Michaela Hartl Emotionen und affektives Erleben bei Menschen mit Autismus
VS RESEARCH
Michaela Hartl
Emotionen und...
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Michaela Hartl Emotionen und affektives Erleben bei Menschen mit Autismus
VS RESEARCH
Michaela Hartl
Emotionen und affektives Erleben bei Menschen mit Autismus Eine Untersuchung unter analytischer Betrachtung autobiographischer Texte „So laut ich konnte dachte ich, dass ich sie liebte“
Mit einem Geleitwort von Univ.-Prof. Dr. Fritz Poustka
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Verena Metzger / Anette Villnow VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17464-8
Für Volker Handl Mit seinem lieben Wesen lehrte er mich, hinter dem Offensichtlichen das Wesentliche zu erkennen. Seine Emotionalität weckte mein Interesse an der Thematik dieser Forschung.
INHALTSVERZEICHNIS
GELEITWORT PROF. DR. F. POUSTKA
11
VORWORT UND PERSÖNLICHER ZUGANG
15
1
EINLEITUNG
21
2
THEORETISCHER HINTERGRUND
25
2.1 FORSCHUNGS STAND AUTISMUS 2.1.1 Das autistische Spektrum
25 25
2.1.1.1 Allgemeines 2.1.1.2 Begriff und Geschichte 2.1.1.3 Internationale Klassifikationen des autistischen Störungsbildes 2.1.1.4 Der frühkindliche Autismus nach Kanner 2.1.1.5 Das Asperger-Syndrom 2.1.1.6 Gegenüberstellung von frühkindlichem Autismus und Asperger-Syndrom 2.1.1.7 Andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen 2.1.1.8 Diagnostische Abgrenzung vs. Autistisches Kontinuum
25 27 28 29 32 33 35 36
2.1.2
Ursachenforschung zu autistischen Störungen
39
2.1.3
Behandlungsmethoden und therapeutische Maßnahmen
43
2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3
Aspekte und Trends der Ursachenforschung Psychologische Erklärungstheorien Spiegelneuronen und die Salience-Landscape-Theorie
2.1.3.1 Ziele der Maßnahmen der Behandlung bei Autismus 2.1.3.2 Klassifikation der Methoden zur Behandlung und Therapie des Autismus
2.2 FORSCHUNGSSTAND EMOTION 2.2.1 Kurzer historischer Abriss 2.2.2 Definition und Beziehung zu verwandten Konstrukten
2.2.2.1 Definitionsprobleme und konzeptuelle Unschärfe 2.2.2.2 Komponenten einer Emotion 2.2.2.3 Ausgewählte Emotionsdefinitionen 2.2.2.4 Emotion und Beziehung zu verwandten Konstrukten : Gefiihl, Stimmung, Affekt
2.2.3
2.2.3.1
Erfassung und Sortierung von Emotionen Allgemeines
39 40 42
43
44
45 45 47
47 49 50 53
55 55
7
2.2.3.2 2.2.3.3 2.2.3.4 2.2.3.5 2.2.3.6
2.2.4
2.2.4.1 2.2.4.2 2.2.4.3 2.2.4.4
3
Entwicklung von Emotionen.
Voraussetzungen für die emotionale Entwicklung Entwicklung eines Emotionsrepertoires Entwicklung des Emotionsverständnisses Ausgewählte sekundäre Emotionen
PROBLEMSTAND UND FRAGESTELLUNG 3.1 3.2
4
Ausgangsmaterial: Emotionswörter Ähnlichkeitsbestimmungen Emotionskategorien Emotionsdimensionen Grundemotionen
PROBLEMSTAND: ERKENNTNlS- UND PRAXISINTERESSE FORSCHUNGSFRAGESTELLUNG
METHODIK
56 58 59 60 60
61 61 64 67 68
73 73 78
79
4.1 BEGRüNDUNG DER METHODENWAHL 79 4.1.1 Allgemeine Überlegungen 79 4.1.2 Autobiographische Texte als Datenquelle 80 4.1.3 Die Wahl des Untersuchungsverfahrens 82 4.2 DIE INHALTSANALYSE VON EMOTIONSAUSSAGEN NACH KEMMLER 84 4.2.1 Grundannahmen von Kemmler 84 4.2.2 Arbeitsdefinitionen bei Kemmler 85 86 4.2.3 Das inhaltsanalytische Kategoriensystem von Kemmler 4.2.4 Emotionswörter bei Kemmler 89 4.2.5 Kodiervorgehen in der Untersuchung von Kemmler 90 4.3 FORSCHUNGSGEGENSTAND - DIE AUTOBIOGRAPlllSCHEN TEXTE 91 4.3.1 Überlegungen zur Reichweite der AussagekraJt 91 4.3.2 Ergebnisse der Recherche nach autobiographischen Texten 94 4.3.3 Auswahl des Untersuchungsmaterials 111 4.3.3.1 4.3.3.2
Die Auswahl der Autoren Auswahl der zu analysierenden Textstellen
4.3.4 Kritische Betrachtung zum Forschungsgegenstand 4.4 FORSCHUNGSDESIGN DER VORLIEGENDEN UNTERSUCHUNG 4.4.1 Die Methode 4.4.2 Methodisches Vorgehen 4.4.3 Der Analyseprozess 4.4.3.1
8
Allgemeines
111 113
114
119 119 119 122
122
4.4.3.2 4.4.3.3
Die Liste der Emotionswörter 122 Metaphern und spezifische Emotionsausdrücke einzelner Autoren. 124
4.4.4.1 4.4.4.2 4.4.4.3 4.4.4.4 4.4.4.5 4.4.4.6 4.4.4.7 4.4.4.8 4.4.4.9 4.4.4.10
Bandbreite der erlebten Emotionen 126 Die erlebten Emotionen in Emotionsgruppen 127 Häufigkeiten subjektiv angenehmer und unangenehmer Emotionen 131 Vergleich mit anderen Untersuchungen 133 Komplexität der Emotionen 136 Art der Thematisierung der Emotionen 136 Aussagen mit emotionalem Gehalt. 136 Vergleich erlebter mit nicht erlebten benannten Emotionen 137 Situativer Zusammenhang 137 Anmerkung 138
4.4.4 Erläuterungen und Anmerkungen zum Prozess der Ergebnisflndung
125
5 DIE ERGEBNISSE - DAS EMOTIONSERLEBEN VON MENSCHEN MIT AUTISMUS
139
5.1 DIE BANDBREITE DER ERLEBTEN EMOTIONEN 5.1.1 Darstellung 5.1.2 Diskussion 5.2 DIE ERLEBTEN EMOTIONEN IN EMOTIONSGRUPPEN 5.2.1 Darstellung 5.2.2 Diskussion 5.3 HÄUFIGKElTEN SUBJEKTIV ANGENEHMER UND UNANGENEHMER EMOTIONEN 5.3.1 Darstellung 5.3.2 Diskussion 5.4 VERGLEICH MIT ANDEREN UNTERSUCHUNGEN 5.4.1 Darstellung 5.4.2 Diskussion 5.5 KOMPLEXITÄT DER EMOTIONEN 5.5.1 Darstellung 5.5.2 Diskussion 5.6 ART DER THEMATISIERUNGDEREMOTIONEN 5.6.1 Darstellung 5.6.2 Diskussion 5.7 AUSSAGENMITEMOTIONALEMGEHALT 5.7.1 Darstellung 5.7.2 Diskussion 5.8 VERGLEICH ERLEBTER MIT NICHT ERLEBTEN BENANNTEN EMOTIONEN
139 139 141 144 144 146 147 147 149 150 150 156 160 160 161 162 162 163 l64 164 166 167 9
5.8.1 Darstellung 5.8.2 Diskussion 5.9 SITUATIVERZUSAMMENHANG 5.9.1 Darstellung 5.9.2 Diskussion 5.10 ZUSAMMENFASSUNG MIT FOLGERUNGEN FÜR PÄDAGOGISCHES HANDELN 5.10.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 5.10.2 Conclusio 5.10.3 Folgerungen für pädagogisches Handeln
167 170 174 174 179 184 184 188 189
PERSÖNLICHE SCHLUSSBEMERKUNG
199
LITERATlTR
201
AUTOBIOGRAPHISCHE TEXTE LITERATURVERZEICHNIS INTERNET- UND SONSTIGE QUELLEN
ANHANG TEXTAUSSCHNITTE KODIERT ABELLE TABELLEN UND DIAGRAMME.
10
201 202 207 209
209 215 220
GELEITWORT
Autistische Störungen - die verschiedenen "Spielarten" werden zunehmend häufiger und wohl auch demnächst offiziell unter dem Übertitel .AutismusSpektrum-Störungen" zusammengefasst (1) - bedeuten ein lebenslanges, sehr stark belastendes Leiden. Dies fuhrt unter den engsten Bezugspersonen von Menschen mit Autismus zu einem auch im Vergleich zu anderen psychiatrischen Erkrankungen ungewöhnlich starken Leidensdruck. Die direkte Kommunikation mit der autistischen Person ist zutiefst gestört (2, 3). Es gehört zu den größten Kränkungen von Angehörigen, wenn Eltern und Geschwister sich nicht enger mit der oder dem Betroffenen austauschen können, oft trotz einer guten Sprachfähigkeit und ohne dass eine deutliche körperliche Behinderung sichtbar ist. Im Alltäglichen, im Spiel, im "smali talk" - ob in ernsthafter oder eher freundlichausgelassener Art - ist ein wechselseitiges Austauschen, eine Gegenseitigkeit, so schwer zu gewinnen. Rollenspiele, Verstellen oder subtile Ironie werden kaum verstanden. Es ist kein Wunder, dass dies ein Faszinosum :für die Wissenschaft geworden ist und viele Familien mit hohem Interesse und hoher Kooperation unermüdlich hoffen auf Aufklärung, ja Heilung. Die Forschungslandschaft ist weltweit besetzt von einem hohen Aufwand an genetischen, neurophysiologischen, neuropsychologischen und therapeutischen Studien, weil die Fähigkeit zur Empathie, zur Imitation - die bekanntlich das halbe Leben ausmacht - zum Austausch der Emotionen beim Autismus so nachhaltig betroffen ist und daher den "signifikant Anderen" so betroffen macht (2, 3). Wir wissen aber auch, dass schnelle Untersuchungsvorgänge beim Autismus größere Defizite vortäuschen als langsamere, behutsame. So haben Menschen mit Autismus augenscheinlich doch Spiegelneurone, die Ihnen beim Antizipieren von Bewegungen oder beim Nachahmen von fazialer, affektiver Mimik und Gestik zunächst abgesprochen worden waren (4). Hier greift Michaela Hartl ein, indem sie uns sagt, dass Menschen mit autistischen Störungen genauso fühlen und Gefühlsreaktionen zeigen, wie du und ich. Sie zeigen zwar einen Mangel an Empathie, nicht aber an Sympathie! Wie kommt Sie dazu? Frau Hartl analysiert mit einem großen, ebenfalls wissenschaftlichen Aufwand einzelne autobiografische Beschreibungen der Betroffenen selbst. Das Material dafür zu gewinnen war auf den ersten Blick nicht ganz so schwierig. Es 11
gibt seit vielen Jahren eine Reihe von Publikationen - hier in diesem Buch werden 21 biografische Texte von 18 Personen mit Autismus, zum Teil in deutscher Übersetzung, angeführt. Aus einer Reihe von Gründen, die detailliert angegeben werden, wurden vier Texte davon ausgewählt und mit einem ungeheuren Aufwand an Präzision und Geduld die darin enthaltene Emotion in nachvollziehbarer Weise analysiert. Die Auswahl der Texte war davon abhängig, inwieweit tatsächlich ein Autismus diagnostiziert worden war und ob die Texte glaubhaft von dieser Person stammten und sie auch der autobiographischen Fragestellung genügten. Drei von diesen vier ausgewählten Personen, die augenscheinlich alle hervorragend begabt sind, sind weiblich. Hans Asperger aber, dem 1944 das Verdienst zukam, zwar nicht ganz als Erstbeschreiber (das war einige Monate zuvor Leo Kanner 1943), dieses Phänomen definiert zu haben, hat damals und später gemeint, die recht gut intellektuell begabten und ohne Sprachverzögerung sich entwickelnden Personen mit Autismus seien durch die Bank nur männlich. Wir wissen heute, dass dies nicht stimmt, aber je höher die intellektuelle Leistungsfähigkeit ist, die mit Autismus auftritt, umso seltener (etwa zehnmal seltener) betrifft dies das weibliche Geschlecht. Einige davon schreiben sehr überzeugend über ihre Emotionen. Bekanntlich hat Asperger mit seinen Beschreibungen nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass auch leichtere Formen des Autismus als solche erkannt werden, sodass der modemen epidemiologischen Forschung zufolge die Mehrzahl der von Autismus Betroffenen zumindest nicht geistig behindert ist und sprechen kann. Dies war bis in die 70er Jahre nicht so. Danach schwoll die Anzahl der in Feldforschungen erkannten Personen mit Autismus von früher 4-5 pro 10.000 der Geburtsjahrgänge auf jetzt um die ein Prozent mit der ,,AutismusSpektrum-Störung" an (5). Autismus kommt 3-4-mal häufiger beim männlichen Geschlecht vor, je geringer die intellektuelle Leistungsfähigkeit ist, desto eher ist aber das weibliche Geschlecht betroffen. Wahrscheinlich, so mutmaßt man in der Wissenschaft, weil im Vergleich der unterschiedlichen Kognition der Geschlechter das männliche gegenüber dem weiblichen Geschlecht eine geringere Fähigkeit zur Empathie und eine höhere zum Systematisieren zeigt. Dementsprechend müsste das weibliche Geschlecht eine stärkere Störung treffen, um einen Autismus zu verursachen. Mitunter spricht man auch davon, dass Autismus eine übersteigerte, ,,männliche Variante" der Kognition zeigt (6). Frau Hartl zeigt aber auch auf, dass die Bandbreite erlebter Emotionen bei den analysierten Menschen mit Autismus gemäß ihrer Texte ein relativ unauffälliges Bild ergibt, mit einer großen Bandbreite verschiedenster Emotionen und angenehmen wie auch unangenehmen affektiven Äußerungen. Insbesondere die 12
innerpsychischen Vorgänge sind bei dem von Autismus Betroffenen mit Emotionen verbunden. Eigenschaften wie Liebe, Traurigkeit, Glück und Angst machen knapp ein Viertel der genannten erlebten Emotionen aus. Insgesamt zeigt sich anband der geäußerten Emotionen eine unauffiillige Entwicklung im Vergleich zu anderen Erhebungen unter Nicht-Autisten. Zwei wesentliche Ergebnisse sind hier nachzulesen und gründlich begründet, wie zum Beispiel der Umstand, dass im Zusammenhang mit vermehrtem Erleben von Unsicherheitsgefiihlen und Angst bei Autismus auch die Sicherheits-Emotionen stark gehäuft auftreten und sehr bewusst wahrgenommen werden. (Seiten 143, 147) Auffällig ist jedoch auch, dass Frau Hartl einer Fülle von Hinweisen nachgegangen ist, die zu dem Schluss fuhren, "dass komplexe Gefühle wie Liebeskummer und Eifersucht von Menschen mit Autismus zwar gekannt und bei Mitmenschen wahrgenommen werden, dass diese auch im eigenen Erleben vorhanden sind, jedoch diese eigene Empfindung nicht als diese Emotion identifiziert wird und folglich dem entsprechenden Emotionsbegriff nicht zugeordnet werden kann". (Seite 172) Im therapeutischen Handeln sollte daher die Bandbreite der Emotionen viel stärker berücksichtigt werden als bisher geschehen, aber auch die kognitiven Autismus-spezifischen Probleme mit der Identifikation der Emotionen sollten in vielen Alltagssituationen aufgegriffen werden. Auch genetisch bedingte Leiden sind therapierbar, zumindest zu einem gewissen Maße - und ein hoher Grad an Selbstständigkeit ist auch ein für die Lebensqualität erstrebenswertes Ziel. Die derzeitige therapeutische Landschaft ist sehr vielfältig und bedarf auch einer stark individualisierten Zugangsweise. Dafür gibt es Ansätze (5, 7), die bei Berücksichtigung dieser umfangreichen deskriptiven wie auch sinnvoll interpretierten Darstellung von Frau Michaela Hartl durchaus richtungsweisende Impulse erhalten.
Frankfurt am Main, Juni 2010
Fritz Poustka
Literatur: 1.
2.
DSM-V: http://www.dsm5.org/ProposedRevisionslPages/proposedrevision.aspx?rid=94# Poustka F. Böhe S., Feineis-Matthews S., Schmötzer G.: Autistische Störungen, 2. Aufl., Hogrefe, 2008
13
3. 4. 5. 6. 7.
Bölte Sven (Hrsg.): Autismus. Spektrum, Ursacben, Diagnostik, Intervention, Perspektiven. Huber, 2009 bttp://news.sciencemag.org/sciencenow/2010/05/a-crack-in-tbe-mirror-neuronbyp.htmI?etoc Poustka F.: Autistische Störungen. In: Silvia Schneider und Jürgen Margraf (Hrsg.) Springer Medizin Verlag 2009, S. 331-350 Baron-Coben S, Knickmeyer RC, Belmonte MK.: Sex differences in tbe brain: implications for explaining autism. In: Science. 2005, 310, 5749, 819-823. Herbrecht E., Bölte S., Poustka F.: Kontakt. Frankfurter Kommunikations- und Gruppentraining bei Autismus-Spektrurn-Störungen. Hogrefe, 2008
Univ.-Prof. Dr. med, Fritz Poustka ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie sowie für psychosomatische Medizin. Von 1986 - 2008 Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Klinikum der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main. Als Klinikdirektor und Lehrstuhlinhaber leitete er zahlreiche Forschungsprojekte, ist Autor oder Herausgeber von 15 Büchern und über 200 Beiträgen in wissenschaftlichen Zeitschriften und hat sich insbesondere in der Autismusforschung einen Namen gemacht. Mitbegründer und 2. Vorsitz der Wissenschaftlichen Gesellschaft Autismus-Spektrum (WGAS). Privatpraxis Facharzt-Centrum Frankfurt City.
14
VORWORT UND PERSÖNLICHER ZUGANG
Schon früh in meiner Arbeit mit Menschen mit Autismus wurde mein Augenmerk verstärkt auf deren emotionales Befinden gelenkt. Sowohl in der pädagogischen Arbeit als auch im Zuge von Freundschaften mit Betroffenen habe ich viele sehr emotionsbetonte, fröhliche, nachdenklich-traurige und stolze Menschen kennen gelernt. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Emotionen im Leben von Menschen mit Autismus eine sehr große Rolle spielen und auch deren Zurechtkommen im Alltag beeinflussen. Emotionen und das momentane emotionale Befinden sind bei Menschen mit Autismus jedoch teilweise schwer zu erkennen. Viele äußern Freude, Nervosität, Traurigkeit etc. auf eine andere Art und Weise, als man es gemeinhin gewohnt ist und selbst bei genauer Beobachtung mit großem Engagement und Einfühlungsbemühungen bleiben es zum Teil Mutmaßungen, wie es dem Betroffenen momentan wirklich geht. Besonders dann, wenn dieser sich verbal nur eingeschränkt äußern kann, bedarf es oft einer guten Beziehung zu ihm, um sein emotionales Befinden einschätzen zu können, sich im Umgang mit ihm darauf einstellen und angemessen auf ihn reagieren zu können. Die tatsächlichen Ausmaße von Gefühlen des Wohlbefindens, von Ängsten oder Sorgen in seinem Leben aber bleiben allzu oft verborgen. Dazu ein Beispiel:
Einer meiner Schützlinge, er ist 28 Jahre alt, sitzt in der U-Bahn, während er lachend lustige Kinderreime laut auftagt. Dabei sieht er auf den ersten Blick ausgelassen und fröhlich aus. Oft lachen auch die anderen Fahrgäste mit, die seine Fröhlichkeit teilen und damit auch bekunden wollen, dass sie sich von seiner Lautstärke nicht gestört fühlen. Einfreundliches "Du bist aber ein Lustiger"führt zu intensiverem und lauterem Rezitieren der Sätze. Bei näherer Betrachtung seines Gesichtes aber fällt auf, dass der Betroffene Augen und Stirn verkrampft, sein Gesichtsausdruck somit etwas nervös erscheint und sein Blick eine leichte Traurigkeit widerspiegelt. Wer ihn kennt weiß, dass dieses Verhalten bei ihm sehr häufig in lauten Situationen auftritt, in denen er weiß, dass er jetzt nicht die Möglichkeit hat, wenn ihm alles zu viel wird, mit den Händen an den 15
Ohren hinauszulaufen. Er scheint sich mit den Reimen beruhigen zu wollen. So wie in dieser Situation, in der der U-Bahn-Lärm zusammentrifft mit einem Stimmenwirrwarr der vielen Menschen um ihn herum, verschiedenste schwer zuordenbare Geräusche auf ihn eintreffen sowie unvorhersehbare undfür ihn unkontrollierbare Situationen. Zusammenstöße mit Menschen und das plötzliche Aufstehen müssen, um seinem Begleiter zu folgen, der schwierige Schritt aus dem Waggon, das Durchdrängeln durch die Menschenmassen auf den Gängen - all das erwartet ihn nun. Als sein Vertrauter kommt man leicht zu der Annahme, dieses Lachen zusammen mit den geradezu zwanghaft aufgesagten Sprüchlein sei bei ihm Ausdruck der Nervosität und Versuch sich zu beruhigen. Doch auch das bleibt Mutmaßung und Interpretation, wenn man nicht mit dem Betroffenen über dessen Gefühle, Ängste und Freuden reden und Antworten bekommen kann. Wenn man ihn in dieser Situation fragt, ob alles in Ordnung sei und wie es ihm geht, antwortet er unvermittelt und schnell "gut geht's ma". Wie geht es dem Betroffenen wirklich, der in den Augen des Beobachters so sehr vom Autismus gefangen zu sein scheint, wie :fühlter sich, wenn er seine Rituale verfolgt, wie, wenn er unauffällig und angepasst agiert und gerade gut in der Welt zurecht zu kommen scheint? Wie sieht das Emotionsleben aus und welche Emotionen prägen den Alltag eines Betroffenen? Wie wirkt sich das momentane Emotionsempfinden auf das Zurechtkommen mit den Anforderungen des Alltags und auf das Auftreten von autismustypischen Verhaltensweisen (wie Unruhe, starke Anspannung, Stereotypien, Schreien, Rückzugsversuche) aus, die an manchen Tagen viel stärker zutage treten als an anderen? Der pädagogische Umgang mit Betroffenen und die Maßnahmen der Behandlung sind oft vorrangig auf Symptomlinderung ausgerichtet, auf die Förderung der motorischen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten, sowie häufig auf weitgehende Unaufflilligkeit und Anpassung im Alltag. Solche Bemühungen sollen nicht schlechtgeredet werden, sie sind notwendig und dürfen auf keinen Fall vernachlässigt werden! Aber zu oft wird dem psychischen Befinden, dem Emotionsleben des Betroffenen zu wenig Aufmerksamkeit und Methode gewidmet. Im Zuge meiner Arbeit mit stärker Betroffenen, aber auch im privaten Umgang mit Menschen, die eine leichtere Form einer autistischen Störung haben, zeigte sich mir oftmals die große Bedeutung von emotionalen Empfindungen in deren Leben.
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Es kommt vor, dass Aussagen über Behinderung und Belastung für die Eltern in Gegenwart des Betroffenen geäußert, mit ihm selbst aber nicht besprochen werden. Verletzende Dinge werden oft zu leicht über autistische Menschen hinweg ausgesprochen, die man nie sagen würde, wenn man bei diesen von einer normalen, kränkbaren Psyche ausgeht. Der große und lang anhaltende Einfluss, den solche "kleinen Unachtsamkeiten" (aber auch umgekehrt kleine Freundlichkeiten in positiver Hinsicht) auf Menschen mit Autismus - wie auf alle anderen Menschen - haben, wird einem besonders in Gesprächen mit Betroffenen bewusst, oder beim Lesen von Texten, die autistisch behinderte Menschen selbst verfasst haben. Axel Brauns, ein inzwischen erwachsener Autist, wurde gerade vier Jahre alt, als er sich mit manchen Zahlen noch schwer tat und sich die Zahl vier nicht merken konnte. Ständig wurde er ausgelacht, weil er vor seinem Geburtstag nicht sagen konnte, wie alt er morgen wird. Nur ein Junge aus seiner Straße, Christoph, hatte ihn deswegen nicht ausgelacht. Als l4-jähriger Jugendlicher trifft Axel wieder auf Christoph. Seine Gedanken dabei beschreibt er so:
"Ich dachte an einen Tag zurück, der tief in meiner Vergangenheit ruhte. Vor meinem vierten Geburtstag hatte mich Christoph nicht ausgelacht. Seitdem besaß sein Name einen guten Klang. Sonst war in mir kein Gefiihl. " (Brauns 2004a, S. 207) Dieses gute Erlebnis lag 10 Jahre zurück, dennoch ist es fest in seinen guten Erinnerungen verankert. 1 Und Birger Sellin , ebenfalls von Autismus betroffen, schreibt:
,,[...] ein einsamer und stummer mensch ist aufermutigung angewiesen ein einziges wort in liebe gesagt kann unzählige wunden heilen lassen und ein liebevoller blick wirkt riesig ohne worte [. ..J einmal erlebte ich in dieser ubahn wie mich eine frau liebevoll ansah das war so schön ich denke sehr oft ganz glaubensfroh daran und werde es nicht vergessen aber viele blicke sind so schwer zu ertragen und bringen ohnegleichen leid mit sich 9.2.92" (Sellin 1993, S. 129 j) 2 Birger Sellin schreibt mittels "Gestützter Kommunikation", Es gibt Stimmen, die die Authentizität von mittels Fe entstandenen Texten anzweifeln. In vielen Fällen konnte die Eigenständigkeit der von Autismus betroffenen Person als Autor wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Nach Meinung der Verfasserin spricht die große Zahl jener Betroffenen, die vorerst physisch gestützt zu kommunizieren anfangen und im Laufe der Jahre diese Stütze immer 1
2
17
Als Einblick in deren emotionales Empfinden kann die Beforschung der Emotionen im Leben autistisch wahrnehmender Menschen Erkenntnisse liefern, die mehr Wissen um subjektive Wichtigkeiten und emotionale Stützen für Betroffene bedeuten und zu besserem Einftihlen im gegenseitigen Umgang und damit auch zu Fortschritten im pädagogischen Handeln führen, Neben allem Streben, Verhaltensweisen Betroffener zu bessern, deren Entwicklung im kognitiven, motorischen und sozialen Bereich voranzutreiben und sie zu fördern, um ihnen ein möglichst ,,normales" Leben zu ermöglichen, ist es doch unverhältnismäßig viel wichtiger, sich zu fragen, wie es den Betroffenen selbst mit ihrem Autismus geht. Es gilt herauszufinden, ob diese selbst einen Leidensdruck empfinden, ob sie etwas belastet, was sie am meisten belastet, was ihnen große Freude bereitet, wodurch man ihr Leben erträglicher und fröhlicher gestalten kann. Sollte in den Bemühungen für unsere autistischen Schützlinge oder Freunde ihr emotionales Wohlftihlen nicht das oberste Ziel sein? Autismus kann man nicht weg-therapieren, aber viele der psychischen Belastungssituationen ließen sich mit entsprechendem Wissen leicht vermeiden! Abschließend soll eine Erfahrung aus dem Leben eines Freundes, der vom Asperger-Syndrom betroffen ist, erzählt werden.
Dieser hat erfolgreich sein Studium zum Magister abgeschlossen und arbeitet zurzeit an seiner Dissertation. Er geht arbeiten und verdient seinen Lebensunterhalt selbst. Wann immer es sich ausgeht und er ausreichend Geld zur Seite legen konnte, verreist er. Das Reisen und Erkunden von Ländern und Kulturen ist sein Hobby. Dieses Jahr besuchte er Island und hat damit nun alle Länder Europas bereist. Wenn er sich ein Ziel setzt, arbeitet er beharrlich und hartnäckig daran, dieses zu verwirklichen. Er hat viel erreicht. Das war nicht immer selbstverständlich fur ihn. In der Kindheit hatte er große Schwierigkeiten mit den Herausforderungen des Alltags zurecht zu kommen. In der Schulzeit war er auffällig und laut und konnte den Anforderungen des Unterrichts nicht in der erwünschten Weise nachkommen. Damit konnte seine Hauptschullehrerin nicht umgehen, sie war überfordert.
weiter ausblenden können, bis sie schließlich ohne physische Stütze und ohne Beisein einer anderen Person selbstständig zu schreiben in der Lage sind, stark für die Glaubwürdigkeit auch der gestützt verfassten Texte.
18
"Du wirst das niemals verstehen. Selbst die B-Zug-Kinder wissen viel mehr als Du! Dass Du hier in der Klasse sitzt, hat fur niemanden einen Sinn. ", sagte sie eines Tages zu ihm. Es ist lange her. Vor einigen Jahrenflog er, mit einigen Studienkollegen aus einem Forschungsseminar seines Doktoratsstudiums, zum ersten Mal nach Amerika, überflog erstmals den Atlantik. Er war überwältigt. Als Kind und in seiner Jugend hat er es fiir ausgeschlossen gehalten, dass er jemals - aus selbst verdientem Geld - reisen, geschweige denn, Europa verlassen könnte! Sich ein Ticket zu kaufen und mit Kollegen nach Amerika zu fliegen sei jUr ihn medizinisch und biologisch ausgeschlossen und kam ihm stets so wahrscheinlich vor, wie eine ..Reise zum Andromedanebel". "Ich und Amerika - ich und Amerika ". ging es ihm durch den Kopf, als er nun mit den Kollegen im Flugzeug saß. Da drängte sich mit einem mal wieder der Satz seiner Hauptschullehrerin in seine Erinnerung, den sie damals, vor vielen Jahren, achtlos zu ihm gesagt hatte. "Was ist jetzt also geworden, aus dem dummen B-Zug-Buben ". hätte er am liebsten hinausgeschrieen. Keinesfalls durfte er sich seine Emotionen aber anmerken lassen. Schließlich wusste keiner seiner Kollegen von seinem Spezifikum, dem Asperger-Syndrom, und den damit verbundenen Hindernissen und der vermehrten Anstrengung, die selbst die normale Alltagsbewältigung jUr ihn bedeutet. Er musste den Kopf zur Seite drehen, damit seine Kameraden die emotionale Überwältigung in seinen Augen nicht sehen konnten. Ergriffen von einer Flut der Gefiihle saß er da: In dieser Situation der Begeisterung, des berechtigten Stolzes und der Freude, tauchte die Erinnerung an das vernichtende Urteil der Hauptschullehrerin wieder auf, dem er damals als Schüler, der sowieso schwer ums Bestehen in der Schule zu kämpfen hatte, so hilflos gegenüber gestanden war. Jetzt mischte sich die stolze Freude in dieses nie vergessene Gefühl der großen Demütigung vor der Klasse, der Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit in jener Situation sowie der Angst, dass die Lehrerin vielleicht doch Recht haben könnte, und es resultierte daraus ein tiefes Gefühl der Genugtuung, Befriedigung und des Glücklichseins. Neben den Strapazen, die diese Studienreise ansonsten so mit sich gebracht hatte, war die größte Anstrengung, sagt er, jene, die Ergriffenheit durch diese Woge an Gefühlen während der gesamten Zeit unterdrücken zu müssen , um sie vor den anderen verborgen zu halten .
19
In kaum einer Situation offenbart sich das Gefühlsleben eines Menschen und die Tragweite seiner Gefühle so eindrucksvoll, vielseitig und komplex und zugleich so nachvollziehbar wie in dieser: Es ist das Zusammenspiel der drei Emotionskomplexe, der Stolz und die Freude über das Erreichte, die Demütigung von damals und die erlebte Genugtuung des sich bewiesen Habens, das diese Situation so überwältigend und zugleich so bedeutungsvoll machte.
Für mich war dieses erzählte Erlebnis ein Anlass, mich wissenschaftlich mit der Bedeutung der Emotionen im Leben eines Menschen mit Autismus auseinander zu setzen. Diese Arbeit soll den Anfang darstellen.
Danksagung An dieser Stelle möchte ich all jenen meinen Dank aussprechen, die zum Gelingen des Buches beigetragen haben. Besonders danke ich Herrn Professor Gottfried Biewer, der mir beim Entstehen der Arbeit stets kompetent und geduldig mit fachlichem Rat zur Seite gestanden ist und mich zu diesem Buch motiviert hat; Christoph Sommerauer, mein Lebenspartner, war nicht nur in technischen Fragen eine wertvolle Unterstützung, er hat sich auch durch regen Gedankenaustausch eingebracht und so viel zum Gelingen dieses Buches beigetragen; mit viel Verständnis hat er sich meinem Arbeitsrhythmus angepasst und mich mit seiner aufmunternden, liebevollen Art durch diese Zeit getragen; meiner Schwester Daniela danke ich für ihre fachliche Beratung und ihre Ideen zur Themenfindung und weil sie mir mein ganzes Leben lang immer als Stütze und Freundin zur Seite steht; meinem Bruder Christoph, auf den ich immer zählen kann; meinen Eltern dafür, dass sie mir bis heute Berater und Vorbild sind und immer für mich da sind, sowie dem Rest meiner Familie; meinen lieben Freunden Nicole Oesterreich und Heinz Löffier; meinen Lehrern Sieghard Rothbacher, VIi Kreißl und Viktor Streicher sowie Sabine Gruber; in besonderer Weise danke ich Prof Götz & dem ehern. E7-Team, Dr. Kaluza & Team, Monika Rupp sowie Prof Klepetko und Prof. Taghavi mit dem gesamten Team der Herz- Thoraxchirurgie und von 13b2 des AKH Wien; ihnen verdanke ich, dass ich heute hier stehe. Nicht zuletzt ergeht mein großer Dank an Volker Handl und die zahlreichen anderen Menschen mit autistischer Wahrnehmung, die ich persönlich getroffen habe, denn von ilmen habe ich viel übers Leben und über Autismus gelernt, wie auch in besonderer Weise von Axel Brauns, Dawn Prince-Hughes, Gunilla Gerland und Liane Willey, deren großartige Texte die Grundlage dieser Forschung bilden. Schließlich möchte ich Frau Anette Villnow, meiner Lektorin, für ihre professionelle und engagierte Unterstützung bei der Gestaltung des Buches danken.
20
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EINLEITUNG
Auf die Frage, wie er das Phänomen Autismus in einem Satz beschreiben würde, 3 erklärte Prof. Dr. Fritz Poustka im Zuge eines Workshops am 17. Internationalen Heilpädagogischen Kongress 2008 in Wien: "Autismus ist die Unfähigkelt, ein zusammenhängendes Bild oder eine Gestalt von etwas wahrzunehmen. " Mit diesem Wahnehmungsverarbeitungsdefizit leben Menschen mit Autismus Tag für Tag. Sie versuchen damit umzugehen und einen Weg zu finden, diese Teile von Etwas nicht als zu bedrohlich zu empfinden, sie irgendwie als sinnvolles Ganzes erleben zu können und eine persönliche Ordnung in ihre Welt zu bringen. Kein Tag im Leben eines Menschen mit Autismus verläuft wie der andere. An manchen Tagen "geht es ihm gut" und die Bewältigung seines Alltags fällt ihm leicht, er lacht und zeigt sich aktiv und munter. An anderen Tagen "ist er sehr autistisch", seine Rituale und Stereotypien gewinnen an Wichtigkeit, er kann sich nicht konzentrieren, man hat vielleicht das Gefühl, dass das, was er hört und sieht gar nicht ganz zu ihm vordringt. Was ist es, das die einen Tage von den anderen unterscheidet? Was beeinflusst sein Wohlbefinden, seine Ausgeglichenheit, seine Wahrnehmung und das Zurechtfinden in seinem Umfeld? Jeder Mensch kennt gute und schlechte Tage. Einmal fällt alles leicht, wir fühlen uns sicher und gut, ein anderes mal wieder sind wir empfindlich und nervös und schon Kleinigkeiten bringen uns aus dem gewohnten Gleichgewicht. Wir sind verunsichert, frustriert oder verärgert. Emotionen spielen hier eine Rolle. Die Freude auf einen lieben Menschen oder auf ein schönes Ereignis - vielleicht einfach das bevorstehende Wochenende, die Angst vor einem schwierigen Gespräch, einer großen Entscheidung, die Sehnsucht nach einem lieben Menschen oder die Traurigkeit, dass man ihn verloren haben könnte und auch Frustrationen, Selbstvorwürfe, Versagensgefühle sind es, die unsere Tagesverfassung, unser Handeln und Reagieren maßgeblich beeinflussen. (vgl. Lantermann 2000, S. 381
fl'1
Prof. Dr. med . Fritz Poustka war von 1985 - 2008 Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Frankfurt am Main. 4 Lantermann postuliert, dass Emotion in enger Beziehung zu Handlung und Handlungsbereitschaft sowie der persönlichen Einschätzung der Situation steht. Dazu führt er zahlreiche Forschungsarbeiten an, u. a. die Arbeit von Schwarz und Bohler, welche darauf hinweisen, dass die momentane Stim-
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Sind diese Einflussfaktoren es auch bei Menschen mit Autismus, die hier eine Rolle spielen? Wie sieht das emotionale Erleben und das Repertoire an Emotionen von Menschen mit autistischer Wahrnehmung aus? Betrachtet man die einschlägige Autismus- und Emotions-Fachliteratur, so fällt auf, dass weitgehend jene Dinge, die in der autistischen Entwicklung defizitär sind, für die Entwicklung eines gesunden Emotionsrepertoires und Umganges mit Emotionen als Voraussetzung angesehen werden''. Folglich wäre davon auszugehen, dass die emotionale Entwicklung von Menschen mit Autismus maßgeblich beeinträchtigt, und dadurch das Erleben von Emotionen sowie vor allem auch die Emotionsbandbreite - also das Repertoire an Emotionen, die im Erleben der Betroffenen präsent sind - eingeschränkt sei. (vgl. Kap. 2.2.4.1) Diesen Fragen auf den Grund zu gehen, ist die Intention der vorliegenden Forschungsarbeit. Dabei interessiert neben dem Emotionsrepertoire besonders die Frage, welche Emotionen im Erleben von Betroffenen Bedeutung haben und häufig erlebt werden . Weiters interessiert die Frage nach dem situativen Zusammenhang der erlebten Emotionen. Welche Situationen sind es, die Menschen im Autismus-Spektrum Emotionen erleben lassen? Können die angenehmen Emotionen auch diesen Menschen zu mehr Stabilität verhelfen und bringen die unangenehmen sie aus dem Gleichgewicht? Als Pädagoge genauso wie als Therapeut, Trainer, Arzt und auch als Familienmitglied oder Freund von Menschen mit einer Form des Autismus, ist es von großer Bedeutung, sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen, zu versuchen, die "autistische" Art der Wahrnehmung und dabei auch die emotionale Erlebensweise zu verstehen und typische Auslöser etwa von Angst und Verunsicherung zu kennen, um dann vielleicht die Möglichkeit zu haben, entsprechend darauf zu reagieren und somit vielleicht einen kleinen Einfluss in Richtung größeren Wohlbefindens des Betroffenen nehmen zu können. Selbst ein kleiner Schritt in diese Richtung wäre ein weiterer Schritt auf
mung gemeinsam mit - oder mitunter sogar alleine anstatt kognitiven Einschätzungen für die Beurteilung der aktuellen Situation und die Einschätzung der Umwelt verantwortlich ist, sowie für daraus folgende Handlungstendenzen. (Lantermann 2000, S. 387) Lantermann weist weiters auf die emotionstheoretischen Konzepte von Gray und von Plutchik hin, die die Bewertungsprozesse und Handlungstendenzen als Komponenten jeder Emotion neben dem subjektiven Gefiihlszustand hervorheben. (vgl. ebd., S. 383 t) 5 Als bedeutend für die Entwicklung von Emotionen wird die wechselseitige Interaktion mit der Mutter angesehen, wobei die Mutter den Emotionsausdruck des Kindes angemessen widerspiegelt und das Kind diese Reaktion der Mutter wahrnimmt und verarbeitet. (vgl. Kapitel 2.2.4.1) Autistische Kinder, heißt es, zeigen kaum Emotionsausdruck und nehmen auch das mütterliche Ausdrucksverhalten nur bruchstückhaft wahr.
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teinander von Menschen mit unterschiedlicher Art der Wahrnehmung und Entwicklung. Das Ziel dieser Arbeit wäre damit erreicht. Es soll noch deutlich gemacht werden, dass jede Art der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen "Autismus" und seinen Erscheinungsformen - sei es im Sinne von Klassifikation und Definition oder der Erforschung von Symptomen, Verläufen und Charakteristika - vom Anspruch der Allgemeingültigkeit zugunsten einer sehr individuellen Betrachtung und Auseinandersetzung mit dem Thema weitgehend absehen muss. Wenn es um Individuen geht, existieren keine Gesetzmäßigkeiten von Verhalten, Gedanken und Empfindungen, es sind vielmehr Tendenzen und Möglichkeiten, die erforscht werden können und die dann auch Chancen für Betroffene bedeuten können. Darauf basierend sind auch die Ergebnisse der vorliegenden Forschungsarbeit zu verstehen. In der vorliegenden Arbeit wird nach Darstellung des aktuellen Forschungsstandes zur behandelten Thematik (Kapitel 2) das Erkenntnisinteresse für Forschung und Praxis aufgezeigt und die sich daraus ergebende Fragestellung formuliert (Kapitel 3). Im Folgenden vierten Kapitel wird die Methodenwahl begründet, die Methode vorgestellt und das Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit dargelegt (Kapitel 4). Die Ergebnisse erhalten viel Raum, nach ihrer Demonstration werden sie diskutiert und dabei auch auf pädagogische Handlungsspielräume übertragen (Kapitel 5). Wenngleich eingeräumt werden muss, dass diese Arbeit allein nicht ausreicht, um alle Aspekte und offenen Fragen rund um den Gegenstandsbereich Emotionen bei Menschen mit Autismus zu beantworten, so liefert sie doch erste wichtige Erkenntnisse, die den Gegenstand beleuchten und handlungsweisende Impulse für einen positiven Umgang mit Menschen mit Autismus herstellen können. Anmerkung: Die Verfasserin hat sich entschlossen, in dieser Arbeit fiir Aussagen, die beide Geschlechter betreffen, zwecks flüssigerer Lesbarkeit der Texte, die männliche als neutrale Form und nicht beide Formen auszuschreiben. Selbstverständlich beziehen sich, wenn es nicht ausdrücklich anders betont wird, solche Aussagen auf weibliche wie männliche Personen in gleicher Weise.
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2 THEORETISCHER HINTERGRUND
2.1 FORSCHUNGSSTAND AUTISMUS Autism is a way
0/sensing the world -
the whole world - 0/ creatinli and knowing. (Dawn Prince-Hughes, 2004 (b), S. 224)
2.1.1 Das autistische Spektrum 2.1.1.1
Allgemeines
Autistische Störungsbilder sind vielschichtige Phänomene, die es den betroffenen Menschen erschweren, die Weh und die in ihr lebenden Individuen, einschließlich ihrer selbst, zu verstehen. Es fällt ihnen schwer, sich von dem, was inner- und außerhalb ihrer selbst vor sich geht, ein Bild zu machen, oder dieses Bild ist gänzlich anders, als das der meisten anderen Menschen. Zwar nehmen sie Details oft sehr scharf wahr, können aber keine sinnvollen Zusammenhänge darin erkennen. (vgl. Poustka et al. 2004, S. 1, S. 8) Die Weh, und alles, was rund um den Betroffenen vor sich geht, erscheint diesem dadurch unnachvol1ziehbar und chaotisch, von der frühen Kindheit an ist das Zurechtfinden im Alltag massivst erschwert. Stereotype Verhaltensweisen und Sprache sowie das Festhalten an Gewohnheiten bei eingeschränkter sozialer Interaktion und Kommunikation sind dabei die auffälligsten Symptome und dienen der Aufrechterhaltung der inneren Stabilität. Die Überlappung von Autismus mit qualitativen kognitiven Einschränkungen ist überzufällig hoch", doch
Übers. D. Verf.: "Autismus ist eine Art die Welt - die ganze Welt - wahrzunehmen, zu erschaffen & zu kennen." 7 Es muss beachtet werden, dass eine Beeinträchtigung der globalen Kommunikationsfähigkeit (nicht nur der verbalsprachlichen), wie sie hei einigen Formen des Autismus vermehrt beobachtet wird, eine Testung der Betroffenen bezüglich Intelligenz massivst erschwert. Wo wenig bis keine Leistung messbar ist, wird leicht auf kognitive Defizite geschlossen, wo es auch die kommunikativen Defizite sein können, die fiir die nicht gezeigte Leistung verantwortlich sind. 6
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gibt es auch zahlreiche Menschen mit Autismus, die eine normale bis überdurchschnittlich hohe Intelligenz aufweisen. (vgl. z. B. Poustka et al. 2004, S. 1) Autismus, in der Fachwelt häufig als Wahrnehmungsverarbeitungsstörung angesehen (vgl. Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 31 f, Slotta 2002, S. 52 tf), zählt diagnostisch zu den "tiefgreifenden Entwicklungsstörungen". Er ist nicht heilbar, jedoch gelingt es manchen Betroffenen, mit größter und konsequenter Anstrengung und Konzentration, :fiir sich einen Weg zu finden, die Welt zu entschlüsseln und in ihr heimisch zu werden. Da die zugrunde liegende Störung unterschiedliche Ausprägungen kennt und jeder Betroffene individuell anders mit seinen Reizverarbeitungsvoraussetzungen umgeht, entstehen große Unterschiede in der Qualität und Quantität der beobachtbaren Symptome, sodass es nach heutiger Auffassung "den Autismus" nicht gibt. (vgl. dazu auch Bölte 2009, S. 39; Herbrecht 2008, S. 10) In diesem Kapitel soll zunächst in Abschnitt 2 auf die frühe Prägung des Autismus-Begriffs eingegangen werden. Anschließend werden in Abschnitt 3 die Internationalen Klassifikationen (nach ICD 10 und DSM 4) des als "tiefgreifende Entwicklungsstörungen" bezeichneten autistischen Formenkreises betrachtet und in den Abschnitten 4 - 7 sollen kurz die diagnostisch abgegrenzten Formen des Autismus mit Ihren Unterschieden und Spezifika dargestellt werden: Der "frühkindliche Autismus nach Kanner", das .Asperger-Syndrom", der "Atypische Autismus", sowie andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen. Schließlich soll in Abschnitt 8 der Frage um die Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit einer strikten diagnostischen Abgrenzung innerhalb des autistischen Spektrums nachgegangen werden. "Autismus" wird in dieser Arbeit als Überbegriff :fiir die verschiedenen autistischen Formen verwendet, quasi synonym mit dem zunehmend angewandten Begriff der ,,Autismus-Spektrum-Störungen", und meint also nicht nur den "frühkindlichen Autismus" nach Kanner.
8 Ina Slotta betont die ungewöhnlichen Wahrnehmungserfahrungen, die in Selbstbeschreibungen nahezu von allen Personen mit Autismus berichtet werden, legt dabei aher besonderen Wert darauf, dass diese nicht als "Wahrnehmungsverarbeitungsstörung", sondern vielmehr als besondere oder andere Art der Wahrnehmungsverarbeitung angesehen wird. (s. Slotta 2002, S. 54 f)
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2.1.1 .2
Begriffund Geschichte
Bis in die Neunzehnsiebzigerjahre wurde ,,Autismus" kaum als eigenständiges Phänomen oder Störungsbild angesehen und bezeichnete unter dem Terminus ,,kindliche Schizophrenie" eine :früh beginnende Form der schizophrenen Erkrankung. Zurückzuführen ist diese Ansicht auf den Schweizer Psychiater Eugen Bleuler, der den Begriff "Autismus" im Jahre 1911 fiir bestimmte Verhaltensweisen der Schizophrenie prägte, wie den Rückzug in eine eigene Welt, die gedankliche Abkapselung und Kontaktverweigerung zu den Mitmenschen. (vgl. Remschmidt 2002, S. 9) So hielt sich diese Zugehörigkeit von autistischem Verhalten sowie dem Begriff Autismus an sich zur Schizophrenie auch noch lange nachdem im Jahre 1943 der austro-amerikanische Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner und fast zeitgleich im Jahre 1944 der österreichische Pädiater und Heilpädagoge Hans Asperger unabhängig voneinander eine Form sozial und verhaltensauffälliger Kinder beschrieben und dabei den Begriff "Autismus" mit neuer Bedeutung wieder aufnahmen. Die Störung bezeichneten sie als "autistische Störung des affektiven Kontakts" (Kanner) und "autistische Psychopathie" (Asperger) und prägten damit jenen Autismus-Begriff, der bis heute noch Gültigkeit besitzt. (vgl. u. a. Remschmidt 2002, S. 9 f; Poustka et al. 2004, S. 4 ff) Die damals beschriebenen autistischen Störungsbilder stellen als "frühkindlicher Autismus nach Kanner" und als .Asperger-Syndrom" heute die wichtigste Klassifikation des Autismus-Spektrums dar . Neben diesen beiden wesentlichsten Störungsbildern gibt es heute weitere definierte Erscheinungsbilder im autistischen Spektrum, sowie zahlreiche Theorien zu Diagnosekriterien, Ursachen, Behandlungsmöglichkeiten, Verlauf und Prognose. Die häufigsten beschriebenen Symptome variieren in Abhängigkeit von der jeweiligen diagnostischen Unterform, dennoch gibt es Merkmale, die fiir die meisten Formen des Autismus charakteristisch sind (vgl. Walter 2003, S. 31 ff): • Isolation von der Umwelt • Veränderungsangst • Sprachauffälligkeiten • Stereotypes Verhalten • Wahrnehmungsstörung • Intellektuelle Leistungsinseln • Störung des Sozialverhaltens
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2.1.1.3
Internationale Klassifikationen des autistischen Störungsbildes
In den beiden gebräuchlichsten internationalen Klassifikationssystemen, der ICD-lO ("International Classification of Diseases" bzw. .Jntemationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme") und dem DSM-IV (,,Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" bzw. ,,Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen"), werden autistische Störungen unter dem Terminus "tiefgreifende Entwicklungsstörungen" zusammengefasst, der oft weitgehend synonym mit dem Begriff "autistisches Spektrum" gebraucht wird, wenn auch letzterer im engeren Sinne nur eine Subgruppe der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen umfasst (s. unten) . (vgl. Poustka et al. 2004, S. 8; Bölte 2009, S. 36) Allen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen werden biologische Ursachen zugesprochen sowie ein Auftreten in den ersten Lebensjahren bzw . Vorliegen von Geburt an. Die Störungen sind Folge einer abweichenden (devianten), nicht nur einer verzögerten Entwicklung, betreffen viele Verhaltensbereiche und persistieren, das heißt, es sind im Verlauf weder Remissionen (Nachlassen) noch Rezidive (Rückfiille) zu erwarten. (vgl. DIMDI 2000 [12]9; Poustka et al. 2004,
S.8)
Alle hier klassifizierten Störungen zeigen Überlappungen mit dem frühkindlichen Autismus. Daher müssen bei einer Diagnosestellung im Bereich der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen immer mögliche Differentialdiagnosen beachtet werden. Die Klassifikationen des autistischen Spektrums in der ICD-lO und im DSM-IV stimmen heute weitgehend überein. (vgl. Bölte 2009, S. 36) Tabelle 1 verdeutlicht, welche Diagnosen nach der ICD-lO und dem DSMIV zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen, respektive zum autistischen Spektrum zählen. Zu jeder der ICD-lO Diagnosen (linke Spalte) findet sich rechts die Entsprechung im DSM-IV. Neben demjrühkindlichen Autismus, dem Asperger-Syndrom und dem Atypischen Autismus, die direkt unter das autistische Spektrum gehören, handelt es sich bei den weiteren angeführten Diagnosen (in der Tabelle kursiv) um mit dem autistischen Spektrum verwandte, dennoch davon abzugrenzende Störungsbilder. Alle autistischen Störungen "können als " des frühkindlichen Autismus verstanden werden, erst detaillierte Informationen bezüglich Schweregrad und Zusammensetzung von Symptomen sowie verschiedener Entwicklungsaspekte ermöglichen die konkrete Diagnosestellung. (vgl. Bölte 2009, S. 36) Internetquellen werden im Rahmen des vorliegenden Buches in eckigen Klammern zitiert. Quellenangabe unter Kap . 7. Literatur: 7.3 - Internet-Quellen
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Tabelle 1: Tiefgreifende Entwicklungsstörungen in der ICD-lO und dem DSMIV. (nach Poustka et al. 2004, Tab. 1, S. 9) ICD-IO
DSM-IV
Frühkindlicher Autismus
Autistische Störung
Asperger-Syndrom
Asperger Störung
Atypischer Autismus
Nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwicklungsstörung
Rett-Syndrom
Rett-Störung
Andere desintegrative Störung des Kindesalters Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien Sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörungen Nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwickiunzsstörune
Desintegrative Störung im Kindesalter (keine Entsprechung im DSM-IV) Nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwicklungsstärung Nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwickiunzsstörune
Die beiden bedeutendsten Autismus-Diagnosen sind der frühkindliche Autismus nach Kanner und das Asperger-Syndrom. Sie stellen heute im Wesentlichen die Klassifikation des Autismus dar. Daneben steht der ,,Atypische Autismus", der diagnostiziert wird, wenn die autistische Störung keiner der beiden Diagnosen eindeutig zuordenbar ist. Im internationalen Diagnoseschema DSM-IV sind (ungeachtet nachfolgender Autoren) nur diese beiden Formen des Autismus separat und verfeinert aufgelistet. (vgl. Walter 2003, S. 38) 2.1.1.4
Der frühkindliche Autismus nach K.anner
Der austro-amerikanische Kinderpsychiater Leo Kanner veröffentlicht 1943 eine detaillierte Beschreibung von 11 autistischen Kindern im Alter von zwei bis elf Jahren, die er seit Oktober 1938 beobachtet hatte. Er konstruierte anband ihrer entwicklungstypischen Merkmale und der beobachteten Verhaltensweisen der Patienten und deren Familien, unter dem Namen ,,Autistische Störungen des affektiven Kontakts", ein schlüssiges Modell und klassifizierte darin Primär- und Sekundärsymptome. Er arbeitete damals als freiberuflicher Arzt. (vgl. Remschmidt 2002, S. 12; Poustka et al. 2004, S. 4; Walter 2003, S. 20, S. 38)
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Im DSM-IV (und ganz ähnlich in der ICD-IO) wird der frühkindliche Autismus im Sinne Kanners folgendermaßen definiert": A) Aus folgenden drei Bereichen müssen Auffälligkeiten vorliegen: • Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion • Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation • Begrenzte, repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten Dabei sollen aus dem ersten Bereich mindestens zwei, aus dem zweiten und dritten Bereich mindestens je eine im Manual näher definierte Auffälligkeit feststellbar sein. Außerdem wird vorausgesetzt, dass B) eine auffällige und beeinträchtigte Entwicklung bereits vor dem dritten Lebensjahr vorliegt, und zwar in mindestens einem der folgenden drei Bereiche: • soziale Interaktion • Sprache als soziales Kommunikationsmittel • Symbolisches oder Phantasiespiel C) das klinische Erscheinungsbild nicht besser durch eine andere tiefgreifende Entwicklungsstörung erklärt werden kann . (vgl. Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 13 f; Poustka et al. 2004, S. 9 fl)
Trotz der relativ detaillierten Beschreibung und Umgrenzung des frühkindlichen Autismus in der ICD-IO, ,,lässt die Definition ein weites Spektrum möglicher Erscheinungsformen und Schweregrade der Störung zu, sodass es "den" Autismus nicht gibt'. (Poustka et al. 2004, S. 9) Als charakteristisch für Menschen mit frühkindlichem Autismus wird ein Mangel an Gefiihlsäußerungen und dem Verständnis von Gefühlen angesehen, sowie auch dem Verständnis von Konventionen und Erwartungen der Mitmenschen. Auf andere Menschen gerichtete Empathie und Emotionalität ist schwer zu erkennen. Das Interesse an Menschen scheint begrenzt zu sein, Freundschaften werden selten aufgebaut. Eine Beeinträchtigung der Ansprechbarkeit, des sprechend und auch bezüglich Mimik und Gestik kann festgestellt werden. Viele Menschen mit frühkindlichem Autismus haben ein Bedürfnis nach Gleichför10
Anm.: Vereinfacht zusammengefasst.
30
migkeit und starren Strukturen. Unerwartete Veränderungen - sowohl gewohnt vorhandener Dinge als auch Abläufe - können Unruhe bis hin zu Panikreaktionen auslösen. (vgl. Poustka et al. 2004, S. 9 1) Die Kommunikation ist ein großes Thema beim frühkindlichen Autismus. Verbalsprache wird meist erst spät oder gar nicht erlernt respektive benutzt, und unter denjenigen Betroffenen, die sprechen, verwenden viele die Sprache nicht oder nur in basaler Weise zur Kommunikation. Echolalie und häufig wiederholte Wörter und Sätze sowie veränderte Sprachmelodie und Satzrhythmus werden häufig beobachtet. Immer mehr Betroffene, die gar nicht oder nicht in kommunikativer Form sprechen, verwenden alternative Kommunikationsmittel, wie Gebärden, Bildkartensysteme, Bildsprach-Computer oder Buchstabentafeln und Tastaturen, und sind damit in der Lage, sich mitzuteilen. Von besonderer Bedeutung für die pädagogische Praxis ist der Umstand, dass Kinder mit Autismus selten in der Lage sind, wie durchschnittlich entwickelte Kinder, Dinge selbst zu erlernen . Die meisten Lernprozesse bedürfen einer geduldigen, häufig wiederholten Schritt-für-Schritt-Anweisung durch die Angehörigen. Das betrifft auch "selbstverständliche" Dinge, wie mit dem Blick dem zeigenden Finger zu folgen, Fragen zu stellen sowie Alltagshandlungen wie Teller abräumen, sich anziehen, sich waschen etc. ,,Autisten sind keine Selbstlerner" (Diestelberger & Zöttl 2005, S. 33), sie benötigen extrem viele Übungsschritte, bis sie etwas erlernt haben und diese müssen meist von den Lehr- oder Bezugspersonen begleitet und dabei anschaulich vermittelt werden. (vgl. ebd., S. 39 ff) Für die Verarbeitung von Reizen benötigen sie eine gewisse Zeit, bevor sie reagieren können. Diese Wartezeit bei Aufgabenstellungen und bei Anweisungen, die an das autistische Kind bzw. auch den erwachsenen Menschen mit autistischer Wahrnehmung herangetragen werden, im angemessenen Ausmaß einzuhalten, sollte automatisiert werden und stellt im Umgang mit Menschen mit Autismus eine zentrale Forderung dar. (vgl. Diestelberger & Zöttl 2005, S. 40 f, S. 62; Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 6) High-Functioning-Autismus High-Functioning-Autismus ist ein offiziell nicht anerkannter Begriff für Menschen mit frühkindlichem Autismus bei guten intellektuellen Leistungen bzw. ohne geistige Behinderung. Bei diesen Menschen liegt meist in den ersten Lebensjahren eine verzögerte Sprachentwicklung vor, was für frühkindlichen Autismus spricht, jedoch entwickelt sich diese in einer Weise weiter, dass schließlich gute verbale Fähigkeiten vorliegen. Geprägt wurde der Begriff von Lama Wing, diese beschrieb damit Menschen mit Autismus, die "in jungen Jahren phänomenologisch ein .Kanner-Syndrom" zeigten, sich aber im Verlauf immer 31
mehr in Richtung eines "Asperger-Syndroms" entwickelten". (Poustka et al.
2004, S. 12; vgl. auch Remschmidt et al. 2006, S. 239) 2.1.1.5
Das Asperger-Syndrom
Hans Asperger leitete eine heilpädagogische Einrichtung in Wien. Dort konnte er vier auffiillige Patienten im Alter von sechs bis elf Jahren über einen längeren Zeitraum durchgehend beobachten, die er, unabhängig von den Erkenntnissen Kanners, 1944 phänomenologisch beschrieb und als "autistische Psychopathen" bezeichnete. (vgl. Remschmidt 2002, S. 12, S. 42; Poustka et al. 2004, S. 5; Walter 2003, S. 21, S. 48) Kennzeichnend für das Asperger-Syndrom ist, dass die Betroffenen bei einer weitgehend normalen Intelligenz- und Sprachentwicklung ,,zu sich wiederholenden. stereotypen Verhaltensmustern neigen, oft auffällig motorisch ungeschickt sind und soziale und Kommunikationsprobleme haben, die dem autistischen Störungsbild ähneln". (Rollert & Kastner-Koller 2001, S. 15) Im DSM-IV (und ähnlich in der ICD-10) wird die Asperger-Störung folgendermaßen definiert: a. Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion b. Beschränkte repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten c. Die Störung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen d. Es tritt kein klinisch bedeutsamer allgemeiner Sprachrückstand auf e. Es treten keine klinisch bedeutsamen Verzögerungen der kognitiven Entwicklung und der Entwicklung von Selbsthilfefertigkeiten, im Anpassungsverhalten (außerhalb der sozialen Interaktion) und bezüglich des Interesses des Kindes an der Umgebung auf f. Die Kriterien für eine andere Störung sind nicht erfüllt Das "Asperger-Syndrom" wurde erst Jahre nach dem .Kanner-Autismus'' in die diagnostischen Manuale als eigenständige Diagnose unter den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen aufgenommen. Es wird in der ICD-10 darauf hingewiesen, dass es sich beim Asperger-Syndrom um eine Störung von unsicherer nosologischer Validität handelt. Die Diagnosekriterien ähneln zwar denen des frühkindlichen Autismus in weiten Teilen, mit jedoch nicht unwesentlichen Unterkeit sowie des Intelligenzniveaus. 32
Nach der heute gängigen Klassifikation der ICD-lO (und ähnlich im DSMIV) weist das Asperger-Syndrom große Gemeinsamkeiten mit dem frühkindlichen Autismus auf. Die Unterscheidung der beiden Syndrome erfolgt primär anband weniger Einzelkriterien (vgl. Poustka et al. 2004, S. 13 f): Beim Asperger-Syndrom zeigt, wie schon erwähnt, die Sprachentwicklung im Gegensatz zum Kanner-Autismus keine Beeinträchtigung, oft wird sogar eine sich früh entwickelnde und sehr ausgereifte Sprache beobachtet, kleine Asperger-Autisten werden daher manchmal als "altklug" bezeichnet. Auch die kognitive Entwicklung liegt hier im Normbereich. (vgl. Rollert & Kastner-Koller 2001, S. 15; Poustka et al. 2004, S. 5, S. 14) Bis auf mögliche Defizite im motorischen Bereich verläuft die Entwicklung in den ersten drei Lebensjahren unauffällig. Der Beginn der Auffälligkeiten wird beim Asperger-Syndrom also später angesetzt als beim frühkindlichen Autismus. Ein altersgemäß neugieriges, kommunikatives Verhalten und Selbstständigkeit werden für die Diagnose Asperger-Syndrom sogar vorausgesetzt. Ansonsten stimmen die diagnostischen Kriterien der beiden Störungen im Grunde überein. (vgl. Poustka et al. 2004, S. 14) Auch beim Asperger-Syndrom neigen die Betroffenen zu wiederholten, stereotypen Verhaltensweisen. Sie haben - trotz der gut entwickelten sprachlichen Fähigkeiten - oft Schwierigkeiten in der sozialen Kommunikation (sozusagen "Small-Talk-Probleme", während das Reden über bestimmte ausgesuchte Themen sehr gut funktioniert) und bezüglich des erwarteten sozialen Verhaltens selbst. (vgl. Rollert & Kastner-Koller 2001, S. 15) 2.1.1.6 Gegenüberstellung von frühkindlichem Autismus und Asperger-Syndrom Die Diagnose des Kanner-Autismus ("frühkindlicher Autismus" in der ICD, ,,Autistische Störung" im DSM) wurde in den 1950er Jahren gebräuchlich. Aspergers Beschreibung der autistischen Störung hingegen geriet vorerst weitgehend in Vergessenheit. (vgl. Rühl, Bölte, Poustka 2001, S. 535) Erst die Arbeiten von Lorna Wing (1981, zit. nach Poustka et al. 2004, S. 14 f) verhalfen dieser Störung zu größerer Aufmerksamkeit, so wurde in den 1990er Jahren das ,,Asperger-Syndrom" schließlich als eigenständige Kategorie neben dem "frühkindlichen Autismus" unter die tiefgreifenden Entwicklungsstörungen in die internationalen Klassifikationssysteme aufgenommen. (vgl. Rühl et al., ebd.) In beiden Klassifikationssystemen (ICD-lO und DSM-IV) werden weitreichende Gemeinsamkeiten zwischen frühkindlichem Autismus und dem Asperger33
Syndrom verzeichnet. Beide Störungsbilder zeigen demnach Auffiilligkeiten in folgenden Bereichen: • "Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion" • "Begrenzte, repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten" Der Bereich "Qualitative Beeinträchtigungen der Kommunikation" wird nur beim frühkindlichen Autismus als auffällig definiert, auch eine klinisch relevante Sprachentwicklungsverzögerung soll bei der Diagnose Asperger-Syndrom fehlen. Hier wird ein Neugierverhalten der Umwelt gegenüber und ein altersentsprechendes adaptives Verhalten vorausgesetzt. (Rühl et al. 2001, S. 536) Tabelle 2: Differentialdiagnose der autistischen Syndrome. (vgl. Remschmidt 2002, Tab.2,S.23) Erste Auff"äUigkeiten Blickkontakt
Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) Meist in den ersten Lebensmonaten Zunächst oft fehlend, später selten, flüchtig, ausweichend Später Sprachbeginn, häufig sogar Ausbleiben einer Sprachentwicklung (etwa 50%)
Spracbe
Stark verzögerte Sprachentwicklung
Intelligenz
Sprache hat anfänglich keine kommunikative Funktion (Echolalie) Meist erheblich eingeschränkte intellektuelle Leistungen, charakteristische Intelligenzstruktur Keine Einschränkungen, sofern nicht eine zusätzliche Erkrankung vorliegt
Motorik
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Autistische Psychopathie (Aspel"2er-Syndrom) Markante Auffälligkelten meist vom 3. Lebensjahr an Selten, flüchtig Früher Sprachbeginn
Rasche Entwicklung einer grammatisch und stilistisch hochstehenden Sprache Sprache hat immer eine kommunikative ist (Spontanrede) Gute bis überdurchschnittliche intellektuelle Leistungen, Intelligenzschwäche selten Auffällige Motorik: Motorische Ungeschicklichkeit, grob- und feinmotorische Koordinationsstörungen, ungelenke und linkische Motorik
In Tabelle 2 sind die wesentlichsten Symptome des Kanner- und des Asperger-Autismus angeführt und einander zum differentialdiagnostischen Vergleich gegenübergestellt.
2.1.1.7
Andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen
Atypischer Autismus Atypischer Autismus wird als eine Mischform der beiden definierten AutismusFormen (nach Asperger und nach Kanner) verstanden. Er ist in der ICD-lO diagnostisch verankert und soll diagnostiziert werden, wenn Kriterien des frühkindlichen Autismus vorhanden sind, jedoch verspätet einsetzen, was wiederum für ein Asperger-Syndrom sprechen würde. Auch bei Fehlen von notwendigen Symptomen aus einem der drei kritischen Störungsbereiche (soziale Interaktion, Kommunikation, repetitiv-stereotype Verhaltensweisen) und einem sonst dem frühkindlichen Autismus konformen Entwicklungsniveau. Im DSM-IV entsprechen dem atypischen Autismus die "nicht näher bezeichneten tiefgreifenden Entwicklungsstörungen" (englisch: "pervasive developmental disorder not otherwise specified" - ,,PDD-NOS"). (vgl. Poustka et al. 2004, S. 16 f; Walter 2003, S. 29; s. Tabelle 1, S. 29) Rett-Syndrom Dieses bisher nur bei Mädchen diagnostizierte Syndrom ist gekennzeichnet durch ein Stagnieren der Entwicklung des Kindes ab dem 6., spätestens ab dem 24. Lebensmonat. Im weiteren Verlauf kommt es sogar zu Regression bereits vollzogener Entwicklungsschritte, Verlangsamung des Schädelwachstums, Verlust der Handmotorik mit stereotyp wringenden Bewegungen der Hände, schnellem heftigen Atmen, Kauschwierigkeiten und zu Rückzugsverhalten. Stereotypien, Probleme der kommunikativen Fähigkeiten, unsicherer Gang und eine allgemeine Verlangsamung der psychomotorischen Fähigkeiten sind die Folge. Epileptische Anfalle sind häufig zu beobachten. (vgl. Poustka et al. 2004, S. 15 f; Walter 2003, S. 29) Die Störung weist einen fortschreitenden Verlauf auf und ist trotz einiger Ähnlichkeiten in der Symptomatik von den autistischen Störungen eindeutig abzugrenzen. (vgl. Remschmidt 2006, S. 223) Die Bezeichnung ,,RettSyndrom" der ICD-IO entspricht dem Begriff .Rett-Störung' im DSM-IV. (s. Tabelle 1, S. 29)
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Desintegrative Störungen des Kindesalters Bei den sonstigen desintegrativen Störungen des Kindesalters folgt auf eine zunächst normale körperliche und geistige Entwicklung in den ersten drei bis vier Lebensjahren ein dramatischer Verlust erworbener Fähigkeiten (also nicht nur eine zeitweise Unfähigkeit, diese anzuwenden). Betroffen sind vor allem die Bereiche Sprache, Spielverhalten, soziale Fertigkeiten, adaptives Verhalten, Ausscheidungskontrolle sowie die motorischen Funktionen an sich. Die Symptomatik dieser Störungen, zu denen auch die so genannte Heller-Störung oder ,,Heller'sche Demenz" zu zählen ist, ist der des frühkindlichen Autismus sehr ähnlich. (vgL Poustka et a1 2004, S. 15 f) Remschmidt et al. postulieren, dass sowohl die desintegrative Störung respektive Heller-Syndrom als auch das RettSyndrom aus dem Spektrum autistischer Störungen auszuklammern ist, da bei beiden nach einer Phase der normalen Entwicklung ein fortschreitender Prozess der Demenz einsetzt, was bei Autismus-Spektrum-Störungen nicht der Fall ist. Auch erachten sie es als zweifelhaft, ob diese Störungen weiterhin zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen gezählt werden sollen. (vgL Remschmidt et al. 2006, S. 223) 2.1.1.8
Diagnostische Abgrenzung vs. Autistisches Kontinuum
.Seit der Einführung der separaten Diagnose "Asperger-Syndrom" in die Klassifikationssysteme ICD-JO und DSM-IV wird eine kontroverse Diskussion geführt zu der Frage, ob es sich hierbei um ein vom "frühkindlichen Autismus" eindeutig abgrenzbares Störungsbild handelt oder ob es sich lediglich durch einen geringeren Schweregrad von diesem unterscheide." Rühl, Bölte und Poustka (2001, S. 535) vom Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Deutschland verweisen bei dieser Feststellung auf unterschiedliche Forschungsarbeiten, wie Bonus & Assion 1997, Miller & Ozonoff 1997, Ozonoff, South, Miller 2000 u. v. a. (nachzulesen in Rühl et al. 2001 S. 536). Auch Remschmidt und Kamp-Becker (2006, S. 222) sprechen in diesem Zusammenhang von einer noch nicht schlüssig zu klärenden Frage und referieren unterschiedliche Auffassungen und Hinweise aus der Forschung: Sie zitieren etwa Klin et al., die auf Differenzen zwischen den beiden Störungen in der Sprachentwicklung und der Intelligenzentwicklung hinweisen, "die stets auf einen frühen Sprechbeginn und eine eloquente Sprache sowie auf eine höhere verbale Intelligenz der Patienten mit Asperger-Syndrom hinauslaufen". (Klin et al. 1995, zit. nach Remschmidt et al. 2006, S. 222) Dennoch, so fand How1in heraus, wenn Patienten mit einem so genannten ,,hoch funktionellen" frühkindlichen Autismus (High36
Functioning-Autismus) solchen mit der Diagnose Asperger-Syndrom gleichen Alters, Geschlechts und non-verbalen IQs vergleichend gegenüberstellt werden, so zeigen sich keine Unterschiede bezüglich der Autismus-Scores 11, des Sozialverhaltens sowie des Sprachverständnisses und der sprachlichen Ausdrucksweise (die allerdings in beiden Gruppen unter der altersentsprechenden Norm liegen). (vgl. Howlin 2003, S. 3; sowie Howlin 2003 zit. nach Remschmidt et al. 2006, S. 222) Howlin schließt daraus, dass es sich beim High-Functioning-Autismus und dem Asperger-Syndrom um voneinander nicht unterscheidbare Störungen handelt und spricht dem Zeitpunkt der Sprachentwicklung eine besondere Bedeutung zu. Das frühe Erlernen der Sprache, so nimmt Howlin an, bringt "Vorteile auch in anderen Bereichen und fiihrt zum Asperger-Typ der Störung". (Howlin 2003, zit. nach Remschmidt 2006, S. 223) Auch haben Beobachtungen wiederholt gezeigt, dass manche Menschen mit Autismus zunächst den Diagnosekriterien des frühkindlichen Autismus, im Lauf der Entwicklung dann aber klar einem Asperger-Typ der Störung entsprechen. (vgl. Szatmari 1998 sowie Wing 1991, beide zit. nach Klicpera 2002, S. 233; sowie Gillberg 1998, zit. nach Remschmidt et al. 2006, S. 224) An diesen Fällen wird deutlich, dass durchaus ein Übergang zwischen den beiden Störungen vorhanden ist. Das Forscherteam Rühl, Bölte und Poustka (2001) ging der Beziehung der beiden Ausprägungen der autistischen Störung (Kanner- und Asperger- Typ) aus dem Blickfeld derfür die Diagnosestellung relevanten Variablen Sprachentwicklung und Intelligenzniveau auf den Grund. Sie untersuchten den Einfluss dieser beiden Bereiche auf die autistische Symptomatik und fanden heraus, dass beide Variablen einen signifikanten Effekt auf die Symptomatik ausübten, der sich vor allem bezüglich des Maßes an Auffälligkeiten im Bereich der sozialen Interaktion zeigten. Es zeigte sich dabei, dass "innerhalb einer Population, die das Vollbild eines frühkindlichen Autismus aufweist, Schweregradsunterschiede bestehen, und dass eine Subgruppe innerhalb dieser Population Charakteristika aufweist, die als spezifisch gelten fiir eine autistische Störung [im Sinne} Asperger". (vgl. Rühl et al. 2001, S. 539) Die Hypothese, dass der frühkindliche Autismus und das AspergerSyndrom als .Eckpunkte" auf einem Schweregradkontinuum aufzufassen sind, wird durch Untersuchungsergebnisse wie dieses gestützt. Es zeigt sich als angemessen, die kategoriale Trennung innerhalb der qualitativ ähnlichen, nicht kategorial abgrenzbaren Entitäten autistischer Störungen zugunsten eines dimensionalen Ansatzes aufzugeben. Unter Begriffen wie ,,Autismus-SpektrumStörungen" oder ,,Autistisches Kontinuum" wird diese Auffassung zunehmend 11 Bezogen auf den etablierten Autismus-Score-Test ,,Autism Diagnostic Interview" in seiner revidierten Fassung (ADI-R).
37
angewandt, um der umfangreichen Phänomenologie des Autismus gerecht zu werden und eine differenziertere Diagnostik zuzulassen. (vgl. Rühl et al. 2001, S. 540; Bölte 2009, S. 36, S. 43) Dieses heute weitläufig gebräuchliche Konzept des "Spektrums autistischer Störungen" wurde erstmals von der britischen Psychiaterin Loma Wing geprägt (vgl. Klicpera et al. 2002, S. 227) und beruht auf diesem dimensionalen Modell eines autistischen Kontinuums, auf dem ,,sehr unterschiedliche Störungen in jeweils unterschiedlicher Ausprägung abgebildet werden können". (Remschmidt et al. 2006, S. 223) Es betont die Variabilität der Ausprägungen in den drei wesentlichen Dimensionen der autistischen Störung (soziale Komponente, Kommunikation, stereotypes und repetitives Verhalten und Interessen). Die betroffene Person wird sozusagen gemäß den verschieden gelagerten Ausprägungen in diesen drei Bereichen, in einem dreidimensionalen Raum positioniert. (vgl. Klicpera et al. 2002, S. 227) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine steigende Anzahl empirisch ermittelter Befunde dafür spricht, dass die autistische Symptomatologie eher kontinuierlich und stark überlappend als in diskreten Einheiten verläuft. Individuen im autistischen Spektrum unterscheiden sich demnach "hinsichtlich ihrer autistischen Symptomatik nicht qualitativ, d.h. grundsätzlich, sondern vielmehr nur quantitativ, also in Bezug auf den Schweregrad ihres Syndroms". (vgl. Poustka et al. 2004, S. 12) Begriffe wie "Autismus-Spektrum-Störungen" (ASS) (vgl. Bemard-Obitz 2007, u. a. S. 13), ,,Autistisches Kontinuum", "dimensionaler Autismus" und ähnliches haben daher ihre Berechtigung. Aktuell gewinnt der Begriff Autismus-Spektrum-Störung (ASS, auch ASD von engl.: autism spectrum disorder) als ,,zunehmend angewandter und allgemein akzeptierter inoffizieller Terminus" international in Klinik und Forschung immer mehr an Bedeutung. (vgl. Bölte 2009, S. 36) In den gegenwärtig in Ausarbeitung befindlichen neuen Versionen der beiden führenden Diagnosesysteme DSM und IeD (vgl. u. a. APA 2010 [18]) werden einige Neuerungen in Bezug auf die Richtlinien des autistischen Formenkreises erwartet, welche höchstwahrscheinlich die offizielle Einführung des Begriffs "Autismus-SpektrumStörungen" und dadurch eine klare Abgrenzung dieser unter den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen beinhalten werden. Noch unsicher ist, ob die Diagnose Asperger-Syndrom als eigenständige Diagnose bestehen bleibt oder ob sie als eine dem High-Functioning-Autismus ähnliche, spezifische Ausprägung der Autismus-Spektrum-Störung, ihre Eigenständigkeit verliert. (vgl. Bölte 2009, S.36,S.43)
38
Anmerken möchte die Verfasserin, dass die Bezeichnung .AspergerSyndrom" dennoch großen Wert besitzt. Es ist für betroffene Menschen mit dieser Ausprägung der Störung von unschätzbarer Wichtigkeit, dass sie primär ,,Asperger-Betroffene" sind und nicht "Autisten", da diese Bezeichnung als Diagnose unter den autistischen Störungen klar auf die große Differenz hinweist, die diese Menschen von einem in weiten Teilen der Gesellschaft vertretenen Bild eines Menschen mit Autismus trennt und in angemessener Weise den Gedanken an besondere Fähigkeiten anstelle von Defiziten aufkommen lässt. In Schule und Beruf, wo Diagnosen mitunter eine Rolle spielen, aber auch im privaten Bereich kann das von großer Bedeutung sein.
2.1.2
Ursachenforschung zu autistischen Störungen
2.1.2 .1 Aspekte und Trends der Ursachenforschung Nachdem jahrzehntelang an eine psychosozial bedingte Entstehung autistischer Störungen geglaubt wurde (vgl. dazu Bettelheim 1977 u. a.), ist man heute durch zahlreiche Beobachtungen und Forschungsergebnisse davon abgekommen und Erziehungsverhalten und Versagen der Zuwendung durch die Eltern wird nicht mehr mit der Entstehung der Störung in Verbindung gebracht. (vgl. u. a. Klicpera et al. 2002, S. 204) Es muss beachtet werden, dass Auffälligkeiten in der Interaktion zwischen Mutter (respektive Bezugsperson) und Kind vielmehr eine selbstverständliche und sogar notwendige Folge der Schwierigkeiten der betroffenen Kinder sind. (vgl. Diestelberger & Zöttl1999, S. 41) Doch immer noch gilt die Frage nach der Entstehung und den Ursachen des Autismus als nicht geklärt. Durch immer neue Forschungsergebnisse ist der aktuelle Stand dieser Theorien im ständigen Wandel. Die meisten Forscher gehen heute von einer Multikausalität in der Entstehung des Autismus aus. Im Folgenden (Tabelle 3) sollen nur überblicksmäßig die nach heutigem Forschungsstand wichtigsten Entstehungsfaktoren und Erklärungsansätze autistischer Störungen angeführt werden. Die Ergebnisse aus der gegenwärtigen Ursachenforschung sprechen zunehmend daftir, dass das autistische Störungsbild durch ,,neurobiologische und letztlich wahrscheinlich genetische" Faktoren verursacht wird. (Klicpera et al. 2002, S. 204; Kaluza 2007, S. 9) Es besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass es falsch ist, die Entstehung des Autismus einseitig zu betrachten. Unterschiedlichste Hirnschäden wurden mit Autismus in Verbindung gebracht, da diese bei Betroffenen vermehrt festgestellt wurden. Diese können prä-, peri- oder postnatal aufgetreten oder erbbedingt sein. Auch chromosomale Anomalien wurden beo39
bachtet. Zwillingsstudien sprechen für eine erbliche Mitbeteiligung, wobei vieles für ein Zusammentreffen mehrerer Gendefekte spricht. Es könnte ein Teil der Störung erworben, ein anderer erbbedingt sein. (Dieste1berger & Zöttl 1999, S. 43; Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 3 f) Tabelle 3: Ansätze der Ursachenforschung der autistischen Störungen. (vgl. Remschmidt 2002, S. 24 f, S. 52 ff; Klicpera et al. 2002, S. 26)
I
• • • • • • • •
Ansätze der Ursachenforschung
Neurobiologische Faktoren Genetische Faktoren, Erbeinflüsse Hirnschädigung und Hirnfunktionsstörungen Biochemische Besonderheiten Neurotische Defizite Störungen kognitiver Prozesse und der Sprachentwicklung Störungen der emotionalen Entwicklung Psychologische Erklärungstheorien
Wenn einmal die Entstehung der autistischen Störungen hinreichend geklärt sein wird, hätte das vielleicht zur Folge, dass durch gezielte Behandlungsmaßnahmen die Schwierigkeiten, denen die Betroffenen täglich ausgesetzt sind, beseitigt werden könnten. .Ursachenforschung darf nicht im luftleeren Raum stehen", schrieb 1993 der deutsche Sozialpädagoge, Psychologe und Therapeut Stefan Dzikowski (1993, S. 22), sie muss auf einer praxisorientierten Ebene für die Betroffenen therapeutisch nutzbar gemacht werden, denn ihre Zweckerfiillung liegt in einer Verbesserung der Lebensbedingungen der betroffenen Menschen. (vgl. Dzikowski 1993, S. 22, S. 214) 2.1.2.2 Psychologische Erklärungstheorien Der Autismus und die autistischen Störungen zeigen (abgesehen von Unterschieden der Intelligenz und der Sprachentwicklung) ein erstaunlich homogenes Störungsbild, bei dem bestimmte Auffälligkeiten bei allen Betroffenen zu beobachten sind und sich lediglich in ihren Ausformungen und ihrer Quantität - mit besonderer Abhängigkeit vom kognitiven Entwicklungsstand - unterscheiden.
40
Dennoch weiß man über die Ursachen der Entstehung der Störung noch nicht endgültig Bescheid. (vgl. Klicpera et al. 2002, S. 26, S. 204) Im Zuge der allgemeinen Forschungsfortschritte den Autismus betreffend wurde versucht, neben der Beschreibung des Phänomens und der Suche nach Ursachen auch eine theoretische Erklärung :fiir die Entstehung dieses so ausgeprägten und spezifischen Auftretens dieser Störung zu finden. Das Interesse gilt dabei der Frage, wie das Störungsbild psychologisch verstanden werden kann, also welche psychologischen Funktionen (durch die wahrscheinlich neurologischen Ursachen) beeinträchtigt sein müssen. So sind in den letzten Jahrzehnten sehr verschiedene psychologische Erklärungstheorien entwickelt worden, die der Frage um das ,,gemeinsame Auftreten von Besonderheiten der Wahrnehmung, der Informationsverarbeitung und der Sprachentwicklung mit einer [ ...] Störung des Sozialverhaltens und der sozialen Beziehungen zu anderen Menschen" auf den Grund gehen wollen. (vgl. ebd., S. 205) Diese sollen hier den AusfiUmmgen von Klicpera und Innerhofer (2002) vom Institut :fiir Psychologie der Universität Wien folgend aufgelistet werden:
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Theorie der Beeinträchtigung basaler Funktionen Theorie der Integration von Informationen und mangelnde zentrale Kohärenz Theorie der sozialen Verständnisschwierigkeiten als primäre Störung Theorie der Beeinträchtigung der Empathie als Ursache Theorie der mangelnden Fähigkeit zum ,,Mentalisieren" bzw. zur Ausbildung einer "Theory ofMind" Neurologische Modelle - Theorie der Beeinträchtigung exekutiver Funktionen
Bei näherer Betrachtung dieser Erklärungsansätze lassen sich einige Gemeinsamkeiten feststellen. Die Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung von psychischen Gegebenheiten, beim Erkennen der Einheit eines Gegenstandes, einer Person oder einer Handlung, bei der Zentrierung und Ausbildung von (abstrakten) Vorstellungen. Es laufen die beschriebenen funktionalen Defizite, nach Klicpera und Innerhofer also im Wesentlichen auf einen Mangel im Auffassen und der Vorstellung des Ganzen einer Person, Sache oder eines Ablaufs hinaus. Es ist demnach eine sehr grundlegende Funktion, die hier gestört ist.
41
2.1.2.3 Spiegelneuronen und die Salience-Landscape-Theorie In den vergangenen Jahren standen vermehrt die Spiegelneuronen im Zentrum des Interesses der Ursachenforschung des Autismus. Neuen Untersuchungen mittels Kernspintomographie zufolge ist bei Menschen mit Autismus das Neuronensystem, das Aktionen anderer widerspiegelt, und mit dessen Hilfe wir uns in andere Menschen hineinversetzen können, geschädigt. Die Neuronen in diesem System, die so genannten "Spiegelneuronen", weisen den Untersuchungen zufolge bei Menschen mit Autismus in mehreren Hirnarealen eine mangelnde Aktivität auf. Diese Erkenntnis könnte einige Hauptsymptome des Autismus erklären, wie etwa fehlendes Einfiihlungsvermögen und soziale Isolation. (vgl. Ramachandran 2007,43 f; Hügler 2006, S. 16) Uta Frith vom Londoner University College und Simon Baron-Cohen von der Universität Cambridge haben mit ihrer psychologischen Theorie der gestörten Theory-of-Mind sozusagen den Grundstein für diese Forschungsrichtung gelegt. Ihre Theorie , nach der Menschen mit Autismus die Fähigkeit fehlt, sich ein Bild davon zu machen, was im Kopf anderer Menschen vorgeht, bildet zwar sinnvolle Zusammenhänge zwischen den auffiilligen Symptomen rund um die Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, erklärt diese dabei aber gewissermaßen nur mit anderen Worten. (vgl. Ramachandran 2007, S. 44) Nun aber wurden mit den Untersuchungen die Spiegelneuronen betreffend diejenigen Hirnvorgänge identifiziert, die für diese Störung verantwortlich sind . Wenn weitere Untersuchungen diese Ergebnisse stützen, so könnten neue Methoden für Diagnose und Therapie daraus hervorgehen. Weitere Symptome, wie Überempfindlichkeit, das Vermeiden von Blickkontakt , Abneigung bestimmter Geräusche etc., vermag die ergänzende Hypothese - die Salience-Landscape-Theorie - zu begründen. (vgl. Ramachandran 2007, S. 48) Menschen sind mit einer überwältigenden Menge an Sinnesreizen konfrontiert, die durch die Amygdala (,,Mandelkern"), jenem Himareal, das die Emotionen steuert, nach der ihnen zugeschriebenen emotionalen Bedeutung und dadurch auch nach Wichtigem und Unwichtigem gefiltert wird. Dazu nutzt die Amygdala gespeichertes Vorwissen. Unwichtiges wird weitgehend ausgeblendet, Wichtiges wird weitergeleitet mit Informationen über angemessene emotionale Reaktionen. Diese Information gelangt zum vegetativen Nervensystem und bereitet die notwendige physiologische Reaktion (erhöhter Pulsschlag, Muskelspannung etc.) vor. Dieser körperliche Erregungszustand wiederum wird dem Hirn zurückgemeldet, was wieder die emotionale Reaktion verstärkt. Es wird durch derartige Vorgänge von der Amygdala eine Wichtigkeitslandschaft (Salience-Landscape) mit der emotionalen Bedeutsamkeit der Umweltvorgänge 42
erzeugt. Die Forscher gehen davon aus, dass durch Fehler in der Verbindung zur Amygdala diese Landschaft bei Menschen mit Autismus verzerrt ist. Das würde die beschriebenen Symptome verständlich machen, da infolge dieser Verbindungsdefekte jedes belanglose Ereignis oder Objekt im Geist des Betroffenen eine extreme emotionale Reaktion hervorrufen könnte. (vgl. ebd.) Überempfindlichkeiten, das Meiden von Blickkontakt und vor allem auch die Verweigerung alles Neuen würde damit neurobiologisch begründet. Verursacht werden derartige Fehler der Himverbindungen unter anderem durch eine SchläfenlappenEpilepsie in der frühesten Kindheit, die bei etwa jedem dritten Menschen mit Autismus beobachtet worden ist, die Dunkelziffer ist vermutlich sogar weitaus höher. (vgl. Ramachandran 2007, S. 49) Einige Forschungsarbeiten stützen diese Theorie, weitere Arbeiten werden erwartet. Die beiden Erklärungstheorien ergänzen einander. Dasselbe Ereignis, das die Verbindungen stört und die Salience-Landscape durcheinander bringt, könnte auch für die eingeschränkte Aktivität der Spiegelneuronen verantwortlich sein. Auch ein Gendefekt wird als potentieller Auslöser für beide Au:ffiilligkeiten gehandelt. Dennoch können beide Theorien bisher nur als Mutmaßungen angesehen werden, strenge Tests sind nötig, um diese Theorien eventuell zu sichern. Die "tiefste Ursache des Autismus" bleibt vorerst weiter ungeklärt, doch Untersuchungen wie diese liefern in jedem Fall "einen brauchbaren Rahmen für künftige Forschung". (vgl. ebd.)
2.1.3
Behandlungsmethoden und therapeutische Maßnahmen
2.1.3.1 Ziele der Maßnahmen der Behandlung bei Autismus In den letzten Jahrzehnten hat die Vielfalt der Behandlungsmethoden rapide zugenommen. Das führte zu großen Fortschritten der Behandlungsmöglichkeiten wie auch im Verlauf vieler autistischer Lebensgeschichten, doch ist ein Durchbruch in der Behandlung autistischer Störungen noch nicht gelungen. Aufgrund der Tatsache, dass die Erscheinungsbilder und die Ursachen des Autismus noch nicht hinreichend geklärt werden konnten, geht man davon aus, dass im Idealfall für jeden Betroffenen ein individuelles Programm aus den zahlreichen Einzeltherapieangeboten zusammengestellt werden sollte, sofern sich diese nicht in ihren Grundprinzipien widersprechen. Die Wirksamkeit dieses multimodalen Plans muss am Patienten über einen längeren Zeitraum beobachtet und gegebenenfalls gewissenhaft modifiziert und umgestellt werden. (vgl. Walter 2003, S. 34 ff; Remschrnidt 2002, S. 69)
43
Eine Heilung der autistischen Störung ist nach heutigem Wissensstand und modernsten Methoden nicht möglich, doch können durch sinnvolles Zusammenwirken der verschiedenen Methoden in einigen Fällen sogar entscheidende Besserungen des subjektiven wie auch des objektiven Zustandes des Betroffenen erzielt werden. Dabei wird - das belegen auch neueste Forschungen - dem frühen Einsetzen der Behandlungsmaßnahmen eine entscheidende Bedeutung beigemessen, da dieses wesentlich zu besseren Langzeit-Erfolgen beiträgt. Als Voraussetzung fiir die gezielte Behandlung wird der frühen Diagnosestellung in dem Zusammenhang große Wichtigkeit zugesprochen. (vgl. Barbaresi et al. 2006, S. 1167) 2.1.3 .2 Klassifikation der Methoden zur Behandlung und Therapie des Autismus Eine Darstellung und Diskussion der gängigen klassischen und aktuellen Behandlungsmethoden wäre aufgrund ihrer enormen Vielzahl sehr umfangreich und schwierig. Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, soll im Folgenden eine bloße Übersicht über die gängigen Methoden, in Anlehnung an die Methodenklassifikation von Weiß (2002, S. 40 ff), gegeben werden. Diese Einteilung in Klassifikationsgruppen verdeutlicht in anschaulicher Weise, aus wie vielen unterschiedlichen Richtungen der Medizin, Psychologie und Pädagogik Behandlungsansätze entwickelt werden. I) Biochemische Behandlungsansätze Medikation Opiatantagonisten, Hormone, Serotoninagonisten, Serotoninwiederaufnahme-Hemmer, Stimulantien, Antiepileptika, Neuroleptika Diäten Vitamin- und Mineralstoffiherapie 2) Verhaltenstherapeutische Verfahren 3) Therapie mit Tieren Delphintherapie Reittherapie 4) Förderung der Kommunikation Sprachtherapie Alternative Kommunikationsformen Gestützte Kommunikation Musiktherapie 44
5) Beziehungsförderung Aufmerksamkeits-Interaktions-Therapie Gentle Teaching Option Methode 6) Therapie der auditiven Wahrnehmung Auditory Integration Training Tomatis-Therapie 7) Therapie der visuellen Wahrnehmung Iden Lenses / Skotopische Sensibilisierung 8) Körperbezogene Ansätze Doman-Delacato Sensorische Integration Festhaltetherapie 9) Förderung sozialer Fähigkeiten sowie der Selbstständigkeit Theorie Of Mind - Training Social Stories 24-Stunden Toiletten-Training nach Azrin 10) Kombinierte Ansätze Daily-Life-Therapy TEACCH
2.2 FORSCHUNGSSTAND EMOTION ,,Fast jedes Schulkind weiß, dass die Taube ein Vogel ist, die Katze zu den Säugetieren gehört und die Forelle zu den Fischen. Auch dass der Wal kein Fisch ist, dürfte vielen bekannt sein. Aber um welche Art von Emotion handelt es sich beispielsweise bei der Liebe? Gehören Hass und Liebe zusammen (immerhin gibt es den Begriffder "Hassliebe") oder handelt es sich um zwei verschiedene Arten von Emotionen? Wenn ja, stellt sich die Frage, worin sie sich unterscheiden. Ist es überhaupt möglich, ein Ordnungssystemfiir Emotionen zu erstellen?" (Schmidt-Atzert 2000, S. 30)
2.2.1 Kurzer historischer Abriss Schon vor über 2000 Jahren hat sich die Philosophie mit dem Phänomen der Emotionen befasst. Die Gedanken und Schriften dieser Philosophen und mit ihnen der frühen Psychologen sind es, die wichtige Grundlagen für das Verständnis der heutigen Emotionsforschung liefern. (Schmidt-Atzert 1996, S 13) 45
So wird bereits in der Antike die Wirkung von Gefiihlen auf Leistung, Lebensgestaltung und Sozialleben wissenschaftlich diskutiert. Für Aristoteles werden Gefiihle der Physis des Menschen zugeordnet und ein rechtes Maß eines Gefiihls wirkt zielbestimmend, während ein Mangel genau wie ein Übermaß eines Gefiihls keine Zielbestimmung oder Handlungsweisung bringt. Etwa ist Besonnenheit nach Aristoteles als Gefiihl im rechten Maß zwischen den Extremen Unlust und Lust für den Menschen zielbestimmend. (Aristoteles um 330 v. Chr.l1964, zit. nach Otto et al. 2000, S. 26) Ebenso waren für Cicero maßvolle und kontrollierte Gefiihle konstruktiv und Voraussetzung für gute Taten (Cicero um 50 v. Chr.l1979, zit. nach ebd.) und auch Descartes in der frühen Neuzeit betrachtet es als wesentliche Funktion der Gefiihle, Handlungen einzuleiten. (Descartes 1649/1984, zit. nach ebd.) Auch mit dem Ausdruck und dem Erleben körperlicher Veränderungen hat sich die Emotionsforschung schon lange befasst. Darwins Forschungen zum Emotionsausdruck, insbesondere zu mimischen Reaktionen, sowie sein Kulturvergleich emotionalen Erlebens sind bis heute aktuelle Themen der Emotionsforschung. Nach Darwin werden Emotionen durch kognitive Einschätzungen ausgelöst, die ihrerseits den Emotionsausdruck verursachen. Auch Darwin postuliert, dass Emotionen - und da vor allem ihr Ausdruck - eine Funktion erfüllen. (Darwin 1872, zit. nach Schmidt-Atzert 1996, S. 14 ff, S. 29) Der Ansatz Wundts, Emotionen anband bestimmter grundlegender Dimensionen anzuordnen und so ihre Qualitäten zu beschreiben, ist ebenfalls immer noch von großer Bedeutung und bemerkenswerter Weise sind einige der von ihm vorgeschlagenen Dimensionen heute mit neuen Forschungsmethoden nachweisbar. Bis heute großen Einfluss auf die modeme Emotionsforschung hat auch die so genannte JamesLange-Theorie der Emotionen, die Ende des 19. Jahrhundert unabhängig voneinander vom Amerikaner William James sowie vom Dänen Carl Lange entwickelt wurde. Beide gehen davon aus, dass körperliche Reaktionen für das Erleben von Emotionen notwendig sind, Emotionserleben also erst durch das Wahrnehmen der eigenen körperlichen Veränderungen (Herzschlag, Schwitzen etc.) auf den emotionsauslösenden Reiz erfolgt und ohne die körperliche Veränderung nicht zustande käme. Der Versuch, den Aspekt des Erlebens mit dem des Ausdrucks und der somatischen Veränderungen in Beziehung zu setzen, hat sich als sehr einflussreich erwiesen und lebt heute in verschiedenen Varianten der neuen Emotionsforschung weiter. (Schmidt-Atzert 1996, S. 29, S. 148)
46
2.2.2 Definition und Beziehung zu verwandten Konstrukten ,,Emotion ist ein seltsames Wort. Fast jeder denkt, er versteht, was es bedeutet, bis er versucht, es zu definieren. Dann behauptet praktisch niemand mehr, es zu verstehen." 12 (Wenger et al., 1962, zit. nach Schmidt-Atzert 1996, S. 181~
2.2.2.1
Definitionsprobleme und konzeptuelle Unschärfe
In der Psychologie sowie in verwandten Disziplinen ist seit Jahrzehnten ein zunehmendes Interesse an der Emotionsforschung zu beobachten. Frühe Prophezeiungen, wie die von M.F. Meyer, der Emotionen im Jahr 1933 totgesagt hat und der Meinung war, dass der Begriff schon 1950 aus der wissenschaftlichen Terminologie verschwinden werde, haben sich also als falsch erwiesen. (Schmidt-Atzert 1996, S. 11; Schmidt-Atzert, 1981, S. 1; Benesch 2002, S. 225) Dennoch gibt es bislang keinen Konsens darüber, was man unter einer Emotion zu verstehen hat, die wissenschaftliche Erörterung der Emotion steckt noch in ihren Anfängen. (Benesch 2002, S. 223) Dieses Fehlen des Konsenses über den Gegenstand der Abhandlung wirkt sich wieder negativ auf die weitere Forschung aus, denn wenn die Begriffe nicht geklärt sind, können viele Fragen nicht sinnvoll empirisch beantwortet werden. Ob zwei Forschungsergebnisse einander widersprechen oder nicht, ist manchmal bloß eine Frage der Definition des Problemgegenstandes, von der ausgegangen wird. (Schmidt-Atzert 1996, S. 19, 29) Wenn Wissenschaftler bei ihrer Forschung von unterschiedlichen Emotionsdefinitionen ausgehen, warnt Schmidt-Atzert (1996, S. 19), bleibt unter ihnen jede Diskussion über ihre Aussagen diesen Gegenstand betreffend, fruchtlos. Wenn es sich beim beforschten Gegenstand um ein nicht unmittelbar erfassbares Konstrukt handelt - wie es bei Emotionen zweifelsohne der Fall ist - so muss ein solcher Konsens erst hergestellt werden. Dies geschieht oft über das Heranziehen einer allgemein anerkannten Definition. Eine solche existiert den Gegenstand Emotion betreffend jedoch nicht. In Folge dessen herrscht auch keine Einigkeit in Hinsicht auf Theorienbildung und emotionstheoretische Konzepte, die - aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen kommend - uneinheitliche Faktoren als Teilaspekt von Emotionen ansehen, unterschiedliche Komponenten des Konstrukts Emotion als wichtig herausstreichen und sich auch bezüglich Auslöser, übersetzung von Schmidt-Atzert. (1996, S. 18) Es handelt sich um ein Zitat, das in vielen Werken der Emotionsfachliteratur zu finden ist, jedoch mit unterschiedlichen Quellenangaben. Neben der oben genannten findet sich auch: Schmidt-Atzert 1980, S. 4; Fehr und Russell 1984, zit. nach Otto et aI. 2000, S. 11; Hascher 1994, zit. nach Schellknecht 2007, S. 12. 12
13
47
Nutzen und Folge von Emotion, sowie bezüglich der Abgrenzung von verwandten Konstrukten (wie Stimmung und Gefühl, etc.) wesentlich unterscheiden. (vgl. Schmidt-Atzert 1996, S. 18; Schmidt-Atzert 1980, S. 4 f; Otto et al. 2000, S. 11 1) Nach Schönpflug (Schönpflug 2000, S. 20) sind es vor allem drei große psychologische Richtungen, die an der Theoriebildung der Emotionen beteiligt sind: der Kognitivismus, der Behaviorismus und die Tiefenpsychologie, aber auch die Popularpsychologie, Lyrik, Dramatik und die Romanliteratur werden genannt. Definitionsvorschläge spiegeln oft deutlich die Schwerpunkte der psychologischen Richtung aus der der Forscher kommt, wider, es lässt sich also eine Beziehung zwischen seiner Sichtweise und den von ihm genannten Definitionselementen feststellen. Das unterstellen Carlson und Hatfield (1992, zit. nach Schmidt-Atzert 1996, S. 18), wird von Schmidt-Atzert unterstrichen (SchmidtAtzert 1996, S. 18) und auch von Schönpflug (Schönpflug 2000, S. 20 1) betont. An dieser Stelle seien zwei Beispiele genannt, um diesen Einfluss deutlich zu machen: So spielen etwa in kognitivistischen Emotionstheorien kognitive Beurteilungen eine zentrale Rolle. Schönpflug stellt fest, dass die kognitivistisehen Deutungen von Gefühlen zu zeigen suchen, " wie Einsichten und Einschätzungen die elementaren Qualia der Erregung, Lust und Unlust überformen, so dass sich komplexere Gefühle wie Verachtung oder Stolz bilden ", und dass sich aus kognitivistischer Sicht in den Gefühlen das Weltbild der Betroffenen darstellt. (Schönpflug 2000, S. 23) Die Tiefenpsychologie wieder lehrt gemäß ihrer Theorien zum Beispiel einen destruktiven Grundtrieb, den Todestrieb und daneben frühkindliche Fixierungen als Ursachen für sozialschädliche Motive wie Feindseligkeit und Geiz. (Freud 1908 und 1920, zit. nach Schönpflug 2000, S. 25) Diese richtungsbezogenen Emotionskonzepte können schwer zu einem Konsens finden, das schlägt sich in den Emotionsdefinitionen und auch in der weiteren Emotionsforschung nieder und führt zu der großen wissenschaftlichen Uneinigkeit auf diesem Gebiet. Heute gibt es eine so große Zahl an Definitionsvorschlägen, dass Autoren diese in eigenen Werken zählen und zu ordnen versuchen. Kleinginna und Kleinginna (1981, zit. nach Otto et al. 2000, S. 14 und Schmidt-Atzert 1996, S. 18 1) haben 92 Emotionsdefinitionen aus der wissenschaftlichen Forschung gesammelt und nach Gemeinsamkeiten überprüft, später wurde diese Sammlung von Van Brakel (1994, zit. nach Otto et al. 2000, S. 15) noch um 22 neuere Definitionen ergänzt. Folglich sind umfassende Darstellungen zur Emotionspsychologie im deutschen wie auch im englischen Sprachraum selten anzutreffen und die vorliegen48
den Werke ungewöhnlich heterogen. So formuliert Schmidt-Atzert 1995 in diesem Zusammenhang im Vorwort zu seinem "Lehrbuch der Emotionspsychologie" sehr pointiert: "Mit etwas Übertreibung könnte man feststellen, die größte
Gemeinsamkeit [der vorliegenden Werke] bestehe darin, dass sie das Wort "Emotion" im Titel tragen. .. (Schmidt-Atzert 1996, S. 5) 2.2.2.2
Komponenten einer Emotion
Bevor man sich den Emotionsdefinitionen widmet, muss zunächst geklärt werden, welche Komponenten es sind, die berechtigen, von einer Emotion zu sprechen, welche Aspekte also unter dem Begriff Emotion subsumiert werden. Dazu sollen einige zentrale Fragen diskutiert werden. Es interessiert zunächst die Frage nach Auslöser sowie die Frage nach Anfang und Ende, also der Dauer des Phänomens. Dabei ist unstrittig, dass eine Emotion durch eine spezifische Veränderung der externen Umwelt - einen Reiz ausgelöst werden kann. Sie kann aber auch durch interne Veränderungen im Individuum verursacht werden, während die Umwelt unverändert bleibt - etwa bei der Imagination einer Situation. Daher ist es nicht sinnvoll, bei Emotion von einer Reaktion zu sprechen. Viel allgemeiner und daher besser geeignet ist der Begriff Zustand, er impliziert keine Annahme über eine Ursache und kann durch Aussagen über seine Dauer, den Zeitpunkt seines Beginns und seines Endes, sowie durch seinen Verlauf und seine Qualität näher beschrieben werden. (Schmidt-Atzert 1996, S. 20) Spricht man also von Emotion als Zustand mit einem Beginn und einem Ende, stellt sich als nächstes die Frage, was sich ändert. Dabei stößt man in drei Bereichen auf Änderungen, die mit dem Auftreten eines emotionalen Zustandes einhergehen und als Emotionskomponenten bezeichnet werden: Das Gefiihl, also das emotionale Erleben, die von außen wahrnehmbare Veränderung, etwa der Mimik, die auch als Ausdruck bezeichnet wird, und die innere physiologische Veränderung, wie etwa ein beschleunigter Herzschlag. (ebd. S. 21) Nicht bei jedem Emotionsauftreten ist zwingend gleichzeitig in jedem dieser drei Bereiche (Ge:ftihl, Ausdruck, Physiologie) eine Veränderung notwendig und es besteht nur eine schwache Kovariation zwischen diesen drei Komponenten. Wiederum gibt es Autoren, die weitere Emotionskomponenten nennen, wie etwa die Bewertungen (Kognitionen) des auslösenden Reizes, einen motivationalen Aspekt oder einen Handlungsimpuls. Diese werden aber von anderen Autoren als nicht sinnvoll betrachtet und sollten daher nicht als grundlegende Voraussetzung für eine Emotion verstanden werden. (Schmidt-Atzert 1996, S. 21, 175) 49
Wenn nun die Komponenten dargestellt wurden, die bei Auftreten einer Emotion eine Veränderung aufweisen, interessiert weiter, ob mehrere Arten der Veränderungen unterschieden werden können. Auf allen drei genannten Ebenen (Geftihl, Ausdruck, Physiologie) sind unterschiedliche Veränderungsqualitäten feststellbar. Auf der Ebene des Geftihls und des Ausdrucks sind die Unterschiede der Qualitäten von Emotionen messbar und empirisch gut begründet, auf der physiologischen Ebene zeigen sich weniger deutliche Unterschiede. Diesen unterschiedlichen Erscheinungen von Veränderungen werden je nach Art des Auftretens Bezeichnungen wie Angst, Ärger, Freude, Traurigkeit etc. zugeordnet, die wir als die verschiedenen Emotionen kennen. Allerdings fehlt bislang auch hier ein Konsens, welche Emotionsqualitäten zu unterscheiden sind, eine verbindliche Liste von Emotionsbezeichnungen existiert bis dato nicht . (vg1. Schmidt-Atzert 1996, S. 20, 175) Aus diesen Einsichten entwirft der deutsche Psychologe und Emotionsforscher Schmidt-Atzert (1996) eine Arbeitsdefinition von Emotion, die sich folgendermaßen darstellt: Emotion wird als zeitlich begrenzter Zustand verstanden, der mit Veränderungen auf einer oder mehreren der drei Ebenen - Gefühl , körperlicher Zustand und Ausdruck - einhergeht und qualitativ (als Freude, Angst, Ärger etc.) näher beschreibbar ist. (vgl. Schmidt-Atzert 1996, S. 21, 29)
2.2.2.3 Ausgewählte Emotionsdefinitionen Eine konsensfähige, wissenschaftlich begründete Definition des Phänomens Emotion zu finden, wird - wenn überhaupt - erst nach einem weiteren langen Forschungsprozess möglich sein. Bis dahin gilt es für Forschungsarbeiten, die sich mit Emotion beschäftigen, zentrale Fragen rund um den Gegenstand zu klären und anband dieses noch begrenzten Wissens eine so genannte Arbeitsdefinition festzulegen, die deutlich macht, was genau in dieser Arbeit unter dem verwendeten Begriff verstanden wird. (vg1. Schmidt-Atzert 1996, S. 20) Nach einer Wörterbuchdefmition von Fröhlich (2005) soll hier die von Kleinginna et a1. (1981) aus der Gesamtheit der gesammelten Emotionsdefinitionen abgeleitete Konsenstheorie vorgestellt werden und anschließend auf zwei nach Otto et a1. (2000) zeitgemäße Arbeitsdefinitionen eingegangen werden. Danach folgt eine kurze Darstellung der Emotionsdefinition nach Kemmler et a1., die für die vorliegende Forschungsarbeit besondere Relevanz besitzt; auf diese soll im Methodenteil (vg1. Kapitel V) näher eingegangen werden. Als Einstieg soll nun kurz dargestellt werden, wie im Wörterbuch der Psychologie (Fröhlich 2005) derBegriffEmotion skizziert wird: 50
,,Aus dem lateinischen emovere (aufwühlen, heraustreiben) hergeleitete, allgemeine und umfassende Bezeichnung fUr psychophysiologische Zustandsveränderungen, ausgelöst durch äußere Reize (Sinnesempfindungen), innere Reize (Körperempfindungen) und/oder kognitive Prozesse (Bewertungen, Vorstellungen, Erwartungen) im Situationsbezug. [. ..l" (Fröhlich 2005, S. 159)
Eine Emotionsdefinition, die dem Anspruch der Konsensfähigkeit sehr nahe kommt, stammt von Kleinginna und Kleinginna. Diese haben 92 Emotionsdefinitionen aus den verschiedensten meist psychologischen Richtungen zusammengetragen und detailliert dargestellt. Diese Summe an Definitionen haben sie dann nach Ähnlichkeiten untersucht und systematisch in 10 Kategorien eingeteilt. In Folge haben sie versucht, aus diesen - alle 92 Definitionen berücksichtigendenKategorien eine konsensfiihige Emotionsdefinition abzuleiten. (Kleinginna und Kleinginna 1981, zit. nach Otto et al. 2000, S. 14 fund Schmidt-Atzert 1996, S. 181) Diese besagt": ,,Emotion ist ein komplexes Interaktionsgefüge subjektiver und objektiver Faktoren, das von neuronal/hormonalen Systemen vermittelt wird, die (a) affektive Erfahrungen, wie Gefiihle der Erregung oder Lust/Unlust, bewirken können; (b) kognitive Prozesse, wie emotional relevante Wahrnehmungseffekte. Bewertungen, Klassifikationsprozesse, hervorrufen können; (c) ausgedehnte physiologische Anpassung an die erregungsauslösenden Bedingungen in Gang setzen können; (d) zu Verhalten fiihren können, welches oft expressiv, zielgerichtet und adaptiv ist." (Kleinginna und Kleinginna 1981, zit. nach Otto et al. 2000, S. 15)
Hier werden neben dem Erlebnisaspekt, dem physiologischen und dem Ausdrucksaspekt die kognitive Komponente sowie Reaktionskomponenten und Verhaltensbereiche in die Emotionsdefinition einbezogen. Das Vorliegen dieser Aspekte wird heute nicht mehr bestritten, jedoch wird ihre Rolle und Funktion sehr kontrovers diskutiert. Die kognitiven Prozesse werden oft von den eigentlichen emotionalen Komponenten abgehoben und eher als wesentlich für die Entstehung und Erklärung von Emotion angesehen. (vgl. Otto et al. 2000, S. 15, vgl. Scherer 1990, S. 3) Die Emotions-Arbeitsdefinition von Scherer (1990) soll an dieser Stelle aufgrund ihres großen Einflusses auf die aktuelle Emotionsforschung (Otto et al. 2000, S. 15) dargestellt werden. Scherer definiert Emotionen als ein Syndrom von mehreren Komponenten. (vgl. Hodapp 2000, S. 199) Er sieht in der Emotion eine Schnittstelle, die zwi14
Übersetzung von Otto et a1. (2000, S. 15).
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sehen ständig wechselnden Umweltsituationen und dem Individuum vermittelt, Kognitive Prozesse spielen hier weniger für die Entstehung, sondern vielmehr für die kontinuierliche Informationsverarbeitung der vorhandenen Emotion eine zentrale Rolle. Er defmiert fünf Subsysteme des menschlichen Organismus, die im Falle von Emotionsprozessen im Interesse der Gesamtmobilisierung des Organismus in enger Koordination agieren und Veränderungen aufweisen, die der Anpassung an den jeweiligen emotionsauslösenden Reiz dienen. Die Einzelfunktionen der Subsysteme treten dabei zugunsten der zentralen Bedürfnisse und Ziele des Organismus in den Hintergrund. Als Subsysteme definiert werden das Infonnationsverarbeitungs-Subsystem (kognitive Komponente), das Versorgungssubsystem (die physiologische Regulation), das Steuerungssubsystem (die motivationale Komponente), das AktionsSubsystem (Ausdruckskomponente) und das Monitor-Subsystem, das den Zustand aller Subsysteme reflektiert und damit die Aufmerksamkeit auffür den Organismus wesentliche Um- und Innenweltbedingungen lenkt (Gefühlskomponente). (vgl. Scherer 1990, S. 3 ff) Scherers Arbeitsdefinition von Emotion leitet sich daraus folgendermaßen ab: ,,Emotionen bestehen aus Abfolgen von aufeinander bezogenen, synchronisierten Veränderungen in den Zuständen aller fiinf organismischen Subsysteme. Diese Veränderungen werden ausgelöst durch die Bewertung eines externen oder internen Reizes als bedeutsam jUr die zentralen Bedürfnisse und Ziele des Organismus."
(Scherer 1990, S. 6)
Kemmler et al. (1991) haben sich im Zuge ihrer Untersuchung von Therapiegesprächen verschiedener psychotherapeutischer Richtungen nach ihrem emotionalen Gehalt - Emotionswörtern sowie emotionshaltigen Aussagen im Text - mit dem Begriff Emotion auseinandergesetzt. Sie haben diefür ihre Forschung relevanten und zentralen Bestandteile einer Emotionstheorie herausgearbeitet und auch eine eigene Arbeitsdefinition gefunden. Nach ihrer Meinung wird Emotion "als ein komplexes, übergreifendes Phänomen gesehen, das physiologische und kognitive Prozesse umfasst, zusammen mit subjektiv getönten Erfahrungen sowie mit Handlungs- und Verhaltensweisen, die für Gefühle charakteristisch sind. Emotion hat eine Signalfunktion. indem sie dem Individuum über seinen augenblicklichen inneren Zustand und seine Umwelt Auskunft gibt. [. ..} Alle aktuellen emotionalen Empfindungen entstehen im Hier und Jetzt: In der Gegenwart ablaufende psychische Prozesse bestimmen die Qualität und die Intensität der emotionalen Erfahrung. [ ...} [Es handelt] sich dabei vorrangig um Prozesse der Bewertung und der Einschätzung. Diese sind nicht notwendigerweise bewusst, rational und willensabhängig, aber sie können bewusst gemacht, verstan-
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desmäßig analysiert und verändert werden, wenn dieses gewünscht oder notwendig ist." (Kemmleretal. 1991,S.10f)
Für ihre Forschung entwickelten Kemmler et al. (1991) die folgende Arbeitsdefinition: ,,Emotion (bzw. Gefiihl) ist der theoretische Begrifffiir komplexe, organisierte psychische Zustände, die aus subjektivem Erleben, gefiihlsgetönten Gedanken, expressiv-instrumentellen Verhaltensweisen und zugehörigen körperlichen Reaktionsmustern bestehen. Emotionen sind, anders als länger andauernde Stimmungen, vorübergehende Erscheinungen und entstehen aus der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Welt." (Kemmler et al. 1991, S. 18)
Ähnlich der Arbeitsdefinition Scherers (1990, s, oben) werden also auch hier neben den drei zentralen Emotionskomponenten Gefühl (hier: subjektives Erleben), Physiologie und Ausdruck (hier: körperliche Reaktionsmuster) auch Kognitionen (hier: gefühlsgetönte Gedanken) und Handlungsimpulse (hier: expressiv-instrumentelle Verhaltensweisen) in die Emotionsdefinition einbezogen und als Bestandteile einer Emotion angesehen. 2.2.2.4 Emotion und Beziehung zu verwandten Konstrukten: Geftihl, Stimmung, Affekt In unserer Alltagssprache sind die Begriffe Stimmung, Geftihl, Affekt, Emotion sehr geläufig und wechseln einander oft wie Synonyma ab, es wird wenig darüber nachgedacht, was jeder dieser Begriffe tatsächlich bedeutet oder wodurch sich diese unterscheiden. Auch in der Wissenschaft herrscht keine absolute Klarheit darüber, was eine Stimmung, ein Gefühl, einen Affekt oder eine Emotion ausmacht, welche Kriterienfür das Vorliegen dieser Zustände erfüllt sein müssen und vor allem, durch welche Komponenten sie sich voneinander unterscheiden. (vgl. Schönpflug 2000, S. 19) Es wird im Folgenden ein Blick auf Definitionen anerkannter Emotionsforscher geworfen und eine Arbeitsdefinition erstellt. Emotion und Gefühl Dass die Begriffe Geftihl und Emotion sehr nahe beieinander liegen, darüber herrscht Einigkeit. Während aber :für die einen Emotionsforscher die Begriffe untereinander austauschbar sind, unterstreichen andere die Notwendigkeit, definitorische Unterschiede heraus zu heben, da die inadäquate Verwendung der 53
beiden Begriffe zu Verwirrung führen könnte. (vgl. Schmidt-Atzert 1996, S. 18; Kemmler et al. 1991, S. 9) Häufig wird neben Emotion als Oberbegriff der Begriff Gefühl als Teil oder Komponente von Emotion angesehen. Oder Gefühl wird als enge Definition von Emotion betrachtet, die die subjektive Erlebnisqualität als Teilkomponente der Emotion in den Mittelpunkt rückt, während üblicherweise Emotionfür eine weiter gefasste Auffassung steht, die neben der Gefiihlskomponente auch den körperlichen Zustand und das Ausdrucksverhalten mit einschließt. (vgl. Kapitel 3.2.2.2; Schrnidt-Atzert 1996, S.18; Otto et al. 2000, S.13 f) Einige Autoren sehen begrifflich keinen wesentlichen Unterschied und verwenden den Begriff Gefühl als ein Synonymfür den Oberbegriff Emotion, auch wenn sie, wie Kemmler et al. (1991, S. 9, S. 18) von einer weiten Auffassung von Emotion ausgehen, die ihrerseits auch eine Gefiihlskomponente beinhaltet das subjektive Erleben. Emotion und Stimmung Von den meisten Autoren werden Stimmungen von Emotionen unterschieden, doch auch diese Begriffe werden von einigen Autoren austauschbar verwendet. Wo eine Unterscheidung angestrebt wird, so werden Stimmungen meist als kleine, alltägliche Emotionen angesehen, mit geringerer Intensität und Variabilität aber von größerer Dauer als Emotionen, und es fehlt im Gegensatz zur Emotion ein klarer Bezug zu einem Auslöser. (Otto et al. 2000, S. 13; Schrnidt-Atzert 1996, S. 24) Schrnidt-Atzert (1996, S. 24 f) gibt als anschauliches Beispiel den Ärger als Emotion, der durch ein konkretes Ereignis ausgelöst werden kann, etwa das Vordrängein in einer Warteschlange. Eine gereizte Stimmung hingegen wird eher durch viele kleine Ereignisse oder ein zeitlich weit zurückliegendes, bedeutendes Ereignis hervorgerufen werden, ohne dass die Person dies als Ursache identifizieren kann. Emotion und Affekt Unter Affekt versteht man im deutschen oft eine kurze und intensive Emotion, die oft mit einem Verlust der Handlungskontrolle einhergeht. In der deutschen Emotionsforschung findet der Begriff jedoch heute kaum noch Verwendung, er ist eher in der Psychiatrie und der Juristik von Bedeutung. Der englische Begriff .affect" hingegen hat eine andere Bedeutung, ähnlich wie das deutsche Adjektiv affektiv, das vom Substantiv Affekt getrennt zu betrachten ist, dient er als Synonym :für Emotion oder sogar eher als Oberbegrifffür Emotion und ihre verwandten emotionalen Zustände. (vgl. Otto et al. 2000, S. 13; Schrnidt-Atzert 1996, 54
S. 26) Das Adjektiv affektiv bezeichnet ganz allgemein den emotionalen Anteil im menschlichen Erleben, Urteilen und Handeln. (Schaub et al. 2000, S. 15) Aufgrund der fortschreitenden Internationalisierung und der damit verbundenen Anglisierung der Wissenschaftssprache kann angenommen werden, dass auch hier die angloamerikanische Verwendung des Begriffes im Deutschen Sprachraum zunehmend Fuß fassen wird. (vgl. Otto et al. 2000, S. 13)
2.2.3 Erfassung und Sortierung von Emotionen 2.2.3.1 Allgemeines In der Wissenschaft herrscht ein Bestreben, die Objekte der Forschung anband objektiver Merkmale zu unterscheiden und zu ordnen. Wissenschaften wie Biologie und Chemie etwa verfügen über bewährte Klassifikationssysteme, die es gestatten, die Lebewesen bzw. die chemischen Elemente strukturiert einzuteilen. ,,Für die Emotionen", so der deutsche Emotionsforscher Lothar Schmidt-Atzert (2000, S. 30), .fehlen bisher vergleichbare objektive Unterscheidungsmerkmale, und deshalb entbehren Einteilungsversuche nicht einer gewissen Beliebigkeit. Allerdings ist es unstrittig", so der Emotionsforscher weiter, "dass sich Emotionen voneinander unterscheiden; strittig ist nur, worin die Unterschiede und auch die Gemeinsamkeiten liegen." (Schmidt-Atzert 2000, S. 30) Dennoch mangelt es nicht an Versuchen, Emotionen einzuteilen und zu ordnen. Diese fallen in drei Klassen: In der jüngeren Emotionsforschung findet sich zunehmend die Tendenz, einen harten Kernbereich einiger weniger so genannter primärer oder grundlegender Emotionen zu suchen (bei McDougall zum Beispiel in Anlehnung an unsere Instinkte), aus denen sich die anderen Emotionen als gemischte Formen zweier oder mehrerer dieser Grundemotionen ableiten lassen, die so genannten sekundären Emotionen. (Schmidt-Atzert 1996, S. 27) Die beiden anderen Ansätze spekulieren weniger über die Natur der Emotionen, sie gehen von empirisch ermittelten Ähnlichkeiten von Emotionen aus und versuchen, entweder die Emotionen in Ähnlichkeitskategorien einzuteilen oder sie an einigen wenigen Dimensionen anzuordnen. Nun fiihrt aber jeder Versuch, Emotionen zu beschreiben und zu sortieren, zwangsläufig zu der Frage, welche Emotionen es überhaupt gibt. Das Universum der Emotionen muss bekannt sein, also ihre Gesamtheit, um daraus dann eine für Untersuchungszwecke angemessene Auswahl treffen zu können. (SchmidtAtzert 1996, S. 27)
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Dabei stellt die Tatsache, dass Emotionen private, innere, nur dem Individuum selbst in ihrer Gesamtheit zugängliche und nicht direkt beobachtbare Ereignisse sind, für die wissenschaftliche Forschung ein großes Problem dar. Nur wenn das Individuum eine Auskunft über seine Emotionalität gibt, können Gefiihle untersucht werden. Diese Auskunft muss nicht verbaler Natur sein. (Schmidt-Atzert 1996, S. 86; Schmidt-Atzert 2000, S. 32) Ständig informieren wir uns im Alltag über das emotionale Befinden unserer Mitmenschen auch und beinahe vorrangig - anband von beobachtetem Ausdruck (Mimik und Körperhaltung), sichtbaren körperlichen Reaktionen (Erröten, Zittern, Schwitzen, ) und Handlungstendenzen (Lachen, Weinen, laut Werden, Zurückschrecken, ). Genau auf diese Informationen greift auch die Wissenschaft zurück. Es wurden zahlreiche Verfahren entwickelt, um Emotionen anband solcher Ausdrucksformen messen zu können. Dennoch ist die Sprache das beste Mittel zur Beschreibung von Emotionen, erstens da sie eine feine Differenzierung zulässt - nicht alle verbal benennbaren Emotionen können einem charakteristischen mimischen Ausdruck zugeordnet werden, zweitens ist die "Gesichts- und Körpersprache" nicht direkt in die Verbalsprache übersetzbar, die aber unsere Wissenschaftssprache ist. Deshalb kommt den Emotionswörtem eine herausragende Bedeutung in der Emotionsforschung zu. (Schmidt-Atzert 1996, S. 86; Schmidt-Atzert 2000, S.33) Die Sortierung der Emotionen läuft also folgendermaßen ab: Zunächst benötigt man eine Liste von Emotionsbezeichnungen, danach werden die Ähnlichkeiten zwischen allen Elementen dieser Liste festgestellt und schließlich wird ein Verfahren zur Erstellung eines Ordnungssystems gewählt, das entweder als Klassifikationsverfahren eine Einteilung der Emotionswörter in Unterkategorien liefert, oder das allgemeine Dimensionen sucht, auf denen sich jede Emotion anordnen lässt. (Schmidt-Atzert 1996, S. 87, S. 89) 2.2.3.2 Ausgangsmaterial: Emotionswörter ,,Bevor man irgendetwas ordnen kann, braucht man einen Überblick; was es alles zu ordnen gibt." (Schmidt-Atzert 1996, S. 87)
Der Begriff Emotion ist ein theoretisches Konstrukt, Emotionen sind nicht direkt beobachtbar, daher untereinander auch nicht eindeutig abgrenzbar. Es sind die Bezeichnungen, die wir Menschen diesen Zuständen gegeben haben, die wir heranziehen, wenn wir über Emotionen reden, sie vergleichen oder voneinander unterscheiden wollen. Auch in der wissenschaftlichen Emotionsforschung stellen 56
diese Bezeichnungen - wie Angst, Freude, Trauer und Glück - das Ausgangsrnaterial für Untersuchungen dar. Dabei sollte im Idealfall auf die Gesamtheit der Emotionswörter zurückgegriffen werden - unsere Sprache stellt uns einige hundert Emotionsbezeichnungen zu Verfügung. Oft werden aber für Untersuchungen zum Umfeld der Emotionen anscheinend beliebig zusammengestellte Emotionswort-Listen herangezogen, worauf diese Untersuchungen nie zu repräsentativen Ergebnissen kommen können. Tiller und Campbell (1986, zit. nach Schmidt-Atzert 1996, S. 87) zeigten, dass 37 Prozent der in Studien verwendeten Emotionswörter nicht repräsentativ für Emotionen sind. Um eine Liste der Emotionswörter zu erstellen, die dem Anspruch auf Vollständigkeit genügt, sollte methodisch vorgegangen werden. Eine geeignete Methode ist, eine nicht zu kleine Menge Leute zu fragen, welche Emotionen sie kennen. Es spielt dabei eine Rolle, wie der genaue Auftrag lautet: Sollen ,,Emotionen" oder "Gefiihle" genannt werden, sollen die Versuchspersonen je eine Emotion nennen oder alle die ihnen einfallen - mit oder ohne zeitliche Begrenzung von z. B. einer Minute. Mannhaupt (1983) hat auf einem solchen Weg 119 Gefiihlsbezeichnungen erhalten. Er hat in seiner Untersuchung 200 Studierende15 befragt, mit dem Auftrag, sie sollen zu 40 Kategorien (wie ,,Ein Hobby", ,,Eine Krankheit", ,,Eine Farbe" etc.), von denen eine Kategorie ,,Ein Gefühlszustand lautete, binnen 40 Sekunden schriftlich so viele Beispiele wie möglich produzieren. Mannhaupt ging dabei sowohl in der Versuchsplanung als auch in der -durchfiihrung und -auswertung streng nach etablierten Methoden einer kritischen Wissenschaft vor. Als Ergebnis erhielt er zu jeder der Kategorien eine nach Häufigkeiten geordnete Liste der genannten Beispiele. (s. Mannhaupt 1983, S. 270) Dabei wurden als "Gefühlszustand" Trauer, Freude, Glück, Liebe und Wut am häufigsten, jeweils von über 50 Versuchspersonen genannt. 63 Wörter wurden häufiger als vierrnal genannt. Die einmal genannten Begriffe wurden nicht berücksichtigt. Zweimal genannt wurden viele nicht eindeutig zu "Emotion" bzw . "Gefiihlszustand" zuordenbare Begriffe, wie beispielsweise Ausgelassenheit, Egoismus, Trübsal, aber auch Scham etwa, die allgemein als charakteristischer Vertreter von Emotion gilt. (vgl. u. a. Schmidt-Atzert 1980, S. 34) Es stellt sich bei Untersuchungen dieser Art die Frage, ob es sich bei den selten genannten Wörtern tatsächlich um Emotionswörter handelt. Um dies herauszufinden und das Material für weitere Emotionsforschung brauchbar zu machen, kann das Rohmaterial weiteren Überprüfungen unterzogen werden, die 15 Mannhaupt gibt an, dass es für diese Art der Untersuchung aus forschungspraktischen Gründen üblich ist, Studierende als Versuchspersonen heranzuziehen und dass das auch in der weitaus überwiegenden Zahl der Untersuchungen so gehandhabt wird. Die Beschränkung der Nonnen auf eine Stichprobe von Studenten ist daher gerechtfertigt. (Mannhaupt 1983, S. 265)
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die Zugehörigkeit der Wörter zu den Emotionswörtern bestätigen oder widerlegen. Neben Wörtern die dabei mit hoher Übereinstimmung als Emotionsbegriffe eingestuft werden, gibt es solche - wie etwa Gleichgültigkeit, Einsamkeit und Hoffnung - die niedrigere Übereinstimmungswerte erzielen, und solche wie Nervosität oder Geduld, über die eine weitgehende Übereinstimmung herrscht, dass es sich um keine Emotionsbezeichnungen handelt. (vgl. Schmidt-Atzert 1980, S. 34 ff, Tab. 2; Schmidt-Atzert 1996, S. 88) Es gibt keine festen Kriterien dafür, ob ein Wort eine Emotion bezeichnet oder nicht. Es lassen sich zwar typische Vertreter finden, die Grenzen nach außen sind jedoch unscharf. Auch die Abgrenzung von Emotionen zu Stimmungen (etwa Nervosität) oder dauerhaften Eigenschaften (Beispiel Schüchternheit) ist nicht exakt möglich, da auch diese Konstrukte keine exakten Grenzen aufweisen. Es unterliegt oft der subjektiven Entscheidung der Autoren, wo die Grenze von Emotion zu Nicht-Emotion gezogen wird. Die dadurch entstehenden Unterschiede im Ausgangsmateriallassen wiederum die Ergebnisse bezüglich Struktur und Ähnlichkeiten von Emotionswörtern sowie jedwede Ordnungsversuche divergieren. (vgl. Schmidt-Atzert 1996, S. 88; Schmidt-Atzert 2000, S. 33) 2.2.3.3
Ähnlichkeitsbestimmungen
Zur Bestimmung von Ähnlichkeiten der Emotionsbegriffe lassen sich grundsätzlich zwei Verfahren unterscheiden: Es kann nach der semantischen Ähnlichkeit (der Ähnlichkeiten in der Bedeutung der Emotionswörter) oder nach deren Kovariation (der Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens) gesucht werden. Beide Verfahren kommen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Angst und Traurigkeit etwa haben unterschiedliche Bedeutungen, treten aber gehäuft gemeinsam auf. Die semantische Ähnlichkeit wird häufiger untersucht. Sie wird mit Versuchspersonen anband von Paarvergleichen der Emotionswörter ermittelt, oder durch Anordnen derselben auf definierten Skalen. Durch den Abstand auf denselben wird deren Ähnlichkeit bestimmt. Eine praktikable Methode ist auch das Sortieren der Begriffe mittels Kärtchen . Die Versuchspersonen sollen ähnliche Emotionen zusammenlegen und dabei beliebig viele oder eine vorgegebene Anzahl von Emotionsstapel bilden. Die Ähnlichkeit der Emotionen wird dabei durch die Anzahl der Versuchspersonen definiert, die diese auf denselben Stapel gelegt haben. (Schmidt-Atzert 1996, S. 88 t) Unabhängig von der gewählten Methode erhält man eine Matrix mit unzähligen - meist mehreren Tausend - Ähnlichkeitsbestimmungen, die erst weiter aufbereitet werden müssen. Dafür stehen verschiedene Verfahren der Datenre58
duktion zu Verfügung, die entweder Kategorien oder allgemeine Beschreibungsdimensionen finden sollen. Beide Ansätze schließen einander nicht aus. (vgl. Schmidt-Atzert 2000, S. 36) 2.2.3.4
Emotionskategorien
Die Einteilung der Emotionswörter in eine bestimmte Zahl an Emotionskategorien ist ein etabliertes Sortierungsverfahren von Emotionswörtern, welches empirisch gut begründbar ist. Es gilt dabei, mit Hilfe von Cluster- oder Faktorenanalysen eine repräsentative Zahl an Emotionswörtem von Versuchspersonen auf Stapel sortieren zu lassen. Die Stapel - die so genannten Kategorien, Gruppen oder Cluster - erhalten dann nach ihren charakteristischsten Vertretern Namen wie Angst-, Ärger-, Neid- oder Traurigkeits-Cluster. Die Anzahl dieser Emotionskategorien wird dabei meistens vom Versuchsleiter vorgegeben. Es kann dabei nie von einer "richtigen" Anzahl an Kategorien ausgegangen werden. (vgl. Schmidt-Atzert 1996, S. 91 ft) Die einzelnen Kategorien können weiter unterteilt oder enger zusammengefasst werden. Bei einer graphischen Darstellung der Cluster lässt sich leicht erkennen, wie eine differenziertere oder eine gröbere Einteilung aussehen würde. (vgl dazu die Darstellung von Schmidt-Atzert & Ströhm 1983, abgebildet u. a. in Mayring 2003, S. 150, Abb. 19) Die gröbste Einteilung unterscheidet lediglich positive und negative Emotionen, diese können jedoch soweit weiter unterteilt werden, dass je nur noch einzelne Emotionen gruppiert bleiben. Wichtig ist bei dieser Sortierungsmethode, dass die Auswahl der herangezogenen Emotionswörter nicht willkürlich erfolgt und die Iternzahl nicht zu gering ausfällt, so dass von einer repräsentativen Menge gesprochen werden kann, die sich auch mit anderen Untersuchungen vergleichen lässt. Schmidt-Atzert ließ deutsche Psychologiestudenten 60 Emotionswörter, die in einem empirischen Verfahren als repräsentativste Vertreter von Emotionen ermittelt worden waren, sortieren. Das Ergebnis sind neun Kategorien, von denen drei eine weitere Unterteilung erhielten. Es sind dies: Freude, Lust, Zuneigung / Mitgefiihl, Sehnsucht / Unruhe, Abneigung / Aggressionslust, Traurigkeit, Verlegenheit, Neid und Angst. (Schmidt-Atzert 1980, S. 57, Abb. 2) Typische Kategorien sind weiters Ärger (bei Schmidt-Atzert im Aggressions-Cluster zu finden), Ekel (im Abneigungs-Cluster), Scham (unter Verlegenheit), Erregung (unter Lust) und Überraschung (bei Schmidt-Atzert aufgrund des Fehlens entsprechender Items in der Untersuchung von 1980 nicht enthalten, in einer späteren Studie von 1983 hingegen schon, als eigenes ÜberraschungsCluster). (vgl. Schmidt-Atzert 1996, S. 91 f, Schmidt-Atzert 2000, S. 36 f; 59
Schmidt-Atzert 1980, S. 56 ff; Schmidt-Atzert & Ströhm 1983, zit. nach Schmidt-Atzert 1996, S. 91) 2.2.3.5
Emotionsdimensionen
Ein anderes Ordnungsverfahren der Emotionsähnlichkeiten ist die Anordnung der Emotionen an bipolaren, voneinander unabhängigen Dimensionen. Die Zahl und Benennung der Dimensionen ist willkürlich. Als brauchbar hat sich die Verwendung von zwei Dimensionen erwiesen, diese lauten "Lust - Unlust" (Valenz) und "Ruhe - Erregung" (Aktivierung). (Schmidt-Atzert 1996, S. 89 u. 124) Der Begriff Erregung kann sich auf unterschiedliche Grade der Wachheit beziehen, was eher im Bereich der Stimmungen von Belang ist, im Bereich der Emotionen ist die Erregungsdimension an ihrem Negativpol eher durch Ruhe und Gelassenheit als durch Müdigkeit charakterisiert. Einige Untersuchungen fanden keine Erregungsdimension, einige fanden andere Dimensionen, wie Stärke oder Überlegenheit des Individuums in der Emotionssituation. Auch die Dimension "positiver/negativer Affekt" fand Anwendung, hat sich aber als für die Forschung wenig brauchbar erwiesen. (Schmidt-Atzert 1996, S. 89, SchmidtAtzert 2000,39 ff) Die Forschungsergebnisse rechtfertigen eine knappe Beschreibung von emotionalen Zuständen auf nur zwei Ebenen, dennoch ist nicht gesagt, dass damit eine hinreichende Differenzierung von Emotionen möglich ist. So sind zum Beispiel Angst und Hass zwei Emotionen mit qualitativ sehr unterschiedlichen Erlebnisqualitäten, dennoch sind beide als relativ unangenehm und dabei erregend eingestuft und somit am zweidimensionalen Modell eng beieinander liegend. (vgl. Schmidt-Atzert 1980, S. 60; Schmidt-Atzert 1996, S. 89 f) 2.2.3.6
Grundemotionen
Zahlreiche Forscher sind der Ansicht, dass es einige so genannte Grundemotionen (Primäremotionen, Basisemotionen) gibt, von denen sich alle anderen Emotionen ableiten lassen. Die so gearteten Ansätze unterscheiden sich wesentlich in der Zahl der vorgeschlagenen Grundemotionen, die von zwei bis 18 Exemplaren variieren. Ebenso variieren die als primär ausgewählten Emotionen von Vorschlag zu Vorschlag, was unter anderem auch daran liegt, dass (wie bereits erläutert wurde) die Grenze, was eine Emotion ist und was nicht, immer noch nicht konsensfähig definiert ist. Selbst die in den meisten Modellen angeführten Emotionen Ä'rger, Furcht, Traurigkeit und Freude sind nicht in allen vorhanden. Des 60
Weiteren liegt die große Diskrepanz in der noch nicht allgemeingültig geklärten Frage, warum bestimmte Emotionen grundlegend seien. Begründungen reichen von der genetischen Anlage dieser als angeboren angesehenen Emotionen über einen universell aufscheinenden Gesichtsausdruck bis zur direkten Zuordnung zu unseren Instinkten oder angeborenen Verhaltensdispositionen und stammen aus den Bereichen der Evolutionspsychologie, Sprachpsychologie, Neuroanatomie und anderen. (vgl. Schmidt-Atzert 2000, S. 30 fl) Es soll an dieser Stelle das Modell der Grundemotionen des Evolutionstheoretikers Plutchik zur Veranschaulichung kurz dargestellt werden. Er definiert acht primäre Emotionen, die jede einer angeborenen Verhaltensbereitschaft zuzuordnen ist : Furcht mit sich schützen, Ä'rger mit zerstören, Freude mit sich fortpflanzen, Traurigkeit mit reintegrieren, Akzeptieren mit akzeptieren, Ekel mit zurückweisen, Erwartung mit erkunden und Überraschung mit sich orientieren. Die so genannten sekundären oder gemischten Emotionen sind Plutchik zufolge aus zwei oder mehr primären Emotionen zusammengesetzt, so setzt sich etwa Stolz aus Freude und Ärger zusammen, Liebe aus Freude und Akzeptieren. Alle primären Emotionen ordnet Plutchik in einem Kreismodell nach ihren Ähnlichkeiten an, wobei die unähnlichsten einander gegenüber stehen. In einem erweiterten dreidimensionalen Modell berücksichtigt er auch die Intensitäten der Primäremotionen, wobei er schwachen Ekel als Langeweile und starken als Abscheu positioniert. Wenn sich einige Modelle der Grundemotionen auch fiir die weitere Emotionsforschung als fruchtbar erwiesen haben, so haben sie aufgrund definitorischer Unzulänglichkeiten bislang dennoch nie zu einem konsensfähigen Ergebnis geführt und sind als allgemein anerkannte Einteilung der Emotionen nicht geeignet,16 (Schmidt-Atzert 2000, S. 32)
2.2.4 Entwicklung von Emotionen 2.2.4.1
Voraussetzungen fiir die emotionale Entwicklung
Die Fähigkeit, Emotionen differenziert und bewusst zu erleben, entwickelt sich erst im Laufe der ersten Lebensjahre. Zur Entwicklung eines "gesunden", aus16 Anders in der entwicklungspsychologischen Emotionsforschung: Hier geht es um die Unterscheidung der basalen Grund-, Basis- oder Primäremotionen, die früh entwickelt werden oder sogar angeboren sind, von den später entwickelten komplexen, die ein gewisses Stadium an kognitiver Entwicklung im Sinne vor allem eines sozialen oder moralischen Verständnisses voraussetzen. Die Betrachtung der Basisemotionen dient hier also nicht der Bestimmung von Ähnlichkeiten oder der allgemeinen Ordnung der Emotionen, sondern lediglich der Betrachtung ihres Entwicklungsalters und nötiger Entwicklungsvoraussetzungen. (vgl. Kap. 2.2.4)
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geprägten Emotionslebens müssen gewisse Voraussetzungen erfiillt sein. Reifungs- und Sozialisationsprozesse, Bewusstsein über das eigene Selbst und die Fähigkeit zu Selbstreflexion sind jene Kompetenzen, die als Bedingung für die emotionale Entwicklung - besonders der sekundären, komplexen Emotionen angesehen werden. Um diese Kompetenzen zu entwickeln, bedarf es bestimmter Voraussetzungen, die im Wesentlichen aus zwei Richtungen stammen: Die kindlichen Temperamentsmerkmale einerseits und die Umwelteinflüsse andererseits. Beide sollen hier kurz vorgestellt werden. Jeder Mensch hat bestimmte individuelle Besonderheiten im Verhalten, die sich bereits im Neugeborenenalter zeigen, als genetisch fundiert angesehen werden und die zeitlich relativ stabil bleiben. Diese Temperamentsmerkmale beeinflussen das Erleben emotionaler Zustände, "wie Brillengläser durch die hindurch wir von früh an unsere Umwelt in einer bestimmten Art und Weise erleben und interpretieren", was folglich unser Verhalten und damit auch die Reaktionen der Umwelt auf unser Verhalten beeinflusst. (Zentner 1999, zit. nach Schellknecht 2007, S. 49) So kann eine bestimmte Temperamentsdisposition (,,hochreaktives" Temperament) etwa dazu führen, dass ein Kind dazu neigt, auf emotional anregende Situationen mit starker physischer Erregung zu reagieren und häufig intensive negative Gefühle zu erleben. Beim Baby :führt das zu unregelmäßigem Schlaf, häufigem Schreien, Unruhe etc., als Kleinkind kommt es oft zu Rückzugsverhalten und Vermeidungsreaktionen gegenüber Unbekanntem sowie einem schlecht ausgeprägten Anpassungsvermögen an Veränderungen. (Zentner 1999, zit. nach Schellknecht 2007, S. 51) Mehreren Studien zufolge wurden bei diesen Menschen später vermehrt psychische Störungen beobachtet. Eine solche Temperamentsdisposition ist also Risikofaktor - sowohl für internalisierende (Ängste) als auch externalisierende (Aggressivität) Verhaltensstörungen. (vgl. Schellknecht 2007, S. 51) Doch die emotionale Entwicklung ist nicht allein von den interpersonellen Voraussetzungen abhängig. Auch die äußeren Gegebenheiten, und besonders die Reaktionen und Interaktionen zwischen Umwelt und Kind, spielen eine bedeutende Rolle und wechselwirken mit den inneren Gegebenheiten. Als erster und wichtigster Lebensbereich des Kindes liefernfamiliäre Einflüsse "im Bereich emotionaler Fertigkeiten entscheidende Entwicklungsimpulse für das Kind, die sich unterschiedlich auf den Erwerb emotionaler Kompetenz [. ..] auswirken können". (Schellknecht 2007, S. 48 f) Die Persönlichkeitsmerkmale und das Erziehungsverhalten der Eltern oder Bezugspersonen und besonders deren emotionale Interaktionsqualität haben einen erheblichen Einfluss auf den Erwerb emotionaler Fertigkeiten des Kindes - und zwar in fördernder wie auch hemmender Weise.
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Entscheidend für eine emotionale Entwicklung in der erwarteten und erhofften Weise ist also eine lebhafte, differenzierte und bewusste Interaktion der Bezugsperson mit dem Kind, in der der emotionale Ausdruck des Kindes angemessen widergespiegelt und prompt, fein:fiihlig und zuverlässig auf den kindlichen emotionalen Zustand reagiert wird. Dem Kind wird damit Nähe und Schutz, Beruhigung und Trost geboten, man spricht von .sicher gebundenen" Kindern. (vgl. Ulich & Mayring 2003, S. 119 f; Schellknecht 2007, S. 57; Ainsworth et al. 1974, zit. nach Schellknecht 2007, S. 55 und nach Ulich & Mayring 2003, S. 119 f) Das emotionale Ausdrucksverhalten des Kindes wird von der Bezugsperson verstärkt, indem sie es wahrnimmt, richtig interpretiert und angemessen und zeitnah kommentiert. ,,Durch die Art und Weise, in der die Eltern auf die Emo-
tionen der Kinder eingehen, beeinflussen sie das emotionale Erleben und das Ausdrucksverhalten der Kinder in Richtung sozial angemessener { ...J Formen."
(Ulich & Mayring 2003, S. 123; vgl. auch Grossmann 1999, zit. nach Schellknecht 2007, S. 56) Auch das Zeigen der eigenen Emotionen der Bezugspersonen und das häufige Reden über Gefühle mit dem Kind sind dabei von Bedeutung. (vgl. u. a. Schellknecht 2007, S. 59) Das Kind erlangt dadurch wichtige emotionale Fähigkeiten, ist sich seiner Gefühle bewusst, kann diese annehmen, offen zeigen und wird dabei auch Anteilnahme und Unterstützung der Bezugsperson erwarten. (Schellknecht 2007, S. 57 ft; Ulich & Mayring 2003, S. 120) Es erlangt eine Stabilität der Gefühle, die Fähigkeit zur eigenständigen Emotionsregulation. Besonders ist auch die Breite des entwickelten Gefühlsrepertoires und die qualitative Ausprägung sowie Intensität und Dauer der Gefühlsreaktionen von der Bindungsqualität abhängig. (Ulich & Mayring 2003, S. 119 f) Dabei darf neben Eltern und familiären Bezugspersonen auf den Stellenwert der institutionellen Einrichtungen (wie Kindergarten, Schule, Hort etc.) als familienunterstützende Instanzen nicht vergessen werden. (vgl. Schellknecht 2007, S. 74 f) Vergleichende Studien zeigten, dass elterliches Fehlverhalten hingegen zu einer Vielzahl von emotionalen Fehlentwicklungen geführt hat. Ein nicht feinfühliger, kalter Umgang mit dem Kind bei fehlender gegenseitiger Interaktion kann später zu Mitleidlosigkeit, Gewalttätigkeit und gestörten Sozialbeziehungen führen. (Mantell1978, zit. nach Ulich & Mayring 2003, S. 129) Misshandelndes Elternverhalten - im Sinne von psychischer und physischer Gewalt - hat gravierende Auswirkungen auf die Empathiefähigkeit und das Aggressionsverhalten. (Schellknecht 2007, S. 66 f) Es wirkt sich auch negativ auf den Umfang des Emotionsvokabulars des Kindes aus, besonders bezüglich negativer Emotionswörter. Es wird vermutet, dass diese Kinder gelernt haben, dass es gefährlich ist, diese Emotionen zu thematisieren. (ebd., S. 71 f) Auch zeigten misshandelte Kinder und Jugendliche Defizite hinsichtlich der Emotionsregulation und im 63
Verständnis der Emotionen anderer. Emotionsursachen und -konsequenzen wurden nicht richtig eingeschätzt, auf den Emotionsausdruck anderer wurde unan17 gemessen reagiert. (ebd. ) Die beschriebenen emotionalen Defizite der misshandelten Kinder haben langfristige Auswirkungen auf das emotionale Verhalten. Die Defizite der sozialen und emotionalen Fertigkeiten sowie Aggressivität, Unaufmerksamkeit, geringes Selbstwertgefiihl, Angststörungen und Verhaltensauffälligkeiten wurden auch später noch nachgewiesen. (Graham et al. 1999, zit. nach Schellknecht 2007, S. 72) Doch auch beim bloßen Ignorieren der kindlichen Signale und Fehlen positiver emotionaler Äußerungen und Reaktionen auf das Kind sind emotionale Fehlentwicklungen die Folge. Ein unangebrachtes Benennen des kindlichen emotionalen Zustandes fuhrt zu Verzerrungen der Selbstwahrnehmung und kann sogar zum Verschwinden von Gefiihlszuständen der Kinder fuhren . (Lewis & Michalson 1982, zit. nach Ulich & Mayring 2003, S. 130) 2.2.4.2 Entwicklung eines Emotionsrepertoires Ob eine gewisse Anzahl an funktionsfilhigen Basisemotionen schon von Geburt an vorhanden ist, wird immer noch kontrovers diskutiert. Je nach theoretischer Orientierung gehen die einen Emotionsforscher davon aus, dass bestimmte Emotionen angeboren sind, andere vertreten die Ansicht, dass sich die Fähigkeit, Emotionen zu erleben, erst mit dem Abschluss bestimmter grundlegender Prozesse der Entwicklung ausbildet. (vgl. Geppert & Heckhausen 1990, S. 120; Schellknecht 2007, S. 32) Die unterschiedlichen Forschungstraditionen der Entwicklungspsychologie der Emotionen unterscheiden sich darin, "inwieweit sie biologische, kognitive oder soziale Prozesse in den Vordergrund ihrer Erörterung stellen. Die einen favorisieren eher einen Satz von angeborenen Primäremotionen (Interesse, Freude, Überraschung, Unmut, Ärger, Ekel, Furcht und Scham), die sich als diskrete Systeme entwickeln, und die anderen eher einen Grundzustand der Erregung, der sich durch kognitive Prozesse [... ] zu einer Vielzahl von aufeinander aufbauenden Emotionen ausdifferenziert". (Geppert & Heckhausen 1990, S. 121 f) Während der wesentlichste Dissens zwischen den verschiedenen Forschungstraditionen immer noch in der Frage zu sehen ist, ob die emotionale Entwicklung Folge kognitiver Prozesse, also gelernt, oder ohne vorherige kognitive Prozesse sozusagen als biologische Grundausstattung endogen vorprogram17 Schellknecht zitiert Studien von Beegh1y et a1. 1994; Shipman et al. 1999; Camras et al. 1996 und beruft sich dabei aufPetermann et al. 2003.
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miert ist, ist es in der Emotionsforschung unumstritten, dass es bestimmte Emotionen gibt, die kognitive Entwicklungsschritte voraussetzen. (vgl. Geppert & Heckhausen S. 124; Schmidt-Atzert 1996, S. 242) Welche Emotionen sind basal und lassen sich schon in den ersten Lebensmonaten beobachten und welche sind komplexer und bedingen eine kognitive Entwicklung bzw. ein soziales oder Normverständnis? In welchem Lebensalter tritt welche Emotion erstmals auf? Die Forschung zur Ontogenese der Emotionen steckt zurzeit noch in ihren Anfangen. Während die meisten Untersuchungen zur emotionalen Entwicklung sich mit primären Einzelemotionen befassen, sind Untersuchungen zur gesamten emotionalen Entwicklung selten aufgestellt worden. (vgl. Geppert & Heckhausen 1990, S. 118 f, 188) Hier soll nun ein Blick auf die bisherige Erforschung der Entwicklung einzelner Emotionen geworfen werden und Emotionen so in primäre Emotionen mit entwicklungsfrüher Verfiigbarkeit und spätere komplexere Emotionen, die mehr auf sozialem Erleben und Lernen beruhen, gegliedert werden. Geppert und Heckhausen (1990, S. 170 :ff) haben die Angaben über das erste Auftreten eines bestimmten Emotionsausdrucks aus verschiedenen Forschungsrichtungen und -arbeiten zusammengefasst. Dabei stellen sie fest, dass Interesse und Schreck ,,schon von Geburt an zu beobachten sind', wobei es strittig ist, ob diese zu den Emotionen zählen, oder ob man Interesse nicht eher als Motivationskonstrukt und Schreck als Reflex betrachten kann. Als früheste unterscheidbare Emotionen werden UnmutlUnlust und Behagen/Lust angefiihrt, gefolgt von sozialem LächelnlFreude, Ekel, Überraschung, Ärger und Furcht. Von diesen primären Emotionen setzen sich die sekundären Emotionen wie Scham, Schüchternheit, Schuld, Verachtung und Eifersucht deutlich ab. Sie treten erst im zweiten und dritten Lebensjahr auf. Die kognitiven oder bewertenden Voraussetzungen für die Entwicklung von Emotionen können folgendermaßen erklärt werden: Die Grundgefühle Lust Wld Unlust (auch Behagen und Unbehagen oder Zufriedenheit und Distress) bedingen keine Bewertungen oder kognitiven Prozesse. Dieses bipolare Erleben tritt bereits bei Neugeborenen auf. Neben diesen unwillkürlichen und ungerichteten Vorläuferemotionen sind selbst primäre Emotionen wie Freude und Kummer ,,höhere" Gefühle, die sich im Laufe der kindlichen Entwicklung durch Reifungs- und Sozialisationsprozesse ausdifferenzieren und erst entstehen, sobald der Mensch in der Lage ist, die Grundgefühle auf bestimmte Ursachen zurückzuführen. Diese sind vielfaltiger und spezifischer auf Anlass und Interaktionspartner ausgerichtet. (vgl. u. a. Höffding 1914, zit. nach Meyer 2000, S. 106; Schellknecht 2007, S. 32) 65
Die primären Emotionen entwickeln sich ab dem dritten bis zwölften Lebensmonat. Ihr Ausdruck ist kulturübergreifend universell und auch bei blinden Kindern in gleicher Weise vorhanden. (vgl. u. a. Euler 2000, zit. nach Schellknecht 2007, S. 32) Gefördert wird diese Entwicklung besonders durch face-to-face Interaktion mit den Bezugspersonen, wobei dem wechselseitigen Blickkontakt und der Verstärkung positiver Emotionen besondere Bedeutung beigemessen wird. (Friedlmeier 2002, zit. nach ebd.) Als Beispielefür Voraussetzung kognitiver Prozesse sei die Angstreaktion beim Anblick eines Fremden genannt. Diese Reaktion setzt voraus, dass das Kind verschiedene Personen unterscheiden kann und bekannte wieder erkennt. (vgl. Schmidt-Atzert 1996, S. 245) Ab dem zweiten Lebensjahr schließlich werden die sekundären Emotionen entwickelt, diese sozialen oder selbstbezogenen Emotionen setzen voraus, dass sich "das Kind seiner selbst bewusst und zur Selbstreflexion fähig" ist. (Schellknecht 2007, S. 33) Dazu gehören u. a. Stolz, Scham, Schuld, Neid, Eifersucht, Verlegenheit und Empathie. Sie tauchen erst später in der Entwicklung des Kindes auf, da sie einen relativ komplexen kognitiven Entwicklungsstand voraussetzen und zum Teil starken sozialisatorischen Einflüssen unterliegen. (vgl. Schmidt-Atzert 1996, S. 245) Sozial anerkannte Verhaltens standards und -regeln zu kennen und diese zum eigenen Verhalten in Beziehung zu setzen ist Voraussetzung :für das Erleben dieser Emotionen sowie die Fähigkeit, sich selbst die Verantwortungfür den Umgang mit diesen Regeln zuzuschreiben. Es findet also eine Orientierung des eigenen Handelns an den sozialen Normen und dem Wertverständnis der eigenen Kultur statt. Als Beispiel einer sozialen Emotion, die also kognitive Beurteilung braucht, sei der Neid genannt: Neid kann ,,nur aufkommen, wenn eine Ungleichheit erkannt und als ungerecht bewertet worden ist." (Schmidt-Atzert 1996, S. 245; vgl. Schellknecht 2007, S. 33) Einen groben Überblick über das Alter, in dem bestimmte Emotionen erstmals beobachtet wurden, bietet Tabelle 4. Sie wurde in Anlehnung an die von Geppert und Heckhausen formulierten Zusammenfassungen verschiedener Forschungsergebnisse vereinfacht erstellt. Die Spalte "Spannbreite in der Forschung" zeigt die Spannbreite der Angaben zum ersten Auftreten des jeweiligen Emotionsausdrucks, gemäß den von Geppert & Heckhausen referierten Untersuchungen verschiedener Autoren (Sroufe, Darwin, Emde, Izard u. a.). Die Spalte ,,Altersangabe gerundet" zeigt die gerundete Altersangabe des ersten Auftretens des jeweiligen Emotionsausdrucks, die sich aus den von Geppert & Heckhausen referierten Untersuchungsergebnissen ergibt. (vgl. Geppert & Heckhausen 1990, S. 151,170 fl)
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Tabelle 4: Erstes Auftreten des Emotionsausdrucks einzelner Emotionen. Vereinfachung der Angaben und der Tabellen 3 & 5 von Geppert & Heckhausen, die sich auf die Untersuchungen zahlreicher Forscher zu emotionaler Entwicklung beziehen. (1990, S. 151, 170 ft)
Emotionsausdruck primärer und Schreck Interesse Behagen Lächeln Ekel, Abscheu Überraschung UnlustJUnmut Furcht Ärger Freude Schüchternheit Verachtung Eifersucht Trotz Scham Schuld Liebe Stolz
sekundärer E.
Erstes Auftreten des Emotionsausdrucks Spannbreite in der Altersangabe gerundet Forschung (Alter in Monaten; von - bis) Von Geburt an 0 0-2,5 1-2 Monaten 1-2 1-2 Monaten 0-3 2 Monaten 0-5 2-3 Monaten 1-5,5 3 Monaten 4- 5 Monaten 0-8,75 4- 5 Monaten 0-9 3-7 5 Monaten lJahr 3,75 -20 3 -27 1 Jahr und 3 Monaten 15 -18 1 Jahr und 4-5Monaten 18 1 Jahr und 6 Monaten 18 1 Jahr und 6 Monaten 4-36 1 Jahr und 8 Monaten 12 -36 2 Jahren 36 3 Jahren 36 3 Jahren
Geppert und Heckhausen betonen aber, dass den Altersangaben nicht allzu viel Gewicht beigemessen werden sollte, da diese unter sehr unterschiedlichen Bedingungen gesammelt wurden, größtenteils auf Einzelfalldarstellungen beruhen und stark differieren. Sie werden lediglich als grobe Orientierung bezüglich der Entwicklungsvoraussetzungen betrachtet. 2.2.4.3
Entwicklung des Emotionsverständnisses
Ein wenig anders ist es mit der Entwicklung des Verständnisses der Emotionsbegriffe, das auch ein Verknüpfen mit typischen Situationen ink1udiert. Das richti-
ge Verstehen der Bedeutungsinhalte der Emotionsbegriffe entwickelt sich im Normalfall wesentlich später als die Fähigkeit, die Emotionen zu erleben. Die 67
meisten Forscher gehen davon aus, dass die Begriffe einfacher Basisemotionen wie "glücklich" und "traurig" von vielen Zweijährigen verstanden werden, die meisten grundlegenden Emotionsbegriffe hingegen erst gegen Ende des Vorschulalters. Begriffe sekundärer Emotionen wie "verlegen", "eifersüchtig" oder ,,neidisch" können selbst im Alter von sieben Jahren oft noch nicht umfassend verstanden und eindeutig mit typischen Situationen in Verbindung gebracht werden. (Schmidt-Atzert 1996, S. 239) 2.2.4.4 Ausgewählte sekundäre Emotionen 1. Stolz
"Unter Stolz verstehen wir ein Gefiihl des eigenen Wertes. ein bewusst erlebtes gehobenes Selbstwertgefühl. das {...} als Voraussetzung für Selbstsicherheit und aufrechte Haltung (Wortwurzel ..Stelze ") gesehen wird." Abgesehen vom aktuellen emotionalen Erleben bezeichnet Stolz auch das Persönlichkeitsmerkmal der dauernden Einstellung gehobenen inneren Wertes. (Ulich & Mayring 2003, S. 155) Stolz ist eine Sekundärernotion, da er nur auf Grundlage einer Vielzahl kognitiver Prozesse erlebt werden kann. (Mandl & Reiserer 2000, S. 104) Erst im Alter von etwa drei Jahren sind Kinder in der Lage, Stolz zu erleben, gänzlich verstanden wird er erst mit sechs bis sieben Jahren. (Bischof-Köhler 2000, S. 173) Stolz ist eine selbstbezogene und selbstbewertende Emotion, die mit Geltungsmotivation in Verbindung gebracht wird (Bischof-Köhler 2000, S. 169) und unterliegt starken sozialisatorischen Einflüssen. Als Vorläufer von Stolz wird das Gefühl der eigenen Wirksamkeit betrachtet. Kinder zeigen selbstbezogene Freude bevor sie mit Stolz auf Erfolg reagieren können. (Geppert und Heckhausen 1990, S. 176) Die nötigen Kognitionen, die zum Erleben der komplexen Emotion Stolz notwendig sind, sind unter anderem ein Abwägen und Vergleichen der eigenen Ziele mit dem, was man davon erreicht hat sowie die Zuschreibung eines Wertes als zu einem selbst gehörig und die Zuschreibung der eigenen Verantwortlichkeit für diesen Wert. (Ulich & Mayring 2003, S. 156) Als typische Stolzsituationen hat Friedrich (1982, zit. nach Ulich & Mayring, ebd.) folgende genannt: • Vollbrachte Leistungen; • Entgegen den Voraussagen anderer erreichte Ziele; • Sich durchsetzen gegen die Intentionen anderer; • Wahmehmung der eigenen erhöhten Attraktivität.
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2. Hoffnung und Enttäuschung Die Emotionen Hoffnung und Enttäuschung gehören zu den ereignisfundierten Emotionen, die allgemein als ,,Formen der Zufriedenheit über als erwünscht bewertete Ereignisse und als Formen der Unzufriedenheit über als unerwünscht bewertete Ereignisse beschrieben werden." (Ortony, Clore und Collins 1988, zit. nach Reisenzein 2000, S. 124) Hoffnung tritt dann auf, wenn ein bevorstehendes Ereignis, das hauptsächlich einen selbst betrifft, erwünscht ist, jedoch als ungewiss eingeschätzt wird. Enttäuschung dann, wenn entweder das erwünschte Ereignis erwartungswidriger Weise nicht eingetreten ist bzw. als unsicher betrachtet wird (enttäuschte Hoffnung), oder wenn ein unerwünschtes Ereignis erwartungswidrig eingetreten ist bzw. es jetzt als sicher betrachtet wird. Wir empfinden also Enttäuschung, wenn ein Ereignis gegen die Erwartung nicht in der erwünschten Weise verläuft. (vgl. ebd.; für nähere Aufschlüsse1ung impliziter Bedeutungsgehalte dieser Emotionen vgl. auch Mees 1985, S. 5 f) Diese Emotionen implizieren also einen bewerteten Zielzustand, der in der Zukunft liegend als positiv oder negativ bewertet wurde, also erwünscht oder unerwünscht ist, sowie die Erwartung oder Unerwartetheit, also die Wahrscheinlichkeit, mit der sein Eintreten angenommen wird oder wurde. Bei der Hoffnung liegt der Zustand noch in der Zukunft, bei Enttäuschung ist er entgegen der Hoffnung verlaufen. (vgl Mees 1985, S. 6) An kognitiven Fähigkeiten ist also für beide Emotionen, Hoffnung und Enttäuschung, Zukunftsdenken, Wissen um die eigene Person und eigene Wünsche sowie eine Vorstellung oder Einschätzung der Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit des Eintretens einer Situation in erwünschter Weise vorausgesetzt. Bischof-Köhler (2000) sieht die funktionierende "theory 01 mind", also die Fähigkeit, ,,sich selbst und anderen geistige Zustände - beispielsweise Emotionen, Gedanken oder Absichten - zuschreiben zu können" (Bölte et al. 2009, S. 131), als emotionale Basis für die zukunftsbezogene Emotion Hoffnung an. Denn erst diese Fähigkeit ermöglich es dem Menschen, nicht mehr nur impulsgesteuert momentane Bedürfnisse zu spüren und nach deren Befriedigung zu streben, sondern - durch ihr Einhergehen mit dem Erwerb des Zeitverständnisses - Bedürfnisse auch auf die Zukunft auszurichten und sich Wünsche vorzustellen, die an in der Zukunft liegende Ereignisse gebunden sind. Diese Antizipation zukünftiger Bedürfnisse ermöglicht ein theoretisches Erwägen von Wünschen, auch fremden Wünschen oder eigenen zukünftigen Wünschen, wie es für ein Erleben der Emotion Hoffnung notwendig ist. (vgl. Bischof-Köhler 2000, S. 172)18 18 Demnach stehen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, wo Hoffnung mit 2,4 % bei Menschen mit Autismus die zwölft-häufigste von 71 als erlebt genannten Emotionen ist, im Wider-
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Da Enttäuschung, wie oben beschrieben, eine vorhergehende Hoffnung oder Erwartung des noch in der Zukunft liegenden Ereignisses impliziert, müssen diese Annahmen der Voraussetzungen also auch für die Emotion Enttäuschung geltend sein. Eine langdauernde, exzessive Enttäuschung führt zum emotionalen Erleben der Niedergeschlagenheit. (vgl. Ulich & Mayring 2003, S. 177) 3. Scham Die Emotion Scham wird dann erlebt, "wenn etwas offensichtlich wird, das man lieber bedeckt halten wollte". Die Auslöser für Scham sind also ,,Handlungen oder Widerfahrnisse in einer Art von Öffentlichkeit", die in Diskrepanz mit dem Selbstbild stehen (Ulich & Mayring 2003, S. 180 t), wobei es nicht um Regelverstöße geht, sondern eher um unpassendes Verhalten. Auch neue Situationen, in denen man meint, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und beurteilt zu werden, können Scham auslösen. Die soziale Umwelt und die emotionale Beziehung zu Anwesenden spielen hier subjektiv eine zentrale Rolle. Damit inkludiert Scham auch die Fähigkeit, Selbstgrenzen anzuerkennen und die Bewusstheit darüber, dass man eine Erwartung oder einen Standard verletzt hat. (Ulich & Mayring 2003, S. 180 ft; Schmidt-Atzert 1996, S. 227) Zum Erleben von Scham sind also kognitive Fähigkeiten notwendig, die erst entwickelt werden müssen. Das Wahmehmen einer Diskrepanz von idealem und realem Selbst setzt subjektive Wertvorstellungen voraus, die eine zentrale soziale, gesellschaftliche und kulturelle Komponente haben; Scham wird auch als soziale Angst bezeichnet. Scham gehört daher zu den spät entwickelten Emotionen, Forscher nehmen etwa das Ende des zweiten Lebensjahres für die Entwicklung eines Schamgefühls an. (vgl. Tabelle 4; Geppert & Heckhausen 1990, S. 173 ff sowie SchmidtAtzert 1996, S. 227). Wie die Emotionen Stolz und Schuld wird auch Scham als selbstbewertende Emotion erst im Alter von sechs bis sieben Jahren richtig verstanden. (Bischof-Köhler 2000, S. 173) 4. Schuld Schuldgefühl ist die quälend wahrgenommene Bewusstheit darüber, eine Regel verletzt zu haben und dafiir selbst verantwortlich zu sein. Im Gegensatz zum Schamgefühl handelt es sich hier also nicht um verletzte Erwartungen, sondern um tatsächliche Regelverstöße meist ethischer, moralischer oder religiöser Regeln mit einem oft deutlichen Schaden für andere, für den man sich die Verantspruch zu den Annahmen aus der Autismusforschung, gemäß derer Menschen mit Autismus in den meisten Fällen nicht in der Lage sind, eine theory 0/ mind zu entwickeln.
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wortlichkeit zuschreibt. (Ulich & Mayring 2003, S. 183 ff; Schrnidt-Atzert 1996, S. 227) Wie Scham ist auch das Schuldgefühl an soziale Situationen gebunden und kann als Furcht vor erwarteter Bestrafung aufgefasst werden, aber auch selbst punitiven Charakter haben. Neben diesem situationsgebundenen Schuldgefühl gibt es auch das Konzept einer "existenziellen" Schuld, das Erleben eigener Vorteile im Vergleich zu benachteiligten Menschen oder Personengruppen, wenn die eigenen Privilegien als ungerecht empfunden werden. Dieses wird also nicht durch eigenes vorwerfbares Handeln ausgelöst. (vgl. Roos 2000, S. 264, 268 fI; Ulich & Mayring 2003, S. 183 fi) Die kognitiven Voraussetzungen für die Emotion Schuld sind ähnlich wir die für Scham, doch kommt noch ein Bewusstsein über moralische, ethische oder kulturelle Normen hinzu. Emotionsforscher gehen davon aus, dass die Emotion Schuld erst mit Beginn des dritten Lebensjahrs entwickelt wird und von Kindern erst mit sechs bis sieben Jahren richtig verstanden werden kann.
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3 PROBLEMSTAND UND FRAGESTELLUNG
3.1 PROBLEMSTAND: ERKENNTNIS- UND PRAXISINTERESSE Es sind nicht die Dinge an sich, sondern die Bedeutung, die wir ihnen geben, was uns bewegt. Seneca,g
Emotionen spielen im Leben eines Menschen eine bedeutende Rolle. Als ,.;zentrale psychische Organisationseinheiten der Person" haben sie ,,Einfluss auf Gesundheit, Lernen, Arbeit, Leistung sowie Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung". (Pekrun 2000, S. 344) Diese Erkenntnis der Emotionsforschung bedeutet, dass ein Mensch, der in seinem Leben vermehrt Unruhe, Angst und Verzweiflung empfindet, von diesen Emotionen in seinem Lernen, Leisten und seiner Persönlichkeitsentwicklung negativ beeinflusst sein wird, genauso wie auch einer, mit einem Emotionsleben, in dem Sicherheit, Freude und Liebe dominieren, in all den Lebensbereichen dem positiven Einfluss dieser Emotionen ausgesetzt ist. Auch Menschen mit Autismus werden von ihren Emotionen - Freuden, Kränkungen, Ängsten, Sehnsüchten - in ihrem täglichen Handeln beeinflusst. Man hat beobachtet, dass Menschen mit Autismus Defizite haben, Emotionen auch die eigenen - richtig zu verstehen, zuzuordnen und mit ihnen umzugehen. (vgl. z. B. Capfs et al. 1992 und Sigman et al. 1995, zit. nach Klicpera et al. 2002, S. 119 f"; Klicpera et al. 2002, S. 138 fl) Defizite im Verständnis und im Unsichere Quelle. Die Studien von Capps et al. und von Sigman et al., die Klicpera hier vorstellt, kommen zu dem Ergebnis, dass auch intellektuell gut begabte Kinder mit (Frühkindlichem) Autismus weniger differenzierte Emotionskonzepte haben. Beim Vorbringen von Situationsberichten emotionaler Erfahrungen sind diese Kinder .sich ihrer Beurteilung [der emotionalen Situationen} und des eigenen Empfindens weniger sicher" als die Vergleichsgruppe normal entwickelter Kinder gleichen Entwicklungsstandes. 2\ Klicpera bezieht sich auf Forschung von Leventhal (1980, zit. nach Klicpera et a1. 2002, S. 138 f), die zu der Annahme führt, .dass autistische Kinder [neben dem Erkennen beobachteter} auch Probleme beim Erkennen der eigenen Emotionen haben", was weiters auch eine Störung ihrer affektiven Reaktionen zur Folge hätte. (Klicpera 2002, S.139) 19
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Umgang mit Emotionen führen zu einem noch größeren Einfluss der Emotionen auf die verschiedenen Lebensbereiche. Psychische Krankheiten und Psychosen können u. a. dadurch entstehen. (vgl. Schmidt-Atzert 1996, S. 268 1) Daraus lässt sich schließen, dass Menschen mit Autismus enorm von ihrem emotionalen Zustand, also von den Emotionen, die in ihrem momentanen Empfinden vorherrschen, beeinflusst sind. So mancher Schub verstärkter autistischer Symptome - der z. B. mit Handlungsunfähigkeit und Wahmehmungsdefiziten, völligem Rückzug, Aggression, vermehrten Stereotypien, starkem Lautieren bzw. Schreien oder se1bstverletzendem Verhalten einhergeht - ist vielleicht Folge des immensen Einflusses, den die momentane emotionale Situation des Betroffenen auf seine Handlungs- und Leistungsfähigkeit ausübt. Es müssen nicht nur negative Emotionen sein, auch ein Einfluss positiver Emotionen, der verstärkte so genannte autistische Verhaltensweisen provoziert, ist denkbar: Etwa die Vorfreude auf den Besuch am Nachmittag, die zur Unfähigkeit führt, etwas anderes zu denken und zu empfinden und damit kooperationsunfli.hig macht. Als einzige Möglichkeit, sich zu beruhigen und das innere Durcheinander zu ordnen, bleiben etwa Stereotypien und starkes Lautieren, die einen gewissen Rhythmus ins eigene Denken bringen, oder selbstverletzendes Verhalten, das es vermag, die Aufmerksamkeit zu fokussieren. Die Auseinandersetzung mit dem Emotionsleben von Menschen im autistischen Spektrum sollte daher ein zentrales Element in der Auseinandersetzung mit diesem Störungsbild einschließlich seiner Symptome darstellen. Betrachtet man die Voraussetzungen, die in der Emotionsforschung als notwendig für eine gesunde emotionale Entwicklung angesehen werden, so fällt bei Hinzuziehung der Autismus-Fachliteratur auf, dass dies zu einem großen Anteil jene Gegebenheiten und Entwicklungen sind, die bei Menschen mit Autismus defizitär oder gar nicht vorhanden sind. Auch dieses Faktum sollte Intention für eine detaillierte Betrachtung der erlebten Emotionen und des emotionalen Repertoires von autistischen Menschen sein. Im Zuge der Beschäftigung mit wissenschaftlicher Fachliteratur über Autismus fand die Verfasserin neben oft detaillierten Darstellungen der Forschungsergebnisse und Erkenntnisse zu Erscheinungsbild, Symptomen, Erkl ärungsansätzen, Ursachen, Prognose sowie neuen Behandlungs- und Therapieansätzen überraschend wenig über das Emotionsleben von Menschen mit Autismus. Dem persönlichen emotionalen Empfinden und Wohlbefinden, den im Erleben vorhandenen Emotionen, den größten psychischen Belastungen und psychischen Stützen dieser Menschen wird in einschlägigen Kompendien meist nicht mehr als ein Absatz gewidmet. Vom emotionalen Dauerstress, den die autistische Störung für den Betroffenen bedeutet und von ständiger angstvoller Anspannung wird in der Literatur
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gesprochen, auch davon, dass die als autismustypisch geltenden Verhaltensmuster (Rückzug, Schreien, Stereotypien) dazu dienen, sich von dieser Angst abzulenken und ganz allgemein ein Bemühen darstellen, trotz Kummer und Angst ein emotionales Gleichgewicht aufrecht zu erhalten (vgl. Rollert & Kastner-Koller 2001, S. 23 fl), doch was dabei emotional im Inneren eines Betroffenen vorgeht, wie er sich fühlt und auch wie sein allgemeines emotionales Befinden aussieht, bleibt dabei weitgehend unbeachtet, entsprechende Forschungsarbeiten fehlen. Immerhin weisen manche Autoren dezidiert darauf hin, dass die autistische Störung von Folgestörungen wie etwa depressiven Zustandsbildern begleitet sein kann, die die Situation des Betroffenen zusätzlich erschweren (Poustka et al. 2004, S. 59,63) und dass diese Depressionen aber aufgrund der eingeschränkten Kommunikationsfiihigkeit der Betroffenen zu selten erkannt werden (Ghaziuddin & Greden 1998 in: Poustka et al. 2004, S. 63; Remschrnidt 2004, S. 88 f). Es wird diesem Problem große Bedeutung beigemessen, dennoch wird eingeräumt, dass das Vorhandensein von Depressionen bei Menschen mit autistischen Störungen viel zu wenig bekannt ist (Remschrnidt ebd.; Poustka et al. 2004, S. 59). Doch was bedeutet diese depressive Gemütslage und die Angstspannung für den Betroffenen? Welchen Stellenwert haben Angst, Traurigkeit und Verwirrtheit tatsächlich in seinem Empfinden und Denken, seiner Erinnerung? Wieweit prägen sie sein Leben? Und welche Rolle spielen dagegen positive Emotionen, wie groß ist deren Einfluss? In der neueren Zeit legen Forschungsarbeiten zu Autismus vermehrt den Fokus auf den Komplex Emotion. Diese Untersuchungen stammen aus der Kognitions- und Entwicklungspsychologie, aus Psychiatrie, Neurologie und Neurochirurgie, Emotionen werden also aus unterschiedlichsten Blickrichtungen betrachtet. Lange Zeit thematisierte die einschlägige Emotionsforschung jedoch überwiegend die Fähigkeiten respektive Beeinträchtigungen der von Autismus betroffenen Menschen, die Emotionen anderer Personen richtig zu erkennen, zu verstehen, was das Gegenüber denkt und fühlt, was sein Gesichtsausdruck und auch seine Stimmlage über sein emotionales Befinden aussagen können. Die Fähigkeit zu dieser so genannten .Theory 0/ Mint!' wird bei Menschen mit Autismus als gestört angesehen, wonach Probleme für den Betroffenen entstehen, die für eine Vielzahl der "autismustypischen" Defizite verantwortlich gemacht werden. Dazu wird auch das Lernen und Verstehen der eigenen Emotionen gezäWt. So beschreibt Hobson (1989, zit. nach Baron-Cohen 1991, S. 385 und Papadimitriou 1997, S. 66 fl) in seiner ,,Affekttheorie" die Unfähigkeit von Menschen mit Autismus, die Emotionen anderer zu erkennen und emotional zu interagieren. 75
Baron-Cohen greift diese Ergebnisse aufund setzt sie in Verbindung mit einer gestörten "Theory ofMind" bei Menschen mit Autismus. (vgl. u. a. BaronCohen et al. 1985, S. 37,43) Doch 1991 ging Baron-Cohen diesbezüglich weiter in die Tiefe und untersuchte, ob autistische Kinder die Ursachen für die Basis-Emotionen Freude und Traurigkeit kennen. Er erhielt ein weitgehend altersgemäßes Ergebnis im Verständnis jener Emotionen, die durch Situationen oder Wünsche ausgelöst wurden. Defizite gab es beim Verständnis der auf Vorstellungen basierenden Emotionen, insbesondere dann, wenn es um verschiedene und falsche Vorstellungen (,false belieft") geht. (vgl. Baron-Cohen 1991, S. 385, 392 t) Auch Tager-Flusberg befasste sich mehrfach mit dem Thema Emotionen bei Autismus. Ihre 1992 durchgefiihrte Untersuchung zeigt, dass Kinder mit Autismus Emotionen thematisieren, jedoch primär einfache Emotionen wie Freude, Furcht, Wollen, Lieben und Mögen, welche keine komplexen kognitiven Denkstrukturen im Sinne einer "Theory of Mind" voraussetzen. (vgl. TagerFlusberg 1992, zit. nach Papadimitriou 1997, S. 126) Klin et al. fanden bei Kindern mit Autismus Defizite bestimmter Fähigkeiten, die im Einflussbereich der Hirnregion der Amygdala liegen, nämlich der Wahrnehmung des emotionalen Ausdrucks von Gesichtem und der damit verbundenen Lernprozesse, die wichtig für bestimmte soziale Fähigkeiten sind. (KIin et al. 2002 & 2003, zit. nach Remschmidt 2006, S. 72) Ein Defizit an Nervenzellen in der Amygdala (,,Angstzentrum") fand David Amaral und sein Team der University of California im Gehirn von verstorbenen Menschen mit Autismus und fiihrte dieses auf deren häufiges Durchleben der Emotionen Angst und Stress zurück. (vgl. Wallis 2006, S. 46; Scienceticker 2006 [13]) Das Londoner Forscherteam um Elisabeth HilI untersuchte die Verarbeitung eigener Emotionen bei Menschen mit Autismus. (HilI et al. 2004) Anband deren Eigenauskünften bezüglich ihrer emotionalen Prozesse fanden sie heraus, dass diese im Vergleich mit den Kontrollgruppen eine signifikant höhere Beeinträchtigung in der Emotionsverarbeitun der eigenen Emotionen und außerdem ein höheres Depressionslevel zeigtenf . (vgl. ebd., S. 231 t) Damit wurde ein Schritt zu einem besseren Verständnis der Erfahrungen von Menschen im Autismusspektrum beigetragen. (vgl. ebd., S. 233)
r
Es zeigt sich also, dass in der Autismusforschung immer differenzierter mit dem Thema Emotion umgegangen wird. Das lässt das wachsende Interesse an dem Themenkreis erkennen und spricht für die Notwendigkeit, hier weiter in die Bei 22,2 % der untersuchten Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen zeigten sich klinisch relevante Depressionen. (vgl. Hill et al., S. 213)
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Tiefe zu gehen. (vgl. Baron-Cohen 1991, S. 393 ) Erst langsam verschiebt sich der Fokus von der primären Betrachtung des (kognitiven) Emotionsverständnisses vermehrt auch in Richtung der emotionalen Befindlichkeiten der Betroffenen. Mit dem Wissen um die emotionale Befindlichkeit eines Menschen mit Autismus sollte es uns gelingen, hinter die Fassade der autistischen Symptome zu blicken und hinter manchen auffälligen Verhaltensweisen anstelle eines "autistischen Schubes" einen sensorisch überforderten und von seinen Emotionen überwältigten Menschen zu erkennen. Weiters sollten wir dadurch dann auch eine Vorstellung davon haben, welche Emotionen hier eine Rolle spielen könnten und was zu jener Überwältigung geführt haben kann, um entsprechend agieren zu können. Es ist das Gebot der Stunde - das bestätigen auch die Forschungstrends tiefer in die Materie einzudringen und sich detailliert mit Emotionserleben und mit den erlebten Emotionen auch im situativen Zusammenhang auseinander zu setzen. Um einer so diffizilen Frage - wie der nach der emotionalen Erlebenswelt einer bestimmten Personengruppe - gerecht zu werden, ist ein Heranziehen eigener Aussagen Betroffener nach Meinung der Verfasserin wertvoller als die Beurteilung von außen. Durch die wissenschaftliche Analyse der Texte von Menschen mit Autismus sollen deren Emotionen und affektives Gefühlsleben anband von eigenen Erzählungen und Empfindungen, und dennoch nach allen strengen wissenschaftlich-methodischen Kriterien, dargelegt und erklärt werden.
23 Baron-Cohen postuliert, dass Untersuchungen unter lebensnahen Bedingungen (keine Laborbedingungeni) ausstehen. Diese wären jedoch notwendig um zu klären, ob emotionale Defizite vorhanden sind. Die Rolle von kognitiven und von emotionalen Defiziten bei Autismus zu entwirren, sei ein wichtiges Ziel zukünftiger Forschung, so Baron-Cohen. (1991, S. 393)
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3.2 FORSCHUNGSFRAGESTELLUNG Die Forschungsfrage, die sich aus Forschungsstand und den aufgezeigten Lücken im Zusammenhang mit dem Erkenntnisinteresse ergibt, lautet wie folgt:
Forschungsfragestellung:
Wie wird das Emotionserleben von Menschen mit Autismus in autobiographischen Texten dargestellt? Subfragen: • • • • • • • • •
Welche Bandbreite an erlebten Emotionen wird von den Autoren dargestellt? Welchen Emotionsgruppen (in Anlehnung an Schmidt-Atzert) gehören diese Emotionen an (Freude, Zuneigung, Angst etc.)24? Wie sieht die Häufigkeitsverteilung dieser Emotionsgruppen aus? Wie ist das Verhältnis zwischen den als angenehm und den als unangenehm eingestuften Emotionen? (Betrachtung anhand der Emotionsgruppen) Wie stellt sich die Verteilung der Emotionsgruppen verglichen mit den Ergebnissen zweier Untersuchungen ohne Bezug auf Autismus dar. Sind komplexe Emotionen im Erleben vorhanden, die eine kognitive Entwicklung, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und ein Normverständnis voraussetzen? Auf welche Art werden die Emotionen beschrieben (direkt beschrieben, durch Kognition, körperliche Reaktion, Verhalten)? Und wie - durch Emotionswort oder mittels Metapher? Wie viel Prozent der Texte haben emotionalen Gehalt? Gibt es Emotionen, die selbst nicht erlebt beobachtet oder in einem allgemeinen Zusammenhang genannt werden? Welche sind das? In welchem situativen Zusammenhang treten Emotionen auf.
24 Die Emotionsgruppen aus der Clusteranalyse von Schmidt-Atzert (1980) wurden herangezogen und für die vorliegende Untersuchung (mit größerer Emotionsitemzahl als bei Schmidt-Atzert) um drei weitere Gruppen ergänzt. Daraus ergeben sich für die vorliegende Untersuchung die 15 Emotionsgruppen: Freude, Sicherheit, Lust, Zuneigung, Mitgefühl, Sehnsucht, Unruhe, Abneigung, Aggressionslust, Traurigkeit, Entmutigung, Verlegenheit, Neid, Angst, Unsicherheit und die Restgruppe.
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4 METHODIK
4.1 BEGRÜNDUNG DER METHODENWAHL
4.1.1 Allgemeine Überlegungen Unter dem Begriff Autismus oder Autismus-Spektrum-Störungen werden verschiedene Störungsbilder subsumiert. Ursachen und Zusammenhänge sind bisher noch nicht ausreichend erforscht. Bekannt ist der große Umfang an Erscheinungsbildern und Ausprägungen der autistischen Störung - von hochintelligenten ,,Asperger-Autisten" bis hin zu autistischen Menschen mit schwerer geistiger Behinderung ist jede Abstufung vorhanden. Symptome und Beeinträchtigungen in den einzelnen Lebensbereichen (wie Beziehungsfähigkeit, der Fähigkeit zu sprechen, zu kommunizieren, am Alltagsleben und dem Leben in der Gesellschaft aktiv teilzunehmen) sind individuell sehr unterschiedlich und daher kaum zu verallgemeinern. So ist auch das - an sich schon äußerst komplexe - emotionale Erleben gerade im Zusammenhang mit diesen Störungen so facettenreich und vielschichtig, dass es eines sehr differenzierten Blickes bedarf, um diesem Problemfeld in der Forschung gerecht zu werden. Um von der so oft gehandhabten Beurteilung der Betroffenen von außen weitgehend weg zu kommen, wurde Abstand genommen von (Verhaltens-) Beobachtungen, die für ihre Aussagen und Ergebnisse größtenteils auf standardisierte Auslegungen gemäß den Methoden der Emotions-Forschung zurückgreifen, und es wurde entschieden, die eigenen Aussagen von autistisch wahrnehmenden Menschen heran zu ziehen und diese analytisch zu betrachten. Da Emotionen, so betont Schmidt-Atzert, .private, nur dem betroffenen Individuum zugängliche, 'innere' Ereignisse sind", können sie ,,nur untersucht werden, wenn das Individuum irgendeine Auskunft darüber gibt". Diese Auskunft kann mittels Mimik, Gestik, Verbalsprache und nicht verbalen Lautäußerungen gegeben werden und wird in der Regel verstanden, obwohl sich das Individuum ,,dazu nicht einmal in einem entsprechenden Gefühlszustand befinden" muss. Doch auch angesichts dieser Vielzahl an Emotionsausdrucksmöglichkeiten stellt Schmidt-Atzert fest, dass für wissenschaftliche Zwecke "die Sprache {...] dennoch das beste Mittel zur Beschreibung von Gefühlen [ist], da sie eine feine 79
Differenzierung gestattet'. (Schmidt-Atzert 1996, S. 86) Auch Mayring postuliert, dass der Sprache ,/Ur die Erfassung des subjektiven Emotionserlebens [. ..J eine zentrale Bedeutung" zukommt. (Ulich & Mayring 2003, S. 33) 4.1.2 Autobiographische Texte als Datenquelle "es ist nicht möglich, die Vergangenheit zu schildern, ohne ihr die Färbung unserer eignen Gefühle zu verleihen" Heinrich Heine (2006, S. 36)
Persönliche Lebensbeschreibungen stellen nach Lamnek (2005, S. 671) die vollkommenste Art soziologischen Arbeitsmaterials dar und können als biographische Datenfür die Forschung als einzige und ausreichende Quelle benützt werden. Zur Beschreibung persönlicher Einstellungen wie Anteilnahme an Gegebenheiten und Situationsanschauungen sind Autobiographien, also selbst erzählte Lebensgeschichten, bevorzugte Quellen, da sie das Verhalten und die persönliche Auffassung der Person in sozialen Situationen und ferner eine Beschreibung über sein Verhalten wiedergeben. (ebd., S. 673 f) Als reichhaltige Quelle gerade der emotionalen Gehalte bezeichnen Schmitt und Mayring (2000, S. 470) biographische Erzählungen und betonen dabei deren Alltagsorientierung als großen Vorteil gegenüber Untersuchungen unter künstlichen Laborbedingungen. Neben der wissenschaftlichen Berechtigung existiert aber auch eine Reihe praktisch-pädagogischer Gründe für die Entscheidung, nicht ins Feld zu gehen und anstelle von Feldbeobachtungen und Feldbefragungen autobiographisches Textmaterial zu beforschen: Gegen die Beobachtung spricht das Faktum, dass Erkennen und Herleiten des Verhaltens von autistisch behinderten Menschen grundsätzlich schwierig ist. Geht es aber um deren Emotionen, ist es geradezu unmöglich, durch Beobachtung auch nur eine schlüssige Auslegung zu finden. 25 2 (vgl. u. a. Klicpera & Innerhofer 2002, S. 119 ; Wing 1992, S. 25 1) Man 25 K1icpera referiert, dass bei autistischen Kindern nicht nur in Häufigkeit und Tönung emotionaler Reaktionen Unterschiede zu verzeichnen sind, sondern auch in der Qualität ihres Ausdrucksverhaltens: Der Gesichtsausdruck von autistischen Kindern etwa ist "variabler und lässt sich durch ein objektives Kodiersystem weniger eindeutig bestimmten Emotionen zuordnen", weiters ist er ambivalent und verbindet er Ausdruckselemente, die bei normalen Kindern nicht in dieser weise auftreten. Ein bestimmter, auf Aufforderung dargestellter Gesichtsausdruck kann häufig nicht erkannt werden, ein lustiger etwa wird vermehrt als traurig interpretiert. Bei seinen Ausfiihrungen beruft sich K1icpera auf verschiedene Untersuchungen anderer Autoren. (Klicpera 2002, S. 119) 26 Wing stellt fest, dass das Gesichterschneiden bei Kindern mit frühkindlichem Autismus
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braucht also Verbaldaten von Betroffenen, die ihr Geftihlserleben in irgendeiner Weise thematisieren. Und genau hier stößt man auf das nächste Problem: die große Schwierigkeit, spontan Verbaldaten von Menschen mit autistischen Störungen zu bekommen, besonders dann, wenn es um Beschreibung von psychischer Belange geht. (vgl. auch Dzikowski 1993, S. 32 f) Mehr als andere brauchen Menschen mit autistischer Behinderung eine vertraute Umgebung, um sich zu öffnen oder verbal "aus sich heraus zu gehen" und Persönliches Preis zu geben, was eine Datenerhebung durch Befragung Betroffener fast unmöglich macht. Auch ist die Inzidenz des autistischen Syndroms mit etwa 4 Fällen von 27 10.000 Menschen sehr gering, nicht jeder derer ist in der Lage, sich (mündlich oder schriftlich) mitzuteilen und davon wieder machen nur ein verschwindend kleinen Prozentsatz jene aus, die die Sprache im Sinne einer (funktionierenden) Kommunikation einsetzen. (siehe dazu Heyder 1999, S. 65 tfB) Nur wenige Einzelfälle weltweit haben bisher außerhalb ihres privaten Umfeldes über ihr affektives Erleben oder ihr Welterleben überhaupt gesprochen. Es ist bekannt, dass es für autistisch behinderte Menschen, die Sprache als bedrohlich empfinden und sprachlich nicht - oder nur lapidar - kommunizieren, oft weniger konfus und beängstigend ist, sich schriftlich mitzuteilen. (vgl. Nieß 2000, S. 293 f; Drossle 1997, S. 62) Immer mehr Menschen mit Autismus-Diagnose finden für sich den Weg, ihre Gedanken und Geftihle in schriftlicher Form wieder zu geben. Einige der so entstandenen Schriften wurden veröffentlicht und damit der Welt zugänglich gemacht, so dass es mittlerweile weltweit eine nicht zu unterschätzende Anzahl an publizierten autobiographischen Niederschriften von Menschen mit autistischen Störungen gibt. (s. dazu Kap. 4.3.2, S. 94) Die meisten sind sehr detaillierte Lebensberichte (z. B. Brauns 2002, Prince-Hughes 2004, Gerland 1998, Schäfer 1997 u. v. a.), Es sind aber auch Texte darunter, die primär Darstellung und Erklärung darüber sind, wie der Autismus selbst und das Leben als Betroffener erlebt werden. (z. B. O'Neill 2001, Nieß 2000) Ausschließlich also Textgattungen, denen eigenes Erleben, Empfindungen (Emotionen) und einprägsame Momente die Grundlage geben. ein charakteristisches Merkmal darstellt, während "von einer bedeutungshaltigen Gestik [ ...J kaum Gebrauch gemacht [wird)". (Wing 1992, S. 25) 27 Dzikowski (1993, S. 12) etwa spricht von einem Vorkommen des Frllhkindlichen Autismus von 4 5 Fällen auf 10.000 Kinder; Rollett & Kastner-Koller (2001 , S. 4) gehen von 2 - 5 Fällen ausgeprägter autistischer Störungen auf 10.000 Kinder, nach DSM-IV. 28 Heyder beschreibt unter anderem folgende Sprachauftlllligkeiten bei vorhandener Sprache: Sprachäußerungen, die als Echolalien auftreten, oft fehlende wechselseitige Sprache, Sprachäußerungen, die für das Gespräch irrelevant ausfallen, das ,,fllr sich selbst Sprechen" sowie die Unfähigkeit, Wünsche zuäußem.
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Für die Beforschung der vorliegenden Fragestellung steht diese publizierte autobiographische Literatur als primäres Datenmaterial einer Befragung bezüglich Emotionserleben, etwa in Form eines narrativen Interviews, als gleichwertig gegenüber und ist wissenschaftlich und praktisch betrachtet ein probates, ziel:ftihrendes Mittel. 4.1.3 Die Wahl des Untersuchungsverfahrens Jetzt galt es, eine Methode zu finden, mittels derer es möglich ist, aus autobiographischen Texten die Aussagen mit emotionalem Gehalt aufzufinden, gemäß den Aspekten der Fragestellung zu beleuchten und die daraus gewonnenen Erkenntnisse darzulegen. Es sollte nicht Sache der bloßen Einschätzung und Interpretation sein, ob und welche Emotionen an welcher Stelle in den Berichten über das Leben mit Autismus referiert werden, es sollte theoriegeleitet vorgegangen werden. Eine rein hermeneutisch-interpretative Herangehensweise würde den Anliegen dieser Forschungsarbeit nicht gerecht werden. Anders als bei rein hermeneutischen Richtungen - denen die methodischen Instrumente zur objektiven Erkenntnis letztlich fehlen (vgl. Lamnek 2005, S. 74) - soll über das bloße Interpretieren der erzählten Lebensgeschichten und Auffinden von Sinnzusammenhängen hinaus gegangen werden, um dieses schwer erfassbare und vor allem schwer interpretierbare Phänomen des emotionalen Erlebens autistischer Menschen zielgerecht zu ergründen. Im Zuge der Prüfung der möglichen Untersuchungsverfahren und einigen Probeläufen mit unterschiedlichen Analyseansätzen war es die Methode von Kemmler, Schelp und Mecheril (1991), die diesen Anforderungen am besten entsprach. Das von diesen entwickelte Kategoriensystem macht es möglich, theoriegeleitet Aussagen mit emotionalem Gehalt von den nicht emotionalen zu unterscheiden und bietet ein System an, diese Aussagen zu gruppieren und detailliert zu beleuchten. Zur systematischen Auswertung von emotionsthematischen Texten, wie (auto-) biographischen Erzählungen, bietet sich nach Schmitt und Mayring (2000, S. 470) die Inhaltsanalyse an. Um den geltenden Wissenschaftskriterien gerecht zu werden, muss das inhaltsanalytische Vorgehen folgenden methodologisehen Standards nachkommen, die von Schmitt und Mayring folgendermaßen zusammengefasst wurden: • Der Text wird in ein Kommunikationsmodell eingebettet verstanden, das den Textproduzenten (Sender), den soziokulturellen Hintergrund (Quelle), Zielgruppe und Rezipienten des Textes mitreflektiert.
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• •
Das methodische Vergehen stellt sich systematisch, das heißt regelgeleitet, einem Ablaufmodell folgend, den Text schrittweise bearbeitend, das (im Gegensatz zu "freier" Interpretation). Im Zentrum der Analyse steht ein Kategoriensystem als Instrument der Textauswertung. Die Kategorien werden entweder theoriegeleitet vor der Analyse entwickelt oder induktiv aus dem Material gewonnen.
Der vielversprechendste Zugang zu Emotionen besteht nach Meinung von Schmitt und Mayring (ebd., S. 469) in der Kombination und Integration qualitativer und quantitativer Analyseschritte. Ein solches Verfahren zur quantifizierenden Inhaltsanalyse von Emotionsaussagen wurde von Kemmler, Schelp und Mecheril (1991) entwickelt, die verschiedene psychotherapeutische Schulen hinsichtlich ihres verbalen Umganges mit Emotionen wissenschaftlich untersucht und verglichen haben . Für ihre Untersuchung haben Kemmler et aL datengeleitet ein Kategoriensystem entwickelt, das nicht nur ,,Emotionswörter im engeren Sinn" sondern auch dort, wo kein explizites Emotionswort verwendet wird, "verschiedene Formen emotionshaItiger Aussagen erfasst' und somit die Möglichkeit bietet, "den Anteil emotionshaItiger Aussagen am Gesamttext zu quantifizieren und zudem die Art und Weise, wie über Gefiihle gesprochen wird, differenziert abzubilden". (Schmitt & Mayring 2000, S. 472) Von Schmitt und Mayring wird daher der quantifizierende Charakter dieser qualitativ orientierten Methode hervorgehoben. Kemmler & Kollegen haben in ihrer Arbeit die Entwicklungskriterien und -schritte des Kategoriensystems explizit gemacht (vgl. Kemmler et al. 1991, S. 15 ff), woraus hervorgeht, dass dieses als Analyseinstrument den wissenschaftlichen Anforderungen an inhaltsanalytische Verfahren gerecht wird. Die methodische Vorgehensweise wird darstellt, eine Kodieranleitung gegeben und die Auswertungsverfahren so demonstriert, dass eine Bearbeitung auch anderer Themenstellungen mit diesem Instrument jederzeit möglich ist. Unter den qualitativ orientierten Methoden wird dieses von Kemmler, Schelp und Mecheril entwickelte Instrument daher auch von namhaften Emotionsforschern hervorgehoben und als so genannte quantifizierende inhaltsanalytische Auswertungsmethode emotionsthematischer Texte als geeignetes Instrument zur Erfassung emotionalen Befindens empfohlen, (vgl. Schmitt und Mayring 2000, S. 472, 469 f).
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4.2 DIE INHALTSANALYSE VON EMOTIONSAUSSAGEN NACH KEMMLER 4.2.1 Grundannahmen von Kemmler Zur Beantwortung ihrer Forschungsfrage, der empirischen Erörterung, wie mit Emotionen in psychotherapeutischen Gesprächen umgegangen wird, entwickelten Kemmler et al. theoriegeleitet ihr eigenes Kategoriensystem, da sie nach Durchsicht der Literatur feststellen mussten, dass es kein Kategoriensystem gibt, das Emotionen im Sinnzusammenhang mit Kognitionen (Bewertungen) :für ihre Zwecke ausreichend differenziert zu beschreiben vermag . (Kemmler et al. 1991, S.15) Dabei zeigte sich :für Kemmler et al. im Zuge der Beschäftigung mit dem Untersuchungsmaterial zunächst die Wichtigkeit, vorrangig zwischen unemotionalen und emotions bezogenen Aussagen zu unterscheiden, da erst auf dieser Basis eine weitere Auffiicherung unterschiedlicher Aspekte emotionalen Geschehens möglich ist. Weiters fiel auf: dass es sich bei den Gesprächsanteilen vorrangig um Kognitionen handelt, die zum Teil mit Emotionen verschränkt auftreten, worauf zwischen .Jiot cognitions" und "cold cognitions" unterschieden werden sollte, also zwischen gefühlsgetönten Kognitionen (Einschätzungen und Bewertungen) und solchen ohne emotionalem Gehalt. Andere emotionale Gesprächsanteile enthielten keine Einschätzungen und Bewertungen (Kognitionen), hier wurde das emotionale Moment mittels eines Verhaltensimpulses (wie Lachen, Weinen, Fäuste Ballen, Flüchten etc.) oder mittels einer physiologischen Reaktion (Erröten, Herz klopfen, Zittern etc.) angesprochen. Auch die Unterscheidung zwischen der Verwendung eines Emotionswortes im eigentlichen Sinne (Freude, Wut, Sehnsucht etc.), einer Metapherfür eine Emotion (auf die Palme gebracht werden - Ärger, im siebten Himmel schweben - Freude) und einem unspezifischen Gefuhlsausdruck (gestimmt sein, empfinden, emotional erleben etc.) sollte einbezogen werden. Für ihre Untersuchung entschieden Kemmler et al., dass es angesichts der vorliegenden Thematik rund um Emotionen und angesichts der Komplexität derselben - nicht zuletzt zwecks Überschaubarhaltung des Kategoriensystems besser ist, in der semiotischen Textanalyse (= Analyse des Bedeutungsaustausches kommunizierender Personen), die syntaktische (= Textaufbau aus sprachliehen Zeichen) und die pragmatische (= Verstehbarkeit der Sprache) Ebene unberücksichtigt zu lassen und der Betrachtung der semantischen Inhalte (= Sinngehalte und inhaltliche Interpretierbarkeit) den Vorrang zu geben, auch die grammatikalische Einstufung sollte unberücksichtigt bleiben. (Kemmler et al. S. 17; vgl. Mayring 2003, S. 34) 84
4.2.2 Arbeitsdefinitionen bei Kemmler
Für ihre Forschungsarbeit finden Kemmler, Schelp und Mecheril Arbeitsdefinitionen für die zentralen Begriffe Emotion, Kognition und ,.gefi1hlsgetönte Kognition", die sie anhand der Erkenntnisse aus gemeinsamen Vorwerken (z. B. Schelp & Kemmler 1988, zit. nach Kemmler et al. 1991) definiert haben und die im Folgenden hier dargestellt werden sollen (Kemmler et al. 1991, S. 18 f):
Emotion;
,,Emotion (bzw. Gefühl) ist der theoretische Begrifffür komplexe, organisierte psychische Zustände, die aus subjektivem Erleben, gefühlsgetönten Gedanken, expressiv-instrumentellen Verhaltensweisen und zugehörigen körperlichen Reaktionsmustern bestehen. Emotionen sind, anders als länger andauernde Stimmungen, vorübergehende Erscheinungen und entstehen aus der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Welt."
Kognition.;. "Unter Kognition verstehen wir, auf einer allgemeinen Ebene, alle Prozesse der Umsetzung von sinnlichen (inneren und äußeren) Informationen, also Wahrnehmung, Vorstellung, Empfindung, Phantasie, Prozesse des Behaltens, Erinnerns, Problemlösens und Denkens und die in uns ablaufenden - möglicherweise in Sprache gefassten - persönlich gefärbten Gedanken. Kognitionen müssen nicht unbedingt bewusst sein. Auch Inhalte unserer Verstellung, die erst durch bestimmte Ereignisse aktiviert werden, sind Kognitionen; ebenso gehören Elemente unseres Wissens, die wir im Moment nicht mehr verfügbar haben, dazu. [. ..]" Gefühlsgetönte Kognition: "Gefühlsgetönte Kognitionen sind die von einem Individuum vollzogenen bewussten und unbewussten Prozesse der Einschätzung und Bewertung • der eigenen Person, d.h. seiner physischen und psychischen Merkmale, seiner Eigenschaften und Ziele und • belebter und unbelebter Objekte (Personen, Ereignisse, Gegenstände) entweder als wichtig und bedeutsam für die eigene Person, oder als seiner Person, seinem Selbst zuträglich oder abträglich."
Auf der Basis dieser Arbeitsdefinitionen der Autoren sind die Kategorien des im Folgenden dargestellten Kategoriensystems von Kemmler et al. zu verstehen und die Codes bei der Analysearbeit mit diesem Instrument zu vergeben.
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4.2.3 Das inhaltsanalytische Kategoriensystem von Kemmler Das Kategoriensystem umfasst gemäß den Überlegungen von Kemmler et al., die in Kapitel 4.2.1 dargestellt wurden, fünf Hauptkategorien: subjektives Erleben, gefühlsgetönte und bewertende Kognition ("hot cognitions"), physiologische Reaktionen und expressiv-instrumentelles Verhalten und die Restkategorie: unemotionale Ä·ußerungen, dazu vier Unterkategorien: Emotionswörter, Metaphern und unspezifische Gefühlsausdrücke, sowie (nicht bei jeder Hauptkategorie) auch das Ansprechen in Reinform. Daraus ergeben sich durch entsprechende Verknüpfung, wie in der folgenden Liste ersichtlich, 16 Unterkategorien. Mit diesem Kategoriensystem wurden bei Kemmler et al. 40 Therapiebänder hinsichtlich emotionaler Aspekte eingestuft, die dafür in knapp 10 000 Sinneinheiten eingeteilt worden waren. (vgl. Kemmler 1991, S. 32) Die folgende Auflistung bietet neben der Darstellung des Kategoriensystems eine Veranschaulichung der Kategorien, da sie jede der Haupt- und Subkategorien mit Beispielen versehen auflistet.
Die Kategorien nach Kemmler - mit Beispiel-Sinneinheiten (kursiv) 1 - UNEMOTIONALE ÄUSSERUNGEN "COLD COGNITIONS"
Allgemeingültige Aussagen zur Wissens- und InfonnationsvennittIung, faktischer Inhalt, Ratschläge, "small-talk", Floskeln, auch wenn es Pseudo-Gefllhlsaussagen sind.
Können Sie mir Ihr Problem noch einmal schildern? Ich hab 'sjetzt akustisch nicht mitgekriegt. Bitte entspannen Sie sich jetzt wieder. Ich hab das Gefühl, dass es gleich 12 Uhr ist. Es freut mich, Sie kennen zu lernen. Ich würde sagen, dass Angst und Unsicherheit ganz normale Reaktionen sind - wie ein Warnsignal.
2 - ANSPRECHEN SUBJEKTIVEN ERLEBENS
Komponente eines emotionalen Prozesses, die ausschließlich durch subjektives Erleben thematisiert wird, nicht über Kognitionen (Bewertungen... ), physiologische Reaktionen oder Verhaltensimpulse. 2E Ansprechen subjektiven Erlebens durch ein Emotionswort Ich bekomme immer Angst, wenn ich in die Stadt gehe. Du warst vorher nicht traurig.
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2M
Ansprechen subjektiven Erlebens durch indirekte Äußerung eines Emotionswortes (Metapher) Eindeutige Zuordnung des figurativen Ausdrucks zu einem "echten" Emotionswort Das bringt Sie aufdie Palme. (•.frger) Ich bin immer so in einer Hab-Acht-Stellung. (Misstrauen, Sorge) 2U
Ansprechen subjektiven Erlebens durch Äußerung einer unspezifischen emotionalen Klassenbezeichnung Bleib bei dem Gefühl, das jetzt aufkommt. Ja, aber da ist in Ihnen so eine oppositionelle Stimmung.
3 - ANSPRECHEN EINER GEFÜHLSGETÖNTEN KOGNITION
Wenn die gefllhlsgetönte Aussage Einschätzungen und Bewertungen beinhaltet: - der eigenen Person (seiner Merkmale, Gefühle, seines Verhaltens, seiner Ziele) - von Personen" Gegenständen, Sachverhalten und Ereignissen, die bedeutsam für die eigene Person sind
Subjektive Bedeutsamkeiten wichtig: oder geflihlsmäßige Einschätzungen - eigene oder des Gesprächspartners oder relevanter dritter . Einschätzung und Bewertung: - der eigenen Person oder seiner Eigenschaften, seines Verhaltens, seiner Ziele - von belebten oder unbelebten Objekten als bedeutsam/wichtig für die eigene Person, oder der eigenen Person zu- oder abträglich 3R Ansprechen einer gefühlsgetönten Kognition (warmlhot cogn.) in Reinform Ich glaube, dass ich es nicht schaffe. (Ich bin ärgerlich weil ich glaube, dass ich es nicht schaffe . = 3E) Sie denken, es wäre sinnvoll, wenn Sie auch aufandere hören würden . (Einschätzen des eigenen Verhaltens liegt hier beim Gesprächspartner vor.) 3E
Ansprechen einer gefD.hlsgetönten Kognition mit Äußerung eines Emotionswortes Sie sind enttäuscht. dass Sie das nicht aushalten können. Ich bin so traurig über den Verlust . 3M
Ansprechen einer gefD.hlsgetönten Kognition mit indirekter Äußerung eines Emotionswortes Manchmal sitze ich so hoch aufdem Roß, dass es mir nachher richtig unangenehm ist. Ich find' es herrlich (=3), im siebten Himmel zu schweben (=M). 3U
Ansprechen einer gefühlsgetönten Kognition mit Äußerung einer unspezifisehen emotionalen Klassenbezeichnung Ist es so, dass Sie sich ein bisschen unter Druck gesetzt Jiihlen von Dingen, die Sie nicht richtigfinden? Ich hab so das GeJiihl, dass meine Mutter mich ablehnt. (Ich glaube, dass meine Mutter mich ablehnt. = 3R Eig. sowohl3R als auch 3U möglich)
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4 - ANSPRECHEN EINER EMOTIONALEN PHYSIOLOGISCHEN REAKTION
Erlebnisqualität einer Emotion wird in Verbindung mit physiologischem Aspekt (Veränderung) näher benannt. (Herzrasen, Erröten, übel werden, angespannt sein ,...)
4R
Ansprechen einer emotionalen physiologischen Reaktion in Reinform
4E
Ansprechen einer emotionalen physiologischen Reaktion mit Äußerung eines Emotionswortes
In der Prüfung hatte ich dann Schweißausbrüche. Da begann Ihr Herz zu rasen.
Vor lauter Angst wurde mir übel. Sie waren so wütend, dass Sie am ganzen Körper gezittert haben .
4M
Ansprechen einer emotionalen physiologischen Reaktion mit indirekter Äußerung eines Emotionswortes
Sie hatten dermaßen die Hosen voll. dass Sie ganz blass wurden . 4V
Ansprechen einer emotionalen physiologischen Reaktion mit Äußerung einer unspezifischen emotionalen Klassenbezeichnung
Achte darauf, wie es sich arifUhlt. wenn Dir der Atem stockt. Nach der Auseinandersetzungfühlten Sie sich angespannt.
5 - ANSPR. EXPRESSIVIINSTRUMENTELLEN EMOTIONALEN VERHALTENS
Sichtbares Verhalten, das auf eine für ein Individuum bedeutsame also emotionsauslösende Situation hin erfolgt.
SR
Ansprechen expressiv! instrumentellen emotionalen Verhaltens in Reinform
SE
Ansprechen expressiv! instrumentellen emotionalen Verhaltens mit Äußerung eines Emotionswortes
Bei diesem Anblick sind Sie zurückgeschreckt. Da habe ich schließlich auch gebrüllt.
Wenn Sie ärgerlich aufIhre Tochter sind, brüllen Sie gleich los. Vor lauter Unsicherheit habe ich dann ganz leise gesprochen.
SM
Ansprechen expressiv! instrumentellen emotionalen Verhaltens mit indirekter Äußerung eines Emotionswortes Und vor lauter Schiss fingst Du dann an zu stottern. Mein Bruder hat mich derart aufdie Palme gebracht. dass ich wortlos die Tür zugeschlagen habe & geg. bin.
SV
Ansprechen expressiv! instrumentellen emotionalen Verhaltens mit Äußerung einer unspezifischen emotionalen Klassenbezeichnung Was ist dasfür ein Gefühl, wenn Du Deine Fäuste so zusammenpresst.
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4.2.4 Emotionswörter bei Kemmler Da ein Schwerpunkt der Arbeit in der Untersuchung der Wahl sprachlicher Emotionsausdrücke liegt, und Emotionen am eindeutigsten durch Emotionswörter ausgedrückt werden, bestand die Notwendigkeit, für die Arbeit und besonders für die Kodierer zu definieren, bei welchen Wörtern es sich um ein Emotionswort handelt und bei welchen nicht. Wie in Kapitel 2.2 ausgiebig dargestellt, gibt es dazu noch keine konsensfähige Allgemeindefinition. Das Autorenteam um Lilly Kemmler hat daher beschlossen, eine Liste von Emotionswörtern für die Untersuchung festzulegen. Dabei griffen diese auf eine Untersuchung von Schmidt-Atzert (1980) zurück und ergänzten diese durch eigene Untersuchungen auf Basis von Hampels .Adjektivskala zur Einschätzung der Stimmung" (,,sES") aus dem Jahr 1977 (vgl. Kemmler et al. 1991, S. 19). So gewannen Kemmler et al. eine Liste von 97 "eigentlichen Emotionswörtern", die jeweils auch in adjektivischer, adverbialer oder Verbform, antonymer Verwendung, sowie bei Auftreten mit Vorsilbe, die Referenzbasis für die Untersuchung nach Emotionswortnennungen bilden. (vgl. ebd., S. 20 f, S. 57 f) In alphabetischer Reihenfolge sind das die folgenden: Liste der 97 Emotionswörter, alphabetisch: Abneigung, Abscheu, Ärger, Aggressionslust, Angst, Anteilnahme, Bedrückung, Begehren, Begeisterung, Beschwingtheit, Betrübtheit, Beunruhigung, Bewunderung, Dankbarkeit, Ehrfurcht, Eifersucht, Einsamkeit, Ekel, Entmutigung, Entsetzen, Enttäuschung, Erleichterung, Erniedrigung, Erregung, Freude, Fröhlichkeit, Frustration, Furcht, Gereiztheit, Glück , Grantigkeit, Groll, Hass, Heimweh, Heiterkeit, Hochstimmung, Hoffnung, Hoffnungslosigkeit, Kampflust, Kummer, Langeweile, Leere, Leidenschaft, Liebe, Lust, Missstimmung, Misstrauen, Mitgefiihl, Mitleid, Neid, Neugierde, Niedergeschlagenheit, Panik, Ratlosigkeit, Reue, Rührung, Schadenfreude, Scham, Schmerz, Schreck, Schuldgefiihl, Schwermut, Sehnsucht, Sorge, Spannung, Stolz, Trauer, Traurigkeit, Triurnphgefiihl, Trotz, Überdruss, Übermut, Ungeduld, Unlust, Unruhe, Unsicherheit, Verachtung, Verehrung, Vergnügtheit, Verlangen, Verlassenheit, Verlegenheit, Vermissen, Verstimmtheit, Vertrauen, Verwunderung, Verzweiflung, Wärme, Widerwille, Wohlernpfinden, Wohlwollen, Wut, Zärtlichkeit, Zorn, Zufriedenheit, Zuneigung, Zutrauen
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Auch die Wörter, die, ohne zu spezifizieren, Emotionsgeschehen benennen, sind bedeutsam für die Untersuchung emotionalen Geschehens, sie werden nach dem Instrument von Kemmler et al. getrennt betrachtet. Als "unspezijische Klassenbezeichnungen " emotionaler Inhalte werden diese in einer eigenen Unterkategorie gewertet und als definierte Begriffssammlung gelistet. Diese enthält: Affekt, Empfinden, empfinden, Emotion, Gefühl, fühlen, Gespür, spüren, Stimmung, Gestimmtsein, Erleben, erleben. (vgl. Kemmler et al. 1991, S. 21 f)
4.2.5 Kodiervorgehen in der Untersuchung von Kemmler Gemäß ihrer Fragestellung zur Klassifikation und detaillierten Betrachtung des emotionalen Sprachgebrauchs in Therapiesitzungen verschiedener psychotherapeutischer Schulen wurden bei Kemmler et al. Transkripte von 40 Therapiesitzungen der zu untersuchenden Therapieschulen als Untersuchungsmaterial herangezogen. Aufgrund des großen Arbeitsaufwandes der Methode wurde entschieden, aus jedem der Therapiegespräche als Auswahleinheit der inhaltsanalytischen Untersuchung jeweils nur einen 30-Minuten-Ausschnitt aus der Mitte jedes Therapiegespräches zu bearbeiten. (vgl. Kemmler et al. 1991, S. 29) Die Untersuchungs- bzw. Analyseeinheiten bei Kemmler et al. bilden die so genannten Sinneinheiten, in die der zu analysierende Text geteilt werden soll, sie sollen so groß gewählt werden, "dass sie zumindest die Benennung einer der vorher genannten vier Qualitäten emotionalen Geschehens umfassen kann ". Definiert werden die Sinneinheiten wie folgt: "Als Untersuchungseinheit gilt jede Gedankeneinheit, d. h. jede in sich abgeschlossene, sinnhaltige A·ußerung eines Sprechers (Sinneinheit) ". Es muss durch den Inhalt auf einen Aspekt der Fragestellung geschlossen werden können, betonen Kemmler et al. weiter und "der Kontext hat keine notwendige, sondern nur eine zusätzliche Bedeutung. " (Kemmler et al. 1991, S. 27, S. 29) Für Beispiele zu Länge und Charakter solcher Sinneinheiten sei auf die kursiv geschriebenen Beispiel-Sinneinheiten der Liste "Die Kategorien nach Kemmler" (s. S. 86) verwiesen. Das Vorgehen des Kodierens wurde von Psychologie-Studentinnen durchgefiihrt, die die Ana1yseeinheiten hinsichtlich emotionaler Aspekte eingestuft und den oben dargestellten insgesamt 16 Unterkategorien des Kategoriensystems zugeordnet haben. Es wurden knapp 10.000 Sinneinheiten analysiert.
90
4.3 FORSCHUNGSGEGENSTAND - DIE AUTOBIOGRAPHISCHEN TEXTE 4.3. J
Überlegungen zur Reichweite der Aussagekraft
Die vorliegende Untersuchung des emotionalen Erlebens basiert also auf der Analyse autobiographischer Texte, die von Menschen mit Autismus verfasst 29 wurden. Die Personengruppe, deren Emotionserleben untersucht wurde, ist somit eine sehr spezielle und im Vergleich zur Gesamtzahl relativ kleine Gruppe unter den Menschen mit Autismus-Diagnose: Es sind diejenigen, bei denen sowohl Fähigkeit, als auch Intention bestand, sich verbal - meist schriftlich über ihr Leben zu äußern. Nach den gängigen Diagnoseschemata ist es wahrscheinlich, dass Menschen mit einer Form des Autismus, auf die das zutriffi, mit Asperger-Syndrom oder High-Functioning-Autismus diagnostiziert werden. Das hat einerseits die relativ kleine Zahl geeigneter Autoren und Werke zur Folge, andererseits ftihrt dieses Faktum unweigerlich zu der Frage, wieweit die Analyse der Aussagen von Menschen dieses Personenkreises über ihr emotionales Erleben es erlaubt, allgemeingültige Rückschlüsse auf alle Menschen im autistischen Spektrum, mit den sehr unterschiedlichen und unterschiedlich ausgeprägten Autismus-Formen zu ziehen, deren Symptome und Besonderheiten sehr unterschiedlich gelagert sind, was auch wiederum unterschiedlich Einfluss auf das emotionale Erleben nehmen kann. Nach heutigem Verständnis von autistischen Störungen gehen viele Fachleute davon aus, dass eine kategoriale diagnostische Abgrenzung innerhalb des Phänomens Autismus eher diagnoserelevante, denn tatsächlich phänomenbezogene Motive hat und es sich bei den Störungen aus dem autistischen Formenkreis vielmehr um ein Kontinuum an (Symptom-)Abstufungen ein und desselben Phänomens handelt. (vgl. u. a. Poustka et al. 2004, S.12; Verte et al. 2006; Leekam et al. 2000) Die beiden wesentlichsten Unterscheidungskriterien zwischen dem Pol des frühkindlichen Autismus und dem des Asperger-Syndroms sind Unterschiede in Intelligenz und Sprachentwicklung. Beide sind bei den untersuchten Autoren zweifelsohne ausgezeichnet entwickelt. Doch die Sprachentwicklung spricht nach heutigem Verständnis des Autismus-Spektrums nicht gegen Rückschlüsse auf jede Form der autistischen Störung. Gerade die unterschiedliche Sprachentwicklung ist es, die Untersuchungen wie diese so wertvoll macht. Es hat sich in der Autismusforschung etabliert, Untersuchungen zu einem großen Teil an Menschen mit ,,High-Functioning"29 Die
wissenschaftliche Begründung dazu findet sich in Kapitel 4.1.
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und Asperger-Autismus vorzunehmen, da auf diese Weise spezifische Besonderheiten des Autismus aufgefunden werden können, ohne durch kognitive Defizite überlagert oder von Kommunikationsproblemen gebremst zu werden. (vgl. Papadimitriou 1997, S. 94) Dr. Therese Zöttl, die pädagogische Leiterin des Vereins Rainman's Horne [17], betont in ihren Seminaren immer wieder, dass die Menschen mit Asperger-Autismus uns helfen können, die stärker eingeschränkten Betroffenen zu verstehen. Sie sind es, die in der Lage sind, uns zu erzählen, wie es ist und wie es sich anfühlt, mit der autistischen Art der Wahrnehmung zu leben. So verhelfen sie der Fachwelt zu einem größeren Verständnis Betroffenen gegenüber und sind dabei auch Sprachrohr:fiir jene, die sich nicht auf diese Weise auszudrücken vermögen, :fiir die Kanner-Autisten. Die große Bedeutung von Eigenaussagen und Erfahrungsberichten von Betroffenen :fiir die Autismusforschung ist in Fachkreisen mittlerweile unumstritten. (vgl. Preißmann 2008, S. 4; Tschöpe 2005, S. 180; Slotta 2002, S. 73) Diese heranzuziehen, um Besonderheiten des Phänomens Autismus und des Emotionslebens der Betroffenen zu untersuchen, ist eine bewährte Methode und muss nicht bedeuten, dass die aufgefundenen Ergebnisse :fiir nicht oder eingeschränkt kommunizierende Menschen mit Autismus nicht in gleicher oder ähnlicher Weise zutreffen. Die unterschiedlichen Intelligenzniveaus, die bei den verschiedenen Formen des Autismus beobachtet werden, könnten eher unterschiedliche emotionale Entwicklungen zur Folge haben, worauf die Ergebnisse :fiir stärker Betroffene (Kanner-Autismus) keine oder wenig Gültigkeit besäßen . Da davon ausgegangen wird, dass die meisten Emotionen bestimmte kognitive Entwicklungen voraussetzen, ist anzunehmen, dass bei autistischen Menschen mit weniger hoher Intelligenz einige Emotionen nicht oder weniger differenziert entwickelt sind als bei den hier untersuchten, die zweifelsohne zu den intellektuell hoch entwickelten gehören. Was diese Untersuchung also zeigt, ist das mögliche Ausmaß an emotionaler Entwicklung bei Autismus, ungeachtet der Einschränkungen, die durch Defizite in der kognitiven Entwicklung entstehen können. Bei Menschen mit einem frühkindlichen Autismus ist also nicht damit zu rechnen, dass aufgrund ihrer anderen Form des Autismus selbst andere als die hier erhaltenen Emotionsergebnisse zu erwarten sind, jedoch aufgrund eventueller intellektueller Unterschiede schon. Doch darfhier der Umstand nicht außer Acht gelassen werden, dass scheinbar kognitiv schwer beeinträchtigte Menschen mit Autismus mitunter nur aufgrund ihres mangelnden Vermögens sich auszudrücken, als solche eingeschätzt werden. Immer öfter kommt es vor, dass bei Menschen, die jahrelang als "geistig behindert" eingeschätzt worden sind, festgestellt wird, dass der tatsächliche kognitive Entwicklungsstand wesentlich höher ist als angenommen. Da der Autismus und seine Symptome oft das tatsächliche Kapital an Intelligenz und kogniti-
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ver Entwicklung überdecken und diese folglich nicht in ihrem Ausmaß erkannt werden können, werden manche Menschen mit Autismus bezüglich ihrer Intelligenz völlig falsch eingeschätzt.j'' (vgl. dazu Klicpera & Innerhofer 2002, 31 S. 233 ) Wenn der Betroffene - meist mit der engagierten Hilfe von Angehörigen oder Fachleuten - einen Weg in die Kommunikation findet, stellt sich seine Entwicklung oft gänzlich anders dar. Ein solches Beispiel, das vor allem in den USA in der Öffentlichkeit einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat, ist Sue Rubin (vgl. Rubins Homepage [14]32; Rubin 2004, DVD [15]33) Sue Rubin wurde bis zu ihrem 13. Lebensjahr für hochgradig von Autismus betroffen und dabei schwer geistig behindert gehalten und dementsprechend reagierte auch ihr Umfeld auf sie. Erst als eine Therapeutin die Idee hat, ihr in Form einer Computertastatur eine alternative Kommunikationsmöglichkeit anzubieten, gelingt es Rubin nach und nach, sich zu öffnen und es zeigten sich erstaunliche intellektuelle Fähigkeiten sowie ein großes Repertoire an Wissen, Fremdsprachenkenntnissen und sogar Fachwissen über Autismus. Sue Rubin, die vorerst physische Unterstützung benötigte, um dem Prozess des Schreibens und Kommunizierens gewachsen zu sein, lernte in den folgenden Jahren, ohne Unterstützung der Bezugspersonen, unabhängig zu schreiben damit sind auch Zweifel über die Authentizität ihrer Kommunikation beseitigt. Dass Sue Rubin an die Öffentlichkeit ging ist von großer Bedeutung, da sie der Welt zeigt, dass gerade in Bezug auf Autismus immer noch häufig von falschen Annahmen ausgegangen wird . Es gibt viele Menschen wie sie. Jene, deren Entwicklung ebenfalls aufgrund von Kommunikationsschranken nicht einsehbar ist und die noch keinen Weg gefunden haben, alternativ zu kommunizieren, brauchen eine Vorsprecherin wie Rubin. Die Verfasserin der vorliegenden Arbeit selbst durfte Menschen kennen lernen, die über keine Verbalsprache verfügen und deren Mimik und Körperha1tung, sowie auch das zum Teil ängstlich und verwirrt erscheinende Körperbild und Verhalten sich so präsentiert, wie sich die meisten Menschen einen geistig schwerbehinderten Menschen vorstellen, die aber tatsächlich normal bis sogar hoch intelligent sind und mit denen man aufschlussreiche Gespräche führen kaun, wenn sie etwa ein Blatt Papier oder eine Computertastatur benutzen, um sich schriftlich mitzuteilen. 31 K1icpera und Innerhofer weisen auf Beobachtungen hin , nach denen einige Menschen mit Autismus zunächst den Kriterien des Kanner-Autismus entsprachen, in der späteren Entwicklung aber Besserungen der Symptomatik festgestellt werden können, die auf eine Diagnose des AspergerSyndroms hinauslaufen. Dabei beziehen sich die Autoren auch auf Untersuchungen von Szatmari 1998 und Wing 1991. (vg1. K1icpera et a1.2002, S. 233) 32 Auf ihrer Homepage präsentiert Sue Rubin unter anderem ihre Vorträge und Publikationen, die sich größtenteils mit ihrem Leben und ihrer Entwicklung auseinandersetzen, sowie wissenschaftlich mit dem Thema Autismus. 33 Die Verfasserin der vorliegenden Arbeit ist Sue Rubin im Zuge eines internationalen Symposiums in Deutschland persönlich begegnet und hat dabei festgestellt, dass die Darstellungen in den genannten Medien sie korrekt beschreiben. Das nur als Anmerkung, um etwaigen Zweiflern zu entgegnen. 30
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Für die vorliegenden Untersuchung bedeuten Beispiele wie dieses, dass also auch bei jenen Betroffenen, die eine Kanner'sche Form der autistischen Störung haben und sich kaum oder gar nicht kommunikativ ausdrücken können, die Intelligenz nicht defizitär sein muss und damit auch die emotionalen Entwicklungsvoraussetzungen nicht zwangsläufig anders gelagert sein müssen als bei den hier untersuchten Autoren. Insofern sind Rückschlüsse aus den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung des Emotionslebens auch auf stark beeinträchtigte Menschen nicht ausgeschlossen. Ein so vielschichtiges Phänomen wie das des "Autismus" mit all seinen Erscheinungsformen bedarf immer eines individualisierten Blickes. Von Generalisierungen muss Abstand genommen werden. Wie bezüglich der Gesamtbevölkerung kann man auch über die Gruppe der Menschen mit Autismus anband von Textanalysen des Emotionsgeschehens in den Lebenserzählungen Betroffener keine allgemeingültigen Aussagen über das emotionale Erleben aller Betroffenen treffen (im Sinne von" wer allein in einen dunklen Keller geht, erlebt das Gefiihl der Angst" oder ,,man empfindet Freude, wenn man an einem sonnigen Tag spazieren geht"). Derartige Verallgemeinerungen sind in jedem Fall unzulässig. Dennoch vermag es eine solche Untersuchung, Tendenzen aufzufinden, die wichtige, handlungsweisende Impulse beinhalten können, Aufschluss über Spezifika einer Personengruppe geben können, ohne zu verallgemeinern und zweifellos Möglichkeiten im emotionalen Erleben der untersuchten Personengruppe aufzeigen, die Rückschlüsse auf große Teile der Betroffenen zulassen.
4.3.2 Ergebnisse der Recherche nach autobiographischen Texten Analysiert werden sollten also autobiographische Texte, die von Menschen mit einer Störung aus dem autistischen Spektrum verfasst wurden. Die Recherche nach geeignetem publiziertem Textmaterial brachte eine Vielzahl von Ergebnissen, die (laut Angabe des Verlages) von einem "autistischen Autor" verfasst worden waren (s. S. 201 ,,Autobiographische Texte"). Diese Summe wurde auf deutschsprachiges Material eingeschränkt, da die einheitliche SRrache die Diskussion der beinhalteten Emotionsbegriffe wesentlich erleichtert 'I. Aufgrund der
Verschiedene Sprachen verfiigen teilweise über divergente Emotionsbegriffe, die häufig nicht eins zu eins in andere Sprachen übersetzt werden können . Einige Sprachen etwa kennen mehrere Begriffe für eine Emotion, für die wieder andere nur einen Begriff verwenden. (vgl. Schmidt-Atzert 2000, S.37 f; s. auch Schmidt-Atzert 1996, S. 92, 124)
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geringen Anzahl deutschsprachig verfasster Texte wurden solche, die ins Deutsche übersetzt und so publiziert worden waren, mit einbezogen. Die so verbleibenden Texte galt es nun kritisch zu prüfen, um daraus geeignetes Material zu selektieren. Geprüft werden musste die Literatur primär nach folgenden drei Kriterien: 1. Hat der Autor nachweislich eine Störung aus dem Autismus-Spektrum? 2. Ist die Person mit Autismus tatsächlich alleiniger Verfasser des Textes? 3. Kann der Text zur Beantwortung der vorliegenden Fragestellung beitragen? Von den Ergebnissen der Recherche nach autobiographischem und anderem authentischen Textmaterial von Autoren mit einer Form des Autismus sollen zunächst exemplarisch einige Texte und ihre Autoren kurz vorgestellt werden. Dabei wird jeweils nach folgendem Schema vorgegangen: a) Daten zur Person b) Authentizität der Diagnose c) Authentizität der Person als Autor 35 d) Art des Textes Eine Listung der 21 zur näheren Prüfung herangezogenen Werke mit den bibliographischen Daten findet sich im Literaturteil unter Kapitel 7.1 ,,Autobiographisehe Texte", S. 201. Brauns, Axel: Buntschatten und Fledermäuse. Mein Leben in einer anderen Welt Erstveröffentlichung 2002. Vorliegende Ausgabe 2004.
a) Daten zur Person Axel Brauns ist 1963 in Hamburg als Sohn eines Rätselredakteurs und seiner Frau geboren und ist autistisch. Er wuchs mit Eltern und dem um ein Jahr älteren Bruder in einer Vorortsiedlung von Hamburg auf, besuchte Kindergarten und Gymnasium, das er vorzeitig mit Abitur abschloss. Er studierte Jus, brach dieses Studium jedoch ab, um Schriftsteller zu werden. (Brauns 2004a; Schäfer 2006 [1]) 2002, im Alter von etwa 40 Jahren, veröffentlicht er seine Autobiographie .Buntschatten und Fledermäuse" (vgl. Brauns 2004a). Später folgen zwei weitere Buchveröffentlichungen, die Romane ,,Kraniche und Klopfer" 3S Wenn
nicht anders angegeben, entstammen alle Angaben der jeweiligen Publikation selbst.
95
(Brauns 2004) und "Tag der Jagd" (Brauns 2006) Schon 2000, zwei Jahre vor der Erstveröffentlichung, erhielt er für einen Auszug aus seinem im Jahr 2002 publizierten Buch .Buntsohatten und Fledermäuse" den Förderpreis der Stadt Hamburg. 2002 schließt Axel Brauns die Ausbildung zum Steuerfachangestellten erfolgreich ab. Brauns verdient als Buchautor und Filmemacher seinen Lebensunterhalt selbst. Er lebt in seiner eigenen Wohnung in Hamburg. (Brauns 2004a, S. 11; Schäfer 2006 [1]) Seit Erscheinen seines ersten Buches herrscht ein gewisses öffentliches Interesse an Axel Brauns und seinem Leben. In wissenschaftlichen Magazinen, Tageszeitungen sowie im Internet kann man Berichte über Brauns und sein Leben lesen, in Beiträgen wissenschaftlicher Fernsehsendungen genauso wie in Boulevardsendungen wurde über Brauns berichtet. 36 b) Authentizität der Diagnose und c) Authentizität der Person als Autor Zahlreiche öffentliche Beiträge über Axel Brauns und sein Leben sowie 37 Interviews mit ihm in den wissenschaftlichen und den Boulevardmedien belegen Brauns als real existierende Person, die Diagnose Autismus als valide und die von ihm verfassten Texte als authentisch. Auch die Tatsache, dass Brauns die Schule besucht und ein Studium angefangen hatte, spricht für seine Fähigkeit, die viel gelobten Texte eigenständig verfasst zu haben. Brauns' Texte werden in der einschlägigen Fachliteratur referiert und zur besseren Verständlichkeit des Autismus herangezogen. (vgl. Tschöpe 2005, S. 177 fi)
wie Fußnote 37 Öffentliche Beiträge sind unter anderem: Beitrag im Geo-Magazin, online auf geo.de zu finden (geo .de [2]) Reportage in der Sendereihe Quarks & Co des WDR am 25.04.2006; Online-Bericht zur Sendung (Schäfer 02.10 .2006 [1]) Beitrag in der Süddeutschen Zeitung am 18.06.2002; von buecher.de online zu Verfügung gestellt (Süddeutsche Zeitung 18.06 .2002 [3]) Beitrag in der ZDF-Dokumentationsreihe 37 Grad am 03.12.2002: "Wie heißt die Hauptstadt von Freundschaft?" Beitrag in der 3Sat Wissenschaftssendung Nano am 30.06.2006: "Isolation und Rückzug" Stern TV Reportage am 29.01.2008 : "An mich kommt keiner ran" Mitwirkung am Dokumentarfilm der Firma InstinktFilm: ,,Der rote Teppich" 2007 (Quelle der TV-Beiträge: Internet Movie Datahase unter: http://german.imdb.com/name/nm21916901)
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d) Art des Textes Bei dem Buch ,,Buntschatten und Fledermäuse" handelt es sich um eine Autobiographie, in der Axel Brauns sein Leben von der frühsten Kindheit bis zum Alter von 20 Jahren chronologisch darstellt. Eckardt, Bettina u. Kristina: Ein offenes Tagebuch. Erfahrungen. Erstveröffentlichung und vorliegende Ausgabe: 2001. a) Daten zur Person Herkunft: Bettina Eckardt (*1978 in Dresden); Kristina Eckardt (*1955), Mutter von Bettina. Bettina wächst mit Mutter und Vater auf. Beide kümmern sich nach Angabe im Buch "aufopferungsvoll" um Bettina. Keine Geschwister. Schulbesuch: Tagesstätte St. Franziskus in Dresden. Später umbenannt in Förderschule St. Franziskus. Beruf: Bettina besucht die Werkstatt für Behinderte St. Josef des Caritas Sozial Werkes. Familienstand: Ledig, bei der Mutter lebend (vgl. Eckardt 2001, S. 4, 12 ff) b) Authentizität der Diagnose Keine Angabe bezüglich offizieller Diagnose. Erwähnt wird, dass die Eltern bis zum 12. Geburtstag Bettinas gar nicht wussten, dass so etwas wie Autismus existiert. (vgl. ebd.) c) Authentizität der Person als Autor Bettina Eckardt schreibt ihre Texte mittels der Methode der Gestützten Kommunikation (FC)38. Gestützt wird sie von Mutter Kristina (vgl. Eckardt 2001, S. 3) d) Art des Textes Inhalt des Buches ist ein Tagebuchdialog zwischen Mutter und Tochter, vom Jahre 1996 bis 1998. Vorwort und Einleitung von Mutter Kristina.
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Vgl. Fußnote 2.
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Gerland Gunilla: Ein richtiger Mensch sein. Autismus. Das Leben von der anderen Seite Schwedische Originalausgabe 1996. Deutsche Erstausgabe und vorliegende Ausgabe 1998 a) Daten zur Person Gunilla Gerland ist 1963 in Schweden geboren. Sie wächst mit ihren Eltern und ihrer um drei Jahre älteren Schwester Kerstin unter schwierigen Familienverhältnissen auf. Der Vater verhielt sich den Kindern gegenüber herzlos und roh, die Mutter war dieser Situation nicht gewachsen und war verzweifelt und hilflos. (Gerland 1998, u. a. S. 19 f) Gunilla besuchte Kindergarten, Grundschule und Gymnasium. In der Schule wurde sie von den Mitschülern häufig schikaniert, da sie sich anders verhielt als diese . Schon damals stellte Gunilla fest, dass sie "anders" war und dass mit ihr etwas nicht stimmte. (vgl. ebd., S. 130) Nach wiederholten Übergriffen des Vaters der Mutter gegenüber, trennten sich die Eltern, die Schwestern lebten nun alleine mit der Mutter, die mittlerweile zu trinken angefangen hatte. (vgl. ebd. S. 169) Nach Beendigung der neunten Klasse und damit der Schulpflicht verließ Gunilla die Schule, während ihre Schwester ihr bestandenes Abitur feierte. Kerstin war stets eine Stütze für Gunilla gewesen, jetzt aber zog Kerstin aus und Gunilla musste alleine bei der Mutter bleiben. Diese war tief in die Alkohol- und Tablettensucht abgerutscht und bereitete Gunilla große Schwierigkeiten. (vgl. ebd., S. 200 fl) Auch Gunilla trank und nahm Drogen, jedoch in geringerem Ausmaß. Gunilla versuchte sich in unterschiedlichen Jobs. Sie lernte einen Mann kennen und zog mit ihm zusammen, nur um von zu Hause weg zu kommen. (vgl. ebd., S. 206, S. 210) Sie litt an schweren Depressionen und suchte eine Psychotherapeutin auf, die ihre Probleme auch nicht lösen konnte. (vgl. ebd., S. 261) Gunilla las viel, um ihren Besonderheiten auf den Grund zu gehen, dabei stieß sie auch auf den Begriff Autismus. Sie erkannte sich in den Beschreibungen wieder und fuhr von Stockholm nach Göteborg, um dort einen Experten, den Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Christopher Gillberg, aufzusuchen, der die Diagnose bestätigte. (vgl. ebd., S.266 fl) Von da an konnte sie ganz anders mit ihrer Schwester kommunizieren, und diese konnte Gunilla jetzt nachträglich wirklich verstehen. (vgl. ebd. S. 267)
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b) Authentizität der Diagnose Prof. Gillberg diagnostizierte Gunilla Gerland als "im autistischen Spektrum" und formulierte .Jiochfunktioneller Autismus", ist aber auch der Meinung, dass man den Zustand Gerlands als "autismusähnlichen Zustand" bezeichnen könnte. (vgl. Gerland 1998, S. 6, S. 268 ft) c) Authentizität der Person als Autor Prof. Christopher Gillberg war es auch, der Gerland dazu animierte, diese Autobiographie zu schreiben, darauf nimmt er auch im Vorwort des Buches Bezug. Von Gerland erscheinen weitere Publikationen in Schweden, u. a. auch ein Buch über Asperger-Syndrom und High-Functioning-Autismus, das auch ins Englische übersetzt worden war 39 (im internationalen Buchhandel erhältlich). In Schweden engagiert sich Gunilla in der Öffentlichkeit für ein besseres Verständnis des Autismus. (vgl. Gerland 1998, Klappentext) d) Art des Textes Das Buch ,,Ein richtiger Mensch sein" ist die Autobiographie Gunilla Gerlands, die chronologisch aufgebaut ihr Leben von der frühen Kindheit bis zur "Jetzt-Zeit" darstellt. Mit einem Vorwort von Christopher Gillberg, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Grandin, Temple: Anthropologin auf dem Mars. Mein Leben als Autistin Erstveröffentlichung: 1995. Vorliegende Ausgabe: Deutsche Erstausgabe Juli 1997 a) Daten zur Person Herkunft: Boston, Massachusetts (vgl. Wikipedia-Artike1 [4]). Temple promovierte in Viehwirtschaftslehre und lebt zum Zeitpunkt des Verfassens in Fort Collins, Colorado. Beruf: Professorin für Tierverhalten an der Universität von Illinois, Entwicklerin von Viehhaltungsanlagen (Grandin Livestock Handling Systems Inc.) Sie ist 48 Jahre alt, als das Buch erstmals publiziert wird. Familienstand: Ledig Englischer Buchtitel: ,,Finding out about Aspergers Syndrom, High Functioning Autism and PDD"; Kingsley-Verlag; 2000
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b) Authentizität der Diagnose Das Vorwort hat Dr. Oliver Sacks verfasst, Professorfür klinische Neurologie am Albert Einstein College of Medicine in New York. Er bezeichnet Temple Grandin als Person, die jeder kennen muss, der sichfür Autismus interessiert und hebt ihre Autobiographie ,,Emergence: Labelled Autistic" als unvergleichlich hervor, weil Autismus nie zuvor von innen heraus beschrieben worden war. c) Authentizität der Person als Autor Das Manuskriptfür das vorliegende Buch stammt von Temple Grandin, getippt wurde es von Diedra Enwright. Temple Grandin lehrt an der Universität und hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten publiziert. In der einschlägigen Fachliteratur werden Texte Temple Grandins zitiert um Aussagen bezüglich Autismus zu bekräftigen (vgL Siotta 2002; Heyder 1999; Tschöpe 2005, S. 172 ff). d) Art des Textes Text über ihre Erfahrungen mit dem Autismus, bzw. wie sie ihn nutzt, um humanere Bedingungen in der Viehwirtschaft zu entwickeln.
Klein, Rebecca: leinen los ins leben. Eine Autistin bereist mit Hilfe der "gestützten Kommunikation" ihre innere und die äußere Welt Erstveröffentlichung und vorliegende Ausgabe : 2002. a) Daten zur Person Herkunft: Rebecca Klein (*1979 in Augsburg). Mutter: Elke Klein, psychiatrische Krankenschwester. Rebecca war von März 1998 bis Juli 2001 Gastschülerin eines Gymnasiums; Seit Ende 200 I ist sie Gasthörerin an der Universität Augsburg, zuerst Kunstgeschichte, später Pädagogik. Beruf: Gasthörerin an der Universität. Familienstand: Ledig, zunächst im Heim, dann, seit der massiven Verbesserung ihrer Lebenssituation durch Kommunikation (Zitat "mumienzeit vorbei") bei den Eltern lebend. (Klein 2002, Klappentext)
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b) Authentizität der Diagnose Laut Angaben hat der Verband "Hilfe ftir das autistische Kind" der Familie eine Expertin empfohlen, welche die von Rebecca Klein selbst vermutete Diagnose nach umfangreichen Untersuchungen bestätigte. c) Authentizität der Person als Autor 40
Die Texte entstanden mittels FC . Rebecca Klein wurde daftir von ihrer Mutter Elke Klein gestützt. Zu betonen ist, dass Rebecca Klein insgesamt mit Hilfe von 16 (1) verschiedenen Stützem kommuniziert. (vgl. Klein 2002, S. 30) Dieses Faktum spricht stark ftir Rebecca Kleins Eigenständigkeit beim Schreiben und gegen einen Einfluss des Stützers bei der Entstehung der Texte . d) Art des Textes Das Buch ist in einem Zeitraum von über sieben Jahren entstanden und stellt eine Sammlung Rebecca Kleins Texte dar, von einzelnen Gedanken über Reiseeindrücke bis hin zu Gedichten. Vorwort und Einleitung von der Mutter.
Nieß, Susanne: Autismus: Probleme mit Wahrnehmung und Handlung eine Betroffene berichtet Veröffentlichung im Sammelband: Wahrnehmen Verstehen Handeln. Perspektiven ftir die Sonder- und Heilpädagogik im 21. Jahrhundert. Konrad Bundschuh (Hrsg.) 1. Auflage 2000 a) Daten zur Person Es gehen aus dem Artikel keine Daten zur Person hervor.
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Vgl. Fußnote 2.
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b) Authentizität der Diagnose Nach Angabe im Band von DipL Psych. Prof. Dr. Konrad Bundschuh, ist Nieß autistisch. Auch alle in Susanne Nieß' Text beschriebenen Wahrnehmungsvarianten sprechen für die Diagnose Autismus. c) Authentizität der Person als Autor k.A. d) Art des Textes Strukturierter Text in einem Sammelband von Konrad Bundschuh (2000), in dem die Autorin auf einzelne Aspekte der autistischen Wahrnehmung eingeht. O'Neill, Jasmine Lee: Autismus von innen Erstveröffentlichung: 1999. vorliegende Ausgabe: 2001 a) Angaben zur Person: Jasmine Lee O'Neill ist Autorin und Illustratorin. Familienstand: k. A. Jasmine Lee O'Neill schreibt Gedichte und Kurzgeschichten, illustriert Bücher und musiziert. (vgl. O'Neill200l, Klappentext) b) Authentizität der Diagnose und c) Authentizität der Person als Autor Im Buch wird keine ärztlich bestätigte Diagnose angeführt. Jasmine bezeichnet sich selbst im Buch als Autistin, als schweren Fall, und im Klappentext wird sie als autistische Autorin bezeichnet. Sie schreibt in einschlägigen Fachzeitschriften (O'Neill 1998, zit. nach Heyder 1999, S. 182) und für Autismus-Plattformen im Internet, u. a. für die ,,National Autistic Society", UK, wo sie über ihr Leben, ihre Diagnose und über ihren Umgang mit dem Autismus schreibt (vgl. O'Neill [16]). Hier bezeichnet sie sich auch als ,junge Frau mit starkem klassischem Autismus", als nicht-sprechend und manisch-depressiv. Zur Kommunikation, erklärt sie, schreibt sie in ,,hüb-
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sehen kleinen Buchstaben" oder benutzt eine Tastatur • (vgl. ebd.) Auch in der einschlägigen Autismus-Fachliteratur werden O'Neills Texte zitiert, um Aussagen über Autismus zu untermauern oder zu veranschaulichen (vgl. Slotta 2002, u. a. S. 29; Heyder 1999, u. a. S. 166). Diese Fakten sprechen für das reale Existieren der Person O'Neill, für die Authentizität ihrer Autismus-Diagnose und auch für ihre Fähigkeit, die Texte selbst verfasst zu haben. d) Art des Textes Der Text kann als Ratgeber für Nichtautisten zum Umgang mit Autisten verstanden werden. Es ist die nach Einzelaspekten des Lebens (Sinneswahrnehmung; Gefühle; Kommunikation; etc.) gegliederte Darstellung der Welt mit Autismus aus der Position einer Betroffenen um verschiedene Verhaltensmuster verständlich zu machen. Keine Einleitung.
Prince-Hughes, Dawn: Heute singe ich mein Leben. Eine Autistin begreift sich und ihre Welt Englische Originalausgabe und vorliegende deutschsprachige Ausgabe: 2004 a) Daten zur Person Dawn Prince-Hughes ist 1964 geboren. Sie wächst mit ihren jungen Eltern auf. Sie hatte viel Kontakt zu ihren Großeltern und einem Onkel. Diese gaben ihr Stabilität und Sicherheit, die sie bei ihren energiegeladenen Eltern manchmal nicht fand. Dawn besuchte Kindergarten und die Grundschule. Als sie zehn Jahre alt war, zog die Familie um in den Westen, die Eltern wollten "ins Ungewisse starten", dort lebten sie einige Jahre in einem Wohnwagen. Dawn musste Großeltern und Onkel sowie alle ihre Sachen und das Haus, das für sie ein "lebendiges Wesen" war, zurücklassen. (Williarns, 2004, S. 54 ft) Sie wechselte die Schule und fand wenig Anschluss. Dawn begann zu trinken . Mit dem Beginn der Highschool-Zeit wurde es auch nicht besser. Die Familie kaufte sich jetzt ein Grundstück und begann mit dem Hausbau. (ebd., S. 61) Mit 16 Jahren brach Dawn die Schule ab und zog von zu Hause aus. (ebd. S. 68 f) Schwierige Jahre begannen, in denen Dawn ziellos durchs Leben treibt. Erst durch die Begegnung mit den Gorillas eines Zoos begann sie sich selbst zu verste4\
Übersetzung der Verfasserin.
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hen, da sie im Verhalten der Gorillas Parallelen zu ihrem eigenen Verhalten fand. Sie bekam eine Anstellung im Zoo und begann Anthropologie zu studieren. Dawn lernt Tara kennen und führt mit ihr eine glückliche Beziehung. Erst durch die Asperger-Diagnose ihres Cousins wird Dawn klar, dass auch sie wahrscheinlich das Asperger-Syndrom hat und dass darin die Ursache für ihr Schwierigkeiten im Leben liegen. (ebd., S. 171) Als Dawn sich diagnostizieren lässt, ist sie bereits Mitte dreißig. (ebd., S. 175 t) Mit der offiziellen Diagnose wird für sie und ihre Familie vieles verständlich, was Dawns Verhalten und ihre Schwierigkeiten seit der frühen Kindheit betrifft. b) Authentizität der Diagnose Dawn Prince-Hughes hat eine offizielle Diagnose des Asperger-Syndroms, die bei ihr erst im Alter von sechsunddreißig Jahren gestellt wurde. (vgl. Prince-Hughes 2004, S. 34, S. 175) c) Authentizität der Person als Autor Zahlreiche Publikationen und Interviews von Dawn Prince-Hughes bestätigen diese als real existierende Person mit einer Autismus-Diagnose, sowie ihre Fähigkeit, die vorliegende Publikation ,,Heute singe ich mein Leben" 42 eigenständig verfasst zu haben. d) Art des Textes Bei dem Buch ,,Heute singe ich mein Leben" handelt es sich um eine Autobiographie, in der Dawn Prince-Hughes chronologisch ihr Leben erzählt, beginnend mit frühsten Kindheitserinnerungen bis zum Erwachsenenalter von etwa Mitte dreißig.
42 Unter anderem siehe: Radio-Interview für die Sendung .Living on Earth" 2004 mit Dawn PrinceHughes [9]; Artikel über Dawn Prince-Hughes (mit Hinweis auf Lesung) in Seattle Post Intelligencer 2004 [10]; eine Liste der Publikationen von Dawn Prince Hughes findet sich im Wikiped.ia-Artikel [11]).
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Schäfer, Susanne: Sterne, Äpfel und rundes Glas Erstveröffentlichung: 1996. Vorliegende Ausgabe: 2002 a) Angaben zur Person: Susanne Schäfer ist 1966 in Düsseldorf geboren. Sie wächst mit ihren Eltern und dem jüngeren Bruder mit Spitznamen Saaki auf. Der Vater wird als wankelmütig beschrieben. Trotz schwieriger Schulzeit maturiert Schäfer erfolgreich. Schäfer ist autistisch und leidet an Narkolepsie. Seit ihrer frühesten Kindheit ist sie fasziniert von der Astronomie. Sie lernt im Handumdrehen Norwegisch und schwedisch. Schäfer absolviert eine Ausbildung zur Feinoptikerin und Linsenkontrolleurin, womit sie eines ihrer Hobbies zum Beruf macht. Im Nachwort der 2. Auflage, das über ein Jahrzehnt nach der Erstauflage erschienen ist, wirkt Susanne abgeklärter und scheint ihre Syndrome von außen zu analysieren. Sie führt ihre Narkolepsie, sowie auch ihren Autismus und ihre anderen Syndrome auf eine Frühestkindliche Encephalitis lethargica zurück. Familienstand: k. a. b) Authentizität der Diagnose Zitat von Christopher Gillberg, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie (Göteborg), aus der Einleitung des Buches: ,,Das Buch über Susanne ist ein ungeheuer wichtiges Dokument. Es ist direkt von einem Menschen geschrieben worden. der von Kindheit an Autismus gehabt hat. Es ist nicht redigiert. nicht bearbeitet. Susanne gibt auf eine begreiflichere Weise als irgendein Lehrbuch einen tiefen Einblick dahinein, wie es ist, "Autismus" zu haben." c) Authentizität der Person als Autor Obwohl sie selbst deutschsprachig ist, hat Susanne Schäfer das Manuskript ursprünglich auf Norwegisch, für Prof. Christopher Gillberg, einen norwegischen Kinder- und Jugendpsychiater geschrieben. Auch die deutsche Übersetzung stammt von ihr persönlich. In den PC übertragen wurde das deutsche Manuskript von ihrer Mutter. Siehe auch Authentizität der Diagnose. d) Art des Textes Bei dem Buch "Sterne, Äpfel und rundes Glas" handelt es sich um eine Autobiographie. Der Text ist die chronologische autobiographische Erzählung 105
von der ersten Erinnerung als Kleinstkind unter 3 Jahren bis zu ihrer Arbeit im Erwachsenenalter. Mit einer Einleitung von Prof. Christopher Gillberg. Sellin, Birger: ich will kein inmich mehr sein. botschaften aus einem autistischen kerker Erstveröffentlichung & vorliegende Ausgabe: 1993 a) Angaben zur Person: Birger Sellin ist 1973 in Berlin geboren. Er wächst mit seinen Eltern, Annemarie & Dankward Sellin sowie seinem Bruder Jonas auf. Kindergarten: Integrationskindergarten Berlin/Friedenau. Beruf: Autor . Familienstand: ledig. b) Authentizität der Diagnose In der 53 Seiten umfassenden Einleitung, verfasst vom Herausgeber, dem Journalisten Michael Klonovsky, wird die Autismusdiagnose Birgers durch die Klinik der Berliner Freien Universität erwähnt. Sellins Texte werden in der einschlägigen Fachliteratur häufig zitiert und besprochen (vgl. u. a. Slotta 2002; Heyder 1999). c) Authentizität der Person als Autor Birger Sellin hat dieses Buch, wie auch das Folgewerk "ich deserteur einer artigen autistenrasse", mithilfe der Methode der gestützten Kommunikation (FC)43, von seiner Mutter gestützt am Computer getippt. 1995 zeigte eine Stern-TV-Reportage Birger Sellin in seinem Wohnurnfeld und auch beim gestützten Schreiben. d) Art des Textes Das Buch ist kein Fließtext im herkömmlichen Sinn, sondern besteht von Seite 67-211 aus gesammelten FC-Beiträgen Birgers, die sich größtenteils aus Kommentaren zu seinem Alltag, seinem Autismus und dem Umgang der Umwelt mit selbigem auseinandersetzen. Ausfiihrliche Einleitung durch den Herausgeber bis Seite 62.
43 Vgl. Fußnote 2. 106
Willey, Liane Holliday: Ich bin Autistin aber ich zeige es nicht. Leben mit dem Asperger-Syndrom Englische Originalausgabe: 1999. Vorliegende Ausgabe: Deutsche Erstausgabe 2003 a) Daten zur Person Liane Holliday Willey ist 1959 geboren. Liane wächst mit ihren Eltern auf. Sie besucht den Kindergarten, die Grundschule, das Gymnasium und anschließend die Universität. Dafür zog sie in eine große Universitätsstadt. Das Zurechtfinden in dieser Stadt sowie im großen Universitätscampus und auch das Anschlussfinden bei fehlender Anwesenheit und Unterstützung durch ihre Freunde und Familie bereiteten ihr Schwierigkeiten. Nach dem Studium zieht sie nach Houston und arbeitet als Dozentin an der Universität, später als Grundschullehrerin. Hier lernt sie auch ihren späteren Ehemann Tom kennen. Sie promoviert in Erziehungswissenschaften und lebt heute mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Michigan, USA wo sie als Hochschullehrerin arbeitet. Liane Willey gilt als eine der führenden Kapazitäten fürs Asperger-Syndrom. Zahlreiche Publikationen (sowohl Bücher als auch Beiträge in Journalen und Zeitschriften) zum Thema Asperger-Syndrom und Autismus-Spektrum sind von ihr erschienen. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift ,,Autism Spectrum Quarterly", Mitbegründerin einiger einschlägiger Gesellschaften und betreibt eine renommierte Webpage .aspie.com''. (vgl. Willey 2003, S. 3, Klappentext; "aspie.com" [6]; Wikipedia [7]) b) Authentizität der Diagnose Willey ist nie formal auf Asperger-Syndrom getestet worden. Erst als ihre Tochter die Diagnose Asperger-Syndrom erhält, von dem sie zuvor noch nie etwas gehört hatte, weiß sie, dass auch ihr eigenes .Anderssein" auf dieselbe Ursache zurückzuführen ist. (Willey 2003, S. 2, S. 13 , S. 134 ft) Die Authentizität der Diagnose ergibt sich auch aus Willeys oben dargestelltem Auftreten in der Öffentlichkeit und der allgemeinen Anerkanntheit der Diagnose auch durch Ärzte, wie etwa Dr. Tony Attwood.
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c) Authentizität der Person als Autor Liane Willeys zahlreiche Publikationen, teilweise in Zusammenarbeit mit Medizinern und anderen Co-Autoren belegen ihre Fähigkeit als Autorin des vorliegenden Buches. d) Art des Textes Beim vorliegenden Buch handelt es sich um Willeys Autobiographie. Diese ist chronologisch aufgebaut und beschreibt ihr Leben beginnend mit dem Alter von etwa drei Jahren bis zum Erwachsenenalter und dem Familienleben mit ihrem Mann und ihren drei Töchtern. Das Vorwort zum Buch stammt vom klinischen Psychologen Tony Artwood . Ein ausgedehnter Anhang (über 50 Seiten) bringt Informationen und Tipps zur erfolgreichen Lebensbewältigung für Asperger-Betroffene und auch deren Angehörige.
Williams, Donna: Ich könnte verschwinden wenn Du mich berührst. Erinnerungen an eine autistische Kindheit
Erstveröffentlichung: 1991. Vorliegende Ausgabe: 1994 a) Daten zur Person
Donna Williams ist 1963 in Melboume geboren. Sie wächst mit Eltern und ihrem älteren Bruder Willie Sie wächst unter schwierigen Familienverhältnissen auf. Ihre Mutter ist gewalttätig. Bruder Willie (älter), Tom (jünger) Beruf: Verkäuferin, Lageristin, Sekretärin, etc. Familienstand: Zur Zeit der Veröffentlichung des Buches vermutlich ledig, geht aber aus dem Buch nicht klar hervor. Seit 2000 ist Donna Williams mit Chris Samuel verheiratet und lebt heute in Australien. (Donna Williams [8]; Wikipedia [5]) Von Donna Williams gibt es weiteres publiziertes Material, z. B. "Wenn du mich liebst, bleibst Du mir fern. Eine Autistin überwindet ihre Angst vor anderen Menschen", 1994 im Hoffmann und Campe Verlag erschienen. In zahlreichen Fernsehdokumentationen war Donna Williams zu Gast. (Donna Williams [8])
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b) Authentizität der Diagnose Dr. Lawrence Bartak, Dozent für Psychologie und Sonderschulpädagogik, stellt im Vorwort des Buches fest, dass es eindeutig ist, dass Donna Williams autistisch ist und "alle Anhaltspunkte weisen klar auf die Tatsache hin, dass sie es von früher Kindheit an gewesen ist". (Williams 1994) c) Authentizität der Person als Autor Donna Williams hat das Manuskript eigentlich für sich selbst getippt um ihr Leben im Zusammenhang zu sehen, und zu sehen, dass ihr Leben ihr "gehört". Donna Williams hat in vier Femsehdokumentationen mit Bezug zu Autismus mitgewirkt, in zahlreichen weiteren trat sie als Gast auf. (Donna Williams [8]) d) Art des Textes Das Buch "Ich könnte verschwinden wenn Du mich berührst" ist Donna Williams Autobiographie, in der sie ihr Leben von den ersten Erinnerungen als Kleinstkind bis zur Studienzeit chronologisch darstellt. Das Buch enthält eine Einleitung von Dr. Lawrence Bartak, Dozent fiir Psychologie und Sonderschulpädagogik, Direktor des Elwyn Morey Kinderforschungszentrums, Monash University, Clayton, Australien.
Williams, Donna: Wenn Du mich liebst, bleibst Du mir fern. Eine Autistin überwindet ihre Angst vor anderen Menschen
Siehe Angaben zu ,,Ich könnte verschwinden wenn Du mich berührst. Erinnerungen an eine autistische Kindheit"
Zöller, Dietmar: Wenn ich mit Euch reden könnte. Ein autistischer Junge beschreibt sein Leben
Erstveröffentlichung: 1989. Vorliegende Ausgabe: 1991 a) Daten zur Person
Dietmar Zöller ist laut Angabe im "Untertitel" autistisch. Herkunft: Geboren in Sumatra (Indonesien) kehrten seine Eltern noch im ersten Lebensjahr nach Deutschland zurtick, wo er seither lebt. Beruf: k. A. Familienstand: 109
Ledig. Dietmar lebt zum Zeitpunkt des Verfassens mit seinen Brüdern Gernot und Rüdiger und seinen Eltern im Elternhaus. Besuch von Volkschule für Behinderte und Unterstufe, später Oberstufe im Fernstudium. (Quelle: Texte und Briefe im Buch) Dietmar gilt als "schwerer Fall" den seine Mutter durch eiserne Konsequenz dazu gebracht hat, sich zunehmend besser zu konzentrieren. Seine erste Mitteilung schrieb er mit 6 Jahren, im September 1976. Er ist 20 Jahre alt, als das Buch erstmals publiziert wird. b) Authentizität der Diagnose Das Vorwort hat Prof. Dr. Friedrich Specht verfasst, dessen Patient Dietmar Zöller über mehrere Jahre war. Dieser beschreibt den Autor als Autist und auch der Verfasser selbst bezeichnet sich ebenfalls als "autistisch Behinderter". Zöller ist auch in Selbsthilfe-Vereinen und Tagungen zum Thema Autismus aktiv. c) Authentizität der Person als Autor Die Texte wurden von Dietmar Zöller selbst handgeschrieben. Die Verfassung zahlreicher Publikationen, in denen sich der Autor mit dem Thema Autismus auseinandersetzt, sprechen fiir seine Authentizität als eigenständigen Autor. Zöller ist bei zahlreichen Autismus-Experten bekannt. In der einschlägigen Fachliteratur wurden seine Texte wiederholt referiert und besprochen (vgl. u. a. Slotta 2002; Heyder 1999). d) Art des Textes
Briefe, ergänzt von Gedichten (Zöller 1991, S. 124 ff., S. 150 ff.) und Tagebucheinträgen (ebd., S. 69).
Zöller, Dietmar: Ich gebe nicht auf. Aufzeichnungen und Briefe eines autistischen jungen Mannes, der versucht, sich der Welt zu öffnen Siehe Angaben zu "Wenn ich mit Euch reden könnte. Ein autistischer Junge beschreibt sein Leben"
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4.3.3 Auswahl des Untersuchungsmaterials 4.3.3.1
Die Auswahl der Autoren
Bei dieser Fülle an Lebensberichten von Menschen, denen man eine Störung aus dem Autismus-Spektrum zuschreibt'", und vor allem dieser Fülle an wunderbaren und wertvollen Informationen, die dem Leser darin geboten werden, fiel es schwer, anband formulierter Kriterien die zur Beantwortung der Fragestellung geeigneten Texte heraus zu filtern und die übrigen in der Analyse unberücksichtigt zu lassen. Dennoch war es nötig, um die Forschungsfragen gezielt beantworten zu können, und vor allem, um den Anforderungen der Wissenschaftlichkeit in der Untersuchung gerecht zu werden, bei der Auswahl der Autoren von einigen Grundbedingungen auszugehen. Geprüft wurde die Literatur also wie bereits dargestellt primär nach den drei Kriterien: 1) Hat der Autor nachweislich eine Störung aus dem Autismus-Spektrum? 2) Ist die Person mit Autismus tatsächlich alleiniger Verfasser des Textes? 3) Kann der Text zur Beantwortung der vorliegenden Fragestellung beitragen? Die untersuchten Texte sollen von Autoren verfasst sein, die eine verifizierbare autistische Störung haben und auch nachweislich die (alleinigen) Verfasser der Schriften sind. Weiters sollen die Texte zur Beantwortung der Fragestellung geeignet sein, was im Besonderen bedeutet, dass das Leben der Autoren neben der autistischen Störung keine weiteren stark aus der Norm fallenden Besonderheiten aufweisen soll. Es sollen Autobiographien sein, die, mit frühen Kindheitserinnerungen beginnend, chronologisch abgefasst sind und die wesentlichsten Lebensereignisse und -schnittpunkte beinhalten. Somit bleiben nur wenige Schriften übrig, die diesen Kriterien entsprechen. Autobiographisch aufgebaut nach eben beschriebenem Muster sind nur fol45 gende acht Werke : Axel Brauns' ,,Buntschatten und Fledermäuse" Gunilla Gerlands "Ein richtiger Mensch sein" Mary und Jerry Newports "Crazy in Love" Dawn Prince-Hughes' ,,Heute singe ich mein Leben" Katja Rohdes "Ich Igelkind" Die Liste der Rechercheergebnisse nach autobiographischem Textmaterial von Autoren, die von Autismus betroffen sind, findet sich im Literaturteil unter ,,Autobiographische Texte" auf Seite 200. 4S Für die Quellenangaben s. Kapitel?.! : ,,Autobiographische Texte". 44
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Susanne Schäfers "Sterne, Äpfel und rundes Glas" Liane Willeys "Ich bin Autistin - aber ich zeige es nicht" Donna Williams' "Ich könnte verschwinden, wenn Du mich berührst"
Katja Rohdes Buch "Ich Igelkind" (Rohde 1999) ist zwar im zweiten von drei Teilen als autobiographisch anzusehen, jedoch erfolgen die Erzählungen hier in loser zeitlicher Abfolge und eher bruchstückhaft. Die sehr poetischmetaphorischen Texte der Autorin vermitteln einen Einblick in Geschehnisse aus ihrer Kindheit und Jugend, entsprechen aber aufgrund der Strukturierung nicht den Kriterien :für die Auswahl der Analysetexte, da Szenen zeitlich schwer eingeordnet werden können und :für die Untersuchung nötige Sequenzen fehlen. Mary und Jerry Newport, ein Ehepaar aus Arizona, USA, haben beide das Asperger-Syndrom. Ihr Buch "Crazy in Love" (Newport 2005) konnte nicht berücksichtigt werden, da bei zwei Autorenfür wissenschaftliche Zwecke nicht ausreichend kenntlich gemacht wurde, welche Textstellen von welchem der beiden Autoren stammt und vor allem wie viel Einfluss der Herausgeber auf die Texte hatte. Die Bücher von Donna Williams (1992, 1996) wurden nicht herangezogen, da Donnas Aufwachsen, wie aus ihrer Autobiographie (Williams 1992) hervor geht, stark unter dem Einfluss ihrer außergewöhnlich schwierigen Familienverhältnisse stand. Obwohl Williams Texte bedeutend und facettenreich über Gedanken, Empfmdungen und das Welterleben eines Menschen mit Autismus referieren, kann dennoch ein Einfluss dieser belastenden äußeren Umstände auf Donnas emotionales Empfinden - besonders im Zusammenhang mit der von ihr beschriebenen emotionalen Abgestumpftheit - nicht restlos ausgeschlossen werden. Zur Untersuchung des spezifischen Emotionserlebens von Menschen mit Autismus musste also darauf verzichtet werden. Genau wie bei Williams war auch bei Susanne Schäfer und ihrem "Sterne, Äpfel und rundes Glas" (Schäfer 1997) das Problem der zusätzlichen aus der Norm fallenden Besonderheiten in ihrem Leben ausschlaggebend, ihre Texte nicht zu analysieren: Schäfer hat neben der Autismusdiagnose auch die Diagnose Narkolepsie (umgangssprachlich oft als "Schlafkrankheit" bezeichnet). Da dieses Faktum zusätzliche Einschränkungen und außergewöhnliche Erfahrungen bedeutet, musste das Buch aus der engeren Auswahl herausgenommen werden. Daraus ergab sich das Heranziehen der vier Texte: Axel Brauns: "Buntschatten und Fledermäuse", Gunilla Gerland: "Ein richtiger Mensch sein", Dawn Prince-Hughes: "Heute singe ich mein Leben" und Liane Willey: "Ich bin Autistin - aber ich zeige es nicht" zur Analysefür das vorliegende Forschungsvorhaben.
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4.3.3.2 Auswahl der zu analysierenden TextsteIlen Im Zuge der Beschäftigung mit dem vorhandenen Textmaterial stellte sich heraus, dass die Autobiographien im Durchschnitt einen Umfang von etwa 200 bis fast 400 Seiten hatten und es war klar, dass zur Analyse aus jeder Autobiographie eine geeignete Textauswahl getroffen werden musste. Die Entscheidung, welche TextsteIlen und nach welchen Kriterien diese ausgewählt werden sollten, gestaltete sich als schwieriger Prozess. Es galt, Auswahlkriterien für Szenen zu definieren, die für jede der Autobiographien geeignet sind und deren gemeinsames Resultat das emotionale Leben der Betroffenen am besten repräsentiert. So sollten verschiedene Lebensphasen vertreten sein, von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Die emotionsträchtigsten Szenen herauszunehmen wurde angedacht, doch es sollte nicht zu viel subjektiver Ermessensspielraum der Autorin gegeben sein, um nicht unbeabsichtigt bei der Auswahl den Blick verstärkt auf positiv oder negativ besetzte Emotionserlebnisse lenken zu können. Auch ausschließlich Schlüsselereignisse zu analysieren wurde nicht als ideal befunden, da dem Emotionsleben im Alltag ein großes Augenmerk zugesprochen wird. So ergab sich das Resultat, aus jeder der Biographien eine Kombination aus Alltäglichem und Schlüsselereignissen zur Analyse auszuwählen, und zwar nach folgendem Muster: 1) Den Beginn der Autobiographien bildet bei allen gewählten Büchern ein einführendes Kapitel zu ersten Erinnerungen und der frühen Kindheit mit einer meist detaillierten Beschreibung der Wahrnehmung und Auffassung der Welt mit Menschen und Dingen. Die Texte dieses Kapitels sollen die erste Sequenz bilden. 2) Als einschneidendes Ereignis bildet der Eintritt in den Kindergarten die zweite biographische Sequenz, die analysiert werden soll. Er stellt als erster Institutionswechsel den Übergang von ausschließlich privatem, familiärem Umfeld zum ersten öffentlichen Lebensraum im Leben des Kindes dar. 3) Der Schuleintritt bedeutet eine ebensolche Schnittstelle im Leben, die als Übertritt von der behüteten und liberaleren Situation im Kindergarten zu den geregelten, engeren Strukturen der Schulsituation, wie der Eintritt in den Kindergarten große Anpassung erfordert. (vgl. dazu Faller & Verres, 1990, S. 720 f) Er soll als dritte Textstelle zur Analyse herangezogen werden. 4) Als Repräsentation der Adoleszenz bzw. Pubertät wurde das Alter von sechzehn Jahren gewählt. Diese Zeit der Pubertät wird als emotional sensible Phase angesehen. (vgl. Geppert & Heckhausen 1990, S. 115) Die biographischen Darstellungen bezogen auf dieses Alter sollen als ereignisneutraler aber emotional interessierender Abschnitt die vierte Analyseeinheit bilden.
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5) Ein erstes Erlebnis des Verliebtseins oder des partnerschaftliehen Interesses wird als fünfte Sequenz ausgewählt. Diese im Normalfall emotional besetzte Erfahrung kann als wichtiges Ereignis in der Entwicklung eines Menschen betrachtet werden und ist aus diesem Grund für die Untersuchung von Interesse. 6) Das letzte Kapitel jeder Autobiographie behandelt das (frühe) Erwachsenenalter und reflektiert dabei in unterschiedlicher Deutlichkeit über bisher Erreichtes auch in Hinblick auf Veränderungen im Zurechtkommen mit der autistischen Wahrnehmung. Dieser meist resümierende Abschnitt dient als sechste und letzte Analysesequenz. Jede dieser sechs biographischen Abschnitte ist in allen vier gewählten Publikationen vorhanden, sodass jeweils eine entsprechende Textstelle aufgefunden werden konnte. Bei großem Umfang wurde der Textabschnitt auf eine angemessene Seitenanzahl begrenzt, um den Umfang der Analyse nicht zu sprengen (vgl. dazu Kemmler 1991, S. 29 46 ) und die Abschnitte annähernd komparabel zu halten.
4.3.4 Kritische Betrachtung zum Forschungsgegenstand Die wissenschaftliche Legitimation der Verwendung autobiographischer Texte wurde in Kapitel 4.1.1 ausführlich dargestellt, hier soll nun kritischen Fragen Raum gegeben werden.
1) 1st die Untersuchung publizierter autobiographischer Texte wirklich als Emotionsanalyse oder eher als Analyse eines literarischen Textes anzusehen? Publizierte Texte werden entweder vom Verfasser bereits im Bewusstsein der Öffentlichmachung geschrieben oder aber von diesem im Nachhinein dafür abgesegnet, was möglicherweise inkludiert, dass er die Texte zuvor einer Revision unterzieht und dabei gewisse Änderungen einiger Textabschnitte in Hinblick auf die Veröffentlichung vornimmt. Jedes Textmaterial, das vom Verfasser zur Publikation bestimmt wird, verfolgt die Absicht, Aussagen und Ansichten der Öffentlichkeit zu vermitteln und transportiert dabei bestimmte Bilder. In der vorliegenden Untersuchung der pubKemmler et al. beschreiben den großen Arbeitsaufwand, den die inhaltsanalytische Untersuchung mittels dem von ihnen entwickelten Kategoriensystem bedeutet und referieren die dadurch begründete Wahl eines begrenzten Ausschnittes als Auswahleinheit der Untersuchung.
46
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lizierten autobiographischen Texte sind es daher in jedem Fall diese transportierten Bilder, die analysiert werden. Ob diese Bilder nahe an der Wirklichkeit liegen oder nicht, ob die Intention des Autors es ist, das Leben mit Autismus so wirklichkeitsnahe wie möglich darzustellen, um unverfälscht Einblick in das Leben mit diesem Spezifikum zu geben, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Es ist denkbar, dass - zum Teil unbewusst - gewisse "Verschönerungen" vorgenommen wurden, wenn die Priorität des Verfassers eher darin lag, einen gelungenen Umgang mit dem Handikap vorzustellen und dabei negativen Erlebnissen und Emotionen wie Verzweiflung, Wut und Traurigkeit in den autobiographischen Darstellungen wenig Platz gegeben wurde. Im Gegensatz zu privaten Tagebuch-Texten, Lebensgeschichten und ähnlichem kann veröffentlichtes autobiographisches Textmaterial, als literarisches Datenmaterial angesehen werden. Bei der Betrachtung der Ergebnisse, die aus der Analyse solcherart gewonnener Daten erzielt wurden, ist dies stets zu beachten. Obschon auch in jedem privaten Tagebuch und vor allem bei jedem Interview Verfälschungen in die vom Individuum gewünschte Richtung vorhanden sein können, sind Daten aus publizierter Literatur noch einmal anders zu betrachten. Denn als Verlagsprodukte können sie außerdem auch einer Kontrolle und Bearbeitung durch den herausgebenden Verleger unterzogen worden sein. Die vorliegende Untersuchung der autobiographischen Texte kann daher in diesem Sinne als Literaturarbeit angesehen werden. Da aber die Auswahl der analysierten Texte für die vorliegende Arbeit nach 47 strengen wissenschaftlichen Kriterien erfolgt ist , sind derartige Fehlerquellen, die über die für jede Untersuchung von Eigenaussagen (Interviews, Selbstein48 schätzungen etc.) üblichen möglichen Verfälschungen hinausgehen, weitgehend auszuschließen. Die erzielten Ergebnisse sind unter Berücksichtigung der Besonderheiten solchen Materials für die Beantwortung der vorliegenden Forschungsfrage wissenschaftlich zulässig und aussagekräftig.
2) Handelt es sich bei den analysierten autobiographischen Texten (als publiziertes Material) tatsächlich rein um die "Aussagen" der von Autismus betroffenen Menschen, oder ist ein Einfluss des Verlegers oder anderer mit der PublikaZum Beispiel lässt die Feststellung, dass die Buchautoren der analysierten Publikationen sich selbst in Gesprächen und Interviews wiederholt auf ihre veröffentlichten Autobiographien beziehen und hinter den Aussagen des Buches stehen, darauf schließen, dass keine wesentlichen Veränderungen durch den Verlag erfolgt sind. 48 Stichwort: "GejUhle können nur untersucht werden, wenn das Individuum irgendeine Auskunft darüber gibt" . (Schmidt-Atzert 1996, S. 86) 47
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tion befassten Personen (z. B. Herausgeber, Übersetzer) denkbar? Besonders bei jenen Publikationen, die aus anderen Sprachen ins deutsche übersetzt wurden, könnte mit einer Verfälschung der Originalaussagen der Betroffenen zu rechnen sein. Bei publizierten Texten ist es prinzipiell möglich, dass der Verlag die Texte begutachtet und dabei gewisse Änderungen vorgenommen hat. Wie oben besprochen, sind solche Einflussfaktoren nicht auszuschließen. Die ausgewählten Texte aber wurden einer strengen Prüfung unterzogen, mit der Absicht, alle denkbaren Fehlerquellen weitgehend auszuschließen oder zu minimieren. Da die Autoren der zur Analyse ausgewählten Bücher zum Teil wiederholt in Fernsehen und Radio aufgetreten sind und sich in Interviews und Diskussionen bei Aussagen auf die Publikationen bezogen haben und hinter ihnen als ihren Autobiographien stehen, ist nicht davon auszugehen, dass maßgebliche sinnentfremdende Veränderungen getroffen worden sind. Dennoch ist jedes aus der Analyse dieser Texte erzielte Ergebnis primär auf die Darstellungen in den autobiographischen Büchern zu beziehen und kann nicht per se als Faktum angesehen werden. Da zur Analyse, aufgrund der zur Zeit der Recherche geringen Stückzahl deutschsprachig verfasster Autobiographien von Menschen mit Autismus, auch solche hinzugezogen wurden, die von Dolmetschern aus anderen Sprachen ins Deutsche übersetzt wurden, muss natürlich auch ein Einfluss dieses Umstandes auf die Validität der erzielten Ergebnisse hinterfragt werden. Gerade im Bereich "Emotion" gibt es einige Begriffe, die nicht eins zu eins von einer Sprache in die andere übertragen werden können. Zur angemessenen, sinngetreuen Übersetzung bedarf es hier eines Feingefühls für Sprache und für Sinnzusammenhänge. Die ausgesuchten Publikationen sind in renommierten Verlagen erschienen. Man kann davon ausgehen, dass deren Dolmetscher versiert sind und daher auch bezüglich der Emotionsbegriffe auf anerkannten Übersetzungskonsens zurückgreifen.
3) Abgesehen von der Frage (die jeder Emotionsanalyse, die auf Aussagen der untersuchten Person basiert, innewohnt), ob der erzählenden Person der Gesamtumfang ihrer Emotionen wirklich bewusst ist und sie diese dann im Text tatsächlich so darstellen kann, wie sie erlebt werden, ist es auch nicht gesichert, ob bei der erzählenden Person die Intention besteht, die tatsächlich empfundenen Emotionen in ihrem vollen Umfang und unverändert mit zu teilen.
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Die erste Frage, ob bei der erzählenden Person ein Bewusstsein bezüglich ihrer Emotionen herrscht, auf dessen Basis sie erst in der Lage ist, diese in der Erzählung darzustellen, ist schnell beantwortet: Es gibt Menschen, die berichten mehr emotionales Erleben, andere weniger. Das führt zu der Frage, ob letzteren ihre Emotionen weniger bewusst sind, oder ob sie weniger Emotionen erleben. Nach Merbaum & Kazaoka (1967, zit. nach Schmidt-Atzert 1980, S. 14) gibt es so genannte .Repressoren", die bezogen auf ihr Erleben weniger Emotionsworte verwenden, weniger Angst und Stress referieren und eher positive Emotionserlebnisse nennen, als dagegen die so genannten Sensitivierer. Ob hier Emotionen verdrängt werden oder ob lediglich die Schwelle der Emotionswahrnehmung bei diesen Menschen höher ist, sie also tatsächlich weniger Emotionen empfinden, oder ob sie ihre internen Informationen weniger nutzen als andere, ihnen die Emotionen also weniger bewusst sind, ist dabei nicht geklärt. Die Vermutungen variieren zwischen den Forschern. (vgl. Schmidt-Atzert 1980, S. 15) Für die vorliegende Forschungsarbeit werden darin aber keine Störvariablen gesehen. Es geht hier um die Untersuchung der empfundenen - also gleichsam der bewussten - Emotionen. Das Ziel der Untersuchung ist festzustellen, welche Emotionen das Leben der Betroffenen prägen, welche im persönlichen Erleben vorrangig sind. Theoretisch eventuell vorhandene, jedoch nicht im Empfinden wahrgenommene, vielleicht verdrängte Emotionen sind nicht das vorrangige Ziel dieser Forschung. Es ist allerdings ebenso denkbar, dass, je nach Persönlichkeit oder Situation, bloß die Bereitschaft zur Mitteilung der erlebten Emotionen variiert. Bei Mitteilung der eigenen Emotionen kann man sich auf mehrerlei Arten selbst schaden: Man kann das Bild, das andere von einem haben, prägen. Wenn man auch solche Emotionen schildert, die in unseren Normvorstellungen als "inadäquat" angesehen werden, prägt man ein negatives Bild. Schmidt-Atzert nennt die Normvorstellungen: "ein Mann hat keine Angst" und "eine Frau darfin der Öffentlichkeit nicht wütend sein" . (Schmidt-Atzert 1980, S. 171) Ganz allgemein gelten in unserer Kultur Emotionseigenschaften wie "tapfer", "mutig", "fröhlich" als anerkannt und gut, hingegen gelten "ängstlich", "aggressiv", "feig" etc. als negativ. Außerdem räumt man durch die Mitteilung seiner Gefiihle anderen eine Urteilsfähigkeit und damit eine gewisse Macht über sich selbst ein. Es macht verletzlich, wenn andere über persönliche emotionale Erfahrungen und emotionsauslösende Situationen Bescheid wissen. ,,Durch Schweigen, unwahre Angaben oder zumindest Abschwächungen können solche Nachteile vermieden oder sogar Vorteile herbeigeführt werden." (Schmidt-Atzert 1980, S. 18) Die Bedingungen,
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in der die Emotionen kommuniziert werden, sind bedeutend für die Bereitschaft, diese offen und ohne Täuschung darzustellen. (Schmidt-Atzert ebd., S. 20) Das Vorhaben der Veröffentlichung könnte einerseits gewisse Täuschungsintentionen verstärken - man möchte sich positiv darstellen, in den vorliegenden Fällen zeigen, dass man einen gelungenen Umgang mit dem Spezifikum des Autismus hat. Es könnte aber auch eine ganz andere Intention eine Rolle spielen, nämlich jene, anderen Betroffenen und auch deren Mitmenschen zu helfen, die Probleme zu sehen, die sich in Bezug auf den Autismus im Leben ergeben und dabei sowohl geeignete, als auch gescheiterte Überwindungsstrategien aufzuzeigen. Die Autoren könnten vom Wunsch geleitet sein, das Leben mit Autismus mit all seinen Problemen darzustellen, welches sie dennoch gemeistert haben und nicht gescheitert sind. Klicpera referiert eine Untersuchung von Sigman (1995, zit. nach Klicpera 2002, S. 118 t), nach der ältere Kinder mit Autismus beim Anschauen von emotionalen Video sequenzen häufiger einen emotionalen Ausdruck zeigen und den Ausdruck ihrer Gefühle weniger verbergen als nicht-autistische Kinder . Sigman bringt diese Erkenntnis mit dem allgemeinen Sozialverhalten der Kinder mit Autismus und dem Kennen von sozialen Normen in Verbindung. Abschließend ist zu sagen, dass es selbstverständlich ist, dass diese Untersuchung eine Untersuchung der Bilder ist, die die Betroffenen der Öffentlichkeit von sich mitteilen und als solche sind auch die Ergebnisse zu verstehen. Eine weitreichende Konkordanz zu ihrem tatsächlichen Emotionsleben kann aber aufgrund der angefiihrten Überlegungen als sehr wahrscheinlich angesehen werden und Rückschlüsse auf Möglichkeiten einer emotionalen Erlebensweise im Leben mit Autismus sind in diesem Bewusstsein daher zulässig.
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4.4 FORSCHUNGSDESIGN DER VORLIEGENDEN UNTERSUCHUNG
4.4.1 Die Methode Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine empirische Forschungsarbeit zur Untersuchung des emotionalen Geschehens in autobiographischen Texten von Menschen mit Autismus. (vgl. Kemmler 1991, S. 15 f) Methodisch wird dabei nach dem von Kemmler et al. (1991) entwickelten Untersuchungsinstrument vorgegangen. Die methodischen Vorgaben dieser so genannten "qualitativ orientierten, quantifizierenden Inhaltsanalyse" (vgl. Schmitt & Mayring 2000, S. 469 ff) ermöglichen es, theoriegeleitet anband eines Kategoriensystems, emotionales Geschehen in Texten aufzufmden und zu untersuchen und verbinden dabei quantitative Elemente mit einer qualitativen Betrachtung. (vgl. Schmitt & Mayring 2000, S. 472) Neu ist die Übertragung dieses Verfahrens aufpubliziertes autobiographisches Textmaterial, die wissenschaftliche Berechtigung dazu wurde in Kapitel 4.1 ausführlich belegt. Da die Vorgaben, die sich aus dem Analyseschema von Kemmler et al. ergeben, eng sind, ist es nicht erforderlich, eine alternative Auswertungsmethode heranzuziehen, die Resultate ergeben sich aus den gewerteten Kategorien und werden den Unterpunkten der Fragestellung folgend herausgelesen und anschließend diskutiert. Quantitative Berechnungen stellen einen Teil des Weges zur Beantwortung der Fragestellung dar. Keinesfalls sollen aber Zahlen und Tabellen den qualitativen Blick auf die beforschten Phänomene überlagern und dabei von wesentlichen Inhalten der Ergebnisse ablenken. Der qualitativen Betrachtung der errechneten Ergebnisse wird große Bedeutung beigemessen und daher in der ErgebnisDiskussion ausreichend Raum gegeben.
4.4.2 Methodisches Vorgehen Zur Analyse des Emotionserlebens von Menschen mit Autismus wurden die publizierten autobiographischen Texte von vier Autoren mit Autismus (respektive einer Störung aus dem autistischen Spektrum) herangezogen''. Aus jeder 49 Brauns, Axel: Buntschatten und Fledermäuse. Mein Leben in einer anderen Welt; 2. Auflage 2004; Goldmann Verlag, München 2002 Gerland, Gunilla: Ein richtiger Mensch sein. Autismus - das Leben von der anderen Seite; Verlag Freies Geistesleben; Stuttgart 1998 Prince-Hughes, Dawn: Heute singe ich mein Leben - Eine Autistin begreift sich und ihre Welt; Marion von Sehröder Verlag; München 2004
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dieser Autobiographien wurden jene sechs Textstellen herausgesucht und analysiert, die die folgenden biographisch und pädagogisch bedeutsamen Lebensabschnitte thematisieren: (1) Anfangssequenz der Autobiographie mit Schilderungen aus der frühen Kindheit (,,Anf') (2) Eintritt in den Kindergarten (,,Ki") (3) Schuleintritt ("Schu") (4) Alter von 16 Jahren (,,16J") (5) Beschreibung eines ersten Verliebtheitsgefiihles oder Beziehungserlebnisses ("Bezieh") (6) Darstellung der Lebenssituation im Erwachsenenalter u.lod. Resümee über das Leben mit Autismus ("Jetzt") Tabelle 5: Textstelle aus "Ich bin Autistin - aber ich zeige es nicht" von Liane Willey (2003, S. 33), in Sinneinheiten gegliedert Unter meinem Bett gab es eine wunderbar symmetrische Nische, die von dem Brett an meinem Kopfende gebildet wurde. Die Nische war weniger als einen Meter lang und nur wenig mehr als einen halben Meter breit. In ihr konnte ich immer zu mir finden. Wenn etwas für mich zu verwirrend oder zu laut war oder ich zu sehr abgelenkt wurde, wenn ich mir ganz zerfasert vorkam, dann wusste ich, dass ich in meine Nische kriechen konnte. Ich konnte mich da hineinzwängen, bis ich mir wieder ebenso symmetrisch und rechteckig vorkam wie meine Nische. Ich quetschte meine Knie ein und sammelte meine Gedanken wieder in meinen Knochen, so dass sie ihre Flucht durch meine Adern beenden und tlir eine Weile ruhen konnten. Ich steckte mir meine Zeigefinger in die Ohren und verschloss sie somit. Ich biss mir auf die Zähne, kniff meine Augen zusammen und ließ mich in der so entstandenen Ruhe treiben.
Daraus ergeben sich 24 analysierte Textstellen aus autobiographischen Texten, jeweils sechs von jedem der vier Autoren. Jede dieser Textsequenzen umfasst zwischen 3 und 14 Buchseiten (bezogen auf die Publikationen), das ergibt 30 bis fast 50 Seiten pro Autor und 176 Buchseiten gesamt. Willey, Liane H.: Ich bin Autistin, aber ich zeige es nicht. Leben mit dem Asperger-Syndrom; Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2003
120
Tabelle 6: Sinneinheiten der analysierten Texte pro Autor und Textstelle Autor Axel
Daw
Gun
Liane
GES.
Sequenz
Buchselten
SInneInheiten
Ant Ki Schu 16J Bezieh Jetzt SUMME
5 3 8 9
140 73 148 185 299 195 1040
Ant Ki Schu 16J Bezieh Jetzt SUMME Ant Ki Schu 16J Bezieh Jetzt SUMME Ant Ki Schu 16J Bezieh Jetzt SUMME SUMME
14
9 48
6 4,5
7 4
12 33.5
79 42 31 105 64 183
404
9 7
6,5 6,5 5,5 14 48.5
144 133 120 126 103 227 853
16
324
9 8
156 112 217 809 3106
13 46 176
Das Forschungsvorgehen besteht darin, die ausgesuchten Textpassagen nach Aussagen mit emotionalem Gehalt zu untersuchen, diese im Sinne der von Kemm1eret al. (1991, S. 28) entwickelten Kategorien (s. Kap. 4.2) zu identifizieren und gemäß der in Kapite13.2 dargestellten Fragestellung zu diskutieren. Dazu wurden die Texte nach Vorgabe von Kemmler et al. in so genannte Sinneinheiten unterteilt (vgl. Kemm1er et al. 1991, S. 27 ff sowie Kap. 4.2.3, S. 86 der vorliegenden Arbeit), wobei die meisten Sinneinheiten einem Satz entsprechen. 121
Als Beispiel findet sich in Tabelle 5 ein Textausschnitt aus der Autobiographie von Liane Willey, der anhand des dargestellten Schemas in sieben Sinneinheiten geteilt wurde. Es wurden nach diesen Vorgaben insgesamt 3106 Sinneinheiten nach ihrem emotionalen Gehalt analysiert, rund 800 Sinneinheiten pro Autor. (s. Tabelle 6) 4.4.3 DerAnalyseprozess 4.4.3.1
Allgemeines
Die anhand des Kategoriensystems von Kemmler et al. (1991) aufgefundenen, emotional getönten Inhalte liefern umfangreiches Material zur Beantwortung von Fragen rund um das Emotionserleben von Menschen mit Autismus. Es galt nun, sich auf das Wesentliche im Zusammenhang mit der vorliegenden Forschungsfragestellung zu konzentrieren und von weiteren Aspekten, die herauszuarbeiten möglich gewesen wären, bis zu einem eventuell weiteren Forschungsvorhaben, das den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde, abzulassen. In diesem Zuge wurde - der Forschungsfragestellung entsprechend - beschlossen, sich vorwiegend auf jene emotionsgetönten Aussagen zu beziehen, in denen die vorhandene Emotion explizit durch ein Emotionswort ausgedrückt wird, da das analytische Handling sich bei diesen am klarsten darstellt und da man auch bei den Emotionen, die in der Beschreibung des Erlebnisses direkt benannt werden, von einer größeren Bedeutung für den Autor ausgehen kann, sich also so die relevantesten Emotionssituationen auffinden lassen. 4.4.3.2
Die Liste der Emotionswörter
Die Abgrenzung zwischen Emotion und Nicht-Emotion, die - wie im einleitenden Theorieteil ausführlich geschildert - nicht eindeutig ist und von Autor zu Autor an einer anderen Stelle und mit unterschiedlichen Schwerpunkten angesetzt wird, erfolgte für die vorliegende Arbeit nach den expliziten Vorgaben von Kemmler et al. Für die Verwendung des von ihnen entwickelten Kategoriensystems stellten diese eine Liste von 97 Emotionsbegriffen zu Verfiigung, die sowohl substantivisch als auch adjektivisch, adverbial oder in Verbform auftretend, sowie auch in Zusammenkunft mit Vorsilben und in antonymer Form (UnruheRuhe) auftretend als Emotionsnennung gewertet werden sollen. Diese Liste wurde für die vorliegende Arbeit um wenige Emotionswörter ergänzt, die im Zusammenhang mit den Texten von Menschen mit Autismus von besonderer Be122
deutung sind. Es handelt sich dabei um die Begriffe: Befriedigung, Nähe, Verwirrtheit. Befriedigung wurde in die Liste der Emotionsbegriffe aufgenommen. Sie tritt in Folge von meist sehr speziellen und dringenden Wünschen, im Sinne einer Gefühlsstabilisierung überschießender Gefühle auf. Für die untersuchte Personengruppe hat sie eine besondere Bedeutung, die vor allem auch emotional besetzt ist und über das vorrangig Körperliche hinausgehen. (vgl. Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 28 sowie S. 24) Diese Wünsche und Bedürfnisse, die als Zwänge oder Stereotypien auftreten und dringend Befriedigung suchen, spielen im Leben von Menschen mit Autismus oft eine bedeutende Rolle: Sie sind zur inneren Stabilität und zum emotionalen Gleichgewicht notwendig, und eine nicht erreichte Befriedigung kann mit Unruhe, Angst und Panik, sogar mit dem Gefühl der Lebensbedrohung verbunden sein. (vgl. z. B. Gerland 1998, S. 18) Die Befriedigung derselben wiederum gibt diese Sicherheit zurück und kann zu einem Gefühl der Erleichterung, Ruhe und Zufriedenheit, oder sogar zu Vergnügtheit, Hochstimmung und Lust führen. Befriedigung zu erfahren ist also bei Menschen mit Autismus fast immer emotional. Man könnte Befriedigung als Emotion am Weg zwischen vergangener Unruhe und erreichter Zufriedenheit definieren. Für die vorliegende Arbeit wurde sie daher als der Zufriedenheit ähnliche Emotion mit dem Prozesscharakter des Erreichthabens aufgenommen. Empfundene Nähe ist als Gefühl beinahe Synonym von Zuneigung, gepaart mit Vertrauen. Man könnte den so verwendeten Begriff auch als Metapher fiir eine dieser Emotionen ansehen. In der vorliegenden Arbeit ist er direkt in die Liste der Emotionsbegriffe aufgenommen worden. Verwirrtheit ist dem Normalverständnis nach keine Emotion, sondern eher ein Denkzustand (von meist kurzer Dauer). Für Menschen mit Autismus aber hat Verwirrtheit eine andere, größere Bedeutung. (vgl. dazu auch KJicpera und Innerhofer 2002, S. 168 f) Verwirrtheit ist ein Zustand, der direkt auf die erfolgte Auseinandersetzung mit der Welt folgt und auch alle weiteren Definitionsmerkmale fiir Emotion sowohl von Kemmler et al. (1991) als auch von Scherer (1990) aufweist: subjektives Erleben des Verwirrtheitsgefühls, mit gefühlsgetönten Gedanken und daraus resultierenden spontanen Verhaltensweisen und körperlichen Reaktionen einhergehend. Ähnlich der Verzweiflung, stärker als Verwunderung, und oft verbunden mit Angst reiht sie sich bei Menschen mit Autismus in die Liste der Emotionsbezeichnungen und würde fehlen, wenn sie in der vorliegenden Untersuchung nicht gewertet würde.
123
4.4.3.3
Metaphern und spezifische Emotionsausdrücke einzelner Autoren
Neben einigen sehr eindeutigen Metaphern gibt es viele metaphorische Wendungen, denen man keine eindeutige Emotion zuordnen kann. Nicht selten ergibt sich jedoch eine Zuordnung aus dem Zusammenhang oder durch eine Emotionsnennung wenige Sinneinheiten vor der gefragten metaphorischen Figur. Es ergibt sich jedoch eine Zuordnung oft aus dem Zusammenhang oder anhand einer Emotionsnennung wenige Sinneinheiten vor der gefragten Figur. Einige Wörter, die in der Emotionswort-Liste von Kemmler et al. (1996) keinen Platz finden, und in den analysierten Texten oft wie beschrieben Zuordnung fanden, sollen hier angefiihrt werden. Auch gewisse Regelmäßigkeiten zu gewerteten oder nicht gewerteten Ausdrücken, die sich im Laufe der Beschäftigung mit dem Textmaterial ergaben, sind darunter: • Der Ausruf ,,Hilfe!" ist als Emotion Angst zu werten. • Verdutzt oder verblüfft sein, wird - wenn es nach der Kategorienwertung emotional besetzt ist - als Emotion "Verwunderung" gewertet. • "Wehmut" wird als Traurigkeit gezählt. • .Schmerz" ist zwar ein Emotionswort nach Kemmler et al. (1996), wenn der Bezug aber ein körperlicher ist, soll "Schmerz" nicht als Emotionswort gewertet werden. • Obwohl die Phrase "zum Glück" das Emotionswort Glück enthält, ist sie als Redewendung mit Floskelcharakter anzusehen und nicht zu zählen. • Wenn von ,,Depression" gesprochen wird, ist die Sinneinheit als Emotionswort-Kategorie zu werten mit dem Emotionswort "Traurigkeit". • ,,Mögen" und ,,gerne haben" kann als Emotion ,;Zuneigung" gewertet werden, wenn die Sinneinheit nach Kemmler et al. (1996) emotionalen Gehalt hat. • Bei ,,sich kränken" oder dem Wort ,,Kränkung", wird "Traurigkeit' gewertet. • Beachten: ,,Liebe" wird zwar immer als Emotionswort gezählt, steht jedoch in den meisten Fällen in Zusammenhängen, in denen es synonym fiir ,,sehr gerne haben" erscheint, was keine Emotion wäre. Weiters gibt es in den analysierten Texten Wendungen, die von den Autoren metaphorisch-symbolisch eine bestimmte Erlebnisqualität ausdrücken. Gehäuft sind diese symbolischen Ausdrücke oder Phrasen bei Axel Brauns anzutreffen. Wenn sich eine solche Phrase in den ausgewählten Textstellen wiederholt und in den Zusammenhängen erkenntlich ist, um welche Erlebnisqualität es sich handelt, wurde in bestimmten, definierten Fällen die symbolisierte Emotion in der
124
Auftretensart ,,Metapher" gewertet, auch wenn es sich um keine im allgemeinen Sprachgebrauch übliche rhetorische Figur handelt. Bei Axel Brauns waren das mehrere Phrasen, die als Wohlempflnden gewertet wurden. .Besee" bzw. "beseegut" ist so ein Ausdruck, Axe1 meint damit .Baiser", seine liebste Süßspeise in der frühen Kindheit. Dieser Genuss hat ihm sehr viel bedeutet und in seinem jungen Leben einen hohen Stellenwert eingenommen. (vgl. Brauns 2004, S. 22 fl) Später, wenn er von etwas erzählt, das bei ihm ein ähnlich gutes Gefühl ausgelöst hat, schreibt er .besee - besee - besee", daher wird in diesen Sinneinheiten eine Metapher für die Emotion Wohlempfinden oder - je nach Situationszusammenhang Zufriedenheit gewertet. Die Wendung, ein Wort dreimal hintereinander mit Bindestrichen verbunden zu schreiben, bedeutet bei Axel Brauns ganz allgemein Gutes. Als Beispiel sei eine Episode aus Brauns (2004, S. 78) vorgestellt: "Überglücklich hielt ich mich an meinem Geschenk fest. Meine Blicke strichen über die bunten Verzierungen, meine Blicke genossen das Glitzern der goldbetupften Hülle, meine Hände drückten sacht auf die Wandung der Schultüte, und verstohlen presste sich meine Nase an den Tütenrand, spürte den rauen Stoff und schnupperte am Duft der Süßigkeiten. Jetzt roch ich es auch: Dieser Augustmorgen war etwas Besonderes. 'Schultüte - Schultüte - Schultüte ', " Mit solchen Drei-Wort-Wiederholungen (wie hier "Schultüte") drückt Axel Brauns immer sehr angenehme Gefühle aus und werden daher als Emotion " Wohlempfinden " gewertet. Ebenso für sehr angenehme Gefühlserlebnisse verwendet Axel Brauns den selbst kreierten Ausdruck "zweigut" oder in seiner Steigerung "dreigut" oder selten sogar" viergut". Auch diese Eigenkreationen werden als" Wohlempfinden " gewertet. Die rhetorische Figur "Belohnung in sich selbst finden" verwendet Axel, wenn er Momente beschreibt, in denen er sich, wie man sagen könnte, "autistisch" in eine meist stereotype Tätigkeit hineinsteigert, oder eher hineinverliert und sich dadurch, wie man es für Menschen mit Autismus als typisch ansieht, in eine sehr angenehme, beinahe rauschähnliche Stimmung versetzt. Auch das wird als" Wohlempflnden " angesehen. 4.4.4 Erläuterungen und Anmerkungen zum Prozess der Ergebnisflndung Die Ergebnisse der Analyse zeigten zunächst, welche Emotionen es sind, die von den Menschen mit Autismus in den Texten benannt werden. Für die vorliegende Forschung ist der Personenfokus der angesprochenen Emotionswörter von größter Bedeutung. Es galt also zu beachten, welche der benannten Emotionen vom 125
Betroffenen als erlebte Emotion referiert werden. Die anderen werden in verneinter Form in Bezug auf eigenes Erleben, in Bezug auf Mitmenschen oder in allgemeinem Zusammenhang thematisiert. Das Hauptinteresse galt den tatsächlich erlebten Emotionen. Den Subfragen der Forschungsfragestellung folgend, sollen nun Erklärungen und Anmerkungen zu den gesuchten Einzelergebnissen und zum Prozess der Ergebnisfindung gegeben werden: 4.4.4.1
Bandbreite der erlebten Emotionen
Wie stellt sich die Bandbreite an Emotionen im eigenen Erleben der von Autismus betroffenen Menschen dar? Dazu werden die benannten Emotionen zur Veranschaulichung zunächst nach Häufigkeiten sortiert grafisch dargestellt und dabei wird auch deutlich gemacht, welche der Emotionen durch ein expliziertes Emotionswort und welche mittels einer Metapher ausgedrückt wurden. Die Prozentanteile der am häufigsten genannten Emotionen werden betrachtet und es wird beleuchtet, wie viel Prozent des Gesamttextumfanges emotionales Geschehen wiedergibt (in % der Sinneinheiten). Vergleich der Emotionsbandbreite: Die so erhaltene Liste der erlebten Emotionen wird im Folgenden mit der Liste der in der Studie von Kemmler et al. (1991) gezählten Emotionswörter50 verglichen. Da es in deren Untersuchung um die Emotionen von Personen ging, die Psychotherapie aufgesucht hatten, sowie deren Therapeuten, kann man beim daraus erzielten Ergebnis nicht von Emotionen der Normalbevölkerung ausgehen. Es sind Emotionen die von Menschen, die einen gewissen Leidensdruck empfinden und deren Therapeuten angesprochen wurden, und die analysierten Gesprächssitzungen dienen nur der Aufarbeitung und Thematisierung dieses empfundenen Leidensdruckes. Da jedoch davon ausgegangen werden kann, dass Es muss angemerkt werden, dass bei der zum Vergleich herangezogenen Gesamtliste der Emotionsnennungen von Kemrnler et al. (1991) der Personenfokus unbeachtet blieb und auch die antonyme oder verneinte Verwendungsweise von Emotionsbegriffen nicht getrennt gelistet wurde. Eine separate Listung des Gesamtspektrums der verschiedenen genannten Emotionswörter mit Bezug ausschließlich auf tatsächlich selbst erlebte Emotionen fehlt. Da die verneinte Form, die bei den häufigsten neun Emotionsbegriffen angegeben ist, dort nur zwischen 0 und 15 % der Nennungen ausmacht, ist davon auszugehen, dass keine der Emotionen nicht auch in erlebter (bejahter) Form vorhanden ist. Weiters wird festgehalten, dass mehr als 88 % der gesamten Emotionswortnennungen auf den Klienten bezogen sind und nur knappe 12 % auf Therapeuten oder dritte Personen. Von der Emotionsbandbreite wird dieser Umstand in Bezug auf eigenes Erleben der Personengruppe der Klienten wenn überhaupt einen - dann einen äußerst kleinen Abzug an erlebten Emotionen ausmachen, der also vernachlässigt werden kann. (vgl. Kemmler et al. 1991, S. 60 fi) 50
126
dieses Faktum zwar möglicherweise auf die Häufigkeitsverteilung, nicht aber auf die Bandbreite, also das Spektrum verschiedener referierter Emotionen einen 51 Einfluss hat, ist dieser Vergleich zulässig und folglich von Interesse. Dort wurden in den Transkripten der analysierten therapeutischen Sitzungen 80 unterschiedliche Emotionswärtel2 vorgefunden. (Kemmler et al., 1991, S. 60 fi) 4.4.4.2
Die erlebten Emotionen in Emotionsgruppen
Da in der Liste der gewerteten Emotionen einige sind, die sich qualitativ kaum voneinander unterscheiden, wurde es als wenig sinnvoll befunden, diese Einzelemotionen in ihren Häufigkeiten zu vergleichen und auf dieser Basis weitere Aussagen über die vorherrschende Erlebnisqualität, die so genannte Valenz (angenehm/unangenehm) der erlebten Emotionen zu treffen. Als qualitativ ähnlich sind etwa Wut und Zorn zu nennen oder Angst, Furcht und Panik, die sich lediglich durch den Aktivierungsgrad (die Intensität des erlebten Gefühls) voneinander unterscheiden. (vgl. Schmidt-Atzert 1980, S. 57, S. 60) Wenn jetzt Ergebnisse erzielt werden, wie: "Traurigkeit wird 32 mal genannt, während Freude nur 16 mal vorkommt", ist die Aussagekraft nicht überzeugend, da etwa die Emotionen Glück (28 mal) und Vergnügtheit (4 mal) sehr nahe an Freude liegen und diese drei zusammen schon 48 Nennungen ausmachen, und das Faktum, dass Traurigkeit ebenfalls Emotionen mit hoher Ähnlichkeit kennt, lässt die Vergleichsergebnisse noch einmal anders aussehen.
51 Ursprünglich wurde von der Verfasserin in Betracht gezogen, die Bandbreite auch mit der Emotionswort-Liste der Emotionsnennungen nach Mannbaupt (1983) zu vergleichen. Betrachtet man diese Produktionsnormen, also die von der Normalhevölkerung spontan produzierten Gefühlswörter. so erhält man ein breites Emotionsspektrum, das jedoch schwer zu hegrenzen ist. Die meistgenannte Emotion ist Trauer mit 120 Nennungen. Es giht aber zahlreiche Wörter, die nur einzelne male genannt worden waren, da ist es schwer, eine Grenze zu ziehen , welche davon noch zu den in der Normalbevölkerung präsenten Emotionswörtern zählen. Ohne die nur einmal genannten Emotionswörter sind es 119 verschiedene Emotionen, die von der Versuchsgruppe genannt werden. Bei einer Beschränkung auf alle bis einschließlich vierma1 genannten Emotionswörter (wenn also alle unter viermal genannten als unwichtig erklärt werden), so erhält man 72 Emotionen. Die Anzahl stimmt wieder fast genau mit dem Emotionsspektrum der Menschen mit Autismus überein, jedoch ist diese Beschränkung willkürlich. 52 Die 80 Emotionswörter ergeben sich aus den von Kemmler et al. in Tab . I (1991 , S. 60) angefllbrten 9 Emotionsbezeichnungen plus den angefllbrten 3 Antonymen, den 15 in Tab . 2 (ebd., S. 61) angefllbrten Emotionswörtern plus 3 Antonymen, sowie den 49, mit einem Antonym 50 weiteren aufgezählten Emotionswörtem, die in der Analyse der Transkripte aufgefunden wurden. (ebd. S. 61 f).
127
Es sollten die Emotionen daher im Vorfeld der Vergleiche in Gruppen ähnlicher Emotionen eingeteilt werden. Dabei bezog man sich auf die mittels einer empirischen Analyse gewonnenen Ähnlichkeitscluster von Schrnidt-Atzert. (1980, S. 53 ft) Dieser ließ dafür von 20 Psychologiestudenten 60 zuvor mittels Wortfelduntersuchung ermittelte Emotionswörter nach Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit sortieren und bildete daraus die 12 Emotionsgruppen mit den Namen: Freude, Lust, Zuneigung, Mitgefiihl, Sehnsucht, Unruhe, Abneigung, Aggressionslust, Traurigkeit, Verlegenheit, Neid und Angst, wobei Mitgefühl auch als Untergruppe von Zuneigung, Unruhe als Untergruppe von Sehnsucht und Aggressionslust von Abneigung angesehen werden kann. Die Emotionen der Ergebnisliste der vorliegenden Untersuchung werden nun gemäß der Vorgabe von Schrnidt-Atzert ihren Gruppen zugeteilt. Da aber Schrnidt-Atzert bei seinen Vorgaben von einer anderen, kleineren ItemSammlung (60 Emotionsbegriffe) ausgeht, mussten die bei Schmidt-Atzert nicht genannten Emotionsitems (35 weitere Begriffe) für die vorliegende Untersuchung erst passenden Gruppen zugeordnet werden, wobei auch drei zusätzliche Cluster für nötig befunden und entworfen wurden. Dies erfolgte zuerst nach eigenem Ermessen der Autorin. Zur Absicherung wurde die Liste der Emotionscluster von Schrnidt-Atzert, sowie die Liste der dort nicht berücksichtigten Emotionswörter einer Gruppe von fünf Pädagogikstudenten vorgelegt mit der Bitte um Zuordnung. Aus den so erhaltenen Zuordnungsvarianten konnte schnell, jedoch ohne methodengeleitetes Vorgehen, ein Konsens gefunden werden. Drei zusätzliche Cluster wurden entworfen: Ein Sicherheits-, ein Entmutigungs- und ein Unsicherheits-Cluster. 33 der zusätzlichen Emotionsbegriffe wurden den so erhaltenen 15 Clustern zugeordnet, 2 blieben als Rest übrig, sie wurden als in keines der Cluster passend befunden. Die so entstandene Liste der Gruppen ähnlicher Emotionen. die nun verwendet wurde, besteht aus: Freude, Sicherheit, Lust, Zuneigung, Mitgefühl, Sehnsucht, Unruhe, Abneigung, Aggressionslust, Traurigkeit, Entmutigung, Verlegenheit, Neid, Angst, Unsicherheit und dem Rest. In Tabelle 7 sind die Gruppen mitsamt den enthaltenen Emotionswörtern dargestellt, die neu entworfenen Gruppen sind grau hinterlegt, die 35 Emotionsbegriffe, die von Schmidt-Atzert nicht herangezogen wurden, sind ebenfalls durch graue Hinterlegung kenntlich gemacht.
128
Tabelle 7: Gruppen ähnlicher Emotionen in Anlehnung an Schmidt-Atzert (1980)
GRUPPE
ta
Iltb
BEZEICHNUNG Freude
I (Sicherheit
2
Lust
3a
Zuneigung
3b
Mitgefühl
4a
Sehnsucht
4b
Unruhe
EMOTIONEN
I
Zufriedenheit Erleichterung Glück Heiterkeit Fröhlichkeit Freude Triurnphgefiihl Übennut Hochstimmung Begeisterung StolZ Beschwingtheit Vergnnmheit Sicherheit Beruhigung Ruhe Befriedigung :Wohlempfinden Erregung Lust Leidenschaft Verlangen Begehren
iFt~gierde
Zuneigung Zärtlichkeit Liebe Wohlwollen Verehrung Dankbarkeit Vertrauen Bewunderung Nähe iWärm e Rührung Mitleid Mitgefühl Sehnsucht Heimweh Vermissen Hoffnung Unruhe Ungeduld
r~eiJiiiUliigung Spannung
I
I I 129
5a
Abneigung
Schadenfreude Verachtung Ekel Abscheu Abneigung Widerwille
5b
Aggressionslust
6a
Traurigkeit
Wut Zorn Hass Trotz Groll Ärger Gereiztheit Aggressionslust Sorge Trauer Traurigkeit Niedergeschlagenheit Kummer Unlust Frustration Verstimmtheit Unoeliiigen Bedrückung Unglück Schmerz Kälte Hoffnunzslosizkeit Entmutigung Enttäuschung Erniedrigung Einsamkeit Leere Verlegenheit Scham
116b
7
I IEntmutigung~ Verlegenheit
Reue
8
Neid
9a
Angst
119b
130
I Iu nsicherheit Rest
~Sc1:iUldgefi1hl
I
Neid Eifersucht Verzweiflung Entsetzen Furcht Angst Panik Schreck Verwunderung Verwirrtheit Unsicherheit
t~eduld
Langeweile
1
Nun soll also anband der Häufigkeitsverteilung der genannten Emotionen überprüft werden, welche Emotionsgruppen in den Lebensberichten der Menschen mit Autismus dominieren. 4.4.4.3
Häufigkeiten subjektiv angenehmer und unangenehmer Emotionen
Dem Aspekt der erlebnisbezogenen Wertung in positive und negative, respektive als angenehm und unangenehm empfundene Emotionen wird ein besonderes Augenmerk gewidmet. Anband der Cluster und auch anband der am häufigsten beschriebenen Einzelemotionen wird dieser Aspekt ausfiihrlieh beleuchtet. Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, soll zunächst konkretisiert werden, was hier unter positiven und negativen bzw. angenehmen und unangenehmen Emotionen verstanden wird . ,,Es ist nicht das Gleiche", warnt Schrnidt-Atzert (1980, S. 50), "ob eine Emotion subjektiv als angenehm oder erwünscht angesehen wird, ob sie von der Umgebung des Individuums als angenehm oder erwünscht angesehen wird, oder ob sie etwa im darwinistischen Sinne fiir den Menschen gut und nützlich ist. 'Angst' beispielsweise dürfte subjektiv fast immer als unangenehm erlebt werden", führt er dazu beispielhaft an, "von einem Außenstehenden aber (der mit Absicht Verursacher der Angst ist) wird sie dagegen vermutlich als angenehm eingestuft. Für das Überleben der Menschheit oder die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung kann ein gewisses Maß an Angst (etwa vor Verkehrsunfällen oder dem Gefängnis) nützlich sein." Für die vorliegende Untersuchung sind es subjektiv von der referierenden Person (in unserem Fall den autistischen Autoren) als angenehm versus unangenehm wahrgenommene Emotionen, die wir unterscheiden. Da in der Emotionsforschung diese Unterscheidung oft unter dem Terminus ,,positive und negative Emotionen" diskutiert wird, seien auch hier - mit derselben Bezugsdefinition beide Begriffstermini verwendet. Werfen wir einen Blick darauf: welche der 15 Emotionsgruppen als eindeutig positiv, eindeutig negativ und welche als nicht eindeutig zuordenbar eingestuft werden können. Im subjektiven Erlebenskontext eindeutig positiv/angenehm konnotierte Emotionsgruppen sind: Freude, Sicherheit, Lust und Zuneigung (vgl. Schrnidt-Atzert 1980, S. 60; Mayring 2000, S. 221 ff; Schrnitt & Mees 2000, S. 209; Fiedler 2000, S. 557 u. a. )
131
Eindeutig negativ/unangenehm konnotiert sind: Traurigkeit, Entmutigung, Neid. Angst und Unsicherheit (SchmidtAtzert 1980, S. 60; Hupka & Otto 2000, S. 280; Fiedler 2000, S. 557; Zapf 2000, S. 568) Nicht ganz so eindeutig gepolt und doch von Forschern als unangenehm bezeichnet sind die EmotionsbegrifIe Unruhe, Abneigung, Verlegenheit und (gerade noch auf negativer Seite) Aggressionslust. Als weniger deutlich angenehm eingestuft finden sich Mitgefühl und (nur knapp im Positiven) Sehnsucht. (vgl. u. a. Schmidt-Atzert 1980) Es ergibt sich (in Anlehnung an Schrnidt-Atzert 1980, S. 60) folgende Reihung von unangenehm (links) zu angenehm (rechts): Abbildung 1: Reihung der Emotionsgruppen von unangenehm (links, dunkelgrau) nach angenehm (rechts, hellgrau) Angst Entmutigung Neid Unruhe Aggressionslust Mitgefühl Sicherheit Freude Traurigkeit Unsicherheit Abneigung Verlegenheit Sehnsucht Zuneigung Lust
... ----- ... ----- ... ----- ... ----- ... ---- ... ---- ... ---- ... ----- ... ---lI--- ... ----- ... ----- ... ----- ... ---- ... ---- ...
unangenehm
angenehm
Für die Beantwortung der Forschungssubfrage zum Häufigkeitsvergleich zunächst nur jeweils der eindeutiger gepolte Teil, danach alle Gruppen von Emotionswortnennungen herangezogen werden. Von jeder Seite gelten hier als eindeutig gepolt die zwei äußeren Drittel der Gruppen: vier von sechs Gruppen auf der positiven, sechs von neun Gruppen auf der negativen Seite. Die Mitte mit den weniger deutlich positiven oder negativen werden hier noch nicht mitgezählt. Diese 10 Gruppen enthalten insgesamt 70 verschiedene Emotionen: 36 davon bilden die Negativ-Gruppen Angst, Traurigkeit, Entmutigung, Unsicherheit, Neid und Abneigung und 34 verschiedene Emotionen bilden die Positiv-Gruppen Freude, Lust, Sicherheit und Zuneigung. Beim Vergleich aller, auch der weniger deutlich gepolten Gruppen, finden sich auf positiver Seite die Gruppen Freude, Sicherheit, Lust, Zuneigung, Mitgefühl und Sehnsucht, auf negativer Seite die Gruppen: Unruhe, Abneigung, Aggressionslust, Traurigkeit, Entmutigung, Verlegenheit, Neid. Angst und Unsicherheit.
132
Das ergibt insgesamt 15 Gruppen mit gesamt 95 verschiedenen Emotionen, von denen 41 Emotionen den positiven und 54 Emotionen den negativen Gruppen zugeordnet sind. 4.4.4.4 Vergleich mit anderen Untersuchungen Obwohl es sich bei der vorliegenden Untersuchung um eine qualitativ orientierte Betrachtung des Emotionslebens von Menschen mit autistischer Störung handelt und dezidiert nicht um eine Vergleichsuntersuchung autistisch und nicht autistisch wahrnehmender Menschen, sollen an dieser Stelle - lediglich als Beitrag zur Diskussion der erzielten Ergebnisse - den Emotionsgruppen der genannten erlebten Emotionen von Menschen mit Autismus zwei Listen von EmotionswortNennungen gegenüber gestellt werden, die anhand der Nennhäufigkeiten nichtautistischer Personen entstanden sind. Kemmler et aL
Die erste ist die in der bereits mehrfach zitierten Untersuchung von Kemmler et al. (1991) aufgefundene Liste der Emotionswortnennungen in therapeutischen Sitzungen verschiedener Therapieschulen. (Kernmler et al. 1991, S. 60 ft) Bevor sich der Liste gewidmet werden soll, müssen ein paar Anmerkungen getroffen werden: In Kernmlers Ergebnisliste der benutzten Emotionsbezeichnungen wurden Emotionen, die sich auf eigenes Erleben und solche, die sich auf Erleben des Gesprächspartners oder Dritter beziehen, nicht separat gelistet und Antonymenpaare (z. B. GlücklUnglück, ZufriedenheitlUnzufriedenheit) sowie der Faktor, ob eine Emotion verneint oder bejaht verwendet wurde, nur bei den neun am häufigsten genannten Emotionen. Es werden also in der Gesamtaufstellung der 73 Emotionswörter des Untersuchungsergebnisses von Kemrnler et al. die Nennhäufigkeiten ungeachtet jedes dieser Details dargestellt (vgl. Kernmler et al. 1991, S. 60 ff: Tab. 1, Tab. 2, Text), lediglich die Darstellung der häufigsten neun Emotionswörter lässt einzig den Personenfokus unbeachtet. (vgl. Kemmler et al. 1991, S. 60, Tab. 1) Da in der hier vorliegenden Untersuchung an dieser Stelle aber die tatsächlich von den Referenten selbst erlebten (nicht anders thematisierten oder verneinten) Emotionen betrachtet werden, die Ergebnislisten also auf differenten Fragestellungen fußen, liefert die Gegenüberstellung keine direkten Vergleichswerte und soll nur als Orientierungsgrundlage betrachtet werden.
133
Aus der Ergebnispräsentation von Kemmler et al. geht hervor, dass der deutlich größte Teil der darin enthaltenen Emotionen von den Referenten (Klienten und Therapeuten) selbst erlebte und auch nicht verneint referierte Emotionen 53 sind . Zudem kann man davon ausgehen, dass häufig angesprochene Emotionen, auch nicht als "selbst erlebte" Emotion thematisierte, grundsätzlich allgemein gängige Emotionen darstellen. Daher sind diese auch im Gesamten (als erlebt und anders thematisiert) als repräsentativ für allgemeines Emotionserleben anzusehen. Da die Gegenüberstellung der beiden Emotionslisten nicht primären Charakter einer Vergleichsuntersuchung hat, sondern lediglich als Beitrag zur Diskussion der Ergebnisse dienen soll, werden die genannten Differenzen, wie das Fehlen des Personenfokus, wenig ins Gewicht fallen und die Gegenüberstellung der Ergebnisse von Kemmler et al., wird als zweckdienlich betrachtet. Nicht außer Acht gelassen werden darf allerdings der Umstand, dass an dieser Stelle die schon erwähnte Auffälligkeit der in der Forschungsarbeit von Kemmler et al. untersuchten Probanden (s. S. 126 "Vergleich der Emotionsbandbreite") mehr ins Gewicht fiillt, da man bei Personen, die Psychotherapie aufsuchen, vom Vorhandensein eines gewissen Leidensdrucks ausgehen kann, und Emotionen, die als negativ bzw. unangenehm empfunden werden (wie etwa Angst und Unsicherheit) daher wahrscheinlich gehäuft erlebt und besonders im Zuge der Therapiesitzungen auch vermehrt thematisiert werden (wie es auch von Kemmler et al. in ihrer Ergebnisdiskussion dargestellt wird), wovon in den Schilderungen in den Autobiographien nicht auszugehen ist. Dies gilt es bei der Betrachtung der Befunde dieser Gegenüberstellungen zu beachten. Es wurde entschieden, sich zuerst den häufigsten neun Emotionsbezeichnungen aus der Untersuchung von Kemmler et al. zu widmen, bei deren Darstellung die Nennhäufigkeiten in bejahter und verneinter Form getrennt angeführt sind, worauf sich bei einigen Emotionen (dreien) auch die Nennhäufigkeit der antonymen Form ablesen lässt. Die bejaht genannten Emotionswörter wurden herausgelesen und die Antonymenpaare getrennt angeführt, So entstand eine Liste (s. Tab. 8), die zu 12 Emotionswörtern die Nennhäufigkeiten angibt und die sich inhaltlich mit dem Ergebnis der vorliegenden Untersuchung direkter vergleichen lässt, da nur der Personenfokus der genannten Emotionen unbeachtet bleibt. Diese zwölf Emotionswörter bilden die Grundlage der ersten Gegenüberstellung. Die Gesamtergebnisliste der Häufigkeitsverteilung bei Kemmler, deren Ursprung mehr Differenzen aufweist, stellt die Basis für eine zweite Gegenüberstellung dar (s. Tab. 14, S. 222, Anhang).
53
Siehe dazuauch Fußnote 50, S. 126.
134
Tabelle 8: Die 12 Emotionswörter aus der Liste der am häufigsten benutzten Emotionsbegriffe bei Kemmler et al. (1991, S. 60, Tab. 1), sortiert nach der Häufigkeit der Verwendung in bejahter Form
1 2 3 4 5 6 7 8
9
10 11
12
NENNHÄUFIGKEIT bejaht
EMOTIONSWORT
EMOTIONSGRUPPE
215 55 52 52 51 45 31 20 19 14 14 12
Angst Ärger Unsicherheit Wut Traurigkeit Freude Selbstmitleid Ruhe Unzufriedenheit Unruhe Zufriedenheit Sicherheitsgefühl
Angst Aggressionslust Unsicherheit Aggressionslust Traurigkeit Freude Traurigkeit Sicherheit Unruhe Unruhe Freude Sicherheit
Mannhaupt Die zweite Liste, anband derer die Häufigkeitsverteilung der Emotionsgruppen verglichen werden soll, ist die von Mannhaupt in seiner Untersuchung der spontanen Begriffsassoziationen (=Produktionsnormen) zu unterschiedlichen Überbegriffen erhaltene Liste der spontanen Emotionsnennungen. (vgl. Mannhaupt 1983; Kap. 2.2.3.2) Es muss beachtet werden, dass bei Mannhaupt nicht erlebte Emotionen sondern spontan genannte Gefiihlsbegriffe einer Personengruppe Ausgangsrnaterial sind. Obwohl die Verteilung der genannten Emotionen daher nicht mit ihrem Erleben übereinstimmen muss, ein direkter Vergleich der Ergebnisse daher nicht möglich ist, repräsentieren die genannten Emotionen dennoch die individuell jeweils präsentesten Emotionen der Versuchspersonen. Die Emotionen beider Listen werden den vorhandenen Emotionsgruppen zugeordnet und anband der Emotionsgruppen und dem Aspekt angenehmer und unangenehmer Emotionen mit dem Ergebnis der vorliegenden Untersuchung verglichen.
135
4.4.4.5
Komplexität der Emotionen
Aufgrund dessen, dass die Entwicklungen, die als Voraussetzungfür eine "gesunde" emotionale Entwicklung angesehen werden, bei Menschen mit einer autistischen Störung stark eingeschränkt sind, ist davon auszugehen, dass besonders die Entwicklung eines breiten Emotionsrepertoires erheblich erschwert ist. An dieser Stelle soll daher das Vorhandensein komplexer Emotionen im Emotionsleben der Menschen mit Autismus untersucht werden. Komplexität einer Emotion wird hier im Sinne des Umfanges an :für ihr Erleben nötigen Entwicklungs- und kognitiven Reifungsprozessen verstanden. (vgl. Kap. 2.2.4, S. 61) Es interessiert, ob spät entwickelte, komplexe Emotionen im Gefiihlsrepertoire der untersuchten Menschen mit Autismus vorhanden sind und in den Lebensberichten Bedeutung haben. 4.4.4 .6 Art der Thematisierung der Emotionen Emotionen können auf unterschiedliche Weise angesprochen werden. Das verwendete Kategoriensystem von Kemmler et al. (1991, S. 28) ermöglicht ein zuverlässiges Auffinden der emotionalen Gehalte. Dabei lässt sich differenziert darstellen, auf welche Weise das emotionale Geschehen angesprochen wird. Für die vorliegende Untersuchung wird hier der Fokus wieder auf jene emotionalen Situationen gelegt, die dezidiert mittels Emotionswort oder mittels eindeutiger Emotionsmetapher ausgedrückt werden. Es interessiert, welcher Aspekt des emotionalen Erlebens bei den benannten Emotionen angesprochen wird. Ist es die emotionale Empfindung an sich, die angesprochen wird, oder wird die Kognition (emotionsgetönte Gedanken und Bewertungen), die unmittelbar von der Emotion ausgelöste körperliche Reaktion oder Verhaltensreaktion thematisiert? Die Untersuchung dieser Frage gibt Aufschluss darüber, welche Aspekte der Emotion den von Autismus betroffenen Menschen bewusst sind und gibt auch Auskunft über die Ganzheitlichkeit des Emotionsverständnisses von autistisch wahrnehmenden Personen. 4.4.4.7
Aussagen mit emotionalem Gehalt
Mit dem für diese Untersuchung herangezogenen Analyseschema von Kemmler et al. lassen sich methodengeleitet emotionshaltige Aussagen von solchen ohne emotionalen Gehalt abgrenzen. Rein faktische Inhalte ohne emotionale Tönung können so herausgefiltert und Emotionales - auch ohne die explizite Nennung 136
eines Emotionsbegriffes - mittels strukturierter Kodiervorgaben weiter unterteilt und nach den vorgegebenen Kriterien und Definitionen näher betrachtet werden. Für die vorliegende Untersuchung soll nun ein Blick auf den Anteil an Aussagen mit emotionalem Gehalt in den autobiographischen Texten geworfen werden, da bei Menschen mit Autismus von einer starken Zuwendung zu faktischen Inhalten und einem gewissen Ausblenden emotionaler Aspekte ausgegangen wird. Folglich wird hier ein starkes Vorhandensein unemotionaler Äußerungen erwartet. 4.4.4 .8 Vergleich erlebter mit nicht erlebten benannten Emotionen Gibt es Emotionen, die von Menschen mit Autismus selbst nicht erlebt werden, aber bei Mitmenschen beobachtet oder in einem allgemeinen Zusammenhang thematisiert werden? Es wären das Emotionen, die den Betroffenen also durchaus bekannt und geläufig sind, die sie aber ihren Schilderungen zufolge nicht selbst erlebt haben. Es soll betrachtet werden. ob es solche Emotionen gibt, welche das sind und ob sich daraus etwas schließen lässt. Auch wie viel Prozent der genannten Emotionswörter sich auf eigenes Erleben beziehen ist von Interesse. 4.4.4 .9 Situativer Zusammenhang Der Frage nach dem situativen Zusammenhang der erlebten Emotionen ist große Bedeutung beizumessen. Für eine angemessene Untersuchung der emotionsauslösenden Situationen wäre eine neuerliche Analyse des Textmaterials erforderlich. Um den ohnehin schon weitgesteckten Forschungsrahmen nicht zu sprengen. wird hier nur exemplarisch und ohne den Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit ein Blick auf charakteristische Auslösesituationen einiger häufig erlebter Emotionen geworfen und daran anschließend diskutiert. Jede Auseinandersetzung mit dieser Thematik, auch vertiefend in eventuellen zukünftigen Forschungsvorhaben, kann das vorhandene Wissen um das emotionale Erleben von Menschen mit Autismus ergänzen und dabei insofern bereichern, als dass weitere wertvolle Anhaltspunkte geliefert werden können. die im pädagogischen Handeln und auch ganz allgemein für einen verstehenden Umgang mit Menschen mit Autismus genutzt werden können. Vielleicht kann die Betrachtung von typischen Auslösern der Emotion Angst etwa helfen, Betroffene vor dieser starken negativen Emotion zu bewahren oder durch ein besonders behutsames, erklärendes Hineinftihren in autismustypisch angsterregende Situa137
tionen, die Ängste zu verringern. Wie andererseits das Kennen häufiger Auslöser von positiven Gefühlen wie Zuneigung und Liebe etwa, den Angehörigen und Freunden eines Menschen mit Autismus vielleicht die Möglichkeit geben kann, derartige positive Emotionen zu fordern. Ziel ist, dass im Zuge zukünftiger Forschung auf diese Aspekte noch einmal vertiefend eingegangen wird. Diese Untersuchung kann dafür die Basis liefern. 4.4.4.10 Anmerkung Ausgehend vom jetzigen Stand der Untersuchung, verspricht eine Detailbetrachtung des Emotionserlebens in den einzelnen Lebensphasen sowie der einzelnen Autoren ebenfalls interessante Ergebnisse zu liefern. Aufgrund des ohnehin schon großen Umfanges der vorliegenden Arbeit wurde vorerst darauf verzichtet. Es wäre lohnend, in einem weiteren Forschungsvorhaben auch auf diese Details näher einzugehen.
138
5 DIE ERGEBNISSE - DAS EMOTIONSERLEBEN VON MENSCHEN MIT AUTISMUS
Aus der Analyse der ausgewählten Textstellen aus den Autobiographien der vier Autoren Axel, Dawn, Gunilla und Liane lassen sich zahlreiche Aussagen über das Emotionserleben von Menschen mit Autismus ableiten. Es sollen nun gemäß der Unterpunkte der vorliegenden Forschungsfragestellung (Kap. 3.2) die interessierenden Elemente abgehandelt werden. Die nähere Beschreibung und weitere Erläuterungen zu den einzelnen hier referierten Detailergebnissen sind im Kapitel 4.4.4 ,,Forschungsdesign - Erläuterungen und Anmerkungen zum Prozess der Ergebnisfindung" (S. 125) nachzulesen 5.1 DIE BANDBREITE DER ERLEBTEN EMOTIONEN
5.1.1 Darstellung Das Repertoire an Emotionen, die von Menschen mit Autismus erlebt werden, bildet den Kern der Untersuchungsergebnisse, daher soll dieses an den Anfang gestellt werden . Es sind das jene Emotionen (in Anlehnung an Kemmler et al. 1991), die in den untersuchten Textstellen von den Betroffenen im Zuge der autobiographischen Ausfiihrungen direkt oder eindeutig mittels Metapher in Bezug aufs eigene Erleben benannt werden. Ergebnis ist die Liste an Emotionen, die nach Häufigkeiten sortiert dargestellt sind, beginnend mit der am häufigsten genannten. Jene, die mittels Metapher referiert wurden, sind farblieh gekennzeichnet, und machen nur 7 % der Emotionsnennungen aus. Demzufolge wurden von den Menschen mit Autismus 71 verschiedene Emotionen erlebt, deren Erleben in den analysierten Texten zusammen 457mal referiert wurde, Davon wurde die Emotion Liebe mit 34 Nennungen am häufigsten erlebt (über 7 % der Nennungen) und 20 Emotionen je nur einmal. Die häufigsten vier Emotionen sind Liebe, Traurigkeit, Glück und Angst, diese vier allein machen mit 117 Nennungen bereits knapp über ein Viertel (25,6 %) der genannten erlebten Emotionen aus. Die weitere Emotionsverteilung ist dem Diagramm zu entnehmen. 139
Diagramm I: Emotionswort-Nennungen erlebter Emotionen in den analysierten Textstellen der vier Autoren (Brauns, Gerland, Prince-Hughes, Willey) Nennhäufigkeit Liebe
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ück nast Wohlem pfinlfen. VenliirrthEllt Freude Schreck Sicherheit Haß Unsicherheit Hoffnung Schmerz
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511hnsucht Vertrauen Stolz Arger Enlläuschüng Langeweile Panik Scham WUj
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Entsetzen Erleichterung Begeisterung Bewungerung Dank arkert Neugierde Verwunäerung Verzweiflung Leere Unbehagen. VergnOgtnelt Zorn Zuneigung Kälte Lust Mitleid Widerwille Furcht Leidenschaft ROhnm.g SchuldgefOli1 Sorge Unglück Unruhe Wärme Abneigung AbsCheu Bedrückung BElfrifildigunll Beschwmglheil Entmutlgung Emifldrigung Erregung Frustration. Gereiztheit Hoffnungslosigkeit Kummer Neid Niedergeschlagenheit Spannung Trotz Verehrung Verlangen Verlegennelt Vermissen
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Vergleich der Emotionsbandbreite mit dem Ergebnis von Kemmler Vergleichend zum vorliegenden Ergebnis der Bandbreite erlebter Emotionen soll nun das entsprechende Ergebnis der Untersuchung von Kemmler et al. betrachtet werden. Dort wurden in den Transkripten der analysierten therapeutischen Sitzungen 80 unterschiedliche Emotionswörter vorgefunden (Kemmler et al., 1991, S. 60 fl). In der vorliegenden Untersuchung der Texte von Menschen mit Autismus waren es mit 71 unterschiedlichen genannten Emotionswörtem um neun Emotionswörter und somit etwa 11 % weniger als bei Kemmler. Diese Abweichung von 11 % zwischen der in der vorliegenden Untersuchung erfassten Bandbreite erlebter Emotionen von Menschen mit Autismus und der von Kemmler et al, aufgefundenen Emotionsbandbreite nicht autistischer Personen lässt keine unmittelbaren Rückschlüsse auf ein eingeschränktes Emotionsspektrum bei Menschen mit Autismus zu.
5.1.2 l)iskussion Bei der Betrachtung der Emotionsbandbreite benutzter Emotionswörter der autistischen und der nicht autistischen Personen, darf der Umfang an analysiertem Textmaterial nicht außer Acht gelassen werden. In der vorliegenden Untersuchung waren es 3106 Sinneinheiten, die zur Analyse herangezogen wurden, in der Untersuchung von Kemmler et al. hingegen fast 10.000 Sinneinheiten, also mehr als dreimal so viele. In einer wesentlich größeren Textprobe ist von einem solchen leicht vermehrten Vorkommen von Emotionswörtern auszugehen, da es unwahrscheinlich ist, in den gewählten Textproben tatsächlich alle erlebten Emotionen aufzufinden und anzunehmen ist, dass die erheblich größere Textmenge zusätzlich einzelne seltene Emotionen beinhalten wird. Der Unterschied von 11 % könnte also allein diesem Umstand zuzusprechen sein und daher für ein Vorhandensein einer annähernd identischen Emotionsbandbreite sprechen. Es ist andererseits zu bedenken, dass es im psychotherapeutischen Setting (der Texte von Kemmler) darum geht, gewisse psychische Belastungssituationen zu thematisieren, während in den Texten der vorliegenden Untersuchung die biographische Betrachtung eines ganzen Lebens von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter Inhalt ist und die gewählten Textstellen dies auch sinnvoll repräsentieren sollen, also folglich der Themenbereich hier breiter gefiichert ist. Diese Umstände lassen eine vielfältige, breit gefächerte Emotionswortverwendung in der vorliegenden Untersuchung vermuten und ein (aufproblembezogene Emotionen) eingeschränktes Emotionsvokabular bei Kemmler.
141
Die Autobiographien sind aber in Hinblick auf die Besonderheit des Lebens mit Autismus publiziert. Ein vermehrtes Thematisieren und Fokussieren problematischer Lebensereignisse ist also auch hier vorstellbar. Angesichts dieser unterschiedlichen Einflussfaktoren ist eine gewisse Abweichung der ermittelten Anzahl angesprochener Emotionen zu erwarten. Die 11 % zeugen daher nicht von einer gewichtigen Differenz zwischen den beiden Personengruppen. Auf ein eingeschränktes, wenig differenziertes Repertoire an Emotionen im Erleben von Menschen mit Autismus kann nicht geschlossen werden. Die Analyse der Texte hat gezeigt, dass Menschen mit Autismus nicht weniger unterschiedliche Emotionen kennen und erleben können wie andere Menschen auch. Sie empfinden nicht nur Freude und Traurigkeit, Ärger und Angst oder Zuneigung, sondern viel mehr sehr differenzierte Emotionsqualitäten und unterscheiden in ihren Berichten auch Nuancen ähnlicher Gefühle wie Vertrauen und Liebe oder Freude, Glück und Begeisterung. In der Emotionsforschung geht man davon aus, dass besonders die frühe Interaktion der Bezugsperson(en) mit dem Kind einen entscheidenden Einfluss auf die Breite seines Gefühlsrepertoires hat. ,,Ein Kind wird sich emotional gut bzw. in der erwarteten und erhofften Weise entwickeln, wenn die Mutter lebhaft, differenziert und bewusst mit dem Kind interagiert, wenn sie dessen emotionalen Ausdruck angemessen widerspiegelt, wenn sie prompt, feinfiihlig und genau abgestimmt auf den wahrgenommenen kindlichen Zustand reagiert." (Ulich & Mayring 2003, S. 119, mit Hinweis auf Thompson & Lamb 1983, vgl. auch Schellknecht 2007, 48 t) Aus der Autismusforschung ist bekannt, dass die Interaktion zwischen Mutter (respektive Bezugsperson) und autistischem Kind oft von Schwierigkeiten geprägt ist. (vgl. u. a. Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 18; Walter 2003, S. 39, S. 49) Die soziale Interaktion ist durch den Autismus häufig beeinträchtigt, was sich u. a. in einer ausgeprägten Beeinträchtigung im Gebrauch ,,nonverbaler Verhaltensweisen wie beispielsweise Blickkontakt. Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Gestik zur Regulation sozialer Interaktion" und einem ,,Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit" zeigt. (Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 13 :t: sich auf DSM-IV berufend, bezogen sowohl auf den frühkindlichen Autismus als auch die Sondergruppe Asperger-Störung) Auch Klicpera weist darauf hin, dass Unterschiede im emotionalen Ausdrucksnen des emotionalen Gesichtsausdrucks autistischer Kinder kommt. (Klicpera 2002, S. 119; vgl. auch Wing 1992, S. 25) Von den postulierten Voraussetzungen für die gute Emotionsentwicklung ist also sowohl die Interaktion zwischen autistischem Kind und Bezugsperson, als auch deren Möglichkeit des angemessenen Widerspiegelns des kindlichen emotionalen Ausdrucks beeinträchtigt. 142
Klicpera referiert weiter, dass bei autistischen Kindern Probleme im Erkennen beobachteter emotionaler Reaktionen Anderer auftreten, was dazu fiihren würde, dass auch die emotionale Antwort-Reaktion der Mutter vom Kind nicht in der notwendigen Weise wahrgenommen wird. Diesen Forschungen zufolge sind die Voraussetzungen für die Entwicklung eines breiten Gefühlsrepertoires bei Menschen mit Autismus also weitestgehend nicht erfiillt und die emotionale Entwicklung massiv erschwert. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sprechen gegen diese Beeinträchtigung. Das Repertoire an bekannten, aber auch an erlebten und im eigenen Erleben erkannten Emotionen spricht für eine unauffällige Entwicklung der Emotionsbandbreite. Auch die Emotionsverteilung der von den Menschen mit Autismus referierten erlebten Emotionen zeigt ein durchaus überraschendes Bild: Mit Liebe an erster Stelle erscheint es konträr zu dem, was die Fachliteratur und die Diagnoseschemata, die von einer Beeinträchtigung der sozialen Fähigkeiten, Mangel an sozial-emotionalem Verhalten etc. sprechen (vgl. Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 13 ff; Kap. 2.1.1.4+5), erwarten lassen. Auf den situativen Zusammenhang in dem die Emotion Liebe erlebt wird, wird gesondert eingegangen. (Kap. 5.9) Auch die weitere Verteilung zeigt angenehme und unangenehme Emotionen im Wechsel, Traurigkeit und Angst stehen unter den häufigsten vier Nennungen im Schatten von Liebe und Glück, was nicht dem Bild einer "dauernden Angstspannung" und einer ,,Neigung zu Depression" entspricht. Im eigenen Erleben der Betroffenen sind also Liebe, Glücklichsein, Wohlempfinden und das Gefühl der Sicherheit genauso präsent wie die Emotionen Traurigkeit, Angst, Verwirrtheit und Schreck. Verwirrtheit findet sich als sechst häufigst genannte Emotion relativ weit vorne, was angesichts der gestörten Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung und den Schwierigkeiten, die Dinge als Ganzes zu sehen, zu erwarten war. In diesem Zusammenhang steht auch das Sicherheitsempfinden. Die Emotionen Sicherheit sowie Unsicherheit sind beide unter den häufigsten Emotionen, (an 9. und 11. Stelle von 72), was auf eine Bedeutsamkeit des Themas "sich sicher fühlen" bei von Autismus betroffenen Menschen hinweist. Sicherheit und Unsicherheit spielen hier eine große Rolle, wobei auffällt, dass das Erleben von Sicherheit knapp häufiger referiert wird, als das von Unsicherheit. Doch gerade dieses vielfache Thematisieren des "sich sicher Fühlens" kann auch Indiz sein für eine häufig erlebte Unsicherheit und ein daher sehr bewusst wahr-
143
genommenes Sicherheitsge:fiihl in vertrauten Situationen oder an vertrauten Plätzen, das dadurch einen hohen Stellenwert einnimmt. Diese Annahme bestätigen die Situationen, in denen Sicherheit thematisiert wird: .Jeder Schritt in eines der sonnen bestäubten Steinvierecke gab mir Sicherheit." (Brauns 2004a, S. 18); .Jm Dunkeln fühlte ich mich sicherer" (Prince-Hughes, S, 29); ,,Das Schwimmbad war mein liebster Ort, meine Sicherheitszone" (Willey 2003, S. 31); "Wenn etwas jUr mich zu verwirrend oder zu laut war, oder ich zu sehr abgelenkt wurde, wenn ich mir ganz zerfasert vorkam, dann wusste ich, dass ich in meine Nische kriechen konnte. Ich konnte mich dahinein zwängen, bis ich mir wieder ebenso symmetrisch und rechteckig vorkam wie meine Nische. Ich quetschte meine Knie ein und sammelte meine Gedanken wieder in meinen Knochen, so dass sie ihre Flucht durch meine Adern beenden undfür eine Weile ruhen konnten. Ich steckte mir meine Zeigefinger in die Ohren und verschloss sie somit. Ich biss mir auf die Zähne, kniff meine Augen zusammen und ließ mich in der so entstandenen Ruhe treiben. Wenn ich damit fertig war, öffnete ich wieder meine Augen und war wieder ganz ich selbst, sicher und handlungsbereit," (Willey 2003, S. 33)
5.2 DIE ERLEBTEN EMOTIONEN IN EMOTIONSGRUPPEN 5.2.1 Darstellung Die in den Lebensberichten referierten Emotionen wurden den in Anlehnung an Schmidt-Atzert (1980) erstellten 15 Emotionsgruppen zugeordnet und diese folglich nach Anzahl der Nennungen ihnen zugeschriebener Emotionswörter sortiert. Die Gruppen sind: Freude, Sicherheit, Lust, Zuneigung, Mitgefühl, Sehnsucht, Unruhe, Abneigung, Aggressionslust, Traurigkeit, Entmutigung, Verlegenheit, Neid, Angst, Unsicherheit und die zwei Emotionsbegriffe ohne Gruppenzuordnung, der so genannte Rest. 54 Dabei ergab sich die in Tabelle 9 sowie graphisch in Diagramm 2 dargestellte Häufigkeitsverteilung.
54 Eine detaillierte Darstellung der Emotionsgruppen mit den ihnen zugeordneten Emotionswörtern samt deren Nennhäufigkeiten findet sich im Anhang (Tab. 16).
144
Tabelle 9: Häufigkeitsverteilung genannter erlebterEmotionen in Emotionsgruppen GRUPPE Freude Zuneigung Traurigkeit Angst Sicherheit Unsicherheit Aggressionslust Sehnsucht Entmutigung Lust Verlegenheit Mitgefühl Abneigung Unruhe Neid Rest GESAMT
NENNUNGEN 76 61 59 57 54 34 32 22 19 12 10 5 5 3 1 7 457
I
Die fünf Gruppen, deren zugeordnete Emotionswörter am häufigsten genannt wurden, sind Freude, Zuneigung, Traurigkeit, Angst und Sicherheit. Mit jeweils über 50 Nennungen dominieren diese ersten fünf Gruppen deutlich vor den folgenden (mit jeweils höchstens knapp über 30 Nennungen). Sie umfassen 307 Emotionsnennungen, das sind 67 % also über zwei Drittel der insgesamt 457 Nennungen erlebter Emotionen. Allein den ersten vier Gruppen gehören mit 253 schon über die Hälfle (55,4 %) aller Emotionsnennungen an. Die am häufigsten genannte Emotionsgruppe Freude macht mit 76 Nennungen etwa ein Sechstel (16,63 %) der Emotionsnennungen aus. Gefolgt von den Zuneigungs-Emotionen, die mit 61 Nennungen auf über 13 % kommen. Auch die knapp dahinter liegenden Traurigkeits-, Angst- und SicherheitsEmotionen kommen etwa jeweils auf knappe 12-13 %.
145
Diagramm 2: Häufigkeitsverteilung genannter erlebter Emotionen der Menschen mit Autismus, in Emotionsgruppen, graphisch dargestellt. Insgesamt 457 Nennungen fallen auf die 71 verschiedenen Emotionswörter, die den 16 Emotionsgruppen zugeteilt wurden. HÄUFIGKEITSVERTEILUNG EMOTIONSGRUPPEN
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5.2.2 Diskussion
Bei Betrachtung der Emotionsgruppen fällt zunächst die gleichmäßige Verteilung der Gruppen von den häufig zu den selten erlebten auf, aus der sich einzig die Gruppe Freude unwesentlich abhebt, die mit einem Vorsprung von 16 Emotionsnennungen - und damit 3,3 % vor ihrer Nachfolgergruppe Zuneigung - an der Spitze liegt. Es liegt also nach den Ergebnissen dieser Untersuchung im Erleben der Menschen mit Autismus keine Emotionsqualität mit großer Dominanz an der Spitze, ein ausgeglichenes Emotionsleben stellt sich dar. Dass nicht die Emotionsgruppen Angst und Traurigkeit an den ersten Stellen stehen, sondern vor ihnen Freude und Zuneigung, spricht gegen die Erwartungen aus der Autismusforschung, wo von häufig vorhandener Freudlosigkeit, Pessimismus und Hoffnungslosigkeit und zum Teil ausgeprägten Depressionen ausgegangen wird (vgl. Poustka et al. 2004, S. 63; Remschmidt 2002, S. 85 :t; Hili et al. 2004) sowie von ständiger Angstspannung, Unsicherheit und Dauerstress (vgl. Rollert & Kastner-Koller 2001, S. 24, S. 31, S. 37). Das heißt 146
nicht, dass diese Belastungsemotionen nicht vorhanden sind, auch nicht, dass sie - so vorhanden - nicht dringend eine besondere Beachtung erfordern würden, doch das Ergebnis zeigt, dass diese Emotionen in den untersuchten Lebensberichten nicht überwiegen und von anderen Emotionen, den Freude- und Zuneigungsemotionen, dominiert werden. Auch hier fällt das oben (s. S. 143) besprochene starke Vorhandensein der Emotionen der Sicherheitsthematik (Sicherheits- und UnsicherheitsEmotionen) auf, die mit 88 Nennungen fast 20 % aller erlebten Emotionen der Menschen mit Autismus ausmachen. Zur Sicherheit gehören die Emotionen Beruhigung, Ruhe, Wohlbefinden etc., zur Unsicherheit Verwirrtheit und Verwunderung. Es zeigt sich auch hier die Dominanz der positiven Emotionen der Sicherheitsthematik, und zwar noch deutlicher als bei Betrachtung der Einzelemotionen. Über 60 % kommen hier auf die positiven und unter 40 % auf die negativen Emotionen der Sicherheitsthematik. Das Empfinden von Sicherheit, Ruhe, Beruhigung und Wohlbefinden wird also von den Menschen mit Autismus sehr häufig thematisiert. Beim Normalzustand des Menschen geht man von einem gewissen grundlegend vorhandenen (unbewussten) Sicherheitsgefiihl aus. Emotionen wie Unsicherheit, Verwirrtheit und Verwunderung begleiten im Normalfall kurzfristige Ausnahmesituationen, daher besteht üblicherweise keine Intention, ein Empfinden von Emotionen der Sicherheit zu thematisieren, sofern diese nicht als Gegensatz zu davor (oder danach) erlebten Unsicherheitsemotionen hervorgehoben werden sollen. Werden von einer Personengruppe diese Emotionen gehäuft thematisiert, deutet das auf eine großes Bedürfnis nach und vermutlich ein zeitweises Fehlen des Sicherheitsempfindens für diese Personen hin. (vgl. dazu die Beispielszenen auf S. 144) Umgelegt auf die vorliegende Untersuchung, in der sowohl Sicherheits- als auch Unsicherheits-Emotionen gehäuft thematisiert werden, bedeutet dies, dass bei Menschen mit Autismus ein vermehrtes Erleben von Unsicherheitsgefühlen verbunden mit einer Angst vor diesen besteht. 5.3 HÄUFIGKElTEN SUBJEKTIV ANGENEHMER UND UNANGENEHMER EMOTIONEN
5.3. J Darstellung Wie viel Prozent des anband von Emotionswörtern referierten emotionalen Geschehens als angenehm und wie viel als unangenehm empfundene Emotionen ausmachen, ist eines der Kemergebnisse der vorliegenden Untersuchung.
147
Zunächst soll anband der eindeutig gepolten Emotionsgruppen verglichen werden: Die Emotionen der Gruppen Freude, Lust, Sicherheit, Zuneigung werden für die positive Seite, die der Gruppen Angst, Traurigkeit, Entmutigung, Unsicherheit, Neid, Abneigung für die negative Seite gezählt. Diese Gruppen beinhalten 70 verschiedene Emotionswörter, 34 positive, 36 negative. (Die neutralen Emotionen der Restgruppe konnten weder positiv noch negativ gewertet werden und bleiben daher hier unbeachtet.) Diagramm 3: Häufigkeitsverteilung der Emotionsgruppen angenehmer (hellgrau) und unangenehmer (dunkelgrau) Emotionen der Menschen mit Autismus. 80 7.
70
o eindeutig positiv
66
80
n eher positiv
66
• eher negativ
60
• eindeutig negativ
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Es ergeben sich unter Einbeziehung der eindeutig gepolten Gruppen, mit dem in Diagramm 3 (und detailliert in den Tabellen 17 und 18, s. Anhang, S. 232) dargestellten Muster, folgende Verteilungen: 378 Emotionsnennungen der Menschen mit Autismus fallen auf eindeutig gewertete Emotionen. Davon 203 Nennungen auf eindeutig positiv gewertete, 175 auf eindeutig negativ gewertete Emotionen. Das ergibt ein Verhältnis von 53,7 % auf positiver und 46,3 % auf negativer Seite. Unter den eindeutig der positiven oder negativen Seite zuordenbaren Emotionen zeigt sich also ein mit etwa 7 % leichtes Übergewicht an positiven, also als angenehm empfundenen
148
Nun soll unter Miteinbeziehung aller Emotionsgruppen, auch derer, die nicht eindeutig gepolt sind (mit Ausnahme der Restgruppe), verglichen werden: Auf positiver Seite werden jene Emotionen gezählt, die den Gruppen Freude, Sicherheit, Lust, Zuneigung, Mitgefühl und Sehnsucht zugeordnet sind, auf negativer Seite jene, die den Gruppen Unruhe, Abneigung, Aggressionslust, Traurigkeit, Entmutigung, Verlegenheit, Neid, Angst und Unsicherheit zugeordnet sind. Es sind für die vorliegende Untersuchung insgesamt 95 Emotionen diesen Gruppen zugeteilt, davon 41 in die Gruppen der positiven, 54 in die Gruppen der negativen Emotionen. Es ergeben sich unter Einbeziehung aller positiver und negativer Gruppen, mit dem in Diagramm 3 (und detailliert in den Tabellen 17 und 18, s. Anhang, S. 232) dargestellten Muster, folgende Verteilungen: Von den insgesamt 450 Emotionsnennungen werden Emotionen, die positiv gewertet werden, von den Menschen mit Autismus in der vorliegenden Untersuchung 230-mal genannt, negative Emotionen 220-mal. Dieses Verhältnis von 51,1 % auf positiver und 48,9 % auf negativer Seite, ist also annähernd ausgeglichen mit einer unbedeutenden Tendenz zu den positiven. Es überwiegen weder positive noch negative Emotionen erheblich.
5.3.2 Diskussion Die Untersuchung der erzählten Lebensgeschichten der Menschen mit Autismus ergibt ein annähernd ausgeglichenes Erleben von angenehm und unangenehm empfundenen Emotionen, mit einer Tendenz zu den angenehmen, die, bei Betrachtung der eindeutig zuordenbaren Emotionen, um über 7 %, bei Betrachtung aller gewerteter Emotionen um etwa 2 % überwiegen. Wieder zeigt sich, dass sich die durch die autistische Wahrnehmung entstehende Belastung den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung zufolge nicht gravierend auf das Emotionsleben der Betroffenen Menschen auswirken muss. Nicht nur Angst und Traurigkeit zeigen sich nicht als die häufigsten Emotionen, ein oftmals vermutetes Übermaß an negativen Emotionen im Allgemeinen, mit Unsicherheit, Frustrationen, Enttäuschungen sowie Abneigung und Widerwille, gegen Situationen und Personen, ist nicht vorhanden. Es stehen diese Belastungsemotionen ausgeglichen neben angenehmen Emotionen wie Freude und Zuneigung, Vertrauen und Sicherheit, Wohlempftnden und Ruhe.
149
Wenngleich das noch nichts über den Grad an Belastung aussagt, die der Autismus für den Betroffenen bedeutet, so legen diese Ergebnisse doch dar, dass das Leben der Betroffenen jenseits der Belastungen auch sehr viel positives, angenehmes Empfinden mit oder sogar auch durch die autistische Art der Lebenswahrnehmung kennt. 5.4 VERGLEICH MIT ANDEREN UNTERSUCHUNGEN
5.4.1 Darstellung Die in Emotionsgruppen eingeteilten erlebten Emotionen werden bezüglich Häufigkeitsverteilung zwei Listen von Ernotionswortnennungen (aus Kemmler et a1 1991; Mannhaupt 1985) gegenübergestellt. Dazu werden die Emotionswörter beider Listen den vorhandenen Emotionsgruppen zugeteilt, und bezüglich Häufigkeitsvertei1ungen verglichen.
Kemmler Zunächst wird wieder die in der Untersuchung von Kemm1er et al. aufgefundenen Liste der benutzten Emotionsbegriffe in therapeutischen Sitzungen herangezogen. (Kemmler et al. 1991, S. 60 f, Tab. 1 & 2) Da Kemmlers Ergebnisliste nur bei den häufigsten 9 Emotionsbegriffen zwischen der bejahten und der verneinten oder antonymen Verwendung der Emotionsbegriffe unterscheidet, wird erst die Liste dieser - einschließlich der Antonymbegriffe - 12 Emotionswörter betrachtet, die konkretere Vergleichswerte liefert, anschließend die Gesamtergebnisliste aller 80 Emotionsbegriffe, als Liste allgemeiner Emotionsnennhäufigkeiten. Es soll hier noch einmal darauf hingewiesen werden, dass (wie schon in Kap. 4.4.4.4 erwähnt) die von Kemmler et al. untersuchte Personengruppe in emotionaler Belastungssituation steht. Das darf bei der Gegenüberstellung nicht außer Acht gelassen werden! Bei der Betrachtung der Nennhäufigkeiten der 12 in bejahter Form verwendeten Emotionswörter zeigt sich die in Diagramm 4 dargestellte Emotionsgruppenverteilung. Die Emotionen der Emotionsgruppe Angst wurden mit 215 bejahten Nennungen mit großem Abstand am häufigsten genannt, mehr als doppelt so oft, wie die nächst häufige Gruppe Aggressionslust. Angst-Emotionen allein machen damit 37 % der Emotionsnennungen dieser 12 Emotionen, also mehr als ein Drittel aus. Aus den insgesamt 580 Emotionsnennungen überwiegt die Summe 150
der negativ konnotierten, mit den Gruppen Angst, Aggressionslust, Traurigkeit, Unsicherheit und Unruhe, zusammen 489 Nennungen, sehr deutlich vor den positiv konnotierten Emotionsnennungen, mit den Gruppen Freude und Sicherheit, 91 Nennungen, die weniger als ein Fünftel ausmachen. 44 % der Nennungen negativer Emotionen machen allein die Emotionen der Gruppe Angst aus. Beim Vergleich mit dem Ergebnis der vorliegenden Untersuchung fällt zunächst das große Vorherrschen einer Emotionsgruppe, der Angst-Gruppe, bei Kemmler auf, während sich bei den Menschen mit Autismus eine eher gleichförmige Verteilung der Emotionsgruppen zeigt. Und im Gegensatz zu dieser großen Dominanz der Angstemotionen (37 %) bei Kemmler ist Angst bei den Menschen mit Autismus nicht einmal an erster Stelle zu finden: Die AngstEmotionen finden sich bei den Menschen mit Autismus an vierter Stelle mit dagegen geringen - 12 % der genannten erlebten Emotionen. Diagramm 4: Emotionsgruppenverteilung der 12 Emotionswörter aus Kemmlers Liste der 9 am häufigsten benutzten Emotionsbegriffe (vgl. Kemmler et al. 1991, S. 60, Tab. I) mit Angaben zu Antonymbegriffen. Insgesamt 580 Nennungen fallen auf die 12 verschiedenen Emotionswörter, die den 16 Emotionsgruppen zugeteilt wurden. 250 .,--
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Die zweite große Abweichung ist die Position der Emotionen der Aggressionslust-Gruppe, die bei Kemmler an zweiter Stelle stehen, bei den Menschen mit Autismus hingegen erst hinter vielen anderen Gruppen an der siebten Stelle platziert sind. Ein Fehlen der Zuneigungsemottonen hier unter den bei Kemmler häufigst genannten Emotionen steht im Gegensatz zur Verteilung bei Menschen mit Autismus, wo die Zuneigungsemotionen mit mehr als 13 % der Nennungen an zweiter Stelle stehen. Die Sicherheitsthematik hat auch in der Ergebnisliste von Kemmler eine gewisse Bedeutung: Auf die Emotionsgruppen Sicherheit und Unsicherheit fallen hier mit zusammen 84 Nennungen fast 15 % der genannten Emotionen. Damit zeigt diese Gruppe auch bei Kemmler großes Gewicht, kommt aber nicht ganz an die Gewichtung der Sicherheitsthematik bei den Menschen mit Autismus heran, die mit fast 20 % noch dominanter ist. Bei Kemmler lässt sich aber, im Gegensatz zur vorliegenden Untersuchung, ein deutliches Übergewicht der Unsicherheitsgruppe feststellen. Bei der Betrachtung der Liste der Nennhäufigkeiten aller, nicht nur der in bejahter Form verwendeten Emotionswörter gilt es zu beachten, dass diese keine Aufstellung erlebter Emotionen einer Personengruppe darstellt, sondern alle sowohl von Klienten wie von deren Therapeuten in den Gesprächen benutzten Emotionswörter listet, ungeachtet, ob diese Emotionen als erlebt oder anders thematisiert werden. Daher wird diese Liste nicht als direkter Vergleich betrachtet, sie wird als Beispielliste der Häufigkeiten, mit denen Emotionswörter thematisiert werden, gegenübergestellt. Dabei zeigt sich die in Diagramm 5 dargestellte Emotionsgruppenverteilung.
152
Diagramm 5: Emotionsnennungen in Emotionsgruppen bei Kemmler (vgl. Kemmler et al. 1991, S. 60 f, Tab. 1 & 2). Insgesamt 1076 Nennungen fallen auf die 80 verschiedenen Emotionswörter, die den 16 Emotionsgruppen zugeteilt wurden. 350 ,---
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Die Verteilung aller bei Kemmler genannten Emotionswörter verläuft weitgehend analog zu der oben betrachteten Verteilung der häufigsten 12 bejahten Emotionsnennungen allein. Auch hier zeigt sich die Dominanz der Emotionsgruppe Angst. Ebenso entspricht die weitere Verteilung größtenteils der oben betrachteten Liste der 12 bejaht genannten Emotionen. Einzig die Emotionsgruppe Sicherheit nimmt bei der hier betrachteten Liste aller benannten Emotionen einen höheren Stellenwert an als bei den häufig genannten erlebten. Der Sicherheitsthematik mit Sicherheits- und Unsicherheitsemotionen zusammen gehören mit 162 Nennungen auch hier etwa 15 % aller Emotionsnennungen an. Dass unter Einbeziehung auch der verneinten und antonym verwendeten Emotionsnennungen in der Liste die positiven Sicherheitsemotionen überwiegen, hat keine Aussagekraft. Die Liste zeigt nur, dass auch bei Betrachtung aller Emotionsnennungen dieses Thema Gewicht hat.
153
Die Gruppe der Zuneigungsemotionen kommt als dritte angenehm gewertete Emotionsgruppe unter die ersten zehn. Auch hier überwiegt - gesamt betrachtet - unter den insgesamt 1076 Emotionsnennungen in einem Verhältnis von 71,4 % zu 28,6 % deutlich die Summe der negativ gewerteten. Mit 768 Nennungen von Emotionen der Gruppen Angst, Aggressionslust, Traurigkeit, Unsicherheit, Unruhe, Entmutigung, Verlegenheit, Abneigung und Neid liegt sie weit vor den angenehm gewerteten mit 308 Nennungen von Emotionen der Gruppen Freude, Sicherheit, Zuneigung, Lust und Sehnsucht und Mitgefühl. Allgemein thematisiert werden also in psychotherapeutischen Sitzungen - auch unabhängig vom tatsächlichen Erleben - ebenfalls mit großem Vorsprung negativ konnotierte Emotionen. Mannhaupt Betrachtet man nun die in der Untersuchung von Mannhaupt (1985, S. 270; s. auch Kap. 2.2.3.2, S. 56) aufgefundenen Liste der von der sprachkompetenten Normalbevölkerung am häufigsten spontan genannten Emotionen - eingeteilt in Emotionsgruppen - zeigt sich folgendes Bild (s. Diagramm 6). Zu beachten ist, dass hier nur jene in der Untersuchung von Mannhaupt genannten Emotionen mit einbezogen wurden, die in der für die vorliegende Untersuchung gültigen, von Kemmler et al. generierten Liste an Emotionen (vgl. Kap 4.2.4, S. 89 f; Kemmler 1991, S. 20 f) enthalten sind. Die übrigen Begriffe, wie etwa Mutlosigkeit, Erwartung und Entspannung, die nach Kemmler nicht als Emotion gewertet werden, wurden nicht gezählt. Auf die insgesamt 69 bei Mannhaupt genannten Emotionen fallen zusammen 1143 Nennungen, auf die hier gewerteten 44 Emotionen 880 Nennungen. Die Betrachtung der Emotionsgruppen zeigt eine große Dominanz der ersten drei Gruppen Freude, Traurigkeit und Aggressions1ust, wobei die FreudeEmotionen mit 241 Nennungen über 27 % der 880 Emotionsnennungen ausmachen und alle drei Gruppen mit 599 Nennungen 68 %.
154
Diagramm 6: Emotionsnennungen in Emotionsgruppen bei Mannbaupt (vgl. Mannhaupt 1983, S. 270), ohne die in der vorliegenden Untersuchung nicht gerechneten Emotionsbezeichnungen. Insgesamt 880 Nennungen fallen auf die 44 verschiedenen Emotionswörter, die den 16 Emotionsgruppen zugeteilt wurden. 275 .,--
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Von den insgesamt 880 Emotionsnennungen in der Untersuchung von Mannbaupt fallen 397 Nennungen auf angenehm eingestufte Emotionen, 474 Nennungen auf unangenehme (neun Emotionsnennungen fallen auf die neutralen Emotionen der Restgruppe). Das Verhältnis von 46 % angenehmen zu 54 % unangenehmen bedeutet eine leichte Vorrangstellung der angenehmen. Da unter den unangenehmen Emotionen die Gruppe der Aggressionslust sehr stark vertreten ist, und diese nur knapp als unangenehm angesehen wird, relativiert sich der Vorsprung der unangenehmen Emotionen weiter. Bei Gegenüberstellung der Emotionsgruppenverteilung mit der vorliegenden Untersuchung fällt auf, dass bei den Ergebnissen beider Untersuchungen, sowohl der von Mannbaupt als auch der der Menschen mit Autismus, die Freude-Emotionen an erster Stelle der insgesamt 16 Emotionsgruppen stehen (mit 27,4 % bei Mannbaupt und 16,63 % bei den Menschen mit Autismus). Die Zuneigungsgruppe ist bei den Menschen mit Autismus an zweiter Stelle mit nur 20 % Differenz zur ersten Gruppe, in der Untersuchung von Mannbaupt 155
ist sie erst an vierter Stelle zu finden, mit 68 % Differenz zu den Nennungen der ersten Gruppe. Eine große Differenz zeigt sich in Bezug auf die Sicherheitsthematik: Mit Gruppen Sicherheit und Unsicherheit nimmt sie bei den Menschen mit Autismus einen hohen Stellenwert ein (mit dem fiinften und sechsten Platz und etwa 20 % der gesamten Emotionsnennungen) und liegt in der Untersuchung von Mannhaupt weit hinten am neunten und dreizehnten Platz mit weniger als 2 % der Emotionsnennungen. Unter den bei Mannhaupt sehr dominanten ersten drei Gruppen steht (neben Freude und Traurigkeit, die auch bei den Menschen mit Autismus weit vorne liegen) die Aggressionslust mit 20 % der Nennungen an dritter Stelle. Diese nimmt bei den Menschen mit Autismus mit nur 7 % an siebter Stelle stehend einen wesentlich kleineren Stellenwert ein. Auch die Lust-Gruppe ist bei Menschen mit Autismus mit 2,6 % der Nennungen erst an 10. Stelle stehend deutlich unwichtiger als bei Mannhaupt, wo diese Emotionen mit fast 5 % schon an sechster Stelle zu finden sind.
5.4.2 l)iskussion Bei der nun folgenden Diskussion der erfolgten Gegenüberstellungen der vorliegenden Untersuchung und den Untersuchungen von Kemmler und von Mannhaupt muss einerseits beachtet werden, dass bei Mannhaupt nicht erlebte Emotionen sondern spontan genannte Gefühlsbegriffe einer Personengruppe Ausgangsmaterial sind. Obwohl die Verteilung der genannten Emotionen daher nicht mit deren Erleben übereinstimmen muss, ein direkter Vergleich der Ergebnisse daher nicht möglich ist, repräsentieren die genannten Emotionen dennoch die individuell jeweils präsentesten Emotionen der Versuchspersonen. Andererseits darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Kemmler et al. nicht die Durchschnittsbevölkerung, sondern Psychotherapie-Patienten untersuchten. Damit erklärt sich das große Vorherrschen der Angst-Emotionen bei Kemmlers Untersuchung, das im Gegensatz zur Untersuchung der Menschen mit Autismus steht. Diese Differenz war zu erwarten, da bei Kemmler die psychotherapeutischen Gespräche von Menschen, die also einen irgendwie gearteten Leidensdruck empfinden, mit ihren Therapeuten untersucht wurden und Angst ein häufiger Grund ist, eine Psychotherapie aufzusuchen. Dass bei den Menschen mit Autismus Angst nicht dominiert, und als vierte der fünf stark vertretenen Emotionen das emotionale Empfinden nach den Erzählungen der untersuchten Betroffenen also nicht beherrscht, ist dennoch ein positives Er-
156
gebnis, das den Erwartungen, die sich aus den Darstellungen in der Autismus-Fachliteratur ergeben, nicht entspricht. Ein interessantes und deutliches Ergebnis der Gegenüberstellungen ist die auffallend große Zahl an Nennungen von Emotionen aus der Zuneigungsgruppe bei den Menschen mit Autismus. Die Zuneigungsemotionen nehmen
hier als zweithäufigste Emotionsgruppe mit über 13 % der Nennungen einen sehr hohen Stellenwert ein. Dagegen machen Zuneigungsemotionen bei Mannhaupt an vierter Stelle stehend nur 8,75 % der Nennungen aus und bei Kemmler finden sie sich unter den häufigen auf das tatsächliche Erleben bezogenen gar nicht. Nur unter Betrachtung jeder Art der Thematisierung bei Kemmler finden sie sich mit knappen 6 % der Nennungen an siebenter Stelle. Das Ausgehen von einer generellen Beeinträchtigung der sozio-emotionalen Gegenseitigkeit, bei Personen mit Autismus, und einem eingeschränkten Interesse an Menschen und Freundschaften (vgl. z. B. Poustka et al. 2004, S. 9 f), lässt ein geringes Vorhandensein von Zuneigungsemotionen erwarten. Tatsächlich aber sind diese im Erleben der Betroffenen den Ergebnissen dieser Untersuchung zufolge besonders stark vorhanden. Bei Betrachtung des situativen Zusammenhangs der erlebten Emotionen wird dieses Ergebnis dann situationsbezogen betrachtet. Die Sicherheitsthematik (positiv und negativ) nimmt in Kemmlers Untersuchung der Psychotherapiepatienten mit 15 % einen hohen Stellenwert ein, nicht so hoch wie bei den Menschen mit Autismus mit 20 %. Hingegen spielt in der Untersuchung von Mannhaupt, wo Menschen nach typischen Emotionswörtern befragt wurden, die Sicherheitsthematik eine untergeordnete Rolle, mit weniger als 2 % der Nennungen sind die Emotionen der Sicherheit und Unsicherheit kaum erwähnenswert. Dass einige Emotionsbegriffe, die dieser Gruppen angehören (wie z. B. Verwirrtheit und auch Sicherheit selbst) nicht immer als eindeutige Vertreter des Konstrukts Emotion angesehen werden, spielt hier wahrscheinlich teilweise mit hinein. Dennoch ist die Verschiebung von der großen Dominanz
der Sicherheitsthematik bei den Menschen mit Autismus, der weniger großen Wichtigkeit bei Menschen, die Psychotherapie aufsuchen zur Unwichtigkeit, die Sicherheit und Unsicherheitsempfmdungen für die Durchschnittsbevölkerung einnimmt, charakteristisch und bedeutungsvoll: Unwichtig für die Normalbevölkerung nimmt die Sicherheitsthematik bei Psychotherapie-Patienten schon einen wesentlich höheren Stellenwert ein. Für Menschen mit Autismus werden in der einschlägigen Fachliteratur Unsicherheitsempfindungen als eines der Kemprobleme postuliert (vgl. u. a. Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 31), die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigen dies. Eine eher unerwartete Erkenntnis aus der Gegenüberstellung ist der im Vergleich zu beiden Vergleichsuntersuchungen niedrige Stellenwert, den Aggressi-
157
ons-Emotionen bei den Menschen mit Autismus einnehmen. Bei Mannhaupt und Kemmler an zweiter und dritter Stelle stehend, erreichen die Aggressionsemotionen bei den Menschen mit Autismus nur 7 % der genannten erlebten Emotionen und sind als Gruppe erst an siebenter Stelle zu finden. Die Aggressionsemotionen (u, a. Ärger, Gereiztheit, Wut, Zorn) zeigen sich also im Erleben der Menschen mit Autismus wenig präsent, obwohl Autismus häufig mit aggressivem Verhalten assoziiert ist, (vgl. u. a. Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 180 ff, 183 f; Remschmidt 2002, S. 89) und für den Betroffenen durch den Autismus eine Reihe von Aggressionsursachen entstehen (Ängste, Frustrationen, die verhinderte Möglichkeit, Ritualen und Bedürfnissen nachzugehen, die oft unbedachten Reaktionen der Mitmenschen auf den Betroffenen etc.). Aggressionsemotionen sind größtenteils sehr "sichtbare" Emotionen und werden durch die vorkommenden Aggressionsausbrüche und -handlungen bei Menschen mit Autismus von ihrer Umgebung deutlicher wahrgenommen, als die meisten anderen Emotionen. Der Eindruck eines Übergewichts an Aggression neben sonst weniger intensiven Emotionen bei Menschen mit Autismus kann also auch durch den ansonsten für diese Menschen typischen veränderten und schwach ausgeprägten Emotionsausdmck bedingt sein, und nicht durch ein tatsächlich vermehrtes Vorhandensein dieser Emotion. Auch ist es möglich, dass es eher die Probleme im Umgang mit erlebter Aggression - wie mit Emotionen an sich - sind, die bei Menschen mit Autismus zu Emotionsausbrüchen führen und nicht ein prinzipiell besonders starkes Vorhandensein aggressiven Empfindens. Zu beachten ist auch, dass die primäre auslösende Emotion vieler der so genannten "Wutausbrüche" der Betroffenen in Wahrheit nicht Wut oder Aggression ist. Häufig kommt es aufgrund von extremer Verzweiflung, Hilflosigkeitsgefühlen und Angst zu Ausbrüchen, die als wütendes Schreien, zorniges Werfen oder Zerstören von Gegenständen oder als aggressives um sich Schlagen bzw. Attackieren von Mitmenschen wahrgenommen werden. Die von Autismus betroffene Gunilla Gerland erklärt: ,,{Meine Mutter} nannte es Wutausbrüche, aber für mich hatte es nichts mit Wut zu tun. Eher mit einem starken Panikgefühl, es ging um Leben und Tod {...}" (Gerland 1998, S. 28; längerer Zitatausschnitt s. S. 182) Derartige Ängste werden aber nicht notwendig von Extremsituationen ausgelöst, häufig ist es eine spontane Assoziation zu längst Vergangenem, der Anblick von bestimmten Gegenständen oder bestimmte alltägliche Geräusche etwa, die diese Panikreaktionen auslösen. Gerland dazu: ,,{...] gewisse Geräusche erschreckten mich einfach {...]. Sie explodierten in meinem Innern und bewirkten, dass ich völlig das Gefühl dafür verlor, wie der Körper sich zu seiner Umgebung verhielt. Es war so, als würde ich in den Weltraum hinausgeschleudert. Geradewegs in den Weltraum hinaus - sswisch - ganz ohne Vorwarnung." (ebd., 158
S. 31) Für den Beobachter, der die betroffene Person nicht sehr gut kennt, ist also nichts Angsteinflößendes an der Situation zu erkennen, welches das Schreien oder Toben der betreffenden Person erklären könnte. Auch positive Gefiihle wie Begeisterung und Freude oder selbst Zuneigung einer Person gegenüber können aufwühlend sein und mangels adäquater Ausdrucksmöglichkeiten (vgl. S. 175) in scheinbar destruktiven Verhaltensweisen wie Zwicken, Schlagen u. ä. Ausdruck finden. So wird leicht auf Aggressionshandlungen geschlossen, wo andere Emotionen als Auslöser im Vordergrund stehen und aggressive Gefiihle tatsächlich relativ wenig präsent sind. Doch noch ein weiteres Faktum könnte hier eine Rolle spielen: Menschen im Allgemeinen neigen dazu, sich etwas näher an moralischen Normen und den Regeln entsprechend darzustellen, als sie es tatsächlich sind. Aggressionsemotionen entsprechen nicht den moralischen Standards unserer Gesellschaft und gelten zum Teil sogar als besonders ablehnenswert. Ob dieses Faktum, dessen Einfluss bei Emotionsforschung, die auf eigenen Darstellungen des zu Untersuchenden und nicht etwa auf Beobachtung basiert, hier bei den Menschen mit Autismus ins Gewicht fällt, lässt sich nicht ausschließen. Während den Berichten der Menschen mit Autismus zufolge in ihrem Erleben positive und negative Emotionen annähernd gleich verteilt sind (vgl. Kap. 5.3), zeigt die Emotionsverteilung in Kemmlers Untersuchung der psychotherapeutischen Gespräche insgesamt ein deutliches Überwiegen negativer Emotionen. Das negative emotionale Gesamtbild bei Kemmler ist logisch, durch die gewählte Personengruppe (Menschen die Psychotherapie aufsuchen und deren Therapeuten) und die Art der untersuchten Gespräche derselben (die therapeutischen Sitzungen, die vorhandene Probleme aufarbeiten sollen). Doch ebenso wäre es vorstellbar gewesen, dass bei den Menschen mit Autismus ein durch Belastung entstandenes Vorherrschen negativen Erlebens in den Autobiographien, die über das Leben mit dieser Mehrbelastung berichten, zum Ausdruck hätte kommen können. Auch in Mannhaupts Liste der von der Allgemeinbevölkerung häufig genannten Emotionen, ist ein geringgradiges Vorherrschen von unangenehmen Emotionen festzustellen. Es ist wesentlich weniger deutlich als das in der Untersuchung von Kemmler, dennoch fällt auf, dass damit die Untersuchung der Menschen mit Autismus die einzige ist, die eine knappe Mehrheit an angenehmen Emotionen aufweist. Die Gegenüberstellung verstärkt die Aussagekraft des oben diskutieren Ergebnisses (s. Seite 149) und verdeutlicht noch einmal das ausgeglichene Nebeneinander an negativen Belastungsemotionen und schönen Emotionen des Wohlbefmdens im Erleben der autistisch wahrnehmenden Menschen. 159
5.5 KOMPLEXITÄT DER EMOTIONEN
5.5.1 Darstellung Zur Betrachtung der von den Menschen mit Autismus erlebten Emotionen nach ihrer Komplexität und den vorausgesetzten Entwicklungsschritten, sollen die spät entwickelten sekundären Emotionen herangezogen werden, die in der nach Geppert und Heckhausen erstellten Liste (s. Tabelle 4, S. 67) angefiihrt sind. Es sind das die Emotionen Schüchternheit, Verachtung, Eifersucht, Trotz, Scham, Schuld, Liebe und Stolz, sowie Hoffnung und Enttäuschung, die im Emotionsteil (Kap. 2.2.4.2 S. 64 & 2.2.4.4, S. 68) näher betrachtet wurden. Schüchternheit fällt weg, da diese in der für die vorliegende Untersuchung verwendeten Liste an Emotionswörtern nicht vorhanden ist. Verachtung ist eine der in der vorliegenden Untersuchung gewerteten Emotionen, wird aber von den Menschen mit Autismus in den untersuchten Texten in keinem Zusammenhang thematisiert. Eifersucht wird in den analysierten Textstellen zweimal, jeweils in verneinter Form aufs eigene Erleben bezogen benannt. Die Emotion Trotz wird zweimal genannt, aber nur einmal als selbst erlebte Emotion. Die Emotion Scham erhält insgesamt 10 Nennungen der autistischen Autoren, sieben davon thematisieren tatsächliches eigenes Erleben. Schuld wird dreimal genannt, jeweils auf eigenes Erleben bezogen, jedoch einmal verneint, zweimal also als tatsächlich erlebt. Die Emotion Liebe erreicht 51 Nennungen. 35 davon mit Selbstbezug, davon nur eine Nennung in verneinter Form 34 Nennungen der Emotion Liebe benennen also tatsächliches eigenes Erleben. Stolz wird bei 13 Nennungen neunmal als tatsächlich selbst erlebte Emotion dargestellt, vierrnal in anderem Zusammenhang thematisiert. Hoffnung wird von den Autoren 14-mal benannt, davon elfmal als tatsächlich erlebte Emotion, dreimal in anderem Zusammenhang. Die Emotion Enttäuschung schließlich wird bei elf Nennungen achtmal auf eigenes Erleben bezogen, davon einmal verneint, siebenmal als tatsächlich erlebte Emotion. (s. Tabelle 10)
160
Tabelle 10: Nennhäufigkeit der komplexen Emotionen. Emotionsbegriff Liebe Hoffnung Stolz Enttäuschung Scham Schuld Trotz Eifersucht Verachtung
Selbst erlebt
Selbst nicht erI.
Anderer Zus.
Gesamt
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16 3 4 3 2 0 1 0 0
51 14 13 11 10 3 2 2 0
11 9
7 7 2
1
0 0
5.5.2 l)iskussion Die herausgegriffenen komplexen Emotionen sind jene, die kognitive Entwicklungen wie die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstbeurteilung voraussetzen, sowie die Bewusstheit über moralische und kulturelle Normen und Regeln. (vgl. Kap. 2.2.4, S. 61) Die Häufigkeitsverteilung der Nennungen dieser komplexen Emotionen unterscheidet sich nicht wesentlich von der Verteilung aller Emotionsnennungen, weder bezogen auf selbst erlebte Emotionen, noch bezogen auf die gesamte Nennhäufigkeit. Der Untersuchung der Autobiographien zufolge, sind bei Menschen mit Autismus weder in der Häufigkeit des Erlebens noch im Verstehen und Zuordnen der Emotionen Unterschiede zwischen einfachen Primäremotionen und komplexen Emotionen feststellbar. Folglich ist bei Menschen mit Autismus die Fähigkeit zur Selbstreßexion und zur Beurteilung des eigenen Selbst mit Bezug auf soziale sowie moralische Normen und Regeln gegeben, sowie ein damit verbundenes Bewusstsein bezüglich der an sie gestellten Erwartungen aus der Umwelt, denn all das ist Voraussetzung fiir ein Erleben gewisser sekundärer Emotionen. (vgl. dazu Kap. 2.2.4.4, S. 68) Besonders Stolz, Scham und Schu1d sind solche Emotionen aus den Erfahrungsbereichen des Leistungshandelns und des moralischen Handelns und werden den Texten zufolge in hoher Frequenz erlebt. (vgl. Geppert & Heckhausen 1990, S. 173 :ff) Ein interessantes Ergebnis zeigt sich bei Betrachtung der Emotionen Hoffnung und Enttäuschung. Diese erfordern unter anderem die Fähigkeit, nicht nur die eigenen Bedürfnisse im Hier und Jetzt zu erleben, sondern auch eigene zukünftige sowie fremde Wünsche zu antizipieren. Als Grundlage dafiir wird eine 161
funktionierende theory 0/ mind angesehen (s. S. 69). Demnach stehen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, wo Hoffnung mit 2,4 % bei Menschen mit Autismus die zwölft-häufigste von 71 als erlebt genannten Emotionen ist und zusammen mit Enttäuschung sogar 4 % der Emotionserlebnisse ausmacht, im Widerspruch zu den Annahmen aus der Autismusforschung, gemäß derer Menschen mit Autismus in den meisten Fällen nicht in der Lage sind, eine theory 0/ mind zu entwickeln. Um wissenschaftliche Relevanz zu erreichen, müsste dieser Umstand jedoch tiefergehender Erforschung unterzogen werden. Wenn es um die Betrachtung der Komplexität der Emotionen geht, darf der Umstand nicht außer Acht gelassen werden, dass die untersuchten Menschen mit Autismus im Vergleich zur Gesamtzahl der Betroffenen über herausragende intellektuelle Fähigkeiten verfügen, was an der Gewähltheit und Differenziertheit der Sprache, in der die Autobiographien verfasst sind, deutlich wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass im Empfinden und Bewusstsein jener Menschen mit Autismus, deren intellektuelle Fähigkeiten weniger gut entwickelt sind, diese sekundären Emotionen, die die Fähigkeit zu komplexen Denkprozessen voraussetzen, nicht oder weniger stark präsent sind. (vgl. dazu auch Kap. 4.3.1 zur Reichweite der Aussagekraft) Dennoch weist dieses Ergebnis darauf hin, dass der Autismus selbst keinen Ausschlussgrund für ein Erleben, Wahrnehmen und Erkennen der gesamten Emotionsbandbreite mit sowohl grundlegenden, als auch komplexen, sekundären Emotionen darstellt. 5.6 ART DER THEMATISIERUNG DER EMOTIONEN
5.6.1 Darstellung Die Thematisierung einer Emotion kann anband unterschiedlicher Aspekte der Emotion erfolgen: Anband des subjektiven Emotionserlebens, anband gefühlsgetönter Kognitionen, anband einer unmittelbar von der Emotion ausgelösten körperlichen Reaktion oder Verhaltensreaktion. Betrachtet wurden hier jene Emotionssituationen, die von den Autoren direkt durch ein Emotionswort angesprochen wurden. In den untersuchten Textstellen der autistisch wahrnehmenden Personen werden 70 % der benannten Emotionen mittels gefühlsgetönten Gedanken und Wertungen (Kognitionen) angesprochen, 27 % anband des subjektiven Erlebensaspektes, 2 % mittels einer direkt auf die Emotion folgenden Verhaltensreaktion, wie Weinen, Flüchten, Umarmen, etc., und 1 % der Emotionen durch eine physiologische Reaktion, wie Herzklopfen, Schwitzen etc. (s. Diagramm 7) 162
Diagramm 7 zeigt die Verteilung der Arten der Emotionsdarstellung. Es wird sowohl die Anzahl solcherart angesprochener Emotionsnennungen als auch der entsprechende Prozentsatz angefiihrt. PhysiologischeReaktion 7 1% --
Verhaltensreaktion 15 2%
subjektives Erleben 170 27%
• subjektives Erleben • GefOhlsgetönle Kognition
o PhysiologischeReektion o Verheltensreektlon
Getahlsgelönte Kognition 432 70%
5.6.2 Diskussion Der größte Teil der Emotionsnennungen wird in den Texten anhand von emotionsgetönten Gedanken wiedergegeben. Emotionen sind also im Bewusstsein der Betroffenen stark mit Einschätzungen und Bewertungen (Kognitionen) verbunden. Auch der subjektive Erlebensaspekt der Emotion hat eine große Bedeutung: mehr als ein Viertel der direkt benannten Emotionen wird durch das emotionale Gefühl an sich angesprochen. Am stärksten sind also alle innerpsychischen Vorgänge bei den Betroffenen mit Emotionen assozüert. Ein damit verglichen sehr geringer Anteil der Emotionen wird durch eine körperliche oder Verhaltensreaktion verdeutlicht. Diese 22 derartigen Emotionsdarstellungen, die 3 % der gesamten Emotionswortnennungen ausmachen, können zwar Hinweis sein, dass ein gewisses Bewusstsein bezüglich äußerer Vorgänge des Körpers als Teil von emotionalen Erlebnissen vorhanden ist, reichen aber nicht als Beleg für ein Vorhandensein eines ganzheitlichen Emotionsverständnisses von Menschen mit Autismus, das aUe Komponenten einer Emotion umfasst. Es kann durch 163
das erzielte Ergebnis nicht auf eine bei Menschen mit Autismus vorhandene
intuitive Zuordnung von Emotionsreaktionen wie Weinen, Zusammenzucken, Herzklopfen, Zittern etc. zur Emotion an sich geschlossen werden.
5.7 AUSSAGEN MIT EMOTIONALEM GEHALT
5.7.1 Darstellung Die zur Analyse herangezogenen Textstellen wurden nach den methodischen Vorgaben in 3228 Sinneinheiten unterteilt", Davon beinhalten 1930 Sinneinheiten emotionalen Gehalt, 1298 Sinneinheiten werden als "cold cognitions" bezeichnet, sie beinhalten kein emotionales Geschehen. Diagramm 8 zeigt die Verteilung der 3228 Sinneinheiten auf Aussagen mit und Aussagen ohne emotionalen Gehalt. 3500 3250 3000 2750 2500 2250 2000 1750 1500 1250 1000 750 500 250 0
Gesamt: 3228
Jene Sinn einheiten, in denen mehr als ein emotionaler Vorgang angesprochen wird (meist im Sinne zweier oder mehrerer explizit geäußerter Emotionswörter), wurden entsprechend mehrfach gezählt. Daraus ergibt sich eine Differenz von 122 Sinneinheiten zwischen den hier gezählten 3228 kodieren Sinneinheiten zu den vor dem Analysevorgang gezählten 3106 Sinneinheiten, wie sie oben im Zuge der Methodenbeschreibung dargestellt werden.
SS
164
Annähernd 60 % der analysierten Aussagen in den Autobiographien thematisieren also emotionales Geschehen, etwa 40 % sind "cold cognitions", also emotionslose Aussagen. (s. Diagramm 8) Von den 1930 Emotionsaussagen beziehen sich 1692 auf den von Autismus betroffenen Autor der Texte selbst (40 davon in verneinter Form) und 238 Aussagen auf nicht eigenes Emotionsgeschehen (davon 9 in verneinter Form). In 1652 der insgesamt 3228 analysierten Aussagen wird also von den Autoren tatsächliches eigenes emotionales Geschehen (= bejaht) angesprochen. Daraus folgt, dass 51 % aller 3228 analysierten Aussagen eigene erlebte emotionale Empfindungen thematisieren. (s. Diagramm 9) Diagramm 9 zeigt die Verteilung der Aussagen mit und ohne Emotionsgehalt, sowie bei Emotionsgeschehen den Bezug. 229
9
o Kein Emolionsgehalt • Eigenes Emotionsgeschehen bejaht 111 Eigenes Emotionsgeschehen vemeint • Emollonsgeschehen anderer bejaht 11Emotionsgeschehen anderer vemelnt
Verglichen mit dem entsprechenden Ergebnis aus Kemmlers Untersuchung der psychotherapeutischen Sitzungsgespräche, lässt sich feststellen, dass dort der Anteil emotionalen Geschehens größer ist als bei den Menschen mit Autismus, dort machten emotionale Aussagen 85,4 % der Gespräche aus. Jedoch muss angemerkt werden, dass es erwartet wurde, dass emotionales Geschehen den Hauptanteil psychotherapeutischer Gespräche bildet, da dieses hier als thematischer Hauptgegenstand angesehen wird. (vgl. Kemmler et al. 1991, S. 54 f)
165
5.7.2 Diskussion Die untersuchten Menschen mit Autismus sprechen also den Untersuchungsergebnissen zufolge in ihren Lebensberichten mit 60 % der getätigten Aussagen Emotionsgeschehen an (s. Diagramm 8) Es werden also mit deutlich mehr als der Hälfte der Textanteile emotionale Inhalte aufgegriffen. Damit verglichen sind die Anteile an emotionalem Gehalt in psychotherapeutischen Sitzungen bei Kemmler mit etwa 85 % deutlich höher, was sich dadurch erklärt, dass hier charakteristischer Weise Emotionales der geplante Gesprächsinhalt ist, was bei autobiographischen Lebenserzählungen nicht notwendiger Weise der Fall ist. Eine Autobiographie muss zur Verständlichkeit der Inhalte viele Begebenheiten und äußere Umstände im Leben darstellen, die nicht vorrangig emotional sein müssen. Dennoch ist davon auszugehen, dass in der biographischen Erzählung der Schwerpunkt auf die emotional bedeutsamen Inhalte gelegt wird. Nach Auffassung der Verfasserin zeigt sich damit eine für eine Autobiographie durchschnittliche Nennhäufigkeit emotionaler Inhalte, was sich jedoch mangels expliziter Vergleichswerte statistisch nicht belegen lässt. Von allen emotionalen Aussagen beziehen sich 87,7 % auf den Autor selbst und 12,3 % auf andere Personen oder einen allgemeinen Zusammenhang. Das eigene emotionale Empfinden hat also die weitaus größte Bedeutung in der Thematisierung emotionaler Inhalte. Mit einer Thematisierung in 52 % aller analysierten Aussagen, zeigt sich der große Stellenwert, den die eigenen Emotionen der Autoren in ihren Autobiographien einnehmen. Das verdeutlicht, dass die eigenen Emotionen und das emotionale Geschehen den Menschen mit Autismus sehr bewusst sind und auch rückblickend eng mit den dargestellten Ereignissen des bisherigen Lebens verbunden sind. Mehr als die Hälfte aller Aussagen beinhalten also eigene emotionale Wertungen, Gedanken und Gefühle, es wird folglich der Großteil der Ereignisse emotional aufgenommen und bewertet. Das verdeutlicht, dass Autobiographien von Menschen mit Autismus und damit ihre Auffassung des eigenen Lebens, absolut keine "trockene" Reihung von Fakten und Ereignissen ist, wie es manchmal mit Menschen mit Asperger-Syndrom oder Autismus assoziiert wird. Die 12,3 % an Aussagen, die sich Emotionalem ohne Selbstbezug widmen, zeigen, dass die untersuchten Betroffenen auch unabhängig von eigenen Empfmdungen die Emotionen anderer wahrnehmen und über Emotionen nachdenken. Sie beobachten das emotionale an den Handlungen und Verhaltensweisen der Mitmenschen und nehmen das in ihre Lebenserzählungen mit auf. Auch in allgemeinem Zusammenhang haben Emotionen also fiir die Betroffenen eine Bedeutung.
166
5.8 VERGLEICH ERLEBTER MIT NICHT ERLEBTEN BENANNTEN EMOTIONEN 5.8.1 Darstellung
In den analysierten Textstellen wurden insgesamt 81 verschiedene Emotionswörter genannt, auf die zusammen 624 Einzelnennungen fallen. Darunter sind Emotionswortnennungen, die sich auf tatsächliches oder verneintes eigenes emotionales Erleben beziehen oder ohne Zusammenhang mit eigenem Erleben in bejahter oder verneinter Form entweder bezogen auf das beobachtete Emotionserleben anderer, oder in einem allgemeinen Zusammenhang thematisiert wurden. Beispiele: 1) Tatsächliches eigenes emotionales Erleben: Bsp. Hass: ,,ich hasste die Veränderer und die Veränderungen. Für mich war das nichts weniger als Mord." (Prince-Hughes 2004, S. 27) Bsp. Sicherheit: ,.Mit jeder Minute näherte sich der Unterricht dem rettenden Pausenklingeln. Mit jeder Minute gewann ich an Sicherheit." (Brauns 2004a. S. 83) 2) Verneintes eigenes emotionales Erleben: Bsp. Traurigkeit: ,,Es kränkte mich kein bisschen, dass jemand, den ich nicht kannte, mich hässlich fand' (Gerland 1998, S. 275) Bsp. Einsamkeit: ,,Allein fiihlte ich mich wohl und kam mir selten einsam vor." (Prince-Hughes 2004, S. 155) 3) Nicht eigenes emotionales Erleben (= Emotion anderer 00. allgemein thematisiert): Bsp. Scham: .Sie schämt sich immer, wenn sie spürt, dass sie anders aussieht oder anders handelt." (Willey 2003, S. 137) Bsp. Freude: .Jedes Kind freute sich doch auf Geburtstagsfeiern oder darauf, die Oma besuchen zu können ." (Willey S. 29) Bsp. Wut: ,,Es fällt mir schwer zu sehen und zu ertragen, mit welcher Wut Erwachsene manchmal aufKinder reagieren." 4) Verneintes nicht eigenes emotionales Erleben: Bsp. Hoffnung: .Sie [ ...} leben so dahin, ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft" (Willey 2003, S. 317) Bsp. Beruhigung: .Sie schimpfte mich aus wie selten. Sie wollte sich gar nicht mehr beruhigen." (Brauns 2004a, S. 262) Bsp. Langeweile: .Sie sah gelangweilt aus und war es nicht." (Brauns 2004a, S. 354)
167
Es interessiert hier das Verhältnis zwischen den laut Darstellung in den Autobiographien tatsächlich erlebten Emotionen (Gruppe 1) und den nicht erlebten (verneinten oder nicht eigenen Emotionen, Gruppen 2,3,4). Weiters wird betrachtet, in welchem Verhältnis Emotionsnennungen mit Selbstbezug (Gruppen 1,2) zu jenen, die sich nicht auf die eigene Person beziehen (Gruppen 3, 4), stehen. Von den 624 Emotionswortnennungen beziehen sich 498 Nennungen auf eigenes, 126 aufnicht eigenes emotionales Erleben. Von den 498 eigenen gehören 458 den tatsächlich (bejaht) selbst erlebten Emotionen an (Gruppe 1) und nur 40 Emotionsnennungen thematisieren eigenes emotionales Erleben in verneinter Form (Gruppe 2). Von den 126 Emotionsnennungen ohne Selbstbezug fallen 116 Nennungen auf bejahtes (Gruppe 3) und nur 10 Nennungen auf verneintes nicht eigenes emotionales Erleben. Die Verteilung der Emotionswortnennungen auf die vier Gruppen wird in Diagramm 10 bildlich dargestellt. Diagramm 10 zeigt die Verteilung der Emotionswort-Nennungen mit und ohne Eigenbezug, jeweils in bejahter und verneinter Form 10
40
• Eigenes Erleben bejaht liI Eigenes Erleben vemeint o Nicht eigenes Erleben bejaht
o Nicht eigenes Erleben vemeint
168
Diagramm 11 verdeutlicht die Verteilung erlebter und nicht erlebter Emotionen. Die linke Spalte bildet jene Emotionsnennungen ab, die im Text als selbst erlebte Emotionen thematisiert werden, die rechte Spalte jene, die in verneinter Form oder ohne Selbstbezug genannt werden. Diagramm 11 zeigt die Verteilung der Emotionswort-Nennungen erlebter und nicht erlebter Emotionen SOO , 47S
.......
.j--------------------------~
4S0 . j - - - 42S . j - - - 400 . j - - - 37S . j - - - 3S0 . j - - - 32S . j - - - 300 . j - - - 27S . j - - - 2S0 . j - - - 22S . j - - - 200 . j - - - 17S . j - - - 1S0 . j - - - 12S . j - - - 100 . j - - - 7S . j - - - so . j - - - 2S . j - - - O . j -E~ebte
Emotionen
Nicht e~ebte Emotionen
Von den insgesamt 624 Emotionsnennungen machen die erlebten mit 458 Nennungen 73,4 % und die nicht erlebten Emotionsnennungen mit 166 Einzelnennungen 26,6 % aus.
Beinahe drei Viertel der gesamten Emotionswortnennungen aller analysierten Textstellen der Menschen mit Autismus fallen also auf die vom Autor selbst erlebten Emotionen, ein Viertel auf anders thematisierte Emotionsnennungen.
Die Verteilung der Emotionswortnennungen mit und ohne Selbstbezug wird in Diagramm 12 dargestellt, wobei die linke Spalte alle Nennungen mit Selbstbezug des Autors abbildet, also die bejaht und die verneint thematisierten, und die rechte Spalte jene, die sich auf das Erleben anderer beziehen oder in allgemeinem Zusammenhang thematisiert werden (etwa: ,,Liebe ist ein schönes Gefühl.").
169
Diagramm 12 zeigt die Verteilung der Emotionswort-Nennungen mit und ohne Selbstbezug 525 , -500 . j - - - 475 f - - - 450 . j - - - 425 f - - - 400 . j - - - 375 . j - - - 350 . j - - - 325 . j - - - 300 f - - - 275 f - - - 250 f - - - 225 f - - - 200 f - - - 175 . j - - - 150 f - - - 125 . j - - - 100 f - - - 75 . j - - - 50 f - - - 25 . j - - - O f --
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Eigenes Erleben
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Nicht eigenes Erleben
Von den insgesamt 624 Emotionsnennungen machen jene mit Selbstbezug mit 498 Nennungen rund 80 % und jene ohne Selbstbezug mit 126 Nennungen etwa 20 % aus. Vier Fünftel der gesamten Emotionswortnennungen faUen somit auf beschriebenes emotionales Erleben, das sich (in verneinter oder bejahter Form) auf den Autor selbst bezieht, lediglich ein Fünftel der Nennungen fallt auf Emotionen, die sich nicht auf den Autor beziehen. 5.8.2 l)iskussion Etwa Dreiviertel (73,4 %) aller genannten Emotionswörter bezeichnen also eigenes emotionales Erleben der Autoren (in bejahter Form). Sogar 80 % aller Emotionswortnennungen beziehen sich in bejahter oder verneinter Form auf die Autoren selbst. Dem eigenen emotionalen Erleben wird also ein großer Stellenwert zugeschrieben. Die 20 % der Emotionswortnennungen, die sich auf andere Personen beziehen oder allgemein thematisiert werden, zeigen aber, dass die Autoren auch ein ausgeprägtes Bewusstsein für Emotionen ihrer Mitmenschen haben. Sie beobachten emotionales Verhalten und emotionale Reaktionen anderer und sprechen das auch in den Lebenserzählungen an. 170
Einzelbetrachtung: Es gibt acht Emotionswörter, die in den Texten benannt, nicht aber vom Autor als selbst erlebte Emotionen dargestellt werden. Diese sind (in Klammern jeweils die Nennhäufigkeit): Aggressionslust (3), Beunruhigung (I), Eifersucht (2), Geduld (2), Heiterkeit (I), Liebeskummer (6), Nähe (1) und Reue (1). Dieser Umstand hat nach Meinung der Verfasserin bezogen auf die Emotionswörter Aggressionslust, Beunruhigung und Heiterkeit insofern keine allzu große Aussagekraft, als dass inhaltlich ähnlich gela~erte Emotionswörter (wie Zorn, Wut bzw. Unsicherheit, Unruhe bzw. Freude 6) häufig auch als selbst erlebte Emotionen genannt werden. Auch die Emotion Reue wird vielleicht durch Schuldgefühl beim eigenen Erleben bloß anders ausgedrückt. Nähe wird ebenfalls bezogen auf eigenes Erleben nicht angesprochen, doch verwandte Emotionsbegriffe (Zuneigung, Liebe) werden genannt, doch ist es hier wahrscheinlicher, dass das auf Differenzen im Erleben der Betroffenen hinweist. Neben den vorhandenen Gefühlen der Zuneigung und Liebe bleibt bei den Menschen mit Autismus vielleicht das emotionale Nähe-Empfinden aus. Geduld wird den Aussagen in den Texten zufolge von den Autoren nicht erlebt, zweimal aber in anderem Zusammenhang angesprochen. Dieser Umstand wird hier nicht näher diskutiert, da der Begriff keine Emotion im eigentlichen Sinne darstellt (vgl. Schmidt-Atzert 1980, S. 36). Geduld ist in der Liste gewerteter Emotionswörter (nach Kemmler et a1. 1991) als Antonym von Ungeduld enthalten, welche viel eher eine Emotion darstellt (vgl. Schmidt-Atzert 1980, S. 35). Das Ansprechen von Geduld in den Texten hat daher bezogen auf emotionales Erleben bei Menschen mit Autismus keine besondere Relevanz. Der Liebeskummer wird sehr häufig in Bezug auf andere Personen genannt, allerdings ausschließlich von einem Autor, Axel Brauns. Die anderen Autoren thematisieren Liebeskummer nicht. Axel Brauns stellt fest, dass - zu seiner Verwunderung - in seinem Erleben nach einer zu Ende gegangenen Urlaubsbekanntschaft mit einem Mädchen kein Liebeskummer in seinen Gefühlen vorhanden ist. Betrachtet man seine Darstellungen genauer, so liegt jedoch die Vermutung nahe, dass es lediglich die Zuordnung des empfundenen Gefühls zu dem Begriff "Liebeskummer" ist, was fehlte. Brauns beschreibt die Heimfahrt vom Urlaub im Zug folgendermaßen: Unter dem Begriff ,,Freude" wurden die Begriffe ,,Freude" und ,,Fröhlichkeit" subsumiert, daraus ergibt sich eine Annäherung der ,,Freude"-Wertung zum Begriff ,,Heiterkeit".
56
171
,,{...] Immer wieder glitzerte Carolins blondes Haar auf Ich war überrascht und glücklich, dass sie immer noch Anwesenheit besaß in meiner Welt. Und wenn Kö7 sching ein Vorort von Hamburl wäre? Abwesend versuchte ich, meine Gefühle zu ordnen. Doch das Rattern und Rumpeln zerschütteltejeden Ansatz von Ordnung. Ich litt unter der Unfiihigkeit, mich aus meinem inneren Wirrwarr zu befreien. Wester Tresker - Carolin - Oase zur Sonne. Der kleine Papagei in mir murmelte sehnsüchtig die Worte nach. Tief riss der Klang alte Wunden auf Es war schön zugleich und schmerzlich. Leer geschlagen und traurig kehrte ich heim ins Hofhaus" (Brauns 2004a, S. 358) Bezogen auf diese Heimfahrt schreibt Axel Brauns einige Seiten später: ,,Ich dachte an den August zurück, an jenen casanovahaften Donnerstag am Strand und daran, dass ich aufder Heimreise nichts gespürt hatte, was man als Liebeskummer bezeichnen könnte." (ebd. S. 368)
Die Beschreibung der "schön und zugleich schmerzlich" empfundenen "alten Wunden" sowie die Worte "sehnsüchtig", "leer" und "traurig" deuten doch stark auf das Gefühl des Liebeskummers hin. Ähnlich ist es mit der Emotion Eifersucht. Brauns nennt Eifersucht in verneinter Form. In dieser Szene geht es um dasselbe Mädchen, Carolin, die er im Urlaub kennen gelernt hatte. Er war sehr stolz und es machte ihm große Freude, mit ihr zusammen zu sein. Das häufige Wiederholen der Liebeswörter erinnerte ihn an seine stereotypen Wortwiederholungen aus der Kindheit und machte ihn glücklich. An einem Tag traf das Mädchen einen anderen Mann, einen Fotografen und Axel sah Carolin zufällig mit diesem auf der Straße spazieren. Eilig wollte er wahrnehmen, wie dieser aussähe, was im Gesicht des Mädchens abzulesen wäre, ob ihr Gesicht vielleicht so aussah, wie damals, als Carolin, wie sie sagte, gerade dabei war, sich in Axel zu verlieben. ,,Aufdem Heimweg ging es in meinem Kopf drunter und drüber. [... ] Während der nächsten zwei Stunden umrundete ich viele Male den Ententeich. [... ] Zum ersten mal fiel mir auf, dass es ein Gefühl in mir nicht gab, dass es eigentlich geben musste. Ich war nicht eifersüchtig auf den Fotographen. In mir fand sich außer einigen Krümeln ZOBEnttäuschung nichts.", schreibt Brauns (2004a, S. 353) Auch an dieser Stelle kann nach Meinung der Verfasserin anband von Brauns' Beschreibung der Situation, seiner Gedanken und Gefühle auf ein Vorhandensein von Eifersuchtsgefiihlen geschlossen werden. Diese Szenen können als Hinweis aufgefasst werden, dass es vorkommt, dass komplexe Gefühle wie Liebeskummer und Eifersucht von Menschen mit Autismus zwar gekannt und bei Mitmenschen wahrgenommen werden, dass diese auch im eigenen Erleben vorhanden sind, jedoch diese eigene Empfindung nicht als solche Emotion identifiziert
57
Carolin lebte in Köscbing, Axel selbst in Hamburg.
172
wird und folglich dem entsprechenden Emotionsbegriff nicht zugeordnet werden kann. Auch Liane Willey verneint die Eifersucht bezogen auf eigenes Erleben, sie bietet dabei eine konkrete Erklärung, warum ihr Geftihl ihrer Meinung nach keine Eifersucht darstellt. Es geht um die Zeit, als sie etwa sechs Jahre alt war. Willey beschreibt, wie sehr sie es gehasst hatte, ihre Freundin Maureen mit einem anderen Kind spielen zu sehen. Sie sagt aber, dass es nicht ein Gefühl der Eifersucht war, warum sie das nicht gemocht hatte. Es war vielmehr ihre Annahme bzw. Befiirchtung, dass, sobald ein drittes Kind "in ihrem Kreis zugelassen" wäre, erwartet würde, dass auch sie mit diesem Kind spielte. .Jch glaube nicht, dass ich eifersüchtig gewesen bin. {...] Ich machte mir aus anderen Kindern zu wenig, als dass diese Gefühle angebracht gewesen wären. [ ...] Für mich war es einfache Logik. Ich hatte sie als Freundin. Sie hatte mich. Und das war es auch schon. Alles andere war offensichtlich eine Einmischung, ein gewaltsames Eindringen, und wenn ich es zuließ, brachte ich mich in eine mir unangenehme, mir unmögliche Situation. Wenn ich ein anderes kleines Kind in unserem Kreise zulassen würde, dann würde man von mir erwarten, dass ich auch mit ihm spielte." (vgl. Willey 2003, S. 22) In diesem Fall klingt es plausibel, dass Willeys Geftihl des Unbehagens in der Situation nicht demselben Ursprung entstammt, wie Eifersuchtsgeftihle. Ihre Art zu denken schließt möglicherweise dieses Gefiihl tatsächlich aus. Wenn dem so ist, dann ist es weniger die Komplexität der vorausgesetzten Denkweise an sich, die Gefühle der Eifersucht verhindert, sondern eher die abweichende Art, wie Willey Mitmenschen gegenüber steht. Das würde heißen, sie stellt sozusagen keinen .Besitzanspruch" an ihre beste Freundin, der sie diese nicht mit anderen Kindern teilen ließe, es ist viel eher die Angst vor diesem anderen Kind, das damit auch für sie selbst eine Rolle spielen würde. Die erhobenen Ergebnisse lassen keine eindeutige Aussage in Bezug auf Eifersuchtsgeftihle bei Menschen mit Autismus zu. Einerseits zeigt die Aussage von Willey, dass ihre autistische Art zu denken in typischen Eifersuchtssituationen dieses Gefiihl nicht aufkommen lässt, andererseits legt die Beschreibung von Brauns die Vermutung nahe, dass komplexe Geftihle wie das der Eifersucht zwar erlebt, aber nicht korrekt erkannt und zugeordnet werden können. Ein Nebeneinanderbestehen beider eigentlich konträren Erklärungen als Ursache für das Nichtvorhandensein des Gefiihls Eifersucht in verschiedenen Situationen oder bei verschiedenen Betroffenen ist durchaus plausibel und nach Meinung der Verfasserin sogar wahrscheinlich. Eifersucht und ähnliche komplexe Emotionen würden demnach von Menschen mit Autismus in charakteristischen Auslösesituationen partiell nicht erlebt, und wenn doch, nicht als solche identifiziert werden. 173
5.9 SITUATIVER ZUSAMMENHANG
5.9.1 Darstellung Abschließend soll ein Blick auf den situativen Zusammenhang in dem ausgewählte Emotionen von den Autoren erlebt werden, die Auseinandersetzung mit dem Thema Emotionen bei Menschen mit Autismus vertiefen. Das Interesse gilt den Situationen, in denen den Ergebnissen der Untersuchung zufolge Emotionen im Leben der Betroffenen eine Rolle spielen. Aufgrund deren Bedeutsamkeit für das Phänomen Autismus sowie der hohen Präsenz im Erleben der Betroffenen in den analysierten Textsequenzen, wurden hierfür exemplarisch die Emotionen Liebe sowie Angst und Schrecken herangezogen. Angst ist in der Autismusforschung immer ein wichtiges Thema und auch Liebe ist in Zusammenhang mit Zuneigung und sozialer Beziehungsfähigkeit bezogen auf Autismus von besonderem Interesse. Gleiches gilt für die Emotionen der Sicherheitsthematik (Sicherheit, Unsicherheit, Verwirrtheit etc.), diese wurden bereits in Kap. 5.1.2 sowie Kap. 5.2.2 bezogen auf ihrem situativen Zusammenhang diskutiert.
DIE EMOTION LIEBE Liebe wird der Gruppe der Zuneigungsemotionen zugeordnet und kennzeichnet prinzipiell ein sehr starkes, schönes GefühL Primär wird Liebe meist als Gefühl der starken Zuneigung zu einem Menschen oder einem Lebewesen allgemein und dabei oft im Sinne der romantischen oder Partnerliebe verstanden. (vgl. Mees & Rohde-Höft 2000, S. 239) Der Begriff Liebe inkludiert aber auch andere Arten von starker gerichteter Zuneigung, Hingezogenheit und Begeisterung. Auch Aussagen wie ,,Ich liebe es, das zu tun" wurde, wenn der Zusammenhang gemäß den Angaben von Kemmler et al. (1991, S. 22 fi) ein emotionaler war, in die Wertung der Emotion Liebe aufgenommen. Den Eigenaussagen zufolge wird von den Autoren mit Autismus die Emotion Liebe in den analysierten Szenen 34-mal erlebt. Bei Betrachtung der Zusammenhänge zeigt sich, dass sich diese Emotion in 12 der Nennungen auf Lebewesen (Ll-mal auf Menschen, einmal auf ein Tier) bezieht, 22-mal richtet sich die erlebte Liebe auf anderes, wie Wahrnehmungen, Dinge, Situationen oder allgemeine Gedanken (s. Tabelle 11).
174
Tabelle 11 stellt die Verteilung der Bezugsobjelcte der erlebten Emotion Liebe dar. Situation 9%
Allgemein 3%
Ding ~m
21% (:::::
• Mensch UTier lilI Wahrnehmung DDing ~Situation
~A1laemeln
Wahrnehmung 32%
Da menschliche Gefühle, allen voran das Gefühl der Liebe, sich üblicherweise in der überwiegenden Mehrzahl auf soziale Gegebenheiten beziehen (vgl. Euler 2000, S. 55), kann dieses Ergebnis als Hinweis auf eine Besonderheit der autistischen Art des Emotionsempfindens aufgefasst werden. Hier beziehen sich nur 11 Nennungen auf Mitmenschen, genauso viele wie auf Wahrnehmungen, die emotional geliebt werden, gefolgt von Dingen und Situationen. Es seien zur Veranschaulichung hier einige, von der Verfasserin als charakteristisch eingestufte Beispiel-Textstellen für jeden der drei häufigen Bezugsbereiche der Emotion Liebe dargestellt: Die Liebe zu Menschen macht etwa als ein Drittel der dargestellten Gefühle der Liebe aus. Bezogen auf Mitmenschen wird empfundene Liebe in den Autobiographien selten offen und ohne eine angesprochene Einschränkung thematisiert. In den meisten Szenen kommt zum Ausdruck, dass diese Liebe nicht direkt Ausdruck fand. Beispiel: Dawn Prince-Hughes beschreibt ihren ersten Tag im Kindergarten, als sie in der Reihe stehen musste und aufgrund des Lärmes und der schnellen Bewegun175
gen der anderen Kinder beinahe die Fassung verlor. In ihrer Verzweiflung sah sie sich nach etwas Festem um und fand einen Kieselstein, rannte zu ihrer Mutter und brachte ihn ihr. Diese verstand ihr Gefiihl vielleicht und nahm den Kiesel. .So laut ich konnte, dachte ich, dass ich sie liebte, dass ich nach Hause wollte
und dass ich auch wusste, dass es hoffnungslos war. Ich dachte daran, wie meine Mutter den Stein den ganzen Tag in der Hand halten und mich so bei sich festhalten würde." Dawn beschreibt, wie die anderen Kinder schrieen. .Sie liefen ihren Eltern nach und flehten sie an, nach Hause zu dürfen. Während die Erzieherin versuchte, Ordnung in dieses Chaos zu bringen, stand ich schweigend da. 'Jetzt ist alles vorbei', dachte ich bei mir. 'Mein Leben ist vorüber. '" (prince-
Hughes 2004, S. 41 f; längerer Ausschnitt s. S. 212) Dawn war so überwältigt von ihren Gefiihlen der Angst, Verwirrtheit und der Hoffnungslosigkeit gemischt mit der starken Liebe zu ihrer Mutter, konnte aber im Gegensatz zu den anderen Kindern keine dieser Emotionen verbalisieren. Dieses Beispiel ist charakteristisch für die Art, wie hier Emotionen Ausdruck finden: Sie denkt die Liebe ganz stark, kann sie aber - obwohl sie sprechen kann - nicht verbal zum Ausdruck bringen. Weitere Beispiele:
"Ohne weiter nachzudenken flicherte ich einen Satz Silben auf 'Ich liebe Dich '." (Brauns 2004a, S. 343) ,,Ein Vöglein aus frühsten Kindheitstagen wagte sich in mir hervor. Von weit weg sagte es zu Carolin: 'Ich liebe Dich '." (Brauns 2004a, S. 343) Brauns beschreibt sein verbalisieren des Verliebtseins als "einen Satz Silben", als "von weit weg" gesagt und zum Teil in der dritten Person. Das Vöglein von dem er spricht ist der ,,kleine Papagei" der ihn als Kind Wörter in Form von Echolalie ständig wiederholen ließ. Ob in diesem Fall hinter dem Satz .Jch liebe Dich" ein tatsächlich empfundenes Gefiihl des Liebens respektive des Verliebtseins steckt, oder mehr die Freude und Begeisterung über die Situation sowie der Stolz, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen.
"Wenn sie mich nicht sahen, wenn wir durch Mauem und Glas getrennt waren, dann war ich im Schutz der Dunkelheit in der Lage, meiner Liebe zu ihnen freien Laufzu lassen." (Prince-Hughes 2004, S. 29) Prince-Hughes braucht Distanz, wie sie sagt, um die Liebe zu ihrer Familie richtig empfinden zu können.
Liebe die sich auf Wahrnehmungen bezieht nimmt neben der Liebe Menschen gegenüber mit je 32 % den höchsten Stellenwert ein. Beispiele für angesprochene Liebe bezogen auf geliebte Wahrnehmungen sind: ,,Diese Biegung liebe ich" (Gerland 1998, S. 11); ,Jch liebe es die Holz-
klötzchen diese Biegung entlanggleiten zu sehen. Immer wieder von neuem. Beliebig lang." (ebd.) .Ich liebte das Gefühl, im Wasser zu treiben" (Willey 176
2003, S. 31); .Ich liebte den Geruch des Wagens [. ..J meines Großvaters und die Handtasche meiner Großmutter, aus der in Schwaden berauschende Düfte nach Lackleder, Pfefferminzbonbons, Lippenstift [. ..J und Parfüm aufstiegen." (Prince-Hughes 2004, S. 30); .Ich mochte das rhythmische Muster sehr gerne und liebte den Fluss, in dem sich mein Auge von links nach rechts und von oben nach unten bewegte." (Anm.: beim Lesen) (Willey 2003, S. 28); Weites werden Melodien, Geschmäcker und Reize auf der Zunge etc. genannt. Diese Sinnesreize nehmen im Leben der Betroffenen also emotional einen hohen Stellenwert ein. Liebe, die sich auf Dinge bezieht hat mit 21 % auch große Wichtigkeit: ,,Manchmal träumte ich von den Gebäuden, Bäumen oder Feldern, die verschwunden waren, und in diesen Träumen umarmte ich sie und sagte ihnen, wie sehr ich sie liebte und wie sie mir fehlten ." (Prince Hughes 2004, S. 24) Es zeigt sich an diesem Beispiel sehr deutlich, dass auch Liebe, die nicht auf Menschen bezogen ist, tatsächlich eine sehr emotionale Liebe und Zuneigung ist. Ebenso im Folgenden: "Von den vielen neuen Dingen in meinem Leben schloss ich die Schreibhefte als Erstes in mein Herz." (Brauns 2004a, S. 81) Auch hier wird mit der Metapher "ins Herz schließen = Lieben" mehr als nur eine Form der Begeisterung oder des Gernhabens ausgedrückt, denn Brauns schreibt bezogen auf die Hefte weiters: .Sie wurden für mich zum Quell der Berauschung. In heimeliger Eintracht zogen sich die Linien über das Papier. [. ..J Ich konnte mich einfach nicht satt sehen an der geregelten Geselligkeit der Linien. Erst nach einem Nichts von Zeit löste ich mich von dem lichtelfeinen Anblick und machte mich über die Hausaufgaben her. [. ..J Leicht berauscht machte ich mich ans Werk." (ebd.) DIE EMOTIONEN ANGST UND SCHRECKEN Hier sollen die situativen Zusammenhänge betrachtet werden, in denen die Menschen mit Autismus die Emotionen Angst und Schrecken bzw. Schockgefiihle erleben. Charakteristische Zusammenhänge wurden heraus gefiltert und werden hier, jeweils mit einigen Beispielen belegt, wiedergeben: Ängste vor dem Anblick oder beim Berühren von Dingen: ,,stupsnasen, Himmelfahrtsnasen, schiefe Nasen und vor allen Dingen kleine, dicke Nasen versetzten mich in Schrecken, und ich starrte die Betre.fJenden deshalb ununterbrochen an." (Willey 2003, S. 32); "Obwohl ich für gewöhnlich keine Angst vor Dingen hatte, die andere Kinder ängstigten, fürchtete ich mich 177
oft schrecklich vor Gegenständen und Ereignissen, die sie gleichgültig ließen. Panische Angst jagten mir Puppen ein - Schaufensterpuppen, Spielpuppen und Bauchrednerpuppen. Ich hatte eine irrationale Angst, sie könnten sich in Wandschränken, im Badezimmer oder hinter Ecken verbergen und auf mich lauern." (Prince-Hughes 2004, S. 28); "Viele Menschen, die aufähnliche Weise behindert sind wie ich, tragen eine andere Art von scheinbar unerklärlichen Ängsten mit sich herum." (Gerland 1998, S. 285) Gerland bezieht sich hier auf ihre Ängste, die beim Anblick oder bei Berührung mancher Materialien wie Schmuck und Metall auftreten und mit Unbehagen bis zu Übelkeit einhergehen.
Ängste, wenn für den Betroffenen wichtige Gewohnheiten, Regeln oder Rituale unterbrochen oder aufgegeben werden mussten: Für Brauns war es eine wichtige Regel, dass er seinen Geburtstag zu Hause feierte. Er schreibt: ,,Die Reise war fur das Ende des Schuljahres geplant. In mir wühlte sich Angst frei: Nein, das darf nicht sein." (Brauns 2004a, S. 256); "Wenn sich etwas veränderte, hatte ich das Gefiihl zu sterben - mein Herz pochte, meine Ohren sausten, und mein Kopffiihlte sich hohl an. Ich erinnere mich an Gelegenheiten, bei denen entlang meiner Routen Gebäude abgerissen wurden [. ..] Ich hasste die Veränderer und die Veränderungen. Für mich war das nichts weniger als Mord. [. ..] Ich geriet regelmäßig in Panik, wenn wir nicht an ihnen vorbeigingen oder -fuhren, denn sie hätten ja denken können, ich existiere nicht mehr, und sich Sorgen machen." (Prince-Hughes 2004, S. 27) Angstsituationen, die mit Unsicherheit und mangelndem SichZurechtfinden oder mit Autismus selbst assoziiert sind: .Ich habe zwar große Fortschritte dabei gemacht, meine Ä'ngste und die Panik, die mich in manchen Situationen iiberfallen, zu bewältigen, aber immer noch gibt es Dinge, die es schaffen, mich völlig zu lähmen.", schreibt PrinceHughes (2004, S. 212) und zählt auf: Die Funktion eines Automaten zu enträtseln; wenn sie in einem öffentlichen Raum ist und annimmt, dass sie beobachtet wird; wenn ihr eine Handlung in der Öffentlichkeit nicht gleich gelingt; wenn sie jemanden ansprechen und um etwas bitten muss; wenn ein Freund, sie auf der Straße erkennt und sie unerwartet gegrüßt wird, ohne dass sie darauf gefasst war und vieles andere mehr.; "Wenn ich Leute um mich herum hatte, die ich noch nicht lange kannte oder die ich zum ersten Mal traf, dann war es, als versteinerte ich." (Willey 2003, S. 44); ,,Früher versetzten mich Meinungsverschiedenheiten, Zorn oder Trauer immer in Angst und Schrecken, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass darauf etwas anderes folgen würde, weder bei mir noch bei anderen." (Prince-Hughes 2004, S. 216)
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Autismusunabhängige häufige Angstauslöser: .Jetzt war der Tag gekommen. Der Tag, wo die Welt sich nicht mehr auf Abstand halten ließ, der Tag, der einen Schock auslöste, der zehn Jahre anhielt kurz, der Tag, an dem ich in den Kindergarten kam." (Gerland 1998, S. 71); .Aber das Ergebnis meiner Begegnung mit der Schule waren nicht Freunde, das Ergebnis war vielmehr ein Schockzustand' (Gerland 1998, S. 99); Dawn wohnte mit 16 in einem "schmierigen Hotel" und schreibt: ,,Das Bad teilte ich mit den anderen Bewohnern, meist Männern, die ständig versuchten, mich dort abzufangen. [...] So kauerte ich mich in meinem Zimmer zusammen, zu ängstlich, um hinauszugehen oder mich zu rühren." (Prince-Hughes 2004, S. 69); ,,Frau Frankes Worte durchzuckten mich: Nun, Axel, welchen Beruf hat dein Vater?" (Brauns 2004a, S. 83) An dieser Stelle wurde dem Autor in der Volkschule eine gefürchtete Frage gestellt, die er nicht beantworten konnte. Auf den Autismus und das Anderssein bezogene Angstsituationen: "Wenn ich mich gerade bei den normalen Menschen aufhielt, war ich relativ selbstsicher und größtenteils in der Lage, die Fassung zu bewahren, obwohl ich die meiste Zeit über Angst hatte, dass jemand mein Außenseitertum entdecken könnte." (Willey 2003, S. 45); ,,Doch trotz all dieser Schrecken wünsche ich mir nicht wirklich die Heilung des Asperger-Syndroms herbei." (Willey 2003, S. 146) Hier beschreibt Willey, dass die Ängste keinen Einfluss auf ihre Einstellung zum Asperger-Syndrom haben; "Mir würde diese ständige Erinnerung an mein Wesen nicht so viel ausmachen, wenn sie nicht schreckliche Formen annehmen könnte ." (Willey 2003, 93) Die Erinnerung an ihr Wesen sind hier die .Asperger-typischen Symptome", die für sie schreckliche Formen annehmen. 5.9.2 Diskussion
DIE EMOTION LIEBE Bei Betrachtung der situativen Zusammenhänge, in denen das eigene Erleben der Emotion Liebe von den von Autismus betroffenen Autoren dargestellt wird, fällt auf, dass die Liebe zu Menschen etwa ein Drittel der Liebesgefühle ausmacht. Das ist weniger als für die Durchschnittsbevölkerung erwartet wird (vgl. Euler 2000, S. 55), doch in Bezug auf die Befunde aus der Forschung den Autismus betreffend, überrascht es dennoch. Sowohl in der Autismusforschung als auch in der Emotionsforschung wird es als charakteristisch für Menschen mit Autismus 179
angesehen, dass das Interesse an Menschen begrenzt ist und emotionale Bindungen zu Menschen kaum vorhanden sind. (vgl. u. a. Poustka et al. 2004, S. 10). So schreibt auch der Emotionsforscher Ewer (2000, S. 54), dass soziale Emotionen bei Menschen mit Autismus defizitär und die soziale Interaktion und Kommunikation massiv beeinträchtigt seien. Wenn doch Emotionalität gegenüber Menschen auftritt, ist diese schwer zu erkennen. (vgl. Poustka et al. ebd.) Der Blick auf die Beschreibung der Emotionsnennungen der Emotion Liebe in den Autobiographien der Betroffenen verdeutlicht, dass auf Menschen gerichtete Liebe und Zuneigung im Emotionsleben von Menschen mit Autismus generell vorhanden ist, die Kommunikation dieser Liebe den geliebten Mitmenschen gegenüber aber tatsächlich nur in eingeschränkter Form, mitunter auch gar nicht erfolgt. Obwohl die Liebe, die auf Mitmenschen und jene, die auf Wahrnehmungen gerichtet ist, mit jeweils 32 % am häufigsten beschrieben werden, gehört der auf Dinge gerichteten Liebe nach Meinung der Verfasserin ein höherer Stellenwert zugeschrieben, denn diese wird zu einem großen Teil in äußerst emotionaler Weise dargestellt. Besonders deutlich zeigt sich der Unterschied gegenüber der auf Wahrgenommenes gerichteten Liebe, denn diese liegt in einigen Situationen sehr nahe an "Vorliebe" bzw. bloßer Begeisterung, die nicht im eigentlichen Sinn zu Liebe gezählt werden. Somit erklärt sich die - für Menschen mit Autismus als nicht charakteristisch angenommene - große Nennhäufigkeit der Emotion Liebe, die trotz eher seltener auf Menschen gerichteter Liebe vorhanden ist, einerseits durch den Umstand, dass Menschen mit Autismus häufig große emotionale Bindung und Zuneigung zu Dingen erleben und andererseits durch die mehrfachen Nennungen der Art von Liebe, die auf Sinneswahrnehmungen bezogen beschrieben wird und eher im Sinne von emotional erlebter Begeisterung als, wie es dem Allgemeinverständnis der Emotion Liebe eher entspricht, im Sinne von Zuneigung verstanden werden kann. In Hinblick auf erotische Liebe soll anmerkend festgestellt werden, dass dort, wo Sexualität in den Texten thematisiert wird, diese sehr wenig emotionale Bedeutung erhält. So schreibt etwa Dawn Prince-Hughes (2004, S. 89 f) bezogen auf ihre sexuellen Erfahrungen: "Genau genommen fand ich, dass die meisten Vergnügungen letztendlich irrelevant waren; aber offensichtlich war Lustfür die Menschen in meiner Umgebung so bedeutsam, dass ich sogar schon damals wusste, dass mir etwas entging.", und an anderer Stelle: ,,{. ..} ohne wirklich beteiligt zu sein, ohne etwas zu empfinden, obwohl manchmal meine Langeweile, gemischt mit einem Aufwallen von Panik angesichts eines so nahen körperlichen Kontakts, in mir das Gefühl hervorrief, ich sei eine Art Automat." Ganz allge-
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mein spielt Sexualität in den Autobiographien eine untergeordnete Rolle
und Liebe wird im Sinne von erotischer oder leidenschaftlicher Liebe nicht
angesprochen.
DIE EMOTIONEN ANGST UND SCHRECKEN: Es wurden folgende Kemsituationen herausgearbeitet 1. 2. 3. 4. 5.
Ängste vor dem Anblick oder dem Berühren von Dingen Ängste, wenn für den Betroffenen wichtige Gewohnheiten, Regeln oder Rituale unterbrochen oder aufgegeben werden mussten Angstsituationen, die mit Unsicherheit und mangelndem SichZurechtfinden oder mit Autismus selbst assoziiert sind Autismusunabhängige häufige Angstauslöser Auf den Autismus und das Anderssein bezogene Angstsituationen
Zwei der Angstsituationsgruppen stellen solche Situationen dar, in denen unabhängig vom Autismus ein Angstempfmden charakteristisch ist. Das ist neben der als "Autismus-unabhängig" titulierten Angst-Gruppe auch jene der auf den Autismus bezogenen Ängste, denn mit einer .Andersartigkeit" wie dieser durchs Leben zu gehen und immer wieder aufzufallen, ist charakteristisch für Angst. Auch die Gruppe der mit Unsicherheiten assoziierten Ängste enthält einige Situationen, die allgemein typisch für Angstempfinden sind, aber auch solche, wie ein technisches Gerät enträtseln müssen oder auf der Straße unerwartet von einem Freund gegrüßt zu werden, die bei einer gesunden Entwicklung keine derartige Angst und Panik auslösen sollten. Ebenfalls charakteristisch für Autismus sind Ängste vor dem Anblick von Dingen. Solche Ängste werden in den seltensten Fällen als angemessen angesehen, mit wenigen akzeptierten Ausnahmen, wie etwa der eigentlich unbegründeten Angst vor (ungiftigen) Spinnen. Ebenso die Angst vor der Veränderung von Regeln und Gewohnheiten ist stark mit Autismus assoziiert und sollte sonst nicht vorkommen. Es lässt sich zusammenfassen, dass in den in der Allgemeinheit bekannten Angstsituationen, wie vom Großteil der Gesellschaft auch von Menschen mit Autismus Angst empfunden wird - allerdings oft in einer wesentlich größeren und umfassenderen Intensität - und es daneben noch weitere für Menschen mit Autismus charakteristische angstauslösende Situationen gibt. Es sind zum größten Teil Zusammenhänge, die in der Autismus-Fachliteratur als Symptome beschrieben werden, meist mit Worten wie: "Widerstand gegen Veränderungen", ,,ängstliches Festhalten am Gewohnten" (vgl. Remschmidt 2002, S. 17), "auffäl181
lig starres Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder Ritualen" (DSM-IV, zit. nach Rollett & Kastner-Koller 2001, S. 14). Anband der autobiographischen Texte zeigt sich aber, wie lähmend diese Ängste tatsächlich sind. Es ist nicht bloß ein zwanghaftes Festhalten, es ist ein Kampf, der für den von Autismus betroffenen Menschen oft mit Todesängsten verbunden ist. Ganz allgemein fällt auf, dass die empfundenen Ängste - auch in autismusunabhängigen, allgemeinen Angstauslösesituationen - wesentlich intensiver erlebt werden, als dies üblicherweise in der Durchschnittsbevölkerung der Fall ist. Sie werden als lebensbedrohlich wahrgenommen, vereinnahmen den Betroffenen häufig gänzlich, machen handlungsunfiihig und werden mit Worten wie Panik, Schreck und Schock beschrieben.
Drei Beispielszenen aus der Autobiographie von Gunilla Gerland sollen charakteristisches Angsterleben veranschaulichen: "Ich konnte das Lachen der Erwachsenen nicht leiden. Es kam so plötzlich und war mir unheimlich. Als würden ihre Gesichter, große Münder, ohne Vorwarnung platzen. Plötzlich viele Zähne und laute Geräusche. Ihr Lächeln war erträglicher, das was langsamer, obwohl auch das mich verunsichern konnte. 'Lacht nicht!' Meiner Ansicht nach drückte ich mich deutlich aus, doch sie schienen es nicht zu verstehen. 'Lacht nicht!' Je ernster es mir war, desto lustiger schien es fir sie zu werden. 'Aber wir lachen doch gar nicht über Dich Hahaha ... Schätzchen ... Hahaha ... du darfst doch nicht alles so ernst nehmen Hahaha. ' Ich wollte doch bloß, dass sie aufhörten zu lachen, aber ich fand keine Möglichkeit, sie zum Aufhören zu bringen. Ich äußerte deutlich, was ich wollte, doch es halfnichts. Ich war vollkommen ernst, es war mein allergrößter Ernst, es ging um Leben und Tod, und sie fanden es komisch! Ich versuchte das zu verstehen, aber es ging nicht. Wieder glitt ich hinter den braunen Sessel und schloss alles aus, was nicht mich und den Sessel betraf" (Gerland 1998, S. 18) .....meine Mutter wurde nicht mit mir fertig [. ..j. Sie nannte es Wutausbrüche, aber fir mich hatte es nichts mit Wut zu tun. Eher mit einem starken Panikgefiihl, es ging um Leben und Tod, um etwas unerhört Wichtiges, auch wenn meine Mutter oft überhaupt keine Ursache entdecken konnte. Manchmal wurden diese Ausbrüche von Dingen ausgelöst, die viel früher geschehen waren und die ich mit dem, was jetzt geschah, in Verbindung brachte. Dann entstand plötzlich ein Zusammenhang in mir, der unmittelbar schmerzliche Konsequenzen bekam. Ich konnte traurig, verzweifelt oder außer mir vor Angst werden, während in den Augen meiner Mutter 'nichts' passiert war, das meine Reaktion hätte motivieren können." Gerland 1998, S. 28) .Jetzt war der Tag gekommen. Der Tag, wo die Welt sich nicht mehr auf Abstand halten ließ. der Tag. der einen Schock auslöste. der zehn Jahre anhielt - kurz, der Tag, an dem ich in den Kindergarten kam.
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Alle hatten behauptet, es würde Spaß machen, in den Kindergarten zu gehen, und ich hatte ihnen geglaubt. Ich glaubte, ihre Behauptung bedeute, sie wüssten, dass es Spaß machen würde, weil sie das ja gesagt hatten. «Das wird dir Spaß machen, da kriegst du Freunde» Ich glaubte, die Erwachsenen könnten tatsächlich die Zukunft vorhersagen, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, woher sie etwas wissen wollten, das noch gar nicht passiert war. Ich fasste ihre A:ußerungen ganz wörtlich auf Das mit dem Spaß war mir zwar nicht so recht klar, aber ich dachte mir, dass ich jetzt vielleicht zu Kindergeburtstagen eingeladen würde und Torte essen durfte. Das war allerdings nicht der Fall. Am ersten Tag begleitete meine Mutter mich in den Kindergarten. Ich wusste nicht, was der BegriffKindergarten bedeutete, hatte kein Bild davon, was ein Kindergarten sein könnte. Als wir dort über die Schwelle traten, schlugen mir der Lärm und das Zappeln der vielen Kinder sofort entgegen und überforderten meine Sinne innerhalb einer halben Sekunde. Bisher hatte ich noch nie so viele Kinder gesehen. Ich erstarrte vor Schreck und weigerte mich, auch nur einen Schritt vom Fleck zu machen. Nein. Nicht. Nicht in diese vielen Zimmer mit diesen vielen Kindern hinein. Nein. «Spaß» hatten sie gesagt, aber hier kam mir alles ganz entsetzlich vor. Wir standen mit einer Kindergärtnerin im Flur, die anderen Kinder waren schon hineingegangen. Meine Mutter wollte gehen. Plötzlich wurde mir klar, dass sie vorhatte, mich allein hier zulassen, und das wurde mir zuviel. Wildeste Panik schlug über mir zusammen. Nein! Wo war ich? Hilfe! Wo kamen die vielen leeren Gesichter her? Was wollten sie von mir? Ich wollte nicht hier sein. Lasst mich in Ruhe! Ich wusste nicht mehr, wo ich anfing und wo ich aufhörte. Musste ich jetzt fiir immer hier bleiben? War dieser schreckliche Ort mein neues Zuhause? Nein! Ich musste hier weg! Ich musste raus! Lasst mich raus! Lasst mich los! Diesen Lärm und diese leeren Gesichter muss ich hinter mir lassen! Hier konnte ich nicht bleiben, das war unmöglich. Ich schrie und trat um mich, biss und kratzte. Und meine Mutter ging verlegen wieder mit mir nach Hause. Ich weigerte mich mit aller Kraft, wieder an diesen grauenhaften Ort namens Kindergarten zurückzukehren. Noch nie hatte ich so viele leere Gesichter in einem solchen Durcheinander gesehen. Ich hatte nicht gewusst, dass es so viele Gesichter gab und dass sie so leer sein konnten. Das alles löste tiefttes Entsetzen bei mir aus." (Ge-
rland 1998,S. 71-72)
Die unerwartete Erkenntnis aus der Analyse, dass Angst und die Angstemotionen - entgegen den Befunden aus der Autismusforschung - im Erleben der Betroffenen nicht an erster, vielmehr erst an vierter Stelle stehen, stellen sich bei detaillierter Betrachtung folgendermaßen dar: Bezogen auf die Häufigkeit steht Angst emotional im Leben der Betroffenen nicht im Vordergrund, eine große Bedeutung der Angst zeigt sich dennoch durch die Intensität vieler der einzelnen Angsterlebnisse. 183
FAZIT Aus der Betrachtung der Ergebnisse dieser Untersuchung lässt sich schließen, dass von Menschen mit Autismus durch das gehäufte Erleben von Emotionen wie Unsicherheit, Verwirrtheit, Traurigkeit und Angst, welches sich aus der autistischen Art der Wahrnehmung ergibt, ganz allgemein Emotionen - auch die positiven - viel intensiver und viel bewusster erlebt werden als von der Durchschnittsbevölkerung. Was von nicht autistischen Menschen eher als ein Zustand bezeichnet wird (nicht traurig sein, sich sicher fühlen, gerade keine Angst empfinden) und nur in Zusammenhang mit dessen Verlust ins Bewusstsein tritt, wird von Menschen mit Autismus hingegen, als Gegensatz zu den belastenden Emotionen, im Sinne von Glück und Freude, Wohlempfinden, Erleichterung und Sicherheit, in zahllosen Situationen sehr bewusst und intensiv als Emotion wahrgenommen. Neben Angst, Traurigkeit und Unsicherheit stehen die positiven Emotionen des Wohlbefindens mit ähnlicher Gewichtung. Menschen mit Autismus erleben demnach ganz allgemein ein an Intensität und Häufigkeit auffallend reicheres Emotionsleben als die Durchschnittsbevölkerung. 5.10 ZUSAMMENFASSUNG MIT FOLGERUNGEN FÜR PÄDAGOGISCHES HANDELN 5.10.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Untersuchung der von Menschen mit Autismus in autobiographischen Texten thematisierten Emotionen und emotionalen Situationen hat gezeigt, dass es für Menschen mit einer autistischen Störung möglich ist, ein breit gefächertes Emotionsrepertoire zu erleben und diese Emotionen sowohl bei sich selbst als auch bei den Mitmenschen bewusst wahrzunehmen und rezitieren zu können. Beim Vergleich der Emotionsbandbreite der von Menschen mit Autismus erlebten Emotionen mit den Emotionslisten zweier Vergleichsuntersuchungen nichtautistischer Probanden (Kemmler 1991 und Mannhaupt 1983) zeigte sich, dass Menschen mit Autismus in der Lage sind, ohne wesentliche Abweichung von der Durchschnittsbevölkerung ein differenziertes Repertoire an Emotionen zu empfinden. Die Betrachtung der Emotionsverteilung anband der Emotionsgruppen zeigte ein ausgeglichenes Emotionsleben von Menschen mit Autismus, aus dem keine Emotionsgruppe auffällig heraussticht. Subjektiv angenehme und unangenehme Emotionen stehen in einem ausgeglichenen Verhältnis nebeneinander, mit 184
einer leichten Tendenz zu angenehmen. Eine depressive Grundstimmung, wie sie in zahlreichen Veröffentlichungen der Autismus-Forschung beschrieben wird, konnte in den Darstellungen der Betroffenen nicht festgestellt werden. Es soll jedoch aufgrund der erhobenen Befunde nicht behauptet werden, dass eine solche nicht vorhanden ist - sie wird in einigen der autobiographischen Publikationen von den Betroffenen sogar selbst erwähnt - doch stehen Traurigkeit und Angst den Ergebnissen der Untersuchung zufolge im eigenen Empfinden nicht nur nicht im Vordergrund, sie werden sogar von positiven Emotionsgruppen dominiert. Neben allen Belastungen, die der Autismus für die Betroffenen bedeutet, steht also auch sehr viel positives Erleben, mit Zuneigung und Freude. Diese Befunde konnten unter detaillierter Betrachtung der beschriebenen emotionalen Situationen dahingehend gedeutet werden, dass in angst- und belastung~eien Situationen dieses Fehlen der so häufig empfundenen Belastungsemotionen - quasi als Ausgleich - sehr bewusst positiv-emotional im Sinne von Glücklichsein, Sicherheitsge:fiihl, Wohlempfinden oder Begeisterung erlebt wird. Auffällig ist auch ein starkes Vorhandensein der Emotionen der Sicherheitsthematik bei Menschen mit Autismus, welches auf deren häufig empfundene Unsicherheit schließen lässt. Aggressionsemotionen hingegen bleiben wider Erwarten trotz sichtbarer von der Umwelt als Aggressionshandlung wahrgenommener - Ausbruche, die bei manchen Menschen mit Autismus beobachtet werden, im eigenen Empfinden eher im Hintergrund. Die Annahme, dass Menschen mit Autismus primär einfache Grundemotionen erleben und komplexe Sekundäremotionen kaum im "autistischen" Ge:fiihlsrepertoire vorhanden sind, wurde nicht bestätigt. Neben den einfachen Basisemotionen sind komplexe Emotionen, die Selbsteinschätzung und -reflexion sowie ein vielfältiges kognitives Verständnis sozialer und kultureller Normen voraussetzen, in den Schilderungen zum eigenen Emotionserleben der Betroffenen präsent und werden diffizil abgestuft sowie situationsadäquat referiert. Ein Bewusstsein bezüglich gesellschaftlicher Normen und Erwartungen aus der Umwelt ist diesem Ergebnis zufolge bei Menschen mit Autismus vorhanden und wird reflektierend mit dem eigenen Selbst in Beziehung gesetzt. Die Untersuchung belegt somit, dass der Autismus selbst keinen Ausschlussgrund für ein solcherart ausgereiftes Emotionsleben darstellt. Bezüglich der Frage, anband welchen Aspektes in den Autobiographien Emotionen von den Betroffenen beschrieben werden, fällt auf, dass diese vor185
wiegend anband gefiihlgetönter Kognitionen oder anband der emotionalen Empfindung an sich dargestellt werden. Solche innerpsychischen Vorgänge sind demnach bei den Betroffenen am stärksten mit Emotionen assoziiert, während physische und Verhaltensreaktionen (Herzklopfen, Weinen etc.) in den Darstellungen fast gar nicht mit Emotion in Verbindung gebracht werden. Ein ganzheitliches Emotionsverständnis im Bewusstsein der Menschen mit Autismus, das auch diese Aspekte emotionalen Erlebens umfasst, konnte anhand deren Aussagen nicht nachgewiesen werden. Insgesamt werden in den Autobiographien mit mehr als der Hälfte der Aussagen emotionale Inhalte thematisiert, was für den großen Stellenwert spricht, den Emotionen im Leben von Betroffenen einnehmen. Den größten Anteil davon machen Aussagen aus, die das eigene emotionale Empfmden betreffen. Das zeigt, dass von Betroffenen der Großteil der Ereignisse emotional aufgenommen und bewertet wird. Ein vergleichsweise kleiner Anteil an Aussagen betrifft emotionale Inhalte ohne Selbstbezug, dieser reicht dennoch aus, um deutlich zu machen, dass die untersuchten Betroffenen - auch unabhängig von eigenen Empfindungen - die Emotionen anderer wahrnehmen und über Emotionen nachdenken. In den analysierten Texten werden von den Autoren einige Emotionswörter genannt, die den Darstellungen entsprechend im eigenen Erleben nicht vorkommen. Teilweise schließen die individuellen Werte von Menschen mit Autismus, ihre Einstellung in manchen Belangen oder die "autistische Art zu denken" gewisse Empfmdungen aus. Daneben führte die differenzierte Auseinandersetzung mit den Texten bezogen auf diese Emotionen zu dem Ergebnis, dass einige sehr komplexe Emotionen, wie Liebeskummer und Eifersucht, von den Menschen mit Autismus zwar gekannt und auch bei Mitmenschen wahrgenommen werden, dass diese auch im eigenen Erleben vorhanden sind, jedoch nicht als solche identifiziert werden. Ein Bewusstsein über die Erlebnisqualität dieser Emotionen ist demnach in diesen Fällen nicht gegeben und die Empfindung wird dem entsprechenden Emotionsbegriff nicht zugeschrieben. Der Emotion Liebe galt großes Interesse, da diese den Ergebnissen der Untersuchung zufolge - konträr zu den Erwartungen aus der einschlägigen Forschung - die von den Betroffenen am häufigsten erlebte Emotion darstellt. Es wurde betrachtet, welche Situationen Liebe auslösen und worauf sich diese bezieht. Dabei zeigte sich, dass Liebe in einem Drittel der Nennungen auf Menschen gerichtet erlebt wurde. Ebenso häufig wurde sie auf Wahrnehmungen und unwesentlich weniger oft auf Dinge gerichtet erlebt. Das ist für die auf Men186
sehen gerichtete Liebe doch mehr, als man aus den Befunden der Autismusforschung ableiten würde. Bei detaillierter Betrachtung der im Zuge des Erlebens von Liebe beschriebenen Gedanken und Zusammenhänge fielen einige Besonderheiten auf: Die auf Menschen gerichtete Liebe wurde in den meisten Szenen mit Einschränkungen empfunden und in den Beschreibungen wurde Unsicherheit thematisiert. Auf Wahrnehmungen gerichtet stellte sich Liebe weniger emotional dar und war damit teilweise eher im Sinne von Begeisterung zu verstehen. Das verdeutlicht zwar die emotionale Bedeutung, die Sinneswahrnehmungen im Leben von Betroffenen einnehmen, dennoch verfälschen diese Nennungen unter Umständen ein wenig das Ergebnis, wenn Liebe als intensive, emotionale Zuneigung verstanden werden soll. Am emotionalsten wurde die auf Dinge und Gegenstände gerichtete Liebe in den Texten beschrieben, mit Beschreibungen wie ,,in diesen Träumen umarmte ich sie", oder "war fiir mich Quell der Berauschung" ist Liebe hier im Sinne starker Zuneigung und emotionaler Hingezogenheit zu verstehen. Die große Häufigkeit der Nennung der Emotion Liebe, die :fiir Menschen mit Autismus untypisch zu sein scheint, erklärt sich also aus folgenden zwei Besonderheiten: Einerseits ist es die sehr emotionale Verbundenheit, die Betroffene zu Gegenständen empfinden, die zu einer großen Zahl von Nennungen führt, andererseits der Umstand, dass einige der auf die Wahrnehmung bezogenen Nennungen die beschriebene Liebe eher im Sinne von besonderer Begeisterung verstehen, während im Allgemeinverständnis Liebe eher mit Zuneigung assoziiert wird. Liebe im Sinne von erotischer oder leidenschaftlicher Liebe wurde in den Texten nicht thematisiert. Bezogen auf die Emotion Angst wurden neben autismus-unabhängigen Angstauslösesituationen als charakteristische Kemsituationen herausgearbeitet: • • •
Ängste vor dem Anblick von Dingen; Ängste, wenn :fiir den Betroffenen wichtige Gewohnheiten, Regeln oder Rituale unterbrochen oder aufgegeben werden müssen; Angstsituationen, die mit Unsicherheit und mangelndem SichZurechtfinden oder mit dem Autismus selbst assoziiert sind.
Bei der näheren Betrachtung der Zusammenhänge, in denen diese emotionalen Empfindungen von den Betroffenen thematisiert werden, ist vor allem folgende Erkenntnis von Bedeutung: Es zeigte sich, dass vieles, was als charakteristisches Symptom des Autismus bekannt ist - mehr als angenommen - mit massivsten Ängsten verbunden. Es ist nicht bloß ein "zwanghaftes Festhalten an Gewohntem", oder eine bloße ,,Abneigung gegenüber gewissen Gegenständen". Häufig werden diese Abneigungen oder Zwänge von Menschen mit Autis187
mus als unumgänglich und die Einhaltung des Geforderten als lebensnotwendig erachtet. Eine Möglichkeit, weiter zu existieren, ohne Aufrechterhaltung der umkämpften Regeln, liegt mitunter außerhalb des Vorstellbaren für den Betroffenen. Doch auch in Situationen, die allgemein als charakteristisch für Angst angesehen werden - unabhängig von autismustypischen Auslösern - fällt auf, dass die Emotion Angst, nach Liebe, Traurigkeit, Freude und Glück an vierter Stelle stehend, zwar wider Erwarten nicht auffallend häufig, jedoch von den Menschen mit Autismus fast immer mit einer immens großen Intensität erlebt wird, die den Betroffenen in Panik versetzt, gänzlich vereinnahmt und oft handlungsunfähig macht.
5.10.2 Conclusio Zusammenfassend lässt sich sagen, dass, verglichen mit den anhand der Fachliteratur anzunehmenden Einschränkungen des Emotionslebens und Emotionsverständnisses von Menschen mit autistischen Störungen, diese Untersuchung ein relativ unauffälliges Bild zeigte. Das Emotionsrepertoire ist auch bezüglich komplexer Emotionen breit gefächert und die Verteilung der erlebten Emotionen stellt sich ausgeglichen dar. Keine Emotion sticht besonders heraus und es zeigt sich ein ausgeglichenes Verhältnis angenehmer und unangenehmer Emotionen. Trotz starker Belastungen, die der Autismus für Betroffene bedeutet, überwiegen die positiven Emotionen wie Freude und Zuneigung im Empfinden der Betroffenen geringfügig. Auch Emotionen, die kognitive Reife und die Fähigkeit zur Selbstbeurteilung mit Bezug auf soziale Normen voraussetzen, sind vorhanden. Die Besonderheiten im Emotionsleben der Betroffenen liegen also weniger im Bereich der Emotionsentwicklung und -vielfalt, sie werden eher an der Art der Emotionswahrnehmung, der Häufigkeitsverteilung der Emotionen, der eventuell fehlenden Identifizierung bestimmter sehr komplexer Emotionen, sowie anhand der emotionsauslösenden Situationen mit Verschiebungen der Intensität und der persönlichen Gewichtung einzelner Emotionserlebnisse deutlich. Eine Gesamtbetrachtung der Ergebnisse führt zu dem Schluss, dass Emotionen im Leben von autistisch wahrnehmenden Menschen noch wesentlich mehr Bedeutung haben, als im Leben der Durchschnittsbevölkerung. Sie sind präsenter, werden intensiver erlebt, begleiten jede Handlung und vereinnahmen den Betroffenen dabei oft gänzlich. Es darf bei der Betrachtung der Ergebnisse nicht außer Acht gelassen werden, dass Texte, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind und publiziert werden sollen - also als literarische Daten zu verstehen sind - unter Umständen einem 188
gewissen Filter unterliegen. Als Verlagsprodukt sind sie dem Einflussbereich des Verlegers ausgesetzt und auch ganz allgemein kann nicht ausgeschlossen werden, dass jede Darstellung des eigenen Emotionserlebens - auch in Form einer Autobiographie - der Selektivität der Erinnerung ausgesetzt ist oder auch eine bewusste Färbung in eine gewünschte Richtung erhält. (vgl. Ulich & Mayring 2003, S. 31 f) Denn jede Emotionsforschung kann stets nur das erforschen, das der Untersuchte von sich preisgibt. (Schmidt-Atzert 1996, S. 86) Grundsätzlich aber sind diese Daten als Resultat der rückblickenden Erinnerung an Kindheit, Jugend und Erwachsenwerden von Menschen im autistischen Spektrum anzusehen und spiegeln daher, nach emotionalen Wichtigkeiten gefiltert, Kindheit und Aufwachsen sowie das Erwachsensein der Betroffenen wider. Das macht sie zum geeigneten Material für Emotionsforschung. (vgl. Schmitt & Mayring 2000, S. 470) Dass einige der Ergebnisse dieser Untersuchung, die auf Eigenaussagen von Menschen mit Autismus fußt, nicht den Erwartungen aus der Emotions- und Autismusforschung entsprechen oder zu diesen sogar im Widerspruch stehen, kann als ein deutlicher Hinweis für die große Bedeutung der Eigenaussagen von autistisch wahrnehmenden Menschen für Forschung und Praxis angesehen werden, die in der Fachwelt immer häufiger postuliert wird. (vgl. Preißmann 2008, S. 4; Tschöpe 2005, S. 180; Slotta 2002, S. 73)
5.10.3 Folgerungenfür pädagogisches Handeln Ziel dieser Arbeit ist es, die Erkenntnis aus der vorliegenden Untersuchung im pädagogischen Handeln und im Umgang mit Betroffenen umgesetzt zu sehen. Das Wissen um die große Präsenz von Emotionen im Leben von Betroffenen, sowie das Wissen um die Differenziertheit der emotionalen Empfindungen, die in einem Leben mit Autismus möglich sind und alle, auch die komplexen Emotionen umfassen, gibt dem pädagogisch Handelnden neue Möglichkeiten, aber auch neue Verantwortung in die Hand. Zunächst zeigen diese Ergebnisse die Wichtigkeit, ja geradezu die Notwendigkeit, besonders im Umgang mit stärker betroffenen Menschen mit Autismus, Emotionales regelmäßig zum Thema zu machen. Wenn nun Emotionen so deutlich vorhanden sind, die Entwicklung einer emotionalen Kompetenz jedoch durch das Fehlen der frühen Voraussetzungen für eine "gesunde" emotionale Entwicklung (vgl. Kap. 2.2.4.1-3) einerseits, durch die autistische Art, Dinge zu begreifen (keine Selbstlemer!) und eventuelle kognitive Defizite andererseits so mannigfaltigen Störfaktoren unterliegt, ist es Aufgabe oder vielmehr die 189
Pflicht des pädagogisch Handelnden, diesen Schwierigkeiten aktiv entgegen zu wirken. Das gilt für Eltern ebenso wie für professionell Tätige. Emotionen müssen schon sehr früh thematisiert und mit all ihren Facetten, sowohl spielerisch an theoretischen Beispielen, wie auch anband zahlreicher vom Betroffenen erlebten Realsituationen, besprochen werden. Diese Spiele oder Gespräche sollen alle Komponenten einer Emotion (s. Kap. 2.2.2.3) ansprechen und erklären: die Gefiihlskomponente (wie fiihlt sich ,,zorn" oder "Stolz" etc. an?), die körperlichen Veränderungen (Zittern, Herzklopfen, Weinen etc.), den sichtbaren emotionalen Ausdruck (wie erkennt man, dass jemand ,,zornig", "stolz" etc. ist?), die möglichen gefiihlsgetönten Gedanken (kognitive Komponente) und ausführlich die möglichen Emotionsauslöser der einzelnen Emotionen. Entscheidend ist es, den Emotionen Namen zu geben: Jedesmal, wenn das autistische Kind oder der Erwachsene, der sein Emotionsverständnis verbessern soll, eine Emotion selbst erlebt oder in seinem Umfeld beobachtet, soll die Bezeichnung der Emotion präsent sein. Denn erst das, wofür wir einen Namen haben, wird ftir uns als Konstrukt fassbar und versetzt uns dadurch in die Lage, auch darüber nachzudenken. Ein Kleinkind in der präverbalen Phase wird einen kleinen Apfelbaum und eine alte Tanne zunächst nicht als einem gemeinsamen Typus zugehörig erkennen. Erst mit dem Begriff ,,Baum" und seinen Bedingungen (holziger Stamm, holzige Äste, meist grüne Blätter oder Nadeln etc.) wird dieses Konstrukt erfasst und bald werden autonom weitere Vertreter der Spezies ,,Baum" erkannt. Wir können nicht sagen, ob wir Bäume mögen oder nicht, wir können nicht einmal über sie nachdenken, wenn wir keinen Begriff davon haben. Ebenso verhält es sich mit Emotionen. Erst die Verinnerlichung des Begriffs "Wut" mit der Beschreibung dessen, was Wut und Zorn bedeutet, lässt ein Kind - auch das autistische - sein eigenes wütendes Aus-der-Fassung-Geraten, vor dem es oft selbst erschrickt, sein böse werden und böse sein auf Menschen und Gegenstände, die es eigentlich gerne hat, zu einem gelernten Zustandsbild zuordnen und dadurch auch verstehen. Gleiches gilt auch für aggressives Verhalten anderer Personen, etwa der Geschwister oder Eltern. Die "Wut" verliert an Bedrohlichkeit, wenn sie benennbar und dadurch von der wütenden Person - ob selbst oder fremd - abgrenzbar ist. Das gilt in ähnlicher Weise für jede Emotion. In der Förderung vor allem stärker betroffener Menschen mit Autismus sollte, mit dem Wissen um die mögliche Vielseitigkeit des emotionalen Empfindens, intensiver auch auf die komplexeren Emotionen eingegangen werden. Wir müssen versuchen, Emotionen als Motivationsquelle zu nutzen, um Hürden zu meistem. Sehnsucht, Hoffnung, und auch Stolz sind handlungsleitende Emotionen, sie können treibende Kraft für Aktivität und Ausdauer sein. Sie sind Grundlage für das, was wir als "Willenskraft" kennen. Wenn nun diese Emotionen im Emp190
finden von Menschen mit Autismus vorhanden sind, müssen wir diese in bestimmten Situationen bewusst machen und behutsam verstärken, sodass sie Motivation und Antrieb sein können, persönliche Ziele zu erreichen, was auch in Fördereinheiten vielleicht zu mehr Willen und Durchhaltevermögen beitragen könnte. Das vorsichtige Aussprechen der vorhandenen Sehnsüchte, Wünsche und Hoffnungen des Betroffenen mit dem Bewusstrnachen der Schritte, die es zu deren Erfiillung bedarf, kann viel bewirken. Für alles, was pädagogisch Handelnde vom autistischen Kind oder auch Erwachsenen verlangen, gibt es einen Grund - und dieser liegt in vielen Fällen im persönlichen Vorteil und der Weiterentwicklung des Betroffenen. Das pädagogische Ziel deckt sich also mit einigen Aspekten seiner persönlichen Hoffnungen und Wünsche und mit Quellen für seinen Stolz. Ihm das vor Augen zu fiilrren und unter Benennung dieser Emotionen zu begründen, - selbst ohne sicher zu sein, ob das wirklich verstanden wird - kann große Vorteile bringen: in der weiteren Förderung, die vielleicht schon auf weniger Widerstand stößt, in der Beziehung zu dem Kind oder Anvertrauten, der sich verstanden fiihlt, sowie für den pädagogisch Handelnden selbst, weil auch diesem wieder stärker bewusst wird, wofür er so manche Bemühung auf sich nimmt. Andererseits können auch negative Emotionen wie Enttäuschung, Schamund Schuldgefühle, die, wie sich gezeigt hat, auch sehr präsent sind, für den Betroffenen durch das Bemühen, spätere Enttäuschungen zu minimieren als Motivation fungieren. Das funktioniert bei der kognitiven Förderung genauso wie etwa bei Gymnastikübungen. Es soll dem von Autismus Betroffenen verdeutlicht werden, worin das Ziel jeder Übung liegt, was er dadurch erreichen kann und wie sich das mit seinen persönlichen Hoffnungen deckt. Sätze wie: ,,Du kannst sehr stolz auf Dich sein, wenn Du das geschaffi hast, und ich freue mich, dass Du so fleißig übst!", "Ich freue mich, dass Du so tüchtig bist und dass Du das so gut kannst!", oder "Deine Mama/Schwester/Lehrerin wird so stolz auf Dich sein, wenn wir ihr erzählen, was Du gemacht hast!" verstärken die emotionale Motivation. Eine für unseren Umgang mit Betroffenen wichtige Erkenntnis dieser Untersuchung betrifft die Emotion Angst. (s. S. 181) Viele der Angstsituationen werden bei autistischen Kindern und stärker betroffenen Erwachsenen als jene Verhaltensweisen sichtbar, die als "Widerstand gegen Veränderung" oder "starres Festhalten an Gewohnheiten und Ritualen" beschrieben werden und für den Beobachter oft einen gewissen Tick- oder Zwangscharakter haben bzw. einem Wutanfall ähneln. (vgl. dazu GerIand 1998, S. 28; nachzulesen auf S. 182) Tat191
sächlich sind es oft lähmende Ängste, die hinter vielen dieser so genannten ,,zwänge" oder "Wutausbrüche" stecken und mit konkreten Vorstellungen über die Folgen bei Verhinderung des Zielzustandes einhergehen, welche akute Lebensbedrohung bis hin zum möglichen Tod beinhalten. Mit diesem Wissen stehen derartige Schreiausbrüche oder Verweigerungskämpfe in einem anderen Licht. Eine emotionale Behutsamkeit im Umgang mit solchen Situationen sollte im Bewusstsein um die mögliche Ernsthaftigkeit der Lage für den Betroffenen höchste Priorität haben. Das bedeutet jedoch nicht, dass den Wünschen und Ängsten immer nachgegeben werden soll. Eine konsequente Führung, die begründete Grenzen und Regeln aufzeigt, ist notwendig für die positive Entwicklung - nicht nur von Menschen mit Autismus. Doch sollten diese Grenzen und Regeln auch verständlich erklärt und begründet werden. Wenn die Regeln klar sind und im Normalfall eingehalten werden, dann kann und soll in jeder Situation neu entschieden werden, ob es hier eventuell sinnvoll erscheint, dem zwanghaft dringlichen Verlangen nachzukommen und den Betroffenen gemäß seines starken Bedürfnisses gewähren zu lassen. Eine derartige Entscheidung kann für den autistisch Wahrnehmenden durchaus positiv sein, doch ist es notwendig, jedes Abweichen von einer Regel oder Anordnung anschaulich zu begründen. Die Entscheidung kann in Form eines Kompromisses dargestellt bzw. ausgehandelt werden, oder, wenn das glaubhaft ist, als Belohnung für eine in direktem zeitlichem Zusammenhang bereits erbrachte Leistung. Kompromiss: ,,Ich habe Dir gesagt, ich kann Dir den Apfel jetzt nicht geben, weil ich ihn für morgen brauche. Aber weißt Du was - ein Stück davon gebe ich Dir schon jetzt und dafür gehst Du dann gleich den Pyjama anziehen!" oder " ... ein Stück davon gebe ich Dir, wenn Du den Pyjama angezogen hast." Belohnung: ,,Du weißt ja, normalerweise trägt jeder seine Tasche selbst, aber weil Du heute in der Gruppe so tüchtig warst und so laut und deutlich geantwortet hast, trage heute als Belohnung ich deine Tasche." Wichtig ist bei Lob immer konkret auszusprechen, was genau gut gemacht wurde.
Auf keinen Fall darf dem Betroffenen das Gefiihl vermittelt werden, durch Schreien alle Wünsche durchsetzen zu können, worauf er dieses dann bewusst als Mittel einsetzen würde. Pädagogen und Eltern soll auch bewusst sein, dass Autisten mit den wenigsten ihrer oft schwierigen Verhaltensweisen ,,nur provozieren" wollen. Die zwanghaften Handlungen und Aggressionen sind in den seltensten Fällen persönlich gegen jemanden gerichtet. (vgl. Diestelberger & Zött12003, S. 24 f) Sie gehören sozusagen zum Gesamtbild des Autismus und werden als Reaktionen auf Umstände 192
ausgelöst, die zum Teil schwer nachvollziehbar sind. Dabei kommen Überforderung und Angst als Auslöser ebenso in Frage, wie starke Zuneigungsempfindungen, die sich mangels adäquater Ausdrucksmöglichkeiten in Verhaltensweisen wie Zwicken und Beißen äußern können, also nicht verletzen wollen, sondern vielmehr dem Spannungsabbau dienen. Mitunter sind es auch spontane, oft beängstigende Assoziationen zu Ereignissen, die bereits in der Vergangenheit liegen, welche derartige Verhaltensweisen hervorrufen. (vgl. die Schilderung von Gunilla Gerland, 1998, S. 28, nachzulesen auf Seite 182). Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, wird die Mehrheit der von Menschen mit Autismus empfundenen A'ngste durch Umstände ausgelöst, die für die Durchschnittsbevölkerung nicht mit Angst assoziiert, also charakteristisch für Autismus sind (wie z. B. der Anblick von Dingen; vgl. S. 177). Nun wissen wir aber, wie lähmend auch diese Ängste wahrgenommen werden, die auch absolut ernst zu nehmen sind. Nie haben Sätze wie: "Hör aufzu weinen, es gibt doch gar keinen Grund" Berechtigung - bei Normalentwickelten genauso wenig wie bei Menschen mit Autismus. Für denjenigen, der weint, ist immer ein Auslöser vorhanden, und er sieht keine andere Möglichkeit, sich auszudrücken und dem inneren Druck standzuhalten. Doch mitunter ist - gerade wenn es um Menschen mit Autismus geht - dieser Auslöser für den ,,Anderen" kaum wahrnehmbar und dadurch auch schwer nachvollziehbar. Oft ist zwar klar, was die Angst ausgelöst hat, doch ist in diesem Auslöser kein Grund für Angst erkennbar. (vgl. dazu die Ausführungen von Willey 2003, S. 30 f; nachzulesen im Anhang, S. 213) Es ist bekannt, dass Menschen mit Autismus Wahrnehmung anders verarbeiten, also jedes Sehen, Hören, Spüren anders erleben als Nicht-Autisten. Manche Sinnesreize fühlen sich furchtbar an und das Zuordnen zu einer ,,hannlosen" Situation scheitert. Wenn das so ist, sollte versucht werden, dem Betroffenen die Umstände um den Auslöser seiner Emotion, beispielsweise der Angst, zu beschreiben und alle Aspekte davon zu erklären. Manchmal hilft allein das Benennen der wahrgenommenen Begebenheit für ein Verstehen der Situation und die Sinne können sich wieder beruhigen. Das könnte so aussehen: ,,Hörst Du, das Baby im Kinderwagen dort auf der anderen Straßenseite weint." und bei Bedarf die Erklärung dazu: "Vielleicht hat es Durst. Es kann ja noch nicht sprechen und kann das daher nur durch Weinen mitteilen. Dann hört es bestimmt auf, wenn es etwas zu Trinken bekommen hat. ", oder: ,,Der Lärm hier kommt von der Baustelle. Die bohren und stemmen. weil sie das Haus renovieren."
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Dazu eine Beispielszene aus dem pädagogischen Alltag: Kathi, eine 22-jährige junge Frau mit Autismus, sitzt bei einem Ausflug mit der Gruppe in einem Restaurant vor ihrem Glas Mineralwasser. Die Ausflugsituation ist aufregend für sie. Als eine ihrer Gruppenkolleginnen unbeabsichtigt das Wasserglas umstößt und Kathis Hose am Oberschenkel kalt und nass wird, reagiert diese sehr ängstlich und fängt an, in zunehmender Lautstärke zu jammern. Die Betreuer versuchen sie zu beruhigen, tupfen mit einer Serviette das nasse Bein ab und versichern Kathi, dass sie gleich ein neues Glas Wasser bekäme und die Hose bald wieder trocken wäre. Doch Kathi steigert sich noch weiter in ihre Aufregung hinein, "Nein! Nein! Bitte! BITTE!" ruft sie verzweifelt. Erst die folgende, alle Aspekte des Geschehnisses umfassende Erklärung fiihrte schließlich umgehend zu ihrer Beruhigung: "Weißt Du, der Erich ist aufgestanden und hat dabei unabsichtlich das Glas mit Wasser umgestoßen. Das Wasser ist dabei auf den Tisch und auf Dein Bein geronnen. Siehst Du, dass der Tisch hier nass ist? Deine Hose ist auch nass - das spürst Du auf Deinem Bein, es spürt sich hier jetzt ganz kalt an, weil das Wasser kalt war. Schau, ich hebe die kalte Hose weg, spürst Du es jetzt weniger? Und jetzt lasse ich sie wieder auf das Bein, hast Du das gespürt?" Kathi hörte dieser Erklärung aufmerksam zu, betrachtete, was ihr gezeigt wurde und antwortete auf die Fragen mit leisem ,ja". Es wurde ihr noch erklärt, dass die Nässe sich aufwärmen wird und dann trocknet und dass sie bald nichts mehr davon spüren wird. Durch das Zeigen und Berühren der Stelle am Bein, konnte Kathi die für sie diffuse Wahrnehmung lokalisieren und durch das Benennen und Erklären dessen. was passiert war und was sie fühlte, sich auf das irritierende Gefühl konzentrieren und es somit verstehen. was die Bedrohlichkeit der Situation für sie genommen hat. Ähnlich beschreibt Axel Brauns in seiner Autobiographie eine Situation, in der er hingefallen und seine Strumpfhose schmutzig geworden war. Er war nicht in der Lage, Anblick und Gefiihl der nassen, verschmutzten Strumpfhose zu verstehen und den fiihlbaren nassen Scblammfleck von seiner Person abzugrenzen.
.Jch übte mich im Gleichgewicht und - knickte aufeinmal um. Ich stürzte. Mein linkes Knie sackte in den Matsch ein {...}. Bestürzt schaute ich an mir herab: Matsch klebte am Knie. {. ..J Im Auto jammerte ich. Wieder und wieder blickte ich auf das Knie. Der Matsch war ein Teil von mir geworden. Ich fühlte mich elend. Mein linkes Knie war purer Matsch: kalt und schmierig. {.ooJ Ich konnte mich nicht beruhigen. {oo.J Zum Glück dauerte die Heimfahrt nicht lange. Die vertrauten Gehwegplatten der Hojhausreihe linderten meinen Kummer. Daheim im Flur wimmerte ich nur noch schwach. {oo.J Die Haha griff an meinen Bund und zog schwungvoll die Strumpfhose von meinen Beinen. Der Matsch verschwand von meinem Knie, ohne dass ich etwas spürte. Wie war das möglich? Noch mehr staunte ich über die Strumpfhose." (Brauns 2004a, S. 21, ein längerer Ausschnitt des Zitats findet sich im Anhang, S. 181)
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Diese Beispiele zeugen von der Bedeutsamkeit, die das Erklären eines unerwarteten Ereignisses für den Betroffenen aufweist. Genaue Beobachtung und ein bewusst vollzogener Perspektivenwechsel kann als Voraussetzungfür erfolgreiche Interventionen angesehen werden. Perspektivenwechsel bedeutet zu versuchen, die Dinge so zu sehen und zu erleben, wie der von Autismus Betroffene sie erlebt, sich also in seine Empfindungen und Gedankenwelt hineinzuversetzen. (vgl. Diestelberger & Zött12003, S. 23 f) Das Wissen, dass neben den stark erlebten Ängsten und auch der häufigen Traurigkeit der Untersuchung zufolge Freude und die dazugehörigen Emotionen wie Fröhlichkeit, Heiterkeit und Vergnügtheit die am stärksten vertretene Emotionsgruppe darstellt, erleichtert und bildetfür den Betroffenen einen gesunden Ausgleich, der die Sinne vor Überlastung schützt und stabilisiert. Wie kommt es zu dieser Dominanz der Freude-Emotionen? Wie die Betrachtung der Emotions-Situationen gezeigt hat, tritt Freude bei den Menschen mit Autismus nicht nur als Folge bedeutender positiver Ereignisse auf - wie es beim Kind ein Besuch im Zoo sein kann und beim Älteren etwa ein Erfolg in Schille oder Beruf - sondern auffallend oft in kleinen, für den Beobachter scheinbar unbedeutenden Zusammenhängen. Häufig im Zuge der bekannten autismustypischen Beschäftigungen, wie Manierismen der Hände, das Erzeugen und Lauschen nach bestimmten Geräuschen, das Spüren und Berühren gewisser Oberflächen und kleine stereotype Handlungen. Diese werden nicht nur gerne ausgeführt, sie werden intensiv-positiv erlebt und bildenfür den Betroffenen ein konstituierendes Element seiner inneren Stabilität und seines persönlichen Wohlbefindens. Sie sind verbunden mit einem Ausblenden der Umgebung und einem Fokussieren weg von belastenden Elementen des Alltags. Doch trotz der beschriebenen positiven Aspekte, ist es nicht förderlich, Betroffene grundsätzlich in ihren Stereotypien gewähren zu lassen, da ein exzessives Ausleben derselben gewöhnlich mit einer Verstärkung des Verlangens danach und einer noch größeren Unruhe in Alltagssituationen einhergeht. Behutsam soll der pädagogisch Handelnde den Betroffenen aus seinen stereotypen Handlungen herausführen, um ihm Fördermöglichkeit anzubieten oder ihm das normale Konzentrieren auf das Tagesgeschehen zu ermöglichen, das ebenso stets mit Lernprozessen verbunden ist. Es ist nicht immer einfach zu entscheiden, wann es für den von Autismus Betroffenen positiv sein kann, den momentan beruhigenden, oft "berauschenden" stereotypen Handlungen nachzugehen - ein absolutes Richtig oder Falsch gibt es hier nicht. Gunilla Gerland, die unter prekären Umständen aufgewachsen ist, bringt diese Frage um das Gewährenlassen in den stereotypen Handlungen versus dem Verzweiflung in Kauf nehmenden Verbieten derselben - bezogen auf 195
ihr zu großen Teilen stark belastetes Leben - in ihrem Buch auf den Punkt, indem sie schreibt: ,,Möglicherweise hat die Tatsache, dass ich allein mit allem fertig werden musste, dazu beigetragen, dass meine Behinderung sich nicht stärker entwickelt hat, es war vielleicht gut, dass ich gezwungen wurde, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Also wäre ich in einer normalen Familie eventuell autistischer geworden, aber dafiir vielleicht auch glücklicher. Das lässt sich nicht feststellen:" (Gerland 1998, S. 281)
Ihr fehlte als Kind die elterliche Geborgenheit. Ihre Eltern haben sehr früh sehr viel Selbstständigkeit von ihr abverlangt und ihre (autistischen) Wünsche und Zwänge wurden beinahe brutal unterbunden. In einer - wie sie schreibt - "normalen", also emotional sanftmütigeren und mitfühlenderen Familie, wäre ihr viel Verzweiflung und Angst erspart geblieben, sie wäre also glücklicher geworden. Zugleich räumt sie aber ein, dass dieses - in ihrem Fall sadistische - Zwingen, von ihren Bedürfnissen abzulassen (vgl. Gerland 1998, u. a. S. 19 f), letztendlich wohl auch dazu beigetragen hatte, dass sie heute ohne von ihren stereotypen Wünschen zu sehr abhängig zu sein, gut im Alltag zurecht kommt. Vielleicht die beste Möglichkeit des Umganges mit den stereotypen Handlungen ist das Einsteigen in die mit so viel Glücksgefühl besetzte Tätigkeit und das Umleiten derselben auf förderliche Handlungen, die Raum für Interaktion bieten. So kann endlich Gegenseitigkeit entstehen und Gemeinsamkeit aufgebaut werden. Wenn es gelingt, die stereotype Beschäftigung in ein Spiel umzulenken, so wird die Stereotypie zu einer positiven Betätigung, die im Idealfall noch all jene freudebringenden Elemente besitzt, die so heilsam für den Betroffenen sind. Entscheidend ist bei all dem, dass mit diesen Erkenntnissen behutsam umgegangen wird, da sie neben Vorteilen auch eine große Verantwortung mit sich bringen. Das Wissen um seine Emotionssituation gibt uns vielleicht die Möglichkeit, durch noch mehr Rücksichtnahme dem autistisch wahrnehmenden Menschen emotionale Kränkungen zu ersparen und seine Lebensqualität damit zu verbessern. Unbedachte Äußerungen im Beisein Betroffener, die nicht selten jahrelange Traurigkeit und Versagensgefühle mit sich bringen, sollten sich mit diesem Wissen vermeiden lassen . Ein einfühlsamerer Umgang sowie ein gezielteres Eingehen auf Hoffnungen, Wünsche und Bedürfnisse wird möglich. Bei der Initiierung von Behandlungsmaßnahmen sollten wir uns stets bewusst machen, was wir verändern wollen, weshalb und vor allemjUr wen: Steht der Leidensdruck unseres Schützlings im Vordergrund oder, was ebenfalls Be196
rechtigung hat, jener seiner Angehörigen und Betreuer? Was möchte ich mit der Intervention bewirken? Der Blickwinkel des Betroffenen und vor allem seine emotionale Befindlichkeit sollte dabei aber in keinem Fall außer Acht gelassen werden. Autistische Verhaltensweisen wie Rückzug, Stereotypie, Schreien, Schlagen oder Verweigerungsverhalten, welche für uns das Problem darstellen das therapiert werden soll, sind nicht selten vom Betroffenen bewusst gesetzte Handlungen, anband derer er sich aus einer - von anderen mitunter kaum wahrgenommenen - belastenden oder beängstigenden Situation zu retten versucht. Indem sie ihm helfen, sich zu beruhigen und zu fokussieren, ermöglichen sie ihm, die Belastung zu ertragen. und stellen für ihn folglich schon einen ersten Schritt der Lösung des Problems dar. Mit dem nötigen Wissen, großem Einfühlungsvermögen und einem erfolgreichen Perspektivenwechsel sollte es uns zunehmend gelingen, die Auslöser für Kränkungen und sensorische Überlastungen unserer Schützlinge frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig vermittelnd zu intervenieren, um Ängste und Traurigkeiten abzufangen und ihnen und uns ein Eskalieren mancher Situation zu ersparen, um so unserem höchsten Ziel einer verbesserten Lebensqualität einen Schritt näher zu kommen.
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PERSÖNLICHE SCHLUSSBEMERKUNG
Mein Anliegen ist, dass diese Untersuchung dem Phänomen Autismus sowie der komplexen Vielfalt von Wahrnehmung, Denken und Empfinden in Zusammenhang mit diesem Phänomen auch aus der Sicht von betroffenen Menschen mit einer Form des Autismus gerecht geworden ist. Vielleicht können die hier gewonnenen Erkenntnisse einen kleinen Beitrag leisten, näher an einen von gegenseitigem Verstehen geprägten Umgang der Menschen mit und ohne autistischer Wahrnehmung zu gelangen und das eine oder andere vorhandene Missverständnis aus dem Weg zu räumen. Es ist klar, dass es, um dem beforschten Gegenstandsbereich wirklich gerecht zu werden, nötig wäre, viel tiefer in die Materie einzutauchen, als es im Zuge dieser Forschungsarbeit möglich war. Diese soll vielmehr als ein Anfang verstanden werden, der versucht, die Sicht der Betroffenen mehr in den Vordergrund wissenschaftlicher Bemühungen zu stellen und dem persönlichen emotionalen Befinden - als Ausschlag für das Maß an empfundenem Leidensdruck und als zentrale Bedingung für den Faktor des Zurechtkommens mit der Störung neben äußeren Auffälligkeiten, Verhaltensweisen und Symptomen, mehr Beachtung zu schenken. Den autistisch wahrnehmenden Autoren, deren Texte für die Beantwortung der Forschungsfrage herangezogen wurden, möchte ich an dieser Stelle meine anerkennende Bewunderung aussprechen. Ebenso auch jenen, die ich persönlich kennen lernen durfte und all den anderen, die sich mutig den Schwierigkeiten des Lebens stellen, sowie deren engagierten Begleitern, denn diese Menschen waren es, die mir durch ihre Emotionalität das Tor zur Auseinandersetzung mit der Thematik eröffnet hatten und dabei auch mein Leben in unzähligen Momenten bereichert haben.
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LITERATUR
Autobiographische Texte Autobiographische Texte sind das Datenmaterial der analytischen Untersuchung. Diese Liste stellt das Ergebnis der Recherche nach autobiographischem Material von Menschen mit autistischen Störungen dar, bevor diese der Prüfung bezüglich Authentizität sowie Zuverlässigkeit der Diagnose unterzogen wurde. Brauns, Axel (2004a): Buntschatten und Fledermäuse. Mein Leben in einer anderen Welt. Originalausgabe 2002. München: Goldrnann Verlag Eckardt, Bettina u. Kristina (2001): Ein offenes Tagebuch. Germany: Books on Dernand GmbH Gerland, Gunilla (1998): Ein richtiger Mensch sein. Autismus - das Leben von der anderen Seite. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben Grandin, Temple (1997): Anthropologin auf dem Mars. Mein Leben als Autistin. München: Droemersche Verlagsanstalt Tb. Knaur Nachf. Keulen, Konstantin / Keulen, Komelius / Kosog, Simone (2004): Zu niemandem ein Wort. In der Welt der autistischen Zwillinge Konstantin und Komelius. Ungekürzte Taschenbuchausg. München: Piper Klein, Rebecca (2000): leinen los ins leben. Eine Autistin bereist mit Hilfe der "gestützten Kommunikation" ihre innere und die äußere Welt. Norderstedt: Books on Demand Mukhopadhyay, Tito R. (2005): Der Tag, an dem ich meine Stimme fand. Ein autistischer Junge erzählt. Deutsche Erstausgabe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Newport Mary und Jerry (2005): Crazy in Love. Ein autistisches Paar erzählt seine Geschichte. München: Droemer Nieß, Susanne (2000): Autismus: Probleme mit Wahrnehmung und Handlung - eine Betroffene berichtet. In: Bundschuh, Konrad (Hrsg.): Wahrnehmen - Verstehen Handeln. Perspektiven für die Sonder- und Heilpädagogik im 21. Jahrhundert. Bad Heilbrunn: Klinkhardt; S.291-299 O'Neill, Jasmine Lee (2001): Autismus von innen. Nachrichten aus einer verborgenen Welt. Bern: Verlag Hans Huber Prince-Hughes, Dawn (2004): Heute singe ich mein Leben - Eine Autistin begreift sich und ihre Welt. München: Marion von Sehröder Verlag Rocha, Adriana u. Jorde, Kristi (1996): Aus der Stille der Ewigkeit. Bergisch Gladbach: Lübbe
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ANHANG
TEXTAUSSCHNITTE Textausschnitt aus Axel Brauns (2004a, S. 17-21) .Buntschatten und Fledermäuse". Dieser Textausschnitt bildet die Analysesequenz .Axel Anf", die die frühe Kindheit von Axel Brauns darstellt. ,,Die Haha pflanzte einen Baum auf dem Balkon des Hofhauses. Auf dem alten Balkon hatte ich mich nie verlaufen. Der neue Balkon war jedoch riesig. Über das Geländer des alten Balkons vermochte ich einen Blick zu werfen. Ich musste nur auf einen Stuhl steigen. Über das Geländer des neuen Balkons würde ich niemals gucken können, selbst wenn ich vom Stuhl aus hochspränge. Es verwirrte mich, dass die Haha den neuen Balkon nicht Balkon nannte. Sie nannte ihn Garten und das Geländer nannte sie Mauer. Ich wollte nicht mit Eimer und Schaufel in der schwarzen Erde spielen. Die schwarze Erde war mir zu klebrig. Ich wollte zum Viereck. Jenseits des wo1kenweiBen Geländers überwölbte ein wo1kenweißer Himmel den Spielplatz. Dort gab es ein Viereck, das die Haha Sandkiste nannte. Der Sand dort war so gelb wie die Haare des Heimers und so körnig wie Zucker. Ich klopfte mit der Schaufel auf den Rand des Eimers, um auf meinen Wunsch aufinerksam zu machen. Die hoch gewachsene Haha war gerade dabei, den Boden über der Wurzel festzustampfen. Sie beachtete mich. Sie sagte etwas. Ihre Worte waren kein Lärm und kein Geräusch, sie hatten Klang und Bedeutung. Ich verstand, was sie meinte. Ich sei zu klein, um allein auf den Spielplatz zu gehen, ich solle dort bleiben, wo ich war: auf dem Balkon. Klackklack. Ich pendelte mit dem roten Eimer und die weißblaue Schaufel klapperte gegen den Rand. Klackklack. Die Haha öffnete die Haustür. Der Heimer schlüpfte neben ihr ins Freie. Pendelnd, folgte ich den beiden Buntschatten. Die Sandkiste wartete auf mich. Die Steinplatten der Hofhausreihe begrüßten mich so geordnet, wie ich es schöner nicht kannte. Auf keine der Fugen durfte ich treten und ich gab Acht. Klackklack. Lang war die Hofhausreihe und wolkenweiß. Jeder Schritt in eines der sonnenbestäubten Steinvierecke gab mir Sicherheit. Klackklack. Leicht lag mir der Henkel in der Hand. Unten an der Reibe schwenkten die Haha und der Heimer nach links. Klackklack. Weit war es nicht mehr zur Sandkiste. o weh! Ich blieb im Eingang zum Spielplatz stehen. Wieder hatte ich kein Glück. Der Heimer rannte voran. Kein Klackklack. Die ganze Sandkiste war voller Fleder-
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mauskinder. Die Haha zog mich mit. Enttäuscht setzte ich mich auf den Holzrand der Sandkiste. Kein Klackklack. Nach einer Weile kniete ich mich doch in den Sand und rutschte in eine Ecke der Sandkiste. Da war es nicht so huschig. Ich wandte den Fledermauskindern den Rücken zu und schaufelte Sand in meinen Eimer. Mit der Hand wischelte ich über den Sandhügel im Eimer, bis der Sand glatt war. Rupsrups. Meine Hand stieß an den Rand und schwang zurück über den Sand und stieß an den Rand und schwang zurück. Die Haha machte Lippenlärm und zeigte einzeln auf die Fledermauskinder, die in der Sandkiste mit dem Heimer herumhuschten, und machte Geräusch: »Peter ... Wolfgang ... Barbara ... Gerd ... Christoph ...« Ich hörte nicht mehr zu. Die Fledermauskinder hatten Namen und die Namen waren so langweilig wie schwarze Erde. Die Haha wollte, dass ich mit den Fledermauskindern spielte. Ich wollte nicht mit den Fledermauskindern spielen. Ich wollte viellieber mit dem Sand in meinem Eimer spielen. Rupsrups. Im Flur begrüßte mich die sandgelbe Heizung. Hinter der Heizung führte eine Treppe in den Keller. Ich klopfte auf die Heizung. Klackklack. Vom Rand der Treppe spähte ich nach unten. Eine Sandkiste nur für mich im Keller wäre schön. Vorsichtig stieg ich, mit der linken Hand am Geländer, die Stufen hinab. Ein dünengelber Kokosteppich bedeckte den Estrich. Ich kniete mich hin. Die harten, geflochtenen Fasern fesselten meine Aufmerksamkeit. Die leichte Klebrigkeit der wächsernen Schnüre gefiel mir. Ich fing an, das Flechtwerk des Teppichs nachzuzeichnen. Mir entgingen nicht die geringsten Verwerfungen, die ich sofort glatt strich. und nicht die winzigen Borsten, die überall hervorstachen. Ich fing an zu wischein und wischelte, bis sich ein Muster bildete, das Belohnung in sich selbst fand. Ausgewischelt. Der stummelbeinige Kleiderschrank war verschoben worden! Die Veränderung war unübersehbar für mein geübtes Teppichauge. Dort, wo die Schrankbeine vormals gestanden hatten, waren nun muldentiefe Abdrücke zu sehen und zu ertasten. Woher kamen diese Vertiefungen? Warum waren sie nicht mitgewandert? Die Mulden gehörten zu den Schrankbeinen, das begriff ich. Ich zerrte am Teppich. Er bewegte sich nicht. Ich stemmte mich gegen den Schrank. Er bewegte sich nicht. Ich zerrte erneut am Teppich. Der Schrank bewegte sich immer noch nicht. Der Anblick der Vertiefungen, die auf etwas hinwiesen, was sich anderswo befand, ließ mir keine Ruhe. Dinge hatten ihren Platz. Dinge durften ihren Platz nicht verändern. Das war meine Regel. Der Dachs und die Haha mochten diese Regel nicht. Sie kannten aber mein helles Entsetzen, wenn sie mir nichts, dir nichts Möbel umstellten. Ich rannte dann schreiend aus dern Zimmer und zog mich an einen sicheren Ort zurück. Buntschatten, die man als Eltern bezeichnet, stellen gerne Möbel um, und die Haha und der Dachs machten bei dieser Vorliebe keine Ausnahme. Die Mulden gehörten unter die Stummelbeine. Ich zerrte noch einmal am Teppich. Vergeblich. Was war das? Ich tastete mit meiner Hand unter dem Teppich herum. Ich spürte Sand auf meiner wischeltauben Haut. Eine Sandkiste nur für mich
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im Keller? Ich rollte den Kokosteppich ein Stück beiseite. Auf dem Estrich himmelte mich eine graue Sandschicht an. So fein wie Puderzucker war der Sand und gewitterwolkengrau. Eine Sandkiste nur fiir mich. Ich wischelte los . Die Augenblicke verschmolzen. Die Zeit ertaubte. Wischelfreuden später ... Lippenlärm? Die Haha schrie , machte Geräusch, schrie. Nichts verstand ich. Die Haha riss mich hoch und schüttelte mich. Sie wurde ruhiger, deutete mit dem Zeigefinger auf meine Sandkiste und machte Geräusch: »Nein ... nein ... nein ... keine Sandkiste ... nein ... nein ... nein ...« Die Haha , der Dachs und der Heimer wollten aus dem Haus gehen. Ich sollte mitkommen. Ich wollte nicht. Ich wollte viel lieber mit dem Puderzuckersand im Keller spielen . Ich wurde im Kinderzimmer angekleidet. Feucht noch waren meine Hände vom Wasser und rochen nach Rosenbeet. Die wollene Strumpfhose gefiel mir nicht. Ich wollte eine Hose wie der Heimer haben . Die Strumpfhose war ein schlechtes Kleidungsstück. Ich sträubte mich beim Anziehen. Die Haha gab nicht auf. Die Strumpfhose wurde mir übergestreift. Schuhe, Mantel und Mütze folgten. Im Auto zupfte ich immer wieder am Stoff der Strumpfhose. Es war ein schlechtes Geflihl, hosenlos aus dem Haus zu gehen . Die ganze Zeit über wimmerte ich . Es war ein schlechter Tag, die Strumpfhose war schlecht und es war gemein, mir keine richtige Hose zu geben. Ich wollte zurück zu meiner Sandkiste im Keller. Der Dachs und die Haha spazierten zu einem Block mit Neubauwohnungen. In den Räumen dort roch es nach Steinmehl, Holzlack und Tapetenfarbe. Aber die Gerüche waren nicht wichtig. Meine Gedanken drehten sich um die Strumpfhose. Unablässig zupfte ich am Stoff. Auf dem Rückweg zum Auto fiel mein Blick auf die Gehwegplatten. Das Viereckmuster kannte ich aus der Hothausreihe. Das Nebeneinander von grauen Gehwegsteinen und schwarzer, feuchter Erde packte meine Aufmerksamkeit. Vor dem Neubau befand sich ein riesiger Balkon ohne Geländer, wo noch keine Bäume und Sträucher wuchsen. Ich musste dieses Nebeneinander von trockenem Grau und feuchtem Schwarz untersuchen. Gab es da vielleicht eine Sandkiste? Ich setzte meine Schritte an den Rand des Weges, bis ich genau auf der Kante der Steinplatten stolzierte. Ich übte mich im Gleichgewicht und - knickte auf einmal um . Ich stürzte. Mein linkes Knie sackte in den Matsch ein, meine Hände knallten auf ein Brett. Der Aufprall tat nicht weh. Ungelenk richtete ich mich auf. Bestürzt schaute ich an mir herab: Matsch klebte am Knie. Ich wusste sofort, warum ich hingefallen war. Die Strumpfhose war schuld . Ungerührt gingen der Dachs und die Haha weiter. Der Heimer folgte ihnen. Im Auto jammerte ich . Wieder und wieder blickte ich auf das Knie . Der Matsch war ein Teil von mir geworden. Ich flihlte mich elend . Mein linkes Knie war purer Matsch: kalt und schmierig. Warmen, feinen, gelben Sand mochte ich. Kalten , klebrigen Matsch mochte ich nicht. Ich konnte mich nicht beruhigen. Die Haha drehte sich um
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und ihre Lippen flatterten in der Luft. Ab und zu hörte ich aus dem Lippenlärm Geräusch heraus. Zum Glück dauerte die Heimfahrt nicht lange. Die vertrauten Gehwegplatten der Hofhausreihe linderten meinen Kummer. Daheim im Flur wimmerte ich nur noch schwach. Die Heizung spendete mir Trost. Einer der Buntschatten setzte mich auf den Flurstuhl. Es war ein schlechter Tag. Mit einer richtigen Hose wäre mir das nicht passiert. Die Haha griff an meinen Bund und zog schwungvoll die Strumpfhose von meinen Beinen. Der Matsch verschwand von meinem Knie, ohne dass ich etwas spürte. Wie war das möglich? Noch mehr staunte ich über die Strumpfhose."
Textausschnitt aus Dawn Prince-Hughes (2004a, S. 41-43) ,,Heute singe ich mein Leben". Dieser Textausscbnitt bildet die Analysesequenz ,,Dawn Ki" der vorliegenden Arbeit und stellt den Eintritt in den Kindergarten dar. ,,Ich denke zurück an die Jahre in Carbondale, lllinois, als ich fünf sechs, sieben, acht war ... An meinem ersten Tag im Kindergarten war ich zutiefst verstört. Ich zeigte es nicht offen wie viele der anderen Kinder; stattdessen fühlte ich mich wie ausgehöhlt, und die Welt verlor ihren Klang. Meine Mutter winkte mir zu . Sie stand vor unserem Auto, das neben dem winzig kleinen Haus mit zwei Räumen parkte. Die Erzieherin hatte uns befohlen, uns in einer Reihe aufzustellen, um zu unserem ersten Tag nach drinnen zu gehen, und ich war verwirrt: Wo in der Reihe sollte ich stehen? Würden die anderen aufpassen, dass sie mich nicht anfassten? Wo blieb hier die Ordnung? Kinder kreischten, schrieen, rannten herum. Sie liefen ihren Eltern nach und flehten sie an, nach Hause gehen zu dürfen. Während die Erzieherin versuchte, Ordnung in dieses Chaos zu bringen, stand ich schweigend da. »Jetzt ist alles vorbei«, dachte ich bei mir. »Mein Leben ist vorüber.« Von einer unbeschreiblichen Trauer erflillt, sah ich mich nach etwas Festem um. Ich hob einen Kieselstein auf, der vor meinen Füßen lag. Streng rief die Erzieherin mich an, als ich zu meiner Mutter rannte, um ihr den Stein zu geben - ihr, die so lange ein Symbol der Stabilität für mich gewesen war. Das war die erste von vielen Gelegenheiten, bei denen ich wegen der seltsamen Dinge, die ich tat, Schwierigkeiten bekommen sollte. Jahre später verstand ich besser, warum ich meiner Mutter dieses Geschenk gemacht hatte. In der Welt der Gorillas war dieses Verhalten überhaupt nicht eigenartig. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mich ganz gerührt fühlte, als Congo, der eines Tages allein mit mir in den Hinterzimmern des Büros war, mir im Tausch für einen Apfel ein Stück Stroh anzubieten versuchte. Beim ersten Mal berührte mich seine Geste nicht, sondern ich fand sie töricht. Ich versuchte ihm den Apfel zu geben, aber er wollte ihn nur nehmen, wenn ich zuerst das Stück Stroh annahm, das er mir anbot. Mir kam das vollkommen unnötig vor, bis mir klar wurde, dass er mich schätzte und meine Gefühle ihm wichtig waren. Er fand, es sei nur gerecht, wenn ich auch etwas bekäme, und das Heu war - genau wie damals mein Kieselstein - alles, was er hatte. Tränen stiegen mir in die Augen, als ich endlich erkannte, was er tat, und mit einem Mal begriff ich vollständig, dass dieses wechselseitige
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Geben das edle und heilige Sakrament ist, das in allen solchen Handlungen steckt, ob sie nun zwischen Gorillas und Menschen geschehen oder innerhalb beider Spezies. Vielleicht verstand meine Mutter das ebenfalls, denn sie nahm den Kiesel. So laut ich konnte, dachte ich, dass ich sie liebte, dass ich nach Hause wollte und dass ich auch wusste, dass es hoffnungslos war. Ich dachte daran, wie meine Mutter den Stein den ganzen Tag in der Hand halten und mich so bei sich festhalten würde. Am liebsten wäre ich in ihre Tasche gekrochen. Wieder schrie die Erzieherin. Ich ging an meinen Platz in der Reihe und fiihlte mich wie ein Häftling, der gleich in ein Gefängnis einmarschieren muss, das er sehr lange Zeit nicht mehr verlassen wird. Etwa um diese Zeit begann ich mir eine gewisse Erleichterung zu verschaffen, indem ich Dinge ordnete. Ich liebte Puzzles und verstand mich außerordentlich gut darauf. Geradezu besessen hing ich an meinen Tinkertoys-Bausätzen, die ich sorgfältig und meditativ nach Form und Farbe aufreihte. Wenn jemand sie bewegte, hatte ich das Gefiihl, mich aufzulösen. Ich hatte ein Steckspiel von Playskool mit roten. grünen und blauen Steckern, die in das Lochbrett in der Schachtel passten. Davor saß ich und reihte zuerst die roten Stecker in einer Linie auf; dann ging ich zu den grünen über und bewahrte mir die blauen - meine Lieblingsfarbe - für den Schluss auf Kurz schaute ich die ordentlichen Reihen an und begann dann wieder von vom. Ich sammelte Steine, Zikadenpanzer und Tierknochen. Ich wusste genau, wo alles seinen Platz hatte und ob jemand meine Sammlungen angefasst hatte. Diese Rituale aus Ordnen. Katalogisieren und Betrachten nahmen jetzt eine neue Dimension an. Sie entsprangen nicht mehr einem ästhetischen Bedürfuis nach Schönheit und Ordnung, sondern spiegelten die Angstprobleme, unter denen ich zunehmend litt. Später sollte ich dieses Verhalten an Gorillas in Gefangenschaft beobachten. Sie hatten nervöse Ticks, die den meinen ähnlich, wenn nicht identisch damit waren : Sie rissen sich Haare aus, pulten an Schorf herum, kratzten sich, schaukelten, kauten an den Fingern und voll:fiihrten noch andere wiederholte oder autostimulierende Verhaltensweisen. Ein Gorilla drehte sich rasch in kleinen Kreisen. Eines der Weibchen nickte unablässig mit dem Kopf."
Textausschnitt aus Liane Willey (2003, S. 30 f) ,,Ich bin Autistin, aber ich zeige es nicht. Leben mit dem Asperger-Syndrom" "So gerne ich auf kratzigen, sandigen Materialien herumkaute, so wenig konnte ich diese Stoffe auf meiner Haut ertragen . Ich hasste es, steife, seidenglatte oder kratzige Kleidungsstücke zu tragen, und ich hasste alles, was mir zu eng war. Wenn ich auch nur daran dachte, sie mir vorstellte, sie innerlich vor Augen hatte ... jedes Mal, wenn meine Gedanken sich mit diesen Dingen irgendwie beschäftigten. bekam ich eine Gänsehaut, Schüttelfrost und ein generelles Gefiihl des Unwohlseins. Ich zog in diesem Fall alles aus, was ich gerade anhatte, auch wenn wir in der Öffentlichkeit waren. Es kam ständig vor, dass ich meine Schuhe auszog und von mir warf, auch wenn wir gerade im Auto unterwegs waren. Wahrscheinlich dachte ich, dass ich diese unangenehmen Kleidungsstücke so ein für alle Mal loswerden konnte! Ich riss sofort
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die Etiketten aus meinen Kleidern heraus, selbst wenn ich wusste, dass es wegen des Lochs, das dort entstand, wo das Etikett gewesen war, Ärger gab. Ich glaube, ich war beinahe fünf Jahre alt, bevor man mich davon überzeugen konnte, dass ich auch etwas anderes anziehen konnte als meine blauen, knittrigen Shorts aus Polyester. Ich konnte viele Arten von Geräuschen und helles Licht fast nicht ertragen. Bei hohen Frequenzen oder blechernen Geräuschen spannten sich meine Nerven unangenehm an. Pfeifen, laute Scherzartikel, Tröten, Trompeten oder ähnliche Töne brachten mich um meine Ruhe und Ausgeglichenheit und machten die Welt für mich sehr wenig einladend. Helle Lichter, die Mittagssonne, Spiegelungen, Lichtblitze, flackerndes Licht, fluoreszierendes Licht - an jedem dieser Lichter konnte ich mir die Augen verbrennen, so schien es. Wenn sie zusammen auftraten, waren schrille Töne und helle Lichter mehr als ausreichend, um meine Sinne in eine Überlastungssituation zu bringen. Um meinen Kopf herum fühlte ich dann ein Drücken, mein Magen war aufgewühlt, mein Puls schlug schnell, bis mein Herz nicht mehr konnte und ich in einer sicheren Umgebung angekommen war. Unter Wasser hatte ich immer schon Trost gefunden. Ich liebte das Geftihl, im Wasser zu treiben. Ich war wie eine Flüssigkeit, friedlich, fließend; ich wurde zur Ruhe gebracht. Das Wasser war fest und stark. Es hielt mich sicher in seiner schwarzen, wunderbaren Dunkelheit und bot mir Ruhe - unberührte, mühelose Stille. Ganze Vormittage zogen vorbei, in denen ich für längere Zeit unter Wasser schwamm, indem ich meine Lungen dazu zwang, immer länger die Luft anzuhalten, um in dieser ruhigen Dunkelheit bleiben zu können, bis ich so nötig Sauerstoff brauchte, dass es mich wieder nach oben trieb. Das Schwimmbad war mein liebster Ort, meine Sicherheitszone."
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KODIERTABELLE Tabelle 12: Beispiel-Kodiertabelle der Analyse-Sequenz "Dawn Jetzt", Auszug. Die Spalten von links nach rechts: Nummer; Autor; Sequenz; Seitenzahl in der Publikation; Kode gemäß Kategoriensystem; Sinneinheit; Anmerkung; eigene EmotionIEmotion eines anderen; Zuordnung zu einem E moti onswort, b ea . ht 0 d ervernem . t th ema ti sie . rtes E moti onswort N r
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Sinneinheit Mein Leben und meine Karriere haben sich auf eine Weise entwickelt, wie ich das vor vielen Jahren nicht zu träumen zewazt hätte. Ich weiß, wie ich anderen meine beste Seite zeige und ihnen meine Fähigkeiten mitteile, aber ich weiß auch, wo ich aufhören muss. Als ich mich an meiner Universität um die Stelle einer Assistenzprofessorin am Lehrstuhl filr Anthropologie bewarb, gebrauchte ich eine Formel: Ein Drittel der Zeit redete ich über meine Fähigkeiten, ein weiteres Drittel über die Arbeit meiner Kollegen, wobei ich herausstellte, wo sich unsere Interessen trafen, und im letzten Drittel sprach ich über aktuelle Ereignisse und meine - etwas abgeschwächte - Meinung dazu . Ich vergaß nicht, auch nach den Interessen der anderen zu fragen . Anders als andere Menschen denke ich oft bewusst daran, in einem Gespräch die Themen auf diese Weise aufzuteilen, Häufig zähle ich auch ab, wie viele Sekunden ich jemandem in die Augen sehe und wie viele ich wegschaue. Ich versuche alles aufzunehmen, was gesagt wird, und mich daranzu erinnern, während ich zugleich versuche, die Emotionen der anderen wabrzunehmen und auf eine Weise zu reagieren, dass sie ein gutes Geflihl haben.
wie oben Diese Technik flIllt mir mit der Zeit immer leichter. Ich habc sie eingesetzt, um mein Interesse an der Arbeit von Menschen zu zeigen, die ich sehr bewundere, und arbeite heute mit einigen der bekanntesten Forscher auf meinem Gebiet zusammen.
Anmerkans
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Emotionen anderer Wahrnehmen anderen cin gutes Geflihl machen
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Ich habe zwar große Fortschritte dabei gemacht, meinc Ängste und dic Panik, die mich in manchen Situationen überfallen, zu bewältigen, aber immer noch gibt es Dinge, die es schaffen, mich völlig zu lähmen. wie oben Eines davon ist, die Funktion eines Automaten zu enträtseln. Für gewöhnlich bin ich ohnehin angespannt, weil ich mich an einem öffentlichen Ort aufhalte. Wenn ich das Gefl1h1 habe, dass die Leute mich beobachten, bekomme ich den Tunnelblick, den so viele Autisten beschreiben. Heute zum Beispiel ging ich in einen Kopierladcn in der Nähe, weil ich wusste, dass dort ein FedEx-Brielkasten steht, und ich ein paar Korrekturfahnen an einen Verlaa schicken musste. Ich nahm meinen Sohn mit.
Als wir durch die Tür traten, bemerkte ich, dass der Laden voU war. Heiliger Strohsack! Ich schaute mich nach dem Briefkasten um, obwohl ich ihn schon oft gesehen
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Ansnanmmz Geflih1 hier nur als Vermutung gemeint, nicht emotionales Fühlen
Zitierter Ausruf "heilStr." zeigt Wertung als bedeutsam für
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sie
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Sichtfeld eingeengt
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hatte.
»Wonach suchen wir, Mom?«, fragte mein Sohn. »Nach einem Kasten mit einem Stapel Umschläge. Ich glaube, auf der Seite ist ein Adler abgebildet«, antwortete ich mit trockenem Mund. »Ist es der?«, fragte mein Sohn, nahm mich an der Hand und filhrte mich zu dem Briefkasten. Ich dankte ihm. Dann standen wir minutenlang da, während ich versuchte, herauszubekommen, was ich tun musste. Ich bewegte den Kopfumher, um die Gebrauchsanweisung zu finden, aber mein Sichtfeld war auf die Größe eines Zehn-Cent-Stücks zusarnmengeschrumpft. Es gab Anweisungen für das Ausfüllen des Formulars, die Wahl des Umschlags und so weiter, aber nirgendwo stand etwas darüber, wie man bezahlen sollte,
Angst Panik
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Ich suchte überall an der Box und spürte eine unglaubliche Panik in mir aufstel!!Cn. Am Ende stand ich einfach wie betäubt da, während der Briefkasten praktisch vollkommen verschwunden war. Mein Sohn zupfte mich am Hosenbein. »Was machen wir hier?«, auenzelte er. »Wir suchen einen Laden, der UPS hat«, sagte ich, hob ihn hoch und trat eilig den Rückzug zu meinem Wagen an, wo ich eine Minute brauchte, um wieder zu mir zu kommen. Noch schlimmer ist es, wenn ich an einen Automaten gerate, der mein Geld einfach schluckt und ich die gefürchtete Entscheidung treffen muss, ob ich jemanden suchen soll, der es mir herausholt. Fast inuncr gehe ich dann weg, weil ich finde, dass es fünfzig Cent wert ist, mich nicht mit einem Fremden auseinander setzen zu müssen. Auch andere Dinge, die fiir andere Menschen sogar amüsant sind, jagen mir Angst ein. Clowns zum Beispiel Ein durchschnittliches menschliches Gesicht ist mir schon Herausforderung genug; vielen Autisten kommen die meisten sowieso schon überladen vor. Ich kann kaum ausdrücken, welchen Horror ich empfinde, wenn ich bei einer Parade oder auf einem Jahrmarkt bin ohnehin bereits ein Albtraum - und einen Clown auf mich zukommen sehe. Das grellbunt geschminkte übertriebene Lächc1n, die regenbogenfarbene Perücke, die elektrische Pfeile zu verschießen scheint, die übergroßen Hände und Füße, alles zusammen erweckt in mir den Wunsch, mit Höchstgeschwindigkeit zum nächsten AUS2alliZ zu rennen. Wenn ich nicht wegkomme, möchte ich manchmal am liebsten auf den Clown losgehen, Natürlich ist das gesellschaftlich unmöglich. Ich kann mir um alles in der Welt nicht vorstellen, was man tun soll, wenn ein Clown auf einen zukommt Was ist so lustig an diesem Erlebnis? Soweit ich weiß, ist etwas so Grelles und Buntes im Plan der Natur nicht vorgesehen, Manche Dinge werde ich einfach nie verstehen.
e Betäubung
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langsames zu sich Kommen
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Panik
Furcht
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Angst
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Horror finden
emp-
elektrische Pfeile
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Da ist noch etwas, das mir wirklich den Tag minieren kann; es scheint eine Kleinigkeit zu sein, doch ihre Wirkung ist groß. Auch so eine Sache, die die meisten Menschen angenehm finden: ein Freund, der einen anhupt, während man die Straße entlanggeht, Das macht mich jedes Mal zu einem nervösen Wrack. Wenn ich zu Fuß gehe, denke ich nach. Ich verliere mich auf fast hypnotische Weise in der langsam vorbeiziehenden Umgebung, bis ich mich ganz entspannt und -Idücklich fiihle. Meine Gedanken steigen aus tiefster Tiefe auf, und ich folge ihnen, wo immer sie mich hinführen, Oft denke ich darüber nach, was ich als Nächstes schreihen will; für gewöhnlich formuliere ich einen Text vollständig im Kopfund redigiere ihn dort sogar, sodass ich ihn anschließend nur noch zu Papier bringen muss wenn ich einmal etwas geschrieben habe, nehme ich nur selten noch Änderunzen vor. Ich schmore also glücklich in meinen Überlegungen und schiehe meine Gedanken - meine Welt - hin und her, und dann .... Tröööötl Ein Blitz aus Glas und Metall rast auf mich zu, trifft mich, reißt mich aus meiner inneren Welt, und der Friede ist dahin. Oft lehnt sich als Zugabe noch die Person, die mich kennt, aus dem Auto und schreit Hallo. Eine Hand liegt aufdem Lenkrad, und die andere, an der noch eine unterschiedliche Menge Körperteile hängen, streckt sich aus dem Fenster und winkt
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Blitze rasen aufsie zu
Ich liehe meine Freunde, und ich weiß, dass sie das tun, um nett zu sein, und sich darüber freuen. mich zu sehen. Ich habe gelernt, sofortiges Wiedererkennen zu simulieren und begeistert in die Richtung des Krawalls zurückzuwinken. Oft finde ich später heraus, wer es war, doch unterdessen hin ich aufgewühlt, mein Herz rast und mein Kopf ist vernebelt,
Achtung: Simulierte Begeisterung ich werte daher vern Herz rast, Kopf ist vernebelt
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Glück
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Glück
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Liehe Begeisterung
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Ich gehe weiter und versuche mich
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daran zu erinnern, wohin ich unterwegs
war. Den ganzen Tag lang spiele ich die Abfolge von Ereignissen - den Lärm, die Farben, das Geschrei - wie ein Video immer wieder vor mir ab . Ich finde Trost darin, Dinge zu sammeln: Spielzeugmonster und alte Horrorfilme, Fossilien, Gehirnmodelle und Trödel, der mich an meinc Kindheit erinnert. Immer noch leide ich unter chronischer Schlaflosigkeit und Panikattacken. Oft muss ich meine Beine oder Füße ständig und energisch bcwegen, damit ich mich intakt flIhle. Gern trage ich dieselbe Kleidung immer wieder und hasse es, meine Lieblingshosen zu waschen. Wic meine Mutter trockne ich meine Hosen nach dem Waschen oft über Nacht, damit ich sie gleich morgens aus dem Trockner holen kann. Ich kann richtig fühlen, wie die Anspannung in meinen Schultern nachlässt, wenn ich in die Hosen steige .
c
c e
Panik
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Ansnannunz
Hass
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TABELLEN UND DIAGRAMME TABELLE 13: Häufigkeit der gesamten Emotionswort-Nennungen aller 4 Autoren Liebe Traurigkeit Angst Glück Freude Wohlempfinden Sicherheit Verwirrtheit Schreck Schmerz Beruhigung Hoffnung Unsicherheit Wut Hass Ruhe Stolz Ärger Enttäuschung Langeweile Vertrauen Verwunderung Scham Sehnsucht Bewunderung Einsamkeit Verzweiflung Begeisterung Panik Zufriedenheit Entsetzen Lust Neugierde Erleichterung Liebeskummer Sorge Zuneizunz Dankbarkeit
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eigene
34 32 23 28 16 19 14 17 14 11 10 11 12 7 12 10 9 7 7 7 10 5 7 10 5 6 5 5 7 7 6 3 5 6 2 4 5
fi'i3iiide - " frei'ii'de vem. -g-esamt---' 16 51 3 37 4 31 2 1 31 1 5 22 1 20 4 1 19 17 2 16 I 3 15 1 14 3 I 14 2 2 14 7 14 1 13 3 13 4 13 4 11 I 3 11 1 11 3 1 11 6 11 1 2 10 10 4 9 I 2 9 1 3 9 2 1 8 I 8 1 8 1 7 1 3 7 2 7 6 1 5 6 I 3 6 1 1 6 5
ei~enevem.
1 2 4
Leere Neid Unglück Mitleid Rührung Verznüatheit Zorn Aggressionslust Gereiztheit Kälte Leidenschaft Schuldgefühl Unbehagen Widerwille Bedrückung Eifersucht Errezuna Frustration Furcht Geduld Kummer Spannung Trotz Unruhe Verlegenheit Vermissen Wärme Abneigung Abscheu Befriedigung Beschwingtheit Beunruhigung Entmutigung Erniedrigung Heiterkeit Hoffnunaslosizkeit Nähe Niedergeschlagenheit Reue Unbehagen Verehrung Verlangen
4 1 2 3 2 4 4 1 3 2 2 3 3 I I 1 2
1 1 1 2 1 1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 457
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5 5 5 4 4 4 4 3 3 3 3 3 3 3 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 6231
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TABELLE 14: Liste der Emotionswörter aus der Untersuchung von Kemmler et al. (1991, S. 60 t), nach Häufigkeiten sortiert & mit Zuordnung zu Emotionsgruppen. (NH=Nennhliufigkeit) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
12 13
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41
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NB
240 64 61 55 55 53 34 34 33 30 26 25 24 24 19 17 17 17 15 15 14 14 14 11
9 9 9 8 8 7 7 6 6 6 6 5 5 5 5 5 4
EMOTIONSWORT Angst Unsicherheit / Sicherheitsgefühl Wut Ärger Traurigkeit Freude Ruhe / Unruhe Selbstmitleid Zufriedenheit / Unzufriedenheit Spannung / Entspannung Beruhigung / Beunruhigung Liebe Enttäuschung Zutrauen (i. S. v. Wagemut) Vertrauen Befürchtung Lust Schuldgefiihl Glück / Unglück Hass Bedrückung Panik Sorge Zuneigung Bewunderung Furcht Schreck Aggressionslust Misstrauen Trotz Zutrauen (i. S. v. Selbstvertrauen) Eifersucht Hoffnung / Hoffnungslosigkeit Schmerz Stolz Leere Niedergeschlagenheit Verwunderung Wänne Zärtlichkeit Ekel
EMOTIONSGRUPPE Angst Unsicherheit / Sicherheit Aggressionslust Aggressionslust Traurigkeit Freude Sicherheit / Unruhe Traurigkeit> Freude / Aggressionslust • Unruhe / Sicherheit· Sicherheit / Unruhe Zuneigung Entmutigung Sicherheit • Zuneigung Angst Lust Verlegenheit Freude / Traurigkeit Aggressionslust Traurigkeit Angst Traurigkeit Zuneigung Zuneigung Angst Angst Aggressionslust Abneigung Aggressionslust Sicherheit Neid Sehnsucht / Traurigkeit Traurigkeit Freude Entmutigung Traurigkeit Unsicherheit Zuneigung Zuneigung Abneigung
42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72
73
4 4 4 4 4 3 3 3 3 3 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Grantigkelt Mitleid Sehnsucht Trauer Verlegenheit Lust (i, S. v. körperlicher Erregung) Scham Triumphgeflihl Ungeduld Verzweiflung Entsetzen Fröhlichkeit Kummer Leidenschaft Neid Überdruss Unlust Verachtung Vermissen Verstimmtheit Widerwille Begehren Erleichterung Erregung Frustration Gereiztheit Missstimmung Ratlosigkeit Reue Schadenfreude Verlassenheit Wohlempfinden
Aggressionslust Mitgefühl Sehnsucht Traurigkeit Verlegenheit Lust Verlegenheit Freude Unruhe Angst Angst Freude Traurigkeit Lust Neid Rest Traurigkeit Abneigung Sehnsucht Traurigkeit Abneigung Lust Freude Lust Traurigkeit Aggressionslust Traurigkeit Unsicherheit Verlegenheit Abneigung EntrnutiJ!;Unj!; Sicherheit
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DIAGRAMM 13: Emotionswort-Nennungen erlebter Emotionen in den analysierten TextsteIlen der vier Autoren (Brauns, Gerland, Prince-Hughes, Willey) o
NennhäufIgkeit 2
4
S
8
10
12 14
1S 18 20 22 24 2S 28 30
32 34
3S
Uebe
Trau~~~ VelWlrrtheit Fraude Schrack Sicherheit Haß Unsicherheit Hoffnung Schmerz
Beruhl~~~
Sehnsucht Vertrauen Stolz Ärger Enttäuschung Langeweile Panik Scham Wut Zufriedenheit Einsamkeit Entsetzen Erleichterung Begeisterung
B'b~~~:~~R
ve':u~~~~~~
Verzweiflung Leera Unbehagan VergnOglheit Zorn
zunel~~
Lust Mitleid Widerwille Furcht Leidenschaft RÜhrun~
SchUld~~%~
Unglück Unruha Wanna Abneigung Abscheu BedrOckung Bafriadigung Beschwln9th eil Entmutigung Erniedrigung Erregung Frustration Geralztheit Hoffnungslosigkeit Kummer Neid Niedergeschlagenheit Spannung
Trotz
Verehrung
ve~:~:~~:~
Vennissen -l!!!...J....L..J...J....L .l...L..J'-L.J....I...J....L..J...J....L .l...L..J'-L.J....I...J....L..J...J.....L..J...L..J'-L.J....I....L..J
224
DIAGRAMM 14: Emotionswort-Nennungen ALLER Emotionen (nicht nur der als selbst erlebt thematisierten) in den analysierten TextsteIlen der vier Autoren (Brauns, Gerland, Prince-Hughes, Willey) o Traurlgkeij
~rec~
Liebe Freude
NennhAullgkeK 2 4 6 8 10 12 14 16 18202224 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54
jiiiiiiEiiiiiEirF~iiiiiin
Wohles'1'g~:~:~ ~!I!!!!!I!!!!!!I!!I!!!I!!!!!!!!liT Verwlrrtheij Schreck Schmerz
~
Be~~~g :!!!!!!!I!!!!!!!!I!!!~!!!3
UnSicheme~ Wut
R~~~ :!i!!I!!!!!I!!!!!!I~Q!
K:g~~
En~:~~;.Z~~~ :!i!1!!!!!!!!!i!~
Vertrauen Verwunderung
Seh~i~~~ :!i!!!!!!!!!!!!!!iI
Be~~~':n'\:~H
Verzweiflung
Begels1~~~~ :!!!!!!!I!~~
ZufrledenheK En1setzen Lus1
Erl~~~P~~~~
Uebeskummer Sorge
~~g~r\:~H
Leere Neid
U~~1~
Rührung Unbehagen VergnO~~
Agg~~~~l Kälte
Leidenschaft
ScWI~~~~
B'l:9~:~c"h~
Erregung FruslrBllon Furchl Geduld Kummer
Span~~~
Unruhe VerlegenheK Vennlssen Wärme
Abneigung Abscheu
Be:~~~i~~R Beu
ng ung
~R
Hoffnungs~'1I'~~ Niedergeschlag Reue
Verehrung Verlangen -8-.l-l-JL-..l-'--'----'--- -'---'--'--'-J-.JL-..l-,"-'--'---'---'--'--'-.l-l-JL-..l-'----J
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DIAGRAMM 15: Häufigkeitsverteilung der Emotionsgruppen angenehmer (hellgrau) und unangenehmer (dunkelgrau) Emotionen, der Menschen mit Autismus. Die weniger deutlich gepolten Emotionsgruppen sind durch Schraffierun kenntlich emacht. 80 75 70 55
o eindeutig positiv
80
I'l eher
55
• eher negativ
50
• eindeutig negativ
45 40 35
pos~1v
76 61
30 25
20 15 10
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TABELLE 15:_Auf eigenes Erleben bezogene Nennhäufigkeiten der 71 Emotionswörter bei den Menschen mit Autismus. Insgesamt 457 Nennungen fallen auf die 71 verschiedenen Emotionswörter. Emotionswort Abneigung Abscheu Angst Ärger Bedrückung Befriedigung Begeisterung Beruhigung Beschwingtheit Bewunderung Dankbarkeit Einsamkeit Entmutigung Entsetzen Enttäuschung Erleichterung Erniedrigung Erregung Freude Frustration Furcht Gereiztheit Glück Hass Hoffnung Hoffnungslosigkeit Kälte Kummer Langeweile Leere Leidenschaft Liebe Lust Mitleid Neid Neugierde
Direkt benannt
Metapher
Gesamt
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22 6
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I I
1 I
4 10
I
I 5 5
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7
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28 12
28 12
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I
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I 7
4 2 33 3 3
3 I 7
1
4 2 34 3 3
I
I
5
5
227
Niedergeschlagenheit Panik Ruhe Rilhnmg Scham Schmerz Schreck Schuldgefl1hl Sehnsucht Sicherheit Sorge Spannung Stolz Traurigkeit Trotz Unbehagen Unglück Unruhe Unsicherheit Verehrung Vergnügtheit Verlangen Verlegenheit Vermissen Vertrauen Verwirrtheit Verwunderung Verzweiflung Wärme Widerwille Wohlempfinden Wut Zorn Zufriedenheit Zuneigung
SUMME
228
1
1 7 10 2
1 4 2
7 11 14 2 10 14 2 1 9 32 1 4 2 2 12 1 4 1 1 1 10 17 5 5 2
7 10 2
6 7 12 2 10 14 2
1 9 31 1 4 2 2 10 1 4 1 1 1 10 15 5 5 2 3 7 7 4
6 4
425
1
2
2
12
I
32
3 19 7 4 7 4
457
TABELLE 16: Nennhäufigkeiten aller erlebten Emotionen der Menschen mit Autismus und aller Emotionsgruppen, sortiert nach Gruppen Nr.
GRUPPE
Häufigkeit Gruppe
EMOTION
Hllufigkeit Emotion
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Freude
76
Glück Freude Stolz Zufriedenheit Erleichterung Begeisterung iVergnüguieit
28
Besehwin~it
II!!L...J 2
3a
'Sicherheit
Lust
Zuneigung
I
54
12
61
Heiterkeit Fröhlichkeit Triumphgefllhl Übennut Hochstimmunz Wohlempfinden Sicherheit Beruhigung Ruhe Befriedigung Neugierde Lust Leidenschaft Erregung Verlangen Begehren Liehe ertrauen Bewunderung Dankbarkeit
r
16 9
7
I
3b
Mitgefühl
5
4a
Sehnsucht
22
4b
Unruhe
3
-
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2 I I
-
I
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34 10 5 5 4
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-
3 2
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11
10 1
-
I
2
1
-
229
5a
5b
6a
Abneigung
5
Aggressionslust
32
Traurigkeit
59
Widerwille Abneigung Abscheu Ekel Schadenfreude Verachtung Hass Ärger Wut Zorn Gereiztheit Trotz Aggressionslust GraU Traurigkeit Schmerz Unbehagen !KIlte Sorge UnglücK Bedrückung Frustration
3 I
1
-
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1
-
32
1 1
Hoffiiungsl08igJi::ei~
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Verlegenheit
19
10
8
Neid
1
9a
Angst
57
II2IL.J -
230
Unsicherheit Rest
I
34
Kummer Niedergeschlagenheit Trauer Unlust Verstimmtheit Enttäuschung Einsamkeit Leere Erniedrigung Bntmutizune Scham
~gllfilhl
Verlegenheit Reue Ncid Eifersucht Angst Scmecli Panik Entsetzen Verzweiflung Furcht Verwirrtheit Unsicherheit
Verwuadenmz
7
Langeweile Geduld
11
4 3 2 2 1 I
1 I I
-
7 6 4 1 I
7 6 2
I
-
23 14 7 6 5 2 17 12 5 7
TABELLE 17:_Darstellung der positiv konnotierten Emotionsgruppen mit: Name der Emotionsgruppe; Anzahl zugeordneter Emotionen; Summe der Anzahl zugeordneter Emotionen der eindeutig positiven (dunkelgr au) & aller positiven (hellgrau) Emotionsgruppen; Name der Emotionen; Nennhäufigkeit pro Emotion; Nennhäufigkeit pro Gruppe; Summe der Nennhäufigkeiten eindeutig positiver Gruppen (dunkelgr au); Summe der Nennhäufigkeiten aller positiver Gruppen (hellarau), POSITIVE EMOTIONEN E.-2ruppe Gruppe
Name
la
Freude
ZU2eordnete Emotionen Anzahl
1: cind. pos. Emo.
1: aller pos. Emo.
Zufriedenheit Erleichterung Glück Heiterkeit Fröhlichkeit Freude Triumphgefllhl Übermut Hoehstinmnmg Begeisterung Stolz Besehwingtheit
13
Ib
2
Sieherheft
5
3a
34
Lust
6 Zunefgung
10
Zugeordnete
Emotionen
41
Nennhäufi zkelten pro Emo .
-
16
-
Ver""ü~it
14 10 10 1 19
Erregung Lust Leidenschaft Verlangen Begehren Neugierde
1 3 2 1
-
2
-
3
Rührung Mitleid Mitgefühl
4a
Sehnsucht
4
Sehnsucht Heimweh Vermissen Hoffnung
76
54
12
203 230
5
Zuneigung Zärtlichkeit Liehe Wohlwollen Verehrung Dankbarkeit Vertrauen Bewunderung Nähe Warme
rohl
aller
pos. Emo.
7
Sicherheit Beruhigung Ruhe Befriedigung Wohlempfind.
Mitge-
pc
cind, pos. Emo.
6 28
5 9 1 4
3b
pro Grup
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34
-
1 5 10 5
61
-
2 3 10
-
1 11
5
22
231
TABELLE 18:_Darstellung der negativ konnotierten Emotionsgruppen mit: Nummer und Name der Emotionsgruppe; Anzahl zugeordneter Emotionen; Summe der Anzahl zugeordneter Emotionen der eindeutig negativen (dunkelgr au) und aller negativen (hellgrau) Emotionsgruppen, Name der Emotionen, Nennhäufigkeit pro Emotion, Nennhäufigkeit pro Gruppe, Summe der Nennhäufigkeiten eindeutig negativer Gruppen (dunkelgr au), Summe der Nennhäufigkeiten aller negativer Gruppen hellarau).
E.-2ruppe Gruppe
Name
4b
Unruhe
5a 5b
Abneigung
NEGATIVE EMOTIONEN Nennhäutigketten ZU2eordnete Emotionen Anzahl
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};
eind. neg.E
aller neg.E
4
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Uerube Ungeduld BeumulUgung SDonnun.
2
6
Abneigung Widerwi lle
Wut
Aggr",,". Inlt
Zorn Hass Tr"'" Groll Arg..
14
52
Kummur
32 1 1
Verstimmtheit Unbehagen Bednlcl
KAI..
HDffinm..I..
6b
Bntmutigtmg
5
llnitIusc:hung -gung E insamk eit
1.=.
7 8
Verlegenbett
4
Neid
2
9a
Angst
9b
Unolcb-
232
erbett
7 4 12 1
2
Unlust Frustration
36
1 1 3
=.iust
Sorge Tr_ TrlWrigkcit Nicdergeschlg.
Traurigkeit
Entmutlauq
I
pro Gruppe
eind , neg, Emo .
aller neg, Emo .
3
Schadenfreu de
Vonu:hluDg Ekcl Abscheu
8
6a
Zugeordnete Emotionen
Verlegenheit ScluDn Reue Schuld.efilhI
7 1
1 4 1 2 11 3 1 1 7 1 6 4 1 7 2
Neid
I
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Hifcm1cht
6
Entsetz..,
Furcht Angst Parlil< Schreck
6 2 23 7 14
3
Ve:rwundtrong Varwirrtheit l.Jnsichcrheit
S
17 12
5
32
59
19 10 1 57 34
175
220
Diagramm 16 - Diagramm 22 stellen die Emotionswort-Nennungen dar, die von Axel Brauns in den analysierten Textstellen bezogen auf eigenes Erleben benannt werden. Diagramm 16 Emodonawort-Nennungen erlebterEmodonenAxel Anf
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Verwlrrtholt Dankbarkoh langeweile Neugierde 5lcherf1olt VorgnQgthelt
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Diagramm 30 - Diagramm 36 stellen die Emotionswort-Nennungen dar, die von Dawn Prince-Hughes in den analysierten Textstellen bezogen auf eigenes Erleben benannt werden.
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Diagramm 37- Diagramm 41 stellen die Emotionswort-Nennungen dar, die von Liane H. Willey in den analysierten TextsteIlen bezogen auf eigenes Erleben benannt werden.
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~ Neugierde ~ Schmerz 1= """'"
Frustration Hoffnung
Erniedrigung
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Entmutigung
Enttauschung
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Befriedigung Bewunderung
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Unsicherheit
Sorge
Einsamkeit Ertelchterung Freude
Angst Dankbari<elt
Vertrauen
Traurigken
Scham Sehnsucht
Ruhe
Begeisterung
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Uebe Haß Verwlnthen Schreck Wut Arger Beruhigung Glück
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