Band 19
PIRATEN DER STERNE von Rainer Castor
MOEWIG
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Band 19
PIRATEN DER STERNE von Rainer Castor
MOEWIG
Alle Rechte vorbehalten © 2001 by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt www.moewig.de Redaktion: Sabine Bretzinger / Klaus N. Frick Bearbeitung: Rainer Castor Titelillustration: Johnny Bruck Printed in Germany 2001 www.perry-rhodan.net ISBN 3-8118-1518-0
Vorwort Aufgewachsen auf der wilden Welt Gortavor, erfuhr der Arkonide Atlan erst nach dem erfolgreichen Abschluß der ARK SUMMIA, die in der Aktivierung des Logiksektors gipfelte, daß er der Sohn und damit der designierte Nachfolger des vierzehn Arkonjahre zuvor von dessen Halbbruder Orbanaschol und seinen Helfern ermordeten Imperators Gonozal VII. war. Für Atlan begann ein ganz neues Leben, denn er war der Kristallprinz – erbittert verfolgt von den Häschern des Brudermörders, zum Leben im Untergrund gezwungen, aber fortan seinerseits bemüht, das ihm zustehende Erbe anzutreten und den Tyrannen vom Kristallthron zu stürzen. Kein leichtes Unterfangen, stand dem Imperator doch die volle Macht des in Zehntausende Welten rechnenden Großen Imperiums zur Verfügung, ein gnadenloser Geheimdienst unter dem Befehl Offanturs oder die »Bluthunde« der Kralasenen-Truppe des Blinden Sofgart. Atlans Freundin Farnathia, die Tochter des Tatos von Gortavor, war im Verlauf der Flucht von dem Exilplaneten in die Hände des Blinden Sofgart gefallen, über ihr Schicksal war nichts bekannt. Für Atlan mischten sich also persönliche und politische Interessen, als eines seiner ersten Ziele Die Folterwelt war. Ehe er jedoch dorthin gelangte, galt es, sich eine Basis zu schaffen, und hierzu hatte Fartuloon den Stützpunkt auf der Welt Kraumon auserkoren, ohne zu wissen, daß dort bereits Probleme ganz anderer Art warteten – nachzulesen im 18. Buch der »Blauband«-Reihe: Am 22. Prago des Tedar 10.497 da Ark – einem Datum, das dem Frühjahr des Jahres 8023 vor Christus entspricht – brachen Atlan und seine Freunde dann mit der POLVPRON
von Kraumon auf. Er und Tirako Gamno wollten sich unter falschem Namen auf Trumschvaar einschleichen, der Welt der Kralasenen des Blinden Sofgart. Zwei Pragos später war Atlans Freund tot, während er selbst an Bord der CELIS ging und zur Folterwelt gelangte. Nach unsäglichen Strapazen und Gefahren auf Ganberaan gelang es Atlan, seine Geliebte zu finden und zu befreien sowie den Blinden Sofgart zu überlisten und zu zwingen, ihm, Farnathia und vier ehemaligen Gefangenen des Söldnerführers ein Raumschiff zur Verfügung zu stellen. Mit diesem gelang die Flucht. Sie waren guten Mutes gewesen, denn das Kurierschiff war zwar ein relativ kleiner, aber sehr guter Raumer – doch es sollte ganz anders kommen, als sie gehofft hatten… Im 19. Band trifft Atlan auf die Piraten der Sterne der rätselhaften Sogmanton-Barriere, die offenbar mit der Herkunft der Arkoniden in Verbindung gebracht werden muß und schon in der Arkon-Trilogie der Bände 14 bis 16 eine wichtige Rolle spielte. Wie für die vorangegangenen und die noch kommenden Bücher mit den Abenteuern aus Atlans Jugendzeit gilt, daß die in sie einfließenden Heftromane des in den Jahren 1973 bis 1977 erstmals veröffentlichten Zyklus ATLAN-exklusiv – Der Held von Arkon von mir bearbeitet wurden, um aus den fünf Einzelheften einen geschlossenen Roman zu machen, der dennoch dem ursprünglichen Flair möglichst nahe kommen soll. Für das vorliegende Buch 19 wurden, ungeachtet der notwendigen und sanften Eingriffe, Korrekturen, Kürzungen und Ergänzungen, folgende Romane zusammengestellt: Band 122 Piraten der Sterne von H. G. Francis, Band 124 Irrfahrt im Sternenstaub von H. G. Ewers, Band 126 Der Bio-Parasit von Dirk Hess, Band 128 Planet der Intrigen von Ernst Vlcek sowie
Band 130 Meister der Echsen von Clark Darlton. Als Anhang gibt es das Kleine Arkon-Lexikon und zur Veranschaulichung der Schauplätze die Karten. Obligatorisch der Dank an die Helfer im Hintergrund: Michael Beck, Heiko Langhans, Michael Thiesen, Kurt Kobler, für seine botanischen Recherchen zu Essoya, Mehinda und Khasurn Andreas Boegner – sowie Sabine Bretzinger und Klaus N. Frick. Viel Spaß – ad astra! Rainer Castor
Prolog Aus: The Archaic Ages of Arkon – an introduction, Feiice BordesCommot. In: The Cambridge History of Mankind; Cambridge, Terra, 2811 Als Atlan im April 2044 die Kontrolle über den Robotregenten erlangte, wurde es den terranischen Wissenschaftlern erstmals möglich, auf legalem Weg die immense Menge der in den imperialen Archiven des Tai Ark’Tussan gesammelten Daten zu sichten und auszuwerten. Selbstverständlich gab es diverse Prioritäten: Die Baupläne der technischen Errungenschaften, die Navigationskarten der Milchstraße und zahllose geschichtliche Abhandlungen, von denen sich die Terraner die Erweiterung ihres kosmologischen Wissens erhofften, hatten aus verständlichen Gründen Vorrang. Das abweisend-arrogante Auftreten der wenigen aktiven Arkoniden machte die Aufgabe sicherlich nicht gerade leicht. Und auch die Terraner selbst befanden sich damals in einer ungestümen »Sturm-und-Drang-Periode«: Man war zweifellos nur marginal (wenn überhaupt!) an der arkonidischen Kulturgeschichte interessiert. Erst nach der Begegnung mit den Meistern der Insel drang die Bedeutung der uralten Berichte aus der Zeit des lemurischen Tamaniums (die teilweise wiederum auf noch wesentlich älteren, stark mythisierten Legenden eines Großen Galaktischen Krieges basieren, der noch vor der Hochkultur der Barkoniden vor mehr als einer Million Jahren anzusetzen ist!) in das Bewußtsein der terranischen Wissenschaftler. Schon die Gründung des Historischen Korps der USO und des Exotischen Korps der Solaren Abwehr hatte diese Entwicklung widergespiegelt. Die Werke der Alt-Arkoniden wurden (angesichts der standhaften Weigerung der Akonen, eigenes Datenmaterial mit den verhaßten Terranern zu teilen, so daß wir weiterhin auf illegal von Drorah fortgeschmuggeltes Material angewiesen sind!) neben den wenigen
bruchstückhaften Angaben der Tefroder und den verwirrenden Erkenntnissen der zeitversetzten CRESTIII zu der verläßlichsten Quelle über die ferne Vergangenheit der Milchstraße. Anfänglich unbedeutend erscheinende Informationen entpuppten sich bei näherer Betrachtung des öfteren als wahre Fundgruben des »Alten Wissens«. Beispielhaft erwähnt seien hier die Aufklärung der Herkunft und Bedeutung der Mehinda-Muster des arkonidischen Adels sowie die Hintergründe der mit den Heroen-Sagas und Arbaraith verbundenen Dinge, wie die Geschichte des später zum »Agh’« erhobenen Sogmanton da Khaal zeigte… An Bord der ZOLTRAL: 7. Prago des Messon 3957 da Ark Sogmanton da Khaal hatte einen Traum. Er war nur der fünfte in der Erblinie seines Khasurn und ohne realistische Aussicht, einst der Agh’tiga zu werden. Deshalb hatte er eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen, war seit kurzem Laktrote der Hyperphysik und Astronomie. Sogmanton suchte das legendäre Arbaraith, fest davon überzeugt, daß in den Sagen und Legenden mehr als nur ein Kristallsplitter der Wahrheit verborgen war. Meist wurde der Sechsundzwanzigjährige mitleidig belächelt. Wirklich sicher konnte jedoch niemand sein, zuviel war vergessen und verdrängt. Erst seit knapp 200 Jahren war der Niedergang der Zarakhgoth-Votanii, der Archaischen Perioden, überwunden, die Vorstöße in die Öde Insel waren deshalb stets auch Forschungsexpeditionen in unbekannte Sternenregionen. Sogmantons Traum drohte an diesem Prago jedoch zum Alptraum zu werden. Der Tiga-Verband, bestehend aus der fünfhundert Meter durchmessenden ZOLTRAL und den beiden Begleitschiffen
vom Typ eines Schweren Kreuzers, von Seiner Erhabenheit Imperator Barkam I. persönlich zur Verfügung gestellt, hatte die imaginäre Fläche der galaktischen Hauptebene durchstoßen und war in den Raumsektor fast 1000 Lichtjahre »unterhalb« vorgedrungen. Niemand an Bord wußte genau, wie der junge Sogmanton es geschafft hatte, den Höchstedlen zu überzeugen; seine Begeisterung hatte die Raumfahrer jedoch angesteckt. Manch einer fragte sich in diesen Augenblicken jedoch, ob nicht besser von Besessenheit geredet werden mußte. Das Ziel waren Koordinaten gewesen, die Sogmanton auf nur ihm bekannte Weise ermittelt hatte und über deren Quellen er sich ausschwieg. Schon vor der letzten Transition hatten die Ortungsgeräte und Strukturtaster Alarm geschlagen – tobten doch im Zielsektor Hyperstürme eines Ausmaßes, die die bedrückende Erinnerung an die Archaischen Perioden weckten, als galaxisweite Orkane dieser Art nahezu die gesamte Hypertechnik für insgesamt rund achthundert Jahre beeinträchtigt, lahmgelegt und zeitweise komplett blockiert hatten. Der betroffene Sektor erreichte mehrere hundert Lichtjahre Ausdehnung. Die konventionell-optischen Sensoren hatten eine merkwürdig schlauchförmig verdrehte Wolkenformation in rötlichen und bräunlichen Tönen ermittelt, auf die keine der bekannten Charakteristiken zutraf. Es war keine Moleküloder Staubwolke, kein Reflexionsnebel, keine normale Ansammlung interstellarer Materie. Weder die Emissionsnoch Absorptionslinien paßten zu den vertrauten Werten. Andererseits schien die Wolke von allem etwas zu haben, sogar eine ganze Reihe von Sonnen gehörte dazu, und auch die Verdichtungen von Protosternen glaubte man erkannt zu haben. Der Riesenwolke vorgelagert war eine kleinere; offenbar der
Rest einer gewaltigen Supernova. Aber auch hier gab es Zweifel – sofern die Meßergebnisse nicht völlig verfälscht worden waren, lautete ihre Interpretation nämlich, daß insgesamt acht Neutronensterne in enger Formation standen, es demnach nicht eine, sondern acht Supernovae gewesen sein mußten. Die augenfällige Form der Nebelreste hatten zur Bezeichnung Spinnennebel geführt. Mit der letzten Transition war der Verband bis auf rund fünfzig Lichtjahre an die Wolkenformation herangesprungen, die nun gleich einer »Barriere« die Bilder und Reliefprojektionen der Panoramagalerie bestimmte. Und trotz der vergleichsweise großen »Sicherheitsdistanz« griffen die Ausläufer der mächtigen Hyperstürme nach den Raumern, ließen ihre hypermechanischen Schutzfelder flackern und wiederholt Aggregate auf fünfdimensionaler Basis ausfallen. Das Dröhnen der Ringwulst-Impulstriebwerke geriet mitunter ins Stocken, glich einem »Stottern«, und auch die für die Andruckabsorption unerläßliche Enklave des unvollständig geschlossenen Strukturfelds der sogenannten Semi-Transition zeigte infolge von Interferenzen kurzfristige Aussetzer. Fast eine Tonta kämpften und stampften die Raumer gegen die tobenden Gewalten an. Nicht einmal eine Not-Transition kam unter diesen Bedingungen in Frage, hätte es doch die Schiffe zerfetzt und im Hyperraum verwehen lassen. Die arkonidischen Raumfahrer mußten ihr ganzes Geschick aufbieten, versuchten, Sturmfronten quasi »abzureiten«, ihnen keinen Widerstand entgegenzusetzen, sondern sich mittragen zu lassen. Rot und blau umflackerte Aufrißerscheinungen von vielen Lichttontas Länge durchbrachen die Struktur des Raum-ZeitGefüges, hinterließen abgrundtief schwarze, gezackte Spuren, die Klüfte und Abgründe ins Nirgendwo und -wann
darstellten, die für Auflösung, Vernichtung und Chaos standen. Sogmanton arbeitete wie besessen, obwohl ihm die Angst die Knie zittern ließ, scheinbar die Luft abschnürte und wechselweise heiße und kalte Schauer durch den Leib jagte. Meßfühler und Sensoren, die der Laktrote selbst entworfen und konstruiert hatte, lieferten Unmengen von Daten, die sofort von der KSOL-Hauptpositronik ausgewertet wurden. Mitunter gelang es rechtzeitig, die Strukturformeln der Schutzschirme anzupassen und umzustellen, so daß sie den äußeren Gewalten trotzen konnten. Eine Tonta des Alptraums, des Wahnsinns, der permanenten Drohung, im nächsten Augenblick vernichtet zu werden. Aber sie schafften es! Mit einer Plötzlichkeit, die erst mit Verzögerung richtig begriffen wurde, ebbten die Hyperstürme ab, verloren unvermittelt ihre Wucht und Gefährlichkeit. Und in einer völlig irrealen Schönheit war nun die »Barriere« zu erkennen, durchliefen weitere Ortungs- und Tastungsdaten die Rechnerknoten, füllten sich Bildflächen mit scheinbar endlosen Zahlenkolonnen der Auswertungen. Fast vierhundert Lichtjahre breit war das Gebiet, offensichtlich ein ständiger Quell für Hyperstürme und vergleichbar unangenehme Phänomene. Der Weltraum war nicht schwarz, sondern von eigentümlich rötlicher Farbe, durchzogen von riesigen rotbraunen Schlieren, zarten Filamenten und wolkenhaften Verdichtungen und Zusammenballungen. Insgesamt eine Art Schlauch, scheinbar von höheren Mächten zu einem wirren Knäuel verknotet. »Eine höherdimensionale Bezugsebene, die das Standardkontinuum tangiert?« fragte sich Sogmanton, während ringsum ein zögerndes, vorsichtiges Aufatmen zu bemerken war. »Jedenfalls ein gefährliches Phänomen, diese Sogmanton-
Barriere!« knurrte Kommandant Carrven und wischte sich den Schweiß von der Stirn; der Blick seiner roten Augen flackerte. Sogmanton verzog das Gesicht, als er den zwischen den Worten angedeuteten, aber nicht ausgesprochenen Vorwurf bemerkte. Dennoch legte er gegen die Namensgebung keinen Widerspruch ein, sondern konzentrierte sich auf die Daten. Er war zwar der wissenschaftliche Einsatzleiter, aber in Fragen der Schiffsführung und allem, was damit zusammenhing, hatte Vere’athor Carrven die Kommandogewalt. »Hyperenergetische Einbrüche und Aufrisse«, murmelte er. »Der permanente Austausch von Normal- und Hyperenergie scheint die Ursache für die Hyperstürme zu sein, verbunden mit starken Strukturerschütterungen und Verzerrungen des vierdimensionalen Raum-Zeit-Gefüges.« Carrven hob die Hand und zählte an den Fingern auf: »Übergeordnete Strudel und Wirbel. Ständig wechselnde Sogrichtungen. Die Staubballungen sind von Quantenturbulenzen und Energieorkanen durchdrungen. Das Zentrum scheint eine brodelnde Zusammenballung kosmischer Materie zu sein. In ihr gärt es ständig, weil sich dort zweifellos die fremdartigen Energieströme konzentrieren.« »Richtig. Wir müssen damit rechnen, daß die sich überschneidenden Kraftfeldlinien sogar zu Transitionseffekten führen. Raumschiffe können also abrupt über Lichttontas oder mehr versetzt werden, verwehen unter Umständen sogar im Hyperraum… Hm, das eigentliche Zentrum dürfte, sofern die Ortungsgeräte richtig gearbeitet haben, an die fünf Lichtjahre Durchmesser erreichen.« »Sofern es übergeordnete Verbindungen zu weiter entfernten Hyperstürmen gibt, könnte dieses Raumgebiet sogar eine Falle für jedes Schiff sein! Ein Gefahrensektor erster Ordnung.« Carrven machte eine unsichere Handbewegung. »Also alles
andere als das legendäre Arbaraith, Erhabener.« Sogmanton sah ihn mit brennendem Blick an, antwortete jedoch nicht. Er war noch nicht davon überzeugt, daß er seinen Traum begraben mußte, sondern dachte an Aussagen des 2100 da Ark auf Hiraroon entstandenen Klinsanthor-Epos von Klerakones: Der Ruf fand Gehör. Ein gewaltiger Sturm erhob sich zwischen den Welten und zerbrach die Bande. Klinsanthor in seiner unfaßbaren, unschaubaren Gestalt warf seinen Schatten über die, die im Unrecht waren, und sie wichen angstvoll zurück. Die Vernichtung folgte ihnen und trieb sie vor sich her, und Klinsanthors Schlachtruf klang schauerlich zwischen den Sonnen und brachte die Kristallobelisken von Arbaraith zum Klingen. Ab die Feinde, geschlagen und von Furcht erfüllt, in ein Versteck zurückwichen, aus dem es für sie kein Entkommen mehr geben würde, jubelte das Volk von Arkon laut. Von Freude und Dankbarkeit erfüllt, eilte es dem Magnortöter entgegen. Aber Klinsanthor wandte sein Gesicht von ihnen und eilte zurück in die Skârgoth, seine Unwelt, und ein Teil seines Schattens überzog die, die ihm danken wollten. Wen der Schatten berührt hatte, der welkte dahin wie eine Blume. Unzählige starben, und das Volk der Arkoniden erstarrte in Furcht und Trauer, bis der mächtige Klinsanthor in die Ruhe der Grüfte zurückgekehrt war. Dann erst verlor auch der Schatten seine Macht… Der junge Wissenschaftler reckte die Schultern. Nein! dachte er grimmig. Noch ist nichts verloren. Mehr denn je bin ich davon überzeugt, die Koordinaten von Arbaraith gefunden zu haben. Arbaraith – mythologischer Ort des Ursprungs, das sagenhafte Land der Kristallobelisken, von Bestien bedroht, denen sich der Heroe Tran-Atlan entgegenstellte; den Sagas von den Berlen Taigonii nach mit der Entrückung des Schwertkämpfers verschwunden. Auf Tran-Atlan und seine Schüler gingen angeblich das Dagor und die Arkon-
Zeitrechnung zurück, auf ihn beriefen sich die Tron’athorii Huhany-Zhy, wie die Dagoristas auch genannt wurden, und das Arkon-Rittertum. Arbaraith war zwar zum allgemeinen Kulturgut geworden – beispielsweise im meisterhaften Oratorium Tat Arbaraith –, an seine reale Existenz glaubte jedoch letztlich niemand. Bis auf ihn, Sogmanton. Nie sollte er von dieser Überzeugung abweichen, widmete sein Leben der Erforschung der Barriere. Beweise für seine These blieben ihm versagt, doch seine Forschungen bescherten den Arkoniden wichtige Erkenntnisse, die diese Epoche zu einer Glanzzeit machen sollten. Es war die Ära des Höchstedlen Barkam I. den schon seine Zeitgenossen »den Großen« nannten, der fünfte Zhdopanthi nach dem Ende der gewaltigen Hyperstürme, die die Archaischen Perioden verursacht hatten. Nur wenigen Eingeweihten war bekannt, daß der Zhdopanthi des Tai Ark’Tussan mit dem bemerkenswerten Planeten Zhygor eine Welt gefunden hatte, auf die die Legenden der »Welt des Ewigen Lebens« möglicherweise zurückzuführen waren. Wiedergefunden traf es vielleicht besser, weil der schon früher bestehende Kontakt wegen der Archaischen Perioden für rund tausend Arkonjahre abgerissen war. Ranton Votantar’Fama. Dort hatte es den Kontakt zu einer unbegreiflichen Wesenheit gegeben, die von sich als »Fiktivwesen« oder ES sprach – und dem Imperator gestattete, sich und seinen Mitarbeitern ein durch »Zellduschen« verlängertes, potentiell sogar »ewiges« Leben zu führen. Votantar’Fama – Ewiges Leben. Wunschtraum und Ziel vieler Wesen, ein Kernbegriff vieler galaktischer Mythen und Sagen, nicht nur bei den Arkoniden und ihren Kolonialen.
Niemand wußte zu sagen, ob diese »Gunst« vielleicht mit den Vecorat zusammenhing – auszuschließen war es jedenfalls nicht. Klangvolle Namen verbanden sich mit Barkams Regierungszeit; Persönlichkeiten, die noch Jahrtausende später zu den angesehensten gehören sollten, um die sich schon zu Lebzeiten Legenden und Anekdoten rankten. Mantar da Monotos, der Bauchaufschneider und GosLaktrote des Imperators, erfuhr als der »Weise Mantar« bei den späteren Goltein- und auch den Mantarheilern großen Nachruhm. Chariklis, die Arkanta von Hocatarr, ging in das Bewußtseinskollektiv der ersten Großen Feuermutter ein; sie floh nach Barkams Tod nach Hiaroon und begründete dort die Sage um Chariklis, die Barmherzige – beschrieben als ein unsterbliches Wesen von überirdischer Schönheit, das sich in den Höhlen des Gebirges versteckt hielt und nur herauskam, wenn die Armen, Kranken oder Unterdrückten ihrer Hilfe bedurften… Dann Mascant Rhazun Ta-Zoltral, der beste Flottenbefehlshaber, den sich ein Begam wünschen konnte – ohne ihn hätten die Arkoniden bei der Abwehr der bewußtseinstauschenden Vecorat nur halb soviel Erfolg gehabt. Schließlich Dagor-Hochmeister Khazunarguum, der ThiLaktrote von Iprasa, ein Gijahthrako. Am Faehrl-Institut auf der ARK SUMMIA-Prüfungswelt Goshbar führte in jener Zeit der Paraphysiker Belzikaan seine epochalen Forschungen des Paranormalen und Transpersonalen durch, von ihm »Zwiespältige Wissenschaft« genannt, um den Unterschied und die Trennung von den übrigen konventionellen und hyperphysikalischen Fakultäten zu markieren. Maßgeblich beeinflußt wurde er vom erneuten massiven
Auftreten der sogenannten Individualverformer, kurz TV, die von den Arkoniden in Ergänzung ihrer vokallosen Sprache auch VeCoRatXaKu-ZeFToNaGZ genannt wurden: Diese insektoiden Geschöpfe hatten die beängstigende Fähigkeit, rein geistig den eigenen Individualkörper zu verlassen und auf einen anderen überzuspringen – wobei es zum Austausch mit dem Bewußtsein des Opfers kam, das im Vecorat-Körper zur Handlungsunfähigkeit verurteilt war. Es kam zur Ausbildung der allerersten Tai Zhy Farn als weibliches Gegengewicht zum Imperator, ein künstlich stabilisierter Bewußtseinsverbund aus 158 Feuerfrauen, dem es – unterstützt vom »Dyhanensinn« der Gorianer – zu verdanken war, daß der Invasionsversuch der IVs früh genug aufgedeckt und letztlich abgewehrt wurde, so daß sie erst rund 2500 Arkonjahre später einen erneuten Vorstoß wagten, seither aber als »Erzfeinde« der Arkoniden galten. Die Kolonialarkoniden des Planeten Gorian sprachen von sich selbst als Dryhanen, benannt nach der vierten Periode des Arkonjahres, dem Dryhan, weil am 1. Prago des Dryhan 3953 da Ark erstmals wieder ein arkonidisches Raumschiff auf Gorian landete, verbunden mit der Nachricht, daß Seine Erhabenheit Imperator Zoltral II. verstorben sei und nun sein Nachfolger Barkam I. den Kristallthron bestiegen habe. Die besondere Fähigkeit der Dryhanen reichte zwar nicht an Telepathie heran, nicht einmal an die vollwertiger Empathen, dennoch war es eine, die sie im Laufe der Zeit zu gefragten Leibdienern der Imperatoren machte, weil sie sich so sehr auf den Herrscher und seine Familie einstimmen konnten, daß umständliche Erklärungen fortfielen – zumal sich diese Begabung mit einer sprichwörtlichen Treue bis in den Tod verband. Vermutet wurde, daß die Paragabe als Folge der in den Archaischen Perioden wütenden Hyperstürme ausgebildet wurde und zunächst nichts anderes darstellte als
eine erhöhte Sensibilität für hyperenergetische Vorgänge. Imperator Barkam I. starb zusammen mit seinen beiden erstgeborenen Söhnen bei einer Raumschlacht um die Kolonialwelt Zulthem im Alter von 205 Arkonjahren 4091 da Ark. Sogmanton, inzwischen in den Fürstenrang erhoben und mit dem Privileg belehnt, sich Agh’Khaal zu nennen, überlebte den von ihm verehrten Höchstedlen um ganze 43 Jahre – niemand erfuhr jemals, woher der 1349 Meter hohe Kristallobelisk wirklich stammte, den er im Jahr 4100 da Ark auf Gos’Ranton 7142 Kilometer vom Hügel der Weisen entfernt an der Laktranor-Südküste östlich der KarurmornHalbinsel errichten ließ und der seither als der legendäre Arbaraith-Obelisk bekannt war, Symbol für das sagenhafte Urland. Gerüchte besagten, daß man dort seither Sogmantons schemenhafter Gestalt begegnen könne, die gedankenversunken die Küstenlandschaft entlangwandere – eine wildromantische Gegend aus Hunderten zuckerhutförmigen, meist bewachsenen Karstbergen von bis zu fünfhundert Metern Höhe, die reich an Höhlen, Grotten und bizarren Tropfsteinformationen waren, Tag wie Nacht überstrahlt vom gleißenden Funkeln der blauweißen, reich facettierten Säule des riesigen Kristalls…
1. 1139. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 33. Prago des Tedar, im Jahre 10.497 da Ark. Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Neun Pragos nach Arkon-Zeitmaß sind seit Atlans und Tirako Gamnos Vorstoß nach Trumschvaar, der Welt von Sofgarts Kralasenen, vergangen. Wie von mir erwartet, war Atlan nicht bereit gewesen, Farnathia Declanter, die fast 16jährige Tochter des Tatos von Gortavor – seit dem 27. Prago der Coroma 10.496 da Ark in den Händen des Blinden Sofgart –, der zwar logisch fundierten, jedoch zutiefst brutalen Erwägung der »Staatsräson« zu opfern. Wie schon an anderer Stelle dargestellt, konnte mein Ziehsohn zu Recht darauf verweisen, daß dem Chef der Kralasenen mit ihr eine Geisel zur Verfügung steht, deren Schicksal ihm persönlich am Herzen liegt und ihn letztlich erpreßbar macht. Nachdem es uns gelungen war, den »schlafenden Stützpunkt« von Kraumon in Betrieb zu nehmen, die dort vorgefundenen Probleme ebenso zu überwinden wie die unerwartete Ankunft des Kopfjägers und Tiermeisters Corpkor zu überstehen, folgte am 22. Prago des Tedar 10.497 da Ark der Vorstoß mit dem Leichten Kreuzer POLVPRON zum 11.294 Lichtjahre von Kraumon entfernten Planeten Trumschvaar. Neben dem Versuch zur Befreiung Farnathias bot sich diese Welt schon deshalb an, weil ein Schlag gegen Sofgart auch Orbanaschol treffen würde, vor allem dann, wenn es gelang, zumindest einen Teil der Söldnertruppe auszuschalten. Persönlich hätte ich es zwar lieber gesehen, wäre Atlan auf andere Weise vorgegangen – aber gegen die bekannte Gonozal-Sturheit kommt ein alter Mann wie ich auf Dauer
doch nicht an. Zum Glück nahm Atlan meinen Vorschlag an und stimmte der Begleitung Tirako Gamnos zu. Planmäßig wurde das Beiboot mit den beiden abgesetzt; ihre Maske war die zweier Mannschaftsmitglieder des Frachters HEKUAH, die angeblich die Langeweile an Bord satt hatten. Sämtliche Daten der Legenden würden einer Überprüfung standhalten, dafür hatte ich gesorgt. Sollte jemand auf Trumschvaar auf den Gedanken kommen, sich bei der Zentralkartei von Arkon zu erkundigen, würde er erfahren, daß Satago Werbot und Sonper Tesslet Dienst auf der HEKUAH taten und daß dieses Schiff in unregelmäßigen Abständen den Raumsektor durchkreuzt, zu dem das Trumsch-System gehört. Er wird wegen eines regelmäßig pulsierenden Sterns als Orientierungspunkt genutzt. Darauf beruhte unser Plan: Während Atlan und Tirako unterwegs waren, nahmen wir eine Transition vor, um dann zu versuchen, den nächsten Sprung von dem eines Schiffes überlagern zu lassen, das in die Nähe des Trumsch-Systems kam. Das Vorhaben gelang erst nach 17 Tontas; alle entbehrlichen Energiesysteme wurden ausgeschaltet, als wir auf Lauschposition gingen. Aus den abgehörten Hyperfunksendungen erfuhren wir vom Angriff der Maahks und der Ankunft von Sofgarts Flaggschiff CELIS. Mit drei Transitionen, deren Auswertung uns gelang, erreichte die CELIS am 25. Prago des Tedar ein 4658 Lichtjahre von Trumschvaar entferntes Sonnensystem, bei dem es sich um das von Sofgarts Folterwelt handelt. Endgültige Beweise gab es zwar nicht, aber ich hielt es für sehr wahrscheinlich, daß es Atlan und Tirako gelungen war, sich an Bord zu begeben. Um sicherzugehen, nahm die POLVPRON eine Position zwischen den beiden Systemen ein. Wir mußten bis zum 33. Prago des Tedar warten, bis der Start eines kleinen Kurierschiffes angemessen wurde. Beschleunigungswerte und die eindeutig als »blinder Sprung« einzustufende erste Transition bestärkten mich in der Hoffnung, daß es sich um Atlan handeln mußte; leider gelang es uns nicht mit ausreichender Exaktheit, den Wiederverstofflichungspunkt zu
bestimmen – und ein Hyperkomsignal auf der vereinbarten Frequenz blieb bislang aus. Keine der zehn von uns ausgesetzten Funkbojen, deren Position Atlan kennt, sprach an… Sprung ins Ungewisse: 34. Prago des Tedar 10.497 da Ark Die Krise kam nach der vierten Transition: Die FARNATHIA, wie ich das kleine Kurierraumschiff getauft hatte, materialisierte in einem Teil des Weltraums, der mir völlig unbekannt war. Während die Schockschmerzen des Sprungs verebbten und ich mich noch zu orientieren versuchte, beugte sich Bronton Deflar vor und legte mir die Hand auf die Schulter. »Wo sind wir?« Meine Augen brannten, während mein Extrasinn kühl behauptete: Fehlsprung! In den Kontursesseln regten sich die anderen Männer und starrten verschlafen umher. Ich antwortete nicht. Was hätte ich sagen sollen? Ich wußte ebensowenig wie Deflar, wo wir uns genau befanden. Vor allem sehnte ich mich nach Ablösung. Fast fünfundzwanzig Tontas waren seit unserer Flucht von Ganberaan und der ersten blinden Transition vergangen. Nach der Rematerialisation hatte die nicht eben leichte Positionsbestimmung begonnen, die sich über Tontas hinzog und im Ergebnis dennoch vage blieb. Gleich mehrere Probleme waren zusammengekommen: Erstens war uns die genaue Position der Folterwelt des Blinden Sofgart nicht bekannt; fest stand nur, daß das System am Rand des ellipsoiden »Bauchs aus Sternen« zu finden war, der das eigentliche galaktische Zentrum in einem Radius von etwa 10.000 Lichtjahren umgab. Zweitens ließ sich zwar aus dem Energieverbrauch des Blindsprungs grob die zurückgelegte Distanz von etwa achthundert Lichtjahren ermitteln, nicht jedoch die exakte Richtung. Drittens war das
von mir zur Flucht ausgewählte Kurierschiff zwar trotz seiner geringen Größe auf Leistung ausgelegt, es zeigte jedoch Schwächen im Bereich von Ortung, Tastung und der normaloptisch-astronomischen Sensorik, so daß das Auffinden und Anpeilen von markanten Leuchtsternen auf größere Distanz nahezu nicht möglich war. Unter dem Strich – ihr wißt nicht, wo ihr seid! hatte mein Logiksektor säuerlich bemerkt. Ein Kurierschiff fliegt normalerweise nur auf Routen mit bekannten Transitionspunkten; es ist kein Forschungsraumer für den Vorstoß ins Unbekannte. Die Positronik bewertete die Wahrscheinlichkeit, daß eine in mehreren tausend Lichtjahren Distanz angemessene blauweiße Sonne mit dem Leuchtstern Mhalloy identisch war, nur auf knapp sechzig Prozent. Laut Kartentank war Mhalloy ein Gigant von 22 Millionen Kilometern Durchmesser, eine gewaltige Plasmakugel mit 15.000 Grad heißer Oberfläche und charakteristischer Hyper-Strahlung, die sich 2385 Lichtjahre oberhalb der Hauptebene der Debara Hamtar befand. Um genauere Daten zu erhalten, hatten wir uns zu einer zweiten Transition über fünfhundert Lichtjahre entschlossen. Sie hatte uns in einen Teilchenorkan im äußeren Drittel eines planetaren Nebels versetzt, der unseren Prallschirm aufzureißen drohte. Eine dritte, abermals blinde Transition war erforderlich gewesen, kaum daß die Speicherbänke des Strukturfeld-Konverters die benötigte Energie bereitgestellt hatten. Und abermals hatten wir versucht, unsere Position zu bestimmen. Lord Correson, Tonven Debaaner und Probis Tobanoschol schliefen schließlich ein. Farnathia versuchte wach zubleiben. Sie bemühte sich in rührender Weise um mich, aber dann hielt auch sie sich nicht mehr auf den Beinen. Die Anstrengungen der letzten Pragos waren zu groß gewesen. Nur Bronton Deflar schien keine Müdigkeit zu kennen. Der Sohn eines
Edelsteinhändlers hockte schweigend hinter mir und beobachtete mich, während ich die vierte Transition berechnen ließ und dann einleitete, in der Hoffnung, unter Einbezug der schon ermittelten Daten endlich eine brauchbare Dreieckspeilung durchführen zu können. »Ich will wissen, wohin Sie uns gebracht haben«, sagte er mit einer Stimme, die mich mißtrauisch werden ließ. Fehlsprung! wiederholte der Logiksektor scharf und wies mich mit einem weiteren Impuls auf irreal erscheinende Meßwerte hin, die die Bildflächen füllten. »Haben Sie Geduld«, bat ich, von der Feststellung meiner inneren Stimme aufgeschreckt. »Ich kann Ihnen noch nichts sagen.« Er rüttelte an meiner Schulter, so daß ich herumfuhr und seine Hand zurückstieß. »Dann sehen Sie sich die Ortungsschirme an, Mann!« rief er. Ich hatte es längst getan. Der Weltraum war nicht mehr klar zu erkennen. Die Sterne wirkten verwischt, als liege ein fettiger Film sowohl über den Außensensoren als auch über der Panzertroplonkuppel des Raumers. Das All bot nicht das gewohnte Bild, sondern hatte eine eigentümlich rötliche Farbe angenommen und war von riesigen Schlieren durchzogen. Niemals zuvor hatte ich etwas Derartiges gesehen und blinzelte müde. Mein Logiksektor stellte mit eiskalter Sachlichkeit fest: Diese seltsame Erscheinung hat nichts mit dir und deiner Müdigkeit zu tun. Deflars Verhalten machte mir mit erschreckender Deutlichkeit bewußt, welch ein psychisch instabiles Gebilde unsere kleine Gruppe darstellte. Sie war in keiner Weise den Gefahren gewachsen, der wir mit geringer Geschwindigkeit entgegenflogen. Vom Prallschirm wurde Mikromaterie abgewehrt, deren Dichte uns weiter abbremste. Viel zu spät begriff ich, daß ich mich in Deflar gründlich
getäuscht hatte. Etwas stimmte mit ihm nicht. Ein zunächst unbewußter Eindruck wurde zur Gewißheit: Dieser Mann ist alles andere als mutig und verläßlich. Ein Feigling – und deshalb gefährlich. Seine aufrechte Haltung, die anfangs einen gewissen Eindruck auf mich gemacht hatte, ließ zusehends nach. Zunächst waren wir alle froh gewesen, daß es uns gelungen war, von der Welt des Grauens zu fliehen. Ich hatte nur Augen für Farnathia, der deutlich anzusehen war, daß sie den Psycho-Bann Sofgarts überwunden hatte. Fehler! rief der Extrasinn. Bronton Deflar handelte, bevor ich ihn daran hindern konnte. Er zerrte die anderen hoch und schrie sie an: »Seht euch an, was er mit uns macht! Wacht doch auf!« Ich drehte mich zu ihm herum, packte ihn an der Schulter und schleuderte ihn in seinen Sessel zurück. Aber es war schon zu spät. Die drei Arkoniden versuchten, sich zu orientieren. »Was ist denn los?« Probis Tobanoschol reagierte ärgerlich und rieb sich den Nacken. »Warum lassen Sie uns nicht schlafen?« Deflar warf sich nach vorn und schlug mit den Fausten auf mich ein. »Ihr Narren!« brüllte er. »Ihr glaubtet, von der Folterwelt entkommen zu sein, aber jetzt geht es erst richtig los. Seht euch doch nur um!« Er war wie von Sinnen. Jetzt begriff ich, was mit ihm los war: Er glaubte, von dem Blinden Sofgart und mir getäuscht worden zu sein, war unfähig, klar zu denken. Den anderen aber erging es kaum anders. Nur Farnathia wußte, daß sie mir bedingungslos vertrauen durfte. Tonven Debaaner und Probis Tobanoschol ließen mich nicht zu Wort kommen. Sie stürzten sich auf mich und entwaffneten mich. »Nein!« schrie Farnathia entsetzt, als sie sah, daß Tobanoschol den T-15-Strahler auf mich richtete. »Das dürfen Sie nicht tun!«
Ich blickte in Augen, in denen sich die nackte Panik spiegelte. Inzwischen schrillten Warnsignale der Instrumente. Die Männer wußten nicht mehr, was sie taten. Nur Lord Correson packte plötzlich entschlossen zu: Mit einem Griff entwand er Tobanoschol die Strahlwaffe und wich bis an die Rückwand der kleinen Zentrale zurück. Unwillkürlich atmete ich auf, obwohl ich wußte, daß die Gefahr weiterhin bestand. Je mehr Zeit wir mit unnützen Streitereien verschwenden, desto tiefer fliegen wir in die Gefahrenzone hinein. »Lassen Sie den Unsinn! Glauben Sie wirklich, der Blinde Sofgart würde derartige Anstrengungen unternehmen, um so relativ unwichtige Männer wie Sie auf ganz besondere Weise zu foltern? Das hätte er auch auf seiner Welt haben können.« Ich legte eine Pause ein. Die Männer starrten mich an. In ihren Augen veränderte sich nichts, ich hätte auch gegen eine Wand reden können. Nur Lord Correson machte einen vernünftigen Eindruck; er war ein erklärter Gegner des OrbanascholRegimes und hatte mir gesagt, daß er den Imperator haßte. »Versuchen Sie, klar zu denken! Ich habe nichts mit dem Blinden Sofgart zu tun. Also reißen Sie sich zusammen!« »Sie haben es gehört, meine Herren«, sagte Correson mit schleppender Stimme. »Setzen Sie sich bitte und stören Sie uns nicht.« »Sie sehen doch, wohin er das Schiff geführt hat!« kreischte Deflar. »Er bringt uns alle um!« Er vergißt, daß ich mich selbst ja ebenfalls an Bord befinde, dachte ich. Wieder warf er sich auf mich: Er mißachtete Corresons Waffe und versuchte mich an der Kehle zu packen. Jetzt nahm ich keine Rücksicht mehr, zumal ich wußte, daß ich mit Worten nichts erreichen würde. Meine gestreckten Finger trafen dicht unter dem rechten Ohr das richtige Nervenbündel, und Deflar sank mir seufzend in die Arme. Ich schob den Bewußtlosen auf seinen Sitz zurück. »Bleiben Sie
jetzt ruhig.« Ich nickte Correson zu und setzte mich wieder hinter die Instrumente. Rasch orientierte ich mich, und dann mußte ich selbst mit der aufsteigenden Panik kämpfen. Die Geräte zeigten absolut unsinnige und widersprüchliche Werte an; starke Strukturerschütterungen des Raum-Zeit-Gefüges wiesen darauf hin, daß ein Hypersturm heraufzog. Eine vage Ahnung stahl sich durch meine Gedanken, vermittelte mir einen Eindruck, was die Verfärbung des Alls und die Schlieren zu bedeuten hatten. Das Risiko, bei Transitionssprüngen in einem derartigen Gefahrenherd zu landen, ist angesichts der Weite der Galaxis eigentlich denkbar gering, dachte ich. Wir haben Pech gehabt, oder das Transitionstriebwerk unseres Kleinstraumschiffes ist durch die Hyperstürme beeinflußt worden, so daß wir von den hyperenergetischen Wirbeln förmlich angesaugt wurden. Die Sichtverhältnisse wurden ebenso wie die Ortungsdaten immer schlechter. Dennoch glaubte ich, die Ballung kosmischen Staubes und übergeordneter Energie sehen zu können, in der vermutlich schon zahllose Raumschiffe oder sogar ganze Flottenverbände verschwunden waren. Ich bemühte mich, das torpedoförmige, mit Deltaflügeln ausgestattete Kleinstraumschiff unter Kontrolle zu bringen. Leider reagierte das Heckimpulstriebwerk nur stotternd; ich bekam das Schiff nicht in den Griff, weil es meinen Befehlen nicht so gehorchte. Starke, von außen beeinflußte Fluktuationen der Abschirmfelder des Impulskonverters… durchfuhr es mich. Die mehrstufige Verdichtung Gleichrichtung und »Strukturumformung« zum eigentlichen Impulsstrahl ist gestört… Stützmasse wirkt beim Kontakt mit dem Hyperfeld kaum noch katalytisch… Auch keine Stabilisierung des Effekts durch eine »fettere Mischung«, sprich zusätzliche Stützmasse…
Debaaner kam zu mir. »Versuchen Sie eine weitere Transition. Vielleicht können wir damit entkommen.« Ich blickte ihn an. Sein Gesicht war schweißüberströmt. Angst? »Das Triebwerk beschleunigt nicht. Wir haben nicht genügend Geschwindigkeit für eine Transition. Außerdem müssen wir damit rechnen, daß wir bei den hier herrschenden Verhältnissen im Hyperraum verschwinden – ohne die Chance für eine Rückkehr.« »Er hat recht«, stimmte Correson zu und wies auf die Orteranzeige mit der Positroniksimulation ausgedehnter hyperenergetischer Wirbel. »Hier könnte es uns sogar ohne Transitionstriebwerk in den Hyperraum reißen!« Wieder und wieder ließ ich meine Finger über die Tasten und Berührungssensoren gleiten, aber der Erfolg blieb aus. Das Schiff löste sich nicht aus seiner Bahn, es gab keine Reaktion bei der energetischen Schubumkehr. Also versuchte ich, die FARNATHIA mit den kleinen Manöverdüsen herumzuschwenken und das Heck in Flugrichtung zu drehen. Auch hier keine Reaktion… Jetzt verlor Tobanoschol die Beherrschung. Er sprang auf, stieß Correson brutal zur Seite und rannte durch den kurzen Korridor zur Schleuse. »Ich will raus!« Idiot! Überhastet wollte er das Schleusenschott öffnen, aber Correson war sofort bei ihm und packte ihn. Mit leichten Schlägen auf die Wangen brachte er ihn zur Vernunft. »Draußen haben Sie noch weniger Chancen.« »Vielleicht ist der Gedanke gar nicht einmal so abwegig.« Ich erhob mich von meinem Sitz, weil es sinnlos geworden war, noch länger an den Schaltungen herumzuhantieren. Der Logiksektor sagte: Die Störeinflüsse werden immer stärker; viel Zeit zu handeln bleibt euch nicht. »Was willst du damit sagen?« Famathia kam zu mir, blickte
mich ängstlich an. Ich legte ihr den Arm um die Schultern und spürte, daß sie etwas ruhiger wurde. »Wir müssen das Schiff herumschwenken und das Triebwerk auf das Zentrum der Barriere richten, weil die Schubumkehr nicht reagiert«, sagte ich. »Vielleicht schaffen wir es dann doch noch, uns aus den Wirbeln zu lösen.« »Wie?« fragte Correson. »Mit Hilfe der Rückstoßaggregate der Schutzanzüge.« »Mit einem Gerät allein schaffen Sie das auf gar keinen Fall. Die Schubleistung reicht nicht aus.« »Das ist mir klar. Ich müßte mehrere Aggregate zusammenschalten. Der Schub könnte dann genügen.« »Das könnte Ihnen so passen…« Bronton Deflar war wieder zu sich gekommen. »Sie wollen sich absetzen und dafür unsere Notausrüstung benutzen. Dann haben wir überhaupt keine Chance mehr.« »Reden Sie keinen Unsinn!« entgegnete ich ruhig. Deflar kam auf mich zu. Seine Hände zitterten, und seine Augen waren dunkelrot vor Angst. »Er hat uns nicht mitgenommen, um uns von der Folterwelt zu retten«, schrie er die anderen an und mußte sich an die Rückenlehne eines Sitzes klammern, weil das Schiff heftig erschüttert wurde. Die Andruckneutralisatoren konnten die plötzlich stark schwankenden Werte nicht mehr voll ausgleichen oder waren selbst von den hyperenergetischen Störungen betroffen. »Er mußte uns mitnehmen, weil er allein nicht hätte fliehen können.« Seine Stimme überschlug sich. »Was mit uns geschieht, ist ihm völlig egal. Und jetzt handelt er genauso. Er will aussteigen und uns hier zurücklassen!« Ich spürte, daß Debaaner und Tobanoschol unruhig und unsicher wurden. Auf Correson konnte ich mich offenbar weiterhin verlassen. Der Mann machte einen ausgesprochen beherrschten Eindruck. »Sie können es betrachten, wie Sie
wollen«, sagte er. »Wir haben nur diese Chance. Natürlich können Sie auch selbst nach draußen gehen, Deflar. Ihnen kann nicht viel passieren, sofern Sie sich geschickt anstellen.« Deflar erstarrte. »Ich gehe nicht nach draußen. Ich bin kein Selbstmörder. Atlan kann die Arbeit ruhig übernehmen, aber ich stelle ihm kein Fluggerät zur Verfügung. Das brauche ich vielleicht selbst noch.« »Ich schlage vor, daß die Herren abstimmen.« Ich konnte ein müdes Lächeln nicht unterdrücken. »Vielleicht werden Sie sich dann einig. Ich nehme an, Farnathia, du hast nichts gegen meinen Plan einzuwenden?« »Natürlich nicht.« Die anderen Männer beachteten den Feigling nicht mehr. Wortlos öffneten sie die Ausrüstungsschränke und nahmen die Schutzanzüge hervor. Ich legte einen an, und die anderen klemmten die Rückstoßaggregate ab. Correson übernahm es, sie zusammenzuschalten, so daß ich sie alle zünden und steuern konnte; eine Haftplatte mußte zum Fixieren am Schiff ausreichen. Deflar kauerte in einem Sessel und schwieg. Mit leeren Augen blickte er auf die Instrumente und die Bildschirme, auf denen jetzt kaum noch etwas zu erkennen war. Wir hatten nicht mehr viel Zeit und arbeiteten in fieberhafter Eile. Endlich war es soweit. Correson begleitete mich in einem Schutzanzug in die Schleuse und klinkte den Karabinerhaken der Sicherheitsleine an meinen Gürtel. Voller Spannung warteten wir, daß sich das Außenschott öffnete. Der Weltraum sah bräunlichrot und verwaschen aus. Sterne konnte ich nicht mehr erkennen. Ich hatte vielmehr das Gefühl, in die von Orkanen aufgewühlte Atmosphäre eines Methanplaneten zu sehen. Eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. Dann brach plötzlich wieder das Licht einiger Sterne durch das Chaos.
»Sie müssen raus!« Corresons Stimme dröhnte in den Helmlautsprechern. Ich gab ihm ein Zeichen und stieß mich aus der Schleuse ab. Kaum hatte ich den Bereich der künstlichen Schwerkraft verlassen, packte mich eine unsichtbare Faust und zerrte mich von dem Raumschiff weg. Ich erwischte eben noch einen Haltebügel an der Außenhaut und hielt mich mit aller Kraft fest. Dabei hatte ich einige Mühe, meinen Schock zu überwinden. Hier gab es nichts, was mich hätte wegreißen können. Wir befanden uns nicht innerhalb einer Atmosphäre, sondern im Weltraum. Was ist das Unsichtbare, das an mir zerrt? Ich zwang mich, es zu ignorieren. Sicher gab es eine Erklärung für das Phänomen, aber ich mußte sie nicht unbedingt jetzt finden; ich hatte eine viel wichtigere Aufgabe zu erledigen. Als ich zurückblickte, erkannte ich Lord Correson, der mich beobachtete. Die Sicherheitsleine schwang als sichelförmige Linie von der Schleuse zu mir. Eigentlich hätte sie schlaff und lose sein müssen. Sie spannte sich so sehr, daß ich mich kaum halten konnte. Ehe Correson es verhindern konnte, flog das ganze Leinenbündel, das sich noch in der Schleuse befand, hinaus. Sofort straffte sich die Verbindungsschnur, bildete einen Halbkreis und zog noch mehr an mir. »Ich kann mich nicht mehr halten. Die Leine reißt mich weg.« »Ich werde sie kappen.« »Nein!« Aber es war schon zu spät. Sein Thermostrahler blitzte auf. Für Augenblicke fühlte ich mich frei. Dann schien etwas an mir zu saugen – es gelang mir, den Karabinerhaken der Leine zu lösen, die sofort in den bräunlichen Wirbeln verschwand. Überaus vorsichtig kletterte ich weiter. Jetzt konnte ich es mir noch viel weniger als vorher leisten, meinen Halt loszulassen. Mühsam erreichte ich das Heck des vierzig Meter langen Kurierschiffes. Zu meinem Erstaunen konnte ich
Correson immer noch in der Schleuse sehen: Er hob sich deutlich gegen den Deltaflügel ab, der vor der Kammer aus dem Schiffskörper entsprang, sah aber merkwürdig verzerrt aus, und der Deltaflügel wies ebenso wie der torpedoförmige, fünf Meter durchmessende Rumpf einen deutlichen Knick auf. Ich wußte, daß er nicht tatsächlich beschädigt war, sondern ich nur einer optischen Täuschung unterlag. Es gelang mir, die Rückstoßaggregate an der Schiffszelle zu positionieren, und ich zündete sie probeweise zum ersten Mal. Der Effekt war so, wie ich es vorausberechnet hatte. Das Heck folgte dem Schub. Correson winkte mir begeistert zu. Sein Arm schien mächtig anzuwachsen, wurde fast so lang wie der Flügel des Schiffes. Da wußte ich, daß ich nichts von dem als wahr akzeptieren durfte, was ich sah. Ich befinde mich in einer unwirklichen Welt. Ich zündete erneut, und abermals wurde das Heck bewegt. Stimmt das aber wirklich? Oder täusche ich mich? Irgend etwas traf mich an der Hüfte. Ich zuckte zusammen. Der Schmerz betäubte mich fast. Unwillkürlich griff ich mit meiner linken Hand zum Gürtel. Correson schrie mir eine Warnung zu: »Nicht loslassen, Atlan!« Ich hörte seine Wort nur aus weiter Ferne, ohne wirklich zu begreifen, was er meinte. Wieder packte mich etwas Unsichtbares. Es zerrte und riß mit einer Kraft an mir, der ich einfach nicht mehr gewachsen war. Ich sah, wie sich meine Hand öffnete, wie sich meine Finger von dem Haltebügel am Schiff lösten… »Atlan – festhalten!« Es war zu spät. Plötzlich war ich weit von dem kleinen Raumschiff mit den Deltaflügeln entfernt – oder es war auf eine Größe von nur einigen Handlängen zusammengeschrumpft. Ich wußte es nicht. All das schien mich überhaupt nichts mehr anzugehen. In meinen Ohren
dröhnte die Stimme von Correson, aber ich verstand ihn nicht, auch nicht das, was der Logiksektor flüsterte. Seltsamerweise interessierte mich auch nicht mehr wirklich, was sie sagten. Plötzlich ahnte ich, daß meine zunächst vage Vermutung Gewißheit war. Die Sogmanton-Barriere hat mich im Griff. Ich werde zum hilflosen Spielball hyperenergetischer Kräfte, die nicht nur die technischen Einrichtungen des Schiffes und meines Raumanzugs beeinflussen, sondern auch meinen Verstand. Harte hochfrequente Hyperstrahlung? Nur mit Mühe gelang es mir, noch klar zu denken – bis ich die Stimme von Farnathia vernahm! Sie rüttelte mich auf. Plötzlich sah ich ihre hellroten Augen und ihr schulterlanges Silberhaar greifbar nahe vor mir. Ihre Lippen schienen mich direkt anzusprechen. »Ich kann dich hören, Farnathia«, sagte ich keuchend. »Ich versuche zurückzukommen.« Ich zündete das Fluggerät meines Anzugs und gab Vollschub. Das Raumschiff wurde größer. Ich näherte mich ihm sehr schnell – glaubte ich, bis es plötzlich verschwand. Betroffen drehte ich mich um mich selbst und suchte, aber ich fand es nicht wieder. »Farnathia? Wo seid ihr?« »Du bist von uns weggeflogen!« Ich warf mich herum und versuchte es in der entgegengesetzten Richtung. Für Augenblicke veränderte sich nichts, während ich durch unwirkliche Schleier aus leuchtender Energie hindurchflog, bis ich die Stimme von Correson hörte: »Sie fliegen an uns vorbei, Atlan. Blicken Sie nach rechts.« Ich folgte seinem Rat, sah jedoch nichts. Daraufhin wandte ich mich zur anderen Seite, und jetzt entdeckte ich das kleine Raumschiff mit den Deltaflügeln. Abermals die falsche Richtung? Der Schub hätte mich von dem Raumer wegführen müssen.
Tatsächlich brachte er mich näher an ihn heran. Lord Correson und Farnathia standen in der Schleuse, streckten mir die Arme entgegen. Je näher ich jedoch kam, desto geringer wurde die Schubleistung. Ihre Gesichter waren durch die transparenten Helme hindurch deutlich zu erkennen. Ich sah Farnathias angstvoll geweitete Augen. »Die Aggregate funktionieren nicht richtig; ich schaffe es nicht.« »Beschleunigen Sie stärker!« riet mir Correson. »Mehr geht nicht.« Ich streckte ebenfalls meine Arme aus. Langsam kamen die beiden näher; viel zu langsam. Dann trennte mich nur noch eine Armlänge. Etwas blitzte plötzlich grell auf. Mir war, als explodiere der gesamte Raumsektor. Etwas traf mich. Geblendet schloß ich die Augen, aber nur für einen Moment, denn ich merkte, daß ich beschleunigt wurde, hatte den Eindruck, in einem Raumschiff ohne Andruckneutralisatoren zu sein. Die Luft blieb mir weg. Dann war die blendende Helligkeit verschwunden, ebenso Lord Correson und Farnathia. Auch der kleine Raumer war nicht mehr da. Ich befand mich irgendwo in den Ausläufern der Wolke und wurde von tobenden Energiewirbeln wie ein Spielzeug herumgeschleudert. Die Sogmanton-Barriere! Sie muß es sein! Deshalb die verrückten Instrumentenanzeigen. Die nach ihrem Entdecker benannte Barriere ist für ihre Hyperstürme bekannt. Für Bruchteile von Millitontas tauchte unmittelbar neben mir ein Raumschiff auf. Es mußte wenigstens zweihundert Meter lang sein und sah torpedoförmig aus, hatte Deltaflügel… Bevor ich mich aber melden konnte, war es schon wieder verschwunden. Ich wußte nicht, ob ich geträumt hatte oder ob es wirklich vorhanden gewesen war. Vermutlich litt mein Verstand unter der übergeordneten Energie so stark, daß er mir Bilder vorgaukelte, die mit der Realität nichts zu tun
hatten. Irgendwann verlor ich in Bewußtsein, und ich sank ins Dunkel.
diesem
Chaos
das
Vision? Traum? Alptraum? Für unbestimmte Zeit treibe ich durch farbige Schlieren, hinter denen sich vereinzelt der Blick in eine bizarre Landschaft auftut: Nebelschwaden wabern über dem Boden einer kargen Welt; kristallines Glitzern dringt aus der Ferne heran. Schrilles Kreischen ist zu hören, gellt plötzlich auf, wird von tierischem Knurren und Fauchen überlagert. Schattenhafte Gestalten huschten vorüber, hinterlassen – obwohl nie genau erkannt – den Eindruck furchterregender Bestien und Ungeheuer. Sphärische Klänge eines Saiteninstruments mischen sich mit melodischem Klingen und machtvollen Gongschlägen. Ferne Musik erklingt: Tai Arbaraith – Chor der Bestien. Durch das Klirren aufeinanderprallender Schwerter dringt keuchender Atem, gefolgt von halblautem Murmeln einer Litanei. Kanth-Yrrh – Kanth-Yrrh… Ein unnatürlich wirkendes goldenes Leuchten breitet sich im Zentrum eines von funkelnden Säulen bestimmten Kreises aus, überwölbt die Szenerie, in der Personen nur als Silhouetten erkennbar sind und sich angreifenden Schemen entgegenstemmen. Schreie gellen, Waffen prallen aufeinander. Modriger Gestank reizt zum Würgen; der Gestank von Tod und Verderben! Strahlenumloht erhebt sich ein Schwertkämpfer, stemmt sich vierarmigen schwarzen Bestien entgegen, wird von ihnen fast überrannt, schafft es, sich aufzuraffen, widersteht einem zweiten und auch dem dritten Ansturm. Zeitlupenhaft spritzen rote Tropfen; einer erreicht den staubigen Boden, läßt eine kronenförmige Struktur rings um den Krater emporsteigen. Und wieder Schreie, lauter, entsetzt. Die goldene Lohe gewinnt an Intensität. Ebenso das Klingen, Klirren, Singen und Läuten. Ohrenbetäubender Lärm wächst zu einer erschütternden Kulisse, bis ein blendender Lichtblitz alles auslöscht…
Als ich wieder zu mir kam, hatte sich nichts verändert. Ich schien inmitten einer gigantischen Materiewolke zu schweben, die von einem unbegreiflichen Durcheinander verschiedener Ströme aufgequirlt wurde. Hin und wieder wurde ich von diesen Kräften erfaßt und mitgerissen, bis ich in Wirbel oder Strudel geriet, die mich abfingen und herumschleuderten. Ich wußte nicht, was ich tun sollte, war verzweifelt und suchte immer wieder nach der FARNATHIA. Sie war meine einzige Hoffnung, obwohl ich mir sagen mußte, daß auch sie in diesem Mahlstrom verloren war. Der Raumer konnte sich ebensowenig orientieren wie ich. Ich zwang mich zur Ruhe. Noch lebte ich – offensichtlich war die Gefahr innerhalb der Sogmanton-Barriere doch nicht ganz so groß, wie ich ursprünglich angenommen hatte. Correson hatte befürchtet, daß wir entmaterialisiert und in den Hyperraum geschleudert werden könnten. Aber so schnell kam der Tod nicht, obwohl etwas mit mir geschah und mich von Atemzug zu Atemzug schwächer werden ließ, mir förmlich die Lebenskraft auszusaugen schien. Hyperstrahlung? Plötzlich tauchte die FARNATHIA wieder vor mir auf. Sofort beschleunigte ich mit aller Kraft, holte alles aus dem Rückenaggregat heraus, was es leisten konnte. Wiederum konnte ich mich nur optisch orientieren, und ich steuerte auf das Ziel zu. Ich hatte mich nicht geirrt: Die FARNATHIA kam rasend schnell näher. Aber die Schleuse war geschlossen. Das bedeutete, daß sich Correson und Farnathia zurückgezogen hatten. Ich bremste ab und streckte die Arme aus, als die Bordwand greifbar nahe vor mir war. Vor Erleichterung schloß ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich, wie meine Hände in das molekularverdichtete Material der Außenwand
eindrangen. Meine Finger stießen ins Nichts. Im nächsten Moment glaubte ich, die einzelnen Atome der Hülle sehen zu können, war von geordneten Strukturen riesiger Kugeln umgeben, die einander teilweise durchdrangen. Irgend etwas drehte mich sanft herum. Und dann hatte ich den Raumer durchquert, befand mich wieder in den Energie- und Staubwirbeln. Wo war ich gewesen? War ich bereits in übergeordnete Bereiche eingedrungen? Kosmischer Staub prasselte hörbar laut gegen meinen Schutzanzug. Eine akute Gefahr bestand offenbar nicht für mich, wie mir ein Blick auf die Kontrollen zeigte – der Anzug wurde nicht beschädigt. Noch nicht! Vor mir erschien unvermittelt ein Ding in den bräunlichen Schwaden und Schlieren, das aussah wie ein riesiges Ei. Ich blickte hinüber und lächelte bitter. Diesmal werde ich mich auf gar keinen Fall täuschen lassen und erneut Energie verschwenden. Ich war entschlossen, geduldig auf meine Chance zu warten, um dann, wenn sie sich mir bot, alles auf eine Karte zu setzen. Und nur dann! Das Ei ist real! versicherte der Logiksektor. Es bestand auf der einen Seite aus einem schwarzen und auf der anderen aus einem transparenten Material. Sofern ich nicht abermals getäuscht wurde, erreichte es in der Länge etwa sechs und an der breitesten Stelle etwa vier Meter. So etwas wie einen Antrieb konnte ich nicht ausmachen. Das bestärkte mich in der Ansicht, daß es sich hier abermals um eine der optischen Täuschungen handelte. Ich rührte die Schaltungen der Anzugaggregate nicht an, zumal ich ohnehin auf das Ei zutrieb. Stutzig wurde ich, als ich im Innern eine Gestalt im Raumanzug entdeckte. Sie strich mit den Händen über die Oberfläche einer Steuerplatte. Damit kontrollierte sie offenbar das Schiff. Jetzt wurde mir auch klar, daß ich mich nicht
bewegte, sondern daß dieses Ei auf mich zukam. Ich schloß die Augen. Nein. Das ist unmöglich. Falsch! signalisierte mein Logiksektor. Ich blickte wieder hin. Das Ding war nur noch eine Körperlänge von mir entfernt. Ich starrte auf die spiegelnde Wölbung eines Raumanzughelms. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Der Fremde steuerte das Ei um mich herum, als wollte er mich von allen Seiten mustern. Ich winkte, doch er reagierte nicht. Das Ei stoppte seine Bewegung. Die undurchsichtige Wölbung drehte sich mir zu, eine ovale Luke öffnete sich in der Art einer Irisblende. Mit einem vorsichtigen Schub aus dem Rückenaggregat brachte ich mich heran und klammerte mich an einen Haltebügel am Rand der Kammer. Völlig erschöpft kroch ich in die winzige Schleuse. Erst jetzt merkte ich, wieviel Kraft mich mein Aufenthalt im Raum gekostet hatte. Das Schott schloß sich. Ich konnte keine Veränderung feststellen. Der Fremde schien nicht zu beschleunigen. Mir war im Augenblick auch ziemlich egal, was er tat, aber das würde sich natürlich sehr schnell ändern, wenn ich mich ein wenig erholt hatte. Die Innentür glitt auf. Vor mir stand ein großer, breitschultriger Mann, den ich erst als Arkonide erkannte, als er den Raumhelm öffnete, der unter knisternden Geräuschen seine Spannung verlor und als schlaffe Kapuze nach hinten sank. Verblüfft richtete ich mich auf; ich hatte nicht damit gerechnet, hier jemanden aus meinem Volk zu treffen – erst recht nicht jemanden, der mich spöttisch anblickte. Er winkte mir. Als ich den kleinen Kommandoraum erreichte, saß mein Retter wieder auf seinem Platz. Er hantierte an den Schaltungen auf dem Pult vor sich. Der Weltraum sah durch die transparente Wandung völlig klar aus. Sogar die Sterne leuchteten in dem ruhigen und kalten Licht, das ich kannte.
Hat mich der Fremde aus der Sogmanton-Barriere herausgeflogen? So schnell? Laut sagte ich: »Danke!« Er drehte sich um und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. »Es ist ziemlich ungewöhnlich, jemanden in einer solchen Aufmachung hier zu finden. Sind Sie über Bord gesprungen?« »So könnte man es nennen.« Er lächelte unmerklich und nickte mir zu. »Setzen Sie sich, und halten Sie den Mund! Wir sind bald am Ziel.« Ich ließ mich in einen der beiden freien gepolsterten Sitze sinken, weniger, weil er es so wollte, als vielmehr, weil ich mich weiterhin schwach fühlte. »Ich habe eine Bitte: Ganz in der Nähe befindet sich das Raumschiff, das ich verlassen habe. Es ist die FARNATHIA. An Bord sind fünf Arkoniden. Retten Sie sie!« »Später.« Ich fuhr auf. »Wenn Sie nicht sofort handeln, gibt es vielleicht kein Später. Der Antrieb funktioniert nicht. Das Schiff ist hilflos.« »Wie unangenehm für die Besatzung!« »Wer sind Sie?« »Jepson Tropp. Sie sollten wissen, junger Mann, daß ich nicht sehr rücksichtsvoll mit Gesprächspartnern umzugehen pflege, die meinen, mir etwas befehlen zu können.« Ich ging auf ihn zu. »Ich verlange, daß Sie sofort nach meinen Freunden suchen.« »Tun Sie das.« Er reizte mich bis aufs Blut. Ich war nahe daran, die Beherrschung zu verlieren; Sorge und Angst bestimmten mein Denken. Farnathia! »Ich habe kein Verständnis für Ihre Haltung, Tropp, und ich werde auch nicht zulassen, daß Sie weiterfliegen, ohne…« »Werden Sie nicht?« Er grinste breit – und richtete den Paralysator auf mich.
Jepson Tropp blickte mich zynisch grinsend an, als ich nach unbestimmter Zeit wieder zu mir kam. »Das genügt hoffentlich.« Er reichte mir ein Glas mit einer rötlichen Flüssigkeit. Ich nahm es und trank es mit kleinen Schlucken aus. Ich war wie ausgedörrt. »Sie glauben doch nicht wirklich, daß ich aufgebe?« Er nickte gelassen. »Doch. Ich werde Sie nämlich ohne Raumanzug über Bord werfen, sollten Sie mich anzugreifen versuchen. Verstanden?« Erst jetzt fiel mir auf, daß er mir den Raumanzug ausgezogen hatte. »Warum wollen Sie die anderen nicht retten?« »Sie interessieren mich nicht.« »Sie sind ein Lump.« »Danke. Ich fühle mich geehrt.« Er wandte sich ab und setzte sich wieder hinter die Kontrollen. Ich richtete mich auf und hatte Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken. Mein ganzer Körper schmerzte. Die Paralyse wirkte nach. Er braucht nicht zu merken, wie elend und schwach ich mich fühle. Meine Knie zitterten, so daß ich fürchtete zusammenzubrechen. »Was ist das für ein Ding? Wie funktioniert es? Wie können Sie damit in der SogmantonBarriere fliegen? Das ist doch die Sogmanton-Barriere?« »Ja. Das Ei – wir nennen es Zaradhoum – kämpft nicht gegen die hyperenergetischen Ströme, sondern paßt sich ihnen an und bedient sich ihrer«, sagte Tropp überheblich. »Auf diese Weise wird es zum Kinderspiel, hier zu fliegen.« Er übertreibt! meldete sich skeptisch der Logiksektor. Selbst für ein Zaradhoum-Staubei wird die Navigation kein Kinderspiel sein!
»Die FARNATHIA hat keine Möglichkeit, sich den Strömen anzupassen«, sagte ich, um ihn daran zu erinnern, was ich von ihm erwartete, doch er ging nicht darauf ein. Er deutete nur schweigend durch die transparente Kuppel nach vorn. Wie aus dem Nichts heraus tauchten elf weitere Zaradhoums auf, die jeweils mit einem Mann besetzt waren. »Hat jemand von ihnen meine Freunde gerettet?« Er schüttelte den Kopf. »Die Staubeier hatten andere Aufgaben«, sagte er, als ginge ihn mein Problem überhaupt nichts an. Die merkwürdigen Raumschiffe schlossen sich uns an. Im Verband jagten wir durch das All, immer am Rand der Staubballung entlang, wie ich auf einem der Bildschirme beobachten konnte. »Piraten! Sie sind Aasvögel, die hier an der SogmantonBarriere darauf lauern, daß Raumschiffe verunglücken, um sie dann auszuplündern.« »Ein kluger Junge«, lobte er spöttisch. »Was Sie nicht alles erraten!« Ich lehnte mich zurück und schloß die Augen. Jetzt verstand ich. Jepson Tropp gehörte tatsächlich zu jenen Verbrechern, deren Existenz nie eindeutig bewiesen worden war. Nur selten wagten sich Raumschiffe in diesen Bereich der Galaxis, weil die Gefahren bekannt waren. Häufiger schien es durch Fehlsteuerungen der Transitionstriebwerke zu falschen Raumsprüngen zu kommen. Statt am vorprogrammierten Ziel anzukommen, strandeten die Raumschiffe in der SogmantonBarriere. Und hier warteten Männer wie Tropp auf sie, um Beute zu machen. Deshalb hat Tropp die anderen an Bord der FARNATHIA nicht gerettet. Er hätte dann sechs Fremde an Bord gehabt. Einen Kampf hätte er allein kaum überstanden. Daher hatte er von vornherein auf das Risiko verzichtet. Er konnte ja warten, bis die Besatzung des Kleinraumschiffes tot war. Sollte die
FARNATHIA in den Hyperraum geschleudert werden, hatte er Pech. Blieb sie innerhalb des Mahlstroms, konnte er sie immer noch bergen. So gesehen habe ich unglaubliches Glück gehabt, daß er mich überhaupt aufgefischt hat…
2. Aus: Die Suche nach Arbaraith (fragmentarisch), Sogmanton Agh’-Khaal; Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte 4024daArk … wurde mit dem »Teaultokan« eine Basis am Rand der Barriere geschaffen, von der aus die weitere Erforschung stattfinden soll. Der inzwischen abschnittsweise ausgehöhlte Asteroid von rund tausend Kilometern Durchmesser ist durch die ins Gestein eingelagerten Vorkommen von Luurs-Metall und diversen Hyperkristallen vor allem der violetten Criipas-Sorte mit einem natürlichen Schutz ausgestattet. Während ringsum nahezu ständig Hyperstürme toben, bleibt unsere Station weitgehend davon verschont. Leider können manche Auswirkungen der harten Hyperstrahlung nicht unterbunden werden – wiederholt wurden Spontanmutationen beobachtet; mindestens fünf Arkoniden gelten seither als paranormal begabte Zhygor’ianta. Noch sind die damit verbundenen hyperphysikalischen Gesetzmäßigkeiten unbekannt, und es fragt sich, ob die arkonidische Wissenschaft überhaupt in der Lage ist, sie eindeutig zu bestimmen. Fest steht nur, daß dieser Effekt wirkt und sich vielleicht auch auf andere Weise nutzbar machen läßt. Tai-Laktrote Richmond jedenfalls behauptet, daß die ungeklärte Temperaturkonstanz von Luurs-Metall Zeichen dafür sei, daß dieses exotische Material je nach gegebener äußerer Bedingung auf nicht näher zu erfassende Weise Energie in den Hyperraum abstrahlt oder daraus abzieht. Sollte es uns gelingen, dieses Prinzip in ähnlicher
Form umzusetzen, könnte am Ende die Entwicklung von Fahrzeugen möglich werden, mit denen sich ins Innere der Barriere vordringen läßt… »Wie gefällt Ihnen Richmonds Teaultokan?« »Nicht schlecht«, gab ich widerwillig zu. »Ein interessantes ›Schloß‹.« Der Anblick des Piratennestes überraschte mich. Ich hatte nicht mit einem solchen Gebilde gerechnet. Die Wegelagerer hatten sich auf einem unregelmäßig geformten, grob an eine bauchige Flasche erinnernden Asteroiden niedergelassen, der eine beachtliche Größe erreichte. Überall auf der Oberfläche waren bündelweise Raumschiffe, Raumschiffsteile und Wracks zu erkennen. Offenbar hatten die Piraten sie aneinandergeschweißt, so daß teilweise wahre Berge entstanden waren, die weit in den Raum hinausragten. Tropp merkte mir meine Überraschung an und grinste überheblich. »Einen gewissen Fleiß kann man Ihnen nicht absprechen«, sagte ich. »Es fällt mit der Zeit allerhand an«, gab er zu. »Wir brauchen nur zu warten. Es gehört zwar ein wenig Geduld dazu, aber dafür haben wir fast immer Erfolg. Ständig verunglücken Schiffe in der Barriere; einige scheinen von weit her zu kommen, werden vielleicht von Hyperstürmen versetzt und kommen hier heraus. Wie auch immer…« »… Sie brauchen nur mit Ihren Staubeiern hinzufliegen, um sich zu holen, was Sie haben wollen.« »So ist es.« Ich mußte zugeben, daß ich in gewisser Weise fasziniert war. Unauffällig beobachtete ich ihn, wie er das Zaradhoum lenkte, denn ich wollte so schnell wie möglich begreifen, wie diese seltsamen Schiffe gesteuert wurden.
Er merkte mir an, daß ich nur halb bei der Sache war, und er erriet, womit ich wirklich beschäftigt war. Er lachte. »Geben Sie sich keine Mühe. So schnell werden Sie nicht herausbekommen, wie man ein Staubei behandelt. Es hat schon mehr als ein Gefangener versucht, von hier zu fliehen – bis jetzt ist es noch keinem gelungen.« »Irgendeiner wird irgendwann der erste sein!« murmelte ich und dachte an Sofgarts Folterwelt. Meine Gedanken kreisten um die jüngste Vergangenheit. Ich dachte daran, wie ich nach unsäglichen Strapazen und Gefahren den Blinden Sofgart überlistet und ihn gezwungen hatte, ein Raumschiff für Farnathia, mich und vier ehemalige Gefangene des Söldnerführers zur Verfügung zu stellen. Mit diesem hatten wir Ganberaan verlassen. Wir waren guten Mutes, denn die FARNATHIA erwies sich als kleines, aber sehr gutes Schiff. Schon auf Trumschvaar war mein Freund Tirako gestorben; ein weiteres Opfer auf der immer länger werdenden Liste, die auf Orbanaschols Konto ging. Irgendwann bekommt er sie präsentiert… Optimist! raunte meine innere Stimme und riß mich aus den Gedanken. Das Ei senkte sich, ohne daß Tropp viel tat, zwischen zwei Berge aus Raumschiffsteilen. Zahlreiche Luken waren beleuchtet. Wie von Geisterhand geleitet, schob sich das Staubei an die Schleuse eines Raumers heran, verharrte kurz davor und flog dann hinein. Der Raumer war nach meiner Schätzung etwa zweihundert Meter hoch und glich einer stumpfen Rakete. Die Leit- und Stützflossen waren bis auf unwesentliche Reste entfernt worden. Deutlich konnte ich die Spuren erkennen, die der Staubsturm der Sogmanton-Barriere an der Außenhaut hinterlassen hatte. Sie machten mir erst bewußt, wieviel Glück wir im Unglück gehabt hatten. Bei diesem Gedanken erschrak ich. Wer sagt mir denn, daß die
FARNATHIA nicht gerade jetzt von Gewalten heimgesucht wird, denen sie nicht mehr gewachsen ist? Wer sagt mir, daß der Kurierraumer sich behauptet hat? Vielleicht ist Farnathia schon längst tot. Ich sah ihre zierliche Gestalt vor mir, sah den strahlenden hellroten Blick ihrer Augen, glaubte den Duft ihres silberfarbenen Haars zu riechen. Nein, sie lebt! Sie darf nicht tot sein! »Bringen Sie mich zu Richmond.« Jepson Tropp lachte schallend. »Zu wem? Zu Richmond?« »Sicher«, gab ich kühl zurück. »Zu wem sonst?« Er grinste mich höhnisch an. »Richmond ist längst Vergangenheit, junger Freund. Unser Stützpunkt trägt zwar seinen Namen, aber Richmond existiert nicht mehr – er war ein Zeitgenosse von Sogmanton! Sie wollen den Kommandanten sprechen?« »Kluger Junge.« Er schüttelte den Kopf. »Heute nicht.« Ich wollte ihn packen, doch er fing meine Hand ab und hielt sie mit eisernem Griff fest. Noch war er mir überlegen, weil ich zu erschöpft war. Obwohl ich nicht viel machen konnte, knurrte ich: »Führen Sie mich zu Ihrem Oberpiraten!« Er stieß mich zurück. »Aussteigen!« Ich schleuste aus. Hinter mir schloß sich das Schott des Zaradhoum. Die inneren Tore des großen Schiffes öffneten sich. Jepson Tropp, den ich durch die transparente Wölbung sehen konnte, bedeutete mir mit einer eindeutigen Geste, daß ich mich beeilen sollte. Plötzlich begriff ich: Er wollte starten, und ich war verloren, sofern ich nicht die Schleuse verlassen hatte. Sie würde sich öffnen, die Luft ins All entweichen. Ich rannte an dem Ei vorbei, als ich sah, daß sich die Innenschotthälften zu schließen begannen. Mit einem Satz sprang ich durch den Spalt. Ich schaffte es nur knapp. Kaum war ich auf dem Boden gelandet, schlugen die Tore krachend
zusammen. Die Luft entwich rauschend aus der Schleuse – und ich beschloß, es Tropp irgendwann zurückzuzahlen… Es herrschte ein dämmriges Licht, das von den flackernden Platten an der Decke ausging. Ich stand auf und sah mich um. Ein Gefängnis! Zunächst hatte ich ganz selbstverständlich angenommen, daß mich Piraten erwarten würden. Jetzt erkannte ich, daß ich mich geirrt hatte. Vom Innenschott der Schleuse abgesehen, waren die Wände vom Hashleypilz befallen und mit einer dicken fleckigen Kruste überzogen. Das ebenfalls überwucherte Schott zum Schiffsinneren ließ sich nicht öffnen. Hier ist nur mit einem Desintegrator oder mit einem Thermoschweißgerät weiterzukommen, bestätigte der Extrasinn. Die Schleuse ist ebenso verriegelt wie der Ausgang! Ich setzte mich auf den Boden und überlegte. Auf gar keinen Fall wollte ich untätig warten, bis es irgend jemandem in Richmonds Teaultokan einfiel, mich abzuholen und zu verhören. Ich mußte mich bemühen, so schnell wie möglich Hilfe für die FARNATHIA zu organisieren. Wie aber soll ich dieses Verlies aufbrechen? Ich weiß ja noch nicht einmal, ob in dem Raumschiff überhaupt eine atembare Atmosphäre vorhanden ist. Suchend blickte ich nach oben, aber ich sah ein, daß ich dort nicht weiterkommen würde. Die Decke war zu hoch; ich konnte sie noch nicht einmal mit den Fingerspitzen erreichen. Blieb nur der Boden, da mir die Seitenwände undurchdringlich zu sein schienen. Ich saß auf einem nicht sehr harten, bräunlichroten Material, das an mehreren Stellen Blasen aufwies und unter meinen Fingern zerbröckelte. Der Logiksektor erinnerte mich daran, daß es im Boden einen Zugang für die positronischen Schaltungen und für Versorgungseinrichtungen geben mußte. Kabel- und Rohrleitungen liefen häufig unter den Schleusen zusammen, weil sie hier im Reparaturfall am besten zugänglich waren.
War das hier auch der Fall? Der Raumer war schon sehr alt, aber das Prinzip größter Wirtschaftlichkeit sollte bei ihm verfolgt worden sein. Alles andere wäre unlogisch gewesen. Ich riß den Bodenbelag auf, kam aber nur sehr langsam voran, weil er nur dort weich war, wo er Blasen geworfen hatte. Es gelang mir jedoch, nach einiger Zeit eine grob quadratische Platte herauszutrennen. Darunter zeichneten sich deutlich die Verschlußlinien eines runden Deckels ab. Mühsam kratzte ich das Plastikmaterial aus den Rillen, bis ich endlich die entscheidende Kontaktstelle fand. Es knackte unter mir, die Platte sprang an einer Stelle einige Fingerbreit hoch. Ich griff in den Spalt und klappte sie ganz auf. Darunter lag ein mannshoher Schacht, in dem zahlreiche Kabel- und Rohrverbindungen zusammenliefen. Einige Lampen erhellten ihn. Ich ließ mich mit den Füßen voran hineinsinken und blickte mich um. Es dauerte eine geraume Weile, bis ich das seitliche Zugangsschott entdeckte, weil es hinter ganzen Bündeln von Kabeln verborgen lag. Es war klein und diente dazu, einige hochkomplizierte Schaltungen von der anderen Seite zu erreichen. Bedenkenlos zerstörte ich die positronischen Einrichtungen und Schaltknoten, die mich von diesem Ausgang trennten. Dann öffnete ich ihn mit einem Tastendruck und zwängte mich hindurch. Meine Befürchtung, ich könnte in atmosphärelose Bereiche eindringen, erwies sich als unbegründet. Unwillkürlich mußte ich an Fartuloon denken: Der Bauchaufschneider hätte spätestens an dieser Stelle aufgeben müssen, weil er kaum mehr als seinen Kopf durch dieses kleine Loch gebracht hätte… In dem kleinen Raum wurden zahlreiche positronische Prüfgeräte und Ersatzschaltungen aufbewahrt. Die Durchsuchung der Kammer war eine Enttäuschung, denn es gab nichts, was sich als Waffe verwenden ließ. Ich stieß die
Tür auf und trat auf einen matt erhellten Gang hinaus. Er war zweifellos irgendwann von den Piraten geplündert worden, denn jetzt waren kaum mehr als die nackten Metallwände vorhanden. Auf dem Boden lagen noch Reste eines ehemals kostbaren Belags. Ich bückte mich und zerrieb das Material zwischen den Fingern. Überrascht stellte ich fest, daß es sich um gewachsene Teppiche gehandelt hatte, wie sie auf Herkoom vorkamen half der Extrasinn . Dort gab es Pflanzen mit extrem langen Blätterbahnen, die wie geknüpft aussahen und die erstaunlichsten Muster hatten. Die Herkoom-Pflanzer verstanden es, die Musterentwicklung mit verschiedenen Strahlenarten zu beeinflussen, so daß kein Teppichblatt dem anderen glich. Auf diese Weise hatten sie einen Exportartikel entwickelt, der seinesgleichen in der Öden Insel suchte und entsprechend teuer war. Wer mit HerkoomTeppichen ein ganzes Raumschiff auslegen konnte, mußte unglaublich reich sein. Die Piraten hatten mit diesem Schiff zweifellos eine einmalige Beute gemacht. Mir wurde klar, daß sich das Geschäft dieser Burschen sehr lohnte: Sie brauchen tatsächlich nur darauf zu warten, daß sich Schiffe in der Sogmanton-Barriere verirren. Leichter können sie kaum Geld verdienen. Es muß neben den Staubeiern normale funktionstüchtige Raumer geben, sagte der Extrasinn. Mit ihnen fliegen die Piraten zu Handelswelten, um ihre Beute zu verkaufen. Vielleicht eine Chance, später? Und ja – ich bin Optimist! Ich eilte auf ein Zwischenschott zu, mittlerweile davon überzeugt, daß dieser Raumer bewohnt war. Das Schott ließ sich mühelos mit einem Knopfdruck öffnen. Geblendet schloß ich die Augen. Das grelle Licht kam offenbar aus der Decke und dem Boden, ohne daß eine genaue Quelle zu bestimmen gewesen wäre. Für einen Moment konnte ich nahezu nichts sehen. Das genügte den Männern, mich zu überwältigen. Sie
ergriffen mich und warfen mich zu Boden. »Oh, lauter Helden«, spottete ich und musterte die verwahrlosten Gesichter. Sie ließen meine Arme los und richteten sich auf. Eher neugierig denn drohend blickten sie mich an, während ich zunächst liegenblieb. Fünf Männer standen um mich herum; es waren Arkoniden, die Uniformen aus wahllos zusammengestelltem Beutegut trugen. Einer von ihnen war nur mit einer violetten Hose bekleidet, hatte sich allerdings ein blaues Fell auf die Brust geklebt, das beide Schultern mit seinen oberen Enden berührte und sich zu den Hüften hin stark verjüngte. Dieser Mann stieß mir seinen nackten Fuß in die Seite und befahl mit einem sardonischen Grinsen: »Stehen Sie auf, Erhabener!« Langsam stand ich auf. Der Raum glich einer archaischen Höhle: An den Wänden hingen kostbare Felle, Teppiche und edelsteinbesetzte Ketten aus seltenen Metallen. In der Mitte dieser seltsamen Unterkunft brannte ein offenes Feuer, gespeist von einem Stück Holz, das viel zu klein für die auffallend große Flamme war – die in ihrer Grelle eher an Magnesitlicht erinnerte und scharfkantige Schatten verursachte. Ein Kind hockte mit untergeschlagenen Beinen neben der Flamme und blies immer wieder hinein. Es hatte einen unverhältnismäßig großen Kopf mit einem winzigen Babygesicht. Als es die Augen aufschlug und mich anblickte, erschauerte ich, denn es waren nicht die Augen eines Arkoniden, sondern die eines Insekts: In Tausenden von Facetten spiegelte sich die Flamme. Ein Zhygor’ianta! Einer der Männer drückte mir die Mündung einer Waffe in den Rücken. Ich hob die Arme und ließ es zu, daß er mich
durchsuchte. »Warum kommt nicht einmal jemand zu uns, der sich mit Schmuckstücken behängt hat? Es ist ein jammervolles Leben, das wir führen müssen.« »Niemand zwingt Sie hierzubleiben.« Er lachte rauh. »Doch – meine Faulheit, Erhabener.« Viele unterschiedliche Gruppen! sagte der Logiksektor. Zweifellos hierarchisch gegliedert. Das normale Fußvolk fliegt wohl kaum mit den Staubeiern in die Barriere hinein. Rechne mit sozialen Spannungen! Irgendwie muß ich mir diese Männer zunutze machen, versuchen, sie für mich zu gewinnen, um dann mit ihrer Hilfe vielleicht doch entfliehen zu können. Vielleicht können sie mir helfen, die FARNATHIA zu finden. Der Mann mit dem Fell auf der Brust legte mir die Hand auf die Schulter. »Setz dich!« Ich gehorchte, weil ich es im Augenblick für das beste hielt, nachzugeben; mir blieb sicher noch genügend Zeit, ihnen zu zeigen, daß ich meinen Mann stehen konnte, wenn es darauf ankam. Einige Türen öffneten sich, die bis jetzt hinter Fellen und Teppichen verborgen gewesen waren. Männer und Frauen kamen herein, die ebenso phantasievoll gekleidet waren wie die anderen. Sie ließen sich auf den Boden sinken und verschränkten die Arme über den Knien. Nur wenige von ihnen waren bewaffnet, und die, die es waren, trugen ausschließlich Kaccem-Strahler, die klein und leistungsschwach waren, aber für Kämpfe auf engstem Raum vollauf ausreichten. Gespannt wartete ich auf das, was kommen sollte. Ich ahnte, daß der Junge mit den Facettenaugen etwas damit zu tun hatte, glaubte aber nicht, daß ich mich in einer direkten Gefahr befand. Im Hintergrund flüsterte jemand in ein Armbandgerät, verständigte vermutlich Tropp oder einen anderen Oberpiraten. »Wie ist dein Name?« fragte der Knabe plötzlich. Es wurde
still im Raum. Alle starrten mich gespannt an. »Atlan«, antwortete ich ruhig. »Wer ist dein Vater?« »Der Mann, der mich gezeugt hat. Wer sonst?« Ich glaubte, so etwas wie Verblüffung in seinem Gesicht erkennen zu können. Einige Männer lachten. »Du brauchst mir nicht mehr zu sagen, wer deine Mutter ist«, sagte das Kind. »Ich habe es bereits erraten.« »Das freut mich für dich.« Er strich sich mit seinen kleinen Händen über den mächtigen Kopf. Eine blaue Kutte aus einem leichten Stoff umhüllte den zerbrechlich wirkenden Körper. Er verneigte sich vor mir, wobei er mich unverwandt anzustarren schien, obwohl ich mir bei seinen Augen nicht sicher war. Unheimlich, unergründlich! Dieses mutierte Wesen schien keinerlei arkonoide Gefühle zu haben. Sein Lächeln wirkt kalt und drohend. »Erlaubst du, daß wir uns ein wenig amüsieren? Meist ist es so langweilig, daß wir für jede Abwechslung dankbar sind, Mann mit dem Namen des Heroen.« »Bitte.« Auf was habe ich mich da eingelassen? »Ist es dir recht, daß ich ein wenig über deine Zukunft erzähle?« Ich richtete mich auf und nickte. »Wenn es dir Spaß macht. Du solltest aber wissen, daß ich an diesen Unsinn nicht glaube.« »Gib mir deine Hände!« Ich rückte zu ihm, daß ich ihm die Hände reichen konnte. Er ergriff sie, und ich erschauderte abermals, denn seine Haut fühlte sich kalt und feucht an. »Die Sorge um die FARNATHIA bringt dich fast um«, behauptete er. Ich zuckte zusammen. Er kann nichts von dem Raumschiff wissen, denn ich habe noch nichts darüber gesagt.
Ihnen nicht, aber Jepson Tropp! erinnerte der Logiksektor. Telepathie? Sofort prüfte ich meinen Monoschirm, konnte jedoch keinen Versuch einer telepathischen Ausspähung bemerken. »Dann weißt du, worum es mir geht«, sagte ich brummig und wählte meine weiteren Worte mit Bedacht. »Tatsächlich denke ich an die FARNATHIA. Sie hat etwas an Bord, was überaus wertvoll ist. Es fällt mir schwer, euch Piraten zu begreifen. Warum habt ihr sie nicht längst geborgen?« Die Facettenaugen starrten mich an. »Das hat Zeit.« »Durchaus nicht. Es sind fünf Personen an Bord. Für sie ist jeder Augenblick kostbar. Deshalb möchte ich euch ein Geschäft vorschlagen. Wenn ihr sie rettet, werde ich euch einen Bergungslohn auszahlen, der sich sehen lassen kann.« »Aber nur, wenn sie noch leben.« Ich hörte den Unterton heraus und erschrak. »Selbstverständlich.« »Dann wird es nichts mit dem Lohn. Die vier Männer und das Mädchen sind… tot!« Farnathia, meine Farnathia…! Ich war unfähig, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. »Das überrascht dich?« fragte der mutierte Junge. Meine Augen wurden feucht, ich stöhnte. Plötzlich war der Drang übermächtig, allein sein zu müssen, weil ich es inmitten dieser Menge einfach nicht mehr aushielt. Da begann einer der Männer neben mir zu lachen. Ein anderer ließ sich davon anstecken, und wenig später sah ich nur noch lachende Gesichter um mich herum. Mir dröhnten die Ohren. Am liebsten hätte ich mich auf das Kind gestürzt, aber zwei Männer hielten mich an den Armen fest. Ich begriff fröstelnd, daß man sich nur einen schlechten Scherz mit mir erlaubt hatte, schüttelte die Männer ab und zwang mich zur Ruhe. Von jetzt an werde ich nichts mehr glauben, was auch immer dieser
Mutant sagt. Der Extrasinn bestätigte: Er setzt dich psychischem Terror aus, um sich dann über deine Reaktionen zu amüsieren. Mir wurde bewußt, daß ich noch nicht mit gewohnter Klarheit dachte und handelte. Der Aufenthalt in der Sogmanton-Barriere und die Paralyse schienen nachzuwirken; hinzu kamen Sorge und Angst um meine Freundin. »Eine seltsame Art von Humor hast du, mein Junge. Aber ich gebe zu, daß du mich überrascht hast. Es wird dir kein zweites Mal gelingen.« »Du solltest wissen, daß die Arkonidin, die du so liebst, gerettet werden wird. Sie wird dir dann allerdings in einer Form gegenüberstehen, die dir wenig gefallen wird.« »Das ist Geschmackssache. Du dürftest es schwer haben, derartige Dinge zu beurteilen.« Auf seine »Prophezeiung« ging ich nicht ein. Er errötete leicht. »Nun gut. Ich will nicht mehr davon sprechen. Reden wir lieber von deiner fernsten Zukunft. Du wirst älter werden als alle anderen Arkoniden.« »Mag sein, doch das Gespräch langweilt mich. Können wir uns nicht über interessantere Dinge unterhalten?« »Interessiert es dich nicht, daß du einige Jahrtausende schlafen wirst?« Ich klopfte imaginären Staub von meinen Oberschenkeln. »Nein, nicht im geringsten.« Jetzt war ich fest davon überzeugt, einem Halbirren gegenüberzustehen. Es gab noch keine Technik, mit deren Hilfe man Jahrtausende lebend überstehen konnte; die Anlagen zum künstlichen Tiefschlaf gestatteten nur Hibernationen über maximal wenige Jahrhunderte. Das Kind schien sich über meine Gleichgültigkeit zu ärgern. »Noch in mehr als zehntausend Jahren wirst du leben und eine der berühmtesten Persönlichkeiten von Debara Hamtar
sein«, rief es mit schriller Stimme, während sich sein Gesicht blaurot verfärbte. »Im Gegensatz zu dir«, sagte ich herablassend. »Dich werde ich schon vergessen haben, wenn ich diesen Raum verlasse. Gibt es hier auch jemand, mit dem ich mich vernünftig unterhalten kann?« Niemand antwortete, während ich dachte: Er ist irre, scheint aber doch leicht paranormal begabt zu sein. Zumindest die Männer hat er irgendwie unter Kontrolle. Nach einer Weile öffnete sich ein Schott. Ich war nicht überrascht, als Jepson Tropp hereinkam und mit zorniger Stimme sagte: »Hier bist du also! Bist ein verdammt geschickter Bursche, Freundchen.« »Ich habe Ihnen meine Freundschaft nicht angeboten, Tropp.« Er grinste schon wieder. »Sie sind ein findiger Bursche. Kriecht doch glatt durch den Wartungskanal, während ich das Staubei parke.« Ich ging an dem Kind vorbei auf Tropp zu, den mehrere Männer umringten und erregt auf ihn einredeten. Er schob sie zurück und sah mich an. »Wer sind Sie wirklich?« »Mein Name ist Atlan. Mehr erfahren Sie von mir nicht.« Er zeigte mit ausgestecktem Arm an mir vorbei. »Haben Sie nicht gehört, was Axym vorausgesagt hat?« Ich lachte laut auf. »Ja, das habe ich, Tropp. Dieser Narr hat nur Unsinn von sich gegeben. Man wollte sich über mich amüsieren. Es tut mir leid, daß die Erwartungen meines Publikums so sehr enttäuscht wurden. Bringen Sie mich weg von hier. Ich habe keine Lust, noch länger bei diesen Verrückten zu bleiben.« Die Flamme war erloschen. Axym ließ den Kopf hängen, bot ein Bild des Jammers. »Ich kann mich doch nicht so geirrt
haben«, hörte ich ihn flüstern; er schluchzte leise. »Irren… wirren… was genau gesehen? Warum?« Ich ging an Jepson Tropp vorbei auf den Gang, durch den er gekommen war. Auch hier standen eine ganze Reihe phantasievoll gekleideter Männer. Sie alle sahen nicht sehr kräftig und entschlossen aus, sondern schienen irgendwie abhängig zu sein. Ich vermutete, daß sie von dem Knaben mit den Facettenaugen geistig beeinflußt wurden. Das macht sie für mich und meine Pläne untauglich. Nach mehreren Schleusen und Verbindungskorridoren bemerkte ich, daß wir ein anderes Wrack erreicht hatten, von dem aus wir eine lange Panzertroplonröhre mit gegenläufigem Doppel-Transportband erreichten und uns davontragen ließen. Draußen waren miteinander verschweißte Raumer verschiedenster Typen zu erkennen, die in einer Kratermulde deponiert worden waren. Das Transportband endete vor dem Übergang zum Ringwall. Als wir ein breites Schott passiert hatten, blieb ich stehen. Wir befanden uns nun in einem Gang, dessen Wände mit farbigen Projektionen überzogen waren, so daß wir mitten zwischen Regenbögen zu schweben schienen, deren Farben sich ständig bewegten. Ich erinnerte mich, daß um die Jahrhundertwende solche künstlerischen Spielereien in großer Mode gewesen waren. Mit ihnen hatte man versucht, Sterilität und Langeweile von Bord der Raumschiffe zu vertreiben. »Machen Sie ein Angebot!« sagte ich unvermittelt. Tropp blickte mich an, als hätte ich etwas Unanständiges gesagt. »Warum?« »Sie wissen, worauf es mir ankommt. Ich bestehe darauf, daß Sie so schnell wie möglich die FARNATHIA bergen. Solange Sie das nicht tun, werde ich Ihnen Schwierigkeiten machen, wo immer ich nur kann.« Er lächelte überrascht. »Sie scheinen sich über Ihre Lage
nicht klar zu sein, Atlan. Sie sind Gefangener und können absolut nichts tun, um mich unter Druck zu setzen.« »Das wird sich zeigen, Tropp.« Er unterschätzte mich und übersah offenbar, daß ich bei unserer ersten Auseinandersetzung geschwächt gewesen war. Sein Lächeln verstärkte sich. »Sie sind auf einem atmosphärelosen Asteroiden, Atlan. Etwa zehntausend Männer und Frauen leben hier, um auf ihre Art Geld zu verdienen. Es gibt rund zwanzig Hauptgruppen mit eigenen ›Nestern‹, angeführt von Manifold, Tarugga, Quit, Schrika und wie sie alle heißen. Wir haben Spezialisten für die Bergung, aktive und faule; das Gros der Leute kümmert sich um die hierhergebrachten Raumer, andere erfassen die Ware. Glauben Sie nur nicht, daß Sie auch nur einen Freund unter ihnen finden werden. Für sie alle sind Sie nur Beute, weiter nichts. Sollte sich für Sie ein bestimmter Wert ergeben, werden alle gemeinsam dafür sorgen, daß Sie zum Höchstkurs in Chronners umgesetzt werden. Alles andere ist für uns völlig uninteressant. Das sollten Sie allmählich begriffen haben.« »Axym und seine Freunde scheinen das etwas anders zu sehen.« »Sie vergessen die Langeweile«, sagte er achselzuckend und fügte überheblich hinzu: »Für die Essoya passiert nicht viel.« Er gab mir einen Wink. Ich ging vor ihm her durch den farbenprächtigen Gang und überlegte. Irgend etwas mußte ich tun. Von Tropp kann ich keine Hilfe erwarten, also muß ich mich an andere Piraten wenden. Sie alle sind nur am Geschäft interessiert. Was aber kann ich ihnen bieten? Herzlich wenig – oder besser noch, gar nichts. Auf gar keinen Fall darf ich ihnen meine wahre Identität offenbaren. Dann verkaufen sie mich sofort an Orbanaschol. Damit wäre mein Weg zu Ende. Ich dachte an den Jungen mit den Facettenaugen. Hatte er wirklich die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, oder wollte er
sich nur über mich lustig machen? Gewisse Dinge hatte er gewußt, aber die hätte er natürlich auch von Tropp erfahren können. Vielleicht war in der Zwischenzeit schon ein Bericht über Interkom an alle Piraten ergangen, so daß mittlerweile jeder darüber informiert war, daß die FARNATHIA in der Sogmanton-Barriere gestrandet war. Je mehr ich darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien mir diese Möglichkeit. Jepson Tropp hatte von Langeweile gesprochen. Mußte nicht jede Neuigkeit diese Öde durchbrechen? Langeweile produziert nur zu leicht auch Aggressionen. Etwas davon hatte ich schon bei Axym zu spüren bekommen. Kann ich mir aufgestaute Spannungen zunutze machen? Mit Sicherheit gibt es Gruppen unter den Piraten, die mit der Führung nicht einverstanden sind und die aus dem festgelegten Schema ausbrechen wollen. 10.000 Piraten können keine homogene Gemeinschaft bilden. Das ist unmöglich, jedenfalls unter den gegebenen Umständen. Es gibt ein deutliches soziales Gefälle; die Raumfahrer der Zaradhoum sind von anderem Schlag als Axyms Gefolgschaft. Als ich unter den Farbenschleiern ein Schott bemerkte, blieb ich abrupt stehen. Tropp wurde völlig überrascht: Er lief gegen mich und stützte sich mit den Händen ab, um nicht zu stolpern. In diesem Augenblick schlug ich hart zu. Er starrte mich mit weiten Augen an und sackte kraftlos zusammen. Ich zog seinen Kombistrahler aus dem Gürtel und schob ihn mir unter die Jacke. Da hörte ich auch schon eilige Schritte und fuhr herum: Zwei bewaffnete Männer rannten auf mich zu. Hastig preßte ich die Hand gegen die Kontaktscheibe des Schotts. Es glitt zur Seite, und ich sprang hindurch, während ich meine Hand abermals gegen den Kontakt preßte und kaum darauf achtete, wohin ich geriet. Als ich es sah, war es zu spät: Ich rutschte eine schneeweiße schiefe Ebene hinunter, die von zahlreichen Buckeln und Mulden übersät war. Weit
unter mir – hundert oder mehr Meter entfernt – standen farbenprächtig gekleidete Gestalten in einer langen Reihe. Sie waren aufmerksam geworden und blickten zu mir herauf. Vergeblich bemühte ich mich, irgendwo Halt zu finden. Der Boden war zu glatt, und meine Fahrt wurde immer schneller. Ich merkte, daß in den Mulden eine geringere Gravitation herrschte als auf den Höckern. Hinter den Männern und Frauen, die mich gelassen erwarteten, erhob sich eine Reihe von Büschen und Bäumen mit schweren, fettig glänzenden Blättern. Die Piraten wichen zur Seite aus, während ich mit den Beinen voran in das Unterholz rutschte. Mühsam schützte ich meinen Kopf mit Armen und Händen und hoffte, den Aufprall einigermaßen heil zu überstehen. Ich sah einen dicken Baumstamm auf mich zukommen und warf mich im letzten Augenblick zur Seite. Dafür landete ich in einem Busch, und eine Wolke von gelben Insekten regnete auf mich herab. Im nächsten Moment spürte ich die Stiche der Blutsauger und kroch, so schnell ich konnte, zurück, bis ich die Beine der Piraten vor mir sah. Gleichzeitig vernahm ich die zornige Stimme Jepson Tropps: »… wollen doch wohl nicht behaupten, daß dieser Bursche nicht hier ist, Trockman Quit?« Eine Baßstimme antwortete ihm. »Verschwinden Sie!« Durch die Blätter der Büsche und an den Beinen der Piraten vorbei konnte ich Tropp sehen. Er stand hoch oben in der Schottöffnung; meine Attacke schien ihn nicht sonderlich beeindruckt zu haben. »Ich weiß genau, daß er hier ist.« Statt einer Antwort schlug ein nadelfeiner Energiestrahl knapp neben ihm ein. In der Wand bildete sich ein glühender Fleck, eine dunkle Rauchwolke stieg zur Decke auf. »Hanwigurt Sheeron wird alles Weitere regeln, Trockman Quit«, brüllte der Mann, dem ich entkommen war, wütend. »Das werden Sie noch bereuen.«
Er trat zurück und verschwand durch die Türöffnung. Ich wischte mir die lästigen Insekten aus dem Gesicht, während mich die Baßstimme aufforderte: »Stehen Sie auf, Fremder, und kommen Sie her!« Trockman Quit sah ganz anders aus, als ich ihn mir nach dem Klang seiner Stimme vorgestellt hatte. Der dröhnende Baß hatte in mir das Bild eines schwergewichtigen, großen Mannes geweckt. Statt dessen stand ich einem Arkoniden gegenüber, der mir kaum bis zu den Schultern reichte und sehr mager war. Sein Gesicht verriet den Asketen. Das silberne Haar reichte ihm fast bis zu den Hüften hinunter und wurde im Nacken von vier metallenen Spangen zusammengehalten. Er reichte mir wortlos einen Hörknopf und zeigte auf eine gepanzerte Tür in der Nähe. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, und blieb stehen, wo ich war – klemmte jedoch den Kommunikator ins Ohr. Quit machte eine kaum sichtbare Handbewegung. Vier Männer ergriffen mich und schleppten mich auf die Tür zu. Eine Arkonidin öffnete sie, die Männer warfen mich hindurch. Ich fiel rücklings auf eine Schräge, die jener vollkommen glich, über die ich vorhin gerutscht war. Wieder begann eine wilde Fahrt in die Tiefe, doch jetzt endete sie bereits nach etwa fünfzig Schritten. Ich wurde von einem Buckel hochgeschleudert und flog in hohem Bogen in einen Haufen aus Plastikspänen. »An deiner Stelle würde ich schnell aufstehen, Fremder«, erklang Quits Grabesstimme aus dem Hörknopf. »Es sei denn, daß du für alle Zeiten so liegenbleiben möchtest.« Ruckartig richtete ich mich auf und blickte mich um. Die kreisrunde Senke hatte einen Durchmesser von etwa siebzig Metern. Nicht weit von mir stand ein Mann, der bis auf einen Schurz unbekleidet war. Offenbar ein Arkonide, sofern die
rötlichen Augen und das weiße Haar echt waren. Er sah aus, als habe er sich in seiner Kindheit zuletzt gewaschen – und das war schon eine ganze Weile her. Seine Augen wirkten merkwürdig kalt, gläsern und leblos. Zunächst erkannte ich nicht, wodurch dieser Eindruck entstand, dann aber sah ich, daß er seine Lider praktisch nicht bewegte. Bevor ich mich ganz erhoben hatte, griff er an. Er rannte einige Schritte und sprang mit ausgestreckten Armen auf mich zu. Blitzschnell rollte ich mich zur Seite und hörte, wie er dumpf neben mir auf den Boden schlug und keuchend atmete. Zögernd, wie mir schien, richtete er sich auf. Ich erwartete ihn mit leicht nach vorn geneigtem Oberkörper und angewinkelten Armen. In dieser Position konnte ich seine nächste Attacke leicht parieren. Wieder schnellte er sich ausgestreckt auf mich zu, wollte mich mit seinen Armen umfassen. Aber ich tänzelte zur Seite und ließ ihn an mir vorüberfliegen. Er stürzte schwer. Sein Kopf wurde nach vorn gerissen und krachte auf den harten Kunststoffbelag. Unwillkürlich ließ ich die Arme sinken, denn ich erwartete, daß der Kampf vorüber war. Doch der Nackte stand auf, als sei nichts gewesen, und schritt langsam auf mich zu. Vorsichtig wich ich zurück. Auf einen Standkampf wollte ich mich nicht einlassen, denn ich fürchtete, diesem Mann kräftemäßig nicht gewachsen zu sein. Abermals warf er sich mit ausgebreiteten Armen auf mich, und ich konnte ihm nur knapp ausweichen. Mit beiden Händen umfaßte ich sein linkes Handgelenk und schleuderte meinen Gegner mit kräftigem Schwung herum. Er überschlug sich in der Luft und landete auf den Knien. »Das war gar nicht schlecht, Fremder«, dröhnte es in meinem Ohr. »Auf diese Weise machst du ihn langsam, aber sicher wütend.« Ich ließ mich für einen Moment ablenken, aber das war
schon zu lange. Der Nackte federte aus der Hocke hoch, riß mich herum, schob mir beide Hände unter den Armen durch und faltete sie in meinem Nacken. Dann drückte er mit aller Kraft zu, so daß mein Kinn auf die Brust gepreßt wurde und ich es in mir krachen hörte. Ich blieb nicht lange genug für ihn in diesem Griff, weil ich die Arme sofort nach oben streckte und mich fallen ließ, gleichzeitig setzte ich eine Beinschere aus der Schule Fartuloons an und hebelte ihn aus. Er schrie zum erstenmal laut und gellend auf. Auf allen vieren kroch er auf mich zu und packte meine Beine. Seine Hände umspannten meine Knöchel wie Schraubstöcke, und sie schlossen sich immer mehr. Niemals hätte ich eine derartige Kraft bei ihm vermutet: Er versuchte, mir die Knochen zu brechen! Der Schmerz benebelte meine Sinne. Dennoch gelang es mir, mich aufzurichten und die gestreckten Finger in die Muskeln seiner Unterarme zu rammen. Jeder andere Gegner hätte in dieser Situation vor Pein geschrien, er aber preßte kaum die Lippen zusammen. Der Schraubstockgriff um meine Beine schloß sich weiterhin. Ich stemmte mich mühsam hoch, warf mich zur Seite und schaffte es, die Beine zu überkreuzen, so daß seine Arme verdreht wurden. Auch das genügte noch nicht; er gab mich einfach nicht frei. Erst als ich mit aller Kraft auf seinen Kopf einschlug, lösten sich seine Finger von meinen Knöcheln. Ich rollte zur Seite. Er blieb liegen und beobachtete mich. In einer Entfernung von mehreren Schritten wollte ich aufstehen, aber die Beine gaben unter mir nach. Meine Füße fühlten sich taub an. In diesem Moment begriff ich, daß ich ihn körperlich nicht besiegen konnte. Kämpfe ich überhaupt mit einem lebenden Wesen? Ich wußte es nicht; der Extrasinn schwieg. »Gibst du schon auf, Fremder?« Trockman Quits Stimme schien direkt in meinem Kopf aufzuklingen. »Wenn du jetzt
liegenbleibst, bringt er dich um. Du wärest nicht der erste, den er tötet.« »Wer ist das?« Niemand antwortete mir. Natürlich nicht. Ich konnte nur die Stimme hören, weil ich das Gerät im Ohr hatte. Ich blickte die Schräge hinauf und erkannte oben Dutzende Piraten, die auf dem Boden einer umlaufenden Galerie kauerten und zu uns herabstarrten. Keiner von ihnen würde in den Kampf eingreifen. Sie wollten eine Entscheidung sehen. Der Halbnackte ist ihr Kämpfer, dem sie offensichtlich wiederholt Gegner zum Zweikampf vorsetzen, wisperte der Logiksektor. Natürlich nehmen sie für ihn Partei, denn wenn er siegt, können sie auf weitere Kämpfe hoffen. Gewann ich, brachte ich sie um ihre beliebte Unterhaltung. Ein Umweltangepaßter oder ein Androide? Ich hockte weiterhin auf dem Boden, massierte mir die Knöchel – allmählich kehrte das Gefühl zurück – und beobachtete mein Gegenüber. Er näherte sich, seine Mimik verriet, daß er nicht recht wußte, was er mit mir anfangen sollte. Zweifellos hatte er es noch nicht erlebt, daß jemand einfach sitzen blieb und auf ihn wartete. Meine Haltung macht ihn unsicher. Seine Taktik wurde mir immer klarer, und so wurde ich nicht überrascht, als er plötzlich angriff. Er bemühte sich, sehr schnell zu sein. Dennoch erschienen mir seine Bewegungen schleppend. Ich ließ mich zurückfallen. Er prallte gegen meine Beine, die ich ihm entgegenstemmte. Mit einem kräftigen Schwung warf ich ihn über mich hinweg. Wieder stürzte er schwer, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich abzurollen oder abzufangen. Schmerzen schien er keine zu empfinden. Diesmal ließ er nicht viel Zeit bis zu seinem nächsten Versuch verstreichen. Kaum hatte er sich aufgerichtet, als er auch schon wieder auf mich zusprang. Genau in diesem Augenblick erschwerte Trockman Quit die
Kampfbedingungen: Mit einem Schlag fühlte ich mich leichter. Die Schwerkraft sank um mehr als die Hälfte. Eine unbedachte Bewegung genügte, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Mein Gegner wurde schneller mit dem Wechsel fertig, schien damit gerechnet zu haben und wuchtete seinen Körper kraftvoll gegen mich, so daß ich halb durch die Arena geschleudert wurde. Er umklammerte mich mit beiden Armen. Ich stöhnte auf, als er versuchte, mir den Brustkorb einzudrücken. Was ich auch tat, aus diesem Schraubstock kam ich – nicht heraus. Ich versuchte, ihm Schmerzen zuzufügen, merkte aber sehr schnell, wie sinnlos das war. Er reagiert nicht darauf. Aber er stöhnte, gab unartikulierte Laute von sich. Wie ein Blitz durchfuhr es mich. Weder Androide noch Arkonide, signalisierte mein Logiksektor bestätigend. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Das muß es sein! Mein Gegner war jemand, dessen Körper fast vollständig aus biomechanischen Elementen bestand. Deshalb verspürte er keinen Schmerz. Aber er beherrschte sie nicht vollkommen, die Koordination funktionierte nicht einwandfrei. Daher die manchmal so schleppenden und zögernden Bewegungen. Seine Wahrnehmung ist gestört, raunte mein innerer Partner. Er hat nur zwei Möglichkeiten, sich zu orientieren – die LinsenAugen und das Gehör. Kein taktiler oder olfaktorischer Sinn! Mit letzter Kraft schlang ich einen Arm um seinen Kopf, so daß er die Ohren bedeckte, und preßte ihm die Hand über die gläsernen Augen. Die Reaktion kam sofort. Mein Gegner erstarrte förmlich. Er schien zu horchen und sich voll auf die Signale zu konzentrieren, die ihn über seine Umwelt unterrichteten. Der grauenhafte Druck auf meinen Oberkörper ließ nach. Ich wußte nicht, was von seinem ursprünglichen Körper
übriggeblieben war. Vielleicht war es nicht sehr viel mehr als sein Gehirn. Jetzt ahnte ich, wie es in ihm zuging, denn ich erinnerte mich an Experimente, die die Galaktischen Mediziner vorgenommen hatten: Als sie Gehirne von allen Kommunikationsmöglichkeiten abgetrennt hatten, waren diese wahnsinnig geworden, weil sie mit der absoluten Einsamkeit nicht fertig werden konnten. Mein Gegner ist längst nicht mehr das, was man als normal bezeichnen kann. Er lebt an der Grenze zwischen Wahnsinn und Vernunft. Plötzlich gab er mich frei, riß und zerrte an meinen Armen, bis Augen und Ohren unbedeckt waren. Laut stöhnend wich er vor mir zurück, wandte sich um und floh auf eine Öffnung auf der anderen Seite der Arena zu. Trockman Quit war nicht damit einverstanden, daß der Kampf auf diese Weise endete: Er erhöhte schlagartig die Gravitation. Ich wurde davon ebenso überrascht wie mein Gegner. Während er aber mitten im Sprung erfaßt wurde und schwer zu Boden stürzte, ließ ich mich nur auf die Knie sinken. Ich schätzte, daß Quit auf wenigstens dreifache Standardgravitation erhöht hatte. Der Nackte stemmte sich hoch und kroch auf allen vieren davon. Ich blickte ihm nach, bis er durch die Öffnung verschwunden war. Die Szenerie veränderte sich in bemerkenswerter Weise. Plötzlich schien man mich vergessen zu haben. Während ich unten in der Arena kniete und versuchte, mit den hohen Gravitationswerten fertig zu werden, zogen die meisten Zuschauer ab. Einige Paare dagegen legten sich in die oberen Mulden auf der Schräge. Ich sah, wie sich doppelt polarisierte Energiefelder aufbauten, die sie glockenförmig umhüllten, so daß sie vollkommen von Schwärze umhüllt wurden. Gibt es hier nur Irre?
Mehrere Male kroch ich zum Rand der Arena, hoffte, in Bereiche zu kommen, in denen eine geringere Schwerkraft herrschte. Jedesmal stieß ich gegen unsichtbare Prallfelder, die mich zurückhielten. Schließlich beschloß ich, mich ganz ruhig zu verhalten. Wenn es Quit Spaß machte, mich zu quälen, mußte ich ihm das Vergnügen lassen. Ich wußte nicht, wieviel Zeit verstrich, bis der Mann mit der abgrundtiefen Stimme endlich reagierte: »Du bist ein zäher Bursche!« Schwerfällig hob ich den Kopf. Er stand nur einige Schritte von mir entfernt. In den Händen hielt er einen Schaltkasten und berührte jetzt einige Tasten. Die Last wich von mir, ich konnte mich aufrichten. Doch dann merkte ich, daß die Gravitationsfolter ziemlich viel Kraft gekostet hatte. Die Beine drohten unter mir puddingweich wegzusacken. Quit beobachtete mich, als ich die Arena verließ und mich auf einen der Buckel setzte. »Wie bist du darauf gekommen?« fragte er. Ich machte eine unbestimmte Bewegung mit der rechten Hand. »Es war nicht schwer.« Er kam zu mir, setzte sich ebenfalls und deutete auf eines der schwarzen Energiefelder. »Willst du schwärzen? Ich habe hübsche Weiber.« »Schwärzen?« Dann begriff ich: Er will wissen, ob ich mich mit einer Piratin unter einer schwarzen Glocke amüsieren will. Ich schüttelte den Kopf. »Dafür habe ich keine Zeit.« »Keine Zeit? Das sind seltsame Worte für jemanden in deiner Situation.« »Da draußen ist ein kleines Raumschiff, die FARNATHIA. An Bord befinden sich noch vier Männer und…« »Ist sie hübsch? Willst du mit ihr schwärzen?« »Ich will, daß sie gerettet wird«, sagte ich heftig. »Ich will, daß ihr sie endlich aus der Sogmanton-Barriere herausholt.« Er gähnte gelangweilt. »Es gibt so viele Weiber. Was regst du
dich über dieses eine auf?« »Kannst du mir ein Staubei besorgen?« Er schüttelte den Kopf. »Was hätte ich davon? Das brächte nur Ärger ein. Ich kann nichts machen, solange Hanwigurt Sheeron nicht will.« »Wer ist Hanwigurt Sheeron?« Trockman Quit antwortete bereitwillig: »Er bestimmt, was hier geschieht.« »Bringe mich zu ihm!« forderte ich. Er schwieg und starrte mich forschend an. Was will er von mir? Irgend etwas plant er. Was? »Du bist gut mit ihm fertig geworden«, sagte Quit plötzlich. »Ich sagte schon, daß es nicht schwer war.« »Vor dir hat es noch keiner geschafft. Du bist der erste. Alle anderen hat er getötet.« »Wie kurzweilig für euch.« Er nickte und tat, als habe er die Ironie in meinen Worten überhört. »Wer ist er?« »Er gehörte zu den Wissenschaftlern, die ursprünglich hier gearbeitet haben, um die Sogmanton-Barriere zu erforschen. Von ihnen wurden auch die Staubeier entwickelt. Bei einem der zahlreichen Unglücksfälle wurde er schwer verletzt. Bis auf das Gehirn, das Rückenmark und einige innere Organe mußte alles durch kybernetische Geräte und robotische Prothesen ersetzt werden. Er wurde damit nicht fertig.« Trockman Quit tippte sich mit bezeichnender Geste an die Stirn. »Vermutlich blieb er deshalb zurück, als die Wissenschaftler irgendwann abzogen. Daß er nun als unser Kämpfer dahinvegetiert, ist nur der Endpunkt einer langen Entwicklung. Richmonds Schloß entstand nämlich vor mehr als sechstausend Jahren! Irgendwann wurden die ersten von uns hierher verschlagen, fanden die gespeicherten Daten. Der Rest ist Geschichte.« Ich wartete, mußte wissen, was er von mir wollte. Er starrte
mich an, und ich wich seinen Blicken nicht aus. »Wir könnten einen Mann wie dich brauchen.« Endlich läßt er ein wenig mehr von seinen Absichten erkennen. Laut sagte ich: »Ich eigne mich nicht als Wegelagerer.« Er tat, als habe er die Beleidigung nicht gehört. Nach wie vor blickte er mich an, als wolle er meine Gedanken erraten. Ich begann zu ahnen, daß dieser Mann viel gefährlicher war, als ich zunächst angenommen hatte. Er hatte sich sicherlich nicht auf Grund körperlicher Kräfte durchgesetzt, dazu war er zu klein und zu schmächtig. »Wir könnten über das Mädchen und das Schiff reden.« Er gab mir einen Wink. »Komm mit!« Er ging auf eine Tür zu, die sich plötzlich neben der öffnete, durch die der Nackte geflohen war. Ich folgte ihm und erreichte einen Gang, der so schmal war, daß wir nur hintereinander gehen konnten. Die Wände bestanden aus einem rötlichen Material, das von innen heraus leuchtete. Quit schwieg, eilte mir voraus und blickte nicht ein einziges Mal zurück, um sich davon zu überzeugen, daß ich auch bei ihm blieb. Schon nach wenigen Dutzend Schritten erreichten wir einen Saal, in dem etwa zwanzig Männer und Frauen arbeiteten. Fast alle Männer trugen nur Hosen. Die nackten Oberkörper zierten Ketten aus edlen Metallen und Juwelen und an Mehinda-Muster erinnernde Bemalungen. Quit führte mich zu einem wandhohen Bildschirm, auf dem ich zunächst nur ein chaotisches Durcheinander von Linien und farbigen Flächen erkennen konnte. »Das ist die Sogmanton-Barriere.« Er stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte seine Finger gegen einen leuchtenden Punkt. »Das ist das Schiff mit dem Mädchen.« Er fuhr mit der Hand an einem rötlich schimmernden Bogen entlang, der durch ein pulsierendes weißes Band von gelben und blauen Wirbeln getrennt war. »Wie du siehst, treibt der Raumer in den Spiralfeldern. Er ist noch weit von dem
hyperenergetischen Einbruch entfernt, bei dem tatsächlich die Gefahr besteht, daß er in den Hyperraum geschleudert wird. Dort wäre alles aus.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg. Angestrengt lauschte ich seinen Erklärungen und bemühte mich, die Zusammenhänge zu begreifen. Je länger er sprach, desto besser verstand ich. Es gab das fünf Lichtjahre große Barrieren-Zentrum, dem sich nicht einmal die Zaradhoum ungefährdet nähern konnten. Dort mußte der Ursprung der hyperphysikalisch extrem aktiven Zone liegen, deren Ausläufer sich zum Rand hin so weit abschwächten, daß auch normalen Raumschiffen die Navigation möglich war – sofern sie ähnlich wie die Staubeier nicht gegen die Kräfte ankämpften, sondern sie quasi für sich arbeiten ließen. Extrem gefährlich waren die ständig wechselnden Einbrüche und Aufrisse, von denen die Hyperstürme ausgingen. Aber auch die normale Staubstruktur der Sogmanton-Barriere war nicht zu unterschätzen: Die Materie veränderte mitunter spontan unter der auf sie einprasselnden Hyperstrahlung ihre Eigenschaften, es kam zu Transitionseffekten, bizarren Verzerrungen und was der Dinge mehr waren. Wenn alles stimmte, was Quit mir erzählt hatte, bestand im Augenblick tatsächlich keine akute Gefahr für die FARNATHIA. Das bedeutete aber nicht, daß sich daran in den nächsten Tontas nichts ändern würde. »Also gut. Die FARNATHIA hält es noch einige Zeit aus. Dennoch müssen wir etwas tun.« »Das ist richtig. Aber was wir unternehmen, das hängt allein von dir ab.« »Inwiefern?« »Ich sagte es schon: Wir könnten einen Mann wie dich brauchen.« »Wozu?« Er grinste, gab mir einen Wink und ging auf ein Schott zu.
Wieder folgte ich ihm. Flüsternd sprach er mit einem bewaffneten Mann, der vor dem Ausgang stand, und führte mich danach in einen Raum, der mit Beutestücken bis unter die Decke vollgestopft war. Zwischen aufgestapelten positronischen Geräten setzten wir uns auf Bündel aus exotischen Fellen. »Ich habe erfahren, daß Hanwigurt Sheeron dich suchen läßt. Jepson Tropp ist einem Tobsuchtsanfall nahe. Meine Leute glauben, daß er dich auf der Stelle umbringt, wenn er dich findet.« Ich tat, als interessiere mich die Nachricht nicht. Sie war auch nicht überraschend, denn für mich war es selbstverständlich, daß Tropp versuchen würde, mich wieder einzufangen. Ich wartete. »Sheeron und Tropp haben eigenartige Methoden«, fuhr Quit fort. »Sie gefallen uns nicht immer.« Ich begriff. »Ihr seid mit dem Verteilungsmodus der Beute nicht mehr einverstanden. Ihr würdet es begrüßen, wenn Sheeron und Tropp verschwänden. Ist es so?« Seine Augen verrieten mir, daß ich recht hatte. »Und jetzt wollt ihr ihn umbringen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das auf gar keinen Fall. Damit würden wir alle anderen von Richmonds Teaultokan gegen uns aufbringen. Sheeron soll verschwinden, aber er muß überleben.« Er räumte einige Boxen zur Seite, zapfte zwei Becher Fruchtsaft aus dem Automaten dahinter und bot mir das grünliche Getränk an. »Es schmeckt gut.« Nachdem ich getrunken hatte, mußte ihm recht geben. »Außerdem wäre es praktisch unmöglich, ihn umzubringen. Sheeron umgibt sich ständig mit seiner Leibwache. Niemand kommt an ihn heran, selbst wenn er unbewaffnet ist.« Ich stellte den Becher ab, ohne ihn loszulassen. »Es geht also um ein Geschäft. Helfe ich euch, bergt ihr die FARNATHIA.« »Jetzt hast du es begriffen.«
»Wann und wie wollt ihr losschlagen?« »So bald wie möglich. Sofern sich die Lage so entwickelt, wie ich annehme, werden wir Sheeron im Anschluß an diese Schlafperiode in ein Schiff setzen und verjagen.« »Und warum ich? Warum muß es ein Fremder sein, der deinen Plan umsetzt?« »Ich habe mich nicht in dir getäuscht«, sagte er anerkennend. »Du hast tatsächlich erfaßt, um was es geht. Es muß ein Fremder sein, weil ein anderer nicht nahe genug an ihn herankommt. Dich aber werden sie früher oder später zu Sheeron bringen. Er wird dich verhören wollen. Er ist Telepath und wird alles aus dir herausholen, was er wissen will. Er kann das. Deshalb wurde er ja zum ersten Mann gewählt.« Er verzog das Gesicht und blickte mich bezeichnend an, wollte mir damit zu verstehen geben, daß er von der Wahl überhaupt nichts hielt. Vermutlich hat Sheerons Clique das Ergebnis zu seinen Gunsten verändert, dachte ich, trank aus und stellte den Becher endgültig weg. »Ein Telepath? Dann kann ich auch nichts ausrichten.« »O doch, mein Freund. Sehr viel sogar. Jeder Gefangene, der zu Sheeron geführt wird, ist unruhig und nervös. Jeder denkt an Flucht oder daran, durch Gewalt seine Position zu verbessern. Sheeron weiß das, und es stört ihn nicht, weil kein Gefangener wirklich etwas gegen ihn unternehmen kann. Seine Roboter schützen ihn sicher.« »Du bist ein Narr, Trockman Quit. Auch ich kann nichts tun.« »Sehr viel sogar, Atlan.« Ich hatte ihm meinen Namen nicht genannt. Daß er ihn dennoch kannte, bestärkte mich in der Ansicht, daß er sich über mich informiert hatte, während ich in den Kampf mit dem Nackten verwickelt war. Zweifellos hat sich die Nachricht über den neuen Gefangenen blitzschnell verbreitet.
»Hanwigurt Sheeron hält sich für sehr schlau. Dieser ewig schwitzende Fettwanst ist nicht nur eitel, arrogant und habsüchtig, sondern auch raffiniert. Er kann seine gesamte Robotergarde mit einer Spezialschaltung steuern, die er am Gürtel trägt. Wird diese Einrichtung zerstört, sind sämtliche Roboter mit einem Schlag erledigt. Und das wird deine Aufgabe sein.« Er rieb sich die Hände. »Bei jedem von uns rechnet er damit, daß er so etwas versucht. Ein Fremder kann davon nichts wissen.« In diesem Moment sank die Schwerkraft auf nahezu null. Trockman Quit machte eine unbedachte Bewegung und schwebte zur Decke empor, und eine krachende Explosion erschütterte das Schiffssegment… Quit fluchte, stieß sich von der Wand ab und flog mit ausgestreckten Armen zur Tür hinüber. Mit seinen Bewegungen brachte er die Dinge durcheinander. Jetzt wirbelten Becher, Decken, eine Jacke, Schreibwerkzeug, eine Flasche, Stiefel und ein Visiphon durch den Raum. Ich folgte Quit, so schnell ich konnte. Wir zogen uns durch das offene Schott auf den Gang hinaus und prallten mit zwei Männern zusammen, die in Pelzjacken gekleidet waren und Haftstiefel trugen. Sie trugen Kampfhelme mit geschlossenen Visierscheiben. In den Händen hielten sie armlange Elektropeitschen, mit denen sie sofort auf uns einschlugen. Ich wurde am Hals getroffen und schrie unwillkürlich auf. Der schmerzhafte Schock erfaßte meinen ganzen Körper, meine Muskeln verkrampften sich. Für einen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Instinktiv hob ich die Arme und konnte so den nächsten Schlag abwehren. Der Stock prallte gegen meinen Ellbogen, daß ich glaubte, meine Knochen müßten zersplittern – noch heftiger war aber die Elektroladung. Blind stieß ich meine Faust nach vorn. Sie bohrte sich tief in
weichen Pelz und traf auf etwas Hartes. Ich setzte nach, ließ die andere Faust folgen. Das verschaffte mir etwas Luft. Meine Blicke klärten sich. Der andere Mann hatte Trockman Quit in seiner Gewalt, trieb ihn vor sich her und stieß ihm den blitzenden Kontaktpol der Peitsche auf die unbedeckten Körperstellen. Quit konnte schon gar nicht mehr schreien. Sein Gesicht hatte sich bläulich verfärbt, die Augen quollen ihm weit aus den Höhlen. Der Anblick dieses gequälten Mannes ließ mich reagieren, ohne nachzudenken: Ich wich einem Hieb aus, der gegen mein Gesicht geführt wurde, und griff an, indem ich mich kraftvoll von der Decke abstieß. Ich flog auf meinen Kontrahenten zu, packte sein Handgelenk und versuchte, ihm die Waffe zu entreißen. Aber das erwies sich als unmöglich, weil sie, wie ich jetzt erst sah, in einer Art Spange auslief, die sich um sein Handgelenk spannte. Mit einem Fußtritt schleuderte mich mein Gegner weg. Ich überschlug mich mehrfach und mußte mich ganz darauf konzentrieren, Halt zu finden. Diesen Moment nutzte der andere – von seinen Haftsohlen gehalten –, ließ mich die Elektropeitsche erneut spüren. Um einen weiteren Angriff herauszufordern, tat ich, als hätte ich das Bewußtsein verloren. Der andere fiel auf das Täuschungsmanöver herein. Ich setzte einen Schulterangriff an, drehte meinen Gegner über mich hinweg und riß ihm beide Arme auf den Rücken. Seine Gelenke krachten, ich hebelte die Arme so hoch, daß er jeden Widerstand aufgab und mich anflehte, ihm die Knochen nicht zu brechen. Das war durchaus nicht meine Absicht. Statt dessen hielt ich ihn mit einer Hand, nahm mit der anderen die Peitsche und setzte ihm den Kontaktpol ins Genick. Sein Körper verkrampfte sich und wurde steinhart. Blitzschnell wiederholte ich die Prozedur, bis er das Bewußtsein verlor.
Dann stieß ich ihn weg. Er schwebte durch den Gang davon und überschlug sich immer wieder, während ich mich dem anderen Mann zuwandte, der mich bereits erwartete. »Komm her. Dich haben wir gesucht. Und hier sind wir. Hanwigurt Sheeron möchte dich sehen.« »Aber ich habe wenig Lust, ihn zu sehen.« Ich klammerte mich an eine Leiste, die unter der Decke entlanglief. Hinter dem Mann trieb Quit regungslos in der Luft; Arme und Beine weit von sich gestreckt, drehte er sich in der Schwerelosigkeit langsam um sich selbst. Die Farbe seines Gesichtes hatte sich weitgehend normalisiert. Nur auf der Stirn und den Wangen trug er die rot flammenden Spuren der Elektropeitsche. »Mir ist das egal.« Seine Stimme kam klar und gut verständlich über die Außenlautsprecher seines Kampfhelms. Der Helfer Sheerons trug einen rötlichen Pelz mit zahlreichen blauen Punkten. Sein schwarzer Bart wucherte unter dem geschlossenen Helm hervor. Durch die spiegelnde Sichtscheibe konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Abermals wurde das Schiff von einigen Explosionen erschüttert. »Es hat keinen Sinn, sich gegen Sheeron aufzulehnen. Wir gehören zu seiner Truppe, und wir verfahren mit allen so wie mit Quit: Niemand handelt gegen Sheerons Interessen. Quit wird sein Mirkandhoum verlieren, nur noch ein Trümmerhaufen bleibt übrig. Er wird sich woanders einquartieren müssen, aber das wird nicht leicht sein. Niemand läßt sich gern mit einem Rebellen ein, der von Sheeron bestraft wurde. Also – was ist? Willst du etwas mit einem geschlagenen Mann zu tun haben?« »Du redest zuviel«, sagte ich kalt. Er fluchte. Ich sah den Kontaktpol der Peitsche auf mich zukommen. Zweifellos rechnete er damit, daß ich den Stock ergreifen würde, aber ich tat ihm diesen Gefallen nicht. Statt dessen wich ich zur Seite aus, stieß seinen Arm weg und kippte vornüber. Mit aller Kraft trat ich gegen die Sichtscheibe
seines Kampfhelms. Zwar konnte ich sie nicht zerstören, aber ich erschütterte den Mann bis in die Zehenspitzen. Jetzt brauchte ich ihm nur noch den Kopf zur Seite zu biegen, so daß der Hals frei wurde – und stieß ihm die gestreckten Finger unter das Ohr. Er erschlaffte in meinen Armen. Ein weißer Gegenstand zischte an mir vorbei. Ich wirbelte herum und bemerkte ähnlich gekleidete Männer, die sich mir näherten. Die Haftsohlen ihrer Stiefel erzeugten laut hallende Geräusche. Noch waren sie über dreißig Meter von mir entfernt, aber sie bewegten sich sehr schnell. In den Fäusten schwangen sie ebenfalls Elektropeitschen. Einer von ihnen öffnete ein Seitenschott, als sie daran vorbeikamen. Ein anderer warf einen runden Körper hinein. Von der Explosion wurde ein Schauer von messerscharfen Splittern gegen die Wände geschleudert. Ich krallte meine linke Hand um den Kragen von Quit und hangelte mich an der Wand entlang. Dabei wurde ich immer schneller, so daß der Abstand zwischen mir und den Verfolgern nicht geringer wurde. Wir erreichten ein Zwischenschott; ich drückte die Kontaktplatte und wartete, daß die Lamellen zur Seite glitten. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, daß uns Sheerons Männer eine Bombe nachwarfen. Quit regte sich, wurde wach, begriff aber noch nicht, was geschah. Das Schott öffnete sich, die Bombe trudelte quälend langsam an uns vorbei. Auf der anderen Seite des Schotts hielt sich niemand auf. Schon preßte ich meine Hand gegen die Kontaktplatte. Die Türplatten schienen sich nicht bewegen zu wollen, die Zeit schien stillzustehen. Unendlich langsam schloß sich der Türspalt. Dann donnerte die Explosion, der Luftdruck stieg schlagartig an. Trockman Quit stöhnte laut auf. Ich achtete nur auf das Schott. Es hielt stand, aber damit war die Gefahr nicht beseitigt. Die Häscher Sheerons kamen
schnell näher. Es waren sechs Männer. Zu viele. Da fuhr Quit mit der Hand über die Wand neben uns, eine Platte schob sich zur Seite. Dahinter lag eine Röhre, die einen Durchmesser von etwas weniger als einer Körperlänge hatte. »Schnell!« sagte Quit ächzend. »Du zuerst!« Ich packte ihn wortlos, stieß ihn hinein und folgte. Hinter mir erklang das wütende Gebrüll unserer Verfolger. Quit schob sich an mir vorbei, strich mit der Hand über scheinbar völlig glattes Metall neben der Öffnung, und die Platte rastete wieder in ihre alte Position. »Das wär’s«, sagte er stöhnend und verlor das Bewußtsein. Mir war klar, daß wir hier auf gar keinen Fall bleiben durften. Sheerons Männer würden das Hindernis, das uns jetzt noch schützte, früher oder später beseitigen können. Ich fragte mich, ob mein Entschluß, Quit beizustehen, wirklich richtig gewesen war. Andererseits hatte ich nicht anders handeln können. Hanwigurt Sheeron denkt nicht daran, die FARNATHIA jetzt schon zu bergen, raunte der Logiksektor. Vielleicht wird er es später tun, wenn die Besatzung nicht mehr lebt und seine Leute nicht zu fürchten brauchen, von ihr angegriffen zu werden. Ein anderes Motiv für sein Zögern kann es eigentlich nicht geben, gab ich in Gedanken zurück. Daß die Besatzung der FARNATHIA völlig verzweifelt ist, interessiert ihn nicht. Sie wird sich auf gar keinen Fall wehren, sondern jede Hilfe sofort annehmen. Etwas anderes bliebe ihr gar nicht übrig. Ich dachte an Farnathia, mußte unbedingt etwas für sie tun. Nur schnelle Hilfe würde sie davor bewahren, in der Sogmanton-Barriere zu sterben. Ein leichter Sog erfaßte mich und Quit. Ich hielt ihn fest, blickte mich um. Das Ende der Röhre, deren Wände aus sich selbst heraus leuchteten, konnte ich nicht erkennen. Es mußte sich um eine geheime Verbindungsröhre handeln. Zunächst hatte ich das Gefühl,
daß sie waagerecht verlief, je mehr aber der Zug der künstlichen Gravitation zunahm, desto mehr schien die Röhre zu kippen, bis ich glaubte, senkrecht in die Tiefe zu stürzen. »Trockman!« schrie ich dem Bewußtlosen ins Ohr. Es mußte doch eine Möglichkeit geben, diesen Sturz zu stoppen. Irgend etwas stimmte nicht mit diesem »Lift«. Wir wurden viel zu stark beschleunigt. Der Pirat rührte sich selbst dann noch nicht, als ich versuchte, ihn mit Ohrfeigen wach zu rütteln. Etwa alle fünfzig Meter passierten wir einen Ring, der besonders hell strahlte. An diesen Lichtbarrieren konnte ich abschätzen, um wieviel schneller wir wurden. Weit vor uns schien ein Scheinwerfer direkt in die Röhre gerichtet zu sein, Einzelheiten waren nicht auszumachen. Ist dort der Schacht zu Ende? Befindet sich dort ein Schott, an dem wir unweigerlich zerschmettert werden, sofern uns nichts abbremst? »Quit!« brüllte ich. Er öffnete die Augen und blickte mich an, aber ich bemerkte, daß er noch völlig benommen war und nicht wußte, um was es ging. Als er die Augen wieder schloß, rüttelte ich ihn. »Bleiben Sie wach, Quit! Wir stürzen ab.« Am Fahrtwind müßte er doch merken, was geschieht! Er seufzte, klammerte sich an mich und verlor erneut das Bewußtsein. Jetzt war alles vorbei. Auch ich schloß die Lider, wußte nicht mehr, was ich tun konnte, fühlte mich entsetzlich hilflos. Kurz bevor wir die hellste Stelle der Röhre erreichten, blickte ich nach unten. Die Luft schlug mir so scharf in die Augen, daß sie zu tränen begannen. Ich sah nur noch ein unerträglich helles Licht und gab auf. Im gleichen Augenblick schien alles von mir abzufallen. Mir wurde leicht, und ich wehrte mich nicht mehr gegen das Ende. Vor meinen Augen entstand das Bild Orbanaschols III. des Mannes, der meinen Vater ermordet hatte. Der Gedanke an ihn hätte einen Sturm von Emotionen in mir auslösen müssen, aber er tat es nicht. Ich blieb ruhig und gelassen, so als ginge
mich das alles nichts mehr an. Mir bleiben nur noch zwei oder drei Atemzüge, dann werde ich zusammen mit Quit gegen eine Wand prallen…
3. Aus: Jahre der Krise, Betrachtungen zum beginnenden 20. Jahrtausend, Hemmar Ta-Khalloup; Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte, 19.035 da Ark Es ist eine alte Erkenntnis, daß jeder nach mehr strebt als nur nach unmittelbarer Befriedigung der Grundbedürfnisse. Nach der Erfüllung des tieferen Gefühls nämlich, das allgemein mit Glück umschrieben wird. Wer dieses Streben für sich und seine Zwecke ausnutzt und seine Befriedigung propagiert, gewinnt Macht über all jene, die danach streben – und sei es auch nur unbewußt. Es erstaunt sicher nicht, wenn insbesondere den Religionen zu eigen ist, daß sie im Rahmen dieses »nach etwas mehr streben« eine Definition liefern, dem Bedürfnis eine konkrete Form verleihen und es im Sinne der Glaubenslehre kanalisieren. Kein Wunder, daß deshalb viele Anhänger den jeweiligen Glaubensgrundsätzen bedingungslos folgen und in ihrer Bereitschaft, das »Glück« zu erlangen, Dinge tun, die ihnen aus dunklen Quellen oktroyiert werden. Skrupellose Machthaber nutzen diese Erkenntnis oftmals brutal für ihre Zwecke aus, und folglich ist die Kombination von Religion und Staat auf galaktischer Bühne nicht eben selten. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, als wir in das Licht hineinrasten, aber von keinem Hindernis aufgehalten wurden. Es wurde wieder dunkler, wir entfernten uns von der Stelle, an der ich das Ende der Röhre vermutet hatte. Sie
kennzeichnete höchstens die Hälfte der Wegstrecke, denn weit von uns entfernt entdeckte ich einen weiteren, hell strahlenden Punkt. Wieder schien sich die Umgebung um mich zu drehen. Glaubte ich bis jetzt, senkrecht in die Tiefe zu fallen, hatte ich nun das Gefühl, vertikal in die Höhe zu steigen. Meine Geschwindigkeit wurde von Atemzug zu Atemzug geringer. Die gravomechanische Wirkung schien mich zu der Lichtschranke zurückreißen zu wollen. Trockman Quit, noch immer ohne Bewußtsein, trieb von mir fort, war schon so weit weg, daß ich ihn mit der Hand nicht mehr erreichen konnte. Ich beobachtete ihn. Es hatte keinen Sinn, ihn anzubrüllen, weil er es doch nicht hören würde. Statt dessen konzentrierte ich mich ganz auf die Wände. Irgendwo muß es einen Ausgang geben. Quit wäre niemals mit mir in diese Röhre gekrochen, hätte er nicht gewußt, wie er wieder aus ihr herauskommen kann. Unsere Geschwindigkeit sank weiterhin. Ich drehte mich um. Die Lichtschranke war schon so weit entfernt, daß sie nur noch als hell strahlender Punkt auszumachen war. Wir erreichten die Stelle, an der unsere Geschwindigkeit aufgezehrt war. Für einige Augenblicke hingen wir bewegungslos in der Röhre, dann kehrte sich der Schwung um, und bevor wir in entgegengesetzter Richtung beschleunigt wurden, warf ich mich gegen die Wand und tastete sie mit den Händen ab, stemmte mich mit den Füßen an die gegenüberliegende Wand, so daß ich quer in der Röhre hing. Leider konnte ich mich jedoch nur kurz halten, weil ich abrutschte und nicht sofort erneut Halt fand. Trockman Quit war schon weit unter mir. Nochmals versuchte ich mich zu halten, vergebens. Die Verschalung war so glatt, daß meine Füße und Hände abglitten. Jetzt konnte ich nichts mehr gegen den Sturz tun. Wenig später flog ich bereits so schnell, daß ich meinen Arm vor das Gesicht legte, um die Augen zu schützen. Die
Lichtschranke jagte mir keinen Schrecken mehr ein, als ich hindurchraste und danach die Bremswirkung fühlte, die mich verzögerte. Diesmal wollte ich mir die Chance nicht entgehen lassen und glaubte zu wissen, worauf ich achten mußte. Und tatsächlich entdeckte ich die feinen Umrisse eines Schotts in der Wand. Noch bewegte ich mich zu schnell, so daß ich es nicht erreichen konnte, aber schon kurz darauf konnte ich mich gegen die Wand pressen. Ich schlitterte noch etwas weiter und befand mich dann direkt vor einem weiteren Schott. Blitzschnell tastete ich es ab in der Hoffnung, die Kontaktplatte zu finden. Da flog Trockman Quit mit einem wilden Schrei heran, riß mich mit sich, und wir stürzten beide in die Tiefe. »Das hättest du dir doch denken können.« Ich schüttelte ihn, weil ich verhindern wollte, daß er erneut bewußtlos wurde, aber es war schon zu spät. Er erschlaffte, und ich schalt mich einen Narren, weil ich einen deutlichen Impuls meines Logiksektors überhört hatte. Nun mußte ich warten, bis wir die Lichtschranke abermals passiert und den Kulminationspunkt erreicht hatten, an dem der Rücksturz begann. Da ich bis dahin nichts unternehmen konnte, begann ich, Trockman Quit die Unterarme und den Nacken zu massieren. Das bekam ihm offensichtlich gut, denn schon wenig später öffnete er die Augen. Sie sahen schon viel klarer aus. »Hoffentlich bringst du uns hier bald heraus, Piratenhäuptling!« schrie ich ihn an. »Mir reicht’s allmählich.« »Ich weiß gar nicht, weshalb du dich aufregst«, versetzte er mühsam. »Es ist doch alles in Ordnung.« Unser Sturz wurde langsamer. Plötzlich streckte Quit sich aus, so daß seine Sohlen quietschend über die Wand rutschten. Ich verringerte meine Geschwindigkeit auf die gleiche Weise, konnte beobachten, wie er an ein Schott gelangte, dessen
Umrisse ich kaum erkennen konnte. Mit sicherem Griff öffnete er es und zog sich hindurch. Dann streckte er mir die Hand entgegen. Ich ergriff sie und folgte ihm in eine Kammer, in der zahlreiche Kleincontainer standen. Die Aufschriften verdeutlichten, daß darin pflanzliches Material aufbewahrt wurde. »Hör zu, Atlan!« Er drohte mir mit ausgestrecktem Finger. »Wir gehen zu Schrika, der alten Vettel. Sie wird uns helfen, also benimm dich vernünftig. Laß dich vor allem nicht auf politische Diskussionen ein, und wenn du es schon nicht umgehen kannst, gib dich als Verehrer von Orbanaschol zu erkennen.« »Ich bin alles andere, nur nicht das.« Er blickte mich finster an. Dann machte er eine wegwerfende Bewegung. »Mir ist es egal, ob du im Oberstübchen ganz in Ordnung bist oder ob du primitiv genug bist, andere politische Richtungen für besser zu halten. Das ist deine Sache. Schrika aber ist in der Lage, jeden eigenhändig umzubringen, der gegen Imperator Orbanaschol ist. Halte dich daran!« »Orbanaschol ist ein Mörder«, entfuhr es mir. »Du willst, daß ich dir helfe, also sorge dafür, daß ich nicht für ihn eintreten muß.« Narr! zischte der Extrasinn. Quits Gesicht verzerrte sich. »Begreifst du nicht? Pariere, sonst ist es aus mit der FARNATHIA. Richte dich nach mir!« »Mit dir ist es auch nicht mehr gut bestellt, Quit. Sheerons Leute haben dein Schiff zerstört und deine Mannschaft vertrieben oder getötet. Du bist auf der Flucht. Also benimm du dich nicht wie jemand, der das Kommando über den gesamten Asteroiden übernommen hat.« »Du scheinst an unseren Erfolgsaussichten zu zweifeln?« »Das ist recht milde ausgedrückt.« »Du brauchst dich nur Sheerons Leuten zu stellen. Dann hast
du deine letzte Chance vertan.« »Ich werde weiterhin versuchen, Sheeron zu überrumpeln. Aber auf meine Weise. Ich tue, was ich für richtig halte. Haben wir uns verstanden?« Er lachte mir ins Gesicht. »Abwarten. Wir wollen doch mal sehen, wie lange du noch große Töne spuckst.« Er stieß ein Schott auf und gab mir einen Wink, ihm zu folgen. Als ich an ihm vorbeiglitt, schlug er mir die Faust mit voller Wucht in den Magen. Ich wurde von dem Angriff völlig überrascht. »Das war für die Behauptung, Seine Erhabenheit Orbanaschol sei ein Mörder!« Ich prallte gegen die Container und hielt mich fest. Quit verschwand durch die Öffnung, als sei nichts geschehen. Weil er nun aufrecht ging, mußten dort draußen normale Gravitationsverhältnisse herrschen. Trockman Quit hatte mich durch diverse Korridore, Tunnel und Antigravschächte bis in eine Wohnlandschaft geführt, die mich verblüffte. Schrika – wer auch immer das sein mochte – lebte in einer etwa zwei Körperlängen hohen Halle, deren Ende ich nicht sehen konnte. Von der Decke hingen pastellfarbene Plastikscheiben unterschiedlich weit herab, zum Teil bestückt mit mobilen Plastiken, leuchtenden Faserbüscheln oder bunten Stoffbahnen. Die wenigen Stützsäulen fielen kaum auf und waren überdies äußerst geschickt mit Fellen oder Teppichen verhüllt. Überall sah ich kleinere individuell eingerichtete Wohninseln auf verschiedenen durch Treppen verbundenen Raumebenen. Während Quit vor mir herging, blickte ich mich um. Ich entdeckte ausschließlich junge Frauen, die in schwarze hautenge Anzüge gekleidet waren und sich nur durch die Haarfarbe, die Stiefel und die metallenen Gürtel voneinander
unterschieden. Die meisten saßen oder lagen auf bequemen Möbeln und schwatzten miteinander, verfolgten ein Unterhaltungsprogramm im Trividwürfel oder vergnügten sich mit Spielen. Einige tanzten, andere bastelten an Modellraumschiffen, und wiederum andere trainierten den waffenlosen Kampf. Wir gingen kurze Treppen hinauf, durchquerten Entspannungsinseln, in denen Frauen zusammensaßen und wahrscheinlich erbeutete Getränke probierten, und schließlich stiegen wir auf den Rücken von hölzernen Tieren, die als riesiges Karussell einen beachtlichen Abschnitt der Halle umkreisten. Als wir abstiegen, standen wir vor einer kreisrunden Plattform, zu der eine Treppe hinaufführte. Auf den Stufen standen uns drei Frauen gegenüber; üppige große Gestalten mit feuerrotem Haar, grünen Gürteln und ebenfalls grünen Stiefeln. »Du kennst mich, Helta«, sagte Quit zu einer, die ich am attraktivsten fand. »Ich muß Schrika sprechen. Sehr schnell.« Sie schürzte die Lippen. »Du kennst mich auch, Kleiner«, sagte sie mit eisiger Stimme. »Bevor du nicht sauber bist, kommst du nicht einen Schritt weiter.« »Es ist, deutlich gesagt, eine Schweinerei von dir, daß du überhaupt hierherkommst, ohne dir den Dreck von der Haut zu waschen«, sagte die Feuerhaarige in der Mitte. »Du stinkst«, fügte die rechte knapp hinzu; blickte mich an und rümpfte die Nase. »Es ist wichtig.« »Sauberkeit ist wichtiger. Verschwinde!« Trockman Quit wußte, daß er verloren hatte, aber nicht, wie er es mir beibringen sollte, ohne sein Gesicht zu verlieren. Er wischte sich mit der Hand über die Nase und schniefte. »Wo können wir uns reinigen?« fragte ich. Er atmete erleichtert auf. »Ich zeige es dir, Atlan. Komm!«
»Atlan heißt er. Wie nett«, sagte eine der drei Schönen hinter mir. Ihr Tonfall trieb mir das Blut in die Wangen; in meinem Kopf kicherte der Extrasinn hämisch. »Sieht auch aus wie ein Taigon.« Quit eilte voraus. Wir durchquerten ein halbiertes Kleinraumschiff, das in die Wohnhalle ragte und mit der Decke verschweißt war. Die Frauen hatten es feuerrot gespritzt. Ich mußte zugeben, daß die Idee dekorativ war. Quit raubte mir meine Illusionen, als er die flache Hand gegen die Hülle des Wracks schlug und grinste. »Die Weiber könnten bestimmt auch eine halbierte FARNATHIA brauchen.« Er sprang zurück, als er meine Reaktion sah. Ich hatte Mühe, ihm zu folgen, während er mich an eine silbrig glänzende Wand führte, die mit Totenmasken bedeckt war. Von unsichtbarer Hand ständig bewegt, sah es aus, als schwimme die ganze Wanddekoration auf einem Meer und werde von den Wellen hin und her geworfen. Als Quit einer Maske die Fingerspitzen in die Augen drückte, öffnete sich vor uns eine Tür; der Zugang zu Hygienekabinen. »Wirf deine Kleider in den Automaten dort links! Er gibt sie wieder aus, sobald wir fertig sind.« Erste Station war ein Schwitzbad, in dem die Temperaturen so hoch waren, daß ich glaubte, mir würden sämtliche Poren aufplatzen. Quit brach unter dem Hitzeschock fast zusammen und machte Anstalten, die enge, dampferfüllte Kabine zu verlassen, nahm sich dann jedoch zusammen und beobachtete mich durch die Schwaden. Mir trieb es den Schweiß aus der Haut. Wir blieben nicht lange in dem Abteil, weil Quit behauptete, sterben zu müssen. Nach der Hitze folgte ein Eisbad, danach eine ausgiebige Dusche. Als wir die Maskenwand später wieder durchschritten, kam ich mir nahezu keimfrei sauber vor. Quit glühte förmlich. »Ich
kann nicht reden.« Er griff sich an die Kehle. »Ich bin vollkommen ausgetrocknet.« »Wie schön. Dann habe ich endlich ein bißchen Ruhe vor dir. Und nun Tempo, mein Lieber, sonst stelle ich mich wirklich!« Die drei Frauen erwarteten uns an der Treppe. Die linke beugte sich zu Quit herab. »Wer bist du denn?« »Du weißt genau, wer ich bin, Helta«, sagte er wütend. »Laß mich jetzt endlich durch, oder du wirst etwas erleben.« »Tatsächlich.« Sie stellte sich überrascht. »Das ist Trockman Quit. Wer hätte das gedacht. So sauber habe ich das Kerlchen noch nie gesehen. Bist du’s wirklich, Kleiner?« Er wollte sich an ihr vorbeischieben, doch sie packte ihn mit den Händen an den Oberarmen und hob ihn mühelos hoch. Sie hielt ihn mit ausgestreckten Armen und musterte ihn neugierig, während er mit den Beinen strampelte, aber nichts gegen sie ausrichten konnte. Sie grinste höhnisch, drehte sich mit ihm um und ließ ihn auf die Stufen fallen. Dann wandte sie sich mir zu und versuchte das gleiche Spiel. Sie hatte mich unterschätzt: Bevor sie mich hochstemmen konnte, legte ich ihr meine Hände von innen an ihre Unterarme, faßte zu und bog sie ihr mit einem Ruck nach außen. Sie wurde blaß und sank ächzend auf die Knie. »Laß mich los!« bat sie leise. »Du brichst mir die Knochen.« »Das täte mir wirklich leid.« Ich gab sie frei, lächelte den anderen freundlich zu und stieg die Treppe hoch. »Sie sollten wissen, daß ich normalerweise stets sehr höflich zu Damen bin.« Quit wartete auf mich. Seine Augen blitzten so stolz, als habe er diesen kleinen Sieg errungen. Hinter ihm erschien eine korpulente Frau, die ihr Haar blau gefärbt hatte, aber besser eine andere Kleidung als die enge Kombination hätte wählen sollen. Der Anblick wäre dann etwas angenehmer gewesen. Sie eilte mit watschelnden Schritten auf Quit zu und ließ ihm
die rechte Hand auf die Schulter krachen. Ich erwartete, daß der Pirat zu Boden gehen würde, aber er schien mit der Attacke gerechnet zu haben, tat, als sei überhaupt nichts geschehen, drehte sich langsam um und blickte die Dicke an, als sei er überrascht. »Schrika, alte Vettel. Wo kommst du plötzlich her?« »Tu nicht so. Ich habe deutlich gehört, wie deine Knochen brachen.« Er griff sich an die Schulter, massierte sie leicht und schnaufte abfällig. »Du hast eine völlig falsche Vorstellung von Männern. Aber das wirst du wohl nie begreifen. Ich habe eine wichtige Nachricht für dich.« »Und ich habe eine für dich, Zwerg.« Sie lächelte ihn so herzlich an, als wolle sie ihm mitteilen, daß sein Beuteanteil soeben drastisch erhöht worden sei. »Was gibt’s?« »Hanwigurt hat eben bekanntgegeben, daß er eine hohe Prämie auf den Kopf des Burschen ausgesetzt hat.« Sie zeigte auf mich. »Wie man ihn abliefert, ist ihm egal. Er hat gesagt, es genüge, wenn noch ein bißchen Leben in ihm sei…« »Und?« »Und? Was und?« äffte sie ihn nach. »In Richmonds Schloß ist der Teufel los. In sämtlichen Nestern machen sich die Männer auf. Alle wollen deinen neuen Freund jagen; gibt ein wenig Abwechslung.« Sie lachte schadenfroh. »Von deinem Mirkandhoum ist nichts übriggeblieben. Sheeron hat es sich nicht nehmen lassen, einen Bericht über die Strafaktion seiner Leute ausstrahlen zu lassen. Du nennst jetzt nur noch einen Trümmerhaufen dein eigen. Es wäre besser gewesen, du hättest diesen Jüngling sofort an Tropp übergeben. Dann wärst du jetzt noch ein recht wohlhabender Mann.« »Was ist aus meinen Leuten geworden?« »Zweiundzwanzig von ihnen sind hier eingetroffen; liegen
ausnahmslos in der Klinik. Keiner ist ohne schwere Verletzungen davongekommen. Na, was ist, willst du Sheeron immer noch vom Thron stoßen?« »Jetzt erst recht«, sagte Trockman Quit verbissen. Sie nickte, als habe sie nichts anderes erwartet. Ohne sich um uns zu kümmern, wandte sie sich um und eilte die Stufen hinauf. Wir gingen ihr langsamer nach, passierten einige Stellwände und erreichten eine Liegeinsel. Mehrere Frauen mit silbrigblonden Haaren servierten Getränke, aber ich hatte keine Augen für sie: Direkt vor mir, nur etwa sieben Schritte entfernt, stand mein Oheim, Imperator Orbanaschol III. der Mann, der für den Tod meines Vaters verantwortlich war! Trockman Quit hieb mir brutal die Faust in den Rücken und zischte: »Komm zu dir, du Narr. Du wirst doch wohl nicht auf eine Statue hereinfallen!« Schrika war auf die Liege gesunken und bot uns Platz an. Ich hatte den Schock überwunden, setzte mich neben Quit, ergriff seinen Arm und zwang ihn, mich anzusehen. »Bei der nächsten Aufmerksamkeit dieser Art bringe ich dich um. Ich rate dir, diese Warnung nicht als Scherz anzusehen.« Die fette Anführerin der Piratinnen musterte mich und nickte. Sie schien mit meiner Drohung einverstanden zu sein. Schöne Verhältnisse! »Und jetzt wollen wir endlich zur Sache kommen«, knurrte ich. »Die Besatzung der FARNATHIA hat keine Zeit mehr zu verlieren.« »Er ist amüsant; gefällt mir.« »Er nennt sich Atlan«, antwortete Quit. »Behauptet, einen Geheimauftrag für Seine Erhabenheit erledigt zu haben.« Argwöhnisch starrte sie mich an, und ich wußte, daß der Pirat zu dick aufgetragen hatte. »Was für einen Auftrag?« forschte sie mit einer Stimme, die mich ahnen ließ, daß sie nicht von ungefähr das Kommando in diesem Nest führte. »Das steht nicht zur Debatte«, sagte ich ablehnend. »Hier
geht es um die FARNATHIA und um Hanwigurt Sheeron. Ich werde euch behilflich sein, ihn zu entmachten, aber ich lasse mich nur auf dieses Spiel ein, wenn ihr sofort etwas unternehmt.« »Du hast ja keine Ahnung, was im Teaultokan los ist. Hier befinden wir uns in einer ruhigen Insel. Von meinen Mädchen geht keine Gefahr aus. Sie fühlen sich alle wohl hier und kennen keine Langeweile. Draußen aber wirst du von zehntausend Raubtieren gesucht. Du hast keine Chance, es sei denn, wir bringen dich direkt zu Sheeron. Aber das können wir erst, wenn wir alles vorbereitet haben. Sheeron ist kein Narr. Er rechnet ständig damit, daß jemand versucht, ihn auszuschalten.« Quit blickte mich verständnisheischend an. »Es ist in der letzten Zeit wenig passiert. Viele sind halb verrückt vor Langeweile. Sheeron nutzt die Situation geschickt aus. Sie werden ihre Aggressionen bei der Jagd nach dir abbauen.« »Am wirkungsvollsten können sie das vor allem dann, sobald sie mich haben«, ergänzte ich und konnte nicht verhehlen, daß ich unruhig wurde. Es war kein angenehmes Gefühl, von 10.000 Piraten gesucht zu werden. Ich konnte mir vorstellen, was man mit mir machen würde. Sheeron hatte schließlich die Bedingung gestellt, ein »bißchen Leben« müsse noch in mir bleiben. »Dieser Mann scheint mir ziemlich klug zu sein. Er braucht nur zu warten. Es wäre vernünftig, so schnell wie möglich zu ihm zu gehen, denn da bin ich am sichersten.« »Du wirst aber nicht vernünftig sein, Kleiner«, sagte Schrika. »Das wird sich zeigen. Zunächst möchte ich mehr über euren Plan wissen.« »Ich habe dir alles gesagt«, behauptete Quit. Ich lächelte spöttisch. »Eigentlich solltest du doch gemerkt haben, daß ich nicht ganz so dumm bin, wie du glaubst.«
Er hob die Arme, als sei er hilflos gegen soviel Hartnäckigkeit, und wechselte verständnisvolle Blicke mit Schrika. »Also gut… Von der Robotgarde habe ich dir schon berichtet. Sie ist nur auf die von mir geschilderte Art auszuschalten. Anders geht es nicht.« »Ich habe ihm sogar schon eines meiner schönsten Mädchen auf den Hals geschickt. Natürlich in allen Ehren«, fügte die Fette empört hinzu. »Aber er läßt niemanden an sich heran.« »Es kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Das sind die Phalanen, eine Gruppe von Arkoniden, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Sheeron zu schützen. Sie tun es freiwillig und ohne Auftrag, und Sheeron läßt es sich gefallen. So kommt er zu einer perfekt funktionierenden Sonderwache, ohne dafür zahlen zu müssen.« »Wir müßten den Phalanen den Spaß verderben, um Sheeron abzusetzen«, ergänzte Schrika. Eine junge Frau mit weißen Haaren kam herbei und reichte ihr eine Platte mit kaltem Braten. Ohne uns etwas anzubieten, aß sie einige Scheiben. »Umbringen können wir sie nicht. Dann hätten wir alle anderen gegen uns. Verprügeln hilft nicht.« »Das würdet ihr auch gar nicht schaffen«, behauptete Quit. »Bei allem Respekt vor deiner Truppe, Schrika.« Ich war noch immer nicht zufrieden, denn ich spürte, daß die beiden mir nicht alles gesagt hatten. Irgend etwas fehlte. Ich versuchte, mich an den Flug mit dem Staubei zu erinnern. Wie hatte Tropp es gelenkt? Wie hatte er sich in der SogmantonBarriere orientiert? Sollte es mir nicht möglich sein, selbst so ein Kleinstraumschiff zu steuern? Je länger ich über diese Frage nachdachte, desto deutlicher wurde mir bewußt, daß ich es – trotz Logiksektor und fotografischem Gedächtnis – ohne genaue Einweisung nicht allein schaffen konnte. Ich bin auf die Hilfe eines Mannes wie Trockman Quit angewiesen, sosehr mir das auch mißfällt.
Unsere Unterredung war schlagartig zu Ende, als aus zahlreichen versteckt angebrachten Lautsprechern das Marschlied Orbanaschols Ehre unter den Sternen ertönte. Der Donnerhall der Blasinstrumente ließ das Mobiliar erzittern. Die gesamte Wohnlandschaft schien aus den Fugen zu geraten, überall sah ich die Frauen hochschnellen. Sogar Schrika sprang erbleichend auf. Ich war überrascht, daß diese korpulente Frau sich so geschmeidig bewegen konnte. »Rasch, du mußt dich verstecken!« rief sie. »Sheerons Horden sind in unser Nest eingedrungen. Sie suchen dich und zerschlagen alles, wenn sie dich hier finden. Sie warten ja nur darauf, uns etwas nachweisen zu können. Unser Leben paßt ihnen schon lange nicht.« Sie plapperte haltlos darauflos, als müsse sie mir alle Zusammenhänge auf einmal erklären. Ich blickte mich suchend um. »Wo kann ich mich verstecken?« Sie hörte mich überhaupt nicht. Ich verlor die Nerven: Wütend riß ich sie an mich und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Ihr feistes Gesicht bebte. Fassungslos starrte sie mich an, hielt sich die Wange und zeigte nach oben. »Da finden sie dich nicht.« Dann kam sie zu sich, steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. Unmittelbar darauf eilten von allen Seiten Frauen herbei. Schrika rief ihnen etwas zu, was ich nicht verstand. Sie packten mich, drückten mir etwas in die Hand und schleuderten mich nach oben zwischen die Plastikscheiben. Ich bemerkte Stangen, Lautsprecher, Nischen und allerlei technisches Gerät, das unter der Decke angebracht war, ohne das Bild der Wohnlandschaft zu stören. Ich klammerte mich an einen Kasten und schob den aktivierten eiförmigen
Antigravprojektor, den die jungen Frauen mir gegeben hatten und der mich in eine schwerkraftaufhebende Feldblase hüllte, hinter meinen Gürtel. So konnte ich mich mühelos halten, aber ich fühlte mich keineswegs sicher. Wer zufällig zu mir heraufblickt, wird mich sehen. Brüllend rannten einige farbenprächtig gekleidete Piraten unter mir vorbei. Ich beobachtete, wie sie eine Frau niederschlugen und sich daranmachten, die Liegeinsel auseinanderzureißen. »Er muß hier irgendwo sein!« Ich entdeckte einen Kasten, bei dem der Deckel fehlte. Vorsichtig hangelte ich mich zu ihm hinüber und stellte fest, daß er bis zur Hälfte mit arkonidischen Lochmünzen gefüllt war. Hier lagerte ein kleines Vermögen. Ich setzte mich auf die Chronners und Merkons und war von unten nicht mehr zu sehen. Über die Kante hinweg spähte ich auf die Szene der Zerstörung. Es tat mir leid, daß ich nicht eingreifen konnte. Sechs Frauen tauchten plötzlich bei den Männern auf. Ein lautloser Kampf begann, der nur mit gestreckten Füßen, Fingern, Handkanten und Ellbogen ausgetragen wurde und dem die Piraten nicht gewachsen waren. Noch immer übertönte die Marschmusik den Kampflärm in den anderen Bereichen der Wohnlandschaft. Ich konnte nur warten. Ab und zu sah ich Frauen vorbeilaufen. Einige von ihnen schleiften bewußtlose Arkoniden hinter sich her. Das zeigte mir, daß Schrika inzwischen Herr der Lage war. Ich kroch schließlich aus meinem Versteck und sank langsam ab, vom Antigrav getragen. Vorsichtig blickte ich nach allen Seiten, konnte aber keine aufrecht stehenden Männer mehr sehen. So schwebte ich auf den nicht zerstörten Teil der Liegeinsel hinunter und streckte mich aus. Wieder einmal war ich zur Untätigkeit verdammt. Ich konnte nichts tun, als über meine Lage und die von Farnathia nachzudenken. Die Marschmusik verstummte. Schrika und Quit kamen
zurück, beide sahen zerzaust aus. Quit konnte kaum noch aus den Augen schauen; die Lider waren kräftig angeschwollen, so daß nur noch schmale Schlitze frei blieben. Sein Gegner hatte ihn voll getroffen. Die fette Anführerin der Piratinnen war ein wenig besser weggekommen – bei ihr hatte sich nur ein Auge geschlossen. »Ihr seht euch erstaunlich ähnlich«, sagte ich ironisch. »Quit, von wem bist du verprügelt worden? Von dem männlichen Suchkommando oder von der weiblichen Abwehr?« Er trat mit dem Fuß nach mir, verfehlte mich jedoch, weil ich mich zur Seite drehte. In diesem Augenblick entdeckte ich den Energiestrahler, der zwischen den Kissen lag. Es handelte sich um eine superleichte Brikks, die eine Reichweite von nur etwa zehn Metern hatte. Für mich war dieser Strahler jedoch vollkommen ausreichend. Ich schob mich über die Waffe und bot Quit meinen Platz an, behielt ihn aber ständig im Auge, weil ich wissen wollte, ob er etwas bemerkt hatte. Als sich meine Hand um die Griffschale des Strahlers legte, machte Quit eine blitzschnelle Bewegung und richtete einen Desintegrator auf mich. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich hatte ihn unterschätzt, und er schien sehr genau zu wissen, was er zu tun hatte. Schrika schob sich schnaufend an mir vorbei und nahm mir die Brikks ab. Vorwurfsvoll schüttelte sie den Kopf. »Wenn du so ein Ding dabei hast, kommst du niemals bis zu Sheeron.« »Zur Seite«, flüsterte Quit. »Schnell.« Ich preßte mich ebenso fest an die Wand wie er. Ein riesiger Arkonide kam uns entgegen. Seine Gestalt wirkte durch eine dick aufgeplusterte Felljacke noch mächtiger. Der Mann hatte sich das Haar schwarz gefärbt und zu dicken Zöpfen geflochten. Mit finsterer Miene marschierte er an uns vorbei,
ohne uns eines Blickes zu würdigen. Zwei kleinere Männer folgten ihm. Sie starrten uns neugierig an, erkannten uns jedoch nicht. »Deine Maske ist perfekt«, stellte Quit zufrieden fest, als sie außer Hörweite waren. Wir gingen durch einen Hauptgang eines der größten Beuteraumschiffe, die mit den anderen am Asteroiden verschweißt worden waren. Erstmals konnte ich durch quadratische Luken nach draußen sehen: Rötliches Licht erhellte die Wracks, aber Einzelheiten waren nicht auszumachen; einige Bauroboter arbeiteten an einem halbkugelförmigen Gebäude. »Weiter! Wir haben nicht viel Zeit.« In der spiegelnden Scheibe prüfte ich mein Aussehen zum wiederholten Mal. Mein Gesicht war nicht mehr wiederzuerkennen. Mit Hilfe von Bioplasma hatte eine Maskenbildnerin meine Züge so nachhaltig verändert, daß ich selbst glaubte, einem Fremden gegenüberzustehen. Schrika hatte währenddessen die Pläne erläutert, die zum Sturz des Telepathen Sheeron führen sollten. Ich schürzte die Lippen. Bei allem Respekt vor dieser korpulenten Dame konnte ich nicht umhin, ihr Vorhaben als wahnwitzig zu bezeichnen. Wiederum machte ich nur mit, weil man mir in aller Freundlichkeit beigebracht hatte, daß dies die einzige Chance für die FARNATHIA und ihre Besatzung war. Dreißig Zweiergruppen von Schrikas Frauen näherten sich dem Mirkandhoum der Phalanen in einem ehemaligen Maahkraumer, also jenem Bereich, in dem die arkonidische Leibwache Sheerons hauste. Es handelte sich um eine Splittergruppe der Piraten, die dem Phalaym-Glauben anhing. Für mich waren sie, nachdem ich Näheres erfahren hatte, verrückte Götzendiener. Arkoniden, die eine Säule anbeten, die angeblich sogar weinen kann – Quatsch… Das Ding stammte offenbar aus den unergründlichen Tiefen
der Sogmanton-Barriere und vermittelte den Anhängern auf nicht näher beschriebene Weise ein Gefühl der Glückseligkeit. Schrika vermutete, daß die Säule als Mittler und Anker wirkte, solange sich die Anhänger nicht zu weit entfernten und regelmäßig mit der Säule Kontakt herstellten. Sheeron tolerierte diese Sekte und bot ihnen die Möglichkeit, in Ruhe ihrem absonderlichen Götzen zu huldigen. Im Gegenzug übernahmen sie Sheerons Schutz. Unsere Aufgabe war, die blaue Säule an uns zu bringen, in einen schwer zugänglichen Teil dieses Maahk-Wracks zu schleppen und für eine Weile zu verteidigen. Schrika hat behauptet, eine solche Aktion werde die Phalanen lähmen, da sie alle extrem von dem Phalaym abhängig seien. Dies sei der einzige Weg, die freiwilligen Leibwächter Sheerons für die entscheidende Phase des Kampfes auszuschalten. Ihr Heiligtum soll ihnen zurückgegeben werden, sobald Sheeron entmachtet ist. Der Plan macht insofern Sinn, als die Phalanen sicher alles tun werden, um ihren Götzen unbeschadet zurückzubekommen. Sofern die Informationen stimmen, haben sie nach der Entwendung sogar mit Orientierungslosigkeit, Depression und ähnlichem zu kämpfen… Der Extrasinn flüsterte eindringlich: Die Säule könnte mit den Legenden über die Kristallobelisken zusammenhängen, Kristallprinz! Erinnere dich: Sogmanton Agh ’Khaal war auf der Suche nach dem sagenhaften Land Arbaraith, als er die Barriere entdeckte. Vielleicht hat er letztlich doch gefunden, was ersuchte? Selbstverständlich kannte ich diese Erzählungen, schließlich trug ich nach dem Wunsch meiner Mutter den Namen eines der zwölf Heroen. Es schien mir aber doch zu weit hergeholt, vielfach aufgebauschte Vorzeitmythen mit realen Dingen in Verbindung zu bringen, selbst wenn sich in ihrem Kern ein Körnchen Wahrheit verbarg. »Los doch!« drängte Quit. Auch er hatte sich unter den Händen der Maskenbildnerin verändert, sah jetzt brutal und
häßlich aus, und sein Äußeres ließ auf eine gewisse Primitivität schließen. »Oder hast du Angst?« »Wenn mein Leben und meine Sicherheit von dir abhängen, ist mir immer bang zumute.« »Achtung!« Ich sah die Gruppe, die auf uns zukam, ebenfalls. Fünf Phalanen, die hellblaue Kombinationen aus einem samtähnlichen Stoff trugen. Auf ihrer Brust prangte eine dunkelblaue, schimmernde Säule. Die Männer waren mit Hochenergie-Luccots schwersten Kalibers bewaffnet. Quit eilte sofort auf die nächste Tür zu und stieß sie auf. An ihm vorbei konnte ich einen älteren Mann sehen, der auf einem Bett lag und offensichtlich geschlafen hatte. Jetzt richtete er sich unwillig auf und blinzelte in das Licht, das vom Gang hereinfiel. Quit betrat die Kabine, warf sich auf den Boden und blickte unter die Liege. Dann sprang er hoch, riß einen Schrank auf und brüllte: »Wo hast du ihn versteckt?« Die Phalanen blieben bei uns stehen und sahen zu, wie Quit den Alten durchschüttelte. Einer von ihnen packte den Kleinen an der Schulter, schleuderte ihn mit einem Ruck aus der Kabine und sagte verächtlich: »Das kann doch ein Rekkar erkennen, daß hier niemand versteckt ist.« Quit landete in meinen Armen. Ich klopfte ihm mit den Knöcheln gegen die Stirn. »Er hat einen ziemlich heißen Kopf. Vorhin hat er sogar mich, seinen besten Freund, für diesen Atlan gehalten.« »Vielleicht bist du es sogar.« Einer der Blauen wollte mit den Fingern an meine Augenbrauen greifen. Blitzschnell packte ich seinen Daumen und den kleinen Finger und spreizte beide ruckartig; er ging schreiend auf die Knie. »Oh, ich war wohl etwas heftig?« Ich beobachtete Quit, der sich bleich bis an die Wand zurückzog, darauf hoffend, von
den Phalanen nicht belästigt zu werden. Die Blauen umringten mich drohend, und mir wurde nun doch etwas eigenartig in der Magengegend. Ich hatte gewußt, daß der Plan Schrikas seine Tücken hatte. Wie haben wir nur hoffen können, ungestört bis in den innersten Bereich des Phalanen-Nestes zu kommen? »Die Jagd auf den entflohenen Gefangenen ist freigegeben worden.« Ich bemühte mich, möglichst ruhig zu erscheinen. »Sollte sich das noch nicht überall herumgesprochen haben?« Einer von ihnen hob seinen Impulsstrahler. Die anderen drängten sich näher an mich heran, so daß Quit mich nicht mehr sehen konnte, obwohl er unmittelbar neben uns stand. Meine Augen tränten. Ich konnte dieses Zeichen äußerster Erregung nicht länger unterdrücken. Die Phalanen gaben keinen Laut von sich, aber ihnen war anzusehen, daß sie mich umbringen wollten. Ich aber gab nicht auf, war entschlossen, mich so teuer wie möglich zu verkaufen. Da bekam ich von unerwarteter Seite Hilfe, als jemand mit befehlsgewohnter Stimme rief: »He, Baesh, Trong, Keila! Kommt her! Schnell!« Die Männer ließen sofort von mir ab. Auf dem Gang stand ein gewichtiger Arkonide, der eine goldene Kette zur blauen Uniform um den Hals trug. Die Phalanen eilten auf ihn zu und folgten ihm, als er einen herrischen Wink machte. »Da gehen sie hin«, sagte Quit verächtlich. »Wo du gerade dabei warst, sie zu verprügeln – oder sollte ich mich irren?« Er blickte mich nachdenklich an, und sein Tonfall änderte sich. Jetzt ließ seine Stimme einen gewissen Respekt erkennen. »Ich habe dich unterschätzt, Freund Atlan. Seltsam, du bist noch sehr jung, und doch verhältst du dich wie ein Mann, der eine Schule allererster Qualität durchgemacht hat. Darf man fragen, durch wessen Hände du gegangen bist?« »Ich bin ein Naturtalent. Hast du das noch nicht gemerkt?« Er lächelte eigenartig. »Ich denke, du wirst mir noch sagen,
wer dein Laktrote war. Komm jetzt. Wir verschwinden, bevor die Phalanen auf den Gedanken kommen, daß sie bei dir noch etwas nachzuholen haben.« »Du hast recht, Kleiner. Sie könnten sich bewußt werden, daß sie sich auf einen Falschen konzentriert haben.« »Da vorn – das blaue Schott«, sagte Quit. Wir standen an einer Gangabzweigung. Deutlich waren die Schweißstellen zu erkennen, an denen zwei Schiffskörper zusammengefügt worden waren. Nicht weit von uns entfernt erschienen zwei Frauen aus Schrikas Gruppe. Sie gaben uns ein Zeichen, waren kampfbereit – und mit ihnen waren es wenigstens zehn weitere Zweiergruppen. Quit drückte mir den Paralysator in die Hand und nickte mir aufmunternd zu. »Wir verlassen uns auf dich.« Ich nahm die Waffe, schob sie mir hinten in den Gürtel und rannte auf das blaue Schott zu. Dabei blickte ich mich immer wieder um, so als werde ich verfolgt. Die Wache fiel prompt darauf herein. Der Durchgang öffnete sich, und ein breitschultriger Mann kam mir entgegen. »Stehenbleiben!« Ich hatte ihn fast erreicht. Wollte ich ihn nicht umrennen, konnte ich nichts anderes tun, als ihm zu gehorchen. »Mein Name ist Atlan. Ich bin der entflohene Gefangene, den alle suchen. Bitte, ich kann nicht mehr. Ich…« »Atlan? Ich habe sein Bild gesehen.« Rasch griff ich mir ans Kinn und entfernte einen Teil der Biomasse. Er begriff und drehte sich halb um. »Du kannst hereinkommen.« Ich sah an ihm vorbei. Hinter dem Schott lag ein zweiter Durchgang, der jedoch nicht bewacht wurde. Bevor er Gegenwehr leisten konnte, zog ich die Waffe aus dem Gürtel
und löste sie aus. Er brach zusammen, ich packte ihn an der Brust und riß ihn nach vorn, so daß er genau in der Gleitbahn des Schotts landete und es blockierte. Quit und einige Frauen hetzten heran, während ich über den Bewußtlosen hinwegstieg und mich auf das nächste Schott konzentrierte. Bevor ich jedoch einen der Knöpfe drücken konnte, schoben mich die Frauen zur Seite. »Vorsichtig! Das geht nicht so einfach.« Ich trat zurück. Wenigstens zwölf Frauen drängten sich in der Schleuse. Ein weiteres Dutzend wartete draußen. Das blaue Schott schloß sich, nachdem Quit den Paralysierten weggezogen hatte. Unmittelbar darauf war der Weg ins Phalanen-Nest frei. Die Frauen rannten los, griffen eine Gruppe von Blauen an, die um einen Tisch herumstanden und miteinander diskutierten. Sie wurden von den Frauen völlig überrascht: Bevor sie überhaupt erfaßt hatten, was geschah, lag die Hälfte von ihnen bewußtlos auf dem Boden. Quit zog mich mit. Wir eilten an den Kämpfenden vorbei auf ein weißes Schott zu, das zwischen zwei Einbauschränken kaum zu erkennen war. Mein Begleiter fand den Öffnungskontakt sofort, und wir kamen auf einen Gang, der steil in die Höhe führte. »Dies war ein Schiff der Maahks«, sagte Quit, während wir die Schräge hinaufliefen. »Das Phalaym befindet sich in der ehemaligen Zentrale.« Alarmpfeifen heulten auf. Es hatte lange gedauert, bis die Phalanen gemerkt hatten, was gespielt wurde. Jetzt kam es darauf an: Schrika hatte behauptet, daß wir auf unserem Weg, der uns direkt bis zu einem Raum oberhalb der früheren Hauptleitzentrale führen sollte, kaum mit Gegnern zu rechnen hätten. Dort mußten wir versuchen, mit den Traktorfeldprojektoren unserer Aggregatgürtel das Phalaym zu erreichen.
»Hast du das Phalaym selbst jemals weinen sehen?« Quit blieb stehen und rang nach Luft. Wir hatten ein weiteres Schott erreicht, das mit fremdartigen Schriftzeichen versehen war. »So wahr Gonozal in der tiefsten Hölle aller Höllen schmort«, antwortete er keuchend. »Das Ding kann wirklich Wunder vollbringen!« Für seine unverschämte Behauptung über meinen Vater hätte ich ihm am liebsten den Schädel eingeschlagen. Ich beherrschte mich. Er hätte vermutlich überhaupt nicht begriffen, um was es mir ging. »Wunder?« sagte ich spöttisch. »Mir scheint, euch Piraten ist das faule Leben hier nicht bekommen. Wunder gibt es in unserer Zeit nicht mehr.« »Sieh da! Der aufgeklärte junge Mann erlaubt sich, triviale Weisheiten von sich zu geben. Du bist ein wenig zu grün, mein Junge, um in Sachen Wunder mitreden zu können.« »Du hast recht. Es gibt noch Wunder. Eines davon ist, daß ich dir für deine Frechheiten nicht schon lange den dürren Hals umgedreht habe. Wie lange willst du hier eigentlich noch herumstehen? Ein Mann mit deiner schwachen Kondition sollte nicht an solchen Aktionen teilnehmen.« »Mir wird die Luft knapp«, gestand er mühsam. »Mein Herz ist nicht mehr so…« »Der Besatzung der FARNATHIA geht es noch viel schlechter«, unterbrach ich grob. »Sie hat kein Verständnis dafür, daß wir unnötig Zeit vergeuden.« Ich stieß ihn zum Schott. Er öffnete es. Dahinter lag ein kreisrunder Raum, in dem ein Phalane an einer TrividMultiphon-Orgel spielte. »Hallo, Freund, besser hätten wir es wirklich nicht treffen können.« Flink wie ein Wüstenpritt setzte Quit über die Positronik der Orgel hinweg und sprang dem Phalanen an die Gurgel. Gemeinsam stürzten sie über die Tastatur, die den Spieler ringförmig umgab. Das kakophonische Durcheinander
ließ die Lautsprecher in der ehemaligen Hauptleitzentrale des Raumschiffs aufbrüllen. Ich fühlte, wie der Boden erzitterte. Quit erschien und rieb sich die linke Faust. »Der Bursche hat ein stahlhartes Kinn.« Er beugte sich über das Instrument und drückte eine Reihe von Knöpfen. Jetzt bebte der Boden unter mir. Der Lärm durchdrang die Isolierung, so daß ich mir annähernd vorstellen konnte, was jetzt unten los war. Vermutlich hielt es keiner der Phalanen in dem Krach aus. »Denk doch auch mal an die Frauen«, rief ich. »Sie sind schließlich auch in der Zentrale.« »Die hören nichts«, antwortete er grinsend. »Denen hängen doch die Haare über die Ohren!« Zwei Schotten öffneten sich gleichzeitig, vier Blaue kamen herein. Ich löste den Paralysator aus und betäubte zwei von ihnen. Die beiden anderen warfen sich auf Quit, so daß ich nicht schießen konnte, ohne auch ihn zu paralysieren. »Bleib, wo du bist!« brüllte der Kleine, als er sah, daß ich in den Kampf eingreifen wollte. »Mit den beiden Würstchen werde ich spielend fertig.« Das waren vorläufig seine letzten Worte. Die Phalanen schlugen gleichzeitig zu, ihre Fäuste krachten an sein Kinn, und Quit streckte sich seufzend aus. Nun kam es nicht mehr darauf an: Bevor sich die beiden Piraten erheben konnten, paralysierte ich sie. Sie fielen auf Quit und blieben regungslos liegen. Ich zog ihn hervor und richtete ihn auf, merkte aber sofort, daß er mir nicht mehr helfen konnte. Er würde wohl erst wieder zu sich kommen, wenn schon alles vorüber war – so oder so. Ich setzte ihn auf die Tastatur der Orgel im Bereich der höheren Töne. Nachdem ich die Blauen nach Waffen untersucht hatte, ohne welche zu finden, hastete ich weiter. Im Laufen überprüfte ich den Paralysator. Das Energiemagazin war schon stark entladen gewesen. Jetzt
reichte die Energie höchstens noch für zwei Schüsse. Die Piraten haben sich alles sehr schön ausgedacht und geplant, damit ich genau das mache, was sie von mir erwarten. Sie sollen sich dennoch getäuscht haben. Bis zu einem bestimmten Punkt werde ich ihre Pläne verfolgen, so, wie sie es sich vorgestellt haben, aber dann werde ich den Spieß umkehren und sie nach meinen Regieplänen führen. Ich erreichte die Stelle, die mir Schrika beschrieben hatte. Von hier aus führte ein Stichgang zu einer geräumigen Kabine eines Maahkoffiziers. Sie war leer bis auf einige versiegelte Kästen, die ich zur Seite rücken mußte, um die Platte im Boden freizulegen. Alles war so, wie Schrika gesagt hatte; genaugenommen war die Kabine Teil der insgesamt deutlich dickeren, vielschichtigen Panzerung der Zentrale. Deutlich konnte ich die Rillen erkennen. Ich schob die Desintegratorklinge des Messers hinein und führte sie langsam um das Quadrat herum. Dann legte ich das Werkzeug zur Seite; mit einem Ruck hob ich die Platte hoch. Darunter befand sich die von den Maahks verwendete Isolierschicht, die ich ebenfalls mit dein Desintegratormesser heraustrennen mußte. Darunter folgte bereits die Kunststoffverschalung der Hauptleitzentralendecke. Unbeschreiblicher Lärm drang von unten hoch; die zahlreichen Lautsprecher der Orgel dröhnten in unerträglicher Weise. Ich setzte das Messer an. In diesem Moment wurde es schlagartig still. Nur das Geschrei der Kämpfenden war noch zu hören. Endlich hatte es einer der Phalanen geschafft, die Orgel abzuschalten. Rasch trennte ich das Material durch und achtete darauf, daß die Platte nicht in die Zentrale hinabfiel. Ich blickte direkt auf die Spitze des blauen Phalayms! Die Säule hatte einen Durchmesser von nur etwa einer Handbreite. Wie lang sie war, konnte ich nicht genau erkennen. Ich
schätzte, daß sie übermannshoch war. In ihrem Innern herrschte ein eigenartiges »Leben«: Blasen und stäbchenförmige Kristalle stiegen in ihr auf und ab, und milchige Schleier glitten an ihrer Peripherie entlang. Mehrere Phalanen kauerten andächtig auf dem Boden, den Kopf auf die Knie gesenkt – der Lärm ließ sie völlig unberührt, sie waren in einer Art Trance. Was mich entsetzte, war der Anblick, den Schrika bot: Die Blauen hatten sie in ihre Gewalt gebracht und vor das Phalaym geschleift. Sie lag direkt unter mir auf der Seite, Arme und Beine um die Säule geschlungen. Ihr Körper war transparent, schimmerte in einem hellen, bläulichen Licht! Deutlich konnte ich die Organe erkennen. Schrikas Kopf leuchtete blutigrot. Nur das Gehirn hatte eine grünliche Farbe, die das Rot überstrahlte. Da ich die Bewegungen ihres Herzens erkennen konnte, wußte ich, daß sie noch lebte. Ich war wie gelähmt, und ich mußte an die Worte von Quit denken. Fast war ich geneigt, an ein Wunder zu glauben, bis ich einen kräftigen Tritt gegen die Beine erhielt. Er riß mich aus dem Bann des Phalayms.
4. Aus: Die Mannax-Kommentare, Harxid da Zoltral. In: Gesammelte Werke. Hakata, Starjoy 2441 Die allegorische (und natürlich erfundene) Aussage des Heroen Tran-Atlan: »Wie wollen sie das Zhy erreichen, wenn sie nicht einmal das Mehinda ablegen wollen?« bewog die späteren Dagoristas dazu, mit den Traditionen des bereits allmählich erstarrenden Systems zu brechen und auf jegliche äußeren Zeichen einer adligen Herkunft zu verzichten. Dieser programmatische Entschluß erwies sich im Laufe der Jahre
als ein zweischneidiges Katsugo: Man gewann zwar die Hochachtung der Essoya, doch diese schlug recht schnell in eine verklärte und abergläubische Verehrung der Tron’athorii HuhanZhy um (der »Hohen Sprecher des Göttlich-Übersinnlichen Feuers«, wie die Dagoristas mitunter vom Volk beschrieben wurden). Auf der anderen Seite wurden durch eine solch drastische Maßnahme zahlreiche rechtschaffene, doch konservative Mitglieder des Adels abgeschreckt. In das so entstandene Vakuum konnten später destruktive und reaktionäre Elemente eindringen, die zuvor nur ein Schattendasein am Rande der arkonidischen Gesellschaft fristeten. Man hat leider nicht verstanden, daß auch Dagor nur einen Teil der uns zugänglichen Realität abbildet, daß auch für um die immerwährende Regel des Seins gegeben ist: Es gibt keine Revolution ohne Opfer und keine Evolution ohne Geduld. Über mir stand ein Mann, der mich auf den ersten Blick an Fartuloon erinnerte. Er wirkte übermäßig fett und trug eine Art Lederrüstung, die seinen Körper vollständig umhüllte. Der kahle Schädel glänzte, als sei er mit Fett poliert worden. Das Gesicht verschwand fast völlig unter einem schwarzen Bart. Die Augen leuchteten hellrot. In der Faust hielt der Pirat ein Schwert, das außerordentlich scharf war, wie er mir sogleich demonstrierte – denn er ritzte mir den Oberschenkel auf. Ich hatte kaum eine Berührung gespürt, und doch begann die Wunde stark zu bluten. »Steh auf!« befahl er mir. Langsam erhob ich mich, wobei ich fieberhaft überlegte, wie ich meinen Gegner überwinden konnte. Im Raum blieb für einen Kampf kaum genügend Platz. Alle Vorteile lagen bei dem Piraten. »Was treibst du hier?« Ich stand breitbeinig über der Öffnung. Jetzt deutete ich nach unten und antwortete: »Das Phalaym!«
Dann trat ich zurück. Mochte er sich selbst zusammenreimen, was ich meinte. Er setzte mir die Schwertspitze an die Kehle und schob mich zurück, bis er in das Loch sehen konnte. Ruckartig fuhr sein Kopf hoch. Er starrte mich haßerfüllt an. »Du wolltest es zerstören.« »Geht das denn?« Hinter ihm erschien Quit. Der Kleine näherte sich ihm auf Zehenspitzen, dennoch war er nicht leise genug. Ich sah, wie der Mann in der Lederrüstung die Augen verengte, und glaubte erkennen zu können, daß er die Ohren spitzte. Der Druck des Schwertes auf meine Kehle verstärkte sich. »Falls jemand auf einen dummen Gedanken kommen sollte, bist du ein toter Mann«, sagte er so laut, daß Quit es hören konnte, und schob seinen linken Fuß einen halben Schritt zur Seite. Er beachtete das Loch im Boden nicht und verlor das Gleichgewicht. Blitzschnell wischte ich das Schwert zur Seite, ohne mich zu verletzen. Quit schlug dem Mann einen Gegenstand über den Kopf, ohne daß ich sehen konnte, was es war. Auf jeden Fall erzielte er damit eine volle Wirkung. Der Mann stürzte kopfüber in das Loch, paßte jedoch nicht ganz hindurch. Ich dachte an das Phalaym und an Schrika, die da unten lag, aber Quit hatte sich schon auf ihn geworfen, landete mit angezogenen Knien auf seinem Rücken und preßte ihn dadurch ein Stück weiter nach unten. »Verdammt, er sitzt fest.« Jetzt erschien es mir unmöglich, den Dicken wieder nach oben zu ziehen. Deshalb schob auch ich kräftig nach. Das reichte: Er stürzte nach unten, streifte die Spitze der Säule. Ich beobachtete, daß er knapp neben dem rot leuchtenden Kopf der Piratin auf den Boden krachte und liegenblieb. Quit stieß mit dem Fuß gegen die Klinge, und die Waffe kippte über den Rand, bevor ich sie halten konnte. Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Sie flog auf Schrika zu,
bohrte sich vor ihrem Kinn in den Boden und verletzte die Gefesselte. Grünlich schimmerndes Blut quoll hervor. Quit starrte nach unten und stöhnte. »Was ist das? Ich habe Schrika für eine Arkonidin gehalten.« Er begriff nicht, daß die Farbveränderungen durch das Phalaym hervorgerufen wurden. Ich nahm meinen Aggregatgürtel ab, drängte Quit zur Seite und positionierte den Gürtel an die Öffnung. »Schnell! Gib mir deinen Gürtel! Einer reicht nicht.« Die Phalanen unter uns waren aus ihrer Andacht oder Trance aufgeschreckt und schrien wild durcheinander. Einige von ihnen verlangten nach Paralysatoren. Wir durften keine Zeit mehr verlieren. Quit nestelte nervös an seinem Gürtel, bekam aber das Schloß nicht auf. Ich schlug ihm die Hände zur Seite und nahm ihm den Gürtel ab. »Los doch, los doch!« Wir legten uns auf den Boden und zogen die tarnende Hülle von den Gürteln ab. Darunter wurden die Schaltungen der kleinen Feldprojektoren sichtbar. Wir stimmten die Justierungen aufeinander ab, das gravomechanische Kraftfeld entstand. »Jetzt!« Das Traktorfeld legte sich als unsichtbare Klammer um das Phalaym. Nach unseren Berechnungen hätte nun die Säule aufsteigen müssen. »Verfluchter Gonozal! In tausend Höllen sollst du schmoren! Warum rührt sich das Ding nicht?« Bevor ich Quit hindern konnte, verstärkte er das Kraftfeld um das Zehnfache, so daß die Säule aus der Verankerung gerissen werden mußte. Unter uns erschienen mehrere Phalanen mit Paralysestrahlern. In diesem Moment löste sich das Phalaym knirschend aus seiner Halterung. Die Blauen brüllten vor Entsetzen, als die Säule wie eine Rakete aufstieg. Damit trat genau das ein, was wir nicht beabsichtigt hatten. Überhastet versuchte Quit, seinen Fehler wiedergutzumachen, aber er erreichte gar nichts; das Phalaym flog wie ein blauer
Schatten an uns vorbei und prallte mit voller Wucht gegen die Decke. Fast erwartete ich, daß es hindurchbrechen und in höhere Regionen des Schiffes eindringen würde. Doch das trat nicht ein: Die Säule zerbarst mit einem Lärm, der uns die Trommelfelle zu zerfetzen drohte. Sie explodierte förmlich und löste sich in mikroskopisch kleine Partikel auf. Eine türkisfarbene Wolke füllte den Raum schlagartig bis in den letzten Winkel. Quit rang keuchend und würgend nach Luft und atmete den Staub ein. Ich preßte mir den Ärmel vor das Gesicht, packte den Piraten an der Schulter und zerrte ihn hinter mir her. Auf dem Gang war die Wolke nicht ganz so dicht, dennoch hielt ich weiter die Luft an, bis ich einen Gang erreichte, der völlig sauber war. Quit brach zusammen. Er wälzte sich auf dem Boden und schnappte nach Luft. Ich sah, daß sich sein Kopf rötlich verfärbte und langsam transparent wurde, und half ihm auf. »Trockman! Das kann doch nicht wahr sein.« Er hustete. »Was ist? Wovon redest du?« »Dein Kopf ist durchsichtig geworden. Mann, du hast tatsächlich ein Gehirn in deinem Schädel. Jetzt glaube ich auch an Wunder.« Er war beleidigt, schob sich mit einem ärgerlichen Knurren an mir vorbei und eilte zum nächsten Schott. An einer spiegelnden Fläche konnte er sich sehen. Bedauerlicherweise verschwand das Phänomen wieder, so daß er nur noch einen roten Schimmer wahrnahm. Er fuhr herum. »Du hast ja keine Ahnung, was du angerichtet hast. Die Phalanen… Das Phalaym war ihr Heiligtum. Du hast es vernichtet.« »Ich?« Er legte die Hand an die Kontaktplatte. Das Schott glitt zur Seite. Etwa dreißig Phalanen, die mit Energiestrahlern, Schwertern, Messern und Stangen bewaffnet waren, stürmten
auf uns zu und schrien vor Wut. Quit erbleichte und verschloß das Schott schnell wieder, bevor einer der Blauen auf uns schießen konnte. »Weg hier!« Der Kleine rannte keuchend an mir vorbei, doch ich packte ihn, so daß er von seinem eigenen Schwung herumgewirbelt wurde. »Wohin willst du? Du läufst in eine Sackgasse. Dahinten ist Schluß. Es gibt nur einen Ausweg.« Ich schleppte ihn in die Kabine, in der das Phalaym explodiert war. An den Wänden, an der Decke und am Boden klebte türkisfarbener Staub. Hinter uns hörten wir die Schritte der Verfolger. »Da unten ist es ganz aus mit uns«, sagte Quit entsetzt. Ich setzte mich auf den Boden und schob die Beine durch die Öffnung. »Gut. Bleib hier. Die Blauen werden sich freuen, wenn sie wenigstens einen von uns erwischen.« »Du bist ein Teufel!« Seine Stimme bebte vor Wut. »Du würdest glatt zusehen, wie sie mich auseinandernehmen.« »Immerhin könnte ich dann feststellen, ob du tatsächlich ein Gehirn in deinem Schädel hast oder ob es nur eine optische Täuschung war.« Ich sprang, bevor er seinen Zorn an mir auslassen konnte. Dicht neben Schrika landete ich auf dem Boden. Sie lag blaß und erschöpft auf dem Sockel, auf dem vorhin noch das Phalaym verankert gewesen war. Bevor ich mich aufrichten konnte, prallte Quit gegen mich. Dadurch kam er weniger hart auf als ich, und es gelang ihm sogar, schneller auf die Beine zu kommen. »Los doch! Schnell!« rief er. »Die Blauen…« Ich wälzte mich zur Seite und zog Schrika mit. Wir fielen von dem Sockel herab und entgingen dadurch einem Energiestrahl, der von oben herabblitzte. In der ehemaligen Hauptleitzentrale des Maahk-Schiffes herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Die Spuren schwerer Kämpfe waren nicht zu übersehen. Einige Phalanen lagen
bewußtlos zwischen Kissen und Liegen. Auch einige der Kämpferinnen Schrikas hatten den Kampf nicht unbeschadet überstanden. Ich zog Schrika mit mir. Sie war so benommen, daß sie kaum laufen konnte. Quit dachte nicht daran, uns zu helfen. Er rannte auf das Hauptschott zu und setzte in hohen Sprüngen über alle Hindernisse hinweg, die auf seinem Weg lagen. Ich befürchtete bereits, er wolle uns im Stich lassen, als er das Schott erreichte, sich bückte und einen überschweren Paralysestrahler aufhob. Die Waffe war mit einem Mikrograv ausgestattet, sonst hätte er sie trotz Schultergurt gar nicht tragen können. Quit richtete sie auf den Sockel: Dort landeten jetzt die Blauen. Wir wären verloren gewesen, hätte Quit nicht so konsequent gehandelt. Er löste die Waffe immer wieder aus, so daß alle Phalanen betäubt wurden, kaum daß sie den Boden erreichten. »Ich nehme alles zurück, was ich über dein Gehirn gesagt habe«, versprach ich, als Schrika und ich ihn erreichten. Er richtete den Paralysestrahler auf mich. Seine Augen starrten mich kalt an. »Das will ich dir auch geraten haben!« »Du bist mir ein wenig zu eigenmächtig«, knurrte der Pirat. »Das gefällt mir nicht.« »Nimm die Waffe weg!« Schrika schob sich energisch an mir vorbei und stellte sich vor Quit. Er verzog das Gesicht und trat unschlüssig einen Schritt zurück. »Vergiß nicht, daß du ohne mich überhaupt nichts ausrichten kannst! Dein Nest ist zerstört, deine Leute sind demoralisiert. Wir haben eine Vereinbarung mit Atlan, und die werden wir halten.« Zwar sah ich ihr Gesicht nicht, aber ich war bereit, jede Wette darauf abzuschließen, daß sie ihm jetzt zuzwinkerte. Ich konnte es ihrer Stimme anhören, daß sie nicht daran dachte, wirklich das zu tun, was ich erwartete. Wir hatten übersehen, daß weitere Phalanen durch die Öffnung in der Decke
herabgesprungen waren. Jetzt rückten sie auf uns zu. Ich hörte sie und drehte mich nach ihnen um. Die meisten von ihnen waren bewaffnet, doch keiner von ihnen richtete seine Waffe auf uns. In ihren Gesichtern stand tiefe Trauer. Einige Männer schienen völlig verzweifelt zu sein, wankten orientierungslos, hatten einen glasigen Blick. Psychische Abhängigkeit! raunte der Logiksektor. Vermutlich ein paranormaler Einfluß, der von der Säule ausging! »Komm her!« Schrika zog mich zur Seite, so daß Quit freies Schußfeld hatte. Er brauchte den Paralysator jedoch nicht einzusetzen. Die Blauen blieben stehen. »Warum habt ihr das getan?« fragte einer von ihnen mit tonloser Stimme. Ich verspürte keine Reue. Ein Götzenbild war zerstört worden. Mehr nicht. Darüber hinaus trug ich nicht die Schuld. Wäre es nach mir gegangen, wäre das Phalaym auch jetzt noch unbeschädigt gewesen. »Wir haben sie«, flüsterte Quit erleichtert. »Sie sind vollkommen fertig!« »Sheeron ist seine Leibwache los«, raunte Schrika. »Jetzt kann er sich nur noch auf die Roboter verlassen und auf ein paar Männer, die nicht viel taugen.« Sie lügt! raunte der Extrasinn. Vorsicht! Sie öffnete das Schott. An ihr vorbei konnte ich auf den sich anschließenden Hauptgang sehen. Dort standen die Phalanen dicht an dicht. Sie boten alle den gleichen Anblick, waren blaß und sahen völlig verstört aus, schienen von der Umgebung kaum noch etwas mitzubekommen. Einige von ihnen trugen deutliche Spuren des Kampfes, den sie mit den durchtrainierten Frauen Schrikas durchgestanden hatten. Die Niederlage der Blauen war vollkommen, doch jetzt kehrte sich in mir das Gefühl des Triumphs um. Plötzlich dachte ich anders über das Phalaym und die Phalanen. Ich hatte nicht gewußt, daß ihnen der »Götze« so viel bedeutet
hatte, daß sie derart eng mit der Säule verbunden gewesen, ja quasi süchtig geworden waren – und nun den abrupten »Entzug« zu verkraften hatten. Die Zerstörung des Phalayms schien sie aller ihrer Energie beraubt zu haben; einige brachen zusammen, wimmerten und jammerten. Bis jetzt hatte ich nur an die FARNATHIA gedacht und rücksichtslos meine Ziele verfolgt, ohne die Probleme der anderen zu sehen. Ich hatte die Piraten nur als Verbrecher gesehen und mußte erkennen, wie falsch das gewesen war, fühlte mich gedemütigt. In diesen Augenblicken erkannte ich, daß ich mich auf den Anschlag gegen das Phalaym nicht hätte einlassen dürfen. Was wußte ich schon von dieser Säule? War es nicht reichlich vermessen von mir gewesen, sie einfach als »Götzen« zu bezeichnen? Wie hatte ich das einfach so abtun können, was die Blauen als »Wunder« bezeichneten? Ich dachte an Fartuloon, und ich wußte, daß er mein Verhalten verurteilt hätte. Schrika gab mir einen Stoß in den Rücken. »Träum nicht, Kleiner!« Ich ging vor ihr und Quit durch den Gang. Die Phalanen wichen vor uns zurück, ohne uns anzugreifen. Sie waren tatsächlich völlig demoralisiert und nicht mehr in der Lage, irgend etwas gegen uns zu unternehmen. Ihr Amoklauf war nur von kurzer Dauer gewesen, die panische Erstreaktion. Nun waren sie am Boden zerstört, hilflos. Ich erinnerte mich, daß sie Sheeron freiwillig als Leibwache gedient hatten. Es wurde Zeit, daß ich meine Pläne überdachte. Vielleicht ist dieser Hanwigurt Sheeron ein ganz anderer Mann, als ich bisher angenommen hatte. Wir erreichten das Ende des Ganges. Ein Phalane öffnete uns das blau eingefärbte Schott und ließ uns widerstandslos durch, ehe er zu Boden sank und hemmungslos schluchzte. Quit nickte mir zu; er sah jetzt wieder harmlos aus. Gerade das
machte mich aufmerksam, denn ich wußte, daß sich sein wahres Ich hinter dieser Maske verbarg. »Ich muß dich loben«, sagte er bedächtig. »Natürlich wärst du ohne meine Hilfe erledigt gewesen, aber du hast dich recht gut gehalten. Du sollst dafür belohnt werden.« »Das hast du schon einige Male gesagt. Inzwischen hast du mir aber gezeigt, daß du nicht so ohne weiteres bereit bist, mir auch tatsächlich zu helfen.« »Was willst du damit sagen?« »Ich möchte zumindest wissen, ob du überhaupt darüber informiert bist, wo die Zaradhoum untergebracht sind.« Er lächelte herablassend. »Natürlich bin ich das. Komm, ich zeig’s dir.« »Ich verschwinde«, sagte Schrika. »Meine Mädchen brauchen mich.« Quit nickte Schrika zu und ließ sie ziehen. Mich führte er zu einem Antigravschacht und sank darin einige Stockwerke nach unten. An einigen Stellen konnte ich sehen, wo das Maahk-Schiff mit einem anderen Wrackteil verschweißt worden war. So war es auch nicht schwer für mich zu erraten, wohin Quit mich weiterhin führte, als wir den Schacht verließen. Wir kehrten in das Maahk-Schiff zurück und kamen unmittelbar darauf in einen Hangar, in dem tatsächlich drei Staubeier standen. Der Pirat drückte mir den Paralysator gegen die Hüfte. »Nur, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst.« Ich stellte mich überrascht. »Was meinst du? Du weißt doch genau, daß ich so ein Ding gar nicht fliegen kann. Und wie sollte ich allein die FARNATHIA finden?« Er grinste und ließ die Waffe sinken. »Du hast natürlich recht.« Mein ganzer Zorn entlud sich in dem Schlag, den ich ihm versetzte. Ich traf ihn an der Kinnspitze und betäubte ihn auf
der Stelle. Anschließend warf ich den Gurt des Paralysators über die rechte Schulter, legte mir Quit über die andere und trug ihn in die Schleuse eines Staubeis. Hier begannen die Schwierigkeiten, als ich versuchte, das Außenschott zu schließen und das Innenschott zu öffnen. Es gelang mir weder das eine noch das andere. Vergeblich bemühte ich mich, mir in Erinnerung zu rufen, wie Tropp die Schotten bewegt hatte. Hastig strich ich mit den Händen über die glatten Flächen, ohne daß etwas geschah. Quit kam bereits wieder zu sich. Ich wollte jedoch nicht warten, bis er so klar war, daß er mir wirklich helfen konnte. Ich zwang mich zur Ruhe, und endlich hatte ich Erfolg: Rücksichtslos schleifte ich den Piraten in die Staubeikanzel und setzte ihn auf den Pilotensessel. Er stöhnte. Der Kopf fiel ihm immer wieder auf die Brust. Er hatte sichtlich Mühe, die erneute Bewußtlosigkeit zu überwinden. Ich fürchtete bereits, daß er eine Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Ich wartete ab und betrachtete die Instrumente. Einige Geräte konnte ich leicht identifizieren. Positronikblöcke, Orter und Taster, der Hyperkom. Mit ihnen wußte ich etwas anzufangen, doch die meisten übrigen Einrichtungen blieben mir rätselhaft. Ich benötige jemanden, der das Ei fliegen und mich beraten kann, dachte ich erbittert. Zweifellos sind besondere astronautische Kenntnisse notwendig, um überhaupt in der Sogmanton-Barriere fliegen zu können. Ich hatte Quit die Wahrheit gesagt: Allein kann ich dieses Ding wirklich nicht fliegen, sondern bin auf seine Hilfe angewiesen. Resignierend lehnte ich mich in dem Sessel zurück und wartete, bis der Pirat wieder voll bei Sinnen war, und überlegte mir, wie ich ihn zwingen konnte, das zu tun, was ich wollte. Mir fiel nichts ein. Ich wußte nicht, was ich tun sollte; es wäre sinnlos gewesen, Gewalt anzuwenden. Der Mann schien meine Gedanken zu erraten. Als seine Augen wieder
klar waren, drehte er sich zu mir um und rieb sich das angeschwollene Kinn. »Heute habe ich reichlich Prügel bezogen. Was meinst du, wie ich mich fühle?« »Ich nehme an, du hast Sehnsucht nach weiteren Züchtigungen. Oder sollte ich mich irren?« »Stell dir vor: Du irrst dich.« »Tatsächlich! Und ich dachte, du seist hart im Nehmen.« Er blickte mich erneut an und versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht; seine untere Gesichtspartie hatte zu stark gelitten. »Verdammt!« Stöhnend tastete er die Schwellungen ab. »Das wirst du mir bezahlen.« »Darüber reden wir später. Jetzt wirst du zuerst einmal zur Kasse gebeten. Wir starten und bergen meine Freunde in der FARNATHIA!« »Gern.« Er stand auf. »Ich sehe natürlich ein, daß du Sehnsucht nach ihnen hast. Bitte – fliege das Ding! Ich kann es nicht.« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte ihn wieder in den Sessel. Seine Selbstsicherheit verlor sich augenblicklich. In seinen Augen stand nackte Angst, als er heiser sagte: »Du kannst mich erwürgen. Du kannst tun mit mir, was du willst, aber du kannst mich nicht zwingen, das Ding zu starten. Es gibt nur eine kleine Gruppe von Spezialisten unter uns, die damit umgehen können. Es sind Spezialkonstruktionen! Du hast dir den falschen Mann geschnappt. Es wäre besser gewesen, Tropp hierherzubringen. Schrika hättest du auch wählen können, aber nicht mich. Ich habe andere Aufgaben innerhalb unserer Organisation. Es tut mir leid.« Mein Logiksektor bestätigte die Annahme, daß er die Wahrheit sagte. Quit ist wirklich der falsche Mann. Als er merkte, daß ich ihm glaubte, lebte er wieder auf. »Du kannst mir vertrauen, Atlan. Ich halte Wort! Sobald Sheeron
entmachtet ist, beschaffe ich dir einige Piloten. Sie werden mit mehreren Zaradhoum in die Barriere hinausfliegen und deine Freunde holen. Bitte, glaube mir.« Ich wollte nicht aufgeben. Nochmals konzentrierte ich mich auf die Instrumente. Du verlierst nur Zeit, signalisierte mein Logiksektor kühl. Schrika war nicht überrascht, als wir in ihrem Nest erschienen. Sie nickte mir zu, als sei es selbstverständlich, daß wir zurückgekommen waren. »So – und jetzt geht es Sheeron an den Kragen.« Sie blickte mich forschend an. »Wie fühlst du dich?« Ich war müde und abgespannt. Die Enttäuschung so nahe vor dem Ziel hatte mir viel von meinem Schwung genommen. »Er ist frisch, als wäre er gerade eben erst aus der Schwitzkabine gesprungen«, antwortete Quit an meiner Stelle. »Oder?« Er sah mir an, wie es um mich stand. »Du willst doch jetzt wohl nicht aufgeben? Du weißt genau, daß das Schicksal deiner Farnathia dir keine Zeit läßt, dich aufs Ohr zu legen. Unsere Chancen stehen jetzt gut. Sheeron ist seine Leibgarde los. Wenn wir jetzt zuschlagen, gewinnen wir. Warten wir zu lange, erholt er sich wieder.« Schrika steckte die Finger in den Mund und pfiff zweimal schrill. Die Frauen kamen so schnell, als hätten sie schon vorher gewußt, was die Dicke haben wollte. Sie reichten mir ein dunkelbraunes Gebräu, das süßlich roch. »Es hilft wirklich«, beteuerte die fette Piratin. »Es gibt dir neuen Schwung. Runter damit!« Ich folgte der Empfehlung und wartete ab. Die Wirkung trat schon bald ein. Die Müdigkeit verflog, und ich konnte mich wieder auf das konzentrieren, was Schrika und Quit miteinander zu besprechen hatten. »Der Zwerg wird dich zu
Sheeron bringen«, sagte sie. »Einige meiner Mädchen und ich werden dich begleiten. Wir werden ihm sagen, daß wir dich in einem Versteck erwischt haben und es als unsere Pflicht ansehen, dich auszuliefern.« »Er wird zu Tränen gerührt sein«, spottete ich. »Glaubt ihr denn wirklich, daß er von den Vorfällen bei den Phalanen noch nichts erfahren hat?« »Er wird nicht heulen«, behauptete Quit. »Er weiß zwar, was geschehen ist, aber er hat keine Ahnung, wer genau für die Vorfälle verantwortlich ist.« »Schrika und ihre Frauen waren dabei«, sagte ich. Quit nickte. »Sicher, aber es gibt noch zwei weitere Nester auf Richmonds Schloß, in dem ausschließlich Weiber – äh – Damen leben. Eines wird von einer Schönheit geleitet, die unserer Schrika zum Verwechseln ähnlich ist – ihrer Schwester! Und diese hat in letzter Zeit häufig mit den Phalanen im Streit gelegen. Der Verdacht wird sofort auf sie fallen.« »Gut«, stimmte ich zu. »Was soll ich tun?« »Genau das, was wir dir gesagt haben. Sheeron ist ein fetter und häßlicher Mann, ziemlich unbeweglich, der sich ganz auf seine besondere Begabung der Telepathie verläßt. Er wird versuchen, deine Gedanken zu erfassen und alles aus dir herauszuholen, was er erfassen kann. Da bei dir ohnehin nicht viel da ist, wird er enttäuscht werden, aber das spielt für unsere Pläne keine Rolle.« Er blinzelte mir boshaft zu, weil er meinte, sich nunmehr bei mir revanchiert zu haben. Als ich nicht reagierte, war er mit sich und mir unzufrieden. »Das nächstemal, wenn du dich bemühst, mich zu beleidigen, werde ich so tun, als hättest du mich tief getroffen.« Meine Entgegnung ärgerte ihn noch mehr. Bevor er jedoch darauf eingehen konnte, stieß ihm Schrika den Fuß gegen das Bein und erinnerte ihn daran, daß es jetzt wichtigere
Dinge gab. »Sheeron ist fast nie bewaffnet«, fuhr er zögernd fort. »Er verläßt sich im allgemeinen auf seine Roboter. Du wirst deshalb möglichst nahe an ihn herangehen, ihn dann angreifen, die Schaltungen am Gürtel vornehmen und die Kampfautomaten stillegen.« Wieder pfiff Schrika. Der Ton fiel ein wenig anders aus; die Frauen verstanden sie genau, brachten eine KSOL-Tafel, die sich mit mehreren Zeichnungen überzog. »Das ist der Gürtel. Ich zeige dir jetzt, was du tun mußt.« Ich hörte angestrengt zu. Vorsicht! Mein bei der ARK SUMMIA aktiviertes Extrahirn beschränkte sich auf diese knappe Warnung. Irgend etwas stimmte nicht. Wenn es wirklich nur darauf ankam, den Gürtel zu betätigen, brauchten sie mich nicht. Das hätten sie unter Umständen allein schaffen können, es sei denn, daß die damit verbundene Gefahr zu hoch für sie war. Es mußte einen Unsicherheitsfaktor geben, den sie mir nicht nennen wollten. Umgibt sich Sheeron mit einem Energieschirm, in dem ich verbrennen werde, sollte ich ihm zu nahe kommen? Verfügt er über Sicherheitseinrichtungen, die praktisch nur zu überwinden sind, wenn der Angreifer dabei sein Leben opfert? Wollen sie mich gegen Sheeron einsetzen, weil sie genau wissen, daß ich dabei sterben werde? Besteht vielleicht nur diese eine Chance, Sheeron zu entmachten? Vorläufig sollten sie noch nichts von meinen Bedenken merken. Ich mußte auf ihre Pläne eingehen, ob ich wollte oder nicht, denn nur in ihrer Begleitung konnte ich mit heiler Haut zu Sheeron vordringen. In Richmonds Teaultokan herrschte nach wie vor Chaos. Zehntausend Männer und Frauen durchsuchten den Asteroiden und die Raumschiffe und Wracks bis in den letzten Winkel. Lasse ich mich sehen oder werfen mich Schrika und Quit hinaus, weil sie mit mir nichts mehr anfangen können, muß ich damit rechnen, von der Menge
umgebracht zu werden. Das Getränk, das sie mir verabreicht hatten, wirkte. Die Müdigkeit verflog vollkommen, so daß ich mich leichter und beweglicher fühlte, als hätte ich lange und tief geschlafen. Zugleich wurde ich ungeduldig und wollte, daß Quit mich endlich zu Sheeron führte. »In Ordnung«, rief Quit mit tiefer Baßstimme. Er schlug mir mit der Hand kräftig auf die Schulter. Blitzschnell stieß ich ihn zurück, weil mir die Berührung unangenehm war. Er flog von seinem Sitz, überschlug sich und landete zwischen den Kissen. Betroffen blickte ich erst auf meine Hand und dann zu ihm, verstand mich selbst nicht mehr. Wie hatte ich nur so heftig reagieren können? Er hatte mir doch nicht mehr als einen freundschaftlichen Klaps gegeben. Der Pirat richtete sich auf und rieb sich die Schulter. In seinem verquollenen Gesicht war von Gefühlsregungen nicht viel zu erkennen. Dennoch vermeinte ich, so etwas wie Zufriedenheit feststellen zu können. »Komm jetzt!« befahl er barsch. »Los, steh auf! Wir gehen.« Obwohl es mir nicht ganz gefiel, daß unsere Unterredung so endete, stand ich auf. Irgend etwas in mir zwang mich, ihm zu gehorchen. Du warst zu durstig, meldete mein Logiksektor. Droge! Ich ging bereitwillig hinter Quit her. Schrika folgte mir; ich hörte, wie sie schnaufend atmete. Sie hatte Mühe, so schnell voranzukommen wie wir. Dennoch protestierte sie nicht, sondern rief aufgebracht: »Bummel nicht so, Atlan!« Unter anderen Umständen hätte ich entsprechend reagiert. Jetzt fühlte ich mich ohnmächtig und machte mir mühsam bewußt, daß ich wirklich unter dem Einfluß einer Droge stand. Ich bin nicht mehr ich selbst, verhalte mich wie ein
vorprogrammierter Roboter, der über keinen eigenen Willen verfügt. Warum haben mich Quit und Schrika beeinflußt? Ich versuchte, mich auf diese Frage zu konzentrieren, aber es gelang mir nicht. Meine Gedanken drifteten immer wieder in alle Richtungen davon. Mal dachte ich an Farnathia, ohne lange bei ihr verweilen zu können, mal an Fartuloon, den Bauchaufschneider, dem ich alles verdankte. Wie würde er sich in meiner Situation verhalten? Ich fand keine Antwort darauf. Schrika und Quit führten mich vom Nest der Piratinnen zu einem Antigravschacht. Darin sanken wir nach unten und durchquerten anschließend mehrere Bereiche, die von abenteuerlich gekleideten Männern bewacht wurden. Ohne Schwierigkeiten passierten wir. Quit wies eine orangefarbene Karte vor und sagte: »Wir müssen zu Sheeron. Es eilt.« Daraufhin machte man uns widerstandslos Platz. Auf weitgeschwungenen Gängen, die quer durch mehrere Raumschiffe hindurchführten, umgingen wir die Mirkandhoum verschiedener Piratensippen. Schrika gab hin und wieder knappe Erklärungen darüber ab. Ich achtete nicht darauf, sondern kämpfte gegen die Droge, obwohl ich einem Betrunkenen glich, der sich krampfhaft bemühte, seine Umgebung nicht merken zu lassen, daß er die Kontrolle über seinen Körper verloren hatte – und gerade durch seine unsicheren Bewegungen auffiel. Je näher wir unserem Ziel kamen, desto geringer wurde mein Widerstand gegen das unheilvolle Pharmakon in meinem Blut! Gleichzeitig fühlte ich mich kräftiger, und meine Aggressivität nahm zu. Du läufst direkt ins Messer, stellte mein Logiksektor fest, der offensichtlich unabhängig von der Droge funktionierte, aber keinen entscheidenden Einfluß auf meine Willenskraft mehr hatte. Mir war, als spreche ein Fremder zu mir, jemand, der mich nicht wirklich etwas anging.
»Sheeron ist im Nest der Schlangen!« Die Worte schien von sehr weit herzukommen; ich vernahm sie kaum. Erst als Quit meinen Arm ergriff und mich aufhielt, begriff ich, daß diese Worte von ihm stammten. Ich rieb mir die Augen und atmete tief durch. Allmählich klärte sich der Kopf. »Was sagtest du?« »Sheeron ist bei den Schlangen. Wir haben es nicht mehr weit.« »Schlangen?« »Das sind Verrückte, die sich fast ausschließlich in Schlangenhäute kleiden und sich einbilden, eine Elitetruppe zu sein; Zarltoner. Ich vermute, daß Sheeron sich eine neue Leibgarde besorgen will, nachdem die Phalanen ausgefallen sind.« »Meinetwegen.« Mir war alles egal. Ich wollte nur endlich zu Sheeron, der zu spüren bekommen sollte, daß ich mich nicht länger an der Nase herumführen ließ. Notfalls werde ich ihn mit Gewalt dazu bringen, das zu tun, was wir ihm befehlen. »Sind wir bald da?« »Wir sind da, Atlan. Wir brauchen nur noch durch das Schott da zu gehen.« Er deutete auf einen Eingang, der mit Schlangenhäuten beklebt war. Davor stand ein Mann mit blaßblauer Haut, der eine Kombination aus blauer Schlangenhaut trug. »Du wirst es schon schaffen«, sagte Schrika aufmunternd. »Du weißt, was du zu tun hast?« »Natürlich.« Sie führten mich auf das Schott zu. Es glitt auf, wir kamen in eine Vorhalle. Etwa zwanzig Roboter bildeten einen Halbkreis um einen kleinen, sehr korpulenten, kahlköpfigen Mann. Wiederholt fuhr er sich mit einem Tuch über den Schädel, um sich den Schweiß abzuwischen. »Das ist Hanwigurt Sheeron«, sagte Quit und hob die Arme, als ein Arkonide zu ihm kam und ihn nach Waffen abtastete.
Der Mann wollte auch Schrika untersuchen, doch sie fauchte ihn an: »Wenn du mich anfaßt, bringe ich dich um!« Er zog sich zurück. »Schon gut.« Ich fühlte mich immer besser. Endlich war ich am Ziel. Alle Benommenheit war verflogen – und dennoch war ich nicht ich selbst. Sheeron drehte sich um und verließ wortlos die Vorhalle durch eine Seitentür. Die Roboter folgten ihm. Quit gab mir einen Stoß in den Rücken und befahl: »Los, hinterher!« Mir gefiel die Art nicht, wie er mich herumstieß, aber ich hatte nicht die Kraft, mich gegen ihn aufzulehnen. Sheeron hatte auf einer Art Diwan Platz genommen, hockte mit untergeschlagenen Beinen zwischen einigen Kissen. Die kleinen, fleischigen Hände waren vor dem Bauch gefaltet. Ich sah, daß ihm der Schweiß über die feisten Wangen herablief und daß sein Kragen feucht war. Seine Kleidung wirkte dagegen sehr gepflegt und übertrieben elegant. Dieser Mann schien mir eitel zu sein, obwohl er auf seine Figur nicht sonderlich achtete. Hochmütig starrte er mich an. Ich wußte, daß er in diesen Augenblicken versuchte, meine Gedanken zu sondieren, und ich sah ihm an, daß ihm das nicht gelang – mein Monoschirm hielt. Eine leichte Unsicherheit zeigte sich in seinem Gesicht. Er transpirierte noch stärker. Stöhnend griff er nach seinem Tuch und fuhr sich damit über den kahlen Schädel. Sheeron war so fett, daß er Atembeschwerden hatte. Zumindest in einer Hinsicht hatte sich Quit getäuscht: Nicht alle Roboter blieben bei Sheeron. Die meisten verließen den Raum durch eine weitere Tür. Bei dem Oberpiraten blieben nur zwei Kampfroboter, die ihre Waffenarme nach unten hängen ließen und keineswegs den Eindruck machten, als wollten sie im nächsten Moment über mich herfallen. »Wer bist du?« »Man nennt mich Atlan.« Nicht nur Quit und Schrika hörten
mir zu, sondern auch einige in Schlangenhäute gekleidete Piraten. Die Situation war ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Meine Blicke richteten sich auf den Bauch des Oberpiraten. Ich konnte den Gürtel sehen, den Quit mir beschrieben hatte. Langsam ging ich auf Sheeron zu, bis mich nur noch etwa zwei Körperlängen von ihm trennten. Er hob die Hand und bedeutete mir stehenzubleiben. »Ich gehörte zu der Besatzung der FARNATHIA, die in der Barriere gestrandet ist«, fuhr ich fort. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich, daß Tropp in den Raum kam. Er ging an Quit und Schrika vorbei, ohne sie zu beachten, und lehnte sich unweit von Sheeron an die Wand. »Ich habe das Schiff verlassen, weil ich glaubte, ihm und der Besatzung auf diese Weise helfen zu können. Tropp hat mich gerettet, aber er weigerte sich, auch die Besatzung der FARNATHIA zu bergen. Ich möchte Sie jetzt dringend bitten, das nachzuholen.« Er starrte mich durchdringend an und schwieg. Ich sah ihm an, daß er seine telepathischen Kräfte einsetzte, um in meine Gedankenwelt einzudringen. Deutlich zeichnete sich die Verwirrung in seinem feisten Gesicht ab. Ich glaubte, so etwas wie Neugierde in seinen Augen erkennen zu können, und wollte meine Bitte wiederholen. Er muß etwas für Farnathia tun. Er darf die Frau, die ich liebe, nicht in der Barriere umkommen lassen. Er kann ihr helfen, wenn er nur will. Er kann einem Mann wie Tropp den Befehl geben, loszufliegen und Farnathia zu holen. Ich ging auf ihn zu und streckte meine Arme aus. Bevor ich etwas sagen konnte, griff er eilig neben sich, richtete einen schweren Impulsstrahler auf mich. Überdeutlich sah ich das flammende Abstrahlfeld und die schwitzende Hand – und verlor die Kontrolle über mich. Ich fühlte mich bedroht und glaubte mich betrogen. Die Droge schwemmte alle
Hemmungen fort, unglaubliche Angriffslust brach durch. »Atlan!« schrie Quit mit sich überschlagender Stimme. »Er will dich töten!« Ich fuhr herum und sah, daß mir Schrika – sie wurde nicht durchsucht! – einen Desintegrator zuwarf. Instinktiv hob ich den Arm. Meine Hand öffnete sich, um die Waffe aufzufangen, als ich blitzschnell den ganzen heimtückischen Plan Quits begriff. Deshalb ließ ich mich fallen. Der Zaraccot wirbelte an mir vorbei und polterte Sheeron vor die Füße. Dieser aber hatte gar nicht so schnell erfassen können, daß ich mich weigerte, den Strahler aufzufangen und gegen ihn anzuwenden. Er sah sich bedroht – und schoß. Der Plasmakomet fauchte über mich hinweg und traf Quit mitten in die Brust, aus der Flammen stoben. Ich sah, daß er die Augen weit aufriß und mich anstarrte. Er konnte es nicht fassen, daß sein so sorgfältig ausgeklügelter Plan nicht aufgegangen war. Hätte ich so gehandelt, wie er es gewollt hatte, hätte ich die Waffe aufgefangen, mich umgedreht und Sheeron erschossen, um selbst dabei den Tod zu finden. Damit hätte er die Macht über Richmonds Schloß übernehmen können, ohne als Mörder Hanwigurt Sheerons zu gelten. Ich drehte mich um und blickte in das flammende Abstrahlfeld des Strahlers in Sheerons Hand. Geradezu betroffen blickte Sheeron auf die Waffe, nahm seinen Finger vom Auslöser. Das Projektionsfeld erlosch. Er legte den Strahler zur Seite und fragte scharf: »Was wird hier gespielt?« Ich suchte vergeblich nach Worten. Langsam richtete ich mich auf. Die Wirkung der Droge ließ nach. Die Erschöpfung machte sich wieder bemerkbar. »Nehmt euch Schrika vor!« befahl Sheeron. »Sie wird euch erklären, was Quit und sie mit diesem jungen Mann vorgehabt haben.« Die Piratin wurde von mehreren Schlangenmännern
hinausgeführt. Die Roboter schlossen sich ihnen an. Ich blieb allein mit Jepson Tropp und Hanwigurt Sheeron, wurde schweigend gemustert. Ich sah Sheeron an, daß er nicht wußte, was er von mir halten sollte. Er überlegte angestrengt, wie er das Rätsel lösen sollte, das ich für ihn darstellte, und ich fürchtete, daß er mich psychischem Terror aussetzen würde. Mit einer solchen Folter würde er alles aus mir herausholen können, weil ich jetzt nicht mehr die Kraft hatte, mich zu widersetzen. »Ich hatte Sie gewarnt, Sheeron«, sagte Tropp bedächtig. »Ihre Gewohnheit, beim Verhör von Gefangenen hin und wieder zur Waffe zu greifen, ohne sie wirklich einsetzen zu wollen, macht nur wenig Eindruck. Sie ist aber gefährlich, weil sie solche Narren wie Quit herausfordern muß.« Natürlich! Das ist es. Quit hat genau gewußt, daß Sheeron im Lauf des Verhörs irgendwann zur Waffe greifen und damit spielen würde. Auf diesen Augenblick hat er mich vorbereitet. Er hat vorausberechnet, daß ich angesichts der auf mich gerichteten Waffe durchdrehen und schießen würde. Von Anfang an ist es ihm gar nicht um den Gürtel gegangen, von dem aus angeblich die Robotgarde zu steuern ist. Das war nur ein Ablenkungsmanöver. Vielleicht spielen die Roboter nicht einmal annähernd die Rolle, die sie nach Quits Worten einnehmen. Nur ich als Gefangener hatte zum Instrument Quits werden können, denn nur bei mir konnte er damit rechnen, daß Sheeron die Waffe zog. Ich mußte zugeben, daß der Kleine den Plan raffiniert eingefädelt hatte. Bei jedem anderen wäre er wahrscheinlich aufgegangen, aber seitdem ich die ARK SUMMIA absolviert hatte, konnte ich nun einmal nicht mehr wie jeder andere in ein Planspiel einbezogen werden – nicht einmal durch Drogen. »Die FARNATHIA wartet«, sagte ich erneut. »Sheeron, wollen Sie nicht endlich etwas für das Schiff tun?«
»Lassen Sie uns endlich mit Ihrer FARNATHIA in Ruhe!« brüllte Tropp wütend. »Wir haben andere Sorgen. Begreifen Sie das nicht?« Ganz hatte sich die Wirkung der Droge noch nicht verloren, obwohl starke Impulse des Extrasinns auf mich einhämmerten und langsam für klare Gedanken sorgten. »Ich werde nicht eher Ruhe geben, bis Sie das Schiff geborgen haben!« schrie ich zurück und fühlte, daß mich der Zorn zu übermannen drohte. Tropp kam auf mich zu. Er war groß und muskulös, wirkte ausgeruht. Seine Fäuste sagten mir, wie er seinen Willen durchsetzen wollte. Ich warf mich zur Seite. Noch immer lag der Desintegrator vor dem Diwan auf dem Fußboden. Bevor Sheeron oder Tropp handeln konnten, griff ich nach ihm. Der Assistent des Piratenführers erkannte die Gefahr, sprang lang ausgestreckt auf mich zu, aber ich wälzte mich zur Seite, so daß er auf den Boden stürzte, ohne mich berühren zu können. Mit der Waffe in der Hand richtete ich mich auf. »Sie wollten es nicht anders.« Sheeron, der seinen Strahler bereits halb erhoben hatte, ließ ihn wieder fallen. Tropp stand auf, streckte die Arme leicht nach den Seiten aus. »Tropp und ich werden jetzt zu einem Staubei gehen und in die Barriere fliegen«, sagte ich. »Wir werden die Besatzung der FARNATHIA bergen und dann zurückkommen. Etwas anderes bleibt uns wohl nicht übrig.« »Vollkommen richtig«, sagte Sheeron. »Und dann?« »Ich denke, daß in gewissen Zeitabständen ein Raumschiff mit den gestohlenen Gütern aus den Wracks vollgepackt wird und zu einem Handelsplaneten fliegt. Wir werden warten, bis dieses Schiff startbereit ist, und dann mit ihm zu diesem Planeten reisen.« »Aber nur, wenn wir damit einverstanden sind«, entgegnete Sheeron spöttisch. Meine Waffe schien ihn plötzlich nicht
mehr sonderlich zu beeindrucken. »Ich verstehe nicht, weshalb Sie sich weigern, die Besatzung der FARNATHIA zu retten. Weshalb machen Sie mir so viele Schwierigkeiten?« Sheeron antwortete geringschätzig: »Sie scheinen ziemlich ahnungslos zu sein. In der Barriere stranden so viele Schiffe, daß wir sie kaum alle ausbeuten können. An manche von ihnen kommen wir trotz unserer Spezialraumschiffe nicht heran, unabhängig davon, wieviel Mühe wir uns geben. Glauben Sie, daß es unter diesen Umständen interessant für uns sein könnte, ein kleines und wertloses Raumschiff anzusteuern? Meine Männer sind im Einsatz, um echte Schätze zu bergen, nicht, um sich um Ihre FARNATHIA zu kümmern. Sie interessiert uns nicht. Also, geben Sie endlich Ruhe!« Ich ging um Tropp herum, zog ihm den Strahler aus dem Gürtel, steckte ihn ein und überlegte kurz, wen von den beiden Männern ich als Geisel wählen sollte. Hanwigurt Sheeron bot sich an, aber von ihm wußte ich nicht, ob er ein Staubei fliegen konnte. Ich mußte mich also für Jepson Trapp entscheiden. »Wir gehen jetzt.« »Sie kommen nicht bis zum nächsten Staubei.« Sheeron wischte sich mit dem Tuch über den Kopf. »Wir haben Sie vorher schon erledigt.« »Warten wir’s ab. Sollte Sie versuchen, mich aufzuhalten, töte ich Tropp. Lassen Sie mich gewähren, kommt er unverletzt zurück.« Ich gab Tropp ein Zeichen. Er nickte und ging mit erhobenen Armen auf ein Schott zu. Dort angekommen, blieb er stehen, drehte sich vorsichtig um und sagte: »Ich beeile mich. Wir sind bald zurück. Die FARNATHIA ist nicht weit.« »Ich warte. Machen Sie’s gut, Tropp.«
Haben sie sich wirklich damit abgefunden, daß es nach meinem Willen weitergeht? Ich konnte nicht anders, mußte die Augen für einen Moment schließen, weil sie mir wie Feuer brannten und die Lider so schwer waren, daß ich sie nicht mehr halten konnte. Tropp bemerkte es nicht. »Beeilen Sie sich!« drängte ich. Er öffnete das Schott. Draußen standen einige Kampfroboter und mehrere in Schlangenhäute gekleidete Männer. »Laßt uns vorbei!« befahl Tropp. »Es ist alles in Ordnung.« »Das sieht aber gar nicht so aus«, rief einer der Schlangenmänner. »Mag sein, Blowk, aber Sheeron will nicht, daß es zu einem Zwischenfall kommt. Er ist mit dieser Regelung einverstanden.« Ich drückte Tropp den Zaraccot in den Rücken und ging hinter ihm her. Die Männer machten uns Platz. Wir erreichten einen Antigravschacht. Tropp schwang sich hinein und drehte sich mir zu. Damit war ich nicht einverstanden. Mit einem Griff drückte ich ihn wieder herum, so daß ich ihm die Waffe in den Rücken richten konnte. So sah er auch nicht, daß ich abermals die Augen schloß. Ich hatte das Gefühl, in weiche, warme Kissen zu sinken. Für kurze Zeit verlor ich den Kontakt zur Wirklichkeit. »Wie viele Personen sind in dem Schiff?« Mit diesen Worten schreckte Tropp mich auf; für Augenblicke war ich eingeschlafen! »Vier Männer und eine Frau – ich sagte es Ihnen schon.« Er schwieg. Mit einer Geste gab er mir zu verstehen, daß wir aussteigen mußten. Vor uns lag ein breiter Gang; mehrere Piraten standen herum und redeten miteinander. Sie blickten uns neugierig entgegen, bis Tropp rief: »Geht zur Seite, Leute, oder er bringt mich um!« Ich fühlte mich unbehaglich. Mir war, als könnte ich die
Männer grinsen sehen. Vielleicht täuschte ich mich, konnte es aber nicht feststellen. Gerade das steigerte meine Unruhe. Ein doppelt gepanzertes Schott glitt vor uns auf. »Wir sind gleich da.« Wir betraten einen kleinen Raum, der als Schleuse gestaltet war. Tropp legte die Hand auf die Kontaktplatte. »Hinter dem Schott befindet sich der Hangar mit den Staubeiern.« Eine Falle! schrie der Logiksektor. Das Schott schloß sich, ich hörte etwas zischen. Gleichzeitig wurden meine Lider noch schwerer. Ich konnte die Augen kaum noch aufhalten und sah Tropp nur durch farbige Schleier hindurch. Die Beine gaben unter mir nach, rücklings sank ich gegen die Wand, versuchte vergeblich, die Waffe anzuheben. »Geben Sie auf, Atlan!« Ich sah ihn durch die Schleier hindurch lächeln. »Sie wollen mich ja gar nicht töten. Sie wissen genau, daß Sie sich das nicht leisten können. Ermorden Sie mich, kennt sogar Sheeron keine Gnade mehr.« Der Desintegrator fiel polternd zu Boden. Ich rutschte an der Wand hinunter, beobachtete aus halb geschlossenen Augen, daß auch Tropp sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Bei ihm machte sich die Wirkung des Betäubungsgases ebenfalls bemerkbar, das seine Freunde in die Schleuse einströmen ließen. Ich hatte verloren. Im Grunde hatte ich es schon gewußt, als ich Sheeron zusammen mit Tropp verließ. Meine Mühen waren umsonst gewesen. Dennoch – es mußte doch eine Möglichkeit geben, die FARNATHIA zu retten. Ich durfte meine Geliebte nicht aufgeben, hatte es nicht einmal auf Sofgarts Folterwelt getan. Mir wurde schwarz vor Augen. Während ich das Gefühl hatte, in bodenlose Tiefen zu stürzen, hörte ich Jepson Tropp leise lachen.
5. Aus: Die Suche nach Arbaraith – Nachbetrachtungen (fragmentarisch), Sogmanton Agh’Khaal; Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte, 4137 da Ark Es war ein gewaltiges Projekt, und letztlich war es trotz aller Anstrengungen gescheitert. Für fast ein Jahrhundert hatte uns der Asteroid als Basis gedient, sein Inneres wurde mehr und mehr ausgehöhlt und ausgebaut. Es gab riesige Reaktoren, die die Versuchsgeneratoren neuer Schutzschirmtypen versorgten; in Dutzenden Kratern erhoben sich die Kuppeln mit den empfindlichsten Ortungs- und Tastungsanlagen – auch hierbei viele Neuentwicklungen und Prototypen. Es war uns sogar gelungen, leistungsfähige Kleinraumer zu entwickeln, mit denen sich den Kräften der Barriere trotzen ließ – eine automatische Werft konnte fast für beliebige Zeit Nachschub liefern. Und der war mehr als notwendig: Die Zahl der Unfälle nahm mit der Zeit eher zu statt ab, Hunderte hat die Barriere gefressen, aufgesaugt, vernichtet; Richmond selbst wurde fast getötet und überlebte nur als erschreckender »Körperrest« in einem biomechanischen Ungetüm. Hinzu kamen Mutationen in Folge der Hyper-Strahlung. Belzikaan behauptete zwar, daß unsere Forschungen unermeßlich wertvolle Ergebnisse beschert hätten, doch das alles bedeutet letztlich wenig. Der Preis war zu hoch, es war nicht länger zu verantworten, diese Basis im Chaos weiter zu unterhalten. Sie wurde aufgegeben, nur wenige Unermüdliche wollten bleiben. Und ich selbst – ich habe resigniert. Die nach mir benannte Barriere hat ihre Geheimnisse bewahrt, nicht einmal der Kristallobelisk ist ein Beweis, sondern bestenfalls ein weiteres absonderliches Artefakt. Mein größter Traum blieb unerfüllt – ich habe Arbaraith nicht gefunden, ja ich zweifle inzwischen sogar selbst, ob es jemals existiert hat…
Richmonds Teaultokan: 36. Prago des Tedar 10.497 da Ark Ich war gefangen. Meine Bemühungen, an ein Raumschiff der Piraten heranzukommen, waren vergebens gewesen. Man hatte mich in ein Verlies gesperrt. Es bestand aus einer natürlichen Höhlung im Felsgestein des Asteroiden, die man mit Isoplast verkleidet und mit einem ebenen Fußboden versehen hatte. An Mobiliar gab es eine Liege, einen Tisch, der offenbar aus der Messe eines Raumschiffs stammte, einen Schalensessel und eine Hygienekabine. Fließend warmes und kaltes Wasser war vorhanden, und über die Verpflegung konnte ich mich auch nicht beklagen. Allerdings hatte ich die letzte Mahlzeit kaum angerührt. Die Gedanken an meine geliebte Farnathia, die seit zwei Pragos irgendwo hilflos in den Staubballungen und hyperenergetischen Stürmen der Sogmanton-Barriere trieb, machten mich ganz krank. Ich trat an die Metallplast-Tür und hämmerte mit den Fäusten dagegen, konnte aber nicht einmal erkennen, ob mich jemand hörte. Dennoch lauschte ich, wiederholte meinen Versuch, erzielte abermals keine Reaktion – und setzte mich auf den Rand der Liege. Farnathias Schrei, damals auf Gortavor, gellte mir plötzlich in den Ohren: »Atlan! Hilf mir! Sie zerren mich…« Die beiden Kralasenen verschwinden, das sich heftig wehrende Mädchen zwischen sich, im dichten Nebel. Ein wahnsinniger Zorn erfüllt mich. – Seit ihrer Gefangennahme hatte mich auch das schlechte Gewissen geplagt, der Gedanke, sie im Stich gelassen zu haben… Ich sah ihr Gesicht vor mir, von Silberhaar umrahmt, die hellroten Augen von einem schelmischen Funkeln erfüllt. Sofgart wußte, wieviel mir Farnathia bedeutet! Er hoffte, daß ich ihre Befreiung versuchen würde, und errechnete damit, daß ich dann unüberlegt reagierte, so daß ich gefaßt werden könnte.
Mit Tirako erreichte ich Trumschvaar, wo mein Freund starb; dann die Folterwelt Sofgarts, das Sepulkorvat, und… Unter Tausenden hätte ich diese Stimme wiedererkannt. Ich vergaß alle Überlegungen und lief in den Gang hinein. Sie stand in einer Zelle und sah mir entgegen. »Farnathia! Ich bin’s!« Tränen rannen ihr über die Wangen, und sie streckte mir die Hände entgegen. »Farnathia! Habe ich dich endlich gefunden!« Sie war es! Zierlich, sehr wohlproportioniert. Das glatte Silberhaar reichte ihr bis zu den Schultern. Sie trug eine graue, schmucklose Kombination; ein Etui am breiten Gürtel war zweifellos ein Gravoneutralisator. »Atlan…? Du…? Wie kommst du hierher?« »Später! Ich hole dich aus der Zelle.« »Unsere Flucht gelang«, murmelte ich. »Aber jetzt…« Ich wurde aus meinen Grübeleien gerissen, als die Verriegelung des Türschlosses plötzlich mehrmals klickte. Im nächsten Augenblick glitt die Tür zur Seite. Ich sprang auf und erstarrte. Was ich in der Türöffnung stehen sah, ließ mich einige Herzschläge lang daran zweifeln, daß ich wach war. Zu sehr schien es Bestandteil eines Alptraums zu sein. Denn dort stand nicht etwa ein Monstrum aus einer fremdartigen Welt. Nein, dort stand ich selbst! Es war, als sehe ich in einen Feldspiegel, dessen Korrekturschaltung die Seitenverkehrtheit eliminierte und mich plastisch abbildete. Im nächsten Moment wußte ich, daß es kein Feldspiegel sein konnte, der vielleicht in die Türöffnung projiziert worden war, denn meinem Gegenüber wuchsen plötzlich die Ohren zu sehr langen, spitz auslaufenden Gebilden, das schulterlange weißblonde Haar schrumpfte zu einem häßlichen grauweißen Hautkamm, und das Gesicht zerfloß zu einer flachen, teigigen Masse. Ein Metabolischer! Ein Lebewesen, das seine Gestalt beliebig verändern kann! Das Wesen veränderte sich schneller. Ich erkannte, daß das,
was die Kleidung zu sein schien, ebenfalls Bestandteil des metabolischen Körpers gewesen war. Innerhalb kurzer Zeit verwandelte sich das Wesen von einer Nachbildung meiner Person in einen kleinen Yilld. Die Erstarrung fiel von mir ab. Ich ging mit schnellen Schritten auf das Wesen zu, um an ihm vorbei in den Gang zu kommen. Doch da stand die rundliche Gestalt des Oberpiraten Hanwigurt Sheeron. Ich wäre kaum beeindruckt gewesen, hätte Sheeron nicht in der rechten Hand eine Schockwaffe gehalten, deren Abstrahlmündung genau auf mich gerichtet war. Er grinste über sein fettes Gesicht und rief: »Hat Morgus dich erschreckt, Raumfahrer? Nur keine Dummheiten! Eine Schockparalyse ist alles andere als angenehm.« Er bewegte die Waffe. »Zurück! Setz dich auf die Liege!« Ich gehorchte. Angesichts der drohend auf mich gerichteten Waffe blieb mir gar nichts anderes übrig. Sheeron tätschelte den Nacken des Wesens, das er Morgus genannt hatte. Es bewegte sich watschelnd in mein Verlies, steckte den Kopf in das Waschbecken und leckte die Restfeuchtigkeit auf. Dieses Verhalten bewies mir, daß es sich bei Morgus um ein Tier handeln mußte. Der Oberpirat nahm im Schalensessel Platz, hielt aber den Schocker ständig schußbereit auf mich gerichtet. Ich wies mit dem Kopf zu Morgus und sagte: »Einen interessanten Begleiter haben Sie da, Sheeron.« Der Freibeuter schnaufte und wischte sich mit der linken Hand den perlenden Schweiß von der Glatze. Die rechte Hand hielt den Strahler jedoch unverwandt auf meinen Bauch gerichtet. »Morgus bereitet mir viel Vergnügen. Sie hätten Ihr dummes Gesicht sehen müssen, als Sie plötzlich sich selbst gegenüberstanden.« Es hing anscheinend ganz von seiner jeweiligen Stimmung ab, ob Sheeron mich duzte oder siezte. »Aber versuchen Sie nicht, mich abzulenken!« fuhr er mit erhobener Stimme fort. »Leider können Sie Ihre Gedanken
blockieren. Doch vergessen Sie nicht, daß es andere Methoden gibt, einen Mann zum Sprechen zu bringen.« Meine Haltung versteifte sich unwillkürlich. Verächtlich entgegnete ich: »Mich wird niemand zum Sprechen bringen, wenn ich nicht will!« Arroganz ist die Schwester der Dummheit! teilte mir der Logiksektor mit. Nach den Verhören wirst du nicht mehr fähig sein, nach Farnathia zu suchen. Versuche, Sheeron mit der Wahrheit zu schockieren. Mit der ganzen Wahrheit? Halbheiten helfen dir nicht weiter. Sheeron schnaufte wieder. Vom Kinn des Piraten troff Schweiß. »Du bringst dich in echte Schwierigkeiten, Mann! Ich schätze Sie als einen sehr intelligenten Arkoniden ein, der seine Lage gut zu beurteilen weiß und logisch fundierte Schlüsse daraus zieht.« Er scheute offenbar davor zurück, mir durch Foltermethoden die Wahrheit zu entlocken. Das gab den letzten Anstoß zu meiner Entscheidung. Ich entspannte mich und baute die geistige Barriere des Monoschirms ab, die ich um mein Bewußtsein errichtet hatte. Es war unnötig, etwas zu sagen, denn Sheeron hatte die ganze Zeit über versucht, meine Gedanken zu lesen – und nun lagen sie plötzlich offen vor ihm. Zuerst erkannte ich in seiner Miene Triumph über meine Kapitulation, dann fassungsloses Erstaunen und schließlich Bestürzung. Meine Absicht, ihn durch Preisgabe der ganzen Wahrheit zu schockieren, war also gelungen. Doch dann wandelte sich die Bestürzung in eine listige Spielermiene, über sein Gesicht glitt ein nachdenkliches Lächeln. »Auf Ihre Ergreifung hat Imperator Orbanaschol die größte Kopfprämie ausgesetzt, die es jemals gab, Gos’athor.« Er kratzte sich an der Stirn. »Ein verdammt hübsches Sümmchen…«
Ich wurde unruhig. Mir kamen plötzlich Zweifel, ob es tatsächlich ein so guter Entschluß gewesen war, den Oberpiraten freiwillig meine Gedanken lesen zu lassen. Sofort errichtete ich den Monoschirm erneut. »Wollen Sie mich etwa ausliefern? Haben Sie so wenig Stolz, daß Sie sich zum Büttel eines Mörders erniedrigen würden?« Sheeron musterte mich mit Augen, die nichts von dem verrieten, was hinter der Stirn vorging. Dann steckte er seinen Schocker ins Gürtelhalfter, stand ächzend auf und sagte: »Sie kränken mich, Euer Erhabenheit. Meine Männer und ich sind zwar Freibeuter, aber keine Verbrecher. Wir nehmen uns nur das, was die Mahlströme der Sogmanton-Barriere von den Schiffen übriglassen, in die sie hineingerieten.« Er lächelte spöttisch. »Außerdem denke ich an die Zukunft: Ich schlage mich auf die Seite des rechtmäßigen Höchstedlen und helfe Ihnen. Euer Erhabenheit sollen mich in guter Erinnerung behalten.« Ich atmete auf. Zwar traute ich dem Freibeuter weiterhin nicht, aber dadurch, daß er seine Waffe ins Halfter schob, bewies er, daß er mich vorerst nicht mehr als seinen Gefangenen betrachtete. »Helfen Sie mir – Sie werden es nicht bereuen, Sheeron. Und lassen Sie die formelle Anrede. Es genügt, wenn Sie mich Atlan nennen.« »Wie Sie wünschen, Atlan. Bitte, begleiten Sie mich nun in einen meiner privaten Räume.« Er wandte sich zu dem Tier um, das noch immer in der Gestalt eines kleinen Drachen mein Waschbecken ausschleckte. »Komm, Morgus!« Morgus leckte ein letztes Mal über den Beckenrand, dann biß er in den Wasserspender, knurrte unwillig und ließ von dem Gegenstand seines Interesses ab. Im Watschelgang tappte er hinter uns durch den Korridor.
Nachdem wir einen langen Antigravschacht hinabgeschwebt waren, ließen wir uns von einem Transportband durch einen breiten Korridor mit zahlreichen Abzweigungen tragen. Wir begegneten unterwegs nur wenigen Piraten. Zehntausend Personen in einem derart voluminösen Asteroiden sind nicht einmal zehntausend Insekten in einer Raumschiffswerft, dachte ich. Die Piraten blickten jedesmal fragend ihren Chef an, kümmerten sich jedoch nicht weiter um uns, sobald Sheeron ihnen beruhigend zugenickt hatte. Bislang kenne ich nur einen winzigen Bruchteil. Vor einem Schott am Ende des Korridors stieg Sheeron vom Transportband und blieb stehen, während er in den Taschen seiner Kombination suchte. Ich blickte mich nach Morgus um. Im ersten Moment glaubte ich, das Tier sei irgendwo auf der Strecke abgesprungen, denn hinter uns näherte sich lediglich eine Arkonidin auf dem Transportband. Doch dann sah ich, daß sie einen Sathainidenschwanz hatte, und ich wußte, daß es Morgus war, der wieder einmal in neuer Gestalt auftrat. Unterdessen hatte der Freibeuter gefunden, was er suchte – seinen Kodeimpulsgeber, ohne den er den Entriegelungsmechanismus seiner Privaträume nicht aktivieren konnte. Er schaltete das kleine Gerät ein, und sofort glitt das Schott summend zur Seite und rastete mit sattem Schmatzen ein. Ich runzelte die Stirn, als ich hinter der Öffnung nicht etwa einen Raum erblickte, sondern das Innere eines seltsamen Fahrzeugs, wie ich es bislang noch nie gesehen hatte. An den Seitenwänden befanden sich zwei gepolsterte Bänke, und zwischen ihnen erhob sich ein schmaler Schalttisch. Sheeron trat schnaufend ein und setzte sich ächzend. Der Schweiß lief seinen Hinterkopf herab und sammelte sich im Genick zu einem Rinnsal. Warum unternahm der Pirat nichts gegen seine übermäßige Transpiration? Unsere Biomedizin
hielt doch bestimmt zahlreiche Mittel dagegen bereit. »Kommen Sie schon, Atlan!« rief er ungeduldig. »Und du kommst auch, Morgus. Bei den She’Huhan, wie siehst du denn wieder aus?« Das Tier hüpfte unmittelbar nach mir in das Fahrzeug. Es hatte zwar den Oberkörper der Arkonidin beibehalten, doch der Unterleib glich dem einer Sprungechse von Wawlil. Ich setzte mich Sheeron gegenüber, Morgus setzte sich neben mich und schmiegte sich dicht an mich. Die Berührung des kühlen Tierkörpers war mir peinlich. Ich rückte jedoch nicht ab, weil ich mir sagte, daß Morgus vielleicht genau das provozieren wollte. Sheeron grinste und betätigte mit seinen dicken Fingern einige Schaltungen. Das Schott schloß sich. Einen Herzschlag lang schwächte sich das Licht ab, das gelblich durch die transparente Deckenplatte fiel, dann strahlte es so hell wie zuvor. Rein gefühlsmäßig nahm ich wahr, daß wir uns mit hoher Geschwindigkeit fortbewegten. Es bestand für mich kein Zweifel daran, daß es neben den ungezählten Raumschiffen, Raumschiffsteilen und Wracks, die sich auf der kraterübersäten Oberfläche des Asteroiden angesammelt hatten, im Inneren der Welt selbst ausgedehnte Stationsteile gab – jene, die aus der Zeit von Sogmantons Entdeckung der Barriere stammten. Meine Extrasinn stimmte mir zu: Die Piraten sind Nutznießer, keine Erfinder, Wissenschaftler oder Ingenieure. Von ihnen wurden die Zaradhoum nicht entwickelt. Sie mögen in einzelnen Fällen gute Raumfahrer sein, aber sie bleiben – um deinen Lehrmeister zu zitieren – Knöpfchendrücker. Sogmanton Agh’Khaal hatte vor 6500 Jahren gelebt, in der Epoche Imperator Berkams I. des Großen, kurz nach dem Ende der Archaischen Perioden. Wie lange die Piraten schon in Richmonds Teaultokan lebten, wußte ich nicht, viel mehr als einige Jahrhunderte waren es aber sicher nicht. Daß es den
Asteroiden und seine Anlagen dennoch gab, war ein Beweis dafür, daß es Möglichkeiten gab, den Gewalten der Barriere zu widerstehen. Also Hoffnung, Farnathia lebend wiederzusehen! Als das Fahrzeug anhielt, hatte sich der Metabolische in die kleine Version eines arkonidischen Parkrinds verwandelt, dessen Fell so weich wie Plüsch war und dezent nach Kräutern duftete. »Wenn es mir eines Tages gefällt und ich den richtigen Moment abpasse«, sagte Sheeron mit lüsternem Lächeln, »werde ich ihn schlachten und das saftige Fleisch von einer guten Freundin am Spieß braten lassen.« Sofort verwandelte sich der Metabolische abermals. Ich sah, wie das plüschweiße Fell hart und strähnig wurde und sich mit Schorf bedeckte. Die Augen blickten trübe, aus den Nasenlöchern rann ekelhaftes Sekret, und das ganze Tier verbreitete einen durchdringenden Verwesungsgeruch. Ich preßte mir die Hand auf die Nase. »Morgus versteht offenbar jedes Wort.« »Ja – und wenn er uns weiter die Luft verpestet, lasse ich ihn in den nächsten Konverter werfen.« Beinahe augenblicklich ließ der Gestank nach. Die Verwandlung dauerte etwas länger, ging aber dennoch unheimlich schnell vor sich, wenn man bedachte, welche komplizierten biochemischen Vorgänge daran beteiligt sein mußten. Das Tier versteht tatsächlich jedes Wort. Folglich hat es eine gewisse Intelligenz. Als sich das Schott diesmal öffnete, blickte ich in eine kuppelförmige Halle, deren Boden größtenteils mit bunten Kissen bedeckt war. Genau in der Mitte stand ein runder Servotisch mit einer Ausgabehalbkugel in der Mitte. Sheeron ließ mir den Vortritt. »Nehmen Sie Platz, Atlan.« Er ließ sich ächzend auf die Kissen fallen. »Wir essen eine Kleinigkeit, während wir über den Plan reden, wie wir die
FARNATHIA einschließlich Ihrer geliebten Freundin im Staubdschungel aufspüren.« Ich setzte mich dem Piraten gegenüber. Morgus verwandelte sich in eine exotische Frau mit etwas zu üppigen Formen und überaus spärlicher Bekleidung und ließ sich dicht neben Sheeron nieder. »Bedienen Sie sich!« Sheerons Finger tasteten über einige Knöpfe und Schaltflächen, woraufhin sich die silbrige Halbkugel öffnete und auf Kraftfeldern nach und nach Schalen und Teller hervorschwebten. Schnell füllte sich die Tischplatte auf seiner Seite mit einer Menge auserwählter Speisen. Am Schluß erschienen zwei große Krüge mit Wein. Ich wählte nur einen Raumfahrerimbiß: ein paar dünne Scheiben Synthofleisch, eine Handvoll weißer Stärkeflocken sowie einen vitaminreichen Salat und einen Becher Obstsaft. Sheeron aß, indem er die köstlichen Speien förmlich in sich hineinschaufelte. Dazu trank er unmäßig viel Wein. Kein Wunder, daß er so fett war. Der Schweiß lief ihm weiterhin in Strömen über das Gesicht. Ich wartete ungeduldig darauf, daß der Oberpirat endlich seinen konkreten Plan für eine Suchaktion mitteilte, versuchte allerdings, mir meine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. Nachdem er den größten Teil seiner Speisen vertilgt und den dritten Krug Wein geleert hatte, äußerte Sheeron akustisch seine Zufriedenheit, wischte sich den fettigen Mund mit dem behaarten Handrücken ab und sagte: »Sie kennen die Sogmanton-Barriere nicht, sonst würden Sie sich wahrscheinlich keine großen Hoffnungen machen, ein einzelnes kleines Raumschiff wiederzufinden.« »Ihre Zaradhoum sind vorzüglich geeignet, mit den Schwierigkeiten der Barriere fertig zu werden«, gab ich zurück. »Tropp sagte mir, daß diese kleinen Schiffe nicht gegen die energetischen Kräfte der Barriere ankämpfen,
sondern sie sich zunutze machen, indem sie sich ihnen anpassen.« Sheeron winkte ab. »Jepson ist ein Großmaul, das schneller redet, als seine organische Positronik denken kann. Sie haben die Staubeier nur am Rand der Barriere in Aktion erlebt. Mitten in der Ballung sind die Schwierigkeiten und Gefahren deutlich größer.« Ich merkte, daß mir der Angstschweiß ausbrach. Meine Sorge um Farnathia wuchs, die irgendwo mitten in den Staubballungen und Hyperstürmen trieb, in einem Raumschiff, dessen Impulstriebwerk und Steuerdüsen nicht funktionierten. »Dann lassen Sie uns endlich aufbrechen, Sheeron!« Der Oberpirat stopfte sich eine saftige Frucht in den Mund und kaute schmatzend. Morgus leerte schlürfend einen Krug Wein und küßte seinen Herrn auf die Nase. »Laß den Unfug!« Sheeron schob Morgus ärgerlich von sich und blickte mich wieder an. »Wir werden nichts überstürzen.« Er schob seinen linken Ärmel hoch und schaltete sein Armband Funkgerät an. Als sich ein anderer Pirat meldete, erteilte Sheeron den Befehl, insgesamt sechzig Staubeier Startklar zu machen. Jepson Tropp sollte als Pilot des Staubeis fungieren, in dem Sheeron und ich fliegen würden. Anscheinend war Tropp doch nicht nur ein »Großmaul«, wie der Oberpirat behauptet hatte, sondern ein sehr guter Raumpilot. Als er das Gespräch beendet und das Funkgerät ausgeschaltet hatte, wandte Sheeron sich an den Metabolischen: »Du wirst in dein Nest gehen und auf meine Rückkehr warten, Morgus. Und laß dir nicht einfallen, jemanden zu verwirren. Die weiblichen Partner meiner Männer sind ohnehin nicht gut auf dich zu sprechen.« Morgus erhob sich, verwandelte sich in eine Art
Riesenspinne und verschwand durch ein Loch in der Wand, das sich hinter ihm wieder schloß. »Wie sieht eigentlich seine wahre Gestalt aus?« »Gräßlich«, antwortete Sheeron, was natürlich keine befriedigende Antwort war. Doch er war offenbar nicht gewillt, mir mehr über das seltsame Tier zu verraten. Als er aufstand, erhob ich mich ebenfalls. »Wir werden uns jetzt umkleiden.« Er schnalzte mit der Zunge und wies auf die hereinkommenden Roboter; sie trugen Raumrüstungen. »Ich hätte mir niemals träumen lassen, daß ich eines Tages zusammen mit dem Kristallprinzen in die Sogmanton-Barriere fliegen würde.« »Wer kann schon in die Zukunft blicken«, murmelte ich – und dachte, plötzlich fröstelnd, an den Mutantenjungen mit den Facettenaugen. »Außer Axym vielleicht.« »Du solltest wissen, daß die Arkonidin, die du so liebst, gerettet werden wird«, hatte er gesagt. »Sie wird dir dann allerdings in einer Form gegenüberstehen, die dir wenig gefallen wird.« Zu meinem nicht geringen Erstaunen nickte Sheeron sehr ernst. »Ich kenne niemanden!« Die Halle war langgestreckt und stieg leicht an. Vorne gab es die Tore zu einer Schleuse, am anderen Ende die hell erleuchtete Öffnung eines Frachtantigravschachts, der in unergründliche Tiefen führte – vielleicht zur Produktionsstätte der Staubeier. »Unser« Staubei jedenfalls lag als erstes einer langen Kette auf dem breiten Transportband, von dem beiderseits Montagebühnen und Treppen aufragten, war nur etwa sieben Meter lang und durchmaß an der breitesten Stelle knapp über vier Meter. Eine Seite der Außenhülle bestand aus einem schwarzen, mir unbekannten Metall, die andere Seite war transparent. Triebwerksdüsen waren keine zu sehen, deshalb vermutete ich, daß die gesamte Metallwölbung als »Antenne« fungierte,
mit der sich einerseits hyperenergetische Ströme der Barriere anzapfen, andererseits aber auch gezielt Emissionen abstrahlen oder diese Ströme nutzen ließen. Inwieweit die geringe Größe der Zaradhoum mit der Funktion zusammenhing, wußte ich nicht zu sagen, gleiches galt für die übrige Technologie – auszuschließen war es allerdings nicht, denn mir war bislang kein arkonidisches Beiboot dieser Größenordnung bekannt, das über ein Ferm-Taärk verfügt hätte. Selbst die FARNATHIA als kleines Kurierschiff wies eine Länge von vierzig Metern auf, weil sich die StrukturfeldKonverter nur bis zu einem gewissen Grad verkleinern ließen. Fest steht, raunte der Extrasinn, daß die Staubeier auf die besonderen Bedingungen der Barriere ausgelegt sind und im normalen Weltraum außerhalb nicht eingesetzt werden können, sonst hätte es längst eine Revolution der Raumschiffstechnik gegeben. Sofern das mit ihnen verbundene Wissen nicht vergessen wurde, dachte ich, oder in irgendwelchen Archiven landete. Es war eine wilde Zeit damals, kurz nach den Zdrakhgoth-Votanii und den Attacken der Vecorat! Zur Zeit war ein Teil der transparenten Wölbung geöffnet. Ich erkannte die große, breitschultrige Gestalt von Jepson Tropp; er war dabei, das Staubei durchzuchecken. Der gleichen Tätigkeit widmeten sich die Piloten der übrigen Staubeier. Die anderen Piraten standen außerhalb der Maschinen auf dem Transportband in kleinen Gruppen beisammen und unterhielten sich gedämpft; sie alle trugen Schutzanzüge und klobige Raumrüstungen. Sheeron ging die Reihe entlang, sprach kurz mit einigen Leuten, schlenderte weiter, während ich mich an das Staubei lehnte und wartete. Nach einer Weile hatte Tropp die Prüfungen beendet. Er hob den Kopf, und als er mich sah, grinste er breit. »Wie geht es unserem Raumfußgänger?«
»Schon bedeutend besser. Hätten Sie gleich nach der FARNATHIA gesucht, brauchten wir heute wahrscheinlich nicht mit einer ganzen Rhagarn aufzubrechen. Das Schiff war bestimmt noch nicht weit abgetrieben.« »Sie kennen die Tücken der Barriere nicht. Es kommt stellenweise zu Transitionseffekten, wodurch ein Raumschiff versetzt werden kann – falls es überhaupt wieder im Normalraum auftaucht.« Er wandte sich an Sheeron: »Hat unser ›Freund‹ seine Verschwiegenheit endlich aufgegeben, Erhabener?« Sheeron war hinzugetreten und nickte. »Unser Freund ist niemand anderer als Atlan, der echte Kristallprinz von Arkon. Die Gerüchte über seinen Onkel stimmen: Orbanaschol der Dritte ist ein Mörder!« Tropp fuhr so heftig hoch, daß er sich den Schädel hart an einer Schaltung stieß. Mit tränenden Augen starrte er mich an, dann sagte er: »Der Gos’athor! Weißt du, wie hoch das Kopfgeld ist, das der Fette ausgesetzt hat?« Seine Formulierung zeigte, daß er nicht viel von Orbanaschol hielt. Die am nächsten stehenden Arkoniden hatten die laut hervorgestoßenen Worte Tropps gehört und die Information an die nächsten Besatzungen weitergegeben. Innerhalb kurzer Zeit wußten alle Piraten Bescheid und versammelten sich um uns. Sheeron hob die Hände und stieg dann mehrere Stufen einer Montageplattform hinauf. »Jawohl, dieser Mann ist Atlan, der Kristallprinz! Aber er ist auch mein Gast, deshalb könnt ihr das mit dem Kopfgeld vergessen.« Er lächelte. »Außerdem halte ich es für nützlich, wenn wir uns rechtzeitig auf die Seite der rechtmäßigen Partei schlagen. So, wie Orbanaschol das Tai Ark’Tussan regiert, wird er nicht ewig auf dem Kristallthron hocken – und nun steht nicht länger herum, sondern steigt ein!«
Die Piraten gehorchten. Ich staunte über die straffe Disziplin, die gar nicht meinen bisherigen Erfahrungen bei den Piraten entsprachen, bis ich mir vor Augen führte, daß ich es hier mit ihrer Elite zu tun hatte, mit jenen Leuten, die in die Gefahren der Barriere hinausflogen. Das sind keine Herumlungerer, die vor lauter Langeweile Intrigen spinnen und auf dumme Gedanken kommen. Daß Sheerons Äußeres ganz und gar nicht dazu geeignet war, bewundernd zu ihm aufzublicken, tat dem keinen Abbruch. Zweifellos verdankte er es seiner telepathischen Begabung und ihrer geschickten Anwendung, daß er respektiert wurde – oder gefürchtet –, denn ihn zu hintergehen war kaum möglich. Tropp murmelte Unverständliches vor sich hin, während Sheeron und ich hinter ihm Platz nahmen. Der Pilot saß allein vorn, vor sich die Kontrollen und Schaltungen und links und rechts neben sich die Blöcke der Bordpositronik. Sheeron schaltete das Hyperkomgerät ein und aktivierte die Sammelverbindung zu den übrigen neunundfünfzig Staubeiern. »Wir werden wie bei einer normalen Suchaktion vorgehen. Das heißt, jeweils vier Schiffe bleiben beisammen, damit sie sich notfalls gegenseitig helfen können. Jede Gruppe übernimmt den Suchsektor, der mit der Positionszahl in der Reihenfolge der Gruppen identisch ist. Fremde Objekte werden selbstverständlich durchsucht. Befindet sich in ihnen Beute oder lassen sie selbst sich irgendwie verwerten, wird die genaue Position ermittelt und im Logbuch eingetragen.« Er schnaufte. »In spätestens fünf Pragos erwarte ich die letzten Schiffe zurück. Und nun: Guten Flug und reiche Beute, Männer!« Er schaltete das Gerät aus und tippte Tropp auf die Schulter. »Los, Jepson!« Tropp betätigte mehrere Schaltungen. Die transparente Kuppel unseres Zaradhoum schloß sich, dann setzte sich das
Transportband in Bewegung. Unser Schiff wurde durch eine Schleuse in die enge Abschußröhre befördert, die bereits luftleer gepumpt war. Ein Aufblitzen auf Tropps Steuerpult, ein Druck auf eine Schalttaste – und der Lamellenverschluß der Röhre öffnete sich. Das Staubei wurde von unsichtbaren Kräften gepackt und in die fahlleuchtenden Ausläufer der Sogmanton-Barriere hinausgeschleudert. Die Kontrollampen der Positronikblöcke neben dem Piloten leuchteten in rascher Folge auf. Die Rechner wickelten die erste Flugphase ab, die Tropp ihnen vor dem Start eingegeben hatte. Beinahe völlig lautlos schoß unser Staubei durch die ersten Staubfahnen hindurch. Fast direkt voraus blinkte ein pulsierender blauer Stern. Dann legte sich das Ei auf die Steuerbordseite und schoß in weitem Bogen auf die seltsam flimmernden Ränder zweier großer Staubausläufer zu, die sich stellenweise beinahe berührten. Hinter der Lücke war es so hell, daß sich die automatischen Lichtfilter einschalteten. Hätte ich allein in diesem Schiff gesessen, wäre ich niemals genau auf diese grelle Lichtflut zugeflogen, denn sie stammte unzweifelhaft von etwas – dessen war ich mir plötzlich sicher –, das nicht zu unserem Raum-Zeit-Kontinuum gehörte. Aber die Piraten kannten sich in dieser Gegend besser aus als ich und waren wohl auch mit allen Phänomenen vertraut. Deshalb schwieg ich. Als wir zwischen den beiden Staubarmen hindurchflogen, war es mir, als rasten wir durch einen gigantischen Tunnel, der geradewegs in die Ewigkeit führte. Manchmal weitete sich der Zwischenraum der Wolken, manchmal wurde er so eng, daß unser Ei die Ränder der Wolken fast berührte. Unentwegt aber strahlte vor uns – am Ende des scheinbaren Tunnels – die sonderbar wallende Lichterscheinung. Ich blickte mich von Zeit zu Zeit um, konnte aber weder die drei zu unserer Suchgruppe gehörenden Staubeier noch andere Piratenschiffe
entdecken. »Wir befinden uns erst im Anflug auf den Ausgangspunkt unserer Suchexpedition«, erläuterte Sheeron, der meine suchenden Blicke bemerkt hatte. »Dort treffen wir mit den anderen drei zusammen, sofern sie alle durchkommen.« Ich blickte wieder nach vorn. Diesmal unterdrückte ich meine Neugier nicht, sondern erkundigte mich nach der hellen Leuchterscheinung. »Es sind Gantries.« Er betonte es, als sage das alles. Mehr verriet der Oberpirat nicht mehr, doch ich vermutete, daß diese Leuchterscheinungen gefährlich werden konnten. Der Logiksektor raunte: Viele Raumfahrer haben die Angewohnheit, allen gefährlichen Phänomenen Namen zu geben wie Lebewesen. Eine Gefahr verliert einen Teil ihres Schreckens, wenn sie nicht mehr anonym ist. Wir rasten viele Tontas zwischen den beiden Staubwolken dahin, bevor wir wieder in relativ freien Weltraum vorstießen. Da erst erkannte ich, daß die helle Lichtballung vor uns aus zahllosen kleineren Leuchterscheinungen bestand, die von allen Seiten zusammenstrebten. Wieder schaltete die Positronik den Autopiloten. Unser Staubei legte sich auf die Backbordseite, wodurch die Lichtballung aus unserem Gesichtsfeld wanderte und wenig später an Steuerbord strahlte. Wir beschleunigten mit Maximalwerten, dann erfolgte die Transition, die ich eigentlich viel früher erwartet hatte. Der Ent- und Wiederverstofflichungsschmerz war nicht sehr stark, trübte aber doch das Wahrnehmungsvermögen für wenige Augenblicke. Als ich wieder klar sehen konnte, entdeckte ich backbords die hell erleuchteten Kabinen dreier anderer Zaradhoum. Die Gruppe hatte zusammengefunden. Sheeron schaltete das Normalfunkgerät ein und sagte zu den Besatzungen der anderen drei Schiffe: »Ich hoffe, ihr fürchtet euch nicht vor dem kleinen Hypersturm, der sich in unserem
Suchsektor aufbaut.« Er deutete nach vorn, und ich sah erst jetzt, daß die vor uns liegenden zerrissenen Staubfasern die charakteristische Feldlinienstruktur eines Mediums angenommen hatten, das von starken Magnetfeldern beeinflußt wurde – es war, als verschiebe man unter einem Haufen Metallspänen einen Magneten. »Wir fächern von hier an aus, schließen vor dem Kerngebiet des Hypersturms wieder dicht auf und durchstoßen es mit Höchstgeschwindigkeit. Anschließend fächern wir wieder aus und treffen uns am Ausgangspunkt von Suchsektor zwei.« Ich nickte anerkennend. Alles, was dieser Oberpirat sagt, ist logisch fundiert und zeugt von langjährigen Erfahrungen mit gefährlichen hyperenergetischen Erscheinungen. In diesem Augenblick bewunderte ich seinen Mut und den seiner Männer, die es immer wieder mit den tödlichen Gefahren und den zahllosen Unwägbarkeiten der Sogmanton-Barriere aufnahmen. Im Grunde genommen sind sie keine echten Piraten; sie nehmen sich nur, was die Barriere als Strandgut übrigläßt und ohne sie ungenutzt bleibt oder gar vernichtet würde. Mir kam der Gedanke, daß ich mit Männern wie diesen die Macht des Mörders Orbanaschol brechen konnte. Doch ich drängte ihn wieder zurück. Zuerst muß ich Famathia retten, danach Kontakt mit Fartuloon aufnehmen, und erst dann sehen wir weiter. Eins nach dem anderen. Sheeron hob die rechte Hand und stieß sie geballt nach oben. »Vorwärts, ihr Faulpelze und Nichtsnutze!« Unser Staubei ruckte so hart an, daß ich im ersten Moment glaubte, wir seien mit einem anderen Raumschiff oder einem kosmischen Felsbrocken kollidiert. Als Tropp sich grinsend umdrehte, wurde mir jedoch klar, daß der verrückte Kerl »nur« die Leistung der Andruckabsorber gedrosselt hatte, um es seinem Anführer heimzuzahlen.
Fünf Tontas später: Unsere Suchgruppe hatte sich mit insgesamt vierzehn Kurztransitionen verteilt. Nach jedem Sprung suchten die Orter und Taster nach Objekten. Bisher war die Suche ergebnislos geblieben. Doch das bedeutete noch lange nicht, daß in unserem ersten Sektor kein Raumschiff trieb. Der relativ nahe Hypersturm – wir waren 46 Lichtjahre von Richmonds Schloß entfernt – störte inzwischen die überlichtschnelle Ortung so sehr, daß die Ergebnisse nicht für die Navigation verwendet werden konnten. Wir mußten uns auf das gespeicherte Orientierungssystem der Bordpositronik verlassen. Unterdessen hatten sich die Kraftfeldlinien des Hypersturms zu Werten verstärkt, die ich bislang noch nicht erlebt hatte. »Wenn wir den Kern nicht im genau richtigen Augenblick durchstoßen, werden wir zerfetzt!« Sheeron stöhnte. »Sollte das passieren, lernst du mich richtig kennen, Jepson.« Unser Pilot blickte über seine Schulter zurück. »Mir wird bestimmt übel, sollten sich unsere Körper vermischen. Immerhin will ich gern eingestehen, daß ich verrückt war, mich auf dieses Wahnsinnsunternehmen einzulassen.« »Ich werde es Ihnen nicht vergessen, Tropp«, sagte ich. Er drehte die Handflächen nach oben und spreizte die Finger. »Euer Erhabenheit mögen sich nicht zu sehr strapazieren. Ich bin nur ein einfacher Freibeuter.« »Ein Schwätzer bist du!« fuhr ihn Sheeron an. »Ich sehe an den Anzeigen, daß die Polung abgeschlossen ist. Es wird Zeit, daß wir ins Auge des Hypersturms vorstoßen, bevor es sich auflöst. Dann wären wir verloren.« Tropp wandte uns das Gesicht zu und entblößte die Zähne zu einem verzerrten Grinsen. Kein Zweifel, dieser hünenhafte Pirat hatte Angst. »Es geht los!« verkündete er mit rauher Stimme. »Ihr wollt es ja nicht anders!«
Er drehte den Kopf wieder nach vorn und schaltete. Trotz seiner offenkundigen Angst verrichtete er seine Arbeit mit perfekter Präzision. Routine! wisperte mein Logiksektor. »Natürlich«, antwortete ich unwillkürlich. Sheeron warf mir einen mißtrauischen Seitenblick zu. »Mit wem haben Sie gesprochen?« Ich lächelte. »Mit mir selbst.« Das war nicht einmal gelogen, denn der Logiksektor gehörte zu mir wie meine Augen, mein Mund, meine Hände. Er war latent schon wie bei jedem Arkoniden bei meiner Geburt vorhanden gewesen und nach Erwerb der ARK SUMMIA auf Largamenia lediglich aktiviert worden. Unser Staubei beschleunigte mit Maximalwerten. Ich fragte mich, was mit ihm und uns geschehen würde, sollte uns eine Transition an den Entstehungsort des Hypersturms versetzen, der ja nicht im Standarduniversum, sondern im Hyperkontinuum lag, jenem Medium, das die Transitionen überhaupt erst ermöglichte. Was auch immer dann geschah, es würde zweifellos meine Existenz auslöschen. Und Famathia? Ich spürte den Drang, der mich zwingen wollte, Tropp zum Abbruch des Manövers aufzufordern, denn ich durfte nicht sterben, bevor ich Farnathia gefunden und gerettet hatte. Es gelang mir gerade noch rechtzeitig, diesen Impuls zu unterdrücken, weil ich eben gerade wegen Farnathia das Wagnis auf mich nehmen mußte. Denn tat ich es nicht, war sie auf jeden Fall verloren. Die Beschleunigungsphase entwickelte sich immer mehr zu einem Alptraum, so daß ich schließlich die Entstofflichung fast als Erlösung empfand. Die Rematerialisierung war von einem grauenhaften Schmerz begleitet, wurde aber gerade dadurch so real, daß mir die Erkenntnis, nicht im Hyperraum »hängengeblieben« zu sein, große Erleichterung verschaffte. Das, was darauf folgte, glich den Visionen eines durch
Drogen vernebelten Geistes: Die Staubwolken vor uns hatten die Struktur des Randes eines riesigen Sonnenflecks mit fadenförmiger Gliederung in der Penumbra angenommen. Im Auge des Hypersturms gähnte ein schwarzer Aufriß, in dem alle drei Arkonplaneten bequem Platz gefunden hätten. Und genau auf dieses schwarze Etwas rasten wir zu. Ich beugte mich vor, soweit meine Anschnallgurte mir das erlaubten. Auf Tropps Kontrollpult pulsierte eine blaue Schaltplatte. Ihr Leuchten wurde immer intensiver. Gleichzeitig ertönte ein hohles Brausen, wie ich es noch bei keinem Raumflug gehört hatte. Im nächsten Moment wurden wir von dem »schwarzen Loch« des Sturmzentrums verschlungen. Es gab plötzlich keine Umgebung mehr. Wir schienen reglos mitten im Nichts zu hängen. Doch das immer stärkere Leuchten der Schaltplatte und das immer lautere hohle Brausen verrieten mir, daß wir uns weder im Nichts befanden noch bewegungslos waren. Unfaßliche Kräfte zerrten an unserem winzigen Staubei, machten es zu ihrem Spielball – und verrichteten dadurch genau jene Arbeit, die sie verrichten sollten: Die chaotische Energie des Hypersturms war mit Hilfe einer ausgeklügelten Technik und der hohen Kunst der Galaktonautik zu dienstbaren Geistern geworden. Ein beinahe berauschendes Glücksgefühl überkam mich. Ich genoß die Situation, die uns zu Beherrschern grauenhafter Gewalten machte. Dann kam die eigentliche Entstofflichung und zerriß mein Triumphgefühl. Für den Bruchteil eines Herzschlags sah ich nur noch ein unglaublich grelles blaues Leuchten, dann erlosch die innere Verbindung meines Bewußtseinsinhalts, und ich wurde in wesenlose Dunkelheit geschleudert. Das Rücktauchen ins bewußte Denken und Fühlen glich dem Einschalten eines Scheinwerfers: Lichtfluten durchpulsten mich, während ein stechender Schmerz in meinem Nacken
bohrte und zerrte. Ich schrie und verschaffte mir dadurch etwas Erleichterung. Als mein Verstand das Chaos der Neuronenströme beherrschte, brach mein Schreien ab. Dennoch hörte ich weiterhin gellende Schreie; es waren Tropp und Sheeron, die ihre Qual hinausbrüllten, bis sie kurz darauf ebenfalls verstummten. Wir blickten uns schweigend an, dann richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf das, was sich außerhalb unseres kleinen Raumschiffs abspielte: Es war alles andere als dramatisch, denn von dem Hypersturm und den wirbelnden Staubmassen war nichts mehr zu sehen. Unser Staubei bewegte sich langsam unter dem riesigen, in rosafarbenen Tönungen schimmernden Arm einer fast normal wirkenden Staubwolke hindurch, die von drei roten Sonnen beschienen wurde. Tropp drehte sich um. »Zufrieden, Euer Erhabenheit?« erkundigte er sich mit einer Stimme, der ich die ungeheure Erleichterung anhörte, daß wir dem Hypersturm wohlbehalten entronnen waren. Ich neigte den Kopf. Die Ironie in seinen Worten ignorierte ich. Sie war ein Ventil, durch das sich angestauter psychischer Druck abbaute. »Erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Bewunderung für Ihre großartige Leistung ausspreche. Männer wie Sie würden in der Raumflotte des Großen Imperiums die besten Aufstiegschancen haben.« »Versuchen Sie nicht, meine Leute abzuwerben, Kristallprinz!« entrüstete sich Sheeron. »Außerdem sind Sie nicht in der Lage, jemandem einen Posten in der Imperiumsflotte anzubieten.« »Noch nicht. Aber das wird sich ändern, Sheeron.« Ich wechselte das Thema: »Wann treffen die anderen Schiffe ein?« Er blickte auf sein Armband. »Sie müßten eigentlich schon hier…« Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick ertönte das
schrille Pfeifen der automatischen Kollisionswarnung. Beinahe gleichzeitig zuckten grelle Blitze aus den Feldsicherungen der Strukturtaster, während ein Schatten dicht über uns hinweghuschte. Tropp schaltete den Strukturtaster aus und meinte betont gleichmütig: »Das war der erste. Derart gefährliche Annäherungen lassen sich nach dem blinden Durchgang eines Sturmauges nicht vermeiden. Aber es ist ja noch einmal gutgegangen.« Sheeron atmete hörbar auf und schaltete das Normalfunkgerät ein. »Ich rufe angekommenes Schiff! Meldet euch, ihr Bruchpiloten!« Eine flache Stimme antwortete aus dem Empfangsteil des Gerätes: »Hier spricht Zychneus. An Bord alles wohlauf. Ist außer uns schon jemand angekommen?« »Nicht, daß ich wüßte.« Der Oberpirat wandte sich an Tropp: »Schalte den Strukturtaster wieder ein, Jepson, damit wir die Ankunft der nächsten Eier bemerken!« Tropp gehorchte. »Hoffentlich tut es das Ding nach der Überbeanspruchung noch.« Zu unserer Verwunderung – und Erleichterung – funktionierte der Strukturtaster. Nach einiger Zeit, in der wir und das zweite Staubei uns auf Sichtweite genähert hatten, schlug der Strukturtaster abermals aus, diesmal jedoch nur schwach. Das Raum-Zeit-Gefüge war unterhalb der rosa angehauchten Staubwolke, deren Ausläufer wir passierten, erschüttert worden. Tropp versuchte, das andere Staubei anzupeilen, während sich Sheeron bemühte, Hyperfunkkontakt herzustellen. Beides schlug jedoch fehl, so daß uns nichts anderes übrigblieb, als unsere Position zu halten und darauf zu warten, daß der Pilot des anderen Schiffes sich mit einer weiteren Transition zum Treffpunkt sprang. Eine Tonta später sprach unser Strukturtaster zum drittenmal an. Diesmal hatten die Hyperpeiler fast sofort
Kontakt: Es handelte sich bei dem Objekt einwandfrei um ein weiteres Staubei, das genau in dem verdickten Ende des Armes der rosa Staubwolke rematerialisiert war. »Nun braucht nur noch das Ei von jenseits der Wolke zu kommen«, sagte Tropp. Sheeron hob eine Hand. »Kontakt! Bitte melden!« »Wir haben euch in der Tastung«, antwortete die etwas atemlose Stimme des anderen Schiffsführers. »Demnach sind wir in der Nähe des Treffpunktes. Der Durchgangssprung hat uns auf die gegenüberliegende Seite der Staubwolke befördert.« »Das wart ihr? Ich dachte, ihr wäret das letzte Schiff.« »Welches fehlt denn, Sheeron?« erkundigte sich der Pirat. »Ich bin Shechtar.« »Dann fehlt das Zaradhoum von Mahallan. Ich fürchte, es ist verloren.« »Keine Strukturtasterortung?« erkundigte sich Shechtar. »Keine. Wir werden noch zwei Tontas warten. Wenn Mahallans Staubei dann noch nicht erschienen ist, sprechen wir gemeinsam die Rhudhinda und setzen die Aktion planmäßig fort. Inzwischen kannst du aus deinem Staubfortsatz herauskommen, Shechtar.« »Wird gemacht.« Nach wenigen Zehnteltontas hatten wir Sichtkontakt zu Shechtars Staubei. Doch auf das Staubei Mahallans warteten wir vergeblich. Als die von Sheeron gesetzte Frist verstrichen war, wurden unsere drei Schiffe zu einem Kommunikationskreis zusammengeschaltet, und die Piraten sprachen die Rhudhinda. Es handelte sich um einen Nachruf, der den Verschollenen gewidmet war und in dem ihre Kameraden sie um Verzeihung dafür baten, daß sie nicht länger warten konnten. Weiterhin wurde versprochen, ihre Namen nicht zu vergessen und in Ehren zu halten. Es berührte
mich eigentümlich, die rauhen Gesellen mit sentimentaler Ernsthaftigkeit sprechen zu hören. Nachdem die Rhudhinda gesprochen war, wurde der Kommunikationskreis unterbrochen. Die Staubeier schwärmten aus, um das zweite Suchgebiet zu durchstreifen.
6. Chamiel Senethi: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO; Vorwort zum Kompendium von Sekundärveröffentlichungen diverser Archive, Sonthrax-Bonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1310 Galaktikum-Normzeit (NGZ) Der Historiker und USO-Spezialist Meeca Netreok, zweiter Chef des Historischen Korps, schrieb in der 2391 alter Zeitrechnung erstmals veröffentlichten Fassung der Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse überaus treffend: »Am 1. Juli 2115 wurde die United Stars Organisation als neutrale Schutzmacht für die Völker der Galaktischen Allianz ins Leben gerufen und rasch zu einem schlagkräftigen Instrument der Sicherheit. Nachdem Lordadmiral Atlan das frustrierende Amt des Imperators an den Nagel gehängt hatte, war es für jeden Kenner der Umstände nichts anderes als logisch, daß bald innerhalb der USO das Historische Korps ins Leben gerufen wurde. Mehr als zehn Jahrtausende persönlicher historischer Erfahrungen Atlans und die Begeisterung der Helfer und Spezialisten von Quinto-Center und 182 geheimen Stationen schufen ein riesiges Archiv und einzigartige Programme, die selbständig aus Zahlen und Zeugnissen lebendige Geschichtsinterpretation erstellten. Es ist ein offenes Geheimnis, daß sich Mitarbeiter aller Fachgebiete mit kindlicher Freizeit-Freude diesem Projekt widmen, und selbst Chef Atlan Gonozal steuerte für den Holographieraum des Korps einige
Exponate seines ›Museumsraumes‹ der unterseeischen Schutzkuppel bei…« Dem fühlen wir uns ebenfalls verpflichtet, zumal sich in der Zwischenzeit erwiesen hat, wie wichtig die genaue Kenntnis des Vergangenen für Gegenwart und Zukunft ist. Beispielhaft sei deshalb auf Aussagen Harnos verwiesen, die, als Teil einer umfangreichen Datensammlung von Hemmar Ta-Khalloup, in Das verlorene Juwel von Kariope erst im Jahr 1236 NGZ im EpetranArchiv der Omperas-Museumsinsel im Golf von Khou auf Arkon I wiederentdeckt und ab 1240 NGZ veröffentlicht wurden: »In deinen Dateien sind viele Rätsel der Vergangenheit gespeichert. Du kennst die Artefakte des Großen Volkes, weißt von den akonischen Stammvätern, hast Berichte über den Ring des Schreckens ebenso gesammelt wie über die Vagabundierende und Vergessene Positronik, den Stein der Weisen oder all die Dinge, die in den Galaktischen Mythen und Legenden verzeichnet sind: verbrämte Zeugnisse vom Magnortöter Klinsanthor oder vom Liebespaar Caycon und Raimanja und dem von ihnen gezeugten Wachen Wesen. Die Sagas der Zwölf Heroen sind dir ebenso geläufig wie die phantastischen Fabeln von gewaltigen Sternentoren, die den Sprung zu anderen Galaxien ermöglichen sollen. Viele der Ursprünge reichen bis in fernste Vergangenheit zurück, immer wieder wurden die mit ihnen verbundenen Aspekte neu aufgegriffen, der jeweiligen Zeit angepaßt, abermals umgeformt, vielfältigen Metamorphosen unterzogen. Und doch blieb der Kern von tiefer Wahrheit…« Es ist unsere Aufgabe, diesen Kern herauszuarbeiten und einer möglichst breiten Öffentlichkeit vorzustellen! In der Sogmanton-Barriere: 1. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Das Gebiet, auf das sich unsere Suche konzentrierte, umfaßte die Staubwolke mit dem verdickten Arm, unter dem unser
Schiff rematerialisiert war. Sobald wir in die Staubmassen eintauchten, verschwand das rosige Glühen und Leuchten der drei roten Sonnen. Es wurde zusehends dunkler, aber nicht völlig finster. Bald umgab uns ein geisterhaft fahler Brei, der die Außenhaut unseres Schiffes abzuschmirgeln drohte, sollte Tropp zu stark beschleunigen. Selbstverständlich hätten wir uns durch Aktivierung des Prallschirms schützen können, aber dann hätte seine Energie unablässig mit den kollidierenden Staubteilchen reagiert, wodurch sowohl eine Tastung als auch Direktsicht und Funkkontakt unmöglich gewesen wären. Folglich mußten wir mit geringer Fahrt durch die Staubwolke manövrieren. Dennoch narrten uns die unterschiedlichsten Phänomene, wie energetische Konfigurationen und auf bestimmte Stellen konzentrierte Kettenreaktionen. Immer wieder glaubten wir, ein treibendes Schiff oder Wrack entdeckt zu haben, und mußten dann an Ort und Stelle erkennen, daß wir getäuscht worden waren. Als die Analysatoren wieder einmal den Ortungskontakt mit einem großen kompakten Gebilde meldeten – 55 Lichtjahre vom Teaultokan entfernt –, sagte Sheeron mürrisch: »Sicher ist das wieder so ein Geisterecho, sonst würde man dort auf mein Hyperkomsignal antworten.« Ich überprüfte die Kontrollen seines Kommunikationskomplexes und stellte fest, daß der Pirat einen starken Hyperkomstrahl genau auf den Koordinatenpunkt gerichtet hatte, an dem sich das kompakte Gebilde befinden sollte. Mir war klar, daß der Hyperkomrichtstrahl einwandfrei ankam, sonst wäre auch der mit ihm verwandte Tasterstrahl nicht reflektiert worden. Aber schließlich konnte es viele Gründe dafür geben, warum jemand nicht auf ein Hyperkomsignal antwortete. »Vielleicht ist ihre Sende- oder Empfangsanlage ausgefallen. Oder sie
fürchten eine Plünderung durch Piraten.« Ich blickte Sheeron prüfend an, doch er fühlte sich durch meine letzte Bemerkung offenbar nicht gekränkt. »In der Barriere hängen so viele verlassene Schiffe fest, daß wir es nicht nötig haben, ein bewohntes Raumschiff anzugreifen.« Er musterte die Anzeige der Energieortung. »Fest steht, daß dort keine Kernfusionsaggregate arbeiten. Allerdings zeigen die Geräte den Fluß elektrischer Ladungen sowie eine gewisse chemische Aktivität an.« »Sehen wir nach! Wir müssen uns schließlich überzeugen, worum es sich handelt, denn wir können nicht völlig ausschließen, daß es die FARNATHIA ist.« Sheeron überlegte eine Weile und gab sich einen Ruck. »Flieg hin, Jepson! Vielleicht finden wir ein ausbeutungswürdiges Wrack.« »Brauchen könnten wir es.« Tropp beschleunigte unser Staubei behutsam. »Es wird Zeit, daß wir wieder ein Schiff voll bekommen und die Fracht verkaufen. Meine Freundin will unbedingt einen dieser neuen Chronographen mit Minipositronik haben, die zur Zeit große Mode auf den Arkonwelten sind.« Sheeron lachte schadenfroh. »Wahrscheinlich hast du sie in letzter Zeit vernachlässigt. Ich habe da Sachen gehört…!« »Geschwätz!« gab Tropp knurrig zurück. Der Flug zu dem georteten Objekt verlief nicht geradlinig, da sich die Staubeier die verschiedenartigen Energieströme innerhalb der Sogmanton-Barriere zunutze machten. Anders waren weite Raumflüge mit den vergleichsweise winzigen Schiffen gar nicht möglich. Schließlich aber waren wir so nahe herangekommen, daß die Analysatoren eindeutige Ergebnisse lieferten. Das angemessene Objekt war eine stark abgeplattete Kugel von etwa dreihundert Metern Durchmesser am Äquator, ein Raumschiff also, das denen des Tai Ark’Tussan
weitgehend glich, aber wegen seiner starken Abplattung doch kein arkonidisches sein konnte. Da keine Fusionsreaktoren mehr arbeiteten, war anzunehmen, daß die Besatzung es entweder verlassen hatte oder umgekommen war. Das Fließen elektrischer Ladungen ging wahrscheinlich auf Energiespeicher zurück. Rätselhaft blieb dagegen die unverändert angemessene chemische Aktivität. Sheeron blendete ein Meßdiagramm auf meinen Schirm und bat mich, es anzusehen. Ich betrachtete es eingehend. »Es könnte sich um elektrolytische Vorgänge handeln. Vielleicht hängt das mit den fließenden elektrischen Ladungen zusammen.« »Wollen Sie damit andeuten, dort würde Energie durch rein chemische Prozesse gewonnen?« »Ich weiß, es klingt unglaubhaft. Endgültige Aufklärung läßt sich aber wohl nur an Ort und Stelle gewinnen.« »Warum haben unsere Patrouillen niemals den Einflug eines derart großen Schiffes in die Barriere gemeldet?« überlegte Tropp laut. »Mit voll aktivierten Aggregaten muß es doch unübersehbar für jede Energieortung gewesen sein.« »Vielleicht hat ein Hypersturm seinen Einflug überlagert oder gar verursacht?« Ich beteiligte mich nicht an der Diskussion über die Frage, warum die Staubeier der Piraten das Schiff nicht beim Einflug in die Sogmanton-Barriere angemessen hatten. Mich interessierte vorläufig nichts anderes als die Suche nach Farnathia. Das geortete Schiff war ganz gewiß nicht die FARNATHIA. Doch es läßt sich nicht ausschließen, daß die FARNATHIA in einem seiner Hangars Schutz vor dem Hypersturm gesucht hat, dachte ich, wurde allerdings vom Logiksektor korrigiert: Dagegen spricht allerdings die Tatsache, daß nirgends im Objekt ein Kernfusionsaggregat läuft.
Wenig später tauchte das Schiff als grauer Schemen in der fahlen Dämmerung des Staubnebels auf. Tropp bremste ab. Wir glitten an dem fremden Schiff vorbei, schwangen herum und kamen in rund hundert Metern Entfernung relativ zu ihm zum Stillstand. Aus dieser Nähe ließen sich Einzelheiten mit dem bloßen Auge erkennen. Mir fiel als erstes auf, daß die Außenhülle des Schiffes einer grauweißen Kraterlandschaft glich, wie sie die meisten luftlosen Planetenmonde aufwiesen. »Das ist doch kein Metallplastik. Was sagen die Analysatoren, Sheeron?« »Sie weisen meteoritische Substanzen sowie organische Verbindungen aus«, antwortete er verwundert. »Sieht so aus, als hätte es sich nach und nach auf der eigentlichen Außenhülle des Schiffes abgelagert.« »So etwas haben wir noch nie gesehen«, warf Tropp ein. »Wahrscheinlich dauert es viele tausend Jahre, bis sich derart erhebliche Mengen von Staubwolkensubstanz auf einer Schiffshülle ablagern«, sagte ich. »Das erklärt natürlich auch, warum Ihre Patrouillen niemals den Einflug dieses Schiffes meldeten: Als es einflog, gab es Ihre Organisation noch gar nicht.« Sheeron leckte sich nervös die Lippen und deutete auf ein Diagramm. »Wie erklären Sie sich dann den Fluß von elektrischer Energie an Bord? Keine Speicherbatterie liefert jahrtausendelang Strom.« »Keine, die wir kennen«, schränkte ich ein. »Was zeigen die Hohlraumresonatoren an?« Mich interessierte hauptsächlich die Lage von großen Beiboothangars, auch wenn ich es nicht mehr für sehr wahrscheinlich hielt, daß sich die FARNATHIA in das große Schiff geflüchtet hatte. Unser Hyperkom sandte weiterhin Signale aus, und bei dieser geringen Distanz mußten sogar die Armbandfunkgeräte einer Schiffsbesatzung ansprechen. Der
Logiksektor meinte brummig: Antworten kann sie allerdings nur dann, wenn sie noch lebt. »Die großen Beiboothangars – sie sind alle voll besetzt! – liegen über dem äquatorialen Ringwulst, dessen Düsenöffnungen übrigens auch überwuchert sind.« Ich sah Sheeron an. »Und die kleineren Hangars?« Er steuerte die Hohlraumresonatoren so, daß ihre Impulse den Bereich unter dem Ringwulst des Schiffes bestrichen. »Ebenfalls voll belegt. Es scheint, als hätte die Besatzung ihr Schiff nicht verlassen.« Plötzlich zuckte er zusammen und starrte auf einen anderen Auswertungsschirm. »Was ist?« »Das verstehe ich nicht. Die Massetaster zeigen eine Verlagerung im Schiff an.« »Welche Größenordnung?« »Nur 1473 Kilogramm. Selbst wenn es nur zehn Gramm wären, könnten sie sich nicht ohne Impuls von außen bewegen.« »Wahrscheinlich eine durch unterschiedliche Anmeßwinkel bedingte Scheindifferenz«, warf Tropp ein. »Was sollte sich schon in einem seit Jahrtausenden toten Schiff bewegen?« Sheeron preßte die Lippen zusammen und gab die ermittelten Werte in die Bordpositronik ein. Innerhalb weniger Augenblicke stand das Rechenergebnis fest: Die Massenverlagerung war nicht durch eine Meßwinkeldissonanz vorgetäuscht worden. Vielleicht befinden sich doch Überlebende der FARNATHIA an Bord, die uns irgendwie ein Zeichen zu geben versuchen! Ich sagte entschlossen: »Ich gehe hinüber!« Sheeron sah mich lange an. »Ich möchte es Ihnen nicht verweigern, weil ich mir sonst immer Ihre Vorwürfe anhören müßte, sollten wir die FARNATHIA nicht finden. Aber ich werde Sie auch nicht allein auf ein Schiff gehen lassen, in dem
vielleicht unbekannte Gefahren lauern.« »Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte ich ironisch. Ich wußte genau, daß Sheeron mich nicht begleiten wollte, um mir im Falle von Gefahr beistehen zu können, sondern weil er glaubte, ich könnte etwas Wertvolles entdecken und meine Entdeckung für mich behalten. Doch sein Motiv interessierte mich nicht. Wichtig war für mich allein die Tatsache, daß er mitkam; dann konnte er sich nämlich nicht davonstehlen, falls ich zu lange ausblieb. Jepson Tropp manövrierte das Zaradhoum vor die Schleuse eines großen Hangars und zerschoß das Außenschott mit der ausgeschwenkten Impulskanone. Als die so geschaffene Öffnung groß genug war, steuerte er unser Schiff dicht heran und verankerte es mit einer kegelförmigen Magnettrosse. Unterdessen hatten Sheeron und ich unsere Raumanzüge geschlossen und alle Systeme peinlich genau überprüft. Bewaffnet mit je einem Desintegrator und einem Thermostrahler, gingen wir durch die Schleuse von Bord und schwebten in den Hangar hinüber, der von zwei Scheinwerfern des Staubeis in grelles Licht getaucht wurde. Wir schalteten unsere gravomechanischen Flugaggregate ein, da innerhalb des großen Schiffes keine künstliche Schwerkraft herrschte, und blickten uns aufmerksam um. Das auf den Abschußschienen stehende Beiboot war ein kleineres, achtzehn Meter durchmessendes Duplikat seines Mutterschiffes. Aber das erfaßten wir nur nebenbei, denn etwas anderes fesselte sofort unsere Aufmerksamkeit: Die gesamte Innenwandung des Hangars, die Abschußschienen und auch das Beiboot selbst sahen aus, als hätten sie für Arkonjahre in einem Bad aus STOG-Säure gelegen. Das Material war geradezu zerfressen, bis auf die Außenhülle des
Beiboots, die stark angerauht war und nur wenige Perforationen aufwies, weil sie logischerweise aus dem widerstandsfähigsten Material hergestellt worden war. Sheeron und ich sahen uns durch die transparenten Kugelhelme an. »Ich würde die anderen Schiffssektionen gern so sehen, wie sie jetzt sind«, sagte ich über Funk. »Kann vom Staubei aus ein Energieschirm projiziert werden, daß er das Schußloch hermetisch abdichtet?« »Sie denken offenbar an eine Giftgasatmosphäre, die für die Materialzersetzung verantwortlich ist. Ja, wir können das Loch energetisch abdichten.« Er erteilte Tropp eine entsprechende Anweisung. Wir warteten, bis der Pilot uns meldete, daß das Prallfeld absolut dicht war, dann zogen wir unsere Desintegratoren und verwandelten einen Teil des Innenschotts in wirbelnden Ultrafeinstaub. Was wir beide vermutet hatten, bestätigte sich: Aus dem Schiffsinnern schoß ein Gasschwall ins Vakuum des Beiboothangars. Sheeron und ich wären gegen den Energieschirm geschleudert worden, hätten wir uns nicht zuvor an den Seitenwänden magnetisch verankert. Unsere Minidetektoren lieferten eine Analyse der Schiffsatmosphäre: Sie setzte sich aus zahlreichen giftigen und ätzend wirkenden elementaren Gasen und gasförmigen chemischen Verbindungen zusammen. Sauerstoff fehlte völlig oder war in zu geringer Menge vorhanden, so daß die kleinen Detektoren ihn nicht erfaßten. Sheeron und ich lösten die magnetischen Verankerungen und »schwammen« mit vorsichtigen Bewegungen durch das giftige Gasgemisch. »Wahrscheinlich ist die Besatzung daran gestorben«, vermutete der Pirat. »Selbst Raumrüstungen halten den heftigen chemischen Reaktionen auf Dauer nicht stand. Deswegen schlage ich vor, wir bleiben nicht länger als eine Tonta im Schiff, verzichten aber auf Individualschirme.«
»Einverstanden. Allerdings kann ich mir nicht erklären, wie sich in einem Raumschiff eine derart giftige und aggressive Atmosphäre bilden kann. Noch weniger vermag ich mir zu sagen, warum sich diese Atmosphäre bei ihren chemischen Reaktionen nicht verbrauchte.« Sheeron drehte die Handflächen nach oben, schaltete seine Helmlampe an und flog durch das Loch, das unsere Zaraccots geschaffen hatten. Ich schaltete meinen Helmscheinwerfer ebenfalls an und folgte dem fetten Piraten, der bereits wieder heftig keuchte, als stünde er kurz vor einem Herzinfarkt. Der Helmfunk übertrug sogar das Summen seiner Klimaanlage. Sheeron schwebte einen Stichkorridor entlang, der schließlich vor einer leicht gewölbten Wand endete. Links und rechts befanden sich ovale Öffnungen von Antigravschächten, die allerdings außer Betrieb waren. Sheeron sah in den Schacht, während ich meine Helmlampe auf breitere Streuung justierte und die Umgebung musterte. Die Wände waren auch hier von Gasen angefressen. Fragmente von Kabelbaum-Halterungen deuteten daraufhin, daß es früher einmal eine Verkleidung gegeben hatte, die weit weniger widerstandsfähig gewesen war als das übrige Material. Am besten erhalten war die schwach gewölbte Wandung, an der der Korridor endete. Ich nahm an, daß sie Teil der inneren Panzerkugel des Schiffes war, und wieder war die Ähnlichkeit mit unseren Raumschiffen frappierend. Auch bei uns befand sich die Kommandozentrale im Mittelpunkt des Schiffes, und auch wir schützten dieses Hirn eines Raumfahrzeugs durch eine extrem widerstandsfähige Panzerung. Allerdings waren im Großen Imperium nie Kugelraumschiffe mit stark abgeplatteten Polen gebaut worden, es sei denn, darüber existierten keinerlei Informationen mehr. Das wiederum konnte ich mir jedoch kaum vorstellen, denn die Informationen, die Fartuloon mir
vermittelt hatte, reichten bis zu den Anfängen der arkonidischen Raumfahrt zurück. Sofern es nicht gezielte Verfälschungen oder Löschungen gegeben hat! wandte meine innere Stimme ein. Ganz zu schweigen von der Ära der Archaischen Perioden! »Kommen Sie!« rief Sheeron und flog in einen der Antigravschächte, ohne darauf zu achten, ob ich folgte oder nicht. Von der Norm abweichendes Verhalten! stellte der Logiksektor fest, während ich ebenfalls in den Schacht steuerte. Aufmerksam beobachten! Drei Decks tiefer stießen wir uns leicht ab und gaben uns dadurch den Impuls, der uns durch die Öffnung hinaustrieb. Vor uns lag das geschlossene Panzerschott der Kommandozentrale, und damit ergab sich die Frage, wie wir hineinkommen konnten. Die Oberfläche des Panzerschotts war durch die ätzenden Gase lediglich stumpf geworden, was bewies, daß sie aus hochwertigem Material bestand. Natürlich würde sie kaum mehr »strukturverdichtet« oder gar einer Kristallfeldintensivierung unterzogen sein, denn diese Eigenschaften erhielten sich nur, solange ständig eine hyperenergetische Aufladung stattfand, eine Leistung, die nur durch Fusionsreaktoren erbracht werden konnte, nicht aber durch die schwachen elektrischen Ströme, die wir von draußen angemessen hatten. Als Sheeron die Hand ausstreckte, um sie auf die Stelle des Schottes zu legen, hinter der sich bei arkonidischen Konstruktionen das auf die Körperströme ansprechende Thermoschloß verbarg, schüttelte ich den Kopf. Im nächsten Augenblick zog ich unwillkürlich die Luft ein: Es hatte deutlich hörbar geklickt, und dann bildete sich in der Mitte des Panzerschotts ein Spalt, der sich rasch verbreiterte. Bald darauf waren beide Schotthälften in die hohlen Wandungen
zurückgeglitten. »Vorsicht!« flüsterte ich. »Warum? Eine solche Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder.« »Es fragt sich nur, für wen. Welchen Wahrscheinlichkeitsgrad würde eine KSOL ermitteln, daß sich das Zentraleschott eines seit Jahrtausenden toten Raumschiffs auf völlig normale Weise öffnet?« Diesmal drehte Sheeron sich um. Er lächelte, aber sein Lächeln war ohne gefühlsmäßige Beteiligung. So lächelte vielleicht ein entsprechend programmierter Roboter, aber kein Arkonide. Das ist eine Falle! stellte mein Logiksektor fest – überflüssigerweise, denn zum gleichen Schluß war ich ebenfalls gekommen. »Ich hatte Sie eigentlich nicht für einen Feigling gehalten, Euer Erhabenheit. Kommen Sie schon!« Er schwebte durch die Öffnung, bevor ich es verhindern konnte. Wie hätte ich es auch verhindern sollen? Ich konnte ihn nicht einfach niederschießen, und auf die Bedrohung mit einer tödlichen Waffe hätte er nicht reagiert, nicht in seinem derzeitigen geistigen Zustand. Aber ich war nicht bereit, ihm zu folgen. Und doch tat ich es, allerdings nicht freiwillig: Aus dem Nottreppenschacht quollen plötzlich zahllose winzige metallische, spinnenähnliche Gebilde hervor, eine schimmernde Wolke, die sich in der Schwerelosigkeit gleich treibenden Rauchflocken bewegte. Die Gebilde hüllten mich ein, bevor ich eine Waffe ziehen konnte. Sie bildeten quasi einen beweglichen Panzer um meinen Körper, eine Art stählernes Korsett, das mir seine Eigenbewegung aufdiktierte. Meine Beine bewegten sich unter fremdem Zwang, während meine Arme zur Unbeweglichkeit verurteilt waren. Steif wie eine Marionette schritt ich durch die Schottöffnung in die Kuppelhalle der Zentrale. Trotz meines Entsetzens
nahm ich überdeutlich wahr, daß es eine Maschine innerhalb der Anhäufung toter technischer Apparaturen gab, die noch »lebte« das Positronengehirn. Die vorgewölbten »Augen« am gebuckelten Hauptblock glommen in düsterem Rot. Dieser Anblick beschäftigte mich so, daß ich meine winzigen Bezwinger für wenige Augenblicke vergaß. Als ich merkte, daß sie mich nicht mehr umhüllten, war es zu spät. Ich wirbelte herum und wurde durch die ruckhafte Bewegung in einer Spiralbahn zur Decke getrieben. Unfähig, diese Bahn rasch genug zu ändern, mußte ich ohnmächtig zusehen, wie die Metallgebilde gleich einem Rauchschleier durch die Schottöffnung trieben. Dann knallten die Schotthälften zusammen – wir waren gefangen. Ich stieß mich so von der gewölbten Decke ab, daß ich schräg auf Sheeron zutrieb und neben ihm landete. Noch einmal stieg ich ein Stück empor, dann sank ich langsam auf den Boden und blieb stehen. Sheeron starrte mich an, und ich starrte ihn an. Durch die verdunkelte Scheibe meines Helms sah ich Sheerons Helmlampe nur als matten Lichtfleck. Ich empfand in diesen Augenblicken keine Furcht, obwohl mir der Angriff der Metallspinnen zuerst einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte. Doch das war vorüber. Mit der Situation konfrontiert, beschäftigte ich mich bereits damit, eine Möglichkeit zu suchen, die unsere Rückkehr zum Staubei ermöglichte. Vorher aber wollte ich wissen, was es eigentlich mit diesem uralten Schiff auf sich hatte. »Hanwigurt Sheeron«, sagte ich leise und eindringlich, »wir sind nicht freiwillig hier. Sie wurden wahrscheinlich geistig beeinflußt, ich wurde von winzigen Metallspinnen überwältigt. Doch nun sind wir hier und müssen versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.« Sheeron holte in jähem Erschrecken tief und keuchend Luft; seine Rechte fuhr instinktiv zum Griff des Thermostrahlers. Ich schüttelte den
Kopf. »Das hilft uns nicht weiter. Man hat Sie wieder freigegeben, was wahrscheinlich bedeutet, daß man sich unserer sicher zu sein glaubt. Wenn Sie auszubrechen versuchen, kehrt der Einfluß zurück – und mich werden die Metallspinnen wieder einfangen.« Der Piratenführer entspannte sich und erkundigte sich mit erzwungener Ruhe: »Wer ist ›man‹?« Ich drehte die Handflächen nach oben. »Das weiß ich noch nicht. Vielleicht hilft uns die Positronik weiter, sie ist aktiviert. Ob eine Kommunikation zustande kommt, hängt davon ab, ob wir eine gemeinsame linguistische Basis finden. Aber ich bin in dieser Beziehung optimistisch.« Ich wandte mich dem nächsten Auge der Positronik zu – jedenfalls nahm ich an, daß es sich um eine Positronik handelte. Das Äußere unterschied sich nur unwesentlich von unseren arkonidischen KSOL. Ich schaltete die Außenlautsprecher ein und fragte deutlich und langsam: »Kannst du unsere Begriffe und ihre Verbindungselemente in Information umsetzen?« Ein schwaches Summen ertönte, schwoll an und wurde dann so leise, daß ich es nur noch mit Anstrengung zu hören vermochte. Dann sagte eine klare, aber unmodulierte Maschinenstimme: »Die Sprache hat sich nur wenig gewandelt, Zhdopan.« Ich hörte, wie Sheeron scharf die Luft einsog. Kein Wunder, denn das Positronengehirn hatte eine Sprache verwandt, die sehr starke Ähnlichkeit mit unserer hatte. Sie enthielt Elemente, die mir antiquiert erschienen, während mir andere Elemente höher entwickelt vorkamen. Es gab nur eine einzige Erklärung für dieses Phänomen: Wir Arkoniden und die Erbauer dieses Raumschiffs mußten einen gemeinsamen Stammbaum haben, der jedoch auf unserer Seite im Dunkel der Vergangenheit vergessen worden war. Beide Stämme des gemeinsamen Urvolkes haben sich unabhängig
voneinander entwickelt, gleichzeitig aber viel von der ursprünglichen Basis behalten. Sogar die Anrede »Erhabener« scheint bei ihnen die gleiche Bedeutung zu haben wie bei uns. Die Bordpositronik ist jedoch offensichtlich zu einem anderen Schluß gekommen. Sie hält unser Satron für die durch die Zeit veränderte alte Sprache und mich für einen Angehörigen des Volkes, das sie und das Schiff gebaut hat. Es wird klüger sein, sie in diesem Glauben zu lassen! sagte mein Logiksektor. Richtig! Ich bemühte mich, einen strengen, etwas arroganten Gesichtsausdruck zu zeigen. »Das erleichtert die Kommunikation, Gehirn. Ich muß allerdings erklären, daß ich nicht gewillt bin, eine Gewaltanwendung gegen meine Person hinzunehmen. Um sie zu entschuldigen, müssen sehr gewichtige Gründe vorgetragen werden. Ich höre!« »Es geschah in erster Linie zu Eurem persönlichen Schutz, Erhabener«, antwortete die Positronik. »Die Chems haben das Schiff mit lebensbedrohenden Gasen geflutet; einige Gruppen reagieren ausgesprochen aggressiv auf organisch lebende Wesen. Hier seid Ihr und Euer fremdrassiger Diener jedoch in Sicherheit.« »Was?« rief Sheeron zornig. »Diener – ich?« »Schweigen Sie, solange Sie die Situation noch nicht voll erfaßt haben!« fuhr ich ihn an. »Denken Sie nach!« Zur Positronik gewandt, sagte ich: »Hanwigurt Sheeron ist Angehöriger eines zwar barbarischen, aber auch sehr stolzen Volkes. Deshalb wäre es für ihn unerträglich, sich als jemandes Diener zu betrachten. Obwohl er diese Funktion faktisch erfüllt, ist ihm aus psychologischen Gründen der Titel eines Freundes zugestanden worden. Das ist zu berücksichtigen.« »Ha!« machte Sheeron. »Verstanden und akzeptiert, Erhabener.« Sheeron knirschte mit den Zähnen und sah so aus, als wollte
er das Positronengehirn am liebsten verschlingen. Ich ignorierte es. Er würde schon noch vernünftig werden, obwohl er die Herabsetzung offenbar nur sehr schwer verkraftete. Ich wandte mich wieder an die Positronik: »Gehören die Metallobjekte, die mich gewaltsam in die Kommandozentrale beförderten, zu den Chems?« »Das ist richtig, aber es ist eine der wenigen Gruppen, die unter meiner Kontrolle stehen. Die meisten Gruppen haben sich im Verlauf ihrer Evolution dieser Kontrolle entzogen.« »Evolution? Es handelt sich um Maschinen. Maschinen unterliegen nicht den Gesetzen der Evolution. Ich erwarte eine Erklärung, warum dieser Begriff dennoch im Zusammenhang mit ihnen gebraucht wurde!« »Die Gesetze der Logik zwingen mich dazu, die Chems als Lebensform einzustufen, weil auf sie die Basiskriterien der belebten Materie zutreffen, Erhabener.« »Aber sie bestehen aus anorganischen Stoffen, Metall beziehungsweise Metallplastik. Ihnen fehlt also die protoplasmatische, zelluläre Organisation, die Lebewesen auszeichnet.« »Ursprünglich ja, Erhabener.« Die Positronik blieb beharrlich. »Die Chems wurden jedoch als sich selbst steuernde Systeme entwickelt, die aus Informations- und Funktionsmustern bestanden. Sie reproduzierten sich selbst, und dabei kam es nach einer Reihe flach ansteigend verlaufender Entwicklungsphasen zu einer plötzlichen qualitativen Veränderung.« Diese Argumentation war bestechend klar, aber sie beruhte auf einem Trugschluß. »Dann sind die Chems eben hochentwickelte Roboter. Das macht sie noch lange nicht zu organischen Lebewesen. Sie mögen sich selbst reproduzieren, mögen sich weiterentwickeln, aber sie bleiben tote Materie.« »Was regen Sie sich über Definitionen auf, Atlan – äh,
Erhabener«, warf Sheeron ein. »Es kann uns doch egal sein, ob diese Positronik die Metallspinnen als Roboter oder als Lebewesen bezeichnet.« »Da bin ich anderer Ansicht.« Ich zog es allerdings vor, diese Ansicht nicht weiter auszuformulieren. Meiner Meinung nach war mit diesem Positronengehirn nicht alles in Ordnung. Die Hartnäckigkeit, mit der es darauf bestand, daß ich die Chems als Lebewesen einstufte, schien emotionell bedingt zu sein, wenngleich emotionelle Regungen etwas Unmögliches für eine Positronik waren – jedenfalls nach allen bisherigen Erfahrungen. Ich fragte, obwohl ich die Antwort schon zu kennen glaubte: »Woher beziehen die Chems die Energie, die ihre Aktivitäten ermöglicht?« »Aus chemischen Prozessen, Erhabener. Vereinfacht ausgedrückt, ernähren sie sich von der Substanz des Schiffes.« Das war es, was ich vermutet hatte. »Sie wurden geschaffen; von wem und zu welchem Zweck?« »Darüber ist keine Informationsabgabe möglich.« Ich schloß daraus, daß dem Gehirn entweder eine Sperre einprogrammiert worden war oder daß es von sich aus die betreffenden Informationen verweigerte. Traf letzteres zu, arbeitete das Bordgehirn irregulär – und Sheeron und ich waren in großer Gefahr. »Was wurde aus der Besatzung dieses Raumschiffs?« erkundigte ich mich in der Hoffnung, durch Informationen über das Schicksal der Schiffsbesatzung etwas über die Hintergründe der »Zeugung« der ersten Chems zu erfahren. »Sie starb.« »Diese Information ist unbefriedigend. Ich verlange zu wissen, woran die Besatzung dieses Schiffes starb!« Wieder ertönte das Summen, das ich schon bei meinem ersten Kontaktversuch mit der Positronik gehört hatte. Es war allerdings alles, was das Bordgehirn von sich gab. Ich hatte die
dunkle Ahnung, daß die Besatzung dieses Raumschiffs keinen natürlichen Tod gestorben und die Bordpositronik in das Drama verwickelt gewesen war, das sich in der Vergangenheit hier abgespielt hatte. Damals muß das kybernetische System einen schweren Regelungsschaden erlitten haben, der mit der psychischen Schädigung eines vernunftbegabten Lebewesens vergleichbar ist – und der sich entsprechend auswirkt. Wie wir unter diesen Umständen jemals wieder das Schiff verlassen sollten, war mir vorerst schleierhaft. Ich wußte nur, daß wir es irgendwie schaffen mußten. Denn irgendwo in diesem tödlichen Staubnebel wartet Farnathia, und sie ist vielleicht verloren, wenn ich ihr nicht bald zu Hilfe komme… »Ich bin sicher, daß du mich unverändert gut verstehen kannst, Gehirn«, sagte ich bedächtig. »Da du mich mit meinem rechtmäßigen Titel ›Erhabener‹ ansprichst, mußt du mich logischerweise als übergeordnete, weisungsberechtigte Person anerkennen. Bestätigung!« »Ja, Erhabener.« Die Positronik antwortete mit einem eigentümlichen Beiklang in der ansonsten weiterhin unmodulierten elektronischen Stimme. Ich atmete etwas auf und dachte: Vielleicht gehorcht mir die Positronik, wenn ich es vermeide, an Dinge zu rühren, die sie »psychisch« nicht zu bewältigen vermag und worauf sie »allergisch« reagiert. »Mein Freund Sheeron und ich sind nicht hierhergekommen, um die Ereignisse an Bord dieses Raumschiffs zu erforschen. Wir suchen eine hochgestellte Persönlichkeit, die mit einem kleinen Schiff in diesem Staubnebel verschollen ist, und kamen nur an Bord, weil wir uns davon überzeugen mußten, ob die betreffende Person hier Schutz gesucht hat oder nicht. Wir werden also dieses Schiff wieder verlassen.«
»Das kann nicht zugelassen werden«, widersprach die Positronik. »Ihr und Euer Freund seid in der Kommandozentrale sicher. In den äußeren Sektionen wäre Euer Leben durch Chems bedroht. Außerdem habt Ihr nur ein winziges Rettungsboot, das durch die Hyperstürme der Staubballung zu stark gefährdet wäre.« »Was?« brauste Sheeron auf. »Ein winziges Rettungsboot nennst du mein Zaradhoum? Bei dir sind wohl ein paar Regelungsfelder zusammengebrochen, du niederträchtige Positronenballung!« »Beherrschen Sie sich!« flüsterte ich an Sheeron gewandt. Der Pirat macht durch seine unüberlegten Bemerkungen alles zunichte, was ich mühsam genug erreicht habe. Da kam auch schon die befürchtete negative Reaktion der Maschine: »Ihr werdet aufgefordert, den minderwertigen fremdrassigen Diener in seine Schranken zuweisen, andernfalls erfolgt eine Bestrafung durch meine Exekutivsektion.« Ich beobachtete, wie der Oberpirat erst blaß wurde und dann errötete. Für ihn war die Bezeichnung »minderwertiger fremdrassiger Diener« eine dreifach tödliche Beleidigung. Als seine rechte Hand zur Waffe zuckte, schlug ich ihm die Handkante kraftvoll auf die Schulter. Er schrie erschrocken und vor Schmerz auf. Sein rechter Arm hing völlig kraftlos herab und würde für einige Zeit Sheerons Willen nicht mehr gehorchen. »Werden Sie wieder vernünftig!« herrschte ich ihn an. »Am besten mischen Sie sich nicht ein. Von Maschinenlogik und kybernetischer Psychologie verstehen Sie zu wenig, um mitreden zu können.« Sheerons Gesicht war eine Grimasse, in der sich Wut und Schmerz spiegelten. Einen Herzschlag lang fürchtete ich, er würde sich auf mich stürzen. Doch dann gewann sein kühler
Verstand die Oberhand. »Na schön«, knurrte er. »Aber über Ihren brutalen Schlag sprechen wir noch.« »Ich werde Sie aus meinem Gefolge verstoßen. Dann können Sie meinetwegen Pirat werden. Dieser Staubnebel wäre ein ideales Operationsgebiet für eine Bande von Freibeutern Ihres Schlages.« Diesmal verstand er meinen Hinweis und zwinkerte mir zu. Ich wandte mich erneut an die Positronik: »Von einem ungebildeten Barbaren darf keine kultivierte Ausdrucksweise erwartet werden, Gehirn. Die von Sheeron bezüglich des Schiffes genannten Fakten stimmen allerdings. Ich bin mit einem Spezialschiff gekommen, das auf die besonderen Außenbedingungen abgestimmt ist. Folglich ist dein Hinweis auf eine Gefährdung durch Hyperstürme entkräftet. Was die Chems in den äußeren Schiffssektionen betrifft, so stellen sie dadurch, daß wir gewarnt sind, keine ernsthafte Bedrohung mehr dar. Sheeron und ich werden notfalls unsere Waffen gebrauchen. Ich befehle dir, das Schott zu öffnen, damit wir die Kommandozentrale verlassen können!« »Ihr unterschätzt die Gefahren. Ich bin deshalb gezwungen, den Befehl zu ignorieren.« »Nicht akzeptabel! Du hast mich als übergeordnete, weisungsberechtigte Person anerkannt. Da kein kybernetisches System die Weisungen eines übergeordneten Systems oder einer übergeordneten Person entscheidungskräftig zu beurteilen vermag, bist du nicht befugt, meinen ausdrücklichen Befehl zu ignorieren.« Abermals ertönte das Summen. Diesmal schwoll es zu einem bedrohlichen Dröhnen an, das schließlich in einem hellen Klirren endete. Als das Positronengehirn wieder sprach, begleitete das Klirren jedes seiner Worte: »Dieses Raumschiff hat durch mich wieder eine Besatzung erhalten. Somit wurden negative Ereignisse eliminiert. Es darf nicht zugelassen
werden, daß dem Tai Than Fehlinformationen zugeleitet werden, bevor die Möglichkeit gegeben ist, daß die neue Besatzung durch weitere Evolution alle Funktionen der alten Besatzung übernimmt.« Mich beschlich eine Ahnung der Wahrheit. Hat die Bordpositronik vielleicht durch einen Entscheidungsfehler den Tod der einstigen Besatzung verschuldet? Und ist das »Schuldgefühl« zu einem Komplex geworden, der dadurch kompensiert werden soll, daß die Positronik in den Chems eine neue Besatzung schuf, von der sie am Ende der Pseudo-Evolution erhofft, daß sie das Schiff nach Hause steuert – wo immer das sein mag? Ein Gedanke, der mich schaudern ließ. Tote Materie, die sich durch qualitativ hochwertige Entwicklungssprünge in so hochorganisierte Strukturen verwandelt hat, daß ihre Glieder zu kontinuierlichen Systemen werden, die nicht nur in permanenter stofflicher und energetischer Beziehung zu ihrer Umwelt stehen, sondern vielleicht sogar die Umwelt nach ihren Bedürfnissen umgestalten! Was geschieht, wenn diese Materie auf einer Kulturwelt ausgesetzt wird? Zweifellos muß es zum Interessenkonflikt zwischen dieser hochorganisierten toten Materie und den Trägern der Zivilisation kommen – und damit zum Kampf. Ich wagte nicht zu beurteilen, wer aus diesem Kampf als Sieger hervorgehen würde, wahrscheinlich, weil ich die Antwort intuitiv erkannte und ihre Bestätigung durch logische Denkprozesse fürchtete. Die Bordpositronik hat einen Prozeß in Gang gesetzt, den sie längst nicht mehr beherrscht, wie ihre Hinweise auf die Chems verraten, die sich ihrer Kontrolle entzogen haben, bestätigte der Logiksektor. »Deine Argumentation geht am Kern der Sache vorbei«, sagte ich scharf. »Die Unversehrtheit eines Erhabenen hat stets über anderen Interessen zu stehen! Deshalb löscht mein Befehl, meinen Freund und mich gehen zu lassen, alle anderen.«
»Meine Motivationen sind zwingend, Erhabener.« Die Stimme der Positronik klirrte stärker. Fast schien es mir, als hörte ich Panik heraus. »Irrtum! Zwingend ist allein meine Stellung als übergeordnete, weisungsberechtigte Person, als die ich anerkannt wurde. Es wäre ein irreguläres Verhalten, meinen Befehl zu mißachten.« »Ich kann nicht entgegen zwingenden Motivationen handeln.« Diesmal wurde das Klirren von einer Serie harter Zirptöne begleitet, als fänden ständig Umgruppierungen von positronischen Regelungsfeldern statt. »Du mußt, oder du wirst als unbrauchbar eingestuft!« Die Positronik antwortete nicht. Es ertönte lediglich noch einmal ein hartes Zirpen, dann gab es ein scharfes Knacken, und die »Augen« des Bordgehirns erloschen. »Was ist los?« fragte Sheeron. Ich atmete auf. »Die Positronik hat sich selbst ausgeschaltet, weil sie vor einem unlösbaren Konflikt stand. Ich hoffte, daß das eintreten würde, obwohl ich es natürlich nicht wissen konnte. Schließlich handelt es sich nicht um eine arkonidische KSOL. Offenbar aber galten bei ihren Konstrukteuren die gleichen Regeln.« »Ein Glück! Ich fürchtete schon, wir würden für den Rest unseres Lebens hier festgehalten und ich müßte weiterhin den geistig unterentwickelten Barbaren spielen. Jetzt können wir doch hinaus, nicht wahr?« »Gewiß. Aber vergessen Sie nicht die Gefahren, die uns von den Chems drohen: Sie reagieren aggressiv auf organische Lebewesen.« »Auf dem Weg hierher sind wir keinen Chems begegnet – bis auf die paar Helfer des Gehirns.« Ich zog beide Waffen und entsicherte sie. »Vorsichtshalber wollen wir annehmen, daß uns außerhalb der Zentrale ganze
Schwärme angriffslustiger Metallspinnen erwarten!« Das Panzerschott ließ sich nun mühelos öffnen. Sheeron und ich schwebten mit schußbereiten Waffen in den quer verlaufenden Korridor, der uns vom Einstieg zum Schacht trennte. Die Lichtkegel unserer Helmlampen geisterten über zerfressene Wände und blieben an einem Schwarm winziger Metallspinnen hängen, die sich über die Korridorwand rechts von dem Einstieg ausgebreitet hatten. »Nicht schießen!« flüsterte ich über Helmfunk, denn ich ahnte, daß der Anblick der Chems bei Sheeron eine Abwehrreaktion auslösen mußte. Er schoß nicht, aber ich hörte an seinem schweren Atmen, daß ihm das Stillhalten schwerfiel. Die Ansammlung der Metallspinnen sah aus wie ein stählernes Wandrelief. Doch dann sah ich, daß zwischen ihren dünnen Gliedmaßen grünliche Schwaden kräuselten, die aber nicht abtrieben, sondern nur unmittelbar über der Wand hin und her wogten, als würden sie von unsichtbaren Kräften festgehalten. »Was ist das?« fragte Sheeron tonlos. »Chemische Prozesse. Es finden offenbar Reaktionen mit dem Material der Korridorwand statt, wobei ein Teil des Metallplastiks verbraucht wird. Ich nehme an, daß ein Teil der abgebauten Substanz zum Anbau an oder in den Metallspinnen verwendet wird.« »Die Dinger können wachsen – wie echte Lebewesen?« Ich nickte. »So könnte man es nennen, obwohl die Metallspinnen trotzdem keine echten Lebewesen sind. Immerhin muß die Materieanlagerung in Form einer identischen Reproduktion erfolgen, sonst würden sich die Chems laufend verändern.« »Und woher nehmen sie die Energie, die zum Abbau und
zur Angliederung der Materie benötigt wird?« »Dreimal dürfen Sie raten. Sagen Sie nur nicht, der Schock dieses Anblicks hätte Ihre Denkprozesse gelähmt.« »Aus den chemischen Reaktionen, die sie selbst in Gang bringen?« »Das ist anzunehmen.« »Phantastisch! Diese Chems sind die reinsten Wunderdinger. Wenn wir sie programmieren oder fernsteuern könnten, Atlan, müßte es doch möglich sein, riesige Schwärme von ihnen durch die Barriere zu schicken und von treibenden Wracks hochwertige Legierungen ›abweiden‹ zu lassen. Sie bauen das Material in sich ein, und wenn sie groß genug sind, braucht man sie nur zurückzuholen und einzuschmelzen.« Ich mußte unwillkürlich lachen, obwohl Sheerons Geistesblitz alles andere als lachhaft war. Er zeugte von dem überaus stark ausgeprägten unternehmerischen Geist und Geschäftssinn dieses Piraten. »Wahrscheinlich wäre so etwas möglich. Vielleicht könnte man von entsprechend programmierten Chems sogar die gesamte Masse der Barriere mit der Zeit auffressen lassen. Aber was geschähe, wenn diese Gebilde sich der Kontrolle entzögen? Die Bordpositronik berichtete von Evolutionssprüngen der Chems. Ein solcher Vorgang könnte die Dinger von ihrer Programmierung befreien. Was wäre, wenn sie über ein Raumschiff herfielen – oder über einen Planeten? Sie könnten eine Welt wahrscheinlich so überschwemmen, daß sie nur noch durch die atomare Vernichtung zu beseitigen wären.« Sheeron war leichenblaß geworden. »Ja, das könnte geschehen. Wahnsinn, solche Dinger zu schaffen! Atlan, wir müssen dieses Schiff vernichten! Kein einziger Chem darf übrigbleiben.« Ich überlegte. Selbstverständlich würden wir das Schiff mitsamt den Chems vernichten müssen. Dennoch zögerte ich,
dem Piraten vorbehaltlos zuzustimmen, denn ich wußte, daß mit den Chems eines der größten Wunder der Galaxis untergehen würde. Tote Materie, die sich wie organisches Leben verhält, ist ein faszinierendes Phänomen. Andererseits haben wir zu bedenken, daß die Schiffsmaterie auch bei sparsamstem Verbrauch eines Tages aufgezehrt sein wird. Dann müssen die Chems ausschwärmen und nach neuen »Nahrungsquellen« suchen. Der Weltraum stellt für sie sicherlich kein feindliches Element dar. Vielleicht werden sie zuerst die Staubballungen der SogmantonBarriere verbrauchen und sich dabei explosiv vermehren. Danach kämen dann ganze Planetensysteme an die Reihe… Eine grauenhafte Vision stieg vor meinem geistigen Auge auf: Ein unvorstellbar riesiger Schwarm winziger Metallspinnen, der die Öde Insel »aufgefressen« und nunmehr ihre Masse hatte, brach zur Nachbargalaxis auf und fiel über sie her. Irgendwann gäbe es keine Nachbargalaxis mehr – und die Masse des Chem-Schwarmes hätte sich verdoppelt. Schließlich würde das ganze Universum nur noch aus Chems bestehen! Ich holte tief Luft. »Ja, Sheeron, das müssen wir tun. Haben wir Fusionsbomben an Bord des Zaradhoum?« »Wir nicht, aber zwei Schiffe von Hematas Gruppe sind mit Raketenwerfern und Fusionskopfprojektilen bestückt.« »Gut, dann kehren wir nach beendeter Suchaktion zu diesem Schiff zurück.« Irgendwie war ich erleichtert darüber, daß wir die Chems nicht sofort vernichten mußten. »Einverstanden.« »Ist Ihr Flugaggregat eingeschaltet?« fragte ich so ruhig wie möglich. Er runzelte die Stirn, dann verdüsterte sich für einen Moment sein Blick. »Sie wollen testen, ob ich wieder beeinflußt werde? Nein, diesmal nicht. Aber das Aggregat ist noch aktiviert.«
Langsam schwebten wir auf den Schacht zu. Die Chems griffen nicht an. Nur einmal bewegten sie sich; es war, als ginge ein Zucken durch die gesamte Ansammlung der Metallspinnen. Vielleicht trog der Eindruck nicht einmal, der dadurch hervorgerufen wurde, und sie waren tatsächlich eine Einheit, eine Art Insektenstaat aus toter Materie. Im Schacht stießen wir uns leicht ab und schwebten langsam nach »oben«. Drei Decks höher »schwammen« wir mit den Köpfen voraus in den Korridor, den wir auch bei unserem Eindringen ins Schiff benutzt hatten. Im nächsten Augenblick stieß eine Wolke winziger Metallgebilde auf uns zu. Es sah aus wie ein Schwarm kleiner Fische, die sich koordiniert und ruckhaft bewegten. Sheeron und ich verloren kein Wort. Wir stießen uns in ein und dieselbe Richtung ab, zogen im gleichen Augenblick unsere Waffen und eröffneten das Feuer auf die winzigen Dinger, die nicht wie Spinnen, sondern wie Fliegen aussahen. Durch Verstellung ihrer Flügel konnten sie einmal mittels »Schnellflügel« hohe Geschwindigkeit entwickeln und zum anderen mittels »Schwebeflügel« blitzschnell wenden und bremsen. Es erstaunte mich, daß ich in den wenigen Augenblicken des erbarmungslosen Kampfes, bei dem wir verzweifelt bemüht waren, den wechselnden Flugmanövern des Schwarmes mit unseren Waffenstrahlen zu folgen, derartige Einzelheiten wahrnahm. So schnell, wie es begonnen hatte, war es vorüber. Erst Sheerons Schrei ließ mich erkennen, daß es doch noch nicht ganz ausgestanden war. Ich wirbelte herum und sah, daß sich einige der Metallfliegen auf der Oberfläche seines transparenten Kugelhelms festgesetzt hatten. Mit dem Griff des Thermostrahlers klopfte ich auf die Chems, worauf sie abließen. »Sie waren dabei, Löcher in meinen Druckhelm zu fressen!«
Ich sah die stumpfen Stellen, wo die Metallfliegen mit dem Zerstörungswerk begonnen hatten, wahrscheinlich auch hier durch elektrochemische Prozesse. »Die Dinger scheinen zu wissen, daß Lebewesen zugrunde gehen, wenn man ihren Druckhelm oder Raumanzug durchlöchert«, fuhr Sheeron fort. »Vielleicht sind einige meiner Leute, die von Patrouillenflügen nicht zurückkehrten, ihre Opfer geworden.« »Schon möglich«, erwiderte ich, während ich den Raumanzug des Piraten nach weiteren Metallfliegen absuchte. Anschließend drehte ich mich um. »Sehen Sie nach, ob bei mir Chems sitzen!« »Kein einziger«, sagte er nach schneller, aber gründlicher Prüfung. »Wie kommt es, daß die Biester nur mich angefallen haben, nicht aber Sie? Schon der Angriff hat sich auf mich konzentriert.« »An Ihnen ist eben mehr dran.« Natürlich wußte ich, daß das keine Erklärung war. Ich hatte ebenfalls bemerkt, daß die Angriffsrichtung der Metallfliegen stets auf Sheeron zielte, denn dadurch hatte ich wirksamer schießen können. Dafür mußte es einen Grund geben. Wir sahen uns an, aber keiner von uns fand eine Erklärung für das seltsame Verhalten der Chems. Also stießen wir uns wieder ab und »schwammen« weiter. Weit kamen wir allerdings nicht, denn die nächste Gruppe lauerte bereits auf uns. Wir sahen sie zwar, identifizierten sie aber erst dann als Gegner, als sich das, was wir zunächst für einen rauchgrauen Wandbelag gehalten hatten, von seinem Untergrund löste und uns gleich einer wirbelnden Windhose umkreiste. Sheeron und ich reagierten auch in dieser Situation entsprechend unserer Ausbildung und Erfahrung: Wir positionierten uns blitzschnell Rücken an Rücken und aktivierten die Magnetanker auf der Rückseite der Aggregattornister. Nichts konnte uns in den Rücken fallen.
Aber diesmal waren die Angreifer zahlreicher, wenn auch kleiner. Sie glichen Libellen von der Größe kleiner Fliegenmaden und waren extrem beweglich. Zu unserem Glück waren sie auch empfindlicher: Schon die heißen Luftwirbel in der Nähe einer Strahlbahn brachten sie zum Absturz. Wiederum richteten sich ihre Angriffe hauptsächlich auf den Piraten. Ich wurde kaum und wahrscheinlich nur versehentlich angegriffen. Überdies erfolgten die Angriffe gegen mich dermaßen konfus, daß ich den Eindruck hatte, als könnten sie mich gar nicht wahrnehmen. Wir drehten uns ständig, um die Last des Kampfes zu verteilen. Die Metallibellen fielen unseren Strahlschüssen massenweise zum Opfer, aber aus den äußeren Sektionen des Schiffes kamen immer neue Schwärme heran und stürzten sich auf uns. Das schlimmste aber war, daß wir dem Ausgang keinen Schritt näher kamen, sondern allmählich sogar zurückgedrängt wurden. Als die Ladungskontrollampe meines T-15 rot aufglühte, wußte ich, daß wir diesen Kampf nicht gewinnen konnten. Ich hatte zwar ein Ersatz-Energiemagazin, aber auch das war nicht unerschöpflich. Ich schob den Thermostrahler ins Gürtelhalfter zurück und benutzte vorerst nur noch den Desintegrator, dessen Wirkungsfächer die molekularen Bindungskräfte der getroffenen Materie neutralisierte. Die optische Erscheinung war, daß die getroffene Materie sich sehr schnell in Gaswolken auflöste, die sich rasch verloren. »Wir müssen zurück«, rief ich, nachdem wir einen massierten Angriff der Metallibellen abgewehrt hatten. »So kommen wir niemals durch.« Sheeron stieß eine Verwünschung aus. »Ich habe schon versucht, Tropp über Helmfunk zu erreichen, aber der Kerl scheint auf seinen Ohren zu sitzen.«
»Wahrscheinlich haben die Chems den Funkverkehr über größere Distanzen gestört. Sind Sie mit meinem Vorschlag einverstanden?« »Ich muß wohl. Ha, jetzt ist das Magazin meines Desintegrators leer, und ich habe nur noch eines für den Thermostrahler.« Auch während unseres Gesprächs mußten wir ständig feuern, um uns die Chems vom Leibe zu halten. »Dann benutzen Sie es! Fertig?« »Fertig! Und los!« Wir stießen uns so ab, daß wir, langsam rotierend, in Richtung des Schachteinstiegs segelten. Ein Teil der Metallibellen wich aus und stieß dann wieder vor, während ein anderer Teil mit meinem Kugelhelm kollidierte. Wir schossen Dauerfeuer. Aber nach kurzer Zeit ließen die Chems von uns ab und zerstreuten sich. Dafür überfielen uns dicht vor dem Schacht abermals die Metallfliegen, und zwar in dem Augenblick, in dem wir unsere Magnetanker deaktiviert und uns voneinander gelöst hatten. Sheeron fluchte, als sich ein ganzer Schwarm an seinem rechten Bein festsetzte. Ich stieß ihn in den Schacht und schoß mit breitgefächertem Desintegratorstrahl auf die Chems, die an mir vorbeizukommen versuchten, um Sheeron zu verfolgen. Diesmal war es ganz offensichtlich, daß sie mich nicht als Angriffsobjekt, sondern lediglich als Hindernis einstuften. Ich nahm den Finger erst vom Feuerknopf, als sich alle Chems dieses Schwarms in grünlich schimmernde Gasschwaden aufgelöst hatten. Danach folgte ich dem Piraten. Sheeron lehnte am Panzerschott der Kommandozentrale und machte einen deprimierten Eindruck. Neben ihm schwebten zerstörte Chems. »Warum nur mich? Warum werden Sie nicht angegriffen, Atlan? Sie sind doch ein organisches Lebewesen wie ich.«
Die letzte Bemerkung ließ mich aufhorchen. Plötzlich glaubte ich die Wahrheit zu kennen. Ich schob den Desintegrator ins Gürtelhalfter, wechselte das Energiemagazin meines Thermostrahlers und sagte bedächtig: »Sie haben recht. Dennoch unterscheiden wir uns in einem Punkt: Sie sind Telepath, also paranormal aktiv, während ich kein Telepath bin und meine Gedanken nach außen total abschirmen kann. Das mache ich sogar unbewußt. Dadurch aber wurde ich für Wesen, die sich an Gedankenimpulsen orientieren, quasi ein toter Gegenstand.« »Sie meinen also, die Chems orientieren sich an Gedankenimpulsen?« »Oder an einer anderen Ausstrahlung des Bewußtseins.« »Aber ich kann als Telepath meine Gedanken ebenfalls abschirmen!« Ich lächelte. »Im Unterschied zu mir jedoch mit Hilfe Ihrer Parakraft – und die kann von den Chems anscheinend angemessen werden. Haben Sie noch nie versucht, Ihre Gedanken ›normal‹ zu blockieren?« Er lachte rauh. »Warum sollte ich?« Da hatte er allerdings recht. Wer seine Gedanken mit seiner paranormalen Begabung blockieren kann, wird es nicht auf die mühselige »normale« Art versuchen, die ein hartes Geistestraining voraussetzt, es sei denn, sein Extrahirn ist aktiviert worden. Sheeron stieß sich von der Wand ab. Die Bewegung war wohl etwas heftig gewesen, denn der Schwarm der Metallspinnen, die an der Wandung hafteten, erhob sich. Glücklicherweise ließ er sich ein Stück entfernt wieder auf der Korridorwand nieder. »Gehen Sie allein zurück!« sagte der Pirat mit heiserer Stimme. »Die Chems werden Ihnen nichts tun, also kommen Sie durch. Holen Sie zwei Schutzschirmaggregate, die wir an unseren Rückentornisterplatten anschließen können.«
»Der Vorschlag klingt gut, aber er hat einen Haken: Da die Chems trotz allem robotischer Natur sind, lassen sie sich durch Individualschirme weder abschrecken noch aufhalten: Sie werden sich in solchen Massen auf die Energiefelder stürzen, bis die Projektoren wegen Überlastung durchschmoren.« »Dann müssen Sie mich eben zurücklassen, vom Staubei aus alle anderen Schiffe herbeirufen und mit einer ganzen Truppe eindringen.« »Und wenn die anderen Chems inzwischen herkommen? Oder die Metallspinnen plötzlich aggressiv werden? Vielleicht verhalten sie sich nur deshalb friedlich, weil die früheren Kontrollimpulse der Positronik noch eine gewisse Zeitspanne nachwirken. Nein, ich habe einen besseren Vorschlag: Wenn Sie bewußtlos sind, werden Sie von den Chems wahrscheinlich ebenfalls ignoriert. Und ich kann Sie hinausbringen.« »Soll ich etwa in dieser Giftgasatmosphäre meinen Helm öffnen?« Ich deutete auf das Panzerschott zur Zentrale. »Die Atmosphäre darin ist fast frei von Schadstoffen. Ich habe auf den Analysator gesehen. Nur dürfen Sie nicht Luft holen, denn die Luft in der Zentrale besteht fast komplett aus Stickstoff.« Sheeron dachte kurz nach, dann straffte er entschlossen die Schultern und betätigte den Öffnungsmechanismus des Panzerschotts. Wir traten ein, und das Schott schloß sich wieder. Natürlich strömte ein bestimmtes Quantum giftiger, ätzender Gase in die Zentrale, aber ihr Anteil an der Gesamtgasmenge blieb so gering, daß keine Gefahr der Verätzung bestand. Auf einen Wink von mir atmete Sheeron noch einmal tief durch, dann hielt er die Luft an und klappte seinen Druckhelm zurück. Meine Faust traf ihn genau auf der Kinnspitze.
Im nächsten Augenblick klappte ich seinen Helm wieder nach vorn und überprüfte den Verschluß. Er saß dicht. Durch einen Blick auf Sheerons Gesicht überzeugte ich mich davon, daß der Piratenführer bewußtlos war, dann legte ich ihn mir über die Schulter und schwebte hinaus. Im Korridor »weideten« die Metallspinnen weiterhin friedlich. Einer der Chems hatte sich ein wenig von den anderen abgesondert. Das brachte mich auf eine Idee: Ich hatte eine Kapsel bei mir, die aus dem Synthomaterial Katoquantynum bestand, das mit keiner anderen bekannten Materie chemisch reagierte und außerordentlich stabil war. Langsam schwebte ich auf den einzelnen Chem zu, während ich die Kapsel aus der Gürteltasche nahm und öffnete. Als ich dicht vor der knapp fingerlangen Metallspinne war, packte ich blitzartig zu, schob das Ding in die Kapsel und preßte den Verschluß darauf. Der Chem war gefangen. Ich blickte mich um, aber die anderen Chems hatten den Verlust anscheinend nicht bemerkt und verhielten sich ruhig. Erleichtert schob ich die Kapsel in die Gürteltasche zurück. Bei alledem hatte Sheeron auf meiner Schulter geruht, ohne mich zu drücken. Ich brauchte lediglich seine Massenträgheit zu überwinden, wenn ich aus der Ruhe in einen Bewegungszustand überwechselte. Als ich in den Schacht schwebte, faßte ich den Piraten wie ein Rettungsschwimmer einen Ertrinkenden. Oben im Korridor brach mir doch der Schweiß aus: Ich wußte, daß ich Sheerons Leben aufs Spiel setzte, sollten die Chems entgegen meinen Erwartungen angreifen. Deshalb beschloß ich, in diesem Fall die schnelle Flucht einem aussichtslosen Kampf vorzuziehen. Aber meine Bedenken erwiesen sich als gegenstandslos; keines der Metallwesen griff uns an, während wir den Stichkorridor hinabschwebten, obwohl mehrere Schwärme an den Wänden und der Decke hingen. Die
Außenmikrophone übermittelten mir ihr enervierendes Summen. Durch das zerschossene Innenschott segelten wir in den Beiboothangar, und hier ergab sich das Problem, daß die Schiffsatmosphäre ins Vakuum schießen und eine Unmenge Chems mit sich reißen mußte, sobald Tropp den Energieschirm vor dem zerschossenen Außenschott abschaltete. Dadurch aber würde die Staubwolke verseucht werden. Ich rief unseren Piloten an, und diesmal kam der Funkkontakt zustande. Auf meine Frage erklärte mir Tropp, daß er so schießen konnte, daß die glutflüssigen Trümmer das Innenschott hermetisch abschlossen. Da sich im Hangar selbst keine Chems aufhielten, ließ sich das Problem auf diese Weise lösen. Erleichtert zog ich Sheeron hinter mir durch die enge Strukturschleuse, die Tropp im Prallfeld geschaltet hatte.
7. Aus: Das verlorene Juwel von Kariope; Teil einer umfangreichen Datensammlung von Hemmar Ta-Khalloup, die erst im Jahr 1236 NGZ im Epetran-Archiv der Omperas-Museumsinsel im Golf von Khou auf Arkon I entdeckt wurde; Veröffentlichung ab 1240 NGZ Harno spricht: Wenden wir unsere Aufmerksamkeit der Öden Insel zu, deiner Heimatgalaxis. Zum hiesigen Klan gehörte Veri Hatho; ebenfalls ein Hüter des Lichts. Er gelangte vor etwa 50.000 Arkonjahren auf den dritten Planeten einer gelben Sonne, von dem aus Jahrtausende später das Große Volk der Lemurer aufbrechen sollte, um ein fast die gesamte Sterneninsel umfassendes Reich zu schaffen. In jener Zeit, als Veri Hatho erschien, waren deine Vorfahren noch primitiv, und sie standen in einem erbitterten
Kampf gegen schreckliche Monstren, die Konos genannt wurden. Eine schlimme Niederlage drohte, und Rhanner Aiczuk, der einflußreichste und mächtigste der Stammesfürsten, berief eine Zusammenkunft ein, um das weitere Vorgehen zu besprechen und eine gemeinsame Strategie zu beschließen. Die Konos aber nutzten diese Zusammenkunft, um mit großer Übermacht anzugreifen. Als die verbliebenen lemurischen Kämpfer eingekesselt waren und der Tod unausweichlich schien, kniete der Kriegerbarde Dar Tranatlan nieder und spielte auf seiner Lyra die Mari-Danta, das Lied der Letzten Hoffnung, eine allen bekannte Weise, in der ein leuchtender Retter aus der Sonne herabstieg, um den Bedrohten zu helfen. Just in dem Moment, als die Verzweiflung am größten war, erschien in Veri Hatho mit seinem strahlenden Raumschiff tatsächlich ein solcher Sonnenbote, und aus einem Märchen wurde Wirklichkeit. Er rettete die Lemurer, scharte elf der Fürsten als seine Schüler um sich, bildete sie aus und entrückte dann – nach der Ankündigung, in Zeiten größter Not erneut zu erscheinen – wieder ins Licht. Mit der Zeit entstanden aus diesem wahren Kern die Geschichten der ruhmreichen Heroen, die die Rettergestalt zwar suchten, aber nicht mehr fanden. Aus Veri Hatho wurde Vehraäto oder auch Vhrato oder vergleichbare phonetische Abwandlungen. Und wie du von Gwalon aus dem Juwel von Kariope weißt, gab es im Verlauf der Jahrtausende immer wieder reale Personen, die die inzwischen mythisch gewordenen Hereon mit neuem Leben erfüllten, die Sagas auf- und weiterleben ließen. Atlan von Gonozal ist eine davon! Derweil begann ein schrecklicher Krieg, der das Reich der Lemurer in seiner Existenz bedrohte, und sogar Veri Hatho geriet zwischen die Fronten. Im letzten Moment konnte er sich in einen offenen Sternhaufen flüchten, dessen Bewußtseinsfeld für ihn zwar Rettung bedeutete, ihn andererseits jedoch aufnahm und integrierte. Du vermutest richtig, mein Freund: Es war genau jener Sternhaufen, dem Gwalon den Namen Mirkandol gab – Ort der Begegnung. Nicht weit entfernt von diesem überlebten Lemurer die Attacken
der angreifenden Bestien, weil sie sich auf einen Planeten zurückgezogen hatten, der in hyperphysikalischer Hinsicht ausgezeichnet war; es war ein karges Land, geprägt von himmelhohen Kristallobelisken, deren Sphärenklänge die Bestien besänftigten und ihre Angriffswut nicht durchbrechen ließen. Auch hier vermutest du richtig: Der Planet war das sagenhafte Arbaraith, auf das die Arkoniden ihre Ursprünge zurückführen. Wie stets ist auch in diesem Fall die Wahrheit komplexer: Neben den Arbaraith-Lemurern überlebten an anderer Stelle weitere Flüchtlinge, die sich vor den Bestien versteckt hatten. Zu ihnen gehörten die späteren Stammväter, die Akonen, und nachdem die Gefahr durch die Bestien nicht länger bestand, begann ein langsamer Wiederaufstieg. Die verschiedenen Völker begegneten einander, vermischten sich, empfanden sich als Einheit – bis die Siedler auf Arbaraith eigene Wege gehen wollten und damit den Zorn der Akonen auf sich zogen. Ein Krieg begann, der Magnortöter Klinsanthor wurde gerufen, und sein Schatten fiel über die Sterne. Du kennst die im Klinsanthor-Epos von Klerakonos überlieferten Ereignisse! Ihr Kern beruht ebenfalls auf Wahrheit. Während sich nämlich die Auswanderer fortan Arkoniden nannten, eine neue Heimat fanden und weiter gegen die Stammväter kämpften, war Arbaraith verloren und zum Zentrum eines zunächst kleinen, aber unzugänglichen Raumsektors geworden. Die Hyperkristalle wirkten ähnlich einem Magneten, zogen weitere Kräfte an, die das Gefüge des Standarduniversums deformierten und aufrissen. Als dann die gewaltigen Hyperstürme aus dem Galaktischen Zentrum hervorbrachen und die Archaischen Perioden einleiteten, wirkten diese verheerenden Kräfte, verstärkt noch von der nahe gelegenen und als Oktaeder angeordneten NeutronensternFormation im Spinnennebel, auf Arbaraith viel fataler ab auf den Rest der Sterneninsel. Zurück blieb schließlich das, was heute Sogmanton-Barriere genannt wird…
Während Tropp eine Hypersignalboje in der Nähe des Schiffes aussetzte, berichtete ich ihm von den Ereignissen an Bord. Er blickte mich mehrmals mißtrauisch an, aber als Sheeron zu sich kam und meinen Bericht bestätigte, war er beruhigt. Der Piratenführer betastete die bläulich angelaufene Schwellung an seinem Kinn, grinste und sagte: »Der Schlag war nicht schlecht. Sie hätten mir die Kinnlade zertrümmern können.« »Ich mußte sichergehen, daß Sie unterwegs nicht aufwachen.« »Sie haben mir das Leben gerettet. Das vergesse ich Ihnen nie!« »Notfalls werde ich Sie daran erinnern. Spätestens dann, wenn wir Farnathia gefunden haben. Sie können Ihre Dankbarkeit beweisen, indem Sie mir entweder ein Raumschiff zur Verfügung stellen, das mich von hier fortbringt, oder meine Freunde benachrichtigen.« Hanwigurt Sheeron lächelte schief. »Ich sagte bereits, daß ich mich auf die Seite des rechtmäßigen Nachfolgers Seiner Erhabenheit Gonozals des Siebenten schlagen werde.« »Wir werden sehen.« Die Antwort des Piraten befriedigte mich noch immer nicht, denn er vermied es, sich absolut konkret auszudrücken. Vielleicht spielt er doch mit dem Gedanken, sich das auf meine Ergreifung ausgesetzte hohe Kopfgeld zu verdienen. Ich werde mich vorsehen müssen. Sheeron wandte sich Tropp zu. »Hattest du Funkkontakt mit anderen Staubeiern, während Atlan und ich in dem Schiff waren?« »Nur mit den beiden anderen Schiffen unserer Gruppe. Sie teilten mir mit, daß sie nichts gefunden haben.« »Es ist schwer, in der Barriere ein bestimmtes Raumschiff zu finden«, sagte der Piratenführer. »Von den Kosten will ich gar nicht sprechen, obwohl sie mich zu einem armen Mann
machen können.« Er schaltete an der Ortungsanlage und schnalzte befriedigt mit der Zunge, als er den Reflex der Hypersignalboje einwandfrei empfing. Dann aktivierte er die Signalgeber der Boje über Fernsteuerung. »Wir können unseren Flug fortsetzen. Sofern nicht ausgerechnet heute ein Hypersturm ausbricht, finden wir das Schiff mit den Chems wieder.« »Du willst es vernichten?« fragte ich. Tropp betätigte die Steuerschaltungen. Unser Staubei beschleunigte und jagte durch den fahlen Nebel davon. »Es ist meine Pflicht. Diese Metallwesen können zu einer furchtbaren Gefahr werden, sobald sie ihr Schiff verlassen. Wovon sollten wir leben, wenn sie den gesamten Staub der Barriere auffräßen, he?« Er nahm ein Tuch und wischte sich den Schweiß vom kahlen Schädel. »Wenn ich nur daran denke, wird mir ganz elend.« »Eine Tante von mir sagte einmal, daß jedes Ding seine guten und schlechten Seiten hat. Trifft das nicht auch auf diese Chems zu?« Sheeron kicherte. »Lege deiner Tante so eine Metallspinne ins Bett, und sie wird dir ziemlich deutlich sagen, daß sie daran keine gute Seite entdecken kann.« »Das möchte ich bezweifeln. Meine Tante ist vor zwanzig Jahren gestorben.« Sheeron öffnete den Mund zu einer launigen Bemerkung, als der Signalgeber des Hyperkomgeräts schrillte. Der Piratenführer schaltete das Gerät ein. Auf dem Bildschirm erschienen zuerst verwaschene Lichtmuster, dann schälte sich der Oberkörper eines hageren Mannes mit bleichem Gesicht und tiefliegenden Augen heraus. »Hemata!« rief Sheeron. »Hast du etwas gefunden?« »Etwas schon…« Hematas Stimme schwankte infolge von hyperenergetischen Störungen. »Ich weiß allerdings nicht, ob
es das enthält, was wir suchen.« »Aber du vermutest es?« »Es handelt sich um ein kegelförmiges Raumschiff von graublauer Färbung«, meldete der Hagere sachlich. »Kegellänge: tausend Meter, Basisdurchmesser: vierhundert. An der Kegelspitze ist eine vierhundert Meter durchmessende Kugel angekoppelt. Im Innern arbeitet zumindest noch ein Fusionskraftwerk. Die Infrarottaster konnten ermitteln, daß sich ein Hangartor vor nicht sehr langer Zeit geöffnet und wieder geschlossen hat. Ein Objekt wurde eingeschleust.« »Das kann nur die FARNATHIA gewesen sein!« Mein Herz schlug schneller. Wenn das Kurierschiff eingeschleust hat, ist meine farnathia vorerst in Sicherheit. Wir müssen sie nur so schnell wie möglich abholen. Sheeron nickte. »Es sieht ganz so aus.« »Ich habe meine Gruppe vor dem kegelförmigen Schiff versammelt«, berichtete Hemata. »Soll ich ein Untersuchungskommando an Bord schicken?« »Lieber nicht. Sollte es die FARNATHIA sein, die eingeschleust wurde, wird die Besatzung jedem Eindringling mit Mißtrauen begegnen. Es handelt sich um ehemalige Gefangene des Blinden Sofgart, die gefoltert wurden und nichts mehr fürchten, als wieder nach Ganberaan verschleppt zu werden. Sie könnten in Panik geraten und auf euch schießen. Deshalb halte ich es für besser, daß wir zu euch kommen. Dann kann Atlan Funkkontakt aufnehmen.« »Wenn es die FARNATHIA ist«, wandte Tropp griesgrämig ein. »Unterlaß gefälligst deine Unkenrufe!« fuhr Sheeron unseren Piloten an. »Du jagst damit nur meinen Blutdruck in die Höhe und den Schweiß aus meinen Poren.« Er wandte sich wieder dem Hyperkomgerät zu. »Wir kommen zu euch, Hemata. Ich brauche die Koordinaten eurer Position.«
Hemata nannte sie ihm. Danach unterbrach Sheeron die Verbindung und nahm Funkkontakt mit den beiden anderen Staubeiern unserer Gruppe auf. Er übermittelte ihnen die von Hemata genannten Koordinaten und wies sie an, die betreffende Position aufzusuchen, die 51 Lichtjahre entfernt war. Unterdessen gab Tropp die Zielkoordinaten in die Bordpositronik ein, die ihrerseits den Autopiloten aktivierte und errechnete, wie viele Transitionen mit welchen Anlaufwerten über welche Entfernungen erforderlich waren, um das Zielgebiet möglichst sicher und mit möglichst geringem Energieaufwand zu erreichen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, daß die Piraten eine ganze Reihe von festen Transitionspunkten innerhalb der Sogmanton-Barriere ermittelt hatten. Es waren Gebiete, in denen bisher niemals Hyperstürme gewütet hatten. Manchmal änderten sich die Bedingungen allerdings. Dann wurde der Transitionspunkt auf den Karten gestrichen. Eine solche Kette von Transitionspunkten benutzten auch wir, da wir ein festes Ziel hatten. Alles verlief auch ziemlich glatt. Nur am vorletzten Transitionspunkt tauchten einige der seltsamen Leuchterscheinungen auf, die von den Piraten Gantries genannt wurden: Während wir wieder mit Maximalwerten beschleunigten, um die günstigste Sprunggeschwindigkeit zu erreichen, kamen sie immer dichter an unser winziges Schiff heran, hell strahlende Gebilde ohne feste Konturen, die manchmal wirkten, als seien sie Fenster in eine andere Dimension. »Sie sammeln sich direkt an unserem Transitionspunkt!« Tropp sprach mit flacher Stimme. »Es sieht aus, als wollten sie, daß wir mitten zwischen ihnen entmaterialisieren.« »Notsprung!« befahl Hanwigurt Sheeron. »Programm aus!« Tropp schlug die Faust auf die Schaltplatte, die die Programmabwicklung des Autopiloten unterbrach und das
Zaradhoum auf Manuellkontrolle umschaltete. Im nächsten Augenblick berührte der Pilot die Schaltplatte für Nottransitionen. Das Schiff entmaterialisierte mit einer lautlosen Lichtentfaltung, verwandelte sich in ein unfaßbares Etwas aus dimensional übergeordneter Energie und wurde ohne meßbaren Zeitverlust durch den Hyperraum geschleudert, um an der Stelle des Normalraums wieder zu materialisieren, die in der Schaltung für Nottransitionen lediglich durch den Entfernungswert vorgegeben war. Die Wiederverstofflichung verlief dennoch so normal wie bei einer gezielten Transition. Als der Entzerrungsschmerz nachließ und die Sinne wieder funktionierten, erkannte ich, daß unser Staubei im freien Raum über einem gigantischen Nebelstrudel trieb. Sheeron stöhnte und rieb sich den feisten Nacken, seine Augen tränten. »Wir haben nicht viel Zeit, Hanwigurt«, sagte Tropp. »Die Energiemengen, die den Nebelstrudel verursachen, machen sich bereits bemerkbar.« Sheeron schüttelte den Kopf, als müsse er eine tiefgehende Benommenheit vertreiben, dann schaltete er den Hyperkom ein und sagte: »Sheeron an die Piloten seiner Gruppe. Der vorletzte Transitionspunkt wird durch Gantries blockiert. Weicht auf den nächstliegenden Punkt aus, oder der Große Nachtdämon frißt eure Gehirne!« Nach kurzer Zeit tauchte auf dem Bildschirm des Hyperkomgeräts das Gesicht von Shechtar auf. »Verstanden, Hanwigurt. Wir haben den Anlauf gestoppt und programmieren um. Aber Zychneus müßte sich schon beim vorletzten Transitionspunkt befinden.« »Dann konnte er mich nicht hören. Ich fürchte, daß wir auch ihn verloren haben. Wir müssen zur nächsten Transition ansetzen, sonst werden wir in einen Hyperstrudel gezogen. Treffpunkt bleibt Hematas Gruppe.« Er schaltete ab und
machte ein verdrießliches Gesicht. »Zychneus war ein guter Mann. Atlan, Sie kommen mich teuer zu stehen. Wir haben bei dieser Aktion bereits zwei Staubeier mitsamt Besatzung verloren. Ich frage mich, wie das weitergehen soll.« »Ich werde versuchen, Sie so bald wie möglich wenigstens für den materiellen Verlust zu entschädigen. Es schmerzt mich ebenfalls, daß die Suche nach der FARNATHIA Opfer kostet.« »Es schmerzt ihn!« rief der Oberpirat dem Piloten zu. »Ha, was sagst du dazu, Jepson?« »Ich sage dazu, daß du schweigen sollst, weil ich mich sonst nicht auf die nächste Transition konzentrieren kann. Sollte uns der Strudel erfassen, bevor wir entmaterialisiert sind, werden wir zu gefriergetrockneten Molekülen.« Der rotierende, sich in die Tiefe verjüngende Nebeltrichter unter uns faszinierte mich; ich hatte so etwas bisher noch nicht gesehen. Die innere Trichterwandung leuchtete in einem merkwürdig hellen Blau, obwohl ich keine Lichtquelle feststellen konnte, und die ferne Trichtermündung war angefüllt von etwas, das wie brodelnder schwarzer Rauch aussah. Unser Staubei beschleunigte mit Maximalwerten. Die Staubei-Triebwerke heulten in schrillem Diskant, als sich die Rotationskräfte des Strudels entgegenstellten. Rote Lampen meldeten eine gefährliche Überbelastung der Abschirmprojektoren. Brachen sie zusammen, griffen die Kräfte ungezügelt auf unser Schiff über und verwandelten es in einen glühenden Plasmaball. Seltsamerweise schwitzte und stöhnte Sheeron jetzt nicht mehr: Er saß mit beinahe entspanntem Gesicht da und blickte auf die Anzeigen des Pilotenpults, scheinbar unberührt vom sich steigernden Tosen, Rütteln und Heulen der Aggregate. Das Staubei vibrierte unter dem Angriff gegengerichteter Gewalten, dann brach es aus der Rotation aus, schoß gerade in
den leeren Raum – und entmaterialisierte kurz darauf. Als wir rematerialisiert waren, sahen wir durch treibende Gasschleier hindurch undeutlich die Konturen von vier Staubeiern – und dahinter einen großen blaugrauen Kegel, dessen Spitze in eine Kugel überging… Auch Shechtars Staubei war eingetroffen: Bei der Wiederverstofflichung fiel eine wichtige Maschinenschaltung aus, so daß Sheeron ihm und seinen beiden Begleitern erlaubte, sich in erster Linie um die Reparatur zu kümmern. Zychneus’ Staubei allerdings kam nicht. Wahrscheinlich hatten die Gantries es am vorletzten Transitionspunkt in eine andere Dimension gerissen. Ihre Kameraden in den anderen Staubeiern nahmen es mit stoischer Gelassenheit auf. Verluste waren für sie alltäglich, eine Art Tribut, der zu zahlen war, wenn man sich die Sogmanton-Barriere als Jagdgebiet wählte. Der Piratenhäuptling drehte sich nach mir um. »Versuchen Sie, Funkverbindung mit der FARNATHIA zu bekommen, vorausgesetzt, sie befindet sich tatsächlich in diesem fremdartigen Raumschiff.« Wir wechselten die Plätze. »Sie kennen diesen Typ nicht?« »Nein. Doch das ist nicht weiter verwunderlich, schließlich kennen wir nur einen Bruchteil aller lebentragenden Welten der Öden Insel. Der Krieg gegen die Methans ist das Ende aller Forschungsflüge. Hoffentlich wird er nicht das Ende unserer Zivilisation.« »Wir werden sie besiegen. Wenn es gelingt, Orbanaschol zu stürzen, wird in unsere Flottenoperationen wieder der alte Schwung kommen.« »Hoffentlich! Aber nun ruf deine Leute, Kristallprinz!« Ich schaltete den weitreichenden Hyperkom ein und schickte
das gerichtete Signal aus, das das gesamte Kegelschiff erfaßte. Befand sich die FARNATHIA dort, mußte das Signal aufgefangen und verstanden werden. Farnathia jedenfalls kannte es und würde wissen, daß es von mir kam. Doch als nach einiger Zeit immer noch keine Antwort eingegangen war, sagte Sheeron mit einem tiefen Seufzer: »Fehlanzeige. Wäre die FARNATHIA das Schiff, dessen Einschleusung kürzlich erfolgte, hätte sich Ihre Braut schon gemeldet.« »Und wenn die Besatzung der FARNATHIA von der Besatzung des Kegelschiffes überwältigt wurde?« Sheeron drehte die Handflächen nach oben. »Gehen Sie hinüber und sehen Sie nach. Ich habe keine Lust, noch mehr meiner Männer zu verlieren.« Er kniff ein Auge zusammen. »Deshalb werde nur ich Sie begleiten. Schließlich kann ich den Kristallprinzen von Arkon nicht allein ins Unbekannte schicken. Jepson, du müde Figur, steuere unser Ei zu dem Kegel hinüber!« »An welche Stelle, Dicker?« Ich fragte bei Hemata nach, wo sich die Hangarschleuse befand, in die ein Raumschiff eingeflogen sein sollte, und erfuhr, daß es in dem Kegelraumschiff nur eine einzige, allerdings sehr große Hangarschleuse gab. »Die Kugel ist der Schleusenhangar«, sagte ich zu Tropp. »Hoffentlich werden wir dort nicht auch von Metallspinnen und -fliegen erwartet.« Sheerons Bemerkung erinnerte mich an die Metallspinne, die ich eingefangen hatte. Irgendwann wollte ich sie untersuchen, um ihre Struktur und ihre Funktionen zu erforschen. Doch ich mußte unbedingt vermeiden, daß sie Unbefugten in die Hände fiel und vielleicht in einem unbewachten Augenblick entkam und sich reproduzierte. Da ich Sheeron nicht traute und weiterhin damit rechnen mußte, daß er mich an den Blinden Sofgart auslieferte, hielt ich
es für das beste, die Kapsel mit dem Metallwesen in einem Versteck zu deponieren, das ich auch nach vielen Jahren wiederfand. Vielleicht in dem kegelförmigen Schiff? Tropp bewies sein raumfliegerisches Können, als er unser Staubei in einer eleganten Kurve und mit viel Schwung an die Hangarkugel heranbrachte und knapp zehn Meter davor stoppte. »Soll ich mitkommen?« »Lieber nicht, sonst muß ich auf zwei Leute aufpassen«, entgegnete Sheeron. Anscheinend versuchte er seine Nervosität hinter Schroffheit zu verbergen. »Wir sollten versuchen, ohne Gewaltanwendung in den Hangar zu kommen«, sagte ich. »Da die Außenwand der Kugel unversehrt ist, muß die Besatzung des anderen Schiffes eine Möglichkeit gefunden haben, die Schleuse auf normalem Weg zu öffnen.« Sheeron überlegte kurz, dann sagte er zu Tropp: »Geh näher heran, vielleicht öffnet sich das Außenschott bei Annäherung eines Objektes automatisch!« Der Pilot gehorchte. Tatsächlich öffnete sich das Außenschott, als die Entfernung nur noch etwa fünf Meter betrug: Es war aus zahlreichen Lamellen zusammengesetzt, die schlagartig zurückschnappten und uns den Weg freigaben. Gleichzeitig flammte Licht auf, das aus unregelmäßig geformten leuchtenden Platten an den Wänden und der Decke drang. Deutlich war eine walzenförmige Schleusenkammer von etwa hundert Metern Durchmesser und gleicher Tiefe zu erkennen. Dahinter lag ein zweites Lamellenschott. Sheeron und Tropp wechselten einen vielsagenden Blick. Sie fühlten sich sichtlich unbehaglich. Auch ich mußte unwillkürlich an eine Falle denken. Behutsam steuerte Tropp unser Staubei in die Schleusenkammer. Hinter uns schnappten die Metallamellen zu, dann strömte Luft in die Kammer. »Normale Sauerstoffatmosphäre.«
Sheeron blickte auf das Display des Schiffsdetektors. »Nur etwas kalt; einige Striche auf der Minusskala. Künstliche Schwerkraft bei Null-Komma-acht-sieben Standard.« Es war eine Bemerkung, auf die niemand einging. Die niedrige Lufttemperatur konnte auf eine Schwäche der Klimaanlage oder auf ein geringes Wärmebedürfnis der Erbauer des Kegelschiffes zurückzuführen sein. Was zutraf, würden wir vielleicht feststellen können, vielleicht aber auch nicht. Nach einer Millitonta öffnete sich das zweite Lamellenschott. Ich reckte mich, um zu sehen, ob die FARNATHIA auf dem Hangarboden stand. Die Enttäuschung schmerzte mich fast physisch: Das war zwar vielleicht ein Raumschiff, aber nicht die FARNATHIA. Auf dem Hangarboden lag ein Gebilde, das sich aus zahlreichen gebündelten, zylindrisch geformten Körpern zusammensetzte. Vorn und hinten gab es je eine Halbkugel aus unbekanntem, milchig schimmerndem Material. Das war aber auch schon alles. Die Gesamtlänge dieses Raumfahrzeugs mochte vierzig Meter betragen, der Bündeldurchmesser acht Meter. Tropp setzte unser Zaradhoum daneben auf. »Vielleicht ist es ein Beiboot des Kegelschiffes, das von einer Erkundungsmission zurückkehrte.« »Jedenfalls müssen sich denkende Wesen im Kegelschiff aufhalten«, ergänzte Sheeron. »Warum nehmen sie keinen Kontakt mit uns auf?« »Möglicherweise wollen sie erst feststellen, ob unsere Absichten friedlicher Natur sind«, sagte ich. »Ich schlage vor, wir steigen aus und suchen nach einem Weg in das eigentliche Kegelraumschiff.« »Einverstanden.« Der Piratenführer klappte seinen Druckhelm zu. Ich schloß ebenfalls meinen Helm, dann verließen wir das Staubei. Als wir draußen standen, kam ich mir winzig vor; der Hangardurchmesser betrug 200 Meter.
»Diese Halle kann viel größere Schiffe aufnehmen als dieses hier«, sagte ich und deutete auf das Bündelschiff. Sheeron blickte mich von der Seite an. »Sie vermuten, daß der Hangar ursprünglich für ein anderes Schiff gedacht war?« »Ja. Möglicherweise gehört es gar nicht zu dem Kegelschiff, sondern hat nur Besucher gebracht.« Der Pirat ging auf das Bündelschiff zu und streckte vorsichtig die Hand aus. Seine behandschuhten Finger schienen die Oberfläche eines Zylinders zu berühren, aber ich sah dennoch, daß ein winziger Zwischenraum blieb. »Es wird durch eine Art enganliegenden Energieschirm geschützt, Sheeron.« Er zog die Hand zurück, als habe er Feuer berührt. »Großes Weltall! Wenn der Energieschirm mich nun getötet hätte!« Er betrachtete seine Fingerkuppen. »Ich habe überhaupt nichts gespürt. Mir war, als hätte ich eine völlig glatte und feste Fläche berührt.« Ich trat neben Sheeron und streckte ebenfalls die Hand aus. Über dem eigentlichen Material des Bündelschiffes lag ein hautdünner, unnachgiebiger Film, der sich weder heiß noch kalt anfühlte. Ein Beweis dafür, daß es sich um ein Fahrzeug handelt, das nicht in das Kegelschiff gehört! teilte mir der Logiksektor mit, während ich murmelte: »Ein Besucher also – wie wir. Wie mag er aussehen? Was hat ihn hierhergeführt?« »Ich verstehe.« Sheerons rechte Hand hatte sich unwillkürlich auf den Griff der Waffe gelegt, die aus dem Gürtelhalfter ragte. »Ein Angehöriger der Schiffsbesatzung hätte den Energieschirm deaktiviert, sobald sich das Hangarschott hinter seinem Schiff geschlossen hätte.« »Ich rate dazu, nicht zur Waffe zu greifen. Das gilt auch für Sie, Tropp«, fügte ich hinzu, als mir einfiel, daß unser Pilot in seinem Hyperkom mithören konnte, was wir über die
Helmfunkanlagen sagten. »Ich gehorche nur Sheeron!« drang Tropps Stimme protestierend aus dem Helmempfänger. »Dann befehle ich dir hiermit, Atlans Worte zu beherzigen«, knurrte Sheeron. »Ein guter Rat.« »Danke. Dort hinten ist die Öffnung eines Liftschachts. Gehen wir?« »Selbstverständlich. Da ich einmal hier bin, will ich auch wissen, was das für ein Schiff ist und wer es gerade besucht.« Er warf einen nachdenklichen Blick auf das Bündelschiff. »Darin scheint ja niemand mehr zu sein, den wir fragen könnten.« Die Öffnung des Liftschachts war so breit, daß drei Arkoniden bequem gleichzeitig hindurchpaßten. Das allein bedeutete allerdings nichts, aber die Höhe von mindestens zweieinhalb Mannslängen schien doch klar zu beweisen, daß die Benutzer des Kegelschiffes erheblich größer als Arkoniden waren. Der Antigravschacht war zwar beleuchtet, aber nicht in Betrieb. Das störte uns jedoch nicht. Wir schalteten die Flugaggregate ein und stiegen nebeneinander »auf«, bezogen auf den Vektor der künstlichen Schwerkraft an Bord. Wir erkannten, daß der Schacht weiterreichte als nur bis zum Ende der Hangarkugel. Wahrscheinlich reichte er durch das gesamte Kegelschiff. Als wir die Stelle passierten, die nach meiner Schätzung der Übergang von der Hangarkugel zum Kegel war, bemerkte ich einen schwachen elektrischen Schlag. Sheeron ging es ebenso, denn ich hörte, wie er plötzlich nach Luft schnappte. Der Schlag wiederholte sich allerdings nicht, deshalb flogen wir weiter nach oben. »Was war das?« »Ich nehme an, ein Signal.« »Ein Signal?«
»Dafür, daß wir uns im Kegelschiff befinden. Jede intelligente Art hat, trotz aller Verwandtschaft technischer Wirkungsprinzipien, eine Reihe von Gebräuchen, die sich von denen anderer unterscheiden. In diesem Fall handelt es sich um den Brauch, Informationen mittels elektrischer Schläge zu vermitteln. Wir benutzen dafür optische Markierungen oder akustische Signale.« »Was ich für angenehmer halte.« Wir flogen noch etwa zweihundert Meter höher, dann erhielten wir den nächsten elektrischen Schlag – oder genaugenommen einen elektrischen Doppelschlag. Wir zogen beide den gleichen Schluß, denn als ich abbremste, blieb Sheeron neben mir, was bewies, daß er im gleichen Augenblick wie ich abgebremst hatte – und zwar mit den gleichen Werten. »Eventuelle Beobachter werden aus unserem Verhalten schließen, daß wir recht gelehrig sind.« »Rechnen Sie mit heimlichen Beobachtern?« »Allerdings. Wer immer sich in diesem Schiff aufhält, wird die Möglichkeit haben, die Umgebung zu kontrollieren. In dem Fall hat er die Ankunft der Staubeier registriert und auch die Einschleusung unseres Schiffes bemerkt. Ich würde in einem solchen Fall versuchen, die Eindringlinge zu beobachten, um festzustellen, wie sie sich verhalten, und daraus meine Schlüsse ziehen.« Während ich sprach, schwangen wir uns – wiederum gleichzeitig und ohne vorherige Verständigung – durch eines der vier Tore, die sich etwa sechs Meter oberhalb der Elektrosignalanlage befanden. Wir betraten weiches, violett schillerndes Plastik, schalteten unsere Flugaggregate aus und blickten uns um. Vor uns lag eine große Halle, deren Decke wellenförmig gestaltet war. Zahllose irisierende Vorhänge hingen bis auf etwa drei Meter Höhe herab. Sie hatten alle die gleiche Form; etwa fünf Meter lang, zwei Meter breit und sehr dünn. Nur in den Farbmustern
unterschieden sie sich voneinander, obwohl bei keinem Vorhang eine der Spektralfarben fehlte. Und die Vorhänge bewegten sich gleich vom Wind angehauchten zarten Schleiern – nur daß es hier keine spürbare Luftbewegung gab. »Seltsame Dinger.« Sheeron blickte zu den direkt über uns hängenden Schleiern. »Sie sehen prächtiger aus als zenuranische Meerspinnenseide – aber was sollen sie hier?« Das fragte ich mich auch. Irgendeine Bedeutung mußten die irisierenden Schleier für die Besatzung des Schiffes gehabt haben, und wenn es nur eine ästhetische Bedeutung gewesen war. Sheeron murmelte im Selbstgespräch: »Soll ich ein paar für Vagara und Usbiny mitnehmen?« Ich hörte seine Stimme nur aus weiter Ferne, denn plötzlich war der ganze Saal von einem eigenartigen melodischen Klingen erfüllt, einer zugleich zarten und bittersüßen Tonfolge, die wehmütig stimmte. Es war wie ein Meer, dessen Wogen sanft über mir zusammenschlugen und mich mitzogen in ein prächtiges, glitzerndes Reich, in dem sich alle Wünsche erfüllten. Alle…? Nicht alle Wünsche. Das glitzernde Reich enthielt einen Fehler, der zwar nicht sichtbar war, den ich aber ahnte. Blockieren! Das war mein Extrasinn. Was meinte er nur mit »Blockieren«? Herrlich! Köstliche Vollendung! Aber mit einem Fehler, du Narr! schrie die Stimme. Blockiere dein Gehirn gegen die Paraimpulse, die deinen Geist verwirren! Soll ich die herrlichste Offenbarung des Universums aus meinem Bewußtsein verbannen? Du mußt, oder du wirst nie mehr bewußt denken! Ein Teil von mir wehrte sich gegen die Zumutung meines Extrasinns, ein anderer Teil begriff, daß ich auf den Rat hören mußte. In mir gab es einen erbitterten Widerstreit, in dem schließlich doch die Vernunft siegte. Als ich mir sagte, daß ich
die Blockierung jederzeit wieder aufheben konnte, schwächte ich den Teil meines Egos, der sich gegen eine Blockierung sträubte. Ich tauchte aus einem prickelnden Meer auf, geriet aus beispielloser Schönheit in die triste Realität – und wollte mich instinktiv wieder hinabsinken lassen. Doch dann sah ich Sheeron, der mit den steifen Schritten eines Spielzeugroboters an mir vorbeiging und sich auf ein offenes Schott zubewegte, das sich im Hintergrund der Halle befand. Der Piratenführer schien seine reale Umwelt überhaupt nicht wahrzunehmen. Das gab den Ausschlag: Ich prüfte den Monoschirm, eilte Sheeron nach und riß ihn an der Schulter zu mir herum. Er sträubte sich, wachte aber nicht auf, sondern sah mit verzücktem Blick durch mich hindurch. Mir blieb nichts anderes übrig, als seinen Druckhelm zurückzuklappen und ihm zwei schallende Ohrfeigen zu versetzen. Sheeron riß den Mund auf und schnappte gleich einem Ertrinkenden nach Luft. Dann blickte er sich mit wild rollenden Augen um. Als er mich bewußt sah, stieß er einen Wutschrei aus und griff mich an. »Was ist los?« erklang unvermittelt Tropps Stimme aus dem Helmempfänger. Ich wich dem Piratenführer aus, aber das war nicht mehr nötig gewesen. Tropps Frage schien ihn zur Besinnung gebracht zu haben. Er schüttelte heftig den Kopf, holte noch einmal tief Luft und sagte dann mit beinahe normaler Stimme: »Alles in Ordnung, Jepson. Ich hatte nur schlecht geträumt.« Er blickte mich an und grinste. »Nein, eigentlich war es ein schöner Traum gewesen, nur das Erwachen war grauenhaft. Schon wieder Prügel! Ich war paranormal beeinflußt, nicht wahr, Atlan? Warum sind Sie wieder unbeeinflußt geblieben?« »Wir waren beide beeinflußt. Nur kehrte ich früher aus dem ›schönen Traum‹ zurück. Sehen wir nach, wohin der Traum uns führen sollte!« Ich deutete auf das Schott, in dessen
Richtung wir während der Phase unserer Willenlosigkeit gegangen waren. Leider schloß es sich, so daß wir nur noch einen Blick auf das erhaschen konnten, was sich dahinter befand: eine hellblaue Masse mit glänzender Oberfläche, die in ständiger zäher Bewegung war. »Plasma?« fragte Sheeron mit bleichem Gesicht. »Es könnte eine Art Bioplasma sein. Aber keine Art, die ich kenne. Wahrscheinlich sollten wir zu einem Bestandteil dieses Plasmas werden.« Sheeron schauderte. »Also aufgefressen. Ist das etwa die Besatzung des Kegelschiffes?« »Nein«, sagte jemand in akzentfreiem Satron. »Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die Basissubstanz zur Heranzüchtung stark proteinhaltiger Nahrungsmittel, die unter Hyperstrahlung mutierte.« Wir fuhren herum und starrten das Wesen an, das zu uns gesprochen hatte. Es stand vor einem hohen Schott, das sich rechts von uns in der Wandung geöffnet hatte, glich in Körpergröße und -form weitgehend einem Arkoniden, konnte aber doch keiner sein, denn seine Schultern waren etwa 1,2 Meter breit. Gekleidet war er wie ein Raumfahrer; der Anzug war eine bernsteingelbe, von Silberfäden durchzogene Kombination, deren Fuß- und Wadenstücke sich in smaragdgrüner Farbe abhoben. Doch die verschiedenen Geräte und Instrumente, die zu seinem Anzug gehörten, sahen fremdartig aus. Sie wirken höher entwickelt ab unsere, filigraner, zarter. Sein Aggregattornister ist erheblich kleiner als unsere Geräte; er wird dennoch nicht weniger Funktionen erfüllen. Vom Gesicht des Wesens konnten wir nichts sehen, da es eine goldfarbene glatte Maske trug, aber der kahle, von ölig wirkender brauner Haut überspannte Schädel deutete darauf hin, daß es sich um den Angehörigen eines uns unbekannten Volkes handelte.
»Wer sind Sie?« wollte Sheeron wissen. »Mein Name ist ohne Bedeutung«, antwortete der Fremde. »Ich bin ein Besucher – und in gewissem Sinne ein Sucher.« Ich hatte das Gefühl, als lächelte der Fremde bei seiner Antwort. Sehen konnte ich das wegen der Gesichtsmaske natürlich nicht. Aber er strahlte eine Ausgeglichenheit, Klugheit und Kraft aus, die ihn mir sympathisch machte. Ich klappte meinen Druckhelm zurück und sagte: »Wir sind ebenfalls Besucher dieses Schiffes und zugleich Sucher. Sie kennen sich offenbar inzwischen gut aus?« Er neigte leicht den Kopf. »Ich war vor Ihnen hier.« »Wo ist die Besatzung?« erkundigte sich der Pirat. »Sie muß das Schiff vor langer Zeit verlassen haben. Es befindet sich kein Beiboot mehr hier. Als wichtige Teile des Antriebssystems ausfielen – wahrscheinlich durch Überlastung in einem Hypersturm –, ging die Besatzung natürlich von Bord.« »Aha!« Sheerons Augen glitzerten gierig. »Erheben Sie Anspruch auf dieses Schiff?« Der Fremde lachte leise. »Nein, Pirat.« Er wurde sofort wieder ernst. »Aber das Schiff gehört der neuen Lebensform, die sich in ihm entwickelt hat. Es ist eines der großen Wunder des Kosmos, und es wäre sehr schade, es zu vernichten. Sie täten ein gutes Werk, ließen Sie das Schiff unangetastet.« Sheeron stöhnte. »Ein gutes Werk! Was bin ich denn? Der Leiter einer Wohlfahrtsinstitution? Hören Sie, Fremder! Ich bin dafür verantwortlich, daß zehntausend Männer, Frauen und Kinder ihr Auskommen haben.« »Ich weiß. Aber Sie sind kein Mörder, Hanwigurt Sheeron. Sie haben noch nie die Besatzung eines havarierten Raumschiffes niedergemetzelt, um das Schiff ausschlachten zu können.« »Natürlich nicht!« Der Oberpirat schwitzte. »Wir haben die
Havaristen gerettet, wenn sie sich retten ließen oder noch lebten, und uns dafür ihre Schiffe überschreiben lassen. Aber da handelte es sich um intelligente Wesen. Woher wissen Sie überhaupt über mich Bescheid?« »Ich habe einiges über Sie gehört. Übrigens sind die jetzigen Bewohner dieses Schiffes ebenfalls intelligent, allerdings sehr fremdartig. Sie können nur auf diesem Schiff existieren. Wie entscheiden Sie sich, Sheeron?« »Wenn ich nun sage, daß ich diese Wesen töten werde?« »Ich würde diese Entscheidung sehr bedauern.« »Und würden Sie versuchen, mich an der Ausführung meines Entschlusses zu hindern?« »Nein, ich nicht.« »Aber ich«, sagte ich scharf. Sheerons Gesicht lief blaurot an, doch dann unterdrückte er seinen Zorn und sagte resignierend: »Ich werde eine Quarantäne über das Schiff verhängen. Niemand soll Hanwigurt Sheeron einen Unhold nennen dürfen. Obwohl diese Bewohner versucht haben, mich und Atlan aufzufressen.« »Sie irren sich«, entgegnete der Fremde. »Es handelt sich um ein Kollektivwesen, das Sie lediglich als neue Mitglieder in seine enge Gemeinschaft aufnehmen wollte. Aber in Ihrer derzeitigen Existenzform sind Sie ein erheblich nützlicheres Mitglied dieser geschichtlichen Konstellation.« Er hob eine Hand zum Gruß. »Ich muß Sie leider verlassen. Die Pflicht ruft. Aber ich habe etwas für Sie.« Er kam zu mir und reichte mir ein Stück Folie, auf dem kosmonautische Positionsdaten standen. »Dort sollten Sie die FARNATHIA eigentlich noch finden, wenn ich mich nicht irre, Kristallprinz.« Ich nahm die Folie entgegen. »Danke. Aber warum müssen Sie uns verlassen, Sucher? Ich kann mir gut vorstellen, daß wir Freunde würden, blieben wir zusammen.«
Er legte mir eine Hand auf die Schulter, und ich spürte die gewaltige, aber gebändigte Kraft, die in dem Körper des Fremden steckte, und nicht nur im Körper. »Was nicht ist, kann noch werden. Bleiben Sie, wie Sie sind, und geben Sie niemals auf!« Er nahm die Hand von meiner Schulter und ging zum nächsten Schachteinstieg. »Warten Sie!« rief Sheeron ihm nach. »Meine Männer werden vielleicht auf Ihr Schiff schießen, wenn Sie plötzlich aus dem Hangar kommen.« Vor dem Lifteinstieg drehte sich der Fremde noch einmal um. »Sie könnten mir nicht schaden, Hanwigurt Sheeron. Doch sie werden mich nicht bemerken, denn mein Weg führt nicht durch den Raum.« Er schwang sich in den Schacht und war bald darauf unseren Blicken entschwunden. »Puh!« Sheeron wischte sich den Schweiß aus den Augen. »Der Kerl wurde mir richtig unheimlich. Ihnen auch?« »Nein. Er kam mir vor wie ein guter Freund, den ich einmal kannte – oder einmal kennen werde.« Ich gab mir einen Ruck, verdrängte die Ahnungen, die mich bei seinen Andeutungen befallen hatten: Geschichtliche Konstellation… Weg führt nicht durch den Raum… »Aber nun müssen wir die FARNATHIA aufsuchen. Werden Sie dieses Schiff unter Quarantäne stellen?« »Selbstverständlich.« Der Piratenführer blickte auf die leicht wehenden irisierenden Schleier. »Keine Macht des Universums wird mich in dieses Schiff zurückbringen.« Ich lächelte in mich hinein. Ein fluguntüchtiges Schiff, das unter Quarantäne stand, war genau der passende Aufbewahrungsort für »meine« Metallspinne. Hier würde sie warten müssen, bis ich eines Pragos Zeit fand, sie zu holen und wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Ich ließ den Piraten vorausgehen, und als er im Liftschacht versank, schob
ich die Kapsel rasch in eine der winzigen Nischen, die sich in der Außenwand des Schachtes befanden.
8. Aus: Das verlorene Juwel von Kariope; Teil einer umfangreichen Datensammlung von Hemmar Ta-Khalloup, die erst im Jahr 1236 NGZ im Epetran-Archiv der Omperas-Museumsinsel im Golf von Khou auf Arkon I entdeckt wurde; Veröffentlichung ab 1240 NGZ Nachtragsnotierung sieben, Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren; Resonanzsiegel nur durch spezifischen Außenimpuls zu lösen. Es wird kundgetan: Ich habe den offenen Sternhaufen, Katalognummer BB14-CM0002-A1, offiziell Ort der Begegnung genannt – es wird der einzige dauerhafte, unverschlüsselte Hinweis bleiben. Zehn Pragos nach dem letzten Hauptkontakt, der in beiderseitigem Einvernehmen den Pakt bestätigte, erscheint mir das Rätsel der namenlosen Sternen-Entität noch größer. Zu wesensfremd sind und bleiben wir einander, die Verständigungsbandbreite ist auf eine minimale Schnittmenge der Gemeinsamkeit beschränkt. Es wurde beschlossen: Zeitlich unbefristet ergeht an mich und meine Nachfolger die Verpflichtung, den Verlorenen Kindern der Sternen-Entität die Heimkehr zu ermöglichen, sofern deren Spur gefunden wird. Das Resonanzsiegel ist entsprechend geeicht und wird, da ich das Juwel von Kariope im Bmerasath des Zwölferrates verankern werde, diese Nachricht zu gegebener Zeit den dann Verantwortlichen preisgeben. Im Anhang sind die hyperenergetischen Spezifika aufgelistet, die zur Identifikation der Verlorenen Kinder notwendig sind. Im Gegenzug sichert die Stemen-Entität uns und unserem Volk Unterstützung zu, sollten die Großen Alten Gefahren eines fernen
Pragos aktiv werden; auch auf deren Impulse ist das Resonanzsiegel geeicht. Kodebegriff zur Kontaktaufnahme mit der Sternen-Entität ist Vehraäto – identisch mit dem Zwölften Heroen, dem stets ersehnten Retter, der Lichtgestalt aus der Sonne! Das noch junge Volk Arkons braucht solche Symbole und Mythen ferne Nachkommen mögen es bitte entschuldigen. Aber wir sind geprägt von leidgeprüfter Zeit, die voller Krieg und Tod war und weiter sein wird und ungezählte Opfer beklagt. Bewußt wurde die Heilige Zahl Zwölf zu der unseres Berlen Than: Mögen dessen Mitglieder, mit dem Imperator an der Spitze, stets und immerdar die bereitstehenden Potentiale der entrückten Heroen aufnehmen und als reale Personen ihrer jeweiligen Zeit mit Leben erfüllen! Dies gebe ich Euch, den fernen Nachkommen, bei Tmn-Atlan, der die Kristallobelisken von Arbaraith zum Klingen brachte, als Vermächtnis: Immer wieder wird es Epochen größter Bedrängnis geben, und dann werden Persönlichkeiten vonnöten sein, in denen sich die kollektiven Wünsche, Träume und Hoffnungen fokussieren. Bedient Euch der Heroen, verschmelzt Ursache und Wirkung als deren Manifestationen auf akausale Weise: Erfüllt Erzähltes und Überliefertes mit Leben, berücksichtigt, daß Eure wirklichen Taten glorifiziert und überhöht und ihrerseits auf den Ballungspunkt zurückprojiziert werden, so daß der Träger erneut transformiert, um nicht zu sagen, transzendiert! Nur eine solche informelle wie interaktive Wechselwirkung im gegenseitigen Aufschaukeln kennzeichnet die echten Heroen, und nur deren Charisma gibt allen anderen jenes Quantum Kraft, um maßgeblich über sich selbst hinauswachsen zu können! Der Flug zu dem Koordinatenpunkt, dessen Daten auf der Folie vermerkt waren, entwickelte sich zu einem Alptraum. Hematas vier Staubeier schlossen sich unserem Schiff und dem Staubei Shechtars an. Wir flogen so eng zusammen, daß
der Funkkontakt theoretisch nicht abreißen konnte. Dennoch geschah dies mehr als einmal. Die letzte Etappe führte uns durch einen Dunkelnebelbereich von beachtlicher Dichte. Als wir die Prallschirme kurz einschalteten, flammte es rings um unsere Schiffe grell auf. Die Reaktionszone entwickelte Streuemissionen, die sämtliche Ortungsgeräte störten und eine Navigation unmöglich machten. Sheeron befahl, die Energieschirme abzuschalten und den Flug mit stark gedrosselter Geschwindigkeit fortzusetzen. Tropp bremste schimpfend ab. Als wir nur noch mit zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit flogen, desaktivierte ich unseren Energieschirm. Das grelle Leuchten erlosch sofort. Dafür erscholl ein infernalisches Pfeifen. Es wurde von der Reibung der Staubpartikel auf unserer Schiffshülle hervorgerufen. Die Temperatur unserer Außenzelle stieg innerhalb kurzer Zeit auf bedrohliche Werte. Tropp mußte die Geschwindigkeit auf fünf Prozent Lichtgeschwindigkeit verringern, bevor die Temperatur auf ein vertretbares Maß absank. »Wahnsinn!« flüsterte Sheeron. »Mußten wir denn unbedingt durch diese Dunkelwolke?« fragte ich. »Es gibt doch sicher andere Wege zu dem Koordinatenpunkt.« »Die gibt es allerdings. Doch sie führen durch Gegenden, zu denen diese hier vergleichsweise ein staubfreier Raum ist. Es gibt dort unsichtbare Löcher im Raum-Zeit-Gefüge, durch die schon viele gute Raumschiffe gefallen sind. Man kann sie nicht früh genug erkennen.« Ich blickte nach draußen, in die Finsternis, die an- und abschwellend rauschte, weil die Dichte nicht konstant war. Das Rauschen erinnerte mich an Meereswogen, die an einen Strand brandeten. »Was sagt die Detektoranzeige? Gibt es organische Verbindungen in diesem Dunkelnebel?«
»Jede Menge«, antwortete Tropp. »Sogar Aminosäuren werden angezeigt.« »Danke.« Dieser finstere Staubnebel enthielt also bereits die Anfänge des Lebens, obwohl er für unvorsichtige Eindringlinge tödlich war. Irgendwann wird er eine Sonne gebären – und Planeten, auf denen Äonen später vernunftbegabte Lebewesen zu den Sternen aufblicken und sich fragen werden, ob es auch anderswo intelligentes Leben gibt. Alles ist schon einmal dagewesen – und alles wiederholt sich. Ein scheinbar unendlicher Zyklus rollt im Universum ab, dessen wundersamste Schöpfung die Entwicklung bewußt denkender Wesen ist. Sheeron schaltete am Funkgerät und sagte nach einer Weile: »Nichts zu machen. Ich bekomme keine Verbindung zu den anderen Staubeiern.« »Nur Geduld«, murmelte ich, obwohl ich danach fieberte, die FARNATHIA endlich zu finden – und mit ihr meine Freundin. Acht Tontas verstrichen – an Schlaf oder Entspannung war nicht zu denken –, bis wir plötzlich aus dem Dunkelnebel in grelles Licht hinausschossen. Im nächsten Augenblick bekamen wir Funkkontakt mit den übrigen Staubeiern. Wir hatten uns nur unwesentlich voneinander entfernt. Sheeron erteilte den Befehl zur Transition, die uns bis in die unmittelbare Nähe jenes Koordinatenpunktes brachte, an dem sich die FARNATHIA befinden sollte. Die Berechnungen wurden diesmal besonders sorgfältig durchgeführt, denn die Piraten wußten, daß der Rematerialisationspunkt nicht weit von einem breiten Strom kosmischer Trümmer entfernt war. Eine geringe Sprungabweichung konnte uns mitten zwischen den Brocken rematerialisieren lassen und würde die Gefahr einer Kollision heraufbeschwören. Mir wurde klar, daß ich ohne die Hilfe der Piraten niemals
bis zur FARNATHIA gekommen wäre, selbst wenn mir zehn oder mehr Suchschiffe zur Verfügung gestanden hätten. Die Sogmanton-Barriere wies so viele Tücken auf, daß sich jemand, der sich nicht ganz genau in ihr auskannte, am besten von ihr fernhielt. Die Ent- und Rematerialisation schienen wie immer Ereignisse eines Augenblicks zu sein. Noch halb benommen, versuchte ich, mich nach vorn zu beugen und einen Blick auf die Ortungsschirme zu erhaschen. In diesem Augenblick schrillte der automatische Ortungsalarm – und im nächsten Augenblick sah ich den Grund: Auf dem Reliefschirm des Objekttasters erschien das Abbild eines riesigen Speichenrades mit einer langen, walzenförmigen Nabe in der Mitte. »Maahks!« schrie Tropp. »Eine Kampfstation der Methans!« Sheeron schaltete die Funkverbindung zu den anderen Staubeiern ein. »Beschleunigen und in den Schutz des Asteroidenstroms zurückziehen! Alle Ortungsgeräte auf Station richten!« Unser Staubei legte sich auf die Seite, als Tiopp einen Energiewirbel ausnutzte, um uns in Richtung des Trümmerstroms zu befördern. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, einen Direktblick auf die maahksche Station zu erhalten, sah jedoch nur ein helles Blinken in der Ferne. Deshalb konzentrierte ich mich wieder auf den Reliefschirm. Diesmal sah ich das riesige Rad aus einem anderen Blickwinkel; es erreichte einen Durchmesser von mehr als 25 Kilometern. Schon die Nabe war bei fünf Kilometern Durchmesser zwanzig lang; acht je fünf Kilometer lange Speichen verbanden sie mit dem Felgenring von drei Kilometern Dicke. Und im nächsten Augenblick hatte ich das Gefühl, daß mein Herz stehenbleiben müßte! Denn an einer Speiche hing ein etwa vierzig Meter langer und fünf Meter durchmessender
torpedoförmiger Körper mit in der Mitte angesetzten Deltaflügeln. Die FARNATHIA! Ich stieß Sheeron an und deutete auf das Abbild des Kleinraumschiffes. »Sehen Sie sich das an! Das ist die FARNATHIA! Der Fremde hat also die Wahrheit gesagt.« Der Piratenführer blickte mich mit wild funkelnden Augen an. »Aber er hat nicht gesagt, daß die FARNATHIA von Maahks aufgebracht wurde. Das ändert die Lage entscheidend. Wir werden die Methans vernichten.« Ich verstand ihn. Er war Arkonide wie ich, und wenn es um die Methans ging, die die Existenz aller Arkoniden bedrohten, spielte es keine Rolle, ob er Pirat war oder Angehöriger der Imperiumsflotte. Die Wasserstoffatmer hatten schon viele unserer bewohnten Welten zerstört und gnadenlos ungezählte Arkoniden getötet. Das hatte einen Haß erzeugt, der beim Anblick von Maahks oder maahkscher Raumfahrzeuge nur noch an Vernichtung denken ließ. Eine notwendige Zwangsreaktion! signalisierte mein Logiksektor sachlich. Der Arterhaltungstrieb ist erheblich stärker als der Selbsterhaltungstrieb. Tritt eine absolut tödliche Bedrohung der Art auf, erzeugt der Arterhaltungstrieb Haß, um alle Hindernisse, wie Angst und Furcht, zugunsten der gezielten Aggressivität auszuschalten. Es ist die einzige Chance, den drohenden Untergang der ganzen Art zu verhindern. Noch darf ich aber nicht zulassen, daß die Piraten ihrem Haß freien Lauf lassen. Zuerst muß ich wissen, ob Farnathia noch lebt. Wenn ja, muß ich alles daransetzen, sie zu befreien. »Wir wissen nicht, ob in der Station überhaupt noch Maahks leben«, sagte ich eindringlich. »Wäre sie voll besetzt, hätte man uns längst unter Beschuß genommen. Wir müssen auf jeden Fall versuchen, Funkkontakt mit der FARNATHIA zu bekommen.«
Sheeron knirschte mit den Zähnen. »Wir müssen die Station vernichten, ob sie voll besetzt ist oder nicht. Im Methankrieg geht es um Sein oder Nichtsein. Am Ende dieses Krieges werden entweder die Maahks oder wir ausgelöscht sein.« »Ich weiß. Sie kennen kein Erbarmen, folglich dürfen wir auch kein Erbarmen kennen. Aber das darf uns nicht daran hindern, wenigstens die Rettung der Schiffsbesatzung zu versuchen.« Inzwischen war unser Staubei zwischen fünf Trümmerstücke getaucht, die langsam umeinander kreisten und sich dabei mit der gleichen Geschwindigkeit und in die gleiche Richtung bewegten. Tropp steuerte unser Schiff an den größten Brocken – er war fast so groß wie ein Schwerer Kreuzer der Imperiumsflotte – und verankerte es dort mit einem Traktorstrahl. Sheeron schaltete den Hyperkom auf größte Sendekapazität: »Sheeron an alle Suchgruppen in der Sogmanton-Barriere. Wir haben eine Kampfstation der Maahks entdeckt, sind aber zu schwach, um sie zu vernichten. Deshalb sammeln sich alle Gruppen an folgender Position…« Der Spruch wurde automatisch gespeichert. Nachdem Sheeron die Koordinaten genannt hatte, schaltete er den Hyperkom auf Endloswiederholung. Er sah mich ausdruckslos an. »Achtundfünfzig Staubeier – vielleicht auch ein paar weniger, sollten die anderen Gruppen ebenfalls Verluste gehabt haben – werden ausreichen, um dieses Riesenrad zu vernichten.« »Nachdem die Rettungsaktion abgeschlossen ist!« Ich blickte ihn starr an. »Der Haß mag naturnotwendig sein, aber er darf nicht verhindern, daß wir versuchen, unsere eigenen Leute zu retten, wo immer das möglich ist. Und hier ist es möglich!« Ist der Haß auf die Maahks wirklich naturnotwendig? fragte ich mich und gab mir selbst die Antwort: Nein, er ist situationsbedingt, erzeugt durch den gnadenlosen
Vernichtungswillen der Maahks. Nicht wir haben unseren Haß erzeugt, sondern die Maahks, indem sie uns ihre gnadenlose Handlungsweise drastisch demonstrierten. Aber dann blieb die Frage, woher diese Gnadenlosigkeit der Wasserstoffatmer gegenüber den Sauerstoffatmern kommt. Wodurch wurde es ausgelöst? Denn genaugenommen ist es absolut unvernünftig, daß sich Intelligenzen, von denen die eine Art nichts mit den Lebensbedingungen der anderen anfangen kann, überhaupt bekämpfen. Die Maahks denken streng logisch, das wissen wir inzwischen. Folglich muß es einen logischen Grund für ihren unbeirrbaren Vernichtungswillen geben. Ich nahm mir vor, nach diesem Grund zu forschen, sollte ich jemals die Gelegenheit dazu haben. Doch im Augenblick ging es um Farnathia. Sheeron erwiderte meinen starren Blick. Nach einer Weile seufzte er. »Schön, Atlan, Sie erhalten ein Staubei, mit dem Sie zur Station fliegen und nachsehen können, was mit der FARNATHIA ist. Aber ich komme diesmal nicht mit – nicht, wenn es sich um eine Station der Maahks handelt.« Er lächelte schief. »Außerdem will ich nicht schon wieder Prügel beziehen!« »Sobald Sie und Tropp in ein anderes Staubei umgestiegen sind, fliege ich los.« Tropp drehte den Kopf und sagte gelassen: »Ich komme mit Ihnen, Kristallprinz. Zwei Männer können mehr ausrichten als einer, meinen Sie nicht auch?« Ich streckte dem Piloten impulsiv die Hand hin. »Da haben Sie recht. Danke, Jepson.« »Keine Rührszenen, bitte!« schimpfte der fette Sheeron. »Es ist Wahnsinn, Jepson, zu der Station zu fliegen, aber wenn du unbedingt Selbstmord begehen willst, bitte!« Er schnaufte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wenn ihr Narren schon hinüberfliegt, nehmt wenigstens zwei Staubeier in
Schlepp, damit ihr eventuelle Überlebende darin unterbringen könnt. Ich organisiere das.« Ich lächelte ihn dankbar an. Der Piratenführer ist gar nicht so übel, wie er sich zu geben pflegt. »Allerdings müssen wir warten, bis die anderen Gruppen eingetroffen sind«, fügte Sheeron hinzu und wandte sich wieder an Tropp: »Sind die letzten Ortungsergebnisse ausgewertet?« Der Pilot hob die Hand. »Soeben laufen die der übrigen fünf Staubeier ein. Ich werde sie analysieren lassen, dann sehen wir weiter.« Wir warteten geduldig, bis die Bordpositronik sämtliche Ortungsergebnisse, die von unseren Zaradhoum beim schnellen Rückzug in die Deckung des Asteroidenstromes ermittelt worden waren, analysiert hatte. Endlich las Tropp uns das Ergebnis vor: »Die Station muß in einem Hypersturm schwer beschädigt worden sein. An sieben Stellen wurden provisorische Ausbesserungsarbeiten durchgeführt. Das könnte bedeuten, daß nur wenige Maahks die Katastrophe überlebt haben. Die Station scheint auch nicht mehr manövrierfähig zu sein.« »Was ist mit der FARNATHIA?« wollte ich wissen. »Wahrscheinlich ebenfalls in einen Hypersturm geraten. Die Außenhülle ist teilweise ausgeglüht; die Deltaflügel sind verbogen. Offenbar wurde sie, als der Hypersturm sie ausspuckte, in die Speichen der maahkschen Station geschleudert und blieb dort hängen.« In mir krampfte sich alles zusammen. Obwohl ich mich gegen den Gedanken wehrte, konnte ich mich doch nicht gegen die Einsicht sträuben, die Tropps Aussage bewirkt hatte. Die Wahrscheinlichkeit, Farnathia lebend wiederzusehen, ist gering. Doch sie ist nicht gleich Null – und das allein entscheidet. »Ich will sie holen, ob sie noch lebt oder nicht.«
»Vielleicht haben die Maahks die Besatzung längst gefangen und verschleppt«, sagte Sheeron. »Das glaube ich nicht«, widersprach Tropp. »Die Schleuse läßt sich bestimmt nicht mehr öffnen. Die Maahks hätten also ein Loch in die Wandung schneiden müssen, um sich der Besatzung zu bemächtigen. Von einem Loch ist jedoch nichts zu erkennen. Und hätte sich die Schleuse öffnen lassen, hätten die Maahks sie bestimmt nicht wieder geschlossen.« »Wahrscheinlich haben die Methans große Mühe, sich in ihrer angeschlagenen Station am Leben zu erhalten, und können sich nicht um andere Gestrandete kümmern«, ergänzte ich. Sheeron brummte etwas vor sich hin, was ich nicht verstand. Mit bohrender Ungeduld wartete ich auf das Eintreffen der anderen Suchgruppen. Wiederholt drängte ich Sheeron, mich mit einem Staubei zur Station fliegen zu lassen. Der Piratenführer lehnte beharrlich ab. Endlich, nach fast einem halben Prago, als ich schon halb wahnsinnig vor Angst um Farnathia geworden war und wie die anderen nur mit Mühe trotz der Übermüdung etwas Schlaf gefunden hatte, trafen nacheinander die übrigen Gruppen ein. Es stellte sich heraus, daß auch sie Verluste zu verzeichnen hatten, so daß von den ursprünglich sechzig Schiffen nur noch dreiundfünfzig existierten. Sheeron tobte wegen des Verlustes der Schiffe. Vom Verlust der Besatzungen erwähnte er nichts, aber ich sah ihm an, daß ihn das noch mehr schmerzte. Als er sich halbwegs beruhigt hatte, organisierte er die Rettungsaktion: Er stieg in ein anderes Staubei um, und auch die Besatzungen weiterer zwei Staubeier mußten sich auf andere Schiffe verteilen. Danach flogen Tropp und ich los, nahmen die beiden leeren Staubeier an Magnettrossen in Schlepp und steuerten geradewegs auf die Kampfstation der
Maahks zu. »Die bisherige Passivität könnte darauf zurückzuführen sein, daß die Fernortungssysteme ausgefallen sind«, sagte Tropp nachdenklich. »Wenn wir dichter heran sind, sieht man uns aber möglicherweise auf den Bildschirmen der Außenbeobachtung oder durch die Druckfenster.« Ich erwiderte nichts darauf. Mir war klar, welches Risiko wir eingingen. Entdeckten uns die Maahks, bevor wir an ihrem Riesenrad angelegt hatten, würden sie nicht zögern, das Feuer zu eröffnen, und wenn sie auch nur ein Geschütz in unsere Richtung drehen konnten. Dennoch wäre es nicht klug gewesen, unseren Schutzschirm zu aktivieren, denn das hätte die Gefahr einer Energieortung beträchtlich erhöht. So aber war diese Gefahr minimal, da Tropp zur Navigation lediglich die Energieströmungen und -wirbel der Sogmanton-Barriere benutzte. Je näher wir dem wahrhaft gigantischen Rad kamen, desto klarer konnte ich erkennen, daß die FARNATHIA wirklich ein halb ausgeglühtes Wrack war, das sich niemals mehr aus eigener Kraft von der Speiche lösen konnte, an der es gestrandet war. Lebte noch jemand in diesem Wrack, mußte er alle Hoffnung auf Rettung begraben haben. Wahrscheinlich hält Farnathia mich für tot. Als ich diese Überlegung durchleuchtete, wurde mir klar, daß ich weiterhin fest daran glaubte, daß sie lebte. »Ja, ich fühle es«, flüsterte ich. »Sie lebt!« »Was haben Sie gesagt?« »Nichts.« Wir waren nur noch ungefähr tausend Meter von dem äußeren Ring des Rades entfernt, als ich neben uns etwas treiben sah: einen massigen Raumanzug mit einer halbmondförmigen Erhebung dort, wo normalerweise ein runder Druckhelm saß. »Ein Maahk!« »Ein toter Maahk! Sein Raumanzug ist an der Seite aufgerissen. Wahrscheinlich verunglückte er bei
Außenarbeiten und trieb ab.« »Er hängt an einem langen Seil. Seine Kameraden hätten ihn hereinziehen können. Sie müssen sich in einer schlimmen Lage befinden, da sie das unterlassen haben.« »Um so besser für uns!« Das war auch mir klar. Dennoch fühlte ich eine eigentümliche Verbundenheit mit den Überlebenden der Station. Sie waren zwar Methans, aber sie waren auch Raumfahrer in Not, und das weckte instinktiv Solidarität. Tropp holte die beiden anderen Staubeier mit den Magnettrossen näher an unser Staubei heran, verankerte das Trio nahe der FARNATHIA an derselben Speiche, die aus der Nähe mehreren aneinandergereihten Walzenschiffen glich. Ich sah Schotten an der Außenhülle. Doch von ihnen drohte uns kaum Gefahr, denn die Speiche war an vielen Stellen zerrissen und an anderen so platt gedrückt, daß sich in ihr niemand von der Nabe aus zu uns anschleichen konnte. Unsere Umgebung strahlte einen so starken Hauch von Grauen und Verzweiflung aus, daß ich schauderte. Es war stets bedrückend, das Wrack eines Raumfahrzeugs aus der Nähe zu sehen. Hier war dieses Gefühl aber noch viel stärker. Tropp und ich blickten uns an, dann schlossen wir unsere Druckhelme und stiegen aus. Weder bei der Nabe noch bei der FARNATHIA rührte sich etwas, als wir uns dem Kleinraumschiff näherten. Ich mußte mich sehr beherrschen, um nicht im letzten Augenblick Funkkontakt herzustellen, der den Maahks die Anwesenheit Fremder verraten konnte. Schließlich schwebten wir neben der FARNATHIA und musterten das äußere Schleusenschott. Es würde nicht mehr funktionieren, das war uns klar. Eine energetische Entladung hatte die rechte Seite und zwei Drittel des oberen Randes mit dem Metallplastik der Außenhülle verschweißt. »Wir müssen uns durchfräsen.« Tropp klopfte auf den Griff
seines Desintegrators, er zog die Waffe allerdings noch nicht, und ich wußte auch, warum er zögerte. Öffneten wir die Schiffswandung gewaltsam, mußte es zu einem explosiven Druckabfall kommen. Überlebende, die zu diesem Zeitpunkt keinen geschlossenen Raumanzug trugen, waren dann verloren. Unter Umständen führen wir den Tod von Farnathia herbei, den zu verhindern wir gekommen sind. Es ist ein Teufelskreis, aber es gibt keine andere Lösung, denn unternehmen wir gar nichts, ist das Schicksal der Besatzung endgültig besiegelt. Ich zog den Desintegrator, nickte Tropp zu und sagte mit einer Stimme, die mir völlig fremd vorkam: »Fangen wir an – und beeilen wir uns!« Die erste Arbeitsphase war unserer Meinung nach noch unproblematisch, denn sobald das Außenschott beseitigt war, gab es noch das Innenschott, das ein Entweichen der Schiffsatmosphäre verhinderte. Als die Strahlen sich durchgearbeitet hatten, bewies uns allerdings eine augenblicklich kondensierende Luftfontäne, daß wir uns geirrt hatten: Das Innenschott war nicht geschlossen gewesen! Ich hatte das Gefühl, innerlich zu vereisen, während wir verbissen weiterarbeiteten. Endlich war die Öffnung im Außenschott groß genug, daß wir hindurchsehen konnten. Das erste, was wir im Licht unserer Helmscheinwerfer erblickten, war der Leichnam eines Mannes. Trotz des entstellten Gesichts erkannte ich Tonven Debaaner. Er hatte die Freiheit nicht mehr genießen können. Wenigstens aber war unser Durchbruch nicht für seinen Tod verantwortlich, das bewies die an der rechten Hüfte blutdurchtränkte Bordkombination. Er mußte bei einer Erschütterung des Schiffes, vermutlich beim Aufprall an die Speiche der Station, irgendwo hingeschleudert worden sein und war dann in der Schleusenkammer gestorben. Ich hielt mich allerdings nicht lange bei diesen Überlegungen auf, sondern hastete nach vorn.
Das Schiff mußte tatsächlich schwer erschüttert worden sein: Überall lagen Geräte und Wandsegmente, die herausgerissen worden waren – aber die künstliche Schwerkraft funktionierte noch. Kurz darauf fanden wir den zweiten Leichnam. Er war unkenntlich, und wir stolperten und kletterten sofort weiter. Als ich die Öffnung der Zentrale sah, fiel mir als erstes der spiralige Lauf eines Thermostrahlers auf, der um die Ecke ragte. Er zitterte leicht. Ich gab Tropp ein Handzeichen, justierte meine Helmfunkanlage auf geringste Reichweite und aktivierte sie. So würden die Maahks in der Nabe die Funkimpulse hoffentlich nicht anmessen können. »Nicht schießen! Hier spricht Atlan! Farnathia, bist du dort?« Eine Weile blieb es totenstill, dann schrie ihre Stimme in meinem Helmempfänger: »Atlan!« Wilde Freude durchpulste mich. Meine Augen füllten sich mit Tränen, als ich meine größte Hoffnung erfüllt sah. Farnathia, meine Farnathia, lebt! »Ja, ich bin es«, sagte ich, bestrebt, meine Stimme normal klingen zu lassen. Der Strahlerlauf wackelte, dann kam die Gestalt im Raumanzug aus der Deckung. Es war nicht Farnathia, sondern Lord Correson. »Wir dachten, die Maahks würden uns holen«, sagte er über Helmfunk. »Sie hätten uns nicht lebend bekommen.« Im nächsten Augenblick sah ich Farnathia. Sie schwankte. Wir gingen aufeinander zu und umarmten uns wie zwei, die sich hilfesuchend aneinanderklammern. »Haltet euch nicht auf, Leute!« rief Tropp. »Sonst besuchen uns die Maahks vielleicht doch noch.« Ich nickte. »Er hat recht. Gibt es noch einen Überlebenden? Zwei Tote haben wir gefunden.« »Nein«, antwortete Correson. »Sie haben wahrscheinlich Tobanoschol und Debaaner gesehen. Deflar liegt im
Frachtraum. Er hat sich das Leben genommen, als er sah, daß wir an einer Raumstation der Maahks gestrandet waren.« »Dann kommt!« sagte ich. Wir hatten die FARNATHIA verlassen und schwebten neben der Speiche, als die Maahks kamen. Wir sahen sie zuerst gar nicht, wohl aber, daß das Heck der FARNATHIA in roter Glut aufleuchtete. Ein Strahlschuß mußte es auf der gegenüberliegenden Seite getroffen haben. Ich deutete auf eine fünf Meter tiefe Einbuchtung in der Speiche, nur wenige Meter entfernt. »Dort hinein, Correson!« Ich wartete die Durchführung nicht ab. Tropp und ich verständigten uns durch Handzeichen. Wir schalteten unsere Flugaggregate ein und schwebten zum Bug der FARNATHIA, der einige tiefe Schrammen und Beulen aufwies. Dort landeten wir und zogen uns an den Schrammen hinauf. Ich sah zwei massige Gestalten in Raumanzügen mit den für Maahks typischen Sichelkopfwülsten unsicher über die Speiche fliegen. Sie konnten es jedoch nicht gewesen sein, die den Strahlschuß abgegeben hatten, denn sie hätten das Heck der FARNATHIA nicht treffen können. »Auf der anderen Speiche!« flüsterte Tropp. Ich spähte zu der benachbarten Speiche hinüber; der Maahk auf ihr wirkte wie eine Spielzeugfigur. Er war jedoch alles andere als ein Spielzeug, denn während ich hinsah, feuerte er den nächsten Schuß ab. »Wahrscheinlich soll er uns aufhalten, bis seine Kameraden uns eingeholt haben.« Ich stützte meinen Ellbogen auf und zielte mit dem Thermostrahler. Als ich den Feuerknopf drückte, flammte es drüben auf. Danach war der Maahk verschwunden. Dafür schlug es plötzlich dicht vor dem Bug der FARNATHIA ein. Die beiden anderen Maahks hatten bemerkt, daß ihr Kamerad ausgeschaltet worden war,
und griffen nunmehr erbittert an. Tropp und ich mußten uns in die Deckung des Kleinraumschiffs zurückziehen. »Nur drei«, sagte er. »Ob das die einzigen Überlebenden der Station sind?« »Es scheint so. Keiner von ihnen benutzt sein Flugaggregat. Ich nehme an, sie haben die Fusionsladungen der Aggregate bei den Außenarbeiten verbraucht und konnten sie nicht erneuern.« »Aber sie können uns töten, wenn wir nichts unternehmen. Ich schlage vor, wir starten gleichzeitig nach oben und nach links und rechts, halten in etwa fünfzig Metern Entfernung an und eröffnen das Feuer.« »Einverstanden.« Ich sagte es schweren Herzens, denn es widerstrebte mir zutiefst, intelligente Lebewesen zu töten, aber wieder einmal konnte ich nur zwischen ihrem und unserem Tod wählen. »Los!« Wir schalteten gleichzeitig und schossen schräg nach oben. Unter uns zerschmolz der Bug der FARNATHIA unter zwei weiteren Treffern. Ich bremste mit Vollschub ab, zielte mit ausgestrecktem Arm und schoß in Richtung der Maahks. Tropp tat das gleiche. Wir schssen, bis dort nur noch eine brodelnde Gluthölle war, dann flogen wir so schnell wie möglich wieder in die Deckung der FARNATHIA zurück. Immerhin mußten wir damit rechnen, von der Nabe aus beschossen zu werden. Als alles ruhig blieb, holten wir Farnathia und Correson aus ihrer Deckung, brachten sie zu unserem Staubei und flogen damit zum Ausgangspunkt unserer Operation zurück. Wir hatten etwa drei Viertel der Strecke bis zum Asteroidenstrom zurückgelegt, als die übrigen Zaradhoum ihre Deckung verließen und sich ungestüm auf die Kampfstation stürzten. Unter dem Feuer ihrer Geschütze sowie dem Aufprall von durch Staubeier gravomechanisch
stark beschleunigten Felsbrocken von vielen Kilometern Größe löste sich die Station nach und nach in größere und kleinere Trümmer und Gaswolken auf. Meiner Ansicht nach hätten sich die Piraten die Attacke sparen können. In der Station hatte es sicher keine weiteren lebenden Maahks gegeben, sonst hätten sie sich an dem Angriff auf uns beteiligt. Als wir unsere Staubeier an einem Felsbrocken verankert hatten, klappten Farnathia und ich unsere Druckhelme zurück. Weinend sank sie in meine Arme. Ich küßte sie zärtlich und sprach beruhigend auf sie ein, bis ihr Tränenstrom versiegte und ein zaghaftes Lächeln ihr Gesicht erhellte. Ich lauschte ihrem Bericht: Die FARNATHIA war hilflos umhergewirbelt worden; ein hyperenergetischer Strom hatte sie schließlich nach der Irrfahrt eingefangen und gegen die Speichen der Maahkstation geschleudert. Nachdem ich ihr meinerseits von meinen Abenteuern bei den Piraten berichtet hatte, meldete sich Hanwigurt Sheeron über Funk und verkündete atemlos und schwitzend: »Die Station der Maahks ist vernichtet!« Ich unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, daß er höchstwahrscheinlich nur eine leere und unbrauchbare Station zerstört hatte. Warum sollte ich ihm nicht seinen Triumph gönnen? »Ich gratuliere! Denken Sie daran, was wir vor dem Heimflug noch erledigen müssen?« »Natürlich. Diesmal bleibt der Verband zusammen. Wir brechen sofort zum Raumschiff der Metallspinnen auf.« Der Flug zum Raumschiff der Metallwesen verlief normal, soweit man einen Flug durch die Energie- und Hyperstürme sowie Dunkelmaterieballungen der Sogmanton-Barriere überhaupt als normal bezeichnen konnte. Dennoch hätten wir unser Ziel wahrscheinlich erst nach längerer Suche gefunden,
hätte Tropp es nicht durch die Aussetzung einer Hypersignalboje markiert. Grund dafür war, daß sich das Aussehen der Wolke verändert hatte: Der am Ende verdickte Arm aus staubförmiger Materie war verschwunden. Dafür ragten zwei riesige Gebilde heraus, die den Hörnern der wilden Vorfahren unserer Parkrinder glichen. Die nur schwach gestörten Impulse der Hypersignalboje verrieten uns jedoch, daß es sich um die gesuchte Staubwolke handeln mußte. Allerdings kamen die Signale von drei verschiedenen Stellen innerhalb der Wolke. »Hyperechoeffekt«, erläuterte Sheeron über Funk. »Es ist nicht das erste Mal, daß wir dadurch genarrt werden. Die Signale werden von einer hyperenergetischen Spiegelschicht reflektiert, in diesem Fall sogar von zwei Spiegelschichten.« »Gibt es keine Möglichkeit, die Echos von den primären Signalen zu unterscheiden?« erkundigte ich mich. »Nein. Jedenfalls kennen wir noch keine. Uns bleibt weiter nichts übrig, als uns in drei Gruppen aufzuteilen. Dadurch sparen wir Zeit. Die Gruppe, die das Schiff findet, ruft die anderen herbei.« Er teilte den Verband auf. Tropp wurde der Gruppe des Piratenführers zugeteilt. Bald darauf tauchten unsere Fahrzeuge in den rötlich-fahl schimmernden Staubbrei ein. Farnathia lehnte sich an mich. Sie war offensichtlich ebenso glücklich wie ich, daß wir wieder zusammen waren. Wahrscheinlich hielt sie uns für endgültig gerettet. Ich war in dieser Hinsicht skeptisch. Weiterhin wollte ich nicht ausschließen, daß Sheeron uns auslieferte, um die Kopfprämie zu kassieren, deren astronomische Höhe auch für einen wohlhabenden Piraten eine unwiderstehliche Verlockung darstellen mochte. Diese Überlegungen verschwieg ich jedoch vor Farnathia. Sie hatte Schlimmes hinter sich, und ich war bemüht, alles von ihr fernzuhalten, was sie erneut belasten
würde. Während Tropp unser Staubei durch den Nebel manövrierte, traten meine Sorgen jedoch in den Hintergrund. Ich kontrollierte die Ortungsgeräte und hatte damit vollauf zu tun, denn wie beim ersten Mal wurden wir von den unterschiedlichsten energetischen Phänomenen irritiert. Einmal fingen wir sogar den Notruf eines Raumschiffes auf, der in einer Sprache abgefaßt war, die wir nicht kannten, die aber unserer arkonidischen Sprache ähnelte, so daß wir wenigstens den Sinn der Botschaft verstehen konnten. Danach war ein Raumschiff mit dem Namen DRORAH infolge Maschinenschadens verunglückt. Die Lebenserhaltungssysteme würden nur noch kurze Zeit arbeiten, so daß die Besatzung dem Tod geweiht war. Der Kommandant strahlte deshalb nach dem eigentlichen Notruf eine Nachricht aus, die er für wichtig zu halten schien: Sie besagte, er habe eine Information erhalten, der zufolge Kundschafterschiffe eines fremdartigen Volkes im TaponarSektor gesichtet worden seien. Ich erinnerte mich an meine historischen Unterweisungen. Danach waren die ersten Angriffe der Methans aus dem Taponar-Sektor erfolgt: Schon zur Regierungszeit von Imperator Arthamin I. vor über hundert Arkonjahren hatte es die ersten militärischen Auseinandersetzungen zwischen uns und ihnen gegeben. Die inzwischen Methankrieg genannte Eskalation begann vor vierzig Arkonjahren. Nie hatte das Große Imperium eine Vorwarnung erreicht, daß maahksche Kundschafter den Taponar-Sektor durchkreuzt hatten. Die Botschaft, die wir auffingen, mußte also uralt sein und war vermutlich im Hyperraum gespeichert worden, von wo sie in bestimmten zeitlichen Abständen durch Echoeffekte in den Normalraum gestrahlt wurde. Welcher galaktischen Zivilisation die DRORAH angehört
hatte, blieb uns ein Rätsel. Sie war uns gegenüber niemals in Erscheinung getreten – und doch mußte sie schon vor Beginn des Methankrieges die interstellare Raumfahrt beherrscht und Schiffe in viele Sektoren der Galaxis geschickt haben. Wieder eines der großen Rätsel, die oft gar nicht oder erst in ferner Zukunft gelöst wurden… Sofern es für die sauerstoffatmenden Intelligenzen dieser Galaxis noch eine Zukunft gibt! Nach langem Umherkreuzen erreichte unseren Verband endlich die Nachricht, daß eine andere Gruppe das Schiff der Chems gefunden hatte. Es dauerte sechs Tontas, bis sich alle Staubeier um das dreihundert Schritt durchmessende Kugelschiff versammelt hatten. »Da ist es!« sagte Sheeron befriedigt. »Hemata, die Staubeier deiner ursprünglichen Suchgruppe sind als einzige mit Fusionsraketen ausgerüstet.« »Nur zwei Schiffe. Jedes hat acht Raketen mit einer Energieentfaltung von fünfzigtausend Megatonnen chemischen Sprengstoffs.« Sheeron holte tief Luft. »Dann sollen beide Schiffe alle sechzehn Raketen gleichzeitig auf jenen Sektor des Kugelschiffes abfeuern, in dem sich normalerweise die Deuteriumstanks befinden. Vielleicht – hoffentlich – gibt es noch einige gefüllte Tanks. Von dem Kugelschiff darf kein Trümmerstück übrigbleiben.« »Hältst du diese Chems wirklich für so gefährlich?« Der Piratenführer lachte humorlos. »Gefährlich ist noch ein sehr milder Ausdruck. Sollten auch nur einige wenige dieser Metalldinger ›überleben‹, sehen wir uns eines Tages einer Invasion gegenüber, gegen die die der Maahks harmlose Manöverspiele wären.« »Das ist sogar noch untertrieben«, murmelte ich. Wir zogen uns so weit von dem Kugelschiff zurück, daß unsere Geräte den Ortungsreflex gerade noch einwandfrei
empfingen. Lediglich die beiden mit Fusionsraketen bestückten Staubeier aus Hematas Gruppe blieben näher am Ziel, damit sie ihre Geschosse genau auf die vorgesehenen Punkte feuern und notfalls durch Fernsteuerung korrigieren konnten. Als auf dem Tasterschirm zwei Schwärme von je acht Reflexpunkten auftauchten und sich rasch dem Kugelschiff näherten, empfand ich Bedauern darüber, daß so etwas Wunderbares wie anorganisches »Leben« der Vernichtung preisgegeben werden mußte. Kurz darauf verschmolzen die sechzehn Reflexpunkte mit dem des Zieles, weit voraus entstand im bleichen Dämmerschein des Nebels eine punktförmige Lichtquelle, die zuerst zu einem strahlenden Ball wurde und sich dann ruckartig ausdehnte. Die Deuteriumvorräte des Kugelschiffes waren in den Kernverschmelzungsprozeß gerissen worden. Vom Schiff und den Chems blieb nichts übrig als eine Plasmawolke, die schnell erkalten würde. »Erledigt«, sagte Sheeron. »Abdrehen und zurück zum Stützpunkt!« Wir blieben zusammen und verließen im Formationsflug die bleiche Nebelwolke. Als wir in die Strahlen der drei roten Sonnen eintauchten, schrien einige der Piraten in den Schiffen erschrocken auf. Farnathia umklammerte meinen Arm und blickte aus schreckgeweiteten Augen auf die leuchtenden Gebilde, die gleich riesigen Schneeflocken auf unseren Verband herabsanken. Gantries! Einer der Staubei-Piloten eröffnete das Feuer aus der Impulskanone. Das getroffene Leuchtgebilde blähte sich auf, streckte sich und huschte auf der plötzlich sichtbaren Strahlbahn zu dem Schiff. Im nächsten Augenblick waren Schiff und Gantrie verschwunden. »Rette sich, wer kann!« schrie Sheeron mit entstellter Stimme, die ich beinahe nicht erkannt hätte.
Es hätte dieser Aufforderung nicht mehr bedurft. Die meisten Zaradhoum beschleunigten bereits, auch unseres. Einige kurvten allerdings wild durcheinander. Anscheinend waren ihre Piloten in Panik geraten. Es war klar, daß die Gantries es auf uns abgesehen hatten. Sie waren in riesiger Zahl gekommen und stürzten sich zielbewußt auf die Staubeier. Wo eines der Leuchtwesen ein Schiff berührte, verschwanden beide von einem Augenblick zum anderen aus dem Standardkontinuum. Tropp bot alle seine Künste und Tricks auf, um Gantries und unkontrolliert herumrasenden Staubeiern auszuweichen. Er verlor nicht die Nerven, sondern verschmolz mit unserem Schiff förmlich zu einer Einheit. Endlich konnten wir zur Nottransition ansetzen. Und wir kamen in einem ruhigen Raumsektor heraus, orientierten uns und kehrten mit drei genau berechneten Transitionen an den Ausgangspunkt der Suchaktion zurück. Als vor uns Richmonds Teaultokan auftauchte, hatte ich beinahe das Gefühl, als kehrte ich nach Hause zurück. Farnathia musterte verwundert den Asteroiden, der an eine bauchige Flasche erinnerte. Ich erklärte ihr, daß es sich um den Schlupfwinkel der Sogmanton-Piraten handelte, daß diese jedoch keine Mordbrenner seien, sondern genaugenommen nur ohnehin verlorene Raumschiffe ausschlachteten. »Sie haben ein gefährliches Leben gewählt, weil sie frei und unabhängig sein wollen«, schloß ich. »Gelänge es mir, sie zu meinen Verbündeten zu machen, wäre ich schon einen großen Schritt weiter auf dem Weg zur Befreiung des Großen Imperiums von Orbanaschols Gewaltherrschaft und solchen Sadisten wie dem Blinden Sofgart.« Farnathia lehnte sich an mich. »Du wirst dein Ziel erreichen, Allan.« Ich blickte hinab auf die Oberfläche von Richmonds Schloß,
die Raumschiffsteile und Wracks. Wir sanken langsam tiefer, und kurz darauf tauchten über und hinter uns weitere Staubeier auf und sammelten sich über dem Asteroiden. Insgesamt kehrten von den sechzig aufgebrochenen Staubeiern sechsundvierzig zurück. Vierzehn Schiffe mitsamt ihrer Besatzung verloren! Sheeron war außer sich, machte mir noch vor der Landung über Funk heftige Vorwürfe, bis ich ihn unterbrach: »Mich schmerzt der Verlust dieser tapferen Männer ebenfalls, Sheeron, auch wenn ich nur wenige von ihnen persönlich gekannt habe. Aber die Gefahren der Barriere sind nicht mein Werk. Sie setzen sich ihnen laufend aus.« Der Piratenführer beruhigte sich sofort. »Ich danke Ihnen und Ihren Männern. Sie haben mein Versprechen, daß ich mich für Ihre Hilfe erkenntlich zeigen werde, sobald ich dazu in der Lage bin. Aber damit ich in diese Lage komme, benötige ich noch einmal Ihre Hilfe. Ich brauche ein Schiff – oder eine Funkverbindung.« Sheeron sah mich vom Bildschirm her mit undurchdringlichem Gesicht an. »Ich werde Ihnen weiterhin helfen, Kristallprinz. Aber erst einmal landen wir.« »Wie geht es weiter?« fragte Farnathia. Ich legte meinen Arm um ihre Schultern. »Es wird alles gut werden; niemand und nichts soll uns mehr trennen!«
9. Es war programmiert worden! Es kannte seinen Auftrag, kannte sein Opfer. Es war ihm bis zur kleinsten Zellinformation vertraut. Es spürte seine warme Nähe, die kreatürliche Angst und Abwehr. Das fremde Blut vermittelte ihm ein Gefühl der Geborgenheit. Es fühlte sich sicher und doch unendlich hungrig. Der Hunger wurde
übermächtig. Es wollte seine Nahrungstentakel in das fremde Fleisch bohren. Doch plötzlich wurde es von einem hypnotischen Peitschenschlag durchzuckt. Es zog sich zusammen. Angst durchpulste seinen kleinen Körper. Es durfte noch nicht zerstören. Sofgart hatte den Zeitpunkt seines Einsatzes genau bestimmt. Bis dahin mußte es von seinen körpereigenen Nahrungsreserven zehren. Es war dazu verdammt, sein Opfer in Sicherheit zu wiegen. Eine Vorstellung, die trotz seiner Angst grenzenlose Wut in ihm erzeugte. Wenn es einmal soweit war, würde es mit aller Gier, die ihm zur Verfügung stand, über sein Opfer herfallen. Dann würde es nichts mehr geben, was sein einmal begonnenes Zerstörungswerk aufhalten konnte. Die biologische Zeitbombe des Blinden Sofgart tickte… Richmonds Teaultokan: 3. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Irgendwo in der kosmischen Staubballung der SogmantonBarriere, fern von den Sternen der Öden Insel, umgeben von den geisterhaften Hyperenergieerscheinungen, ein Gefangener der Magnet- und Hyperstürme, Aufrißerscheinungen und absonderlichen Phänomene. Tatsächlich aber geborgen in der Luftblase von Richmonds Schloß, ausgeschlafen, satt, allein mit meinen Gedanken: Ich wußte plötzlich, daß irgend etwas anders war. Deine Nerven sind überreizt! behauptete mein Extrasinn. Kein Wunder nach den Erlebnissen der letzten Zeit. Ich wurde von den Piraten freundlich und zuvorkommend behandelt. Sie ließen es mir an nichts fehlen. Der Nahrungsspender lieferte mir jede arkonidische Kostbarkeit, die ich mir nur vorstellen konnte. Natürlich mußte ich das Programm kennen. Fast fühlte ich mich hier schon wie zu Hause. Willst du bei den Piraten bleiben? Mein Extrasinn brachte mich
immer wieder auf den Kern des Problems zurück. Der Aufenthalt in Richmonds Schloß mußte von begrenzter Dauer sein. Ich hoffte es jedenfalls, denn wenn Sheeron kein falsches Spiel mit mir trieb, würde das alles bald vergessen sein. Neben mir lagen die neuesten Speicherkristalle mit arkonidischen Trivid-Epen. Ich brauchte sie nur in den Eingabeschlitz des Wiedergabegeräts zu schieben. Doch ich verzichtete darauf. Hast du keine Unterhaltung nötig? Ich mußte unwillkürlich grinsen. Der Logiksektor war ein kritischer Begleiter, der mich immer wieder auf unlogische oder unbewußte Reaktionen hinwies. Seine bohrenden Impulse waren mir längst vertraut und unentbehrlich geworden. Ich freute mich auf Farnathia. Zu lange hatten wir uns nicht gesehen; die Rettungsaktion hatte uns keine Zeit für lange Erklärungen gelassen. Es ist so viel ungesagt geblieben, was uns beiden wichtig und lieb ist. Ich habe um ihr Leben gebangt, mich nach ihrer warmen Nähe gesehnt. Doch sie war unerreichbar fern. Es kommt mir nachträglich wie ein Wunder vor, daß ich sie aus den Krallen des Blinden Sofgart befreien konnte. Jetzt war sie ganz in der Nähe, in der Kabine gleich neben meiner. Sie wollte schlafen, sich erholen. Die schrecklichen Erlebnisse der Gefangenschaft waren ebenso wie die Pragos an Bord der FARNATHIA nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Farnathia war reifer geworden, hatte mit ansehen müssen, wie Sofgart seine Gefangenen folterte. Das alles hatte nachhaltige Spuren in ihrer Psyche hinterlassen. Doch ihre Liebe zu mir hatte sie aufrecht gehalten. Sie hatte gelitten, wie nur ein Wesen leiden konnte, war von Sofgart beeinflußt worden. In ihren Augen hatte so viel Traurigkeit gelegen, daß ich kaum etwas Tröstendes hatte sagen können. Ich kannte ihre Angst vor einer erneuten Trennung. Doch sie war zu erschöpft gewesen, um darüber zu sprechen; der Schlaf hatte ihre Sorgen vorerst beendet.
Vor meiner Kabinentür liefen die Energiekontrolleure des Wohntraktes vorbei. Ihre Haftschuhe erzeugten einen metallischen Klang. Der Trupp bestand aus etwa zehn Spezialisten, die regelmäßig alle Lebenserhaltungssysteme kontrollierten. Sie waren unter anderem dafür verantwortlich, daß die Frischluftzufuhr konstant blieb. Sie warnten uns auch vor hyperenergetischen Beben und Stürmen, die alle positronischen Geräte und die auf Hypertechnik basierenden Aggregate beeinflußten. Richmonds Schloß war gesichert, dennoch nicht hundertprozentig gegen die Einflüsse immun. Sheerons Piraten lebten mit diesem Risiko. Jeder Beutezug in ihren Zaradhoum war ein Kampf auf Leben und Tod. Es spielte keine Rolle, ob sie gegen fremde Intelligenzen kämpfen mußten oder ob sie mit geheimnisvollen Naturerscheinungen der Barriere konfrontiert wurden. Alles innerhalb der kosmischen Staubballung war gefährlich. Hier jagte der Hyperraum seine energetischen Ladungen in das Standarduniversum und ließ organisches Leben zu unfaßbaren Entartungen mutieren. Was wissen wir denn schon vom Hyperraum? Ich drehte mich um. Die Ruheperiode war bald zu Ende, dann wollte ich sofort zu Farnathia gehen. Sie würde ausgeruht sein, und wir konnten über alles sprechen. Plötzlich erstarrte ich. Kein Gedanke mehr an Farnathia. Jetzt wußte ich, was mich seit einigen Augenblicken gestört hatte. In meiner Kabine stand etwas, das vorhin noch nicht dagewesen war, obwohl ich mir ganz sicher war, die Verriegelung der Tür aktiviert zu haben. Vorsichtig richtete ich mich auf, die Rückenlehne der pneumatischen Liege kippte in ihre Normallage zurück. Aus der elektrostatischen Luftreinigungsanlage wehte mir ein erfrischender Luftstrom entgegen. Der Extrasinn sagte: Die Schrankablage aus Gußplastik!
Daß ich nicht von selbst darauf gekommen war, wunderte mich. Meine Hand wischte automatisch über den Berührungssensor; zwei Leuchtstoffröhren flammten auf. Der hüfthohe Schrank glänzte schwarz. Die Modefarbe des Hofdesigners Interschonalbal, dachte ich. Eigentlich war nichts Außergewöhnliches an dem zierlichen Möbelstück, bis auf die Tatsache, daß es vor kurzem noch nicht im Raum gestanden hatte! Ich trat nachdenklich an das Ding heran. Plötzlich durchfuhr mich Frösteln. Das Material kam in Bewegung, zuckte und vibrierte. Winzige Poren durchbrachen seine vorher makellose Oberfläche. Dann war es wieder vorbei, und der Schrank stand unverändert an seinem Platz. Ich dachte an den Piratenführer. Die Undurchschaubarkeit dieses kleinen, fetten Arkoniden hatte mich von Anfang an verunsichert. Es ist kein besonders angenehmes Gefühl, auf sein Wohlwollen angewiesen zu sein. Die Zweifel wurden nicht geringer, als ich von seinen Telepathiefähigkeiten erfuhr; ich hatte meinen Monoschirm geöffnet, er wußte, daß ich der Gos’athor war. Wird er mich an Sofgart ausliefern? Hat er den Schrank in mein Zimmer geschmuggelt, als ich schlief? Ein Abhörmechanismus unbekannter Bauart? Ein Gerät, müdem er meine Gefühlsregungen sondieren kann? Narr! wisperte der Extrasinn. Dazu braucht er keine Schränke! Es genügen Mikrodetektoren! Also kein Psychospion. Was dann? Ich zog mein Mikroortungsgerät aus dem Aggregatgürtel. Auf Daumendruck erwachte es zum Leben, würde jeden metallischen Gegenstand bis hin zu mikroskopischen Größen orten und unschädlich machen. Der erwartete Summton blieb aus. Die Situation war völlig unlogisch. Ich konnte die schmalen Stahlgriffe auf der Vorderseite des seltsamen Möbelstücks deutlich sehen. Spielt mir die Phantasie einen Streich?
Ich wollte schon die Interkom-Verbindung zu Sheerons Zentrale herstellen, als mich ein Rascheln zusammenzucken ließ. Der schwarze Schrank löste sich auf. Seine Konturen verschwammen, machten einer klebrigen, zähflüssigen Masse Platz. Das Ding schillerte in allen Farben des Spektrums und verströmte einen intensiv nach Schwefel riechenden Dampf. Wenige Augenblicke später war nur noch ein großer Klumpen organisch zuckender Masse übrig, deren Oberfläche sich in ständiger Bewegung befand. Jetzt wußte ich, wer da zu mir hereingekommen war: Morgus. Das veränderliche Wesen konnte sich verwandeln. Seine Körperzellen hatten die erstaunliche Fähigkeit, sich durch Gedankenimpulse zu jeder beliebigen Gestalt und Form aneinanderzureihen. Morgus konnte meine Gestalt annehmen, er konnte Sheeron oder sonst irgendeinen Piraten nachahmen. Es fiel erst dann auf, wenn man mit dem Wesen reden wollte, denn es konnte keine akustischen Signale weitergeben, weil die rasch nachgebildeten Sprechwerkzeuge nur gurgelnde Geräusche zustande brachten. Sheeron sprach zwar mit dem durchaus intelligenten Wesen, konnte aber offenbar auch telepathisch mit ihm kommunizieren. Ein gallertartiger Pseudoarm zuckte auf mich zu. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Obwohl ich wußte, daß an diesem Wesen nichts Gefährliches war, empfand ich einen undefinierbaren Ekel. Morgus mußte das sofort bemerkt haben, denn er stabilisierte seine Körperoberfläche. Aus der gallertartig schimmernden Zellfläche wurde ein glänzender Kristall, der im Licht der Deckenbeleuchtung aufblitzte. Mißtrauisch und arrogant wie alle Arkoniden! Meine Hand lag auf dem Kristallkörper, den Morgus jetzt darstellte. Die Gedankenimpulse kamen zuerst zögernd, tasteten die Barriere meines Monoschirms ab. Jetzt konnte ich
ihn besser verstehen. »Warum bist du hergekommen?« fragte ich den Veränderlichen, den ich bislang nur als halbintelligentes Tier eingestuft hatte. Mein Extrasinn sorgte dafür, daß nichts von meinen wahren Gefühlen in die telepathische Verbindung einfloß. Bist mir sympathisch! Ich mußte lachen. Die Vorstellung, zu diesem Wesen eine Beziehung zu haben, erheiterte mich. Sheeron hatte nicht gesagt, woher er den seltsamen Veränderlichen hatte. Stammt er aus einem Beutezug in der Barriere, oder hat Sheeron ihn bei einem Ausflug auf einen Kolonialplaneten erworben? Nein! kam der Telepathieimpuls. Ich gehörte einst einem Mann, den du sehr gut kennst. Morgus vermittelte mir ein Gefühlsbild, das mich an eine ganz bestimmte Person erinnerte. Plötzlich mußte ich an Corpkor denken, an das Zusammentreffen mit dem galaktischen Kopfjäger und Tiermeister. Seine Tierarmee hatte uns das Leben schwergemacht. Sollte Morgus Corpkor gehört haben? Der Veränderliche bestätigte meine Vermutung in keiner Weise. Im Gegenteil. Für wenige Augenblicke zog er seine telepathischen Fühler zurück und überließ mich meinem Zweifel. Hätte er tatsächlich einmal zu Corpkors Tierarmee gehört, waren Sheeron und der Kopfjäger Freunde. Oder Feinde. Ich tappte im dunkeln und würde diese Verbindung wahrscheinlich niemals ganz erklären können. Ich war bei Farnathia. »Was wolltest du bei ihr?« Morgus ist neugierig, Atlan! Natürlich konnte ich keine detaillierten Angaben von diesem Mimikrywesen erwarten, das offensichtlich viel intelligenter war, als ich gedacht hatte. Meine einmal geweckte Neugier ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Vielleicht konnte mir dieses Wesen mehr verraten, als Sheeron jemals zulassen würde, und
spielte den Gelassenen. »Also… was willst du?« Seine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Farnathia hat sich verändert! Morgus überschwemmte mein Bewußtsein mit zum Teil gegensätzlichen Eindrücken. Es entstanden Bilder, die Farnathia zeigten, wie ich sie in Erinnerung hatte. Dann ihre Gestalt, kurz nachdem sie aus der Sogmanton-Barriere gerettet worden war. Sie wirkte müde und abgekämpft, doch ihre Augen verrieten die Wiedersehensfreude. Das war vor der Ruheperiode gewesen. Das Gedankenbild, das Morgus jetzt in mein Bewußtsein projizierte, ließ mich erschauern. Ich war entsetzt, denn das konnte niemals meine geliebte Farnathia sein. Morgus zeigte mir ein Wrack, eine sterbenskranke Arkonidin, der selbst ein Ära kaum mehr als ein halbes Arkonjahr gegeben hätte! Das Bild verblaßte und verschwand aus meinem Bewußtsein, als Morgus die telepathische Verbindung unterbrach. Er schien mein Entsetzen und die damit verbundenen Gefühlsregungen nicht auf sich einwirken lassen zu wollen, aber das Gesehene hatte sich mir tief ins Bewußtsein eingebrannt. »Farnathia!« stöhnte ich leise. Das mußte ein Alptraum sein. Dieser verdammte Metabolische hat mit meinem Entsetzen einen Scherz getrieben. Ich stieß die schillernde Kristallkugel beiseite. Morgus verwandelte sich abrupt in einen zähen Schleimbrei, der durch die Ritzen der Klimaanlage sickerte. Wenig später war von ihm nichts mehr zu sehen. Nur ein schwacher Schwefelgeruch erinnerte noch an seine Anwesenheit. Das Bild der veränderten Farnathia ließ sich nicht aus meinem Bewußtsein verdrängen. Ich fuhr mir durch die Haare; ich zitterte und rannte kurz entschlossen aus der Kabine. Draußen wäre ich beinahe mit einem Piraten zusammengestoßen, der neben der Tür stand. »Halt! Gehen Sie zurück!« befahl der Bursche. Seine
blaßblaue Hautfarbe und die Schlangenmontur verrieten mir, daß ich es mit einem Zarltoner zu tun hatte, die als harte Kämpfer bekannt waren. Kein Wunder, daß Sheeron sie sich nach dem Verlust der Phalanen als Leibgardisten verpflichtet hatte. Die flimmernde Mündung eines Strahlers zeigte auf meine Brust. »Sie dürfen jetzt nicht heraus!« Der schwere Strahlenkarabiner polterte auf den Boden, als Correson den Zarltoner mit einem Handkantenschlag ins Reich der Träume schickte. Lachend rieb er sich den Handrücken. »Sieh mich nicht so überrascht an, Atlan! Ich bin kein Geist!« Ich mußte lächeln. »Hast du nichts von dem Generalalarm gehört?« Ich schüttelte den Kopf. »Anscheinend will Sheeron nicht, daß ich ihm bei irgend etwas dazwischenfunke!« »Das glaube ich nicht. Überall ist der Teufel los. Ich wollte meine Kabine verlassen, als ein verrückt gewordener Roboter durch den Gang raste. Die Piraten haben das Ding sofort zusammengeschmolzen!« Ich rief mir in Erinnerung, was ich über Richmonds Schloß wußte: Abgesehen von den »Nestern« in den Raumschiffen und Wracks an der Oberfläche gab es die in das Innere des Asteroiden gefrästen Etagen. Nahe der Oberfläche waren Sheerons Kommandoeinheiten angesiedelt, der persönliche Stab des Piratenführers hatte mehrere Säle für sich in Beschlag genommen. Außer einigen Maschinenräumen, deren Funktion ich nur erahnen konnte, gab es dort oben kaum etwas Geheimnisvolles. Anders war es mit den tiefer gelegenen Stockwerken. Da gab es Gänge und Schächte, die seit Jahren oder Jahrzehnten von keinem Piraten mehr betreten worden waren. Längst vergessene Materiallager, unbrauchbare Beutestücke und sogar Raumschiffsteile waren hier deponiert worden. Ich
fragte mich, ob Sheeron tatsächlich den Überblick über diesen riesigen Irrgarten hatte. Obwohl Sheeron der Anführer der Piraten war, ließ sich nicht leugnen, daß es mehrere rivalisierende Gruppen gab. Sollte sich eine dieser Cliquen seinen Befehlen widersetzt haben? Ich konnte diese Möglichkeit nicht außer acht lassen. »Weißt du etwas Näheres? Proben ein paar Piraten den Aufstand?« »Das glaube ich nicht. Als ich meinen Raum verlassen wollte, tauchte ein Bewaffneter auf, der mich daran hindern wollte, zu dir zu kommen. Dem Kerl ist es schlecht bekommen.« Correson lachte leise. »Er wird eine Zeitlang Kopfschmerzen haben.« »Gut gemacht! Aber ich kann mir immer noch nicht erklären, was das zu bedeuten hat. Warum sollte Sheeron uns einsperren?« Wir waren genauso schlau wie vorher. Ich berichtete Correson von meinem Zusammentreffen mit Morgus. Er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Jetzt, da du es mir sagst, erscheint mir das Ganze nicht mehr zufällig. Irgend etwas stimmt mit Farnathia nicht. Sie war ständig müde, niedergeschlagen und irgendwie anders. Ich kann es nicht genau erklären…« »Versuche, dich genau zu erinnern.« Er zuckte mit den Achseln. »Sie klagte über Alpträume, aber etwas Genaueres konnte sie nicht sagen. Ich habe mir natürlich keine weiteren Gedanken gemacht. Wer einmal auf der Folterwelt war, ist nie mehr derselbe, der er einmal war. Und dann die Unsicherheit und Angst in der Barriere, die Kampfstation der Maahks…« Erbrach ab. Leidet Farnathia unter einem Trauma, dessen Ursprung in den Erlebnissen auf Ganberaan zu suchen ist? Weshalb aber hat Morgus mir das Bild der schrecklich veränderten Farnathia vermittelt? Nur sie selbst konnte darüber Auskunft geben,
obwohl mich der Logiksektor an Axyms Prophezeiung erinnerte. »Komm!« forderte ich Correson auf. »Wir gehen zu Sheeron; ich will wissen, was los ist. Egal, ob die Burschen Generalalarm haben oder nicht. Ich werde diesem fettbäuchigen Oberpiraten zeigen, mit wem er es zu tun hat!« Correson begleitete mich zum Antigravschacht. Wir blickten nicht zurück. Unsere Gedanken waren bereits bei Farnathia, zu der wir beide enge, aber doch grundverschiedene Beziehungen unterhielten. Ich liebte Farnathia, Correson war wie ein Bruder zu ihr. Er hatte sie beschützt, als die Träume von der Folterwelt ihre sensible Psyche gequält hatten, als ich nicht bei ihr sein konnte. Er hatte ihr Mut zugesprochen, als sie mit ihrem Schicksal haderte. Während wir im Antigrav schwebten… … starb vor meiner Kabinentür der Zarltoner in den Klauen eines Ungeheuers. Der Körper blutete an mehreren Stellen. Er hätte eigentlich längst tot sein müssen, doch eine geheimnisvolle Kraft hielt ihn auf den Beinen. Die schmierig glänzenden Klauen packten den unglücklichen Zarltoner und brachen ihm das Genick. Sein Schrei erstickte in einem Gurgeln. Dann wurde es still. Das Ungeheuer zerrte den Toten durch den Gang. Eine blutige, schleimige Spur blieb auf dem Plastikboden zurück. Sonst nichts. Der Zarltoner wurde nie wiedergesehen… Aufgeregte Stimmen empfingen uns in der Kommandoetage. Bewaffnete Piraten liefen an uns vorbei oder stürmten aus den angrenzenden Antigravschächten. Einige von ihnen trugen rußgeschwärzte Kombinationen. »Was ist hier los?« Ich packte eine junge Arkonidin am Arm. Sie sah mich nur kurz an, in ihren Augen stand nacktes Entsetzen. Ein blutiger Riß zog sich über ihre Wange.
»Die… Ungeheuer sind ausgebrochen!« brachte sie stammelnd hervor. »Welche Ungeheuer?« Sie entwand sich meinem Griff und lief den anderen nach. Correson machte ein nachdenkliches Gesicht. Was mag die Piraten so aufgeschreckt haben? Halb scherzhaft vermutete ich: »Dem Durcheinander nach zu urteilen, scheint Orbanaschols Flotte die Sogmanton-Barriere besetzt zu haben!« »Damit sollte man keine Witze machen!« Correson machte einen stark aufgeregten Eindruck auf mich. Er weiß mehr als ich! dachte ich. »Los, sag’s schon!« »Ich weiß nicht, ob es etwas mit dem Generalalarm zu tun hat… aber wir müssen mit allem rechnen!« Er brach ab und deutete auf die verlassene Kommandozentrale, die vor uns lag. Hinter transparenten Panzertroplonscheiben waren Positroniken, Bildschirme und lange Sitzreihen zu erkennen. »Sie haben hier einen Toten gefunden. Er war gräßlich zugerichtet!« Das war es also. Ein Unfall… oder ein Pirat, der zu lange der Hyperstrahlung ausgesetzt war und irgendwelche Hirndeformationen erlitten hat? »Trotzdem…«, meldete ich Zweifel an, »trotzdem verstehe ich nicht, daß Sheeron einen solchen Zirkus veranstaltet. Was ist schon ein Toter für die Piraten? Bei einem Beutezug müssen sie mit dem Verlust ganzer Schiffsmannschaften rechnen.« Ich wußte, daß ich recht hatte; mein Extrasinn gab einen zustimmenden Impuls. Hier ist etwas weit Schwerwiegenderes geschehen. So leicht lassen sich die Piraten nicht beeindrucken. Plötzlich bekam ich Angst um Farnathia. Sie ist noch in ihrer Kabine… »Farnathia…«, murmelte Correson. Ich nickte; wir verstanden uns. Ihr durfte nichts geschehen, egal, was die Piraten unter sich auszumachen hatten. Wir
liefen an dem verlassenen Kontrollzentrum vorbei Richtung Antigrav. Sheeron hatte anscheinend alle Wachmannschaften abgezogen. Irgendwie war das Ganze unheimlich. Wir standen vor einem Rätsel, denn wir hatten die Piraten als harte Kämpfer kennengelernt, die sich weder vor Erscheinungen aus dem Hyperraum wie den Gantries noch vor Fremdwesen oder Maahks fürchteten. Plötzlich blieb Correson stehen. Ich streifte ihn mit einem Blick und bemerkte, daß seine Augen tränten. Dann folgte ich seiner Hand. Was ich erblickte, ließ mich erstarren. Der glatte Boden des Verbindungsganges war blutverschmiert. Kombinationsfetzen waren verstreut. An der Wand hatten Krallen Kratzspuren hinterlassen. Und überall Blut. Mich fröstelte – hier mußten sich grauenhafte Szenen abgespielt haben. Ich wußte jetzt, weshalb Sheeron seine Leute aus diesem Trakt abgezogen hatte: Irgend etwas Unheimliches trieb hier sein Unwesen. Und Farnathia ist womöglich schon tot! Ich konnte den Gedanken daran nicht ertragen. Die Stille, die nur vom Rauschen der Luftumwälzanlage unterbrochen wurde, schmerzte plötzlich. »Los… wir haben schon zuviel Zeit verloren!« Das riß Correson aus seiner Erstarrung. »Das… das kann doch kein normales Wesen angerichtet haben!« stieß er würgend hervor. »Wer sollte solch ein Blutbad anrichten? Und zu welchem Zweck?« »Das werden wir später wohl oder übel erfahren. Jetzt ist mir Farnathia wichtiger. Komm schon!« Wir liefen durch den verlassenen Gang. Automatisch waren wir wachsamer geworden. Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete ich das halbdunkle Oval vor uns. Zwei Gänge zweigten ab. Nach links und nach rechts. Farnathia mußte rechts im dritten Raum sein. Wenn sie noch da war. Doch
außer uns schien niemand in der Nähe zu sein. Über uns drehte sich eine kleine Überwachungskamera. »Sheeron beobachtet uns!« stieß Correson hervor. Im gleichen Augenblick dröhnte die Stimme des Piratenführers durch den Verteiler: »Seid ihr wahnsinnig geworden? Ihr könnt da jetzt nicht herumlaufen!« Ich machte ein unbeteiligt wirkendes Gesicht. »Also gilt der Alarm auch für Gäste?« »Macht keinen Unsinn«, kam es aus den versteckt angebrachten Lautsprechern. Sheerons Stimme klang echt besorgt. »Ihr wißt ja gar nicht, was hier los ist.« »Dann erklären Sie’s uns.« »Ich habe keine Zeit. Verschwindet in der erstbesten Kabine und schließt euch ein! Wir holen euch nachher raus.« Ich will es hier und jetzt wissen! »Heraus mit der Sprache! Haben Sie Ärger mit Ihren Leuten, oder sind Gantries aufgetaucht?« »Wenn es nur das wäre…« Sheeron machte eine Pause. Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu finden, er wußte anscheinend selbst nicht genau Bescheid. »Ihr habt die Blutspuren gesehen. Eine Wachmannschaft wurde überfallen, und mehrere von ihnen wurden völlig zerrissen. Kein einziger kam mit dem Leben davon! Unseren Untersuchungen zufolge haben wir es mit einem Fall von Kannibalismus zu tun!« Es traf mich wie ein Hammerschlag, die Angst um meine Geliebte gewann erstickende Intensität. Aus den Lautsprechern kam das typische Schnaufen des dickleibigen Piratenführers. »Ich habe hier zwar kein Hotel für gestrandete Abenteurer, aber wenn es Sie beruhigt: Ich habe Ihre Kleine seit Beginn der Ruheperiode nicht gesehen. Sie war ja ganz fertig; total verfärbte Lippen. Hat wohl die Hyperstrahlung nicht vertragen.« »Sonst nichts?«
»Nein!« Sheeron wurde ungeduldig. »Seid jetzt vernünftig und geht in Deckung. Wir werden ein Kommando durch die Etage schicken und mit dem Spuk aufräumen.« Es knackte. Sheeron hatte die Verbindung abgeschaltet. Im gleichen Augenblick schrillte ein spitzer Schrei durch den Gang. Wir starrten erschrocken in das Halbdunkel. Die Türen waren verschlossen. Nirgendwo eine Bewegung. Nichts. »Das war Farnathia!« Wir rannten wie von allen Geistern der Sogmanton-Barriere gehetzt durch den Gang. »Farnathia!« sagte ich leise, der Raum lag halb im Dämmer. Sie mußte gehört haben, daß jemand die Tür geöffnet hatte, drehte sich jedoch nicht um. Rechts kauerte das Mimikrywesen auf der Liege. Morgus hatte die Form einer großen Spielpuppe angenommen, mit der Kinder auf Arkon I zu spielen pflegten. Will Morgus meine Farnathia etwa trösten? Ich konnte es mir nicht vorstellen. »Farnathia!« Correson zupfte mich am Ärmel und deutete auf die Splitter mehrerer zerplatzter Leuchtstoffröhren. Jemand hatte sie mit einem schweren Gegenstand zerstört. Auch der Spiegel befand sich nicht mehr in seiner Halterung. »Farnathia… ich bin es, Atlan!« Sie weinte, wollte sich noch immer nicht zu uns umdrehen. Morgus rollte von der Liege und streifte mein Bein, bildete einen Tentakel aus und versuchte die telepathische Verbindung herzustellen. Correson sagte: »Laß sie zufrieden… sie ist sehr krank!« Er wollte mich aus der Kabine zerren, doch ich gab seinem Drängen nicht nach. Sind denn hier alle verrückt geworden? Mit wurde heiß und kalt zugleich, ich begann plötzlich zu transpirieren, weil eine unerklärbare Unruhe von mir Besitz ergriff. Ich wollte meine
Hand auf Farnathias Schulter legen. Das hätte ich nicht tun sollen, denn sie sprang auf und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Wegen der Dämmerung konnte ich nichts Genaues sehen. Doch irgendwie wirkte ihr Körper ungelenk und steif, beinahe wäre sie gestolpert. Ihr Schluchzen wollte nicht aufhören. Morgus berührte mich immer noch. Seine Empfindungen waren ungeordnet und chaotisch, die telepathischen Symbole ergaben keinen Sinn. Das veränderliche Wesen war anscheinend ebenso erschüttert wie wir. »Sieh mich bitte an, Farnathia!« Sie antwortete schleppend, als habe sie Mühe, überhaupt einen Ton über die Lippen zu bringen: »Geh fort… Atlan! Bitte!« Ich wollte sie aufrichten, doch sie entwand sich meinem Griff. Sie zitterte am ganzen Körper, ihre Haut fühlte sich fiebrig an. Das ließ mir keine Ruhe; alles war so eigenartig, daß ich mir Klarheit verschaffen mußte. »Sieh mich nicht an! Bitte… Atlan! Ich bin nicht mehr die Farnathia, die du geliebt hast.« Sie versuchte verzweifelt, ihr Gesicht vor mir zu verbergen, doch es gelang ihr nicht. Die Beleuchtung des Ganges war erbarmungslos: Das Licht zeigte mehr, als mir lieb war. Farnathias Haut war von blaugeäderten Linien durchzogen. Die Gelenke zeigten dicke Schwellungen, Muskelstränge schoben sich pulsierend heraus und hatten die Haut an mehreren Stellen aufplatzen lassen. Von ihrer wohlgeformten Figur war nichts mehr zu erkennen. Und die Augen waren nicht mehr rötlich, sondern tintenblau. Ich war geschockt, wollte ihr helfen, war aber doch völlig hilflos. Ihr unförmiger Mund mit den dick geschwollenen Lippen versuchte Sätze zu formen, aber es kamen nur blubbernde Geräusche aus ihrer Kehle. Correson atmete schwer. »Wir brauchen einen Bauchaufschneider.«
Natürlich, der Gedanke, einen Arzt zu konsultieren, war der naheliegendste. Aber es fragte sich, ob es hier einen Spezialisten gab, der Farnathia helfen konnte. Ich vermutete, daß ihre Veränderung durch die intensive Hyperstrahlung der Sogmanton-Barriere hervorgerufen worden war. Und dagegen gab es kein Patentmittel. Vielleicht würde eine Ortsveränderung helfen. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich hätte jedes Risiko in Kauf genommen, nur um meiner unglücklichen Freundin zu helfen. Weil ich damit auch mir geholfen hätte! Hinter uns wurden schwere Schritte laut. »Was macht ihr hier noch? Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt in eure Kabinen gehen?« Sheeron höchstpersönlich mit seiner Leibgarde! Die beiden Wissenschaftler hatten Farnathia zu den Meßinstrumenten des Labors geführt. Das grelle Licht der Deckenbeleuchtung beschönigte und verbarg nichts: Farnathia sah bedauernswert aus. Irgendeine geheimnisvolle Kraft beherrschte ihren Körper und gab die Befehle einer Metamorphose. Auf den Bildschirmen der Meßinstrumente waren gezackte Linien zu sehen; Farnathias Individualschwingungen zeigten abnorme Werte. Das Schlimme dabei war, daß sich kein Krankheitsherd lokalisieren ließ, sondern ihr gesamter Stoffwechsel in völlig unlogischen Bahnen verlief. »Es läßt sich nicht mit einiger Sicherheit sagen, woran sie leidet.« Der Wissenschaftler seufzte. Auf dem Schirm schoben sich steil gezackte Linien über die regelmäßig pulsierende Kurve des IV-Musters. »Da, sehen Sie! Das haben wir eben auch schon mal gemessen. Es kommt in regelmäßigen Abständen wieder. Und jedesmal wird sie schwächer.«
Ich sah Farnathia in die Augen. Sie senkte den Kopf und wich meinem Blick aus. »Farnathia, du weißt doch etwas? Bitte, sag uns alles!« Sie schwieg. Die Ärzte wußten keinen Rat, lösten die Meßsonden und schalteten die Geräte aus, versuchten sich zu entschuldigen: »Wir sind keine Spezialisten!« »Was seid ihr denn? Scharlatane?« Mein Ausbruch kam plötzlich; sogar mein Extrasinn gab beruhigende Impulse ab. Ich war ungerecht; das hatten die Männer nicht verdient. Sie hatten getan, was in ihren Kräften stand. Meine Stimme klang rauh: »Tut mir leid.« »Schon gut. Sie müssen uns glauben, daß es uns ebenfalls leid tut. Wenn es einen Weg gäbe, ihr zu helfen – glauben Sie uns, wir hätten es versucht.« Ich drehte mich zu Sheeron um, der über Minikom zu seinen Einsatzgruppen sprach. Irgendwo im Labyrinth der Gänge hatte es wieder Opfer gegeben; eine Wachmannschaft hatte grausam verstümmelte Leichen gefunden. Sheeron reagierte wütend. Seine Hilflosigkeit war offensichtlich; er war jetzt der letzte, der mir einen Rat geben konnte, hatte ganz andere Sorgen.
10. Vor nicht allzu langer Zeit: ein kleines Raumschiff in der Sogmanton-Barriere. Ein Metallkörper im Chaos der Hyperstürme. Bedroht von hyperdimensionalen Leuchtwesen, den Gantries. Weit weg von Ganberaan, der Folterwelt des Blinden Sofgart – und doch in Verbindung mit dem haßerfüllten Folterer, trotz der Tausende Lichtjahre Distanz bis zu der Haßaura von Ganberaan. Das Grauen ließ sich nicht
mehr aufhalten. Es war hungrig, Hunger war sein einziger Lebensinhalt und machte es rasend. Hunger. Seine psionischen Tastversuche wurden heftiger, brutaler. Doch jeder Versuch wurde sofort im Keim erstickt. Es war noch nicht soweit. Die Sperre wies alle Anstrengungen zurück. Aber es konnte nicht mehr lange dauern. Das Ding spürte instinktiv, daß die Blockierung langsam nachließ. Warmes Blut umspülte seinen kleinen Körper. Trotz des brennenden Hungergefühls fühlte es sich irgendwie geborgen. Das fremde IVMuster, auf das es programmiert worden war, gab ihm die Gewißheit, daß sein Opfer nicht entkommen konnte. Sein plötzlicher Tod hätte ihm aber jede Existenzgrundlage geraubt. Das durfte nicht passieren. Es hatte Angst vor dem großen Hunger, den der Tod des Wirtskörpers mit sich bringen würde. Und Angst vor dem großen Hunger war das einzige Trauma dieser künstlich geschaffenen Kreatur. Diese Angst war ihm bei seiner Erschaffung mitgegeben worden, gehörte zu seinem Wesen. Die Angst vor dem Nahrungsentzug motivierte seine Aktivität. Sonst gab es nichts, was ihm irgendeinen Ansporn gegeben hätte. Es hatte keine Arme, keine Hände, keine Beine, keinen Kopf. Die ungezügelte Gier hatte es alle körpereigenen Nahrungsreserven assimilieren lassen. Mit ihrem Verbrauch wuchs die Angst. Auch das war von seinen Schöpfern vorausbestimmt worden. Es sollte im richtigen Augenblick wie ein Säurestoß durch den Körper seines Opfers rasen. Es sollte seine ganze aufgestaute Angst in einer einzigen Entladung freisetzen. Dieser Augenblick wurde sonst in gieriger Erwartung verfolgt. Vom Blinden Sofgart. Doch der war jetzt weit weg. Ihm war die Vorstellung von dem Schrecklichen Befriedigung genug, denn er konnte sich auf seine Folterknechte verlassen. Es nahm die unregelmäßig erfolgenden Stöße harter Hyperstrahlung wahr. Dazu benötigte es die Empfindungen seines Wirtskörpers. Es wußte nicht, was der Weltraum oder gar der Hyperraum war. Es kannte außer seiner eigenen Körpersphäre nur
die umhüllende Substanz des Opfers. Und noch war es nicht soweit, daß es durch die Augen seines Opfers hätte sehen können. Das verhinderte der Block Sofgarts. Draußen mußten sich die Ereignisse zugespitzt haben. Denn plötzlich empfand das Opfer Angst. Die Gefühlsregungen wurden stärker und steigerten sich bis zum Äußersten. Im gleichen Augenblick empfand auch das Ding Angst. Die Lebensangst seines Opfers ließ es um die lang ersehnte Nahrung bangen. Sein kleiner Körper zuckte unkontrolliert. Das rascher pulsierende Blut seines Opfers enthielt Adrenalin. Es wußte zwar nicht, was diese Substanz darstellte, es konnte lediglich seine Wirkung nachvollziehen. Und die war nicht beruhigend. Im Gegenteil. Die Sperre schwand langsam. Blut drang durch seine Poren und wurde sofort umgewandelt. Dadurch konnte der Hunger ein wenig gestillt werden. Die kurzfristig gewährte Nahrungsaufnahme vertrieb die Todesangst. Die Erwartung auf das endgültige Freiwerden der aggressiven Energie konnte etwas gebändigt werden. Aber wie lange noch? Die biologische Zeitbombe des Blinden Sofgart sollte bald detonieren! Ich war mit Farnathia allein. Correson stand vor der Tür und paßte auf, daß uns Sheerons Männer nicht störten, während ich Farnathias entstelltes Gesicht in den Händen barg. Sie konnte nur noch lallen. Mir wurde klar, wie unendlich viel zwischen uns ungesagt geblieben war. Und jetzt war es dafür zu spät, ich konnte das Versäumte nicht nachholen. Das war es, was mich rasend machte. Farnathia rückte in den Schatten, schämte sich. »Wenn ich dir helfen soll«, begann ich leise, »mußt du mir alles erzählen. Was ist in eurem Raumschiff passiert? Wart ihr längere Zeit der HyperStrahlung ausgesetzt?« Verzweifelt
suchte ich nach einer Erklärung für ihre Veränderung, konnte mir aber nichts anderes als die Nachwirkungen jener unbekannten Strahlung vorstellen, die ihre Körpersubstanz nachhaltig beeinflußt hatte. Oder hing es mit den Gantries zusammen? »Verstehst du mich? Dann nicke bitte.« Farnathia blickte mich traurig an. Ihre blauverfärbten Augen waren glanzlos und bleiern. Der Tod lag in ihnen oder die Anzeichen einer noch schrecklicheren Verwandlung. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Mir war auf einmal gleichgültig, ob mich Sheeron an den Blinden Sofgart ausliefern würde, ich wollte nur Farnathias Leiden beenden, wollte sie wieder zu dem machen, was sie einst gewesen war: die Frau, die ich liebte. Sie nickte langsam, sie verstand mich also. »Hat deine Verwandlung etwas mit den hyperdimensionalen Einflüssen in der Barriere zu tun?« Sie reagierte nicht, deshalb präzisierte ich meine Frage: »Hast du diese Veränderung erst bemerkt, nachdem du schon in Richmonds Schloß warst?« Farnathia schüttelte den Kopf. Also hat sie schon früher gewußt, daß etwas mit ihrem Körper nicht in Ordnung war. »Dann war es also nicht die Hyperstrahlung?« Meine Frage klang fast wie eine Feststellung. »Was in aller Welt kann dann daran schuld sein?« Farnathia saß vorgebeugt auf dem Schalensessel. Ihr Oberkörper sah grotesk aus. Da war nichts mehr von der reizvollen Figur zu sehen; jetzt saß dort eine Ansammlung von aufgequollenem Zellplasma. »Ist dir etwas während der Flucht von Ganberaan zugestoßen?« Farnathia schüttelte erneut den Kopf, machte eine Geste, die mich verstummen ließ. Es schien sie zu quälen, daß ich die Hoffnung auf ihre Rettung nicht aufgeben wollte. Solange sie noch lebt, werde ich diese Hoffnung nicht aufgeben! Da kennt sie mich schlecht. Ich bin durch Fartuloons harte Schule gegangen; das hat mich unnachgiebig und hart gemacht. Ich werde mich sogar über
die Gefühle dieser gequälten Kreatur hinwegsetzen, wenn es sein muß, werde sogar den letzten Schritt wagen… Ich tastete nach den Taschen meines Aggregatgürtels. Es geschah ganz automatisch, denn ich wußte, daß es nur einen Weg gab, um mehr über Farnathias Veränderung zu erfahren. Nur sie konnte wissen, was den Anstoß dazu gegeben hatte. Ich wußte genau, was ich tat. Unter normalen Umständen hätte ich das Wagnis, ihre Zuneigung zu verlieren, einkalkulieren müssen. Aber die Umstände waren alles andere als normal. Nun gut, dann verstieß ich eben gegen die arkonidischen Sitten, war entschlossen, es durchzustehen. Egal, was sie von mir denken mag. Correson schaute gerade herein. Es war still geworden, und seine Sorge um Farnathia hatte ihn nicht untätig verharren lassen. Als er die kleinen fluoreszierenden Pillen in meiner Hand sah, stürzte er mit einer Heftigkeit näher, die ich von ihm nicht gewohnt war. »Nein, Atlan – das darfst du nicht tun!« »Es ist die einzige Möglichkeit, aus ihr herauszubekommen, wer oder was an der Verwandlung schuld ist.« Er schien meine Worte nicht verstanden zu haben, vielleicht wollte er sie auch nicht verstehen, sondern packte mich und versuchte, mich von Farnathia fortzureißen. Ich stolperte. Die kleinen, grünlich schimmernden Pillen lagen am Boden. Correson wollte sie zertreten. »Ich will wissen, was an ihrer Verwandlung schuld ist!« schrie ich. »Das soll ich dir glauben?« Correson schlug mit der Handkante zu. Geschickt wich ich ihm aus, so daß er abrutschte und mit voller Wucht auf die Tischkante prallte. Er stieß einen Schmerzensschrei aus und umklammerte seine augenblicklich anschwellende Hand. Farnathia verfolgte das Geschehen mit beängstigender Teilnahmslosigkeit.
»Du täuschst dich«, versuchte ich ihn zu beruhigen. Er trommelte mir mit den Fäusten auf die Brust und schrie: »Nein! Du willst nachholen, was du in der letzten Zeit vermißt hast. Du willst ihren Körper, willst sie für deine Lust mißbrauchen!« Er ist eifersüchtig, wisperte der Extrasinn. Correson war nicht der Mann, der einer schönen Frau gegenüber gleichgültig war. Er hatte seine Zuneigung zu Farnathia durch übertriebene Verantwortung ausgedrückt. Und jetzt sah er seinen Schützling in höchstem Maße gefährdet: Ich war derjenige, der in seinen Augen die Schwäche für ein zweifelhaftes Experiment ausnutzen wollte. Trotzdem mußte ich mich durchsetzen. »Correson«, begann ich, »wir beide wollen Farnathia helfen! Noch ist es nicht zu spät; vielleicht finden wir eine Möglichkeit, den Vorgang aufzuhalten.« Er sah mich zweifelnd an. Natürlich hatte auch ich Zweifel, daß wir ihr helfen konnten. Aber ist es nicht vermessen, ihren Tod schon als beschlossene Sache anzusehen? Correson resignierte, wußte, daß ich der Stärkere war. Vielleicht aber ahnte er auch, daß mein Plan Erfolg haben könnte. »Ich warte draußen.« Farnathia schluckte das Zeug ohne einen Ton, tat es mechanisch. Unter anderen Umständen wäre ich beleidigt gewesen. Doch in dieser Situation mußte ich auf Gefühle verzichten. Die grünen Pillen wirkten nicht sofort. Klingors nannte man sie auf Arkon; sie enthielten eine paramechanisch aktive Substanz, die Hemmungen beseitigte oder jedenfalls auf ein Minimum herunterschraubte und Gefühle in höchstem Maße steigerte. Klingors waren in den letzten Arkonjahren besonders bei jungen Leuten in Mode gekommen, hatten sie
durch dieses Medikament doch die Möglichkeit, mit einem Partner auch ohne körperliche Vereinigung Gefühle und Rauschzustände zu teilen. Auf Gortavor hatte ich nichts davon gewußt, dann aber während der ARK SUMMIA-Vorbereitung davon erfahren. Auch bei den Piraten waren sie beliebt. Ich streckte meine Hand aus. Farnathia spreizte ihre Finger, wollte meine Hand ergreifen, doch die geschwollenen Armgelenke versagten ihr den Dienst. Ich beugte mich vor, berührte ihre Fingerspitzen; sie fühlten sich kalt und fremd an. Hätte ich nicht gesehen, daß sie atmete, ich hätte sie für einen Leichnam gehalten. Sie schloß die Augen. Dumpfe Laute drangen über die geschwollenen Lippen. Sie wollte etwas sagen, doch ich konnte sie nicht verstehen, sosehr sie sich auch anstrengte. Die Verwandlung ist schon zu weit vorangeschritten. Ich hoffte, daß sie sich nicht gegen die Weitergabe ihrer Gefühlsströme sperrte, entspannte mich und übertrug meine durch unseren Handkontakt auf ihre Psyche. Ich legte meine ganze Willenskraft in den Versuch, sie ebenfalls zur einer Reaktion zu bringen. Sie kann nicht mehr sprechen, kann mir nur noch ihre Gefühle vermitteln. Es ist meine Sache, daraus die geeigneten Rückschlüsse zu ziehen. Die Empfindungen kamen ruckweise, weitergeleitet von der paraaktiven, auf Hyperkristallgranulat basierenden KlingorSubstanz. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß noch jemand im Raum war. Ich wollte mich umdrehen, doch die Wirkung des Medikaments war zu stark, hielt mich in einem seltsamen Rauschzustand gefangen, der mich immer näher an Farnathia heranschweben ließ. Unsere Emotionen durchpulsten einander wechselseitig. Es fing ganz langsam und zögernd an. Ich stammelte Worte, deren Sinn mir erst später klarwerden sollte. »Farnathia«, flüsterte ich. Sie blieb stumm, und doch hatte
sie noch genug Gefühlskraft, um mir ihre Zuneigung zu zeigen. Aber es gab etwas in ihr, was sich dagegen sperrte. Ich versuchte herauszubekommen, was es war, die Verbindung zwischen uns war jedoch nicht intensiv genug. Zurück blieb nur das Gefühl einer unheimlichen Kraft, die Farnathia beherrschte. Eine Kraft, die böse und hemmungslos ist. Wer oder was ist das Fremde? Farnathias Gefühle halfen mir auch nicht weiter, obwohl ich deutlich spürte, daß sie mir etwas über das Unbekannte mitteilen wollte. Sie schien selbst nicht zu wissen, was es war. Das Fremde war mit so archaischen Empfindungen ausgestattet, daß ich mich instinktiv zurückzog. Plötzlich hatte ich Angst vor dem Unbekannten, hatte es ganz deutlich gespürt: Da war nur grenzenloser Hunger, Hunger nach allem Organischen. Unsere Gefühlsverbindung riß augenblicklich ab. Farnathia blieb reglos, als ich ihre Hand losließ. Ihr Mund zuckte und wollte Worte formen. Es war eine schreckliche Situation; ich war zu allem entschlossen, hätte es Farnathia nur genützt. Aber meine Kräfte reichten nicht aus, eine Besserung ihres Zustands zu erreichen. Diese Hilflosigkeit machte mich rasend. Eines hat dieses zweifelhafte Experiment jedoch gezeigt: In Farnathia wirkt eine Kraft, die diese unheimliche Verwandlung in Gang hält. Und das Fremde ist kein Teil von ihr, es muß in sie hineingepflanzt worden sein. Der Gedanke, daß der Blinde Sofgart etwas damit zu tun haben könnte, war naheliegend und ließ mich nicht mehr los. Diese Bestie in Arkonidengestalt war zu allem fähig, kannte Grausamkeiten, die ich mir nicht einmal in den schlimmsten Träumen vorstellen konnte. Sollte Farnathias Zustand tatsächlich auf Sofgarts Einwirkungen zurückzuführen sein, gab es bestimmt keine Rettung mehr für sie. »Ich hole einen Mediziner. Du darfst nicht verzweifeln«,
sagte ich, obwohl ich mir nicht sicher war, ob nicht ich zuerst die Nerven verlieren würde. Kam Farnathias Metamorphose nicht bald zum Stillstand, würde ich den Verstand verlieren. Sie bedeutete mir zuviel, als daß ich kaltschnäuzig darüber hinweggehen konnte. Ihre Verschleppung damals auf Gortavor hatte ich verkraftet; aber nach den Ereignissen auf Thimschvaar – die schon Tirako das Leben gekostet hatten! –, dann auf Sofgarts Folterwelt, hier in der Sogmanton-Barriere und nun durch Farnathias Metamorphose glaubte ich mich am Ende meiner Kräfte. Ich sah sie noch einmal kurz an, dann verließ ich den Raum. Correson merkte sofort, daß ich nicht allzuviel herausgefunden haben konnte. »Das hättest du uns ersparen können!« sagte er grimmig. »Du hättest auf einer intensiveren Untersuchung bestehen sollen. Die Kerle haben doch nur ihr IV-Muster gemessen. Meinst du, das würde ausreichen? Die hatten was ganz anderes im Kopf.« Er wechselte abrupt das Thema: »In den unteren Etagen wird gekämpft!« Ich schaute zum Verteiler, wo sich mehrere Gänge trafen. Die Öffnungen der Antigravschächte waren umlagert. Piraten schafften Verwundete auf Schwebetragen aus den Schächten. Die Männer waren von Desintegratorschüssen scheußlich zugerichtet worden; der oder die unbekannten Gegner hatten anscheinend nichts zu verlieren. Correson räusperte sich. »Ich dachte bisher, Sheeron würde Richmonds Schloß samt der Sogmanton-Barriere kontrollieren.« »Es gibt Piraten, die auf Sheerons Anordnungen pfeifen. Vor allem in den Kraternestern, die weit draußen auf der Oberfläche des Asteroiden verstreut sind.« Mir war egal, was Sheeron mit seinen Piraten auszutragen hatte; bedeutend wichtiger war jetzt, einen Arzt für Farnathia zu finden. »Wo
Verwundete sind, muß ein Bauchaufschneider aufzutreiben sein.« Wir liefen an den Zarltonern vorbei, die mit schußbereiten Strahlenkarabinern die Antigravschächte bewachten; aus einem quollen beißende Qualmwolken. Das Zischen ferner Schüsse war nicht zu überhören. »Wo ist Sheeron?« fragte ich. Der baumlange Kerl zuckte mit den Schultern. Sein Gesicht war rußgeschwärzt und ließ keine Gefühlsregung erkennen. »Hier!« rief Correson, der neben einem bärtigen Piraten stand, dessen Kombination blutverschmiert war. Der Arkonide sprühte gerade eine gelatineartige Flüssigkeit auf die verbrannte Schulter eines Bewaffneten: Wir hatten einen Bauchaufschneider gefunden, der sein Handwerk zu verstehen schien. Ich sah, wie sich die Wunde des Uniformierten mit Kunsthaut überzog. In einigen Tontas würde dew Mann wieder einsatzbereit sein. Um zu sterben? Ich wollte den Gedanken nicht weiterspinnen. Correson sprach den Mediziner an: »Wir brauchen Sie! Ein schwieriger Fall – Ihre Kollegen haben vorhin schon einmal nachgeschaut.« Der Bauchaufschneider sah uns kurz an und stellte sich als Ferkon Stannton vor. »Es geht um das Mädchen, nicht wahr?« Ich nickte. »Da kommt jede Hilfe zu spät. Zellwucherung… vermutlich durch diese verdammten Gantries oder die HyperStrahlung ausgelöst; ist wirklich nichts mehr zu machen. Außerdem werde ich hier dringender gebraucht.« Er deutete auf die Schwebetragen, die herangeschoben wurden. Viele der Verwundeten wimmerten, die meisten von ihnen waren allerdings betäubt worden; etliche würden nicht mehr lange leben. »Verlange ich denn etwas Unmögliches von Ihnen, Stannton?« schrie ich, und das schien den Bauchaufschneider
zu verunsichern. Er soll ruhig merken, daß er nichts Gutes von mir zu erwarten hat, wenn er meinem Wunsch nicht nachkommt! Als er sich der nächsten Schwebetrage zuwenden wollte, riß ich ihn herum und funkelte ihn wütend an. »Wenn ich sage, daß Sie sich um Farnathia kümmern sollen, dann meine ich das auch so!« »Sicher, Kristallprinz – aber soll ich diese Männer sterben lassen?« Ich wußte, daß mir für eine Grundsatzdiskussion keine Zeit blieb. Niemand hatte eine Ahnung, wie schnell oder wie langsam Farnathias Metamorphose voranschreiten würde. »Gut«, gab ich nach, »versorgen Sie Ihre dringenden Fälle. Anschließend kommen Sie mit.« Er nickte nur, und ich beobachtete ihn bei der Arbeit. Man sah ihm an, daß er viel praktische Erfahrung hatte. Bei keinem Patienten zögerte er, tat genau das Richtige im richtigen Augenblick. Ich war sicher, daß Sheeron ohne diesen geschickten Bauchaufschneider schlecht dagestanden hätte, denn es gab mehr Verwundete, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Ich fragte mich immer wieder, was zu diesen Kampfhandlungen geführt hatte. Sheeron hat dir den wahren Grund der Auseinandersetzung nicht mitgeteilt, raunte der Extrasinn. Stannton drehte sich kurz um und machte mit dem Kopf eine Bewegung; ich sollte mir einen Verwundeten anschauen, der apathisch auf seiner Schwebetrage lag. »Sehen Sie sich seine Wunden an.« Der Mann lag mit weit aufgerissenen Augen da, seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Ohne Zweifel, der Arkonide stand unter Schockeinwirkung. »Haben Sie ihn mit einem Medikament behandelt?« »Noch nicht, er wurde gerade erst hergeschafft.« Stannton öffnete die angesengte Kombination des Mannes.
Was ich zu sehen bekam, verschlug mir den Atem. Das waren keine Strahlenverletzungen. So sahen die Verletzungen galaktischer Tierfänger aus: Die Brust des Unglücklichen war völlig zerfetzt, tief eingekerbte Krallenspuren zogen sich durch das Fleisch. Ich erinnerte mich an ein Erlebnis, das ich in frühester Jugend gehabt hatte: Fartuloon und ich waren zur Ausstellung eines Tierfängers gegangen; ich sah die tobende Bestie von Zingulon III noch genau vor mir. Mit ihren messerscharfen Krallen hatte sie den Körper des Tierfängers übel zugerichtet. Fartuloon hat Mühe gehabt, die Wunden durch Transplantate zu schließen. »Habt ihr wilde Tiere in euren Nestern?« »Soviel ich weiß, nein!« erwiderte Stannton. »Tiere bringen nicht genügend Gewinn.« »Irgend etwas muß den armen Kerl so zugerichtet haben. Kein arkonoides Wesen ist zu so was fähig.« Ich hielt inne. Natürlich war ein normales Wesen nicht zu solchen Handlungen fähig. Aber gesetzt den Fall, sie verwandeln sich in etwas Abnormes, Unbegreifliches, sind solche Handlungen nicht auszuschließen. Du denkst an Farnathia, meldete sich der Extrasinn. In diesem Augenblick war mir die kritische Stimme in meinem Inneren zuwider, weil sie meine geheimsten Befürchtungen bewußt gemacht hatte. Ich wischte den Gedanken sofort beiseite. Nein, Farnathia kann ich mit dem Geschehen nicht in Verbindung bringen. Sie mag sich verändert haben, mag sehr krank sein. Doch sie ist noch lange keine Wahnsinnige, die in geistiger Umnachtung mordet. Ein absurder Gedanke, wie ich mir selbst bestätigte. Außerdem – wie sollte sie die Krallenspuren…? Stannton mußte ein sehr feinsinniger Kenner der arkonidischen Mentalität sein; er sagte: »Sie dürfen die Veränderung ihrer Begleiterin nicht überbewerten. Ich habe ähnliche Fälle kennengelernt. Männer, die im Strahlensturm
der Barriere mutierten. Die meisten Fälle konnten durch unsere ärztliche Kunst behandelt werden.« Er wollte mich beruhigen. »Ich wollte, Sie hätten recht. Wir werden ja sehen, was Sie bei ihr erreichen.« In diesem Augenblick regte sich der Verwundete, dessen Kratzwunden inzwischen mit einem Heilfilm überzogen worden waren. Er stieß Angstlaute aus und schien irgend etwas Imaginäres abwehren zu wollen. Wiederholt hob er die Arme vor sein Gesicht. Stannton injizierte ihm ein Beruhigungsmittel. Der Mann wurde augenblicklich ruhig, aber seine Haut nahm eine rotfleckige Färbung an; er stammelte unzusammenhängende Sätze: »Die Veränderten… sie kommen… nein, Sheeron… nicht schießen… die Veränderten!« »Veränderte? Was halten Sie davon?« fragte ich. »Wen meint er mit den ›Veränderten‹?« »Schockzustand. In besonders gefährlichen Situationen neigt man bekanntlich dazu, die Gefahr zu versymbolisieren. Sie kennen diesen Mechanismus aus Ihren Träumen. Alles Bedrohliche wird durch Symbole ausgedrückt. Vielleicht meint er mit den ›Veränderten‹ die Männer eines anderen Nestes. Da wir mit ihnen bisher in gutem Einvernehmen zusammengelebt haben, hat irgend etwas sie ja tatsächlich ›verändert‹.« Ich wollte Stanntons Erklärung nicht so recht akzeptieren, ließ er dabei doch völlig außer acht, daß der Mann von einem unbekannten Wesen übel zugerichtet worden war. Der Bauchaufschneider schien meine Zweifel zu bemerken. »Ich kann mir auch nicht erklären, wie der arme Kerl zu diesen scheußlichen Wunden gekommen ist. Aber ich bin mir ganz sicher, daß es uns die anderen bald berichten werden.« Stannton versorgte rasch die Notfälle, dann packte er sein Instrumentarium ein. Zwei junge Piraten kümmerten sich um
die anderen Verletzten. »Können wir gehen?« fragte ich drängend. »Ich bin bereit.« Correson lief voraus. Ihm war die Erleichterung anzumerken, daß endlich Schritte unternommen wurden, um Farnathias entwürdigenden Zustand zu ändern. Ich wurde immer unruhiger, hatte ein unangenehmes Gefühl, weil ich nicht wußte, was in der Zwischenzeit mit Farnathia geschehen war. Insgeheim fürchtete ich mich davor, ihr in die Augen sehen zu müssen. Was würde geschehen, wenn sie sich noch stärker verändert hatte? Als wir vor ihrer Kabine standen, wußte ich, daß ich zumindest eine Sorge los war: Ich brauchte ihr in diesem verzweifelten Zustand keine tröstenden Versprechungen zu machen – denn sie war verschwunden! »Wollen Sie mich zum Narren halten?« stieß Stannton ärgerlich hervor. »Wo ist sie? Wenn sie noch so gut auf den Beinen ist, hätten Sie mich wirklich nicht zu bemühen brauchen.« Ich versuchte, ihn zu beschwichtigen. »Als wir sie verließen, lag sie auf der Pneumoliege. Sie war viel zu schwach, um aufzustehen oder sich zu bewegen.« »Soll ich sie vielleicht suchen?« Ich war ratlos. Unruhig sah ich mich in dem schmucklos eingerichteten Raum um. Die Belüftung summte. Auf der Liege lagen ungeordnet Decken. Ein Reinigungsroboter hatte inzwischen die Scherben des zerbrochenen Spiegels beseitigt. Die Leuchtstoffröhren, die Farnathia in ihrer Verzweiflung zertrümmert hatte, waren ersetzt worden. Doch plötzlich durchzuckte mich eiskalter Schrecken: Quer durch das Zimmer zog sich eine Spur; Schleimbröckchen waren zu sehen, lösten sich teilweise unter üblen Gerüchen auf.
Correson bückte sich, um die seltsame Spur besser betrachten zu können, und stieß würgend hervor: »Irgend etwas hat Farnathia entführt.« Es klang nicht sehr überzeugend, war aber eine Möglichkeit, mit der wir rechnen mußten. »Schließen Sie das aus dem Schleim?« fragte der Bauchaufschneider. »Weshalb denn nicht?« warf ich ein. »Ich würde die Worte des Verwundeten ernst nehmen – vielleicht treibt hier tatsächlich ein Veränderter sein Unwesen!« »Glauben Sie doch nicht an die Wahnvorstellungen; die dürfen Sie nicht wörtlich nehmen. Ich habe Sie für aufgeklärter gehalten.« Stannton schien gekränkt zu sein. Für ihn zählten nur Tatsachen; wer seine Analysen anzweifelte, verunsicherte ihn, und das war der Bauchaufschneider Sheerons offenbar nicht gewohnt. Trotzdem interessierte er sich für die Schleimspur, kratzte einige Brocken auf und schob sie in ein Röhrchen, das er der Seitentasche seiner Instrumententasche entnommen hatte. »Ich lasse das Zeug auf alle Fälle untersuchen.« Er sah mich ernst an. Ich schob Correson zur Tür hinaus. »Warum stehen wir hier noch herum?« Stannton ging in die andere Richtung davon. »Ihr wißt ja, wo ihr mich findet.« Dann war er hinter der Gangbiegung verschwunden. Ich deutete auf den Boden. »Wir brauchen nur der Spur zu folgen.« Die unregelmäßig auf dem Boden verteilten Schleimreste zogen sich zu den Antigravschächten hinüber. Farnathias Entführer mußte wahnsinnig oder einfach nur unvorsichtig sein. »Aber wer macht mögliche Verfolger schon durch eine so deutliche Spur auf sich aufmerksam?« »Könnte Morgus etwas damit zu tun haben?« Ich zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Soviel ich
bisher gesehen habe, sondert der Veränderliche keine Sekrete ab. Ausschließen läßt sich jedoch nicht, daß er Farnathia fortgeschafft hat. Wer kennt schon die Mentalität eines veränderlichen Wesens?« Wir hatten den Verteilerraum erreicht, von dem die Antigravschächte abzweigten. Ich sah mich um. Als meine Augen der feuchten Schleifspur folgten, entdeckte ich die beiden Zarltoner. Sie lagen vor dem mittleren Schacht in merkwürdig verkrümmter Haltung. Die Strahlenkarabiner lagen neben ihnen. Die Waffe des einen mußte sich im Fallen ausgelöst haben, denn eine Glutspur zog sich bis zur Wand hinüber, wo ein blasig aufgeworfenes Loch klaffte. »Sie sind tot«, flüsterte Correson, als fürchtete er, von dem Unbekannten gehört zu werden. Ich bückte mich, um die Leichen der beiden Männer zu untersuchen. Sie waren zweifelsohne eines gewaltsamen Todes gestorben, dessen konnte ich ganz sicher sein. Der Unbekannte – ich korrigierte mich, vielleicht waren es ja mehrere Angreifer gewesen –, die Unbekannten hatten sie an den Kombinationen gepackt, diese zerfetzt und scharfkantige Gegenstände in ihre Körper getrieben. Sie haben keinen Tropfen Blut mehr in ihren Adern, behauptete der Extrasinn kühl. Ich nickte unwillkürlich. Tatsächlich! Sogar die Wunden sind ohne Blut. Die Gesichter der Unglücklichen schimmern weiß. Das Rot der Augen war einem ekligen Grau gewichen. Ich berührte die Haut der Zarltoner und zuckte zurück. »Sie sind ganz heiß!« Correson trat ungläubig näher, berührte einen der Toten und bestätigte meine Entdeckung. »Wie ist das möglich? Ich kenne keine Waffe, die einem das Blut aus den Adern saugt und gleichzeitig den Körper aufheizt.« Ich schauerte. Der Anblick der wachsbleichen, ehemals
blauhäutigen Körper war schlimm genug, doch die Kenntnis, daß hier irgendeine unheimliche Kraft gewirkt hatte, war viel entsetzlicher. Denn das Grauen konnte jeden Augenblick erneut zuschlagen. Corresons Augen bekamen einen fiebrigen Glanz. Ich ahnte, daß er den Belastungen nicht mehr gewachsen war. Nur noch wenige Augenblicke, dann wird er die Nerven verlieren… »Wir dürfen uns jetzt keine Schwäche leisten, Mann! Ohne uns ist Farnathia verloren!« »Die Bestie hat sie bestimmt schon getötet… genauso, wie sie diese Männer umgebracht hat.« Corresons Gesicht war verzerrt. Er wirkte auf einmal schwach und hilflos wie ein kleines Kind, war einfach überfordert, konnte die schrecklichen Vorkommnisse in kein Schema einordnen. Plötzlich verstärkte sich das Summgeräusch des mittleren Antigravlifts. Das konnte nur bedeuten, daß sich jemand an den Bedienungselementen des Schachtes zu schaffen gemacht hatte. Die Richtung war jetzt nicht mehr abwärts gepolt, sondern aufwärts gerichtet. Ohne nachzudenken, ergriff ich den Luccot-Karabiner eines Zarltoners. Die Feueranzeige gab Rotwert. Wer jetzt zu uns heraufkommen würde, sollte keine unvorbereiteten Gegner antreffen. Ich rechnete mit allem: Sollte Farnathias Entführer erscheinen, würde ich keinen Augenblick zögern, ihn zu töten. Vorher mußte er mir aber noch verraten, wohin er die Kranke verschleppt hatte. Correson zitterte, starrte aus weit aufgerissenen Augen zu den Antigravschächten. Jemand kam heraufgeschwebt. »Waffen runter!« brüllte Sheeron cholerisch. Sein feistes Gesicht bebte und war schweißüberströmt. »Waffen runter, sonst lasse…!«
Der dicke Piratenführer war von mehreren jungen Zarltonern umgeben, die ihre Waffenmündungen unmißverständlich auf unsere Köpfe richteten; ich sah genau in die flimmernden Abstrahlmündungen. Sheeron würde keinen Augenblick zögern, uns ins Jenseits zu befördern; er verkörperte die Macht. Und er hatte uns schon bewiesen, daß er sich von niemandem Vorschriften machen ließ. »Wer hat die Männer getötet?« Seine Stimme wurde schneidend, und ich spürte, wie er mich telepathisch sondieren wollte. Ich vereitelte den Versuch. Dafür schien Sheeron bei Correson mehr Erfolg zu haben. »Ihr wart es also nicht.« Er mußte aus Corresons Gedankeninhalt erfahren haben, daß hier ein Unheimlicher sein Unwesen trieb, folgte jedenfalls mit den Augen der langsam eintrocknenden Schleimspur, die sich im Gang zu den Kabinen verlor. »Habt ihr das Ding gesehen?« Correson und ich schüttelten fast gleichzeitig den Kopf. »Wir wollten einen Bauchaufschneider zu Farnathia bringen, als wir diese seltsame Spur entdeckten. Farnathia war jedoch verschwunden.« Sheeron dachte nach, sah uns aus zusammengekniffenen Augen an. Anscheinend war er sich nicht sicher, ob er uns über die Ereignisse in den unteren Etagen aufklären oder ob er uns weiterhin im Ungewissen lassen sollte. »Wollen Sie uns nicht sagen, was hier los ist?« drängte ich ihn. »Ich bin verrückt vor Sorge um Farnathia, und Sie verschanzen sich hinter Ihren fragwürdigen Ausflüchten.« Correson war die ganze Zeit über still geblieben, doch jetzt trat er fordernd vor den Piratenführer. »Sie tun gerade so, als seien wir nur darauf aus, Ihnen Bomben ins Nest zu legen, Sheeron! Sie als Telepath wissen längst, daß wir nichts gegen Sie im Sinn haben.« Ich ergänzte: »Sie haben uns völlig in der Hand: Ein
Hyperfunkspruch an den Blinden Sofgart löst das Problem. Dann sind Sie mich garantiert los.« Sheeron machte eine wütende Geste. Es war ihm nicht recht, daß wir vor seinen Leuten in diesem Ton mit ihm redeten. »Ruhe!« Die Zarltoner blickten verlegen zur Seite, kannten seine Zornesausbrüche und ahnten, was nun kam – doch Sheeron blieb sachlich und deutete auf den Boden. »Die Narren dort unten behaupten, wir hätten ihre Leute massakriert. Das ist natürlich völliger Unsinn. Sie haben nur nach einer Entschuldigung für ihre sinnlos angezettelte Schießerei gesucht; müssen erfahren haben, daß sich ein Schiff der Barriere nähert. Wie schon mehrfach wollten sie allein an die Beute heran.« Er weiß also ebenfalls nicht, wer die Piratengruppen gegeneinandergehetzt hat. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, die Kampfhandlungen eröffnet zu haben. »Es muß aber noch einen Dritten geben, der daran interessiert ist, daß hier Streit herrscht. Und dieser Unbekannte hat die beiden Zarltoner auf dem Gewissen… und er hat auch Farnathia entführt.« »Es gibt hier nichts, was ich nicht kennen würde«, konterte Sheeron selbstherrlich. »Wirklich?« Er sah mich lange an und mußte schließlich zugeben: »Nun ja… es kommt vor, daß ein Raumschiff leer geräumt wird, ohne daß ich davon Kenntnis erhalte. Unsere Überwachungsanlagen sind zwar in Ordnung, aber angesichts der Bedingungen in der Barriere kann ich nicht für ihre absolute Zuverlässigkeit garantieren.« »Die Hyperemissionen liefern oft falsche Meßergebnisse. Ich bin sicher, daß Ihre Leute mehr als nur eine Raumschiffsladung heimlich beiseite schaffen. Vielleicht sind sogar Fremdintelligenzen gelandet, ohne daß Sie davon
wissen.« Das war natürlich nur eine phantastische Vermutung, aber so abwegig brauchte sie nicht zu sein. Ich hatte selbst die Methans gesehen, die mit ihrer Kampfstation in die Barriere verschlagen worden waren. Nachdenklich musterte ich die eingetrocknete Schleimspur. Ein Gedanke ließ mich nicht mehr los: Sind Maahks eingedrungen? Das könnte vieles erklären. Einer von ihnen hat womöglich einen defekten Raumanzug getragen. Das könnte die Schleimspur verursacht haben. Vielleicht haben sie neue Waffen, von denen wir keine Ahnung haben. Waffen, die in einer Millitonta das Blut von Sauerstoffatmern verkochen lassen. Sheeron hatte seine telepathischen Fühler nach meinem Bewußtsein ausgestreckt. Ich merkte es sofort, sagte aber nichts. Soll er ruhig ein bißchen Gedankenspionage treiben. Das erspart uns lange Diskussionen. »Maahks?« murmelte er gedankenverloren. »Nein – die wären uns auf keinen Fall entgangen. Es muß etwas anderes sein.« »Ich werde Farnathia suchen, egal wer oder was sie entführt hat. Geben Sie mir die nötigen Vollmachten, die mir zu jedem Bereich Zutritt verschaffen.« Das war deutlich. Sheeron verzog den Mund, als hätte er auf eine saure Frucht gebissen. »Nach allem, was geschehen ist?« fragte er, als wolle er sich rückversichern, daß er sich auch nicht verhört hatte. »Gerade deshalb! Jede Millitonta ist kostbar. Vielleicht will der oder wollen die Unbekannten Farnathia als Geisel benutzen. Ich weiß zwar auch nicht, aus welchem Grund, aber der Fall ist durchaus denkbar. Ich will jedenfalls nichts außer acht lassen.« Sheeron schwitzte, das Gesicht glänzte vor Feuchtigkeit; er konnte seinen Unmut nicht verbergen. Ihm war auf alle Fälle
nicht recht, daß ich unbewacht schalten und walten konnte, wie es mir in den Sinn kam. Er hat wohl Angst, daß ich einem seiner sorgfältig versteckten Geheimnisse auf die Spur komme? Aber ich wollte nicht lockerlassen. »Oder wollen Sie sie selbst suchen? Ich mache Ihnen ein faires Angebot: Geben Sie mir und Correson einen Aufpasser Ihrer Wahl mit. Wir bleiben in Funkkontakt. Dann können Sie sicher sein, daß wir keine Seitensprünge machen.« Sheeron dachte nicht lange nach. »Gut. Ich erkläre Ihnen die Lage der einzelnen Etagen – kommen Sie.« »Halt! Stehenbleiben!« Sheeron schwang sich mit seinem Kontursessel herum. Dicht neben ihm, auf dem leicht abgeschrägten Kontrollpult, leuchteten mehrere Digitalanzeigen auf. »Wenn Sie schon jetzt eingeäschert werden wollen…«, er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen, »… treten Sie ruhig näher. Ich glaube, wir würden uns viel gemeinsamen Ärger ersparen.« Das war die Bestätigung, daß sein Kommandobereich von energetischen Sicherheitssystemen abgeschirmt wurde. Die Zarltoner-Garde am Ausgang diente nur als Blickfang für ungebetene Gäste. Jeder Impulsstrahler hätte diese Männer erledigt. Da waren automatische Schirmfeldprojektoren und Strahler weitaus wirksamer. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und verbarg meine Gedanken und Gefühle hinter einem gleichgültigen Gesichtsausdruck – und dem Monoschirm. Sheeron aktivierte die Positronik. Sofort erschien die dreidimensionale Rißzeichnung. Rottöne symbolisierten Sheerons Einflußbereich. Anderes war nur teilweise bekannt. Es gab Gänge, Schachtsysteme und ausgedehnte Kavernen im Inneren des Asteroiden, von denen nicht einmal Sheeron eine
Ahnung hatte. Die ausgehöhlte Welt glich einem chaotischen Labyrinth. Ich hatte davon kaum mehr als einen winzigen Teilbereich kennengelernt. Die kraterübersäte Oberfläche glich einem gigantischen Raumschiffsfriedhof, an vielen Stellen hatten die Piraten eine Menge Raumschiffe zu Stahlburgen zusammengeschweißt, so daß sich die Form der skurrilen Gebilde nur annähernd beschreiben ließ. Manchmal waren es kuppelförmige Erhebungen, dann wieder zierliche Filigrangebilde, die durch Schleusengänge miteinander verbunden waren. Einige der Mirkandhoum hatten geschwungene Brücken, die weit über die großen Krater hinwegreichten. Von den Oberflächengebilden der Piratennester führten Antigravschächte tief ins Innere des Asteroiden. Hier verzweigten sich die Gänge zu einem scheinbar planlos konstruierten Labyrinth. Die Keimzelle von Richmonds Teaultokan war die von Sheeron genutzte Kommandozentrale. Sie war vor langer Zeit das Zentrum jener Forschungsstation gewesen, von der aus arkonidische Wissenschaftler die Sogmanton-Ballung hatten erforschen wollten. Sheeron deutete auf eine rote Markierung dicht unter der Oberfläche. »Wir befinden uns hier. Die tiefer liegenden Stockwerke werden nach der beendeten Säuberungsaktion wieder von mir kontrolliert. Wir können sowohl in Video- als auch in Audioverbindung bleiben.« Mir wurde bewußt, daß Sheeron die Tatsache von der Niederwerfung des Piratenaufstandes voller Genugtuung erwähnt hatte, und dachte: Er ist eitel! »Hier enden die Antigravschächte.« Sheeron ließ den Lichtzeiger auf einen Punkt des untersten Sheeron-Stockwerks wandern. »Von hier aus werden Sie auf sich allein gestellt sein. Sie finden dort Gleiterfahrzeuge, die Sie weiterbringen werden. Alles andere muß ich Ihrer Geschicklichkeit
überlassen!« »Wir können uns schon helfen.« »Komm endlich, Atlan!« drängte Correson, den die Sorge um Farnathias Verschwinden sichtlich nervös gemacht hatte. Auch wenn uns Sheerons Erklärungen kurzfristig vom Wesentlichen abgelenkt hatten, blieb die gereizte Stimmung, die von der bohrenden Ungewißheit um Farnathias Schicksal erzeugt wurde. »Nehmen Sie diese Minikome.« Sheeron gab uns die Armbandgeräte, dann deutete er auf einen hochgewachsenen Zarltoner, in dessen Händen der schwere Strahlenkarabiner wie ein Spielzeug wirkte. »Das ist Costa; er wird Sie begleiten.« »Schärfen Sie Ihrem Mann ein, daß ich unterwegs die Befehle gebe. Er mag sich hier besser auskennen, aber diesmal geht es um meine Belange.« Sheeron willigte seltsamerweise sofort ein. Ich hätte viel darum gegeben, zu wissen, was jetzt in dem Kopf dieses fettleibigen Piraten vor sich ging. Leider war ich kein Telepath. Ich streckte meine Rechte fordernd aus. »Und wie steht es mit Waffen, Sheeron?« Er ging wortlos zur Wand hinüber, berührte einen Kontakt und ließ die Schiebetür beiseite gleiten. Ich sah eine bestausgerüstete Waffenkammer: Vom Mikronadler bis hin zum großkalibrigen Strahlenkarabiner war alles vorhanden; ich entdeckte sogar eine Maahk-Impulsschleuder. Sheeron lächelte, als er meine Verblüffung über dieses Waffenarsenal zur Kenntnis nahm. Es schien ihm zu schmeicheln, daß der Kristallprinz überrascht war. »Nehmen Sie die Sensor-Strahler! Die Energiemagazine reichen für fünfzig Strahlschüsse bei durchschnittlicher Energieabgabe.« Er deutete auf die leicht eingewölbten Daumenmulden der kurzläufigen Waffen. »Der Auslöser: Ein
leichter Daumendruck genügt. Die Stärke der Druckkraft reguliert die Strahlungsintensität des Schusses. Seien Sie also vorsichtig.« Wir steckten die Waffen wortlos in unsere Kombigürtel. »Und vergessen Sie nicht, in regelmäßigen Abständen Meldung zu machen!« »Wie der Herr belieben«, entgegnete ich rauh. Ich wußte jetzt, weshalb er uns so rasch erlaubt hatte, nach Farnathia zu suchen. Sheeron wollte herausbekommen, wie die Stimmung in den anderen Piratennestern war. Wir würden bei unserer Suche nach Farnathia zweifellos mehrere durchqueren und mit unseren Meldungen einen perfekten Lagebericht von Richmonds Schloß geben. Ich mußte zugeben, daß Sheeron ein gerissener Pragmatiker war. »Denken Sie an die Meldungen!« schrie uns der dicke Piratenführer nach. Die Zarltoner ließen uns passieren, wir sprangen in den ersten abwärts gepolten Antigravschacht. Unsere Suche nach Farnathia hatte begonnen.
11. Die biologische Zeitbombe des Blinden Sofgart war explodiert. Zwar war der Vorgang nicht direkt mit einer normalen Explosion zu vergleichen, doch die Auswirkungen waren die gleichen. Sie waren sogar noch viel schrecklicher. Eine »Explosion« hätte ihr Opfer sofort zerrissen und lange Leiden erspart. Die Bombe Sofgarts hingegen arbeitete langsam: Zuerst gab es ein Aufblähen, dann einen langsamen Verfall, der von seinem Opfer bewußt wahrgenommen wurde. Dem Gefühl der Ausgelassenheit folgten die geplanten Schritte. Der erste Nahrungsschub hatte den brennenden Hunger gestillt. Jetzt konnte sich das Opfer erholen. Das hatte es auch bitter nötig.
Der gierige Instinkt des Wesens hatte ungestüm zugeschlagen und seinen Wirtskörper in höchste Bedrängnis gebracht. Jetzt begann sich das Gleichgewicht langsam wieder einzupendeln. Die Folge des parasitären Angriffs war eine rasche Verwandlung des Wirtskörpers gewesen. Es bereute seinen Fehler, doch der Zwang zur ungehemmten Nahrungsaufnahme war stärker gewesen. So würde es auch bleiben. Es würde das Ende des Opfers hinauszuzögern wissen. Wie lange das gutgehen mochte, wußte es selbst nicht. Es hoffte aber auf eine lange Gemeinschaft. Um den Wirtskörper nicht zu stark zu schwächen, hatte es einen grauenhaften Ausweg gefunden: Es mußte die Nahrungsreserven von außen ergänzen. Das war nicht leicht. Mehrere Versuche waren notwendig gewesen, um es zu schaffen. Dann war alles wie von selbst gelaufen. Die anderen Wesen gingen unter heftigen Schlägen zu Boden. Es brauchte nur noch mehrere Nahrungstentakel durch die Haut der Opfer zu stoßen und das warme Blut der Sterbenden aufzusaugen. Es lernte rasch hinzu und schaffte diesen Vorgang bald in kürzester Zeit. Seine Kräfte wuchsen, und es fühlte sich allmächtig. Es wußte, daß es noch unglaublich viel Nahrung in sich aufnehmen konnte, bevor das Ende kam. Es verdrängte den Gedanken an dieses Ende. Neue Nahrung zu suchen war wichtiger. Und es würde neue Opfer finden. Es konnte nicht durch die Augen des Wirtskörpers sehen. Dafür wurde sein ewig hungriger Instinkt von den Gefühlsregungen des anderen überschwemmt. Es spürte die Angst des gepeinigten Körpers, und es spürte den Haß auf den Blinden Sofgart. Die Hilflosigkeit war manchmal so stark, daß es sich abkapseln mußte. Anschließend streckte es vorsichtig seine Sensitiv-Tentakel durch die Gewebe, um mehr über die Welt draußen zu erfahren. Auf diese Weise wurde es auch geweckt, wenn sich andere Wesen näherten. Dann war der Augenblick gekommen, neue Nahrung aufzunehmen. Die anderen hatten keine Chance. Durch den gräßlichen Anblick des deformierten Wirtskörpers gebannt, wichen sie zwar schreiend zurück. Aber ihnen zuckten die Tentakelspitzen entgegen, die
blitzschnell das Blut aussaugten. Von den Tentakeln wurde eine Chemikalie übertragen, die den Fremdkreislauf um ein Mehrfaches aufputschte; das erfüllte einzig und allein den Zweck, die Blutentnahme zu beschleunigen. Eine starke Erhöhung der Körpertemperatur war die Folge. Es befand sich in einer Art Rauschzustand. Das Überangebot an Nahrung machte es unweigerlich unvorsichtig. Es suchte nach weiteren Opfern. Das würde nicht lange dauern. Die Empfindungen seines Wirtskörpers zeigten ihm deutlich an, wann es soweit war. Drei fremde Wesen kamen näher! Zwei waren dem Wirtskörper bekannt. Es fühlte, wie seine Abwehrbereitschaft stieg. Plötzliche Erregungswellen ließen es seine Tentakel zurückziehen. Es mußte alle Kräfte aufbieten, um dem Gefühlsansturm des Wirtskörpers nicht zu erliegen. Langsam gewann es die Kontrolle über sein Opfer zurück. Die biologische Zeitbombe des Blinden Sofgart würde auch diese Wesen angreifen, um ihnen das Blut auszusaugen! Costa ging mit schußbereiter Waffe voran. Nachdem wir den Antigravschacht verlassen hatten, hatte sich die Umgebung verändert. An vielen Stellen waren statt der metallisch schimmernden Wandverkleidung die porösen Felsschichten des Asteroiden sichtbar. Vor uns erstreckte sich ein riesiger Hohlraum, der von Leuchtstoffröhren erhellt wurde. In seiner Mitte standen kleine Gleiter, die von bewaffneten Zarltonern bewacht wurden. Im Hintergrund sahen wir Tunnelstraßen. Costa ging auf die Wachtposten zu und legte die Rechte grüßend an den weißen Funkhelm. »Lang lebe Sheeron!« »Lang lebe Sheeron!« Die Begrüßungszeremonie der Uniformierten hatte etwas Mechanisches, doch das schien ihnen nicht bewußt zu sein. »Wir suchen eine junge…«, begann Costa. Ich mischte mich
sofort ein und sagte: »Sie ist krank. Als ich sie das letztemal sah, waren ihre Muskeln angeschwollen. Außerdem ist eine starke Pigmentstörung aufgetreten. Ihre Haut hat einen bläulichen Ton bekommen.« »Hier ist niemand, auf den Ihre Beschreibung paßt.« »Wir vermuten, daß sie von einem Fremdrassigen entführt wurde.« Sie machten ungläubige Gesichter. »Fremdrassiger?« Ich berichtete ihnen von den beiden Wachtposten, die wir vor den Antigravschächten gefunden hatten, und daß ihnen etwas Fremdes das Blut ausgesaugt hatte. »Davon hat doch vorhin einer von Manifolds Leuten gefaselt«, murmelte ein Uniformierter, der unser Gespräch aufmerksam verfolgt hatte. Ich wurde sofort hellhörig. »Hat es hier unten auch Tote gegeben, die solche Wunden aufwiesen?« »Das behaupten sie in Manifolds Nest.« »Führen Sie uns sofort dorthin!« Die Zarltoner machten betretene Gesichter. »Das ist nicht so einfach. Wir haben mit Manifold einen Waffenstillstand ausgehandelt. Er hat uns beschuldigt, seine Leute getötet zu haben. Dabei erwähnte er etwas von einer neuen Waffe, die das Blut aus den Körpern verschwinden läßt.« »Was natürlich völliger Unsinn ist«, fügte ein anderer eilig hinzu. Ich schüttelte den Kopf. »So unsinnig ist das nun auch wieder nicht. Ich habe solche Opfer bei Sheeron oben gesehen!« »Was? Bei Sheeron auch… Aber dann haben wir Manifolds Leute ja umsonst angegriffen. Es treibt also hier tatsächlich ein Fremder sein Unwesen!« Die Uniformierten bekamen bleiche Gesichter. Ich begann die Zusammenhänge zu verstehen. Die Piraten haben einander bekämpft. Und Sheeron wollte nicht zugeben, weshalb die
Auseinandersetzung eigentlich stattgefunden hat. Jetzt kommt Licht in das Dunkel der tragischen Ereignisse, die uns Rätsel aufgegeben haben. Sowohl bei Sheeron als auch bei den anderen Piratenführern hat es Tote gegeben. Da sich kein Schuldiger für diese Morde finden ließ, haben sie sich gegenseitig beschuldigt. Einer hat dem anderen Beutegier und Machtstreben vorgeworfen. Der Rest war eine kurze, aber heftige Auseinandersetzung. Den wahren Schuldigen konnte bisher niemand entlarven. Und das Schlimme an der ganzen Sache ist, daß Farnathia höchstwahrscheinlich von ihm entführt wurde. Laut sagte ich: »Ich schlage vor, daß wir uns in Manifolds Nest umsehen. Wenn er den Grund unserer Mission erfährt, wird er uns keine Schwierigkeiten machen.« »Optimist«, sagte Correson, der bis jetzt still neben mir gestanden hatte. »Ohne Optimismus kommen wir nicht weiter. Wäre ich pessimistisch, könnten wir gleich aufgeben. Die Chancen, Farnathia lebend zu finden, stehen nämlich verdammt schlecht.« Costa, Correson und ich gingen an den Zarltonern vorbei. Eine knappe Rückfrage bei Sheeron hatte uns den Weg frei gemacht. Wir stiegen in einen mittelgroßen Gleiter, der in einwandfreiem Zustand war. Er schoß sofort in die Höhe, als ich die Kontrollen betätigte. Manifolds Mirkandhoum bestand aus drei wabenförmigen Höhlenräumen, von denen einer mit der Asteroidenoberfläche verbunden war. Die Gleiterstraße durchschnitt seine Kommandowabe und setzte sich bis zum nächsten Nest fort. Dort ging es weiter ins Innere des Asteroiden. Die Luft hier unten war nicht mehr so gut gereinigt wie oben in Sheerons Etagen. Ob das eine Folge der Kämpfe war, ließ sich nicht feststellen. Wir hatten andere Sorgen, denn die Piraten betrachteten uns mißtrauisch. Einige hoben wütend die Fäuste, als wir den Gleiter verließen.
»Führt uns zu Manifold!« verlangte Costa herrisch. Stimmen erklangen aus der Menge: »Sucht ihn doch selbst!« Die Erinnerung an Sheerons Strafaktion war frisch. Und wir kamen von Sheeron. Also waren wir sehr ungebetene Gäste. Die Piraten dieses Nestes, durchwegs Arkoniden, trugen abenteuerlich anmutende Kleidungsstücke. Manche hatten sich bunte Umhänge über die Schultern geworfen, andere wiederum trugen abgetrennte Teile schwerer Raumanzüge und hatten ihre schulterlangen Haare kunstvoll frisiert. Bei einigen war ich mir nicht sicher, ob es sich um Frauen oder um Männer handelte. Ich versuchte, das Vertrauen dieser rauhen Burschen zu gewinnen. »Ich suche meine Freundin. Sie wurde von einem Unbekannten entführt, der aller Wahrscheinlichkeit nach für die unheimlichen Morde verantwortlich ist.« Unwilliges Murren wurde laut. »Ausreden, mit denen ihr Sheerons feigen Überfall zu entschuldigen versucht.« »Nein! Hört mich an! Bei Sheeron sind ebenfalls mehrere Männer gefunden worden, denen ein Unbekannter alles Blut aus dem Körper gesaugt hat.« Ein breitschultriger Pirat trat vor. Seine mächtige Brust war von dem Oberteil einer Raumrüstung bedeckt; der polierte Harnisch aus Arkonstahl glänzte. Ich sah, wie der Mann eine schwere, gezackte Metallstange zwischen den Fingern drehte. »Du machst dich wohl lustig über uns. Als ihr hörtet, daß bei uns einige in diesem bedauernswerten Zustand gefunden wurden, habt ihr schnell geschaltet. Jetzt hat es bei euch natürlich dieselben Morde gegeben.« Der Pirat stieß ein kehliges Lachen aus. »Aber so was läßt Manifold kalt.« Das ist also Manifold, der Anführer dieses Piratennestes. Er hatte uns beobachtet, ohne sich zu erkennen zu geben. Im gleichen Augenblick schlug der Hüne mit seiner Stange zu. Hätte ich das Aufblitzen seiner Augen nicht wahrgenommen, wäre
mein Schädel unter diesem Schlag zerschmettert worden. Ich ließ mich blitzschnell fallen. Manifold wurde von der Wucht vorwärts gerissen. Ich wollte ihn mit einer Handkante niederschlagen, doch sein. Ausweichmanöver war trotz seiner Körperfülle schneller. Costa zog seine Waffe; Correson hob seinen Strahler. »Steckt eure Waffen weg!« rief ich ihnen zu. Manifold ließ mir keine Zeit zum Überlegen, wollte anscheinend sein angekratztes Selbstbewußtsein durch diesen Kampf aufwerten. Da wir von Sheeron kamen, rechnete er uns natürlich zu den Leuten, die ihm eine Niederlage zugefügt hatten. Ich spürte den Luftzug der Stange dicht über meinem Kopf, als Manifold sie vorbeiwirbeln ließ. Dann packte ich zu. Eine blitzschnelle Armdrehung – und der kräftige Pirat heulte vor Wut und Schmerz auf. Es knackte, sein Arm erschlaffte, die Stange schepperte auf den Boden. Ich sah, daß er eine kleine Brikks aus dem Gürtelhalfter zerrte. Er kam nicht weit, denn seine Linke war im Waffenziehen weitaus ungeübter als die schmerzende Rechte. Ich stand vor ihm und wartete, bis er den Waffenkontakt drücken wollte. Correson stieß einen Schrei aus: »Er wird dich töten!« Da trat ich Manifold die Waffe aus der Hand. Er bückte sich, robbte fluchend über den Boden. Seine Rechte krallte sich um den Griff der Brikks. Ich trat sie mit der Schuhspitze beiseite. »Und jetzt werden wir uns vernünftig unterhalten.« Er starrte mich schwer atmend an. »Wer bist du? So hat mich noch niemand behandelt!« »Man nennt mich Atlan! Das soll dir genügen. Aber merke dir eins: Ich bin nicht gekommen, um mich mit deinen Launen herumzuärgern. Ich suche meine Freundin, und ich werde sie finden.« Ich ließ den Piraten langsam aufstehen. Auf einen neuen
Angriff wartend, stand ich mit leicht vorgebeugtem Oberkörper da. Manifold stand wenige Augenblicke regungslos da, dann brach er in lautes Gelächter aus. Er lachte, wie ich zuvor noch keinen Mann hatte lachen hören. Es dauerte nicht lange, dann fielen die anderen Piraten in sein Gelächter ein. Costa und Correson zogen verständnislose Gesichter. Ich hingegen ahnte, was in dem Piratenführer vor sich gegangen war. Er will vor seinen Leuten nicht das Gesicht verlieren. Also versucht er, das Vorgefallene ins Lächerliche zu ziehen. Das ist für den rauhen Gesellen typisch, und er hat Erfolg damit. Es fehlt nur noch, daß ich ebenfalls zu lachen anfange. Eins steht jedoch fest: Ich fühle mich hier unten wesentlich wohler als in Sheerons Bereich. Manifold stand für jene Männer, die das Große Imperium stark gemacht hatten, er war einer jener Kämpfer, Kolonisatoren und Abenteurer, deren Blut auch in meinen Adern floß. Sheeron gehörte dem Wesen nach eher zu jenen Männern, die meinen Vater umgebracht hatten. »Das war ein Spaß, was?« Er schlug mir derb auf die Schulter, lachte wieder. Sein breites Gesicht verzog sich. Fast war es kaum noch vorstellbar, daß mich dieser Mann noch vor wenigen Augenblicken töten wollte. »Können wir jetzt vernünftig reden?« unterbrach ich sein Lachen. Langsam wurde ich unruhig; die Zeit verstrich, und wir hatten noch immer keine Spur von Farnathia gefunden. »Die Frau, die ich suche, ist schwer krank. Wenn ich nichts unternehme, sehe ich sie vielleicht niemals wieder!« Manifold schaute mich nachdenklich an. »Das ist ein Argument! Was kann ich dabei tun?« Ich brauchte nicht lange zu überlegen. »Zeig mir die Stellen, an denen ihr eure Toten gefunden habt! Ich kenne die Spur des unbekannten Entführers.«
Er hustete. »Es stimmt also, daß bei euch die gleichen Morde vorgekommen sind?« Ich nickte nur. Der Pirat würde es ohnehin bald erfahren. Sobald sich die Wogen geglättet hatten, würde der Informationsaustausch zwischen den einzelnen Nestern wieder funktionieren. »Komm! Ich zeige dir, wo wir unsere Brüder fanden.« Die eingetrocknete Schleimspur war nicht zu übersehen. »Der Unbekannte war also hier unten«, stieß ich zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor und griff unwillkürlich nach meinem Sensor-Strahler. Das Wesen soll mir nur vor die Waffe kommen. Es wird Farnathias Entführung bereuen. Manifold betrachtete die Schleimbröckchen mit einer Mischung aus Abscheu und Neugier. »Welches Wesen sondert solche Sekrete ab? Ich habe schon gegen Maahks gekämpft, habe diese Methans sterben sehen, aber so was Ekliges…« Ich sah dem Piraten an, daß es hinter seiner Stirn arbeitete, konnte erkennen, daß Manifold die gleiche Frage wie uns beschäftigte: Wer ist hier eingedrungen und hat die Männer getötet? »Ich weiß nicht recht«, begann Correson, »vielleicht war der Unbekannte krank oder in einer Notlage! Unter normalen Umständen verliert kein Lebewesen solche Sekretmengen.« Ich runzelte die Stirn. »Du meinst also, daß der Fremde sich auflöst?« »Genau!« Correson deutete nach oben. »Zwischen Manifolds Nest und Sheerons Kommandoetage liegt eine beachtliche Strecke. Der Unbekannte hat sie zusammen mit Farnathia zurückgelegt und dabei diese Schleimspur hinterlassen. Er muß also ständig an Substanz verloren haben. Das hält kein normales Wesen auf die Dauer aus!«
Ohne Nahrung hält das niemand aus, meldete sich der Extrasinn. Aber bei ständiger Nahrungszuführung könnte es gelingen. Ich schnippte mit den Fingern. »Das ist es: Das Wesen saugt seinen Opfern das Blut aus. Deshalb kann es diese gewaltigen Strecken zurücklegen; trotz des Verlustes an Körpersubstanz.« Die Piraten waren angeekelt. Ich versuchte, Ordnung in das Geschehen zu bringen. »Fangen wir noch einmal ganz von vorn an… Bei euch werden Männer umgebracht. Ihr haltet Sheerons Wachtposten für die Täter. Während der Kampfhandlungen wird in Sheerons Etage Farnathia entführt; dort kommen auch zwei von Sheerons Leuten um. Wir verfolgen die Spur des Entführers und kommen zu euch, Manifold.« Mein Extrasinn brauchte mich nicht darauf hinzuweisen, daß eine Lücke in meiner Rekonstruktion klaffte. Correson hatte den wunden Punkt meiner Erklärung ebenfalls entdeckt: »Wenn hier unten ein Fremder sein Unwesen treibt, kann er nicht gleichzeitig in Sheerons Etage Farnathia aus ihrem Zimmer holen und sie hierher verschleppen!« »Stimmt.« Costa hatte seinen Armbandsender aktiviert, um Sheeron mithören zu lassen. Als Manifold sah, daß Costa die Verbindung zur Kommandozentrale herstellte, konnte er sich nicht verkneifen, Sheeron mit den übelsten Flüchen zu überschütten. Dieser ging darauf nicht ein, wollte nur mich kurz sprechen: »Hören Sie, Atlan, Ihre Vermutung, daß wir es mit zwei Fremden zu tun haben, scheint sich bewahrheitet zu haben.« »Habe ich das vermutet? Noch fehlen die Beweise. Vielleicht sind es sogar noch mehr. Eine ganze Schar blutrünstiger Fremder.«
Der Mikrolautsprecher an Costas Handgelenk wurde überbeansprucht, als Sheeron seine Antwort brüllte: »Wir vermissen den Zarltoner, der vor Ihrer Kabine stand.« »Und?« »Blutspuren lassen auf einen heftigen Kampf schließen. Sonst fanden wir nichts. Ich dachte, Sie hätten etwas dazu zu sagen.« »Tut mir leid.« Ich wandte mich wieder Manifolds Leuten zu und fragte: »Was habt ihr mit den Opfern gemacht? Wurden sie im Konverter aufgelöst?« Sie verneinten. »Wo denken Sie hin?« rief ein mittelgroßer Pirat, dessen schulterlange Haare zu kleinen Zöpfen geflochten waren, die ihm fettstarrend vom Kopf abstanden. »Wir brauchen die armen Kerle als Beweis gegen Sheeron. Jetzt wohl nicht mehr, aber vorhin, als wir Sheeron für den Angreifer hielten…« Plötzlich wurde ich unruhig. Es überlief mich siedendheiß: Da die Körper der Opfer noch existierten, war der Mörder vielleicht nicht weit. Und bei ihm hoffte ich Farnathia zu finden. Manifold deutete auf eine Arkonstahltür. Außer dem Summen schwerer Aggregate war nichts zu hören. Links und rechts mündeten Lastenbänder, auf denen die Piraten ihre Beutestücke herantransportierten. »Dort hinter der Tür liegen unsere Brüder. Ich habe es so angeordnet. Ihre Körper sollten einer Untersuchungskommission als Beweismittel dienen.« »Wer hat Schlüssel zum Kühlraum?« »Er ist offen. Dort kann jeder reingehen.« Ich drehte mich um. Correson zuckte mit den Achseln. »Der Mörder kann also jederzeit dort eindringen?« Manifold antwortete: »Ja – aber weshalb die Fragerei?«
Ich kniff die Augen zusammen und ging auf die Stahltür zu. »Weil unser Mörder sehr hungrig sein könnte. Es ist nur eine Vermutung, aber ich nehme an, daß er sich die Toten holen wird.« Unser Atem kondensierte zu Wölkchen, die kalte Luft des Kühlhauses stach wie Nadeln in unsere Lungen. Costa hielt eine Lampe in der Hand und leuchtete die Wände ab. In breiten Nischen lagen tiefgefrorene Köstlichkeiten; Muscheln von Zalak II, Seesterne und Meeresfrüchte von Karnak, Spezialitäten aus allen Teilen des Tai Ark’Tussan. »Das war sicher für Orbanaschols Hofschranzen bestimmt.« Manifold schlug sich lachend auf den Brustpanzer aus Arkonstahl, eine weißliche Atemfahne verwehte vor seinem Gesicht. Kurz darauf erreichten wir ein Verteilerband. Hier konnten die Kühlwaren in mehreren Lagen übereinandergestapelt werden. Viele der Pakete trugen keine Aufschrift, und ich vermutete, daß Manifold die Waren vor Sheeron versteckte. Aber das sollte mir egal sein. Die internen Streitigkeiten der Piraten gingen mich nichts an. Mir wurde kalt. Hier waren es mindestens dreißig Grad unter dem Gefrierpunkt. »Wo habt ihr die Toten deponiert?« »Dort oben.« Manifold deutete auf eine Leichtmetallplattform, die über eine schmale Treppe zu erreichen war. Paketballen versperrten uns den Blick. Wir konnten nicht sehen, was dort alles aufbewahrt wurde. Es war stockdunkel, nur Costas Lampe verbreitete schwaches Licht. »Warum habt ihr die Beleuchtung ausgeschaltet? Man sieht ja nicht einmal die Hand vor Augen!« Manifold räusperte sich unwillig. »Die Schaltanlage hat einen Knacks. Einer von Sheerons Leuten hat wie ein Wilder herumgeschossen. Der Schaden wird gerade behoben.« Ich wußte, daß Manifold mich anlog. Er will verhindern, daß
ich zuviel von den versteckten Waren sehe. Trotz unserer Zusammenarbeit traute er mir nur bis zu einem ganz gewissen Punkt. Ich konnte es mir nicht verkneifen und sagte: »Wie kommt es dann, daß die Kühlaggregate noch arbeiten?« »Das ist meine Sache«, kam es aus dem Dunkeln. Ich bohrte nicht weiter; die gute Laune des Piraten war mehr wert als jede Rechthaberei, denn ich war auf Manifolds guten Willen angewiesen, wenn ich Farnathia wiederfinden wollte. Plötzlich packte ich den Piraten am Arm. »Leise!« Das Summen der Kühlaggregate kam aus weiter Ferne, die eisige Finsternis schien uns verschlucken zu wollen. Dann hörten wir alle das seltsame Geräusch: Etwas tröpfelte in regelmäßigem Rhythmus auf den Metallboden. Ich blickte mich um. Das darf es hier doch gar nicht geben; jeder Wassertropfen gefriert in kurzer Zeit! Was kann das sein? Statt einer Antwort stieg Manifold die schmale Treppe hoch. Wir folgten ihm. Costa leuchtete vor uns den Boden aus und hielt inne, als der Lichtkegel einen unförmigen Klumpen streifte, der auf dem gerasterten Metallboden lag. Links und rechts erhoben sich die großen Lagerregale. »Da liegt etwas!« sagte er. Manifold stieß das Bündel mit dem Fuß beiseite. »Die Sachen gehörten einem meiner Männer.« Jetzt konnte ich die rostroten Flecken erkennen. Blut, durchzuckte es mich. Kein Zweifel, das können nur die Kleider der Toten sein. Ich spürte plötzlich einen kalten Hauch, der bestimmt nicht von der Kühlhausluft stammte. Das Tröpfeln hält unverändert an. »Dort rüber leuchten!« Costa kam meinem Wunsch sofort nach, seine Lampe leuchtete den Hintergrund aus, streifte blitzende Eiszapfen und matt beschlagene Metallverstrebungen. Doch außer den unzähligen Kästen, Ballen und Kleincontainern war nichts zu sehen.
»Glaubst du etwa, die Toten hätten sich selbständig gemacht?« Correson versuchte zu scherzen, doch es klang eher, als wollte er sich von einer Ungewissen Angst befreien. Jeder hatte wohl das Gefühl, daß gleich etwas Schreckliches geschehen mußte. »Die Körper sind verschwunden«, stieß Manifold hervor, zerrte einen Stoffetzen vom Regal und hielt ihn in den Lampenstrahl. »Hier war jemand vor uns und hat die Toten fortgeschafft.« Hinter uns tropfte es weiter. Immer wieder. Patsch… Pause – patsch… Pause… »Aber wer sollte – außer dem Mörder – ein Interesse an den Leichen haben?« »Fragen wir ihn doch selbst. Ich denke, daß sich der Unbekannte noch im Kühlhaus aufhält«, sagte ich langsam. Alle starrten mich entsetzt an. »Das kann doch nicht dein Ernst sein?« Correson konnte seine Angst kaum verbergen. »Helfen Sie mir mal, Costa! Ich will sehen, was da oben auf dem Regal liegt.« Der Zarltoner beugte sich leicht vor und verschränkte die Hände. Ich setzte einen Fuß darauf und schwang mich am Regal hoch. Noch ein Klimmzug, und ich hatte die obere Lagerfläche erreicht. Es war stockfinster, aus dem Dunkel kam ein schlechter Geruch. Ich konnte nichts sehen, hörte nur das lautere Tröpfeln. Ich streckte meine Hand aus: Eine klebrige Flüssigkeit lief über das vereiste Regal und verschwand zwischen den ausgestanzten Löchern in die Tiefe. »Licht, Costa!« Als der Lichtschein von der Decke, reflektiert wurde, sah ich etwas… Unwillkürlich schloß ich die Augen schloß, stöhnte unterdrückt. Das Ding hatte sich in Kleidungsfetzen eingehüllt. Es konnte jedoch nicht verhindern, daß seine
gallertartigen Körpermassen darüber hinwegquollen. Das Tropfen wurde noch lauter. Fast schien es, als sei das Gebilde in höchstem Maße erregt. Etwas Dunkles schob sich wie eine Trennwand zwischen mich und das Ungeheuer: Morgus, der Veränderliche. Von ihm ging ein fluoreszierender Schimmer aus, der beruhigend auf mich wirkte. Morgus hatte meine beginnende Panik aufgefangen und versuchte, mich telepathisch zu beruhigen. »Was ist da oben los?« Manifolds rauhe Stimme riß mich in die Wirklichkeit zurück. »Ein… ein Gallertwesen!« »Was?« Costa reckte den Arm mit der Lampe hoch, doch ihm war die Sicht versperrt. Manifold zog seinen Strahler und justierte die Abstrahlungsleistung. »Aus dem Weg, Atlan! Ich schmore das Ding schon zusammen.« »Nein! Da ist noch jemand bei ihm!« Ich war mir nicht sicher, ob der Pirat Morgus schonen würde. Im gleichen Augenblick fragte ich mich, was Morgus hier unten zu suchen hatte. Ein schrecklicher Verdacht stieg in mir auf. Doch ich wollte sichergehen. Morgus bildete ein zierliches Tentakel aus und berührte meine Hand; Bilder kamen und gingen. Die telepathischen Ströme wirkten beruhigend, als das Wesen jedoch Bilder von Farnathia abstrahlte, begann ich zu schreien. Ich wußte plötzlich, was dieses Gallertwesen auf dem Regal des Kühlraums war! Neben mir atmete jemand. Correson packte mich und versuchte, mich zu beruhigen. Es gelang ihm nicht. Ich starrte aus tränennassen Augen auf das zuckende Plasmabündel. Ich schrie, wie ich nie zuvor in meinem Leben geschrien hatte. Das »Ding« ist Farnathia! Correson rutschte auf der schleimigen Flüssigkeit aus und stürzte mit einem Wehlaut vom Regal. Wäre er von Manifold
nicht aufgefangen worden, hätte sich mein Begleiter zumindest einen Arm gebrochen. Ich vernahm die Stimmen wie durch einen dämpfenden Schleier. »Hat er den Verstand verloren?« »Wer ist Morgus?« »Er redet von Farnathia!« »Hat sich seine Kleine hier versteckt?« »Was hat sie mit den Leichen zu tun?« Atlan! Der Logiksektor gab einen überstarken Impuls ab. Ich zuckte zusammen, konnte die Umgebung wieder klarer wahrnehmen. Fast war mir, als könne ich mich selbst wie aus einer stark überhöhten Position beobachten, sah, wie ich am Regal hinunterkletterte, sah, wie mir Manifold und Costa halfen. Ich sah auch, wie Lord Correson an mich herantrat und mich etwas fragte. Dann war der seltsame Eindruck verschwunden. »Was hat dich so erschreckt?« Correson Stimme klang besorgt. Er nahm mir nicht übel, daß ich ihn vom Regal gestoßen hatte. »Dort oben liegt… Farnathia!« Er starrte mich entsetzt an, war er doch der einzige, der die Tragweite meiner Worte erfassen konnte. Ich mußte ihn gewaltsam daran hindern, auf das Regal zu klettern. »Sie ist anders… Ihr Körper ist nicht mehr… Die Metamorphose ist schon zu weit vorangeschritten!« Correson bedeckte das Gesicht mit den Händen. »Warum… warum mußte das gerade Farnathia passieren? Warum?« Eine Frage, die ich mir schon oft gestellt hatte, seit ich das erstemal von ihrer Veränderung erfahren hatte. Will mich der Blinde Sofgart auf diese Weise über Lichtjahre hinweg zum Wahnsinn treiben? Es wäre ihm beinahe gelungen – sofern er überhaupt für Farnathias Verwandlung verantwortlich ist. Ich schwor mir, bei allem, was mir heilig war, daß ich diese
teuflische Kreatur dafür zur Rechenschaft ziehen würde. Hat Sofgart Farnathia auf dem Gewissen, werde ich nicht zögern, diesen Folterer zu töten! Manifold schaute hoch. Das Tropfen hatte aufgehört. Ich sah, daß sich der unförmige Klumpen dicht unter der Decke vorwärts schob, Morgus kroch nebenher. Das Mimikrywesen versuchte weiterhin, das Farnathiagebilde vor unseren Blicken zu schützen. Bald mußte es die Wand erreicht haben, dort war sein Weg zu Ende. Dann müßte es zu uns herabkriechen, wollte es nicht ewig im Kühlraum verharren. Wir gingen langsam an den Regalen entlang. Obwohl ich jetzt schon längere Zeit im Kühlraum war, machte mir die strenge Kälte nichts aus. Nur der Gedanke an Farnathias Schicksal beherrschte mein Bewußtsein. Es war eigentümlich, daß ich noch auf eine positive Wendung hoffte. Bin ich schon so wirklichkeitsfremd geworden, daß ich nicht mehr zwischen Wunschdenken und Realität unterscheiden kann? Irgend etwas klatschte auf den Boden. Manifold wollte schießen, aber ich fiel ihm blitzschnell in den Arm und drückte seine Hand mitsamt der Waffe hoch. Der Glutstrahl zuckte in die Decke und ließ aufgetaute Flüssigkeit auf uns herabnieseln. »Aus dem Weg, Atlan!« »Du darfst das Ding nicht töten – das ist Farnathia!« Er erkannte meinen Gemütszustand und verzichtete auf eine barsche Entgegnung. Abwechselnd schaute er auf mich, dann auf das pulsierende Ungeheuer, das nur noch entfernt an eine arkonidische Frau erinnerte. »Was ist das für eine Krankheit?« Ich konnte es ihm nicht sagen. »Ich habe sie aus den Klauen des Blinden Sofgart befreit. Vielleicht hat er ihr Krankheitskeime eingepflanzt – ich weiß es nicht!« »Du warst auf Ganberaan?« »Ja.« Plötzlich sah mich der Pirat mit anderen Augen. Zweifellos
kannte er die Schreckenswelt vom Hörensagen, über die man sich auf den Handelsplaneten der Galaxis nur hinter der vorgehaltenen Hand unterhielt. Ich erzählte dem Piraten in kurzen Zügen, was sich auf der Folterwelt zugetragen hatte. Manifold glaubte mir, obwohl die Geschichte ziemlich phantastisch klang. »Und wie stellst du dir die Hilfe für… dieses Ding vor?« Ich hob die Schultern. »Die Metamorphose ist schon so weit vorangeschritten, daß ein Bauchaufschneider wohl kaum noch etwas dagegen unternehmen kann. Kennst du jemanden, der einen unkonventionellen Eingriff wagen würde?« Manifold kratzte sich an der Stirn. »Ihr Körper ist verloren. Damit mußt du dich abfinden. Aber ihr Gehirn lebt. Es gibt vielleicht eine Chance, dieses zu retten.« Ich starrte ihn verblüfft an. Auch Correson erwachte aus seiner Erstarrung und zeigte reges Interesse. »Wie sollten wir das anstellen? Wie sollen wir ein Gehirn transplantieren?« Allein der Gedanke daran war ungeheuerlich. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ein solches Experiment durchgeführt werden sollte. Doch ich war weder Spezialist auf diesem Gebiet noch Fachmann genug, um die Konsequenzen abwägen zu können. Fartuloon hatte mal erwähnt, daß es funktioniere – und der Logiksektor erinnerte mich an den biomechanischen Kämpfer Quits… Manifold tat sehr geheimnisvoll: »Ich kenne jemanden, der es vielleicht schaffen könnte!« Als wir den Kühlraum verließen, folgten uns Morgus und das Plasmawesen. Ich war froh, daß Manifold nicht mehr nach dem Verbleib der Leichen forschte. Nach allem, was geschehen war, mußte ich annehmen, daß sich Farnathia von ihnen ernährt hatte. Ich wußte jetzt auch, daß sie nicht entführt worden war. Sie hat während der beginnenden Metamorphose das Weite gesucht und ist hier unten gelandet…
Die Tür zum Kühlraum fiel dumpf in die Verriegelung. Manifold versuchte vergeblich, Verbindung zu dem anderen Piratennest zu bekommen. Wütend schlug er auf die Aktivierungstaste. »Schlafen diese Idioten?« Er versuchte es noch einmal. Rechts von mir stand Farnathia, Morgus wich nicht von ihrer Seite. Ihr ganzer Körper war von der mindestens fingerdicken Schleimschicht bedeckt, die Körperoberfläche schillerte wie ein Ölfilm. Ich konnte nicht erkennen, wie weit ihr Körper nun wirklich verändert war. Es waren weder Augen noch Mundöffnung zu erkennen. Über allem lag die zuckende Schleimschicht. »Ich komme nicht durch«, polterte Manifold. »Entweder schlafen die Kerle, oder sie haben von unserem Kampf mit Sheeron gehört.« Das konnte natürlich der Fall sein. Jeder Pirat hatte Angst vor dem Verlust seiner autarken Stellung, denn jeder wirtschaftete letztlich in die eigene Tasche. »Wie kann mir dieser Pirat helfen?« Manifold lehnte sich an das Instrumentenpult. Der Bildschirm zeigte noch immer kein Verbindungssymbol, die Lautsprecher blieben stumm. »Ich will Hopka Tarugga um Hilfe bitten. Er ist der Bruder einer meiner fünf Frauen.« »Was kann dieser Tarugga gegen Famathias Metamorphose unternehmen?« Manifold zögerte. Mit der Beantwortung meiner Frage war offensichtlich die Auskunft über Taruggas Beute verbunden. Dieser Pirat muß etwas geraubt haben, was Sheeron nicht kennt. Etwas, mit dem Farnathia geholfen werden kann. »Tarugga hat eine Schiffsladung Androiden erbeutet!« Manifolds Vorschlag lief also darauf hinaus, Farnathias Gehirn in einen Androidenkörper zu verpflanzen. Soviel ich
über die Technik solcher Verfahren wußte, bestand nur eine geringe Erfolgschance, zumal wir hier ja nicht auf einer Medowelt des Tai Ark’Tussan waren. Mein fotografisches Gedächtnis reproduzierte Hypnoschulungsinhalte, die Bestandteil der ARK SUMMIA gewesen waren; den Veröffentlichungen hochrangiger Bauchaufschneider zufolge befand sich die Wissenschaft der »Gehirntransplantation auf Kunstkörper« weiterhin im »Versuchsstadium«, wurde angeblich aber von einigen Gruppen der Galaktischen Mediziner betrieben, die ihrerseits wiederum auf unbekannte Fremdtechnik zurückgriffen. »Er ist kein Arkonide, interessiert sich bei den Beutezügen in erster Linie für Medotechnisches und ist ohne Zweifel unser bester Bauchaufschneider. Wenn jemand deiner Freundin helfen kann, dann er!« »Bei mir ist Taruggas Geheimnis sicher!« murmelte ich, innerlich fröstelnd und mich einen Wahnsinnigen schimpfend, weil der Logiksektor sachlich auf Quits Kämpfer hinwies: Mindestens einmal ist es gelungen – vor 6500 Jahren! »Das rate ich dir auch«, entgegnete Manifold kühl, wählte abermals den Kode, doch die Verbindung kam nicht zustande. Deshalb machte ich schließlich den Vorschlag, auf eigene Faust in das andere Mirkandhoum vorzustoßen. »Das geht schneller, als wenn wir hier darauf warten, daß er sich meldet.« Manifold deutete auf Farnathia. »Aber was geschieht inzwischen mit dem… Ding?« »Ich passe auf sie auf«, sagte Correson. »Morgus und ich werden Farnathia beschützen.« »Costa wird zu Sheeron zurückgeschickt, oder?« Wir hatten den Zarltoner draußen gelassen, darauf hatte Manifold bestanden. Er wollte keinen von Sheerons Leuten in seiner Kommandozentrale haben. »Du kennst den Weg zu
Tarugga nicht. Ich werde mit dir gehen. Meine Leute kommen ohne mich zurecht.« Mir sollte es recht sein, wenn der athletische Pirat dafür sorgte, daß wir möglichst rasch zu einem Androiden kamen. Ich wußte, daß ich mich an den berüchtigten Kristallsplitter klammerte. »Ihr könnt nebenan bleiben.« Manifold führte Correson, Morgus und das Plasmawesen in den angrenzenden Raum, hielt allerdings deutlich Abstand zu Farnathia. Ich wußte, daß er sich nicht vor ihr ekelte, sondern Angst hatte. Wir alle mußten davon ausgehen, daß die veränderte Farnathia den Männern das Blut aus den Adern gesaugt hatte. »Viel Erfolg!« rief uns Correson nach. »Beeilt euch!« Dann schlug die Tür zu.
12. Auf Ganberaan wurde die Auslösung einer biologischen Zeitbombe als Vollstreckung des allmächtigen Willens betrachtet, repräsentiert vom Blinden Sofgart. Eine Auflehnung gegen ihn gab es nicht. Die automatischen Zeitgeber setzten den Blinden Sofgart davon in Kenntnis, daß die Wirkung des Bio-Parasiten eingesetzt haben mußte. Irgendwo in der Galaxis würde das Opfer Angst und Schrecken verbreiten, um dann elend zugrunde zu gehen… Es hatte für kurze Zeit die Beherrschung über den Wirtskörper verloren. Aus Angst vor dem Nahrungsentzug war es in Panik geraten und hatte sein Opfer an vielen Stellen mit den dolchartigen Tentakeln durchbohrt. Doch der gepeinigte Körper hatte keinen Schmerz mehr empfunden, sondern sich vielmehr zusammengekauert und auf das unabänderliche Ende gewartet. Dann waren da noch drei Körper gewesen. Starre, regungslose
Körper in der eiskalten Umgebung. Seine Gier verlangte nach dem kalten Fleisch. Immer wieder schickte es Hungerimpulse in seinen Wirtskörper, assimilierte dessen Kraftreserven und brachte ihn in kurzer Zeit an den Rand des Zusammenbruchs. Es konnte nicht mehr lange dauern, und das Wesen würde sterben. In dieser Situation gewann es wieder die Macht über den Wirtskörper zurück. Die grausame Kälte hatte endlich den Ausschlag gegeben. Obwohl es selbst nicht viel davon spürte, mußte das Wesen schreckliche Qualen erleiden. Auch die isolierende Schleimschicht auf der Körperoberfläche konnte auf die Dauer nichts nützen. Doch noch besaß es genügend Reserven, um seine Umgebung zu erwärmen. Es ging ihm nicht schnell genug. Immer neue Hungerimpulse zwangen den Wirtskörper dazu, die erstarrten Gebilde zu zerreißen. Es selbst sah nichts, hörte nichts und empfand dabei nichts. Es konnte nur die chaotischen Empfindungen des Wirtskörpers aufnehmen, die ihm den Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme ankündigten. Und wieder wurde artfremdes Eiweiß aufgenommen und in arteigenes umgewandelt. Seine Kraft steigerte sich. Dann tauchten die Fremden auf. Der Wirtskörper reagierte ungeahnt heftig. Es kam zum inneren Ringen zwischen dem veränderten Körper und ihm, dem Parasiten. Eine Entscheidung gab es nicht. Deshalb beschloß er abzuwarten. Nur wenn die Todeswünsche des Wirtskörpers übermächtig wurden, schickte er seine neutralisierenden Impulse aus. Die Fremden und der ihn umschließende Körper kannten sich anscheinendgut. Unglaublich intensive Empfindungen strömten auf den Parasiten ein. Doch solche Gefühlsregungen waren ihm fremd. Er sondierte die Eindrücke, die auf seinen ewig hungrigen Instinkt einprasselten, und wartete. Er wartete auf das nächste Opfer. Er wußte, daß dieses für längere Zeit in seiner Nähe bleiben sollte. Sein Wirtskörper stand in starker Gefühlsabhängigkeit zu diesem Opfer. Das würde ihn jedoch nicht daran hindern, ihm das Blut auszusaugen. Das war die bequemste und angenehmste Art der
Nahrungsaufnahme. Die anderen Wesen gingen. Er konnte mit seiner Attacke beginnen. Die spitzen Tentakel schoben sich langsam durch die Schleimschicht ins Freie, würden den anderen blitzschnell treffen. Er zitterte vor Gier. Er konnte sich nicht mehr beherrschen… Manifold schlug mit den Fäusten gegen das schwere Tor. Seine Faustschläge hallten wie die Tritte eines urzeitlichen Tieres durch das Gewölbe. Nichts rührte sich. Wir waren in kurzer Zeit zu Taruggas Nest gelangt, unterwegs war uns niemand begegnet. Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich. Jedes Piratennest ist mit durchschnittlich fünfhundert Arkoniden besetzt. Es ist also sehr verwunderlich, daß sich in Taruggas Nest niemand rührt. »Wenn ich den verdammten Bruder meiner triefäugigen Frau erwische, breche ich ihm sämtliche Knochen!« »Das würde ich nicht tun, Manifold! Wie kämen wir sonst zu einem funktionierenden Androiden, und vor allem – wie sollen wir die Gehirntransplantation vornehmen?« Das ernüchterte den Piraten sofort, zumal er sich auch Sorgen machte, was mit Tarugga passiert sein mochte. »Wir kennen uns viel zu gut. Es muß etwas Unvorhergesehenes geschehen sein!« Er denkt an Sheeron und die Kämpfe, vermutete mein Extrasinn. Ich versuchte Manifold zu beruhigen: »Ich kenne Sheeron inzwischen gut genug – er würde seine Macht nicht auf Kosten der anderen Nester ausdehnen. Dazu braucht er euch alle viel zu sehr.« Er schwieg und rüttelte am Schloß des schweren Zugangstors. Die Verriegelung ließ sich von außen nicht beseitigen. Es sei denn, man wendete Gewalt an. Er wischte sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn.
»Tarugga hat noch nie sein Nest verriegelt.« »Dann müssen wir die Tür aufbrechen. Es ist die einzige Möglichkeit.« Wir zogen unsere Strahler und justierten die Abstrahlmündungen auf feinste Bündelung. Manifold atmete schwer aus und nickte. Wir schossen fast gleichzeitig. Die nadelfeinen Energiestrahlen bohrten sich in das Tor aus Arkonstahl. Ich mußte die Linke vor meine Augen heben, um nicht geblendet zu werden. Glutflüssiges Material quoll aus der gezackten Rille, die sich um das Schloß fraß. Wir nahmen die Daumen erst von den Waffenkontakten, als das Schloß herausbrach. Ein Drittel der Zweiflügeltür glühte hellrot. Die Luft war drückend heiß geworden. »Entweder lebt keiner mehr, oder die liegen tatsächlich auf ihren Ohren«, knurrte Manifold. Wir sahen uns um. Rechts lagen die Bruchstücke eines Warencontainers. Manifold packte eine Stange und stieß sie in das glühende Torloch. Ein schwerer Stahlbrocken polterte nach innen. Wenig später konnten wir eintreten. Feuchtwarme Luft kam uns entgegen. Manifold schluckte. »Schlechte Lüftung.« Rauchschwaden waberten bis zur Decke des riesigen Saales. Die vielen Zugänge zu den einzelnen Kabinen zweigten düster nach allen Seiten ab. Vor uns stand ein zerschossener Gleiter, dessen Front völlig platt gedrückt war. Der verbrannte Fahrer hing über den verschmorten Kontrollinstrumenten; er hatte offenbar mit dem Fahrzeug durch das Tor rasen wollen. Die Torflügel des Ausgangs mußten sich blitzschnell geschlossen haben, so daß er gegen die Stahlwand geprallt war. Ringsum schwelten Trümmer. Wir gingen schweigend weiter, in den Händen die schußbereiten Strahler. Unter unseren Füßen knirschten Splitter. Irgendwo knarrte eine Tür. Die Zeichen eines erbarmungslosen Kampfes waren nicht zu übersehen. Ich kniff die Augen zusammen. Die Rauchfahnen krochen wie Nebel
über den Boden, hingen über den Körpern vieler Toter, deren Hände sich um die Griffe schwerer Strahlwaffen verkrampft hatten. Ich zuckte herum, doch da war nichts, was uns hätte gefährlich werden können – hoffte ich. »Die Toten können uns nichts mehr tun«, stieß Manifold sichtlich erschüttert hervor. Dieses Chaos hätte er nicht erwartet. Zu Anfang hatten wir die Zahl der Opfer noch gezählt, jetzt gaben wir es auf. Keiner von Taruggas Leuten scheint überlebt zu haben, raunte der Logiksektor. »Wo ist der Gegner?« Ich hatte den Eindruck, daß wir seit unserer Ankunft beobachtet wurden. Doch nirgendwo regte sich etwas. Die Toten lagen starr und seltsam verkrampft zwischen den Trümmern. »Es fehlt nur noch, daß diese Unglücklichen zum Leben erwachen…« Unwillkürlich hatte ich das Gefühl, daß hier alles möglich war. Wie sollte es weitergehen? Wieder erklang ein seltsam knarrendes Geräusch. Es hörte sich an, als würde jemand etwas Schweres, Sperriges beiseite schieben. Manifold blickte mich aufgeregt an. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. »Was war das?« Ich streckte die Hand aus. Zwischen den Rauchfahnen war ein dunkler Schemen zu erkennen, der sich langsam bewegte, schwankte, bis seine Konturen schärfer wurden. Zwei Arme, die wie die eines Betrunkenen haltlos durch die rauchgeschwängerte Luft griffen. Der Unbekannte hatte seinen Kopf gesenkt, ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Sein Körper war mit einer Einheitskombination bedeckt; an vielen Stellen klafften blutverschmierte Risse in dem zähen Plastikstoff. Ein tierhaftes Keuchen wurde laut. Es dauerte Augenblicke, bis wir sicher waren, daß der Nähertorkelnde diese Laute ausstieß. »Ein Verwundeter.« Manifold stürzte auf den Fremden zu.
Ich konnte ihn nicht mehr zurückhalten. Kaum war der Pirat bei dem Taumelnden angelangt, als dieser seine Rechte hochriß und mit aller Kraft auf Manifold einschlug. Der athletische Pirat war so überrascht, daß er zu keiner Reaktion fähig war. Der vermeintliche Verwundete entpuppte sich als reißende Bestie. »Atlan!« Manifolds Stimme klang entsetzt. Ich stürzte zu den beiden und versuchte, sie zu trennen. Plötzlich wurde es um uns herum lebendig: Aus allen Richtungen tauchten diese schwankenden Schemen auf, kamen langsam, aber zielstrebig auf uns zu. »Die Toten… die Toten wollen uns vernichten!« Manifold wehrte die Angriffe des Stummen verzweifelt ab. Ich wurde von dem Kerl mit einer einzigen Handbewegung zu Boden geschleudert. Der Bursche ist verdammt zäh, durchfuhr es mich. Doch als ich ihn näher betrachten konnte, sah ich, daß sein Körper von einem Desintegratorschuß durchbohrt worden war. Wie kann er noch leben? Die Finger des Mannes schrammten über Manifolds Brustpanzer. Es klang, als würde eine Drahtbürste über blanken Stahl kratzen. »Das ist kein Wesen aus Fleisch und Blut!« Wer oder was diese Kreatur auch sein mochte, ein Arkonide war es ganz bestimmt nicht – obwohl eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden war. Ich ignorierte eine Bemerkung des Extrasinns, hob den Strahler, mein rechter Daumen lag auf dem Auslösemechanismus. »Auf den Boden!« Im gleichen Augenblick drückte ich ab. Der Glutstrahl teilte das tobende Wesen in zwei Hälften. Ich sprang und zog Manifold aus der Reichweite der verdampfenden Gewebeteile. Der Pirat zitterte am ganzen Körper. Doch das Schlimmste stand uns noch bevor. Ich wußte plötzlich, daß dies nur ein Vorspiel zu etwas viel Schrecklicherem gewesen sein konnte. Rhythmisch wiederkehrendes Scharren war zu hören, der ätzende Geruch verbrannter Masse legte sich schwer auf
unsere Lungen. Vor uns wallten Dämpfe, kleine Flämmchen züngelten über den Körperfragmenten. »Er lebt noch!« schrie Manifold. Ich sah es ebenfalls: Die abgetrennte Hand zuckte konvulsivisch auf und ab, krallte sich in den Boden und bewegte sich vorwärts. Manifold stotterte wie ein kleines Kind, das Gesehene ging über seinen Verstand. Ich versuchte, das grauenhafte Gebilde mit dem Fuß wegzustoßen, doch es gelang mir nicht. Bevor ich reagieren konnte, hatten sich die Finger um mein Bein gekrallt. Ich spürte die messerscharfen Nägel, meine Angst entlud sich in einem verzweifelten Schrei. Ich schoß, fühlte die Hitze am Bein; Augenblicke vergingen, bevor sich das Ding löste. Die Schmerzen machten mich fast verrückt. Manifold feuerte auf die blutverschmierte Hand und vergaste sie blitzschnell. Als ich ruckhaft aufstand, fuhr ein schneidender Schmerz durch mein rechtes Bein. Ich biß die Zähne zusammen und humpelte vorwärts. Die Unheimlichen hatten inzwischen den Kreis um uns geschlossen, kamen schweigend näher. Sie hatten es nicht eilig, wußten, daß wir ihnen nicht entwischen würden. Manifolds Stimme hatte einen rauhen Klang: »Da sind noch mehr von dieser Sorte! Mit denen werden wir bestimmt nicht fertig. Sie haben anscheinend auch Taruggas Leute auf dem Gewissen.« Es war unbeschreiblich, was da auf uns zukam! Die skurrilsten Gestalten, die man sich vorstellen konnte, zogen den Kreis um uns enger. Einige hatten keine Arme mehr. Ihre Kiefer bewegten sich rhythmisch und erzeugten ein ratterndes Geräusch. Ich versuchte mir vorzustellen, was diese Schreckensgestalten mit uns machen würden. »Wir müssen durchbrechen!«
»Aber was kommt dann?« Manifold hatte recht. Wir konnten nicht ewig vor diesen »lebenden Toten« davonlaufen. »Vielleicht haben sich einige der Leute in den Gängen verbarrikadiert.« »Ich glaube nicht, daß noch jemand lebt. Ich habe es am eigenen Körper erlebt, wie stark diese Bestien sind… Nein, da ist keiner lebend davongekommen!« Die Reihe der Näherkommenden war höchstens zehn Meter entfernt, als ich beschloß, zum Frontalangriff überzugehen. Manifold wollte sich hinter einem Gleiter verstecken, deshalb packte ich ihn und zog ihn näher. Unsere Gesichter waren kaum zwei Handbreit voneinander entfernt. Wir starrten uns in die Augen, Manifolds rechtes Lid zuckte. Ich raunte: »Wir rennen auf sie zu! Kurz vor ihnen schießen wir! Verstanden?« Manifold nickte. Ich stand auf und nahm den Strahler in die Rechte; er war auf maximale Energieabgabe geschaltet. »Jetzt!« Wir rannten blitzschnell los – ich konnte nur humpeln, kam aber dennoch ganz passabel voran. »Schießen!« Glutende Impulsbündel wirbelten die Gestalten durcheinander. Zwei von ihnen wurden wie welke Blätter hochgerissen und sofort zu Asche verbrannt. Die anderen machten nicht einmal den Versuch, vor uns davonzulaufen. Sie starben wie Wesen, die nie richtig gelebt hatten: stumm und ohne jede Gefühlsregung. »Dort drüben – sie wollen uns den Weg zum Gang abschneiden!« Ich schoß zuerst. Der Geruch verbrannten Fleisches stieg uns in die Nasen. Manifold würgte, gewann jedoch rasch die Beherrschung zurück und folgte mir. Vor uns lag ein dunkler Gang, der zu den Kabinen einer Piratenfamilie führte. Im Hintergrund sahen wir eine kantige Barriere. Dort hatten sich wohl mehrere von Taruggas Leuten verschanzt, bevor sie von den Unheimlichen überrannt worden waren. Ich stand links,
Manifold rechts: Wir starrten auf die näher schwankenden Gestalten, die eine breite Phalanx gebildet hatten; diesmal würden sie uns nicht durchbrechen lassen. Irgendeine unbegreifliche Kraft hielt sie aufrecht, obwohl sie sich mechanisch wie Puppen bewegten. »Das sind die Androiden!« stieß Manifold rauh hervor. »Weshalb bekämpfen sie uns? Kunstwesen dieser Art dürfen sich normalerweise nicht gegen ihre Schöpfer wenden.« Manifold lachte kurz. »Was heißt schon normalerweise? In der Sogmanton-Barriere ist nichts normal!« Die schwankenden Gestalten waren höchstens noch fünfzig Meter von uns entfernt, alle trugen die zerfetzten Einheitskombinationen. »Vielleicht wurden sie gar nicht belebt. Ein energetischer Schock, der ihre Körper in Bewegung gesetzt hat?« Das war durchaus möglich. »Wir schießen noch einmal – mit geringer Energieleistung.« Ich wußte, daß das Energiemagazin nicht ewig reichen würde. Sheeron hatte mir nur eines mit fünfzig Schuß mittlerer Leistung gegeben. Das konnte mich jetzt das Leben kosten. Das Fauchen der Impulsstrahlen mußte weithin hörbar sein. Die Glutbahnen kreuzten sich mehrmals und lösten die Körper der Angreifer in einem Atemzug auf. Aber es kam immer wieder Nachschub, es wurden immer mehr. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie uns erreicht haben. Dann versagte meine Waffe: Das Magazin war leer geschossen, und ich hatte keinen Ersatz. Wütend schleuderte ich die nutzlos gewordene Waffe in die Menge der Angreifer. Einer von ihnen fing den Strahler geschickt auf, verbog spielerisch den hochverdichteten Stahllauf. Manifold atmete schwer. So was hatte er noch nicht erlebt. »Wir sind verloren! Es hat keinen Sinn mehr – lieber sterbe ich durch meine eigene Waffe.« Er richtete den Lauf seines Strahlers gegen die Schläfe und wollte abdrücken. »Nein!« schrie ich und riß seine Hand beiseite. Manifold ließ
den Strahler los, versuchte auszuweichen. Durch den Schwung vorwärts gerissen, stolperte er genau auf die näher kommenden Androiden zu. Er brüllte entsetzt auf, als die erste Klaue nach ihm griff. Doch der künstliche Arkonide rutschte am Brustpanzer ab. Das genügte mir, um den Piraten unter dem zuschlagenden Androiden hervorzuzerren. Manifold kam auf die Beine. Ich packte ihn und schleifte ihn in den Gang zurück. Mir wurde schmerzhaft bewußt, daß wir jetzt keine Waffe mehr hatten. Mein rechtes Bein blutete. Der Schmerz kam in regelmäßigen Intervallen. Waren vergiftete Sekrete des Androiden in meinen Kreislauf eingedrungen und hatten ihr Zerstörungswerk begonnen? Wir liefen weiter in den finsteren Korridor. Hinter uns die mordgierige Heerschar der Androiden, vor uns der unbekannte Gang. Plötzlich prallte ich mit voller Wucht gegen eine herabhängende Stahlverstrebung, sah wirbelnde Sternchen in pudriger Dämmerung. Ich merkte kaum noch, daß sich Manifold über mich beugte und der Gang von einer heftigen Detonation taghell ausgeleuchtet wurde… »Alter Androidenjäger!« rief eine mir unbekannte Stimme. Ich lag auf einer harten Unterlage. Um mich herum war alles wie in Watte gebettet. Irgend jemand mußte mir ein Beruhigungsmittel injiziert haben; mein verletztes Bein schmerzte nicht mehr, ein eigenartig taubes Gefühl hatte dem Pochen der Wunde Platz gemacht. »Wo… bin ich?« Ich hatte Mühe, richtig zu sprechen. »Was ist… mit den Androiden los?« »Er kommt wieder zu sich«, sagte die fremde Stimme. Ein dunkelhäutiges Gesicht beugte sich über mich. Ich hatte den Mann nie zuvor in meinem Leben gesehen. Seine Augen strahlten in dem hellsten Blau, das ich jemals gesehen hatte,
sein Bart war zerzaust und ungepflegt. Trotzdem machte der Mann keinen unsympathischen Eindruck. Tarugga? Ich hörte Manifolds sonore Stimme: »Nicht schlappmachen, Atlan!« Der Fremde richtete mich vorsichtig auf. Jetzt konnte ich sehen, wo wir uns befanden: Die runden Schotten, die ovalen Gänge – das mußte ein Raumschiff sein. Mein Logiksektor bestätigte: Walzenfrachter. Manifold reichte mir einen dunkelbraunen Brocken. »Iß das; geht gleich wieder besser!« Ich befolgte seinen Rat. Das Zeug schmeckte süßlich und roch nach faulenden Pflanzen. Mit meinem Speichel vermengt, ergab es einen zähen Saft, dessen ölige Bestandteile belebend wirkten. »Das ist Tarugga«, stellte mir Manifold den anderen Mann vor. »Außer ihm sind nur noch fünf andere seines Nestes übriggeblieben. Einer ist schwer verletzt.« Das war in knappen Zügen die Lage, in der wir uns befanden. Tarugga deutete auf die Einrichtung. »Das ist das Raumschiff, mit dem die Androiden hierhertransportiert wurden.« »Warum liefen sie plötzlich Amok?« »Das ist mir ein Rätsel. Vielleicht waren wir längere Zeit extrem harter Hyper-Strahlung ausgesetzt.« »Haben Sie das Tor Ihres Nestes verriegelt?« »Ja… Einige dieser tollwütigen Burschen waren nach draußen verschwunden. Ich wollte verhindern, daß noch mehr in die oberen Etagen verschwinden. Sheeron hätte uns zur Rechenschaft gezogen.« Tarugga machte eine Pause. »Jetzt bereue ich meine Starrköpfigkeit. Gemeinsam hätten wir die Androiden rasch beseitigen können. Doch jetzt ist es zu spät. Mein Clan existiert nicht mehr, und uns wird es auch bald erwischen.« Manifold legte dem Mann die Hand auf die Schulter. Das
Schicksal hatte dem Dunkelhäutigen einen schweren Schlag versetzt. »Warum habt ihr Sheeron nicht über Funk alarmiert?« »Weil die verdammten Androiden jedes Gerät zertrümmert haben. Sogar die Minikome waren unerreichbar, weil sie die Gerätekammer belagern. Und der Schiffssender…«, Tarugga deutete auf die verwüstete Zentrale, »… ist schon lange vorher zerstört worden.« Wir waren also eingeschlossen. Du vergißt deinen Armbandsender! Mein Extrasinn erinnerte mich an Sheerons Abschiedsgeschenk. Blitzschnell riß ich den linken Arm hoch, doch der kleine Sender war verschwunden. Ein Heilpflaster umschloß das Handgelenk. Tarugga hatte meine Geste bemerkt und sagte: »Ein Bombensplitter hat Ihre Hand getroffen. Der Minisender wurde zerstört. Manifold hat mich schon darauf aufmerksam gemacht.« Ich biß die Zähne zusammen. Von draußen drangen Kratzgeräusche herein. Ich drehte mich um und sah die beiden Piraten fragend an. Bevor Tarugga etwas sagen konnte, stürzte eine dicke Arkonidin herein. Sie sah mich kurz an und sagte mit schriller Stimme: »Die Androiden werden die Schleuse bald aufgebrochen haben! Ah, unser Gast ist wieder bei Besinnung – dann stirbt er wenigstens bei vollem Bewußtsein. Das ist auch was wert.« »Meine Frau.« Tarugga lächelte entschuldigend. »Die letzte; alle anderen sind tot.« »Wenn ihr Waffen habt, werde ich mich zu wehren wissen.« »Hört, hört!« keifte die Dicke. »Da haben wir uns ja einen ganz harten Brocken eingehandelt.« Manifold reichte mir drei eiförmige Metallkörper. »Sprengbomben auf chemisch-thermischer Basis!« Plötzlich ertönte aus dem Schleusengang wildes Schreien. Wir ruckten
herum. Manifold war der erste, der den Grund für den Lärm erkannte. »Die Androiden haben die Schleuse geknackt!« Kaltes Entsetzen drohte mich zu lähmen. Drangen diese mordgierigen Amokläufer hier ein, würde keiner von uns überleben. Ich packte die Bomben und stand auf. Ein plötzlich einsetzendes Schwindelgefühl ließ mich schwanken, die Platzwunde an der Stirn schmerzte. Ich schloß die Augen; das Schreien der kämpfenden Piraten schien aus weiter Ferne zu kommen. Dann hatte ich die Schwäche überwunden. Manifold ergriff eine schwere Metallstange und stürzte in den Gang. Wenig später erklang sein lautes Fluchen, Metall schrammte über Metall. Ich versuchte mir vorzustellen, wie der Hüne in dem Schleusenraum wütete. Die Androiden kamen nicht weit, Manifold warf die erste Angriffswelle zurück, dann schoß Tarugga mit dem Strahler breite Breschen in die anbrandende Menge. Als ich eine Bombe aktivieren wollte, fiel mir Tarugga in den Arm. »Nein, wir brauchen die Dinger, wenn es wirklich ernst wird!« Was verstand der Pirat unter »ernst«? War die Lage nicht schon verzweifelt genug? »Helft mir! Wir verschweißen das Schleusentor!« schrie er. »Wir müssen die Atempause nutzen. Die nächste Reihe der Angreifer muß erst den Wall der Gefallenen überwinden.« Manifold zerrte die Brechstange, mit der die Androiden das Schott aufgestemmt hatten, aus dem Scharnier. Dann verriegelten wir die Tür von innen. Tarugga zerschmolz den defekten Riegel mit dem Strahler, ließ die Metallschmelze in die Ritzen tropfen. Anschließend legten wir eine Stahlplatte über das Tor und verschweißten die Enden mit der Schleusenwandung. Von draußen drang wieder das Schaben und Kratzen der Androiden herein. Es klang, als würden unzählige Insekten an der Stahlhaut des Raumschiffs krabbeln.
Die Kraft dieser künstlich geschaffenen Wesen schien unerschöpflich sein, ihre Zahl ging in die Hunderte. Ich hatte plötzlich eine Idee. Doch zuerst mußte ich wissen, in welchem Raumschiffstyp wir uns befanden. Nach allem, was ich bis jetzt gesehen hatte, konnte mein Plan Erfolg haben. Wir befanden uns offenbar in einem kleinen Frachter von zylindrischer Bauart. Ich wußte, daß dieser Raumschiffstyp vier Schleusen hatte: zwei zum Be- oder Entladen der großen Warencontainer, eine Mannschleuse und eine für die Beiboote, in diesem Fall für Gleiterfahrzeuge. »Sind die Frachtschleusen passierbar?« »Nein.« Der Dunkelhäutige schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Androiden haben sich gewaltsam einen Weg ins Freie gebahnt. Es hat mich allerhand Arbeit gekostet, wenigstens die Kommandokapsel zu isolieren. Es hätte nicht viel gefehlt, und die Bande wäre auch hier eingedrungen. Die letzte Attacke haben Sie ja selbst miterlebt.« »Und wie steht es mit der Gleiterschleuse – existieren die Fahrzeuge noch?« Tarugga machte eine wegwerfende Handbewegung, hatte selbst schon an diese Möglichkeit gedacht. »Selbst wenn die Fahrzeuge noch manövrierfähig sind, und gesetzt den Fall, wir erreichen sie lebend – wie sollen wir denn mein Nest verlassen? Ich selbst habe das Grenztor verriegelt!« »Haben Sie nicht daran gedacht, wie wir hierhergelangen konnten?« Sein Gesicht entspannte sich plötzlich. »Natürlich! Ihr mußtet das Tor aufbrechen. Aber… das bedeutet auch, daß diese Bestien ausbrechen können. Sie werden andere Nester angreifen!« Tarugga schwankte zwischen Entsetzen und neuer Hoffnung: Er wollte die Hölle seines Nestes verlassen, doch nicht auf Kosten der anderen Piratenclans.
»Deshalb müssen wir so schnell wie möglich ausbrechen!« beschwor ich den Piraten. »Nur wir können die anderen warnen!« Das überzeugte sogar Manifold. »Wir versuchen es, und wenn es das letzte ist, was wir in unserem Leben wagen.« Ich nahm die Bomben und ging voran. Manifold stützte den Verwundeten, während Tarugga mit seinen drei Männern die Flanke sicherte. Seine Frau blieb neben mir und Manifold, sie hielt einen kleinen Strahler krampfhaft fest. Wenig später standen wir vor dem Schott. Der Androide mußte auf uns gewartet haben. Als ich durch das Schott in die offene Gleiterschleuse trat und angespannt in den düsteren Hangar starrte, griff er mich überraschend von der Seite an. Seine messerscharfen Krallen schrammten mir über die Schulter, glitten ab und rutschten über den Stahl des weit geöffneten Tores. Ich ließ mich fallen, rollte ab und kam wieder hoch. Noch während ich aufsprang, riß ich den Sicherungsring der faustgroßen Bombe ab. Wenige Augenblicke nachdem ich den Zündbügel losließ, würde das Ding explodieren. »Köpfe runter, Leute… gleich knallt’s!« Im Hintergrund des Hangars wurde es lebendig. Ich brauchte nicht auf den nächsten Angriff zu warten. Der Androide ruckte herum und starrte mich an, das häßliche Maul war weit geöffnet und entblößte angeschmolzene Plastikzähne. Das Zerrbild eines Arkoniden, durchzuckte es mich. Ich rammte ihm blitzschnell die Bombe in den weit aufgerissenen Rachen und versetzte ihm einen Tritt. Das künstliche Wesen stolperte zwischen seine näher kommenden Genossen. Ich warf mich zur Seite und barg den Kopf zwischen den Armen. Im gleichen Augenblick dröhnte die Explosion durch den Hangar, machte mich halb taub. Der
Geruch verbrannter Chemikalien breitete sich aus, gelbliche Dämpfe erfüllten den Hangar. Bis auf das Knistern der Flammen und unser aufgeregtes Atmen war es still. »Kommt… wir dürfen keine Zeit verlieren!« Manifold schüttelte sich. Eine Staubwolke wurde aufgewirbelt. »Das war eine reife Leistung.« »Keine Zeit für Lobhudeleien… Der Knall hat die anderen Androiden sicherlich munter gemacht!« Er schleppte den Verwundeten mit sich. »Jetzt weiß ich, wie du von Ganberaan fliehen konntest!« Anerkennung schwang in der Stimme des Piraten mit. Wir untersuchten die Gleiter. Die meisten waren unbrauchbar. Die tobenden Androiden hatten einen einfach aus der Schleuse geschoben, die Sichtkuppeln der anderen zerschmettert oder ihre Armaturenbretter demoliert. Wir sahen uns rasch um. Uns blieb nicht mehr viel Zeit, denn durch die geöffnete Gleiterschleuse konnten wir die Menge der Androiden sehen. Sie paßten auf, daß niemand aus dem Schiff entkam. Einige kletterten über die steile Rampe auf uns zu. »Hier, der Gleiter sieht noch wie neu aus!« schrie Taruggas Frau und winkte mit dem Strahler. Das Fahrzeug schien tatsächlich unbeschädigt zu sein. Ich drückte den Schalter des Energieverteilers; die Kontrollen gaben Grünwert. Leider war der Gleiter nur für vier Personen ausgelegt. Wir waren genau doppelt soviel. Es muß auch so gehen. Die angreifenden Androiden nehmen uns weiteres Herumsuchen ab. »Drei auf die hintere Sitzbank!« rief ich. »Ihr nehmt den Verwundeten quer vor euch. Paßt auf, daß er nicht stürzt!« Manifold setzte sich ans Steuer. Der restliche Platz war reichlich eng für Tarugga, seine Frau und mich. Ich mußte die Luft anhalten, doch dann war die transparente Kuppel über
uns geschlossen. Keinen Augenblick zu früh, denn zwei Androiden stürmten heran und schlugen gegen die Scheibe. Ich sah ihre verzerrten Gesichter, die weder Gefühle noch echten Haß ausdrückten, nur blinde, instinkthafte Aggression. Und in so was wollten wir Farnathias Gehirn… Der Gedanke brach ab. »Warum heben wir nicht ab?« Manifold ließ seine Rechte über die Sensorschalter gleiten. Doch es rührte sich nichts. »Haben wir genügend Energie?« »Ja – es muß etwas anderes nicht in Ordnung sein.« Inzwischen waren es zehn Androiden, die versuchten, unseren Gleiter umzukippen. Das kleine Fahrzeug schwankte bedrohlich. »Verdammt… daß ich daran nicht gedacht habe!« Plötzlich schwebten wir unter der Hangardecke. »Was war los?« Manifold grinste entschuldigend. »Der automatische Riegel! Ich habe vergessen, daß diese kleinen Fahrzeuge eine Diebstahlsicherung haben. Wer nicht zu Taruggas Clan gehört…« Tarugga wurde sofort hellhörig. »Und woher kennst du meinen Kode?« »Geheimnis, Bruder.« Der Wortwechsel ging mir auf die Nerven. Haben die beiden nichts anderes im Sinn, als in dieser Situation über ihre kleinkarierten Sicherheitsvorkehrungen zu streiten? »Seht euch lieber die Gegend da unten an!« Nach unserer geglückten Flucht aus dem Frachter hatten sich die Androiden gesammelt und stürmten in geschlossener Front auf das Grenztor zu. Irgendwie schienen diese Kreaturen zu ahnen, daß wir nur dort hinauskonnten. Manifold steuerte den Gleiter geschickt durch einen dunklen Verbindungsgang und vermied es, den Wänden zu nahe zu
kommen. Ich mußte zugeben, daß er ein ausgezeichneter Pilot war. Für wenige Augenblicke blendete uns das Licht der großen Verteilerhalle. Der trümmerübersäte Boden war mir und Manifold in »bester« Erinnerung. »Dort – sie haben das Grenztor noch nicht erreicht!« Tatsächlich kamen die Androiden nicht so schnell vorwärts. Wir hatten also eine reelle Chance, vor ihnen hinauszukommen. Dicht vor dem geöffneten Tor schlitterte der Gleiter über den Boden. Es ruckte, dann standen wir. »Den rechten Torflügel aufstoßen, Atlan… sonst kommen wir nicht durch!« Ich schwang mich aus dem Gleiter. Die Angreifer waren höchstens noch fünfzig Meter entfernt. Ich spürte den kalten Stahl der beiden letzten Bomben an meiner Brust. Sie werden uns den nötigen Vorsprung verschaffen, dachte ich, während ich das Tor weit genug öffnete, so daß Manifold den Gleiter hinaussteuern konnte. »Spring rein!« Das schlanke Fahrzeug schwebte wenige Handbreit über dem Boden. Ich lief nebenher, zündete eine Bombe und schleuderte sie zwischen die Androiden. Noch im gleichen Augenblick sprang ich zwischen Tarugga und dessen Frau. Manifold zog den Gleiter hoch. Die Bombe explodierte, ihre Druckwelle schüttelte uns gehörig durch. Ich warf auch die zweite Bombe. Sie explodierte genau zwischen den Türflügeln und riß eine breite Bresche in die ausbrechenden Androidenreihen. »Es wird einige Zeit dauern, bis sie ein anderes Nest erreicht haben«, sagte Tarugga zufrieden. »Bis dahin haben wir Manifolds Sender erreicht und können alle warnen.« Wir beeilten uns. Meine Sorge um Farnathia hatte inzwischen ihren Höhepunkt erreicht: Der Versuch der Gehirntransplantation war ein fürchterlich Fehlschlag
gewesen, geboren aus der Verzweiflung! In Erinnerung an Quits Kämpfer dachte ich fröstelnd: Vermutlich sogar besser so! Wir hatten kaum den Gleiter verlassen, als wenigstens zwanzig Impulsstrahler auf uns gerichtet wurden. Sheerons Leibgarde nahm uns in Empfang. »Waffen abliefern!« »Was sucht ihr in meinem Nest? Habt ihr nicht genug Unheil angerichtet?« Manifold stand kurz vor einem heftigen Gefühlsausbruch. Ich sah seine Schläfen anschwellen. Einmal in Wut geraten, konnte wohl kaum jemand den kräftigen Piratenführer überwältigen. Es sei denn, man wollte keine Gefangenen machen. Die Strahler ließen nichts Gutes vermuten. »Würdet ihr für einen Augenblick zuhören, wäre euer Leben vielleicht noch zu retten.« Die Zarltoner sahen mich überrascht an. Ich nahm ihre Überraschung befriedigt zur Kenntnis. »Sheeron hat uns verboten, mit euch zu verhandeln«, sagte der Ranghöchste. »Das entbindet euch aber nicht von der Pflicht, eurem Anführer einen Lagebericht zu geben, oder?« Ich mußte Sheeron unbedingt von den Ereignissen in Taruggas Nest berichten. Die Androiden waren immerhin zu anderen Nestern unterwegs. »Was habt ihr uns zu sagen?« »Das gebe ich Sheeron selbst durch!« verlangte ich. Sie willigten ein, und ich wurde an das Visiphon gelassen. Augenblicke später erschien das feiste Gesicht Sheerons auf dem kleinen Bildschirm. »Wo in aller Welt haben Sie gesteckt? Costa kam allein zurück und sagte, Sie seien mit diesem Manifold weg.« »Immer der Reihe nach, Sheeron. Wir haben einen Ausflug in Taruggas Nest unternommen. Ich wollte für Farnathia einen
Androiden holen. Das ist leider völlig mißlungen. Die Kunstwesen haben Taruggas Nest vernichtet!« Sheeron verzog ungläubig das Gesicht. »Was? Deshalb bekamen wir also keine Verbindung.« Tarugga stand mit gesenktem Kopf neben mir, während ich berichtete. Der Verwundete stöhnte leise. Wir befanden uns in einer unangenehmen Lage, denn die Androideninvasion ging ohne Zweifel zu Lasten Taruggas; er würde also die Folgen für die entstandenen Schäden zu tragen haben. Als ich meinen Bericht beendet hatte, sagte Sheeron: »So war das also!« Sonst sagte er nichts. Die Verbindung wurde unterbrochen. Die Piraten würden sich an einen Tisch setzen müssen, um die gegenseitigen Ansprüche zu klären. Fest stand, daß Sheeron voreilig ein Nachbarnest angegriffen hatte. Fest stand aber auch, daß Tarugga fahrlässig gehandelt hatte. Man hätte durch frühzeitige Kontrollen den drohenden Androidenausbruch verhindern können. Doch das einmal Geschehene ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Ich beobachtete die Zarltoner, die schwere Energiewaffen vorbeitransportierten. Sie waren auf dem Weg in Taruggas verwüstetes Nest, um die Androidengefahr ein für allemal zu beenden. Einige der seelenlosen Wesen hatten sich wohl schon in die oberen Etagen verirrt; es war nicht auszuschließen, daß wir ihnen noch einmal begegnen würden. »Ich gehe jetzt zu Farnathia!« rief ich Manifold zu. Der Pirat stritt sich mit einem Zarltoner und hatte keine Zeit für meine Probleme. Solange ich ihn nicht mit hineinzog, war ihm alles egal; er hatte jetzt andere Sorgen. Vermutlich würde es noch lange dauern, bis sich das Leben in Richmonds Schloß normalisiert hatte. Niemand hinderte mich daran, Farnathias Kabine aufzusuchen. Bald hatte ich den Wohntrakt erreicht. Ich
zögerte einen Augenblick, die Tür zu öffnen. Was wird Correson sagen, nachdem mein Plan fehlgeschlagen ist? Taruggas Androiden sind für eine Gehirntransplantation völlig ungeeignet. Es gibt keine Rettung mehr. Kein Bauchaufschneider kann ihr helfen. Vielleicht ist sie schon tot! Vielleicht mache ich mir unnötige Gedanken… Kurz entschlossen legte ich die Hand auf den Öffnungssensor. Die Tür glitt lautlos beiseite. Innen war es völlig dunkel. Die Leuchtröhren lagen zersplittert am Boden. Der von außen kommende Lichtschein genügte völlig, um das Schreckliche zu erkennen: Lord Correson lag seltsam verkrampft am Boden – er war tot.
13. Der Zeitpunkt war gekommen, an dem der Bio-Parasit des Blinden Sofgart sterben sollte. Mit ihm würde auch das Leben des Opfers enden. Das Ende der beiden Körper war fest im genetischen Kode des Parasiten verankert. Der Blinde Sofgart bedauerte es, die Verwandlung des Opfers nicht miterleben zu können. In seiner abnormen Persönlichkeit entstanden Bilder des Grauens, die der Wirklichkeit in nichts nachstanden. Er hoffte, eines Tages Berichte über das Wirken des Bio-Parasiten zu bekommen. Doch mit einem hatte Sofgart nicht gerechnet: mit Morgus, dem Mimikrywesen des Piratenführers Hanwigurt Sheeron! Es kam nicht mehr aus dem engen Raum hinaus. Sein Wirtskörper war apathisch in sich zusammengesunken. Nach dem Überfall auf das einzelne Wesen war längere Zeit nichts passiert. Es fühlte, wie sich sein Hungergefühl steigerte. Doch sein Opfer konnte die Tür nicht mehr öffnen und nach draußen entweichen. Dazu war es schon zu stark verändert.
Sein Instinkt ahnte, daß es bald zu Ende gehen würde. Dagegen konnte es sich nicht wehren. Es hatte keinen Verstand. Es hatte nichts außer seinem vorprogrammierten Instinkt. Und der war unfähig, etwas anderes als Zerstörung und Nahrungsaufnahme zu befehlen. Es war sich nicht einmal seiner Grenzen bewußt, denn sonst hätte es vielleicht eine Änderung dieses unwürdigen Zustands herbeiführen können. Da war noch ein anderes, ihm gänzlich fremdartiges Wesen in der Nähe. Es wich nicht von der Seite des entstellten Opfers. Als Nahrung konnte es nicht verwertet werden. Die Nahrungstentakel waren an seinem plötzlich steinhart werdenden Körper abgeglitten. Die Entdeckung war so niederschmetternd gewesen, daß der Hungerinstinkt für kurze Augenblicke völlig gelähmt wurde. Dennoch blieb das Wesen in seiner Reichweite. Es hatte keine Angst. Seine besonderen Fähigkeiten schützten es vor jedem Angriff. Es brauchte nicht zu befürchten, daß ihm das Blut ausgesaugt wurde. Die Zeit verstrich quälend langsam. Mit dem Wunsch nach neuer Nahrungsaufnahme wuchs auch die Ahnung des Endes. Dem Wirtskörper schien dies gleichgültig zu sein; er sehnte sich sogar nach einem raschen Tod. Diese Gefühle beherrschten den Parasiten und sein Opfer, als das fremde und doch seltsam vertraute Wesen näher kam. Ein Gefühlssturm ohnegleichen brach über den Parasiten herein. Der Wirtskörper wehrte sich mit allen ihm noch verbliebenen Kraftreserven dagegen, daß dem anderen Wesen das Blut ausgesaugt wurde. Und er siegte. Vorläufig. Der Parasit mußte die Nahrungstentakel zurückziehen, konnte sein Opfer jedoch wieder unter Kontrolle bringen. Dann kam sein Ende. Beide sollten sterben: Parasit und Wirtskörper. In einer letzten Steigerung seiner instinkthaften Gier fiel er über das andere Wesen her. Plötzlich aber waren viele andere Wesen da. Sie umringten seinen Wirtskörper. Todesempfindungen wurden wach. Angst. Kreatürliche Angst, die noch gesteigert wurde, als das veränderliche Geschöpfaktiv wurde. Es wußte nicht mehr, wie es sich verhalten sollte. Es konnte nur der Genprogrammierung
folgen, die Sofgart vorgenommen hatte. Diese Programmierung besagte: Töte Farnathia! Das war nicht leicht, denn plötzlich… Sie hat ihm das Blut ausgesaugt! Ich schauderte, als ich Corresons bleiches, eingefallene Gesicht sah. Seine Augen waren weit geöffnet, sein Mund verzerrt. Im Gürtel steckte der Strahler. Er hatte ihn nicht benutzt, weil er Farnathia nicht töten konnte. Hättest du es doch getan, dachte ich verzweifelt. Dann wären ihr weitere Leiden erspart geblieben. Doch ich hätte sie auch nicht erschießen können. Es raschelte. Ich hob den Kopf und erblickte das Ungeheuer. »Farnathia!« Die teuflische Verwandlung war abgeschlossen. An einigen Stellen war die graue Schleimschicht pilzförmig ausgewuchert. Porenähnliche Vertiefungen öffneten und schlossen sich wieder. Es schien, als würde die gesamte Schleimschicht atmen. Doch das Grauenvolle waren Farnathias Augen: Im Kopfwulst waren zwei Vertiefungen geblieben, in denen ihre Augen lagen. Mochte das Ungeheuer, das einmal Farnathia gewesen war, auch keine Gefühle mehr ausdrücken können, so genügte ein Blick in ihre Augen. Alles Leid eines ganzen Universums spiegelte sich in ihnen. Schmerz, Erniedrigung und Todessehnsucht. Ich fröstelte. »Farnathia… ich wollte dir helfen! Ich habe versagt. Bitte verzeih mir!« Konnte sie mich überhaupt verstehen? Ich bezweifelte es. Ihre Augen füllten sich plötzlich mit Feuchtigkeit. Weint sie? »Das, was zwischen uns war, wird niemals sterben, Farnathia! Die Erinnerung kann mir niemand nehmen. Auch die Zeit wird sie nicht auslöschen können. Du wirst für mich weiterleben.« Das Ding senkte den Kopfwulst, kam langsam auf mich zu.
Der Verwesungsgeruch wurde stärker. Ein unrhythmisches Pochen ließ die gesamte Schleimschicht erbeben. Plötzlich hob sie den Kopf. Die tiefliegenden Augen hatten einen tiefroten Schimmer angenommen. Sie leuchteten wie Glutpunkte und starrten mich mit unverhohlener Gier an. Nein, das waren nicht mehr Farnathias Augen. Es war etwas Fremdes, Unbegreifliches in ihrem veränderten Körper. »Gib mir doch ein Zeichen… bitte…!« Ich kam nicht weiter, dünne Tentakel schossen auf mich zu. Sie hatten sich durch die körperumspannende Schicht gebohrt. Ich ließ mich blitzschnell fallen und drehte mich um. Sie will dir das Blut aussaugen! signalisierte der Extrasinn. Mit einem hastigen Sprung in den angrenzenden Gang konnte ich dem Ungeheuer entgehen. Mein Bein schmerzte; ich fühlte Blut hinabrinnen. Das Ding verharrte regungslos. Der rötliche Glanz war wieder aus den Augen gewichen. Bevor ich etwas unternehmen konnte, hatte es sich abrupt umgedreht und hetzte den Gang hinunter. Auf dem Boden blieb eine breite Schleimspur zurück. Ich wollte hinterherlaufen, doch Morgus berührte vorsichtig meinen Arm, suchte telepathischen Kontakt mit mir. Er war die ganze Zeit über mit Farnathia allein. Vielleicht hat er etwas Wichtiges erfahren. Morgus entschuldigte sich für sein Drängen. Anscheinend mußte er sich stark konzentrieren, denn die telepathischen Empfindungen waren konfus und erregt. Doch dann erschien vor meinem geistigen Auge das Bild des Blinden Sofgart. Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Wie konnte Morgus etwas von diesem wahnsinnigen Folterer wissen? Die Erklärung kam sofort. Eine lange Bildreihe spulte sich wie ein Film ab. Ich erkannte, daß es Farnathias Erinnerungen sein mußten, die Morgus in mein Bewußtsein projizierte. Die Unglückliche war durch einen mehrschichtigen Hypnoblock
beeinflußt worden, der sich erst vor kurzem aufgelöst hatte. Jedenfalls hatte Morgus während meiner Abwesenheit Telepathiekontakt mit ihr gehabt. Da sie keinen anderen Kommunikationspartner gehabt hatte, war Morgus ihr sehr willkommen gewesen. Sie hatte ihm alles vermittelt, was sich auf Ganberaan zugetragen hatte. Ich erfuhr, was Farnathias Metamorphose bewirkt hatte und wer schuld daran war. Sofgart hatte dem Mädchen den Bio-Parasiten eingepflanzt. Das gehörte zu seinen besonders heimtückischen Foltermethoden. Der Parasit wirkte wie eine biologische Zeitbombe. Eine spezielle Genprogrammierung hatte das Wesen erst dann aktiv werden lassen, als sich sein Wirtskörper in Sicherheit gefühlt hatte. Farnathia war rettungslos verloren, denn kein Bauchaufschneider konnte den Parasiten isolieren. Selbst wenn ihm das gelungen wäre, hätte er die Todesprogrammierung nicht rückgängig machen können. Sofgart hatte den Zeitpunkt des Todes selbst bestimmt – und dieser mußte jetzt sein. Morgus zog seine telepathischen Fühler abrupt zurück. Ich hatte zu schreien begonnen. Mein tiefempfundener Schmerz war zu stark für das empfindliche Mimikrywesen. Ich sank zusammen, kniete am Boden, preßte beide Fäuste gegen die Augen. Mein Körper zuckte unkontrolliert. Das Grauen hatte mich völlig aus der Fassung gebracht. Eine Steigerung konnte es nicht mehr geben. Du mußt die anderen vor Farnathia warnen! Mein Extrasinn riß mich in die Wirklichkeit zurück. In manchen Augenblicken war mir die kalte und kritische Stimme in meinem Bewußtsein zuwider. Jetzt rettete sie mich vor dem Wahnsinn. Ich dachte unwillkürlich an den Kampf um die Erringung der ARK SUMMIA. Mit dieser Auszeichnung war der Hirnteil aktiviert worden, der mich jetzt an die Wirklichkeit erinnerte.
Kommandoschreie gellten durch den Verbindungsgang. Hanwigurt Sheeron hatte den gesamten Bezirk absperren lassen. Seine Leibgardisten und Roboter standen mit schußbereiten Kombistrahlern in den Gängen, warteten nur noch auf den Befehl zum Ausschwärmen. Dann würden sie alles, was nicht der Norm entsprach, töten. Ich verfolgte das Geschehen über die Bildschirme in Sheerons Kommandozentrale. Die Suche nach dem Ungeheuer, das einmal Farnathia gewesen war, hatte keinen Erfolg gehabt. Inzwischen waren die meisten Gänge von jener übelriechenden Schleimspur durchzogen, so daß man nicht mehr wußte, wohin das Monstrum verschwunden war. »Zentrale an Gruppe fünf.« Die Angesprochenen meldeten sich sofort. »Habt ihr sie lokalisiert?« »Nein.« »Ende.« Sheeron unterbrach schnaufend die Verbindung. So ging das nun schon eine ganze Weile. Ich zitterte innerlich vor dem Augenblick, an dem die Bewaffneten Farnathia aufspüren würden. Dann gab es keine Schonung mehr für die Unglückliche. Die meisten glaubten an das Gerücht, ihre Verwandlung sei das Ergebnis ansteckender Viren. Jeder fürchtete um seine eigene Gesundheit. Soeben hatte die dritte Einsatzgruppe ein neues Opfer des Bio-Parasiten gefunden. Der Arkonide lag verkrümmt am Boden; in seinen Adern befand sich kein einziger Blutstropfen mehr. Ein Mediziner versuchte es mit Blutersatz, umsonst. Ich bat Sheeron, im Falle, daß die Bewaffneten Farnathia gefangennehmen konnten, mich ihrer annehmen zu dürfen. Der Parasit konnte sie nicht ständig kontrollieren. In solchen Augenblicken mochte sie mich vielleicht erkennen. »Morgus hat mich über alles informiert«, sagte ich leise. »Farnathia kämpft gegen die Herrschaft des Parasiten.«
Sheeron transpirierte stärker. Sein fettleibiger Körper füllte den Kontursessel völlig aus. Ich sah, daß die seitlichen Stützlehnen fettverschmiert waren. »Wie können Sie so etwas von mir verlangen? Wollen Sie etwa, daß meine Leute meutern? Ich habe Sie für vernünftiger gehalten. Sie reagieren zu emotional. Verständlich, aber keineswegs vertretbar, Kristallprinz.« Ich wußte, daß Sheeron recht hatte. Nach den Androidenkämpfen waren seine Leute ziemlich gereizt. Die geringste Kleinigkeit konnte das Pulverfaß zur Explosion bringen. Es hatte schon zu viele Tote gegeben. Hinzu kam, daß die Piraten nur ungenügend über die Zusammenhänge informiert worden waren, sie würden also ihren aufgestauten Haß auf das Ungeheuer entladen… »Zugegeben«, sagte Sheeron bedächtig, »mich interessiert die Sache mit dem Bio-Parasiten sehr. Endlich eine Möglichkeit, mehr über die Teufeleien des Blinden Sofgart zu erfahren. Aber ich werde mich nicht über meine Männer hinwegsetzen. Das Ungeheuer muß getötet werden. Ich hoffe für uns alle, daß nicht noch mehr Leute sterben müssen.« Auf dem Schaltpult blinkte ein Lämpchen. Sheeron drückte die Taste der Bild-Sprech-Verbindung, sofort erschien das Bild eines jungen Arkoniden. »Was gibt es, Tascar?« Die Stimme des Uniformierten klang nervös und abgehackt: »Wir haben das Ungeheuer gesehen. Es ist auf dem Weg zur Zentrale.« »Unglaublich! Wie ist das möglich? Habt ihr denn nicht alle Gänge abgesperrt?« Der Lautsprecher übertrug ein krampfhaftes Schlucken. »Ja, doch… aber das Ding kam so plötzlich… und hat einen von uns erledigt. Wir haben geschossen, aber dabei ist nur die Schleimschicht des Wesens abgelöst worden.« »Ihr elenden Stümper! Ich verlange, daß ihr sofort
herkommt! Ich kann die Bestie hier nicht brauchen. Ende!« Sheeron schwang seinen Sessel herum und stand mit einer Schnelligkeit auf, die dem korpulenten Piraten kaum zuzutrauen war. Er eilte zur Waffenkammer und riß die Schiebetüren beiseite. Die Türposten hatten uns unruhig beobachtet, fühlten sich anscheinend genauso unwohl in ihrer Haut wie wir auch. Morgus rutschte von der Instrumentenkonsole. Er hatte die Gestalt einer mannshohen, seltsam irisierenden Ellipse angenommen. Sheeron schob ein Energiemagazin in den Griff des schweren ZZ-3.3-Desintegrators. Es knackte leicht. Im gleichen Augenblick drang von draußen Geschrei heran. Das Zischen mehrerer Strahlschüsse war zu hören. Es klang wie das Fauchen einer Wildkatze. Ein Treffer schlug gegen das breite Mitteltor, denn plötzlich erschien mitten auf der mattschimmernden Fläche aus Arkonstahl ein rotglühender Fleck. Geschmolzenes Metall tropfte auf den Boden. Morgus schien meine Erregung zu spüren. Er näherte sich langsam und veränderte die Form. Zuerst war es nur ein geheimnisvolles Wogen und Miteinander-Verschmelzen, das durch die Geisteskräfte seines Mimikrymetabolismus bewirkt wurde. Dann straffte sich der Körper, erreichte fast meine Größe. Zwei Arme bildeten sich aus, wenig später zwei Beine. Die Umrisse vervollkommneten sich zusehends. Die Haut wurde blaß, straffte sich. Morgus kopiert Farnathia! »Hör auf damit, Morgus – das ist verdammt geschmacklos!« rief Sheeron. Ich stöhnte unterdrückt. Der Veränderliche will dich trösten, wisperte der Extrasinn. Möglich, daß dieses eigenartige Wesen Mitleid mit mir hatte und mich trösten wollte. Es erreichte jedoch genau das Gegenteil. Meine Augen tränten vor Erregung. Ich konnte den Blick nicht von der stummen Farnathia abwenden. Ich vergaß
sogar den höllischen Lärm vor der Zentrale. In diesem Augenblick wurde mir schmerzhaft bewußt, was der endgültige Verlust Farnathias für mich bedeutete. Ich würde nie wieder derselbe sein. Doch noch lebte das Ungeheuer. Ich sah es, als die Torflügel beiseite glitten. In einer Qualmwolke torkelte das Schleimmonstrum näher. Mehrere Stellen der schillernden Körperoberfläche waren glasig. Die Treffer haben das Wesen nicht töten können. »Bleib… bleib doch stehen!« Keine Antwort. Es schwankte, als hätte es große Mühe, die Balance zu halten. Fauliger Geruch umgab den unförmigen Körper. »Farnathia… bitte… bleib stehen!« Keine Reaktion. Die Zarltoner hoben ihre Waffen. Ich stand genau zwischen ihnen und ihr. Ich sah, wie die Abstrahlmündungen flimmerten. Ein Daumendruck, und die volle Energieladung würde uns beide verbrennen, bis nur noch ein Häufchen Asche übrig war. »Aus dem Weg, Atlan! Aus der Schußlinie!« Ich blieb starr stehen. Das Wesen war noch fünf Schritte von mir entfernt. Ich konnte seine tiefliegenden Augen sehen, die wie glühende Kohlen funkelten. Aus der gallertartigen Brustpartie schoben sich spitze, irisierende Tentakel. Damit wird sie dir das Blut aussaugen. Mein Extrasinn stellte nur fest. Ohne etwas zu beschönigen. Die nackten Tatsachen, sonst nichts. »Farnathia…!« Ich streckte die Rechte aus, machte eine beruhigende Geste. Meine Stimme hatte den Klang eines besorgten Vaters angenommen. Keine Spur von Erregung. Ich war plötzlich völlig ruhig, so ausgeglichen wie nie zuvor in meinem Leben. »Farnathia!« Die rotleuchtenden Augen flackerten. Für wenige Augenblicke nahmen sie wieder den Glanz der verschreckten Augen Farnathias an. Das Ungeheuer verharrte regungslos, die Tentakel verschwanden in seiner
Brust. »Du verstehst mich, Farnathia… du verstehst mich! Du weißt, wer ich bin!« Doch dann kam das rötliche Flackern wieder. Der stinkende Körper wälzte sich vorwärts, wollte mich packen. »Ziel erfassen!« schrie Sheeron. »Auf Kommando Punktfeuer…« Ein Tentakel zuckte gierig an meinem Hals vorbei. Ich schloß die Augen, wollte mit Farnathia sterben. Vielleicht waren wir dann endlich miteinander vereint. Sollte der teuflische BioParasit mein Blut bekommen. Ich würde Farnathias letzte Gedanken spüren. Dann würde es rasch zu Ende gehen. Als ich die Augen öffnete, sah ich etwas Seltsames: Morgus in seiner Farnathia-Gestalt stand vor dem Schleimungeheuer, beide waren etwa gleich groß, die echte Farnathia wirkte durch die körperumspannende Schicht etwas größer. Das Ungeheuer stand wie gebannt vor der berückend schönen Morgus-Farnathia. Ein Anblick, den ich in meinem ganzen Leben nie wieder vergessen würde. Sheeron wollte den Schießbefehl erteilen. »Nein… wartet bitte!« stieß ich atemlos hervor. Die Situation war grotesk. Aber der Anblick einer unversehrten Farnathia hatte das Ungeheuer völlig aus der Fassung geraten lassen. Ich ahnte, daß der Bio-Parasit vor einem Rätsel stand. Sogar Sheeron schien von der veränderten Lage fasziniert zu sein. »Nicht schießen!« Das Schleimungeheuer begann plötzlich zu zucken. Seine Gallerthaut produzierte konvulsivische Wellen. Schleimbröckchen lösten sich und fielen auf den Boden. Die Bewaffneten verzogen angewidert die Mundwinkel, sagten jedoch nichts. Dann löste sich aus dem Ungeheuer eine faustgroße Kugel, die auf den Boden prallte und langsam auf Farnathia-Morgus zurollte. Winzige Tentakel zuckten aus ihrer Oberfläche; das Ding beschleunigte, hielt Kurs auf
Morgus, war nur noch wenige Schritte von dem Mimikrywesen entfernt, das unverändert Farnathias Gestalt hatte. Die Schleimkreatur sank langsam zu Boden. Der Bio-Parasit ist auf Farnathia programmiert, rief der Logiksektor. Er hält Morgus für eine weitere, gesunde Farnathia, die er verändern muß. Blitzschnell riß ich dem verblüfften Sheeron den Strahler aus der Hand, zielte auf die Kugel und drückte ab. Im Wetterleuchten der Desintegratorenergie löste sich die Zeitbombe des Blinden Sofgart auf: Staub trieb davon, nur ein verbrannter Fleck auf dem glatten Bodenbelag erinnerte an das grauenhafte Wesen. Ich wischte mir über die Stirn. »Es ist zu Ende!« Unvermittelt fühlte ich mich kraftlos und müde, vor mir lag ein toter Schleimhaufen, dessen Umrisse entfernte Ähnlichkeit mit einer arkonidischen Frau hatten. Farnathia war verloren, ich gab dem Piraten die Waffe zurück. »Erledigen Sie das, Sheeron!« Plötzlich packte er mich am Arm, deutete auf das Ungeheuer. Wir wurden Zeugen einer außergewöhnlichen Verwandlung: Die häßliche Schleimschicht verflüssigte sich und rann von Farnathias Körper. Wenig später bedeckte nur noch ein dünner Film die Regungslose. Diese Schicht trocknete ein und bildete einen transparenten Kokon um Farnathia. Sie selbst schien unverletzt zu sein, äußerlich jedenfalls. Die blaßblaue Färbung ihrer Haut, und die sich abzeichnenden Adern waren deutlich zu erkennen. Ich bückte mich und ließ meine Finger vorsichtig über die pergamentartige Schicht gleiten. Sie fühlte sich warm an. Mit einer einzigen Handbewegung zerriß ich die Hülle. »Verdammt – wo bleibt der Bauchaufschneider?« rief ich unbeherrscht. Ferkon Stannton stand schon neben mir und öffnete seine
Instrumententasche. Ich legte mein Ohr auf Farnathias Brust. Sie atmete ganz schwach; es war kaum vernehmbar, aber sie atmete. Ich hätte es am liebsten laut geschrien, aber Stannton bedeutete mir durch ein Handzeichen, jetzt zu schweigen. »Sie braucht jetzt sehr viel Ruhe! Ich kümmere mich um sie; vertrauen Sie mir Farnathia an! Ich werde alles für sie tun, was in meinen Kräften steht!« Er nickte mir aufmunternd zu. »Gut«, stieß ich schwer atmend hervor. Stumm sah ich zu, wie sie Farnathia auf einer Schwebetrage hinausschoben. Sie war bewußtlos. Sheeron saß schon wieder am Kommandopult und sprach mit seinen Außenposten. Der Betrieb in Richmonds Schloß ging weiter. Plötzlich wurde ich aufmerksam: Sheeron hat den Generalalarm aufgehoben. »Ihr könnt das Schiff landen lassen!« bestimmte er. »Die Mannschaft soll sofort zu mir gebracht werden!« Das wartende Raumschiff – ein Leichter Kreuzer, die POLVPRON! Sheeron hatte es erwähnt! – wurde von mehreren Zaradhoum zur Oberfläche des Asteroiden geleitet. War mein Aufenthalt bei den kosmischen Piraten zu Ende? Oder hatte Sheeron mich an den Blinden Sofgart verraten? Als der feiste Pirat mich spöttisch angrinste und über das fette Gesicht feixte, wußte ich, daß er meine Freunde benachrichtigt hatte! Wie sehr freute ich mich auf sie, konnte es gar nicht erwarten, bis sie eintrafen! Dieser Prago war für mich unzweifelhaft ein Katanen, die geliebte Farnathia gerettet und die Freunde da! Fartuloon, mein väterlicher Freund, der mich einst vor Orbanaschols Häschern gerettet hatte; klein, dick, kahlköpfig, bärtig, bekleidet mit dem verbeulten Harnisch, das DagorSchwert Skarg an seiner Seite. Eiskralle, der Chretkor, zwergenhaft in der Gestalt, ständig jammernd wegen zu großer Hitze oder Kälte, aber ein Riese,
wenn es darauf ankam, pulsierendes Blut unter durchsichtiger Haut, gefürchtet seine Krallenhände, die alles und jeden zu Eis erstarren lassen konnten. Morvoner Sprangk – der harte, narbengesichtige Kämpfer und Verc’athor, einst im Dienst meines Vaters, für zwei Jahrzehnte zwischen den Dimensionen verschollen, vom Haß gegen die Maahks durchdrungen. Corpkor, der Tiermeister und Kopfjäger, Häscher des Orbanaschol, jetzt ein Verbündeter, ein typischer Einzelgänger – unschlagbar, wenn er seine Tierarmee einsetzte. Sie waren da!
14. 1140. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 4. Prago des Ansoor, im Jahre 10.497 da Ark. Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Den zwei mal zwölf She’Huhan und allen ihren Boten, Helfern, Heroen und mystischen Mitstreitern sei Dank! Er hat es geschafft und ist wohlauf! Und ihm hat, wie es scheint, stets das Glück des Tüchtigen zur Seite gestanden. Stürmisch, fast überschwenglich die Begrüßung, voller begeisterter Schreie, harter Schulterklopfer, Tränen der Rührung und Freude und Dinge dieser Art, die erwachsene Männer in Kleinkinder verwandeln, gefolgt von Bestürzung und Trauer, als der Tod Tirako Gamnos erwähnt wurde. Gemeinsam sprachen wir die Rhudhinda! Erst nach einer ausgedehnten Phase der Ruhe, nach einem ausgiebigen guten und reichhaltigen Essen tauschten wir die
Informationen aus. Erstmals mußte Atlan erfahren, was es heißt, über ein fotografisch exaktes Gedächtnis zu verfügen, das ihn in den von den Inhabern eines Logiksektors gefürchteten Sprechzwang fallen ließ. Bleich, scheinbar auf Mund und Kehlkopf reduziert, hatte der Junge uns in der damit verbundenen höchst plastischen Weise berichtet, von Trumschvaar, Ganberaan und schließlich der Sogmanton-Barriere. Inzwischen schläft er, Körper und Geist fordern ihren Tribut – und es ist Zeit, Ordnung in die Gedanken und den Gefühlsaufruhr zu bringen. Ich mache es an Bord unserer POLVPRON, allein, eine Hand an der konturlosen Silberfigur des Skarg, in der anderen ein kräftiger Roter, um meine Log-Eintragungen zu vervollständigen; heimgesucht von wirren Überlegungen, Empfindungen und in mir aufsteigenden Bildern, denn zu vielem, was Atlan erlebt hat, könnte ich Erklärendes beitragen, umfangreiche Quellen vorweisen, gar selbst berichten – doch manches bleibt besser ungesagt, tief im Herzen und Verstand eingeschlossen. Vielleicht, irgendwann, kommt die Zeit; noch ist sie nicht reif… Nach Atlans Flucht von Sofgarts Folterwelt starteten von dort natürlich Suchschiffe, und auch der Blinde selbst hat mit seiner CELIS Ganberaan verlassen. Ihnen gelang – zum Glück! – jedoch ebensowenig wie uns, die Spur des Kleinraumschiffes aufzunehmen; mit seinen vier Transitionen, die schließlich in der gefürchteten Sogmanton-Barriere endeten, hatte es sich wirkungsvoll dem Zugriff entzogen. Für uns in der POLVPRON bedeutete es natürlich eine Zeit des unerträglichen Wartens, Eiskralles Wimmern drohte uns den letzten Nerv zu rauben, Morvoner fluchte in einem fort, Corpkor zog sich zurück und beschäftigte sich mit irgendwelchem Kleingetier, während ich selbst kühlen Kopf zu bewahren suchte, um nicht händeringend hin und herzu laufen. Um so größer war dann die Erleichterung, verbunden allerdings mit Erschrecken, als sich eine der Funkbojen mit dem vereinbarten Kode meldete. Statt Atlan hatte jedoch ein Mann namens Sheeron
die Nachricht hinterlassen; detaillierte Koordinaten und Zeitangaben waren vorhanden, die uns gestatteten, bis an den Rand der zu Recht gefürchteten Sogmanton-Barriere vorzustoßen, wo uns fünf Zaradhoum erwarteten und bis zu Richmonds Teaultokan lotsten. Richmonds Schloß – Basis des Sogmanton Agh’Khaal; ah, ferne Vergangenheit, die plötzlich lebendig zu werden droht, an das legendäre Arbaraith erinnert… Genug! Das Warten auf Atlan in Lauschposition war natürlich verbunden mit einem Abhören der allgemeinen Hyperfunkverbindungen; vieles Interessante wurde aufgezeichnet, Einzelheiten finden sich im Anhang 1139/1140-01. An dieser Stelle erwähnenswert sind allerdings mehrere Punkte, da sie uns tangieren oder in naher Zukunft von großer Wichtigkeit werden könnten. So habe ich zum Beispiel nicht ohne Erstaunen Atlans Bericht entnommen, daß der Blinde Sofgart und seine Leibgarde in Orbanaschols Auftrag nach dem »Stein der Weisen« suchen; Atlans nachfolgend zitierte Überlegungen sind völlig korrekt; ich selbst habe auch schon mit dem Gedanken gespielt, mich auf die Suche danach zu begeben, bislang allerdings aus den früher genannten Gründen davon abgesehen: … unter Raumfahrern kursierten darüber vielfach ausgesponnene Geschichten, deren Beiwerk zwar ins Reich der Legenden gehörte, im Kern jedoch eine reale Grundlage zu haben schien. Es hieß, daß der, der den mysteriösen Stein der Weisen fand und sich seiner würdig erwies, große Macht und großes Glück erhielt. Niemand wußte allerdings genau, wie dieser Stein der Weisen aussah oder wo er sich befand oder um was es sich genau bei diesem »kosmischen Kleinod« handelte. Ungezählte hatten ihn zu finden versucht, die meisten waren für immer verschollen. Gesichert schien allerdings zu sein, daß es sich bei dem Stein der Weisen um ein Überbleibsel jenes
legendären Urvolks handelte, von dem viele Artefakte gefunden worden waren. Erwähnung findet er unter anderem in einem Vers der fragmentarischen Texte von Yxathorm, meldete sich der Extrasinn und zitierte unter Zuhilfenahme meines fotografischen Gedächtnisses:… ist der Stein der Weisen; in den richtigen Händen kann er Dinge vollbringen, die euch wie Wunder erscheinen werden. Doch schwer ist es, ihn zu suchen, und noch schwerer, ihn zu behalten… Ein Schlüssel zum Stein der Weisen sollte die »Vergessene Positronik« sein, eine ruhelos durch das All streifende Plattform, die völlig willkürlich mal in diesen, dann in jenem Sektor auftauchte und von Raumfahrern noch mehr als Dunkelsonnen und Hyperstürme gefürchtet wurde, weil mit ihr die sonderbarsten hyperphysikalischen Anomalien verbunden waren. Das es dieses Gebilde gab, war eine Tatsache – auf Largamenia hatte ich selbst die entsprechenden Berichtsdateien von Fernbeobachtungen und Ortungsdaten gesehen –, doch um was genau es sich handelte, war bis heute nicht bekannt. Die Vorstellung, Sofgart oder Orbanaschol könnten in den Besitz des Steins der Weisen kommen, brachte mich unwillkürlich auf den Gedanken, ihnen zuvorzukommen… Bemerkenswert ist nun, daß oben erwähnte »Vergessene Positronik« – oder ein ihm frappierend gleichendes Phänomen – im Verlauf der letzten beiden Votanii im von den Leuchtsternen Mhalloy, 12-LOKORN und 39-KARRATT sowie der SogmantonBarriere markierten Raumbereich dreimal gesichtet worden sein soll! Ein Muster läßt sich aus den Positionen des Erscheinens zwar nicht herauslesen, Tausende Lichtjahre liegen zwischen ihnen, aber die statistische Häufung spricht für die Wahrscheinlichkeit, daß auch ein viertes Erscheinen in diesem Gebiet in naher Zukunft stattfinden könnte. Aber auch anderes tut sich hier: Bald schon werden die
alljährlichen Flottenmanöver im nur knapp 1300 Lichtjahre von Kraumon entfernten Yagooson-Sektor stattfinden. Schon jetzt beginnen sich die Geschwader im Flottenhauptstützpunktsystem von Amozalan und bei dem Transitions-Orientierungspunkt 39KARRATT zu sammeln; am Ende dürften es wohl 80.000 bis 100.000 Einheiten aller Größenordnungen sein – ein Faktor, den wir bei unseren weiteren Aktionen berücksichtigen müssen, soll Kraumons galaktonavigatorische Position geheim bleiben. Vor diesem Hintergrund könnte es sich als überaus günstig erweisen, wenn uns mit Richmonds Teaultokan am Rand der SogmantonBarriere eventuell eine Ausweichbasis zur Verfügung steht, vorausgesetzt, eine Einigung mit Sheerons Piratenbande ist möglich. Letzter Punkt: Mehrfach war zu hören – und entsprechend vorzumerken –, daß Ka ’Mehantis Freemush Ta-Bargk, Wirtschaftsstratege des Tai Ark’Tussan und Mitglied im Beden Than von Orbanaschols Gnaden, aufgebrochen sei, um einer ganzen Reihe von Handelswelten einen Besuch abzustatten, nicht zuletzt auch, um die wirtschaftlichen Anstrengungen zu vergrößern, die uns die weiterhin schwelenden Auseinandersetzungen mit den Methanvölkern abverlangen. Inwieweit sich hierfür uns ein Ansatzpunkt zum Eingreifen bietet, sei dahingestellt; ausschließen möchte ich es jedoch nicht. Vor zwei Tontas konnte ich jedenfalls erfahren, daß die Piraten – nicht zuletzt auch, um Ruhe in ihren Laden zu bekommen – begonnen haben, ihren fünfhundert Meter durchmessenden Kugelraumer GROVEMOOS mit Beutegut zu beladen. Ein Start in den nächsten Pragos nach Arkon-Zeitmaß ist somit sehr wahrscheinlich. Als Ziel wurden – selbstverständlich unter der Hand –, neben anderen, Abbadhir und vor allem Jacinther IV genannt, beides Freihandelswelten von eher zweifelhaftem Ruf, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, rund 28.000 und knapp 20.000 Lichtjahre von hier entfernt. Die geringere Distanz zum JacintherSystem spricht in meinen Augen dafür, daß dieses angesteuert werden wird.
Ich überlege, ob ich mit mir selbst eine Wette abschließen soll: Es bedarf wohl keiner positronischen Auswertung, um zu erraten, wie mein Ziehsohn reagieren wird, sobald er von diesem Ziel erfährt! Gut, daß ihn unsere Gegner nicht so kennen wie ich – sonst würden wir schon erwartet! Nun, sei es, wie es sei; der Rote mundet hervorragend, noch ist es nicht soweit – aber ich fühle das unverkennbare Ziehen im linken, kleinen Zeh; deutliches Zeichen, daß wohl bald meine alten Knochen mal wieder beansprucht werden… Nachtrag: Meine Vermutung – besser Befürchtung – dürfte sich bestätigen! Aufregung unter den Piraten, weil ein toter » Grauzayna« im All treibend gefunden wurde: Entlang seines wie mumifiziert wirkenden Körpers finden ständig kleinere Lichteruptionen statt; eine Art Kettenreaktion. Abgesehen von diesen »Explosionen« ist sein Metabolismus jedoch unbeschadet, was bedeutet, daß er das Vakuum des Weltraums ebenso überstanden hat wie die Hyperstrahlung der SogmantonBarriere. Die bei ihm gefundene »Büchse« – ein unterarmlanger Metallzylinder – erwies sich zur Enttäuschung aller als leer. In Richmonds Schloß ist man überzeugt, daß auf dem Schiff der »Grauen« eine Seuche ausgebrochen ist oder daß sie auf irgendeine andere Art und Weise dahingerafft werden. Die Piraten denken an die Erbeutung der nun verwaisten »Büchsen«, zögern allerdings noch etwas mit der Plünderung des »Fingerschiffes« dieser Wesen, um sicher zu sein, daß es dort keine Überlebenden mehr gibt. Ihr Respekt vor den Grauzayna ist beachtlich! Dem möchte ich mich anschließen, nachdem ich mich bei Jepson Tropp kundig gemacht habe, solange Atlan noch schläft. Die Piraten sind vor vielen Jahren zum erstenmal auf das besagte Fingerschiff gestoßen. Bei einem Beutezug durch die Barriere hatten sie es entdeckt, für eines der vielen Wracks gehalten und zu plündern versucht. Von den etwa zwanzig Staubeiern kehrte aber nur eines zum Asteroiden zurück. Der Überlebende berichtete, daß kaum als sie an dem Fingerschiff angelegt hatten, ein Wesen mit nur
einem Bein und einem Arm in der Luftschleuse erschienen sei, eine »Büchse« geöffnet habe, die es umgehängt trug, worauf sich sämtliche Zaradhoum in nichts aufgelöst hätten. Der Pirat kam nur deshalb mit dem Leben davon, weil er sich mit seinem Staubei in sicherer Entfernung aufgehalten hatte. Inzwischen weiß man, so Tropp, daß die Grauzayna keine Sauerstoffatmer sind. Ihren Namen haben sie wegen ihrer Körperform erhalten und weil ihre lederartige Haut von grauer Farbe ist – »Zayna« bedeutet schließlich Krüppel. Obwohl die Piraten wiederholt Begegnungen mit ihnen hatten, konnten sie keinen Kontakt herstellen. Und so woben sich Legenden um diese Wesen und ihre Büchsen, denen übernatürliche Kräfte zugeschrieben werden. Es geht sogar das Gerücht, daß einmal ein Pirat eine erbeutet habe und dadurch telepathische Fähigkeiten erlangte: der Piratenführer Hanwigurt Sheeron, der ja tatsächlich ein Telepath ist. Ob er seine Fähigkeit aber von einer Grauzayna-Büchse erhalten hat, wage ich zu bezweifeln. Als Atlan von diesen Objekten erfuhr, bemerkte ich das für ihn charakteristische Aufleuchten seiner Augen und konnte mir denken, was er als nächstes vorschlagen wollte… Sogmanton-Barriere: 5. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Das Raumschiff maß in seiner Gesamtlänge etwa zweihundert Meter und war halb so breit. Die Form glich einer siebenfingrigen Hand, mit der »Handfläche« als eigentlichem Schiffsrumpf, während die »Finger« offenbar den Antrieb übernahmen. Das war nur eine Vermutung, denn Antriebsdüsen im herkömmlichen Sinn waren nicht zu entdecken, weil sich die sieben »Finger« in ständiger Bewegung befanden, sich wie Halme im Wind oder wie Unterwassergewächse in der Strömung wiegten – stets aber entgegengesetzt den auf sie wirkenden Kräften der
Sogmanton-Barriere, als wollten sie sich dem hyperenergetischen Sturm entgegenstemmen. Grelle Eruptionen, wie sie der im All gefundene Grauzayna ebenfalls gezeigt hatte, huschten wiederholt über die Schiffsoberfläche. Wir legten mit unseren vier Staubeiern an der Hülle des Fingerschiffes an. Tropp sicherte sich mit einem Seil, stieg aus und benötigte nicht lange, um die Schleuse zu öffnen. Nachdem er darin verschwunden war, folgten wir anderen: Fartuloon, Eiskralle, vier Piraten und ich. Als ich mich am Seil zu dem fremden Schiff entlangzog, tat ich es mit besonderer Vorsicht. Schon einmal war ich hilflos in den Hyperstürmen der Barriere getrieben, und wenn mich Tropp nicht gerettet hätte, wäre ich wohl in den Hyperraum gerissen worden; noch einmal wollte ich nicht in eine solche Situation kommen. Endlich erreichte ich die Schiffsschleuse, wo Tropp wartete, bis wir alle versammelt waren, dann schloß er die Außenschleuse. Als sich die Innenschleuse öffnete, lag vor uns das Reich der Grauzayna. Obwohl die Schiffsbeleuchtung nicht aktiviert war, brauchten wir unsere Helmscheinwerfer nicht einzuschalten, denn wie an der Oberfläche gab es überall im Schiff offenbar ständig kleinere Eruptionen, mit denen helle Leuchterscheinungen verbunden waren. »Es muß sich um denselben Vorgang wie bei dem Grauzayna handeln«, sagte Tropp. »Es ist kalt hier«, ließ sich Eiskralle vernehmen. »Die Kälte dringt durch den Schutzanzug; ich werde unter ihrer Einwirkung zerbröckeln.« Er schüttelte sich demonstrativ. Die Piraten lachten, kannten inzwischen die Ängste des Chretkors. In zu großer Hitze fürchtete er zu zerschmelzen, in zu großer Kälte, sein Körper könne kristallin erstarren und splittern. Diese Angst führte zwar zu ständigen Äußerungen seiner Besorgnis, doch man konnte nicht sagen, daß er wirklich furchtsam war. Ganz im
Gegenteil! »Ich glaube, es ist das erstemal, daß uns die Grauzayna erlauben, ihr Schiff zu betreten.« Tropp drang an der Spitze unserer kleinen Gruppe in den zur Schiffsmitte führenden Korridor vor. Die seltsamen Leuchterscheinungen begleiteten uns; das verhaltene Knistern und Knattern stand in keinem Verhältnis zu der Lichtentwicklung der »Explosionen«. Noch herrschte eine künstliche Schwerkraft im Schiff der Grauen, etwa 70 Prozent des Standardwertes. »Da!« Tropp deutete nach vorne. Ich sah gerade noch, wie ein Schemen den Korridor überquerte und in einem Seitengang verschwand. »Ein Grauzayna!« behauptete ein Pirat. Ich zweifelte nicht, daß er recht hatte, obwohl ich an dem Wesen keine Einzelheiten hatte feststellen können. Aber es war anzunehmen, daß sich außer den Grauzayna keine anderen Lebewesen auf diesem Schiff aufhielten. »Folgen wir ihm!« rief ich. Tropp machte eine vage Geste. »Wenn du so scharf darauf bist, seine Bekanntschaft zu machen, nimm die Verfolgung auf«, sagte er grimmig. »Ich für meinen Teil bin mehr an den Büchsen interessiert.« »Trennen wir uns«, schlug ich vor. Er hatte nichts dagegen. Also flogen Fartuloon, Eiskralle und ich in die Richtung, in der der Grauzayna verschwunden war. Je tiefer wir in das Schiff vordrangen, desto häufiger wurden die Leuchterscheinungen. Fortschreitende Kettenreaktion, meldete sich mein Extrasinn. Wird zur Vernichtung des Schiffes führen. Das beunruhigte mich momentan nicht, denn die augenblickliche Entwicklung vorausgesetzt, blieb uns Zeit genug, das Schiff rechtzeitig zu verlassen. Im Licht der Explosionen sahen wir bald, daß sich das Bild des Schiffsinneren veränderte: Überall waren schwere Stahlträger
zu sehen, die wie abgenagte Gerippe aufragten. Von ihnen ragten die Reste von Wänden und Decken auf – auch der Boden unter unseren Füßen war löchrig, als hätte Korrosion das Metall zerfressen. Wir hatten eine gute Sicht nach vorne, nach unten und nach oben, konnten durch die Lücken in den Metallgerippen sehen, hatten einen Einblick in die über und unter uns liegenden Schiffsdecks. Vor uns tauchte wieder der Schemen auf. Diesmal sah ich genug Einzelheiten, um das Wesen als Grauzayna identifizieren zu können. Das Wesen warf mir aus seinen drei Augen einen verwirrenden Blick zu, dann wandte es sich zur Flucht; es hatte die offenbar unvermeidliche Büchse umgeschnallt und hielt sie in seiner siebenfingrigen Tentakelhand fest, während es auf den sieben Laufzehen des Schlangenbeins davoneilte. Weiter oben umflackerten ihn Lichter und sprühende Funkenregen. Erst gestern hatte ich zum erstenmal einen Grauzayna gesehen, bislang hatte ich nicht einmal von ihrer Existenz gewußt, obwohl sie auf sonderbare Weise mit den gefürchteten Gantries in Verbindung zu stehen schienen. Seit der Grauzayna aus der Barriere getrieben wurde, herrschte ziemliche Aufregung in Richmonds Schloß. Nach einigem Zögern hatte Sheeron die Expedition gestattet, Tropp schloß sich uns mit vier Piraten an, wir starteten in vier Staubeiern. Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ich die Verfolgung des Grauzayna aufnahm. Sei vorsichtig, damit du nicht in eine Falle gelockt wirst, warnte mich der Logiksektor. Ich hatte meinen Kombistrahler entsichert und war bereit, beim geringsten Anzeichen einer Gefahr zu schießen. Fartuloon und Eiskralle folgten mir. Der kleinwüchsige und schlanke Chretkor konnte leicht mit mir Schritt halten, aber Fartuloon fiel etwas zurück, weil die
Lücken in dem Trägerlabyrinth zumeist klein waren und er darauf achten mußte, daß er sich den Raumanzug nicht an einer der scharfen Bruchstellen aufriß. Dann schien es so, als hätte ich den Grauzayna in die Enge getrieben, denn er blieb plötzlich stehen und hob seine Büchse in die Höhe. Vorsicht! rief der Extrasinn. Der Graue warf den unterarmlangen Zylinder nach mir. Ich sah wie gebannt auf das seltsame Geschoß, das auf mich zuflog. »Kälte!« hörte ich Eiskralles Entsetzensschrei in den Helmlautsprechern. Dann versank die Umwelt um mich, und ich hatte nur noch Augen für das seltsame Energiegebilde, das der Büchse entwich. Es konnte keinen Zweifel darüber geben, daß es sich um einen Gantrie handelte, eines der fremdartigen Energiewesen aus dem Hyperraum. Eiskralle war schreiend geflüchtet. Ich war allein mit dem Grauzayna. Zwischen uns tanzte flimmernd der Gantrie. Seltsamerweise fürchtete ich das Energiewesen überhaupt nicht, obwohl ich schon mit eigenen Augen gesehen hatte, wie diese Erscheinungen ganze Staubeier samt ihren Besatzungen in den Hyperraum »entführt« hatten. Ich unternahm nicht einmal den Versuch einer Gegenwehr, als das Energiewesen mich umflirrte. Bleib weiterhin ruhig, das ist das Beste, was du in dieser Situation tun kannst, riet der Extrasinn. Du könntest mit deiner Waffe nichts ausrichten und würdest den Grauen nur verscheuchen. Ist dir aufgefallen, daß die Lichtreaktion bei ihm bereits in ein fortgeschrittenes Stadium getreten ist? Natürlich war es mir aufgefallen, daß überall an seinem Körper »Explosionen« stattfanden. »Ich komme in friedlicher Absicht«, sagte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, ob mich der Grauzayna verstand, dennoch hoffend, daß er den Klang
meiner Stimme einigermaßen richtig einschätzen konnte – sofern der Außenlautsprecher meine Stimme nicht zu sehr verzerrte. Der Gantrie umschwärmte mich weiterhin, tanzte einen absonderlichen Reigen, ohne jedoch anzugreifen oder sich zu nähern. Es bestand kein Zweifel daran, daß dieses Energiewesen jene Kälte ausgestrahlte, vor der Eiskralle in heller Panik geflüchtet war. Mir bereitete seine Anwesenheit dagegen kein Unbehagen. Das ließ mich vermuten, daß der Grauzayna womöglich den Kontakt mit mir suchte. Hätte er sich wirklich in die Enge getrieben gefühlt, hätte er dem Gantrie wahrscheinlich aufgetragen, mich zu vernichten. Daß es zwischen diesen so verschiedenartigen Wesen so etwas wie eine Symbiose gab – daran zweifelte ich jetzt nicht mehr. »Ihr habt unsere Botschaft vernommen«, hörte ich in diesem Augenblick den Grauzayna sagen, doch erklang seine Stimme nicht akustisch, sondern ich empfing sie direkt mit meinem Bewußtsein. »Warum sind nur so wenige unserem Ruf gefolgt?« Ich war irritiert – weniger durch die Tatsache, daß ich von einem Grauzayna telepathisch angesprochen wurde, sondern durch den Inhalt seiner Worte. »Wir haben keine Botschaft empfangen. Wir hatten nicht einmal eine Ahnung, daß ihr nach uns gerufen habt. Hätten wir euren Ruf vernommen, wären wir bestimmt in größerer Zahl gekommen, um euch zu helfen.« Jetzt staunte der Grauzayna. »Nicht ihr solltet uns Hilfe bringen, sondern wir wollten euch helfen, die Hürde zu einer besseren Existenz zu nehmen. Hat unser Verkünder die Botschaft nicht überbracht?« Er meint den toten Artgenossen, wisperte der Extrasinn. »Euer Bote hat uns zwar erreicht, aber er konnte uns die Meldung nicht überbringen, denn er war längst tot, als wir ihn
fanden.« »Er ist nicht tot«, behauptete der Grauzayna, »er hat nur die metaphysische Metamorphose abgeschlossen und befindet sich im neuen Daseinszustand. Sein Körper ist noch hier, doch sein Geist befindet sich bereits in der neuen Welt. Bevor er seinen Körper nachholen wollte, erbot er sich, euch die Botschaft zu überbringen. Sie ist in seinem Talama gespeichert.« Damit kann er nur die Büchse meinen, die jeder Grauzayna mit sich trägt, sagte der Extrasinn. Ich entsann mich, daß der Grauzayna seine Büchse bei sich gehabt hatte, aber… »Das Talama des Boten war geöffnet, als wir ihn fanden. Es enthielt überhaupt nichts – war leer.« »Das ist schade. Der Ruf wäre für euch zwingend gewesen. Ihr hättet ihm folgen müssen und uns in die andere Existenz begleitet.« Unwillkürlich schüttelte ich mich. Aus den Worten des Grauzayna ging hervor, daß die sogenannte Botschaft in Wirklichkeit ein hypno-suggestiver Befehl war, dem sich möglicherweise niemand in Richmonds Schloß hätte entziehen können. Es war ein glücklicher Zufall, daß sich die Büchse des Boten während seiner Reise durch die Sogmanton-Barriere geöffnet hatte. Ich stellte mir fröstelnd vor, daß die 10.000 Piraten den Grauzayna als willenlose Herde gefolgt wären… Wohin eigentlich? In das übergeordnete Kontinuum, antwortete meine innere Stimme. Es deutet alles daraufhin, daß die Grauzayna auf einer anderen Existenzebene in eine neue Daseinsform überwechseln. Das verdanken sie bestimmt den Gantries. »Wir wußten von alldem nichts«, sagte ich, von starkem Unbehagen heimgesucht. »Nun hören wir, daß ihr alle von der unheimlichen Macht bedroht seid.« »Wir werden nicht bedroht. Wir führen die Metamorphose
bewußt herbei, weil wir die Sinnlosigkeit unserer erbärmlichen Existenz eingesehen haben. Die wahre Erfüllung können wir nur in der Daseinsform finden, die uns das ›Alles Umfassende Jetzt‹ bietet. Die Gantries, wie ihr die Bewohner der anderen Welt nennt, sind unsere treuen Diener auf dem Weg zu einem neuen Leben. Wir haben lange vergebens nach der Erfüllung gesucht – und sie hier endlich gefunden. Wir waren nie für das Leben in diesem Universum geschaffen, konnten es uns nicht Untertan machen und uns auch nicht seinen Gesetzen unterwerfen, obwohl wir seine Geheimnisse enträtselten. Deshalb benötigten wir die Talama – sie stellen für uns eine Art Krücke dar, auf die wir uns stützen können. Jetzt brauchen wir sie nicht mehr, denn die neue Daseinsform bietet uns all das, was wir auf unserer Suche nach dem ›Wahren Leben‹ nicht fanden. Es ist schade, daß nicht alle von euch unserem Ruf gefolgt sind. Aber es tröstet mich, daß wir wenigstens einige an unserer Erfüllung teilhaben lassen können. Ihr dürft uns begleiten.« »Nein!« entfuhr es mir entsetzt. »Wir… wir sind für eine solche Daseinsform noch nicht reif. Wir sind zu sehr an unsere Körper gebunden…« »Ihr braucht eure Körper sowenig aufzugeben wie wir. Was du als tödlich bezeichnest, ist eine Metamorphose. Unsere Körper wandeln sich, passen sich den Gesetzen der anderen Welt an – und werden vollwertige Bestandteile einer anderen Existenzebene, sobald wir durch das Tor der Dimensionen gleiten. Es ist bald soweit – ihr werdet uns dankbar sein, daß wir euch mitgenommen haben.« »Vielleicht – aber soweit werden wir es nicht kommen lassen«, sagte ich schnell in der Hoffnung, den Grauzayna vielleicht noch umstimmen zu können. »Wir sind noch nicht auf jener geistigen Stufe, daß wir uns mit reiner Lebensphilosophie begnügen können. Nicht die Abstraktion
streben wir an, sondern die Lösung der realen Probleme in dieser Daseinsform. Wir müssen erst die Gesetze dieses Universums erforschen und sie dann zu meistern versuchen.« »Ich verstehe dich. Es ist wohl so, daß ihr Jahrtausende der Evolution nicht überspringen könnt. Ich verstehe, daß du Angst hast, etwas zu verlieren, wenn du uns folgst. Das ist der Grund, warum du hierbleiben möchtest.« »Jawohl. Alle meine Artgenossen denken so wie ich.« »Dann wird es Zeit, daß ihr dieses Schiff verlaßt, denn wir nehmen es zur anderen Existenzebene mit. Geht ihr nicht rechtzeitig von Bord, gibt es kein Zurück. Halt! Bevor du gehst, möchte ich dir etwas anbieten: Willst du ein Geschenk?« »Jedes – nur nicht das Geschenk eines Lebens in einer anderen Dimension.« »Ich übergebe dir das Erbe meines Volkes. Da wir in unserem neuen Dasein keine Krücken mehr brauchen, überlasse ich unsere Talama deinem Volk. Jedes hat einen anderen Inhalt, der allerdings nicht für jeden segensreich ist. Ich überlasse es dir, die Talama unter deinen Artgenossen zu verteilen. Sie mögen euch viele neue Erkenntnisse bringen und euch auf eurem langen und beschwerlichen Weg zu den endgültigen Erkenntnissen eine Hilfe sein. Folge mir!« Ich rief die anderen über Funk herbei. Fartuloon und Eiskralle trafen als erste ein – und zeigten sich wenig beeindruckt. Aber als die Piraten den Berg der Grauzayna-Büchsen sahen, starrten sie darauf, als handle es sich um einen Milliardenschatz. Und aus ihren Kommentaren hörte ich heraus, daß sie sich von dem Verkauf der Talama einen entsprechend hohen Erlös erhofften. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, sagte ich grimmig: »Der Graue hat mir die Büchsen ausgehändigt, mich
sozusagen als Verwalter seines Erbes eingesetzt. Also werde ich allein bestimmen, was mit ihnen passiert.« »Wir haben es immer so gehalten, die Beute untereinander gerecht zu teilen«, sagte Tropp. »Der Graue hätte genausogut einen von uns als Vertrauten wählen können.« »Dessen bin ich mir gar nicht sicher. Aber darüber können wir uns später unterhalten. Jetzt sollten wir uns beeilen, von Bord zu kommen, bevor das Fingerschiff in den Hyperraum stürzt!« »Was sagst du da?« »Du hast schon richtig verstanden. Der Graue sagte, daß er und seine Artgenossen mit Hilfe der Gantries im Hyperraum eine neue Daseinsgrundlage erlangen wollen. Er hat uns sogar eingeladen, sie zu begleiten.« Plötzlich hatten es die Piraten eilig. Sie rafften so viele Talama an sich, wie sie in den Taschen und an den Gürteln ihrer Raumanzüge unterbringen konnten. Insgesamt handelte es sich um dreiunddreißig Büchsen. Nachdem wir sie verstaut hatten, machten wir uns auf den Rückweg, während die Leuchterscheinungen häufiger, die knatternden Explosionen stärker wurden. Sie erinnerten uns nachhaltig daran, daß sich das Schiff dem Übergang zum Hyperraum näherte. Als wir die Schleuse erreichten, zerschmolz einer der Piraten das Schloß des Innenschotts einfach mit einem Energiestrahl. Ich hoffte, daß die Metamorphose der Grauzayna schon so weit fortgeschritten war, daß sie keinen Schaden nahmen, als die Atmosphäre aus ihrem Schiff entwich. Unsere vier Staubeier hingen noch immer in ihrer Verankerung an der Schiffshülle. Sie wurden von Energieblitzen umzuckt, der Mahlstrom zerrte an ihnen. Wir zogen uns am Seil zu den Zaradhoum und verschwanden schleunigst einer nach dem anderen in den Schleusen. Durch die transparente Wölbung sah ich, wie die anderen Staubeier
vom Fingerschiff abstießen, auf dessen Hülle nun ein wahres Stakkato von Explosionen huschte. Tropp nahm im Pilotensitz Platz und löste die Verankerung. Sofort wurden wir von einem Wirbel erfaßt und davongetragen. Hinter uns verschwand das Fingerschiff in einem dichten Partikelsturm. Bevor ich das Schiff der Grauzayna ganz aus den Augen verlor, sah ich den Strukturriß im Raum-Zeit-Gefüge, der das Tor zum Hyperraum darstellte und das Fingerschiff verschlang. Augenblicklich zuckte ein gewaltiger Blitz auf. Die im Mahlstrom treibenden Partikel glühten, ein hyperenergetischer Sturm wurde entfacht, der so heftig war, daß die Sicherungen des Staubeis beinahe durchschlugen. Die Drift schüttelte uns durch und trug uns mit beachtlicher Geschwindigkeit aus diesem Abschnitt der Sogmanton-Barriere. »Das ist gerade noch mal gutgegangen«, sagte Tropp erleichtert, als wir die Randzonen des unheimlichen Glühens erreicht hatten und in ein verhältnismäßig ruhiges Gebiet kamen. Ich warf ihm von der Seite einen Blick zu. »Als mir der Graue die Büchsen übergab, knüpfte er keine Bedingungen daran. Er sagte, daß ich die Talama verteilen solle, und meinte, daß der Inhalt der Büchsen auf jeden eine andere Wirkung haben würde. Er wies auch darauf hin, daß es nicht für jeden ein Segen sein werde, ein Talama zu besitzen…« »Worauf willst du hinaus?« »Der Graue wollte, daß ich die Büchsen verteile. Er sagte nichts davon, daß ich daran nichts verdienen darf.« Jetzt grinste Tropp. »Das ist die richtige Einstellung. Ich bin sicher, daß uns die Büchsen auf Jacinther Vier förmlich aus den Händen gerissen werden…« Er unterbrach sich abrupt, als habe er schon zuviel gesagt. Ich wußte, daß das Kugelschiff mit Beutegütern beladen
wurde und einen Freihandelsplaneten anfliegen sollte, nicht jedoch, daß das Ziel nun feststand. »Jacinther also?« »Ich habe das Kommando der GROVEMOOS übernommen. Wir starten morgen.« Er blickte mich ernst an. »Du bist kein Pirat und wirst nie einer sein. Ich dagegen bin es, eigne mich überhaupt nicht für die Politik. Das sind die Grenzen. Ich verlange auch nicht, daß du mich über deine nächsten Schritte im Kampf gegen Orbanaschol aufklärst.« Ich akzeptierte seine Einstellung, und mir wurde jetzt erst bewußt, daß ich bisher noch gar nicht auf die Idee gekommen war, ihn für meine Pläne zu gewinnen. »Geschäft bleibt Geschäft. Deshalb werde ich den Verkauf der GrauzaynaBüchsen selbst übernehmen.« »Ja?« sagte er gedehnt. »Ja – ich werde auf Jacinther Vier meine Ware selbst an den Mann bringen.« »Du bist übergeschnappt. Die Welt ist ein Tummelplatz des arkonidischen Hofadels. Du würdest dich in größte Gefahr begeben, Gos’athor.« »Das gerade reizt mich.« »Ich bezweifele, daß Sheeron dir die Mitflug-Genehmigung geben wird.« »Das wird sich herausstellen.« Als wir Richmonds Schloß erreichten, stand der Kugelraumer von der Größe eines Schlachtkreuzers in einem als Landefeld ausgebauten Krater und wurde von den Piraten mit Gütern aller Art beladen. Mochten sich die Piraten untereinander auch befehden – einig waren sie sich, wenn Gegner von außen ihre Existenz bedrohten oder wenn ein Schiff mit der Beute zu einem der Freihandelsplaneten geschickt wurde. Die Besatzung wurde in der Regel von all jenen Gruppen
gestellt, von denen sich Beute an Bord befand; außerhalb der Sogmanton-Barriere vergaßen die Piraten ihre Händel, die »gemischte« Mannschaft hielt eisern zusammen. Auch beim Verladen der Beute ging es ohne größere Reibereien zu. Zwar versuchten manche Gruppen, ihre Ware besser unterzubringen oder mehr Laderaum zu ergattern, aber es gab dabei kaum größere Auseinandersetzungen. Sheerons Machtwort genügte, um jeden Streit zu schlichten. Alle Ladeluken der GROVEMOOS waren geöffnet. Die Piraten brachten die Waren mit Staubeiern oder auf Transportscheiben heran – größere Güter wurden mit Traktorstrahlen verladen. Tropp steuerte das Staubei in den Hangar. Nachdem auch die anderen eingetroffen waren, wurden die Talama in einem von Sheerons Tresoren verschlossen. Es hatte sich sofort herumgesprochen, welche Beute wir gemacht hatten, und so war es kein Wunder, daß die Piraten aus allen Mirkandhoum kamen, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, was an den Gerüchten Wahres war. Ich zog mich mit Fartuloon und Eiskralle in unsere Unterkunft zurück, wo wir bereits von Morvoner und Corpkor erwartet wurden. Sie waren zurückgeblieben und hatten sich um Farnathia gekümmert. »Ist es wahr? Ihr habt den Grauzayna ihre Büchsen abjagen können?« »Sie haben sie uns freiwillig überlassen.« Ich berichtete knapp und fügte abschließend hinzu: »Ich denke, daß die Talama gar kein so großer Segen für ihre Besitzer sind, sondern ihnen eher schaden. Das zumindest glaube ich den Worten des Grauen zu entnehmen. Deshalb werden wir sie als… hm, Waffe einsetzen.« »Wie stellst du dir das vor?« Fartuloon runzelte die Stirn; ich sah ihm an, daß er jetzt schon mein Vorhaben durchschaute. »Du weißt nicht einmal, welchen Inhalt die Büchsen haben,
also kennst du auch nicht ihre Wirkung.« »Es genügt doch, daß die Talama Verwirrung schaffen.« Ich sah meinen Lehrmeister scharf an und fragte dann: »Kennst du den Freihandelsplaneten Jacinther Vier?« Der Bauchaufschneider lachte rauh. »Und ob.« »Und?« »Es ist schon einige Zeit her, daß ich selbst dort war. Den Erzählungen nach zu schließen, hat sich seit damals nichts geändert. Es ist eine jener Welten, die von der arkonidischen Regierung traditionsgemäß für Geschäfte aller Art freigehalten werden. Jacinther Vier unterscheidet sich dennoch von anderen Freihandelswelten. Das ist vor allem dem alten Fertomash Agmon, dem Beauftragten des Imperiums, zuzuschreiben, der es stets verstanden hat, den arkonidischen Adel dorthin zu locken. Es gehört inzwischen fast schon zum guten Ton, daß die Adeligen und Reichen der Kristallwelt regelmäßig hinfliegen, um ihren Bedarf an ausgefallenen Dingen zu decken. Kurz, Jacinther Vier ist der Einkaufsplanet der arkonidischen Snobs. Gleichzeitig bietet die Welt die Chance, unter recht primitiven Bedingungen Urlaub zu machen, ohne wirklich weit weg von der Zivilisation zu sein – also ebenfalls das Richtige für verwöhnte Edle und Hochedle. Hinzu kommt die Möglichkeit der Großwildjagd und des Hochseefischens.« »Das wollte ich hören. Der Planet ist demnach genau der richtige Ort, um einen Schlag gegen Orbanaschol und dessen Clique zu führen. Diese Chance will ich mir nicht entgehen lassen: Die GROVEMOOS wird morgen dorthin starten.« »Ich habe es gewußt! Das wäre in der Tat eine günstige Gelegenheit, die Lage im Imperium zu sondieren und unsere Möglichkeiten für einen Konterschlag auszuloten«, stimmte Fartuloon nachdenklich zu. »Aber selbst wenn wir unter der Flagge der Piraten fliegen, ist es ein gefährliches
Unternehmen. Fertomash Agmon ist ein treuer Anhänger Orbanaschols!« »Um so besser. Dann wissen wir, wo wir zuschlagen können. Vielleicht machen wir Agmon ein Talama zum Geschenk? Aber von der Wirkung der Grauzayna-Büchsen verspreche ich mir gar nicht soviel. Sie sind der Vorwand für unsere Reise. Ich hole Sheerons Segen ein, dann kann es losgehen.« Wenig später befand ich mich auf dem Weg zum Piratenführer. Sheeron fragte barsch: »Was willst du, Atlan?« Ich lächelte. »Hast du es noch nicht aus Tropps Gedanken erfahren?« »Ich möchte es von dir hören.« »Wie du willst. Meine Gefährten und ich wollen mit nach Jacinther Vier.« »Ach? Garantierst du, daß du nichts unternimmst, was das Schiff und meine Leute gefährdet?« »Farnathia bleibt hier, ebenso Corpkor. Das sollte Garantie genug sein. Ich werde mich auch erkenntlich zeigen. Jepson ist davon überzeugt, daß die Grauzayna-Büchsen einen hohen Gewinn bringen, und er sollte es ja wissen…« Als ich eine Pause einlegte, fragte Sheeron lauernd: »Ja?« »Der gesamte Erlös soll dir gehören. Es sei denn, ich müßte mit den anderen teilen.« Er winkte generös ab. »Der Graue hat dir die Büchsen anvertraut, also kannst du darüber frei verfügen. Hoffentlich erweist du dich als tüchtiger Geschäftsmann, Kristallprinz. Ich veranlasse, daß auf der GROVEMOOS vier Plätze freigehalten werden. Aber denk daran: Du darfst nichts unternehmen, was meine Leute gefährdet. Dein Kampf ist nicht der unsere!« »Danke. Ich wußte doch, daß du froh sein würdest, uns
loszuwerden.« »Verschwinde mir aus den Augen!« rief er übertrieben ärgerlich. »Ich ertrage es nicht, wenn mir meine Gesprächspartner ihre Gedanken vorenthalten.« Farnathia war noch schwach und wirkte kränklich, befand sich aber auf dem Weg der völligen Genesung. Inzwischen waren die letzten Deformationen so weit abgeklungen, daß sie annähernd ihr altes Aussehen zurückerhalten hatte. Ich war überzeugt, daß sie schließlich wieder so schön wie früher sein würde. Wer gesehen hat, was Sofgarts Parasit aus ihr machte, hätte es nie für möglich gehalten, daß sie jemals wieder zu einer normalen Arkonidin wird. »Du willst mich verlassen?« Ich wollte nach ihrer Hand greifen, doch sie verbarg sie unter der Bettdecke. Als ich sie hervorzog, sah ich, warum sie sie vor mir versteckte: Die Finger wiesen an den Gelenken kleine Beulen auf, die Haut war rauh und faltig. Ich drückte meine Lippen darauf. »Ich bleibe nicht lange fort, Farnathia«, versprach ich. »Wenn du willst, gehe ich überhaupt nicht.« »Nein, das will ich nicht. Handle, wie du mußt. Was hast du vor? Nein, sage es mir nicht. Nur – versprich mir, daß du vorsichtig sein wirst.« »Ich bin bald zurück. Bis dahin bist du gesund, und wir können nach Kraumon fliegen. Dann wird alles anders.« Sie lehnte sich zurück. »Geh jetzt bitte. Je länger du bei mir bist, desto schwerer fällt mir der Abschied. Geh – aber komm wohlbehalten wieder zurück!« Ihr Blick funkelte, ehe sie die Augen schloß. »Sonst kannst du was erleben!« Ich hauchte ihr einen Kuß auf die Lippen und wandte mich ab.
»Viel Glück, Atlan!« Ich wußte nicht, ob sie die Worte sprach oder ob ich es mir nur einbildete. Als ich mich noch einmal umdrehte, lag sie so ruhig und entspannt da, als sei sie eingeschlafen.
15. Aus: Welten des Großen Imperiums, autorisierte Info-Sammlung des Flottenzentralkommandos (Geheimwelten unterliegen Zugriffskode ***.****.**), reich bebildert, 87. Auflage der Kristallchips, 10.450 da Ark Jacinther IV: Vierter von zwölf Planeten der gelben Standardsonne Jacinther, 19.555 Lichtjahre von Arkon entfernt. Status: Freihandelswelt; Verwaltung auf vier Tatos unter der Oberaufsicht eines Generalbevollmächtigten des Tai Ark’Tussan verteilt. Mittlerer Bahnradius: 147,2 Millionen Kilometer. Planetarer Durchmesser: 11.584 Kilometer. Gravitation: 1,06 Gravos. Rotation: 417,73 Tage zu 14,93 Tontas. Kein Mond. Rund ein Drittel der Oberfläche wird von drei Kontinenten und einer Großinsel bestimmt, konzentriert in der »Landhemisphäre«, während die gegenüberliegende »Ozeanhemisphäre« nur eine Unzahl kleiner bis kleinster Inseln und Atolle aufweist: Nordkontinent Sebentool (rund 6500 zu 7000 Kilometer); Südkontinent Braschoon (rund 10.000 zu 6400 Kilometer); Mitteloder Äquatorialkontinent KevKev (rund 6600 zu 5400 Kilometer); dreieckige Großinsel Kortasch-Auromt (rund 1700 zu 1700 Kilometer). Umweltbedingungen extrem: Temperaturstürze, heftige Regen, Stürme und häufig wechselnde Witterungsverhältnisse bei feuchtheißer Atmosphäre. Treibhausklima mit üppiger Flora – außerhalb der Ballungszentren ist das Land von Dschungel und
Sumpfland bestimmt, die Tierwelt entsprechend vielfältig, wild und verlockendes Ziel für Großwildjäger. Auf jedem Kontinent sowie der Großinsel existiert eine Handelsniederlassung mit Raumhafen, angrenzender Wohnstadt und Freihandelszone. Jacinther IV: 8. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Als wir die Messe betraten, veränderte sich die Stimmung unter den Piraten fast schlagartig. Die angeregten Unterhaltungen brachen ab, Bemerkungen wurden laut, die sich gegen uns richteten. Ich tat so, als merke ich es nicht, und bahnte mir einen Weg durch die Tischreihen zu einem freien Platz im Hintergrund. Am Nebentisch erblickte ich Tropp mit dreien seiner »Orbtonen«. Ich kam nicht weit, denn ein bulliger Kerl mit kahlem Schädel und rotem Bart verstellte mir den Weg. Er hatte ein brutales Gesicht und schmale, geschlitzte Augen. »Was habt ihr hier zu suchen? Schert euch zur gemeinen Essoya-Mannschaft!« Ich erwiderte eiskalt seinen Blick, bis er die Augen senkte. Aber er gab den Weg nicht frei. Ich sah, wie seine Linke Richtung Vibratormesser wanderte. Da schob sich Eiskralle an mir vorbei und packte das Handgelenk des Rotbärtigen. Dessen Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er die Kälte spürte, die von dem Chretkor ausging; die Lippen zitterten vor unterdrücktem Schmerz und Wut. »Laß ihn los! Wir wollen nicht, daß er sich Erfrierungen holt.« Eiskralle kicherte, der Pirat zog sich auf seinen Platz zurück und massierte sich das unterkühlte Handgelenk. Hätte Eiskralle gewollt, wäre der Pirat zu Eis erstarrt. Wir erreichten ohne weiteren Zwischenfall den freien Tisch und ließen uns nieder. Tropp kehrte mir den Rücken zu.
»Du hast die GROVEMOOS gut gelandet«, sagte ich zum Rücken des Kommandanten, der nur etwas Unverständliches knurrte. Ich fragte geradeheraus: »Kannst du mir nicht mehr in die Augen blicken?« Da erst drehte er sich umständlich um, starrte mich mit ausdruckslosem Gesicht an und sagte sarkastisch: »Danke für dein Lob. Ich weiß es zu schätzen.« Er hatte mir schon wieder den Rücken zugekehrt, als ich ihn fragte: »Wann werden wir die Waren auf den Markt bringen?« Er zuckte nur mit den Achseln. Fartuloon stieß mich an und gab mir durch ein Kopfschütteln zu verstehen, daß ich ihn in Ruhe lassen sollte. Aber das wollte ich nicht. Es behagte mir nicht, daß ich von Tropp auf diese Weise abgekanzelt wurde; er sollte Farbe bekennen. Er hatte sich während des ganzen Fluges kühl und reserviert verhalten; kaum daß ich ihn zu Gesicht bekommen hatte. Während und auch nach der Landung auf dem Südkontinent von Jacinther IV war es uns untersagt gewesen, unsere Kabinen zu verlassen. Draußen fegte ein Orkan über den Raumhafen von Broschaan, wie der kleine Südkontinent hieß, und machte es unmöglich, die Ladung zu löschen. Aber das war kein Grund für mich, untätig zu bleiben. Ich ertrug es nicht, in der Kabine eingesperrt zu sein, und so hatte ich Tropp aufgesucht. Jacinther IV war bekannt für seine widrigen Witterungsverhältnisse, Orkane waren keine Seltenheit. Das Wetter konnte aber innerhalb einer halben Tonta von einem ins andere Extrem umschlagen, und dann brannte die Sonne heiß und stechend vom Himmel. Manchmal hielten die Gewitter auch tagelang an. So lange wollte ich keinesfalls warten. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Hast du verstanden, was ich gesagt habe?« Er stand auf. »Natürlich. Ich habe jetzt keine Zeit; muß zum
Marktkommissar, um mit ihm über einen Standplatz zu verhandeln.« »Das trifft sich ja ausgezeichnet.« Ich stand ebenfalls auf. »Meine Freunde und ich wollen uns die Wartezeit vertreiben und uns ein wenig in der Stadt umsehen. Ich glaube kaum, daß wir irgend jemandem an Bord fehlen werden.« »Keiner geht von Bord, solange die Ladung nicht gelöscht ist. Und was euch betrifft, so weißt du, was Sheeron gesagt hat. Er möchte nicht, daß ihr uns Schwierigkeiten macht. Aber die werden wir durch euch bestimmt bekommen, wenn ihr in der Stadt herumschnüffelt. Dort seid ihr nämlich für Galbass’ Leute Freiwild.« Prillgram Galbass war der von Agmon eingesetzte Gouverneur für den gesamten Kontinent Broschaan; die Stadt und der Raumhafen befanden sich in seinem Einflußgebiet, nur über die Freihandelszone, den Markt selbst, hatte er keine Machtbefugnisse – zumindest keine offiziellen. Obwohl mir Tropps Haltung gegen den Strich ging, mußte ich seine Argumente anerkennen. Er durfte es nicht riskieren, daß wir Galbass’ Soldaten in die Arme liefen. Das könnte den Piraten möglicherweise einen Planetenverweis einbringen. »Ich setze euch in der Freihandelszone ab, dann könnt ihr euch meinetwegen zum Teufel scheren«, sagte er abschließend und wandte sich zum Gehen. Seine drei Begleiter folgten ihm, schadenfroh grinsend. »Er ist nicht wiederzuerkennen«, sagte Morvoner, als wir allein waren. »Stimmt – und ich möchte zu gern wissen, was in ihn gefahren ist.« Ich konnte mir nur zwei Gründe für sein ablehnendes Verhalten denken: Entweder ist er schon immer gegen mich gewesen und zeigt es jetzt nur offen, oder er hat von meiner Abmachung mit Sheeron, die Talama betreffend, erfahren und ist deshalb »ungehalten«.
Das Warten auf das Ende des Orkans erlaubte uns, Informationen zur allgemeinen Lage auf Jacinther IV zu beschaffen. Während Tropps Offiziere sich von uns distanzierten, schienen die einfachen Piraten kaum etwas gegen uns zu haben. Von ihnen hörte ich allerlei Klatsch, aus dem ich mehr Wissenswertes erfuhr als aus jedem Sternenkatalog. Der Markt von Broschaan war nicht auf dem Festland untergebracht: Die Händler boten ihre Waren auf Flößen, Schiffen, Pontons, riesigen stählernen Inseln und sogar aufschwimmenden Raumschiff-Beibooten feil. Damit demonstrierten die Händler ihre Unabhängigkeit von den Bevollmächtigten des Imperiums. Über den Tato von Broschaan, Prillgram Galbass, oder den Generalbevollmächtigten Fertomash Agmon war praktisch nichts in Erfahrung zu bringen. Ebensowenig wie über die Tatos der anderen Handelsniederlassungen. Es hieß nur, daß sich die vier Gouverneure untereinander befehdeten, weil jeder die Nachfolge Agmons antreten wollte, der als alt und kränklich galt und sich schon seit Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit hatte blicken lassen. Aber um diese internen Auseinandersetzungen kümmerten sich die Piraten von Richmonds Teaultokan sowenig wie die anderen Händler. Jacinther IV war für sie der Umschlagplatz ihrer Waren, sonst nichts. Dennoch wußten sie zu berichten, daß die Intrigen auf dieser Freihandelswelt fast das Format jener im Kristallpalast am Hof von Arkon erreichten. Die Günstlinge Orbanaschols kamen angeblich nicht nur hierher, um sich ihre snobistischen Wünsche zu erfüllen, sondern mischten kräftig bei den Intrigen mit – eine Bestätigung stand aus. Fest stand dagegen, daß die Welt ein gern vom Adel besuchtes Ziel war; der Erwerb exotischer Waren ließ sich hier mit Großwildjagd und einem Urlaub unter
Primitivbedingungen verbinden, so daß sich auf Jacinther IV ganz deutlich die zweifellos wachsende Dekadenz der höher gestellten Arkoniden widerspiegelte, die unter Orbanaschols Herrschaft ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte. Genau deshalb war der Planet der richtige Ort für meine Pläne. Dem stimmte Fartuloon vorbehaltlos zu. Wir zogen uns in meine Kabine zurück und gingen verschiedene Möglichkeiten durch, wie Orbanaschol am wirkungsvollsten getroffen werden konnte. Sabotage- und Terrorakte wären zwar durchzuführen gewesen, aber neben einem erhöhten Risiko brachten sie nicht viel ein. Auch ein Anschlag auf Fertomash Agmons Leben wäre nicht sehr sinnvoll gewesen, weil Orbanaschol für den alternden Planetenverwalter in einem der vier Gouverneure einen Nachfolger gehabt hätte. Gegen die vier Gouverneure vorzugehen erschien ebenfalls nicht gerade verlockend – vielversprechender erschien, sich ihre Positionskämpfe zunutze zu machen. Wir beschlossen, erst einmal die genaue Lage auf Jacinther IV zu erkunden und danach eine Entscheidung über unser Vorgehen zu treffen. Als wir diesen Punkt erreicht hatten, kam die Sturmentwarnung über die Rundrufanlage. Das war gleichzeitig der Auftrag an die Piraten, mit dem Löschen der Ladung zu beginnen und die Waren auf den Markt zu transportieren. Für mich war es das Zeichen zum Handeln. Am Himmel stand keine einzige Wolke, als wir auf einer großen Antigravplattform die GROVEMOOS verließen. Die Sonne stach heiß vom Himmel, die Luft über dem Raumhafen brodelte. Tropp hatte uns einer der ersten Transportscheiben zugeteilt, die Ware vom Raumschiff zum Markt brachte. Er hatte mich kommentarlos mit allen dreiunddreißig Talama ziehen lassen, und ich hatte das wie selbstverständlich
hingenommen. Tropp tat überhaupt, als seien wir für ihn Luft. Auf der Transportscheibe waren hauptsächlich Beutestücke von einem Luxus-Passagierraumer gestapelt, der in der Sogmanton-Barriere gestrandet war: kostbare Möbel, Teile von kunstvoll verzierten technischen Geräten, ungeöffnete Tresore, deren Inhalt niemand kannte und die deshalb reißenden Absatz finden sollten – eine ähnliche Hoffnung hatte ich auch hinsichtlich der Talama –, ein noch funktionierender Spieltisch, wie man ihn so aufwendig konstruiert selbst in arkonidischen Groß-Casinos nur selten fand… und derlei Dinge. Die Piraten hofften auf ein gutes Geschäft. Auf dem Flug über den Raumhafen und Broschaan-Stadt sahen wir viele Gleiter. Zumeist handelte es sich wahrscheinlich um potentielle Käufer, die die Waren jetzt schon begutachteten. Aber ich war sicher, daß sich Agenten des broschaanischen Geheimdienstes auf unsere Fersen setzten, um uns einer Überprüfung zu unterziehen. Es störte mich nicht weiter, denn wir fielen unter den Piraten nicht auf, wir trugen dieselbe Kleidung und verhielten uns wie sie. Höchstens der Chretkor stach durch sein Aussehen heraus. Aber warum sollte nicht auch ein Chretkor zu den Piraten gehören? Broschaan-Raumhafen erschien mir mit etwa dreißig Kilometern Durchmesser überraschend klein. Die Landequadrate waren nicht groß genug, um voluminöseren Schiffen als der GROVEMOOS Platz zu bieten. Überhaupt sah ich kein einziges Schiff, das die Ausmaße der GROVEMOOS erreichte – mit ihren fünfhundert Metern Durchmesser war sie ein Gigant unter den Kleintransportern und Privatjachten. Ich wunderte mich, warum man den Raumhafen nicht so ausgebaut hatte, daß die Großkampfschiffe der arkonidischen Flotte hier landen konnten. Morvoner Sprangk, der noch unter meinem Vater in der
Flotte gedient hatte und die Verhältnisse bestens kannte, wußte die Antwort darauf: »Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, Flotteneinheiten auf einem Planeten einzusetzen. Entweder die Truppen verlassen die Großkampfschiffe außerhalb der Atmosphäre und landen mit wendigen Beibooten. Oder aber die Großkampfschiffe landen an abgelegenen Orten und entsenden dann erst die Einheiten zu den strategisch wichtigen Punkten. Auf offiziellen Raumhäfen gehen sie selten nieder, weil die Raumschiffe für den Feind hier ein zu leichtes Ziel für die Bodenforts wären.« Ich konnte dem nicht widersprechen. Auch Broschaan-Stadt war für mich nicht besonders eindrucksvoll – zumindest was die Ausdehnung und die architektonische Konzeption betraf. Nichts erinnerte an die großen Metropolen des arkonidischen Imperiums. Kaum eine Straße verlief in gerader Linie, und man mußte sich den Weg durch ein wahres Labyrinth von übereinanderführenden und sich gabelnden Hoch- und Tiefstraßen suchen, um von einem Gebäude zum anderen Komplex zu kommen. Einzelhäuser schien es kaum zu geben, fast überall waren Gebäude verschiedenster Stilrichtungen ineinander verschachtelt. Straßen führten durch sie hindurch, zogen sich schwungvoll zwischen den Türmen und anderen Aufbauten dahin oder verschwanden unter der Planetenoberfläche. In diesem Irrgarten konnte man sich ohne KSOL-Positronik kaum zurechtfinden. Trotzdem herrschte reger Verkehr auf allen Straßen – und er lief sogar flüssig ab. Der Hauptverkehr spielte sich jedoch im Luftraum über der Stadt ab. Wir hätten uns mit unserer Transportplattform in diesem Durcheinander von Schwebern und Gleitern wohl schwerlich zurechtgefunden, wären wir nicht auf einem Leitstrahl vom Kontrollturm nach Broschaan-Markt gelotst worden. »Was hat diese Feuerwand zu bedeuten?« wandte ich mich
an einen der Piraten. Dieses Phänomen war mir gleich aufgefallen, als wir die Ladeschleuse der GROVEMOOS verlassen hatten. Die »Feuerwand«, wie ich diese Erscheinung nannte, erhob sich außerhalb der Stadt nahe der Küste. Sie umspannte ein großes Gebiet, reichte hoch in den Himmel hinauf und mußte aus reiner Energie bestehen – aber es war kein normaler Schutzschirm, denn es gab kein gleichmäßiges Leuchten, sondern ein ständiges Flackern, so daß der Eindruck entstand, als leckten tatsächlich Flammen bis zum Himmel hinauf. »Die Feuerwand?« Der Pirat grinste. »Dahinter verbirgt sich der Tato von Broschaan. Er läßt sich kaum außerhalb seines Schützwalles blicken. Wird schon wissen, warum…« Wir hatten bald das chaotische Stadtbild hinter uns gelassen und flogen über den Hafen aufs offene Meer hinaus. Broschaan-Stadt lag an der Westspitze einer Halbinsel, die durch einen tief ins Landesinnere reichenden Meeresausläufer vom gegenüberliegenden Ufer getrennt war, ziemlich exakt auf dem 30. Längengrad Ost. Hier, nicht weit von der flachen Küste entfernt, begann der Broschaan-Markt. Aus der Vogelperspektive erschien er auf den ersten Blick als eine dem Festland vorgelagerte Insel. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich, daß sich Teile der »Insel« in ständiger Bewegung befanden – Schiffe, die ihren Standort wechselten. An vielen Stellen schimmerte Wasser. Je näher wir kamen, desto deutlicher wurde, woraus sich der Markt zusammensetzte: Es gab tatsächlich einige im Meeresboden verankerte künstliche Inseln von etlichen Kilometern Größe, auf denen die Händler ihre Geschäfte abwickelten. Daneben erkannte ich eine nicht zu überschauende Zahl von Schiffen aller Größenordnungen, Flöße und Beiboote. Leuchtschriften, akustische Signale und sogar bunte
Rauchzeichen lockten die Käufer an, oder sie verwirrten sie noch mehr. Die seltsame Atmosphäre, die von dem Markt ausging, schlug mich sofort in ihren Bann. Man konnte sich der Anziehungskraft dieses bunten, lärmenden Durcheinanders einfach nicht entziehen. Wir waren mit der Antigrav-Plattform kaum auf einer schwimmenden Insel gelandet, als wir auch schon von einer Menge Schaulustiger umringt waren. »Was kostet der Spieltisch?« »Zweihunderttausend – mal vier.« »Für diesen Betrag kann ich in der Spielbank von Arkon eine Periode lang spielen.« »Und verlieren, Erhabener. Wenn Sie aber diesen Spieltisch erstehen, können Sie den anderen Leuten die Chronners aus der Tasche ziehen.« Die Menge lachte. »Hunderttausend mal vier würde ich dafür vielleicht anlegen…« Damit begann das Feilschen um den Preis. Bezahlt wurde mit Lochmünzen-Bündeln. Ein Teil der Menge verlor sich wieder, die anderen wanderten ab, als weitere AntigravPlattformen und Frachtgleiter der GROVEMOOS mit neuer Ware auf der schwimmenden Insel landeten. Wir blieben mit unseren Talama vorerst noch weitestgehend unbeachtet. Die unscheinbaren Zylinder stachen kaum ins Auge und wurden vom Glanz der Prunkmöbel überstrahlt. Ein grell geschminkter arkonidischer Edelmann – das Mehinda-Muster wies ihn als Zoltral aus – erkundigte sich herablassend nach dem Preis der Büchsen, die er als recht originelle Vorratsbehälter für seine Duftwässerchen ansah, wandte sich aber schimpfend ab, als Fartuloon den Preis nannte: »Hundert – mal tausend, Zhdopandel!« »Mir ist es lieber, wenn wir unbeachtet bleiben«, raunte ich.
»So haben wir für unsere Nachforschungen Zeit. Wenn nötig, verschenke ich die Talama sogar, um ungebundener zu sein.« »Damit verärgerst du aber Sheeron«, gab Morvoner zu bedenken. »Immerhin hast du ihm einen fetten Anteil vom Erlös der Beute versprochen.« »Ich habe ihm sogar den gesamten Erlös zugesichert. Aber eine Summe habe ich wohlweislich nicht genannt – und er wollte schließlich nichts davon haben.« »Wir sollten trotzdem nichts unternehmen, was Sheeron verärgern könnte«, sagte Fartuloon. »Immerhin befindet sich Farnathia in seiner Obhut.« Die Transportscheibe, mit der wir gekommen waren, war inzwischen entladen worden und flog zur GROVEMOOS zurück. Nur zwei Piraten flogen mit, die anderen sechs blieben und hatten inzwischen den Spieltisch – für sechshunderttausend – und zwei verschlossene Tresore verkauft. Nun war der erste Andrang abgeflaut; sie machten sich daran, ihre Waren gegen Diebe abzusichern und verkaufsgerecht aufzustellen. Wir überließen ihnen die besten Plätze und breiteten unsere dreiunddreißig Talama neben dem Warenberg aus. Die Piraten stellten uns eine Fangtaste zur Verfügung, damit wir die Grauzayna-Büchsen vor fremdem Zugriff schützen konnten. Sie wurde auf die Individualschwingungen von Fartuloon, Eiskralle, Sprangk und mir programmiert. Jeder andere, der in dieses Ortungsfeld geriet, wurde sofort durch einen Paralysestrahl ausgeschaltet. Diese Sicherheitsmaßnahme war in dieser hektischen Atmosphäre unbedingt nötig, wimmelte es doch nicht nur von professionellen Dieben, sondern selbst Arkoniden, die reich genug waren, den ganzen Markt aufzukaufen, machten sich einen Sport daraus, zu stehlen. Und obwohl ich bereit war, die Talama umsonst herzugeben, wollte ich sie mir nicht
entwenden lassen. Nach und nach hatten die Piraten einen Großteil der schwimmenden Insel belegt. Die wenigen selbständigen Händler, die ihre Verkaufsstände hier aufgeschlagen hatten, wurden zu Statisten degradiert. Die Piraten waren klug genug, es sich mit den anderen Händlern nicht ganz zu verscherzen, und trieben den Konkurrenzkampf nie so weit, daß die anderen so in Rage kamen, daß sie sich gegen die Piraten verbündeten. Die Freihandelszone hat ihre eigenen ungeschriebenen Gesetze. »Ich glaube, wir sollten uns ein wenig umhören«, sagte ich schließlich. »Der Andrang auf die Talama ist gering genug, daß ein einzelner reicht. Wir anderen ziehen inzwischen Erkundigungen ein. Ich möchte zunächst mehr über diesen Prillgram Galbass herausfinden. Wie er lebt, wer seine Feinde sind und seine Vertrauten und mit wem er Kontakt hat.« »Es wäre nicht klug, daß jeder von uns etwas auf eigene Faust unternimmt«, gab Fartuloon zu bedenken. »Wir sollten stets zu zweit sein. Der Markt unterliegt zwar nicht der arkonidischen Gesetzgebung, aber der Einfluß Agmons und der Tatos reicht bis in die Freihandelszone.« »Du hast recht, Bauchaufschneider. Solange wir die Situation nicht überblicken, sollten wir immer nur zu zweit auftreten. Deshalb werde ich zusammen mit Sprangk gehen. Du bleibst mit Eiskralle hier.« Ich entdeckte Tropp, als er mit einem maskierten Arkoniden über ein edelsteinbesetztes Mehinda-Schminkkästchen verhandelte, und steuerte auf ihn zu. »Der Preis ist mit zwanzig mal tausend niedrig genug gehalten«, hörte ich den Kommandanten der GROVEMOOS gerade sagen. »Ich zahle keinen Preis«, erwiderte der maskierte Arkonide.
»Ich gebe Ihnen nur einen Finderlohn von dreitausend. Diese Schatulle war seit Jahrhunderten im Besitz unserer Familie…« »Das kann jeder sagen.« Tropp, der sich nicht zum erstenmal in einer solchen Situation befand, blieb ungerührt. »Alle Waren, die Sie hier sehen, haben früher anderen Leuten gehört. Aber die Besitzer verunglückten mit ihren Raumschiffen, und somit wurde ihr Besitz zum kosmischen Treibgut, das dem gehört, der es findet. Aber ich will Ihnen entgegenkommen, Erhabener, und den Preis mit Rücksicht auf Ihre Khasurn-Chronik neu durchkalkulieren…« »Du niederträchtiger Pirat!« Die Emotio-Gesichtsmaske begann zu glühen, als er wütend unter seinem wirbelnden Umhang einen Strahler hervorzog. Seine beiden Begleiter hoben ebenfalls Waffen und deckten ihrem Herrn den Rücken. Als ich erkannte, wie sich die Situation entwickelte, richtete ich meinen Paralysator auf die drei und lähmte mit zielsicheren Impulsen die Waffenhände. »Das nächstemal tragen Sie keine Emotio-Maske, wenn Sie Ihre Gefühle nicht im Zaum halten können«, sagte ich zu dem Maskierten, der mit seinen Leibwächtern langsam vor den herandrängenden Piraten zurückwich. »Dein Gesicht merke ich mir«, schleuderte er mir haßerfüllt entgegen und verschwand in der Menge. Seine Maske leuchtete in der Farbe des Zorns: blutrot. »Drohungen von solchen Gecken brauchst du nicht ernst zu nehmen.« Tropps Gesicht blieb ausdruckslos. Die Piraten zerstreuten sich wieder, und auch die Neugierigen zogen ab. »Ich bin nur gekommen, um mich abzumelden.« Er machte eine abfällige Geste. »Von nun an könnt ihr tun und lassen, was ihr wollt. Ich schere mich nicht darum.« Ich nickte bedächtig, starrte auf das Schminkkästchen. »Wieviel würde mich die Schatulle kosten?« »Ein Talama.«
»Du bist unverbesserlich«, sagte ich kopfschüttelnd. »Hast du vergessen, was der Grauzayna zu mir sagte? Die Talama haben unterschiedlichen und höchst eigenwilligen Inhalt. Du könntest eine böse Überraschung erleben. Aber meinetwegen, Fartuloon soll dir ein Talama aushändigen.« Ich nahm das Schminkkästchen an mich und entfernte mich. »Was willst du mit dieser protzigen Schatulle?« wollte Morvoner wissen, als wir über einen Prallfeldsteg zur nächsten schwimmenden Insel gingen; weit unter uns fuhren Händler in Booten und priesen lautstark ihre Waren an. »Der Maskierte war offensichtlich sehr an der Schatulle interessiert.« Ich hob den Deckel, steckte eine Phiole mit larabonischem Hypnogas in den Verschluß und grinste. »Vielleicht können wir mit ihm ins Geschäft kommen.« Ich trug die Mehinda-Schatulle so auffällig, daß sie jedem auffiel. Der Erfolg blieb auch nicht aus. Kaum eine halbe Tonta später stellten sich uns in einem Gang eines zu einem Kaufhaus umfunktionierten Hochseeschiffs zwei Bewaffnete entgegen. Hinter ihnen tauchte der Mann mit der EmotioMaske auf. »Jetzt zahle ich dir alles heim, Bürschchen«, sagte der Maskierte und entriß mir die Schatulle. »Ich bereue mein Verhalten, Erhabener«, entgegnete ich. »Deshalb bin ich Ihnen auch gefolgt. Ich wollte Ihnen das Kästchen zum Geschenk machen, um Sie zu versöhnen.« Der Maskierte lachte. »Jetzt bist du nicht mehr so dreist wie vorhin, als du unter deinesgleichen warst. Durch meine Emotio-Maske kann ich die Angst sehen, die in Wellen aus deinem Schädel schlägt. Du hast auch allen Grund, dich zu fürchten, denn ich werde dich…« Ich erfuhr nie, welches Schicksal er mir zugedacht hatte.
Denn während des Sprechens öffnete er das Kästchen. Der Verschlußdorn wurde aus der Phiole gezogen, das farblose Hypnogas strömte aus, geradewegs in die Atemwege des Maskierten. Damit seine beiden Leibwächter keinen Verdacht schöpften, sagte ich schnell: »Sie haben keinen Grund mehr, mir zu grollen, Erhabener. Ich mache Ihnen die Schatulle zum Geschenk und beanspruche nicht einmal Finderlohn. Sie sollten sich mit mir versöhnen.« »Ja… ich trage dir nichts mehr nach.« »Dann könnten Sie Ihren Leibwächtern befehlen, uns allein zu lassen, damit wir ungestört sind«, sagte ich und fügte geheimnisvoll hinzu: »Es geht um das Geheimnis der geheiligten Talama!« Dies war natürlich für den Maskierten ohne jede Bedeutung und sollte nur dazu dienen, seine Wächter abzulenken. Sie mußten glauben, daß es sich um ein Losungswort handelte, so daß sie über den Gesinnungswechsel ihres Herrn nicht allzu verwundert sein konnten. »Ja, wir sollten ungestört sein.« »Dann schicken Sie Ihre Leibwächter fort!« »Geht!« befahl der Maskierte. »Laßt uns allein, damit wir ungestört sind.« Sie zögerten, kamen dem Befehl dann aber doch nach. Als wir allein waren, verlangte ich von meinem Gegenüber, daß er die Emotio-Maske abnehmen solle. Das Hypnogas wirkte inzwischen so stark, daß er überhaupt keinen Widerstand leistete. Ich blickte in das Gesicht eines jungen Mannes, der nicht viel älter als ich sein konnte. Seine Gesichtszüge waren verweichlicht, die Haut so glatt wie die einer Frau, der Schwung seiner sinnlichen Lippen und die großen Augen verstärkten den femininen Eindruck noch mehr. »Ein Gesicht, das man ständig ohrfeigen könnte«, sagte
Morvoner angewidert und drückte damit in etwa das aus, was ich selbst empfand, wenngleich deutlich deftiger. »Wie heißt du?« »Thamiel da Ortoba«, antwortete er, und durch weitere Fragen erfuhr ich von ihm fast seine ganze Lebensgeschichte. Seine Familie hatte während der Regentschaft meines Vaters in Verbannung gelebt. Erst als Orbanaschol an die Macht kam, wurden auch die da Ortobas wieder mit allen Ehren in den arkonidischen Hochadel aufgenommen. Tharniels Vater war auf Arkon eine einflußreiche Persönlichkeit und schickte seinen Sohn, der die Laufbahn eines Diplomaten einschlagen sollte, nach Jacinther IV, damit er sich hier die ersten Sporen verdiente. Thamiel stand zuerst in Agmons Diensten, war aber nun schon seit fast zwei Jahren Tato Galbass zugeteilt. Er hatte keinen bestimmten Aufgabenkreis, sondern verbrachte seine Zeit mit Müßiggang – was mich nicht weiter wunderte, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß ein Mann vom Rang Galbass’ Ortobas Fähigkeiten hochschätzte. Tharniel war der geborene Nichtstuer. Aber er hatte nicht gelogen, als er behauptete, die Schminkschatulle sei ein Erbstück seiner Familie. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte er sich kaum so für ihre Wiederbeschaffung eingesetzt. Da er von seiner Familie finanziell kurzgehalten wurde und der Lohn von Galbass kaum seinen Ansprüchen genügte, hatte er den geforderten Preis nicht entrichten können. Für mich gab es keinen Zweifel, daß Tharniel da Ortoba zu jener Sorte von Höflingen gehörte, die vor nichts zurückschreckten und die es nur durch Intrigen zu etwas bringen konnten. »Für wen arbeitest du?« »Ich stehe im Dienste Seiner Erhabenheit Orbanaschol…« Ich unterbrach: »Das will ich nicht hören. Ich meine, auf welcher Seite du auf Jacinther stehst.«
»Ich bin im Palast von Tato Galbass tätig.« »Das hast du schon gesagt. Ich möchte hören, wem du auf Jacinther – soweit dir dies überhaupt möglich ist – die Treue hältst. Hast du Kontakt zu Agmon?« »Ja.« Ich hatte richtig vermutet, wollte es aber noch genauer wissen. »Hast du in den zwei Jahren, die du bei Galbass bist, Agmon Informationen über den Gouverneur zukommen lassen?« »Jawohl, ich habe ihn auf dem laufenden gehalten.« »Also spionierst du für Agmon!« Darauf gab er keine Antwort, aber ich benötigte sie auch nicht. »Was hast du über Galbass herausgefunden?« Er erzählte mir eine Menge: daß Galbass ein ausschweifendes Leben führe, korrupt sei und mit den anderen Gouverneuren um Agmons Nachfolge rivalisiere. Das alles waren für mich jedoch keine Neuigkeiten. Ich wollte wissen, ob Galbass etwas gegen Agmon unternommen hatte oder etwas gegen ihn zu unternehmen gedachte. »Er will vermutlich schon. Aber Galbass ist nicht der richtige Mann, um Agmon zu gefährden.« »Mit anderen Worten, du hast nichts über Galbass’ Machenschaften herausgefunden«, vermutete ich. »Er vertraut mir nicht.« Damit war seine Position klar. Tharniel da Ortoba ist nichts weiter als ein kleiner Schmarotzer, der vielen Herren dienen will, ihnen aber keinen Nutzen bringt. Er ist froh, von ihnen durchgefüttert zu werden, mehr verlangt er nicht – und mehr wird er vermutlich auch nicht erreichen. Ich deutete auf die wertvolle Mehinda-Schminkschatulle. »Ich nehme an, du wolltest sie dir nur beschaffen, um sie dann gewinnbringend weiterverkaufen zu können. Oder willst du mir weismachen, daß du daran hängst, weil es sich um ein Erbstück deiner Familie handelt?«
»Ich will die Schatulle jemandem zum Geschenk machen.« »Wem?« »Einer einflußreichen Persönlichkeit, die in den nächsten Pragos nach Jacinther kommt.« Jetzt wurde ich hellhörig. »Um wen handelt es sich?« »Ich weiß es nicht.« Ich packte ihn beim Kragen und schüttelte ihn. »Sag mir, um wen es sich handelt!« »Ich weiß es wirklich nicht«, beteuerte er. »Galbass machte nur Andeutungen, nannte aber keinen Namen. Es muß sich aber um jemand Bedeutenden handeln, weil umfassende Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden.« Ich ließ Tharniel da Ortoba los. Anscheinend wußte er tatsächlich nichts Konkretes, sonst hätte er es mir unter dem Einfluß des Hypnogases verraten. Ich sagte eindringlich: »Du mußt herausfinden, um wen es sich bei dem erwarteten Besuch handelt!« »Ich werde mich bemühen.« Ich glaubte ihm, denn er würde es schon in seinem eigenen Interesse tun. »Wir werden uns morgen um die gleiche Zeit auf diesem Schiff vor dieser Kabine treffen«, schärfte ich ihm ein. Die Nachwirkung des Gases würde wohl bis dahin anhalten, so daß er sich dem posthypnotischen Befehl aus eigener Kraft nicht widersetzen konnte. »Ich werde kommen.« Ich war zufrieden, erlaubte ihm, seine Emotio-Maske wieder aufzusetzen, und wollte mich dann mit Morvoner zurückziehen. Du solltest Ortoba befehlen, diese Unterhaltung zu vergessen, riet der Extrasinn. Doch davon wollte ich nichts wissen. An Galbass konnte sich Ortoba nicht um Unterstützung wenden, weil er gegen diesen intrigierte. Er würde unsere Begegnung schon in seinem
eigenen Interesse verschweigen. Ich mischte mich wieder mit Morvoner unter das Volk. Wir ließen uns vom Strom mittreiben, hörten uns die Angebote der Händler an, erstanden Kleinigkeiten, um die Leute während des Verkaufsgesprächs ein wenig auszuhorchen, aber unsere Ausbeute war nicht sonderlich ergiebig. Wir bekamen nur bestätigt, was wir ohnehin schon wußten: daß das Gerücht von Fertomash Agmons baldigem Ableben kursierte und sich die Tatos untereinander mehr als je zuvor befehdeten. Ich war sicher, daß sich auf dem Markt Spione aller vier Gouverneure herumtrieben, und war deshalb in meinen Äußerungen vorsichtig. Zumindest vermied ich es, den Eindruck entstehen zu lassen, daß ich für irgendeinen der Gouverneure Partei ergriffen hatte. »Feinste Goraya-Bär-Felle, Zhdopandel!« pries ein über und über tätowierter Händler seine Ware an. »Legen Sie den Goraya-Bären Ihrer Geliebten zu Füßen, edler Herr, und sie wird von der kuscheligen Wärme wie berauscht sein. Sie wird Ihre Worte trinken wie süßen Wein, unter Ihrer Umarmung dahinschmelzen. Im Vertrauen, Hochedler, der Goraya-Bär wurde im Palast von Galbass vielfach erprobt. Unser hochwohlgeborener Tato gehört zu meinen besten Kunden – und es gibt keine unter seinen vielen Mätressen, die sich nicht auf einem Goraya-Bären räkelt…« Das war für mich ein Grund, bei diesem Händler länger zu verweilen. »Es sind wirklich schöne Felle. Aber Ihr Argument, daß sich die Frauen von Galbass darauf wohl fühlen, erscheint mir unglaubwürdig.« »Sie schimpfen mich einen Lügner, Hochedler?« fragte der Tätowierte; Empörung schwang in seiner Stimme mit. Ich lächelte. »Sagen wir so: Die Frauen, die ich kenne,
bevorzugen andere Unterlagen für ihren Schönheitsschlaf. Nichts kann die heilende und regenerierende Wirkung von speziell darauf abgestimmten Synthetics ersetzen – auch nicht das Fell des Goraya-Bären.« Der Tätowierte blickte sich um und raunte mir dann zu: »Galbass’ Mätressen schwören auf den Goraya-Bären. Sind Sie interessiert? Kommen Sie mit, edler Herr!« Er winkte und verschwand durch eine Schwenktür in den Aufbauten seines Hausboots, das direkt an einem Verbindungssteg verankert war. Sprangk – die Rechte am Paralysator – und ich folgten ihm ins Innere. Es handelte sich um einen Lagerraum, in dem sich Stapel von Fellen türmten. Nur eine Ecke hatte er frei, wo eine Schlafstätte eingerichtet war. Der Mann nannte sich Plantor, machte sich aber nichts daraus, daß wir uns nicht vorstellten. »Ich habe Fotos«, sagte er geheimnisvoll. »Fotos von Galbass’ Mätressen auf GorayaBären.« Er spannte ein schneeweißes Fell über eine Wand, entschnürte ein Fellbündel und holte einen Mikro-Projektor hervor. »Eine bessere Referenz kam man gar nicht haben. Ich erbringe Ihnen den Beweis, daß sich Frauen auf dem GorayaBären wohl fühlen – und Sie kaufen! In Ordnung?« Auf dem schneeweißen Fell, das als Projektionsfläche diente, leuchtete das Bild einer unsagbar häßlichen und unglaublich fetten Frau auf, die sich auf einem Bärenfell räkelte. »Das ist Galbass’ Lieblingsfrau Orfina. Ist das nicht ein gelungener Schnappschuß?« Er projizierte das nächste Bild, das ebenfalls eine Frau auf einem Goraya-Bären zeigte. Sie war nicht minder fett und hielt zudem noch einen Eßnapf. Das Foto war so realistisch, daß ich sie im Geiste schmatzen und rülpsen hörte – und schüttelte mich. »Das ist Faulia – sie macht keinen Schritt ohne den Goraya-Bären.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich Galbass einen Harem aus den häßlichsten Geschöpfen des Universums hält«, sagte Morvoner zweifelnd. »Geschmäcker sind bekanntlich verschieden«, antwortete Plantor pikiert, »und es gibt im weiten Universum keine zwei Kulturen mit ein und demselben Schönheitsideal.« »Mein Freund wollte nicht lästern«, beruhigte ich den Tätowierten. »Er zweifelt nur daran, daß die Bilder echt sind. Ich muß gestehen, daß es mir ebenso ergeht…« »Das sind keine Fälschungen! Ich kann Euch beweisen, daß die Bilder echt sind und innerhalb der Flammenmauer in Galbass’ Palast aufgenommen wurden.« »Wenn Sie das können, Plantor, kommen wir ins Geschäft.« Er zeigte uns eine Reihe von Fotos, die auf dem Palastgelände innerhalb der Feuerwand gemacht worden waren. Der Palast war ein düsteres Bauwerk aus etwa vierzig flachen ineinander übergehenden Gebäuden, die von exotischen Pflanzen umrankt waren. Überall standen Kampfroboter; aber sie wirkten veraltet, etliche von ihnen waren nicht mehr voll funktionsfähig. Neben den Robotern gab es patrouillierende Soldaten. Ihre Uniformen und Raumrüstungen waren nicht gerade auf Hochglanz poliert, und auch ihre Waffen machten keinen gepflegten Eindruck, wie überhaupt alles verschlampt und unordentlich wirkte. Galbass schien auf Disziplin keinen Wert zu legen – und Geschmack hatte er obendrein nicht, wie seine Mätressen zeigten, die an den unmöglichsten Orten für den Fotografen posierten. Aber dafür hatte ich schon längst keinen Blick mehr. Ich erfuhr, daß es vier Schleusen in der Flammenwand gab, von denen drei Individualsperren hatten – nur die Nordschleuse konnte von jedermann unbeschadet passiert werden, sofern es gelang, das positronische Schloß zu knacken.
»Das genügt«, sagte ich. »Wir kaufen Ihnen den ganzen Plunder ab.« »Sie wollen alle Felle haben?« »Nein, nur die Fotos.« »Haha, was für ein Scherz! Die Fotos sind natürlich unverkäuflich…« »Wieviel?« »Ich sagte doch schon…« Plantor verstummte, als er Sprangks Paralysator auf sich gerichtet sah. »Wieviel?« Als sich der Händler weiterhin weigerte, die Fotos zu verkaufen, lähmte ihn Morvoner kurzerhand mit einem schwachen Paralysestrahl. Wir wickelten den Projektor mit den Mikrofilmen in ein Fell und verließen das Hausboot. »Erinnere mich daran, daß wir Plantor als Ersatz für die Bilder ein Talama schicken«, bat ich Morvoner, als wir uns auf dem Rückweg befanden. »Sie hinterlassen zu deutliche Spuren.« Ich blickte mich nach dem Sprecher um. Er ging einen Schritt hinter mir, reichte mir nur bis an die Schultern, war offenbar zierlich und männlichen Geschlechts. Worauf man aber nur aus der Stimme schließen konnte, denn er war in einen weiten, bunt bestickten Umhang gehüllt. Und er trug eine EmotioMaske. Ich wollte sie ihm mit einer blitzschnellen Bewegung vom Gesicht reißen, aber er wich geschickt aus. »Das tun Sie besser nicht! Denn sonst werde ich keinen Finger rühren, um Ihnen zu helfen.« »Wer sind Sie?« »Nennen Sie mich einfach Pruug – wie den Schutzengel des Rezwan-Kults.«
»Wessen Schutzengel sind Sie?« »Ich könnte der Ihre sein. Glauben Sie mir, Sie können einen brauchen. Ihre Aktivitäten sind nicht unbemerkt geblieben.« Ich mußte Sprangk zurückhalten, damit er sich nicht auf den Kleinen mit der Emotio-Maske stürzte. »Wir können uns zumindest anhören, was unser unbekannter Gönner vorzuschlagen hat.« »Das klingt schon besser. Aber vorher möchte ich noch meinen Preis nennen. Ich verlange als Gegenleistung für meine Dienste ein Talama.« »Es gehört schon Ihnen«, sagte ich nach kurzem Überlegen. Die Züge seiner Emotio-Maske verschwammen und zeigten ein Grinsen. »Warum warnen Sie mich nicht vor den möglichen Folgen des Talama?« Als ich verblüfft schwieg, fuhr er fort: »Keine Gewissensbisse, ich weiß über die GrauzaynaBüchsen Bescheid. Ich fürchte mich nicht davor, daß sie mir schaden könnte. Ich bin sicher, daß sie Segen über mich bringen wird, wenn ich sie öffne.« »Sie sind ja gut informiert«, sagte ich anerkennend, aber mit einem unguten Gefühl in der Magengegend. »Was haben Sie uns vorzuschlagen?« »Zuerst führe ich Sie zu Ihren Gefährten.« »Danke, den Weg finden wir schon allein«, sagte Sprangk gereizt. »Wenn so Ihre Hilfe aussieht…« »Ihre Gefährten haben den Standort gewechselt.« Der Maskenträger setzte sich in Bewegung, und wir folgten ihm verblüfft. Die Sache gefiel mir immer weniger; der Logiksektor warnte lautlos. »Was ist vorgefallen?« fragte ich, während wir uns gegen die Menschenmassen kämpften. »Ihre Freunde haben auf einen gutgemeinten Rat hin ihren Platz gewechselt. Ich sagte schon, daß Sie bei Ihren Nachforschungen zu deutliche Spuren hinterlassen, die sich
leicht zu den Piraten zurückverfolgen ließen. Nein, widersprechen Sie mir nicht. Ich bin über alles informiert. Aber auch die Gegenseite ist nicht unwissend.« »Und wen meinen Sie damit?« »Wenn Sie weiter so vorgehen wie bisher, machen Sie sich alle Interessengruppen zu Feinden«, wich Pruug aus. »Namen will ich keine nennen, das überlasse ich Ihrer Phantasie. Ich will auch nicht verheimlichen, daß eine Interessengruppe Ihren Standortwechsel mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen hat.« »Ich kann mir schon denken, um wen es sich handelt«, sagte ich grimmig. Jepson Tropp konnte erleichtert aufatmen, denn jetzt brauchte er nicht mehr zu befürchten, durch uns in Schwierigkeiten zu geraten. »Haben die Piraten Sie dafür bezahlt, daß Sie uns aus ihrem Bereich brachten?« »Darüber können Sie denken, wie Sie wollen. Aber es ist so, daß Sie an Ihrem neuen Platz sicherer sind als bei den Piraten. Die hätten sich irgendwann etwas einfallen lassen, um Sie loszuwerden.« Das wollte ich nicht glauben. Ich wußte, daß ich nicht Tropps Sympathien hatte, aber einen Verrat traute ich ihm nicht zu. »Wir sind gleich da!« Wir erreichten eine schwimmende Insel mit fünf Stockwerken, die terrassenförmig angelegt und durch breite Treppen miteinander verbunden waren. Auf den Stufen hatten Händler ihre Stände errichtet und boten ihre Waren an. Wir gingen zur höchsten Plattform hinauf, und dort, am östlichen Rand, nur durch eine niedrige Energiebarriere vor dem Abgrund geschützt, sah ich Fartuloon und Eiskralle mit den Talama. Der Chretkor verhandelte mit einem großgewachsenen Arkoniden, der nur Beinkleider und Sandalen trug und den nackten Körper oberhalb des Waffengürtels und das Gesicht in einem exotischen MehindaMuster geschminkt hatte. Er leuchtete ganz in Blau mit feinen
violetten Schattierungen und Nuancen von Rot. »Was ist mit dem Talama?« erkundigte sich Pruug ungeduldig, als ich mich Fartuloon näherte, der mir auf halbem Wege entgegenkam. »Gib ihm seinen Lohn!« forderte ich Morvoner auf. Während er mit dem Maskenträger zu unserem Standplatz ging, traf ich fünf Schritte davor mit Fartuloon zusammen. »Ihr seid spät; ist etwas passiert? Ich dachte, ihr würdet uns hier erwarten?« »Wer hat das gesagt?« »Pruug.« Ich stieß Fartuloon zur Seite und sprang nach vorne. Gerade als der Kleine mit der Emotio-Maske in der Menge verschwinden wollte, erwischte ich ihn am Umhang. Es gelang ihm aber, sich loszureißen; das Talama hielt er fest an den Körper gepreßt. Seine Emotio-Maske pulsierte unter großer Erregung. »Gefahr!« rief er mir noch zu, dann war er in der Menge verschwunden. Ich zweifelte nicht daran, daß seine Warnung ernst zu nehmen war. Nur, von wo droht Gefahr?
16. Aus: Arkonidische Mehinda-Muster der Archaischen Perioden – Herkunft, Systematik und kulturelle Bedeutung, S. A. Warda. In: Schriften des Institutes für vorterranische Geschichte (Sonderheft 301), Akademia Terrania, Terra 2133 Die Feldherren-Mumien des Tonscherben-Feldes von Rakkalin tragen ausnahmslos Mehinda-Make-up, dessen Wirksamkeit bis heute (nach über 18.000 Jahren!) praktisch unverändert geblieben ist (DeRosariova 2111).
Erst die späteren Generationen verzichteten allmählich auf eine »Ganzkörper-Behandlung« und gingen zu filigraneren, kunstvollen Motiven über. Der Übergang zu den ausschließlich auf das Gesicht begrenzten Mustern der Gruppe A (nach al-Ribini und Ferencs) vollzog sich wohl schon kurz nach der Wiederherstellung der Raumfahrt um 3800 da Ark, ab Mehinda ein Zeichen für Wohlstand und hohe soziale Stellung des Trägers wurde. Die anderen Arkoniden übernahmen diese Sitte innerhalb weniger Generationen, doch sorgten die »Erfinder« der Kristallwelt dafür, daß sich die Heraldik der »Neureichen« qualitativ niemals der ihrigen angleichen konnte. Interessanterweise ähneln einige Mehinda-Muster der Gruppe A denen der akonischen FingernagelGravuren (De Rosariova 2113) – ein Hinweis auf die direkte Abstammung der Khasurn dieser Gruppe von den ersten UrdnirKolonisten? »Zweihundert mal hundert ist der Preis«, sagte Eiskralle zu dem blau geschminkten Arkoniden. »Für diese einfache, fast primitive Büchse ist das ziemlich viel.« Der Mann wog das Talama abschätzend in der Hand. »Ich will einen Blick hineinwerfen, um zu sehen, ob der Preis auch angemessen ist.« »Sie können das Talama erst öffnen, wenn es Ihnen gehört, Erhabener. Möglich, daß es Ihnen erst nach Pragos gelingt, vielleicht öffnet sich Ihnen die Grauzayna-Büchse schon heute, und Sie erfahren dann das höchste Glück des Universums. Es kann aber auch sein, daß Ihnen der Inhalt statt Segen nur Fluch bringt. Es hängt alles von Ihnen ab. Wenn Sie glauben, genügend kosmische Reife zu besitzen, edler Herr, sollten Sie das Talama kaufen.« »Ein unsicheres Geschäft«, sagte der Blaugeschminkte zu den Umstehenden. Inzwischen hatte sich eine recht
ansehnliche Menge um unseren Stand versammelt. Fartuloon und ich gesellten uns zu Sprangk und Eiskralle, aber obwohl mir der Chretkor hilfesuchende Blicke zuwarf, mischte ich mich nicht in das Verkaufsgespräch ein. Ich war auf der Hut, bereit, beim geringsten Anzeichen von Gefahr zu reagieren. Aber ich konnte nirgends einen Verdächtigen erblicken. Soldaten waren ebenfalls keine in der Nähe, für sie war der Markt tabu, und von den Umstehenden konnte jeder unser Gegner sein. Auch der Blaugeschminkte… Plötzlich ahnte ich, daß die Gefahr von ihm ausging. Eiskralle erklärte, daß die Talama das Erbe eines geistig hochstehenden Volkes seien, daß jeder Grauzayna eine solche Büchse besessen habe, in die er sein wertvollstes Gut verfrachtete. Es könne sein, daß sich in einer GrauzaynaBüchse weltliche Schätze befanden; da diese Wesen jedoch vor allem Philosophen gewesen seien, müsse man annehmen, daß die meisten Talama geistiges Gut bargen. »Versuchen Sie nicht, die Büchse mit Gewalt zu öffnen, Hochedler«, führte Eiskralle weiter aus, während er nervös zu mir herüberblinzelte. »Üben Sie sich in Geduld und warten Sie, bis das Talama sich Ihnen von selbst offenbart.« Der Blaugeschminkte lachte. »Du hast mich neugierig gemacht. Gut, ich will dir die zweihundert mal hundert zahlen. Der Handel ist perfekt. Schlag ein!« Ich spannte mich an, als der Arkonide Eiskralle die Hand hinhielt. Mein Extrasinn behauptete, daß diese Geste das Zeichen für unsere Gegner sein müsse, um zuzuschlagen. Ich war also vorbereitet – dennoch wurde ich überrumpelt. Eiskralle langte zögernd nach der Hand des Arkoniden. Sein Zögern war in dem Wissen seiner besonderen Fähigkeiten begründet. Natürlich konnte er seine Kräfte lenken, daß sein Griff nur dann tödlich war, wenn er es wollte. Aber die Scheu, anderen, denen er nichts antun wollte, die Hand zu reichen,
konnte er nie ganz überwinden. »Schlag schon ein!« verlangte der Blaugeschminkte. Erst nach der zweiten Aufforderung griff Eiskralle nach der dargebotenen Hand. Plötzlich stürzte einer der Umstehenden vor und ließ über Eiskralles Handgelenk eine Energiefessel einschnappen. »Wißt Ihr denn nicht, daß das ein Chretkor ist!« rief er aufgeregt. »Wenn Ihr ihm die Hand reicht, dann erstarrt Ihr zu Eis!« So sah also die Falle aus, die man uns gestellt hatte! »Du wolltest mich töten, du Zayna!« schrie der Blaugeschminkte und griff nach seiner Waffe. Eiskralle wollte nach ihm schlagen, aber der andere zerrte ihn an der Energiefessel nach vorne, so daß er der Länge nach hinfiel. Eiskralle verschwand hinter der Personengruppe. Ich hatte meinen Paralysator schon in der Hand und lähmte den Blaugeschminkten mit einem breitgefächerten Strahl. Sprangk streckte zwei andere Angreifer nieder, die von der Seite kamen und sich auf ihn stürzen wollten. Fartuloon hatte sein Skarg gezogen, doch als er es zum Schlag erhob, fuhr ein Energiestrahl in die Klinge. Das Skarg glühte auf, Blitze zuckten auf Fartuloons Körper über, und der Bauchaufschneider brach unter konvulsivischen Zuckungen zusammen. »Keine Gegenwehr mehr, oder wir schmoren den Chretkor!« Der Sprecher dieser Worte hielt einen schweren Luccot auf mich gerichtet. Als er einen Schritt zur Seite wich, sah ich hinter ihm vier weitere Männer, die einen Energiekäfig umringten, in dem sich Eiskralle befand. »Ich zerfließe!« jammerte der Chretkor. »Auf mich strömt thermische Energie, die meinen Körper zur Auflösung bringen wird.« Mir war klar, daß unsere Gegner es ernst mit ihrer Drohung
meinten. Ich ließ meinen Paralysator fallen. Sofort war einer der Männer da und zog mir den Luccot aus dem Gürtel. Sprangk erging es ebenso. Inzwischen hatte sich die Aufregung auf der Plattform einigermaßen gelegt. Die Unbeteiligten waren geflüchtet, und wir waren von einem Dutzend Männer umringt, aus deren Gesichtern Entschlossenheit sprach. »Dreh dich um!« wurde mir befohlen. Ich gehorchte und stand jetzt mit dem Gesicht zum Energiegeländer, das die Plattform absperrte; tief unter mir sah ich die bewegte Meeresoberfläche. »Spring hinunter!« Ich zögerte. Erst als ich den Lauf einer Waffe im Rücken spürte, setzte ich mit einem Sprung über das Geländer hinweg. Ich war nicht überrascht, als ich feststellte, daß ich nicht haltlos in die Tiefe fiel, sondern langsam hinunterschwebte. Der Überfall auf uns mußte von langer Hand vorbereitet gewesen sein, denn die Installation dieser Antigrav-Einrichtung hatte einige Zeit beansprucht und mußte schon vor unserem Eintreffen vorgenommen worden sein. Unter mir tauchte ein Luftkissen-Boot auf. Ich schwebte geradewegs darauf zu. Auf Deck befand sich ein halbes Dutzend bewaffneter Männer, die zu mir hinaufblickten. Als ich die Planken unter meinen Füßen spürte, ergriffen mich starke Hände und zerrten mich aus dem Antigravbereich. Hinter mir kam Sprangk heruntergeschwebt, dann folgten der bewußtlose Fartuloon und der Energiekäfig mit Eiskralle. Erst dann folgten die Männer, die uns überwältigt hatten. Nachdem sie alle an Bord waren, nahm das Boot Fahrt auf und entfernte sich mit hoher Geschwindigkeit von BroschaanMarkt. Ich erkannte, daß wir auf das Festland zusteuerten, dann wurde ich in eine Kabine gesperrt. Was mit den anderen geschah, erfuhr ich nicht. Kaum war das Schloß hinter mir
zugeschnappt, hörte ich ein Zischen – als würde durch irgendeine Öffnung Gas zu mir hereinströmen. Es war ein Betäubungsgas, das mir wenige Augenblicke später das Bewußtsein raubte. Ich spürte Übelkeit, als ich in Dunkelheit zu mir kam. Vielleicht war es sogar der Brechreiz, der mich wach gerüttelt hatte. Von irgendwo drangen gedämpfte Stimmen zu mir. »Fartuloon?« »Ah. Du bist endlich wieder bei Bewußtsein. Wie geht es dir?« »Den Umständen entsprechend.« Ich tastete mich durch die Dunkelheit in die Richtung, aus der die Stimme kam. Endlich ertastete ich etwas Weiches, Warmes, und dann spürte ich Fartuloons kraftvollen Händedruck. »Wo sind wir?« »In einem Verlies. Wir waren besinnungslos, als man uns herbrachte«, antwortete Morvoner. »Aber ganz sicher sind wir auf dem Festland. Die Wände sind aus Fels.« »Und Eiskralle?« »Nicht hier«, sagte Fartuloon. »Seit wir hier sind, hat sich uns noch niemand gezeigt.« »Wahrscheinlich werden wir beobachtet«, vermutete ich. »Wir müssen uns jedenfalls darauf einstellen.« Fartuloon lachte rauh. »Man hat uns bis auf unsere Kleider alles abgenommen. Ohne fremde Hilfe kommen wir hier nicht heraus.« Wir verstummten, als aus der Dunkelheit Geräusche zu uns drangen. Ein Klirren, dem ein Quietschen folgte, dann schwang eine Tür auf, und Helligkeit strömte in unser Verlies. Ich schloß geblendet die Augen; als ich sie wieder öffnete, sah ich, daß in der Türöffnung, die durch einen Schutzschirm abgesichert war, einige Gestalten standen. Die Umrisse ihrer
Strahlenwaffen waren ganz deutlich zu sehen. »Ihr seid schneller als erwartet erwacht«, hörte ich eine Stimme sagen. Da man über unseren Zustand Bescheid weiß, habe ich also richtig vermutet, daß man uns überwacht. »Kommt jetzt einer nach dem anderen her – hintereinander und langsam«, wurden wir aufgefordert. »Laßt euch nicht einfallen, einen Ausbruch zu versuchen, ihr würdet nicht weit kommen.« Fartuloon erreichte als erster die Energiebarriere, hinter ihm kam ich, Sprangk bildete den Abschluß. Jetzt konnte ich Einzelheiten unserer Kerkermeister erkennen. Sie trugen Uniformen, die mir bekannt waren. Ich hatte die Kombinationen schon bei den Soldaten auf Plantors Bildern gesehen. Demnach befinden wir uns in Galbass’ Gewalt! Die Energiebarriere fiel zusammen, die acht Soldaten nahmen uns in ihre Mitte, ihre Paralysatoren schußbereit, und führten uns durch einen breiten, modrigen Gang. An dessen Ende war ein Energiegitter. Dahinter standen zwei Roboter Wache; hoffnungslos veraltete Modelle – wie ich auf den Fotos auch schon erkannt hatte. Das Energiegitter hob sich, wir gingen durch. Man brachte uns in einen kahlen Raum, der ein Ebenbild unseres Verlieses zu sein schien. Dort erwartete uns Eiskralle. Seine Hände steckten in einem energetischen Fäustling. Daraus ging klar hervor, daß man über die Fähigkeiten eines Chretkors eingehend informiert war. »Ihr bleibt hier, bis sich die gegenüberliegende Tür öffnet!« Die Soldaten zogen sich auf dem gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. »Wie geht es dir, Eiskralle?« erkundigte ich mich mitfühlend. »Ich weiß nicht, ob ich meine Hände jemals wieder gebrauchen kann.« Weinerlich hob er den energetischen Fausthandschuh an. »Wer weiß, vielleicht fallen sie mir sogar ab…« »Hör mit der Jammerei auf«, rügte ihn Fartuloon und blickte
sich um. »Ich fürchte, daß man irgendeine Teufelei mit uns vorhat, ehe man uns hier herausläßt.« »Wir hätten es schlechter erwischen können«, sagte Morvoner. »Hast du die Uniformen erkannt, Atlan? Es sind Soldaten von Gouverneur Galbass. Vielleicht befinden wir uns sogar innerhalb der Flammenwand.« »Ich sehe keinen Grund, warum wir uns darüber freuen sollten.« Mürrisch fuhr sich Fartuloon mit dem Finger in den Halsausschnitt. »Verdammt, ist es hier heiß!« »Die Luft ist stickig«, stimmte Eiskralle zu. »Und hat einen unerträglichen Geruch.« Er hatte recht. Es lag ein unangenehmer Geruch in der Luft, der die Sinne benebelte. Ich fühlte mich schwindlig. »Man will uns wieder betäuben«, rief Fartuloon und stürmte zu der gegenüberliegenden Tür, durch die wir den Raum verlassen sollten. Aber sie war noch verschlossen. Fartuloon lehnte sich erschöpft und kraftlos dagegen. »Es hat keinen Sinn, unsere Kräfte sinnlos zu vergeuden«, murmelte ich. »Besser, wir verhalten uns friedlich und warten ab.« Ich fühlte mich auf einmal frei von allen Aggressionen, frei von dem Haß gegen unsere Feinde. Das einströmende Gas soll euch besänftigen, erklärte der Extrasinn. Jetzt öffnete sich die Tür, und wir konnten ins Freie gehen. Draußen erwarteten uns zehn Kampfroboter. Bei ihnen stand nur ein einzelner Soldat. Dieser nahm Eiskralle den energetischen Handschuh ab, so daß er sich wieder frei bewegen konnte. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte der Chretkor diese Chance sofort wahrgenommen und seine Fähigkeit eingesetzt. Auch wir anderen hätten zumindest einen Fluchtversuch gewagt. Aber das Gas hemmte uns: Ich konnte klar denken, logische Überlegungen anstellen, war jedoch nicht in der Lage, irgend etwas zu unternehmen, um
meine Situation zu verbessern. Den anderen erging es ebenso. Vor uns lag ein verwilderter Park, dahinter erhob sich der mir bereits bekannte Komplex aus etwa vierzig flachen, ineinander verschachtelten Häusern: die Regierungsgebäude von Prillgram Galbass. Im Hintergrund loderte die Flammenwand. Ich habe mir nicht träumen lassen, daß es gelingen würde, so schnell hierherzukommen. Allerdings wären mir andere Begleitumstände lieber gewesen. Wir folgten den Robotern durch den Park. Die Schlingpflanzen, die die Häuser überwucherten, drangen durch Fenster und Türen bis tief in die Korridore und Zimmer vor. Insekten umschwirrten uns. Kleine Leuchtkörper erzeugten trübes Licht. Wir wurden in einen großen Saal geführt, in dem uns bereits der Gouverneur erwartete. »Ihr seid also die Spione!« rief er mit keifender Stimme. Ich hatte mir keine Vorstellung von Galbass’ Aussehen gemacht, aber als ich nun vor ihm stand, war es ganz selbstverständlich, daß er so und nicht anders aussah: ein kleines, dürres Männchen, dessen V-förmiger Kopf auf einem langen Hals saß. Das Gesicht war faltig, die Backenknochen waren hoch angesetzt und traten stark hervor, so daß der Eindruck entstand, daß der Blick der stechenden Augen aus unergründlicher Tiefe komme – in ihnen war ein unstetes böses Funkeln. Er saß in einer Art Thron, zu dem fünf Stufen hinaufführten, die mit Fellen belegt waren. Überhaupt war der ganze Saal mit Fellen ausgelegt – mit Fellen vom Goraya-Bären! Und überall räkelten sich fette Mätressen, wie ich es auf Plantors Bildern gesehen hatte. Sie waren durchweg ein Ausbund an Häßlichkeit, keine von ihnen hatte irgend etwas, das meiner Meinung nach einen Mann hätte reizen können. Ich wandte
mich schaudernd ab und zog den Anblick Galbass’ vor, obwohl auch er alles andere als einen sympathischen Eindruck auf mich machte. Einige seiner Mätressen saßen auf den Stufen seines Thrones, steckten die Köpfe zusammen, kicherten; andere stopften irgendwelche Speisen zwischen ihre wulstigen Lippen, schmatzten und rülpsten, genauso wie ich es mir vorgestellt hatte. Entlang der Wände standen Roboter Wache. Kein einziger Soldat war zu sehen. Galbass erhob sich halb aus seinem Sitz und deutete mit seinem Zeigefinger, dessen Nagel so lang war, daß er sich nach innen krümmte, auf uns. »In wessen Auftrag habt ihr mir nachspioniert?« rief er anklagend und mit sich überschlagender Stimme. »Wir haben nichts dergleichen getan, Erhabener«, beteuerte ich. Die Lüge kam ganz glatt über meine Lippen, denn das Gas hatte nur meinen physischen Widerstand gebrochen, meinen Willen dagegen nicht. »Ach? Glaubt nur nicht, mich für dumm verkaufen zu können. Ich habe überall meine Informanten – auch auf dem Markt. Sie haben genügend Beweise zusammengetragen, um euch als Spione zu entlarven. Ich frage euch noch einmal in aller Güte: Für wen arbeitet ihr?« »Wir haben keine Auftraggeber. Zugegeben, wir haben Erkundigungen eingezogen. Aber das entsprang reiner Neugier, denn wir sind fremd auf Jacinther und wollten Erfahrungen sammeln.« »Ihr seid fremd auf Broschaan, ja, aber auf Sebentool kennt ihr euch bestimmt gut aus«, behauptete Galbass. Da wurde mir klar, worauf er hinauswollte: Auf dem Nordkontinent Sebentool hatte der Imperiumsbeauftragte sein Domizil. Und dann sprach er seine Beschuldigung auch klar aus: »Ich brauche euer Geständnis nicht, um zu wissen, daß ihr in Agmons Auftrag handelt. Wahrscheinlich haben die anderen
Gouverneure schändliche Lügen über mich verbreitet, so daß Agmon es für angebracht hielt, mich ausspionieren zu lassen.« Galbass sprang erregt von seinem Thron hoch und kam über die Treppe zu uns herunter. »Wir haben mit dem Imperiumsbeauftragten nichts zu tun, Erhabener«, versicherte ich. Galbass schien es überhaupt nicht gehört zu haben. Während er sich uns in lauernder Haltung näherte, fuhr er fort: »Ich kenne doch die Methoden meiner Kollegen. Sie scheuen vor nichts zurück, wenn es gilt, sich Agmon gegenüber ins rechte Licht zu setzen. Und Agmon, dieser greise Narr, ist viel zu senil, um ihre Intrigen zu durchschauen. Er ist so gebrechlich, daß er es nicht mehr wagt, seinen Bau zu verlassen. Er hockt wie eine Spinne im Netz und glaubt, von dort die Fäden ziehen zu können. So hält er es schon seit Jahren. Man hört nichts von ihm, bekommt ihn nicht zu sehen. Er glaubt, klug zu sein, weil er die anderen über sich selbst in Ungewißheit läßt. Doch in meinen Augen ist das Schwäche. Ja, Schwäche!« Ich hatte nichts dagegen, daß Galbass so aus sich herausging, denn auf diese Weise verriet er uns einige interessante Neuigkeiten. Ich begann mich ebenfalls zu fragen, was dahinterstecken mochte, daß Agmon sich schon seit Jahren nicht hatte blicken lassen. »Statt die Geschäfte selbst in die Hand zu nehmen, bedient sich Agmon zwielichtiger Gestalten wie euch. Als ob er damit bei mir etwas erreichen könnte. Ihr hattet kaum euren Fuß auf Broschaan gesetzt, da habe ich euch schon durchschaut. Jetzt will ich erfahren, welchen Auftrag ihr von Agmon bekommen habt!« »Sie fürchten den Imperiumsbeauftragten wohl sehr, Erhabener?« sagte Fartuloon spöttisch. Galbass sah ihn an. »Was? Ich? Agmon fürchten? Ich habe vor niemandem Angst! Aber meine Feinde werden bald allen
Grund haben, vor mir zu zittern. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich Agmons Posten einnehme.« »Stützen Sie Ihre Hoffnung auf das Eintreffen der wichtigen Persönlichkeit, Erhabener?« »Die Fragen stelle ich!« fuhr er mich an und fügte mit einem Grinsen hinzu: »Ka’Mehantis Freemush wird frischen Wind nach Jacinther bringen. Ich werde dafür sorgen, daß die richtigen Köpfe rollen!« Ich hörte seine letzten Worte nicht mehr bewußt. In meinem Geist hallte immer wieder der eine Name nach – Ka’Mehantis Freemush Ta-Bargk! Das war also die wichtige Persönlichkeit, von der Tharniel da Ortoba gesprochen hatte. Und in der Tat, der Imperiale Ökonom war einer der wichtigsten Männer des Imperiums, als Mitglied des Berlen Than der Handelsminister des Tai Ark’Tussan, ein enger Vertrauter Orbanaschols, der weitestgehend den Lauf der Wirtschaft bestimmte. Daß Fartuloon leise lachte, erstaunte mich, aber in diesem Augenblick reifte ein kühner Plan in meinem Kopf. »Ich würde es zu schätzen wissen, wenn ihr von nun an für mich arbeitet«, sagte Galbass bedächtig. »Solltet ihr euch nicht freiwillig zur Zusammenarbeit entschließen, kann ich zu anderen Methoden greifen. Um euch einen Vorgeschmack auf euer Schicksal zu geben, zeige ich euch, was ich mit meinen Feinden zu machen pflege. Folgt mir!« Ohne sich nach uns umzusehen, ging er voran. Er konnte vor uns absolut sicher sein, weil das Gas weiterhin unsere Aggressionen dämpfte. Als wir am Thron vorbeikamen, erhob sich eine der Mätressen, ging an mir vorbei und streifte mich dabei wie zufällig am Arm, flüsterte mir mit rauchiger Stimme zu: »Ich bin Orfina.« Ich hatte sie sofort erkannt, sie sah genauso aus wie auf dem Foto, das Plantor mir von ihr gezeigt hatte. Aber – was, zum Teufel, bedeutet es, daß sie sich an mich wendet?
Sie will deine Gunst, du Einfaltspinsel, klärte mich mein Extrasinn grämlich auf. Der Innenhof war mit Steinplatten belegt, hier rankte sich keine einzige Pflanze. Auf dem etwa hundert mal hundert Meter großen Platz standen an die fünfzig doppelt mannsgroße Blöcke aus einem durchscheinenden Material; schmucklose Quader, die nicht durch ihre Äußerlichkeit, sondern durch ihren Inhalt »bestachen«. In dem nächststehenden Block erblickte ich durch das bräunlich schillernde Material eine arkonoide Gestalt. Es handelte sich um einen Mann, der nicht viel größer als Galbass war. Seine Kleider sahen vornehm aus und fielen locker von seinem Körper. Er stand etwas gebückt da, in seiner Rechten hielt er einen Energiestrahler. Sein Gesicht war das eines Raubvogels – erstarrt in der Maske des Entsetzens. Ich glaubte die grenzenlose Angst herauszulesen, die der Mann gehabt hatte, bevor ihn der Tod ereilte. »Das ist Bornher da Lornio, der geborene Intrigant«, sagte Galbass. »Er trieb ein doppeltes Spiel mit mir und leugnete seinen Verrat bis zur letzten Millitonta. Als ich ihm eine Waffe überließ, zeigte er sein wahres Gesicht. Er stand so da, wie Sie ihn sehen, auf diesem Platz. Er zielte gerade nach meinem Doppelgänger und starb, noch bevor er abdrücken konnte. Sie sehen es seinem Gesicht an, daß er wußte, was mit ihm geschehen würde, als sich das Kunstharz über ihn ergoß.« »Sie haben ihn bei lebendigem Leib eingießen lassen, Erhabener?« »Dasselbe wird mit euch geschehen, wenn ihr nicht freiwillig eure Gesinnung ändert. Hier stehen sechsundvierzig Verdammte – seht sie euch nur genau an! Mit euch wäre es eine schöne runde Zahl.«
Die in dieses bernsteinfarbene Material eingegossenen Personen konnten einen das Gruseln lehren. Es handelte sich um Männer und Frauen aus allen Gesellschaftsschichten, und außer Arkoniden waren sogar einige Vertreter anderer Intelligenzvölker zu sehen. In Galbass’ Sammlung fehlte nicht einmal ein Methanatmer. Der Tato wußte zu jedem der Verdammten eine kleine Geschichte zu erzählen: »Da ist Loohel, der König der Diebe von KevKev. Er kniet im Kunstharzblock, einen bejammernswerten Ausdruck auf dem Gesicht, die Hände bittend emporgehoben. Er hat mein Vertrauen erschlichen, nur um dann zu versuchen, wichtige Unterlagen aus meinem Tresor zu entwenden. Der König der Diebe hat vergeblich um Gnade gewinselt… Nayda, die fette Nayda, die wie frierend das Fell eines Goraya-Bären um sich gewickelt hat, war eine meiner Mätressen. Sie hat geglaubt, mich zum Sklaven meiner Lust machen zu können, und ist dabei einen Schritt zu weit gegangen – dieser Schritt hat sie in diesen Block geführt.« Eine besondere Stellung nahmen die Meuchelmörder unter den Verdammten ein. Es waren ihrer zwei Dutzend, die uns aus den Blöcken entgegenstarrten, aber sie hatten nichts Furchterregendes mehr an sich. Nur einer, Gelwansither, der Spürhund, zeigte noch im Tod, daß er etwas Besonderes gewesen war: Er stand stolz erhobenen Hauptes da, der Scheitel im grauen Haupthaar streng gezogen, die Hände auf die Hüften gestützt, ein Bein etwas abgewinkelt und vorgestellt, das Körpergewicht auf das andere Bein verlagert, mit den scharfen Augen ein Ziel anvisierend, ein spöttisches Lächeln um die Mundwinkel. So war er in den Tod gegangen. Aber wenn ich Galbass glauben wollte, war er trotz allem eine tragische Gestalt. Gelwansither hatte den Tato gnadenlos gejagt und ihn schließlich im Hof der Verdammten gestellt. Er wollte Galbass dasselbe Schicksal wie seinen Opfern
zukommen lassen und hatte schon alles in die Wege geleitet. Nur hatte er vergessen, den Computer der Eingießvorrichtung umzuprogrammieren, sodaß während er – in jener Pose, in der ich ihn nun sehen konnte – darauf wartete, daß Galbass unter dem Gießharz verschwand, die Maschine die tödliche Last über ihn selbst entlud. »Nur deshalb«, versicherte Galbass, »macht Gelwansither diesen stolzen Eindruck. Na, wollt ihr nicht doch mit mir zusammenarbeiten?« »Warum nicht«, erwiderte ich. »Wir sind freie Männer, an keinen Herrn gebunden, und können es uns aussuchen, für wen wir arbeiten.« Der Tato bekam einen roten Kopf und schrie: »Ich werde euch noch dazu bringen, daß ihr Farbe bekennt. Ihr werdet noch froh sein, mir alles erzählen zu dürfen, was ihr über Agmon wißt.« »Sie begehen einen großen Irrtum, Hochedler«, versuchte Morvoner den Gouverneur zu besänftigen. »Sie können alles mögliche von uns erfahren, nur nicht, daß wir Spione eines Ihrer Feinde sind. Wenn Sie uns das glauben, könnten wir wertvolle Verbündete für Sie werden.« Galbass grinste hämisch. »Sie sind mir entschieden zu vorlaut. Deshalb werde ich Sie als ersten verhören.« Morvoner widersetzte sich nicht, als plötzlich vier Soldaten auftauchten und ihn abführten. Wir anderen wurden von einer Abordnung Roboter ins Verlies zurückgebracht. Diesmal jedoch in drei nebeneinanderliegende, durch Energiegitter voneinander getrennte Zellen, die sogar beleuchtet waren. Ich hatte die Roboter, die uns hierherbrachten, genau in Augenschein genommen und festgestellt, daß sie nicht mehr voll funktionsfähig waren. Einmal machte ich versuchsweise eine verdächtige Bewegung, und alle Roboter reagierten langsamer als ich; sie quietschten und rasselten beim Gehen,
als seien etliche Funktionsteile in ihnen zu locker. Als wir in unseren Zellen waren, berichtete ich von meinen Entdeckungen. Fartuloon und Eiskralle hatten ebenfalls festgestellt, daß die Roboter im Ernstfall keine unüberwindliche Gefahr darstellten. Wir kamen zu dem Schluß, daß Galbass nicht gerade Agmons Lieblingskind war; denn warum sonst sollte er so kurzgehalten werden, daß er sich nur schrottreife Roboter und häßliche Mätressen leisten konnte? »Ich weiß jetzt, was ich gegen Orbanaschol unternehmen kann«, eröffnete ich Fartuloon und Eiskralle. »Wenn Freemush tatsächlich nach Jacinther kommt – und das dürfte außer Zweifel stehen –, werden wir ihn entführen! Was sagst du dazu, Fartuloon?« »Du bist total übergeschnappt.« »Wieso, findest du meinen Plan nicht gut?« »Ich will gar nicht von den Schwierigkeiten sprechen, auf die wir bei einer solchen Entführung stoßen. Aber bevor wir einen solchen Plan überhaupt ins Auge fassen können, müssen wir erst einmal in Freiheit sein. Zugegeben, der Verlust des Ökonomen wäre ein schwerer Schlag für Orbanaschol und würde das Große Imperium treffen. Aber…« Er ließ den Rest unausgesprochen und zuckte nur mit den Achseln. »Wir werden schon einen Ausweg finden.« »Was wollte eigentlich Galbass’ Mätresse von dir?« erkundigte sich Eiskralle. »Nichts«, antwortete ich irritiert. »Sie flüsterte mir nur ihren Namen zu. Das ist aber ohne jede Bedeutung.« »Das glaubst du? Du meinst also, daß sie es riskiert, in Gießharz eingegossen zu werden, ohne einen Hintergedanken zu haben?« »Nun, das gerade nicht. Ich befürchte, daß sie an mir Gefallen gefunden hat…«
»Wunderbar!« Fartuloon hob die Arme. »Du mußt ihr schöne Augen machen, vielleicht bringst du sie dazu, daß sie etwas für uns tut.« Ich schüttelte mich. »Orfina reizt mich überhaupt nicht, ja ich finde sie sogar abstoßend, und überhaupt, ich könnte Farnathia nie mehr unter die Augen treten, wenn…« »Na, wenn das so ist, will ich nicht weiter in dich dringen«, sagte Fartuloon heuchlerisch. »Lieber gehe ich in den Tod, als dich zur Sünde zu verleiten.« »Ach, halt den Mund, Bauchaufschneider!« fuhr ich ihn gereizt an. Bald darauf wurde Fartuloon zum Verhör geholt, wenig später auch Eiskralle. Ich wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sich die Tür abermals öffnete und Tharniel da Ortoba erschien, um zynisch zu sagen: »So, mein Freund, jetzt bist du an der Reihe.« Er hatte dafür gesorgt, daß sich keine Zeugen im Verhörraum befanden. Die beiden Roboter, die ihm assistierten, konnten nicht als Zeugen gelten, denn ihre Gedächtnisspeicher ließen sich leicht löschen. Ich wurde an einen Elektrostuhl geschnallt, und so altersschwach die Roboter auch waren, ich hatte keine Chance zur Gegenwehr. Leider hatte auch das Hypnogas seine Wirkung verloren… »So!« Er grinste, als ich bewegungsunfähig war. »Jetzt werden wir sehen, ob du unter den Elektroschocks nicht doch ein Geständnis ablegst.« »Was soll dieser Unfug?« sagte ich in der Hoffnung, ihn umstimmen zu können. »Du weißt besser als jeder andere, daß ich unschuldig bin. Du bist der Verräter, den Galbass sucht. Aber das muß man ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Ich werde schweigen, wenn du dich erkenntlich
zeigst.« »Und wie stellst du dir das vor?« »Ich verlange nicht viel. Du sollst meinen Freunden und mir nur zur Flucht verhelfen. Dann werde ich schweigen wie ein Grab.« »Wenn du im Grab bist, schweigst du bestimmt.« Damit hatte er seine Absicht deutlich erklärt. »Du kannst es dir nicht leisten, mich zu beseitigen. Galbass wird sofort Verdacht schöpfen. Ermordest du mich, verrätst du dich selbst.« »Wer spricht denn von Mord?« sagte er mit gespielter Entrüstung. »Es wird selbstverständlich ein Unfall sein.« Mit einer blitzschnellen Bewegung nahm er eine Schaltung vor, und ich bäumte mich unter den elektrischen Stößen auf, die durch meinen Körper gejagt wurden. Nach einer Weile empfand ich den Schmerz nicht mehr. Aber Ortoba verstärkte die Elektroschocks, kaum daß ich mich ein wenig entspannt hatte. »Ich bin kein Folterknecht und kenne mich daher mit den Instrumenten nicht besonders gut aus. Es kann also leicht passieren, daß ich deine Widerstandskraft überschätze. Ein paar zu starke Elektroschocks, und du wirst für immer schweigen. Ich werde zerknirscht Galbass’ Rügen über mich ergehen lassen und mein Bedauern über mein Mißgeschick beteuern. Das ist alles. Niemand wird dir eine Träne nachweinen.« Er erhöhte die Stromzufuhr, und ich schrie, sah alles wie durch einen verzerrenden Spiegel. Meine Füße und Hände zuckten, verkrampften sich, es riß mir den Kopf hin und her. Ortoba sprach wieder auf mich ein, aber ich konnte nicht mehr verstehen, was er sagte. Plötzlich war mir, als erschrecke er. Seine Augen weiteten sich, er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ich sah, daß er sich wie in Zeitlupe umdrehte und
zum Bildsprechgerät ging. Dort blieb er eine geraume Weile. Als er sich wieder mir zuwandte, grinste er nervös, beugte sich über mich und sagte: »Leider kann ich dir nicht länger Gesellschaft leisten. Ich werde woanders dringend gebraucht. Aber glaube nur nicht, daß du deinem Schicksal entgehst. Es gibt eine Schaltung, die die Kapazität der Stromstöße ständig erhöht. Es ist sogar noch besser, wenn ich nicht in deiner Nähe bin; dann kann mir niemand böse Absicht unterstellen.« Er verschwand aus meinem Blickfeld, verließ den Raum. Ich sah ihn durch die Tür gehen, dann explodierte ein Schmerz in meinem Körper, der mir fast die Sinne raubte. Aber ich blieb bei Bewußtsein und erlebte auch die nächste Schockwelle bewußt mit. Den darauffolgenden Elektroschock überstand ich nicht mehr mit wachem Geist. Ich mußte bereits Halluzinationen haben: Ich sah Galbass’ Soldaten in den Verhörraum stürmen, den Elektrostuhl abschalten und mit fliegenden Händen die Klammern von meinen Armen und Beinen lösen… Diesen Vorgang erlebte ich einige Male… Die Soldaten kamen… Ihre Gesichter drückten Besorgnis aus… Sie kamen durch die Tür herein, wandten sich mir zu, befreiten mich… und dann noch einmal und wieder und immer wieder… und dann erschien mir Orfina und redete auf mich ein, daß nun alles wieder gut werden würde, ich nun keine Folter mehr zu befürchten habe und daß Ortoba, dieses Scheusal, durchschaut sei und daß ich nicht zu sterben brauche, denn zum Glück sei das Gespräch abgehört worden und Ortoba, dieses Scheusal, durchschaut, und daß ich nicht zu sterben brauche… – und dann senkte sich Dunkelheit über mich. Als sich der Schleier hob, erlebte ich das alles noch einmal. Ich lag auf einem weichen, wohlig warmen Fell. Ich wußte
sofort, daß es sich nur um ein Goraya-Bär-Fell handeln konnte, und auch, daß ich mit einem ebensolchen Fell zugedeckt war. Ich öffnete die Augen und sah über mir ein Frauengesicht mit aufgeblähten Backen, einem doppelten Doppelkinn und wulstigen Lippen, die durch die Schminke noch breiter wirkten. Eine rauchige Stimme erklang: »Erkennst du mich?« »Orfina…« Sie zwinkerte zustimmend. »Du wurdest im letzten Augenblick gerettet. Ortoba, dieses Scheusal, wollte dich durch Elektroschocks töten. Aber euer Gespräch wurde abgehört und Ortoba, dieses Scheusal, daraufhin sofort abberufen… Um ein Haar hätte er es doch noch geschafft.« Mir war, als hätte ich das alles schon einmal erlebt. »Wo bin ich?« »In Sicherheit.« Sie drückte mich auf das Feilager zurück, als ich mich erheben wollte. »Du bist noch schwach und brauchst Ruhe. Niemand denkt jetzt daran, dir etwas zu tun.« »Und danach – wenn es mir wieder besser geht?« Sie wandte sich ab. Ich griff nach ihrer Hand und drückte sie. Seltsamerweise kostete mich diese Geste keine Überwindung. Ich ergriff ihre Hand auch nicht aus Berechnung, sondern impulsiv; Fartuloons Rat, mich an Galbass’ Lieblingsmätresse heranzumachen, kam mir in diesem Moment überhaupt nicht in den Sinn. Aber als er mir bewußt wurde, wollte ich meine Hand wieder wegziehen. Doch Orfina ließ sie nicht los. »Orfina, ich…«, begann ich. Doch sie unterbrach mich: »Sag es nicht, ich weiß alles. Ich kenne deine Gefühle. Aber kann ich ihm die Wahrheit sagen?« »Nein«, stimmte ich ihr zu, obwohl ich überhaupt nicht wußte, was sie meinte. »Man hat die Fotos bei dir gefunden, die du Plantor gestohlen hast. Mein Bild war von den anderen getrennt – mir war sofort klar, was es zu bedeuten hat. Als ich dich dann
erblickte, war ich ebenfalls sofort entflammt. Prillgram hat es zum Glück nicht bemerkt. Er glaubt, daß du dich für die Bilder nur interessiertest, weil du ein Spion bist. Das ist das doppelte Glück!« »Das finde ich nicht. Galbass’ Irrtum kann mich das Leben kosten.« »Wenn er von deiner Liebe zu mir wüßte, wärst du schon längst ein toter Mann«, hielt sie dagegen. Was sollte ich darauf antworten? Ich befand mich in einem furchtbaren Dilemma, in das ich durch eine Verkettung unglücklicher Umstände geraten war. Aber am wenigsten durfte ich Orfina die Wahrheit sagen, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen. »Noch bist du nicht verloren«, hörte ich sie sagen, und ihre Hand strich mir zärtlich über das Haar. »Ich werde für dich tun, was in meiner Macht steht.« »Wenn du mich liebst, mußt du auch meinen Freunden helfen.« »Wir werden sehen…« »Was hat Galbass mit uns vor?« »Wenn er euch nicht bezwingen kann, wird er euch eingießen. Aber das werde ich zu verhindern wissen.« »Und wie?« Sie senkte die Augen. »Ich tue alles, um dich nicht zu verlieren, Geliebter. Ich würde dir sogar zur Flucht verhelfen.« Ich schloß sie leidenschaftlich in die Arme und drückte sie so fest, daß ihr die Luft wegblieb. Ein schlechtes Gewissen hatte ich nicht, denn schließlich war sie meine mögliche Lebensretterin. »Nicht so stürmisch«, keuchte sie. »Ich habe noch nichts versprochen, und nur wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt, werde ich deine Flucht unterstützen.« »Unsere Flucht!«
Sie nickte und lächelte schelmisch. »Ich werde keinen Finger rühren, sollte Prillgram nicht beabsichtigen, dich zu töten, sondern als Gefangenen zu behalten. Das wäre mir natürlich am liebsten, denn dann hätte ich dich für immer in meiner Nähe.« Bei dieser Aussicht wurde mir ganz flau im Magen. Ein Theaterregisseur hätte keine stilechtere Hinrichtungsatmosphäre erschaffen können. Es stimmte alles. Hoch über uns ballten sich dunkle Wolkengebilde, aus denen bald die ersten Blitze zuckten. Regenschauer prasselten nieder und verdampften auf dem Energiedach, das den »Hof der Verdammten« überspannte. Und die sechsundvierzig eingegossenen Opfer bildeten eine an den Tod mahnende Kulisse. Drohender und gefährlicher waren jedoch die fünfzehn Soldaten, die uns mit ihren Paralysatoren in Schach hielten. Zwischen ihnen stand Prillgram Galbass – der Henker. Ein habgieriger, machtbesessener, bösartiger Zwerg, der ein sadistisches Vergnügen daran hatte, seine Gegner lebendig einzugießen. Vor ihm lagen die Grauzayna-Büchsen – und zwar genau so, wie wir sie auf dem Markt zurückgelassen hatten; sie waren immer noch vor fremdem Zugriff geschützt. Galbass befahl Tharniel da Ortoba:. »Durchsuchen Sie die Gefangenen, ob sie Waffen oder irgend etwas von Wert bei sich haben!« Ortoba gehorchte mit bleichem Gesicht. Als er mich durchsuchte, bemerkte ich, daß seine Hände schweißnaß waren und zitterten. Ich grinste ihn an. »Hast du Angst, daß ich dich doch noch verraten könnte?« Er gab keine Antwort. Als er zu Galbass zurückkehren wollte, ordnete dieser an: »Bleiben Sie, wo Sie sind, Ortoba!« Ich sah, daß er nun am ganzen Körper zitterte, sich der
Anordnung aber nicht widersetzte. »Ich bin es überdrüssig, mich noch länger mit euch herumzuschlagen«, eröffnete uns Galbass. »Ihr wußtet von Anfang an, welches Schicksal euch droht. Vielleicht bildet ihr euch etwas auf eure Standfestigkeit ein, mich beeindruckt sie jedoch nicht.« Orfina hatte mich, noch bevor man uns in den Innenhof brachte, aufgesucht und gewarnt. Sie hatte gesagt, daß Galbass nicht gewillt war, die unergiebigen Verhöre weiterzuführen, und nun den endgültigen Entschluß gefaßt habe, uns einzugießen. »Ich will euch noch eine letzte Chance geben, eure Köpfe zu retten«, sagte Galbass völlig überraschend, deutete auf die Grauzayna-Büchsen und fragte: »Wozu dienen diese sogenannten Talama?« »Sie sind das Erbe eines geistig hochstehenden Volkes…«, begann ich, aber er winkte ungeduldig ab. »Unsinn! Ich werde es euch sagen: Die Zylinder sind wahrscheinlich flugfähig, oder es sind ferngesteuerte Torpedos, in denen ihr Nachrichten nach Sebentool schickt. Wenn ihr mir das Prinzip und ihre Handhabung verratet, schenke ich euch das Leben.« Er blickte uns herausfordernd an. »Wie ist es damit?« »Sie gehen von ganz falschen Voraussetzungen aus, Erhabener«, versuchte Fartuloon Galbass aufzuklären. Wir hatten abgesprochen, daß er die Aufmerksamkeit des Gouverneurs auf sich lenken sollte, damit ich ungestörter war, denn Orfina hatte ihr Versprechen wahr gemacht und Vorbereitungen für unsere Flucht getroffen. Während Fartuloon mit Galbass diskutierte, näherte ich mich kaum merklich dem Block, in den Gelwansither, der Spürhund, eingegossen war. Fartuloon sagte gerade: »Gut, Erhabener, ich will versuchen,
ein Talama zu öffnen. Aber ich kann keine Garantie für das übernehmen, was dann passiert.« Galbass grinste. »Ich nehme alles in Kauf, nur um zu erfahren, was es mit diesen Büchsen auf sich hat. Kommen Sie, holen Sie sich einen der Zylinder. Aber lassen Sie sich nicht irgendeinen Trick einfallen. Meine Soldaten schießen bei der geringsten verdächtigen Bewegung.« Ich war dem Block mit Gelwansither wieder zwei Handbreit näher gekommen. Orfina hatte gesagt, daß das Versteck unter jener Bodenplatte lag, die an die rechte Ecke des Gießharzblocks stieß. Noch ein halber Schritt, dann hatte ich die Steinplatte erreicht. Fartuloon holte ein Talama und wurde von Galbass wieder zurück auf seinen Platz geschickt. »Erhabener!« rief in diesem Augenblick Tharniel da Ortoba mit gebrochener Stimme. »Ist es nötig, daß ich hierbleibe? Ich meine, wenn die Exekution stattfindet, möchte ich nicht…« »O doch, Sie werden, Ortoba!« herrschte Galbass ihn an. »Sie werden die Exekution als einer der fünf Hauptakteure miterleben. Nur schade, daß es nicht eine schöne runde Zahl von Blöcken sein wird.« »Erhabener!« Ortoba schrie entsetzt auf und taumelte. »Das können Sie nicht ernst meinen! Sie werden doch nicht…« »Natürlich werde ich«, entgegnete Galbass kalt. »Oder glauben Sie, ich hätte nicht schon längst durchschaut, daß Sie doppeltes Spiel treiben? Sie sind ein Verräter, Ortoba, und dafür werden Sie büßen.« Ortoba verlor die Nerven, griff nach der Waffe. Doch als er sie in Anschlag gebracht hatte, erstarrte er mitten in der Bewegung, schrie in Todesangst auf. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Maske des Entsetzens – aber er konnte seinen Körper nicht mehr bewegen: Aus unsichtbaren Projektoren hatten sich Fesselfelder um ihn gelegt und hielten ihn fest. Seine Augen weiteten sich, als ein Flugkörper genau über ihm
hielt. Ein Luk öffnete sich und eine zähe, matte Flüssigkeit quoll daraus hervor. »Seht genau zu, denn das gleiche Schicksal widerfährt auch euch, wenn ihr mir nicht das Geheimnis der Zylinder verratet!« Ich achtete nicht auf Galbass, hatte die Bodenplatte erreicht und stellte fest, daß sie unter meinem Gewicht wackelte. Jetzt mußte ich handeln: Blitzschnell bückte ich mich und hob den Stein. Darunter war ein Hohlraum, in dem unsere Waffen lagen – sogar Fartuloons Skarg hatte Orfina nicht vergessen. »Achtung!« rief einer der Soldaten. Ich feuerte aus einem Paralysator auf ihn. Bevor sich die anderen mir zuwenden konnten, hatte Fartuloon das Talama gewaltsam geöffnet. Ohne darauf zu warten, was passieren würde, schleuderte er die Grauzayna-Büchse nach Galbass – und ein Blitz zuckte lautlos aus der Öffnung. Das Irrlicht wurde immer heller, nahm seltsame Formen an, ja, es schien sich aus eigener Kraft zu bewegen und fuhr mit rasender Geschwindigkeit in die Reihe der Soldaten hinein. Mir wurde klar, daß es sich nur um einen Gantrie handeln konnte, eines jener fremddimensionalen Energiewesen, die die Grauzayna in den Hyperraum gelockt hatten. Nie hätte ich es für möglich gehalten, daß ich einem Gantrie für sein Erscheinen dankbar sein würde. Das Energiewesen wirbelte die Soldaten auf seiner Suche nach einer Strukturlücke in die andere Dimension durcheinander, während Galbass die Flucht ergriff. »Fartuloon!« Ich warf dem Bauchaufschneider sein Schwert zu. Er fing es auf und schlug einen angreifenden Soldaten nieder. Schnell warf ich auch Eiskralle und Sprangk Waffen zu. Die letzten verbliebenen Soldaten, die nicht Opfer des umhergeisternden Gantries geworden waren, fielen unter unseren Schüssen. Doch kaum hatten wir uns ihrer entledigt,
als von der anderen Seite des Innenhofes die ersten Roboter auftauchten. »Schnell, weg von hier!« rief ich und rannte auf das Tor zu, bei dem ich mich mit Orfina verabredet hatte. Sie erwartete uns bereits, ließ uns in das Gebäude ein und schloß das Tor hinter uns. Orfina war trotz ihrer Fettmassen erstaunlich wendig; sie lief vor uns durch einen Korridor, der vom Innenhof in gerader Linie durch den Palast führte. Hinter uns dröhnte eine Explosion, als sich die Roboter gewaltsam Zugang in das Gebäude verschafften. Alarmsirenen begleiteten uns mit ihrem durchdringenden Heulen. Vor uns erschien eine Gruppe von fünf Soldaten, die noch viel überraschter waren als wir. Orfina hielt plötzlich einen Paralysator in der Hand und lähmte die Soldaten, bevor sie überhaupt begriffen, was eigentlich vorging. Wir gelangten ohne weiteren Zwischenfall in den Park, der den Gebäudekomplex umgab. Etwa zweihundert Meter vor uns erhob sich die Feuerwand in den Himmel. »Bringst du uns zum Nordtor?« Sie war überrascht. »Wieso das?« »Plantor hat gesagt, daß lediglich das Nordtor von jedermann passiert werden kann.« Sie lachte. »Versuch es, und du wirst dich in deine Atome auflösen. Plantor ist einer von Prillgrams Leuten. Seine Aufgabe besteht zum Teil darin, die Feinde des Gouverneurs mit falschen Informationen über seine Festung zu versorgen. Ihr könnt nur durch das Westtor fliehen – wenn überhaupt!« Ihre letzten Worte bezogen sich auf die Roboter, die überall im Park erschienen. Noch hatten sie uns nicht entdeckt – kein Wunder, denn um die Sehlinsen und Orter dieser altersschwachen Modelle konnte es nicht mehr zum besten
bestellt sein. Wir schlichen uns geduckt durch den Pflanzendschungel, und ich dachte voll Ingrimm an Plantor. Sollte sich die Gelegenheit bieten, werde ich ihn dafür zur Rechenschaft ziehen, daß er versucht hat, uns in die Irre zu leiten. Uns trennten noch hundert Meter von der Flammenwand. Ich konnte durch das Gestrüpp die Energieschleuse sehen, vor der sich ein Dutzend schwerbewaffnete Soldaten eingefunden hatten. Sogar zwei Geschütze bieten sie fiir unseren Empfang auf. »Damit habe ich nicht gerechnet«, gestand Orfina. »Mit den Robotern wären wir leicht fertig geworden, aber die Soldaten können wir nicht einfach überrennen.« »Wie wäre es damit?« hörte ich Fartuloon sagen und sah, wie er eine Grauzayna-Büchse hochhielt. »Ich habe für alle Fälle zwei Talama mitgenommen. Wenn sich ihre verheerende Wirkung unter den Soldaten herumgesprochen hat, könnte es uns vielleicht gelingen, sie zu bluffen.« »Gib her, Bauchaufschneider. Ich war im Werfen schon immer besser als du.« Er gab mir wortlos das Talama. Ich suchte mir eine kleine Lichtung aus, von wo aus ich freie Flugbahn für das Talama hatte und im klassischen Diskuswurf werfen konnte. Ich wirbelte einige Male um meine Achse und schleuderte dann das Talama mit aller Kraft in Richtung des Westtors. Die Grauzayna-Büchse landete nur wenige Schritte vor den Stellungen der Soldaten, prallte ab, wirbelte noch einmal durch die Luft und blieb dann neben dem Schutzschirm eines Geschützes liegen. Ein Aufschrei folgte, der lauter war als das Geheul der Alarmsirenen. Tumult bei den Soldaten: Sie hatten das Talama entdeckt und kannten seine Bedeutung. Vielleicht hatte einer von ihnen sogar die Vorgänge auf dem »Hof der Verdammten« beobachtet. Jedenfalls erzielte das Talama die von uns erhoffte Wirkung. Die Soldaten fürchteten eine
tödliche Energieentladung und stoben in wilder Panik nach allen Seiten davon. Wir hinderten sie nicht daran und hofften, daß der Weg nun frei war. Doch da griffen die Roboter an. Ihre Visiere waren, was nicht einmal überraschte, schlecht eingestellt, und ihre Energiestrahlen schlugen so weit von uns entfernt ein, daß wir nicht einmal von der Hitzewelle gestreift wurden. Dafür verglühten die Roboter reihenweise in dem Glutorkan, den wir mit unseren Luccots entfachten. Gleichzeitig stürmten wir nach vorne, Orfina an der Spitze. Als sie das erste Geschütz der verlassenen Stellung vor dem Westtor erreichte, schwang sie sich auf den Sitz des Kanoniers und feuerte. Das hielt uns die Roboter lange genug vom Leib, bis wir das Tor ebenfalls erreicht hatten. Sprangk löste Orfina am Geschütz ab, Fartuloon bediente das zweite Geschütz. Ein Feuerorkan raste über den Park hinweg, der greller und scheinbar so hoch wie die den Palast umgebende Flammenwand war. Eiskralle brüllte gequält auf: »Diese Hitze!« »Wir haben es gleich überstanden«, beruhigte ich ihn, denn inzwischen hatte Orfina die Energieschleuse geöffnet und winkte uns. »Nein!« schrie Eiskralle entsetzt, als ich ihn auf die Öffnung in der Flammenwand zustieß. »Ich werde zerschmelzen!« Ich wagte es nicht, ihn an der Hand zu packen, weil er in seiner Panik vielleicht seinen tödlichen Fähigkeiten freien Lauf ließ. So stieß ich ihn nur vor mir her; er krümmte sich, taumelte, und sprang schließlich mit einem gellenden Schrei durch das Tor. Wir anderen folgten ihm. Orfina blieb in der Öffnung stehen. »Ich komme nicht mit, Geliebter!« Einerseits fiel mir ein Stein vom Herzen, andererseits bemächtigte sich meiner die Angst um sie. »Fürchtest du nicht, daß Galbass dich seine Wut spüren lassen könnte?«
»Ich bin hier sicherer, als wenn ich mit euch flüchten würde«, sagte sie ausweichend. Dann küßte sie mich kurz und leidenschaftlich und stieß mich von sich. »Meine Liebe wird immer dir gehören!« Ich folgte den anderen in die Nacht hinaus, die von urweltlichem Donnergrollen erfüllt war und von Blitzen gespenstisch erhellt wurde. Als ich mich noch einmal nach Orfina umdrehte, sah ich sie im Tor stehen. So behielt ich sie in Erinnerung.
17. Aus: Biographie Atlans Anhang: Fragmente, Anmerkungen, Marginalien (in vielen Bereichen noch lückenhaft); Professor Dr. hist. Dr. phil. Cyr Abaelard Aescunnar; Gäa, ProvconFaust, 3565 Orfinas Schicksal ging mir sehr nahe. Viele Jahre später kam ich nochmals nach Jacinther IV und machte auf Broschaan-Markt eine erschütternde Entdeckung: Ein heruntergekommener Händler bot einen Gießharz-Block an, in den eine Arkonidin eingegossen war. Es war Orfina. Sie stand so da, wie ich sie in Erinnerung hatte; den Blick sehnsüchtig auf mich gerichtet, das Gesicht vom Schmerz des Abschieds gezeichnet, die eine Hand etwas erhoben, so als wolle sie mich zurückhalten oder wenigstens noch einmal berühren… Ich erstand den Block, befreite die Tote und verschaffte Orfina ein Begräbnis auf dem Meer. Wenn ich geahnt hätte, was Galbass mit ihr tun würde – ich hätte sie gezwungen mitzukommen. Obwohl ich sie nicht hätte lieben können. Wir hatten Glück. Als wir zum Strand kamen, entdeckten wir dort den Schweber eines Reisebüros; die adligen Touristen
waren ausgestiegen, um das gewaltige Naturschauspiel zu betrachten, das sich ihnen über dem sturmumtosten Meer bot. Wir jagten sie mit einigen Strahlenschüssen davon, nahmen den Piloten gefangen und zwangen ihn, uns zum Markt zu bringen. »Bei dem Sturm…!« wollte er aufbegehren. Aber als Eiskralle ihm seine Hand ins Genick drückte, verstummte er eingeschüchtert. Durch die Rückfenster des Schweberbusses sahen wir, daß die Soldaten die Verfolgung mit einigen Luftkissenfahrzeugen aufgenommen hatten. Aber als wir in die Freihandelszone einflogen, drehten sie wieder ab. »Setzen Sie uns auf der nächsten schwimmenden Insel ab!« befahl ich dem Piloten, der meinem Wunsch nur allzugern nachkam. Kaum hatten wir festen Boden unter den Füßen, startete er sofort wieder, und der Schweberbus wurde vom Dunkel der Nacht verschluckt. Das Treiben auf dem Markt wurde vom Gewitter nicht behindert. Hier ging es bei Tag und Nacht und bei jedem Wetter gleichermaßen turbulent zu. Manche Händler hatten ihre Stände abgebrochen, andere fanden sich jedoch schnell, die ihren Platz einnahmen. Über ganz Broschaan-Markt spannte sich nun eine Prallfeldkuppel, die den Regen und den Sturm abhielt und nur von wenigen Strukturschleusen für die Gleiter unterbrochen war, so daß man überhaupt keine Auswirkung des Unwetters spürte; nur wenn man sich am Rand einer Plattform aufhielt, sah man die hoch aufbrandende Gischt gegen die Energiebarriere schäumen. Wir befanden uns im Handumdrehen inmitten des quirlenden Geschehens, ließen uns von der wogenden Masse aufnehmen, verschwanden zwischen Tausenden. »Wir sind noch lange nicht in Sicherheit«, sagte Fartuloon, während wir uns stoßen und drängen ließen und selbst drängten und im Vorübergehen Verhandlungsgespräche mit
Händlern führten. Eiskralle erstand eine Wärmebatterie – ihm war plötzlich zu kalt, was auf die vorangegangenen Aufregungen zurückzuführen sein mochte. Nicht viel später tauschte er die Wärmebatterie – gegen geringe Aufzahlung – gegen ein Kälteaggregat ein. »Wir sollten uns zuerst einen Unterschlupf suchen«, schlug Morvoner vor. »Dort können wir in Ruhe beraten, wie es weitergehen soll.« Ich erinnerte mich des Händlerschiffs, auf dem ich mit Tharniel da Ortoba zusammengetroffen war. Dort gab es genügend Kabinen, die angemietet werden konnten. Das schlag dir sofort wieder aus dem Kopf, raunte der Extrasinn. Ortobas Leibwächter werden sich wohl ebenfalls daran erinnern. »Warum bitten wir nicht die Piraten um Asyl?« fragte Eiskralle. Das war natürlich die Lösung. Ich wunderte mich, warum ich nicht selbst darauf gekommen war. Trotz des beängstigenden Gedränges versuchten wir den Überblick zu bewahren. Wir wußten nun, daß Galbass seine Leute überall auf dem Markt hatte, und ein schnell geführter Stoß mit einem Vibratormesser gegen einen von uns würde unbemerkt bleiben… Wir kamen nur langsam weiter, verirrten uns trotz der Hilfe meines fotografischen Gedächtnisses mehrmals und bewegten uns im Kreis. Erst als wir zu der schwimmenden Insel kamen, die durch die terrassierten Etagen charakteristisch war, fanden wir die Orientierung wieder. Fartuloon erklärte, daß es ihm nun keine Mühe mehr machen würde, zu den Piraten zurückzufinden. Beinahe wäre uns jedoch zum Verhängnis geworden, daß wir zu dieser schwimmenden Insel zurückgekommen waren: Offensichtlich hatte Galbass an allen Punkten, an denen wir bisher gesehen worden waren, seine Spione postiert, denn wir wurden sofort entdeckt. Das erkannten wir aber nicht sogleich.
Es erschien uns zunächst nicht einmal ungewöhnlich, daß wir von den Nachdrängenden in eine Geschäftsstraße in der untersten Etage gedrängt wurden. Wir erkannten die Gefahr erst, als wir sahen, daß sich in der Straße kaum Passanten aufhielten. Nur drei Männer lungerten herum. Aber da war es schon fast zu spät. »Keine falsche Bewegung! Und in das nächste Geschäft links mit euch!« sagte eine drohende Stimme in meinem Rücken. Aber so leicht machten wir es unseren Gegnern nicht. Wir reagierten gleichzeitig, ohne uns abgesprochen zu haben. Jeder von uns wußte, daß wir uns nur durch schnelles Handeln dieser Bedrohung erwehren konnten. Ich schlug mit dem Ellbogen nach hinten. Ein dumpfes Stöhnen folgte, der Mann hinter mir sank zusammen. Ich wirbelte herum und schleuderte ihn über mich. In diesem Augenblick eröffneten die drei Kerle das Feuer – der Mann fing die Strahlen mit seinem Körper auf. Meine Freunde waren ebenfalls in ein Handgemenge verwickelt. Einer der Angreifer taumelte und hielt sich eine blutende Schulterwunde, die ihm Fartuloon mit seinem Skarg geschlagen hatte. Ein anderer versuchte, Sprangk ein Vibratormesser in den Leib zu stoßen – der Veteran hob ihn über die Schulter aus und schleuderte ihn gegen die Wand. Zwei der Angreifer standen zu Eissäulen erstarrt da. Eiskralle bekam einen dritten, der mit dem Strahler auf mich zielte, in seinen tödlichen Griff und ließ ihn ebenfalls erstarren. Das alles hatte kaum eine Zentitonta gedauert. Ich schickte noch eine Energiesalve in die Geschäftsstraße hinein, um die drei Männer, die sich dort verschanzt hatten, in Deckung zu zwingen. Dann folgte ich meinen Gefährten ins Freie, und kurz darauf waren wir in der Menge untergetaucht. Wir
waren alle wohlauf, nur Morvoner hatte von dem Vibratormesser einen Kratzer am linken Arm abbekommen. »Das wird Galbass’ Leute hoffentlich für eine Weile abhalten, noch einmal unseren Weg zu kreuzen«, murmelte Fartuloon. »Der Zwischenfall hat gezeigt, daß wir nicht einmal in der Freihandelszone sicher sind«, meinte ich stirnrunzelnd. »Wir brauchen ein Versteck, in das Galbass’ langer Arm nicht reicht. Und das finden wir nur auf der GROVEMOOS!« Der stillen Hoffnung auf die Hilfe der Piraten folgte die Ernüchterung, als wir die schwimmende Insel erreichten. Wir fanden nur fremde Gesichter vor. An der Stelle, wo Tropp seine versperrten Tresore angeboten hatte, hockte nun ein Mutant mit grünschillernder Haut, der seinen Kopf unter einem wuchtigen Apparat verbarg und seltsame Laute von sich gab, während aus einer Öffnung in seinem Kopf-Apparat eine gallertartige Masse herausfloß, die er mit den Händen auffing und mit seinen langen, sensiblen Händen zu abstrakten Kunstwerken formte. Während ich noch auf ihn starrte, formte er eine Statuette, die von Flammen umhüllt war und das Aussehen eines Chretkors hatte. Eiskralle wollte sich auf den Mutanten stürzen, aber ich hielt ihn zurück und erkundigte mich: »Seit wann haben Sie diesen Standplatz?« »Seit ihn mir der Marktkommissar zugeteilt hat.« »Vorher waren Männer aus der Sogmanton-Barriere hier.« Ich zwang mich, ruhig zu bleiben. »Wissen Sie, was aus ihnen geworden ist?« »Weg. Einige, die ihren Plunder noch nicht an den Mann gebracht haben, treiben sich noch hier herum.« »Danke.« Ich wandte mich an meine Freunde: »Wir verteilen uns und suchen getrennt die ganze Plattform ab. Auf diese
Weise können wir die Piraten leichter aufstöbern.« »Es sieht fast so aus, als hätte uns Tropp fallenlassen«, sagte Fartuloon. »Warum sonst sollte er diesen Platz aufgegeben haben? Die Piraten können noch nicht alle Waren verkauft haben.« Fartuloon hat recht. Tropp will nichts mehr mit euch zu schaffen haben, sagte der Extrasinn. Ich antwortete nicht. Wir trennten uns. Ich biß die Zähne zusammen, wollte es einfach nicht glauben, schlenderte zwischen den Ständen umher. Plötzlich stach mir etwas ins Auge, was mir bekannt vorkam: Ich sah genauer hin und erkannte eine handspannengroße Statuette, die den häßlichen achtarmigen Gott eines Primitivvolkes darstellte. Ich hatte die Götzenstatue schon einmal gesehen: auf der Antigravscheibe, mit der wir in die Freihandelszone geflogen waren. Als ich näher heranging, erkannte ich, daß der Stand verlassen zu sein schien. Dann hörte ich ein Geräusch, das hinter einem der Warenballen hervorkam, und schlich mich mit gezücktem Paralysator heran. Als ich den Warenballen umrundet hatte, steckte ich den Lähmstrahler zufrieden weg. Eiskralle hielt dort einen Piraten mit sicherem Griff fest, der mir vom Sehen bekannt war. »Laß mich los, verdammter Chretkor!« Ich gab Eiskralle einen Wink, und er ließ den Mann los. »Was hat das alles zu bedeuten?« »Was hat was zu bedeuten?« fragte der Pirat höhnisch zurück. Ich schlug ihm ins Gesicht, weil das wohl die einfachste Möglichkeit war, ihn schnell zur Vernunft zu bringen. »Wo ist Tropp?« Er zuckte mit den Achseln. »Irgendwo in der Freihandelszone.« »Warum hat er den Standort gewechselt?«
»Wir haben einen besseren Platz gefunden.« Nach und nach kamen zwischen den Waren weitere Piraten hervor. Aus ihren Gesichtern sprach Ablehnung, beinahe schon Haß. Ihre Hände lagen auf den Waffen. Ich wußte, daß sie zu allem entschlossen waren, entspannte mich aber, als ich im Hintergrund auch Fartuloon und Morvoner Sprangk sah. »Was willst du denn von Tropp?« erkundigte sich einer der Piraten spöttisch. »Ich möchte, daß er uns zurück zur GROVEMOOS bringt.« »Euch steht wohl das Wasser schon bis zum Hals, was?« Ich packte den vorwitzigen Piraten am Kragen und sagte gepreßt: »In Ordnung, wenn ihr uns nicht verraten wollt, wo Tropp ist, wirst du uns zur GROVEMOOS fliegen.« »Einen Dreck werde ich tun. Ihr seid abgemeldet. Tropp hat gesagt, daß er sich jeden persönlich vornimmt, der euch unterstützt.« Ich ließ ihn verblüfft los. »Er hat was gesagt?« »Das – und noch mehr. Wir wollen nicht, daß wir euretwegen Scherereien bekommen. Überall auf Broschaan weiß man inzwischen, daß ihr vom Gouverneur für vogelfrei erklärt worden seid! Wir können es uns nicht leisten, daß man uns mit euch in Zusammenhang bringt. Sheeron hat euch gewarnt!« Das stimmt. Der Piratenführer wollte nicht, daß seine Leute unsertwegen Schwierigkeiten bekommen. Bei dieser Warnung hat er es wahrscheinlich nicht belassen und Tropp aufgetragen, uns bei Gelegenheit loszuwerden. Jetzt ist der günstigste Augenblick. Ich seufzte in Gedanken. Ohne die Unterstützung der Piraten sind wir auf Jacinther verloren… Und in Richmonds Schloß warten Farnathia und Corpkor! Ich zog mich mit meinen Gefährten zurück, wir mischten uns wieder unter die Leute, die die Freihandelszone bevölkerten. Es waren alles Fremde, jeder von ihnen konnte unser Feind
sein, jeder einer von Prillgram Galbass’ Kopfjägern. Die Emotio-Masken eigneten sich ausgezeichnet, den Träger unkenntlich zu machen. Sie waren aber keine perfekte Tarnung, vor allem dann nicht, wenn man seine eigenen Gefühle nicht in der Gewalt hatte. Ortoba zum Beispiel, der bei unserem ersten Zusammenstoß seiner Wut freien Lauf gelassen hatte, war durch das Aufleuchten seiner EmotioMaske verraten worden. Diese Gesichtsmasken, die sich mit den Individualimpulsen steuern ließen, wirkten auf andere visionär. Wenn man wollte, daß man einen gebrechlichen Eindruck machte, zeigten die Emotio-Masken dem Beschauer ein altes, ausgemergeltes Gesicht. Wollte man Heiterkeit vortäuschen, lächelte die Maske. Und wenn mit einem das Temperament durchging, wurde man von der Emotio-Maske verraten. Für uns stellten diese Masken im Augenblick die beste Möglichkeit dar, uns zu tarnen. Das allein genügte jedoch nicht. Wir mußten uns neue Kleider beschaffen und dann untertauchen, ohne daß Galbass’ Spione uns verfolgen konnten. Nachdem wir die Emotio-Masken erstanden hatten, suchten wir ein Vergnügungslokal auf, von dem es auf jeder Insel und jedem Schiff in der Freihandelszone mindestens eines gab. Die Darbietungen reichten von Taschenspielertricks über Nackttänzerinnen bis hin zu Gladiatorenspielen auf Leben und Tod – in der Freihandelszone war alles erlaubt. Hier war man gewissermaßen im Niemandsland, außerhalb der arkonidischen Gerichtsbarkeit. Wir wurden auf Schritt und Tritt von zwielichtigen Gestalten verfolgt, und ich war sicher, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis sich die Meute zusammengerottet hatte, um einen weiteren Überfall zu wagen.
Aber dazu kam es nicht mehr, denn vorher tauchten wir unter: Kaum waren wir in dem Vergnügungsetablissement, brach Fartuloon die schönste Keilerei vom Zaun. Es gehörte nicht viel dazu – ein schiefer Blick, ein falsches Wort, und schon flogen die Fetzen. Wir hatten uns hinter der Bühne verabredet. Eine zehntel Tonta später, während hinter uns das Lokal in Trümmer ging, trafen wir uns dort, paralysierten drei Spitzel, die den Hinterausgang bewachten, und verschwanden dann spurlos. Nach drei weiteren Täuschungsmanövern, bei denen wir die Kleider wechselten und mit friedlichen Gedanken unseren Emotio-Masken ein entsprechendes Aussehen gaben, suchten wir ein Händlerschiff auf. Fartuloon und Sprangk mieteten auf dem Oberdeck zwei Kabinen, in die Eiskralle und ich ihnen nachfolgten. Damit hatten wir endlich einen Unterschlupf gefunden. »Hier können wir nicht ewig bleiben«, maulte Morvoner. »Das hat auch niemand vor«, sagte ich. »Mein Plan ist weiterhin, Freemush zu entführen. Das wird im Großen Imperium einen Sturm entfachen, der selbst Orbanaschols Thron ins Wanken bringen könnte.« Wir hatten uns den Rest der Nacht und den ganzen darauffolgenden Tag ausgeruht. Jetzt war es wieder Nacht; in der Arkon-Standardzeitrechnung war der 11. Prago des Ansoor angebrochen. »Das hört sich alles schön an«, sagte Eiskralle. »Aber wir wissen nicht einmal, wann und wo Freemush eintreffen wird. Außerdem sind wir nicht die Jäger, sondern immer noch die Gejagten.« »Eine Fabel aus dem Tierreich gefällig?« fragte ich. Fartuloon winkte ab. »Erspare uns lange Geschichten,
Söhnchen, sondern sage uns klipp und klar, was du meinst.« »Wenn das gejagte Wild in die Enge getrieben ist, stellt es sich den Jägern entweder zum Todeskampf oder – wenn es klug ist – verbündet sich mit seinen Jägern.« »Du willst mit Galbass verhandeln?« wunderte sich Morvoner. »Das ist Selbstmord«, behauptete Eiskralle. »Er würde nichts schneller tun, als uns einzugießen!« »Dann brauchtest du wenigstens nicht mehr um deine Körpersubstanz zu bangen«, sagte Fartuloon schmunzelnd, wurde aber sofort wieder ernst. »So absurd finde ich Atlans Vorschlag nicht einmal. Wir können uns mit unseren beschränkten Mitteln Galbass’ Häscher nicht auf Dauer vom Leib halten. Früher oder später stellen sie uns. Da wäre es schon besser, mit Galbass zusammenzuarbeiten. Die Frage ist nur, womit wir ihn ködern können.« »Das ist kein Problem«, versicherte ich. »Uns geht es doch darum, die Situation auf Jacinther zu durchleuchten, um eine Basis für die Entführung Freemushs zu schaffen. Warum sollten wir das nicht in ›Galbass’ Auftrag‹ tun?« Morvoner seufzte. »Wenn man dich so hört, könnte man meinen, du hättest den Gouverneur bereits als Verbündeten gewonnen.« »So schwer wird das nicht sein. Was sagst du, Fartuloon?« Der Bauchaufschneider überlegte eine Weile. Dann meinte er mehr zu sich selbst: »Galbass will an die Macht. Er will Agmons Posten, fürchtet den Imperiumsbeauftragten aber zu sehr, als daß er offen gegen ihn Stellung bezöge. Wie es auch immer um Agmon steht, er brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, um Galbass auszuschalten. Das weiß Galbass, deshalb bleibt er vorsichtig. Um Agmons Nachfolge antreten zu können, muß er die anderen drei Gouverneure ausschalten, um keine Konkurrenz fürchten zu müssen. Also wird er vor
allem versuchen, sie in den Griff zu bekommen… Ja, so könnten wir ihn ködern: Wir versprechen ihm, Material gegen die anderen Gouverneure zu besorgen und sie ihm möglicherweise sogar vom Hals zu schaffen.« Fartuloon dachte, zumindest dem Prinzip nach, genau in meinen Bahnen. Sein Gedankengang hatte nur einen Schönheitsfehler: Er plante für eine zu lange Zeitspanne. Und Zeit ist etwas, das uns nicht ausreichend zur Verfügung steht. Das sagte ich ihm auch und fügte hinzu: »Um schneller ans Ziel zu kommen, müssen wir uns von vornherein auf Agmon konzentrieren. Im Personenkreis um ihn werden wir auch am ehesten Informationen über Freemush erhalten. Diesen Vorschlag werde ich Galbass unterbreiten.« »Und wie willst du ihn benachrichtigen?« fragte Eiskralle, der, so schien es mir wenigstens, mit Schaudern daran dachte, noch einmal die Flammenwand durchqueren zu müssen. Ich grinste. »Ich habe gute Beziehungen zu einem von Galbass’ Verbindungsleuten…« »Feinste Goraya-Bär-Felle, edler Herr! Legen Sie Ihrer Geliebten ein Fell zu Füßen, und sie wird von der kuscheligen Wärme…« Ich ließ mich von den Passanten über die Planken des Hausboots schieben und blieb dann wie interessiert vor dem Tätowierten stehen, der mit seinem einstudierten Sermon die Käufer heranzulocken versuchte. Meine Emotio-Maske spielte unschuldige Einfalt wider. Ich ließ mich noch eine Weile von Plantor beschwatzen, bis ich ihn fragte: »Räkeln sich nicht auch die fetten Mätressen von Tato Galbass auf Goraya-BärFellen?« Er erkannte mich an der Stimme. Das merkte ich, weil sich seine Augen vor Überraschung weiteten und er entsetzt zurückwich. Es entging ihm auch nicht, daß ich unter meinem Umhang eine Waffe auf ihn richtete – er erstarrte.
»Wollen Sie mir nicht Ihre Foto-Sammlung zeigen, Plantor?« Ich deutete mit dem Waffenlauf auf die Kajüte. »Was wollen Sie von mir, edler Herr?« Sein Gesicht war so blaß, daß die Tätowierungen noch stärker hervortraten. »Ich… ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.« »Dann werde ich Sie aufklären«, sagte ich sanft und fügte in einem Tonfall hinzu, der keinen Widerspruch duldete: »In Ihrer Kabine!« Er ging mit schlotternden Knien vor mir her zu den Deckaufbauten. Kaum war er im Innern, täuschte er einen Schwächeanfall vor und ließ sich auf einen Stapel Felle sinken. Ich war mit zwei schnellen Schritten bei ihm und entwand ihm den Strahler, den er aus einem Versteck hervorgeholt hatte. »Wollen Sie wirklich Ihr Leben so leichtfertig aufs Spiel setzen? Ich habe nicht vor, mich an Ihnen zu vergreifen, obwohl Sie eine Abreibung verdient hätten.« »Ich habe nichts getan.« »Mund halten, und hören Sie mir zu! Ich möchte, daß Sie Galbass eine Nachricht überbringen.« »Aber…« Ich ließ in gespielter Wut meine Emotio-Maske rot aufleuchten, das brachte ihn zum Verstummen. »Richten Sie dem Tato aus, daß wir an einer Zusammenarbeit mit ihm interessiert sind.« Jetzt wurde Plantor keck. »Er wird Ihren Vorschlag rundweg ablehnen, denn er weiß, daß Sie ihm nicht entkommen können, und Sie wissen, daß Sie bereits so gut wie tot sind!« »Abwarten. Überbringen Sie Galbass diese Nachricht. Sagen Sie ihm, daß wir bereit wären, für ihn zu arbeiten. Er hat über Fertomash Agmon keine Informationen, die jünger als zwei Jahre sind. Wir sind bereit, für Galbass herauszufinden, was mit Agmon los ist, wie es mit seiner Gesundheit bestellt ist und dergleichen mehr.«
»Wie wollen Sie das herausfinden, wo die besten Spione versagt…« Er brach ab. »Über unseren Erfolg oder Mißerfolg brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen«, wies ich ihn zurecht. »Sie sollen nur die Nachricht überbringen. Das Wichtigste kommt noch: Wir sind bereit, noch mehr für Galbass zu tun. Sagen Sie ihm, wir würden, wenn nötig, dem Siechtum Agmons ein wenig nachhelfen. Als Gegenleistung verlangen wir freies Geleit.« Plantor nickte. »Ich werde die Nachricht überbringen.« »Wenn Galbass unsere Unterstützung wünscht, soll er einen Unterhändler zur ARGINTAR schicken. Das ist ein Händlerschiff…« Plantor winkte ab. »Ich kenne die ARGINTAR. Wie wollen Sie den Unterhändler erkennen?« »Er soll diese Büchse bei sich tragen.« Ich holte unter meinem Umhang das letzte mir verbliebene Talama hervor und legte es vor den Händler, der entsetzt zurückzuckte. »Keine Angst, solange Sie die Büchse nicht öffnen, ist sie völlig ungefährlich. Ich erwarte den Unterhändler also in spätestens fünf Tontas auf der ARGINTAR.« Die ARGINTAR war das Schiff, auf dem wir zwei Kabinen gemietet hatten. Es war vielleicht etwas leichtsinnig, den Unterhändler dorthin zu bestellen, doch war ich ziemlich zuversichtlich, daß Galbass unseren Vorschlag annehmen würde. Zudem war dort heute eine große Auktion. Es ging zu wie bei einem rauschenden Fest, und alle Gäste waren verpflichtet, Emotio-Masken zu tragen. Der Maskenzwang war der Hauptgrund, warum wir den Unterhändler auf der ARGINTAR empfangen wollten. Denn unter all den Maskenträgern fielen wir nicht auf, konnten den Unterhändler Galbass’ jedoch leicht herausfinden, zumindest wenn er die
Anordnungen befolgte und das Talama bei sich hatte. Wir hatten in einer der Öffnungen einen winzigen Sender versteckt, der auf einer bestimmten Frequenz Impulse aussendete. Den Sender zu entdecken war praktisch unmöglich, und die Impulse ließen sich auch nur orten, wenn man die Frequenz kannte. Fartuloon, Sprangk, Eiskralle und ich hatten uns über das Schiff verteilt und trugen jeder einen Empfänger im Ohr, der regelmäßig die Peilwerte durchgab. Es war nicht weiter schwer, die schwachen Impulse des Talama-Senders zu empfangen. Die Fünf-Tonta-Frist war noch nicht abgelaufen, als ich den ersten Empfang hatte. Ich hatte mich an der Reling gleich beim Hauptaufgang postiert und wunderte mich ein wenig, daß die Funkimpulse aus meinem Rücken kamen. Dennoch folgte ich ihnen. Der Träger des Talama konnte höchstens fünfzig Meter von mir entfernt sein. Ich setzte mich über Funk mit den anderen in Verbindung. »Ich habe ihn angepeilt.« Sie antworteten, daß sie die Impulse ebenfalls empfingen. Wir kreisten den Unterhändler ein. Und wir stellten ihn am Heck, in der Nähe des Prunksaals, wo die Hauptauktion ablief. Ich hatte erwartet, daß Plantor der Unterhändler sein würde. Deshalb überraschte es mich, einen anderen Bekannten vorzufinden. »Pruug!« entfuhr es mir. Für mich gab es keinen Zweifel, daß es sich um den Fremden handelte, der sich Pruug nannte und der sich bei meinem ersten Besuch bei Plantor vor dessen Schiff an mich herangemacht hatte. Er trug dasselbe Gewand, und sein Gesicht war durch eine Emotio-Maske mit den gleichen Charakteristika verdeckt – und er hatte das Talama umgehängt. »Wo können wir uns hier ungestört unterhalten?« erkundigte er sich ungerührt; seine Stimme klang
teilnahmslos. Ich gab meinen Gefährten durch einen Wink zu verstehen, daß sie meinen Rückzug absichern sollten, und brachte Pruug zu Morvoners Kabine. »Sie fürchten sich wohl vor Verfolgern?« Pruug kicherte. »Aber Sie können unbesorgt sein, ich bin allein gekommen.« Wir betraten die Kabine. Nach und nach trafen auch meine Gefährten ein, die auf Umwegen kamen, um eventuelle Verfolger abzuschütteln. »Ich hätte mir von Anfang an denken können, daß Sie für Galbass tätig sind«, sagte ich. Aber ich war weniger über ihn als über mich verärgert. Es paßt alles zusammen. Als ich zusammen mit Sprangk bei Plantor war, muß der Händler Pruug von unserer Anwesenheit informiert haben, woraufhin dieser sich einfand, um uns angeblich seine Hilfe anzubieten. In Wirklichkeit hat er uns nur in die vorbereitete Falle geführt. Vermutlich handelt Pruug im Auftrag der Piraten, denen unsere Nähe unerwünscht ist. Spätestens als ich in Galbass’ Palast erwachte, hätte ich die Wahrheit erkennen müssen. Doch da hatte ich andere Sorgen gehabt und überhaupt nicht mehr an Pruug gedacht. Nur, meine neue Erkenntnis half mir in keiner Weise weiter. »Vergessen wir, was war«, bat Pruug. »Ich komme mit guter Nachricht zu Ihnen. Tato Galbass ist gewillt, auf Ihren Vorschlag einzugehen. Er hat mir alle Vollmachten erteilt, um mit Ihnen die Einzelheiten auszuhandeln.« »Das heißt, daß er uns nicht in seinen Palast bittet, um die Verhandlungen selbst zu führen?« »Würden Sie denn kommen?« »Nein. Das würde zu sehr nach einer Falle riechen. Aber es überrascht mich, daß er uns vertraut.« »Er vertraut mir, und ich habe mich bei ihm für Sie verbürgt.« Pruug schränkte jedoch sofort ein: »Er will sich natürlich keine Blöße geben und hat sich gegen Verrat abgesichert. Aber das können Sie sich ja denken. Kommen wir
lieber auf wichtigere Dinge zu sprechen. Was verlangen Sie?« »Das habe ich Plantor schon gesagt: freien Abzug aus Broschaan-Markt.« »Das ist eine Selbstverständlichkeit. Was sonst?« »Eine Möglichkeit, nach Sebentool zu gelangen. Am besten wäre ein Gleiter mit entsprechender Ausrüstung an Bord, eine KSOL, in der sämtliche verfügbaren Daten über Agmon, dessen Residenz und die Bewachung gespeichert sind. Es darf sich nur der Pilot an Bord befinden. Zwei Mann Besatzung würde ich noch in Kauf nehmen, aber mehr nicht, weil wir sonst befürchten müßten, daß man uns die Kehlen durchschneidet.« »Wenn Tato Galbass das wollte, könnte er es billiger haben.« Pruugs Maske zeigte ein breites Grinsen. »Er hat sich entschlossen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Lebend können Sie ihm besser dienlich sein. Dennoch sind Ihre Forderungen nicht zu erfüllen. Der Gouverneur kann beim besten Willen keinen Gleiter abstellen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Sie können nämlich nicht einfach nach Sebentool fliegen. Sie würden sich Ihrer Freiheit nicht lange erfreuen.« Diesem Argument konnte ich mich nicht entziehen; ich sagte aber nichts dazu. Pruug fuhr fort: »Es bietet sich eine andere, viel ungefährlichere Möglichkeit an. Im Morgengrauen läuft ein Schiff aus, das Waren für Sebentool geladen hat. Zufällig kenne ich den Kapitän recht gut. Ich bin sicher, daß er mir einen Gefallen tut und Sie mitnimmt.« »Wer weiß, ob Galbass damit einverstanden ist.« Pruug handelte mir für einen einfachen Unterhändler recht eigenmächtig. Kommt er etwa gar nicht in Galbass’ Auftrag? Aber wie ist er dann an das Talama herangekommen? Oder ist er mehr als ein einfacher Agent, der vielen Herren dient? »Ich sagte doch, daß ich alle Vollmachten habe. Der Tato ist daran interessiert, mehr über Agmon in Erfahrung zu bringen,
und möchte, daß Sie so rasch wie möglich handeln.« »Und wie kommen wir auf das Schiff?« »Ich kann Sie sofort hinbringen.« »Hhm.« Ich zog mich mit den Freunden in die Nebenkabine zur Beratung zurück. Keiner von ihnen hatte ernste Bedenken. Sprangk meinte, daß es in erster Linie wichtig sei, Galbass’ Machtbereich zu verlassen. Es erschien ihm als nicht zu großes Risiko, an Bord des Händlerschiffes zu gehen. Eiskralles Rat, daß wir ständig auf der Hut sein müßten, betraf nicht das eigentliche Problem, denn gefährdet waren wir überall. »Wir können Pruug so viel oder wenig vertrauen wie jedem anderen auf Jacinther«, sagte Fartuloon. »Aber es ist schon etwas dran, daß Galbass uns nicht auf ein Händlerschiff locken müßte, um sich unserer zu entledigen.« »Du vertraust Pruug?« »Ich weiß nicht recht… Er ist auf jeden Fall mehr, als er zu sein vorgibt. Er muß großen Einfluß auf Galbass haben. Ich denke, wir sollten das Angebot annehmen.« Wir kehrten in die Kabine zurück. »In Ordnung, Pruug. Bringen Sie uns auf das Händlerschiff.« Wir mieteten ein Luftkissen-Boot und fuhren damit zum Hafen hinüber. Fällt dir an Pruug nichts auf? meldete sich mein Extrasinn. Ich betrachtete den kleinen Mann mit der Emotio-Maske, der neben dem Piloten saß und ihm Kursanweisungen gab. Der helle Schein der Lichtreklamen von Broschaan-Markt beleuchtete seine zierliche Gestalt. Doch sein Umhang verhüllte ihn, und die Emotio-Maske spiegelte keine Gefühle wider – die Maske war ein dunkler, konturloser Fleck. Ich fragte mich, was mir an Pruug auffallen sollte. Er benahm sich eigentlich nicht anders als bei unserer ersten Begegnung.
Als Galbass’ Leute euch auf dem Markt überfielen, hat er euch gewarnt, rief mir mein Extrasinn in Erinnerung. Das stimmt, aber ich sehe nicht, was für ein Hinweis das sein soll, dachte ich. »Warum haben Sie uns eigentlich gewarnt, als wir auf dem Markt überfallen wurden?« Seine Emotio-Maske zeigte Heiterkeit. »Es war das Zeichen zum Angriff.« Also Fehlanzeige. Etwas Ähnliches hatte ich mir gedacht; ich grübelte weiter über ihn nach, wußte jedoch nicht, wonach ich suchen sollte. Ich weiß überhaupt nichts über ihn, habe von ihm selbst nichts zu sehen bekommen. Er ist klein und muß recht zart gebaut sein… Er ist klein und wahrscheinlich ziemlich dürr, echote mein Extrasinn, als wolle er mich narren. Auf wen paßt diese Beschreibung? Auf viele Männer. Hier auf Jacinther gibt es allerdings nur einen… Doch das ist absurd! Überhaupt – Pruugs Stimme und seine ganze Art stimmen nicht überein. Die Emotio-Maske verbirgt nicht nur das Gesicht des Trägers, sagte der Extrasinn. Wer die Emotio-Maske geschickt zu handhaben weiß, kann mit ihr auch eine gänzlich andersgeartete Persönlichkeit vortäuschen! Von diesem Augenblick an ließ ich Pruug nicht mehr aus den Augen. Und je länger ich ihn beobachtete, desto mehr Ähnlichkeiten stellte ich tatsächlich fest. Schließlich gab es für mich keinen Zweifel mehr, daß mich der Logiksektor auf die richtige Fährte gebracht hatte. Es war unglaublich, einfach verrückt – aber es mußte so sein, wie ich vermutete. Ich hätte Pruug natürlich die Maske vom Gesicht reißen können, aber das wäre zu plump gewesen, deshalb wollte ich eine andere, feinere Methode finden, um ihn zu demaskieren. Wir erreichten den Hafen, Pruug lotste das Luftkissen-Boot zu der weiter draußen ankernden Silhouette eines kaum aus
dem Wasser ragenden langgestreckten Schiffes. Das Boot legte an Backbord an, Pruug sagte, wir sollten zurückbleiben, und enterte eine Leiter zu einer Luke hinauf, verschwand darin. »LAAK-INTA«, murmelte Morvoner. »Wie?« wunderte sich Fartuloon. »So heißt das Schiff. Ich habe die Aufschrift gelesen.« Der Pilot des Bootes drehte sich um und sagte: »Wollen die Herren auf diesem Schiff reisen?« »Was haben Sie daran auszusetzen?« wollte ich wissen. Er hob abwehrend die Hände. »Ich will ja nichts gesagt haben, aber… Nun, die LAAK-INTA hat nicht gerade den besten Ruf, die Besatzung wechselt ständig. Viele, die auf diesem Schiff angeheuert haben, hat man nie mehr wiedergesehen. Kapitän Steemer darf bei seinen Geschäften nicht wählerisch sein und muß jeden nehmen, der sich ihm anbietet.« »Danke für die Warnung«, sagte Fartuloon. »Aber wir können auch nicht wählerisch sein.« Pruug erschien in der Luke. »Ihr könnt heraufkommen. Es ist alles geregelt.« An den Piloten gewandt, fügte er hinzu: »Warten Sie auf mich, ich komme gleich zurück.« Wir kletterten die Leiter hoch. In der Schleuse hinter der Luke erwartete uns Pruug mit einem hochgewachsenen, breitgebauten Arkoniden unbestimmbaren Alters. Er war stark behaart, selbst auf den Handrücken; sein Gesicht wurde halb von einem dichten, zottigen Bart verdeckt. »Das ist Kapitän Steemer«, stellte uns Pruug den Mann vor. »Er weiß, was er zu tun hat. Am Ziel wird er euch Unterlagen aushändigen, in denen sich weitere Instruktionen befinden. Ich ziehe mich jetzt zurück.« Er wandte sich zur Schleuse und murmelte dabei, ohne einen von uns anzusehen: »Viel Glück!« Ich wartete, bis er draußen auf der Leiter war, dann sagte ich leise zu ihm: »Das haben Sie ganz raffiniert eingefädelt, Galbass!«
Seine Emotio-Maske pulsierte in der Schreckreaktion heftig. Da wußte ich, daß ich richtig getippt hatte. Wir bekamen eine Kabine mit sechs Schlafnischen zugeteilt. Zum Glück mußten wir sie mit niemandem mehr teilen. Kapitän Steemer gab sich sehr wortkarg. Als er uns die Kabine zuwies, trug er uns auf, sie erst zu verlassen, bis er es uns ausdrücklich gestattete. »Wann laufen wir aus?« wollte ich wissen. »Ich erwarte noch acht Händler und ihre Waren, die im Morgengrauen eintreffen.« Wir nutzten die Ruhepause, um uns auszuschlafen. Einer von uns hielt Wache. Das Los bestimmte, daß ich zuletzt an die Reihe kam. Als Fartuloon mich weckte, ertönte über die Sprechanlage Kapitän Steemers Stimme: »Guten Morgen. Wir sind vor einer Tonta ausgelaufen und befinden uns auf Kurs nach Sebentool. Ich erwarte Sie in einer zehntel Tonta in meiner Kabine zum Frühstück.« Kurz darauf schwang die Kabinentür auf, und ein mittelgroßer Mann mit beachtlichem Körperumfang stand vor uns. Er grinste, als er den Blick seiner Äuglein über uns wandern ließ. »Wie Händler seht ihr mir nicht gerade aus. Aber es geht mich nichts an. Ich soll euch zum Kapitän bringen.« »Und wer sind Sie?« fragte Morvoner herausfordernd. »Auf der LAAK-INTA gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Frag niemanden nach seinem Namen! Ich bin Händler, der seine Ware nach Sebentool bringen möchte. Das genügt. Also kommt, sonst hat Steemer alles weggeputzt, und ihr sitzt vor leeren Schüsseln.« Der Dicke kicherte, während wir ihm durch die Schiffsgänge
folgten. Mir fiel etwas unangenehm auf: Die LAAK-INTA hatte keine Schwerkraftregler. Auf modernen Hochseeschiffen merkte man überhaupt nichts vom Wellengang, weil Andruckneutralisatoren das Schaukeln ausglichen. Auf diesem Schiff gab es eine solche Einrichtung jedoch nicht, so daß wir schwankenden Boden unter den Füßen hatten. Auf dem Weg zur Kapitänskabine begegneten wir zwei Männern, die vornehm gekleidet waren und nicht den Eindruck von Seeleuten machten. Sie warfen uns nicht gerade freundliche Blicke zu; einer zog beim Anblick von Eiskralle sogar sein Vibratormesser. Sprangk stieß ihm wie nebenbei im Vorbeigehen den Ellbogen in den Bauch, so daß er sich zusammenkrümmte und das Vibratormesser fallen ließ. Der Dicke kicherte abermals. »Immer wenn Paintztom ein Fremdwesen erblickt, sieht er rot. Ihr werdet gut auf euren Chretkor aufpassen müssen.« Fartuloon seufzte. »Da sind wir in eine schöne Gesellschaft geraten.« »Ich dachte, auf der LAAK-INTA nennt man keine Namen?« sagte ich. »Ich mache die achtzehnte Fahrt mit, zehnmal war Paintztom ebenfalls mit von der Partie. Wir sind gute Bekannte.« Als wir Steemers Kabine betraten, waren wir über den Luxus erstaunt. Sie hatte sogar Andruckneutralisation. Solange wir hier waren, glaubte man, in einem Luftkissen-Boot über das Meer zu schweben. Steemer deutete wortlos auf die freien Plätze am Tisch. Während wir uns setzten, zog sich der Dicke unaufgefordert zurück. Ich blickte mich um. Die Einrichtung der Kabine war gediegen und wertvoll, aber sie paßte nicht zusammen. An einer Wand hing ein 3-D-Bild der LAAK-INTA neben einigen Rißzeichnungen. Daraus war zu ersehen, daß das Schiff die Form eines Dreikantprismas und einen Tiefgang wie ein Eisberg hatte – nur ein Zehntel des Schiffes ragte aus
dem Wasser, wenn es voll beladen war. Das hatte den Vorteil, daß es bei hohem Wellengang den Gewalten nicht so sehr wie herkömmliche Schiffe ausgesetzt war. Antigrav- und Prallfeldaggregate sowie Feldtriebwerke gab es allerdings auch, so daß das Schiff in einen überdimensionierten Gleiter verwandelt werden konnte. »Greifen Sie ruhig zu«, sagte Kapitän Steemer kauend. Wir ließen uns das nicht zweimal sagen, denn wir hatten schon lange nichts Anständiges mehr zu uns genommen. Kapitän Steemer dagegen wußte zu leben, das mußte man ihm lassen. Was er als »Frühstück« bezeichnete, hätte jedem Bankett beim arkonidischen Hochadel zur Ehre gereicht. »Ich habe Sie kommen lassen, um Ihnen die Sitten und Bräuche auf meinem Schiff zu erklären. Die LAAK-INTA ist vor allem ein Frachtschiff. Oberstes Gebot für Sie ist: Sprechen Sie zu keinem an Bord über Ihre Mission, Ihre Vergangenheit oder Ihre Herkunft. Legen Sie unbedingt Wert darauf, daß man Sie beim Namen anspricht, geben Sie sich Decknamen.« Er machte eine Pause, in der er sich einen ordentlichen Happen zuführte. »Ich habe ein eigenes Frachtsystem entwickelt. Um unabhängiger zu sein, übernehme ich ausschließlich Warentransporte mitsamt den Eignern. Das heißt, ich befördere Händler mitsamt ihren Waren an das gewünschte Ziel.« Fartuloon runzelte skeptisch die Stirn. »Und das funktioniert?« Steemer nickte. »Es hat sich bewährt. Viele Händler, müssen Sie wissen, sehen es nicht gern, wenn man in ihren Waren schnüffelt. Sie schlafen ruhiger, übernehmen gleichzeitig die Verantwortung dafür, und ich bin einige Sorgen los.« Ich trank einen Fruchtsaft und dachte an die Warnung des Piloten. »Gibt es keine Schwierigkeiten mit den Händlern? Ich meine, sind sie bereit, sich unterzuordnen?«
»Ich bin der Kapitän!« Damit sagte Steemer alles. »Die Leute werden wie Passagiere behandelt, es gibt kaum etwas zu tun, weil die LAAK-INTA vollautomatisch läuft. Sie haben eine Vergnügungsfahrt vor sich, meine Herren!« Er hatte es kaum gesagt, als eine Erschütterung wie von einer Explosion durch das Schiff lief. Sie war so stark, daß wir von den Stühlen fielen. »Verflucht!« schrie Steemer. »Die Antigravprojektoren fallen auch immer dann aus, wenn ich sie am dringendsten benötige. Beim nächsten Orkan werden sie noch ganz zusammenbrechen!« Das wäre nur ausgleichende Gerechtigkeit, dachte ich, denn wir als Passagiere kommen auch nicht in den Genuß eines Schwerkraftreglers. Als die Antigravprojektoren wieder einsetzten, flog die Tür auf. Ein verwilderter Geselle mit einem Kombistrahler rief: »Jetzt hat es sich auskommandiert, Kapitän! Wir verlangen bessere Unterkünfte!« Steemer, der an der Schaltwand stand, war geistesgegenwärtig genug, den Schwerkraftregler sofort wieder zu betätigen. Der Mann mit dem Kombistrahler verlor den Halt, als der Boden plötzlich unter ihm zu schwanken begann. Morvoner hechtete mit einem gewaltigen Satz durch den Raum und riß den Meuterer mit sich zu Boden. In der Tür blitzte es auf, ein Energiestrahl zuckte in die Kabine. Aber der Schütze hatte schlecht gezielt, der Schuß ging über unsere Köpfe hinweg. Im nächsten Moment hatten wir Deckung gesucht. Ich richtete meinen Strahler zur Decke und zerschoß die Beleuchtung. Nur noch die Kontrolllichter der Schaltwand verbreiteten schwaches Licht. Dafür war der Korridor hell erleuchtet – die Meuterer boten uns ein gutes Ziel. Fartuloon
schickte einen breitgefächerten Lähmstrahl durch die Tür, erwischte zwei Meuterer an den Beinen. Sie brachen zusammen und versuchten, sich aus der Feuerlinie zu schleppen. »Ergebt euch!« rief eine Stimme aus dem Korridor. »Ihr habt keine Chance. Kommt mit erhobenen Händen heraus, dann wird euch nichts geschehen.« »Verdammt will ich sein, wenn ich das tue!« schrie Steemer wütend. Er stand mit einem schußbereiten Strahler in einer Wandnische. »Wir sitzen in der Falle«, gab ich zu bedenken. »Ich werde diesem Gesindel mein Schiff nicht so ohne weiteres überlassen!« »Sie hätten eben vorsichtiger bei der Auswahl Ihrer Passagiere sein müssen«, warf Fartuloon ihm vor. »Kennen Sie die Leute nicht?« »Ich habe sie vorher noch nie gesehen. Es handelt sich um die acht Händler, die ich vor dem Auslaufen noch an Bord holte.« »Jetzt haben wir die Bescherung«, maulte Morvoner und fluchte. Wieder ging eine Erschütterung durch das Schiff. Der Boden neigte sich so stark, daß die Sessel und der Tisch aus ihrer Magnetverankerung gehoben wurden und mit lautem Krach gegen die Wand prallten. Auf dem Korridor erklang Geschrei; die Meuterer stürzten durcheinander. Jetzt wäre die Gelegenheit für einen Ausfall günstig gewesen. Doch wir mußten selbst kämpfen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Das Schiff neigte sich auf die andere Seite, und der Tisch und die Sessel nahmen ihre Rutschfahrt über den Boden wieder auf. Als die Wellen das Schiff wieder nach der anderen Seite warfen, erschien in der Tür einer der Meuterer. Er warf die Hände in die Luft, suchte verzweifelt nach Halt, wurde jedoch
unerbittlich in die Kabine gezogen. Er stolperte mir genau vor die Füße. Ich preßte ihm den Strahler gegen den Hals. »Welch überraschenden Besuch haben wir denn da bekommen?« »Drück nur ab. Das rettet euch nicht. Ihr entkommt dem Tato von Kortasch-Auromt nicht!« Ich horchte auf. »Wir wollen nicht nach Kortasch-Auromt, sondern nach Sebentool.« Der Mann lachte höhnisch. »Steemer!« schrie jemand auf dem Korridor. »Ihr Schiff wird kentern, wenn Sie sich nicht schleunigst auf die Kommandobrücke begeben.« »Werft die Waffen weg und kommt mit erhobenen Händen herein!« rief Steemer zurück. »Ich übernehme das Steuer erst, nachdem ihr euch ergeben habt.« »Seien Sie nicht starrköpfig, Steemer!« rief der unsichtbare Sprecher. »Gegen Sie haben wir gar nichts. Wir sind nur an Ihren vier Passagieren interessiert.« »Dann holt sie euch!« Steemer schoß eine Salve in den Korridor hinaus. Ich bewunderte seine Charakterstärke und seine Courage. »Das ist hoffentlich nicht Ihr letztes Wort. Unterstützen Sie uns, dann ist Ihnen der Dank Mavillan Ruuvers gewiß.« »Was habt ihr mit Ruuver zu schaffen?« »Wir handeln in seinem Auftrag. Er ist sehr an den vier interessiert, möchte sich ein wenig mit ihnen unterhalten und wird sich denen erkenntlich zeigen, die ihm zu dieser Unterhaltung verhelfen. Liefern Sie uns die vier Spione aus, Kapitän, sie sind diesen Einsatz nicht wert.« Steemer überlegte kurz, dann warf er seinen Strahler weg und ging mit erhobenen Händen auf die Tür zu. »Ich ergebe mich!« rief er laut und deutlich. Jetzt hielt ich von seinem Charakter und seiner Courage schon viel weniger.
»Dieser Verräter!« Sprangk zielte wütend auf Steemers Rücken. »Nicht schießen!« rief ich, Fartuloon schlug ihm die Waffe aus der Hand. »Wer ist Ruuver?« erkundigte ich mich bei dem Mann, der mir in die Hände gefallen war. »Was? Willst du behaupten, du wüßtest nicht, daß Ruuver der Tato von Kortasch-Auromt ist?« Ich hatte es vermutet, aber jetzt hatte ich Gewißheit. Wahrscheinlich ist Ruuvers Leuten zu Ohren gekommen, daß wir uns mit Galbass verbündet haben. Ruuver hat schnell gehandelt und seine Leute an Bord dieses Schiffes gebracht, um uns zu ihm zu bringen. Sicher will er wissen, wie wir zu Galbass stehen. Eigentlich habe ich gar nichts dagegen, Ruuvers Bekanntschaft zu machen! »Los, lauf!« Der Mann ließ es sich nicht zweimal sagen und stolperte aus der Kabine. Ich stand auf und rief: »Wir ergeben uns!« »Bist du übergeschnappt?« entfuhr es Morvoner. »Keineswegs. Ich sehe nur nicht ein, warum wir für Galbass unser Leben aufs Spiel setzen sollen. Ihr habt gehört, daß die Männer in Ruuvers Auftrag handeln. Es wird nicht schaden, diesen kennenzulernen, um mehr über seine Pläne zu erfahren.« Fartuloon stand ebenfalls auf und warf die Waffe weg. »Das ist auch meine Meinung. Warum sollen wir nicht einen Abstecher nach Kortasch-Auromt machen?« Morvoner Sprangk schüttelte verständnislos den Kopf, aber er folgte uns mit erhobenen Händen auf den Korridor hinaus. Die acht Männer zeigten sich höchst erleichtert, daß wir uns widerstandslos ergaben. »Kapitän«, sagte ihr Anführer zu Steemer und verlieh seinen Worten mit dem Strahler Nachdruck. »Nehmen Sie Kurs auf Kortasch-Auromt.«
18. Aus: Hintergrundanalyse der Tekteronii-Aktivitäten auf Hazhoy II, Gillam TV und Wazarom III; Killan von Mispanor, Stabschef und Adjutant Seiner Erhabenheit Gonozal VIII. 11. Prago der Coroma 19.017 da Ark Konsequenzen der Expansionspolitik:… waren mit der Auswanderung schon in der Frühzeit erbitterte Kolonialkriege mit Arkon fremd gewordenen Nachkommen verbunden gewesen. Stets drehte es sich um Besitzansprüche, Handelsrechte und die stürmisch verlangte Autarkie, weil jede neu besiedelte Welt rasch nach der Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten mehr als nur Selbstverwaltung verlangte. Schwierige Verhandlungen – oft vom massiven Druck der Raumflotte begleitet – mußten die sozialpolitischen und wirtschaftlichen Probleme beseitigen. Nicht umsonst stammt aus jener Zeit das imperiale Dekret, Kolonisationsflüge nicht als demokratische Unternehmen zu starten, sondern unter der straffen Leitung aristokratischer Räte, die auf direkte Anweisung des Großen Rates handelten. Angetrieben vom Raumnomadenadel und den Springern, kennzeichnen Wellen die Ausbreitung: Stehen am Beginn die aktivsten Raumfahrer, Galaktokartographen und Forscher, Prospektoren und Vagabunden, folgen als Pioniere von der Raumflotte begleitete Siedler. Schließlich treten Handelsgesellschaften, Industriekonzerne und Traditionalisten in Erscheinung; Leute mit Kapital und ausgeprägtem Sinn für organisatorisches Vorgehen, jene, die Luxus, technischen Standard, Frivolitäten und vor allem die Lebensart des Imperiumszentrums bringen – letztlich dafür sorgend, daß irgendwann wiederum Unzufriedene aufbrechen und den Vorgang fortsetzen. Dazwischen und überall dabei sind die Habitate, Weltraumstädte beachtlichen Ausmaßes, die als Karawanen den Kugelsternhaufen,
aber auch den Nebelsektor durchstreifen. Manche fungieren als Flottenbasen, andere sind fliegende Händler oder autonome Welten für sich. Die vorderste Ausbreitungszone ist stets Sammelpunkt absonderlichster Gestalten mit dunklem Vorleben und diffusen Zielen, anfällig für sämtliche Einflüsse des »Neulandes«, in das sie vorstoßen… Kortasch-Auromt: 13. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Beim Anblick des Hafenbeckens von Etset-Arun fühlte ich mich in die Pionierzeiten des Imperiums zurückversetzt. Überall auf den Molen standen Fahrzeuge. Im Wasser schaukelten altertümliche Frachtschiffe, darunter sogar mehrmastige Segler. Trotz regem Leben und Treiben sah ich niemanden, der sich sonderlich beeilt hätte. Die kleinen Häuser der Stadt gruppierten sich in einem Halbkreis um die natürliche Bucht der großen Insel. In den engen Gassen war es noch dunkel, obwohl die Sonne längst aufgegangen war. Sie verbarg sich hinter einer unheilverkündenden Wolkenbank im Osten. Im schnellen Prallfeldflug hatte Steemers Schiff die rund 2500 Kilometer überwunden, wir waren in einen Käfig eingesperrt. Die abenteuerlichsten Gestalten drückten sich an den Hauswänden entlang. Einige schoben Karren mit Lasten vor sich her, andere wiederum trugen Körbe oder Säcke auf ihren Schultern. Mein Blick wanderte in südliche Richtung, wo ich am fernen Horizont des relativ flachen Hinterlandes einen dunklen Streifen am Horizont entdeckte: das Hochland. Dort lag unser Ziel. Im Augenblick allerdings sah es ganz so aus, als wolle man sich auch in dieser Hinsicht Zeit lassen, denn niemand kümmerte sich um uns, obwohl wir als wichtige Gefangene galten. Der stählerne Gitterkäfig wurde von Antigravprojektoren
vom Schiff auf einen Wagen gehievt, der an der Mole stand. Nur wenige der Passanten warfen uns neugierige Blicke zu, die anderen gingen weiter, als seien wir irgendeine unwichtige Handelsware. Fartuloon nahm unser Schicksal mit ziemlicher Gelassenheit hin: Er hockte in einer Ecke des Käfigs, den breiten Rücken gegen die Gitterstäbe gelehnt, und studierte die Umgebung. Manchmal fing ich seinen Blick auf, und dann vermeinte ich, in seinen Augen so etwas wie unterdrückte Heiterkeit zu erkennen. Auch der Chretkor blieb gelassen. Wie wir alle war er davon überzeugt, daß der Augenblick der Flucht noch nicht gekommen war. Sobald dieser kam, würde er zu einer unerbittlichen Kampfmaschine werden und seine Gegner durch einen Händedruck in Eis verwandeln. Nicht ganz so zufrieden war Morvoner. Ständig murmelte er Flüche vor sich hin und drohte den Vorbeigehenden. Ich konnte ihm ansehen, daß er am liebsten bereits jetzt ausgebrochen wäre und die Passanten verprügelt hätte. »Halt den Mund!« knurrte Fartuloon. »Da kann ja niemand schlafen, wenn du dauernd Selbstgespräche führst.« »Ach, schlafen willst du? Am hellichten Tag willst du schlafen und dich von diesen heruntergekommenen Essoya begaffen lassen? Sieh sie dir doch an, Bauchaufschneider! Diese verlausten Kreaturen wären in der Flotte Arkons nicht einmal als Latrinenpersonal eingestellt worden.« »Ihr sollt euch nicht streiten«, meldete sich nun Eiskralle zu Wort. »Laß die Leute aussehen, wie sie wollen. Was geht das uns an? Die Hauptsache ist doch, sie bringen uns bald zu ihrem Auftraggeber, damit wir erfahren, was er von uns will.« Es schien mir an der Zeit, auch etwas zu sagen. »Das dürfte klar sein, Freunde: Ruuver ist genauso scharf wie Galbass auf den Posten des angeblich todkranken Agmon. Alle vier Gouverneure wollen dessen Posten, und sollte Agmon
wirklich bereits tot sein, wie Gerüchte wissen wollen, wird hier bald ein Machtkampf entbrennen, in den wir auf keinen Fall hineingeraten dürfen.« »Ich habe immer noch mein Skarg.« Fartuloon legte die Hand auf den Griff seines Dagor-Schwertes, dessen geheimnisvolle Kräfte selbst ich nicht alle kannte. Zu unserem Erstaunen hatten Tato Ruuvers Leute dem Schwert keine Aufmerksamkeit geschenkt – oder Fartuloon hatte irgendeinen Trick angewandt. »Die werden eine Überraschung erleben.« Ich vergewisserte mich, daß kein Lauscher in der Nähe war. »Es geht nicht ums Kämpfen, das weißt du ganz genau. Unsere Aufgabe ist, die Ankunft von Ka’Mehantis Freemush abzuwarten und ihn in unsere Gewalt zu bringen. Damit versetzen wir Orbanaschol einen schweren Schlag.« »Ich kann es kaum erwarten«, sagte Eiskralle fast träumerisch, »dem verdammten Sofgart zu begegnen. Ich möchte ihm nur zu gern die Hand kräftig drücken…« Das Gespräch schlief wieder ein, als einige primitive Karren in unmittelbarer Nähe zum Abtransport bereitgestellt wurden. Noch während ich überlegte, wer sie ziehen sollte, sah ich etwas sehr Merkwürdiges. Auch meine drei Freunde wurden aufmerksam, als sie die seltsame Prozession erblickten. Voran gingen zehn verwegen aussehende, unterschiedlich gekleidete Männer. Alle trugen sie auf der Brust einen kleinen schwarzen Kasten, der mit Riemen am Körper befestigt war. Die wippende Antenne verriet, daß es sich um Sender oder Empfänger handelte. Hinter ihnen kamen Saurier! Mir fiel auf Anhieb keine bessere Bezeichnung ein. Es mochten etwa zweihundert von ihnen sein, die in Reih und Glied friedlich hinter den zehn vorangehenden Arkoniden hermarschierten. Seitlich wurden sie von weiteren Wärtern flankiert, die ebenfalls mit schwarzen Kästen ausgestattet waren. Die Saurier waren mit knapp drei Metern nicht sehr
groß und hatten einen kurzen Schwanz, in ihrer Gedrungenheit sahen sie jedoch ungemein kräftig aus. Meist liefen sie auf den kräftiger ausgebildeten Hinterbeinen in vorgebeugter Haltung, konnten allerdings das vordere Beinpaar zu Hilfe nehmen. Nicht weit von uns entfernt hielt der Zug an. Wir beobachteten fasziniert, was weiter geschah: Die Tiere verteilten sich im Hafengelände und begannen mit der Arbeit. Einige trotteten, stets von einem Wärter begleitet und offenbar mit Hilfe des Senders dirigiert, zu den am Kai liegenden Schiffen und begannen, die dort bereitgelegten Lasten an Land zu tragen, wo sie gestapelt wurden. Andere richteten sich auf und verwendeten die in Greifklauen endenden Vorderbeine, um die Ballen, Kisten und Körbe auf die Fahrzeuge zu verladen, bis eine ganze Kolonne der meist vierrädrigen Karren zur Abfahrt bereitstand. Schließlich wurden bisher untätig gebliebene Saurier davor gespannt, und der ganze Zug setzte sich nach Süden in Bewegung – an der Stadt vorbei ins Landesinnere. Mir wurde klar, daß dies zweifellos die primitive, hier übliche Methode war, die von zwielichtigen Händlern und Piraten im Hafen angelangten Waren zum Handelsstützpunkt im Hochland zu bringen, wo auch der Sitz des Gouverneurs sein mußte. »Die spinnen, die Jacintherii!« stellte Morvoner lakonisch fest. »Warum so umständlich, wenn es auch einfacher geht?« Eiskralle hatte in der Zwischenzeit die Gespräche einiger Passanten belauscht, die achtlos an unserem Käfig vorbeigegangen waren, und raunte: »Diese Viecher heißen Moojas. Sie scheinen ziemlich empfindliche Gehirne zu haben, sonst würden sie nicht auf gefunkte Befehle reagieren. Wenn die mal richtig Wut bekommen, möchte ich nicht dabeisein.« Abgerichtete Arbeitstiere, die mit Hilfe von Impulsen ferngesteuert werden; vermutlich gibt es Empfänger-Implantate, raunte der
Extrasinn. Einer der Wärter näherte sich, blieb vor dem Karren mit dem Käfig stehen und betrachtete uns mit Blicken, in denen Neugier zu lesen war. Seine Stimme war nicht einmal unfreundlich, als er sagte: »Jetzt geht es auf die Reise.« »Wohin bringen Sie uns?« fragte ich höflich. »Zum Tato, wohin sonst? Er hat im Hochland seinen Regierungssitz. Ich habe den Auftrag erhalten, euch hinzubringen. Versucht nicht, euch aus dem Staub zu machen. Die Moojas rennen wie der Sturmwind und holen jeden ein. Ich will euch lieber nicht erzählen, was sie dann mit einem machen.« Fartuloon drehte sich ein wenig um und deutete auf das Sendegerät. »Und deshalb gehorchen die Tierchen?« Der Wärter nickte stolz. »Damit habe ich Gewalt über alle. Gäbe es die Moojas nicht, müßten wir die Fahrzeuge selbst ziehen und die Lasten allein tragen. Technik ist zu teuer oder reglementiert; schließlich müssen wir den hochedlen Urlaubern etwas bieten und haben einen Ruf zu wahren.« Er betätigte einen winzigen Hebel an dem schwarzen Kasten und drückte auf einige Knöpfe. Sofort trennten sich zwei der Saurier von ihren Artgenossen und trotteten in einem merkwürdig schaukelnden Gang herbei. Ihre Haut bestand aus einem dicken Panzer handgroßer, am Rand leicht aufgewölbter braungrauer Schuppen, der sie fast unverwundbar machte. Gehorsam stellten sie sich vor den Wagen. Der Wärter spannte sie ein und betrachtete dann sein Werk, als habe er das heute zum erstenmal getan. Dann trat er zurück, winkte zwei Arkoniden herbei und deutete auf uns. »Ihr wißt Bescheid: Sie werden zu Tato Ruuver gebracht. Er hat ausdrücklichen Befehl gegeben, sie schonend zu behandeln. Ich komme ebenfalls mit. Drei Mann werden genug sein.«
Die Moojas zogen an. Rumpelnd setzte sich das Gefährt in Bewegung. Wir hatten während der Überfahrt der LAAK-INTA überlegt, welches die beste Methode sein würde, dem Gouverneur der Handelsinsel gegenüberzutreten. Sollte er dem Tato des Südkontinents charakterlich ähneln und die gleichen Ziele verfolgen, was wir stark vermuteten, durfte unsere Ausgangsposition nicht zu schwach sein. Dennoch verzichteten wir vorerst auf einen Ausbruch. Der Gefangenentransport würde uns die Mühe ersparen, selbst den Weg ins Hochland zu suchen. Wir hatten jedoch nicht vor, den Tato als Gefangene aufzusuchen, sondern als freie Männer mit einigen Trümpfen in der Hand. Der Plan war, uns spektakulär zu befreien und dann Mavillan Ruuver freiwillig aufzusuchen. So etwas imponierte Männern seines Schlages, hatte Fartuloon behauptet. Noch wußten wir nicht, wann der richtige Zeitpunkt zur Flucht war. Sie mußte unter einigermaßen dramatischen Begleitumständen erfolgen, damit unserem Erscheinen im Teaultokan einige haarsträubende Berichte vorangingen, die Ruuver entsprechend beeindruckten. Der Hafen und die Stadt blieben zurück. Rechts und links erstreckten sich wildwuchernde Felder mit Obstbäumen und Gemüsegärten. Vor uns stieg das Gelände nur wenig an, das Hochplateau in der Ferne war bald besser zu erkennen. Ich schätzte die Entfernung auf rund hundert Kilometer, aber das konnte täuschen. Noch immer war die Sonne nicht zu sehen, wurde von der Wolkenbank verdeckt, die aus dem Osten kam. Fast der ganze Himmel war nun düster überzogen. Mir war, als sei der Wind kräftiger geworden. Die drei Wärter saßen vorn auf der Kutschbank und waren
viel zu träge, um sich zu unterhalten. Einer von ihnen war eingeschlafen und schnarchte wie drei Sägewerke. Die beiden Moojas eilten gehorsam dahin und schienen die schwere Last überhaupt nicht zu spüren. Fartuloon sagte: »Lange hält mein Hinterteil das nicht mehr aus.« Eiskralle befühlte sein eigenes. »Was soll ich denn erst sagen? Du bist doch genug gepolstert und solltest nichts spüren.« »Jeden Ruck und Stoß spüre ich, denn ich bin empfindlicher als du.« Ich ließ sie reden und hing meinen Gedanken nach. Ökonom Freemush kommt im Auftrag des Imperators, um Jacinther zu inspizieren. Sollten wir ihn in unsere Gewalt bekommen, würde Orbanaschol, Brudermörder und zugleich mein Onkel, abermals sehr eindrucksvoll auf mich aufmerksam gemacht werden. Er wußte, daß ich den Mord meines Vater vergelten wollte und Anspruch auf den Thron des Großen Imperiums erhob. Er soll keine Ruhe mehr finden. Ständig soll er befürchten müssen, jemand komme zu ihm, um das Urteil zu vollstrecken, das er selbst über sich gefällt hat, als er meinen Vater ermorden ließ. Freemush ist der nächste Schritt. Morvoner fluchte: »Ich drehe den verdammten Kerlen den Hals um, wenn sie nicht bald vorsichtiger kutschieren.« »Das wirst du nicht«, sagte Fartuloon. »Wir werden ihnen etwas zeigen, was sie noch nie in ihrem Leben gesehen haben, und dann müssen sie Ruuver die Umstände unserer Flucht schildern. Das können sie nicht mit umgedrehtem Hals. Ich warte nur noch auf ein richtig schönes Gewitter.« »Gewitter? Wozu denn ein Gewitter?« Fartuloon grinste. »Laß dich überraschen.« Ich wußte zwar ebenfalls nicht, wozu wir ein Gewitter brauchten, aber ich stellte keine Fragen. Es hätte wenig Sinn
gehabt, denn wenn Fartuloon einmal entschlossen war, eine seiner »Vorstellungen« zu geben, war es sinnlos, ihn ausfragen zu wollen. Ich nutzte die Gelegenheit, mich umzudrehen. Stadt und Hafen lagen viele Kilometer hinter uns, waren aber noch zu erkennen. Soeben lief ein Schiff in die Bucht ein, ein Raddampfer uralter Bauart. Wie mag es Farnathia jetzt gehen? Das in meinem rechten Stiefelschaft verborgene Vibratormesser – ebenfalls bei der Durchsuchung unentdeckt geblieben – erinnerte mich daran, daß wir jederzeit unser Gefängnis verlassen konnten, wenn wir das wollten. Es würde die Gitterstäbe mühelos zerschneiden. Aber wahrscheinlich schien Fartuloon diese Methode zuwenig eindrucksvoll, denn er hatte meinen entsprechenden Vorschlag rundweg abgelehnt. Die Straße verlief zu einer flachen Anhöhe, und als wir sie hinter uns gebracht hatten, waren Etset-Arun und Hafen unseren Blicken entschwunden. Vor uns lag die steinige und nur spärlich bewachsene Ebene; am Horizont türmte sich das eigentliche Hochplateau wie eine Mauer auf. Die Wolken über uns zogen niedriger und schneller dahin. Unsere Wärter warfen immer wieder besorgte Blicke nach oben. Die niedrige Seitenwand des Wagens hielt den Wind kaum ab, der durch die Gitterstäbe pfiff. Eine Tonta verging. Fartuloon blickte nach oben, studierte den Zug der Wolken und richtete sein Augenmerk besonders auf eine fast schwarze Bank, die sich immer näher an uns heranschob. Ich bemerkte, daß die Wärter immer häufiger die Sender betätigten, um die Moojas zu beruhigen. Die Tiere glichen lebenden Robotern, die durch die Impulse gesteuert wurden. »Bald ist es soweit«, murmelte der ehemalige Leibarzt meines ermordeten Vaters. »Haltet euch bereit!« »Was hast du vor? Es ist besser, wenn wir es wissen.« Er klopfte auf den Griff seines Schwertes. »Ihr sollt sehen,
was mein Skarg alles kann. Schon mal was von einem Energiespeicher gehört, von Aufladung und kontrollierter Entladung? Das Gewitter kommt mir gerade recht. Wenn es dazu noch schön regnet, wird die ganze Geschichte hundertmal effektvoller. Dieser Ruuver wird glauben, wir seien Zhygor’iantaii, wenn er sie hört – und ich hoffe, er wird uns entsprechend empfangen.« »Und ich hoffe, du hast recht«, knurrte Morvoner. »Ich kenne Leute, die bringen Zauberer auf der Stelle um.« »Uns nicht; er wird viel zu neugierig sein, weil er weiß, daß uns sein Konkurrent Galbass nach Sebentool schickte. Er wird unter allen Umständen wissen wollen, wie dieser Auftrag lautet. Schließlich wollen alle vier Tatos Agmons Nachfolger werden. Das ist ja auch der Grund, warum er uns entführen ließ.« »Na fein!« Eiskralle winkte gelassen. »Dann sind ja sämtliche Beteiligten neugierig und lassen uns am Leben.« Er sah hinauf zum Himmel. »Es geht in einigen Hundertstel los, Fartuloon. Wetz dein Schwert…« »Spaßvogel. Du mit deinen Polarklauen hast gut reden. Aber jetzt kannst du nichts mit ihnen anfangen, und das ärgert dich wohl.« Der Chretkor brummte etwas Unverständliches. Die ersten Regentropfen fielen auf uns herab; da wir in einem Gitterkäfig hockten, gab es keinen Schutz gegen sie. Ich zog die Jacke höher. Eiskralle nahm eine der Plastikmatten vom Boden und deckte sich damit zu. Morvoner und Fartuloon ignorierten den Regen. Die drei Arkoniden auf der Kutschbank gaben den Moojas neue Impulsbefehle. Die Tiere wurden schneller. Der Wagen rumpelte. Im Osten zuckten Blitze, während es schon länger Wetterleuchten am Horizont gegeben hatte. Nun aber kam das Gewitter schnell näher. Der rollende Donner erschreckte die Moojas, doch die Befehlsimpulse waren stärker
als jede natürliche Furcht. Gehorsam blieben sie auf der Straße und zogen den Wagen. »Gleich fällt der Käfig über Bord«, seufzte Morvoner. »Bei dem Tempo brechen wir uns sämtliche Knochen. Tu endlich was, Fartuloon! Wie lange willst du noch warten?« »Nicht mehr lange. Geduld – um so schöner wird alles…« Ich begann seine Absicht zu ahnen, denn nicht ohne Grund wartete er darauf, daß das Gewitter noch näher kam. Inzwischen prasselte dichter Regen. Fartuloon wartete, bis die Blitzeinschläge näher kamen. Die schwarze Wolkendecke war nun direkt über uns. Blitz auf Blitz fuhr aus ihr heraus und krachte mit ohrenbetäubendem Getöse in Felsen und einzelnstehende Bäume, die sofort in Flammen aufgingen. Fartuloon verlor nun keine Zeit mehr, holte vorsichtig das Skarg unter seinem Umhang hervor. Fast liebevoll zog er es aus der Scheide, hielt das blanke Schwert mit dem schimmernden Griff und der blitzenden Schneide in den Händen. Er saß so, daß die Wärter nicht beobachten konnten, was er tat. »Haltet euch für alle Fälle fest! Ich muß erst einen Blitz abwarten, um Energie zu speichern. Und hört auf meine Anweisungen, sobald ich sie gebe.« »Du wirst brüllen müssen, damit wir sie hören«, rief Morvoner. »Worauf du dich verlassen kannst!« Fartuloon sah zum Himmel. »Die Blitze sind nahe genug. Nun paßt mal auf, was passiert…« Mit seiner Stentorstimme rief er den Wärtern zu: »He, ihr Viehtreiber, dreht euch mal um, aber fahrt nicht gegen einen Felsen. Vielleicht ist es sogar besser, ihr haltet kurz an!« Der Anführer betätigte sofort seinen Befehlsgeber, als er Fartuloon im Käfig stehen sah, das Schwert in den Händen. Die Moojas wurden langsamer, dann stand der Wagen. Halb im Unterbewußtsein bemerkte ich, daß der Weg hier eben war
und es keine Bäume in unmittelbarer Nähe gab. »Was…?« Fartuloon wies mit der Skarg-Spitze hinauf in den dunklen Himmel, an dem immer wieder Blitze glühten. Die Klinge überzog sich mit einem fahlen Leuchten, das seinen Ursprung in der Parierstange hatte. »Ich zeige euch, wie gut ich mit den She’Huhan befreundet bin. Ich habe sie gebeten, uns zu befreien und euer Leben zu schonen – ihr sollt dem Tato berichten, was ihr gleich seht.« Ich ahnte Fartuloons Absicht und war gespannt, wie er sein Vorhaben bewerkstelligen wollte. Auf der anderen Seite konnte ich mir nicht vorstellen, wie er derartige Energien bändigen wollte. Kaum hatte Fartuloon ausgesprochen, blitzte es senkrecht über uns auf. Ein gewaltiger Feuerstrahl raste im Zickzack nieder – und verschwand im Skarg. Das Schwert glühte sofort auf und hüllte seinen Träger in eine grelle Aura, die an eine blauviolette Energieblase erinnerte. Fartuloon schien von innen heraus zu gleißen, und das Schwert in seiner Hand war wie glutflüssiges Metall. So stand er da, reglos und wie im Zwiegespräch mit den She’Huhan. Eiskralle, Morvoner und ich verhielten uns abwartend. Es blieb uns nichts anderes übrig. Keiner wußte, was geschehen würde, hätten wir Fartuloon angepackt. Ihm jedenfalls schien der Blitz nichts auszumachen. Das Skarg hat Fähigkeiten, von denen ich bisher nichts geahnt habe, dachte ich, während die Wärter mit aufgerissenen Augen auf das Schauspiel starrten, unfähig, sich zu bewegen oder etwas zu unternehmen. Dafür wurden die Moojas unruhig. »Noch nicht genug?« brüllte Fartuloon die Fassungslosen an, daß sie zusammenzuckten und unwillkürlich zu ihren Waffen griffen. Langsam senkte er das Flammenschwert dem Gitter an der rechten Seite des Käfigs entgegen. Die ersten Funken sprangen
über, dann floß ein regelrechter Feuerstrom aus der Schwertspitze in die Gitterstäbe. Diese glühten sofort rot, dann weiß, begannen zu schmelzen. Augenblicke später war das Gitter verschwunden. Der Wagenboden schwelte, an einigen Stellen stoben Flammen hoch, aber der Regen löschte den Brand sofort wieder. Die Energieblase rings um Fartuloon verfärbte sich blutrot; seine Gestalt schien sich zu recken, obwohl sie für Augenblicke nur als Schattenriß zu erkennen war. Winzige Entladungen huschten die ovale Kontur entlang, begleitet von unheilvollem Knistern und Knacken. Nur langsam verblaßte die Erscheinung, während der Bauchaufschneider selbst erneut von innen heraus leuchtete und das Flammenschwert reckte. Seine Gestalt war jetzt die eines großen und hageren Mannes, der mit seinen zwei Metern fast an die oberen Käfigstangen stieß. Kurzgeschnittenes Haar stand ihm wirr vom Kopf ab. Das war zuviel für unsere Wärter: Sie sprangen fast gleichzeitig von der Kutschbank, rafften sich auf und ergriffen die Flucht. Keiner von ihnen dachte nur einen Augenblick daran, die Waffe gegen den Zauberer zu erheben. Fartuloon senkte sein Skarg, nahm unvermittelt seine vertraute gedrungene und kahlköpfige Gestalt an und lachte hinter ihnen her. Dann aber verging ihm das Lachen. Und uns auch: Die Moojas rannten panisch los… Die Tiere hatten sich so lange ruhig verhalten, wie sie noch unter dem Einfluß der permanent auf sie einströmenden Befehlsimpulse der drei Sender standen. Die Wärter hatten diese Sender jedoch mitgenommen. Entweder hatten die Geräte nur eine geringe Reichweite, sendeten nicht mehr oder waren bei der überstürzten Flucht beschädigt worden, so daß
sie nicht mehr einwandfrei arbeiteten. Jedenfalls waren die Moojas plötzlich sich selbst überlassen – mit einem Ruck gingen sie durch. Nie hätte ich gedacht, daß Echsen so schnell laufen können. Fartuloon gelang es gerade noch, das ebenfalls normal gewordene Skarg in die Scheide zu schieben, dann verlor er das Gleichgewicht und krachte auf den Käfigboden. Eiskralle klammerte sich an einem verbliebenen Gitterstab fest, ohne daran zu denken, daß der vielleicht noch heiß war. Er schaukelte hin und her wie eine willenlose Puppe. Morvoner rollte zur anderen Seite, wo er endlich einen Halt fand. Er fluchte lauthals und warf Fartuloon giftige Blicke zu. Ich selbst stand an der niedrigen Wagenrückwand und hielt mich fest. Solange die Tiere den Weg nicht verließen und in das mit Steinbrocken übersäte Gelände hineinjagten, bestand keine direkte Gefahr. Wasser spritzte aus den Pfützen empor und überschüttete uns mit einem Gischtregen. Wenigstens war die schwarze Wolke weitergezogen. Das Gewitter entfernte sich. »Festhalten!« rief ich, so laut ich konnte. »Die Biester müssen ja mal müde werden.« Neben mir brüllte Morvoner: »Möchte wissen, wer zuerst müde wird: die oder wir!« Fartuloon rappelte sich auf und versuchte eine bequemere Stellung einzunehmen. Er hockte mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und hielt sich rechts und links am Gitter fest. Sein Blick lag nachdenklich auf dem Loch, das er in den Käfig geschmolzen hatte. Er sagte nichts. Dafür schimpfte Eiskralle pausenlos. Die Moojas waren ein unberechenbarer Faktor. Sie verließen die Straße und bogen genau nach Süden ab. Unkontrolliert rasten sie in die Steinwüste hinein, den Wagen mit dem schwankenden Gitterkäfig und uns hinter sich herziehend. Fartuloon wippte auf und nieder, und jedesmal, wenn er mit voller Wucht auf sein Hinterteil klatschte, verzog
sich sein Gesicht zu einer schmerzerfüllten Grimasse. Vergeblich versuchte er, auf die Beine zu kommen und oben zu bleiben. Eiskralle hielt sich krampfhaft fest, schimpfte nun nicht mehr. Morvoner hingegen fluchte lauter als vorher. So ging das auf keinen Fall weiter, denn inzwischen drohte der Käfig jeden Augenblick umzukippen; der Wagen polterte und krachte bedenklich. Die Moojas waren nicht zu halten, ganz abgesehen davon, daß wir nicht wußten, wie wir das hätten anstellen sollen. Die Räder auf der rechten Seite knallten gegen einen Stein, und ich dachte schon, sie würden zerbrechen. Sie hielten zwar den gewaltigen Stoß aus, aber der ganze Karren geriet ins Schwanken; wenn sich Fartuloon nicht mit seinem Gewicht auf die entgegengesetzte Seite geworfen hätte, wären wir gekippt und wohl unter der Last des Wagens begraben worden. »Ich versuche, die Tiere zu bändigen!« brüllte ich. »Haltet das Gleichgewicht!« Fartuloon nickte, als ich meine Absicht dreimal wiederholt hatte. Vorsichtig löste ich meine Hände von dem Gitter. Morvoner und Eiskralle machten skeptische Gesichter, protestierten aber nicht. Es war gar nicht einfach, durch das Loch auf der rechten Seite zu klettern, ohne den Halt zu verlieren. Unter mir raste das steinige Gelände dahin, und mit Schaudern dachte ich an die Folgen, sollte ich hinunterfallen. Die Ladefläche des Wagens bot nur wenig Platz, da sie fast zur Gänze von dem Gitterkäfig beansprucht wurde. Endlich hatte ich es geschafft: Ich hielt mich an der Bordwand des Fahrzeugs fest und schob mich vorsichtig in Richtung Kutschbank weiter. Meine drei Begleiter sahen mir mit gemischten Gefühlen nach. Als der Wagen abermals stark schwankte, ließ ich los und warf mich nach vorn, griff zu und packte die Rücklehne der stabilen Bank. Weiter vorn sah ich die schuppigen Rückenpanzer der beiden Echsen, die auf allen
vieren rannten. Sie würden mir nur wenig Halt bieten, und wenn es mir nicht gelang, das spärliche Zaumzeug zu fassen, zertrampelten mich ihre Klauen, denn ich würde unweigerlich darunter geraten. Während ich über die Rückenlehne stieg, warfen mich die Stöße des schaukelnden Wagens immer wieder in die Höhe, aber ich hielt mich mit aller Kraft fest. Dann war ich auf der anderen Seite, zog das Vibratormesser aus dem Stiefel und klemmte es zwischen die Zähne. Es gab keine Zügel, mit denen ich die Tiere hätte bändigen können. Und das Zuggeschirr war so weit unten am Wagen befestigt, daß mir nichts anderes übrigblieb, als auf den Rücken eines der Moojas zu springen. Ich sah zurück, Fartuloon stand nun ebenfalls im Käfig und verlagerte ständig sein Gewicht, um das Umkippen des Wagens zu verhindern. Eiskralle war dabei, durch das Loch zu klettern. Ich gab ihm Zeichen, aber er wollte oder konnte sie nicht verstehen. Morvoner half Fartuloon bei der Gewichtsverlagerung. In einem schnellen Entschluß sprang ich mit einem einzigen Satz auf den Rücken des linken Moojas. Das Tier bäumte sich zwar auf, rannte aber weiter. Ich hielt mich an den Schuppenrändern fest, merkte aber, daß ich das nicht lange aushalten würde. Deshalb preßte ich Arme und Beine um den Leib des Moojas und rutschte Zentimeter um Zentimeter nach vorn, dem Kopf und damit dem Zuggeschirr um Hals und Brust näher. Seitlich konnte ich es noch immer nicht erreichen. Konnte ich das Tier ausspannen, mußte das andere den Wagen allein – nach rechts – ziehen, zweifellos schneller ermüden und bald stehenbleiben. Es kam darauf an, daß ich schnell genug wechselte, denn sonst würde das linke Zugtier mit mir auf dem Rücken davonrennen. Inzwischen hatte ich den Nacken erreicht. Mit der linken Hand ergriff ich das Geschirr und hatte nun einen relativ sicheren Halt. Die rechte
hielt das Messer, dessen Schneide auf Knopfdruck hin zu vibrieren begann. Selbst Stahl konnte man damit zerteilen. Das Mooja warf den Kopf hoch und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Ich hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern. Mir blieben keine zwei Schnitte, denn wurde das Tier nicht sofort völlig frei, konnte es zwar ein gewisses Stück ausbrechen, blieb aber an den Wagen gefesselt. Und ich würde keine Gelegenheit mehr haben, das zweite Mooja abzuschirren. Genau hinter dem Nacken war ein Kreuzpunkt der Lederriemen, von einem Eisenring zusammengehalten. Zerschnitt ich ihn, mußte das ganze Geschirr abfallen. Gleichzeitig mußte ich auf den Rücken des zweiten Tieres überwechseln. Vorsichtig tastete meine Hand mit dem Messer vor, aber noch bevor ich die gewünschte Stelle erreichte, wandte sich mir der Echsenkopf des rechten Moojas zu. Sie hatten einen beweglichen Hals, das Maul mit den gefährlich blitzenden Zähnen kam bedenklich nahe an meine Hand heran, so daß ich sie blitzschnell zurückziehen mußte, wollte ich nicht gebissen werden. Ich hätte natürlich versuchen können, »mein« Mooja mit dem Messer umzubringen, aber das widerstrebte mir, weil dann der Wagen mit Sicherheit umkippte. Es muß eine andere Möglichkeit geben… Ich versuchte es noch einmal, abermals behinderte mich das rechte Mooja. Es war, als wollten die Tiere unter gar keinen Umständen den Wagen verlieren – obwohl das Gelände immer unwegsamer wurde. Irgendwo mußte die Straße sein. Hinter mir ahnte ich mehr eine Bewegung, als daß ich sie bewußt bemerkte. Ich hatte genug damit zu tun, mich festzuhalten. Eiskralle war mir gefolgt, hockte nun auf dem rechts laufenden Mooja und rutschte nach vorn. Ich rief ihm zu, er solle gefälligst wieder verschwinden, aber der Sturm übertönte meine Worte. Ich gab Zeichen, aber Eiskralle grinste
nur gläsern zurück und rutschte weiter. Er hatte meine Probleme geahnt. Da ein Chretkor nicht gerade ein zartfühlendes Wesen war, war für ihn die Lage eine glatte Notwehrsituation, und vermutlich hatte er sogar recht. Er war nun mit mir auf gleicher Höhe, gab mir einige Zeichen, deren Sinn ich nicht sofort verstand. Aber das schien Eiskralle gleichgültig zu sein. Er bedeutete mir, ich solle mich festhalten. Das war unmißverständlich. Ich hielt mich also fest und begriff, daß er mir die Initiative aus der Hand nahm. Mit einer bedeutsamen Geste hob Eiskralle die rechte Hand und zeigte sie mir. Nun waren seine Absichten beim besten Willen nicht mehr mißzuverstehen. Mit aller Kraft hielt ich mich fest, wollte protestieren, aber dazu war es nun zu spät. Wenn der Chretkor sich einmal etwas vorgenommen hatte, war er nicht mehr davon abzubringen. Mit einer blitzschnellen Bewegung fuhr seine rechte Hand zum Hals des Moojas und krallte sich in den Schuppenpanzer des Nackens. Im gleichen Augenblick geschah es: Das Tier starb auf der Stelle, blieb nur für einige Augenblicke zur Gänze erhalten. Eiskralle selbst schwang sich mit einem kräftigen Schwung zu mir herüber und hielt sich an mir fest. So laut er konnte, rief er: »Abspringen! Schnell!« Er hechtete davon, während ich zögerte. Gebannt sah ich, wie das rechte Mooja in Stücke zersprang. Die Riemen des Zuggeschirrs hingen plötzlich frei in der Luft, ehe sie herabfielen und im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder kamen. Da nur noch das linke Mooja den Wagen zog, geriet es aus dem Gleichgewicht. Eiskralle war längst irgendwo in dem unübersichtlichen Gelände gelandet und konnte von Glück sagen, daß er sich nicht sämtliche Knochen gebrochen hatte. Um die anderen Freunde im Käfig konnte ich mich nicht kümmern, denn es ging um meinen eigenen Hals. Der Wagen beschrieb eine Linkskurve und geriet in ein Geröllfeld hinein.
Das Mooja zog weiter, von den Geschehnissen erschreckt und völlig außer Kontrolle. Der Wagen schwankte bedenklich von einer Seite zur anderen und wäre sicherlich längst umgekippt, wären Fartuloon und Morvoner nicht ebenfalls von einer Seite zur anderen gesprungen und hätten das Gleichgewicht gehalten. Der Wagen fuhr im Kreis. Genau in diesem Augenblick schafften es Fartuloon und Morvoner nicht mehr, das Gleichgewicht zu halten. Der Karren bekam scheinbar in Zeitlupe beträchtliche Schlagseite und drohte umzustürzen. Ich sprang ab, landete hart zwischen dem Geröll, rollte mich ab und blieb reglos liegen, in einer Bodenspalte, und wenn ich Glück hatte, berührten mich die Räder nicht einmal, sollte der Wagen bei seiner nächsten Runde über mich hinwegholpern. Fartuloons laute Stimme war zu hören, ich verstand aber nicht, was er rief, denn ein ohrenbetäubendes Krachen erklang; Holz splitterte, Metall verformte sich kreischend. Der Wagen ist endgültig umgekippt, bemerkte der Extrasinn überflüssigerweise. Ich kroch vorsichtig aus meiner Deckung, erhob mich auf die Knie und entdeckte den Wagen sofort. Er war nach rechts gefallen, der Käfig lag genau auf dem von Fartuloon geschweißten Loch. Nur mit Mühe verkniff ich mir ein Grinsen, während ich mich aufraffte, endgültig auf die Beine kam und dachte: Mein über alles verehrter Lehrmeister hat sich selbst ausgetrickst. Das Mooja riß sich von dem Geschirr los und jagte davon. Einige Meter nur hatte es den umgestürzten Wagen mitschleifen können, dann war das Tier frei. Ohne die gewohnten Befehlsimpulse wußte das Tier zweifellos nicht, was es tun sollte, lief planlos in die Steinwüste hinaus. Ich sah mich um, fand das verlorene Vibratormesser und stand wenig später vor dem umgestürzten Wagen. Fartuloon und Morvoner hockten zusammengesunken in dem Käfig.
»Seid ihr verletzt?« Ich lehnte mich schwer an den Käfig, denn plötzlich zitterten mir die Knie. »Wir haben Urlaub und erholen uns«, knurrte Fartuloon sarkastisch. Mit wenigen Schnitten des Vibratormessers trennte ich die Gitterstäbe durch. Die beiden krochen durch die Lücke, und mein Lehrmeister fragte besorgt: »Wo ist Eiskralle?« »Keine Ahnung, er ist früher abgesprungen. Seid ihr in Ordnung?« Sie standen breitbeinig vor mir. Morvoner erkundigte sich anzüglich: »Sieht man das nicht?« Ich nickte, während in meinem Kopf der Logiksektor flüsterte: Mehr Glück als Verstand! »Los!« Fartuloon rückte das Skarg zurecht. »Sollte dieses Vieh zurückkommen, bringe ich ihm Flötentöne bei.« »Keine Sorge«, beruhigte ich ihn. »Das Mooja dürfte froh sein, daß es wieder frei herumlaufen kann; nehme ich an.« Es war wirklich nicht mehr als eine bloße Annahme. Was wußte ich schon von diesen Tieren, die positronisch kontrolliert wurden? Vielleicht veränderten sie ihr Verhalten total, sobald sie frei waren. Vielleicht wurden sie zu blutdürstigen Bestien, vielleicht auch zu lammfrommen Lebewesen, die niemandem etwas zuleide taten. Meine Freunde taten zwar so, als habe ihnen der Sturz nichts ausgemacht, aber mir blieb nicht verborgen, daß sie ihre Schmerzen vor mir verheimlichten. Ich selbst jedenfalls spürte jeden Knochen im Leib. Ihnen erging es mit Sicherheit nicht anders. Die Sorge um Eiskralle überschattete jedoch unsere eigenen. Es gelang uns, die Spur des Wagens zurückzuverfolgen. Ratlos standen wir auf einer Anhöhe und sahen uns um. »He, Eiskralle!« rief Fartuloon mit aller Kraft. »Melde dich!« Keine Antwort. Morvoner versuchte es auf seine drastische
Art: »Chretkor, verfluchter Eisberg, wo steckst du? Hast du Flügel bekommen, oder willst du uns zum Narren halten?« Immer noch keine Antwort. Vielleicht hat er das Bewußtsein verloren, dachte ich besorgt. Wir müssen ihn suchen. »Weiter!« sagte ich, und ohne Widerspruch folgten mir die Freunde. Wir verfolgten die Spur der Wagenräder zurück. Immer wieder wurde sie durch den blanken Fels unterbrochen, aber Fartuloon, unser bester Spurenleser, fand Anhaltspunkte. »Wie ich den Kerl kenne, liegt er in einer Bodenfalte und schläft sich aus. Hier, die Wagenspur und die Abdrücke des einen Moojas. Da vorn blitzt etwas…« Im ersten Augenblick sah es so aus, als seien wir auf ein Diamantenfeld geraten, aber dann begriffen wir, daß wir vor den verstreuten Überresten des Moojas standen. Fartuloon schien Eiskralle für einen Augenblick vergessen zu haben. Er bückte sich und durchsuchte die Bruchstücke. Es war mir sofort klar, daß er etwas ganz Bestimmtes zu finden hoffte. »Nun komm schon!« forderte Morvoner. »Das kannst du später noch machen. Was suchst du überhaupt?« »Dreimal darfst du raten.« Fartuloon richtete sich ein wenig auf. »Geht schon weiter, ich komme nach.« Wir fanden Eiskralle keine hundert Meter entfernt. Er lag halb eingekeilt zwischen Felsblöcken, aber bei vollem Bewußtsein. Er verzog schmerzhaft das Gesicht, als wir ihn untersuchten. »Bin ziemlich hart aufgeschlagen«, gab er zu und stöhnte. »Die Knochen sind heil geblieben, aber ich habe mir die Arme verstaucht.« »Besser als die Beine«, sagte Morvoner trocken. »Wir müssen jetzt nämlich zu Fuß weiter.« »Stell dir vor: Das habe ich mir fast schon gedacht, du Musterbeispiel einer logisch denkenden Intelligenzbestie.« Eiskralle richtete sich auf. »Aha, da ist Fartuloon. Er macht ein Gesicht, als habe er soeben die größte Entdeckung des
Jahrhunderts… Was hat er denn in der Hand?« Fartuloon kam herbei, warf Eiskralle einen prüfenden Blick zu und schien sofort überzeugt zu sein, daß alles in Ordnung war. Er setzte sich auf einen Stein und hielt uns die Hand hin. In ihr lag ein flaches schwarzes Kästchen, nicht größer als ein Feuerzeug. »Der Impulsempfänger. Sie pflanzen sie in die Körper der Moojas und verwandeln sie damit in lebendige Roboter.« »Das hilft uns jetzt auch nicht weiter«, murmelte Morvoner. »Ohne den dazugehörenden Sender ist das Ding wertlos, abgesehen davon, daß es erst einmal in einem Mooja stecken muß.« »Du irrst.« Fartuloon nickte mir zu und wog den kleinen Gegenstand in der Hand. »Wir werden ihn mitnehmen; ich bin überzeugt, daß wir damit noch etwas anfangen können. Ich weiß zwar noch nicht so genau, wie und was, aber… Wir müssen weiter. Unsere verschwundenen Wärter werden die Häscher alarmieren. So, wie die Dinge stehen, ist es besser, wir bleiben frei und nehmen von uns aus Verbindung mit diesem Ruuver auf. Eiskralle kann ihm dann ja die Hand geben, wenn er unartig ist.« Wir stützten Eiskralle, der schwankend auf die Füße kam. »Nun, wie sieht es aus?« »Nicht übel, Atlan, nur wird mir der lange Marsch kein besonderes Vergnügen bereiten. Vielleicht können wir unterwegs jemandem den Wagen abnehmen, falls einer vorbeikommt.« Wir gingen zum Wagen zurück. Der Kasten der Sitzbank war durch den Aufschlag zersplittert, hatte seinen Inhalt verstreut – einige verpackte Lebensmittel, Trinkwasser. Und einen Kombistrahler Typ TZU-4. »Na also, nun sind wir nicht mehr ganz so hilflos«, freute sich Morvoner. »Damit können wir unserer Bitte Nachdruck
verleihen, wenn wir mitgenommen werden wollen. Wo ist die Straße?« »Im Süden. Wir gelangen unweigerlich zu ihr, sofern wir hier keine Wurzeln schlagen.« Ich gab Morvoner den Strahler. Er schob ihn in den Gürtel. Eiskralle hielt sich tapfer und verbiß seine Schmerzen. Auch mir ging es wieder besser. Ab und zu stützten wir uns gegenseitig, während uns Morvoner, der als Nachhut einige Meter zurückblieb, in seiner herzerfrischenden Art aufmunterte und dafür sorgte, daß wir »nicht einschliefen«. Fartuloon ging an der Spitze: Wie ein Panzer wälzte er sich durch das unübersichtliche Gelände, das nun fast unmerklich anstieg. Wiederholt wurden wir durch gewaltige Steinbarrieren zu Umwegen gezwungen, erreichten aber endlich eine Anhöhe. Vorher sah ich mich noch einmal um: Der Wagen war als dunkler Fleck zu erkennen, von dem Mooja konnte ich keine Spur entdecken. Fartuloon deutete nach vorn. »Da unten ist die Straße. Sie führt genau nach Süden, zum Hochplateau. Wir folgen ihr. Rechts und links gibt es genug Verstecke.« Am Horizont war die düstere Wand des Plateaus zu sehen, das die Insel in zwei Teile zu spalten schien. Lag der Palast des Gouverneurs auf dem oberen Teil, war das eine fast uneinnehmbare Bastion. Fartuloon duckte sich und gab uns ein Zeichen. Wir legten uns auf den noch immer feuchten Boden. Es hatte längst aufgehört zu regnen, das Gewitter war weitergezogen. »Was ist?« Morvoner kroch bis zum Rand des Hügels vor. »Wir müssen warten, bis es dunkel geworden ist. Vom Plateau her kommen sicher bald die ersten Suchtrupps. Sie werden den umgestürzten Wagen finden. Ich bin dafür, daß wir ein paar Tontas schlafen. Hier sind wir einigermaßen sicher.«
Wir fanden eine flache Mulde, in der es unter den überhängenden Felsen sogar trocken war. Morvoner übernahm die erste Wache.
19. Aus: Atlas zur arkonidischen Volkskunde. Teil I: Hoher Adel, T. alRibini und S. Ferencs. In: Schriften des Institutes für vorterranische Geschichte (Sonderheft 288); Akademia Terrania, Terra, 2127 Die Autoren neigen eher zu der Theorie der »polyphyletischen Herkunft« von Janet Lee-Kowalski (J. Lee 2101, J. Lee-Kowalski 2102), wobei einer von uns (S. Ferencs) die einmalige Migration der gesamten späteren Großen Kelche favorisiert, während al-Ribini einige Khasurn der sogenannten Ersten Welle zuteilt und sie deutlich von den nachfolgenden Kolonisten abtrennt (hier: Gruppe A und Teile der Gruppe B). Im Gegensatz zu der monophyletischen Klassifizierung nach Strada (S. A. Strada und I. Wang 2071) schlagen wir daher folgende Unterteilung der Meh ’in vor: 1) Gruppe A: Großflächige Muster mit She’Huhan-Themen (z. B. bei den Großen Kelchen da Ragnaari, da Gonozal, Ma-Monotos, MaAn-laan, da Quertamagin, da Zoltral und da Fortheyn); 2) Gruppe B: Mittelgroße Muster der Lhau ’Ragum-Periode von 4100 bis 5757 da Ark (z. B. bei den Großen Kelchen Ta-Hozarius, da Berlimor, da Kentigmilan, da Pathis, Agh’Khaal und da Zartan); 3) Gruppe C: Mittelgroße Muster der Lhau’Padom-Periode von 5758 bis 6161 da Ark (z. B. bei den Großen Kelchen da Nardonn, da Metzat, da Makonar und da Thetaran sowie bei den Mittleren Kelchen der Bhagdan-Gruppe, die ihre Investitur durch die Fufulgon-Imperatoren erhielten); 4) Gruppe D: Kleinflächige Muster der Mittleren Kelche;
5) Gruppe E: Musterlose Meh’in der Kleinen Kelche. Da sich jedoch die offizielle arkonidische Geschichtsschreibung zu der Frage der ersten akonisch-arbaraithischen Siedler auf Arkon I ausschweigt, sind zweifelsfrei weitere Studien notwendig, um ein sicheres System zu erstellen… Ich erwachte, als es dämmerte. Fartuloon hatte Morvoner abgelöst, der friedlich unter dem Felsdach vor sich hin schnarchte. Auch Eiskralle schlief noch. »Wie sieht es aus?« Ich kroch vor und blieb neben Fartuloon am Rand der Mulde liegen. »Ziemlich dunkel geworden.« »Schöner Betrieb da unten. Ich habe schon vier Suchtrupps gezählt. Besonders schlau stellen sie sich nicht an. Sie bleiben stur auf der Straße. Den Wagen haben sie noch gar nicht gefunden.« »Wollen wir nicht weiter?« »In einer halben Tonta. Dann ist es dunkel genug. Wir halten uns parallel zur Straße, können so die Richtung nicht verfehlen. Die Händlersiedlung Etset-Auront muß unmittelbar vor uns sein, genau im Süden. Ich schätze die Entfernung auf dreißig Kilometer Luftlinie.« Ein guter Nachtmarsch, wenn Eiskralle es durchhält, dachte ich. Und wenn uns die Patrouillen des Gouverneurs nicht immer wieder in ein Versteck scheuchen. Bis zum Morgengrauen können wir es geschafft haben. Die vierte Gruppe bewegte sich an uns vorbei. Die Entfernung bis zur Straße betrug mehrere hundert Meter. Wir hörten die Stimmen der Männer. Begeistert schienen sie von ihrer Aufgabe nicht zu sein. Fünf Moojas schaukelten vor ihnen her, zwei weitere zogen einen Wagen, auf dem Wärter hockten und nicht im Traum daran dachten, auf eventuelle Spuren zu achten.
Es kann nicht schwer sein, einen derartigen Trupp zu überraschen und unschädlich zu machen, obwohl natürlich die Gefahr besteht, daß er in ständiger Funkverbindung zum Hauptquartier steht. Fartuloon schien meine Gedanken zu erraten. »Wir marschieren nach Süden und meiden die Suchtrupps. Erst wenn wir einem der Händler begegnen, greifen wir an. Bei ihnen handelt es sich um Privatpersonen, vor allen Dingen stehen sie nicht direkt mit den Leuten des Tatos oder seinem Geheimdienst in Verbindung. Ich bin davon überzeugt, daß wir bei ihnen einigermaßen sicher sind. Sie haben zwar nichts gegen den Gouverneur, da die Verhältnisse hier aber jenen auf anderen Handelsplaneten gleichen, ist ihnen keine Art von Regierungsgewalt sympathisch. Besonders nicht auf Jacinther.« »Hier gibt es eine Menge adliger Urlauber. Was ist mit denen?« »Keine Gefahr, hoffe ich. Sie kümmern sich weniger um die inneren Angelegenheiten der Händlerwelt, sondern wollen billig einkaufen und sich amüsieren. Unter ihnen dürften wir kaum auffallen.« Es wurde schnell dunkel. Fartuloon weckte die anderen, wir aßen ein wenig. Unten auf der Straße kam kein neuer Suchtrupp vorbei. Ich fragte mich, wo die bisherigen geblieben waren. Der Logiksektor flüsterte: Aller Wahrscheinlichkeit nach haben sie irgendwo in den Felsen ihr Nachtlager aufgeschlagen und warten den nächsten Tag ab. Wir atmeten erleichtert auf, als wir endlich die Straße erreichten. Obwohl es nun völlig dunkel geworden war, spendeten die Sterne, die durch Wolkenlücken schienen, genügend Licht, so daß wir die Straße nicht aus den Augen verloren. Eiskralle ging es entschieden besser, er jammerte nicht mehr. Ich marschierte neben Fartuloon. Wir sprachen
nicht viel, denn wir mußten damit rechnen, daß eine Patrouille vor uns auftauchte. So legten wir etwa 25 Kilometer zurück. Die Straße führte bergan, und als wir die höchste Stelle erreichten, sahen wir die Siedlung vor uns liegen. Im ersten Augenblick erinnerte mich ihr Anblick an ein riesiges Schiff, das weit vor uns auf Reede lag und aus dessen Bullaugen in unzähligen Etagen Licht drang. Es war weit nach Mitternacht, dennoch schienen viele Händler noch nicht zu schlafen. Etset-Auromt war in den steil abfallenden Fels des Hochplateaus hineingebaut worden. Um Einzelheiten zu erkennen, war es zu dunkel. Nur die in unterschiedlicher Höhe glitzernden Lichter ließen erahnen, wie die Siedlung bei Tage aussah. »Noch knapp acht Kilometer.« Fartuloon setzte sich in Bewegung. »Wir schaffen es vor dem Morgengrauen.« »Wo kein Wagen ist, ist auch keiner anzuhalten.« Morvoner schlenkerte die Beine aus. »So ein schönes Stück bin ich schon lange nicht mehr marschiert.« Etwa drei Kilometer vor der Siedlung war die Steilwand des Hochplateaus deutlicher zu erkennen. Der Wind hatte die Wolken vertrieben, es wurde heller. Der Boden war nun eben, nahezu ohne Geröll und dicht bewachsen. Neben der Straße waren beide Gräben mit Wasser gefüllt. Dahinter begann dichter Buschwald, in dem wir notfalls jederzeit Schutz fanden. Vor uns wuchs die tausend Meter hohe Wand auf; weiterhin drang Licht aus vereinzelten Wohnnestern, die in den Fels hineingebaut waren. In ihnen lebten die Händler. Ich war gespannt, inwieweit sich die Berichte der Leute vom Schiff bewahrheiteten, die von »Schwalbennestern« gesprochen hatten, die durch schwebende Wege, Brücken und Antigravplatten verbunden waren. Fartuloon blieb plötzlich stehen. Seine ausgebreiteten Arme hielten uns auf. Auf sein Zeichen lauschten wir nach vorn.
Jetzt hörten auch wir es: ein schleifendes Geräusch, das mir irgendwie bekannt vorkam. Moojas! Eine unbekannte Anzahl von Moojas nähert sich uns. Der Bauchaufschneider überquerte mit einem Satz den Wassergraben. Wir folgten und krochen neben ihm in die Büsche, die genügend Schutz boten. Wenigstens hofften wir das. Gespannt warteten wir auf das Erscheinen der Moojas, die natürlich nicht allein kamen, sondern von den Wärtern mit ihren Befehlssendern begleitet wurden. Die Erfahrung hatte uns schließlich gezeigt, daß die Echsen ohne die Befehlsimpulse völlig unkontrolliert handelten und somit keine Hilfe darstellten. Wurden die Moojas vielleicht ebenfalls auf die Suche nach uns geschickt? Wir hatten keine Ahnung, wie groß die von ihnen ausgehende Gefahr war. Im Morgengrauen zählte ich etwa zwanzig der Echsen. In disziplinierter Marschordnung bewegten sie sich auf der breiten Straße, und dahinter erkannte ich wie erwartet einige Karren, von Echsen gezogen, mit bewaffneten Wärtern, die ausnahmslos die Sendekästen auf der Brust trugen. »So ein verdammtes Ding brauchen wir«, hauchte Fartuloon neben mir. »Bleibt liegen und verhaltet euch ruhig. Greift nur dann ein, wenn sie mich erwischen!« Ich wollte ihn festhalten, aber ich war nicht schnell genug. Mit großer Behendigkeit huschte er davon, kroch auf dem Boden bis zum Wassergraben, dann verlor ich ihn für einige Augenblicke aus den Augen. »Er ist verrückt geworden!« flüsterte Eiskralle, der zu mir gekrochen kam. »Halte ihn zurück!« Welchen Sinn hätte das wohl gehabt? Ich schüttelte den Kopf und hoffte, daß der Chretkor es sah. Morvoner verhielt sich abwartend. Jetzt sah ich Fartuloon wieder. Er hatte gewartet, bis der Konvoi vorübergezogen war, und wagte sich erst auf die Straße, als der letzte Wagen vorbei war. Lautlos spurtete er
hinterher und schwang sich auf das seitliche Trittbrett. In dem Wagen zählte ich drei arkonidische Wärter, die schwankend die Fahrtbewegungen mitmachten und allem Anschein nach dösten. Das bestärkte meine Vermutung, daß die Befehlssender programmiert werden konnten und die Impulse automatisch sendeten. Für Augenblicke waren es vier Gestalten auf dem Wagen, eine davon Fartuloon. Dann sah ich nur noch zwei. Der Wagen rumpelte weiter, als sei nichts geschehen. Fartuloon mußte mit seinem Gefangenen in den Graben gerollt sein, denn ich konnte ihn nirgends entdecken. Erst als der Wagen um eine Wegbiegung verschwand, kam er zum Vorschein, trug den Wärter wie ein Paket unter dem Arm und legte ihn zu uns ins Gras. Dann hockte er sich hin, triefnaß und frierend, und schnaufte: »Puh, ist das Wasser kalt!« »Und so naß!« Morvoner deutete auf den Gefangenen. »Du hast ihn…?« »Nur betäubt wie die beiden anderen.« »Und was sollen wir mit ihm?« »Den Sender will ich haben, mehr nicht. Vielleicht kann er uns aber einige interessante Dinge erzählen. Hier sind wir vorerst sicher.« Mir wäre es zwar lieber gewesen, wir wären sofort zur Siedlung aufgebrochen, aber Fartuloon wußte genau, was er tat und warum er sich Zeit ließ. Allmählich wurde es hell – wir waren todmüde. Auf ein paar Tontas kam es nun nicht mehr an. Der Sendekasten war leicht abzunehmen. Fartuloon drehte ihn unschlüssig in den Händen hin und her und versuchte, ihn zu öffnen. Als ihm das gelang, warf er nur einen kurzen Blick auf den freigelegten Mechanismus, verschloß den Kasten wieder und nickte. »Einfache Geschichte. Nun können wir ein Mooja
lenken, sollte es notwendig sein. Der Bursche muß mir nur noch einige technische Einzelheiten erklären, falls er dazu in der Lage ist. Er wird bald aufwachen, denn allzu hart war der Schlag nicht.« Ich eignete mir wortlos den Handstrahler des Wärters an; der Chretkor hatte seine Eishände, Fartuloon das Skarg und Morvoner den zweiten Strahler. Hilflos waren wir also nicht mehr. Als der Wärter die Augen öffnete und seine Lage begriff, wollte er aufspringen, aber Fartuloon saß auf seinen Beinen und grinste wohlwollend. »Du könntest genausogut unter einem Felsbrocken liegen, mein Freund. Machst du, was wir von dir verlangen, wird dir nichts geschehen. Bist du aber nicht artig, kann ich für nichts garantieren. Ich will dir einige Fragen stellen, und ich rate dir, sie zu beantworten. Fangen wir an…« Der Wärter sah wohl ein, daß es nur gut für ihn war, den Rat des fetten Mannes auf seinen Beinen zu befolgen. Überdies sahen wir nicht besonders vertrauenerweckend aus. Jedenfalls plauderte er wie ein Wasserfall und beantwortete jede Frage. Es war eine ganze Menge, was wir erfuhren. Zunächst lernte Fartuloon die Arbeitsweise des Senders kennen, ließ sich jeden Handgriff und auch die Funktion erklären. Nachdem er alles wußte, was er wissen wollte, legte er den Sender beiseite und erkundigte sich nach den Verhältnissen in der Händlersiedlung von Kortasch-Auromt. Sie war in der Tat so angelegt worden, wie man es uns berichtet hatte. Am Bergfuß unter den Wohnnestern gab es ein Erholungszentrum für die zahlreichen Urlauber, die das meiste Geld nach Jacinther brachten. Sie kauften nicht nur Andenken und seltene Waren, sondern bezahlten Unsummen für ihren Aufenthalt auf dem Freihandelsplaneten, der ihnen Zerstreuung in jeder nur denkbaren Form bot. Die nahezu senkrechte Wand des Hochplateaus war
künstlich geschaffen worden: Mit riesigen Desintegratoren waren die Unebenheiten beseitigt und das überflüssige Material auf die Ebene verteilt worden. Tausend Meter hoch war die Wand, Antigravlifte stellten eine permanente Verbindung her. Somit war das Plateau keine unüberwindliche Barriere, zumindest nicht von der Siedlung her. Aber sie wurde es im umgekehrten Fall für die Moojas, von denen es nach Aussagen des Wärters »unzählige« auf dem Plateau geben sollte. Fartuloon nickte, als er das hörte. Er schien sich sein Urteil über die Moojas zu bilden, ließ aber mit keinem Wort durchblicken, was er in dieser Hinsicht dachte. »Und was ist mit dem Palast des Tatos? Wir wollen ihm einen Besuch abstatten. Glaubst du, daß wir das unbemerkt von den Wachen tun können?« »Unmöglich!« versicherte unser Gefangener. »Der Palast wird scharf bewacht, in erster Linie von abgerichteten Moojas, die ständig Befehlsimpulse erhalten und unter Kontrolle stehen. Der Palast selbst ist abgesichert – es handelt sich um den unteren Teil eines ehemaligen Kugelraumers, der auf seinen Landestützen steht. Ein unbefugtes Eindringen ist nicht möglich.« »Wir müssen in die Siedlung, möglichst unauffällig. Kannst du uns führen? Kennst du jemanden, bei dem wir Unterkunft finden könnten?« Der Mann zögerte. »Natürlich habe ich Freunde, aber sie werden es kaum wagen, Leute zu verstecken, die Gefangene des Gouverneurs sein sollten. Es ist allgemein bekannt, daß man euch sucht! Aber es gibt eine andere Möglichkeit.« »Welche?« »Ihr könnt euch als Urlauber ausgeben und versuchen, in einem der Hotels unterzutauchen.« »Und du glaubst, da sind wir sicher? Dort wird man uns
doch zuerst suchen.« Der Wärter schüttelte den Kopf. »Nein. Wir profitieren von den Urlaubern aus allen Teilen des Großen Imperiums. Würde man sie belästigen, kämen in Zukunft weniger. Ich glaube nicht, daß die Hotels durchsucht werden. Vielleicht gibt es eine heimliche Kontrolle der Identitätskartei, das weiß ich nicht.« Er machte eine Pause. »Es heißt, daß euch der Tato nicht in der Siedlung vermutet, sondern der Überzeugung ist, daß ihr zurück zum Hafen geflohen seid, um ein Schiff nach Sebentool zu finden. Das sei, wird behauptet, euer ursprüngliches Ziel gewesen.« »Das stimmt sogar«, gab Fartuloon zu. »Wir werden auch Sebentool einen Besuch abstatten, aber zuvor möchten wir mit Gouverneur Ruuver verhandeln – nicht als Gefangene, sondern als Besucher. Deshalb unsere Flucht.« »Er empfängt nur selten Besucher.« »Uns wird er empfangen. Dafür sorgen wir schon.« Fartuloon stellte noch weitere Fragen, die scheinbar nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun hatten. Das Gefühl, er wolle die Einstellung des Wärters testen und herausfinden, ob wir ihm vertrauen konnten, verstärkte sich. Schließlich sagte er: »Du wirst verstehen, daß wir dich nicht einfach laufenlassen können. Es wäre deine Pflicht, uns zu verraten. Es wird also besser sein, du begleitest uns in die Stadt. Führe uns zu einem Händler. Sobald wir unser Ziel erreicht haben, lassen wir dich frei, das verspreche ich dir. Wie ist dein Name?« »Coraschol.« »Gut, Coraschol, brechen wir auf. Niemand wird dir später einen Vorwurf machen können, denn wir haben dich gezwungen. Aber wir halten unser Wort. Eines Tages wirst du vielleicht die ganze Wahrheit erfahren und stolz sein, uns geholfen zu haben. Damit mußt du dich zufriedengeben. Einverstanden?«
Zum erstenmal glitt so etwas wie ein Lächeln über das Gesicht des Wärters. »Muß ich das nicht, da du immer noch auf meinen Beinen hockst?« Fartuloon grinste ebenfalls und stand auf. »Ich bin nicht gerade leicht, ich weiß, aber es war notwendig. Verzeih mir den leichten Schlag auf den Hinterkopf!« Coraschol winkte ab, verzog dabei aber das Gesicht. Fartuloon hatte den Sender in seinem Vorratsbeutel verstaut, den er am Gürtel trug. Mir war völlig klar, daß wir Coraschol nur so lange trauen konnten, wie er sich in unserer Gewalt befand. Aber immerhin zeigte er sich vernünftig genug, mit uns zu kooperieren, um seine eigene Haut nicht in Gefahr zu bringen. Eiskralle und Morvoner blieben ebenfalls skeptisch, unterließen es jedoch, einen Kommentar abzugeben. Sie hatten begriffen, was Fartuloon bezweckte und mit welchen Mitteln er es versuchte. Lediglich Eiskralle erkundigte sich: »Was sollen wir tun, wenn wir auf der Straße einer Patrouille begegnen?« Coraschol sah Fartuloon fragend an. Er schien ebenfalls nicht zu wissen, wie er sich in einem solchen Fall verhalten sollte. Fartuloon sagte: »Gar nichts, wir marschieren weiter. Urlauber sind immer ein bißchen verrückt, vor allem die Adligen; wir haben einen Ausflug gemacht.« Mir erschien die Erklärung Fartuloons mehr als vage und reichlich unsicher. Aber wir mußten es versuchen, sonst konnten wir gleich in den Büschen sitzen bleiben. Inzwischen war die Sonne aufgegangen, es wurde warm. Der Himmel war fast wolkenlos. Mit gemischten Gefühlen verließen wir unser Versteck und standen dann auf der Straße. Die Siedlung lag vor uns, die Straße führte genau ins Zentrum, gabelte sich aber vorher in drei Richtungen. Es gab nur wenig Verkehr. Coraschol hatte auf eine unserer Fragen erklärt, daß der größte Teil der Handelsgüter mit Lastgleitern vom Hafen
hierhergebracht würde und die Straße in erster Linie für die Urlauber da sei. Auch für unwichtige Transporte – oder für Gefangene. Morvoner sagte sarkastisch: »Jacinther ist schon ein ziemlich verrückter Planet. Oder die vier Gouverneure sind verrückt, wer weiß…?« Wir gingen los. Einmal kam uns ein Moojagespann entgegen. Auf dem Wagen saßen vier vornehm gekleidete Arkoniden, die uns neugierig betrachteten. Urlauber! Genießen den Luxus ungewohnter Primitivität, kommen sich wahrscheinlich ungemein überlegen vor. »Edle!« knurrte Morvoner abfällig. »Und für so was habe ich einen überflüssigen Krieg geführt!« »Der Krieg gegen die Methans ist leider nicht überflüssig«, sagte ich. »Und er ist noch nicht beendet.« »Aber nur, weil ich nicht mehr dabei bin«, brummte er, ohne es ernst zu meinen. Inzwischen konnten wir die Etset-Auromt ganz überblicken. Als die Wand des mindestens etliche hundert Kilometer durchmessenden Hochplateaus bearbeitet wurde, hatte man riesige Nischen in den Fels gefräst, die durch Schwebestraßen verbunden waren. In diesen Nischen erhoben sich die Wohnhäuser, gut geschützt vor Wind und Wetter. In der Ebene davor standen die Trichterhotels des Erholungszentrums. Sie waren von wild wuchernden Parks eingeschlossen, auf deren Lichtungen Sportplätze errichtet waren. Es gab Schwimmbäder und überdachte Spazieranlagen. Auf den Straßen bemerkte ich Elektrofahrzeuge moderner Bauart und andere Verkehrsmittel, die die Urlauber jederzeit zu allen gewünschten Orten bringen konnten. »Der Händler wohnt in der rechteckigen Nische, schräg über dem großen Hotel vor uns«, sagte Coraschol. »Die mittlere
Straße führt hin.« Fartuloon wiegte den kahlen Schädel. »Warst du schon auf dem Plateau oder sogar im Palast des Gouverneurs?« »Nein, ich mache stets nur Dienst in der Siedlung. Aber mein Freund Harakas begleitet Warentransporte zum Raumhafen, daher meine Kenntnisse. Über die dortigen Moojas berichtet er wahre Wunderdinge.« »Interessant.« Fartuloon hatte einen Unterton in seiner Stimme, der mich stutzig machte. »Ich werde ihm einige Fragen stellen und kann nur hoffen, daß er so vernünftig ist wie du. Harakas ist der Händler, zu dem du uns bringen willst?« »Ja.« »Ein freier Händler, wenn ich mich recht erinnere. Dann schmuggelt er also auch? Demnach hat er allen Grund, sich im Hintergrund zu halten, oder ist der Handel mit gestohlenem Gut gestattet?« »Nicht direkt. Aber es kümmert sich auch niemand darum.« »Richtig, alle wollen leben«, sagte Fartuloon ironisch. »Und uns geht das nichts an. Harakas hat also nichts zu befürchten.« Coraschol deutete auf die mittlere Straße. »Wenn wir das Erholungszentrum durchqueren, schaffen wir es schneller. Hier hält uns niemand mehr auf.« Obwohl mehr Betrieb auf der Straße war, fühlten wir uns sicherer als zuvor. Selbst einige Patrouillen mit Moojas kamen uns entgegen, aber keiner der Wärter stellte uns eine Frage. Vorbei an den Hotels gelangten wir schließlich an den Fuß der riesigen Felswand, die sich senkrecht vor uns auftürmte. Dutzende schwebende Straßen führten nach oben, zweigten in die einzelnen Nischen ab und bildeten so ideale Transportverbindungen zwischen den einzelnen Wohninseln. Der eigentliche Markt für die Touristen befand sich in einigen Kilometern Entfernung weiter westlich. Es wimmelte
von Intelligenzwesen aller Art, in der Hauptsache jedoch waren Arkoniden vertreten. Flache Hallen boten den Kauflustigen Schutz vor plötzlichen Regenfällen. Heute jedoch schien die Sonne und hatte die letzten Wolken endgültig vertrieben. Eine Antigravplatte senkte sich herab und entließ Händler und Touristen. Weiterhin kümmerte sich niemand um uns. Coraschol ging voran und winkte uns. »Sie bringt uns zu Harakas«, sagte er mit einer Selbstsicherheit, die mich verblüffte, und deutete auf die Antigravplatte. Harakas hatte bei seinesgleichen einen guten Ruf. Er war verläßlich, verschwiegen und unbedingt vertrauenswürdig, wenn es um Geschäfte und insbesondere um krumme Geschäfte ging. Sein Wort hatte in Kreisen der Händler absolute Gültigkeit. Außer adelige Touristen hatte er noch niemanden betrogen. An diesem Tag war er noch vor Morgengrauen vom Plateau zurückgekehrt. Im Auftrag der Händlervereinigung hatte er einen Warentransport zum Raumhafen begleitet und dort abgeliefert. Zwar hatte er von »wichtigen Gefangenen« gehört, die entflohen sein sollten, aber solche Dinge interessierten ihn herzlich wenig. Das war Angelegenheit des Tatos und seiner Leute. Harakas’ Wohnhaus befand sich in einer Nische, die durch einen Antigravlift direkt mit dem Plateau verbunden war. Der Lift eignete sich nicht für größere Warentransporte, aber der Händler konnte so jederzeit auf das Plateau gelangen, falls das notwendig war. Müde und abgespannt, aber mit seinem Verdienst durchaus zufrieden, hatte er seiner augenblicklichen Lebensgefährtin den Auftrag erteilt, ihm ein kräftiges Frühstück zu bereiten. Dann war er eingeschlafen, denn am späten Nachmittag warteten neue Geschäfte auf ihn. Somit war er ziemlich überrascht, als sein Freund Coraschol unvermutet mit vier Fremden auftauchte.
Etset-Auromt, bei Harakas: 13. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Mir gefiel der Händler auf den ersten Blick, obwohl ich sicher war, nicht gerade einen vorbildlichen Steuerzahler vor mir zu haben, und dachte: Aber welche Rolle spielt das schon auf einer Freihandelswelt, die einen mehr ab zweifelhaften Ruf hat? Harakas würde sich sogar verdächtig machen, wäre er auf den verrückten Gedanken gekommen, seine Abgaben regulär zu entrichten. Coraschol erklärte unterdessen die Lage und verschwieg auch nicht, daß er gezwungen wurde, uns zu helfen. Fartuloon schwächte seinen Bericht geschickt ein wenig ab und sprach von einer Notlage, in der wir uns befänden, ohne die ganze Wahrheit preiszugeben. Meine Identität blieb sowohl Coraschol wie auch Harakas verborgen. Der Händler bedachte uns mit forschenden Blicken. »Die entflohenen Gefangenen also, von denen ich oben hörte«, sagte er mit unverkennbarer Hochachtung in der Stimme. »Sogar die Moojas wurden mobilisiert. Eine erhebliche Anzahl von ihnen wurde in die Ebene hinabtransportiert. Das kann ja heiter werden.« »Hier vermutet man uns nicht«, warf ich ein. »Helfen Sie uns?« »Was bleibt mir anderes übrig?« Harakas deutete auf seinen Freund. »Schließlich ist er Ihr Gefangener. Was haben Sie vor?« Fartuloon zog den Sender aus der Tasche. »Ich will an diesem Ding einige Verbesserungen vornehmen, und dann möchte ich, daß Sie mir das Plateau zeigen. Um mit dem Gouverneur zu verhandeln, benötigen wir eine starke Ausgangsposition.«
»Das gönne ich ihm.« Harakas sprach mit deutlich hörbarer Genugtuung. »Schon deshalb würde ich Ihnen helfen. Ich nehme an, einer von Ihnen wird stets bei Coraschol bleiben.« »Richtig!« »Gut. Man wickelt kein Geschäft ohne die notwendigen Sicherheiten ab. Ich zeige Ihnen das Plateau. Morgen habe ich einen Warentransport. Sie können mich begleiten, das fällt nicht auf. Aber ich muß heute noch einige Verhandlungen führen. Hindern Sie mich daran?« »Nein.« Fartuloon hatte es sich auf einem Liegebett bequem gemacht. »Wenn Sie nichts dagegen haben, ruhen wir uns hier ein wenig aus. Sie könnten mir noch positronische Kleinigkeiten besorgen, die ich für den Sender hier benötige. Ist das zuviel verlangt?« »Keineswegs. Sie finden in meinem Lager alles, was Sie brauchen. Bringen Sie mir die Waren nur nicht in Unordnung.« Er warf dem schwarzen Kasten einen neugierigen Blick zu. »Was haben Sie eigentlich damit vor?« Fartuloon grinste. »Ich verrate es Ihnen, sobald ich damit fertig bin. Mir ist da eine gute Idee gekommen; Sie werden begeistert sein.« »Möglich.« Ich übernahm die erste Wache, nachdem Harakas sich von uns verabschiedet hatte und gegangen war. Wir wollten Coraschol nicht einsperren, aber wir durften ihn nicht aus den Augen lassen. Ich hatte während des Gesprächs mit ihm den Eindruck, daß ihm seine Lage Spaß zu machen begann. Zweifellos ist er kein treuer Untertan des Gouverneurs, bestätigte der Logiksektor. Ruuver ist unbeliebt. Zwei Tontas später erschien Fartuloon wieder. Er stellte den Sender auf den Tisch und grinste triumphierend. »Eine ziemliche Verschwendung ist das. Da bauen sie ausgezeichnete Apparate, beschränken aber die Reichweite.
Ich habe nur einen Verstärker eingesetzt und damit die Reichweite etwa verzehnfacht.« Er kramte in seiner Tasche und legte einige Gegenstände auf den Tisch. Es waren positronische Bauteile. »Noch eine spezielle Umpolung, und die Wirkung wird abermals vergrößert. Mit anderen Worten: Während ein Wärter ein Mooja bis zu einer Entfernung von etwa fünfhundert Metern dirigieren kann, übermittle ich ihm meine Befehle über fünfzig bis fünfhundert Kilometer hinweg. Ich habe das Gerät mit Hilfe des Empfängers genau justiert.« Das also ist es, was er bezweckt. Ich hatte es geahnt, wenn ich auch nicht wußte, wie er seine neue »Waffe« einsetzen wollte. Gegen Abend kam Harakas zurück und bestätigte uns, daß der Transport für morgen zusammengestellt sei. Er hielt es für besser, daß nur Fartuloon ihn begleitete. »Der dicke Arkonide«, sagte er grinsend, »sieht ohnehin wie ein begüterter Urlauber aus und fällt nicht auf.« Die Nacht verlief friedlich und ohne Zwischenfall. Morvoner, Eiskralle und ich wechselten uns in der Wache ab und ließen Fartuloon durchschlafen. Coraschol sorgte dafür, daß uns Harakas’ Frau ein reichhaltiges Frühstück zubereitete und auch sonst für unser leibliches Wohl alles nur Erdenkliche tat. Nach dem Frühstück übergab mir der Bauchaufschneider den umgebauten Sender und bat mich, gut auf ihn aufzupassen und das Haus nicht zu verlassen. »Harakas hat versichert, daß wir bis zum Abend wieder zurück sind.« Vom Haus aus konnten wir dann beobachten, wie der Händler und Fartuloon zu einer vollbeladenen Antigravplatte gingen, sie bestiegen und nach oben schwebten. Morvoner und Eiskralle blieben bei unserem »Gefangenen«, während ich mich ein wenig in dem Haus umsah. Es war äußerst komfortabel eingerichtet; der Händler mußte gut verdienen. Irgendwie nahm er ohnehin eine Sonderstellung in der Siedlung ein, und wenn er uns nicht hinterging, hatten wir in
ihm einen wertvollen Verbündeten. Wohlbehalten kehrte er abends mit Fartuloon zurück, und wir waren auf dessen Bericht gespannt. Harakas entschuldigte sich nach dem gemeinsamen Essen und verschwand in der Siedlung. Geschäfte. Fartuloon hingegen genoß unsere neugierigen Fragen, ehe er sich endlich bereit erklärte, von seinem Ausflug zu erzählen. Fartuloon: Die große Antigravplatte glitt an der Steilwand hoch und landete am Rand des Plateaus. Dort waren einige Wärter mit ihren Moojas beschäftigt, Lastengleiter zu beladen. Einer nach dem anderen startete und verschwand in südlicher Richtung. Am Horizont waren die hohen Kontrolltürme des Raumhafens und zwei Kugelraumer zu erkennen. Die Entfernung betrug schätzungsweise fünfundzwanzig Kilometer. Das eigentliche Plateau von mehreren hundert Kilometern Durchmesser war ohne Erhebungen oder Senken. Harakas wandte sich an Fartuloon: »Das ist der letzte Gleiter. Wir fliegen mit ihm; Sie haben eine prächtige Aussicht. Der Pilot ist ein Freund. Ich habe ihm gesagt, Sie seien Urlauber und hätten gut für den Ausflug bezahlt. Er wird sich also bemühen, Ihnen soviel wie möglich von Kortasch-Auromt zu zeigen.« Fartuloon bedankte sich und begrüßte den Piloten freundlich. Dann ging er zurück zu Harakas, der sich auf einen Warenballen unmittelbar neben der offenen Ladeluke gesetzt hatte. Von hier aus hatte man einen ausgezeichneten Blick nach draußen, genau das, worauf Fartuloon Wert legte. Der Gleiter hob ab und nahm Fahrt auf. Er flog auf Anweisung des Händlers sehr langsam. Fartuloon vermutete, daß er kaum bemerkenswerte Dinge zu sehen bekommen würde, schon gar nicht solche, die auf die wahren Absichten des Gouverneurs
schließen ließen. Aber er wollte das Gelände kennenlernen; vor allen Dingen interessierten ihn der »Palast« und der Raumhafen. Beides würde in den kommenden Tagen eine wichtige Rolle spielen, falls er seinen Plan verwirklichen konnte. Gut zehn Kilometer vom Rand des Plateaus entfernt beugte er sich vor, um besser sehen zu können. Harakas nickte. »Ganz richtig, das sind Moojas. Hat Coraschol Ihnen nicht gesagt, daß es Zehntausende von ihnen hier oben gibt, vielleicht sogar eine halbe Million? Sie laufen frei herum – wenigstens kann man das im ersten Augenblick meinen. In Wirklichkeit jedoch sind diese Hegebezirke von Befehlssendern umgeben. Kein Mooja kann ohne Erlaubnis diese Grenze überschreiten.« Fasziniert blickte Fartuloon in die Tiefe, während in seinem Kopf der vage gefaßte Plan konkretere Formen annahm. Sein Sender war vielfach stärker als jene, die von den Wärtern benutzt wurden, so daß er aller Wahrscheinlichkeit nach die Frequenzen mit der gleichen Intensität überlagern und somit ausschalten konnte. »Hier werden sie also gezüchtet.« »Nicht nur das, sondern auch für die Arbeit abgerichtet.« Harakas deutete nach unten. »Dort, sehen Sie – eine ganze Abteilung, werden wie Soldaten gedrillt.« Der Vergleich stimmte haargenau. Er brachte den Bauchaufschneider auf einen neuen Gedanken. Die Moojas marschierten in Reih und Glied, rechts und links von Wärtern mit Sendern begleitet, vollführten Richtungsänderungen und andere militärische Bewegungen mit einer so exakten Genauigkeit und Gleichmäßigkeit, daß man unwillkürlich an das Exerzieren einer Eliteeinheit denken mußte. Soldaten! Wenn man sie mit ferngesteuerten Robot-Waffen ausstattet… Die Moojas wurden zu Soldaten ausgebildet, daran konnte kein Zweifel bestehen. Gouverneur Mavillan Ruuver beabsichtigte, die Moojas zu einer schlagkräftigen Truppe zu
machen, mit der er jeden Konkurrenten und vielleicht sogar Agmon überraschend angreifen und schlagen konnte. »Sehr eindrucksvoll«, sagte er zu Harakas, ohne auch nur durchblicken zu lassen, was er wirklich dachte. »Sollen sie so an die Arbeit gewöhnt werden?« »Das ist wohl anzunehmen. Als Händler kümmere ich mich nicht darum. Für mich ist nur wichtig, daß Moojas als Hilfskräfte beim Verladen der Waren zur Verfügung stehen. Und wie Sie bemerkt haben dürften, mangelt es nicht an Nachschub.« »Allerdings nicht.« Sie überflogen zwei weitere Gehege, in denen es von den Echsen nur so wimmelte. Die Tiere kümmerten sich kaum um den tief fliegenden Gleiter, aber Fartuloon malte sich aus, was geschehen würde, fielen die Impulssender aus und die Moojas seien plötzlich frei. Er hatte ihre Reaktion noch vor Augen, als die drei Wärter davonliefen und die Echsen sich selbst überlassen waren. Sie gingen erst dann wirklich durch, als sie aus dem Sendebereich der Impulsgeber heraus waren. Ein Vorfall, der sich leicht rekonstruieren ließ, nur in viel größerem Ausmaß. Der Raumhafen kam näher. Harakas aber deutete nach links, wo dichter Buschwald bisher jede Sicht versperrt hatte. Er umgab eine flache Senke, in deren Mitte ein halbierter Kugelraumer von fünfhundert Metern Durchmesser stand: »Der Palast des Gouverneurs.« Der Wald bildete einen doppelten Ring um die Senke. Dazwischen lag ein freier Streifen ohne Vegetation, auf dem sich einige tausend Moojas bewegten. Fartuloon vermutete, daß es sich um besonders abgerichtete Exemplare handelte, die die Aufgabe von Wächtern hatten. Mit ihren kräftigen Hakenklauen und Gebissen würden sie dafür sorgen, daß sich niemand ungestraft der Halbkugel nähern konnte.
Fartuloon lächelte in sich hinein, als er an seinen Spezialsender dachte. Ruuver würde mit seiner eigenen Waffe geschlagen werden. Der Halbkugelpalast blieb zurück, als der Gleiter ein wenig die Richtung änderte und den Raumhafen direkt anflog. Harakas stellte zu seiner Zufriedenheit fest, daß die anderen bereits entladen wurden. Einer der Kugelraumer hatte sämtliche Luken geöffnet. Die Moojas schleppten Ballen und Kisten in die riesigen Laderäume des Schiffes. Einige Wärter standen mit ihren Sendern dabei, gleichgültig und ein wenig nachlässig. Für sie ist das alles nur Routine. Der Gleiter landete. Bevor Harakas ausstieg, sagte er: »Sie können ebenfalls den Gleiter verlassen, aber entfernen Sie sich nicht zu weit. Sobald entladen ist, starten wir wieder. Gehen Sie nicht zu nah an die Wärter und die Moojas heran. Ich kümmere mich inzwischen um die Papiere.« Es fiel Fartuloon nicht schwer, sich wie ein Tourist zu benehmen, der neugierig die neue und ungewohnte Umgebung bestaunte. Sein Mund stand weit offen, als er die arbeitenden Moojas betrachtete; einer der Wärter machte den anderen gegenüber eine entsprechend witzige Bemerkung, denn sie lachten. Aber das kümmerte Fartuloon nicht. Er blieb in der Nähe des Gleiters, während Moojas mit ihren Lasten dicht an ihm vorbeizockelten. Sie beachteten ihn nicht, denn die Befehlsimpulse wurden permanent in ihre Gehirne eingespeist. Und diese Impulse besagten, daß sie sich nicht um ihn kümmern sollten. Bei den Kontrolltürmen bemerkte Fartuloon halbversenkte Verteidigungsanlagen und flachgebaute Unterkünfte. Man verzichtete also keineswegs auf militärischen Schutz und verließ sich nicht ausschließlich auf die Moojas. Harakas bekam seine Papiere und Wertkreditscheine. Sein Gesicht wirkte zufrieden, als er auf Fartuloon zutrat. »Fertig, wir können starten. Gutes Geschäft.«
»Freut mich für Sie, Harakas. Ich habe genug gesehen.« »Was wollten Sie eigentlich sehen?« »Nun, eigentlich alles. Die Moojas, die Wärter, den Palast und den Raumhafen. Uns interessiert alles, was uns weiterbringen könnte.« »Bringen – wohin?« Fartuloon warf ihm einen warnenden Blick zu, als sich einer der Wärter näherte. »Sie werden es später erfahren.« Der Wärter nickte Harakas zu und wandte sich dann an Fartuloon: »Gehören Sie zu Harakas?« Ehe Fartuloon antworten konnte, sagte Harakas: »Ein guter Freund. Er besucht Jacinther regelmäßig und hat uns schon viele Kunden gebracht. Ich wollte ihm zeigen, wie vorbildlich hier gearbeitet wird und wie tüchtig unser Personal ist.« »Dazu wäre eine Sondergenehmigung notwendig gewesen.« »Dazu blieb keine Zeit, außerdem starten wir schon wieder. Vergessen Sie es.« Der Wärter musterte den dicken Fartuloon und nickte. »Na schön, Harakas, weil Sie es sind. Aber das nächstemal besorgen Sie sich die Genehmigung, sonst gibt es Schwierigkeiten. Guten Flug.« Fartuloon atmete erleichtert auf, als sie im Gleiter saßen und der Pilot startete. Sie flogen diesmal nicht die direkte Route, sondern machten einen Umweg in östlicher Richtung. Harakas zeigte seinem Gast weitere Moojagehege, da er bemerkt zu haben schien, daß diese Tiere seine besondere Aufmerksamkeit erregt hatten. Nach einer Zwischenlandung bei einem Vorratslager erreichten sie dann kurz vor Einbruch der Dämmerung wieder den Rand des Plateaus. Der Lift brachte sie zur Nische mit dem Haus. Morvoner kratzte sich am Kopf, als Fartuloon seinen Bericht
beendet hatte. »Na ja, ist ja alles gut und schön, aber was soll das mit den Echsen? Glaubst du vielleicht, die könnten uns helfen?« »Sie werden uns dazu dienen, dem Gouverneur einen Schrecken einzujagen. Ich benötige allerdings noch einen zweiten Sender; mehr einen einfachen Impulsgeber, mit dem ich den eigentlichen Sender auch über größere Entfernung hinweg einschalten kann. Harakas hat genügend Ersatzteile, das ist also keine Schwierigkeit.« »Ich verstehe noch immer nicht…« »Mit meinem Sender, den ich irgendwo im Gelände verstecke und beliebig ein- oder ausschalten kann, überlagere ich die um die Gehege installierten normalen Befehlssender des Tatos. Die Moojas sind dann sich selbst überlassen und reagieren entsprechend: Sie werden alles überrennen, was sich ihnen in den Weg stellt, und niemand kann sie mit den normalstarken Sendern aufhalten. Die Wärter verlieren die Gewalt über sie, und nur wir können die Stampede zum Stillstand bringen.« Coraschol, der mitgehört hatte, machte ein bedenkliches Gesicht. »Das also habt ihr vor…? Und ihr glaubt damit den Gouverneur milder zu stimmen? Im Gegenteil: Er wird euch auf der Stelle hinrichten lassen.« »Er wird sich hüten, denn er weiß ja nicht, wo mein Sender versteckt ist. Und mit meinem kleinen Impulsgeber kann niemand etwas anfangen, wenn er die Auslösefrequenz nicht kennt.« Fartuloon schüttelte den Kopf. »Ich bin mir meiner Sache absolut sicher, Coraschol. Die Moojas werden wie Soldaten zu einem Angriffskrieg ausgebildet. Ruuver hat sich eine Armee geschaffen, die ohne Furcht vor dem eigenen Tod in den Kampf gehen wird. Von positronischen Befehlen gesteuert, wird sie jeden Gegner einfach überrollen. Und diese fabelhafte Waffe des Gouverneurs werde ich gegen ihn selbst
einsetzen.« Ich hatte bisher geschwiegen, denn Fartuloons Plan begann mich zu faszinieren. Er räumte Bedenken auf Bedenken aus, ohne daß ich Fragen stellen mußte. Das taten schon die anderen für mich, in erster Linie Coraschol, der die Verhältnisse auf der Insel am besten kannte. »Was geschieht mit mir? Wollt ihr mich mitnehmen oder hier zurücklassen? Der Gouverneur würde mich von den Moojas zerfleischen lassen, erführe er, daß ich euch geholfen habe.« Das war allerdings eine heikle Frage, und ich war gespannt, wie Fartuloon sich aus der Affäre ziehen würde. »Du hast uns schon genug geholfen, eigentlich mehr, als daß der Gouverneur dir jemals verzeihen könnte. Wir können dich also unbesorgt freilassen. Selbst wenn du uns verraten würdest, was ich nicht glaube, bekäme dir das schlecht. Du würdest auf jeden Fall bestraft werden. Wir erwähnen dich mit keinem Wort, solange du schweigst. Das gilt auch für deinen Freund Harakas. Im gegenteiligen Fall aber werden wir dem Gouverneur die volle Wahrheit mitteilen, und ich bin gewiß, daß er sie unter dem Druck der Ereignisse ohne Vorbehalt glauben wird. Du siehst, mein Freund, wir gehen kein Risiko ein, wenn wir dich freilassen.« Coraschol begann aus vollem Hals zu lachen. Er schlug sich vor Vergnügen auf die Oberschenkel. Fartuloon geriet für einen Augenblick aus der Fassung und blickte ihn erstaunt an. »Ausgezeichnet, Fartuloon! Deine Überlegungen stimmen, und ich gebe dir recht. Aber du kannst beruhigt sein, ich würde euch niemals verraten, schon deshalb nicht, weil ich den Tato nicht leiden kann. Ich bin gegen einen Krieg mit den anderen Kontinenten. Unterstütze ich euch also auch weiterhin, helfe ich nur mir selbst und meinen Freunden.« »Dann sind wir uns ja einig«, sagte Fartuloon. »Noch Fragen?«
Sicherlich gab es noch hundert Fragen, aber Eiskralle erkundigte sich nüchtern: »Du bist natürlich fest davon überzeugt, daß dein Sender funktioniert, oder irre ich mich?« »Er wurde in der Praxis noch nicht erprobt, aber das hole ich morgen nach. Ihr könnt der Demonstration beiwohnen. Noch diese Nacht bastele ich den Impulsgeber für die Fernsteuerung zusammen, um den ebenfalls gleich zu testen. Ihr könnt ja schlafen.« Coraschol stand auf. »Ich habe in der Siedlung ein Mädchen. Kann ich zu ihr?« Fartuloon zögerte nur für einen Wimpernschlag. »Natürlich. Wir wünschen dir viel Vergnügen und hoffen, daß du bis zum Frühstück zurück bist.« »Viel früher, denn sie hat noch einen Freund, und der kann mich nicht leiden. Vielen Dank, ihr werdet es nicht bereuen.« Als er gegangen war, sagte Eiskralle: »Hoffentlich stimmt das mit dem Mädchen…«
20. Aus: Institutionen des Großen Imperiums, ein Wegweiser für Karrierebewußte (Sonderausgabe für unsere terranischen Freunde), Gellor Ma-Kynaan; Arkon 1,19.016 da Ark Mehinda; abgeleitet von: Meh’in da Khasurn (»Linie/Zeichen von Kelch/Geschlecht«) – eine aus dem Saft des Zharg-Strauches (s. Zharg-notah) gewonnene, cremige, meist in bläulichgrünlichen Tönen schimmernde Paste, die der Herstellung des rituellen arkonidischen Make-ups dient. Das Tragen des M. ist nur den Adelsgeschlechtern erlaubt, das kostbare und in der Herstellung entsprechend aufwendige »GorMehinda« (Kampf-Mehinda) darf allerdings nur ein Mitglied eines Mittleren oder Großen Kelches ausschließlich in der Zeit der
KAYMUURTES auftragen. Das Muster und die Farbgebung des M. entsprechen der Heraldik des jeweiligen Khasurn… Aus: Flora Arconidica. Bd. XVI (Aathales und Cyanoflorales), G. Clair-vaux-Sidorenko; Moskwa, Terra 2099 Echter Mehinda-Strauch (Zharg-notah) nach Ka’Marentis S. da Sisaal und Q. da Keehada. Agathodaemon mehindiferus; Ordnung: Aathales, Familie: Agathodaemonaceae. Strauch mit zwittrigen purpurroten Blüten. Blätter reduziert, dornenartig; Nebenblätter fünflappig, nur während der Regenzeit vorhanden. Blüten- und Nebenblätterstiele dicht stieldrüsig, wohlriechend. Ihr Saft für revitalisierende und antiparasitäre Wirkung bekannt (Aathin, Mehindin). Stengel aufrecht, mit 2-5 mm langen Stacheln, schwarzviolett. Rinde im zweiten Jahr abblätternd, schwarz, giftig! (Agathodaemonin und Derivate.) Frucht grünlich, klein, unscheinbar, zuweilen bis zu drei Jahren auf der Pflanze verbleibend, außerhalb des Gebietes nur selten reifend. Gebüsche und Trockenwälder der Gipshügel von Rakkalin (Arkon I), eingeschleppt und kultiviert auf Arkon II und Arkon III. Zahlreiche Zuchtformen und Klonide. Wildform strengstens geschützt! Aus: Sekundäre Stoffwechselprodukte der Aathales physikalische und chemische Eigenschaften, A. H. H. Falley. In: Spezielle XenoSystematik, Vorlesungsskript der Botanischen Institute der Universität Terrania. Akademia Terrania, Terra, Terrania, 2123 Zu den weniger bekannten Eigenschaften der AgathodaemoninDerivate gehört die Absorption des ultravioletten Lichtes im Spektralbereich zwischen 170 und 330 nm… Auf dem Plateau: 15. Prago des Ansoor 10.497 da Ark
In einiger Entfernung wurden Gleiter beladen, aber das störte Fartuloon nicht. Wir schlenderten nach Osten, blieben aber in unmittelbarer Nähe des Abbruchs. Unter uns lagen die Siedlung, das Erholungszentrum und die Ebene. Weit in der Ferne glaubte ich das Meer schimmern zu sehen. Fartuloon legte seinen Sendekasten unter einen Stein und winkte uns zu. »Gehen wir noch ein Stück weiter, obwohl die Entfernung keine besondere Rolle spielt.« Er hielt einen zweiten kleineren Kasten in die Höhe. »Das ist der Impulsgeber.« Weit hinter den Hotels waren Wärter und Moojas damit beschäftigt, eine neue Straße zu bauen. Die Echsen schleppten in seitlich angebrachten Körben Steine herbei, planierten den steinigen Boden und füllten Mulden aus. Die wenigen Wärter beobachteten sie gleichmütig, ihre Sender auf der Brust. »So, nun paßt mal gut auf.« Fartuloon berührte den Schalter des Impulsgebers. »Jetzt!« Meiner Schätzung nach betrug die weiteste Entfernung bis zu den Straßenbauern etwa vier Kilometer. Auch an anderen Stellen konnte ich Moojas bemerken. Eiskralle blieb noch Zeit zu fragen: »Was ist mit den Moojas, die drüben die Gleiter beladen? Sollten sie wild werden, schädigen wir die Händler, nicht aber Ruuver.« Fartuloon schüttelte fast mitleidig den Kopf. »Mein lieber Freund, natürlich hat mein Sender eine Richtstrahlvorrichtung. Sie ist in Betrieb, es werden nur jene Tiere beeinflußt, die von dem schmalen Sektor erfaßt werden. Keine Sorge: Kein Mooja wird hier oben einen Gleiter umwerfen.« Trotz der Entfernung konnten wir jede Einzelheit des Geschehens in der Ebene beobachten. Zuerst blieben die Moojas wie angewurzelt stehen, als seien sie gegen eine unsichtbare Mauer gestoßen, dann handelte jedes einzelne Tier
nach individueller Veranlagung. Der ständige Zwang, der auf ihnen lastete, war von einem Augenblick zum anderen nicht mehr wirksam. Ein Mooja schüttelte seine Körbe ab; die Steine rollten über die Straße und kollerten den Wächtern vor die Füße, die sich nur durch eiligste Flucht retten konnten, gleichzeitig aber begannen, ihre Befehlsgeber zu bearbeiten. Sie vermuteten zweifellos einen Defekt. Ein Mooja verfolgte sie wütend, als wolle es seine bisherigen Herren bis zum Meer jagen. Zwei andere beteiligten sich an der Verfolgung, die übrigen zogen trotz ihrer Steinlasten als eine harmlose Herde in das mit Gras und Büschen bedeckte Land hinaus. Wir hatten nicht angenommen, daß ein Mooja einen Wärter mit tödlicher Wucht angreifen würde, aber in dieser Hinsicht wurden wir enttäuscht: Selbst Fartuloon schien nicht damit gerechnet zu haben, denn hastig desaktivierte er den Impulsgeber, als das wildgewordene Tier, das als erstes die Steine abgeworfen hatte, einen der Wärter einholte, mit einem einzigen Prankenhieb zu Boden schleuderte und sich auf ihn stürzen wollte. Abrupt hielt es in seinen Bewegungen inne, als die Überlagerungsimpulse erloschen und die ursprünglichen Befehlsimpulse wieder wirksam wurden. Es stand da wie vom Blitz getroffen und schien nicht zu wissen, was in den Augenblicken zuvor geschehen war. Auch der überraschte Wärter begriff nicht, was geschehen war. Wahrscheinlich nahm er an, sein Sender sei nur zeitweise ausgefallen und funktioniere nun plötzlich wieder, wobei er sich jedoch die Frage stellen mußte, warum das bei vielen Sendern gleichzeitig geschehen war. Jedenfalls erhob er sich langsam wieder und ging hastig zur Seite, ohne das Mooja aus den Augen zu lassen. Das Tier trottete gehorsam zu den abgeworfenen Körben zurück und begann, die Steine wieder einzusammeln. Nun löste sich der Bann bei den anderen
Wörtern; ihre Moojas kehrten zurück, um ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Fartuloon sah uns voller Erwartung an. »Nun?« Coraschol, der uns auf eigenen Wunsch hin begleitet hatte, sagte tief beeindruckt: »Das also ist es, was du wolltest? Die Moojas werden ihren Wärtern nicht mehr gehorchen. Ich kenne die Verhältnisse und die Abhängigkeit von den unter Zwang stehenden Echsen. Es bedeutet eine Katastrophe, man wird sie töten müssen.« »Das hängt vom Tato ab«, versicherte Fartuloon. »Die Moojas sind im Grunde genommen harmlos, solange man sie in Ruhe läßt. Mir geht es in erster Linie darum, Ruuver zu beweisen, daß er mit uns verhandeln muß, will er nicht alles verlieren, was er sich aufgebaut hat: seine Armee.« »Ich finde, daß es ein verrückter Plan ist.« Morvoner kratzte sich am Hinterkopf. »Wie nehmen wir Verbindung zu Ruuver auf, ohne daß er uns gleich in den Kerker wirft?« »Ich kenne jetzt das Gelände und denke, wir werden dem Gouverneur bald einen heimlichen Besuch abstatten. Es dürfte besser sein, wenn mich nur einer von euch begleitet. Eiskralle oder Atlan.« »Und warum nicht ich?« wollte Morvoner wissen. »Weil wir einen besonders fähigen Kopf brauchen, sollten wir Pech haben. Jemand, auf den Verlaß ist und der uns aus dem Gefängnis holen kann. Jemand wie dich, Morvoner!« Sprangk wußte nicht so recht, ob er das überschwengliche Lob ernst nehmen sollte oder nicht. Ich nickte ihm unmerklich zu, so daß er Fartuloons Vorschlag ohne weiteren Widerspruch annahm. Wir kehrten an den Platz zurück, an dem wir den Sender versteckt hatten. Fartuloon nahm ihn an sich und verbarg ihn unter seinem Umhang. Eine Weile noch blieben wir in der Nähe der Gleiter stehen und sahen zu, wie
diese beladen wurden. Harakas tauchte zwischen den Wärtern auf und winkte uns kurz zu, dann war er wieder verschwunden. Zweifellos hatte er bald wieder einen Transport zum Raumhafen. Wir schwebten im Lift hinab und wurden von der Frau des Händlers mit einer reichlichen Mahlzeit empfangen. Fartuloon sagte: »Wir brechen heute abend auf, Atlan. Sind wir bis morgen früh nicht zurück, soll Eiskralle mit Coraschol nachkommen. Harakas wird euch behilflich sein. Morvoner bleibt hier, als Notreserve. Alles einverstanden?« Ich nickte und antwortete schnell: »Es gibt keinen besseren Plan, also einverstanden.« Daraufhin erhielt Fartuloon auch die Zustimmung der anderen. Harakas hatte es nicht gewagt, uns einen Gleiter zur Verfügung zu stellen, besorgte uns jedoch einen kleinen Wagen, der von einem Mooja gezogen wurde. Da wir nun auch einen offiziellen Befehlssender hatten, war es kein Problem, das Tier zu lenken. Die Reichweite war auf wenige Meter begrenzt, um keine Tiere zu beeinflussen, die zufällig in unsere Nähe gerieten. Diese Beschränkung ließ sich allerdings mit einem schnellen Handgriff aufheben. Der Sender war gut gesichert am Wagen befestigt. Niemand achtete auf uns, als wir den oberen Handelsstützpunkt auf der Straße nach Süden verließen. Das Gelände war nicht so felsig und unfruchtbar wie in der Nähe der Küste unten in der Ebene. Es gab weite Grasflächen und Wälder, Flüsse und kleine Seen. Es wurde schnell dunkel, doch die Beleuchtung des Raumhafens reichte völlig aus, die Straße zu erkennen. Harakas hatte uns versichert, daß wir kein Risiko eingingen, solange wir die Straße nicht verließen. Niemand würde uns
Fragen stellen oder nach Sondergenehmigungen fragen. Für den Notfall hatte er uns den Namen eines Mannes anvertraut, an den wir uns wenden konnten, sollten wir Ärger mit den Behörden bekommen. Er hatte uns jedoch gebeten, den Namen nur dann zu nennen, wenn wir in echte Gefahr gerieten. Immerhin war das ein gewisser Rückhalt, obwohl wir keine Ahnung hatten, wer dieser Toronol war. Die Situation ist nicht nur ungewöhnlich, kam mir zum Bewußtsein, als wir in dem primitiven Wagen durch die beginnende Nacht fuhren, sondern sogar ein wenig romantisch. Vor uns schimmerte der Schuppenpanzer des Moojas im Sternenlicht, es schien den Weg zu kennen und hielt sich genau in der Mitte der Straße. Ich war gespannt, ob es ausweichen würde, sollte uns ein anderer Wagen entgegenkommen. Fartuloon saß neben mir auf der Bank und pfiff ein Liedchen vor sich hin: Tai Arbaraith – Chor der Bestien. Auf seinem Schoß lag der manipulierte Sender. Die Nacht war sehr warm; im Westen zogen Wolken heran und versprachen Regen, aber es konnte noch lange dauern, ehe er einsetzte. Das kleine Dach über unserer Sitzbank würde uns allerdings nur wenig schützen können, sollte ein Sturm aufkommen. »Eine echte Urwelt«, sagte Fartuloon knurrig. »Da zieht ein Saurier deinen Wagen, um dich herum ist nichts als Wald und Wiese. Kaum zu glauben, daß auf diesem Planeten eine beachtliche Warenmenge umgeschlagen wird. Harakas hat mir erstaunliche Zahlen genannt.« »Mich interessiert nur dieser Freemush. Bekommen wir ihn in die Hand, versetzen wir Orbanaschol einen empfindlichen Schlag. Er wird uns ernst nehmen müssen. Ich wünsche, daß er Tag und Nacht keine Ruhe mehr findet und keinen anderen Gedanken mehr hat.« Fartuloon sah mich an. Seine Züge waren kaum zu erkennen. »Du bist rachsüchtiger, als ich je vermutete, mein Sohn.«
Es war das erstemal, daß mich mein Freund und Pflegevater wieder seinen »Sohn« nannte. Er tat es nur noch äußerst selten, seit ich wußte, daß Gonozal VII. der ermordete Imperator von Arkon, mein wirklicher Vater gewesen war. »Und?« »Rache trübt den klaren Verstand. Unser Vorgehen muß kühl und sachlich sein – mit dem Zweck, den Mörder deines Vaters vom Thron des Imperiums zu stoßen. Das ist keine Rache, sondern Gerechtigkeit und Strafe für ein Verbrechen. Du solltest diesen scheinbar geringfügigen Unterschied niemals vergessen.« »Ich will mich bemühen«, versprach ich, wußte aber, daß mich der Gedanke an Rache weiterhin antreiben würde. Er war der Motor meines Handelns und verlieh mir Kraft und Zuversicht, selbst in ausweglosen Situationen. Nein, ich werde ihn nicht aufgeben! Ein Wagen kam uns entgegen. So wie wir hatte er kein Licht, aber das Geräusch der Moojapranken war nicht zu überhören. Schließlich war er zu sehen, knapp hundert Meter entfernt. Fartuloon lenkte unsere Echse zur rechten Seite, um Platz zu machen. Er pfiff nun nicht mehr. Ich legte meine Hand auf den Griff des Kombistrahlers, fest entschlossen, ihn auch anzuwenden, sollte es sich als notwendig erweisen. Wir hatten Glück. Aber bis wir das wußten, standen wir noch einige Zentitontas der Ungewißheit durch. Der Wagen wich nämlich keinen Zentimeter aus, sondern blieb mitten auf der Straße. Er kam genau auf uns zu – wenn Fartuloon noch weiter nach rechts lenkte, würden wir in den Graben kippen. Wir hielten an. Nun lag auch Fartuloons Hand in der Nähe des Gürtels. »Laß mich reden!« Der andere Wagen kam näher. Ich sah am Schatten, daß es ein ähnlicher Wagen wie der unsere war. Auf keinen Fall also handelte es sich um einen Warentransport oder eine Suchpatrouille. Wenige Meter von uns entfernt hielt er an.
Eine etwas rauhe Stimme fragte: »Wie weit noch bis zur Siedlung?« Ich hielt den Mund, wie ich versprochen hatte. Fartuloon sagte: »Zwei Tontas, mehr nicht. Es wird bald regnen.« »Bis dahin haben wir es geschafft. Aber Sie werden es nicht in zwei Tontas bis zum Umschlagplatz beim Raumhafen schaffen. Fahren Sie in der Nacht spazieren? Bei Tage ist es reizvoller.« »Geschäfte.« »Ihr denkt hier nur an Geschäfte!« kam es ein wenig verächtlich zurück. »Wir dachten, hier einen geruhsamen Urlaub verbringen zu können, aber die Hektik von Jacinther ist unglaublich. Möchte wissen, wer sich hier erholen soll!« Also Urlauber, keine Gefahr für uns. Meine Hand zog sich vom Griff des Strahlers zurück. »Alles eine Sache des Standpunkts.« Fartuloon bemühte sich, seiner Stimme einen verweisenden Tonfall zu verleihen. »Wem Jacinther nicht gefällt, soll zu Hause bleiben. Außerdem möchte ich wissen, was an dieser friedvollen Landschaft hektisch sein soll. Die Geschäfte der Händler brauchen Sie nicht zu kümmern.« »Na, ich weiß nicht… Es sind ja nicht die Händler allein, die eine solche Unruhe verbreiten. Überall wimmelt es von diesen Echsen und ihren Wörtern. Der Raumhafen ist praktisch von Polizei und Militär umlagert. Es sieht so aus, als warte man auf einen Angreifer und bereite sich auf Krieg vor. Und da wollen Sie mir erzählen, hier könne man sich erholen, Essoya? Die Reise hat mich eine Menge Geld gekostet.« »Das tut mir aufrichtig leid, denn ich weiß den Wert des Geldes zu schätzen. Übrigens, seit wann wurde das Militär am Raumhafen verstärkt? Das ist mir neu, und ich lebe schon lange hier.« »Seit zwei Pragos. So, und nun möchten wir weiterfahren,
ehe das Unwetter losbricht. Ihnen wünsche ich viel Vergnügen.« Der Wagen passierte uns. Die zweite Gestalt, die ich noch erkennen konnte, mußte einer der Echsenwärter sein, die von den Urlaubern mit ihren Wagen gemietet wurden. »Puh!« machte Fartuloon, als der Wagen hinter uns in der Dunkelheit verschwunden war. »Einer dieser typischen Snobs, denen man es niemals recht machen kann. Aber in Urlaub fahren müssen sie, damit sie dann vor ihren Freunden prahlen können, wo sie schon überall waren.« Ich mußte lächeln, weil Fartuloon sich so ereiferte. Aber er hatte natürlich recht. »Es sind noch mindestens fünfzehn Kilometer bis zum Raumhafen.« »Aber nur noch zehn bis zum Palast des Gouverneurs. Es gibt da eine Abkürzung, wie Harakas mir erklärte. Kann sein, daß sie bewacht ist, aber wir können uns ja dumm stellen.« Ich schwieg. Das Mooja zog wieder an, und bald begann auch Fartuloon wieder fröhlich vor sich hin zu pfeifen. Damit war die Welt für ihn abermals in Ordnung. Weniger für mich. Ich machte mir ernstlich Sorgen, wie das Abenteuer ausgehen würde, das eigentlich nur eine Erkundung sein sollte. Bezog ich den Zeitfaktor in die Kalkulation ein, sah diese Erkundung nicht sehr vielversprechend aus. Wir würden den Palast erst nach Mitternacht erreichen, sofern wir nicht aufgehalten wurden. Bis es uns gelungen ist, die Bewachung auszukundschaften oder gar einzudringen, wird es hell. Die Frage bleibt demnach offen, wie wir wieder herauskommen und unbehelligt die Rückfahrt antreten können. Fartuloon schien sich darüber keine Sorgen zu machen. Wir passierten eins der zahlreichen Moojagehege. Die ringsum installierten Impulssender wirkten nur nach einer Seite, so daß unser Tier von den Befehlen nicht beeinflußt wurde. Fartuloon spielte mit seinem Impulssender, aber zum Glück kam er jetzt
nicht auf die Idee, ihn noch einmal auszuprobieren. Das Scharren und Rascheln aus der Finsternis ließ mich vermuten, daß nur wenige Dutzend Meter entfernt Hunderte von Moojas waren. Zwei Tontas nach unserer Begegnung mit dem Touristen – seit einer halben Tonta befanden wir uns nicht mehr auf der Hauptstraße, sondern auf der »Abkürzung« – hielt Fartuloon das Mooja an. Der Wagen blieb mit einem Ruck stehen, fast hätte ich das Gleichgewicht verloren. »Wir gehen zu Fuß weiter.« »Warum?« Mit steifen Beinen kletterte ich vom Sitz. Vor mir erkannte ich einen dunklen Waldstreifen, hinter dem das Sperrgebiet mit den speziell abgerichteten Moojas lag. Fahle Lichtfächer standen zwischen den Bäumen, andere wanderten über den Himmel. »Ein Wagen würde auffallen, denn ich nehme an, daß es hier Wachen gibt. Wir deponieren den Sender im Wald und stellen ihn so ein, daß seine Reichweite nur diese Tiere beeinflussen kann. Dann versuchen wir, bis zum Palast vorzudringen.« »Und wenn man uns erwischt?« Fartuloon brummte: »Mir wird schon etwas einfallen.« Davon war ich zwar überzeugt, aber es beruhigte mich nicht sonderlich. Schossen die Wärter zuerst und fragten dann erst, nützte die beste Ausrede nichts mehr. Nach Fartuloons Beschreibung war der Wald ringförmig angelegt und schloß das Muldengebiet ein, in dessen Zentrum der ausgediente Kugelraumer stand, der dem Gouverneur als Wohnsitz diente. Wir folgten einem ausgetretenen Pfad ein Stück, bis wir beinahe über einen großen Felsbrocken stolperten, der uns zu einem Umweg zwang. Fartuloon justierte den Sender, sah sich um und schob ihn dann unter eine Aushöhlung des Steins. Vorsichtshalber bedeckte er die Stelle mit einigen Zweigen und Erde.
Obwohl ich vollstes Vertrauen zu ihm und seinen technischen Kenntnissen hatte, war mir doch unbehaglich zumute. Ein Mann, der sich so von der Außenwelt abschirmt wie Ruuver, wird auch dafür sorgen, daß er unbehelligt bleibt. Auf die Moojas allein wird er sich nicht verlassen. Ich machte eine entsprechende Bemerkung, erntete jedoch lediglich ein fast unwilliges Abwinken. Am Waldrand hielten wir an. In regelmäßigen Abständen sorgten Scheinwerfer dafür, daß der Sperring taghell beleuchtet war. Der nur mit Gras bedeckte Streifen war nicht breiter als zweihundert Meter, aber wo immer ich auch hinsah, erblickte ich Moojas. Die meisten von ihnen lagen lang ausgestreckt und schliefen, aber andere spazierten schwerfällig an der Sendezone entlang, die ihnen Einhalt gebot. »Ich habe den Impulssender auf ›Passives Abwarten‹ geschaltet«, flüsterte Fartuloon. »Das bedeutet, daß kein Mooja sich von der Stelle rühren wird, wenn wir ihn aktivieren. Ich hielt es für zu gefährlich, sie völlig sich selbst zu überlassen. Notfalls wird vielleicht auch diese Demonstration genügen, den Gouverneur zu überzeugen.« Ich war inzwischen sicher, daß sich in der Nähe des Sperriegels keine Wärter aufhielten. Wir hatten es lediglich mit den Echsen zu tun. Fartuloon schaltete den im Wald deponierten Sender ein und nickte mir zu. »Gehen wir, und tu ganz so, als wärst du zur Erholung hier! Du spazierst durch einen Park! Die Moojas lassen uns unbehelligt, verlaß dich darauf.« Er behielt recht, aber es war trotzdem ein unheimliches Gefühl, mitten durch die Gruppen der Echsen zu gehen. Sie lagen oder standen herum, sahen uns zwar nach, machten aber keine Anstalten, uns den Weg zu verstellen. Fartuloon und ich atmeten auf, als wir den zweiten Waldgürtel erreichten. Die hier installierten Impulsgeber hinderten die Moojas ebenfalls
daran, ihr Gebiet zu verlassen. Fartuloon schaltete unseren eigenen Sender wieder aus. Sofort bewegten sich die Moojas wieder und gingen ihrer bisherigen Tätigkeit nach. Sie schienen uns völlig vergessen zu haben. Mein Vertrauen zu Fartuloon stieg weiter. Seine Theorie stimmt. Er ist zum Meister der Echsen geworden, die ihm bedingungslos gehorchen. Nun erst war ich davon überzeugt, daß wir unser Ziel erreichen würden, obwohl es noch einige Schwierigkeiten geben konnte, die wir nicht einberechnet hatten. Wir durchquerten den nicht sehr dichten Wald und erreichten den Rand der Mulde. Dort blieben wir stehen und sahen in das beleuchtete Rundtal hinab: Genau in der Mitte, knapp tausend Meter entfernt, stand die untere Hälfte des Kugelraumers. Ringsum erstreckte sich ein Park mit schimmernden Seen und künstlichen Flußläufen, der genügend Möglichkeiten bot, sich zu verstecken, obwohl es viele Scheinwerfermasten gab. Von militärischen Anlagen oder Warnvorrichtungen bemerkte ich nichts, aber ich war sicher, daß sie vorhanden waren. Der Logiksektor bestätigte: Ein Mavillan Ruuver verläßt sich nicht allein auf die Moojas. Fartuloon flüsterte: »Der Mann hat Phantasie, nicht wahr? Wohnt in einem ausgedienten Raumschiff, das größer als manch anderer Palast ist. Dort ist er sicher, da die technischen Einrichtungen bestimmt noch funktionieren. Er hat seine eigene Energieversorgung und ist von Kortasch-Auromt unabhängig. Ihm kann es völlig egal sein, was die Händler treiben.« »Warum will er dann unbedingt Imperiumsbeauftragter werden? Hier ist er sein eigener Herr, niemand erteilt ihm Befehle. Was will er mehr?« »Einfluß, Atlan, Macht! Er hat seine Komplexe wie jeder andere auch; er will Anerkennung und vor allem Macht und
nochmals Macht. Wie viele andere kann er den Gedanken nicht ertragen, daß noch einer über ihm steht – in seinem Fall Agmon. Statt hier in Frieden zu leben und sein Leben zu genießen, strebt er nach mehr. Er will der Herr des ganzen Planeten werden, und dazu ist ihm jedes Mittel recht. Ich nehme an, alle vier Gouverneure von Jacinther denken und fühlen so. Sie haben zweifellos ähnliche Charaktereigenschaften.« Seine Theorie hatte einiges für sich und war logisch. Von diesem Gesichtspunkt ausgehend, konnten wir die Handlungsweise Ruuvers vorausberechnen und uns entsprechend verhalten. Berücksichtigten wir seine geheimen Ziele, verspürte er vielleicht sogar das Verlangen, uns als Bundesgenossen zu gewinnen. Und die Geschichte mit Fartuloons Sender würde diesem Verlangen noch Nachdruck verleihen. Wir folgten dem deutlich sichtbaren Pfad in die Senke hinab. Der dunkle Streifen des Waldes blieb zurück. Vor uns lagen die Parkanlagen, überragt von dem Rundbau des Gouverneurs. Aus einigen der Luken fiel Licht, also schliefen nicht alle im Palast. Vermutlich gab es ständige Wachen, aber das würden wir ja bald wissen, sofern Fartuloon sich nicht damit zufriedengab, nur die nähere Umgebung zu erforschen. Wenigstens gab es hier keine Moojas, denn der im Wald deponierte Sender war auf geringe Reichweite eingestellt. Er würde keine Echse hier unten im Tal beeinflussen. Fartuloon blieb plötzlich stehen. »Ein Haus – vor uns«, flüsterte er. »Wachtposten.« Das Gebäude war nicht sehr groß und lag in völliger Dunkelheit. Aus keinem der Fenster drang Licht nach außen. Eventuell handelte es sich um das private Wohnhaus eines Wärters, der für die Tiere im Sperrgürtel verantwortlich war. »Nach einem Wachtposten sieht mir das nicht aus«, raunte ich. Wir schlichen uns näher heran, die Strahler in den Händen. Ich
glaube, in diesen Augenblicken war Fartuloon ganz froh, sein Skarg im Haus von Harakas zurückgelassen zu haben, obwohl er sich sonst nie von dem Schwert trennte. Es wäre ihm jetzt nur hinderlich gewesen. Als sich nichts in dem Haus rührte, gingen wir weiter. Es hatte wenig Sinn, es zu untersuchen und die Bewohner vielleicht aufzuwecken. Je näher wir dem Palast kamen, desto häufiger waren die hohen Masten mit den nach unten gerichteten Scheinwerfern, die das unmittelbar darunter liegende Gelände taghell erleuchteten. Mehrmals mußten wir den Pfad verlassen und zwängten uns durch Gebüsch, das Sichtschutz bot. Schließlich erreichten wir das Parkende. Fartuloon zog mich in die Büsche zurück. »Ich fürchte, viel weiter kommen wir nicht«, flüsterte er und deutete in Richtung der gewaltigen Halbkugel; fast hatten wir den von der Schnittfläche markierten Kreis erreicht, die mächtigen Teleskopstützen waren noch mehr als hundert Meter entfernt. »Siehst du die positronischen Kontrollstellen? Sie sind in regelmäßigen Abständen angebracht und hell angestrahlt. Ich bin davon überzeugt, daß jede von ihnen vom Innern des Palastes aus scharf überwacht wird. Sobald jemand die so markierte Grenze überschreitet, wird automatisch Alarm ausgelöst. Wir haben nicht die Mittel, eine solche Anlage auszuschalten, ohne daß es bemerkt wird. Schade, aber zu erwarten.« Es begann zu regnen; ich sagte: »Wir sollten versuchen, dem Gouverneur so etwas wie eine Botschaft zu übermitteln, damit er weiß, daß wir unter gewissen Bedingungen bereit sind, mit ihm zu sprechen. Schließlich hat er uns ja zu diesem Zweck entführen lassen.« »Eine Botschaft…? Und wie?« »Das weiß ich noch nicht«, gab ich zu. Er knurrte etwas Unverständliches und sah zum Himmel, an
dem die Sterne einer nach dem anderen verschwunden waren. Es regnete zum Glück nicht sehr stark, der befürchtete Sturm blieb aus. Es war ziemlich kühl geworden. »Könnten wir uns einen der Wächter schnappen, wäre es kein Problem.« Weiterhin rührte sich nichts vor dem Palast, aber die Kontrollmasten verdeutlichten, daß wir keinen Schritt weiterkamen. Wenn wir nicht weiter nach vorn gelangen, dann eben zurück. Das schlafende Haus ist die Lösung! wisperte der Logiksektor. Hielt sich jemand darin auf, konnten wir ihn überraschen, ohne gleich die ganze Palastwache aufzuwecken. Ich erklärte Fartuloon meinen Plan. »Hm, das wäre eine Möglichkeit. Schön, der Gouverneur weiß dann Bescheid, aber wie soll er uns seine Antwort mitteilen? Wir müssen vorsichtig sein, damit er uns keine Falle stellt.« »Vergiß die Moojas nicht!« Wir blieben noch eine Weile in unserem Versteck und beobachteten die Halbkugel, nicht ohne ein gewisses Bedauern, wie ich zugeben mußte. Eigentlich haben wir den Weg umsonst gemacht, obwohl wir nun wissen, daß wir zumindest bis hierher gelangen können, ohne Alarm auszulösen. Wir gingen den gleichen Weg wieder zurück, bis wir das dunkle Haus erreichten. Fartuloon hantierte vorsichtig an der Eingangstür, bis er sie öffnen konnte. Behutsam und geräuschlos schlichen wir uns in den unbeleuchteten Vorraum und lauschten. Stille, absolute Stille, so als sei das Haus unbewohnt… Aber dann entdeckten wir im schwachen Schein unserer winzigen Lampen die nassen Schuhe neben der Tür. Daneben hing ein Überwurfmantel, ebenfalls triefnaß. Der Besitzer
mußte also gekommen sein, während wir vor dem Palast Stellung bezogen. Fartuloon suchte mit der Lampe die Wände ab, bis er den primitiven Lichtschalter fand. Eine Treppe führte nach oben. »Uralter Kasten«, flüsterte er enttäuscht. »Sicher gut genug für einen Moojawärter. Aber wenigstens müssen wir nicht mit einer modernen Alarmanlage rechnen. Geh du hinauf und versuche, den Mann zu finden. Weck ihn auf und bring ihn her.« »Und wenn er nicht allein hier wohnt?« »Bring sie alle her!« »Du hast eine ermutigende Art, derartige Dinge anzugehen«, brummte ich sarkastisch. Sein Optimismus und seine unerschütterliche Zuversicht wirkten allerdings ansteckend, selbst auf den größten Skeptiker. Nahezu geräuschlos gelangte ich bis zum oberen Flur und stand ratlos vor den Türen. Welches ist die richtige? Ich lauschte eine nach der anderen ab, bis ich hinter der vierten ein Schnarchen hören konnte. Weitere Geräusche vernahm ich nicht und hoffte, daß der Hausbesitzer allein war. Um jedoch sicher zu sein, daß außer ihm niemand mehr im Haus war, öffnete ich vorsichtig zuerst eine der anderen Türen, leuchtete in den Raum und überzeugte mich davon, daß meine Vermutung stimmte. In keinem der anderen Räume hielt sich jemand auf. Alle Betten waren leer, wenn auch benutzt. Das ist kein Privathaus, sondern eine »Schäferhütte« der Moojawärter, sagte der Extrasinn. Hier schlafen sie abwechselnd; Schichtdienst im Sperrgebiet. Das bedeutet aber auch, daß jederzeit einer von ihnen kommen kann. Ich ging in das Zimmer, in dem der schnarchende Wärter lag, schaltete das Licht ein und richtete meinen Strahler, der auf schwächste Leistung eingestellt war, auf
einen dürren Arkoniden, der sich schlaftrunken aufrichtete und mich wie ein Gespenst anstarrte. »Stehen Sie auf!« Ich versuchte, meiner Stimme einen freundlichen und dennoch sehr nachdrücklichen Tonfall zu verleihen. »Machen Sie keine Dummheiten. Tun Sie nur das, was ich Ihnen sage. Gibt es von hier aus eine direkte Verbindung zum Palast des Gouverneurs?« Er schwang langsam ein Bein aus dem Bett. »Wer sind Sie, was wollen Sie?« »Das erfahren Sie früh genug; Ihnen wird nichts geschehen, wenn Sie gehorchen.« Von unten her dröhnte Fartuloons ungeduldige Stimme: »Bleibt oben, ich komme.« Unser Wärter erschrak, als er das mächtige Organ vernahm, schwang nun auch das zweite Bein aus dem Bett. Er hatte völlig angezogen geschlafen. »Sitzen bleiben«, sagte ich, als Fartuloon ins Zimmer trat, und wiederholte: »Verbindung zum Palast?« »Keine.« »Gut«, übernahm Fartuloon das Verhör. »Ein paar Fragen: Sie gehören zu den Wärtern der Moojas?« »Ja.« »Wo sind die anderen?« »Sie patrouillieren um das Sperrgebiet.« »Wie viele seid ihr?« »Fünf.« »Wann kommt Ihre Ablösung?« »Nicht vor drei Tontas.« Er beantwortet zu bereitwillig und schnell alle Fragen, aber das kann auch seiner Furcht zugeschrieben werden. Jedenfalls ließ ich ihn nicht aus den Augen und achtete auf jede seiner Bewegungen. Als Fartuloon nicht sofort weitersprach, fragte unser
Gefangener: »Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?« »Von Ihnen nichts, abgesehen davon, daß Sie dem Gouverneur eine Botschaft von uns übermitteln sollen. Aber erst in zehn Tontas, nicht schon jetzt. Haben Sie Schreibmaterial?« »Ja, unten im Wohnraum. Eine Botschaft…?« »Eine schriftliche Botschaft, richtig. Kommen Sie mit.« Ich nahm seinen Arm und zog ihn aus dem Zimmer. Fartuloon folgte uns. Im Wohnzimmer gab es einen Tisch, mehrere Stühle und eine Liege. Von einem Nachrichtengerät war nichts zu sehen. Alles war reichlich einfach und primitiv, Wachstube eben. Schreibfolie und -stift waren allerdings vorhanden. Fartuloon überließ den Gefangenen mir und setzte sich an den Tisch, um die Botschaft an den Gouverneur zu verfassen. Ich nutzte die Gelegenheit zu weiteren Fragen: »Die Moojas im Sperrgebiet – wie reagieren sie, wenn man es betritt?« »Sie fallen über jeden her, sogar über uns. Es wird ihnen durch die Befehlsimpulse lediglich verboten, die Grenze zu überschreiten.« »Also kann niemand die Zone betreten, falls die Sender nicht umgeschaltet werden.« »Richtig.« »Und Sie sind insgesamt nur fünf Wärter?« »Mehr sind nicht notwendig.« Das sah ich ein. Aber da war noch etwas, das mich interessierte: »Haben Sie kurz nach Mitternacht eine Veränderung im Verhalten der Moojas festgestellt?« Er warf mir einen verblüfften Blick zu, dann nickte er. »Das haben wir. Kurz vor meiner Ablösung bemerkte ich, daß die Echsen sich seltsam benahmen. Sie standen oder lagen herum ohne die sonst übliche Aktivität. Wir haben sofort die ImpulsSendezentrale überprüft, aber nichts feststellen können. Wenig
später benahmen sich die Moojas wieder normal.« Er sah mich noch immer an, begriff die Zusammenhänge. »Haben Sie etwas damit zu tun?« »Allerdings«, sagte ich, mehr nicht. Er würde es ohnehin erfahren. »Eine letzte Frage: Wie wird der Palast des Gouverneurs bewacht? Ist die positronische Sperre der einzige Schutz?« »Es gibt Wachtposten, wenngleich die Positroniksperre genügt, jeden unangemeldeten Besucher sofort zu registrieren. Planen Sie etwa, in den Palast einzudringen? Ich gebe Ihnen den guten Rat: Versuchen Sie es lieber nicht!« Ich lächelte vieldeutig und ließ offen, ob wir seinen Rat befolgten oder nicht. Fartuloon hatte das Schreiben fertig und gab es mir, während er sich leise mit dem Gefangenen unterhielt. Ich las den Brief an Ruuver. Fartuloon teilte ihm darin mit, daß seine vier entflohenen Gefangenen wohlauf seien und den Wunsch verspürten, mit ihm in Verhandlungen zu treten, allerdings als gleichberechtigte Partner. Er schlug vor, daß der Gouverneur zum Zeichen seines Einverständnisses einen rotlackierten Gleiter über der Siedlung der Händler und dem Stützpunkt kreisen lassen sollte. Weiter warnte er davor, in der Handelssiedlung Nachforschungen vornehmen zu lassen, da ein solches Vorgehen katastrophale Folgen haben könnte. Er betonte, daß wir die technischen Mittel hätten, alle Moojas der Insel der Kontrolle ihrer Wärter zu entziehen. Fartuloon übergab den Brief unserem Gefangenen und sagte: »Sie kommen mit uns, damit Sie dem Gouverneur berichten können. Wir zeigen Ihnen, welche Gewalt wir über die Moojas haben. Und sagen Sie Ihrem Herrn, daß wir in der Lage sind, alle Moojas von Kortasch-Auromt gegen ihn zu hetzen. So, machen wir uns auf den Weg, und stecken Sie den Brief gut weg, damit er nicht naß wird. Draußen regnet es noch.«
»Wohin bringen Sie mich?« »Nur bis zum Rand des äußeren Waldes, dann dürfen Sie zurückkehren.« »Durch den Sperrgürtel?« »Solange wir es wollen, ist es ungefährlich. Sie werden sehen.« Er zog Schuhe und Mantel an und folgte uns widerspruchslos. Wir kamen schnell voran und erreichten bereits nach kurzer Zeit den Sperrgürtel. Abermals betätigte Fartuloon den Impulsgeber, und sofort verhielten sich die Moojas wieder absolut passiv und ließen uns auf das Gelände. Sie drehten kaum den Kopf. Ungefährdet erreichten wir den Waldrand und hielten an. »Du kannst jetzt zurückgehen«, sagte Fartuloon zu dem Gefangenen. »Vergiß den Brief nicht, er ist wichtig. Wir warten, bis du den inneren Wald erreicht hast – du hast eine zehntel Tonta Zeit. Dann allerdings mußt du in Sicherheit sein, denn die Moojas sind dann wieder normal. Also – Famal Gosner!« Ohne noch ein Wort zu verlieren, begann der Wärter zu laufen. In weniger als einer Zentitonta hatte er ein Viertel der Strecke zurückgelegt. »Weiter«, sagte Fartuloon. »Wir haben jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Unser Mann wird die anderen Wärter alarmieren.« Als wir den Stein erreichten, unter dem der Sender verborgen war, sah Fartuloon auf die Uhr, und als die Dezitonta vorbei war, justierte er den Sender neu. Als er sich wieder aufrichtete, war sein Gesicht ernst. »Die Reichweite beträgt nun fünfhundert Kilometer im Umkreis und erfaßt somit fast die gesamte Hochebene. Jeder andere Impulssender wird überlagert, jedes Mooja wird bei der Aktivierung unseres Senders absolut frei und nach
Charakter handeln. Einige werden friedlich grasen, aber nicht mehr arbeiten. Andere werden zu reißenden Bestien, so wie jene in der Sperrzone. Wieder andere werden aus den Gehegen ausbrechen, die Ansiedlungen erreichen und alles niedertrampeln, was sich ihnen in den Weg stellt. Und für das alles genügt ein winziger Hebeldruck. Der Impulsgeber ist so klein, daß ich ihn im Stiefel verstecken kann.« Wir fanden den Wagen und das Mooja wohlbehalten vor. Das Tier hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Es begrüßte uns mit einem freudigen Fauchen. Im Osten begann es schon zu dämmern, als wir die Hauptstraße erreichten und nun direkt nach Norden fuhren. Die Rückfahrt verlief ohne Zwischenfall. Wir schliefen bis Mittag, dann weckten uns Eiskralle und Morvoner, die ihre Ungeduld nicht mehr länger zügeln konnten. Auch Coraschol war neugierig. Vor allen Dingen wunderte er sich darüber, daß wir heil zurückgekehrt waren. Harakas war mit einem Transport zum Raumhafen unterwegs und hatte keine Fragen gestellt. Ich übernahm die Berichterstattung, weil Fartuloon noch zu müde war. Als ich geendet hatte, sagte Coraschol langsam: »Ich war heute in der Siedlung bei einem Bekannten und bin sicher, eine verstärkte Präsenz der Polizei bemerkt zu haben. Es sind mehr Streifen als sonst unterwegs, die alle Passanten kontrollieren. Es war nicht klug von euch, den roten Gleiter über der Siedlung kreisen zu lassen, denn nun weiß der Gouverneur, wo ihr euch aufhaltet.« »Unsinn!« knurrte Fartuloon mißmutig. »Das weiß er eben nicht! Hier kann auch nur ein einzelner Mann sitzen und über Funk bekanntgeben, daß der rote Gleiter da ist. Wir selbst könnten uns auf dem Plateau in einer Höhle aufhalten, wo
man uns tagelang vergeblich suchen würde. Ich bin gespannt, ob der Gleiter überhaupt auftaucht. Denkst du, Coraschol, daß die Polizei auch die Häuser durchsuchen wird?« »Das wäre möglich, aber bei Harakas werden sie es nicht wagen. Es gibt gewisse Rechte, die auch von der Polizei respektiert werden müssen.« Morvoner hatte noch immer seine alte ID-Karte, die ihn als Verc’athor der arkonidischen Raumflotte auswies, als Zweimondträger und Kommandant der 5. Raumlandebrigade des 94. Einsatzgeschwaders unter dem Oberbefehl von DeKeon’athor Sakäl. Er zog sie aus der Tasche und klatschte sie auf den Tisch. »Wenn ihr nichts dagegen habt, werde ich einen Spaziergang machen. Ich bin Kommandant der Flotte auf Urlaub. Den Polizisten möchte ich erleben, der mir das nicht abnimmt. Ich habe so viele Auszeichnungen und Planetenbesuche gespeichert, daß ihm die Augen tränen werden.« »Sei vorsichtig!« warnte Fartuloon. »Und bleib ruhig und besonnen! Schlag nicht den nächsten Polizisten nieder, nur weil er dich nach der Zeit fragt.« »Seid unbesorgt. Freunde, ich bin die Besonnenheit in Person. Außerdem hat das Essen gut gemundet, und ich bin satt. Dann bin ich immer friedlich gestimmt. Gegen Nachmittag komme ich zurück und erstatte Bericht.« Er stand auf und salutierte übertrieben. »Verc’athor Morvoner Sprangk meldet sich ab zum Sondereinsatz!« Wir sahen ihm mit gemischten Gefühlen nach. Ich legte mich wieder hin, während Fartuloon den Absatz seines Stiefels so präparierte, daß er den Impulsgeber darin unterbringen konnte. Nahm er eine bestimmte Fußstellung ein, wurde das Gerät aktiviert – oder ausgeschaltet. Coraschol unternahm ebenfalls einen Spaziergang, um »ein wenig auf Morvoner aufzupassen«. Eiskralle schlief.
So vergingen zwei geruhsame und doch spannungsgeladene Tontas. Coraschol kehrte als erster zurück, und als wir sein Gesicht sahen, wußten wir, daß unsere Sorgen berechtigt gewesen waren. »Euer Freund sitzt in der Klemme!« sagte er und setzte sich. »Es war nicht mehr zu verhindern, obwohl ich in der Nähe war und das Geschehen beobachten konnte. Über der Stadt fliegt in geringer Höhe ein rotgestrichener Gleiter und zieht seine Kreise. Niemand weiß, wem er gehört und was das bedeutet. Die Polizei reagiert nicht auf Anfragen der zivilen Händler. Sie weiß angeblich ebenfalls nicht Bescheid…« »Was ist mit Morvoner?« unterbrach ihn Fartuloon ungeduldig. »Er wurde verhaftet! Ich habe herausgefunden, daß er in eine Wachstube unten in der Siedlung gebracht und dort eingesperrt wurde.« »Ausgezeichnet!« rief Fartuloon sarkastisch. »Als hätten wir nicht genug Ärger! Was nun? Sollen wir ihn mit Gewalt herausholen?« »Ihm wird nichts geschehen«, vermutete ich. »Vielleicht finden sie wirklich heraus, daß er einer der vier entflohenen Gefangenen ist, dann wird der Gouverneur ihn sprechen wollen. Zur gleichen Zeit werden wir wahrscheinlich auch dort sein. Immerhin kam der rote Gleiter, damit haben wir eine weitere Runde gewonnen. Wann brechen wir auf?« Eiskralle sagte rauh: »Ich gehe zu der Wachstube und beglückwünsche die Polizisten zu ihrem Erfolg. Ein kräftiger Händedruck wird sie sehr glücklich machen…« »Gar nichts wirst du tun!« donnerte Fartuloon, »Der Fall löst sich von allein. Wir lassen Morvoner im Gefängnis sitzen und machen uns auf den Weg zum Gouverneur. Ein Druck im Stiefelabsatz, dann haben wir auf ganz Kortasch-Auromt das größte Durcheinander. Coraschol, kannst du uns einen Gleiter
besorgen?« Der Wärter machte ein nachdenkliches Gesicht. »Eigentlich kann das nur Harakas, aber ich versuche es – in seinem Auftrag. Aber ich begleite euch nicht, ich möchte nicht noch mehr auffallen.« »Wir brauchen dich nicht. Bleib lieber hier und beobachte, was mit Sprangk geschieht.« Coraschol ging und nahm den Lift hinauf zum Plateau. »Ich habe es ja gewußt!« Fartuloon war wütend, daß er Morvoner hatte gehen lassen. »Hätte zwar jedem von uns passieren können. Aber nun sitzt er fest – dabei wollte ich ihn für denkender benutzen, damit Ruuver nicht auf die Idee kommt, so ein Gerät könnte an unseren Körpern verborgen sein. Wie gut, daß ich den Trick mit dem Absatz kenne.« »Es gibt kaum einen älteren«, sagte Eiskralle ironisch. In den kommenden zwei Tontas sagten wir uns noch mehr solche Freundlichkeiten, aber dann kam Coraschol endlich zurück. Er schüttelte den Kopf. »Erst morgen ist ein Gleiter verfügbar. Außerdem kommt Harakas noch vor Einbruch der Dämmerung zurück. Vielleicht kann er euch helfen. Der rote Gleiter ist übrigens nach Süden abgeflogen.« »Morgen erst? Und was ist mit Morvoner? Er darf nicht vor uns beim Gouverneur sein, sonst besteht die Möglichkeit, daß er uns durch eine unbesonnene Bemerkung in Gefahr bringt.« »Ich habe meinen Vorschlag gemacht«, rief Eiskralle, »und hiermit wiederhole ich ihn: Wir holen Morvoner noch heute heraus!« Fartuloon sah mich fragend an. Ich nickte. »Ich stimme Eiskralle zu, denn es hat keinen Zweck, Morvoner sich selbst zu überlassen. Wir müssen die Polizei überwältigen, ehe sie Gelegenheit erhält, mit einer anderen Station Verbindung aufzunehmen.«
»Also gut«, sagte Fartuloon. »Ich bin einverstanden. Heute nacht?« »Wenn man Morvoner nicht noch heute abtransportiert.« »Das ist kaum anzunehmen«, sagte Coraschol. »Jeder Gefangene der Polizei hat eine Nacht Gelegenheit, ein Geständnis abzulegen, ehe er vor Gericht gebracht wird.«
21. Aus: Quortan da Keehada an Sargor delHeve-She, 13. Prago des Tedar 4011 da Ark. In: Privatkorrespondenz der Heve-SheSammlung (2. Auflage), Heve, 4312 da Ark Du fragtest, hochgeschätzter Freund, wem die Verehrung des Volkes und die Gnade der She’Huhan für die Endeckung der formidablen Essoya gelten sollen. Sicher, die Verdienste von Sheffal da Sisaal während seines Dienstes als Ka ’Marentis von Imperator Zoltral I. nötigen Respekt und Hochachtung ab. Nicht umsonst gehören seine »Botanischen Exkurse« zu dem Kanon der arkonidischen Biowissenschaften. Du darfst allerdings nicht vergessen, lieber Großcousin, daß Sheffal seine Forschung erst nach den Zarakhgoth-Votanii betrieb, längst nachdem die Essoya zum festen Begriff in der Arkon-Küche geworden war. Seine Arbeiten weisen zudem den Charakter von Kompilationen auf, die, obzwar in ihrer systematischen Logik bestechend und in ihrem generalisierenden Blickpunkt genial, in großen Teilen nachweislich auf den Werken unserer heroischen Urahnen basieren. Wie Du weißt, beschäftige ich mich in der (ach so knappen!) Zeit der Muße mit dem Studium der Geschichte unseres Gos’RantonLehens. Die Khasurn-Chroniken derer da Keehada, mit denen Du ja
über Deine verehrte Frau Großmutter verwandt bist, wissen von einem gewissen Cayal da Myndaq zu berichten, angeblich ein Urururenkel von Tamayn da Bargk, der seinerseits in die Imperialen Annalen als Höchstedler Bargk I. einging (mögen ihn die She’Huhan nach Arbaraith entrückt haben!). Jener Cayal, unbedeutend in der Erbfolge und zudem körperlich leicht behindert, also ein Zayna, soll seinen nicht unbeträchtlichen Wissensdurst an der kühlen Quelle der Imperialen Akademie der Künste und Naturwissenschaften der Kristallwelt gestillt haben, die damals zu den größten planetaren Horten des »Gath-Faehrl« gehörte (wörtl. »ferne(s) Schule/Wissen«, auch »entschwundenes Wissen« – Umschreibung für das über die Archaischen Perioden gerettete Wissen von Hypertechnik, Raumfahrt etc. Anm. d. Übers.). Im Besitz meines kürzlich verstorbenen Großvaters (das Licht der She’Huhan möge mit ihm sein!) fand ich zufällig eine kleine Kostbarkeit: Es ist eine handschriftliche Notiz von Sheffal da Sisaal, in der er ebenjenen Cayal erwähnt. Das Dokument, auf echtem Khasurn-Blatt mit Chimon-Tinte niedergeschrieben, diente meinem verehrten Großvater wohl als eine eindringliche Warnung vor den törichten und unbesonnenen Handlungen eines wißbegierigen, jedoch auf dem glatten Kristall der imperialen Politik völlig unerfahrenen Phantasten, der Cayal in seinen Augen sicher war. Sheffal berichtet darin von der Anklage gegen Cayal, in der ihm aufwieglerische Aktivitäten gegen den Höchstedlen Bargk VI. zur Last gelegt werden. Der Unglückliche soll mit der Äußerung »In der Wüste ist mir die häßlichste Essoya lieber als der schönste Khasurn im Garten des Imperators« angeblich um die Gunst des Volkes bei seinen Vorbereitungen für den Umsturz gebuhlt haben (eine vollkommen verrückte Idee, die wohl nur dem kranken Extrasinn der Bargk-Bestie entspringen konnte – in jener Zeit, 3785 da Ark, startete übrigens von Mehan ’Ranton aus der »erste Handelsmann« Torgona, nach dem später die Stadt auf Arkon IV benannt wurde). Sheffal zitiert ferner Passagen aus einigen uralten Quellen, in
denen er andere Aussagen zum Thema »Essoya« fand; als da wären: »Die Beschreibung der Welt« von Jarkon dorn Auschiya (» Tief in der Savanne, wo das Wasser so kostbar ist, daß nach jedem Regen Dorfkatanen gefeiert werden, gedeiht die unscheinbare Essoya, in ihrem Inneren das kostbare Naß speichernd.«) und »Die Wunder und Curiosa der Trockenlande« von Atlan nert Hobo (»Die Savanne ist ein strenger Zuchtmeister: Sie tötet mit Mehinda und rettet mit Essoya.«)… Etset-Auromt, Harakas’ Haus: 16. Prago des Ansoor 10.497 da Ark Der Händler war nicht sehr erfreut, als er erfuhr, was geschehen war. Natürlich war er sofort bereit, einen kleinen Gleiter zu besorgen, der uns zum Palast bringen sollte. Die geplante Befreiungsaktion jedoch behagte ihm nicht. »Das wird Aufsehen erregen.« »Wir verlieren nichts, wenn wir Morvoner aus dem Gefängnis holen«, warf Eiskralle entschlossen ein. »Vielleicht hat die Polizei noch nicht herausgefunden, bei wem Morvoner Unterschlupf fand, dann können wir noch alles retten. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Harakas, niemand wird etwas von Ihrer Rolle erfahren. Im Notfall sagen wir, daß wir Sie erpreßt haben – was ja in gewisser Hinsicht sogar stimmt.« Fartuloon schien die ganze Zeit nachgedacht zu haben, nun sagte er: »Ihr könnt allein gehen. Ich bleibe hier. Erstens werdet ihr wohl mit einer kleinen Polizeistation fertig, zweitens möchte ich unsere wunderbare Geheimwaffe nicht in Gefahr bringen. Solltet ihr es nicht schaffen und bis Mitternacht nicht zurückgekehrt sein, lasse ich für eine halbe Tonta die Moojas los und nehme über die Handelsmission direkten Funkkontakt mit dem Tato auf. Einwände?«
Eiskralle und ich schüttelten den Kopf. Fartuloons Vorschlag war logisch und vernünftig. Es machte kaum einen Unterschied, ob wir Morvoner mit zwei oder mit drei Mann befreiten. Wichtig war, daß der Sender einsatzbereit blieb und nicht beschädigt wurde, was bei einem Kampf durchaus möglich war. Da wir die Siedlung inzwischen einigermaßen kannten, fiel es uns auch nicht schwer, die kleine Polizeistation in einer der Nebennischen zu finden. Wir verbargen uns hinter einem Felsvorsprung und beobachteten das einzelnstehende Haus mit dem kleinen Vorplatz, auf dem ein Polizeigleiter stand. Aus einigen vergitterten, aber offenen Fenstern fiel Licht. Wir hörten jemanden sprechen, eindringlich und warnend. Leider war kein Wort zu verstehen. »Wir müssen näher heran«, flüsterte Eiskralle. Wortlos huschten wir weiter vor, jede Deckung ausnutzend und darauf bedacht, nicht in den Lichtschein zu geraten. Wir mußten mit einem Wachtposten rechnen, der in der näheren Umgebung patrouillierte. Abermals hatten wir Glück. Im Schatten des flachgebauten Hauses, das sich an die Felswand schmiegte, gelangten wir bis unter eins der beleuchteten Fenster. In dem Raum dahinter mußten sich mehrere Männer befinden, aber nur einer von ihnen redete. Der Himmel war bedeckt, es regnete noch immer. Zum Glück wehte kein Wind. Nun verstanden wir, was in dem Raum gesprochen wurde: »Zum letztenmal fordere ich Sie auf, die volle Wahrheit zu sagen! Wo sind die anderen, und wer hält sie versteckt? Wir haben Mittel, Sie zur Wahrheit zu zwingen! Reden Sie endlich!« »Ihr verdammten Etappenhengste!« hörten wir Morvoners brüllendes Soldatenorgan. »Ich bringe euch vors Kriegsgericht! Dann werdet ihr sehen, was passiert! An die Methanfront werden sie euch schicken, zu einer Strafeinheit, damit ihr endlich kapiert, welche Dummheit ihr begeht, einen
Orbton der Raumflotte des Imperators in dieser stinkenden Zelle festzuhalten. Ich werde…« Der Rest ging in dem Geräusch von Peitschenhieben unter. Eiskralle wollte aufspringen. Ich hielt ihn fest und hauchte ihm ins Ohr: »Langsam, nichts überstürzen. Von den Hieben wird Morvoner nicht gleich sterben. Wir holen ihn heraus.« Morvoner schrie vor Wut und Schmerzen, aber dann wurde er plötzlich still. »Nun?« fragte einer der Männer in dem Raum. »Hast du genug?« »Bekkarbande!« antwortete Morvoner unbeeindruckt. »Bindet mir die Hände los, ihr Feiglinge, dann könnt ihr was erleben…« »Weitermachen!« befahl die Stimme, wieder hörten wir Peitschenhiebe. Ich hatte mich inzwischen ein wenig aufgerichtet und versuchte, einen Blick in den Raum zu werfen. Der gefesselte Morvoner stand mit entblößtem Rücken vor der Wand. Ein Arkonide in der Uniform der hiesigen Polizei schwang die Peitsche. Zwei andere Polizisten saßen auf Stühlen, beide schwer bewaffnet und anscheinend fest entschlossen, die Wahrheit aus ihrem Gefangenen herauszuprügeln, ehe sie ihn den Wachen des Gouverneurs übergaben. Ich duckte mich wieder. »Wir sollten uns beeilen. Selbst Morvoner hält das nicht lange aus.« »Wir könnten sie von hier aus erledigen. Durchs Fenster.« Eiskralle wies auf meinen Kombistrahler, den ich auf Paralysemodus umgeschaltet hatte. »Nein. Dann ist Morvoner ebenfalls betäubt, und das für ein paar Tontas. Wie sollen wir ihn wegschaffen, ehe Ablösung eintrifft oder die anderen Stationen Verdacht schöpfen? Es muß alles blitzschnell gehen.« Wir schlichen um das Haus herum, bis wir zum Eingang
kamen. Hier war es taghell. Falls irgendwo ein Posten stationiert war, konnten wir uns unmöglich unbemerkt weiterbewegen. »Frechheit siegt!« sagte ich brummig. Wir richteten uns auf und betraten das Haus, als sei nichts weiter dabei. Im Flur hörten wir Morvoners wütendes Gebrüll. Die Türen zu einigen Räumen standen offen, aber es war niemand zu sehen. Die letzte Tür mußte es sein. Sie war nur angelehnt. Auch ohne besondere Absprache war Eiskralle und mir klar, daß wir nur durch einen Überraschungseffekt an unser Ziel gelangen konnten. Morvoner durfte nicht narkotisiert werden, aber die drei Polizisten mußten für längere Zeit außer Gefecht gesetzt werden, damit sie vorerst nichts aussagen konnten. Die Peitschenhiebe hörten auf. Das Verhör wurde fortgesetzt: »Nun, endlich vernünftig? Du kannst schlafen, wenn du redest. Keine Hiebe mehr, vielleicht etwas zu essen und zu trinken. Wo sind deine Freunde, und welcher Verräter hat sie versteckt? Rede!« Morvoner gab keine Antwort. Wenn er nicht mehr schimpft, ist er in schlechter Verfassung. Es wird höchste Zeit, daß wir eingreifen. Ich nickte Eiskralle zu, drückte vorsichtig die Tür so weit auf, daß wir durch den Spalt sehen konnten. Morvoner hing in seinen Fesseln, sein Kopf baumelte kraftlos herab, sein Rücken war blutig. Der Mann mit der Peitsche wollte abermals zuzuschlagen. Die beiden anderen Polizisten lehnten sich bequem in ihre Stühle zurück. In mir stieg eine unbändige Wut auf. Er ist ein verdienter Soldat, der noch unter meinem Vater in der Flotte gedient hat. Nun wird er schlimmer als ein Verbrecher behandelt. Ich richtete die Waffe auf die Polizisten und trat in den Raum. »Aufhören!« Eiskralle war neben mir. Ich bemerkte, daß sich seine gefährlichen Hände zu Fäusten ballten und wieder
entspannten. Diese Vorbereitung kannte ich. Morvoner drehte den Kopf. Trotz seiner Schmerzen grinste er flüchtig und krächzte: »Schneidet mich los, aber schnell, ehe ich es mir anders überlege und die Kerle am Leben lasse…« Unterdessen betäubte ich den ersten Polizisten mit einem gutgezielten Schuß und visierte den zweiten an, aber Eiskralle kam mir zuvor. Mit einem Riesensatz war er bei dem Mann, der eben seine Waffe hob, und ergriff dessen Hand. Was nun geschah, konnte ich nicht verhindern. Der Polizist stand einen Augenblick wie erstarrt, wurde transparent wie eine Figur aus Kristall – und zersplitterte. Der Mann mit der Peitsche stand wie vom Schlag gerührt. Seine Hände sanken herab und ließen das Marterinstrument fallen. Ich ging an ihm vorbei und schnitt Morvoner vorsichtig los. Schwankend blieb er stehen und drehte sich langsam um. Er sah, was geschehen war. Sein Blick blieb auf dem von mir betäubten Polizisten haften. »Tot?« »Nur betäubt. Er bekommt noch eine Ladung, dann wacht er vor morgen mittag nicht auf.« Morvoner nickte stumm, und ehe es jemand von uns verhindern konnte, holte er zu einem fürchterlichen Faustschlag aus. Ohne einen Laut von sich zu geben, fiel der Getroffene um und blieb reglos liegen. Wir erreichten unbehelligt unser Versteck, wo wir von Fartuloon ungeduldig erwartet wurden. Er atmete auf, als er Morvoner sah, erschrak jedoch beim Anblick des geschundenen Rückens. »Halb so schlimm«, knurrte Morvoner und machte eine abfällige Handbewegung. »Harakas hat bestimmt gute Mittelchen. Vielen Dank, daß ihr mich herausgeholt habt. Irgendwann hätte ich doch noch geredet.«
»Mit Sicherheit«, bestätigte ich ihm. »Derartig primitive Foltermethoden sind recht wirksam. Wie konnte das alles überhaupt geschehen?« »Die Kerle waren sehr unhöflich, als sie meine ID-Karte verlangten. Der eine von ihnen machte eine dumme Bemerkung über ausgediente Essoya-Veteranen, die herumfaulenzen und zu nichts mehr zu gebrauchen seien. Da verlor ich die Geduld und trat ihn vors Schienbein. Das ist eigentlich alles. Sie müssen dann später darauf gekommen sein, daß sie einen der vier geflohenen Gefangenen erwischt haben, und wollten die restlichen drei natürlich ebenfalls.« »Hätte auch schiefgehen können«, knurrte Fartuloon. »Du wirst morgen hierbleiben, während wir, so, wie wir es abgesprochen haben, den Tato aufsuchen. In zwei Pragos bist du wieder fit.« »Ich bin schon morgen…« »Es bleibt dabei!« beendete Fartuloon jede weitere Diskussion. »Und nun wird geschlafen, denn morgen benötigen wir alle unsere Kräfte. Den Rest sprechen wir durch, ehe wir aufbrechen.« Beim Frühstück sagte Harakas: »Ich habe mich in der Siedlung umgehört. Die Flucht des Gefangenen wurde bereits entdeckt. Man fand einen schwerverletzten und einen noch halb betäubten Polizisten vor, der dritte ist verschwunden. Der Verwundete behauptet, sein Vorgesetzter habe sich urplötzlich vor seinen Augen in Eis oder Kristall verwandelt und sei geborsten. Er wurde unter dringendem Mordverdacht verhaftet.« »Hat er verdient«, brummte Morvoner. »Aber da es keinen Mord gibt, wenn keine Leiche vorhanden ist, wird man ihn leider früher oder später wieder laufenlassen.«
»Die beiden wissen nicht, wohin der Gefangene und seine Befreier geflohen sind. Ich habe ausstreuen lassen, daß sie oben auf dem Plateau gesichtet wurden. Man wird also dort mit der Suche beginnen.« »Und der Tato wird vorerst den Mund halten«, vermutete Fartuloon. »Er ist viel zu sehr daran interessiert, mit uns zu reden.« »Der Gleiter steht bereit. Ohne Piloten, wie ihr gewünscht habt. Ich wünsche euch Glück.« Wir verabschiedeten uns von ihm und Morvoner, der sich brummend in sein Schicksal fügte und versprach, sich absolut passiv zu verhalten. Coraschol begleitete uns hinauf zum Plateau. Ich sah zum Himmel und bemerkte sofort den roten Gleiter, der wieder über der Handelsmission kreiste. Der Gouverneur wurde also bereits ungeduldig, hatte abermals das vereinbarte Zeichen geschickt, um zu dokumentieren, daß er zu Verhandlungen bereit war. Eiskralle sagte: »Er stellt es sich zu einfach vor, uns in die Falle zu locken.« Fartuloon gab ihm recht. »Er wird eine ziemliche Überraschung erleben. Er muß auf unsere Bedingungen eingehen, wenn er nicht seine gesamte Mooja-Armee verlieren will.« Ich blieb skeptisch. »Hoffen wir es.« Vor einem kleinen Privatgleiter hielten wir an. »Könnt ihr mit so einem Ding umgehen?« erkundigte sich Coraschol. »Sonst zeige ich euch die Kontrollen.« »Arkonidische Bauart«, beruhigte ihn Fartuloon. »Damit sind wir schon als Kinder geflogen. Vielen Dank, Coraschol, es ist besser, du gehst jetzt. Und bleibe möglichst in der Nähe von Morvoner. Vergiß das Funkgerät nicht. Wir nehmen Kontakt auf, sobald wir beim Gouverneur sind. Schließlich ist Morvoner eine wichtige Schlüsselfigur.«
Coraschol grinste voller Verständnis und ging davon. Am Rand des Platzes blieb er stehen und sah zu, wie wir in die Kabine des Gleiters kletterten. Fartuloon zwängte sich hinter die Kontrollen. Eiskralle und ich nahmen ebenfalls Platz. Auf dem mattschimmernden Bildschirm war der rote Gleiter zu erkennen, der einsam seine Kreise zog. Dumpf schloß sich die Kanzel. Der Antrieb begann zu summen, und dann erhoben wir uns langsam, flogen in geringer Höhe nach Süden. Die ersten Moojaherden kamen in Sicht. »Paßt auf!« Fartuloon zeigte plötzlich nach unten, wo die Echsen friedlich in ihren Gehegen standen oder sich träge bewegten. »Kurze Generalprobe.« Unmerklich bewegte er den rechten Absatz. Mit den Moojas ging sofort eine erstaunliche Veränderung vor sich: Ein gutes Dutzend von ihnen durchbrach die nun unwirksame positronische Impulssperre in einem ersten Ansturm und raste in die Landschaft hinaus. Wir wußten nicht, ob zur Sicherheit eine zweite Sendelinie vorhanden war oder überall im Gelände Impulsgeber verborgen angebracht waren, deren normale Reichweite fünfhundert Meter nicht überstieg. Damit bestand die Möglichkeit, daß die Tiere so lange außer Kontrolle blieben, bis sie zufällig wieder in die entsprechende Nähe eines Senders gerieten – falls Fartuloons Überlagerungssender inzwischen ausgeschaltet wurde. »Du könntest keine Katastrophe verhindern«, sagte Eiskralle besorgt, »auch dann nicht, wenn du deine Spezialkonstruktion ausschaltest. Das haben wir übersehen.« »Haben wir nicht, lieber Eiskralle. Überall dort, wo sich Arkoniden, ob Wärter oder Händler, aufhalten, gibt es auch Impulssender. Selbst wenn die wildgewordenen Tiere die ganze Insel durchqueren, früher oder später kommen sie mit Sicherheit wieder in den Bereich eines Senders. Niemand wird sich außerhalb eines solchen Sendebereichs begeben.
Schließlich ist sogar in jedem Karren ein solcher Sender vorhanden.« Er schaltete sein Gerät wieder ab. Die Tiere innerhalb des Geheges benahmen sich sofort wieder normal, aber die ausgebrochenen Moojas rasten unbeirrt weiter. Sie bewegten sich in westlicher Richtung und würden früher oder später, wie Fartuloon richtig bemerkt hatte, in ein anderes Gehege hineinlaufen und so wieder unter Kontrolle geraten. »Jedenfalls funktioniert das Ding!« sagte Fartuloon stolz. Ich schaltete das Funkgerät ein. Eine kurze Probesendung bestätigte, daß Morvoner uns empfing. Sein Rücksignal war so kurz, daß ein Anpeilen unmöglich war. Dann versuchte ich, Kontakt mit dem Gouverneur zu erhalten, aber noch erfolgte keine Antwort. Also ging ich auf Dauerempfang und wählte dazu die im Schaltplan angegebene Normalfrequenz für Nachrichtenübermittlung. Rechts voraus kam der Raumhafen in Sicht. Die Vergrößerung auf dem Bildschirm zeigte uns eine ungewöhnliche Aktivität zwischen den Schiffen und besonders im angrenzenden Sicherheitsgebiet. Es schien, als erwarte der Gouverneur unsere Ankunft auf dem Raumhafen oder befürchte, wir könnten ein Schiff kapern, um damit zu einem seiner Konkurrenten zu fliegen. Fartuloon änderte ein wenig die Flugrichtung. Kurz darauf erkannten wir den bewaldeten Doppelring der Mulde und in ihrem Zentrum den Palast des Gouverneurs. Damit näherten wir uns unaufhaltsam der Entscheidung. »Hoffentlich kommt er nicht auf den Gedanken, uns einfach abschießen zu lassen«, befürchtete Eiskralle. »Damit wäre das Problem doch für ihn gelöst.« »Nur für kurze Zeit.« Fartuloon versuchte, seine Bedenken zu zerstreuen. »Er weiß, daß wir uns abgesichert haben, ohne die Einzelheiten zu kennen. Außerdem ist ein Mann wie
Ruuver viel zu neugierig, um uns ohne Verhör töten zu lassen. Wir werden also seine Neugier mit Nachdruck befriedigen.« Wir gingen nun noch tiefer und näherten uns dem äußeren Ringwald. Aus dem Funkempfänger kam ein Kontaktruf. Es dauerte nicht lange, bis eine neue Frequenz vereinbart war, dann meldete sich eine harte und kompromißlos klingende Stimme: »Hier Mavillan Ruuver! Sie sind in dem Gleiter, der jetzt die Sperrzone überfliegt?« »Richtig, Tato«, sagte ich. »Wo können wir landen?« »Fliegen Sie weiter auf den Palast zu. Die Abwehr hat den Befehl erhalten, passiv zu bleiben. Sie haben Landeerlaubnis für die Plattform an der Nordseite. Ich erwarte Sie. Wie viele Personen?« »Drei, Gouverneur.« »Nicht vier?« »Nein, drei. Wir erklären es, sobald wir bei Ihnen sind.« »Gut.« Es knackte im Lautsprecher, dann war Stille. Fartuloon seufzte. »Das wird eine harte Nuß. Der Stimme nach zu urteilen, wird er uns Schwierigkeiten machen und erst dann nachgeben, wenn er keinen Ausweg mehr sieht. Er duldet niemanden neben sich, der ihm gleichwertig ist – und er hält sich für verflucht wertvoll. Achtung, dort ist der Landeplatz…« Die Plattform war nicht zu übersehen. Einige Gleiter standen an ihrem Rand, aber von dem Personal war nichts zu bemerken. Überhaupt wirkte die Umgebung des Palastes wie ausgestorben. Lediglich am Eingang zum Palast selbst, der ehemaligen Polschleuse des ausgedienten Raumschiffs, standen einige uniformierte Männer, wahrscheinlich Angehörige der Leibwache oder Militär, vielleicht auch Polizei. Das war weiter nicht ungewöhnlich und konnte uns nicht beunruhigen. Wir hatten darauf verzichtet, Waffen mitzunehmen. Der Gleiter landete.
»Na, dann wollen wir mal!« Fartuloon kämpfte sich aus seinem Sitz empor, um sich dann aus der engen Kabine zu quälen. »Daß diese Dinger nur für Zwerge gebaut wurden…« Wir folgten ihm. Drei Uniformierte kamen uns entgegen. Ihre Mienen verhießen nichts Gutes. Alle Trümpfe waren aber in unserer Hand beziehungsweise in Fartuloons Absatz. Die Männer tasteten uns nach Waffen ab und traten dann zurück. »Der Gouverneur erwartet Sie«, sagte einer von ihnen mit ausdrucksloser Stimme und schritt voran. Die beiden anderen gingen hinter uns. Damit waren wir »Gäste« des Herrschers über Kortasch-Auromt. Es war in der Tat so, als kämen wir in einen luxuriösen Palast. Überall lagen dicke Teppiche, die zweifellos aus den Lagerbeständen von Schmugglern stammten. Auch die Wände und Decken des halbierten Kugelraumers waren ähnlich verschönert worden, so daß sich die Illusion, einen »echten« Palast betreten zu haben, verstärkte. Die drei Polizisten hatten uns vier zivilen Bewaffneten übergeben. Mir wurde immer mulmiger zumute. Sollte der Gouverneur seine Beherrschung verlieren, waren wir geliefert. Die Antigravlifte funktionierten einwandfrei, und manchmal hatte ich das Gefühl, wir würden jeden Augenblick ins All starten. Vor einer Tür, deren Rahmen aus funkelnden Edelsteinen bestand, hielten wir an. Nun ließ man uns den Vortritt. Die Tür öffnete sich. Mit dem ersten Blick wurde mir klar, daß Mavillan Ruuver versuchte, Eindruck zu schinden. Immerhin war das ein Beweis dafür, daß er nicht gewillt war, uns zu unterschätzen. Er saß hinter einem mit Nachrichtengeräten aller Art überladenen breiten Tisch in einem mit bunten Stoffen überzogenen Sessel. Hinter ihm an der Wand schimmerten eingeschaltete Bildschirme in drei Reihen. Einige von ihnen
zeigten das Gebiet der Sperrzone, andere wiederum Ausschnitte der Händlersiedlung. Eine kaum sichtbare Prallfeldbarriere teilte den Raum in zwei Hälften. Der Tato selbst wirkte fast unscheinbar und einer näheren Beschreibung nicht würdig, nur in seinen Augen funkelte ein Feuer, das Ehrgeiz verriet. Sein Mund wirkte brutal und selbstbewußt. Er sah uns voller Erwartung entgegen und schien mit Genugtuung festzustellen, daß Fartuloon noch dicker war als er selbst. Da Eiskralle und ich schlank waren, würde er uns sicherlich sofort weniger mögen als unseren Bauchaufschneider. Die Tür schloß sich hinter uns. Ruuver deutete auf drei Stühle, die in einer Reihe vor dem Tisch standen. »Nehmen Sie Platz. Ich will mit Ihnen sprechen, bevor ich Sie meinem Hinrichtungskommando übergebe. Wenn ich keine Schwierigkeiten mit Ihnen habe, geht es ohne Folter ab. Sie werden kurz und schmerzlos sterben.« Fartuloon streckte die Beine weit von sich, als fühle er sich besonders wohl. »Sie wollen also alle Ihre geheimen Pläne selbst zunichte machen?« gab er sich sichtlich erstaunt. »Das verwundert mich. Ich hätte Sie für klüger gehalten, vor allem nach dem, was uns Galbass von Ihnen berichtete.« Ruuver beugte sich vor. In seinen Augen blitzte es auf. »Galbass? Was hat er Ihnen von mir erzählt?« Fartuloon lächelte verächtlich. »Nichts Gutes, Ruuver. Er kennt Sie durch und durch.« »Einzelheiten, wenn ich bitten darf!« Eiskralle und ich hatten uns ebenfalls gesetzt. In stillem Einverständnis beschlossen wir, die Wortführung Fartuloon zu überlassen. »Warum interessiert es Sie, was Galbass über Sie denkt? Daß er Sie für einen unfairen Kollegen im Amt hält, ist doch richtig, wie Sie zugeben müssen. Er schickte uns mit einem Auftrag nach Sebentool, und Sie nahmen uns gefangen.«
»Was war das für ein Auftrag?« »Das möchten Sie gern wissen, nicht wahr? Aber ich kann es Ihnen ruhig verraten: Wir sollten feststellen, was an den Gerüchten wahr ist, die auf allen Kontinenten hartnäckig kursieren. Wir sollten herausfinden, ob der Imperiumsbeauftragte Agmon noch lebt oder ob er inzwischen verstarb.« Ruuver sah Fartuloon forschend an, bis er ihm Glauben zu schenken schien, und nickte. »Das also war es! Fast habe ich es mir gedacht. Galbass will es also genau wissen! Warum wohl?« Fartuloon sagte gelassen: »Aus den gleichen Gründen wie Sie.« Ruuver sprang halb auf, setzte sich aber sofort wieder. In seinen Augen funkelte die Wut des Überraschten. »Was wissen Sie von meinen Gründen?« »Sie wollen natürlich nicht nur wissen, ob Agmon noch lebt, Ruuver.« Fartuloon sprach mit einer Ruhe, die mich verblüffte. »Sie haben noch andere Absichten. Sollte Agmon wirklich noch leben, suchen Sie jemanden, der dafür sorgt, daß er nicht mehr allzulange lebt. Sie wollen sein Nachfolger werden. Das aber will Galbass auch.« Fartuloon behielt recht: Der Gouverneur war viel zu neugierig, um so wichtige Informationsträger wie uns einfach umbringen zu lassen. Er wollte alles wissen. »Sie haben Mut. Was bezwecken Sie eigentlich damit?« »Ich demonstriere Ihnen nur, daß Sie vor uns keine Geheimnisse zu haben brauchen. Wir werden Ihnen alles verraten, was wir wissen, aber dafür verlangen wir von Ihnen ebenfalls eine Information.« »Sie verlangen eine Information?« In Ruuvers Stimme war mehr als nur bloßes Erstaunen. »Welche?« »Wir möchten wissen, wann Ka’Mehantis Freemush TaBargk eintrifft.«
Ruuver beugte sich vor. »Sein Besuch wird geheimgehalten, außer den Gouverneuren weiß niemand davon.« »Sie sehen, daß Sie abermals einem Irrtum zum Opfer gefallen sind. Nicht nur die Tatos wissen es! Also? Können Sie uns helfen?« Nun begann Ruuver zu lachen, laut und voller Hohn. »Was hilft es Ihnen, wenn ich es Ihnen sage? Sie haben nur noch Tontas zu leben; Sie können von Glück sagen, daß ich Sie für Ihre Frechheiten nicht zusätzlich bestrafe. Sie waren meine Gefangenen und sind entflohen. Daß Sie jetzt noch leben, verdanken Sie nur meiner Großzügigkeit.« Fartuloon wollte antworten, als eines der Nachrichtengeräte zu summen begann. Ruuver war sichtlich ungehalten, aber er schaltete es ein und erkundigte sich barsch, wer ihn zu stören wage. Eine verschüchterte Stimme berichtete, daß aus unbegreiflichen Gründen eine kleinere Herde von Moojas aus einem Gehege ausgebrochen sei und das Land verwüste. Die Tiere hätten einen Streifenwagen der Polizei überrannt, ehe der Versuch unternommen werden konnte, sie mit den Impulssendern zu bändigen. Inzwischen habe man die Herde in einem anderen Gehege eingefangen, aber der Vorfall sei bisher nicht geklärt worden. Ruuver schaltete ab. Sein Gesicht war finster. In sein Schweigen hinein sagte Fartuloon: »Nun stellen Sie sich einmal vor, Ruuver, nicht nur eine kleine Herde, sondern sämtliche Moojas auf Kortasch-Auromt würden Ihren Befehlsimpulssendern nicht mehr gehorchen und sich selbständig machen! Erstens verlieren Sie damit Ihre Armee gegen Sebentool, und zweitens würde von Ihrem Reich nur ein Trümmerhaufen übrigbleiben. Ist das nicht eine grauenhafte Vision? Sie sollten darüber nachdenken, und zwar schnell, ehe es zu spät ist.« Der Gouverneur saß hinter seinem Tisch, von dem aus er die
Insel regierte. Forschend glitt sein Blick über unsere Gesichter, die ihm nichts verrieten. Fartuloons Andeutung schien ihn bis ins Innerste getroffen zu haben. »So etwas ist unmöglich«, sagte er schließlich. »Sollte es wirklich passieren, hätten Sie recht. Was soll Ihre Bemerkung?« »Es war nicht nur eine Bemerkung, sondern eine Warnung. Soll ich Ihnen beweisen, daß ich es ernst meine?« »Das wird unnötig sein, denn ich gebe mich nicht mit Phantastereien ab. Ich bin nüchtern und denke logisch. Die Moojas sind in unserer Gewalt. Das Ausbrechen der kleinen Herde hat überhaupt nichts zu besagen.« »Es hat sogar eine Menge zu besagen«, widersprach Fartuloon mit kalter Überlegenheit. »Den Ausbruch der Herde haben Sie uns zu verdanken, und wenn ich innerhalb kürzester Zeit keine Funkverbindung zu unserem vierten Mann aufnehme, wird noch Schlimmeres geschehen. Dann nämlich geraten sämtliche Moojas von Kortasch-Auromt außer Kontrolle und rebellieren. Keiner Ihrer Befehlssender kann sie davon abhalten.« Der Gouverneur starrte ihn an, als habe sein Gefangener den Verstand verloren. Er konnte es nicht fassen, daß ihm jemand widersprach und sogar drohte. Zumal jemand, der bereits zum Tode verurteilt war. Doch er sprang nicht auf, er tobte nicht, nein. Er blieb eiskalt und ruhig, als er sagte: »Sie behaupten also, Gewalt über meine Moojas zu haben? Interessant. Beweisen Sie es. Angeblich löst also Ihr vierter Mann, der meiner Polizei entkam, die Rebellion der Echsen aus, wenn Sie nicht zurückrufen. Gut, ich gebe Ihnen keine Gelegenheit, mit ihm Verbindung aufzunehmen. Wir werden sehen, ob sich Ihre Drohung bewahrheitet. So lange dürfen Sie noch am Leben bleiben. Wann ist es soweit?«
Fartuloon nickte mir zu. Ich sah auf die Uhr und sagte: »In genau einer zehntel Tonta, Tato. Sie können es sich noch überlegen.« »Sie hätten sich einiges früher überlegen sollen«, knurrte er mich an, und zum erstenmal hatte ich das Gefühl, daß er doch nervös zu werden drohte. Fartuloon saß neben mir und wippte mit dem Absatz, vielleicht um bereits den Kontakt auszulösen. Er lächelte siegessicher. Sein Plan schien aufzugehen. Ruuver saß hinter dem schützenden Prallfeld an seinem Tisch und stellte keine Fragen mehr. Zweimal beantwortete er unwichtige Anfragen, die über das Nachrichtennetz eintrafen. Der gesuchte vierte Mann, also Morvoner, war nicht aufgespürt worden, sondern blieb spurlos verschwunden. Ruuver beugte sich schließlich vor und musterte uns. »Die Frist ist verstrichen, und damit seid ihr dem Tod näher gekommen. Was ist mit eurer Drohung?« »Abwarten!« riet Fartuloon gelassen. »Kommt noch.« Und wie es kam! Die Meldungen überstürzten sich, kamen aus allen Teilen der Großinsel. Eine riesige Herde von Moojas, ehemalige Zug- und Arbeitstiere, hatte sich in der Ebene zusammengerottet und raste auf die Hafenstadt zu. Sie rannten alles über den Haufen, was sich ihnen entgegenstellte. Die Impulssender versagten, waren wertlos geworden. Viel schlimmer noch war es auf dem Plateau, auf dem sich schätzungsweise eine halbe Million Moojas aufhielten. Alle waren aus den Gehegen ausgebrochen und stampften jeden nieder, der nicht rechtzeitig entfliehen konnte. Eine riesige Herde – mehrere zehntausend Tiere – marschierte in der eingedrillten Ordnung auf den Raumhafen zu. Einen Augenblick wunderte ich mich darüber, daß alles so schnell geschah, aber dann begriff ich, daß Fartuloon den Impulsgeber früher als gesagt betätigt hatte. Morvoner hatte ja
absolut nichts mit der Sache zu tun. So hatten wir Zeit gewonnen. Ruuver schien uns vergessen zu haben, wir blieben ruhig und abwartend auf den Stühlen sitzen. Es war eine wahre Freude, den Gouverneur in Panikstimmung zu beobachten. Mehrmals kamen Wärter und höhere Beamte in den Raum, um direkt Bericht zu erstatten, aber jede Meldung war schlimmer als die vorherige. Die Abwehr am Raumhafen eröffnete laut letzten Informationen das Feuer auf die angreifenden Moojas. Ruuver hatte sämtliche Bildschirme eingeschaltet. Sie zeigten Ausschnitte aus allen Teilen seines Inselreichs, insbesondere von den besiedelten Gegenden. Das Chaos war vollständig. Die Händler und adligen Urlauber waren von der Alarmnachricht überrascht worden und wußten in ihrer Panik nicht, wohin sie sich wenden sollten. In der Händlersiedlung am Steilhang schien es ihnen sicher genug zu sein, doch bald waren die Wohnnischen in den Felsen derart überfüllt, daß niemand mehr Platz fand. Ich warf Fartuloon einen Blick zu. Auch ihm taten die Unschuldigen leid, aber es blieb uns keine andere Wahl, wollten wir den Gouverneur von unserer Überlegenheit überzeugen. Anders waren die Bilder vom Raumhafen: Dort griffen die Echsen endgültig an und überrannten die ersten Abwehrstellungen, überall entbrannten heftige und blutige Kämpfe. Ich sah auf einen anderen Bildschirm – und erschrak. Er zeigte die Sperrzone um den Palast und dessen Umgebung. Die besonders geschulten, auf Mord gedrillt Echsen verwüsteten den Park, schlugen Wärter und Soldaten nieder, trampelten über sie hinweg und stürmten weiter – in Richtung der Rampe zur Polschleuse. Ich sagte: »Tato, sehen Sie dort! Die Moojas haben bald den Palast erreicht; vielleicht gelingt es ihnen sogar, einen Weg hinein zu finden. Sollten wir nicht mit der Demonstration
Schluß machen?« Sein Blick verriet abgrundtiefen Haß, aber auch Furcht und Unsicherheit. Fartuloon unterstützte mich: »Ein Wort von Ihnen, Ruuver, und sämtliche Moojas werden wieder gehorchen, falls sie sich in Reichweite eines Ihrer Sender befinden. Soll ich unserem Mann den Befehl geben, den Hyperdirigalimpulser sofort zu deaktivieren?« Ruuver starrte ihn an. »Hyperdirigal… was?« »Hyperdirigalimpulser! Damit überlagern wir sämtliche Impulssender, die Sie installiert haben. Die Moojas werden frei und unabhängig und tun genau das, was sie tun möchten. Ihre Herrschaft bricht zusammen. Haben Sie das jetzt begriffen, Ruuver?« Er schien es in der Tat begriffen zu haben. Natürlich wußte er nicht, was ein Hyperdirigalimpulser war, aber Fartuloon, der den Begriff eben erfunden hatte, wußte es selbst ebenfalls nicht. Es spielte auch keine Rolle, denn wichtig war nur der Effekt. »Sie behaupten, das verursacht zu haben?« »Ja.« Ruuver sah ihn fast hilfesuchend an. »Der Raumhafen ist gefährdet, wir müssen die Moojas töten. Halten Sie die Tiere zurück und zeigen Sie mir, daß Sie wirklich Macht über sie haben. Es wäre für mich der Beweis, daß Sie nicht lügen, sondern die Wahrheit sagen.« »Und was haben wir davon? Einen schmerzlosen Tod?« »Darüber reden wir später.« »Geben Sie mir ein Funkgerät – aber schnell, sonst ist es zu spät.« Der Trick mit dem vierten Mann funktionierte. Niemals wäre Ruuver jetzt noch auf den Gedanken gekommen, daß wir den alles überlagernden Sender bei uns trugen, zumindest seine Fernkontrolle. Fartuloon stand nach einem Wink des Gouverneurs auf und nahm, nachdem das Prallfeld neu projiziert war, vor den Geräten Platz. Mit einem Blick
orientierte er sich, wählte die Frequenz und wartete, bis Morvoner das vereinbarte kurze Erkennungssignal schickte. Dann sagte er: »Gut, mein Freund. Der Gouverneur ist überzeugt. Du kannst den Hyperdirigalimpulser ausschalten. Wir werden uns jede Tonta melden. Geschieht das nicht, schalte ihn wieder ein. Ende.« »Es ist also wirklich kein Zufall? Sie haben die Mittel, einen Aufstand der Moojas zu verursachen? Reden wir.« »Sehr großzügig von Ihnen«, stellte Fartuloon spöttisch fest. »Aber wir wollen nicht nur mit Ihnen reden, sondern Ihnen auch einige Bedingungen stellen. Wir könnten uns gegenseitig helfen, zu Ihrem und zu unserem Vorteil. Vielleicht erweisen Sie sich klüger als Galbass. Einverstanden?« Ruuvers Blick schien Fartuloon durchdringen zu wollen. »Einverstanden! Geben Sie mir die Moojas zurück!« Fartuloon hatte längst seinen Stiefelabsatz entsprechend bewegt. Damit begannen die ursprünglichen Impulssender und Befehlsgeber wieder zu wirken, so daß alle Echsen, die sich im Wirkungsbereich eines solchen Senders aufhielten, automatisch unter ihren Einfluß gerieten. »Achten Sie auf die Bildschirme, dann haben Sie den Beweis.« In der näheren Umgebung des Palastes waren zur Sicherheit besonders viele Impulssender installiert und ständig in Betrieb. Die aus dem Sperrgebiet ausgebrochenen Moojas gerieten sofort in ihren Einfluß, ihr Benehmen veränderte sich schlagartig. Sie hielten an, standen unschlüssig herum, machten schließlich kehrt und traten den Rückzug an. Gehorsam wanderten sie zurück in die Sperrzone. Auf den anderen Bildschirmen waren ähnliche Szenen zu beobachten, soweit Impulssender in unmittelbarer Nähe waren. Das galt insbesondere für den Raumhafen. Dort hatte die Abwehrschlacht gegen die Moojas ihren Höhepunkt erreicht, als die Impulssender wieder wirkten. Einige der Geschütze
feuerten weiter, mitten in die plötzlich friedfertigen Herden. Ruuver stieß einen Wutschrei aus, schaltete seine Geräte ein und gab in schneller Folge Befehle. Sofort wurde das Feuer eingestellt. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder uns zu. Zwar wirkte er noch immer finster und bedrohlich, aber in seinen Augen schimmerte auch widerstrebende Anerkennung. »Ich habe den Beweis gesehen. Demnach sind Sie tatsächlich in der Lage, die Moojas meiner Kontrolle zu entziehen, und haben mich in der Gewalt – so lange wenigstens, bis ich Ihren Mann gefunden habe. Was also wollen Sie von mir?« Er ist also auf den Bluff hereingefallen. »Ich sagte es Ihnen schon: Wir wollen wissen, wann Freemush eintrifft und wo wir ihn finden.« »Was wollen Sie von ihm?« »Das ist unsere Sache, aber ich kann Ihnen versichern, daß es nichts mit Ihnen und Ihren Plänen zu tun hat. Darüber bewahren wir Stillschweigen.« »Wir schließen also ein Abkommen?« »Ja.« »Und Sie wollen nichts anderes als die Auskunftszeit des Ka’Mehantis wissen?« vergewisserte sich Ruuver, diesmal klang seine Stimme ein wenig hinterhältig. »Wir benötigen noch einen Gleiter, der uns nach Sebentool bringt. Einige von uns werden in einem Versteck auf der Insel zurückbleiben, mit dem Hyperdirigalimpulser, damit Sie nicht auf dumme Gedanken kommen.« »Sie sind sehr mißtrauisch. Ich kenne nicht einmal Ihre Namen, trotzdem gehe ich auf Ihre Bedingungen ein. Und Sie…?« »Namen sind nicht wichtig. Sie sind hier der unumschränkte Herrscher, wir hingegen die Meister Ihrer Moojas – das gegenseitige Kräfteverhältnis ist ausgeglichen, und wir müssen uns gegenseitig vertrauen. Wir haben keine andere Wahl.
Sehen Sie das ein, profitieren beide Seiten.« Ruuver bedachte uns mit einem finsteren Blick, aber er begegnete nur unserem entschlossenen Lächeln, kalt und ruhig. Er nickte. »Also gut, das Abkommen gilt. Ökonom Freemush trifft in vierzehn Pragos ein. Soweit ich informiert wurde, kommt er zuerst nach Sebentool. Dann will er die vier Gouverneure besuchen. Meine Frage, warum Sie den Termin erfahren möchten, wird sicherlich nicht von Ihnen beantwortet werden…?« »Natürlich nicht«, versicherte Fartuloon trocken. Ruuver nickte abermals. »Dachte ich mir. Was geschieht, wenn ich Agmon von Ihren leicht zu durchschauenden Absichten unterrichte?« »Eine überflüssige Frage«, sagte ich an Fartuloons Stelle, weil mir der Dialog allmählich zum Hals heraushing. »Dann lassen wir die Moojas los. Sie werden gezwungen sein, den gesamten Bestand der Echsen auszurotten, soweit sie den einoperierten Sender tragen. Inwieweit das in Ihrem Sinne ist, wagen wir zu bezweifeln.« Eiskralle neben mir grinste derart unverschämt, daß ich befürchtete, er müsse jeden Augenblick vor innerer Freude zerplatzen. Fartuloon wippte belustigt mit seinem Absatz und warf mir einen fröhlichen Blick zu. Mavillan Ruuver gab endgültig auf. »Gut, Sie sind frei und erhalten den Gleiter. Aber ich verlasse mich darauf, daß Sie Ihr Wort ebenso halten wie ich. Ich bin sicher, wir werden gute Partner sein.« Er schaltete ein Nachrichtengerät ein. »Wache!« Die Tür sprang sofort auf, die vier Zivilisten, die uns hierhergebracht hatten, kamen mit schußbereiten Waffen in den Raum gestürzt. Ruuver winkte lässig ab. »Diese Männer werden von Ihnen zum Raumhafen begleitet, wo ein Regierungsgleiter mit den Kennzeichen von Kortasch-Au-romt auf sie wartet. Die Männer stehen unter meinem besonderen
Schutz. Ist das klar?« Die Männer bestätigten konsterniert. »Famal Gosner«, sagte Fartuloon, als wir den Raum verließen. »Wir halten unser Wort. Halten Sie das Ihre!« Einer der Männer flog uns mit dem Gleiter, der uns zum Palast gebracht hatte, zum Raumhafen, wo der offizielle Regierungsgleiter bereitstand. Als sich dessen Luke schloß, sagte Fartuloon erleichtert: »Ich denke, wir haben es geschafft.« Eiskralle meinte: »Bis jetzt wenigstens.« Ich schwieg, dachte aber ähnlich wie der Chretkor. Der schwierigste Teil des Unternehmens lag noch vor uns. Morvoner hörte sich unseren Bericht an, dann wurde er endlich die Frage los, die ihm am Herzen lag: »Ich soll also zurückbleiben? Wieder einmal!« »Du und Eiskralle«, entschied Fartuloon. »Das ist leider notwendig, denn sollte Ruuver erfahren, daß wir alle nach Sebentool geflogen sind, kommt er vielleicht auf den Gedanken, daß wir den Hyperdirigalimpulser mitgenommen haben. Das wäre verhängnisvoll. Er muß weiterhin ständig in der Angst leben, die Moojas könnten erneut ausbrechen.« »Und wo bleiben wir? Hier in Harakas’ Haus?« »Nein, Coraschol zeigt euch eine Höhle, in der ihr sicher seid. Ihr könnt euch dort in allem Überfluß erholen, bis wir zurückkommen.« »Überfluß?« wunderte sich Morvoner. »Wie meinst du das?« »Harakas stellt Lebensmittel und Getränke in jeder beliebigen Menge zur Verfügung. Coraschol kümmert sich um euch. Was wollt ihr mehr? Ihr könnt faulenzen, schlafen, die Landschaft bewundern – was immer ihr wollt. Und wir? Wir müssen arbeiten!«
Ich hatte meine Bedenken noch nicht ganz überwunden. »Ruuver wird uns beobachten lassen, Fartuloon. Ich bin davon überzeugt, daß er jetzt schon darüber informiert ist, wo wir uns versteckt halten. Wenn er jetzt zuschlägt, hat er uns.« »Du irrst. Er hat uns nicht, weil sonst die Moojas wieder marschieren. Davor hat er viel zuviel Angst und wird sich hüten, unvorsichtig zu sein. Oben auf dem Plateau wartet der Gleiter, noch in dieser Nacht bringt Coraschol Eiskralle und Morvoner unbemerkt zur Höhle. Sie liegt zwar oben auf dem Plateau in einer wilden, unberührten Landschaft, ist aber durch Geheimgänge zu erreichen. Morgen sind die beiden spurlos verschwunden, das ist alles. Selbst der beste Geheimdienst wird euch dort nicht finden.« »Und wie sollen wir wissen, wann und ob wir den Sender betätigen sollen?« fragte Morvoner. »Wir bleiben in Funkkontakt. Harakas gibt euch einen Empfänger mit, der auch auf der Regierungsfrequenz arbeitet und sogar die Nachrichten entschlüsseln kann.« Er grinste. »Ihr seid also stets darüber unterrichtet, was sich auf KortaschAuromt tut, und könnt entsprechend reagieren.« Morvoner nickte und stellte keine weiteren Fragen mehr. Eiskralle schien ohnehin mit der Rolle zufrieden zu sein, die wir ihm übertrugen. Ein paar Pragos Ruhe schienen ihm zu gefallen. Später kam Harakas und drückte uns seine Bewunderung für die Art aus, mit der wir den Gouverneur behandelt hatten. Ich war überzeugt, daß wir in ihm einen wertvollen Bundesgenossen gefunden hatten. Ebenso erging es uns mit Coraschol, dem die Sache zweifellos Spaß machte, obwohl er über kurz oder lang wohl ebenfalls untertauchen mußte. Dennoch würde er gut für Morvoner und Eiskralle sorgen. Wir konnten die Insel beruhigt verlassen. Als der Abschied kam, verspürte niemand von uns Bedauern oder Unsicherheit. Coraschol war noch einmal auf dem
Plateau gewesen, um nach unserem Gleiter zu sehen; er berichtete, daß zwei Männer auf Befehl Ruuvers das Regierungssymbol entfernt hätten. Statt dessen prangte nun das Emblem einer bekannten Händlersippe am Rumpf der Maschine; der Gehörnte Yilld des Clans der Glenlivet. »Was hältst du davon?« fragte ich. »Das ist in der Tat unauffälliger und verhindert diplomatische Verwicklungen«, murmelte Fartuloon. »Ich glaube, Ruuver hat recht. Hauptsache, wir gelangen nach Sebentool und niemand erkennt uns dort. Händler machen schließlich ihre Geschäfte auf allen Kontinenten Jacinthers. Keine Sorge, Atlan, der Plan funktioniert. Ruuver weiß selbst am besten, was seine Mooja-Armee wert ist, und wird sie nicht gefährden. Und nun bin ich müde.« Mit diesen Worten verschwand er im Schlafraum. Ich dachte: Wenn wir heil und gesund zurückkehren, wird Ruuver endlich erfahren, ob Agmon noch lebt oder nicht. Und wir haben Orbanaschol einen neuen Schlag versetzt! ENDE
Kleines Arkon-Lexikon (Im Gegensatz zu den ATLAN-Büchern 17 und 18 ist dieses Arkon-Lexikon bedeutend schmäler und beschränkt sich nur auf die wesentlichen Begriffe. Wer zusätzliche Begriffe sucht, möge in den Büchern 17 und 18 nachschauen.) A Zarakhbin Tantor: Wörtlich »Im Tod (Grab) ist die Dunkelheit (hier: Erlösung, Befreiung, Freiheit)«; abgeleitet von a, (-)bin, Tantor, Zarakh. Ablothyl: Exotische Droge, verwendet bei Verhören. Andruckabsorber: Andruckneutralisatoren. Andruckneutralisaton: Auch Andruckabsorber genannte Aggregate, die zur Neutralisation jener Beharrungs- und Trägheitskräfte dienen, die bei hochrelativistischen Beschleunigungsmanövern der Raumschiffe entstehen und ohne entsprechende Kompensation Raumschiff und Besatzung in Sekundenbruchteilen zerquetschen würden; Grundlage ist ein als Semi-Manifestation umschriebener Effekt, der einem unvollständigen Übergang zum Hyperraum entspricht, ohne daß es zur Entstofflichung kommt. Somit werden alle konventionellen Außenkräfte und Einflüsse zumindest theoretisch auf unendliche Distanz verdrängt. Siehe auch: Antigrav-Generator/-Projektor. Antigrav-Generator/-Projektor: Aggregate, die eine fast vollständige Reduktion der Massenträgheit des betroffenen Objektes bewirken, indem sie die gravomechanische Wirkung eines unvollständig geschlossenen Hyperfeldes ausnutzen
(Semi-Manifestation). Je nach Leistung ergibt sich demnach ein Effekt, der von »Gewichtsreduzierung« über das Schweben des Objekts bis zur Antriebsfunktion reicht. Die Bezeichnung »Antigrav« (von Antigravitation) ist insofern unvollständig, als sie nur einen Teilaspekt der Wirkung beschreibt – d. h. die Schaffung eines Zustandes der Schwerelosigkeit. Ebenso wichtig ist die Tatsache, daß die Semi-Manifestation den meisten Unterlichttriebwerken überhaupt erst ermöglicht, Raumschiffe auf die benötigten hochrelativistischen Geschwindigkeiten zu beschleunigen. Andernfalls müßten selbst bei optimaler Energieausbeute über 90 Prozent der Schiffsmasse in Energie für nur einen einzigen (!) Beschleunigungsvorgang umgewandelt werden. Antigravschacht: Liftähnliches Transportsystem zur Beförderung von Personen und Lasten; Antigrav-Generatoren neutralisieren die Schwerkraftwirkung innerhalb eines (meist runden) Schachtes. Zusätzliche Zug- und Kraftfelder ermöglichen es dann, die zu transportierenden Objekte kontrolliert in der Vertikalen zu bewegen. Antigravtriebwerk: Bezeichnung für die HochleistungsAntigrav-systeme, die sich an Bord von Gleitern und Raumschiffen befinden. Sie bestehen aus einer variablen Anzahl von Antigrav-Generatoren, die zu einem Funktionskomplex zusammengeschaltet werden. An Bord von Raumschiffen befinden sich aus Sicherheitsgründen normalerweise zwei bis drei voneinander unabhängige Generatorenkomplexe, während Gleiter und kleinere Beiboote oft nur über ein System verfügen. Meist sind sie mit den Schwerkrafterzeugern und den Andruckneutralisatoren gekoppelt. Für den Flug über Planetenoberflächen oder den Start von Himmelskörpern können Antigravtriebwerke in
beschränktem Umfang eine Abstoßprojektion erzeugen und so ein Objekt auf niedrige Geschwindigkeit beschleunigen (Gravo-Antrieb). Zum Erreichen hochrelativistischer Geschwindigkeitsbereiche sind sie jedoch nicht geeignet. Antiortungsschirm: Sammelbegriff für alle Kraftfelder, welche die Ortung beispielsweise eines Raumschiffs be- oder sogar ganz verhindern. Dies geschieht sowohl durch Ablenkung auftreffender Ortungsstrahlen als auch durch die Neutralisierung der durch Schiffsaggregate erzeugten Streustrahlung. Ark: Abkürzung für Arkon, arkonidisch etc.; Ark’alor, daArk. Arkii: Arkonidische Entsprechung des Begriffs »Mensch« Ark, ii. Arkonbombe: Von den Arkoniden entwickelte Waffe zur Zerstörung von Planeten und Monden. Die Explosion erzeugt einen unlöschbaren Atombrand aller Elemente mit einer Ordnungszahl größer als 10, die den betreffenden Himmelskörper innerhalb von wenigen Tagen zerstört. Arkon-Symbole: Analog zu den vielfältigen irdischen Symbolen, hinter deren meist schlichter Gestaltung sich ein deutlich umfangreicherer, mehr oder weniger bewußt erfaßter »Background« verbirgt (als Beispiel seien nur das christliche Kreuz, der islamische Halbmond und das taoistische YinYang-Symbol genannt), kennen auch die Arkoniden eine Reihe von Logos und Symbolen von bemerkenswerter Tiefe und Aussagekraft: Vergleichbar den oben genannten irdischen Darstellungen verbinden sich mit Arkon, dem Großen Imperium (Tai Ark’Tussan) und den Arkoniden drei
Grundlagen, die auf die eine oder andere Weise stets in die Symbole einflossen. 1) das Synchronsystem der drei Arkonwelten (Arkon I bis III), 2) der Kugelsternhaufen Thantur-Lok, 3) die Milchstraße als erweiterter Herrschaftsbereich (unabhängig davon, daß real das Große Imperium »nur« etwa ein Viertel der Galaxis umspannte). Weiterhin vorhandene, wiederkehrende Elemente in den Symbolen sind die Zahl Drei (auch im terranischen Kulturkreis häufig als Darstellung des »Göttlichen« verwendet) oder das Dreieck sowie die Zahl Zwölf oder ihr Vielfaches (als Element, das auf die Sagas der Zwölf Heroen zurückging und historisch gesehen bis in lemurische Zeit [Lemurer] zurückverfolgt werden konnte) arZhym-i-Thos: Wörtlich »(aus) Feuer und Eis« (ursprünglicher Name des sechsten Arkonplaneten), abgeleitet von -i-, Thos, Zhym. Avunta: Schwer zu bearbeitendes Holz, gefragt für exklusive Furniere. Bak Jimbany: Vierter von zwölf Planeten der Sonne Baks Stern, 4812 Lichtjahre von Arkon entfernt und nahe dem Zentrum des Kugelsternhaufens Cerkol gelegen. Großfürstliches Lehen des da Bostich-Khasurn (Khasurn), zu dem der gesamte Wachsektor Orbys-Nukara ebenso gehört wie die ARK SUMMIA-Prüfungswelten Largamenia und Goshbar. berlen: Zwölf Zahlen.
Berten Taigon(ii): Wörtlich »Zwölf große entrückt/erhöht«; siehe: Zwölf Heroen. Abgeleitet von berlen, gon, -ii, Tai, Taigon. Berlen Than: Wörtlich »Zwölf(er)-Rat«; Regierungsgremium des Großen Rates; Mitglieder unter anderem Ka’Chronntis (Oberbeschaffungsmeister), Ka’Gortis (Kriegsminister), Ka’Marentis (Chefwissenschaftler), Ka’Mehantis (Imperialer Ökonom/Handelsminister). (-)bin: Wörtlich »sein, ist (etc.)«; auch als Suffix verwendet. Breheb: »Achtung/Vorsicht«. Breheb-Toor: Kommando: »Achtung – Stillgestanden«. Brikks: Sehr leichter Impulsstrahler mit einer auf zehn Meter beschränkten Reichweite. Caraprien: Wörtlich »(Steinerner) Garten des Cara«. Cholitt: Edelmetall-Legierung mit einem gewissen Anteil von Luurs-Metall; Cholitt-III besitzt beispielsweise drei Prozent Luurs-Metall. Verwendung u. a. für die Prägung von Chronners in Form von Lochmünzen. Chybis: Kostbares fotoaktives Gewebe, das fünfmal in der Tonta seine Farbe wechselt. Chronner(s): Währungseinheit auf imperialer Ebene; Unterteilung: 1 Chronner = 10 Merkons = 100 Skalitos. Als Bargeld in Form von Lochmünzen mit den Münzeinheiten zehn, hundert, tausend, zehntausend hergestellt, die zu Bündeln zusammengefaßt werden (genormte Stäbe mit
Verschraubung; Münzen in Form von einem Millimeter dicken Scheiben aus Cholitt-III). Eine Million Chronners, als Zehntausender-Münzen gebündelt, ergeben beispielsweise einen »Stab« von 100 Millimetern Länge. Con-Tteh-SchlappeZ-Niederlage: Geflügeltes Wort; bezieht sich auf den Con-Treh-Khasurn, der zur Regierungszeit von Imperator Gonozal III. verfolgt und (angeblich) ausgelöscht wurde (Vorwurf war unter anderem, das Projekt der Drei Welten Tiga Ranton sabotiert zu haben). Criipas: Violette Hyperkristalle. Dahondra: Antilopenähnliche Huf- und Steppentiere auf Arkon I. Dashe Tussan Gosner: Wörtlich »Alle Sonnen des Imperiums grüßen (Dich)«; Grußformel, abgeleitet von da, Gosner, She, Tussan. Debara Hamtar: »Öde Insel«, arkonidische Bezeichnung für die Milchstraße. Deflektor/-feld/-schirm: Kraftfeld, das Lichtwellen um einen Körper herumleitet. Ein außenstehender Beobachter kann das so geschützte Objekt nicht erkennen, da er quasi nur wahrnimmt, was sich hinter diesem befindet. Im allgemeinen kommt eine dreischichtige Feldlinienstruktur zum Einsatz, die eine paramechanische Rückkopplung beinhaltet, um den Träger selbst das Sehen zu ermöglichen. Hierzu wird einfallendes Licht im Wellenlängenintervall zwischen etwa 200 und 800 Nanometern von den beiden äußeren Feldhüllen ungehindert passieren gelassen, von der dritten aufgehalten
und zwischen dieser und der mittleren ähnlich einem fiberoptischen Leiter quasihydrodynamisch herumgebogen und erst an dem Punkt geradlinig fus dem Bann entlassen, der dem Eintrittspunkt exakt gegenüberliegt. Weil durch diese Totalumlenkung kein Licht den Träger erreicht und für ihn Dunkelheit die Folge ist, dient die äußere Feldhülle der Rückkopplung: Jene optischen Informationen, die normalerweise die Augen erreichen würden, werden direkt an das Trägerbewußtsein übermittelt, vergleichbar der paramechanischen Emission eines Psychostrahlers oder einer Hypnoschulung; diese mentaloptische Simulation beinhaltet sämtliche Parameter, um wie in gewohnter Weise sehen und sich orientieren zu können. Andere, ebenfalls von einem Deflektor unsichtbar Gemachte, bleiben allerdings unsichtbar, sofern nicht weitere Ortungsmethoden eingesetzt werden. Siehe auch: Einsatz-, Transport-, Schutz- und Kampfanzug. Desintegrator: Offensivwaffe mit lichtschnellem, grünlich leuchtendem Waffenstrahl, der mittels eines Hyperfeldes die Bindungskräfte fester und flüssiger Stoffe neutralisiert. Die getroffene Materie im Zielbereich zerfällt daraufhin als Ergebnis des nichtthermischen Auflösungsprozesses zu Ultrafeinstaub. Desintegratorfelder können in scharf gebündelter oder breit gestreuter Form und auch in Verbindung mit einem Prallfeld als zusätzliche Waffenwirkung zum Beispiel eines Schwertes eingesetzt werden; Materialien, die einer Kristallfeldintensivierung unterliegen, bleiben im allgemeinen unbeschädigt. In Atlans Jugendzeit waren Modelle der Serie ZZ-3 im Einsatz. Dhoum: Ei; siehe: Mirkandhoum, Zaradhoum. Dol: Begegnung; siehe: Mirkandol.
dovulum: Wörtlich »(sich) drehen, rotieren«, im allgemeinen auf die Planetenrotation bezogen. Edle(r): Siehe: Zhdopandel. Einsatz-, Transport-, Schutz- und Kampfanzug: Bekleidung, die in diversen Ausführungen vorliegt, von leichter bis zu schwerer. Normale Bordkombinationen haben kaum mehr als Aggregatgürtel mit integriertem Mikrograv, gepanzerte Druckkombis für den Einsatz auf Gasriesen dagegen klobige Rückenaggregate und muskelkraftverstärkende Gestänge in Exoskelettfunktion und massive Raumrüstungen überdies schützende Protectorschalen und Harnische aus Arkonstahl, der sogar durch Kristallfeldintensivierung aufgeladen und zusätzlich verstärkt werden kann. In anderen Ausfertigungen gibt es in das Anzugmaterial eingearbeitete Polymergelfasern zur Muskelverstärkung (»smarte Technik«). Die Transportanzüge der leichten, flugfähigen Ausfertigung sind zum Beispiel ausgestattet mit zu Nackenwülsten zusammenrollbaren Folienhelmen und Aggregatgürteln, in die Antigrav- und Individualfeldprojektoren integriert sind. Andere Kombinationen verfügen über einen Schulter-HalsKragenring, bei dem es sich um eine fingerstarke Metallplastikplatte handelt, die vorne halbkreisförmig ausläuft, über den Schultern wulstig verdickt ist und auf dem Rücken V-förmig bis zur Taille hinabreicht. Sie birgt Aggregate der Mikrotechnik: Antigrav-, Individualschirmund Deflektorprojektoren, Kleinstreaktor samt Umformer und Speicherbank sowie den Minikom als Standardkommunikator. Je nach Ausführung reicht die äußere Gestaltung von engen Vollkombinationen über solche, die an Samurairüstungen erinnern, bis hin zu kompakten Panzern, die schon eher ein
Miniaturraumschiff darstellen. Die Helme reichen von der flexibel-kapuzenförmigen (durch Memoeigenschaften des Materials und Innendruckaufblähung zur Kugelform stabilisiert) bis hin zur starr-abnehmbaren Bauweise. Die Helminnenseiten können als Head-up-Display verwendet werden; die Steuerung erfolgt zum Teil durch Sprachbefehle unter Rückgriff auf leistungsfähige Mikropositroniken (MikroKSOL) der Anzüge. Als Standardausstattung gelten Mikrograv, Deflektor und Individualfeldprojektor; die Energieversorgung übernehmen kleine Speicherzellen, Speicherbänke oder Mikro-Fusionsreaktoren. Die Innenklimatisierung und Luftversorgung ist von der Ausfertigung abhängig, ebenso die übrige Ver- und Entsorgung. Emotio-Maske: Paramechanisch aktive Gesichtsmasken, die sich mit den Individualimpulsen steuern lassen, wirken auf andere visionär durch entsprechende holoplastische Projektionsformen; die Steuerung erfordert Konzentration und Selbstbeherrschung. Wenn man will, daß man einen gebrechlichen Eindruck macht, zeigen die Emotio-Masken dem Beschauer ein altes, ausgemergeltes Gesicht. Will man Heiterkeit vortäuschen, lächelt die Maske. Und wenn mit einem das Temperament durchgeht, wird man von der Emotio-Maske verraten (Farbe des Zorns: blutrot). Die EmotioMaske verbirgt nicht nur das Gesicht des Trägers; wer die Emotio-Maske geschickt zu handhaben weiß, kann mit ihr auch eine gänzlich andersgeartete Persönlichkeit vortäuschen. Energie-Feldleiten Bezeichnung für die oft röhrenförmigen Hochenergieleitungen an Bord von Raumschiffen. Es handelt sich um ein Transportfeld, in dem selbst große Energiemengen nahezu verlustfrei übertragen werden können (auch
Isolations-Röhrenfeld genannt). Energieschirm: Starke Kraftfelder, die in der Lage sind, auftreffende (Waffen-)Energie oder feststoffliche Objekte abzuwehren und das umhüllte Objekt vor deren Wirkung zu schützen; unterschieden wird zwischen einfachen normalenergetischen und den weitaus stärkeren hyperenergetischen (auch hyper- oder gravomechanischen), die zugleich die Struktur des Normalraums verändern. Siehe auch: Schutzschirm. Energie-Speicherbank: Aggregat, in dem Energie gespeichert werden kann, um die primären Energieerzeuger (zum Beispiel Kernfusionsreaktoren) bei Spitzenbelastungen zu unterstützen. Erhabener: Siehe: Zhdopan. Erlauchte: Siehe: Zhdopan. Essoya: Nichtadlige Arkoniden, benannt nach einer grünen Blätterfrucht (Essoya-yonki); mitunter auch als Schimpfwort verwendet – siehe auch Zayna. Essoya-yonki: Arkonidischer Stinkwurz, dessen 20 bis 25 Zentimeter große ovale bis kugelige und wasserspeichernde Knolle zahlreiche Myndaqin-Derivate (Tonikum, Antidepressivum) enthält; galt in den Archaischen Perioden als eines der Grundnahrungsmittel. Etset: Stadt, Siedlung. Eyemalin:
Exotisches,
astronomisch
teures
und
somit
entsprechend schwer zu beschaffendes Rauschgift, das zwar Reflexe und Sinneswahrnehmung schärft, aber körperlich und psychisch abhängig macht. Hauptnebenwirkung ist die mit der übersensiblen Sinneswahrnehmung verbundene Gefahr der Reizüberflutung in extremen Streßsituationen. Es kommt zu einem Verlust der Selbstkontrolle und damit verbunden zu Tobsuchtsanfällen unterschiedlicher Ausprägung. EyemalinSüchtige schlafen wenig und erbringen dennoch körperliche Höchstleistungen. Sie verkürzen aber auch ihr Leben in einem übersteigerten Alterungsprozeß, der nach außen hin nicht sichtbar ist, innerlich den Betreffenden aber regelrecht ausbrennt. Ferm: Allgemein Umschreibung für eine hyperphysikalische Ortsversetzung (Transition, Transmission oder Teleportation); Einzelbedeutung je nach Satzzusammenhang. Ferni-Krankheit: Eine heimtückische Allergie, die durch die Transitionen der Raumschiffe hervorgerufen wird und den davon Befallenen innerhalb einiger Monate tötet; einziges Gegenmittel sind die Shaks (Shaks-Kapseln). Fesselfeld/-projektor: Kraftfeld zur Immobilisierung von Gegenständen, das sich um die betreffenden Objekte legt und diese in einer Position fixiert; unterschieden werden drei Arten von Fesselfeldern: das einfache normalenergetische (am häufigsten verwendet), das gravomechanische (schafft starke künstliche Schwerkraftzonen, um ein Objekt festzuhalten) und das hyperenergetische 3-Schichten-Feld, das auch hyperenergetische Einflüsse blockiert (zum Beispiel paranormale Kräfte).
Fiktiv- und Simulationsspiele: Beliebte Beschäftigung der Arkoniden, vor allem in der Spätzeit des Tai Ark’Tussan. Basis sind Geräte auf paramechanischer Grundlage zur optischakustischen Darstellung von Gedankenund Bewußtseinsinhalten, die mit hyperenergetischen Frequenzen jenes Spektralbandes arbeiten, zu dem auch die Wirkung von Psychostrahlern, Hypnoschulungsgeräte sowie die natürlichen Parakräfte von Hypnos und Suggestoren zugerechnet werden. Fiktivtransmitter: Ein Transmitter(-system), dessen Ent- wie auch Rematerialisationsbereich frei projiziert werden kann, d. h. der Transport findet beispielsweise statt, ohne daß ein Empfangsgerät vorhanden sein müßte. Das Prinzip wurde von den Arkoniden in der Theorie als Möglichkeit beschrieben, aber niemals praktisch ausgewertet. Es soll auf dem Prinzip fünfdimensionaler Dimensionsgeometrik arbeiten, eine mechanische Teleportation mit Erfassungs-Impulsstrahlen von Objekten, die sich beliebig weit entfernt aufhalten können. Siehe auch: Hyperthorik. Fusionsreaktor/-meiler/-kraftwerk: Kernfusionsreaktor. Feuerleitzentrale: Spezielle Kontrollstelle/-zentrale an Bord von Raumschiffen oder Bodenstationen, von der alle Waffensysteme koordiniert und gesteuert werden. gath: Fern(es), weit entfernt. Gath-Faehrl: Wörtlich »ferne(s) Schule /Wissen«, auch »entschwundenes Wissen« – Umschreibung für das über die Archaischen Perioden gerettete Wissen von Hypertechnik, Raumfahrt etc.
Gebieter: Anrede des deutlich schwächeren gegenüber dem höheren Rang; vor allem aber von Robotern allen Arkoniden gegenüber. Gleiter: Sammelbezeichnung für alle radlosen, nicht bodengebundenen Fahrzeuge. Ursprünglich handelte es sich ausschließlich um Fahrzeuge, die mittels eines AntigravAbstoß- bzw. Prallfeldes wenige Zentimeter über dem Boden glitten. Später wurde dieser Begriff auf sämtliche Fahrzeuge und Beiboote ausgedehnt, die mit Hilfe eines Antigravtriebwerks innerhalb von Planetenatmosphären fliegen. Typen, die für Orbital- oder interplanetare Missionen Verwendung finden, werden als Raumgleiter bezeichnet. Goldan (auch: Goltan): Aus den Heroen-Sagas überliefertes Ungeheuer mit Hunderten überaus scharfsichtigen Augen (entspricht dem Argus der griechischen Sage – ein Riese, der hundert Augen hatte, von denen immer ein Teil wachte); vereinzelt als Ehrentitel verwendet; siehe auch: Tussan Goldan Celis. Gos’athor: (der) Kristallprinz, abgeleitet von Gos, Athor. Gravitationsbombe: Von den Arkoniden entwickelte Waffe, die festmateriell als normale Bombe eingesetzt, per Feldkatapult abgeschossen, als Gefechtskopf von Raumtorpedos und Marschflugkörpern oder als direkt projizierte hyperenergetische Spiralbahn eingesetzt werden kann. Die Explosion einer Gravitationsbombe erzeugt einen unkontrollierten Aufriß zwischen Normal- und Hyperraum mit nur annähernd zu bestimmender Intensität. Auf diese Weise wird sämtliche konventionelle Materie – Masse wie Energie – in den Hyperraum geschleudert.
Gravo-Antrieb: Sammelbezeichnung für UnterlichtTriebwerke, die mit gravomechanischen Kraftfeldern arbeiten; siehe: Antigravtriebwerk. Herkoom-Blätter: Auf dem Planeten Herkoom gezüchtete Pflanzen mit extrem langen Blätterbahnen, die wie geknüpft aussehen und die erstaunlichsten Muster haben. Die Herkoom-Pflanzer verstehen es, die Musterentwicklung mit verschiedenen Strahlenarten zu beeinflussen, so daß kein Teppichblatt dem anderen gleicht. Auf diese Weise haben sie einen Exportartikel entwickelt, der seinesgleichen in der Öden Insel sucht und entsprechend teuer ist. Hochedler: Siehe: Zhdopanda. Höchstedler: Siehe: Zhdopanthi. Hyperenergie/hyperenergetisch: Übergeordnete Energieform des Hyperraums. Häufige Verwendung als Zusatzbezeichnung für die mit den übergeordneten Kräften und Wechselwirkungen des Hyperraums arbeitenden Aggregate und Energiesysteme. Alle konventionellen Wechselwirkungen haben ihre übergeordneten Äquivalente im hyperenergetischen Spektrum; in ihrer Quantenerscheinung ganz allgemein Quintronen genannt. Sonnen haben zum Beispiel neben ihren elektromagnetischen Emissionen solche auf übergeordnetem Niveau – sie sind ebenso Hyperstrahler, wie sie durch ihre Masse die Raumzeit krümmen und durch die in ihnen ablaufenden Fusionsprozesse Wärme, Licht und hochenergetische Quanten abstrahlen.
Hyperfunk: Bezeichnung für die überlichtschnell arbeitenden Funk- und Kommunikationssysteme, die den übergeordneten Hyperraum als Trägermedium benutzen. Hyperkristalle: Es handelt sich um Minerale auf Quarzbasis, deren Einschlüsse hyperenergetischer Natur sind, welche als »pseudomaterielle« Struktur mehr oder weniger stabile Stofflichkeit erlangt haben. Weil chemische und physikalische Messungen stets zu stark schwankenden Ergebnissen führen (die Bandbreite des festgestellten »Atomgewichts« pendelt beispielsweise willkürlich zwischen 0 und 1024; chemisch zeigt sich edelgasähnliche Reaktionsträgheit neben chlorgleicher Reaktionsfreudigkeit) und sich die Einschlüsse nicht ins Periodische System der Elemente einordnen lassen, definierten die praktisch orientierten Arkoniden diese Hyperelemente als »hyperenergetisch-pseudomaterielle Konzentrationskerne«. Weiterhin klassifizierten sie die Hyperkristalle selbst über die Effektivität des nutzbaren hyperenergetischen Potentials an Hand der Farbvarietät: Violette Criipas erweisen sich hierbei als am effektivsten, gefolgt von blauen Mivelum und grünen Skabol; gelbe Losol rufen nur katalytische Effekte hervor, während rote Khalumvatt ihre Hyperwirkung nach kurzer Verwendung verlieren. Im Gegensatz dazu ließen sich weißliche oder bergkristallklare Äyasoo-Mischformen multifunktionell einsetzen. Hyperraum: Allgemeine Bezeichnung für das übergeordnete Kontinuum, in das das vierdimensionale Raum-Zeit-Gefüge des sogenannten Standarduniversums sowie ungezählte andere (Parallel-) Universen des Multiversums eingebettet sind. Im Hyperraum als Kontinuum außerhalb vertrauten Raumes und vertrauter Zeit verliert die im Standarduniversum
höchstmögliche Ausbreitungsgeschwindigkeit in Form der Lichtgeschwindigkeit ihre Gültigkeit, so daß er für überlichtschnelle Fortbewegungen verwendet werden kann. Aufgrund der im Hyperraum geltenden (hyper-)physikalischen Gesetze verwandelt sich dort ein materieller Körper zwangsläufig in einen übergeordneten Energie-Impuls (Ferm, Ferm-Taärk, Transition, Transitionstriebwerk), sofern er nicht durch spezielle Kraftfelder vor den Einflüssen des Hyperraums geschützt wird und somit quasi ein Miniatur-Universum für sich bildet. Im Verhältnis zur uns bekannten Welt ist der Hyperraum eine Singularität: Dieser Begriff ist in der Physik der Ausdruck dafür, wenn eine physikalische Größe unendlich wird und/oder wenn die bekannten physikalischen Gesetze ihre Gültigkeit verlieren; eine Bedingung – kein Raum, keine Zeit, keine Materie –, die aus unserer Sicht für den Hyperraum zutrifft. Sofern keine Schutzmaßnahmen ergriffen werden, bedeutet für uns das Eindringen »in den Hyperraum« den Verlust der raumzeitlich fixierten Struktur, vereinfachend »Entmaterialisation« genannt. Modell hierzu kann ein DiaProjektor sein, dessen Bild nur dann sichtbar ist, wenn die Projektionsebene einer Leinwand in den Strahlengang gehalten wird. Sowie diesem flächig projizierten Bild aber Gelegenheit gegeben wird, Tiefe und Körperlichkeit zu entwickeln – beispielsweise die Projektion in einen Glasbehälter erfolgt, der mit trüber Flüssigkeit gefüllt ist –, wird das ursprünglich klare und konturenscharfe Abbild undeutlich, fließt auseinander und verschwimmt. Hypnogas (larabonisches): Farbloses Gas, das blitzschnell den Willen einer anderen Person ausschaltet und je nach Dosis auch posthypnotische Befehle zuläßt.
Hypnoschulung (-geräte): Häufig auch »aufstockende Hypnoschulung« genannt; Informationsübertragung durch meist glockenförmige, mit einem Sessel kombinierte Geräte, die den großen Vorteil haben – neben der Schnelligkeit der Schulung an sich –, daß der Lerninhalt stets bereitsteht und nicht vergessen wird; das Wissen existiert quasi parallel zu den normalen Erinnerungen in einem paramechanisch geprägten Reservoir; Gedankenassoziationen rufen die Daten ab und lassen sie ins Wachbewußtsein treten. Es gleicht einer riesigen positronischen Bibliothek, aus der unbewußt der richtige Text geladen wird, sobald das Thema aktuell wird. Hypersturm: Hyperphysikalisches Phänomen im Standarduniversum, ausgelöst durch chaotische Konzentrationen von Hyperenergie; häufig begleitet von Verzerrungen des Raumes und der Zeit; kann zum Ausfall von Hypertechnik fuhren. Hyperthorik: Als »spekulative Grenzwissenschaft« einiger altarkonidischer Mathematiker angesehener Forschungszweig der Hyperphysik, dessen Algorithmen, Formalismen und Beschreibungsmöglichkeiten angeblich zur Beschreibung von diversen hyperphysikalischen Phänomenen und sogar von Paralleluniversen herangezogen werden können. Impulsstrahler: Von den Arkoniden als Luccot bezeichnete Waffe, bei der als Ergebnis von DeuteriumKatalysefusionsladungen den Impulstriebwerken vergleichbare Hochenergie-Plasmaimpulse zum Einsatz kommen, die durch hyperenergetische Felder gebündelt und beschleunigt werden; die Wirkung entspricht der beim
Massendefekt freigesetzten Energie (Standardleistung einer Handwaffe = ein Milligramm Deuterium pro Schuß, dem eine Energiefreisetzung von rund drei Kilogramm Vergleichs-TNT im Ziel gleichkommt). Die beste Wirkung entfaltet der Impulsstrahler im Vakuum des Weltalls; innerhalb einer Atmosphäre ist die Reichweite deutlich verringert, da es zu Streuverlusten kommt, und unter Wasser oder in dichteren Medien kann es zu Energierückschlägen kommen. Es ist angeraten, Impulsstrahler auch bei Handwaffenausführung nicht innerhalb geschlossener Räume einzusetzen, will man nicht selbst gebraten werden. In Atlans Jugendzeit waren Modelle der Serie TS-11 im Einsatz. Impulstriebwerk (Tsohlt-Taärk): Die Wirkungsweise eines Impulstriebwerks wird als die »Ausstoßung eines in hyperstrukturellen Energiefeldern gebändigten, eingeengten und gleichgerichteten Partikelstroms von höchster Dichte und absoluter Lichtgeschwindigkeit« umschrieben. Hierzu arbeiten die in den Impulstriebwerken eingesetzten Fusionsmeiler im sogenannten Direktstrahlverfahren: Nach der Fusionszündung wird das Plasma zum Thermalumformer geleitet und dann zum Impulskonverter; hier kommt es zur mehrstufigen Verdichtung, Gleichrichtung sowie der »Strukturumformung« zum eigentlichen Impulsstrahl, welcher dann durch die Felddüse austritt. Das hyperstrukturelle Kraftfeld der letzten Triebwerksstufe, aus projizierter Hyperenergie bestehend und damit dem Hyperraum eng verwandt, nutzt die Gesetzmäßigkeiten des Hyperraums aus. Für das Impulstriebwerk heißt das, daß sonnenheißes Plasma und Hyperfeld für sich alleine keine Wirkung haben. Sobald sie aber beim Kontakt in Wechselwirkung treten, entsteht eine »labile
Energieflußzone«, so daß als maßgeblicher Anteil des Impulsstrahls die Hyperenergie angesehen werden muß, die sich in dem katalytisch wirkenden Plasma in Form von zusätzlicher Massenenergie anlagert. Das Strukturfeld des Impulskonverters benötigt für höhere Beschleunigungen größere dieser Katalysatormengen, d. h. für den kontinuierlichen Hyperenergie-Abfluß ist zur Stabilisierung des Effekts eine »fettere Mischung«, sprich zusätzliche Stützmasse, erforderlich (um so mehr, je höher die Beschleunigung und je relativistischer die zu erreichende Endgeschwindigkeit ist). Die automatisch aus dem Hyperraum abfließenden Energien, zu normaler Masse degeneriert, übernehmen die eigentliche Aufgabe der Schuberzeugung, so daß Beschleunigungen von 500 km/sec und mehr möglich werden. Individualfeld: Auch Individualschirm oder kurz IV-Feld/Schirm; mit Hilfe eines tragbaren oder in Schutzanzüge integrierten Gerätes erzeugter Körperschutzschirm zur Abwehr festmaterieller oder energetischer Einwirkungen (zum Beispiel der von Waffen); in Abhängigkeit von der Energieversorgung nur bis zu einem gewissen Grad belastbar. Basiert im allgemeinen auf einem hyperoder gravomechanischen Feldliniensystem, das den Körperkonturen angepaßt ist oder zur Sphärenform ausgeweitet werden kann; je nach Komplexität der Projektoren lassen sich Strukturlücken unterschiedlicher Natur schalten, aufeinander abgestimmte Individualfelder können durch gegenseitige Überlappung zur stärkeren und größeren Form verschmelzen usw. Siehe auch: Prallfeld, Schutzschirm. Individualmuster (auch: Individualschwingungsmuster oder Individualaura): Gesamtheit der mit Gehirnwellenmustern
und Bewußtseinsprozessen verbundenen Strukturen und Felder, die weitgehend von hyperenergetischer Natur sind. Dieses »Schwingungsmuster« kann bis zu einem gewissen Grad als dem Bewußtsein äquivalente Ausdrucks- oder Darstellungsform von Lebewesen betrachtet werden, als mehr oder weniger gut interpretierbares Modell ihrer Seele, ihres Geistes, ihrer Vitalkraft, des »latenten Zhy«, wie es beim Dagor heißt. Es handelt sich um jene Komponente, die den höhergeordneten Bereich widerspiegelt und mangels einer besseren Bezeichnung manchmal als »fünfdimensionaler Appendix« umschrieben wurde. Bei geeigneter Darstellungsform erscheinen die Muster als Glühen und Leuchten hyperenergetischer Koronen (beim Dagor dann als »Leuchten der Individualauren« umschrieben) – im allgemeinen Sprachgebrauch werden sie meist unter dem Begriff Individualschwingungsmuster zusammengefaßt, wenn Scanner (Individualorter/-taster) sie erfassen, oder als Individualauren, sofern sie auf paranormalem Wege wahrgenommen werden: Die Bewußtseinsfelder umspielen hierbei den eigentlichen Körper, durchdringen und überdecken die vage-flockige Struktur von Materie, die ja nur für unsere groben Sinne scheinbar fest und stabil ist (eng mit Zhy verbunden: das transzendentale Licht oder übersinnliche Feuer; die Kraft der absoluten Weisheit; Paranormales, Transpersonales und Transzendentales – austauschbare Begriffe und Umschreibungen für das gleiche Phänomen. Die Wahre Kraft des Bewußten Seins, die jenseits materieller Grenzen und körperlicher Einschränkung besteht und über die Schranken von Raum und Zeit hinausreicht). Weil auch jede Welt alle die auf ihr lebenden Wesen zu einer gemeinsamen, höheren Struktur einer kollektiven Individualaura vereint, bei der es sich um die ihrerseits lebendige Korona aller Lebensformen handelt, gleicht deren
hyperenergetische »Leuchtkraft« einer Sonne in einzigartiger Charakteristik – sofern die entsprechenden Wahrnehmungsund Nachweismethoden zur Verfügung stehen. Individualorter/-taster: Gerät zur Erfassung, Aufzeichnung und Auswertung von Individualmustern/-auren/schwingungen; wird im allgemeinen zur eindeutigen Identifizierung von Personen verwendet. Injektionspflaster: Selbsttätig injizierende dünne Haftkapseln, die an jeder durchbluteten Körperstelle des Patienten angebracht werden können. Die jeweilige Plazierung richtet sich nach der Art der zu verabreichenden Injektion. Interkom: Bezeichnung für das interne Bild-SprechKommunika-tionsnetz von Raumschiffen, Gebäuden und Anlagen. Jacinther: Gelbe Standardsonne vom Typ G3V, 19.555 Lichtjahre von Arkon entfernt, 2143 Lichtjahre oberhalb der galaktischen Hauptebene; insgesamt zwölf Planeten, Nummer vier ist eine Freihandelswelt. Jacinther IV: Vierter von zwölf Planeten der Sonne Jacinther. Mittlerer Bahnradius: 147,2 Millionen Kilometer. Planetarer Durchmesser: 11.584 Kilometer. Gravitation: 1,06 Gravos. Rotation: 417,73 Tage zu 14,93 Tontas (21,2 Stunden). Neigung der Polachse: 13 Grad. Kein Mond. Rund ein Drittel der Oberfläche wird von drei Kontinenten und einer Großinsel bestimmt, konzentriert in der »Landhemisphäre«, während die gegenüberliegende »Ozeanhemisphäre« nur eine Unzahl kleiner bis kleinster Inseln und Atolle aufweist: Nordkontinent Sebentool (rund 6500 zu 7000 Kilometer); Südkontinent
Braschoon (rund 10.000 zu 6400 Kilometer); Mittel- oder Äquatorialkontinent KevKev (rund 6600 zu 5400 Kilometer); dreieckige Großinsel Kortasch-Auromt (rund 1700 zu 1700 Kilometer). Umweltbedingungen extrem: Temperaturstürze, heftige Regen, Stürme und häufig wechselnde Witterungsverhältnisse bei feuchtheißer Atmosphäre. Treibhausklima mit üppiger Flora – außerhalb der Ballungszentren ist das Land von Dschungel und Sumpfland bestimmt, die Tierwelt entsprechend vielfältig, wild und verlockendes Ziel für Großwildjäger. Auf jedem Kontinent sowie der Großinsel existiert eine Handelsniederlassung mit Raumhafen, angrenzender Wohnstadt und Freihandelszone. Ka’Chronntis: Bezeichnung/Titel Oberbeschaffungsmeisters.
des
Ka’Gortis: Bezeichnung/Titel des Kriegsministers. Ka’Marentis: Bezeichnung/Titel des Chefwissenschaftlers des Großen Rates/Tai Than; Mitglied des Berlen Than; als einer der berühmtesten gilt Epetran, der für den Endausbau des Robotregenten verantwortlich war. Ka’Mehantis: Bezeichnung/Titel des »Imperialen Ökonomen« = Handelsminister des Großen Rates/Tai Than; Mitglied des Berlen Than. Kaccem: Kleiner, leistungsschwacher Impulsstrahler zum Verschießen ultrakurzer Plasmaimpulse; geeignet für Kämpfe auf engstem Raum. Kampfanzug: Einsatz-, Transport-, Schutz- und Kampfanzug.
Kampfroboter: Zu Kampf-, Wach- und Schutzzwecken entwickelte Roboter, deren Grundprogrammierung auf die jeweiligen Einsatzgebiete abgestimmt ist. Die Standardmodelle gleichen bei einer Größe von rund 2,5 Metern und etwa zwei Tonnen Masse äußerlich einem bizarren menschlichen Skelett; je nach Anforderung sind sie mit Antigrav und zusätzlichen Triebwerken ausgestattet, verfügen über ; Waffenarme (Desintegrator, Impulsstrahler, Paralysator, Thermostrahler) und variabel ausgestattete Ortungssysteme, können Schutzschirme errichten oder sind durch Zusatzausrüstungen an spezifische Einsatzsituationen angepaßt. Gleiches betrifft die Kapazität der Steuerungseinheit auf positronischer Basis, die ggf. der Steuerung eines stationären Großrechners untersteht, aber auch individuelle Handlungen im Rahmen der Programmierung gestattet. Karaketta(-Rennen): Von Imperator Bargk I. initiiert, wird 3750 da Ark auf Arkon I rings um den Hügel der Weisen das seither alle zwei Arkonjahre stattfindende Karaketta-Rennen erstmals durchgeführt – ein Spektakel mit vergleichsweise primitiven, korpuskularbertriebenen »Raketengleitern«. Kartentank: Name für ein holographisches Anzeigesystem, das die ortungstechnisch ermittelte Umgebung eines Raumschiffes dreidimensional abbildet. Katanen: Feier-/Festtag(e); siehe: Katarien des Capits. Katanen des Capits: Zeitrechnung; die letzten fünf Tage eines Arkonjahres; Feiertage, die auf uralte Riten zurückgehen und in früherer Zeit der Ehrung der Fruchtbarkeitsgötter dienten.
Katoquantynum: Synthomaterial, das durch Hyperkristalleinschlüsse mit keiner anderen bekannten Materie chemische Reaktionen aufweist und außerordentlich stabil ist, vor allem verwendet für Isolationen, zum Beispiel in Form von Probekapseln. Kernfusionsreaktor/-meiler/-Kraftwerk: Aggregat zur Energiegewinnung auf Kernfusionsbasis (= Verschmelzung von Wasserstoff- zu Helium-Atomen); bei den Arkoniden die vielfach erprobte, sichere und robuste Basismethode der Energieerzeugung. Kernfusionsreaktoren sind daher sehr langlebig und zuverlässig, ebenso können sie problemlos in Miniaturbauweise hergestellt werden. Khalunivatt: Rote Hyperkristalle. Klingors: Auf Hyperkristallgranulat basierende paramechanisch aktive Substanz in grünen Pillen, die Hemmungen beseitigt oder auf ein Minimum herunterschraubt und Gefühle in höchstem Maße steigert; ab etwa 10.490 da Ark besonders bei jungen Leuten in Mode gekommen, hatten sie durch dieses Medikament doch die Möglichkeit, mit einem Partner auch ohne körperliche Vereinigung Gefühle und Rauschzustände zu teilen, da sie eine quasiempathische Verbindung herstellten. Kombistrahler: Kombinationswaffe mit wahlweiser Thermostrahl-, Desintegrator- oder Paralysatorwirkung; robust und praxiserprobt. In Atlans Jugendzeit waren Modelle der Serie TZU-4 im Einsatz. Korpuskular-Triebwerk: Einfaches Antriebssystem für den Unterlichtflug, das Korpuskularstrahlen (Korpuskeln =
kleinste Bestandteile der Materie und des Lichtes) als Antriebsmedium benutzt. Kralasenen: Söldner- und Geheimtruppe des Blinden Sofgart (leiten ihre Bezeichnung von Tormana da Bargk ab, der als Wettergott ebenso der von Sturm und Stärke war und in den Archaischen Perioden auch Kralas genannt wurde). Kristallfeldintensivierung: Energieaufwendige Methode der hyperenergetischen Aufladung, mit der Arkonstahl, Metallplastik oder andere Materialien zusätzlich verstärkt und insbesondere gegen Desintegratorbeschuß gesichert werden können. Wie bei der Normalbehandlung von Metallplastik kommt es zu einer künstlichen Intensivierung der Kohäsionskräfte (dem durch gegenseitige Anziehung hervorgerufenen Zusammenhang zwischen den Molekülen eines Körpers), die dem Material besondere Härte, Festigkeit und eine hohe Temperaturbeständigkeit verleiht. KSOL (-plus Kodezahl): Bezeichnung von Positroniken; in Atlans Jugendzeit sind KSOL-73/85 bis -73/95 im Einsatz; siehe auch: Mikro-KSOL. Kyasoo: Bergkristallklare Hyperkristalle. Kyagos: Wasser. Lastenschleuse: Bezeichnung für die großen Schleusen an Bord von Raumschiffen, die vorwiegend für die Be- und Entladung von Frachtgütern und Ersatzaggregaten dienen. Lebenserhaltungssysteme: Sammelbegriff für alle Subsysteme an Bord eines Raumschiffes, die primär zur Aufrechterhaltung
der Lebensbedingungen für die Besatzung dienen. Dazu gehören zum Beispiel die Strahlenschutzsysteme, Klimaanlagen sowie die Luft-, Wasser- und NahrungsmittelRegeneratoren. Lemu(u): Auf Artefakten gefundene alte galaktische (tote) Sprache, die gewisse Ähnlichkeiten mit dem Satron als »klassisches Interkosmo« aufweist. Losol: Gelbe Hyperkristalle. Luccot: Ark. Impulsstrahler.
Bezeichnung
für
einen
Hochenergie-
Maahks: Auch wenn die Maahks und ihnen ähnelnde Völker von den Arkoniden als »Methanatmer« oder kurz »Methans« bezeichnet werden, ist dieser Begriff irreführend: Die bis zu 2,20 Meter großen und bis zu 1,50 Meter breiten Wesen atmen in erster Linie Wasserstoff (und ein bißchen Methan) ein und atmen Ammoniak aus; dieses Gas ist unter dem auf MaahkWelten herrschenden Druck sowie den Temperaturen von 70 bis 100 Grad Celsius noch nicht flüssig geworden. Die Maahks entwickelten sich vor mehr als 50.000 Jahren in Andromeda. Als dort die Lemurer auftauchten, wurden die Maahk-Völker in die Milchstraße vertrieben, wo es in Atlans Jugendzeit zum kriegerischen Kontakt mit den Arkoniden kommt – die sog. Methankriege in mehrfach wechselnden heißen und kalten Phasen. Mannschleuse: Kleine Raumschleuse an Bord von Raumschiffen, die vorwiegend von Personen und Robotern benutzt wird.
Mehinda: Abgeleitet von Meh’in da Khasurn, »Linie/Zeichen von Kelch/Geschlecht«. Eine aus dem Saft des ZhargStrauches (Zharg-notah) gewonnene, cremige, meist in bläulichgrünlichen Tönen schimmernde Paste, die der Herstellung des rituellen arkonidischen Make-ups dient. Das Tragen des Mehinda ist nur den Adelsgeschlechtern erlaubt, das kostbare und in der Herstellung entsprechend aufwendige Gor-Mehinda (Kampf-Mehinda) darf allerdings nur ein Mitglied eines Mittleren oder Großen Kelches ausschließlich in der Zeit der KAYMUUTRES auftragen. Muster und Farbgebung des Mehinda entsprechen der Heraldik des jeweiligen Khasurn mere: Pol Harae’mere, Kator’mere. Meren: (Raum-)Station. Metallplastik: Hyperphysikalisch behandelte, mehrfach in submolekularen Vorgängen gehärtete und bearbeitete Verbundmaterial-Legierung aus Stahl und Polymeren, der die auf hyperenergetischem Wege künstlich verstärkten Kohäsionskräfte (dem durch gegenseitige Anziehung hervorgerufenen Zusammenhang zwischen den Molekülen eines Körpers) besondere Härte, Festigkeit und eine hohe Temperaturbeständigkeit verleihen. Unter durch »Beschußoder Molekularverdichtung« behandeltem Material versteht man die gezielte Bestrahlung von Normalmaterie mit multifrequenter hyperenergetischer Strahlung, so daß der normalerweise extrem geringe »freie« Hyperanteil erhöht wird – verbunden mit der oben erwähnten Kohäsionsverstärkung. Werkteile aus Metallplastik sind gegen mechanische Beanspruchung und gegen Hitze von bis zu 18.000 Grad Celsius geschützt: Belastungen auf Druck, Biegezug, Torsion, Hitze und dergleichen werden bis zu einem Grenzwert anstandslos absorbiert. Thermisch bedingte Verformungen in
der Art eines Längenausdehnungskoeffizienten treten erst bei Temperaturen von 8.000 bis 10.000 Grad auf und auch dann nur minimal. Korrosion oder ähnlicher Angriff gibt es nicht, weder auf chemischer noch auf elektrochemischer Ebene. Nachteil der Behandlung ist jedoch, daß bei Überschreiten des Grenzwertes der spontane Zerfall in die atomaren Bestandteile erfolgt sowie die Materialveränderung der Kohäsionsverstärkung eine »Halbwertszeit« von ca. 10.000 Jahren besitzt (heißt: Nach 10.000 Jahren ist nur noch die Hälfte der ursprünglichen Materialgüte vorhanden). Untergliederungen je nach Metallanteil in zum Beispiel Ferroplastik, Chromplastik usw.; weiterhin gibt es metallkeramische u. ä. Verbundlegierungen. Transparent sind die »Unterlegierungen« von Panzertroplon bzw. Panzerplast. Methankrieg: Bezeichnung für die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Methans (Maahks). Schon zur Regierungszeit von Imperator Arthamin I. gab es erste militärische Zusammenstöße im Taponar-Sektor. Die später Methankrieg genannte, vielfach zwischen heißen und kalten Phasen wechselnde Eskalation begann am 34. Prago der Prikur 10.457 da Ark, als das Iskolart-System im Bereich der gleichnamigen Dunkelwolken von Methans erobert wurde. Die Monde der Gasriesen waren reich an Hyperkristallfundstätten und wurden von beiden Seiten beansprucht; es war die erste Niederlage der Arkoniden gegen diese Wesen, die im Kampf als wahre Ungeheuer galten, fast unverwundbar, wenn man sie nicht richtig traf. Mirkandhoum: Wörtlich »Ort (des) Ei(es)«, Nest, Gelege. Mirkandol: Wörtlich »Ort (der) Begegnung«.
Mivelum: Blaue Hyperkristalle. Naat: Der fünfte Planet der Sonne Arkon und Heimatwelt der Naats. Mittlerer Sonnenabstand: 845 Millionen Kilometer, Durchmesser: 127.000 Kilometer, Schwerkraft: 2,8 Gravos, Eigenrotation: 92 Stunden. Es handelt sich um eine Staub- und Wüstenwelt mit riesigen Geröll- und Gesteinswüsten sowie ausgedehnten, wenngleich flachen Gebirgen. Naat besitzt eine atembare Sauerstoffatmosphäre und wird von 26 Monden umkreist. Die Hauptstadt trägt den Namen Naatral, der gewaltige Handelsraumhafen der Arkoniden heißt Theter. Naator: Der elfte und zugleich größte Mond des Planeten Naat mit einem Durchmesser von 11.786 Kilometern. Die Wüstenwelt wird im Orbit von mehreren Dutzend Raumfestungen gesichert und ist Standort eines planetenweiten Truppenübungsplatzes, auf dem die Arkoniden ihre kolonisierten Völker trainieren. Naats: Die schwerfällig wirkenden Wesen leben vor allem auf Naat, Naator und den anderen Monden des fünften Planeten der Sonne Arkon. Sie sind drei Meter hoch, weisen kurze, stämmige Säulenbeine, überlange Arme und Kugelköpfe mit drei Augen, einem sehr schmalen Mund und einer kleinen Nase auf; die Hautfarbe ist schwarzbraun, sie verfügen über keinen Haarwuchs; häufig gehen sie auf allen vieren. Seit Jahrtausenden sind sie ein Hilfsvolk der Arkoniden, oftmals nicht mehr wert als Sklaven, andererseits aber auch bevorzugte Mitglieder der Leibgarde des Imperators. Trotz ihrer hohen Intelligenz werden sie aufgrund ihres erschreckenden Äußeren von vielen arroganten Arkoniden nur als dumme Wesen betrachtet.
Orbton(en): Offizier(e) ab einfachem Mondträger. Ortung: Fernerkundungssystem; unterschieden wird im allgemeinen zwischen verschiedenen Ortungen: Die (Passiv-)Ortung umschreibt den puren Empfang der von externen Objekten ausgehenden Emission hyperphysikalischer Art (beispielsweise Streustrahlungen von Triebwerken, Hyperstrahlung von Sonnen usw.) und kann durch Vergleich mit den immensen Speicherwerten der Datenbanken blitzschnell dem jeweiligen Verursacher zugeordnet werden. Die (Aktiv-)Ortung oder Tastung gleicht im Gegensatz dazu dem konventionellen RADAR, d. h. es wird ein mehr oder weniger eng gebündeltes Paket multifrequenter Hyperstrahlung aktiv ausgesandt, um aus den von den externen Objekten reflektierten Impulsen auf das entsprechende Objekt und seine Eigenschaften Rückschlüsse ziehen zu können. Entsprechend den unterschiedlichen Teilbereichen wird – ebenfalls vereinfachend – von Struktur-, Kontur-, Masseund Energieortung gesprochen, die jeweiligen Ergebnisse werden in der Panoramagalerie oder auf Detaildisplays in Gestalt von »Reliefs« einschließlich der zusätzlich eingeblendeten Erläuterungen dargestellt. Panoramagalerie: An der Wand von Raumschiffszentralen verlaufende große Bildfläche oder Holoprojektion, die zumeist die 360-Grad-Umgebung des Schiffes zeigt. Neben den normaloptischen Informationen können Ortungsdaten oder Positroniksimulationen eingeblendet werden; Filtersysteme wirken als Blendsicherung usw. Im Sinne einer optischen Beobachtung hat diese Darstellung vor allem psychologische Bedeutung: Man sieht, wohin man fliegt. paranormal:
Wörtlich
»neben
dem
Normalen«;
im
allgemeinen Fähigkeiten und/oder Kräfte, die nicht zum Bereich der normalen Sinne gehören, meist eine von Lebewesen erzeugte Wirkung, die dem ultrahochfrequenten Bereich des hyperenergetischen Spektrums zugeordnet wird (zum Beispiel Telepathie, Telekinese, Teleportation etc.), auch als psionisch, mental oder transpersonal (»über die Person hinaus[gehend]«) umschrieben. Die Arkoniden stießen bei der Expansion ihres Tai Ark’Tussan auf etliche Fremdvölker, bei denen Parakräfte eine nicht unwesentliche Rolle spielten (Individualverformer, Mooffs, Voolyneser, Vulther u. v. a.). Ihre eigene Erforschung des Paranormalen und Transpersonalen konnte, nicht zuletzt mit Blick auf Dagor und die damit verbundene Philosophie, etliche Ergebnisse vorweisen, die über die paramechanischen Psychostrahler, Fiktiv- und Simultanspielprojektoren und Anlagen, die der Aktivierung des Extrasinns dienten, hinausreichten. Der Paraphysiker Belzikaan (um 15.600 vor Christus) bezeichnete die Paraforschung offiziell als »zwiespältige Wissenschaft«, um den Unterschied und die Trennung von den übrigen konventionellen und hyperphysikalischen Fakultäten zu markieren. Diese Erkenntnisse gehörten allerdings stets zur höchsten militärischen Sicherheits- und Geheimhaltungsstufe oder waren auf bestimmte Kreise beschränkt. Kräfte des Paranormalen sind deshalb gar nicht so selten, wie es auf den ersten Blick vielleicht aussieht. Vor allen Dingen sind sie keineswegs zwangsläufig Ausdruck einer wie auch immer gearteten »Mutation«, so daß die Aussage »Parabegabter gleich Mutant« ein etwas schiefes Bild erzeugt. Grundsätzlich handelt es sich beim Paranormalen zunächst einmal um Dinge, die zumindest latent jedem Bewußtsein zu eigen sind. Ob und inwieweit der einzelne sich dieser Kräfte und Fähigkeiten dann bewußt ist oder gar aktiv bedienen kann, ist eine andere Frage.
Prago(s): Arkon-Tag zu 20 Tontas. Prallfeld: Ein hyper- oder gravomechanisches Kraftfeld mit aktivabstoßender Wirkung, das im allgemeinen wie eine nicht oder kaum sichtbare undurchdringliche Haut wirkt und nahezu in beliebiger Form projiziert werden kann; siehe auch: Prallfeld-Triebwerk. Prallfeld-THebwerk: Bodengebundener Antrieb, bei dem modifizierte Antigrav-Generatoren gepolte gravomechanische Abstoßfelder erzeugen, die ein Objekt in geringer Höhe über dem Boden schweben und fliegen lassen. Gegenüber einem konventionellen Antigrav-Antrieb sind Prallfeld-Triebwerke technisch weitaus einfacher und energiesparender. Prallschirm (auch: Ionisations-Abstoß-Prallschirm): Ein Schutzschirm, der von konventioneller Materie in energetischer, gasförmiger, flüssiger oder fester Form nicht durchdrungen werden kann. Wird zumeist an Bord von Raumschiffen zur Verhinderung von mechanischen Beschädigungen des Rumpfes vor allem durch Kleinstmeteoriten, Atmosphären o. ä. verwendet (Luft wird zum Beispiel ionisiert und abgestoßen, so daß eine permanente Vakuumzone zwischen Außenhaut und Prallschirmfläche entsteht). Pruug: Schutzengel des Rezwan-Kults. Psychostrahler: Von den Arkoniden zur geistigen Beeinflussung vor allem von »Fremdvölkern« entwickelte Waffe; hat deshalb auf Arkoniden im allgemeinen kaum Wirkung. Die schwache hyperenergetische Emission des
Psychostrahlers beeinflußt jedes Lebewesen der höheren Ordnung – dazu zählen Tiere ebenso wie arkonoide Wesen – hypnosuggestiv und unterwirft es dem Willen des Angreifers, der, über eine paramechanische Verbindung zwischen Angreifer, Waffe und Opfer, auf rein geistigem Wege seine Befehle gibt (»lautloser Übertragungskontakt«). Mit dem Psychostrahler können auch posthypnotische Blöcke mit Langzeitwirkung ausgebildet werden. Durch die Möglichkeit, einen hypnotischen Tiefschlaf zu befehlen, wird die Waffe mitunter auch im Sinne eines »Paralysators« verwendet und findet Einsatz in der MedoPsychotherapie. Einfache Schutzfelder oder Personen mit überaus starkem Willen widerstehen unter Umständen der Psychostrahlung, ebenso zeigen Mutanten, Mentalstabilisierte oder Personen mit aktiviertem Extrasinn keine Wirkung; im allgemeinen handelt es sich um einen silbrigen Stab von Daumendicke. Den Psychostrahlern gleichende Methoden kommen auch bei der Hypnoschulung sowie den Projektoren der Fiktiv- und Simulationsspiele zum Einsatz. Pulsations- oder Pulsatortriebwerk: Atmosphärenantrieb, bei dem die umgebende Luft angesaugt, in einer Expansionskammer atomar erhitzt und mit hoher Geschwindigkeit ausgestoßen wird. Dieser Vorgang läuft in Schüben (= pulsierend) ab. Verwendung bei Gleitern und auch Schutzanzügen. Quintadim-: Vorsilbe für hyperphysikalische Phänomene und/oder Aggregate, die sich auf den fünfdimensionalen Bereich beschränken. Siehe auch: Hyperphysik, Hyperenergie, Hypersturm, Hyperthorik. Quintadim-Technik: Beinhaltet alle anderen fünfdimensional-
hyperphsikalischen Anwendungen. Siehe auch: Hyperphysik, Hyperenergie, Hypersturm, Hyperthorik. Quintronen: Allgemeine Bezeichnung der Quanten des hyperenergetischen Spektrums. Raumfort: Bezeichnung für zumeist stationäre Verteidigungsplattformen zum Schutz von Sonnensystemen oder Planeten. Diese sind schwer bewaffnet und mit starken Energieschutzschirmen ausgestattet, verfügen ansonsten aber nur über kleine Steuertriebwerke für den Positionswechsel. Sie sind daher gegenüber einem gleichwertig bewaffneten Raumschiff weitaus einfacher und damit auch billiger herzustellen. Raumtorpedo: Meist überlichtschnelles RaumflugWaffensystem, vorwiegend an Bord von Raumschiffen. Nach dem Abschuß sucht der Raumtorpedo selbständig sein Ziel, um es dann durch eine Kontaktexplosion zu beschädigen oder zu zerstören. Raumsonde: Vollautomatischer Raumflugkörper, der je nach Modell und Einsatzzweck mit den verschiedensten Ortungsund Meßsystemen ausgestattet ist. Wird zur Erkundung abgelegener oder gefährlicher Bereiche des Alls eingesetzt. Raumtender: Bezeichnung für Spezialeinheiten zur Bergung und Reparatur von Raumschiffen im All. Raumwerft: Sammelbegriff für die zumeist vollrobotischen Werftanlagen zur Produktion von Raumschiffen. Siehe: Arkon III.
Rhagarn: Wörtlich »Staffel«, zum Beispiel Gruppe von Raumjägern/Robotern zu 60 Einheiten. Ringwulst: Bezeichnung für den äquatorial gelegenen Triebwerkswulst arkonidischer Kugelraumschiffe, meist mit achtzehn Impulstriebwerken bestückt. Rollband: Transportsystem zur Beförderung von Personen und Gütern. Es handelt es sich um rein mechanische Laufbänder, die die manchmal kilometerweiten Entfernungen auf den Decks der Großraumschiffe überwinden helfen, oder um weiterentwickelte Systeme, die mit vollenergetischen Prall- und Zugfeldern arbeiten. Rhudhinda: Gesprochener Nachruf auf die Toten »gemeinsam die Rhudhinda sprechen« = die Toten ehren.
–
Schlachtkreuzer: Ark. Kugelraumschiff von 500 Metern Durchmesser. Schlachtschiff: Durchmesser.
Ark.
Kugelraumschiff
von
800
Metern
Schutzschirm (auch: Schutzfeld): Mitunter an Seifenblasen erinnerndes Kraftfeldsystem, das für äußere Einflüsse mehr oder weniger undurchdringlich ist, eine ganze Reihe von Sonderfunktionen besitzt und in nahezu beliebiger Form projiziert werden kann – vereinfachend Schutzfeld, Abwehrschild, Energieschirm und ähnlich genannt. Das Einsatzgebiet ist ebenso umfangreich wie die detaillierte Funktions- und Projektionsweise: Die Abwehr der verschiedensten Waffen gehört in gleicher Weise dazu wie der Schutz vor Reibungshitze beim Eintritt in Atmosphären, vor
Meteoriten und kosmischer Mikromaterie oder Strahlung aller Art. Als »konventionell« oder »normalenergetisch« werden jene Schutzschirme umschrieben, deren Wirkung(en) sich auf konventionelle Dinge beziehen und für übergeordnete Wirkungen (wie Teleporter) kein Hindernis darstellen. Ihre Erzeugung und Projektion dagegen kann durchaus auf übergeordnete Prinzipien wie Hyperkristalle zurückgreifen – und im allgemeinen ist das auch der Fall. Sie können von Materie in energetischer, gasförmiger, flüssiger oder fester Form nicht durchdrungen werden. Luft wird hierbei unter Umständen ionisiert, Hitzestrahlung reflektiert, Mikromaterie des Alls abgewehrt (beispielsweise in Gestalt von Kalottenfeldern, deren Durchmesser etwa ein Drittel des Rumpfdurchmessers eines Raumschiffes ausmacht und als zentralprojiziertes Feld im Abstand des Rumpfdurchmessers zur Grobablenkung dient). Im Gegensatz dazu stellen an fünf- oder n-dimensionale Gesetzmäßigkeiten gebundene höhergeordnete Kraftfelder – kurz Hyperfelder genannt – auch für Hyperwirkungen ein Hindernis dar. Je nach eingesetzter Hyperfrequenz (hyperstarke Wirkung, Hyperelektromagnetik, hyperschwache Wirkung, Hypergravitation und ultrahochfrequenter Bereich) unterscheiden sich die Wirkungen entsprechend dem jeweiligen Band des hyperenergetischen Spektrums. Weiteres Unterscheidungskriterium ist die Struktur der eingesetzten Hyperfelder, bei denen es sich um statische oder dynamische, unvollständig geschlossene und in sich geschlossene handeln kann je nach spezifischer Anwendung meist auf vielfältige Weise kombiniert. So ist mit der äußersten Hülle im allgemeinen eine dünne Zone konzentrischer, auswärts weisender, hypermechanischer oder hypermechanischabstoßender Wirkung verbunden, die im technischen
Sprachgebrauch als Gradientfeld oder als Gradientkomponente bezeichnet wird (Gradient: Gefälle oder Anstieg einer Größe auf einer bestimmten Strecke beziehungsweise Maß für die räumliche Veränderlichkeit von Größen). Zu den weiteren Sonderfunktionen gehören beliebig schaltbare Strukturlücken, einseitig wirksame Durchlaßfenster, permanente oder intermittierende Projektionsweisen, auf Energie und/oder Masse beschränkte Wirkung oder geometrische Formen, die von einer einfachen sphärischen Projektion abweichen. Neben dem lokal begrenzten, partiellen Verdichtungsmodus gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, gesonderte Schüssel- oder ParabolFangfelder zu errichten, die auftreffende Einflüsse und Kräfte abwehren, ehe die eigentliche Schirmfeldstruktur belastet wird. Als Basisniveau jeder Schutzfeld-Konfiguration eines Raumschiffes gilt das Strukturfeld der Semi-Manifestation: Es handelt sich hierbei um unvollständig geschlossene Hyperfelder, die konventionelle Außeneinflüsse bis zu einem gewissen Grad »verdrängen«. Zum nächsten Schildniveau gehören die als konventionell geltenden Schutzschirme; zu nennen ist vor allem der (Ionisations-Abstoß-)Prallschirm, der jedoch nicht mit einem Prallfeld, wie es beispielsweise bei Gleitern zum Einsatz kommt, verwechselt werden darf. Schließlich gibt es die hyperenergetischen, die auch artgleiche Einflüsse blockieren (zum Beispiel Fesselfeld oder hyperelektromagnetische bzw. hypermechanische Wirkung). Schutzschirm-Aggregat: Bezeichnung für eine Vorrichtung zur Erzeugung von Schutzschirmen; besteht meistens aus zwei Haupt-Komponenten: den Generatoren zur Erzeugung der notwendigen Feldenergie und den Projektoren zur Erstellung des eigentlichen Schirmfeldes.
Semi-Manifestation (auch. Semi-Transition): Ein im Grunde nur modellhaft erfaßbares Phänomen, darauf beruhend, daß sich im Standarduniversum jede konventionelle Wechselwirkung nur mit maximal Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann. Es ist die Beschreibung für einen Zustand der Materie, der durch unvollständig geschlossene Strukturfelder erzeugt wird. Während vollständig geschlossene hyperenergetische Strukturfelder im allgemeinen zur tatsächlichen Transition (Ferm) führen, also zu einer Entstofflichung mit anschließender Rematerialisierung, bewirken nicht vollständig geschlossene Strukturfelder innerhalb ihres Wirkungsbereichs das Entstehen einer Mischzone zwischen konventioneller und übergeordneter Struktur. Nimmt aufgrund dieser »Entrückung« die relative Distanz den Wert von einigen Lichtstunden an, muß jeder Einfluß zwangsläufig unwirksam bleiben, weil er Stunden benötigen würde, um überhaupt das Objekt zu erreichen. Dieses nimmt im Verhältnis zum übrigen Weltraum quasi eine pseudosubstantielle Struktur an. Konventionell läßt sich diese Relativdistanz natürlich gar nicht abmessen, denn es handelt sich bei der millimeterdünnen Grenzschicht um einen Prozeß auf übergeordneter Basis, zu dessen Beschreibung es der Formalismen der Hyperphysik bedarf. Faustregel ist hierbei aber: Je extremer die Feinjustierung wird, desto größer der Wert der »Relativdistanz« – theoretischer Grenzwert ist die Annäherung an unendlich, was der Erschließung eines vom übrigen Weltall separierten Inertialsystems entspricht. Damit verbunden ist, daß konventionelle Einflüsse und Wechselwirkungen des Standarduniversums bis zu einem gewissen Grad »verdrängt« und somit (nahezu) nicht wirksam werden. Anwendung
findet dieser Effekt vor allen Dingen bei Andruckabsorbern, Antigrav-Generatoren und Schwerkrafterzeugern. She’Huhan: Sternengötter; je zwölf Frauen und Männer, die jeweils zur Hälfte dem »Unterreich« (verkörpert durch das Große Schwarze Zentralloch der Öden Insel) und dem »Oberreich« (symbolisiert durch die Sternenweite der HaloKugelsternhaufen) zugerechnet werden; u. a. Ipharsyn (Gott des Lichts und der Dreiheit), Merakon (Gott der Jugend und Kraft), Qinshora (Göttin der Liebe und unendlichen Güte), Tormana da Bargk (als Wettergott auch der von Sturm und Stärke, wurde in den Archaischen Perioden auch Kralas genannt. Siehe: Kralasenen). Skabol: Grüne Hyperkristalle. Skalitos: 1/100 Chronner. Sogmanton-Barriere: Nach seinem Entdecker Sogmanton Agh’-Khaal benanntes, fast vierhundert Lichtjahre breites, verdreht-schlauchförmiges, überaus turbulentes Gebiet mit Hyperstürmen und dergleichen unangenehmen Phänomenen, denen über Jahrtausende hinweg ungezählte Raumschiffe zum Opfer fielen. Eine Zone im Weltraum, der hier nicht schwarz, sondern von eigentümlich rötlicher Farbe war, durchzogen von riesigen, bräunlichroten Schlieren. Arkonidische Hyperphysiker deuteten das Phänomen als höherdimensionale Bezugsebene, die das Standardkontinuum tangierte. In der Sogmanton-Barriere selbst kam es zu hyperenergetischen Einbrüchen und Aufrissen: Der Austausch von Normal- und Hyperenergie löste Hyperstürme, starke Strukturerschütterungen und Verzerrungen aus, und es gab
übergeordnete Wirbel, Strudel und wechselnde Sogrichtungen. Staubballungen waren von Energieorkanen und Quantenturbulenzen durchdrungen. Stellenweise führten die Kraftfeldlinien zu Transmitter- oder Transitionseffekten, bei denen Objekte um Lichtstunden und mehr versetzt wurden oder aber gar nicht mehr im Standardkontinuum auftauchten. Das Zentrum der Barriere, fünf Lichtjahre im Durchmesser, war eine Ansammlung kosmischer Materie, in der es ständig brodelte und gärte: Dort konzentrierten sich die fremdartigen Energieströme und machten sich am deutlichsten bemerkbar. Im weiten Umkreis der Aufrisse waren Orter und Taster gestört. Sogmanton Agh’Khaal hielt das Barrierenzentrum für den Standort des legendären Ursprungsplaneten Arbaraith, eine Vermutung, die erst sehr viel später indirekt bestätigt werden sollte. Die Sogmanton-Barriere verschwand beim Höhepunkt rings um die Auseinandersetzung mit den Cyen/Tekteronii der Jahre 2046 bis 2048 spurlos (nachzulesen im ATLAN-Buch 16). lato: (Planeten-)Gouverneur (bis zu einem Sonnensystem). Teaultokan: Palast, Residenz, Schloß. Teleskop-Landestützen: Bezeichnung für die teleskopartig ausfahrbaren Stützen eines arkonidischen Raumschiffs; bei Kugelraumern meist zwölf Stück. Thaspis: Grünblauer Edelstein. Thermostrahler: Einem auf Lichtwellenverstärkung arbeitenden Laser vergleichbare Waffe, bei der elektromagnetische Strahlung des nicht sichtbaren
Infrarotbereichs als ultraheiße, lichtschnelle Wirkung zum Einsatz kommt, also hauptsächlich Wärmeenergie produziert wird; die Reichweite ist innerhalb von Atmosphären begrenzt, weil das Medium Luft einen Teil der Wärme aufnimmt und ableitet, so daß dieser Streuverlust auch nicht mehr im Ziel freigesetzt werden kann. In Atlans Jugendzeit waren Modelle der Serie T-15 im Einsatz. tiga: Drei. Tiga Ranton: Wörtlich »Drei Welten« – Umschreibung für Arkons Synchronsystem von Arkon I bis III. Tonta(s): Arkonidische »Stunde« = 1,42 Erdstunden (85,2 Minuten bzw. 5112 Sekunden); Unterteilung in Zehntel, Hundertstel, Tausendstel, also Dezitonta (8,52 Minuten bzw. 511,2 Sekunden), Zentitonta (0,852 Minuten bzw. 51,12 Sekunden), Millitonta (5,112 Sekunden). Traktorstrahl/-projektor. Zugstrahlprojektor, der Objekte mittels eines hyperenergetischen Feldes erfaßt und in eine beliebige Richtung bewegt (im allgemeinen aber auf den Projektor zu). Meistens gekoppelt mit einem FesselfeldProjektor, der das eingefangene Objekt immobilisiert und verankert. Transition: Hyperphysikalische Ortsversetzung, begleitet von Strukturerschütterungen und Entzerrungsschmerzen. Iransitions-Technologie: Steht im allgemeinen am Anfang und geht einher mit einer ersten Erforschung von Hyperraum und Hyperenergie an sich. Ergebnis sind vor allem recht einfache, dennoch ziemlich robuste Strukturfelder in
vollständig oder unvollständig geschlossener Geometrie. Sie dienen einerseits den Transitionen beim Transitionstriebwerk und in abgewandelter Form beim Transmitter. Und sie kommen andererseits in der gesamten mit Semi-Manifestation überschriebenen Sparte zum Einsatz. Transitionstriebwerk (OGHULTA): Für die überlichtschnelle Fortbewegung eingesetzte Aggregate, deren Kernstück jeweils Strukturfeld-Konverter sind und Gesamtreichweiten je nach Schiffstyp von bis zu 500.000 Lichtjahren erreichen; im allgemeinen erfolgt eine Transition im hochrelativistischen Bereich nahe der Lichtgeschwindigkeit und ist verbunden mit Strukturerschütterungen und Entzerrungsschmerzen – je weiter der Sprung, desto gravierender. In Notfallsituationen können Transitionen durchaus schon bei geringerer Geschwindigkeit eingeleitet werden, doch verstärken sich hierbei die Nebenwirkungen; im Extrem zerreißt es das ganze Schiff. Der Sprung direkt in ein Sonnensystem hinein oder aus einem solchen heraus, erst recht in direkter Nähe von Planeten, ist wegen der Negativauswirkungen verboten (tektonische Erschütterungen und dergleichen). Bei militärischen Einsätzen wird darauf jedoch häufig keine Rücksicht genommen, im Gegenteil: Ein solcher Direktsprung bringt taktische Vorteile. Als Standardweite je Einzelsprung gelten Distanzen zwischen 500 und 5000 Lichtjahren. Großraumer ab 500 Metern Durchmesser können auch Gewaltmanöver bis maximal rund 35.000 Lichtjahre durchführen – diese sind jedoch extrem belastend für Besatzung und Material. Trotz positronischer Berechnung bleiben die Sprungdatenermittlungen kompliziert und langwierig. Als Faustregel gilt: 30 Minuten je 5000 Lichtjahre, das heißt
beispielsweise bei 20.000 Lichtjahren zwei Stunden. Nur bei Notmanövern oder Nottransitionen wird ein »Pi-malDaumen-Sprung« in Kauf genommen; die anschließende Positionsbestimmung kann dann aber unter Umständen Tage dauern. Translator: Gerät zur Verständigung zwischen Intelligenzvölkern, die verschiedene Sprachen sprechen. Der Rechner eines Translators benötigt eine ausreichende Menge an Wörtern der bislang unbekannten Sprache, um deren Grundstruktur zu analysieren und eine rasche Kommunikation auf gegenseitiger Basis zu gestatten. Solche Übersetzungsgeräte können von Raumfahrern bei Einsätzen auf unbekannten Welten verwendet oder in Funkanlagen von Raumschiffen und -Stationen direkt vorgeschaltet werden. Translatoren können lautbildende Sprachen verarbeiten, Zisch-, Knurrund Pfeiftöne nur bedingt. Kommunikationsweisen auf optischer, taktiler, olfaktorischer oder anderer Art sind mit normalen Geräten gar nicht zu entschlüsseln. Votan(ii): Wörtlich »Periode(n)«, auch »Zyklus, Kreis(lauf)«; arkonidische Bezeichnung für »Monat«. Vretatou: Mythische Rettergestalt; meist als lichtumglost beschrieben und so auch in diversen künstlerischen Umsetzungen dargestellt. Der ovale Schädel, glänzend wie uraltes Elfenbein, besitzt keine Detailmerkmale, das Gesicht fehlt, die Körperkonturen werden von faltenreicher Robe überdeckt. Halb erhobene Arme, die Handflächen ausgestreckt, recken sich stets in gebieterischer Geste angreifenden Bestien entgegen, scheinen deren Bewegungen zu stoppen. Sämtlichen Sagas gemeinsam ist, daß er als
Lichtgestalt aus der Sonne beschrieben wurde, die FrühArkoniden vor fürchterlich wütenden Bestien rettete, Anhänger um sich scharte und dann – nach der Ankündigung, in Zeiten größter Not erneut zu erscheinen – wieder ins Licht entrückt wurde. Diese lebendige Entrückung ins Nirgendwo oder -wann betraf auch das Schicksal der übrigen Heroen; das Tran-Atlans verband sich beispielsweise mit dem sagenhaften Land Arbaraith und dessen Kristallobelisken, angeblich Herkunftsort der Arkoniden, ehe sie Arkon besiedelten. Zahlen: 0 = pales, 1 = moas, 2 = len, 3 = tiga, 4 = lenim, 5 = wes, 6 = tharg, 7 = homen (poetisch auch secinda, abgeleitet vom siebenblättrigen, glückbringenden Secinda-Moos), 8 = dares, 9 = dschir, 10 = ber, 11 = bermoas, 12 = berlen etc. 20 = palen, 100 = moastor, 1000 = moassar. Zara: Staub, Dunst Zaraccot: Arkonidische Bezeichnung für einen Desintegrator. Zaradhoum: Wörtlich »Staubei«; Bezeichnung der in der Sogmanton-Barriere verwendeten Kleinraumschiffe. zarakhgoth: Wörtlich »Dunkelheit, unzugänglich, archaisch«. Zeitrechnung: Ein Arkonjahr entspricht dem siderischen Umlauf von 365,22 Arkontagen (Prago) zu exakt 28,37 (Erd-)Stunden. Gerechnet wird mit 365 Arkontagen je Arkonjahr: Alle 50 Arkonjahre ergibt sich somit ein Schaltjahr, in dem elf Arkontage angehängt werden (diese elf Schalttage entsprechen den elf Heroen, die Schaltperiode selbst wird nach dem mythischen 12. Heroen »Pragos des Vretatou« genannt). Das Arkonjahr ist unterteilt in zehn Perioden (=
»Monate«) zu je 36 Arkontagen, hinzu kommen die fünf Pragos der »Katanen des Capits« (Feiertage, die auf uralte Riten zurückgehen; früher wurden damit die Fruchtbarkeitsgötter geehrt, mit der Zeit verloren die Katanen an Bedeutung). Folgende Namen/Reihenfolge gilt: 1. der Eyilon, 2. die Hara, 3. der Tarman, 4. der Dryhan, 5. der Messon, 6. der Tedar, 7. der Ansoor, 8. die Prikur, 9. die Coroma, 10. der Tartor, dazu die Katanen des Capits vor dem Jahreswechsel. Umrechnung: 0,846 Arkonjahre = 1 Erdjahr; 1 Arkonjahr = 1,182 Erdjahre. Zhdopan: Erhabener/Erlauchte, Hohe(r) – Ausdruck der Hochachtung; Anrede für alle Adligen und höhergestellte Personen, i. e. S. jene der Edlen Dritter Klasse (= Barone). Zhdopanda: Wörtlich »Hochedle/Hochedler« – Anrede der Edlen Erster Klasse (= Fürsten, Herzöge). Zhdopandel: Wörtlich »Edle/Edler« – Anrede der Edlen Zweiter Klasse (= Grafen). Zhdopanthi: Höchstedler; Bezeichnung für den Imperator. Zhoyt: Planet, zu dem Atlan, Fartuloon und Eiskralle am 27. Prago der Coroma 10.496 da Ark von der Welt Gortavor aus fliehen, indem sie einen OMIRGOS durchschreiten. Zhoyt ist 10.367 Lichtjahre von Gortavor und 21.872 Lichtjahre von Arkon entfernt. Von hier aus wird Atlans Teilnahme unter dem Tarnnamen Macolon an der ARK SUM-MIA auf Largamenia vorbereitet (siehe ATLAN-Buch 17).