G. F. Unger Ein Mann kämpft für
Nancy
Scanned by: crazy2001 Corrected by: dem k-leser
@ 01/04
Roman aus dem ameri...
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G. F. Unger Ein Mann kämpft für
Nancy
Scanned by: crazy2001 Corrected by: dem k-leser
@ 01/04
Roman aus dem amerikanischen Westen Als Wade Oakland nach Laramie kommt, hat er drei Packtiere bei sich, die mit seinen erbeuteten Fellen schwer beladen sind. Er sieht sehr heruntergekommen, verdreckt, ungepflegt und abgerissen in seiner Lederkleidung aus. Wade Oakland überlegt noch, ob er essen gehen oder ein Bad nehmen soll, als er die Postkutsche von Cheyenne ankommen sieht. Zuerst steigt ein Offizier aus und dann eine unwahrscheinlich schöne Frau. Die Frau blickt schnell zu Wade Oakland hin, Wade meint, den Anflug eines flüchtigen Lächelns bei ihr zu erkennen. Und als Wade bald darauf beim Barbier in einem großen Faß mit heißem Wasser sitzt, sieht er diese Schöne plötzlich im Eingang des Badeschuppens stehen. »Ich habe dich sofort erkannt«, sagt sie. »Ich bin auf der Flucht, Wade. Ich bin auf der Flucht vor dem Gesetz und vor dem Bruder eines Mannes, den ich getötet habe -1-
…« Wade hat ein Gefühl, als hätte er einen Schlag bekommen. Er sitzt bewegungslos im Wasser. Doch dann fängt er sich. »He, du bist doch nicht das Mädchen«, sagt er, »bei welchem ich das Küssen lernte – und noch ein paar andere Dinge mehr? – Du bist doch nicht das wundervolle Honeygirl, mit welchem ich in einer schönen Sommernacht im Heu lag?« Sie lächelt nun ein wenig ernst. »Was ich damals tat«, sagt sie, »tat ich zum ersten Male mit einem Jungen. Und was es zu lernen gab, lernte ich von dir. – Deine Erinnerungen sind wohl nicht so gut.« »Nancy«, sagt er, »wir waren wohl beide damals ziemlich dumm, nicht wahr?« »Ich war damals sechzehn«, lächelt sie, aber in ihren Augen ist kein Lächeln, da erkennt er einen bitteren Ernst. »Und du warst am anderen Tag fort«, spricht sie weiter. »Warum bist du damals schon am nächsten Tag fortgegangen?« Er sitzt still nur da. »Ach«, sagt er, »ich wollte damals keine Abschiedstränen. Und ich hatte einen Job bei einem Auswanderer-Wagenzug, der nach Oregon wollte. Ich war verantwortlich für die Pferde-Remuda. – Wenn ich dir damals in jener Nacht gesagt hätte, daß ich am näch sten Tag schon fortreiten würde, dann hättest du …« Er verstummt nun, denn er will es nicht so grob heraussagen. Aber sie sagt hart: »Ja, dann hätte ich mich nicht in jener Nacht mit dir eingelassen. – Aber so glaubte ich damals an deine Liebe. – Am anderen Tag war ich allein.« -2-
Sie sieht ihn seltsam an. Dann sagt sie ruhig – und ihre Worte treffen ihn wie Maulschellen: »Ja, ich habe alles überstanden. Als ich damals bemerkte, daß ich schwanger war von dir, da war mir klar, daß mein Vater mich halb totschlagen würde. – Und so lief ich fort und brachte später mein Kind in Saint Louis zur Welt.« »Das Kind war eine Totgeburt. – Ich mußte fast bis zum letzten Tag meiner Schwangerschaft hart arbeiten. Das Kind kam einen Monat zu früh. – Nein, du bist kein Vater, Wade Oakland. Dein Kind liegt in Saint Louis begraben, und es kam tot auf diese Welt. Ich aber will leben. – Meinst du nicht, daß du mir etwas schuldig bist?« »Ich bin auf der Flucht«, sagt sie noch einmal. Ich weiß nur einen Ausweg, die Flucht durch das Indianerund Büffelland. Ich will meine Fährte verwischen. – Und da ich einst hier meine Kindheit verbrachte und mich deshalb auskenne, flüchtete ich hierher. Es geht mir wie einer gejagten Wölfin, die in ihr altes Revier flüchtet, weil sie sich dort am besten auskennt.« Er sieht sie wieder einige Atemzüge lang an. Und er fragt nicht, warum sie diesen Mann getötet hat. Nein, er sieht sie an und sagt schlicht: »Ich helfe dir. Du kannst auf mich zählen. – Ja, es war sicherlich eine gute Idee, auf die Heimatweide zurückzukommen, Nancy. – Von hier bis ins Goldland von Montana oder hinauf nach Oregon, da verwischen viele Fährten – sehr viele. – Auch deine wird verwischen. – Was soll ich tun?« Sie tritt nun sehr nahe heran und beugt sich nieder, um ihn im Halbdunkel des Badeschuppens genau ansehen zu können. -3-
»Diesmal kann ich mich auf dich verlassen? – Diesmal läufst du nicht weg?« »Ich schwöre es dir«, sagt er. »Ich gebe dir mein Wort.« Sie nickt. Dann sagt sie: »Die nächste Kutsche kommt erst morgen, und in ihr schon könnten meine Verfolger sitzen. Ich habe im Hotel ein Zimmer genommen – und ich möchte diese Nacht einfach verschwinden. Niemand soll mich mit dir fortreiten sehen. Du mußt also zwei Reitpferde und ein Packtier besorgen, nicht wahr? – Du weißt ja selbst, was alles notwendig ist für einen Ritt den Bozeman-Weg oder den Oregon-Weg hinauf, nicht wahr? – Ich treffe dich an der Furt des Laramie Fork. – Um Mitternacht. Und hier ist Geld.« »Dein Geld brauche ich nicht«, sagt er. »Ich habe genug, denn meine Jagd war immer gut. – Um Mitternacht an der Laramie-Fork-Furt.« Sie nickt langsam. Dann geht sie zum Eingang. Seine Stimme holt sie ein: »Nancy …« Die wendet sich. »Ja, Wade?« »… du bist schön geworden. – Wie rauh deine Wege auch waren – und wie schlimm es für dich auch gewesen sein mochte, nachdem das alles passierte und ich dich verließ – du bist schön geworden. – Nancy, du bist die schönste Frau, die ich kenne.« Da kommt sie noch einmal zurück. »Paß auf, Mister«, sagt sie. »Zwischen uns wird nie wieder etwas, verstehst du? Ich habe nie wieder einen Mann geliebt. – Aber ich habe sie ausgenommen wie die Katzenfische und geschoren wie die Hammel. – Ich kann nicht mehr lieben. – Gib mir nun auch noch dein Wort, -4-
daß ich bei dir sicher sein werde wie eine Schwester.« Er nickt. »Ich werde nie wieder etwas tun, was dir schaden könnte oder was du nicht möchtest«, sagt er. Da geht sie – und ihre Bewegungen sind wunderbar harmonisch. Verdammt, was für eine Frau, denkt er. Und dennoch fehlt ihr im Kern alles, was eine schöne Frau erst wertvoll macht. Sie kann nicht mehr lieben – und ich bin daran schuld. Ja, er ist ihr eine Menge schuldig, eine ganze Menge. *** Als Wade Oakland zum Abendbrot ins Hotelrestaurant geht, hat er längst erledigt was zu erledigen ist. Er hat die Pferde bereit, seine Ausrüstung erneuert und ergänzt, Vorräte und viele andere Dinge gekauft – und vor allen Dingen einen Lederanzug für Nancy erworben, welcher eigentlich sündhaft teuer war, in dem er sich Nancy jedoch wunderhübsch vorstellen kann. Er wich allen Fragen des Handelsagenten aus, obwohl er Sam Wells, den er Onkel nennt, gewiß vertrauen könnte. Seine Ausbeute an Fellen hat ihm diesen Frühling dreitausendsiebenundfünfzig Dollar eingebracht – und dies ist eine Menge Geld. So viel verdient ein guter Cowboy im Süden in zehn Jahren – allerdings bei freier Station. Er läßt sich von Sam Wells tausend Dollar auszahlen und sagt ihm, daß er das andere Geld auf seinem Konto bei der Bank in Kansas City gutgeschrieben haben möchte. Er zahlt alles, was er zu zahlen hat, und läßt die drei Tiere und das Gepäck in einem Schuppen der -5-
Handelsagentur. Um sich die Zeit bis Mitternacht zu vertreiben, geht er noch einmal zum Saloon hinüber. Fortwährend in diesen Stunden denkt er dabei an Nancy Juleman – und erst jetzt, viel später wird er sich darüber klar, daß sie einen Mann getötet haben soll, wie sie ja selbst sagte. Warum mag sie ihn getötet haben? Sie sagte, daß sie auf der Flucht vor dem Gesetz und dem Bruder jenes Mannes wäre, den sie getötet hatte. – Hatte sie es in Notwehr getan – oder aus …« Er wagte es nicht, sich vorzustellen, aus welchen anderen Beweggründen sie getötet hatte, doch irgendwie verspürt er eine Ahnung, daß alles damals hier in Laramie angefangen haben könnte – damals, als er sie verließ und sie plötzlich in der Patsche saß und den Glauben nicht nur an die Männer, sondern an die ganze Welt verlor. Ja, er ahnt es irgendwie, ohne dies jedoch bewußt zu begreifen. Seine Ahnung jedoch erzeugt Nancy gegenüber ein Gefühl der Schuld in ihm. Als er dann an der Bar steht und sich einschenken läßt, da denkt er immer wieder: Noch drei Stunden, dann treffe ich sie an der Brücke – und dann bringe ich sie in Sicherheit. Ja, ich werde alles für sie tun – alles … Als er das Bierglas halb gelehrt hat, will er es nehmen und sich zu den Zuschauern einer Pokerrunde begeben. Aber dann sieht er den Sergeanten Pat O'Rourke hereinkommen. Bei O'Rourke sind noch die Sergeanten Dick Welby und Scott Brouther. Sie alle drei grinsen und stellen sich im Halbkreis vor Oakland. -6-
»Wollt ihr was?« so fragt dieser sofort und ist bereit, O'Rourke das Bierglas ins Gesicht zu stoßen. Doch O'Rourke hebt seine Hände, zeigt ihm die Handflächen. »Wir haben uns schon so oft geprügelt«, sagt er, »und ich habe zumeist verloren. Glaubst du nicht, daß wir auch noch auf anderem Gebiet herausfinden müßten, wer von uns eigentlich der beste Mann ist?« »Oh, du bist viel besser als ich«, grinst Oakland schief. »Du bist doch Sergeant in der glorreichen Armee, deren Soldaten manchmal auf Indianerjagd gehen und zur Erinnerung den Roten nicht nur die Skalpe, sondern auch die Geschlechtsteile abschneiden. Oh, du bist viel besser, mein Junge. – Auch ihr seid es, ihr zwei grinsenden Honigkuchenpferdchen.« Er nickt bei seinen letzten Worten den Sergeanten Welby und Brouther zu. Aber diese grinsen friedlich. Sergeant Pat O'Rourke sagt: »Ich fordere dich heraus, Wade Oakland! – Ich will wissen, wer von uns beiden zuerst unter dem Tisch liegen wird, wenn wir jeder eine Flasche an den Hals setzen und sie – leertrinken. – Also, ich fordere dich heraus zu diesem Zweikampf. – Und es soll der letzte zwischen uns sein. – Hast du gehört, der letzte Kampf?« Wade Oakland überlegt. Er betrachtet die drei Sergeanten scharf. Doch einige der Gäste hörten die Worte. Es bildet sich schnell ein Halbkreis um die Grup pe. Die Neuigkeit wird auch schnell bis in die hinteren Ecken des Raumes weitergegeben. Und nun ist es still. Aus dem Hintergrund tönte eine unruhige Stimme: »Der wird doch nicht kneifen – nein, das wird Wade -7-
Oakland nicht tun. Der trinkt diesen irischen Hundesohn von den Beinen. Ich setze fünfzig Dollar darauf und nehme Wetten an.« Es wird nun laut. Wade Oakland will kneifen, denn er denkt an Nancy, die in drei Stunden an der Brücke auf ihn warten will. Wenn er sich jetzt betrinkt, wird er in drei Stunden nicht nüchtern sein können, selbst wenn er sich – nachdem er O'Rourke von den Beinen trank – den Finger in den Hals stecken und draußen alles wieder herauswürgen sollte. Doch kann er kneifen? Nein, er kann es nicht – nicht, wenn es darum geht, Pat O'Rourke zu schlagen. Und wahrscheinlich wird er in drei Stunden wieder nüchtern genug sein, um im Sattel sitzen zu können. Er nickt Pat O'Rourke zu. »Dich schlage ich allemal – und auf jedem Gebiet«, sagt er. – »Bist du gekommen, um für den Captain Revanche zu nehmen, den sechs Mädels unter den Tisch tranken? Ist es das? – Nun, dann mal los, alter Rekrutenschinder.« Er wendet sich zur Seite und nickt dem Barmann zu. Dieser stellt wenig später zwei entkorkte Flaschen auf den Schanktisch. Nun ist der Kreis sehr dicht geworden. Einer der Männer wird zum Schiedsrichter gewählt. Er trinkt beide Flaschen an und sagt schnaufend: »Das ist die gleiche Pumaspucke. Es ist egal, wer welche Flasche nimmt, völlig egal. – Also los, Jungens! Nehmt die Flasche! – Setzt sie an! – Und nun macht sie leer!« Sie gehorchen – und noch während Wade Oakland die -8-
ersten Züge trinkt, wird ihm bewußt, daß er ein Narr ist. Nancy Juleman wird keinen guten Eindruck von ihm bekommen, wenn er betrunken zum Treffpunkt kommt. Sie wird sich vielleicht ihm gar nicht mehr anvertrauen wollen. Dann wird er sie zum zweiten Male so böse enttäuscht haben. Er möchte absetzen – doch er tut es nicht. Nein, er kann nicht mehr kneifen. Er muß dies jetzt durchhalten. Doch er nimmt sich vor, daß er durch die Hintertür verschwinden wird, sobald er mit O'Rourke fertig ist. Er wird sich den Finger in den Hals stecken und dann versuchen, das Restaurant zu erreichen. Dort wird er sich voll schwarzen Kaffee füllen. – Ja, so muß es gehen, so wird es auch gehen. Drei Stunden sind eine lange Zeit. – Und er könnte auch einmal in den Creek springen bei der Brücke. Er schluckt schneller, denn er sieht, daß O'Rourke schon die halbe Flasche leergetrunken hat. Die rollenden Augen des Sergeanten beobachten ihn. Es ist still. Der Fusel, den sie trinken, brennt fürchterlich und würde wahrscheinlich auch kupferne Kehlen zusammenziehen. Er bekommt kaum noch Luft. Der kurze Schock, den man sonst nach einem scharfen Schluck durch den Körper gehen fühlt, ist nun ein Dauerzustand. Er schnauft hörbar, wie er auch O'Rourke schnaufen hört. Doch so schnell sind sie nicht betrunken, so schnell geht es nicht. Sie stellten ihre leeren Flaschen zu fast gleicher Zeit auf den Schanktisch und sehen sich an. »Du wirst wohl noch eine zweite leeren müssen, bevor ich umfalle«, sagt Wade Oakland – aber seine Zunge be -9-
wegt sich schon mühsam. Er sieht in das bleich gewordene Gesicht des Sergeanten und spürt zugleich, daß auch er gewiß jetzt unter der gebräunten Haut bleich wird. Dann aber schießt ihm plötzlich eine heiße Welle in den Kopf. Die Welt scheint sich mit ihm zu drehen, der Boden unter ihm zu schwanken. Er hört den Sergeanten sagen: »Keiner darf sich festhalten – keiner. – Und jetzt rauchen wir noch eine Zigarre, ja? Zwei Zigarren!« Der Barmann gibt ihnen welche, denn die letzten Worte galten ihm. Doch der Sergeant raucht seine nicht mehr an. Er dreht sich plötzlich im Kreis und bekommt weiche Knie. Nun will er sich doch am Schanktisch festhalten, doch er vermag dies nicht mehr. Er fällt um – und er würde hinschlagen, würden ihn nicht einige Männer aufhalten. Wade Oakland steht noch. Er sagt mühsam: »Ich – wußte ja –, daß ich ihn – immer – schlagen kann. – Dededen imimimimmer!« Er bewegt sich nun am Schanktisch entlang zur Hintertür. Sie alle machen ihm Platz. Einer sagt: »Der schafft es. – Der hat gewonnen. Der schafft es allein bis auf den Hof.« *** Es ist geradezu barbarisch, ja, primitiv und barbarisch. Doch sie alle hier sind nun mal keine Ästheten, auch Wa de Oakland ist keiner. Und so findet er nichts dabei, seine Not auf recht drastische Weise zu lindern. Er steckt sich draußen in einer Ecke den Finger in den - 10 -
Hals und bricht aus, was er sich drinnen im Saloon aus der Flasche in den Hals schüttete. Danach fühlt er sich ein wenig besser, erleichtert. Vielleicht wird seine Trunkenheit nun nicht lange anhalten. Doch sie ist schlimm genug. Sein Blut hat eine große Menge Alkohol aufgenommen. An Feuerwasser war er nicht mehr gewöhnt, denn die letzten sechs Monate lebte er völlig ohne Feuerwasser. Nur eine einzige Flasche hatte er sich davon mitgenommen ins Yellowstone-Land – als Medizin. Er schwankt nun zum Brunnen, neben dem sich ein großer Wassertrog befindet. Obwohl er schlimm betrunken ist und kaum noch einen Gedanken zustande bringt, ist noch ein Wille in ihm. Er hat sich alles, was er jetzt mühsam tut, vorher eisern eingeprägt. Und so handelt er fast wie unter Hypnose. Er weiß, daß er seinen Kopf – besser noch, den halben Oberkörper in das Wasser stecken muß. Dann wird ihm vielleicht nach einer Weile etwas besser werden. Irgendwann muß doch die schlimmste Trunkenheit schwinden. Und dann wird er hinüber ins Restaurant gehen und sich voll starken Kaffee füllen. Aber noch bevor er den Wassertrog erreicht, sind ein paar Männer bei ihm. Es sind die Sergeanten Dick Welby und Scott Brouther. Aber er erkennt sie noch gar nicht. Er weiß nur, daß jemand ihn rechts und links unterhakt. Daß eine Stimme zu ihm sagt: »Nun komm, mein Bester! Wir bringen dich ins Bettchen – ins gute, liebe, schöne Heiabettchen! – Denn wir sind ja deine lieben Freunde. Du hast nur liebe Freunde auf der Welt. – Komm nur, du Prachtbursche! Wir sind wie Vater und Mutter zu dir!« Dies nimmt er - 11 -
gar nicht richtig wahr. Dennoch verspürt er im Unterbewußtsein eine Abneigung. Er will sich losreißen, freimachen. Auch versucht er sich verständlich zu machen. »Hauhauhaut doch ab, ihr Knknknallköpfe« stößt er hervor und hat das Gefühl, statt seiner Zunge ein steifes Stück Holz im schwammigen Mund zu haben. Sie lachen nur zu seinen Worten und führen ihn fort. Er kann sich nicht dagegen wehren. Und bald weiß er gar nichts mehr. *** Das Erwachen ist grausam, und die Trompete, die er schmettern hört, klingt seltsam nahe, nicht so weit ent fernt wie sonst, wenn er in Laramie weilt und es bis zum Fort auf der anderen Seite des Laramie-Fork weiter als vier Steinwürfe ist. Er bekommt gar nicht seine Augen auf. Sein Kopf scheint doppelt so groß angeschwollen zu sein und dennoch bei jedem Pulsschlag platzen zu wollen. Aber dann hört er eine heisere Stimme brüllen: »Los, raus, ihr haarigen Affen! Ihr seid jetzt bei der Armee, bei der glorreichen US-Kavallerie! – Kommt hoch und werdet ordentliche Menschen! Heute ist der Tag, auf den ihr stolz sein dürft! Kommt schon! Hoch, kommt schon!« Die brüllende Stimme ist nun dicht bei ihm – und zwei schnell und hart zupackende Hände fassen seine Fußge lenke und reißen ihn mit einer geschickten Drehung von der Schlafpritsche. Er landet unsanft auf dem Fußboden und springt mit einem Fluch hoch. Dann endlich hat er die Augen richtig auf – und erkennt den Sergeanten Dick Welby. Er will sich gegen - 12 -
ihn werfen, doch er ist sehr viel langsamer als sonst. Heute ist er nicht so schnell wie ein Wildkater. Und der Sergeant hat einen Knüppel bei sich, wahrscheinlich ist es ein Axtstiel. Diesen Knüppel stößt er ihm mit dem Ende gegen den Magen. Und als er sich verbeugen muß, bekommt er das Ding auf den Kopf. Er fällt auf sein Gesicht und verliert für einen Moment die Besinnung. Nach einer Weile rappelt er sich auf. Die Schlafpritschen sind doppelstöckig. Er zieht sich an der oberen Pritsche empor, legt sich dann mit den Armen darauf und verharrt so eine Weile. »Er ist ausgerutscht und hat sich den Kopf gestoßen«, sagt Sergeant Dick Welbys Stimme. »Der hat gestern sei nen Eintritt in die Armee so sehr gefeiert und begossen, daß er jetzt immer noch nicht weiß, ob er Weibchen oder Männchen ist. Aber wir machen ihn schon munter – ganz bestimmt. – Komm, mein Bester, komm nur in die frische Luft raus.« Wade Oakland wendet sich ihm zu. Er steht nun in dem schmalen Gang zwischen zwei doppelstöckigen Schlafpritschen. Er begreift, daß er sich in einer Mannschaftsbaracke befindet, in der normalerweise eine ganze Kompanie oder Schwadron untergebracht ist. Draußen auf dem breiteren Gang, der in Längsrichtung von einem Ende der Baracke bis zum anderen reicht, steht Sergeant Dick Welby. Aber neben diesem ist nun noch ein zweiter Sergeant. Es ist Scott Brouther. Diese beiden Sergeanten waren gestern mit Sergeant Pat O'Rourke in den Laramie Prairie Saloon gekommen. Wade Oaklands Hirn arbeitet noch sehr mühsam – und dennoch begreift er jetzt das Spiel. - 13 -
Er schüttelt den Kopf. »Damit kommt ihr nicht durch«, sagt er. »Damit könnt ihr kein Glück haben. – Das klappt nicht! – Denn das wäre finsterstes Mittelalter. Und wir sind hier auch nicht in Frisco, wo man auf diese Art die Matrosen auf Walfängern anmustert. – Nein, nicht mit mir. – Also hört auf, denn ihr habt euren Spaß gehabt.« Aber sie schütteln ihre Köpfe. Ihre harten Sergeantengesichter sind völlig ausdruckslos. Nur in ihren Augen ist ein Funkeln. »Wir bekommen erst noch den großen Spaß«, sagt Dick Welby. »Und wie«, nickt Scott Brouther. »Du kannst nicht einfach wieder rückgängig machen, was du unterschrieben und wofür du Handgeld bekommen hast. Junge, du hast einen Vertrag mit der Armee. – Wetten, daß du ihn halten wirst?« Wade Oakland wischt sich schnaufend über das Gesicht. Dabei hofft er auch, daß er sich täuscht und alles nur ein verrückter Traum ist. Und dann hofft er, daß – wenn es vielleicht kein Traum sein sollte – sie mit ihm nur einen Spaß machen. Doch in ihren harten Sergeantengesichtern ist nichts zu erkennen, was ihm in dieser Hinsicht Hoffnung machen könnte. Er tritt langsam zwischen den Betten hervor. »Na gut«, sagt er. »Dann möchte ich zum Rekrutierungs-Offizier. – Ich will meine Unterschrift sehen. Ich will von einem Offizier hören, ob ich ordnungsgemäß in die Armee eingetreten bin. – Ich will zum Rekrutierungs-Offizier.« »Sicher«, nickt Sergeant Dick Welby. »Das ist dein - 14 -
gutes Recht, Soldat Oakland. Du hast Glück. Da du schon einmal gedient hast und sogar als Sergeant abgegangen bist bei Kriegsschluß, brauchst du keine Rekrutenausbildung. Sie werden dich sicherlich auch bald wieder befördern. Ich wette, du wirst in einem Monat Korporal und nach drei Monaten wieder Sergeant. – Dann sind wir deine lieben Freunde und Kollegen. – Doch erst machen wir dir Beine, damit du eines Tages wieder ein guter Sergeant wirst. – Zum Rekrutierungsoder Einstellungs-Offizier kannst du erst nach dem Frühstück. – Jetzt raus mit dir! Deine Kameraden warten schon. – Du hast großes Glück. Gestern kam ein Transport mit sieben anderen Neuen an, die es wieder zur Armee zog. Sind denn die Zeiten für Zivilisten so mies, daß es euch alle wieder in die Armee zurückzieht?« Sie grinsen nun, und sie sind zwei miese Sergeanten, die je nach Dienstalter zwischen zwölf und sechzehn Dollar Sold im Monat erhalten. Sie mögen ihn nicht, weil er die Armee nicht mag und ihrem Freund Pat O'Rourke immer wieder Niederlagen zufügte. Er war für sie eine Herausforderung, ein Bursche, den sie kleinmachen wollen, um sich danach selbst größer fühlen zu können. Er weiß, daß er sich jetzt besser nicht mit ihnen einlassen sollte. Denn sie werden ihn zusammenschlagen. Seine Aussage würde immer gegen ihre Aussagen stehen. Deshalb sind sie jetzt auch hier zu zweit. Er nickt wortlos und geht vor ihnen hinaus. Draußen ist die Sonne noch nicht hoch. Es weht ein frischer Wind. Das Wetter war gegen Ende der Nacht offenbar umgeschlagen. Es sieht so aus, als würde es nun eine Weile kalt und naß bleiben in diesem Frühling. Er denkt: Es wird bald Mai sein, den die Indianer »Monat der jungen Fohlen« nennen. – Und mich wollen - 15 -
sie hier zum Soldaten pressen? – Aaaah … Er hält in seinen Gedanken erschrocken inne, denn jetzt erst denkt er daran, daß er um Mitternacht an der Brücke auf Nancy Juleman hatte warten wollen. Sein Wort gab er darauf. Mit zwei Sattelpferden, einem Packpferd und der nötigen Ausrüstung wollte er auf sie warten, um sie dann in Sicherheit bringen zu können vor ihren Verfolgern. Sie aber mußte umsonst gewartet haben. Wieder einmal ließ er sie in der Klemme sitzen – so wie damals, als sie ihn so nötig brauchte. Er spürt eine heiße Wut in sich aufsteigen, und nur noch ein letzter Rest von Verstand hindert ihn daran, jetzt ein verrückter Amokläufer zu werden. Er sieht sieben Mann in Zivil in einer Reihe stehen und stellt sich als achter Mann hinzu. Überall auf dem Exerzier- und Paradeplatz von Fort Laramie sind nun die Gruppen und Abteilungen angetreten. Die Kompanien und Schwadronen, die Gruppen der Funktionäre und alle sonstigen Abteilungen sind zumeist alle unterbesetzt. Es fehlt der Armee hier an der Indianergrenze an Soldaten. Dies ist jetzt beim allmorgendlichen Heraustreten schon zu erkennen. Sergeant Dick Welby geht langsam an der Front der acht Neuen entlang. Dann stellt er sich vor sie hin. »Es ist so, ihr Hammel«, sagt er, »und ich sage es euch nur einmal. Einer von euch ist der Barackenälteste. Den bekomme ich an den Hammelbeinen, wenn etwas nicht klappen sollte. – Ihr wascht euch jetzt schön. Und auch das Rasieren nicht vergessen. Dazu habt ihr etwa zehn Minuten Zeit. – Inzwischen haben zwei von euch das Frühstück für alle geholt. – Auch dazu habt ihr zehn - 16 -
Minuten Zeit – ich meine zum Frühstücken, verstanden? Dann wird die Baracke gesäubert. – Soldat Oakland, Sie sind für die Sauberkeit außerhalb der Baracke verantwortlich. – Wenn ich nur eine einzige Kippe oder ein abgebranntes Streichholz finden sollte, lasse ich Sie eine tiefe Grube graben und … Na, Sie wissen ja Bescheid. Sie sind ja ein altgedienter Soldat. – Wegtreten!« Wade Oakland bewegt sich nicht sehr. Doch da folgt ihm Sergeant Welby mit schnellen Schritten und tritt ihn auf die Hacken. »Schneller, schneller!« So bellt Welbys Stimme. »Hier bei der Ar mee wird nicht geschlichen!« Wade Oakland möchte herumwirbeln, ihm die Faust ins Gesicht rammen – aber er weiß genau, daß sie darauf warten. Sergeant Scott Brouther steht nämlich ganz in der Nähe als Beobachter. Er wird Zeuge sein. Er würde kleingemacht werden und sich in einer Arrestzelle wiederfinden. Er kennt die Armee und besonders die Sergeantengilde. Nein, er hat jetzt keine Chance – gar keine. – Er kann nur hier heil herauskommen, wenn er den Einstellungs- und Rekrutierungs-Offizier davon zu überzeugen vermag, daß ihn drei Sergeanten reingelegt haben. Aber plötzlich fällt ihm ein, daß ihn vielleicht nicht die Sergeanten, sondern der Captain reinlegen konnte. Ihm wird heiß – sehr heiß. Und wieder denkt er an Nancy Juleman, die er im Stich ließ. *** Es ist schon Vormittag – und er ist bereits - 17 -
eingekleidet, hat Ausrüstung und Waffen empfangen –, als er endlich von Sergeant Dick Welby zum Einstel lungs- und Rekrutierungs-Offizier gebracht wird. Lieutenant Phil Henderson sitzt hinter einem alten und narbigen Schreibtisch. Er ist schon grauhaarig. Daß er erst Lieutenant ist, hängt damit zusammen, daß er aus dem Mannschaftsstand aufsteigen konnte. Wahr scheinlich wird man ihn einst als Premier Lieutenant entlassen. Er hat keine Chance, einmal Captain zu werden, obwohl er jetzt schon länger als zwanzig Jahre bei der Armee dient. »Was wollen Sie, Soldat?« So fragt er ruhig. In seinen verwaschen wirkenden blaugrauen Augen ist eine unpersönliche Kälte. Dieser alte Soldat hat längst am eigenen Leib immer wieder erfahren müssen, wie gnadenlos die Armee ist, ohne Gefühl. Und längst wurde er selbst so. »Ich bin gegen meinen Willen hier, Sir«, erwidert Wade Oakland. »Ich war betrunken. Jemand hat das ausgenutzt. – Es kann nicht sein, daß ich mich freiwillig und bei Verstand …« »Moment, Soldat«, unterbricht ihn Lieutenant Phil Henderson. »Wie ist Ihr Name? War der nicht Oakland, wenn ich mich nicht irre?« »Yes, Sir, Wade Oakland – und ich bin Trapper. – Ich habe es nicht nötig, in die Armee zu gehen. – Meine Jagd war immer gut« »Sie reden zuviel, Oakland«, murmelt Lieutenant Henderson scheinbar milde, und sucht dabei unter den Papieren auf seinem Schreibtisch herum. »Aber Sie werden schon noch lernen, daß Sie als Soldat zu Vorgesetzten nur noch reden dürfen … Aah, da haben wir es ja! – Oh, Sie waren ja während des Krieges sogar - 18 -
Sergeant. Na, dann sind Sie doch ein alter Hase, wie man so sagt. – Mann, Oakland, dann müßten Sie doch wissen, daß Sie mit diesem Trick nicht durchkommen können bei der Armee. – Sehen Sie, es kommt immer wieder vor, daß durstigen Burschen die Dollars ausgehen. Dann verpflichten sie sich bei der Armee, um das Handgeld zu bekommen. Sie verjubeln es – und wenn sie dann aus ihrem Rausch erwachen, dann überlegen sie es sich wieder und möchten doch lieber nicht Soldat sein. – Aber das geht nicht. Hier steht es schwarz auf weiß. – Wir haben einen Vertrag miteinander, Soldat! Die Armee, welche ich vertrete, und Sie, die schlossen einen Vertrag. – Sie wissen, daß jede Verpflichtung eines Freiwilligen von zwei Zeugen bestätigt und von mir beurkundet werden muß. – Und hier stimmt alles. – Ihre Unterschrift, die der Sergeanten Welby und Brouther – und meine Beurkundung. – Sie sind ordnungsgemäß in die Armee eingetreten und werden in ihr sechs Jahre bleiben müssen. – Raus jetzt! Oder wollen Sie jetzt gleich herausfinden, wie hart die Armee sein kann, wenn man in ihr nicht seine Pflicht tut? – Sie sind Soldat und stehen unter Befehl. – Abtreten!« Wade Oakland hat das Gefühl, daß der Boden unter ihm wankt und es auf dieser Erde nirgendwo mehr etwas Sicheres gibt. Nichts mehr stimmt in dieser Welt, gar nichts mehr. Er wendet sich ab. Aber da sagt Sergeant Welby, der halbrechts hinter ihm stand, auch schon zu ihm: »Soldat Oakland, von Ihnen kann die Armee erwarten, daß Sie eine ordentliche Kehrtwendung machen und zuvor einen Offizier vorschriftsmäßig vor dem Abtreten grüßen. Sie waren doch schon mal Sergeant, Soldat - 19 -
Oakland. – Also wiederholen Sie noch einmal Ihr Abtre ten, wenn Sie nicht wollen, daß wir dies alles so gründlich üben, daß Sie es bis an Ihr Lebensende nicht mehr vergessen.« Wade Oakland knirscht nicht mal mit den Zähnen. Er weiß zu gut, daß er verloren ist und nur die Wahl zwischen Nachgeben und Gefängnis hat. Die Armee kann jeden stolzen Burschen zerbrechen – jeden! Und so gehorcht er wie ein alter Soldat. Der Lieutenant und der Sergeant sagen nichts – aber als Sergeant Welby dann mit ihm über den Paradeplatz geht, sagt er aus dem Mundwinkel zu ihm: »Na, du Hundefleischfresser, wie fühlst du dich jetzt? – Wenn der gute Pat O'Rourke seinen Rausch ausge schlafen hat, wird er sich noch mit dir befassen. Auf dich freut er sich schon. – Noch gilt er als krank. Ich vertrete ihn nur. – Du bist unter richtigen Freunden, Lederstrumpf.« Wade Oakland sagt nichts, gar nichts. Aber er denkt an Nancy Juleman und weiß, daß er desertieren wird. Und noch etwas weiß er: Die ersten zwei Wochen wird er keinen Ausgang erhalten, muß also immer im Fort bleiben. Er muß jemanden finden, der für ihn drüben in der Stadt Erkundigungen einholt. Wenn doch der Tagesdienst erst beendet wäre und am Abend die Möglichkeit bestünde, wenigstens in die Kantine des Forts zu gehen. So denkt er mit Bitterkeit. Den Rest des Tages verbringen er und die Neuen damit, weitere Ausrüstungsteile zu empfangen und auch Pferde zu bekommen. Denn sie sind als Kavalleristen eingestellt. Sie müssen eine Stunde zu Fuß exerzieren - 20 -
und haben dann am späten Nachmittag noch Stalldienst. Sie alle sind schon einmal Soldat gewesen und brauchen kaum irgendwelche Auffrischungen, um sich an die Tagesroutine zu gewöhnen bei der US-Kavallerie. Im Fort und seiner Umgebung herrscht geschäftiges Treiben. Ein ganzer Wagenzug macht sich offenbar aufbruchbereit. Auch die Armee belädt einige Wagen und bereitet sich offensichtlich auf eine größere Expedi tion vor. Die Neuen bekommen dies nicht so mit am Anfang, aber später im Stall hört Wade Oakland den Stallsergeanten mit Sergeant Welby reden. »Es geht zum Powder-River«, sagt der Stallsergeant. »Dieser Captain Otis soll irgendwo am Bozeman-Weg ein Fort bauen. Ich weiß vom KommandanturSergeanten, daß der Wagenzug morgen schon aufbricht. Ihr sollt ihn im Verlauf des Tages einholen und bei ihm bleiben. Denn es ist euer Wagenzug. – Ja, ihr alle reitet mit, du, Welby, Brouther, O'Rourke. – Na, freust du dich?« Dick Welby stößt einen bösen Fluch aus. »Und Lieutenant Henderson?« So fragt er danach heftig. »Der sollte mit – aber Captain Otis verlangte einen jüngeren Offizier.« Als Wade Oakland dies hört, wird ihm eine Menge klar. Captain Otis hat offenbar besondere Vollmachten, oder es wurde ihm zugebilligt, sich seine Untergebenen aussuchen zu können. Und so hatte er es in der Hand, Lieutenant Henderson ins Indianerland mitzunehmen oder nicht. – Er nahm ihn nicht mit, und der grauköpfige Lieutenant, der lieber in Laramie blieb, tat ihm einen - 21 -
Gefallen dafür. Oha, der Ex-Sergeant Wade Oakland kennt die Armee. Er weiß, wie so etwas oft genug manchmal läuft. Und auch all diese Erfahrungen gehörten dazu, daß er die Armee nicht mag und sie verachtet. Aber jetzt haben sie ihn. Er hat sich mit einem Captain einen Scherz erlaubt – einen bösen Spaß. Nun muß er dafür bezahlen. Er war ein Narr. Ja, er wird desertieren müssen. *** Nach Dienstschluß geht er in die Kantine und trifft dort auf den alten Armee-Scout Jim Clearmonte, den er ein halbes Jahr nicht sah. Jim Clearmonte ist noch hagerer geworden, und seine schrägen Augen machen ihn einem grauköpfigen Cheyenne noch ähnlicher. Wade Oakland spricht keine fünf Minuten mit dem Scout. Dann macht dieser sich auf den Weg zum Ort hinüber. Eine Stunde später ist er wieder zurück und berichtet: »Das Mädel ist nicht mehr im Hotel. Sie ist in der vergangenen Nacht verschwunden. Auch die drei Pferde sind nicht mehr da. Jemand hat sie aus dem Hof der Handelsagentur geholt. Sam Wells glaubt, daß du es warst. – Es kam heute mit der Mittagspost ein US Marshal, dazu ein Mann, der sich Fred Hacket nennt und der zwei Burschen bei sich hat, die ich für Revolvermänner halte. – Sie fragten überall nach Nancy Juleman. – Aber die ist verschwunden. Sie kauften Pferde und Ausrüstung und warben sich Cheyenne-Jones Mullegan als Scout an. – Morgen brechen sie auf. – Bist - 22 -
du zufrieden mit mir, mein Junge?« »Sehr«, sagt Wade Oakland. »Hier sind hundert Dollar. Stelle mir ein Pferd mit der nötigen Ausrüstung dafür an die Brücke. – Und hier sind noch hundert Dollar für deine Hilfe. – Abgemacht?« In der Dunkelheit hinter der Baracke können sie sich nicht ansehen, und dennoch weiß Wade Oakland, daß der alte Scout ihn nun anstarrt. »Ich habe noch deine Eltern gekannt, Junge«, murmelt Jim Clearmonte. »Ich kenne dich zu gut und weiß, wie sehr du die Freiheit liebst. – Aber wenn du von der Armee desertierst, wirst du ein Renegat sein, der sein ganzes Leben lang auf der Flucht ist vor der Armee. Denk mal an die vielen Squawmänner bei den Roten und …« »Schon gut, Onkel Jim«, murmelte Wade Oakland. »Schon gut, doch ich kann dieses Mädel nicht noch einmal im Stich lassen. – Nein, das kann ich nicht.« Er macht eine kleine Pause und murmelt dann: »Du kennst mich also so gut, um mich zu verstehen. Du kannst mich deshalb auch nicht ohne Hilfe lassen. – Ich muß diesem Mädel nach, um ihr zu helfen. Sie flüchtet ins Indianerland. – Wenn die Roten sie erwischen, wird es schlimm für sie. – Erwischen sie ihre Verfolger, ist es ebenso. Sie rennt in tausend Gefahren hinein, um einer anderen Gefahr entgehen zu können. Sie wagt alles – einfach alles, setzt all ihre Chips auf ihr Glück. – Jim, du verstehst mich doch?« »Ja, mein Junge«, sagt Jim Clearmonte, »ich verstehe dich. Und ich helfe dir. Denn dich haben ein paar Strolche reingelegt. Vielleicht hast du das herausge fordert, aber sie haben dich dennoch reingelegt. Fast jeder hier im Fort weiß das. Es wird gemunkelt und - 23 -
getuschelt. – Na schön, du kannst dich darauf verlassen, daß du ein Pferd mit Ausrüstung bei der Brücke finden wirst.« *** Ab Mitternacht ist Wade Oakland als Stallwache eingeteilt. Die Schwadron, zu der er gehört, ist noch längst nicht aufgefüllt. Deshalb sind hier im Stall noch viele Boxen leer. Er macht seine Runde und wartet auf den kontrollierenden Offizier. Denn er will erst diese Kontrolle hinter sich haben, damit sein Vorsprung groß genug ist, bevor man sein Verschwinden bemerkt. Er braucht nicht lange zu warten. Dann geht die Stalltür auf. Ein Offizier tritt ein. Aber es ist nicht der junge Lieutenant, sondern der stämmige Captain Tom Otis. Wade Oakland will nicht noch im letzten Moment in eine Arrestzelle wandern. Deshalb baut er sich vorschriftsmäßig vor Captain Otis auf und grüßt sorgfältig. Dann meldet er: »Soldat Oakland auf Stallwache, Sir. Keine besonderen Vorkommnisse, Sir. Alle Tiere sind wohlauf, Sir.« Captain Otis nickt nur. Er ist allein, und er macht sich nicht die Mühe, vorschriftsmäßig für die Meldung zu danken. Er geht an Wade Oakland vorbei bis zum Ende des Stallganges und wirft manchmal rechts und links Blicke in die Boxen und auf die Pferde. Sogar die Deckel der Futterkisten öffnet er, um hineinzublicken. Als er dann genau weiß, daß sie beide allein sind im Stall, wendet er sich Oakland zu, der ihm – wie es - 24 -
Vorschrift ist – in drei Schritten Abstand folgte. »Sie waren schon mal Sergeant, Oakland, nicht wahr?« »Yes, Sir – während des Krieges. – Ich führte den Erkundungszug unseres Regiments.« »Ich nehme Sie mit ins Powder-River-Land, Oakland. Ich baue dort ein Fort. Und ich verspreche Ihnen, daß Sie nicht mal wieder Korporal werden. – Ich werde Ihnen die Hölle heiß machen lassen. – Sie wissen warum, nicht wahr?« »Yes, Sir – ich weiß genau warum. Und ich bin mir darüber klar, was auf mich wartet. – Darf ich etwas dazu sagen, Sir?« Captain Tom Otis grinst. »Sicher, sicher, Oakland – wir sind ja hier ganz unter uns. Reden Sie nur.« »Wenn Sie im Powder-River-Land ein Fort bauen wollen, Sir, dann werden Sie bald mehr Sorgen haben als ein Indianerhund Flöhe im Fell hat. Sie werden meinen Rat brauchen. – Denn ich kenne die Indianer, das Land und …« »Schon gut, Oakland«, unterbricht ihn Captain Otis und setzt sich wieder in Bewegung. Erst am Stalltor bleibt er stehen, bevor er die kleine Tür im linken Flügel öffnet. »Dieser Stall ist schmutzig«, sagt er. »Sie haben bis zum Wecken noch fünf Stunden Zeit, ihn zu säubern. – Besonders dieser Stallgang muß geschrubbt werden. – Ich lasse alles nach dem Wecken genau inspizieren.« »Yes, Sir«, erwidert Oakland und grüßt straff. Captain Tom Otis starrt ihn einige Sekunden lang im Scheine der Stallaternen an, und es erscheint der Ausdruck einer Verwunderung in seinen harten Augen. - 25 -
»Sie sind ja verrückt, Mann«, sagt er nach einigen Atemzügen. »Ich und Ihren Rat brauchen. – Sie sind ja verrückt. – Mann, Sie haben vorgestern den Teufel am Ende des Schwanzes gepackt und zu kräftig gezogen. – An Ihrer Stelle würde ich mich aufhängen oder mir eine Kugel durch den Kopf schießen. Also los, machen Sie den Stall so sauber, daß man vom Boden essen könnte.« Nach diesen Worten geht er vorne hinaus. Er ist noch nicht über den Paradeplatz in Richtung der Offizierhäuser, als Wade Oakland den Stall durch die Hintertür verläßt. Für einen Mann wie ihn ist es nicht schwer, über die Mauern des Forts zu kommen, denn die Nacht ist dunkel, und die Posten auf den Rundgängen oben sind nicht dicht besetzt. Jeder Indianer hätte unbemerkt rein- und rausgelangen können. Und Wade Oakland steht einem Indianer in sol chen Dingen in nichts nach. Er macht sich auf den Weg zur Brücke und findet das Pferd dicht daneben zwischen Felsen und Büschen. Auch Jim Clearmonte ist da. »Ich habe dir auch einen Lederanzug mitgebracht«, sagt er. »Desgleichen auch einen Colt und ein gutes Spencergewehr. In der Sattelrolle und den beiden Satteltaschen ist alles was du brauchst Viel Glück, Junge.« »Du bekommst ja noch Geld von mir, da du so viel …« »Laß nur, Junge. – Hau lieber ab.« Sie drücken sich die Hände. Dann schwingt sich Wade Oakland in den Sattel. Die Uniform wird er erst einige Meilen weiter gegen die - 26 -
Lederkleidung vertauschen. Er will erst einmal fort von hier und in der Nacht verschwinden, bevor man sein Desertieren bemerkt. Ja, er ist nun ein Deserteur. Wenn ihn die Armee erwischt, stehen ihm unter Umständen bis zu zwanzig Jahren schwerer Kerker bevor. Er verschwindet in der Nacht. Der alte Scout lauscht auf den Weg in die Stadt, um dort seinen Kummer zu er tränken. *** In Wade Oakland ist die ganze Bitterkeit der Welt. – Nach sechsmonatiger Pelztierjagd hatte er sich seinen »Sommerurlaub« anders vorgestellt. Er wollte sich einige angenehme Wochen in Laramie machen und ein wenig von seinem Geld ausgeben. Er wollte mit den alten Freunden zusammensein und vielleicht auch ein Mädel von den Auswandererzügen kennenlernen. Oh, er hatte sich das alles oft genug vorgestellt. Oha, er hielt sich für unangreifbar, für völlig frei und selbständig, unabhängig und wer weiß was noch. Dann kam auch noch diese Nancy nach langen Jahren in sein Leben zurück, und er stand mit einem Male tief in ihrer Schuld. Und jetzt … Heiliger Rauch, er steckt in der Klemme und muß gewaltig strampeln – fast so wie eine Fliege in der Buttermilch. Er reitet stetig die ganze Nacht und hält nur einmal an, um die Uniform auszuziehen. Zuerst will er sie fortwerfen. Dann überlegt er es sich und packt sie in die - 27 -
Sattelrolle hinein, die dadurch nur wenig dicker wird. Er reitet bis zum Morgen, rastet nur, um ein wenig von seinem reichlichen Proviant zu essen –er kocht sogar Kaffee in der kleinen Kanne – und reitet dann weiter. Sein Pferd ist ein zäher, grauer Wallach, der zwar nicht besonders schnell rennen kann, doch so ausdauernd ist wie ein Wolf. Er versteht sich gut mit dem Tier vom ersten Moment an. Er nennt ihn Buddy, wenn er zu ihm redet, denn er besaß schon mal solch einen grauen Wallach, der auf diesen Namen hörte. Es ist nicht so einfach für ihn, sich Nancy Julemans Fluchtweg vorstellen zu können, aber es steht wohl fest, daß sie nicht lange auf dem Bozeman-Weg bleiben wird. Das kann sie nicht, weil sie damit rechnen muß, von ihren schnell und hart reitenden Verfolgern eingeholt zu werden. Als es Tag wird, stößt er auf dem Trau auf frische Fährten. Er sitzt ab und sieht sich die Fährten ganz genau an, wandert ein Stück, prüft immer wieder und weiß dann endlich ziemlich sicher Bescheid. Nancy Juleman hat immer noch alle drei Pferde bei sich. Sie wechselt die beiden Sattelpferde alle paar Meilen. Das eine Sattelpferd ist sein Red. Die Verfolger sind gar nicht so weit von ihm. Sie ritten zuerst in der Nacht auf gut Glück den BozemanWeg nach Norden. – Aber dann fanden sie nach Anbruch des Tages schnell die frische Fährte und erkannten gewiß auch sofort ihre Bedeutung. Cheyenne-Jones Mullegan ist ein erstklassiger Scout. Sie konnten keinen besseren finden. – Und daß es die richtige Fährte ist, dies be weisen allein schon die winzigen Stiefelabdrücke, die immer dann am Boden zu sehen sind, wenn Nancy die - 28 -
Pferde wechselt. Noch reitet sie auf dem Bozeman-Weg, den sie gut genug kennt. Auch das Land kennt sie gut, denn einst zog ihr Vater als fahrender Händler von einem Indianerdorf zum anderen. Sie und ihre Stiefmutter waren ständig dabei. Sie kennt die Indianer und kann sich mit ihnen verständigen. – Eigentlich ist dieses Land hier ihre Heimat. Hier verlebte sie ihre Jugend, bis ihr Vater sich dann später in Laramie seßhaft machte. Es war vielleicht gar keine schlechte Idee von ihr, hier in dieses Land zu flüchten. Aber die Verfolger haben Cheyenne-Jones Mullegan – und dieser Halbblut-Scout ist dem Mädel Nancy Juleman natürlich in diesem Land haushoch überlegen. Als die Fährte der Verfolger vom Bozeman-Weg abbiegt, obwohl Nancy Julemans Fährte immer noch auf dem Wagenweg nach Norden führt, da zögert Wade Oakland nicht lange. Er folgt den Verfolgern, nicht Nancy. Denn er kann sich ausrechnen, daß Mulegan eine Abkürzung nimmt, ja, er kennt diese Abkürzungsmöglichkeit über und durch eine scheinbar unwegsame Hügelkette und hätte diese Abkürzung selbst gewagt. Wieder reitet er Stunde um Stunde und Meile um Meile durch rauhes Land, die sogenannte Laramie-Prairie ist ja keine weite, glatte Ebene. Sie wird immer wieder durchzogen von Hügelketten und tiefen Senken. Es gibt auch Felsgruppen, die wie versteinerte Elefantenherden wirken – und es gibt tausend unübersichtliche Winkel, in die man nicht einsehen und in denen eine Menge verborgen sein kann. Sein grauer Buddy zeigt nun doch Er müdungserscheinungen. Dies ist kein Wunder, denn seit - 29 -
der ersten Morgenstunde etwa haben sie siebzig Meilen hinter sich gebracht. Wenn er daran denkt, macht er sich Sorgen um Nancy. Denn wenn diese früher auch eine blendende Reiterin war, die es mit jedem jungen Burschen aufnehmen konnte, so hatte sie jedoch gewiß in den vergangenen Jahren kaum Gelegenheit für weite Ritte. Sie muß jetzt schon völlig zerbrochen und erschöpft sein, denkt er immer wieder voll Sorge und weiß, daß ihr nun das ständige Wechseln der Pferde nichts mehr hilft. Denn sich selbst kann sie nicht auswechseln, sie selbst muß jede Meile reiten. Daß sie dabei auch noch zwei Tiere an den langen Zügeln mitführt, behindert sie ebenfalls sehr. Sie muß jetzt am Ende sein, zumal sie einige Meilen weiter als die Verfolger ritt, da sie auf dem Bozeman-Weg blieb und nicht die Abkürzung nahm. Er verspürt eine stärker werdende Furcht, daß Nancy noch vor Anbruch der Nacht von ihren Verfolgern einge holt wird. Diese Furcht steigt noch, als sie wieder alle auf dem Bozeman-Weg reiten – einem Wagenweg, der eigentlich kein Weg ist, sondern nur eine von Radfurchen und Hufspuren geprägte Fährte an der Basis des Medicine-Bow entlang nach Norden, über den Sweetwater hinweg zu den Rattlesnake Mountains hin, von wo sie dann durch das Big Horn River Valley weiter nach Norden führt. Die Nacht kommt dann schnell. Als er über einen flachen Hügelkamm reitet, sieht er das Feuer. Es ist ein verborgenes Feuer, nur von einem bestimmten Punkt aus zu sehen, den er nun schnell verläßt. Es ist fast Zufall, daß er das Feuer sieht für einen Moment. Aber er hat sich die Richtung genau gemerkt. Das - 30 -
Feuer brennt in einer Furche etwa eine Viertelmeile östlich des Wagenweges zwischen Felsen und Buschgruppen. Er glaubt nicht, daß es Nancys Feuer ist. Denn wenn Nancy nicht mehr reiten kann, wird sie sich gewiß in einem Versteck verkriechen und bestimmt kein Feuer machen. Als er nahe genug geritten ist, schlägt er einen weiten Bogen nach Westen und setzt sich gewissermaßen eine Viertelmeile vor die Verfolger, also zwischen diese und Nancy, die noch weiter im Norden sein muß in dieser Nacht. Er läßt seinen Buddy stehen und gleitet durch die Dunkelheit. Dabei denkt er besonders an Cheyenne-Jones Mullegan. Wenn dieser dort im Camp ist, kann man ihn einfach nicht so beschleichen. Da muß man schön vorsichtig sein und darf nicht mal intensiv an ihn denken. Also läßt er es bald sein, an Mullegan zu denken. Dieser könnte sich sonst durch eine Ahnung ungemütlich fühlen. Bei diesen erfahrenen Scouts muß man mit solchen Ahnungen rechnen. Er gelangt wenig später in die Bodenfurche zwischen den Felsen hinein und wittert endlich auch den Rauch des Feuers. So rauchlos es auch brennen mag, es erzeugt dennoch ein wenig davon. Nun gleitet er noch vorsichtiger vorwärts. Er nimmt sich Zeit dazu. Endlich hört er die Stimmen der Männer, und als er dicht bei einem Felsen verharrt, der wiederum von Büschen eingesäumt wird, da kann er bald die ganze Sachlage übersehen. Er zählt fünf Männer und atmet erleichtert auf. Denn - 31 -
sie sitzen alle am Feuer. Keiner schleicht hier draußen in der Umgebung irgendwo herum und könnte schon im nächsten Moment hinter ihm auftauchen. Sie sitzen dort. Er sieht sie essen, riecht den gebratenen Speck, die Pfannkuchen und den Kaffee. Sein Magen knurrt. Er hat Angst, daß sie drüben beim Feuer dieses Magenknurren hören könnten. Er ist ihnen so nahe, daß er sie sprechen hört. Ja, auch Cheyenne-Jones Mullegan ist da. Er ißt gierig, und er wirkt wirklich wie ein übergroßer, hagerer Cheyenne in der Tracht eines weißen Mannes. Nur seine Augen sind blau. Wade Oakland kennt ihn gut genug, um dies zu wissen. Cheyenne-Jones Mullegan war schon ein berühmter Scout und Trapper, als er, Wade, noch ein Junge war, der mit anderen Jungen spielte – auch mit all den Indianerjungen, von denen sich heute schon einige große Namen als Krieger oder Häuptling machten. Die anderen vier Männer hockten ebenfalls am Feuer. Sie haben ihre Blechteller vollgepackt, kauen, daß ihnen die Ohren wackeln und wechseln dann und wann einige Worte. Der US Marshal ist ein bulliger Mann, von dem eine beharrliche Kraft ausströmt. Er ist ein Mann, der langsam kaut, langsam spricht – aber sein Blick ist scharf, und er strömt einen unabänderlichen Willen aus. Dieser Mann folgt – wenn es sein muß – einer Fährte bis ans Ende der Welt. Wade Oakland spürt es instinktiv. Sein Nachbar ist mittelgroß, blond und helläugig. Er ist ein gut proportionierter, Mann, dessen derbe und zweckmäßige Kleidung dennoch teuer wirkt, so als wäre sie von einem guten Schneider nach Maß angefertigt worden. Er ist ein Mann mit feinen Manieren. Dies er kennt man selbst hier am Feuer unter rauhen Burschen. - 32 -
Dort sitzt also der Mann, der seinen Bruder rächen will, den Nancy Juleman getötet haben soll – ein Mann ist es, der zwei Revolvermänner mitgenommen hat, um den Tod seines Bruders zu rächen. Vier Männer gegen Nancy – ein Marshal, ein rachsüchtiger Bruder eines Toten und zwei angeworbene Revolvermänner, zwei Killer. Und vielleicht auch noch Cheyenne-Jones Mullegan. Bei letzterem müßte Wade Oakland sich Sorgen machen. Ihn möchte er nicht zum Feind haben – ihn nicht. Aber es wird ihm nichts anderes übrig bleiben. Er hört nun den blonden Mann ungeduldig fragen: »Warum eigentlich haben wir sie immer noch nicht eingeholt? – Sie ist doch vor uns? Sie sind sich doch noch sicher, Mullegan, daß sie uns keine Tricks zeigt?« Mullegan betrachtet ihn nur kauend, sagt noch nichts. Aber der US Marshal erwidert: »Keine Sorge, Hacket, keine Sorge. – Wir haben den besten Mann für diesen Job. – Sobald diese Nacht hell genug ist, reiten wir weiter. Das Mädel hat zwar Pferde zum Wechseln, doch kann es nicht so lange durchhalten wie wir Männer. – Wir bekommen sie vor Sonnenaufgang. – Sie sitzt vielleicht nur eine Meile von uns entfernt in einem feuerlosen Camp. Sie wird frieren, verkrampft sein von diesem Ritt, und nicht mehr weiterkönnen. – Wir bekommen sie – nicht wahr, Mullegan?« Dieser sieht ihn über das Feuer hinweg an, spuckt dann in das Feuer und erwidert mürrisch: »Eigentlich gefällt es mir nicht, ein Mädel zu jagen. – He, hat sie wirklich Ihren Bruder getötet, Mister, ohne ihm eine Chance zu geben?« Der Mann, den der Marshal Hacket nannte, zuckt - 33 -
zusammen. »Wäre sonst das Gesetz hinter ihr her? Und würde ich das Gesetz sonst unterstützen mit zwei Männern? – Mein Bruder Nils Hacket war Eigner und Kapitän der Missouri Sun. Wir fuhren zwischen New Orleans und Saint Louis. Das Mädel raubte unseren Geldschrank aus. – Mein Bruder überraschte sie. Da nahm sie den Revolver, der ebenfalls im Geldschrank lag, und schoß. – Ja, sie ist eine Mörderin. Wir jagen eine Mörderin. Sie soll hängen. – Denn es brach Feuer aus an Bord. Das Schiff verbrannte auf einer Sandbank im Strom. – Sie hat meinen Bruder getötet und mich ruiniert. Deshalb jage ich sie. – Das ist mein gutes Recht – oder?« »Schon gut, schon gut«, murmelt Mullegan kauend. Er wirft einen schiefen Blick auf die beiden hartgesichtigen Revolvermänner, die aber wahrscheinlich keine Revolvermänner, sondern Killer sind. Schließlich sieht er den Marshal an. »Eine Menge Mühe für ein kleines Mädel«, sagt er. »Und auch noch meine Hilfe habt ihr nötig. – Wenn ihr sie habt, dann könnt ihr mächtig stolz sein.« Wade Oakland hat nun genug gehört. Er zieht sich zurück und schlägt einen Halbkreis, bis er sich den Pferden gegen den leichten Wind nähern kann. Bevor er zu dicht an die Tiere heranritt, welche nebeneinander an einem ausgespannten Lasso angebunden sind zwischen zwei Felsen, hebt er erst einen faustgroßen Stein vom Boden auf und schleudert ihn über das Feuer hinweg in einige Büsche. Die Männer springen sofort auf, halten die Waffen schußbereit und machen Front in Richtung des Geräusches. Mullegan und der Marshal bewegen sich - 34 -
sogar einige Schritte in diese Richtung. Hacket aber ruft: »Was war das?« Er ist wirklich ein in der Wildnis nicht sehr erfahrener Mann. Mullegan erkennt zuerst den Trick. Er wirbelt herum in Richtung der Pferde. Doch es ist zu spät. Wade Oakland hat die Tiere inzwischen losgeschnitten. Indes er sich auf eines der Tiere wirft, wie es ein Komantsche nicht besser machen könnte – und Komantschen sind die besten Pferdediebe zwischen der Süd- und Nordgrenze! –, stößt er einen wilden Schrei aus. Es ist ein Pumaschrei. Die Pferde sausen wie verrückt los. Er hat Mühe sich auf dem Tier zu halten, auf dessen Rücken er sich schwang. Kugeln folgen ihm in die Nacht, und er hört auch dann noch das Gebrüll der Männer, als er die Pferde vor sich hertreibt und sein eigenes Tier erreicht. Er hält sich nicht lange auf. Er muß Nancy finden, und überdies auch noch die gestohlenen Pferde weit genug wegtreiben. Und Mullegan wird in Zukunft sein Feind sein. Aber wie konnte er anders handeln, will er bei Nancy seine Schuld bezahlen? Er reitet auf den Bozeman-Weg zurück, treibt die Pferde vor sich her und hofft, bald schon auf Nancy zu stoßen. Er darf aber nicht zu weit reiten in der Nacht, weil es sonst möglich ist, daß er an ihr vorbei ins Leere reitet. Er legt in dieser Nacht mit den gestohlenen Pferden also nur eine Strecke zurück, die ihn davor schützt, von den fünf »Fußgängern« eingeholt zu werden. Denn damit - 35 -
muß er rechnen. Jones Mullegan ist ein erfahrener Bursche, der vielleicht nicht umkehrt, sondern den Fährten der Pferde folgt. Und vielleicht kennt Mullegan sogar in der Nähe einen Ort, wo man Pferde bekommen kann – und sei es vorerst nur ein einziges Tier. Als Wade Oakland weit genug geritten ist, hält er an. Er bindet die Pferde zwischen Bäumen an einem ausge spannten Lasso an und legt sich mit seiner Decke unter einen Busch, der ihn etwas vor dem Tau schützen wird. Von einem Atemzug zum anderen ist er eingeschlafen. Doch mit seinem letzten Gedanken ist er bei Nancy. Wenn es Tag ist, wird er sie finden. Und dann wird sie sich auf ihn verlassen können. *** Als er erwacht, graut im Osten der Morgen. Er hat etwa drei Stunden geschlafen, längst nicht genug. Dennoch ist er sofort hellwach und lauscht aufmerksam, ohne sich vorerst zu bewegen unter der Decke. Doch die Geräusche der Pferde sind normal – alles in der Umgebung ist so, wie es sein muß in solch einer sterbenden Nacht. Oh, er kennt all die feinen Geräusche der kleinen Nachttiere genau. Als er sicher ist, daß niemand in der Nähe ist, erhebt er sich. Stehend ißt er einige Bissen Rauchfleisch und hartes Brot, trinkt aus der Wasserflasche. Dann bindet er die Pferde los, sitzt auf und treibt sie weiter auf dem Bozeman-Weg nach Norden. Er ist sich darüber klar, daß er nun vor dem Gesetz ein Pferdedieb ist. Und wenn die fünf Bestohlenen erst herausfinden, von wem ihnen die Pferde geraubt wurden, dann wird er ein Geächteter sein. - 36 -
Aber das ist er ja ohnehin schon als Deserteur der Armee. Auf etwas mehr oder weniger kommt es nun wohl auch nicht mehr an, so denkt er bitter in dem grauen, kühlen, taunassen Morgen. Ob außer der Armee auch noch das Gesetz hinter ihm her sein wird, dies macht kaum noch etwas aus. Er stößt noch vor Sonnenaufgang auf Nancy Julemans Fährte. Wenig später biegt diese Fährte vom Wagenweg ab und führt in die Hügel hinein. Das muß bereits nach Anbruch der Nacht geschehen sein. Nancy ist länger im Sattel geblieben, als es ihr die Verfolger zutrauten. Eine halbe Meile tiefer in den Hügel stößt er auf ihren Rastplatz. Hier also hatte sie angehalten, ihre Pferde ver sorgt und sich für wenige Stunden auf dem harten Boden in ihre Decken gehüllt. Auch sie brach dann wohl im Morgengrauen auf und ist jetzt etwa zwei Stunden vor ihm. Aber sie reitet schneller als er, denn sie hat nur zwei Pferde bei sich, die sie an den Leinen mitziehen kann. Er muß ein Rudel von fünf Tieren treiben. Es ist logisch, daß er dabei nicht so schnell vorwärtskommen kann wie sie. Einen Moment – und dann später immer wieder – ist er versucht, die fünf gestohlenen Tiere einfach stehenzulassen. Dann wagt er es aber doch nicht. Sein Respekt vor Cheyenne-Jones Mullegan ist zu groß. – Wenn Mullegan es schafft, sich irgendwo nur ein einziges Pferd zu besorgen in einem einsamen Camp, einem Trapper- oder Siedlercamp, bei einem dieser fahrenden Händler oder von einem Wagenzug, nun, dann hat er ihn schnell auf der Fährte. Und je schneller Mullegan die Pferde wiederbekommt, um so eher hat - 37 -
Nancy wieder die Verfolger auf der Fährte. Nein, er muß die fünf Tiere noch weiter fortbringen, viele Meilen weiter. Deshalb nimmt er es hin, daß ihr Vorsprung nun größer wird im Verlauf des Tages. Er verliert ihre Fährte jedoch nicht mehr, obwohl sie sich dann und wann Mühe gibt, diese Fährte zu verwirren. So folgt sie einmal eine Meile weit einem Creek, reitet dabei im knietiefen Wasser und verläßt ihn auf einer felsigen Stelle. Aber er verliert die Fährte nicht, bleibt nur mehr und mehr zurück. Am Nachmittag dann – als er sich entschließt, die Tiere endlich laufen zu lassen und unbehindert weiterzureiten –, da stößt er auf eine andere Fährte. Beim Anblick dieser Fährte hält er an und flucht bitter. Denn was er da sieht, dies macht ihm mächtig große Sorgen. Nancy hätte nichts passieren können, was schlimmer wäre. Diese Fährte, die dort zu ihrer stößt, ist vergleichbar mit der Fährte eines Wolfrudels, welches nach einem langen Blizzard auf die Fährte einer Elchkuh stößt. So und nicht anders ist es. Denn Wade Oakland sieht die Fährte von unbeschlagenen Pferdehufen. Aber es handelt sich nicht um wilde Mustangs – nein, diese Pferde wurden geritten. Er weiß auch von wem. Es sind wahrscheinlich Sioux oder Cheyennes. Und sie sind nun hinter Nancy her. Verdammt noch mal, wie schlimm kommt es denn noch für Nancy? – Ihre Pechsträhne nimmt gar kein Ende mehr, sondern wird immer noch größer und schlimmer. Wade Oakland hockt eine Weile zusammengesunken - 38 -
im Sattel seines grauen Wallachs und denkt nach. Jawohl, nachdenken ist jetzt wichtiger als alles andere sonst. Zuerst muß er jeden Schritt überlegen. Er wird keinen Fehler machen dürfen. Denn was jetzt vor ihm liegt, ist ein harter Poker, Sioux- oder Cheyenne-Poker. Und Nancy ist der Einsatz. Er kann nur hoffen, daß er zumindest einen dieser Roten kennt, die auf Nancy Julemans Fährte stießen. Für einen Moment ist er versucht, die fünf gestohlenen Pferde einfach zurückzulassen und seinem Buddy die Sporen zu geben. Doch dann sagt ihm die Vernunft, daß fünf Pferde ein gutes Tauschobjekt sind bei Sioux und Cheyennes. Für fünf erstklassige Pferde müßte man doch eine weiße Squaw kaufen können – oder? Und so machte er sich die Mühe, die fünf gestohlenen Tiere weiterzutreiben. Er weiß, daß er Nancy nicht mehr zu Hilfe kommen kann, bevor sie in die Hände der Roten fällt. Sie werden sie haben, wenn er bei ihnen anlangt. Er kann sie nur loskaufen. Es sind etwa zwölf bis fünfzehn Indianer, wahrscheinlich ein Streif- und Erkundungstrupp, der den Wagenweg überwachen und das Indianerland im Norden nach Laramie zu absichern soll. Die Benutzung des Bozeman-Weges wurde den Weißen einst durch einen Friedensvertrag garantiert. Doch danach geschah schon eine Menge, was diesen Friedensvertrag zu einer Farce machte. Daß Captain Tom Otis jetzt mit einer Abteilung und einem ganzen Wagenzug auf dem Bozeman-Weg nach Norden ziehen, irgendwo anhalten und ein Fort errichten wird, ist nur wieder ein neuer Vertragsbruch in einer ganzen Kette. - 39 -
Der Krieg ist schon so gut wie gekommen. Und wenn erst die Eisenbahn durch das WyomingTerritorium faucht, das Büffelland in zwei Hälften teilen und die rasche Besiedlung noch beschleunigen wird, dann muß es ganz zwangsläufig zum großen Krieg kommen. Wade Oakland weiß das wie jeder Mensch, der sich hier auskennt, weil dieses Land seine Heimat ist. Die alten Zeiten, da die Roten mit den Weißen rings um Laramie friedlich beisammen lebten und Handel trieben, sind vorbei. Die Gier der Weißen wird wieder einmal mehr alle Verträge brechen. Er flucht immer wieder bitter vor sich hin, indes er die fünf Pferde auf der nun deutlicher gewordenen Fährte vorwärts treibt. Er fühlt sich nun noch tiefer in Nancys Schuld – und zugleich auch wird es ihm klar, wie sehr Nancy doch in Panik war, sich in Not fühlte und nicht mehr aus noch ein wußte. Sonst wäre sie nicht allein in das Indianerland geflüchtet. Sie konnte doch nur ganz schwach hoffen, es schaffen zu können, durchzukommen bis ins Goldland von Montana oder nach Oregon und dort zur Westküste bis zu einem der Seehäfen. – Nein, eine wirkliche Hoff nung hatte sie kaum hegen können. Dennoch ritt sie los. *** Der Tag vergeht. Meile um Meile nähern sie sich dem Sweetwater River. Das Land beginnt sich schon zum Flußtal abwärts zu senken. Im Westen – zu Wade Oaklands Linken – ist das Ende der Medicine-Bow-Kette - 40 -
zu erkennen. Als er Schüsse hört, hält er nicht an. Er ist davon überzeugt, daß die Indianer Nancy jetzt gestellt haben. Aber sie kämpft offenbar. Sie gibt nicht auf. Sie schießt mit einem Gewehr, wahrscheinlich mit seinem, welches ja im Sattelhalfter seines Pferdes steckte, als sie dieses mit den anderen Tieren aus dem Hof der Handelsagentur fortholte. Er braucht nicht mehr sehr weit zu reiten, dann sieht er alles. Die Indianer hatten Nancy zuletzt gejagt oder gar eingekreist. Sie hatte versucht, schießend zu entkommen. Da hatten die Indianer zurückgeschossen. Nun liegt ein Pferd dort unten am Boden, wahrscheinlich tot. Und auch Nancy liegt dort, nicht weit vom Tier entfernt und von den Indianern umringt. Sie sind abgesessen und umgeben sie im Kreis. Wade Oakland kann nicht viel von ihr sehen. Die Indianer erkannte er längst schon. Es sind Sioux vom Stamm der Hunkpapas. Er kennt einige von ihnen, ganz besonders aber einen, nämlich Gall. Und mit Gall hat er rings um Fort Laramie schon als kleiner Junge gespielt. Mit Gall schwamm er in den tie fen Löchern des Laramie-Fork. – Und Gall ist nicht irgendein Krieger oder kleiner Häuptling der Hunkpapas. Gall wurde ein ziemlich großer Häuptling, obwohl noch jung an Jahren. Sein Dorf ist eines der größten, wenn die Sioux-Stämme sich dann und wann an den großen Flüssen treffen – am Powder River zum Beispiel – oder Yellowstone, dort, wo er in den Missouri fließt, und all den vielen anderen Treffpunkten der Siouxnation und deren Vettern, den Cheyennes und Arapahoes. Als Wade Oakland mit den fünf Pferden sich nähert, - 41 -
da wenden sich ihm die Sioux zu. Einige schwingen sich rasch wieder auf ihre Pferde und versuchen ihn zu umreiten, also gewissermaßen einzukreisen oder in die Zange zu nehmen. Aber er achtet nicht darauf. Er weiß, daß ihn nur noch der alte Jugendfreund Gall retten kann. Also treibt er die fünf ledigen Pferde dorthin, wo Gall wartet mit einigen anderen Kriegern – und wo auch Nancy am Boden liegt. Sie lebt, denn sie setzt sich jetzt auf. Doch sie muß verwundet sein. Sie hält sich ihren linken Oberschenkel dicht über dem Knie umklammert, so als könnte sie so nicht nur die Schmerzen lindern, sondern als wollte sie auf diese Art auch eine blutende Wunde am Weiterbluten hindern. Aber er kann ihr nur einen kurzen Blick zuwerfen. Denn jetzt kommt es darauf an, wie sich ein Wiedersehen mit Gall gestaltet. Es ist zwei oder drei Jahre her, als sie sich sahen – nein, es ist erst zwei Jahre her. Es war schon nach dem Bürgerkrieg. Er war schon kein Soldat mehr. Er läßt dicht vor der wartenden Gruppe die fünf Pferde aus der Kontrolle, kümmert sich nicht mehr um sie und reitet bis auf drei Schritte an Gall heran. Dieser Gall ist ein Riese. Er läßt an einen jungen, im Vollbesitz seiner Kraft stehenden Büffelbullen denken. Sogar sein rundes Gesicht ist muskulös und deshalb so rund. Die Flügel seiner Adlernase vibrieren. »Ich sehe dich, Freund Gall«, sagt Wade Oakland in dessen Sprache, die er fast so gut wie ein echter Hunkpapa spricht. »Warum machst du Jagd auf meine Squaw? Du hättest sie erkennen sollen. Denn es ist eines der Mädchen vom Laramie Fork River. Sie hat vor vielen Jahren auch für dich einmal Beeren gesucht – damals, als - 42 -
noch gute Zeiten waren. – Erinnerst du dich nicht mehr an das dünne Ding mit den grünen Augen? Ihr Vater zog als Händler umher. – Warum habt ihr sie gejagt und vom Pferd geschossen?« Seine letzten Worte klangen hart. Gall starrt ihn hart an. Die anderen Krieger murmeln und brummen. Auch jene, die sich auf ihre Pferde geschwungen haben, sind nun wieder heran. Sie umgeben die Gruppe und halten ihre Waffen bereit. Sie alle besitzen gute Gewehre. Auch ihre Pferde sind von bester Klasse. Es handelt sich offenbar um einen besonders ausgesuchten Kriegertrupp, mit dem der Häuptling unter wegs ist. »Ich sehe dich, Büffelsohn. – Ja, du bist – Büffelsohn. – Die Jahre waren schnell. Und die alten Zeiten sind vor bei. – Sie ist deine Squaw?« Wade Oakland nickt. »Und warum läßt du sie dann allein reiten?« »Weil wir verfolgt wurden, und ich unseren Verfolgern erst die Pferde stehlen mußte. – Diese Tiere dort.« Wade Oakland läßt sich keine Ungeduld anmerken. Dennoch möchte er sich am liebsten vom Pferd gleiten lassen und bei Nancy niederknien. Sie ist verwundet und verliert Blut. Sie stöhnt leise vor Schmerz. Aber er wirft nur einen schnellen Blick auf sie, versucht nicht in ihre Augen zu sehen. Sein Blick gilt Gall. Dieser zögert noch. Da sagt Wade Oakland: »Man hat mich mit Feuerwasser betrunken gemacht und zu den Pferdesoldaten geschleppt. Ich wurde gezwungen, Pfer desoldat zu werden. – Doch ich blieb nicht lange. – Ich lief davon und schickte meine Squaw voraus. – In meiner - 43 -
Sattelrolle ist noch meine Uniform, die ich auszog, sobald ich konnte. – Ich werde nun von den Pferdesoldaten verfolgt. Wenn sie mich eines Tages erwischen, hängen sie mich auf. – Ich wollte Zuflucht suchen bei meinen roten Freunden aus guten Zeiten und schönen Tagen. – Aber diese alten Freunde sind wohl keine Freunde mehr. Sie jagen meine Squaw.« In Wade Oaklands Stimme klingt nun verächtlicher Vorwurf. Und Gall sagt immer noch nichts, sondern starrt ihn nur an. Wade Oakland spürt, wie der scharfe Instinkt des roten Häuptlings an ihm herumtastet und in ihn einzudringen versucht. Gall bewegt sich plötzlich. Er tritt nahe an Oaklands Pferd heran und löst die Sattelrolle. Dann kniet er damit nieder und rollt sie auf. Die Uniform kommt zum Vorschein – und überdies trägt ja Wade Oakland noch die Kavalleriestiefel mit den Sporen. Gall nickt. Er betrachtet die fünf Pferde, sieht, daß die Tiere Sattelpferde waren. Wieder nickt er. »Es tut mir leid, Büffelsohn«, murmelt er kehlig. »Wir haben dieses grünäugige Mädchen nicht erkannt. Wir wußten auch nicht, daß sie inzwischen deine Squaw wurde. Als wir sie jagten, um ihr die Pferde wegzunehmen, begann sie zu schießen. Sie verwundete Bärenfalke sogar. – Wir werden dir helfen, sie in unser Dorf zu schaffen. Und dann wird sich Großmutter ihrer annehmen. – Wir nehmen jeden weißen Renegaten bei uns auf, wenn er solch ein Mann ist wie du, Büffelsohn. – - 44 -
Da du fortgegangen bist von deinem Volk, da du Schutz brauchst und nicht gegen uns kämpfen wirst, wenn der große Krieg losbricht, steht unserer alten Knabenfreundschaft nichts mehr im Weg. – Ich begrüße dich, Büffelsohn.« »Und ich danke dir, Gall. – Nimm bitte diese fünf Pferde von mir als mein Geschenk. Und bürge für mich bei deinem Volk.« Seine letzten Worte sind eine klare und vitale Forderung. Gall zögert nur drei Sekunden. Dabei blickt er ihn hart an. Dann nickt er. »Ja, ich werde für dich bürgen. – Steig ab, Büffelsohn!« Nun erst kann Wade Oakland sicher sein. Er gleitet von seinem Pferd. Und immer noch nicht kann er sich um Nancy kümmern. Gall stellt ihm erst einige der Krieger vor. Sie alle betrachten ihn mit zurückgehaltenem Mißtrauen. Er weiß, daß sie früher gewiß nicht so mißtrauisch waren gegenüber den Weißen. Doch inzwischen haben sie eine Menge gelernt. Er wird sich ihre Freundschaft mühsam erwerben müssen – wenn ihm dies überhaupt jemals gelingen wird. Aber er braucht ihre Hilfe. Sie haben Nancy angeschossen. Nancy und er brauchen nun eine sichere Zuflucht. Sonst sind sie verloren – Nancy, weil sie eine Weile krank sein wird – und er, weil er bei ihr bleiben würde bis in die Hölle und zurück. Ihr Vorsprung vor Cheyenne-Jones Mullegan und den Männern, die dieser führt, ist einfach nicht groß genug. Ja, die beste Zuflucht für sie ist vorerst ein großes - 45 -
Indianerdorf. Die Indianer wenden sich nun den fünf Pferden zu. Sie fangen diese ein und begutachten sie. Pferde sind für Indianer nun mal die wichtigste Sache auf dieser Welt. Wade Oakland kann sich nun endlich um Nancy kümmern. Er kniet bei ihr nieder, und er weiß, daß sie wahrscheinlich aus ihrer Jugendzeit noch genug von der Dakotasprache und den Dialekten der Stämme versteht, um einigermaßen verstanden zu haben, was Gall und er miteinander sprachen. Trotz ihrer Not und der Schmerzen hat sie gewiß darauf gewartet. Sie sieht ihn nun fest an. In ihren Augen ist der Ausdruck von Schmerz und Vertrauen zugleich. »Verzeih mir, Nancy, daß ich dich zum zweiten Male im Stich ließ, als du an der Brücke vergeblich auf mich warten mußtest. – Verzeih mir, Nancy!« Sie schüttelt leicht den Kopf. »Ich habe dich verflucht«, sagt sie. »Doch dann fand ich die drei Pferde im Hof der Agentur und wußte, daß du alles vorbereitet hattest und irgendwie verhindert warst. – Ich konnte aber nicht länger warten. – Und nun bist du nachgekommen. Das hatte ich erhofft, doch niemals erwartet. – Wade, mein Bein ist wohl schlimm zerschossen. – Ich verliere immer noch Blut und …« Nun wird sie von einem Atemzug zum anderen bewußtlos. Und das ist gut so. Sie wird erst wieder wach, als Wade Oakland sie hochhebt und auf den Schleppschlitten legt. Ihr Bein schmerzt, aber sie spürt, daß die Wunde versorgt wurde und verbunden ist. Er hält sie einige Atemzüge lang in den Armen, bevor - 46 -
er sie sanft und sachte auf den Schleppschlitten legt. Sie kennt solche Schleppschlitten, denn die Indianer transportieren auf diese Art ihre Habe. Ein Schleppschlitten dieser Art besteht aus zwei langen, federnden Stangen, die durch Querstücke verbunden sind. Man spannt Riemen oder ein Lasso zwischen die Stangen und bindet auf diese »Matratze« aus Schnüren eine Decke. Darauf legt man seine Habe – oder auch einen kranken oder verwundeten Menschen. Die Enden der beiden Schleppstangen schleifen über den Boden. Die beiden anderen Enden sind rechts und links am Sattel eines Pferdes festgemacht. Nancy kennt also solche Schleppschlitten. Sie blickt zu Wade Oakland empor, der auf sie niedersieht. »Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen«, sagt er nach einer Weile. »Wir werden in Galls Dorf ziehen. Dort kannst du in aller Ruhe gesund werden. – Deinen Verfolgern stahl ich die Pferde. – Es ist alles in Ordnung.« Sie versucht ein Lächeln. Dies gelingt ihr nicht ganz, und so wird es ein nur verkrampftes Lächeln, welches tapfer sein will und noch nicht so wirken kann. Es ist ein Lächeln, hinter dem dicht ein Schluchzen und Weinen steht. Aber das Schluchzen und Weinen schluckt sie herunter. »Ich danke dir, Wade«, sagt sie. »Einen Moment habe ich an dir gezweifelt. Doch ich hörte vorhin zu und begriff, daß sie dich betrunken gemacht und zur Armee gepreßt haben. – Aber das gehörte wahrscheinlich auch zu meiner Pechsträhne. – Was ist mit meinen Verfolgern? Du brachtest fünf Pferde. – Sind es fünf Verfolger? Wer - 47 -
denn?« »Ein Marshal und ein erfahrener Scout sind es. Dazu gehört noch ein Mann, der Hacket genannt wird und der zwei Revolvermänner bei sich hat. Dieser Hacket ist wahrscheinlich noch gefährlicher als der Marshal.« Sie nickt. »Es ist Fred Hacket«, sagt sie. »Ich habe seinen Bruder erschossen. Dabei geriet ein großes Mississippi-Dampfboot in Brand, welches den Brüdern gehörte. – Ja, Fred Hacket würde mir bis an das Ende der Welt folgen mit seinen beiden Killern.« »Aber in Galls Dorf werden sie gewiß nicht kommen«, grinste Wade Oakland. »Und wenn sie es tun, verlieren sie ihre Skalps. – Wir brechen jetzt auf.« Er beugt sich etwas nieder und streicht mit den Fingerspitzen über ihre Wange. Sie zuckt leicht zusammen – und da erinnert er sich wieder daran, daß sie mit Männern bisher nur üble Erfahrungen machte, ganz üble. Sie hat sogar einen getötet. Und mit ihm, Wade Oakland, fingen ihre bitteren Erfahrungen an. Er schwingt sich in den Sattel und nimmt das Pferd mit dem Schleppschlitten an die lange Leine. Das Pack pferd, welches bisher Nancy mitführte und dessen Packlast er ja selbst zusammenstellte, führt er an einer kürzeren Leine mit sich. So folgt er den Indianern. Denn nur bei ihnen werden sie vorerst eine sichere Zuflucht finden. Ob Gall bald herausfinden wird, daß dieser Captain Tom Otis in das Indianerland gezogen kommt mit einer Abteilung Soldaten und einem Wagenzug, um ein Fort am Bozeman-Weg zu bauen? - 48 -
*** Nancy Juleman erinnert sich auch an Indianerdörfer. Damals kamen immer Hunde angelaufen und bellten die Händlerwagen an. Dann kamen Kinder – und dann die Squaws. Nur die Krieger hielten sich zurück. Und so ist es auch jetzt, als sie zwei Tage später von Wade Oakland mit dem federnden Schleppschlitten ins Dorf gebracht wird – viele Stunden später als Gall und dessen Krieger, die vorausgeritten waren am zweiten Tag. Nancy Juleman glüht vor Fieber, und die Wunde an ihrem Bein hat sich entzündet und hämmert mit jedem Pulsschlag. Sie weiß, daß dies der Beginn einer Blutvergiftung ist. Wade Oakland bahnt sich mit den Pferden einen Weg durch Hunde und Kinder. Einige große Hunde wollen nach Nancy schnappen, die ja im Schleppschlitten nicht sehr hoch über dem Boden liegt und für die größeren Tiere durchaus erreichbar ist. Indianerhunde schnappen nach allem, was nicht zum Dorf gehört. Auch nach Wade Oaklands Füßen, die in den Steigbügeln stecken, schnappen welche, und sie machen die Pferde verrückt. Erst als er zu den Hunden und Kindern einige scharfe Worte im Hunkpapa-Dialekt ruft, wird es besser. Sie halten vor Galls Zelt, welches leicht zu erkennen ist unter all den anderen Zelten. Es sind etwa hundert Zelte, und da man im Schnitt fünf Köpfe auf ein Zelt zählt, gebietet Gall über etwa fünfhundert Kinder, Frauen und Krieger. Dazu gehören gewiß an die hundert Hunde und mehr als fünfhundert Pferde. - 49 -
Es ist also ein recht großes Dorf nach Indianermaßstäben, und dies allein zeigt schon, wie hoch Gall in der Rangordnung der Siouxhäuptlinge steht. Als Wade Oakland vor seinem Zelt verhält, steht er schon längst abwartend davor. Er hebt seine Hände, zeigt Wade die Handflächen. Aber dies tut Wade auch. Sie machen dann gegenseitig das Zeichen für Respekt und murmeln auch das Wort dafür, nämlich: Woyuonihan! Es ist still in der Runde. Sogar die Hunde sind ruhig. Denn sie wissen, daß sie sonst eine Menge Fußtritte und Schläge bekommen. Die Hunde eines Indianerdorfes wissen genau, wann sie bellen und jaulen können und wann sie still sein müssen. Das gilt auch für die Kinder. »Willkommen, Büffelsohn«, sagt Gall laut. »Da du zu uns gehören wirst, übernehme ich für dich die Bürgschaft. – Meine Großmutter, die unsere größte Medizin-Squaw ist, wird sich um die Wunde deiner Squaw kümmern. – Und ich selbst führe euch nun zu unserem besten Gastzelt, welches ihr bewohnen werdet, bis deine Jagd gut genug war, um selbst eigene Felle für ein eigenes Zelt zu haben. – Hopo – gehen wir!« Eine breite Gasse tut sich auf. Und jeder Mensch im Dorf weiß nun, daß die beiden Weißen zu ihnen gehören. Der Häuptling selbst bürgt für sie. – Und die älteren Krieger erinnern sich sogar noch an Yellow Buffalo, wie Wade Oaklands Vater damals hier im Lande von den Indianern genannt wurde, mit denen er jagte. Gelber Büffel, weil er so groß und riesenstark war und seine lan gen Haare so gelb leuchteten in der Sonne. Gelber Büffel war einer der großen Trapper und Händler von Laramie, - 50 -
als es noch keine Blaubäuche dort gab, keine Milahanska – also Soldaten. – Und Gelber Büffel hatte einen Sohn, den man später Büffelsohn nannte. Dieser ist es also, der mit seiner rothaarigen und grünäugigen Squaw zu ihnen kam und um Aufnahme bat. Warum nicht? Gall bürgt für sie, und es gibt viele Weiße, die genug haben von ihrer Rasse und zu den Indianern kamen, um bei diesen glücklich und in Freiheit leben zu können. – Denn ein Weißer kann besser und glücklicher leben bei den Roten, als ein Roter bei den Weißen. – Und dabei sind die Weißen Christen und bilden sich etwas ein auf ihre Religion – und sind die Roten sogenannte Heiden. Als Wade Nancy in das Zelt trägt, wartet drinnen schon die alte Wica Kanaska. Sie trägt den Namen einer roten Beerenart, aus der die Indianer auch rote tintenartige Farbe herstellen. – Und manchmal sind Flußwiesen mit dieser Beerenart bedeckt und leuchten purpurfarben in der Herbstsonne. Wade Oakland hat »Kanaskabeere« zum letzten Male vor etwa zehn Jahren gesehen. Sie ist Galls Großmutter, doch sie hat eigentlich schon vor zehn Jahren so ausgesehen wie jetzt. Aber sie muß sehr alt sein. Sie versteht eine Menge von Wunden, von vielen Krankheiten – ja, sie ist sogar ein guter Chirurg. Man holt sie auch bei besonders schwierigen Geburten. »Ich bin froh, dich wiederzusehen, Großmutter«, sagt Wade Oakland. »Vielleicht erinnerst du dich an mich. – Ich bin Büffelsohn. – Als ich noch klein war, schenktest du mir mal einen kleinen Welpen, den deine große schwarze Hündin als vierten warf.« Sie sieht ihn eine Weile prüfend an. Er spürt, daß sie tief in ihn sehen kann. »Ich kenne dich«, nickt sie. »Ja, - 51 -
du warst damals einer der Jungens, die ich mochte. Auch dein Vater war einer von denen, mit dem meine Söhne auf die Jagd gehen konnten.« Sie sieht auf Nancy nieder, die inzwischen auf Fellen liegt. »Auch an das grünäugige Mädchen erinnere ich mich«, murmelt sie. »Ihr Vater war nicht so gut – nicht besonders. – Er verkaufte mir mal Zucker, welcher stark mit feinem Sand vermischt war. – Seine Stoffe waren schlecht. Er war kein ehrlicher Händler. – Doch was kann dieses grünäugige Mädchen dafür.« Sie kniet nun bei Nancy nieder und sieht ihr eine Weile in die Augen. »Du bist auf rauhen Wegen gewandert, Grünauge«, murmelt sie. »Und du bist immer noch nicht am Ende dieser rauhen Wege angelangt.« Sie spricht die Sprache der Hunkpapa-Sioux langsam. »Ich weiß, Großmutter«, murmelt Nancy in der gleichen Sprache und wundert sich, wie leicht sie die Wörter findet, obwohl es länger als ein Dutzend Jahre her ist, da sie mit den Indianermädchen spielte und mit ihnen in die Missionsschule ging von Pater de Smet, welcher damals der erste Weiße war in diesem Land, der mit einem Pflug die Grasnarbe umbrach und Felder und Äcker anlegte. Ihr Gesichtsausdruck scheint ernster zu werden, soweit man dies überhaupt in ihrem runzligen Gesicht erkennen kann. *** Nancy erwacht erst drei Tage später. Sie braucht eine Weile, bis sie sich wieder an alles erinnern kann, und es scheint ihr in ganz, ganz weiter Ferne zurückgeblieben zu - 52 -
sein. Sie fühlt sich auch wunderbar erholt und ausgeruht. Erst als sie unbewußt ihr Bein bewegt und ein leiser Schmerz sie durchzuckt, wird sie sich wieder der Wunde bewußt. Dann sieht sie Wade Oakland durch die Zeltöffnung eintreten: Er hockt sich bei ihr nieder und sieht in ihren Blick hinein. Sie betrachten sich lange. »Seit wann sind wir hier?« So fragt sie und wundert sich, daß ihre Stimme ganz kräftig und geschmeidig klingt. »Drei Tage«, sagt er. »Ich flößte dir stündlich einen besonderen Saft ein, der dich in einem Tiefschlaf hielt und dir auch die Schmerzen nahm. Kanaskabeere sagte mir, daß du dich wohl fühlen und keinen Hunger haben wirst. – Es muß eine Art Zaubersaft sein. Anders kann man es wohl nicht nennen. – Oder fühlst du dich nicht prächtig?« Sie nickt. »Sehr«, sagt sie. »Doch was ist mit meinem Bein? Wie schlimm ist die Wunde? – Wenn ich durch den Saft keine Schmerzen spüren kann, dann …« Sie verstummt erschreckt von einem jähen Gedanken. Aber er lächelt auf sie nieder. »Die Wunde ist nicht mehr entzündet. Sie schließt sich nun. Ich sah sie heute morgen. Kanaskabeere hat einen Kräuterfladen draufgebunden. – Du wirst bald wieder gehen und reiten können. – Und dann brechen wir auf nach Montana. – Ich will jetzt zusehen, daß ich dir etwas Fleischsuppe bringe. Du bist dünn geworden, Mädchen. Und wenn du auch keinen Hunger spürst, so ist dein Magen jedoch bestimmt leer.« Er will sie verlassen. Doch sie greift nach seiner Hand. - 53 -
»Halt – noch einen Moment, Wade.« »Ja, Nancy?« »Ich danke dir, Wade. – Ohne dich …« »Ach, sei nur still«, unterbricht er sie. »Ich stehe tief in deiner Schuld. Und was das Schlimmste ist …« Nun spricht er nicht weiter, weil er erkennt, daß er etwas sagen will, wozu er kein Recht hat. »Was ist das Schlimmste, Wade?« Sie fragt es sehr ruhig und bestimmt, so als ahnte sie schon, was er sagen wird, und wäre deshalb darauf vorbereitet. Er zögert, überlegt, ob er irgendeine Ausrede benutzen soll. Doch dann will er ehrlich sein. »Daß du von mir – und vielleicht auch von anderen Männern – so sehr enttäuscht worden bist«, murmelt er. »Denn du bist eine Frau geworden, die gewiß eine Menge Liebe und Wärme verschenken könnte. Du warst ja schon als Mädchen so lieb und gut. Weißt du, ich komme mir vor, als hätte ich damals ein Verbrechen begangen. – Ich bedaure dies sehr. Meine einzige Entschuldigung ist, daß ich damals noch ein wilder und recht dummer Junge war. – Es wäre schön, wenn du eines Tages wieder einen Mann lieben und ihn beschenken könntest mit all den guten Dingen, die eine Frau verschenken kann.« Sie schließt einen Moment ihre Augen. Als sie sie wieder öffnet, ist ihr Blick härter und verschlossen. »Nein«, sagt sie, »ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Ich werde keinen Mann mehr lieben – nie mehr wieder. – Aber ich bin dir sehr dankbar, Wade. Und ich weiß, daß du nicht mehr dieser dumme und wilde Junge bist, dem es allein darauf ankam, ein Mädchen zu - 54 -
erobern. Ich weiß, daß du ein Mann wurdest, wie es wahrscheinlich so leicht keinen zweiten zu finden gäbe. – Aber es ist vorbei. – Wade, ich bin schon in der Hölle gewesen, glaub es mir. – Ich bin nicht mehr gut genug für einen Mann, der mich liebt. – Denn ich kann nicht mehr lieben – nie wieder.« Er nickt. Sie läßt seine Hand los. »Ich hole dir die Suppe«, sagt er, und seine Stimme klingt belegt und zittert ein wenig. Seine Worte kommen ihm dumm vor. *** Am nächsten Tag kommt Cheyenne-Jones Mullegan ins Dorf, und auch er ist ein Mann, den die Indianer als zumindest noch neutral betrachten und der es auch noch wagen kann, in ein Indianerdorf zu reiten. Er hat zu oft mit den Sioux, den Vettern der Cheyennes, zu denen seine Mutter gehörte gejagt. Er kennt alle wichtigen Häuptlinge und Krieger und wird von ihnen als großer Jäger und Kämpfer geachtet. Er kommt also ins Dorf und reitet bis zu Galls Zelt, allerdings umringt von all den Kindern und Hunden, wie es stets üblich ist, wenn Fremde kommen. Natürlich sind auch einige Krieger bereit, ihn bei der geringsten Feindseligkeit vom Pferd zu schießen. Wade Oakland beobachtet das alles aus einiger Entfernung. Doch bevor Jones Mullegan absitzt, fliegt sein Blick noch einmal über alle Köpfe hinweg in die Runde und bleibt dann auf ihm haften. Mullegan reitet ein Pferd der US Kavallerie. Gall empfängt ihn vor dem Zelt Sie unterhalten sich, machen die üblichen Bewegungen und Gebärden einer - 55 -
Begrüßung. Dann verschwinden sie im Zelt. Einige Krieger folgen. Aber Wade Oakland braucht nicht sehr lange zu warten. Dann wird er ebenfalls ins Zelt geholt. Er nickt Mullegan zu und setzt sich in den Kreis, nimmt die gleiche Haltung ein wie die Krieger. Er erinnert sich auch daran, daß Mullegans Mutter – eine Häuptlingstochter der Cheyenne aus der Sippe von Zwei Monde – auch weitläufig mit Galls Sippe verwandt war, weil es ja immer wieder vorkam, daß sich Sioux-Krieger Cheyenne-Mädchen nahmen und auch umgekehrt. Mullegan ist hier fast bei seinem richtigen Vetter. »Er sagt, du hättest ihm und seinen Begleitern die Pferde gestohlen«, sagt Gall trocken und hat dabei ein Lächeln um die Mundwinkel und in den Augen. Wade Oakland sieht Mullegan an, einen schrägäugigen Burschen, lang, zäh und mongolenbärtig. Mullegan grinst. »Gut gemacht, Wade«, sagt er. »Du bist ein erstklassiger Pferdestehler. Ich bin gekommen, um die Gäule zurückzuholen. – Na, was sagst du dazu?« Wade Oakland grinst nur. Dann zieht er seinen Geldbeutel aus der Tasche, den die Sergeanten zum Glück nicht bei ihm fanden, als sie ihn betrunken gemacht hatten und zum Fort schleppten. Er nimmt ein Zwanzigdollar-Goldstück heraus und wirft es Mullegan zu. »Mit dir will ich keinen Streit, Mullegan«, sagt er. »Kauf dir ein neues Tier. Für dieses Goldstück bekommst du ein gleichwertiges. – Und deine Begleiter sind selbst schuld. – Warum jagen sie auch ein Mädel. – Findest du das in Ordnung?« Mullegan betrachtet das Goldstück so, als überlegte er, - 56 -
ob er hineinbeißen sollte oder nicht. Dann wirft er es ihm wieder zurück. »Eigentlich möchte ich auch keinen Streit mit dir, mein Junge«, grinst er, »doch ich habe meinen guten Ruf zu verlieren und muß auf mein Prestige achten. Denn wenn es sich herumspricht, daß man mir so leicht die Pferde stehlen kann, versucht das bald jeder Spaßvogel. – Nein, mein Junge, du hast die Pferde gewiß schon als Gastgeschenk weitergegeben. – Aber dafür muß du jetzt bei mir geradestehen. – Wir werden vor das Dorf gehen und die Sache austragen. Ich will Genugtuung. – Und bei Pferdediebstahl ist es wie beim Frauenraub. – Der Entführer muß dem Geschädigten Genugtuung geben. – Das gilt bei allen Stämmen. – Und wir handeln ebenfalls danach. Hast du etwas dagegen, Gall?« Die Unterhaltung wurde in Hunkpapa-Sioux oder vielmehr Hunkpapa-Dakota geführt, so daß Gall und die Krieger jedes Wort verstehen konnten. Sie blieben stumm, doch ihre Augen funkelten. Gall sieht Wade Oakland an und erkennt in dessen Augen die absolute Furchtlosigkeit. Er weiß aber auch, daß er die Pferde an Mullegan zurückgeben muß, wenn Wade Oakland verliert. Dies erfordert die Anstandsregel. Diese Regel ist nicht ganz einfach. Ein Mann kann einem anderen Mann die Frau oder das Pferd nehmen. Aber er muß diesem Mann oder einem von dessen Söhne oder Vater Genugtuung geben. Und wenn er verliert, muß die Beute wieder zurückgegeben werden an den ersten Besitzer. So ist das nun mal. Gall nickt. »Ja, ihr könnt außerhalb des Dorfes kämpfen. – Und der Bestohlene bestimmt die Waffen.« - 57 -
Mullegan nickt zufrieden. »Hast du gehört, Pferdestehler? – Wir treffen uns in fünf Minuten bei dem roten Felsen am Fluß. – Ich werde im Sattel sitzen und einen Colt mit sechs Schuß darin bei mir haben. – Wenn wir uns nahe genug sind, werde ich ohne jedes weitere Wort auf dich schießen. Und ich werde dich zu Pferde immer wieder angreifen, bis zu deinem oder meinem letzten Atemzug.« Damit hat Mullegan alles gesagt. Sie erheben sich alle. Wade Oakland geht zu dem Zelt hin, in dem Nancy und er wohnen. Vor dem Zelt ist sein Sattelpferd angebunden. Das ist so üblich. Jeder kampffähige Krieger hat in solchen Dörfern Tag und Nacht ein reitfertiges Pferd in Reichweite, so daß er sich binnen weniger Sekunden beritten machen und einem Feind entgegenwerfen kann. Wade überlegt sich, ob er gleich aufsitzen und fortreiten soll. Er starrt einige Atemzüge lang auf den Zelteingang. Aber dann geht er doch hinein. Nancy sieht ihm entgegen. »Wer ist gekommen?« So fragt sie und zeigt damit, daß sie alle Geräusche und Rufe im Dorf wohl zu deuten vermag. »Der Scout deiner Verfolger«, erwidert Wade Oakland ruhig. »Mullegan ist gekommen, Cheyenne-Jones Mullegan. – Und ich muß mit ihm kämpfen.« Sie erschaudert. Dann nickt sie. »Ich danke dir«, murmelt sie, »daß du dich diesmal nicht weggeschlichen hast, sondern herge kommen bist, um mir zu sagen, was geschehen könnte. Ich danke dir wirklich, Wade.« - 58 -
Er nickt, schluckt etwas mühsam und sagt dann: »Vielleicht bin ich gleich tot, Grünauge. Dann kann ich nichts mehr für dich tun. – Laß dir sagen, daß ich mich in dich verliebt habe. – Aber es ist anders als damals. – Diesmal liebe ich dich mit dem Herzen. – Wirklich.« Nach diesen Worten geht er. Und sie ruft ihm nichts nach – kein Wort. Doch in ihren Augen stehen Tränen. Jetzt geht es dir so wie damals mir, denkt sie. Du tust mir leid, Wade Oakland, aber ich kann dir nicht helfen. – Du tust mir leid. Denn ich kann nicht mehr mit dem Herzen lieben – nie wieder. *** Als er hinüber zum roten Felsen am Creek reitet, da wartet Cheyenne-Jones Mullegan schon auf ihn. Und fast das ganze Dorf hat sich eingefunden. All die Krieger, Frauen und Kinder warten in weiter Runde. Solch einen Zweikampf zweier berühmter Krieger läßt sich ein Indianer nicht entgehen. Zu sehr hängt oft genug sein Überleben von seiner Fähigkeit zum Kämpfen ab. Der Kampf der Krieger ist also etwas von größter Wichtigkeit. Und schon die kleinen Knaben sollen sich an solchen Kämpfern ein Beispiel nehmen. Wade Oakland reitet langsam auf Jones Mullegan zu. Als er sieht, daß dieser seinen Colt schon schußbereit in der Hand hält, nimmt er auch seine Waffe heraus. Dabei wird ihm klar, daß er überleben muß – und dies nicht nur aus eigenem Selbsterhaltungstrachten, sondern auch wegen Nancy. Ohne ihn wird Nancy nie wieder von den Indianern wegkommen. Er kämpft also nicht nur für sein Leben, sondern auch - 59 -
für Nancy. Als er sieht, daß Cheyenne-Jones Mullegan seinem Pferd die Sporen gibt, es anspringen läßt, da treibt auch er sein Tier an. Und er kennt den ersten Trick, den Mullegan wahrscheinlich anwenden wird – oder besser gesagt, er ahnt ihn, weil auch er in diesem Land aufgewachsen ist mit Indianern, die schon von Kindheit an seine Freunde waren. Mullegan nähert sich ihm in wildem Galopp. Er läßt sein Pferd absichtlich so wild springen, um im Sattel kein ruhiges Ziel zu bieten. Und dann kommt sein großer Trick – von dem er meint, daß es ein Trick sein würde. Etwa zehn Pferdesprünge weit von Wade Oakland noch entfernt reißt Mullegan sein Tier zur Seite, so daß es Wade Oaklands Richtung kreuzt. Dabei verschwindet Mullegan vom Pferderücken und taucht mit seinem Kopf, Arm und einem Stück Schulter unter dem Pferdehals vor der Pferdebrust wieder auf. Sein Revolver sticht gegen Wade Oakland vor. Aber dieser schießt einen Sekundenbruchteil früher. Er hat schon auf diese Stelle unter dem Pferdehals gezielt, bevor Mullegan in der nächsten Sekunde dort zum Vorschein kommt. Auch Mullegan schießt noch. Die Kugel fetzt an Oaklands linkem Oberarm entlang. Aber Mullegan kann sich nicht mehr am Pferd festhalten. Er fällt, bleibt jedoch mit dem Fuß im Steigbügel hängen. Das Pferd schleift ihn noch ein Stück über den rauhen Erdboden, bevor es anhält. Wade Oakland reitet hinüber, sitzt ab und befreit Mullegans Fuß. Mullegan erwacht aus seiner Betäubung. Er liegt auf - 60 -
dem Rücken und sieht zu Wade Oakland empor. »Gut gemacht«, grinst er verzerrt. »Ich hätte mir einen besseren Trick einfallen lassen müssen, mein Junge.« Wade Oakland nickt nur. Er sieht, daß er Mullegans Schulter dicht unter dem Schlüsselbein durchschossen hat. Es ist die Schulter, deren Arm den Revolver hielt. Mullegan mußte die Waffe fallen lassen. »Was kann ich für dich tun, Mullegan?« So fragt er. Dieser starrt schrägäugig zu ihm empor. »Du könntest mir jetzt eine Kugel durch den Kopf schießen, mein Junge.« Oakland nickt. »Ja, das könnte ich«, sagt er kühl. »Doch ich bin kein Mörder. Überdies wolltest du den Kampf – nicht ich. – Ich will dir immer noch zwanzig Golddollar für dein Pferd geben.« Mullegan schließt einen Moment seine Augen. Als er sie öffnet, ist in seinem dunklen Blick ein Ausdruck von Staunen. »Ich glaube«, murmelt er dann, »ich werde sie nehmen, sobald meine Wunde versorgt ist. – Ein oder zwei Tage werde ich hier verschnaufen müssen. – Wir haben gekämpft, und du hast gewonnen. Zumindest weiß jetzt jeder, daß man, wenn man mir Pferde stiehlt, auch mit mir kämpfen muß.« *** Als er in das Zelt tritt, hat Nancy sich aufgesetzt. Ihr Gesicht ist noch blasser als zuvor. Er hockt sich neben ihr nieder, sieht sie an. »Glück gehabt«, grinst er schief. »Und ich habe ihn auch nur verwundet. – Es ging ihm wohl nur darum, sein - 61 -
Prestige zu wahren. – Weißt du, wir alle, die wir schon in der Kindheit mit den Indianern so eng in Berührung kamen oder sogar – wie Mullegan – Indianerblut in uns haben, sind in unserem Fühlen und Denken doch sehr von ihnen beeinflußt worden. – Nun, Mullegan wird ein oder zwei Tage ausruhen. Kanaskabeere wird ihm ein Zaubermittel auf die Wunde legen, so daß sie sich nicht entzündet und schnell schließt – und dann wird er fortreiten. »Zu diesem Fred Hacket zurück, der mit einem Marshal und zwei Killern hinter mir her ist«, sagt sie. In ihrer Stimme ist ein harter und bitterer Klang. Er sieht sie an und erkennt die Furcht in ihren Augen. Und aus dieser Furcht heraus sind auch ihre weiteren Worte gesprochen. Sie sagt: »Er wird meinen Verfolgern sagen, wo sie mich finden können.« »Na und?« So fragt Wade Oakland nur. Erst nach einigen Atemzügen fügt er hinzu: »Mullegan konnte sich in dieses Dorf wagen – aber diese Burschen vom Mississippi doch nicht. – Du bist hier sicher. Und wenn du wieder reiten kannst, brechen wir nach Montana auf. – Na?« Sie sieht nun so aus, als hätte er sie beruhigen können. Sie streckt ihre Hand nach ihm aus. Er nimmt sie in seine beiden Hände, und sie kommt ihm wie ein zuckender und vibrierender Vogel vor. »Ich habe Angst um dich gehabt, Wade«, sagt sie. »Aber ich weiß nicht, ob es deshalb war, weil ich dann allein gewesen wäre – oder ob ich nur allein und ganz ohne eigennützige Gedanken Angst um dich hatte. – Ich weiß es nicht. Das läßt mir keine Ruhe. – Ich weiß, daß ich jetzt Tag und Nacht darüber nachdenken muß, ob ich - 62 -
Angst um dich hatte, weil etwas wiedergekommen ist, was ich längst verloren zu haben glaubte – oder aus purem Eigennutz. – Oha, Wade, du hast dir einen Pechvogel ans Bein gehängt und …« »Eines Tages wirst du eine Glückssträhne haben«, sagt er. »Und was mich betrifft, so habe ich begriffen, wie ich alles wandeln kann in dir. – Du mußt wieder Vertrauen zu mir haben können. – Von dem Moment an, da du mir bis in die Hölle und zurück vertraust und es keine Zweifel mehr in dir gibt, wirst du mich noch einmal lieben können. – Es wird anders sein als damals, nicht mehr die Liebe eines jungen und unerfahrenen Mädchens, sondern die Liebe einer reifen, erfahrenen Frau, der nichts erspart blieb auf dieser Erde. – Aber es wird kommen, wenn ich es fertigbringe, daß du an mich glaubst und mir vertraust.« Sie sieht ihn ernst an. »Ja, das könnte sein«, murmelt sie. »Eigentlich müßte schon jetzt jeder Rest von Mißtrauen in mir verschwun den sein. – Du hilfst einer flüchtigen Spielerin und Abenteuerin, die wegen Mordes verfolgt wird. Du mußtest aus der Armee desertieren, um. mich einholen zu können. – Das alles würde kaum ein anderer Mann getan haben. – Vielleicht wird eines Tages doch alles anders werden und gibt es irgendwo ein Glück …« Er nickt heftig und hält immer noch ihre Hand. »Bestimmt«, sagt er, »ganz bestimmt. – Wir kommen irgendwie durch, Nancy. Ich kämpfe nicht nur für dich, sondern auch für mich. Denn ich will dich haben. Ganz freiwillig sollst du kommen und mir sagen, daß du mich wieder lieben kannst.« Zwei Tage vergehen, und sie leben immer noch von ihrem eigenen Proviant, den Wade damals kaufte und den - 63 -
Nancy dann auf dem Packpferd mit all der anderen Ausrüstung mitführte, als sie in ihrer Not allein nach Montana aufbrach. Manchmal kommt Kanaskabeere, sieht sich die Wunde an, brummt zufrieden und erneuert die Kräuterpackungen. Am Abend dieses zweiten Tages sieht sie Wade an und sagt: »Warum sitzt Büffelsohn ständig bei seiner Squaw im Zelt oder hält sich in nächster Umgebung des Zeltes auf? Warum geht er nicht auf die Jagd wie all die anderen Krieger unseres Dorfes? – Bald wird Krieg sein. Wir brauchen Fleisch und viele andere Dinge, die nur allein der Büffel uns gibt. – Ihr werdet bald Not leiden in diesem Zelt, wenn du kein großer Jäger und Krieger bist, Büffelsohn.« Nach diesen Worten geht sie, ganz und gar wie eine zornige Großmutter, die ihrem faulen Enkel mal die Mei nung sagte. Wade Oakland hockt wieder neben Nancy. Durch den offenen Zelteingang kommt die laue Frühsommerluft. »Mullegan ist fort«, sagt Wade plötzlich. »Ich muß morgen wahrhaftig mit auf die Büffeljagd. In der Nähe soll eine große Herde sein. Wir werden viel Fleisch machen. Ich muß für zwei oder drei Tage weg.« Sie nickt. »Ich fürchte mich nicht«, sagt sie. »Kanaskabeere ist gut zu mir. Und du kommst wieder. – Reite nur mit. – Wenn du zurück bist, kann ich vielleicht schon an einem Stock umherhumpeln.« Er will etwas erwidern, doch da verdunkelt sich der Eingang des Tipis. Gall tritt ein, und sein Gesicht ist ernst. »Es kommen Soldaten«, sagt er. »Sie ziehen hundert - 64 -
Mann stark den Bozeman-Weg herauf und haben auch einen großen Wagenzug mit. – Weißt du etwas über diese Pferdesoldaten und den Wagenzug?« Wade Oakland weiß sofort, daß er jetzt Farbe bekennen muß. Denn der Häuptling kann schon von Cheyenne-Jones Mullegan eine Menge erfahren haben und sich jetzt nur Wades Loyalität versichern wollen – vielleicht sogar mehr als nur Loyalität, nämlich Partei nahme. Mullegan war auf einem Armeepferd hergekommen. Wenn er es von Captain Otis Vorhut bekommen hatte und wenn er Gall einen Tip gegeben hat … Wade Oakland denkt nicht weiter. Gall weiß, daß er, Wade, vor wenig mehr als einer Woche noch im Fort war und dort sogar die blaue Uniform trug. Er kann sich nicht rausreden. Und so sagt er schon bald: »Dieser Captain ist ein Narr, ein eitler, arroganter Narr, der nichts von Indianern versteht und noch niemals in diesem Land war. Er soll ein Fort am Bozeman-Weg errichten. Vielleicht ist er dazu besonders geeignet. Bald wird er die Eichenblätter eines Majors tragen. Der Wagenzug bringt alles, was zum Fortbau und zur Einrichtung nötig ist. – Mehr weiß ich auch nicht, Freund Gall.« Dieser sieht ihn einige Sekunden lang stumm an. Doch er fragt Wade nicht, warum dieser ihm dies alles nicht schon meldete. Nein, er fragt nicht. Er ist fair. Er nickt nur stumm und wendet sich zum Gehen. »Ich will morgen mitreiten auf Büffeljagd«, sagt Wade in diesem Moment. Gall sieht ihn noch einmal fest an. Dann nickt er. »Ja, das wäre gut«, sagt er. »Ich kann jetzt nicht mehr viele Krieger auf Büffeljagd schicken – und dennoch - 65 -
brauchen wir viel Fleisch. – Wir müssen das ganze Jahr mehr Trockenfleisch machen als in den Jahren zuvor. – Denn es wird Krieg geben. Große Vorräte von allem, was uns der Büffel gibt, sind notwendig. – Ja, geh mit zur Büffeljagd. – Töte viele Büffel.« Nach diesen Worten geht er. *** Als Nancy am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang erwacht, ist Wade fort. Sie hört noch ein Pferd, welches vorsichtig aus der Nähe des Tipis weggeführt wird, und weiß, daß er es ist, der sich so still und leise entfernt, um sie nicht zu wecken. Komm wieder, denkt sie, oh, komm wieder, Wade! – Denn was mache ich ohne dich? Ich brauche dich, Wade. Sie bewegt das verwundete Bein zur Probe. Es sind kaum noch Schmerzen darin. Die Wunde hat sich geschlossen und spannt nur noch, wenn sie sich bewegt. – Aber in zwei oder drei Tagen wird sie gewiß an einem Stock herumhumpeln können. Dann braucht sie nicht mehr den ganzen Tag zu liegen und zu sitzen. Sie muß zu Kräften kommen. Denn sie will nicht länger in einem Tipi liegen und keine Minute länger in Galls Dorf bleiben als nötig. Sie denkt darüber nach, wie sehr sich doch alles verändert hat. Jetzt liegt sie in einem stinkenden Tipi und hat Flöhe und Läuse. Aber das ist nichts gegen die ständige Angst, daß Fred Hacket sie doch noch erwischt und mit Hilfe des Marshals und der beiden Revolvermänner zurück nach - 66 -
Saint Louis bringt. Sie weiß, daß es in der Geschichte des Westens einige Male schon passierte, daß man auch Frauen hängte. Wahrscheinlich würde man dies auch mit ihr tun. Oh, wenn Wade doch bald wieder da wäre – und wenn sie doch nur bald wieder reiten könnte … *** Als Wade Oakland drei Tage später wieder bei ihr ist, empfängt sie ihn am Zelteingang. Sie stützt sich auf einen Stock – doch sie läßt ihn einfach fallen und breitet ihre Arme aus. Es macht ihr nichts aus, daß er nach Büffel – nach Blut, Schweiß, Innereien, Pferd und Feuerrauch stinkt – nicht viel anders als ein Indianer. Sie schmiegt sich in seine Arme und hält sich an ihm fest. »Oh, Wade, daß du wieder da bist oh, Wade …« Mehr kann sie nicht sagen. In ihren Augen sind Tränen. Er küßt ihr diese Tränen weg und trägt sie ins Zelt. Aber er nutzt diesen Augenblick nicht aus. Er blickt nur ernst auf sie nieder. »Wenn du es schon ganz genau weißt«, murmelt er, »dann küß mich. – Wenn nicht, dann kann ich noch war ten. – Denn ich bin sicher, daß du eines Tages an mich glauben wirst wie an dich selbst.« Da hält sie ihm den Mund hin.
»Ich glaube, ich bin schon sehr sicher«, flüsterte sie.
Am nächsten Tag bringt ein größerer Kriegstrupp
einen Gefangenen ins Dorf. Es ist ein noch junger Lieutenant, den Wade Oakland - 67 -
im Fort zwei- oder dreimal sah, ohne ihn jedoch zu kennen. Der blonde und rotgesichtige Junge ist ziemlich mitgenommen von einer sehr rauhen Behandlung. Doch er ist noch nicht zerbrochen, winselt noch nicht ums Leben. Aber das kommt vielleicht noch. Wade Oakland hört dann, wie ›Büffelkrähe‹, der den Kriegstrupp geführt hatte, seinem Häuptling Gall berichtet. Und das hört sich so an: »Dieser kleine Soldatenhäuptling saß mit heruntergelassenen Hosen zwischen zwei Büschen. Was er machte, machte er ziemlich laut – auch konnten wir es riechen. Der hatte was gegessen, was ihm nicht bekommen war. – Wir dachten, daß es gut wäre, ihn mitzunehmen und zu dir zu bringen. – Dann kannst du ihn fragen, was die Milihanska in unserem Land vorhaben.« Gall nickt sofort und findet diesen Einfall offenbar auch für recht gut. Er blickt in die Runde und winkt Wad Oakland herbei. Obwohl Gall einigermaßen Englisch spricht und noch besser versteht, nickt er Wade zu. »Rede mit ihm«, sagt er. »Da er ein kleiner Soldatenhäuptling ist, weiß er gewiß mehr als du, Büffelsohn. – Also frage ihn, wo sie das Fort bauen wollen. – Das muß ich wissen.« Wade Oakland drängt sich langsam durch den Kreis, bis er vor dem jungen Offizier steht. Sie haben den Lieutenant an einen Baum festgebunden, den sie seiner Krone und aller Äste beraubten, so daß er zu einem Pfahl wurde inmitten des Dorfes. Der blonde Junge grinst bei seinem Anblick. »Aaaah, ein Renegat«, sagt er. »He, sind Sie nicht - 68 -
dieser Wade Oakland, der vor fast zwei Wochen aus dem Fort desertiert ist?« Wade Oakland nickt, und er sieht dem Jungen an, daß dieser tief in seinem Kern vor Angst nur so zittert. Die Forschheit dieses Lieutenants ist nur scheinbar. »Ich bin Wade Oakland, mein Junge.« »Sie verdammter Deserteur! Sie Schwein! Wenn man Sie erwischt, wird man Sie … Aaaah, kommen Sie noch einen Schritt näher, damit ich Sie vor meinem Tod noch anspucken kann!« Wade Oakland schüttelt den Kopf. »Man hat mich betrunken gemacht und meine Unterschrift gefälscht«, sagt er. »Ich wurde von einem Captain, einem Rekrutenoffizier und drei Sergeanten reingelegt, mein Junge. Ich wollte nie in die Armee. – Und weil man mich gegen meinen Willen in die Uniform zwang, fühle ich mich auch nicht als Deserteur. – Du aber hast verloren, Junge. Ich kann dir nicht helfen. – Aber du kannst deinen Tod etwas leichter machen, indem du redest. – Wo soll Captain Otis das Fort errichten? – Sage es genau. – Nur dann wirst du dich nicht wimmern hören.« »Nein«, knirscht der Junge – und innen ist er schon halb verrückt vor Angst. Wade sieht es in seinen Augen. Doch, er kann nichts für ihn tun – gar nichts. Dieser Junge ist verloren. Wade Oakland wendet sich Gall zu, und er braucht diesem nichts zu sagen. Denn Gall hat zugehört und alles gut verstanden. Gall nickt ihm zu, und Wade Oakland weiß, was dieses Nicken zu bedeuten hat. Er kann – wenn er will – fortgehen. Das tut er auch, ohne ein Wort zu sagen. - 69 -
Die Indianer bilden für ihn eine Gasse. Sie verstehen ihn und respektieren, daß er nicht dabeisein will, wenn sie einem Weißen den Trotz brechen und ihn zum Reden bringen. Er weiß, daß er weit fortgehen muß, um ihn nicht brüllen zu hören. Er geht zu Nancy. Ihr Zelt steht am Ende des Dorfes. Sie erwartet ihn, sieht ihn an, fragt jedoch nichts. Sie spürt offenbar genau, daß er innerlich ziemlich durcheinander ist und mit dem Problem erst noch fertig werden muß. Erst nach einer Weile sagt sie: »Wenn du willst, Wade, können wir morgen schon reiten. Ich würde es durchhalten können.« An ihren Worten erkennt er, daß sie Bescheid weiß. Sie sieht ihn an und nickt. »Ja, Wade – reiten wir. – Morgen …« Und sie beugt sich zu ihm hinüber und bietet ihm den Mund zum Kuß. »Ich bin froh«, murmelt sie, »daß du nicht wie ein Indianer fühlst. Denn wir sind Weiße. Wir sind zwar Verfolgte, sind geächtet – aber wir können nicht wie Indianer denken und handeln. Obwohl wir in der engsten Nachbarschaft von Indianern aufwuchsen, obwohl viele unsere Spielkameraden waren, sind wir doch weiß und nicht rot. – Ja, wir müssen fort.« Er nickt – doch er wirkt sehr nachdenklich. Nach einer Weile murmelt er: »Dabei gibt es für mich keinen Zweifel daran, daß die Roten im Recht sind. – Wir Weiße kommen mehr und mehr über sie wie eine Krankheit. – Wir verjagen sie überall, bestehlen und betrügen sie, brechen alle Verträge und sind darauf aus, sie restlos von dieser Erde zu jagen. – Ich glaube, ich wäre wie Gall, - 70 -
würde ich ein Roter sein. Ja, ich wäre wie Gall. – Doch ich bin ein Weißer. Ich fühle wie ein Weißer.« »Ja, die alten Zeiten sind vorbei«, erwidert Nancy. »Aber sind wir selbst so rein, daß wir uns zu Richtern machen können über alle Dinge? – Wade, meine Wege waren rauh. – Ich war an den großen Strömen eine Spielerin. – Man nannte mich ›Gamble Queen‹. Ich war bekannt auf den großen Luxusdampfbooten. Und es gab immer Männer, die mich zuerst am Spieltisch besiegen wollten, um dann danach auch noch alles andere bekommen zu können.« »Und?« So fragt er. »Haben sie es bekommen?« Sie schüttelt den Kopf. »Mich konnte kein Mann am Spieltisch besiegen.« »Dann mußt du ja steinreich sein, Nancy!« sagt er überrascht. Sie erwidert eine Weile nichts. »Das Dampfboot«, sagt sie, »gehörte eigentlich mir. – Jedenfalls wurde es von meinen Spielgewinnen gekauft. – Es war ein großes Luxusschiff. – Es kostete mehr als hunderttausend Dollar. – Aber ich – ich gehörte Nils Hacket. – Verstehst du? Er und sein Bruder Fred, der mich jetzt mit zwei Killern verfolgt, waren meine Beschützer. Ich liebte Nils Hacket – und ich gab ihm mein Geld. – Verstehst du mich jetzt besser, Wade?« Er nickt. Und er möchte sie fragen, warum sie Nils Hacket erschoß. Aber er läßt es bleiben. Er ist sicher, daß sie es ihm noch erzählen wird. Denn sie wird immer mehr den Wunsch haben, sich aussprechen zu können. Sie vertraut ihm schon wieder sehr. Sie ließ sich von ihm küssen. Ja, sie wird ihm eines Tages alles erzählen, um mit - 71 -
ihm neu anfangen zu können, irgendwo. *** Als sie am anderen Morgen aufbrechen, ist es noch still im Indianerdorf von Gall. Doch die meisten Krieger sind ohnehin fort – und die wenigsten dieser Krieger jagen jetzt noch Büffel. Gall ist gekommen, um Abschied zu nehmen. Bevor Wade Oakland aufsitzt, tritt er vor den jungen Häuptling hin. Sie sind von gleicher Größe, doch Gall ist noch muskulöser. Er ist ein sehr großer Indianer, obwohl die Sioux und Cheyennes ohnehin zu den großwüchsigen Indianervölkern gehören; sie sind zum Beispiel größer als die Apachen und Komantschen im Süden. »Du verstehst mich, Gall?« So fragte Wade Oakland. Der Häuptling nickt. »Wer bei uns lebt, muß rot werden«, sagt er. »Ihr könntet es nicht. – Aber ich verstehe es, weil ich unter den Weißen nicht weiß werden könnte. – Das ist so. – Die alten Zeiten sind vorbei – und die alten Freunde sind bald keine Freunde mehr. Ich wünsche euch Glück.« Sie reichen sich nicht die Hände. Es ist etwas zwischen ihnen. – Und wenn sie sich noch einmal in diesem Land begegnen sollten, dann werden sie vielleicht Feinde sein. – Ja, das wäre möglich. »Ich wünsche dir und deinem Volk wirklich von Herzen alles, was auch ihr euch wünscht – gute Jagd, Frieden, Glück, eine sichere Zukunft …« »Das alles wird es nicht geben«, unterbricht ihn Gall. »Und wir können nicht fortlaufen wie du und Grünauge. Wir müssen bleiben, uns stellen und kämpfen, immer wieder kämpfen, bis es den Weißen klar ist, daß man uns - 72 -
gegenüber alle Verträge einhalten muß, daß man uns gegenüber kein Wort brechen darf – und daß auch wir Menschen des gleichen Gottes sind, die ein Recht auf ihre Heimatweide haben, – Wir müssen so hart kämpfen, bis es klar wird, wie teuer es kommt, uns bestehlen und betrügen zu wollen. – Viele Indianer werden sterben müssen, damit es deren Kinder und Kindeskinder eines Tages besser haben können. – Das ist mein Kampf. – Reite mit Grünauge – reite! – Denn auch du kannst letztlich nicht aus deiner Haut.« Da sagt Wade Oakland nichts mehr. Mit Nancy und ihrem Packpferd reitet er davon. Er blickt nicht zurück. *** Sie reiten langsam an diesem Tag, machen viele Pausen und meiden den Bozeman-Weg. Aber manchmal kreuzen sie den Wagenweg nach Montana – und dann sehen sie die deutliche Fährte von Captain Otis' Truppe und dem ihr folgenden Wagenzug, welcher ebenfalls unter starker Bedeckung nach Norden zieht. Sie sehen auch die Indianerfährten rechts und links des Wagenweges und erkennen daran, daß Captain Otis nicht mehr allein durch das Land zieht. Er wird begleitet von einer zunehmenden Zahl von Jagd- und Kriegstrupps. Gewiß werden jetzt längst schon alle Dör fer der einzelnen Stämme benachrichtigt – und viele Jagdtrupps brechen die Büffeljagd ab und reiten zum Bozeman-Weg, um sich das alles anzusehen und zu beraten. Zwei- oder dreimal sehen Wade und Nancy Indianertrupps in der Ferne. Nachmittags treffen sie auf Büffelkrähe, der zwei Dutzend Krieger hinter sich hat. - 73 -
Sie wechseln nur wenige Worte, Büffelkrähe und seine Krieger wissen, daß Wade und Nancy aus Galls Dorf kommen. Deshalb tun sie ihnen nichts. Aber es herrscht keine Freundlichkeit mehr zwischen ihnen. Büffelkrähe sagt jedoch zum Abschied: »Laß dich nur nicht von den Blaubäuchen erwischen, Büffelsohn. – Deren Scouts schwärmen überall umher. – Und auch Cheyenne-Jones ist noch in der Gegend. Der hat vielleicht auf euch gewartet. – Paßt nur auf.« Wade Oakland und Nancy Juleman schweigen lange – auch dann noch, als Büffelkrähe und dessen Kriegstrupp längst schon in den Hügeln verschwanden. Wade Oakland macht sich nun noch größere Sorgen. Denn wenn Cheyenne-Jones Mullegan immer noch in der Gegend ist, dann doch nur allein deshalb, um ihnen aufzulauern. Jones Mullegan ist gefährlich, und weil er ein Halbblut ist – weitläufig verwandt mit Gall –, lassen ihn die Indianer zufrieden. – Vielleicht warten der Marshal und dieser Fred Hacket an einem sicheren Ort auf ihn und darauf, daß er ihnen Nancy bringt. Doch um Nancy zu bekommen, muß er Wade Oakland erst töten. Dies hatte er schon versucht. Es war ihm nicht geglückt. Er war verwundet worden, hatte also vor den Augen eines ganzen Dorfes verloren – und dann schenkte ihm Wade Oakland auch noch das Leben. Das alles war für Jones Mullegan eine Schlappe. Vielleicht brennt er schon allein aus Ehrgeiz darauf, zum Schluß doch noch Sieger sein zu können. »Wir müssen uns wohl jetzt noch mehr vorsehen, Wade«, sagt Nancy schlicht. Er nickt. - 74 -
»Ja, sehr. – Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Nancy.« »Ich mache mir Sorgen«, lächelt sie, »große sogar. – Um dich und um mich. – Und dennoch bin ich ganz ruhig, seit ich mit dir wieder reite. – Ich glaube jetzt daran, daß wir irgendwie durchkommen werden. – Ich will es so sehr, weil ich nun schon zu hoffen wage, daß wir beide gemeinsam einen neuen Anfang finden werden. Ich bin wirklich ganz ruhig und vertraue dir, Wade.« Sie reiten nun weiter – und er hält jetzt noch weiteren Abstand zum Bozeman-Weg, riskiert viele Umwege und sucht für sie später in den Hügeln ein sehr verborgenes Camp. Sie schläft dann in seinen Armen unter einer gemeinsamen Decke. Ja, sie sind wieder ein Paar. Das kam ganz natürlich. *** Sie brechen früh auf, denn es wird ein heißer Tag werden. Nancy hat ihren gestrigen Ritt gut überstanden. Sie spürt natürlich Muskelschmerzen und Ver krampfungen. Doch Wade massiert sie ein wenig. Er freut sich, daß sie nun schon ohne Stock gehen kann und nur wenig hinkt. Als er sie in den Sattel hebt, blickt sie lächelnd auf ihn nieder. »Wade, es ist schön, mit dir zu reiten«, sagt sie. »Du bist ein Mann geworden, wie ich ihn mir besser nicht vorstellen könnte. – Es ist auch schön, durch die alte Heimat zu reiten. – Das Leben in den Spielsälen und auf den noblen Saloonschiffen war sehr übel. – Und viele Menschen, die sich ein nobles und seriöses Aussehen - 75 -
geben, die sind der letzte Dreck der Erde. – Es ist überall wie hier. Es gibt überall Jäger und Gejagte, Fresser und solche, die gefressen werden. – Hier ist es nur ehrlicher. – Dort in der sogenannten Zivilisation tarnt sich das Raubwild besser. – Wirklich, Wade, es ist schön, mit dir durch die alte Heimat zu reiten.« Er nickt. Dann sitzt auch er auf, nimmt die Leine des Packpferdes – und dann reiten sie. Als die Sonne aufgeht, ändert er wieder einmal die Richtung. Es ist möglich, daß Jones Mullegan sich schon einige Male in einen Hinterhalt legte und dann – nutzlos wartete, weil er Wade Oaklands Richtung falsch berechnete und dieser dann in einiger Entfernung am Hinterhalt vorbeigeritten kam mit Nancy. Wade biegt mit Nancy vor einer Hügelkette ab, um den Hügel an der Basis nach Osten zu umreiten und dann über einen Hügelsattel hinweg wieder den Weg nach Norden einzuschlagen. Wade Oakland achtet wahrscheinlich nicht genug auf das Land hinter sich. Er hört den Schuß erst, als ihn die Kugel aus dem Sattel stößt. Sie trifft ihn wie ein Pferdetritt, durchschlägt ihn aber glatt – und eigentlich fällt er aus dem Sattel, weil er es so haben will. Er hätte sich vielleicht noch am Pferdehals oder Sattelhorn festhalten können. Er schlägt ziemlich schwer auf und stöhnt vor Schmerz. Es wird ihm schwarz vor Augen. Durch seine halbe Bewußtlosigkeit hört er Nancys Schrei. Dann kniet sie neben ihm. Er aber hat am Boden seinen Colt schon in der Hand und blinzelt sie an. - 76 -
»Er will dich«, knirscht er. »Also ergreife die Flucht und locke ihn an mir vorbei. – Hinter der nächsten Bodenwelle lasse dich einholen. Gib einfach auf. Wenn er mit dir beschäftigt ist, werde ich wieder zur Stelle sein. – Ich geb' es ihm, verlaß dich drauf.« Er zischt die letzten Worte eilig. Sie verharrt noch zwei Atemzüge lang bei ihm in der Hocke, hat ihre Hand auf seiner Schulter liegen. Doch dann hat sie auch schon alles begriffen und weiß, daß sie jetzt zusammenarbeiten müssen wie ein Wolfspärchen auf der Jagd. Sie springt auf, wirft sich in den Sattel und ergreift die Flucht. Er schießt nicht hinter ihr her, ein Zeichen, daß er sie lebend bekommen will. Wade Oakland, der am Boden liegt, hört bald schon den Hufschlag eines zweiten Pferdes, auf dem der heimtückische Schütze aus der Deckung hervorgeritten kommt. Der Hufschlag nähert sich. Es wird ihm klar, daß der Bursche dicht an ihm vorbeireiten wird – sehr dicht. Und vielleicht wird der Kerl sogar – so zur Sicherheit – aus nächster Nähe im Vorbeireiten noch einmal auf ihn schießen. Eine zweite Kugel aber könnte er nicht mehr ertragen. Dann käme er gewiß nicht mehr auf die Beine und in den Sattel. Also muß er seinen Plan ändern. Er darf nicht warten, bis Mullegan – wenn dieser es wirklich ist – dicht bei ihm ist. Er faßt den Revolver fester. Dann bereitet er sich darauf vor, daß bei der heftigen Bewegung, die er machen muß, seine Wunde noch sehr viel mehr schmerzen wird als jetzt. Dieser Schmerz könnte ihn - 77 -
ohnmächtig machen. Aber das darf nicht sein. Der Hufschlag ist nun ganz nahe. Nach wenigen Sprüngen wird das Tier dicht bei ihm sein. Da rollt er sich am Boden herum und richtet sich etwas auf, so daß er den Revolverarm freibekommt mit dem Colt. Der Schmerz in seinem Körper ist nun böse und so scharf wie ein Lanzenstich. Aber er sieht Mullegan, der im Vorbeireiten mit dem Colt auf ihn zielt. Mullegan schießt sogar früher. Doch von einem galoppierenden Pferd aus zu schießen, ist nicht so einfach. Wade Oakland schießt zweimal – und er trifft beide Male. Als Mullegan vom Pferd fällt und sich bald darauf am Boden aufrichten will, da schießt er noch mal. Nein, er gibt diesem Mullegan nicht die geringste Chance mehr. Er hatte ihm vor einigen Tagen das Leben gelassen. Was aber brachte ihm dies. Er gibt ihm keine zweite Chance mehr. Als Mullegan dann still am Boden liegt, erhebt er sich und schwankt zu ihm hinüber. Mullegan ist tot. Und Nancy kommt nun zurückgeritten und stößt einen lauten Schrei aus, als sie Wade Oakland stehen sieht. Es ist ein jubelnder Glücksschrei. Denn sie weiß ja noch gar nicht, wie schwer er getroffen ist. Aber sie erfährt es gleich. Sie sieht, wie er sich abwendet, zu seinem Pferd tritt und in den Sattel kommen will. Aber er schafft es nicht. »Hilf mir, Nancy – komm und hilf mir«, hört sie ihn knirschend fordern. »Denn wenn ich jetzt gleich nicht in den Sattel komme, bringst du mich nicht allein hinauf. – - 78 -
Und wir müssen ein verborgenes Camp aufschlagen. – Wir müssen einen guten Platz finden. – Hilf mir, Nancy! Nun komm schon!« Sie beeilt sich, beugt sich nieder und hilft ihm. Sie keucht vor Anstrengung, als er endlich sein rechtes Bein über den Pferderücken bekommt und in den Sattel rutscht. Er aber stöhnt vor Schmerz. Sie sieht, daß er vorne auf der Brust und hinten im Rücken dunkle Flecken auf dem Lederhemd hat – und sie sieht die Löcher, die den Ein- und Ausschuß der Kugel markieren. Nun erst begreift sie, wie schlimm er getroffen wurde. Er sitzt nun im Sattel und sagt knirschend: »Und jetzt schneide mir das Lederhemd auf und stopfe mir was in die Löcher. – Besonders das Ausschußloch mußt du zustopfen. Es ist größer als der Einschuß. – Na, Grünauge, mach schon!« Sie klagt und jammert nicht. Sie beißt die Zähne zusammen und handelt. *** Sie reiten Meile um Meile. Manchmal schwankt er im Sattel, und Nancy weiß nicht, wie es möglich ist, daß er durchhält und nicht herunterfällt. Es wird dunkel. Die Nacht bricht an, und er bleibt immer noch im Sattel und führt sie irgendwohin. Manchmal hört sie ihn schmerzvoll stöhnen. Und einmal sagt sie: »Wade, willst du im Sattel sterben? Warum hältst du nicht endlich an, damit ich mich nunmehr richtig um deine Wunden kümmern kann? – Wenn du nicht jetzt vom Pferd steigst, wirst du im Sattel sterben.« Ja, sie ist zornig und hält ihn für unvernünftig. - 79 -
Aber er erwidert: »Wir brauchen einen guten Platz – einen sehr guten. – Sonst finden sie uns. – Und dann …« Er spricht nicht weiter, doch er treibt sein Pferd wieder an. Sie folgt ihm wortlos durch die Nacht. Das Gelände steigt an. Er richtet sich offenbar nach der Silhouette der Berge. Zuletzt geht es auf einem schmalen Felsband schräg hinauf. Dieses Felsband ist so schmal, daß keine zwei Reiter nebeneinander reiten könnten. Es geht ziemlich weit hinauf. Die Pferde schnaufen manchmal ängstlich, und Nancy hat einige Mühe mit dem Packtier. Mond und Sterne leuchten jetzt. Sie erkennt in der heller werdenden Nacht, daß sie sich ziemlich hoch schon in der Ostwand eines breiten Canyons befinden, welcher gewiß zwei Meilen breit ist und von Süd nach Nord sich durch die Sweetwater Mountains windet, die nach Osten zu in die Black Mountains übergehen. Es sind die beiden Gebirge, welche sie von der Laramie-Prairie aus ständig im Norden vor sich sahen. Nancy glaubt sich zu erinnern, daß der Wagenweg nach Norden durch diesen Canyon führt. Weiter im Norden liegt das Quellgebiet des Powder River und dort war sie früher schon als Mädchen mit ihrem Vater und dessen Helfern, als ihr Vater noch Handel mit den Indianern trieb und sie in ihren Dörfern aufsuchte. Sie verlassen nun das schmale Felsband und halten auf einer Terrasse an. »Es geht hier nicht weiter«, sagt Wade Oakland mühsam. »Aber es kann ohne unsere Erlaubnis auch niemand herauf. Hier oben auf der Terrasse gibt es Wasser, Sträucher, Bäume und etwas Gras. – Hier können wir selbst mit drei Pferden eine Woche bleiben. – Also, richte dich ein, Mädchen. – Und wenn du Feuer machst, dann nur so, daß man nichts davon sehen kann. - 80 -
Du mußt es in einer Felsspalte machen, vor der Felsen stehen. – Verstehst du? Und sei vorsichtig. – Ich folgte einmal einem Puma hier herauf. – Und hier oben waren dann gleich drei. – Dies ist ein guter Platz für Pumas.« Als er dies gesagt hat, rutscht er stöhnend vom Pferd. Er ist jetzt endgültig am Ende seiner Kraft angelangt. Er kann nicht mehr. Sie hört es an seinem Stöhnen, welches bitter und irgendwie erleichtert zugleich klingt, schmerzvoll und dennoch fast wie zufrieden. Er sinkt zu Boden – es ist mehr ein Fallen. Und für sie ist nun die Zeit gekommen, etwas für ihn zu tun. Zum Glück wird die Nacht immer heller, so hell, daß man meilenweite Sicht hat und es Schatten gibt. Nancy nimmt zuerst die Packlast vom Pferd, denn sie braucht das Verbandszeug und die Flasche mit dem Schnaps. Als ihr Blick einmal über den weiten Canyon schweift, da entdeckt sie etwas, was sie zuvor noch nicht erkannte – und was auch Wade Oakland nicht hatte er kennen können, weil er gar nicht mehr in der Lage war dazu. Denn er war hier oben am Ende seiner Kraft. Auch lag vielleicht Dunst im Canyon, ja wahrscheinlich sogar. Aber sie sieht es nun. Feuer sind dort weiter nördlich im Canyon – viele Feuer. Zuerst glaubt sie an ein Indianerdorf. Aber dann wird ihr klar, daß dies nicht sein kann. Sie hat schon eine Menge Indianerdörfer bei Nacht gesehen. Nein, dies dort im Canyon sind die Feuer weißer Männer. Sie starrt einige Atemzüge lang hinunter, bewegt sich nicht. - 81 -
Und sie begreift, daß dort Captain Tom Otis' Truppe und der Wagenzug ein großes Camp haben. Die Entfernung in Luftlinie beträgt etwa zwei Meilen, vielleicht – wenn sie sich in der hellen Nacht verschätzen sollte – sogar drei. Aber selbst wenn sie jetzt nur dreihundert Yard von diesem Armeecamp entfernt sein würde, sie könnte Wade Oakland nicht mehr fortschaffen. Sie müßte mit ihm bleiben und sich mit ihm verstecken, so wie jetzt. Wer soll sie hier oben schon finden? Wade Oakland hat nicht ohne Gnade so lange durchgehalten und dabei eine Menge Substanz verbraucht. – Nein, dies muß ein guter Platz sein, wo er in aller Ruhe gesund werden kann. Sie hat nun alles, was sie braucht, um sich an die Arbeit zu machen. Zuerst breitet sie eine Decke aus und rollt ihn darauf. Er stöhnt dabei, erwacht jedoch nicht aus seiner Bewußt losigkeit. Sie schneidet ihm das Hemd vom Körper und macht sich an die Arbeit. Er hat eine Menge Blut verloren. Aber das ist wahrscheinlich nur gut, weil die Wunde dadurch sich selbst reinigen konnte. Sie gießt dennoch tüchtig Schnaps in die Löcher. Dabei fragt sie sich, wieviel Blut wohl ein Mensch von Wades Größe hat. Es kann doch nicht alles aus ihm herausgelaufen sein – nein, dies kann nicht sein. Aber er ist mit diesen beiden Löchern noch weiter als zehn Meilen geritten. Indes sie die Löcher mit gezupftem Baumwollzeug zustopft und Pflaster darüber klebt, betet sie leise für Wade. - 82 -
Als sie von der warmen Sonne geweckt wird, braucht sie eine ganze Weile, bis sich in ihr die Erinnerung ein stellt und sie das ganze wirre Durcheinander ihrer Gedanken ordnen kann. Sie wendet den Kopf zur Seite und blickt auf Wade. Dieser schläft oder ist noch bewußtlos. Sie hat plötzlich Angst, daß er neben ihr unter der gleichen Decke gestorben sein könnte. Aber als sie ihn anfaßt, da spürt sie nicht nur, daß er lebt, – sie fühlt auch sein Fieber. Das Wundfieber hat ihn noch nicht so schlimm gepackt, daß er sich bewegt und zu wälzen beginnt. Sie erhebt sich schnell, um nach den Tieren zu sehen. Diese stehen bei der kleinen Quelle, die aus einer Felsspalte rinnt. Sie finden hier am meisten Grünzeug. Nancy denkt: Ich muß sie später anbinden, damit sie nicht zum Rand der Terrasse wandern. Dort haben sie zuwenig Deckung und könnten aus dem Canyon gesehen werden. Sie findet dann eine große Felsspalte, in der wahrscheinlich der wenige Feuerrauch nach oben zu in irgendwelche Ritzen verschwinden wird. Sie sucht dann ein paar sehr trockene Wurzeln und Äste zusammen, prüft jedes einzelne Stück und wagt es dann, ein Feuer zu machen. Als sie den kleinen Wasserkessel darüber hängen hat, geht sie hinaus, um scharf zu prüfen, wohin der Rauch zieht. Aber sie sieht keinen Rauch. Er zieht irgendwohin ab – und überdies brennt ihr Feuer in der Spalte fast völlig rauchlos. Sie kocht etwas von dem Büffelfleisch, welches sie mitgenommen hatten, rührt Mehl an und bringt eine Art - 83 -
Nudel- oder Nockerlsuppe zustande, welche sie Wade einflößen will, sobald dieser bei Besinnung ist oder aus dem Schlaf erwacht. Sie ist immer noch nicht sicher, ob er schläft oder noch bewußtlos ist. Für sich selbst kocht sie Kaffee und brät sich Pfannkuchen mit Speck. Zu ihrer Ausrüstung gehört auch ein kleines TeleskopFernrohr, welches sie zwischendurch immer wieder benutzt. Sie ist schlau genug, sich damit nicht hinzustellen. Sie weiß noch aus all der Erfahrung ihrer Kindheit, daß solch ein Glas blinken kann und scharfe Augen dieses Blinken auf der Terrasse erkennen könnten. Schon eine Weile wunderte sie sich, warum das Armee-Camp und der Wagenzug immer noch dort im Canyon sind, obwohl die Sonne schon ziemlich hoch steht. Immer wieder beobachtet sie das große Camp. Und am Vormittag weiß sie alles. Die Truppe und der Wagenzug legen nicht etwa nur einen Rasttag ein. Nein, sie bleiben länger, sehr viel länger. Dort unten, inmitten im Canyon wird das Fort errichtet. Es ist wahrscheinlich eine strategisch hervorragend gewählte Position. Der wichtige Wagenweg in das Goldland von Montana führt durch diesen Canyon. Wahrscheinlich gibt es weit und breit keine andere Möglichkeit, um zwischen den beiden Gebirgszügen hindurch nach Norden zu kommen mit Wagenzügen. Und genau diese Stelle hat Captain Tom Otis für das - 84 -
erste Fort am Wagenweg ausgesucht. Es ist überdies auch noch nicht weit von Fort Laramie entfernt. Ja, es ist ein strategisch guter Platz, dies erkennt sogar Nancy. Ihre Sorgen werden nun noch größer. Denn sie begreift schnell, daß die Leute dort im Canyon bald ausschwärmen werden mit allen Wagen und vielen Trupps und Mannschaften. Sie müssen Bauholz heranschaffen, Steine brechen. – Solch ein Fort wird Mauern und Wälle aus Steinen bekommen. Aber auch Holz benötigt man in. großer Menge. Wochen- und monatelang werden Holzfäller kommandos die Gegend durchstreifen und jeden eini germaßen brauchbaren Baum fällen. Vielleicht kommen sie sogar bis hier herauf. Aber bis dahin wird Wade sicherlich gesund genug sein, daß sie wieder reiten und in einer dunklen Nacht an dem großen Camp dort vorbeikommen können. Sie faßt wieder Zuversicht. Es wird schon nicht so schlimm werden. Wade fand für sie ein gutes Versteck, und der Weg war steinig. Sie hinterließen gewiß keine Spuren. *** Wade Oaklands Fieber wird gegen Mittag schlimmer – und als es Abend wird, muß sich Nancy über ihn legen, um ihn ruhig auf der Decke am Boden zu halten. Sie kann nichts anderes tun, als sein schwitzendes Gesicht zu waschen, ihm die Stirn zu kühlen und ihm kalte Wadenwickel zu machen, von denen sie hofft, daß sie das Fieber lindern werden. Gegen Mitternacht dann wird er ruhiger.
Und als es kalt wird zwischen Mitternacht und
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Morgen, als die Sterne am Himmel verblassen, da erwacht er endlich. Sie sieht im Grau des kommenden Morgen, daß er seine Augen offen hat und gen Himmel blickt. »Wade«, sagt sie, »Wade, es ist alles in Ordnung. Ich bin bei dir. Und wir haben ein gutes Versteck. – Du kannst wieder einschlafen, Wade. – Oder hast du Hunger?« »Durst«, murmelt er kaum verständlich. Sie flößt ihm Wasser ein. Er trinkt zwei Schlucke. Und dann schläft er auch schon wieder. Als er das nächste Mal erwacht, ist es schon Vormittag – und diesmal kann sie ihm einige Löffel von der Fleisch-Mehlsuppe einflößen. Unter seinem Stoppelbart sind die Wangen hohl geworden. Er sieht sie dann lange an. »Paß auf«, murmelt er. »Du mußt das Felsband, auf dem wir herauf ritten, gut unter Kontrolle halten. – Es könnte sein, daß die Indianer Mullegan fanden und unserer Fährte folgen – Indianer, die uns nicht kennen und sich Beute erhoffen. Du mußt schießen, sobald je mand zu uns heraufkommen will. – Du mußt alle halbe Stunde das Felsband beobachten. – Diesen Platz hier könnten wir mit einem einzigen Gewehr gegen eine Armee verteidigen. – Ein guter Platz ist das.« Sie nickt. »Ja, Wade, das ist er.« Sie sagt ihm nichts von dem großen Baucamp im Canyon. Wozu auch? Er würde sich jetzt nur Sorgen machen. Und er soll sorglos seiner Genesung entgegenschlafen können. Er schläft auch sofort wieder nach einigen Löffeln Suppe ein.
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***
Am anderen Morgen ißt er schon wieder recht gut. Das Fieber ist fast völlig verschwunden – und er hat einen Hunger wie zehn Wölfe, was er ihr grinsend bekanntgibt. »Wenn du mir noch einige Male solch ein Essen gibst«, sagt er nachher, »bin ich bald wieder gesund. – Ich wette mit dir, daß wir in spätestens einer Woche weiterreiten können. Ich habe eine gute Heilhaut.« Letzteres muß sie ihm wirklich noch einmal bestätigen, als sie später nach den Wunden sieht. Diese sind sauber. Sie haben sich nicht entzündet und bereits gut geschlossen. Er darf sich nur nicht bewegen, denn dann würden sie wieder zu bluten beginnen. Als sie ihm die Wunden neu versorgt hat, hören sie plötzlich Schüsse. Es sind viele Schüsse. »Sieh nach, was da im Canyon los ist«, sagt er sofort. »Aber laß dich nicht am Rand dieses Puma-View blicken. Sie denkt noch an seine Bezeichnung »Puma-View« nach, als sie am Rand der Terrasse hinter einem Busch das kleine Teleskop-Fernrohr auszieht. Die Schüsse krachen immer noch im Canyon. Sie kann den Ort des Kampfes bald schon ausmachen. Ein kleines Wäldchen steht dort im Canyon. Es sind schöne, große, gerade Tannen. Eine Weile sieht sie hinüber. Dann kehrt sie zu Wade zurück, der sie ungeduldig erwartet. Sein hohlwangig ge wordenes Gesicht ist angespannt. Man sieht ihm an, daß er hochspringen und sich selbst um alles kümmern möchte. Nancy kauert sich bei ihm nieder. Seit sie unterwegs - 87 -
sind und sie diesen indianischen Lederanzug trägt, bewegt sie sich noch geschmeidiger als vorher. Sie ist nicht nur wieder heimgekehrt, sondern hat viele andere Dinge wieder angenommen, die sie längst schon verges sen zu haben glaubte. Ihr rotes Haar hat sie unter einem grünen Tuch verborgen, welches zufällig die gleiche grüne Farbe hat wie ihre Augen. Sie sagt: »Captain Otis baut dort unten – keine drei Meilen weiter canyonaufwärts – sein Fort. – Und eines seiner Holzfällerkommandos wird nun soeben von den Indianern kleingemacht. Sie haben die Holzfäller und die Soldaten niedergemacht und die drei Wagen an gezündet.« Er schließt seine Augen, als er dies gehört hat. Dann murmelt er: »Der Krieg hat also begonnen. Gall läßt nicht zu, daß die Armee hier am Bozeman-Weg ein Fort errichtet. – Er wird sie alle umbringen – alle! Diese Narren! Ziehen mit hundert Soldaten und einem Wagenzug ins Indianerland und wollen ein Fort bauen. – Wenn Gall will, hat er bald schon tausend Sioux und Cheyennes hier. – Die Armee ist völlig närrisch geworden – völlig! Was denken die sich nur von den Indianern dieses Landes?« Sie kann ihm keine Antwort geben. Er ist nun auch so erschöpft, daß er fast schon einschläft. Aber dann murmelt er doch noch: »Paß schön auf, Grünauge. – Laß keinen hoch zu uns, mag es sein, wer will. – Und kein Feuer mehr bei Tag. – Kein Feuer mehr, denn der geringste Rauch könnte unser Versteck verraten.«
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*** In der Nacht erwachen sie beide zu gleicher Zeit. Sie fassen sich an den Händen und sehen hinauf zu den Sternen. Sie denken beide sicherlich die gleichen Ge danken – und vielleicht senden sie auch beide die gleichen Wünsche gen Himmel. Sie fragt nach einer Weile: »Willst du was essen? – Wir haben Rauchfleisch, gedörrtes Büffelfleisch, ge trocknete Pflaumen und Apfelscheiben – und einige Pfannkuchen von gestern mittag. – Und ein Beutel Nüsse ist da. Ich habe sie schon aus den Schalen gebrochen.« »Gib mir die Nüsse«, sagt er. »Ja, ich habe Hunger. Ich glaube, daß Nüsse gut sind, wenn ich sie gründlich kaue. Auch etwas Dörrobst wäre nicht schlecht. Ich glau be, ich werde auch die kalten Pfannkuchen vertilgen.« Sie muß leise lachen – und sie lacht aus Freude, weil er offenbar solch großen Hunger hat. Wenn er nur genug zu essen bekommt, wird er seinen Blutverlust ausgleichen und auch wieder zu Kräften kommen. Sie liegen dann wieder nebeneinander. Er kaut lang sam und bedächtig. Die Sterne über ihnen sind strahlend. »Was machen die Soldaten und die Indianer?« So fragt er nach einer Weile. »Die Soldaten sitzen in der Klemme«, sagt sie. »Die Indianer haben den Canyon zugesperrt – nach beiden Richtungen. Die lassen Captain Otis und dessen Männer nicht mal mehr wieder nach Laramie zurück.« Er kaut eine Weile schweigend. »Es ist wie bei diesem jungen Lieutenant«, murmelt er dann. »Man sieht zu und kann nichts für sie tun. – Wir haben hier einen Logenplatz und können zusehen, wie sie alle umgebracht werden. – Aber wir können nichts - 89 -
dagegen tun.« »Würdest du das – wenn du es könntest – ich meine, Wade, wenn es in deiner Macht läge?« Er läßt sie lange auf eine Antwort warten. Sie erkennt daran, wie sehr er nachdenkt und tief in sich mit einem Widerstreit von Gefühlen fertig werden muß. Erst nach einer Weile sagt er: »Ich glaube – ja. – Wenn ich eine Möglichkeit sähe, würde ich sie zu retten versuchen. – Ja, obwohl ich für sie ein Renegat bin und fünf von ihnen – zwei Offiziere und drei Sergeanten – mich reingelegt haben wie gemeine Schurken. – Aber all die anderen … Da sind Soldaten, Fuhrleute, Handwerker. – Und da ist auch Jim Clearmonte, der schon mit unseren Vätern jagte und zu dem wir Onkel sagen. – Da unten sind mehr als hundertfünfzig Mann, die man nicht wegen fünf Schuften in der Klemme lassen könnte. – Nein, niemals! – Doch wie könnten wir ihnen helfen? – Es wäre schon gut, wenn wir uns selbst helfen könnten.« Er murmelt die letzten Worte bitter. Sie aber ahnt, daß er jetzt immerzu darüber nachgrübeln wird, was für einen Ausweg Soldaten und Wagenzugmänner haben könnten, welche Chance es geben könnte. Sie liegen eine Weile schweigend beisammen, halten einander die Hände. Plötzlich beginnt Nancy zu reden: »Damals, als ich von dir alleingelassen wurde und von meinem Vater fortlief in diese verdammt harte Welt hinein, da war mir so ähnlich zumute wie jetzt. – Es schien keinen Ausweg zu geben. – Aber dann gab es doch welche. Ich habe danach in den Jahren gelernt, daß es immer irgendwelche Auswege gibt. Die Frage ist nur, ob man sie nutzen sollte oder nicht.« - 90 -
Er sagt nichts zu ihren Worten. Erst nach einer langen Pause murmelt er: »Du bist gewissermaßen in einer ande ren Welt gewesen, Nancy – einer Welt, die ich nicht kenne. Selbst als ich im Krieg Soldat wurde, kam ich nicht in die großen Städte des Ostens und Südens. – Kansas City – welches damals noch Westport hieß – war der größte und der Zivilisation nächste Ort, den ich jemals besuchte. – Du hast gewiß viel lernen müssen, Nancy.« »Und schnell«, murmelte sie, »sehr schnell. – Ich war zu jung und zu hübsch, um mir Zeit lassen zu können. Ich begriff schnell, daß ich kein weißes, argloses Lamm bleiben durfte. Denn diese Welt, in die ich geriet, war für ein Mädchen wie mich wie ein Dschungel, durch den die Tiger schlichen. – Sie hätten mich schnell gefressen. Ich begriff, daß ich meinen Verstand gebrauchen mußte, wollte ich nicht wie ein weißes Lamm von einem Tiger gefressen werden. – Ich mußte eine Tigerin werden, durfte kein Lamm bleiben. – Kannst du mich verstehen, Wade?« »Ich glaube – ja«, murmelt er. »Und wie hast du das geschafft?« Wieder entsteht eine lange Pause zwischen ihnen. Doch sie halten ihre Hände, spüren sich ständig. Nancys Hand zittert und vibriert leise in der seinen. Nach einer Weile sagt sie: »Ich fand damals Arbeit in einem Hotel in Saint Louis. Ich machte die Zimmer und bediente die Gäste. Ich sah und hörte viel. – Und ich mußte mich ständig der männlichen Gäste erwehren, die auch dann noch hinter mir her waren, als man sehen konnte, daß ich schwanger war. – Ich lernte damals viel von dem anderen Hausmädchen, welches älter und erfahren war. Sie kam mir oft zu Hilfe. Dann brachte ich - 91 -
das Kind tot zur Welt – und bald schon stellte mir der Hotelbesitzer nach. Seine Frau warf mich raus. – Aber ich hatte in diesem Hotel einen Gast kennengelernt. Er hätte mein Vater sein können, und er wirkte wie ein gütiger Professor, wie ein weiser Gelehrter. – Er konnte auch alle möglichen Dichter und großen Männer der Geschichte zitieren. – Manchmal hielt er sogar Predigten, und dann versetzte er seine Zuhörer in einen Zustand völliger Entrückung. Er verhexte oder verzauberte sie. – Irgendwie besaß er suggestive Kräfte. – Er nahm sich meiner an. Ich wurde gewissermaßen seine Schülerin. – Von ihm lernte ich in zwei Jahren mehr, als so manche Frau in hundert Jahren hätte lernen können. – Er war ein Spieler und Betrüger, ein Tiger, der sich geschickt tarnte. Wer mit ihm zu tun bekam, der wurde reingelegt und merkte es oft gar nicht einmal.« Sie verstummt, schweigt eine Weile, denkt gewiß nach und erinnert sich an all die Begebenheiten auf ihren rauhen Wegen. »Eines Tages«, spricht sie dann hart weiter, »wurde er von einer Wespe gestochen, die er mit dem Wein aus einem Glas herunterschluckte. Sie stach ihn im Hals, daß er erstickte. – Ich war allein. Doch ich war recht wohlha bend geworden. Wir besaßen damals gerade ein Betriebs kapital von mehr als zehntausend Dollar, dazu hatte ich eine Menge Schmuck. – Denn wir waren stets als Onkel und Nichte aufgetreten. Er spielte auf den MississippiSaloonschiffen stets einen reichen Pflanzer – und viel leicht war er das wirklich einmal gewesen. – Nun, ich hatte von ihm vor allen Dingen das Spiel mit den Karten gelernt, den Umgang mit den Karten – aber auch das psy chologische Erkennen und Durchschauen des Gegners, dieses Ergründen und Gedanken- und Gefühlelesen, - 92 -
verstehst du, Wade? – Er hatte mich vor allen Dingen gelehrt, daß zu einem erfolgreichen Spieler auch ein besonderer Sinn gehört, ein untrügliches Spüren, ein Wittern, Erkennen, Fühlen – aaahh, ich kann es dir einfach nicht so recht erklären. – Aber wenn er wirklich ein Gelehrter war, dann auf diesem Gebiet. Er war mehr als ein Spieler. Er hatte am Spieltisch und gegenüber seinen Mit- oder Gegenspielern hellseherische Fähigkei ten. – Er wußte schon nach kurzer Zeit, was eine Mund bewegung oder das leichte Zucken einer Augenbraue zu bedeuten hatte. Er konnte in einem Blick alles erkennen. – Und sogar das Pochen einer Halsader genügte ihm für irgendwelche Schlüsse. – Das alles hatte ich von ihm gelernt. – Und so blieb ich bei diesem Metier. – Betriebskapital hatte ich genug. Für einen Spieler ist Betriebskapital wichtig. – Ich wollte aus den mehr als zehntausend Dollar den zehnfachen Betrag machen. Mehr als hunderttausend Dollar wollte ich haben, um mich irgendwo in einer schönen Stadt zur Ruhe setzen zu können. Ich dachte oft an San Francisco. – Aber …« Sie verstummt – und wieder fühlt Wade Oakland neben ihr, wie sie sich in die Vergangenheit zurück versetzt. Er wartet geduldig, fragt nichts. Denn er weiß, daß sie jetzt in dieser Nacht mit ihm über alles reden will. Sie will über alles einmal mit einem Menschen reden können; vielleicht gelingt es ihr danach, alles abzu schütteln wie eine Last, die sie lange genug tragen mußte. Vielleicht glaubt sie, so besser einen neuen Anfang finden zu können. Erst nach einer Weile spricht sie weiter: »Und dann lernte ich Nils Hacket kennen. Er war der Kapitän der Missouri Sun, die zwischen New Orleans und Saint Louis den Mississippi befuhr, manchmal auch - 93 -
noch weit den Missouri hinauf, wenn sich das lohnte. – Es war ein Luxus-Dampfschiff. Fred Hacket war der Erste Steuermann. Aber das Schiff gehörte den Brüdern nicht. Es gehörte einem Mann, der die beste Luxuskabine bewohnte und nie als Eigner in Erscheinung trat. Er galt als einer der vielen Stammpassagiere, die oftmals viele Fahrten hinauf und hinunter machten, weil ihnen das Leben an Bord gefiel. Denn auf diesen Luxus-Dampf schiffen war immer Betrieb. Es wurde viel geboten an Zerstreuung, Spiel, Tanz, Musik, Unterhaltung. Es gab immer schöne Frauen und einflußreiche männliche Fahrgäste. Alles, was Rang, Namen und Einfluß hatte, reiste oft genug zwischen New Orleans und Saint Louis. – Nun, ich lernte also Nils Hacket kennen. Oh, ich verliebte mich nicht sofort in ihn. Ich brauchte Zeit – und er ließ sie mir. Aber er machte mir das Leben auf dem Schiff so behaglich wie möglich. Er … Nun, es gab immer wieder Situationen, da eine Frau einen Freund brauchte, einen Beschützer. – Und ich war eine Spielerin, eine Abenteuerin, das darfst du nicht vergessen. Ja, ich verliebte mich in Nils Hacket.« Wieder schweigt sie, denkt nach – und er kann deutlich spüren, wie es in ihr arbeitet. Ihre Hand, die er immer noch hält, zittert stärker. »Ich war als Spielerin sehr erfolgreich«, sagt sie dann hart. »Ich liebte Nils Hacket, und ich sagte ihm, daß es doch gewiß ein gutes Geschäft wäre, wenn wir selber solch ein Schiff besäßen – ja, genau solch eine schwim mende Amüsier- und Spielhölle wie die Missouri Sun. – Da lachte er nur und sagte, daß sich dies machen ließe. Er hätte zwar nur zwanzigtausend Dollar, doch wenn ich hunderttausend aufbringen könnte, würde er den Besitzer der Missouri Sun dazu überreden können, uns das Schiff - 94 -
für hundertzwanzigtausend Dollar zu überlassen. – Nun, ich war einverstanden. Und er hat ihn dann auch zum Verkauf überredet. Ich weiß nicht wie, aber er schaffte es. Ich war damals noch zu arglos. – Heute vermute ich, daß Nils Hacket irgendwelche Dinge aus der Vergan genheit des Besitzers wußte und ihn deshalb mehr oder weniger dazu erpreßte, uns das Schiff so günstig zu ver kaufen. – Denn es war sicherlich mehr wert mit all dem Luxus an Bord. – Wir waren also Schiffseigner. Nun stand einem langsam ansteigenden Reichtum eigentlich nichts mehr im Wege. Die Missouri Sun warf bei jeder Fahrt einen guten Gewinn ab. – Es gab inzwischen auch viele reiche Spieler, die sich von mir herausgefordert fühlten. – Sie wußten, daß ich ehrlich spielte und es keine Kartentricks gab. Sie wollten mich schlagen, weil sie bisher noch niemals von einer Frau besiegt wurden. – Sie wollten mich auch deshalb schlagen, weil sie auf diese Art auch mich zu erringen versuchten. Denn, daß Nils Hacket und ich ein Paar waren, wußte kaum jemand. Wir hielten es geheim. Sonst hätte ich wohl auch nicht mehr eine Art Lockvogel für all die großen Spieler sein können, die vor allen Dingen wegen mir an Bord kamen und wegen mir mit unserem Schiff fuhren auf ihren Geschäftsreisen.« Und abermals macht sie wieder eine Pause. Wade schweigt und blickt zu den Sternen hoch. Diese verblassen nun allmählich. Bald wird der graue Tag kom men. Es ist kühl. Nancy schmiegt sich unter der Decke enger an ihn – und ihn freut es auch deshalb, weil seine Wunden jetzt nicht mehr dabei schmerzen. Er kann schon wieder ertragen, daß sie sich eng an ihn drückt. Sie spricht plötzlich weiter, als wollte sie alles nun sehr schnell loswerden. - 95 -
»Aber Nils Hacket und sein Bruder Fred wurden immer gieriger und hungriger, je mehr Gewinn wir machten. Sie nahmen unsere Fahrgäste immer rücksichtsloser aus. Sie duldeten Falschspieler an Bord, wenn diese nur mit ihnen ihre Beute teilten. Sie richteten in einigen Kabinen ein Bordell ein – und es gingen während der nächsten Fahrten auf geheimnisvolle Art Passagiere ver loren. Man sagte dann, daß sie wahrscheinlich betrunken über Bord gefallen wären. – Aber es waren stets reiche Passagiere, die viel Geld bei sich hatten oder an den Spieltischen Glück hatten. Ich kam langsam dahinter, daß Nils Hacket und sein Bruder Fred nichts anderes als die Anführer einer Banditenbande waren. – Oh, was hatten sie sich verändert; Wie gierig und rücksichtslos wurden sie mehr und mehr. – Ich wußte bald, daß sie über Leichen gingen, weil sie unseren Gewinn verzehnfachen wollten. – Und ich war immer noch ihr Lockvogel. – Meine Spielgewinne waren immer noch hoch, doch sie bezeichneten dies als »Hühnerfutter«. – Ich hatte mit Nils Hacket mehrmals Streit. – Und endlich begriff ich, daß ich mich von ihm trennen mußte. Beweisen konnte ich den Hacket-Brüdern nichts. – Im Gegenteil, ich gehörte ja gewissermaßen zu ihnen. – Ich wollte damals fort, nichts wie fort. – Und da ich dumm genug war, ihm vorher zu sagen, daß ich mich von ihm zu trennen gedachte, änderte sich unser Verhältnis schlagartig. – Meine Liebe war ihm nicht so wichtig wie die Beute, die sie gewissermaßen auf jeder Fahrt mach ten. – Verstehst du, Wade? Er machte mich gewis sermaßen zu seiner Gefangenen, sagte mir kalt, daß er mich nicht fortließe. Ich hätte zu bleiben und wei terzumachen wie bisher. Denn der ganze Laden liefe jetzt - 96 -
gerade so richtig und er dächte nicht daran, aufzuhören damit. – Erst wenn er eine Million Dollar herausgeholt hätte, würde er aufhören. – Und früher durfte auch ich nicht schlappmachen, wie er sich ausdrückte.« Sie macht nun keine längere Pause mehr, nur so lange, um dreimal tief Luft zu holen. Dann spricht sie seltsam ruhig weiter: »Ich öffnete den Schiffstresor, um mir möglichst viel von meinem Geld zurückzuholen. – Dabei erwischten mich die Brüder. – Als sie mich angriffen, schoß ich. Ja, ich tötete Nils und verwundete seinen Bruder. – Dann sprang ich mit einem Bündel über Bord, schwamm an Land und gelangte bald zu einer Siedlung, wo ich ein Pferd und einen leichten Wagen bekam. – Und seitdem bin ich auf der Flucht. – Fred Hacket verfolgt mich hart näckig. – Das Schiff war auf Nils Namen eingetragen. Ich hatte ihn ja geliebt und ihm vertraut. Wir wollten heiraten. – Ich galt nur als Passagier. – Und Fred Hacket machte den Behörden klar, daß ich eine Diebin wäre. – Da das Schiff abbrannte und dabei auch Bundespost vernichtet wurde, sind nun auch die US Marshals hinter mir her. – Jetzt weißt du alles von mir, Wade.« »Ja«, murmelte er. »Und ich werde dich in Sicherheit bringen. Wir werden ein neues Leben beginnen. – Auf mich wirst du dich immer verlassen können. – Ich will lieber sterben, als dich noch einmal im Stich zu lassen.« *** Als es Tag wird, hören sie wieder heftiges Gewehr feuer. Es ist ihnen klar, daß die Indianer im Morgen grauen angegriffen haben. Nancy späht dann mit dem Fernrohr hinunter, und was - 97 -
sie Wade berichtet, hört sich gar nicht gut an. »Die Indianer haben eine Menge Pferde und Zugmaul tiere weggetrieben. – Aber nicht alle Tiere. Eine kleine Abteilung von vielleicht dreißig Soldaten und einem Dutzend Zivilisten verfolgt sie zu Pferde, um ihnen die geraubten Tiere wieder abzunehmen. Aber …« Sie kann nun nicht mehr weiter, offensichtlich vor Schrecken. »Was ist, Nancy, was ist?« Wade ruft es scharf zu ihr herüber. »Indianer – viele Indianer«, erwidert sie mit schriller Stimme. »Oh, es sind unwahrscheinlich viele Indianer. Sie tauchen überall im Canyon auf. In der Nacht schon mußten sie sich verborgen haben hinter Felsengruppen und Waldinseln. Sie haben nur darauf gewartet, daß sich Captain Otis' Männer die gestohlenen Tiere zurückholen wollen. – Sie reiten alle in den Hinterhalt. – Es sind dreioder vierhundert Indianer. – Oh, Wade, sie werden niedergemacht wie von einer Flut.« Er hat sich aufgesetzt. Nun bringt er es fertig, sich zu erheben und einige Schritte zu machen. Sie eilt zu ihm, um ihn zu stützen. Nach einigen weiteren vorsichtigen Schritten erreichen sie einen Felsblock, auf den er sich setzen kann. Über einen Busch hinweg sieht er mit dem Glas in den Canyon hinunter und diesen entlang nach Norden. Staub weht und wallt dort, viel Staub. Er verbirgt viel von dem Gemetzel. Doch er erkennt die Masse der Indianer – und dazwischen manchmal das Blau einer Uniform. Ein Trompeter schmettert ein Signal, bricht jäh ab. »Ja, sie werden niedergemacht«, murmelt Wade Oak land. »Und niemand kann ihnen noch helfen – niemand.« - 98 -
Er verharrt dann mit Nancy so lange auf dem Platz, bis der Staub sich lichtet und vom leichten Morgenwind vertrieben wird. Und dann kann man es, immer deutlicher werdend sehen. Dort liegen sie – nun sind sie mehr oder weniger nackend. – Ja, dort liegen die Toten von Captain Otis' Truppe, welche ausgeritten waren, um die Pferde und Maultiere zurückzuholen. Aber das schafften sie nicht. Sie ritten in eine Übermacht hinein, von der sie keine Ahnung hatten. Wade Oakland wischt sich müde über sein Gesicht. Was er und Nancy da gesehen haben, ist an Deutlichkeit nicht mehr zu überbieten – an Deutlichkeit in dem Sinne, daß Gall und die Sioux da unten im Canyon Ernst machen. Und wenn man die Zahl der Indianer be rücksichtigt, so ist es klar, daß Gall mit seinen Kriegern aus seinem Dorf nicht mehr allein ist. Er erhielt Verstärkungen, vielleicht die eines noch größeren Häuptlings. Es kann sein, daß dort unten nicht mehr nur Hunkpapas sind, sondern nun auch Oglalas, Minniconjous, Brules – vielleicht auch Cheyennes und Arapahoes, ihre Vettern. »Sie sind verloren – die dort unten, sie sind verloren«, knirscht Wade Oakland und hat ganz und gar vergessen, daß er ein Renegat ist, der die schlimmsten Strafen von einem Armeegericht zu erwarten hätte, würde die Armee seiner habhaftig werden. Er schüttelt fassungslos den Kopf. »Ich verstehe diesen Narren von Captain nicht«, murmelt er. »Otis hat einen erstklassigen Scout bei sich, nämlich den alten Jim Clearmonte. Dieser wird ihn mit Sicherheit vor der Verfolgung der Pferdediebe gewarnt - 99 -
haben. – Da bin ich sicher! Aber er ließ dennoch ein Drittel seiner Reiter aufsitzen und in die große Falle reiten. – Oh, dieser Narr! – Und ich kann nichts tun – ich kann nichts tun …« Er erhebt sich von seinem Sitz. Nancy stützt ihn wieder, führt ihn zu ihrer gemeinsamen Lagerstatt zurück. Als er dort wieder liegt, ist er ziemlich erschöpft und in Schweiß gebadet. Es ist der Schweiß der Schwäche – aber auch vielleicht der resignierenden Hilflosigkeit. »Ich kann nichts tun«, murmelt er noch einmal. »Nein, du kannst nichts tun«, bestätigte sie. »Wir sind hier oben zum Zusehen verdammt. Wir können nichts an deres tun als warten, stillhalten und hoffen, daß die Indianer nicht auch uns entdecken.« Sie sagt es hart, und fast klingt es so, als wollte sie ihm klarmachen, daß er sich nicht um Captain Otis' Truppe, sondern um sich und Nancy Sorgen machen sollte. Aber er hört ihre Worte vielleicht gar nicht mehr bewußt. Er schläft ein. Sein kleiner Ausflug hat ihn stark geschwächt. Sie fühlt nach seinen Verbänden und ist dabei voller Sorge, daß die Wunden vielleicht wieder zu bluten begannen. Aber das ist nicht der Fall. Wenn wir nur bald von hier fortreiten könnten, denkt sie, denn sie weiß, daß es für Wade und sie jeden Tag schlimmer und unerträglicher werden wird, zusehen zu müssen, wie sie alle dort unten niedergemacht werden – Mann für Mann, bis keiner mehr von ihnen lebt. Wade schläft bis zum Nachmittag – aber Nancy schließt in all den Stunden kein Auge. Sie beobachtet ständig den Canyon und behält vor allen Dingen das - 100 -
schmale Felsband im Auge, auf welchem sie damals in der Mondnacht heraufgeritten waren, auf diese Terrasse in der tiefen Falte des Steilhanges. Als Wade erwacht, läßt sie ihn trinken. Er verlangt auch sofort etwas zu essen, und das ist ein gutes Zeichen dafür, daß sein Körper schon wieder nach Säften verlangt, um daraus Kräfte und Substanz produzieren zu können. Als er kaut, fragt er zwischendurch: »Nun, Grünauge, was ist dort unten alles inzwischen passiert?« Sie schüttelte den Kopf. »Nicht viel«, erwidert sie. »Die Soldaten und die Männer des Wagenzuges haben sich in ihrer Wagenburg verschanzt. Und die Indianer reiten stolz im Canyon umher. Sie feiern immer noch ihren Sieg, zeigen sich den Eingeschlossenen in ihrer ganzen stolzen Kriegspracht. Sie sind überdies noch zahlreicher geworden und bekommen immer noch Zuzug. – Die nackten Toten lie gen auch noch dort, wo das Gemetzel stattfand. Captain Otis wagt offenbar nicht, ein Bestattungskommando hin auszuschicken.« »Das könnte er wahrscheinlich«, erwidert Wade. »Denn die Indianer ehren auch ihre Feinde, wenn diese erst tot sind. – Ja, er könnte gewiß ein halbes Dutzend unbewaffnete Männer hinausschicken. Die Indianer würden sie die Toten begraben und unbehelligt in die Wagenburg zurück lassen.« Sie schweigen eine Weile. Sie sehen sich dabei fast ständig an. Nancy stellt mit Freude fest, daß Wade jetzt schon besser aussieht. Seine Wangen wirken nicht mehr so hohl unter den Bartstoppeln. »Ich bleibe jetzt eine Weile wach«, sagt er. »Leg dich hin und schlafe. – Oder bist du nicht müde?« - 101 -
»Doch – sehr«, erwidert sie. Und bevor sie sich neben ihn auf die Decken legt, beugt sie sich zu ihm und küßt ihn auf die Wange. Sie sagt ihm damit mehr als mit vielen Worten. »Wir werden schon hier irgendwie herauskommen«, sagt er. »Und dann gibt es einen neuen Anfang, Nancy. – Unser Leben wird noch schön. – Glaube es mir.« »Ja«, erwidert sie, und es klingt irgendwie folgsam und wie gläubig, »ja, ich glaube dir, Wade. – Ich will davon träumen. – Denn ich wünsche es mir so sehr, daß wir irgendwo einen neuen Anfang finden. – Doch laß dir sagen, daß ich jetzt schon sehr glücklich bin – hier neben dir. – Ich hätte niemals gedacht, daß ich doch noch einmal …« Nun schläft sie ein. Er ißt noch eine Weile ruhig und stetig, kaut alles gut und wünscht sich dennoch sehr ein richtiges großes Steak frisch aus der Pfanne. Doch er weiß, daß sie vorerst kein Feuer mehr hier oben machen können. Es sind zu viele Indianer im Canyon, und vielleicht klettern bald schon welche in nächster Nähe herum. Er erhebt sich nach einer Weile vorsichtig und mit viel Mühe. Doch es geht schon besser als heute im Morgengrauen. Er spürt, daß er sehr viel mehr Kraft zurückbekommen hat während des letzten Schlafes. Auch haben sich die beiden Kugellöcher fester geschlossen. Natürlich spürt er beim Bewegen noch Schmerzen, Ziehen, Stiche, aber das alles ist nicht mehr böse zu spüren, eher warnend. Er bewegt sich vorsichtig bis zum Rand der Terrasse und setzt sich wieder auf jenen Stein, der so günstig hinter einem Busch liegt, daß er gut gedeckt ist. Nachdem er einige Sekunden lang in den Canyon - 102 -
spähte, entfährt ihm: »Heiliger Rauch, sie haben nicht die geringste Chance. – Sie sind verloren.« Denn was er sieht, ist ein Gewimmel von Indianern. Es gibt mehrere Camps, und es sind keine Dörfer, sondern Kriegslager, zu denen stets eine Anzahl von leichten Zelten gehören. Auch Squaws sind dort, die sich um das Wohl der Krieger kümmern. Dazu gehören auch halbwüchsige Knaben, die für die Pferde und viele andere Dinge verantwortlich sind und schon in Kriegernähe eine Menge lernen sollen, weil sie selbst bald Krieger sein werden. Es ist ein buntes Gewimmel. Große Gruppen und Trupps reiten immerzu umher, zeigen sich den Belagerten in vollstem Kriegsschmuck. Da flattert buntes Zeug: Mähnen, Schwänze, Federn, bunte Decken. – Und da sind all die Kriegsfarben. Feuer brennen in den Camps. Und dennoch verteilt sich all das im breiten Canyon. Es geht nicht eng zu. Mit seinem Glas späht Wade lange in die Wagenburg. Dort herrscht kaum Bewegung. Aber man kann sehen, daß die Soldaten und Zivilisten alle auf ihren Positionen sind. Sie liegen unter den Wagen oder hocken hinter irgendwelchen Brustwehren aus Kisten und Säcken, Steinen und Bauholz. Wade Oakland begreift, daß die Indianer sich Zeit lassen. Sie wissen, daß ihnen die Beute sicher ist. Und da sie heute schon bei Sonnenaufgang einen großen Sieg erringen konnten, heben sie sich das Weitermachen vielleicht für den nächsten grauen Morgen auf. Etwas später erkennt er mit seinem scharfen Glas einige Häuptlinge. Ja, das ist Gall – aber es sind noch größere da. - 103 -
Er sieht Red Cloud, also »Rote Wolke«, und dieser ist zur Zeit noch der große Kriegshäuptling. Doch auch Crazy Horse ist zu erkennen, Kleiner Bär und andere, die Wade Oakland noch aus seiner Knabenzeit bei Fort Laramie kennt. »Die gehen nicht mehr fort, bevor sie alle umgebracht haben«, murmelt er. *** Als der Tag graut, schrecken Wade und Nancy wieder auf. Abermals hören sie das heftige Krachen von Schüssen. Es steigert sich zu einem Geknatter, und dann tönt das Geheul der angreifenden Indianer. Wieder warten sie auf den grauen Tag, als die Nebel im Canyon steigen. Wieder greifen sie mit aller Wucht an, und sie erdrücken fast die Wagenburg. Wade und Nancy können nicht viel sehen. Denn der Tag ist noch zu grau. Die Nebel wallen noch zu stark – und der Staub löst dann die Nebelschwaden ab. Aber es wird schlimm und erbittert gekämpft. Dann leuchtet Feuer durch Nebel und Staub. Und als es richtig Tag wird, ziehen sich die Indianer zurück. Aber die Feuer an den Wagen brennen noch eine Weile, bevor man sie löschen kann. Und einzelne Scharfschützen auf beiden Seiten feuern immer wieder aus guten Deckungen. Als dann die Sonne aufgeht und die Nebel schwinden, der Staubwirbel sich senkt, da ist das ganze Ausmaß des Angriffes und der Schäden zu erkennen. - 104 -
Einige der Wagen sind ziemlich schlimm angebrannt. Pferde und Maultiere wurden getötet. Die Wagenburg wurde an verschiedenen Stellen arg beschädigt. Gewiß hat es auch Tote und Verwundete gegeben. Wade Oakland wischt sich über das Gesicht. »Noch zwei oder drei solcher Angriffe«, sagt er, »und es wird keiner mehr von ihnen leben. – In zwei oder drei Tagen ist alles vorbei. – Und wir können nichts tun, gar nichts tun. – Wenn sie doch nur noch drei oder vier Tage aushalten könnten …« Nancy spürt sofort, daß hinter diesen Worten mehr steckt. Sie wird mit einem Male hellhörig, wie man so sagt. »Was ist dann, wenn sie noch drei oder vier Tage aushalten könnten? He, Wade, was ist oder wäre dann?« Er blickt sie vorsichtig an – und sie weiß, daß er sie jetzt prüft, ob er es ihr sagen soll oder nicht – ob er es ihr sagen kann. – Ja, er prüft sie. Sie hält ruhig seinem Blick stand. Plötzlich nickt er. Und dann spricht er sehr ruhig: »Was dann wäre? – Nun, dann wäre ich gewiß kräftig genug, um zu ihnen schleichen zu können.« Er sieht, wie sie zusammenzuckt. Aber sie fängt sich schnell. »Um mit ihnen zu sterben?« Sie fragt es hart. Er aber schüttelt den Kopf. Dann zählt er an den Fingern auf: »Sie können sich dort unten nicht so lange halten, bis sie in Fort Laramie merken, wie sehr sie hier in der Klemme stecken und ihnen zu Hilfe kommen. Aber hier oben könnten sie sich halten, hier bei uns. Also muß ich hin zu ihnen und ihnen sagen, daß hier - 105 -
ein Ort ist, der eine sichere Zuflucht gewährleistet, bis Hilfe kommt.« Er hält nun drei Finger seiner linken Hand mit der rechten umschlossen. Nancy aber staunt über ihn. Und nun ist sie es, die an den Fingern abzählt: »Die Indianer könnten dich erwischen. – Du könntest auch unterwegs schlappmachen und gar nicht hinkom men. – Und wenn du hinkommst, hört der Captain gar nicht auf dich, läßt dich sofort in Eisen legen oder gar erschießen. – Denn du bist ein Deserteur. – Und selbst wenn du ihn hypnotisieren könntest, so daß er auf dich hört – wie willst du es dann schaffen, mit ihnen durch die Indianer bis hier heraufzukommen?« Sie hielt nun vier ihrer Finger umklammert, also einen Finger mehr und damit ein Argument mehr gegen ihn. Aber er schüttelt den Kopf. »Du weißt«, murmelte er, »daß kein Indianer in der Nacht gerne kämpft – nur wenn man ihn angreift. Aber er zieht nicht in den Kampf, weil er glaubt, daß die Seelen der Toten in der Nacht nicht den Weg ins Wanagi Yata finden, den Sammelplatz der Seelen. – Sie würden uns ziehen lassen, um uns erst am Morgen unterwegs anzugreifen. Sie würden sogar froh sein darüber, daß wir aus der Wagenburg herauskommen, um unterwegs nach Fort Laramie in ihren Hinterhalt zu tappen. – Denn die Indianer wissen nichts von dem Versteck hier oben. Es wären sonst längst welche heraufgekommen. Nancy, ich weiß nicht, wie viele in drei oder vier Tagen von diesen Soldaten und Wagenzugmännern noch leben werden. – Aber viele von diesen könnte ich retten. Daran würde ich mein ganzes Leben lang denken müssen, täte ich es nicht versuchen. Verstehst du mich, Nancy?« - 106 -
Sie sieht ihn sehr lange an. Ihr Mund zuckt. Mehrmals holt sie Luft, um heftig zu entgegnen. Aber sie läßt ihre heftigen Worte dann dennoch stets im letzten Moment zurück. Dann kann er ihr ansehen, wie sehr sie sich bemüht, ihn verstehen zu können. Schließlich sagt sie: »Aber ich. – Was ist mit mir? – Wenn dieser US Marshal und Fred Hacket mit den beiden Revolvermännern nach dem Tod ihres Scouts Mullegan zu dieser Truppe gestoßen sein sollten, dann lieferst du mich aus, nicht wahr? Oder könnte man es anders nennen? – Sie würden dich so lange als ihren Retter feiern und dir dankbar sein, bis man sie durch Hilfe aus Laramie gerettet hätte. – Dann aber …« Sie verstummt, denn es wird ihr klar, daß sie bei allem verständlichen Selbsterhaltungstrieb doch ungerecht ist gegen ihn. Denn er ist ein Mann, der davon überzeugt ist, Men schenleben retten zu können, vielleicht mehrere Dutzend. Und wenn er das nicht versuchen sollte, wenn er tatenlos zusehen würde, wie sie alle getötet werden, obwohl er vielen von ihnen eine Chance verschaffen könnte, so wird er sich sein ganzes Leben lang wie ein Mörder vorkommen. Das wäre wahrscheinlich schlimmer für ihn als jahrelanger Kerker. Sie sagt nichts mehr. Langsam verläßt sie ihn, geht zu ihrer Lagerstatt und läßt sich darauf nieder. Erst als er dann später zu ihr kommt und sie in seinem Gesicht erkennen kann, wie hilflos er sich fühlt und wie stark in ihm der Widerstreit der Gefühle ist, da sagt sie zu ihm: »Ein Mann muß tun, was er für richtig hält. – Ich - 107 -
verstehe dich gut, Wade. Und wenn du es wagst, obwohl sie dich danach viele Jahre einsperren werden, so will ich es auch wagen und darauf vertrauen, daß der Marshal und Fred Hacket nicht dort unten bei denen sind, die du vielleicht retten kannst.« Er nickt – aber sie weiß, daß er jetzt schreckliche Tage und Nächte hinter sich bringen muß. Der Widerstreit der Gefühle wird anhalten. Sie fragt, ob er in drei oder vier Tagen soweit sein wird, daß er körperlich auch alles schaffen kann. Zuerst muß er von der Terrasse hinunter auf dem schmalen Weg am Abgrund entlang. Er könnte diesen Weg reiten, wenn die Nacht dunkel genug ist, so daß man ihn aus dem Canyon nicht hier oben erkennen kann. Eine Stunde etwa würde er zu Fuß für den Abstieg brauchen. Und dann müßte er noch weiter als zwei Meilen bis zur Wagenburg hinüber und zwischen den Indianern hindurch. Ach, dies wäre ja fast ein Wunder, würde er das schaffen. Sie wird ihn verlieren. In der kommenden Nacht weint sie viel – aber sie weint leise. Er schläft und merkt es nicht. *** Es ist schon nach Mitternacht, als der Sergeant Pat O'Rourke die Posten kontrolliert. Den Soldaten Cole Britt findet er an einer Wagenecke lehnen und auf diese Weise stehend schlafen. Er stößt ihn erst mal heftig mit dem Kopf gegen die Wagenwand und faucht dann fast tonlos, doch gut - 108 -
verständlich: »Du verdammtes Arschloch, du absolute Null und Niete – willst du deinen Skalp verlieren und schuld daran werden, daß die roten Heiden zu uns hereinkommen können, um all die braven Jungens umzubringen, die sich dir anvertrauten? – Oh, du gottverdammter Hirnloser! Kannst denn nichts anderes als zentnerschwere Weiber stemmen und den Squaws Bastarde machen! – Ich werde dir …« Weiter kommt er nicht, denn eine Stimme sagt hinter ihm: »Halt das Maul, du dämlicher Dreiwinkelsoldat.« Er will Luft holen, um dann ein Gebrüll loszulassen, doch da sagt Wade Oakland zu ihm: »Wenn du heil hier herauskommen und deinen Skalp behalten willst, dann halt dein großes Maul und versuche mal zu denken.« Das versucht Sergeant Pat O'Rourke nun wahrhaftig. Denn »herauskommen und Skalp behalten«, dies sind schon zwei Versprechen, die er sich auch vom Teufel selbst hätte geben lassen. Und so holt er erst dreimal Luft, zählt bis zehn und fragt dann merkwürdig sanft: »Bist du das wirklich, mein Bester? – Habe ich die Ehre mit Soldat Wade Oakland?« Aber dieser knurrt nur böse und fügt schließlich doch hinzu: »Nett, daß du noch Witze machen kannst, Pferdesoldat – wirklich nett. – Aber du weißt genau, daß ich von euch gegen meinen Willen …« »Wollen wir dieses Thema nicht erst mal vornehm beiseite schieben, Soldat?« Dies fragt Pat O'Rourke merkwürdig sanft. »Ja, kommen wir zur Sache«, willigt Wade Oakland ein. »Wieviel Mann seid ihr eigentlich noch?« »Siebenundzwanzig Soldaten und dreizehn Zivilisten. - 109 -
– Und dazu kommen noch einundzwanzig Verwundete, von denen diese Nacht einige sterben. – Sonst noch was, Soldat?« »Captain Otis?« So fragt Wade nur. »Auch den hat es schwer erwischt«, murmelt der Sergeant. »Um den zu retten, hättest du nicht herzukommen brauchen. – Der ist das größte Arschloch aller Zeiten. Hast du ein gutes Zaubermittel, großer Meister.« »Hat Otis noch das Kommando?« »Ja.« »Dann bringe mich zu ihm. Und dann kannst du zuhören. Ihr habt eine Chance, eine gute Chance. Aber ich will es nicht zweimal erklären. – Also?« »Gehen wir«, murrt der Sergeant. »Das wird eine feine Vorstellung. – Ich würde gerne mal ein wenig lachen. – Du und Captain Otis … Aaaah, wenn der dich nur nicht gleich aufhängen läßt. – He, bist du eigentlich richtig im Kopf? – Oder habe ich dich richtig verstanden, daß du deinen Hals riskierst, um uns zu einer Chance zu verhelfen?« »So bin ich nun mal«, knurrt Wade Oakland. »Ich bin einer von den dämlichen Hammeln, die für Burschen eurer Sorte, die mich auf gemeinste Art reinlegten, den Skalp und noch viel mehr riskieren. – Und dabei hätte ich ungestört zusehen können, wie sie euch hier kleinmachen. – Geh schon, du Hundesohn, geh schon zu deinem ehrenwerten Captain!« In Wade Oaklands Stimme ist beißende Verachtung. Und Sergeant Pat O'Rourke sagt nichts mehr. Er stößt nur ein Knurren aus, welches sich so anhört, als würgte er einen Stein herunter. Dann aber geht er vor ihm her. - 110 -
Hinter einer Brustwehr aus Bauholz und Steinen liegt der Captain auf einem Offiziersfeldbett. Er hat ein kleines Öllämpchen neben sich brennen und schreibt ziemlich mühsam – man hat seinen Oberkörper höhergebettet – in das Tagebuch seiner Abteilung. Als der Sergeant zu ihm tritt, wendet er nicht mal den Kopf, sondern fragt nur: »Was gibt es, Sergeant? Stören Sie mich nicht, wenn es nichts von Wichtigkeit ist.« »Ich glaube schon, Sir, daß es einigermaßen wichtig ist«, erwidert der Sergeant. »Soldat Oakland ist nämlich gekommen, Sir. – Sie erinnern sich doch gewiß an Soldat Oakland, Sir?« Eine Weile liegt der Captain still – ganz still und regungslos. Und erst nach einigen Atemzügen wendet er seinen Kopf zur Seite. »Aha«, sagt er, »der Renegat Oakland wollte sich zu uns retten. Sergeant legen Sie ihn sofort in Eisen! Er wird an ein Wagenrad gekettet. – Verstanden?« »Vielleicht warten wir noch ein oder zwei Minuten damit, Sir«, erwidert der Sergeant, »und hören uns an, Sir, was dieser Wade Oakland zu sagen hat. – Was mich betrifft, möchte ich jetzt und hier klarstellen, daß wir ihn betrunken machten und gegen seinen Willen zum Eintritt in die Arme preßten. – Er wußte nicht, was geschah. – Die Sergeanten Dick Welby und Scott Brouther werden das bezeugen und zugeben, daß ihre Unterschriften als Zeugen bei der Einstellung dieses …« »Sind Sie verrückt geworden, Sergeant? – Soll ich auch Sie in Eisen legen lassen?« Die Stimme des Captain wird nicht lauter, doch aber böser, drohender. Inzwischen traten noch einige Soldaten heran. Wade - 111 -
Oakland erkennt die Sergeanten Dick Welby und Scott Brouther. »Was ist das?« So fragt Sergeant Welby hart. Sergeant Brouther, der verwundet ist und einen Arm und den nackten Oberkörper verbunden hat, schweigt noch. Sie alle aber hören den Sergeanten Pat O'Rourke trocken sagen: »Wir stecken ziemlich tief in der Klemme, Sir. Unsere Chancen sind gleich Null. Darüber sind wir uns doch wohl klar, nicht wahr? – Und da kommt dieser Wade Oakland – der es gar nicht nötig gehabt hätte, weil er an einem sicheren Ort saß und zusehen konnte, wie sie uns hier kleinmachen –, da kommt also dieser Wade Oakland und will uns zu einer Chance verhelfen. – Das ist doch was, was man honorieren muß, will man fair sein. – Dick – und du, Scott! – wir werden zugeben, daß wir Wade Oakland reinlegten und auch der Rekrutierungsoffizier Lieutenant Henderson mitspielte bei dieser Gemeinheit. – Captain, Sie tragen das jetzt am besten gleich in das Kriegstagebuch dieser Truppe ein.« »Den Teufel werde ich tun! Sie sind ja verrückt, Sergeant!« »Sir, wir schulden Ihnen Respekt, weil Sie Offizier und unser Kommandeur sind. Aber Sie haben eine Verantwortung gegenüber diesen Männern hier, von denen nicht wenig verwundet sind. Wade Oakland ist gekommen, weil es eine Chance gibt. – Also hören Sie ihn doch bitte an, Sir. – Das ist Ihre Pflicht, Sir!« Der Captain setzt sich nun mühsam auf. Es wird nun klar, daß sein linkes Bein böse zerschossen wurde. Das Hosenbein ist völlig aufgeschlitzt, und das Bein bis über das Knie verbunden. - 112 -
Inzwischen fanden sich noch weitere Männer ein, bilden einen Halbkreis. Die meisten sind Zivilisten, also Männer des Wagenzuges. Einige hörten die letzten Worte des Sergeanten. Und einer tritt nun vor. Wade Oakland kennt ihn, denn es ist ein bekannter Wagenzugführer. Sein Name ist Logan Sharps. Wade nickt ihm zu. »Ich will alles hören«, sagt Logan Sharps. »Ich bin für meine Männer nicht weniger verantwortlich als der Captain für seine Soldaten. – Ich will alles hören. Sag' es mir, Wade. – Und kümmere dich nicht um diesen Cap tain, wenn dieser nicht hören will, wie unsere Chance aussieht.« Wade Oakland nickt. Dann berichtet er alles mit kurzen, knappen Sätzen. Sie schweigen eine Weile. Es ist sehr, sehr still. Und in die Stille hören sie aus der Ferne den plötzlich einsetzenden Klang von Trommeln. Es sind Kriegstrom meln, die zum Kriegstanz schlagen. Sie blicken über die Brustwehr hinweg nach Norden. Dort ist jetzt roter Feuerschein. Es muß ein besonders großes Feuer sein, welches den Canyon dort erhellt. Allen Männern ist klar, daß die Indianer beim Feuer den Kriegstanz tanzen. Dann klingt auch der Singsang durch den Canyon. Man kann Worte hören, wie: »Hgun!« und das bedeutet Mut – oder »Wakan Tanka«, und das bedeutet »Großer Geist«. Die Indianer bitten wahrscheinlich bei ihrem Kriegstanz den Großen Geist um Mut. Auch der Captain hörte das alles. Er versteht es zwar nicht so zu deuten wie die anderen Männer, die ja viel länger schon in diesem Land sind und sich mit Indianern - 113 -
auskennen, doch kommt er auch nach einer Weile dahinter. Der Captain erkennt wieder einmal mehr, was für ein Greenhorn er in diesem Land ist und wie sehr er bisher die Indianer unterschätzte. Und seitdem sein Scout Jim Clearmonte – dessen Ratschläge er allerdings kaum befolgte – tot ist, fühlt er sich ziemlich hilflos. Auch sein Feldunterarzt ist tot. Die beiden Sanitäts soldaten konnten nicht viel für ihn tun. Er weiß, daß er bald den Brand in das Bein bekommen wird. Und wenn man es ihm dann nicht abnimmt über dem Knie, so wird er sterben. Aber wer könnte ihm hier schon das Bein abnehmen? Er findet schon eine ganze Weile, daß das Schicksal mehr als ungerecht ist gegen ihn. Er verflucht es deshalb schon drei Tage und Nächte fast jede Stunde und fragt sich manchmal tief in seinem Kern, womit er das alles verdient hat. Er starrt auf die Männer, die sein Lager im Halbkreis umgeben. Oh, er spürt ihre Feindschaft, ihre Abneigung – und vielleicht ist es sogar Verachtung. Er spürt es genau, denn es prallt wie ein Atem gegen ihn. Er hat sie schlecht geführt. Oh, er weiß es! Aber er tat sein Bestes. Die Armee hatte ihn mit seinen Männern in dieses Land geschickt, um irgendwo ein Fort an einer strategisch wichtigen Stelle zwischen Fort Laramie und Powder River zu errichten. Diesem Auftrag hatte er nach bestem Wissen und Können nachkommen wollen. Doch die Indianer waren dagegen. Nun müssen er und seine Männer die Dummheit der - 114 -
Armee mit dem Leben bezahlen. Ja, es war dumm von der Armee, ihn mit so wenigen Männern in dieses Land zu schicken. Er blickt auf den Halbkreis der Männer – zuletzt auf Wade Oakland. Er erinnert sich wieder an alles, was zwischen diesem Trapper und ihm damals im Laramie-Prairie-Saloon be gann, wie er sich dann rächen wollte, mit Hilfe der Sergeanten. Ja, er erinnert sich auch noch an die nächtliche Szene im Stall. Oh, er hatte geglaubt, diesen Wade Oakland klein machen und sich rächen zu können. Statt dessen steckt er jetzt in der bösesten Klemme seines Lebens und ist verantwortlich für seine Männer, von denen schon mehr als die Hälfte tot ist. Und dieser Wade Oakland ist aus einem sicheren Versteck zu ihnen gekommen, um sie zu retten. Was für ein Mann ist dieser Wade Oakland? Will er sie wirklich retten? Oder will er sie in einen Hinterhalt der Indianer führen, zu denen er vielleicht als Renegat geflüchtet ist? Einen Moment will der Captain sich an diesen Gedanken klammern und ihn als Grund dafür nehmen, hier in dieser Wagenburg weiterhin auszuharren. Es ist wieder still. Alle warten sie auf Captain Otis' Entscheidung. Und sie alle hören die Trommeln im Canyon, vernehmen den Gesang und wissen, daß die Indianer diesmal in die Wagenburg hereinkommen und sie alle töten werden. Denn sie sind schon zu wenige Verteidiger. – Sie sind reif zum Sterben. Aber dieser Wade Oakland erzählte ihnen von einer - 115 -
Chance. Was er erzählte, hörte sich sogar gut an. Sie brauchten nur zweieinhalb Meilen durch die Nacht bis zu einem an der Canyonwand hochführenden Felsband durchzukommen. Dann haben sie gewonnen. Ja, er glaubt nun ebenfalls an diese Chance. Und so spricht er zu seinen drei Sergeanten: »Also los! – Wir brechen in zehn Minuten auf. Jeder nimmt mit, was er benötigt und alleine tragen kann. – Ein paar Pferde haben wir noch, und die beladen wir. – Für die Verwundeten nehmen wir einen Wagen. – Wade Oakland übernimmt die Führung.« Er sagt nicht Soldat Oakland. Die drei Sergeanten und der Wagenboß treiben sofort die Männer an. Wade Oakland aber verbleibt noch beim Captain. Sie betrachten sich in dem flachen Schein des Öllämpchens. »Na«, sagt Wade Oakland, »wollen Sie denn nicht endlich die entsprechende Eintragung machen, da Sie doch ohnehin schon beim Schreiben sind? – So viel Zeit haben Sie auch noch. – Und mir wäre wohler, wenn sich meine Einstellung bei der Armee als Scherz, Irrtum oder wer weiß was herausstellen müßte. – Na?« Der Captain zuckt zusammen. Aber dann tunkt er die Feder noch einmal in die Tintenflasche und beginnt auf seinem gesunden Knie ins Tagebuch zu schreiben, wobei er sagt: »Ja, ich bringe das in Ordnung. Wenn dieses Buch jemals nach Fort Laramie gelangt, wird man Ihre Einstellung bei der Armee annullieren und Sie aus der Fahndungsliste der gesuchten Deserteure und Renegaten streichen. – Meine Karriere bei der Armee ist beendet. – Denn selbst wenn ich am - 116 -
Leben bleibe, wird das nur geschehen können, wenn je mand mir das Bein abnimmt. – Können Sie ein Bein abnehmen, Oakland?« »Nein«, sagt dieser und wendet sich ab. Denn er will sich jetzt ein Fleckchen suchen, wo er zehn Minuten ruhen und verschnaufen kann. Um ihn herum ist Betrieb. Die Verteidiger der Wagenburg machen sich fertig zum Ausbruch. Wade setzt sich auf einen Stapel Bauholz. Weiter nördlich im Canyon hämmern und klacken immer noch die Trommeln, tönt der Kriegsgesang und klatschen brettharte Hände einen Rhythmus. Aber dann kommen einige Männer zu Wade Oakland. Es sind vier. Und einer von ihnen trägt einen Marshalstern unter der offenen Jacke auf der Weste. Wade Oakland kennt ihn wieder – ihn und die anderen drei Männer. Er hatte sie damals – als er Nancy folgte – in ihrem Camp beschlichen und ihre Unterhaltung belauscht. Er hatte ihnen dann die Pferde gestohlen. Und mit ihrem Scout Cheyenne-Jones Mullegan mußte er kämpfen. Er mußte ihn erschießen. Sie bilden um ihn eine Gruppe, und sie sind vier harte und verbiesterte Burschen, von denen keine Freundlichkeit ausgeht. »Wir wissen ziemlich gut Bescheid«, murmelt US Deputy Marshal Earl Blaine. »Bevor der von Ihnen angeschossene Jones Mullegan noch einmal Ihre Fährte aufnahm – weil Sie ja mit der verwundeten Frau nicht weit kommen konnten –, kam er noch in unser Camp und sagte uns Bescheid. – Wir fanden Mullegan – oder jedenfalls das, was noch von ihm übrig war. – Nun, wir wollen diese Nancy Juleman. – Ist sie dort, wohin Sie uns - 117 -
führen wollen, Wade Oakland?« »Ja, sie ist dort. – Doch ihr werdet sie nicht bekommen. – Ich bin nicht aus dem Versteck herunter gekommen, um eure Skalps zu retten und dadurch Nancy an euch auszuliefern. – Denkt mal nach, Freunde – und denkt gut nach. – Auch du, Fred Hacket! Denkt genau nach.« Sie sagen nichts mehr, aber sie starren ihn im Mondund Sternenlicht an. Er kann spüren, daß sie genauso unsicher sind wie der Captain. Und das macht ihm Hoffnung. *** Die erste Meile kommen sie recht gut vorwärts. Doch dann verstummen die Trommeln im Canyon, und bald sind auch die Indianer bei ihnen. Sie sehen sie im Mond- und Sternenlicht, rechts und links von sich zu Pferd, in die gleiche Richtung ziehen. Wenn es Tag wird – dies haben sich die Indianer gewiß vorgenommen –, werden sie sich gegen die Weißen wenden, die ihrer Meinung nach den großen Fehler machten, die schützende Wagenburg zu verlassen, vielleicht deshalb, weil sie glaubten, daß ein Rückzug und ein Aufgeben genügen würden. Es kommen dann und wann aus der Nacht Pfeile geflogen. Da die Bogenschützen kein Mündungsfeuer aufblitzen lassen, sind ihre Stellungen nicht erkennbar. Es trifft nach und nach einige Soldaten und Zivilisten, dann eines der wenigen noch vorhandenen Maultiere. Es werden immer mehr Pfeile. Offenbar ist den Indianern jetzt klargeworden, daß sie auf diese Weise die - 118 -
abziehende Abteilung bis zum Tagesanbruch schwächen können, ohne selbst dabei zuviel zu riskieren. Denn kein Indianer will in der Nacht sterben – warum, dies wurde schon erklärt. Aber die Weißen kommen dennoch vorwärts. Einige Male erwidern sie die Pfeile mit Gewehr- und Revolverfeuer – und nun ziehen sich die zu beiden Seiten reitenden Indianer weiter zurück. Wade Oakland, der ebenfalls zu Fuß geht, spürt zunehmend das Nachlassen seiner Kräfte. Dieser »Ausflug« war vielleicht doch um zwei oder drei Tage zu früh für ihn. Sein Ausschußloch im Rücken scheint wieder zu bluten. Jedenfalls hat er ein feuchtes Gefühl im Rücken. Die Wunden schmerzen auch wieder so wie vor Tagen. Er hat immer häufiger ein Schwindelgefühl. Ihm wird dann dunkel vor Augen, und er schwankt oft wie ein Betrunkener. Sergeant Pat O'Rourke ist dann plötzlich neben ihm. »Na, dir geht's wohl gar nicht gut, Hundefleisch fresser?« Beim letzten Wort ist jedoch keine Bosheit in seiner Stimme – nein, dieser Sergeant meint es scherzhaft, zwar rauh, doch nicht feindlich. Wade spürt es genau. Er sagt schnaufend: »Siehst du links oben auf dem Canyonrand die drei kleinen Felsen gegen den helleren Himmel sich abheben?« »Die sehe ich, Mister«, erwidert der Sergeant. »Die müssen wir uns als Richtungspunkt wählen. Genau darunter beginnt das Felsband nach oben. Wir bewegen uns dann schräg aufwärts. – Es geht weiter als hundert Yard hinauf – aber länger als eine halbe Meile. – Wenn die Indianer merken, daß wir einschwenken, werden sie sich was denken. Wir müssen nach dem Einschwenken die letzte Viertelmeile sehr schnell sein. – - 119 -
Sonst sind die Roten vielleicht vor uns auf dem Felsband. Verstehst du, Sergeant?« »Also müssen unsere Reiter vorausreiten«, sagt dieser. »Wir haben noch elf Reiter. Auch dieser US Deputy ge hört dazu, denn sein Pferd ging nicht verloren. Ich schicke sie los.« »Richtig«, keucht Wade Oakland. »Wir müssen jetzt gleich einschwenken. Nur noch hundert Yard. – Also los, Pferdesoldat!« *** Nun, sie schaffen es. Sie schwenken ein, und die Indianer wundern sich zulange. Vielleicht denken sie auch, daß sich die Weißen zwischen einigen Felsen am Fuße des Steilhangs verschanzen wollen. Jedenfalls kapieren die Roten die Sache zu spät. Zuerst die Reiter, dann der Wagen und die Packtiere – ganz zuletzt ein Dutzend Marschierer, sie alle erreichen den Anfang des Felsbandes. Den Indianern wird alles zu spät klar. Aber dann greifen sie heulend an. Ihr »Hiiiiiyeeeee-haaa« gellt nun durch den Canyon, und jetzt besiegen sie sogar ihre Furcht vor dem Sterben in der Nacht. Nun greifen sie an, um die letzten Weißen nicht entkommen zu lassen. Es kommt noch einmal zu einem Kampf. Auch Wade Oakland leert seinen Colt. Neben ihm kämpft dieser Fred Hacket mit seinen beiden Revolvermännern. Als sie einmal verharren, sich in Deckung ducken und ihre Revolver neu laden, da sagt Fred Hacket keuchend und knirschend zugleich: »Mann, was weißt du denn von - 120 -
dieser Nancy? Sie hat meinen Bruder umgelegt, mich angeschossen – und dann hat sie uns bestohlen. Das Schiff brannte ab, weil mein Bruder eine Lampe umriß und das Öl auslief, wobei es sofort zu brennen begann. – Hast du schon mal überlegt, was für ein Weib das ist?« »Ich kenne sie gut«, erwidert Wade. »Schon als ganz kleines Mädchen kannte ich sie. Überdies erzählte sie mir genau, wie das alles war und was für miese Pilger ihr zwei Brüder gewesen seid. – Du bekommst sie nicht, Fred Hacket. Auch der Marshal wird das nicht schaffen. – Wetten?« »Ja, diese Wette nehme ich an«, knirschte Fred Hacket. Und dann schießen sie wieder auf die Indianer, die nun auf dem Felsband nachzudrängen versuchen. »Vielleicht sollten wir dich auch gleich umlegen«, grollt Fred Hacket, als sie den Angriff abgeschlagen haben und ihre Colts nochmals nachladen. »Das würde ich nicht raten, Fred Hacket«, mischt sich da einer der beiden Revolvermänner ein. »Ich verdanke diesem Mister hier wahrscheinlich die allergrößte Chance meines Lebens, und ich meine, man muß irgendwie seine Schulden bezahlen. Für mich ist die Jagd auf Nancy Juleman beendet, Hacket.« »Für mich ebenfalls«, sagt da auch der andere Mann. Seine Stimme klingt leise und leidenschaftslos – aber ab solut ernst. Da sagt Fred Hacket nichts mehr, sondern erhebt sich und verläßt sie. Sie folgen ihm wortlos. Wade Oakland ist der letzte Mann. Aber ein Stück weiter trifft er auch Sergeant O'Rourke, der offensichtlich auf ihn gewartet hat. Denn er sagt mit einem erleichterten Klang in der Stimme: - 121 -
»Na, da bist du ja, Hundefleischfresser. – Mann, ich hätte dir wirklich nicht gegönnt, daß dich die roten Jungens doch noch erwischt hätten. – Geht's noch? – Du bist krank oder verwundet, nicht wahr?« »Sicher – sonst hätte ich euch schon eher hier heraufgeholt«, keucht Wade Oakland. »Oder glaubst du, ich hätte erst einige Tage gebraucht, um herausfinden zu können, ob ich es machen soll oder nicht?« Er hockt sich auf einen Stein, späht scharf nach unten. Auch der Sergeant tut es. Sie sehen beide die Roten nach kommen. Doch noch sind sie zu weit unter ihnen. Es lohnt noch nicht zu schießen. Sie können noch etwas ver schnaufen. Der Sergeant sagt: »Eigentlich bist du ein ganz prima Bursche, Wade Oakland. Ich verstehe gar nicht, was ich die ganze Zeit gegen dich hatte und warum es mich immerzu juckte, dir meine Faust ins Gesicht zu stoßen. – Wenn wir jemals nach Fort Laramie zurückkommen sollten, dann kannst du mich immer dann, wenn wir uns im Saloon begegnen, vor allen Gästen dort in den Hintern treten. – Wirklich! Doch du bist gewiß zu vornehm, um das auch wirklich zu tun. – Dann also muß ich immer einen ausgeben – aber diesmal ohne Heimtücke. – Junge, wenn ich mal in den Himmel kommen sollte, werde ich dort ein gutes Wort für dich einlegen und notfalls Krawall machen, sollten sie dich nicht reinlassen wollen.« Sie beginnen nun wieder zu schießen. Das Geheul der Indianer gellt zu ihnen empor. Einige Krieger bleiben getroffen liegen. Andere rollen sich in Deckung von großen Steinen, die ja überall auf dem Felsband liegen. Sie pressen sich auch in die Spalten der steilen Canyonwand. - 122 -
Wade Oakland und der Sergeant gehen weiter. »Soll ich dir helfen, Bruderherz?« So fragt der Sergeant. »Aaah, es geht schon«, keucht Wade. »Das letzte Stück schaffe ich auch noch.« Sie treffen nun auf Fred Hacket, die beiden Revolvermänner, den Marshal und einige Soldaten. »Geht nur weiter«, sagt der Marshal. »Uns ist eingefallen, daß wir ein wenig zu schnell liefen. Geht nur weiter. Denen da unten besorgen wir es jetzt gerne.« Wade Oakland blickt hinunter. Auf dem Felsband drängen sich viele Indianer. Es sind gewiß mehr als hundert, doch auf dem schmalen Band haben nicht mehr als drei nebeneinander Platz. Es ist leicht, sie mit Kugeln aufzuhalten. Unten im Canyon warten noch mehr Indianer. Sie sind im Mond- und Sternenlicht gut zu erkennen. Nun beginnen sie von ihren Pferden aus heraufzuschießen. Aber die Entfernung in Luftlinie betragen von unten schon fast dreihundert Yard, da sie weiter zur Canyonmitte reiten mußten, um das Felsband einsehen zu können. Ihre Kugeln können nur Zufallstreffer erzielen – und das tun sie auch zwei- oder dreimal. Die Weißen haben also auch jetzt noch Verluste. Dennoch kommen die Flüchtlinge gut voran. Die ersten müssen schon oben bei Nancy auf der Terrasse sein. Von oben wird nun ebenfalls geschossen. Oh, Wade weiß, wie sehnsüchtig Nancy oben auf ihn warten wird. Und diese Gewißheit gibt ihm noch einmal etwas Kraft.
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Noch zweimal muß er unterwegs verschnaufen. Weiter unten krachen wieder Schüsse. Sergeant O'Rourke ist weitergegangen. Denn er wird oben gebraucht, um dort für Ordnung zu sorgen. Wade Oakland wartet geduldig. Er kann sehen, wie der Marshal, Fred Hacket, die beiden Revolvermänner und einige Soldaten immer wieder die nachdrängenden Indianer aufhalten. Denn diese kommen immer noch, trotz ihrer Verluste. Ihre wilde Wut ist grenzenlos. Staub wirbelt in der hellen Nacht. Wade Oakland erhebt sich und legt das letzte Stück des ansteigenden Weges zurück. Oben auf der Terrasse ist Platz genug für all die Männer, mögen sie noch unverletzt oder verwundet sein. Er sieht Nancy, und diese ist emsig beschäftigt und nickt ihm nur zu. Sie ist dabei, mit den beiden Sanitätern all die Verwundeten zu betten und an ihnen die dringendsten Versorgungen zu verrichten. Denn einige dieser Schwer verwundeten, die man herauftragen mußte, wurden durch diesen Transport doch schwer mitgenommen. Es geht ihnen schlecht. Die drei Sergeanten sind dabei, Ordnung zu schaffen und die kampffähigen Männer einzuteilen. Dort, wo der schmale Pfad auf die Terrasse mündet, wird nun aus Steinen eine Brustwehr errichtet. Die letzten Männer, die heraufgehastet kommen, sind der Marshal, Fred Hacket und die beiden Revolvermän ner. Sie werfen sich hinter die Brustwehr, welche inzwischen schon so hoch wurde, daß man sich bäuchlings hinüberwälzen muß. Sie keuchen. - 124 -
Wade Oakland hockt dort, wo sich ihr Gepäck und ihre Pferde befinden. Die Nacht ist nun blaß geworden, grau und fahl. Es ist jene Stunde, da der Himmel seine strahlende Schönheit verliert und die ganze Welt grau wird – jene Stunde zwischen Nacht und Morgen, in der die ganze Welt ihren Atem anzuhalten scheint. Aber die Sicht ist schon recht gut. Nur tief unten im Canyon steigen die Nebel. Es wird immer wieder heftig geschossen. Die Indianer drängen immer noch nach. Manche haben sich weiter oben in den Steilhängen in Spalten verborgen und versuchen von da aus ins Camp zu schießen. Wade Oakland beobachtet Fred Hacket und den Marshal. Diese wiederum sehen zu Nancy Juleman hin, die dabei ist, einen der stöhnenden Verwundeten zu versorgen. Nun spürt sie wahrscheinlich die Blicke der Männer. Denn sie blickt auf, sieht starr zu ihnen her, verharrt einen Moment in ihrer Tätigkeit. Man kann ihr ansehen, daß sie tief in ihrem Kern erschrocken ist. Erst nach einer Weile wendet sie den Kopf und sieht zu Wade Oakland hin. Dieser ist am Ende seiner Kraft. Es sind viele Stunden vergangen, seit er sie verließ, um sich in die Wagenburg zu schleichen. Ja, er ist restlos erledigt und wird gewiß zwei bis drei Tage brauchen, um wieder all die verlorene Substanz auszugleichen. Aber er winkt ihr beruhigend zu und sieht dann auf Fred Hacket. Dieser nämlich kann sichtlich schwer nur seinen Haß unter kühler Kontrolle halten. Er scheint am ganzen Körper irgendwie zu vibrieren – etwa so wie ein gieriger, - 125 -
sprungbereiter Wolf, der sein Opfer in die Enge trieb. Fred Hacket ist am Ende der Fährte. Er hat diese Frau mit einigen Männern unentwegt verfolgt und hätte dies bis an jeden Punkt der Welt getan. Er scheute keine Mühe, keine Kosten – und selbst in das Indianerland folgte er ihr. Daß ihn dabei auch noch ein US Deputy Marshal begleitet, ist ziemlich außergewöhnlich. – Vielleicht hat er diesem Deputy eine Belohnung ver sprochen, so viel Geld, wie dieser Deputy sonst in zwei oder drei Jahren nicht ersparen könnte. Anders kann es nicht sein. Denn sonst folgt ein US Deputy einem Flüchtigen nicht mit einem Haftbefehl bis ins tiefste Indianerland. Nein! Wade Oakland sagt ruhig zu Nancy hinüber: »Alles in Ordnung, Nancy. Die tun dir nichts – gar nichts.« Bei seinen Worten sieht er Fred Hacket und den Marshal an. Sein Blick macht die Worte an diesem grauen Morgen zu einer Warnung. Der Marshal wendet sich zuerst ab. Doch Fred Hacket macht noch einige Schritte in Richtung auf Nancy. Wade Oakland erhebt sich. Und Nancy kauert bewegungslos neben dem stöhnen den Verwundeten, starrt auf Fred Hacket. Einige Sekunden lang sieht es so aus, als wollte Fred Hacket loslegen, als könnte er sich nicht beherrschen – und der Atem von unheilvoller Gewalttat, von Rache und Haß weht. Aber dann atmet Fred Hacket langsam aus. Er scheint irgendwie zu erschlaffen. Seine Schultern senken sich nach vorn. Dann wendet auch er sich ab. Überall herrscht noch ein Durcheinander. - 126 -
Denn es gibt ja auch eine Menge zu tun hier oben. Sie müssen sich allesamt hier oben auf der Terrasse einrichten. Wade Oakland nickt Nancy zu. Auch diese atmet aus. Die Starre löst sich in ihr. Sie erwidert sein Nicken und beginnt sich wieder um den Verwundeten zu kümmern. Wade sieht sich um. Er entdeckt den Captain ganz in der Nähe. Captain Otis sitzt am Boden, lehnt an einem Felsbrocken und hat sein ruiniertes Bein ausgestreckt. Das Knie des anderen Beines hat er angezogen und das Tagebuch seiner Truppe drauf gelegt. Er schreibt mit einem Tintenstift hinein … Plötzlich hebt er seinen Blick. Wahrscheinlich spürte er den Blick von Wade Oakland auf sich ruhen. Eine Weile betrachten sie sich. Dann nickt der Captain. »In Ordnung, Oakland«, sagt er. »Dies ist ein guter Platz. – Hier werden wir mit dem Rest der Truppe überleben können. – In zwei Tagen etwa muß eine Patrouille von Fort Laramie hier auftauchen. Wenn sie herausfindet, daß uns die Indianer hier in der Klemme haben, und den Roten auch noch entkommen kann, dann ist eine Woche später eine Ersatz- und Strafexpedition hier, die uns raushaut und den Roten eine Lektion erteilt. – Wir müssen also hier etwa neun Tage aushalten. – Ich werde das mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr erleben. – Mein Bein … Aber ich werde Sie, Wade Oakland, in meinem Kommandotagebuch voll rehabilitieren. Die Sergeanten werden das als Zeugen unterschreiben. – Auch der US Deputy. – Sie müssen dann nur zusehen, daß das Tagebuch nicht verlorengeht. – Ich bin sehr froh, daß nicht alle Männer, die unter meinen Befehl gestellt - 127 -
wurden, sterben müssen. – Ja, ich bin sehr froh, daß wenigstens alle, die hier oben sind, eine gute Chance erhalten.« Damit hat er alles gesagt. Er senkt den Kopf und schreibt weiter. Im Osten – hinter der Canyonwand verborgen – geht die Sonne auf. Man erkennt das daran, daß der Himmel heller wird und alle Dinge der Welt, die bisher nur grau waren, Farbe bekommen. Wade Oakland geht wieder zu seinem Platz und legt sich hin. Er schläft vor Erschöpfung sofort ein. *** Und wie es endet: Die Indianer lassen sich in den nächsten Tagen und Nächten eine Menge einfallen, um die Weißen auf der Bergterrasse bis auf den letzten Mann zu töten. Sie versuchen es mehrmals in den Nächten oder wenn im grauen Morgen die Nebel steigen. Sie versuchen es mit Steinlawinen von oben. Aber der Platz ist leicht zu verteidigen, und wenn die Steinlawinen herunterkommen von den oberen Canyonrändern, dann finden die Belagerten leicht Schutz unter Vorsprüngen und in den tiefen Rissen und Falten des Steilhanges. Schlimmer ist schon, daß sie bald kein Feuerholz mehr haben, und auch die Pferde – es sind ja nur wenige Tiere hier oben – kein Futter mehr finden. Bevor die Tiere verhungern, werden sie freigelassen. Sie wandern den schmalen Felspfad abwärts dem Grund der Canyons zu, und sie werden von den Indianern begeistert empfangen. - 128 -
Diese Pferde sind für die Roten sozusagen ein Symbol dafür, daß man auch die Weißen wird aushungern können. Ewig werden ihre Vorräte nicht reichen, obwohl sie Wasser zur Verfügung haben. Doch am fünften Tag versiegt auch das dünne Wasserrinnsal, welches aus der Felsspalte rinnt. Es bleibt nur noch das, was sich in der natürlichen Felswanne befindet, aus der es überlief. – Nun haben sie etwa eine Badewanne voll Wasser und jenes, was sie in ihre Feldflasche füllten. Aber damit sollten sie auskommen bis zum Eintreffen der Hilfstruppe, die sie hier heraushaut. Es ist sicher, daß die Indianer das Wasser oben umleiteten. Einige Verwundete sterben in diesen Tagen. Und auch dem Captain geht es so schlecht, daß er kaum noch eine Chance hat bis zum Eintreffen der Truppen, bei denen sicherlich auch ein Feldarzt ist. Das Bein hat tatsächlich den Brand, und es müßte zwei Handbreit über dem Knie abgenommen werden. Immer dann, wenn der Captain trotz starkem Fieber einmal zur Besinnung kommt und mit jemandem reden kann, dann bittet er ihn, doch dafür zu sorgen, daß man ihm das Bein abnimmt. Den beiden Sanitätern – von denen einer allerdings auch verwundet wurde in einer Nacht von einer Kugel – gibt er sogar den Befehl, endlich an ihm ihre Pflicht zu tun. Doch sie wagen es nicht. Die drei Sergeanten kommen aber am Abend des fünften Tages zu Wade Oakland und Nancy, hocken sich zu ihnen. »Ich glaube, wir müssen was für den Captain tun«, sagt Sergeant O'Rourke. »Wir haben ein Beil mit heraufgenommen, als wir damals die Wagenburg ver - 129 -
ließen. Wir dachten, ein Beil könnte nicht schaden, um Holz zu machen damit. – Aber wir brauchten es kaum, weil hier kein Holz ist. – Wer hätte gedacht, daß wir mal daran denken würden, ob man dem Captain damit das Bein abschlagen könnte? – Man müßte es mit einem einzigen Hieb tun – nur ein einziger, kräftiger und genauer Hieb, jawohl! Und dann haben wir einen Klumpen Pech. Unser Korporal von der Waffenmeisterei hat ihn mitgenommen aus der Wagenburg, weil wir ja auch die Pulverfässer und Munitionskisten mitnahmen. – Mit flüssigem Pech dichtete man bei uns immer noch die Pulverfässer und Munitionskisten gegen Feuchtigkeit ab. – Wir könnten das Pech flüssig machen und den Beinstumpf des Captains hineintauchen. – Aber wer führt den Schlag mit dem Beil aus? – Wer mach das? – Oakland, wir haben schon alle gefragt, die dafür in Betracht kamen – den Wagenboß, den Marshal – und auch uns geprüft, ob wir das könnten. – Aber es muß ein genauer und präziser Holzfällerschlag sein. – Keiner von uns traut sich. – Wade, wie ist es mit dir?« Wade Oakland erschaudert. Er muß seine Zähne zusammenbeißen. Und Nancy stößt sogar einen erschreckten Laut aus. Dann zuckt sie zusammen und blickt schräg nach oben. Fred Hacket ist zu der Gruppe getreten. Aber er sieht nur auf Nancy nieder. Für ihn scheint nur noch Nancy zu existieren. Er starrt sie zwingend an, so als wollte er sie hypnotisieren. Sie fühlt sich auch sofort sichtlich unbehaglich. Man sieht ihr an, daß sie sich vor ihm fürchtet. Aber Wade Oakland sagt ruhig: »Hau ab, Hacket – hau ab hier, los, hau ab!« »Sie hat euch alle verhext«, sagt Fred Hacket, »dich besonders, Oakland, weil du mit ihr unter einer Decke - 130 -
liegen darfst. – Aber auch mein Bruder …« »Du sollst dein Maul halten«, sagt Wade Oakland knirschend und erhebt sich. Er ist schon wieder kräftig genug, um sich schnell und gleitend bewegen zu können. »Sie hat euch alle verhext«, knirscht Fred Hacket noch einmal und wendet sich ab. Nancy Juleman zittert nun am ganzen Körper. »Sein Haß wird niemals nachlassen«, murmelt sie. »Ich war zuletzt auf dem Schiff ihre Gefangene. Ich mußte meinen Weg in die Freiheit freischießen. Dabei verlor dieser Fred Hacket seinen Bruder und mit ihm auch zugleich das Schiff. – Er wurde von mir angeschos sen, und besonders letzteres kann er wohl nicht überwinden, besonders letzteres nicht.« Sie verstummt kaum verständlich. Die Männer schweigen. Dann fragt Sergeant O'Rourke: »Wo wurde er denn von Ihnen verwundet, Schwester?« Sie sieht ihn seltsam an – und ihre halb geöffneten Lippen zittern. Aber dann schüttelt sie heftig den Kopf. »So genau weiß ich das nicht«, murmelt sie. Die Männer schweigen. Dann aber erinnern sie sich wieder an die Probleme mit dem Bein des Captains. Sie sehen Wade an. »Verdammt«, sagt dieser, »ihr verlangt doch wohl nicht, daß ich es tun soll?« Sie geben ihm keine Antwort. Sie nicken auch nicht. Sie sehen ihn nur an. Erst nach einer Weile sagt Sergeant O'Rourke: »Einer muß es doch tun. Und du bist sicherlich der beste Mann – hart, schnell und genau mit einem einzigen Schlag. Du bist gewiß auch schon wieder kräftig genug dafür.« - 131 -
Wade Oakland wischt sich über das Gesicht. Dann sieht er Nancy an. Diese nickt ihm zu. »Er wird sonst mit Sicherheit sterben – und er hat dich rehabilitiert, Wade.« Da nickt er. »Gut, dann jetzt gleich, solange es noch hell genug ist.« *** Der Schrei des Captains gellt bei Sonnenuntergang durch den Canyon. – Und Wade Oakland läßt das Beil fallen, so als wäre es ein glühendes Eisen. Er sieht nicht mehr auf das abgetrennte Bein nieder, sondern wendet sich ab. Er tritt an den Rand der Terrasse, denn er hat das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Aber er braucht es dann doch nicht. Eine Weile starrt er nach Westen zum roten Himmel dort. Als er sich umwendet, steht Fred Hacket vor ihm. »Sie ist eine Hexe«, sagt Hacket. »Sie muß in die Hölle. – Sie hat mich mit einer Kugel aus einem Derringer entmannt – verstehst du? – He, ist dir klar, daß ich sie töten muß?« »Du wirst gleich tot sein«, sagt Wade Oakland, »wenn du nicht aufhörst mit deinem Haß. – Warum wart ihr auch so mies zu ihr und …« Da stürmt Fred Hacket plötzlich vorwärts. Es ist unverkennbar seine Absicht, Wade Oakland über den Rand der Terrasse in den Canyon zu stoßen. Doch Wade fällt vor ihm auf Hände und Knie, läßt sich einfach zusammenfallen. Fred Hacket fliegt über ihn hinweg, versucht sich noch am Rand zu halten – doch es gelingt ihm nicht. Er fällt in die Tiefe, schlägt mehrmals hart am - 132 -
Steilhang auf. Als Wade Oakland sich aufrichtet, sieht er einige Männer, die starr verharren, weil sie als Zuschauer zu erschrocken sind und nichts tun konnten, obwohl sie zusahen. Auch der US Deputy ist unter diesen Männern. Er nickt Wade Oakland zu. »Glück gehabt, Oakland«, sagt er trocken. »Jetzt stehen die Chancen sehr viel günstiger für Nancy Juleman, wenn sie vor dem Richter in Saint Louis ihre Aussage macht. – Ich kann bezeugen, daß Fred Hacket vor Haß wie verrückt war. Und die Zeugen, die er wahr scheinlich kaufte, werden nach seinem Tod jetzt wahrscheinlich die Wahrheit sagen. – Es wäre gut, wenn Nancy mit mir nach Saint Louis ginge. Ihre Aussage wird durch nichts mehr widerlegt werden können. Wahr scheinlich wollte Hacket sie auf der Flucht unterwegs er schießen. Das glaube ich jetzt ziemlich sicher.« Wade Oakland nickt und sieht zu Nancy hinüber, die mit anderen Männern hinzugetreten ist. Der Captain, um den sich jetzt die beiden Sanitäter bemühen, braucht keine weitere Hilfe mehr. Er ist ohnmächtig und liegt still. Die Sanitäter sind fast schon fertig mit ihm. Nancy hatte die letzten Worte des Marshals gehört. Sie erwidert Wades Blick. »Ja, mit dir gehe ich nach Saint Louis zurück«, sagt sie zu ihm und dem Marshal. »Jetzt bin ich sicher, daß man mir glaubt. Es gibt eine Menge Leute am Strom, die sich vor den Hackets fürchteten und deshalb auch Falscheide schworen. – Ja, jetzt kann ich zurück.« ENDE
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