ist dann zwischen dem zweiten und dritten Teil der Trilogie, Hiketiden und Danaiden, anzusetzen (Sornmerstein S. 118). Eur. Herakl 1322-1333; Soph. Oid. Kol. 631 -641. Vgl. Günther Zuntz, The Political Plays of Euripides, Manchester 1955.
Delphi in der attischen Trag die
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in Delphi erteilt wurden.8 Das aus diesen Quellen erkennbare Delphi-Bild der Griechen im 5. Jahrhundert v. Chr. sei hier in seinen Grundz gen umrissen. Die Konsultation eines Orakels stellt gewisserma en eine Dialogsituation zwischen Mensch und Gottheit her. Der Mensch hat von sich aus beschlossen, g ttlichen Rat zu suchen, und dr ckt damit schon seine Bereitschaft und Verpflichtung aus, den G tterspruch zu befolgen bzw. sich zumindest mit ihm auseinanderzusetzen. Die Gottheit wiederum l t sich in der Regel auf diese Entscheidung des Menschen ein, indem sie Auskunft zu der von ihm vorgebrachten Angelegenheit gibt.9 Fragen an die Orakelgottheit dienten nicht blo er Neugier und baten auch nicht um zeitlich pr zise Vorhersage der Zukunft, sondern um konkrete Handlungsanweisungen in besonderen Situationen, in denen der menschliche Verstand mit einer Entscheidung berfordert war; daher betreffen sie auch sehr oft den Bereich von Religion und Kult. Durch die Antwort des Gottes wird der Fragesteller seiner Zweifel enthoben, wie er sich weiter verhalten soll; er kann sich jetzt - gerade auch gegen ber anderen - auf die objektive und einzigartige Autorit t des Gottes berufen. Viele Orakel aus Delphi seit dem 6. Jh. v. Chr. betrafen dementsprechend die Best tigung der Herrschaft einzelner Tyrannen, die Durchsetzung von politischen und sozialen Reformen und vor allem die Gr ndung von Kolonien:10 in allen diesen Bereichen, die sich auf die Gemeinschaft der Polis auswirkten, mu te man sich auf ein Recht berufen k nnen, das letztlich religi s legitimiert war — und die oberste Autorit t daf r war der Gott von Delphi. In vielen Poleis erteilten έξηγηται πυθόχρηστοι als Repr sentanten des Delphischen Gottes Ausk nfte und Anweisungen zu Fragen von Religion und Kult. Platon bezeichnet Apollon in seinem Staatsentwurf in der Politeia (4,427b) als die einzige Autorit t, die Gesetze im religi sen und kultischen Bereich geben k nne. Aus einer Bemerkung des Sokrates bei Xenophon (Mem. 4,3,16) wird ferner deutlich, da das Orakel von Delphi dem Brauch der jeweiligen Polis Geltung und Stabilit t zu verleihen bestrebt ist:... όρςίς γαρ ότι ό εν Δελφοΐς θεός, όταν τις αυτόν επερωτά πως αν τοις θεοΐς χαρίζοιτο, αποκρίνεταιΝόμω πόλεως. Delphi setzte sich bis zum 5. Jh. v. Chr. unter den vier Orakelst tten durch, die seit dem 7. Jh. v. Chr. eine berregionale Bedeutung gewonnen hatten. Die drei anderen Orte waren Ammon, Olympia und Dodona, und sie alle waren Heiligt mer und Orakelst tten des Zeus. 8
9
10
Zwei kommentierte Sammlungen stellen das Gesamtcorpus der berlieferten Orakelspr che zusammen: Herbert W. Parke/D. E. W. wormell, The Delphic Oracle. Vol I: The history. Vol. U: The oracular responses, Oxford 1956, und Joseph Fontenrose, The Delphic Oracle. Its Responses and Operations with a Catalogue of Responses, Berkeley, Los Angeles, London 1978, nachgedruckt 1981 (berechtigte Einw nde gegen Fontenroses Klassifizierung und Bewertung macht z. B. Frederick E. Brenk in: Gnomon 52, 1980, 700-706). Von den rund 600 Orakelspr chen sind im vorliegenden Zusammenhang nur die ca. 130 relevant, die in den Zeitraum vom Beginn der Orakelt tigkeit im 8. Jh. bis zum Anfang des 4. Jhs. v. Chr. fallen. Zitierte Orakelspruche werden im folgenden mit den Katalognummern von Parke/wormell, Vol. II (= P/W) und Fontenrose (= Font.) angegeben. Damit unterscheidet sich ein Orakel als <erfragtes> G tterzeichen von <spontan erteiltem wie Naturereignissen, Tr umen etc.; vgL Robert Parker, Greek States and Greek Oracles, in: Crux. Essays presented to G. E. M. de Ste. Croix on his 75th birthday, Exeter 1985,298-326. Dort S. 298: «Consultation of an oracle is die most powerful of several.forms of divination through, in Roman terms, indications. The important distincdon between and <self-offering> signs is that the authority of the former was increased by the decision to seek them.» VgL Irad Malkm, Delphoiand thefounding ofsocial Order in archaic Greece, Metis 4,1989,129-153; ders., Religion and colonization in ancient Greece, Leiden 1987.
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Sabme Vogt
Apollon galt in der mythologischen Theogonie jedoch als <junger> Gott und mu te daher seine Autorit t von Zeus ableiten. So verk ndet im Homerischen Hymnus an Apollon 132 der neugeborene Gott stolz seine Orakelfunktion: χρήσω δ' άνθρώποισι Διός νημερΐέα βουλή ν. Hier kommen die beiden fundamentalen Eigenschaften des Orakels zum Ausdruck: Apollon teilt den Sterblichen ein h heres, g ttliches Wissen mit, das ihnen allein nicht zug nglich ist; und die Mitteilungen des Gottes sind per se <wahr> in dem Sinne, da sie mit der vergangenen, gegenw rtigen und k nftigen11 Wirklichkeit in bereinstimmung stehen.12 Delphi war dementsprechend als eine Instanz der Wahrheitsverk ndung allgemein akzeptiert.13 Dieses Delphi-Bild spiegelt sich auch in den Trag dien. In beiden hier zu behandelnden Dramen bilden die Erhabenheit des Gottes von Delphi und die Zuversicht, durch sein Orakel Hilfe zu erhalten, den religi sen Hintergrund der Handlung. Orestes flieht auf Apollons Befehl als Schutzflehender nach Delphi (Cho. 1034-1043), wo er von Apollon rituell ents hnt - wenn auch nicht endg ltig freigesprochen - wird (Rum. 280-285,577 f.). Im Ion reisen Xuthos und Kreusa nach Delphi, um wegen der Kinderlosigkeit ihrer Ehe um Rat zu fragen (Ion 64-67), was offensichtlich ein h ufiges Anliegen Delphischer Besucher war.14 Die delphische Religiosit t wird in beiden Dramen besonders durch das Terapelpersonal verk rpert. Im Eingang des Prologs der Eumeniden (1-33) preist die Pythia die W rde des Orakels, das in friedlicher Abfolge von Gaia auf Apollon bergegangen ist. Der zentrale Vers 19 erinnert deutlich an den zitierten Vers aus dem Homerischen Hymnus: Διός προφήτης δ' έοτι Λοξίας πατρός. Selbst nach der entsetzlichen Ersch tterung durch den Anblick der schlafenden Erinyen im Tempel fa t sich die Pythia wieder im Vertrauen auf Apollon, der in seiner Funktion als Ιατρόμαντις, τερασκόπος und δωμάτων καθάρσιος (Eum. 60-63) helfen werde. Im Ion erscheint die Pythia ebenfalls als eine ruhige, w rdige Priesterin, die von Apollon gesandt aus dem Tempel tritt (ton 1320-1368), um Ions Mord an Kreusa zu verhindern und dem jungen Mann die Erkennungszeichen seiner Herkunft zu reichen. Noch deutlicher als in der Gestalt der Pythia tritt die religi se Atmosph re Delphis aber in den Reden des jungen Tempeldieners Ion selbst zutage (v. a. in seinem Auftrittslied 82-183, vgl. auch seinen Preis des gl cklichen Lebens in Delphi 633-647), und auch seine Verhaltensweise ist von religi ser Scheu und Achtung gepr gt, die ihn nicht nur vor dem Mordanschlag bewahren - weil er wegen der Unterbrechung seiner Trankspende durch das 11
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bermenschliches Wissen von Sehern, Dichtern und G ttern ist im griechischen Denken nicht nur auf zuk nftige Ereignisse gerichtet, sondern bezieht immer auch Vergangenheit und Gegenwart mit ein (vgl. die hexametrische Formel: τα t1 έόντα τα τ? έσόόμενα προ τ' έόντα, ζ. Β. Ilias 1,70). Das Wort νημερτής ist etymologisch von άμαρτάνω () abzuleiten, qualifiziert also einen Sachverhalt als , d. h. mit der Wirklichkeit bereinstimmend. - Zum Problem sogenannter falscher Orakel siehe unten Abschnitt IV. Zweifel an der Glaubw rdigkeit der G tterspr che kamen nicht auf (s. unten S. 38) - h chstens an der Zuverl ssigkeit ihrer Vermittler. Entsprechend entsetzt waren die Reaktionen, wenn wirklich einmal eine Bestechung der Pythia entdeckt wurde: Die von Peisistratos vertriebenen Alkmeoniden in Delphi konnten unter anderem durch die kostbare Ausstattung des Tempelneubaus von 548/47 v. Chr, die Pythia dazu bestechen, jedem ratsuchenden Spartaner unabh ngig von seiner Frage den Auftrag zu erteilen, die · Peisistratiden aus Athen zu vertreiben (Hdt. 5,63,1; vgl. 5,66,1; 6,123). Erst sp ter, nachdem die Spartaner diesen Auftrag erf llt hatten und der Alkmeonide Kleisthenes in Athen seine Reformpolitik durchgesetzt ^ hatte, entdeckten die Spartaner voller Zorn den Betrug und versuchten vergeblich, den Peisistratiden Hippias wieder als Tyrannen einzusetzen (Hdt. 5,90-91), Fontenrose (vgl. Anm. 8) verzeichnet 12 Beispiele (H34, Q28,59,104,160, L4,5,17,23,28, 82, 99).
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L sterwoit eines Gastes den vergifteten Becher ausgie t (1187-1193) -, sondern auch vor der Ermordung der. an den Altar gefl chteten Kreusa zur ckschrecken lassen (1279-1281), obwohl er ihr das Recht abspricht, als Verbrecherin am Altar Schutz zu suchen (1314-1319).15
///. Delphis Einflu
auf die Politik in Athen
Die politischen Beziehungen zwischen Athen und Delphi sind durch zahlreiche Konsultationen des Orakels in entscheidenden Momenten der historischen Entwicklung gekennzeichnet - ganz im oben beschriebenen Sinne, da die g ttliche Autorit t in Delphi vor allem bei wichtigen Entscheidungen befragt wurde, die die ganze Polisgemeinschaft betrafen und f r die nicht ein einzelner Mensch die Verantwortung bernehmen konnte. So bat Kleisthenes 508/7 v. Chr. die Pythia, die Namen der eponymen Heroen f r die zehn Phylen zu w hlen, in die er Attika eingeteilt hatte.J6 Mit ihrer Antwort sanktionierte die Pythia zugleich die ganze Phylenordnung, und somit galt das Fundament der neuen, erstmals dem Grundsatz der Isonomie folgenden Verfassung als von Apollon bef rwortet. Weitere Entwicklungsschritte der Demokratie waren mit Themistokles' Bem hungen verbunden, Athen zu einer Seemacht zu machen. Er konnte im kritischen Moment der akuten Bedrohung durch die Perser seine Politik unter Berufung auf Delphi durchsetzen (Hdt. 7,140-143): Als Xerxes die Perser zu Land und zu See gegen Griechenland f hrte, hatten bereits etliche Staaten in Delphi angefragt, ob sie sich den Kriegsvorbereitungen der Athener anschlie en oder sich den Persern ergeben sollten. Argos und Kreta waren unter den ersten Ratsuchenden, und sie erhielten den Rat, ihre Neutralit t zu wahren bzw. sich selbst zu sch tzen (Hdt. 7,148,2-3 und 7,169). Auch das Orakel, das die Athener einholten, riet in dringenden Worten zur Flucht. Die Gesandten erbaten jedoch als Hilfsflehende ein zweites, g nstigeres Orakel, und erhielten nun die Prophezeiung, ein τείχος ξύλινον werde bestehen bleiben und: ώ θείη Σαλαμίς, άπολεΐς δε συ τέκνα γυναικών (Hdt. 7,141,3-4). In Athen wurde die Bedeutung dieses Spruches kontrovers diskutiert: Bedeutete die «h lzerne Mauer» die Dornenhecke um die Akropolis oder die Schiffe? Sagte der Hinweis auf Salamis nicht eine Niederlage dort voraus? Themistokles konnte schlie lich die Athener davon berzeugen, seinem Plan zu folgen: die Stadt zu verlassen und die Seeschlacht zu riskieren. Er legte dar, Salamis w re von Apollon nicht als «g ttlich» apostrophiert worden, wenn es nicht der Schauplatz eines Sieges der Griechen werden sollte. Von modernen Historikern wird bisweilen angenommen, Delphi h tte sich bei den Athenern durch die zur Flucht ratenden Orakel diskreditiert, nachdem wider alles Erwarten der endg ltige Sieg ber die Perser errungen war.17 Da diese Deutung nicht zutrifft, bewei15
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Die Charakterisierung des Ion als fromm und Apollon ergeben analysiert Harvey Yunis, A New Creed: Fundamental Religion* Beliefs in the Athenian Polis and Euripidean Drama, G ttingen 1988 (Hypomnemata 91), 121-138. Vgl. auch Hermann Rohdich, Die Euripideische Trag die. Untersuchungen zu ihrer Tragik» Heidelberg 1968,111 -118, der Ions Leben in Delphi als ein religi ses Idyll auffa t, durch das Ions Weltverst ndnis als'<sokratisch> {i. S. v. ideal) und untragisch charakterisiert werde. Arist. Ath. Pol. 21,6. - Zur politischen Bedeutung als Sanktion aus Delphi vgL Irad Malkin, Religion ... (vgl.Anm. 10), 243-245. So z. B. immer noch D. M. Lewis in: CAH V2, 1992, 99. Gegen diese Ansicht wendet sich Parker (vgl. Anm. 9), 317 f.
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sen die zahlreichen kostbaren Weihgeschenke, die Apoll n in Delphi ebenso wie Zeus in Olympia gestiftet wurden und die nicht etwa als eine provokative Demonstration, seiner Fehleinsch tzung der Lage, sondern als aufrichtige Zeichen der Dankbarkeit gegen ber dem Gott zu verstehen sind.1* Au erdem ist nachweisbar, da die Athener Delphi nach wie vor konsultierten, wenn auch die Nachrichten dar ber nicht mehr so zahlreich sind - denn die Historiker nach Herodot zeigten kein vergleichbares Interesse mehr an Delphi. Thukydides richtet sich im Rahmen seiner Ablehnung von Aberglaube und Weissagern h ufig gegen Personen, die unreflektiert und voreilig Delphische Orakelspr che deuten; das Orakel selber jedoch kritisiert er nicht.19 Delphi wurde auch von nderen Poleis nach wie vor in politischen Fragen konsultiert. So holten sich die Epidamnier, als Korkyra ihnen den Beistand verweigert hatte, in Delphi die Best tigung f r ihr Vorhaben, sich um Hilfe an Korinth zu wenden; mit dieser Vorsichtsma nahme sicherten sie sich die g nstige Aufnahme ihres Hilfegesuchs an die Korinther (Thuk. 1,25,1 -3). Die Spartaner lie en sich ihr Urteil, da die Athener den Vertrag gebrochen h tten, durch eine Nachfrage in Delphi sanktionieren, bevor sie mit ihrem Angriff den Peloponnesischen Krieg begannen (Thuk. 1,118,3): αύτοΐς μεν ούν τοις Λακεδαιμονίοις δίέγνωοτο λελύσθαι τε τάς όηονδάς και τους Αθηναίους άδικεΐν, πέμψαντες δε ες Δελφούς έπηρώτων τον θεον ει πολεμοοσιν άμεινον εσται· ό δε άνεΐλεν αύτοΐς, ως λέγεται, κατά κράτος πολεμοϋσι νίκην εσεσθαι, και αυτός έφη ξυλλήψεσθαι και παρακαλούμενος και άκλητος. Es verwundert nicht, da diese deutliche Parteinahme des Gottes von Delphi eine entmutigende Wirkung in Athen zur Folge hatte. Als noch im ersten Kriegsjahr die Pest in Athen ausbrach, glaubten viele Athener, die Krankheit sei die vom Gott angek ndigte Hilfe f r die Spartaner (Thuk. 2,54). Selbst das hielt die Athener jedoch nicht davon ab, Delphi weiterhin um Rat zu fragen20 - sogar nach einer Heilung von der Seuche.21 In den letzten
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Vgl. Werner Gauer, Weibgeschenke aus den Perserkriegen, Istanbuler Mitteilungen, Beiheft 2,1968, bes. 127: «Der gr te Teil der monumentalen Weihgeschenke aus den Perserkriegen stand in Delphi. Die unbestrittene religi se Autorit t des pythischen Apoll n und seines Orakels, die in diesen Jahrzehnten ihren H hepunkt erreichte, gab Delphi die selbstverst ndliche Anwartschaft auf die vornehmsten Beuteanatheme.»; ebd. Anm. 601: «Die Schonung der Heiligtums [die oft als Anzeichen eines Medismos verstanden wird] erkl rt sich einerseits durch die religi se Toleranz der Perser, andererseits dadurch, da 9 von den 12 Mitgliedst mmen der mphiktyonie auf Seiten der Perser standen. Die reichen Weihgeschenke und die Zehnt-Gel bde zugunsten des delphischen Apoll n lehren zur Gen ge, da f r die Sieger von Salamis und Plataeae die religi se Autorit t des Gottes unbestritten war und da man ihm einen etwaigen Medismos der Delpher nicht zur Last legte.» Vgl. Nanno Marinatos, Tbucydides and oracles, JHS 101,1981,138-140. Im Nikias-Frieden von 421 v. Chr. wurden der freie Zugang nach Delphi und die Unabh ngigkeit der Delpher garantiert (Thuk, 5,18,2), woraus sich einerseits die gro e Bedeutung von Delphi als neutrales Kult- und Orakelzentrum f r die Kriegsparteicn erkennen la t, was andererseits aber auch darauf schlie en l t, da ein freier Zugang nach Delphi nicht immer gew hrleistet war. Ein Vers aus den 414 v. Chr. aufgef hrten V geln des Aristophanes legt nahe, da die Boioter den Athenern zeitweise die Reise nach Delphi erschwertem ... ήμεΐς, ην ίέναι βουλώμεΟα / ΠυΟώδε, Βοιωτούς δίοδον αίτούμεθα... (1:88 f.). - Walter Burkert (CAH V2, 1992, 262 f.) nimmt an, da die Einholung eines Orakels zur Etablierung des BendisKultes aus Dodona und nicht aus Delphi ein Hinweis darauf sei, da Delphi sich feindlich gegen ber Athen erwiesen hatte. Die von ihm akzeptierte Datierung der betreffenden Inschrift IG P 136 in die Zeit
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Jahren des Archidamischen Krieges lie en sich die Athener in Delphi die Aufforderung an ihre Verb ndeten und andere Poleis sanktionieren, Demeter und Persephone in Eleusis Ernte-Opfer darzubringen; ein politisch u erst vorteilhaftes Orakel, auch wenn es auf neutralen kultischen Belangen basierte.22 Apollons Parteinahme f r die Spartaner verursachte also offensichtlich keine bleibenden Ressentiments der Athener gegen ber dem Orakel von Delphi, das brigens nach der Niederlage 404 v. Chr. die Spartaner wahrscheinlich23 sogar von der Zerst rung der Stadt abhielt. Ferner erinnerten sich die Athener offenbar auch im Krieg an eine alte, nahezu hymnische Vorhersage der Pythia:24 εύδαιμον πτολίεθρον Άθηναίης άγελείης, πολλά ίδον και πολλά παθόν καΐ πολλά μογησαν, αιετος εν νεφέλησι γενήσεαι ήματα πάντα. IV. Das : Ambiguit t und Hermeneutik Diejenigen Kontexte, in denen ausf hrlicher ber in Delphi erteilte Orakel berichtet wird in denen es also nicht nur auf das Faktum ankommt, da ein solches Orakel erteilt wurde weisen eine Art Leitmotiv auf, das hier als bezeichnet werden soll: der Zusammenhang zwischen der Ambiguit t vieler Orakelspr che und dem Deutungsproze , den der Fragesteller anstrengen mu , um aus den Worten des Gottes eine Konsequenz f r sein Handeln zu ziehen. Denn bei einer Orakelkonsultation wird der Mensch mit einem Wissen konfrontiert, in das er allein aus menschlichem Verm gen keinen Einblick h tte •gewinnen k nnen. Auch wenn er davon ausgeht, da das Orakel von Delphi Wahrheit verk ndet, so hei t das nicht, da diese Wahrheit dem naturgem beschr nkten menschlichen Verstand leicht zug nglich w re. Der Orakelspruch ist f r den Fragesteller vielmehr eine Denkaufgabe, ein zu l sendes R tsel, das schon auf den ersten Blick unverst ndlich oder
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um 413/12 v. Chr. legt jedoch nahe, da dies mit den u eren Hindernissen und nicht mit einer inneren Ablehnung der Athener gegen ber dem Delphischen Apollon zu begr nden ist. Jedoch bleibt im Zusammenhang mit dem Bendis-Kult in Athen vieles unsicher, unter anderem auch die Datierung der Inschrift und die Verbindung mit Dodona; siehe ausf hrlich Robert Parker, Athenian Religion. A History, Oxford 1996,170-175. Paus. 1,3,4 erw hnt eine Statue des Apollon Alexikakos auf der Athener Agora, die sie w hrend der Pest im Peloponnesischen Krieg -auf ein Delphisches Orakel hin errichtet h tten. — Zeugnisse weiterer Orakelbefragungen der Athener bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges bei Parke/Wormell (vgl. Anm, 8) 1,180-202. P/W 164, Font. H9 = IG P 78,24-26. Auf diese Weise wurden sowohl die Verb ndeten enger an Athen gebunden als auch dem Kult von Eleusis eine f>anhellenische Dimension verliehen. Noch im 3. Jh. v. Chr. kamen die meisten griechischen Poleis dieser religi sen Pflicht nach, wie Isokrates (Paneg. 31) bezeugt. P/W. 171, Font. Q 198; das Orakel ist allerdings erst sp t bezeugt: Athen. 5,187d; 6,254b; Schol. Aristides Panatb. 196; Aelian, VH 4,6. Schol. Aristoph. Eq. 1013 a. — Die fr heste Anspielung auf dieses Orakel steht in den (vom zitierten Scho asten kommentierten) Worten des Demos in den 424 v. Chr. aufgef hrten Rittern des Aristophanes (1011-13): fiye νυν όπως αυτούς άναννώσεσθέ μοι, / καΐ τον περί εμού 'κεΐνον φπερ ήδομαι, / ως εν νεφελ^σιν αίετός γενήοομαι. Weder Aristophanes noch sein Scholiast erw hnen allerdings in diesem Zusammenhang Delphi; erst Aristides zitiert den Spruch im Rahmen einer Aufz hlung von Delphischen Verhei ungen der Gr e Athens (Aristid Panath. 196 mit Schol. und Scbol. Aristoph. Av. 978 a).
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mehrdeutig sein kann. H ufig ist aber auch hinter einer an der Oberfl che liegenden und scheinbar eindeutigen Bedeutung eine andere, oft gegens tzliche Bedeutung verborgen, die in der sprachlichen Formulierung - besonders in Metaphern, Bildern, Gleichnissen und Andeutungen - versteckt liegt. Als Beispiel f r Doppeldeutigkeit (αμφιβολία) zitiert Aristoteles in der Rhetorik (1407a38) daher auch das ber hmte Orakel an Kroisos: Κροίσος "Αλυν διαβάς μεγάλην αρχήν καταλύσει. In der Kroisos-Geschichte charakterisiert Herodot (1,26-91) den K nig mehrfach dadurch, da er sich mit einer oberfl chlichen Deutung von Orakelspr chen zufriedengibt, wenn sie seinen W nschen entsprechen, aber trotz Warnungen nicht den tieferen Sinn der Spr che zu verstehen versucht.25 Ein Musterbeispiel f r den angemessenen Umgang mit einem Orakelspruch ist dagegen Herodots bereits erw hnter Bericht ber das Orakel der «h lzernen Mauer» (7,140-143), mit dem Themistokles die Athener berzeugen konnte, die Schlacht von Salamis zu wagen. Da die Griechen sich der hermeneutischen Schwierigkeit bewu t waren, in der sich der beschr nkte menschliche Verstand gegen ber dem Wort des Gottes befand, zeigt die Tatsache, da das Mi verstehen von Prophetie allgemein als Fehler von Seiten des menschlichen Geistes verstanden, nicht jedoch als Fehler des Orakels angesehen wurde.26 Dies belegt auch ein Fragment des Sophokles: και τον θεόν τοιούτον έξεπίσταμαι, / σοφοΐς μεν αίνικτηρα θεσφάτων άει, / σκαιοΐς δε φαΰλον καν βραχεί διδασκάλον. (TrGF IV, F 771). Die Bedeutung des f r die meisten ausf hrlicheren literarischen Kontexte ber Delphi kann an den erhaltenen Trag dien gut demonstriert werden. Denn auch dort bilden Delphische Orakel mehrfach Konstituenten der Handlung. In sechs der erhaltenen Dramen sind bestimmte Handlungsweisen einzelner Personen durch ein Orakel angeregt, wobei die Inhalte der erteilten Orakelspr che nebens chlich sind und nur kurz erw hnt werden; das spielt in diesen F llen also keine Rolle.27 Zentrale Bedeutung haben Delphische Orakel dagegen in den tragischen Umsetzungen der Mythen um Oidipus, Orestes und Ion. Die Geschichte des Oidipus ist von mehreren Orakeln des Apollon begleitet. Sein Vater Laios erf hrt von der Gottheit, sein Sohn werde ihn t ten. Dabei gewichten die Tragiker diese Weissagung unterschiedlich: Bei Aischylos und Euripides ist sie als Warnung formuliert, einen Sohn in die Welt zu setzen;28 Laios macht sich also schuldig, indem er dagegen verst t. Sophokles jedoch l t das Orakel als Prophezeiung einer unvermeidlichen Zukunft 25
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Vgl. Jutt«i Kirchberg, Die Funktion der Orakel im Werke Herodots (Hypomnemata.il), G ttingen 1965, 11 -32; Ludwig Huber, Religi se und-politische Beweggr nde des Handelns in der Geschichtsschreibung des Herodot (Diss. T bingen 1963), Bielefeld 1965; zur Doppeldeutigkeit der Orakel bes. 46. Marinatos (vgl. Anm. 19), 138 hat diese Auffassung f r die Darstellung von Orakeln bei Herodot und Thukydides nachgewiesen; da sie ebenso f r die Tragiker zutrifft, wird aus dem folgenden deutlich. Teukros sucht in gypten Rat wegen eines Orakelspruches (Eur. Hei 146-149) und ersch ttert Helena durch die Nachrichten ber das Ende des Trojanischen Krieges. -Medeas Racheplan wird erst dadurch realisierbar, da ihr Aigeus ahnungslos Asyl in Athen verspricht, als er auf der R ckreise von Delphi (Med. 666-681) durch Korinth kommt. - Ιο passiert auf ihrer Flucht den Felsen des Prometheus, nachdem sie auf Gehei eines Orakel von ihrem Vater versto en worden ist (Aisqh. Prom. 658-668). - Das Grab des ' Eurystheus in Athen soll nach Apollons Auskunft zum Segen f r die Stadt werden (Eur. Herakleid. 1026-38). - Adrastos unterst tzt Polyneikes im Krieg gegen Theben (das Kadmos einst gem einem % Orakelspruch gegr ndet hat: Eur. Phoen. 638-648) deswegen, weil er ihn aufgrund eines Delphischen Orakels als Schwiegersohn aufgenommen hat (Eur. Hik. 138-146; Phoen. 408-423). Aisch. Sept. 748 f. und Eur. Phoen. 17-20,1597-1599.
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erscheinen,29 für die also weder Laios noch Oidipus verantwortlich gemacht werden können. Das Gegenstück zum Orakel an Laios bildet bei Sophokles die Antwort des Orakels auf Oidipus' Frage nach seiner Herkunft: er werde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten.30 Die Erkenntnishandlung des König Oidipus beschreibt seinen Weg, dieses Orakel zu verstehen.31 Eine nachträgliche positive Bewertung von Oidipus' Konsequenz, diesen Weg bis zur Katastrophe verfolgt zu haben, stellt seine Apotheose im Oidipus auf Kolonos dar, die wiederum durch eine Weissagung von Apollon über den Ort seines Sterbens ermöglicht wird.32 Auch die sechs auf uns gekommenen dramatischen Fassungen des Orestes-Stoffes nehmen ihren Ausgang von einem Orakel, das Orestes* Muttermord als Rache für Agamemnon entweder fordert (bei Aischylos und Euripides)33 oder wenigstens sanktioniert (Soph. EL 32—37). Orestes* Erkenntnisprozeß, daß Rache für den Vater zugleich den Mord an der Mutter bedeutet, wird von Aischylos zwar nicht direkt thematisiert, dient ihm aber zur Charakterisierung seines Helden.34 Nach der Tat in Argos sucht Orestes Entsühnung und Befreiung von der Verfolgung durch die Erinyen in Delphi, das im ersten Drittel der Eumeniden des Aischylos den Bühnenschauplatz bildet, ohne daß dort jedoch ein weiteres Orakel erteilt würde. Orestes wird von Apollon zur Gerichtsverhandlung nach Athen geschickt, wobei erst Euripides diesen Auftrag in die Form eines Orakels kleidet; bei Aischylos erteilt Apollon ihn in direktem Gespräch.35 In der Iphigenie bei den Taurern (976-978) erfindet Euripides ein erneutes Orakel, das Orestes später noch einmal mit einem Auftrag nach Tauros schickt; hier kommt es auf das Orakel nur als Auslöser einer Handlung an, hermeneutische Schwierigkeiten werden nicht erwähnt. Im Ion des Euripides wird das zum zentralen Movens der Handlung, denn das athenische Königspaar Xuthos und Kreusa ist nach Delphi gereist, um wegen seiner Kinderlosigkeit Rat einzuholen. Hermes erläutert im Prolog Apollons Plan, durch den Orakelspruch an Xuthos Ion zum König von Athen und Stammvater der lonier zu machen, dabei seine eigene Vaterschaft aber geheimzuhalten; nur Kreusa solle Ion als ihren Sohn erkennen, den sie einst von Apollon empfing, heimlich gebar und aussetzen mußte (67-75). 29 30
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Soph. Oid. Tyr. 713 f., 853 f., 906-908,1176. Soph. Oid. Tyr. 791-793, 994-996. - Oidipus versteht das Orakel nicht als Antwort auf seine Frage, obwohl es doch besagt: <wen du erschlagen wirst, der ist dein Vater, und die du heiratest, deine Mutter>. Vgl. Hellmut Flashar, Hegel, Ödipus und die Tragödie des Sophokles, in: Kunst und Geschichte im Zeitalter Hegels, hrsg. v. Christoph Jamme unter Mitwirkung von Frank Völkel (Hegel-Deutungen 2), Hamburg 1996, l-25, hier 18 f. Vgl. z. B. Eckard Lefevre, Die Unfähigkeit, sich zu erkennen. Unzeitgemäße Bemerkungen zu Sophokles9 Oidipus Tyrannos, WJb N. F. 13, 1987, 37-58; Arbogast Schmitt, Menschliches Fehlen und tragisches Scheitern. Zur Handlungsmotivation im Sophokleischen 9 RhM N. F. 131,1988,8-30; Bernd Manuwald, Oidipus undAdrastos. Bemerkungen zur neueren Diskussion um die Schuldfrage in Sophokles' <#öwg >«*, RhM N. F. 135,1992,1-43. * Soph. Oid. Kol 84-95. Aisch. Cho. 269-296,1029-1033, Eur. El. 973 u. a., Or. 416,594, Ipb. Taur. 714 f. . Orestes wird sich erst, als er schon das Schwert gegen Klytaimestra erhoben hat, dessen bewußt, daß seine gerechte Rache für den Vater zugleich Muttermord bedeutet (Cho. 899); vgl. Sabine Vogt, Das Delphische Orakel in den Orestes-Dramen, in: Orchestra. Mythos, Drama, Bühne, Festschrift für Hellmut Flashar, hrsg. v. Anton Bierl und Peter von Möllendorff, Stuttgart u. Leipzig 1994,97-104. Wenn Apollon Orestes in den Eumeniden befiehlt, nach Athen weiterzuziehen (Eum. 64-84 und 88-93), weist die Gesprächssituation kein Kennzeichen einer Orakelkonsultation auf. Erst bei Euripides spricht Orestes auf Tauros von diesem Auftrag als einem erneuten Orakelspruch (Iph. Taur. 972-978).
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Das dramatische Geschehen ergibt sich nun aus den unterschiedlichen Reaktionen von Xuthos und Kreusa auf das Orakel, das der König im Tempel erhält. Es wird zwar nie im Wortlaut genannt, seine Aussage läßt sich aber aus verschiedenen Hinweisen rekonstruieren:36 <Apollon gibt dem Xuthos denjenigen zum Geschenk, der ihm beim Verlassen des Tempels zuerst begegne, und er betont, jener sei sein Sohn.> Die Ambiguität liegt in diesem ansonsten klar verständlichen Orakel in einer einzigen ungenauen Formulierung: das Possessivpronomen kann sich sowohl auf Apollon als Subjekt des Satzes als auch auf das indirekte Objekt Xuthos beziehen. Xuthos nimmt nur die zweite Möglichkeit wahr und ist bereit, in Ion ein von ihm selbst bei einem früheren Besuch im Rausch gezeugtes Kind einer Delpherin zu sehen (550-555). Ion akzeptiert die Erklärung widerwillig, da sie ihm vom Gott gewollt scheint (557). Der Chor gibt diese Auslegung entgegen Xuthos' Befehl an Kreusa weiter (774 f.); auf der Grundlage dieser spärlichen Information meint der alte Diener sogleich, eine böswillige und seit langem geplante Intrige des Xuthos gegen seine Frau erkennen zu können (813-829). Weil der Chor zuerst - ohne jede sachliche Grundlage - die Prophezeiung hinzufügt, Kreusa werde ihr Leben lang kinderlos bleiben (761 f.), fühlt sie sich nun von Apollon hintergangen, der ihr eigenes gemeinsames Kind seinerzeit habe sterben lassen und nun einen Fehltritt des Xuthos begünstige (907-922). Diese Deutungen und emotionalen Reaktionen basieren auf einer zunehmend ungenauen oder gar verfälschten Kenntnis des Orakelspruches und haben eine Entwicklung zur Folge, die zweimal beinahe zum unwissenden Kindes- bzw. Muttermord führt.37 In der durch die Pythia herbeigeführten Anagnorisis vollzieht Kreusa die entscheidende Wende von der durch Leidenschaft verblendeten Anklage an Apollon zur wahren Einsicht in seine Absichten: «Obwohl auch sie den Spruch des Gottes nicht persönlich vernommen hat, errät sie seinen Sinn in dem Augenblick, da sie ihr Kind wieder in den Armen hält. Denn ihre Aussage 1534-1536 ist nicht nur im Einklang mit der von Apollon selbst autorisierten Erklärung Athenes in 1561, sondern gibt die Bedeutung der Weissagung auch so wieder, wie Loxias sie gemeint hat. Ferner erkennt sie klär, was der Gott mit seinen dunklen Plänen beabsichtigt hat (1539-1545): Ion kann nur als Xuthossohn, nicht aber als Gottessohn Herrscher in Athen werden. Und wiederum bestätigt Athene diesen Gedanken im Auftrag ihres Bruders Apollon (1562 [...]; vgl. 1540 f.).»38 Athenes Auftreten als dea ex machina hindert Ion daran, im Tempel von Apollon eine eindeutige Auskunft nach seinem leiblichen Vater zu verlangen (1547 f.). Sie verkündet, wie sich Apollons Plan erfüllt hat, Ion zum König in Athen und Stammvater der lonier zu machen (73-75,1570-1588):39 Neben seiner Fürsorge für Mutter 36
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Ich folge hier der Interpretation von Heinz Neitzel, Apollons Orakelspruch im des Ettripides, Hermes 116, 1988, 272-279, und gebe in der Paraphrase seine Rekonstruktion des griechischen Wortlautes (275) wieder. - Eine Analyse der verschiedenen Stellen, die das Orakel erwähnen, gibt auch Barbara Gauger, Gott und Mensch im Ion des Euripides. Untersuchungen zum Dritten Epeisodion des Dramas, Bonn 1977,78-89. Sie leitet daraus jedoch wenig überzeugend eine Doppeldeutigkeit in dem Sinne ab, daß Xuthos einen Auftrag zur bloßen Adoption als Beweis seiner leiblichen Vaterschaft mißverstehe. Die Delphische Religiosität des Ion verhindert in beiden Fällen die Katastrophe (siehe oben S. 34 f.); als Kreusa am Altar bedroht wird, greift zudem die Pythia ein und lenkt Ions Aufmerksamkeit auf die Suche ' nach seiner Mutter (Ion 1320-57). ; Neitzel (vgl. Anm. 36), 278. . , Gauger (vgl. Anm. 36), 99-105 weist im einzelnen nach, in welchen Schritten Apollon durch sein Eingreifen seinen Plan verwirklicht, Ion zum König von Athen und Stammvater der lonier zu machen (Ion 73-75).
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und Sohn in der Vergangenheit, die beiden jedoch verborgen blieb (1595-1600), diente diesem Zweck vor allem das Orakel an Xuthos, das jedoch Kreusa und Ion zu ihren gegenseitigen Mordversuchen veranläßte, so daß Apollon die Anagnorisis entgegen seinem ursprünglichem Plan (71 f., 1566-1568) nicht in Athen, sondern bereits in Delphi stattfinden lassen mußte.40 Xuthos, der das Orakel in eigener Person erhalten hatte, darf jedoch die wahren Hintergründe nie erfahren (1601 f.) und wird weiterhin an seine Fehlinterpretation glauben. In diesen drei Stoffen ist das Orakel insofern zentral, als die Handlung der Dramen weitgehend aus der Umsetzung des besteht: die handelnden Personen werden mit einem ihnen zunächst unverständlichen Orakelspruch konfrontiert, dessen wahre Bedeutung sie erst verstehen und in der ganzen Reichweite ihrer Konsequenzen begreifen lernen müssen. Bei keinem dieser wie auch der eingangs genannten sechs nebensächlichen Orakel ist Delphi als Schauplatz seiner Erteilung für das Geschehen wichtig, denn die handlungsrelevante Bedeutung der Orakelstätte hat nichts mit ihrer Lokalisierung in Delphi zu tun. Vielmehr wirken sich die Orakelsprüche auf ein Geschehen aus, das nicht am Ort ihrer Erteilung stattfindet, sondern in der lokalen Umgebung der Fragesteller, die von Delphi aus nach der Konsultation, zu der sie extra angereist waren, wieder in ihre Heimat zurückkehren. Die Darstellung von Delphi als Bühnenschauplatz in Eumeniden und Ion muß also anders zu erklären sein als durch die Bedeutung des Orakels für die Handlung, zumal einerseits in den Eumeniden gar kein Orakel mehr erteilt wird (Apollon äußert seinen Auftrag an Orestes, nach Athen zu ziehen, in direktem mündlichen Gespräch und' ohne vorausgegangene Frage: Eum. 74—84), andererseits die Auseinandersetzung mit dem im Ion zentralen Orakelspruch aber auch in Athen spielen könnte,41 denn außer der Pythia und Ion sind alle beteiligten Personen Athener; Ion selbst gehört aufgrund seiner Herkunft nach Athen ebenso wie nach Delphi. In beiden Dramen ist gleichzeitig der Bezug auf Athen von besonderer Bedeutung: Athen als Schauplatz vergangener (Kreusas Vergewaltigung und Ions Geburt) oder künftiger (Ions Herrschaft; Orestes* Freispruch) Teile der mythischen Handlung wird immer wieder in die Szene in Delphi hineingespiegelt. V. Delphi und Athen in den Eumeniden Jagen am Ende der Choephoren die Erinyen Orestes aus Argos, so zeigt die Bühne zu Beginn der Eumeniden das Ziel seiner Flucht, den Tempel von Apollon in Delphi. Der Gott hat durch sein Orakel Orestes den Befehl zur Rache erteilt (Cho. 269-296) und hinzugefügt, Orestes solle sich nach der Tat als Schutzflehender nach Delphi begeben (Cho. 1029-1039). Der Chor bestärkt ihn in der berechtigten Hoffnung, dort Befreiung zu finden (Cho. 40
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Gauger (vgL Anm. 36), 103: «bei objektiver Betrachtung ein relativ unbedeutender Teil seines Vorhabens;» - Notwendig geworden war diese Änderung durch die von Apollon offensichtlich nicht beabsichtigten Reaktionen der aufgrund der Unkenntnis seiner wohlmeindenden Pläne verzweifelten Menschen; vgl. dazu Michael Lloyd, Divine and Human Actton in Eunpides* Ion, A & A 32, 1986, 33-45, der allerdings Apollon m. E. zu negativ bewertet. Für die nur fragmentarisch erhaltene Kreusa des Sophokles (TrGF IV, F 350-359) nimmt Anne P. Burnett, Catastropbe Survived. Euripides' Plays ofMixed Reversal^ Oxford 1971,103, den Palast der Ercchthiden in Athen als Schauplatz an.
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1059 f.), als er beim Anblick der Erinyen vom Wahnsinn ergriffen wird und in Panik von der B hne st rzt (Cho. 1048-1062). Die Kontrastwirkung zu dem ruhigen, friedlichen Prologbeginn der Pythia k nnte kaum gr er sein: sie besingt die friedliche bergabe des Orakelheiligtums von Gaia ber Themis und Phoibe an Apollon (Eum. l -33). Durch diese Gestaltung des bergangs zwischen den beiden letzten Teilen der Trilogie wird dem Publikum die Gewi heit suggeriert, da Orestes in Delphi endg ltig ents hnt und von den Erinyen befreit w rde - schlie lich geh rt die rituelle Reinigung von Blutschuld zu den Funktionen des Delphischen Apollon,42 der in diesem Fall die Tat durch sein Orakel sogar selbst von vornherein sanktioniert hat. Als Apollon mit Orestes gemeinsam aus dem Tempel tritt und ihm zusichert: ούτοι προδώσω... (64)43, scheint diese vielf ltig begr ndete Erwartung vollauf best tigt; nach zehn weiteren Versen erfolgt jedoch die Wendung, die Orestes gewisserma en ebenso berrascht wie das Publikum: όμως δε φεύγε... (74). Wohin Orestes sich wenden soll, wenn schon Delphi ihm keinen sicheren Schutz gew hren kann - Apollon kann die Erinyen nur vor bergehend einschl fern, um seinem Sch tzling eine kurze Rast im Tempel und einen Vorsprung auf der weiteren Flucht zu gew hrleisten -, wird erst f nf Verse sp ter klar: μόλων δε Παλλάδος ποιι πτόλιν... (79). Dieser Umschwung ist umso bemerkenswerter, als es sich dabei um eine Mythenerweiterung durch Aischylos handelt; vor seiner Orestie war Athen in keiner Weise mit den Ereignissen um Orestes verbunden.44 Die Handlung, die das Publikum in Delphi wohl vorrangig erwarten darf, n mlich die rituelle Ents hnung des Mutterm rders durch Apollon, ist aus der Szene in Delphi r umlich und zeitlich v llig verdr ngt. .Erst in Athen wird im Nachhinein erw hnt, da Apollon Orestes mit Ferkelblut bespritzt und durch heilige Waschungen gereinigt hat.45 Die traditionelle Funktion des Delphischen Gottes, die die Kette von Mord und Blutschuld im Atridenhaus beenden k nnte, wird von Aischylos zur berraschung seines Publikums in den Hintergrund ger ckt, um der von ihm neugeschaffenen Rolle Athens und seines Gerichts unter Athenes Vorsitz gr eres Gewicht zu verleihen. In Athen endet denn auch die Trilogie, die von dem argivischen Stoff des Atridenhauses ihre.n Ausgang nahm, mit rein athenischen Belangen. Denn die eigentliche OrestesHandlung ist schon in Vers 777 mit Orestes' Dankesworten und Abgang beendet; das letzte Drittel des Dramas handelt allein davon, wie die Erinyen von Athene mit dem Richterspruch vers hnt werden und ihren der Polis angedrohten Fluch in einen Segen verwandeln. Damit werden nicht nur die fluchbeladenen Geschicke des Atriden-Hauses zu einem kosmologischen Konflikt zwischen chthonischen und olympischen G ttern berh ht, sondern in der L sung dieses Konfliktes berlagern einander auch die beiden Schaupl tze Delphi und Athen. Dies wird auch durch die Verdoppelung einzelner Motive deutlich. So zeigt die 42 43
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Vgl. Walter Burkert, Greek Religion. Archaican Ciassical, Harvard 1985, 79-82 und 147; Robert Parker, Miasma. Pollution and Pimflcation in Early Greck Religion, Oxford 1983,139-142. Mit diesen Worten best tigt Apollon r ckwirkend Orestes* zuversichtliche Annahme gegen ber Elektra und dem Chor, da der Racheplan gar nicht scheitern k nne: ούτοι προδώσει Λοξίου μεγασθενης χρησμός... (Cbo. 269 f.) _ Vgl. Hellmut Flashar, Orest vor Gericht, in: Walter Eder u. Karl-Joachim H lkeskamp (Hrsg.), Volk und Verfassung im vorhellenistischen Griechenland. Beitr ge auf dem Symposium zu Ehren von Karl-Wilhelm Welwei in Bochum, 1.-2. M rz 1996, Stuttgart 1997,99-111. So sagt zuerst Orestes (Eum. 280-285), sp ter auch Apollon (577 f.). Vgl. Oliver Taplin, The Stagecraft of Aeschylus. The Dramatic se of Exils and Entrances in Greck Tragedy, Oxford 1977,381-384.
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Auseinandersetzung zwischen den Erinyen und Apollon vor Gericht Parallelen zu ihrem Streit auf dem Tempelvorplatz, als der Gott die Eindringlinge aus seinem Heiligtum vertreibt.46 Nachdem Athene die Emp rung der Erinyen nach der Urteilsverk ndung bes nftigen konnte und sie ihre Drohungen gegen Athen in Segensverhei ungen verwandelt haben - also von Erinyen zu Eumeniden geworden sind --, ist der Zustand eingekehrt, den die Pythia eingangs, auf Delphi bezogen, besungen hatte: die chthonischen M chte gestehen den olympischen G ttern neidlos und friedvoll, die Herrschaft zu.47 Die Vers hnung der Erinyen am Ende best tigt also r ckwirkend, da nun auch der friedliche Prolog wieder Geltung hat. Damit wird der Bezug zwischen den beiden Schaupl tzen noch enger: in Delphi wird pr figuriert, was in Athen vollendet werden wird — was aber schon in Delphi zu erwarten gewesen w re. Denn der Schauplatz Delphi wird als Endpunkt von Orestes' Flucht angek ndigt, erweist sich aber als eine blo e Durchgangsstation auf seinem Weg nach Athen. Wie l t sich diese Beziehung zwischen Delphi und Athen vor dem historischen Hintergrund deuten? Die Orestie wurde 458 v. Chr. aufgef hrt, drei Jahre nach den Reformen des Ephialtes, der die Machtbefugnisse des Areopag beschnitten hatte.48 Der Rat auf dem Areopag, der von Solon mit verschiedenen strafrechtlichen und politischen Befugnissen (vor allem mit der Nomophylakie zur Bewahrung der Verfassung) ausgestattet worden war, beanspruchte seit der Schlacht von Salamis ohne rechtliche Grundlage eine ber seine eigentlichen Aufgaben der Jurisdiktion und Nomophylakie hinausgehende politische Vormachtstellung.49 Ephialtes reduzierte seine Kompetenzen wieder auf das von Solon festgelegte Ma , nahm ihm aber dar ber hinaus auch die Nomophylakie und damit seine politische Bedeutung (Arist. Ath. Pol 25). Aischylos wiederum w hlte f r Athenes Stiftungsrede (Eum. 681—710) Formulierungen, die an Solons Bestimmungen erinnern. Zugleich legt die G ttin fest, da Stimmengleichheit Freispruch bedeutet (Eum. 741); und nur dadurch wird Orestes schlie lich gerettet: Athenes eigener Stimmstein zu seinen Gunsten erzeugt die Stimmengleichheit - die menschlichen Richter befanden Orestes also mit einer Mehrheit von sechs zu f nf Stimmen f r schuldig. In der j ngst von Hellmut Flashar vertretenen Deutung ist diese Konstruktion «hinsichtlich ihrer Relation zu zeitgen ssischen politischen 46
Sie befolgen Apollons Befehl, aus dem Bereich seines Tempels zu weichen (179-197), erst nach einem l ngeren heftigen Wortgefecht (198-231), in dem sie Apollon als den Hauptverantwortlichen f r Orestes* Tat bezeichnen: αυτός συ τούτων ου μεταίτιος πέλη, αλλ' εις το παν έπραξας ως παναίτιος (199 f.). Dementsprechend verk ndet Apollon vor Gericht in Athen nicht nur: καΐ μαρτυρήσων ήλθον [...] και ξυνδικήσων αυτός (576-579), sondern bekennt sofort anschlie end: αίτίαν δ* έ*χω της τοοδε μητρός του φόνου (579 f.). Orestes tritt im Verlauf der Verhandlung (566-743) weitgehend in den Hintergrund; der ganze Rechtsstreit spielt sich zwischen Apollon und den Erinyen ab. Die Kernfrage der Auseinandersetzung wird ebenfalls schon in Delphi pr gnant formuliert: [Xo.] έχρησας ωοτε τον ξένον μητροκτονεΐν; - [An.] έχρηοα ποινας τοο πατρός πέμψαι· τί μην; (202 f.). 47 Damit der Prolog als eine Pr figuration des Schlusses verstanden werden kann, weicht Aischylos in seiner Aitiologie von Apollons Orakel in signifikanten Punkten von anderen Fassungen ab, die etwa die T tung des Drachens Python durch Apollon als Voraussetzung f r seine Orakelgr ndung nennen. Siehe D. S. Robertson, The Delphian Succession in tbe Opening ofthe Eumerudes, CR 55,1941,69-70, und Malcolm Diivics,AescbylMs'Titans, Hermes 118,1990,125-127. "** Ich foJge hier der neuen Beurteilung der Reformen des Ephialtes durch Robert W. Wallace, Tbe Areopagos CouncU. To 307, Baltimore 1989, 77-93. 49 Arist. Athen. Pol. 23, 1: μετά δε τα Μηδικά πάλιν ϊοχυαεν ή εν Άρείφ πάγω βουλή κα\ διφκει την πόλιν, ούοενι δόγματι λαβοΰσα την ήγεμονίαν αλλά δια το γενέοΟαι τί|ς περί Σαλαμΐνα ναυμαχίας αίτία. Vgl. Wallace (vgl. Anm. 48), 77-83.
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Gegebenheiten eher ein vorsichtiges Zeugnis der Warnung vor der Machbarkeit der Dinge durch den Mensehen, vor dem ) wie es Christian Meier formuliert hat»,50 und nicht etwa ein stolzes Zeugnis demokratischen Selbstbewu tseins. Andererseits bleibt festzuhalten, da Aischylos im Gerichtsverfahren der Enmeniden das Vergeltungsrecht durch die Entscheidung eines ordentlichen Gerichts mit bestellten Richtern au er Kraft setzt, die nach einem regelrechten Verfahren mit Pl doyers beider Parteien in einer Abstimmung ihr Urteil f llen. Dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, vertreten durch Athene und die richtenden B rger Athens, wird von Aischylos ein berzeugendes Denkmal gesetzt - und zwar in einem Konflikt, der in Argos als Angelegenheit des Atridenhauses begonnen hatte, in der Aischyleischen Konzeption jedoch zu einem Stellvertreterkonflikt f r die Durchsetzung der olympischen G tter gegen ber den chthonischen M chten wird. Ohne die Vermittlung durch Delphi w re es Aischylos wohl kaum m glich gewesen, Athen mit dieser kosmologischen Dimension in Verbindung zu bringen und die Stadt zur Schiedsinstanz ber g ttliche Machtanspr che zu erheben. Dabei ist zu betonen, da auch die Rolle von Delphi im Orestes-Mythos erst von Aischylos ihre Auspr gung erhielt; fr here Mythenversionen kennen Zwar Apollon als Besch tzer des Orestes,51 als Auftraggeber wird er jedoch vor Aischylos nie ausdr cklich bezeichnet.52 In der selbst ndigen, neuen Konzeption von Apollons bernahme der Verantwortung f r Orestes' Handeln, von Athenes L sung des daraus erwachsenden Konfliktes und von der auch in der Schauplatzgestaltung sichtbaren Verbindung dieser beiden Motive schuf Aischylos in der Orestie eine Trilogie von bedeutender politischer Aussagekraft f r Athen.
VI. Athen und Delphi im Ion Durch die zentrale Rolle des Orakelspruches f r das Handlungsgeschehen f hrt Euripides im Ion das von mir als bezeichnete Leitmotiv lebendig vor Augen: die Auseinandersetzung mit der mehrdeutigen Aussage des Orakels (siehe oben S. 40 f.). Auf dieser Ebene ist der Ion also ein durch und durch delphisches Drama. A.i\dere Aspekte lassen Delphi aber durch st ndige Bez ge auf das vergangene und k nftige Geschehen in Athen durch diesen zweiten, im St ck nur virtuell vorhandenen Schauplatz berlagern. Den Schauplatz, dessen Tempel und Altar die Zuschauer vor sich sehen, benennt Hermes zu Beginn des Prologs: ήκω δε Δελφών τήνδε yfjv, ΐν' όμφαλον / μέσον καθίζων Φοίβος ύμνωδεΐ βροτοΐς / τα f οντά καΐ μέλλοντα θεσπίζων αεί. (5-7). Schon der folgende Vers nennt als zweiten zentraler! Ort Athen: εστίν γαρ ουκ άσημος Ελλήνων πόλις, / της χρυσολόγχου Παλλάδος κεκλημένη, ... (8 f.). Damit ist bereits in den ersten Versen die r umliche Dimension des Dramas deutlich: die Handlung wird in vielfacher Weise den 50 51
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Flashar (vgl. Anm. 44), 105 f. Apollon gibt Orestes einen Bogen, mit dem er sich gegen die Erinyen verteidigen kann (Stesich. fr. 217, 14-24; vgl. Schol. Ewr. Or. 268). Die Rache des Orestes wird zwar durchaus positiv beurteilt {Hes. fr. 23a, 27-30) und von Pindar in Pythie ' 11 mit einem Preis des Orakels von Delphi verbunden, es bleibt aber unsicher, ob damit auf eine dem Publikum bekannte Verbindung von Orestes mit Apollon angespielt wird (zumal die elfte Pyhtie entweder 474 oder 454 v. Chr. zu datieren ist; vgl. Lewis Richard Farnel], Critical Commentary to the Works of Pindar, Amsterdam 1961, 221-225. Bei der - allerdings unwahrscheinlicheren - Sp tdatierung m te wohl eine Abh ngigkeit von Aischylos angenommen werden.)
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visuell dargestellten Handlungsschauplatz Delphi und den in den Reden allgegenwärtigen Ort Athen miteinander verbinden. Dies kommt klar im Aufbau des ganzen Prologs zum Ausdruck, der sowohl beide Orte als auch Vorgeschichte, Bühnenhandlung und fernere Zukunft verbindet — also die räumliche und zeitliche Dimension des folgenden Dramas umreißt.53 Das Stück ist damit also auch, wie sich immer wieder zeigen wird, ein athenisches Drama vor delphischer Kulisse. Dabei wird auch das Publikum im Dionysos-Theater in das räumlich-zeitliche Beziehungsgeflecht einbezogen: Zum einen stellt die Geschichte der Aufnahme Ions in Athen einen Teil der mythischen Frühgeschichte des Athenischen Publikums dar. Der Ursprung der athenischen Autochthonie, auf die sich auch die Athener im Zuschauerrund als Kriterium des Bürgerrechts berufen,54 liegt in der Geburtsgeschichte des schlangengestaltigen Erichthonios, den Athene einst als Kind annahm und den Töchtern des Kekrops übergab. Die jüngste der Kekrppiden ist Kreusa, die Hauptperson des Bühnengeschehens; die Geschichte des Erichthonios dient zudem mehrfach als Parallele zu Ions Geburtsgeschichte.55 Sie ist ferner auf der Athener Akropolis lokalisiert, an deren Südhang das Dionysos-Theater gelegen ist, in dem die Zuschauer des Ion sitzen. Im Nordhang desselben Felsens wiederum befindet sich die Grotte, in der Ion gezeugt, geboren und ausgesetzt wurde (Ion 936-938). Der Bühnenschauplatz Delphi ist mit Athen durch eine der beiden Eisodoi verbunden. Auf diesem Weg sind Kreusa und Xuthos mit ihrer Dienerschaft nach Delphi gereist, und auf diesem Weg geleitet Athene am Ende Kreusa, Ion und den Chor in ihre Stadt. Indem also Parodos und Exodos des Chores sowie der Auf- und Abgang von Kreusa durch den Bühnenausgang von bzw. nach Athen stattfinden, wird der nicht sichtbare ferne Raum Athen deutlich in das Geschehen einbezogen. An der Exodos nehmen auch die als dea ex machina erschienene Athene und vor allem Ion teil, der sein bisheriges Leben in Delphi verbracht hatte, aber, wie er erst in der Anagnorisis-Szene von seiner Mutter erfährt, in Athen geboren ist, also lange vor Beginn des Dramas ebenfalls aus Athen nach Delphi gebracht worden war (Hermes berichtet davon im Prolog, 28-48). Xuthos dagegen, der mit seiner Frau aus Athen nach Delphi gekommen war, bleibt am Ende des Dramas gleichsam vergessen dort zurück; daß er ebenfalls nach Athen zurückreisen wird, wird impliziert, aber nicht ausdrücklich dargestellt, weil es inzwischen unwichtig geworden ist - Xuthos ist und bleibt ein Fremder in der Stadt, über die er als König herrscht. Denn er ist als einziger der aus Athen kommenden Personen des Stückes kein autochthoner Athener, sondern erst durch die
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Ion 5-7: Schauplatz Delphi; 8-27: Vorgeschichte in Athen (Ions Zeugung, Geburt und Aussetzung); 28-56: Verbindung der Vorgeschichte in Athen mit Delphi (Hermes brachte das Neugeborene auf Apollons Bitte hin nach Delphi, wo Ion inzwischen herangewachsen ist); 57-67a: aktuelle Verbindung von Athen mit Delphi (Xuthos und Kreusa kommen, um wegen der Kinderlosigkeit ihrer Ehe das Orakel zu befragen); 67b-75: Ions Zukunft in Athen als Gründer des attischen Volkes (Apollons Plan, ihn von Xuthos adoptieren zu lassen); 76-81: Schauplatz Delphi (Hermes versteckt sich, um das Geschehen zu beobachten). - Andreas Spira, Untersuchungen zum Deus ex machina bei Sophokles und Euripides, Kallmünz 1960, 35 f. mit Anm. 60 weist auf das ständige Wechselspiel zwischen und hin. Seit dem Perikleischen Gesetz von 450 v. Chr. war athenischer Bürger nur, wessen Eltern beide Athener waren (Arist. Ath. Pol. 26,4). Vgl. z. B. Nicole Loraux, Kreousa the Autochlhon: A Study of Euripides* Ion, in: Winkler/Zeitlin (vgl. Anm. 1), 168-206, hier: 175-177.
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Heirat mit Kreusä zum König von Athen geworden.56 Seine einzige im Drama ist die Rolle, die ihm Apollon anfangs zugedacht und durch sein Orakel übertragen hat: Er sollte Ion, den rechtmäßigen Thronerben, adoptieren und somit als künftigen König legitimieren. Aus Athenas Worten geht deutlich hervor, daß er den wahren Sinn des Orakels nie begreifen darf und Ion auch in Zukunft für seinen und nicht Kreusas Sohn halten soll (1601 -1603). Die Ironie dieser zunehmenden Verdrängung des Königs in den Hintergrund wird durch den Umgang mit dem Orakel verstärkt: Xuthos ist der einzige, der den genauen Wortlaut des Spruches kennt, weil er selber ihn direkt im Tempel erhalten hat. Am Ende ist er jedoch auch der einzige, dem die wahre Bedeutung des doppeldeutigen Orakels verschlossen bleibt; denn Kreusä hatte nach der Anagnorisis Apollons Absicht erkannt, und Athene bestätigt ihr und dem ungläubigen Ion ihre Deutung, dringt aber auf weitere Geheimhaltung. Daß dabei die Autochthonie der Personen - die ja seit Perikles ein speziell athenisches Kriterium des Bürgerrechts ist - mit ihrer Erkenntnisfähigkeit bzw. der Würdigung einer Offenbarung durch Athene korreliert, kann vielleicht als ein subtiles Kompliment des Dichters an sein Publikum verstanden werden. Der Ion wurde wahrscheinlich 412 v. Chr. zusammen mit Helena und Iphigenie bei den Taurern aufgeführt.57 Diese drei Stücke variieren das gemeinsame Thema eines überraschenden Auswegs aus einer verzweifelten, hoffnungslos erscheinenden Lage. Dieser «märchenhafte Ausgang»58 ist charakteristisch für Euripides' Dramen nach der Sizilischen Katastrophe, in denen er «menschliches Schicksal nicht mehr in Gestalt von Untergängen, sondern nur noch von Rettungen präsentiert»59 und damit den Willen und die Kraft seines Publikums zur Neidbewältigung und zum Überleben neu stärkt. Im Ion liegt diese Trostfunktion vorrangig in der Handlung - sowohl Kreusas Attentat als auch Ions Rachemord werden verhindert -, aber auch in einem sozusagen patriotischen Nebenaspekt, der mit der Person des Ion als dem mythischen Stammvater der lonier zusammenhängt. Es war vermutlich erst Euripides, der Ion Apollon zum Vater gab.60 Die ältere Tradition kennt ihn als Sohn von Xuthos und Kreusä61 oder als fremden Feldherrn, der sich in einem für Athen bedeutsamen Krieg auszeichnet.62 Besonders wichtig ist an dieser Neuerung durch den Tragiker, daß sein Bruder Achaios und sein Onkel Doros (so in Hes. fr. lOa, 20-23) jetzt zu seinen jüngeren Halbbrüdern gleichsam <degradiert> werden (Ion 1589-^1594: Kreusä wird sie dem Xuthos gebären). Ion ist ihnen als Erstgeborener und vor allem durch seinen göttlichen Vater überlegen - in dieser Formulierung des Mythos bringt Euripides eine Überlegenheit der lonier gegenüber den Dorern zum Ausdruck, die gerade um das Jahr der Aufführung des Ion von den Athenern in mehrfacher Weise als eine 56
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Ion 289-298. Diese Verbindung setzt selbst den Athen fernstehenden delphischen Tempeldiener Ion bei 1 seiner ersten Begegnung mit Kreusä in Erstaunen: ; (293). Diese Datierung vertritt überzeugend Hose (vgl. Anm. 1), 15-18. Walter Nicolai, Euripides' Dramen mit rettendem Deus ex machina, Heidelberg 1990 (hier: 18), legt die hier nur kurz angedeutete gleichsam psychotherapeutische Wirkung der Dramen nach 415 v. Chr. ausführlich dar. Nicolai (vgl. Anm. 58), 16. Vgl. Robert Parker, Myths ofEarly Athens, in: Jan Bremmer (Hrsg.), Interpretation of Greek Mythology,. London u. Sydney 1987,187-214, bes. 206 f. mit Anm. 80. . Siehe Hesiod,/r. lOa, 20-23; dazu Parker (vgl. Anm. 60), 206 Anm. 76, Hdt. 8,44,2; dazu Parker (vgl. Anm. 60), 206 Anm. 79.
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Best rkung in ihren ethnischen Gef hlen aufgefa t werden konnte.*3 Denn es gibt deutliche Anzeichen daf r, da die Athener als lonier sich den dorischen Spartanern schon vor dem Beginn des Peloponnesischen Krieges aufgrund traditioneller ethnischer Vorurteile an Tapferkeit und Kampfkraft unterlegen f hlten. Aus diesem und anderen Gr nden lie en sich die Athener nicht immer gerne als lonier bezeichnen, sondern betonten ihre autonome, einzigartige Autochthonie. Wenn nun Euripides Ion als einen ionischen Stammvater beschreibt, der m tterlicherseits ein autochthoner Athener ist, durch Apollon als Vater aber von einer panhellenisch anerkannten Gottheit legitimiert ist, so erleichtert er damit den Athenern ihr Bekenntnis zur Zugeh rigkeit zur ionischen Rasse. Andererseits ist Euripides' Beschw rung der Einigkeit von Athenern und anderen loniern 412 v. Chr. besonders wichtig, weil seit dem Fr hjahr dieses Jahres einige ionische Bundesgenossen in geheimen Verhandlungen mit Sparta stehen,64 Martin Hose deutet die politische Aussage des Ion vor diesem Hintergrund: «In einer derartigen Situation gewinnen die zitierten Verse [Ion 1581b-1587] eine hohe Aktualit t: Euripides verweist mit ihnen auf die Bedeutung loniens f r Athen. Wu te er nichts von den sich andeutenden Bewegungen bei den B ndnern, l ge in der genannten Partie eine Art Trost f r seine Mitb rger, angesichts der Verluste auf Sizilien auf eine Wiederherstellung durch die noch zu Gebote stehenden Resourcen zu hoffen. War ihm die Lage bekannt, so sind die Verse ein Appell, die Herrschaft in lonien, die in Euripides' Darstellung gleichsam ererbt und somit legitimiert ist, zu bewahren.»65 VII. Delphis Autorit t als Best tigung des Athenischen Selbstbildes Wenn sich in zwei Dramen die Dichter daf r entschieden haben, Delphi als Schauplatz auf der B hne darzustellen - Aischylos im ersten Drittel der Eumeniden sowie Euripides im Ion -, so haben sie diesen Ort zwar deswegen gew hlt, weil er Heiligtum und Orakelst tte des Gottes Apollon ist, stellen aber anderes als seine Orakelfunktion in den Vordergrund. Schon an den Dramenhandlungen wird deutlich, da der Schauplatz Delphi in beiden St cken, wenn auch auf verschiedene Weise, ganz auf Athen bezogen ist. In den Eumeniden ist Delphi eine Durchgangsstation auf Orestes' Weg von Argos, dem Schauplatz seines Muttermordes, nach Athen, wo er endg ltig von der Blutschuld freigesprochen wird und durch Athenes Beschwichtigung die chthonischen mit den olympischen G ttern vers hnt werden. Im Ion spielt vor der Kulisse von Delphi ein der Form nach delphisches, im Inhalt aber athenisches Drama: Personen aus Athen tragen in Auseinandersetzung mit dem der Orakeldeutung Konflikte aus, die sich ganz auf die Vergangenheit und Zukunft Athens und seiner K nigsherrschaft beziehen, wobei diese Herrschaft jetzt durch Apollons Vaterschaft des Ion eine zus tzliche neue Legitimation durch Delphi erf hrt. Dabei w re es in beiden Dramen auch m glich gewesen, einen anderen Schauplatz als Delphi auf der B hne zu repr sentieren: Ions Aufnahme durch Xuthos aufgrund eines 63
Zum politischen Selbstverst ndnis der Athener nach ethnischen Kategorien John Alty, Dorians and lonians, JHS102,1982,1-14. Thuk. 8,5,4 und 8,6,3-5. Die Athener waren sich offenbar im Winter 413/12 der Gefahr eines Abfalls von Bundesgenossen bewu t: μάλιστα δε τα των ξυμμάχων διασκοποοντες όπως μη σφών άποστήοονται (Thuk. 8,4). 65 Hose (vgl. Anm, 1), 74 f. M
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Orakels von ApolJon und die Wiedererkennung zwischen Mutter und Sohn könnte auch in Athen dargestellt werden, wo sie ja auch ursprünglich von Apollon geplant war; der Freispruch des Orestes könnte im dritten Teil der Orestie auch unmittelbar in Athen stattfinden, ohne daß die Eingangsszene in Delphi vorgeführt würde, denn den dort von Apollon erteilten Auftrag, nach Athen weiterzuziehen, könnte Orestes auch in Athen im Rückblick erwähnen. Ebenso wie in den anderen Dramen, die Delphische Orakel enthalten, kommt es auch hier hauptsächlich auf die von Delphi ausgehenden Handlungsirapulse an; nicht so sehr auf Delphi selbst. Dennoch haben sich Aischylos und Euripides bewußt dafür entschieden, Delphi selbst als Schauplatz vorzuführen - und betonen doch gleichzeitig, wie gezeigt werden konnte, in der dramaturgischen Darstellung von Delphi ständig seinen Bezug auf Athen. In beiden Dramen tritt schließlich Athene auf, die die endgültige Lösung des Konfliktes herbeiführt und damit zu dem bisher weitgehend von Apollon bestimmten Geschehen Stellung nimmt. In der Gerichtsverhandlung der Ettmeniden ergreift sie eindeutig die Partei Apollons und der olympischen Götter (und gibt auf dieser Grundlage den entscheidenden Stimmstein für Orestes' Freispruch ab). Im Ion erklärt sie Mutter und Sohn Apollons Wirken zu ihren Gunsten, das Kreusa bisher verkannt hatte (Ion 1595-1600). Die Heimlichkeit seiner Fürsorge für Mutter und Sohn - und das damit für beide verbundene Leid - war notwendig, um Ion zum legitimen Herrscher in Athen werden zu lassen.66 Athene lobt Apollons Wirken ausdrücklich: ' ' (1595). Die Tatsache, daß Athene anstatt Apollon die Konflikte löst, bedeutet keineswegs eine Abwertung von Delphi; vielmehr handelt Athene mit voller Zustimmung durch Apollon. Er selbst schickt Orestes nach Athen (Aisch. Eum. 74-84), und Athene hat im Ion von ihm den Auftrag erhalten, in seinem Namen zu sprechen (Eur. Ion 1559). Damit wird die Autorität, die mit dem Orakelgott von Delphi im Bewußtsein der Theaterzuschauer verbunden ist, nach Athen überführt. Insofern ist Delphi im Bezug auf Athen nicht, wie Theben oder Argos, ein , sondern eher ein komplementärer Ort, eine bestätigende Ergänzung zum gleichwertigen Athen. Übersetzt man diese Aussage aus dem mythischen Kontext der Tragödienhandlungen in die politische Gegenwart der Athener des 5. Jahrhunderts, so findet damit Athens politisches Selbstbild, soweit es in den Tragödien zum Ausdruck kommt, vor einem internationalen Publikum bei den Großen Dionysien Bestätigung durch die allgemein anerkannte religiöse Autorität des Gottes von Delphi.
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Die Legitimierung findet auf zwei Ebenen statt: juristisch ist Ion Xuthos1 Sohn und damit über die väterliche Linie Erbe von dessen Thron; nach dem athenischen Kriterium der Autochthonie wird lori jedoch gerade dadurch erst legitimiert, daß er von der Erechthomos-Tochter Kreusa abstammt und selber <erdgeboren> (in der Grotte) ist. Daß diese <wahre> Legitimierung den Athenern des Stückes geheimgehalten werden soll, ist hier irrelevant: in einem Fiktionsbruchwerden nämlich die Maßstäbe umgekehrt. Was den fiktiven Athenern des Stückes wichtig sein muß (Xuthos'Vaterschaft), ist dem Publikum eher gleichgültig, das sich vielmehr mit der im Stück geheimgehaltenen autochthonen Herkunft seines mythischen Stammvaters identifiziert.
MATTHEW DICKIE Poets äs Initiates in the Mysteries: Euphorien, Philicus and Posidippus For Sir Hugh Lloyd-Jones on his 75th birthday Introduction The subject-matter of this paper is the initiation into a mystery-cult of tbree poets of the Early Hellenistic Period and what that initiation meant for them personally.1 Two of the poets were contemporaries of Callimachus and Theocritus, while the third belongs to the succeeding generation. The implications of their initiation and the weight they set upon it are considerable for what religion meant to poets active in the first half of the 3rd Century B.C. I shall argue that what is to be learned about the initiation of the three poets goes some way towards correcting the received image of the Hellenistic poet. He tends to be imagined äs a deracinated individual who has no real pari to play in the life of the Community and to whom traditional religious observances mean nothing. Such a conception of the Hellenistic poet leads to his poetry being interpreted äs primarily literary in function with perhaps an antiquarian tinge to it. He is supposed to write primarily for the edification of other poets like himself and to have no interest in addressing a larger public. Alan Cameron has recently delivered a sustained and damaging attack to the belief that the poets of the Early Hellenistic Period withdrew from the world into an ivory tower, where they amused themselves by composing poetry of an erudite and allusive nature intended only to be read in private by members of the select coterie of which they themselves were a part.2 Cameron has demonstrated that such a view of Callimachus and his contemporaries cannot easily be sustained. He has shown that Callimachus and his fellow-poets in Alexandria and elsewhere played an important and recognized role qua poets in public life. One of the great merits of Cameron's work has been to show that the subjects tackled by Hellenistic poets reflect the interests of the wider world in which they lived and that furthermore their poems were composed to be performed in public. Those who subscribe to the view that the poetry of the Hellenistic Age is a set of purely literary exercises detached from any concern with the real world extend that mode of interpretation to poems with an ostensibly religious subject-matter: they are interpreted äs
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This paper was originally given in May 1995 at the.University of Chicago to a seminar on mystery-cult conducted by H.-D. Betz and E. R. Gebhard. I am indebted to A. S. Hardie of the British Foreign and Commonwealth Office for his criticisms of a first draft of this paper and to Sir Hugh Lloyd-Jones for cleansing a later version of an embarrassingly large number of mistakes. I am under a deep Obligation to Christoph RJedweg for his criticism of die paper and for the many pertinent parallele that he so generously provided. Callimacbus and bis Critics (Princeton 1995) 24 - 70.
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literary performances or äs antiquarian essays or a combination of both. It is generally taken for granted that such pocms are devöid of religious feeling; The possibility that piety ean coexist with literary sophistication and an enthusiasm for the antiquarian is not very often contemplated. There are two further factors which contribute to the feeling that Hellenistic poetry is devöid of religious sentiment: there is the assumption that in the Hellenistic Age die cults of the city-states are empty husks and that their rituals are mere charades; and there is an assumption, which is never stated or articulated, but is easily enough divined, that since the Hellenistic poets were learned and sophisticated, they could not conceivably feel any sympathy for traditional Greek cult. The effects of such an attitude are to be seen in the verdict that is passed on the six hymns composed by Callimachus: they are generally written off äs purely literary concoctions with no connections to cult, created to be recited to a highlycultivated group or to be read and savoured for their learning in private.3 It has to be conceded that a rather smaller number of scholars have come to a radically different conclusion: Cailimachus' ability to capture the excitement and tension of a religious festival must be evidence of the intensity of his own religious feelings.4 The assumptions on which the current consensus about the lack of religious feeling in Hellenistic poetry rests need to be examined. This is not theplace to perform that task in any detail, but it is appröpriäte to toüch on some of the problems inherent in the assumptions. We should first of all beware of making Callimachus and his contemporaries in our own image, just because we imagine that they are sophisticates like ourselves. They did not necessarily share the agnosticism that many modern intellectuals take for granted. We should not, furthermore, assume that intellectual sophistication precludes a deeply^felt piety and that it cannot be placed with a deft and light toueh at the Service of such a piety. This brihgs us to the question of what constitutes the sincere expression of religious feeling. We tend to assume that it has to take the form of a ponderous and emotional declaration of faith; anything less than that or anything humourous is thought to be incompatible with real depth of feeling. It should not be necessary at this juncture to point out the obvipus: it is extraordinarily difficult to fathom from their literary creatiöns what the feelings of men and wornen of whose world we have a very imperfect understanding are about religion. The idea that the püblic cults of the Greek city-states np longer answered the emotional and religious needs of men is a widely-shared belief, although it would be difficult to find many historians of religion who would now assent to it. It circulates amongst those who are not primarily concerned with the history of religion. Its adherents believe that in the Hellenistic Period the religious longings of men were met by the mystery-cults, which were, äs it were, the precursors of Christianity. That mystery-cült had a bearing on the way in which Christianity developed is not to be denied. It does not follow that a wedge should be driven between the cults of the state and the rnystery-cults: Initiation into a mystery-cult does not mean that the initiate neither participated in nor had any feelings about the püblic
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So H. Heiter, RE Suppl. 5 (1931) s. v. Kalliraachos 433-34: «Die sechs Hymnen ... sind rein literarische Erzeugnisse: sie sind nicht für den wirklichen Kultus bestimmt, sondern für die Rezitation im Kreise gelchr- ' ter Kunstverständiger, vor allem am Hof, und für die Lektüre; darüber kann heute kein Zweifel mehr herrschen.» H. Staehelin, Die Religion des Kallimacbos (Diss. Basel 1934) 55, 58; P. M. Fräser, Ptolemaic Alexandria I (Oxford 1972) 662-63. This position is criticized by H. Kleinknecht, « ,» Hermes 74 (1939) 348 n. 1.
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cults of the state. The relationship between the Athenian state and the cult at Eleusis is welldocumented. There were mystery-cults elsewhere that enjoyed the official sanction of the states in which they took place. Foreigners initiated into die mysteries at Eleusis may have seen their initiation s primarily a private religious experience, but that can hardly have been how Athenian initiates saw it: they were not only initiated, but took part in a major Athenian public occasion. Something similar may have been true in other cities such s Olbia in which there was an officially-sanctioned cult of Demeter, K re and lacchos. Finally, it is not at all clear that the Hellenistic Age saw a new and deepened interest in mystery-cult. Mysterycults had been in existence since at least the late 6th Century B.C. and were widely dispersed throughout the Greek-speaking world. Initiation into a mystery-cult is, accordingly, not an expression of dissatisfaction with traditional religious forms. Those who were initiated did not have to foreswear any previous religious allegiances that they may have had: initiation into a mystery-cult was entirely compatible with public religious observance. It had nothing in common with the exclusive character of modern cults. Nor were those who were initiated into a mystery-cult taking a new and revolutionary step. By the Hellenistic Age mysterycult was itselt sanctified by tradition. The initiation of three poets of the fearly Hellenistic Age is, accordingly, presumptive evidence that the poets in question were not alienated from traditional religion, but that it still had meaning for them. The evidence for their initiation is to be found in three poems of very different character. A correct understanding of two of the poems has only become possible in the past few years with the discovery of additional examples of the gold lamellae that initiates bore with them to the grave. The lamellae were placed on the chests or in the mouths or perhaps in the hands of dead initiates in the mysteries when they were laid in the grave.5 The new lamellae that have been published come from Sicily, Southern Italy, Thessaly and Macedonia.6 A lamella is also known to have been found on Lesbos. Its publication is most eagerly awaited. The lamellae span a period of time that Stretches from the late 5th Century B.C. to the Hellenistic Period. Some of the lamellae function s passports explicitly testifying to the credentials of the bearer s an initiate. Others record no more than the name of the initiate. That was presumably thpught to be enough, if the lamellae took the form of a leaf signifying initiation into the mysteries, to convince Persephone that the bearer should be allowed entrance to that part of the Underworld set aside for pious initiates. One of the most recently published of the lamellae comes from Pherae in Thessaly and has on it secret mystical terms that are referred to s σύμβολα.7 It was no doubt meant to let Persephone, who goes under the name of Brimo on the tablet, know that the bearer had been initiated into the 5
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I cite the older texts according to the arrangemem of G nther Zuntz, Persephone (Oxford 1971) and the more recent texts from Hipponium and Pella from SEG, since I do not have access to G. Pugliese Carratelli, Le lamine d'oro (Milan 1993). The Orphic fragments collected by Otto Kern in Orphicorum fragmenta (Berlin 1922) will be referred to s OF. The two most recently published lamellae with substantial texts on them are from a grave of the 2nd half of the 4di Century B.C. excavated in 1970 in the-south cemetery at Pherae (Pavlos Chrysostomou, Ή Θεσσαλική Θεά Έ\·(ν)οδία η Φεραίο θεά [Diss. Thessalonica 1991] 375-77) and from south-central Sicily (Jiri Frei, «Una nuova laminella ,» Eirene 30 [1994] 183-84). For a text of the Thessalian lamella, see Sarah lies Johnston and lunothy J. McNiven, «Dionysos and the Underworld in Toledo», MH 53 (1996) 33 n. 31. The lamella from Sicily, belonging to the same tradition s B 1-8 Zuntz, published by Frei (n. 6) has σύμβολα at the beginning of a line (5) in the second column.
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innermost secrets of the mysteries.8 Those lamellae with more extensive texts msoribed on thera served not only s passports, but gave the deceased instructions on how he should make his way through the Underworld. While the gold tablets help illuminate the meaning of the three poems, the poems for their part enable us to answer some of the questions that the tablets raise. One of die questions raised is who the initiates were. More specifically, we should like to know whether initiation was a mark of social distinction, what the cultural level was of the persons initiated, whether the initiates feit that initiation gave them a certain moral tone, where they were initiated, why they were initiated and what benefits they feit they received from initiation. It is, accordingly, a matter of some consequence to demonstrate that three poets, prominent in the 3rd Century B.C., not only were initiated into the mysteries, but apparently received Spiritual sustenance from the knowledge that they had been initiated. Their example helps immeasurably to illustrate the religious life of one not insignificant section of the public in the Hellenistic Period. Posidippus, Philicus and Euphorion are on the face of it a motley crew: Philicus and Posidippus were both drawn to the Alexandria of Ptolemy Philadelphus, Philicus from Corcyra and Posidippus from his native Pella. The former is known primarily s a tragic poet; the fame of the latter rests on his epigrams. Euphorion belongs to the next generation and comes from Chalcis in E boea. His production, so far s we caii understand it, is reminiscent of Callimachus: learned epyllia, at least one curse-poem and some epigrams. He has no known connections with Alexandria. He enjoyed the patronage of Antiochus III at Antioch. He was granted Athenian citizenship and died in Athens, where he was buried. At first glance, accordingly, the trio seem to have little in common beyond being poets. That might encourage the suppositipn that it was because they were poets that they were initiated into the mysteries. There is probably something to this, but their initiation was almost certainly part of a much wider social phenomenon. By way of preface to what will be said about Euphorion, Philicus and Posidippus s initiates and to set it in a somewhat wider literary context, it is worth remarking that the mysteries were of more than passing interest to the three best-known poets x>f the Early Hellenistic Period, Callimachus, Apollonius Rhodius and Theocritus. Not much can be made of Callimachus' reproaching his θυμός for beginning to teil the story of Zeus* and Hera's anticipating their marriage and of his remarking that in the circumstances it is s well he had not seen the holy rites of the dread goddess (i. e. Demeter), eise he had blurted them out also (Aet. 3 fr. 75.4T 8 Pfeiffer). Cameron has made a persuasive case for a visit on Callimachus' part to Thrace and probably the island of Samothrace also.9 There are three known poems by Callimachus whose s bject-matter is the Samothracian Mysteries or the Saviour Gods worshipped there.10 One of them appears to have given an aetiological explanation for the establishment of the mysteries in Samothrace (fr. 115 Pfeiffer). It is true that part of the Impetus for Callimachus' interest in this particular set of mysteries is 8
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For σύμβολα used of the secret expressions taught initiates, cf. P. Gurob 1.23 = OF31.23; Plut. Cons. ad uxor. 611d. . Cameron (n. 2) 211-12. Frs. 115,199, 723 Pfeiffer, A.P, 6.301. For a succinct account of the history of the sanctuary in Samothrace · down to the Hellenistic Period, see Walter Burkert, «Concordia discors: the literary and the archaeological evidence on the sanctuary of Samothrace,» in Greek Sanctttarics: New Approaches, eds. Nanno Marinatos and Robin H gg (London and New York 1993) 178-91.
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probably to be found in the close ties tliat existed between Samothrace and Arsinoe, the consort of Ptolemy, but that is not necessarily the whole story. There is no reason to think that his choice of the Samothracian Mysteries s a subject for poetry was dictated by a desire to please Arsinoe. Callimachus was after all a Cyrenaean aristocrat, presumably capable of displaying a certain independence of mind.11 Nor again should we imagine that if he wrote on a religious topic, his interest in it was purely intellectual or literary. He should not be cast in the image of a modern agnostic intellectual. We must also be careful to avoid confusing what looks to us to be literary Innovation and a departure from traditional hymnodic forms with a changed attitude towards the divine. The chances are that it wras s an initiate he wrote the aetiological poem on the Samothracian Mysteries and that it represents an expression of his devotion to the cult. Philicus and possibly also Euphorion seem to have given similar expression to their devotion. Apollonius in his Argonautica has Jason and his companions, while on their way to Colchis, stop in Samothrace to be initiated in the mysteries, so that they may sail safely across the sea. The poet breaks off his account at this point to speak in his own voice to say that he will say nothing more about the mysteries and to express the wish that the island itself and the gods dwelling in it, to whom responsibility for the mysteries has fallen and about whom it is not right for him to sing, may rejoice (1.915—21). It is certainly true that Apollonius interjects a first-person voice into the epic much more frequently than does Homer and in ways that are very different from those of Homer. From that it does not follow that Apollonius' refusal to say more about the gods of Samothrace is a purely literary artifice. Nor again is his praying that no one should be cognizant of what Medea did in performing a sacrifice to Hecate in Paphlagonia and that he should not be moved to sing of it of the same order s his declining to say more about the mysteries on Samothrace (4.24650).12 In the former case he interjects his own voice into the narrative to create the Suggestion that Medea is performing the illicit form of sacrifice characteristic of sorceresses, whereas in the latter case he speaks s though he knew but was sworn to secrecy (τα μεν ου Θέμΐζ αμμιν άείδειν \ .921 ).13 In other words, he speaks s though he were himself an initiate. I cannot see why this should not be taken at face-value. Finally, there is Theocritus' affirmation in his 26th Idyll that he feels no concern (ουκ άλέγω 27) over the fate of Pentheus, of which he has just told: how he was torn limb from limb, after being caught by Autonoa spying on herseif, Ino and Agava when they were taking the holy objects of Dionysus on which the profane may not gaze from the mystic ehest. The expression of approval over Pentheus' fate is followed by an exhortation not to be troubled over the lot of whoever is hatef l to Dionysus, though the suffering of that person be still worse than that of Pentheus (27-28). The Interpretation of a good deal of what Theocritus now proceeds to say presents formidable difficulties, but not his wish that he may himself be ritually pure and that he may be pleasing in the eyes of the pure (αυτός ff εύαγέοιμι και εύαγέεοοιν αδοιμι 30) and the Statement that matters go better for the children 11 12 13
For a discussion of freedora o( speech in the courts of Hellenistic monarchs and of independence of mind on Callimachus' part, see Cameron (n. 2) 11 -23. Treated s of the same Order by Enrico Livrea, Apo onii Rhodii Argonauticon Liber IV (Florence 1973) 84 and Guido Paduano and Massimo Fusillo, Apollonio Rodio, Le Argonau cke (Milan 1986) 559. Cf. Σ ad4.247-52: εκ ιούιονβνύλεκη δηλ&σαι, dn ιοιαντην Θνσίαν έβούλετο τελέοαί οποίαν ψαρμαχίδδς... καηά δε ιην όηοοιώιιηοίν έμτράοα κεχρηΐίη, την ιαϊς φαρμακίοι τελουμένων Ονοίαν μη έξεργαζόμε\>ος.
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of the ενοεβεϊς than they do for those of die δνοσεβεϊς (32). The 26th Idyll is best regarded s a hymn celebrating Dionysus and his mother Semele and her sisters,.14 It was in all likelihood composed for performance at a festival in honour of Dionysus.15 In the context of a hymn in honour of Dionysus celebrating the punishment of one who violated the secrecy of the mysteries εναγείς and ενοεβεϊς are loaded terms and do not just denote the pious and the pure, but pious initiates in the mysteries.16 It looks then s if Theocritus speaks from within the circle of initiates in the mysteries to ffirm his belief in the sanctity of the mysteries and in the appropriateness of severe punishment for those who violate their secrecy.17 To conclude this section of the argument: it can at the very least be confidently asserted that Callimachus, Apollonius Rhodius and Theocritus have more than a passing interest in mystery-cult and are in fact .deeply engaged with it. Both Apollonius and Theocritus write s though they belong to the inner circle of initiates. There is no very gqod reason to suppose that they have adopted a fictitious persona and do not speak in propria persona. As for Callimachus, it is very likely that he was initiated into the Samothracian Mysteries when he was in Thrace.
Euphorion The case for Euphorion s initiate into the mysteries is on the face of it the easiest. There is a poem on him in the Anthologia Palanna that purports to be a funerary epigram: Ενψορίων, ό mpwobv έηισιάμενός τι ηοηοαι, Πεφαικοϊς κείται τοϊοδε παρά σκέλεοιν. άλλα συ τφ μνστγι ροιήν ^ μήλον αηαρξαι H μύρτον και γαρ ζαιός εάν έφίλει (Gow-Page, HE 3558-61 = AR 7.406). It is ascribed to Theodoridas, a poet about whom not much can be safely said other than that Meleager included him in his anthology. Two turns of phrase reminiscent of Callimachus and the se of a combinatton of metres found only in that poet have persuaded the most recent editors that there is little question about his flomit, whieh they wo ld place m the second half of the 3rd Century B.C.18 They rhay be correct, but it would be wiser to suspend judgment. The epigram says that Euphorion who knew how to compose poetry that was sanspareil lies dead here by the Peiraic legs, and then, addressing the passer-by, calls on that person to make an offering to the initiate of a pomegranate, an apple or myrtle-berry, on the ground that while he wais alive Euphorion took delight in these fruits.19 That is to say, that H
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So F. Cairns, «Theocritus, Idyll 26,» PCPS n. s. 38 (X992) 2-4; cf. R. L. Hunter, Theocritus and the archaeology ofGreek poetry (Cambridge 1996) 46: «at least para-hymnal.» Cairns (n. 14) 17-21 suggests the trieteric festival of Dionysus at Thebes, the Agrionia. εύοεβής is regularly coupled with γώσ^ in inscriptions; for εναγείς raeaning «initiates,)» cf. A2 -3.6-7 Zuntz: νυν S ικέτης nap1 άγνήν Φερσεφόνειαν /&ςμε πρόφρων ηέμψγι Ζδρρς ες εύογέων. It should be noted here ihat Cairjqis (n. 14) 10-13 suggests the Speaker is not Theocritus but a chorus of ' youngboys. ' ; A. S. F. Gpw and D. L. Page, The Greek Anthology: Hellenistic Epigrams II (Cambridge 1965) 537. As a parallel for ηεριοοον έητοτάμενός η ηοήσαι used in a positive sense of a poet of Superlative ab ity A* S. Hardie compafes Thgn. 769-70: χρή Μουα&ν Θεράποντα ml αγγελον, εϊτα. ηεριοοόν Ι είδεί^. For Ηόριοσός predicated of poets endowed by nature with Superlative ability, cf. Simylus SH 728.
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at Euphorion's grave somewhere in the vicinity of the Long Walls, which ran down from Athens to the Peiraeus, in memory of the pleasure which Euphorion derived from being an initiate there are to be laid fruits symbolic of the mysteries. That is the straightforward explanation of the poem. Gow and Page, who follow the Interpretation of the epigram given by Susemihl in his Griechische Literatur in der Alexandrinerzeit and endorsed by Maas, suppose that the poem is an attack on Euphorion and that the Peiraic legs, the apple, myrtle-berry and pomegranate are all to be taken in an obscene sense.20 They also would have us believe that the poem was a lampoon written while Euphorion was alive. The vexed problem of where Euphorion was buried is thus in the view of Gow and Page disposed of, since it is irrelevant, if the poem is a lampoon, whether Euphorion was buried in Attica or s the Souda would have it in Syria, in either Apameia or Antioch. Finally, we are told that ηεριοσόν τι nor\pai eould be taken to mean «behave extravagantly, overdo things,» though this is not insisted upon. On this reading of the epigram the mysteries in which Euphorion is an initiate have to be those of Aphrodite. Two further pieces of Information are held to support an obscene Interpretation of the epigram: 1) there is an epigram ascribed to a certain Grates that makes perfectly good sense s criticism of Euphorion for being too dependent in his vocabulary on the epic poet Choerilus (αλλ9 έηι ηασιν Χοιρίλον Εντρορίων είχε δια σιόματος), b t that can be construed s an attack on Euphorion s a cunnilingus (Gow-Page, HE 1371-74 = A.P. 11.218); 2) evidence of a feud between Theodoridas and Euphorion has been found in the mention in the Stromateis of Clement of Alexandria of a work by Euphorion called the άντιγραψάί προς Θεωρίδαν, since that title might easily be a corruption of προς Θεωδωρίδαν (5.5.47 p. 351 St hlin). . It is certainly true that the mysteries of Aphrodite is a common enough figure for lovemaking.21 There can also be no question that μήλα may be used of the female breasts and μνρτον of the clitoris.22 The Interpreters have been able to find no instance οίβοιή used sensu obscaeno, although they do rather desperately suggest it may be a play on ροιά «flux.» To Interpret the epigram in this way presents a number of difficulties. In the first place, such an Interpretation has to ignore the clear intent of the demonstrative τοϊσδε, which is that the imagined passer-by is Standing beside Euphorion's grave in the immediate vicinity of the Long Walls.23 It may well be that lampoons in the form of funerary epigrams were directed at the living, but in none of the somewhat uncertain examples of the supposed genre collected by Maas is the place of burial specified.24 Secondly, if Euphorion had in life been an eager 20
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Gow & Page 11.545-46; F. Susemihl, Griechische Literatur in der Alexandrinerzeit II (Leipzig 1892) 541; P. Maas, RE 5 A (1934) s. v. Theodoridas 1804, idem, «Zu einigen hellenistischen Spottepigrammen,» SIFC n, s. 15 (1938) 80 = Kleine Schriften (Munich 1973) 98. Further literature in W. Seelbach, Die Epigramme des Mnasalkes von Sikyon und des Theodoridas von Syrakus, Klass.-Phil. Stud. 28 (Wiesbaden 1964) 83. AP. 5.191,6.162,7.219. μήλα: Ar. Lys. 155, Eccl 903, fr. 924; Cratin. fr. 116.3 K.-A; A.P. 5.60,258,290,6.211; Nonn. Dionys. 42.312; μύμιον: Ar. Av. 1100, Lys. 632,1004; Pi. Com. 174.14 K.-A.; Ruf. Onom. 112; Poll. 2.174. Further on μήλα, see B. O. Foster, «Notes on the Symbolism of the Apple in Classical Antiquity,» HSCP 10 (1899) 51-55; A. Willems, Aristophane I (Paris and Br ssels 1919) 403-10; on μνρτον, see J. Henderson, The Maculate Muse (New York 199l2) 134-35. A difficulty acknowledged by Gow and Page 1L546: «It should howcver be said that τοίσδε, suitable to the epitaph, is less so to the lampoon.» (n. 20) 81 « 99. To the exaraples collected by Maas may be added the mocking epitaph that Seneca says he was wont to utter when he passed the Campanian vilia in which the ex-praetor Vatia had buried himself in seclusion: Vatia, hie situs est (Ep. 55.4). I owe the reference to Christoph Riedweg.
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initiate into the mysteries of Aphrodite, then what is there that is particularly shame-making or insulting about giving him syrnbols of these activities? There is no Suggestion in the Greek of anything untoward in Euphorion's supposed sexual practices, despite Maas* attempt at pinning a charge of cunnilinctio on Euphorion by asserting that Grates* Χοιρίλον είχε δια σιαμαίος is a periphrasis for an expression that is not in Theodoridas' epigram, namely, μνρτον έψίλε2.25 It can readily be granted that in antiquity to charge a man with being a cunnUingus was to subject him to the coarsest form of sexual abuse, but the clear run of sense in Theodoridas has to be altered to extract the practice of cunnilinctio from the Greek.26 Thirdly, s Laura Rossi has recently pointed out, when the terms μυστικός, μύστης, μ,νστήριον and related terms are used in a metaphorical sense, there is always a clear marker of their metaphorical meaning.27 Thus Meleager, addressing Aphrodite, speaks of his being an initiate in her mysteries (Kvnpi, οοϊ Μελέαγρος, ό μύστης / συν κώμων, στνργης οκϋλα τάδ* έκρέμασε Α.Ρ. 5.191.7-8).28 Finally, when the word μήλον is used of women's breasts, it is not used s here in the singular, but, not surprisingly, in the plural. It would be wrong to say that the sum of these objections amo nts to an insuperable obstacle to taking the epigram sensu obscaeno, but they do present formidable difficulties in the way of such an Interpretation. If the epigram is taken at face-value, the passer-by is asked to place on Euphorion's grave fruits that are tokens of his initiation into the mysteries. The association with mystery-cult of two of the fruits to be deposited on Euphorion's grave, the pomegranate and the myrtleberry, need not be dwelt on at any length, since there is nothing problematic about their association. The pomegranate is closely linked with Persephone, and she is very often represented holding that fruit. The myrtle provides the wreath that is most often worn by initiates in the mysteries. Representations on vases of scenes of initiation from the 4th Century portray the initiand and the wystagogos-figure wearing what are generally taken to be myrtle-wreaths,29 while in the Niinnion-tablet, which belongs to the first half of the 4th Century, not only do figures in the three scenes of initiation represented on the plaque wear myrtle-wreaths, but some of them also carry what are conspicuously sprays of myrtle.30 It is not so straightforward a matter to account for the presence of the apple or quince. Quite what its connection with mystery-cult is eludes easy explanation, but ;t unquestionably had some part to play. There are two pieces of evidence that testify to apples or quinces playing a role in the mysteries. Clement of Alexandria, after quoting two verses from an Orphic poem which speak of the fair gold apples of the shrill-voiced Hesperids s one of the playthings with which the Titans tricked Dionysus into going off with them, goes on to give a list of objects, amongst them apples, that are Symbols of the mysteries.31 To judge from die prohibition against eating pomegranates and apples along with domestic fowl, fish and beans that Porphyry in the De Abstinentia say s was imposed on initiates in the Eleusinian
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(n. 20) 80 = 98. Henderson (n. 22) 185; J. N. Adams, The Latin Sexual Vocabulary (London 1982) 81,135. «II testamento di Posidippo e le Jammerte di Pella,» Z££ 112 (1996) 62. Cf. AR 6.162. G. Mylonas, Eleusts and the Eleusinian Mysteries (Princeton 1961) figs. 78, 81,.85. Mylonas (n. 29) fig. 88. Protr. 2.17,2-18.1 = Of 34. M. L. West, The OrphicHymm (Oxford 1983) 155-59 has a commentary on the passage.
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Mysteries, apples had some significance in Orphic-Bacchic mystery-cult.32 A schoUum on Lucian's Dialogi meretridi containing a discussion of what happened at the Haloa confirms the existence of these particular prohibitions for the Eleusinian Mysteries and says that they applied also to the women who took part in the Haloa at Eleusis.33 Also relevant in this connection is the deity found at Selinous, Demeter Malophoros. We may conclude that apples or quinces along with pomegranates played a part in Orphic-Bacchic mystery-cult. Just what it was must reraain obscure. A perfectly coherent account can, accordingly, be given of the funerary epigram for Euphorion based on the assumption that it is a poem about a poet who was an initiate in the mysteries. We cannot be altogether certain that the epigram was not inscribed on a stele surmounting Euphorion's grave, but a literary exercise written sometime after the death of the poet. Even if we grant that the poem was not a real epitaph, it does nonetheless provide the best testimony about where Euphorion was buried.34 The Souda's Apameia or Antioch is likely to be a guess based on Euphorion's presence at the court of Antiochus III. Besides the epigram we have one other piece of Information that makes Athens the most likely place in which Euphorion was buried. Helladius, a grammarian of the 4th Century A.D. from Antinopolis in Egypt, says in introducing instances of the κακοζηλία of Euphorion that the poet was by birth a Chalcidian, but by adoption an Athenian (τφ ψύοει ΐιεν Χαλκιδεΐ, θέσει δε Αθηναία Phot. Bibl. 279 ρ. 532b).35 Meleager provides a parallel for this usage: in an autobiographical epigram he speaks of his having grown up in Gadara and of his having been taken care of in old age by Cos s a citizen by adoption of the Coans (κάμε θείον Μερόπων όστον έγηροτρότρει Gow-Page, HE 3997 = Α.Ρ. 7.418.4).36 There is every reason to suppose that Helladius preserves a genuine tradition and no apparent reason to think that the story was concocted. The tradition that Euphorion was an Athenian by adoption must mean that Euphorion was granted Athenian citizenship. Such a grant of citizenship was in the time of Demosthenes no small matter.37 So f r s we know, it was a privilege equally jealously guarded a Century later and basically confined to benefactors of the Athenian state. In Euphorion's case, it is likely it was the credit accruing to Athens in acquiring so important a poet s one of their own that encouraged the Athenians to make him a citizen. The motives of the Coans in making Meleager a citizen of their state will have been similar. The bronze statue set up in honour of Philetas by his fellow-Coans and the 32
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Porph. De ahst. 4.16. Clem. Alex. Protr. 2.19.3 attributes the care that women participating in the Thesmophoria take not to eat the seeds of the pomegranate to the belief that pomegranates sprang from the blood of Dionysus when it feil to the ground. The prohibition against destroying and consuming apples s symbols of mystic and secret struggles (t&v αρρήτων άθλων καϊ τελεσηκων εικόνας) that Julian (Or. 8.16 Rochefort) says the Mother of the Gods imposed and the worship and reverence he says was accorded them is likely to be a reflection of Bacchic-Orphic practice. In virtually the same breath, Julian mentions a prohibition against using pomegranates. Westes Suggestion (n. 31) 159 that «apples were taboo in certain Bacchic mysteries on the ground that Dionysus had been led to destruction by them» is plausible. Σ in Lucian Dial meretr. 7.4. Cf. Ernst Maass, Orpheus: Untersuchungen zur griechischen r mischen altchristlichen Jenseitsdichtung und Religion (Munich 1895) 115: «Den lteren Erkl rern wird man es nicht zu sehr ver beln, wenn sie Suidas ber das authentische Wort der Inschrift stellten und ihm folgend annahmen, der Dichter Euphorion sei in Apameia oder in dem syrischen Antioch ei a begraben.» On Helladius, see A. Gudeman, RE 8 (1913) s. v. Helladios (2) 98-102. Cf. A. Meineke, De Euphorionis Chalcidensis vita etscriptis (G cd an 1823) 5-6. See Philippe Gauthier, Les cites grecques et leurs bienfaiteurs, BCH Suppl. 12 (Paris 1985) 151.
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statuc that Posidippus expected to be awarded in the agora of his natiye-Pella are a reminder of how much weight eitles at this tirae placed on being the birthplaces of well-known poets: poets might be given the same honours s major civic benefactors.38 The chances are, if Euphorien was an Athenian citizen, that the mysteries in which he was an initiate were those of Eleusis. A further indication that Euphorion was an Eleusinian initiate is perhaps to be seen in the apple and the pomegranate that are to be bestowed on his grave, but it may be that apples and pomegranates were associated with mystery-cults elsewhere. It is more significant that Euphorion's Initiation in the mysteries was a sufficiently important element in the life of the poet for an epigrammatist trying in a brief compass to capture something of the essence of the man to single it out for special mention. We have, accordingly, a poet at the centre of whose being was his Initiation intp the mysteries. The obvious objection to such an Interpretation of the poem is that it is not Euphorion himself who bears witness to his religious feelings but someone eise. Theodoridas may have misinterpreted the depth of the devotion that Euphorion feit to the mystery-cult of which he was a member, but the notion of a poet devoted to mystery-cult is unlikely to have been a fantasy with no roots in reality. It is proper at this poirit to inquif e how Theodoridas could have known that the mysteries meant so much to Euphorion. Possible Solutions are that Theodoridas knew Euphorion personally or that Euphorion's devotion was widely known. There is also the very real possibility that Euphorion had written a poem in celebration of the mysteries and that the poem is the source of Information on which the epigrammatist draws. Euphorion's loiig epic poem on Dionysus may, for exaniple, have had something to say about the mysteries (frs. 13-15 CA). If that were so, we would have an instance of a very common pattern in the way in which in ancient times the lives of poets were reconstructed from their writings: it was assumed that what the poet had written about in some sense held good for him.39 In the case of a dramatic or epic poet this procedure invariably yields ludicrous results. Theodoridas is less likely to have gone seriously astray in inferring from the poetry of Euphorion devotion to the mysteries.
Philicus Ζρχεο δι\ μακαριστός οδοιπόρος, £ρχέο καλούς χώρους ενοεβέων όψόμ^νος, Φίλικε, εκ κιοοηρ&φέος κεφαλής εϋνμνα κνλίΐύν ρήματα, κα\ νηοονς κώμαοον είς μακάρων, εν μεν γήρας i8wv ενέοτιον 'Αλκινόοιο Φαίηκος, (ώειν ανδρός έηκπαμένον (SH 980 1 - 6). The next poet to be considered is Philicus, who belongs to the group of tragic poets active in the reign of Ptolemy Philadelphus known s the Pleiad.40 His place of birth was Corcyra, which its inhabitants, probably from at least the first half of the 5th Century B.C., identified^
38 3V 40
See Cameron (n. 2) 41, 68; M. W. Dickie, «Which Posidippus,» GRBS 35 (1994) 373-83, See Mary R. Lefkowhz, The Lives ofthe Poets (London 1981) passim. Stoessl, RE 19 (1938) s. v. Philiskos (4) 2379-82; Fr ser (n. 4) 11.871-72.
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with H mer's Phaeacia or Scheria.41 The identification seems to have been universally accepted: in the Hellenistic Peripd, for example, Apollomus Rhodius subscribed to it.42 Philicus had left Corcyra for Alexandria, where we meet him in 275/4 B.C. s priest of Dionysus, leading the τεχνϊται of Dionysus in the Grand Procession of Ptolemy Philadelphus (FGrH 627 F 2 = Athen. 198b>-c). That he was a priest of Dionysus the Souda also teils us.43 If the organization of the other guilds of Dionysus is anything to go by, s priest of Dionysus Philicus was president of the guild of τεχνπαι in Alexandria.44 Whether the τεχνϊται of Dionysus were regularly initiated into the mysteries in which that god played a part we cannot say, but the poem that sends Philicus on his way into the Underworld very strongly suggests he at least was. The poem, addressing Philicus in the 2nd person, bids him hon voyage on his journey to see the Lands of the Pious and the Isles of the Biest, after he has had a good view of the happy old age of Alcinous the Phaeacian. What the elegiacs go on to say after this is lost. The poem is preserved in a p pyrus now in Hamburg (P. Hamb. inv. no. 312 recto. col. ii) to be dated to the middle of the 3rd Century B.C. and written out apparently from memory on a piece of p pyrus that was later to be used s cartonnage.45 The p pyrus must have been written very shortly after Philicus' death. Who its tolerably, though not completely, competent author was we do not know. The poem does not fall under any obvious classificatory rubric. Fr ser calls it a lament and takes it to describe the «civilized and easy sympotic life» in which Philicus had s a true Phaeacian participated in Alexandria.46 The poem is on this view essentially backwardlooking: it laments the death of Philicus by recalling regretfully the good times that he had once experienced in emulating his pleasure-loving Phaeacian ancestor Alcinous. It is natural enough that a poem addressing the deceased in the 2nd person and recalling the pleasures he had once enjoyed should be treated s a lament. Yet lament is hardly the term that suggests itself for a poem in which there is little or no hint of regret or sadness and which seems on the contrary to look forward to a happy and privileged afterlife for Philicus. Although literary texts afford little help in the classification of the poem, the gold lamellae that dead initiates took with them to the grave do throw some light on how the poem should be classified and what its meaning is. The poem is suffused by the language and ideas that inform the lamellae. I shall argue that the poem has many of the same sources of Inspiration s the lamellae and comes out of the same intellectual and cultural matrix. It is very likely that what is inscribed on the lamellae has its origins a) in the words pronounced in the ritual of initiation, b) in the ^€pbς λόγος imparted to initiates during the initiation-ritual and finally c) in what was said at funeral-ceremonies for dead initiates.47 It is possible that there was 41 42 43 44 45 46 47
Thuc. 1.25.4,3.70.4. Argon. 4.982-92. s. v. Φΰαοκος. E. E. Rice, The Grand Procession of Ptolemy Philadelphia (Oxford 1983) 55-56. So U. von Wilamowitz-Moellendorff, «Neues von Kallimachos.» SBAW (1912) 547. (n.4)L608-9. I am greatly indebted to Christoph Riedweg for letting me see in advance of publication his careful examinaaon of what is inscribed on the Orphic-Bacchic lamellae. Hc has succceded in demonstrating to my satisfaction which sentences have their origins in ritual-contexts and what these contexts are and what sentences or verses are likely to come from an Orphic poem recited s part of the process of instruction (ηαράδοοκ) in the ceremony of initiation, His study of die lamellae is to be published in 1998 by Teubner under the title of «Initiation - Tod - Unterwelt: Beobachtungen zur Kommunikationssituation und
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repetition in thc funeral-ceremony of what had been said in the ritual of initiation. However that may bc, the hypothesis that what is inscribed on the gold lamellae derives from ritualcontexts throws new light on what is going oh in the elegiacs bidding Philicus godspeed. The first word in the poem is the imperative ϋρχεο, which is repeated after the bucolic diaeresis. It is proper to ask what the repetition means. Repetition is a device that performs a variety of functions. Ritual is especially fond of it. The repetition of the imperative might then reflect the language of rituaL48 On the other hand, it is the case that anaphora after the bucolic diaeresis is characteristic of pastoral poetry.49 There is, howsver, nothing bucolic about the anonymous poem, nor does Philicus have any known associations with pastoral that would account for die anaphora after the bucolic diaeresis. It is worth noting that anaphora after the bucolic diaeresis is by no means the orily metrical configuration in which repetition occurs in pastoral poetry. Furthermore, a pastoral poet may in a non-pastor l poem repeat a proper name after the bucolic diaeresis to give the Impression of the language of magical ritual.50 In the refrain of an incantation an imperative may be repeated after the bucolic diaeresis to achieve the same effect.51 Certainty here is unobtainable, but on balance it looks s if the repeated $ρχεο reflects the language of ritual. We do not have positive evidence for what the ritual-situation was in which the deceased was bidden go on his way to the Underworld, but the notion that there was a ceremony by the graveside for dead initiates in which such a command was uttered is an attractive one. The twice-repeated command to go and Philicus' being called an οδοιπόρος are strongly reminiscent of the idea found principally in lamellae that the deceased initiate has a particular path to follow to reach his destination in the Underworld. The notion finds its clearest expression in the final two lines of the Hipponium-tablet in which the dead initiate is told that he will go, after being allowed to drink from the Lake of Memory, along the holy road that other initiates and bacchoi tread:
narrativen Technik der orphisch-bakchischen Goldbl ttchen,» in: Fritz Graf (ed.), Ansichten griechischer Rituale. Geburtstags-Symposium f r Walter Burkert, pp. 359-398. An bbreviated Version in Latin of the study has already been published s «Poesia Orphica et Bacchicus ritus: Observationes quaedam ad lamellas aureas spectantes,» Vox Latina 32 (1996) 475 -89. A very different Interpretation of the lamellae that sees them s spells or incantations intehded to influence the Goddess of the Underworld by virtue of their magical powers is to be found in Pierre Boyance, Le culte des Muses chez lesphilosophes grecs, BEFAR 141 (Paris 1936) 77-80. Two things make Boyance think the lamellae are designed to enchant: l) Apollonius of Tyana says that if there were spells of Oφheus for bringing the dead back, he would have liked to have known them (Philostr. Vit. Apoll. 8.7, p. 321 Kayser); 2) the lamella from Petelia (B2 Zuntz) was enclosed in a small cylinder to which was attached a gold chain. From the latter circumstance Boyance draws the conclusion that it was an amulet and s such had magical force. Against these inferences it may be objected 1) that Philostratus does not say there were spells of Orpheus for bringing back the dead, and, even if he had said that, Orpheus* magical powers of song are not to be confused with the ppems that wem under his name, 2) that the Petelia-lamclla was enclosed in the cylinder during the Roman Period (Zuntz [n. 5] 355-56) and only then used s a magical amulet and 3) that the lamellae were not hung around the neck, insofar s that has any significance, but placed in the hand or mouth of the deceased or on the ehest. 48 On repetition in ritual and in hymns and prayers, see Eduard Norden, R Vergilius Maro Aencis Buch W5 (repr. Darmstadt 1970) 136-37; R Pfister, Die Religion der Griechen und R mer (Leipzig 1930) 199-200; A. W. Bulloch, Callimachus: The Fifth Hymn (Cambridge 1985) 112. 49 Cf. Pfeiffer on Call. fr. 27 Pf.: *in anaphorapost diaeresin hucolicam <pastorale> quiddam inest.» 50 Cf. Theocr. 2.23 and its Imitation at Verg. Ed. 8.83: Daphni* me maltts urit, ego hancin Daphnide laurum. 51 Cf. Verg. Ed. 8.68 etc.: dudle ab urbe domum, mea carmina, durfte Daphnin.
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και δη και
One of the lameliae from Thurii in fact uses a part of what must be the verb όδοιηορεϊν in bidding the initiate who has departed this life take the road to the right to the sacred meadows and the groves of Persephone: χαίρε ηαθων το πάθημα το 5* οϋπω ιιρόοθε έηεηόνθεις θεός έγένου έξ[.] ανθρώπουεριψος ες γάλα εηετες. χαϊρ(ε) χαίρε- δεξιάν όδοιηόρ(ει) λειμώνας τε Ιερούς και άλοεα Φερσεψονείας (Α 4.3-6 Zuntz).
Significandy the eommand in that tablet occurs after a thrice-repeated farewell to the dead person. The repeated χαίρε is a clue to the ritual context reflected in the tablet: it will come from a ceremony by the graveside in which the departed is bidden farewell and then told to follow the path to the right to attain the holy meadows and groves of Persephone.53 The idea that there was a special route in the Underworld to be followed by the elect is already present in Pindar's description in the Second Olympian of the blessings in st re for those men who have throughout a cycle of three lives kept from all wickedness:54 they complete the way o/Zeus to the tower of Kronos (ετεύαν Διός όδον ηαρά Κρόνου τύρσιν 70), where the Island of the Biest with all of its attendant delights is to be found (68 - 74).55 Finally, there is in the poem in which Posidippus expresses his aspirations for this life and the next mention of the mystic way that he hopes may bring him into the presence of Rhadamanthys and that he hopes to traverse after reaching old age: γήραϊ μυστικόν οϊμον έπι 'Ραδάμανθυν ικοίμην (SH 705.22).
The blessing pronounced on Philicus s a wayfarer on his way to the Lands of the Pious and the Islands of the Biest is related to the makarismoi that we find in one of the lameliae from Thurii and in both of the lameliae from Pelinna.56 The first line of the Pelinna-tablets addres52
Pugliese Carratelli (n. 5) publishes a substantiaily improved text of the Hipponium-tablet in which he reads the athematic lonic Infinitive πιέναι in v. 12 instead of πιεν αύιες. Α. C. Cassio, «Πιέναι e il modello ionico della laminetta di Hipponion,» in Forme di religiosita e tradizioni sapienzali in Magna Grecia, Atti del Convegno Napoli, 14-15 dicembre 1993, eds. A. C. Cassio and P. Poccetti A.LO.N. 16 (1994) 183-205 argues, principally on the basis of this form and from the use of aspiration, that the Hipponium-tablet and others of its class derive from an Eastern lonic original. 53 So Ried weg (n. 47) 486-87: sed imprimis etiam ex eo quod ter repetitur χαίρε condudendttm est locum h r um verborumfuisse in mortuorum ritu. 54 Pi. O. 3.41 (ενοεβεϊ γνώμςι ψυλάοσοιιες μακάρων τελετάς) puts the interest of the man celebrated in O. 2, Theron of Acragas, a meraber of the family of the Emmenidae, in mystery-rites beyond reasonable doubt. 55 Cf. Luigi Lchnus, Pindaro, Olimpiche (Milan 1981) 48: «Conviene anche ricordare ehe testi italioti conoscono e descrivono varie per le anime degli iniziati.» The notion of the Διός οδός was not examined by Otfrid Becker in the chapter on Pindar in hrs Das Bild des Weges und verwandte Vorstellungen im fr bgriechischen Denken (Diss. Leipzig 1937), presumably because the expression is not figurative. The best treatment of O. 2 and of its relation to the Orphic laraellae is that of Hugh Lloyd-Jones, «Pindar and the Afterlife» in Pindaret Fondation Hardt, Entrctiens sur Tantiquite classique 17 (Vandoeuvres-Geneva 1985) 245-83, reprinted with an important addcndum that takes account of the lamella from Pelinna in Greek Epic, Lyricand Tragedy: The Academic Papers of Sir Hugh Uoyd-Jones (Oxford 1990) 80-109. 56 Cf. Ar. Ran. 352: ιψοβάδην εξα? irt όνθηρον Ζλαον Οάίΐεδον /yoponmov, μάκαρ, ήβαν.
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ses the deceased s thrice-blessed declaring that in the very day in questi n she has both died and been born: νυν ϋθανες καΐ νυν έγένον, τριοόλβιε, άματι τύιδε. The intern and significance of the makarismos on the tablet from Thurii is identical: the deceased woman is pronounced blessed and fortunate; she has become a god instead of a mortal: όλβιε -και μακαριοτέ, θεός S1 έΌψ όντι βροτοιο (ΑΙ .8 Zuntz). The blessings pronounced over those who have been initiated into the mysteries ostensibly at the point at which they depart froni this life for the Underworld have elements in common with the makarismoi that in Jiterary texts are pronounced over initiates s a category. Makarismoi of this order pronouncethe initiate happy precisely because his lot in the Underworld will be a happy one. The earliest instance is from the 6th Century B.C. and is to be found in the Homeric Hymn to Demeter. There, the mortal who has looked on the mysteries is pronounced blessed; the man who has not been initiated, pn the other hand, is said to have a lot in the Underworld that does not match that of the initiate (480-82). The implication of this is that the initiate in contrast to those who have not been initiated enjoys a happy dispensation in the Underworld. There is a fragment of Sophocles in which those who go down to Hades after having seen the mysteries are pronounced blessed, on the ground they alone have a life in Hades, while the others have nought but ill: ως τριοόλβιοι κείνοι βροτ&ν οϊ ταΰτα δερχθέντες τέλη μόλωο' ες "Αιδον τοϊοδε γαρ μόνοις έκεϊ ζην ϊσιι, τοις δ" αλλοισι πάπ' έχει mm (fr. 837 Radt). Finally, there is a fragment of Pindar quoted by Clement of Alexandria in which the poet pronounces blessed the man who goes down into the Underworld after having seen the mysteries; he knows both the end of life and a god-given beginning to life: όλβιος οοτις ίδνν κεϊν* ειο* vnb χθόν' οϊδε μεν βίου τελεντάν, οιδεν δε διόοδοτον όρχάν (fr. 137 Sn.)57 Clement says that Pindar is specifically speaking here of initiates in the Eleusinian Mysteries. The Pindaric text bears a-striking resemblance to the makarismos in the Pelinna-tablets, since in it also a makarismos is combined with the notions of death and birth. The similarity between the generic makarismoi of the literary texts and the specific makarismoi of the Pelinna-tablets and the lamellae from Thurii suggests that they all look back to a formulaic makarismos. It has been suggested that there was such a makarismos at the conclusion of the ceremony of initiation at Eleusis.58 That seems entirely possible. The closest, however, we come to proof that a makarismos was pronounced at the point of initiation is the blessing pronounced by the'priest of Isis in Apuleius* Metamorphoses on Lucius, when Isis shows herseif ready to aecept him s an initiate (11.22.5).59 Basically the same 57 58 59
Cf. Lloyd-Joncs (n. 55) 269 = 69 citing Alcmaeon DK 2 B 24 to illustratc the sentiments expressed. So N. J. Richardson, The Homeric Hymn to Demeter (Oxford 1972) 313. Cf. Riedweg (n. 47) 488. Lud, tefelicem, te beatum, quempropitia volttntate numen augustum tantofere dignat r.
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makarismos adapted to fit the circumstances of death may have been repeated at a grave-side ceremony. Proof positive that such ceremonies took place is lacking. There is, nonetheless, the inscription from Cumae indicating either the existence of a burial area reserved for initiates or the existence of a burial area that initiates would have liked to reserve for themselves: ov Θέμις ενταύθα κεϊσθαι [ε\ί με τον βεβαχχενμένον (Schwyzer, Dialect. Graec. exempla no. 792 = Sokolowski, Lois sacrees 2 no. 120).60 More evidence for burial plots for the exclusive use of initiates or in which a number of Orphic-Bacchic initiates were buried together may emerge when a plan of the fifteen cist-graves from Pella containing an undisclosed number of lamellae with the names of the deceased on them is published.61 That Orphic-Bacchic burials had a distinctive form in at least one respect is apparent from the prohibition against employing woollen grave-garments mentioned by Herodotus (2.81.2).62 There is also the enigmatic reference in Plutarch to a sacred ceremony peculiar to the burial of Pythagoreans, in the absence of which the dead Pythagorean cannot expect to attain the blessed end that he might otherwise expect (De gen. Socr. 585e).63 Given the close ties between the OrphicBacchics and the Pythagoreans it would not be surprising, if there were an analogous ceremony performed at the grave-side for initiates of the former persuasion.64 It is a tolerably safe inference from the tablets from Pelinna and Thurii that the reason for the makarismos pronounced over the deceased initiate is that he or she on death attains a new and better Status, which may be described s that of a god or alternatively s a birth. The initiate is not only pronounced blessed, but is thought of s blessed and may even boast that he or she belongs to a blessed race. The dead woman from Pelinna is told in one of the two tablets she has with her in the grave that the same prizes below the earth await her s the pther δλβίΌΐ: κόηψενεΐ
In three of the lamellae from Thurii the deceased declares that she is of the same blessed race s Eucles, Eubouleus and the other immortal gods she has just addressed: και γαρ έγων υμών γένος δλβιον εύχομαι θεοί άλλοι (Αϊ; cp. 2-3.3 Zuntz).65 60 61 62
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Cf. Robert Parker, «Early Orphism,» in The Greek World ed. Anton Powell (London 1995) 485. Reported by A. Pariente, BCH 14 (1990) 787. Whether the lamellae already published are from the cistgraves reported by Pariente or not is unclear. The Pythagoreans forbade cremation, required that the dead be buried in white garments and also banned the use of coffins made of cypress (lambl. Vit. Pyth. 154-55). Pliny reports that Varro was buried in the Pythagorean fashion with leaves of myrtle, o ve and black poplar (NH 35.160). εοτ? γαρ τι γινόμενοι' f ia ηερι τάς ταφάς των Πυθαγορικων οοιον, ου μη τυχόντες ου δοκονμεν όηέχειν το μακαρισιύν και οίκεϊον τέλος. These are presumably the burial-rites mentioned in the Pythagorean ακούσματα (lambl. Vit. Pytb. 85). So Marcel Detienne, «Sur la demonologie de J'ancien Pythagorisme,» Rev. Hist. Rel. 155 (1959) 21. The Pythagoreans also prescribed silence and the taking of omens s the appropriate behaviour for the final moments of life (lambl. Vit. Pytb. 257), on which see Boyance (n. 47) 136-44, who is perhaps too ready to give credence to the explanation that Olympiodorus (in Plat. Pbaed. p. 171 Norvin) offers for the silence, which is that noise is a distraction to the process of elevation and attracts a gathering of demons, who, because of their attachment to the physical, weigh the spirit down. These would seem to be the concerns of a theurgist from Late Antiquity and not a Pythagorean of the 5th or 4th centuries B.C. On the danger of demons pulling the soul down to Hades at death or earthwards during a theurgic elevation, see Hans Lewy, Ckaldaean Oracles and Theurgy (Paris 19782) 235-38. For a succinct account of the similariiies and differences between the two groups, see Parker (n. 60) 501-502. Cf. B3-8.4-5 Zuntz: Γδς νίός ήμι καϊ 'Ω.ρανϋ> όοτερόεηος. / amap έμο) γένος ούράησν.
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None of die lame ac so far discovered describes the destination of the deceased initiate s cither the Land of the Pious or the Isles of the Biest, although two of the tablets from Thurii s good s do so: they call on Persephone to send the initiate to the Seats of the Pious: #C με ηρόψρων ηέμ ψψ έδρας ες εναγένν (Α2 -3.7 Zuntz).
There is nonetheless hardly room for doubt that Philicus' destination is the same s that of the dead initiates from Thurii and Pelinna. It does not require any great insight to see that in the context of a poem such s that bidding Philicus godspeed the ενοεβεϊς pf the Lands of the Pious and the μάκαρες of the Isles of the Biest will mean initiates in the mysteries. In epigraphical texts ευσεβείς is the epithet regularly applied to μύοται. That initiates should continue to be so described in the Underworld and that the special Spot marked out for them should be called the Lands of the Pious should oceasion no surprise. Philicus is imagined to go. on his journey to the Underworld s on a festive passage (κώμος) rolling out words that form fair songs from his ivy-garlanded head. We know from Demosthenes' description of the conduct of the persons whom Aeschines* mother is supposed to have inducted into the mysteries that initiates took part in festive processions through the streets of Athens.66 The Chorus, of Sufferers from Gout in Lucian's Podagra are conceived of s initiates in the mysteries of the illness (μύσιαι τελοϋμεν οϊηονς 44); their appearance leads the Sufferer from Gout to ask of what deity they are a κωμαστης χορός (75), whether of Paean Apollo or Bacchus.67 The festive routs in which initiates participate on earth continue in the afterlife: the Chorus of μύοται in Aristophanes' Frogs go on their way to the meadows, filled with roses and fragrant with flowers, marked off for pious initiates, dancing and singing s they go (448-59); in other words, they progress s a κώμος to that happy sunlit Spot in the Underworld set aside for initiates. As a priest of Dionysus it is appropriate that Philicus should carry one of the Symbols of that deity and that no doubt is part of the reason for his wearing a wreath of ivy.68 It is not the whole reason. In the mystery-cults in which Persephone is the principal actor Dionysus also has a part to play. What this means is that the Symbols of Dionysus are found alongside those of Persephone or Demeter. The lamellae, for example, frorn Pelinna were both cut in the shape of an ivy-leaf. Other lamellae for initiates in the mysteries seem to take the form of a myrtle-leaf.69 It is s a poet that Philieus is imagined making his festive progress to the Isles of the Biest: he lets roll out of his mouth words that form fair hymns. The question that these words prompt is the following: had Philicus composed a poem that would have led our anonymous author to picture Philicus making his way singing in a suitable fashion? If Philicus had only written tragedies, there would be no very good reason to think that our anonymous poet had any particular poem in mind. As it is, Philicus seems to have written a hymn in honour of Demeter and Persephone, of which we have what is probably the first verse. It is cited by the metrical writer Hephaestion s an instance of a choriambic hexameter (Encheir. 9.4, p. 30 Consbruch): 66 67
68 69
Dem. 18.260. Cf. Pod. 78-79: q γα\ ης ϋμνος Βακχίφ κωμάζειαν, Ι άλΧ ουκ Imrni κιοοίνη ογραγίς κόμαις.
On wrcaths of ivy in the cult of Dionysus, see M. Blech, Studien zum Kranz bei den Griechen* RGW 38 (Berlin and New York 1982) 212-16. It is worth noting that Varro was said to be buried (more Pythag reto) with myrtle-, olive- and black poplarlcaves(Plin. NH 35.155). ..
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Tfi χθονήι μυστικά Δήμητρί τε και Φερσεψόντ} και Κλνμένω τα δώρα (SH 676)
Philicus' own description of his poem s a mystic gift to Demeter, Persephone and Clymenos suggests very strongly that he saw the gift s a celebration of the mysteries, which in its turn is prima fade evidence that Philicus himself was an initiate. Now there are three fragments, one of them substantial, of a hymn in honour of Demeter and Persephone in choriambics that come from a papyrus belonging to the 3rd Century B.C. (SH 678-680). They are in all likelihood Philicus' hymn and could easily have encouraged a poet composing an epigram on Philicus' death to conjure up an image of the tragedian proceeding towards the Isles of the Biest singing appropriate hymns. We may make the further inference that, if he did not know this independently, which he may well have done, the hymn gave our anonymous poet warrant for supposing that Philicus was an initiate in the mysteries. The supposition, if that is what it is, was surely correct. It is the cult of Demeter and Persephone in its Eleusinian version that is celebrated in the hymn of Philicus. The hymn in fact describes some of the topographical features that the participants in the mysteries passed on their way to Eleusis and the ritual cry of «lacchos» they uttered (SH 680.36—41). Since it is the Eleusinian form of the myth that is rehearsed, we may conclude that Philicus' initiation is most likely to have taken place at Eleusis. The inference is, however, by no means secure. That Philicus should have written such a hymn in an unusual metre to display his gratitude and devotion to the gods gives us a certain degree of insight into what initiation into the mysteries could mean for a man. Any assumptions that we may make about Philicus' spirituality should be tempered by an. awareness that in what looks to be the proem to the poem he addresses persons he calls γραμματικοί telling them he has brought them s a present a composition done in an entirely novel fashion:70 καινογράψον συνθέσεως της Φιλικού, γραμματικοί, δώρα ψέρω προς υμάς (SH 677).
If this is the proem to the hymn, we might be inclined to think that technical virtuosity radier than piety was the main motivating factor in its composition. But this would be a simph'stic conclusion. It assumes that a consciousness of virtuosity cannot go hand-in-hand with a deeply religious attitude and that a poet cannot expect literary scholars, amongst whom some at least of Philicus' fellow-poets in Alexandria were certainly to be numbered, both to have shared his religious feelings and to have been interested in the poem on its technical merits.71 We have already remarked on the interest in mystery-cult that Philicus' Alexandrian contemporaries display. Posidippus εϊ τι καλόν, Μοϋοαι ηολιήτιδες, ή παρά'Φοίβου χρυοολύρεω καΟαροϊς οϋαοιν έκλ\ΰ\ετε Πσρνησ&ΰ νιψόενιος ά\;α πτύ%[α]ς η ιιαρ' 'Ολύμπου Βάκχψ τάς τριετ(ε)ϊς άρχόμεναι Ονμέλα[ς,
73 71
For the view that it is the proem, see R. Pfeiffer, History of Classical Scholarship from the Beginnings to the EndofthcHellenisticAge (Oxford 1968) 157. On γραμμαΐίκοί, see Pfeiffer (n. 70) 157-58.
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Matthew Dickie νυν δε Ποος[ϊ]δίηηφ στυγερον ονγαείσατε γήρας 5 γραψάμενοι δέλτων εν χρυοέαις geXicnv, λιμπάνετε σκοπιάς, Έλικ&νίδες, είς δε τα Θήβης τ,ςιχεα Πιη[]...ς βαίνετε...αλαδες κεί l· floo(e){Smnov iwf έψίλα(ο), Κύνθισ, Λητοΰς γ..... 10 .[...]·[ 1 t·]··· WA • t ψημητΐίνιψιειντιοικειΐα'ϊ του Παρίου •ςοιην έκχρηο(α)ις τε και εξ άδυτων'κρναχήσαι[ς ιρανήν όΘα(νά)τ·ψ, & αγά, καΐ κατ" έμοϋ, δψρα με τιμήσφσ,ι Μακηδόνες οίτ* έτΐι ν[ήοων οι τ' Άσίης πάσης γ(ε)ίτονες ήϊόνος. 15 Πελλαϊον γένος άμόν ξοη,ιι δε βίβλων έλισσαν ΫάμτρωΫ λαοψόρω κείμενος είν άγορβ. αλλ' έπϊ μεν Παρφη δός αηδόνι λνγρον έψ'.[ νάμα κατά γλήνέων δάκρυα κςϊνφ χέω[ν και στενάχων, §ι* έμόν δε ψίλον οτφμα [ 20 ·.·[.·.] t 2QA [..] [ 20Β μηδέ τις ούν χευαι δάκρνον. αντάρ εγ& γήραϊ μυστικόν οϊμον έηι 'Ραδάμανθυν ίκοίμην δήμωι και λαωι π,αντι ποθεινός εάν, άοκίηυν εν πόσοι και όρθοεη^ς αν' ομιλον καΐ λείηων τέκνοις δάμα και ο'λβον έμόν 25 (SH 705)
Our third poet who is an initiate in the mysteries is the epigramniatist Posidippus. A poem that he himself composed s he contemplated the approach or onset of old age teils us that he hoped to follow the mystic way to Rhadamanthys. The poem is preserved inscribed on wax on two wooden tablets found ia Egypt that bel ng t the Ist Century A.D. The transcription.was careless and seems to h ye beeil put down from memory. The tablet itself has deteriorated seriously. Much even that was legible at the beginning of the Century can no longer be read. The reconstruction of the text and the related task of interpreting it both present formidable difficulties. The daunting endeavour of re-^editing the poem was undertaken some thirty years ago now by H. Lloyd-Jones and accomplished with notable success.72 All subsequent work on the poem rests on this edition arid the materials cpllected in it. There wo ld have been little r nothing of consequence to add to the res ks that Lloyd-Jones had achieved, had not our understandihg of the eschatology of niystery-cult and of the terms in which it was couched been greatly increased by the gold tablets found at Hipponium and Pelinna. Recent excavations in a-cemetery in Posidippus* birthplace^ Pella, have produced further lamellae, which, while they do not teil us a great deal about the eschatology of the mysteries, do show that there were a substantial nuniber of persoris in that city who went to their graves bearing tokeris telliiig Persephone that they were initi tes. These discoveries make a re-consideration of the intent of the poem necessary. It now becomes more likely that what had tentatively been given a metaphoric l Interpretation should be taken literally.
72
H. Lloyd-Jones, «The Seal of Poseidippus,»7/i5 83 (1963) 74-98 = Greek Comedy, Hellenistic Literature, Greek Religion and Miscettanea: The AcademicPapers ofSir Hugb Ll yd-jones (Oxford 1990) 158-95.
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The poem was in Lloyd-Jones' view a οψρη,γίζ coraposed by Posidipp s for a collection of his epigrams/3 For Barigazzi it was a poetic testament.74 The two interpretations of the poein are by no means incompatible: they merely look at the poem from different standpoints. A seal-poem can perfectly easily be a poetic testament or some other kind of testament and is s likely s not to perform that role. Yet a poetic testament does not now seem the most apt description of a poem in which the poet expresses his desire for worldly recognition and at the same time voices the rather specific aspirations that initiates in the mysteries had for this life and the next. It is understandable that the poem should have been taken s a poetic testament when so much in it could best be interpreted s a metaphor for literary activity.75 Exactly how a poem in which the poet expresses his worldly ambitions and his personal hopes for his old age and for the afterlife is to be characterized is another matter. There is no recognized category into which such a poem would fall. The first part of the poem may be summarized s follows: the poet calls on the Muses, his fellow-citizens, if they have heard anything with pure ears (καθαροϊς οϋαοιν έκ\Χ\ύειε 2) s they attend Apollo with his golden lyre on Parnassus or from Olympus in the trieteric festival to Bacchus, to help him in singing of or supporting his old age by inscribing what they have heard in the golden columns or pages (εν χρυσέαις σέλισιν 6) of tablets (1 — 8); it then calls on Apollo, asking him to utter a prophesy affecting Posidipp s that will lead the Macedonians, those on the islands and those dwelling by the Asian shore to honour him (9-15); the topic of honours leads the poet to declare di t he is of Pellaean birth and that he would like to be set in the agora unrolling a papyrus-roll (16-17). The invocation of the Muses has much in it that is unusual and not easily explained. I do not pretend to be able to make sense of everything contained in it, but would suggest it is worth considering the possibility that the invocation is not a straightforward appeal for literary help, but an appeal to the Muses to vouchsafe to the poet certain mystic teachings. The Interpretation of the invocation turns in large measure on whether the poet appeals to the Muses for help in composing the poem or whether the appeal is for help with some larger body of work to which the autobiographical verses acted s a preface. If the latter is the case, we have a normal literary appeal; if the former is true, we have something quite different. What the Muses are asked to record on the golden columns or pages of tablets, which must be a hypallage for columns or pages in golden tablets, is what they have heard with pure ears.76 One way of interpretmg the καθαρά οϋατα of the Muses is that the Muses have wellcleaned ears and so are quick on the uptake. In Greek, persons who are quick-witted have clean ears or ears that have had the wax drilled out of them, while the slow-witted have ears blocked with wax.77 Quickness of uptake or acuteness of understanding makes perfectly good sense, although precisely what the point of speaking about the Muses in this way is remains unclear. There is also the possibility that the Muses are imagined s initiates in the mysteries receiving the secret teachings vouchsafed only to those whose ears are pure; that is to say, to 73
(n. 72) 95-96 = 190-91. A. Barigazzi, «D testamento di Posidippo di Pella,» Hermes 98 (1968) 213-16, followed by Rossi (n. 27) 65, who stems to feel that seal-poem and poetic testament are mutually exclusive alternatives. 75 In these circumstances it is puzzling to find Rossi, who takes the references to die mysteries at face-value, dedaring a preference for the poem s a poetic testament s against a seal-poem. 7 < Uoyd-Jones (n. 72) 84-85 = 173-74. 77 See Lloyd-Jones (n. 72) 81 =169 for examples of the idiom. 74
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those who have undergone the initial ceremony of purification and whose ritual purity can be vouchsafed. There is no direct evidence that the expression καθαρά τα ύτα or something akin to it belonged to the body of utterances employed in the ritual of the mysteries. There are, however, indications that point in that direction. Philo Judaeus does on three occasions use the expression κεκαθαρμένοι τα ma of initiales in the mysteries (Cher. 48, Gig. 54j Mos. 2.114). One of the instances of the expression is found in a passage in the De Cherubim that has been inspired in part by Plato's Symposium. In it Philo gives an allegorical Interpretation of Genesis 4.1-2 (40-50).78 He introduces the fuller treatment of the allegory by asking those who are unduly fearful of the diyine to block their ears or depart (άκοάς έιιιιρραξάΐωοαν οι δειοιδαίμονες τα iam&v ή μεταστήσωοαν).79 His explanation for making that request is that the divine mysteries he is about to teach are worthy only of those initiated in the most holy of mysteries. That is followed by a definition of what constitutes an initiate and thedeclaration that he will not act s hierophant (ονχ ίεροψαντήοομεν) to those possessed by incurable evil (42). Philo now proceeds to develop the allegory further, a task which he calls beginning the mystic rite (τελετή). He concludes his allegorical Interpretation by asking that those with ears which have been purified should receive in their souls s holy mysteries what has been said and utter it to no one of those who have not been initiated (ταντα9 ώ μνσται κεκαθαρμένοι τα ντα, ώς· ιερά όπως μυστήρια ψνχαϊς ταϊς έανεων ηαραδέχεοθε κάϊ μηδενϊ των αμύητων έιάαλήοετε 48). The exhortatipn to block oiie's ears or depart ultimately derives from the announcement made at the Eleusinian Mysteries by the Eumolpidae and the Kerykes, although its immediate Inspiration is to be found in Plato's Symposium (218b5-7).80 We can see from the first verses of a Jewish Imitation of an Orphic ιερός λόγος in which Orpheus is imagined to speak revealing the mysteries to Musaeus that the profane were supposed to close the doors against themselves, specifically so that they might not hear the sacred teaching (O/7 245,1 ^-4).81 The verses must have been composed no later than the mid-2nd Century B.C., since they were already known by that d te to the Alexandrian Jew Aristobouleus.82 It was certainly the case that in the mysteries proper it was the hierophant who was responsible for conveying the secrets of the mysteries to the initiates. Philo himself plays the role of hieroph at in revealing what the allegory is. To judge from Philo, it looks s if the initiates were at some stage in the proceedings called on to keep what they had heard to themselves.83 Sopater, the rhetor of the 5th Century A.D., attributes the adjuration to refrain from disclosing what had been said to the Hierokeryx (Rhet. Gr. 8.118,24-26 Walz). It is overwhelmingly likely that the initiates were also bade open their ears and receive the mystic learning and that it is this proclamation which is reflected in Philo, both in the De Cherubim and in the Legum allegoriae 78
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I am indcbted in what follows to Christoph Riedweg^ anaJysis of the passage in his Mysterienterminologie bei Platon, Philon undKlemens von Alexandrien, Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 26 (Berlin and New York 1987) 70-115. Cf. Fug. 85: έλαννίΐε, otiv, έλαννειε, ώ μνσιαι και ίερογάνιαι faiw op)fav, τας μιγάδας ... δυακαΟάρτους ml δυοεκπλόΐονς ψνχάς, αϊ ακλεισια μεν ατά, αθυρον δε γλωτταν ... περιφέρονοιν. Cf. Isocr. Panegyr, 157 with Ar. Ran. 354-56,369-70; Lucian Alex. 38. For a commcntary on the verses, see Christoph Riedweg, J disch-hellenistische Imitation eines orpbischen Hieros Logos: Beobachtungen zu OF 245 und 247 (sog. Testament des Orpheus), Classica Monacensia ? (T bingen 1993) 28. . . For discussion, see Riedweg (n. 81) 6-24. Riedweg (n. 78)81-84.
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(3.219).84 The one phrase still to be accounted for is κεκαθαρμένοι τα ώτα. It is hard to believe that it too is not rooted in the language of the mysteries.85 In the proclamations in the De Cherubim it would be the only expression that does not echo the words employed in the pronouncernents made at the mysteries. The same is true of a passage in the De gigantibus in which Philo makes Moses* encounter with God on the mountain into an initiation into the raost holy of mysteries; Moses emerges from it not only s an initiate but s a hierophant of the rituals of the mysteries and a teacher of divine matters, which he will explain to those whose ears have been purified (γίνεται ου μόνον μύστης, άλλα και ιερογάντης οργίων και διδάσκαλος θείων, α τοις ώτα κεκαθαρμένοις ντρηγήσεται 54).86 Both tracts agree in assigning to the hierophant the task of teaching the mysteries to those whose ears have been purified. The notion that the teaching of the mysteries should not be heard by the profane (βέβηλοι) whose ears are to be closed against it certainly implies that only those whose ears have been cleansed should hear it. It would be a natural development of that idea to speak about broadcasting the mysteries only to those with cleansed ears. On balance, however, it is more likely that the figure is not Philo's invention and that it does have its origins in the language of the mysteries. Philo, s an observant Jew living in Alexandria, is not perhaps the most obvious source of Information about the terminology of the mysteries. He certainly makes frequent use of terms and expressions that derive or seem to derive from the mysteries, but is he a reliable Informant? We can be fairly certain that he himself was not an initiate, if we can argue from the violence of his reaction to the idea and perhaps the reality of Jews being initiated into the mysteries.87 His knowledge of the mysteries must have been primarily literary. That does not mean he did not have a pretty good idea of what went on there and what was said, although he had no doubt only a sketchy picture of the precise details of the ceremonial. There was in any case probably less that was secret and unknown about the mysteries than the initiates liked to imagine. Philo is in short a perfectly good witness to the terminology employed in the mysteries themselves. The wisdom that the Muses have acquired from Apollo and Bacchus is rather surprisingly to be inscribed in the columns or pages of a golden tablet. This might be a somewhat contrived way of asking for the help of the Muses in composing immortal poetry. In favour of such an interpretation is the well-known association of gold with the divine.88 Yet if it is mystic wisdom acquired either from Apollo or Bacchus that the Muses are asked to consign to writing, mention of gold tablets naturally recalls the gold lamellae containing Orpheodionysiac teachings carried by initiates in the mysteries to the Underworld. Philo's interpretation of the seal of Jahweh inscribed on a gold plate, made for the high-priest Aaron to wear on his headdress (Exod. 36.37-38), suggests that such an interpretation of Posidippus is not unlikely: the Symbols on the gold plate are for Philo a set of four letters only to be 84 85
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Riedweg (n. 78) 80. So Paul Ziegen, « ber Ans tze zu einer Mysterienlehre, aufgebaut auf den antiken Mysterien bei Philo Jud us,» Theologische Studien und Kritiken 67 (1894) 714; Riedweg (n. 78) 80 n. 37 is more cautious: «Die Nennung der «gereinigten Ohren> (eher. 48) mag somit auch im Mysterienritual verankert sein.» For Moses s hierophant, cf. Leg. aUeg. 3.151,173, Post. Cain. 16,174, Mut. nom. 156, Somn. l .164,2.3,209, Mos. 153, Spec. leg. 1.41,2.201,4.176, Virt. 163,174. Cf. Spec. 1.319-23 with Riedweg's discussion (n. 78) 99-100, in which it is argued that Philo's target is not civic mystery-cult, but private ceremonies of initiation. Lloyd-Jones (n. 72) 84-85 = 173-74.
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heard and uttered in holy places by those whose ears and tongue have been purified (d μόνοις τοϊς iha κα) γλωτιαν σοψία κεκαθαρμένοΐζ Θέμις άκούειν και λέγειν εν άγίοις Mos. 2.114). Gold plates with secret Symbols on thera, in other words, make Philo think pf the mysteries and the gold lamellae associated with them. Exactly what honours Posidippus has in mind from the Macedonians and those on the islands is undear, but the intent of his final wish is not in doubt: translated into slightly more concrete terms, it is to have a bronze statue of hiniself holding a papyrus-roll, probably seated, set up in the agora of his native city.89 It was already known from a proxeny-decree of the Aetolian League of the year 263/2 B.C. found at Thermum that Posidippus remained technically a citizen of Pella and was not an Alexandrian (IG 9.12.17.24). When we take Posidippus' strong assertion of his Pellaean citizenship in conjunction with his wish that he be honoured with a statue in the agora of his native-city, there is not much room for dispute that the poet saw him seif s a Pellaean and that Pella was where his loy lties ky. I shall argue later that Pella was where his house and possessions were and that it was there he expected to die and be buried. In tjie reraaining part of the poera, the poet turns to the reader or hearer to address him and bid him shed tears for and groan over the Parian nightingale. In contrast to the tears that are to be shed over the most famous of poets from Paros, Archilochus, Posidippus asks that no one sh uld shed a tear over himself (21). There are two lines missing in the poem at this point in which it may be surmised Posidippus exhorted his hearers to respond in a very different way to his death when it came. Then after asking that no tear be shed over him, Posidippus goes oh to express the wish that, in an old age in which he is unsupported by a stick and still in f ll command of his tongue, he may go along the mystic path and come to Rhadamanthys, longed for by his Community and people and leaving his children his house and his fortune (21-25).90 In epitaphs the deceased very often bids the survivors shed no tears over him or her. The reason generally giveii is that nothing is to be gained by lamentation.91 Sometimes it is because the deceased has had a happy life.92 Sometimes again it is because the deceased has been translated to a happier existence.93 Poets 89 90
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Cameron (n. 2) 45; Dickie (n. 38) 373-83. I cannot agree with Rossi (n. 27) 63 with n. 21 that όρθοεηής has a moral reference and means «colui ehe dice cose giuste,» and that by implication Lloyd-Jones* Suggestion (n. 72) 95 =188 of an allusion to the slurred and incorrect Speech of an old man is misguided. Posidippus wishes to avpid the distressing physical and mental debilities that come with old age. Theodoridas* epigram (Gow-Page, HE 3550-54 =A.P. 7.732), which Lloyd-Jones (n. 72). 94 = 188, cites, on Cinesias, who wem off to pay his debt to Hades still without a stick (hl άοκίηων) and still, despite his old age, with everything in Order (γήρφ έτι pna navca ytpwv), is an excellent parallel. It shows, hardly surprisingly, that men wished to die with their limbs and mind in working order. R. Lattimore, Themes in Greek and Latin Epitaphs (Urbana 1962) 217-20. To the ex mples given in Lattimore may be added the following: I. Dekoulakou, «Ρωμαϊκό μαυσωλείο στην Πάτρα,» in ΣΤΗΛΗ (Athens 1980): 567 Sex(to) Aequfano] / Sex(ti) l(iberto) Astio A[fro*J/Nemo me lachrimet, [nemojlfiectora planfeat]l Anxius hie iaceo q[ui vixi l anni$ [...]; SEG 41 (1991) 1550.7- 8: μνήμα δε μοι κόσμησε ηατήρ κσΐ μήιηρ καΐ αδελφός Ι ονς λίτομαι γοερύν μηκέτι δάκρυ χέειν. Cf.A 7.260. SEG 31 (1981) 846.5-12: [μτβκέτι κλαίε, πάτερ γλικερώτατε, μηδ* έτι \νηο[ϋ]/\[οι\κτρον ένΐ σιέρνοις πένθος αλασιον £χΐύν· / [ου γ]άρ ύποχθόνιος καια γης Ά{δης με κέκενθε, / [α]λλα Διός ιιάρεδρος όειός ηρηαοέ με / [ηνρ]οφ όμοϋ και δαδί γεγηθότα, ένθα σύνεδρος Ι Φωσφόρψ $δ£ καλφ Έσηέρψ διρρα ηέλω· / [τοϋν]εκα καλλείψας τάδε δάκρυα Οΰε, ηάιερ μοι· Ι [ϋσ]τερα γαρ μ· έοορ$ς ϊηηφ έφεζόμενη1. Eur. frs. 638, 833 Ν2 implies that death is a happier state than life. For the difficulties attendant upon the precise Identification of the source for the
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may ask that they not be mourned on the ground that their verses continue to live on in the mouths of men.94 Two factors have to be kept in mind in deciding what Posidippus' reason for forbidding mourning is: 1) Posidippus makes a distinction marked by a μεν and δε between the keen lamentation appropriate for Archilochus and his request that no tear be shed over him; 2) Posidippus' wish that after attaining old age he may come on the mystic way to Rhadamanthys. The lamentation thought appropriate for Archilochus pretty well rules out the possibility that what is at issue is the topic of the uselessness of mourning. That there should be lamentation in one case and not in the other might encourage us to suppose that Posidippus forbids mourning in his own case, because his life in marked contrast to that of Archilochus had been a happy one, did that Interpretation not ignore the hopes that Posidippus goes on to express for his future in the afterlife.95 That difficulty is avoided, if we grant that Posidippus' expectations of coming on the mystic way to Rhadamanthys are his reason for forbidding lamentation, since he hopes to be translated to a happier and better state, once he is dead. The happier and better state that he hopes to att in can hardly, however, be the immortality conferred by poetry on its creator, since if that were so, there would be no reason to lament Archilochus, a poet whose poetry Posidippus would surely acknowledge is still very much alive. The run of sense in the poem suggests, accordingly, that no tears are to be shed over Posidippus because he expects to come following the mystic way, after a happy and prosperous old age, to the realm ruled by Rhadamanthys. If this is taken literally, it should mean that there is no call for lamentation for Posidippus, since he will enjoy the happy rebirth that death means for an initiate in the mysteries. It must be conceded that none of the lamellae found in the graves of initiates forbid weeping in s many words, but the makarismoi they contain and the assertions in them that death means rebirth or immortality all combine to suggest that in theory at any rate there is no place for tears when an initiate dies. The same conclusion is to be drawn from the verses in one of the tablets from Thurii in which the deceased initiate, addressing Persephone, teils her that he has flown from the harsh and griefladen circle (κύκλου δ' έξέηταν βαρυηενθέος άργαλέοιο) to take up his position on the lovely crown (A 1.5-6 Zuntz). The initiate is, in other words, happy to escape from the care-laden course of life to the victory of a happier state.96 Had we more epitaphs for initiates or were we better able to identify the epitaphs of initiates, we might be able to see whether lip-service was paid to the idea that death was rebirth, The closest we get is a verse-epigram from the 3rd Century A.D. for a hierophant in the Eleusinian Mysteries, which, after telling us that the man had in the tenth year of his office gone to the immortals, exclaims that the mysteries teach a fair message which comes from the blessed gods: death for mortals is not only no ill but a good: δεκάτψ S ήλθε ιφός αθανάτους, ή καλόν εκ μακάρων μυοτ,ήριον, ου jwvov είναι τον θάνατον θνητοίς ου κακόν, αλλ' αγαθόν (IG 22.3661.4-6; GV7 879.4-6).
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idea, see Ε. R. Dodds, Plato, Gorgias (Oxford 1959) 300. The notion that life was death and that a superior state was attained in death was in die 5th Century B.C. probably embraced by a wider circle than those initiated in the Orphic-Bacchic mysteries. Enn. Var. 17 Vahlen = 46 Counney; Prop. 2.13.18-26; H r. Carm. 2.20. For the tradition that Archilochus was bitter in life and even in the grave thereaftcr, cf. PL P. 2.54-56; A.R 7.69, 70, 71. So Zuntz (n. 5) 318-22.
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In the 3rd Century B.C. they raight not havc put matters in quite that form, but the sentiment expressed is entirely consonant with the idea that death for an initiate is a rebirth. It looks, accordingly, s if Posidippus' reasoning is that there is no need for tears to be shed over him, since he, in contrast to Archilochus, by having been initiated into the mysteries hopes to enjoy a happy afterlife. This is, however, not the only Interpretation possible of Posidippus* mystic way. It is possible that Posidippus hopes s an initiate into the cult of the Muses to attain immortality through the fame of his song.97 The idea that the poet is an initiate in his calling is not a particularly common one and its known instances are some centuries later than Posidippus.98 Those who have been exposed to poetry are sometimes compared to initiates who have seen the mysteries." That figure gives rise in its turn to the figure of the poet s priest who brings the mysteries of poetry to the public,100 There are a number of difficulties that such an Interpretation has to confront. The first of these is that it does not explain why tears should be shed over Archilochus, whose poetic fame must, even on Posidippus' reckoning, have been at least s great s his own, and not over Posidippus. Secondly, to return to the point made by Rossi, since there is no marker showing that μνσζικος οϊμος has a metaphorical sense, it is better to take the phrase literally.101 Thirdly, the objective that Posidippus hopes to reach by following the mystic way is not poetic fame but Rhadamanthys. There are two other poems that speak of following a special route that takes the traveller to a privileged section of the Underworld over which Rhadamanthys presides. The earlier of these is Pindar's Second Olympian written for Theron of Acragas. That poern portrays those who have refrained from unrighteousness for three lives making their way along the Road of Zeus to the Tower of Kronos in the Island of the Biest, where Rhadamanthys, s the ever-ready helper of Kronos, presides (66-78). The later poem is a funerary epigram by Hegesippus, a poet contemporary with Posidippus. It teils of a tradition (ψαοι) that there is a road to the right from the funeral pyre by which Hermes brings the good (oi αγαθοί) to Rhadamanthys (Gow-Page, HE 1913-14= A.R 7.545.1 -2). It is true that in neither Pindar's Second Olympian nor in Hegesippus' epigram is it initiates who make their way to the privileged section of the Underworld over which Rhadamanthys presides. It would, however, be perverse to maintain that Pindar's and Hegesippus' conception of the Underworld is unrelated to that found in the lamellae buried with initiates. One of the lamellae from Thurii indeed directs the deceased initiate to follow the road to the right.102 It looks then s if Posidippus' conception of the afterlife that he s a pious initiate may expect takes the same form that Pindar and Hegesippus give to the afterlife to be enjoyed by the morally-upright. There is some evidence from a work that is certainly not older than Posidippus and may be somewhat later, the pseudo-Platonic Axiochtts, that the morally-upright and initiates
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For the possibility that Posidippus is referring to himself s an initiate in the mysteries of the Muses, cf. Lloyd-Jones (n. 72) 93 = 186-87; W. Burkcrt, «Le laminette auree: Da Orfeo a Lampone,» rfismo i«. Magna Grecia, Atti del Quattordicesimo Convegno di Studi sulla Magna Grecia (Naples 1975) 85. Stat. Sih. 3.3.3-4; AP. 2.303.305. Ar. Ran. 346; AP. 4.1.57-58 = Gow-Page, HE 3982-83 (Meleager). Prop. 3.1.1-4; H r. Carm. 3.1.1-4. See (n. 27) 62. Cf. A4.5 Zuntz: δβξών O8omop.
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share the same happy afterlife and that moral probity is presupposed in an initiate.103 That suggests it would be unwise to draw too sharp a distinotion between the αγαθοί and έολοί of whom Hegesippus and Pindar spe k and initiates in the mysteries. Socrates in that dialogue encourages Axiochus not to succumb to fear of death by giving him an account of conditions in the Underworld that he says he had learned from Gobryes, a magos, whose grandfather, sent by Xerxes to Delos to prevent its being sacked, had found there two bronze tablets brought from the Hyperboreans by Opis and Hekaerge with a description of the Underworld on them (371 al — 6).1?4 Despite the curious provenance given the bronze tablets, what they purport to have had inscribed on them corresponds in large measure to the vision of the Underworld that we find in Orphic-Bacchic writing.105 The tablets teil of a section of the Underworld reserved for those who have successfully passed muster by answering the questions posed by Minos and Rhadamanthys about their conduct in life; it is the Land of the Pious - (a land that possesses the same amenities that in Aristophanes' F.rogs the area of the Underworld marked out for initiates enjoys); - in this happy land initiates have the privilege of front seats (371 cl -d7).106 Axiochus himself, according to Socrates, s a member of the genos of the gods has every reason to expect such a privilege;107 there is indeed a 103
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For a date after or around 300 B.C.: O. Immisch, Philologische Studien zu Plato I (Leipzig 1896) 70-71; U. von Wilamowitz-Moellendorff, GGA 2 (1895) 984; for the Ist Century B.C.: P. Corssen, «Cicero's Quelle f r das erste Buch der Tusculanen,» RhM 36 (1881) 518-20; W. A. Heidel, Pseudo-Platonica (Baltimore 1896) 15-18; M. Meister, DeAxiocho dialogo (Diss. Breslau 1915) 24-65; K. Ganschinetz, RE 10 (1919) s. v. Katabasis (C II) 2416. Wilamowitz (n. 103) 981 n. l, quoting Eur. Ale. 967—69 (Θρήσσαις εν σανίσιν, τάς / Όρφεία κατέγραψεν / Υηρυς) remarks that there really were such Orphic documents in bronze and that examples in gold still exist. Σ in Eur. Ale. 968 cites Heraclides Physicus s the authority for the existence of a temple of Dionysus on the Thracian Haemus that possessed a cpllection of σανίδες with the writings of Orpheus on them. A. M. Dale, Euripides, Alcestis (Oxford 1954) 121 assumes the Heraclides is Heraclides Ponticus. If so, the fragment may have come from his ηερι χρησμών (frs. 130-41 Wehrli). It may be that the author of the Axiochus or his source knows about the tradition of there being wooden boards in Thrace with the poems of Orpheus on them and has transmuted the wooden boards into bronze tablets brought to Delos from the North, The hypothesis of E. Maass, Aratea, Philologische Untersuchungen 12 (Berlin 1892) 127 n. 23, rejected first by Immisch (n. 103) 11 and, following him, by Wilamowitz (n. 103) 981 n. l, that the bronze tablets are inspired by the golden stele set up by Zeus Triphylius which Euhemerus maintained he had seen in the temple of the god on the island of Panchaia (FGrH 63 F2) is implausible. Franz Cumont, «Les enfers selon l'Axiochos,» CRAI (1920) 272-85 argued that the two hemispheres into which the upper and lower world are divided (371bl—4) have their origins in Babylonian cosmography and astrology. G. Ettig's conclusion in his «Acheruntica,» Leipziger Studien 13 (1891) 314 that the main source of Inspiration are Plato and the mysteries (fontes igitur Plato et mysteria) can, nonetheless, hardly be contested. For the npoc piai enjoyed by initiates, cf. Diog. Laert. 6.39. -Also relevant here are the seats of the pure mentioned in the concluding lines to two of the lamellae from Thurii s the destination which the dead initiate hopes to attain (A2 and 3.6-7 Zuntz): νυν ff ικέτης ήκω παρ άγνήν Φεροεψόνειαν / &ς με ηρόψρων ηέμψηι ε'δρας ες εύαγένη. Ε. Rohde, Psyche4 II (T bingen 1907) 421-23, in an appendix written in 1897, produced a battery of arguments in favour of taking Svu ynvijrfl τ&ν θεών to mean that initiates wcre imagined to be adopted into the genos of the gods. In Support of his thesis and defenduig himself against the scepticism and literalist Interpretation of Wilamowitz (n. 103) 984 n. l, he appealcd to an expression in the lamellae from Thurii (ιμερτοϋ ff έηέβαν σι&ράνυν ιιοοΐ καρηαΜμοκη, / δεοηοίνας S vnd κόληον i' w χθόνιας βασιλείας Α 1.6-7 Zuntz), which he cxplained with reference to Diod. Sie. 4.39,2 and took to refer to the adoption of the initiale. Wilamowitz, for his pari, took the phrase to mean that Axiochus was of noble birth and a descendant of
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tradition that Hercules and Dionysus were initiated into the mysteries at Eleusis and that fortified by that Initiation took the road from Eleusis to the Underworld (371d7-e4). The implication of the passage is that the Land of the Pious can only be eritered by those who pass moral scrutiny and that within the class pf persons who are able to give a good account of themselves there is the still more privileged group of initiates in the mysteries. As for the requireinent that the initiate be pure and for the assertion made on a lamella from Thurii that the bearer is pure ($ρχορ.αι εκ κοθαρ&ν κοθαρά (AI .1 Zuntz), it is a fair guess that the concept of purity was never precisely and legalistically defined but was loosely understood to include character s well s freedom from various forms of polhition, although Interpretation of the notion will have varied depending on the point of view of the Interpreter and what his particular preoccupation was.108 The presumption that the purity of the initiate will extend to his character may be reflected in the proclamation issued by the Chorus in Aristophanes' Trogs: in a parody of the language of the mysteries they bid those who are not pure of mind (γνώμην καθαρεύειν) to withdraw from their presence (354-55).109 A fourth reason for taking Posidippus' talk of the mystic way at face-value is the recent discovery in a cemetery in Pella of a gold lamella taking the form of a myrtle-leaf. It was found in a grave said to belong to the end of the 4th Century B.C.110 The lamella has the following legend written on it: ΦΕΡΣΕΦΟΝΗΙ· ΠΟΣΕΙΔΙΠΠΟΣ ΜΥΣΤΗΣ ΕΥΣΕΒΗΣ. If the dating of the grave is correct, this is not the epigrammatist Posidippus, but a citizen of Pella from the generation of the grandfather of the poet. The name Posidippus is common enough, but the likelihood is that Pella will not have had many men called Posidippus who were also persons of substance, s the inhabitant of the grave evidently was, and who were unrelated to each other. If there was one member of the family who was an initiate in the mysteries, it becomes more likely that the epigramraatist was also an initiate. Finally, Posidippus' wish is not jus.t that he may come by the mystic way to Rhadamanthys, but that he may attain an old age in which his physical and mental powers are unimpaired, that he may be missed by his Community and that he may have a house and
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the gods. It is not necessary to subscribe t Rohde's theory of adoption to acknowledge that there is a good deal to be said for the notion that Axiochus's membership of the genos of the gods is tantamount to his being reborn s divine. The following sentences in the lamellae are apposite here: 1) Εΰκλε και Ενβονλεΰ και Θεώ δαίμονες αλλοι- Ι και γαρ έγων υμών γένος εϋχομαι ολβιον είναι ΑΙ -3.2-3 Zuntz; 2) θεός έγένου εξ άνθρύιιον (Α4.4 Zuntz); 3) Γης παις ειμί και Ούρανοϋ άσιερόεντος* / ανεαρ έμοί γένος ούράνιον Β1-2.6-7 Zuntz). As Rohde points out, it is surely because Axiochus is an initiate that he too is to be accorded the privilege of a front seat. For a discussion of the ceremonies of purification required of those who would be initiates in the Eleusinian Mysteries and for a sensitive treatment of the ambiguity innerem in the concept of purity in this context and with particular reference to the programme of moral ascesis that Socrates in the Phaedo insists is necessary for salvation in the afterlife, see Robert Parker, Miasma: Pollution and Ptmfication in Early Greek Religion (Oxford 1983) 281-85. LSJ9 s. v. γνώμη II.2 translates γνάμψ καΘαρευειν by «pure conscience,» and is corrected by Kenneth Dover,. Aristophanes Frogs (Oxford 1993) 239, who maintains that what is entailed by the phrase is «patriotism, co-operation and appreciadon of the important role of comedy in the life of the Community.» l would prefer a more general characterization and take the phrase to rhean «whoever does not conceive ba'd intentions.» The emphasis is forward-looking and not backward-looking. Maria Lilimbake-Akaraate, T Αρχαιολογικό "Εργο σιη Μακεδονία καΐ Θράκη 3 (1989) [1992] 101, pls.8&9.
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fortune to leave to bis children. This is the wish not of soraeone who is an initiate in the mysteries of the Muses but of a man who has been initiated into one of those mystery-cults that held out the promise of concrete advantages in this life s well s the next. There is evidence that initation into the mysteries was thought to provide an assurance not only of a happy afterlife, but of a prolonged and prosperous existence in this life. In Cicero's De legibus we are explicitly told that those initiated into the Eleusinian Mysteries enjoy not only a joyful form of existence in this life, but look forward to a death that carries with it higher hopes (2.36).111 Not only did initiates imagine that their lives were likely to be happy and prosperous, they were also led to believe that Initiation would eure them of ill-health and all physical distress. Socrates in Plato's Phaedrus speaks of initiation and purification s a route to freedom from the sicknesses and pains inflicted on a family by the misdeeds of an ancestor (244d5-e5).112 A poem by Antiphilus in the Garland of Philip has a blind man speaking of his having come to the temple of Demeter led by his stick and of his making his way back to the city after his initiation without his stick, proclaiming.with his eyes r ther than with his tongue the mysteries of Demeter (Gow-Page, Garland of Philip 1023-28 = A.P. 9.298).113 Seafarers who had been initiated into the Samothracian Mysteries certainly expected that any voyages they might undertake thereafter would be safe. More surprisingly, initiation was thought to provide the hope of emotional equilibrium: the epigrammatist Crinagoras, writing in the 2nd half of the Ist Century B.C, holds out the promise of freedom from cares in this life and a lighter spirit in the next for those who have been inducted into the Eleusinian Mysteries (AP. 11.42.5 - 6 = Gow-Page, Garland of Philip 1973 - 74). The set of wishes that Posidippus expresses, namely, that he may reach old age, that in old age his mental faculdes and his physical powers may remain unimpaired, that his old age may be blessed with prosperity and that he may have sons to whom to leave his worldly possessions represents the end of life to which Greeks had aspired at least from the time of Homer.114 They hoped that their prayers, sacrifices and Services to the gods would win them such an end.115 Posidippus spells out in detail what he hoped his old age would be like. He wanted what the poets called a γήρας λιηαρόν. There is direct evidence from a later period and indirect evidence from Posidippus' own time that such an end to one's life was precisely what some mystery-cults promised. The Orphic Hymns provide the later evidence: they conspicuously make little or no mention of a happy afterlife for the initiate, but among the advantages in this life for which they pray is a happy and prosperous old age in which death is deferred s long s possible or, what is almost certainly the same thing, a prosperous end to life.116 One prayer may be singled out for special mention here: Persephone is asked to provide fruits from the land, peace, health, a prosperous life that will bring down with it a hale and hearty old age to the Underworld: κα\ hp εύόλβφ λιηαρόν γΫ\ρας κατάγονιι ηρύς σον χωρον, ανασοα, και εύδύναιον Πλούτωνα (29.19 - 20). 111
neque solum cum laetitia vivendi rationem accepimus, sed etiam cum spe meliore moriendi. Cf. Pkt. Resp. 364e3 - 365a3. 113 For Demeter at Eleusis healing,the blind, see O. Kern, RE 4 (1901) s. v. Demeter 2752-53; L. R. Farneil, Cuhs ofthe Greek States ΙΠ (Oxford 1906) 367 n. 258. 114 Cf. Hom, Od. 4.207-11,11.134-37,19.367-68; Pi. N. 7.98-101; Hdt. 1.30.3-5. 115 Cf. Hom. Od. 19.367-68; Inscr. de Del. 5.2548. 1J * 13.9-10, 20.6, 25.11, 28.11-12, 29.17-20, 67.8, 73.7-9, 87.10-12. On die concern of iater mystery cuk with the things of this world, see Waker Burkert, Andent Mystery Cults (Cambridge 1986) 17-18, 89. 112
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It has to be granted that the Orphic Hymns belong to an age long after that of Posidippus, although exacdy when is probably not to be settled. If we assume that they form a coherent whole composed for the members of a particular mystery-eult somewhere in Asia Minor, then the absence of the influence of Neoplatonism might place them sometime before the middle of the 3rd Century A.D., but there are very large assumptions at work here.117 Since they are the product of ä very different world from that of Posidippus, it might reaspnably be objected that they do not necessarily have any bearing on the Interpretation öf the poet from Pella. There is, however, the testimony of the poem bidding Philicus godspeed on his journey to the Lands of the Pious and the Isles of the Biest: Philicus. is said to have had a parricularly good view of the prosperous old age of Alcinous (SH 980.5). That is a clever way of saying that äs a Corcyrean Philicus had enjoyed a prolonged and prosperous old age after the fashion of his forebear Alcinous, the king of the Phaeacians. Given the context in which the clause occurs, it is appropriate to conclude that t.he reference to the happy old age enjoyed by Philicus does not just mean that Philicus had coincidentally experienced a pleasant old age, but that one of the promises held out for him by initiation kito the mysteries had been fulfilled, an indication that there was every reason to expect that he might have high hopes for a happy and privileged afterlife.
Conclusion Euphorion, Philicus and Posidippus may not be poets of the calibre of Callimachüs, Apollonius Rhodius arid Theocritus, but the level of literary sophistication and wit of which they were capable is not too far distant from that of Callimachüs. They are certainly not obscure poetasters resident in some distant corner of the Hellenistic world from which they never moved: they travelled in the same larger world äs their more famous contemporaries. They cannoi, accordingly, be dismissed äs irrelevant on the ground that they stand on a different literary and intellectual plane from Callimachüs. They are a warnlng to us not to ma'ke the assumption, äs evidently many scholars do, that wit and sophistication are a bar to religious faith and that only the simple and naive succumb to such belief. Posidippus is a particularly striking case in point. He can write epigrams that are those of an amused and detached observer of human foibles, but at the same time he gives open expression to his religious faith. Not only that, he does not hesitäte to teil us what benefits he hopes or expects to receive from his initiation into the mysteries. For all three poets their devotion to the mysteries seems to have been a central eleraent in their existence. In the case of Euphorion and Philicus we have to rely on the testimony of others, but it would be very odd, if the poets who wrote about them had seriously misjudged their men. Posidippus in particular gives us an insight into what initiation into the mysteries might mean to a man. The expectations that he had about the benefits to be derived from initiation cörrespond in pari to what can be inferred about men's hopes from the gold lamellae that initiates carried with them to the grave: initiation held out the promise of a, happy afterlife in an especially privileged sectlon of the Underworld, which Posidippus would reach after taking the path set aside for initiates. The elegiacs sending Philicus on his
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way into the Underwörld bear witness to the same journey and to the same destination, though in one case the goal of the journey is said to be Rhadarnanthys and in the other the Lands of the Pious and the Isles of the Biest. Did we not have Posidippus' personal testament we would not have known of the blessings in this life that the mysteries in the Hellenistic Period promised: an initiate could look forward to a hale and hearty old age, material prosperity and the prospect of leaving sons behind him to whom to pass that prosperity on. His hopes for this life matched exactly a vision of what constituted a well-rounded life that had been in existence in the Greek world at least from the time of Homer. It is immediately apparent from the devotion of our three poets to one traditional form of religious cult that the curious notion, unsupported by any real evidence, that the major poets of the Hellenistic Age were rootless individuals at sea in a world that no longer had any familiär bearings is in need of serious qualification. Posidippus is äs good a counterexample to that thesis äs one could hope to get. He is a man whose main point of reference is his native Pella: it is in the agora of Pella that he hopes to have a bronze statue of himself set up, it rather looks äs if he still has his family-house there, that his sons are there and that he hopes to die and be buried in a family-grave in Pella. It is possible that he expects to be longed for by his Community and all his people (23), if he dies in Alexandria, but it would seem on the whole more likely it is the conscipusness of absence and loss that dying in his native-land would create in those around him he has in mind. None of this is very surprising, if we remember that a poet in this era is likely to have been a person of some substance who owned property in his native-city, which he will not easily have given up, even if he moved to Alexandria for a time.
THOMAS KÖVES-ZULAUF Die Worte des Sklaven an den Triumphator* «Wir werden die Römer nie verstehen, wenn wir den Triumph nicht verstehen». Diese Feststellung in einem für ein allgemeines Publikum geschriebenen Werk über den Triumph aus dem Jahre 1962 faßt die Bedeutung unseres Themas prägnant zusammen1. Im Mittelpunkt des Triumphes aber steht der Triumphator. Aller Augen richten sich auf ihn: Hochaufgerichtet, unbeweglich steht er in seiner Quadriga, angetan mit dem Gewand des kapitolinischen Jupiter, das man vor Beginn der Zeremonie der Statue des Gottes abgenommen hat und nach Beendigung ihr zurückgeben wird. In der einen Hand ein Szepter mit dem heiligen Adler des höchsten Gottes, in der anderen ein Lorbeerkranz. Ein Lorbeerkranz oder ein goldener Kranz ziert auch sein Haupt, über das ein Sklave, der hinter ihm steht, noch einen zweiten, einen schweren goldenen Kranz hält. Dieses kontrastive Gespann, Triumphator und Sklave, bildet die Kerngruppe des glorreichen Aufzugs. Es ist kein stummes Nebeneinander, der Sklave redet zum Triumphator, er flüstert ihm immer wieder die berühmten Worte ins Ohr: «Respice post te! Hominem te memento!» = «Blicke zurück! Vergiß nicht, daß du ein Mensch bist!» Unvergängliche Worte, könnte man meinen, wenn man ihren kometenhaft nachwirkenden Glanz über fast zweitausend Jahre mittelalterlicher und neuzeitlicher Geschichte vor Augen hat. Denn viele weltliche und kirchliche Rhetoren haben im Laufe der Jahrhunderte die Erinnerung an diesen tiefsinnigen Spruch wachgehalten, indem sie ihn als Gleichnis in der Darstellung ihrer jeweiligen Morallehre verwendet haben. Noch zu unseren Lebzeiten griff ein französischer Präsident im Wahlkampf auf diesen erhabenen Topos zurück2. Die Worte des Sklaven an den Triumphator, ein integraler Teil der Zeremonie in ihrer hier skizzierten klassischen Form, etwa aus der augusteischen Zeit, haben die Forschung immer wieder beschäftigt. Sie wurden und werden aber im allgemeinen nur als Detail der Gesamtzeremonie neben vielen anderen in Betracht gezogen. So richtig grundsätzlich eine solche Gesamtschau auch ist, sie führte doch dazu, daß man den Spruch des Sklaven eher nur nebenbei in Augenschein genommen, die .Analyse an diesem Punkt nicht eigentlich vertieft hat. Indem ich den Spruch selbst hier in den Mittelpunkt stelle und auch mit den Augen des Philologen zu betrachten versuche, soll das Versäumnis nachgeholt werden. Der Wortlaut ist bemerkenswert spärlich, z. T. rhetorisch verschleiert, und nur spät bezeugt. Die vier Belege, die uns zur Verfügung stehen, reichen chronologisch von der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jährhunderts bis zum Beginn des dritten. Der * Erweiterte und mit Anmerkungen versehene Fassung eines Vertrags, gehalten im Mai 1995 an der^ Universität Budapest sowie im Januar 1996 auf dem Symposium Philologicum in Mannheim. 1 R. Payne, The Roman Triumph, London 1962,10. 2 «Die Zeit» vom 27. 6. 1969 zitiert auf S. 2 das vom französischen Präsidenten Georges Pompidou verwendete Bild folgendermaßen: «Beim Triumphzug saß auf dem Wagen des Triumphators ein Sklave,-der ihm Kühlung zufächelte mit den Worten: «Bedenke, daß du ein Mensch bist!>» E. H. Kantorowitz, Die zwei Körper des Königs, München 1990,487 ff. (= Princeton 1978,496 ff.)..
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ältere Plinius schreibt in den siebziger Jahren, unter der Herrschaft des Titus, davon, daß beim Triumph der Tfiumphator aufgefordert wird zurückzublicken. Dies sei ein sprachliches Heilmittel zur Besänftigung der tödlichen Mißgunst Fortunas. Arrian in seiner Zusammenfassung der Lehre Epiktets spricht von Leuten, die hinter den Triumphatoren stehen, sie zur Mäßigung mahnen, indem sie sie daran erinnern, daß sie Menschen sind. Im Jahre 197, unter der Herrschaft des Septimius Severus, zitiert der Kirchenvater Tertullian den Spruch wörtlich, in direkter Rede: «Schau hinter dich! Vergiß nicht, daß du ein Mensch bist!» (Übersetzung von C. Becker). Die Reihe schließt der Historiker Dio Cassius, der im 3. Jh. unter der Herrschaft des Alexander Severus starb. Er beschreibt die römische Triumphzeremonie ausführlich im Zusammenhang mit dem Triumph des Camillus im Jahre 396 v. Chr. und zitiert den Spruch in der Form: «Blicke zurück!»3 Was ist der Realitätswert, dieser Mitteilungen? Es gab gelegentliche Ansätze, die Tatsächlichkeit der Sklavenworte in Zweifel zu ziehen4; sie haben ihre volle Ausprägung in einem Beitrag von J. S. Reid im Jahre 1916 gefunden5. Er sah die allgemeinen Verdachtsmomente in der Spätzeitlichkeit der Belege; in der Singularität der Angaben insbesondere bei Dio im Zusammenhang mit Camillus; im Fehlen der Sklavenworte in anderen Triumphschilderungen z. B. bei Dionysios von Halikarnass, bei Seneca, bei Appian; in der schwankenden Formulierung der Worte bei Dio(s Excerptoren); schließlich im «unrömischen, unitalischen Charakter» der zugrundeliegenden Idee einer möglichen Göttlichkeit des Menschen6. Die konkrete Grundlage zum Erreichen des hyperkritischen Ergebnisses aber war die Annahme, daß die rhetorisch verschleierten Worte des älteren Plinius - unserer ältesten Quelle - nicht ein Reden des Sklaven meinen, sondern unter dem von Plinius erwähnten «sprachlichen Heilmittel» die Spottlieder der Soldaten zu verstehen seien. Die späteren hätten den Pliniustext mißverstanden7 und die Sklavenworte aus diesem Text als «eine hübsche späte Fabel» mit Hilfe ihrer Phantasie einfach herausgesponnen. Meines Wissens hat sich seit 80 Jahren kein einziger Forscher diesem skeptischen Urteil angeschlossen, so daß ich mich hier mit der kurzen Andeutung der Gegenargumente begnügen möchte. Dogmatischen verallgemeinernden Äußerungen darüber, was unrömisch oder unitalisch ist, sollte von vornherein kein Gewicht beigemessen werden; die lange Forschungsgeschichte unseres Faches beweist, daß solche Verallgemeinerungen nur allzu häufig dazu dienen, verfestigte Vorurteile neu auftauchenden oder neu bemerkten konkreten Tatsachen gegenüber zu perpetuieren8. Auch die Singularität des dionischen Berichtes ist kein gutes Argument, angesichts des partiellen Charakters dessen, was uns von der römischen 3
Plin. Nat 28,39. Arrianus Epict. 3,24,85. Tert. Apol. 33,4. Der Text des Dio Cassius ist uns nur aus byzantinischen Auszügen bekannt: Zonaras 7,21,9. J. Tzetzes Ep. 97 p. 86. J. Tzetzes Chil. 13,51-53. Beachte noch Hieronym. Ep. 39,2,8. Isidor Etym. 18,2,6. 4 O. Jahn, Berichte über die Verhandlungen der k^nigl. sächs. Ges. d. Wiss. Phil.-hist. Cl. Leipzig 7 (1855) 70 ff. L. Preller, Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1864,305 = Arch. Ztg. 1858, No. 115,193 f. Beide eliminierten die Mahnworte des Sklaven dadurch, daß sie die Angabe des Plinius für eine rhetorische Umschreibung . der Spottlieder der Soldaten hielten. Im übrigen waren sie sich ihrer Sache sehr unsicher: «Die ... Worte gesteht O. Jahn ... nicht zu verstehen ...; auch sei die Stelle wohl nicht heil» (Preller 305). 5 JRS 6 (1916) 181. 6 E. Burck, Gymnasium 58 (1951) 181». 7 Dio soll auch juvenals Worte Sät. 10,41 f.: $ibi consul / ne placeat, currti servus portatur eodem mißdeutet und aus der Wendung sibi ne pUceat die Mahnworte des Sklaven herausgesponncn haben. 8 H. S. Vcrsnel, Triumphus, Leiden 1970, 57, 68: «terms such äs should not be used·. F. K. Kiechle, Historia 19 (1970) 271.
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Literatur erhalten ist, angesichts der besonderen römischen Hemmung, sakrale Dinge beim Namen zu nennen9. Es bleibt allerdings die bemerkenswerte, erklärungsbedürftige Tatsache, daß unsere Berichte über die Sklavenworte während der 750jährigen Dauer der antiken römischen Literatur und der tausendjährigen Geschichte des Triumphes sich nur innerhalb von 150 Jahren häufen - ein Phänomen, auf das zurückzukommen sein wird10. Auch eine gewisse Schwankung in der Charakterisierung des Sklavenspruchs ist richtig beobachtet; diese bezieht sich allerdings nicht auf die gesprochenen Worte selbst, sondern auf ihre Ausdeutung und Paraphrasierung durch die einzelnen Schriftsteller11; das veranschaulicht nur die außerordentliche rhetorische Dynamik, die diesen Worten innewohnt. Für eindeutig irrtümlich halte ich die Auffassung, daß die späteren Berichte durch literarische Abhängigkeit vom Pliniustext zustande gekommen seien: gerade von den charakteristischen Besonderheiten dieses Textes - dem medizinischen Kontext und der medizinischen Ausdrucksweise, der Erwähnung Fortunas - gibt es gar keine Spuren in den Folgetexten12; auf der anderen Seite weist im Pliniustext absolut nichts voraus auf den wesentlichen Inhalt der späteren Texte: die Betonung des Menschseins = hominem te memento . Die Annahme ist somit zwingend, daß die späteren Berichte textmäßig von Plinius unabhängig sind. Dies ist um so eher möglich, als die späteren Schriftsteller ihre Kenntnis über den römischen Triumph nicht Büchern entnehmen mußten sondern diesen unabhängig von literarischen Vorbildern als reales Ereignis persönlich noch erleben konnten13. Die von Plinius erwähnten heilenden Worte, mediana linguae, können auch nicht die Lieder der Soldaten meinen. Aus dem Text geht eindeutig hervor, daß es sich um eine jeweils kurze Aufforderung an den Triumphator handelt - iubetque ... respicere - und dies widerspricht allem, was wir von Stil und Inhalt der Soldatenlieder wissen. Diese bezogen sich auf Charakter oder auf vergangene Taten des Triumphators, enthielten Lob, Scherz oder Tadel, nie jedoch eine Anweisung darüber, wie der aktuelle Triumphzug gestaltet werden sollte14. Auch paßt der Sklave als Sprecher dieser Worte unvergleichlich besser in den Gesamtzusammenhang des plinianischen Textes15. 9
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Cic. de imp. Cn. Pomp. 47: sicut aequum est homines de pötestate deorum, timide et pauca dicamus. Th. Köves-Zulauf, Reden und Schweigen, München 1972, 319. Möglicherweise verbirgt sich eine Anspielung auf die Mahnworte des Sklaven in der Darstellung des pompeianischen Triumphes bei Vell. 2,40,2: per omnia fortunam hominis egressus revertitttr in Italiam. Köves-Zulauf, Reden und Schweigen 127. Wenn im Plinius-Text statt respicere reapere zu lesen ist (s. unten S. 89 ff.), so sind die späteren Texte auch in diesem Punkt auf charakteristische Weise unplinianisch, mit Ausnahme von Arrianos. O.c.138111. S. die Zusammenstellung der Fragmente I. G. Kempf, Jahrbücher £ Klass. Phil. Suppl. 26 (1901) 357 ff. M. Schanz-C. Hosius, Geschichte der römischen Literatur, München 1927, l, 22. Der zentrale Gegenstand der plinianischen Bemerkung ist der Triumphalwagen - currtts triumphantium - mit seinem verschiedenartigen Zubehör, an erster Stelle dem pballos, der unten am Wagen hängt. An letzter Stelle steht, hinter dem Rücken des Triumphators - a tergo - Fortuna als Verkörperung des Neides. Ihr Attribut carnifex weist darauf hin, daß sie nicht den Neid der hinten-marschierenden Soldaten abstrakt verkörpert, sondern die Gestalt des unmittelbar hinter dem Rücken des Triumphators stehenden, Sklaven zu einer metaphorischen Gestalt sublimiert. Denn dieser Sklave galt als carnifex, Henker (Isidor Etym. 18,2,6. Zon. 7,21). Die Sublimierung der konkreten Gestalt des Sklaven im Rücken des Triumphierenden zu einer allegorischen Figur auf plastischen Darstellungen (Victoria) ist vielfach belegte allgemeirte Tendenz: T. Hölscher, Victoria Romana, Mainz 1967, 82-84, 88,162. Es ist somit richtig, daß «Fortuna a tergo» bei Plinius «als ein Begriff zu nehmen ist» (J. Marquardt-G. Wissowau. a., Römische Staatsverwaltung, Leipzig 1881-18852, 2, 5886). Das Sprechen der «heilenden Worte* respice ist in die Mitte
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Angesichts solcher Argumente kann es nicht überraschen, daß heute der Versuch, die historische Realität der Sklavenworte gänzlich in Zweifel zu ziehen, als obsolet gelten kann. Von höchster Aktualität ist demgegenüber eine gegensätzliche Theorie, die den Mahnworten nicht nur Realität an sich zubilligt, sondern dies in erhöhtem Maße tut, indem sie davon ausgeht, daß die Mahnworte schon sehr früh einen festen Bestandteil der Realität der römischen Triumphzeremonie gebildet haben. Sie wird von archäologischer Seite vertreten, ist im Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (1984) oder im 1990 erschienenen Buch von Erika Simon über die «Götter der Römer» zu lesen16. Nach dieser Auffassung ist in dem Spruch eine Folge des Eindringens der Apollo-Religion in Rom zu sehen, in sehr früher Zeit. Die Verehrung Apollos fand in Rom zur Zeit der tarquinischen Könige Eingang, zusammen mit den sibyllinischen Büchern; sie stammte letzten Endes aus Delphi, kam aber in Rom durch die Zwischenstationen Praeneste und Gabii an. Zur selben Zeit wurde auch der Triumph in Rom heimisch, wenn auch auf anderem Wege, der ursprünglich ein dionysischer Festzug war, auch aus Griechenland stammte, aber den Römern durch die Etrusker übermittelt wurde, um in Rom seine genuin römische Prägung zu erhalten und zu einer par excellence römischen Institution zu werden. Triumph und Apollokult in Rom standen aber nicht nur chronologisch nebeneinander, durch ihre Einbürgerung während der gleichen Epoche; es gab auch bemerkenswerte Verbindungen lokaler Art: Der Triumphzug nahm seinen Anfang vom Apollontempel auf dem Marsfeld, dessen Innenfries durch die Darstellung eines Triumphzuges geschmückt war, zog dann durch dieporta triumphalis, die sich unweit des Apollotempels befand. Es bestand aber auch eine wesensmäßige Verbindung zwischen Apolloreligion und Triumph, in der die erwähnten äußerlichen Berührungsmomente letzten Endes ihre Wurzel hatten. Dies war die Funktion der Reinigung: Der römische Apollo war ursprünglich ein Gott der rituellen Reinigung17 und «Die religiöse Bedeutung des Triumphes bestand in der Reinigung des Heeres von Blutschuld»18. Der Spruch des Sklaven ist ein Moment dieser rituellen Reinigung und ist unter dem Einfluß der delphischen Ethik entstanden; die Mahnung «hominem te esse memento!» ist eine römische Umschreibung des delphischen , die nach Rom verpflanzte typisch apollinische Warnung vor Hybris; inhaltsgleich der Botschaft, die während des zweiten punischen Krieges im Jahre 215 Fabius Cunctator aus Delpi den Römern mitbrachte und die lautete: lasciviamprobibetote = «hütet euch vor jeder Überheblichkeit!»19.
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dieses Ensembles, des Wagens mit Zubehör, fest eingebettet, und mit vielen Fäden verwoben: Neben demfascintts als medicus (m.) invidiae (gen. obi.) steht gleichwertig - similis - als medicina (f.) linguae (gen. subi.), das hörbare magische Mittel neben dem sichtbaren, der religio muta, plinianisch ausgedrückt (28,24), eine Zweiheit, die eine Grundform plinianischer Weltanschauung bildet (Köves-Zulauf, Reden und Schweigen, 34, 123 £, 128,146 f., 151 f., 318). Dieses einheitliche Bild des von Zauberkräften umstrahlten Triumphalwagens wird zerstört, wenn man die medicina linguae «respice» daraus wegbricht und den weiter hinten marschierenden Soldaten zuweist. Erica Simon, JDAI 93 (1978) 208-215. Dieselbe, LIMC 2,1 s. v. Apollo p. 363 f. Dieselbe, Die Götter der Römer, München 1990,29. JDAI 93 (1978) 212. O. c. 210. O. c. 212. Liv. 23,11,3. Apollokult und Triumph - beide letzten Endes aus Griechenland stammend trafen nach dieser Theorie erst in Rom aufeinander. Daraus folgt, daß die delphischen Mahnworte ursprünglich, und sei dies noch so früh, von außen zu der Triumphzeremonie auf römischem Boden hinzukamen, sich weder aus römischen Vorforraen des Triumphes, noch aus dem etruskischen Triumph organisch von innen entwickelt haben.
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Frau Simon gebührt höchste Anerkennung dafür, daß sie auf die enge und frühe Verbindung zwischen Triumph und Apollo-Religion aufmerksam gemacht hat. Dies bedeutet freilich nicht, daß beim weiteren Bedenken ihrer Theorie sich nicht kritische Fragen ergeben können. So ist zum Beispiel die Frage erlaubt, ob man aus dem Heilgott Apollo, der aus Anlaß einer Seuche als Apollo Medicus nach Rom geholt und so benannt verehrt wurde, mit dem Kunstgriff, daß behauptet wird, «Die reinigende Kraft des Gottes war seiner heilenden übergeordnet», einen originären Reinigungsgott in Rom machen kann20. Desgleichen darf bezweifelt werden, ob man die religiöse Bedeutung des Triumphes mit der absoluten Ausschließlichkeit, wie E. Simon dies tut, in der Reinigung des Heeres von Blutschuld sehen kann21. Eine simple Überlegung spricht gegen diese Theorie, wie darauf schon hingewiesen worden ist22: Auch ein geschlagenes Heer hatte einer Reinigung von Blutschuld bedurft, von so etwas gibt es aber absolut keine Spuren. Der Triumph hat also offensichtlich grundlegend mit Sieghaftigkeit etwas zu tun, und wenn seine Funktion Reinigung ist, so «Reinigung» von Sieghaftigkeit sozusagen. Besser ausgedrückt: mäßigende Beschränkung der Sieghaftigkeit - eine durchaus apollinische Funktion freilich. Des weiteren stellt sich die Frage, ob es richtig ist, davon zu sprechen, daß Apollo im römischen Triumph den ursprünglich herrschenden Dionysos ersetzt^. Wäre es nicht richtiger zu sagen, daß das Apollinische dem Dionysischen entgegengesetzt wird und gerade durch diese Spannung das widersprüchliche Wesen des römischen Triumphes mitkonstituiert wird? Sind ferner die drei Sprüche: «Erkenne dich selbst!» - «Vergiß nicht, daß du ein Mensch bist!» - «Hütet euch vor jeder Überheblichkeit!» von so enger Ähnlichkeit, daß sie als variierende Wiederholungen derselben konkreten Aussage gewertet werden können, einer und derselben Quelle (Delphi) entstammend? Wir brauchen uns aber hier auf solche grundsätzlichen Erörterungen des Wesens des Triumphs nicht einzulassen, die sehr weit führen und viel Raum benötigen würden. In unserem Zusammenhang können wir uns mit der verhältnismäßig kurzen und sicheren Feststellung begnügen, daß die erörterte Theorie dem hier zu untersuchenden Spruch nicht gerecht wird, ihn in seiner Eigenart nicht zu erklären vermag. Schon aus dem Grunde nicht, weil der erste Teil des Spruches - respice in den Darstellungen dieser Theorie überhaupt keine Erwähnung - und so auch keine Erklärung findet. Dieser Teil gehört aber als wesentliches Element zu dem Spruch, wie der erste Platz dieses Teils sowie die Tatsache der Zweiteiligkeit selbst für ihn von konstitutiver Wichtigkeit sind. Um ihn richtig zu verstehen, muß er in seiner Gesamtheit und in seiner inneren Struktur analytisch untersucht werden. Die Worte des Sklaven mahnen den Triumphator in ihrer Gesamtheit zur Bescheidenheit, sie tun es aber in doppelter Form. Der erste Satz - respice post tel - mahnt eine sichtbare Haltung an, der zweite Satz die darin zum Ausdruck kommende innere Gesinnung - memento! Die Reihenfolge ist kein Zufall. Denn im Rahmen des Triumphes, dieser grandiosen Schauveranstaltung ist die für alle Zuschauer sichtbare Haltung das primäre, das objektive Ereignis, die innere Gesinnung nur deren unsichtbarer, mit Augen nicht erfaßbarer, mit Händen nicht greifbarer Sinn, eine Interpretation. Der äußere gestus der 20 21 22
O. G 212. O, c. 210. Simon, Götter Roms 29. C. Weickert, Gnomon 5 (1929) 25. Versnel o. c. 152 ff., 163. - Ich vermag die von E. Simon JDAI 93 (l978) 21051 angekündigte Widerlegung Versnels nirgends zu finden. JDAI 93 (1978) 213-215. LIMC s. v. Apollo 364.
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Bescheidenheit paart sich mit der seelischen Haltung der Bescheidenheit. In dieser Explikation der impliziten Geste, in der historischen Entstehung dieser Explikation können verschiedene Einflüsse eine Rolle gespielt haben, unter anderem auch die apollinische Lehre. Sie kann aber nicht primär, nicht Entstehungsgrund der Geste und der Mahnung zu der Geste gewesen sein, sondern nur Ausdruckshilfe zur Formulierung ihres Sinnes. «Hominem te memento!» wurde also der römischen Zeremonie nicht von außen, aus Delphi aufgeprägt sondern ist aus dem römischen Triumph von innen organisch herausgewachsen24. Neben dem apollinischen Einfluß können in der Ausdeutung philosophische Einflüsse ebenso wirksam gewesen sein, wie z. B. das Vorbild des Makedonenkönigs Philipps des zweiten, von dem die Tradition wissen wollte, daß er sich jeden Morgen durch einen Sklaven daran erinnern ließ, «daß er ein Mensch sei!»25 Der Primat der Geste folgt aus dem Wesen des Triumphs als Zeremonie, die Notwendigkeit einer Geste der Bescheidenheit aus seiner Qualität als &'ege$zeremonie. Daß gerade ein Zurückblicken sich gut als Geste der Bescheidenheit eignet, kann mit Hilfe von Parallelen erhärtet werden. Zunächst e contrario: In der griechischen Kunst gilt das starre NachVorne-Blicken als typisches Merkmal des theios aner, des göttlichen Mannes26. Es ist logisch anzunehmen, daß die entgegengesetzte Haltung, die Richtung des Blickes nach hinten, entgegengesetzte Bedeutung haben muß. Dem Triumphator, als «göttlichem Menschen»27, kam das Attribut des In-die-Ferne-Blickens theoretisch zu. Wenn er zum Gegenteil ermahnt wird, zum Nach-Hinten-Blicken, so kann das kaum etwas anderes bedeutet haben als die Forderung, er solle sich vom Theios-Aner-Sein distanzieren, anders ausgedrückt: er soll die Haltung der Bescheidenheit einnehmen, sich sein Menschsein in Erinnerung rufen. Noch größere Aussagekraft dürfte aber eine zweite Parallele haben. Eine äsopische Fabel bringt die Unfähigkeit des Menschen, die eigenen Fehler zu sehen, durch ein mythisches Bild zum Ausdruck: Prometheus (= Jupiter bei Phaedrus) habe diese Fehler dem Menschen in einem Sack mitgegeben, den er am Rücken trägt, und dessen Inhalt er deswegen unfähig ist zu erblicken28. Die Erzählung ist zum kulturellen Gemeingut in Antike und Moderne geworden, nachzuweisen in Dichtung und Prosa, nicht zuletzt in moralisierendem, stoisch gefärbtem Zusammenhang29. Die in tadelndem Ton vorgetragene Beschreibung der conditio humana impliziert unausgesprochen eine Billigung des Gegenteils, ja eine moralische Aufforderung dazu, und dies wäre ein Zurückblicken, das Anschauen des Sackes, gefüllt mit den eigenen Fehlern, hinter unserem Rücken. Dieses Bild steht im 24
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Kann nicht respice sekundär aus hominem te memento entstanden sein? Dagegen sprechen vor allem drei Argumente: l) Der Sinngebung einer Geste geht diese selbst natürlicherweise voraus. 2) Die Römer waren bekanntlich primär auf rituelle Praxis orientiert, theoretische Begründungen waren füs sie sekundär. Es ist schwer vorstellbar, daß es gerade im Falle des Triumphes anders gewesen wäre. 3) Trotz der schmalen Überlieferung ist es eine Tatsache, daß diejenigen Quellen, die den Spruch nur gekürzt wiedergeben (plinius, Tzetzes = Dio), sich auf die Aufforderung zur Haltung als Kernelement beschränken. Nur bei dem späten Kirchenvater Hieronymus ist es anders, dessen Bericht auch sonst aus dem Rahmen fällt, wozu s. S. 95. Aelian var. hist. 8,15: Seit dem Sieg bei Chaironeia 358 v. Chr. Köves-Zulaufo.c.141124. S. dazu unter Anm. 35. Aesop 359 Halm (266 Perry) = Babrios 68 = Phaed. 4,10 - G. E. Lessing, Fabeln, Abhandlungen 4 (Werke, München 1973) S. 415. Cacul. 22,21. Pers. 4,24. Sen. De ira 2,28,8. W. Kißel, Persius Satiren, Heidelberg 1990, S. 531. La Fontaine, Fablcs l, 7, 31 ff.
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Hintergrund30 auch der horazischen Satire 2,3, die einen frischgebackenen Vulgärstoiker verhöhnt; der römische Dichter ersetzt jedoch stillschweigend, auf sehr römische und für seine Dichtung sehr charakteristische Art, das Lehrbuchbeispiel durch ein aus der eigenen Lebenserfahrung gewonnenes Genrebild, eine Erinnerung an das römische Schulleben: Er ruft die Gewohnheit römischer Schulkinder in Erinnerung, an das Hinterteil nichtsahnender Schulkameraden einen Tierschwanz oder ein anderes Tierattribut zu binden - eine Sitte, die auch in Schulen des 20. Jahrhunderts nicht unbekannt war. Das Opfer allgemeiner Belustigung und Verspottung merkt so lange nichts, bis es aufgefordert wird, «zurückzublicken, anzuschauen, was von seinem Rücken hängt, ohne daß er es wüßte»31. Die Grundzüge des Arrangements sind im stoischen Lehrbeispiel und im römischen Genrebild die gleichen: das Unrühmliche befindet sich hinter unserem Rücken, und unsere moralische Pflicht ist es, durch besondere Anstrengung es wahrzunehmen, zurückzublicken, was durch Horaz als Lehre und Mahnung auch ausdrücklich ausgesprochen wird: respicere ... pendentia tergo. Die Ähnlichkeit mit den Worten des hinter dem Triumphator stehenden Sklaven aber besteht darin, daß auch hier jemand ermahnt wird, zurückzublicken, und daß dieses Zurückblicken auch hier als die moralisch richtige Haltung gilt, als der Weg zur Selbsterkenntnis, als Verzicht auf falsches Selbstbewußtsein, als Geste der Bescheidenheit. Es ist nichts anderes als ein in sese descendere, «ein Herabsteigen auf das eigene Niveau des Menschen», wie der Satirendichter Persius, einer unserer Belegautoren über den Sack mit den Fehlern auf dem Rücken, es so treffend formuliert (4,23). Wie überzeugend diese Parallelen auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, beim näheren Zusehen tauchen Schwierigkeiten auf, gerade, was die Gestalt des Triumphators betrifft. Man muß nämlich zu dem Schluß kommen, daß ein Zurückblicken für den Triumphator gar nicht möglich war, aus technischen, vor allem aber aus religiösen Gründen nicht. Was das erste betrifft, ist es offensichtlich, daß es für ihn außerordentlich schwierig sein mußte, sich umzudrehen, nach hinten zu blicken, mit einem Lorbeerzweig in der einen, mit einem schweren Szepter in der anderen Hand, mit einem goldenen Kranz oder Lorbeerkranz auf dem KopP2, unter einem schwergewichti'gen, vom Sklaven über seinen Kopf gehaltenen zweiten goldenen Kranz stehend. So ist es nur folgerichtig, daß sowohl plastische als auch literarische Darstellungen dem Triumphator eine völlig unbewegliche Haltung zuschreiben. Auf der Schale von Boscoreale, einer der besten, wenn nicht der besten realistischen Triumphdarstellung, die wir besitzen, ist der zukünftige Kaiser Tiberius zu sehen, wahrscheinlich aus Anlaß seines Triumphes im Jahr 12 n. Chr.33. Seine unbewegliche, starre, fast verkrampfte Haltung mit fest nach vorne gerichtetem Blick ist nicht zu 30
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Hör. s. 2,3,53; 299. Die Horazstelle haben schon antike Kommentatoren als eine Variante des aesopischen Bildes aufgefaßt (Scholia in Horatium ed. H, J. Botschuyver, Amsterdam 1935, zu s. 2,3,55; 299 = pp. 322,330). Die Natur des Zusammenhanges ist umstritten («Ce rapprochement n'est pas fonde», Lejay zu s. 2,3,299. - «Eine Hindeutung darauf z. B. Hör. S. 2,3,299» W. Kroll zu Catul, 22,20). Ich gehe davon aus, daß Horaz das traditionelle Bild im Kopfe hatte, es aber bewußt durch ein ähnliches, aber erlebniswertiges ersetzt hat. Ein Zusammenhang besteht also, aber ein schweigender! Dixerit insanum qtii nie^totidem audiet atque / Respicere ignoto discet pendentia tergo (2,3,299). - hoc te l Credo modo insanum, nihilo ut sapientior ille / Quite deridet caudam trahat. (2,3,53 f.). A. Alföldi, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche, Darmstadt 1977 (= 1935), 156 f. M. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich, Leipzig 1929, l, 215. T. Hölscher o. c. 83 (mit Literatur).
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verkennen. - Dreieinhalb Jahrhunderte später, 356 n. Chr., schildert Ammianus Marcellinus in folgender Weise die Haltung des in Rom «triumphal» einziehenden Kaisers Constantius des zweiten34: «Constantius zeigte sich völlig unbeweglich. Als ob sein Nacken versteift wäre, richtete er seinen Blick gerade nach vorn, sein Gesicht wandte er weder nach rechts noch nach links, starr wie eine menschengestaltige Statue». Diese Übereinstimmung zwischen plastischer Darstellung und literarischer Beschreibung über eine Distanz von mehreren hundert Jahren kann kein Zufall sein. Es deutet vielmehr darauf hin, daß in der statuenartigen, starren Haltung ein typisches Merkmal der Triumphatorengestalt zu sehen ist. Es darf nicht vergessen werden, daß der Jupiter, dessen Verkörperung der Triumphator war, dessen Gewand er trug35, tatsächlich ein Standbild war. Hinzu kommt, daß statuenartige Bewegungslosigkeit für gottähnliche Herrscher, die in Aufzügen auftraten, allgemeine Vorschrift war. «Sich nicht umdrehen, nichts anblicken», so lautete die Vorschrift für den persischen Großkönig schon im 6. Jh. v Chr., wie es dem «Fürstenspiegel», der Kyropädie Xenophons, zu entnehmen ist (8,1,42)3A Es ist gut möglich, daß diejenigen Forscher recht haben, die in der äußeren Gestaltung des römischen Triumphes Spuren persischen Einflusses feststellen möchten37. Unerschütterliche Augenruhe war auf jeden Fall ein unerläßliches Element auch in der Haltung des triumphal auftretenden Kaisers von Byzanz, dessen zeremonielles Gehabe römischen Wurzeln entwuchs37*. Es ist nicht denkbar, daß der in dieser Tradition und unter solchem sachlichen Zwang stehende römische Triumphator aus der durchgehenden historischen Linie hätte ausscheren können. Eine Haltung des unbeweglichen Nach-Vorne-Blickens ergab sich prinzipiell aus dem Wesen der Rolle, der Pflicht, das tremendum maiestatis für aller Augen sichtbar darzustellen. Auch aus spezifisch religiösen Gründen ist es aber unmöglich, daß der Triumphator zurückgeblickt hätte, daß er dazu aufgefordert worden wäre. Die Parallele des theios aner erweist sich beim näheren Zusehen als eine Scheinparallele. Dieser blickt in die Ferne, über die Köpfe der Menschen hinweg. Die erforderliche Gegenhaltung wäre deswegen ein 34
16,10,9 - 10. Zu dem möglichen Einwand, der Einzug des Constantius sei kein Triumph im strengen Sinne des Wortes gewesen, seine Haltung nur ein spätes Phänomen, Köves-Zulauf o. c. 139 f. E. Künzl, Der römische Triumph, München 1988,106. 35 Die Auffassung, daß der Triumphator nicht Jupiter, sondern den altrömischen König darstellte, die übrigens nur von einer kleinen Anzahl von Forschern vertreten wird, halte ich für eindeutig widerlegt, ja noch mehr: das ganze Problem für ein Scheinproblem. Das Vorbild für den Triumphator war der König der tarquinischen Zeit, dieser aber stellte Jupiter dar; im Endergebnis war also auch der Triumphator auf jeden Fall, mittelbar, ein Abbild des höchsten Gottes. Erst recht nach der Vertreibung der Könige, da jeder Hinweis auf das verhaßte Königtum zu verdrängen oder zu verschleiern war, und durch nichts so effektvoll verdrängt werden konnte, als durch die Betonung eines unmittelbaren Bezugs des Triumphators auf Jupiter. S. dazu im einzelnen L. R. Taylor, The Divinity of the Roman Emperor, New YorkLondon 1973 « 1931, 45. Alföldi o. c. 146-149. C. Koch, Reügio, Nürnberg 1960 (= 1942), 96 («In der Erscheinung ihres festlichen Auftretens stehen somit Gott und König äußerlich ununterscheidbar nebeneinander»), Versnel o. c. 57-93. Köves-Zulauf o. c. 135102. Ähnlich schon Frazer, The Golden Bough, I^ondon 191l3, I, 2, 175 f., wozu s. W. W. Fowler, (einer der Urväter der Königsthese) CR 30 (1916) 153: «if Sir James had limited his arguments'to these (sc. the Etruscan kings) he might have made out a fairly good case.» Vgl. noch Hölscher o. c. 844W. Künzl o. c. 96 f. * M. P. Charlesworth, JRS 37 (1947) 34. 57 Frühe persische Einflüsse in der Zeremonie des römischen Triumphes nimmt an Payne o. c. 14 f., 202 f., in die Spätzeit datiert sie CharJesworth o. c. 37. 37 * A. Cameron, in: D. Cannadine-S. Price (Hrsg.), Rituals of Royalty, Cambridge etc. 107, mit Angabe weiterer Literatur.
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ostentatives Anblicken der Mitmenschen vor und neben ihm, nicht ein Zurückblicken nach hinten. Der entscheidende Unterschied zwischen dem verspotteten Schuljungen und dem Triumphator besteht aber darin, daß im ersten Fall überhaupt kein religiöser Tatbestand gegeben ist, und nur das ermöglicht ein Zurückblicken in diesem Fäll, während die gegenteilige Situation beim Triumphator dasselbe unmöglich macht. Denn hinter dem Rücken des Triumphators existiert ein von magischen und religiösen Kräften beherrschter Bereich, hier befindet sich - metaphorisch gesprochen - Nemesis oder Fortuna (Plinius), von hier aus bedroht den Sieger der böse Blick des Neides. In dieses Auge zu blicken, ein Auge auf rächende Gottheiten zu werfen, wäre aber keineswegs eine Attitüde der Bescheidenheit, was es im Falle des Triumphators sein sollte, sondern gerade im Gegenteil, nach »dem Zeugnis der verschiedensten Religionen, ein Akt der Herausforderung. Aus diesem Grund wird gerade diese Haltung mit einem Verbot belegt, geschweige denn, daß jemand dazu aufgefordert würde. Im Gegenteil: Die Vorschrift lautet in solchen Fällen immer gerade gegensätzlich, so etwas nicht zu tun, nicht zurückzublicken. Ne respexeris! = Blicke nicht zurück! - lautet die Warnung bei einer solchen Gelegenheit in der achten Ekloge Vergils (102), wozu der Kommentator Servius sehr treffend bemerkt: «Weil die göttlichen Wesen es nicht mögen, angeblickt zu werden.» Was solche Verbote und die Strafen im Falle der Übertretung betrifft, steht uns eine erdrückende Fülle von vergleichendem Material zur Verfügung. Ich begnüge mich hier nur mit einigen sehr bekannten Beispielen: Loths Weib erstarrt zu einer Salzsäule, weil sie auf das brennende Sodoma zurückblickt38. In der griechischen Sage bekommt Deukalion nach der Vernichtung der Menschheit durch die Sintflut die Anweisung, nicht nach hinten zu blicken, während er Steine hinter sich wirft; um daraus ein neues Menschengeschlecht entstehen zu lassen39. Orpheus verliert seine aus der Unterwelt zurückgebrachte Eurydike, weil er gegen das Gebot, nicht zurückzublicken, handelt40. Aber auch die Zahl der römischen Beispiele ist groß. In Rom war es unter anderem verboten zurückzublicken beim Antreten einer Reise, beim Besuch eines Heiligtums, im Leichenzug, beim Leiehenopfer, beim Pflücken von Zauberpflanzen, beim Erscheinen eines Geistes. Ein Scheiterhaufen dürfte nur mit abgewandtem Gesicht angezündet" werden; ein Pontifex hatte die zu Tode verurteilte, lebend begrabene Vestalin ohne zurückzublicken in ihrer Todeskammer zurückzulassen41. Der Grund ist überall derselbe: ein Anblick der hinter dem Rücken des Menschen lauernden Dämonen ist zu vermeiden, seien diese Dämonen des Todes, Gottheiten der Schöpfung oder Geister anderer Art42. Erst recht kann eine solche Haltung nicht überraschen bei den Römern, deren Angst vor einer Epiphanie von Göttern so groß war, daß sie in einem solchen Falle Fas sit vidisse! sagen mußten = «Sei der Anblick für mich keine Sünde!» und nach Beendigung eines Gebets eine rituelle Kehrtwendung, drcumactio corporis machten, für den Fall, daß die angesprochene 38 39 40
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1. Mos. 19,17,26. Matth. 24,17 f. Luk. 17,31. Ov. Met. 1,381 ff. und Bömer z. St. (382). Ov. Met. 10,51 und Bömer z. St. Reichhaltiges weiteres Material zum ganzen Problemkomplex s. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens s. v. umsehen. Bd. 8 (l 936/37) 1346 -1350. Köves-Zulauf o. c. 144133. Dem auf den Zug nach Italien sich vorbereitenden Hannibal erscheint ein gottgesandtes göttlicher Jüngling im Traum der ihn auffordert, ihm nachzufolgen, gleichzeitig ihm aber verbietet, unterwegs zurückzublicken. Als Hannibal dies trotzdem tut, sieht er einen riesigen Drachen, der alles auf seinem Weg niedertrampelt, von Donner und Sturmwolke begleitet. Der Drache wird als «Verwüstung Italiens» gedeutet. Den zurückblickenden Hannibal hat in Italien tatsächlich sein Schicksal-ereilt: Liv. 21,22,6-9.
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Gottheit tatsächlich erscheinen sollte43. Bis in den Bereich der sogenannten «gesunkenen Kulturgüter» ist diese Vorstellung zu verfolgen. Noch heute existiert folgendes Kinderspiel: Ein Kind wird von einem anderen gejagt; der Verfolger schlägt es auf den Rücken, indem er sagt: «Blicke nicht zurück, der Wolf kommt!» Der Wolf ist ein mancherorts bekanntes Symboltier für den Tod. Das intensive Nachdenken hat in eine Sackgasse geführt: Der erste Teil des Sklavenspruchs - Respice post te! - erwies sich einerseits als unerläßlicher Kernteil der ganzen Mahnung, andrerseits aber als eine Unmöglichkeit. Als Ausweg aus dieser Sackgasse ist die Annahme denkbar, daß ein solches Gebot zwar von Anfang an vorhanden war, nur anders lautete, respicepost te! eine spätere Entstellung ist. Die Möglichkeit einer solchen Annahme, die Bedingungen einer solchen Entwicklung sind zweifelsohne gegeben: Der Sklave sprach seine Worte flüsternd .in das Ohr des Triumphators44, so daß sie leicht vom Publikum mißdeutet werden konnten. Auf der anderen Seite kennen wir den Spruch tatsächlich nur aus späten kaiserzeitlichen Quellen45. Ja noch mehr: Es gibt Beweise dafür, daß der Spruch ursprünglich tatsächlich anders lautete. In dem Text des älteren Plinius, der in der Reihe der insgesamt späten Belegautoren doch der älteste ist, wird m der Tat etwas anderes überliefert, und zwar einmütig in allen — mehr als hundert — Handschriften. Respice ist bloß die Konjektur eines französischen Herausgebers aus dem Jahre 1587, J. Dalechamp46. Warum Dalechamp den Text verbessern zu müssen glaubte, ist ebenso leicht zu vermuten, wie der Grund für den nachhaltigen Erfolg seiner Konjektur, die seitdem in fast allen Ausgaben zu lesen ist47. Die Wendung Respice post te war als rhetorischer Gemeinplatz im Zusammenhang mit dem römischen Triumph so sehr bekannt, daß die Herausgeber angesichts einer sonderbaren lectio difficilior nur allzu leicht diese durch jenen Topos ersetzt, zugunsten ihres Schulwissens leichtfertig eine authentische Textform ausgelöscht haben. Dabei enthält der beseitigte Text nicht nur einen guten, logischen Sinn, sondern sagt etwas aus, was vorzüglich in die Gesamtheit der Triumphzeremonie sich einordnet. Das in den Plinius-Handschriften zu lesende Gebot lautet: Recipe! = «Nimm zurück!», ein Wort, das auch in der militärischen Fachsprache vorkommt und dort zur Bezeichnung des Beginns eines Rückzugs diente. Es wurde öfters auch reflexiv verwendet, als Abkürzung für (se) reapere - sich zurückziehen48. Es paßt aber nicht nur wegen dieser Eigenschaft eines militärischen Fachausdrucks zum zeremoniellen Aufmarsch des siegreichen Militärs, sondern ist auch der gegebenen konkreten Situation in hohem Maße adäquat. Denn der Triumphator fuhr in einem Pferdewagen an der Spitze seiner Soldaten, wobei das Einhalten 43 44 45 46 47
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G. Appel, De Romanorum precationibus, Gießen, 1909 (RW 7,2), 213 f. K. Latte, Römische Religionsgeschichte, München 1960,4l3. Köves-Zulauf o. c. 14l123. suggeriturei (Tert.). ( ) .[ ] (Dio nach Tzetzes). S. oben S. 80. Dalechamp's Text liegt in verschiedenen Ausgaben vor. Ich benutzte die Ausgabe Frankfurt 1608 sowie Genf 1631. Reapere wird beibehalten durch J. Hardouin, Paris, 17232, jedoch mit falscher Interpretation: Der Fascinus «spricht», d. h. besagt reapere, reäpere aber bedeutet, daß der Triumphator von seinem Sieg schweigen soll, oder daß er die Aufgabe auf sich nehmen soll (susapere), die nachfolgende Fortuna zu besänftigen. Für redpere plädieren noch Sillig, Ausgabe 1851 z. St. L. Prellei; Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1864, 305 (= ArcH. Zeitung 1858,194) (zweifelnd) sowie F. Münzer, Beiträge zur Quellenkritik der Naturgeschichte des Pliiuus, Berlin 1897, 318. Köves-Zulauf o.e. 12462.
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eines gemeinsamen Tempos, das gelegentliche Zurückhalten der Pferde, an der Spitze der zu Fuß, langsamer marschierenden Soldaten für eine geordnete, gemeinsame Vorwärtsbewegung unerläßlich war. Jede Verkehrsstörung wäre eine Beeinträchtigung des zeremoniellen Charakters des Vorbeiziehens gewesen481. Das Einhalten eines richtigen Maßes an Entfernung zwischen Feldherrn und Soldaten hatte jedoch auch seine politische Bedeutung für beide Seiten. Die römischen Soldaten, zugleich Wahlbürger, achteten sehr stark darauf, daß der Triumph nicht nur dem Ruhm des Triumphators diene, sondern auch den einfachen Soldaten, dem ganzen Heer zur Ehre gereiche49. Für den Triumphator wiederum, als* möglichen Kandidaten bei zukünftigen Wahlen in staatliche Ämter, war das Urteil der Soldaten von Wichtigkeit. Es kann aber mit gutem Grund angenommen werden, daß der Frage der richtigen Entfernung zwischen Feldherai und Soldaten auch religiöse Bedeutung zukam. Die vergleichende Religionswissenschaft bietet Beispiele dafür, daß die göttliche Qualität eines Heerführers in der großen Entfernung zwischen ihm und seinen Soldaten Ausdruck gewinnt. Beim östlichen Reitervolk der Chazaren zum Beispiel galt die Regel, daß der sakrale König um eine ganze Meile vor seinen Soldaten reiten mußte. Der große Abstand, der Umstand, daß seine Soldaten den König während des Zuges nicht einmal sehen konnten, wurde als symbolhafte Darstellung der Entfernung verstanden, die ihn als Gott von den gewöhnlichen Menschen trennte50. Angesichts solcher Parallelen ist es gut vorstellbar, daß ein allzugroßes Intervall zwischen Triumphator und Soldaten eine ähnliche religiöse Bedeutung gehabt hätte. Wenn er mithin zur Vermeidung eines zu großen Abstandes ermahnt wurde, so war diese Mahnung gleichbedeutend mit der Warnung, er möge trotz seines ungeheuren Ruhmes durch seine Haltung kundtun, er wolle die Sphäre der Menschen nicht endgültig hinter sich lassen, er bleibe trotz seiner Erhöhung letztlich sich seines Menschseins bewußt. Aus alledem darf geschlossen werden, daß die Aufforderung recipe! = «Halt deine Pferde zurück!» «Halte dich zurück!» die ursprüngliche Form der Warnungen den Triumphator war, das Kernelement des Mahnspruches, seiner Natur nach originär nichts anderes als eine Art praktische Regieanweisung, die aber politische sowie religiöse Implikationen in sich barg. Daß ein tadellos überlieferter Text sich auf diese Weise als inhaltlich gänzlich sinnvoll erweist, ist in meinen Augen ein ausreichender Beweis für seine Authentizität und ein entscheidendes Argument für seine Beibehaltung. Diese Schlußfolgerung kann jedoch durch weitere Argumente noch gestützt werden. Der zeitlich dem Plinius nahestehende 48a 49
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Zu den Problemen der Zuggeschwindigkeit s. Künzl o. e. 68 f. Köves-Zulauf o. c. 133 f. Liv. 45,38,12: (Milites) suasque et imperatoris laudes canentes. R. Develin, Klio 60 (1978) 432 ff. K. Czeglcdy, Numen 13 (1966) 179. Zu den afrikanischen Beispielen s. auch S. Lagercrantz, Contribution to the Ethnograph/ of Africa, Upsala 1950, insbes. 335, 341. (Für den Hinweis auf dieses Werk habe ich L. Vajda, München, zu danken). Das letztendliche Ziel solcher Maßnahmen ist, den Kpnig unsichtbar zu machen, «damit niemand den König sieht... und er denen, die ihn nicht sehen, als ein Wesen anderer Art erscheint» (Herod. 1,99); die Etablierung großer räumlicher Distanz ist nur eines der Mittel zu diesem Zweck. So ergibt sich im Lichte des Vergleichsmaterials die Frage, ob dieses Motiv der Unsichtbarmachung, d. h. dessen Vermeidung auch im römischen Triumph eine Rolle spielte, Denkbar ist es in der Form, daß als richtiges Maß der Entfernung zwischen Triumphator und seinen Soldaten die Entfernung galt, die für die Masse der Soldaten noch ein Sehen des Triumphierenden ermöglichte. Einen Maßstab für die Bestimmung der Entfernung zu finden, war ja ein notwendiges Erfordernis. Da der Triumph auf sehr wesentliche Weise eine Schau Veranstaltung war, liegt es auf der Hand, daß hier von sehr wichtigen Zusammenhängen die Rede ist. S. auch unten Anm. 72.
Die Worte des Sklaven an den Tri mphator
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Arrian verwendet n mlich im Zusammenhang mit dem Spruch des Sklaven an den Triumphator W rter, die an recipe erinnern, und gar keine Gemeinsamkeit mit einem eventuellen respice aufweisen: «Gib (deiner Phantasie) die Z gel nicht frei ..., sondern halte dagegen, halte sie zur ck! ...»5l. Noch lehrreicher aber ist, was wir ber den Triumph des Camillus, zu Zeiten der klassischen Republik, erfahren, den Dio Cassius und seine Exzerptoren zum Anla genommen haben, die Zeremonie des r mischen Triumphes in einem Exkurs allgemein zu schildern. Gem der berlieferung zeichnete sich der Triumph des Camillus nach der Eroberung Veiis durch die Besonderheit aus, da er den Triumphal wagen durch wei e Pferde ziehen lie . Dies legte man als Versuch aus, den Tri mphator G ttern anzugleichen, namentlich Jupiter und Sol; nicht zuletzt deswegen wurde Camillus einige Jahre sp ter aus Rom verbannt52. Diese Nachricht hat in der Forschung Verwirrung gestiftet. Es stellte sich n mlich die Frage, wie man einem Tri mphator eine solche Angleichung belnehmen konnte, wo doch jeder Tri mphator durch seine Aufmachung und durch seine Attribute, u. a. die Quadriga, als Epiphanie Jupiters ausgewiesen wurde53. Die L sung liegt in der Erkenntnis, da die Angleichung an Jupiter ein Relikt aus der Zeit der etruskischen K nige war; die Republik behielt diese k nigszeitliche Tradition zwar bei, integrierte sie aber mit gro er Sorgfalt, wie andere hnliche Traditionen auch54, in das republikanische System. Die Angleichung des republikanischen Triumphators an Jupiter war deswegen eine sehr bedingte, sehr sorgf ltig dosierte und mit vielen Kautelen umbaute. Er war sozusagen ein Jupiter in der Zwangsjacke, und auch dies nur f r kurze Zeit. Die kleinste Aufwertung des versch tteten Kerns aus der Zeit sakralen K nigtums bedeutete eine Provokation der republikanischen Staatsr son55. Deswegen konnte «die Kleinigkeit» der Verwendung wei er Pferde, statt der sonstigen andersfarbigen, in die N he eines Sakrilegs ger ckt werden56. Wei als «die K nigin der Farben» galt h ufig als das Vorrecht h chster Wesen, des H chsten unter den G ttern57, des h chsten Herrschers unter den Menschen58. Camillus 51
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μηδέποτε έπιδως την φαντασίαν εις άπαν μηδέ την διάχυσιν έάσης προελθεΐν εφ' δσον αυτή θέλει, αλλ' άντίσπασον, κώλυσον, οίον οί τοις Οριαμβεύουοπν έφεστωτες όπισθεν και ύπομιμνήσκοντες, ότι άνθρωποι είσιν. κωλύω kann insbesondere bedeuten: einen Ansturm aufhalten, u. ., s. die W rterb cher. - Polyb. 6,55,3. Zu der Bedeutung von άντισπάω auf milit rischem Gebiet vgl. Alf ldi, Early Rome and the Latins, Ann Arbor 1963,357. Diod. Sie. 14,117,6. Liv. 5,23,5; 5,28,1. Plut. Cam. 7,1. Cass. Dio 52,13,3. de vir. ill. 23,4. Reid o. c. 177. RE s. v. (44) M. Furius Camillus, 328. J. Bayet zu Livius 5 (Ausgabe Paris 1954) S. 146. Versnel o. c. 305. Insbesondre K nigsherrschaft bedeutende Prodigien wie den Bienenschwarm, H rner oder Specht auf dem Kopf eines republikanischen Beamten. S. dazu mit Literatur K ves-Zulauf o. c. 256. Die priesterlichen Funktionen des K nigs baute man als Sonderpriesterschaft des rex sacrorum in das antimonarchische System ein: Latte o. c. 395. Der kleine Pauly 4 (1979) 1388 (G. R.). Bayet o. c. 147. E. Burck, Gymnasium 58 (1951) 168 f. E. Wallisch, Philologus 99 (1954/55) 2, 258. J. Classen, Gymnasium 70 (1963) 317,327. Versnel o. c. 68,305 f. lovis Solisque equis aequiperatum dictatorem in religionem etiam trahehant: Liv. 5,28,6. In Dumezils System der drei Funktionen gilt Wei als die repr sentative Farbe der ersten Funktion, der Funktion der Herrschaft, deren Gott in Rom Jupiter ist G. Dumezil, Rituels indo-europeens a Rome, Paris 1954, 45, 54, 57. J. Hubaux, Rome et Vcies, Paris 1958, 218 nimmt an, da die Pferde der Quadriga Jupiters auf dem Giebel des kapitolinischen Tempels urspr nglich wei bemalt waren. Ber hmte Herrschergestalten mit wei en Pferden als repr sentativem Attribut: Darius (Gurt. 3,3); die sizilischen Tyrannen Dionysios I (Diod. Sie. 14,44,7), Dionysios II (Plin. Nat. 7,(31),110) und Hieronymos (Liv. 24,5,4); Octavianus (Suet. Aug. 94,6); Turnus (Vcrg. A.12,164). Alfoldi, Monarchische Repr sentation, 147. Bayet o. c. 148. Hubaux o. c. 152. RE s. v. Triumphus 504,25 ff.
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Thomas K ves-Zulauf
berschritt das republikanische und das menschliche Ma 59 nicht nur in diesem einen Punkt60, wie Plutarch es unverkennbar andeutet61. Eine aufmerksame Analyse unserer Quellentexte, die nicht selten zu oberfl chlich, ja fehlerhaft interpretiert und bersetzt werden62, l t auch einen weiteren Punkt erkennen: Camillus verselbst ndigte sich allzusehr in seiner Fahrt von den brigen Mittriumphierenden, fuhr allzu st rmisch, allzu f r sich allein durch die Stadt, m glicherweise sogar im vollen Sinne des Wortes. Die einfachen Menschen hatten den Eindruck, da er sich ber sie erhebe und sie mi achte63. Das hei t: Nicht nur die wei en Pferde an sich wurden ihm zum Vorwurf gemacht, sondern auch der Umstand, da er mit ihnen zu schnell, zu r cksichtslos fuhr. Mit anderen Worten: Er fuhr ohne jegliches reapere. Wenn ihm dies zum Vorwurf gereichte, so ist daraus zu folgern, da schon damals64 eine solche Forderung nach redfere bestand.
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Liv. 5,23,4-5: triumpbusqite omnem consuetum honorandi diei i ius modum aliquantum excessit. Maxime conspectus ipse est} atrm equis albis iuncto Urbem invectns,pantmque idnondvile modo sedbumanumetiam Visum. 60 Versnel o. c. 823 wirft die Frage auf, ob Camillus nicht auch in der Hinsicht das gew hnliche Ma berschritt, da er als Triumphator seinen ganzen K rper rot f rbte, w hrend sonst nur eine Rotf rbung des Gesichts blich war. 61 τα τ' άλλα σοβαρώς έθριάμβευσε κα\ τέθριππον ύποζευξάμενος λευκόπωλον (7,1). 62 So z. B. der bersetzer der Bude-Ausgabe, Paris 1961. 63 Folgendes weist in diese Richtung: 1. Im Plutarch-Text a) die Wendung έηιέβη και διεξήλασε της 'Ρώμης, was eine Einheit bildet, έπέβη geh rt zu της 'Ρώμης = «er betrat Rom» = urbem invectus Liv. 5,23,5. πόληος ... έπιβαινέμεν II. 16,395 f. In διεξήλασε verdient der Bestandteil εξ besondere Beachtung. Das Verb διεξελάόνω bedeutet , und hat Objekte neben sich wie , , , Objekte, die man verl t, nachdem man durch sie hindurchgefahren ist, deswegen der Bestandteil εξ, im Unterschied zu einem blo en διέλαυνε. Ein Triumphator betrat nun Rom nicht, um wieder hinauszufahren, sondern um auf repr sentative Weise dort pr sent zu bleiben, εξ kann in diesem Zusammenhang daher nur hei en, da er die gewohnte, vorgeschriebene, erwartete Route verlie , d. h. den Zug der marschierenden Soldaten. Hinzu k mmt, da das Objekt gew hnlich im Akk. steht, der Genitiv ist eine Steigerung: er fuhr durch Rom auf. sehr intensive Weise hindurch, b) σοβαρώς έθριάμβευσε. Das Wort σοβαρός bedeutet «heftig dahinf hrend> (vom Wind u. a.)» *(H. Frisk, Griech. etym. W rterbuch, Heidelberg 1970, 2, 753). Vgl. σοβέω ; «J gern; . σόβησις (Plutarch, Moralia 286c,671 f.!}. Im eigentlichen Sinne der W rter bedeutet also die Wendung σοβαρώς έθριάμβευσε = Camillus «triumphierte berm tig dahinbrausend». c) εκ δε τούτου διεβλήθη προς τους πολίτας ουκ είΟισμένους έντρυφοσΟαι: «Deswegen wurde er von den B rgern geschm ht, die nicht gewohnt waren, sich durch solchen bermut kleinmachen zu lassen.» Da die Soldaten es waren, die den Triumphator mit ihren Spottliedern tats chlich «schm hten», da sie vor altem ihrer Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit dem Triumph Ausdruck zu verleihen hatten, ist es anzunehmen, da hier vor allem und eigentlicih von den Gef hlen der Soldaten die Rede ist, die sich von Camilius vom Ruhm ausgeschlossen f hlten. Dies ist die logische Erg nzung zu einem « berm tigen Dahinbrausen» des Camillus, zu einem Mangel an recipere. 2. Im Liviustext 5,23,6: hvisSolisque equisaeqttiperatum dictatorem in religionem etiamtrabebant: «Da der Diktator den Pferden Jupiters und des Sonnengottes gleichgestellt wurde, .glaubte man f r ein Sakrileg halten zu m ssen»: Nat rlich verglich man nicht im w rtlichen Sinne den Diktator mit den g ttlichen Pferden, sondern das Gesamtbild des in seinem Wagen dahinjagenden Camillus mit dem quadrigalenkenden Gott als Gesamterscheinung. Die sonderbare Ausdrucksweise des Livius zeigt aber, wie sehr mai\ Camillus und sein Gef hrt als Einheit sah, abgetrennt von allen anderen, auch von den Soldaten. All diese Nuancen des sprachlichen Ausdrucks bei beiden Autoren deuten die Umrisse eines ohne R cksicht auf andere ungehemmt dahinst rmenden Camillus an, m glicherweise sogar kreuz und quer durch Rom: διεξήλασε. 64 Zur Zeit des Camillus, sei diese die historisch wirkliche Zeit oder eine gem der Vorstellung der r mischen Historiker gestaltete Zeit. . ;
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Auch ein weiteres Moment der langen und wechselvollen Geschichte der römischen Triumphzeremonie spricht dafür, daß ein Gebot des recipe in ihr als Regieanweisung einen sinnvollen, primären Platz hatte. Die innerrömischen Vorfahren des Triumphes bestanden aus Aufmärschen zu Fuß65. Als der eigentliche Triumph durch die etruskischen Könige66 konstituiert wurde, war eine der wichtigsten Neuerungen die Einführung der Quadriga67. Von ihrer überragenden Bedeutung spricht der Umstand, daß sie als Abbild der Quadriga galt, die am Giebel des kapitolinischen Jupiter-Tempels sich befand, und in der der höchste Gott selber als Statue stehend die Pferde lenkte68. Ebenso die Wundergeschichten, die sich um diese Quadriga rankten69, eines der Unterpfänder der römischen Herrschaft70. Es ist also nur zu gut verständlich, daß eine grundlegende Weisung an den Triumphator sich auf diesen Gegenstand bezog. Ebenso, daß sie inhaltlich von der Notwendigkeit der Anpassung an diejenigen sprach, die nach vorzeitlicher Art zu Fuß marschierten. Die viele Jahrhunderte währende Geschichte des römischen Triumphes ist von ungewöhnlich dichtem Nebel umhüllt. Die Entstehungszeit, die Wandlungsformen vieler wichtiger, ja grundlegender Einzelheiten kennen wir nicht. So muß ein Versuch, Wandlungen des Spruchs historisch datieren zu wollen, als Vermessenheit erscheinen. Tatsache ist jedoch, daß innere Kriterien allgemeiner Art für einzelne Änderungen sich feststellen lassen. Eine Umwandlung von recipe in respice kann nur zugleich mit dem Verlust der grundlegenden religiös-magischen Qualität der Worte erfolgt sein, im Rahmen der Metamorphose eines übelabwehrenden Zauberwortes in eine moralische Mahnung71. Denn eine Aufforderung zum respicere ist nur in einem nicht mehr religiösen Kontext denkbar; auf der anderen Seite ist ein Zurückblicken als Geste der Bescheidenheit ein Gemeinplatz stoischer Moralphilosophie, wie wir gesehen haben; sein Eindringen in die Triumphalzeremonie72 wird daher 65 66
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W. W. Fowler, CR 30 (1916) 153. L. Bonfante Warren, JRS 60 (1970) 50-57. Zur Widerlegung der These von E. Wallisch, Philologus 99 (1955) 245 ff., wonach der römische Triumph ohne etruskische Vermittlung in hellenistischer Zeit aus dem Osten übernommen worden wäre, ist das Entscheidende und das Nötige von Versnel o. c. 903 gesagt worden. Liv. 1,10,5, Plut. Rom. 16. K. P Groß, Die Unterpfänder der römischen Herrschaft, Berlin 1936, 54 f. Anachronistisch Dionys. 2,34,2; Propert. 4,1,32. Liv. 10,23,11. Groß o. c. 52 ff. I. S. Ryberg, Rites of the State Religion in Roman Art, Rome 1955, 20. Hubaux o. c. 202 ff., 210. L. R. Taylor, The Divinity of the Roman Emperor, New York-London, 1979 = 1931, 45. Koves-Zulauf o. c. 289 ff., 297 ff. - Nach Dio Cassius 43,14,6 wird als Auszeichnung Caesars für seine Siege sein Wagen gegenüber der kapitolinischen Jupiter-Statue aufgestellt. Auch dies weist auf eine innere Beziehung zwischen dem Wagen des Siegers und dem kapitolinischen Jupiter hin. Hubaux o. c. 203 ff., 208 ff. Köves-Zulauf o. c. 289 ff., 297 ff. Groß o. c. 43,46,51 - 56. Hubaux o. c. 204. Versnel o. c. 374. Künzl o. c. 88. S. oben S. 83. Eine Rolle in dieser Entwickjung mag auch der praktische Umstand gespielt haben, daß die Einhaltung des richtigen Maßes an Entfernung zwischen Triumphalwagen und marschierenden Soldaten auf natürliche Weise durch ein Zurückblicken von Seiten der den Wagen lenkenden und das Tempo ausrichtenden Helfer des Triumphators geschah. Dies mag ein logisches Strukturelement im Rahmen des Triumphzugs als <Schauveranstaltung> gewesen sein, ein Pendant zum notwendigen Gesehenwerden des Triumphators durch die Soldaten, vgl. oben Anm. 50. KÖves-Zulauf, Reden und Schweigen 146139. - Recipere als Aufforderung an den Triumphator ist hier nicht wörtlich, sondern nur im Sinne von recipere iubere gemeint, lateinischem Sprachstil entsprechend. So wie infamem tollere vom Vater im Sinne eines Befehls an die Hebamme gemeint ist, die den eigentlichen Akt des ausführt: Th. KövesZulauf, Römische Geburtsriten, München J990, 35 f., 38, 47, 219. Dies ist zugleich das Gegenargument
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Thomas Köves-Zulauf
infolge und zu Zeiten stoischen Einflusses anzunehmen sein. Ebenso kann festgehalten werden, daß der zweite Teil hominem te memento, erst Sinn hatte, seitdem der Triumphator in die Perspektive der Göttlichkeit hineingestellt war und dies zugleich als abzuwehrende Gefahr angesehen wurde. Mit anderen Worten: seitdem der Triumphator als Relikt des sakralen Königs in streng republikanischer Umgebung auftreten mußte, als Gott für die Dauer einer Zeremonie, und auch dies sozusagen in ideologischer Zwangsjacke. Diese Bedingungen treffen auf die Zeiten der beginnenden und der klassischen Republik in genuiner Weise zu. Auch auf die Kaiserzeit, doch den gewandelten Umständen entsprechend in charakteristisch anderer Form, wie noch zu erörtern sein wird. Wenn wir diese Tatbestände innerer Wandlung zu der Aufeinanderfolge unserer Quellentexte in Beziehung setzen, läßt sich sogar zu einer historisch konkreten Datierung kommen. Unsere älteste Quelle, Plinius, berichtet nämlich den Spruch in der Form reapere noch in zutiefst religiösem Kontext, als Beispiel für die Zauberwirkung des religiösen Wortes, im engsten Zusammenhang mit nichtverbalen magischen Abwehrmitteln wie Speichel und Phallos. Im Gegensatz dazu ist unser erster Gewährsmann für die Form respicere der Christ Tertullian, der außerhalb der heidnischen Religion stehend, diesem Wort eine rationale, philosophisch-moralische Bedeutung zuschreibt. Da beide Autoren über den Triumph aus eigener Anschauung schreiben73, ist anzunehmen, daß der veränderte Wortlaut in der literarischen Darstellung auf einer Änderung der dargestellten Realität selbst beruht. So richtig es im Prinzip auch ist, daß die Chronologie der literarischen Berichte nicht ohne weiteres mit der Chronologie der dargestellten Realitäten verwechselt werden darf, so wahr ist es auch, daß dies manchmal auch vorkommt, ja daß dies die zunächstliegende, natürliche Wahrheit ist. Im gegebenen Fall kann diese einfache Wahrheit um so mehr akzeptiert werden, als wir auch den konkreten Beweis für eine Übergangsform zwischen Plinius und Tertullian besitzen. Arrian berichtet nämlich noch die Form recipere wie Plinius, gibt ihr aber zugleich schon die Qualität einer moralischen Mahnung an das Menschsein des Triumphators wie Tertullian. Es paßt vorzüglich in das bis jetzt gewonnene Bild, daß Arrian und sein Meister Epiktet berühmte Vertreter - der Stoa waren. Aus alledem ergibt sich eine Datierung der Ablösung von recipere durch respicere in die Zeit zwischen Plinius und Tertullian, d. h. zwischen 80 und 197 n. Chr. Ebenso die Feststellung, daß die Kombination recipe + hominem te memento seit den Anfangszeiten der Republik bis in die Epoche der Adoptivkaiser existierte, hier der zweite Teil stoisch neu aufgeladen wurde, indem er einen bekannten stoischen Gemeinplatz auf sich zog, mitsamt dessen erster Hälfte (respicere), und diese den ursprünglichen ersten Teil (recipe) schließlich verdrängte. In diesem Zusammenhang ist eine gewisse Verlagerung des Schwerpunktes zu beobachten. Während nämlich ursprünglich der erste Teil der Mahnung das eigentliche Kernelement gebildet haben dürfte, als Aufforderung zu einer bestimmten Haltung, und der zweite Teil als deren Interpretation Anhängsel war, kehrte siqh das Verhältnis infolge des stoischen Einflusses jetzt um: Das Schwergewicht lag nun auf dem Menschsein, und das Zurückblicken als Forderung fand nur als dessen Zubehör Aufnahme in die Formel, um das ursprüngliche recipe zu überprägen. Wenn wir schließlich versuchen, die rekonstruierbare Entwicklung der Mahnworte,
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gegen den Einwand, der Triumphator habe wegen seiner starren Haltung ein recipere ebensowenig ausführen können wie ein respicere. Abgesehen davon, daß ein solches persönliches recipere nur aus praktischer. Gründen unmöglich war, nicht auch aus religiösen. S. oben S. 80. Köves-Zulauf, Reden und Schweigen 138.
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den einzelnen großen Etappen der Entwicklung des Triumphes insgesamt zuzuordnen, die trotz aller Dunkelheit umrissen werden können, so ergibt sich folgendes Bild74. 1. Die voretruskische Königszeit (Vorformen). 2. Die Herrschaft der Tarquinierkönige (Zustandekommen des römischen Triumphes). In dieser Zeit muß der erste Teil der Mahnung, recipe, aufgekommen sein, in natürlicher Verbindung mit der Einführung der Quadriga selbst. Es ist anzunehmen, daß hier diese Mahnung, zumindest anfänglich, noch eine ganz konkrete Bedeutung des Zurückziehens der Zügel besaß, die von dem Triumphator selbst gehalten wurden. Diese Haltung zeigt auf jeden Fall das göttliche Vorbild des Triumphators, Jupiter, in der Quadriga auf dem Gipfel des kapitolinischen Tempels sowie auf anderen Darstellungen75. 3. Die Zeit der klassischen Republik. Es liegt in der Natur solcher Zeremonien, daß sie zunehmend ritualisiert werden, von ihren praktischen Funktionen sich entfernen. Dies muß bald nach der Begründung des Triumphes, d. h. am Anfang der Republik eingesetzt haben und sich darin geäußert haben, daß recipe nicht mehr (ausschließlich) technisch verstanden wurde, sondern auch einen abstrakten Sinn des allgemeinen Maßhaltens bekam. Zugleich wird sich auch die Bedeutung der Sklavengestalt weiterentwikkelt haben, neben ihrer praktischen Funktion der Tempobeaufsichtigung die Qualität einer zum Maßhalten mahnenden Gestalt bekommen haben. (Zu dieser Zeit wird auch der Triumphator die Zügel aus der Hand gegeben haben, späteren Darstellungen entsprechend)76. Diese Entwicklungen müssen nicht alle genau synchron verlaufen sein. Klar dürfte aber auf jeden Fall sein der enge Zusammenhang eines abstrakt verstandenen recipe mit dem Aufkommen der Ergänzung hominem te memento als Explikation jener Haltung. Der gemeinsame Gehalt dieser Doppelmahnung, die Forderung nach Maßhalten, hängt engstens zusammen, wie erwähnt, mit dem antimonarchischen Wesen der republikanischen Staatsgesinnung. Es ordnet sich ein in das allgemeine Streben des republikanischen Geistes zur Wahrung einer religiösen disciplina, zur Etablierung von Schranken, insbesondere orgiastischen Verhaltensweisen gegenüber, wie das Triumphieren seinem dionysischen Ursprung nach eine war und wie solche in Spuren auch später noch vorhanden waren77. Auch das 74 75 76
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L. Bonfante Warren o. c. 49 ff. Künzl o. c. 97. S. oben Anm. 68. S. dazu Köves-Zulauf, Reden und Schweigen 13393. Auf der Schale von Boscoreale ist sehr schön zu sehen, daß die Zügel am Wagenrand befestigt sind, während der Triumphator Szepter und Lorbeerzweig in den Händen hält: Hölscher o. c. Tafel 10,2. Unter diesen Umständen meint recipe nicht mehr ein Anziehen der Zügel durch den Triumphator selbst, sondern eine Tempoverlangsamung () durch andere Mittel. Das praktische Problem der Tempoangleichung von Triumphwagen und zu Fuß Marschierenden konnte durch mündliche Anweisungen des Triumphators an einen Diener, der die Pferde am Zügel führte, gelöst werden bzw durch Offiziere, die die Schritte der Soldaten richteten, Gestalten, die an plastischen Darstellungen nachzuweisen sind, s. Köves-Zulauf o. c. 13393,13394. Als solche Spuren können festgestellt werden: Die Lieder der Soldaten, die in Inhalt und Form unkonventionell, «ordnungswidrig» waren (incondita carmina) und nicht nur die Funktion der Abwehr gegen das böse Auge hatten (Liv. 3,29,5 mit Ogilvie z. St. Liv. 10,30,8); eine Tänzerfigur in den Reihen der Harfenisten und Flötenspieler, welche im wörtlichen Sinne
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Verhalten des Senats gegenüber den orgiastischen Zügen des Kybele-Attis-Kuhes z. B, entspringt dieser Wurzel78. Es handelt sich dabei aber um eine innerrömische Wurzel: hominem tc memento expliziert redpe. Eine geistige Verwandtschaft mit dem Apollinismus ist feststellbar, wenn auch nicht als Initialzündung, sondern als Entwicklungshilfe von außen. Die Führer der Republik haben auch bei der Zähmung anderer orgiastischer Kulte der Autorität delphischer Weisungen sich bedient™. Ursprungsgehalt und Formgebung ergäben auf diese Weise eine besonders substantielle innere Spannung. Daß eine Hinzufügung von hominem te memento schon in der Mitte des ersten Jahrhunderts der Republik erfolgt ist, wie E. Simon annimmt, ist an sich gut möglich. Die Forderung nach einem redpe des Triumphators im tieferen Sinne, nach Wahrung des menschlichen Maßes, scheint auf jeden Fall gute 100 Jahre nach der Gründüng der Republik schon fest etabliert gewesen zu sein, zumindest nach dem eigenen Geschichtsbild der Römer. 4. Die Epoche der Hellenisierung. 5. Die augusteische und frühkaiserliche Zeit der julisch-claudischen Dynastie. 6. Die spätere Kaiserzeit. In dieser erfolgt zunächst die Thematisierung der Mäh nworte selbst in der Literatur während der frühflavischen Zeit (Plinius) und dann die Bezeugung der Ablösung von redpe durch respice (TertuUian). Auch hier ist ein unmittelbarer, konkreter Zusammenhang mit den Grundproblemen der Zeit erkennbar, vor allem bei TertuUian. Die Frage, um die es bei ihm geht, ist die Institution des Kaisertums. Daß das Problem an der Gestalt des Triumphators dargestellt wird, an der höchsten und prägnantesten Erscheinungsform des Kaisers, ist äußerst logisch. Denn zu dieser Zeit sind Triumphator und Kaiser seit langem identische Erscheinungen80. Das Anliegen des Kirchenvaters ist es, die Haltung der Christen zu rechtfertigen, die nicht bereit sind, sich an der Vergöttlichung des Kaisers zu beteiligen, weil er nur ein Mensch ist, nach Ausweis der Worte des Sklaven in der Triumphal Zeremonie auch selber nur ein Mensch sein will, als solcher aber von den Christen gebührend verehrt wird. Die Angleichung des Triumphators = Kaisers an Gott als negativ erfahrener Tatbestand und seine Reduzierung auf menschliches Maß als positiver Gegenpol sind die zwei gedanklichen Eckpunkte, die das Bild des Triumphators bei TertuUian in den Text hineinzwingen. Die Frage stellt sich, ob diese zwei Punkte nicht in allgemeinerer Form überhaupt die Bedingungen der Thematisierung am Anfang der flavischen Zeit sowie in der Epoche der Adoptivkaiser waren81. Als grundlegend war auch hier gegeben einerseits eine negative Erfahrung mit der Vergöttlichung des Kaisers, andrerseits eine Menschenfreundlichkeit, ein Suchen der Nähe der Menschen durch den Kaiser als verbindliches Ideal der Zeit. Plinius war ein Mann, der unter dem Nero-Regime gelitten hat82, andrerseits aber täglich die unmittelbare Nähe des 78 79 80
ei
82
K. Latte, Römische Religionsgeschichte 259 f. Köves-Zulauf, ACD 30 (1994) (im Druck). Auch bei der Einführung des Kybele-Kultes in Rom wirkte das delphische Orakel mit: Liv. 29,11. KövesZulauf, Historia 12 (1963) 322,326 = Kleine Schriften 55,59. Alföldi, Die monarchische Repräsentation 144. Über den Zusammenhang zwischen Triumph und Entwicklung der Monarchie vgl. A. BruhJ, MEFR 46 (1929) 92: «Cest bien par la cercmonie triomphale que Pidce de la monarchic a pcnotrc et s'est installee dans la cite romaine.» Plinius kommt auf die Mahnwortc des Sklaven auf assoziative Weise zu sprechen: der Fascinus als, Abwchrmittcl bei Kindern erinnert ihn an das Vorhandensein desselben Mittels beim Triumphator, und dies nimmt er zum Anlaß, auch andere Abwehrmittel beim Triumph zu erwähnen, u. a. auch die Mahnworte (Plin. Nat. 28,39), Arrian dient der Hinweis auf den Triumphator als Beispiel für die nötige des Philosophen (Epict. 3,24,84 ff.). Dio Cassius schildert in einem Exkurs die Institution des römischen Triumphes, den Triumph des Camillus zum Anlaß nehmend (Zonafas 7,21,4 = Dio 6). RE 21, l (1951) 5) C. Plinius Secundus der Ältere (K. Zicgler) 276.
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Kaisers Vespasian genoß (PliiL Min. 3,5,9). Mit dessen Sohn und Nachfolger Titus, dem er sein Werk gewidmet hat, in welchem er als erster die Mahnworte beim Triumph thematisiert, verband ihn sogar ein kameradschaftliches Verhältnis. Außerdem sah er in Titus das Ideal eines menschennahen Kaisers verwirklicht: Triumphalis et censorius tu sexiesque consul... nobis quidem qualis in castrensi contubernio, nee quicquam in te mutavit fortunae amplitudo (Nat. Hist. Praef. 3). Es ist nicht schwer, von hier Verbindungslinien zu der Stelle über die Mahnworte beim Triumph zu ziehen: «ein Abwehrspruch mahnt die Triumphierenden zur Zurückhaltung, damit Fortuna (!) besänftigt wird»83. Auch unser zweiter Quellenautor (Arrian =) Epiktet machte persönliche Erfahrungen mit einem tyrannischen Kaiser im domitianischen Rom, als Zeitgenosse des Tacitus, der die Herrschaft eines sapientissimus et unus als pragmatische Lösung für das Grundproblem des nachdomitianischen Rom in seinem Dialogus empfiehlt (41,4). Wann die endgültige Ablösung der Form recipe durch respice in dieser Epoche erfolgte, ist nicht näher zu bestimmen. Daß es als nebengewichtiges Zubehör der stoischen Formel eingeführt wurde und den ursprünglichen Wortlaut verfälschte, schließt nicht aus, daß es - gerade dadurch - eine der gegebenen Zeit durchaus adäquate Aussage in sich barg. Es forderte den Kaiser = Triumphator nicht so augenscheinlich, direkt und eindeutig zu einer Haltung der Bescheidenheit auf: Zurückblicken konnte er auf die Aufforderung hin tatsächlich nicht; es blieb eine äußerlich folgenlose abstrakte Mahnung zu einer Haltung, deren Bescheidenheitsqualität außerdem nur für den philosophisch Gebildeten zugänglich war. Dadurch hob er den Kaiser um einen Grad stärker ab von der Realität des tatsächlichen Lebens, erhöhte das Pathos der Distanz, das ihn von den Zuschauern trennte. Der Wunsch nach der Herrschaft eines sapientissimus et unus hatte sich ja bis zur Zeit der Soldatenkaiser als Illusion erwiesen. Das Pathos der Distanz bildete aber immer schon die eigentliche Wurzel des zeremoniellen Charakters. So gesehen bedeutet diese Entwicklung eine letzte Vollendung des Triumphes als Zeremonie. Diese Tendenz der schmückenden, erhöhenden Ergänzung blieb - zumindest in der Literatur - auch weiterhin wirksam. Etwa 200 Jahre nach Tertullian glaubt Hieronymus zu wissen, daß der Sklave seine Mahnworte an den Triumphator in einer Art festem Rhythmus, per singuhs acdamauones civium sprach84. Man kann nicht wissen, ob diese späte Ergänzung der Wahrheit entspricht85. Auf jeden Fall wird dadurch der zeremonielle Charak83
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... illos (sc. infantes) religione tutatur et Fascinus, imperatorum quoque, non solum infantium custos, qui deus inter sacra Romana a VestaÜbus colitur, et currtis triumphantium, sub hispendens, defendit medicus invidiae, iubetque eosdem reapere similis mcdicina linguae, ut sit exorata a tergo Fortuna gloriae camifex (Nat. bist. 28,39). Patitur et Apostolus aliquidquodnon vult... etad... humiliandam superbiam monitor quidam humanae imbeaüitatis adponiturt in similitudinem triumphantum, quibus in curru retro comes adbaerebat per singulas acclamationes civium dicens: . Bezeugt sind nur Wechselgesänge zwischen einzelnen Soldatengruppen von früh an bis in die Spätzeit: Liv. 4,53. Plin. Nat. hist. 19,144. Vop. Aur. 6,4-5. Kempf o. c. 357, 359, 388, 390. Hieronymus hat entweder als erster die Aufmerksamkeit auf ähnliche Responsionen zwischen dem Sklaven und den Zuschauern gelenkt oder solche von den Soldatenwechselgesängen als realem Kern ausgehend erfunden. In beiden Fällen durfte das unter dem Einfluß der christlichen Responsionslitaneien geschehen sein, die zwischen Priester und Gemeinde gesprochen wurden. Möglicherweise spielte dabei auch eine Mißdeutung des Ausdrucks medicina linguae bei Plinius I. c. eine Rolle. Bei Plinius ist linguae gen. subi. und meint die Worte des Sklaven. Wenn man ihn als gen. obi. versteht, so werden die Mahnworte Heilmittel gegen irgendetwas Gesprochenes (= Lobpreisungen der das Publikum bildenden cives). - Von recipere als ursprünglicher Form ausgehend könnte man annehmen, daß der Sklave an solchen Punkten des
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tcr des gezeichneten Bildes zusätzlich erhöht. Ähnliches ist noch heute zu beobachten. Carl Becker läßt in seiner Tertulliänübersetzung den Sklaven seine Worte laut rufen und macht dadurch aus dem Flüstern ins Ohr - ein sehr wesentlicher Umstand86 - ein öffentliches zeremonielles. Ereignis akustischer Art. Der eingangs zitierte präsidentielle Wahlkämpfer (Anm. 2) gab dem Sklaven im Wagen des Triumphators einen Sitzplatz und ließ durch ihn neben den Mahnworten dem Triumphator sogar noch «Kühlung zufächeln». Diese fast mythische Fähigkeit des Spruches, Epochen und Jahrhunderte sich wandelnd, sich steigernd und sich doch treu bleibend zu überdauern87, ist sicherlich kein Zufäll. Ein Grund dafür dürfte sein, daß er etwas Wichtiges über die conditio humaiia aussagt, ja über die Lösung der Aporie dieser conditio. Er fordert dazu auf, dieses Menschseins sich bewußt zu werden und es bewußt auf sich zu nehmen. Eine Aufforderung, die keine bloße Kopie des delphischen ist. Denn das delphische Orakel gibt ein Rätsel auf, regt zum Nachdenken an: Wer bin ich? Die Mahnworte an den Triumphator dagegen stellen auf pragmatisch römische Art eine Antwort dar, die Antwort: hominem te esse! == Du bist ein Mensch!
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Weges seine Mahnung aussprach, wo die Gefahr eines Trennung von dem Marsch der Soldaten in besonderer Weise gegeben war (Straßenbiegungen u. ä.). Dies konnte später von den realen Umständen» losgelöst ritualisiert worden seih, d. h. das Sprechen'an bestimmte (Wende)punkte des Weges geknüpft gewesen und somit in regelmäßigen Abständen erfolgt sein. Erst dadurch wird eine Verwechslung von redpe mit respice möglich, von Seiten derer, die nicht gena'u vernommen haben, was der Sklave gesagt hat. So wie Becker schon Dalechamp z. St.: clamabat et inculcabat. A. Bruhl, MEFR 46 (1929) 8l: «criait». E. Burck, Gymnasium 58 (1951) 169: «zurief». Kiinzl o. c. 105 spricht davon, daß der Staatssklave dem Triumphator «das memcnto mori zuflüsterte.»
KURT SIER Religion und Philosophie im ersten Proömium des Lukrez* Lukrez, der etwa von 98 bis 55 v. Chr. lebte und dessen Werk De rerum natura einer antiken Nachricht zufolge posthum von Cicero ediert wurde, greift in seiner Darstellung der epikureischen Philosophie auf die Form des vorsokratischen Lehrgedichts zurück. In der Tradition von Hesiod, Parmenides, Empedokles verbindet er mit der poetischen Gestaltung des spröden und sperrigen Stoffs nicht nur ein artistisch-literarisches Interesse, sondern läßt das Kunstwerk zum Medium einer mit missionarischer Eindringlichkeit vorgetragenen Weltdeutung werden. Lukrez bekennt sich ganz unbefangen zur dienenden Funktion der Dichtung, die durch ihren ästhetischen Wert den Leser gleichsam überlisten soll, sich auf die schwierige Materie einzulassen1. Er weist der poetischen Form aber zugleich eine sachliche, über den Aspekt der Rezeption hinausgehende Aufgabe zu, wenn er sagt, er dichte «über einen dunklen Gegenstand so lichtvolle Verse», obscura de re tarn lucida .,. carmina (l, 933 f. und 4, 8 f.). Um diesen Anspruch zu würdigen, muß man bedenken, daß Epikurs atomistische Prinzipienlehre in ihrer unanschaulichen Abstraktheit auffällig mit dem epikureischen Dogma kontrastiert, daß alle Erkenntnis von der sinnlichen Wahrnehmung ausgeht und an ihr sich zu bewähren hat. Es ist, als wolle Lukrez diesen Zwiespalt mit Hilfe der Dichtung überbrücken und die philosophische Evidenz der Atomtheorie und der auf ihr beruhenden Naturerklärung in seiner konkret-bildhaften Gestaltung auf die Ebene des sinnlich Erfahrbaren zurückführen. Ein schönes Zeugnis seines Selbstverständnisses findet sich im Anfang des 3. Buchs, wo die kallimacheische Metaphorik, das Programm der Form (V. 6 ff.), ähnlich wie in der Pindar-Ode des Horaz (Carm. 4, 2, 27 ff.) der Verneigung vor einem Größeren und d. h. dem philosophischen Horizont des Werkes eingepaßt ist. Lukrez sieht sich im Verhältnis zu den prosaischen Lehrschriften Epikurs nur als Nachahmer, der von den goldenen Worten des Meisters zehre (V. 12); aber wenn er dann sehr suggestiv schildert, wie ihm die epikureische Lehre den Aufbau der Welt in gläserner Transparenz vor Augen führe (V. 14-30), macht der subjektiv-erlebnishafte Charakter der Dichtung die objektive Sinnfälligkeit dieser Lehre erst evident. Den beiden genannten Aspekten gesellt sich als Drittes ein inhaltliches Moment hinzu. Die poetische Rede ist für Lukrez nicht nur ein Mittel der Protreptik und der philosophischen Verdeutlichung, sondern er erkennt zugleich eine Affinität zum Thema des Gedichts, insofern Natur und Kunst in einer gemein* Um Anmerkungen ergänzte Fassung eines am 24. April 1996 in Saarbrücken, am 25. April 1997 in Rostock gehaltenen Vertrags. 1 l, 935-950/ 4, 10-25 (letztere Stelle interpoliert?). VgL M. R. Gale, Myth and poetry in Lucretius, Cambridge 1994,46 ff. 141 ff. (mit weiterer Literatur). - Etwas überraschend ist, daß auch Bert Brecht bei seinem durch Lukrez inspirierten Versuch, das Kommunistische Manifest in die Form eines hexametrischen Lehrgedichts zu bringen, eine solche anstrebte: «Das war schlau ausgedacht. Ich dachte, wenn man die große Form schön findet, muß man den Inhalt mit akzeptieren» (zitiert von H. Bunge, Das «Manifest» von Bertolt Brecht: Sinn und Form 15 [1963] 192). VgL W. Rösler, Vom Scheitern eines literarischen Experiments: Gymnasium 82 (1975) 8 f. 19 f.
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samen Ästhetik konvergieren. Ein eindrucksvolles Zeugnis für diese Auffassung ist die Partie, die das Lehrgedicht eröffnet; von ihr soll im folgenden genauer die Rede sein, Lukrez hat jedem der sechs Bücher seines Werkes eine Einführung vorgeschaltet, die jeweils aus zwei Elementen besteht: auf einen allgemein gehaltenen Teil, in dem er bekenntnishaft von Epikur, dessen befreiender Lehre oder seinem eigenen Dichten spricht^ folgt ein Überleitungsstück, in dem die spezifische Thematik des Buches angebahnt wird. In der Einleitung des ersten Buchs, die den Leser zugleich an das Gedicht im ganzen heranführen will, ist diese Struktur gewissermaßen verdoppelt. Ich gebe zunächst eine Paraphrase des Inhalts und wende mich dann der ersten Hälfte des Proömiums zu, deren Beurteilung für das Verständnis des Gesamtwerks von einiger Bedeutung ist. Das Gedicht beginnt mit einem Gebet an Venus, das sich an die traditionelle Struktur des Götterhymnus anlehnt. Nach einer einleitenden Anrufung (V. 1-5) wird die Macht der Göttin in einer Aretalogie, einer Aufzählung ihrer Leistungen, geschildert (V. 6-20), auf deren Hintergrund das besondere Anliegen des Dichters plausibel wird (V. 21 -43)2. Venus erscheint als Stammutter der Aeneas^Nachkommen, Aeneadwn genetrix, in einem spezifisch römischen Horizont. Aber sie ist als die Nährende, Wachstum Fördernde (V. 2) Zugleich eine universale Gottheit, die überall gegenwärtig ist, wo Leben entsteht. Ihre verwandelnde Kraft spiegelt sich in der Ruhe und dem festlichen Glanz, den Himmel, Erde und Meer ausstrahlen, wenn im Frühjahr die Tiere, gebannt von der Anmut (dem lepos, V. 15) der Venus, dem von ihr ausgelösten Instinkt folgen und sich zur artspezifischen Fortpflanzung wenden. Da nun, wie Lukrez V. 21 -^23 im Rückgriff auf V. 4-5 erklärt, Venus über die Natur gebietet und ohne sie nichts entsteht, nichts gedeihen und liebenswert sein kann, wünscht er sie sich als Partnerin, da er eine Dichtung über die Natur verfassen will, in Versen, die an Memmius, den Günstling der Venus, gerichtet sind. Um so mehr soll sie den Worten des Dichters immerwährende Anmut, aeternum .... leporem (V. 28), verleihen. Und sie soll bewirken, daß die Werke des Krieges über Meere und Länder hin eingeschläfert ruhen. Denn nur sie hat die Macht, die Menschen mit Frieden zu erfreuen, da Mars, der die Kriege lenkt wie Venus die Natur (V. 33/21), sich ihren Reizen unterwirft - in ihrem Schoß liegend zu ihr aufblickt, wie es Lukrez bildhaft darstellt3 - und auf ihre Worte hört. Mit einschmeichelnder Rede möge sie um Frieden für die Römer bitten, kann doch Lukrez in diesen für die Heimat schweren Zeiten nicht mit der nötigen inneren Ruhe dichten und sein Adressat Memmius sich der Sorge um das Gemeinwohl nicht entziehen. Damit endet das Venus-Gebet. Es folgen die Verse 44-49, die identisch in Buch 2 wiederkehren und die epikureische Doktrin einschärfen, daß die Götter in selbstgenügsamer pax den menschlichen Dingen kein Interesse entgegenbringen (und also auch nicht durch Gebete zum Eingreifen in unsere Welt bewogen werden); die Partie wird mit einem unpassenden enim angeschlossen, und die grobe Antithetik 2
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Wenn die Verse 6-20 vielfach als <Parenthese> bezeichnet werden (z. B. von E. Norden, Agnostos Theos, Leipzig 1913, 350), so mag das zur ersten Orientierung angehen, aber es verunklärt den thematischen Zusammenhang zwischen der Beschreibung V. 6-20 und der Bitte V. 29-43 (jeweils 15 Verse), von dem weiter unten die Rede sein wird. Die Anknüpfung von V. 21 an V. 4 wäre eher als zu qualifizieren. Vgl. P. Friedländer, The Epicurean Theology in Lucrerius' First Prooemium (Lucr. L. 44-4.9): Transactions and Proceedings of the American Philol. Ass. 70 (1939) 368 Anrh. 2, und C. Baileys Kommentar (Oxford* 1947) z. St., II 599 f. - Gesuchten Anklang der archaischen Form Mavors an mors vermutet D.E.W. Wormell, The Personal World of Lucrerius, in: D. R. Dudley (Hg.), Lucretius, London 1965,39; vgl. GaJe (wie Anm. 1) 220. *
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zum Venus-Abschnitt spricht für eine - sei es polemische, sei es wohlmeinend-klarstellende - Interpolation4. Mit V. 50 wendet sich Lukrez direkt an Memmius5, um dessen ungeteilte Aufmerksamkeit für die wahre Lehre einzufordernj und im folgenden (V. 54-61) kündigt er die Atomtheorie der Bücher l und 2 an6. Er kommt dann aber nicht gleich zur Sache, sondern läßt mit V. 62, etwas überraschend und abrupt, eine Art zweites Proömium beginnen. Hier wird die befreiende Wirkung von Epikurs Naturphilosophie im Kampf gegen die relighy die den Menschen knechtende Götterfurcht, gefeiert (V. 62-79) und seine Lehre gegen den Vorwurf der Gottlosigkeit verteidigt: frevlerisch und gottlos ist nicht die epikureische Aufklärung, sondern die traditionelle religio, wie eine suggestive Darstellung des Mythos von der Opferung Iphigenies verdeutlicht (V. 80-101). Die Ursache für die irrationale Angst der Menschen, die sie den Drohungen der Priester Glauben schenken läßt und eine vernünftige Lebensplanung durchkreuzt, liegt in der Unkenntnis der Natur der Seele und ihres Schicksals nach dem Tod, da die Annahme einer Weiterexistenz der Seele die Furcht vor ewiger Bestrafung weckt (V. 102-126). Lukrez schaltet hier in V. 127-135 eine zweite Inhaltsangabe ein, diesmal bezogen auf die Bücher 5 und 6 und auf den Nachweis der Sterblichkeit der Seele sowie die Wahrnehmungstheorie in Buch 3 und 4. Dann spricht er von der Schwierigkeit, die griechische Lehre in der terminologisch nicht ausgebildeten lateinischen Sprache zu behandeln, und erklärt seine Unternehmung als Freundschaftsdienst an Memmius, für den er in heiteren Nächten nach der passenden poetischen Form suche, um ihm die res occultae evident vor Augen zu führen (V. 136-145). Mit hartem Übergang greifen die Verse 146-148 auf die zuvor erwähnten Schrecken der religio zurück und binden ihre Überwindung an die epikureische Naturlehre, womit das Proömium ausklingt. David Sedley hat die Partie kürzlich nicht zu Unrecht als «the most hotly and inconclusively debated passage in Lucretius» bezeichnet7. Das wissenschaftliche Interesse, das sich in einer Vielzahl von Untersuchungen dokumentiert8, galt neben textkritischen Problemen vor allem den Fragen nach dem gedanklichen Aufbau des Ganzen und nach der Absicht des Venus-Hymnus. Um die Strukturfrage, mit der sich eine Diskussion darüber verbindet, ob die ursprüngliche Konzeption des Proöms von Lukrez vielleicht nachträglich erweitert wurde, ist es heute eher still geworden, und ich möchte darauf nicht näher eingehen9. Ich 4
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Die alte Kontroverse um die Authentizität der Verse in Buch l — ihre mangelnde Einpassung in den Kontext wäre mit anderen Indizien zu verbinden, die auf das Fehlen einer Schlußredaktion des Werkes hindeuten ist vielleicht nicht definitiv zu entscheiden (für die Echtheit in neuerer Zeit u. a. D. Sedley [vgl. unten Anm. 7] 290 f.; dagegen E. Courtney, Quotation, Interpolation and Transposition: Hermathena 143 [1987] 11 ff.; s. jetzt M. Deufert, Pseudo-Lukrezisches im Lukrez, Berlin/New York 1996,32-40). Doch kann die im folgenden vorgelegte Interpretation die Athetese stützen - Lukrez hat es bewußt vermieden, die Dinge von vornherein klarzustellen (s. unten S. 103). Vgl. auch Gale (wie Anm. 1) 217. Ich lese, faute de mieux, mit Sauppe (und K. Müller, 1975): quod superest, (Memmi), vacuas auris (animumqne) etc. V. 54 geht (gegen Bailey Comm. II 606 u. a.) nicht zwingend auf Buch 5: vgl. l, 151 -155 (H. Diller, Die Prooemien des Lucrez und die Entstehung des lucrezischen Gedichts: Stud. It. Filol. Class. 25 [1951] 28). The Proems of Empedocles and Lucretius: Greek, Roman & Byz. Stud. 30 (1989) 280. Eine Auswahl bei M. Erler, in; H. Flashar (Hg.), Die Philosophie der Antike TV, Basel 1994,469 ff. Die beiden Hälften des Proömiyms zeugen, so gravierende Probleme der Text auch aufwirft, in ihrer wechselseitigen Bczogenheii doch von einer einheitlichen Konzeption (vgl. unten S. 105 f.), und es kann m. E. nur um die Frage gehen, ob innerhalb dieses Gesamtgefüges mit Störungen sei es durch Interpolation (V. 146-148?) oder Versetzung einzelner Versgruppen zu rechnen ist. Sicher verfehlt scheint mir Martins Umstellung der Verse 50-61 hinter 135, der sich, überraschend apodiktisch, neuerdings Erler (wie Anm. 8) 419 anschließt.
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beschränke mich im folgenden auf die Frage, in welchem Sinn sich der Venus-Abschnitt als Vorbereitung der epikureischen Naturphilosophie verstehen läßt. Die vermutliche Interpolation V. 44-49 weist mit der Betonung der Unaffizierbarkeit des Göttlichen auf ein theologisches Problem, das dem Dichter nicht entgangen sein kann. Nach epikureischer Ansicht leben die Götter in der Entrücktheit vollkommener Seelenruhe und haben mit der Mühsal des Irdisch-Menschlichen nichts zu schaffen; jede Einflußnahme auf unsere Welt ist ausgeschlossen. Die Funktion des Götterkultes reduziert sich daher auf den Gewinn, den die Orientierung am Göttlichen für das Selbstverständnis des Ehrenden bedeutet10, ohne daß Gebete und Opfer objektiv etwas bewirken könnten. Auf diesem Hintergrund muß der lukrezische Gebetshymnus überraschen, zumal der Kampf gegen die religio bei Lukrez einen exzeptionellen, das ganze Werk beherrschenden Stellenwert besitzt. Sedley hat das Problem mit dem Aper$u beschrieben, die Form der Eröffnung sei so irreführend, daß den restlichen 7372 Versen des Gedichts nur die Aufgabe zufalle, den Schaden zu heilen, den die ersten 43 Zeilen angerichtet hätten11. Seine eigene Deutung, wonach Lukrez hier an das Proömium des naturphilosophischen Lehrgedichts des von ihm geschätzten Empedokles erinnern und sich selbst als römischen Empedokles einführen wolle12, hat den Nachteil, daß der Anfang des empedokleischen Werkes nicht erhalten ist und die vermutete Reminiszenz zugleich als Leitfaden der Rekonstruktion dienen soll. Darüber hinaus dürften Versuche, das Rätsel auf literarisch-intertextuellem Weg und gleichsam von außen zu lösen, der Individualität der Stelle kaum gerecht werden. Ungeachtet mancher Differenzen im einzelnen sind sich heute so gut wie alle Interpreten darin einig, daß die lukrezische Venus in übertragenem Sinn aufzufassen sei. Es müßte sich dabei um metonymischen Gebrauch, eine nur die Darstellungsebene betreffende Verbildlichung handeln, nicht um eine Allegorese in der Art des stoischen Versuchs, den Gehalt der mythisch-religiösen Tradition als Vorwegnahme der eigenen Lehre zu interpretieren und so zu retten13. Denn eine Entmythologisierung, die Venus zwar als nicht ernst nähme, aber durch das Zugeständnis uneigentlicher Redeweise den Glauben an die Realität des so bezeichneten göttlichen Wirkens legitimierte, wäre mit der epikureischen Theologie unver10
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Zur Integration der Kultes in die epikureische Auffassung der als kontemplativer Angleichung ans göttliche Vorbild vgl. Wolfgang Schmid, Epikur: Reallexikon für Antike und Christenrum 5 (l 961) 730-740. D. Obbink, The Atheism of Epicurus: Greek, Roman & Byz. Stud. 30 (1989) 200 f. - Der reflexive Charakter der epikureischen Religiosität und Theologie ist offenbar nicht (wie vom heutigen Standpunkt aus naheliegend) im Sinn einer Deutung der Götter als bloßer Denkkonstrukte zu verstehen. Die von A. A. Long und D. Sedley (The Hellenistic Philosophers, Cambridge 1987,1144-149) wiederbelebte These, im Unterschied zu späteren Epikureern (z. B. Lukrez) betrachte Epikur selbst die Götter nur als idealisierende Projektionen menschlicher Vortrefflichkeit und Eudaimonie, verträgt sich - so suggestiv sie uns erscheinen mag (s. H. Blumenberg, Höhlenausgänge [stw 1300], Frankfurt/M. 1996, 338) - kaum mit dem Textbefund. Vgl. J. Mansfeld, Aspects of Epicurean Theoiogy: Mnemosyne IV 46 (1993) 172 ff. (wieAnm.7)281f. (wie Anm. 7) 287-294. (Gegen Sedleys [275 f.] Zuweisung von Emp. 31 B 115 an das Proömium von « q>uoeoq> wendet sich P. Kingsley, Empedocles' Two Poems: Hermes 124 [1996] 109 f.) Unabhängig von . ihrer Hauptthese enthält Sedleys Interpretation - anknüpfend ap D. J. Furley, Variations on Themes from Empedocles in Lucretius' Proem: Bulh of the Inst, of Class. Stud. 17 (1970) 55-64 - eine Reihe wichtiger Bemerkungen zum Charakter der Empedokles-Rezeption des Lukrez. Vgl. auch M. J. Edwards, Lucretius', Erapedocles and Epicurean Polemics: diese Zeitschr. -35 (1989) 104-115. Vgl. dazu die erhellenden Ausführungen von G. Müller, Die Darstellung der Kinetik bei Lukrez, Berlin 1959,44 f. ' *
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einbar. Der Epikureer zielt auf die Destruktion des traditionellen Gottesbegriffs und kann nicht an einem Ausgleich mit den falschen Vorstellungen interessiert sein. Er kann allerdings - und das wird im Anschluß wichtig werden -pro formet den.allegorisierenden Standpunkt derer einnehmen, die er bekehren will, um den Leser bei dessen eigenem Vorverständnis zu packen. So ist es z. B. im Proömium des 5. Buchs, das die Leistung Epikurs mit den von Ceres, Bacchus und Hercules gewährten Segnungen vergleicht und nachweist, daß der Philosoph den göttlichen Status weit eher verdiente als die Gestalten des Mythos; der Appell zur Verehrung Epikurs bedient sich, bewußt dialektisch, des traditionellen Kriteriums der göttlichen Pürsorge, um auch dem Fernerstehenden einzuleuchten. Die genuin epikureische Sicht erscheint dagegen am Ende der Magna Mater-Partie in Buch 2 (V. 652 ff.), wo Lukrez die metonymische Verwendung von Namen wie für das Getreide oder für den Wein unter der Voraussetzung gelten läßt, daß die Sprache nicht das Denken verhext und mit schändlicher religio infiziert14; in diesem Passus finden sich übrigens die Verse, die uns im ersten Buch (V. 44—49) als Interpolation begegnen. Nun ist im Falle der Venus allerdings nicht so klar, wofür die Göttin der Liebe und Schönheit eigentlich stehen soll. Früher hat man sie meist als poetische Chiffre des kreativen Naturgeschehens gedeutet, wofür auch noch Sedley eintritt15. Hermann Diels z. B. interpretierte das Gebet als Ausdruck der Hoffnung des Dichters, daß «die schöpferische Naturkraft, die alles in der Welt zur Blüte bringt, wieder einmal den Sieg über die zerstörenden Kräfte der Natur davontrage»16. Heute hat sich dagegen weithin der Ansatz von Bignone und Boyance durchgesetzt, wonach Venus - hommum divumque voluptas, wie sie V. l heißt — vielmehr die Lust oder oder voluptas, d. h. den höchsten Wert der epikureischen Ethik, repräsentiere17. Man verweist dazu u. a. auf den platonischen Philebos, einen Grundtext in der Hedonismus-Diskussion, wo der Name <Aphrodite> als eine Art Pseudonym der Lust figuriert (12 b c), und auf Empedokles, der seine kosmische Urkraft Philotes-Aphrodite auch als bezeichnet (Vorsokr. 31 B 17, 24). Lukrez spricht 2,172 f. von der (dia voluptas) als der , die sich der Werke der Venus bediene, um den Fortbestand des Menschengeschlechts zu sichern. Hier liegt eher eine Differenzierung von Voluptas und Venus vor: das Luststreben erscheint als Motiv der Sexualität18; doch wäre es denkbar, daß der Dichter in den hochgestimmten Anfangsversen beide Aspekte in eins sieht. Folgt man einem Deutungsvorschlag von Elizabeth Asmis19, so will der lukrezische Hymnus einen Gegenentwurf zum stoischen Weltbild vor Augen führen: nicht der stoische Zeus, d. h. der alles beherrschende und deter14
Ähnlich äußert sich Epikur, s. Mansfeld (wie Anm. 10) 177 mit Anra. 10. - Zur Perspektive des 5. Proöms vgl. auch Gale (wie Anm. 1) 34 ff. 79 f. 15 (wie Anm. 7) 281. 16 Lukrezstudien I (1918), in: H. D., Kleine Schriften zur Geschichte der antiken Philosophie, hg. von W. Burkert, Darmstadt 1969,325. 17 E. Bignone, Storia della letteratura latina II, Florenz 1945,437-444 (mit fragwürdiger Aufteilung des kinetischen» und des Lustbegriffs auf die Abschnitte des Hymnus); vgl. Bailey Comm. III 1749 f. - P. Boyance, Lucrece tet l'lipicurisme, Paris 1963, 64-68 (vgl. dens., Lucrece et la poesie: Rev. Jit. Anc.49[1947]99). » Ähnlich wohl 4,1057-1060. 19 Lucrenus' Venus and Stoic Zeus: Hermes 110 (1982) 458-70. Zum Vergleich mit dem Kleanthes-Hymnos (S. 461 ff.) s. auch Verf., Zum Zeusbymnos des Kleanthes, in: P. Steinmetz (Hg.), Beiträge zur hellenistischen Literatur und ihrer Rezeption in Rom (Palingcnesia 28), Stuttgart 1990, 99.
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minierende Logos, sondern die epikureische Aphrodite, die im spontanen Begehren der Lebewesen angezielte Lust, bestimmt die Abl ufe in der Natur und steht f r die Freiheit des Menschen. So verlockend dies scheinen mag, so erheben sich gegen diese und jede andere Spielart des g ngigen Interpretationstypus20 doch einige gravierende Bedenken. Zun chst findet sich im Text kein Signal, das ein esoterisch-epikureisches Verst ndnis und die Annahme einer pr zisen philosophischen Bedeutung der Venus-Gestalt nahelegte21. Der werbende Charakter der lukrezischen Dichtung ist auf einen Rezipientenkreis berechnet, dem die Lehre Epik rs gerade erst erschlossen werden soll, und eiri gebildeter Leser, wie Lukrez ihn voraussetzt, mu die Motive des Hymnus, so wie sie dastehen, auf dem Hintergrund der literarischen Tradition interpretieren. Die Einf hrung von Eros oder Aphrodite als kosmischer Urpotenz, in der sich die Aspekte der Sch nheit und der Kreativit t verbinden, geh rt seit Hesiod zu den Gattungselementen des didaktischen Epos22; ebenso traditionell ist die Rolle der G ttin als Herrin der Tiere, die sich unter ihrem Einflu paaren, wie es u. a. der homerische Aphrodite-Hymnos beschreibt23; und hinzu kommt das Aphrodite-Bild des Mythos, das hier in Gestalt von Ares-Mars unweigerlich heraufbeschworen wird. Lukrez kann diese gewachsene Typologie der G ttin Venus nicht gut im gleichen Atemzug thematisieren und widerrufen wollen. Sein Adressat C. Memmius, der Schwiegersohn Sullas, der es bis zur Praetur brachte und sich nicht scheute, aus Karrieregr nden die politischen Fronten zu wechseln und zum Caesarianer zu werden, hatte mit dem Epikureismus offenbar nicht allzu viel im Sinn; wollte er doch im Jahr 51 Epik rs Haus in Melite niederrei en, um Platz f r einen Neubau zu schaffen24. Dagegen ber hrt der Dichter mit dem Hinweis auf den g ttlichen Beistand f r Memmius V. 26-27 einen sensiblen Punkt, denn Venus war Gentilg ttin 20
Vgl. z. B. G. M ller (wie Anm. 13) 116 f. 120 f. (Venus «eine Metonymie f r die epikureische Philosophie»). B. Effe, Dichtung und Lehre (Zetemata 69), M nchen 1977,72 f. («die personifizierte voluptas» ersetze «die blicherweise im Pro mium angerufene Muse», wobei Lukrez speziell mit dem Eingang von Arats Phainomena konkurriere [Anm. 20]). R. Glei, Erkenntnis als Aphrodisiakum. Poetische und philosophische voluptas bei Lukrez: diese Zeitschr. 38 (1992) 87-94 (der Venushymnus als «das <missing link> zwischen philosophischer und poetischer voluptas [...], insofern sich in Venus [...] die «aphrodisische> Wirkung sowohl der Erkenntnis als auch der Dichtung bildhaft manifestiert»). 21 Gale (wie Anm. 1) 208-23 pl diert denn auch, wie andere vor ihr, f r einen weitherzigen Deutungspluralismus (die Partie «should not be treated s a straightforward allegory which can simply be decoded» [209]; «[...] like the irridescent plumage of doves and peacocks described by the poet in 2.799-807, [the proem] presents quite a different appearence when viewed in different lights» [215]; «The very variety of interpretations which critics have advanced [...] suggests that there is no straightforward ans wer to the question, <What does Venus symbolize?> Instead of attempting one, we should be aware of the interactions between the various meanings of the symboi» [217]; «Venus, then, is a multifaccd figure, symbolizing the onset of spring; the creative forces of nature; pleasure; and natural law liberated from divine rulers» [222]; «Venus and Mars in the proem initiate a great complex of imagery which recurs throughout the poem» [223; vgl. 56 f.]). Ob solche den dogmatischen Ansatz des Gedichts verwischende Mehrdeutigkeit oder <polyvalency> (209) von Lukrez angestrebt sein kann, ist eine Frage, die mit Blick auf das Gesamtwerk erst noch zu kl ren w re; sie wird von der Autorin, soweit ich sehe, nirgends gestellt. 22 Belege bei M, L West, Hesiod. Theogony, Oxford 1966,195. 23 Vgl. Lucr. l, 19-20: omnibus incutiens hlandum per pectora amoretn l efficis nt.cupidegeneratim saeclapro^ pagent, mit Hom. Hymn. 5, 73-74: κοί τοις εν στήΟεοΌΐ βάλ* ΐμερον, οί δ* άμα πάντες Ι σόνδυο κοιμήσανχο κατά σκιόεντσς έναύλους. Ε. Flores, La comppsizionc dell'inno a Venerc di Lucfezio e gli inni omerici ad Afrodite: Vichiana 8 (1979) 237-251. 24 >v Cicero, Ad fam. 13,1.
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der Familie der Memmii, wie die Ikonographie ihrer Münzprägung belegt25. Lukrez mußte hier vorsichtig sein, und es ist wenig wahrscheinlich, daß er sein philosophisches Gewissen durch die Hoffnung zu beruhigen meinte, Memmius werde die Rede von Venus schon auf die Unverbindlichkeit einer poetischen Metapher zu reduzieren wissen. Das gilt noch mehr für den weiteren römischen Kontext des Proömiums26. Im 1. Jahrhundert v. Chr. erhielt die Venus-Religion, ausgehend von Sulla, eine eminent politische Ausrichtung - erinnert sei an die Venus Victrix des Pompeius und besonders an Caesar, der u. a. sich zum (Venere prognatus) erklärte27 und mit dem Aufgreifen der Aeneas-Tradition den Kult der Venus Genetrix als der Stammutter der Gens Julia und des römischen Volkes zum Instrument der Herrschaftsideologie werden ließ. Es scheint mir abwegig anzunehmen, daß Lukrez, wenn er sein Werk mit den Worten Aeneadum genetrix eröffnet und Venus in V. 29 ff. um ein Ende der Unruhen und Konflikte der sich auflösenden Republik angeht, von seinem römischen Publikum ernsthaft erwarte, es werde dabei wie selbstverständlich an die epikureische Lehre von der voluptas oder der Kreativität des Natürlichen denken. Ein adäquateres Verständnis wird die mythische Rede zunächst einmal in ihrem Recht belassen und Venus als Göttin, nicht als blutleere Metonymie ansehen. Mein Interpretationsvorschlag geht dahin, daß der Epikureer das traditionelle religiöse Denken sozusagen beim Wort nimmt, um sich mit dem unbewußten Gehalt dieses Denkens zu verbünden. Mag der hymnische Schwung des Gebets die nüchterne Wirklichkeit römischer Religiosität auch in ein verklärendes Licht rücken, so kann der Autor doch darauf rechnen, daß Venus in den Augen seiner Rezipienten keine poetische Metapher oder schöne Maske für Gedanken darstellt, sondern ist. Seine Absicht bei der Gestaltung des Proöms zeigt sich in der Art und Weise, wie er die Mentalität der konventionellen Religion seinem Anliegen dienstbar macht. In der Venus-Verehrung artikuliert sich etwas, das im praktischen Verhalten der Ehrenden nicht eingelöst ist, etwas, das in die Richtung der epikureischen Philosophie weist und nun von Lukrez zur Einstimmung des Lesers auf die wahre Lehre aktiviert wird. Im Unterschied zur Protreptik und Apologetik der zweiten Hälfte des Proömiums (V. 50-145) greift er im ersten Teil zu einem indirekten Diskurstyp, der die Balance hält zwischen dem für einen Epikureer philosophisch Vertretbaren und der Eingängigkeit des Mythos; das epikureische Weltbild wird dem Leser nicht oktroyiert, es entfaltet sich, gleichsam hypothetisch, aus Prämissen, die im allgemeinen Denken und Empfinden mitgegeben sind28. Die deskriptive 25 26
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Vgl. R. Schilling, La religion romaine de Venus, Paris 1954,271 f. mit Taf. XXIX, l (bei S. 366). C. Koch, Venus: RE VIII A l (1955) 858. Schilling (wie Anm. 25) 267 ff. (zum Lukrez-Hymnus vgl. die lesenswerten, wenngleich etwas diffusen Bemerkungen S. 346-358); ders., Uevolution du culte de Venus sous l'Empire romain, in: R. S., Dans le sillage de Rome, Paris 1988,152 f.; Koch (wie Anm. 25) 860 ff. Cicero, Ad fam. 8,15,2; Sueton, Caes. 6,1. Den Gegenpol zur hier verfochtenen Auffassung bezeichnen Interpretationen, die die Ebenen des Gebets und des mit dem Gebet Gemeinten (d. h. die Rollen des und des Autors) zusammensehen, sei es im Sinn der heute überwundenen These eines inneren Zwiespalts in der Weltdeutung des Dichters und des Philosophen Lukrez, sei es in der Annahme einer beschwichtigenden «Versicherung des Lukrez gegenüber seinen römischen Landsleuten [...], dass er nicht ihren religiösen Gefühlen zu Leibe gehen will». Letzteres ist die Ansicht von K. Kleve (Lukrez und Venus [De rerum natura I, l -49]: Symb. Osl. 41 [1966] 94), der sich zu Recht gegen ein metonymisches Verständnis des Hymnus wendet und dessen wirkungsästhetische Orientierung betont (S. 89 f.). Sein Hinweis auf Epikurs wohlwollend-positive Einschätzung der kultischen Praxis (S. 91-94) bleibt in der Ausblendung des thematischen Aspekts der lukrezischen Darstellung jedoch allzu vordergründig: die Venus des Proömiums ist ersichtlich kein beliebig
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Entfaltung des Venus-Themas ist demnach im Licht ihrer pragmatischen Funktion zu sehen: als Zeichenhandlung29 und Mittel der Verst ndigung stellt sich das Gebet des <Wissenden> auf die Perspektive der zu berzeugenden ein, indem es die Motive der Gegenstandsebene von deren Verst ndnishorizont her w hlt30. Es ist das Recht des Dichters, da Lukrez dabei auf weitl ufige Erkl rungen, die seinen rezeptions sthetischen Ansatz verdeutlichen k nnten, verzichtet. Mit monumentaler <Einfachheit> entwirft er ein Bild von Venus, dessen religi ser Charakter als solcher wirken soll, das nicht auf Entschl sselung einer kalkulierten Metaphorik wartet, sondern den Leser an dessen eigene Intuition erinnert und sie in den Dienst der epikureischen Lehre nimmt. In der Suggestion solcher erweist sich der Gebrauch der traditionellen Hymnenform als die genuin poetische Antwort auf die Paradoxie des , der sein Sinnpotential aus einer Wahrheit bezieht, zu der er hinf hren will31. Lukrez spielt V. 24-25 mit dem Motiv der inspirierenden Muse32, doch ist die dabei sonst bliche Konstellation vermieden: Venus erscheint nicht als die Wissende, die dem Dichter offenbaren m te, wie die Dinge sich in Wahrheit verhalten, sondern sie soll ihm, der die natura rerum darstellen will, in der Weise zur Seite stehen, da sie seinen Worten lepos verleiht (V. 28)33. Das weist zur ck auf die Aretalogie V. 10 ff., wo geschildert wird, wie schrittweise die V gel, die Tiere am Boden und schlie lich die Lebewesen aller Naturbezirke von der Ausstrahlung und dem lepos der Venus ergriffen werden; ein Begehren erf llt sie, durch das die G ttin bewirkt, da Fortpflanzung und Arterhaltung stattfinden (V. 19 ^20). Die Entbindung des Lebens durch Venus ist der Zielpunkt, auf den die Darstellung hinausl uft. Ihr kontrastieren auf Seiten des menschlichen Handelns Krieg und Selbstzerst rung, eine Verleugnung der Natur. Sie ist so fundamental, da Lukrez in V. 29-40 gar nicht erst die Freisetzung der kreativen F higkeiten des Menschen in den Blick nimmt, sondern nur fax, die friedvolle Ruhe, herbeisehnt. Das entspricht dem vorbereitenden Zustand, in dem die Natur nach V. .6-9 Venus bei ihrem Erscheinen begr t. Die Macht der Sch nheit und das faszinierte Begehren, das die G ttin ausl st, werden nicht in der Reaktion der Menschen gespiegelt, sondern, bewu t mythisch, in der ewigen Sehnsucht des Kriegsgottes Mars, dessen selbstvergessene Hing be an Venus das g ttliche -Paradigma der menschlichen Bekehrbarkeit darstellt. gew hltes, austauschbares der konventionellen Religion, vielmehr besteht das Interpretationsproblem eben in der Frage, wie der Schnittpunkt zwischen Venus-Religion und epikureischer Philosophie inhaltlich zu bestimmen ist. Erst von hier aus erh lt die Form des Bittgebets einen vollziehbaren Sinn. 2 * In der Wahl des Terminus folge ich .einem freundlichen Hinweis von Prof. Kuno Lorenz. 30 Die Individualit t des Adressaten Memmius ist im Zusammenhang des Pro miums zwar durchaus von Belang, aber er vertritt zugleich, .wie das im weiteren Verlauf des Gedichts, allgemein den impliziten Lesen. 31 Insofern <erkl rt> in der Tat das ganze Werk den Venus-Anruf (vgl. oben S. 100). 32 Vgl. Lucr. 6,93-95 die Wendung an Calliope>reqMies kommum divumqtie voluptets (die Beziehung zu l, l wird von Glei {wie Anm. 20] 93 m. £. falsch gefa t). Vgl. auch Gale (wie Anm. 1) 153 f.; Erler (wie, Anm. 8)411. 33 hnlich wird im kleinsten der drei homerischen Aphrodite-Hymnen-die G ttin, als Inbegriff des ίμερτόν (10,2.3), aufgefordert δος δ' ίμερόεοσαν άοιδήν (V. 5; Flores [wie Anm. 23] 241). Prof. Ernst A. Schmidt erinnert mich an die gel ufige Assoziation der Chariten mit der Dichtung und speziell an Kallimachos, der Aet. fr. 7, 13-14 Pf. die bittet, auf seinem Werk etwas vom Glanz ihrer λιπώοαι χείρες zu hinterlassen. Zu Αφροδίτη = Χάρις vgl. R. Kannicht, Euripides. Helena,-Heidelberg 1969, II258.
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Denn gewi liegt im Kontrast von Mensch und Natur, wenn man ihn zuende denkt, ein Appell an den Leser, etwas plakativ gesagt: eine Aufforderung zum . Das effice in V. 29, das dem efficis V. 20 antwortet, meint etwas, das die Menschen selbst vollziehen m ssen. Aber Lukrez spricht hier nicht wie an anderen Stellen mit dem Gestus des Missionars und nicht als Ankl ger, sondern er l t seine Sache vom konventionellen Denken selbst f hren, dessen religi se Vorstellungen er gleichsam zitiert, um an ihnen einen Widerspruch zwischen Glauben und Verhalten aufzuweisen. So verkehrt die traditionellen Auffassungen vom Wesen der G tter sein m gen, ins Bild der Venus ist etwas projiziert, das in einem tieferen Sinn richtig ist: in der sch pferischen Natur zeigt sich in der Tat, wie man mit Platon sagen k nnte, ein bewegtes Abbild des G ttlichen, seiner Sch nheit, Dauer und Ruhe34. Die menschliche Sehnsucht nach der Eudaimonie der G tter erf llt sich, wenn berhaupt, nur in Orientierung an diesem Paradigma, dem die destruktiven Kr fte, die im faktischen Verhalten des Menschen zum Einsatz kommen, widersprechen und dem ein anthropozentrisches Naturverst ndnis zuwiderl uft. Epikur, hei t es im Referat bei Cicero (De fin. l, 71), habe auf die Stimme der Natur geh rt und sie verstanden. Lukrez l t in der Kulturentstehungslehre des 5. Buchs die Ambivalenz des zivilisatorischen Fortschritts, insofern dieser eine Entfremdung von der Natur einschlie t, deutlich werden. Er erkl rt dabei den Ursprung der Religion V. 1161 ff. u. a. mit der Existenz der είδωλα oder simulacra, der zarten Abbilder, die sich nach epikureischer Lehre von den Dingen und auch von den G ttern l sen und sie erkennbar werden lassen; sie wurden jedoch von den Menschen der Fr hzeit in ihrer Not und Ausgesetztheit mi deutet35. Die M glichkeit der Gotteserkenntnis ist f r den Epikureer in der Eidola-Theorie mitgegeben, auch wenn die natura deorum, wie Lukrez sagt (5, 148-155), in ihrer schwebenden Geistigkeit sich allein der inneren Anschauung mitteilt (animi vix mente videturf6. So beruft sich Epikur in seinem Brief an Menoikeus (§ 123) auf eine allgemeine Vorstellung (κοινή νόησις) von Gott und erkl rt: «Es gibt G tter, denn ihre Erkenntnis ist sinnf llig. Sie sind aber nicht so, wie die Menge meint, die ihre Gottesauffassung nicht konsequent durchh lt»37. Lukrez sieht im traditionellen Bild von Venus einen Schimmer der Erfahrung des G ttlichen, aber er sieht auch die Wirkungslosigkeit, in der dieser richtige Vorbegriff beim unaufgekl rten Menschen verharrt. Im Pro mium des 6. Buchs sagt er (V. 75-78), die falsche Vorstellung vom G ttlichen verhindere, da man die Tempel der G tter aufsuche und f r die Eindr cke ihrer Eidola empf nglich sei, womit der Mensch sich den Weg zum Gl ck, den das Dasein der G tter vorzeichnet, selbst versperrt. Das erste Pro mium weist in seinen beiden H lften auf den inneren Zusammenhang zwischen Krieg und Religion, und es ist wohl nicht falsch, in dem dezidiert r mischen Akzent der Anfangsverse eine kritische Bezugnahme auf das 34
Zur neueren Diskussion des ethischen Aspekts sthetischer Naturbetrachtung s. M. Seel, Eine sthetik der Natur (stw 1231), Frankfurt/M. 1996, der jedoch auf Epikur oder Lukrez nicht eingeht. Vgl. M. Hossenfelder, Epikur, M nchen 1991, 149 ff. 35 Vgl. G. M ller, Die fehlende Theologie im Lucreztext, in: Monumentum Chiloniense (Festschr. E. Burck), Amsterdam 1975,280. * Die G tter sind λόγφ θεωρητοί (SchoL zu Epikur KD 1; Cicero, De nat. deor. l, 49 [non sensu sed mente}). Vgl. u. a. D. Lemke, Die Theologie Epikurs (Zetemata 57), M nchen 1973,34-41; Mansfeld (wie Anm. 10) 203 ff. 37 θεοί μεν yctp doiv· εναργής γαρ αυτών εστίν ή γνωσις. οίους δ' αυτούς <οί) πολλοί νομίζουοιν, ουκ είρίν· ου γαρ φυλάττουοιν αυτούς οίους νοοοοιν.
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Selbstverst ndnis der R mer, auch gerade von M nnern wie Memmius oder Caesar, zu erkennen38. Aber es ist eine protreptisch-werbende Kritik, die den Sinn der folgenden Naturlehre verdeutlicht. Denn nur ein Verst ndnis der Naturvorg nge, das die Natur sowohl in ihrer Heiligkeit wie in ihrer Freiheit von g ttlicher Herrschaft erfa t, kann einen vern nftigen Zugang zu den G ttern selbst er ffnen. Wenn Lukrez in V. 28 von Venus aetemum leporem <ewige Anmut> f r sein Werk erbit^ tet, erkl rt er die Sch nheit und Kreativit t des Nat rlichen zum sthetischen Prinzip seiner eigenen, die Natur abbildenden Darstellung39. Die richtige Intuition, die in der Chiffre zum Ausdruck kommt, l t sich entbinden und fruchtbar machen, wenn der Leser sich vom lepos der epikureischen Dichtung so bannen und f hren l t, wie er die Natur vom lepos der Venus bestimmt sieht. In der Bereitschaft, sich auf die Theorie der Natur einzulassen, ist die berwindung der Gegenkr fte schon angelegt. Lukrez versteht -^ vielleicht mit gesuchtem Anklang an Pindar40 -> die Dichtung als ein Medium, das die ersehnte pax stiftet und die Ungunst der Zeiten bezwingt, die V. 41 -43 als Hindernis f r die Arbeit des Dichters und die Teilnahme seines Adressaten erscheint. Denn Lukrez dichtet eben doch, in , wie er sagt (V. 142), und fordert Memmius auf, ihm ein offenes Ohr zu leihen und den Sinn fern aller Sorgen der wahren Lehre zuzuwenden (V 50-51). Ich schlie e mit einem St ck Wirkungsgeschichte4'1. Friedriclj der Gr e bemerkte im Siebenj hrigen Krieg, kurz nach der Schlacht von Zorndorf, zu seinem Vorleser Heinrich de Catt: «Um mich ein wenig von meinen tr ben Gedanken abzulenken, lese ich meinen Freund Lukrez, und ich spreche wie er: <M chtige Venus, die du den grausamen Gott des Krieges in deinen Armen h ltst [...], o r hre gn dig sein Herz, da die Schrecken des Krieges endlich der Milde des Friedens weichen, den das preu ische Volk ersehnt nach soviel N ten; da sein fahrender Ritter nach seinem Potsdam heimkehren.und hier in den Armen der Philosophie einer Ruhe genie en kann, die er entbehrt seit ach so langer Zeit ...> Das ist meine neue Gebetsformel [...]. Nun sagen Sie noch^ mein Lieber, ich sei nicht fromm und ich bete nicht und ich sei sehr in Gefahr, eines Tages zum mindesten ein bi chen ger stet zu werden!»
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VgLLucr. 3,995-1002. Zur Parallelisierung sprachlicher und physikalischer Strukturen bei Lukrez vgl. die von Erler (wie Anm. 8) 442 f. angef hrte Literatur. 40 Die Bitte V. 29-30, effice ut intereafera moenera militiai... sopita quiescant, erinnert an den Preis der χρυοέα φόρμιγξ, der bes nftigenden Macht der apollinischen Musik, im Eingang der ersten Pythie: tfcil γαρ βιατάς "Αρης, τραχεΐαν ανευθε λιπών έγχέων άκμάν, ϊαίνει καρδίαν κώματι, κί[λα δε και δαιμόνων θέλγει φρένας άμφί τε Λατοίδα σοφίςι βαθυκόλπων ιέ Μοισαν (V. 10-12). <> Wolfgang Schmid, Lukrez und der Wandel seines B des: diese Zeitschr. 2<1946) 195. 39
WOLF-LÜDER LIEBERMANN Methoden der Dichterinterpretation das Beispiel der <sympotischen Dichtung> des Horaz (unter besonderer Berücksichtigung von carm. l, II)1
Für Richard Kannicht zum 5.10.1996 Die beste Methode ist, nach einem bekannten Wort, sehr intelligent zu sein. Das ist ein gelungenes Bonmot geradezu Nietzschescher Qualität, doch ließe sich mit Sokrates erwidern: wir fragen nicht nach Voraussetzungen und Bedingungen, sondern nach der Sache selbst. Was ist also Methode? «Ein nach Sache und Ziel planmäßiges [...] Verfahren», «speziell das Charakteristikum für wissenschaftliches Vorgehen», so belehrt uns ein renommiertes Nachschlagewerk2. Das ist ein gewaltiger Anspruch - zumal, wenn es dann noch heißt: «Entsprechend geht eine Methodenlehre [...] jeder Wissenschaft voraus» - und dazu ein vielschichtiger. Denn «Sache» und «Ziel» wollen im Falle der Literaturwissenschaft doch wohl heißen: «Text» und «Verstehen». Was aber ist ein Text, und was heißt Verstehen? Jeder, der sich auch nur ein wenig mit derartigen Fragen befaßt oder auch nur ansatzweise den damit verknüpften Schwierigkeiten nachgedacht hat, vermag die abgründige Problematik zu ermessen. Theoretisch-systematische Erörterungen sollen aber nicht im Vordergrund stehen, ich will mich vielmehr einer kritischen Betrachtung der philologischen Praxis zuwenden. Dabei werde ich mich an der <sympotischen> Dichtung des Horaz orientieren und im wesentlichen auf carm. l, 11 konzentrieren3: l Tu ne quaesieris, scire nefas, quem mihi, quem tibi finem di dederint, Leuconoe, nee Babylonios temptaris numeros. ut melius, quidquid erit, pati. seu pluris hiemes seu tribuit luppiter ultimam, 5 quae nunc oppositis debilitat pumicibus märe lyrrhenum: sapias, vina liques, et spatio brevi spem longam reseces; dum loquimur, fugerit invida aetas: carpe diem quam minimum credula postero.
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Ursprünglich als Vortrag konzipiert, der im Rahmen des Zweiten Kontakttages
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Am Anfang hat ein schlichtes Textverständnis zu stehen, in linguistischer Terminologie: die Erfassung von Syntax und Semantik. Eine angeredete Person, das Mädchen Leuconoe, wird aufgefordert, nicht auf die Zukunft zu sinnen, sich nicht in der Astrologie zu versuchen, denn es sei besser, hinzunehmen, was Zeit und Schicksal bringen. Dann folgt das positive Gegenstück: sei vernünftig, kläre den Wein und beschränke die Hoffnung auf die Gegenwart, kurzum: carpe diem und vertraue möglichst wenig dem folgenden Tag. Insoweit scheint alles so klar und einfach zu sein, daß Pasquali, Wilkinson, Wili, Fraenkel oder Commager das kleine Gedicht in ihren Horazbüchern überhaupt nicht oder nur am Rande behandeln. Doch stellt sich sofort die Frage: Was ist eigentlich die zentrale Aussage des Gedichts? Ist es die Aufforderung zum Trinken? Ist es Reflexion über die richtige Lebenseinstellung? Ist es vielleicht sogar etwas ganz anderes, nämlich Liebeswerbung? Auch blieb die mittlere Partie, das Naturbild des an die Küste anbrandenden Meeres, einstweilen ausgespart. Probleme zeigen sich schon im elementaren Verständnisbereich, sobald man genauer zusieht -und zwar gleich am Anfang. Was heißt quaesieris* Heißt es «frage nicht» oder «forsche nicht», und - damit zusammenhängend - was meint finem? Mit anderen Worten: Hat Leuconoe an das sprechende Ich die Frage gerichtet, welchen finis die Götter gesetzt haben, oder befaßt sich Leuconoe mit diesem Problem und fordert dieses sprechende Ich sie auf, davon abzulassen? Oder ist das Ganze präventiv zu verstehen, ohne daß eine Vorausliegende Handlung Leuconoes überhaupt impliziert wäre? Daß wir (auf semantischer Ebene) an eine konkrete Situation zu denken haben (ob fiktiv oder nicht-fiktiv, ist eine andere Frage), dürfte die Formulierung ne quaesiens nahelegend Aber das hilft - leider — in der hier anstehenden Problematik nicht weiter. Und worauf bezieht sich finis: auf den Tod, das Lebensende - oder etwa auf das Ende einer Liebesbeziehung? Ziehen wir die Kommentare zu Rat: Kießling/Heinze: <«Forsche nicht ängstlich, Leukonoe, wie langes Leben uns beiden noch beschieden sei: denke nicht an die Zukunft, sondern genieße das Heute!> [...] Verbot und Geheiß [also], um ein ängstliches Mädchen zur Vernunft zu bringen» (55). "Leitend für dieses Verständnis ist die Parallele carm. l, 9, 9 ff.: permitte divis cetera und qtiid sitfutumm cras.f^ge quaerere. Methodisch gesehen ist dies der naheliegende Versuch, Horaz durch Horaz zu erklären. Er ist um so legitimer, als carm. l, 11 als Bestandteil eines publizierten Textcorpus vorliegt, was für uns Leser eine ünhintergehbare Tatsache darstellt. Wir sind nun einmal mit diesem Textcorpus konfrontiert, das das ist alle Spekulationen über die Enstehungsbedirigungen der Einzelgedichte müssen dahinter 4
J. B. Hofmann/A. Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik (= Leumann/Hofmann/Szantyr, Lat. Grammatik II), München 1965, 337; R. Kühner/C. Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache II/l, Darmstadt 1971 (= Hannover 19122, mit Zusätzen und Berichtigungen von A. Thierfelder), 189: «in aoristischem Sinne», «momentane oder punktuelle Aktionsart», was freilich nur für das Altlatein gelte; vgl. auch F. Thomas, Recherches sur le subjonctiv latin, Paris 1938, 113 ff. Wenn H. Arnmann, Die ältesten Formen des Prohibitivsatzes im Griechischen und Lateinischen^ IF. 45, 1927, 328-344, hier 341 - s. auch 342 f. - recht hat, der allerdings nur das altlateinische (= plautinische) Material· untersucht, dann wäre der Formulierung das präventive Moment zu entnehmen (nicht «inhibierend-korrektiv»). Weiteres bei H. Pinkster, Tempus, Aspects and Aktionsart in Latin (Recent trends 1961-1981), ANRW II 29.1, Berlin/New York 1983, 270-319, hier 298 f. (mit Lit.) und Id., Lateinische Syntax und Semantik, Tübingen 1988, 304. - Vgl. carm. 1; 18, 1: nuUam, Vare, sacra vite prius severis arhorem (nach ' ... ..., Alkaios 332 L.-P. = 97 D.); anders carm. 2, 11,3 f.: remittasquaerere. Das Material bei G. Ebeling, De imperativi usu Horatiano» Gymn. Progr. Wernigerode 1871.
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zurücktreten. Und da ist nun carm. l, 9 tatsächlich das erste Gedicht, in dem die sympotische Thematik ausführlicher zur Sprache kommt5. Sie ist hier eingebunden in ein Wintergedicht. Ausgehend von dem beschreibenden und - ganz im Gegensatz zur alkäischen Vorlage - schon sprachlich-stilistisch die Reflexion einführenden Vides nt alta stet nive candidum Soracte, gelangt Horaz hier zu dem die empfohlene Reaktion enthaltenden Imperativ: dissolve frigus, zünde Feuer an und hol den Wein hervor. Außen und Innen werden konfrontiert, das Außen wird der Fürsorge der Götter überlassen, und in diesem Zusammenhang heißt es: qnid sitfuturum aras,fuge quaerere - eine allgemeine Maxime, die keineswegs situationsgebunden ist, denn die Situation ist durch die einleitende Winterszenerie festgelegt. Ja, zwischen gegenwärtigem Winter und der Zukunft gibt es sogar eine logische Spannung. Während die Bedrängnis durch die Gegenwart des Winters geradezu durch das Bedenken der Zukunft bewältigt wird, durch den Verweis nämlich auf das Walten der Götter, auf die Naturordnung - daß auf Regen Sonnenschein folgt, ist ein alter, in diesen Zusammenhängen immer wieder herangezogener Gedanke -, wird jetzt dazu aufgefordert, die Zukunft Zukunft sein zu lassen und sich der Gegenwart zuzuwenden und sie zu nutzen - und das heißt, so lange man jung ist, zu tanzen und sich der Liebe hinzugeben. Die Gemeinsamkeit zwischen Winter und Zukunft besteht in ihrer Unabänderlichkeit, darin, daß beide dem Menschen unverfügbar sind. Freilich gilt es, gegen die Bedrängnis durch beide Vorsorge zu treffen, durch entsprechende Maßnahmen: Feuer und Wein im einen Fall, durch die Hinwendung zur erfüllten Gegenwart, zum nunc der Liebe im anderen. Die Bereiche des Draußen und Drinnen sind damit in die des Fernen und Nahen übergeleitet6. Carm. l, 9 kann also den grundsätzlichen inneren Zusammenhang von Wein, Liebe und philosophischer Lebensreflexion lehren, genauer: deren Einbindung in diese. Das heißt aber noch nicht, daß die Analogie als umfassende Parallele mißzuverstehen wäre. Was hier methodisch zur Debatte steht, ist angemessener Gebrauch und Mißbrauch von Parallelstellen. Eine Differenz war ja schon aufgefallen: dem allgemeinen fuge quaerere von carm. l, 9 (das dort durch adpone - nee sperrte fortgesetzt wird) kontrastiert in carm. l, 11 das punktuelle ne quaesieris> doch die Unterschiede reichen weiter. Beachtet man sie nicht sorgfältig, so ergeben sich Konsequenzen, wie sie bei Kießling/Heinze sich zeigen. Die Übertragung des Modells von den Bereichen, die menschlicher Beeinflussung entzogen oder zugänglich sind - mit einer gewissen, offensichtlich unbewußten Verschiebung, denn die Alternative lautet nicht mehr: zugänglich oder nicht zugänglich, sondern sinnvoll und erfolgversprechend zugänglich oder nicht -, hat kaum erträgliche Folgen: «In anderen Gedichten ähnlichen Inhalts ruft H. Männer, denen Politik und Erwerb im Sinne liegen, von den Geschäften weg zum Becher [das sind die kontrastierenden Lebensbereiche], beim Mädchen nimmt die Sorge um die Zukunft andre Gestalt an. Die astrologischen Grillen der Leuconoe sind ein Zug aus dem Leben der Zeit» (56). Wie Maecenas und andere also etwa aus dem Bereich der Politik zum BecHer gerufen werden, so Leuconoe aus dem der Astrologie; denn das ist die sie erfüllende und ausfüllende Tätigkeit. Maecenas als Politiker ist von vornherein pkusibel, Leuconoe als Hobby-Astrologin oder doch Astrologiegläubige soll uns offensichtlich als zeittypisches Phänomen schmackhaft gemacht werden. Beider «Tätigkeiten werden unter'dern Aspekt der Zukunftssorge gefaßt. Das Gedicht wird damit 5 6
Bereits in carm. l, 4 und carm. l, 6 klingt die Thematik an, einmal in lebensphilosophischem, dann in poetologischem Kontext; s. auch carm. l, 7. Dies wird in carm. 2,11 in das geographisch und das zeitlich Ferne differenziert.
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der Kategorie zugeordnet, in einer beachtlichen Konsequenz, die sich im Kommentar von Kießling/Heinze allenthalben beobachten läßt: Carm. l, l gibt bekanntlich die Selbstvorstellung des Horaz - richtiger: die Vorstellung des Lyrikers im Rahmen eines Spektrums möglicher und denkbarer Lebensformen -, das Schlußgedicht des 1. Buches Persicos odi, puer, adparatus ist nach Kießling/Heinze nichts als eine Illustration zu einer Partie der Einleitungsode (a.a.O. 159). Daß quaerere dann «forschen» heißt und finis das Lebensende meint, ist zwangsläufige Folge. Was spricht gegen diese Auffassung? Sieht man einmal von dem allgemeinen, dem common sense zu verdankenden Unbehagen7 bezüglich der astrologischen Grillen der Leuconoe ab, so ist es die genaue Beachtung des Textes von carm. l, 11 selbst: «Beschäftige dich jetzt nicht mit Zukunftserforschung, sondern sei vernünftig, kläre den Wein und beschränke deine Hoffnung auf einen kurzen Zeitraum» - das wäre zwar einigermaßen nichtssagend, aber immerhin logisch möglich. Entscheidend ist aber die Außerachtlassung von quem mihi, quem tibi / finem di dederint. Hier kommt das sprechende Ich ins Spiel, das heißt, es geht nicht um eine beliebige oder auch für sie konsumtive Beschäftigung Leuconoes, sondern um eine, die einen Bezug zu diesem Ich aufweist8. Angesichts der Tatsache, daß die Liebe bereits in carm. I, 9 integraler Bestandteil war, liegt nichts näher, als an eine Liebesbeziehung zu denken. Tatsächlich kommen auch Kießling/Heinze nicht daran vorbei, «daß [bei v. 1/2] Liebe im Spiel ist» (56). Die Bemerkung bleibt andeutungsvoll dunkel. Es ist kaum eine Frage, daß im G es am t gedieht «Liebe im Spiel» ist9: auffällig schon, daß die Aufforderung zum Trinken an ein Mädchen gerichtet ist, und wenn sich carpe diem an ein solches richtet, dann ist die Ermunterung zur Liebe die nächstliegende Interpretation - das ist in der Forschung, mit entsprechenden Belegen, längst herausgearbeitet worden10. Die Frage ist nur, ob die faktisch vorhandenen oder befürchteten Hindernisse, die das sprechende Ich auf der Gegenseite zu überwinden hat, die falsche Einstellung, die in eine richtige übergeleitet werden soll, bereits eine Einstellung zur Liebe ist. Franz Kühn hat in einer leider hur im Typoskript veröffentlichten subtilen Heidelberger Dissertation des Jahres 1973 den Versuch unternommen, nicht nur die erotischen Momente in carm. l, 11 zu bestätigen, sondern das Gedicht als erotisches Gedicht.stricto sensu zu erweisen11. Das bedeutet, daß Leuconoes vorausgesetztes Verhalten12 nicht allgemein habituell ist, sondern eine bestimmte Liebeshaltung verrät, kurzum: Leuconoe habe Horaz gefragt (quaerere!), wie es mit ihnen weitergehen soll, ob er sie immer lieben und ihr die 7
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Das Unbehagen bleibt trotz Nisbet/Hubbard I 135 f., Montanari Galdini 24 ff. (mit weiterer Lit.). Anth. Pal. 11,23 ist nicht heranzuziehen, aber auch nicht Horaz, carm. 2,17 oder Properz 4,1. West, Ödes 150 erinnert daran, daß das Lateinische «would have been written without commas». Daß dieser Aspekt ganz ausgespart bleibt, hat Seltenheitswert: s. Perelli 30 ff; vgl. auch D*Anna 113, Anm. 16. West, Reading Horace 64 (s. Id., Ödes 150 ff.); vgi. Nisbet/Hubbard l 135, wo dies aber heruntergespielt wird: «hints of a love-interest which, though not conspicuous, may have been more prominent in Horacc's models», s. auch a.a.O. 141 f.: «carpe [...] might suggest to Horace's readers the words of a serious and austere philosopher. [.,.] in Horace one still finds something of the austerc scepticism of Epicurus himself».. Das Defizit, eine Hierarchisierung der beiden Elemente vorzunehmen und damit einen inneren, logisch verträglichen Zusammenhang herzustellen, drängt sich geradezu auf. Nach Anderson handelt es sich um ein Verführungsgedicht («macho philosophy», 121); Erren 173: «ein' leise zu singendes Animierlied». Mit der Möglichkeit, daß die Aufforderung präventiv gemeint sein könnte, rechnet Kühn überhaupt nicht; vgl. auch West, Reading Horace 64; Id., Ödes l 50. *
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Treue halten wolle (finisl). Sie repräsentiere also eine «elegische Liebeshaltung». Horaz weiche aus und bewege «sich mit seinen Worten auf eine Unterweisung in epikureischer Lebens- und Liebesauffassung hin» (156), er verkünde eine «antielegische Liebesmoral» (156b). Wenn ich auch nicht mit Kuhns Deutungsvorschlägen übereinstimme, so ist unter methodischem Gesichtspunkt doch interessant, daß diese Interpretation im Zeichen eines «besser und voller Verstehens» steht, daß es sich hier um «das Gedicht erst eigentlich konturierende Züge» handelt (a.a.O.). Der «verstehende Leser» ist «zur Ergänzung» aufgefordert, und diese Ergänzung stützt sich nun weniger auf die horazischen gedanklichen und thematischen Parallelen als auf den stringenten Zusammenhang des Gedichts selbst. Aus einem Gedicht der Lebens wähl ist eines der Lieb es wähl geworden, die Aufforderung zum Trinken ist eine Aufforderung zu einer bestimmten Liebesform. Im Rahmen dieser Interpretation und des sie stützenden Argumentationsgangs spielt nun ein methodisches Vorgehen eine Rolle, das ich eigens hervorheben möchte, die Forderung nämlich, daß auch die verwendeten Bilder sich dem Gesamtzusammenhang zu fügen haben, daß ihnen - zumeist symbolisch - sinnkonstituierende Funktion eignet13. In carrri. l, 11, 4-6 ist das Bild vom Winter gebraucht, welcher das tyrrhenische Meer durch den Widerstand der Felsen ermattet. Dabei ist auffällig, daß nicht das ständige Anbranden des Wassers den Fels aushöhlt, sondern umgekehrt der Fels die Gewalt des Wassers schwächt. Um so erstaunlicher ist es, daß nicht von cantes die Rede ist, sondern von pumex, jeder Art von vulkanischem Gestein, dessen Charakteristikum gerade darin besteht, daß es porös ist14. Wieder impliziert die Verständnisleistung des Interpreten ein Supplieren, um so mehr, als die Funktion des Bildes argumentativ im Text nicht explizit gemacht wird — bleibt nur die Frage, nach welchen Kriterien. Eine Möglichkeit wäre - und dies gibt Gelegenheit, eine dritte Grundposition einzuführen -, auf die Realitätstendenzen des Horaz zu rekurrieren. Man kann beobachten, daß märe Tyrrbenum ein Realitätsindikator ist, und dann eben darauf hinweisen, daß Vulkangestein sich an der italienischen Westküste findet15. Es läge also eine realistische Beschreibung vor, die ihrerseits poetologisch sinnvoll zu verorten ist, wenn man von einem Horazbild ausgeht, wonach der Dichter vorrangig damit befaßt gewesen sei, als Traditionalist und Klassizist griechische Gedichte und Gedichtmotive zu bearbeiten, seine einzige Qualität darin bestehe, neben der gelegentlichen Komprimierung und Konzentration des Ausdrucks diese in die römische Wirklichkeit seiner eigenen Zeit zu übertragen16. Dann wird nicht nur die Astrologiegläubigkeit zu einem positiven realitatsabbildenden Merkmal, sondern auch der Vulkanfelsen. Ich will vorsichtshalber darauf hinweisen, daß es sich hier nicht um Konkretisierung im Dienste einer Aussage und eines Anliegens - das ist ein differierendes Interpretationsmodell -, sondern um Konkretisierung als Selbstzweck bzw. als poetischästhetischen Eigenwert handelt. Die noch so getreu wiedergegebene Realität darf das Bild aber nicht sinnlos machen. Die Lösung: Horaz kommt es nicht auf die Härte des Felsens an, sondern auf den «langsamen und stetigen Prozeß der durch die ständige Interaktion von Fels und Meer bedingten 13 J4
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Programmatisch so auch Perelli, Kaum überzeugend ist die Vermutung von West, Ödes 151, es handele sich um «the waves endlessly rolling back miliions of these paper-light pebbles with a sound something between a grind and a roar and a rustle äs they absorb the energy of the mighty sea». West, Ödes l 50 f. denkt speziell an den Golf von Neapel (möglicher Besuch in der Villa des Philodem!). So etwa die Konzeption in dem Kommentar von Nisbet/Hubbard.
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Erosion»17. Was bedeutet dies aber innerhalb der Gedichtaussage? Antwort: einen vom Dichter nicht explizit formulierten, von dem Leser aber zu supplierenden Kontrast zwischen den langandauernden «conflicts of nature» und der Kürze menschlichen Lebens und Glücks18. Etwas ratlos, so will mir scheinen, steht man vor dieser Lösung. Der Gedanke ist zweifelsohne schön - soll, muß man ihn akzeptieren? Mit welcher Begründung? Die Autoren bleiben die Antwort schuldig. Sie bieten eine Suggestivlösung, hoffen vielleicht auf so etwas wie das Evidenzprinzip. Bei einigem Nachdenken aber lassen sich wohl Gründe eruieren, die zu dieser Lösung geführt haben mögen19: 1. Zeidichkeit und Vergänglichkeit sind Themen des Gedichts; sie werden offensichtlich auf das Bild übertragen. Als Einwand ist jedoch zu formulieren: der Kontrast von Natur und Mensch unter dem Aspekt der Zeitlichkeit ist ein zusätzliches Element, das ausschließlich aus der erst zu rechtfertigenden Deutung des Bildes gewonnen wird. 2. Maßgebend scheint eine in der Literatur immer wieder herangezogene Lukrezparallele zu sein (l, 325 ff.), wo die Atomlehre exemplifiziert und veranschaulicht wird: im Laufe der Jahre wird der Ring am Finger dünner, tropfenweises Fallen des Wassers höhlt den Stein, die Straßendecken werden durch die Tritte der Passanten abgerieben - und so werden die Felsen vom Salz des Meeres zerfressen (saxa peresa), unmerklich, aber beständig im Laufe langer Zeit. Wir sind hier mit dem äußerst verwickelten Problem der <arte allusiva>, der Möglichkeiten von Zitat, Anspielung, Reminiszenz, imitatio konfrontiert, das noch einer wirklich systematischen Behandlung harrt und auf das ich nicht weiter eingehen kann. Ich will nur im Kontext unseres Themas bemerken, daß die von mir vermutete Rolle der Lukrezstelle unmittelbare Folge des skizzierten Interpretätionskonzepts von Nisbet/Hubbard ist: Horaz stellt ein Konglomerat diverser literarischer Vorlagen dar, die er evoziert und die dann bedenkenlos, für die Horazdeutung herangezogen werden können. Daß'die angebliche Lukrezparallele aber keine Parallele ist, ergibt sich - abgesehen davon, daß sie einen ganz anderen Skopos hat - schon daraus, daß von einem debilitare des Meers hier weit und breit nichts zu finden ist. Entsprechend bleibt dieses Moment in der Horazinterpretation von Nisbet/Hubbard auch weitgehend vernachlässigt (es überlebt nur in der funktionslosen Formulierung von den «conflicts of nature»). 3. Man wird daran denken dürfen, daß der Kontrast von Zeitlichkeit der Natur und des Menschen durchaus eine horazisehe Vorstellung ist - ich verweise nur auf das Frühjahrsgedicht im vierten Buch, carm. 4, 7: Diffugere nives. Dort heißt es (v. 13 ff.): der Mond nimmt ab, aber auch wieder zu; sobald wir aber gestorben sind, sind wir bloßer Staub und Schatten20. Doch erneut ist Einspruch zu erheben. Was hier thematisiert wird, ist die 17 18
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Nisbet/Hubbard 1140. Ebenso West, Ödes I 50, erweitert um die Komponente: «the vast energy of elemental forces against the impotence of human bejngs»; eine Sammlung von «purposes» bei Arkins 260 f. ' Freilich wäre anzumerken, daß, was in einem literarischen Werk einen Vorzug darstellen kann, in einem wissenschaftlichen nicht zulässig ist: das Erfordernis, Leerstellen zu füllen. So lange die Argumente nicht explizit gemacht werden, lassen sie sich auch nicht kritisch überprüfen. Ganz ähnlich Catull 5,4 ff.: Sonnen können untergehen und wiederkehren; wir aber müssen, sobald einmal unser kurzes Lebenslicht erloschen ist, eine immerwährende Nacht schlafen (zur literarischen Tradition, in der das Motiv steht: H. P. Syndikus, Catull I, Darmstadt 1984, 93 ff.).
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Endgültigkeit des menschlichen Todes - gegenüber dem Wiederaufleben der Natur. Rasche Vergänglichkeit kennzeichnet beide Bereiche in paralleler Weise, nur deshalb kann ja im gleichen Gedicht der Wechsel der Jahreszeiten dem Menschen die Endlichkeit bewußt machen: nicht auf Unsterblichkeit zu hoffen, dazu mahnt das Jahr - inmortalia ne speres, monet annus (v. 7)21. Schlägt man nochmals Kießling/Heinze auf, so sind dort die bei Nisbet/Hubbard ins Leere gehenden «conflicts of nature» ernst genommen, sie werden geradezu zum Entscheidenden: «die Vorstellung der Wetterunbilden draußen [dient] dazu, die Mahnung zu häuslicher Lebensfreude zu verstärken» (57). Daß das ganz im Lichte von carm. l, 9 (daneben natürlich epod. 13) gesehen ist, verwundert schon nicht mehr, wird auch von Kießling/Heinze eigens bestätigt. Doch wie läßt sich die Opposition Draußen/Drinnen in carm. l, 11 integrieren, das sich zwischen den Polen Zukunft, Gegenwart, Zukunft bewegt? Zeitlichkeit bildet die Struktur des Gedichts — was könnte carpe diem in einem DraußenDrinnen-Denkmodell bedeuten? Die räumliche Opposition bildete einen überschießenden Fremdkörper in unserem Gedicht, auch hier handelt es sich um eine unzulässige, nur scheinbare Parallele. Kühn sucht nun, wie angedeutet, präzis und erschöpfend die Einzelzüge des durch seine zentrale Stellung bereits hervorgehobenen Naturbilds argumentativ und sinntragend auszuwerten. Zunächst nimmt er die Ambivalenz des porösen pumex einerseits, der aber andererseits das anbrandende Meer debilitat, ernst. Zweitens sieht er Parallelität zwischen Naturgeschehen und Menschenwelt. Drittens aber beruft er sich darauf, daß das den Fels aushöhlende Wasser in die Liebesmetaphorik gehöre (bei Lukrez, Tibull, Horaz, Ovid), wobei gerade der Fels häufig für die spröde Geliebte stehe22. Horaz wolle Leuconoe also sagen, daß ihre Spröde und ihr Widerstand sinnlos sind, aus zweierlei Gründen: zum einen schwächten sie nur seine Liebe, zum anderen sei ihre Haltung doch schon durchlöchert wie ein pumex. Diese fast allegorische Deutung, die ich aus Gründen einer Methodik herangezogen habe, die strikt alle Einzelzüge im Sinne einer stimmigen Aussage des Einzelgedichts bedeutungsmäßig zu befrachten sucht, wird man kaum akzeptieren wollen. Fragt man sich, warum, würde ich zwei Schwächen benennen: 1. Die spezifische symbolische Verwendung des Naturbilds stellt eine durch nichts gerechtfertigte petitio principii dar, die aus anderen expliziten Kontexten isolierend gewonnen ist. 2. Das Ergebnis, die Konkurrenz einer elegischen und einer antielegisch-epikureischen Liebeshaltung und Liebesmoral entspricht jedenfalls nach meinem Dafürhalten nicht der horazischen Liebesvorstellung - das wäre im Einzelnen zu zeigen, was hier nicht geleistet werden kann23. Jedenfalls ist die Forderung zu erheben, daß sich Interpretation und Verständnis des Einzelgedichts am Werkganzen ausweisen müßten. 21 22 23
Dieselbe Vorstellung liegt auch der Sestiusode carm. 1,4 zugrunde, wobei der Kontrast zwischen Natur und Mensch ganz ausgeblendet ist. Ausführliche Stellensammlung schon bei A. 5. Pease, Publi Vergili Aeneidos über quartus, Darmstadt 1967 (= Nachdr. von 1935), 315 ff. zu Aen. 4,366. Nur so viel (s. auch u. S. 118 ff.): Horazische Liebe figuriert im Rahmen eines lebensphilosophischen Konzepts und weist damit über sich hinaus. Daraus erklärt sich wohl nicht zuletzt die von Wili 167 f. gemachte Beobachtung, daß im Gegensatz zu dem aus der Wirkungsgeschichte zu gewinnenden Eindruck der Anteil der Liebesdichtung im engeren Sinn bei Horaz relativ gering ist, auch daß sie unter den in den vertretenen Gattungen die «schwerstverstandliche» sei (ygl dazu auch B. Arkins, The cruel joke of Venus: Horace äs love poet, im Rudd, Hg., Horacc 2000: A celebration 106-119, hier 106 f.). Horazische Liebe ist gewiß nicht mit epikureischer Liebe gleichzusetzen. Um den Unterschied zu ermessen»
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So viel sollte deutlich geworden sein: schon das syntaktisch-semantische Verständnis eines scheinbar so einfachen Gedichts wie carm. 1,11 stellt ein verwickeltes, aber auch reizvolles Geschäft dar. Darüber hinaus zeigte sich, daß es bereits auf diesem Sektor nicht ohne methodische Vorgriffe abgeht. Und ich denke, es muß unsere Aufgabe sein, uns diese Vorgriffe und Verstehensvoraussetzungen bewußt zu machen. Es würde das Gespräch erleichtern, auch mancher wissenschaftliche Streit würde sich erübrigen, weil sich, zeigte, daß gänzlich unterschiedliche, zumeist verdeckt bleibende Prämissen dafür verantwortlich zu machen sind. Es würde sich wohl außerdem zeigen, daß imdüf chschaute Prämissen leicht und beliebig durch andere ersetzt werden, ohne daß man dessen inne wird - und wie wäre es auch anders möglich, denn alles Undurchschaute überfällt uns unversehens vom Rücken her. Das ist es* was die moderne Hermeneutik unermüdlich ins Gedächtnis zu rufen unternommen hat. Die Verständnisprämissen, die uns bislang begegnet sind, sind - vereinfachend gesagt folgende: 1. Kießling/Heinze: Das horazische Textcorpus ist ein geschlossenes Ganzes, Horaz folglich aus Horaz zu verstehen; Homogenisierungstendenzen sind dabei nicht zu übersehen, dank ihrer wird unser Gedicht zu einem Gedicht der Lebenswahl. Das sympotische Element wird zu einem Teil der zu wählenden epikureischen, gegenwartsbezogenen Lebensform. Heterogene, aus anderen Horazgedichten stammende Bestandteile wie die Opposition Draußen/Drinnen werden in Kauf genommen bzw. kumulativ gedeutet. Der Einheit des Textcorpus kommt - zugespitzt formuliert — Vorrang vor der Einheit des Einzelgedichts zu. Ob diese Einheit textautonom oder als autorbedingte, also produktionsästhetische Einheit verstanden ist, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. 2. Nisbet/Hubbard: Da das horazische Werk als Synthese der voraufliegenden literarischen Tradition (der uns bekannten wie der verlorengegangenen, häufig nur postulierten) gefaßt wird, erfährt das für das Verständnis heranzuziehende Textcorpus eine gewaltige Ausweitung. Semantische Relikte jetzt nicht mehr aus anderen Horazgedichten, sondern aus der sonstigen literarischen Tradition zeigten sich. Daß Horaz von ernsten und betrübenden braucht man nur Lukrez 4, 1058 ff. heranzuziehen, wo zu erfahren ist, was Aufklärung und Desillusionierung in diesem Bereich heißt. Auch mit dem Antielegischen hat es seine Schwierigkeiten (dazu schon Pöschl, z. B. Horazische Lyrik 26 ff.j 366 ff.). Fides ist bei Horaz auch in der Liebe ein durchaus positiv besetzter Begriff (es ist ein Irrtum von Kießling/Heinze 68, carm. l, 13 als Ausnahme einzustufen). Selbst die im Tibullgedicht carrn. l, 33 läßt sich nicht für eine Liebesaüffassung geltend machen, sie zeigt vielmehr die Harte, mit der Venus Liebespaare zusammenbindet, anders formuliert: Intensität, Okkupation und Unerreichbarkeit für andere. Daß aus dieser Überlegung Tröstung für einen Fall der Uesafides (v. l ff.) hergeleitet werden kann, darf nicht dahingehend mißverstanden werden, als sei die Verletzung a&rfides selber bedeutungslos und nicht Gegenstand berechtigter Klage. Es zeigt sich vielmehr eine Parallelität zum Verhalten angesichts des Todes. In carm. l, 24 wird der grenzenlosen Klage um einen teuren Toten ihr volles Recht zugestanden, doch dann gilt: sed levius fit patientia quidquid corrigere est nefas (v. 19 f.). Worum es geht, ist der Umgang mit unabänderlichen Gegebenheiten (freilich eröffnen sich für Liebesbeziehungen und Liebesformen realistische Alternativen, nicht aber für die Endgültigkcit des Tods) - und eben hier liegt der Unterschied zur Elegie. Die analoge und vergleichbare Weise des Umgangs mit. Liebe und Tod hat nun tatsächlich ihr Gegenstück bei Lukrez, doch wiederum mit charakteristischer Abweichung: Lukrez stellt sich in geradezu brutaler Radikalität der Wirklichkeit, die entlarvende Desillusionierung sowohl im Falle der Liebe als auch im Falle des Todes und der Vergänglichkeit soll den Menschen instandsetzen, sich den Realitäten des Lebens offenen Auges zu stellen und nüchtern Konsequenzen daraus zu ziehen. Horaz dagegen-begegnet den Phänomenen Liebe und Tod mit geduldiger, gelassener Hinnahme.
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Dingen wegruft - das sei nachgetragen -, wird jetzt nicht mit carm. l, 9, sondern mit der vorgängigen literarischen Tradition begründet24. Das Spezifische der horazischen Dichtung und zugleich ihre ästhetische Qualität liegt in der Konkretisierung, d. h. im wesentlichen der Einbeziehung römischer Lebenswirklichkeit, was zu Anschaulichkeit, Energie und Frische führt25 - es sei noch einmal betont: rein ästhetischen Qualitäten, die nicht semantisch ausgewertet werden26. Horaz ist ein Artist, der in geschickter Weise (für unser Gedicht wird es zugestanden, für andere bestritten) literarische Topoi behandelt. Hier ist geradezu ein Partpour-Fart-Standpunkt vorausgesetzt, der Literatur als ein in sich geschlossenes System zu begreifen sucht. Man könnte auch formulieren: Horaz als Kallimacheer. 3. Die durch Franz Kühn repräsentierte Position gibt dem Verständnis des Einzelgedichts und seiner inneren Geschlossenheit die Priorität, jedenfalls der Intention nach. Kaum nötig zu sagen, daß dabei die sog. textimmanente Betrachtungsweise zugrundeliegt, wie sie verstärkt nach dem zweiten Weltkrieg gepflegt und namentlich von Friedrich Klingner in die Klassische Philologie eingeführt wurde und dort bei dessen Schülern und Enkelschülern nachhaltigen Einfluß geübt hat. Es zeigte sich aber, daß die Einlösung dieser Intention eine Illusion ist. Verstehen, gerade literarisches Verstehen setzt die Interaktion des Rezipienten voraus — am deutlichsten und nachhaltigsten bei der Füllung von Leerstellen —, und hier läßt das Einzelgedicht notwendigerweise seinen Leser im Stich. Worauf kann er rekurrieren? Auf den common sense wird man sagen, d. h. aber nichts anderes als auf die Erfahrungen seiner eigenen Lebenswelt oder auf allgemeine literarische Erfahrungen. Da wird der historisch 24 25
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Obwohl fast nur horazische Gedichte zitiert werden und zitiert werden können! Wenn Becker, der «die gemeinsame Mitte» (15) des horazischen Epistelbuches in der ethischen Thematik findet, am Rande bemerkt, daß aus einer Darstellung des vertun atque decens in allgemeiner Weise «niemals Dichtungen geworden wären» (46), so scheint für ihn das Spezifische von Dichtung ebenfalls in Konkretheit und Anschaulichkeit zu liegen (vgl. u. Anm. 54, s. auch u. Anm. 57). Ähnlich - jedenfalls partiell - wohl auch die Meinung von Syndikus 1129 ff., wenn es auch gerade in diesem Kommentar, der schöne Beobachtungen und vor allem Materialreichtum aufweist, so gut wie niemals möglich ist, eine präzise Position ausfindig zu machen, geschweige denn einen methodischen Standort zu bestimmen: Horaz gibt epikureischen Aussagen durch Konkretisierung eine «sinnlich greifbare Form», seine «Dichtersprache» ist dem «lebendigen und sinnenhaften Ausdruck» verpflichtet («Symbolkraft»). Die Schaffung «einer ganz bestimmten Sprechsituation» («Geste lebendigen Sprechens») hat aber auch die Funktion, «das Gegenüberstehen und die menschliche Beziehung fühlbar» zu machen, dem «mahnenden Sprechen der Ode [wird] erst die menschliche Wärme» gegeben. Wundern kann man sich, daß trotz «lebhafte[r] Sprechsituation» eine «abgewogene[.] Ordnung und gegenseitige^] Beziehung der Einzelelemente» vorliegt, doch wohl nur, wenn man jene nicht in ihrer textimmanenten Funktion, sondern als Realitätsabbildung versteht. Wenn dann der «nüchterne[.] Realitätssinn des Horaz» beschworen wird, haben wir es mit einer biographisch-autorspezifischen ausdrucksfunktionalen Kategorie zu tun. Dann aber kommt in v. 4 - 6 «dadurch, daß [...] gegenwärtigste Anschauung ausgebreitet wird, [...] ein neues Element in das Gedicht». Hier wird nun Anschaulichkeit und Konkretheit (zutreffend) in einer für die Aussage bedeutsamen Funktion gefaßt, im Sinn der Hinwendung zur Gegenwart. («Im Hintergrund dieser horazischen Denkfigur» - was auch immer das heißen mag - steht dann allerdings die literarische Tradition, wie ja «Ängste der Zeitgenossen» und auch problemlos zusammengehen, geradezu identisch zu sein scheinen.) Freilich ist die «konkrete Situation» nur «angedeutet», der Dichter wendet sich wieder «ins Allgemeine». Die Hinwendung zur konkreten Situation erscheint jetzt dem Dichter als «zu angespannt und drängend [...], als daß dabei eine wirklich glückliche Stimmung aufkommen könnte» (bei wem?). Aber Horaz unterscheidet sich von Epikur nicht nur «in der äußeren Gestaltung», sondern es liegt eine «andere Gestimmtheit> vor. Die Mahnungen sind «dringender, das Problem scheint ihn auch persönlich noch zu bedrängen»; «die Mahnung, der Aufruf an den Nächsten, ist gleichzeitig an sich selbst gerichtet» (dazu fügt sich, daß in sät. 2,6,95-97 «die etwas vulgär vorgebrachte Lebensregel» ihm «noch nicht sehr am Herzen lag»).
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geschulte Philologe vorsichtig sein27 - so sieht er sich wieder auf antike Texte verwiesen, aber nun u. U. in einer nicht mehr kontrollierten, regelgeleiteten Weise. Konnotationen, Symbole, Allegorien nehmen überhand, und genau das scheint letztlich auch bei Kuhns vergleichsweise behutsamem und der «power of implication»28 widerstehendem Ansatz der Fall zu sein, unter dem Druck - einem vielleicht zu starken Druck - einer geforderten bedeutungsmäßigen Aufladung bis in alle Einzelzüge hinein. Voraussetzung ist die Vorstellung eines raffinierten, in sich gesättigten autarken Kunstgebildes, dessen Autarkie aber vielmehr Isolation ist, die nur zu Mißverständnissen Anlaß geben kann. An dieser Stelle sei, schon um der Orientierung willen, ein eigener Interpretationsvorschlag vorgestellt: Leuconoe wird in der Form des - negierten - Imperativs vom sprechenden Ich verboten, sich fragend oder forschend mit der Zukunft der beiden zu befassen, die vorrangig ihr Liebesverhältnis betrifft. Begründung: scire nefas. Der lateinische Begriff nefas deckt Sollen und Können zugleich ab29, das ist bezeichnend und für antikes Denken grundlegend (in der Neuzeit wird dies unter dem Etikett «naturalistischer Fehlschluß» diskutiert). Die Zukunft zu kennen, ist unmöglich und daher untersagt30. Wir befinden uns also von vornherein in einem philosophisch-reflektierenden Argumentationsgang. Das bedeutet aber auch, daß das Verhalten Leuconoes unter prinzipiellem Aspekt gesehen ist, ihre astrologischen Bemühungen sind nur das Mittel, dessen sie sich bedient, sie sind sekundär, stehen daher auch nur an zweiter Stelle, mit nee angeschlossen. Zukunftssorge ist das Thema und nicht Astrologie. Insofern ist es kaum gerechtfertigt, von astrologischen Grillen der Leuconoe zu sprechen, als würde hier überhaupt auf eine Charakterisierung des Mädchens abgezielt. Die Imperativische Handlungsanweisung ergibt sich aus der Einsicht in menschliche Erkenntnismöglichkeiten und -zulässigkeiten (scire nefas). Das ist ein in sich geschlossener Gedanke, der an sich keiner Ergänzung bedarf. Was leistet dann das folgende ut melius, quidquid ent, pati? Offensichtlich zweierlei: Erstens wird - abgesehen von der banalen Tatsache der Umformulierung ins Positive - die Imperativische Handlungsanweisung in ein Werturteil übergeleitet: es ist besser, hinzunehmen und sich nicht zu sorgen, d. h., das ausgesprochene Verbot wird auf einen Urteilsakt, auf eine Einsicht zurückgeführt - das ist ein innerhalb des moralphilosophischen Diskurses ganz übliches Verfahren: tue das und das nicht, denn es ist besser usf. Zweitens aber wird diese Einsicht in der Form eines emphatischen 27 28
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Die grundsätzliche hermeneutische Problematik will ich aussparen. Nach dem Titel der Abhandlung von Francis Cairns zu carm. l» 20, in: Author and audience in Latin literature, hg. T. Woodman/J. Powell, Cambridge Univ. Press 1992, 84- 9. Vgl. carm. l, 24,20, auch carm. 3,29,29-32 (erläutert durch carm. 2,16,25 f.; 4,11,29-31; s. auch Romano 524; die Ausführungen von G. Vogf(-Spira), Einladung ins Rettungsboot, AU 26/3,1983,36-60, hier 47 f. zu carm. 3,29 sind kaum überzeugend). -Übersetzungen wie «Frevel» (Kytzler) oder gar «Sünde» (Färber, Weeber) sind irreführend, Andersons Verständnis des Gedichts (s. o. Anm. 11) ist weitgehend durch die Auffassung von nefas als «sin» (121) bestimmt; zutreffend dagegen Menge: «die Erkenntnis ist [...] versagt». Zumeist wird dies unter dem Gesichtepunkt der für den Menschen erörtert; vgl. Cicero, De dSv..2, 22 f., mit den weiteren Belegen bei A. S. Pease, M. Tulli Ciceronis de divinatione libri duo (zuerst University of Illinois Studies in Language and Literature 6,1920,161-500; 8,1923, 153-474), Darmstadt. 1973, bes. 383; vgl. auch Montanari Caldini. - Unberührt davon bleibt die Frage, wie der für die Antike gültige naturalistische Fehlschluß seinerseits zu begründen ist. Im Rahmen eines Weltbilds (das für die Antike vorauszusetzen ist, wie schon der normative w sie daher -* der Mensch kann die Zukunft nicht kennen -» der Mensch soll die Zukunft nicht kennen.
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Ausrufs vorgetragen, dessen Funktion darin besteht, um den Partner zu werben - dieser soll die Einsicht akzeptieren. Die Sprechhaltung bzw. der Sprechakt hat sich verändert - vom Imperativ zum Appell, und dies im Zeichen reflektierender Rationalität3*. Eingewirkt auf ein Gegenüber wird nach wie vor, allerdings mit veränderten Mitteln. Die Beliebigkeit des quidquid wird im folgenden durch seu — seu wiederaufgenommen32, nur daß damit eine Konkretisierung einhergeht. Fragt man nach deren Funktion, so scheint sie semantischer Art zu sein. Daß der Zukunft sich zuzuwenden aufgrund der condition humaine sinnlos ist, es gar nicht erst zu versuchen und sie einfach hinzunehmen, besser ist, das ist der Stand der Dinge am Ende von v. 3. Die Folgerung daraus, die bisher noch nicht Thema war, setzt mit v. 4 ein: die Hinwendung zur Gegenwart, und zwar allmählich und schrittweise: das allgemeine quidquid - in einem seinerseits allgemeinen, geradezu philosophischen Lehrsatz plaziert - wird auf den konkreten und gegenwärtigen Fall der beiden Liebenden übertragen, wobei die Gegenwärtigkeit ständig zunimmt: seu pluris biemes, dann aber nach dem Gesetz der wachsenden Glieder: seu tribuit luppiter ultimam, / quae nunc oppositis debilitat pumidbus märe / Tyrrhenum. Nicht umsonst tritt hier nun das bezeichnende nunc auf - wie auch das Tyrrhenermeer, dessen Konkretisierungspotential also ebenfalls nicht ästhetisch, sondern semantisch auszuwerten ist. Doch ist ein Weiteres impliziert: das Bedrängende der Vergänglichkeit — denn die Offenheit der Zukunft entschwindet immer mehr, verengt sich zum letzten Winter, der jetzt da ist. Die Zukunft ist unsicher, nicht nur im Sinne ihrer Erkennbarkeit, sondern auch im Sinne ihrer Existenz. Damit dürfte auch die Aussagekraft des oben diskutierten Bildes geklärt sein: allein um die Vergänglichkeit scheint es zu gehen, um das Schwach- und Kraftloswerden im Bereich des Menschen wie der Natur—mit dem Unterschied freilich, daß der Mensch ganz im Gegensatz zur Natur die rechte Position gewinnend und aktiv handelnd schaffen und <Widerstand> leisten kann. Das Fazit formuliert die Reihe: sapias, vina liques und spatio brevi/ spem longam reseces. Dabei ist offenbar sapias den beiden anderen Aufforderungen vorgeordnet, sie sind Folge und Ausdruck des sapere. Sapias wird man, trotz der umgangssprachlichen Verwendung in der Komödie, im horazischen Kpntext als eine Ermahnung zur sapientia auffassen wollen33, dafür spricht die aufgezeigte Struktur des Gedichts, die Hinführung zum einzig Vernünftigen - und der sonstige Sprachgebrauch des Horaz bestätigt es34. Rationalität wird als Endzweck gefordert: sie zeigt sich darin, die Hoffnung auf das Heute zu beschränken. Das leuchtet ohne weiteres ein; und bisher waren wir ja tatsächlich nur auf das angewiesen, was man gesunden Menschenverstand nennen könnte - doch ließ sich alles auch aus Horaz verifizieren. Rationalität zeigt sich aber auch darin, den Wein zu klären. Hier stutzt man. Das Klären des Weins ist Vorbereitung für das Trinken des Weins, also nur ein indirekter, gekünstelter Ausdruck für die Aufforderung zu trinken? Wir befin31
Vergleichbares zeigt sich in carm. l, 4, wo sich aus dem feststellenden nunc decet (v. 9, 11) die Anrede an Sestius ergibt (v. 14 ff.). 32 Das impliziert nicht, daß der Textherstellung von Shackleton Bailey (o. Anm. 3) zu folgen wäre (überzeugend Syndikus 1132). 35 Die Verwahrung dagegen, daß «Horaz dem Mädchen ausdrücklich die Befolgung der philosophischen Lehre [welcher eigentlich?] nahelegte», heißt ja noch nicht, dem sapias «ein allzu großes Gewicht zu geben» (Syndikus 1132, Anm. 13). Es geht um die horazische sapientia, die eine allgemein-menschliche und nachvollziehbsre, eine lebensphilosophische sapientia (Vernünftigkeit) ist, leicht aber auch durch philosophische Lehrsysteme fundiert werden kann; vgl bereits sät. l, 4, 115 ff. Wie gleitend der Übergang ist, zeigt das 1. Epistelbuch. * Vgl. etwa carm. l, 7,17.
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den uns in einem Gedicht, das von Vergänglichkeit und der Problematik der Zukunft handelt, das den angemessenen Umgang mit der Zeit vermitteln will - das Trinken als eine Ausdrucksform oder auch als ein Symbol des rechten Gebrauchs der Gegenwart ist dem ohne weiteres zu integrieren, da hilft schon flüchtige Horazkenntnis. Gemeinhin wurde auch so verstanden. Genauere Horazkenntnis kann aber weiterhelfen. In sät. 2,4,51 ff. werden nämlich zwei Methoden, den Wein trinkfertig zu machen, unterschieden35: a) ihn der klaren Nachtluft auszusetzen, wodurch er verbessert und bekömmlicher wird; b) das Schnellverfahren des Filterns durch ein Leinentuch anzuwenden, was freilich den Geschmack beeinträchtigt. Offenbar ist letzteres in carm. l, 11 gemeint, denn alles kommt angesichts der Ungewißheit der Zukunft auf die rasche Nutzung des Augenblicks an, dessen Kostbarkeit wichtiger ist als die Kostbarkeit des Weins - schon dies ein Indiz dafür, daß es nicht um das Weintrinken als solches geht36. Die Flüchtigkeit der Zeit verdichtet sich noch weiter: dum loquimwr, fugerit / invida aetas. Der Sprechende wie die Angesprochene sind davon betroffen. Pflücke den Tag - wie einen reifen Apfel, wie Porphyrio erläutert - oder wie eine rasch verwelkende Blume, wie eine bekannte Variante des Motivs lautet. Das ist das abschließende positive Pendant zum negativen Imperativ des Anfangs (die Hinzufügung des quam minimum credula postero macht dies ausdrücklich). Was hat aber die Lebensmaxime, die der Autor aus der Haltung des überlegen Wissenden heraus vorträgt, mit Liebe und Wein zu tun? Die Antwort liegt nahe: die Liebe ist ein menschliches Betätigungsfeld, auf dem diese umfassende prinzipielle, philosophisch fundierte Einsicht und Lebenshaltung ihre Anwendung findet - und ebenso das Weintrinken. Macht man das Gedicht zu einem Liebesgedicht, so stellt man die Dinge auf den Kopf - an ein Weingedicht wird man ohnehin nicht denken. Es ist nichts anderes als Applikation einer Lebensphilosophie - wie das für alle anderen Erscheinungsformen horazischer Dichtung auch gilt -, und nur in diesem Sinne kann es als eine Philosophie der Liebe und eine Philosophie des Weins bezeichnet werden. Horaz hat ein Thema, geradezu ein einziges Thema37. In carm. l, 7 heißt es: andere preisen das strahlende Rhodos, Mytilene, Ephesos oder andere berühmte griechische Städte - ich aber bin innerlich ergriffen (percussus) vom Anio und der anmutigen Landschaft Tiburs. Der Leser erwartet, daß der Dichter jetzt das stille Glück Tiburs preist - was aber gibt er im Folgenden? Die Antwort kann nur lauten: Philosophie. Vom Wechsel von Glück und Unglück redet er, von der sapientia, Trauer und Sorge durch Weingenuß zu beenden. Das ist ein unübersehbarer Hinweis, was horazische Dichtung ist: Lehre und Programm, die gerade nicht durch Stimmungen und Empfindungen des Autors bedingt sind, keinesfalls als deren Ausdruck mißverstanden werden dürfen. In carm. l, 6, einem reof54ftb<-Gedicht, definiert Horaz seine Lyrik: nos convivia, nosproelia virginum ... cantamus, sympotische und erotische Dichtung als Gegenprogramm zum blutrünstigen, von Zorn und Unerbittlichkeit geprägten Epos und zur grimmen Tragödie, das ist Bekenntnis zur Lebensform des Zivilisierten und Kultivierten, Bekenntnis aber wieder nicht als Ausdruck einer individuel35
Vgl.Nisbet/HubbardI141. Als Kontrast können Weinlieder des Alkaios dienen, wo der Wein .ganz praktisch als Heilmittel gegen äußere und innere .Bedrängnis eingesetzt wird, bis dahin, daß offenbar Qualität und Beschaffenheit des Weins eine wichtige Rolle spielen, vgl. 358 und 369 L.-P. (= 102 und 100 D.). * Selbst die bilden da keine Ausnahme.'Auch hier wird durch die Eröffnung einer Gegenwelt (vgl. etwa carm. 3, l, 47 f.), deren mentale Integration in die offizielle Ideologie reklamiert wird (carm. 3,4), eine Philosophie der Lebcnsgestaltung entworfen.
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len Disposition, sondern offenbar als allgemeines und verallgemeinerungsfähiges Programm, wird doch eigens hinzugefügt, daß die eigene Verliebtheit irrelevant sei. Angesichts der Fülle der Aspekte, die mit der sympotischen Dichtung verknüpft sind, beschränke ich mich auf den Hinweis, daß die durch das Trinken repräsentierte Lebensform all die Züge aufweist, die Merkmal des horazischen Lebensprogramms sind: Hinwendung zum Naheliegenden und Verfügbaren und Befreiung von den lastenden Sorgen, aber auch Heiterkeit und humane Gelassenheit, frei von jedem Zwang, die die Atmosphäre zu philosophischem Gespräch schaffen (sät. 2, 6, 67 ff.), Einfachheit und Bescheidenheit (carm. l, 20), Freundschaft, Milde und Friedfertigkeit (carm. l, 27). Denn die zu ergreifende Gegenwart ist keine beliebige, sondern eine in ganz bestimmter Weise zu gestaltende Gegenwart. Von daher ist carm. l, 11 zu ergänzen, in dem ja ausschließlich auf den Aspekt der Eile abgehoben zu sein scheint - wiederum aus sonstiger Horazkenntnis, die ein Mißverständnis zu verhindern geeignet ist35. Am besten ließe sich das an carm. l, 18 verdeutlichen. Der Wein eröffnet und repräsentiert einen Gegenbereich zu militia undpauperies (genau der militia, die Horaz auch in der Ablehnung des panegyrischen Epos ausgeschlossen hatte)39, nämlich den des Bacchuspater, der sogleich als modicus Liber, an anderer Stelle als verecundus Bacchus expliziert wird, und den der decens Venus. Dringlich wird vor der Grenzüberschreitung gewarnt: sinnloses Trinken — wie es Barbarenart ist — führt nur zu Streit und Brutalität, zur Nichtunterscheidbarkeit von fas und nefas, zu saevitia und Blindheit, zu Überheblichkeit und zur Verletzung der fides. Dieser Wertekanon bestimmt aber nicht nur das Symposion, sondern er durchdringt auch die horazische Vorstellung von Liebe und Freundschaft, vom Umgang mit dem Göttlichen, von dem Wesen der Dichtung, ja sogar von den biographischen und geographischen Gegebenheiten, die in die horazische Dichtung Eingang finden; man braucht nur an das Sabinum zu erinnern oder an carm. 2, 6, wo die Lebenswahl, die Entscheidung für eine bestimmte Lebensform sich in der Wahl des Wohnsitzes niederschlägt: kein Ort in der Ferne40, sondern das nahe und friedliche Tibur oder das milde und glückliche Tarent41. Signifikant ist schon, daß in carm. l, 18 selbst Tibur mit mite solum Tiburis umschrieben wird, vollends deutlich aber wird es, wenn man die rahmenden Gedichte miteinbezieht: carm. l, 16 grenzt sich Horaz von den tristes irae ab, die ganze Städte zerstört haben, und bekennt sich zu den mitia, der einzigen Form einer vernünftigen Lebenshaltung, in carm. l, 19 distanziert er sich von der saevitia der Venus und sucht diese unter anderem durch ein Weinopfer milder (lenior) zu stimmen. Das Gedicht carm. l, 17 aber enthält in konzentriertester Form das ganze Arsenal der grundlegenden Vorstellungen: zunächst das Sabinergut, ein lieblicher Ort (amoenus) mit mildem, gemäßigtem Klima, von dem alles Extreme ausgeschlossen ist, zugleich ein mit Farben der 38
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Willkommene Bestätigung erfährt das durch Görler 53 ff., der das Punkmeile («der Situation verhaftet») festhält, aber auch das Moment des umsichtigen Auskostens («indem man geduldig eine Freude nach der anderen » - «daß er [sc. Horaz] ruhig und entschieden auf die Gegenwart und ihre Fülle verweist») herausarbeitet, was er schon aufgrund des sprachlichen Befunds zeigen zu können meint. Carm, 3,21,19 f. kann nicht als Einwand, sondern geradezu als Bestätigung dienen. Thema ist die Abwehr der militum arma, die der Wein^ermöglicht, indem er Selbstzutrauen und Mut verleiht. Daß dies ein entscheidendes Element ist, zeigt der Kontrast zu den Einleitungsversen 1-4. Die Gründung Tiburs durch «argivische Kolonisten» (v. 5) unterstreicht die Bewegung vom Fernen zum Nahen, zugleich hebt sie das Moment der Kultivierung hervor. Auch das Stichwort militia kehrt wieder (v. 8). VgL episL l, 7,44 f.: parvum parva decent: mihi iam non regia Roma, / sed vacuum Tiburplacet aut inbelle Tarentum.
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goldenen Zeit gezeichneter Ort göttlichen Schutzes und göttlicher Fürsorge, des Friedens und der Furchtlosigkeit bei Tier und Mensch, ohne bedrohliche Schlangen und martialische Wölfe. Dieser Bereich wird aber erst in dem Augenblick konstituiert, da Lied und Dichtung erklingen. Es handelt sich also durchaus nicht um die Deskription eines Landstrichs und seiner geographischen Besonderheiten, sondern die Landschaft - und das heißt nichts anderes als ein Lebensbereich als Ausdruck einer gewählten bzw. zu wählenden Lebensform kommferst durch Dichtung zustande. Der göttliche Schutz (di me tuentur) ist Folge der pietas, und diese wiederum Wesen der Dichtung (dispietas mea / et mtisa cordi est). Fülle und Reichtum herrschen, und du, so heißt es dort, wirst die «Becher unschuldigen Lesbierweins» trinken42. Daß der Lesbierwein zugleich auf die lesbische Dichtung des Horaz anspielt, ist allgemeine Meinung - sie wird durch die Gesamtaussage des Gedichts gestützt. Hier ist auch nicht die protervitas eines unbeherrschten eifersüchtigen Liebhabers zu furchten, der dem Mädchen, der Schwächeren, Gewalt antut. Eingeladen in diesen Bereich, d.. h. aufgefordert, diese Lebensform zu teilen und zu übernehmen, wird Tyndaris. Man hat sich gewundert, daß von einer Liebe des Horaz zu dieser nirgends die Rede ist. Der Grund liegt nicht im Alter des Dichters, sondern: es geht nicht um seine Liebe, sondern um Lebensphilosophie. Und das Symposion ist ein integraler Bestandteil dessen43. Streng genommen verbietet es sich daher überhaupt, von sympotischen Gedichten, Liebesgedichten, Einladungsgedichten, politischen und poetologischen Gedichten, Freundschaftsgedichten, Frühlingsgedichten bei Horaz zu sprechen. Der Zugang wird dadurch nur verstellt44.
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Kampf und Streit sind erneut ausgeschlossen. Was innocens heißt, wird in carm. l, 18 erläutert. Umgekehrt fällt auf die dort genannte paiiperies, die beim Symposion kein Thema sein kann, von carm. l, 17 aus helles Licht. Es wäre völlig abwegig, an die frühe Armut des Horaz zu denken; vgl. carm. 3,21, 18, epist. l, 5,20, Weiteres bei Nisbet/Hubbard 1231. 43 Im Hinblick auf eine umfassendere Bestimmung der <sympotischen Dichtung> will ich nur das Folgende ^herausheben: Horazische sympotische Dichtung dient der Feier der Gegenwart und des Augenblicks in Abgrenzung gegen eine dunkle, überwundene Vergangenheit oder in vorsorgender Abgrenzung gegen eine bedrohliche Zukunft (dazu Murray), zu der auch eine falsch gelebte, zukunftsorientierte Gegenwart gehört. Für Ersteres stehen paradigmatisch <Willkommgedichte» wie carm. l, 36, carm. 2,7, carm. 3,14. Carm. 1.36 und carm. 2, 7 thematisieren die Rückkehr aus Ferne und Fremde (Hesperia [...] ab ultima, carm. l, 36,4) und die Wiederherstellung der zeitweise gestörten natürlichen, einzig sinnvollen, von Freundschaft geprägten Lebensform (carm. 2,7 schließt nach der schicksalsbedingten Entzweiung in me und te - v. 13,15 - mit recepto [...] amico). Im Zeichen dessen steht am Anfang (carm. 2, 7,6 ff.) wie am Ende (carm. 2, 7,19 ff.) das Symposion. Feier der Heimkehr (des Augustus) ist auch carm. 3,14, aber gerade hier werden offizielle und horazische kontrastiert, was sich präzis in der Anrede dokumentiert: Horaz wendet sich von derplebs (und indirekt von Augustus) ab und dem/wer (und indirekt Neaera) zu. Was horazische Feier ist, sagt carm. 3,8 mit dem für Horaz typischen Versuch, Maecenas für die donapraesentis [...]horae (v. 27) zu gewinnen, deutlicher noch carin. 4,.11, wo sogar die Maecenasfeier in den Rang des Offiziellen erhoben wird, das - wieder durch die Anrede an Phyllis gekennzeichnet - durch ein Wichtigeres und Wesentlicheres abgelöst wird, das Erlernen und Singen von Liedern: minuentur atretc carmine curae (v. 35 f.). Horazische Lyrik, für die repräsentativ die sympotische Dichtung steht (carm. l, 6, 17 ff.), erweist sich damit als Dichtung der Verweigerung - ihr Ende ist erreicht, wenn die politischen Verhältnisse sie nicht mehr erforderlich machen (carm. 4,15). Von Troja, Anchises und der Nachkommenschaft der Venus singt Horaz nicht mehr (carm. 4,15, 31 f.). Was er aber positiv anzubieten hat, ist das festliche, freudvolle und wahre Leben (aufschlußreich die Reihe carm. l, 36-38). Denn (richtiges) Trinken und (richtiges) Leben sind eins (vgl. sät. 2,3,122). 44 Vgl. dazu auch Davis; zu dem gesamten Komplex jetzt Schmidt, Sabinum."
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Wenn dem aber so ist, dann hat das Konsequenzen für die Pragmatik45 der horazischen Gedichte, die ich bisher ausgespart habe, ein Feld, auf dem sich die Geister erst recht scheiden. Denn hier werden Sprecher und Hörer mit ihren Voraussetzungen und Intentionen in die Betrachtung einbezogen, die Kontexte, in denen sprachliche Akte vollzogen werden, Zeit und Ort der Äußerung. Christoph Martin Wieland war es, der in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts die Werke des Horaz46 ganz in ihren historischen Kontext einzubetten suchte, sie als in konkreten Situationen verankerte okkasionelle Dichtung verstand. Entsprechend nahm er sich vor, «die Stimmung seines [sc. des Horaz] Gemüths, und die geheimem Absichten [...] zu ahnen». Die Gedichte entspringen «besondern Veranlassungen», das macht «Kenntnis [der angeredeten] Personen und Umstände nothwendig, um das Individuelle darinn aufzufinden»47. Daß damit der Spekulation Tür und Tor geöffnet ist, versteht sich von selbst. 1923 hat Richard Heinze in einem vorzüglichen Aufsatz48 gefragt, was eine horazische Ode sei. Sein Hauptaugenmerk gilt der Abgrenzung gegen die moderne, schon mit den provenzalischen und deutschen Minnesängern einsetzende Lyrik: anders als diese sei die horazische Lyrik dialogisch. Gegenüber der Naivität Wielands wird die Ansprache, die die horazische Ode kennzeichnet, aber nun fiktional gedacht, «Ansprache an eine als gegenwärtig zu denkende Person» (175). Heinze ist sich — trotz gewisser, gerade durch die Abgrenzung gegen die moderne Lyrik bedingter Schwankungen - im Grunde bewußt, daß horazische Dichtung Buchdichtung ist49 — die Anrede an den eigenen Über, der in die Welt des Imperium Romanum hinausgeht, in epist. l, 20 läßt daran keinen Zweifel50, in carm. 4, 9, dem Gedicht über die Macht der Dichtung, spricht Horaz von seinen chartae (v. 30 f.), die dem Lollius den Nachruhm sichern, und das kallimacheische Kunstprogramm, dem die fleißige Matinerbiene (carm. 4, 2) folgt, macht das ja von vornherein klar. Den leierspielenden Horaz wird man nach Heinze (187) als Fiktion betrachten müssen; «wenn etwa Agrippa den Horaz auffordert, ein Epos über seine Taten zu dichten, so wäre es lächerlich, sich vorzustellen, daß ein paar Tage darauf der Dichter, die Leier im Arm, vor ihn träte und begänne Scriberis Vario: nein, im Augenblick muß die Erwiderung erfolgt sein» (186) - das aber ist reine Fiktion. Sind die Situationen fingiert, dann auch die Gegenwärtigkeit der angeredeten Personen. Die Ansprache ist ein Kunstgriff - zu welchem Zweck aber, was leistet er? Hier bleibt Heinze die Antwort dann doch schuldig bzw. ersetzt den Zweck durch ein Motiv, den von der alten griechischen Lyrik herrührenden Gattungszwang51. Dabei hat Heinze selbst den voluntativen Charakter der horazischen Ode so eindrucksvoll herausgearbeitet, den «Versuch, fremden Willen zu bestimmen» (180). Nichts hätte näher gelegen, als hier einen inneren Zusammenhang herzustellen, die formale und die inhaltliche Be45
Problematik und Vieldeutigkeit des Begriffs sind hier nicht zu diskutieren. Es sei eigens hervorgehoben, daß ich es für« gerechtfertigt halte, das horazische Werk unter diesem Gesichtspunkt als Einheit zu fassen. Das ließe sich unschwer im Detail belegen. 47 Zueignungsschrift der ersten Ausgabe an Carl August, Herzog zu Sachsen: Horazens Briefe aus dem Lateinischen übersetzt und mit historischen Einleitungen und ändern nöthigen Erläuterungen versehen von C M. Wieland, hg. H. Radspieler, Nördlingen 1986, 7 £ (= Wieland. Übersetzung des Horaz, hg. Fuhrmann, 12 f.). » 4 * Bedauerlicherweise kann dieser Aufsatz nicht als Einfuhrung zum Kommentarwerk gelesen werden, verantwortlich dafür ist wohl das Erbe Kießlings. 49 Heinze selbst halt an der Rezitation fest, aber das tut systematisch kaum etwas zur Sache. K Vglauchepist.1,13. 51 »[...] in den Oden ist ihm das Gesetz der für ihn maßgeblichen alten Lyrik verbindlich» (175). 46
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trachtungsweise miteinander zu verknüpfen, die Form als integralen Bestandteil des Inhalts zu verstehen. Wie steht es aber - ganz abgesehen von der Konkretheit der Situationen und der damit zusammenhängenden Gegenwärtigkeit der Personen - überhaupt mit den angeredeten Personen?52 Wenn sich zeigen ließe, daß etwa Maecenas funktionsbedingter Rollenträger ist53 - in carm. l, l der Kunstverständige, in carm. 2,17 der Patron (mearttm grande dectis columenque rermn), der doch der Hilfe des Freundes, des Mercurialis vir bedarf, in carm. 3, 29 der mächtige und doch so ohnmächtige Politiker, in epist. l, 7 der Gönner, gegen den es die Freiheit zu wahren gilt —, dann stellt sich doch die Frage, von welcher Relevanz die Historizität der angeredeten Personen mitsamt ihren kontingenten Merkmalen ist. Nimmt man hinzu, daß nicht nur Jeibhaftige Personen>, sondern auch die Leier (carm. l, 32), der Weinkrug (carm. 3, 21), der Baum,.der Horaz beinahe erschlagen hatte (carm. 2, 13), die Bandusiaquelle (carm, 3,13), das Schiff, das Vergil besteigt (carm. l, 3), angeredet werden, dann verstärkt sich der Eindruck, daß die Anreden nicht Anreden im pragmatischen Sinne sind. Es hilft aber auch nicht, Unvereinbares einfach nebeneinander stehen zu lassen. Eduard Fraenkel meint im Falle des 1. Epistelbuchs auseinanderdividieren zu können, was der Wirklichkeit und spontan den Umständen entspringt und dazu für den Primäradressaten bestimmte Botschaft darstellt, «eine menschliche Situation, ein persönliches Problem, das sich aus Lebensumständen eines. anderen Menschen oder des Horaz selbst oder beider ergibt» (368) - und dem, was «für uns, die Leser dieses Buches» (369) geschrieben ist54. Es läuft auf die Differenzierung von Besonderem und Allgemeinem hinaus. Daß dabei unter der 52
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Gewiß: Augustus, Maecenas, Plancus, Dellius, Licinius und manche anderen sind als Zeitgenossen des Horaz - mehr oder weniger verläßlich - identifizierbar, so daß man in ungebrochener Zuversicht schließen kann, daß auch Leuconoe, Pyrrha, Lyde, Lalage, Myrtale, Barine usw. «leibhaftige Frauen» sind, vielleicht Pseudonyme, vgl. zuletzt Lefevre 191 f. Bedenklich stimmt aber schon, daß Cinara, an die sich kein einziges Gedicht wendet, stereotyp als Repräsentantin einer «verflossenem und «überwundenem Zeit figuriert und damit offenbar kaum anderes als eine Chiffre hierfür darstellt (epist. l, 7, 28; l, 14,33; carm. 4, l, 3 f.; 4,13,21 ff.) - wozu sich natürlich auch ihr fügt: carm. 4,13,22 f. - mit dem ebenso programmatischen Gegenbild der Lyce (vgl. dazu carm. 3,10). Einen konträren Ansatz (wobei hinzuzufügen ist, daß die Interpretationsebenen ständig wechseln) wählt B. Pavlock, Horace's invitation poems to Maecenas: gifts to a patron, Ramus 11, 1982, 79-98, wenn sie Dichtung und Philosophie bei Horaz in gleichsam privaten Interessen aufgellen läßt («an effective strategy for reanimating Maecenas», 94) - zum Verständnis von carm. 4,11 und 12: «This very private poem [4,12], when taken closely with 4.11, movingly joins poet and patron in a simultaneous gesture of remembering their mutual friend [sc. Vergil] who is now gone. By recalling the philosophy of his earlier period and by creating this set of poems which have a therapeütic value, Horace has become äs much diepraesidium of his old patron äs Maecenas was to the young poet» (95, vgl. auch 93). Das gleiche methodische Verfahren liegt auch dem Horazbuch von Carl Becker zugrunde, wenn auch die Gewichtung jetzt eine andere ist. Eis erfolgt gewissermaßen eine quantitative Abwägung (vgl. explizit 48: «Verteilung der Gewichte*), aufgrund deren die kontingente Ausgangssituation als relativ bedeutunglos eingestuft wird: die Ausgangslage wird nicht festgehalten (25), «die Ausgangssituation [schafft] nur den Ansatzpunkt und tritt dann zurück» (37), «die <Situation> motiviert einen Brief, aber damit hat sie ihren Zweck erfüllt» (48), «die Situation ist nur Vordergrund, die Darlegungen gehen darüber hinaus ins Grundsätzliche» (19), «die Ausgangslage [...] wird rasch zurückgedrängt; dieallgemeinen ethischen Lehren bilden den Kern - nur um ihretwillen ist der da» (20). Alles kommt aber darauf an, was «um ihretwillen» bedeutet. Becker berührt einmal das Problem, wenn es (zu epist. 1,14) vom vilicus heißt: «[er ist] um der allgemeinen Gedanken willen da; an ihm wird demonstriert [...]»(22). Die Widersprüchlichkeit der Äußerungen zeigt aber, wie wenig die Problematik als solche bewußt ist. ^
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Hand noch eine dritte Rezipientengruppe - Mäecenas und andere weltläufige Männer - eingeführt wird, zu deren Erheiterung Horaz schreibe (368), sei nur am Rande erwähnt. Der Ausgang von einer praktischen Frage wird als Indiz für die situationsbedingte Kontingenz des Gedichts genommen, .dann aber unterläuft die Bemerkung, daß gerade dies «für die römische Haltung zur Moralphilosophie typisch» sei (367), man muß hinzufügen: für jeden vernünftigen moralphilosophischen Diskurs. Denn seit Aristoteles weiß man, daß ethisches "wissen auf Praxis zielt. Die beiden Deutungsprinzipien schließen sich gegenseitig aus und führen sich ad absurdum. Der Grund liegt einfach darin, daß ein methodischer Vorgriff, die von Fraenkel emphatisch vertretene Vorstellung von der Autonomie des Kunstwerks, das sich selber deute und deuten müsse, in eine ganz andere Lese- und Interpretationspraxis übernommen worden ist. Der unter mißbräuchlichem Rückgriff auf Goethes beschworene «Doppelaspekt» der Dichtung stellt sich nämlich nicht additiv, sondern im Sinne einer Subordination dar: das Besondere im Dienste des Allgemeinen. Ob das Besondere ein reales oder fiktives Besonderes ist, darüber ist nichts entschieden. Interpretation von Dichtung ist von grundsätzlichen Vorentscheidungen abhängig und durch diese bedingt. Das ist unausweichlich und durch die hermeneutische Grundproblematik vorgegeben55. Was wir aber leisten können und sollen, ist, uns über unsere Vorentscheidungen Rechenschaft zu geben und sie so kontrolliert wie möglich zu treffen. Ich habe dafür plädiert, von der syntaktisck-semantischen Analyse des Einzelgedichts auszugehen56. Diese sieht sich sehr schnell auf die nahestehenden, gattungszugehörigen Gedichte des Autors, dann aber überhaupt das Werk des Autors verwiesen. Verständnis des Einzelgedichts und Verständnis des Ganzen bedingen einander, wobei ständige und mühsame gegenseitige Korrektur erforderlich ist - es ist das, was man den hermeneutischen Zirkel nennt. Daß dabei auch subjektive Momente des Verstehenden und seiner Lebens- und Bildungswelt eingehen, ist unvermeidlich, läßt sich nur durch Selbstreflexion möglichst neutralisieren. Mein Interpretationsvorschlag bezüglich der sympotischen Dichtung des Horaz war, sie — zugespitzt formuliert — als philosophische Reflexion zu verstehen im Sinne einer spezifisch horazischen Lebensphilosophie. Nahegelegt wird dies durch die Tatsache, daß auch andere Themenbereiche - die Liebe, die Politik, die Dichtung, die Religiosität, Landschaftsbeschreibungen, autobiographische Abrisse - philosophisch fundiert sind. Damit sind aber die Prinzipien philosophischer, speziell moralphilosophischer Argumentation in Anschlag zu bringen. Appell (Anrede!) und Applikation (Konkretisierung!) werden auf diese Weise zu einem notwendigen Bestandteil der Argumentation, sie werden ihrer pragmatischen Dimension entkleidet und der semantischen integriert57. Das Konzept wäre im Rahmen der 55
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Einen Eindruck vermag zu vermitteln Ch. Martindale, Redeeming the text. Latin poetry and the hermeneutics of rcception, Cambridge Univ. Press 1993; s. auch R. R. Nauta, Historicizing reading: the aesthetics of reception and Horace*s <Soracte ode>, in: Modern critical theory and classical litcrature, hg. L J. E de Jong/J. R Sullivan, Leiden/New York/Köln 1994,207-230, bes. 227. Von der Metrik, deren Bedeutung für die inhaltliche Interpretation wohl häufig überschätzt wird, habe ich abgesehen, wenn sich auch gerade im Falle des seltenen, stichisch gebrauchten «Asclepiadeus maion leicht ein Zusammenhang mit den beiden weiteren in diesem Metrum abgefaßten Gedichten (carm. 1,18 und carm. 4,10) herstellen ließe. Selbst in dem schönen Buch von Davis, der den Lyriker Horaz als einen argumentierenden und überzeugen wollenden «philosophischen Dichter» versteht (l f.), der «philosophische Einsichten» vermittelt, bleibt die Vorstellung von «vivid and concrete rcpresentation» als spezifischer Leistung der Dichtung erhalten. «Powerful vehicle of ideas» kann aber nicht genügen (vgl. o. Anm. 25); s. jetzt Schmidt, Sabinum 177 ff.
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augusteischen Literatur zu rechtfertigen. Ich meine, daß das möglich ist: Vergiß Horaz, Tibull, Properz - sie alle vertreten, in sehr unterschiedlicher Weise, ein Programm; erst bei Ovid, dem ersten modernen Dichter, wird das anders. Ich habe des weiteren, was damit zusammenhängt, horazische Literatur als — schriftliche - Buch- und Leseliteratur verstanden, in Übereinstimmung mit den Selbstzeugnissen des Dichters58. Ich füge hinzu: als elitäre Leseliteratur. Zufrieden sei er mit wenigen Lesern, läßt er verlauten (sät. l, 10,74), und er wünsche, nur von feinsinnigen Augen gelesen zu werden (epist. l, 19, 34). Das ist natürlich keine Restriktion des Publikums, sondern die Forderung nach einer bestimmten Lesehaltung59. Der Allgemeinheitsanspruch horazischer Dichtung wird in keiner Weise tangiert. Die pragmatische Dimension ist damit auf das Verhältnis Autor - allgemeines Publikum ausgeweitet. Mit dem Öffentlichkeits- und Wirkungsanspruch greift Horaz auf die frühgriechische Lyrik zurück und gewinnt eine im Hellenismus preisgegebene Kategorie zurück - nur, daß die Öffentlichkeit jetzt nicht mehr die der Zirkel und Hetairien ist wie dort, sondern die römische Öffentlichkeit schlechthin60. Horaz scheint selbst darauf aufmerksam zu machen, wenn er von der Schulter an Schulter dichtgedrängten Zuhörerschaft seines Vorbilds Alkaios spricht (carm. 2, 13, 30 ff.)61. Horazens eigentlicher Gesprächspartner ist der Leser, das Symposion ist zu einem Symposion aller Lesekundigen geworden62. Andere werden das anders sehen - aber zumindest ausweisen müssen wir uns, gerade hinsichtlich der vorausgesetzten Interpretationsprinzipien. Daß diese Forderung nicht selbstverständlich oder obsojet ist, das zeigt> wie mir scheint^ die philologische Praxis bis in die jüngste Zeit hinein.
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Mit einer schalen Bemerkung «whatever Horace may have envisaged äs the ultimate fate of his poems» (R. S. W. Hawtrey, The poet äs example: Horace's use of himself, in: Studies in Latin Lkerature and Roman History I, hg. C. Deroux, Brüssel 1979,249 - 256, hier 250) läßt sich das nicht abtun. Epist. 1,13 und epist. l, 20 sind ganz diesem Thema gewidmet. Das gilt schon für die Diskussion der Lebens- und Liebesformen bei Catull 51, im Kontrast zu Sappho 31 L.-P. (= 2 D.). Vgl. W.-L. Liebermann, Zur pragmatischen Dimension von Liebeslyrik: Sappho und Catull, in: Europa et Asia polyglotta (Festschr. R. Schmitt-Brandt), Dettelbach 1998 (im Druck). Hier dürfte auch der Grund für die Zurücksetzung Sapphos gegenüber Alkaios liegen; andere Deutungsversuche bei M. Lowrie, A parade of lyric predecessqrs: Horace C. 1.12-1.18, Phoenix 49, 1995, 33-48, hier 37 f. Um durch Okkasionalität bedingte Kategorien (Situation, Primäradressat u. ä.) angemessen zu begreifen, wäre es hilfreich, die weit fortgeschrittene Reflexion des und in der Platonforschung zu beachten; ich verweise insbesondere auf Bemerkungen von Th. A. Szlezak, Platon lesen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993: «Die Festlegung des Dialograhmens auf einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit sowie die Einführung individuellen historisch realer Charaktere ist ein nachhaltiger* Hinweis darauf, daß der Einstieg in das Philosophieren jeweils nur mit persönlichem Einsatz erfolgen kann. [...] Die Situations- und Zeitbedingtheit der Gespräche ist daher eine oder exemplarische Bedingtheit. [...] Zum Glück sind [Platons Figuren] nicht in historisch-zufälliger, sondern [...] in allgemeingültiger Weise individuell» (35); Weiteres dazu bei W.-L. Liebermann, Logos und Dialog. Überlegungen zum platonischen «Gespräch», in: Zugänge zur Wirklichkeit, hg. Th. Hoizmüller/K.-N. Ihmig, Bielefeld 1997, 99-122, bes. 122 mit Anm. 82.
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ANDREA CUCCHIARELLI Eumolpo poeta civile* Tempesta ed epos nel Satyricon Nell'imperversare degli elementi, mentre la nave di Lica su cui Encolpio e i suoi sono andati ad imbarcarsi e ormai in balia della tempesta e minaccia ad ogni istante il naufragio, il poeta Eumolpo e rapito da un eroico furore creativo. Quando il fortunale e passato, ed e il momento di trarsi in salvo, e solo per un caso se i suoi compagni si accorgono di Eumolpo, e lo 1: peragit Interim tempestas mandata fatorum omnesque reliquias navis expugnat. non arbor erat relicta, non gubernacula, non funis aut remus, sed quasi rudis atque infecta materies ibat cum fluctibus. [...] audimus murmur insolitum et sub diaeta magistri quasi cupientis exire beluae gemitum. persecuti igitur sonum invenimus Eumolpum sedentem membranaeque ingenti versus ingerentem. mirati ergo quod illi vacaret in vicinia mortis poema facere, extrahimus clamantem iubemusque bonam habere menterri. at ille interpellatus excanduit et <sinite me> inquit <sententiam explere; laborat carmen in fine>. inicio ego phrenetico manum iubeoque Gitona accedere et in terram trahere poetam mugientem. (Satyr. 114, 13-115,5) Sembra ehe per Eumolpo il trasumanare poetico sia unfaror ehe comporta la regressione allo stato ferino: non stupisce — siamo nel Satyricon — la consonanza con il bozzetto satirico del poeta esaltato ehe chiude Ars Poetica2. Ma Tinvenzione comica petroniana non e solamente nello sprezzo ehe il poeta mostra per il grave pericolo. Non si puö dire ehe Eumolpo non sia in sintonia eon lo scatenarsi degli elementi: la sua ispirazione e in piena consonanza con la tempestas, ne condivide e ne rispecchia il furore. Anzi, Eumolpo non fa altro ehe compiere
* Vorrei ringraziarc per aver discusso con me di questo lavoro Sergio Casali, Gian Biagio Conte, Luigi Galasso, Mario Labate, Francesca Lechi, Gianpiero RosatL Utili suggerimenti ho avuto dal Prof. £. A. Schmidt: anche a lui vanno i miei ringraziamenti. 1 Cosi vorrei rendere J'ambiguita ehe e nel testo: ... iubeoque Gitona ... in terram trahere poetam mugientem. Eumolpo aveva infatti «lasciato la terra> con la mente, rapita in un trasporto di entusiasmo, oltre ehe con corpo, affidato alTelemento marino. Per i poeti e cosa consueta vivere l'ispirazione come una forza ehe rapisce dal mondo (e, in special modo, solleva nel cielo): alcuni tra i luoghi piü noti nel comm. a Hör. carm. 2,20 di R. G. M. Nisbet—M. Hubbard, Oxford 1978, pp. 332 s. Ma l'ispirazione, come meglio vedremo, puö rapire anche in alto märe un poeta, esponendolo al rischio di tempeste e naufragi: cf. n. 9. 2 Cf. piü di recente M. Labate, // cadavere di Lica. Modelli letterari e istanza narrativa nel Satyricon di Petronio, «Taccuini» 8,1988, pp. 83-89, spec. p. 88, dove si fa riferimento a Hör. ars 470-476; Eumolpo e gti altn> owero lo spazio della poesia, «Mat. Disc.» 34, 1995, pp. 153-175, spec. pp. 156-162 (si veda a p. 156, n. 9, la bibl. sui precedenti oraziani del pcrsonaggio di Eumolpo). Da ricordare anche U modo con cui Orazio apre la sezione sul poeta: ingenium misera quiafortunatius arte / credit et excludit sanos Helicone poetas / Democritus, eqs. (an 295-303, cortil comm. di C O. Brink, Cambridge 1971, pp. 329 - 334).
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- un po* troppo alla lettera, e vero - il suo dovere di poeta. Infatti, nel sistema letterario antico, governato dal principio del decorumy la tempestas si iscrive tra le res sublimi, uno tra i ferri del niestiere di qualunque scrittore con una qualche ambizione3. Quando ad un poeta awiene di trovarsi nel mezzo di una reale tempesta - niente di piü facile ndSatyricon, dove i personaggi sono dei repertori ambulanti di materiale topico alle prese con la realta empirica -, potra egli non venir rapito da una ispirazione sublime? Si puo facümente immaginare cpme la tempestas, proprio per le sue intrinseche potenzialitä letterarie (ancofa testimoniate dal binomio Sturm und Drang), rappresentasse un elemento costituente del ehe avesse per oggetto l'argomento secondo i canoni anticlii piü : la guerra. In questa particolare formä di <meteorologia Ietteraria> il narratore epico trovava un prontuario inesauribile di descrizioni vividcj di immagini utili per similitudini e metafore: c'e un'analpgia evidente tra la furia degli elementi e la furia guerriera ehe si impadronisce degli eroi epici, e li trascina4. Anche la lirica civile, <stasiotica>, sfrutto fin dagli inizi le della tempesta, non limitandosi, pero, a descrizioni dalle fosche tinte, similitudini, o metafore, ma mettendo al centro dell'attenzione del poeta stesso. Essa, infatti, produsse un'allegoria ehe rimase celebre, quella della nave in balia dei flutti, a significare i disordini della , della guerra civile. Fondamentali, naturalmente, sono i due carmi <stasiotici> in cui AIceö si era rappresentato a bordo di una nave sballottata dalla allegorica tempesta della (frgg. 6; 208 V.). Orazio ripropose la tematica alcaica in carm. l, 14, O navis, referent in märe te novi/fluctus, ma elidendo il coinvolgimento diretto della proprhpersona poetica, ehe egli situa in uno spazio esterno5. Dottrina retorica e tradizione poetica, entrambe sintetizzate nella pratica declamatoria (presupposti importanti per comprendere il comportamento dei personaggi petroniani), eranö concordi nello Stabilire il 3
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Basti per ora ricordare come secondo la precettistica retorica, condensato della riflessione antica sulla letteratura, il locus de tempestate si ponesse tra i piii cpmuni esercizi di Stile elevato: cf. S. F. Bonner, Roman Declamation in the Late Republic and Early Empire, Liverpool 949, p. 59, ed anche p. 163. Per la topicita della tempesta airinterno dcll'epos, cf. W.-H. Friedrich, Episches Unwetter^ in Festschrift B. Snell, München 1956, pp. 77-87; M. P. O. Mprford, The Poet Lucan. Studies in Rhetorkal Epic, Oxford 1968, pp. 20-58, e* anehe per altra bibl., Labäte, // cadavere diLica, cit. p. 89, n. 5; Enc. Virg. V. l, s. v. venri, pp. 494 s. Immagini di furia marina, per fare un solo esempio dall'epos omerico, sono utilizzate a proposito di Ettore in //. 15, 617 -628 (significativo ehe Tultima parte di questo iuogo, dal v. 624, sia lodata da Ps.-Longino: cf. De suhl 10, 5 e quanto detto infra e alla n. 12). Anche nell'Eneide rimagery delja tempesta si associa facümente a situazioni belliche: la guerra puo esser detta da Virgüio diluviumy procella, tempestas (cf. Enc. Virg., rispettivamente, II, pp. 72 s. [spec. p. 73]; IV, pp. 288 s. [spec. p. 288b]; V. l, pp. 79 s.). Osservazioni utili in V. Pöschl, Die Dichtkunst Virgtls. Bild und Symbol in der Äneis, BerJin-New York 19773, pp. 24-33. Uimmagine della tempesta ricorre anche in contesti di dissidio civile: cf. Aen. l, 142-154; 7,586-594. L'aJIcgoria alcaica della nave e presupposta da Orazio anche in carm. l, 32, 5-8; 2,13,26-28.' Giä neü'antichitä si era notato il significato allegorico delle liriche alcaiche (ma si tenga presente ehe il concetto antico di allegoria si sovrappone per molti versi a quello moderno di metafora): si vedano le testimoniahze raccolte nella ediz. di E.^M. Voigt (Amsterdam 1971), p. 261, in primo Iuogo Eraclito All. 5, 5 -9 (eta primoimperiale, tra Augusto e Vespasiano); e inoltre A. Porro, Vetera Alcaica. Vesegesi diAlceo dagliAlessandrini ^ aWeta imperiale, spec. pp. 22 s.; 55; 104-111; 234 s. Sulla storica delPinterpretazione non si dubita piü: basti rimandare a S. Nicosia, Tradizionc testuale diretta e indiretta riet poeti di Lesbo, Roma 1976, pp. 153-159; W. Rösler, Dichter und Gruppe, München 1980, pp. 117-120; B. Gentili, Poesia e pubhlico nella Grecia antica, Roma-Bari 19953, spec. p. 263 (dove si troverä anche ulteriore documentazione sulla tempesta allegorica e affini: si ricordi ad es. giä Archiloco, frg. 105 W.). Nella cultura latina, come e owio, l*imitazione oraziana si sovrappöse al modello alcaico. Quintiliano cita carm. l, 14 quäle esempio di particolare allegorica: cf. 8, 6,44: navempro re publica, fluctus et tempestates pro bellis dvilibus,
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livello stilistico e le potenzialit di resa ehe dovevano esser riconosciuti, tra le res letterarie, alla tempestas, e nell stabilire pure la sua connessione, eventualmente per via allegorica, con il tema della guerra civile. A questa classificazione nonpoteva ehe uniformarsi un poeta come Lucano, autore di un Bellum civile6. Dobbiamo credere dunque ehe le virtu belliche e <stasiotiche> della tempestas cadano inutilizzate nel testo del Satyricont Dobbiamo credere ehe il rispecchiamento tra la violenza degli elementi ehe si abbatte sulla nave e l'entusiasmo poetico di Eumolpo si limiti al furorl Cosi, la caratterizzazione di Eumolpo come poeta emulo di Alceo si limiterebbe al cap. 115? Difficilmente si sbaglia ad essere sospettosi con Petronio. Quando, pochi capitoli pi avanti, si incontra un poerrietto epico di considerevoli dimensioni, da intitolarsi probabilmente Bellum civile (capp. 119—124: cf. 118, 6: ecce bellt civilis ingens opus qnisqms attigerit), ehe ha come oggetto lo scontro tra Cesare e Pompeo, paradigma ormai quasi mitico di qualunque guerra civile, credo ehe la sospettosit venga premiata. Ecco a ehe cosa ha furiosamente lavorato Eumolpo sulla nave prossima al naufragio, ecco il carmen7 per il qu le ha rischiato la vita: dawero tra la poesia di Eumolpo e gli eventi atmosferici ehe alla creazione di essa hanno fatto da sfondo c'e un rispecchiamento pienamente uniformato al criterio del decorum. Un meccanismo narrativo facile ne permette, a breve distanza, il riconoscimento: Fattenzione e la curiosit ehe si erano concentrate sul prodotto della straordinaria ispirazione di Eumolpo sono soddisfatte dal pi straordinario inserto metrico del Satyricon — una compensazione piena, per qualunque logica di economia narrativa. Non solo, dunque, Eumolpo stesso, nella sua persona fisica, e sembrato assimilarsi alla tempesta, trasformandosi in una sorta di beluay e <muggendo> come muggisce il m re (si ricordi: ... et in terram trahere poetam mugientem)*, ma anche la scelta della res per la sua portum pro pa.ce atque concordia dicit. La ricezione e la notorieta della allegoria era molto ampia: άει οι ποιηται τάς πόλεις πλοίοις παραβάλλουσιν (Schol. Aristoph. Vesp. 29, ρ. 13 Koster). Basti rimandare al comm. di R. G. M. Nisbet-M. Hubbard, Oxford 1970, p. 180, ed anche a E. Fraenkel, Horace, Oxford 1957, p, 154, n. 2; molto di utile in E. Fantham, Comparative Studies in Republican Latin Imagery, <«Phoenix» Suppl. 10>, Toronto 1972, pp. 19-26,119,126-128,136 (e Index s. v. ). Che anche Tode oraziana debba esser letta come una allegoria appare certo: basti rimandare a Fraenkel, op. cit. pp. 154-157; e a Nisbet-Hubbard, p. 180. έ utile ricordare inoltre il noto discorso di Mecenate in Dione Cassio, 52,16, 3 s., su cui cf. pi di recente F. Della Corte, «Nave senza nocchiero in gran tempesta», «Paideia» 45,1990, pp. 135-138 (anche per ulteriore bibl.). Le connotazioni politico-civili della tempestas possono esser condensate, in una fase pi matura della produzione oraziana, nella sintesi della metafora: e il caso di un celebre luogo della I epistola del I libro: nunc agilis o et mersor civilibus undis / virtutis verae custos rigidusque satelles, / nunc in Aristippi furtim praecepta relabor / et mihi res, non me rebus subiungere conor (16-19). Ma cf. gia carm. 2, 7,15 s., con il comm, di Nisbet-Hubbard, p. 116. 6 Cf. Morford, op. cit. pp. 37—58, per lo spoglio e la discussione delle tempeste lucanee. 7 II termine puo designare, naturalmente, una composizione in versi di considerevoli dimensioni, in particolare epica: cf. TblL, III, 466, 43-57. Significato generico ha anche poema, la parola utilizzata da Encolpio: cf. Pers. l, 31 dia poemata; OLD, p. 1395, s. v. (a se stante va considerato l'uso di poema in opposizione zpoesis teorizzato da Lucilio nel celebre fraram. 338 - 347 M. = 376 - 385 K.). Uinterpretazione del Bellum come frutto dell 'ispirazione ehe invade Eumolpo a bordo della nave non sembra in gener e esser stata prcsa in considerazione dag] i Studiosi di Petronio: eppure essa doveva scmbrare naturale almeno a H. Stubbe, Die Verseinlagen irriPetron, ««Philologus» SuppL 25, 2>, Leipzig 1933, pp. 68 s., 8 L [Cfr. ora G. Mazzoli, Eumolpo multimediale, in Ars narrandL Scritti di narrativa antica in memoria di Luigi Pepe, Napoli 1996, pp. 33-53, spec. p. 38, n. 25.] * Per mugio detto del m re cf. Hon epist. 2, l, 202; ThlL, VIII, 1559,30 - 39. Armonie imitative ehe vogliano suggerire il suono cupo della tempesta non mancano, corae osserva Labate, // cadavere di Lica, cit. p. 88: cf. 115, l: MUrMUr imolitUM et slJb diaeta magUtri quasi cUpientis extre belUae gemitUM.
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poesia e stata quanto mai appropriata. Le implicazioni belJiche della tempestas non sono rimaste inutilizzate: la situazione di Eumolpo lo ha spinto a trattare la pi grande delle tempeste mctaforiche, quella della guerra civile. Uepos (e in particolare l'epos ) era la risposta piu naturale per un poeta trovatosi a sperimentare sulla propria persona - senza possibilita di recusatio, quindi - quella ehe, nella extra-romanzesca, e solo una metafora: l'ispirazione epica come (pericoloso) viaggio in alto m re9. Eumolpo non puo fare a meno - e qui il gioco petroniano -=· di interpretare i fenomeni, anche quelli pi catastrofici (e ehe cosi da vicinp lo riguardano), secondo schemi letterari. Il tipo del poeta entusiasta congegnato da.Petronio, cosi ben ambientato nel panorama socioculturale di eta neroniana, e rriosso da un meccanismo analogo a quello ehe, secondo una tradizione ostile e quindi dalle intenzioni fortemente satiriche, aveva animato il celebre exploit dello stesso imperatore: Nerone, di fronte all'incendio di Ronia, avrebbe recitato, ispiratissimo, una Halosis Troiae (cf. Tac. ann. 15, 39: ...pervaserat rumor ipso tempore flagrantis urbis inisse eum domesticam scaenam et cecinisse Troianum exadium, praesentia mala vetustis dadibus adsimidantem\ S et. N er. 38; Dio Cass. 62,18). Nell'interpretazione satirica l'occasione ha una forza cogente sull'ispirazione poetica10. Eumolpo, trovandosi realmente su di una nave ehe rischia di affondare, nelTinfuriare della tempesta, avrebbe voluto in qualche modo mostrarsi degno successore dei due grandi poeti <stasiotici>, Alceo e Orazio, e allo stesso tempo erede degno della tradizione epica11. Ma 9
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La metafora era stata utilizzata dagli augustei all'interno del topos della recusatio: basti rimandare a H r. carm. 4,15, l -4; Prop. 3,9,3 s. (con il comm. di P. Fedeli, Bari 1985, p. 306); 35 non ego velifera tumidum m re findo carina (si notino le implicazioni <metereoiogico-callirnachee> di tumidttm). Naturalmente, e, questa, una particolare realizzazione della comunissima metafora della poesia come via, di terra ma anche di m re: si vedano i materiali raccolti da W. Wimmel, Kallimachos in Rom. Die Nachfolge seines apologetischen Dichtens in der Augusteerzeit, «Hermes» Einzelschriften 16, Wiesbaden 1960, pp. 103-111; A. Kambyiis, Die Dichterweihe und ihre Symbolik. Untersuchungen zu Hesiodos, Kallimachosf Properz und Ennius, Heidelberg 1965, pp. 155-162; Fedeli, comm. cit., ad Prop. 3, 22, pp. 134 s. Dati qucsti presupposti, e naturale ehe la , se sbattuta tra fl tti burrascosi, possa prendere la rotta dell'epos. Cio non toglie, per , ehe e molto improbabile ehe un*ode come l, 3 possa esscre interpretata allegoricamente: a Virgilio, in procinto di nel pi arduo tra i generi, quello epico, Orazio augurerebbe di non fallire, di non . έ, questa, l'interpretazione avanzata da D. A. Kidd, Virgfl's Voyage, «Prudentia» 9,1977, pp. 97-103, ripropostapi di recente da . Gomollon, Horacio, OdasI3. Para una lectura alegorica del viaje de Virgilio, «Anuari de Filologia» 15, 1992, Seccio D, Num. 3, pp. 49-55 (ehe mostra di non conoscere l'ardcolo di Kidd). Del resto anche la riflessione antica sulla letteratura riconosceva un collegamento diretto tra l'ambiente del poeta e la sua poesia. Per restare alla inventio allegorica, si pensi a quanto osservato da Eraclito sul conto di Alceo: κατακόρως εν ταΐς άλληγορίαις ό νησιώτης θαλαττεύει (All 5,9). · Tra i modelli ehe determinano il comportamento di Eumolpo e'e anche Texploit dellOvidio dei Tristia, ehe descrisse, in <presa diretta>, la tempesta abbattutasi sulla sua nave nel viaggio verso Tomi (cf. spec..imf. l, 11): e quanto sostiene Labate, // cadavere di Lica, cit; spec. p. 88 (il qu le ipotizza ehe la poesia di Eumolpo abbia come oggetto la tempesta stessa: cf., in proposito, n. 17). Si consideri in special modo 1,11,7-12: quod facerem versus interfera murmuraponti, / Cycladas Aegaeas ohstipuisseputo. //[...]//seu stuporhuicStudio sive est insania noment / omnis ab hac cura cura levata mea est (per Eumolpo, tra le due alternative, si trat- ' ta sicuramente della seconda). Ma credo ehe anche nei Tristia, come in diverso modo neue Episttilae ex Ponto, si possa idcntificare un riuso delle implicazioni alcaiche della tempesta: rimando, per questo, al mtQ // naufragio di Ovidio, «Mat. Disc.» (in corso di stampa), Uinteresse per la del personaggip di Eumolpo ehe suscita la poesia ovidiana deH'esilio non e minimo: in essa si raccontano le disgrazie di uno tra i pi grandi poeti costretto a soprawivere tra ogni difficolta - un argomento nel qu le Eumolpo non avrebbe avuto difficolta a riconoscersi.
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Eumolpo non ricorre (non pup ricorrere) ad allegorie o metafore. Sostenitore di una esaltata estetica del sublime, sorta di St rmer ante litteram, Eumolpo si sente di intraprendere il genere letterario pi alto, l'epos guerriero12 (del resto, qu le genere meglio dell'epos puo esser tentato da un poeta ehe, di fronte alla morte, intenda lasciare ai posteri il suo grande testamento poetico?). A rendere funzionante il meccanismo narrativo del riconoscimento a distanza e una motivazione letteraria precisa ehe opera in Eumolpo, e ehe sta al lettore identificare. II grande modello alcaico si interseca con le convenzioni del genere epico, e Eumolpo non pu resistere a una cosi forte, duplice, attrazione. In chi non e poeta di professione, ma vive abitualmente nella prosa, il grande evento della tempesta produce una reazione diversa: di fronte al cadavere di Lica Encolpio reagisce con una gesrualita ehe si potrebbe dire <senecana>, accumulando topoi della letteratura consolatoria, ma neppure lui manca di variare, a modo suo, l'invenzione metaforica: si bene calculum ponas, ubique naufragium est (115, 16); Neue diverse risposte, anche letterarie (intertestuali), ehe i diversi personaggi danno alle sollecitazioni narrative, e l chiave della caratterizzazione petroniana. Non e solo per Pimpianto generale, per la selezione dell'argomento (la res), ehe gli eventi meteorologici circostanti si riflettono nella poesia di Eumolpo, ma anche per la scelta di immagini e metafore, Nel testo stesso del Bellum civile viene rispettata la connessione tra la guerra e la tempesta. Gi alPinizio del poemetto, dopo c nsiderazioni di geografia politica sull'orbe terracqueo (orbem tarn totum victor Romanus habebat, / qua m re, qua terrae, qua sidus currit utrumque [w. l s.]), Fattenzione passa ai traffici marittimi, sintomo dell'insaziabile avidita dei Romani (nee satiatus erat; gravidis freta pulsa carinis / iam peragebantur [w. 3 s.]; cf. anche w. 16 s.: fremens premit advena classes / tigris et aurata gradiens vectatur in aula). La topica dello ψόγος ναυτιλίας si connette molto naturalmente al tema della tem12
Basta pensare alle parole con cui Eumolpo introduce il Bellum dvile: ...praecipitandus est liber Spiritus, ut potius ftrrentis animi vaticinatio appareat quam religiosae orationis sub testibus fides: tanquam siplacet hie impetus, etiam si nondum recepit ultimam manum (118, 6). Qu le miglior esempio concreto per questi principi estetici se non Γένθουσιασμός ehe si impadronisce di Eumolpo sulla nave? £ in questo contesto utile ricordare di nuovo ehe proprio la similitudine omerica tra la violenza guerriera di Ettore e la furia del m re in tempesta (//. 15,624-628) e citata con ammirazione nel grande testo di rifcrimento deirestetica del sublime,, De subl. 10,5 (cf. nu 4). Non e solo Pinvasamento da cui Eumolpo e rapito a qualificarlo come esaltato poeta sublime, agli antipodi quindi della concezione platonica: anche la sua μίμησις del fenomeno, ehe lo porta ad una totale immedesimazione (egli stesso <muggisce>, come <muggisce> k tempesta: cf. n. 8), avrcbbe potuto incontrare l'ironia del Socrate platonico: cf. in special modo Rep. 3, 8, 396a-b: οΐμαι δε ουδέ μαινομένοις έθιοτέον άq>oμoιo v αυτούς [sfcii. τους φύλακας] εν λόγοις ουδέ εν εργοις· γνωοπέον μεν γαρ και μαινόμενους [...], ποιητέον δε ρύδέν τούτων ουδέ μιμητέον [...]. τί δε; ίππους χρεμετίζοντας και ταύρους μυκωμένους και ποταμούς ψοφοΰντας και Οάλατταν κτυποοοαν και βροντάς και πάντα αύ τα τοιαΟτα ή μιμήσονται... La coincidenza con l'estetica del sublime non e generica nel <manifcsto> di Eumolpo: essa si specifica nel raffronto tra 118, 6 e De stibl 13, 2: cf. G. B. Contc, Uautore nacosto, Bologna 1997, pp. 73 s.. Anche nei capitoli iniziali sono state da tempo osscrvate varie con»onanze tra le tesi sostenute da Agamennone e Encolpio e l'anonimo trattatello: cf. L. Alfonsi, Pctronio e i Teodorei, «Riv. FiloL Istr. Class.» n. s. 26, 1948, pp. 46-53; P. Cosci, Per una ricostruzione della scena iniziale delSatyricon, «Mat. Disc.» l, 1978,pp. 201-207, spec. 205-207; P. Soverini, Uproblema delle teorie retoriche epoetiche diPetronio, inAtifst. u. Niederg. d. rom. Welt, 11.32,3,1985, spec. pp. 1706- 1779, spec. p. 1717.
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pesta: neJla interpretazione moralistica il naufragio e il rischio al quäle il desiderio di lucro espone gli uomini13. 6 solo con il cataclisma sulle Alpi, pero, ehe viene descritto uno scatenarsi degli elementi vero e proprio (w. 187-^200) - come subito vedreino. La pertinenza delle scelte contenutistiche di Eumolpo e confermata dal Bellum dvile di Lucano, dove non poco spazio e dedicato alla grande tempesta fnarina del V librp, in cui il sovrumano ardire del tiranno Cesare da la sua prova piu grande ed erablematica (5, 504677)14: Cesare, ehe per aver sfidato temerariamente la sorte si trova su di una nave prossima al naufragio, incarna il nucleo tematico fundamentale del Bellum dvile lucaneo. Eumolpo (ehe rispetto a Lucano ha molto meno spazio a disposizione) trova anche lui il modo di raffigurare <meteorologieamente> la virtu bellica di Cesare. II Cesare di Eumolpo, gia al passaggip delle Alpi - un episodio ehe e tra i primi nella cronologia della guerra - deve fronteggiare un evento imprevisto: sotto il peso dell'esercito arrnato il ghiaccio cede, e cavalli, fanti, cavalieri sprofondano uno sull'altro, mentre su di loro si abbatte dal cielo altro ghiaccio awerso, ma in forma di grandine (w. 185-200)15. Alla morsa del gelo ehe ha attanagliato la terra e gli astri resiste, marciando a grandi passij il solo Cesare (vv. 201-204). Anche Eumolpo, dunque, come Lucano, ha il suo Cesare, incarnazione della contro Tordine degli uomini e quello degli dei16. Giunti a questo punto non si puo fare a meno di sospettare ehe la frequenza dell'uso ehe Eumolpo fa della topica de tempestate non sia dovuta esclusivamente a ragioni di pertinenza letteraria. C'e da sorprendersi ehe Eumolpo, in balia del fortunale, vada a poetare di catastrofi meteorologiche? II rispecchiamento tra la natura circostante e la poesia di Eumolpo si estende anche alla concreta testualita, oltre ehe alla scelta, <progettuale>, della res17. E il lettore del Bellum dvile puo permettersi addirittura di avanzare ipotesi generative su singoli punti del poema.
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Ber il topos basti rimandare a Hes. Op. 236 s. (con il comm. di M. L. West, Oxford 1978, p. 216); 682 - 694; Verg. ecl 4, 32 (con il comm. di W. Clausen, Oxford 1994, p. 137); Hör. carm. l, l, 15-18; l, 3 (con la n. introduttiva. di Nisbet-Hubbard, pp. 43 s.); 2, 13, 14-16; sät. l, l, 6. Esso, forse significativamente, e riecheggiato anche in Ovidio, trist, l, 2, 75 s. (sull'importanza dei Tristia come modello per Eumolpo, cf.nn. 11,35). Lucano ritiene opportune anche dedicare una settantina di versi alPalluvione in Spagna (4, 48-120). Sui due episodi cf. Morford, op. cit. pp. 37-47 (ed anche pp. x, 30, sulla caratterizzazione del tiranno Cesare). A confcrma delJa sua rilevanza l'episodio occupa la parte centrale del Belltim. E Tamplificazione di Eumolpo e tanto piü significativa giacche räftraversamerito delle Alpi non sembra aver prcsentato cosi notevoli difficoltä: Lucano, ad es., puo liquidarlo in un verso soltanto, l, 183.'Sorprende anche ehe nclla prosecuzione del poemetto Eumolpo lasci senza conseguenze quella ehe sembrava una enorme disgrazia delTesercito cesariano, ehe cosi si svela motivata da ragioni di ordine letterario, non tanto dall'osservanza dei fatti storici. Opportunamente, quiridi, Eumolpo utilizza la topica deUa Gigantomachia, cosi appropriata a contesti di bellum civile (w. 206-208). Essa e presente anche in Lucano, 3,315-320. Si consideri quanto osservato in proposito da Morford, op. cit. p. 55: «This simile is included with storm-passages because the theme of war ' in heayen is related to the battle of the elements or of the winds: it is used.twice elsewhere by Lucan (l, 34-6; 7,144-150)». " vero, dunque, anche se non per via direttä, ehe il carmen scritto da Eumolpo sulla nave di Lica ha come oggetto la tempesta, secondo quanto gia ipotizzava Labate, // cadavere di Lica, cit. p. 88 (cf. n. 11). Ma il prodotto della fatica di Eumolpo non si e perso, era destinato a salvarsi dal naufragio - anche da quello, metaforico, della tradizipne manoscritta petroniana.
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Ecco un buon motivo perche il poemetto si debba aprire con uno ψόγος ναυτιλίας. Ed ecco perche quando Eumolpo deve esprimere le tristi condizioni in cui versa la plebe, va ad usare un'immagine : la plebe e come risucchiata da un duplice vortice (forse in quel momento la nave aveva fatto due giri su se stessa - siamo autorizzati ad ipouzzare): praeterea gemino deprensam gurgite fiebern / faenoris inluvies ususque exederat aeris (119, w. 51 s.)· Uimperversare del m re doveva s ggerire (o imporre?) ad Eumolpo le immagini utili per descrivere la catastrofe alpina: di la dalle fiancate c'era un referente reale assai concreto per il paragone con Yunda del m re a cui Eumolpo ha creduto opportuno ricorrere: ipsae iam nubes ruptae super arma cadebant, / et concreta geluponti velut unda ruebat (w. 199 s.). Ad Eumolpo non mancano i motivi per presentare come un paradosso il fatto ehe ai Romani in fuga dalla citta il m re potesse sembrare pi sicuro della patria: huic fuga per terras, illi magis unda probater, / et patria pontus iam tutior (w. 218 s.). E quando Eumolpo descrive la devastazione della citta di Roma - quell'affresco manieristico di Quiriti in fuga, fanciulli stretti per mano, penati occultati tra le vesti (w. 224-232) - ehe genere di similitudine ritiene opportuno usare? Quella, 'alcaico-stasiotica' con gli ultimi drammatici momenti di una nave prossima al collasso definitivo (forse, mentre Eumolpo scriveva, qualche ardimentoso faceva gli ultimi disperati tentativi di governare la nave, mentre tutti gli altri ormai si gettavano nellafuga): ac velut ex alto cum magnus inhorruit auster et pulsas evertit aquas, non arma ministris, non regumen prodest, ligat alter pondera pinus, alter tuta sinus tranquillaque litora quaerit, hie dat vela fugae fortunaeque omnia credit. (123, w. 233-237) Sembra questa similitudine denunciare di esser stata scritta nelle condizioni descritte nei capp. 114 s.: una reale tempestas si e convertita in un riuso comparativo del topos: ac velut ex alto cum magnus inhorruit auster/ [...] non arma ministris, / non regumen prodest eqs. (si noti come la negazione ripetuta riproduca — o dovremmo dire ? - la movenza di 114, 13: non arbor erat relicta, non gubernacula, non funis aut remus, eqs.)· La sollecitazione specificamente epica indotta dalla tempestas su Eumolpo si e realizzata18. Ma, inaspettatamente, Eumolpo chiude la similitudine, quasi di fretta, con un gesto autoriflessivo sorprendente: quid tarn parva queror? (v. 238). Puo un poeta informato sulle norme del decorum definire con Taggettivo paruus uno dei topoi tra i pi elevati e drammatici? Ma, d'altra parte, non aveva Eumolpo, ehe qui si chiama in causa in prima
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£ le sollecitazioni allo scholasticus Eumolpo vengono anche dal versante intertescualc. La tempesta del cap. 114 - almeno nella descrizionc di υη altro scholasticus, il narratore Encolpio - viene infatti rappresentata in termini tipicamente virgiliani: cf. A. Collignon, Et de sur Petrone, Paris 1892, pp. 126 s.; Morford, op. cit. p. 32; P. G. Waish, The Roman Novel, Cambridge 1970, p. 37 (e, come mi fa osservare il Prof. E. A. Schmidt, al riuso di materiali virgiliani e a! conseguente innalzamento stilistico corrisponde la presenza di elementi ritmid dell'esametro epico: arbor erat, coriambo; materies ibat cumflttctibus, tetrapodia bucolica). La «risposta> di Eumolpo, se si aramette ia noscra ipotesi, consistera in un anche intertestuale: la similitudine con la tempesta ehe e contenuta nel ellum, infatti, deve molto anch'essa al modello virgiliano: basti rimandare di nuovo a Collignon, pp. cit. pp. 159 s.; Morford, op. cit. p. 32 n. 2 (cf. anche la <sinossi* di P. Grimal, La guerre avile de Petrone dans ses rapports avec la Pharsale, Paris 1977, p. 286).
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persona, tuttc le ragioni di (queror) la furia del märe, lui ehe, all'atto della scrittura, stava rischiando di morire affogato? Quando componeva il Bellum, dunque, Eumolpo era cosi rapito daüa süa ispirazione da non rendersi neppure conto di quanto suonasse ridicola e impropria quella sua considerazione? O forse tentava cosi di esdrcizzäre il pericolo imminente, quasi ehe esso potesse essere rifiutabile come un topos letterario?19 Anche quando Eumolpo, per magnificare la grandezza di Pompeo, concede spazio a immagim marinare, possiamo intuire il perche: gemino cttm consule Magnus, / ille tremor Ponti saevique repertor Hydaspis / etpiratarum scopulus, modo quem ter ovantem / luppiter honuerat, quem fracto gurgite Pontus / et veneratus erat submissa Bosphoros unda, / pro pudor> imperii deserto nomine fugit (w. 238-243). U poemetto, infine, si chiude con l'apostrofe della Discördia, divinitä simbolo di qualunque guerra civile, non senza ehe sia cupamente adombrato uno sconvolgimento dell'ordine naturale corrispohdente a quello dell'ordine umano (w. 264-266)20.
II tema del cataclisma finale, ehe e tra gli ingredienti delTultima parte del Bellum di Eumolpo, e presente anche nel Bellum civile di Lucano (cf. spec. 5, 620 - 624)21, cosi come la similitudine, imparentata con Pallegoria alcaico-oraziana, tra la fuga dalla citta e la fuga da una nave ehe sta per naufragare (cf. 233-239 con Lucan. l, 498-504)22. Corrispondenze tra il poemetto di Eumolpo e l'opera di Lucano -^ e chiaro - non possono esser considerate inerti. Molto, forse troppo, si e discusso sulle intenzioni del testo petroniano nei confronti del capolavoro deirepica neroniana. Credo ehe ratteggiamento piü accorto sia quello di chi ha cercato nella caratterizzazione di Eumolpo la chiäve per comprendere il poemetto2?. II Bellum civile, infatti, ehe gli si chieda di operare come parodia sprezzante di Lucano, o come impegnata correzione dei suoi <errori>, non poträ ehe risultare deludente: come e stato efficacemente detto, non e ne troppo brutto ne troppo bello; non abbastanza di cattiva quälita
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Nella ricostruziönc di K. Müller, ehe, seguendo il suggerimento di W. Ehlers, antepone i w. 233-237 ai w. 221-232, il v. 238 si allontana dalla similitudine con il naufragio (si veda roiltima, recentissima ediz.: Stutgardiae-Lipsiae 19954). II testo fa in effetti notevole difficolta, giacche sembra, nonostante i tentativi degli editori, ehe la similitudine resti sospesa. Nel caso deirinterpretazione Ehlers-Müller, tra U commento di Eumolpo e la similitudine si ins er i r ebbe la descrizione della fuga da Koma, ehe e appunto, nella sostanza, il referente della similitudine: quid tarn parva queror*, dunque, si riferirebbe airinsieme di comparandum e comparatum> alla connessione nave/citta (e quindi naufragio/guerra civile). Lo stesso modellp generativo del Bellum sarebbe rifiutato da Eumolpo. 20 Forse, si puö azzardare, anche nel manifesto di poetica ehe precede la recitazione dei Bellum Eumolpo denuncia il suo trauma da rischtatp naufragio: sie forensihus ministeriis exerdtati frequenter ad carminis tranquillitatem tamqttam ad portum feliciorem refugerunt, credentes facilius poema cxtrtti posse quam controversüs sententiolis vibrantibuspictam [...] neqtte concipere aut ederepartum menspolest nisi ingenti flumine litterarum inundata (118, 2 s.). Non si puö non riconoscere ad Eumolpo, ehe egli ha messo in pratica il suo precctto sulla necessita di farsi , e di non considerare la poesia come un^ portus felkiort dove ci si possa godere la tranquillitas: egli quasi e affogato, in un märe fatto tutto di topica letteraria. 21 Cf. Morford, op. cit. p. 42. 22 II parallele e registrato da Morford, op. cit. p. 32, n. 2, ed e incluso nella utile <sfnossi> di Grimal, op. cit. p. 287; ma cf. gia Stubbe, op. cit. p. 140. 23 II lavoro di riferimento e il noto articolo di R. Beck, Eumolpus poeta, Eumolpus fabulator: A Study of Cbaracterization in tbe Satyricon> «Phoenix» 33,1979, pp. 239-253.
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per apparire parodistico, ma neanche sufficientemente di buona qualitä per proporsi seriamente come esempio normative di Stile24. II vuoto di senso a cui porta questa impostazione va colmato (o, meglio, evitato, come vedremo). Tutto sta nel non voler fare del Bellum, per la sua eccezionale lunghezza rispetto alla media degli inserti metrici petroniani, un caso del tutto a se. £ sempre possibile rinvenire uria connessione con la realtä esterna del narrato nelle altre composizioni di Eumolpo, poeta per tutte le occasioni, vera personificazione dell'istanza prosimetrica ehe e a fondamento del romanzo25: qui sta il gioco petroniano. Si consideri, nella prima sequenza in cui compare Eumolpo, il poemetto ehe piü e paragonabile per impegno al Bellum, la Halosis Troiae, quei 65 senari giambici ehe non hanno mancato di suscitare analoga discussione sulle loro intenzioni (parodia del poema di Nerone sul medesimo argomento, o del giovanile Iliacon di Lucano, o del II libro ddl'Eneide? o forse critica allo Stile e ai metri di Seneca?). Non solo la Halosis Troiae - il testo lo dice esplicitamente — trova la sua occasione di performance come didascalia ai dipinti ehe Encolpio sta osservando (a dire il vero Eumolpo vuol dare rimpressione di comporre estemporaneamente: sed Video te totum in illa haerere tabula, quae Troiae halosin ostendit. itaque conabor opus versibus pandere [89, l])26. Ma si capisce anche ehe la reazione dei passanti, ehe prendono a sassate il poeta fino a costringerlo a fuggire dai portici e ad abbandonare il templum, e in qualche modo concordante con la violenta scena della presa di Troia evocata da Eumolpo. Piü di preciso, negli ultimi versi ehe il poeta ha potuto pronunciare - innesco, dobbiamo credere, della tentata lapidazione - c'e tutta la crudeltä dei Greci, profanatori proprio di sacra (hie graves alius mero / obtruncat et continuat in mortem ultimam / somnos, ab ans alius accendit faces / contraque Troas invocat Troiae sacra [89, w. 62-65]). Ad Eumolpo, dunque, venir cacciato fuori dal templum era il meno ehe potesse capitare27. In questo mettere in contrasto le ragioni della poesia con le ragioni della realtä empirica (con le ragioni della
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1l modo della formulazione risale a W. Arrowsraith, in The Satyricon of Petronius, traduz. di W. A., Arm Arbor 1959, pp. 208-210: ma cf. anche R A. George, Petronius and Lucan De Bello Civili, «Class. Quart.» n. s. 24,1974, pp. 119-133, spec. p. 119; Beck, art. cit. p. 241. Altre discussioni utili (anche per la bibl.), ma fondate su interpretazioni assai diverse, in A. F. Sochatoff, The Purpose of Petronius' Bellum civile: A Reexamination, «Trans. Amer. Philol. Ass.» 93,1962, pp. 449-458;}. P. Sullivan, The Satyricon of Petronius: A Literary Study, London 1968, pp. 165-189; Walsh, The Roman Novel, cit. pp. 49 s.; Eumolpus, the Halosis Troiae, and tbe De Bello Civili, «Class. Philol.» 63,1968, pp. 208-212. Per ulteriore bibl., e per un attento bilancio della questione, rimando a Soverini, art. cit. pp. 1746-1750,1755—1771. Cf. Labate, Eumolpo e gli altri, cit. spec. p. 167: «Eumolpo non e, nel Satyricon, un personaggio come gli altri, perche ha il privilegio di riunire in se quelli ehe sonp i tratti distintivi e le diverse matrici formative dell'opera petroniana». In direzione analoga alla nostra si muove M. Coffey, Roman Satire, London 1976, p. 191: «There is no parody äs such in the Troiae halosis. Petronius' comedy is to be found in the contrast between the naturalistic setting and the pretentious preliminaries of the vagabond poet, whose vcrses in the grand manner, though not ridicuJous, are not consistently distinguishcd». Piü avanti si e spinta invece F. I. Zeitlin, Romanus Petronius: A Studyofthe Troiae Halosis and the Bellum Civile, «Latomus» 30,1971, pp. 56-82, spec. pp. 58-67. Per i meccanismi delTinvcnzione satirica, una Halosis Troiae puo esser recitata di fronte all'inccndio di un'intera citta, come fecc Nerone (v. supra): implicazione assai poco gradevole per gli uditori. Per il problcma del rapporto tra la Halosis Troiae di Eumolpo e quell a di Nerone rimando a Soverini, art. cit. p. 1761.
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prosa, se si prcferisce), m strand ne i rispecchiamenti e le contraddizioni, eonsiste il gioco di Petronio28. Analogamente per il Bellum civile: un lettore arrivato ormai al cap. 118 non puo non sapere come funziona il Satyricon, e, in special modo, U personaggio di Eumolpo, cosi chiaramente caratterizzatp gi al suo primo apparire. Uesperimento di Petronio e consistito nel prendere un personaggio di una cultura retorico-poetica per alcuni versi analoga a quelia ehe in Lucano trova il pi grande rappresentante, e metterlo in una situazione tale da innescare la sua produttivita letteraria. £ questo il modo con cui l'istituto romanzesco permette a Petronio di verificare il funzionamento dei meccanismi letterari. Anche il Bellum, e il contesto nel qu le esso va a porsi, dimostrano quanto sia attiva una caratteristica fondante del personaggio di Eumolpo. A lui e spesso affidato il compito di cogliere i nessi tematici tra la poesia e la prosa, e quindi, in ultima analisi, di produrre la testualita prosimetrica del Satyricon: ad Eumolpo, dunque, e demandata (almeno parzialmente) una tra le prime prerogative autoriali. Ueccezionalita del Bellum e solamente nelTenfasi ehe le dimensioni dell'inserto metrico e la finezza della tecnica narrativa pongono su di un procedimento ehe e alla radice della caratterizzazione di Eumolpo anche nel resto del Satyricon. Uetopea del letterato invasato quanto fatuo e disegnata con finezza anche in quello ehe potrebbe altrimenti sembrare un lungo inserto metrico cosi poco integrato al contesto del romanzo. Anche il Bellum, come il testo in prosa, e soggetto ai consueti meccanismi narrativi del Satyricon, e interpretabile come il risultato delTazione di un personaggio preciso, posto in una situazione precisa. La caratterizzazione petroniana non conosce fratture. Con questa interpretazione, dunque, si evita il vuoto ehe il testo oppone a chi lo interroga sulle sue intenzioni (parodistiche?) nei confronti di Lucano29. 28
II modo in cui il poemetto di Eumolpo si inserisce nel Satyricon e ancora, forse, pi fine. Come gi e stato notato, nell'episodio della pinacoteca l'istanza diegetica rimbalz dalle rappresencazioni pittorichc al contesto del narrato, in un gioco di specchi ehe riproduce meccanismi tipici del romanzo greco (cf. E. Courtney, Parody and Literary Allusion in Menippean Satire, «Philologus» 106, 1962, spec. p. 97), ma .ehe avevano avuto una memorabile realizzazione in Virgilio, Aen. l, 441-493 (dove Enea ammira una figurazione pittorica della guerra di Troia, soggetto nel qu le ha ben ragione di immedesimarsi). Ripetendo il grande modello deli'Enea virgiliano, Encolpio trova nei dipinti a tema erotico spunto per considerazioni sulla propria esperieriza personale (cf. Zeitlin, art. cit. pp. 59 S.; Conte, op. cit. pp. 22-25). Il modello virgiliano sottostante alla scena emerger poi ancor pi esplicitamentc: Eumolpo, ehe nota quanto Encolpio e attratto dal dipinto in cui e proprio la Halosis Troiae ad essere evocata (89,1), prende ad illustrare il dipinto con un poemetto ehe presuppone molto da vicino Aen. 2 (cf. Zeitlin, art, cit. p. 60). Eumolpo, dunque, pretende di gestire coscientemente la tppica del rispecchiamento tra 1'έκφρασις e il narrato (sed video te totum [...]. itaque conabor opus versibuspandere), di reinventarsi quasi novello Virgilio: dunque dawero egli incarna per sperare di aver salva la vita. 29 In Beck, art. cit. pp. 247 s., si leggono interessanti osservazioni su come il Bellum si adatti all'immediato contesto narrativo (Crotone, la citta in cui Eumolpo e gli altri stanno per entrare, e afflitta da mali in qualche modo analoghi a quelli della discordia politica). La nostra interpretazione non le esdude. Pi sottili i tentativi di il Bellum fatti da Zeitlin, art. cit. pp. 67-82. Da ricordare anche, per la cornice in cui il Bellum si inserisce, l'intervento di E. Courtney, Theocritus, Vergil, and Petronius, «Amer. Journ. Philol.» 109, 1988, pp. 349 s. Una messa a punto della problematica relativa ai due maggiori inserti metrici del Satyricon in D. Gagliardi, Petronio e il romanzo moderno. Lafortttna del Satyricon attraverso i secoli, Firenze 1993, pp. 35-41.
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Uipotesi di cqnsiderare il Bellum civile come il prodotto della frenetica ispirazione di Eumolpo sulla nave in tempesta ha il vantaggio di presupporre un raffinato meccanismo narrativo ehe non puo stupire nel Satyricon. Ueffetto ritardato ehe Petronio, maestro dei ternpi narrativi, ha predisposto nel testo, e innescato da segnali precisi30. fc il testo stesso, con la sua , ad attivare la significazione, ad l'interpretazione: esso, infatti, mostra di prevederla, di includerla tra le proprie Strategie. Quando Eumolpo viene scoperto dai suoi compagni, l'attenzione del lettore e attratta dalla membrana ingens, quel grosso scartafaccio sul quäle il poeta sta scrivendo furiosamente, i suoi versi (attenzione sollecitata anche dal dato fonico: membranaeque INGEnti versus INGErentern)31. E quando il lettore, pochi capitoli piu avanti32, si trova di fronte a quel monstrum ehe e il Bellum civile, l'inserto metrico incomparabilmente piü lungo in tutto il romanzo, in modo molto naturale gli tornerä allä mente quella misteriosa membrana ingens, ehe lo stesso commento finale di Encolpio, cum haec Eumolpos in gen t i volubilitate verborum effudisset (124,2), sembra evocare: in un racconto, si sä, la descrizione di un'arma induce il lettore ad aspettarsi ehe con quell'arma un delitto verra commesso... E certo non ei si potrebbe stupire ehe Eumolpo sia riuscito a trarre in salvo quella membrana cosi preziosa, a cui egli ha mostrato di tenere piü ehe alla sua stessa vita33. A segnalare il collegamento sembra essere anche l'esplicita dichiarazione di Eumolpo, al momento di presentare il suo Bellum civile: tamquam siplacet hie impetus, etiam si nondum recepit ultimam manum (118,10), ehe sembra presupporre quanto detto in 115, 5: at ille interpellatus excanduit et: <sinite me - inquit - sententiam explere; laborat carmen in fine> (115, 5)34. Ci sono buone ragioni per chiamare impetus un carmen composto furiosamente nel mezzo di una tempesta, ancora necessariamente non rivistp, e per scusarsi quindi della sua imperfezione formale, appellandosi alla benevolenza delPuditore35. E di quäle suo carmen Eumolpo puo 30
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Proprio neil'episodio della nave di Lica anche in altro modo la tccnica diegetica petroniana impiega effetti di differimento e prefigurazione: nei capp. 104, 5-105, l vengono adombrati quella tempesta e quel naufragio ehe sono il successivo anello nella catena degli eventi. Sul modo in cui e congegnata questa sezione del romanzo cf. V. Ciaffi, Struttura del Satyricon, Torino 1955, pp. 93-99; P. Fedeli, Petronio: il viaggio, il labirinto, «Mal. Disc.» 6,1981, pp. 91-117, spec. pp. 91-97. Ma si ricordi anche, piu in generale, il classico saggio di M. Barchiesi, L'orologio di Trimaldone (struttura e tempo narrativo in Petronio), in / moderni alla ricerca di Enea> Roma 1981, pp. 109-146. La stessa dimensione dell'oggetto fa pensare ad un Javoro di grande Jena, qualcosa di ben diverso rispetto ad una composizione Hrica estemporanea, qualcosa come un poema epico. Si pensi a luv. l, 4-6: inpune diem consumpserit ingens /. Telephus aut summiplena iam margine libri/saiptus et in tergo necdum finitus Orestes? (per un testo satirico grosse dimensioni del liber e genere epico tendono a sovrapporsi). Non mancano le laatnae, ma e molto improbabile ehe esse siano di estensione considerevole: cf. Ciaffi, op. cit. p, 64; H. Van Thie], Petron. Überlieferung und Rekonstruktion, JLugduni Batavorum 1971, pp. 47-49. Mentre, almeno ragionando in termini razionalistici, sembra ben difficilc ehe il naufrago Eumolpo, perso il bagaglio, abbia avuto il tempo per comporre i 295 versi del Bellum dopo J'approdo (quello ehe egli devc aver recitato alla fine del cap. 115 era un epigramma estemporaneo per il morto Lica). Considerazioni analoghc fa Stubbe, op. cit. p. 81. Analoga captatio benevolentiae e in quanto Ovidio dice ripetutamente ai lettori dei Tristia e delle Epistulae ex Ponto, opere scritte in condizioni di particolare precarieta (in proposito rimando, per una discussionc stimolantc dei luoghi in quesdone, a G. D. Williams, Banished Voices. Readings in Qvid's Exile Poetry, Cambridge 1994, pp. 50—99). Per coroprendere la di Eumolpo, e significativo ehe questo tema cmerga gia in Tristia l, ehe Ovidio dicbiara nel congcdo, l, 11, di avcr composto durante il viaggio, spesso anche nsl bei mezzo di violente tempeste: saepe ego nimbosis dubius iactabarab Haedis /...//saepe maris pars intus erat; tarnen ipse trementi / carmina ducebam qualiacumque manu (l, 11,13-18). Eumolpo, tra i
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dire ehe non ha ricevuto ancora l'ultima manus, se di quello ehe egli ha rischiato dawero, novello Virgilio36, di lasciare incompiuto? Le aspettattvesuscitate daHä tecnica prosimetrica vengono dilazionate, ma non disattese: quel ehe viene composto viene poi anche recitato. La curiosita del lettore (ehe cosa avrä mai scritto Eumolpo sulla navedi Lica?) e ora soddisfatta.
Se si accetta la nostra interpretazione, il meccanismo narrativo costruito da Petronio apparirä particolarmente räffinato: non solo esso ha im valore (il Bellum permette di completare con il tassello mancante la scena gia lett;a nei capp. 114 s.), ma anche <progressivo> (Pinvasamento di Eumolpo permette di comprendere megliö il süccessivo Bellum, e di inserirlo nella tessitura degli eventi.romanzeschi); II piü lungo inserto metrico del Satyricon non fa eccezione, anch'esso, come gli altri, integrato alle kitenzioni narrative del testo. Tutto e il contrario di tutto e stato detto sulla cronologia de! Bellum avile petroniano, sulle sue motivazioni in rapporto al poema lucaneo. Ma qualcosa si puo dire su quando, in ehe condizioni, e perche il Bellum avile e stato scritto - non da PetroniOj ma da Eumolpo.
cui modelli figura quello del poeta dei Tristia (e in particolare di trist, l, 11: cf. n. 11), poteva dünque pure lui come Ovidio giustificarsi dell'imperfezipne di un poema composto nel pericölo imminente di naufragio. 36 Tra i <predecessori> di Eumolpo ehe lasciarono incompiuta la loro ultima opera c'e anche Ovidio (si pensi a quanto in trist, l, 7,11 «-40, con ironia tra raalinconica e divertita, Ovidio stesso ci insista, non a caso a proposito della sua opera <maggiore>, Tepos delle Metamorfosi; cf. Beck, art. cit. p. 244, n. 20; Labate, Eumolpo e gli altri, cit. p. 161, n. 17). Entrambi i poeti, poi, non ebbero a rallegrarsi del viaggip per märe piü impor.tante della loro vita: Virgilip, ehe in conseguenza di esso si ammalo e mori; Ovidio, ehe rischio il naufragio. Di regola, del resto, il viaggio per märe e occasione facile di morte per un poeta: cosi, sembra, fu per Menandro, e cosi per il suo successore roraano, Terenzio - almeno secondo la prima tradizione conservataci da Svetonio-Donato: cf. vita Ter. p. 32 Reiff. (anche la seconda tradizione, ehe vofrebbe Terenzio morto per il dolore di aver perso in märe le sue ultime commedie [cf. ibid., p. 33], puo essere un buon precedente per il comportamento di Eumolpo, attaccato alla sua membrana ingens piü ehe alla vita stessa). E anche Orazio rischiö la vita per märe, come cgli stesso dice, ma con un'allusione non poco oscura (carm. 3, 4, 29). Considerato quanto e rilevante corae precedente per rinvenzione romanzesca questa tradizione degli accidenti occorsi ai poeti e alle loro opere, non sorprenderi, allora, ehe nelPöpera (almeno temporaneamente) dt Eumolpo ci sia anche quasi l'analogo di un tihicen virgiliano: Pultimo esametro, facturn est in terris, quicqttid Discordia iussit (295), sernbra concludere un po' troppo frettolosamente U poema, ha il sapore di un appunto prowisorio, ehe denuncia la volontä di tornarci ancora. Questa impressione ehe il verso da non deve perö motivare, in sede critico-testualc, la proposta di espunzione avanzata da Heinsius, seguito anche da l, Mössler e da A. Ernout, Paris 1922 (il quäle non sembra aver presente Heinsius [cf. Stubbe, op. cit. p. 81]): essa, infatti, rientra tra gli effetti di Icttura prcvisti dalla strategia del testo, nella sua forrna originale e genuina. ILmodo unpo* approssimativo con cui il Bellum si conclude nort · puo stupire per unOpera ehe <non ha ancora ricevuto ultima manus>. Ma'.esso e particolarmente giustificabile per un poemetto la cui composizione, secondo la nostra interprctazione, si e svolta in condizioni dawero prccarie, ed e stata interrotta dalh'ntervento di Encolpio e degli altri: il testo stesso del Bellttm sembra quindi denunciare quanto fosse motivata lä risentita esclamazione di Eumolpo: <sinite me> inquit <sententiam explere; labortf carmen in fine> (115, 4). £ stato proprio costretto, Eumolpo, a mettcre in fretta un punto fermo: e il risultato si vede.
WALTER MESCH Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie? Zu den ontologischen Voraussetzungen von Confessiones XI Die Frage nach der Zeit dürfte so alt sein wie philosophisches Fragen überhaupt. Wenn sie von Augustinus im XL Buch der Confessiones aufgeworfen wird, steht er jedenfalls inmitten einer reichhaltigen Tradition. Diese reicht von vorsokratischen Anfängen1, über Platon und Aristoteles bis zu den hellenistischen und kaiserzeitlichen Schulen, unter denen neben der Stoa vor allem der Neuplatonismus Erwähnung verdient. Und sie wurde mit Augustinus natürlich auch nicht abgebrochen, sondern findet etwa im mittelalterlichen Platonismus und Aristotelismus ihre Fortsetzung. Dessen ungeachtet ist Augustinus in unserem Jahrhundert so emphatisch gefeiert worden, als hätte er die Frage nach der Zeit überhaupt erst auf den Weg gebracht. Am bekanntesten ist Husserls Wertschätzung, der die Lektüre des XL Buches der Confessiones für unerläßlich erklärt, wenn man sich für das Zeitproblem interessiere. Doch auch Cassirer und Russell sind mit ihrem Lob kaum zurückhaltender, und selbst Heidegger hat die augustinische Untersuchung der Zeit für eine der wichtigsten gehalten, worin ihm wiederum Gadamer gefolgt ist. Ihre verschiedenen, aber durchaus verwandten Motive sind unschwer zu erkennen. Was Husserl betrifft, wird man vor allem an diephänomenologische Vorgehensweise der augustinischen Untersuchung denken müssen. Augustinus erscheint bei ihm als ein ernsthafter und tiefsinniger Denker, der phänomenalen Sachverhalten gerecht zu werden vermöge, weil er sich nicht vorschnell begrifflichen Konstruktionen anvertraue.2 Ausschlaggebend für Cassirer und Russell ist dagegen eher, daß Augustinus die Zeit nicht mehr als ein objektiv gegebenes Seiendes thematisiere, sondern diese als ein subjektives Phänomen entdecke, das im Ausgang vom Zeitbewußtsein zu analysieren sei. Für sie hat Augustinus damit ein Feld betreten, das seit Kant von der Erkenntnistheorie genauer vermessen worden ist.3 Heidegger schließlich ist vorrangig am zukitnftsorientierten 1
Die Tatsache, daß die Frage nach der Zeit bei den Vorsokratikern noch nicht ausdrücklich gestellt und erst recht noch keine Zeittheorie formuliert wird, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Problem der Zeit spätestens bei Parmenides ins Zentrum philosophischen Denkens rückt. Denn im berühmten Fragment 8 wird das Seiende nicht nur als «unentstanden» und «unvergänglich», sondern auch durch die Negation seiner Zeitlichkeit («es war nicht und wird nicht sein») und die Affirmation eines «Jetzt» bestimmt, in dem es «zugleich ganz» ist. Vgi. dazu M. Theunissen, Die Zeitvergessenheit der Metaphysik. Zum Streit um Parmenides, Fr. 8.$-6a, in: Ders.: Negative Theologie der Zeit, Frankfurt a. M. 1991. Vor diesem Hintergrund mag schließlich sogar die Deutung des Entstehens und Vergehens durch die milesische Naturphilosophie, wie sie von Parmenides für das Seiende abgewehrt wird, als früher Beitrag zur Exposition des Zeitproblems verstandlich werden. 2 E. Husserl, Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, m: Jahrbuch für Philosophie und pbänomsnologiscbe Forschung 11 (1928), S. 2. 3 E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen Bd. III, Hamburg 1929, S. 194 und B. Russell, History of Western Phihsophy, London 1945, S. 353: Wahrend sich Cassirer vorrangig an Kants Transzendentalphilosophie orientiert, geht Russell sogar noch einen Schritt weiter, indem er die augustinische Kennzeichnung
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Verständnis der Zeit gelegen, das nach Auskunft seiner Daseinsanalytik als existentiale Zukunft des «Auf-sich-Zukommens» im eigentlichen Sorgevollzug gegenüber dem ansonsten dominierenden «Gegenwärtigen» die Führung übernimmt. Und zu einem solchen zukunftsorientierten Verständnis der Zeit soll Augustinus nach Ansicht Heideggers zumindest unterwegs gewesen sein.4 Nun konnten diese Versuche, einen antiken Autor als Wegbereiter der modernen Zeittheorie verständlich zu machen, in einer eher historisch als systematisch interessierten Augustinusforschung natürlich nicht unwidersprochen bleiben. Entsprechend wurden sie auch immer wieder mit Hinweisen auf antike Diskussionszusammenhänge konfrontiert.5 Gleichwohl ist kaum zu übersehen, daß wenigstens die These von der besonderen Phänomennähe des XL Buches der Confessiones und die These von seiner Subjektivierung der Zeit auch heute noch weithin dominieren.6 Dies hängt damit zusammen, daß sie, anders als die These von seinem zukunftsorientierten Zeitverständnis, einen offensichtlichen Bezugspunkt im Text besitzen. So ist durch eine genaue Textlektüre unschwer vorzuführen, daß von einem Vorrang der Zukunft in der augustinischen Zeituntersuchung nicht die Rede sein kann.7 Eine gewisse Phänomennähe und irgendeine Form von Subjektivierung scheint ihr dagegen kaum abgesprochen werden zu können. Augustinus entwickelt seine Zeittheorie nämlich unbestreitbar in engem Kontakt mit vorphilosophischen Ansichten über die Zeit und kommt dabei ausdrücklich zu dem Ergebnis, die Zeit sei in der Seele; Außerdem weist die Rede von einer phänomenologischen Methode insofern eine konstitutive Unbestimmtheit auf, als sie zunächst kaum mehr als ein Kampfbegriff gegen begriffliche Konstruktionen und metaphysische Setzungen ist, der positiv auf ganz unterschiedliche Weise gefüllt werden kann. Auch die Rede von der Subjektivierung läßt sich so vage halten, daß sie die augustmider Zeit als eines subjektiven Phänomens für noch eindeutiger hält als die kantische. Anders als Cassirer ist er selbst freilich nicht der Auffassung, daß die Zeit wesentlich etwas Subjektives sei. 4 M. Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie (GA 24), S. 329. Im Falle Heideggers liegen die Dinge etwas komplizierter als bei Husserl, Cassirer und Russell, da seine Wertschätzung Augustins dadurch beeinträchtigt wird, daß letztlich auch dieser, wie die gesamte Tradition seit Aristoteles, dem sogenannten vulgären Zeitbegriff verhaftet geblieben sein soll. Dies hat allerdings Heidegger folgende Augustinusinterpreten, die um ein positiveres Verhältnis zur Tradition bemüht waren, nicht claran hindern können, bei Augustinus eine Ausrichtung der Zeitanalyse auf die existentiale Zukunft auszumachen. Zu nennen wäre hier vor allem H.-G. Gadamer, Über leere und erfüllte Zeit, in: Die Frage Martin Heideggers, Heidelberg 1969, aber auch R. Berlinger, Zeit und Zeitlichkeit hei Augustin, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 7 (1953) und U. Duchrow, Der sogenannte psychologische Zeitbegriff Augustins, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 63 (1966). 5 Vgl. vor allem K. Flasch, Was ist Zeit? Augustinus von Hippo. Das XL Buch der Confessiones. HistorischPhilosophische Studie, Frankfurt a. M. 1993, Kap. , , V und zusammenfassend S. 282. 6 Dies gilt besonders für die angebliche Phänomennähe der augustinischen Zeittheorie. Mir ist niemand bekannt, der ihr grundsätzlich widersprochen hätte. So wird sie selbst von K. Flasch eingeräumt, der allerdings zugleich darauf hinweist, daß Metaphysik in ihr präsent sei (A.a.O., S. 46). Mit ungewöhnlichem Nachdruck vertreten wurde sie zuletzt von F.-W. v. Herrmann, Augustinus und die phänornenologische Frage nach der Zeit, Frankfurt a. M. 1992. Die These von der augustinischen Subjektivierung der Zeit ist zwar umstrittener. Auch dies bedeutet aber nicht, daß sie grundsätzlich infrage gestellt würde. Strittig ist,' wie wir sehen werden, vielmehr weitgehend nur, was mit Subjektivicrung im Blick auf Augustinus genauer gemeint sein kann. 7 Vgl. hierzu vor allem E. A. Schmidt, Zeit und Geschichte bei Augustin, Heidelberg 1985. Schmidt weist zu Recht darauf hin, daß Zukunft und Erwartung in der Zeitlehre von Augustinus nach dem Modell von Vergangenheit und Erinnerung gedacht sind und daß Ewigkeit die Aufhebung der Zeit, nicht ihr Richtungssinn von der Art eines zukünftigen Zieles ist (Kap. 3 und 4).
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sehe Wendung zum Begriff der Seele zumindest solange abzudecken scheint, wie ihre spezifisch modernen Implikationen nicht beächtet werden. Der Hauptgrund für die fortdauernde Dominanz der beiden Thesen ist meines Erachtens aber, daß man den ontologischen Voraussetzungen der augustinischen Argumentation nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet hat. Denn damit müßte sich die Einschätzung ihrer Methode und ihres Ergebnisses zwangsläufig ändern. Wenn die augustinische Untersuchung der Zeit keineswegs nur im Sinne irgendeiner Verwandtschaft mit anderen antiken Zeittheorien, sondern von ihrem eigenen Ansatz her nicht ohne ontologische Voraussetzungen auskommt, wird ihre Phänomennähe zumindest nicht mehr selbstverständlich sein können. Auch wer nicht pauschal jede Ontologie als phänomenfern verwerfen möchte, hätte sich vielmehr danach zu fragen, ob gerade jene Voraussetzungen, die Augustinus macht, aus der Perspektive der erfahrbaren Zeitphänomene zu überzeugen vermögen. Entsprechend könnte es kaum überraschen, daß Augustinus mit seiner Wendung zur Seele nicht zu einer rein subjektimmanenten Zeit durchdringt. Es wäre aber auch nicht gerechtfertigt, in seinem Festhalten an einer realen Zeit lediglich eine äußere und philosophisch unergiebige Grenze seiner Zeittheorie zu erblicken.8 Statt dessen müßte damit gerechnet werden, daß es sich dabei weniger um die Folge des naiven Realismus eines vorphilosophischen Bewußtseins als um die einer bestimmten Ontologie handelt. Ich möchte im folgenden ausführen, daß und inwiefern dies der Fall ist, indem ich vor allem die Aporie untersuche, auf die Augustinus mit seiner Wendung zur Seele reagiert. Wenn irgendwo, so muß nämlich hier, in der Exposition der Schwierigkeit, die das weitere Prozedere bestimmt, deutlich werden, ob er zu Recht für seine phänomenologische Vorgehensweise gerühmt wird, ob bei ihm von einer Subjektivierung der Zeit gesprochen werden kann, oder ob er nicht vielmehr von ontologischen Voraussetzungen ausgeht, die diese Thesen fragwürdig erscheinen lassen. Bevor ich mich diesen Fragen der Reihe nach zuwenden kann, muß die augustinische Aporie und ihre Stellung innerhalb der Untersuchung der Zeit bereits in Grundzügen deutlich sein. Sehen wir uns also zunächst einmal an, worin diese Aporie überhaupt besteht. I
Nach Augustinus zeigt sich an der Art und Weise, wie wir über die Zeit sprechen, daß wir sie für etwas Ausgedehntes halten. Wir nennen sie nämlich «lang» oder «kurz» und teilen dadurch mit, wie groß uns ihre Ausdehnung erscheint (18)9. Wenn wir genauer sind und die Zeit messen, vergleichen wir zwei Zeiten miteinander und können nunmehr sagen, um wieviel eine bestimmte Zeit länger oder kürzer ist als eine andere (21). Auch diese alltägliche Praxis der Zeitmessung ist offenbar nur unter der Voraussetzung möglich, daß die Zeit etwas Ausgedehntes ist. Nun sieht es aber so aus, als könne die Zeit gar keine Ausdehnung besitzen. Denn einerseits ist die Vergangenheit nicht mehr und die Zukunft noch nicht, so daß die Zeiten, denen wir eine Ausdehnung zuschreiben, wie z. B. eine lange vergangene Zeit von 8
Dies ist eine generelle Tendenz in der Debatte um die augustinische Subjektivierung der Zeit. Vgl. etwa JL Gloy, Die Struktur der Augustinischen 2*ittheorie im XJ. Buch der Confessiones, in: Phil. Jahrbuch 95 (1988), S. 73/74. * Ich zitiere Conf XI der Einfachheit halber nur nach den arabischen Textnummern und ohne die Kapitelangabe in römischen Ziffern.
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vor hundert Jahren, eigentlich gar nicht sind, und folglich auch keine Ausdehnung besitzen können (17). Andererseits besitzt gerade die Zeit, die demgegenüber als die eigentlich seiende zu betrachten wäre, die Gegenwart, keine Ausdehnung. Dies zeigt sich nach Augustimis an der Möglichkeit, die Gegenwart in immer kleinere Abschnitte zu teilen, von denen nicht alle ganz gegenwärtig sind. Augustinus führt dies vor, indem er, von hundert gegenwärtigen Jahren ausgehend, die angebliche Gegenwart durch Wiederholung der Frage, was an ihr ganz gegenwärtig («totus praesens») sei, zunächst auf ein Jahr, dann auf einen Monat, einen Tag, eine Stunde einschränkt. Schließlich behauptet er, daß selbst dann die Ausdehnung der Zeit nicht verständlich wird, wenn wir in ihr etwas erkennen, das zu Recht Gegenwart genannt werden kann, weil es nicht mehr weiter teilbar ist. Denn «dies fliegt so rasch (ita raptim) aus der Zukunft in die Vergangenheit hinüber, daß sie sich zu keiner noch so kleinen Dauer dehnt.» (20) Was dies genau bedeutet, ist deswegen nicht ganz klar, weil Augustinus nicht ausdrücklich sagt, wie er zu jener unteilbaren Gegenwart gelangt. Man könnte vermuten, daß er einfach davon ausgeht, man könne am Ende jener fortschreitenden Teilung auf etwas Unteilbares stoßen. Damit wäre jedoch die Möglichkeit einer Teilung ins Unendliche geleugnet, was dem Grundgedanken der zenonischen Paradoxien zuwiderliefe,10 auf den die aügustinische Teilung in ihrer Vermittlung durch die Skeptiker11 letztlich zurückgehen dürfte. Es ist deshalb nicht unwichtig, daß Augustinus lediglich davon spricht, die Ausdehnung der Zeit sei auch dann nicht verständlich zu mächen, wenn man in ihr etwas erkenne («intellegitur»), das nicht geteilt werden könne. Denn damit ist immerhin die Möglichkeit gegeben, den augustinischen Gedanken so zu interpretieren, daß er der Möglichkeit einer unendlichen Teilung, auch wenn diese für ihn nicht entscheidend sein sollte, zumindest nicht widerspricht. Folgt man der aristotelischen Darstellung, hatte Zenon nämlich gerade jene unendliche Teilbarkeit so gedeutet, daß sich aus ihr das aktuale Sein einer unteilbaren Gegenwart ergibt.12 Außerdem mag man sich fragen, warum Augustinus die Unausgedehntheit jener Gegenwart nicht einfach der Tatsache entnimmt, daß sie unteilbar ist, und statt dessen von ihrem schnellen Verfliegen «aus der Zukunft in die Vergangenheit» spricht, was eine Zeit unterstellt, um deren fragwürdiges Sein es doch geht. Klar ist, worauf Augustinus damit abzielen dürfte, nämlich auf eine nicht ganz ausgeführte Analogie der unteilbaren Gegenwart als eines bloßen Zeitpunkts zu Punkten im Raum. Es kommt aber darauf an, die Analogie zwischen einem Zeitpunkt und einem räumlichen Punkt richtig und d. h. vollständig aufzufassen. Denn natürlich kann bei einem Zeitpunkt nicht nach seiner räumlichen, sondern allein nach seiner zeitlichen Ausdehnung, also nach seiner Dauer, gefragt werden. So wie Punkte keine räumliche Ausdehnung besitzen, wäre jenen Zeitpunkten nach Augustinus also auch jede Ausdehnung in der Zeit, d. h. jede Dauer, abzusprechen.13 10 11 12
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Vgl. dazu etwa DK 29, B2 und 3. Sextus Empiricus, Adverstts MathematicoSj X3,182 - 84. Nach Aristoteles ist diese Deutung freilich falsch, weil sie die Differenz von potential und aktual Unendlichem übersieht, und entsprechend fälsch ist die daraus abgeleitete Leugnung der Kontinuität der Zeit (Physik Z9), da Kontinuität seiner Ansicht nach gerade darin liegt, daß in immer weiter Teilbares geteilt werden kann (Phys, 2l, 231 b 15). Vgl. R. Ferber, Zenons Paradoxien der Bewegung und die Struktur von,. Raum und Zeit, München 19952, S. 32. Auch daraus ergibt sich recht betrachtet eine Konsequenz von weitreichender Bedeutung. Könnte eine Gegenwart nämlich stillstehen wie ein räumlicher Punkt, wäre sie zwar nicht mehr als ein Punkt der beständig vergehenden Zeit zu verstehen, müßte aber doch zumindest eine quasi-zeitliche Ausdehnung besitzen.
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Auf den ersten Blick sieht es so aus, als bestünde die Aporie darin, daß das Sein und die Ausgedehntheit der Zeit nicht zur Deckung zu bringen sind. Augustinus hat in seiner Zusammenfassung der Aporie selbst diesen Eindruck erweckt. Denn so, wie er es dort darstellt, sollen Vergangenheit und Zukunft Ausdehnung besitzen, aber nicht sein, die letztlich punktuelle Gegenwart dagegen sein, aber keine Ausdehnung besitzen (20). Offenkundig greift eine solche einfache Aufteilung aber zu kurz. Für die Vergangenheit und Zukunft ist dies im Grunde bereits deutlich geworden. Denn zu bestreiten, daß sie sind, bedeutet natürlich auch zu bestreiten, daß sie ausgedehnt sein können. Und so kritisiert Augustinus denn auch unseren Sprachgebrauch, durch den wir Vergangenem und Zukünftigem eine Ausdehnung unterstellen (18). Wir reden zwar so, als besäßen sie eine Ausdehnung. Da sie für sich genommen nicht als seiend zu betrachten sind, muß aber vermutet werden, daß sie nur ausgedehnt sein können, wenn ihnen ihre Ausdehnung wie ihr Sein vermittelt durch die Gegenwart zukommt. Es bleibt von daher gar nichts anderes übrig, als auch die Gegenwart nach ihrer Ausdehnung zu befragen. Nun läßt sich aber in jener Teilung der Gegenwart in immer kleinere Abschnitte der Sprachgebrauch bestätigen, der ihr nach Augustinus jede Ausdehnung bestreitet (18). Und deshalb muß nun umgekehrt auch ihr Sein fragwürdig werden. Hat die Gegenwart keine Ausdehnung, so kann sie gegenüber Vergangenheit und Zukunft auch nicht mehr als der eigentlich seiende Teil der Zeit betrachtet werden. Die Gegenwart erweist sich als etwas, das von einem bloßen Umschlagspunkt von Zukunft in Vergangenheit nicht mehr zu unterscheiden ist. Während das Nichtsein von Vergangenheit und Zukunft definitiv ausschließt, daß sie ausgedehnt sein können, muß der Unausgedehntheit der Gegenwart, wenn schon nicht ihr Nichtsein, so doch zumindest ein bloßes Minimum, an Sein14 entsprechen. Damit ist klar, worin die berühmte Zeitaporie des Augustinus besteht: Angesichts des Alltagswissens von der Zeit, wie es in unsere Praxis der Zeitmessung eingeht und in unserem Sprachgebrauch zum Ausdruck kommt, bleibt uns einerseits gar nichts anderes übrig, als die Zeit für etwas Ausgedehntes zu halten. Andererseits gelingt es uns aber nicht zu erklären, inwiefern die Zeit tatsächlich etwas Ausgedehntes ist. Kurz: wir messen die Zeit, obwohl sie offenbar gar keine Ausdehnung besitzt. Und deshalb wird sogar fragwürdig, ob die Zeit überhaupt ein Sein besitzen kann. Ebendiese Aporie motiviert nun auch die Wendung zur Seele. Augustinus reagiert mit ihr nämlich in zwei Schritten auf die beiden angesprochenen Aspekte der Aporie. Zunächst wirft er die Frage auf, ob die Zeit überhaupt sei, und versucht sie dadurch beantwortbar zu
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Auf diese Weise wird bereits bei Augustinus das Motiv für eine Unterscheidung greifbar, die erst von Boethius in De Trinitate IV ausdrücklich herausgearbeitet und von da an für die Tradition bestimmend wurde: die Unterscheidung zwischen einem laufenden Jetzt (nunc currens), das die Zeit, und einem stehenden Jetzt (nunc stans), das die Ewigkeit macht (facit). Die Rede von einem «Minimum an Sein», von der im folgenden noch ausgiebig Gebrauch gemacht wird, unterstellt in keiner Weise, dies sei bereits hier ausdrücklich betont, daß die punktuelle Gegenwart doch irgendeine mysteriöse Ausdehnung besitze, sondern rechnet lediglich damit, daß sie nach Augustinus bloß deshalb, weil ihr ein bleibendes Sein abzusprechen ist, nicht in gar keiner Weise sein kann. Und dies ist sicher überzeugend. Man konnte etwa mit Hegel sagen, daß ihr Sein im Übergang in ihr Nicht-Sein (und, wie gegenüber Augustinus zu ergänzen wäre, im Übergang ihres Nicht-Seins in ihr Sein) zu sehen ist. Vgl. G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, II, §§ 258,259. Wie wir noch sehen werden, hat Augustinus zwar gerade mit dem Denken dieses Übergangs Schwierigkeiten. Dennoch ist festzuhalten, daß er der punkruellen Gegenwart nicht abspricht, daß sie ist, sondern nur, daß sie ausgedehnt ist, weshalb sie natürlich auch nicht mehr der seiende Teil einer (ausgedehnten) Zeit sein kann (20).
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machen, daß er danach fragt, wo sie sei, denn irgendwo müsse sie ja sein, um überhaupt sein zu können. Seine Antwort auf diese Frage ist natürlich, die Zeit sei in der Seele, und zwar deshalb, weil Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nichts anderes wären als ein gegenwärtiges Erinnern von Vergangenem, ein gegenwärtiges Erfassen von Gegenwärtigem und ein gegenwärtiges Erwarten von Zukünftigem. Auf dieser Grundlage fragt er dann genauer, was die Zeit sei, indem er sich erneut ihrer Meßbarkeit zuwendet und ihre dafür zu unterstellende Ausgedehntheit zu bestimmen versucht.15 Dabei gelangt er zu der Ansicht, die Zeit sei eine Ausdehnung des Geistes (distentio animi) und eben dadurch auch meßbar. Gemessen werden könnten nämlich nur die Affektionen, die die vorübergehenden Dinge und Ereignisse im Geist bewirkten, und nicht diese selbst, weil die Affektionen im Gedächtnis eingeprägt blieben, wenn die sie bewirkenden Dinge und Ereignisse längst vergangen seien. Halten wir also fest: Die augustinische Untersuchung der Zeit ist in zwei Schritte gegliedert, die eindeutig durch die eingangs ausgeführte Aporie bestimmt sind. Und im Zentrum dieser Aporie steht eine sukzessive Teilung der Gegenwart in immer kleinere Abschnitte, die auf das Postulat einer bloß punktueUem Gegenwart führt, welche als solche keinerlei Ausdehnung besitzt.
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Vor diesem Hintergrund ist es nunmehr möglich, danach zu fragen, ob diese Teilung wirklich so unmittelbar einleuchtend und phänomenorientiert ist* wie üblicherweise unterstellt wird. Sehen wir uns einmal genauer an, wodurch sie motiviert ist. Es ist offenkundig nicht unmittelbar die Frage nach der Ausdehnung der Gegenwart, sondern die Frage, ob eine vermeintliche Gegenwart wirklich gegenwärtig im Sinne von ganz gegenwärtig ist, wodurch ihre Teilung in immer kleinere Abschnitte auf den Weg gebracht wird (19). Dies mag für unproblematisch gehalten werden, sieht es doch so aus, als wäre in der Frage nach der Ganzheit der Gegenwart lediglich nach dem Gegenwärtigsein der Gegenwart, man könnte vielleicht noch deutlicher sagen: nach ihrem bleibenden Gegenwärtigsein, und insofern auch nach ihrer Ausdehnung gefragt.16 Doch ist dies wirklich so unproblematisch? Wie mir scheint, hängt dies einzig und allein davon ab, was mit der Ganzheit der Gegenwart bzw. 15
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R-W. v. Herrmann hat a.a.O., S. 62 zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Zweiteilung der augustinischen Untersuchung dem Ursprung nach aristotelisch ist (An. Post. Bl, 89b 29; Phys. 4, 202b 35). Augustinus folgt Aristoteles allerdings auch darin, wie er den Zusammenhang dieser beiden Teile auffaßt. Bereits Aristoteles hatte damit gerechnet, daß man von Anfang an zumindest ein äußerliches Wissen davon haben muß, was etwas ist, um die Frage, ob es ist, stellen und beantworten zu können. Dabei dächte er vorrangig an die Ansichten und Meinungen, wie sie in unserem vorwissenschaftlichen Sprechen greifbar sind (An. Post. B8 - 10). Bei Augustinus ist dies offenkundig nicht anders. Jedenfalls ist nicht zu bestreiten, daß auch nach seiner Darstellung die Frage, ob die Zeit sei, nur zu stellen ist, weil ein vorläufiges Wissen davon, was sie ist, bereits vorliege. Es handelt sich hierbei natürlich um die Ansicht, die Zeit müsse irgendeine Ausdehnung besitzen, wie sie sich in unserem alltäglichen Sprechen manifestiere. Augustinus selbst scheint dies jedenfalls so gesehen zu haben. Dies zeigt 'besonders folgende Stelle in Kapitel 19: «Ergo nee annus, qui agitur, totüs est praesens, et si non totus est praesens, non annus est prae-t sens.» Und seine Interpreten sind ihm hierin fast ausnahmslos gefolgt. Eine Ausnahme ist C. W. K. Mundle, Angnstine's pervasive crror concerning time, in: Philosoph/ 41 (1966), der im Anschluß an W. James behauptet, daß unsere Gegenwart durchaus eine Ausdehnung besitze und Augustinus deshalb sowohl für seine «punctiform present assumption» wie für seine «only the present cxists assumption» kritisiert.
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dem Bleiben, durch das sie zustande gebracht werden könnte, genauer gemeint ist. Denn einmal kann die fragliche Ganzheit so aufgefaßt werden, wie sie sich in der Zeit zu verwirklichen vermag, nämlich als sukzessive Ganzheit, und dann wäre mit ihr tatsächlich nach nichts anderem gefragt als nach dem Gegenwärtigsein jener Gegenwart, die mit Augustinus ein Teil der Zeit genannt werden könnte. Wir hätten eine Ganzheit, die dadurch zustande käme, daß die Gegenwärt nicht nur beständig in Vergangenheit vergeht, sondern auch beständig aus Zukunft entsteht, also im Vergehen oder besser noch als Vergehende bleibt, weil sie sich darin beständig erneuert. Die Ganzheit, nach der Augustinus fragt, ist dagegen so wenig eine sukzessive Ganzheit, als auf der Suche nach ihr, wie wir gesehen haben, jede Sukzession und damit das einzige, durch das der Zeit eine Ausdehnung zukommen kann, zielstrebig eliminiert wird. Augustinus fragt also offenbar nach einer Ganzheit in der Gegenwart und entsprechend nach einem Gegenwärtigsein, das sich nicht sukzessiv entfaltet und deshalb in der Zeit zunächst auch überhaupt nicht vermutet werden dürfte. Worin aber könnte eine solche Ganzheit bestehen? Angesichts des begrifflichen Rahmens, innerhalb dessen die augustinische Untersuchung der Zeit durchgeführt wird, muß wohl davon ausgegangen werden, daß hier an eine Ganzheit gedacht ist, wie sie paradigmatisch jener idealen Totalität zukommt, die Augustinus selbst als aeternitas, Ewigkeit, bezeichnet. Denn das temporale Merkmal der Ewigkeit, d. h. jenes Merkmal, durch das sie sich unter Zuhilfenahme zeitsprachlicher Bestimmungen von der Zeit unterscheiden läßt, ist nach seiner der Zeitabhandlung vorausgeschickten Erläuterung des göttlichen Schöpfungswortes nichts anderes als das «alles zugleich und immer» («simul ac sempiterne omnia», 9). Vor allem aber wird dieses Immer der Ewigkeit, welches darin begründet ist, daß es in ihr kein Entstehen und Vergehen, also auch kein Nacheinander, sondern nur ein reines Zugleich gibt, da sie «steht» («semper stantis aeternitatis»), von Augustinus durch ebendie Bestimmung erläutert, die er bei der zeitlichen Gegenwart vermißt: «Eine lange Zeit besteht nur aus vielen kurzen Zeiten, die vorübergehen und nicht zugleich sein können. Im Ewigen aber vergeht nichts, dort ist das Ganze gegenwärtig (totum esse praesens), während keine Zeit ganz gegenwärtig ist.» (13) Auch wenn eine solche Bezugnahme auf die Ewigkeit innerhalb einer Untersuchung der Zeit auf den ersten Blick befremdlich wirken mag, spricht also einiges dafür, daß Augustinus mit seiner Frage nach der Ganzheit der Gegenwart auf eine Ganzheit zielt, die zumindest im strikten Sinne nur der Ewigkeit zukommt, nämlich auf eine allumfassende Ganzheit bzw. Totalität von Gegenwart, die durch Simultaneität gekennzeichnet ist. Gleichwohl drängen sich wenigstens zwei Bedenken gegen eine solche Interpretation auf. Erstens mag man sich fragen, wie Augustinus auf den Gedanken verfallen sein kann, die Ewigkeit als eine Form von Gleichzeitigkeit zu denken, wenn doch Gleichzeitigkeit eine Relation in der Zeit und damit gerade nicht Ewigkeit zu sein scheint. Zweitens sieht es so aus, als könne Gleichzeitigkeit gerade dann, wenn sie, auf welche Weise auch immer, als Bestimmung der Ewigkeit verständlich zu machen wäre, nicht mehr sinnvoll innerhalb der Zeit zu suchen sein. Beide Bedenken hängen offenkundig zusammen, weil in beiden aus unterschiedlicher Richtung nach der Bedeutung jenes ominösen «simul» gefragt ist. Versuchen wir diese verständlich zu machen. Was das erste Bedenken betrifft, so ist zunächst einmal davon auszugehen, daß Augustinus, sofern er «simul» als Bestimmung der Ewigkeit gebraucht, nicht an die zeitliche Relation denken kann, die etwas als gleichzeitig mit etwas anderem bestimmt, wie wir dies im Ausgang von seiner umgangssprachlichen Bedeutung erwarten mögen. Wie das obige Zitat zeigt, meint Augustinus vielmehr, daß Zeiten
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grundsätzlich nicht zugleich sein können, sondern nur das, was «in der Ewigkeit» ist. «Simul» meint hier also nicht, daß (wenigstens) zwei Dinge, Ereignisse oder Personen, insofern dieselbe Zeitspanne einnehmen, als sie weder (ganz) früher noch später sind* sondern sich (wenigstens) in einem Zeitpunkt überschneiden. Gemeint ist vielmehr eine absolute Negation jedes Früher und Später, wie es sich auch für Zeitpunkte daraus ergibt, daß sie vergehen, und damit auch eine Negation des zeitlichen Sinns von Simultaneität als bloßer Gleichzeitigkeit^ Auf welche Weise eine solche absolute und deshalb auch schlechthin allumfassende Simultaneität positiv zu bestimmen sein sollj ist freilich keineswegs einfach zu sehen. In den Confessiones bleibt, wie mir scheint, sogar zweifelhaft, ob wir sie überhaupt einzusehen vermögen. Offenkundig ist es nämlich Gott und nur Gott, dem nach Augustinus eine zeitlose Simultaneität zugeschrieben werden kann. Zwar könnten wir einsehen, daß dies deshalb so ist, weil alles außer Gott von Gott geschaffen worden sei und die Schöpfung der Welt, von der die Bibel in Genesis 1,1 spreche, auf keinen Fall als zeitlicher Vorgang gedeutet werden dürfe (12-16). Ja zur Einsicht, die Augustinus sucht (5), indem er den alttestamentarischen Schöpfungsbericht aus der Perspektive des Prologs zum Johannesevangelium interpretiertj würden wir sogar von Gott gerufen (9). Augustinus betont aber auch, daß unser Wissen im Vergleich zum göttlichen Ignoranz bedeute (6). Und dies dürfte letztlich daran liegen, daß wir in unserer Zeitgebundenheit als ebenso «inkomparabel» mit Gott einzuschätzen sind, wie Augustinus es für Zeit und Ewigkeit ausdrücklich behauptet (13). Obwohl bei Augustinus, wie häufig zu Recht betont worden ist,17 nicht mit einer schematischen Differenz von Glauben und Wissen gerechnet werden darf, wird von hier .aus doch verständlich, weshalb Augustinus die zeitlose Simultaneität der göttlichen Ewigkeit nirgendwo wirklich posith bestimmt hat.18 Dies ist um so bemerkenswerter, als Augustinus mit dem Rückgriff auf eine solche Simultaneität natürlich in einer neüplatonischen Tradition steht, deren Vorgeschichte über Platon bis auf Parnienides zurückreicht. Denn für diese Tradition ist zwar kennzeichnend, daß zeitsprachliche Bestimmungen wie «zugleich» oder «immer» im Blick auf die Ewigkeit nur aufgegriffen werden, um das eigentlich Gemeinte gerade in der Negation dieses zeitlichen Sinns aufscheinen zu lassen. Dies bedeutet aber nicht, daß diese Negation für die Neuplatoniker das einzige wäre, wodurch Ewigkeit verständlich gemacht werden könnte. So ist Ewigkeit etwa für Plotin das energetische Sein bzw. Leben des Geistes, sofern dieser als von der zeitlich verfaßten Seele unterschieden werden muß.19 Und von die17 18
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K. Flasch, Augustm, 19942, S. 314 ff. Vgl. hierzu vor allem De trinitate XV, wo Augustinus, nach einer Zusammenfassung der Bücher I bis XIV, durch die er über «mancherlei Arten von Dreiheiten gewissermaßen stufenweise bis zum menschlichen Geiste» gelangt war (2,3), den er dann von der Dreiheit des Gedächtnisses, der Einsicht und des-Willens ausgehend als Bild Gottes interpretiert hatte (3,5), sich nun endlich um die .göttliche Dreieinigkeit selbst bemüht (4,6 ff.). Denn auch hier wird im Anschluß an Paulus, Römerbrief ,20, betont, daß wir die göttliche Dreieinigkeit nur in diesem Bilde einzusehen vermöchten. Ja, selbst dann, wenn wir ihn nach l Joh. 3,2 «sehen werden, wie er ist», könnten wir und unser Wort Gott niemals gleichkommen. «Immer ist nämlich die geschaffene Natur geringer als die schaffende» (16,26). Und dies bedeutet für die menschliche ' Einsicht, wie Augustinus zu betonen nicht müde wird, daß sie sich grundsätzlich nicht aus sich, sondern nur durch Teilnahme an der göttlichen Weisheit verwirklichen kann. Vgl, z. B. Conf. XI, 8,10; De Irin. XIV,. 12,15. Vgl. Plotin, Enneade III 7,3,37: «So ergibt sich also als die Ewigkeit, die wir suchen: das am Seienden sich vollziehende im Sein seiende Leben, das zugleich ganz ( ) und erfüllt und gänzlich unausgedehnt ist.» (Zitiert nach der Übers, von W. Beierwaltes, Plotin. Über Ewigkeit und Zeit, Frankfurt a. M. 198l3.)
Augustinüs als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
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sem ontologischen Fundament aus versucht er nicht nur zu erläutern, was Ewigkeit in ihrer Differenz zur Zeit ausmacht, sondern auch, inwiefern sie, wie schon der platonische Timaios vorführte, als Vorbild der Zeit zu denken ist.20 Wenn wir uns nun dem zweiten Bedenken zuwenden, so zeigt sich, daß dieser platonische Zusammenhang von Ewigkeit und Zeit für das Verständnis der augustinischen Aporie von entscheidender Bedeutung ist. Wir haben gesehen, daß Augustinüs hier nach einer Ganzheit fragt, wie sie im strikten Sinne nur der Ewigkeit aufgrund ihres «alles zugleich» zukommt. Welchen Sinn sollte es nun aber haben, die Ewigkeit in der Zeit zu suchen? Ist doch von vornherein klar, daß es ein absolut zeitloses Zugleich innerhalb eines zeitlichen Zusammenhangs gar nicht geben kann. Die Antwort ist verhältnismäßig einfach. Wenn die Suche nach der ganz gegenwärtigen Gegenwart schon nicht zur Entdeckung einer Ewigkeit in der Zeit fuhren kann, so führt sie doch zur Entdeckung der einzigen zeitlichen Gegenwart, die zumindest als Abbild der Gegenwart jener immer stehenden Ewigkeit wirklich Gegenwart genannt zu werden verdient: nämlich jenem bloßen Zeitpunkt, in dem die Teilung zu einem Ende käme, weil Vergangenheit und Zukunft vollkommen aus ihm eliminiert wären. Dies unterstellt natürlich, daß die stehende Gegenwart der Ewigkeit und jenes bloß punktuelle Gegenwärtigsein trotz aller Differenz in gewisser Hinsicht auch Ähnlichkeiten aufweisen. Bei der von Augustinüs behaupteten Unvergleichlichkeit von Zeit und Ewigkeit kann es sich also recht betrachtet nicht um eine vollständige handeln. Es mag richtig sein, daß Augustinüs die Differenz zwischen Vorbild und Abbild wesentlich mehr betonen mußte als die Platoniker, weil er als christlicher Denker die Welt als Schöpfung aufzufassen und deshalb Gottes Transzendenz gegenüber der Welt zu sichern hatte. Wie sein Blick auf die zeitliche Gegenwart zeigt, bedeutet dies aber offenkundig nicht, daß die platonische Vorbild-Abbild-Relation in der Aporie der Confessiones keinerlei Rolle mehr spielte. Vielmehr liefert hier gerade das, was schöpfungstheologisch problematisch erscheinen muß, den entscheidenden Zusammenhang. Und ebendann zeigt sich umgekehrt, wie wir noch genauer sehen werden, daß Augustinüs in der Herausarbeitung seiner Aporie nicht mehr von einer schöpfungstheologischen, sondern von einer ontologischen Perspektive geleitet ist.21 Als Abbild der ewigen Gegenwart muß die zeitliche Gegenwart die Charakteristik
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Vgl. auch die dort gegebene Erläuterung: « ist Terminus für das abstandlose ( ) Zusammen oder Ineinander, die teillose Einheit und Ganzheit des Seins von Ewigkeit. Es meint das raumlose und zeitlose Zugleich. [...] Die Benennung der Ewigkeit als zeitloses Ineinander oder Zugleich ist ontologisch durch das integrierende wirken des Geistes ermöglicht, in dem ein Element zugleich das Ganze seines Seins ist.» (S. 177) Natürlich liegt in der plotinischen Erläuterung absoluter Simultaneitat, wie sie von Beierwaltes angedeutet wird, auch ein Moment der Negation, durch das die Ewigkeit als Zeitlosigkeit von der Zeit unterschieden wird. Sofern die Ewigkeit im energetischen Sein des Geistes ihr ontologisches Fundament hat, ist sie letztlich aber im Ausgang von diesem verständlich zu machen. Es ist deshalb zu betonen, daß die negative Bestimmung der Ewigkeit für Plotin nicht unhintergehbar ist und deshalb auch nicht einfach mit der Problematik der negativen Henologie bzw. Theologie identifiziert werden darf. Was Platon betrifft, sei auf den Artikel des Verfassers, Die ontologische Bedeutung der Zeit in Platons Timaios, iru T. Calvo/ L. B rissen (edd.), Interpreting the Timaeus - Ccidas, Sankt Augustin 1997, verwiesen. Zu Parmenides, der anders als Platon und Plotin noch nicht ausdrucklich von Ewigkeit spricht, vgl. Anm, 1. Platon, Timaios 37d 6; Plotin, Enneade III 7,11,20. Dieser Zusammenhang ist auch vbn Autoren, die wie J. Guitton, Le temps et l*eternite chez Plotin et S. Augustin, Paris 1933, oder E. P. Meijering, Augustin über Schöpfung, Ewigkeit und Zeit, Das XL Buch der Bekenntnisse, Leiden 1979, die Bedeutung des Begriffes der Ewigkeit für Augustinüs erkannt haben, nicht deutlich genug herausgearbeitet worden, da sie sich damit zufriedengegeben haben, ihn in der Schöpfungsproblematik zu verorten und seine Bedeutung für die Zeit im Ausgang davon zu bestimmen.
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ihres Vorbildes zwar wiedererkennbar, aber keineswegs unvermindert enthalten. Dies wäre jedenfalls die Ansicht einer platonischen Bildertheorie, wie sie nicht nur in der platonischen oder plotinischen Bestimmung der Zeit zum Ausdruck kommt,22 sondern auch von Augustinus wenigstens gelegentlich vertreten worden ist.23 Wie also ließe sich der Abbildungszusämmenhang zwischen der Ewigkeit und jenem bloßen Zeitpunkt mit Augustinus erläutern? Nun, entscheidend ist, was wir schon mehrfach betont haben, daß nämlich einerseits nur die Ewigkeit als eine Gegenwart aufgefaßt wird, die immer steht, und deshalb ganz gegenwärtig im Sinne eines zeitlosen Zugleich ist, andererseits aber auch die bloß punktuelle Gegenwart in der Zeit als ganz gegenwärtig zu gelten vermag. Daß sie nicht im selben Sinne ganz gegenwärtig sein kann wie die Ewigkeit, versteht sich von selbst. Denn ihr Gegenwärtigsein liegt einzig und allein darin, daß sie als bloß gegenwärtiger Zeitpunkt jede Vergangenheit und Zukunft vollständig aus sich ausschließt, während der stehenden Gegenwart ein zeitloses Immer zuzusprechen ist. Worin besteht dann aber die Ganzheit ihres Gegenwärtigseins? Da es ein zeitloses Zugleich ist, das für die Ganzheit der stehenden Gegenwart aufkommt, liegt es nahe, zu vermuten, daß die Ganzheit auch im Falle der zeitlichen Gegenwart durch ein Zugleich verbürgt wird. Doch auch dieses muß natürlich ein anderes Zugleich sein als das zeitlose der Ewigkeit. Damit ist klar, daß hier an das zeitliche Zugleich im Sinne der Gleichzeitigkeit zu denken ist, das für die Ewigkeit zurückzuweisen war. Wenn auch ein gegenwärtiger Zeitpunkt ganz gegenwärtig sein kann, so deshalb, weil alles, das in diesem Zeitpunkt gegenwärtig ist, nicht in ein zeitliches Früher oder Später auseinanderfällt, sondern gleichzeitig ist. Auch in diesem gegenwärtigen Zeitpunkt hätten wir eine simultane Ganzheit, wenn auch eine im Vergleich zur Ewigkeit außerordentlich arme. Wir hätten eine simultane Ganzheit, bei der der Akzent insofern ganz auf der Simultaneität im Sinne bloßer Gleichzeitigkeit liegen würde, als sie allein durch eine vergangenheits- und zukunftseliminierende Reduktion des Inhalts jener Ganzheit zustandegekommen wäre, und nicht eine Ganzheit, die schlechthin alles zeitlos zugleich besitzt, wie die Ewigkeit. Wir hätten also zwar eine simultane Ganzheit, nicht aber eine simultane Totalität. Wir hätten sogar eine ganz äußerliche Ganzheit des simultan Vorliegenden, da Simultaneität hier nur Gleichzeitigkeit bedeutet und Ganzheit sich entsprechend darin erschöpft, daß mindestens zweierlei zeitlich unteilbar im selben Zeitpunkt vorliegt.24 Dies ändert aber nichts daran, daß von hier aus verständlich wird, wie auch unsere zeitliche
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Eine Ausnahme ist K. Flasch, der das Verhältnis von Ewigkeit und Zeit a.a.O. als «ontologischen Aspekt» der augustmischen Untersuchung der Zeit erläutert (S. 212). Sein Kommentar zu den Passagen, in denen Augustinus die Zeitaporie entfaltet, erkennt diesen ontologischen Aspekt aber nicht als deren entscheidenden Hintergrund, sondern spricht in Bezug auf die Teilung der Gegenwart lediglich von einem «Spiel der Skeptiker», was zwar nicht falsch, aber auch nicht ausreichend ist (S. 349). Zur platonischen Bildertheorie vgl. Sophistes 240a. Vgl. De genest ad litteram imperf. lib. 13, wonach die Zeit gleichsam eine Spur der Ewigkeit (vestigium aeternitatis) zu sein scheine (38). Man könnte versucht sein, diese Ganzheit innerhalb eines Zeitpunkts anspruchsvoller aufzufassen und sie · gewissermaßen als Momentaufnahme eines Zustands der gesamten Welt zu befrachten. Die Schwierigkeit dabei ist, daß nicht klar ist, wem dieser Zustand überhaupt gegenwärtig sein, könnte. Denn der Mensch könnte einen solchen Gesamtzustand der Welt sicher nicht wahrnehmen und wohl kaum anders denken als in Gestalt eines inhaltsleeren Modells, wie es der hier angestellten Erwägung zugruhdeliegt, und Gott brauchte diesen Zustand zumindest nicht als solchen zu denken, da dieser in seinem Denken in die Totalität der Ewigkeit aufgehoben wäre.
Augustinus als Wegbereiter der modernen Zeittheorie?
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Gegenwart nach Augustinus wenigstens im erläuterten defizienten Sinne ganz gegenwärtig zu sein vermag. Nur wenn man dies in Betracht zieht, wird verständlich, was sonst rätselhaft bleiben müßte, die Tatsache nämlich, daß Augustinus bei der Herausarbeitung der Teilung, wie sich gezeigt hat, überhaupt nicht danach fragt, ob in ihr wirklich an ein Ende zu kommen ist oder nicht. Dies ist insofern nicht unwichtig, als durchaus die Ansicht vertreten werden kann, daß gerade in einem infiniten Fortgang der Teilung deutlich würde, wie wenig die Gegenwart von der Ausdehnung zu trennen ist. Besäße doch jede Gegenwart, die weiter geteilt werden könnte, notwendig auch eine Ausdehnung, und solange die dabei durchlaufene Unendlichkeit nicht als aktual Unendliches fixiert würde, hätte man sich auch vor den Paradoxien Zenons nicht zu furchten. An all dem ist Augustinus allerdings offenkundig überhaupt nicht interessiert. Er reduziert nämlich die Probleme, die mit einer fortschreitenden Teilung verknüpft sind, auf folgendes Gedankenexperiment: «Könnte man etwas an der Zeit sich vorstellen, was in keine, aber auch nicht die geringsten Teile geteilt werden kann, dann wäre dies das einzige, was «gegenwärtig» heißen sollte.» (20) Es geht Augustinus um das «einzige, was «gegenwärtig heißen sollte», wohlgemerkt, was so heißen «sollte». Und dies bedeutet, daß es ihm hier nicht nur um das geht, was wir üblicherweise «Gegenwart» nennen, sondern auch um die wahre Gegenwart, genauer gesagt: um die wahre Gegenwart in der nur scheinbaren. Ihre Teilung benötigt er insofern, als sie zu zeigen erlaubt, daß die sogenannte Gegenwart nur eine scheinbare ist, weil in ihr allenfalls jener Zeitpunkt mit Recht gegenwärtig heißen könnte. Und dies zeigt sie natürlich nur, wenn bereits feststeht, was als wahre Gegenwart zu gelten hat. Die wahre Gegenwart ist die stehende Gegenwart der Ewigkeit. Bei ihr handelt es sich um eine allumfassende Ganzheit, die durch zeitlose Simultaneität gekennzeichnet ist, d. h. um eine Ganzheit, die keine Ausdehnung in eine Sukzession benötigt, um sich zu realisieren. Jener Teil der Zeit, den wir üblicherweise Gegenwart nennen, besitzt demgegenüber eine Ausdehnung, und gerade deshalb stellt er nur eine scheinbare Gegenwart dar. Vor diesem Hintergrund brächte es also gar nichts, durch eine ins Unendliche gehende Teilung vorführen zu wollen, daß die Gegenwart über eine Ausdehnung verfügen muß. Denn diese Ausdehnung wäre eben nur die Ausdehnung einer scheinbaren Gegenwart, so wie bereits die Gegenwart von hundert Jahren, von der Augustinus in seiner Teilung ausgeht, eine bloß scheinbare Gegenwart ist. Interessant ist für Augustinus nur, ob das einzige, das in der sogenannten Gegenwart mit Recht gegenwärtig genannt werden könnte, nämlich jener gegenwärtige Zeitpunkt, auch für die der 2.eit zugeschriebene Ausdehnung aufzukommen vermag. Wie wir gesehen haben, ist dies nach Augustinus nicht der Fall, und zwar deshalb nicht, weil auch jener gegenwärtige Zeitpunkt vergeht, seine Gegenwärtigkeit also nicht bleibt. Dies ist der Grund dafür, daß die Zeit in Confessiones XI nicht unmittelbar als Abbild der Ewigkeit betrachtet werden kann. Trotzdem sollte die augustinische Bezugnahme auf die Ewigkeit in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Denn, um es noch einmal zu sagen, ohne sie könnte er seine Aporie überhaupt nicht herausarbeiten, weil ohne sie jener Zeitpunkt gar nicht als das einzige, das in der Zeit wenigstens in einem defizienten Sinne ganz gegenwärtig ist, zu isolieren wäfe. Daß die Zeit demnach nicht unmittelbar das Abbild der Ewigkeit sein kann, ändert also nichts daran, daß die nur punktueli ganze Gegenwart Abbild der vollkommen ganzen Gegenwart ist. Wie wir noch sehen werden, ist dies vielmehr umgekehrt die Bedingung dafür, daß Augustinus in der Wendung zur Seele zumindest eine innerseelische Ausdehnung jener punktuellen Gegenwart und damit eine durch den
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Rückgang zur Seele vermittelte Variante der platonischen Abbild lieh keit von Zeit und Ewigkeit aufzuweisen vermag. Wieso hat man dies dann aber nicht gesehen und das Vorgehen von Augustmus statt dessen so eingeschätzt, als sei er gewissermaßen in begrifflicher Unschuld allein am Phänomen der Zeit orientiert? Kaum jemand wird behaupten wollen, daß die von Augustinus vorgeführte Teilung der Gegenwart in immer kleinere Abschnitte bis hin zu einem bloßen Zeitpunkt in unserer Zeiterfahrung irgendeine Rolle spielte. Gleichwohl muß an ihr etwas sein, das aus der Perspektive unserer Zeiterfahrung eine große Überzeugungskraft besitzt. Ich vermute, daß es sich dabei um die suggestive Wirkung jener Dreiteilung der Zeit in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft handelt, wie sie bereits bei Homer begegnet*5, in der rhetorisch-grammatischen Tradition zum Lehrbestand verfestigt wurde26 und von dort aus nicht nur Einfluß auf das Zeitdenken des Rhetorikprofessors Augustinus gewinnen, sondern allgemein herrschend werden konnte. Die von Augustinus vorgeführte Teilung der Gegenwart in immer kleinere Abschnitte ist nämlich in einer ersten Näherung auch als ein Versuch verständlich zu machen, jene vorgegebene Dreiteilung konsequent zu Ende zu denken. Wird in ihr die Gegenwart doch immer weiter von Resten der Vergangenheit und Zukunft befreit und schließlich behauptet, daß die reine Gegenwart nichts anderes sein könne als eine völlig vergangenheits- und zukunftsfreie Gegenwart. Aus dieser Perspektive mag es tatsächlich so aussehen, als sei das augustinische Ergebnis unmittelbar aus der phänomenalen Charakteristik der Zeit geschöpft. Dies ist allerdings ein Irrtum, und zwar deshalb, weil die Zeit, wie sie in unserer Zeiterfahrung greifbar wird, keineswegs so Jkonsequent dreigeteilt ist, wie jene fixierten Kategorien aus der Grammatik und Rhetorik es suggerieren. Eine reine Gegenwart, die völlig vergangenheits- und zukunftsfrei wäre, gibt es in unserer Zeiterfahrung überhaupt nicht. Vielmehr erfahren wir die Gegenwart so, daß ihre Grenzen zu Vergangenheit und Zukunft unscharf sind. Darauf wird anläßlich der Subjektivierungsthese noch genauer zurückzukommen sein. Jedenfalls ist bereits hier festzuhalten, daß zumindest die Erläuterung jener gängigen Sicht durch Augustinus eine begriffliche Konstruktion darstellt. Denn, wie wir gesehen haben, gewinnt er die Annahme einer bloß punktuellen Gegenwart in der Orientierung an jener zeitfreien Gegenwart, wie er sie im Ewigkeitsbegriff denkt. Zu betonen ist allerdings, daß damit allein noch nichts über das Recht einer solchen Konstruktion ausgemacht sein kann. Mit dem Nachweis einer Inanspruchnahme der Ewigkeit bei der Herausarbeitung jener bloß punktuellen Gegenwart läßt sich für Augustinus vielmehr lediglich bestätigen, was man auch bei anderen Denkern lernen kann, denen man eine im weitesten Sinne phänomenologische Orientierung nicht wird absprechen wollen: selbst Begriffe, die im Ausgang von phänomenalen Beschreibungen gewonnen werden, verdanken sich nie allein den phänomenalen Gegebenheiten, weil diese Begriffe mitsamt dem Kontext, in dem sie stehen, schon bei deren Beschreibung am Werke sind. Recht verstanden kann diese bekannte hermeneutische Wahrheit keineswegs bedeuten, daß ein phänomenorientiertes Denken grundsätzlich eine Chimäre ist, sondern nur, daß die Überzeugungskraft eines Denkens angesichts von Phänomenen sich darin beweist, wie gut es diese durch seine Begriffe verständlich zu' machen vermag. In unserem Fall bietet sich vor allem der Vergleich mit Aristoteles an. Denn einerseits verfügt bekanntlich schon Aristoteles in seinem «v\3v» über den Begriff einer bloß" 25 26
Ilias A 70. Vgl. etwa Aristoteles, Rhetorik A3,1358b 12.
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punktuellen Gegenwart, andererseits führt dieser bei ihm offenkundig nicht in eine Aporie, die allein durch eine Wendung zur Seele überwunden werden könnte. Die begriffliche Konstruktion einer bloß punktuellen Gegenwart scheint also durchaus in den Dienst einer Rekonstruktion unserer Zeiterfahrung gestellt werden zu können. Dies setzt freilich voraus, daß das Verständnis der punktuellen Gegenwart gegenüber dem, was wir bislang bei Augustinus auffinden konnten, entscheidend modifiziert wird. Denn offenkundig könnte Augustinus allenfalls einräumen, daß es eine punktuelle Gegenwart in unserer Zeiterfahrung insofern nicht wirklich gibt, als diese beständig verfliegt. Wie seine Aporie gerade vorführt, reicht dies aber nicht, um im Rückgriff auf eine punktuelle Gegenwart unsere Erfahrung einer sukzessiven Ganzheit zeitlicher Gegenwart verständlich zu machen. III
Wie wir gesehen haben, ist die von Augustinus vorgeführte Teilung der Gegenwart in immer kleinere Abschnitte, durch die er seine Zeitaporie herausarbeitet, keineswegs so unmittelbar einleuchtend und phänomenorientiert, wie üblicherweise angenommen wird. Untersuchen wir nun in einem weiteren Schritt die fast ebenso prominente These, er habe in seiner Wendung zur Seele, mit der er auf diese Aporie reagiert, die Zeit subjektiviert. Es bietet sich an, zu diesem Zweck zunächst einmal danach zu fragen, in welcher Richtung angesichts der von Augustinus herausgearbeiteten Aporie überhaupt eine Antwort auf die Frage nach der Zeit zu erwarten wäre, und von daher vorbereitend in den Blick zu bringen, inwiefern eine Subjektivierung hierfür als hilfreich erscheinen könnte. Was zu leisten wäre, um die Aporie zu überwinden, ist unschwer zu erkennen. Nachdem klar geworden ist, daß das Vorverständnis von der Zeit als etwas Ausgedehntem nur zu bestätigen sein kann, wenn ihr diese Ausdehnung wie ihr Sein vermittelt durch die Gegenwart als ihrem einzig seienden Teil zukommt, diese Gegenwart sich aber als etwas Unausgedehntes, nämlich als ein bloßer Zeitpunkt, erwiesen hat (I), könnte die Überwindung der Aporie nur darin liegen, daß die Gegenwart nun doch als etwas Ausgedehntes bzw. als eine sukzessive Ganzheit erwiesen würde. Dabei dürfte man freilich nicht in Widerspruch zu den Gründen geraten, welche die Aporie in der Orientierung am Vorbild der Ewigkeit herauszuarbeiten erlaubten (II), weil sonst nicht eine vorliegende Aporie gelöst, sondern bestritten würde, daß man überhaupt in eine Aporie geraten war. Erforderlich ist also auf jeden Fall ein Perspektiven Wechsel, der dasselbe Problem in ein neues Licht zu rücken erlaubt, und zwar so, daß einerseits verständlich bleibt, wie es zu der vorliegenden Aporie kam, und sich andererseits doch auch abzeichnet, auf welcher Grundlage die bislang fehlende Ausdehnung bzw. sukzessive Ganzheit der Gegenwart zu ergänzen wäre. Fragt man sich, inwiefern dieser Perspektivenwechsel in einer Subjektivierung der Zeit bestehen-könnte, liegt es nahe, an Husserl zu denken, der sich im Zusammenhang mit seiner phänomenologischen Beschreibung des inneren Zeitbewußtseins ausführlich mit diesem Problem auseinandergesetzt hat. Husserl geht davon aus, daß die sukzessive Ganzheit der Gegenwart nicht erläutert werden kann, wenn man ihre Bezeichnung als einen «Teil» der Zeit allzu wörtlich nimmt. Wäre die Gegenwart tatsächlich als ein einzelner Teil der Zeit zu isolieren, so könnte es eine sukzessive Ganzheit der Gegenwart nämlich gar nicht geben. Andererseits darf die Gegenwart ihrer Differenz zur Vergangenheit und Zukunft auch nicht völlig beraubt werden. Man mag deshalb bezweifeln, daß eine sukzessive Ganzheit der
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Gegenwart überhaupt verständlich zu machen ist. Nach Husserl handelt es sich hier freilich um eine phänomenologische Gegebenheit, und was hier gegeben ist, läßt sich seiner Ansicht nach so beschreiben, daß neben einer jeweils gegenwärtigen Wahrnehmung, die er als «Urimpression» bezeichnet, eine sogenannte «Retention», in der eine vergangene Wahrnehmung festgehalten und im Festhalten modifiziert wird und eine sogenannte «Protention», in der sich das Bewußtsein auf eine künftige Wahrnehmung ausrichtet, voneinander unterschieden werden. Entscheidend ist dabei, daß Retention und Protention insofern zur gegenwärtigen Wahrnehmung selbst gehören, als jede Urimpression auf der Grundlage einer sogenannten «retentionalen Modifikation» einer früheren Urimpression und im protentionalen Ausgriff auf eine spätere Urimpression erfolgt.27 Retention und Protention sind damit anders als Wiedererinnerung und Erwartung keineswegs eindeutig als Bewußtsein von Vergangenem bzw. Zukünftigem zu bezeichnen. Sie sind vielmehr ein Bewußtsein von Jüngstvergangenem und Geradebevorstehendem, das zu jeder gegenwärtigen Wahrnehmung als solcher gehört. Und eben dadurch kommt der gegenwärtigen Wahrnehmung umgekehrt eine Sukzessivität zu, die nicht aus ihr auszuschließen ist, weil sie ihr Gegenwärtigsein mitkonstituiert. Retention und Protention besitzen damit natürlich eine Uneindeutigkeit, die mit den von Husserl bereitgestellten Mitteln, wie seine Kritiker immer wieder eingewandt haben,28 nicht zu beseitigen ist. Vor allem anhand des Beispiels einer Melodie gelingt es ihm aber durchaus, einleuchtend zu machen, daß gerade in diesem Mangel an Eindeutigkeit ihre eigentliche Stärke liegt. Denn eine Melodie hört man eben nur dann, wenn sie weder in ein reines Nacheinander von Tönen auseinandergerissen, noch in das reine Zugleich eines Akkordes zusammengeschoben wird, sondern im jeweils erklingenden Ton die früheren noch mitklingen und die späteren bereits anklingen. In dieser Hinsicht scheint mir Husserls These überzeugend zu sein. Eine andere Frage ist dagegen, inwiefern sein Versuch überzeugen kann, die Konstitution realer Zeit im Rückgang auf die subjektive Immanenz des inneren Zeitbewußtseins nachvollziehbar zu machen. Meines Erachtens muß bereits seine Orientierung an bestimmten Wahrnehmungen, wie dem Hören einer Melodie, fragwürdig erscheinen lassen, daß etwa seine Erläuterung der sukzessiven Ganzheit der Gegenwart allein durch eine bewußtseinsimmanente Beschreibung zu erzielen ist. Grundsätzlich wäre danach zu fragen, wie Husserls These, daß der intentionale Bezug des Bewußtseins auf seine Objekte in der transzendentalen Epoche nicht einfach zum Verschwinden gebracht, sondern lediglich seine «natürliche Thesis» eingeklammert würde,29 mit der Auffassung dieses Immanenten als eines völlig gewissen absoluten Seins zusammenpaßt.30 Dies kann hier selbstverständlich nicht geleistet werden. Ich möchte deshalb betonen, daß Husserls Beschreibung der sukzessiven Ganzheit der Gegenwart durch die Integration von Retention und Protention in die gegenwärtige Wahrnehmung auch unabhängig von seinem transzendental-phänomenologischen Credo einzuleuchten vermag. Wenn wir auf diesem Umweg zu Augustinus und der These von seiner Subjektivierung der Zeit zurückkehren, mag es nicht mehr überraschen, daß behauptet worden ist, er ziele darauf ab, eine sukzessive Ganzheit der Gegenwart, wie wir sie eben im Anschluß an 27 28 29 30
E. Husserl, An O., S U/S 24. Vgl. etwa M. Frank, Zeitbewußtsein, Tübingen 1990, S. 59 ff. E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie undphänomenologischvn Philosophie I, § 31. Ideen I, § 44 und § 46.
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Husserl skizziert haben, als das Wesen der Zeit herauszustellen.31 Naheliegend erscheint dies insofern, als das Beispiel, anhand dessen Augustinus seine Theorie im wesentlichen erläutert, das Vortragen eines Liedes ist, was allein schon eine gewisse Nähe zu Husserls Hören einer Melodie herstellt. Obendrein erläutert Augustinus den Vortrag so, daß durch die gegenwärtige Aufmerksamkeit (attentio) die Erwartung seines noch zukünftigen Teils (expectatio) schrittweise in die Erinnerung an seinen bereits vergangenen Teil (memoria) überführt werden soll (38). Es sollte aber nicht übersehen werden, daß Augustinus zwischen Retention und Wiedererinnerung nicht unterscheidet. Augustinus hat hier allem Anschein nach keine wesentliche Differenz gesehen. Man sollte sich deshalb danach fragen, warum dies so ist, statt Husserls Theorie einfach in Augustinus hineinzulesen. Meines Erachtens liegt die Antwort auf der Hand. Die husserlsche Differenz von Retention und Wiedererinnerung konnte für Augustinus keine Rolle spielen, weil er die Erinnerung grundsätzlich als eine Form von Bildbewußtsein verständlich zu machen versuchte. Wer sich an etwas erinnert, dem sind nach seiner Auffassung, wie sie in der Memoria-Analyse des X. Buches der Confessiones entwickelt (8) und in der Zeitaporie des XL Buches aufgegriffen wird (23), zwar nicht die vergangenen Dinge bzw. Ereignisse selbst gegenwärtig, wohl aber die Bilder, die sie wie Spuren im Geiste zurückgelassen haben, als sie selbst noch gegenwärtig waren. Und damit gibt es für Husserls dramatische Differenz zwischen dem erinnernden Festhalten von eben noch Gegenwärtigem und dem erinnernden Vergegenwärtigen von längst Vergangenem gar keinen Ansatzpunkt. Auch von Jüngstvergangenem besitzen wir unter dieser Voraussetzung eben nichts anderes als ein Bild. Die These, Augustinus habe in seiner distentio-animi-Theorie Husserls Retention und Protention bereits vorweggenommen, ist deshalb außerordentlich fragwürdig.32 Nicht zu bestreiten ist allerdings, daß Augustinus die Sukzessivität, die er in der Darstellung seiner Zeitaporie aus der Gegenwart und damit aus der Zeit überhaupt eliminiert hat, wieder in die Gegenwart einführen muß, wenn die Ausdehnung und das Sein der Zeit verständlich werden soll. Und nicht zu bestreiten ist auch, daß dies seiner Ansicht nach durch die berühmte Wendung zur Seele geleistet wird. Daß es sich hier um eine Subjektivierung der Zeit handeln kann, die mit Husserls Reduktion der realen Zeit auf die Immanenz reiner Zeiterlebnisse auch nur in der Tendenz übereinstimmen würde, ist aber bereits angesichts des eben Gesagten fragwürdig genug. Denn einmal ist für diese Wendung mit dem bei Augustinus ausgemachten Bildbewußtsein eine Auffassung der Erinnerung greifbar geworden, die, wie noch genauer herauszuarbeiten sein wird, nicht nur einer husserlschen Differenz von Retention und Wiedererinnerung, sondern auch seiner Reduktion realer bzw. objektiver Zeit auf die Immanenz subjektiver Erlebnisse eindeutig widerspricht. Zum anderen darf, wie wir bereits gesehen haben, die Orientierung an der stehenden Gegenwart der Ewigkeit, die in der Herausarbeitung der Aporie leitend war, in der augustinischen Wendung zur Seele nicht einfach aufgegeben werden, wenn in ihr nicht einfach das Thema gewechselt sein soll. Um die eliminierte Sukzessivität doch noch verständlich zu machen, bleibt Augustinus deshalb nur ein Ausweg. Die einfache Berücksichtigung der Gegenwart, wie sie am Anfang steht, ist durch eine doppelte zu ersetzen, und zwar so, daß 31 32
F.-W. v. Herrmann, A.a.O., S. 198. Im Grunde hat v. Herrmann dies selbst eingestanden, indem er auf Husserls Kritik an der augustinischen Auffassung verweist, nach der die Erinnerung als Bildbewußtsein verstandlich zu machen sei (A.a.O., S. 153).
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die eine Perspektive auf die Gegenwart die anfängliche Bezugnahme auf die Ewigkeit beizubehalten erlaubt, während die andere deren Eliminierung von Vergangenheit und Zukunft aufzufangen vermag. Wie die auffällige Verdopplung der Perspektive auf die Gegenwart in den von Augustinus gewählten Formulierungen zeigt, soll dies und vermutlich nur dies durch seine viel zitierte Wendung zur Seele geleistet werden. Ich zitiere die entscheidende Passage: «Es gibt drei Zeiten, die Gegenwart von Vergangenem, die Gegenwart von Gegenwärtigem und die Gegenwart von Zukünftigem. Denn diese drei sind in der Seele in einem gewissen Sinne und anderswo finde ich sie nicht: die Gegenwart des Vergangenen als Erinnern, die Gegenwart des Gegenwärtigen als Anschauen, die Gegenwart des Zukünftigen als Erwarten.» (26) Augustinus spricht hier einerseits von einer Gegenwart, gemäß der sich Gegenwärtiges vom Vergangenen und Zukünftigen unterscheidet, andererseits aber auch von einer Gegenwart, die Gegenwärtigem, Vergangenem und Zukünftigem gleichermaßen zukommt. Bei dieser zweiten Gegenwart handelt es sich offenkundig um das bislang noch nicht ausdrücklich berücksichtigte Gegenwärtigsein von etwas in der Seele. Natürlich stehen diese beiden Gegenwarten nicht unverbunden nebeneinander. Eine bloße Verdopplung der Gegenwart wäre ja auch völlig unergiebig. Vielmehr soll die erste Gegenwart durch ihr Gegenwärtigsein in der Seele mit der Vergangenheit und Zukunft verbunden werden können, die ebenfalls in ihr gegenwärtig sind, und eben dadurch jene ausdehnungsgerterierende Sukzessivität von Gegenwart verständlich machen, die in der Aporie unverständlich geblieben war. Dies bedeutet aber keineswegs, daß von der Gegenwart dabei nicht aus zwei unterschiedlichen Perspektiven die Rede wäre. Fragt man nämlich danach, was es bedeutet, daß in der Seele etwas Gegenwärtiges und nicht etwas Vergangenes oder Zukünftiges gegenwärtig ist, kann man dies nicht mehr als ein bloßes Gegenwärtigsein in der Seele verständlich machen. Denn auch Vergangenes und Zukünftiges sollen in der Seele gegenwärtig sein. Um verständlich zu machen, daß im Unterschied dazu etwas Gegenwärtiges in der Seele gegenwärtig ist, bleibt deshalb nichts anderes übrig, als auf jene Gegenwart zu verweisen, deren Differenz zur Vergangenheit und Zukunft gesichert ist, weil sie Vergangenheit und Zukunft aus sich ausschließt, und die letztlich mit jenem Zeitpunkt zu identifizieren ist, der sich als das zeitliche Abbild der stehenden Gegenwart der Ewigkeit erwiesen hatte. Das Vorbild der Ewigkeit als einzig wahrer Gegenwart bleibt in der augustinischen Wendung zur Seele also erhalten. Gegen diese Darstellung mag sich ein Einwand aufdrängen. Es sieht nämlich so aus, als bliebe immerhin noch die Möglichkeit zu sagen, wenn etwas Gegenwärtiges der Seele gegenwärtig sei, so bedeute dies einfach, daß sie anschaue, und nicht nur erinnere oder erwarte. In bezug auf die Vergangenheit und die Zukunft mag eine solche Erklärung auf der Grundlage der innerseelischen Gegenwart und ihrer Differenzen, wie sie in Erinnerung und Erwartung greifbar werden, auch ausreichend sein. Denn, wie Augustinus kurz vor der zitierten Wendung zur Seele noch einmal mit Nachdruck versichert: Zukünftiges und Vergangenes sind nicht. Eben deshalb soll die Behauptung, es gebe drei Zeiten, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ja auch nicht «im strengen Sinne» zutreffen. Für die Gegenwart kann dies aber' offenkundig nicht im selben Sinne gelten. Denn sie war nicht nur von Anfang an als der eigentlich seiende Teil der Zeit im Blick. Vielmehr wurde sie auch in der Aporie als ein Umschlagspunkt von Zukunft in Vergangenheit bestätigt, dem zumindest ein Minimum an Sein nicht abzusprechen war. Angesichts der Unmöglichkeit, dieser Gegenwart eine Ausdehnung zuzusprechen, mochte dies zunächst nicht besonders wichtig erscheinen. War doch
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allein damit nicht verstandlich zu machen, inwiefern es sich bei ihr nicht nur um den eigentlich seienden Teil der Zeit handeln könnte, sondern auch um jenen, der für ihre Ausdehnung aufzukommen hätte. Trotzdem ist damit ein Ansatzpunkt gegeben, ohne den die augustinische Wendung zur Seele unmöglich wäre. Denn das Modell, das der Vergangenheit und Zukunft wenigstens eine innerseelische Gegenwart zuzuschreiben erlaubt, funktioniert nur, wenn jene fundamentalere Gegenwart, die darin besteht, daß etwas Gegenwärtiges im Anschauen gegenwärtig ist, nicht ebenso vom Anschauen abhängig ist, wie die Vergangenheit und Zukunft vom Erinnern und Erwarten, wenn also zumindest ihr ein minimales Sein auch unabhängig von der Seele zukommt* Dies liegt einfach daran, daß eine Abbildtheorie ohne Urbild undenkbar ist. Gerade weil für die Vergangenheit und die Zukunft behauptet wird, daß sie nur als Bilder gegenwärtig sind, kann dies für die Gegenwart nicht ebenso behauptet werden. Es ist zwar durchaus anzunehmen, daß nach Augustinus auch bei der Anschauung von Gegenwärtigem innerseelische .Bilder eine gewisse Rolle spielen. Auszuschließen ist allerdings, daß in der Anschauung von gegenwärtigen Dingen oder Ereignissen nur deren Bilder gegenwärtig sind. Im Falle der Gegenwart müssen vielmehr notwendig auch jene Dinge oder Ereignisse selbst gegenwärtig sein. Auch der Hinweis darauf, daß streng genommen selbst in diesem Fall nur die Bilder der Dinge oder Ereignisse und nicht diese selbst in der Seele gegenwärtig sein könnten, ändert überhaupt nichts am grundlegenden Befund. Es ist nämlich darauf zu bestehen, daß auch unter dieser Voraussetzung Bilder von Gegenwärtigem und Bilder von Vergangenem und Zukünftigem noch zu unterscheiden sein müssen, und ihr bloßer Charakter als Bilder kann dafür sicher nicht aufkommen. Vielmehr muß in einer aktuellen Wahrnehmung, auch dann, wenn die wahrgenommenen Dinge oder Ereignisse nicht selbst in der Seele gegenwärtig sein können, sondern nur deren Bilder, dem Wahrnehmenden doch deutlich sein, daß diese Bilder von gegenwärtigen Dingen oder Ereignissen stammen. Und genau davon geht die augustinische Auffassung vom Wesen der Wahrnehmung auch aus.33 Die grundlegende Bedeutung von «Gegenwart», die vor der Wendung zur Seele leitend war, bleibt in dieser Wendung also auf jeden Fall weiter im Spiel. Im Grunde muß man sogar sagen, daß mit diesem innerseelischen Gegenwärtigsein gar keine neue Gegenwart zu jener Gegenwart eines bloßen Zeitpunkts hinzugetreten ist, sondern nur der trivialen Tatsache Rechnung getragen wird, daß eine Gegenwart immer jemandem gegenwärtig sein muß. Erst angesichts der Notwendigkeit, Ganzheit und Sukzessivität der Gegenwart so zusammenzudenken, daß sie als ausdehnungsgenerierend verständlich wird, kann diese Trivialität so wichtig werden, daß es sich für Augustinus lohnt, eigens auf sie hinzuweisen. Eröffnet sie 33
Besonders ausfuhrlich wird dieser Zusammenhang von Augustinus in De trinitate XI diskutiert. Deutlich wird dabei vor allem, daß aus der Unmöglichkeit eines innerseelischen Gegenwärtigseins von wahrgenommenen Körpern als solchen für Augustinus keineswegs folgt, daß wir eigentlich nur ihre Bilder wahrnehmen, wie man etwa mit Descartes annehmen könnte. Vielmehr geht Augustinus zu Recht davon aus, daß wir die Körper selbst sehen und die Bilder dies nur vermitteln. Zu unterscheiden sei dabei dreierlei, nämlich der Körper (corpus) selbst, zweitens der Anblick (visio) und drittens die Aufmerksamkeit (attentio/intentio) der Seele (2,2). Von entscheidender Bedeutung ist dabei die vermittelnde Funktion des Anblicks. Denn einerseits entsteht im Anblick ein Bild des gesehenen Körpers, das dessen Form zwar nicht schlechthin identisch, wohl aber ähnlich ist, indem der Sinn durch diesen selbst, also auf eine körperliche Weise, geformt wird. Andererseits wird daraus nur eine Wahrnehmung, wenn die Aufmerksamkeit der Seele sich ihrerseits diesem körperlichen Vorgang zuwendet (2,3). Vgl. hierzu auch De animac qnantitate 25,48, wonach eine Wahrnehmung dann vorliegt, wenn ein Körpereindruck der Seele «nicht verborgen bleibt» («non latere»).
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doch den Ausweg, zu diesem Zweck auch der Vergangenheit und der Zukunft eine Form von Gegenwart zuzusprechen, und sei es auch nur eine innerseelische Gegenwart, durch welche die Gegenwart sich im Fluß der Zeit auszudehnen vermag. Fragt man jedoch, welche Gegenwart sich hier eigentlich ausdehnt, so ist es natürlich nicht die innerseelische Gegenwart als solche, sondern jene punktuelle Gegenwart eines Dinges oder Ereignisses, dessen Anschauung einmal erwartet, das dann tatsächlich angeschaut wurde und danach als angeschaut erinnert wird. Eine rein innerseelische Gegenwart gibt es für Augustinus garnicht. Die innerseelische Gegenwart ist zwar eine Ausdehnung der Gegenwart jenes bloßen Zeitpunkts, die als solche nur in der Seele ist, weil sie nur vermittelt durch innerseelische Bilder zustandekommt. Was sich da innerseelisch und nur innerseelisch ausdehnt, also jener Zeitpunkt selbst, ist aber keineswegs eine bloß innerseelische Gegenwart.34 Die psychologische Perspektive ergänzt die ontologische, aber ersetzt sie nicht. Was sie verständlich macht, ist nämlich nur die Ausdehnung der Gegenwart, und nicht ihr Sein. Natürlich muß gerade die Ausdehnung der Gegenwart besonders wichtig erscheinen, wenn wir nach dem Wesen der Zeit fragen und dieses in einer bestimmten Ausdehnung vermuten. Es bleibt aber festzuhalten, daß auch dieser ausgedehnten Zeit kein Sein zukommen könnte, wenn das Sein jener bloß punktuellen Gegenwart, die sich da innerseelisch ausdehnt, nicht vorab schon feststünde. Offenkundig beschreitet Augustinus damit einen ganz anderen Weg als Husserl, der umgekehrt von vornherein unterstellt, daß das Wesen der Zeit nur durch eine Analyse des inneren Zeitbewußtseins zu bestimmen ist. Für Husserl ist ein Gedanke leitend, der bereits bei Kant vorgebildet ist, der Gedanke nämlich, daß die Zeit insofern als subjektiv gelten muß, als es unsinnig wäre, ihr eine Realität zuzuschreiben, die etwas anderes bedeuten würde, als eine durch die subjektiven Bedingungen der Erkenntnis verbürgte Objektivität. Kant spricht deshalb bekanntlich von der empirischen Realität, aber transzendentalen Idealität der Zeit. Ich zitiere eine Stelle, die den Gedanken gut zum Ausdruck bringt: «Unsere Behauptungen lehren demnach empirische Realität der Zeit, d. h. objektive Gültigkeit in Ansehung aller Gegenstände, die jemals unseren Sinnen gegeben werden mögen. [...] Dagegen bestreiten wir der Zeit allen Anspruch auf absolute Realität. [...] Hierin besteht [...] die transzendentale Idealität der Zeit, nach welcher sie, wenn man von den subjektiven Bedingungen der sinnlichen Anschauung abstrahiert, gar nichts ist.»35 Die Zeit ist nach Kant also nur insofern real, als sie objektiv ist, und objektiv ist sie durch ihren Status als einer subjektiven Bedingung der Erkenntnis. Und bei Husserl verhält sich dies grundsätzlich nicht anders, obwohl es ihm weniger um Zeit als eine Bedingung von Erkenntnis geht, die sie bei ihm freilich auch ist, als um die evidente Beschreibung der «immanenten Zeit des Bewüßtseinsverlaufes» als einer «absoluten Gegebenheit» vor aller objektiv gesetzten Zeit.36 Bei Augustinus ist die Zeit bzw. Zeitanschauung dagegen sicher keine Erkenntnisbedingung. Dies ist schon durch seine Ausführungen zum Ewigkeitsbegriff ausgeschlossen. 34
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Damit ist natürlich die menschliche Seele und nicht etwa die Weltseele gemeint. Pies ist wichtig, weil durchaus manches dafür spricht, daß Augustinus auch im Zusammenhang mit seiner Zeittheorie an einer im weir testen Sinne platonischen Weltseele festgehalten hat. Vgl, dazu R. J. Teske, The World-Soul and Time in St. Augustine, Augustinian Studies 14 (1983). I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 52. E. Husserl, A.a.O., S. 3.
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Nicht nur erkennt Gott nach Augustinus vollkommen sich selbst und all seine Geschöpfe in einem zeitlosen Zugleich und Immer37, sondern auch wir vermögen, bei aller Unähnlichkeit zur göttlichen Erkenntnis, die bereits angedeutet wurde, die Ewigkeit Gottes im Ausgang von seiner Schöpfung bis zu einem gewissen Grad einzusehen. Wie seine Untersuchung der Ausdehnung von Zeit deutlich macht, ist aber auch die Zeit selbst seiner Ansicht nach nicht verständlich zu machen, wenn man sich nur auf die Immanenz subjektiver Erlebnisse bezieht. Folglich kann bei ihm auch nicht mit einer Reduktion der Realität von Zeit auf ihre Objektivität gerechnet werden. Zwar erhält die Zeit ihre Ausdehnung seiner Ansicht nach allein durch die Ausdehnung der Seele bzw. des Geistes, die in der Fähigkeit begründet ist, in Erinnerung und Erwartung auch Vergangenes und Zukünftiges gegenwärtig zu haben. Wie wir gesehen haben, ist diese Ausdehnung aber ihrerseits nur verständlich, wenn mit einem minimalen Sein der Gegenwart gerechnet werden kann, das ihr nicht allein aufgrund ihres Wahrgenommenseins zukommt, obwohl sie natürlich nur Gegenwart ist, sofern sie von der .Seele auch wahrgenommen wird. Zumindest in diesem Sinne gibt es also für Augustinus durchaus eine Realität der Zeit, die nicht mit einer durch subjektive Erkenntnisbedingungen fundierten Objektivität identifiziert werden darf, sondern ganz im Gegenteil der Zeiterfahrung vorausgeht und diese als Erfahrung von ihr allererst ermöglicht. Daß Augustinus außerhalb der Zeituntersuchung von Confessiones XI häufig wie selbstverständlich mit einer realen Zeit rechnet, die er an die Bewegung bzw. Veränderlichkeit alles Kreatürlichen knüpft, ist ohnehin häufig beobachtet worden.38 Es steht jedem frei, darin einen Hinweis auf das Auseinanderfallen zweier verschiedener Zeitauffassungen und das Festhalten an einem naiven Realismus zu sehen.39 Vor dem Hintergrund der augustinischen Orientierung am Gedanken der Vorbildlichkeit von Ewigkeit für Zeit scheint es mir aber viel näherliegend, ebendiese dafür verantwortlich zu mächen, zumal dadurch auch verständlich wird, wieso Augustinus nicht ausdrücklich zwischen zwei Zeiten unterschieden hat.40
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De tnnitate XV 14,23. Im Grunde gilt dies schon für die Einleitung von Conf. XI, in der die Zeit als etwas von Gott Geschaffenes betrachtet wird («ipsum tempus tu feceras» 17). Auf dieser Grundlage versucht Augustinus die Schöpfung der Welt als ihren zeitlichen Anfang bekanntlich in zwei Richtungen zu verteidigen, nämlich einmal gegen jene, die wie die Manichäer daraus fälschlich ableiten wollten, daß es sich dabei um einen Anfang in der Zeit handeln müsse, vor allem aber gegen jene, die wie die Platoniker allenfalls einen ursächlichen Anfang gelten ließen, weil sie die Welt für ewig hielten. Im Zentrum steht dabei der aus der griechischen Kosmologie stammende, nun aber schöpfungstheologisch interpretierte Gedanke, daß es Zeit ohne Bewegung bzw. Veränderung nicht gibt (Vgl. etwa Conf. XII 8,8). Was die Manichäer betrifft, ergibt sich daraus unmittelbar, daß die Welt nicht in der Zeit, sondern nur zusammen mit der Zeit geschaffen worden sein kann (De civitate dci, XI 6). Die Argumentation gegen die Platoniker versucht vor allem, den (aristotelischen) Gedanken infrage zu stellen, daß nichts, das einen zeitlichen Anfang besäße, ewig dauern könne, und die Welt sich schon deshalb in einem ewigen Kreislauf befinden müsse. Auch dabei spielt die Seele eine wichtige Rolle, keineswegs aber als dasjenige, in dem die Zeit ist, sondern umgekehrt als etwas, das selbst in der Zeit ist. Augustinus fuhrt sie im Blick auf die Menschwerdung Gottes nämlich als etwas Veränderliches an, dessen Glückseligkeit einen zeitlichen Anfang besitzt und gleichwohl ewig dauern wird. (De civ. dei X 31; XII14). J. L. Morrison, Augustiners two theories oftime, in: New Scholasticism (1971). Dies betont auch K. Hasch, a.a.O., trotz des von ihm ebenfalls gesehenen Festhaltens am Verhältnis von Zeit und Körperbewegung (S. 216/17). Er bringt es aber nicht in Zusammenhang mit dem von ihm erläuterten «ontologi sehen Aspekt» der augustinischen Untersuchung der Zeit (S. 212).
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Doch warum hat Augustinus dann, anders als etwa Aristoteles, nicht nur gesagt, die Zeit sei nicht ohne Seele,41 sondern in der Seele? Meines Erächtens liegt dies daran, daß Augustinus mit Aristoteles zwar einräumt, daß die Zeit nur im Zusammenhang mit Bewegung im weitesten Sinne42 auftritt, diese Bewegung dann aber anders als Aristoteles nicht in ihrem zeitlichen Vollzug erläutert. So stellt Augustinus schon zu Beginn seiner Untersuchung fest, daß es keine Zeit geben könne, wenn nichts verginge und nichts auf uns zukäme (17). Die Frage ist allerdings, was es bedeuten soll, daß etwas vorübergeht und etwas auf uns zukommt. Man wird kaum behaupten können, daß Augustinus dies wirklich deutlich gemacht hätte. Er weist vielmehr lediglich darauf hin, daß auch die punktuelle Gegenwart sich zu keiner Dauer dehnt, weil sie, wie er sagt, so rasch aus der Zukunft in die Vergangenheit hinüberfliege (20). Unverständlich bleibt dabei, inwiefern im Verfliegen der Gegenwart zugleich eine neue Gegenwart entsteht. Und weil dies so ist, kann es sich bei dem von Augustinus angesprochenen Verfliegen der Gegenwart allenfalls um eine Schwundstufe von Sukzessivität handeln, die nicht als ausdehnungsgenerkrend anzusehen ist. Es handelt sich um eine bloße Folge von Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit, in der sich anders als in einer Folge von früheren und späteren Gegenwarten nichts dürehhält, dem eine Ausdehnung zuzusprechen wäre. Dies ist der Grund dafür, daß Augustinus die Ausdehnung der Zeit nur in einem Rückgang auf die bildliche Gegenwart jenes Zeitpunkts in der Seele aufweisen konnte und damit auch nicht in der Sukzessivität dieses gegenwärtigen Zeitpunktes selbst, sondern nur in der Sukzessivität verschiedener seelischer Zustände, nämlich des Erwartens, des Anschauens und des Erinnerns.
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Ich beziehe mich hier natürlich auf jene berühmte Stelle in der Zeitabhandlung des Aristoteles, an der er sagt, daß es Zeit nur geben könne, wenn es eine Seele gibt (Pbys. 14,223a 21 ff.). Diese Stelle ist bekanntlich sehr umstritten, und zwar gerade im Hinblick auf die Frage, ob sich nicht schon in ihr eine Subjektivierung der Zeit abzeichne. Zweierlei scheint mir allerdings klar zu sein. Einmal sagt Aristoteles eindeutig, daß die Zeit nur deshalb nicht ohne Seele sei? weil sie als «Zahl der Bewegung nach früher und später» etwas voraussetze, von dem sie gezählt werden könne. Zum anderen gibt er zu bedenken, daß das, «was jeweils seiend die Zeit ist» ( öv &rnv ), auch ohne Seele sein könnte. Beides deutet zumindest darauf hin, daß die Rede von einer Subjektivierung der Zeit im Blick auf Aristoteles noch fragwürdiger wäre als im Blick auf Augustinus. Und mehr benötige ich als Ansatzpunkt für meine Überlegungen auch gar nicht. Zur vorgeschlagenen Aristotelesinterpretation vgl. vor allem W. Wieland, Die aristotelische Physik, Göttingcn 1962, § 18. Daß die Seele von Aristoteles nicht so radikal ins Spiel gebracht wird wie von Augustinus, ist auch von Autoren, die mit dem Terminus «Subjektivierung» weniger zurückhaltend verfahren, nicht bestritten worden. Vgl. etwa A. Maier, Die Subjektivierung der Zeit in der scholastischen Philosophie, in: Philosophia naturalis l (1951). Es ist hier nicht nur an die Ortsbewegung von Körpern zu denken, auch wenn diese für die aristotelische Zeitabhandlung aufgrund ihrer besseren Meßbarkeit eine paradigmatische Funktion besitzt, sondern gemäß dem weiten Begriff der Kinesis auch an (qualitative) Veränderung, (quantitative) Zunahme und Abnahme, (substantielles) Entstehen und Vergehen (vgl. Pbys. , 201 a 10), Wichtig mag außerdem erscheinen, daß Aristoteles selbst die Wahrnehmung von Zeit nicht ausschließlich an die Wahrnehmung körperlicher Bewegung knüpft, sondern hierfür offenkundig auch eine seelische Bewegung,, nämlich die der Dianoia, wie t sie üblicherweise auch im Traum vorliegt, als ausreichend erachtet (All, 218b 21). Es ist aber zu betonen, daß daraus allein mit Aristoteles nicht zu begründen wäre, warum die Zeit nicht ohne Seele sein kann, geschweige denn, warum sie womöglich in der Seele anzusetzen wäre. Denn "die Seele wird hier selbst als etwas Veränderliches betrachtet, das in dieser Hinsicht keinerlei Vorzug vor dem Körper besitzt. Umgekehrt ist klar, daß sie für das Verständnis des zeitlichen Vollzugs der Veränderung nur dann einen Vorzug besitzen kann, wenn sie als etwas verständlich zu machen ist, daß sich nicht nur selbst verändert, sondern sich zur Veränderung überhaupt in einem bleibenden und ihr selbst einsichtigen Verhältnis befindet.
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Wenn Augustinus anders als Aristoteles nicht bloß sagt, die Zeit sei nicht ohne Seele, sondern sie sei in der Seele, so liegt dies also einfach daran, daß seiner Auffassung nach jene bloß punktuelle Gegenwart, der durchaus ein von der Seele unabhängiges Sein zuzusprechen ist, keine Ausdehnung besitzt und insofern auch nicht für die Ausdehnung der Zeit aufzukommen vermag. Und eine Ausdehnung besitzt sie deshalb nicht, weil sie vergeht. Es fragt sich allerdings, ob es überhaupt einleuchtend ist, wenn Augustinus der punktuellen Gegenwart, oder wie man mit Aristoteles sagen müßte, dem Jetzt, nur eine solche Schwundstufe von Sukzessivität zuspricht. Wie mir scheint, muß dies schon deshalb bezweifelt werden, weil die Sukzession der seelischen Zustände, aus denen Augustinus die Ausdehnung der Zeit verständlich machen will, ihrerseits nur wirklich verständlich wird, wenn man für das Jetzt eine Sukzession einräumt, die mehr ist als jene bloße Schwundstufe. Daß ein Ding oder Ereignis, das jetzt angeschaut wird, demnächst vergangen ist und dann nur noch erinnert und nicht mehr angeschaut werden kann, wird durch die Rede von einer Anschauung oder Erinnerung nicht erklärt, sondern vorausgesetzt. Im Hinblick darauf mag es angebracht erscheinen, daß Augustinus vom Verfliegen der Gegenwart spricht. Ebenso muß aber gelten, daß nur etwas erwartet werden kann, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, daß es eintritt. Und die Minimalbedingung hierfür ist, daß die Gegenwart nicht nur verfliegt, sondern sich auch erneuert. Sofern Augustinus mit einer Erwartung von Zukünftigem rechnet, unterstellt also auch seine Zeittheorie, daß es eine Ausdehnung der Zeit gibt, die keine bloß innerseelische Ausdehnung sein kann. Recht betrachtet gilt etwas entsprechendes aber sogar für die Vergangenheit. Denn von einem mehr oder weniger lang vergangenen Zeitpunkt kann nur gesprochen werden, wenn in seinem Verfliegen mit dem Entstehen immer neuer Jetzte, die ebenso verfliegen, ein mehr oder weniger großer Zeitraum verflogen ist, der im Erinnern jenes vergangenen Zeitpunkts miterinnert wird. Ist dieser Zeitraum selbst auch eine Ausdehnung, die ohne die erinnernde Seele gar nicht gegenwärtig sein könnte, so ändert dies doch nichts daran, daß es nur eine Ausdehnung zu erinnern gibt, weil sie im Verfliegen eines sich beständig erneuernden Jetztes generiert wurde. Es sieht also so aus, als hätte Augustinus, indem er den bei Aristoteles allzu knapp behandelten Zusammenhang von Zeit und Seele weiter herausarbeitet, zugleich dessen Einsicht in die kontinmtätserläuternde, wenn auch nicht kontinuitätsstiftende Funktion des « » nicht genügend berücksichtigt.43 Dadurch wird die Bedeutung der Seele notwendig überakzentuiert und ihre kontinuitätsbewabrende Funktion zur kontinuitätsstiftenden verfälscht. Der Kontinuität der Körperbewegung, die sich im kontinuierlichen Übergang des jeweiligen Jetzt in ein neues vollzieht, wird bei Augustinus begrifflich nicht Rechnung getragen. Sie wird vielmehr durch eine sekundäre Kontinuität der Seelenzustände inadäquat ersetzt. Dies ist um so merkwürdiger, als seine eigene Zeittheorie unverständlich bleiben muß, wenn man jene Kontinuität der Körperbewegung nicht doch unterstellt. Man hat sich deshalb danach 4>
Obwohl die Zeit nach Aristoteles nicht aus Jetzten besteht (Phys. 10,218a 8), ist seine Zeittheorie in einer Auffassung des Jetzt (tö vöv) fundiert, durch die es gleichermaßen für die Grenzen eines jeweiligen Zeitraums wie für die Kontinuität der Zeit im Ganzen verantwortlich gemacht wird. «Die Zahl der Bewegung ist ja Zeit, das Jetzt aber ist, ebenso wie das Bewegte, gewissermaßen eine Einheit der Zahl. Und deshalb ist die Zeit durch das Jetzt sowohl kontinuierlich ( ) wie sie nach dem Jetzt unterteilt wird.» (220a 4) Das Jetzt ist bei Aristoteles allerdings genausowenig substantiell wie die Zeit und stiftet insofern nicht die Kontinuität der Zeit, sondern erläutert sie nur. Kontinuitätsstiftend ist für ihn allein die durch den . unbewegten Beweger in Gang gehaltene Bewegung des bewegten Seienden bzw. der selbst.
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zu fragen, was für diesen merkwürdigen Mangel verantwortlich sein mag. Und damit komme ich nun zu den ontologischen Voraussetzungen der augustinischen Zeittheorie, die mir hierfür ausschlaggebend zu sein scheinen.
IV
Da die wesentlichen Zusammenhänge bereits deutlich geworden sind, kann ich mich kurz fassen. Wie sich gezeigt hat, liegt der augustinischen Zeittheorie eine Hierarchie verschiedener Gegenwarten zugrunde. Diese ergibt sich dadurch, daß auf der Grundlage einer eigentlichen Gegenwart zwei Stufen ihrer Realisierung zu unterscheiden sind, wobei die zweite Stufe wiederum zwei Aspekte aufweist, die auf komplizierte Weise verschränkt sind. Die eigentliche Gegenwart ist die Ewigkeit, in der alles zeitlos zugleich ist, weshalb sie auch schlechthin gegenwärtig zu bleiben vermag. Unsere zeitliche Gegenwart ist ihr bloßes Abbild, handelt es sich bei ihr letztlich doch nur um jenen bloßen Zeitpunkt, in dem zwar noch manches, aber sicher nicht mehr alles zugleich sein kann, und selbst dies nur im Sinne eines Zugleich, das bloß punktuelle Gleichzeitigkeit bedeutet. Es ist deshalb zwar unmöglich, daß in dieser Gegenwart, die nicht mehr in Vergangenheit und Zukunft zu teilen ist, weil es in ihr kein Früher und Später mehr gibt, etwas vergeht. Gleichwohl bleibt mit ihr auch nichts, da sie als bloß punktuelle Gegenwart selbst vergeht. Schließlich sind Vergangenheit und Zukunft weitere Formen zeitlicher Gegenwart, in denen die Gegenwart jenes Zeitpunkts ihrerseits in defizienter Form vorliegt. Denn Vergangenheit und Zukunft sind nur als Affektionen bzw. Konzeptionen, d. h. als innerseelische Bilder der punktuellen Gegenwart. Vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit der in ihr abgebildeten Gegenwart ist die Defizienz der innerseelischen Gegenwart jedoch nicht eindeutig. Es ist nämlich nur die innerseelische Abbildung, durch die jene reale, aber bloß punktuelle Gegenwart zu bleiben vermag, und sei es auch nur im Bild. Nun ist unschwer zu sehen, daß diese Stufung nur eine temporale Erläuterung der augustinischen Ontologie, also eine Erläuterung der Ontologie in bezug auf das Zeitproblem, darstellt. So ist die wahre Gegenwart der Ewigkeit für Augustinus auch das wahre Sein. Dies liegt daran, daß sie als stehende Gegenwart Ruhe und Beständigkeit, ja überhaupt Unveränderlichkeit aufweist («non autem praeterire quidquam in aeterno» 13). Und eben diese Unveränderlichkeit ist nun für Augustinus, wie er immer wieder deutlich macht, auch das eigentliche Charakteristikum des wahren Seins: «Id enim vere est, quod incommutabiliter manet.»44 Demgegenüber gehört die von uns sogenannte Gegenwart als ein Teil der Zeit mit der gesamten geschaffenen Welt zum Veränderlichen und darum auch nicht wahrhaft Seienden. Es ist zwar sicher nicht richtig, daß Augustinus anders als die Griechen über kein anderes Wort für den durch Veränderlichkeit charakterisierten Bereich des Seienden verfüge als «tempus».45 Vielmehr nennt er den Kosmos meistens «caelum et terra» und die Kinesis «variatio» oder «mutatio». Dennoch trifft es zu, daß er von Zeit häufig einfach im Sinne von Veränderlichkeit spricht. Angesichts seiner Bestimmung der Ewigkeit kann dies grundsätzlich auch kaum überraschen. Wenn die Ewigkeit dasjenige ist, was immer steht, kann die Zeit 44
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Conf. VII17. Weitere Stellen bei E. Gilson, Notes sur Vetre et le temps chez samt Atigustin, in: Recherches augustiniennes 2 (l962), S. 206 ff. ; E.Gilson,A*.O.,S.212.
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leicht als etwas erscheinen, das niemals steht («temporibus numquam stantibus» 13). Dieses Schicksal der Zeit teilt offenkundig auch die zeitliche Gegenwart, verfliegt sie doch beständig in die Vergangenheit. Die Zeittheorie von Augustinus ruht damit auf dem Fundament einer platonisch geprägten Ontologie, die mit der Differenz eines wahren und eines bloß defizitären Seins arbeitet. Dies ist häufig beobachtet worden.46 Es kommt allerdings darauf an, den ontologisch defizitären Status der Zeit bei Augustinus richtig einzuschätzen. Vor allem gilt es zu verstehen, warum die zeitliche Gegenwart auf ein bloßes Verfliegen in die Vergangenheit festgelegt sein soll, weshalb also, um aus ontologischer Perspektive zu fragen, die zeitliche Gegenwart bei Augustinus in die zwei auf komplizierte Weise verschränkten Aspekte einer realen, aber vergänglichen, und einer bloß innerseelischen, aber bleibenden Gegenwart zerfällt. Und um dies zu verstehen, reicht es nicht, auf die platonische Prägung seiner Ontologie zu verweisen. Deutlich wird dies bereits daran, daß auch Platon trotz aller Unterschiede zu Aristoteles und vor allem trotz seines Versuches, die Zeit auf der Grundlage der Ewigkeit zu bestimmen, anders als Augustinus nicht auf die Idee gekommen ist, die Zeit schlechthin auf Veränderlichkeit und Bewegung festzulegen. Denn nach Platon ist die Zeit, und nicht nur die zeitliche Gegenwart, ein bewegtes Abbild der Ewigkeit und hat auf diese Weise am wahren Sein teil. Es ist dem Text nicht eindeutig zu entnehmen, warum es Augustinus nicht gelingt, die ganze Zeit als ein Abbild der Ewigkeit verständlich zu machen, ohne dabei in eine Aporie zu geraten, die nur durch den Rekurs auf innerseelische Bilder aufgelöst werden kann. Meines Erachtens spricht aber manches dafür, daß der Grund in seiner einseitigen Festlegung des wahren Seins auf die Unveränderlichkeit zu suchen ist. Denn darin ist zwar ein Charakteristikum aufgegriffen, das bereits bei Platon und dann auch im späteren Platonismus zur Bestimmung des wahren Seins der Ideen herangezogen worden ist, aber eben nur eines, neben dem die besondere Bewegtheit der Ideen ebenfalls eine große Rolle spielt. Natürlich weisen die Ideen nach Platon keine körperliche Bewegung in Raum und Zeit auf, wohl aber eine geistige Bewegung, in der sich jene Teilhabe von Ideen aneinander herstellt, die in der Dialektik nachvollzogen wird.47 Bei Augustinus wird das wahre Sein der Ideen dagegen so gedacht, daß es Bewegung in jeder Form ausschließt. Dafür mögen letztlich theologische Gründe ausschlaggebend sein, vor allem das Motiv, den transzendenten Gott von allen weltimmanenten Charakteristika freizuhalten. Die ontologische Konsequenz ist jedenfalls klar. Ist das wahre Sein gänzlich unbewegt, kann die Bewegung umgekehrt nicht einmal mehr als ein defizitäres Sein verständlich gemacht werden. Entsprechend ist es Augustinus nicht mehr möglich, die Zeit als ein Abbild der Ewigkeit zu bestimmen, indem er mit Platon auf die Rationalität der Bewegung blickt, wie sie in den kontinuierlichen Zyklen der Himmelskörper greifbar wird. Es ist ihm aber auch nicht möglich, dies dadurch zu leisten, daß er mit Aristoteles die Kontinuität der Körperbewegung überhaupt analysiert, wie sie sich bereits auf der Ebene des kontinuierlichen Übergangs von einem Jetzt in ein anderes zeigt. Was demgegenüber als einzige Möglichkeit bleibt, haben wir gesehen. Ein Versuch, die Zeit als Abbild der Ewigkeit 46 47
Vgl. etwa O. Lechner, Idee und Zeit in der Metaphysik Augustins, München 1964, S. 43 ff. Ich stütze mich hierbei vor allem auf den Sopbistes, in dem Platon ausdrücklich darauf hinweist, daß das Seiende nur erkannt werden kann, wenn es selbst vernünftig, beseelt und insofern auch bewegt ist (249a ff.), und die darin unterstellte besondere Bewegtheit des Seienden als ein ewiges Sichverbinden verschiedener höchster Gattungen erläutert (254e).
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zu bestimmen, muß vor diesem Hintergrund dazu führen, an der Zeit einseitig einen Aspekt auszugrenzen, der an üir als Seiendes im Sinne von Unveränderlichem erscheint, um schließlich festzustellen, daß auch dieser dem angelegten Kriterium nicht zu entsprechen vermag. Und so isoliert Augustinus jene bloß punktuelle Gegenwart, um doch sofort einzuräumen, daß auch sie weder über wahres Sein, noch über Ausdehnung verfügt, da sie ja verfliegt. Die ontologischen Voraussetzungen der augustmischen Zeittheorie sind also insofern problematisch, als sie seinen Blick auf die Zeit in einer unangemessenen Weise verengen. Seine Unterstellung, daß wahres Sein in jeder Form unveränderlich sein müsse, zwingt ihn nämlich dazu, den für die Zeit konsumtiven Zusammenhang mit der Bewegung im allgemeinen und der Körperbewegung im besonderen, wenn schon nicht gänzlich zu unterschlagen, so doch nur dahingehend zu berücksichtigen, daß er als Hinweis auf deren Nichtsein gedeutet wird. Was bei Augustinus als Zeitaporie aufgebaut wird, zeigt also im Grunde nur die Unmöglichkeit, Veränderung und Sukzessivität ganz aus der Zeit zu eliminieren, nicht aber, warum eine solche Eliminierung für ein Verständnis der Zeit überhaupt erforderlich sein sollte. Darin ist vielmehr die Konsequenz einer einseitigen Ontologie zu sehen, die notwendig mit der vorphilosophischen Ansicht in Konflikt geraten müß^ nach der die Zeit wesentlich eine Ausdehnung besitzt; Denn so, wie diese Ausdehnung erfahren wird, kann sie primär nur die Ausdehnung einer durch Körperbewegung greifbar werdenden Sukzession sein. Soweit sich die schroffe Differenzierung von Sein und Nicht-Sein auswirkt, die wir als verborgenen Leitfaden der Zeittheorie aus den Confessiones aufweisen konnten, steht die Ontologie von Augustinus im Grunde weniger in der Nachfolge Platons als in derjenigen von Parmenides48 und führt in ihrer Ausgrenzung einer reinen Gegenwart als vermeintlich einzig Seiendem an der Zeit deshalb auch nicht zufällig in einen Sophismus, den bereits Aristoteles zu Recht als phänomenfern betrachten konnte.49
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Gemeint ist damit natürlich nicht irgendein nachweisbarer Einfluß durch Lektüre, sondern der ontologische Hintergrund für eine sachliche Nähe, wie wir sie bereits zwischen der augustinischen Teilung der Gegenwart im Rahmen seiner Zeitaporie und den zenonischen Paradoxien feststellen konnten. So erwähnt auch Aristoteles die Schwierigkeit, daß die Zeit nicht sein könne, weil ein Teil von ihr schon' vorübergegangen sei und der andere noch bevorstünde (Phys. 217b 33). Bereits seine Einleitung, die hier von «exoterischen Logoi» spricht (217b 31), deutet jedoch an, daß er diese Schwierigkeit allenfalls für eine äußerliche Charakteristik des Zeitproblems hält, deren Isolation als sophistisch zu betrachten wäre. Was dieser Schwierigkeit (und auch den beiden anderen, die sie weiter entfalten,) grundsätzlich fehlt, ist die Berücksichtigung der Bewegung, ohne die das Zeitproblem, so wie es in der Erfahrung phänomenal greifbar wird, nicht zu erörtern ist, Vgl. dazu P. E Coneii, Die Zeittheorie des Aristoteles, München 1964.
UDO KÜHNE Nodus in scirpo - Enodatio quaestionis Eine Denkfigur bei Johannes von Salisbury und Alanus von Lilie 1. In der frühen lateinischen Dichtung wird eine altrömische Redeweise überliefert, wonach Menschen, welche Schwierigkeiten dort aufspüren, wo faktisch keine sind, <einen Knoten an der Binse suchen>:1 Quaerunt in scirpo, soliti quod dicere, nodum.2 Der Grammatiker Festus (2. Jh.), dem wir diese Ennius-Stelle verdanken, hebt seinerseits den proverbialen Charakter der Wendung hervor: Inde proverbium est in eas natum res, quae nullius impedimenti sunt, in scirpo nodum quaerere? Die mittelalterliche Nachwirkung des antiken Ausspruchs hat Isidor von Sevilla entscheidend gefördert. Im sdrpus-Artikel seiner <Etymologiae> (17,9,97) informiert der gelehrte Spanier zunächst über die Sache selbst, d. h. die Knotenlosigkeit der Binse (sarpus> quo segetes tegunturt sine nodo), zitiert sodann den Ennius-Vers, dem er als zweiten Beleg ein <Sprichwort>, wie er sagt, zur Seite stellt: Et inproverbio: Qui inimicus est, etiam in scirpo nodum quaent. Diese Fassung hatte Hieronymus dem Wort gegeben,4 womit eine Bedeutungsverschiebung einherging: Versinnbildlichte die Suche nach dem Knoten an der Binse ursprünglich skrupulös-pedantisches Bedenken einer gegebenen Situation (Ter. Andn 941) oder auch ein aussichtslos-vergebliches Unterfangen, dem Erfolg gewiß mangle (Flaut. Men. 247), so wurde nunmehr mit der prägnanten Wendung eine unfreundliche, ja feindliche, jedenfalls (gewollt) über-kritische Haltung gekennzeichnet: Ein Haar in der Suppe könne immer gefunden werden. Demgegenüber urteile, wie Hieronymus hinzusetzt, ein Wohlwollender anders, lasse nämlich durchaus einmal (amictis prava quoque recta judicat). Beide Sinngebungen, die der Komiker und die des Kirchenvaters, leben im Mittelalter weiter. Während z. B. der -Dichter in seinem um die Mitte des 12. Jahrhunderts geschaffenen Tierepos die Suche nach dem Knoten im Sumpfgras, wie es bei ihm, lexikalisch variiert, heißt (5,127: nodum vestigat in ulvaf, neben weiteren sinnlosen Tätigkeiten wie etwa dem Schälen von Kieselsteinen oder dem Melken von Kranichen in satinscher Absicht 1
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A. Otto, Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer, Leipzig 1890 (Nachdruck Hildesheim 1965), 312 f.; Thesaurus proverbiorum Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanischgermanischen Mittelalters. Begründet von S. Singer. Hg. vom Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Bd. l, Berlin/New York 1995,484 f. Enn. sät. 70 V2. VgL Flaut. Men. 247; Ter. Andr. 941. W. M, Lindsay (Hg.), Sexti Pompei Festi de verborum significatu quae supersunt cum Pauli epitome, Leipzig 1913,444; J. Vahlen (Hg.), Ennianae pocsis reliquiae, Leipzig 21903,211. Hier. c. loh. 3 (PL 23 [l 845], 357B). Vermutlich gebraucht der Dichter das Wort uha als Synonym für scirpus. Andernfalls geriete sein Bild in eine gewisse Schieflage, da Schilf (und verwandte Sumpfgräser) gerade nicht knotenlos sind. Plinius erwähnt, daß die Pflanze - neben der Binse (iuncus) - zum Binden (nat. hist. 17,209) und Knüpfen (16,4) verwendet wird. Isidor (Etym. 17,9,100) beschreibt demgegenüber uha als schwammartige alga. Vgl. auch H. Genaust, Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen, Basel/Boston/Berlin 31996, 667
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dem Claraevallis pannifer> d. h. dem hl. Bernhard, zuschreibt,6 kontrastiert Hugo von Trimberg im (um 1300) mithilfe einer volkssprachigen Adaptation des Sprichworts Geizkragen und Neider, die an glatten Binsen Knoten suchen, mit Leuten ohne Falsch, die solches nicht tun, deren Zahl freilich, wie Hugo bedauert, abnimmt (5109 - 5112: Wenne ginge Hute und mdes boten / Suochent an siebten binzen knoten: / Des entuont einseitige Hute niht> / Der man ntt leider lützel siht).7 2. Mehrfach verarbeitet Alanus von Lilie, der große Dichter und Gelehrte des 12. Jahrhunderts, die römische Redeweise in seinem Werk, zitiert sie - erwartungsgemäß, darf man sagen - im bilden jeweils eine thematische Einheit, wobei freilich der Grad der inhaltlichen Geschlossenheit in den Distichen stark variiert und im vorliegenden Fall, wo zwei vitanda schlicht nebeneinanderstehen, als nur gering empfunden wird. Doch zeigt sich hier bereits eine Tendenz, die der Autor andernorts, in der <Summa de arte praedicatoria> und im , noch stärker zur Geltung bringt, nämlich dem Ausspruch von der Suche nach dem Knoten an der Binse weitere mehr oder weniger sinnverwandte Wendungen gleichgeordnet zur Seite zu stellen und solcherart ganze Reihen von bildhaften Varianten des Gedankens auszuformen. In seiner Ars praedicandi, einem wohl kurz vor 1200 entstandenen Spätwerk,9 bietet Alanus neben einer markanten Definition der Literaturform Predigt, weiteren theoretischen
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s. v. uha: «in den Wörterbüchern meist mit übersetzt (jedoch ohne gesicherte bot Grundlage)». - Zur Rolle des Merkmals «knotiger Halm> bei der bibelexegetischen Deutung des Schilfrohrs (arundo, calamus) auf den Menschen s. H.-J. Spitz, Schilfrohr und Binse als Sinnträger in der lateinischen Bibelexegese, in: Frühmittelalterliche Studien 12 (1978), 230-257, hier 238 und 240 f. Zum Hintergrund s. J. Mann (Hg.), Ysengrimus. Text with Translations, Commentary and Introduction, Leiden/New York/Köln 1987 (Mittellateinische Studien und Texte 12), 118 f. G. Ehrismann (Hg.), Der Renner von Hugo von Trimberg. Mit einem Nachwort und Ergänzungen von G. Schweikle, Bd. l, Berlin 1970 (Deutsche Neudrucke, Reihe: Texte des Mittelalters), 212. - Pastores [...} nimie simplicitatis, schlichte, einfache, geradlinige Menschen, stellt Lambert von Ardres in seiner als Werktitel für ein grammatisches Lehrgedicht des Johannes von Beauvais, welches man daneben unter den Bezeichnungen und kennt, vgl. M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. 3, München 1931, 737; J. de Ghellinck, L'essor de la litterature latine au XIIC siecle, Brüssel/Brügge 21955, 460; F. J. Worstbrock, Libri pauperum. Zu Entstehung, Struktur und Gebrauch einiger mittelalterlicher Buchformen der Wissensliteratur seit dem 12. Jahrhundert, in: C, Meier/D. Hüpper/H. Keller (Hgg.), Der Codex im Gebrauch, München 1996 (Münstersche Mittelalter-Schriften 70), 41 -60, hier 51. Zu Alans Predigttraktat; M. Zink, La rhetorique honteuse et la convention du sermon «ad Status» ä travers la «Summa de arte praedicatoria» d'Alain de Lilie, in: H. Roüssel/F. Suard (Hgg.), Alain de Lilie, Gauties de Chätillon, Jakemart Gielee et leur temps. Actes du colloque de Lilie (octobre 1978), Lilie 1980,171-185; G. R. Evans, Alan of Lilie. The Frontiers of Theology in the Later Twelfth Century, Cambridge 1983, 87-101; M. G. Briscoe, Artes praedicandi - B. H. Jaye, Artes orandi, Turnhout 1992 (Typologie des sources du Moyen Äge occidental 61), 18-25.
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Präzisierungen wie der Unterscheidung von tres species praedicationis™ sowie Hinweisen zur formapraedicationis11 vielfältige Materialien zu bevorzugten Predigtthemen. Das 28. Kapitel ist dem vitium der detractio gewidmet. Verleumder gleichen Hunden, die bellen und auch beißen. Und weiter heißt es: Hi sunt qm in scirpo inveniunt nodum, in immaculato maculam, in rotundo angulum, in splendido tenebrosum.12 Alanus beschreibt hier bildhaft-seriell, wie detractores sich nicht scheuen, Sachverhalte zu fingieren, Tatsächliches kurzerhand ins Gegenteil verkehren und in diesem Sinne einen Knoten an der Binse finden oder auch einen Fleck im durchaus Makellosen usf., darin dem von Hieronymus charakterisierten inimicus naherücken. Die beigegebenen Nebenbilder erreichen mitunter ebenfalls den Rang sprichwörtlichen oder sentenzenhaften, jedenfalls vorgeprägten Ausdrucks. Neben ein horazisches Bild stellt Alanus unser Sprichwort in seinem Hauptwerk, dem in den achtziger Jahren des 12. Jahrhunderts geschaffenen , einem epischen Entwurf von epochaler und zugleich bleibend-weltliterarischer Bedeutung. Im fünften Buch Schilden der Dichter, wie Prudentia auf ihrer Reise zu Gott in Begleitung von Theologia den Wundern des Himmels begegnet, woflamma und liquor, gegensätzliche Elemente also, eine spannungsreiche Liaison (5,316 discordia concors; 317 fides fantastica) eingehen. Prudentias Beobachtung gehört in den größeren Rahmen der auf dem Literalverständnis von Gn 1,6—7 fußenden Lehre von der Existenz kristalliner Wasser über dem Firmament, d. h. über dem (doch leichteren!) Feuer. Wo nicht die mittelalterliche Naturkunde, wie etwa im Umkreis von Chartres und da besonders in der Person Wilhelms von Conches, eine prinzipielle Gegenposition zur traditionellen, auch bei Alanus nachwirkenden Exegese bezog (Restat igitur ibi non esse aquas congelatas),13 diskutierte man über Form und Beschaffenheit der biblischen Wasser super firmamentum (liquor, vapor, glacies), wovon Alans Darstellung einen lebhaften Eindruck vermittelt, stellte aber auch die Frage nach Sinn und Zweck (utilitas) solcher Wasser. Hier lasse sich, so Abaelard, letzte Klarheit nicht leicht gewinnen, habe doch sogar ein Gelehrter (tantus doctor) wie Augustinus lediglich geantwortet: als unzweifelhaft dürfe gelten, daß die Wasser existierten, wie und warum es sie gebe, wisse allein ihr Schöpfer.14 Ähnlich zurückhaltend äußert sich Petrus Comestor in seiner , setzt aber immerhin, freilich distanziert, eine mögliche Antwort auf die Frage hinzu (Cur vero ibi sint [sc. aquae] Dem novit, nisi quod quidam atttHmant inde rorem descen-
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PL 210,113C: in verbo; in scripto (Paulusbriefe); in facto (vorbildliches Leben). Also jenem Lehrgebiet, das stärker rhetorisch ausgerichtete Artes praedicandi unter der Überschrift partes sermonis abhandeln werden. PL 210,166D. G. Maurach (Hg.), Wilhelm von Conches*: Philosophia, Pretoria 1980 (Studia 16), 43 (2,2 § 4). Vgl. T. Gregory, Anima mundi. La filosofia di Guglielmo di Conches e la scuola di Chartres, Florenz 1955 (Pubblicazioni dell'Istituto di filosofia delPUniversita di Koma 3), 240 -244; £. Jeauneau, Note sur l'licole de Chartres, in; Studi medievali 5 (1964), 821 -365, hier 847-849; H. R. Lernay, Science and Theology at Chartres: The Casc of the Supracclestial Waters, in: The British Journal for the History of Science 10 (1977), 226-236. ' Abaelard, Expositio in Hexaemcron, PL 178, 743D. Vgl. Aug. gen. ad litt. 2,5 (CSEL 28/1, 39). - Weil die utilitas des Werks vom zweiten Schöpfungstag verborgen bleibe, fehle, so Abaelard, im GenesisWortlaut hier die sonst übliche Formel Et vidit Dem quod esset bonum, die nämlich einschließe, daß das bonum dem Menschen evident sei; vgl. J. Marenbon, The Philosoph/ of Peter Abelard, Cambridge 1997,. 248 mit Anm, 30.
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dere in aestate),15 wie er sie nämlich in einer Hauptquelle16 für sein Bibelwerk vorfinden konnte: Flavius Josephus ( l j30) nennt die Wasser über dem Firmament als Ursache für Wettererscheinungen wie den Regen, Gott habe den Kristallhimmel ad utilitatem quaefit ex imbribus terrae geschaffen.17 Wer aber solches vertrete, so nun Alans Kritik, phantasiere und lehre Verkehrtes. Oder bildlich gesprochen: Er hasche nach Wolken und Nichtigem, womit der Autor V. 230 zitiert, suche eben den Knoten an der Binse: 342 Nam quifurtivo lapsu quasi nesciat ignis A superis rorem descendere sompniat, ille Philosophus racione caret falsumque propbetat, 345 Oda sectatur, nubes et inania captat, In scirpo nodum qtterens, in luminefumum, In-piano scrupulum fingens, in luce tenebras.1* Die rund zehn Jahre vor dem entstandene , eine auf Anhieb erfolgreiche Novität dieser Epoche und sodann eines der beliebtesten Bücher des späteren Mittelalters,19 dürfte hier mit der oben zitierten Stelle als direkte Vorlage Alans gedient haben, so daß philosopbus gewiß eher unspezifisch jeden (beliebigen) Gelehrten meint, welcher die kritisierte Meinung vertreten wollte,20 als einen geschichtlich faßbaren Repräsentanten der fraglichen Ansicht, etwa (den bei Petrus Cömestor unerwähnten) Josephus.21
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PL 198,1058CD. Vgl. H. Schreckenberg, Die Flavius-Josephus-Tradition in Antike und Mittelalter, Leiden 1972 (Arbeiten zur Literatur und Geschichte des hellenistischen Judentums 5), 147 -149; L. H. Feldman, The Jewish Sources of Peter Comestor's Commentary on Genesis in his Historia Scholastica, in: D.-A. Koch/ H. Lichtenberger (Hgg.)> Begegnungen zwischen Christentum und Judentum in Antike und Mittelalter. Festschrift H. Schreckenberg, Göttingen 1993 (Schriften des Institutum Judaicum Delkzschianum 1), 93 -121, bes. 98 -101. F. Blatt (Hg.), The Latin Josephus, Bd. 1: Introduction and Text. The Antiquities: Books I-V, Aarhus/Kopenhagen 1958 (Acta Jutlandica 30/1, Humanistisk Serie 44), 127. - Abaelard weist die Ansicht des Josephus ausdrücklich zurück: ne quis putaret ex illis SHperioribus aquis pluviarii Stillare et adhuc illas superius suspensas fuisse, sicut et Josephus opinatus est (PL 178,747C); denn: Cettum autem habetur pluvias nequaqttam oriri nisi terramm exhalatione (ebd., 744BC). R. Bossuat (Hg.), Alain de Lilie: Anticlaudianus. Texte critique avec üne introduction et des tables, Paris 1955 (Textes philosophiques du Moyen Age 1), 133 (Interpunktion z. Tl. von mir geändert). Zu Einfluß und (insbesondere volkssprachlicher) Nachwirkung des Werks s. J. H. Morey, Peter Comestor, Biblical Paraphrase, and the Medieval Populär Bible, in: Speculum 68 (1993), 6-35; M. Sherwood-Smith, Die als Quelle biblischer Stoffe im Mittelalter, in: T. R. Jackson/N. F. Palmer/ A. Suerbaüm (Hgg.), Die Vermittlung geistlicher Inhalte im deutschen Mittelalter, Tübingen 1996,153 -165. Entsprechend unspezifisch Alans Quelle (quidam autumant). J. Simpson (Sciences and the Seif in Medieval Poetry. Alan of Lille's Anticlaudianus and John Gower's Confessio amantis, Cambridge 1995 [Cambridge Studies in Medieval Literature 25], 113) sieht in der Erwähnung des philosopbus «a reference, almost certainly, to William of Conches» - ohne stichhaltige Begründung: seine (zur Position Wilhelms in der Tat passende) Paraphrase von Alans Kritik ([Alan] «refers * to the stupidity of the philosopher who refuses to believc that the waters of the firmament hang above fire») besitzt im Text V. 5,342 ff. keine Deckung. Eine ausführlichere Diskussion des Passus (V. 5,325 -353) bietet D. Shanzer (Alan of Lilie, Contemporary Annoyances, and Dajniic, in: Classica et Mediaevalia 40 [1989], 251 -269, hier 256-262), die sich gleichfalls für Wilhelm von Conches als Adressaten der Verse 5,342 - 347
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Alanus nutzt also beide Verwendungsweisen des antiken Ausspruchs, charakterisiert mit ihm im Predigttraktat (entsprechend dem von Hieronymus gegebenen Muster) eine moralisch verwerfliche Haltung, in seiner Dichtung hingegen die Nichtigkeit und Vergeblichkeit eines falscher Fährte folgenden Lehrsatzes. Hier wie dort verleiht der Autor dem traditionsreichen Bild zusätzliche Anschaulichkeit, indem er es jeweils in eine Reihe von ähnlich ausgerichteten Gedanken einpaßt. Zu derartiger Reihenbildung hat das Sprichwort offenbar bereits frühzeitig angereizt. Donat überliefert in seinem Terenzkommentar (zur einschlägigen Stelle Andr. 941) ein Fragment aus dem ersten Satirenbüch des Lucilius, wo der Dichter zu zweigliedriger Formulierung gelangt: nodum in scirpo, in sanofacere ulcus.22 Paulinus von Nola (1. Hälfte 5. Jh.) würdigt in einem Brief an Victricius (epist. 37) die standfeste, von Anfeindungen unbeeindruckte Haltung des Adressaten, gegen den man sogar falsche Zeugen aufgeboten habe, sed nodus in scirpo et naeuus in lumine non potuit inueniri.2* Wie schon hier begleitet Bildlichkeit des Lichts, zur Gestaltung scharfen Kontrasts geeignet, das Proverbium in beiden oben vorgestellten Reihen des Alanus, denen eine Formulierung im <Speculum caritatis> des Zisterzienserabts Aelred von Rievaulx, eines Zeitgenossen Alans, nahesteht (3,35,94: Rogo, qmd tenebras in iuce quaerimus? Quid nodum in scirpo?), wo ein passendes Bibelwort (lob 5,14) den Gedanken abrundet: Quid in meridie, quasi in nocte palpamus?24 Es fehlt nicht an weiteren Zeugnissen aus dem Mittelalter für das serielle Arrangement des Ausspruchs. Die bereits erwähnte -Stelle gehört ebenso, hierher wie manches
ausspricht. Läge aber in den Versen 5,348 -351 (Hac eciam racione probat quod nullus ibidem / Exalat uapor in nebulas, nee pendulus humor / Ethera uelat aquis, ubi nullas euomit auras / Terra, nee ignis ibi suspendit in ethere nubes) tatsächlich eine Kritik an Wilhelms Lehre vor (Shanzer, 258), hätte Alanus dessen Position gründlich mißverstanden. Wilhelms Lösung zielt ja gerade darauf ab, die biblischen Wasser super firmamentum in der Region von aer, nicht aether, zu lokalisieren, wodurch sie zum erdnahen Wetterphänomen (in Gestalt von Wolken) werden; man wisse doch: Aliquando aer dicitur coelum, [...] aliquando aether; und: qui dixit aquas esse stipra coelum, uel supra firmamentum, aera coelum et firmamentum uocauit: uel quod uerius est, inferiorem aerispartem supra quam sunt aquae uaporaliter in nubibus suspensae (Dialogus de substantiis physicis [], hg. von G. Gratarolus, Straßburg 1567, Nachdruck Frankfurt/M. 1967, 65). Dagegen passen diese Verse Alans zur etwas anders gefaßten z;or-Theorie Thierrys von Chartres: Magnitudo igttur aquarum labilium [...] ita per calorem super summum etheris suspensa est ut [...] ita contingeret quod [...] aer esset medium inter aquam labilem et aquam uaporaliter suspcnsam ( 8, hg. von N. M. Häring, Commentaries on Boethius by Thierry of Chartres and His School, Toronto 1971 (Studies and Texts 20], 558). Unzutreffend auch Shanzers Feststellung, Wilhelms Argument «appears only in the Dragmaticon». Es findet sich bereits in der 2,2 § 6 (Maurach [wie Anm. 13], 43), so daß Shanzers Schlußfolgerung (S. 261: «The philosopher's furtivus Upsus could well refer to WHliam's reintroduction of further arguments against the literal Interpretation of the Bible in a work that was supposcd to be a recantation of heretical opinions») ins Leere geht. 22 Lucü. 36 (Marx), s. E Charpin (Hg.), Lucüius: Saures. Tome I (Livres I -VIII), Paris 1978, 96 (1,23) und 205 (Kommentar); W. Krcnkcl (Hg.), Lucilius: Satiren, Erster Teil, Leiden 1970, S. 124 (1,52). Die alte Konjektur von F. Marx (insane quaerere vultis) ergäbe keinen Beleg im oben dargestellten Sinne. 23 W. von Hartcl (Hg.), Sancti Pontii Mcropii Paulini Nolani epistulae, Wien 1894 (CSEL 29), 319. 24 A. Hoste/C. H. Talbot (Hgg.), Aelrcdi Rievallensis opera omnia, Bd. 1: Opera ascetica, Turnhout 1971 (CCCM 1), 150.
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kursierende Bonmot, wenn es gehäufte Paradoxien einer Pointe mit misogyner Tendenz zuführt: Est in quadrupede pes quintus, in equore pttlvisy / In cirpo nodus, in muliere fide$2S 3. Abseits zwar vom hier behandelten Sprichwort, doch auf einer nicht ganz entfernten bildlichen Ebene steht seit alters her die übertragene Wortbedeutung für nodus im Sinne von <Schwierigkeit>, . Seneca spricht von Schwierigkeiten, welche man sich unnötigerweise selbst bereitet, mit den Worten: Quid enim bohi est, nodos operose solvere, quos ipse, ut solveres, /ecerw.26 Redensartlich ausgeprägt begegnen schließlich Knoten, die sich mit antiken Namen verbinden: nodus Gordius und nodus Herculaneus27 Bei mittelalterlichen Autoren versinnbildlicht die Metapher vom Knoten bevorzugt eine diffizile, nicht leicht lösbare wissenschaftliche Problemstellung. Als Vorbild konnte ihnen eine Formulierung dienen, die Boethius im 5. Buch seiner während des gesamten Mittelalters hochgeschätzten und vielgelesenen gebrauchte, um das Spannungsverhältnis zwischen göttlicher providentia und menschlicher Willensfreiheit zu markieren. Wer in dieser Frage annehme, notwendig sei nicht, daß geschehe, was vorausgesehen wurde, sondern vielmehr, daß, was künftig geschehen wird, vorausgesehen werde, biete eine verfehlte (nämlich auf den Aspekt bloßer Kausalität reduzierte) Lösung, welche er, Boethius, nicht billigen könne: Neque enim illam probo rationem, qua se quidam credunt hunc quaestionis nodum posse dissolvere (5, pr. 3)4 Im 4. Buch seiner zeichnet Ordericus Vitalis (1075-1142), Engländer von Geburt und Normanne aus Neigung, ein Porträt des gelehrten Lanfranc von Bec (f 1089), der im Jahr 1070 das Amt des Erzbischofs von Cariterbury antrat. Mit eindrucksvollen Worten schildert der Historiker die überragende Rolle Lanfrancs als Lehrer, dem es gelungen war, Schüler aus ganz Europa in seinen Bann zu ziehen, verfügte er doch über uneingeschränkte Kompetenz gleichermaßen in der geistlichen wie weltlichen Wissenschaft:. In utraque nodos quaestionum soluere potentissimus erat2* Als Petrus von Blois (um 1130 -1211/12), einflußreicher Literat iri englischen Diensten, von" einem befreundeten jüngeren Kirchenrechtler um sein Urteil über zwei in conflictu scolastico aufgetretene, also in Fachkreisen umstrittene quaestiones gebeten wird, eröffnet er sein Antwortschreiben (epist. 19) mit einem Vergleich. Wie einst die kluge Frau im 2. Samuelbuch den Ausspruch (proverbium) getan habe: qui interrogant, interrogent in
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H. Walther, Proverbia sententiaeque Latinitatis Medii Aevi. Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters in alphabetischer Anordnung, Bd. l, Göttingen 1963,949 (Nr. 7522); vgl. ebd., Bd. 3, Göttingen 1965, 334 (Nr. 18116): Non nodtts scirpo nee estfides in meretrice. 26 Sen. benef. 5,12,2. Vgl. Otto (wie Anm. 1), 244 (mit weiteren Belegen, z. B. Cic. fara. 8,11,1: incideramus enim in difficilem nodum). 27 Zur festen Wendung wird nodus Gordins erst nach-antik und nach-mittelalterlich: in der gelehrten Tradition , der Renaissance, s. W. Burkert, Art. , in: R. W. Brednich (Hg.), Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Bd. 5, Berlin/New York 1987, 1402-1404, hier 1403. - Zum Herkules-Knoten vgl. Sen. epist; 87,38 (tmus tibi nodus, sed' Herculaneus restat). Der ältere Plinius berichtet über die volksmedizinische Ansicht, wonach ein nodo Herculis (also mit einem kompliziert geschlungenen Knoten) geschlossener Wundverband zu rascherer Heilung führe (nat. hist. 28,63). ? 28 M. Chibnall (Hg.), The Ecclesiastical History of Orderic Vitalis, Bd. 2, Oxford 1969,250.
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Abela (II Sm 20,18),29 so gelte heute: Qui interrogant, interrogent Pansiis, ubi diffidlmm quaestionum nodi intricatissimi resolvuntur.^ Von Paris sei er, Petrus, fern, doch wolle er, was er wisse, dem Freund nicht vorenthalten.31 Ebenfalls eine Bitte um Stellungnahme hatte im Jahr 836 Einhard zur Abfassung einer veranlaßt, die er dem Anfragenden, dem damals jungen, bald weithin geschätzten Lupus von Ferneres dedizierte. Der noch in gehöriger Distanz zur Blütezeit der scholastischen Quaestionenliteratur erarbeitete Brieftraktat nähert sich seinem engeren Thema von durchaus weiter bemessenen Grenzen her, gibt damit Zeugnis für das wache Problembewußtsein des Autors und trägt zweifelsohne den Titel zu Recht.32 Die Vielfalt der zu berücksichtigenden, vom Verfasser skizzierten Aspekte läßt Einhard gegen Mitte der kleinen Abhandlung innehalten bei der Feststellung, es handle sich um einen Knoten, quem, nisi divinus esset, herculaneiim appellarem.^ Einhard plaziert die antike Vorstellung vom Herkules-Knoten im Feld karolingischer Wissenschaftsbemühung. Wenn er einige Sätze zuvor von einer sollerter intuenda et enodanda inqmsitio gesprochen hatte, nimmt er eine sehr alte Wortbedeutung von enodare auf, wonach verwickelte Probleme oder komplizierte Zusammenhänge ( eben) <entknotet> werden müssen. Weil sich der (nur schwer datierbare34) Grammatiker Nonius Marcellus für diese übertragene Verwendung des Verbs interessierte, fehlt es hierzu nicht an Belegen speziell aus der altlateinischen (dramatischen) Literatur.35 Dann ist es Augustinus, der eine gewisse Vorliebe für die Junktur quaestio enodanda zeigt.36 Lupus, der Empfänger von Einhards Brieftraktat, knüpft übrigens offensichtlich bei der vom Autor gewählten Formulierung an, wenn er im brieflich ausgesprochenen Dank u. a. schreibt (epist. 4,15): atque utinam, morem mihi gerentes, sie omnia quaecumque ab initio enodanda uobis misi uel hoc anno reliqm aperire non grauaremini}7 Wilhelm von Auvergne warnt in seinem um 1240 entstandenen, in mancher Hinsicht Alans <Summa de arte praedicatoria> verpflichteten Predigttraktat, der eine wichtige Etappe in der Gattungsgeschichte der Ars praedicandi markiert, den praedicator vor betont effektvoller Predigtweise. Als echte Nachfolger des Apostels Paulus könnten nicht jene gelten, die marktschreierisch Sensationelles verkünden oder schlichte veritas unter dem Glanz äußeren
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Zur Bibelstelle vgl. etwa H. J. Stoebe, Das zweite Buch Samuelis, Gütersloh 1994 (Kommentar zum Alten Testament V1II/2), 443 («Weniger eine sprichwörtliche Redensart vergangener Zeit als eine geschichtliche Reminiszenz») und 446 («Es ist nicht zu klären, warum die Stadt eine besondere Dignität hatte»). PL207,69C. Verumtamen cum sis in scholis, ego autem in castris (ebd., 69B); quod scio, non invideo tibi (69C). VgL E Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. l, München 1975, 322 f. MGH Epist. V, Berlin 1899,147. Vgl. z. B. M. von Albrecht, Geschichte der römischen Literatur von Andronicus bis Bocthius, Bd. 2, München 21994,1166 («lebt nach dem 2. und vor dem 5. Jh.: Apuleius und Gellius sind benützt; Priscian erwähnt Nonius»). W. M. Lindsay (Hg.), Nonii Marcelli De conpendiosa doctrina, Bd. l, Leipzig 1903,21: ENODA significat explana; et quae sit proprietas, manifestem est, hoc est, nodis exsohe. Es folgen Belege von Accius, Ennius, Turpilius und Pacuvius. Aug. enchir. 7,20 (CCSL 46,60: quaestio nodosissima [...] enodanda)·, civ. 2,21 (CCSL 47, 53: quaestionem disctttiendam et enodandam). P. K. Marshall (Hg.), Servati Lupi epistulae, Leipzig 1984, 12. Unter den Nonius-Stellen vergleiche man TurpiJ. IS: ab initio, ut res sit gesta, enoda mibi
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Schmucks verbergen oder auch difficiles questiones et parum utiles enodare laborantt kurzum: all jene, die nur darauf aus sind, daß es über sie heiße: Nunquam locutus est sie homo?* Im Sinne von <Erklärung> (explicatio) tritt auch das vom Verb abgeleitete Substantiv enodatio auf, in der Antike bleibt es selten, doch spricht Cicero (top. 31) von cognitio enodationis indigcns. Alanus zielt in seinem allegorischen Prosimetrum stehenden, kurz vor 1160 abgeschlossenen Standortbestimmung der hochmittelalterlichen Dialektik läßt Johannes von Salisbury (t 1180), führender Vertreter der sog. Renaissance des 12. Jahrhunderts, im Brotberuf Sekretär der Erzbischöfe von Canterbury Theobald und Thomas Becket, zuletzt (ab 1176) Bischof von Chartres, seine Pariser Studienjahre Revue passieren, vergegenwärtigt uns dabei eine illustre Reihe namhafter Lehrerpersönlichkeiten.41 Als Johannes im Jahr 1136 nach Paris kommt, sitzt er am Genovefaberg zu Füßen des peripateticus Palatinus - wie der Autor hier (2,10) und öfter im Werk den aus dem bretonischen Le Pallet (Palatium) stammenden Petrus. Abaelardus nennt. Abaelard selbst beschreibt bekanntlich am Beginn seiner , wie er zum peripateticorum emulator wurde.42 Der 38
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A. de Poorter, Un manuel de predication medievale. Le Ms. 97 de Bruges, in: Revue Neo-Scolastique de Philosophie 25 (1923), 192 - 209, hier 202. N, M. Häring (Hg.), Alan of Lilie, «De Planctu naturae», in: Studi medievali 19 (1978), 797 - 879, hier 832 (VII, 42-48). Ebd., 832 f. Dazu im einzelnen P. Riche, Jean de Salisbury et le monde scolairc du XIF siecle, in: M. Wilks (Hg.), The World of John of Salisbury, Oxford 1984 (Studies in Church History, Subsidia 3), 39-61; O. Weijers, The Chronology of John of Salisbury's Studies in France (Metalogicon, 11.10), in: ebd., 109 -116; K. S. B. Keats- " Rohan, The Chronology of John of Salisbury's Snidies in France: a Reading of «Metalogicon» 11.10, in: Studi medievali 28 (1987), 193 - 203;'Dies., John of Salisbury and Educarion in Twelfth Century Paris from the Account of his Metalogicon, in: History of Universities 6 (1986/87), l - 45< J, Monfrin (Hg.), Abelard: Historia calamitatura. Texte critique avec .une introduction, Paris 31967,64.
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Dialektiker par excellence und zweifelsohne berühmteste Fachvertreter seiner Zeit vermittelt Johannes prima artis h ums rudimenta. Doch schon bald verläßt Abaelard seine Schule, was Johannes als verfrüht (praepropems) empfindet und bedauert. Von den Nachfolgern im dortigen Lehramt, beide ihrerseits nicht ohne Statur, Abaelards Ingenium freilich klar verfehlend, zeichnet Johannes eine Art Doppelporträt, welches aus dem Kontrast ihrer unterschiedlichen wissenschaftlichen Haltungen entsteht. Während der eine, Alberich (Albericus de Monte)43, stets über eine Fülle von geeigneten Fragen verfügt (in quaestionibus subtilis et multus), ist der andere, Robert von Melun, nie um Antworten verlegen (in responsis perspicax, brems et commodus). Hätte man beider Stärken in einer Person vereinigt, läge die ideale Verkörperung eines Gelehrten vor: parem utique disptitatorem nostra aetate non esset inuenire** Beharrlich finde Alberich überall, wie Johannes schildert, Raum für eine problematisierende Frage, so daß schließlich, bildhaft gesprochen, die ebenste Fläche doch Unebenheiten offenbare, anders gesagt: ihm, Alberich, sei die sprichwörtliche Binse nicht knotenfrei; auch dort zeige er, daß entknotet werden müsse: ad omnia scrupulosus locum quaestionis inueniebat ubique, ut quamuis polita planities offendiculo non carerety et ut aiunt ei scirpus non esset enodis. N am et ibi monstrabat quod oporteat enodari.45 Johannes gibt der alten Redeweise vom Knoten an der Binse eine neue Formulierung, bietet sie in selbständiger Verarbeitung. Wie Alanus von Lilie einige Jahre später stattet auch er bereits die bildliche Vorstellung mit einem gleichfalls bildlichen Nebengedanken aus, dem wir sogar in der oben zitierten Partie aus Alans wiederbegegnen (5,347: in piano scrupulum fingens). Die Übereinstimmung beider Autoren ist immerhin auffällig (plano/pL·nities; scrupulum [/offendictilo] stimmt zu scrupulosus\ so daß man vielleicht direkte Beeinflussung oder Anregung vermuten mag. Zwar wurde das <Metalogicon> im Mittelalter ein wenig unterschätzt und erzielte nicht annähernd die Verbreitung und Wirkung von Johanns ,46 doch darf Alans Kenntnis des Werks als sehr wahrscheinlich gelten, dies um so mehr, als neueste biographische Forschungen zur Person des Dichters die Vermutung nahelegen, Alanus habe zeitweise dem Gelehrtenkreis um Erzbischof Theobald in Canterbury angehört, d. h. er und Johannes hätten sich (gerade während der Entstehungszeit des <Metalogicon>) am selben Ort aufgehalten.47 Johannes geht aber einen Schritt weiter, verbindet kunstvoll das traditionsreiche Sprichwort mit der ebenso gängigen Redeweise von der Entknotung einer Frage zur, wie man wohl sagen darf, neuartigen Denkfigur, indem er das Proverb auf seinen Lehrer Alberich, einen Meister im Fragen, münzt. Dieser suche nicht nur gewissermaßen, so Johanns Weiterentwicklung des Bildes, den Knoten an der Binse, er finde ihn: in Gestalt
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Über dessen Lehrinhalte s. die Dokumentation von L. M. de Rijk, Some New Evidence on Twelfth Century Logic Alberic and the School of Mont Ste Genevieve (Montani), in: Vivarium 4 (1966), l - 57. Große Gelehrte schildern ihre eigenen Lehrer gern unter dem Gesichtspunkt einseitiger Begabung oder Befähigung, man vergleiche, etwa Abaelards Urteil über den spaten Anselm von Laon (Monfrin, wie Anm. 42, 68): Mirabilis quidem in oculis erat auscultantium, sed nullus in conspectu questionantium, bildlich gesagt: Cum ignem accendcret, domum suamfumo implebat, non luce illustrabat. J. B. Hall (Hg.), loannis Saresberiensis Metalogicon, Turnhout 1991 (CCCM 98), 71. Zur heute erkennbaren Überlieferung s. K. S. B. Keats-Rohan, The Textual Tradition of John of Salisbury's Metatogicon, in: Revue d'histoire des textes 16 (1986), 229 - 282; kurz auch Hall (wie Anm. 45), VII f. R Hudry (Hg.), Alain de Lilie: Regles de theologic, suivi de Sermon sur la sphere intelligible, Paris 1995,10.
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einer originellen qttacstio. Bei solcher Konvergenz einstmals auseinanderliegender Bildbereiche gilt gleichermaßen für scirpus und quaestio das pointierte Fazit: Nam et ibi monstrabat quod oporteat enodari. Es überrascht im übrigen nicht, wenn Johannes die Vorstellung einer enodatio quaestionis andernorts im <Metalogicon> auch in herkömmlicher Weise isoliert präsentiert (1,12): Der den artes liberales bereits apud maiores zukommende Rang beruhe u. a. darauf, daß diese den (knotigen) Problemkern aller denkbaren Fragen zu lösen vermögen (ut[...Jomnium quaestionum quae probari possunt difficultatem sufficerent enodare)** Den Gedanken der enodatio qttaestionis mit dem Sprichwort vom Knoten an der Binse zu verknüpfen, kam zuvor schon dem unbekannten Verfasser eines bald nach 1140 entstandenen Lehrgesprächs in den Sinn, das unter dem Titel <Speculum virginum> als Handbuch mittelalterlicher Frauenfrömmigkeit beachtliche Verbreitung fand. Wenn dort im 11. Buch die fromme Theodora, stets wachen Geistes und zur Kritik befähigt, einmal die Lösungsmöglichkeit eines verwickelten Sachverhalts, eines , wie sie sagt, skeptisch beurteilt (Quodsi ad nodum istum söluendum admiseris, infirmis band dubie niteris argumentis), entgegnet ihr der Lehrer Pefegrinus: Wer eine Frage, die Kundige durchaus für lösbar halten, gewissermaßen aus mangelnder Kenntnis zu einem unentwirrbaren Problem stempele, der, so dürfe man mit Fug behaupten, suche einen Knoten an der Binse (Quia questionem sensatis quidem solubilem, tibi, ut uidetur, inextricabilem mouisse uideris, non iniuria tua dixenm, nodum in scirpo queris).49 5. In einem kleineren Gedicht, das man gemäß seinem Initium unter dem Titel kennt, bedient sich Alanus von Lilie ein weiteres Mal pointierter Bildlichkeit des Knotens (und Entknotens). Der Text, vermutlich «une oeuvre de jeunesse de maitre Alain»50, jedenfalls zeitlich vor und anzusetzen, behandelt in 37 Vagantenstrophen einen Liebeskasus, nämlich den Vorrang der Beziehung zu einer virgo gegenüber dem Verhältnis mit einer verheirateten Frau.51 Der Autor betont den quaestioCharakter des Themas: 37 Sub bacsola qnestio solet nentilan, An amori uirginum ioco puellari Matronalis debeat amor ancillari, 40 An eundem deceat pnuilegiari. Ecce uultum induit dubitationis Questio sophistica, umbra questionis, Cuius in uestibulo disputationis Excubat solutio, soror rationis.52
«HaU(wieAnm.45),31. 49 J. Seyfarth (Hg.), Speculum virginum, Turnhout 1990 (CCCM 5), 326. 50 D'Alvcrny (wie Anm. 8), 44. 51 Vgl. C. Huber, Die Aufnahme und Verarbeitung des Alanus ab Insulis in mittelhochdeutschen Dichtungen. Untersuchungen zu Thomasin von Zerklaere, Gottfried von Straßburg, Frauenlob, Heinrich von Neustadt; Heinrich von St. Gallen, Heinrich von Mügeln und Johannes von Tepl, München 1988 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 89), 96 - 99. 52 N. M. Häring (Hg.), The Poem Vix nodosum by Alan of Lilie, in: Medioevo^Rivista di storia della filosofiamedievale3 (1977), 165-185, hier 180.
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Auf eben diese quaestio, welche der katalogartigen Präsentation von Paradoxien der Venus (V. 5-36) folgt, bezieht sich das an den Beginn gestellte Motiv einer enodatio: l Vix nodosum ualeo nodum denodare Et indemonstrabile monstrum demonstrare Vnde uolens Veneris uultum denudare Que natttras hominum null denaturare.5* Als Ergebnis der bildlich präludierenden enodatio läßt sich in den mit dem Auftakt-Quartett sowie der expliziten Frage-Stellung V. 37 ff. korrespondierenden Schlußversen eine Art conclusio (quaestionis) formulieren: 145 Ergo non ulterius questio procedat, Cum se parti uirginum ratio concedat: Ergo nupta uirgini in amore cedat Et innupta mulier nuptam antecedat.54 Daß der vom Einleitungsvers des Gedichts eröffnete Bildbereich (nodosum [...] nodum denodare) im Text behutsam fortwirkt, diesem sogar einen erkennbaren Rahmen gibt, der unter dem Stichwort enodatio quaestionis faßbar würde, also mehr bietet als bloßes Wortspiel, wenn nämlich die Linie zwischen den begrifflichen Eckpunkten nodus und quaestio ausgezogen wird, bestätigen prägnante lexikalische Übereinstimmungen zwischen den betreffenden Versen und der oben besprochenen Partie aus Alans , wo der Autor das Motiv der enodatio erneut gestaltet. Man vergleiche dort den Beginn des 8. Kapitels Prefata igitur uirgo huius questionis solutionem in uestibulo excubare demonstrans ait [...]55 mit , V. 42 - 44 Questio sophistica, umbra questionist Cuius in uestibulo disputationis Excubat solutio [...], dazu auch V. 2: Et indemonstrabile monstrum demonstrare;56 sodann dubitationis laberinthum57 mit V. 41 f.: Ecce uultum induit dubitationis Questio sophistica [...]** schließlich Homo [...] nature naturalia denaturarepertemptans59 mit V. 4: Que naturas hominum uult denaturare.60 53 54
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Ebd., 178. Ebd., 185. Häring (Hg.) (wie Anm. 39), 832, Z. l f. Häring (Hg.) (wie Anm. 52), 180 und 178. - Zu questio sophistica: Abaelard kennt nodum sopbisticum, s. B. Geyer (Hg.), Peter Abaelards philosophische Schriften, Bd. 1/3, Münster 1927 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 21,3), 433. Häring (Hg.) (wie Anm. 39), 832, Z. 6. Häring (Hg.) (wie Anm. 52), 180. Häring (Hg.) (wie Anm. 39), 833, Z. 19 f. Häring (Hg.) (wie Anm. 52), 178.
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6. Die voranstehend behandelten Textstellen aus Werken Alans von Lilie und Johanns von Salisbury61 dürften anschaulich gemacht haben, wie es profilierten Autoren im Mittelalter immer auch gelang, selbst gänzlich bereits zu gängigem Formelgut gewordene bildliche Vorstellungen oder sprachliche Wendungen nicht lediglich zitäthaft aufzurufen, sondern wirklich eigenständig und weiterführend zu verarbeiten, wobei das den übernommenen Prägungen innewohnende Klischee des traditionellen Vorverständnisses durchaus erkennbar bleibt, ja geradezu genutzt wird, um artifiziell (und das heißt oft: ) zu neuen literarischen Denkfiguren zu gelangen, in denen man berechtigterweise Bausteine spürbaren Literaturaufschwungs während mancherlei des Mittelalters erblicken dürfte. Ein solches (im Grundsätzlichen gewiß zutreffendes) Fazit brächte freilich kaum bereits den ganzen Hintergrund der im 12. Jahrhundert verfeinerten Bildlichkeit einer enodatio quaestionis ans Licht. Es sollte nämlich kein Zufall sein, daß zur selben Zeit, seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts, in der Wissenschaftsentwicklung des Mittelalters eine neue, man darf sagen: epochemachende, Lehr- und Unterrichtsform Raum gewinnt und sich durchsetzt, die quaestio. Sie macht sich das altbekannte Verfahren, fragend Zugänge zur Problemlösung zu suchen, wie man es etwa in der Antike und bei den Kirchenvätern findet62, .systematisch zunutze, entwickelt es mit den Methoden der Dialektik zur formalisierten Technik weiter, so daß die traditionelle Texterklärung im Wege der lectio bald ins Hintertreffen gerät. Der Lehrbetrieb der Universitäten bringt diese Entwicklung im 13. und 14. Jahrhundert vollends zum Abschluß, in den Disputationen aller Fakultäten erlebt die nunmehr voll ausgeprägte quaestio disputata ihre Blütezeit.63 Für die Entwicklung der Denk- und Literaturform quaestio kommt den voruniversitären Schulen von Paris (Saint-Victor, Notre^Dame, Sainte-Genevieve) besondere Bedeutung zu. Eindrucksvoll und programmatisch hatte bekanntlich Abaelard die Epoche der quaestio mit
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Vielleicht darf man anläßlich der besprochenen Verse aus Alans sogar erneut erwägen, der Dichter habe (bereits hier) auf Johanns enodatio-Mouvik (Metalogicon 2,10) mittels eigener Wiederaufnahme der Verschränkung von monstrare/enodare (Näm et ihi monstrabat qttod oporteat enodari - Vix nodosum ualeo nodum denodare / Et indemonstrabile monstrum demonstrare). Dies bleibt zugegebenermaßen ganz vage, zumal das Gedicht (als vermutetes <Jugendwerk>) noch in Alans Pariser Zeit entstanden sein dürfte. Zur Vorgeschichte der quaestio s. P. Hadot, La prehistoire des genres litteraires philosophiques. medievaux dans l'Antiquite, in: Les genres litteraires dans les sources thcologiques et philosophiques medievales. Definition, critique et exploitation, Louvain-la-Neuve 1982 (Universite Catholique de Louvain, Publications de l'Institut d'etudes medievales /5), l - 9; C. Viola, Mänieres personnelles et impersonnelles d'aborder un probleme: Saint Augustin et Je XIIC siccle. Contribution a l'histoire de la «quaestio», in: ebd., 11-30. Vgl. B. Lawn, The Rise and Decline of the Scholastic
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seiner dialektischen Theologie des <Sic et Non> eröffnet64, doch blieb auch die Rolle, die in diesem Prozeß Abaelards Nachfolger am Genovefaberg, Robert von Melun (f 1167), spielte65, um so weniger im dunkeln, als sich von ihm Schriften in Quaestionenform erhalten haben. Vor diesem Hintergrund läßt sich nun das oben im Abschnitt 4 vorgestellte Zeugnis Johanns von Salisbury über seine Lehrer Albericus de Monte und Robert von Melun terminologisch noch ein wenig präziser fassen. Johann erlebt mit, wie Abaelards Lehrmethode am Genovefaberg auf fruchtbaren Boden fällt, Alberich und Robert setzen dort gleichermaßen die dialektische Ausrichtung des Unterrichts fort, indem sie sich der Lehrform quaestio bedienen. Diese ist von Anbeginn zweigeteilt, was später in den fakultätsöffentlichen Disputationen in einer Rollenverteilung auf den opponens, der divergierende Begründungen vorträgt, und den respondens, der die vorgetragenen Gründe einer Entscheidung zuführt (solutio), deutlicheren Ausdruck findet. Seine Lehrer Alberich und Robert beherrschen, so Johann, die Technik der quaestio höchst unterschiedlich. Während Alberich dem QuaeriturTeil größte Aufmerksamkeit widmet, alle nur denkbaren Argumente beizieht, sie mithilfe geeigneter auctoritates abstützt und umsichtig ein geradezu unerschöpfliches Problembewußtsein an den Tag legt, überzeugt Robert von Melun durch zielstrebige und pointierte Lösungen; niemals weicht er aus, notfalls räumt er ein, es gebe kein klares Ja oder Nein (in responsione promptissimus, subterfugii causa propositum nunquam declinauit articulum, quin alteram contradictionis partem eligeret, aut determinata multiplicitate sermonis, doceret unam non esse responsionem)66. Roberts überlieferte Quaestionen, etwa sein theologischer Erstling, die , bestätigen Johanns Urteil: der Problemaufriß bleibt knapp, erscheint vereinzelt lediglich als Fragestellung ohne nähere Darstellung des Pro und Contra, doch erweist sich der Gelehrte, mit Johanns Worten, in responsis perspicax, brems et commodus. Den gegensätzlichen Vorzügen beider Lehrer entsprechen umgekehrt Nachteile, wobei Johannes von Salisbury zu erkennen gibt, daß ihm die zupackende Art Roberts eher liegt als das spitzfindige Zweifeln Alberichs, das in die Nähe bloßer Sophistik gerät, ut [...] ei scirpus non esset enodis. Johann bezieht das antike Sprichwort in neuer, eigener Prägung auf Alberichs ##-Gebrauch, zugleich mit dem Gedanken einer enodatio (Nam et ibi monstrabat quod oporteat enodari), der für sich genommen freilich in dieser Zeit längst im
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Im Prolog erläutert Abaelard die Fruchtbarkeit eines Forschens, das vom Zweifel ausgehend über die Frage zur Wahrheit gelangt: placet ut instituimus diversa sanctorum patrum dicta colligere, quae nostrae occurrerint memoriae atiquam ex dissonantia quam hab ere videntur, quaestionem contrahentia, quae teneros lectores ad maximum inquirendae veritatis exercitium provocent et acutiores ex inquisitione reddant. [...] Dubitando qnippe ad inquisitionem venimus; inquirendo veritatem percipimus (B. B. Boyer/R. McKeon [Hgg.J, Peter Abailard: Sie et Non. A Critical Edition, Chicago/London 1976 - 77,103). Dabei konnte sich Abaelard auf die Definition des Boethius, In Topica Ciceronis commentaria l (PL 64, 1048D) berufen: Quaestio vero est dubitabilis propositio. Für Robert von Melun erweist sich die quaestio bereits im technischen Sinn als formale Übung, welcher nicht notwendigerweise eine echte dubitatio zugrundeliegen muß: Quaestiones aliquando ßunt causa dubitationis, aliquando causa docendi (Grabmann [s. u. Anm. 65], 328). M. Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode, Bd. 2: Die scholastische Methode im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert, Freiburg/Br. 1911, 323-358; R. M. Martin (Hg.), CEuvres de Robert de Melun, Bd. l, Louvain 1932 (Spicilcgium sacrum Lovanicnse, ßtudes et Documents 13), XXXIV -XLVI. Hall (wie Anm. 45), 7L
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Einklang mit der Wissenschaftsterminologie steht. Bezeichnenderweise führt der in Quaestionenform angelegte Paulinenkommentar Roberts von Melun den handschriftlich überlieferten Titel 67. Wenn Johann die Darstellungstechnik der quaestio als zukunftsträchtige Errungenschaft der zeitgenössischen Wissenschaft empfindet, so verkennt er gleichwohl nicht denkbare Fehlentwicklungen, die aus einem einseitigen Gebrauch des Verfahrens entstehen, wie ihn, je verschieden* der in höchstem Grade Alberich und der im entsprechenden Maße Robert repräsentieren68. Die Stelle <Metalogicon> 2,10 steht nicht singulär, auch andernorts formuliert Johannes von Salisbury kritische Einwände gegen Auswüchse der Methode69. Diese habe sich an geeigneten Gegenständen zu bewähren, frage man dagegen bloß um des Fragens willen, werde also das Disputieren zur Manie, bleibe jeder Erkenntnisfortschritt aus. Etwa zur selben Zeit gibt auch Alanus von Lilie zu erkennen, daß er mit dem neuen Wissenschaftsschema der quaestio nicht nur als Gelehrter, sondern zugleich als Literat und Dichter umzugehen weiß. Er benutzt es als formalen Rahmen für sein (oben im Abschnitt 5 vorgestelltes) Gedicht . Die poetische Gestaltung verdeckt diesen Rahmen keineswegs, im Gegenteil: sie gewinnt aus ihm ihre Disposition. Ins Vokabular der aktuellen Wissenschaft (V. 37 ff. questio [...] an [...]an; V. 41 dubitatio\ V. 42 questio sophistica; V. 43 disputatio; V. 44 solutio; V. 145 non ulterius questio procedat) reiht sich der Gedanke einer enodatio quaestionis treffend ein, so daß Alanus ihn in seinem Prosimetrum
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Grabmann (wie Anm. 65), 325. Das prägnante Begriffspaar /«konsensfähig> findet sich bei L. Hödl, Art. , in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München 1995,349 f., hier 350, dort bezogen auf die Rollen des opponens und respondens in den Disputationen der Universitäten. Vgl. z. B. <Metalogicon> 2,8 und 2,29. Einen Beleg für die spätere Verwendung des Proverbs innerhalb der literarischen Gattung quaestio selbst und ebenfalls bezogen auf ein Problem wissenschaftlicher Methodik bietet im 13. Jahrhundert der Pariser Gelehrte Heinrich von Gent, , q. 16: nullo modo dubitare debet quin voluntarium malum t nullam causam aliam habet quam voluntarium defectum voluntatis, et qui quaerit aliam, nodum quaerit in scirpo. Quaerit enim causam positivam ubi nullä est et quaerit causam defecttts ivoluntarü voluntatis, cuius nulla alia causa est quam ipsa voluntas sibi. Et benepatetper Philosophum qttodinpnmis quae non babenr causam aliam, non habet locum quaestio per quare (R. Macken [Hg.], Henrici de Gandavo opera omnia, Bd. 5, Leuven/Leiden 1979,111). Vgl, F. Chatillon, Nodum in scirpo! Contribution a l'etude du premier Quodlibet d>Henri de Gand, in: Revue du Moyen Äge Latin 36 (1980), 144 ^,150. Für inhaltliche Diskussion danke ich Markus Asper (Konstanz) und Martin Pickave (Köln).
ADA NESCHKE-HENTSCHKE Friedrich August Wolf et la science de l'humanite antique («Altertumswissenschaft») Contributions ä l'histoire des sciences humaines1
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Note bibliographique: dans les notes nous nous refeirons aux textes et etudes suivants (repris par le nom de leur auteur et Pannee de parution) Sources: Boeckh A. (1886), Enzyklopädie und Methodenlehre der Altertumswissenschaft, reimp. Darmstadt 1966. Humboldt G. de (1821), La täche de Thistorien. Introduction de J. Quillien, traduction et notes de A. Disselkamp et A. Laks, Lilie, 1983. Leibniz G. W. (1686), Discours de la metaphysique, ed. par G. le Roy, Paris 1988. Winckelmann J. J. (1755), Gedancken über die Nachahmung der griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauerkunst. L. Uhlig (ed.), Stuttgart 1982. Winckelmann J. J. (1764), Geschichte der Kunst des Altertums. Darmstadt 1972. Wolf R A. (1935), Ein Leben in Briefen. S. Reiter (ed.) 2 Bde., Stuttgart. Wolf F. A. (1839), Vorlesungen über die Alterthumswissenschaft. J. B. Gürtler et S. E W Noffmann (ed.), Leipzig 1839 ss., 5 Bde., 1. Band: Vorlesung über die Enzyclopädie der Alterthumswissenschaft (J. D. Gürtler, ed.) Leipzig. Wolf, E A. (1872), Prolegomena ad Homerum. Editio nova cum notis ineditis Immanuelis Bekkeri, Berolini. Wolf, E A. (1869), Kleine Schriften in lateinischer und deutscher Sprache. G. Bernardy, ed., 2 Bde., Halle. Etudes: Bauer G. (1963), Geschichtlichkeit. Wege und Irrwege eines Begriffs. Berlin. Funke H. (1990), «E A. Wolf. 15. Februar 1759-8. August 1824». In: Classical Scholarship. A biographical encyclopedia, ed. by W. W. Briggs & W M. Calder III. New York/London, pp. 523-528. Fuhrmann M. (1959), «F. A. Wolf. Zur 200. Wiederkehr seines Geburtstags am 15. Februar 1959». Deutsche Vierteljahresschriftfür Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 33,1959,pp. 187-236. Hentschke A., Muhlack U. (1972), Einführung in die Geschichte der Klassischen Philologie, Darmstadt. Horstmann A. (1978), «Die Klassische Philologie zwischen Humanismus und Historismus. F. A. Wolf und die Begründung der modernen Altertumswissenschaft» In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. Band 1. Frankfurt, pp. 51 - 70. Horstmann A. (1979), Der Mythosbegriff vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. Archiv für Begriffsgeschichte 23, pp. 7-54. Ineichen H. (1975), Erkenntnistheorie und geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit. Diltheys Logik der Geisteswissenschaften. Frankfurt a. M. Kambartel F. (1968), Erfahrung und Struktur, Frankfurt. Laks A., Neschke A. (1990), La naissancc du paradigme hermeneutique. Schleiermacher, Boeckh, Humboldt, Droysen. Lilie. Marino L. (1993), Praeceptores Germaniae. Göttingen 1770-1820. Göttingcn. Muhlack U. (1985), Klassische Philologie zwischen Humanismus und Neuhumanismus. In: Wissenschaft im Zeitaller der Aufklärung (hsg. v. R. Vierhaus) Göttingen. Muhlack U. (1991), Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München.
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Ada Neschke-Hentschke /. Introduction: la problematique du concept wolfien de philologie
Les reflexions suivantes portent sur la conception de l'histoire teile que F. A. Wolf, le grand erudit du XVIIIe siecle l'a defendue. Cette conception pose d'erablee un probleme, et ce a partir de sä notion de philologie que rencontre dans deux contextes differents: 1. Dans le contexte de son hermeneutique: une etude de Thermeneutique de WolF peut montrer que ce dernier, bien qu'il passe pour le fondateur de lä philologie classique moderne, ne Test en fait pas veritablement si entend par «philologie» Tetude des auteurs seuls, de leurs «discours» ou leur «logoi». Plutot favorable a l'identification de la philologie avec l'histoire, Wolf insiste par consequent, dans son chapitre «Hermeneutique» sur le fait que seul le «sensus historicus» est le sens ä eher eher par rhermeneute-philologue. Simultanement, il reduit le champ de recherche hermeneutique aux auteurs greco-romains. Cette reduction semble etre illogique: la philologie est une science historique, mais eile ne peut avoir pour sujet que TAntiqüite greco-romaine. 2. La meme question se pose a partir de sä definition de la «philologie» proposee dans ses «Cours sur Tencyclbpedie de la philologie»3. Le philologue, selon Wolf, serait «derjenige, der die älteren Begebenheiten aus den Schriftstellern der alten Zeit oder den Zustand älterer Zeiten aus den Monumenten oder Sagen kennt, also ein Liebhaber historischer Gelehrsamkeit». A nouveau, le philologue de Wolf s'avere etre Thistorien; pourtant Wolf refuse quelques lignes plus loin la pössibilite d'une philologie (= histoire) des temps modernes. Elle ne peut se referer qu'au passe et en particulier au passe grecö-romain. A la lümiere de notre conception de Thistoire, ces propos de Wolf comportent un paradoxe: la philologie est une science historique, mais eile ne peut porter que sur rAntiqüite greco-romaine.
Neschke-Hentschke A. (a paraitre), «Hermeneutik in Halle II. F. A. Wolf und E D. E. Schleiermacher». In: Fremdheit und Vertrautheit. Hermeneutik im internationalen Kontext (Enskat R. et Greisch J., ed.). Aussi in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. 40. Neschke-Hentschke A. (1990), Carl Morgenstern. De Platonis Republica commentationes tres. Halae 1794. Antike und Abendland, XXXIV, S. 152-162 Neschke-Hentschke A. (1992), Le degre zero de la philosophie platonicienne. Platon dans la Historia critica philosophiae de J. J. Brucker (1742). Revue de Metaphysique et Morale. Doxographie antique, pp. 377-400. Paulsen F. (1919/1921), Geschichte des Gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, mit besonderer Rücksicht auf den klassischen Unterricht. Erweiterte Auflage., hsg. v. R. Lehmann, Berlin 1965 (= Reimpr. de l'ed. de 1919/1921). Pfeiffer R. (1976), A History of Classical Scholarship. From 1300-1850. Oxford. Quillien J. (1983), G. de Humboldt et la Grece. Lilie. Quillien J. (1985), «Introduction» a: G. De Humboldt, La tache de l'historien. Traduction et notes par A. Laks et A. Disselkimamp. Lilie, pp. 9-43 Rein-Rudolph U. G. M., Winckelmanns Begriff der Schönheit. Über die Bedeutung Platos für Winckelmann. Diss, Bonn, typosc. Schmidt P. L. (1987), «Friedrich August Wolf und das Dilemma der Altertumswissenschaft.» In: Konferenz zur 200. Wiederkehr der Gründung des Seminarium philologicum Halense durch F. A. Wolf am 15. Oktober 1787. In: Beiträge hsg. v. J. Eben u. H. Zimmermann. Martin-Luther-Universitat-HalleWittenberg. Wiss. Beiträge 1989/36. Halle 1989. Walther G. (1997), «F. A. Wolf und die Hallenser Philologie - ein aufklärerisches Phänomen?* -In: N. Hammerstein, Universitäten und Aufklärung, Göttingen, pp. 125-136. 2 Neschke (a paraitre). .; 3 Wolf (l 839), p. 10.
Friedrich August Wolf et la science de Thumanite antique
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Nous allons donc essayer d'apporter de la lumiere sur ce paradoxe. A cette fin, nous etablissons l'hypothese de travail selon laquelle Wolf aurait defendu im autre concept de l'histoire et qu'il faudrait des lors eclairer ce concept pour comprendre la logique wolfienne. Toutefois, avant d'aborder notre enquete, interrogeons-nous d'abord sur la valeur d'une teile investigation. En fait, Wolf a-t-il ete un penseur d'une importance teile que la mise en evidence de son concept de l'histoire promette d'acquerir une comprehension plus profonde de ce qu'est ou a ete Fhistoire? Qui etait F. A. Wolf, que nous en disent les recherches actuelles et comment ont-elles interprete le paradoxe dont je viens de parier? F. A. Wolf, ne en 1759 en Allemagne et mort en 1824 en France, est communement reconnu comme le fondateur d'une nouvelle discipline, appelee par lui l'«Alterthumswissenschaft». Cette nouvelle science marque un tournant important a l'interieur de l'histoire intellectuelle de l'Allemagne du XVIIIe siecle. En effet, eile est communement consideree comme la manifestation de l'enthousiasme que portaient les Allemands aux Grecs classiques4. Cet enthousiasme fut amorce et nourri par Johann Joachim Winckelmann, premier veritable historien d'art de notre tradition dont les ecrits, parus en 1755 et 1764, presentaient les Grecs classiques comme modele aux Allemands5. Ce meme enthousiasme fut encore ä l'origine de la fondation de l'universite la plus importante du XIXe siecle, l'Universite de Berlin, fondee sur la conception de W. von Humboldt, elaboree par ce dernier en echange direct et intense avec F. A. Wolf. En clair, la fondation de l'Alterthumswissenschaft effectuee par Wolf ä l'Universite de Halle n'etait que le debut d'un mouvement decisif dans Pevolution de l'Allemagne, appele le «Neuhumanism»6. Ce mouvement preconisait la formation des jeunes Allemands par des connaissances en litterature et en art greco-romains, fournies par le gymnase. Completees par l'etude de la philosophie, elles constituaient pendant tout le XIXe siecle le cursus fondamental de la «facultas artJum», appelee des lors faculte de philosophie7. De ce fait, l'importance historique de Wolf est un phenomene evident. Par la, on comprend le genre d'etudes entamees sur Wolf depuis quarante ans: ces etudes ont pour la plupart comme motif un anniversaire, que ce soit celui de Wolf (1959)8, celui de son Institut de l'Alterthumswissenschaft (1985)9, ou encore celui de l'Universite de Halle (1694-1994)10. Wolf a suscite l'interet des chercheurs en tant que fondateur d'une discipline academique mondialement reconnue. Comme cette discipline existe toujours et que ses representants se sont rappeles de Wolf, leurs etudes expriment une certaine auto-interrogation sur la discipline, relative au meme paradoxe que nous venons d'evoquer. Certes, Wolf est un fondateur. Mais quel est le sens precis de cette fondation? Son Altertumswissenschaft fait-elle veritablement partie de l'histoire ou n'est eile pas seulement un appendice a l'humanisme de Winckelmann?
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Ce phenomene a ete etudie par J. Taminiaux, La aostalgie de la Grece ä Taube de l'idealisme allemand. Kant et les Grecs dans ritineraire de Schelling, Hölderlin et de Hegel, La Haye, 1967. 5 Winckelmann (1755) et (l 764). 6 Cf. les etudes de Hcntschke-Muhlack (1972) et Muhlack (1985). 7 Cf. Paulsen (1921) vol. 2, pp. 210-362. 8 Cf. Fuhrmann (1959). * Cf. P. L. Schmidt (1987), 50 Cf. Walther (1997) et Neschke (a paraitre).
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Les termes du debat ont cte clairement fixes par Axel Horstmann qui situe Wolf entre Phistorisme et Phumanisme11. En effet, les interpretes de Wolf tels que Manfred Fuhrmann, Horstmann meme, Peter Lebrecht Schmidt et Gerrit Walther, insistent beaucoup sur Phistorien Wolf: d'apres Schmidt, Wolf utilise les ceuvres classiques uniquement pour en reconstruire la realite historique; d'apres Fuhrmann, il cherche a connaitre le passe en tant que «particulier» (das «Besondere»), Walther lui prete Pidee de la conscience historique ets selon Horstmann, il est pur historien par sä methode critique historique appliquee avec rigueur dans ses fameuses etudes sur Homere. A ce sujet, on cite volontiers Wolf lui-meme dans sä preface a Plliade: «Tota nostra quaestio historica et critica est, non de optabili re, sed de re facta»12 pu encore «Amandae sunt artes, sed reverenda est historia»13. On peut citer aussi Muhlack (1991), qui designe Wolf comme Tun des «Protagonisten des neuen historischen Denkens»14. Les interpretes en ont conclu que Wolf se situe deja du cote du concept de Phistoire de Phistorisme, ä savoir de celui de Ranke, oü toutes les epoques sont egalement dignes d'etre connues par rhistorien-chercheur. Par consequent, Pon regrette cette attitude de Wolf qui consiste ä exalter PAntiquite greco-romaine, consideree comme seul objet digne de la recherche historique et on Pinterprete comme un heritage de Phumanisme winckelmannien, mal integre dans la conception de Phistpire de Wolf qui semble etre, gräce ä sä pratique historique, tout a fait moderne15. Envisage a la lumiere de la recherche actuelle sur Wolf, notre paradoxe ne s'est donc nullement affaibli, il s'est plutöt amplifie: d'emblee, il apparait comme un dilemme (c'est ainsi que Pappelle Schmidt) ä Pinterieur de la theorie de Wolf. Ce dilemme est circonscrit de la fagon suivante: Wolf est Pun des premiers a avoir une idee claire de ce qu'est Phistoire. Elle consiste surtout dans Pinteret du chercheur poür les faits particuliers du passe. Cet interet exige un ethös precis, dejä manifeste par Thucydide, c'est-ä-dire une attention critique portee aux sources et aux temoignages pour atteindre la realite disparue, pour la reconstruire. Wolf, dans ses «Prolegomena ad Homerum», n'insiste-t-il pas sur cet ethos, n'exige-t-il pas la reconstruction des faits par Petude critique des sources et des temoignages, ne cherche-til pas clairement la «res facta»16? Ainsi, son Alterthumswissenschaft, teile qu'il la pratique, serait donc le premier verkable temoin d'une discipline historique comprise a la lumiere de Phistorisme du XIXe siecle. Mais Wolf n'a malheureusement pas ete consequent; la reduction de ses recherches ä PAntiquite greco-romaine contredit ouvertement sä conception de Phistoire. En fait, comme Paffirme Horstmann, il reste ä mi-chemin entre Phistorisme et Phumanisme. Face a cette Situation de recherche inextricäble, dans laquelle le dilemme wolfien s'exprime ä chaque fois de maniere differente, il convient de se poser deux questions. Tout
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Horstmann (1978). Wolf (1869), vol. l, p. 197. Op.cit.,p.211. Op. cit., p. 418. . Walther, par comre, est le seul a relever les liens rattachant Wolf a la «Spätaufklärung». Cf. A. Grafton et al., Wolf Friedrich August. Prolegomena to Homer, transl.,from die 1795 original with introd. and notes, Princeton 1985.
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d'abord, Wolf est-il conscient d'un tel dilemme? Une relecture attentive de ses ecrits ne Tindique aucunemeht, mais fait apparaitre plutot un penseur qui cherche ä rendre coherents ses arguments. Deuxiemement, si le dilemme est eprouve plutot par les interpretes que par Pinterprete et qu'il releve d'un paradoxe ä Pinterieur de la conception de Phistoire defendue par Wolf, ne faut-il pas revoir ce concept meme? Notre coup d'oeil sur la recherche nous ramene donc ä la meme question qui s'estposee ä partir de la notion wolfienne de philologie: comment peut-on entendre par «philologie» Phistoire et pretendre qu'elle n'aurait pas d'autre sujet que PAntiquite greco-romaine? Ne faut-il pas se demander ce qu'entend Wolf par le terme «histoire» et quelle est la nature de son Alterthumswissenschaft en tant que science historique? Anticipant la reponse qu'üne relecture des Legons de Wolf sur la science de PAntiquite nous a fournie, nous pouvons enoncer Paffirmation suivante: Wolf a certes fonde PAlterthumswissenschaft cornme science d'une epoque historique, mais il ne Pa pas fondee comme une science historique au sens moderne; la science de Wolf et la science actuelle n'ont en commun que le referent, ä savoir une epoque du passe, les Grecs et les Romains. Mais leurs interpretations de ce referent divergent profondement. Notre these est donc la suivante: UAlterthumswissenschaft de Wolf ne fait pas partie de Phistoire, mais de Panthropologie philosophique. Par lä, eile n'anticipe pas, comme le pretendent unanimement les interpretes de Wolf17, Phistorisme du XIXe siecle, mais eile prolonge le concept de Phistoire des Lumieres18. Ce concept vient d'etre recemment elabore par U. Muhlack dans son ouvrage sur la «Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung». Uon retiendra comme resultat important Pidee selon laquelle les historiens des Lumieres consideraient Phistoire sous un double eclairage, que Muhlack nomme un dualisme: Phistoire concrete passe pour la seule realisation d'une histoire abstraite et normative. Uhistoire des hommes est Phistoire de 1 en tant que nature determinee. Comme le montrent abondamment les citations que fait Muhlack des erudits de Göttingen, ce meme concept a ete mis en pratique par ceux que Luigi Marino19 a appeles les «Praeceptores Germaniae» du XVIIIeme. Le fait que Wolf a fait ses etudes ä Göttingen doit etre souligne: il n'a point ete autodidacte comme le pretend Hermann Funke dans un article biographique recent ...!20 En effet, la conception wolfienne de Phistoire reflete fidelement la conception de Phistoire des Lumieres. C'est uniquement gräce ä cette conception que Wolf a pu legitimer la reduction de la science de PAntiquite ä PAntiquite greco-romaine.
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Sur ce poinc Walther ne fait pas cxception, en depit de son merite d'avoir souligne les traces de l'Aufklarung chcz Wolf. 18 Ceia est manifeste ä partir des «Vorlesungen». Dans la celebre «Darstellung der Alterthumswissenschaft» de 1807 (in: Wolf (1869), en particulier pp. 808-810), Wolf se sert d'une rhetorique de classicisme a ia Goethe. Mais c'est une question de forme et non de fond. Par la, il se distingue de F. Ast, son contemporain, qui, en tant qu'eleve de Schelling, ne se situe ni dans le courant des Lumieres ni de l'historicisme, mais dans rcsthcticisme winckelmannien, interprete a partir d'une philosophie de l'esprit («Geist») empruntee ä Schelling. Voir sur Ast les remarques pcrdncntcs de P. Szondi, Einführung in die literarische Hermeneutik, Frankfurt 1975, pp. 139-154. 19 Cf. le titre de son ouvrage, Marino (1993). 2 - Cf. Funke (1990), p. 523.
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Pour etayer cette these nous parcourrons les etapes suivantes: 1. Nous tenterons d'etablir les parametres permettant de determiner la comprehension actuelle de Phistoire en tant que science historique (Ha). Ensüite.nous montrerons brievement que les interpretes de Wolf lui attribuent sans hesitation une teile comprehension (Ilb). 2. Nous analyserons la conception de la science historique chez Wolf d'apres les parametres etablis pour mettre en evidence les convergences et les divergences (III). 3. Enfin, nous terminerons notre parcours en illustrant la science historique de Wolf par Pexemple de la science de la langue, la grammaire (IV). Cet exemple nous apportera un double resultat: a) il illustrera Pidee d'une science philosophico-historique, b) il devoilera Parriere-plan «ontologique» de la science de Phomme, a savoir la notion qu'a Wolf de la «realite». II. La science historique d'apres la conception contemporaine H.a. Les cinq caracteristiques de la conception contemporaine Notre comprehension contemporaine de la scienee historique dpit la plüpaft de ses conceptions ä la discussion anti- et posthegelienne menee paf des hommes tels que Schleiermacher, Boeckh, Droysen et Dilthey21. Cette discussion nous a appris a Interpreter Phistoire de Phomme en tant qu'expression de son historicite22. Cela iniplique qu'il faut avoir une vision precise de la science historique consideree sous cinq aspects: 1. son domaine, 2. son autonomie, 3. sä methode, 4, son procede et son but, 5. le mode d'evolution de Phistoire. La science historique a en effet un domaine propre, en tant qu'elle cherehe ä saisir Phomme phenomenal, ä savoir Phomme concret, fini, individuel en tant que partiadier - ce qui s'oppose ä Yindividuel en tant que concretisätion de Puniversel - et enfin, comme etre moral, autonome puisque donnant lui meme une regle ä son action et n'etant nullement souniis a une regle generale. Le domaine de la science historique est, de ce fait, le domaine du particulier et du contingent qui s'oppose au domaine des regles strictes - tel Je domaine de la nature dont s'occupent les sciences naturelles. U s'oppose egälement au domaine du philosophe qui, Oriente vers Puniversel, ne cherehe pas ä eclairer les phenomenes particuliers historiques ou naturels, mäis la phenomenalite des phenomenes memes. Ce domaine propre de Phomme en tant que particulier et etre libre, fonde un savoir propre. La science historique peut donc se reclamer de Pautonomie qui lui est fournie et garantie par le caractere propre de son objet. Uautonomie de la science historique s'appuie en meme temps sur sä methode propre: Pindividu en tant que particulier n'est pas saisissable a partir d'une loi ou d'une construction theorique se servant du cas individuel uniquement comme facteur de verification. II n'est ä percevoir qu'a partir d'um «empirisme» total. Cet ^mpirisme exige de Phistorien qu'il soit a Vecoute des temoins et des spurces directs, qu'il critique leur fidelite et interprete les informations qu'ils fournissent pour la saisie d'ün evenement ou d?un ensemble d'evenements % particuliers. 21 22
Cf. Laks, Neschkc (1990), pp. 121 ss., 327 ss., 359 ss.; Ineichen (1975), p. 145 ss, Sur ce terme dont l'usage est souvent abusif, voir le travail de Bauer (1963).
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De ce fait, le caractere global de la methode differe largement des sciences exactes: rien n'est construction d'apres une loi generale permettant un pronostic, tout est re-construction s'effectuant par le diagnostic des situations globales et des chaines d'evenements donnees. Le but est alors de reconstruire ces situations dans la particularite de leur constellation ou ces evenements dans leur contingence. Cette science autonome, avec sä methode et son but appropries, correspond a une vision globale de Phistoire, ce dernier terme etant compris comme synonyme d'evolution. Uhistoire ou evolution de rhomme se presente comme une chaine continue de faits contingents. Cette chaine vient d'un passe lointain, difficile a reconstruire par les methodes classiques de Fhistöire. En outre, eile se perd dans un futur inconnu dont il n'y a pas de science, mais uniquement de la «science fiction». Il.b. La lecture contemporaine de Wolf ä partir des cinq caracteristiques Cette idee de l'histoire nous est familiere au point que nous la prenons comme une idee platonicienne, a savoir une idee eternelle, sans nous rendre compte de sä propre historicite. Elle va - pour ainsi dire - «de soi». Ce phenomene saute aux yeux si nous nous penchons maintenant a nouveau sur les interpretes de Wolf et sur leur appreciation de son apport a la science historique. Axel Horstmann attribue volontiers ä Wolf un empirisme radical qui refuse toute approche philosophique et speculative, ce qui implique qu'il lui attribue la recherche du particulier23. Cela est explicitement fait par M. Fuhrmann qui, ä partir des «Prolegomena», affirme que Wolf etait obstinement ä la recherche de la particularite de tout phenomene historique, bien qu'il projette sur la particularite des Grecs - a savoir leur originalite - une idealite atemporelle et, par la, a-historique24. Schmidt, pour sä part, etudie la notion d'encyclopedie de Wotf. En presupposant selon la notion actuelle de «reconstruction» que WoH envisage une reconstruction fidele de toute TAntiquite, Schmidt renouvelle la critique que A. Boeckh dejä avait adressee ä Tencyclopedie de Wolf25: son concept encyclopedique de la science de TAntiquite, comprenant quelque dix ä treize disciplines, est juge comme etant a la fois arbitraire et deficient. Schmidt attribue cette deficience ä rhumanisme de Wolf l'empechant de realiser une verkable reconstruction complete26. Enfin, Hermann Funke resume en quelques mots la position des autres interpretes: il prete ä Wolf l'idee de k recherche positive comme expression de la pensee historique, a laquelle il oppose la polymathie baroque27. En fait, Funke exprime plus clairement que les autres ce qui est leur denominateur commun, ä savoir la these selon laquelle Wolf est deja du cote de l'historisme du XIXe siecle et qu'il en est, bien que sous reserve, un des premiers representants28.
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Horstmann (1978), p. 59. Fuhrmann (1959), p. 232. 25 Boeckh {1886), pp. 39-44. 26 Schmidt (1987), pp. 65-72. 27 Op.cit.,pp. 523-525. * Le meine avis chez Muhjack, 1991 p. 418.
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La conception de Wolf des dnq caracteristiques de la sdence de l'Antiquite
Ill.a. Les cinq caracteristiques chez Wolf a. Le propre du domaine
Cherchons alors a saisir comment Wolf lui-meme interprete sä science. Pour ce faire, nous nous appuyons sur la seule source explicite sur ce sujet, a savoir les Lec,ons donnees par Wolf entre 1787 et 1807 sur Pencyclopedie de la philologie29. Considerons d'abord le domaine propre de la science de PAntiqüite. Pour le säisir, rappelons la fa9on dont Wolf caracterise cette science. Comme toute science, eile est philosophico-historique (p. 11). Uadjectif «historique» ne veut pas dire qu'elle est une science du domaine de Phistoire, mais un savoir des faits, ce qui signifie qu'on peut aussi concevoir Phistoire de la nature («Naturgeschichte») en tant que recherche des faits. Les termes «historique»-«histoire» ne renvoient donc pas a uri domaine, mais a un mpde de savoir. Wolf se sert ici d'une tres ancienne dichotomie du savoir en savoir des faits (ou savoir empirique) et en savoir des causes qui depassent Pempirisme et sont propres a la philosophie. Cette dichotomie remonte au premier livre de la Metaphysique d'Aristote oü ce dernier distingue la connaissance des faits (du «hoti»), de la connaissance du «pourquoi» (du «dihoti») qui renvoie au concept, a une cause universelle. En fait, Wolf se sert de cette dichotomie, valide jusqu'a la philosophie des Lumieres30 (p. 15), pour fonder le caractere philosophique de la science de PAntiquite dans le savoir des causes. Ces causes ne sont plus de l'ordre du particulier, mais de Pordre du general, la cause la plus generale des phenomenes humains etant, de ce fait, Pidee dePhumanite, de la «Menschheit» (pp. 13-15). Gräce a une notion generale comme cause, Pon peut acquerir une notion philosophique d'une epoque. Cette these fournit la base de toute Interpretation de Phistoire des Lumieres: «Das von Humanisten und Aufklärern gleichermaßen postulierte oder befolgte Fundamentalgesetz ist die Natur des Menschen»31. Elle consiste a mesurer Phomme concret d'apres ce que Phomme en tant qu'homme (la nature universelle de Phomme) peut devenir: ainsi, par exemple, une culture humaine peut rester au niveau plutot naturel-biologique. Mais eile peut aussi s'elever au rang de civilisation politique. Pourtant, dans le meilleur des cas, eile peut davantage atteindre Pesprit ecläire32, et acceder a la culture scientifique. Le champ de la recherche s'avere certes etre ainsi Pindividuel et le concret, c'est-ä-dire une civilisation concrete; toutefois celle-ci n'est pas consideree en tant que particuliere, differente d'autres civilisations, mais bien en tant qu'individuelle concretisant un universel, Phomme «tout court». Comme la science de PAntiquite de Wolf se definit par le double aspect historique et philosophique, le scientifique est amene a chercher un universel dans le concret. De ce fait, la reduction a PAntiquite greco-romaine est pleinement justifiee. Seules les civilisations grecoromaines ont pousse les possibilites de Phomme en general a leur apogee: elles ont atteint 29 30 31 32
Cf. Wolf (l 839), pp. l ss. (par la suite, nous he rerivoyons qu'ä la page citee). Cf. Kambartel (1968), pp. 50-86; Neschke (1992), p. 390. Muhlack (1991), p. 321. Wolf (1839), p. 15. Le mot «Aufklärung» est ici utilise avec emphasc. Ce passage n'a pas 6te utilise par Walther.
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Petat eclaire, le Statut le plus developpe de Phomme. A cette etat correspond une constitution republicaine garantissant la liberte politique et avec eile, celle du discours. La reduction, chez Wolf, de la connaissance de PAntiquite aux Grecs et aux Romains implique donc son concept de science qui n'est pas historique au sens actuel: ce ne sont pas les faits pour les faits qui Interessent, a savoir la facticite, le contingent, le particulier, mais seülement ces faits qui temoignent de ce qui n'est plus un fait, mais une idee generale: Pidee de Phomme - die «Menschheit». Le champ de la recherche de Wolf est Phomme - comme le dit Wolf expressement — «die alterthümliche Menschheit» (p. 31), ce qu'on peut traduire par «Phumanite dans PAntiquite». Par consequent, la science de Wolf est, d'apres notre terminologie, plutot une discipline anthropologique philosophique qu'une discipline historique. Connaitre Phomme («Menschenkenntnis», a savoir la connaissance de Pespece, p. 31) est le privilege d'une science qui choisit pour seul objet une epoque oü Phomme s'est veritablement realise, oü toutes ses possibilites se manifestem au niveau du fait concret, offrant par lä un terrain favorable pour la recherche - F«historia». Vue sous ce jour, la vision de Phistoire defendue par Wolf s'inscrit pleinement dans la conception d'une histoire ä double face, teile qu'elle a ete presentee par U. Muhlack33. b. Uautöriomie Uautonomie de la science de PAntiquite est un des grands soucis de Wolf. Pour etablir cette autonomie, il fonda en 1787 le seminaire philologique et presenta son fameux cours sur «Pencyclopedie philologique». Mais en quoi consiste cette autonomie? Ce n'est pas encore Pautonomie de la science historique teile que la defendra Boeckh contre la philosophie34, c'est Pautonomie d'une science philosophico-historique de Phomme, que Wolf oppose ä une science de Dieu (la theologie). Dans une lettre du 27. 10. 1788, il designe le philologuechercheur de PAntiquite sous le terme de «doctor rerum humanarum» pour Popposer au theologien, au «doctor rerum divinarum»35. Uautonomie de sä science ne se fonde donc pas sur un aspect des phenomenes humains, leur particularite et leur contingence, mais sur Phomme meme en tant que concretisation de sä nature universelle. c. Lebut De cc fait, Pon comprend le but de la science wolfienne, a savoir la «Menschenkenntnis» — connaissance de Phumanite (pp. 31-32). Comme Phomme, pour Wolf, se realise en particulier par le langage et le discours (et seülement partiellement par Part - ce qui fonde la difference entre son optique et Phumanisme de Winckelraann), son but s'integre dans Panthropologie qu'avait dejä poursuivie son maitre a Göttingen, Christian Gotdob Heyne. Heyne avait ete Pun de.s premiers - apres Giambattista Vico - ä etudier Pexpression langa33
Muhlack (1991), pp. 275-281. * Op. cit., pp. 9-20. La meine defensc se trouve chez Humboldt, cf. Quillien (1983 pp. 111-125 et 1985 pp. 17-20). 55 Wolf (1935), vol. l, p. 69.
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giere mythique des Grecs pour la reconstruction, non des Grecs veritablement, mais de Thomme primitiP6. Cet interet anthropologique etait tres developpe a. Göttingen, comme Pa souligne Marino37. Wolf, sous cet angle, poursuit d'une fagon consequente une yoie qui lui avait ete ouverte pendant ses etudes a Göttingen.
d. La methode et les sciences particulieres Uapprentissage de Wolf a Göttingen transparait aussi dans sä methode. Uhistoire comme recherche des faits y a ete fortement favorisee, et ce dans une meme optique: non pas pour les faits eux-memes, mais pour les integrer dans une connaissance de Phomme. Nous allons y revenir plus tard pour en decrypter la raison prpfonde, ontologique. Pour le moment, soulignons que les methodes positivistes de Wolf, si appreciees par ses interpretes actuels, sont la seule verkable convergence de sä science avec Phistoire actuelle. Wolf les pratique pour reconstruire un phenomene concret, pourtant il n'interprete pas ce dernier comme un fait tout pärticulier, mais comme une individuation ou concretisation d'un concept general, rhomme. De ce fait, les Grecs ne sont pas uniquement un peuple individuel, ils sont a la fois un modele de rhomme. Cette meme optique fonde le choix des sciences particulieres qui, selon Wolf, constitue Pencyclopedie de la science de PAntiquite. Nous soulignons avec insistance le fait que ce choix n'est nullement arbitraire comme l'avait pretendu Boeckh38, suivi par Peter L. Schmidt39. Wolf distingue d'abord les sciences fundamentales qui constituent Torganon de la science de PAntiquite, ä savoir la grammaire, Phermeneutique et lä critique. Ces trois sciences ont pour objectif commun de donner acces aux sources et aux temoins ä partir desquels une reconstruction des faits peut etre effectuee. Mais ce n'est pas n'importe quel fait qui interesse Wolf. Pour cette raison, Peventail des sciences particulieres est restreint. II se regroupe autour du fajt le plus important, ä savoir la culture scientifique et artistique d'une pivilisation, temoin de sä participation a Pesprit eclaire de Phomme. De cette culture, il faut connaitre le contexte local *- la geographie est alors necessaire - et son Organisation temporelle - a savoir sä Chronologie et son histoire politique. Outre le lieu et le temps dans lesquels se developpe une civilisation, il faut connaitre les etats et structures de longue duree - ce qui signifie connaitre les «antiquites»-«Alterthümer» (p. 26). Et comme une civilisation n'est pas un phenomene statique, mais qu'elle evolue d'une maniere organique, il faut reconstruire cette evolution ä partir des etats primitifs de Phomme - ce qui exige la discipline de la mythologie (voici en quoi consiste Pheritage de Heyne). Or, ayant etudie Penfance d'un peuple, on appreciera le sommet de sä culture, ä savoir la science et Part - ce qui est realise dans Phistoire des scienees et de Part; mais pour connaitre Pensemble de Pevolution intellectuelle du peuple etudie, Phistoire de la litterature rendra un service precieux, car la langue et la litterature sont Pexpression la plus directe de Phomme (pp. 27-29).
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Horstmann (1979), pp. 21-22, Op. cit., p. 110 ss. Op. cit., pp. 39-44. Op. cit., pp. 22-23.
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e. La vision globale de Phistoire Ce catalogue des dix disciplines partielles de la science de PAntiquite40 fait apparaitre diverses premisses fundamentales de cette meme science: D'apres Wolf, Phomme est un etre destine a developper k science et Part. Chaque civilisation parcourt un circuit ferm6. Uhistoire comme evolution n'est donc pas pensee comme la chaine des evenements contingents et particuliers, ordonnee selon une ligne droite sans debut et sans fin determinee, mais comme la succession des civilisations parcourant chacune un circuit ferme qui se decompose en une periode d'enfance, de maturite et de vieillesse. C'est un scheme antique repris aussi par Winckelmann dans son «Histoire de Part grec». UAntiquite connue (les figyptiens, les Grecs etc.) constitue le veritable debut de Phumanite (la prehistoire ne fait pas partie de la conception wolfienne de Phistoire). De ce fait, la mythologie est cette discipline particuliere qui, traitant des origines des premiers peuples, se consacre en meme temps a Penfance de Phomme «tout court». De meme, si un peuple a developpe une branche de civilisation hors du commun, la saisie de cette caracteristique propre permet aussi celle de Phumanite entiere. Tel est le cas des Grecs qui, au sujet des sciences, ont ete depasses par les scientifiques modernes (p. 21), mais qui, par leur sens esthetique et leur production artistique, ont atteint un sommet auquel aucune autre civilisation n'a reussi a parvenir (p. 29). Nous avons dejä mentionne une premiere raison pour laquelle la culture greco-romaine est favorisee: les Grecs et les Romains etaient les seuls parmi les peuples anciens a avoir une culture scientifique. Nous voyons maintenant la deuxieme raison, qui rapproche Wolf de Winckelmann: Poriginalite artistique des Grecs leur reserve une place unique parmi les peuples connus. Mais il y a encore une troisieme raison qui s'explique moins a partir de Phumanisme winckelmannien qu'ä partir de Panthropologie historique. En effet, eile concerne Pevolution de toutes les civilisations. Parmi elles, seuls les Grecs et les Romains ont parcouru le cercle complet qu'une civilisation particuliere peut parcourir. Ils permettent donc d'etudier Phomme non uniquement dans son apogee, mais aussi dans son enfance et sä vieillesse. Seuls ces peuples fournissent ainsi une connaissance complete de Phomme. Cette vision d'une evolution circulaire implique une troisieme premisse importante de la science de PAntiquite. Selon cette derniere, le developpement de Phumanite n'est pas defini par son historicite, par le fait d'etre transformee en permanence d'une maniere irreguliere. II possede une structure atemporelle et reguliere se manifestant dans les diverses civilisations d'une maniere plus ou moins complete, mais toujours de la memefason41. IILb. Resume: La science de PAntiquite de Wolf et k legitimation de sä reduction ä la recherche portant sur k culture greco-romaine seule Resumons en quelques mots k theorie de k science de PAntiquite teile que Wolf nous k presente dans ses cours sur l'encyclopedie de k philologie. Cette science n'est pas une discipline historique teile que nous k comprenons, ä savoir la science de la reconstruction et de la com43 41
Wolf ajoute encore l'histoire de la philologie (p. 23). Wolf s'integre donc pleinement dans les theories de la civilisation propres aux philosophes des Lumieres. Cf. Muhlack (1991), p. 277 ss.
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prehension des faits particuliers et contingents. Elle est concue comme une science philosophique proccdant par l'bistoria, la recherche des faits concrets, pour reconstruire une civilisation individuelle comme expression de la nature universelle de rhomine. Vue sous cet angle, iJ faut comprendre la science de Wolf comme une science anthropologique et, de ce fait, le terme d'«Alterthumswissenschaft» ne signifie pas science de PAntiquite en tant qu'epoque particuliere et incomparäble, mais science de Phomme, d'un etre determine d'avance par son idee, mais dont il faut etudier le deploiement tel qu'iLse manifeste dans une epoque privilegiee, dans PAntiquite classique. Cette conception envisage Phomme dans son idee generale et les evenements historiques comme le lieu de son individuation successive. On y reconnait aisement le modele d'Aristote d'une ontologie oü seul Puniversel est pleinement connaissable et oü les meilleurs exemplaires d'une espece renvoient a cette derniere. Les historiens des Lumieres sont toujours profondement impregnes par ce modele qui fournit la base metaphysique de leur conception dualiste de Phistoire. UAlterthumswissenschaft de Wolf ne se situe donc ni du cote de Thistorisme, ni de celui de Phumanisme winckelmannienj mais du cote de Thistoire des Lumieres profondement impregnee par Pontologie et Tepistemologie prekantiennes, dont la source ultime est Aristote, et qui ont ete renouvelees par G. W. Leibniz et Gh. Wolff. Cette Interpretation sera, pour terminer, confirmee et approfondie par un coup d'oeil sur la grammaire wolfienne. Elle illustrera, d'une part, ce qu'est d'apres Wolf une science philosophico-historique, ainsi, d'autre part, que Tontologie soutenant une teile conception de la recherche sur Phomme. IV Un atitre exemple d'une science philosopbico^kistorique: la grammaire IV.a. La grammaire philosophique et le concept de la langue Tout comme la science de Phomme, la grammaire a ete historicisee au XIXe siecle selon les parametres que nous avons etablis pour preciser notre conception de la science historique actuelle. De ce fait, la grammaire est devenue une linguistique historique, etudiant les particularites des langues sans les mesurer ä Paune d'une langue generale et ideale. Teile n'est nullement la vision de Wolf! Selon lui, la discipline de la grammaire se divise en grammaire philosophique et historique. La grammaire philosophique fournit le modele general de toute langue qui est le meme pour tous les peuples42. En effet, la langue exprime la pensee et la pensee humaine est la meme partout (p. 74). Ici, comme je Pai montre dans Petude sur Phermeneutique de Wolf43, ce dernier se meut toujours sur un fond aristotelicien comme il le fait egalement pour la dichotomie du savoir en fait et cause.
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On situera cette idee dans la conception de la langue teile qu'elle fut articulce dans le cadre de la mathesis universales de Leibniz et defendue comme «semiotique generale». Voir a ce süjet Petude fundamentale de * K. O. Apel, Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico. Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. 8, Bonn, 1963, en particulier pp. 17-94 et 321-374 oü Apel distingue Pidee du «Sprachhumanismus» de la mathesis universalis. ; Neschke(äparaitre).
Friedrich August Wolf et la science de l*humanite antique
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La grammaire historique concerne les grammaires individuelles du grec et du latin dont la particularite est constamment reportee a la grammaire generale. La recherche historique en grammaire suit donc le meme procede que la recherche historique en mauere d'homme: on cherche a rassembler tous les faits pour les regrouper d'apres une idee generale. Par lä, on voit que le particulier et le general ne sont pas en conflit ni ne creent un dilemme: au contraire, l'idee generale est le moteur de lä recherche. L'idee de la langue, tout comme l'idee de rhomme,. contraint le chercheur a peiner sur les details, mais permet en meme temps de les organiser d'apres des points de vue predetermines. Cela n'est possible que si le general n'est pas oppose ä l'individuel-concret. II lui est oppose si cherche dans l'individu les particularites distinguant les individus-concrets sans faire appel a leurs traits communs; il ne lui est pas oppose si cherche dans l'individu la concretisation et la realisation du general. Ici, l'individu est interprete cömme l'individuation par la matiere, ce qui est toujours une conception aristotelicienne. Teile est aussi l'optique de Wolf, qui ne considere comme veritable langue que celle qui realise la langue generale, comme veritable homme que celui qui correspond le plus ä l'idee de l'homme. Ce que nous venons de souligner renvoie ä l'«ontologie» wolfienne qui est celle de son temps. Sa conception de la science philosophico-historique pose que la science a pour objet des substances universelles, car le referent de la langue sont les substances et leurs attributs (1839, pp. 79-80). Dans l'ontologie classique, une substance, qu'elle soit universelle ou individuelle comme chez Leibniz, est une unite independante qui determine tous les attributs et meme, d'apres Leibniz, ses accidents44. Une substance est une unite pleinement determinee et, si eile est universelle, entierement connaissable. Les substances sont creees par Dieu, et avec la substance tous les attributs sont donnes, bien qu'ils ne soient pas tous connaissables pour rhomme, comme ils le sont pour Dieu45. Le referent de la recherche de Wolf est cette substance de rhomme dont les traits generaux sont inclus dans sä definition. Cela suit l'idee de la substance individuelle porteuse des traits formels et connaissables (l'idee de Leibniz), mais nullement l'idee de rhomme d'abord comme phenomene, puis comme etre autonome soumis ä aucune regle ou determination, mais etant sä propre regle par sä liberte fondamentale. Cela signifie que Wolf n'est pas encore influence par la revolution kantienne, dont l'importance fut fondamentale pour l'elaboration de la nouvelle conception de l'histoire, selon laquelle rhomme est indetermine, libre et sujet autonome de l'histoire. Ce n'est pas Wolf mais son ami G. de Humboldt qui, en abandonnant la metaphysique leibnizienne-wolfienne, appliquera a l'histoire la nouvelle idee de rhomme creee par Kant46. Ce constat est important puisque la revolution kantienne a entralne avec eile la revolution des sciences: les peres de notre comprehension de l'histoire, Schleiermacher, Humboldt, Boeckh et Droysen47, ont tous ecoute le message kantien pour en tirer des conclusions bouleversant la pratique de l'historien. La science de Wolf s'appuie sur une metaphysique devenue desuete apres Kant. Cela signifie que la dichotomie de la science de l'Antiquite en science philosophique des causes 44 45 46 47
Leibniz (1668), § 13: Dieu crcant Jcs substances individuelles a donne naissance ä toutes leurs qualites et accidents. Au Mjjct de Leibniz, voir T. Borsche, Art. Individuum, Individualität. In: Histor. Wörterbuch d. Philos., vol. 4, pp. 310-312. Voir son ecrit sur la tache de l'historien et les intcrprelations pertinentes de J. Quiliien (1983 et 1985). Voir les contributions sur ces auteurs in: Laks-Neschke (1990).
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universelles et science historique des faits correspond ä la dichotomie de la realite en substances universelles et leurs concretisätions. Les attributs specifiques des Grecs se referent ä la substance individuelle des Grecs, mais la substance des Grecs se feiere ä la substance de l'homme, ä l'homme universel. Le pretendu humanisme de Wolf n'est que par accident un reflet de Phumanisme de Winckelmann. II a plütot son fondement dans une optique de Ja realite qui s'etaye sur la metaphysique pre-kantienne et qui integre l'humanisme de Winckelmann - d'origine platonicienne48 - dans une anthropologie philosophique, propre a la conception de l'histoire des Lumieres. En conclusion: le concept de rhistoire soutenu par l'historisme se situe dejä du cote de Thomme karitien phenomenal, libre et sujet de Thistoire. Wolf, fidele a la notion de substance, n'est pas encore un predecesseiir de rhistorisrrie; il n'est pas riori plus un simple fidele de Winckelmann ou encore quelqu'un qui se trouverait entre ces deux jalons. II se situe plutot au sein de Thistoire des Lumieres, soutenue par Tontologie aristotelico-leibnizienne. Dans cette ontologie, Phomme en tant que substance creee par Dieu n'est qu'indirectement l'auteur de ses actes, tout est dejä inscrit dans sä substance. Le nouveau concept d'une science de l'histoire se demarquant de la philosophie est possible gräce a Kant et Humboldt. Cest ce concept que Schleiermacher, Boeckh et Droysen vont elabörer pour donner ä cette science son but, son domaine et sä methode.
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Cf. Rein-Rudolph (1972) pp. 117 ss.
Register zusammengestellt von Silvia Musseleck Abaelard, Historia calamitatum 165, 170 f., 174 f. Achill 6 ff., 15,22 aeternitas 145,159 Agamemnon 22, 31, 39 Agaue 31,53 Aischylos 30-48 Albericus de Monte 171,175 Alcinous the Phaeacian 59, 76 Alexandria 49, 52, 59, 77 Alkaios 124,129 f. An 24 f. Anagnorisis 40 f., 45 f. Anchises 13, 120 Antikleia 6 f., 17, 22 Antiochus III 52, 57 Ami 25 Aphrodite 3,13, 55 f., 101 f. Apollon, Loxias 33-48, 64, 67, 69, 81 f. Apollonius Rhodius, Argonautica 52-54, 59, 76 Apollonius of Tyana 60 Appian 79,93 apple 54-58 Apuleius, Metamorphose* 62 Archilochus 70 ff. Ares 3,102 Argonauten 4, 12 Aristophanes 36, 64, 73 f. Aristoteles 123,139,144,158,161,188 Metaphysik 184 Physik 158 f., 162 Rhetorik 38,150 Arrian 79,89,92,95 Astrologie 108,111,116 Athen 30,48, 51 Athene 14,21,46,48 Atrachasis 25 Atridenhaus 42,44 Aufklärung 181,184, 188,190 Augustinus 139-162, 165,169 Confessiones 139 f., 146 f., 149, 153, 157, 162
De Trinitate
146,155
Babylonian cosmography and astrology 73 Bacchus 64,67,69,101,119 Boeckh, August 182,185 f., 189 Boethius 143, 168 Caesar 91, 103, 106, 129, 132 Callimachus 49 f., 52 - 54, 76, 115, 121 Camillus 79, 89 f. carnifex 80 carpe diem 108,110,113 Cassirer, Ernst 139 Choerilus 55 chthonisch (Götter, Mächte) 43 f., 47 Cicero 75, 97, 105,170 Clement of Alexandria 55 f., 62 conditio humana 83, 96 Cos 57 Crinagoras 75 Demeter 37, 51 f., 57, 62, 65, 75 Dilmun 11 Dio Cassius 79, 89, 91, 94,130 Dionysios I 89 Dionysios von Halikarnass 79 Dionysos 53 f., 56, 58 f., 73 f., 82 Droysen, Johann Gustav 182, 189 f. Dumuzi 8,20 dyssebeis 54 eidola 105 Einhard, Qttaestio de adoranda cruce 169 Eleusis 51, 56 ff., 62, 65,68, 71, 74 f. Elpenor 7,15,22 Elysion 10 Empedokles 97,100 f. Enki 11,16,25 Enkidu 6-9,13 f., 19,24 f., 27 Enlil 11 f.,16,24 f.,28 Epiktet 79,92,94 Epikur 97-103,105 Epiphanie 86,89
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EreSkigal 7,l2, 20,24 f., 27,29 Erichthonios 45 Erinyen 32,34,39,41-44 Eubouleus 63 Eucles 63 Eumolpidae, Eumolpos 68,127-138 Euripides 30-48 eusebeis 54,64
Fortuna 79 f., 86, 95 Fraenkel, Eduard 108,122 fttror 127,129 Gaia 34,42 Ganzir 7 Genesis 68,146,165 Gethosyne 101 GilgameS 4-29 Gobryes 73 gold lamellae 51 f., 59 f., 71 f., 74 Gorgo 20 Haloa 57 Hammurapi 21 Hecate 53 hedone 101 Hegel, G. W. F., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften 143 Hegesippus 72 f. Heidegger, Martin 139 f. Hekaerge 73 Helena 38,46 Hellenismus 124 Herakles, Hercules 4, 9,20, 31 f., 74,101 Hermes 39,44 f., 72 Herodot 9,36,38,46,6.3 Hesiod 97,102 Heyne, Christian Gottlob 185 Hierodule 13 f. Hieronymus 95,163,167 hierophant 68 f., 71 hierös logos 59, 68 Hipponium-tablet 60 historisme 180,183,188,190 Homer 34,53,59,62,75,77,102,150 l Kos 3, 6 ff., 15,22, 24,l50,180 Odyssee l -29 homoiosis theo 100 Horaz 130 carm. 1,11 107-126
Register carm. 4,2 (Pindar-Ode) 97 Satire 2,3 83 Hugo von Trimberg, Renner 164 humanisme, Humanismus 180 f., 183,185, 188,190 httmanite 184 f.,187 Humboldt, Wilhelm von 179,189 f. Husserl, Edmund 139,151 ff,, 156 Idealität, transzendentale 156 initiales, Initiation 49-77 Innana 7 f., 12 f., 16 f., 20 f., 24 f., 27 f. Interferenzen 3 Ion 45,47 lonier 46 Isidor von Sevrlla, Etymologiae 163 Isles of the Biest 59,61, 64, 72, 76 f. Istar 7, 13 f., 20,24 f., 27 f. Johannesevangelium 146 Jupiter 78,85,89,93 Kalypso 10,13 f., 16 Kant, Immanuel 139,156,189 f. Katabasis 12, 20-22, 29 ker 8 Kießling/Heinze 108 ff., 113 f., 121 Kimmerier 11,17 Kinesis 158 f. Kirke 10, 12 f., 15 ff. Kolophon 5 Kreusa 34 f., 39-41,45 f., 48 Kronos 61,72 Kühn, Franz 110 f., 113, 115 f. kür 11 f., 18,21, 24 f. Kybele-Attis-Kult 94 Lake of Memory 60 · Lands of the Pious 59, 61,64, 73'f., 76 f. Lanffanc von Bec 168 Leibniz, Gottfried Wilhelm 188 f. lepos 98,104,106 Leuconoe 108,110,113*116 Lloyd-Jones, Sir Hugh 49, 61 f., 66 f., 69 f. Lucan 129,132,134-136,138 Lucian 57,64 Lucilius 167 Lukrez 97-106,112 f. Lupus von Ferneres 169
Register
Pest 36 f. Petrus Comestor, Historia scholastica 165 f. Petrus von Blois 168 Phaiaken 3,10,14,17 Philetas 57 Philojudaeus 68-70 Philostratus 60 psogos nautilias 131,133 Pirtdar 106 Second Olympian 61 f., 72 Platon 33,139,162 Phaedo 74 Phaedrus 75 Philebos 101 Sopkistes 161 Symposium 68 Timaios 147 Pleiad 58 Plinius, der Ältere 79 f., 86 ff., 92, 94 f. Plotin, Über Ewigkeit und Zeit 146 Plutarch 63,90 pomegranate 54-58 Pompeius 103,129, 34 Porphyry, De Abstinentia 56 Poseidon 15,25 power of implication 116 Prometheus 38, 83 Protention 152 Pseudo-Platon, Axiochus 72 ff. Ptolemy Philadelphus 58 f. Pythia 34 f., 37, 41 f.
Maecenas 109,120,122 f. Magna Mater 101 Medea 12,53 medidna linguae 80 Meleager 54, 56 f. Memmius 98 f., 102 f., 106 . Minos 21,73 Musen 67,69,72,75 myrde 54 ff., 74 mystagogos 56 Mysteries 49-77 of Aphrodite 55 f. of Samothrace 52 Orphic-Bacchic 57,63 Nekyia 3,15 f., 19 ff. Nekyomantie 19 Nemesis 86 Nergal 7, 12, 20, 24, 27 f. Nero 94,130 Neuhumanism 179 Neuplatonismus 139, 146 NigiSzida 11 Niinnion-tablet 56 Ninlil 11, 24, 28 Nippur 11 Nisbet/Hubbard 112 ff. Nostos 14, 17 Oidipus 31 f., 38 f. Okeanos 15,26 Olbia 51 Olympia, Orakel 33, 36 olympische Götter 43 f. Opis 73 Ordericus Vitalis, Historia ecclesiastica Orestes 32, 34, 38, 4 -44, 47 f. Orpheus 60, 68, 73, 86 Orphic poem 56 Orphic-Bacchic writing 73 Ovid 113,124
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Quaestionenliteratur 169 quince 56 f. 168
Parmenides 97,139,162 Patroklos 6 ff.,16,22 , pax 98,104 Peloponnesischer Krieg 36 f., 47 Perscphone, Köre 18,37, 51,56, 61,64, 66, 71,75 persona (fictitious, propria) 54
Realität, empirische 156 recipe 87 f., 90-95 Reinhardt, Karl, Die Abenteuer der Odyssee 14 f. religio 99 ff. respice 78, 80, 82, 84, 86 ff., 91 f. Retention 152 f. Rhadamanthys 61, 66, 70 - 74, 77 Robert von Melun 171,175 f. Russell, Bertrand 139 Sabinum 119 f. Samuel, II. Buch 168 f. Sargon von Akkade 5 Saviour Gods 52
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Register
Schadewaldt, Wolfgang, Die Heimkehr des Odysseus 14 Schale von Boscoreale 84, 93 Schleiermachcr, Friedrich Ernst Daniel 182, 189 f. Scneca 79,168 Sextus Empiricus, Adversos Matbematicos 142 Siduri 10,14,16 Simultaneität 145 f., 148 f. Sin-leqe-unnini 5 Sintflut 86 Socrates 33, 73 ff., 107 Sopater 68 Sophocles 31, 38 f., 62 Stoa 92,139 Sturm und Drang 128,131 Sueton, Nero 130 Sukaletuda 13 Tammuz 20 Teiresias 17,19 Terenz 163,167 Tertullian 79,92,94 ff. tbeiosaner 83,85 Theobald 170 f. Theocritus 49,52-54,76 Theodoridas 54 ff., 58, 70 Thucydides . 36,38,180
Titus 79,95 tremendum maiestatis 85 Underworld 51-77 Urimpression 152 Urnammu 18,20,22,27 f. UrSanabi 10 UtnapiStim 10 f., 14 Venus 8,98-106,119 f., 173 Vergil 86,122 f., 135,138 Vico, Giambattista 185 voluptas 101, 103 Weiß (Farbe) 89 Wieland, Christoph Martin 121 Wilhelm von Auvergne 169 Wilhelm von Conches 165 Winckelmann, Johann Joachim 179,187, 190 Xenophon 33,85 Xerxes 35,73 Xuthos 34,39 f., 45-48 Ysengrimus
163,167
Zenon 142,149 Zeus 11,25,33 f., 52, 61,72