Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim
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Herausgegeben von Thomas Hillenkamp, Lothar Kuhlen, Adolf Laufs, Eibe Riedel, Jochen Taupitz (Geschäftsführender Direktor)
Brigitte Tag · Thomas Hillenkamp Herausgeber
Intramurale Medizin im internationalen Vergleich Gesundheitsfürsorge zwischen Heilauftrag und Strafvollzug im Schweizerischen und internationalen Diskurs
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Prof. Dr. iur. utr. Brigitte Tag Universität Zürich Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht Freiestrasse 15 CH-8032 Zürich
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Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Hillenkamp Ruprecht-Karls-Universität Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht Friedrich-Ebert-Anlage 6–10 69117 Heidelberg
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ISBN 978-3-540-77769-4
e-ISBN 978-3-540-77770-0
DOI 10.1007/978-3-540-77770-0 Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim ISSN 1617-1497 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Einbandgestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
Vorwort
Die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug ist ein wesentlicher Teil des Lebens hinter Gittern. Durch die besonderen Konditionen des Strafvollzugs erfährt sie von der Medizin extra muros ein stark abweichendes Gepräge. Die intramurale Medizin nimmt insbesondere zahlreiche Aufgaben wahr, die ausserhalb der Gefängnismauern nicht zum traditionellen Pflichtenkanon der Medizin zählen. Zudem werden durch sie eine Vielzahl von Patienten und Patientinnen betreut, die mit ihren gesundheitlichen Problemen von der Gesamtbevölkerung deutlich abweichen – sei es aufgrund spezieller Krankheiten oder sei es durch eine spezielle Verdichtung von Problemgruppen. Zugleich wird die intramurale Medizin durch unterschiedliche Interessen, aber auch durch Sparzwänge beeinflusst. Der Angleichungsgrundsatz, das Äquivalenzprinzip, aber auch der Gegensteuerungsgrundsatz werfen zahllose Fragen auf, der die Problemfelder zusammenfassende Bogen ist auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene zum Bersten gespannt. Diese Vielfalt an Spannungs- und Problemfeldern zu erkennen, ihnen zu begegnen und praktikable Lösungswege zur Verfügung zu stellen, ist für den Strafvollzug und die intramurale Medizin von zentraler Bedeutung. Ein interdisziplinärer und verschiedene internationale Blickwinkel einbeziehender Diskurs ist daher notwendig, aber auch realisierbar. Die im Juni 2007 an der Universität Zürich durchgeführte Tagung „Intramurale Medizin. Gesundheitsfürsorge zwischen Heilauftrag und Strafvollzug im Schweizerischen und internationalen Diskurs“ und der nun vorliegende Tagungsband sind wichtige Schritte auf diesem langen Weg. Die Veranstalter der Tagung und Herausgeber dieses Bandes danken allen, die mit Referaten, Statements und Diskussionsleitungen die Tagung sowie deren fruchtbare Diskussionen mitgestaltet, Ergebnisse präsentiert und ihre Manuskripte zum Abdruck überlassen haben. Unser Dank gilt auch allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Lehrstuhles Tag, Universität Zürich, und des Lehrstuhles Hillenkamp, Universität Heidelberg, die durch ihre tatkräftige Unterstützung die Vorbereitung und Durchführung der Tagung und die Herstellung dieses Bandes ermöglicht haben. Zu allererst und zuvorderst zu nennen ist Herr Rechtsassessor Julian Mausbach. Er hat zahllose Recherchen, Gespräche, Abklärungen fachlich versiert, geduldig und freundlich durchgeführt, die Tagung wurde unter seiner Leitung organisiert. Herr Mausbach ist durch sein außerordentliches Engagement wesentlich am großen Erfolg der Tagung beteiligt. Auch der Tagungsband ist unter seiner Federführung und aufgrund seines umsichtigen und unermüdlichen Einsatzes entstanden. Herr Mausbach wurde unterstützt durch die Sekretärin des Lehrstuhles Tag, Frau Beatrice Frei. Mit Kreativität, Engagement und ihrer offenen Herzlichkeit hat Frau
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Vorwort
Frei die Tagungsorganisation mit in ihren fleißigen Händen gehalten und wusste stets für alle Fragen eine überzeugende Lösung anzubieten. Aus Zürich haben weiterhin an der Tagung und/ oder am Tagungsband unterstützend mitgewirkt Frau lic. jur. Sibylle Dischler, Herr lic. jur. Peter Grubmiller, Frau RAin Christine Kolig, Herr Hans-Rudolf Lauper, Frau RAin Katrin Nagler, Frau Dipl.-Jur. Juana Schmidt, Frau Dipl.-Jur. Stephanie Wiesner-Berg sowie aus Heidelberg die studentischen Hilfskräfte Frau Lena Kalbfell und Frau Milena Wolff. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank. Sowohl die Durchführung der Tagung wie das Erstellen des Tagungsbandes wären nicht möglich gewesen ohne die tatkräftige und grosszügige Unterstützung interessierter Fachkreise, Institutionen und Einrichtungen. Es ist uns daher ein besonderes Anliegen, allen Gönnern und Unterstützenden herzlich zu danken. Dies gilt bezüglich der Förderung und Unterstützung des Symposiums, insbesondere dem Schweizerischen Nationalfonds, der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, der Stiftung Schweiz der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, der Konferenz Schweizerischer Gefängnisärzte, der Gleichstellungskommission der Universität Zürich, dem Zürcher Universitätsverein sowie den Universitäten Zürich und Heidelberg. Zur Erstellung des Tagungsbandes wurde uns weiterhin eine spezielle Förderung durch die Stiftung Schweiz der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste sowie die Gleichstellungskommission der Universität Zürich zuteil. Für die Aufnahme des Tagungsbandes in die Reihe der Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim danken wir den Herausgebern, allen voran dem geschäftsführenden Direktor, Herrn Prof. Dr. Jochen Taupitz. Zu danken gilt es weiterhin dem Springer-Verlag, und hier, stellvertretend für alle gleichermaßen freundlichen wie kompetenten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Frau Brigitte Reschke, für die zeitnahe und zugleich stets umsichtige Betreuung des Werkes, das entgegengebrachte Vertrauen und die sehr gute konstruktive Zusammenarbeit.
Zürich und Heidelberg im Januar 2008
Brigitte Tag / Thomas Hillenkamp
Inhaltsverzeichnis
Brigitte Tag Intramurale Medizin in der Schweiz – Überblick über den rechtlichen Rahmen................................................................................................................... 1
Marc Graf Psychisch Kranke im schweizerischen Strafvollzug ............................................ 39
Bernice S. Elger Gesundheitsfürsorge für Strafgefangene im Kanton Genf.................................... 49
Thomas Hillenkamp Intramurale Medizin in Deutschland .................................................................... 73
Mauro Palma Report on the Intramural Medicine in Italy ........................................................ 161
Michael Neider Ärztliche Versorgung im österreichischen Strafvollzug..................................... 203
Jörg Pont Überlegungen zu medizinischer Ethik im Gefängnis ......................................... 231
Heino Stöver Healthy Prisons – Eine innovative und umfassende Strategie zur Reduktion gesundheitlicher Ungleichheiten in Haft ............................................... 235
Peter van Panhuis Intramurale Psychiatrie in Niederländischen Justizvollzugsanstalten ................ 265
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Inhaltsverzeichnis
Frank Verbruggen, Ann Dierickx, Anne Vandesteene, Francis van Mol Blood, sweat and…hope – The provision of medical services in the Belgian prison system........................ 271
Marzena Ksel Intramural Medicine in Poland........................................................................... 307
Dominique Robert Prison and/as Public Health – Prisons and Inmates as Vectors of Health in the New Public Health Era. The Case of Canadian Penitentiaries .......................................................... 333
Yener Ünver Intramurale Medizin in der Türkei ..................................................................... 345
Margarita Kachaeva, Fahrutdin Nasrullaev Organizational elements of the psychiatricService in the penal system of the russian federation ..................................................................................... 359
Qiuhong Xiong, Zhenjie Zhou Medical Care and Treatment in Chinese Prison System .................................... 363
Katrin Nagler Georgien und Usbekistan – Intramurale Medizin in Transformationsländern................................................................................................................ 381
Michael W. E. Riedel Verbesserte Entdeckung Drogen konsumierender Gefangener in Nordrhein-Westfalen Einsatz oral-enteraler Urinmarkierung vor Drogenscreening............................. 411
Claudia Schwarz Zusammenfassung der Diskussionen im Rahmen des internationalen Symposiums „Intramurale Medizin“.................................................................. 417
Inhaltsverzeichnis
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Julian Mausbach Zusammenfassung der Podiumsdiskussion des internationalen Symposiums „Intramurale Medizin“ ......................................................................... 423
Thomas Staub Die Rolle des Arztes im Schweizerischen Strafvollzug ..................................... 433
Jean-Pierre Restellini Die medizinisch-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen – The medical-ethical guidelines of the Swiss academy of Medical Sciences concerning the exercise of medical activities in respect of detained persons ..................................................................................................... 441
Jean-Pierre Restellini Vorstellung der SAMW und der ZEK ................................................................ 445
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren........................................................... 449
Intramurale Medizin in der Schweiz – Überblick über den rechtlichen Rahmen
Brigitte Tag
Einleitung ...............................................................................................................2 Faktischer Rahmen der intramuralen Medizin ..................................................2 Rechtlicher Rahmen der intramuralen Medizin.................................................3 Eidgenössische Kodifikationen medizinischer Versorgung im Strafvollzug ....4 Bundesverfassung ..............................................................................................5 Weitere Bundesgesetze ......................................................................................7 Überblick.......................................................................................................7 StGB – Allgemeiner Teil...............................................................................8 StGB – Besonderer Teil ..............................................................................10 Delikte zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit ....10 Lex artis...................................................................................................12 Einwilligung und Aufklärung..................................................................12 Pflichtwidrig unterlassene Behandlung ...................................................16 Strafnormen zum Schutz des Amts- und des Berufsgeheimnisses ..........18 Fakultative Kompetenz des Bundesrates für die Gesundheitsfürsorge....20 Zivilgesetzbuch ...........................................................................................21 Strafvollzugskonkordate ..................................................................................21 Kantonale Kodifikationen................................................................................23 SAMW-Richtlinien..........................................................................................26 Fazit ......................................................................................................................27 Anhang: ................................................................................................................28 Anhang 1 Kantonale Strafvollzugskodifikationen ...........................................28 Anhang 2 Aufsichtsbehörden nach Art. 321 Ziffer 2 StGB für Vollzugsmediziner ...........................................................................................31 Anhang 3 SAMW-Richtlinien zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen .......................................................................................33
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Brigitte Tag
Einleitung Der Beitrag zum Thema „Rechtlicher Rahmen der intramuralen Medizin in der Schweiz“ soll die normativen Grundlagen der Gesundheitsfürsorge im schweizerischen Strafvollzug aufzeigen und damit den Boden bereiten für die hieran anknüpfenden Referate „Die Rolle des Arztes im Schweizerischen Strafvollzug“, „Psychisch Kranke im Schweizerischen Strafvollzug“, „Die medizinisch-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen“ sowie „Gesundheitsfürsorge für Strafgefangene im Kanton Genf“. 1
Faktischer Rahmen der intramuralen Medizin Die Schweiz zählte am 31. Dezember 2006 7’508’739 Einwohner, 3.68 Millionen Männer (49,0%) und 3.83 Millionen Frauen (51,0%). Der Bevölkerungsanteil der Kinder und Jugendlichen (unter 20-Jährige) betrug 1.63 Millionen (21,7%), 2 der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz 21.9%, d.h. 1.673.900 Personen. 3 In der Schweiz befanden sich im Jahr 2006 5.888 Personen in Freiheitsentzug. 4 5.7 %, d.h. 336 Personen davon waren Frauen, 5 der Anteil Minderjähriger betrug 0.9 % und der Ausländeranteil lag bei 69 %. 6 Untergebracht waren die Inhaftierten des schweizerische Straf- und Maßnahmenvollzugs in 122 Strafanstalten. 7 Hierbei sind ganz verschiedene Anstaltstypen anzutreffen, wie z.B. of1
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Herrn Rechtsassessor Julian Mausbach sei an dieser Stelle sehr herzlich für seine vielfältige Unterstützung im Rahmen der Erstellung des Beitrages gedankt. Eine Gesamtdarstellung der Intramuralen Medizin in der Schweiz bleibt dem Abschlussbericht des vom SNF geförderten, gleichnamigen Forschungsprojektes vorbehalten, der zur Zeit am Lehrstuhl Tag, Universität Zürich, erarbeitet wird. Hinweis: alle zitierten Internetseiten wurden zuletzt abgefragt am 31.12.2007. Statistisches Bundesamt, Demografisches Porträt der Schweiz. Ausgabe 2007, Bevölkerungsstruktur und Bevölkerungsbilanz, S. 24, http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/ index/themen/01/22/publ.Document.102618 .pdf. Statistisches Bundesamt, Bestand und Struktur der ausländischen Wohnbevölkerung http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/07/blank/data/01.Document.88 361.xls. BFS - Statistik des Freiheitsentzugs, Stand der Datenbank: 08.02.2007, http://www. bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/19/03/05/key/ueberblick/wichtigsten_zahlen.h tml. BFS - Statistik des Freiheitsentzugs, Stand der Datenbank: 08.02.2007 unter: http:// www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/19/03/05/key/ueberblick/wichtigsten_za hlen.html. Bundesamt für Statistik http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/19/03/05/ key/ueberblick/wichtigsten_zahlen.html. BFS - Statistik des Freiheitsentzugs, http://www.portal-stat.admin.ch/prison/ index.php/de/ (Stand der Datenbank 07.05.2007). Die 122 Anstalten sind aufgegliedert in Gefängnisse, halboffene Anstalten und Institutionen für Halbfreiheit, geschlossene
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fene und geschlossenen Anstalten, Anstalten des Maßnahmenvollzugs, Ausschaffungsgefängnisse und Bezirksgefängnisse. Hinzu kommen der Vollzug von Haft in militärischen Arrestlokalen, 8 in der allgemeinen sowie der militärischen Untersuchungs- und Sicherheitshaft 9 sowie der Polizeihaft. Der schweizerische Straf- und Maßnahmenvollzug ist zugleich komplex und gut ausgebaut. Dennoch ist die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug bzw. in der sonstigen Haft nicht in allen Institutionen in gleicher Weise und in gleichem Masse ausgestaltet. Die Bandbereite der zur Verfügung gestellten Gesundheitseinrichtungen ist groß und die Straf- und Maßnahmenvollzugseinrichtungen stellen sehr unterschiedliche Anforderungen an die notwendige medizinische Betreuung der inhaftierten Personen. Die Bandbreite der Krankenversorgung reicht von hochtechnisierten bewachten Spitalstationen in Bern 10 und Genf 11 über die gemäss dem Facharztstandart ausgerüsteten Krankenabteilungen in den Vollzugsanstalten bis hin zu sehr einfachen medizinischen Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten, so z.B. in provisorisch umgerüsteten Gefängniszellen. Zur medizinischen Betreuung der inhaftierten Personen wird je nach Kanton und Größe der Vollzugseinrichtung sowohl durch festangestellte haupt- oder nebenamtlich tätige Gefängnismediziner wie auch durch im Einzelfall hinzugezogene Ärzte sichergestellt. Die organisatorische An- und Einbindung erfolgt in erster Linie über den kantonalen Justizvollzug, gelegentlich auch über die Gesundheitsdirektionen. Derzeit stehen 131 somatisch tätige Gefängnisärzte und -ärztinnen sowie 48 Psychiater und Psychiaterinnen zur Verfügung. 12 Dieses Team wird durch externe Kollegen und Kolleginnen ergänzt, die ohne direkte Bindung an eine Strafvollzugsinstitution medizinische Behandlungen an inhaftierten Personen vornehmen. Im Strafvollzug sind weiterhin viele Mitarbeitende des Gesundheitsdienstes für inhaftierte Patienten tätig. Sie werden unterstützt durch das allgemeine Vollzugspersonal.
Rechtlicher Rahmen der intramuralen Medizin Die medizinische Versorgung intra muros in der Schweiz ist, wie jeder andere Berufs- und Lebensbereich, dem Recht unterstellt. Eine Besonderheit liegt freilich
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Anstalten, Massnahmenanstalten und Ausschaffungsgefängnisse. Diese Bezeichnungen sind jedoch seit dem Inkrafttreten des revidierten StGB AT z.T. überholt. Neu unterscheidet Art. 76 StGB in Bezug auf den Vollzug von Freiheitsstrafen zwischen geschlossenen und offenen Strafanstalten, wobei auch die offenen Strafanstalten geschlossene Abteilungen führen können, Art. 76 Abs. 2 StGB. Vgl. Art. 190 MStG. Art. 33 Untersuchungs- und Sicherheitshaft MStV: “Der Verhaftete untersteht den Gefängnisvorschriften“. Im Inselspital, vgl. Art. 20, 22 ff. SMVV Bern. Art. 15 Abs. 2 Règlement de la maison d'arrêt de Favra. Ausweislich der Mitgliederliste der Konferenz der Schweizerischen Gefängnisärztekonferenz.
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darin, dass die Mehrheit der involvierten Rechtsgebiete auf eidgenössischer Stufe nicht spezialgesetzlich geregelt sind. Sie bestimmten sich vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen und Bestimmungen sowie dem kantonalem Recht. So sind die Bereiche Gesundheitsrecht, Strafvollzugrecht, 13 Strafverfahrensrecht und Polizeirecht überwiegend kantonal 14 reguliert. Auch die Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs hat darauf verzichtet, den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen auf Bundesebene umfassend zu regeln. Das neue StGB Allgemeiner Teil beschränkt sich vielmehr auf die Normierung einiger, wenngleich zentraler Grundsätze zum Strafvollzug, vgl. Art. 74 ff. StGB. Auch die bundeseinheitliche Untersuchungs- und Sicherheitshaft wird durch die im Gesetzgebungsverfahren befindliche eidgenössische StPO nur in einigen Punkten geregelt, vgl. Art. 219 ff. 15 Sowohl de lege lata wie de lege ferenda ist das Haftvollzugsrecht weitgehend eine kantonale Angelegenheit. Die insoweit vorhandenen Gesetze, Rechtsverordnungen, Richtlinien und Weisungen der Kantone weichen inhaltlich stark voneinander ab, was zur Folge hat, dass sich die intramurale Medizin der Schweiz als heterogen präsentiert. 16 Dies gilt sowohl in formeller wie materieller Hinsicht. Nur einige Kantone haben umfassende Strafvollzugsgesetze erlassen, und nicht alle dieser Regelwerke entfalten ausführlich Voraussetzungen, Inhalte und Grenzen der medizinischen Versorgung. Überdies treten oftmals Verordnungen oder Erlasse an die Stelle von formellen Gesetzen und definieren zudem nur einzelne Aspekte der Gefängnismedizin. Diese Situation führt dazu, dass aufgrund der fragmentarischen übergeordneten formellen Rechtsquellen den materiellen Rechtsgrundsätzen, Gefängnisordnungen und Übungen eine nicht unerhebliche Bedeutung zukommt.
Eidgenössische Kodifikationen medizinischer Versorgung im Strafvollzug Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass auf Bundesebene keine flächendeckenden, sondern nur einige, jedoch wichtige Bestimmungen den Rechtsrahmen der Medizin intra muros abstecken. 13
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Die legislative Zuständigkeit für den Strafvollzug und die hier stattzufindende medizinischen Versorgung der Inhaftierten liegt grundsätzlich bei den Kantonen, Art. 123 Abs. 2 BV: „Für die Organisation der Gerichte, die Rechtsprechung in Strafsachen sowie den Straf- und Massnahmenvollzug sind die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht.“ Die eidgenössische StPO befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren, vgl. http://www.bj.admin.ch/bj/de/home/themen/sicherheit/gesetzgebung/strafprozess.html. Dazu http://www.parlament.ch/afs/data/d/rb/d_rb_20050092.htm; sowie Botschaft vom 21.12.2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts (BBl 2006 1085). Ausführlich Troxler, Der Straf- und Massnahmenvollzug in der Schweiz, öffentliche Anhörung zur Föderalismusreform, Deutscher Bundestag, 17. Mai 2006, http://www. bundstag.de/ausschuesse/a06/foederalismusreform/anhoerung/02_justiz/Stellungnahm en/Walter_Troxler.pdf.
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Bundesverfassung Zentral für die Medizin intra muros sind die Regelungen der Bundesverfassung. Im Mittelpunkt stehen die Menschenwürdegarantie, 17 das Grundrecht auf Leben und physische wie psychische Unversehrtheit 18 und das Gebot der Rechtsgleichheit. 19 Diese Gewährleistungen erfordern, dass eine zureichende medizinische Versorgung auch im Straf- und Maßnahmenvollzug sowie in der sonstigen Haft sichergestellt wird. Zudem sind „unterschiedliche Gesundheitsangebote gegenüber inhaftierten Personen [...] nur gestützt auf sachliche Gründe zulässig“. 20 Gerade auch in der Gefängnismedizin ist die Diskriminierung wegen Herkunft, Rasse, Geschlecht, Alter, Sprache, religiöser, weltanschaulicher oder politischer Überzeugung oder wegen körperlicher, geistiger oder psychischer Behinderung untersagt. Dies hat Auswirkungen auf die besonderen Strafvollzugsformen mit ihren ggf. speziellen Anforderungen an die Gesundheitsfürsorge. Zu nennen sind z.B. der Strafvollzug bei älteren Verurteilten, 21 Frauen, Körperbehinderten, aber auch ausländischen Gefangenen, die der Landessprachen der Schweiz nicht mächtig sind oder einer Religionsgemeinschaft angehören, die ggf. besondere Gesundheits- und Hygienevorschriften vorschreibt. Im Rahmen des Jugendstrafvollzuges gewinnt Art. 11 BV in immer stärkerem Masse an Bedeutung. Seit dem Inkrafttreten des revidierten Allgemeinen Teils des StGB und dem Jugendstrafgesetz gilt als Grenze der strafrechtlichen Schuldfähigkeit die Vollendung des 10. Lebensjahres, 22 der Freiheitsentzug für Jugendliche ab Vollendung des 15. Altersjahres kann bis zu einem Jahr betragen und ab dem 16. Altersjahr bis zu vier Jahre. 23 Nach Art. 11 BV haben Kinder und Jugendliche – 17 18
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Art. 7 BV Menschenwürde: „Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen“. Art. 10 BV Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit: „1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten. 2 Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. 3 Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten.“ Art. 8 BV Rechtsgleichheit: „1 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. 2 Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. [...]“ Künzli/Achermann Gesundheitsrelevante Rechte inhaftierter Personen im Bereich des Schutzes vor Infektionskrankheiten und Kompetenzen des Bundes zu ihrer Durchsetzung Studie zuhanden des Bundesamtes für Gesundheit Sektion Aids 2007 Rz. 17. Dazu Ninck, Ein Altersheim im Gefängnis, Im Aargau wird schweizweit die erste geriatrische Abteilung im Strafvollzug gebaut, NZZ, Dienstag, 22.09.2007. Mit dem Inkrafttreten des JStG, zur Altersgrenze vgl. Art. 3. Art. 25 JStG Freiheitsentzug a. Inhalt und Voraussetzungen: „1 Der Jugendliche, der nach Vollendung des 15. Altersjahres ein Verbrechen oder ein Vergehen begangen hat, kann mit Freiheitsentzug von einem Tag bis zu einem Jahr bestraft werden. 2 Der Jugendliche, der zur Zeit der Tat das 16. Altersjahr vollendet hat, wird mit Freiheitsentzug bis zu vier Jahren bestraft, wenn er: a. ein Verbrechen begangen hat, das nach dem für Erwachsene anwendbaren Recht mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bedroht ist;
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gerade auch im Strafvollzug – Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung. Die besondere vom Gesetzgeber und der Strafvollzugspraxis zu beachtende Schutzwirkung ist darin zu sehen, dass eine Trennung des Jugendstrafvollzugs vom Erwachsenenstrafvollzug zu erfolgen hat. 24 Wenn man dieses Ideal mit der Wirklichkeit vergleicht, ergeben sich große Diskrepanzen. Denn dieser Anspruch ist in den Kantonen erst unterschiedlich weit verwirklicht. 25 Die fehlende Zahl an geeigneten Jugendstrafvollzugsplätzen wird z.T. als notstandsähnlich bewertet. Im Bereich der altersgerechten Unterbringung jugendlicher Straftäter hat diese Mangelsituation Implikationen gerade auch für die zu gewährende medizinische Betreuung, die derzeit nicht in dem notwendigen Umfang sichergestellt ist. Art. 41 BV 26 definiert das Sozialziel, 27 wonach jede Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält. Die Norm verpflichtet zugleich Bund und Kantone, für den Schutz jeder Person gegen die wirtschaftlichen Folgen von Krankheit zu sorgen. In der praktischen Umsetzung führt dies dazu, dass die Gefangenen im schweizerischen Strafvollzug zumindest in der Regel der obligatorischen Krankenversicherung angehören. 28 Schließlich ist die in Art. 118 BV verankerte Aufgabe des Bundes zu nennen, im Rahmen seiner Zuständigkeit Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit zu erlassen. 29 Neben dem allgemeinen Recht auf Gesundheit 30 ist dies die Grundlage auch für die Behandlung inhaftierter Personen und deren medizinische Betreuung. Hieran anknüpfend besteht die Notwendigkeit, die Datenlage zur Gesundheitsfür-
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b. eine Tat nach den Artikeln 122, 140 Ziffer 3 oder Artikel 184 StGB begangen und dabei besonders skrupellos gehandelt hat, namentlich wenn der Beweggrund des Jugendlichen, der Zweck der Tat oder die Art ihrer Ausführung eine besonders verwerfliche Gesinnung offenbaren.“ Näher BG Urteil 6A.20/2006 vom 12. Mai 2006. Bütikofer/Repond, Keine Jugendgefängnisse, Info Bulletin 1/2007, 11 ff. Art. 41 BV: „1 Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass: a. jede Person an der sozialen Sicherheit teilhat; b. jede Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält; [...].“ Rhinow, Grundzüge des Schweizerischen Verfassungsrechts, 2003, Rn. 3052. Vgl. Art. 1 KVG, wonach jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz sich innert drei Monaten nach der Wohnsitznahme oder der Geburt in der Schweiz für Krankenpflege versichern oder von ihrem gesetzlichen Vertreter beziehungsweise ihrer gesetzlichen Vertreterin versichern lassen muss. Art. 118 BV, Schutz der Gesundheit: „1 Der Bund trifft im Rahmen seiner Zuständigkeiten Massnahmen zum Schutz der Gesundheit. 2 Er erlässt Vorschriften über: a. den Umgang mit Lebensmitteln sowie mit Heilmitteln, Betäubungsmitteln, Organismen, Chemikalien und Gegenständen, welche die Gesundheit gefährden können; b. die Bekämpfung übertragbarer, stark verbreiteter oder bösartiger Krankheiten von Menschen und Tieren; c. den Schutz vor ionisierenden Strahlen.“ Bereits Art. 12 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Pakt I) von 19. Dezember 1966 verpflichtet die Vertragsstaaten, für jedermann im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherzustellen, vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Menschen rechte/Download/IntSozialpakt.pdf.
Intramurale medizin in der Schweiz – Überblick über den rechtlichen Rahmen
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sorge im Strafvollzug aufzuarbeiten und ein Gesundheitsmonitoring intra muros einzurichten. Mit dem Inkrafttreten des neuen Finanzausgleiches im Jahr 2008 ermächtigt Art. 123 Abs. 2 BV 31 den Bund, Regelungen zum Straf- und Maßnahmenvollzug zu erlassen. Damit ist bereits jetzt die Eingangstüre aufgestoßen, diesen Bereich bis ins Detail zu regeln. Solange und soweit diese Kompetenz aber nicht wahrgenommen wird, bleiben die kantonalen Regelungen anwendbar. Weitere Bundesgesetze Überblick Richtet man den Blick auf die einfachen Bundesgesetze, so ergeben sich weitere Rahmenbedingungen für die intramurale Medizin. Sie wird beeinflusst und mitgestaltet durch die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), 32 den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 33 und das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Strafe. 34 Im Gegensatz zu diesen in der Schweiz als Bundesgesetze unmittelbar geltenden Regelungen stellen die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze 35 sowie die Empfehlungen über die ethischen und organisatorischen Aspekte der Gesundheitsversorgung im Gefängnisbereich 36 zwar nur Empfehlungen dar. Dessen ungeachtet trägt ihre faktische Geltung aber dazu bei, einen an einheitlichen Standards orientierenden Strafvollzug in der Schweiz zu schaffen. Auf Bundesebene konkretisieren zudem einige Spezialgesetze den Gesundheitsschutz auch im Strafvollzug. Zu nennen ist das Epidemiengesetz, 37 das Bun-
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Art. 123 Abs. 2 BV: Strafrecht „2 Für die Organisation der Gerichte, die Rechtsprechung in Strafsachen sowie den Straf- und Massnahmenvollzug sind die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht.“ SR 0.101. SR 0.103 Vgl. insbes. Art. 12: „(l) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmass an körperlicher und geistiger Gesundheit an“. SR 0.106. http://www.bj.admin.ch/etc/medialib/data/sicherheit/straf_und_massnahmen/bulletin_smv.Par.0071.File.tmp/ibs9501-d.pdf; http://www.bj.admin.ch/etc/medialib/data/sicherheit/straf_und_massnahmen/bulletin_s mv.Par.0093.File.tmp/ib0702-d.pdf; Feest, Europäische Massstäbe für den Justizvollzug. Zur Neufassung der Europäischen Gefängnisregeln (European Prison Rules), Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, 55. Jahrgang, 5/2006, S. 259-261; Dünkel/Morgenstern/Zolondek: Europäische Strafvollzugsgrundsätze verabschiedet! in: Neue Kriminalpolitik. 3/2006. https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=473743&BackColorInternet=9999CC&BackColor Intranet=FFBB55&Back ColorLogged=FFAC75. Bundesgesetz vom 18. Dezember 1970 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz), SR 818.101.
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desgesetz betreffend Maßnahmen gegen die Tuberkulose 38 oder auch das Betäubungsmittelgesetz. 39 Das Epidemiengesetz räumt den Bundesbehörden zahlreiche Befugnisse ein, so z.B. das Recht auf Information, zum Erlass von Richtlinien und zur Kontrolle bei der Durchführung des Gesetzes. Es ist daher möglich, z.B. durch Ausführungsbestimmungen zum Epidemiengesetz, Regeln zu erlassen, wie mit ansteckenden Krankheiten im Strafvollzug oder der Untersuchungshaft umzugehen ist. Aber auch das Betäubungsmittelgesetz entfaltet Wirkung für die Gesundheitsfürsorge intra muros. Art. 8 Abs. 7 BetmG räumt z.B. dem Bundesrat die Möglichkeit ein, die Voraussetzungen zu regeln, unter denen drogenabhängigen Personen Heroin von spezialisierten Institutionen abgegeben werden kann. Hier kommen auch Strafvollzugsanstalten in Frage, was in der Praxis zu einigen Heroinabgabemodellen führte. StGB – Allgemeiner Teil Eine weitere Rechtsquelle der intramuralen Medizin ist das mit Wirkung zum 1.1.2007 revidierte Strafgesetzbuch. In seinem Allgemeinen Teil sind neben den Regelungen zum Maßnahmenvollzug insbesondere die allgemeinen Strafvollzugsgrundsätze der Art. 74 ff. 40 zu beachten. Als Grundsatz gilt das Postulat, dass die Rechte der gefangenen Person nur so weit beschränkt werden dürfen, als der Freiheitsentzug und das Zusammenleben in der Vollzugseinrichtung es erfordern. 41 Der in Art. 75 Abs. 1 StGB normierte Angleichungsgrundsatz 42 spiegelt sich in der Forderung wider, dass der Strafvollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich zu entsprechen hat. Dieses Prinzip ist für die Medizin intra muros in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Denn inhaftierte Personen dürfen darauf vertrauen, eine adäquate, dem Standard extra muros entsprechende medizinische Versorgung zu erhalten. Dennoch wirft die Regelung etliche unbeantwortete Fragen auf. So ist nicht geklärt, welche „allgemeinen Lebensverhältnisse“ gemeint sind. Denn die Lebensverhältnisse und damit auch die medizinische Versorgung außerhalb des Strafvollzuges sind sehr verschieden. Außerdem ist fraglich, was die Einengung des Angleichungsgrundsatzes anhand der Formel „soweit als möglich“ bedeutet. Wird hierbei abgestellt auf die Finanzen, die politischen Ent38
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Bundesgesetz vom 13. Juni 1928 betreffend Massnahmen gegen die Tuberkulose, SR 818.102. Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (BetmG), SR 812.121. BBl 1999, 2109. Art. 74 1. Vollzugsgrundsätze. „Die Menschenwürde des Gefangenen oder des Eingewiesenen ist zu achten. Seine Rechte dürfen nur so weit beschränkt werden, als der Freiheitsentzug und das Zusammenleben in der Vollzugseinrichtung es erfordern.“ Vgl. Art. 75 2. Vollzug von Freiheitsstrafen. Grundsätze: „1 Der Strafvollzug hat das soziale Verhalten des Gefangenen zu fördern, insbesondere die Fähigkeit, straffrei zu leben. Der Strafvollzug hat den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich zu entsprechen, die Betreuung des Gefangenen zu gewährleisten, schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken und dem Schutz der Allgemeinheit, des Vollzugspersonals und der Mitgefangenen angemessen Rechnung zu tragen.“
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scheidungen über spezielle Programme, wie z.B. zur Bekämpfung der Drogensucht, von HIV, Tuberkulose, oder auf die allgemeinen organisatorischen Sicherungsvorkehrungen des komplexen Strafvollzuges abgestellt? Geht es um die konkrete Ausstattung der ärztlichen Untersuchungsräume und das Zurverfügungstellen von Diagnosemethoden? Oder ist maßgebend, dass die Behandlung im Rahmen einer unbedingten Freiheitsstrafe erbracht wird? Diese Fragen werden in uneinheitlicher, z.T. sehr fragmentarischer Weise durch die Strafvollzugsbestimmungen der Kantone aufgegriffen und in sehr unterschiedlicher Weise beantwortet. Als Grundregel gilt freilich, dass die Inhaftierten Anspruch haben auf die notwendige Krankenbehandlung, regelmäßige medizinische Vorsorgeuntersuchungen und auf Versorgung mit Hilfsmitteln, soweit sie notwendig sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen. Gemäss Art. 75 Abs. 3 StGB ist auf der Grundlage des für jede gefangene Person zu erstellenden Vollzugsplanes 43 eine Betreuung durch alle im Strafvollzug Beteiligten notwendig. Diese Aufgabenstellung ist nicht neu, aber sie unterstreicht einmal mehr in besonderer Weise die Fürsorgepflicht der vollziehenden Institution, die sich gerade auch auf die medizinische Versorgung erstreckt. In den beengten Lebensverhältnissen des Strafvollzuges ist sie für die gefangene Person elementar und stellt zudem ein persönlichkeitsunterstützendes, der Resozialisierung dienendes Klima her. Ihr Schutzauftrag im Hinblick auf die Gesundheit der inhaftierten Patienten spiegelt sich darin, dass der ggf. schlechte Gesundheitszustand der Inhaftierten im Rahmen der medizinischen Eintrittsuntersuchung festgestellt und notwendige Maßnahmen zur Verbesserung bzw. Heilung ergriffen werden müssen. Der aus Art. 75 Abs. 1 StGB abgeleitete Gegensteuerungsgrundsatz 44 besagt, dass, soweit eine Gleichstellung mit den allgemeinen Lebensverhältnissen nicht erreicht werden kann, es Aufgabe der Vollzugsbehörde bleibt, den mit der Haft verbundenen schädlichen Nebenfolgen entgegenzuwirken. Es ist eine unabweisbare Konsequenz, dass damit auch die Verpflichtung entsteht, die gesundheitsschädlichen Wirkungen des Strafvollzuges abzumildern. Folgerichtig wird dem Arzt, neben anderen Personen mit besonderer Vertrauensstellung, wie z.B. den Geistlichen und Rechtsanwälten, innerhalb der allgemeinen Anstaltsordnung der freie Verkehr mit den Gefangenen gestattet. Zwar handelt es sich bei Art. 84 Abs. 3 StGB um eine Kann-Bestimmung. 45 Im Lichte der umfangreichen Gewährleistungen der Bundesverfassung erscheint es jedoch richtig, für den Regelfall der medizinischen Tätigkeit des Gefängnisarztes bzw. der -ärztin das Ermessen auf Null zu reduzieren, sie mithin als Muss-Bestimmung zu interpretieren.
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Vgl. Art. 75 Abs. 3 StGB: „Die Anstaltsordnung sieht vor, dass zusammen mit dem Gefangenen ein Vollzugsplan erstellt wird. [...]” Vgl. Art. 75 Abs. 1: „[...] Der Strafvollzug hat [...] schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken.“ Vgl. Art. 84 Abs. 3 StGB: „Geistlichen, Ärzten, Rechtsanwälten, Notaren und Vormündern sowie Personen mit vergleichbaren Aufgaben kann innerhalb der allgemeinen Anstaltsordnung der freie Verkehr mit den Gefangenen gestattet werden.“
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Art. 75 Abs. 1 StGB birgt zudem eine weitere, zunächst unscheinbare Regelung, welcher jedoch ebenfalls Relevanz für die Gefängnismedizin entfaltet. Denn der Strafvollzug muss darauf ausgerichtet sein, der gefangenen Person zu helfen, straffrei zu leben. Der hier zum Ausdruck kommende Resozialisierungsgrundsatz erteilt den Kantonen einen Handlungsauftrag auch in Bezug auf die Durchführung von medizinischer Behandlung zur sozialen Wiedereingliederung. Im Vordergrund steht hier die soziale Integration des Gefangenen nach seiner Entlassung. In Betracht kommen die Beseitigung gravierender körperlicher Beeinträchtigungen, wie z.B. die Operation einer Kiefergaumenspalte, die Entfernung von sozial stigmatisierenden „Knasttätowierungen“, aber auch psychotherapeutische Behandlungen, wie z.B. die Behandlung von Sprachfehlern. Der in Art. 75 Abs. 4 StGB verortete Hinweis, wonach der Strafvollzug den unterschiedlichen Bedürfnissen von Frauen und Männer Rechnung tragen muss, findet seine praktische Umsetzung mit medizinrechtlicher Signifikanz z.B. in der Einrichtung von Mutter-Kind-Abteilungen, besonderen Vorkehrungen und Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit von werdenden Müttern und entsprechenden Beschäftigungsverboten, ärztlicher Betreuung und Hebammenhilfe bei der Geburt sowie Vorsorgeuntersuchungen. StGB – Besonderer Teil Doch nicht nur die Bestimmungen des Allgemeinen Teils des StGB, sondern auch die des Besonderen Teils legen Grundsteine und bergen Begrenzungen für die intramurale Medizin. Delikte zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit Im Vordergrund strafrechtlicher Bewertung steht die Tätigkeit des Gefängnisarztes im Zusammenhang mit der Durchführung oder dem Unterlassen von ärztlichen Behandlungen. Das StGB schützt die körperliche und geistige Unversehrtheit auch der inhaftierten Personen durch verschiedene Straftatbestände. Strafrechtliche Grenze der ärztlichen Behandlung intra muros bilden die Straftaten gegen Leib und Leben, insbesondere die der vorsätzlichen und fahrlässigen Tötung und Körperverletzung sowie der Tätlichkeit. Art. 126 StGB 46 bedroht die vorsätzliche Verübung der Tätlichkeit mit Übertretungsstrafe. 47 Während Abs. 1 die Strafverfolgung an den Antrag der verletzten Person oder deren Vertreter knüpft, 48 werden die in Abs. 2 ge46
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Art. 126 StGB Tätlichkeiten: „1 Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft. 2 Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er die Tat wiederholt begeht: a. an einer Person, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind; [...].“ Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so ist der Höchstbetrag der Busse 10.000 Franken, Art. 106 Abs. 1 StGB. Vgl. Art. 30-33 StGB, näher Donatsch/Tag, Strafrecht I, 8. Aufl., Schulthess, 2006, § 39.
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nannten Fälle von Amtes wegen verfolgt. 49 Voraussetzung ist, dass die Tat wiederholt begangen wird und eine besonders enge Beziehung zwischen Täter und Opfer besteht. In der intramuralen Medizin kann insbesondere Abs. 2 lit. a Bedeutung erlangen, wenn die Tätlichkeit an einer Person begangen wird, die unter der Obhut des Täters steht oder für die er zu sorgen hat. Unter Tätlichkeit versteht die bundesgerichtliche Praxis physische Einwirkungen auf einen Menschen, die zwar keine körperlichen oder gesundheitlichen Schädigungen zur Folge haben, aber das übliche und gesellschaftlich geduldete Maß überschreiten. 50 Art. 123 StGB, die einfache Körperverletzung, bedroht in Ziff. 1 denjenigen mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, welcher vorsätzlich einen Menschen an Körper oder Gesundheit schädigt. Strafverfolgungsvoraussetzung ist – wie schon bei Art. 126 Abs. 1 StGB – der Strafantrag der geschädigten Person, Art. 30 ff. StGB. In leichten Fällen kann der Richter die Strafe nach Art. 48a StGB mildern. Gemäss Art. 123 Ziff. 2 StGB gilt freilich das Offizialprinzip; 51 der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er Gift, eine Waffe oder einen gefährlichen Gegenstand gebraucht, Abs. 1, oder die Tat an einem Wehrlosen oder einer Person begeht, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, Ziff. 2 Abs. 2. Insbesondere die zuletzt genannte Variante ist wiederum im Strafvollzug besonders zu beachten. Für die schwere Körperverletzung, die nach Art. 122 Abs. 4 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren oder mit Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen geahndet werden kann, gilt das Offizialprinzip ausnahmslos. Die wichtigsten in dieser Bestimmung umschriebenen Anwendungsfälle sind solche, in denen der Täter das Opfer entweder lebensgefährlich verletzt oder ein wichtiges Organ bzw. Glied des Geschädigten verstümmelt oder unbrauchbar macht oder eine andere schwere Schädigung des Körpers bzw. der körperlichen oder geistigen Gesundheit verursacht. Art. 125 Abs. 1 StGB stellt die fahrlässige Schädigung eines Menschen an Körper oder Gesundheit unter Strafe, soweit ein entsprechender Strafantrag gestellt ist. Der Strafrahmen beträgt Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe; bei fahrlässiger schwerer Körperverletzung wird der Täter von Amtes wegen verfolgt, Art. 125 Abs. 2 StGB. Im Unterschied zur strafrechtlichen Arzthaftung extra muros 52 obliegt dem Gefängnismediziner eine noch weiter gesteigerte Pflichtenstellung. Denn zum einen kann sich der inhaftierte Patient nicht eigenverantwortlich „seinen“ Arzt aussuchen und einen allfälligen Wechsel vornehmen, so dass das Prinzip der Eigenverantwortung des Patienten bei der Auswahl des Arztes im Strafvollzug praktisch ausgeschlossen und durch den Fürsorgegedanken ergänzt bzw. überlagert ist. Zum 49
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Sog. Offizialprinzip, vgl. Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Schulthess, 2004, § 7 N 81 ff. BGE 117 IV 15, 17; 119 IV 1, 2, 25, 27; vgl. auch Donatsch, Strafrecht III, 9. Aufl., Schulthess, 2008, § 3, 2.1. Vgl. z.B. Art. 308 Abs. 1 Entwurf einer eidgenössischen StPO; § 22 Abs. 1 Ziff. 1 StPO Kanton Zürich. Hierzu Tag, Strafrecht im Arztalltag, in: Poledna/Kuhn (Hrsg.), Arztrecht in der Praxis, 2. Aufl., Schulthess 2007, S. 669 ff.
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anderen steht der Gefängnisarzt nicht nur im Dienst der Patientengesundheit, sondern zumindest im Regelfall auch im Dienst der Strafvollzugsinstitution. Da die im Vollzugsdreieck involvierten Interessen naturgemäß nicht deckungsgleich sind, sondern sich im besten Falle partiell überschneiden, möglicherweise aber konträr gegenüberstehen, kann sich der Gefängnismediziner großen Spannungsfelder ausgesetzt sehen. Dies zeigt sich in verschiedenen Bereichen, vor allem aber bei der Bestimmung der lex artis und der Achtung der Selbstbestimmung des inhaftierten Patienten. Lex artis Die Einhaltung der lex artis prägt den sozialen Handlungssinn der ärztlichen Behandlung extra und intra muros. Sie beschreibt wesentliche Sorgfaltspflichten, ein Abweichen begründet im Normalfall einen Behandlungsfehler. 53 Nach diesem Verständnis betrifft die lex artis das gesamte ärztliche Vorgehen – angefangen bei der Voruntersuchung über die Diagnose, Therapieentscheidung und Durchführung der Behandlung bis hin zu der Nachsorge. Sie entfaltet Wirkung aber auch im Behandlungsumfeld, so z.B. bei der fehlerfreien horizontalen wie vertikalen Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegepersonal oder auch der Überwachung der Sicherheit der Patienten. 54 Zentraler Bestandteil der lex artis ist die Therapie- und Methodenfreiheit einerseits und der diese Gewährleistung beschränkende gesicherte Mindeststandard der unterschiedlichen Therapierichtungen andererseits. Und sie eröffnet im Regelfall einen breiten Korridor, der von der minimalen Basisversorgung bis hin zur Maximalversorgung reicht. Der stets vielen Deutungen zugängliche Begriff der lex artis darf nicht losgelöst von der Wirklichkeit betrachtet werden. Hierbei ist bedeutsam, dass Wirtschaftlichkeitsüberlegungen im Gesundheitswesen mehr und mehr dazu führen, einen breiten Katalog der Basisversorgung anzubieten, die weiterführenden Behandlungsmöglichkeiten jedoch der Eigenvorsorge des Patienten anheim zu stellen. Dies hat Auswirkungen gerade auch auf die intramurale Medizin. Denn die im Strafvollzug garantierte Grundversorgung deckt zwar die zweckmäßigen und notwendigen Behandlungen ab. Inwieweit Zusatzleistungen – und damit ggf. auch eine Verbesserung des Standards – gewährleistet werden, bestimmt sich maßgebend durch die kantonalen Richtlinien. Einwilligung und Aufklärung Sowohl intra wie extra muros prägt neben der Einhaltung der lex artis die Beachtung der Selbstbestimmung des Patienten den sozialen Sinn der ärztlichen Behandlung. Denn auch der gefangene Patient trägt die Konsequenzen der Therapieentscheidung in eigener Person. Da seine Rechte durch den Vollzug nur so weit beschränkt werden dürfen, als der Freiheitsentzug und das Zusammenleben in der Vollzugseinrichtung es erfordern, muss der Strafvollzug soweit als möglich die 53 54
Instruktiv Roggo/Staffelbach, AJP 2006, 407 ff. BGer, Urt. v. 6.2.2006, 4P.244/2005 mit krit. Besprechung Kuhn, SÄZ 87 (2006), 1015 ff.
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persönlichen Prioritäten und Wertvorstellungen der gefangenen Patienten respektieren. Daraus ergeben sich für die Gefängnismedizin wichtige Rückschlüsse. Denn auch intra muros ist das gesundheits- und körperbezogene Selbstbestimmungsrecht des Patienten grundsätzlich zu achten und zu wahren. Dementsprechend bedarf es zur Legitimation einer ärztlichen Behandlung – von eng begrenzten Ausnahmefällen abgesehen – der wirksamen Patienteneinwilligung. Dies ergibt sich zwar nicht aus einem Bundesgesetz. Dass der diesbezügliche Rechtsgedanke aber in dieser oder einer ähnlichen Ausformulierung auch der medizinischen Behandlung intra muros immanent ist, zeigt sich u.a. in Art. 7 der SAMWRichtlinien zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen. Danach darf – wie in jeder medizinischen Situation – der als Therapeut handelnde Arzt eine diagnostische oder therapeutische Maßnahme nur durchführen, wenn die inhaftierte Person ihr freies Einverständnis nach Aufklärung (informed consent) dazu gibt. Die Einwilligung ermächtigt den Arzt durch Realakt in den Körper und die Gesundheit des Patienten einzugreifen. Sie muss nach der grundsätzlich erforderlichen Aufklärung rechtzeitig vor der Behandlung ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Sie ist auch im Strafvollzug grundsätzlich 55 formfrei, wenngleich unter dem Aspekt der Rechtssicherheit Schriftform geboten ist. Um wirksam in die ärztliche Behandlung einzuwilligen, muss der inhaftierte Patient einsichts- und urteilsfähig 56 sein. Die strafrechtliche Einwilligungsfähigkeit ist nicht explizit geregelt, sondern ergibt sich aus allgemeinen Grundsätzen. Weitgehend Konsens besteht darüber, dass sie sich – unabhängig von der zivilrechtlichen Mündigkeit und der strafrechtlichen Schuldfähigkeit – allein danach bestimmt, ob der Patient die tatsächliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt, die ihn dazu befähigt, die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen. Zwar könnte sich aus Art. 371 ZGB etwas anderes ergeben. Danach gehört unter Vormundschaft jede mündige Person, die zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber verurteilt worden ist. 57 Sinn und Zweck dieser im mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen im Strafvollzug atypischen Regelung sind freilich nicht vermutete seelische Beeinträchtigungen oder eine Entrechtlichtung der Inhaftierten, 58 vielmehr sollte dem aus der Einschließung resultierenden erhöhten Schutzbedürfnis der inhaftierten Person Rechnung getragen werden. Diese dennoch sehr einschneidende und daher von der Rechtspraxis zu Recht restriktiv interpretierte zivilrechtliche Regelung 59 vermag für strafrechtliche Einwilligungsfähigkeit zwar keine unmittelbare Wirkung zu entfalten. Dennoch ist ihre Aussagekraft für die intramurale Medizin nicht zu unterschätzen. Es ist umstritten, ob und wenn ja, inwieweit eine Person einständige
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Im kantonalen Recht wird z.T. die Schriftform gefordert. Donatsch/Tag, Strafrecht I, § 22, 2.3; Trechsel/Noll, AT I, § 27/H. Vgl. Art. 371 Abs. 1 ZGB. Wie sie allgemein in Art. 397a ZGB aufgeführt sind. Zudem ist zu erwarten, dass die Reform des Vormundschaftsrechtes auch hier eine Änderung bringen wird.
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Entscheidungen treffen kann, von der unter vollzugsbedingten fürsorgerischen Aspekten gesagt wird, sie sei kein souveränes Individuum. Potentielle Risiken für die Entscheidungsfreiheit des Gefangenen ergeben sich u.a. daraus, dass er in der totalen Institution 60 des Strafvollzuges grundsätzlich vom Personal abhängig ist. Denn die intramurale Zusammenführung aller Lebensbereiche bewirkt ein Verlust an Autonomie, der sich darin zeigt, dass die Erfüllung der persönlichen Wünsche und Bedürfnisse ohne Vollzugspersonal kaum denkbar ist. Das hierdurch aufgezwungene Näheverhältnis wird verstärkt durch die hierarchische Struktur der Anstalten, die wiederum auf eine Verhaltenskontrolle sowie den Umgang großen Einfluss haben können. Aus dieser besonderen Situation können Zwangslagen mit Folgen für die Entscheidungsfreiheit der Insassen entstehen – sei es, dass die Einwilligung erteilt wird, um Vergünstigungen zu erlangen, sei es, dass sie auf einer speziellen haftpsychologischen Krisensituationen beruht. 61 Wenngleich die Entscheidungsfreiheit auch extra muros keine absolute ist, vielmehr auch hier soziale Zwänge bestehen, die Einfluss auf Entscheidungen nehmen, bedarf es intra muros einer besonderen Umsicht, um die Freiheit der Entscheidung zu gewährleisten. Wird die Einwilligung des gefangenen Patienten durch eine Drucksituation erlangt, die in ihrer Qualität einem unzulässigen Eingriff in die nach der Bundesverfassung gewährleisteten Grundrechte gleichkommt, ist die Einwilligung unfreiwillig und damit unwirksam. 62 Fehlt dem inhaftierten Patienten die erforderliche Einsichts- und Willensfähigkeit, so z.B., wenn er bewusstlos aufgefunden wird, entsteht kein rechtliches Vakuum. Die Entscheidung über Beginn, Fortsetzen oder Einstellen therapeutischer Maßnahmen ist vielmehr von der in diesem Falle zuständigen Person – unter weitmöglicher Beachtung des Patientenwillens – zu treffen. Falls ausreichend Zeit bleibt, ist die Einwilligung desjenigen einzuholen, der an Stelle und unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Patienten – nach entsprechender Aufklärung – zu entscheiden hat. Anderenfalls hat der Arzt nach den gleichen Kriterien, die für nicht festgenommene oder inhaftierte Patienten gelten,63 den notwendigen Eingriff unmittelbar nach den Regeln der mutmaßlichen Einwilligung durchzuführen. Unabhängig von der Frage, ob der Einwilligung in die ärztliche Behandlung tatbestandsausschließende Wirkung zukommt oder ob sie als Rechtfertigungsgrund betrachtet wird, besteht überwiegend 64 Einigkeit über die Notwendigkeit der Patientenaufklärung als Grundlage eines selbstbestimmten Willens. 65 Die Auf60
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Vgl. Goffmann, Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, Suhrkamp, 1973. Ausführlich Amelung, Die Einwilligung des Unfreien, ZStW 95 (1983), 1, 9 ff. Vgl. Amelung, Statement in: Hillenkamp/Tag (Hrsg.) Intramurale Medizin – Gesundheitsfürsorge zwischen Heilauftrag und Strafvollzug, Springer, 2005, 81, 87. Vgl. Ziff. 7.3. SAMW-Richtlinien für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen. In den Details ist allerdings vieles strittig vgl. z.B. Conti, AJP 2000, 615 ff.; Eisner, Die Aufklärungspflicht des Arztes, Huber Bern, 1992, 203 ff.; Honsell, ZSR 109 (1990) I 135 ff.; Manaï, SJ 2000 II, 341 ff. Z.B. BGE 105 II 284, 286 E.6; 108 II 59, 61 ff. E.2 und 3; 113 1b 420, 424 ff. E.4-7; 114 Ia 350, 358 E.6; 117 IB 197, 200 ff. E.2; 124 IV 258, 260 E.2; Urt. v. 3.12.1998, SJ
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klärung des Patienten ist extra 66 und intra muros als ärztliche Berufspflicht unverzichtbarer Bestandteil der Behandlung. Eine allgemeine bundesgesetzliche Grundlage zu Inhalt und Grenzen der ärztlichen Aufklärungspflicht ist bis heute nicht zu finden. Die Präzision der maßgeblichen Faktoren hat extra muros die richterliche Spruchpraxis 67 übernommen und die sogenannte Selbstbestimmungsaufklärung in die Diagnose-, Verlaufs- und Risikoaufklärung unterteilt. Es ist im Grundsatz unumstritten, dass auch der gefangene Patient über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und möglichen Behandlungsalternativen, soweit sie mit wesentlich anderen Belastungen und Chancen verbunden sind, aufzuklären ist. Das Ziel der ärztlichen Aufklärung, dem Patienten zu ermöglichen, das Für und Wider einer ärztlichen Diagnose bzw. Therapie abzuwägen und so die Basis einer frei bestimmten Einwilligung zu schaffen, setzt eine gezielte Information über Art, Tragweite und Folgen und damit über das Wie und die Modalitäten der ärztlichen Behandlung voraus. Die Aufklärungspflicht des Arztes kann eingeschränkt sein, wenn der psychische Zustand des Patienten zu einer Gefährdung der Heilungsaussichten führen könnte. Dieses sogenannte „therapeutische Privileg“ 68 soll den Arzt berechtigen, von der (vollständigen) Diagnoseaufklärung und den hiermit verbundenen Konsequenzen abzusehen. 69 Die im Patienteninteresse erfolgende Einschränkung der Aufklärung resultiert aus der im Arzt-Patienten-Verhältnis angesiedelten Verpflichtung zur Schadensabwendung. Die Zulässigkeit dieser Einschränkung muss richtigerweise zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ unterscheiden. Bei der Frage, „ob“ aufzuklären ist, besteht im Normalfall kein Beurteilungsspielraum des Arztes, da die Gefahr einer mitunter gutgemeinten ärztlichen Zurückhaltung sonst den grundsätzlichen Informationsanspruch des Patienten untergraben kann. Ausnahmen können für den Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie gelten, da hier die Einflussnahme auf die geistig-seelische Struktur des Patienten den Schwerpunkt der ärztlichen Aufgabe bildet. Die Intensität, also das „wie“ der Aufklärung, muss sich nach der Situation des Einzelfalles richten, erforderlich ist grundsätzlich eine Basisinformation, die geprägt ist von der humanitären Pflicht des Arztes, mit seinem Wissen über den Gesundheitszustand des Patienten und den hieraus resultierenden Folgen behutsam umzugehen. Ansonsten ist ein Zurückhalten von Informationen nur im Ausnahmefall zulässig, so z.B., wenn die volle Mitteilung einer lebensbedrohenden Diagnose ernsthaft das Leben des Patienten gefährden würde.
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1999, 245, 247; siehe auch (zur Aufklärung über die Erfolgsaussichten einer Sterilisation) BGer Pra 85 (1996), 670 ff.; Gattiker, Die Widerrechtlichkeit des ärztlichen Eingriffs nach schweizerischem Zivilrecht, Schulthess, 1999. Vgl. Art. 10 der Standesordnung FMH. Z.B. BGE 105 II 284, 286 E.6; 108 II 59, 61 ff. E.2 und 3; 117 Ib 197, 200 ff. E.2. Das Recht auf Information bejahte bereits BGE 66 II 34; zusammenfassend Manaï, Les droits du petit face à la biomédecine, Stämpfli Bern, 2006, 75 ff.; Honsell, SVZ 1995, 334 ff. Zur historischen Entwicklung vgl. Berney/Ummel/Mauron, Cahiers médico-sociaux 39 (1995), 348 f. Wilhelm, Verantwortung und Vertrauen bei Arbeitsteilung in der Medizin, Enke, 1984, 135.
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Für eine weitergehende Anwendung des therapeutischen Privilegs bleibt freilich kein Raum. Nicht nur die Selbstbestimmung, sondern auch die Fürsorgepflicht und die Rechtsicherheit im Strafvollzug wären anderenfalls unzulässigerweise in Frage gestellt. Dennoch folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht keine Selbstbestimmungspflicht des gefangenen Patienten. Ihm bleibt es grundsätzlich unbenommen, ganz oder teilweise, zeitweilig oder auf Dauer auf die ärztliche Aufklärung zu verzichten. Dieses Recht auf Nichtwissen besteht jedoch nicht schrankenlos. Der Aufklärungsverzicht stößt u.a. an seine verfassungsrechtliche Grenze, wenn sich der Patient durch dieses Informationsdefizit zum Objekt Dritter macht. Ergibt die Diagnose die Erforderlichkeit einer Behandlung oder eines Eingriffs, so sind diese therapeutischen Maßnahmen nur zulässig, wenn der Patient ein Mindestmass an Information über Art, Umfang und Risiken besitzt. Auf die Grundaufklärung kann der Patient auch im Strafvollzug nicht wirksam verzichten. Pflichtwidrig unterlassene Behandlung Problematisch wird die Situation für den Gefängnisarzt, wenn er z.B. eine Behandlung pflichtwidrig unterlässt, und dieses Geschehen zum Tode des Inhaftierten führt. So z.B. wenn der Inhaftierte einen Herzanfall erleidet, der Arzt aber infolge unzureichender Untersuchung davon ausgegangen war, dass der Gefangene simuliert. 70 Hier ist die drängende Frage zu beantworten, ob der Straftatbestand der vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötung erfüllt ist, Art. 111, 117 StGB. Diese Delikte sind Offizialdelikte, die zugrunde liegenden Sachverhalte müssen demgemäss bei Vorliegen eines entsprechenden Anfangsverdachtes von Seiten der Strafverfolgungsbehörden abgeklärt werden. 71 Die vorsätzliche Tötung wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. Der abstrakte Strafrahmen der fahrlässigen Tötung reicht bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, Art. 117 StGB. Besteht der Vorwurf in einem Unterlassen, d.h. darin, dass der Gefängnisarzt eine bestimmte Handlung nicht vornimmt, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre, ist Art. 11 StGB zu beachten. Danach können Verbrechen und Vergehen auch durch passives Verhalten erfüllt werden, wenn der Pflichtige ein Handlungsgebot gemäss Art. 11 Abs. 2 StGB missachtet. Zwar bleibt die Streitfrage, wann positives Tun und wann Unterlassen vorliegt, der Beurteilung durch Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen. Die Handlung im Sinne des Strafrechts jedoch ist nicht rein kausal zu verstehen, sondern in ihrer sozialen Bedeutung. Daraus ergibt sich, dass der Handlungssinn wertend zu bestimmen ist. Liegt der strafrechtlich relevante Vorgang allein im Absehen von Maßnahmen, weil der Gefängnisarzt z.B. 70
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Tages-Anzeiger vom 02. Dezember 2006 (http://www.tagesanzeiger.ch/dyn/news/ schweiz/695383.html). Massgebend sind die Bestimmungen der jeweiligen kantonalen Strafprozessordnungen. Instruktiv zum Strafverfahren mit medizinstrafrechtlichen Bezug im Kanton Zürich Brunner, Der fehlerhaft behandelnde Arzt in den Mühlen der Justiz – auch eine Illusion? in: Strafrecht und Medizin, Herausg. Donatsch/Blocher/Hubschmid Volz, Stämpfli Bern 2007, 39, 51 ff.
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irrtümlich davon ausging, dass der inhaftierte Patient einen Herzanfall simuliert und daher irrtümlich keine medizinische Maßnahme für angezeigt hielt, so liegt strafrechtlich ein Unterlassen vor. Bei unechten Unterlassungserfolgsdelikten, wie der vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötung oder Körperverletzung durch Unterlassen, bedarf es zudem der Quasikausalität zwischen Unterlassen und Erfolg. Die entscheidende Frage lautet: Entfällt der konkrete Erfolg, d.h. z.B. der Tod oder die Gesundheitsschädigung des Patienten, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, wenn man die unterlassene Handlung des Arztes hinzudenkt. 72 Nimmt man das Beispiel des Herzinfarktes und hätte der Patient bei rechtzeitiger Reanimation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt, wenn rechtzeitig medizinische Hilfe geleistet worden wäre, liegt (Quasi-)Kausalität vor. 73 Zudem ist der Gefängnisarzt kraft seiner Anstellung bzw. Behandlungsübernahme Garant für das Leben und die körperliche bzw. seelische Unversehrtheit des ihm zugewiesenen Inhaftierten. Die hieraus resultierende Handlungspflicht besteht unabhängig davon, 74 ob sich der Patient ggf. auch selbst in Gefahr gebracht hat oder gebotene Vorkehrungen zur eigenen Sicherung unterliess 75 und sich hierdurch selbst gefährdete. Unterlässt der Anstaltsarzt fahrlässig die Reanimation und wäre der in der Folge verstorbenen inhaftierte Patient noch zu retten gewesen, so hat sich der Anstaltsarzt grundsätzlich wegen fahrlässiger Tötung zu verantworten. Doch auch das Verabreichen von Medikamenten kann dem Anstaltsarzt ggf. strafrechtliche Probleme bereiten, so z.B. wenn ein Sexualstraftäter unter stimulierendem Viagraeinfluss im Hafturlaub einen neuen sexuellen Übergriff begeht. 76 Hierbei ist darauf abzustellen, ob bei sachgerechter Diagnose entweder Viagra nicht hätte verordnet oder ob – falls das Medikament medizinisch notwendig war – der Hafturlaub nicht hätte angetreten werden dürfen. Ist dem Arzt hier Sorgfaltswidrigkeit zur Last zu legen, kommt seine Verantwortlichkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung des Opfers in Betracht. Besondere Herausforderungen werfen überdies die Voraussetzungen und Grenzen von Zwangsbehandlungen auf, so z.B. im Rahmen eines Hungerstreiks. So trat Anfang 2007 ein in Auslieferungshaft befindlicher Inhaftierter in Hungerstreik und wurde in die Gefängnisabteilung des Inselspitals in Bern verlegt. 77 Er hatte in Anwesenheit eines Vertrauensarztes, eines Anwalts und einer Übersetzerin im 72
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BGE 108 IV 3, 8; 105 IV 18, 20; 102 IV 100, 102; 101 IV 149 ff.; Donatsch/Tag, Strafrecht I, § 28 2.16. Sie kann aber aufgrund unrechtsbegrenzender Zurechnungstatbestände wieder entfallen, vgl. Donatsch/Tag, Strafrecht I, § 7 2.23, 2.24. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Patient sich willensfrei, d.h. aufgeklärt und bei voller Einsichtsfähigkeit, gegen eine Behandlung entscheidet. Stellt er jedoch eine Gefährdung für die anderen Inhaftierten dar, z.B. weil er an einer gefährlichen ansteckenden Krankheit leidet und nicht bereit ist, Schutzmassnahmen einzuhalten, dann ist er von den anderen Patienten abzusondern. BGE 108 IV 3, 6, wobei der Fachmann kein Arzt, sondern ein „gesundheitlicher Berater“ war. Siehe hierzu etwa NZZ vom 4. Oktober 2006: „Rezept für Viagra an verwahrten Sexualstraftäter ausgestellt“ und Zürcher Unterländer vom 4. Oktober 2006. Zum Fall Esiyok vgl. Tagesanzeiger vom 24. März 2007.
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Spital eine schriftliche Anordnung unterzeichnet, die den behandelnden Ärzten untersagt, ihm Nahrung zuzuführen, wenn er sein Bewusstsein verliert. Dieser Fall konfrontiert die Gefängnisärzte mit heiklen berufsethischen und rechtlichen Fragen: Ist der Wille des Inhaftierten zu respektieren oder ist die Zwangsernährung erlaubt und geboten? Juristisch befindet sich die Schweiz hier in einem Grenzbereich, der gerade auch durch die Kantone nicht abschließend und zufriedenstellend gesetzlich geregelt ist. Die medizinisch-ethischen Richtlinien zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen der SAMW regeln unter der Ziffer 9, dass Zwangsernährung nicht erlaubt ist, wenn der Hungerstreikende bei voller Urteilskraft, informiert über die medizinischen Folgen und vor Zeugen eine Unterlassungsanordnung trifft. Dieses „soft-law“ stellt einen Hinweis auf eine mögliche Lösung des Problems Hungerstreik dar, es vermag aber nicht die fehlenden gesetzlichen Regelungen zu ersetzen. Im Lichte der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention ist grundsätzlich davon ausgehen, dass das Selbstbestimmungsrecht bezüglich der Zuführung von Ernährung auch bei einer Person in Haft intakt bleibt. Anderenfalls würde aufgrund des objektiven Wertegehaltes des Grundrechtes auf Leben eine Pflicht der Vollzugsinstitution abgeleitet, dem unter „normalen Vollzugsbedingungen“ anerkannten Recht auf Selbstbestimmung Grenzen zu setzen. Dies bedürfte einer sorgfältigen und abgewogenen Begründung. Dennoch befinden sich die Gefängnisärzte in einem Dilemma: Führten sie eine Zwangsernährung durch, muss mit einer Anklage wegen vorsätzlicher Körperverletzung gerechnet werden. Wird nicht ernährt und verhungert der Inhaftierte, ist eine Strafuntersuchung wegen Tötung durch Unterlassung nicht fernliegend. Beides ist dramatisch. Unter dem Aspekt der Rechtssicherheit erscheint es daher dringend geboten, die bei Zwangsbehandlung zu beachtenden Grundsätze in einem Gesetz im formellen Sinne festzulegen. Strafnormen zum Schutz des Amts- und des Berufsgeheimnisses Weitere zentrale Strafnormen der Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug sind die Delikte zum Schutz des Amts- und des Berufsgeheimnisses, Art. 320, 321 StGB. „Welches Klima in der Vollzugsanstalt herrscht, zeigt sich am deutlichsten daran, wie sich die Bediensteten und die Insassen zueinander verhalten.[...] Hierüber entscheidet aber in erster Linie nicht das subjektive Belieben, nicht der mehr oder minder gute Wille der Beteiligten, sondern der institutionelle Rahmen, in dem der Vollzug sich abspielt.“ 78 Dieses Zitat leitet zu einer von den Gefängnisärzten tagtäglich neu zu beantwortenden Frage. Sie lautet: „Schweigen oder offenbaren?“ 79 Obgleich die strafrechtlich abgesicherte Verschwiegenheit des Gefängnisarztes 80 oft in Bedrängnis gebracht wird, gilt sie auch im Strafvollzug. Und das mit gutem
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Stratenwerth/Bernoulli, Der schweizerischen Strafvollzug. Ergebnis einer empirischen Untersuchung, 1983, 145. So der gleichlautende Titel der Caritas Tagung am 16./17.9.2004 in Zürich. http://www.samw.ch/docs/Richtlinien/d_RL_Inhaftierte_def.pdf.
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Grund. Denn die Verschwiegenheit des Arztes ist sowohl extra 81 wie intra muros unverrückbarer Bestandteil des ärztlichen Berufsethos 82 und historisch gewachsene, rechtlich verankerte Verhaltenspflicht. Auf europäischer Ebene mahnt die Empfehlung des Ministerkomitees betreffend ethische und organisatorische Aspekte der Gesundheitsfürsorge in Gefängnissen, das „(...) Arztgeheimnis soll garantiert sein und in gleich striktem Maße beachtet werden, wie dies in der allgemeinen Bevölkerung gehandhabt wird“. 83 Im nationalen Recht ist die unbefugte Verletzung der ärztlichen Verschwiegenheit mit Strafe bedroht. Art. 321 StGB entfaltet Wirkung auch im Strafvollzug. Art. 321 StGB wird ergänzt durch Art. 320 StGB, dem Schutz des Amtsgeheimnisses. Ziff. 10 der SAMW-Richtlinien bekräftigt diesen Geheimnisschutz. Damit ist freilich nicht gesagt, dass dem Inhaftierten ein umfassender Geheimnisschutz geboten wird. Denn ein professionell vernetztes Arbeiten innerhalb der Vollzugsinstitution kann und darf nicht auf einen Informationsaustausch gesundheitsrelevanter Daten verzichten. Zudem erlangt das Arztgeheimnis intra muros besonders bei ansteckenden Krankheiten eine spezielle emotionale Komponente. Vollzugsmitarbeitende sorgen sich um ihre Gesundheit und sehen in der Schweigepflicht der Gesundheitsdienste mitunter ein Risiko für sich selbst. Daher wird sie in den verschiedenen Anstalten und durch verschiedene Ärzte und Pflegende sehr unterschiedlich interpretiert. 84 Obgleich die Entscheidung, zu schweigen oder zu offenbaren, grundsätzlich dem Arzt obliegt, besteht häufig die Notwendigkeit, geschützte Sachverhalte der Anstaltsleitung zu offenbaren. Inwieweit dies zulässig ist, hängt wie so häufig von vielen Umständen ab. Allein das Vollzugsverhältnis als solches vermag einen Eingriff weder zu rechtfertigen noch auszuschließen. Vielmehr mischen sich hier in besonderer Weise strafrechtliche, vollzugsrechtliche, datenschutzrechtliche, berufsethische und fachliche Gesichtspunkte. Diese Situation stellt sich für die Anstaltsärzte und die Anstaltsärztinnen in besonderer Schärfe dar: einerseits sind sie im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge dem inhaftierten Patienten verpflichtet. Andererseits dient ihre Tätigkeit aber auch 81
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Tag, Die Verschwiegenheit des Arztes im Spiegel des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung des Kantons Zürich, ZStrR 2004, 1 ff. Im Ayur-Veda des Châraka, einem der ältesten medizinischen Sanskritwerke etwa 800 vor Christi, heißt es: „Die Vorgänge aus dem Haus dürfen nicht ausgeplaudert, auch darf von dem einem Kranken etwa drohenden frühen Ende nichts mitgeteilt werden, so es dem Kranken oder sonst jemand Nachteil bringen kann“. Näher Placzek, Das Berufsgeheimnis des Arztes, 1893, S. 36. Der griechische Ärzteeid des Hippokrates im 5. Jahrhundert vor Christi lautet: „Was immer ich sehe und höre bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach außen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles derartige als solches betrachte, das nicht gesprochen werden darf.“ Übersetzung nach Deichgräber, Der Hippokratische Eid, 1983. § 13, Empfehlung Nr. R(98)7, angenommen am 8.4.1998. Vgl. auch CPT/Inf/E (2002)1 Rev. 2003, Nr. 36 ff. 50: „Das Arztgeheimnis sollte im Gefängnis in gleicher Weise beachtet werden wie außerhalb. Die Führung der Patientenakten sollte in der Verantwortung des Arztes liegen.“ http://www.cpt.coe.int/lang/deu/deu-standards-s.pdf. Achermann/Hostettler, Infektionskrankheiten und Drogenfragen im Freiheitsentzug, Schlussbericht, 2007, 25 f.
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allgemeinen Vollzugsaufgaben. Das Überschneiden der Pflichtenkreise bewirkt, dass der Gefängnisarzt über viele persönliche Daten und Informationen von und über seinen inhaftierten Patientenkreis verfügt. Damit steht der Persönlichkeitsschutz des Patienten mit dem notwendigen Informationsverkehr des Strafvollzuges und der damit verknüpften Informationsvorsorge im Vorfeld vollzugsrechtlicher Handlungen im Spannungsverhältnis. Im Unterschied zum extra muros praktizierenden Arzt ist der im Vollzugsdreieck zwischen Anstaltsleitung, Vollzugsdienst und gefangenem Patient stehende Anstaltsarzt der Schwierigkeit ausgesetzt, die richtige Wahl zwischen den zumindest auch vollzugsrelevanten und den Informationen zu treffen, die nur das Arzt-Patienten-Verhältnis betreffen. Zugleich unterliegt das Arzt-Patientenverhältnis intra muros einer starken Kontrolle. Sei es durch Rechtsanwälte der gefangenen Person, die mit der Art der medizinischen Behandlung bzw. deren Verweigerung nicht einverstanden ist, durch die Vollzugsleitung, die vollzugsspezifische Belange durchsetzen und daher auch die Tätigkeit des Arztes bis zu einem gewissen Grade bestimmen oder die Justizverwaltung, die als Teil der Exekutiven der Kontrolle durch die gewählten Volksvertreter unterliegt. Entbindet der Patient den Anstaltsarzt gegenüber der Vollzugsleitung nicht (wirksam) von der Schweigepflicht, bleibt es die Kunst des Arztes, dann zu informieren, wenn es notwendig ist, d.h., wenn z.B. das Informationsinteresse der Vollzugsbehörde im Hinblick auf ihre Gesamtverantwortung so bedeutsam ist, dass ohne die Offenbarung der Vollzugszweck vereitelt oder ernsthaft gefährdet würde. 85 Erkennt der Arzt im Gespräch mit dem inhaftierten Patienten, dass nur durch eine sichere Verwahrung, sorgfältige Aufsicht oder strenge Prüfung vollzugsöffnender Maßnahmen eine Gefährdung der Allgemeinheit verhindert werden kann, darf er die Schweigepflicht brechen und die Vollzugsleitung informieren. Ebenso, wenn ein Gefangener mit gefährlicher ansteckender Krankheit die Mitwirkung an einer Therapie verweigert oder sich Anzeichen für eine bevorstehende erneute schwere Gewaltstraftat ergeben. Das Strafbarkeitsrisiko für den Gefängnisarzt wird jedoch dadurch abgemildert, dass er neben der Einwilligung durch die gefangene Person in Zweifelsfällen die Bewilligung der vorgesetzten Behörde, das Geheimnis zu offenbaren, einholen kann, Art. 321 Ziff. 2 StGB. 86 Fakultative Kompetenz des Bundesrates für die Gesundheitsfürsorge Im Dritten Abschnitt des StGB kommt Art. 387 Abs. 1 lit. c StGB Gestaltungskraft für den Strafvollzug zu. Durch diese Vorschrift wurde dem Bundesrat die fakultative Kompetenz für die Gesundheitsfürsorge intra muros übertragen. Danach kann er Regelungen erlassen „über den Vollzug von Strafen und Maßnahmen an kranken, gebrechlichen und betagten Personen“. Die Botschaft des Bundesrates betont, dass beim Vollzug insbesondere von HIV-infizierten Personen und Drogenabhängigen ein erheblicher Regelungsbedarf bestehe. 87 Aids-Präventions- und 85
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Zur Auslegung des Begriffs der Unerlässlichkeit vgl. BVerfGE 40, 284 im Anschluss an BVerfG 33, 1, 13. Siehe Anhang 2. Botschaft BBl 1999 II 2181.
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Drogenabgabeprogramme sind Bereiche, in welchen einheitliche Regelungen auf Bundesebene angezeigt sind. Aber auch die allgemeinen Regeln der Gefängnismedizin sollten bundeseinheitlich festgelegt werden. Denn der Gefangene kann aufgrund der Inhaftierung nicht in gleicher Weise wie in Freiheit gesundheitlichen Beeinträchtigungen begegnen. Zudem erfordert der intramurale Gesundheitsschutz infolge des Zusammenlebens von einer größeren Anzahl von Menschen mit zudem in der Regel speziellen Krankheiten und einer besonderen Verdichtung von Problemgruppen im Interesse aller Involvierten eine homogene Gefängnismedizin. Zivilgesetzbuch Neben dem Strafgesetzbuch entfaltet das ZGB Relevanz für die intramurale Medizin. Im Mittelpunkt stehen Art. 371 ZGB sowie die Zulässigkeit von Zwangsmassnahmen. Gemäss dem StGB dürfen die Rechte der gefangenen Person nur so weit beschränkt werden, als der Freiheitsentzug und das Zusammenleben in der Vollzugseinrichtung es erfordern. 88 Wie bereits festgestellt wurde, regelt Art. 371 ZGB, dass unter Vormundschaft jede mündige Person gehört, die zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber verurteilt worden ist. 89 Die überwiegende Ansicht in Rechtspraxis und Lehre hat sich angesichts der Schwere eines derartigen Eingriffs zu einer restriktiven Interpretation von Art. 371 ZGB entschieden. Die Verurteilung zu mindestens einjähriger Freiheitsstrafe soll nur eine widerlegbare Vermutung für die Entmündigung darstellen. 90 Dennoch ist damit das komplexe Thema „medizinische Zwangsmassnahme intra muros“ nicht erschöpft. Die generelle Frage nach den intramuralen Zulässigkeitsvoraussetzungen von psychiatrischen Zwangsmassnahmen oder von Notfallmaßnahmen im somatischen Bereich ist nicht geklärt. Eine der zahlreichen Auswirkung ist, dass z.B. bei der Ausschaffung von aus der Schweiz ausgewiesenen Personen zahlreiche Fragen offen sind. Strafvollzugskonkordate Derartige Fragen lassen sich auch nicht durchweg mit den so genannten Strafvollzugskonkordaten lösen. Gegründet auf Art. 48 BV, wonach die Kantone für Fragen, die in ihre Kompetenz fallen, Abmachungen, sogenannte Konkordate, schließen können, haben sich die Ostschweiz, die Nordwest- und Innerschweizer 91 so-
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Vgl. Art. 74 Abs. 2 StGB. Vgl. Art. 371 Abs. 1 ZGB. Zudem ist zu erwarten, dass die Reform des Vormundschaftsrechtes auch hier eine Änderung bringen wird. Bestehend aus den Regierungen der Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Luzern, Obwalden, Nidwalden, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug http://www.prison. ch/data_site/konkordat/010_Konkordatstext.pdf. Zur Revision des aus dem Jahre 1959 stammenden Konkordats vgl. http://www.amb-bl.ch/docs/polit-rechte/vernehml/vern 2006/strafvollzug/lrv.pdf. Eine synoptische Darstellung vom alten zum neuen Konkor-
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wie die Westschweizer Kantone und der Kanton Tessin 92 bereits in den Jahren 1956 bis 1963 zu drei regionalen Vollzugsgemeinschaften, d.h. zu insgesamt drei Strafvollzugskonkordaten zusammengeschlossen. 93 Denn in kleineren Kantonen bestehen für eigene Vollzugsanstalten weder Bedarf noch ausreichend Möglichkeiten und auch für größere Kantone erscheint es nicht durchwegs opportun, alle eidgenössisch vorgeschriebenen Anstaltstypen und -abteilungen zu unterhalten. In Erfüllung der durch das Strafgesetzbuch 94 zugewiesenen Aufgaben regeln diese Konkordate die interkantonale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strafvollzuges. Festgelegt werden die jeweils zu führenden Anstalten, die Verpflichtung der Anstaltskantone zur Aufnahme Verurteilter aus anderen Konkordatskantonen oder auch die Zuständigkeiten der Anstaltskantone und der einweisenden Kantone. Die Konkordate haben zudem Richtlinien, so z.B. zu einzelnen Vollzugsfragen, erlassen, 95 wie über die Gewährung von besonderen Vollzugsformen, die Durchführung von Drogentherapien, 96 den zu gewährenden Verdienstanteil, die Urlaubsgrundsätze und Festlegung der Kostgelder, aber auch über die Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe. Das Westschweizer Konkordat enthält zudem die Regelung, dass die Konkordatsanstalten die medizinische und soziale Betreuung der Gefangenen sicherzustellen haben. 97 Nach wie vor unterliegt es aber den allgemeinen Grundsätzen, wie die Absprache zwischen den drei Konkordaten stattzufinden hat und welche Rechtsprinzipien gelten. Dies lässt sich wiederum am Beispiel des Hungerstreiks aufzeigen. Wird ein hungerstreikender Gefangener aufgrund des geschwächten Allgemeinzustandes aus dem Ostschweizer Konkordatsbereich in das Inselspital nach Bern und damit in den Bereich des Nordwest- und Innerschweizer Konkordats verbracht, stellt sich die bereits aufgeworfene, nicht abschließend geklärte Frage, nach welchen Grundsätzen über Art und Umfang der (Zwangs-)Behandlung zu entscheiden ist.
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dat findet sich unter http://www.baselland.ch/docs/parl-lk/vorlagen/ 2007/v004/2007004_synopse.pdf. Bestehend aus den Regierungen der Kantone Fribourg, Genf, Jura, Neuenburg, Waadt, Wallis, Tessin. Oberstes Organ des Ostschweizer Konkordats ist die Strafvollzugskommission, des der Nordwest- und Innerschweiz und des der Westschweizer Kantone und im Kanton Tessin die Konkordatskonferenz. Vgl. Art. 372 StGB, Art. 377 f. StGB. Zur Übersicht über die von der Ostschweizerischen Strafvollzugskommission beschlossenen Richtlinien vgl. http://www.justizvollzug.ch/content/justizvollzug/ost_konkordat/ index.html. Ostschweizer Strafvollzugskonkordat, Richtlinie (http://www.justizvollzug.ch/content/ justizvollzug/ost_konkordat/index.html). Konkordat über den Straf- und Massnahmenvollzug an Erwachsenen und jungen Erwachsenen in den Westschweizer Kantonen und im Kanton Tessin, vom 22. Oktober 1984, Art 23 Betreuung: „2Die Konkordatsanstalten stellen die medizinische und soziale Betreuung der Gefangenen sicher; sie begünstigen die geistige Betreuung.“
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Kantonale Kodifikationen Damit richtet sich der Blick einmal mehr auf die kantonalen Kodifikationen. Hier finden sich vielfältige Bestimmungen. 98 Diese historisch gewachsenen Regelungswerke weichen sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht deutlich von einander ab. Sie sind zum Teil fragmentarisch, 99 zum Teil umfassend. In sieben Kantonen 100 besteht ein formelles Gesetz über den Strafvollzug. Die übrigen 18 Kantone regeln den Strafvollzug auf Verordnungsebene, 101 wobei die anzutref-
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Siehe Anhang 1. Zum Teil wird lediglich klarstellend erwähnt, dass die ärztliche Behandlung gewährleistet ist, vgl. z.B. § 24 Verordnung über das Massnahmezentrum für junge Erwachsene Arxhof vom 1. Juni 1993, http://www.baselland.ch/docs/recht/sgs_2/266.11.htm. Basel Stadt: Gesetz über Strafvollzug und Begnadigung vom 30. Oktober 1941 (http://www.gesetzessammlung.bs.ch/erlasse/258.100.pdf) Bern: Gesetz über den Straf- und Massnahmenvollzug (SMVG) vom 25. Juni 2003 (http://www.sta.be.ch/belex/d/3/341_1.html) Nidwalden: Gesetz über den Straf und Massnahmenvollzug vom 25 Oktober 2006 (http://www.navigator.ch/nw/lpext.dll?f=templates&fn=main-h.htm&2.0) Solothurn: Gesetz über den Vollzug von Freiheitsstrafen und sichernden Massnahmen vom 3. März 1991(http://www.old.so.ch/extappl/bgs/daten/331/11.pdf) Ticino/Tessin: Legge sull’ esecuzione delle pene e delle misure di sicurezza per gli adulti (http://www.lexfind.ch/dta/14062/4/f04_25.htm) Vaud/Waadtland: Loi sur l'exécution des condamnations pénales et de la détention préventive (LEP) du 18 septembre 1973 (état: 01.04.2004) Loi sur l'exécution des condamnations pénales vom 4. Juli 2006 (http://www.rsv.vd.ch/dire-ccoon/rsv_site/ doc.fo.html?docId=5696&Pcurrent_version=&PetatDoc=vigueur&docType=loi&page _format=A4_3&isRSV=true&isSJL=true&outformat=html&isModifiante=false&with_ link=true) Zürich: Straf- und Justizvollzugsgesetz (StJVG) vom 19. Juni 2006 (http://www2.zhlex .zh.ch/Appl/zhlex_r.nsf/WebView/E7965121FFD5CF7BC12572410034A158/$File/33 1_19.6.06_55.pdf). Aargau: Verordnung über den Vollzug von Strafen und Massnahmen vom 09. Juli 2003 (Strafvollzugsverordnung, SMV) (http://www.ag.ch/sar/output/253-111.pdf) Appenzell/ Ausserhoden: Verordnung über das Kantonale Gefängnis sowie die übrigen Haftzellen vom 11 September 2007 (http://www.lexfind.ch/dtah/ 38155/2/325_1_110 907.pdf) Appenzell/ Innerhoden: Standeskommissionsbeschluss betreffend das Kantonsgefängnis vom 4 April 1995 (http://www.ai.ch/dl.php/de/45d9c1b7524a2/340.001.pdf) Basel Landschaft: Verordnung über den Straf- und Massnahmevollzug vom 11. Juni 1991 (http://www.bl.ch/docs/recht/sgs_2/261.41.pdf) Freiburg: Verordnung vom 9. Dezember 2002 über den Vollzug strafrechtlicher Sanktionen (http://admin.fr.ch/de/data/pdf/publ/rof_2006/2006_161_d.pdf) Geneve/Genf: Règlement relatif aux établissements d'exécution de peines de courte durée, de fin de peine et de semi-détention vom 29. Mai 1996 (http://www.ge .ch/legislation/rsg/f/s/rsg_F1_50P08.html); Règlement sur le régime intérieur de la prison et le statut des personnes incarcérées vom 30 September 1985 (http://www.ge.ch/legislation/rsg/f/s/rsg_F1_50p04.html) Glarus: Gefängnisreglement vom 14. Mai 1996 (http://gs.gl.ch/pdf/iii/gs_iii_f_3.pdf)
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fenden Bestimmungen mehr oder weniger erschöpfend sind. 102 Innerhalb der Anstalten gelten Hausordnungen und/ oder Richtlinien, welche durch spezifische Weisungen ergänzt werden. 103 Hier finden sich zum Teil ausführliche Bestimmungen über die Gesundheitsfürsorge und z.B. das Patientengeheimnis. 104 Die ausgeprägte Heterogenität dieser kantonalen Regelungen führt freilich dazu, dass in der die Vollzugsmedizin regelnden Normenhierarchie eine Einheitlichkeit kaum festzustellen ist. 105 Der nicht immer einfache Umgang mit dieser Vielfalt lädt insbesondere die intramurale Medizin dazu ein, zum Zusammenwirken der verschiedenen Regelun-
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Graubünden: Verordnung über den Justizvollzug im Kanton Graubünden vom 12. Dezember 2006 (http://www.navigator.ch/gr/lpext.dll?f=templates&fn=main-doc.htm&vi d=de&2.0) Jura: Règlement des établissements de détention du 21 décembre 2004 Le Gouvernement de la République et Canton (http://rsju.jura.ch/extranet /groups/public/documents /rsju_page/loi_342.111.hcsp) Luzern: Verordnung über den Justizvollzug vom 12 Dezember 2006 (http://srl.lu.ch/sk /srl/default/first.htm) Neuchâtel/Neuenburg: Règlement general concernant la détention dans le canton de Neuchâtel vom 24. mai 2006 (http://rsn.ne.ch/ajour/default.html?3521.htm) Obwalden: Verordnung über den Straf- und Massnahmenvollzug sowie die Bewährungshilfe (Strafvollzugsverordnung) vom 19. Oktober 1989 (http://ilz.ow.ch/gessamml/pdf/330110.pdf) Sankt Gallen: Verordnung über die Gefängnisse und Vollzugsanstalten vom 13. Juni 2000 (http://www.gallex.ch/gallex/9/962.14.html); Nachtrag vom 12. März 2002 zur Verordnung über die Gefängnisse und Vollzugsanstalten (http://www.gallex.ch/gallex/media/pdf/april02/962_14.PDF) Schaffhausen: Justizvollzugsverordnung vom 12. Dezember 2006 (http://rechtsbuch. sh.ch/default.htm dort Ordnungsnummer 341.101) Schwyz: Haft-, Straf- und Massnahmevollzugsverordnung (HSMV) Vom 19. Dezember 2006 (http://www.sz.ch/gesetze/GS21/250.311.pdf) Thurgau: Verordnung des Grossen Rates über den Vollzug freiheitsentziehender Strafen und Massnahmen gemäss eidgenössischem und kantonalem Recht vom 2. Februar 1976 (http://www.rechtsbuch.tg.ch/pdf/300/340_3a3neu.pdf) Uri: Verordnung über den Straf- und Massnahmenvollzug (VSMV) vom 20. Dezember 2006 (http://ur.lexspider.com/pdf/3-9321.pdf) Valais/Wallis: Reglement über die Strafanstalten des Kantons Wallis vom 10. Dezember 1993 (http://www.vs.ch/public/public_lois//de//Pdf/340.200.pdf) Zug: Verordnung über die Strafanstalt Zug vom 6. Mai 2003 (http://www.zug.ch/ bgs/data/331-1.pdf). Baechthold, Strafvollzug Straf- und Massnahmenvollzug an Erwachsenen in der Schweiz, Stämpfli, 2005, 57 Rn. 6. Stellvertretend beispielsweise Hausordnung der Strafanstalt Pöschwies/Kanton Zürich oder der Strafanstalt Schöngrün/Kanton Solothurn sowie die dazugehörigen Dienstanweisungen. Beispielsweise die Weisung „Patientengeheimnis“ aus dem Kanton Thurgau vom 15. November 2000. Zur Frage, ob eine bundeseinheitliche Regelung hilfreich wäre, wie sie beispielsweise durch ein eidgenössisches Strafvollzugsgesetz geschaffen werden könnte, vgl. Baechthold, 57.
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gen Stellung zu nehmen. Denn diese Heterogenität hat Licht- und Schattenseiten. Positiv ist, dass die Kantone bzw. Konkordate vereinfacht neue Wege gerade auch im Bereich der Gesundheitsfürsorge gehen und an der Sache orientierte, unbürokratische Entscheide fällen können. Unterstützt durch das Bundesamt für Justizvollzug, die Gefängnisärztekonferenz und die SAMW besteht die Möglichkeit, unterschiedliches Wissen zu generieren, im Einzelfall flexibel und rasch zu reagieren. Aufgrund der föderalistischen Struktur gehen Innovationen weitgehend von den Kantonen aus, Reformen werden an erster Stelle dort durchgeführt, wo sich ein Änderungsbedarf zeigt und Neuerungen bzw. Pilotprojekten adäquate Bedingungen eröffnet sind. Überwinden die Reformbemühungen die Hürden der praktischen Umsetzung, besteht die gute Chance, dass sie auch in anderen Kantonen oder bundesweit umgesetzt werden. Beispiele sind die gemeinnützige Arbeit, Halbgefangenschaft, das Electronic Monitoring, der Gruppenvollzug, SpritzentauschProgramme oder auch die kontrollierte Heroinabgabe. Die föderalistische Struktur begründet zudem eine große Flexibilität, durch welche die sprachlichen und kulturellen Besonderheiten ausgeglichen werden. Die kantonale Zuständigkeit und Vielfalt hat jedoch auch Schwierigkeiten zu bewältigen. Dies zeigt sich bereits in dem Umstand, dass es kaum möglich ist, eine Übersicht aller geltenden Bestimmungen zum schweizerischen Straf- und Maßnahmenvollzug zu gewinnen. Zudem ist der Koordinationsbedarf der in den Straf- und Maßnahmenvollzug involvierten 26 Kantone und drei Strafvollzugskonkordate sowie der zuständigen Bundesstellen hoch. Auch werden die von den Strafvollzugskonkordaten erlassenen Richtlinien von den einzelnen Kantonen weitgehend autonom umgesetzt, was sich speziell im Rahmen der intramuralen Medizin zeigt. Müssen für bestimmte Tätergruppen, z.B. für psychisch auffällige Sexual- und Gewaltstraftäter, spezifische Einrichtungen geschaffen werden, wird die Umsetzung stark beeinflusst durch die Akzeptanz des jeweiligen Kantons. 106 Zu diesen gerade auch praktischen Schwierigkeiten treten rechtliche Probleme. Unter dem Aspekt der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit vermag die unübersichtliche Situation – gerade auch im Bereich der intramuralen Medizin – nicht zu befriedigen. Fasst man die zahlreichen Möglichkeiten zusammen, bei denen gefangenen Personen medizinische Hilfe geleistet werden muss, kommt man nicht umhin, festzustellen, dass Heterogenität ihren Preis hat. Nicht nur im Bereich der Untersuchungshaft, sondern auch im allgemeinen Straf- und im Maßnahmenvollzug stellen sich große Herausforderungen für die Gefängnisärzte und -ärztinnen. Inhaftierte Frauen, Jugendliche, ältere Inhaftierte, aber auch der hohe Anteil ausländischer Gefangener bedürfen unter ganz unterschiedlichen Aspekten der medizinischen Betreuung. Die Zunahme von Infektionskrankheiten, wie HIV, Hepatitis und Tuberkulose, die Behandlung von Drogensucht, psychischen oder psychosomatischen Störungen erfordern ein koordiniertes Vorgehen und damit ein gesamt-
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Dazu Troxler, Der Straf- und Massnahmenvollzug in der Schweiz, öffentliche Anhörung zur Föderalismusreform, Deutscher Bundestag, 17. Mai 2006, http://www.bundes tag.de/ausschuesse/a06/foederalismusreform/anhoerung/02_justiz/Stellungnahmen/Wal ter_Troxler.pdf.
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schweizerisches Konzept. Aber auch die rechtliche Stellung der Gefängnisärztinnen und -ärzte bedarf einheitlicher Leitlinien. SAMW-Richtlinien Einen wichtigen Schritt auf diesem Weg bilden die von der SAMW im Jahre 2002 verabschiedeten medizinisch-ethischen Richtlinien für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen. 107 Sie unterbreiten Handlungsanweisungen und Empfehlungen, die sich weitgehend auf internationale Regelungen über die Behandlung inhaftierter Personen stützen. Einige kantonale Strafvollzugsgesetze verweisen entweder allgemein oder in einem spezifischen Kontext auf diese privatrechtlichen Richtlinien. Ihnen kommt eine wichtige vereinheitlichende Funktion zu. Zwar wurde im Unterschied zu anderen medizinisch-ethischen Richtlinien, wie z.B. jenen zur Transplantationsmedizin, bislang davon abgesehen, diese für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen durch Verweis der Disziplinarordnung der Foederatio Medicorum Helveticorum (FMH), der Dachorganisation der Schweizer Ärzteschaft, in das ärztliche Standesrecht zu übernehmen. Die Missachtung ihrer Grundsätze kann somit nur dann zu standesinternen Sanktionen führen, 108 wenn sie bereits anderweitig dem Standesrecht zuzuordnen sind. Dennoch bemisst das Bundesgericht den SAMW-Richtlinien bei der Beurteilung medizinrechtlicher Sachverhalte grosse Relevanz zu. 109 Als sogenanntes „soft-law“ nehmen die Richtlinien für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen mehrere Funktionen wahr: 110 Sie verdeutlichen, welche Rechte gerade auch einer inhaftierten Person im Bereich des Gesundheitsfürsorge zustehen. Sie präzisieren die Pflichten der Gefängnisärzte und bieten bei schwierigen Sondersituationen, aber auch im Arztalltag praktische Hilfestellungen. Darüber hinaus dienen die Richtlinien zur Klärung der Beziehung des Gefängnisarztes zu den Justiz- und Polizeibehörden. Um dieser besonderen Zwecksetzung gerecht zu werden, enthalten die Richtlinien auch Empfehlungen an die zuständigen Behörden und betonen die grundsätzlich notwendige Unabhängigkeit des Arztes. Sie rufen aber auch dazu auf, die Aus-, Weiter- und Fortbildung der Ärzte in diesem anspruchsvollen Bereich durchzuführen. 111 Trotz dieser vereinheitlichenden Funktion können die Richtlinien nicht eine bundeseinheitliche Strafvollzugsregelung und Normierung der Gefängnismedizin ersetzen. Die ausgeprägte Heterogenität der vorhandenen kantonalen Regelungen erzeugt unter dem Aspekt der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu viele offene Fragen. Die privaten Verhaltenskodexe der SAMW können die fragmentarische Rechtslage nicht in zufriedenstellendem Masse füllen. Zwar wird der kantonal ge107 108
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http://www.samw.ch/docs/Richtlinien/d_RL_Inhaftierte_def.pdf. Rüetschi, Die Medizinisch-ethischen Richtlinien der SAMW aus juristischer Sicht, SÄZ 85 (2004), 1222 f. Z.B. BGE 123 I 128. Vgl. SAMW, Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen, SÄZ 84 (2003), 306 ff. Die Richtlinien sind in Anhang 3 abgedruckt.
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regelte Strafvollzug und der hiermit verbundenen Strafvollzugsmedizin auf interkantonaler Ebene durch die drei Strafvollzugskonkordate in die Nähe einer globalen rechtlichen Lösung gerückt. Die Strafvollzugsmedizin ist aber ebenso wie die damit verbundenen ethischen und rechtlichen Probleme als vielfältig und überaus heikel einzustufen. Zudem erfordert die Einbindung der Schweiz in die europäische Strafvollzugsgrundsätze de lege ferenda klare bundeseinheitliche Regelungen.
Fazit Die Gefängnismedizin, eingebettet in die allgemeine Vollzugswelt, bietet ein rechtlich und ethisch schwieriges Arbeitsumfeld für die Ärztinnen und Ärzte und das Vollzugspersonal. Das beginnt damit, dass der Gefängnisarzt keinen inhaftierten Patienten abweisen kann. Umgekehrt können sich auch die Inhaftierten ihren Arzt nicht aussuchen. Zudem ist der Arzt eine besondere Instanz im Gefängnis. Er bietet medizinische Hilfe, ist aber auch für zahlreiche „sonstige” Bereiche, wie z.B. der Gewährung von Hafterleichterungen, mitzuständig. Diese Sondersituation erfordert für alle Beteiligten einen gut strukturierten, klaren und homogenen Rechtsrahmen. Die derzeitige Rechtslage des schweizerischen Strafvollzuges und der hier verorteten Gefängnismedizin ist durch ein uneinheitliches Bild unterschiedlichster Rechtsquellen und -inhalte geprägt. Unter dem Aspekt der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutze ist de lege lege ferenda eine bundeseinheitliche Regelung der intramuralen Medizin wünschenswert.
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Anhang: Anhang 1 Kantonale Strafvollzugskodifikationen Tabelle 1. Kantonale Strafvollzugskodifikationen Aargau
Appenzell Ausserhoden
Appenzell Innerhoden
Basel Landschaft Basel Stadt
Bern
Freiburg
Geneve/Genf
Glarus Graubünden
Jura
Luzern
Verordnung über den Vollzug von Strafen und Massnahmen vom 09. Juli 2003 (Strafvollzugsverordnung, SMV) (http:// www.ag.ch/sar/output/253-111.pdf) Verordnung über den Vollzug von Strafen und Massnahmen vom 28. August 2007 (http://www.bgs.ar.ch/ dort Ordnungsnummer 341.3); Verordnung über die kantonale Strafanstalt Gmünden vom 15. Juni 1992 (http://www.bgs.ar.ch dort Ordnungsnummer 342.1) Standeskommissionsbeschluss betreffend das Kantonsgefängnis vom 4 April 1995 (http://www.ai.ch/dl.php/de/45d9 c1b7524a2/340.001.pdf) Verordnung über den Straf- und Massnahmevollzug vom 11. Juni 1991 (http://www.bl.ch/docs/recht/sgs_2/ 261.41 .pdf) Gesetz über Strafvollzug und Begnadigung vom 30. Oktober 1941 (http://www.gesetzessammlung.bs.ch/erlasse/258.100. pdf); Verordnung über das Gefängniswesen vom 14. November 2000 (http://www.gesetzessammlung.bs.ch/erlasse/ 258.900.pdf) Gesetz über den Straf- und Massnahmenvollzug (SMVG) vom 25. Juni 2003 (http://www.sta.be.ch/belex/d/3/341_1. ht ml) Verordnung vom 9. Dezember 2002 über den Vollzug strafrechtlicher Sanktionen (http://admin.fr.ch/de/data/pdf/publ/ rof_2006/2006_161_d.pdf) Règlement relatif aux établissements d'exécution de peines de courte durée, de fin de peine et de semi-détention vom 29. Mai 1996 (http://www.ge.ch/legislation/rsg/f /s/rsg_F1_ 50P08.html); Règlement sur le régime intérieur de la prison et le statut des personnes incarcérées vom 30 September 1985 (http://www.ge.ch/legislation /rsg/f/s/ rsg_F1 _50p04. html) Gefängnisreglement vom 14. Mai 1996 (http://gs.gl.ch/pdf/ iii/gs_iii_f_3.pdf) Verordnung über den Justizvollzug im Kanton Graubünden vom 12. Dezember 2006 (http://www.navigator.ch/gr/lpext. dll?f=templates&fn=main-doc.htm&vid=de &2.0) Règlement des établissements de détention du 21 décembre 2004 Le Gouvernement de la République et Canton (http:// rsju.jura.ch/extranet/groups/public/documents/rsju_page/loi_ 342.111.hcsp) Verordnung über den Justizvollzug vom 12 Dezember 2006 (http://srl.lu.ch/sk/srl/default/first.htm)
Intramurale medizin in der Schweiz – Überblick über den rechtlichen Rahmen Neuchâtel/ Neuenburg
Nidwalden
Obwalden
Sankt Gallen
Schaffhausen
Schwyz
Solothurn
Ticino/Tessin
Thurgau
Uri
Valais
Vaud
Zürich
29
Règlement general concernant la détention dans le canton de Neuchâtel vom 24. Mai 2006 (http://rsn.ne.ch/ajour/default. html?3521.htm) Gesetz über den Straf und Massnahmenvollzug vom 25 Oktober 2006 (http://www.navigator.ch/nw/lpext.dll? f=templates&fn=main-h.htm&2.0) Verordnung über den Straf- und Massnahmenvollzug sowie die Bewährungshilfe (Strafvollzugsverordnung) vom 19. Oktober 1989 (http://ilz.ow.ch/gessamml/pdf/ 330110.pdf) Verordnung über die Gefängnisse und Vollzugsanstalten vom 13. Juni 2000 (http://www.gallex.ch/gallex/9/962.14. html); Nachtrag vom 12. März 2002 zur Verordnung über die Gefängnisse und Vollzugsanstalten (http://www.gallex. ch/gallex/media/pdf/april02/962_14.PDF) Justizvollzugsverordnung vom 12. Dezember 2006 (http:// rechtsbuch.sh.ch/default.htm dort Ordnungsnummer 341. 101) Haft-, Straf- und Massnahmevollzugsverordnung (HSMV) vom 19. Dezember 2006 (http://www.sz.ch/gesetze/GS21/ 250.311.pdf) Gesetz über den Vollzug von Freiheitsstrafen, Ersatzfreiheitsstrafen, gemeinnütziger Arbeit, therapeutischen Massnahmen und Verwahrung vom 3. März 1991 (http://www. old.so.ch/extappl/bgs/daten/331/11.pdf) Legge sull’ esecuzione delle pene e delle misure di sicurezza per gli adulti vom 27. November 2006 (http://www.lexfind. ch/dta/14062/4/f04_25.htm); Regolamento sull’esecuzione delle pene e delle misure per gli adulti vom 6. März 2007 (http://www.ti.ch/CAN/argomenti/legislaz/rleggi/rl/dati_rl/f/ f04_29.htm) Verordnung des Grossen Rates über den Vollzug freiheitsentziehender Strafen und Massnahmen gemäss eidgenössischem und kantonalem Recht vom 2. Februar 1976 (http://www.rechtsbuch.tg.ch/pdf/300/340_3a3 neu.pdf) Verordnung über den Straf- und Massnahmenvollzug (VSMV) vom 20. Dezember 2006 (http://ur.lexspider.com/ pdf/3-9321.pdf) Reglement über die Strafanstalten des Kantons Wallis vom 10. Dezember 1993 (http://www.vs.ch/public/public_lois/ de//Pdf/340.200.pdf) Loi sur l'exécution des condamnations pénales vom 24. Januar 2007 (http://www.rsv.vd.ch/dire-cocoon/rsv_site /index .xsp; dort Ordnungsnummer 340.01) Straf- und Justizvollzugsgesetz (StJVG) vom 19. Juni 2006 (http://www2.zhlex.zh.ch/Appl/zhlex_r.nsf/WebView/E796 5121FFD5CF7BC12572410034A158/$File/331_19.6.06_55 .pdf); Justizvollzugsverordnung vom 6. Dezember 2006 (http:// www2.zhlex.zh.ch/Appl/zhlex_r.nsf/WebView/E6089526B D54EB7AC1257249004771B3/$File/331.1_6.12.06_55.pdf)
30 Zug
Brigitte Tag Verordnung über die Strafanstalt Zug vom 6. Mai 2003 (http://www.zug.ch/bgs/data/331-1.pdf); Verordnung über den Straf- und Massnahmenvollzug und die Schutzaufsicht vom 2. September 1980 (http://www.zug.ch/ behoerden/staa tskanzlei/kanzlei/bgs/3-strafrecht-strafprozess-strafvollzug)
Intramurale medizin in der Schweiz – Überblick über den rechtlichen Rahmen
Anhang 2 Aufsichtsbehörden nach Art. 321 Ziffer 2 StGB für Vollzugsmediziner Tabelle 2. Aufsichtsbehörden nach Art. 321 Ziffer 2 StGB für Vollzugsmediziner Kanton
Zuständige Aufsichtsbehörde
Aargau
Gesundheitsdepartement
Rechtsgrundlage
Art. 30 Abs. 2 Gesundheitsgesetz Appenzell Ausserr- Departement für Gesundheit Art. 41 Abs. 2 Gesundhoden (Vorsteher) heitsgesetz Appenzell Gesundheits- und Sozialde- Art. 4 Abs. 1 GesundheitsInnerrhoden partement gesetz Basel Land Volkswirtschafts- und Sani- Art. 16 Abs. 2 lit. b Getätsdirektion sundheitsgesetz Basel Stadt Sanitätsdepartement Art. 15 Spitalgesetz Bern Gesundheits- und Fürsorge- Art. 8 Abs. 2 Gesundheitsdirektion gesetz Freiburg Gesundheitsdirektion nach Art. 90 Abs. 1 GesundStellungnahme des Kanheitsgesetz tonsarztes Genf commission du secret pro- Art. 12 Abs. 1 loi sur la fessionnel santé Glarus Departement für Finanzen Art. 40 Abs. 4 Gesundund Gesundheit heitsgesetz Graubünden Jutiz-, Polizei- und SaniArt. 35 Abs. 3 Gesundtätsdepartement heitsgesetz Jura Médecin cantonal Art. 53 Loi sanitaire Luzern Gesundheits- und Sozialde- Art 22 Abs. 1 Gesundpartement heitsgesetz Neuenburg Departement (service de la Art. 63 Loi de santé santé publique) sur préavis du médecin cantonal Nidwalden Sanitäts- und Fürsorgede- Art 23 Abs. 2 Ziff. 2 Gepartement setz über das Gesundheitswesen Obwalden Fürsorgedepartement Art. 28 Abs. 2 Gesundheitsgesetz Sankt Gallen Ausschuss des Gesundheits- Art. 6 Abs. 1 lit. a Gesundrates heitsgesetz Schaffhausen Departement des Innern § 25 Abs. 3 Medizinalverordnung Solothurn Sanitätsdepartement Art.18 Abs. 2 lit. b Gesundheitsgesetz Schwyz Departement des Inneren Art. 29 Abs. 2 Gesundheitsverordnung Thurgau Departement für Finanzen Art. 18 Gesundheitsgesetz und Soziales (Vorsteher)
Datum 10.11.87 25.11.07 26.04.98 10.09.73 26.3.83 2.12.84 16.11.99
07.04.06 01.01.08 02.12.84 14.12.90 13.09.05 21.09.05
29.04.73
20.10.91 28.6.79 19.12.06 27.01.99 16.10.02 5.6.85
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Tessin
Medicio cantonale
Uri
Regierungsrat
Vaudt
Conseil de santé
Vallais
Vom Gesundheitsdepartement je Einzelfall zu bezeichnende Kommission Gesundheitsdirektion Gesundheitsdirektion
Zürich Zug
Art. 20 Abs. 2 Legge sanitaria Art. 14 Gesetz über das Gesundheitswesen Art. 13 Abs. 5 Loi sur la santé publique Art. 12 Abs. 1 Gesundheitsgesetz § 17 Ärzteverordnung § 6 VO I zum Gesundheitsgesetz
18.04.89 29.09.70 29.05.85 09.02.96
06.02.02 22.12.81
Intramurale medizin in der Schweiz – Überblick über den rechtlichen Rahmen
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Anhang 3 SAMW-Richtlinien zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen 112 Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten 113 Personen Medizinisch-ethische Richtlinien der SAMW 114 Genehmigt vom Senat der SAMW am 28. November 2002. I. Präambel Die Mitwirkung von Ärzten 115 bei polizeilichen Zwangsmassnahmen, insbesondere bei der Ausschaffung von aus der Schweiz ausgewiesenen Personen, gibt in der Öffentlichkeit zu zahlreichen Fragen Anlass. Als Reaktion auf die Erwartungen der verschiedenen betroffenen Kreise hat die SAMW Richtlinien für Ärzte ausgearbeitet, die in diesem hochsensiblen Bereich – bei dem es leicht zur Überschreitung ethischer Schranken kommen kann – zur Mitarbeit aufgefordert werden können. Darüber hinaus wurde auch die ärztliche Behandlung sämtlicher Personen, die sich in polizeilichem Gewahrsam befinden oder in einer Strafanstalt 116 inhaftiert sind, in die Überlegungen miteinbezogen. Die vielfältigen Strafprozessordnungen und die verschiedenen kantonalen Vollzugsverfahren erschweren die Ausarbeitung solcher Richtlinien. Falls die inhaftierte Person psychische Störungen aufweist, ergibt sich durch die Komplexität des – zur Zeit auf eidgenössischer Ebene in Revision befindlichen – Vormundschaftsrechts eine noch heiklere Situation. Es ist leider darauf hinzuweisen, dass ein gravierender Mangel besteht an geeignete Anstalten, im Sinne des StGB 117 , die solche Personen aufnehmen könnten, ebenso ein Mangel an medizinischem (und sozialtherapeutischem) Personal mit entsprechender Ausbildung. In diesem komplexen Umfeld unterbreitet die SAMW nun Richtlinien, die sich zwar weitgehend auf internationale Empfehlungen über die Behandlung inhaftierter Personen stützen, aber keineswegs den Anspruch erheben, das Thema erschöpfend zu behandeln. Im Besonderen wurde die generelle Frage von Zwangsmassnahmen im psychiatrischen Umfeld oder von Notfallmassnahmen im somatischen Bereich nicht angegangen. Die SAMW hat zur Bearbeitung von Richtlinien, welche Personen betreffen, bei denen auf rein medizinischer Basis (im Sinne von Art. 112 113
114 115
116
117
Abdruck genehmigt durch die SAMW. Als «inhaftierte Person» im Sinne dieser Richtlinien (im Gegensatz zu den Personen unter Freiheitsentzug im Sinne von Art. 397 a und ff. des Zivilgesetzbuches) wird eine Person bezeichnet, die ihrer Freiheit auf Grund eines polizeilichen oder straf- (bzw. militär-) richterlichen Entscheids beraubt ist, oder wenn es sich um eine Inhaftierung handelt, die gestützt auf das Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht angeordnet wurde. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der SAMW. Der Einfachheit halber gilt in diesen Richtlinien die männliche Bezeichnung für beide Geschlechter. «Anstalten» im Sinne dieser Richtlinien: Untersuchungs- und Vollzugsinstitutionen, Massnahmenvollzugsanstalten, Untersuchungsgefängnisse, Ausschaffungshaft. Art. 43 StGB behandelt die Betreuung der psychisch kranken Straftäter.
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397a und ff. des Zivilgesetzbuches) Zwangsmassnahmen angewendet werden müssen, bereits eine neue Subkommission eingesetzt. Die SAMW ist sich der Tatsache bewusst, dass ein Teil dieser Richtlinien zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen eher die administrativen und Vollzugsbehörden, allenfalls die Gesetzgeber unseres Landes betreffen. In diesem Fall sind sie nur bedingt anzuwenden und sollen vor allem dazu dienen, den Standpunkt der Ärzteschaft zu kennen. II. Richtlinien 1. Allgemeine Grundsätze; der Begriff der Verweigerung aus Gewissensgründen 1.1 Die grundlegenden ethischen und rechtlichen Bestimmungen, welche die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit regeln, insbesondere die Vorschriften über Patienteneinverständnis und Vertraulichkeit, gelten auch für Personen unter Freiheitsentzug. 1.2 In diesem Zusammenhang muss der Arzt jedoch häufig Auflagen bezüglich Sicherheit und Ordnung berücksichtigen, auch wenn sein eigentliches Ziel stets das Wohlergehen und die Respektierung der Würde des Patienten ist. Die Berufsausübung in einem solchen Umfeld ist insofern speziell, als der Arzt sowohl seinem inhaftierten Patienten wie den zuständigen Behörden 118 gegenüber verpflichtet ist, wobei die Interessen und angestrebten Ziele manchmal entgegengesetzt sind. 1.3 Das Abwägen dieser Faktoren (sei es im Rahmen eines längerfristigen Mandats oder bei einer einmaligen Intervention) kann persönliche Überzeugungen des Arztes tangieren. Dabei muss er im Einklang mit seinem Gewissen und der ärztlichen Ethik handeln und das Recht haben, die Begutachtung bzw. die medizinische Versorgung von Personen unter Freiheitsentzug zu verweigern, es sei denn, es liege eine Notfallsituation vor. 2. Untersuchungsbedingungen 2.1 Um ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis zu schaffen, bemüht sich der Arzt, die üblichen Rahmenbedingungen und die Würde in der Beziehung zwischen Arzt und Patient zu wahren. 2.2 Zur Untersuchung einer inhaftierten Person sollte ein geeigneter Raum zur Verfügung stehen. Die Untersuchung muss ausserhalb von Sicht- und Hörweite Dritter stattfinden, ausser auf ausdrücklichen gegenteiligen Wunsch des Arztes oder mit seinem Einverständnis. 3. Gutachtertätigkeiten und -situationen 3.1 Von Krisen- oder Notfallsituationen abgesehen, kann der Arzt nicht gleichzeitig Gutachter und Therapeut sein. 3.2 Bevor der Arzt als Gutachter tätig wird, teilt er der zu untersuchenden Person klar und eindeutig mit, dass die Ergebnisse der Untersuchung nicht der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen werden.
118
Zuständige Behörde = Einweisungsbehörde, Leitung der Vollzugsinstitution, Justizbehörden.
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4. Disziplinarstrafen Soll der Arzt beurteilen, ob eine Person fähig ist, eine Disziplinarstrafe zu erstehen, äussert er sich dazu erst dann, wenn die Massnahme verfügt ist. Seine Beurteilung ergeht als zweiter Schritt und nimmt gegebenenfalls die Form eines auf Grund rein medizinischer Kriterien gefällten Vetos an. 5. Gleichwertigkeit der Behandlung Die inhaftierte Person hat Anrecht auf eine Behandlung, die medizinisch jener der Allgemeinbevölkerung gleichwertig ist. Durch die Behörden beschlossene Zwangsmassnahmen im Polizeigewahrsam oder im Strafvollzug 6.1 Soll der Arzt die zuständigen Behörden über die möglichen Risiken und Konsequenzen einer (durch die Behörden bereits beschlossenen) Zwangsüberführung (z.B. Ausweisung aus einer Wohnung, Ausschaffung, usw.) für den Gesundheitszustand einer inhaftierten Person orientieren, muss er sich bemühen, dabei äusserste Vorsicht walten zu lassen, nachdem die dazu erforderlichen Informationen über die Krankengeschichte der betroffenen Person soweit möglich eingeholt worden sind. Insbesondere muss er das vorgesehene Transportmittel, die voraussichtliche Dauer des Transports, sowie die voraussichtlich zur Anwendung gelangenden Sicherheitsmassnahmen und Massnahmen zur Ruhigstellung in Betracht ziehen. 6.2 Er fordert stets eine Medizinalperson an, wenn der physische oder psychische Gesundheitszustand des Patienten es erfordert oder wenn das Ausmass der zur Anwendung gelangenden Massnahmen zur Ruhigstellung und Sicherheitsmassnahmen an und für sich ein Gesundheitsrisiko für die betroffene Person darstellen könnten. 6.3 Falls der Arzt zu einer inhaftierten Person gerufen wird, der eine Zwangsmassnahme bevorsteht, muss er eine neutrale und professionelle Haltung einnehmen und den Patienten darüber informieren, dass er ihm zur Verfügung steht, und dass keine medizinische Handlung ohne sein Einverständnis durchgeführt wird (vorbehalten bleiben die unter 7.3 aufgeführten Situationen). 6.4 Gelangt der Arzt zur Überzeugung, dass die zur Ausführung der Massnahme eingesetzten Mittel (Knebelung, enge und langfristige Fesselung, sogenannte "Schwalbenposition" mit Händen und Füssen hinten mittels Handschellen in Opisthotonus-Position gefesselt, etc…) für den Patienten eine unmittelbare und erhebliche gesundheitliche Gefahr darstellen, muss er unverzüglich die zuständigen Behörden darüber informieren, dass er, falls auf die vorgesehenen Mittel nicht verzichtet wird, keine medizinische Verantwortung übernimmt und dass er jede weitere Mitwirkung verweigert. 7. Einwilligung zu einer medizinischen Behandlung und Zwangsbehandlung 7.1 Wie in jeder medizinischen Situation darf der als Gutachter oder als Therapeut handelnde Arzt eine diagnostische oder therapeutische Massnahme nur durchführen, wenn die inhaftierte Person ihr freies Einverständnis nach Aufklärung (informed consent) dazu gibt. 7.2 Jede Verabreichung von Arzneimitteln, insbesondere von Psychopharmaka, an inhaftierten Personen darf deshalb nur mit deren Einverständnis und ausschliesslich aus rein medizinischen Gründen erfolgen.
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7.3 In Notfallsituationen kann der Arzt – nach den gleichen Kriterien, die für nicht festgenommene oder inhaftierte Patienten gelten – auf das Einverständnis des Patienten verzichten, falls dieser auf Grund einer erheblichen psychischen Störung nicht urteilsfähig ist und eine unmittelbare Gefahr selbst- oder fremdgefährlicher Handlungen besteht (kumulative Bedingungen). In einem solchen Fall vergewissert sich der Arzt, dass dem inhaftierten Patienten eine angemessene mittel- bis langfristige medizinische Nachbehandlung zukommt (namentlich in Form einer zeitweiligen Einweisung in eine psychiatrische Klinik, wenn z.B. ein Ausschaffungsentscheid medizinisch nicht durchführbar ist). 7.4 Medizinisch begründete Massnahmen zur physischen Ruhigstellung sind höchstens für einige wenige Stunden in Betracht zu ziehen. In allen Fällen von medizinischer Ruhigstellung ist der verantwortliche Arzt dazu verpflichtet, deren Anwendung und Berechtigung regelmässig zu überwachen; er muss die Situation jeweils in kurzen zeitlichen Abständen neu einschätzen. 8. Ansteckende Krankheiten Im Falle einer ansteckenden Krankheit darf die Autonomie und die Bewegung freiheit des festgenommenen oder inhaftierten Patienten nur nach den gleichen Kriterien eingeschränkt werden, die auch für andere Bevölkerungsgruppen in ähnlichen Situationen des engen Zusammenlebens gelten (z.B. militärische Einheiten, Ferienkolonien, usw.). 9. Hungerstreik 9.1 Im Falle eines Hungerstreiks muss die inhaftierte Person durch den Arzt in objektiver Art und Weise und wiederholt über die möglichen Risiken von längerem Fasten aufgeklärt werden. 9.2 Nachdem die volle Urteilsfähigkeit der betreffenden Person von einem ausserhalb der Anstalt tätigen Arzt bestätigt wurde, muss der Entscheid zum Hungerstreik, auch im Falle eines beträchtlichen Gesundheitsrisikos, medizinisch respektiert werden. 9.3 Fällt die Person im Hungerstreik in ein Koma, geht der Arzt nach seinem Gewissen und seiner Berufsethik vor, es sei denn, die betreffende Person habe ausdrückliche Anordnungen für den Fall eines Bewusstseinsverlustes hinterlegt, auch wenn diese den Tod zur Folge haben können. 9.4 Der Arzt, der mit einem Hungerstreik konfrontiert ist, wahrt gegenüber den verschiedenen Parteien eine streng neutrale Haltung und muss jedes Risiko einer Instrumentalisierung seiner medizinischen Entscheide vermeiden. 9.5 Trotz der geäusserten Verweigerung der Nahrungsaufnahme vergewissert sich der Arzt, dass der im Hungerstreik stehenden Person täglich Nahrung angeboten wird. 10. Vertraulichkeit 10.1 Die ärztliche Schweigepflicht muss in jedem Fall nach den gleichen rechtlichen Vorschriften gewahrt werden, welche für Personen in Freiheit gelten (Art. 321 StGB). Insbesondere müssen die Krankengeschichten unter ärztlicher Verantwortung aufbewahrt werden. Es gelten die unter Ziffer 2 beschriebenen Untersuchungsbedingungen. 10.2 Allerdings können die in Anstalten herrschenden Verhältnisse eines engen, möglicherweise jahrelangen Zusammenlebens und/oder die häufig von Aufsichts-
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personen oder Polizisten übernommenen Funktionen als Gewährsperson oder sogar Hilfskraft für die Pflege einen Austausch von medizinischen Informationen zwischen Pflege- und Überwachungspersonal notwendig machen. 10.3 In einer solchen Situation muss sich der Arzt bemühen, mit Zustimmung des inhaftierten Patienten jede legitime Frage seitens des Überwachungs- oder Polizeipersonals zu beantworten. 10.4 Widersetzt sich der Gefangene einer Offenlegung und entsteht daraus eine Gefährdung der Sicherheit oder für Dritte, kann der Arzt von der zuständigen Behörde verlangen, von seiner Schweigepflicht entbunden zu werden, wenn er es als seine Pflicht erachtet, Dritte, und insbesondere die für den Fall Verantwortlichen oder das Sicherheitspersonal zu informieren (Art. 321, Abs. 2 StGB). In einem solchen Fall muss der Patient in Kenntnis darüber gesetzt werden, dass die Aufhebung des ihn betreffenden Arztgeheimnisses verlangt wurde. Ausnahmsweise, wenn das Leben oder die körperliche Integrität eines Dritten ernsthaft und akut gefährdet ist, kann der Arzt von sich aus von der Schweigepflicht abweichen und die zuständigen Behörden oder den bedrohten Dritten direkt benachrichtigen. 11. Erstattung einer Anzeige über eventuelle Misshandlungen 11.1 Jedes Anzeichen körperlicher Gewalt, das im Verlauf einer ärztlichen Untersuchung bei einer inhaftierten Person beobachtet wird, muss aufgezeichnet werden. 11.2 Der Arzt unterscheidet in seinem Bericht klar zwischen den Ausführungen des Patienten (Umstände, die nach seinen Angaben zu den Läsionen führten), seinen Klagen (subjektive, vom Patienten empfundene Beschwerden) sowie den objektiven klinischen und paraklinischen Befunden (Ausmass, Lokalisierung, Aussehen der Läsionen, Röntgenaufnahmen, Laborergebnisse, usw.). Falls seine Ausbildung und/oder seine Erfahrung es ihm ermöglichen, nimmt der Arzt in seinem Bericht dazu Stellung, ob die Angaben des Patienten mit seinen eigenen medizinischen Feststellungen übereinstimmen (z.B. das Datum der vom Patienten angeführten Verletzungen und die Farbe der Hämatome). 11.3 Diese Informationen müssen unverzüglich an die Aufsichtsbehörden von Polizei und Anstaltsbehörden weitergeleitet werden. Der inhaftierten Person steht das Recht zu, jederzeit eine Kopie des betreffenden ärztlichen Berichts zu erhalten. 11.4 Falls sich die inhaftierte Person einer Weitergabe solcher Informationen formell widersetzt, muss der Arzt die entgegengesetzten Interessen abwägen und gegebenenfalls wie unter 10.4. vorgehen. 12. Ärztliche Unabhängigkeit 12.1 Unabhängig von den Anstellungsverhältnissen (Beamten- oder Angestelltenstatus oder Privatvertrag), muss sich der Arzt gegenüber den polizeilichen oder den Strafvollzugsbehörden stets auf volle Unabhängigkeit berufen können. Seine klinischen Entscheidungen sowie alle anderen Einschätzungen des Gesundheitszustands von inhaftierten Personen stützen sich ausschliesslich auf rein medizinische Kriterien. 12.2 Um die Unabhängigkeit der Ärzte zu wahren, muss jegliche hierarchische Abhängigkeit oder sogar direkte vertragliche Beziehung zwischen den Letzteren und der Leitung der Anstalt in Zukunft vermieden werden.
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12.3 Pflegepersonal darf medizinische Anordnungen nur vom behandelnden Arzt entgegennehmen. 13. Ausbildung In Zukunft muss dafür gesorgt werden, dass jede in einem medizinischen Beruf tätige Person, die regelmässig mit inhaftierten Patienten arbeitet, über eine entsprechende Ausbildung verfügt. Hauptinhalte sind Ziel und Funktionsweise der diversen Strafvollzugsanstalten sowie die Verhaltensweise in potentiell gefährlichen und gewaltträchtigen Situationen. Ethno-sozio-kulturelle Kenntnisse sind ebenfalls erforderlich.
Psychisch Kranke im schweizerischen Strafvollzug
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Einleitung .............................................................................................................40 Prävalenz psychischer Erkrankungen im Strafvollzug....................................40 Versorgungssysteme ............................................................................................41 Personal ...........................................................................................................41 Infrastruktur .....................................................................................................42 Ausgewählte Problembereiche ...........................................................................44 Therapiestandards ............................................................................................44 Substitutionstherapien drogenabhängiger Insassen..........................................45 Zwangsmedikation...........................................................................................45 Berufsgeheimnis ..............................................................................................46 Zusammenfassung ...............................................................................................46
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Einleitung In der Schweiz waren im Jahr 2006 am Stichtag 5'888 Personen in insgesamt 119 Institutionen des Freiheitsentzuges inhaftiert. Dies entspricht 79 Inhaftierten auf 100'000 Einwohner (Deutschland = 90; USA = 850). Auch die Kriminalitätsraten bewegen sich einigermassen stabil auf vergleichbar tiefem Niveau. Sowohl Strafverfolgung und Strafvollzug einerseits als auch die Gesundheitsversorgung andererseits sind in der Schweiz stark föderalistisch aufgebaut mit primärer Kompetenz durch die Kantone. Lediglich die grösseren Anstalten werden durch Konkordate verschiedener Kantone betrieben. Dies resultiert in einer Vielzahl unterschiedlichster Versorgungssysteme, vom peripheren Polizeiposten oder dem Bezirksgefängnis mit 12 Insassen, wo sporadische medizinische Visiten stattfinden, bis hin zur grössten schweizerischen Strafanstalt Pöschwies bei Zürich mit 436 Plätzen und eigener, gut ausgestatteter ärztlicher Praxis innerhalb der Strafanstalt.
Prävalenz psychischer Erkrankungen im Strafvollzug Diese Heterogenität der Versorgungssysteme ist natürlich ein grosses Hindernis für wissenschaftliche Untersuchungen, welche in der Schweiz leider nicht über sporadische Befragungen einzelner Institutionen hinausgehen. Wir können aber durchaus annehmen, dass die diesbezüglichen Daten mit denen von Ländern wie Dänemark, England oder Finnland vergleichbar sind. In einer sehr guten Übersichtsarbeit zeigte Blaauw 1 , dass die Punktprävalenz für psychische Störungen insgesamt bei inhaftierten Personen 37 – 65 % beträgt, verglichen mit circa 22 % in der Normalbevölkerung 2 , wobei nur 2 – 3 % insgesamt an einer schwerwiegenden psychischen Störung, z.B. einer Schizophrenie, leiden. Für einzelne Diagnosen ist die Prävalenz in einer Gefangenenpopulation massiv erhöht, so z.B. für Alkohol- und Drogenmissbrauch, psychotische Störungen, affektive Störungen wie Depression oder Manie und Persönlichkeitsstörungen, insbesondere vom dissozialen Typus (s. Tabelle 1 am Ende des Beitrages).
1
2
Blaauw E, Roesch R, Kerkhof A: Mental disorders in European prison systems. Arrangements for mentally disordered prisoners in the prison systems of 13 European countries. Int J Law Psychiatry 2000; 23 (5-6):649-663. Diagnostik und Therapie psychischer Störungen. Stuttgart, W. Kohlhammer GmbH, 2002.
Psychisch Kranke im schweizerischen Strafvollzug
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Versorgungssysteme Personal Um überhaupt einen psychisch oder körperlich kranken Gefängnisinsassen behandeln zu können, muss dessen gesundheitliches Problem erst einmal erkannt werden: Idealerweise, wie in den grösseren Institutionen üblich, führt medizinisch geschultes Fachpersonal, in der Regel Krankenpfleger, eine Eintrittsuntersuchung durch. Diese beinhaltet im Allgemeinen eine visuelle Inspektion, Messung der Vitalparameter wie Blutdruck und Puls sowie eine mehr oder weniger strukturierte Befragung. Gelegentlich kommen Fragebogen, oft in unterschiedlichen Sprachen, zum Einsatz. Da nicht für alle Sprachen Informationsschriften und Fragebogen zur Verfügung stehen und ein Beizug von Dolmetschern bei der Eintrittsuntersuchung aus zeitlichen, organisatorischen und finanziellen Gründen meist nicht möglich ist, behilft man sich oft mit Aufsehern oder Betreuern, welche der entsprechenden Sprache mächtig sind und gelegentlich kommen sogar Mitinsassen zum Einsatz. Dies mag für einfache, körperliche Beschwerden noch angehen, bei komplexeren psychischen Störungen steigen einerseits die Anforderungen an einen Dolmetscher enorm und andererseits ist die Vertraulichkeit der psychiatrischen Untersuchung dadurch schwer beeinträchtigt. Aus diesen Gründen ist es von höchster Wichtigkeit, dass das Betreuungs- und Aufsichtspersonal im Erkennen und Behandeln psychischer Störungen geschult ist. Viele psychisch Erkrankte haben kein Krankheitsgefühl, wie zum Beispiel Schizophrene im akuten Wahn, Maniker oder Persönlichkeitsgestörte. Depressive und an einer so genannten Negativsymptomatik leidende Schizophrene haben oft nicht mehr genügend Antrieb, sich wegen ihres Leidens zu melden. Andere schämen sich, zum Beispiel wegen einer Schlafstörung, Panikattacken oder Essstörungen, medizinische Dienste in Anspruch zu nehmen. Viele dieser Probleme können nur durch eine medizinische Schulung des Personals entdeckt und die Betroffenen einer Triagierung durch die Gesundheitsdienste zugeführt werden. Dies muss unbedingt niederschwellig erfolgen, da die Unterscheidung, ob es sich bei den vorgebrachten oder beobachteten Beschwerden um Zeichen einer psychischen Störung im engeren Sinne, eine normalpsychologisch erklärbare Reaktion auf die Inhaftierung oder eine artifizielle Störung, das heisst z.B. Simulation zum Erreichen von Vorteilen, handelt, sehr anspruchsvoll ist. In der Basler Gefängnispsychiatrie erleben wir es nie, dass eine Vorstellung beim Psychiater nicht angezeigt gewesen wäre. Um die Zuweisung möglichst niederschwellig zu halten, ist zudem im Basler Reglement zur Gefängnispsychiatrie festgehalten, dass jede Person, die Aufsicht, die Gefängnisleitung, der medizinische Dienst, Sozialarbeiter, die Seelsorge und natürlich auf der Insasse selbst, brieflich oder telefonisch, wo ihm dies erlaubt ist, direkt an den zuständigen Psychiater gelangen kann. Diese vorher erwähnte notwendige Schulung des Personals der Gefängnisse erfolgt im „Schweizerischen Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal“ in Fribourg (SAZ). In über die dreijährige Ausbildung verteilten insgesamt 9wöchigen Kursen werden die Teilnehmer unter anderem auch in den Fächern Psy-
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chologie und Psychiatrie geschult. Dazu kommen Praktika, zum Beispiel in Psychiatrischen Kliniken. Im Jahr 2004 wurden vom SAZ erstmals eidgenössische Fachausweise ausgestellt. In Basel wurden zudem alle Mitarbeiter der Gefängnisse in kleinen Gruppen an 2 Tagen durch forensische Psychiater ausgebildet, je einen Tag im Gefängnis und einen in der Psychiatrischen Klinik. Dies fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit stark und verbessert somit die Gesundheitsversorgung der Gefängnisinsassen. Dabei wird nicht nur das Erkennen von psychischen Störungen geschult: Um die Notwendigkeit, den Sinn und mögliche Komplikationen einer psychiatrischen Behandlung zu verstehen und zu kennen, ist es eben auch wichtig, therapeutische Elemente zu vermitteln. Nur so kann gewährleistet werden, dass das Aufsichtspersonal mit der notwendigen Sorgfalt die von den Gesundheitsdiensten bereitgestellten Medikamente abgibt, die betroffenen zur Einnahme motiviert und Malcompliance, zum Beispiel das Schmuggeln, Ausspucken und Sammeln von Psychopharmaka, erkennt und meldet. Das Krankenpflegepersonal ist im „Forum für die Gesundheitsdienste der Gefängnisse, Straf- und Vollzugsanstalten“ organisiert welches zusammen mit der „Konferenz der Schweizerischen Gefängnisärzte“ aktuell die folgenden Ziele verfolgt: Erhebung der medizinischen Versorgung in den Gefängnissen, Entwicklung von Standards in Diagnostik, Therapie, Dokumentation und Kommunikation sowie Weiterbildung des Personals. Die grossen Haftanstalten verfügen in der Regel über eigenes psychologisches Fachpersonal. Diese Psychologen und Psychologinnen sind meist mit wenigen Stellenprozenten für die psychotherapeutische Behandlung von vielen Insassen zuständig. Sie führen, oft alleine und in den Anstalten ungenügend integriert, äusserst anspruchsvolle Psychotherapien bei schwerwiegend persönlichkeitsgestörten Straftätern mit erheblichem Gewaltpotenzial durch und sind zudem durch ihre Therapieberichte in hohem Masse für die Verlaufsbeobachtung und die daraus abgeleiteten Prognosen für Lockerungsentscheide verantwortlich. Die Schweiz ist weit entfernt von einheitlichen, strukturierten und modernen psychotherapeutischen Strukturen in den Haftanstalten wie dies zum Beispiel im „Her Majesty Prison Service“ in Grossbritannien der Fall ist. Einige Institutionen versuchen, zum Teil im Rahmen von Projekten, diese Situation zu verbessern. In den kleineren Haftanstalten sind in der Regel in der Nähe praktizierende Psychiater für psychiatrische Notfälle und Visiten zuständig, die mittelgrossen Institutionen werden durch ambulante kantonale psychiatrische Dienste betreut und die grösseren Haftanstalten haben meist Verträge mit forensisch-psychiatrischen Diensten von kantonalen oder universitären Kliniken. Infrastruktur Welche Infrastruktur steht für die Behandlung von psychisch kranken Insassen zur Verfügung? Die grossen Haftanstalten haben eigene entsprechende Abteilungen mit schweizweit insgesamt 43 Plätzen für psychisch kranke Insassen und in der Frauenanstalt Hindelbank stehen weitere 8 Plätze für psychisch kranke Insassinnen be-
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reit. Die meisten dieser Abteilungen werden als so genannte „Integrationsabteilungen“ im Gruppenvollzug geführt mit dem Ziel, den Insassen wieder auf den Regelvollzug vorzubereiten. Wegen erheblicher Fremdgefährlichkeit muss ein massgeblicher Anteil psychisch Kranker aber in Sicherheitsabteilungen in Einzelzellen geführt werden, oft über Jahre hinweg. Die psychiatrische Behandlung ist dann marginal und dient der Aufrechterhaltung der Hafterstehungsfähigkeit. Wesentliche Elemente einer modernen integrierten psychiatrischen Behandlung können so nicht gewährt werden. Die Schweiz verfügt lediglich über 27 Plätze der Hochsicherheit in der Kantonalen Psychiatrischen Klinik Rheinau im Norden des Kantons Zürich sowie 16 in der Bewachungsstation des Inselspitals Bern und weitere 6 Plätze in Genf. In letzteren beiden Institutionen können alle Arten von medizinischen Behandlungen, somit auch zum Beispiel Zwangsernährungen bei Hungerstreik, vorgenommen werden. Ein Grossteil psychisch kranker Insassen befindet sich aber in den Institutionen des Massnahmevollzuges im Sinne gerichtlich angeordneter Therapien. Da viele dieser Massnahmen in allgemeinpsychiatrischen Kliniken und offenen Massnahmevollzugsinstitutionen durchgeführt werden, existiert leider keine gesamtschweizerische Statistik. Laut zuletzt publizierter Urteilsstatistik von 2005 wurden insgesamt 693 Personen zu einer Massnahme verurteilt, davon fast 300 wegen psychischer Störungen im engeren Sinne, etwa 200 wegen Alkohol- und 230 wegen Drogenabhängigkeit. Trotz laufend neu geschaffener Plätze für Personen mit strafrechtlichen Massnahmen besteht ein ausgesprochener Mangel an Plätzen, vor allem für schwer Erkrankte. Dies hat zur Folge, dass psychisch schwer Kranke oft über ein Jahr in Untersuchungshaft warten müssen, bis ein Behandlungsplatz frei wird. Dies trifft ganz besonders für psychisch schwer erkrankte Frauen zu. Die verschiedenen Massnahmevollzugsanstalten der Schweiz haben zum Teil spezialisierte Angebote, insbesondere in den Bereichen Arbeitspädagogik, Wiedereingliederung und Tagesstrukturierung. In Ansätzen werden psychisch Kranke Straftäter nach modernen Prinzipien behandelt, wobei vereinfacht gesagt werden kann, dass sich die Massnahmevollzugsinstitutionen irgendwo zwischen den Haftanstalten, wo die Sicherung das Primat ist, und den psychiatrischen Kliniken mit dem Primat Behandlung, ansiedeln. In der deutschsprachigen Schweiz stehen in den Massnahmevollzugsanstalten im engeren Sinne für psychisch kranke Straftäter „St. Johannsen“ (80 Plätze), „Schachen“ (33 Plätze) und „Bitzi“ (42 Plätze) insgesamt 165 Plätze zu Verfügung, mit allen Abstufungen der Sicherung bis hin zum offenen Vollzug. In diesen Institutionen sind primär Straftäter nach den neuen Artikeln 59 (stationäre therapeutische Massnahme) und 64 (Verwahrung) platziert. In den drei Arbeitserziehungsanstalten für die Unterbringung junger Erwachsener nach Art. 61 StGB „Arxhof“ (44 Plätze), „Uitikon“ (48 Plätze) und „Kalchrain“ (55 Plätze) sind 147 Plätze verfügbar, keine für junge erwachsene Straftäterinnen! Des Weiteren existieren viele kleinere Institutionen mit Plätzen für alkhol- oder drogenabhängige Straftäter (Art. 60 StGB), oft auch in Kombination mit zivilrechtlich untergebrachten Abhängigen.
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In der Schweiz gibt es lediglich 2 spezialisierte forensisch-psychiatrische Kliniken: Die Klinik für Forensische Psychiatrie Rheinau mit insgesamt 83 Betten, davon neu 27 in der Hochsicherheit und die Forensische Abteilung der Universitären Psychiatrischen Klinik Basel mit 16 Betten.
Ausgewählte Problembereiche Therapiestandards Obwohl grundsätzlich leicht verfügbar, finden Leitlinien zur Behandlung psychischer Störungen bei inhaftierten Personen noch viel zu wenig Anwendung. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde DGPPN veröffentlicht laufend aktualisierte Behandlungsleitlinien für die verschiedenen Störungen wie z.B. Schizophrenien oder Störungen der Sexualpräferenz 3 und die Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin hat „Empfehlungen für substitutionsgestützte Behandlungen (SGB) bei Opioidabhängigkeit“ erarbeitet 4 . Die American Psychiatric Association nimmt in ihrem Task Force Report „Psychiatric Services in Jails and Prisons” zur Behandlung inhaftierter Personen aber auch notwendigen Strukturen und Standards Stellung 5 und schliesslich hat auch die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften prägnante Empfehlungen für die „Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen“ erlassen 6 , teilweise basierend auf den „Empfehlungen Nr. R(98)7 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten betreffend ethische und organisatorische Aspekte der Gesundheitsfürsorge in Gefängnissen“ 7 . Eine wichtige und aktuelle Quelle zum Thema „Medizin und Freiheitsentzug“ ist der Sammelband der „2. Freiburger Strafvollzugstage“
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Berner W, Hill A, Briken P, Kraus Ch, Lietz K: Band 8 Behandlungsleitlinie Störungen der sexuellen Präferenz. Darmstadt, Steinkopf, 2007. Meili, Daniel, Broers, Barbara, Bruggmann, Philip, Fink, Annabel, and Hämmig, Robert. Medizinische Empfehlungen für substitutionsgestützte Behandlungen (SGB) bei Opioidabhängigkeit. www.ssam.ch, 2007. Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin. Weinstein HC, Burns KA, Newkirk CF, Zil JS, Dvoskin JA, Steadmen HJ: Psychiatric Services in Jails and Prisons. A Task Force Report of the American Psychiatric Association. Washington DC, American Psychiatric Association, 2. Restellini J-P, Berner-Chervet D, Grütter P, Guillod O, Osterwalder J, Ramseier F, Steiner-König U, Vallotton A, Vallotton M, Nickel D: Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen. Schweizerische Ärztezeitung 2003; 84(7):306-310. Empfehlung Nr. R(98)7 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten betreffend ethische und organisatorische Aspekte der Gesundheitsfürsorge in Gefängnissen, in Medizin und Freiheitsentzug - Beiträge und Dokumentation der 2. Freiburger Strafvollzugstage (November 2000). Hrsg. Queloz N, Riklin F, Senn A, de Sinner P. Bern, Stämpfli Verlag AG, 2001, pp 229-280.
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Substitutionstherapien drogenabhängiger Insassen Eine zunehmende Anzahl von Personen steht zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung wegen einer Drogenabhängigkeit in einem ärztlich überwachten Substitutionsprogramm. Solche Substitutionen sind oft wichtiger Bestandteil der in der Schweiz früh eingeführten „4-Säulen Politik“, von der Prävention über Therapie, Schadensverminderung hin zur Repression. Meist wird dazu das bekannte Opioid Methadon verwendet. Andere Personen sind zum Zeitpunkt der Inhaftierung mit illegalen Drogen wie Heroin und Kokain intoxikiert. Wegen mangelnder fachlicher Möglichkeiten oder fehlender Bereitschaft werden diese Drogenabhängigen in vielen Haftinstitutionen „kalt“ entzogen, das heisst sie erhalten eine unspezifische medikamentöse Therapie zur Linderung der Entzugssymptome. Die Erfahrung lehrt leider, dass nur wenige Inhaftierte in der Lage sind, nach einer Haftentlassung von Drogen abstinent zu leben und den Konsum illegaler Substanzen unmittelbar nach Haftentlassung wieder aufnehmen. 8 Damit war nicht nur der mit einem erheblichen Komplikationsrisiko verbundene Entzug bei Haftantritt vergeblich, durch die fehlende Toleranz gegenüber der toxischen Wirkung der wieder konsumierten Drogen besteht bei Haftentlassung ein hohes Risiko von unbeabsichtigten Überdosierungen. Es wäre weitaus medizinisch sinnvoller, für die Betroffenen weniger belastend und für den Vollzug praktikabel und mit weniger Komplikationen verbunden, bestehende Substitutionstherapien weiterzuführen und allenfalls anzupassen. So können gerade in Haftsituationen Insassen gelegentlich zu einer schrittweisen Reduktion der Substitutionstherapie oder einer Umstellung auf das verträglichere und bezüglich einer Intoxikation sicherere Buprenorphin 9 motiviert werden. Zwangsmedikation Bei einigen wenigen, schwerst kranken, oft psychotischen Insassen, ist eine ausgebaute Psychopharmakotherapie angezeigt, welche eine häufige Anpassung der Dosis und Zusammensetzung der verschriebenen Medikamente in Abhängigkeit von der jeweiligen Psychopathologie, das heisst den Symptomen, sowie der Interaktionen der verschiedenen Substanzen bedingt. Gelegentlich sind so schwer psychisch Kranke nicht krankheitseinsichtig, sodass eine initiale so genannte elektive Zwangsmedikation indiziert ist. Diese elektiven Zwangsmedikationen sind schweizweit nicht einheitlich rechtlich geregelt und stützen sich auf kantonales Recht, z.B. Psychiatrie- oder Spitalgesetze wobei grundsätzlich bei inhaftierten Personen höhere rechtliche Schwellen zur Indikation einer Zwangsmedikation zu berücksichtigen als bei zivilrechtlich in Spitälern untergebrachten Patienten. Im 8
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Levasseur L, Marzo JN, Ross N, Blatier C: [Frequency of re-incarcerations in the same detention center: role of substitution therapy. A preliminary retrospective analysis]. Ann Med Interne (Paris) 2002; 153(3 Suppl):1S14-1S19. Vormfelde SV, Poser W: Death attributed to methadone. Pharmacopsychiatry 2001; 34(6):217-222.
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Gegensatz dazu stützen sich notfallmässige Zwangsbehandlungen zur Abwendung eines erheblichen gesundheitlichen Schadens des Betroffenen, z.B. bei selbstverletzendem Verhalten, aber auch bei entsprechender Fremdgefährlichkeit, auf den Notstandsartikel 17 des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Wegen der bei Zwangsmedikationen verwendeten hochaktiven Substanzen muss eine lückenlose fachliche Überwachung und die Möglichkeit der sofortigen ärztlichen Intervention gewährleistet sein, was in den meisten Gefängnissen nicht möglich ist. So müssen in der Regel derartige Insassen mit hohem Bewachungsaufwand in psychiatrische Kliniken verlegt und dort zwangsbehandelt werden, bis sich ihr Zustand stabilisiert und eine Rückverlegung ins Gefängnis möglich ist. Berufsgeheimnis Die Auslegung der beruflichen Verschwiegenheitspflicht führt immer wieder zu hitzigen Diskussionen innerhalb der Ärzteschaft aber auch zwischen den verschiedenen beteiligten Berufsgruppen. 10 Während sich am einen Ende des Spektrums Ärzte als medizinische Anwälte im Kampf gegen die Strafverfolgung verstehen verlangen andere von ihren Patienten eine uneingeschränkte Entbindung von der beruflichen Verschwiegenheitspflicht gegenüber den Behörden als eine conditio sine qua non für eine Therapie. In der Praxis bewähren sich Zwischenlösungen: In der Regel können Patienten in Haft bei hinreichender Aufklärung und verantwortungsvollem Umgang mit Patientendaten motiviert werden, die Therapeuten hinsichtlich der für den Vollzug und die Behörden notwendigen Informationen von ihrer beruflichen Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Bei diesbezüglich nicht urteilsfähigen Personen ist die jeweilige Vormundschaftsbehörde zuständig.
Zusammenfassung Wie in anderen westlichen Ländern sind auch in der Schweiz psychisch Kranke in den verschiedenen Haftinstitutionen deutlich überrepräsentiert. Ihre medizinische Versorgung ist qualitativ und quantitativ ausgesprochen heterogen geregelt. Der Ausbildung des Personals kommt beim Erkennen aber auch bei der Unterstützung der Behandlung höchste Bedeutung zu. Letzteres bedingt auch ein Mindestmass an Information der Strafvollzugsverantwortlichen durch die zuständigen Therapeuten. Standards werden in der Therapie und Versorgung, obwohl breit publiziert, noch nicht durchgängig angewendet.
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Medizin und Freiheitsentzug - Beiträge und Dokumentation der 2. Freiburger Strafvollzugstage (November 2000). Bern, Stämpfli Verlag AG, 2002.
Psychisch Kranke im schweizerischen Strafvollzug Tabelle 1. Punktprävalenz psychischer Störungen Psychische Störung
Allgemeinbevölkerung Haftpopulation (%) (%)
Alkoholmissbrauch
2–7
25 - 44
Drogenmissbrauch
<1
6 - 49
Psychotische Störung
0,3
0,8 - 9
Depressive Störung
2-5
6,5 - 14
Angststörung
7
7,3 - 13
Persönlichkeitsstörung
11
7 - 17
Dissoziale Persönlichkeitsstörung
1–3
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Gesundheitsfürsorge für Strafgefangene im Kanton Genf
Bernice S. Elger
Einleitung .............................................................................................................50 Der internationale rechtliche Kontext (Vereinte Nationen, Europarat).........51 Geschichte des rechtlichen Rahmens, der im Kanton Genf die Gesundheitsversorgung von Strafgefangenen regelt ........................................55 Gesundheitsversorgung von Strafgefangenen: der rechtliche Rahmen im Kanton Genf.........................................................................................................56 Die klinische Realität unter dem Einfluss des rechtlichen Rahmens: wichtige praktische Aspekte der intramuralen Medizin in Genf ....................61 Professionelle Unabhängigkeit ........................................................................61 Präventive Gesundheitsfürsorge ......................................................................62 Medizinische Forschung ..................................................................................63 Patienteneinwilligung und die Verweigerung von Behandlungen ...................64 Vertraulichkeit .................................................................................................65 Medizinische und ethische Kompetenz des Gesundheitspersonals..................66 Schwierigkeiten bei der Einhaltung der vom rechtlichen Rahmen geforderten Standards.........................................................................................67 Überfüllung des Gefängnisses .........................................................................67 Probleme beim Screening für Gewaltakte .......................................................67 Räumliche Unzulänglichkeiten........................................................................68 Der Schutz der Vertraulichkeit für Gefangene im Universitätsspital...............69 Respekt für die Rechte von jugendlichen Straftätern.......................................69 Die jüngste Vergangenheit: Die Trennung der psychiatrischen Gefängnismedizin von der allgemeinmedizinischen Gefängnisabteilung .......70 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen......................................................71 Besonderheiten der Genfer Erfahrung .............................................................71 Fortbestehende Schwierigkeiten und Schwachstellen......................................72
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Bernice S. Elger
Einleitung Menschenrechte sind auch innerhalb von Gefängnismauern gültig. Strafgefangene haben ein Recht auf medizinische Versorgung und ein Recht auf Schutz vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Es ist unter anderem die Aufgabe des Gesundheitspersonals, sich dafür einzusetzen, dass Gefangene Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung haben. 1 Allerdings ist der Handlungsspielraum von ärztlichem Personal in Strafvollzugsanstalten durch die jeweiligen Gesetze eines Landes oder Landesteils (Bundesland, Kanton) geregelt und wird außerdem durch den allgemeinen praktischen Rahmen der Gesundheitsversorgung einer Region beeinflusst. Die föderale Demokratie in der Schweiz lässt den Kantonen viel Spielraum zur Regelung der Gesundheitsversorgung von Strafgefangenen. Der Kanton Genf ist ein Beispiel dafür, wie es Vertretern des Gesundheitssystems gelungen ist, die rechtliche Lage im Kanton signifikant zu beeinflussen und eine rechtliche Basis zu schaffen, die es erlaubt, die Rechte der Gefangenen bezüglich der medizinischen Versorgung wirkungsvoll zu schützen und gleichzeitig die öffentliche Gesundheit zu fördern. In diesem Artikel soll der rechtliche Rahmen der Gesundheitsfürsorge für Strafgefangene in Genf beleuchtet werden unter besonderer Berücksichtigung der Faktoren, die dazu geführt haben, dass die Bestimmungen des europäischen „soft laws“ im Genfer Rechtskontext aufgenommen werden konnten. 2 Die Analyse dieser Faktoren ist von Interesse für Vertreter des Gesundheitssystems in anderen Kantonen und Ländern, da sie Hilfe und Anreiz bieten können, ähnliche rechtliche Regelungen und praktische Massnahmen auch in anderen Teilen der Welt zu verwirklichen. Zunächst sollen hier die Bestimmungen des internationalen „soft law“ bezüglich der Gesundheitsfürsorge von Gefangenen kurz zusammengefasst werden. Es folgt eine Beschreibung der Geschichte der Genfer Gefängnismedizin 3 und der Entstehung und Inhalte des rechtlichen Rahmens zu diesem Thema im Kanton Genf. Anschließend wird dargestellt, wie der rechtliche Rahmen die medizinische Praxis heute beeinflusst. In diesem Zusammenhang werden auch bestehende Schwierigkeiten und Missstände diskutiert. 4
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Welsh J. Amnesty international. La médecine en milieu pénitentiaire et les droits de l’homme. Médecine, santé et prison (Bertrand D., Niveau G. eds.). Editions Médecine et Hygiène. Geneva 2006, p.113. Siehe auch Elger B. Towards equivalent health care of prisoners: European soft law and public health in geneva. Journal of Public Health Policy (in press). In diesem Text wird die folgende Terminologie verwendet: die Begriffe „intramurale Medizin“ und „Gefängnismedizin“ werden synonym gebraucht. Mit „Gefängnis“ sind alle Stätten des Freiheitsentzuges zusammengefasst, d.h. auch Polizeistationen, die Gefangene in Gewahrsam nehmen, Untersuchungsgefängnisse und Haftanstalten zum Strafvollzug nach der richterlichen Verurteilung. Ein Gefangener ist eine Person, die in einem der genannten Orte unter Freiheitsentzug steht. Siehe auch Elger, B. Health of prisoners and public policy: the Geneva experience, forthcoming.
Gesundheitsfürsorge für Strafgefangene im Kanton Genf
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Der internationale rechtliche Kontext (Vereinte Nationen, Europarat) Die Vereinten Nationen haben eine Reihe von Übereinkommen verabschiedet, die die Rechte von Gefangenen auf Gesundheitsfürsorge betreffen. Die Vereinten Nationen haben die Rechte von Gefangenen erst sehr spät behandelt. Erst in den 80gern wurde das Problem wahrgenommen, ausgelöst durch die AIDS Epidemie und ihre aufrüttelnden Auswirkungen in den Gefängnissen. Die WHO Stellungnahme zu AIDS im Gefängnis hat die internationale Diskussion signifikant beeinflusst und ist historisch eine wichtige Etappe in Richtung auf das Äquivalenzprinzip.5 Problematisch sind weiterhin das Fehlen von Exekutivorganen und die daraus resultierende fehlende Vollstreckung der UN Richtlinien. Es finden sich im UN Korpus von Rechtsinstrumenten6 unter anderem die „Grundprinzipien für die Behandlung der Gefangenen (14. Dezember 1990)7“ und die „Grundsätze ärztlicher Ethik im Zusammenhang mit der Rolle von medizinischem Personal, insbesondere von Ärzten, beim Schutz von Strafgefangenen und Inhaftierten vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (18. Dezember 1982) 8“. Sowohl Artikel 9 der Grundprinzipien als auch der erste Teil der Grundsätze ärztlicher Ethik schreiben das Äquivalenzprinzip in der Gesundheitsfürsorge vor. Dieses beinhaltet, dass Gefangene zu denselben Gesundheitsmassnahmen Zugang haben sollen, die in einem Land zur Verfügung stehen, ohne
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World Health Organization (1987). Statement from the Consultation on Prevention and Control of AIDS in Prisons (Geneva, 16-18 November 1987). Geneva: WHO Special Programme on AIDS (WHO/SPA/INF/87.14). Andere UN-Richtlinien zu den Rechten von Gefangenen sind folgende (offizielle englische Titel): „Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners“, „Body of Principles for the Protection of All Persons under Any Form of Detention or Imprisonment“, „United Nations Rules for the Protection of Juveniles Deprived of their Liberty“, „Declaration on the Protection of All Persons from Being Subjected to Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment“, „Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment“, „Principles of Medical Ethics relevant to the Role of Health Personnel, particularly Physicians, in the Protection of Prisoners and Detainees against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment“, „Safeguards Guaranteeing Protection of the Rights of Those Facing the Death Penalty“, „United Nations Guidelines for the Prevention of Juvenile Delinquency („The Ridyadh Guidelines“)“, „United Nations Standard Minimum Rules for the Administration of Juvenile Justice („The Beijing Rules“): http://www.hri.ca/uninfo/treaties/index.shtml, accessed September 2007. United Nations. Basic Principles for the Treatment of Prisoners. Adopted and proclaimed by General Assembly resolution 45/111 of 14 December 1990: http://www.unhchr .ch/html/menu3/b/h_comp35.htm, accessed September 2007. United Nations. Principles of Medical Ethics relevant to the Role of Health Personnel, particularly Physicians, in the Protection of Prisoners and Detainees against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment. Adopted by General Assembly resolution 37/194 of 18 December 1982: http://www.hri.ca/uninfo/treaties/40. shtml, accessed September 2007.
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aufgrund ihrer rechtlichen Situation benachteiligt zu werden.9 Darüber hinausgehend verbieten die Grundsätze ärztlicher Ethik jegliche Beteiligung von Gesundheitspersonal an irgendeiner Form von Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Grundsatz 2). Medizinischem Personal ist außerdem untersagt, irgendeine Form von Beziehung mit Gefangenen einzugehen, deren Zweck nicht ausschließlich das Ziel hat, die physische oder psychische Gesundheit von Gefangenen zu evaluieren, zu schützen oder zu verbessern (Grundsatz 3). Es ist Ärzten nicht erlaubt, ein Gutachten zu erstellen oder an einem solchen beteiligt zu sein, das die Fähigkeit von Gefangenen beurteilt, Strafen oder Behandlungen zu erleiden, die die Gesundheit negativ beeinflussen können (Grundsatz 4b). Die Vereinten Nationen verbieten ferner die Beteiligung von Ärzten an jeglicher Art von Fixierungsmassnahmen mit Ausnahme von solchen, die aus rein medizinischen Gründen indiziert sind (Grundsatz 5). Im sechsten und letzen Grundsatz wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die vorher genannten Grundsätze ohne Ausnahmen oder Abmilderungen gelten.10 Bevor der „soft law“ Korpus des Europarates diskutiert wird, ist anzumerken dass das Recht von Gefangenen auf Gesundheitsversorgung in Europa zusätzlich durch besondere Vollstreckungsmechanismen geschützt wird. Zusätzlich zum „soft law“-Korpus des Europarates verfügen die Mitgliedsstaaten dieses internationalen Organs über besondere Mechanismen, die Achtung der Menschenrechte im Allgemeinen und das Recht von Gefangenen auf äquivalente Gesundheitsversorgung im Besonderen abzusichern. Diese Mechanismen stützen sich auf zwei wichtige bindende Rechtsdokumente, die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten11 und die Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.12 Artikel 1 der Europäischen Konvention zur Verhütung von Folter definiert das Mandat des europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter (Committee for the Prevention of Torture, CPT): „Das Komitee prüft durch Besuche die Behandlung von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, um erforderlichenfalls den Schutz dieser Personen vor Folter und unmenschlicher oder erniedrigender 9
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„Prisoners shall have access to the health services available in the country without discrimination on the grounds of their legal situation.“ United Nations. Basic Principles for the Treatment of Prisoners. Adopted and proclaimed by General Assembly resolution 45/111 of 14 December 1990: http://www.unhchr.ch/html/menu3/b/h_comp35.htm, accessed September 2007, art. 9. „[T]here may be no derogation from the foregoing principles on any ground whatsoever, including public emergency.“ United Nations. Principles of Medical Ethics relevant to the Role of Health Personnel, particularly Physicians, in the Protection of Prisoners and Detainees against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment. Adopted by General Assembly resolution 37/194 of 18 December 1982: http://www.hri.ca/uninfo/treaties/40.shtml, accessed September 2007, Principle 6. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (vom 4. November 1950): http://www.staatsvertraege.de/emrk.htm, accessed September 2007. Council of Europe. European Convention for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment. Strasbourg, 26.XI.1987: http://conventions.coe.int /treaty/en/Treaties/Html/126.htm, accessed September 2007, art. 1.
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Behandlung oder Strafe zu verstärken.“ „Nach der Konvention haben die Delegationen des CPT unbeschränkten Zugang zu allen Orten, an denen sich Personen befinden, denen die Freiheit entzogen ist, einschließlich des Rechts, sich innerhalb dieser Orte ungehindert zu bewegen. Sie befragen Personen, denen die Freiheit entzogen ist, ohne Zeugen und können sich ungehindert mit jeder Person in Verbindung setzen, die ihnen sachdienliche Auskünfte geben kann.“ Die Empfehlungen, die das CPT, ausgehend von den bei dem Besuch festgestellten Tatsachen, abgeben kann, werden in einem Bericht zusammengefasst, der an den betroffenen Staat geschickt wird. „[…Das CPT kann], wenn ein Land die Zusammenarbeit verweigert oder es ablehnt, die Lage im Sinne der Empfehlungen des Komitees zu verbessern, beschließen, dazu eine öffentliche Erklärung abzugeben.“13 Die Normen, die das CPT bezüglich einer adäquaten Gesundheitsversorgung von Gefangenen erstellt hat, sowie auch das „soft law“ des Europarates werden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seinen Urteilen zitiert.14 Eine unzureichende Gesundheitsversorgung von Gefangenen stellt eine Verletzung von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention dar15, welche Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung verbietet16, oder, im Todesfall aufgrund inadäquater medizinischer Behandlung, eine Verletzung von Artikel 2 dieser Konvention, der das Recht auf Leben festhält. Historisch gesehen gingen die frühen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (bzw. seiner Vorläuferstrukturen) den Empfehlungen des Europarates zu den Rechten von Gefangenen, die nachfolgend hier beschrieben werden sollen, deutlich voraus. Ohne den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und seinen Aktivismus wäre das CPT wahrscheinlich nicht geschaffen worden. Die Schweiz hat sich erst spät diesen Aktivitäten angeschlossen. Es waren vor allem Rechtsanwälte in Genf, die zunächst den EGMR für Gefangene mit gutem Erfolg hinzugezogen haben. Erwähnenswerte Beispiele sind der Fall Bonnechaux, der das Genfer Gefängnis Champ Dollon betraf (das Urteil der Kommission zitiert ein medizinisches Attest von Prof. J. Bernheim, dem damaligen Leiter der Genfer Gefängnismedizin) und der Fall Sanchez-Reisse versus Schweiz.17 Diese Fälle sind hier genannt, weil sie historisch wichtig sind, wenn man die Ver-
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Über das CPT: http://www.cpt.coe.int/en/about.htm, accessed September 2007. Vgl. die deutsche Website des CPT: http://www.cpt.coe.int/german.htm, accessed September 2007. http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/search.asp?skin=hudoc-en, accessed September 2007. Seim L. Europe: Court finds lack of medical assistance in Russian detention facility to be in violation of human rights. HIV AIDS Policy Law Rev. 2007 May;12(1):49. „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden“ (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950: http://www.staatsvertraege.de/emrk.htm, accessed September 2007, Artikel 3). Georges BONNECHAUX v/ SWITZERLAND. DECISION of 5 December 1978. APPLICATION/REQUÉTE N° 8224/78. http://vlex.com/vid/27429974; Leandro SANCHEZ-REISSE v/SWITZERLAN D. APPLICATION no. 9862/82. DECISION of 18 November 1983. http://vlex.com/vid/27428310 (accessed October 2007).
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Bernice S. Elger
bindungen zwischen der internationalen Entwicklung und der Genfer intramuralen Medizin verstehen möchte, wie hier im Anschluss noch gezeigt werden soll. Die Aktivitäten des EGMR haben einen wichtigen Einfluss auf die Verabschiedung der später entstandenen Empfehlungen des Europarates genommen, die den jetzigen Korpus des „soft law“ bilden. Wie schon in den UN Richtlinien nimmt das Äquivalenzprinzip auch in den Empfehlungen des Europarates zu Rechten von Gefangenen eine zentrale Rolle ein. Die Empfehlung R(98)7 des Ministerkomitees des Europarats vom 8. April 1998, „Ethische und organisatorische Aspekte der gesundheitlichen Vorsorge in Vollzugsanstalten“, definiert Äquivalenz in der folgenden Weise: Gefangene sollten dieselben medizinischen, psychiatrischen und zahnärztlichen Behandlungen erhalten, die auch für die allgemeine Bevölkerung des Landes zur Verfügung stehen. 18 Dies bedeutet, dass Gefangene zu jeder Zeit am Tag oder in der Nacht Zugang zu einem Arzt oder einer qualifizierten Krankenschwester haben (Ziffer I.A.4.). Die Empfehlungen benennen Pflichten des medizinischen Personals gegenüber Gefangenen, zu denen auch die Wahrung des Arztgeheimnisses 19 zählt. Ausserdem wird das Prinzip der professionellen Unabhängigkeit des Gesundheitspersonals hervorgehoben. 20 Dieses Prinzip beinhaltet unter anderem, dass die Bezahlung von medizinischem Personal im Gefängnis nicht niedriger sein darf als sie in anderen Bereichen des öffentlichen Gesundheitssystems ist (Ziffer D. 22.). Medizinisches Personal hat im Gefängnis folgende spezifische Aufgaben: die Pflicht, Gefangene umfassend zu informieren, sowie für Prävention und Gesundheitserziehung zu sorgen. Ärzten und dem Pflegepersonal obliegt die Pflicht, auf Anzeichen von Gewalteinwirkung zu achten und alle Beobachtungen sowie alle Einzelheiten der Erklärungen von Gefangenen und die Folgerungen des Arztes in den Krankenakten festzuhalten (Ziffer C. 30). Weitere relevante Empfehlungen des Europarates in Bezug auf die Gesundheitsfürsorge von Gefangenen sind die Empfehlung R(93)6 zu vollzugsanstaltsbezogenen und kriminologischen Aspekten der Kontrolle von übertragbaren Krankheiten unter Einbeziehung von AIDS und ähnlichen Gesundheitsproblemen im Gefängnis 21 sowie die Europäischen Gefängnisregeln in ihrer neuesten Version von 2006 22 . 18
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Council of Europe Committee of Ministers R(1998)7 on the Ethical and Organisational Aspects of Health Care in Prison: http://www.coe.int/t/e/legal_affairs/legal_cooperation/prisons_and_alternatives/legal_instruments/ Rec.R(98)7%20.asp, accessed September 2007. „[…] guaranteed and respected with the same rigour as in the population as a whole. …Prisoners should be informed that their medical record will be transferred. They should be entitled to object to the transfer“ (ibid I.C.13.). „Clinical decisions and any other assessments regarding the health of detained persons should be governed only by medical criteria. Health care personnel should operate with complete independence within the bounds of their qualifications and competence“ (ibid D. 20). Council of Europe. Committee of Ministers. Recommendation R(93)6 of the Committee of Ministers to Member States Concerning Prison and Criminological Aspects of the Control of Transmissible Diseases Including AIDS and Related Health Problems in Prison (adopted by the Committee of Ministers on 18 October 1993, at the 500th meeting of the Ministers’ Deputies): http://www.prison.eu.org/article.php3?id_article=2946 (ac-
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Geschichte des rechtlichen Rahmens, der im Kanton Genf die Gesundheitsversorgung von Strafgefangenen regelt In diesem Teil soll der Frage nachgegangen werden, wie das internationale „soft law“, das heißt im Besonderen die Empfehlungen des Europarates und die Normen des CPT, in Genf eine rechtliche Basis erlangt hat und welche Faktoren in diesem Prozess eine wichtige Rolle gespielt haben. Später soll ebenfalls gezeigt werden, wie durch diese rechtliche Basis die Gesundheitsversorgung der Gefangenen in Genf beeinflusst wurde. Zunächst einmal ist daran zu erinnern, dass die Schweizer Gesetzgebung im Bereich der Gesundheit weitgehend auf kantonaler Ebene festgelegt wird. Es gibt bisher nur wenige Bundesgesetze, die die Gesundheitsversorgung überkantonal regeln. Beispiele sind das Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen 23 und das Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte. 24 Diese kantonale Hoheit in weiten Teilen des Gesundheitssystems ist einer der Gründe für die erheblichen Unterschiede der Standards zur Gesundheitsfürsorge von Gefangenen in unterschiedlichen Kantonen. Die Gefängnismedizin im Kanton Genf wurde unter der Initiative des Direktors des Universitätsinstitutes für Rechtsmedizin ins Leben gerufen und weiterentwickelt. Von 1965 bis 2004 war die Gefängnismedizin Teil der Rechtsmedizin, deren universitäre Struktur direkt dem kantonalen Gesundheitsministerium unterstellt war. Im Jahr 1999 wurde das rechtsmedizinische Institut Teil der Abteilung für „Kommunale Medizin“ (médecine communautaire) des Genfer Universitätsspitals. Es blieb jedoch hierarchisch durch die Universität und das Universitätsspital weiter unter der Autorität des Gesundheitsministeriums. Zu dieser Zeit beinhaltete die Genfer Rechtsmedizin die Bereiche forensische Pathologie und Toxikologie, forensische Psychiatrie, die Gefängnismedizin, Medizinrecht sowie medizinische Ethik. Seit dem Beginn der Genfer Gefängnismedizin haben die Direktoren der Rechtsmedizin (J. Bernheim, T. Harding) und ihre Mitarbeiter (z.B. J.-P. Restellini) akademische Projekte zu Recht und Ethik in der intramuralen Medizin durchgeführt. Sie waren außerdem viele Jahre lang in die Aktivitäten des Europarates eingebunden und an der Ausarbeitung der Empfehlungen zur medizini-
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cessed January 2007). Recommendation R(2006)2 of the Committee of Ministers to Member States on the European Prison Rules1 (adopted by the Committee of Ministers on 11 January 2006 at the 952nd meeting of the Ministers' Deputies): https://wcd.coe.int/ViewDocjsp? id=955747, accessed September 2007. Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG) vom 15. Dezember 2000 (Stand am 1. Mai 2007): http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/search. a sp?skin=hudoc-en, accessed September 2007. http://www.admin.ch/ch/d/sr/8/812.21. de.pdf. Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) vom 8. Oktober 2004: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2004/5483.pdf, accessed September 2007. http: //www.admin.ch/ch/d/sr/8/812.21.de.pdf.
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schen Versorgung von Gefangenen beteiligt und als Mitglied oder Experten für das CPT tätig. Seit 2007 ist die Gefängnismedizin in Genf strukturell eines der Zentren des Universitätsspitals. Ein Zentrum beschreibt eine Struktur, die mehreren Abteilungen gleichzeitig angegliedert ist. Im Falle der Gefängnismedizin sind die Abteilung für Allgemeinmedizin und die Abteilung für Psychiatrie verantwortlich. Die Besonderheit der Genfer Gefängnismedizin ist, dass sie in Einklang mit den Prinzipien entstanden ist, die vom Europarat und dem CPT proklamiert werden. Parallel zur Entwicklung der Strukturen der intramuralen Medizin wurden in Genf kantonale Gesetze oder Erlasse geschaffen, die dafür sorgen, dass die erreichten Standards fortbestehen. Eine Reihe von Faktoren hat die Entwicklung des rechtlichen Rahmens der Gefängnismedizin ermöglicht. Zum ersten waren das persönliche Interesse und Engagement der Direktoren des rechtsmedizinischen Instituts im Bereich von Menschenrechtsfragen im Rahmen des Strafvollzugs von großer Bedeutung. Zweitens hat der direkte Austausch von Ideen durch Kontakte mit den Organen des Europarates eine wichtige Rolle gespielt. Drittens ist hervorzuheben, dass in Genf die Gesundheitsversorgung der Strafgefangenen nicht wie in vielen anderen Kantonen von einzelnen niedergelassenen Ärzten übernommen wird. sondern von einer Allgemeinmedizin und Psychiatrie umfassenden universitären Abteilung. Diese strukturellen Gegebenheiten verschafften und verschaffen der Gefängnismedizin politischen Einfluss und stärken ihre Unabhängigkeit und Autorität gegenüber der Gefängnisverwaltung und den Instanzen der Rechtsprechung. Viertens haben die Direktoren des universitären Instituts für Rechtsmedizin seit den 70er Jahren auf die kantonale Gesetzgebung im Bereich der Gesundheit eingewirkt, nicht zuletzt in ihrer Rolle als Experten in Medizinrecht und ärztlicher Ethik. Ihr Einfluss auf kantonale Gesetze bezüglich der Gesundheitsfürsorge für Gefangene ist somit Teil einer grundsätzlichen Zusammenarbeit zwischen der Rechtsmedizin, dem Gesundheitsministerium und den Ausschüssen des kantonalen Parlaments. Zuletzt sollte man nicht den „humanitären Geist“ einer Stadt wie Genf vergessen, die der Sitz nicht nur vieler UN Organisationen und des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, sondern auch einer großen Zahl humanitärer Organisationen und regierungsunabhängiger Vereinigungen zum Schutz der Menschenrechte ist. Die Idee des CPT ist in Genf entstanden: Jean-Jacques Gautier, ein Genfer Bankier, war der Initiator der Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.
Gesundheitsversorgung von Strafgefangenen: der rechtliche Rahmen im Kanton Genf Der rechtliche Rahmen, bestehend aus Gesetzen, Verordnungen und Erlassen im Kanton Genf ist historisch parallel zur Entwicklung der Gefängnismedizin mitgewachsen. 25 Mehrere Verordnungen beschreiben die Aufgaben einzelner Strukturen 25
Folgende andere Gesetzes- und Verordnungstexte sind in diesem Rahmen wichtig: Ar-
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der Gefängnismedizin, unter anderem der psychiatrischen stationären Abteilung und des Zentrums für Soziotherapie, auf die weiter unten noch eingegangen wird. Ein anderes Beispiel sind Artikel 29 und 30 der Verordnung zur Regelung des Strafvollzugs in Genf 26 . Artikel 30 behandelt die medizinische Kontrolle und die Einweisung von Gefangenen ins Krankenhaus. Er führt aus, dass Gefangene medizinisch untersucht werden a) auf ihre eigene Anfrage hin und b) wenn der Gesundheitszustand eines Gefangenen eine Gefahr für den Patienten selbst oder seine Umgebung darstellt. Gemäß Artikel 30 kann ein Gefangener in einem medizinischen Notfall in die stationären Abteilungen für Gefangene des Universitätsspitals eingewiesen werden, je nach medizinischer Ursache sowohl in die psychiatrische als auch in die nicht-psychiatrische Krankenstation. Im Jahr 2000 wurde der auf verschiedene Rechtstexte verteilte rechtliche Rahmen in einem sehr detaillierten Erlass der Kantonsregierung, dem sogenannten Kantonsrat (Conseil d’Etat), zusammengefasst und ergänzt. 27 Dieser Erlass nimmt ausdrücklich auf das europäische „soft law“ Bezug. Der Kantonsrat „beschließt, dass die Organisation der intramuralen Medizin in Genf sich nach den relevanten Empfehlungen des Europarates richten muss, insbesondere nach der Empfehlung R(98)7 des Ministerkomitees des Europarats vom 8. April 1998 zu ethischen und organisatorischen Aspekten der gesundheitlichen Vorsorge in Vollzugsanstalten und nach den Normen des Komitees zur Folterprävention (CPT) gemäss dessen allgemeinem Bericht vom 4. Juni 1993“ (Art. 3a.-c.). Hervorzuheben ist, dass in diesem Erlass der Zugang zu präventiven Massnahmen noch vor medizinischen Behandlungen genannt wird, um das Äquivalenzprinzip zu beschreiben: „der Kantonsrat bestätigt, dass Personen im Freiheitsentzug zu denselben präventiven Massnahmen und medizinischen Behandlungen Zugang haben müssen wie sie der allgemeinen Bevölkerung zur Verfügung stehen“ (Art. 4). 28 Der Erlass wiederholt die vorausgehende Entscheidung des Kantonsrates, die Organisation und Supervision der Genfer Gefängnismedizin unter die Verantwortung des Genfer Gesundheitsministeriums zu stellen. Im Erlass werden die Strukturen einzeln aufgeführt, aus denen sich die intramurale Medizin zusammensetzt. Dies sind die ambulanten medizinischen Stationen im Gefängnis Champ-Dollon und im Jugendgefängnis Clairière, die allgemeinmedizinische und psychiatrische Behandlungen durchfüh-
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tikel 1, 2, 3, 11, 12 des „règlement de l’institut universitaire de médecine légale“ vom 18. Juli 1984 (K 1 55.04). „Règlement du quartier carcéral psychiatrique“ vom 4. Mai 1988 (F 1 50.16). „Règlement du centre de sociothérapie ‚La Pâquerette’“ vom 27. Juli 1988 (F 1 50.20). Gesundheitsgesetz („Loi sur la santé“) vom 7. April 2006 (K 1 03). „Concordat sur l’exécution des peines et mesures concernant les adultes dans les cantons romands et du Tessin“ vom 22. Oktober 1984. Artikel 29 und 30 des „Règlement sur le régime intérieur de la prison et le statut des personnes incarcérées” vom 30. September 1985 (F 1 50.04). Der Erlass ist am 27. September 2000 in Kraft getreten. „…confirme que les personnes privées de liberté doivent bénéficier des mesures préventives de santé et des soins médicaux équivalents à ceux mis en place pour la population en general“ (Arrêté du Conseil de l’Etat, entrée en vigueur le 27.9.2000). Documents des HUG. Santé et soins en milieu carcéral. Référence Aml/2.4.4 publié le 12.4.2005, Art. 4.
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ren, sowie auch je nach Bedarf spezielle Konsultation anbieten, z.B. durch Fachärzte der Augenheilkunde, der Hals-Nasen-Ohren-Medizin und der Chirurgie. 29 Champ-Dollon ist das größte Untersuchungsgefängnis in der Schweiz und beherbergt zwischen 400 und 500 Gefangene. Außerdem erwähnt der Erlass die zwei stationären Abteilungen und die Soziotherapiestation. Alle drei sind im Rahmen des welschschweizerischen Konkordates auch für Gefangene aus den französischund italienischsprachigen Kantonen zuständig. Das Konkordat regelt die Kollaboration zwischen den verschiedenen Kantonen bezüglich des Strafvollzugs. Eine der beiden stationären Abteilungen ist für psychisch kranke Gefangene konzipiert. Sie befindet sich auf dem Gelände des universitären psychiatrischen Krankenhauses (Unité carcéral psychiatrique). Die zweite Krankenhausabteilung für Gefangene (Unité carcéral hospitalier) liegt im Untergeschoss des Hauptgebäudes des Universitätsspitals, in dem sich auch die meisten anderen medizinischen und chirurgischen Stationen befinden. Sowohl in der somatischen als auch in der psychiatrischen stationären Abteilung haben Gefangene Zugang zu allen diagnostischen und therapeutischen Verfahren, die im Universitätsspital auch für nicht gefangene Patienten zur Verfügung stehen. Die Abteilung für Soziotherapie („La Pâquerette“) befindet sich in der Nachbarschaft der ambulanten medizinischen Station in Champ-Dollon. In dieser Abteilung wird mit Gefangenen, die unter schweren Persönlichkeitsstörungen leiden, ein nicht-aggressives Zusammenleben unter der Aufsicht von Soziotherapeuten trainiert. Im Erlass betont der Kantonsrat, dass Gefangene in Genf Zugang zu medizinischer Versorgung haben müssen. Was damit genauer gemeint ist, wird anschließend ausführlich erklärt. Bei der Ankunft im Gefängnis müssen alle Gefangenen vom Gesundheitspersonal unter Bedingungen gesehen werden, die das Arztgeheimnis respektieren. Im Eingangsgespräch werden die Gefangenen befragt, ob sie unter gesundheitlichen Problemen leiden und ob sie Medikamente oder Drogen einnehmen, damit die Medikamente weitergegeben oder gegebenenfalls eine Behandlung der Entzugssymptome durchgeführt werden kann. Das Krankenpersonal ist verpflichtet, routinemäßig zu untersuchen, ob möglicherweise auf Gewalteinwirkung zurückzuführende Verletzungen oder übertragbare Krankheiten vorliegen. Beim Gefängniseintritt „händigt die medizinische Station jedem/jeder […] Gefangenen schriftliche Informationen zur Organisation des medizinischen Dienstes in Champ-Dollon und zu präventiven Gesundheitsmaßnahmen aus“ (Art. 9.1.a.). Der Erlass führt weiter aus, dass während der Haft alle Gefangenen zu jeder Zeit, Tag und Nacht, Zugang zum Gesundheitspersonal haben müssen und dass sie ebenfalls jederzeit einen vertraulichen Antrag stellen können, einen Arzt zu sehen, ohne dass hierbei das Gefängnispersonal oder die Recht sprechenden Instanzen Einfluss nehmen können. Für medizinische Notfälle sieht der Erlass vor, dass 24 Stunden pro Tag eine Krankenschwester oder ein Pfleger im Gefängnis selbst zur Verfügung stehen und bei Bedarf kranke Gefangene sofort auf die Notfallstation 29
Arrêté du Conseil de l’Etat (entrée en vigueur le 27.9.2000). Documents des HUG. Santé et soins en milieu carcéral. Référence Aml/2.4.4 publié le 12.4.2005, Art. 6a.
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des Universitätsspitals verlegt werden können. Der Erlass betont, dass die Entscheidung der Verlegung vom Arzt oder Pfleger getroffen wird, der unabhängig und nur auf der Basis von medizinischen Indikationen entscheidet. Die medizinische Station in Champ-Dollon ist laut des Erlasses gehalten, Krankengymnastik und zahnärztliche Behandlungen anzubieten und ein Tuberkulosescreening bei allen Gefangenen anlässlich des Gefängniseintritts durchzuführen. Eine Krankenakte ist für alle Gefangenen anzufertigen, die denselben Standards genügt, die auch im Universitätsspital gelten. Wenn indiziert, werden Gefangene an das Universitätsspital überwiesen und von einem dortigen Spezialistenteam behandelt. Diese externen medizinischen Behandlungen finden „unter Bedingungen statt, die die Vertraulichkeit und die Privatsphäre der Gefangenen respektieren“ (Art. 9.1.d.). Außer dem Recht auf ambulante Behandlungen führt der Erlass auch ein Recht auf stationäre Behandlung ein. Alle Gefangenen können durch ein Mitglied des Gesundheitspersonals in eine der stationären Krankenstationen überführt werden. Sie müssen der Einweisung ins Krankenhaus zustimmen. Eine Zwangseinweisung in die psychiatrische Abteilung ist nur möglich, wenn die im Kantonsgesetz festgelegten Kriterien erfüllt sind. Diese Kriterien gelten für alle psychiatrischen Patienten, unabhängig davon, ob sie im Gefängnis sind oder nicht. Ausserdem beinhaltet der Erlass sogar ein Recht für Gefangene (Art. 9.4), ihren eigenen behandelnden Arzt zu konsultieren, auch wenn dieser außerhalb der gefängnismedizinischen Abteilung oder im Ausland praktiziert. Dieser Arzt hat auf Anfrage des Gefangenen die Möglichkeit, ihn im Gefängnis unter vertraulichen Bedingungen zu treffen und seine Krankenakte einzusehen. Vorschläge des externen Arztes werden den Gefängnisärzten mitgeteilt, die sie für spätere Therapieentscheidungen berücksichtigen. Ein umfangreiches Kapitel des Erlasses behandelt in allen Einzelheiten die Pflichten des medizinischen Personals bezüglich ethischer Prinzipien und Patientenrechte. Der Erlass unterstreicht, dass die „freie und informierte Einwilligung die Voraussetzung für jegliche medizinische Handlung darstellt. Der Patient muss alle Informationen erhalten, die für seinen Gesundheitszustand und die medizinischen Behandlungen nötig sind. Patienten haben das Recht, ihre Krankenakte einzusehen und von ihr eine Kopie zu erhalten. […] Das Arztgeheimnis muss streng eingehalten werden. Medizinische Information darf nicht den Gefängnisbehörden und juristischen Instanzen weitergegeben werden, mit Ausnahmen, die im allgemeinen Recht festgeschrieben sind“ (Art. 9.3). Diese Ausnahmen sind dieselben wie auch für nicht inhaftierte Patienten. Am Ende des Kapitels zu Patientenrechten erinnert der Kantonsrat noch einmal explizit daran, dass in allen genannten Bereichen, d.h. Patienteninformation, Arztgeheimnis, Einwilligung, Forschung usw., dieselben kantonalen Gesetze für Gefangene gelten wie auch für nicht inhaftierte Patienten. In der Tat regelt der Kantonsrat in diesem Kapitel auch die medizinische Forschung an Gefangenen. „Medizinische oder epidemiologische Forschung ist erlaubt, wenn das Forschungsprotokoll von der Ethikkommission des Universitätsspitals genehmigt worden ist“ (Art. 9.3c). In jedem Fall, so verlautet der Erlass, steht allen Gefangenen die Möglichkeit zu, sich beim Leiter der Gefängnismedizin oder dem medizinischen Direktor des Universitätskrankenhauses zu beschweren
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oder auch, wenn ärztliche Fahrlässigkeit vermutet wird, bei der kantonalen Kommission zur Überwachung der medizinischen Aktivitäten (Art. 9.3d). Wichtig zu erwähnen ist, dass der Erlass ein Kapitel ausschließlich den präventiven Gesundheitsmassnahmen widmet. „Der medizinische Dienst im Gefängnis teilt der Gefängnisdirektion alle angemessenen Empfehlungen mit bezüglich der Wohn-, Ernährungs- und Hygienebedingungen, die die Gesundheit der Gefangenen beeinflussen können. […] was infektiöse Krankheiten betrifft, ist Information insbesondere zu Hepatitis, HIV, Tuberkulose und dermatologischen Krankheiten regelmäßig den Gefangenen zu übermitteln, in Zusammenarbeit mit dem kantonalen Gesundheitsdienst, der das Wach- und Sicherheitspersonal betreut“ (Art. 9.5). Besonders hervorzuheben ist, dass der Erlass festsetzt, dass Gefangene Zugang zu Materialien gewährt werden muss, die der Übertragung von infektiösen Krankheiten vorbeugen wie z.B. Kondome und Injektionsmaterial (Spritzen- und Nadelaustausch), wenn andere Behandlungsmethoden auf der Basis von Abstinenz im Gefängnis nicht möglich sind und ein signifikantes Übertragungsrisiko besteht. Der Erlass schreibt vor, dass praktische Aspekte der präventiven Maßnahmen zusammen mit der Gefängnisdirektion beschlossen werden sollen. Wenn nötig, kontaktiert der Leiter der gefängnismedizinischen Abteilung das kantonale Gesundheitsministerium, um Maßnahmen im Rahmen der Prävention übertragbarer Krankheiten zu vervollständigen. Der Kantonsrat lenkt die Aufmerksamkeit insbesondere auf die Bedürfnisse von bestimmten Gefangenengruppen. Der Erlass bestätigt, dass in Kollaboration mit der Gefängnisdirektion spezielle Maßnahmen in die Praxis umgesetzt werden müssen, um den Bedürfnissen von Müttern mit kleinen Kindern gerecht zu werden. Diese beinhalten z.B. pädiatrische Behandlungen und den Schutz der MutterKind-Beziehung. Der medizinische Dienst im Gefängnis ist ebenfalls gehalten, der Befriedigung psychosozialer Bedürfnisse von jugendlichen Straftätern besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Es ist weiterhin zu erwähnen, dass unter den Kategorien, die der Kantonsrat aufführt, Kranke mit fataler Prognose sind, sowie Gefangene, die unter Krankheiten leiden, die im Gefängnis nicht ausreichend behandelt werden können, Schwerbehinderte und Gefangene in sehr fortgeschrittenem Alter. In diesen Fällen drängt der Erlass die Gefängnisärzte, mit Zustimmung des Gefangenen die relevante medizinische Information den kompetenten Behörden zuzustellen, damit eine humanitäre Entscheidung (Haftunterbrechung oder -entlassung) auf der Basis von objektiver Information getroffen werden kann. Die abschliessenden Anordnungen des Erlasses behandeln die Beziehung der medizinischen Strukturen mit der Gefängnisverwaltung und dem Wachpersonal. Wärter oder spezielle Transportbeamte sind für den Transport von Gefangenen zu den medizinischen Konsultationen und für die Verhinderung von Fluchtversuchen verantwortlich. Der Erlass überträgt dem Gefängnisdirektor die Verantwortung sicherzustellen, dass alles Gefängnispersonal klare Anweisungen erhalten hat in Bezug auf den Respekt der ärztlichen Schweigepflicht. Wachpersonal darf nicht bei medizinischen Konsultationen anwesend sein und hat keinen Zugang zu Patientenakten. Dem Gefängnisdirektor obliegt ebenfalls die Pflicht, innerhalb der Grenzen seiner Kompetenz alle Gesundheitsmaßnahmen zu unterstützen. Umgekehrt
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ist das medizinische Personal gehalten, die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Gefängnis zu respektieren. Bemerkenswert sind schließlich noch die Regelungen zur Beaufsichtigung der Standards in der Gefängnismedizin, die vom Erlass vorgeschrieben werden. Einmal im Jahr muss die Direktion des Universitätsspitals zusammen mit der Gefängnisdirektion ein Treffen organisieren, auf dem geprüft wird, ob die Bestimmungen des Erlasses eingehalten werden. Ein Jahresbericht muss dem Präsidenten der Kantonsregierung und dem ersten Kantonskanzler vorgelegt werden. Zusammenfassend kann herausgestellt werden, dass der wichtigste Aspekt des Erlasses die Tatsache ist, dass hier nicht nur Prinzipien zitiert, sondern konkrete Handlungsanweisungen gegeben werden, wie die Gesundheitsfürsorge im Einzelnen auszusehen hat, unter direkter Bezugnahme auf präventive Maßnahmen und auf die organisatorischen Strukturen, die unter der Verantwortung des kantonalen Gesundheitsministeriums die medizinische Versorgung sicherstellen. Der Erlass ist daher für medizinisches Personal eine Hilfe, um in zukünftigen Konflikten mit der Gefängnisadministration oder juristischen Instanzen die Standards der medizinischen Versorgung beizubehalten. Die vorgesehenen jährlichen Überprüfungsmechanismen durch die Spitalsdirektion (Treffen) und die Kantonsregierung (schriftlicher Bericht) implementieren die direkte Verantwortung der höchsten politischen Strukturen für die Gefängnismedizin.
Die klinische Realität unter dem Einfluss des rechtlichen Rahmens: wichtige praktische Aspekte der intramuralen Medizin in Genf Professionelle Unabhängigkeit In diesem Teil wird anhand von Beispielen erläutert, wie die Gesundheitsfürsorge von Gefangenen in Genf in der Praxis aussieht und welche konkreten Schwierigkeiten auftreten. Es soll diskutiert werden, wie im Einzelnen das Äquivalenzprinzip und die Normen des CPT in Genf verwirklicht werden und wie das Ziel verfolgt wird, in der medizinischen Versorgung von Gefangenen dieselben Standards anzuwenden, wie sie für Patienten in Freiheit gelten bezüglich professioneller Unabhängigkeit des Gesundheitspersonals, präventiver Gesundheitsfürsorge, medizinischer Forschung, der Patienteneinwilligung und Akzeptanz von Behandlungsverweigerungen, dem Arztgeheimnis und der ärztlichen und pflegerischen Kompetenz in medizinischen und ethischen Fragen. Zuallererst ist anzumerken, dass alle im Erlass erwähnten medizinischen ambulanten und stationären Strukturen zurzeit in Einklang mit ihren im Erlass beschriebenen Mandaten fortbestehen. Professionelle Unabhängigkeit ist in Genf durch eine komplette Machtteilung gegeben. Mitglieder der Gefängnisadministration und des Wachpersonals sind vom kantonalen Justiz- und Polizeiministerium angestellt, welches die Verantwortung für alle Haftanstalten trägt. Im Gegensatz dazu ist das Gesundheitspersonal in der Gefängnismedizin wie auch das gesamte Universitäts-
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spital in eine andere Hierarchie eingegliedert: Es steht unter der Verantwortung des kantonalen Gesundheitsministeriums. Präventive Gesundheitsfürsorge Beispiele für präventive Gesundheitsmaßnahmen, die in Genf in der Gefängnismedizin durchgeführt werden, sind die Schadensverminderungsmaßnahmen bei Drogenabhängigen und die Routineuntersuchung auf gesundheitliche Auswirkungen von Gewaltakten, insbesondere von solchen, die von der Polizei oder dem Wachpersonal ausgehen. Gemäß dem Äquivalenzprinzip sollten Gefangene mit Drogenproblemen Zugang zu denselben vorbeugenden Maßnahmen haben, die in der Schweiz für Drogenabhängige basierend auf internationaler Evidenz (evidence based medicine) zur Verfügung stehen. Dies ist von besonderer Bedeutung schon allein deshalb, weil die Übertragung von HIV und anderen parenteral übertragenen Viren in Gefängnissen eindeutig nachgewiesen ist. 30 Schadensverminderungsmaßnahmen in der Schweiz umfassen Methadonkuren und kostenlosen Austausch und Verteilung von Spritzen und Nadeln an Drogenabhängige, sowie die Verteilung von Kondomen an Risikogruppen. Die medizinische Abteilung des Genfer Gefängnisses Champ-Dollon offeriert alle diese Maßnahmen einschließlich Spritzentausch für Gefangene seit den 90er Jahren. Die Verteilung von Kondomen an Gefangene in Champ Dollon im Jahr 1985 war eine weltweite Premiere. Zu den präventiven Gesundheitsmaßnahmen gehört auch die Routinebefragung von Gefangenen bei Gefängniseintritt, um herauszufinden, ob sie Opfer irgendwelcher Gewaltanwendung durch Polizeikräfte oder andere Personen wurden. Das medizinische Personal achtet auf sichtbare oder psychische Gewaltspuren und ermutigt Gefangene, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Alle Gefangenen, die angeben, Opfer von Gewalt zu sein, werden von einem Arzt gründlich untersucht. Dieser schreibt einen Bericht, der in der Krankenakte aufbewahrt wird und mit Einverständnis des Gefangenen an den Polizeichef, beziehungsweise bei Gewalt durch Wachpersonal an den Gefängnisdirektor, geschickt wird. Wenn der Gefangene nicht mit der Übermittlung eines namentlichen Berichtes einverstanden ist, wird sein Fall anonym deklariert. Als dieses System eingeführt wurde, wurde eine Reduzierung der Gewaltanwendung durch Polizeibeamte festgestellt. Einige Gefangene aus dem Drogenmilieu in Genf lehnen die nominative Weitergabe des Be-
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Taylor A, Goldberg D, Emslie J, Wrench J, Gruer L, Cameron S, Black J, Davis B, McGregor J, Follett E, et al. Outbreak of HIV infection in a Scottish prison. BMJ. 1995;310(6975):289-92; Betteridge G. U.S.: evidence of HIV transmission in prisons. HIV AIDS Policy Law Rev. 2006;11(2-3):37-9. [deutsch]Der Autor erwähnt die Beweise für eine HIV-Übertragung in Gefängnissen. Ein Kanadischer Bericht hält fest, dass Gesundheitserziehung in kanadischen Gefängnissen homosexuelle Beziehungen ansprechen soll und dass die Verteilung von Kondomen an sexuell aktive Gefangene integraler Teil der HIV-Prävention in Gefängnissen sein muss (vgl. auch http://www.aids law.ca).
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richts ab mit der Begründung, dass sie die Rache der Täter fürchten, wenn sie ihnen das nächste Mal in Genf begegnen. Medizinische Forschung Das medizinische Personal in Genf weiß von Mißbrauch von Gefangenen für Forschungszwecke. 31 Den Gründern der Gefängnismedizin in Genf war es jedoch auch wichtig, dass Gefangene nicht aufgrund ihres strafrechtlichen Status benachteiligt werden. Gemäß den Empfehlungen des Europarates dürfen Gefangene nicht von der Forschung ausgeschlossen werden, damit sie Zugang zu möglicherweise lebensrettenden neuen Therapieformen haben wie im Fall von AIDS 32 und damit auch für medizinische Probleme, die nur im Gefängnis selbst untersucht werden können, Gefangene später von Evidenz basierten Behandlungen profitieren können. Für die Bewilligung medizinischer Forschung im Gefängnis gelten in Genf dieselben strengen Standards wie für andere Forschung am Universitätsspital. Forschung darf von qualifizierten Forschern durchgeführt werden und ist nur nach der freiwilligen und informierten Zustimmung eines Patienten erlaubt. Alle Projekte müssen durch die zuständige Ethikkommission des Universitätsspitals bewilligt werden. Die Kommission trägt den besonderen Bedingungen im Gefängnis Rechnung ebenso wie den besonderen Gefährdungen, denen Populationen mit besonderer Vulnerabilität ausgesetzt sind. Die nach Genfer Erfahrung wichtigste Bedingung, um freiwillige und informierte Zustimmung zu garantieren, ist die Tatsache, dass das Äquivalenzprinzip und die Unabhängigkeit der Gesundheitsfürsorge außerhalb des Forschungsprojektes gegeben ist. Denn die wichtigste Voraussetzung, um ethische Forschung durchzuführen, ist die Abwesenheit von Zwängen. Gefangene könnten unter Druck sein, einem Forschungsprojekt zuzustimmen, wenn dies die einzige Möglichkeit für sie darstellt, qualifizierte medizinische Behandlungen zu erhalten wie z. B. universitäre diagnostische und therapeutische Verfahren und Nachsorge. Außerdem ist eine gute Grundversorgung wichtig, weil Gefangene hiermit Zugang zu einem vertrauenswürdigen und qualifizierten behandelnden Arzt haben. Dieser unabhängige Arzt ist oft in einer noch besseren Position als eine Ethikkommision, um zu beurteilen, ob die Nutzen-Risiko-Balance eines Forschungsprojektes für seine Patienten akzeptabel ist und ob Gefangene aus freiem Willen an der Forschung teilnehmen oder nicht. Das letztere kann der Fall sein, wenn Gefangenen aufgrund ihrer Teilnahme an der Forschung Vorteile bezüglich der Haftbedingungen versprochen werden wie z. B. mehr Freiheiten oder eine vorzeitige Entlassung. Aus allen diesen Gründen ist die Qualität der medizini31
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Hornblum A. Subjected to medical experimentation: Pennsylvania's contribution to “science” in prisons. Pa Hist. 2000;67(3):415-26. Council of Europe. Committee of Ministers. Recommendation R(93)6 of the Committee of Ministers to Member States Concerning Prison and Criminological Aspects of the Control of Transmissible Diseases Including AIDS and Related Health Problems in Prison (adopted by the Committee of Ministers on 18 October 1993, at the 500th meeting of the Ministers’ Deputies): http://www.prison.eu.org/article.php3?id_article=2946 (accessed January 2007).
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schen Versorgung außerhalb jeder Forschung, insbesondere die Kompetenz und die Unabhängigkeit des ärztlichen Personals, von herausragender Bedeutung als Voraussetzung, um ethisch legitime Forschung durchzuführen. Die Tatsache, dass die Genfer Gefängnismedizin seit vielen Jahren hierarchisch unabhängig von der Gefängnisadministration ist und dass ein rechtlicher Rahmen die Äquivalenz der Gesundheitsfürsorge von Gefangenen einfordert, sind daher die wichtigsten Garanten, um Missbrauch von Gefangenen in der Forschung zu verhindern. Beispiele von in Genf durchgeführten Forschungsprojekten werden in Tabelle 1 aufgeführt. Tabelle 1. Beispiele von in Genf durchgeführten Forschungsprojekten mit Gefangenen Prospektive Studie zu den Auswirkungen der Haft als psychosozialer Stressor („life event“) auf die physische und psychische Gesundheit Studie zur Behandlung von Entzugssymptomen von opiatabhängigen Gefangenen bei Gefängniseintritt AIDS im Gefängnis: eine Studie der Auswirkungen einer Informationsbroschüre auf das Wissen und Verhalten von Gefangenen im Hinblick auf infektiöse Krankheiten und präventive Gesundheitsmassnahmen Retrospektive Studie zum Suizid von Gefangenen in Genf Publikation von Fallstudien im Blick auf Gefangene im Durst- und Hungerstreik Prospektive und retrospektive Studien zur medikamentösen Behandlung im Gefängnis und zu Ursachen und Behandlung von Schlafstörungen bei Gefangenen Als die Behandlung von Hepatitis C (Interferon, antivirale Medikation) nur als Teil von medizinischen Studien möglich war, hatten Hepatitis-positive Gefangene in Genf am Universitätsspital im Rahmen dieser Forschungsprojekte Zugang zu dieser Therapie.
Patienteneinwilligung und die Verweigerung von Behandlungen Um zu zeigen, wie ernst das Prinzip der Einwilligung der Patienten in der Genfer Gefängnismedizin genommen wird, sollen hier vor allem Fälle einer Verweigerung dieser Einwilligung diskutiert werden. Bei Behandlungsverweigerungen von Gefangenen handelt der Arzt nach denselben Grundsätzen wie bei Behandlungsverweigerungen von nicht inhaftierten Patienten: Ist der Patient urteilsfähig und seine Verweigerung frei und informiert, muss sie respektiert werden. Gefangene haben wie jeder andere Patient das Recht, gegen ärztlichen Rat einer Behandlung nicht zuzustimmen. Der Arzt achtet in diesem Fall besonders darauf, dass der Patient wiederholt und umfassend über die Risiken aufgeklärt wird und zieht einen Psychiater hinzu, wenn Zweifel über die Urteilsfähigkeit des Patienten bestehen. Wenn es möglich ist und der Patient einverstanden ist, versucht der Arzt in schwierigen Fällen, mit einem früheren Arzt des Gefangenen, dem dieser vertraut, Kontakt aufzunehmen, oder diskutiert mit dem Patienten die Möglichkeit, einen anderen unabhängigen Arztes hinzuzuziehen, um eine zweite Meinung zum Fall abzugeben. Behandlungsverweigerungen werden auch im Fall der Reihenuntersuchungen zur Tuberkulose respektiert. Es besteht kein Zwang zur Untersuchung oder Be-
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handlung. Allerdings wird, so wie man auch bei einer nicht inhaftierten Person vorgehen würde, ein Gefangener, der infiziert ist oder bei dem ein begründeter Verdacht besteht, dass er möglicherweise infiziert ist und andere Personen anstecken könnte, zur Not gegen seinen Willen von anderen Personen isoliert. Dies bedeutet im Allgemeinen den Transfer ins Krankenhaus. Es ist wichtig, dass sich der Arzt genügend Zeit für ausführliche Erklärungen nimmt, um die Zustimmung des Gefangenen zur Krankenhauseinweisung einzuholen und unnötige Zwangseinweisungen zu verhindern. Im Krankenhaus wird der Patient solange in einem Krankenzimmer isoliert, bis eine Diagnose möglich ist und, wenn indiziert, die Therapie eingenommen wird und wirksam ist und eine weitere Ansteckungsgefahr aufgehoben ist. Ein anderes Beispiel einer gefängnisspezifischen Behandlungsverweigerung ist der Hungerstreik. In Übereinstimmung mit dem Prinzip, dass die Entscheidung eines urteilsfähigen Patienten respektiert werden muss, wird in Genf keine Zwangsernährung durchgeführt. Die vertrauliche Arzt-Patienten-Beziehung wird als sehr wichtig angesehen. Bisher hat es in Genf keinen Todesfall durch Hungerstreik gegeben. Wenn neurologische Probleme auftraten und die Gesundheitsrisiken stark zunahmen, haben bisher alle Gefangenen freiwillig der Wiederaufnahme der Ernährung zugestimmt. Zuletzt soll im Zusammenhang der Behandlungsverweigerung noch erwähnt werden, dass das Gesundheitspersonal in Genf keine Fesselungen (Fixierung) durchführt. Zwangsbehandlungen sind nur als vorübergehende Maßnahmen zulässig und dauern weniger als eine Stunde. Es handelt sich hier nämlich nur um die Zeit, die zum Transport in die psychiatrische Station nötig ist, in Einklang mit Genfer Gesetzen zur Zwangseinweisung. Die zu erfüllenden Kriterien sind hier für Gefangene wie für nicht inhaftierte Personen die folgenden: Die Person muss eine erhebliche Gefahr für sich selbst oder andere darstellen, es muss eine Indikation für eine psychiatrische Behandlung vorliegen und eine sonst nicht anders zu meisternde Notfallsituation. In der stationären psychiatrischen Abteilung für Gefangene wird wie auch in der psychiatrischen Abteilung des Universitätsspitals keine Fixierung vorgenommen. Stattdessen werden agitierte Patienten in ein Beruhigungszimmer gebracht, das Teil der Krankenstation ist. Dieses ist nur mit weichen Elementen ausgestattet, die keine Gewaltanwendung gegen sich oder andere ermöglichen. Ärzte und Pflegepersonal werden darin ausgebildet, die Anweisungen streng einzuhalten und auf Fixierung zu verzichten und Zwangsmaßnahmen zu vermeiden. In Konfliktsituationen mit agitierten Patienten im Gefängnis ist bisher die Strategie des Gesundheitspersonals am erfolgreichsten gewesen, sich Zeit zu nehmen, um mit dem Patienten zu sprechen, die Ursache für die Agitation herauszufinden und ihn im Falle einer signifikanten psychischen Störung zu überzeugen, freiwillig Medikamente zu nehmen und/oder einer Einweisung in die psychiatrische Abteilung zuzustimmen. Vertraulichkeit Medizinisches Personal in der Gefängnismedizin in Genf gibt keine vertraulichen Informationen an nicht medizinisches Personal weiter. Transport- und Wachper-
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sonal werden nur, wenn nötig, informiert über vorsorgende Gesundheitsmaßnahmen wie das Tragen einer Maske im Falle von über die Atemwege übertragbaren Krankheiten. Es wird keine Information über Krankheiten herausgegeben, bei denen die Ansteckung über Blut oder Körperflüssigkeiten erfolgt. Das Tragen von Handschuhen beim Durchsuchen von Häftlingen oder dem Kontakt mit Körperflüssigkeiten ist eine Routinevorsichtsmaßnahme für alle Aufsichtspersonen (Gefängniswärter). Wie auch in Krankenanstalten ist es nicht angebracht, diese Vorsichtsmaßnahmen vom Kenntnisstand über vorliegende Krankheiten eines Patienten abhängig zu machen. Dies würde nur eine falsche Sicherheit vortäuschen, da etwaige Risiken nie umfassend bekannt sind. In vielen Bereichen wird die Vertraulichkeit in der Gefängnismedizin sogar noch strenger gehandhabt als für nicht inhaftierte Patienten. Zum Beispiel wird in vielen Situationen außerhalb des Gefängnisses von einer impliziten Zustimmung ausgegangen. Krankenhausärzte kommunizieren mit behandelnden niedergelassenen Kollegen oft, ohne dass dabei die explizite Einwilligung des Patienten eingeholt wird. Gefangene werden in Genf immer explizit um ihre Zustimmung gebeten, bevor ein externer Arzt angerufen wird oder Arztberichte oder andere Informationen aus der Krankenakte beim Transfer in ein anderes Gefängnis an den dortigen ärztlichen Dienst weitergeleitet werden. Ausnahmen werden nur gemacht, wenn eine explizite Zustimmung nicht möglich war, die Einwilligung des Patienten wahrscheinlich ist und eine Weiterleitung von Informationen dringend und im Interesse des Patienten ist. In allen anderen Fällen wird ein anfragender behandelnder Arzt gebeten, sich mit dem Patienten in Verbindung zu setzen, um seine Zustimmung zu erhalten, medizinische Dokumente zu verschicken. Medizinische und ethische Kompetenz des Gesundheitspersonals Alle in der Gefängnismedizin tätigen Ärzte sind in das Fortbildungsprogramm des Universitätsspitals integriert. Abgesehen von Kursen gehören hierzu auch Rotationen für Ärzte und Pflegepersonal in verschiedenen Abteilungen des Spitals. Der Austausch erfolgt für das im Gefängnis tätige Personal vor allem mit den Abteilungen für Allgemeinmedizin und Psychiatrie. Spezielle Fortbildungsveranstaltungen zu medizinischen Besonderheiten der Gefängnismedizin, wie z.B. dem Body-Pack-Syndrom und der Behandlung von Hungerstreikenden, sind Teil der obligatorischen Weiterbildung für alles Gesundheitspersonal, das im Gefängnis arbeitet. Außerdem werden Kurse zu ethischen Fragen und Menschenrechten von Gefangenen durchgeführt. Ein solcher Kurs existiert für Medizinstudenten seit 2005 und für Ärzte des Genfer Universitätsspitals seit 2007.
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Schwierigkeiten bei der Einhaltung der vom rechtlichen Rahmen geforderten Standards Überfüllung des Gefängnisses Das Untersuchungsgefängnis des Genfer Kantons, Champ-Dollon, ist für 270 Gefangene gebaut worden. Die Anzahl dort untergebrachter Gefangener hat dieses Limit seit vielen Jahren regelmäßig überschritten. Die mittlere Gefangenenzahl lag lange bei 400 und stieg im Jahr 2006 auf 470. Eine Höchstzahl wurde im Jahr 2006 erreicht, als Champ-Dollon zeitweise über 500 Gefangene beherbergen musste. Die Überfüllung von Champ-Dollon beeinflusst die Qualität der medizinischen Versorgung. Obwohl die medizinischen Ressourcen regelmäßig angepasst wurden, musste das medizinische Personal wiederholt mit einer großen Anzahl von Patientenanfragen zurechtkommen, die die Kapazitäten der ambulanten Station überstiegen. Noch problematischer sind die Begrenzungen der Transportressourcen. Gefängniswärter und Transportpersonal oder Polizeibeamte sind für jede Konsultation nötig, um die Gefangenen inner- oder außerhalb von Champ-Dollon zu begleiten. Die Überfüllung führte zu einem relativen Mangel an Sicherheitskräften in allen Bereichen. Dies hat ebenfalls dazu geführt, dass relativ zu wenige Transporte stattfinden konnten und die Zeit des Gesundheitspersonals nicht immer optimal genutzt wurde und wird. Probleme beim Screening für Gewaltakte Im Jahr 2006 33 fand eine unabhängige Untersuchung im Gefängnis statt, die unter anderem begutachtete, wie das medizinische Personal Gefangene auf Gewalteinwirkungen durch andere Personen befragt. Es zeigte sich, dass nicht alle Fälle erfasst wurden, unter anderem, weil wegen der Überfüllung Zeitdruck herrschte und weil es an adäquaten Räumlichkeiten mangelte, um bei Gefängniseintritt vertrauliche Gespräche zu führen. Bemerkenswert ist, dass die Expertenkommission, die diese Untersuchung durchführte, vom Kantonsparlament im Jahr 2005 eingesetzt wurde, nachdem sich Gefangene in einer Petition wiederholt über verschiedene Missstände beklagt hatten, unter anderem über die erheblich überlangen Wartezeiten bei den gerichtlichen Verfahren, die Haftbedingungen und die inadäquate Gewaltbereitschaft der Genfer Polizei. Dem medizinischen Personal waren die Probleme beim Gewalt-Screening zum Teil bekannt, Verbesserungen waren jedoch durch organisatorische und logistische Probleme und die Umstrukturierung der universitären Gefängnismedizin verlangsamt worden. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, in der Gefängnismedizin funktionierende Mechanismen durchzusetzen, die es Gefangenen erlauben, Beschwerden einzureichen und angehört zu wer33
Avis d’experts mandatés par le Bureau du Grand Conseil concernant la pétition des détenus de Champ-Dollon de mars 2006 par Barbara Bernath, Jean-Pierre Restellini, Christian-Nils Robert 18 avril 2007: http://www.humanrights.ch/home/upload/pdf/070 418_Experts_Rapport_Champ-Dollon.pdf, accessed September 2007.
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den. Nur so können die Probleme einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden und die Mittel für Lösungen aufgebracht werden. Seit September 2007 sind die medizinischen Konsultationen bei Gefängniseintritt neu organisiert worden und finden unter streng vertraulichen Bedingungen statt. Dazu wird in der Nacht aus Sicherheitsgründen bei neu eingetroffenen Gefangenen ein Raum mit einem Fenster benutzt, in dem das medizinische Personal die Gefangenen befragen kann, ohne dass das Sicherheitspersonal mithören kann, wobei gleichzeitig eine visuelle Absicherung durch das Fenster stattfinden kann. Hervorzuheben ist, dass Konsultationen in der ambulanten Krankenstation im Gefängnis immer ohne visuelle Überwachung stattfinden, wobei der Patient entweder von Arzt und Pflegepersonal gleichzeitig oder von einem Arzt oder Pfleger bzw. Krankenschwester allein untersucht wird. Unseres Wissens nach wurde in den letzen 20 Jahren keine Gewaltanwendung gegen medizinisches Personal beobachtet, abgesehen von einem Grenzfall, in dem ein wütender Gefangener einen Tisch umwarf, ohne dabei aber jemanden zu verletzen. Die visuelle Überwachung betrifft einen Konsultationsraum, der sich außerhalb der Krankenstation befindet, und erscheint gerechtfertigt, da hier eine Pflegeperson allein ist und die Gewaltbereitschaft eines neu eintreffenden Gefangenen schwer einschätzbar ist. Eine Evaluation dieser Praxis ist geplant. Räumliche Unzulänglichkeiten Der Genfer Kanton hat vor wenigen Jahren seine Nichtrauchergesetze verschärft. Rauchen ist im gesamten Universitätsspital und der Universität untersagt. Patienten, denen eine Nikotinersatztherapie nicht zusagt, müssen sich vor die Tore des Spitals nach draußen begeben, um zu rauchen. Die stationäre Abteilung für Gefangene befindet sich im Kellergeschoss des Spitals, und es gibt dort weder eine Möglichkeit für Gefangene, an frischer Luft spazieren zu gehen, noch einen Raucherraum. Das Fehlen einer Gelegenheit, an die frische Luft zu kommen, widerspricht Artikel 27.1 der Europäischen Gefängnisregeln. Diese sehen vor, dass „jedem Gefangenen die Möglichkeit gegeben werden muss, sich mindestens eine Stunde pro Tag an der frischen Luft bewegen zu können, wenn das Wetter es zulässt.“ 34 Die räumlichen Unzulänglichkeiten in der stationären Abteilung führen zu ethischen und organisatorischen Problemen, da Gefangenen nicht gestattet ist, das Hospital zu verlassen, um zu rauchen wie es nicht inhaftierte Raucher tun. Die Gefängnisstation bietet allen Rauchern eine Nikotinersatztherapie während des Spitalaufenthaltes an. Trotzdem hat die Unmöglichkeit zu rauchen die Anzahl von Verweigerungen eines Krankenhausaufenthaltes erhöht, und mehrere Patienten haben das Krankenhaus gegen ärztlichen Rat früher als geplant verlassen, um schneller wieder rauchen zu können.
34
Council of Europe. Recommendation Rec(2006)2 of the Committee of Ministers to Member States on the European Prison Rules: https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp ?id=955747 , accessed September 2007.
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Der Schutz der Vertraulichkeit für Gefangene im Universitätsspital Kürzlich hat ein Gefangener eine Koloskopie verweigert, weil die bewaffneten Transportbeamten sich geweigert haben, den Untersuchungsraum zu verlassen. Der Gastroenterologe des Spitals war einverstanden, dass die Transportbeamten bleiben, weil er glaubte, dass dies der für Gefangene üblichen Vorgehensweise entspricht. Mehrere andere Gefangene hatten eine Dickdarmspiegelung bei sich durchführen lassen, sich aber nach der Untersuchung beim Arzt der Gefängnisstation über die durch die Anwesenheit der Transportbeamten, bzw. Polizisten, bedingte fehlende Privatsphäre und fehlende Vertraulichkeit beschwert. Diese Vorfälle zeigen den Bedarf für Fortbildung von medizinischem Personal in Krankenhäusern bezüglich der Rechte von Gefangenen. Um das Arztgeheimnis auf der Notfallstation zu sichern, war vor einigen Jahren in einem Treffen mit den Verantwortlichen der Genfer Polizei und der Hospitalshierarchie ein schriftliches Protokoll erstellt worden, in dem klargestellt wurde, dass Polizisten vor den Untersuchungsräumen warten müssen. Erst die kategorische und wiederholte Aufklärung allen ärztlichen Personals über ihre Pflicht, Wachpersonal und Polizisten konsequent zu bitten, den Untersuchungsraum zu verlassen, hat in der Notfallaufnahme Erfolg gezeigt. Eine ähnliche Fortbildung soll demnächst auch für medizinisches Personal außerhalb der Notfallstation zur Routine werden. Respekt für die Rechte von jugendlichen Straftätern Die Schweiz hat die UN-Konvention über die Rechte des Kindes mit mehr als einem Vorbehalt ratifiziert. Einer dieser Vorbehalte ist, dass die Schweiz nicht garantiert, dass eine strikte Trennung von jugendlichen und erwachsenen Straftätern durchgeführt wird. Die Konvention schreibt diese Trennung vor. Im Jahr 2006 hat die Genfer Regierung die Entscheidung getroffen, die UN-Kinderrechtskonvention in Genf ohne diesen Vorbehalt zu respektieren. Vor 2006 wurden jugendliche Straftäter regelmäßig auch in Champ-Dollon untergebracht, wobei sie allerdings nicht mit erwachsenen Gefangenen zusammen in derselben Zelle wohnten. Sowohl die psychiatrische als auch die medizinisch-chirurgische stationäre Abteilung für Gefangene behandelte auch jugendliche Straftäter. Auch hier wurden diese in separaten Zimmern untergebracht und teilten nicht das Zimmer mit erwachsenen Gefangenen. Vertreter der Polizei stellten 2006 den Antrag, auch weiterhin die Einweisung der jugendlichen Gefangenen in die durch Wachpersonal gesicherten Spitalabteilungen für erwachsene Gefangene zuzulassen, da bei einer Behandlung in der Pädiatrie ein hoher und teurer Personalaufwand nötig ist: Zwei Polizeibeamte müssen das Krankenzimmer rund um die Uhr bewachen. Unter diesem Druck hat das Krankenhaus eine Zwischenlösung akzeptiert, die nur teilweise in Einklang mit der UN-Kinderrechtskonvention steht. Jugendliche Straftäter, die an psychischen Störungen leiden, werden in die pädopsychiatrische Abteilung eingewiesen und müssen durch Polizeibeamte bewacht werden, vor allem weil der Erwachsenenteil des psychiatrischen Krankenhauses generell erst Patienten ab dem Alter von 18 Jahren akzeptiert. Bei medizinisch-chirurgischen Problemen
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werden jedoch auch nicht strafrechtlich verfolgte Jugendliche nur bis zum Alter von 15 Jahren in der Pädiatrie behandelt. Ab dem Alter von 16 Jahren werden sie in die medizinischen und chirurgischen Abteilungen für Erwachsene eingewiesen. Dies wurde als Grund genommen, um kranke jugendliche Strafgefangene ab dem Alter von 16 Jahren nicht mehr in der Pädiatrie zu belassen, sondern, um Polizeipersonal einzusparen, sie in die Abteilung zu bringen, in der auch die erwachsenen Gefangenen untergebracht sind. In dieser Abteilung haben die Gefangenen ein begrenztes Recht, Besuch zu empfangen, nämlich nur einmal in der Woche. Die Gefängnisdirektion hat ihre Zustimmung erteilt, das Besuchsrecht für jugendliche Straftäter in der medizinischen Spitalabteilung zu lockern und jugendlichen Gefangenen tägliche Besuche ihrer Familie zu gestatten, wie es die Kinderrechtskonvention eigentlich vorschreibt. Allerdings muss der zuständige Jugendrichter diese Besuchsregelung gutheißen. Wie die Richter in diesen Fällen entscheiden werden, ist im Einzelnen nicht bekannt. Die jüngste Vergangenheit: Die Trennung der psychiatrischen Gefängnismedizin von der allgemeinmedizinischen Gefängnisabteilung In vielen Ländern werden psychiatrische und allgemeinmedizinische Versorgung von Gefangenen von unterschiedlichen Institutionen oder Abteilungen durchgeführt. Der jüngste offizielle Bericht der französischen Regierung, in dem die Zustände der Gefängnisse in Frankreich begutachtet wurden, 35 bemängelt als einen der wichtigsten Faktoren diese Trennung. Laut des Berichts führt eine solche Trennung zu erheblichen Problemen. Die Kooperation der verschiedenen Sektoren versagt oft. Psychiatrische und allgemeinmedizinische Dienste arbeiten nicht ausreichend zusammen im Hinblick auf die Krankenakten und die Behandlung der einzelnen Patienten. Meistens fehlt eine gemeinsame therapeutische Strategie, was sich vor allem bei drogenabhängigen Patienten sehr nachteilig auswirkt (Artikel 2.2). In diesem Kontext ist die Publikation eines französischen Arztes, R. Gastone, zu sehen. Er schreibt, dass die medizinische Behandlung von Gefangenen unter der Verantwortung einer einzelnen Abteilung stehen sollte, am besten mit einer allgemein-internistischen Ausrichtung. Das zweigeteilte System in Frankreich, in dem eine Abteilung sich um den Körper und die andere um die „Seele“ kümmert, sollte dringend verlassen werden 36 .
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36
Ministère de la justice, Ministère de l’emploi et de la solidarité, Inspection générale des services judiciaires, Inspection générale des affaires sociales. Rapport d'évaluation à Madame la Ministre de l'emploi et de la solidarité, à Madame la garde des Sceaux, Ministre de la justice, et à Monsieur le Ministre délégué à la santé. Juin 2001. Code IGAS 2001054 ; Code IGSJ 200106 : http://www.ladocumentationfrancaise.fr/rapportspublics/024000176/index.shtml, accessed September 2007. Gastone R. Etude medico-sociale des femmes incarcerees a la Maison d'arret de FleuryMerogis en 2000 et 2001 [Medical-social study of women incarcerated in the FleuryMerogis prison in 2000 and 2001]. Saté publique 2003;15:133-59.
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Die Gefängnismedizin in Genf ist aus genau diesen Erwägungen und praktischen Erfahrungen heraus als einheitliche Abteilung konzipiert worden, die allgemeinmedizinisches und psychiatrisches Personal vereint. Während der Reorganisation im Jahr 2006 wurde die Genfer Gefängnismedizin allerdings auseinander gerissen und die beiden Teile den jeweiligen allgemeinen Abteilungen des Universitätsspitals übertragen, nämlich der Psychiatrie und der Allgemeinmedizin. Ein Zentrum für Gefängnismedizin wurde gegründet, um in Form einer übergeordneten Struktur die verschiedenen Aktivitäten zu koordinieren. Die Aufgabe des Chefs für das Zentrum für Gefängnismedizin, welches Psychiatrie und Allgemeinmedizin beinhaltet, wurde einem erfahrenen Krankenpfleger übergeben, der vor allem administrative Aufgaben übernimmt. Die Vorteile und Nachteile der Teilung sind bisher noch nicht im Einzelnen abzuschätzen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Teilen wird angestrebt, und es wird vor allem versucht, einheitliche Therapieansätze für alle Patienten, einschließlich von Drogenabhängigen, beizubehalten.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Besonderheiten der Genfer Erfahrung Die Besonderheiten der Gefängnismedizin in Genf sind direkt durch den historischen Prozess mitbedingt, der zu dem gesetzlichen Rahmen führte, durch den die intramurale Medizin auch jetzt noch geregelt wird. Der Gründer der Gefängnismedizin, J. Bernheim, forensischer Pathologe und Psychiater mit juristischem Staatsexamen, hatte nicht nur großen Einfluss auf die Diskussion in Europa, aus der der gegenwärtige Korpus des „soft law“ hervorging, sondern er schuf auch den institutionellen und ethischen Rahmen der Gefängnismedizin in Genf, der später in Form des Erlasses des Kantonsrates festgeschrieben wurde. Diese detaillierte gesetzliche und exekutive Basis legt die organisatorischen Strukturen und Mechanismen fest, wie die relevanten Empfehlungen des Europarates in die Praxis umgesetzt werden sollen, das Äquivalenzprinzip unter Einschluss von äquivalenten Präventionsmaßnahmen, Vertraulichkeit, Zustimmung des Patienten und Unabhängigkeit des Gesundheitspersonals. Kantonale Finanzmittel sind für die Gefängnismedizin bereitgestellt worden. Anzumerken ist, dass zwar präventive Maßnahmen wie das Verteilen von Kondomen und der Spritzentausch in Gefängnissen international als evidenzbasiert und wichtig für die öffentliche Gesundheit anerkannt sind, trotzdem aber selten in europäischen und amerikanischen Gefängnissen zugelassen werden. 37 Ein wichtiger Faktor, der die Umsetzung dieser Maßnahmen in Genf ermöglicht hat, war die politische Unterstützung und der Schutz durch den rechtlichen Rahmen, der dem Gesundheitspersonal gegenüber der Gefängnisdirektion den Rücken gestärkt hat. Der Erlass des Kantonsrates fordert ex37
Lines R. Using Human Rights Law to Advocate for Syringe Exchange Programs in European Prisons. HIV AIDS Policy Law Rev. 2006 Dec;11(2-3):80-2.
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plizit die Kollaboration der Gefängnisadministration mit den Gesundheitsmaßnahmen. Fortbestehende Schwierigkeiten und Schwachstellen Die Genfer Erfahrung zeigt, dass trotz eines rechtlichen Rahmens, der das Äquivalenzprinzip bestärkt, verschiedene Schwierigkeiten und Schwachstellen bestehen bleiben. Das viel versprechende rechtliche Umfeld muss durch permanente Wachsamkeit und die Verteidigung der Rechte von Gefangenen durch die Verantwortlichen des Gesundheitssystems und das medizinische Personal im Gefängnis ergänzt werden. Präventive Maßnahmen, freie informierte Zustimmung und der strikte Respekt des Arztgeheimnisses müssen ständig von Gefängnisärzten und ihren Spitalkollegen verteidigt werden. In einem Universitätshospital werden viele Assistenzärzte ausgebildet. Daher wechseln sowohl die Gefängnisärzte als auch die Spitalsärzte relativ häufig, und neue Ärzte müssen regelmäßig eine Weiterbildung zu Aspekten der Gefängnismedizin und den Rechten von Gefangenen durchlaufen. Die Genfer Erfahrung veranschaulicht auch, dass der Erlass es ermöglicht, unter anderem durch die für Gefangene vorgesehenen Beschwerdemechanismen, die existierende Praxis neuen Herausforderungen anzupassen. Allerdings haben die Beispiele der durch die Überfüllung des Gefängnisses und die Nichtraucherstrategie des Krankenhauses hervorgerufenen Probleme gezeigt, dass erhebliche Verzögerungen in der Größenordnung mehrerer Jahre oft unvermeidlich sind, bevor bestehende Strukturen und finanzielle Ressourcen angepasst werden können, um äquivalente Standards in der Gefängnismedizin zu garantieren. Der rechtliche Rahmen in Genf ist keine absolute Absicherung und bleibt fragil, insbesondere in einer Zeit finanzieller Kürzungen im Gesundheitssystem im Allgemeinen. Unterstützung von der Hierarchie des Universitätskrankenhauses und vom kantonalen Gesundheitsministerium sind unumgänglich, um einen hohen Standard beizubehalten. Trotz möglicher Schwachstellen ist jedoch diese einzigartige detaillierte rechtliche Absicherung eine wertvolle und wichtige Hilfe in Diskussionen mit der Gefängnisadministration und den juristischen Instanzen, um die Rechte von Gefangenen im Hinblick auf ihre Gesundheitsversorgung abzusichern.
Intramurale Medizin in Deutschland
Thomas Hillenkamp
Die Intramurale Medizin: ein integraler Bestandteil des Strafvollzugs .........75 Die Ausgangslage ............................................................................................75 Der deutsche Strafvollzug im Umbruch...........................................................77 Bundesverfassungsgericht zum Jugendstrafvollzug und Föderalismusreform ....................................................................................77 Folgen für die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug...................................82 Die gegenwärtige Situation .................................................................................83 Zur Datenlage ..................................................................................................83 Die Situation des Strafvollzugs........................................................................85 Die Situation der Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug ..................................92 Personal .......................................................................................................93 Apparative und räumliche Ausstattung .......................................................96 Kostenaufwand............................................................................................97 Krankheiten und Krankenstand ...................................................................99 Zwischenbilanz ..............................................................................................100 Grundentscheidungen zur Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug .................102 Die Einhaltung internationalrechtlicher Standards ........................................102 Der Angleichungsgrundsatz...........................................................................106 Das Anstaltsarztprinzip..................................................................................110 Das Primat der Medizin .................................................................................120 Der Gesundheitsbegriff..................................................................................123 Das Arzt-Patienten-Verhältnis im Strafvollzug ..............................................126 Allgemeine Charakterisierung .......................................................................126 Zur Phänomenologie des Verhältnisses intra muros ......................................127 Die rechtliche Regelung des Arzt-Patientenverhältnisses im Vollzug...........133 Das Verhältnis Anstaltsarzt/Strafgefangener.............................................134 Das Verhältnis Arzt im Vollzug/gefangener Patient .................................136 Die Rahmenstruktur: Organisation und Leistungen der Vollzugsmedizin.....138 Fazit ...............................................................................................................141 Herausforderungen der Vollzugsmedizin........................................................141
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Thomas Hillenkamp
Problemgruppen im Strafvollzug................................................................... 141 Brennpunkte der Vollzugsmedizin ................................................................ 143 Sucht- und Infektionskranke ..................................................................... 143 Psychisch Kranke ...................................................................................... 152 Betriebliche Gesundheitsförderung im Vollzug........................................ 157 Ausblick – medizinische Forschung mit Gefangenen..................................... 158
Intramurale Medizin in Deutschland
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Die Intramurale Medizin: ein integraler Bestandteil des Strafvollzugs Die Ausgangslage Die Gesundheitsfürsorge innerhalb der Gefängnismauern – die Intramurale Medizin 1 – ist in Deutschland integraler Bestandteil des Strafvollzugs. Das gilt in rechtlicher wie in tatsächlicher Sicht. Die Beschreibung ihrer Zielsetzungen, Aufgaben und Leistungen ist wie die Ausgestaltung der Ansprüche, Rechte und Pflichten der an ihr Beteiligten Gegenstand des Strafvollzugsrechts. Die praktische Umsetzung geschieht im Alltag des Vollzugslebens, im Justizvollzugskrankenhaus, in der Krankenabteilung der Vollzugsanstalt, in der Sprechstunde des Anstaltsarztes, in der Zelle des gefangenen Patienten, bisweilen auch außerhalb des Vollzugs. Auf beiden Ebenen – der rechtlichen wie der tatsächlichen – hängt das, was und wie es geschieht, nicht anders als der Strafvollzug selbst, zwar einerseits von nicht unterschreitbaren, weil zwingenden völker- und verfassungsrechtlichen Vorgaben ab. Andererseits eröffnen sich aber schon innerhalb dieser wie auch innerhalb der dem soft law zuzuzählenden Richtlinien und Empfehlungen der Vereinten Nationen und Organe des Europarats zum Strafvollzug und der Gesundheitsfürsorge in ihm Spielräume, die nach den Präferenzen der Vollzugspolitik unterschiedlich nutzbar und ausgestaltbar sind. Diese Spielräume haben im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland Bund und Länder bislang in geteilter Kompetenz ausgefüllt. Gedrängt durch die zum Strafvollzug in Deutschland grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. März 1972 (BVerfGE 33,1), 2 schuf der Bundesgesetzgeber zum 1. Januar 1977 ein Strafvollzugsgesetz (StVollzG), 3 in dem die Gesundheits-
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S. zu ihr die Beiträge in Hillenkamp/Tag (Hrsg.), Intramurale Medizin – Gesundheitsfürsorge zwischen Heilauftrag und Strafvollzug, Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim (IMGB), Band 24, Berlin/Heidelberg 2005; zum diesem Band zugrunde liegenden Symposion s. den Bericht von Hillenkamp, Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (ZfStrVo) 2005, S. 263. In den Leitsätzen dieser Entscheidung wird festgehalten, dass auch die Grundrechte von Strafgefangenen nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes, und nicht wie bisher überwiegend vertreten, aufgrund des „besonderen Gewaltverhältnisses“ Strafvollzug eingeschränkt werden können und dass deshalb ein Strafvollzugsgesetz, das es 1972 noch nicht gab, die nötige Grundlage für Grundrechtseingriffe schaffen müsse, s. BVerfGE 33, 1, 11-13, und zwar bis zum Herbst 1973; s. zur Verlängerung bis zum 1. Januar 1977 dann BVerfGE 40, 276. Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung – Strafvollzugsgesetz (StVollzG) vom 16. März 1976 (BGBl. I, S. 581).
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Thomas Hillenkamp
fürsorge in den §§ 56 bis 68, 158 4 rechtlich geregelt ist. Er hat damit seinerzeit nach der Regelung des Grundgesetzes (GG) zur sog. konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 GG), zu deren Gegenstand der Strafvollzug zählte (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG a. F..), von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, für die Bundesländer einheitlich verbindliches (Bundes-)Recht zu setzen. Damit ist allerdings nicht zugleich ein „Bundesstrafvollzug“ mit eigenen Anstalten geschaffen. Vielmehr führen die Länder den Strafvollzug als eigene Angelegenheit aus. 5 Während der Bund also die rechtlichen Rahmenbedingungen und die in ihnen fixierten Zielsetzungen und Mindeststandards vorgab und -gibt, vermochten und vermögen die Länder innerhalb dieser Vorgaben im praktischen Strafvollzug je eigene Prioritäten und Akzente zu setzen, die sich in der Gesundheitsfürsorge in divergierenden personellen, apparativen und baulichen Ausstattungen, aber auch zum Beispiel in der medikamentösen Versorgung, der Substitutionspolitik im Drogenbereich oder der Handhabung der Kostenbeteiligung auswirkten und -wirken. 6 Auf diesem Hintergrund ließ sich die Gesundheitsfürsorge im deutschen Strafvollzug bislang in ihrer rechtlichen Gestaltung durch die Darstellung und Kommentierung der einschlägigen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes, ergänzt durch die „Bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften“ zu diesem Gesetz 7 und in ihrem praktischen Vollzug in den Ländern durch eine Einbeziehung der Ergebnisse der empirischen Forschung, der in den Fachzeitschriften und einschlägigen Monografien zu findenden Berichte und der jeweiligen Ausführungsbestimmungen der Länder zum Strafvollzugsgesetz abbilden. 8 Das aber kann seit kurzem und künftig so nur noch mit gewichtigen Einschränkungen und Vorbehalten und mit erheblich größerer und stetig zunehmender Differenzierung geschehen. Der Grund hierfür liegt darin, dass der Strafvollzug in Deutschland durch zwei Ereignisse des Jahres 2006 in eine rechtliche Umbruchsituation geraten ist, die noch einige Jahre andauern und das bisher rechtlich wie tatsächlich Gültige zwar nicht vom Kopf auf die Füße stellen, aber doch in erheblicher Weise verändern wird.
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Flankiert werden diese zentralen Regelungen durch verstreute Vorschriften namentlich zur Versorgung Schwangerer und Mütter im Vollzug (§§ 76 ff. StVollzG) und zum Schutz des Patientengeheimnisses (§ 182 StVollzG). S. Laubenthal, Strafvollzug, 4. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York 2007, Rn 32. Unterschiede ergeben sich (auch) durch einen Vergleich der zum Strafvollzugsgesetz in den einzelnen Ländern ergangenen Ausführungsbestimmungen. Die bayerischen und die hessischen sind abgedruckt bei Arloth/Lückemann, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, München 2004, Anhang 5; die baden-württembergischen Verwaltungsvorschriften finden sich in: Die Justiz 2003, S. 73 ff. Sie sind in den Kommentaren zum Strafvollzugsgesetz regelmäßig im Anschluss an die jeweiligen Vorschriften abgedruckt; ferner in Strafvollzugsgesetz mit Verwaltungsvorschriften, Beck-Texte im dtv, 18. Aufl., München 2007. S. dazu Hillenkamp, Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug, in: Kern/Wadle/Schroeder/ Katzenmaier (Hrsg.), Humaniora Medizin – Recht – Geschichte, Festschrift für Adolf Laufs, Berlin/Heidelberg 2006, S. 881 ff.
Intramurale Medizin in Deutschland
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Der deutsche Strafvollzug im Umbruch Bundesverfassungsgericht zum Jugendstrafvollzug und Föderalismusreform Das eine der beiden Ereignisse besteht darin, dass das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I, S. 2034) mit Wirkung zum 1. September 2006 die Gebiete des Strafvollzugs und des Untersuchungshaftvollzugs (als Teil des gerichtlichen Strafverfahrens) aus dem Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung herausgenommen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) und damit in den Bereich des ausschließlichen Gesetzgebungsrechts der Länder (Art. 70 Abs. 1 GG) verlagert hat. Das andere der beiden Ereignisse ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2006, 9 mit dem das Gericht dem Gesetzgeber aufgibt, bis zum Ablauf des Jahres 2007 für den Jugendstrafvollzug, der vom Strafvollzugsgesetz kaum erfasst und bislang nur sehr bruchstückhaft gesetzlich geregelt ist, 10 eine dem Grundgesetz genügende gesetzliche Grundlage zu schaffen. Hierfür ist nach dem zeitlich zweiten Ereignis nicht mehr der Bundesgesetzgeber, sondern sind ausschließlich die Länder zuständig. Die Folgen dieser beiden Ereignisse greifen ineinander. Während der Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts zum Jugendstrafvollzug im Mai 2006 noch dem Bundesgesetzgeber galt, sind nach dem 1. Schritt der sog. Föderalismusreform durch das zitierte Gesetz vom 28. August 2006 Adressat des Verfassungsgebots nunmehr die Länder. Deshalb hat mit dem September 2006 in den Justizverwaltungen und Parlamenten der 16 Bundesländer eine rege Tätigkeit eingesetzt, um den Jugendstrafvollzug bis zum Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht vorgesetzten Frist auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Mit dem gleichfalls der Länderkompetenz überantworteten Erwachsenenvollzug hat es keine vergleichbare Eile. Hierzu sieht Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG vor, dass Recht, das – wie das Strafvollzugsgesetz – als Bundesrecht erlassen worden ist, nunmehr aber wegen der Änderung des Art. 74 Abs. 1 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, als Bundesrecht fortgilt. Diese Fortgeltung ist nicht befristet. Nach Art. 125 Abs. 1 Satz 2 GG kann der Landesgesetzgeber das Bundesrecht ersetzen, muss dies aber nicht. In dieser Lage gehen die Bundesländer, so wie es sich bisher abzeichnet, zwei unterschiedliche Wege. Während die Mehrzahl unter ihnen dahin tendiert, dem zeitlich drängenden Auftrag des Bundesverfassungsgerichts durch ein eigenstän9
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Das Urteil des 2. Senats (2 BVR 1673/04 – 2 BVR 2402/04) ist abgedruckt in NJW 2006, S. 2093 ff. Vgl. die §§ 176, 178 StVollzG und die §§ 91, 92 Abs. 1, 110 Abs. 1, 114 und 115 Abs. 1 des deutschen Jugendgerichtsgesetzes (JGG); der Jugendstrafvollzug geschieht auf der Grundlage der Bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug (VVJug) vom 15. Dezember 1976, zuletzt geändert am 9. September 2004, abgedruckt in Eisenberg, JGG, Kurz-Kommentar, 11. Aufl., München 2006, Anhang 6; zur Gesundheitsfürsorge s. dort die Nrn. 47-57, 85 Abs. 10-12. Diese Verwaltungsvorschriften genügen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2006, S. 2094) dem Erfordernis der gesetzlichen Grundlage für Grundrechtseingriffe nicht.
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diges Jugendstrafvollzugsgesetz nachzukommen und es jedenfalls zunächst bei der Weitergeltung des Strafvollzugsgesetzes für den Erwachsenenvollzug zu belassen, 11 haben Bayern und Niedersachsen Entwürfe12 vorgelegt, die die Gesamtmaterie ins Auge fassen. Beide Entwürfe betreffen den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung, wollen also Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug regeln. Der niedersächsische Entwurf will darüber hinaus auch noch den nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2006 wohl gleichfalls verfassungswidrigen Zustand bezüglich der Untersuchungshaft13 mitbeheben und den Vollzug auch dieser Haft in die Regelung einbeziehen. 14 Eine Bewertung dieser Entwicklung kann hier nicht im Einzelnen geschehen. Immerhin sei aber soviel gesagt, dass sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit seiner Anmahnung eines eigenständigen Jugendstrafvollzugsgesetzes einheitlicher Zustimmung erfreut, 15 während sich die Entscheidung im Zuge der 11
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Zur Zeit der Abfassung dieses Landesberichts (März 2007) lagen Einzelentwürfe zu einem Jugendstrafvollzugsgesetz der Länder Baden-Württemberg (www.justiz.badenwuerttemberg.de; Stand: 1/2007), Berlin (www.berlin.de/sen/justiz; Stand: 19.1.2007), Nordrhein-Westfalen (www.jm.nrw.de; Stand: 7.3.2007) und Hessen (www.hmdj.hessen.de; Stand: 5.3.2007; alle vier sind Referentenentwürfe der Justizverwaltungen) sowie für Bayern ein Entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Ds 15/7334 des Bayerischen Landtags vom 1. Februar 2007), für Sachsen ein gemeinsamer Entwurf von CDU- und SPD-Fraktion (www.dvjj.de) sowie ein Gemeinschaftsentwurf von neun Bundesländern, der variiert werden kann (Berlin www.berlin.de/sen/justiz; Stand: 19.1.2007, Brandenburg www.mdj.brandenburg.de; Stand: 23.1.2007, Bremen www.justiz.bremen.de; Stand: 21.1.2007, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Saarland und Thüringen www.thueringen.de /justiz; Stand: 1./2007), vor; alle Entwürfe sind in aktueller Form abrufbar auch unter www.dvjj.de. Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung (Bayerisches Strafvollzugsgesetz Bay-StVollzG www.justiz.bayern.de/ministerium/gesetzgebung/ gesetzesentwurf/; Stand: 12/2006); Gesetz zur Neuregelung des Justizvollzugs in Niedersachsen (Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz – NJVollzG (www.mj.niedersachsen.de; Stand: 12/2006). Die Untersuchungshaft ist in ihrem Vollzug gleichfalls bislang nur sehr bruchstückhaft geregelt (vgl. § 119 Strafprozessordnung – StPO – und §§ 93, 110 Abs. 2, 115 Abs. 1 und Abs. 2 JGG sowie Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Kurz-Kommentar, 49. Aufl., München, 2006, § 119 Rn 2). Auch hier genügen die Vorschriften der bundeseinheitlich erlassenen Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO i. d. F.. vom 1.1.1977, abgedruckt bei Piller/Herrmann, Justizverwaltungsvorschriften, LoseblattTextsammlung, 2a sowie in Beck-Texte im dtv, wie Fn 7) dem Gesetzesvorbehalt bei Grundrechtseingriffen nicht. Zur im Strafvollzugsgesetz (§§ 129 ff.) geregelten Sicherungsverwahrung enthalten beide Entwürfe eigene Vorschriften. Zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (bruchstückhaft geregelt in § 136 bis § 138 StVollzG; vergl. auch §§ 93a und 110 Abs. 1 JGG) bestehen aufgrund der Öffnungsklausel des § 138 Abs. 1 S. 1 StVollzG bereits landesrechtliche Vorschriften, so z. B. das Niedersächsische Maßregelvollzugsgesetz. S. z. B. Dünkel, Jugendstrafvollzug und Verfassungsrecht, Neue Kriminalpolitik (NK) 2006, S. 112; Ostendorf, Gesetzliche Grundlage für den Jugendstrafvollzug – verfas-
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Föderalismusreform für eine Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für den Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug auf die Länder nicht nur beifälligen, sondern auch massiv kritischen Äußerungen gegenübersieht. 16 Dass der Jugendstrafvollzug einer eigenständigen, vom Strafvollzugsgesetz auch inhaltlich deutlich unterschiedenen Regelung bedarf, ist seit der Einsetzung einer Jugendstrafvollzugskommission im Jahr 1976 durch den Bundesminister der Justiz, die auf eine einstimmige Entschließung des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1975 zurückging, in Deutschland einhellige Meinung. Dass keiner der seitdem vorgelegten Entwürfe das Stadium des Gesetzgebungsverfahrens erreichen konnte, lag folglich nicht an fehlender Einsicht in die Notwendigkeit, sondern an dem nicht beilegbaren Streit um Inhalt und Finanzierbarkeit der Reform. „Hochgespannte Reformerwartungen“ der Fachverbände und der Wissenschaft auf der einen, „energischer Finanzwiderstand“ der Länder auf der anderen Seite zerrieben die Wirkkraft der Impulse, obwohl das Bundesverfassungsgericht allgemein angemahnt hatte, dass „finanzielle Erwägungen“ und „organisatorische Schwierigkeiten, die ein Strafvollzugsgesetz mit sich bringen kann, ... eine Verabschiedung nicht unangemessen verzögern“ dürfen und der Staat die Aufgabe hat, „die erforderlichen Mittel für den Personal- und Sachbedarf bereitzustellen“. 17 Auch der zeitlich letzte Entwurf des Bundesministeriums der Justiz aus dem Jahr 2005 wurde gleichwohl nicht mehr in den Bundestag eingebracht und ist durch die
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sungsrechtlich geboten, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2006, S. 2073; ders., Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ..., NK 2006, S. 91; J. Walter, Optimale Förderung, oder was soll der Jugendstrafvollzug leisten?, NK 2006, S. 93. Zustimmung fand die Kompetenzverlagerung bei zwei (Aumüller und Lückemann) von neun vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages in der 14. Sitzung vom 17. Mai 2006 angehörten Sachverständigen. Lange-Lehngut, Maelicke, Seebode und Winchenbach sprachen sich gegen sie aus (s. Deutscher Bundestag - Stenografischer Bericht, 14. Sitzung, Berlin, 17. Mai 2006, S. 4 ff.). Offen zeigten sich Moser, Robbers und Troxler. Abl. z. B. Dünkel/Schüler-Springorum, Strafvollzug als Ländersache? Der „Wettbewerb der Schäbigkeit“ ist schon im Gange!, ZfStrVo 2006, S. 145; Feest, Zukunft des deutschen Justizvollzugs, am 5. Januar 2007 abgelegt in: Publikationen des Strafvollzugsarchivs.de; Koop, Keine Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder, ZfStrVo 2006, S. 3; s. auch den Bericht über die Ablehnung des Deutschen Richterbundes von Mäves, Mehr Bund, weniger Land – oder umgekehrt? DRiZ 2006, S. 106; s. ferner Cornel, Das Strafvollzugsgesetz darf weder zerstückelt noch ausgehöhlt werden, NK 2005, S. 135 und Kubicki, Das Strafvollzugsgesetz darf weder zerstückelt noch ausgehöhlt werden, NK 2006, S. 5. Im politischen Willensmeinungsprozess rieten dringend ab: die Fraktion der FDP (BT-Ds 16/851 vom 8. März 2006), Bündnis 90/Die Grünen (BT-Ds 16/653 vom 14. Februar 2006) und Die Linken (wiedergegeben im Bericht des Rechtsausschusses vom 29. Juni 2006, BT-Ds 16/2069, S. 26, 29; dort finden sich auch die zitierten Stellungnahmen der FDP, S. 13, 19 f.. und von Bündnis 90/Die Grünen, S. 34, 35). Das unterschiedliche Echo in Niedersachsen ist wiedergegeben in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Justizvollzugs in Niedersachsen, S. 121 ff.; s. auch Ds 15/4992 des BayLandtags vom 16. März 2006. BVerfGE 40, 276, 284.
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Föderalismusreform als Entwurf eines Bundesgesetzes überholt. 18 Da nunmehr die Länder unter Beachtung ihrer Finanzkraft ihre eigenständigen Konzeptionen und Zielvorstellungen verwirklichen können und müssen, ist die seit langem erwünschte Bewegung in die Materie des Jugendstrafvollzugs eingezogen und von einem gewichtigen Teil der bisher hemmenden Interessengegensätze befreit. Dass sich diese Bewegung allerdings nicht anders als zum Erwachsenenstrafvollzug nun auf der Ebene der Länder entfaltet, beruht auf einem letztlich überraschenden, vom Bundesjustizministerium angeregten und von der Koalitionsarbeitsgruppe aufgenommenen Schritt der Föderalismusreform, 19 der als Zugeständnis an die Beteiligungsrechte und Finanzinteressen der Länder nach überwiegender Ansicht in Politik und Fachwelt nicht sachgerecht ist. Er sei – so wird ihm entgegengehalten – zum Ersten „unhistorisch“, weil die Forderung nach reichsbzw. bundeseinheitlicher Regelung des Strafvollzugs in Deutschland so alt sei, wie das Strafgesetzbuch selbst und niemand den Konsens hierüber jemals in Frage gestellt habe. 20 Er löse zum Zweiten die allein sachangemessene, weil eine einheitliche Umsetzung gewährleistende Kompetenzverknüpfung zwischen Strafrecht und Strafprozessrecht und ihrem „Annex“, dem Strafvollzugsrecht, willkürlich und sachwidrig auf. Und er gefährde zum Dritten die gerade auf dem Gebiet des Strafvollzugs unabdingbare „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ und „Wahrung der Rechtseinheit“ (Art. 72 Abs. 2 GG) mit für die Strafbemessung durch die Gerichte wie den tatsächlichen Vollzug unannehmbaren Konsequenzen. 21 Schließlich wird eine dem Prozess der europäischen Einigung konträre, mit 16 Erwachsenen- und ebenso vielen Jugendstrafvollzugsgesetzen in Zersplitterung und Kleinstaaterei mündende „Rückwärtsreform“ befürchtet, die auf einem „föderalen Flickenteppich“ divergierender Vollzugsziele und -stile länderübergreifende Kooperation verlege, Chancengleichheit und Qualitätssicherung nicht mehr ver-
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Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Jugendstrafvollzugs nebst Begründung stammt vom 12. April 2005 und wurde am 7. Juni 2006 noch einmal in zwei Bestimmungen leicht verändert. In seiner Begründung sind einleitend der Regelungsbedarf und die Entwicklung seit 1975 dokumentiert (www.bmj.bund.de; Stand: 7.6.2006); s. dazu auch den Antrag der Fraktion der FDP „Jugendstrafvollzug verfassungsfest ge stalten“, BT-Ds 16/851 vom 14. Februar 2006 sowie Laubenthal (wie Fn 5), Rn 857a857f. Zur Vorgeschichte dieses Schrittes s. Laubenthal (wie Fn 5), Rn 84. In der Tat findet sich die Forderung nach bundesrechtlicher Regelung schon in den Motiven zum Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, s. das Zitat in BT-Ds 7/918 vom 23. Juli 1973, S. 38 (Begründung zum Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes); das gilt auch für die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug, s. Hillenkamp (wie Fn 8), S. 891 ff.; Dünkel, Jugendstrafvollzug und Föderalismusreform, NK 2006, 90 bezeichnet den Schritt daher als „Treppenwitz der Geschichte“. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes verteidigte aus solchen und weiteren Gründen namentlich auch der in Fn 18 zitierte Referentenentwurf des BMJ eines JStVollzG (Begründung S. 6 f..); s. auch eindrücklich BT-Ds 16/851, S. 3 (Antrag der FDPFraktion).
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bürge und angesichts der drängenden Finanznot der Länder diese in einen die Mindeststandards preisgebenden „Wettbewerb der Schäbigkeit“ 22 treibe. Dergleichen Kritik – nicht selten in die Form von Kassandrarufen gekleidet – steht eine kleine Zahl von Stimmen gegenüber, die Gelassenheit anmahnen und auch die Chancen und Vorteile der Kompetenzverlagerung aufzeigen. So hat der schweizerische Sachverständige Troxler in seiner Anhörung vor dem Rechtsausschuss die differenzierte föderale Regelung der Schweiz in 26 Kantonen für 120 Einrichtungen mit 6500 Plätzen in ihrem Zusammenspiel mit 3 Strafvollzugskonkordaten und dem Bund zwar als wenig kostengünstig, unübersichtlich und ungleich gekennzeichnet und – auch angesichts der zunehmenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz – einen Trend zu einer bundesgesetzlichen Regelung ausgemacht. Er hat aber auch die schnelle und unkomplizierte Umsetzung aus den regionalen Institutionen entspringender Reformideen, den örtlichen, auf die sprachlichen und kulturellen Unterschiede eingehenden Individualbezug und die bauliche und konzeptionelle Vielfalt differenzierter Vollzugsangebote in überschaubaren Einrichtungen als unverkennbare Vorzüge einer dezentralen Regelung beschrieben. 23 Die Sachverständigen Aumüller und Lückemann halten zudem die Überschreibung der Kompetenz nicht nur für eine folgerichtige Anpassung an die ohnehin schon nach Ländern hoch ausdifferenzierte Vollzugswirklichkeit. Vielmehr sehen sie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Mindeststandards unverrückbar garantiert, hinter die kein Land zurückfallen könne. Sie begrüßen auf diesem Hintergrund die Länderkompetenz als eine sich gegenüber dem erstarrten Strafvollzugsgesetz mit seinen zahlreichen nicht eingelösten Versprechen 24 und ausgebliebenen realitätsnahen Korrekturen ergebende Chance, im Wettbewerbsföderalismus Motor von Innovationen zu werden, die – nur weil sparsam – nicht zugleich schäbig ausfallen müssten. 25 Da die Würfel in diesem Streit gefallen sind, ist ein „Nachkarten“ bezüglich dieser sicher anfechtbaren Entscheidung der Föderalismusreform zurzeit wenig ergiebig. Man sollte allerdings die gegen sie sprechenden Gründe in Erinnerung halten und hinsehen, ob es den Ländern gelingt, den eröffneten Gestaltungsspielraum im Sinne einer Optimierung des Strafvollzugs zu nutzen, oder ob sich die Missstände einstellen, die von den Gegnern der Entscheidung prognostiziert worden sind. Dazu gibt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Jugendstrafvollzug Anlass; denn das Gericht hat in seinem Urteil „mit Rücksicht auf das besondere Gewicht der grundrechtlichen Belange“, die durch den Strafvollzug be22
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S. Dünkel/Schüler-Springorum (wie Fn 15), S. 145; Dünkel, Jugendstrafvollzug und Verfassungsrecht, NK 2006, 112; s. auch den Aufruf von Riekenbrauck, in: Zweite Europäische Konferenz zur Gesundheitsförderung in Haft, hrsgg. von akcept e.V., Deutsche AIDS-Hilfe e.V., WIAD e.V., Bonn 2006, S. 48 f..; dagegen in der Anhörung vor dem Rechtsausschuss Robbers, Deutscher Bundestag – Stenografischer Bericht (wie Fn 16), S. 11. Troxler, in: Deutscher Bundestag – Stenografischer Bericht (wie Fn 16), S. 13 f.., 36. S. dazu Laubenthal (wie Fn 5), Rn 82; betroffen hiervon ist z. B. auch die Einbeziehung der Inhaftierten in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung. Aumüller und Lückemann, in: Deutscher Bundestag – Stenografischer Bericht (wie Fn 16), S. 4 ff., 7 f.
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rührt werden, den „Gesetzgeber“ ausdrücklich „zur Beobachtung und nach Maßgabe der Beobachtungsergebnisse zur Nachbesserung verpflichtet“ und dazu die Erhebung „auf Vergleichbarkeit angelegter Daten“ angeregt, „die bis hinunter auf die Ebene der einzelnen Anstalten eine Feststellung und Bewertung der Erfolge und Misserfolge des Vollzugs“ ermöglichen. 26 Nach der Abgabe der Gesetzgebungskompetenz an die Länder durch den Bund liegt es nahe, hieraus eine entsprechende Beobachtungspflicht des Bundesgesetzgebers bis „hinunter auf die Ebene der einzelnen“ Länder abzuleiten und Nachbesserung im Sinne einer Revidierung der Kompetenzüberweisung zu verlangen, wenn sich herausstellen sollte, dass der Gleichheitsgrundsatz durch die föderale Struktur in unerträglicher Weise verletzt oder der unter dem überkommenen Strafvollzugsgesetz immerhin theoretisch eröffnete „Wettbewerb nach oben“ tatsächlich in einen „Wettbewerb der Schäbigkeit“ verwandelt werden sollte. Folgen für die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug Wer meint, von all dem werde die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug nur wenig oder gar nicht berührt, dürfte sich täuschen. Denn weil die Intramurale Medizin – wie eingangs hervorgehoben – rechtlich wie tatsächlich ein integraler Bestandteil des Strafvollzugs ist, nimmt sie an dessen (kriminal-)politischer Ausgestaltung unmittelbar teil. Das liegt für den politisch gewährten Finanzzufluss in den Vollzug und die von ihm abhängige personelle, bauliche und apparative Ausstattung der Gefängnismedizin auf der Hand. Eine Auswirkung hierzu ist schon zu sehen. Denn wer es sich – wie der baden-württembergische Entwurf eines Jugendstrafvollzugsgesetzes – zum erklärten Anliegen macht, den Vollzug „weitgehend haushaltsverträglich zu gestalten“, arbeitet eingeräumtermaßen „mit Soll- und Ermessensvorschriften und führt nur in wenigen Fällen einklagbare subjektive Rechte“ für den Gefangenen ein. Davon kann zwar die notwendige medizinische Grundversorgung sicher nicht, z. B. aber schon die in § 63 StVollzG vorgesehene „ärztliche Behandlung zur sozialen Eingliederung“ ausgenommen werden,27 was dort auch geschieht. Auch gesetzliche Grundsatzentscheidungen wirken sich auf die Gesundheitsfürsorge aus. Wer anders als § 2 StVollzG nicht die Resozialisierung, sondern die Sicherung der Allgemeinheit vor (weiteren) Straftaten zum vorrangigen Ziel des Strafvollzugs erklärt, 28 nimmt z. B. auf die Inanspruchnahme einer 26 27
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BVerfG NJW 2006, 2093, 2097. S. zu dieser im Strafvollzugsgesetz als Sollvorschrift ausgestatteten Norm Schultheiß, Die ärztliche Versorgung zur sozialen Eingliederung – § 63 StVollzG, Hamburg 2006, die im EJStVollzG-BW fehlt; zu dem Zitat s. dort unter A. Zielsetzung (S. 1). Eine solche Vorschrift fehlt z. B. auch im E BremJStVollzG, das zudem in § 32 nur noch die „Unterstützung“ der Gefangenen bei der Wiederherstellung und Erhaltung ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit durch die Anstalt zusagt; das ist auf dem Hintergrund des Sozialstaatsgebots sicher zu wenig; zu den rechtlichen Grenzen der Eigenbeteiligung s. Blüthner, Kostenlose medizinische Versorgung im Justizvollzug oder Zuzahlungspflicht für Gefangene, ZfStrVo 2005, S. 94. So z. B. Art. 2 des E BayStVollzG (im Gegensatz zu § 2 E BerlJStVollzG; § 2 E HessJStVollzG; § 2 E JStVollzG neun Länder; § 5 E NJVollzG); in E JStVollzG- BW
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mit Sicherheitsrisiken belasteten extramuralen Medizin dämpfenden Einfluss und wird Akzente der Präventivmedizin zurückhaltender setzen. Auf den in § 3 StVollzG aufgestellten Angleichungsgrundsatz, nach dem das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden soll, will zwar nach den zur Zeit vorliegenden Entwürfen kein Bundesland verzichten. Ob man aus ihm aber folgert, dass ein kranker Gefangener, wenn in der Anstalt keine Krankenabteilung eingerichtet ist, „bei einem Arzt seiner Wahl außerhalb der Anstalt“ zu behandeln ist, ist eine offene Frage, die in Deutschland sicher künftig – selbst wenn der Angleichungsgrundsatz wörtlich einheitlich gilt – nicht überall gleich beantwortet werden wird. 29 Und schließlich sei jenseits denkbarer Einzelabweichungen noch die sehr grundsätzliche Frage des zugrunde liegenden Gesundheitsbegriffes erwähnt. Während das noch geltende Strafvollzugsgesetz in § 56 die Sorge für „die körperliche und geistige Gesundheit“ des Gefangenen dem Strafvollzug zur Aufgabe macht, wollte der schon zitierte zeitlich letzte Entwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Jugendstrafvollzugsgesetz in § 29 die Sorge auf „das körperliche, seelische, geistige und soziale Wohlergehen des Gefangenen“ erstrecken. Es versteht sich, dass die damit für die Länder verbindlich gemachte Vorgabe des Gesundheitsbegriffs der WHO 30 den Kanon der vorzuhaltenden und beanspruchbaren Leistungen erweitert und neue Akzente gesetzt hätte. Wie weit die Länder dem folgen, ist abzuwarten. Für jugend-psychiatrische Leistungen ist beispielsweise (neben fakultativer Sozialtherapie) in § 52 Abs. 1 des Entwurfs Baden-Württembergs zu einem Jugendstrafvollzugsgesetz ein gesetzlicher Anspruch vorgesehen. Der hier vorgelegte Bericht muss auf dem damit skizzierten Hintergrund in mancherlei Sicht ein vorläufiger, in mancherlei Sicht auch ein spekulativer bleiben. Er muss auf wankendem rechtlichen Boden Gesetzesentwürfe einbeziehen, die möglicherweise zum Zeitpunkt seines Erscheinens nicht in all ihren Aussagen geltendes Recht geworden sind. Trotz dieser Unsicherheiten und Vorbehalte ist aber vieles zu sagen, was Gültigkeit besitzt und behalten wird und was für die Intramurale Medizin oft ohnehin auch jenseits gesetzlicher Vorgaben gilt.
Die gegenwärtige Situation Zur Datenlage Will man sich zunächst ein Bild von der tatsächlichen Situation der Gesundheitsfürsorge im deutschen Strafvollzug machen, stößt man auf Grenzen. Zwar lassen sich über die Zahl der Vollzugsanstalten in Deutschland und den Bestand der Ge-
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ist die innere Sicherheit in § 2 an den Anfang gerückt, der Erziehungsauftrag folgt erst in § 21; s. zum Verhältnis beider Ziele – „kein Gegensatz“ - BVerfG NJW 2006, 2093, 2095. In Art. 45 Abs. 1 E BayJStVollzG der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Ds 15/7334 des Bayer. Landtags vom 1. Februar 2007) wird die Frage bejaht. S. zur Entscheidung für diesen Begriff die Begründung zu diesem Entwurf, S. 56 f.
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fangenen und Verwahrten in ihnen und damit über das potentielle „Patientengut“ verlässliche Angaben machen, die nach auch für die Intramurale Medizin bedeutsamen Kriterien wie Verweildauer, Alter, Geschlecht oder Nationalität ausdifferenzierbar sind. Verlässliches und repräsentatives Zahlenmaterial über die medizinischen Versorgungseinrichtungen im Vollzug, das ihnen zugeordnete Personal, die in ihnen erbrachten Leistungen, die Inanspruchnahme der extramuralen Medizin, die entstehenden Kosten ist aber wie Datenmaterial über die gesundheitliche Lage der Gefangenen, die Verbreitung der Krankheitsbilder, ihre Genese und Erfolg oder Misserfolg ihrer Therapie mangels einer systematisierenden Erhebung und Dokumentation in und für Deutschland bisher nicht verfügbar. Das gilt auch für den Krankenstand des Personals. Zu all dem muss man sich mit teils politisch angestoßenen und daher zufälligen, teils wissenschaftlich initiierten Einzelerhebungen mit begrenzten Aussagegehalten und unterschiedlichen Zeitwerten abfinden. Dieser Befund führt zu einer ersten, durch den eingangs beschriebenen Zersplitterungsprozess zwar in ihrer Durchsetzung nicht leichter gemachten, angesichts der schon bisher bestehenden faktischen „Datenhoheit“ der Länder aber auch nicht maßgeblich erschwerten Forderung 31 nach einer auf Kontinuität und Repräsentativität setzenden, der Qualität der Erhebungen des Statistischen Bundesamts zum Strafvollzug äquivalenten Sammlung und Dokumentation der für die Intramurale Medizin aussagekräftigen Daten. Nur auf ihrer Grundlage lassen sich zuverlässige Aussagen über das der intramuralen Krankenversorgung zugeordnete Personal, über Qualität und Effizienz der von ihm geleisteten Gesundheitsfürsorge im Vollzug, über gesundheitsrelevante Veränderungsprozesse in und durch den Vollzug oder über die Einlösung des Angleichungsgrundsatzes durch die Intramurale Medizin – um nur einige wichtige Beispiele zu nennen – machen. Solange wir über die Häufung und Komplikationsdichte der Krankheitsbilder Gefangener nichts über einzelne Anstaltserhebungen hinaus Zuverlässiges wissen, krankt z. B. ein Vergleich der medizinischen Versorgung der Gefangenen mit der der „Normalbevölkerung“ etwa am Indikator der Arztdichte an einem den Vergleich entwertenden Wissensdefizit. 32 Solche Defizite zu beheben und hierdurch verlässliche Aussagen und vergleichende Analysen zu ermöglichen, ist in Deutschland Teil der vom Bundesverfassungsgericht den Gesetzgebern nunmehr auferlegten Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht und in der nahen Zukunft umso dringlicher, umso mehr sich in föderalem Wettbewerb die Länder von bundeseinheitlich vorgegebenen Standards entfernen und auf je eigenem Niveau die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug betreiben. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass sich das Bundesministerium der Justiz – obwohl für Strafvollzug nicht mehr unmittelbar zuständig – gegenüber der WHO 31
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S. zur berechtigen Forderung nach systematischer Forschung und Dokumentation zur gesundheitlichen Lage der Gefangenen und nach Längsschnittstudien zur Erfassung von Veränderungsprozessen während der Haft Boetticher/Stöver, in: Feest (Hrsg.), Alternativkommentar Strafvollzugsgesetz (AK-StVollzG), 5. Aufl., Neuwied 2006, vor § 56 Rn 32. S. hierzu B.-D. Meier, Ärztliche Versorgung im Strafvollzug: Äquivalenzprinzip und Ressourcenknappheit, in: Hillenkamp/Tag (Fn 1), S. 35, 46, 48 ff.
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bereit erklärt hat, sich als Ansprechpartner für das von der WHO – Regionalbüro für Europa und dem European Network on Drugs and Infections Prevention in Prison (ENDIPP) angestoßene Projekt, eine Indikatorenbank zur Gesundheit im Strafvollzug zu entwickeln, zur Verfügung gestellt hat. In dessen Rahmen ist an die 16 deutschen Länderjustizverwaltungen vom BMJ ein ausführlicher Fragebogen versendet worden. Mit ihm wird die Antwort auf acht Fragekomplexe erbeten. Dabei handelt es sich 1. um Angaben zur Justizvollzugsstatistik, darunter neben den Vollzug allgemein betreffenden Angaben solche zu den jährlichen Gesamtkosten der anstaltsärztlichen Dienste, zur Gesamtzahl des anstaltsärztlichen Personals, zum Krankenstand des Personals und zur Zuständigkeit für die Gesundheit im Strafvollzug einschließlich der für die Kosten, 2. um Angaben zu Infektionskrankheiten, namentlich HIV, Hepatitis, Geschlechtskrankheiten und Tuberkulose, 3. um Angaben zu Drogensubstanzen und psychischen Störungen, 4. um Angaben zur Prävention, z. B. zu Spritzen-/Nadelaustauschprogrammen, Kondomen, Desinfektionsmitteln und Impfungen, 5. um Angaben zur Betreuung, wie z. B. zur antiretroviralen Behandlung, Substitutionsbehandlung und zur Einbeziehung externer Hilfsdienste, 6. um Angaben zur Qualitätssicherung, insbesondere zu nationalen Standards und Richtlinien und ihrer Geltung im Vollzug sowie zu Systemen der Datenerhebung, 7. um Angaben zur Aufklärung, namentlich zur Vorbeugung vor Drogen und Infektionskrankheiten einschließlich Safer-use-Trainings und zum Schutz der Vollzugsbediensteten und schließlich 8. um Angaben zum Risikoverhalten im Vollzug, also vor allem zu Suizid, Gewaltverhalten, Drogenkonsum, Piercing und Tätowierung. Dieser Fragenkatalog lässt sich sicher in mancherlei Richtung noch stärker ausdifferenzieren. So sollte neben der anstaltsärztlichen Seite die in Deutschland sehr verbreitete Inanspruchnahme von Vertragsärzten mit einbezogen, auch sollten die Kosten nach Personal-, Sach- und Medikamentenkosten differenziert und nach der Eigenbeteiligung gefragt werden, um nur zum ersten Fragenkomplex die Wünschbarkeit weiterer Ausdifferenzierung zu illustrieren. Ansatz und Weg sind aber fraglos richtig und es bleibt zu hoffen, dass die Landesjustizverwaltungen sich zur Mitwirkung verstehen. Dazu kann beitragen, dass sie sich des Auftrags des Bundesverfassungsgerichts zur Beobachtung und Nachbesserung vergewissern und dazu sehen, dass dieser Auftrag ohne verlässliche Datenerhebung unerfüllbar sein wird. Die Situation des Strafvollzugs Am 31.12.2005 lag die Einwohnerzahl der BRD bei 82.437.995 Menschen; darunter waren 40.339.961 männlich und 42.098.034 weiblich. Strafmündig, d. h. 14 Jahre und älter waren hiervon 71.664.931 Personen, also rund 87 %. Mit intramuraler Medizin zu versorgen waren am Stichtag des 31. März 2006 in den 16 Bundesländern 197 Strafvollzugsanstalten 33 mit einer Belegungsfähigkeit von 80.183 33
1995 gab es in Deutschland 221 Vollzugsanstalten mit einer Belegungsfähigkeit von 70.838; seit 2001 (222 Vollzugsanstalten) nimmt die Zahl der Anstalten kontinuierlich ab, die Belegungsfähigkeit dagegen kontinuierlich zu, s. Statistisches Bundesamt, Fach-
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Haftplätzen. Davon ermöglichten 52.640 eine Einzelunterbringung, 27.543 eine gemeinsame Unterbringung in der Anstalt. Für weibliche Gefangene lauten die hierin enthaltenen Zahlen 4.071, 2.727 und 1.344. Die tatsächliche Belegung betrug am 31. März 2006 78.581, davon 4.104 weibliche Inhaftierte. Der Anteil aufgrund einer Freiheitsstrafe, Jugendstrafe oder Sicherungsverwahrung Einsitzenden belief sich auf 61.759 (davon 3.115 weiblich). 14.634 (davon 799 weibliche) Personen befanden sich in Untersuchungshaft, 2.188 (davon 190 weiblich) in sonstiger Freiheitsentziehung (Abschiebungs-, Auslieferungshaft, militärischer Strafarrest nach Ausscheiden aus dem Militärdienst u. ä.). Von den 78.581 Gefangenen insgesamt verweilten in den 178 Anstalten des geschlossenen Vollzugs 67.895, in den 19 Anstalten des offenen Vollzugs dagegen 12.28834 . Die Tendenz in der tatsächlichen Belegung ist seit der bundeseinheitlichen Zählung 1995 mit Schwankungen steigend, 35 während der Anteil der im offenen Vollzug Untergebrachten kontinuierlich sinkt. Schneidet man aus der Gesamtpopulation der Inhaftierten die Strafgefangenen heraus, so ergibt sich am Stichtag des 31. März 2006 die Zahl von 64.137. 36 Zu Geschlecht, Nationalität, Alter und Vollzugsdauer lässt sich – nach Grundzahlen und Anteilswerten getrennt – die nachfolgende Übersicht geben.
34
35 36
serie 10/Reihe 1, Rechtspflege, Ausgewählte Zahlen für die Rechtspflege, 2006 4. Strafvollzug, Tabelle 4.1. Die vorstehenden Zahlen finden sich als Online-Veröffentlichung unter Statistisches Bundesamt VI B/3 2432100, S. 12. S. Statistisches Bundesamt (Fn 33), Tabelle 4.3. Umgerechnet auf jeweils 100.000 Personen der strafmündigen Bevölkerung (ab 14 Jahren) saßen am 31. März 2006 rund 90 Strafgefangene ein, ein Jahr zuvor waren es 89, 1995 67, Pressemitteilung Statistisches Bundesamt vom 11. Dezember 2006 – 517/06 (www.destatis.de); im Vergleich zu 47 ausgewiesenen europäischen Ländern haben 2005 20 eine geringfügig bis deutlich (40.5) geringere, 26 dagegen eine geringfügig bis sehr deutlich (576.8) höhere Gefangenenzahl, s. Council of Europe, Space I, 2005, Tab. 1.2.
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Strafgefangene am 31. März 2006 nach demographischen und kriminologischen Merkmalen* Tabelle 1. Grundzahlen Strafgefangene insgesamt Merkinsge- männ- weibmale samt lich lich Strafgefangene 64 137 60 875 3 262 insgesamt Deutsche
50 119
Auslän14 018 der
Freiheitsstrafe1 insgesamt
Jugendstrafe2
männ- weib- insgelich lich samt
männ- weiblich lich
57 142 54 170 2 972 6 995
6 705 290
47 347 2 772 44 415 41 902 2 513 5 704
5 445 259
13 528 490
1 260
12 727 12 268 459
1 291
31
Tabelle 2. Altersgruppe Merkmale
Strafgefangene insgesamt Freiheitsstrafe1
Jugendstrafe2
insge- männinsge- männ- weib- insgeweiblich samt lich samt lich lich samt 12 173 11 651 522 5 996 5 728 268 6 177
18 bis unter 25 Jahren 25 bis 12 974 unter 30 Jahren 30 bis 18 924 unter 40 Jahren 40 bis 12 571 unter 50 Jahren 50 Jahre 6 755 und mehr
männ- weiblich lich 5 923 254
12 416 558
12 906 12 351 555
68
65
3
17 963 961
18 915 17 954 961
10
10
-
11 812 759
12 570 11 811 759
-
-
-
6 326
6 755 6 326 429
-
-
-
429
88
Thomas Hillenkamp
Tabelle 3. Vollzugsdauer3 Merk- Strafgefangene insgemale samt Voraussichtliche Vollzugs dauer
Freiheitsstrafe1
Jugendstrafe2
bis unter 6411 3 Monate 3 bis 20814 einschl. 12 Monate mehr als 28775 1 bis einschl. 5 Jahre mehr als 6 218 5 bis einschl. 15 Jahre lebens- 1 919 lang
6 356
55
5857
554
5 806 550
51
4
19491
1 323 19 049 17 852 1 197 1 765
1 639 126
27688
1 087 23 851 22 911 940
4 924
4 777 147
6 020
198
5 967
5 782 185
251
238
13
1 819
100
1 919
1 819 100
-
-
-
Tabelle 4. Anteilswerte in Prozent Strafge- 100 fangene insgesamt Deutsche 78,1 Auslän- 21,9 der
100
100 100 100
100 100
100
100
77,8 22,2
85,0 77,7 77,4 15,0 22,3 22,6
84,6 81,5 15,4 18,5
81,2 18,8
89,3 10,7
Intramurale Medizin in Deutschland
89
Tabelle 5. Altersgruppe 14 bis unter 18 Jahren 18 bis unter 25 Jahren 25 bis unter 30 Jahren 30 bis unter 40 Jahren 40 bis unter 50 Jahren 50 Jahre und mehr
1,2
1,2
1,0
-
-
-
10,6 10,5
11,4
19,0
19,1
16,0
10,5
10,6
9,0
88,3 88,3
87,6
20,2
20,4
17,1
22,6
22,8
18,7
1,0
1,0
1,0
29,5
29,5
29,5
33,1
33,1
32,3
0,1
0,1
-
19,6
19,4
23,3
22,0
21,8
25,5
-
-
-
10,5
10,4
13,2
11,8
11,7
14,4
-
-
-
10,0
9,6
17,0
11,1
10,7 18,5
0,8
0,8
1,4
32,5
32,0 40,6
33,3
33,0 40,3
25,2
24,4
43,4
44,9
45,5 33,3
41,7
42,3 31,6
70,4
71,2
50,7
9,7
9,9
6,1
10,4
10,7 6,2
3,6
3,5
4,5
3,0
3,0
3,1
3,4
3,4
-
-
-
Tabelle 6. Vollzugsdauer3 Voraussichtliche Vollzugsdauer bis unter 3 Monate 3 bis einschl. 12 Monate mehr als 1 bis einschl. 5 Jahre mehr als 5 bis einschl. 15 Jahre lebenslang
3,4
* Zusammengestellt aus Statistisches Bundesamt (wie Fn 33), Tab. 4.5.1 und 4.5.2. 1 Einschl. Jugendstrafe bei Verurteilten, die gemäß § 92 JGG aus dem Jugendstrafvollzug ausgenommen sind. 2 Einschl. Freiheitsstrafe bei Verurteilten, die gemäß § 114 JGG in der Jugendstrafanstalt vollzogen wird. 3 Hierbei handelt es sich um die erkannte Strafe ausschl. einer angerechneten Untersuchungshaft, aber einschl. eines eventuell auszusetzenden Strafrestes.
Aus dieser Zusammenstellung lässt sich entnehmen, dass sich die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug zu ca. 95 % mit männlichen Gefangenen, mit einem Ausländeranteil am Gesamt von annähernd 22 % 37 in einem auf alle Gefangenen bezogenen Alter von zu rund 88 % 18-49-jährigen konfrontiert sieht, deren voraussichtliche Aufenthaltsdauer im Vollzug zu gut 42 % unter einem Jahr und zu weiteren 45 % (deutlich) unter 5 Jahren liegt. Auch wenn die Gruppierung der Frauen und der deutlich Älteren zahlenmäßig gering erscheint, kann man sie mit ihren besonderen bzw. zunehmenden gesundheitlichen Problemen naturgemäß ebenso wenig „vernachlässigen“, wie die ohnehin deutlich repräsentierten Ausländer, deren 37
13 von insgesamt 47 europäischen Ländern haben einen zum Teil deutlich höheren Ausländeranteil, s. Council of Europe, Space I, 2005, Tab. 3.
90
Thomas Hillenkamp
gesundheitliche Versorgung gleichfalls spezifische (Verständigungs-) Probleme birgt und einen hohen Zeitaufwand erfordert. Die Angaben zur (voraussichtlichen) Vollzugsdauer machen zudem darauf aufmerksam, dass es sich für den gefangenen Patienten um eine Interimssituation handelt, deren Therapieansätze und erfolge nur nachhaltig wirken können, wenn außervollzugliche Gesundheitsdienste die gegebenenfalls notwendige Weiter- und Nachversorgung gewährleisten und die Entlassungsvorbereitung der Gefangenen zur Annahme solcher Angebote und zu einem durch Beratung und Training gestützten präventiven und risikoarmen Verhalten befähigt. Die häufig geführte Klage über drangvolle Enge, Überbelegung und damit einhergehende Überlastung des Personals, 38 die sich auf die Lage der Gesundheitsfürsorge im Vollzug erstreckt, ist angesichts einer auf den ersten Blick bestehenden Unterbelegung – 78.581 inhaftierte Personen bei 80.183 belegbaren Plätzen – nicht ohne weiteres verständlich. Diese Zahlen sind aber einer korrigierenden Bewertung bedürftig. 39 Zum einen ist die Stichtagsbelegung ein Zufallswert, der über das Jahr erheblichen Schwankungen unterliegt. Ebnet man diesen Faktor durch eine Berechnung über das gesamte Jahr ein, ergibt sich z.B. bundesweit für die Jahre 2003 und 2004 eine Belegung von 100 bzw. 101 %, für 2005 eine solche von immerhin noch 99 %. 40 Hinzu kommt eine regional und von Anstalt zu Anstalt schwankende Belegungsdichte, die z. B. trotz einer nur annähernden Gesamtauslastung wie im Jahr 2005 in Bayern in diesem Jahr eine Überbelegung von 107 %, in Berlin von 102 %, in Rheinland-Pfalz von 105 % und in Thüringen von 119 % aufwies und in Sachsen und Sachsen-Anhalt eine 100 %ige Auslastung ergab, während z. B. der Bremer und Hamburger Vollzug in diesem Jahr nur zu 87 % bzw. 90 % ausgelastet waren. 41 Schon hiernach ergibt sich in vielen und namentlich den bevölkerungsreichen Ländern eine dramatische Lage. Die organisatorische Belastung der Justizvollzugsanstalten und ihrer medizinischen Einrichtungen erschließt sich aber ohnehin nicht allein aus der Belegungsdichte, sondern erst durch die Einbeziehung der Gefangenenbewegung. So mussten im Jahr 2005 in Deutschland von den Vollzugsanstalten 640.300 Zugänge (darunter 239.723 sog. 38
39
40
41
S. den Beschluss der 16. Konferenz der Justizministerinnen und -minister vom 20. und 21.11.1996, abgedruckt in ZfStrVo 1997, S. 296 ff.; ferner die Kritik des Committe for the Prevention of torture, inhuman or degrading Treatment (CPT) anlässlich seiner Inspektion des deutschen Strafvollzuges in den Jahren 1991, 1996, 1999 und 2000, dazu die Nachweise bei Kaiser/Schöch, Strafvollzug, Eine Einführung in die Grundlagen, 5. Aufl., Heidelberg 2003, § 7 Rn 71 mit § 4 Rn 15; s. auch Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 10. Aufl., München 2005, Einl. Rn 45 m. w. N. Zu Plänen der Erweiterung der Kapazitäten auf rund 85.000 Haftplätze mit einer Steigerung um 30 % in den neuen Bundesländern s. Kaiser/Schöch, Einführung, § 10 Rn 12. S. zu den Corrigenda Kaiser/Schöch, Einführung, § 12 Rn 2 f.; M. Walter, Strafvollzug, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1999, Rn 106 f.; ferner Olschok, Privatisierung im Strafvollzug, in: R. Stober (Hrsg.), Privatisierung im Strafvollzug, Köln, 2001, S. 111, 112 f. In 21 von 47 europäischen Ländern lag zum Stichtag des 1. September 2005 die Belegungsdichte bei über 100 %, s. Council of Europe, Space I, 2005, Tab. 1. S. Statistisches Bundesamt (wie Fn 33), Tabelle 4.1. Die Zahlen für 2006 sind hierin noch nicht aufgeführt und erst im Spätsommer 2007 verfügbar.
Intramurale Medizin in Deutschland
91
Eintritte = erstmalige Aufnahme aus der Freiheit – 123.184 – und aus anderen Justizvollzugsanstalten) und 636.308 Abgänge (84.856 Entlassungen in die Freiheit) bewältigt werden. 42 Am Stichtag des 31. März 2006 wurden auf den abgelaufenen Kalendermonat unter 55.686 Zugängen 6.348 Strafantritte und unter 57.077 Abgängen 4.949 Entlassungen in die Freiheit gezählt und damit Vorgänge, die eine ärztliche Untersuchung erfordern. 43 Auch aus diesen Gründen ist es gerechtfertigt, bereits deutlich vor einer nicht überall gleichmäßig gegebenen statistischen Vollauslastung der Haftplätze von (über) 100 % von Überlastung und Überbelegung zu sprechen. 44 Die sich auf diesem Hintergrund abzeichnende kritische Lage des Strafvollzugs sah die 68. Justizministerkonferenz 1996 durch spezifische Mangel- und Problemlagen bedenklich verschärft. So wies sie auf den erheblichen Anteil der modernen Bau-, Ausstattungs- und Sicherheitsstandards nicht entsprechenden Haftanstalten ebenso hin, wie auf den Modernisierungsbedarf der inneren Führungs-, Steuerungs- und Verwaltungskonzeptionen. Dazu erklärte sie „die Belastungsgrenze der Justizvollzugsbediensteten“ für „erreicht“. 45 Als einen der maßgeblichen Gründe gab sie eine veränderte Gefangenenstruktur an, die sich durch ein rapides Anwachsen aus unterschiedlichen Gründen schwieriger Gefangenengruppen auszeichne. Gemeint war einerseits der hohe Ausländeranteil, der 1995 insgesamt 22,6 % und im Jugendstrafvollzug sogar 31,5 % betrug 46 und zu erheblichen Sprach-, Verständigungs- und Integrationsproblemen führe. Dazu wurde im Blick 42
43
44
45 46
Statistisches Bundesamt (wie Fn 33), Tabelle 4.2; als Zugänge und Abgänge werden nicht nur Erstaufnahmen aus der Freiheit und Entlassungen in die Freiheit, sondern auch Veränderungen der Art des Vollzugs (z. B. aus Untersuchungshaft in Strafhaft) und Überweisungen von einer in eine andere Anstalt gezählt. Zu den Zahlen s. Statistisches Bundesamt (wie Fn 34), S. 15 f.; s. auch Kaiser/Schöch, Strafvollzug, 5. Auflage Heidelberg, 2002, § 12 Rn 3 zur Einbeziehung der Gefangenenbewegung in die Beurteilung der Belastung. Die Eingangsuntersuchung ist gesetzlich vorgesehen, § 5 Abs. 3 StVollzG (so auch Art. 7 Abs. 3 E BayStVollzG; § 8 Abs. 2 E NStVollzG), die Entlassungsuntersuchung im Strafvollzugsgesetz nicht erwähnt (s. allerdings VV Nr. 2 zu § 171 StVollzG), nach den einschlägigen Verwaltungsvorschriften der Länder aber die Regel, s. z. B. § 26 der VwV des Justizministeriums BadenWürttemberg zum Gesundheitswesen im Justizvollzug vom 31.01.2003, abgedruckt in: Die Justiz 2003, S. 73: „Der ärztliche Dienst untersucht die Gefangenen alsbald nach der Erstaufnahme und grundsätzlich vor der Entlassung“. Bei einer Haftzeit über drei Monate ist die Untersuchung vorzunehmen, § 32 Abs. 2 VwV. Da nach Nr. 16 Abs. 2 UVollzO nach dem Zugang aus der Freiheit gleichfalls eine ärztliche Untersuchung vorzunehmen ist, vervielfacht sich die Zahl der obligatorischen Eingangsuntersuchungen um ein Mehrfaches. Das gilt z. B. 2005 für Baden-Württemberg mit einer Auslastung von 97 %, Hessen (98 %), Mecklenburg-Vorpommern (99 %), Nordrhein-Westfalen (96 %) und das Saarland (96 %). S. auch Walter, Strafvollzug, S. 144 m. w. N.; zu berücksichtigen ist auch der nicht unbeträchtliche Anteil an wegen Bauarbeiten (zeitweise) nicht belegbaren Haftplätzen, s. dazu die Antwort der Baden-Württembergischen Landesregierung auf eine Große Anfrage, Landtag von Baden-Württemberg, Ds 13/3624, Anl. 2 (S. 24-30). S. den Bericht zur Konferenz in ZfStrVo 1997, S. 296 ff. S. den Überblick über die Jahre 1965-2001 bei Kaiser/Schöch, Einführung, S. 266.
92
Thomas Hillenkamp
namentlich auf Gefangene aus der Banden- und Organisierten Kriminalität einerseits und auf Drogenabhängige andererseits auf eine verstärkte Gewaltbereitschaft der Gefangenen untereinander und gegen Bedienstete, sowie auf Drogenhandel und Beschaffungskriminalität innerhalb der Anstalten verwiesen. Auch wenn seit 1996 manche baulichen und die Verwaltungsabläufe betreffenden Verbesserungen zu verzeichnen sind, ist das heutige Gesamtbild gegenüber dieser 1996 gültigen Zeichnung noch nicht in allen Belangen maßgeblich verändert. Obwohl der Standard des deutschen Strafvollzugs sich im gesamteuropäischen Vergleich im oberen Mittelfeld bewegen und den in den „Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen“ 47 formulierten Empfehlungen weitgehend genügen dürfte, ist folglich zu sehen, dass neben einer sich in Nord-Süd- und West-Ost-Gefällen ausdrückenden Ungleichbehandlung 48 bauliche Mängel, Überbelegung, materiell und personell knappe Ressourcen, die zunehmende Heterogenität der Vollzugspopulation und ihrer Problemgruppen sowie die große Verwaltungslast den Strafvollzug in einem Zustand halten, der mit den ihm vom Gesetz zugedachten Zielen und den in ihn von der Kriminalpolitik und der Bevölkerung gesetzten Erwartungen nicht durchweg hinreichend Schritt zu halten vermag. 49 Die Situation der Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug Will man den von Jahr zu Jahr verlässlich ermittelbaren Zahlen und Aussagen zum Strafvollzug vergleichbar repräsentatives und verlässliches Material zur Gesundheitsfürsorge im Vollzug gegenüberstellen, stößt man in Deutschland zurzeit noch auf die schon beschriebene Mangellage. Zu Indikatoren für den zugunsten der intramuralen Medizin betriebenen Aufwand und die durch ihn erzielte Qualität lässt sich daher nur mit interpretationsbedürftigen und Bewertungen nur sehr ein47
48
49
Enthalten in der Empfehlung Nr. R (87) 3 des Ministerkomitees des Europarates, abgedruckt in: Bundesamt für Justiz, Bern, Informationen über den Straf- und Maßnahmenvollzug. Sonderbeilage zu Heft 1/95; ihre Neufassung vom 11. Januar 2006 ist in englischer und französischer Sprache abrufbar unter: http://www.coe.int/T/E/Legal_affairs/Legal_co-operations/Prisoners_and_alternatives/Legal_instruments/. Buchausgbe: Council of Europe, European Prison Rules (2006). Haaksbergen/Niederlande 2006; s. dazu Feest, Europäische Maßstäbe für den Justizvollzug, ZfStrVo 2006, S. 259; s. ferner die Empfehlung R (98) 7 des Ministerkomitees des Europarates über ethische und organisatorische Aspekte der Gesundheitsfürsorge im Gefängnisbereich vom 8. April 1998, abgedruckt in: Bundesamt für Justiz, Bern, Informationen über den Straf- und Maßnahmenvollzug, 2/98, S. 20; zur Einschätzung des deutschen Strafvollzugs s. Kaiser, Deutscher Strafvollzug in europäischer Perspektive, in: Feuerhelm, Schwind, Bock (Hrsg.), Festschrift für Alexander Böhm, Berlin, New York 1999, S. 25, 46 ff.; s. auch Lange/Lehngut und Moser (Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, wie Fn 16, S. 6, 10), die über das Lob ausländischer Besuchergruppen berichten. S. dazu Dünkel, Empirische Forschung im Strafvollzug, Bestandsaufnahmen und Perspektiven, Bonn 1996, S. 38 ff. S. zusammenfassend auch Kaiser/Schöch, Einführung, § 4 Rn 15 ff.; zur nicht hinreichenden Beachtung des Trennungs- (§ 140 StVollzG) und des Differenzierungsgebots (§ 141 StVollzG) s. Laubenthal, Strafvollzugsrecht, Rn 51 ff.
Intramurale Medizin in Deutschland
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geschränkt zulassenden Schlaglichtern aufwarten. Das sei hier beispielhaft an einigen wenigen Parametern belegt. Personal Die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug ist nach § 158 Abs. 1 Satz 1 StVollzG durch „hauptamtliche Ärzte sicherzustellen“. Sie sind in den Justizvollzugsanstalten und den als solche geführten neun Justizvollzugskrankenhäusern (JVKH) Deutschlands 50 zu finden. „Aus besonderen Gründen“ kann die Versorgung nach § 158 Abs. 1 Satz 2 StVollzG auch „nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Ärzten übertragen werden“. 51 Hält es der Anstaltsarzt nach Art oder Schwere des Falles für erforderlich, zieht er einen anderen (extramuralen) Arzt oder Facharzt hinzu (VV 2.(1) zu § 58 StVollzG). Kann die Krankheit in einer Vollzugsanstalt oder einem Anstaltskrankenhaus nicht erkannt oder behandelt werden, ist der Gefangene in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs zu bringen (§ 65 Abs. 2 StVollzG). Das gilt generell auch für Schwangere zur Entbindung (§ 76 Abs. 3 StVollzG). Die Pflege der Kranken im Vollzug „soll von Personen ausgeübt werden, die eine Erlaubnis nach dem Krankenpflegegesetz“ besitzen. Auch können „Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes eingesetzt werden, die eine sonstige Ausbildung in der Krankenpflege erfahren haben“ (§ 158 Abs. 2 StVollzG). Aufgrund einer Großen Anfrage der Fraktion der SPD zum Strafvollzug in Baden-Württemberg hat das baden-württembergische Justizministerium in seiner Antwort für die Landesregierung vom Oktober 2004 die nach den Haushaltsplänen der Länder ausgewiesenen Planstellen für Anstaltsärzte und -ärztinnen und die Stellenzahl je 100 Gefangene bzw. Haftplätze ermittelt. Hiernach gab es 2004 insgesamt 305,74 Planstellen in der Bundesrepublik Deutschland. Das entspricht einer Stellenzahl auf 100 Gefangene bzw. Haftplätze von 0,38, wenn man – wie es in dieser Berechnung geschieht – von einer Jahresdurchschnittsbelegung des Jahres 2003 von 79.752 und der Zahl der zur Verfügung stehenden Haftplätze am 1.1.2004 von 79.441 ausgeht. Bernd-Dieter Meier hat hieraus eine Versorgungsrelation von 1 : 261 errechnet, was heißt, dass 2004 von einem Arzt 261 Strafgefangene zu versorgen waren. Diese Relation schwankt in den einzelnen Bundesländern zwischen 1 : 159 in Berlin und 1 : 931 im Saarland. 52 50
51 52
Sie versorgen auch länderübergreifend. So versorgt das JVKH Lingen die Gefangenen Niedersachsens und Bremens, das JVKH Wittlich Rheinland-Pfalz und das Saarland. Patienten aus Thüringen werden durch das JVKH Leipzig, das Zentralkrankenhaus bei der JVA Kassel I (Hessen), die TBC-Abteilung der JVA St. Georgen/Bayreuth (Bayern) und das JVKH Fröndenberg (NRW) aufgenommen (s. B.-D. Meier – wie Fn 32 – S. 45). Berlin verfügt seit Januar 2007 über das neu errichtete Krankenhaus der Berliner Vollzugsanstalten (KBVA) in Berlin-Plötzensee. An dieser Regelung halten Art. 179 Abs. 1 E BayStVollzG und § 173 E NJVollzG fest. Die baden-württembergische Erhebung findet sich in der Drucksache 13/3624 des Landtags Baden-Württembergs, die hier zitierten Zahlen als Antwort auf Frage 9 in der Anlage 4; dort ist das Zahlenwerk nach den 16 Bundesländern differenziert. Zur Erhebung und Interpretation s. B.-D. Meier (wie Fn 32), S. 44 ff.; für das Jahr 1980 berechneten Dünkel/Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs in der BRD seit 1970, Frei-
94
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Hiernach ergibt sich auf den ersten Blick eine der ärztlichen Versorgung der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nicht unähnliche Situation. Zum Stichtag des 31.12.2003 hat Meier insoweit eine Versorgungsrelation von 1 : 271 angegeben, die auch hier regional deutlich schwankt. Sie reichte nach Meier von 1 : 183 bzw. 1 : 189 in Hamburg bzw. Berlin bis 1 : 340 in Brandenburg und 1 : 490 in Nordrhein-Westfalen. Daraus zu schließen, die ärztliche Versorgung im Strafvollzug sei unter dem Blickwinkel der Betreuungsdichte sogar geringfügig besser als „draußen“, ist ein nahe liegender, aber sicher aus mehreren Gründen zu relativierender Schluss. Zum Ersten sind die Planstellen nicht durchgehend besetzt. 53 Das liegt an Einstellungsstopps und Wiederbesetzungssperren, aber auch an der aus ärztlicher und wirtschaftlicher Sicht nicht sonderlich hoch zu veranschlagenden Attraktivität dieser Stellen und der mit ihr verbundenen Tätigkeit. Die Beamtenbesoldung kann mit dem Einkommen frei praktizierender Ärzte in aller Regel nicht Schritt halten. Das Ansehen des „Gefängnisarztes“ ist nicht sonderlich hoch. 54 Zum Zweiten ist zu berücksichtigen, dass „die Ärzte im Vollzug neben der medizinischen Versorgung für eine Reihe anderer Tätigkeiten zuständig sind, was bedeutet, dass im Strafvollzug ein höherer Bedarf an Ärzten besteht als im allgemeinen Gesundheitswesen“. 55 Zum Dritten entfällt ein beachtlicher Teil der Planstellen auf die Justizvollzugskrankenhäuser, was zu einer gegenüber der Medizin draußen eher überrepräsentativen Ausdünnung in der Breite führt. So beschäftigte z. B. Niedersachsen in dem JVKH Lingen 2004 7 hauptamtliche und (einschließlich des Zahnarztes) nur 3 nebenamtliche Ärzte. In den 17 JVA im Übrigen standen in diesem Land aber nur 18 hauptamtliche Ärzte 36 nebenamtlich tätigen Ärzten gegenüber. 6 Anstalten besaßen 2004 überhaupt keine hauptamtliche Stelle. 56 In Baden-Württemberg gab es 2004 26 Planstellen. In den 18 JVA des Landes waren davon außerhalb des JVKA Hohenasperg lediglich 12 hauptamtliche Ärzte sowie 68 Vertragsärzte tätig. 57
53
54
55 56
57
burg 1981, S. 272 den Zahlenwert von 1 : 293; das Committee for the Prevention of torture and inhuman or degrading Treatment (CPT) hat ein Mindestniveau von einem Arzt und zwei Krankenpflegern auf 500 Gefangene gefordert, s. Bank, Die internationale Bekämpfung von Folter und unmenschlicher Behandlung, Freiburg/Breisgau 1996, S. 181. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn 6; Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl., Berlin 2005, § 158 Rn 2. Wie ihn Friedrich Leppmann in seiner Monografie „Der Gefängnisarzt“, Berlin 1909 noch nannte; s. zu den im Text genannten Vorbehalten Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn 6; Husen, Ärztlicher Dienst im Strafvollzug, in: Eisen (Hrsg.), Handwörterbuch der Rechtsmedizin, 3. Band, Stuttgart 1977, S. 574, 577; ferner Schandel, Schlussresümee des Arbeitskreises für Ärzte in: Arbeitsgemeinschaft der leitenden Strafvollzugsbeamten Österreichs („Veränderungen in der Vollzugsorganisation“ „Hebung des Images“), 29. Arbeitstagung, Wien 1993, S. 117 – 119. Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 158 Rn 2. S. die am 9.7.2004 gegebene Antwort der Niedersächsischen Landesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen, NDS Landtag, Ds 15/1192, S. 9 ff. Die Zahl 26 findet sich in: Landtag von Baden-Württemberg, Ds 13/3624, S. 32, die Verteilung der Ärzte in der Denkschrift 2005 des Rechnungshofs Baden-Württemberg,
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Spricht diese Momentaufnahme 58 mit Blick auf die hauptamtlichen Ärzte also letztlich eher doch für eine (leichte und partielle) Unterversorgung, ist daraus wiederum der Schluss auf eine zu geringe ärztliche Betreuungsdichte nicht zulässig. Die Praxis kehrt nämlich die gesetzgeberisch vorgegebene Regel der Gesundheitsfürsorge durch hauptamtliche Ärzte (§ 158 Abs. 1 Satz 1 StVollzG), die neben der Absicherung ärztlicher Versorgung auch der „zentralen allgemein sozialen Dienstfunktion“ des Arztes „im Behandlungsvollzug“ Rechnung tragen soll, 59 annähernd um und macht von dem von § 158 Abs. 1 Satz 2 StVollzG als Ausnahme eingeräumten Zugriff auf nebenamtliche und vor allem vertraglich verpflichtete Ärzte – wie die für Niedersachsen und Baden-Württemberg soeben angegebenen Zahlen schon zeigen –sehr regen Gebrauch. 60 Das steigert nicht nur die Betreuungsdichte, sondern ist auch als Verknüpfung zwischen intra- und extramuraler Medizin zu begrüßen. 61 Hinzu kommt die – zahlenmäßig allerdings angesichts der bislang sehr eingeschränkten Kooperationsbereitschaft öffentlicher Krankenhäuser nicht sehr hoch zu veranschlagende 62 – Versorgung in extramuralen Krankenanstalten. Schließlich reduziert sich die Zahl der tatsächlich zu versorgenden Gefangenen nicht unerheblich, wenn man die namentlich im offenen Vollzug anzutreffenden Freigänger abzieht, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehen, darin krankenversichert und dann von den ärztlichen Versorgungsleistungen im Vollzug ausgeschlossen (§ 62a StVollzG) sind. 63 Da zu alledem keine oder nur verstreute Zahlen verfügbar sind, kann man nur unter Vorbehalt davon reden, dass eine personelle Mangelsituation mit Blick auf die ärztliche Versorgung in Deutschland eher nicht anzunehmen sein dürfte.
58
59 60
61
62
63
S. 87; dort ist allerdings zu den 69 Vertragsärzten ein Gesamtumfang von nur „etwa 17 Arbeitskraftanteilen“ angegeben. Für 1995 findet sich eine solche – zu ausgewählten Bundesländern – in: M. Walter, Strafvollzug, S. 213. Damals gab es 280 Planstellen. Rex, Die Stellung des Arztes im Justizvollzug, in Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualitätssicherung (ZaeFQ) (2000) 94, S. 258, 260 gibt für das Jahr 2000 an, dass bundesweit 395 Ärzte von den Justizverwaltungen im Vollzug beschäftigt wurden, davon „ein knappes Drittel .... niedergelassene Ärzte“. Er berechnet daraus eine Arztdichte von 1 : 560. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 158 Rn 1. S. dazu auch die deutlichen Angaben zu den hierfür verwendeten Haushaltsmitteln bei Dünkel/Roßner (wie Fn 50), S. 267 ff. Hillenkamp, Der Arzt im Strafvollzug – Rechtliche Stellung und medizinischer Auftrag, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 28. Der Rechnungshof Baden-Württembergs (Denkschrift 2005, S. 90) glaubt angesichts der „gravierenden Umwälzungen der Krankenhauslandschaft“ insoweit an einen deutlichen Zuwachs an Kooperationsbereitschaft. Das Justizministerium stimmt dem zu (S. 94), berichtet aber auch über die bislang ablehnende Haltung (S. 93), die sich aus Berührungs- und Bedrohungsängsten und Vorurteilen speisen dürfte. Für 1999-2003 finden sich Zahlen zur Verlegung von Gefangenen in ein Krankenhaus der Allgemeinversorgung (182; 155; 202; 191; 117) und zur konsiliarärztlichen Überweisung (5.654; 5.815; 6.872; 7.199; 7.532) für Niedersachsen in: Nds. Landtag Ds 15/1192, S. 9. Darauf weist B.-D. Meier (wie Fn 32), S. 45 zu Recht hin; zum Status der Freigänger in der Gesundheitsfürsorge s. B. Kirschke, Medizinische Versorgung im Strafvollzug, Hamburg 2003.
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Was hinsichtlich des Pflegepersonals gilt, lässt sich noch weniger sagen. Die Anfrage der Grünen in Niedersachsen spart diesen Sektor aus. In Übersichten „versteckt“ sich der Sanitäts- und Krankenpflegedienst nicht ausdifferenzierbar in den Zahlen des (mittleren) allgemeinen Justizvollzugsdienstes. 64 Der badenwürttembergische Rechnungshof spricht insoweit von „Personal mit insgesamt 163 Arbeitskrafteinheiten“. 65 Hier kommen ausschließlich hauptamtliche Kräfte im Beamten- und Angestelltenverhältnis zum Einsatz. Bislang war man mangels Attraktivität maßgeblich darauf angewiesen, dass sich Beamte des allgemeinen Vollzugsdienstes einer weiteren Ausbildung zum Krankenpfleger (3 Jahre) oder Krankenpflegehelfer (1 Jahr) unterzogen, die dann in die Anstalt zurückkehrten. Seit 1989 unterhält Baden-Württemberg hierfür eine Krankenpflegeschule, die der Rechnungshof mangels wirtschaftlicher Vertretbarkeit allerdings zu schließen empfiehlt. 66 Das JVKH Lingen gibt auf seiner Homepage aktuell „9 fest angestellte Ärzte sowie rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflegepersonals und des technischen Dienstes“ an. Weitere Einzelheiten lassen sich sicher zusammentragen, allgemeine Folgerungen hieraus aber nicht ziehen. Apparative und räumliche Ausstattung Ein gewichtiger Indikator für die Qualität der intramuralen ärztlichen Versorgung ist sicher die apparative und räumliche Ausstattung. Hierzu mag es zwar zutreffen, dass die wenigen „neuen Vollzugsanstalten“ über „medizinische Abteilungen“ verfügen, die nach Räumlichkeiten und Geräteausstattung „den Vergleich mit Praxen außerhalb des Justizvollzugs nicht zu scheuen brauchen“.67 Auch dürfte sich das Strafvollzugsgesetz mit seiner Betonung des Behandlungscharakters (§ 4 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz) und der verlangten Angleichung des Vollzugs an die allgemeinen Lebensverhältnisse (§ 3 Abs. 1 StVollzG) positiv auf die Verbesserung und Modernisierung der medizinischen Einrichtungen ausgewirkt haben.68 Das polemische Wort von der „Sperrmüllpraxis“ 69 ist deshalb wohl überholt. Es ist aber gleichwohl vermutlich keine Verzeichnung, von einem räumlich oft eher unfreundlichen und beengten Praxisambiente, von gleichfalls beengten Bettenstationen und von einer unzureichenden und veralteten apparativen Ausstattung namentlich in den zahlreichen älteren und kleineren Anstalten als einem noch verbreiteten Zustand zu sprechen. So findet man z. B. in Niedersachsen im Jahr 2004 64 65 66
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S. Landtag Baden-Württemberg Ds 13/3624, Anlage 4. Denkschrift 2005, S.90. Denkschrift 2005, S. 89; das Justizministerium hält in seiner Stellungnahme hierzu „die anderweitige Deckung des Bedarfs in Anbetracht der veränderten Arbeitsmarktlage“ für „zumindest nicht ausgeschlossen“ und will daher die Schließung der Krankenpflegeschule prüfen; empfehlenswert ist diese Schließung sicher nicht. Nds. Landtag, Ds 15/1192, S. 4. S. Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 58 Rn 25; das Urteil stammt von Riekenbrauck, dem seit 1987 amtierenden Ärztlichen Direktor des JVKH Fröndenberg in NRW. Zettel, Anstaltsarzt und ärztliche Versorgung, in: Schwind/Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis, 2. Aufl., Berlin 1988, S. 193, 194.
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nur in 5 Anstalten einen Defibrillator, dessen Herstellungsjahr in Hannover mit 1989 angegeben wird und in nur 8 Anstalten ein Ultraschallgerät, davon zwei mit unbekanntem Herstellungsjahr. 70 Die bei Riekenbrauck 1999 noch zu findende Einschätzung, dass in den 9 JVKH die „Krankenhauseinrichtung modern“ und die „Diagnostik- und Untersuchungsmöglichkeiten ausreichend“ seien, ist im Jahr 2005 seiner Feststellung gewichen, „dass die Ausstattung und fachliche Qualität in Deutschland sehr unterschiedlich“ sei. 71 Dem entspricht es, dass in BadenWürttemberg „das sanierungsbedürftige Vollzugskrankenhaus Hohenasperg“ nach Einschätzung der Landesregierung „mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand am bisherigen Standort nicht auf den heutigen medizinischen Stand gebracht werden kann“. 72 Auch zur apparativen und baulichen Ausstattung lassen sich freilich all diese Aussagen nur zu Schlaglichtern verdichten, die keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben, erheblichen Nachhol- und Investitionsbedarf für Deutschland aber gleichwohl signalisieren. Kostenaufwand (Vergleichende) Rückschlüsse auf den Stand der medizinischen Versorgung im Vollzug ließen sich auch aus Angaben zum Kostenaufwand ziehen. Die Schwierigkeiten bei einem Versuch, insoweit eine vergleichende Rechnung unter den Bundesländern aufzumachen, schildert B.-D. Meier 2005 so: „Eine Gesamtaufstellung der Ausgaben für die medizinische Versorgung im Strafvollzug wird in den Haushaltsplänen der Länder nicht ausgewiesen. Angegeben werden die Sachkosten, wobei etwa in Niedersachsen zwischen den Angaben für nebenamtlich und nebenberuflich tätige Ärzte, Kleingeräte und Verbrauchsmittel sowie für ärztliche Behandlung und Unterbringung in Krankenanstalten unterschieden wird. Nicht getrennt ausgewiesen werden die Personalkosten für die Ärzte, das nichtärztliche Fachpersonal und das Pflegepersonal ... In der Umfrage unter den Landesjustizministerien wurde auf die entsprechenden Fragen unterschiedlich reagiert. Während Berlin mitteilte, dass weder zu den tatsächlichen Personalkosten noch zu den gesamten Sachkosten aussagekräftige Erkenntnisse vorlägen, Rheinland-Pfalz nur die Sachkosten angab und Thüringen zwar differenzierte Zahlen mitteilte, dabei aber die Personalkosten nur unvollständig angab (nämlich ohne die Kosten für das nichtärztliche Personal), wurden von Hamburg sowohl die Sachkosten als auch die
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Nds. Landtag, Ds 15/1192, S. 6 f.; ähnliche Jahrgangsangaben finden sich zu Röntgengeräten, etwas günstiger zu EKG-Geräten; in der Einleitung zur Stellungnahme heißt es: „In älteren und insbesondere kleineren Anstalten und Abteilungen sind den räumlichen Möglichkeiten deutliche Grenzen gesetzt“. S. Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, 3. Aufl. 1999, § 58 Rn 26 einerseits und in: Schwind/Böhm/Jehle (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl. 2005, § 58 Rn 26 andererseits. Rechnungshof Baden-Württemberg, Denkschrift 2005, S. 89; der deshalb geforderte Neubau ist durch die Vorbehalte des Rechnungshofs gefährdet; es wird also weiter nicht auf dem heutigen Stand der Medizin praktiziert.
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Personalkosten für das gesamte hauptamtliche medizinische Personal mitgeteilt (insgesamt 8.388.000 € in 2003)“. 73 Für Hamburg ergibt sich bei einer Stichtagsbelegung von 3.041 Gefangenen am 31.03.2003 aus diesen Zahlen ein Durchschnittsbetrag pro Gefangenem von 2.758 €. Der Landesrechnungshof Baden-Württemberg gibt den Gesamtaufwand für die Gesundheitsfürsorge der Gefangenen für das Jahr 2003 für Baden-Württemberg mit rund 21.000.000 € an. 74 Daraus folgt bei einer Stichtagsbelegung zum 31.03.2003 von 8.584 Gefangenen ein Durchschnittsbetrag von 2.446 €. Die von Niedersachsen für das Jahr 2003 ausgewiesenen Kosten belaufen sich auf 4.906.340 €, bei 6.691 Gefangenen also auf 733 € pro Gefangenem. Nach den Mitteilungen Meiers dürfte sich der niedrigere Wert daraus ergeben, dass die Personalkosten nicht einberechnet sind. 75 Mit solchen Zahlen kann man versuchen, einen Vergleich mit der Versorgung extra muros herzustellen, indem man den Kostenaufwand der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) pro Mitglied in Höhe von 2.859 € für 2003 entgegenstellt. 76 Von Interesse sind unter den Kosten einerseits Angaben für nebenamtliche und unter Vertrag genommene Ärzte einschließlich extramural bemühter Fachärzte, Zahnärzte und Krankenanstalten, 77 andererseits die Kosten für Arzneimittel. Dazu heißt es in der Denkschrift 2005 des Rechnungshofs Baden-Württembergs: „Im Jahr 2003 betrugen die Gesamtausgaben für Arzneimittel einschließlich Sanitätsverbrauchsmaterial 2,5 Mio. €. Sie sind gegenüber 1996 bei konstanter Gefangenenzahl um 42 % gestiegen. Die JVA beschaffen die benötigten Arzneimittel bislang dezentral über öffentliche Apotheken oder Krankenhausapotheken. Trotz entsprechender Aufforderung des JuM im Jahr 1999 bezogen 2003 nur 6 von 18 JVA sowie das Justizvollzugskrankenhaus ihren Bedarf über Krankenhausapotheken. Die Ausgaben je Gefangenem lagen bei Bezug über öffentliche Apotheken um 46 % über den Ausgaben bei Bezug über Krankenhausapotheken. Das entspricht Mehrkosten von mehr als 0,3 Mio. €. Ein systematischer Einsatz kostengünstiger Medikamente (sog. Generika) war bei den meisten JVA nicht festzustellen. Das JuM hat bislang hinsichtlich des Medikamentensortiments im Justizvollzug keine zentrale Steuerung vorgenommen. Eine systematische Analyse der im Justizvollzug landesweit beschafften Arzneimittel ist nicht erkennbar. Trotz jahrelanger positiver Erfahrungen anderer Bundesländer erfolgte keine zentrale Ausschreibung der Arzneimittel. Während der Prüfung hat das JuM im Dialog mit dem RH eine 73 74 75
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B.-D. Meier (wie Fn 32), S. 47. Denkschrift 2005, S. 87. Die Kleine Anfrage der Grünen lautete insoweit allerdings: 7. Wie hoch sind die jährlichen Kosten für die Gesundheitsversorgung in den niedersächsischen Strafvollzugsanstalten und wie haben sie sich innerhalb der letzten zehn Jahre entwickelt? Nds. Landtag, Ds 15/1192, S. 2; die Antwort findet sich auf S. 6. S. B.-D. Meier (wie Fn 32), S. 47. Für 1980 findet man Zahlenmaterial hierzu bei Dünkel/Roßner (wie Fn 50), S. 268 ff.; für Baden-Württemberg ergibt sich ein Schlaglicht aus der Denkschrift 2005 des Rechnungshofes, S. 91 f. Gerügt wird die Abrechnungspraxis der Ärzte und namentlich der Zahnärzte. Hier sieht der Rechnungshof Einsparungsmöglichkeiten. Der Stundensatz der Vertragsärzte betrug 2003 46 €, der Zahnärzte 122 €.
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europaweite Ausschreibung des landesweiten Arzneimittelbedarfs eingeleitet. Weiter hat der RH eine Optimierung des Arzneimittelsortiments (Streichung teurer Medikamente, Beschränkung auf Festpreismedikamente, Identifikation nicht apothekenpflichtiger und nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel) und die Erstellung einer so genannten Positivliste mit bevorzugt zu verordnenden Arzneimitteln empfohlen“. Gerügt wurde zudem die verbreitete unentgeltliche Ausgabe nicht apotheken- bzw. verschreibungspflichtiger Medikamente (wie z. B. Weizenkleie oder Erkältungstee), für die nach der GKV ein Leistungsausschluss gilt. 78 Hier wie auch zu den Behandlungskosten, die gleichfalls selbstständig ausgewiesen werden sollten, bisher aber wohl nicht sind, ist schließlich (künftig) auch die Kostenminderung durch Eigenbeteiligung zu dokumentieren, die z. B. Art. 63 Abs. 2 E BayStVollzG für die Krankenbehandlung „in angemessenem Umfang“ vorsieht. 79 Auch auf dem Feld der Kosten ist die Datenlage bislang also defizitär, bruchstückhaft und allenfalls auf Nachfrage aus den Justizverwaltungen in freilich auch dann sehr unterschiedlicher Qualität und Dichte näher spezifizierbar. Krankheiten und Krankenstand Schließlich ist auch zur gesundheitlichen Lage der Gefangenen, ihrer Belastung mit Krankheiten, dem Krankenstand, der Entwicklung von Krankheit in Abhängigkeit von der Einstellung der Gefangenen zur eigenen Gesundheit wie von pathogenen Einflüssen des Vollzugs zwar vieles geschrieben und dokumentiert. Auch hier lässt sich aber über Jahre oder Jahrzehnte hinweg verlässliches und repräsentatives Datenmaterial nicht berichten. So ist man auch auf diesem Feld auf Schlaglichter verwiesen. 80 Nach einer Felduntersuchung an der JVA Oldenburg aus dem Jahr 2001 sind bei Strafantritt 44 Prozent Gefangene behandlungsbedürftig krank. 81 Aufgrund anstaltsgebundener Analysen gibt das Niedersächsische Justizministerium einen in der Zugangsdiagnostik ermittelten Eintrittskrankenstand von 20 % bis 50 % an. 82 Über den Krankenstand bei Entlassung ist nichts bekannt. Auf die Frage B.-D. 78 79
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Denkschrift 2005, S. 92. Für nicht verordnungspflichtige Arzneimittel werden hiernach in der Regel die vollen Kosten erhoben. E JStVollzG-BW sieht in § 52 Abs. 4 an Leistungen, die über den „notwendigen“ Umfang hinausgehen (insbesondere bei Zahnbehandlung und Sehhilfen), eine Eigenbeteiligung auch des Jugendlichen vor. Nach § 66 E JStVollzG-NRW „können“ volljährige Gefangene an den Kosten in angemessener Weise beteiligt werden. So auch der Befund von Stöver, Von der Gesundheitsfürsorge zur Gesundheitsförderung in Haft, in: Erste Europäische Konferenz zur Gesundheitsförderung in Haft, Dokumentation. Hrsg.: akzept e.V./Deutsche AIDS-Hilfe e.V./WIAD e.V., Berlin 2005, S. 24. Tielking/Becker/Stöver, Entwicklung gesundheitsfördernder Angebote im Justizvollzug, Oldenburg 2003, S. 93. Nds. Landtag, Ds 15/1192 S. 5; s. zu weiteren Einschätzungen B.-D. Meier (wie Fn 32), S. 48.
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Meiers, welche Krankheitsbilder bei der Aufnahmeuntersuchung besonders häufig auftreten, nannte die Berliner Senatsverwaltung (ähnlich ist die Auflistung aus Rheinland-Pfalz) Alkohol- und Drogenentzugssyndrome, tiefe Abszesse, Gefäßund Herzkomplikationen des Spritzdrogenmissbrauchs, Bluthochdruck, Herzleiden, dermatologische Erkrankungen, chronische Hepatitiden, HIV, Tuberkulose, insulinpflichtigen Diabetes mellitus, vernachlässigte traumatologische Erkrankungen (als Folge von Unfällen) sowie psychiatrische Erkrankungen, wobei auf schizophrene Psychosen, schwere Persönlichkeitsstörungen und depressive Anpassungsstörungen mit Selbstverletzungen und Suizidalität hingewiesen wurde. 83 Nach Boetticher/Stöver 84 prägt ein ähnliches Krankheitsbild den Vollzug. Hier finde sich eine gegenüber der extramuralen Bevölkerung stark überrepräsentierte Häufung von Erkrankungen. Infektionskrankheiten wie HIV/AIDS, Hepatitis, Tuberkulose, vor allem aber auch Substanzmissbrauch und Suchterkrankungen sowie weitere psychische Störungen belasten hiernach die Gefangenen überproportional. In den Gefängnissen finde sich daher eine Verdichtung von Problemlagen. So treffe man auf 20 mal höhere Infektionsraten von HIV, 40 mal höhere von Hepatitis C im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung, eine 5 mal höhere Suizidrate, ein zwei bis viermal häufigeres Auftreten von psychischen Störungsbildern sowie etwa dreimal häufigeren Nikotingebrauch. Etwa 30 bis 50 % der Gefangenen gelten nach Boetticher/Stöver als drogenerfahren oder -abhängig – verglichen mit etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Etwa 50 – 75 % der Gefangenen litten unter psychischen Störungen, vor allem an Psychosen, Affekt- und Angststörungen. Der Anteil kranker und handlungsbedürftiger Gefangener steige stetig. Derzeit seien mehr drogenabhängige Gefangene als jemals zuvor inhaftiert und viele von ihnen litten unter den körperlichen und seelischen Folgen. Der Wert solcher Aufstellungen ist begrenzt. Zum einen werden nicht selten nur eingeschränkte Belegstellen angegeben. Auch ist die Schätzungsbreite groß. Zum anderen findet man in anderen Erhebungen und Einschätzungen zum Teil beachtlich abweichende Zahlen. 85 Hier tut Abhilfe Not, die auch den mitunter offenbar hohen Krankenstand des Personals und seine Ursachen 86 in die Dokumentation mit einzubeziehen hätte. Zwischenbilanz Die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug nimmt als integraler Bestandteil des Vollzugs zunächst an dessen rechtlicher Ausgestaltung teil. Die in Deutschland durch das vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochene Gebot einer gesetzli83 84
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B.-D. Meier (wie Fn 32), S. 49. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 23; eine übersichtliche Auflistung findet sich mit Quellenangaben auch bei Stöver (wie Fn 80), S. 25-27; zu HIV und Hepatitis s. auch die Nachweise bei Weilandt, Infektionsprophylaxe und Drogenhilfe in europäischen Gefängnissen, in: Erste Europäische Konferenz (wie Fn 80), S. 50 ff., 64 ff. S. z. B. Arloth/Lückemann, Strafvollzugsgesetz, München 2004, § 56 Rn 4. S. hierzu Kaiser/Schöch, Strafvollzug, 5. Aufl. Heidelberg 2002, § 3 Rn 40 unter Hinweis auf Devlierghe, Current Situation in the criminological field, Straßburg 1995, S. 8.
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chen Regelung des Jugendstrafvollzugs und die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder durch den ersten Schritt der Föderalismusreform rechtlich eingetretene Umbruchsituation darf nicht in einen allein von der Finanzierbarkeit diktierten „Wettbewerb der Schäbigkeit“ führen. Vielmehr muss auch und gerade in der Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug auf die Einhaltung der Menschenrechte und der Verfassungsgarantien sowie auf die Erfüllung der durch die UNO und den Europarat gesetzten Standards geachtet werden. Dabei ergibt sich die Chance, die in diesem ununterschreitbaren Rahmen eröffneten Spielräume für unterschiedliche Modelle eines menschengerechten, der Resozialisierung verpflichteten, zukünftiges Legalverhalten wie dadurch zugleich den Schutz der Gesellschaft ermöglichenden Vollzugs zu nutzen und einen Wettbewerb einer so verstandenen Humanität und Effizienz einzuleiten. Dazu gehört, durch kurative, konservierende und präventive Maßnahmen für die Wiederherstellung, Erhaltung und zukünftige Bewahrung der umfassend verstandenen Gesundheit der Gefangenen bestmögliche Sorge zu tragen. Die Gesundheitsfürsorge ist hierbei in die vom Bundesverfassungsgericht den Gesetzgebern auferlegte Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht einzubeziehen. Die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug nimmt sodann als integraler Bestandteil des Vollzugs auch an dessen tatsächlicher Ausgestaltung und seinen realen Bedingungen teil. Auch wenn aus der Sicht manches außenstehenden Beobachters die von berufener Stelle geführte Klage über bauliche Mängel, drangvolle Enge, Überbelegung und hohen Verwaltungsaufwand sowie eine nicht hinreichende sachliche, finanzielle und personelle Ausstattung des Vollzugs in Deutschland auf einem vergleichsweise hohen Niveau geführt werden mag, ist doch zu sehen, dass die Investitionen in den Strafvollzug nicht hinreichen, um seine Arbeit auf einer optimalen Grundlage zu ermöglichen. Die immer noch beträchtlich hohe Zahl Gefangener in Deutschland und die problemgenerierende Zusammensetzung der Gefangenenpopulation verlangt nach einer nachhaltigen Verbesserung der äußeren Bedingungen des Vollzugs. Das gilt auch für die Gesundheitsfürsorge. Auch wenn die für ihre Qualität maßgeblichen Parameter qualifizierten Personals, angemessener apparativer und räumlicher Ausstattung, eines den Bedingungen extramuraler Medizin entsprechenden Kostenaufwands und der qualifizierten Beherrschung der im Vollzug dominierenden Krankheitsbilder in empirisch gesicherten Formen nicht durchweg abrufbar sind, lassen sich Defizite und Mängelsituationen nicht leugnen. Ihnen ist abzuhelfen. Um solche Abhilfen effektiv und gezielt zu steuern, bedarf es der konstanten und validen Erhebung der einschlägigen Daten, wozu der Fragenkatalog zur Indikatorenbank der WHO – Regionalbüro für Europa und des European Network on Drugs and Infections Prevention in Prison (ENDIPP) 87 einen hilfreichen Rahmen gibt. Erweitert und differenziert man ihn unter dem Blickwinkel der hier angesprochenen Parameter in Teilen noch einmal deutlich, könnten mit Hilfe einer hierdurch entstehenden und kontinuierlich fortgeschriebenen Datenbank evidenzbasierte Leitlinien entwickelt werden, die einer wirksamen und zugleich kosteneffizienten Krankheitsbekämpfung und Gesundheitsförderung im Strafvollzug dienen 87
http://data.euro.who.int/hip/.
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und im Rahmen nationaler Strategien des öffentlichen Gesundheitswesens umgesetzt werden könnten. Auch ließe sich die Angleichung an internationale Standards wie die Gleichheit in föderalen Systemen auf solchem Hintergrund valider kontrollieren. Beitragen könnte hierzu auch der Europarat, wenn er in Space I in die jährlichen Strafvollzugsstatistiken die 2005 entfallene, 2004 aber noch enthaltene Befragung zum „Prison Staff“ wieder aufnähme und hierbei die erfassten Personalkategorien um den Gesundheitsdienst als gesondert auszuweisende Personalgruppe erweiterte. Für 2006 hat das BMJ für Deutschland diese Spezifikation neben weiteren schon vollzogen und dadurch z. B. ermittelt, dass auf der Basis vollzeitäquivalenter Berechnungen zum Stichtag des 1. September 2006 im Strafvollzug rund 256 Stellen im ärztlichen sowie rund 542 Stellen im psychiatrischen Dienst und weitere 828 Stellen im Sanitätsdienst angesiedelt sind. Darüber hinaus ist in den jeweiligen Ländern eine Vielzahl von Ärztinnen und Ärzten auf Honorarbasis mit unterschiedlichen Stundenkontingenten tätig. Natürlich erlauben Zahlen und Daten für sich keine interpretationsfreien Rückschlüsse auf Qualität, Effizienz und Gleichheit der Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug. Namentlich Vergleiche sind ohne Berücksichtigung zahlreicher, die Vergleichbarkeit beeinträchtigender Faktoren wie z. B. Privatisierungselemente oder Outsourcing in den Personal- und Kostenschlüsseln ohne wirklichen Wert. Auch ist die verbreitete Besorgnis politischen Missbrauchs von Zahlen sicher nicht ohne Berechtigung. Solchen Bedenken ist in Bewertung und Auswertung Rechnung zu tragen. Sie sollten aber nicht dazu führen, die für die verfassungsrechtlich auferlegte Beobachtung- und Nachbesserungspflicht unentbehrlichen Daten gar nicht erst zu erheben oder sie hinter den Türen der Ministerien unter Verschluss zu halten.
Grundentscheidungen zur Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug Die rechtliche Ausgestaltung der Gesundheitsfürsorge (s. u.) und die Bewältigung der sich ihr stellenden besonderen Aufgaben im Strafvollzug (s. u.) werden geprägt von Grundentscheidungen, die teils von der Völkergemeinschaft vorgegeben, teils vom nationalen Gesetzgeber gefällt und teils vom rechtlich abgesicherten Konsens der an der Gesundheitsfürsorge Beteiligten getragen, freilich in ihren Ausdifferenzierungen keineswegs unumstritten sind. Für Deutschland lassen sich hierzu fünf Basisaussagen treffen. Die Einhaltung internationalrechtlicher Standards Als erstes ist die Selbstverpflichtung der BRD zur Einhaltung internationalrechtlicher Standards zu nennen, die die Garantie der Menschenrechte und einen die Menschenwürde achtenden, Leben und Gesundheit schützenden Status des Gefangenen in einem humanen und auf Wiedereingliederung zielenden Vollzug ver-
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bürgen. Die Kriminal- und Vollzugspolitik ist angesichts ihrer grenzüberschreitenden Bedeutung schon seit längerem Teil einer „wachsenden Internationalisierung“, weshalb sich von „zwei Ebenen des Strafvollzugsrechts“, nämlich der innerstaatlichen (s. dazu weiter u.) und der internationalen Ebene 88 sprechen lässt. Dabei wirkt die Letztere auf die Erstere auch in Deutschland als Wächter und Schrittmacher ein. Das zeigt sich, wenn der Referentenentwurf eines Bundesjugendstrafvollzugsgesetzes seine Festlegungen „an den Maßstäben bestehender europäischer und internationaler Regelungen und Empfehlungen zu messen“ verspricht, „die für die Bundesrepublik Deutschland entweder völkerrechtliche Standards setzen oder aufgrund des eigenen Anspruchs auf Wahrnehmung einer Vorbildfunktion zu einer Selbstbindung führen“. 89 Und es zeigt sich auch daran, dass das Bundesverfassungsgericht „auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht genügende Berücksichtigung vorhandener Erkenntnisse oder auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht entsprechende Gewichtung der Belange der Inhaftierten“ schließt, „wenn völkerrechtliche Vorgaben oder internationale Standards mit Menschenrechtsbezug, wie sie in den im Rahmen der Verneinten Nationen oder von Organen des Europarats beschlossenen einschlägigen Richtlinien und Empfehlungen enthalten sind, nicht beachtet, bzw. unterschritten werden“. 90 In diesem Zusammenhang tritt der Einfluss des verbindlichen Rechts angesichts seiner mit Blick auf die hier behandelte Gesundheitsfürsorge eher allgemein gehaltenen und sie nur mittelbar mitgestaltenden Regelungen gegenüber dem mit mehr empfehlendem Charakter ausgestatteten, aber die Gesundheitsfürsorge im Vollzug ausdifferenziert regelnden Recht eher zurück. So wirken sich zwar naturgemäß die in der EMRK enthaltene Lebensschutzgarantie und das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ebenso wie die in den IPBPR aufgenommene Bestimmung, dass der Strafvollzug der sozialen Eingliederung des Gefangenen zu dienen habe, auf den Strafvollzug und die in ihm betriebene Gesundheitsfürsorge aus. 91 Gleiches gilt für das Abschlussdokument des Wiener KSZE-Folgetreffens vom 15. Juni 1989, in dem menschliche Behandlung von Gefangenen unter Einschluss des Schutzes vor allen psychiatrischen und medizinischen Praktiken, die eine Verletzung der Menschenwürde und der Grundfreiheiten bedeuten, vereinbart ist. 92 Auch werden die Besuchsberichte des auf der 88
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Zitate aus Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 3 Rn 20, 24; Hintergrund der internationalen Harmonisierungsbemühungen ist auch der relativ hohe Ausländeranteil in den Vollzugsanstalten namentlich der Mitgliedsstaaten des Europarates, s. Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 3 Rn 18, 24; zur Entwicklung des Ausländeranteils in Deutschland s. auch die Tabelle in Laubenthal, Strafvollzug, Rn 75. E GJVollz des BMJ (Fn 18), Begründung S. 4; die bisher vorliegenden Landesgesetzentwürfe enthalten durchweg eine ähnlich lautende Passage. BVerfG NJW 2006, 2093, 2097. S. dazu Wulf, Gesundheit im Gefängnis, in: Kury (Hrsg.), Kriminalität und Kriminalprävention in Ländern des Umbruchs, Bochum 2006, S. 355, der aus Art. 3 EMRK das Verbot medizinischer Experimente an Gefangenen, die Ächtung des Einsatzes von Medizin zur Bestrafung und die Garantie medizinischer Minimalversorgung ableitet. S. zum Wiener Abschlussdokument EUGRZ 16 (1989), S. 85 ff.; Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 3 Rn 21, 25, 27; Laubenthal, Strafvollzug, Rn 25 ff.
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Grundlage der „Europäischen Konvention zur Verhinderung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ vom 26. November 1987 tätigen Europäischen Anti-Folter-Ausschusses nebst seinen auch den deutschen Strafvollzug betreffenden Monita beachtet und zum Anlass von Verbesserung und Reformen genommen. 93 Als „Ausdruck internationalen Rechtsbewusstseins“ 94 einflussreicher sind aber die Vorgaben anzusehen, die sich aus den auf dem Ersten Kongress der Vereinten Nationen über Verbrechensverhütung und Behandlung Straffälliger 1955 in Genf angenommenen „Standard Minimal Rules for the Treatment of Prisoners“ 95 im Laufe der folgenden Jahrzehnte entwickelt haben. Schon in diesen Minimal Rules findet der wichtige Grundsatz der Angleichung der Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug an die extra muros vorfindbaren Standards Anklang. Die Mindestgrundsätze des Europarates für die Behandlung der Strafgefangenen von 1973 bauen auf diesen Minimal Rules auf. Sie sind 1987 durch die „Europäischen Vollzugsgrundsätze“ in überarbeiteter Form und den kriminalpolitischen Wandlungen angepasster Weise verabschiedet96 und zum 11. Januar 2006 erneut redigiert und verbessert worden. 97 Bei diesem „soft-law“ handelt es sich keineswegs um wirkungslose „Menschenrechtslyrik“, sondern angesichts seiner sehr konkreten und detailreichen Desiderate um ein wirksames Instrument zur Erreichung eines zumindest „gemeinsamen europäischen“, wenn nicht weltweiten „Standards“. 98 93
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Nachweis der vier Deutschland betreffenden Besuchsberichte aus den 90er Jahren bei Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 3 Rn 2 mit Fn 2; s. ferner Kaiser, Europäische Perspektive (wie Fn 47), S. 25, 26 f.; zu spezifisch die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug betreffenden Rügen des CPT (auch) gegenüber anderen Ländern s. instruktiv Bank, Bekämpfung (wie Fn 52), S. 179 ff.; Kaiser/Riebmann, Genügen die deutschen Regelungen zur Rolle des Arztes bei der Vorbeugung von Misshandlungen durch Polizei und Strafvollzugspersonal den europäischen Anforderungen? NStZ 1998, S. 105, 106. Den fehlenden Kranken- und Sozialversicherungsschutz deutscher Häftlinge rügte die Genfer Arbeitsorganisation ILO, s. International Labour Office, in: World Labour Report, Genf 1993, S. 16 f. Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, Göttingen 1969, S. 69. S. dazu Jescheck, Der Erste Kongress der Vereinten Nationen über die Verhütung von Verbrechen und die Behandlung der Straffälligen, ZStW 67 (1955), S. 659 ff.; die Minimum Standards gingen auf Vorschläge der Internationalen Strafvollzugskommission in Bern aus den Jahre 1926 und 1929 zurück. Empfehlung Nr. R (87) 3 des Ministerkomitees des Europarates, in deutscher Sprache abgedruckt in: Bundesamt für Justiz, Bern, Informationen über den Straf- und Maßnahmenvollzug, Sonderbeilage zu Heft 1/95. S. zur Neufassung – Rec (2006) 2 of the Committee of Ministers to member states on the European Prison Rules – Feest, ZfStrVo 2006, 259; zur „Unverbindlichkeit“dort S. 261 sowie Kerner/Czerner, in: Freiheitsentzug, Empfehlungen des Europarates zum Freiheitsentzug 1962-2003, hrsgg. vom BMJ Berlin, BMJ Wien und dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartment Bern, Godesberg 2004, S. 2, 7 (Richtlinie für „Best Practice“). In der Neufassung finden sich die Grundsätze zur Gesundheitsvorsorge in Part III, Nr. 39-48 2. S. zu dieser Einschätzung Kaiser/Schöch, Strafvollzug § 3 Rn 23; Neubacher, Der internationale Schutz von Menschenrechten Inhaftierter durch die Vereinten Nationen und den Europarat, ZfStrVo 1999, S. 210, 215 f.; zur Gesundheitsfürsorge S. 216; s.
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Aus den „Europäischen Vollzugsgrundsätzen“ von 1987 sind und bleiben im hier erörterten Zusammenhang zwei Zielvorgaben besonders hervorhebenswert. So ist es nach Nr. 3 das erstgenannte „Ziel der Behandlung der Gefangenen, ... ihre Gesundheit und Selbstachtung zu erhalten“. Sodann muss nach Nr. 32 „der ärztliche Dienst ... bestrebt sein, alle körperlichen und geistigen Erkrankungen oder Mängel, die der Wiedereingliederung eines Gefangenen nach der Entlassung hinderlich sein können, festzustellen und zu behandeln. Zu diesem Zweck müssen für den Gefangenen alle notwendigen ärztlichen, chirurgischen und psychiatrischen Einrichtungen, einschließlich jener außerhalb der Anstalt, zur Verfügung stehen“. Auf diese Weise wird die Gesundheitsfürsorge nicht nur für die Gesunderhaltung, sondern auch für den Resozialisierungsauftrag des Vollzugs in den Dienst genommen. 99 Die in diesen Empfehlungen zentral der „Gesundheitsfürsorge“ gewidmeten Vorschriften 100 haben einerseits eine Konkretisierung durch die Empfehlung R (93) 6 speziell über „Strafvollzugsbezogene und kriminologische Aspekte der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten einschließlich AIDS“ und damit zusammenhängender Grundprobleme im Strafvollzug erhalten. 101 Andererseits sind sie durch eine 74 Einzelvorgaben enthaltende Empfehlung R (98) 7 des Ministerkomitees des Europarates „Über ethische und organisatorische Aspekte der Gesundheitsversorgung im Gefängnisbereich“ vom 8. April 1998 maßgeblich ausdifferenziert und verfeinert worden. 102 Beide Empfehlungen haben ihre Gültigkeit durch die Neufassung der Europäischen Vollzugsgrundsätze durch die Rec (2006) 2 nicht verloren. 103 Namentlich in der Empfehlung R (98) 7 finden sich Aussagen zum Gesundheitsbegriff, zum Angleichungsgrundsatz, zu kurativer und präventiver Behandlung, zu den Ansprüchen des Inhaftierten auf Fürsorge, zur Qualifikation des Anstaltsarztes und den an ihn zu stellenden Anforderungen, zur Zusammenarbeit der intramuralen mit der extramuralen Medizin und vielem Mehr, worauf zurückzukommen ist. Als erstes Fazit zu der hier an die erste Stelle gerückten Grundaussage der Verpflichtung Deutschlands auf die soeben umrissenen internationalrechtlichen Standards und Vorgaben sei hervorgehoben, dass sich Deutschland hiermit in das Netzwerk der Staaten einbindet, die eine Gesundheitsfürsorge auf hohem Niveau in einem menschengerechten Strafvollzug anstreben. Das ist naturgemäß nicht nur
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auch Müller-Dietz, Welche Bedeutung hat das Gesundheitswesen im Justizvollzug? in: Gesundheitsfürsorge im Gefängnis – Tagung vom 25.-27.11. 1996, Arbeitsbereich Politik und Recht, Bad Boll 1997, S. 91, 98 ff. Es ist bedauerlich, dass die Aussagen in der Neufassung keinen vergleichbar klaren Ausdruck mehr gefunden haben. In den Europäischen Vollzugsgrundsätzen von 1987, Empfehlung R (87) 3 waren das die Nr. 26-32; in der Neufassung der Empfehlung Rec (2006) 2 sind es die Nr. 39-48.2. Diese Empfehlung vom 18. Oktober 1993 ist abgedruckt in: Freiheitsentzug (wie Fn 95), S. 141 ff. Die Empfehlung R (98) 7 findet sich in deutscher Sprache abgedruckt in: Informationen über den Straf- und Maßnahmenvollzug 2/98, Bundesamt für Justiz, Bern, S. 20 ff. sowie in Freiheitsentzug (wie Fn 97), S. 163 ff. Beide Empfehlungen werden in der Einleitung von Rec (2006) 2 ausdrücklich als fortbestehend hervorgehoben.
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von nationaler Bedeutung. Vielmehr trägt dieses Netzwerk durch die in und mit ihm bewirkte Angleichung der rechtlichen Garantien und faktischen Bedingungen des Vollzugs seiner Mitglieder dazu bei, dass die aus vielen Gründen anstrebenswerte Intensivierung der „Internationalisierung der Strafverbüßung“ 104 weniger häufig an der Zustimmung des Betroffenen scheitern wird, als das bislang noch verbreitet geschieht. 105 Der Angleichungsgrundsatz Unter der Überschrift „Gleichwertige Fürsorge“ hat der Europarat die Empfehlung ausgesprochen, dass der gefängnisärztliche Dienst im Stande sein solle, „medizinische, psychiatrische und zahnärztliche Betreuung ... sowie Programme für Hygiene und Prophylaxe ... im gleichen Rahmen, wie sie die übrige Bevölkerung genießt“ zu leisten bzw. anzubieten. Auch soll der Gesundheitsdienst im Vollzug „über genügend qualifiziertes medizinisches Personal, Krankenpfleger/innen und medizinisch-technische Angestellte sowie über geeignete Lokalitäten, Installationen und technische Ausrüstung verfügen, die in der Qualität mit denjenigen unter freiheitlichen Bedingungen vergleichbar, wenn nicht gar identisch sind.“ 106 Der hierin zum Ausdruck kommende, international vor wie nach dieser Empfehlung wiederholt bekräftigte 107 so genannte Angleichungsgrundsatz gilt in Deutschland als Gestaltungsprinzip für den Vollzug allgemein, wenn es in § 3 Abs. 1 StVollzG heißt: „Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden“. Er gilt aber auch – was unbestritten ist – für die in den Vollzug integrierte Gesundheitsfürsorge im Besonderen. 108 Er ist eine Folgerung aus der erst in einem langen historischen Prozess gewachsenen, und in § 4 Abs. 2 StVollzG zum Ausdruck kommenden Auffassung, dass Strafe eine Einbuße an Freiheit bedeuten soll, nicht aber an körperlicher Integrität und Leben, an physischer und psychischer Gesundheit bedeuten darf. Da der Angleichungsgrundsatz mit Blick auf die Gesundheitsfürsorge in Deutschland aus dem Sozialstaatsgebot 104
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S. dazu Rieder-Kaiser, Vollzugliche Ausländerpolitik und Internationalisierung der Strafverbüßung, Frankfurt a. M./Berlin 2004. Für eine Aufgabe des Zustimmungserfordernisses plädiert Laubenthal, Strafvollzug, Rn 347; s. dort (Rn 345 ff.) auch zu den Vorteilen der Förderung der Internationalisierung der Strafverbüßung. Empfehlung Nr. R (98) 7 v. 8.4.1998, Annex Nr. 10 und 11. S. etwa die Erinnerung an diese Grundsätze in der Moskauer Erklärung der WHO zur Gesundheit im Strafvollzug vom 24.10.2003, mit der Ärzte, die mit der medizinischen Versorgung von Gefangenen betreut sind, verpflichtet werden, „deren körperliche und geistige Gesundheit im gleichen Maße und auf die gleiche Weise zu schützen und gegen Krankheiten zu behandeln, wie bei nicht gefangenen oder inhaftierten Personen“. Der Angleichungsgrundsatz kommt schon in den Genfer „Standard Minimal Rules for the Treatment of Prisoners“ zum Ausdruck, wenn es dort heißt, dass „the medical services should be organised in close relationship to the general health administation of the comunity or nation“. Vgl. nur Callies/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz § 56 Rn 1; Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 3; Meier (wie Fn 32), S. 35.
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der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 GG) herleitbar ist, 109 verwundert es nicht, dass alle Entwürfe zu einem Strafvollzugs- oder Jugendstrafvollzugsgesetz der an das Grundgesetz gebundenen Länder eine dem § 3 Abs. 1 StVollzG entsprechende Vorschrift aufweisen. Das den Angleichungsgrundsatz tragende Äquivalenzprinzip meint inhaltlich nicht eine im Vollzug ohnehin nicht herstellbare formale Gleichheit, sondern materielle Gleichwertigkeit. Auch diese ist in Deutschland realistischerweise nicht „1 : 1“ verbürgt, sondern „soweit als möglich“ herzustellen. Dieser Auftrag verpflichtet zu einer Angleichung der intra- an die extramurale Medizin, an den medizinischen Standard „draußen“, erlaubt aber auch Abweichungen und Einschränkungen, soweit sie ihre Rechtfertigung in den besonderen Bedingungen des Strafvollzugs finden. 110 Will man die Auswirkungen des Angleichungsgrundsatzes etwas näher bestimmen, muss man zunächst das das Angleichungsziel vorgebende Tertium Comparationis festlegen, genauer, den medizinischen Standard, der drinnen wie draußen gilt oder gelten soll. Dazu erscheint es zunächst nicht erforderlich, mit Blick auf die fraglos besondere Belastung der Vollzugspopulation mit Krankheiten, die Spezialistentum und hohen Therapieaufwand erfordern, die Äquivalenzorientierung als zu minimalistisch in Frage zu stellen. 111 Äquivalenz bedeutet (auch) patientenbezogen – wenn notwendig – ein Gleichmaß im Zugang zu Spezialisten, zu teurer Medikation, zu dauerhafter Betreuung. Was der Vollzug insoweit intramural nicht selbst zu leisten vermag, muss er sich in den auch „draußen“ gesetzten Grenzen „hereinholen“ oder den erkrankten Gefangenen zivilen Institutionen überstellen. 112 Dabei gilt, dass die Vollzugsmedizin sich nur in das einzufinden hat, was der von den Gerichten kontrollierte medizinische Standard auch „draußen“ gebietet. Das ist mit der Ausschöpfung alles Machbaren nicht, sondern mit dem fachlich nach gewissenhafter Abwägung Notwendigen und Vertretbaren identisch. 113 Regional gilt der Standard des Landes, in dem die Vollzugsanstalt liegt, genauer im föderalen System der untersten Einheit. Wer in einer Vollzugsanstalt Mecklenburg-Vorpommerns sitzt, hat gleichgültig, ob er Russe, Schwede oder Bayer ist, (nur) den Anspruch, unter Berücksichtigung vollzuglich bedingter und deshalb gerechtfertigter Einschränkungen nicht anders als ein Bewohner dieses 109
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S. Meier (wie Fn. 32), S. 40 ff.; die Entwürfe zu einem Strafvollzugsgesetz betonen das in ihren Begründungen zum Umfang medizinischer Leistungen durchgehend. Ebenso Kirschke (wie Fn 63), S. 91; Meier (wie Fn 32), S. 39 f. Dies tun „fast ketzerisch“ Knorr, Stöver und Weilandt in ihrem Vorwort, S. 7 zu der Dokumentation „Zweite Europäische Konferenz zur Gesundheitsfürsorge in Haft“, hrsgg. von akzept e. V., Deutsche AIDS-Hilfe e. V., Wissenschaftliches Institut der Ärzte Deutschlands e. V., Bonn, Berlin 2006; s. auch Stöver, Europäische Perspektiven der Gesundheitsförderung im Gefängnis, S. 29 in diesem Band. S. Rec (2006) 2 vom 11.1.2006, Nr. 46.1. S. dazu instruktiv Meier (wie Fn 32), S. 38 ff.; das im Vollzug bisweilen besonders betonte Wirtschaftlichkeitsgebot (s. dazu bei Fn 120, 121) darf den „Normalstandard nicht nach unten verschieben“, s. Tag, Medizin in den Schranken des Strafrechts, in: Ethikkommission der Universität Zürich (Hrsg.), Ethische Verantwortung in den Wissenschaften, Zürich 2006, S. 91, 97.
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Bundeslandes in seiner Gemeinde versorgt zu werden. Es gelten die Lebensverhältnisse „vor Ort“. 114 Dass in schwächer entwickelten Regionen medizinische Vollzugseinrichtungen zum kurativen „Dorado“ nicht nur der „unteren Klassen der Bevölkerung“ werden könnten, ist nach diesen Maßgaben nicht zu „befürchten“. 115 Allerdings hat das Faktische nicht die normative Kraft, Unterschreitungen des unverzichtbaren Mindeststandards zu rechtfertigen. Insoweit ist an den Hinweis des Bundesverfassungsgerichts zu erinnern, dass es auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht entsprechende Gewichtung der Belange der Inhaftierten ... hindeuten (kann), wenn völkerrechtliche Vorgaben oder internationale Standards mit Menschenrechtsbezug, wie sie in den im Rahmen der Vereinten Nationen oder von Organen des Europarats beschlossenen einschlägigen Richtlinien und Empfehlungen“ – und damit auch in der Empfehlung R (98) 7 – „enthalten sind, nicht beachtet bzw. unterschritten werden“. 116 Das gilt für jede medizinische Versorgungseinrichtung im deutschen, aber auch im europäischen Vollzug und kann langfristig auf eine Vereinheitlichung auf einem beachtlich hohen Standard hinwirken. Für den Gefangenen am spürbarsten ist die Auswirkung des Äquivalenzprinzips bei den von ihm zu beanspruchenden Leistungen. Hier ist durch die unter A II geschilderte Umbruchsituation in einigen Bundesländern ein nicht unwesentlicher, freilich wohl auch nicht zu überschätzender Einschnitt zu erwarten, der sich aus einem Vergleich des bisherigen und des zukünftigen Rechts ergibt. Zwar ist es zu dem in § 198 Abs. 3 des überkommenen Strafvollzugsgesetzes enthaltenen Versprechen, die Strafgefangenen in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung einzubeziehen, aus Kostengründen nicht gekommen. 117 Immerhin haben aber einerseits Freigänger, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis ihrer Arbeit nachgehen (§ 39 StVollzG), den Status eines „freien“ Patienten. Sie sind der anstaltlichen Gesundheitsfürsorge entzogen (§ 62a StVollzG) und genießen alle Rechte eines gesetzlich Krankenversicherten einschließlich der freien Wahl ihres Arztes. Andererseits müssen die in dieser Weise nicht privilegierten „normalen“ Gefangenen zwar einige nicht ganz unerhebliche, auch teils nicht ausschließlich durch die Situation des Strafvollzuges bedingte und deshalb anfechtbare Einschränkungen hinnehmen. 118 Auch sie sind aber in beachtlichem Maße in ihren 114
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Das sieht – bezogen auf den Europäischen Rahmen – auch Wulf (wie Fn 91), S. 359 so, der die Frage nach der regionalen Bezugsgröße in Europa stellt. Wie es Kriegsmann, Einführung in die Gefängniskunde, Heidelberg 1912, S. 175 noch tut. BVerfG NJW 2006, 2093, 2097 unter Hinweis auf „Schweiz, BGE 118 I a 64 (70)“. Ein Zustand, der sich angesichts knapper Kassen und der geringen Bereitschaft, in den Strafvollzug zu investieren, nicht ändern wird (s. dazu schon Kaiser, Europäische Perspektive – wie Fn 47–, S. 25, 27, 47; Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 2 Rn 75; zu den Gründen des Aufschiebens s. auch den Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Ds 7, 3998, S. 3) und auch realistischer Weise in den zur Zeit entstehenden Strafvollzugsgesetzen nicht mehr als Zielvorgabe enthalten ist. S. dazu den kritischen Vergleich von Kirschke, (wie Fn 63), S. 91 ff.; ferner Hillenkamp (wie Fn 8), S. 902 ff.
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Leistungsansprüchen den gesetzlich Krankenversicherten angeglichen. Das zeigt sich besonders sinnfällig daran, dass der in den §§ 57-59 und § 64 aufgenommene, für Schwangere und Mütter durch §§ 76 ff. StVollzG ergänzte Leistungskatalog dem im deutschen Sozialgesetzbuch V (SGB V) für gesetzlich Krankenversicherte enthaltenen für die Krankenbehandlung, Gesundheitsuntersuchungen und Vorsorgeleistungen, Versorgung mit Hilfsmitteln und Krankenhausbehandlung bis in die Wortwahl hinein in ganz wesentlichen Teilen entspricht. Und es zeigt sich besonders deutlich auch daran, dass nach § 61 StVollzG „für Art und Umfang der Leistungen die entsprechenden Vorschriften des Sozialgesetzbuches und die aufgrund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen“ sogar ausdrücklich gelten. Die hierdurch maßgeblich gewährleistete Leistungsäquivalenz wird zwar in einigen Strafvollzugsgesetzentwürfen durch die inhaltliche Übernahme dieser Vorschriften auch künftig garantiert. 119 Andere Entwürfe distanzieren sich aber von den extra muros geltenden Gewährleistungen mit mehr oder weniger deutlicher Schärfe. Dass die Leistungen „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein müssen und das „Notwendige nicht überschreiten“ dürfen, schreibt zwar auch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V vor. Rückt es ausdrücklich in ein Strafvollzugsgesetz, setzt das aber fraglos einen neuen Akzent. Das gilt umso mehr, wenn solche Aussagen mit dem Hinweis gekoppelt werden, dass der „allgemeine Standard der gesetzlichen Krankenkassen“ namentlich bei der Beurteilung der „Notwendigkeit“ zu berücksichtigen sei, dann aber eine § 61 StVollzG entsprechende, für Art und Umfang der Leistungen maßgebliche Inbezugnahme der Vorschriften des Sozialgesetzbuches fehlt. 120 Wenn Letzteres damit begründet wird, dass die Formulierung des § 61 StVollzG „eine überhöhte Erwartungshaltung und Ansprüchlichkeit erzeugen könne“, 121 mag das eine ohnehin vorhandene Realität richtig beschreiben, kann aber die hiermit eingeleitete Ankränkelung des Äquivalenzprinzips nicht verdecken. Ihr sollte man angesichts des Verfassungsrangs des Angleichungsgrundsatzes und seiner internationalen Akzeptanz im Sinne eines „Wehret den Anfängen“ ausdrücklich entgegentreten. Von deutlich geringerer Brisanz ist demgegenüber die von den meisten Entwürfen in freilich unterschiedlicher Ausprägung bejahte Frage, ob im Hinblick auf die extramural bestehende Eigenbeteiligung des Kassenpatienten an den Kosten etwa in Form der Praxisgebühr oder der Zuzahlung zu Medikamenten der Angleichungsgrundsatz auch einmal zu Lasten der Gefangenen ausschlagen und eine Kostentragungspflicht in „angemessenem“ Umfang eingeführt werden sollte. Es soll nicht bestritten werden, dass eine Eigenbeteiligung das Verantwortungsbewusstsein (auch) des Gefangenen im Umgang mit seiner Gesundheit stärken und seine Verpflichtung gegenüber der Solidargemeinschaft betonen kann. Wenn man 119
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So z. B. in Art. 63 E BayStVollzG,§ 58 E NdsJVollzG und E § 66 JStVollzG-NRW, freilich unter Aufnahme von Klauseln zur Kostenbeteiligung des (volljährigen) Gefangenen. So z. B. in § 34 E SächsJStVollzG, § 52 E JStVollzG-BW, § 34 E BerlinerJStVollzG, § 24 E HessJStVollzG. So die Begründung (S. 89) zu § 52 E JStVollzG-BW; weniger deutlich insoweit die Begründung (S. 67) zu § 24 E HessJStVollzG.
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den Gefangenen aber keine Leistungen nach Art und Umfang des Sozialgesetzbuches und keine freie Arztwahl zugesteht und die Leistungen betont auf das Wirtschaftlichkeitsgebot hin zuschneidet, sollte man diese Eigenbeteiligung – wenn man sie denn aus symbolischen Gründen für angezeigt hält – nicht deutlich über den schon jetzt bestehenden Zustand hinaus erweitern. Zuzahlungen zu Zahnersatz und Zahnkronen werden nach § 62 StVollzG schon heute erhoben, auf Seh- und Hörhilfen besteht nur in den durch § 59 StVollzG gesetzten Grenzen ein Anspruch. Leistungen, die über das Wirtschaftlichkeitsgebot hinausgehen, mag man einbinden. Keinesfalls sollte man allerdings Jugendliche mit Kosten belasten. Auch bezüglich Volljähriger sind Vorschriften mit fakultativem Charakter und Angemessenheitsklausel obligatorischen Anforderungen vorzuziehen. Der voraussichtlich erhebliche Verwaltungsaufwand kann zudem nahe legen, das ganze in engen Grenzen zu halten. Neben der Leistungsäquivalenz ist die Personal- und Sachausstattungsäquivalenz zu betonen, die die oben zitierte Nr. 11 der Empfehlung R (98) 7 einfordert und die die Rec (2006) 2 namentlich für das Vollzugskrankenhaus in Nr. 46. 2 noch einmal hervorhebt. Es liegt auf der Hand, dass eine Gleichwertigkeit der Leistungen nur erzielt werden kann, wenn für die besonderen Anforderungen der Intramuralmedizin qualifiziertes Personal und wenn eine apparative und technische Ausstattung zur Verfügung stehen, die in Diagnostik und Therapie den Bezugsstandard auch intra muros zu gewährleisten vermögen. Dass zur Gesundung auch ein räumlich freundliches Praxisambiente, eine Bettenstation mit Licht und Hygiene gehören, die auch äußerlich die Sorge um Intimbereich und Geheimnisschutz sowie Zuwendung dokumentieren, muss nicht eigens begründet werden. Die schon zitierte Erhebung in Niedersachsen aus dem Jahr 2004 122 , die mit Blick auf die apparative Ausstattung in manchen Facetten das Bild der „Sperrmüllpraxis“ als nur gelinde Überzeichnung erweist, sollte Anlass geben, diese Seite des Angleichungsgrundsatzes durch valide Erhebungen zu überprüfen und gegebenenfalls Anstrengungen zu nachhaltiger Verbesserung einzufordern. Das Anstaltsarztprinzip Dass nach den European Prison Rules jedes Gefängnis die Dienste wenigstens eines qualifizierten praktischen Arztes vorhalten soll, 123 konkretisiert die Empfehlung R (98) 7 dahingehend, dass „größere Gefängnisse über vollamtliche Ärzte“ 122
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In Niedersächsischer Landtag Ds 15/1192, S. 5 heißt es zwar: „In allen Anstalten und Abteilungen wird das Äquivalenzprinzip der medizinischen Versorgung umgesetzt“. Auch sollen hiernach „alle neuen Vollzugsanstalten ... über medizinische Abteilungen“ verfügen, „die den Vergleich mit Praxen außerhalb des Justizvollzugs nicht zu scheuen brauchen. Dies betrifft sowohl die Räumlichkeiten als auch die Geräteausstattung“. Es wird aber auch eingeräumt, dass in „älteren und insbesondere kleineren Anstalten und Abteilungen ... den räumlichen Möglichkeiten deutliche Grenzen gesetzt“ sind und dass „die Gerätebeschaffung ... zudem Kosten-Nutzen-Aspekte zu berücksichtigen“ habe. Was das heißt, zeigt dann die Auflistung der Einrichtungen und Apparate auf S. 6 ff. Council of Europe, Rec (2006) 2, Nr. 41.1.
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verfügen sollten. Das deutsche Strafvollzugsgesetz hat sich – wie eben schon erwähnt – dafür entschieden, die Gesundheitsfürsorge primär hauptamtlichen Anstaltsärzten anzuvertrauen (§ 158 Abs. 1 S. 1 StVollzG). Nur „aus besonderen Gründen“ kann sie nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Ärzten übertragen werden (§ 158 Abs. 1 S. 2 StVollzG). 124 Die besonderen Gründe werden z. B. in der geringen Zahl der Gefangenen in kleineren Anstalten oder in einer nicht hinreichenden fachärztlichen Kompetenz des ärztlichen Anstaltsdienstes gesehen. 125 Geschieht eine solche Übertragung, handelt der hinzugezogene Arzt nicht im eigenen Namen, sondern im Auftrag der Behörde, wird nach dem Verpflichtungsgesetz verpflichtet und damit im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2, 4 StGB in strafrechtlicher Sicht Amtsträger. 126 Das hierin sichtbar werdende Anstaltsarztprinzip wird aller Voraussicht nach auch die künftigen Landesvollzugsgesetze beherrschen. Zwar ersetzen einige Entwürfe den Text des § 158 StVollzG durch die das Prinzip scheinbar aufgebende Formulierung, „die ärztliche Versorgung“ sei „sicherzustellen“. Die Begründung zu dieser den Status der Ärzte nicht mehr festlegenden Fassung stellt aber klar, dass die Norm „weitgehend § 158 StVollzG“ entspreche und dass der Verzicht auf die gesetzliche Bestimmung, „wie und durch wen die ärztliche Versorgung sichergestellt“ werde, lediglich dazu diene, „nach den jeweiligen Gegebenheiten eine hauptamtliche, nebenamtliche oder vertragsärztliche Versorgung zu ermöglichen.“ 127 An andere als die bislang vorgegebenen Formen ist also mit der zurückhaltenden Fassung dann nicht gedacht. Weitere Entwürfe lehnen sich eng an § 158 StVollzG an 128 oder heben die Notwendigkeit anstaltsärztlicher Versor124
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Der Regierungsentwurf zu einem Strafvollzugsgesetz hatte in § 145 noch die Formulierung gewählt, die ärztliche Versorgung sei „nach Bedarf“ auch durch „weitere Ärzte sicherzustellen“. Der Bundesrat schlug demgegenüber die heutige Fassung des § 158 Abs. 1 StVollzG vor, um die Voraussetzungen der Ausnahme nicht anders als in § 155 Abs. 1 Satz 2 StVollzG heutiger Fassung zu bestimmen, s. BT-Ds 7/918, S. 29, 97, 126. Das in § 158 StVollzG zum Ausdruck kommende Anstaltsarztprinzip galt schon in den vom Deutschen Reichsminister der Justiz 1923 auf der Grundlage einer Vereinbarung der Landesregierungen erlassenen „Grundsätzen für den Vollzug der Freiheitsstrafen“ (RGBl II, Nr. 23 vom 27.06.1923). § 11 Abs. 1 lautet: „Für jede größere Anstalt soll ein Arzt im Hauptamt bestellt werden“. Abs. 2 lautet: „Bei kleineren Anstalten ist, sofern nicht auch dort ein Arzt im Hauptamt bestellt ist, regelmäßige ärztliche Versorgung durch Vertrag mit einem Arzte sicherzustellen“. Nach der Dienstanweisung für Ärzte in Preußischen Strafanstalten gehörte der Arzt „zu den Oberbeamten der Anstalt“, s. Leppmann, Gefängnisarzt (wie Fn 54), Anhang a (nach S. 206). Der Alternativentwurf eines Strafvollzugsgesetzes (AE-StVollzG) von Baumann u. a., Tübingen 1973, sah in § 104 Abs. 3 vor, dass der ärztliche Anstaltsdienst von einem Anstaltsarzt geleitet wird. S. z. B. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 158 Rn 1; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 158 Rn 1. S. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 155 Rn 7 (freilich nach § 11 StGB, nicht § 11 VerpflG, wie dort zitiert). So z. B. § 104 Abs. 1 E SächsJStVollzG mit Begründung S. 125; § 104 Abs. 1 E BerlJStVollzG mit Begründung S. 105; E JStVollzG-Neun Länder, § 104 Abs. 1. So z. B. E NdsStVollzG in § 173; s. auch den RefE JStVollzG des BMJ, der in § 48 auf § 158 StVollzG verweist.
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gung sogar noch deutlicher hervor, wenn sie z. B. die Übertragung auf nicht hauptamtliche Ärzte davon abhängig machen, dass „vollzugliche Gründe nicht entgegenstehen“ 129 oder wenn sie die vollzuglichen Aufgaben des Arztes neben den genuin medizinischen in ein und derselben Vorschrift beschreiben. 130 Lediglich Baden-Württemberg und Hessen gehen andere Wege. Sie verzichten auf eine § 158 StVollzG entsprechende Vorschrift ganz. Wer die ärztliche Versorgung übernimmt, richtet sich hier wie für andere Dienste deshalb nach der allgemeinen „Aufgabenwahrnehmung“. Zu ihr sagt § 11 E JStVollzG-BW: „(1) Die Aufgaben im Jugendstrafvollzug werden grundsätzlich von beamteten Bediensteten des Landes wahrgenommen. Sie können auch anderen Bediensteten sowie nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Personen übertragen werden. (2) Die Erledigung von nichthoheitlichen Betriebsaufgaben und von Unterstützungsleistungen kann freien Trägern und privaten Dienstleistern übertragen werden“. 131 Auch diese Regelung weicht von § 158 StVollzG dann nicht ab, wenn man den ärztlichen Dienst nach Absatz 1 dieser Vorschrift bemisst. Sie öffnet die Gesundheitsfürsorge freilich „freien Trägern und privaten Dienstleistern“, wenn man sie als nichthoheitliche Betriebsaufgabe einstuft. Darauf ist zurückzukommen. Warum der Gesetzgeber des Strafvollzugsgesetzes bei der Entscheidung für das Anstaltsarztprinzip die Möglichkeit nicht erwogen hat, Strafgefangene von den Institutionen des freien Patienten zugänglichen Gesundheitsdienstes „in der Gemeinde“ versorgen zu lassen, wird in den Materialien nicht offen gelegt. Vordergründig spricht für die anstaltsärztliche Versorgung, dass sie vielleicht am ehesten die nach Nr. 4 der Empfehlung R 98 (7) des Ministerkommitees des Europarates aufgestellte Forderung erfüllt, der Gefangene solle „nötigenfalls jederzeit, tagsund nachtsüber, Zugang zu einem Arzt haben“. Es ist freilich nicht zu leugnen, dass hierfür auch ein „privatisierter“ Dienst bürgen könnte. Eher ist daher wohl der „zentralen allgemein sozialen Dienstfunktion“ des Arztes „im Behandlungsvollzug“ 132 Rechnung getragen, die den Arzt neben seiner vorrangig zu erfüllenden genuin ärztlichen Pflicht in die vollzuglichen Aufgaben und Ziele einbindet und seine „amtliche“ Präsenz im Vollzug auch deshalb erfordert. Insofern lässt 129 130
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So § 121 Abs. 1 Satz 2 E JStVollzG-NRW. Art. 179 Abs. 3 E BayStVollzG. Er lautet: „Den Ärzten obliegt insbesondere die Gesundheitsfürsorge für die Gefangenen, die Überwachung der gesundheitlichen und hygienischen Verhältnisse in der Anstalt, die ärztliche Überwachung der Anstaltsverpflegung und die Durchführung von Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge. Sie wirken ferner mit bei der Behandlungsuntersuchung der Gefangenen, bei der Aufstellung, Durchführung und Änderung des Vollzugsplans, bei der Beurteilung der Gefangenen, bei der Anordnung und beim Vollzug besonderer Sicherungsmaßnahmen und von Disziplinarmaßnahmen in dem vorgesehenen Umfang sowie bei der Ausund Fortbildung der Vollzugsbediensteten“. Ähnlich § 72 Abs. 1 E HessJStVollzG, wonach nicht hoheitliche Aufgaben allerdings nur „vertraglich verpflichteten Personen“ übertragen werden können. „Private Dienstleister sind also nicht gesondert erwähnt (aber auch nicht ausgeschlossen). Ob die Gesundheitsfürsorge als nichthoheitliche Tätigkeit anzusehen ist, ergeben beide Begründungen nicht. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 158 Rn 1.
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sich von einer „Bifunktionalität“ des Anstaltsarztes 133 sprechen. Nach § 154 Abs. 1 StVollzG sind alle im Vollzug Tätigen zur Zusammenarbeit und dazu verpflichtet, an der Erfüllung der Aufgaben des Vollzugs mitzuwirken. Das gilt auch für den Arzt. Auch wo er nicht hauptamtlich, sondern nebenamtlich oder als vertraglich Verpflichteter tätig ist, darf er als „Ansprechpartner und Mitwirkender in einem“ über die medizinische Versorgung „hinausgehenden Behandlungsprozess“ nicht ausfallen. 134 Auch die Ärzte sind wie die anderen Fachdienste in die Vollzugskonferenzen (§ 151 StVollzG) und Dienstbesprechungen mit einzubeziehen. 135 Die Bifunktionalität wird schon in der dem ärztlichen Berufsbild noch weitgehend entsprechenden allgemeinen Verpflichtung zur Überwachung der gesundheitlichen und hygienischen Verhältnisse in der Anstalt, der Anstaltsernährung und der im Verpflegungsbereich tätigen Gefangenen sowie zur Beratung der Anstaltsleitung in allen Gefangene und Personal betreffenden gesundheits(förderungs-)relevanten Fragen sichtbar. 136 Stärker vollzuglich akzentuiert zeigt sie sich dann aber in den Mitwirkungspflichten, die zwar nur mit medizinischem Sachverstand erfüllbar, von eigentlich ärztlicher Tätigkeit aber abgekoppelt sind. Dazu kann man etwa die schon im Gesetzgebungsverfahren genannte Beteiligung im Rahmen der Behandlungsuntersuchung und der Aufstellung des Vollzugsplans (§ 6, 7 StVollzG), der Unterbringung im offenen Vollzug sowie der Gewährung von Vollzugslockerungen und Urlaub (§§ 10-13 StVollzG), der Zuweisung von Arbeit, Ausbildung und Beschäftigungsmaßnahmen (§ 37-39, 41 StVollzG), der Teilnahme an den Anstaltskonferenzen (§ 159 StVollzG) sowie die aus medizinischen Gründen ausgesprochene Empfehlung einer Absonderung (§ 17 Abs. 3 Satz 1 StVollzG), einer Gemeinschaftsunterbringung (§ 18 Abs. 1 StVollzG), einer bestimmten Verpflegung (§ 21 StVollzG) oder einer Einkaufsbeschränkung (§ 23 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) zählen. Auch gehört die begutachtende Ausfüllung solcher Begriffe dazu, die – wie es Michael Walter 137 ausdrückt – „die Vollzugsverhältnisse auf die Gefangenen hin personalisieren und vergemeinschaften“. So 133
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S. dazu Hillenkamp, Der Arzt im Strafvollzug – Rechtliche Stellung und medizinischer Auftrag, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 22 ff.; ders. (wie Fn 8), S. 904 ff. Sie wird deutlich auch in dem in Fn 130 zitierten Art. 179 Abs. 3 EBayStVollzG. De facto wird das bei den zuletzt genannten Gruppen freilich nicht selten der Fall sein, s. Kaiser/Schöch, StVollzG, § 11 Rn 22. S. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 159 Rn 1; Feest, in: AK-StVollzG, § 159 Rn 4; Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 158 Rn 5; in der Praxis nehmen Ärzte an Konferenzen allerdings offenbar eher selten teil, s. Böhm, Strafvollzug, 3. Aufl., Neuwied/Kriftel 2003, Rn 111. S. z. B. die Bayer. Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (BayVVStVollzG) vom 12.12.2002 zu § 158, abgedruckt in Arloth/Lückemann, StVollzG, Anhang 5 sowie die Nrn. 35, 36 der Bad.-Württemb. VwV des JuM vom 31.01.2003 zum Gesundheitswesen im Justizvollzug, abgedruckt in: Die Justiz 2003, S. 73; ferner zur allgemeinen Beratungspflicht auch Empfehlung R (98) 7, Nrn. 24, 25; Husen, Ärztlicher Dienst im Strafvollzug, in: Eisen (Hrsg.), Handwörterbuch der Rechtsmedizin, Band III, Stuttgart 1977, S. 578 (Beratung des AL). Walter, Strafvollzug, Rn 229.
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dient schon die Eingangsuntersuchung (§ 5 Abs. 3 StVollzG) nicht nur der Erhebung des allgemeinen Gesundheitszustandes, sondern z. B. auch der der Schweigepflicht gegenüber der Anstaltsleitung nicht unterliegenden Feststellung der „Vollzugstauglichkeit, Arbeitsfähigkeit, Selbsttötungsgefahr ..., Gefährlichkeit für andere, Sporttauglichkeit“ und von Bedenken gegen eine Einzelunterbringung (Bad.-Württemb. VwV Nr. 27 I). Bei vorgesehener Verlegung hat der Arzt die „Transportfähigkeit“, bei der Entlassungsuntersuchung gegebenenfalls die Reiseoder Beförderungsfähigkeit festzustellen (Bad. Württemb. VwV Nrn. 30 I, 32 II) und den Gesundheitszustand auch mit Blick auf denkbare Regressforderungen sorgfältig zu dokumentieren. 138 Am deutlichsten zeigt sich die Spaltung zwischen medizinischer und juristisch absichernder 139 Tätigkeit aber neben der dem Arzt eingeräumten Möglichkeit zur Vornahme von Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge (§ 101 StVollzG) in der ärztlichen Begleitung besonderer Sicherungsmaßnahmen wie der Einzelhaft, der Fesselung oder der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum (§ 91 Abs. 1, 2, 92 StVollzG) und schließlich in der Mitwirkung des Arztes bei der Disziplinarmaßnahme des Arrestes (§ 107 StVollzG). Abgerundet wird die Stellung als „gespaltener Arzt“ durch die vielen Ersuchen, die auf ihn um begutachtende Stellungnahmen zum Gesundheitszustand, zur Haft- oder Verhandlungsfähigkeit o. ä. von der Anstaltsleitung, von Gerichten, Staatsanwaltschaften, Verteidigern oder dem Gefangenen selbst zukommen. Hier ist nach Nr. 73 der Empfehlung R (98) 7 gegenüber Ersuchen von außen Zurückhaltung geboten, im Vollzug selbst die Besinnung auf Rollenklarheit. 140 Die aus der vollzuglichen Seite der Bifunktionalität nachvollziehbare Bevorzugung des Anstaltsarztprinzips hat das geltende Recht durch seine Entscheidung gegen eine freie Arztwahl auch im Übrigen – und das heißt auf nicht vollzugliche ärztliche Leistungen bezogen – noch einmal deutlich verschärft. Auch insofern wird sich in den (Jugend-)Strafvollzugsgesetzen der Länder nichts ändern. 141 Wie der Kommissions-, der Regierungs- und auch der Alternativentwurf eines Straf138
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S. Husen, Ärztlicher Dienst (wie Fn 136), S. 580 (Entlassungsuntersuchung); die Entlassungsuntersuchung ist nur in VV Nr. 2 zu § 171 StVollzG erwähnt, wird aber auch im Normalvollzug regelmäßig durchgeführt. Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 11 Rn 22. S. Flügge, Instrumentalisierung der Vollzugsmedizin, ZaeFQ (2000) 94, S. 265 ff., 271; zur Zurückhaltung raten auch Bernheim, Ethische Probleme ärztlicher Tätigkeit im Strafvollzug, SchwZStr 108 (1991), S. 355, 364; Husen, Ärztlicher Dienst (wie Fn 136), S. 582; Keppler, Grundlagen der Anstaltsmedizin, in: Deutsche AIDS-Hilfe e. V. (Hrsg.), Betreuung im Strafvollzug. Ein Handbuch. Berlin 1996, S. 111, 125; Rex, ZaeFQ (2000) 94, S. 258, 260; Zettel, Anstaltsarzt (wie Fn 69), S. 202; auch schon Leppmann, Gefängnisarzt (wie Fn 54), S. 196 ff. Das für den Fall der Nichtbehandelbarkeit in der Anstalt bzw. im Anstaltskrankenhaus von Art. 45 E Bay JStVollzG der Grünen (Bayer. Landtag Ds 15/7334, S. 14) eingeräumte Recht auf Behandlung durch einen (Fach-)Arzt „seiner Wahl“ sieht sich zwar nach der Begründung (S. 26) im Einklang mit dem geltenden Recht, geht aber durch die subsidiäre freie Arztwahl darüber hinaus. Referentenentwürfe der Länder enthalten eine solche Klausel nicht.
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vollzugsgesetzes 142 gezeigt haben, ist diese Entscheidung auch bei einem grundsätzlichen Primat des Anstaltsarztes nicht zwingend geboten. Eine Mehrheit im Sonderausschuss des Bundestages für die Strafrechtsreform hielt jedoch die „Gefahr des Missbrauchs“ einer dieses Recht einräumenden Vorschrift „für zu gravierend“. Sie berief sich darauf, dass „die Erfahrung der Praxis“ zeige, dass es zahlreichen Gefangenen, die einen freien Arzt in Anspruch nehmen, in vielen Fällen gar nicht um eine verbesserte Gesundheitsfürsorge, sondern darum gehe zu erreichen, was sie über den Anstaltsarzt nicht erzielen konnten, nämlich die Bescheinigung der Haft- oder Arbeitsunfähigkeit, die Verschreibung bestimmter Medikamente, eine Minderung des Arbeitspensums oder verbesserte Kost. Ein Arzt, der mit den Besonderheiten im Vollzug nicht vertraut sei, werde die dafür notwendigen Bescheinigungen leichter ausstellen als der Anstaltsarzt. Auch könnten die Bemühungen des Anstaltsarztes, durch seine Verschreibungspraxis Medikamentenmissbrauch und -handel zu unterbinden, wenigstens unter Kontrolle zu halten, zum Scheitern verurteilt sein, wenn sich die Gefangenen Medikamente über – wie es die Begründung etwas kurios ausdrückt – einen „freien Arzt“ beschaffen könnten. Schließlich sei es nicht gut, wenn Gefangenen die Möglichkeit eröffnet werde, „freie“ Ärzte gegen den Anstaltsarzt auszuspielen. Es sei schon so schwierig genug, zwischen dem Anstaltsarzt und dem Patienten eine vernünftige Vertrauensbasis herzustellen. Für eine freie Arztwahl sprechende Gründe wurden demgegenüber als weniger gewichtig angesehen. 143 Nr. 3 der VV zu § 58 StVollzG mildert die so begründete Entscheidung gegen die freie Arztwahl in der Praxis wohl nur unmaßgeblich ab, wenn sie unter sehr engen Voraussetzungen dem Anstaltsleiter einräumt, dem Gefangenen zu gestatten, auf eigene Kosten einen beratenden Arzt hinzuzuziehen. 144 Die Nachteile, die diese gesetzgeberische Konzeption birgt, lassen sich in drei Richtungen festmachen. 145 Zum Ersten trägt sie Belastungen und Spannungen in das Arzt-Patienten-Verhältnis. Der Anstaltsarzt jongliert zwischen Gesundheits-, Sicherheits- und vollzuglichen Behandlungsinteressen, er ist Arzt und doch 142
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S. § 54 Abs. 2 des 1971 von der Strafvollzugskommission verabschiedeten Entwurfs eines Strafvollzugsgesetzes, der dem Gefangenen (wie der RegE) keinen Anspruch einräumte, aber vorsah, dass dem Gefangenen gestattet „werden kann, auf eigene Kosten einen Arzt seiner Wahl in Anspruch zu nehmen, wenn ein wichtiger Grund dafür vorliegt“. § 53 Abs. 2 des RegE StVollzG (BT-Ds 7/918 vom 28.7.1973) entspricht dieser Regelung, verzichtete aber auf die Einschränkung des wichtigen Grundes. Nach § 106 Abs. 3 AE-StVollzG 1973 „kann“ der Insasse „auf eigene Kosten einen Arzt seiner Wahl in Anspruch nehmen“, muss es sich also nicht gestatten lassen. So auch § 53 II des vom Strafgefangenen Denis Pécic erarbeiteten AE-StVollzG, abgedruckt in: hnMagazin, Vollzugsanstalten Hamburg-Fuhlsbüttel, September 1973. S. Bericht SA, BT-Ds 7/3998, S. 25 f. und die Debatte dazu in der 41. Sitzung des SA, BT-Stenografischer Dienst, 7. WP, S. 1856 ff.; als Gründe für die freie Arztwahl wurden z.B. die Arbeitsentlastung des Anstaltsarztes, der Abbau manchen Vorurteils gegen den Vollzug und eine bessere Verwirklichung des Angleichungsgrundsatzes angeführt. Diese Möglichkeit hielt schon der SA (BT-Ds 7/3998, S. 26) für mit seiner Entscheidung gegen eine freie Arztwahl vereinbar. S. zum Folgenden Hillenkamp (wie Fn 133), S. 25 ff.
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zugleich „Erfüllungsgehilfe“ des Vollzugs. 146 Auch wenn man das Primat der Medizin betont (s. dazu sogleich), kann ihn diese Zwitterstellung in schwer auflösbare Konflikte führen. Vertrauen aufzubauen, fällt unter solchen Vorzeichen schwer. Das lässt sich nicht nur an so deutlichen Beispielen wie der Mitwirkung des Arztes am Arrest oder einer Zwangsbehandlung, sondern schon in der nur scheinbar unverfänglichen Eingangsuntersuchung zeigen. Der Gefangene wird sie in aller Regel als für- und vorsorglichen Gesundheitscheck begrüßen. Da sie dies aber nicht allein ist, ist der Patient fairer und rechtlicher Weise vorab darüber aufzuklären, dass es zugleich um vollzugsrelevante Erhebungen geht, die nur einer begrenzten Verschwiegenheitspflicht unterliegen (§ 182 Abs. 2 S. 5 StVollzG). Es versteht sich von selbst, dass bei solchem Beginnen dem unaufkündbaren „Zwangsansprechspartner“ 147 das eigentlich notwendige Vertrauen nicht zufliegt. 148 Zum Zweiten ist der Angleichungsgrundsatz in doppelter Weise berührt. Der Gefangene ist von dem für das Arzt-Patienten-Verhältnis in Freiheit grundlegenden Recht auf freie Arztwahl nicht nur im Gegensatz zum freien Bürger, sondern auch anders als der in einem externen Beschäftigungsverhältnis stehende Freigänger abgeschnitten. Diese Ungleichheit erstreckt sich auf den approbierten Psychotherapeuten. 149 Folglich kann weder der Arzt dem Patienten, noch dieser dem Arzt ausweichen: Sie sind zusammengeschlossen. 150 Das ist namentlich dort, wo es nur einen Arzt gibt, ein heikles Konstrukt. Auch wenn sich hierfür sicher neben den schon aus dem Sonderausschuss zitierten Argumenten vollzugsbedingte Kosten-, Personal- und Sicherheitsgründe ins Feld führen und deshalb Rechtfertigungsstrategien auch im Lichte des Angleichungsgrundsatzes finden lassen, sollte man doch auch gegenüber dieser Verschärfung des Anstaltsarztprinzips aufgrund der aus ihm zusätzlich fließenden Bedrohungen für ein die Gesundheit und Gesundung
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S. hierzu Walter, Strafvollzug, Rn 228; ferner Flügge, ZaeFQ (2000) 94, S. 265, 266; Konrad, Psychisch Kranke im Justizvollzug – Sicht des forensischen Psychiaters, ZaeFQ (2000) 94, S. 288; K. Neumann, Strafrechtliche Risiken des Anstaltsarztes, Hamburg 2004, S. 34 ff. Keppler, Grundlagen (wie Fn 140), S. 111. S. zu Gründen des Misstrauens allgemein Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 7; § 158 Rn 7; Husen, Ärztlicher Dienst (wie Fn 136), S. 577 (Anstaltsarzt); zu dem speziellen Konflikt und seinen rechtlich nicht unproblematischen Lösungsversuchen durch „formular-“ oder „routinemäßige“ Generalaufklärung im Aufnahmeverfahren Lange-Lehngut, Schweigerecht versus Auskunftspflicht des Anstaltsarztes – Sicht des Anstaltsleiters, ZaeFQ (2000) 94, S. 282, 285; Riekenbrauck, Schweigerecht versus Auskunftspflicht des Anstaltsarztes – Sicht des Vollzugsmediziners, ZaeFQ (2000) 94, S. 277, 280; Schöch, Zur Offenbarungspflicht der Therapeuten im Justizvollzug gemäß § 182 II StVollzG, ZfStrVo 1999, S. 259, 261; Schlungbaum, Schlusswort, ZaeFQ (2000) 94, S. 314. S. OLG Nürnberg NJW 2000, 889; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 153 Rn 46. Walter, Strafvollzug, Rn 230.
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förderliches Behandlungsklima nach Wegen der Abmilderung suchen. 151 Das gilt auch deshalb, weil andere Länder hier offenbar anders verfahren.152 Als dritter Nachteil ist die vom Gesetzgeber sicher nicht beabsichtigte, durch seine Konzeption aber doch begünstigte Verfestigung einer Sonderrolle der Anstaltsmedizin 153 zu sehen. Sie hat eine wesentliche Quelle in einer nicht hinreichenden Verzahnung zwischen extra- und intramuraler Medizin, deren Herstellung die Vollzugsmedizin in die extra muros geltende Qualitätssicherung einbeziehen, ihren Standard der medizinischen Versorgung der Bevölkerung stärker angleichen, den angesichts der von den Verfassern des AE-StVollzG beschworenen Gefahren der „Routine und Berufsblindheit“ 154 notwendigen fachlichen Austausch befördern und dem Gefangenen so eine auch in dieser Hinsicht dem Äquivalenzprinzip und der allgemeinen Gesundheitsförderung besser entsprechende Gesundheitsfürsorge angedeihen lassen könnte. 155 Auch wenn das Strafvollzugsgesetz die Inanspruchnahme extramuraler Dienste durch eine Einbestellung von Fachärzten oder die Zuführung der Gefangenen zu ihnen nicht nur nicht ausschließt, sondern in medizinisch indizierten Fällen auch die Gewährung des Anspruchs auf Krankenbehandlung (§ 58 StVollzG) konkludent zwingend macht, 156 gleicht diese Möglichkeit den beschriebenen Nachteil nicht aus. Das gilt zumal deshalb, weil – wie es die Regelung über die Verlegung in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs in § 65 Abs. 2 StVollzG deutlich macht – die externe Inanspruchnahme nur 151
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Zusammenfassend hierzu Kirschke, Versorgung, (wie Fn 63), S. 91 ff., die die Versagung freier Arztwahl aus Vollzugsgründen rechtfertigt, für den Psychotherapeuten aber zu Recht eine Ausnahme fordert (S. 121 f.); Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 5 weisen zu Recht darauf hin, dass freie Arztwahl und die Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Krankenversicherung Hand in Hand gehen müssten. S. Bemmann, Freie Arztwahl im Strafvollzug?, in: Festschrift für Spinellis, Athen 2001, S. 143 (= StV 2001, S. 61 ff.), der sein Plädoyer für eine freie Arztwahl mit Hinweis auf Griechenland untermauert; zu den Gründen des RegE StVollzG, freie Arztwahl zuzulassen, s. zusammenfassend Corves, in: BT-Stenografischer Dienst, 41. Sitzung des SA, 7. WP S. 1858 f. S. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 7. S. Baumann u. a., AE-StVollzG, Begr. S. 167 zu § 104. S. in diesem Sinne dezidiert Keppler, Grundlagen (wie Fn 140), S. 126; auch Stöver/Lesting, in: Recht und Psychiatrie 1999, S. 150, 155; die Anfrage der Grünen, die zur Antwort der Nds. Landesregierung führte, betont den Bedarf an „differenzierter Gesundheitsberichterstattung und eines Qualitätsmanagements für die Gesundheitsversorgung und die Gesundheitsförderung“, Nds. Landtag, Ds 15/1192, S. 1. Der Kommissionsentwurf eines Strafvollzugsgesetzes hatte in § 54 Abs. 1 S. 2 die Hinzuziehung zur Pflicht gemacht; der RegE verzichtete darauf, weil sich die Notwendigkeit „nach den auch sonst geltenden ärztlichen Maßstäben für die Beiziehung weiterer Ärzte zur Konsultation oder für die Einschaltung von Fachärzten“ richte, s. BT-Ds 7/918, S. 72. S. dazu auch VV Nr. 2 II zu § 58 StVollzG; ferner Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 58 Rn 3; zur Einlassung auf den Wunsch des Patienten in diesem Zusammenhang s. Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 58 Rn 9-13; ein Beispiel für die zahlenmäßige Inanspruchnahme findet sich in Nds. LReg in: Nds. Landtag Ds 15/1192, S. 9: danach wurden in den Jahren 1999-2003 33072 konsiliarärztliche Überweisungen und 847 Verlegungen in ein Krankenhaus der Allgemeinversorgung angeordnet.
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eine subsidiäre und zurückhaltend zu handhabende Form ärztlicher Versorgung gegenüber der Regelbewältigung im Vollzug darstellen soll. Das hier eingeforderte Primat der Medizin (s. dazu sogleich) kann diese Nachteile nur begrenzt mildern. Es hilft – konsequent befolgt – das Vertrauensverhältnis zu verbessern, die Zwangspartnerschaft erträglicher zu machen und den Anstaltsarzt zu ermutigen, ohne Rücksicht auf Kostendruck, Personalknappheit oder Sicherheitsbedenken die Möglichkeiten externer Inanspruchnahme im Rahmen des medizinisch Gebotenen auszuschöpfen. Der Kern des Dilemmas, die für die Nachteile verantwortliche bifunktionale Gemengelage, aber bleibt. Ihre Auflösung lässt sich auf dem Hintergrund der Aufgabendoppelung der Vollzugsmedizin nicht einfach erreichen. Eine Vollprivatisierung der Gesundheitsfürsorge im Vollzug könnte zwar namentlich dann, wenn sie mit der mittlerweile allerdings als illusorisch einzuschätzenden Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Krankenversicherung Hand in Hand ginge, die Störungen des Vertrauensverhältnisses beseitigen und freie Arztwahl ermöglichen. Sie ist aber angesichts der bifunktionalen Stellung des Arztes nicht unbedenklich. Zwar wird in der hier nicht näher aufgreifbaren Debatte um eine Privatisierung des Strafvollzugs 157 die ärztliche Versorgung wegen der in § 158 Abs. 1 S. 2 StVollzG eröffneten Möglichkeit vertraglicher Verpflichtungen externer Ärzte als ein Beispiel schon de lege lata zulässiger Teilprivatisierung benannt 158 und in der JVA Huenfeld in Hessen auch praktisch erprobt. 159 Dabei gilt es aber zu bedenken, dass eine Übertragung grundrechtsrelevanter Eingriffsbefugnisse wie z.B. des Rechts zur Zwangsbehandlung auf Verwaltungshelfer unzulässig ist. Auch kann man wegen der grundrechtswesentlichen, weil die Verwirklichung der Grundrechte auf Leben und Gesundheit erst
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S. dazu nur Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 155 Rn 2; Kulas, Privatisierung hoheitlicher Verwaltung, 2. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 2001, mit dem Hinweis auf die in der Qualität nicht schlechte Gesundheitsfürsorge in Privatvollzugsanstalten in den USA (S. 121); Nibbeling, Privatisierung des Haftvollzugs – Die neue Gefängnisfrage am Beispiel der USA, 2001; s. ferner die die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug allerdings aussparenden Beiträge in Stober (Hrsg.), Privatisierung im Strafvollzug? Köln/Berlin/Bonn/München 2001. S. z. B. Kaiser/Schöch, Einführung, § 4 Rn 32; Laubenthal, Strafvollzug, Rn 40. Der Hessische Justizminister C. Wagner hat im Jahr 2001 darüber berichtet, dass die von ihm eingesetzte Arbeitsgruppe „Modellprojekte zur Privatisierung des Strafvollzugs“ das „Versorgungsmanagement ... ärztliche Versorgung“ für eine schon mit dem geltenden Recht vereinbare Privatisierungsmöglichkeit halte, s. C. Wagner, Privatisierung im Strafvollzug – Ein Konzept für die Zukunft, ZRP 2000, S. 169, 172 (dort – S. 170 – auch zur Begeisterung der Inhaftierten über in Frankreich und Großbritannien etablierte Modellversuche); s. ferner den zusammenfassenden Bericht über das Ergebnis der Arbeitsgruppe in: Der Vollzugsdienst 2000, S. 20, 21. Nach Auskunft von W. Paeckert, des Leiters der JVA Huenfeld, ergeben sich in der Praxis aus der dort geschehenen Übertragung der ärztlichen Leistungen auf einen privaten Betreiber keine Probleme. J. Walter, Statement, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 266 empfiehlt eine Herausnahme aus der hierarchischen Struktur und organisatorische Trennung der Gesundheitsfürsorge verbunden mit ihrer Privatisierung.
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ermöglichenden Eigenschaft der Gesundheitsfürsorge gegen ihre Privatisierung gewichtige Bedenken erheben. 160 Nimmt man aus solchen Gründen von diesem Gedanken Abstand, sollte man allerdings gleichwohl aus ihm den Anstoß entnehmen, den gesetzlichen Rahmen im Sinne einer personellen, räumlichen und organisatorischen Verzahnung anstaltsärztlicher intramuraler und von privaten oder öffentlichen Trägern geleisteter extramuraler Medizin auszuschöpfen. Dazu gehört eine quantitativ erhebliche Inanspruchnahme der Möglichkeit, externe Ärzte für die Gesundheitsfürsorge im Vollzug vertraglich zu verpflichten. Das geschieht in der Praxis offenbar ohnehin schon so, dass von einer Konterkarierung des vom Gesetzgeber vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen Anstaltsarzt und nebenamtlich bzw. vertraglich beschäftigten Ärzten zu reden ist. 161 Diese Praxis verdient Ermutigung, weil sie zu einem regen fachlichen Austausch und zum Import extramuraler Standards in die Anstaltsmedizin beiträgt. Bedenkenswert sind zudem die Vorschläge, öffentliche Krankenhäuser mit gesicherten Stationen für inhaftierte Patienten und den Vollzug mit Ambulanzen für externe Fachärzte zu versehen. 162 Auch ließen sich mit einer großzügigen Eröffnung der Möglichkeit für Anstaltsärzte, nebenbei frei zu praktizieren, Bedenken gegen „Routine und Betriebsblindheit“ abschwächen. 163 All das fügte sich in die für den europäischen Raum zu beobachtende Tendenz einer stärkeren Anbindung der Anstaltsmedizin an die extra muros praktizierte Gesundheitsfürsorge ein, 164 verhülfe dem Angleichungsgrundsatz zu seinem Recht und diente Gefangenen und Ärzten. Ein Modell, das Dilemma der Bifunktionalität aufzuheben, habe ich an anderer Stelle zur Diskussion gestellt. 165 Es könnte darin liegen, das Aufgabensplitting durch ein Personensplitting zu beseitigen. Der Anstaltsarzt übernähme darin ausschließlich die Aufgaben, die eine Ausbildung zum Arzt voraussetzen, sich aber als Ausfluss spezifisch vollzugsbedingter Aufgaben ausweisen. Die allgemeine 160
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S. z.B. Bonk, Rechtliche Rahmenbedingungen einer Privatisierung im Strafvollzug, JZ 2000, S. 435 ff., speziell zu § 155 StVollzG S. 441; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 155 Rn 5, 7. S. dazu z. B. die Angaben in Nds. LReg. in: Nds. Landtag, Ds 15/1192, S. 9 ff. Keppler, Grundlagen (wie Fn 140) S. 126. Die vom Rechnungshof BadenWürttemberg, Denkschrift 2005, S. 90 angeregte intensive Auslotung der Kooperationsbereitschaft von extramuralen Krankenhausträgern, die angesichts der „gravierenden Umwälzungen der Krankenhauslandschaft und einem massiven Bettenabbau“ nach Einschätzung des Landesrechnungshofs zunehmen dürfte, wird vom Justizministerium Baden-Württemberg allerdings skeptisch beurteilt: „Die vom RH als Alternative zum Neubau eines Justizvollzugskrankenhauses vorgeschlagene Kooperation mit bestehenden Krankenhäusern ist in der Vergangenheit von angefragten Kliniken abgelehnt worden. Es ist nicht zu erwarten, dass dieses Modell an anderer Stelle im Land realisierbar ist“ (S. 93); s. auch Wulf (wie Fn 91), S. 361. Wie sie der AE-StVollzG befürchtet, s. Baumann u. a., AE-StVollzG, Begr. S. 167 (zu § 104); s. dazu Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 8. Stöver/Lesting, in: Recht und Psychiatrie 1999, S. 150, 155; s. auch Nr. 12 der Empfehlung R (98) 7, nach der die Rolle des Gesundheitsministeriums verstärkt werden sollte, sowie Stöver, Erste Europäische Konferenz (wie Fn 80), S. 25 ff. Hillenkamp (wie Fn 61), S. 29.
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Gesundheitsfürsorge würde dagegen einem zweiten Arzt überlassen. Ein solches Splitting liegt eigentlich nahe, weil es dem Bild vieler strukturell nicht unähnlicher Arztberufe entspricht. Weder der Amts-, noch der Schul-, noch der Betriebsarzt müssen ihre besonderen Aufgaben mit dem Spagat auch allgemeiner Behandlung belasten. 166 Die Vorzüge eines solchen Modells liegen infolgedessen auf der Hand. Es beseitigt nicht nur das beschriebene Dilemma. Vielmehr könnte es auch der drohenden Gefahr einer „Instrumentalisierung der Vollzugsmedizin zu nichtmedizinischen Zwecken“ 167 begegnen. Denn es wäre kaum mehr etwas dagegen einzuwenden, wenn sich ein solcher Anstaltsarzt zu Fragen der Haft- oder Verhandlungsfähigkeit gutachterlich äußerte. Warum dieser Vorschlag sonst nicht zu finden ist, muss allerdings Gründe haben. Er scheitert prima facie dort, wo nur ein Arzt vorhanden ist. Dort müsste eine zweite Stelle geschaffen werden, die ein Vertragsarzt besetzen könnte. Der Vorschlag mag andererseits ein für manchen unattraktives Arztbild entwerfen. Dem ließe sich vorbeugen, indem man das vom Alternativentwurf zu einem Strafvollzugsgesetz allerdings anders gemeinte Rotationsprinzip 168 aufgriffe. Die Rollenverteilung könnte jährlich wechseln. Um Praktikabilität und Gewinn des Modells besser beurteilen zu können, empfiehlt es sich, es in einer größeren JVA mit mehreren Ärzten einmal experimentell zu erproben. Das Primat der Medizin Die zuvor beschriebene „duale Rolle des Gefängnisarztes“ 169 verlangt nach einer berufsethischen Grundentscheidung in Konflikt- und Kollisionslagen. Hierzu besteht national wie international Einigkeit. Es gilt das „Primat der Medizin“. 170 Der Anstaltsarzt steht durch seine organisatorisch-funktionelle Einbindung in den Vollzug und das dadurch ausgelöste Zusammenarbeitsgebot, das sich an alle im Vollzug Tätigen richtet (vgl. § 158 Abs. 1 StVollzG), im Spannungsfeld zwischen den Gesundheitsinteressen des Gefangenen und den Sicherheits- und Behandlungsinteressen des Vollzugs. 171 Das Primat der Medizin heißt in diesem Zusam166
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S. Boetticher/Stöver, vor § 56 Rn 6, die die hier gezogene Schlussfolgerung daraus allerdings nicht ziehen; zu den einzelnen Arztberufen s. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 12 Rn 15 ff. So der gleichnamige Aufsatz von C. Flügge, in: ZaeFQ (2000) 94, S. 265. Der AE-StVollzG sah in § 104 III 1 vor, dass der den ärztlichen Anstaltsdienst leitende Arzt „diese Funktion hauptamtlich höchstens drei Jahre bekleiden darf. Grund für diesen angesichts der Notwendigkeit immer wieder vorzunehmender Neueinarbeitung nicht unproblematischen und deshalb wohl auch zu Recht nicht Gesetz gewordenen Vorschlag war die Befürchtung der Gefahr sonst eintretender „Routine und Betriebsblindheit“ (Begr. S. 167 zu § 104). Pont/Wool, Ein Leitfaden für den Gefängnisarzt, Wien 2006, S. 9. Keppler, Grundlagen (wie Fn 140), S. 126; s. dazu auch Hillenkamp (wie Fn 61), S. 20 f.; Wulf (wie Fn 91), S. 360. S. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, § 158 Rn 1; Husen, Ärztlicher Dienst (wie Fn 136), S. 577 (Anstaltsarzt); Keppler, Grundlagen (wie Fn 140), S. 126; Pont/Wool,
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menhang bildlich gesprochen, dass der Eid des Hippokrates den Amtseid hierarchisch im Grundsatz überlagert. Allgemein und für alle Arztberufe gültig beschreibt Laufs das im Handbuch des Arztrechts nach einer Übersicht über die ärztlichen Berufe so: „Der Ausbau des Sozialstaates, die fortschreitende wissenschaftliche Differenzierung der Arbeitswelt schaffen... berufliche Alternativen für den Arzt, unterwerfen sein Verhältnis zum Patienten aber im Interesse übergeordneter“ Belange auch „zusätzlichen Regeln, die in Konflikte führen können. Umso nachdrücklicher“ – so seine Mahnung – „gilt es an den ärztlichen Pflichten auf allen Tätigkeitsfeldern festzuhalten und das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten überall zu schützen. Der Arzt bleibt Arzt, auch wenn er seinen Beruf nicht als Niedergelassener oder in einem herkömmlichen Dienstverhältnis, sondern in spezieller Funktion und Rechtsposition ausübt“. 172 „Die Gesundheitsbedürfnisse des Inhaftierten stehen – so sagt es dem ganz entsprechend die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats von 1998 – „beim Gefängnisarzt immer an erster Stelle“. „Klinische Entscheidungen und alle anderen den Gesundheitszustand inhaftierter Personen betreffende Bewertungen sollen“ hiernach „einzig und allein aufgrund medizinischer Kriterien getroffen werden“ 173 . „Lassen Sie ... keinen Zweifel darüber“, empfehlen Pont/Wool dem Vollzugsmediziner, „dass Ihre primäre Aufgabe die ärztliche Betreuung der Gefangenen ist und dass Sie Ihre Arbeit als Gefängnisarzt nach strikten ärztlichen und ethischen Grundsätzen verrichten, die durch ärztliche Professionalität, Unabhängigkeit, und dem Prinzip der gleichen Behandlung und ärztliche Vertraulichkeit wie in Freiheit bestimmt sind“. 174 Und Wulf betont in diesem Zusammenhang, „dass Anstaltsärzte zunächst einmal Ärzte sind und einen ärztlichen Auftrag gegenüber den inhaftierten Patienten haben. Für den Anstaltsarzt ist der Gefangene daher in erster Linie Patient und erst in zweiter Linie Gefangener“. 175 Aus all dem folgt naturgemäß nicht, dass sich der Arzt aus den ihm vollzuglich auferlegten Pflichten lösen und in einem solchen Sinne „Unabhängigkeit“ wahren könnte. 176 So trifft auch den Anstaltsarzt z. B. die dem Anstaltsleiter gegenüber bestehende Offenbarungspflicht nach § 182 Abs. 2 S. 2 StVollzG, wenn er bei sei-
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Leitfaden (wie Fn 169), S. 9; Stöver, Erste Europäische Konferenz (wie Fn 80), S. 33; Stöver/Lesting, Recht und Psychiatrie, 1999, S. 150, 155. Laufs in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., München 2002, § 12 Rn 38. Empfehlung R (98) 7, Nr. 19, 20. Pont/Wool, Leitfaden (wie Fn 169), S. 13. Wulf (wie Fn 91), S. 360. Das CPT fordert weitgehende „Unabhängigkeit“ des medizinischen Personals gegenüber der Gefängnisleitung, s. dazu Bank, Bekämpfung (wie Fn 52), S. 202; sehr weitgehend auch die Forderung in Nr. 12.2 der Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen (SAMW-Richtlinien) vom 28.11.2002, Schweizerische Ärztezeitung 2003; 84: Nr. 7, S. 306, 309 in der es heißt: „Um die Unabhängigkeit der Ärzte zu wahren, muss jegliche hierarchische Abhängigkeit oder sogar direkte vertragliche Beziehung zwischen den letzteren und der Leitung in Zukunft vermieden werden.“
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ner ärztlichen Tätigkeit im Rahmen der ihm außerhalb der allgemeinen Gesundheitsfürsorge obliegenden Mitwirkung an Vollzugsentscheidungen und maßnahmen Patientengeheimnisse erfährt, deren Kenntnis für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde erforderlich ist. 177 Dieser Pflicht darf er sich naturgemäß unter Berufung auf das Primat der Medizin ebenso wenig entziehen, wie der Pflicht zur Offenbarung selbst solcher Geheimnisse, die ihm im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt geworden sind, wenn die Offenbarung zur Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde unerlässlich oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist und ein Fall der „Ermessensreduzierung auf Null“ vorliegt. Dann kann sich mit der für solche Fälle gegebenen Offenbarungsbefugnis des § 182 Abs. 2 S. 3 StVollzG auch für den Arzt in der allgemeinen Gesundheitsfürsorge eine Offenbarungspflicht verbinden. 178 Wohl aber folgt aus dem Primat der Medizin, dass der Arzt sich z. B. einer von der Anstaltsleitung nahe gelegten „Medizinalisierung“ von Vollzugsproblemen durch die Vergabe von Sedativa in disziplinarischen Problemfällen widersetzt. 179 Hier gilt, dass die Ausreichung von „Psychopharmaka an inhaftierte Personen“ jenseits medizinisch indizierter Maßnahmen zur Ruhigstellung „nur mit deren Einverständnis und ausschließlich aus rein medizinischen Gründen erfolgen“ darf. 180 Eine medizinisch nicht gebotene, vom Gefangenen aber unter dem Mantel vorgeschützter Krankheitssymptome begehrte Sondervergünstigung etwa im Bereich von Nahrung, Kleidung oder Unterbringung zu gewähren, verbietet das Primat der Medizin. 181 Auch einer pauschalen und ohne Rücksicht auf die individuelle Verantwortlichkeit und Zuverlässigkeit des gefangenen Patienten angeordneten Überwachung der Medikamenteneinnahme sollte der Arzt widersprechen. Ihr steht neben ärztlichem Ethos auch die Einsicht des Kammergerichts entgegen, „dass das Selbstbestimmungsrecht und die personale Würde des Patienten es auch bei einem Strafgefangenen verbieten, ihm im Rahmen seiner Behandlung durch den Anstaltsarzt die Rolle eines bloßen Objekts zuzuweisen.“ 182 Die Inanspruchnahme extramuraler Medizin ist allein nach der medizinischen Indikation zu entscheiden. Personelle Engpässe oder Kosten sind im Rahmen des medizinisch Gebotenen kein legitimer Gegenstand ärztlicher Reflektion. Schließlich sind Haft- oder Arrestfähigkeit selbstverständlich vom Arzt nicht nach dem Interesse an der Durchsetzung des Strafanspruchs oder der Berechtigung 177
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Arloth/Lückemann, StVollzG, § 182 Rn 8; Tag, Das Arztgeheimnis im Strafvollzug in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 101. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 182 Rn 8; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 182 Rn 8; s. auch Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Strafvollzug, Hamburg 2003. S. dazu Husen, Ärztlicher Dienst (wie Fn 136), S. 577 (Anstaltsarzt); Walter, Strafvollzug, Rn 231; zur Duldung von Cannabis aus solchen Gründen s. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 8. S. Nr. 7.2 SAMW-Richtlinien (wie Fn 176). S. zu solchen „Begehrlichkeiten“ Husen, Ärztlicher Dienst (wie Fn 136), S. 577; Rex, ZaeFQ (2000) 94, S. 258, 261. KG StV 1988, S. 539, 540; s. auch die Hinweise in VV Nr. 4 I zu § 58 StVollzG, die den Regelfall der Selbstverantwortlichkeit des Gefangenen betonen.
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des Vollzugsinteresses an einer Disziplinierung und schon gar nicht nach subjektiv empfundenem Verdienst, sondern allein mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand zu beurteilen. 183 In allem gilt: salus aegroti suprema lex. Der Gesundheitsbegriff Wie schon erwähnt, gehört es schließlich zu den kriminalpolitischen Weichenstellungen zur Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug, wie man den Gegenstand der Fürsorge näher bestimmt; denn was unter Gesundheit zu verstehen ist, ist kontrovers 184 und nicht ohne Einfluss auf den Fächer des medizinischen Leistungsangebots und die Anforderungen an diejenigen, die es bestreiten. Das noch geltende Strafvollzugsgesetz gibt dem Strafvollzug in § 56 Abs. 1 S. 1 auf, „für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen“ zu sorgen. Dieser Fürsorgepflicht kommt „die Vollzugsbehörde vor allem durch Einrichtung und Unterhaltung der ärztlichen Versorgung (§ 158) und durch Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge nach, die im Wesentlichen der gesetzlichen Krankenversicherung“ entsprechen (§ 58, 61 StVollzG). 185 Hieraus lässt sich ableiten, dass dem Strafvollzugsgesetz der sozialversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff zugrunde liegt, der somatische wie psychische Erkrankungen erfasst und unter Krankheit den „regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand“ versteht, der „ärztlicher Behandlung bedarf“. 186 Dieser – engeren – Konzeption folgt die Mehrheit der vorliegenden Gesetzesentwürfe der Länder zu einem (Jugend-)Strafvollzugsgesetz, ohne eine Reflektion über alternative Festlegungen erkennen zu lassen.
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S. zu dieser „an den Nerv des Problems“ gehenden „dauernden Herausforderung an den Anstaltsarzt“ Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, § 56 Rn 19; Gatzweiler, Haftunfähigkeit, StV 1996, S. 283 ff.; Heischel, Haftverschonung aus Gesundheitsgründen gemäß § 455 StPO, ZfStrVo 1998, S. 40 ff.; s. auch Nr. 4 SAMW-Richtlinien (wie Fn 176): „Soll der Arzt beurteilen, ob eine Person fähig ist, einer Disziplinarstrafe zu erstehen, äußert er sich dazu erst dann, wenn die Maßnahme verfügt ist. Seine Beurteilung ergeht als zweiter Schritt und nimmt gegebenenfalls die Form eines aufgrund rein medizinischer Kriterien gefällten Vetos an“. Flügge, ZaeFQ (2000) 94, S. 265 ff. warnt zu Recht vor einer „Instrumentalisierung der Vollzugsmedizin zu nicht-medizinischen Zwecken“ und empfiehlt daher dem Anstaltsarzt rigoros, zur Haft- oder Verhandlungsfähigkeit überhaupt keine Stellungnahme abzugeben; s. dort S. 267 auch zum Vorrang des hippokratischen Eides. S. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (wie Fn 172), § 1 Rn 9 f.; Tag, Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und lex artis, Heidelberg 2000, S. 81 ff.; s. auch Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, § 56 Rn 4 ff. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 156 Rn 1. So in st. Rspr. das Bundessozialgericht, vgl. BSG NJW 2000, 2764, 2765; dazu Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 5.
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Demgegenüber haben sich § 60 E JStVollzG-NRW und Art. 43 E BayJStVollzG der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN 187 dem Vorschlag des letzten Referentenentwurfs aus dem BMJ für ein Jugendstrafvollzugsgesetz angeschlossen, dessen § 56 Abs. 1 S. 1 StVollzG entsprechende Formulierung in § 29 Abs. 1 S. 1 lautete: „Für das körperliche, seelische, geistige und soziale Wohlergehen der Gefangenen ist zu sorgen“. Diese deutliche und substantielle Erweiterung wurde wie folgt begründet: 188 „Dem Entwurf liegt ... in Unterscheidung zum Strafvollzugsgesetz ein ganzheitlicher Gesundheitsbegriff zugrunde. Dementsprechend orientiert sich Absatz 1 mit seiner Verpflichtung der Vollzugsbehörden nicht an § 56 StVollzG, sondern an der weiteren Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO. Danach ist die Gesundheit eines Menschen nicht auf das rein körperliche und geistige Wohlergehen beschränkt, sondern umfasst auch das seelische und soziale Wohlbefinden“. Zur Rechtfertigung dieser Erweiterung wurde angeführt, dass sich im Jugendstrafvollzug „eine große Anzahl junger Menschen“ befinde, „die aus zerrütteten Familienverhältnissen stammen, frühe Erfahrungen mit dem Verlust von Beziehungspersonen gemacht haben, Opfer sexuellen Missbrauchs und/oder sonstiger körperlicher Misshandlung geworden sind, Sprach-, Schlaf- und Essstörungen aufweisen und seit vielen Jahren Alkohol, Medikamente, illegale Drogen und andere Suchtstoffe konsumieren. Hier eine Trennung zwischen physischem und geistigem Befinden einerseits und psychischem und sozialem Zustand andererseits vorzunehmen, würde die Gesamtzusammenhänge und das Ursachen-Wirkungsprinzip außer Acht lassen. Es bedarf vielmehr umfassender Untersuchungen zur Gesundheitsfürsorge und der Festschreibung entsprechender Maßnahmen einschließlich psychiatrisch-psychologischer Leistungen im Förderplan (§ 10). Darüber hinaus sollte eine jugendspezifische Konzeption zur Behandlung von drogenabhängigen Gefangenen im Jugendstrafvollzug erstellt werden, die spezialisierte, auf geschlechterbezogene Faktoren abgestimmte Programme für Suchtprävention sowie die Förderung von Maßnahmen zur Infektionsminimierung einschließt. Dabei bedarf es der besonderen Berücksichtigung frauenspezifischer Angebote in der Suchthilfe, der entsprechenden Schulung der Vollzugsbediensteten und der Einstellung von weiblichen therapeutischen Fachkräften“. Aus der damit erweiterten „Aufgabenverantwortung des ärztlichen Dienstes“, die mit der Erstreckung des Gesundheitsbegriffs auf das seelische und soziale Wohlbefinden die „schon bisher als besonders wichtig einzuschätzende Funktion“ des Anstaltsarztes bei der „Erfüllung des Resozialisierungsauftrages“ betont, leitet der nordrhein-westfälische Entwurf auch „das grundsätzliche Erfordernis eines hauptamtlich bestellten ärztlichen Dienstes ab“. 189 Setzte sich diese Linie im Jugendstrafvollzug durch, ließe sich erwarten, dass sich die „Schrittmacherfunktion“ des Jugendstrafrechts in der kriminalpolitischen
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Zu den Fundstellen s. Fn 11; in der Begründung zu dem bayerischen Entwurf wird die Abweichung zum geltenden Recht allerdings gar nicht wahrgenommen, s. Begr. S. 26 zu Art. 43-48. RefE BMJ (wie Fn 18), Begr. S. 56 f. S. E JStVollzG-NRW (wie Fn 11), Begr. S. 125 (zu § 121).
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Reform190 auch im Strafvollzug erwiese und auf den Erwachsenenvollzug alsbald übergriffe. Denn fraglos gelten die in der Begründung des ministeriellen Entwurfs angestellten Überlegungen und die daraus abgeleiteten Forderungen kaum minder für einen erheblichen Anteil an der Gefangenenpopulation im Erwachsenenvollzug. Gleichwohl erscheint die überwiegend zu sehende Zurückhaltung gegenüber einer Inkorporation des Gesundheitsbegriffs der WHO in die Regelung der Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug beifallswürdig. Der schon in der Präambel der Satzung der Weltgesundheitsorganisation vom 22. Juli 1946 geprägte Gesundheitsbegriff, der Gesundheit als einen „Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“ bezeichnet,191 mag sich – wie auch die Weiterentwicklungen dieser Formel192 – „als Leitlinie der öffentlichen Gesundheitspolitik“ eignen,193 taugt angesichts seiner nahezu uferlosen Weite aber nicht zu einer realitätsgerechten Eingrenzung der vom Vollzug zu leistenden und erbringbaren medizinischen Versorgung. Er weckt „Erwartungen an menschliches und insbesondere medizinisches Handeln ..., die jenseits der Grenzen des Möglichen liegen“,194 bewirkt eine „nicht vertretbare Ausweitung der medizinischen Indikation“195 und befördert damit ein unerfüllbares Anspruchsdenken.196 Auch überfordert er das medizinische Personal, das gleichsam allein für einen vom Vollzug insgesamt anstrebbaren Idealerfolg bürgte. Dass die „sozialen Zusammenhänge“ der Entstehung einer Krankheit bei der Diagnose und Behandlung „mit in Rechnung gestellt werden müssen,“197 versteht sich im Rahmen der medizinischen Indikation von selbst und muss nicht erst durch den den medizinischen Auftrag verwässernden Ausflug in das „soziale Wohlbefinden“ angemahnt werden. Dass im Vollzug wirksame Strategien zur Sucht- und Infektionsbekämpfung auch unter Beteiligung des ärztlichen Personals zu entwickeln sind, ist gleichfalls nicht von der Etablierung des WHOGesundheitsbegriffs abhängig. Es sollte daher insoweit bei der bisher im Strafvollzugsgesetz eingehaltenen und mit dem Sozialversicherungsrecht übereinstimmenden Linie verbleiben. Der Vorteil dieser Lösung liegt nicht nur in ihrer reali-
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S. dazu Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht, 14. Aufl., Stuttgart 2002, S. 169. Im Original lautet die Definition: „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity”. S. dazu Tag (wie Fn 184), S. 84 ff. Als die er in erster Linie auch gedacht ist, s. dazu die Begrünung zum Entwurf eines 5. Gesetzes zur Reform des Strafrechts (den Schwangerschaftsabbruch betreffend), BT-Ds VI 3434, S. 22 f. Tag (wie Fn 184), S. 86. So die Auffassung des Bundesrats in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines 5. StrRG, BT-Ds VI 3434, S. 46. So Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (wie Fn 172), § 1 Rn 10, der auch eine Dämpfung der „Bereitschaft zur Selbsthilfe“ befürchtet. So die Begründung der BReg zum Entwurf eines 5. StrRG für die Inbezugnahme des WHO-Begriffs in der Regelung der medizinischen Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch, BT-Ds VI, 3434, S. 22.
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täts- und anspruchsgerechten Beschränkung, sondern zugleich in der Wahrung der Identität des Gesundheitsbegriffs zwischen „Drinnen“ und „Draußen“.198
Das Arzt-Patienten-Verhältnis im Strafvollzug Allgemeine Charakterisierung „Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist weit mehr als eine juristische Vertragsbeziehung, ist verankert in den sittlichen Beziehungen der Menschen untereinander und entfaltet sich nur da in einer gerade auch für die gesundheitliche Betreuung des Patienten förderlichen Weise, wo eben diese sittlichen Momente von Mensch zu Mensch es tragen und seinen Gehalt bestimmen“. Dieses von Eberhard Schmidt199 entworfene idealistische Bild des Arzt-PatientenVerhältnisses, das der sittlich-ethischen Gründung der Beziehung den Vorrang vor der rechtlichen, der ärztlichen Gewissensentscheidung die Prärogative und dem Vertrauen in paternalistische Umsorgung den Vorrang vor rechtlicher Beanspruchung und Kontrolle einräumte, konnte für die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug – die in ihm kaum mitbedacht war – schon seit jeher nur sehr eingeschränkt Geltung beanspruchen. Auch zeitgemäßere Beschreibungen, die das ArztPatienten-Verhältnis als „Partnerschaft“ oder „Arbeitsbündnis“ sehen und Arzt und Patient als gleichberechtigte „Rechtsgenossen“ charakterisieren,200 haben hierfür prägend sicher eher das Geflecht zwischen Arzt und Patient extra als intra muros im Blick. Wo dagegen der Wandel der Beziehung zwischen Arzt und Patient auch „draußen“ zu einer nüchternen Veranstaltung zur gegebenenfalls einklagbaren Verbesserung der Gesundheit beschrieben und die Ursachen hierfür in einer „Verrechtlichung“ der Medizin und einer „Juridifizierung der Verhältnisse zwischen Arzt und Patient“201 gesehen werden, ist das seit langem in ein ausgeprägtes Regelungsgerüst eingebundene202 und in ihm selbst ausdifferenzierte intramurale Arzt-Patienten-Verhältnis schon eher mit abgebildet. Das gilt namentlich deshalb, weil die mit diesem Wandel einhergehenden und ihn kennzeichnenden Veränderungen das intramurale Zweigespann schon immer charakterisierten. Ihm liegt kein Vertrag, sondern ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zugrunde,203 in dem 198
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Eine solche Identität muss (auch) dazu führen, dass „draußen“ als Kranke behandelte Menschen auch „drinnen“ als Kranke zu behandeln sind. Das ist z. B. für die Behandlung von Drogenabhängigen bedeutsam, s. dazu mit Kritik an der Praxis in Bayern und NRW Boetticher, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 67 f. Eb. Schmidt, in: Ponsold (Hrsg.), Lehrbuch der Gerichtlichen Medizin, 2. Aufl. 1957, S. 2. S. hierzu (mit Nachweisen) und zum Wandel des Bildes vom Arzt-Patient-Verhältnis Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (wie Fn 172), § 39 Rn 1 ff. (Zitat in Rn 8). Laufs, Arzt und Recht im Wandel der Zeit, MedR 1986, 163, 164. S. zur in diesem Bericht ausgesparten geschichtlichen Entwicklung der Regelung der intramuralen Gesundheitsfürsorge in Deutschland Hillenkamp (wie Fn 8), S. 891 ff. Wulf (wie Fn 91), S. 359.
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sich jedenfalls in nuce keine Vertrauen schenkenden Partner, sondern Menschen in einer ungleich ausgestalteten Zwangsgemeinschaft begegnen. Wenn zur Umschreibung des extramural eingetretenen Wandels auf der Seite des freien Patienten Anspruchsdenken und Konfliktbereitschaft, der Verlust der Fähigkeit, zwischen Schicksal und Schuld unterscheiden zu wollen204 und die Neigung, das von einem Vertrauens- auf ein bloßes Rechtsverhältnis herabgesunkene Konstrukt zur Grundlage von Schadensersatz- und Strafklagen zu machen, benannt werden205 und auf der Seite des Arztes ein Mensch beschrieben wird, der sich „vor den etwaigen juristischen Folgen seiner Behandlungstätigkeit“ schützt und bei Diagnose und Therapie „nicht nur die Patienten immanenten Risiken“, sondern auch die eigenen forensischen Gefahren bedenken und als indizierende wie kontraindizierende Faktoren ins Kalkül ziehen muss,206 dann ist hierin ein Prozess faktischer Angleichung zwischen „draußen“ und immer schon „drinnen“ zu erkennen. Denn die daraus resultierende “defensive Medizin“, die „aus Scheu vor der Klage zuviel untersucht oder zu wenig an Eingriffen wagt“,207 dürfte schon längst das Bild der Vollzugsmedizin nicht unwesentlich prägen. Genauere Konturen der Spezifika des Arzt-Patienten-Verhältnisses im Strafvollzug sind allerdings erst durch eine Skizzierung seiner Phänomenologie und seiner rechtlichen Strukturen zu gewinnen, die zusammen die hier untersuchte Beziehung gestalten. Zur Phänomenologie des Verhältnisses intra muros Die defizitäre, oft auch unfreundliche räumliche, die zu knappe personelle und in den Krankenabteilungen oft auch spärliche apparative Ausrüstung machen den ärztlichen Dienst im Vollzug schon äußerlich schwer. Hinzu treten statusbedingte Belastungen, die den Arzt im Vollzug und den gefangenen Patienten beschweren208 und sich auf ihr Verhältnis nachhaltig auswirken. Das hinter Mauern versetzte „Patientengut“ wird verbreitet als problematisch beschrieben. Es wird – wovor freilich manche auch warnen – recht pauschal der Simulation und Wehleidigkeit, der Arbeitsunlust und des Hangs zum Medikamentenmissbrauch bezichtigt, nicht selten als undankbar und aggressiv gegenüber einem in erster Linie als Repräsentanten der „feindlichen Institution“ gesehenen Arzt gekennzeichnet. Auch gilt es als Ansammlung von Menschen, die oft nicht primär ärztlich behandelt, sondern vom Arzt in ihren vollzugsbedingten Sekundärinteressen bedient 204 205
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Laufs, Die Entwicklung des Arztrechts 1986/87, NJW 1987, 1449, 1452. S. dazu Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 3. Aufl., Heidelberg 2003, Rn 1 b, 4, 5. So die Analyse von Ulsenheimer (wie Fn 205), Rn 1 c unter Berufung auf Arbeiten von Laufs und Eser. Laufs, MedR 1986, 163, 164; Ulsenheimer (wie Fn 205), Rn 1 c. Zum Risiko des Anstaltsarztes, sich strafbar zu machen, s. Neumann, Strafrechtliche Risiken (wie Fn 146) und Ingelfinger, Strafrechtliche Risiken des Anstaltsarztes, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 247. Zum Risiko, mit einer Strafanzeige tatsächlich überzogen zu werden, s. J. Walter (wie Fn 159), S. 259 ff. S. hierzu schon Hillenkamp (wie Fn 8), S. 884 ff.; Hillenkamp (wie Fn 61), S. 12 ff.
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werden wollen. 209 „Das Ergebnis“ sagt Rex, „ist eine von Begehrlichkeit und Misstrauen getragene ambivalente Einstellung der Patienten“, die dem Arzt draußen nicht erwerbbares „Erfahrungswissen“, Geduld, Frustrationstoleranz und „nervliche Belastbarkeit“ abverlangen und seine Sprechstunde zeitweise in eine Abwehrschlacht gegen Vergünstigungen anstrebende Instrumentalisierungsversuche umwandelt. 210 Auch jenseits solcher gewiss nur begrenzt verallgemeinerungsfähiger Einstellungen gibt es Patienteneigenschaften, die das Arzt-Patienten-Verhältnis belasten und ein erfolgreiches Therapieren gefährden. So entspricht es zwar verbreiteter Beobachtung, dass manche, die in den Strafvollzug einrücken, hier nach jahrelanger gesundheitlicher Verwahrlosung durch Obdachlosigkeit, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit von schon äußerlich stigmatisierenden Symptomen befreit und erstmals einer sachkundigen und regelmäßigen Gesundheitsfürsorge zugeführt werden, die sie von Abhängigkeiten löst und ihren Allgemeinzustand jedenfalls im Sinne der Normalisierung von Körpergewicht und Laborwerten verbessert. 211 Andererseits hat aber die volkstümliche Behauptung, „Knast“ mache krank, nach der Einschätzung von Experten trotz über die Jahrhunderte fraglos deutlich verbesserter Hygiene- und Gesundheitsfürsorgebedingungen hinter Gittern kaum etwas von ihrer Gültigkeit verloren. Das gilt vornehmlich im Sinne der pathogenen Bedeutung dieser Aussage für psychische (Neu-)Erkrankungen mit nicht selten psychosomatischer Symptomatik. 212 Es gilt aber wohl auch für rein körperliche Erkrankungen, die z. B. durch ein Absinken der Abwehrkräfte, durch körperliche oder sexuelle Aggression oder Deprivation oder durch die Häufung infektiöser Krank209
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Zur vorstehenden nicht durchgehend als realistisch gekennzeichneten und vor allem mit Vorbehalten zur Simulation versehenen Beschreibung s. z.B. Boetticher/Stöver, in: AKStVollzG, vor § 56 Rn 21 ff.; Flügge, ZaeFQ (2000) 94, S. 265, 269; Husen, Ärztlicher Dienst (wie Fn 136), S. 574, 575; Riekenbrauck, ZaeFQ (2000) 94, S. 277, 278; ferner auch schon Leppmann, Der Gefängnisarzt, Berlin 1909, S. 110, der vor einer vorschnellen Annahme von Simulation warnt; (ältere) Berichte aus der Praxis sprechen freilich bisweilen auch von beeindruckendem „Vertrauen, Aufgeschlossenheit und Offenheit der Menschen“, zu denen „ menschliche Beziehungen“ herzustellen den Arzt „mit besonderer Freude, ja Stolz erfüllt“, s. Maykemper, Gedanken über die Tätigkeit eines Arztes im Strafvollzug, in: ZfStrVo 1968, S. 271, 272 sowie den gleichnamigen Bericht von Voss, ZfStrVo 1968, S. 266 ff. S. zu diesen Kennzeichnungen Rex, ZaeFQ (2000) 94, S. 258, 261; Zettel, Anstaltsarzt (wie Fn 69), S. 193, 196. S. dazu Böhm, Strafvollzug, Rn 238; Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 22; Husen, Ärztlicher Dienst (wie Fn 136), S. 574, 583; Keppler, Gesundbleiben in Haft, in: Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (Hrsg.), Betreuung im Strafvollzug. Ein Handbuch. Berlin 1996, S. 83; Pollähne, Zur Sicherung der Gesundheitsförderung zwischen Justiz und Maßnahmenvollzug, in: Zweite Europäische Konferenz (wie Fn 111), S. 91; Rex, ZaeFQ (2000) 94, S. 258, 263. S. z.B. Konrad, Psychische Kranke im Justizvollzug, ZaeFQ (2000) 94, S. 288; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 228 ff.; Missioni, Über die Situation der Psychiatrie im Vollzug, ZfStrVo 1996, S. 143, 144 f.; Tielking/Becker/Stöver, Entwicklung gesundheitsfördernder Angebote im Strafvollzug, Oldenburg 2000, S. 43 ff.; Walter, Strafvollzug, Rn. 267 ff.; s. auch schon Leppmann, Gefängnisarzt (wie Fn 209), S. 23 ff.
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heiten im Vollzug begünstigt werden. 213 Ist eine Erkrankung in einen kausalen Zusammenhang mit dem Vollzugsleben zu stellen, kuriert der Arzt an Symptomen, deren Auftreten der Institution zugeschrieben und deren Behandlung und Beherrschung in eben dieser Institution folglich aus der Sicht des Patienten nicht immer als aussichtsreich eingeschätzt werden. Hieraus folgender Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit der Vollzugsmedizin und mit ihm einhergehende, die Gesundung behindernde Passivität machen den ärztlichen Dienst zusätzlich schwer. Er trifft ohnehin auf Patienten, deren Eingeschlossensein Ängste verstärkt, krank gemacht, nicht angemessen behandelt und im Notfall nicht rechtzeitig versorgt zu werden und deren weitgehend fremdbestimmter und monotoner Alltag in eine durch Lethargie, Unselbstständigkeit und Hilflosigkeit geprägte Versorgungshaltung führt. 214 Aktive Mitwirkung am Gesundungsprozess ist wie eine Mobilisierung der Selbsterhaltungs- und Heilungskräfte unter solchen Bedingungen kaum zu erwarten. Sie sind auch durch die nach § 56 Abs. 2 StVollzG bestehende Verpflichtung des Gefangenen, „die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen“, nicht erzwingbar, da die Anwendung von Zwang oder die Androhung von Disziplinarmaßnahmen zur Durchsetzung ärztlich-therapeutischer Verordnungen unzulässig und im Übrigen auch therapeutisch unsinnig sind. 215 Zu den Statusbelastungen gehören neben denen des gefangenen Patienten naturgemäß auch die des Anstaltsarztes. Sie fließen aus der antinomischen Spannung, die die Vollzugsmedizin aus ihrer Einbettung in das rechtliche Netzwerk des freiheitsentziehenden und –begrenzenden, des regulierenden und kontrollierenden Vollzugs bezieht. Diese Einbettung verpflichtet den Arzt – wie oben schon ausgeführt – zu einer partiellen Mitwirkung am allgemeinen Behandlungsauftrag des Vollzugs, aber auch in vielfacher Weise zu Leistungen, die den reibungslosen und sicherungsorientierten, auch juristisch abgesicherten Ablauf des Gefängnisalltags flankieren. Das zwingt den Arzt in eine sein eigentliches Berufsethos spaltende Bifunktionalität. „Absicherung, Vorsicht und Rückversicherung“ in einer in diesem Sinne defensiv betriebenen Medizin 216 können ebenso wie eine Überidentifikation mit den Vorstellungen und Zielen der Strafvollzugsinstitution sich hieraus ergebende Verhaltensmuster mit den mit ihnen verknüpften Gefahren für eine effektive und dem Gefangenen zugewandte Gesundheitsfürsorge sein. 217 Dem ge213
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S. z.B. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 21; zur Sexualität als medizinisches Problem im Vollzug Rn. 28 ff.; s. auch Rex, ZaeFQ (2000) 94, S. 258, 259. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 21; Stöver, Erste Europäische Konferenz (wie Fn 80), S. 38; zu den beschriebenen Ängsten s. auch Gähner, Medizinische Versorgung im Strafvollzug, in: Vorgänge 1986, S. 57, 60. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, § 56 Rn 2; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn 5; Keppler, Grundlagen (wie Fn 140), S. 111, 113; Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 56 Rn 3. Zur Einschätzung der Defensivmedizin s. Zettel, Anstaltsarzt (wie Fn 69), S. 193, 203; Riekenbrauck, ZaeFQ (2000) 94, S. 277, 278 (er beklagt unnötige gesundheitliche Risiken durch „uferlose Untersuchungen und Vorstellungen bei zivilen Kapazitäten“). S. dazu Walter, Strafvollzug, Rn 232; ferner Dünkel/Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970, Freiburg 1981, S. 272, die
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fangenen Patienten bleibt der so „gespaltene“ Arzt nicht verborgen. Er erfährt ihn als einen dem Heilauftrag verpflichteten Helfer, aber zugleich auch als einen in die Hierarchie des Anstaltspersonals eingereihten und juristisch gefesselten Träger von Vollzugs- und Kontrollaufgaben, der seine Arbeits- oder gar Arrestfähigkeit feststellt, eine Zwangsbehandlung vornimmt oder den Verbleib in einem besonders gesicherten Haftraum medizinisch legitimiert. Verliert der gefangene Patient hierdurch Vertrauen, kann er weder den Arzt, noch der Arzt ihm ausweichen. Eine freie Arztwahl findet nicht statt, 218 ein Patient kann nicht abgewiesen werden. Der Anstaltsarzt bleibt – wie es Keppler nennt – „Zwangsansprechspartner“. 219 An diesen statusbedingten oder -typischen Belastungen des Arzt-PatientenVerhältnisses, die es zweifellos prägen, lässt sich kaum etwas grundlegend ändern. Die Aufgabe des Anstaltsarztprinzips, „Unabhängigkeit“ des ärztlichen Dienstes durch organisatorische Trennung vom Vollzug und Lösung aus der Anstaltshierarchie bis hin zur freien Arztwahl in privatisierten Strukturen, das alles sind mit den Vollzugs- und Sicherheitsinteressen nur schwerlich vereinbare Utopien 220 (s. dazu schon o.). Auch das hier vorgeschlagene Modell eines routierenden Aufgabensplittings kann manches mildern, das Grunddilemma aber nicht vollends auflösen. Deshalb bleibt nur, dem Arzt zu raten, die auch außerhalb des Vollzugs „üblichen Rahmenbedingungen und die Würde in der Beziehung zwischen Arzt und Patient“ so gut es geht „zu wahren“ 221 , das Primat der Medizin zu achten, sich gegen eine die Vollzugsmedizin zu Vollzugszwecken instrumentalisierende Inanspruchnahme zu verwahren und durch eine offene Aufklärung der Gefangenen über die aus der Bifunktionalität erwachsenden Einschränkungen die „für eine gedeihliche ärztliche Tätigkeit erforderliche Vertrauensbasis“ auch im Vollzug zu schaffen. 222 Verbindet der Arzt diese Haltung mit der Information des Patienten über seine die Gesundheit betreffenden Rechte und Ansprüche, über die Wege, sie wahrzunehmen, über Angebote und Programme der Gesundheitsvorsorge im Vollzug und leitet er ihn zu einer seiner eigenen Verantwortung entsprechenden Mitwirkung an Wiederherstellung und Erhalt der Gesundheit an, mag sich im Einzelfall auch ein Einstellungswandel auf der Patientenseite zu einer gesundheitsbewussten Lebensweise bewirken lassen. Dieser notwendige Prozess lässt sich nachhaltig allerdings wohl nur befördern, wenn für die gebotene Behandlungsfortsetzung und -
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die „Probleme des Arztberufes im Strafvollzug“ daher in erster Linie in den „Einflüssen der institutionellen Bedingungen auf die Tätigkeit des Arztes“, etwa im Sinne einer Identifikation des Vollzugsarztes mit den Vorstellungen der Strafvollzugsinstitution sehen. Das gilt nicht für den in einem freien Beschäftigungsverhältnis stehenden Freigänger, wohl aber für den „normalen“ Strafgefangenen, s. dazu eingehend Kirschke, Versorgung (wie Fn 63), S. 91 ff.; ihr Fehlen kritisiert z. B. Bemmann, StV 2001, s. 61 ff.; s. auch Rex, ZaeFQ (2000) 94, S. 258, 261; Walter, Strafvollzug, Rn 230 sowie die Ausführungen oben unter C III. Keppler, Grundlagen (wie Fn 140), S. 111. Stöver, Erste Europäische Konferenz (wie Fn 80), S. 35 weist freilich auf solche – erfolgreichen – Entwicklungen im Ausland hin. SAMW-Richtlinien (wie Fn 176), Nr. 2.1. Pont/Wool, Leitfaden (wie Fn 169), S. 12 halten das für denkbar.
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kontinuität nach Entlassung dem Gefangenen zielführende Vermittlung zu den vollzugsexternen Gesundheitsdiensten zur Hand gegeben wird. 223 Eine weitere faktische Kennzeichnung erfährt das Arzt-Patienten-Verhältnis durch eine beachtliche medizinische Aufgabenvielfalt. Sie ergibt sich einerseits aus der Maxime, die Inanspruchnahme extramuraler Dienste über Ausführungen und Verlegungen angesichts ihrer Belastung mit Kosten, Personalaufwand und einem oft erheblichen Sicherheitsrisiko klein zu halten und deshalb die intramurale Versorgung in der Breite wie in der Spezialisierung zu optimieren. 224 Andererseits bildet das Spektrum der Erkrankungen durch eine so in der Gesamtbevölkerung und der ihr entsprechenden Praxis des Allgemeinmediziners nicht anzutreffenden Ballung von Problemgruppen den Boden für eine den Anstaltsarzt in besonderer Weise treffende fachliche Herausforderung. Neben drogen-, tabletten- und alkoholabhängigen Suchtkranken finden sich psychisch kranke Insassen, neben Autoaggressiven und Suizidgefährdeten HIV-Infizierte und AIDS-Kranke, neben Tuberkulose- und Hepatitisträgern Langzeitverbüßende mit psychosomatisch manifesten Prisonierungseffekten. 225 Ausländer, Frauen, Behinderte und Ältere rufen unter den Bedingungen der Haft Probleme der ärztlichen Versorgung hervor, die von jenen in Freiheit abweichen. 226 Der in den Vollzugsdienst eintretende Mediziner ist auf die Bifunktionalität seines Amtes und die angesprochene Aufgabenpluralität seiner Tätigkeit in der Regel nur unvollkommen vorbereitet. Das Fach Vollzugsmedizin wird nirgends gelehrt. Das Angebot einer Facharztausbildung zum Anstaltsarzt, das die Besonderheiten der intramuralen Gesundheitsfürsorge, ihre Krankheitsbilder und Problemfelder, aber auch die straf- und strafvollzugsrechtlichen Rahmenbedingungen bedächte, findet sich nicht. Die Anleitung durch erfahrenere Kollegen kann in den 9 Vollzugskrankenhäusern und in ausgedehnteren medizinischen Abteilungen in größeren Anstalten gelingen. Vielfach wird die nötige Spezialisierung namentlich in kleineren Anstalten aber der durch jährliche Fach- und Fortbildungsveranstaltungen und das erfahrenere Sanitätspersonal unterstützten Eigeninitiative und dem autodidaktischen Geschick des Arztes überlassen bleiben. Das gilt zumal für ne223 224
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S. dazu Stöver, Erste Europäische Konferenz (wie Fn 80), S. 35 ff. S. dazu Rex, ZaeFQ (2000) 94, S. 258, 260; zur Problematik der externen Inanspruchnahme s. auch Nieszery, Suchtprobleme hinter Gefängnismauern, ZaeFQ (2000) 94, S. 302, 304; Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 58 Rn 11; zu daraus resultierenden Bemühungen, fachärztliche Beratung innerhalb der Anstalt zu ermöglichen, s. z. B. Zettel, Anstaltsarzt (wie Fn 69), S. 193, 194. Überblicke m. w. N. finden sich z. B. bei Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn. 4 ff.; Böhm, Strafvollzug, Rn 234 ff.; 239 ff.; Boetticher/Stöver, in: AK StVollzG, vor § 56 Rn 36; Rex, ZaeFQ (2000) 94, S. 258, 261 ff.; Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 56 Rn 4 ff. S. auch Empfehlung R (98) 7, S. 25 ff. Zu Ausländern s. Flügge, ZaeFQ (2000), 94, S. 265, 269; Rex, ZaeFQ (2000) 94, S. 258, 262; zu Frauen s. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 26; Keppler, Gefängnismedizin im Frauenvollzug, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 169 ff.; Zurhold, Besondere gesundheitliche Belastungen für Frauen in Haft, in: Zweite Europäische Konferenz (wie Fn 111), S. 111 ff.; zu Behinderten und Hochbetagten vgl. Empfehlung R (98) 7, S. 27.
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benamtliche oder vertraglich verpflichtete niedergelassene Ärzte, die nur stundenweise in die Vollzugsmedizin einbezogen sind oder sie in kleineren Anstalten sogar gänzlich bestreiten. 227 Es ist nahe liegend, diesem Defizit durch die Forderung nach fachgerechter Weiterbildung und kontinuierlichem Zwang zur Fortbildung abzuhelfen. 228 Zwar werden der Überlegung, die ärztliche Ausbildung durch ein eigenes Fach „Vollzugsmedizin“ anzureichern, angesichts der „geringen Größe und Ausstrahlung“ dieses Faches „kaum Chancen auf Realisierung“ zugestanden. 229 Hier sollte man eingedenk der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung dieses Fachs und seiner besonderen Herausforderungen aber nicht voreilig die Waffen strecken. Weder der Facharzt für Allgemeinmedizin noch der Internist, die unter den Anstaltsärzten am häufigsten vertreten sind, sind ohne wesentlichen Erfahrungszuwachs den Aufgaben der Vollzugsmedizin allein durch ihre Ausbildung gewachsen. Hier ließe sich ein Curriculum entwickeln, das verschiedene Querschnittsfelder 230 im zweiten Ausbildungsabschnitt des Medizinstudiums zur Pflicht machte und zur Facharztausbildung Vollzugskrankenhäuser und größere Krankenabteilungen als Ausbildungsstationen heranzöge. Ein Ausbildungssegment hätte die rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen sich der Dienst des Vollzugsarztes vollzieht, zu vermitteln. Auch wäre es förderlich, in vollzugsrelevanten Fremdsprachen den Erwerb von Sprachkenntnissen mit Fachbezug zu ermöglichen. Fortbildung sollte auch unabhängig von der Anerkennung einer Gebietsbezeichnung „Intramurale Medizin“ zur Pflicht gemacht werden. 231 Anlass, in beiden Richtungen Forderun227
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S. zur die Regel bildenden erheblichen Beteiligung außenstehender Ärzte anschaulich Nds. Landtag, Ds 15/1192, S. 9 ff.; zur einmal jährlich durchgeführten „Anstaltsärztetagung“, S. 12; zu Ausbildungsdefiziten und -erfordernissen s. z. B. Böhm, Strafvollzug, Rn 100; Hübner, Ein Krankenhaus für den Strafvollzug, ZfStrVo 1991, S. 88, 97 f.; Preusker, Suchtprobleme hinter Gefängnismauern, in: ZaeFQ (2000) 94, S. 309, 312 (auch mit Blick auf „sozialethische Fragen und Einstellungen z. B. zur Substitutionbehandlung); Rex, ZaeFQ (2000) 94, S. 258, 264; ferner Missioni, Über die Situation der Psychiatrie im Vollzug, ZfStrVo 1996, S. 143, 146. S. dazu Hillenkamp (wie Fn 61), S. 17 ff.; Wulf (wie Fn 91), S. 360; zu den Begriffen Fort- und Weiterbildung s. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (wie Fn 172), § 11. S. Hammerstein, Zusammenfassung der Diskussion zum 23. Symposion für Ärzte und Juristen über „Medizinische Probleme im Justizvollzug“ der Berliner KaiserinFriedrich-Stiftung am 23/24.04.1999, ZaeFQ (2000) 94, S. 271, 272. § 27 Abs. 1 der Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002 (BGBl I, S. 2405) nennt als Querschnittsfächer z.B. Epidemiologie, Ethik der Medizin, Öffentliche Gesundheitspflege, Infektiologie, Imunologie, Pharmakotherapie, Prävention, Gesundheitsförderung, Rehabilitation und auch die mittlerweile durch ihre stark sozial ausgelösten Einsätze sich im Patientenkreis mit der Vollzugsmedizin häufig überschneidende Notfallmedizin. Hierfür kommen von Referenten begleitete „Anstaltsärztetage“ (s. dazu Nds. LReg., Nds. Landtag DS 15/1192, S. 12) sowie Symposien infrage. Das von Hillenkamp/Tag veranstaltete Heidelberger Symposion (s. Fn 1) ist als Fortbildungsveranstaltung anerkannt worden. Die Evangelische Akademie Bad Boll hat 1996 eine vornehmlich für Anstaltsärzte gedachte Tagung zur „Gesundheitsfürsorge im Gefängnis“ abgehalten, s. die von der Akademie herausgegebene Zusammenfassung in Materialien 3/97, die Kai-
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gen zu erheben, bieten neben der sachlichen Einsicht auch die 1998 vom Ministerkomitee des Europarates verabschiedeten Empfehlungen R (98) 7 über ethische und organisatorische Aspekte der Gesundheitsversorgung im Gefängniswesen, wenn es dort heißt: „Die im Gefängnisbereich tätigen Ärzte sollen über eine gute fachliche Kompetenz in der Allgemeinmedizin und in Psychiatrie verfügen. Ihre Ausbildung sollte den Erwerb theoretischer Anfangskenntnisse, Verständnis für den Gefängnisbereich und dessen Auswirkungen auf die Ausübung des Arztberufes im Gefängnis, eine Bewertung der erworbenen Kompetenzen und ein Praktikum unter der Leitung eines erfahrenen Arztes beinhalten. Die im Gefängnisbereich tätigen Ärzte sollten auch in den Genuss einer regelmäßigen Weiterbildung kommen“. 232 Die rechtliche Regelung des Arzt-Patientenverhältnisses im Vollzug Die beschriebene „Bifunktionalität“ des Anstaltsarztes führt notwendig zu einer differenzierenden Beschreibung des Rechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patient im Vollzug. Wie es nicht nur in der Parömie vom „gespaltenen Arzt“, sondern auch in der vom „gefangenen Patienten“ anklingt, begegnen sich Arzt und Vollzugsinsasse einerseits nicht anders als „draußen“ als Arzt und Patient, andererseits aber in vielen Vollzugssituationen auch als Anstaltsarzt und Gefangener. Auf beiden Ebenen differieren naturgemäß Rechte und Pflichten. Während das Äquivalenzprinzip darauf dringt, die medizinische Behandlung des kranken Gefangenen in ihren Grundlagen, Ausprägungen und Leistungen dem Arzt-PatientenVerhältnis in Freiheit „soweit als möglich“ anzugleichen, unterliegt der Gefangene dort, wo der Arzt ihm als Mitglied des Vollzugsstabes entgegentritt, statusbedingten Einschränkungen, die ihn nach § 4 Abs. 2 StVollzG in seiner Eigenschaft als Gefangenen auch sonst treffen und in der Freiheit keine Parallele haben. Nicht immer ist auf den ersten Blick sichtbar, in welcher Funktion sich die „Partner“ begegnen. An diesem Zustand werden auch die neuen Strafvollzugsgesetze nichts ändern.
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serin-Friedrich-Stiftung Berlin 1999 ein interdisziplinäres Symposion über „Medizinische Probleme im Strafvollzug“, s. ZaeFQ (2000) 94, S. 256-315; inwieweit diese Veranstaltungen als Fortbildungsveranstaltungen anerkannt worden sind, entzieht sich der Kenntnis des Verf. Zu einer Tagung über „Medizin und Freiheitsentzug“ in Fribourg im Jahr 2000 s. den Tagungsbericht von Queloz/Riklin/Senn/de Sinner (Hrsg.), Medizin und Freiheitsentzug, Bern 2002; darin erhebt Luginbühl, Die Organisation des Gesundheitswesens im Straf- und Maßnahmenvollzug aus der Sicht des Anstaltsleiters, S. 65, 77 die Forderung nach besserer Ausbildung der Vollzugsärzte. S. Bundesamt für Justiz, Bern, Informationen über den Straf- und Maßnahmenvollzug, 2/98, S. 20, 25; vgl. auch schon Nr. 22 (1) der Dienst- und Vollzugsordnung (DVollzO) 1961, wo es zur Qualifikation der Ärzte heißt: „Sie sollen in der inneren Medizin, der kleinen Chirurgie, der Psychiatrie und der Psychologie erfahren sein und die amtsärztliche Prüfung abgelegt haben oder ablegen.“ S. auch schon Nr. 23 der in Genf beschlossenen „Minimum Rules“ der Vereinten Nationen: „Jede Anstalt muss mindestens über einen tüchtigen Arzt verfügen, der auch psychiatrische Kenntnisse besitzen sollte“, zitiert nach Jescheck, ZStW 67 (1955), S. 659, 671.
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Das Verhältnis Anstaltsarzt/Strafgefangener Zur Illustration sei die Eingangsuntersuchung herausgegriffen. Schon diese in der Regel erste Begegnung des Gefangenen mit dem Arzt im Vollzug zeigt die angesprochene Zweigleisigkeit und den angedeuteten Zwiespalt. „Nach der Aufnahme wird der Gefangene alsbald ärztlich untersucht“, sagt § 5 Abs. 3 des noch geltenden Strafvollzugsgesetzes in Übereinstimmung z. B. mit den Regelungen der Entwürfe Bayerns und Niedersachsens zu dieser das Aufnahmeverfahren betreffenden Materie. In den Kommentierungen hierzu wird die ärztliche Untersuchung zunächst als „Recht“ des Gefangenen beschrieben. 233 Es kann, wenn hierbei eine behandlungsbedürftige Krankheit festgestellt wird, die Behandlungspflicht innerhalb des damit konkret begründeten Arzt-Patienten-Verhältnisses auslösen. Die Eingangsuntersuchung verfolgt diese Zielsetzung aber nicht primär und nur unter anderem. Was im Vordergrund steht, ergeben die Verwaltungsvorschriften zu § 5. Hier heißt es: „Durch die ärztliche Untersuchung soll der Gesundheitszustand des Gefangenen einschließlich der Körpergröße, des Körpergewichts und des Zustands des Gebisses festgestellt werden; insbesondere ist zu prüfen, ob der Gefangene vollzugstauglich, ob er ärztlicher Behandlung bedürftig, ob er seines Zustands wegen anderen gefährlich, ob und welchem Umfang er arbeitsfähig und zur Teilnahme am Sport tauglich ist und ob gesundheitliche Bedenken gegen die Einzelunterbringung bestehen. Das Ergebnis der Untersuchung ist schriftlich niederzulegen“. Wegen Krankheit vollzugsuntaugliche Menschen gehören mangels Haftfähigkeit nicht in den Vollzug. 234 Sie davor gegebenenfalls zu bewahren, ist vorrangige Aufgabe der Eingangsuntersuchung. Sie dient daneben der Feststellung bestimmter weiterer Eigenschaften, die den Umgang mit dem Gefangenen im Vollzug bestimmen. Aus diesen Gründen ist der Gefangene „anders als in Freiheit... zur Duldung der Untersuchung verpflichtet“. 235 „Unter den Voraussetzungen des § 101 Abs. 2“ kann daher „die Untersuchung auch zwangsweise durchgeführt werden, sofern sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist“. 236 Zwar sollte der Arzt schon in der Eingangsuntersuchung nach dem Rat von Feest/Joester 237 „auf die Patienten eingehen, ihren Aussagen Beachtung schenken und sie zu Vertrauen ermutigen“. Er sollte sie aber zugleich nicht darüber im Unklaren lassen, dass es sich bei der Eingangsuntersuchung um einen Vorgang handelt, der nur partiell der Gesundheitsfürsorge dient und dessen Erkenntnisgewinne daher zu wesentlichen Teilen nach § 182 Abs. 2 Satz 2 StVollzG dem Anstaltsleiter zu offen233
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S. nur Arloth/Lückemann, StVollzG, § 5 Rn 4; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 5 Nr. 4. Hierzu mahnt Wulf (wie Fn 91), S. 365 eine „humane“ Entscheidung an, in der medizinische Gründe – entsprechend dem hier eingeforderten Primat der Medizin – „ausschlaggebend“ sein sollten: „Gestörte oder angeschlagene Beschuldigte oder Verurteilte gehören nicht in den Vollzug“. S. Feest/Joester, in: AK-StVollzG, § 5 Rn 13. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 5 Rn 4; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 5 Rn 4; Mey/Wischka, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 5 Rn 8. Feest/Joester, in: AK-StVollzG, § 5 Rn 13.
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baren sind, „soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist“. Mit anderen Worten, der Anstaltsarzt sollte und muss sich nicht nur als um Vertrauen werbender Arzt, sondern zugleich als Vollzugsbelange bedienender Anstaltsarzt zu erkennen geben, der er auch und in dieser Situation ganz maßgeblich ist. 238 Das gilt umso mehr, umso deutlicher man die Abweichungen der Zugangsuntersuchung von einem in Freiheit vom Arzt erbetenen „Gesundheitscheck“ zeichnet. Das zeigt sich z. B. an der zurzeit hierzu wohl umstrittensten Frage, nämlich der Möglichkeit eines im Rahmen der Eingangsuntersuchung durchgeführten HIV-Tests. Geschieht er nach Einwilligung des hierüber aufgeklärten Gefangenen, wird er – wie in Freiheit – für zulässig erachtet, auch wenn an der „Freiwilligkeit“ Zweifel dann bestehen können, wenn für den Weigerungsfall die vollzugsinterne Behandlung als „HIV-positiv“ in Aussicht gestellt wird. 239 Eine zwangsweise Durchführung von HIV-Tests wurde bis vor wenigen Jahren dagegen ganz allgemein für unzulässig gehalten. Die für zwangsweise durchgeführte Körpereingriffe einschlägige Vorschrift des § 101 Abs. 1 StVollzG galt nicht als erfüllt, weil die dort beschriebenen Gefahrzustände verneint wurden. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wohl aber wird von die Praxis maßgeblich beeinflussenden Stimmen behauptet, die im Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz, IfSG) seit dem 1.1.2001 neu gefasste Vorschrift über die „Einhaltung der Infektionshygiene“ (§ 36 IfSG) ergänze § 101 Abs. 2 StVollzG und gestatte es nunmehr, eine Zwangsuntersuchung unter Einschluss körperlicher Eingriffe vorzunehmen. Es dürfe folglich zu einer „zwangsweisen Blutabnahme zur Feststellung besonders gefährlicher Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis B und C“ kommen. 240 Hergeleitet wird diese Annahme daraus, dass nach § 36 Abs. 4 Satz 7 IfSG „Personen, die in eine Justizvollzugsanstalt aufgenommen werden“, verpflichtet sind, „eine ärztliche Untersuchung auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Röntgenaufnahme der Lunge“ zu dulden. Das führe – da nach § 36 Abs. 5 IfSG das Grundrecht auch „der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz)“ eingeschränkt wird – auch zu der Pflicht, die gegebenenfalls zwangsweise Blutentnahme zur Durchführung der aufgeführten Tests hinzunehmen. 241
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S. zur schon bei der Eingangsuntersuchung nötigen Aufklärung nach § 182 Abs. 2 S. 5 StVollzG Lange-Lehngut, Schweigerecht versus Auskunftspflicht des Anstaltsarztes – Sicht des Anstaltsleiters, ZaeFQ (2000) 94, S. 282, 286; ferner Schöch, Statement, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 275 f. und hier o. Fn 148. S. Laubenthal, Strafvollzug, Rn 726 a. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 3. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 3, die das so sehen, raten allerdings von einer zwangsweisen Blutentnahme ab, „um ein Vertrauensverhältnis zwischen Anstaltsarzt und Gefangenem nicht von Anfang an zu verstellen“; i. E. ebenso Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn 10; Laubenthal, Strafvollzug, Rn 726 a; ders., Sucht- und Infektionsgefahren im Strafvollzug, in: Hillenkamp/Tag, (wie Fn 1), S. 195, 202; Müller/Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 101 Rn 23; abl. dagegen Boet-
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Teilt man diesen Standpunkt und macht der Arzt von der hierdurch eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, wird das das Arzt-Patienten-Verhältnis gemeinhin bestimmende Selbstbestimmungsrecht des „Behandelten“ dispensiert und ohne Einwilligung gehandelt. Zudem wird eine Maßnahme durchgeführt, die in keiner unmittelbaren Beziehung zur Gesundheitsfürsorge für den Betroffenen steht. Anders als die Zwangsbehandlung nach § 101 Abs. 1 StVollzG, die in Anerkennung einer sozialstaatlichen Fürsorgepflicht die Erfüllung der von § 56 Abs. 1 StVollzG begründete Verpflichtung des Vollzugs zur dem Einzelnen dienenden Gesundheitsfürsorge in Ausnahmefällen auch gegen den Willen des Gefangenen durchsetzbar macht, 242 verlässt der Zwangstest aus rein vollzuglichen Gründen das Feld der individuellen Gesundheitsfürsorge (nahezu) ganz. Dann stehen sich Anstaltsarzt und Gefangener gegenüber, der Eine zu dulden verpflichtet, wozu der Andere berechtigt und aus vollzuglichen Gründen u. U. verpflichtet ist. Die darin sichtbar werdende Objektstellung des Gefangenen, die sich dem Selbstbestimmungsrecht entzieht, und die Verpflichtung des Arztes auf eine zwar nur ihm als Arzt lege artis mögliche, ihm aber nicht aufgrund seines ärztlichen Heilauftrags, sondern zur Erfüllung von Vollzugsaufgaben auferlegte Tätigkeit kennzeichnen allgemein den Bereich, der hier unter dem Begriffspaar Anstaltsarzt/Strafgefangener von der Beschreibung des „eigentlichen“ Arzt-Patienten-Verhältnisses zunächst getrennt aufgeführt ist. Das Verhältnis Arzt im Vollzug/gefangener Patient Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist aber auch im Übrigen im Vollzug – wie schon erwähnt – öffentlich-rechtlicher Natur. Anders als im freien ArztPatienten-Verhältnis ergeben sich Rechte und Pflichten daher nicht aus Vertrag,243 sondern aus dem durch Inhaftierung begründeten besonderen Vollzugsstatus (§ 4 StVollzG) einerseits und der die gesundheitlichen Belange umfassenden staatlichen Fürsorgepflicht (§ 56 StVollzG) andererseits. Zwar ist deshalb der gefangene Patient durch seinen Statuswechsel verpflichtet, „die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen“ (§ 56 Abs. 2 StVollzG). Auch ergeben sich Mitwirkungs- und Duldungspflichten nicht nur – wie schon gezeigt – bezüglich der Eingangsuntersuchung, sondern z. B. auch hinsichtlich einer von der Anstaltsleitung angeordneten Verlegung, Ausführung oder Absonderung aus medizinischen Gründen oder im Hinblick auf die nach § 101 StVollzG zulässigen ärztlichen Zwangsmaßnahmen. Es bleibt aber auch angesichts dieser statusbedingten Einschränkungen namentlich für das hier nun näher ins Auge gefasste
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ticher/Stöver, in: AK-StVollzG, § 56 Rn 13 f.; Tag, Das Arztgeheimnis im Strafvollzug, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 89, 95. S. krit. dazu Laue, Zwangsbehandlung im Strafvollzug, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 217 ff., dort – S. 230 ff. auch zur von der Heilbehandlung denkbaren Ausnahme der Zwangsbehandlung bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen; auch hier dient die Zwangsbehandlung freilich in der Regel auch dem Gesundheitsinteresse des Behandelten. Zur kontroversen Debatte um § 101 StVollzG s. auch die Beiträge von Arloth (S. 239 ff.) und Schöch (S. 276 f.) in diesem Band. S. Wulf (wie Fn 91), S. 358 f.
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Arzt-Patienten-Verhältnis im engeren und eigentlichen Sinne stets zu beachten, „dass das Selbstbestimmungsrecht und die personale Würde des Patienten es auch bei einem Strafgefangenen verbieten, ihm im Rahmen seiner Behandlung durch den Anstaltsarzt die Rolle eines bloßen Objekts zuzuweisen“. 244 Daraus folgt zum einen, dass ärztlich-therapeutische Anordnungen jenseits der in § 101 StVollzG vorausgesetzten Sondersituation nicht mit Zwang durchsetzbar sind. 245 Zum anderen gilt nicht anders als extra muros, dass die Behandlung auf einer Einwilligung nach hinreichender ärztlicher Aufklärung beruhen muss. 246 Die Aufklärung als Voraussetzung der Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts gehört zu den aus § 56 StVollzG fließenden „Fürsorgeleistungsansprüchen“247 und zielt auf den auch im Vollzug zu fordernden „informed consent“. 248 Trotz der Zwangssituation des Vollzugs als „totaler Institution“ wird allgemein und zu Recht an der Einwilligungsfähigkeit (und -bedürftigkeit) des Gefangenen nicht generell gezweifelt. 249 Auch im Vollzug gilt deshalb keine „Vernunfthoheit“ des Arztes über den Patienten. Verweigert sich der Gefangene gegenüber einer Therapie, ist der Arzt selbst bei für lebensnotwendig erachteten Maßnahmen – hier allerdings mit den Lockerungen des § 101 StVollzG – hieran gebunden. 250 Die ärztliche Schweigepflicht – hier nicht vertraglich, sondern gesetzlich begründet – ist dem Anstaltsarzt im Grundsatz „auch gegenüber der Vollzugsbehörde“ auferlegt. Allerdings ist der Arzt „zur Offenbarung ihm im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt gewordener Geheimnisse befugt, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde unerlässlich oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist“
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KG StV 1988, 539, 540. S. die Nachweise hierzu in Fn 215; zur Diskussion über eine Zwangsbehandlung vor Eintritt einer in § 101 StVollzG vorausgesetzten Lage s. Kirschke, Versorgung (wie Fn 63), S. 144 ff. S. dazu instruktiv Boetticher, Einwilligung und Aufklärung in der Strafvollzugsmedizin, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 62 ff. So Geppert, Zum Einsichtsrecht des Strafgefangenen in die anstaltsärztlichen Krankenunterlagen, in: Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Berlin, New York 1984, S. 151, 173; s. auch Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn. 4; Hübner, ZStrVo 1991, S. 194 f.; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck (wie Fn 172), § 158 Rn 38 c. S. zu ihm Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck(wie Fn 172), § 6 Rn. 21 ff.; zur Notwendigkeit der Einwilligung im Vollzug s. auch Empfehlung R (98) 7, Nrn. 14-16. Die Regelung des § 101 Abs. 1 S. 2 StVollzG setzt die Möglichkeit „freier Selbstbestimmung“ auch im Vollzug voraus; s. zur Problematik vor allem Amelung, Statement, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 81 ff.; ders., Die Einwilligung des Unfreien, ZStW 95 (1983), S. 1 ff.; dort wird das Verbot medizinischer Versuche an einem Gefangenen in § 40 AMG für gut geheißen (S. 17 f. mit Fn 65), der Ausschluss des Gefangenen von Heilversuchen (§ 41 AMG) dagegen für verfassungswidrig erklärt; ebenso Kirschke, Versorgung (wie Fn 63), S. 147, 151. Zur fehlenden Vernunfthoheit s. Laufs, Arztrecht, 6. Aufl., München 2001, Rn 292; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck (wie Fn 172), § 139 Rn 45; speziell zum Arzt im Strafvollzug § 153 Rn 43 f.
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(§ 182 Abs. 2 S. 1 und 3 StVollzG). 251 Wie dem freien Patienten, so steht auch dem Gefangenen bei berechtigtem Interesse ein Recht auf Einsicht in seine Krankenakte zu, das sich freilich nicht auf die schriftlich niedergelegten persönlichen Eindrücke und Wertungen des Arztes erstreckt. 252 Aus allem folgt, dass sich im eigentlichen Arzt-Patienten-Verhältnis zwar einerseits wichtige Strukturen dieser Beziehung in Freiheit wiederfinden, die vollzugsbedingt erklärbaren Abstriche diese „Angleichung“ aber andererseits nicht nur unwesentlich eintrüben. Die Rahmenstruktur: Organisation und Leistungen der Vollzugsmedizin Die ärztliche Versorgung ist – wie schon erwähnt – „durch hauptamtliche Ärzte sicherzustellen“ und kann nur „aus besonderen Gründen nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Ärzten übertragen werden“ (§ 158 Abs. 1 StVollzG). Hier liegt die Quelle für den schon beschriebenen (s. o.) Ausschluss der freien Arztwahl, der den Angleichungsgrundsatz in einem gewichtigen und sensiblen Punkt unverwirklicht und den Arzt „drinnen“ zum vom Vertrauen unabhängigen und unaustauschbaren „Zwangsansprechpartner“ werden lässt. Zu ihm muss allerdings der Gefangene jederzeit Zugang haben. 253 Eine Ablehnung der Behandlung durch den Arzt etwa aus „persönlichen“ Gründen kommt intra muros nicht in Betracht. Die Unterstützung des Arztes in der Sprechstunde und die Pflege der Kranken sollen von Personen geleistet werden, „die eine Erlaubnis nach dem Krankenpflegegesetz besitzen“. Auch in der Krankenpflege ausgebildete Bedienstete des allgemeinen Vollzugs können im Bedarfsfall eingesetzt werden (§ 158 Abs. 2 StVollzG). Die Heranziehung von Gefangenen mit einer Ausbildung als Arzt oder Krankenpfleger ist aus nahe liegenden Gründen nicht zulässig. 254 Die Dienstaufsicht über den ärztlichen Dienst führt der Anstaltsleiter, der in bestimmtem Umfang Auskunft verlangen und Anregungen geben kann, in fachlicher Hinsicht aber kein Weisungsrecht hat. Die fachliche Aufsicht obliegt in der Regel dem Justizmi-
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S. hierzu Bast, Die Schweigepflicht der Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter im Strafvollzug, Hamburg, 2003; ferner Tag, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 89; Wulf, Statement, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 107 ff. unter Betonung der „gesetzlichen“ Schweigepflicht. S. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 1; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn 4; Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 56 Rn 21 jeweils m.w.N.; das Akteneinsichtsrecht folgt jetzt wohl auch aus § 185 StVollzG, s. zum Streit genauer Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn 181 f. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 10. Zum Teil wird das aus § 158 i.V.m. § 155 Abs. 1 S. 1 StVollzG abgeleitet; in erster Linie stehen aber vollzugs- und haftungsrechtliche Gründe dagegen, s. OLG Nürnberg NStZ 1981, 200; Arloth, Der praktische Fall, JuS 2001, S. 566, 571; Kaiser/Schöch, Einführung, Rn 283; Laubenthal, Strafvollzug, § 11 Rn 22.
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nisterium, das hieran eigene medizinische Fachkräfte zu beteiligen hat, 255 da ohne medizinischen Sachverstand die Fachaufsicht nicht ausübbar ist. Die ärztliche Versorgung findet im Grundsatz in der Vollzugsanstalt statt. Für die Sprechstunde 256 , die Diagnostik und Therapie steht der Sanitätsbereich zur Verfügung. In größeren Anstalten befinden sich neben der Ambulanz für eine stationäre Versorgung geeignete Krankenabteilungen. Ein kranker Gefangener kann gegebenenfalls in eine für die Behandlung seiner Krankheit besser geeignete Vollzugsanstalt oder in ein Anstaltskrankenhaus verlegt werden (§ 65 Abs. 1 StVollzG). Reichen deren diagnostische oder therapeutische Möglichkeiten nicht aus, ist der Gefangene in ein geeignetes Krankenhaus außerhalb des Vollzugs zu verbringen (§ 65 Abs. 2 StVollzG). Ist eine Vorstellung bei einem Facharzt geboten, kann der Gefangene dem Arzt im Wege einer Ausführung aus medizinischen Gründen zugeführt werden (§ 12 StVollzG). Die ärztliche Entscheidung darüber, ob ein externer Facharzt oder eine externe Klinik einzuschalten sind, wird von den Anstaltsärzten nach ärztlichem Ermessen im Rahmen eigenverantwortlicher fachspezifischer Tätigkeit getroffen und ist von der Anstaltsleitung, die die Ausführung oder Verlegungsentscheidung trifft, nur daraufhin überprüfbar, ob die Grenzen pflichtgemäßen Ermessens eingehalten sind. 257 Auf eine solche Ermessensausübung hat der Gefangene einen Anspruch. 258 Nach § 56 StVollzG hat der Strafvollzug „für die körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen zu sorgen“ – und nicht nur, wie es in § 32 E BremJStVollzG unter Verletzung des Sozialstaatsgebots heißt, den Gefangenen bei der Wiederherstellung und Erhaltung seiner Gesundheit zu „unterstützen“ –, weil dem Gesundheitsschutz angesichts des engen Zusammenlebens mit anderen „erhöhte Bedeutung“ zukommt und der Gefangene den „Beeinträchtigungen seiner Gesundheit nicht in gleicher Weise durch eigene Initiative wie in Freiheit begegnen“ kann. Seiner Fürsorgepflicht soll der Vollzug vor allem durch die schon beschriebene „Einrichtung und Unterhaltung der ärztlichen Versorgung im Sinne des § 158 StVollzG“, 259 aber auch durch „Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge nach(kommen), die im wesentlichen den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen“. 260 Das hiermit und durch die §§ 58, 61 StVollzG für die Gesundheitsfürsorge und ihre Leistungen konkretisierte und oben schon als 255
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S. §§ 156, 151 StVollzG mit den dazugehörigen VV sowie z. B. §§ 22, 23 der BadenWürttembergischen VwV, Gesundheitswesen im Justizvollzug, s. auch Busch, Die Schweigepflicht des Anstaltsarztes, ZfStrVo 2000, S. 344, 345; Wulf (wie Fn 91), S. 361. Eine Schilderung der Sprechstunde findet sich bei Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/ Jehle, StVollzG, § 56 Rn 23 ff. KG StV 1988, S. 539; dort auch zu den fachlichen Voraussetzungen der Ermessensentscheidung; Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, § 158 Rn 5; zu den unterschiedlichen „Orten“ der medizinischen Behandlung s. auch Keppler, Grundlagen (wie Fn 140), S. 120 ff. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 10; die gewollte Maßnahme kann der Gefangene mit dem Verpflichtungsantrag nach § 109 StVollzG zu erstreiten versuchen. S. RegE-StVollzG, BT-Ds 7/918, Begr. S. 72. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn 1.
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Grundentscheidung vorgestellte Äquivalenzprinzip (§ 3 Abs. 1 StVollzG) zeigt sich in der Zuerkennung ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung, der Versorgung mit Arznei-, Verbands-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 58 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1-3 StVollzG), in dem Anspruch auf Gesundheitsuntersuchungen und Vorsorgeleistungen (§ 57 StVollzG) sowie in besonderen Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft einschließlich der Sorge für im Vollzug mit untergebrachte Kinder (§ 57 Abs. 4, §§ 76 ff. StVollzG). Das Angleichungspostulat des § 3 Abs. 1 StVollzG ist aber jenseits unvermeidbarer vollzugsbedingter Einschränkungen – wie schon hervorgehoben – vor allem deshalb nicht vollends verwirklicht, weil es an der nach § 198 Abs. 3 StVollzG in Aussicht gestellten und durch Bundesgesetz zu bewirkenden Eingliederung der Strafgefangenen in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung fehlt, ein Zustand, an dem sich auch zukünftig nichts ändern wird. 261 Während Freigänger, die in einem freien Beschäftigungsverhältnis ihrer Arbeit nachgehen (§ 39 StVollzG), hierdurch keine Nachteile erleiden, weil sie über das Arbeitsverhältnis gesetzlich krankenversichert und deshalb im Status eines freien Patienten der anstaltlichen Gesundheitsfürsorge entzogen sind, haben „normale“ Strafgefangene nebst ihren Angehörigen auch nicht vollzugsbedingte Einbußen hinzunehmen. 262 Das ergibt sich aus einem hier im Einzelnen nicht durchführbaren Vergleich zwischen den zentral in § 58 i.V.m. § 61 StVollzG angeführten und namentlich durch die §§ 57, 59 ff. und für den Frauenvollzug durch §§ 76 f.. StVollzG ergänzten Katalog von medizinischen Leistungen im Vollzug und jenen Leistungen, die vor allem § 27 SGB V dem versicherten Arbeitnehmer gewährt. Danach entfallen im Vollzug zwar z. B. naturgemäß Ansprüche auf „häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe“ (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB V). Auch ist der Anspruch auf „Krankenhausbehandlung“ (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V) durch § 65 StVollzG vollzugsbedingt modifiziert. Es werden dem Gefangenen aber auch beispielsweise Ansprüche auf Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit oder auf künstliche Befruchtung (§ 27 Abs. 1 S. 3 SGB V) vorenthalten. Auch steht die „Versorgung mit Hilfsmitteln“ wie Seh- und Hörhilfen unter dem Vorbehalt, dass sie „nicht mit Rücksicht auf die Kürze des Freiheitsentzugs ungerechtfertigt“ erscheint. Eine notwendig werdende „Änderung, Instandsetzung oder Ersatzbeschaffung“ dieser Mittel macht § 56 StVollzG zudem davon abhängig, dass „die Belange des Vollzugs dem nicht entgegen stehen“. 263 Unter 261 262
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S. dazu o. Fn 117. Eingehend und kritisch dazu Kirschke, Versorgung (wie Fn 63), S. 91 ff., 139 ff., zsfsd. s. 179 ff.; v. Savigny, Die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug unter besonderer Berücksichtigung der Gefangenen im freien Beschäftigungsverhältnis, Frankfurt/M u. a. 1992; zur Benachteiligung der Angehörigen, s. Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 2 Rn 75; § 7 Rn 169; Kirschke, Versorgung (wie Fn 63), S. 184 ff. S. genauer und kritisch zu dem Vergleich Arloth/Lückemann, StVollzG, § 58 Rn 1; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 58 Rn 1; Kirschke, Versorgung (wie Fn 63), S. 91 ff.; s. dazu ferner z. B. die Baden-württembergische AV d. JuM v. 11.12.1997, Die Justiz 1998, S. 585, nach deren Nr. 18 die „Ausstattung eines Gefangenen mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln ... gemäß § 59 StVollzG ... ungerechtfertigt“ ist, „wenn die voraussichtliche Dauer des Freiheitsentzugs 6 Monate nicht übersteigt“; andererseits entfallen angesichts der abschließenden Regelung des § 50
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diesen Vorbehalt stellt § 58 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StVollzG auch Leistungen zur Rehabilitation, Belastungserprobung und Arbeitstherapie. Fazit Das Arzt-Patienten-Verhältnis im Strafvollzug ist ein Verhältnis sui generis. Das gilt faktisch wie rechtlich. Auch wenn man das Primat der Medizin betont und von der medizinischen Versorgung im Vollzug verlangt, dass sie sich dem Angebot extra muros „so weit wie möglich“ angleicht, ist nicht zu übersehen, dass der faktische wie rechtliche Sonderstatus der beteiligten Personen, die öffentlichrechtliche Organisation ihrer Beziehung und die zur Freiheit differenten Leistungen eine Gleichsetzung der Gesundheitsfürsorge im Vollzug mit der in Freiheit nicht zulassen. Anstaltsarzt und Gefangener begegnen sich auch als Arzt und Patient in einer „Zwangspartnerschaft“, deren Einbindung in und deren Prägung durch den Vollzug sie an den Spannungen und Friktionen dieser Lebenswelt beteiligen. Der gefangene Patient bleibt Subjekt, eigenverantwortlich und selbstbestimmt, aufklärungsberechtigt und einwilligungsbefugt. Er wird aber auch zum Fürsorgeobjekt, freier Arztwahl beraubt, mitwirkungs- und teilweise duldungspflichtig. Der Arzt ist Arzt, auf seine Kunst und Ethik verwiesen, dem Wohl des Patienten zu dienen gehalten. Er ist aber zugleich Arzt im Vollzug und der ihm hier zugeschriebenen Rolle verpflichtet. Das lässt nicht nur Gleichheit nicht zu, sondern setzt auch der Angleichung Grenzen.
Herausforderungen der Vollzugsmedizin Problemgruppen im Strafvollzug Schon die Doppelbelastung mit Krankheit und Gefangenschaft wirft zahlreiche Probleme auf, zu deren medizinischer wie oft auch rechtlicher Lösung die Antworten, die in Freiheit auf die Krankheit gegeben werden, nicht ohne weiteres hinreichen oder verwertbar sind. Die differenten Probleme werden herkömmlich an Problemgruppen festgemacht, deren Erforschung und Diskussion freilich sehr unterschiedlich weit vorangeschritten ist. Das zeigt sich beispielsweise an der medizinischen Versorgung von Frauen im Vollzug. Diese lange Zeit vernachlässigte Gefangenengruppe ist erst in den letzten Jahren verstärkt in das Blickfeld der empirischen Vollzugsforschung geraten. Diese hat die namentlich durch biografische Vorbelastungen erheblich gesteigerte Prävalenz von Krankheitskombinationen physischer und psychischer Natur sichtbar gemacht, die Depressivität und Suizidneigung begünstigen und denen offenbar zu wenig psychologische und psychothe-
StVollzG Praxisgebühr oder Zuzahlungen zu Arzneimitteln, s. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 58 Rn 1.
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rapeutische Hilfeangebote gegenüberstehen. 264 Die Bewältigung dieser Probleme gelingt in den wenigen Frauenvollzugsanstalten Deutschlands wohl besser als in den Abteilungen für Frauen im Allgemeinvollzug. Aufgrund ihrer quantitativen Unterrepräsentation hat auch die zahlenmäßig zwar zunehmende, im Gesamt aber nur gering vertretene Gruppierung der Alten, 265 aber auch der Behinderten und der im Vollzug letal Erkrankten und Sterbenden mit ihren je spezifischen Problematiken bislang nur wenig Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren, obwohl ihnen die Empfehlung R (98) 7 in den Nr. 50 und 51 ein besonderes Augenmerk schenkt 266 und sie den Vollzugsmediziner mit besonderen Problemlagen konfrontiert, die intramural nur begrenzt zu bewältigen sind. Ausländer bilden eine bisweilen auch im Zusammenhang mit der Gesundheitsfürsorge benannte weitere Problemgruppe, die sich je nach Herkunft durch besondere Krankheitsbilder, allgemein aber vor allem im Hinblick auf Verständigungsschwierigkeiten und fehlende Compliance von Normalpatienten im Vollzug abhebt. 267 Im Vollzug erlittene Verletzungen rufen für den Gefängnisarzt unterschiedliche Problemlagen hervor, die auf weitere Problemgruppen weisen. Geht es um Gewaltübergriffe auf Gefangene durch Mitgefangene, stellen sich Fragen namentlich der Verschwiegenheitspflicht wie der Prävention, mit denen sich das Augenmerk vor allem auf besonders vulnerable und damit schutzbedürftige Gefangene richten muss. 268 Geht es dagegen um Selbstverletzung oder Suizid, stehen Krisenintervention und -bewältigung, Ursachenerforschung, Prävention und ein vor Wiederholung schützendes Sicherheitsmanagement im Vordergrund, in denen der Vollzugsarzt eine zentrale Rolle spielt. 269 In der Nähe hierzu können Therapieverweigerung und Hungerstreik mit ihren medizinischen Problemen liegen, die in die ethischen und rechtlichen Friktionen der Zwangsbehandlung und die Frage ihrer verfas-
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S. die instruktive Auswertung neuerer Forschungsergebnisse bei Zurhold, Besondere gesundheitliche Belastung von Frauen in Haft, Zweite Europäische Konferenz (wie Fn 111), S. 111 ff. unter Hinweis auf eigene (Zurhold/Haasen/Stöver, Female Drug Users in European Prisons, Oldenburg 2005) und andere Arbeiten (unter ihnen namentlich Dünkel/Kestermann/Zollondek, Internationale Studie zum Frauenstrafvollzug, Greifswald 2005; Keppler, Infektionserfassung und Prävention bei Frauen im Strafvollzug, Oldenburg 2001 und Schröttle/Müller, Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland: Teilpopulation 3 – Erhebung von Inhaftierten, Berlin 2004; vgl. auch Keppler, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 185 ff. S. zum Altenstrafvollzug nur Laubenthal, Strafvollzug, Rn 64 m. w. N.; zu medizinischen Problemen s. z. B. Bisson, Statement, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 161. Diskussionen über das Sterben im Vollzug sind in Deutschland ohne nachhaltiges Echo geblieben, s. aber immerhin die Beiträge zu diesem Thema von Skirl, Fiedeler und Stieber in ZfStrVo 2003, S. 283-291 und die Beiträge von Bausch-Hölterhoff und Fiedeler in ZfStrVo 2004, S. 96, 100; s. auch Pont/Wool, Leitfaden (wie Fn 169), S. 45; zum Problem Behinderter im Vollzug s. Rex, ZaeFQ 2000 (94), S. 262. S. Rex, ZaeFQ 2000 (94), S. 262; zu Fragen der Ernährung auch Flügge, ZaeFQ 2000 (94), S. 269. S. Pont/Wool, Leitfaden (wie Fn 169), S. 28, 38 ff.; Empfehlungen R 98 (7), Nrn 64-66. S. Pont/Wool, Leitfaden (wie Fn 169), S. 33 f.; 34 ff.
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sungs- und vollzugsrechtlichen Rechtfertigung eingebettet sind. 270 All diesen Problemlagen kann hier im Detail nicht weiter nachgegangen werden. Wohl aber sollen drei besondere Herausforderungen und ihre Bewältigung in Deutschland noch etwas genauer behandelt werden, die (auch) deshalb im Zentrum der Vollzugsmedizin stehen, weil sie quantitativ und qualitativ von herausgehobenem Gewicht und auch für die hier nur kursorisch behandelten Problemgruppen von erheblicher Bedeutung sind. Es geht hierbei erstens um die Behandlung der Suchtund Infektionskranken, zweitens um psychisch Kranke und drittens um die namentlich auch im Zusammenhang mit diesen Themenkreisen sich besonders dringlich stellenden Fragen der betrieblichen Gesundheitsförderung im Vollzug. Sie kann man als Brennpunkte der Vollzugsmedizin bezeichnen. Brennpunkte der Vollzugsmedizin Sucht- und Infektionskranke Verbreitet werden die Sucht- und hier vor allem die Drogenproblematik einerseits und die hohe Belastung der Gefangenenpopulation mit besonders gefährlichen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Hepatitis B und C sowie HIV als Sonderproblem der Vollzugsmedizin andererseits getrennt dargestellt und behandelt. Aus intramural-gesundheitsfürsorgerischer Sicht gehören aber beide Problemkreise aufgrund ihrer zahlreichen Überschneidungen, Verzahnungen und Interdependenzen in Behandlung und Prävention zusammen. Sie werden deshalb hier gemeinsam erörtert. 271 Die Epidemiologie, also die Wissenschaft von der Entstehung, Verbreitung, Bekämpfung und den sozialen Folgen von zeittypischen Massenerkrankungen, ist zu diesen intramuralen Phänomenen in Deutschland keineswegs in 270
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S. dazu Empfehlungen R 98 (7), Nrn 60-63 sowie die Regelung des § 101 StVollzG; dazu Laue in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 217 ff. mit Statement Arloth ebenda, S. 239 ff.; s. auch die Schlussbemerkung von Schöch (S. 276 f.) und Müller-Dietz (S. 283) in diesem Buch. Die Veranstalter des Heidelberger Symposions zur Intramuralen Medizin (s. Fn 1) haben deshalb dem damaligen Referenten Laubenthal das Thema „Sucht- und Infektionskrankheiten im Strafvollzug“ vorgegeben; abgedruckt in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 195 ff. Die folgende Darstellung lehnt sich an die Strukturierung dieses Vortrages an. S. auch den instruktiven Bericht von Weilandt, Infektionsprophylaxe und Drogenhilfe in europäischen Gefängnissen: Ausgewählte Ergebnisse der Berichterstattung, in: Erste Europäische Konferenz (wie Fn 80), S. 47 ff. und das Arbeitsgruppenprotokoll von Riekenbrauck/Schopper, in: Zweite Europäische Konferenz (wie Fn 111), S. 169 ff.; s. ferner Stöver, DrogengebraucherInnen und Drogenhilfe im Justizvollzug – eine Übersicht, Suchttherapie 2002, S. 135 ff. sowie den von Lines und Stöver erstellten Bericht des UN-Office on Drugs and Crime: HIV/AIDS Prevention, Care, Treatment and Support in Prison Settings, 2006, S. 11. Instruktiv sind auch die 31 Berichte in: Jacob/Keppler/Stöver (Hrsg.), LebHaft: Gesundheitsförderung für Drogen Gebrauchende im Strafvollzug, AIDS-Forum DAH, Bd. 42/1 und 42/2, Berlin 2001, die sich mit dem hier erörterten Brennpunkt und vor allem praktischen Erfahrungen mit den hier vorgestellten Präventions- und Behandlungsmaßnahmen beschäftigen.
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einem beklagenswerten, aber auch nicht in einem rundum befriedigenden Zustand. Die Datenlage hierzu nimmt an den schon beschriebenen Defiziten in Deutschland teil. 272 Gleichwohl wird mit Differenzierungen im Einzelnen von epidemischen Bedrohungen ausgegangen. 273 Unter den Suchterkrankungen werden Nikotin- und Alkoholabhängigkeiten nur in untergeordnetem Maße als besondere Herausforderung beschrieben. Dazu mögen die Akzeptanz dieser „legalen Drogen“ extra muros und die – sieht man von der Begünstigung von Aggressionsübergriffen durch Alkohol und dem Passivrauchen einmal ab – im Wesentlichen auf Selbstgefährdungen und -schädigungen begrenzten Wirkungen beitragen. Baden-Württemberg will in seinem Jugendstrafvollzugsgesetz ein generelles Rauch- und Alkoholverbot errichten. Mit Ersterem liegt das Land im in Deutschland vorherrschenden politischen Trend der Zeit, mit Zweiterem wird das in Deutschland allgemein bestehende Verbot des Alkoholkonsums im Vollzug bekräftigt. 274 Illusionen darüber, dass mit solchen Verboten Nikotin- und Alkoholkonsum im Vollzug wirksam zu unterbinden sei, dürfte allerdings auch in Deutschland niemand hegen. Der Medikamentenabhängigkeit und dem Medikamentenmissbrauch wird wenig Aufmerksamkeit zuteil. Beide sind im Vollzug sicher relativ gut beherrschbar. 275 Sie sollten allerdings als Gefahr nicht dazu führen, dem gefangenen Patienten die Eigenverantwortlichkeit zu nehmen und ihm medikamentöse Behandlung nur als beaufsichtigte Zuteilung zugute kommen zu lassen. Die unter den Suchterkrankungen fraglos dringlichste Problematik ist die der Drogenabhängigkeit, deren Verbindung zu den Infektionskrankheiten bei intravenösem Gebrauch offen zutage liegt. Drogen, deren Besitz nach dem Betäubungsmittelgesetz als verboten gilt, sind im Vollzug wohl knapper und oft minderwertiger als draußen, gelten aber auch hier als unter freilich erschwerten Bedingungen verfügbar. Das gilt nicht nur für Cannabis, sondern auch für harte Drogen wie Heroin, Kokain oder Crack. Die Frequenz des Drogenkonsums wird als tendenziell niedriger als in Freiheit beurteilt. 30-50 % der vor Haftantritt Drogenabhängigen sollen ihren Konsum in Haft fortsetzen, andere Gefangene beginnen mit ihm erst in Haft. Der Anteil der intravenös Drogenabhängigen an den Gefangenen wird zwischen 10 % und 40 % geschätzt, zumeist wird ein Drittel für wahrscheinlich gehalten. Junge und weibliche Gefangene gelten als besonders exponiert. Da im deutschen Strafvollzug ca. 16 % der Inhaftierten wegen Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz einsitzen und weitere Inhaftierte mit Drogenkontakten we272 273
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S. das insoweit kritische Fazit von Weilandt (wie Fn 271), S. 64-66. Valide empirische Forschung mahnt zu Recht Dölling, Schlussbemerkung, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 295 f. an. Vgl. – auch zur Fragwürdigkeit des Verbots selbst mäßigen Alkoholkonsums – dazu Arloth/Lückemann, StVollzG, § 82 Rn 3; Laubenthal (wie Fn 271), S. 196 f.; zur geringen Thematisierung des Alkoholmissbrauchs s. auch Keppler/Kastner, Protokoll, in: Zweite Europäische Konferenz (wie Fn 111), S. 174. S. zu Alkohol- und Medikamentensucht auch Empfehlungen R 98 (7), Nrn. 43 ff.; bei Verdacht des Missbrauchs kann ein Arztbesuch angeordnet, Verstöße gegen das in der Hausordnung aufgestellte Verbot des Hortens von Medikamenten können nach § 56 Abs. 2, 102 StVollzG disziplinarisch geahndet werden, s. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 9.
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gen Beschaffungskriminalität hinzutreten, sind diese Angaben immerhin plausibel. 276 Auch zur Belastung der Gefangenen mit Infektionskrankheiten und zum Infektionsrisiko im Vollzug ist die Datenlage unsicher. Boetticher/Stöver sprechen im Hinblick auf HIV von Diskrepanzen zwischen den eher niedrigen Angaben aus internen Erhebungen der Landesjustizverwaltungen und höheren Einschätzungen externer Untersuchungen. 277 Die durchschnittlich geschätzte HIV-Belastung von ca. 1 % der Gefangenen bedeutet zwar immerhin eine um rund 25 % erhöhte Verbreitung im Vollzug gegenüber der übrigen Bevölkerung,278 andererseits aber vor dem Hintergrund einer lange Jahre sehr emotional und aufgeregt geführten Debatte über das Bedrohungspotenzial gerade dieser Erkrankung entdramatisierend. Angesichts bislang lediglich freiwilliger Tests im Vollzug ist freilich ein Dunkelfeld nicht ausschließbar, dessen Dimensionen aufgrund prozentual hoher Beteiligung an Testverfahren aber nicht überschätzt werden dürfen. 279 Erheblich größer werden Belastung und Risiken bezüglich einer Hepatitis-C-Virus-Infektion eingeschätzt. Nach einer bei Arloth/Lückemann 280 wiedergegebenen unveröffentlichten Untersuchung der bayerischen Justiz aus dem Jahr 2000 geht man dort auf der Grundlage von 4000 Untersuchungen von „Prävalenzraten von ca. 12 % bis 20 % Hepatitis-C-Antikörperträgern unter den Gefangenen aus“. Auffällig ist, dass 61 % bis 75 % der drogenabhängigen Gefangenen Antikörper aufweisen. 75 % aller Träger gelten als infektiös. Wie bei HIV geht man davon aus, dass Infektionen in der Haft bisher selten sind, die Hepatitis-Formen (neben Hepatitis-C ist auch die Hepatitis-B offenbar sehr verbreitet) 281 also ganz überwiegend aus der Freiheit mitgebracht werden. Schließlich ist auf die „mit der Rückkehr der Tuberkulose verbundenen Gefährdungen der Gesundheit in den Vollzugsanstalten“ hinzuweisen. Laubenthal, der das tut, führt diese Rückkehr namentlich auf die Vollzugsinsassen zurück, die diese Erkrankung z. B. als Spätaussiedler aus der seinerzeitigen Sowjetunion oder sonst aus dem Osten mitgebracht haben, weist allerdings auch 276
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S. näher und m. w. N. zu ihnen Laubenthal (wie Fn 271), S. 197 f.; ders., Strafvollzug, Rn 579; Stöver (wie Fn 271), S. 136; Weilandt (wie Fn 271), S. 64.; s. auch Böllinger, Cannabis im Gefängnis, in: Gassmann (Hrsg.), Suchtprobleme hinter Mauern, Freiburg/Brsg. 2002, S. 65. Boetticher/Stöver in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 48; Weilandt (wie Fn 271), S. 66 berichtet von entmutigender Resonanz der Landesbehörden auf eine vom WIAD e. V. 2004 gestartete Erhebung. Laubenthal, Strafvollzug, Rn 639; Stöver (wie Fn 271), S. 139; zur Frage des Anwachsens von Neuinfektionen in der deutschen Bevölkerung s. Robert Koch Institut, Epidemiologisches Bulletin, HIV-Infektionen/AIDS, Halbjahresbericht II 2006, Sonderausgabe A vom 29.5.2007. S. die detaillierten Angaben namentlich zu Untersuchungen des Vollzugs bei Arloth/Lückemann, StrVollzG, § 56 Rn 4; Laubenthal (wie Fn 271), S. 199 f.; zu Testgefällen in den Bundesländern s. Stöver (wie Fn 271), S. 139. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 4; s. auch Laubenthal (wie Fn 271), S. 200, der auf eine Studie in Baden-Württemberg hinweist, die zu vergleichbaren Ergebnissen kommt. Die Empfehlung R 98 (7), Nr. 42 legt daher die Schutzimpfung gegen Hepatitis B ausdrücklich nahe.
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auf die hohe Prävalenz bei in Spanien Inhaftierten hin. Kombiniert sich die Erkrankung mit einer HIV-Belastung, soll sich die Wahrscheinlichkeit eines früheren Krankheitsausbruchs erhöhen. 282 Erfolgreiche Eindämmung, Behandlung und die Weiterverbreitung unter Gefangenen wie Bediensteten unterbindende Prävention setzen zunächst verlässliche Kenntnis über Abhängigkeit und Infektiosität des einzelnen Gefangenen voraus. Aus dem in § 56 Abs. 2 StVollzG enthaltenen Gebot an den Gefangenen, die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen, wird in Deutschland allgemein gefolgert, dass die Anordnung zur Abgabe einer Urinprobe gegebenenfalls unter direkter Beobachtung des Gefangenen jedenfalls bei bekannter Suchtgefährdung oder bei Verdacht des Drogenmissbrauchs zu deren Feststellung zulässig und mit diziplinarischen Mitteln durchsetzbar ist. Auch werden Drogenscreenings in Form von Zufallsstichproben für rechtlich möglich gehalten. 283 Empfehlenswert ist die Urinkontrolle schon in der Eingangsuntersuchung nach § 5 Abs. 3 StVollzG. Zur Feststellung einer Tuberkuloseerkrankung ist hier auch eine Röntgenuntersuchung angezeigt, an der mitzuwirken der Gefangene nach § 36 Abs. 4 S. 7 IfSG verpflichtet ist. Wie eben schon dargelegt, wird aus dieser Vorschrift und der auch die körperliche Unversehrtheit betreffenden Grundrechtseinschränkung in § 36 Abs. 5 IfSG mittlerweile mehrheitlich hergeleitet, dass Blut zur Feststellung übertragbarer Krankheiten auch vom Anstaltsarzt wenn nötig gegen den Willen des Gefangenen abgenommen und ohne seine Einwilligung auch auf HIV getestet werden darf. Dem ist trotz der von Boetticher/Stöver vorgetragenen gewichtigen Bedenken aus der Entstehungsgeschichte und dem Regelungszusammenhang 284 mit der Maßgabe zuzustimmen, dass die psychosoziale Unterstützung des HIV-Positiven im Vollzug nach Mitteilung eines positiven Testergebnisses gewährleistet, ein Sicherungsmanagement gegen selbstzerstörerische Verarbeitung etabliert und der in Freiheit gewährleistete Behandlungsstandard ohne ressourcen- und kostenbedingte Einschränkungen von fachkundigem Personal auch im Vollzug garantiert ist. 285 Das sind sehr hohe Hürden, die vom Vollzug zur Zeit nicht durchgehend einhaltbar sind. 286 Der nicht zu
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Laubenthal (wie Fn 271), S. 200 f. unter Berufung auf Rieder-Kaiser, Vollzugliche Ausländerproblematik und Internationalisierung der Strafverhängung 2004, S. 102 ff. und Stöver, Drug and HIV/AIDS Services in European Prisons, 2002, S. 45 f.; s. auch Rex, Zur Tuberkulosesituation im Justizvollzug, ZfStrVo 2005, S. 96. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 9; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn 5 jeweils mit Nachweisen auf die einschlägige Rechtsprechung; s. auch Laubenthal (wie Fn 271), S. 203. S. zunächst die Nachweise in Fn 241 und Boetticher/Stöver vor § 56 Rn 49 ff.; § 56 Rn 13 f. S. Laubenthal (wie Fn 271), S. 203, der diese Forderungen zur Betreuung allerdings nicht als Bedingung der Zulässigkeit des Zwangstests formuliert. S. dazu Boetticher/Stöver, StVollzG, vor § 56 Rn 54 unter Hinweis auf den Endbericht der Aids-Enquete-Kommission in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Aids: Fakten und Konsequenzen, 1990, S. 285.
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leugnenden Gefahr einer „Scheinsicherheit“ bei negativem Ergebnis ist durch entsprechende Aufklärung zu begegnen. 287 Über die zu ergreifenden medizinischen bzw. medizinisch motivierten Maßnahmen besteht in Deutschland auch im Übrigen keine durchgehende Einigkeit. Da Gefangene Anspruch auf adäquate medizinische Versorgung haben, versteht es sich allerdings im Grundsatz von selbst, dass diagnostizierte Sucht- wie Infektionserkrankungen auch im Vollzug lege artis behandelt werden müssen. Dazu gehört das Angebot von Infektionsprophylaxe durch Impfungen. 288 Der Angleichungsgrundsatz steht hier gegen Abstriche aus Kostengründen. Drogenabhängigen schuldet die Vollzugsmedizin, da auch für die psychische Gesundheit zu sorgen ist, entzugs- und (gesprächs-)therapeutische Behandlungsangebote. Nicht überall zu findende drogenfreie Abteilungen können hier hilfreich sein, 289 die auch der Bewahrung von mitgebrachter Drogenfreiheit wie der Infektionsprophylaxe dienen. Im Rahmen des Notwendigen muss der Vollzugsarzt die Anstaltsleitung in Kenntnis setzen, wenn die Unterbringung in Gemeinschaftsräumen contraindiziert, Absonderung nötig oder ein Warnhinweis „Vorsicht. Blutkontakt vermeiden!“ zum Schutz namentlich der Bediensteten angezeigt ist. Eine „schrankenlose Bekanntgabe der Infizierung“ ist unzulässig. 290 Auch ist zu bedenken, dass das Infektionsrisiko vor allem bei AIDS auch im Vollzug gering und auf die wenigen bekannten Wege beschränkt ist. Die Beschäftigung in „sensiblen Bereichen“ wie der Essenszubereitung und -ausgabe, als Friseur oder in Arbeitsbetrieben mit besonderen Verletzungsgefahren ist daher nicht pauschal unzulässig und unter Vermeidung unnötiger Diskriminierung zu handhaben. 291 Prävention und Sicherheitsbelange dürfen nirgends den Blick dafür verstellen, dass das Primat der Medizin in erster Linie die hinreichende ärztliche Betreuung und psychosoziale Versorgung infizierter Gefangener erfordert. 292 Dazu gehört die umfangreiche Aufklärung und Beratung der Erkrankten, die mit der Information Nichterkrankter über Infektionsrisiken und ihre Vermeidung Hand in Hand gehen muss. In Bezug auf Drogenabhängige kann in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen das Konzept „Therapie statt Strafe“ greifen. 293 Die §§ 35 ff. BtMG las287
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S. Laubenthal (wie Fn 271), S. 202 gegen diesen Einwand bei Boetticher/Stöver, StVollzG vor § 56 Rn 56. S. Laubenthal (wie Fn 271), 210. S. dazu Laubenthal, Strafvollzug, Rn 580 b; zu den durch Ressourcenknappheit bedingten Grenzen therapeutischer Betreuung von Drogenkranken im Vollzug s. Laubenthal (wie Fn 271), S. 210 ff. S. hierzu nur Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 6 m. w. N. auch zur Rechtsprechung; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn 14. S. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 57 f.; für die Beschäftigung im Lebensmittelbereich gilt die Sonderregelung der §§ 42, 43 IfSG, s. dazu Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 6; s. auch Hefendehl, Die rechtliche Zulässigkeit der derzeitigen faktischen Behandlung von HIV-Infizierten im Strafvollzug, ZfStrVo 1996, S. 136; Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn 175. S. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn 15. S. befürwortend Schöch, Statement, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 275; Stöver (wie Fn 271), S. 142.
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sen für Erwachsene wie für Jugendliche und Heranwachsende, die zu einer Freiheits- bzw. Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat verurteilt worden sind, die aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden ist, eine Zurückstellung der Strafvollstreckung zu, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen und deren Beginn gewährleistet ist. Unter Umständen kann in vergleichbaren Fällen schon von einer Anklageerhebung vorläufig abgesehen werden. Untersuchungen zu diesem Institut ermutigen dazu, die Praxis zu einem stärkeren Gebrauch anzuregen und die Ausdehnung auf alkoholabhängige Täter zu empfehlen. 294 Abschließend sei der Blick auf vier kontrovers beurteilte Präventionsmaßnahmen gerichtet. Diskutiert wird zum ersten über eine „Legalisierung“ von Tätowierungen und Piercing, die im deutschen Strafvollzug zwar nicht gesetzlich, aber doch unter Berufung auf § 56 Abs. 2 StVollzG durch Hausordnungen untersagt sind. Die Infektionsgefahren liegen bei Verwendung unsteriler Nadeln auf der Hand. Legalisierung würde in diesem Zusammenhang die Öffnung des Vollzugs für professionelle externe Tätowierer und Piercer bedeuten, die für den nötigen Hygienestandard bürgten. Da der Reiz, etwas Verbotenes zu tun und die subkulturelle Bedeutung dieser Praktiken durch eine solche Legalisierung verloren gingen, wird bezweifelt, ob sie zur Eindämmung der gesundheitlichen Gefahren beitragen könnte. 295 Das spricht allerdings nicht gegen eine experimentelle und forschungsbegleitete Erprobung. Soweit zu sehen, werden zum Zweiten nachhaltige Einwände gegen die Verfügbarkeit von Kondomen im Vollzug in den führenden Kommentaren nicht mehr erhoben. Zwar wird ein Anspruch auf (kostenfreie) Ausgabe von der Rechtsprechung unter anderem mit dem Hinweis auf die denkbare Förderung durch gleichgeschlechtliche Betätigung entstehender unerwünschter Abhängigkeiten verneint. 296 Es besteht aber doch weitgehend Einigkeit darüber, dass zur Vermeidung von Infektionsrisiken auch dort, wo keine Gelegenheit zum Intimkontakt mit dem andersgeschlechtlichen Partner gegeben ist, Kondome erhältlich sein sollten. 297 Das ist deshalb beifallswürdig, weil die Ablehnung notwendig mit einer Restigmatisierung der Homosexualität verbunden wäre. Eine wirksame Infektionsprophylaxe durch Kondomverfügbarkeit ist allerdings nur dort zu erwarten, wo Kondome anonym, leicht zugänglich und nach Möglichkeit auch kostenlos erhältlich sind. 298 Deutlich kontroverser und entsprechend uneinheitlich in Deutschland praktiziert ist die Substitution Drogenabhängiger im Vollzug. 299 Die erhebliche Verbrei294
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S. Laubenthal, Strafvollzug, Rn 581 sowie Schöch (wie Fn 293) mit der Forderung nach einer vergleichbaren Regelung für Alkoholabhängige. Laubenthal (wie Fn 271), S. 210. OLG Koblenz NStZ 1997, 360; kritisch zu dieser Begründung Riekenbrauck in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 56 Rn 9. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 4; Callies/Müller-Dietz, StVollzG § 56 Rn 12; s. dazu den Bericht in: Jacob/Keppler/Stöver (wie Fn 271), Band 42/2, S. 87. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 31. Einen Überblick geben Keppler/Knorr/Stöver zum Stand der Substitutionsbehandlung im Deutschen Justizvollzug, ZfStrVo 2004, 2002 ff.; Weilandt (wie Fn 271), S. 57 f.;
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tung der Substitution extra muros weist zunächst auf zweierlei hin: zum einen wird Substitution als Krankenbehandlung, Drogenabhängigkeit also als Krankheit gesehen und bei medizinischer Indikation – wie die Richtlinien der Bundesärztekammer zur substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger aus dem Jahr 2002 und die der Kassenärztlichen Bundesvereinigung über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aus dem Jahr 2003 erweisen 300 – als erstattungsfähiges Mittel der Wahl anerkannt. Zum zweiten ist in Deutschland zwar die kontrollierte Abgabe dem Betäubungsmittelgesetz unterfallender Drogen wie namentlich Heroin (s. dazu allerdings noch weiter unten), nicht aber die Substitution mit bestimmten Substanzen wie Methadon, Codein, L-Polamidon oder Subutex verboten. Vielmehr ist sie nach § 13 BtMG statthaft, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise nicht erreichbar ist. Von dieser Sach- und Rechtslage profitieren extra muros etwa 60.000 Patienten, während in Haft abermals genauere Zahlen fehlen, Schätzungen aber von nur ca. 800 ausgehen. Das spricht prima facie angesichts der verbreiteten Drogenproblematik im Vollzug für eine deutliche Unterversorgung gegenüber der in Freiheit. 301 Da Kostenaspekte zur patientenbenachteiligenden Einschränkung des Angleichungsgrundsatzes nicht taugen, lässt sich die zu vermutende Ungleichbehandlung nur aus Gründen des Vollzugs rechtfertigen. Das hat das Hanseatische OLG Hamburg unternommen, indem es die Substitution eines Strafgefangenen als eine Maßnahme charakterisiert, die „kaum mit den sich aus § 2 StVollzG ergebenden, von der Anstalt und dem Anstaltsarzt ... zu berücksichtigenden Aufgaben des Vollzugs in Einklang zu bringen“ sei. Vollzugsziel sei die Erreichung von Abstinenz, die allein den Gefangenen nach § 3 Abs. 3 StVollzG befähige, sich in Freiheit ohne Konsum von Rauschmitteln oder Ersatzdrogen zu bewegen. Die extra muros bekämpfte Gefahr, durch Drogenabhängigkeit zu verelenden, bestehe zudem bei „Strafgefangenen, die im Vollzug versorgt und betreut werden“, nicht. 302 Diese Begründung macht ein Idealbild zum Leitsatz, das der Wirklichkeit nicht entspricht. In ihr wirkt Substitution im Vollzug, wird sie lege artis durchgeführt und überwacht, gesundheitlich und sozial stabilisierend, reduziert die Nachfrage nach Opiaten und damit Kriminalität im Vollzug und mindert mit der Aufgabe riskanter intravenöser Konsumformen die Verbreitung namentlich von Hepatitis und AIDS. Berücksichtigt man das Primat der Medizin, sprechen diese auch vollzuglich relevanten Gründe immer dann für die Aufnahme einer Substitutionsbehandlung, wenn sie auch in Freiheit das nach medizinischem Standard gebotene Mittel der Wahl wäre. 303 Dann hat auch der Gefangene auf sie Anspruch. Sie vorzuenthalten, liegt nicht im Ermessen der Anstalt.
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vgl. auch Boetticher/Stöver in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 45 f.; Sönnecken, Substitution im Strafvollzug, MedR 2004, S. 246; s. dazu auch die Berichte von Schaper und Keppler in: Jakob/Keppler/Stöver (wie Fn 271), Band 42/2, S. 22, 64. BÄK-Richtlinien, DÄBl 2002, S. A-1458/B-1240/C1163; BUB-Richtlinien, DÄBl 2003, S. B 132-135. Keppler/Knorr/Stöver (wie Fn 299), S. 202; Stöver (wie Fn 271), S. 142. HansOLG Hamburg StV 2002, 265 mit krit. Anm. Kubink; das Urteil ist zust. zitiert bei Arloth/Lückemann, StVollzG, § 3 Rn 7. So zu Recht Boetticher/Stöver, in: AK-StrVollzG, vor § 56 Rn 45.
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Diese Einschätzung, die dem Resozialisierungsauftrag wie dem Angleichungsgrundsatz gleichermaßen gerecht wird, liegt der Verwaltungsverordnung zur Substitution im Strafvollzug in Baden-Württemberg zugrunde. 304 Nach ihr ist „Drogenabhängigkeit eine behandlungsbedürftige chronische Krankheit“, Suchtmittelfreiheit zwar „oberstes Ziel der Behandlung“, Substitution aber im Rahmen eines „umfassenden Therapiekonzepts“ auf der Grundlage einer „Behandlungsvereinbarung“ zwischen Anstaltsarzt und Patient zulässig und geboten, „wenn dieses Ziel nicht unmittelbar und zeitnah erreichbar“ ist. Substitution wird hier als „präventive Maßnahme hinsichtlich der Verhinderung von Infektionskrankheiten“ gekennzeichnet, vor allem aber in ihren Nahzielsetzungen so beschrieben, dass sie „der Behandlung von Entzugserscheinungen, der Fortsetzung einer in Freiheit begonnenen Substitution, der Überbrückung von Haft (Schutz vor subkulturellem Abgleiten) bzw. der Entlassungsvorbereitung (Entlassung als Risikofaktor) dient. Die Stufen des Therapiekonzepts sind hiernach „die Sicherung des Überlebens, gesundheitliche und soziale Stabilisierung, berufliche Rehabilitation und soziale Reintegration sowie Opiatfreiheit“. Wie all das – wie das HansOLG Hamburg behauptet – mit der Vollzugszielsetzung unvereinbar sein soll, bleibt unerfindlich. Die Vollzugsmedizin ist folglich aufgerufen, das auch in Freiheit für sinnvoll Erachtete zu tun. Suchtmedizinisches Spezialistentum ist folglich gefragt, dies und das bisweilen enge Zeitfenster machen auch hier die Verzahnung mit extramuraler Medizin dringlich, die vor, während und nach der Haft zur Behandlungsqualität und -kontinuität beiträgt. Da der Konsum intravenös applizierter Rauschgifte auch bei einer „NullToleranz-Strategie“ 305 nach realistischer Einschätzung im Vollzug zwar reduzierbar, aber nicht unterdrückbar ist, wird zur Bekämpfung der hiermit verbundenen Infektionsgefahren schließlich auch in Deutschland die Ausgabe steriler Einwegspritzen diskutiert. Hierzu finden sich neben unversöhnlichen Positionen pragmatisch-moderate Zwischentöne. Nach der – freilich vereinzelt gebliebenen – Rechtsprechung besteht kein aus § 56 StVollzG herleitbarer Rechtsanspruch auf Spritzenausgabe und -austausch. 306 Sie sind aber – auch im Strafvollzug – durch die Klarstellung in § 29 Abs. 1 S. 2 BtMG nicht strafbar, also erlaubt. Während diese beiden Feststellungen nahezu unangefochten sind, ist die dritte die rechtliche Ausgangslage betreffende Aussage im Streit. So sehen einige Stimmen die Spritzenausgabe im Vollzug als einen Verstoß gegen den Resozialisierungsauftrag des § 2 S. 1 StVollzG und deshalb (auch) rechtlich als unzulässig an. Andere plädieren dafür, diesen Einwand in einer Abwägung mit den Chancen der wirksamen Infektionsbekämpfung zurückzustellen. 307 Dann kommt allerdings alles darauf an, dass 304
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S. Bad.-Württemberg. VwV d. JuM v. 1.7.2002, in: Die Justiz, S. 404; s. hierzu auch Wulf (wie Fn 91), S. 362. S. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 4; zur Illusion s. Preusker, Suchtprobleme im Strafvollzug, in: Gassmann (Hrsg.), Suchtprobleme hinter Mauern, Freiburg/i. Brg. 2002, S. 127 f. LG Berlin BeStVK 1997, S. 6 (nach Mitteilung von Boetticher/Stöver in: AKStVollzG, § 56 Rn 66 bestätigt vom KG Berlin); LG Augsburg ZfStrVo 2001, 364. Gegen Spritzenausgabe deutlich Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 4; für Spritzenausgabe engagiert Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 65 ff.; im Sinne der
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mit einem Spritzenaustauschprogramm die gesundheitlichen Gefahren nennenswert verringert werden. Ob das so ist, ist in Deutschland gleichfalls im Streit. So folgern z. B. Boetticher/Stöver 308 aus den Erfahrungen der Schweiz und zurückliegenden Projekten im deutschen Strafvollzug, dass sich eine „Verbesserung der gesundheitlichen Lage ... anhand bestimmter Parameter“ wie der „Abnahme von Spritzenabzessen“ und dem Ausbleiben neuer HIV- und Hepatitisinfektionen nachweisen lasse. Befürchtungen, der Drogengebrauch werde gesteigert oder das Personal bzw. Mitgefangene durch Spritzen bedroht, hätten sich als unbegründet erwiesen. Arloth/Lückemann 309 greifen dagegen diese „nahezu euphorische Bewertung bisheriger Praxisversuche“ unter Bezug auf Bedenken an, die die Bewertung eines Modellversuchs in Hamburg durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsens zutage gefördert haben. Hiernach soll Spritzentausch den Wiedereinstieg in den Gebrauch harter Drogen auch bei Konsumenten befördern, die sonst Haft als Schonraum hiervor gesehen hätten. Auch sei die Reduzierung des Infektionsrisikos nicht erzielt worden. Ferner sei das Verletzungsrisiko aufgrund unkontrolliert verwahrter Spritzen nicht nennenswert gemindert worden. Diese Annahmen haben in Deutschland im Verbund mit der Befürchtung, die Spritzenvergabe signalisiere eine Resignation des Vollzugs vor der vermeintlich unbezwingbaren Wirklichkeit und bedeute zudem für das auf Drogenfreiheit Bedacht nehmende Vollzugspersonal eine unzumutbare Doppelbödigkeit, zu einer weitgehenden Einstellung der Spritzenprogramme geführt. 310 Dazu haben sicher auch (kriminal-)politisch eingefärbte Motive beigetragen. Bemüht man sich um eine vorurteils- und ideologiefreie Bewertung der Spritzenaustauschprogramme unter dem hier im Vordergrund stehenden gesundheitsfürsorgerischen Blickwinkel, wird man die weitgehende Einstellung dieser Programme in Deutschland bedauern und stattdessen zu einer wissenschaftlich begleiteten und kontrollierten Fortsetzung raten müssen. 311 Die Ineffizienz dieser Strate-
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weiteren Erprobung vermittelnd Callies/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn 13 (m. w. N. zum Streitstand); Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 7 Rn 176; Walter, Strafvollzug, S. 441; Für das Wagen in „geeigneten Einzelfällen oder in abgeschlossenen Teilbereichen einer JVA“ spricht sich Körner, Betäubungsmittelgesetz, 5. Aufl., München 2001, § 29 Rn 1432 aus. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 65; s. auch die vergleichbar positive Einschätzung bei Weilandt (wie Fn 271), S. 59 ff. Arloth/Lückemann, StVollzG § 56 Rn 4 m. w. N.; skeptisch insoweit auch Laubenthal, Strafvollzug, Rn 580a. S. die Mitteilung für Hamburg und Niedersachsen in ZfStrVo 2002, S. 172. S. ferner die Mitteilungen bei Weilandt (wie Fn 271), S. 60; zur fehlenden Akzeptanz der Vollzugsbediensteten ebenda S. 62 f.; zu Spritzenaustauschprogrammen in Deutschland s. die Berichte von Heinemann u. a. in: Jacob/Keppler/Stöver (wie Fn 271), Band 42/1, S. 91 und von Keppler/Schaper, Lettau u. a., Stöver und Lang, Stark in: Jacob/Kepper/Stöver (wie Fn 271), Band 42/2, S. 31, 35, 41, 52. Ähnlich auch Laubenthal (wie Fn 271), S. 208, der zu Recht betont, dass „Uneinigkeit über den Königsweg zur Bekämpfung des Gebrauchs harter Drogen“ besteht und daher sorgfältige Abwägung der Argumente Not tut; Wulf (wie Fn 91), S. 362 glaubt für Baden-Württemberg allerdings die Notwendigkeit solcher Experimente ausschließen zu können.
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gie ist mit der skeptischen Bewertung einzelner Experimente angesichts auch gegenteiliger Einschätzungen noch nicht hinreichend erwiesen. Die Erfahrungen mit der Ausgabe von chemischen Desinfektionsmitteln („bleach“) zur Reinigung von illegal besessenen Spritzen und Injektionsnadeln ermutigen nicht dazu, die politisch und rechtlich sicher heiklere Spritzenvergabe hierdurch in der Erwartung annähernd gleicher infektionsprophylaktischer Effizienz zu ersetzen. 312 Deshalb bleibt die Spritzenausgabe unter diesen Alternativen das Mittel der Wahl. Sie als Zeichen resignativer Kapitulation aus dem Arsenal der Risikominderungsstrategien zu streichen, bedeutet nicht nur, ein sicher höheres Infektionsrisiko hinzunehmen, sondern auch, ein extra muros vom Gesetzgeber zur Erprobung eines solchen Programms ausdrücklich straffrei gestelltes Verhalten ausgerechnet dort zu unterbinden, wo ein Ausweichen in hygienisch einwandfreie Praktiken kaum möglich ist. Wenn und solange in Freiheit Spritzenausgabe praktiziert wird, gebietet es zudem der Angleichungsgrundsatz, es auch intra muros zu tun. Das Ziel der Resozialisierung legitimiert es jedenfalls nicht, die unbestreitbar berechtigte Forderung nach Abstinenz und Drogenfreiheit im Vollzug über die Realität der Krankheit zu stellen und der Gesundheitsfürsorge ein Mittel aus der Hand zu schlagen, mit dem sie das in der Regel im Vollzug schwer oder gar nicht heilbare Leiden in seinen gesundheitsgefährdenden Auswirkungen begrenzen kann. 313 Damit ist nicht einer unkontrollierten „Bedarfsdeckung“ das Wort geredet. Ein Spritzenaustauschprogramm muss kontrolliert, evaluiert und ultima ratio sein. Anonymität mag Akzeptanz und Effizienz unter den Gefangenen steigern, ist aber für Krankenbehandlung ein anfechtbares Postulat. Wer in das Programm einbezogen wird, sollte über den Sinn des Projekts, seine Chancen und seine Risiken aufgeklärt werden. Nur in solchen Grenzen dürfte es möglich sein, auch die Vollzugsbediensteten in die Strategie einzubinden und ihnen den schwierigen Spagat zwischen dem ihnen aufgetragenen Kampf gegen die Drogen und der Tolerierung des Spritzenbesitzes zu ermöglichen. 314 Psychisch Kranke Einen zweiten Brennpunkt der Vollzugsmedizin bilden psychisch Kranke im Strafvollzug. Sie gehören nach Auffassung mancher wie die Suchtkranken, die man hierzu zählen muss, in ihn eigentlich nicht hinein. 315 Dass es gleichwohl „Anzeichen dafür gibt, dass sich im Strafvollzug deutlich mehr psychisch kranke oder 312
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S. dazu auch unter Rückgriff auf Erfahrungen in der Schweiz Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 63 f.; Weilandt (wie Fn 271), S. 59. Ähnlich Laubenthal (wie Fn 271), S. 208. Anonymität wird allerdings von Boetticher/Stöver in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 65 und Weilandt (wie Fn 271), S. 62 als Bedingung der Akzeptanz durch Gefangene gesehen; zu den Vorbehalten der Bediensteten s. die Nachweise dort. Für beide Gruppen s. Wulf (wie Fn 91), S. 362, 363; Heischel, Haftverschonung aus Gesundheitsgründen gemäß § 455 StPO, ZfStrVo 1998, 40; ferner Hoffmann, Psychisch Kranke im Justizvollzug - Sicht des Anstaltsleiters, ZaeFQ 2000 (94), S. 299; s. auch Konrad, Begutachtung der Haft-, Vernehmungs- und Verhandlungsfähigkeit, in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., München 2004, S. 365.
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gestörte Menschen befinden als im psychiatrischen Maßregelvollzug“, 316 hat rechtliche wie tatsächliche Gründe. Zwar ist die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach § 455 Abs. 1 StPO „aufzuschieben, wenn der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt“. Auch kann aus demselben Grund nach § 455 Abs. 4 StPO die Vollstreckung unterbrochen werden. Aus hier nicht weiter verfolgbaren, die sehr engen Voraussetzungen negierenden Gründen wird von diesen Möglichkeiten aber nur in wenigen Fällen Gebrauch gemacht. 317 „Krankhafte seelische Störungen“, die gemäß § 20 StGB unter weiteren Voraussetzungen einer Verurteilung zur Strafe entgegenstehen können, werden bisweilen nicht erkannt oder nicht als die Schuldfähigkeit ausschließende oder hinreichend mindernde Befunde anerkannt. Deshalb geraten auch psychisch kranke Täter in den Strafvollzug. Andere erkranken in ihm. Da § 56 Abs. 1 Satz 1 StVollzG – wobei alle bisherigen Entwürfe der Sache nach bleiben – dem Strafvollzug nicht nur die Sorge für die „körperliche“, sondern ausdrücklich auch für die „geistige Gesundheit des Gefangenen“ auferlegt, muss sich die Vollzugsmedizin bei Behandlungsbedürftigkeit dieser Gefangenengruppe annehmen und ihr nach dem Angleichungsgrundsatz eine am Standard der extramuralen Medizin orientierte psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung und Betreuung bieten. Dabei ist zu bedenken, dass der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geltende sozialversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff und nicht der von den Strafgerichten zur Bestimmung der Schuldfähigkeit herangezogene zugrunde zu legen ist. 318 Welche Problematik sich hinter diesen Aussagen verbirgt, ist abermals in Deutschland im quantitativen wie qualitativen Ausmaß verlässlich nicht angebbar. Auch auf diesem Feld ist die Datenlage defizitär. Wieviele Gefangene betroffen, welchen Alters und welchen Geschlechts sie sind, ist repräsentativ ebensowenig angebbar wie die Prävalenz spezieller Störungsbilder. Foerster und Konrad beklagen auf diesem Hintergrund, dass eine sinnvolle und angemessene „Versorgungsplanung“ für psychisch Kranke im Strafvollzug ebenso wenig möglich sei, wie eine Angabe darüber, ob es eine „Zunahme psychischer Störungen bei Inhaftierten“
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So Pollähne, Besonderheiten und Schnittstellen zwischen Justiz- und Maßregelvollzug, in: Zweite Europäische Konferenz (wie Fn 111), S. 97 unter Berufung auf Konrad, Prävalenz psychischer Störungen bei Verbüßern von Ersatzfreiheitsstrafen, Recht und Psychiatrie 2004, S. 147 ff. S. Keppler, Gesundheit versus Haftunfähigkeit in: Zweite Europäische Konferenz (wie Fn 111), S. 125 ff.; Konrad (wie Fn 315), S. 364 f.; zu den rechtlichen Voraussetzungen s. Grünebaum, Psychisch Kranke im Justizvollzug – Sicht des Staatsanwalts, ZaeFQ 2000 (94), S. 292 ff; Kirschke, Geschlossener Vollzug und freies Beschäftigungsverhältnis, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 132 f. S. Arloth/Lückemann, StVollzG, § 56 Rn 5; Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 76 mit § 56 Rn 5; zur seelischen Krankheit im Sinne des Sozialversicherungsrechts s. genauer Höffler/Schöch, Die rechtliche Stellung des Psychologen im Strafvollzug, Recht und Psychiatrie, 2006, S. 3, 5; dazu – teils krit. – Konrad , Bemerkungen zur Stellung des Psychologen im Justizvollzug, Recht und Psychiatrie, 2006, S. 13.
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gebe. 319 Es wird allerdings gleichwohl aus der praktischen Kenntnis der Beteiligten, verstreuten Studien an kleineren Populationen320 und repräsentativen ausländischen Untersuchungen für zulässig erachtet, von einer hohen Prävalenz psychisch gestörter und teilweise auch psychisch schwer erkrankter Gefangener auch in Deutschland auszugehen, für die die medizinischen Einrichtungen der deutschen Justizvollzugsanstalten nicht hinreichend gerüstet seien. 321 Bezug genommen wird für die erste Aussage auf eine annähernd 23.000 Gefangene umfassende Meta-Analyse von 62 Studien aus 12 westlichen Ländern von Fazel und Danesh aus dem Jahr 2002, die trotz Nichterfassung der unter den psychischen Störungen besonders häufigen Abhängigkeitserkrankungen zu Prävalenzzahlen zwischen 5 % und 37 % gelangt. Flankierend werden eine die Zahlen bestätigende dänische Studie von Andersen und eine griechische von Fotiodou, beide aus dem Jahr 2004, benannt. Auch wenn vereinzelte deutsche Studien zum Teil abweichende Zahlen aufweisen, wird doch auf die Richtigkeit der Aussage geschlossen, dass auch im deutschen Justizvollzug von einer gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhten Prävalenz psychischer Störungen auszugehen sei, die die Gesundheitsfürsorge erheblich belaste. 322 Zu den anzutreffenden Krankheitsbildern gibt es abweichende Prävalenzzahlen. Es werden aber durchweg „spezielle Störungsbilder“ 323 als verbreitet angeführt, unter denen „Komorbidität“, d. h. gleichzeitiges Auftreten mehrerer Krankheitsbilder in einer Person, nicht selten angegeben wird. Es verwundert angesichts der beschriebenen Sucht- und Drogenproblematik im Vollzug nicht, dass in den Aufzählungen Abhängigkeitserkrankungen unter den psychischen Störungen oft an der Spitze stehen. Eine weitere Gruppe von Erkrankungen ist mit der Haft in Verbindung zu bringen. Anpassungsstörungen sind eine zentrale Diagnose in der ambulanten psychiatrischen Versorgung, während Haftpsychosen in der stationären Behandlung zu sehen sind. Auch querulatorische Entwicklungen werden berichtet. Dissoziale Persönlichkeitsstörungen, depressive Störungen, aber auch Schizophrenien werden daneben als in beachtlichem Maße prävalent angegeben. Die Haftsituation selbst liegt schließlich offenbar häufig im Verbund mit einer der benannten Störungen Selbstverletzungen bis hin zu suizidalem Geschehen im Vollzug zugrunde, 324 die psychiatrischer Behandlung bedürfen. 319
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Foerster, Psychisch Kranke im Strafvollzug, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 143; Konrad, Die Versorgungssituation psychisch Kranker im Justizvollzug, Recht und Psychiatrie 2003, S. 5. S. zu einer solchen Studie Foerster und Bisson in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 150 ff., 159 ff mit Nachweisen zu weiteren Studien in Deutschland. S. Foerster (wie Fn 319), S. 143. S. Foerster (wie Fn 319), S. 145 ff. mit Nachweisen zu den hier angeführten Untersuchungen. Konrad, Psychiatrische Probleme im Justizvollzug, in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. München 2004, S. 376 ff.; ders., Psychisch Kranke im Strafvollzug – Sicht des forensischen Psychiaters, ZaeFQ 2000 (94), S. 288 ff.; s. zu den folgenden Angaben auch Foerster (wie Fn 319), S. 145 ff., 151 ff. und Bisson, Statement, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 159 ff. S. dazu Konrad, in: Venzlaff/Foerster (wie Fn 323), S. 378 f.
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„Für eine adäquate und sinnvolle Betreuung einer derart hohen Zahl psychisch gestörter, teilweise psychisch sehr schwer kranker Menschen“, resümiert Foerster 2005, 325 „ist eine Justizvollzugsanstalt nicht gerüstet. Dies gilt sowohl für die Unterbringung wie für die Versorgung wie für die Beaufsichtigung und Betreuung unter personellen und materiellen Aspekten“. Nach Foerster soll dieser Negativbefund „selbst für die wenigen psychiatrischen Abteilungen innerhalb des Justizvollzugs, die in Deutschland existieren, nämlich in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Sachsen“ gelten, da ihnen gegenüber die Allgemeinpsychiatrie „über eine bessere personelle Ausstattung, einen höheren Ausbildungsstand des Personals und ein adäquateres Therapieangebot“ verfüge. Eine adäquate, und das kann im hier erörterten Zusammenhang nur heißen, eine dem Angleichungsgrundsatz entsprechende Versorgungslage sieht Foerster bei den „derzeit zur Verfügung stehenden Ressourcen“ nicht. Vor allem schizophrene Erkrankte hält Bisson für „in den Gefängnissen nicht adäquat psychiatrisch versorgt“. 326 Die in solchen kritischen Abbildungen sichtbar werdende mangelhafte Betreuung psychisch Kranker im Strafvollzug bedarf nicht nur aus humanitären, sondern auch aus rechtlichen Gründen der Abhilfe, da anderenfalls die Verletzung des Äquivalenzprinzips andauert. Das ist nicht hinnehmbar. Einer „großzügigen“ Handhabung des § 455 StPO das Wort zu reden, verspricht keine angemessene Abhilfe. Liegt eine Geisteskrankheit vor, die so schwer ist, dass der Verurteilte für den Behandlungsvollzug unerreichbar ist, besteht zwar die Möglichkeit des Aufschubs oder der Unterbrechung. Zum einen ist aber zu bedenken, dass in beiden Varianten „aufgeschoben“ bzw. „unterbrochen“ nicht „aufgehoben“ und die hierfür in Anspruch genommene Zeit nicht anrechenbar, das „Privileg“ also auch belastend ist. Zum anderen legen Sicherheitsaspekte eine enge Auslegung nahe, wenn mit der Krankheit zugleich Gefährlichkeit verbunden ist. Vorrangig ist deshalb an § 65 Abs. 2 StVollzG zu denken. 327 Hiernach ist dann, wenn Vollzugsanstalt oder Anstaltskrankenhaus zur Erkennung oder Behandlung der Krankheit nicht hinreichend in der Lage sind, der Gefangene in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs zu bringen. Verstünden sich Anstaltsärzte dazu, angesichts der beschriebenen Defizite in der psychiatrischen Versorgung die Nichtbehandelbarkeit „großzügig“ zu bejahen, könnte hierdurch eine angemessene Behandlung extra muros erreicht werden, die dann, wenn man nicht zugleich die Vollstreckung unterbricht, auch im Hinblick auf die Strafverbüßung für den Gefangenen mit keinem Nachteil verbunden wäre. Dieser Weg ist grundsätzlich zu empfehlen. Die dann den Vollzug allerdings weiter belastenden Kosten, die unter Umständen notwendige Bewachung und die Vorbehalte von Einrichtungen der Allgemeinpsychiatrie, Gefangene auf325
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Foerster (wie Fn 319), S. 143 f., der sich hierfür auch auf Frottier u. a., Die letzte psychiatrische Anstalt, Recht und Psychiatrie 2000, S. 162 ff., Hoffmann (wie Fn 315) und Konrad/Missioni, Psychiatrische Behandlung von Gefangenen in allgemeinpsychiatrischen Einrichtungen am Beispiel von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, Psychiatrische Praxis 2001, S. 35 ff. beruft. Bisson (wie Fn 323), S. 166. Zutr. Grünebaum (wie Fn 317), S. 293; s. zur verfassungsrechtlich begründbaren Pflicht hierzu BVerfG NStZ 1996, 614; skeptisch aus der Sicht der Praxis Konrad (wie Fn 318), S. 15.
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zunehmen, tragen neben der denkbarer Weise unter den Anstaltsärzten auch nur gering ausgeprägten Neigung, die (eigene) Behandlungsinkompetenz einzuräumen, dazu bei, dass von solchen Möglichkeiten in der Praxis bislang nur wenig Gebrauch gemacht wird. 328 Reicht der Sicherheitsstandard einer psychiatrischen (Landes-)Klinik nicht aus, ist auch an die Inanspruchnahme einer Einrichtung des Maßregelvollzugs zu denken. Angesichts dessen Auslastung ist allerdings auch dessen Bereitschaft zur „Amtshilfe“ offenbar eher gering. Schöch hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, de lege ferenda „die Durchlässigkeit zwischen Strafvollzug und psychiatrischem Krankenhaus jedenfalls soweit zu lockern, dass psychisch Erkrankte ... in ein forensisch-psychiatrisches Krankenhaus mit den entsprechenden Sicherheitseinrichtungen überwiesen werden können, wenn die Resozialisierung des Täters dadurch besser gefördert werden“ könnte. Das verdient sicherlich Beifall. 329 Neben der stationären „Auslagerung“ der Behandlung ist namentlich im hier betrachteten Sektor der psychischen Erkrankungen von der Möglichkeit der Heranziehung externer Fachdienste Gebrauch zu machen. Psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung ist schon von der Ausbildung her den meisten Anstaltsärzten nicht möglich. Für solche Fälle sieht die Ausführungsbestimmung zu § 58 StVollzG vor, dass der Anstaltsarzt „einen anderen Arzt oder Facharzt“ hinzuzieht. „Übersteigen die fachspezifischen Erfordernisse die innervollzuglichen Behandlungsmöglichkeiten, so ist“ nach dem OLG Karlsruhe 330 „die Teilnahme an geeigneten externen Behandlungskonzepten durch finanzielle, organisatorische und begleitende Maßnahmen (z. B. durch Ausführung) sicherzustellen“. Dazu eignen sich Kooperationsmodelle, die zwischen Justizvollzugsanstalten und psychiatrischen Kliniken bestehen. Aus einem solchen Modell berichtet Foerster, dass im Regelvollzug Bedarf nach psychiatrischer Mitbetreuung besteht und sinnvoll durch konsiliarische Tätigkeit psychiatrischer Fachärzte abgedeckt werden kann. Schnellere Diagnostik und adäquatere Behandlung werden hierdurch möglich und bestätigen, „dass auch eine ambulante Psychotherapie im Rahmen des Regelvoll328 329
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S. Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG, vor § 56 Rn 75. Schöch, Schlussbemerkung, in: Hillenkamp/Tag (wie Fn 1), S. 274 unter Verwahrung gegen eine umgekehrte Durchlässigkeit im Sinne einer Aufnahmemöglichkeit nicht therapierbarer Maßregelvollzugspatienten in den Strafvollzug, die auch das Bundesverfassungsgericht (NJW 1995, 772) ablehnt; zu diesem Fragenkreis s. auch Boetticher/Stöver, in: AK-StVollzG vor § 56 Rn 75; Pollähne (wie Fn 316), S. 98 hält eine Verlegung in den Maßnahmevollzug de lege lata dort für möglich, „wo anderenfalls aus Sicherheitsgründen ... eine allgemein psychiatrische Behandlung ausscheiden müsste“; nach dem am 27.04.2007 vom Bundestag angenommenen Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (s. BR-Ds 318/07) ist durch eine Änderung des § 67a Abs. 2 StGB die Möglichkeit einer Überweisung vom Strafvollzug in den psychiatrischen Maßregelvollzug vor Beginn der Sicherungsverwahrung eröffnet worden (s. dazu BT-Ds 16/1110, S. 11). S. auch Konrad, Zusammenarbeit im Strafvollzug und Maßregelvollzug, in: Gassmann (Hrsg.), Suchtprobleme (wie Fn 305), S. 101 ff. OLG Karlsruhe NStZ 1998, 638; zur zurückhaltenden Praxis s. Konrad (wie Fn 318), S. 15.
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zugs sinnvoll und mit guten Ergebnissen durchgeführt werden kann“. Foerster wünscht sich eine „obligate Etablierung“ regelmäßig verfügbarer psychotherapeutisch-psychiatrischer Betreuung und verspricht sich hiervon nicht nur Symptomverbesserung, sondern auch effiziente Suizidprophylaxe. 331 Allgemein gilt schließlich – vorbehaltlich einer validen Bestätigung durch in Deutschland dringendst notwendige Datenerhebung – auch hier, dass Abhilfe auch von einer besseren Ausbildung und Schulung der beteiligten Fachkräfte im Vollzug abhängt. Der Anstaltsarzt und seine Helfer müssen in die Lage versetzt werden, Störungsverhalten und Auffälligkeiten als Symptome zugrunde liegender psychischer Erkrankungen zu erkennen. Nur dann kann der Weg in die fachkundige Behandlung geebnet werden. Anderenfalls bleibt die Gefahr, dass die Krankheit nur als „Sicherheitsproblem“ gesehen und der schwierige und lästige Störer mit Psychopharmaka sediert wird. Vor solchen Praktiken muss man selbst den Vollzugspsychiater warnen. Denn er verriete das Primat der Medizin, „wenn er psychopharmakologische oder andere ärztliche Maßnahmen ohne primäre ärztliche Indikation durchführt, um einen reibungslosen Ablauf von Strafverfahren und -vollzug zu gewährleisten“. 332 Betriebliche Gesundheitsförderung im Vollzug Dass „Knast“ krank macht oder doch krank machen kann, ist nicht nur eine Erfahrung der Gefangenen, sondern auch der im Vollzug Beschäftigten. Das ist zunehmend erkannt und unter der Überschrift „Betriebliche Gesundheitsförderung im Vollzug“ thematisiert. 333 Gesundheitsgefahren ergeben sich erstens aus dem Kontakt mit den Gefangenen. Hier können sich Gefährdungen aus tätlichen Übergriffen und ihren physischen wie psychischen Folgen einstellen. Ferner ist das Risiko, durch einen Gefangenen oder seine zum Drogenkonsum benutzten Utensilien mit einer infektiösen Erkrankung angesteckt zu werden, zu bedenken. Dazu sind schwer verarbeitbare Konfrontationen mit Selbstverletzung und Suizid anzuführen. Als Zweites werden auch auf der Seite der Vollzugsbediensteten Verhaltensmuster und Haltungen benannt, die auf ungesunde Lebensführung bis hin zu Suchterkrankungen wie namentlich Alkoholabhängigkeiten deuten und die die mit ihnen verbundenen Probleme und Schädigungen hervorrufen. Als Drittes werden „Überbelegung der Anstalten, Personalmangel, Überstundenberge, schwierige Gefangenenklientel .., unzureichender Arbeits- und Gesundheitsschutz und nicht mehr zeitgemäße Führungsstrukturen, die durch Prinzipien wie Misstrauen, Kontrolle und Angst“ bestimmt sind, als Aspekte benannt, „die den beruflichen Alltag 331 332 333
Foerster (wie Fn 319), S. 152 f. Konrad, ZaeFQ 2000 (94), S. 288. S. Bögemann, Betriebliche Gesundheitsförderung im Justizvollzug, in: Erste Europäische Konferenz (wie Fn 80), S. 78 ff.; dort – S. 116 ff. – auch ein Arbeitsgruppenbericht zu diesem Thema; s. ferner Stöver, Von der Gesundheitsförderung zur Gesundheitsfürsorge in Haft, in: Erste Europäische Konferenz (wie Fn 80), S. 22, 39; Stöver, Europäische Perspektiven der Gesundheitsförderung in Haft, in: Zweite Europäische Konferenz (wie Fn 111), S. 28; zusammenfassend s. auch Boetticher/Stöver, in: AKStVollzG, vor § 56 Rn 14-16; Wulf (wie Fn 91), S. 364 f.
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in der JVA prägen“ und zu hohen Krankenständen und einer Zunahme vorzeitiger Pensionierungen (von immer jüngeren Bediensteten) aufgrund psychischer Ursachen wie dem Burn-out-Syndrom, „innerer Kündigung“ oder traumatischer Störungen führen. 334 Auch wenn diese Phänomene bislang weniger ausgeprägt als die zuvor benannten im Fokus der intramuralen Medizin stehen, kann man sie doch angesichts ihrer das gesundheitsrelevante „Gesamtklima“ des Vollzugs maßgeblich mitbeeinflussenden Bedeutung als einen ihrer „Brennpunkte“ bezeichnen, der für- und vorsorglicher Maßnahmen bedarf. Dazu gehören sicher Krisenintervention und psychosoziale Beratung bei „besonderen Vorkommnissen“ wie tätlichen Übergriffen auf Bedienstete oder der Begegnung mit suizidalem Geschehen. Ferner ist umfassende Aufklärung über die tatsächlichen Infektionsrisiken und -wege verbunden mit einer Schulung in professioneller Prävention unabdingbar, um irrationale Ängste zu nehmen und die Bediensteten zu befähigen, den rational begründbaren durch überlegte Vorsicht zu begegnen. Substitutions- und Spritzenaustauschprogramme sind – wo sie geschehen – dem Personal in Zielsetzung und Grenzen so zu vermitteln, dass ihnen die Mitwirkung hieran auch „vom Kopf her“ ermöglicht wird. Solche gezielten und unmittelbaren Hilfen sind in umfassende Konzepte der Sucht-, Krisen- und Stressberatung und -bewältigung einzubeziehen, die auch jenseits aktueller Geschehnisse den Bediensteten ein individuelles Gesundheitsmanagement unter den Bedingungen des Vollzugs ermöglichen. 335 In Deutschland gilt insoweit die Arbeit des seit 2001 in Niedersachsen eingerichteten „Gesundheitszentrums für den niedersächsischen Justizvollzug“ als vorbildlich, 336 das von Bögemann in seiner Entstehung, seiner Arbeits- und Wirkweise und den von ihm verfolgten Zielsetzungen näher beschrieben ist. Es macht sich zur Aufgabe, die Gesundheitsförderung im Landesjustizvollzug durch ein landesweites „Multiplikatorennetzwerk“ in die einzelnen Justizvollzugseinrichtungen hineinzutragen. 337
Ausblick – medizinische Forschung mit Gefangenen Nur wenig ist für die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug von gleichem Gewicht wie die Einsicht, dass der Vollzug einer Freiheitsstrafe die für dessen Zielsetzungen und störungsfreien Verlauf notwendigen Beschränkungen der Freiheit erlaubt, Beschränkungen im Übrigen aber nur legitimiert, soweit sie mit dem Vollzug unvermeidlich verbunden sind. Hieraus folgt für die medizinische Versorgung der Gefangenen, dass ihnen zur Wiederherstellung und Erhaltung ihrer körperlichen wie geistigen Gesundheit im Grundsatz ein den allgemeinen Lebensverhältnissen in Freiheit entsprechender Behandlungsstandard zusteht. Eintrübungen dieser Ä334 335 336 337
Bögemann (wie Fn 333), S. 79. S. die detaillierten Maßnahmenkataloge bei Bögemann (wie Fn 333), S. 81 ff., 117 f. S. dazu die Bewertung bei Wulf (wie Fn 91), S. 364 f. Bögemann (wie Fn 333), S. 79 ff.; zu den bisherigen Multiplikatoren s. S. 88.
Intramurale Medizin in Deutschland
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quivalenzgarantie folgen zwar in der Praxis auch aus dem allgemeinen Leiden des Vollzugs unter Finanz-, Ressourcen- und Personalknappheit, sind hierdurch rechtlich aber kaum zu legitimieren. Richtschnur einer jeden Vollzugspolitik muss es sein, mittelalterliches Denken über „peinliches“, und das heißt körperlich beeinträchtigendes, Strafen nicht über die Hintertür defizitärer Gesundheitsfürsorge in den Freiheitsvollzug zurückkehren zu lassen und folglich dafür Sorge zu tragen, dass die intramurale Medizin mit der extramuralen Schritt halten kann. Dass Angleichung gleichwohl nicht durchgehend Gleichheit bedeutet, ist an Beispielen gezeigt worden. Freie Arztwahl kann es nicht geben. Ein Spritzenaustauschprogramm müsste unterbleiben, wenn es – was hier allerdings bestritten wird – dem Resozialisierungsauftrag des Vollzugs widerspräche. Angleichung an die allgemeinen Lebensverhältnisse ist nur „soweit als möglich“, und das heißt auch nur soweit rechtlich zulässig, erlaubt. Unter diesem Blickwinkel sei das Augenmerk abschließend auf eine Frage gelenkt, die aufzuwerfen in Deutschland unter der Last der Geschichte nicht einfach, unter der Herrschaft einer mehr als fragwürdigen gesetzgeberischen Antwort aber notwendig ist: Es ist die Frage medizinischer Forschung mit und an Gefangenen. Hier gibt § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 des deutschen Arzneimittelgesetzes (AMG) eine rigide Antwort: Klinische Prüfungen eines Arzneimittels – der praktisch bedeutsamste Fall – dürfen „beim Menschen nur durchgeführt werden, wenn und solange ... die betroffene Person nicht auf gerichtliche oder behördliche Anordnung in einer Anstalt untergebracht ist“. Das gilt nicht nur für die fremdnützige Forschung, sondern nach § 41 Abs. 1 AMG auch für die klinische Prüfung eines Arzneimittels, das zu der Behandlung der Krankheit angewendet werden soll, an der der Proband leidet, und zwar selbst dann, wenn die Anwendung des zu prüfenden, also noch nicht zugelassenen Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt ist, um das Leben des Patienten zu retten, seine Gesundheit wieder herzustellen oder sein Leiden zu mindern oder der Proband zu der Gruppe von Patienten gehört, die an der gleichen Krankheit leidet wie er selbst. M. a. w. ist der Gefangene nach deutschem Recht selbst von dem hier beschriebenen Heilversuch ausgeschlossen. Was das konkret heißen kann, zeigt sich an dem gerade in diesen Tagen in Deutschland politisch besonders lebhaft umstrittenen Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger. Dieses vom Bundesministerium für Gesundheit, den Bundesländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen sowie sieben deutschen Städten gemeinsam durchgeführte und finanzierte Projekt hat das nach Vorerfahrungen in den Niederlanden und der Schweiz erwartbare Resultat erbracht, dass für eine bestimmte Gruppe Schwerstabhängiger die Heroinabgabe in Form von Diamorphin einer Substitutionsbehandlung mit Methadon signifikant überlegen ist. Deshalb gibt es den politischen Vorstoß, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Substitutionsbehandlung mit Diamorphin auch in Deutschland zu schaffen. 338 Ob er Erfolg hat, ist abzuwarten. Im hier erörterten 338
S. die Aufforderung der FDP-Fraktion an die Bundesregierung hierzu in: BT-Ds 16/3480 vom 13.12.2006; dort auch zu dem positiven Abschlussbericht zu diesem Projekt; s. zur Schweiz den Bericht von Kaufmann/Dobler/Uchtenhagen, in: Jacob/Keppler/Stöver (wie Fn 271), S. 127.
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Zusammenhang interessiert etwas anderes: Obwohl über 70 % der eingeschlossenen Probanden Erfahrungen mit dem Strafvollzug haben, ist der aktuelle Status des Gefangenen ein absolutes Ausschlusskriterium. Angesichts der ohnehin bestehenden politischen Umstrittenheit des Projekts ist an diesem von §§ 40, 41 AMG auferlegten Tabu nicht gerüttelt worden, obwohl es auf der Hand liegt, dass von diesem Versuch namentlich die profitieren könnten, die als Schwerstabhängige eine Freiheitsstrafe verbüßen. Ein solcher Ausschluss, der weitere Verelendung, Gesundheitsschädigung, ja früheren Tod bedeuten kann, ist mit dem Status des Gefangenen nicht legitimierbar und verstößt daher gegen den Angleichungsgrundsatz. Zwar mag es gute und rechtlich haltbare Gründe geben, Gefangene von fremdnütziger medizinischer Forschung auszuschließen. Dafür, ihnen auch die Teilnahme an in Freiheit möglichen Heilversuchen vorzuenthalten, denen sie sich als möglicherweise letztem Rettungsanker freiwillig unterziehen möchten, gibt es solche Gründe dagegen nicht. Deshalb ist den wenigen Stimmen beizupflichten, die den gesetzlichen Ausschluss Gefangener aus Heilversuchen als „unethisch“ 339 qualifizieren und nach gesetzlicher Remedur rufen. Schon zuvor könnte man sich freilich in Deutschland mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts über das Verbot hinwegsetzen, wenn man es – wie es richtig sein dürfte – als einen „unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte heilungsbedürftiger Gefangener aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz für verfassungswidrig“ erklärt. 340
339 340
So Pont/Wool (wie Fn 169), S. 45. So mit Amelung, Die Einwilligung des Unfreien, ZStW 95 (1993), S. 29 einer der besten Kenner dieser Materie; zust. Kirschke, Versorgung (wie Fn 63), S. 147; beide Autoren rechtfertigen das Verbot der Beteiligung an fremdnütziger Forschung (Amelung aaO, S. 17; Kirschke aaO, S. 151). Die teilweise Fortführung des Projekts in Deutschland trotz zweifelhafter Rechtslage nach Genehmigung durch die Opiatstelle im Bundesinstitut für Arzneimittel sollte eine Justizvollzugsanstalt einmal zum Anlass nehmen, einen entsprechenden Antrag auf Teilnahme an dem Projekt zu stellen. Effizienz und medizinische Sicherheit können als erwiesen gelten.
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The Right to Health Care in the Italian Constitution and Prison Law.........163 Prevention as the First Duty...........................................................................165 The Recent (1999) Reorganisation of the Prison Health System ...................168 The New Prison Rules .......................................................................................170 The Current Organisation of Health care System in Prisons ........................171 Health System and Classification of Prisons .................................................171 The staff of the penitentiary health service....................................................173 The management or governing level .........................................................174 The operating level....................................................................................175 Professionals ........................................................................................175 Staff doctor...........................................................................................175 Appointed doctor..................................................................................175 Temporary appointed doctor ................................................................176 The so-called “billing doctor” ..............................................................177 On-duty doctor or complementary service doctor (SIAS)....................177 Specialist ..............................................................................................177 Nurse ....................................................................................................178 Drugs supply..................................................................................................178 The Health care needs in prison.....................................................................179 Medical check upon admission......................................................................179 Medical confidentiality ..................................................................................180 Informed consent ...........................................................................................181 Psychological Patients in the Penal System .....................................................182 Mental disease in prison ................................................................................182 Medical specialists: psychiatrist and psychologist.........................................183 Psychiatric observation divisions and units for mentally disabled persons ...183 Mental disease outside of prisons ..................................................................184 Medical Supply in the Penal System for Women............................................185 Women in prison............................................................................................185
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Mothers and children in prison ...................................................................... 186 Health of women and babies in prison ...................................................... 187 Giving birth ............................................................................................... 188 Medical specialists......................................................................................... 188 Risks of Infection and Addiction in the Penal System.................................... 190 Addictions...................................................................................................... 191 Drug-addiction .......................................................................................... 191 Treatment of drug-addiction in prison....................................................... 191 A drug-addict’s alternatives to prison ....................................................... 192 Mitigated custody prisons ......................................................................... 193 Alcohol addiction ...................................................................................... 193 Transmissible diseases................................................................................... 193 HIV in prisons: critical aspects ................................................................. 194 HIV treatment and care in prisons............................................................. 195 Tuberculosis in prison ............................................................................... 195 Hepatitis .................................................................................................... 196 Coercion Treatment in the Penal System ........................................................ 197 Solitary confinement in prison....................................................................... 197 Section 41bis ................................................................................................. 198 Criminal Risks for the Institute Physician ...................................................... 199 Suicide and self-destructive behaviour in prison ........................................... 199 The Newly-arrived service ........................................................................ 200 Hunger strikes................................................................................................ 201
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The Right to Health Care in the Italian Constitution and Prison Law The right to health care has a constitutional standing in the Italian Law. Article 32 of the Constitution states: “The Republic safeguards the right to health care as a fundamental human right and an interest for the whole community, while granting treatment free of charge to the poor”. The right to health care emerges not only as access to welfare services, but as a supreme value, related to an individual’s psycho-physical integrity. In principle, people deprived of their liberty do not loose their fundamental rights. Therefore they are entitled to health care services equivalent to those available for the population at large. This principle can firstly be found in article 2 of the Italian Constitution that safeguards and guarantees the fundamental rights of the person as a human being irrespective of the context where he/she is even temporarily located and where his/her personality is expressed (a custodial establishment in the case of detainees) as well as irrespective of his/her legal status (citizen, non-citizen regularly present in the territory, denizen, irregularly present foreigner in the territory). The same principle can be also found in article 3 of the Constitution that establishes the more general principle of equivalence. The detainee’s entitlement to health care services equivalent to those available for the population at large is also affirmed by article 1 of the Prison Law (L. 354/1975, hereinafter PL) and is explicitly enforced by article 1(1) of the Legislative decree on Reorganisation of Health care Services in Prison (D.l. 230/1999, hereinafter RHS), 1 whereby detainees and inmates are entitled to health care services “in conditions comparable to those enjoyed by the population at large”, in terms of prevention, diagnosis, treatment, rehabilitation and health care. However this well proclaimed principle encounters economic and managerial problems that often water down its effectiveness. In relation to economic problems, it is worth mentioning that the Constitutional Court after acknowledging that provision of health care in custodial institutions is actually influenced by the financial resources’ allocation, ruled that in any case “the Nation’s economic priorities should not become such, as to encroach upon the unalienable right to health care guaranteed by the Constitution as an inviolable aspect of human dignity”. 2 However a ‘managerial’ necessity is often likely to weaken the effectiveness of the proclaimed principle. This necessity is called “security”. Security concerns “may actually limit the enjoyment of the above right, first of all with reference to 1
2
Legislative decree on “Reorganisation of Health care Services in Prison” based upon Article 5 of Law 419/1998 delegating the government to issue a decree on the matter. “The right to health is subject to the conditions that lawmakers encounter in allocating the financial resources at their disposal. However the Nation’s economic priorities should not become such as to encroach upon the unalienable right to health care guaranteed by the Constitution as an inviolable aspect of human dignity” [Constitutional Court, Ruling n. 309/1999].
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the possibility for a prisoner to choose an outside health care Centre, that shall be selected by the Prison Administration or the Court in its stead, on the basis of the security needs and the suitability of the prison health service to treat the case at hand”. 3 Consequently, the main problem consists in imposing limitations on strict security requirements whenever they could encroach upon the right to health care that is enshrined as a supreme value in the light of the centrality of the human being in the Italian Law. Moreover any adopted security measure should always comply with the specific Constitutional principle that any penal sanction should have a rehabilitative function and never degenerate into an inhuman or degrading punishment. 4 As we try to strike a balance between these supposedly conflicting interests – security and protection of the right to health care – a ruling of the Italian Constitutional Court comes to our aid, establishing that there exists an essential nucleus of fundamental human rights – including the right to health care – that cannot be encroached upon, even by the security requirements of the prison system. The Constitutional principle concerning the finality and the function of any penal sanction was effectively fulfilled only in 1975, by the adoption of the first thorough Prison Law of the Republic (the already mentioned PL). The law governing health care in prison had been enacted five years before. 5 it had established this service as a specialised medical sector, separate from the health care services offered to the population at large. After the enactment of the PL these services were re-organised, but they did not change their legal connotation: health care in prison remained a separate service under the responsibility of the Ministry of Justice (and not under the Ministry of Health) until 1999. This prolonged distinction between health services in and out of prison originates from the fact that both Prison Law and Law on Health Services in Prison were passed before the Law that re-defined and re-organised the National Health Service in 1978 (hereinafter NHS). In the 21 years that followed the establishment of the NHS, which is until 1999, the regulations of national health care services offered to the population at large, have undergone at times, profound modifications. 6 By contrast, the separation between the general right of all citizens to health care and an independent prison health care system remained unchanged until the decree 230/1999 was passed.
3 4
5 6
Ruotolo, 2003, p. 141. Article 27 (3) of the Italian Constitution and article 3 of the European Convention for the protection of Human Rights and Fundamental Freedoms. Law 740/1970. Mention should be made to Law 502/1990 and Legislative Decree 299/1999 for the importance of the introduced modifications, their functional and organisational effects and their consequences on the personnel in charge. Law 502/1990 introduced the transformation of Local Health Units (ASLs) into actual enterprises and gave the Regions more operating opportunities. Legislative Decree 229/1999 enhanced territorial integration, while attributing a key role to health clusters that have not only medical, but also social competencies.
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This was a peculiarity of the prison system: other independent health care systems – for the military and law enforcement bodies – were gradually integrated with the NHS, with a view to achieving a single national health system. On the contrary, all the laws and by-laws on prisons passed during these 21 years, limited themselves to general declarations and hopes that the prison health care system should be integrated with the NHS, without adopting any effective action plan for such a purpose. The prison health care remained an “independent and special service” rendered by the State through the Prison Administration and many operators (prison doctors as well as security staff) strongly defended this separation. The presumption of specialty was justified by the security requirements of prisons and the specialised nature of prison medicine, both in terms of the need for multi-disciplinary knowledge and the instrumentality of health perceived as a functional good for prison treatment. The intrinsic specialty of prison health care was therefore justified not only by the balance between the interests in security and the right to health care, but also because the medical function in prisons, not limiting itself to a simple technical application, requires a specialised approach and a deep knowledge of the psychodynamic aspects of detained people, in so involving mastery of psychological and criminological notions. 7 Therefore, “specialty” should stand for the “specific tasks” entrusted to prison health care personnel to safeguard the health of a portion of the population having many peculiarities: first, having a number of health problems and, second, being temporarily held in custody, in an environment that is itself a carrier of diseases. However, the speciality of this branch of medicine shouldn’t imply a different legal status of the health care personnel; it shouldn’t necessarily mean their rigid categorisation, nor in particular a derogation from the above general principles ruling the safeguard of the right to well being of all the persons. Over all it should not imply a sector which is part of the Prison Administration with serious risks for the prison doctors not to be seen by the inmates as independent professionals. The acknowledgment of the specificity of the task without constituting a special system is at the basis of the reform in this area passed in 1999. The new provisions are highlighted in the paragraphs below. Prevention as the First Duty The briefly above-mentioned references to the Constitution and the Law lead us to describe the prison health care system as a special and restricted branch that has been structured around a mixed care model over time. This model is mainly of an out-patient type, though some aspects are similar to a hospital-type system.
7
Some elements confirm this specificity: in prison the number of people committing suicide is 17 times that of people in the community. Moreover 29.7% of detainees are drug-addicts or drug-users (while out of the prison the percentage is 2.1%) and 19.8% of detainees have mental disturbs.
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When examining the preventive health measures to safeguard the prisoners’ well being formally recognised by the Italian law, we have firstly to make a distinction between the general measures of legal preventive protection and the actual measures towards the administration of the due treatment required by a specific case. With regard to preventive health measures, reference should be made to the provisions of PL concerning the building requirements for prison establishments which should ensure a separation between living-rooms and sleeping spaces 8 as well as to the provisions intended to safeguard prisoners’ health by removing the causes that may generate an unhealthy environment, such as the provisions concerning clothes, bedding and items for personal hygiene each prisoner receives, 9 the use of toilets 10 the dietary needs and distribution of meals, 11 the access to a minimum of two-hour open air exercise 12 and the compulsory medical examinations, at least twice a year, conducted by doctors – after 1999 carried out by local units (ASL) of the NHS. 13 The general medical examination upon admission at a custodial establishment is compulsory for all prisoners and it is regularly followed up “independently of the prisoners’ requests”. 14 Routinely medical checks are also performed for prison staff. As previously mentioned, in addition to the preventive health measures, there exists a series of provisions aimed at ensuring the therapeutic treatment required by the personal condition of any single detainee. Article 11 PL establishes that each prison should be equipped with a “health care service and a pharmaceutical service 15 that meet detainees’ and inmates’ preventive and health care needs and have at least a specialist in psychiatry”. At the same time, however, prisoners and detainees may be transferred, upon a doctor’s decision implemented by a disposition of the judge of surveillance (or by the investigating judge in case of detainees awaiting trial), to outside hospitals or health care Centres, if the required treatments or diagnostic tests cannot be provided in 8 9 10 11 12 13 14
15
Articles 5 and 6 PL. Article 7 PL. Article 8 PL. Article 9 PL. Article 10 PL. Articles 11(12) and 11(13) PL. Article 11(5) PL. The Court of Cassation ruled on 14 June 1993 that medical examinations and the relevant samples taken for diagnostic purposes from detainees and inmates are an administrative control activity legitimated by Article 11 PL. Consequently the safeguards provided by the Criminal Procedure Code (consent, presence of a doctor of the person’s choice etc.) do not apply. “Medical service” and “Pharmaceutical service” refer, according to the Ministry of Justice, to “the set-up in each, even small-sized establishment of a service that has a pharmaceutical cabinet, a nurse, diagnostic and clinical equipment, and the continuous presence of a physician, while bigger establishments should be equipped with health care structures and personnel 24 hours a day. Therapeutic Diagnostic Centres are allocated in some main establishments”.
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the prison. 16 Prisoners may require to consult a doctor of their own choice at their expense. 17 Special attention is attached to health care measures for mothers and their children under three years of age, who are allowed to stay in prison with their mother. 18 With regard to jurisdictional measures – i.e. the right to require the above health care services during detention on remand – it should be observed that lawmakers have not reviewed this matter, while leaving it to the discretionary power of the relevant judicial or administrative authority. It has to be borne in mind that as these rights are defined as rights of “full application”, they should be safeguarded exactly as they are for the population at large. However, a consistent jurisprudence affirms that the actual legal protection of prisoners’ rights recognised by law is entrusted to the judge of surveillance, due to the specific nature of the norms from which they derive. Consequently, a decision of the judge of surveillance denying external hospitalisation is an administrative act that cannot be judicially appealed and only a complaint before the same judge who imposed the refusal can be lodged. The same applies to the refusal to authorise prisoners to consult their family doctor or a prisoner’s mother to take her son/daughter to hospital. The present situation originates from the archaic vision whereby the Prison Law is a special Act in which even the protection of some fundamental (and theoretically uninfringeable) rights can be derogated. Such an interpretation is in clear contrast with the above-mentioned constitutional principles as well as with the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedom. With regard to extrajudicial control measures, mention should be made to the work of the European Committee for the Prevention of Torture of the Council of Europe. The Committee visited Italian custodial establishments in 1998, 2000 and 2004, and drew up reports containing remarks, recommendations and requests for clarifications, also in relation to prison health care. By contrast, the Italian legal system does not contemplate independent watchdogs with the power to carry out unannounced visits to the establishments and issue recommendations 19 aimed at improving the custodial conditions in prisons or at preventing critical situations in the health care area. 16
17
18 19
Article 11(2) PL. In principle, it can be stated that “the Prison Administration may resort to the collaboration of public local health services, hospitals and extra-hospital services in agreement with the Region and the guidelines of the Ministry of Health to set up and operate health care services”. This provision was introduced by the 1999 Legislative decree on the Reorganisation of Health care Services in Prison. Article11 (11) PL. People detained on remand and waiting for the first instance sentence shall be authorised by the relevant prosecutor. Articles 11(8) and 11(9) PL. The only independent authority that can visit with the powers of the ombudsman is the Committee for the Prevention of Torture. The Committee’s general opinion on prison health care in Italy is not positive (all the CPT Reports on its visits to Italy are in the public domain and can be consulted at the webpage www.cpt.coe.int).
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A bill is under scrutiny by the Italian Parliament concerning the establishment of a national monitoring mechanism, having the authority to visit places of deprivation of liberty, to make recommendations and to provide suggestions in order to align the system to the Constitutional and legal provisions.
The Recent (1999) Reorganisation of the Prison Health System As already said, the prison health care system was reformed by the Legislative decree 230/1999 (RHS). Basing upon the principle set up by article 33 of the Constitution, the decree establishes the transfer of the health care personnel and the resources of the Department of the Prison Administration (DAP) to the NHS. More in detail, RHS provides the “transfer to the NHS of the functions currently performed by the Prison Administration, only referred to the area of preventing illnesses and diseases and to the area of assisting drug addicted detainees” since January 1st 2000. Moreover experimentation of the transfer of the remaining functions is provided in six Regions. This experimentation was expected to end in November 2002; the outcome of the experimentation was intended to be the basis for the global transfer of competence on the matter to NHS all over the national territory. However, deadlines were not complied with, due to lack of political determination in pursuing the affirmed objective. While the transfer of competence about preventive health measures and about diagnosis and therapy of drug addictions was effectively implemented, the actual implementation of other parts of the decree, concerning health care services in prison, was very poor. Only in recent times – during the last few months – the effective implementation of the decree, issued more than six years ago, is actually considered as a priority in order to ensure a homogeneous system over the national territory. RHS foresees a gradual asset of competence among various subjects who interact, with different competencies, in supplying medical services in prison. The distribution is as follows:
• The Ministry of Health shall exercise functions of overall policy, planning and coordination of the NHS even in the penitentiary institutions.
• The Regions exercise functions of organisations, programming, financial and management control and evaluation.
• The Local health Units (ASLs) are entrusted with the effective management and control of health services in the Institutes belonging to their territory. The general director of each ASL answers for gaps in implementing the adopted planning and for possible delays in supplying medical care in prisons. • The Prison Administration has a function of control and stimulus, as it is held to intervene to draw the attention of the ASLs, the Regional authorities and, if
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needed, the Minister of Health to possible cases of inertia. It also intervenes with substitutive services if requested by the circumstances. Prison Administration is also entrusted to comply with security requirements in each institution and in places of care external to prison where a detainee is possibly accommodated. Moreover is up to the Administration the selection of medical staff to be employed in the penitentiary system. Aimed at granting the effectiveness of the fundamental right to health care, the decree establishes some organisational tools, of which the most significant are the following:
• The so called Health Services Charter for detainees. It is drafted and adopted by each ASL, after consulting detainees’ representative organisations and nongovernmental organisations operating in the prison system and aimed at safeguarding their rights. 20 • The three year Master Plan for the safeguard of the wellbeing in prison, trough which the Minister of Health establishes goals and objectives of penitentiary health policy to be applied by the Regions, identifies specific training need of staff and gives guidelines for evaluating the quality of the service offered by each Region. • The inclusion of the prison health situation and the goals achieved in the annual report given by the Minister of Health to Parliament. • The establishment of a temporary Committee “for the monitoring and evaluation of the re-organisational face of penitentiary medicine”, tasked to overview the implementation process of the decree’s provisions and of a Study Commission, made up of senior civil servants from both the Ministries for the renewal of health care system in prison. However, as already said, the decree faced resistance from strong sectors of political power, opposing its full implementation. Therefore the current situation is still stagnant. No information about the works of the Committee is available, while only in 2002 the Commission adopted a Report and addressed it to the Health Minister, but this Report was never made public. On the results of this reform it will be possible to report when and only when its implementation will be fulfilled. So far we must limit ourselves to consider a mixed system, partially under the Minister of Health and partially under the Minister of Justice. It is a system in a transitional phase and we can only evaluate the services actually provided to detainees beside their present legal and normative connotation.
20
No official data are available about the ASLs that actually drafted and adopted the Charter. Antigone Association denounces that only a small number of ASLs did it: in Lazio Region only one ASL, out of a total of eight, fulfilled this obligation.
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The New Prison Rules An important step towards the current design of the prison system in Italy, was taken by enacting the new Prison Rules in 2000 (Presidential Decree n. 230/2000, hereinafter PR). New Prison Rules include specific regulations and legal provisions in the health care area 21 as well as a significant number of standards and rules aimed at preventing physical and psychological pathologies and improving living conditions of remand detainees and prisoners. 22 With such a view, the new decree regulates food quality and quantity, detention conditions, liveableness within the facilities, hygiene, supervision by the Judge of surveillance, and other important daily issues. While the adopted text is fully satisfactory, little has been done following its entering into force in order to achieve the improvement it envisaged. After almost seven years, the announced renovations of the facilities do not start and people in prisons are still waiting for them. In its Report on the state of PR implementation, Antigone Association (a national NGO tasked for monitoring prison conditions with the purpose of safeguarding detainees’ rights) denounced a number of deficiencies. 23 In particular:
• • • • •
89.4% cells are not equipped with showers; 24 69.3% cells are not supplied with hot water; 60% cells for women are not equipped with bidet; 12.8% inmates are accommodated in facilities having WC outside the cell; 82.6% inmates are accommodated in facilities having a kitchen for more than 200 people; 25 • 55.6% inmates are accommodated in facilities where visits by relatives in an “open” setting are not possible; • 29.3% inmates cannot switch on the light in the cell as the light switch is outside the cell;
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Articles 17-20, PR. Some articles of PR assign competence of supervision, control and prevention to health care staff in order to diminish the risk of diseases in prison. In particular: article 6 on hygienic conditions, access to fresh air and natural light; article 7 on sanitation; article 8 on person hygiene; article 23 on the admission procedure; article 73 on solitary confinement; and article 78 on disciplinary sanction and their precautionary implementation. DAP did not provide official data concerning the actual implementation of PR provisions. Antigone Association published a comprehensive Report on the matter (updated as at 20 September 2005), after visiting 55% of the existing detention institutions (207) in the Italian territory, covering the 65% of the prison population. See La mappa delle illegalità (A map of unlawfulness) Roma, 2005. PR envisage a shower box in each cell. According to PR a kitchen cannot serve more than 200 inmates.
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• 7.7% inmates are accommodate in cells where window do not allow access of direct natural light as they are screened by metal shutters. A number of these elements have relevance for the effectiveness of health protection in the Italian prisons. Therefore the implementation of PR, more than six years after their adoption and one year after the deadline for their implementation, is a matter of urgency. The present State secretary for the prisons proposed the setting up of a special Commission tasked to monitor the present state of implementation of PR. This proposal is welcome.
The Current Organisation of Health care System in Prisons Health System and Classification of Prisons We already stressed that the current regulatory framework envisages a first definition of the penitentiary health system as a special and sectorial matter which developed over time according to a model of mixed care – mainly made up of outpatient departments – whereby the care of drug-addicts is actually exclusively assigned to the NHS, while for other tasks, the prison management plays the leading role. Ad hoc agreements with Regions and competent ASLs are established in the special-care sector and in the supply of certain drugs. Therefore, the penitentiary health organisation keeps on having its peculiarities and a self and independent organisation vis-à-vis the NHS. 26 As already mentioned, according to article 11 PL, each prison must have a “medical pharmaceutical service that meet the prophylactic and care needs of prisoners and inmates”; the penitentiary health care must be organised in “cooperation with hospital and extra-hospital public health services, in agreement with the Region and according to the guidelines of the Ministry of Health”. In compliance with said rules, the presence of medical and paramedical staff is envisaged in each prison, being preliminary to the actual provision of preventive health services and currently necessary. A specific health section has been identified in the design of different sections composing the prison organisation, 27 aimed at providing adequate responses to the prisoners psychophysical health.
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Actually, despite the law by decree 230/1999 envisages the transfer of health care from the Prison Administration to the NHS, and despite the fact that the new Prison Regulation adopted in 2000 require an overall improvement of imprisonment conditions, especially as regards health care, the attempts to reform and improve the system were almost completely only empty promises. The re-organisation of prison management in a network of sections related each other was established with Circular Letter n. 3337/5787 dated 7.2.1992, issued by the DAP.
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Prisons have been subdivided into three levels in order to provide a service supply being diversified, but still as uniform as possible on the territory. 28 • I level Health Centres: made up of infirmaries located in prisons, having a medium/low capacity (up to 225 prisoners) with the “provision of professional and technical staff adequate to the average presence of prisoners”. • II level Health Centres: envisaging a permanent all-day health service “and specialised medicine in its main branches”. • III level Health Centres: Centres for diagnosis and therapy (CDT), capable of facing also highly complex medical and surgical needs. A Circular Letter in 1999, 29 in its attempt to rationalise specialised medicine within the three-level subdivision, has ordered that I level Health Centres must establish agreements with external institutions in order to be supplied with physicians specialised in Psychiatry, Cardiology, Infectiology, Surgery and Dentistry and other four specialities to be identified according to the medium-long term prevalence of diseases, health equipment, typology of users (gynaecology, paediatrics, and so on). In this regard, the specialised agreements of I level prisons are actually by far lower compared to what is envisaged in the above mentioned circular letter. A Report was produced by the DAP in 2004 on occasion of an inquiry by the Parliament on the health care in prisons. It is affirmed: “In the I level prisons, being on the bottom step of the penitentiary health organisation, there is a medical and nursing service which is operational all day long and which is very often supplemented by the SIAS physicians, i.e. an external on-duty medical unit service. There is also the possibility of a specialised agreement, which by the way only envisages four agreements for smaller prisons […]. There are 115 prisons with first level medicalpenitentiary services: there is both a nursing and a medical all-day internal care – at least at daytime – as regards the night, agreements have been drawn up with the territorial on-duty medical emergency service, and specialised agreements have also been undertaken as regards four standard medical branches”. 30
In II level Health Centres specialised agreements can be signed as regards the main branches “provided that the prison is equipped with the adequate tools and technical equipment for a useful performance and service provision”; authorisation from the DAP has to be requested for some specific medical services like Xray treatment, clinical test laboratory and kinesitherapy. Actually, according to the mentioned DAP Report in 2004 there is the following framework:
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This subdivision was confirmed with the DAP Circular Letter n. 576109/2 of 15.1.1999. DAP Circular Letter n. 576541/2 of 24.2.1999. Parliamentary Commission of Inquiry, Report from the General Director for Detainee’s treatment, DAP, 23 and 30 March 2004.
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“Then there are second level prisons, with more than 225 prisoners, in which the medical and nursing service is present 24h, with shifts on call. There is an infirmary being equipped for hospitalisations under observation, there is a multifunctional outpatient clinic and there are also physicians belonging to the main diagnostic branches with the relevant equipment. […] Second level medical and nursing services operate in 67 prisons, envisaging an internal 24 medical assistance – also with the supplementary presence of SIAS physicians – as well as a multifunctional outpatient clinic and an infirmary equipped for short hospitalisations under observation. In these second level centres, there is also the availability of the tools for the most frequent diagnostic needs: ECG, ultrasonography, radiology and endoscopies”.
III level Health Centres, defined as clinical centres for diagnosis and therapy are scattered over the national territory 31 and can meet also highly sophisticated medical and surgical needs. Special rules are established for these Centres in order to facilitate agreements with external structures. In the same Report they are described as follows: “Moreover there are third level prisons in some divisions, defined as Clinical Centres or Diagnostic-therapeutic Centres, present in six prisons, with a geographical distribution on the national territory. In these Centres it is also possible to undergo surgery: Rome, Pisa, Milano Opera, Napoli Secondigliano are the most numerous […] Moreover, there are 16 third level prisons, which we call Diagnostic-therapeutic centres, in which it is possible to provide a different service, being more complete from the medical viewpoint, and where medium medical-surgical needs can be tackled; these are small areas in which we concentrate polyspecialistic competences”.
The staff of the penitentiary health service The medical staff working in prisons is represented by a diversified number of professionals who differ according to their legal, administrative or functional incorporation as some belong to the Prison Administration while others to the NHS. The current situation of health departments in prison clearly exemplifies the lack of a synergic and global vision of the different existing professionals, in the presence, instead, of a sectorialised approach, created over time, which played and still plays an important role in producing wastes and functional gaps. A simple overview of the existing regulations suggests how this matter has actually never been subject to a systematic intervention. Instead only isolated and limited sectorial interventions have been carried out, spur by the emotional boost of uncontrollable situations rather than being motivated by the serious intent to grant prisoners the right to health care, through an efficient organisation, as established by Law. The prison management has a series of bodies or individuals operationally or hierarchically related, and decentralised to a varying degree that ensure health care services to the detained population. 31
CDTs are located in: Milano S. Vittore, Milano Opera, Torino Lo Russo e Cutugno, Genova Marassi, Parma, Pisa Don Bosco, Perugia, Roma Regina-Coeli, Napoli Secondigliano, Napoli Poggioreale, Bari, Palermo Ucciardone, Messina, Sassari, Cagliari.
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Central authorities, local superintendence, prison directions and health care staff are structured around a management or governing level and an operating level. The former divides competencies so as to make the decentralisation effective. The latter refers to the individuals who are in direct contact with the detained population. The management or governing level The National Prison Health Care Office (II Division) of the Directorate for Detainees’ Treatment of the DAP has the central responsibility, mainly administrative, of this section; it enjoys independence from other bodies of the Prison Administration and is supplied with its own staff and budget. Prison Health Operational Units are set up in every Region to offer managerial skills with a view to providing a joint and consistent response to the many problems of health care in the territory. 32 Each Unit is coordinated by an appointed doctor who is on duty for 12 hours a week at the Prison Management Regional Authority (PRAP) 33 where the Unit is located, and manages the health care activity carried out by the prisons of the region, by coordinating, planning, implementing action programmes as established by the National Office and by monitoring the results of the activities undertaken. The Units are entrusted with “the task to manage contacts with the Regional Administration with regard to the rationalisation of actions especially in the field of psychiatry, the proposals by other local superintendence to transfer and hospitalise detainees in clinical centres […] and anything else pertaining to the health care sector”. Moreover, it is explicitly stated that the Units “shall provide stimulus and support to prison directions with regard to the transfer of prevention and drugaddiction functions that was formally initiated on January 1st 2000 to competent local health units and shall control how individual prisons manage the funds devoted to the purchase of medicines”. Five years after their establishment, these operating units have certainly proved positive, in that they have reached a good level of operating efficiency, and have been the ideal place for dialogue with Municipal health departments with a view to identifying new local health needs.
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DAP Circular Letter n. 3543/5993 of 23.02.01 established the organisational design of such Units giving a picture of the “available human resources”: a prison governor (service coordinator); one or two appointed doctors; a health care worker specialised in nursing; an administrative-accounting co-worker. The doctor should be on duty 18 hours a week, but in nearly every Region (with the exception of Lombardia, Calabria and Emilia Romagna) the doctor at the head of the Prison Health Operational Unit also works in prison, therefore he shall not be present for all those hours.
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The operating level As mentioned above, the design of prison organisation includes a health care section under the responsibility of a Health manager who is a staff doctor or an appointed doctor, depending on the establishments and the personnel. Various health care providers, either belonging to the Prison Administration or not, Management carry out their functions within the section. 34 The professions formally working in the health care section are the following: staff doctors; appointed doctors; on-duty doctors; specialised doctors; professional nurses; non-specialised nurses; appointed chemists; appointed veterinarians; radiography and radiotherapy technicians; radiographers; baby-nurses; socio-health workers. Obviously all these workers are not present in each establishment and some of them cannot be incorporated as prison staff. The group of workers that can normally be found in every establishment is mainly made up of the medical and nursing personnel. The health care professionals that cannot be included in the prison staff are the following: doctors and psychologists of the Drug Rehabilitation Centre (SERT), Hospital doctors, Psychologists and other specialists under contract with penitentiary establishments, the so-called “billing” doctors, occupational doctors, and baby nurses. Professionals Staff doctor 35 They are a small minority, generally assigned to managerial roles in Forensic Psychiatric Hospitals or appointed for tasks unrelated to the prison system. Only exceptionally, they are appointed as prison health managers. Access to this position is achieved by competitions based on qualifications and tests. Appointed doctor 36 They should provide a service appropriate to the needs of every prison and comply with the provisions in force in the field of health care and the rules of their code of conduct. The reference to such rules and regulations was needed to force 34
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We may state in general that health managers, though maintaining their professional independence, can undoubtedly represent the “institutional voice” through which the prison management works in the health care section, while other prison doctors are inspired by a professional mission that is similar to the traditional mission of doctors assisting the population at large have. Royal decree n. 876 of 25.3.1923, later integrated by Royal decree n.497 of 4.4.1935 and Presidential Decree n.275 of 31.3.1971, and following amendments, established this profession. This profession was introduced by law 740/70 with the aim of defining the legal status of both employed and temporary doctors, who had since then been working in prisons and were governed by Royal Decree n. 1758 of 30.10.1924.
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individuals to keep a correct conduct, if need be, in consideration of the lack of contacts with health facilities (in which appointed doctors normally serve as public workers) and the absence of the idea of a nationwide health care system. Their work in prison is not incompatible with employments out of the prison, and they have the possibility to carry out more than one job. 37 The lack of incompatibility matches the legislative willingness to provide health care services through part-time professionals and makes up for the failure to recognise health care providers as public officials. However the characteristic of subordination that is typical of civil servants is not totally unrelated to the position of appointed doctors and other workers towards the Prison Management. The compliance with prison rules, disciplinary sanctions and the Prison Administration’s directives triggered a heated debate on the consistency of such structure. Articles 20-37 of Law 740/1970 specifically cover hypotheses and procedures to issue sanctions that range from warnings to suspensions, from dismissal to cessation of the assignment due to the suppression of the prison, service or place where the health care professional works. Appointed doctors are selected through a public competition based on qualifications and the appointment is legitimised by a Decree of the Ministry of Justice. Temporary appointed doctor 38 Because of the prolonged selection of new appointed doctors the possibility of a “temporary appointment” of doctors was established. At present there are 350 appointed doctors, who are insufficient to meet the health care demands of detainees. In fact the number of appointed doctors has remained unchanged since 1990, when there were only 30000 detainees. 39
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Article 6 of Law 296/1993 extended the impossibility to apply the limitations imposed by contracts and agreements with the NHS on all doctors working in prisons. However the compatibility between a prison doctor’s functions and other NHS services is open to question. An appointed doctor in charge of a prison’s health care service is in fact called to work in the establishment for 18 hours a week, with an average of 3 hours a day, but doctors may work half and hour one day and make up for the lost time the following days, often because they carry out other activities within the NHS. Article 50 of Law 740/1970 authorises a prison governor to temporarily employ medical staff with status and salary similar to that of appointed staff. Temporary doctors functionally perform the same tasks as appointed doctors, with the same salary (without increases according to seniority), the same prison benefits and do not have any incompatibility. Unlike appointed doctors, they do not have deductions for severance indemnity and pension, even if they work for a period that would entitle them to retirement benefits. Currently they are 43000. In June 2006 they were 61000 and the number of appointed doctors was the same.
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The so-called “billing doctor” 40 If requested by the circumstances, prison governors are allowed to employ “billing doctors”, who are paid by the hour upon presentation of invoice, and are put on the same level as appointed doctors. They are considered freelancers and their profession is compatible with others. On-duty doctor or complementary service doctor (SIAS) 41 These health care providers are freelancers paid on the basis of a pre-established salary, with no welfare and social security benefits. They are called on-duty doctors, because they offer their services when on duty, both during the day and night, and in general because they are qualified to a limited degree to deal with emergencies and first aid. In reality, they integrate the service of appointed doctors and replace them for those functions that they could not perform, given their legal assignment. Specialist 42 This service is governed by Law 740/1970 that entrusts prison directors with the right to sign special agreements. Lawmakers intended the intervention of a specialist as occasional and such as not to require the need to forge a stable relationship with the Management. Specialised health care is thus offered by freelancers who are linked to the Management by contracts that can be signed by ASLs or by a direct agreement stipulated by the Prison governor on the basis of a list of available specialists issued by the Prison Administration (DAP). While performing their activities, doctors should comply with the provisions that the prison governor and the health manager issue for the good working of the service.
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This profession was not established by the law, because its origin resides in the distribution system of appointed doctors. Part II of Law 740/1970 concerning special health care services set up (article 51 and table E) an on-duty service in seven prisons with the same working procedures as the on-duty service in public health care facilities (based on hours worked and shifts). These doctors do not enjoy prison benefits or any accident and medical protection; they do not develop seniority of service and clearly do not have any deduction for severance and retirement benefits. Part II, article 52 of Law 740/1970.
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Nurse 43 Nurses are a key health care category. Lawmaker preferred not to create subordination with the public administration, but a free relationship, entrusting the selection of health care personnel to the Prison governor. Only the 1975 PL and the subsequent PR established that nursing services should be offered by personnel employed with the title of specialised worker and head worker. In fact, a number of competitions organised by the Ministry were not entered at all. The reason for this is linked to the huge difference between nurses within and without prisons in terms of professional qualifications and especially salary. The Management’s offer was not adequate to the tasks to be carried out in penitentiary establishments, consequently staff nurses, i.e. those employed by the Ministry, were only a small minority in prisons. In order to remedy understaffing, the Management has been forced to directly employ personnel through contracts with ASLs that committed themselves to ensuring health care with their employees clearly at the expense of the DAP. Consequently, prisons see the presence of nursing staff with different classification, salary and administrative authority. Eventually, it should be observed that the number of nurses working in penitentiary establishments is not sufficient, in some facilities nurses are not present at night, as the CPT reported during its last visit. Drugs supply Law 740/1970 provided only a centralised service for drugs supply. So, for a long period after its approval the daily management of the pharmaceutical was actually handled on appointed doctors who were also tasked for such a function. During the years, the procedures for drugs supply were established and updated by a number of DAP Circular Letters. 44 The last Circular Letter – issued on February 11th 1999 – simplified the procedure, although not very significantly, by allowing prison to purchase pharmaceuticals and materials for laboratory tests without the previous consent of the National Prison Health Care Office. Prison management may buy in bulk pharmaceuticals included in the national list issued by NHS, without any exclusion. Purchases of special products not included in the list and used for serious clinical pathologies or for surgery should be approved by the central Office, following a request from the local appointed doctor. In case of urgency prisons are authorised to buy pharmaceuticals at any external pharmacy, but only within the limits of a therapeutic cycle (not exceeding 10 days of therapy; this term of 10 days may be renewed at most three times).
43 44
Article 80 PL and article 122 PR. DAP Circular Letter n. 634760/5 of 20.02.1990; DAP CL n. 565562/5 of 13.05.1998; DAP CL n. 576109/2 of 15.01.1999 and DAP CL n. 576425 of 11. 02. 1999.
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The Health care needs in prison A picture of the present need of health care in the Italian prisons was given by the DAP in a recent Conference (1st of March 2006) on the more frequent pathologies of the prison population. Figures refer to 2005 (in some cases it is reported in brackets the corresponding percentage in the external community):
• 13% of inmates have health problems (7%); • 21.6% are drug addicts (2.1%); • 20% have psychological or learning problems (in particular: 10.25% suffer for depression; 6.04% other mental pathologies; 3% neurological diseases; and 0.8% psychological deterioration); • 10.9% have liver disorders / hepatic or biliary pathologies (4.2%); • 9.1% digestive diseases (10.1%); • 20% of the 2804 women in prison have serious women diseases (cervical cancer, breast cancer etc.). At the Conference DAP representatives admitted that these figures are incomplete. Fully reliable figures on the existing pathologies are not available due to the lack of computerised medical files. 45 Medical check upon admission Medical check upon admission to prison (within 24 hours) is a right of each detainee and a duty for the prison management. Usually the medical check is carried out as soon as the appointed doctor is available, i.e. within few hours after admission. Security and administrative staff cannot attend the medical check; they must await close to the door. 46 Medical check upon admission includes a check of the undressed person as preventive measure against ill-treatment by law enforcement officers who arrested the person concerned or kept him in custody before transferring him to the prison. The anamnesis / medical history and all the other elements (in particular the on going therapies) enter into the individual medical file.
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Only few Regions adopted a computerised medical file for each detainee. In some Regions medical files are still on paper. They are allowed to enter the room only upon a request of the medical doctor. Doctors are not allowed to ask for their presence as a “preventive measure”, i. e. on the basis of the supposed dangerousness of the person concerned, before meeting him/her in private.
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Samples are taken for analysis about transmissible diseases (hepatitis B and C, HIV, tuberculosis). The person may refuse the tests: in such a case he/she cannot be employed in some specific activities. On occasion of this visit the doctor proposes to the detainee a more systematic medical screening, that it is not compulsory. The outcome of this first check enters into a special Register (the so called “Registro 99”), a sort of a daily logbook concerning this peculiar activity. This Register is in the availability of medical staff and is daily supervised by the Head of the Prison Health Operational Unit with the aim at reporting cases of possible ill-treatment suffered by the person concerned. 47 This Register has a double role: it is a preventive tool – as it is well known by law enforcement agencies that any visible injury or any allegation of ill-treatment will be reported in it; and it is a tool for possible further investigations about illtreatment as whatever is reported in it has a legal value. While form the legal standpoint this Register does meet international standards and recommendations in the area of prevention of torture and ill-treatment, CPT’s delegations visiting Italy on occasion expressed their concern about the accuracy of reporting and the attention paid by appointed doctors in a number of establishments to duly report injuries in it. 48 As regards persons having addiction problems, a service of “integrate admission service” is being established in cooperation with the SERT (territorial service for drug-addictions) and the psychological and educational team in order to achieve a more extended admission check for these specific cases. Medical confidentiality Although ruled by the Legislative Decree n. 282 of 30.07.1999, medical confidentiality in prison is not supported by a proper frame of by-laws. 49 “Register 99” is a confidential register and only doctors should have access to it. However it is ‘normal’ practice that the prison governor requests to have access to the information concerning the psychological state of a newly admitted detainee in order to take adequate security measures or even to decide his placement in one of the prison wings. Moreover the team tasked for individual prison treatment and activities usually has access to register with the purpose of evaluating possible consequences of the adopted programme on his/her health state. The team is composed on multidisciplinary professionals, but it is chaired by the prison governor. Therefore the prison governor has access to the confidential information included in the Register. 47
48 49
The Head of the Prison Health Operational Unit is under an obligation to report to the relevant authorities all the elements indicating the possibility of ill-treatment during the deprivation of liberty of the person admitted to the prison before his/her admission. The same obligation applies during his/her detention in prison. See CPT Report on the visit to Italy in 2004. Only one Circular Letter on the matter was issued by the DAP on 9.11.1999 (n. 578125/1). However even the implementation of this Circular leaves to concern.
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The current situation about medical confidentiality was source of concern for the CPT, on occasion of its visits to the Italian prisons. 50 Informed consent No official indications (Circular letters) were issued on the matter. The only consent is for an extended medical check upon admission and for test analysis. A patient’s consent is required for “invasive” diagnostic tests, such as HIV, TB and hepatitis tests. The detainee is then urged to fill in a specific form that becomes part of the medical register.
50
From the CPT Report on the 2004 visit to Italy (paragraph 11): “116. La délégation a été frappée par l’absence quasi-totale de confidentialité médicale dans l’ensemble des établissements visités. Les examens médicaux étaient généralement effectués en présence de fonctionnaires pénitentiaires, et ces derniers étaient employés comme assistants dans les unités de soins et pouvaient accéder librement aux dossiers médicaux. A la Maison d’arrêt de Civitavecchia, le Directeur de l’établissement avait coutume de consulter et de parapher tous les jours chaque dossier médical. Le CPT reconnaît que des mesures spéciales de sécurité peuvent être nécessaires pendant les examens médicaux, dans des cas particuliers, lorsque le personnel soignant perçoit une menace en matière de sécurité. Cependant, il ne saurait y avoir de justification au fait que les surveillants soient systématiquement présents lors des examens médicaux; leur présence porte préjudice à l’instauration d’une relation de confiance appropriée entre le médecin et le patient, et elle est généralement inutile du point de vue de la sécurité. D’autres solutions peuvent et doivent être trouvées pour concilier les exigences légitimes de sécurité et le principe du secret médical. Une possibilité serait d’installer un système d’appel, qui permettrait au médecin d’alerter rapidement les surveillants dans les cas exceptionnels où un détenu deviendrait agité ou menaçant au cours d’un examen médical. De plus, le CPT tient à souligner une fois encore que les dossiers médicaux des détenus doivent être conservés sous la seule responsabilité des médecins et que les surveillants ne devraient pas être employés comme assistants dans les services de soins de santé. Plus généralement, les normes et l’éthique médicales (dont le secret médical fait partie intégrante) doivent être respectées en prison, dans les mêmes conditions qu'en milieu libre”.
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Psychological Patients in the Penal System Table 1. Figures 51 Mental diseases Central Nervous System diseases Units for mentally disabled persons Psychiatric Observation Units Capacity of Psychiatric Observation Units Forensic Psychiatric Hospitals (OPGs)
6383 2915 1 10 74 6
% 6.04 2.76
Mental disease in prison According to the law, people affected by mental diseases can be put into prison: i.e. subjects judged partially incapable to understand and to will, 52 even with serious diseases in preventive detention or with pathologies set in after the sentence. If the disorder gets particularly serious, the prisoner is sent to a psychiatric observation unit, in order to assess the possibility of hospitalisation at the Forensic Psychiatric Hospital (OPG). Only subjects judged totally incapable to understand and to will (not liable) cannot be put into prison, as they cannot be charged, and assigned to a forensic psychiatric hospital, according to the relevant security measure. 53 The increase in the number of suicides and self-damaging behaviours, witnessed in the last fifteen years, shed new light on the issue of mental disorders in prisons, especially among foreigners and drug-addicts. The treatment of mental diseases in prison envisages, in many cases, the administration of psychiatric drugs often resulting in an excessive use of such drugs. In many prisons 70% of administered drugs are made up of psychiatric drugs. 54
51
52 53 54
Source: Ministry of Justice, Department of Prison Administration (DAP). Data of “Psychiatric observation units and number of places” are updated as at 10.07.2006. Data of “Mental diseases” and “Central Nervous System diseases” refer to a survey, carried out by the DAP between 01.01.2004 and 30.09.2005, on all mental diseases, except for depression, for which 105752 forms have been filled in. See paragraph 4.4. of this Report. Articles 89 and 219 of the Penal Code. Articles 88 and 222 of the Penal Code. Report on detention conditions edited by the Antigone Association, available for consultation on the Web site www.associazioneantigone.it.
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Medical specialists: psychiatrist and psychologist The presence of a psychiatrist in the prison has always been considered fundamental. PR envisages the presence of a psychiatrist together with the general medical service and the pharmaceutical service. 55 In the recent years, new importance has been given to the psychiatrist trying to no longer conceive this specialist just as a consultant but as an integral part not only of the penitentiary health service but of the whole penitentiary institution: the psychiatrist no longer intervenes on request of the physician in charge, but can have, absolutely independently, direct contacts with inmates, have access to the divisions and common activity spaces. Psychiatrists either work as DAP employees or according to an agreement. According to the present day situation, in each prison, depending on its capacity, there is an average of one or two psychiatrists. This figure is absolutely insufficient to grant an actual taking into charge of inmates affected by mental disorders. Therefore, in many prisons, the psychiatrist ends up taking the very limited role of pharmacological support for simple containment actions. There is often a subdivision of tasks, according to which the psychiatrist carries out specialised visits and urgent interventions, by simply prescribing psychiatric drugs and reporting instead to the psychologist the need for psychotherapy. The psychologist performs a role of support to the psychiatrist’s reports. Unlike psychiatrists, psychologists work according to agreements with the prison, thus their presence is often discontinuous. Special problems are recorded for the psychiatric assistance to inmates according to Article 41bis (see below). A critical aspect of psychiatric assistance concerns confidentiality: interviews are seldom done behind closed doors and often in the presence of security staff; interview reports may also be read by the Director. Psychiatric observation divisions and units for mentally disabled persons PR envisage that the verification of insanity or partial insanity shall be performed within the prison in which the subject is staying or, should the service be insufficient, in another prison of the same level (see above the prisons’ classification). Due to the delicacy of this kind of verification, the Prison Administration has set up ad-hoc departments for psychiatric inmates: (i) psychiatric observation departments and (ii) units for mentally disabled persons.
• Psychiatric observation departments are aimed at relieving the burden of Forensic Psychiatric Hospitals (OPGs) and harmonising the principle of health care with that of territoriality of punishments, avoiding the removal from the fam55
Articles 11 and 80 PL. See also articles 27, 28 and 29 PR.
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ily. In these units, an everyday observation is carried out by a psychiatrist. The period of stay in this ward lasts about 30 days. It is simply an observation department, in which mandatory medical treatments cannot be carried out. • Units for mentally disabled persons: the only unit for mentally disabled persons was activated some years ago in the Rebibbia prison (Roma), due to the increase in the number of self-damaging cases. The ward is made up of 18 single cells, where inmates with non-acute psychiatric problems are sent. Unlike observation departments, the period of stay in this department, can also last for the whole imprisonment period. In this unit a Therapeutic Community Project is followed, envisaging the everyday presence of educator, social assistant, psychiatrist and hospital attendant. Mental disease outside of prisons The presence of the disease in prisons suggests the need of a double taking into charge of the patient not only from the psychiatric service of the prison but also from territorial psychiatric services (the territorial Mental Health Department, DSM), in order to foster, after detention, the reintegration of the patient in the territory, with rehabilitation therapeutic support. In this regard, PR envisage that the public health service, in charge at the territorial level, shall access the prison in order to identify the conditions and needs of the persons involved and to identify, in agreement with prison operators, the external resources necessary to the taking into charge by the public service. 56 This collaboration is manifold: there are psychiatrists employed by the ASLs performing extra moenia activity 57 in the prison; agreements have been taken with ASLs which “lend” their teams to the prison; finally there are memoranda of understanding between the two administrations, but these MoUs do not grant a taking into charge. However the present cooperation between prisons and DSMs is not satisfactory and it should be consistently improved.
56 57
Article 20 PR. NHS doctors may choose a kind of employment consisting of half time in the hospital and half time as freelance. This second part of their activity is called “extra moenia” activity.
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Medical Supply in the Penal System for Women Table 2. Figures 58 Women in prison Foreign women Drug-addicted women Women Prisons Women Divisions Pregnant women Minors aged from 0 to 3 Operational nurseries Not operational nurseries
2923 1342 599 8 62 31 64 15 2
% 4.8 45.7 20.5
Women in prison The number of women in prison is not high, representing only 4.8% of the whole penitentiary population; this is why the specific features of this phenomenon are neglected. There are a few women prisons and many women divisions, i.e. small divisions inside men prisons. The need to set up an office dealing specifically with imprisoned women has been only partially fulfilled with the recent creation, in the DAP, of an ad-hoc “Women Detention Division”. Among imprisoned women, foreign women comprise the largest group entailing a whole series of additional problems. 59 No initiatives have been undertaken by the DAP in order to grant information activities or cultural mediation services to foreign imprisoned women. The second largest category is represented by drug-addicted women: drugaddicted women with children, especially in the lack of a specific replacement 58
59
Source: DAP, as at 31 December 2006. Women Prisons, are located in: Trani, Pozzuoli, Arienzo-Caserta, Rebibbia-Roma, Perugia, Empoli, Pontedecimo-Genova and Giudecca-Venezia. Data of “Minors aged from 0 to 3” are updated as at June 15th 2006. These are mainly children of Roma people or detainees having African origin. Nurseries are located in: Calabria (2), Campania (1), Lazio (2), Liguria (1), Lombardy (2), Piedmont (2), Apulia (1), Sardinia (1), Sicily (1), Tuscany (1), and Veneto Region (1). Not operational nurseries are located in: Apulia (1) and Tuscany (1). Data of “Local level (Rebibbia-Roma Women Unit)”, in Indagine sulla sanità nelle carceri romane (Survey on Health in Rome Prisons), edited by M. Graziosi, E. Lo Voi, 2005. Foreign imprisoned women mainly come from: Nigeria (215), Romania (205), former Yugoslavia (124), Albania (60), Brazil (55), Croatia (43).
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therapy, raise an important therapeutic issue, both concerning women themselves at the moment of the arrest (abstinence) and for any hypothesis of personalised treatment plan. Therapeutic communities hosting mothers with children are still very rare and are not homogeneously distributed all over the territory. Moreover they are not always available for admission due to the limited number of free places. Mothers and children in prison According to the law, following a judicial decision, a mother of a child aged from 0 to 3 and a mother of a child from 3 to 10 years should not stay in prison: for the former, the mandatory postponement of the execution of penalty should be ordered during conviction, 60 the latter either should benefits for house detention 61 or should be accommodated in a “special house detention”, outside the prison and under security control, during the execution of the sentence. 62 However, as clearly shown by the data, the target of the lawmakers has not been met: there are too many mothers, especially foreigners, without external references, there are too few external “special house detention”, the rate of recidivism is too high, and the discretional margins of the judicial authority and of the supervisory court are too wide. Even though it cannot be defined as a wide-scope phenomenon from the statistical viewpoint, as it involves about fifty children per year in all Italian prisons, it is particularly important as it impacts violently on children’s growth. 63 The solution that the Parliament is pursuing lies in the passage of a bill of law envisaging the setting up of protected “Family-homes”, outside prisons, where psychophysical needs of minors shall be taken into special account. 64 Pending the approval of the new bill, the first experience took place at the local level, in Milan, where the first Family home for mothers in prison with babies aged from 0 to 3 was opened (December 15th 2006). 65 60
61 62 63
64
65
Article 146 Penal Code, as emended by Law 40/2001, namely “Alternative measures to detention to protect the relationship between women inmates and minor children”, symbolically approved on 8th of March 2001. Article 47ter PL. Article 47quinquies PL. In this regard please see Madri e bambini in carcere, (Mothers and Children in Prison) 2001 Report, Sandro Libianchi, available for consultation at www.ristretti.it. Parliamentary bill n. 528, introduced on 8th of May 2006, still under scrutiny by the Parliament. This solution was found thanks to a Memorandum of Understanding signed by and between the Ministry of Justice, the Minister of Education, the Lombardy Region and the Municipality of Milan. It is a flat of about 450 square meters, which can host 10-12 mothers with their babies. There will be neither agents in uniform, nor hospital attendants or doctors. Besides from the comfortable and bright rooms, there is an infirmary, a toy and game centre for children, a training room for women, a fully-equipped kitchen and a dining room. Surveillance will be granted by officers of prison security staff, having been adequately trained and made aware of the specific problem, who will be oper-
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Health of women and babies in prison As soon as a mother enters a prison with her baby, they both undergo an admission medical visit to assess health conditions and avoid infection with diffusive diseases. After the first admission visit, the woman and the baby are kept in special prison Divisions, called “Nursery Units”, the setting up of which is still not homogeneous and fragmentary. Their structure is highly diversified: ranging from a single open-space dormitory to different two-bed single cells; in any case, hygienic standards are very low, privacy is absolutely missing and there is a constant contact with police agents in uniform. Whereby it is possible, they are located at the ground floor in order to enclose green playing areas for children. Nursery Units are made up of: small kitchen, playroom, bathrooms and cleaning rooms, outdoor courtyard furnished with games, green spaces and service rooms. 66 The nursery staff is made up of: paediatric auxiliary nurse (baby-nurse), hospital attendants and security staff. The medical interventions on babies, their psychological and physical conditions, the mother/baby relationship and the playful activity are recorded in a special register. This register is updated everyday and is kept in the outpatient’s paediatric department or in the paediatric auxiliary nurses’ room and can be consulted also by the prison governor. Whenever a child must be transferred into a hospital for medical treatment, many difficulties incur as regards the mother accompanying the baby that must be authorised by the prison governor and by the Tribunal of surveillance. This choice is absolutely discretional and accompanying is only seldom allowed. With the transfer of health competences to the ASLs (where the transfer is fully implemented) an adequate intervention of services for mothers and children has been carried out, aimed at fostering the activation of the external social and welfare network and the involvement of municipal nurseries allowing at least an external presence in the morning and sound contacts with the outside world. Municipal nurseries provide some places reserved to the children of imprisoned women
66
ating without wearing a uniform. Mothers as well will be provided with adequate tools for training, education and for their future professional reinsertion, thanks to the assistance of qualified operators. At local level, reference should be made to the bill passed by the Lazio Region, n.11 dated June 28th 2005, envisaging, at article 5, the activation from the Region, in agreement with the DAP, of ad-hoc social and educational interventions for minors who find themselves in prison due to their mothers’ detention. Further to the approval of the new budget item, the DAP has started a survey in all women prisons or women divisions set up in men prisons, through the Regional Superintendence (PRAPs), in order to review the organisation of already operational nurseries, the medical and paramedical staff in charge, as well as the number of babies in the nurseries in order to start a more functional and structured reorganisation of the existing facilities and services addressed to the children of female prisoners. Moreover, the DAP has identified, as a further objective, the setting up of new nurseries in every Region.
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with the organisation of transfers by means of school busses travelling to prisons to pick up children. Giving birth According to PR giving birth should occur in hospital. The imprisoned woman that is going to deliver is transferred to the hospital, usually urgently, thus with a provisional authorisation released by the prison governor that must be subsequently confirmed by the Judge of surveillance. 67 It often happens that the moment of delivery becomes for an imprisoned woman like a living hell: if she is transferred to the hospital during the labour and a waiting time of many hours is expected, she is sent back to the prison, to be transferred once again, subject to the same authorisations, as soon as the delivery is forthcoming. In this regard the need for women to spend the last month of pregnancy in hospital is pointed out. Medical specialists PR envisages the presence of specialists in obstetrics, gynaecology, a paediatrician and a paediatric auxiliary nurse. 68
• The gynaecologist is provided under an agreement between prison and freelancers.
• The intervention of the paediatrician is mandatory within 24 hours from the moment in which the baby enters the prison. An ordinary visit is carried out once a week. He or she has an agreement with the prison, and is chosen from the ASL lists (paediatricians who made an application to work in prisons). • The paediatric auxiliary nurse is a paramedical professional chosen by the prison according to a specific internal list, which is periodically updated by the ASL of reference. She performs all those tasks that the mother, in her limited conditions, cannot fully carry out: playful activity, accompanying in external visits, taking the baby out in the green areas of the prison. Her activity, being mainly pedagogic and of health education, is targeted to the baby and to the mother/child relationship. • Psychiatrists and psychologists are the most present specialists in women prisons. • The presence of an endocrinologist in women prisons for feeding disorders and food prevention activities was introduced last year. More focus has been devoted on the activity of breast and uterine cancer prevention. In this last sector, the Health Guidance Document 2006 invites women pris67 68
Article 17 PR. Article 19 PR.
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ons to promote, at the respective regions, specific prevention plans for women genital diseases in the prison population. The activity of each specialist is recorded in a special register which is kept in the locker of the outpatient department, keys are held by the director and by the head clerk. Registers can be read also by the prison governor who can ask the specialist for further explanations.
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Risks of Infection and Addiction in the Penal System Table 3. Figures 69 Arrests for hashish possession (1 May - 31 October 2006) Arrests for marijuana possession (1 May - 31 October 2006) Arrests for cannabis plants (1 May - 31 October 2006) Drug-addicts Under methadone ICAT Presences in ICATs Assigned to communities Alcoholics HIV-affected HIV Units Capacity of HIV Units Occupancy of HIV Units Infectiologists
69
4579 1420 554 16145 2043 23 377 1676 1496 1522 10 207 114 69
26.4% 3.3% 1% 4% 2.4% 2.5%
55%
Source: Ministry of Justice, DAP (updated as at 30.06.2006). - Data of “Arrests for the possession of hashish, cannabis and cannabis plants”, source: Ministry of the Interior, updated as at 19.11.2006. - Data of “ICAT” (Istituto Penitenziario a Custodia Attenuata – Mitigated Custody Prison). “Presences in the ICATs” are updated as at 27.12.2006. - As for data of “HIV-affected persons”, it must be taken into account that the test is optional and acceptance has never reached 50% of prisoners (reaching about 35%), therefore the figure is absolutely underestimated. - As for data regarding “Infectiologists”, different kind of specialists have been included (independent professionals, contract professionals, ASL employees). - Data regarding “HIV Units” are updated as at 27.12.2006. HIV Units are located in: Crotone (10), Genova Marassi (23), Modena (6), Napoli-Secondigliano (39), Opera (33), Pisa (12), Roma-Rebibbia N.C. (13), Roma-Regina Coeli (20), Taranto (28), Torino-Lorusso and Torino-Cutugno (23). - Data regarding “Presences in HIV Units” are updated as at 27.12.2006. - Data regarding “TBC Units” only refer to the Paliano prison (Lazio), a sanatorium facility for tuberculosis patients with about 60 places.
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Addictions Drug-addiction The high number of drug-addicts present in Italian prisons is the cumulative effect of penal lawmaking interventions, formally adopted to tackle the problem of drug consumption:
• Law 49/2006 70 which has introduced the equalisation of hard drugs and soft drugs consumption combined with the principle of punishment for any person possessing a higher drug amount than the envisaged limit (from 6 to 20 years imprisonment). • Law 251/2005 71 which has introduced a worsening of punishments and access limitations to premium leaves and to alternative measures for recidivists. Faced with such a high number of drug-addicted prisoners, the NHS is still unable to provide and adequate service for treatment, care, physical and psychological recovery, coordinated with damage prevention and reduction strategies. The objectives of the PL – the immediate taking into charge of new prisoners from the SERT (Drug Rehabilitation Centres), therapeutic continuity and customised interventions – have not been reached yet firstly because SERTs are not present in all prisons. Observation areas to identify any drug-addiction-related problem have not been set up; specific rooms in which to implement strategies for in-patients have not been identified yet; mitigated custody centres, in which to implement these strategies more easily, have not been set up. Therefore besides from some positive experiences 72 in many prisons the treatment of drug-addicts is almost inexistent, or limited to the administration of methadone. Treatment of drug-addiction in prison Also prisons had to come to terms with the spread of two phenomena: the diffusion of “new drugs”, like ecstasy, amphetamines, hallucinogens, together with the increase in the use of cocaine over heroine, 73 and the diffusion of cases of “double 70
71 72 73
Law 49/2006, urgently passed for an adjustment to international terrorism security laws, considering the forthcoming Olympic Games in Turin, contains important changes in the field of drug-addiction, introduced by an amendment (n. 1.2000 dated 26.1.2006) known as “Stralcio Giovanardi” (Giovanardi’s Transitional Law), named after the Minister who introduced it. Known as the “ex-Cirielli Law”. Special reference is made to Article 8. Ivrea, Torino, Milan-Bollate, Vicenza. The phenomenon of “new drugs” was the object of a Project of the Ministry of Justice (DAP) “Prison and new drugs” that aimed at evaluating the prevalence in the use of drugs. 1267 questionnaires were handed to 9 prisons. According to the results: 707 detainees answered that they use drugs; 226 only mentioned one drug (29% heroine; 46%
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diagnosis”, i.e. drug-addiction associated to psychiatric disorders. In some prisons, “double diagnosis” cases affect 50% of detained drug-addicts. 74 A newly-arrived prisoner with drug-addiction problems is immediately examined by a doctor and taken in charge by the SERT. If the person was arrested at night, the on-duty doctor would step in to prescribe medicines to treat symptoms. The diagnosis of addiction is released after the patient’s medical history is filed, bodily fluids are analysed and data in the archives are scanned to get to know if the person was taken charge of by external SERTs or the prison, besides the acquisition of any other element on related diseases, such as hepatitis or HIV. In the following days, important diagnostic and/or screening tests are carried out (blood sampling, urine assay etc.) as well as a specialist psychiatric examination. The results are entered in the patient’s medical file. A patient’s consent is required for “invasive” diagnostic tests, such as HIV test. The detainee is then urged to fill in a specific form that becomes part of the medical register. Drug-addicts are generally transferred to a specific section, where SERT workers organise a tailor-made therapeutic programme, which in particular features generally phasing-out and not maintenance pharmacological treatments (methadone). The person concerned is kept in this section until the end of the methadone treatment 75 to be later transferred to an ordinary section with other detainees. As above mentioned, the cooperation between the prison and the local SERT is not established everywhere. Therefore some prisons do not provide methadone treatment. A drug-addict’s alternatives to prison Law includes a number of mechanisms aimed at avoiding the entry or stay of drug-addicts in prison: suspended execution of the sentence, work of public utility, 76 and therapeutic community placement. 77 In order to be placed in a therapeutic community, a drug-addict should communicate his/her intention to SERT workers and get in touch with the Community. As soon as the Therapeutic Community Managers express their consent and set up a personalised programme, the drug-addict can file a request to the Judge of surveillance.
74
75 76 77
cocaine; 1% amphetamines; 24% cannabis); 251 mentioned two types of drug (43% heroine and cocaine; 16% heroine and cannabis; 38% cocaine and cannabis); 161 mentioned three types of drug (84% heroine, cocaine and cannabis). These data emerged from a study ordered by the DAP, and conducted at Padua-Due Palazzi and Roma-Regina Coeli Prisons, between 2000 and 2003, “Double diagnosis in prisoners with drug-addiction problems” by Vittorino Andreoli. Articles 95 and 96, Presidential Decree n. 309/1990/n. 309. Article 90 and 73 par. 5bis, Presidential Decree n. 309/1990. Therapeutic community placement was modified by law n. 49/2006 that increased the number of years to serve in prison (from four to six) to access this alternative measure to custody and extended the certification power not only to SERTs but also to private therapeutic communities.
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Mitigated custody prisons There are 23 mitigated custody prisons for drug-addicts, but only 14 are in service. Two out of them are empty, 10 are not full and one is overcrowded. 78 They are custodial structures annexed to huge prisons and are characterised by a particular and independent management and low-density structures. Group therapy, work and games are held in huge, outdoor and green areas. Cells are generally single-bedded and large. Within mitigated custody structures, teams made up of ASL and therapeutic community workers work to first of all draw up a therapeutic project and involve the prisoners’ families. This team liaise with public and private structures in order to organise an external action plan, with a view to allowing for measures alternative to detention to be taken. Prisoners may access mitigated custody structures only after a very accurate selection based on strict and hard criteria that only let through low numbers of detainees. These criteria include the following: age (preferably between 18 and 25); juridical condition; certified detoxification and conclusion of the various substitutive pharmacological treatments; low social dangerousness; territoriality; approval of living and treatment rules established by the therapeutic project that should be expressed in an ad hoc “treatment contract”. Alcohol addiction Law allows alcohol to circulate in prisons: daily consumption below half litre of wine and below twelve degrees or beer below one litre. 79 Alcohol is particularly spread among foreigners; in general the alert threshold for the phenomenon of alcoholism in prison is very low: the problem is not dealt with by laws and no reliable official statistics exist. The only solution put in practice by the prison management to tackle the problem of alcoholism as of 1997 has been to let volunteer associations organise selfhelp groups. Transmissible diseases The phenomenon of transmissible diseases in prisons is still underestimated. The measures approved by the DAP are not enough to provide sound guarantees for health protection, if at the same time no risk maps are drawn up to analyse health aspects in detail: from ventilation in penitentiary premises, to the number of cell occupants, to suitability of sanitation, to food preparation, distribution and preservation modes. A person affected by a transmissible disease is put in confinement as ordered by a doctor. Confinement takes place in appropriate health isolation units located 78 79
Data of DAP updated as at 27.12.2006. Article 14 PR.
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in the infirmary or clinical ward. 80 In case of a TB infection, the prisoner shall be transferred to the Paliano Institute of the Region Lazio that is the only establishment for patients affected by this pathology. In case of HIV infection, the DAP developed two levels of health care: 81
• First level wards for diagnostic and therapeutic needs of the acute and postacute phases of the disease.
• Intermediate level wards for prisoners affected by HIV and related syndromes in not particularly serious conditions. HIV in prisons: critical aspects The number of HIV positive persons is certainly underestimated, because the test is not mandatory. It has increased since the late 1990s, when law 231/1999 abrogated the automatic release from prison for these patients and reintroduced the judge’s discretionary power to evaluate the need for any custodial measure. 82 The critical aspects of care and assistance of an HIV positive person within a prison include the following:
• Identification of the therapy, especially for prisoners who do not receive treatments outside the prison and have to start them inside the establishment.
• Administration of therapy, especially in the time periods with or without nursing service, in consideration of the complexity of therapeutic schemes, the high number of pills and daily administration, the supporting prescriptions as well as meals and also the phenomenon of “simulated intake” to reduce the number of CD4. • Taking on expenses of treatment for a HIV positive prisoner is a critical aspect that requires a proper agreement between the Prison Administration and the ASL of reference. DAP has often stressed the need for local health authorities to provide their contribution gratuitously. 83 • Therapeutic continuity, especially in case of transfer or first admission to a prison, should be granted without delay, but this does not occur for some categories of medicines, such as antiretroviral drugs (protease inhibitors), though they can be purchased without DAP authorisation. 84 • Privacy protection, that is only partly granted by the law: the test is totally anonymous and the medicine charge and discharge register is kept in a codified and 80 81 82
83 84
Article 73 PR. DAP Circular Letter n. 590178/2 of 4.02.2000. See Marina Marchisio, AIDS and drug-addiction in the statistics on the detained population in Italy (years 1990-99) in AIDS in prisons and the society, by F. Faccioli, V. Giordano, C. Sarzotti, Carocci Ed., 2001, p.153. For the most recent provisions, see Health Guidelines 2006, Ministry of Justice. Protease inhibitor is an H level medicine; therefore prison health care doctors cannot independently prescribe it, but only Hospitals where infectious disease operating units are present.
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anonymous form. Moreover the register is kept in the appropriate section of the prison direction. 85 However, when medicines are administered in corridors or cells, privacy is nearly always infringed upon. HIV treatment and care in prisons During the newly-arrived prisoner’s first medical examination, the doctor would ask the prisoner if he/she was engaged in any behaviour at risk of transmission of infectious diseases (unprotected sexual intercourses, drugs taken through intravenous injection, etc.) and offers the possibility to take a blood sample for HIV serological test. Data are stored in a form created by the DAP which becomes part of the prisoner’s medical file. If a prisoner expresses his consent to this test, this has to be written down and signed on the above form. The doctor then proceeds to the prescription and delivery to nurses, and controls the test results a few days after he receives them and copies them on paper and electronic registers. At the end of these procedures, the doctor shall notify the Health manager about the names of those who accepted to undergo the test and those who refused it. The procedure shall be repeated if the prisoner that refused the test is transferred. If a newly-arrived prisoner states that he/she is HIV positive and is following a therapy, the doctor should get in touch with the hospital infectious disease ward where he/she was followed to be notified the prescribed therapy. Tuberculosis in prison The number of persons affected by tuberculosis is absolutely underestimated; no monitoring or control systems are in place, even if a significant increase in the number of cases has been observed. No more than 9.7% of newly-arrived prisoners undergoes the screening test, even though the DAP established that this test is mandatory. The main actions fixed by the guidelines consist in awareness-raising on the TB phenomenon, at the medical examination upon entry with gratuitous offer of skin test and filling in of four epidemiological monitoring forms (for the newly-arrived, transferred prisoners, for surveillance of certified cases and for contacts at risk). The forms become part of the prisoner’s medical file, a copy of them is archived at the prison, while a further copy is sent to the DAP. 86 All the forms are 85 86
DAP Circular Letter n. 557470/5 of 14.04.1997. A personal file is divided into three parts. I part: penitentiary establishment, name and surname of the doctor that filled in the form; II part: prisoner’s nationality, sex, prison admission date, first recruitment, previous incarcerations; III part: risk factors, tuberculin, characterization of lymphocyte subpopulation, direct microscopic exam of sputum.
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made anonymous and codified and only the Ministry of Justice has the encryption key. The data of certified cases are also transmitted to the Ministry of Health. In case of a positive diagnosis, the person concerned should be immediately isolated in appropriate rooms in the infirmary or transferred to the Paliano Institute. It is necessary to grant air circulation in the room and if the detainee should leave isolation, then he should wear a surgical mask. Beside treating and isolating the infected detainee, adequate controls for other detainees and staff that were in direct contact with the prisoner shall be activated. Hepatitis Hepatitis is the most spread infectious disease in the Italian prisons. The DAP conducted a study on this phenomenon for three months in eight establishments: a total of 370 HCV cases, that is 38.03% and 512 HBV cases, that is 52.62% out of 973 prisoners were reported. According to the DAP provisions, a newly-arrived detainee should be made aware of the problem of hepatitis (rules of behaviour and disinfection measures) and undergo test to discover the possible presence of the virus. 87 A hepatitis affected detainee should be followed by an infectivologist and the purchase of interferon for treatment should be authorised by the health manager. Certified or suspect hepatitis cases are notified to the ASL of reference. The documentation relative to the various diagnostic and therapeutic phases is written in an ad hoc personal epidemiological file that becomes part of the patient’s medical file and is stored on paper or electronic format. In case of paper format, at least two registers, one chronological and the other alphabetical, on the conducted tests are kept at the custodial establishment.
87
DAP Circular Letter n. 3513/5963 of 20.01.2000, Ministry of Justice, DAP. The circular differentiates the intervention and treatment modes according to the type of hepatitis. For the A type (HAV) a careful environmental surveillance is necessary, especially with regard to the food chain (food quality and preparation, information to personnel in charge of food preparation and distribution). An HAV affected detainee should be immediately isolated. For types B and C (HBV and HCV), the so-called “universal cautions” are needed, that is to avoid contact with biological fluids, like blood or sperm. An HBV affected detainee shall undergo an anti-hepatitis B vaccination cycle.
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Coercion Treatment in the Penal System Table 4. Figures 88
Act of assault with homicide Acts of assault with injury Acts of assault
2 688 287
Solitary confinement in prison Disciplinary isolation 89 is an administrative sanction that prevents communal activities. According to PR, the measure should consist in the separation of the person concerned from others (as far as possible without moving the person to an apposite cell). If separation cannot be implemented in the normal cell, the person may be moved to a disciplinary cell. The same measure applies whenever the prisoner’s behaviour is such to disturb or disrupt order and safety. 90 Disciplinary isolation may last up to a maximum of 15 days and cannot be applied to pregnant women or women breastfeeding their children up to a year of age. Solitary confinement in case of particular surveillance 91 is applied in case a detainee engages in violent behaviours, expressly listed by the law. This type of solitary confinement can last up to six months and is ordered by the prison governor, following the positive view of the judicial authority, 92 however the person cannot be placed in a disciplinary cell, but should be only separated from others and have denied access to common activities. When this type of events takes place, detainees are frequently transferred to other prisons, with obvious negative consequences for contacts with their families. Solitary confinement for judicial reasons (either adopted to prevent meetings between two people under the same criminal investigation or to protect people at risk of self-destructive or suicidal behaviours) is ordered with a deed of the judicial authority during the preliminary investigation, if and until this is deemed necessary. 93
88 89 90 91 92
93
Source: Ministry of Justice, DAP, year 2006. Article 39 PL. Article 73 PR. Article 14bis and followings PL. Articles 14bis, 14ter and 14quater PL. Special surveillance is ordered on the basis of due motivation, prior to hearing the view of the Disciplinary Board integrated by that of two experts (chosen among psychologist, social worker, pedagogue, psychiatrist, or criminologist). Once the views are heard, the prison management shall make a final decision within ten days, after this period and if a decision has not been made, the temporary measure lapses. The measure shall be immediately communicated to the Judge of surveillance and can be appealed against at the Supervisory Court within ten days of the communication of the final measure. See also article 33 PR. Article 33 PL.
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Solitary confinement as a protective measure is the least known form of confinement and is not governed by the law, but is common in prisons and is authorised when detainees cannot meet other inmates for personal conditions, custodial reasons or because of the type of crime committed. Since this form of confinement is not directly ruled by the law, it is applied discretionally for long periods of time in condition of serious physical and psychic unrest, with an ensuing exposure to a high risk of self-destructive and suicidal behaviour. 94 Medical doctors have an essential role for the application of solitary confinement. In fact, if the doctor does not issue a certification stating that a prisoner can endure confinement, then this measure cannot be applied. In case of isolation of individuals at risk of self-destructive behaviour, also the psychiatrist’s report certifying the need for a certain type of surveillance is requested. The doctor’s role in the isolation procedure gives raise to concern: it risks being very detrimental for the doctor/patient relationship because it might affect the doctor’s connotation of “independence” from the prison management. Section 41bis The regime under the legal provision of article 41bis PL, was introduced as urgent measure in 1992 and confirmed with Law 279/2002. It is applied to detainees charged with or convicted for crimes of terrorism, or organised crime (in particular, mafia) in order to prevent contacts between these prisoners and the organisations they belong to. 95
94
95
The DAP urged Local superintendence (PRAPs) to select one or more prisons to send these detainees to, without detriment to managerial and health care activities. Circular Letter 148339/4 -1 of 21.04.1998. The 2004 Report of the European Committee for the Prevention of Torture listed the provisions of this section: - the activities outside cells are limited to four hours a day (two hours a day of physical exercises and two hours a day of communal activities in a room that is specially equipped for cultural, recreational or sporting activities, and located in the same section); - one or two meetings a month with family members or co-habitees, only in a closed parlour (with glass partition); - a monthly access to the phone, for a call of maximum 10 minutes, on condition that no visit has taken place in that month; telephone calls undergo strict security limitations (for e.g., the obligation to use the telephone in a police station or prison); - the methodical recording of conversations (meetings with lawyers excluded); - application of strict rules concerning transfers, additional food, packages, etc. Moreover, the prohibition to use cassette recorders or CD players has been maintained, even though the ban on CD players has not been explicitly integrated in the PL. However, the possibility offered to prisoners detained under the regime provided by aticle 41bis PL to meet their children below the age of 12 in “open” situations that allow direct physical contacts for 10 minutes during every visit has been maintained, though it is not included under article 41bis of the PL.
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It has to be observed that, according to law, the purpose of this regime and the subsequent sections is only of a preventive nature: the measures taken are admissible as far as they are aimed at preventing contacts and transmission of orders from the prison to the organisation and vice versa; no measures consisting in additional affliction or ill-treatment are allowed. In the Report on the 2005 visit to the section 41bis of Rebibbia prison (Roma), the High Commissioner for Human Rights of the Council of Europe stated: «The “exercise areas” are cages measuring approximately 10m², which have bars on all sides – even on top – and are entirely tiled. Each of the four exercise cells has a WC and wash-basin. As long as they stay in this prison, prisoners never see a plant, tree or patch of earth – just the makeshift cages in which they are permanently confined». Prisoners often develop forms of psychological (anxiety, depression, paranoia) or mental disorders, that may become forms of total refusal of any type of contact with the external world. The DAP 2006 Health Guidelines urged prisons with facilities under the Section 41bis system to control the availability, suitability and functionality of health care equipment. These facilities shall be provided with basic equipment, that highly specialised equipment shall be purchased and that agreements with dentist, dermatological and gastroenterologist specialised services shall be signed.
Criminal Risks for the Institute Physician Table 5. Figures 96 2006 Self-destructive behaviour Suicides Attempted suicide Hunger strikes
3872 50 552 6742
Suicide and self-destructive behaviour in prison Table 6. Suicides 2001 69
2002 51
2003 57
2004 52
2005 57
2006 50
The number of suicides in prisons has increased over the last fifteen years, although a small decrease is visible since 2001. The phenomenon is strictly linked to the problem of overcrowding: a detainee in overcrowded prisons has to often endure very poor hygienic conditions, short96
Source: Ministry of Justice, DAP, year 2006.
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Mauro Palma
fall of health care staff, psychologists and trainers, in decaying facilities and insufficient services. Newly arrived detainees and, in particular first offenders are at the highest risk of committing suicide. The problem of self-harming behaviour proves as alarming and serious as the previous phenomenon, and is especially present in a number of prisons in the country, in particular in those prisons where the number of foreigners is very high. The phenomenon has worsened, thus leading the DAP to take various steps and issue appropriate guidelines:
• The creation of the “Newly-arrived service”; 97 • The obligation to fill in an evaluation form on the self-hetero behaviour in case of transfer; 98 • The issue of specific provisions during the summer, such as constant supply and distribution of potable water, meeting requests for ice, strengthening the outdoors activity service, avoiding the reduction of psychological and psychiatric personnel. 99 The DAP’s present objectives include the desire to create specific facilities separated from other sections for first-time offenders, so as to allow a deeper risk analysis and a multidisciplinary approach. 100 The Newly-arrived service This is a service for people coming from the community at large, activated by prisons having a significant number of daily entries. The stated aim of this service is to detect individuals at risk of possible self-destructive or suicidal behaviours. The Newly-arrived service is ruled by specific guidelines. 101 In particular:
• Newly-arrived detainees have to stay in the admission area only for the minimum time necessary for the medical examination upon admission and the interview with a psychologist. They shall be later sent to custodial sections and divisions. • The assignment to custodial units should not be made at random, but should be based on objective and subjective criteria, such as indications of the Judicial Authority, juridical condition and danger posed by the detainee, etc. 97 98
99 100 101
DAP Circular Letter n. 3233/5689 of 30.12.1987. DAP Circular Letter n. 211011 of 9.06.2005. The form should be filled within the 24 hours prior to the inmate’s transfer. DAP Circular Letter n. 28404/541290 of 17.06.1997. DAP Circular Letter n. 342122 of 26.10.2006. DAP Circular Letter n. 3524-5974 of 12.03.2000 on “Self-destructive and suicidal acts in the penitentiary milieu. Operating guidelines to reduce suicides in prisons”. The DAP updated the Guidelines on the “Newly-arrived service” by the above mentioned Circular Letter n. 342122 of 26.10.2006.
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• This type of assistance should not be an end in itself, but detainees at risk should be effectively taken in charge of not only by specialists in psychiatry, and other medical personnel, but also other prison staff, both of security staff and health care staff. To this end, the orders that impose “max surveillance” or “close surveillance” should not be issued at random, but should specify in detail the reason why this custodial measure is required. The psychologist generally interviews detainees upon arrival at the service and assesses risks of self-destructive behaviour and suicide in the newly arrived prisoner, has the task to notify critical situations to other professionals, thus allowing the adoption of precautionary measures aimed to avoid self-harming actions. If the individuals are not deemed dangerous, they shall be sent to the section, otherwise they will be put on preventive solitary confinement in a specific unit for the newly-arrived at risk; this unit is made up by some rooms in the health care facilities and is generally placed near registration offices or the infirmary. The duration of surveillance may vary according to the detainee’s conditions and the moment the detainee is definitively taken in charge of by the competent medical personnel. For detainees at risk, a register was created that is accessible to staff and contains all the measures that support the adoption of a certain surveillance level, i.e. the psychologist’s report, health certificate, the head of security and governor’s orders. Hunger strikes Detainees often resort to (short) hunger strikes. 102 PL recognises it as “an individual’s free choice” that cannot be compromised by the detainee’s status, not even with coercive health treatments. However, a legal trend was noticed whereby starting from rules that authorise the resort to force in prison, coercive health treatment has been implicitly legitimised in case of hunger strike. 103 The DAP extended the application of the measures intended for the theme of life and personal safety to episodes of hunger strike. These measures include a detainee’s transfer to the infirmary where psychological support is offered, in addition to health care surveillance. 104
102
103
104
The Prisons in which (short) hunger strikes are particularly frequent are the following: Milan-Bollate and Milan-San Vittore district prisons, where especially foreigners needing to talk to someone start hunger strikes; Trieste district prison, with 44 cases in 2004 and 36 in 2005; Cagliari-Buon Cammino and Igelsias district prisons. See Report on custodial conditions by Antigone Association on www.associazioneantigone.it. Tribunal of surveillance of Milan, 9 July 1989. Article 41 PL, authorised the resort to force to prevent or avoid acts of violence, to oppose resistance to order execution. DAP Circular Letter n. 148339/4 -1 of 21.04.1998.
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Episodes of hunger strike shall be notified by the prison to the DAP central office and it shall be necessary to specify the initial date of hunger strike, any worsening in the patient’s conditions, hospitalisation, discontinuation of the strike.105
105
DAP Circular Letter n. 566285 of 19.03.1996.
Ärztliche Versorgung im österreichischen Strafvollzug
Michael Neider
Einleitung ...........................................................................................................205 Der Arzt/die Ärztin im Strafvollzug ................................................................205 Aufklärung und Einwilligung von Häftlingen bei medizinischen Maßnahmen im Strafvollzug..........................................................................206 Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 StGB) ...............................................................................207 Arten der Anhaltung ......................................................................................207 Einweisung ....................................................................................................207 Maßnahmenvollzug .......................................................................................208 § 164 Strafvollzugsgesetz - StVG .............................................................208 Unterbrechung der Unterbringung (UdU)......................................................209 Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug.......................................................209 Weisung .........................................................................................................210 Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher (§ 22 StGB) ...............................................................................210 Justizanstalt Göllersdorf ................................................................................212 Justizanstalt Wien-Mittersteig .......................................................................214 Die Behandlung Drogenabhängiger im Straf- und Maßnahmenvollzug – ein Überblick......................................................................................................217 Das Projekt drogenfreie Abteilungen.............................................................217 Substitutions-Richtlinien für Justizanstalten..................................................218 Zweck der Substitution..............................................................................218 Strategien der Substitution ........................................................................218 Substitutionsmittel.....................................................................................218 Indikationen für Substitutionen in Justizanstalten.....................................220 Notwendige Kontrollen .............................................................................220 Ethische Grundsätze der Substitution........................................................221
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Michael Neider
Justizanstalt Wien-Favoriten ........................................................................... 221 Zielgruppen der Sonderanstalt ....................................................................... 222 Elemente des Betreuungskonzeptes............................................................... 222 Medizinische, therapeutische und psychologische Behandlung .................... 222 Konzept der stufenweise Vollzugslockerungen............................................. 222 Geschlossener Vollzug.............................................................................. 222 Offener Vollzug ........................................................................................ 223 Gelockerter Vollzug .................................................................................. 223 Frauenvollzug ................................................................................................ 223 Behandlungskonzept...................................................................................... 223 Psychosoziale und Medizinische Betreuung.................................................. 224 Behandlungsverlauf ....................................................................................... 224 Arbeitstherapeutischer Betrieb Nora ............................................................. 224 Außenstellen Münchendorf und Schweizer Haus Hadersdorf ....................... 224 Zentrale Informationsstelle ............................................................................ 226 Justizanstalt Innsbruck..................................................................................... 227 Ziele und Tätigkeiten des Vereins „Drug Out“.............................................. 227 Projekt „Gefängnis und Sucht“ – Modell Innsbruck ..................................... 227 Aspekte der Betreuung .................................................................................. 227 Veranstaltung von Projekttagen..................................................................... 228 Therapeutische Aktivitäten ............................................................................ 228 Kooperation mit diversen Organisationen Nachbetreuung ............................ 228 Konzept der Sonderabteilung .................................................................... 228 Therapieprogramm ........................................................................................ 229 Einstiegsphase (3 Monate) ........................................................................ 229 Hauptphase (ca. 4-6 Monate) .................................................................... 229 Entlassungsphase (1-2 Monate) ................................................................ 229 Interner Therapieablauf ................................................................................. 229
Ärztliche Versorgung im österreichischen Strafvollzug
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Einleitung In Österreich sind zum Stichtag 1.4.2007 9.000 Personen in Haft, davon rund 2.200 in Untersuchungshaft. Österreich verfügt über 28 Justizanstalten verschiedenster Größe. Die in Wien gelegene Justizanstalt Wien-Josefstadt hat etwa 1.000 Häftlinge und ist damit die größte Anstalt. Andere Anstalten haben zwischen 200 und 700 Belagplätzen. Sämtliche Anstalten verfügen je nach ihrer Größe über mehrere Ärzte und Ärztinnen für die Betreuung der Häftlinge, in den kleinen Anstalten sind ÄrztInnen teilzeitbeschäftigt. Ebenfalls ist in allen Justizanstalten eine Betreuung durch KrankenpflegerInnen sichergestellt, deren Anzahl sich ebenfalls nach der Größe richtet. Für das Erkennen eines Versorgungsbedarfes im allgemein medizinischen und psychiatrischen Bereich ist die Unterstützung durch PsychologInnen und SozialarbeiterInnen wesentlich, auch hier richtet sich die Zahl der Beschäftigten nach den Haftzahlen. Es kommt auf je 200 Häftlinge durchschnittlich 1 Arzt/Ärztin. Für jeweils 300 Häftlinge steht 1 Pfleger/Pflegerin zur Verfügung. Daneben werden in den Justizanstalten FachärztInnen nach Bedarf konsiliariter beigezogen. Bei dringender ärztlicher Versorgung werden die Häftlinge in den nächstgelegenen Ambulatorien, in der Regel in einem Krankenhaus, versorgt. Bezüglich der Betreuung von psychisch auffälligen Personen siehe unten. Die Betreuung von männlichen und weiblichen Häftlingen erfolgt in Österreich nach den gleichen Grundsätzen. In Österreich wird traditionell auf eine gute ärztliche Versorgung im Straf- und Maßnahmenvollzug geachtet, da die österreichische Strafvollzugsverwaltung dies auch für ein wesentliches Moment der Sicherheit betrachtet, da eine entsprechende ärztliche Versorgung, abgesehen von der selbstverständlichen Verpflichtung hiefür, auch Unzufriedenheiten bei den Häftlingen vermeiden hilft. Österreich verfügt in einer Reihe von öffentlichen Krankenhäusern über Abteilungen, die für den Zweck des Strafvollzuges mit Sicherheitseinrichtungen versehen sind, sodass die stationäre ärztliche Versorgung kein Problem darstellt. Bezüglich der Behandlung von psychisch kranken Häftlingen wird auf das spätere Kapitel verwiesen. Zur Behandlung von Fällen multiresistenter Tuberkulose wurden in einer medizinischen Betreuungseinrichtung der Justiz Hafträume eingerichtet, in denen Niederdruck herrscht und die Luft über entsprechend gesicherte Filter ausgetauscht wird.
Der Arzt/die Ärztin im Strafvollzug Das österreichische Strafvollzugsgesetz hat bewusst keine eigenen Regelungen über die Stellung des Arztes/der Ärztin im Strafvollzug getroffen, dadurch ist klargestellt, dass die Ärzte/Ärztinnen ihre Tätigkeit ausschließlich nach dem österreichischen Ärztegesetz ausüben und die gesetzlichen Bestimmungen über Ver-
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schwiegenheitspflicht im Strafvollzug mit denen in Freiheit identisch sind. Das Bundesministerium für Justiz ist bemüht, Ärzte und Ärztinnen nur in Teilzeit zu beschäftigen, um eine zu starke Fixierung auf den Strafvollzug zu vermeiden. Um die Kommunikation der MedizinerInnen untereinander zu gewährleisten, wird gerade ein eigenes Computerprogramm eingerichtet, das nur den jeweils behandelnden Ärzten/Ärztinnen zugängig ist. Dadurch kann die Wiederholung bereits durchgeführter Untersuchungen vermieden werden und im Falle der Überstellung eines Häftlings von einer in die andere Justizanstalt auch die Therapie fugenlos fortgesetzt werden. Aufklärung und Einwilligung von Häftlingen bei medizinischen Maßnahmen im Strafvollzug Nach dem Strafvollzugsgesetz ist ein Strafgefangener der sich krank meldet, einen Unfall erlitten hat oder auf andere Weise verletzt worden ist, oder wenn sein Aussehen oder Verhalten sonst die Annahme nahe legt, dass er körperlich oder geistig krank sei, dem Anstaltsarzt/Ärztin vorzustellen. Dieser hat dafür Sorge zu tragen, dass die nötige ärztliche gegebenenfalls fachärztliche Behandlung und Pflege zuteil wird. Der § 69 des Strafvollzugesgesetzes bestimmt, dass ein Häftling der trotz Belehrung die Mitwirkung an einer unbedingt erforderlichen ärztlichen Maßnahme verweigert, auch gegen seinen Willen behandelt werden kann, ebenso kann er gegen seinen Willen zwangsweise ernährt werden, falls dies erforderlich ist. Diese mehr als 30-jährigen Bestimmungen werden über Anordnung des Bundesministeriums für Justiz schon seit über 20 Jahren nicht mehr angewendet, da sie auch den Bestimmungen des Ärztegesetzes respektive des Krankenanstaltengesetzes widersprechen und nach der Rechtsansicht des Bundesministeriums für Justiz nur diese Bestimmungen anzuwenden sind. Sollte ein Häftling einen Hungerstreik so lange fortsetzen, dass akute Gefahr für sein Leben gegeben ist, ist er rechtzeitig in eine öffentliche Krankenanstalt zu überstellen, um dort allenfalls die Ernährung durchzuführen. Sind bis 1976 vereinzelt zwangsweise Ernährungen in Justizanstalten durchgeführt worden, wurde dies durch eine Anordnung des Bundesministeriums für Justiz ab dann untersagt. Seit diesem Zeitpunkt ist es zu keiner Zwangsernährung mehr gekommen. Ganz vereinzelt haben Häftlinge im Krankenhaus eine intravenöse Ernährung erfahren, die aber nur mit ihrer Zustimmung erfolgte, ihnen jedoch die Möglichkeit gab, gegenüber der Justiz – und Adressaten solcher Hungerstreiks waren in allen Fällen die Gerichte – auf ihren Hungerstreik hinweisen zu können. Ein erhöhter Bedarf nach Lungenröntgen besteht seit einigen Jahren, da aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion – bis heute vereinzelt – multiresistente Tuberkulose eingeschleppt wurde. In der Praxis konnten die betroffenen Personen unter Hinweis auf die Möglichkeit Zwangsgewalt ausüben zu können, immer zur Duldung des Lungenröntgens veranlasst werden.
Ärztliche Versorgung im österreichischen Strafvollzug
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Den Ärzten und Ärztinnen wurde der folgende Leitfaden (siehe Anhang) von Univ. Prof. Dr. Jörg Pont und Rosemary Wool, MB.BS.FRCPsych, als Grundlage für ihre Tätigkeit bereits im Jahre 2005 übermittelt. Die Betreuung von psychisch Kranken und Suchtkranken im österreichischen Straf- und Maßnahmenvollzug. Im Maßnahmenvollzug werden 320 geistig unzurechnungsfähige abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs. 1 StGB) und 340 zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs. 2 StGB) angehalten. Weiters werden rund 250 suchtkranke Personen behandelt.
Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 StGB) Arten der Anhaltung Bis zum Inkrafttreten des StGB blieb der Schutz der Gesellschaft vor zurechnungsunfähigen Tätern den Verwaltungsbehörden überlassen. Die Anhaltung kriminell gewordener Geisteskranker mit nicht kriminellen Geisteskranken in einer einzigen Anstalt führte zu Schwierigkeiten, weshalb mit dem StGB folgende neue gesetzliche Regelungen eingeführt wurden: In die Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher sollen vom Strafgericht Personen eingewiesen werden, die eine schwere Straftat im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen haben und solche Taten wegen ihres abnormen Zustandes weiterhin befürchten lassen (§ 21 Abs. 1 StGB). Nach § 21 Abs. 2 StGB sollen in solche Anstalten auch Personen eingewiesen werden, die zwar nicht zurechnungsunfähig sind, aber unter dem Einfluss einer schweren Abartigkeit ihrer Persönlichkeit ein schweres Delikt begangen haben und schwere Delikte auch in Zukunft befürchten lassen. Über sie wird zwar auch eine Strafe verhängt, zunächst jedoch die Einweisung in die Anstalt vollzogen und die Anhaltungszeit auf die Strafzeit angerechnet. Einweisung Die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher setzt in jedem Fall eine qualifizierte Gefährlichkeitsprognose voraus. Diese Gefährlichkeitsprognose wird durch die verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Unterbringung in einer Anstalt nach § 21 Abs. 1 StGB in den §§ 429 bis 434 StPO, zur Unterbringung in einer Anstalt nach § 21 Abs. 2 StGB in den §§ 435 bis 442 StPO durch zumindest einen Sachverständigen auf dem Gebiet der Psychiatrie erstellt. Die Unterbringung nach § 21 Abs. 1 StGB für zurechnungsunfähige Täter wird entweder in der Justizanstalt Göllersdorf (120 Betten) oder in einer öffentlichen Krankenanstalt für Psychiatrie in den einzelnen Bundesländern vollzogen. Die Unterbringung gemäß § 21 Abs. 2 StGB erfolgt entweder in der Justizanstalt WienMittersteig und deren Außenstelle Floridsdorf (insgesamt 130 Betten) oder in ei-
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ner der besonderen Abteilungen für den Maßnahmenvollzug in den Justizanstalten Stein, Graz-Karlau und Garsten. Für weibliche Untergebrachte gemäß § 21 Abs. 2 StGB besteht eine Abteilung in der Justizanstalt Schwarzau; jugendliche Untergebrachte gemäß § 21 Abs. 2 StGB werden in der Sonderanstalt für Jugendliche Gerasdorf angehalten. Mit Stichtag 1.10.2005 wurden insgesamt 320 Untergebrachte gemäß § 21 Abs. 1 StGB und 317 Untergebrachte gemäß § 21 Abs. 2 StGB in den Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher angehalten. Maßnahmenvollzug Der Vollzug der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher soll die Untergebrachten davon abhalten, unter dem Einfluss ihrer geistigen oder seelischen Abartigkeit mit Strafe bedrohte Handlungen zu begehen. Die Unterbringung soll den Zustand der Untergebrachten soweit bessern, dass von ihnen die Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen nicht mehr zu erwarten ist und den Untergebrachten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepassten Lebenseinstellung verhelfen. § 164 Strafvollzugsgesetz - StVG Die Untergebrachten sind unter Berücksichtigung ihres Zustandes zur Erreichung der Vollzugszwecke (§ 164 StVG) und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Anstalten zu behandeln, wie es den Grundsätzen und anerkannten Methoden der Psychiatrie, Psychologie und Pädagogik entspricht. Entsprechend ihrem Zustand sind sie daher ärztlich, insbesondere psychiatrisch, psychotherapeutisch, psychohygienisch und erzieherisch zu betreuen (§ 165 StVG). Diese Betreuung wird in jeder Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher durch ein Team forensisch-medizinisch erfahrener Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter und Ergotherapeuten durchgeführt. Die Betreuung erfolgt in der Regel durch Einzel- bzw. Gruppentherapie und im weiteren sozialpädagogischen Umfeld (Arbeits- und Beschäftigungstherapie, Erlangung sozialer und lebenspraktischer Fertigkeiten, Durchführung von mit Freiheit verbundenen Vollzugslockerungsmaßnahmen etc.) Ein wesentlicher Anteil in der Betreuung kommt den in den Sonderanstalten eingesetzten Justizwachebeamten zu, die hiefür laufend supervidiert und von den Fachdiensten begleitet werden. Zur praktischen Erprobung des in der Therapie gelernten und zur Kontrolle der Umsetzung können dem Untergebrachten vom Anstaltsleiter Sozialtraining, Ausgänge und Unterbrechungen der Unterbringung (UdU) bis zu einem Ausmaß von maximal 2 Wochen gewährt werden. Die Unterbrechung der Unterbringung kann insgesamt bis zu 1 Monat betragen; darüber entscheidet jedoch das Vollzugsgericht (§ 166 StVG).
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Unterbrechung der Unterbringung (UdU) Eine Unterbrechung der Unterbringung darf nur gewährt werden, wenn anzunehmen ist, dass der Untergebrachte während der Zeit der Unterbrechung keine gerichtlich strafbare Handlung begehen wird. Daher werden solche Unterbrechungen in der Regel nur unter Setzung von Auflagen und Bedingungen (z.B. Begleitung durch eine verlässliche Person, Kontrolle über die in Freiheit verbrachten WegZeiten, Verpflichtung der Meldung oder Aufenthaltsnahme in einer Betreuungseinrichtung etc.) gestattet. Ziel der Unterbrechung soll sein, dass der Untergebrachte unter therapeutischer Begleitung schrittweise an das Leben in Freiheit herangeführt wird und die sozialen und lebens-praktischen Fertigkeiten lernt, die ihm ein straffreies Leben ermöglichen. Während der Unterbrechung unterliegt der Untergebrachte strenger Kontrollen durch die Anstalt (Alkoholtests, Harnproben, telefonische und persönliche Nachfragen und Kontrollen), die sicherstellen sollen, dass die Unterbrechung nur für den vorgesehenen Zweck genützt wird. Wie auch für andere Strafgefangene, besteht für den Untergebrachten die Möglichkeit des Freigangs, d.h. er kann die Anstalt untertags zur Arbeit verlassen und muss nach der Arbeit wieder in die Anstalt zurückkehren. Der „Freigang“ kann auch zur Inanspruchnahme ambulanter Betreuungs- bzw. Berufsausbildungsmaßnahmen in Anspruch genommen werden (§126 StVG). Über all diese Maßnahmen entscheidet der Anstaltsleiter als Behördenleiter I. Instanz. Besteht der Verdacht eines Missbrauches der Vollzugslockerungen, so werden diese vom Anstaltsleiter unverzüglich widerrufen. Dies kann zur Folge haben, dass der Untergebrachte wiederum in das geschlossene Vollzugssystem innerhalb der Anstalt zurückversetzt wird oder in eine Anstalt mit höheren Sicherheitsbedingungen überstellt wird. In jedem Fall der Genehmigung eines mehrtägigen Ausganges zur Entlassungsvorbereitung bzw. von therapeutischen Unterbrechungen wird die Sicherheitsbehörde des betreffenden Aufenthaltsortes verständigt. Schon im Sinne einer möglichst lückenlosen Kontrolle des Untergebrachten und der Überwachung von Freiheitsmaßnahmen ist die Justizverwaltung an einer engen Zusammenarbeit mit den örtlichen Sicherheitsbehörden interessiert. Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug Die Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme erfolgt gemäß § 47 StGB. Die bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme ist zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht. Aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher sind die Eingewiesenen stets nur unter Bestimmung einer Probezeit bedingt zu entlassen. Die Probezeit bei der Entlassung aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beträgt 10 Jah-
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re, ist die der Unterbringung zugrundeliegende strafbare Handlung aber mit keiner strengeren Strafe als einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren bedroht, 5 Jahre. Im Verfahren für die bedingte Entlassung wird im Regelfall der Wegfall der Gefährlichkeit durch die Einholung eines neuerlichen Sachverständigengutachtens, eines Facharztes für Psychiatrie, geprüft. Außerdem werden ausführliche Stellungnahmen des Therapeutischen Dienstes der Anstalt über den Behandlungsfortschritt und die Sicherstellung eines „Sozialen Empfangsraumes“ eingefordert. Weisung In fast jedem Fall werden einem Rechtsbrecher, der aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme bedingt entlassen wird, vom Gericht Weisungen (gem. § 51 StGB) erteilt, die eine neuerliche Rückfälligkeit möglichst vermeiden sollen. Diese Weisungen können z.B. sein, sich einer laufenden psychiatrischen und therapeutischen Nachbetreuung zu unterziehen, in der Kontrolle des Wohn- und Aufenthaltsortes sowie in einigen Fällen auch in der Weisung, weiterhin in einer stationären Einrichtung für die erste Zeit nach der Entlassung Aufenthalt zu nehmen. Bei einem Weisungsbruch kann nach vorheriger Mahnung durch das Gericht die bedingte Entlassung widerrufen werden. Der Widerruf bedeutet, dass der Untergebrachte wieder in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zur Fortsetzung des Maßnahmenvollzuges verbracht wird.
Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher (§ 22 StGB) Wer dem Missbrauch eines berauschenden Mittels oder Suchtmittels ergeben ist und wegen einer im Rausch oder sonst im Zusammenhang mit seiner Gewöhnung begangenen strafbaren Handlung oder wegen Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (§ 287 StGB) verurteilt wird, ist vom Gericht in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher einzuweisen, wenn nach seiner Person und nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass er sonst im Zusammenhang mit seiner Gewöhnung an berauschende Mittel oder Suchtmittel eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen oder doch mit Strafe bedrohte Handlung mit nicht bloß leichten Folgen begehen werde (§ 22 Abs. I StGB). Von der Unterbringung ist abzusehen, wenn der Rechtsbrecher mehr als 2 Jahre Strafhaft zu verbüßen hat, die Voraussetzungen für seiner Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher vorliegen oder der Versuch einer Entwöhnung von vornherein aussichtslos scheint (§ 22 Abs. 2 StGB). Mit Stichtag 1.1.2005 waren insgesamt 18 Personen gemäß § 22 StGB eingewiesen. Die Unterbringung gemäß § 22 StGB wird primär in der Justizanstalt Wien-Favoriten, aber auch in „Sonderabteilungen für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher“ in verschiedenen Justizanstalten des Normalvollzuges (Justizan-
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stalt Schwarzau für Frauen, Justizanstalt Stein, Justizanstalt Eisenstadt, Justizanstalt Feldkirch, Justizanstalt Innsbruck) vollzogen. Der Vollzug der Maßnahmenunterbringung gemäß § 22 StGB hat sich nach nunmehr fast 25-jähriger Erfahrung als nicht sehr erfolgreich und zweckmäßig erwiesen. Es ist die einhellige Meinung aller mit Fragen der Suchtgifttherapie befassten Therapeuten, dass eine Entwöhnungsbehandlung nur sinnvoll ist, wenn sie freiwillig erfolgt. Daher werden fast 90% aller vom Gericht in den Maßnahmenvollzug gemäß § 22 StGB eingewiesenen Straftäter unbedingt wegen Aussichtslosigkeit der Entwöhnungsbehandlung entlassen und in den normalen Strafvollzug rücküberstellt. Im Gegensatz dazu hat sich als viel wirksamere Maßnahme das gemäß § 68a StVG - mögliche Angebot einer freiwilligen Entwöhnungsbehandlung auf Ansuchen eines Strafgefangenen gezeigt. Die bedingte Entlassung aus einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher erfolgt ebenfalls gemäß § 47 StGB unter Setzung einer Probezeit. Die Behandlung von entwöhnungsbedürftigen Rechtsbrechern erfolgt im wesentlichen unter den gleichen therapeutischen Voraussetzungen, jedoch in Richtung Suchttherapie, wie sie für die Behandlung von Angehaltenen in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher vorgesehen ist. Die Nachbetreuung von aus Anstalten für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher entlassenen Strafgefangenen und Untergebrachten erfolgt über die örtlichen Drogeneinrichtungen bzw. Drogenambulanzen der Spitäler. Während die Einweisung in den Maßnahmenvollzug, insbesondere nach § 21 StGB, die psychiatrische Begutachtung im Rahmen des Strafverfahrens und in der Folge eine bejahte Gefährlichkeitsprognose voraussetzt, die in Zusammenhang mit einer erheblichen „geistigen oder seelischen Abartigkeit“ steht, ist diese Frage bei Einweisung in den Strafvollzug entweder nicht gestellt oder verneint worden. Der Maßnahmenvollzug, insbesondere nach § 21 Abs. 2 StGB, bleibt schon alleine auch aufgrund seiner prinzipiellen unbestimmten Anhaltedauer in der üblichen Spruchpraxis wirklich gefährlichen Tätern mit hohem Rückfallsrisiko in schwere Gewalttaten vorbehalten. Aber auch in der Straftäterpopulation gibt es oftmals eine relevante Rückfallgefährdung und entsprechenden Behandlungsbedarf. Während z.B. der Maßnahmenvollzug nur für etwa 5% aller Sexualstraftäter bei derzeitiger Spruchpraxis in Frage kommt, steht diesen Zahlen immerhin eine 20- bis 30-prozentige Rückfallswahrscheinlichkeit in ein weiteres Sexualdelikt innerhalb eines 10 bis 15-Jahreszeitraumes gegenüber (je nach Tätergruppe). Andererseits geht man heute davon aus, dass gut und richtig behandelte und nach der Entlassung nachbetreute Sexualtäter eine bis zu 50% geringere Rückfallwahrscheinlichkeit aufweisen als unbehandelte. Insbesondere die nachgehende Therapie, die über ein engmaschiges Betreuungsnetz und über die Anwendung von beziehungsorientierter Unterstützung und Psychotherapie in der Lage ist, die Behandlungsbereitschaft beim Täter zu erhöhen und zu erhalten, hat sich als sehr wirksam erwiesen. In unserem Nachbarland Deutschland ist mittlerweile die Behandlung von Straftätern, die wegen eines Sexual- oder Gewaltdeliktes eine über 2 Jahre dauernde Freiheitsstrafe erhalten haben, gesetzlich geregelt. Diese Täter müssen einer Behandlungsuntersuchung zugeführt werden und in der Folge bei Bestehen einer
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Behandlungsindikation in einer sozialtherapeutischen Anstalt oder Abteilung behandelt werden. Die ambulante Nachsorge muss von der zuständigen Anstalt sichergestellt werden. In Österreich ist die Behandlung von rückfallgefährdeten oder gefährlichen Strafgefangenen, insbesondere von Sexualstraftätern, per Erlass des BM für Justiz geregelt. Mit der Inbetriebnahme der Zentralen Dokumentations- und Koordinationsstelle für Sexualstraftäter zu Beginn des Jahres 2002 wurde die fachliche Grundlage zur professionellen Behandlung und Betreuung der entsprechenden Klientel auch im Strafvollzug geschaffen. Im Laufe der letzten Jahre wurden daraufhin insbesondere Sexualstraftäter, aber auch schwere Gewalttäter, begutachtet und Behandlungsempfehlungen an die zuständigen Anstalten weitergeleitet. Dies führte dazu, dass es letztlich heute kaum mehr Justizanstalten oder Gefangenenhäuser gibt, die nicht über eine zumindest minimale Infrastruktur (oftmals unter Mithilfe externer Therapeuten) verfügen, gefährdete Täter einer Behandlung zuführen zu können und im Optimalfall in ein betreutes Setting zu entlassen. Oftmals finden sich bei diesen Vorgängen auch eine hervorragende Zusammenarbeit mit den Entlassungsgerichten. In einigen Justizanstalten fand sogar eine weitgehende Spezialisierung in Richtung Behandlungsvollzug statt. Man kann heute sagen, dass sich der Strafvollzug während der letzten Jahre trotz problematischer Ressourcenentwicklung hin zu mehr therapeutischer Aktivität entwickelt hat. Und dies zu Recht. Untersuchungen zeigen uns heute, dass ein übliche Gefangenenpopulation in etwa 70 bis 80% eine schwere Persönlichkeitsstörung aufzuweisen hat. Darüber hinaus häufen sich Erkrankungen aus dem Suchtbereich oder problematische sexuelle Entwicklungen bis hin zu schweren sexuellen Abnormitäten. Justizanstalt Göllersdorf Das Schloss Göllersdorf, im Wesentlichen ein Renaissancebau des 16. Jahrhunderts, wurde nach erfolgter Generalsanierung durch das Bundesministerium für Justiz mit Ende des Jahres 1984 als Zentralanstalt zur Behandlung zurechnungsunfähiger geistig abnormer Rechtsbrecher in Betrieb genommen. Die Anstalt dient der Behandlung von Straftätern, die vom Gericht zwar exkulpiert, jedoch aufgrund des Bestehens einer so genannten spezifischen (krankheitsbedingter) Gefährlichkeit gemäß § 21 Abs. 1 StGB auf unbestimmte Zeit in die vorbeugende Maßnahme eingewiesen wurden. In den ersten Jahren wurden etwa 2/3 bis 3/4 sämtlicher zurechnungsunfähigen Maßnahmepatienten in der JA Göllersdorf behandelt. Aufgrund der rapiden Zunahme von Einweisungen in den letzten 15 Jahren kann trotz der Erhöhung der Bettenkapazität von 100 auf 120 Betten derzeit nur etwas mehr als 1/3 der wegen Zurechnungsunfähigkeit eingewiesenen Straftäter hier behandelt werden. Ein Teil der übrigen Patienten wird an vier kleineren forensischen Abteilungen österreichischer psychiatrischer Krankenhäuser versorgt: ҏChristian-Doppler-Klinik Salzburg, ҏForensisch-Psychiatrische Abteilung A6 des Psychiatrischen Krankenhauses Hall in Tirol, ҏWagner-Jauregg Krankenhaus Linz, ҏPavillon 23 des Otto-Wagner-Spitals
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Wien. Mehr als 100 Patienten müssen jedoch auf allgemeinpsychiatrischen Abteilungen ohne besondere forensisch-psychiatrische Widmung behandelt werden. Über 50 % der Patienten der JA Göllersdorf leiden unter schizophrenen Störungen. Weitere häufige Diagnosen sind organische Psychosen und geistige Behinderungen, während affektive Erkrankungen eher selten vertreten sind. Charakteristisch für die Klientel sind hohe Komorbititätsraten (Substanzmissbrauch, Persönlichkeitsstörungen). Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 21 Abs.1 StGB wurden mehr als 50 % der Patienten wegen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten eingewiesen, Eigentums- bzw. Sexualdelikte und Brandstiftung kommen vergleichsweise seltener vor. Der Anteil der wegen Nötigung oder gefährlicher Drohung eingewiesenen Patienten hat in der letzten Zeit zugenommen. Die Patienten sind auf sechs Wohnstationen mit je 20 Betten untergebracht. Eine Akutstation mit 17 Betten steht für Neuzugänge bzw. für Kriseninterventionen bei auf den Wohnstationen behandelten Patienten zur Verfügung, darüber hinaus werden nach Maßgabe der freien Plätze auf der Akutstation noch normale Strafgefangene bzw. Untersuchungshäftlinge - vorzugsweise aus den in der näheren Umgebung liegenden Justizanstalten - für kürzere psychiatrische Interventionen aufgenommen. Die Ziele der Behandlung zurechnungsunfähiger Straftäter sind mit den Behandlungszielen der Allgemeinpsychiatrie vergleichbar: Reduktion von Krankheitssymptomen, Verringerung des Leidensdrucks, Verbesserung der sozialen Fähigkeiten, Stabilisierung auf dem höchsten erreichbaren Niveau. Zusätzlich soll entsprechend dem gesetzlichen Auftrag auch ein Abbau der Risikofaktoren für kriminelles Verhalten erfolgen, ebenso wie die Schaffung eines psychosozialen Empfangsraums, der zukünftige Straffreiheit gewährleistet, was letztlich die Voraussetzung für die bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug darstellt. Erreicht wird dies einerseits durch die medikamentöse Behandlung, andererseits durch psychosoziale Interventionen in Form von Einzel- oder Gruppentherapien, wobei im Besonderen Bedacht auf die Bereiche Krankheitseinsicht, Compliance, Substanzmissbrauch, Impulskontrolle und Deliktbearbeitung genommen wird, weiters durch den Einsatz von Ergotherapie und Musiktherapie. Die Einzel- und Gruppentherapien werden vom therapeutischen Personal der Anstalt durchgeführt, eine Alkoholikergruppe, eine Drogengruppe und eine Antigewalt-Trainingsgruppe werden von externen Therapeuten betreut. Auf den Wohnstationen wird durch milieutherapeutische Maßnahmen (strukturierter Tagesablauf, angeleitete Freizeitgestaltung) versucht, den genannten Rehabilitationszielen zu entsprechen. Von einer der Wohnstationen wird ein für alle Patienten zugängliches anstaltsinternes Kaffeehaus betrieben. Regelmäßige Besuchszeiten, Telefon- und Briefkontakte sowie Einzel- und Gruppenausgänge bzw. so genannte Unterbrechungen der Unterbringung nach § 166 StVG (bis zu einer Dauer von zwei Wochen im eigenen Verantwortungsbereich gewährt, bis zu einer Dauer von einem Monat nach Bewilligung durch das regionale Vollzugsgericht) haben im Rahmen des Rehabilitationsprozesses entscheidende Bedeutung. Seit Eröffnung der Anstalt konnten (Stand April 2005) 168 Patienten bedingt entlassen werden.
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Personal:
• • • •
1 Anstaltsleiterin 1 Stellvertreter 55 Justizwachebeamte 15 Kanzleikräfte
Direkt in der Patientenbetreuung tätig (Stand April 2005):
• 1 Ärztlicher Leiter • 1 Stellvertreter des Ärztlichen Leiters • 4.5 weitere Ärztinnen/Ärzte (= 9 zu je 50 % im Rahmen eines Vertrages mit der • • • • • • •
Universitätsklinik für Psychiatrie Wien) 3.5 Psychologinnen/Psychologen 3.5 Ergotherapeutinnen/Ergotherapeuten 1 Musiktherapeut 4 Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter 34 Pflegebedienstete 22 der 55 Justizwachebeamten sind ausschließlich im Betreuungsbereich tätig 1 Praktischer Arzt, 1 Zahnarzt und 1 Seelsorger mit Stundenverpflichtungen
Als Erfolg kann angesichts des geringen Personalstandes die relativ gute Versorgung der Patienten, die große Zahl fast ohne Zwischenfälle durchgeführter Außenaktivitäten sowie die Zahl erfolgreich verlaufener Rehabilitationen angesehen werden. Die Zusammenarbeit mit anderen psychiatrischen Einrichtungen ist gut, auch hat die Anstalt mittlerweile aufgrund der Abhaltung einer Vielzahl einschlägiger Fortbildungsveranstaltungen bzw. wissenschaftlicher Aktivitäten einzelner ihrer Bediensteten sowohl national wie auch international einen guten Ruf. Justizanstalt Wien-Mittersteig Nach der großen Strafrechtsreform 1975 wurde die Möglichkeit geschaffen, zurechnungsfähige Rechtsbrecher, die unter dem Einfluss einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades eine Straftat begangen haben, die mit einer ein Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedroht ist, nach § 21 Abs. 2 StGB unterzubringen. In solchen Fällen ist die Unterbringung zugleich mit dem Ausspruch über die Strafe anzuordnen. Als Zentralanstalt für derartig Untergebrachte nach § 21 Abs. 2 StGB wurde die Justizanstalt Wien-Mittersteig gewählt, die bereits 1963 als Justizanstalt eröffnet worden war. Durch die signifikante Zunahme von Untergebrachten nach § 21 Abs. 2 StGB in Österreich befinden sich Maßnahmenpatienten heute in folgenden Anstalten:
• JA Mittersteig (gemeinsam mit der Außenstelle Floridsdorf): 130 Insassen
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• Auf die Justizanstalten Garsten, Karlau, Stein, Gerasdorf, und Schwarzau teilen sich weitere 189 nach § 21 Abs. 2 StGB verurteilte Insassen auf. Jeder nach § 21 Abs. 2 StGB Verurteilte wird an die Begutachtungsstation der Justizanstalt Wien-Mittersteig transferiert und verbleibt dort für knapp zwei Monate. Die durchschnittliche Wartezeit, um an der Begutachtungsabteilung aufgenommen zu werden, beträgt für Haftstrafen unter zwei Jahren drei Monate, unter fünf Jahren sechs bis zwölf Monate; für Langstrafige wird im Regelfall versucht, innerhalb von 18 Monaten einen Platz zur Verfügung zu stellen. Bei Letzteren wird vom BM für Justiz eine Vorklassifikation durchgeführt und in den jeweiligen Anstalten noch vor der Begutachtung mit der Betreuung begonnen. In dieser Zeit wird ein Klassifikationsgutachten erstellt, das den Vollzugsort und die notwendigen Betreuungs- bzw. Behandlungsmaßnahmen definiert. Nach Vorliegen des Klassifikationsgutachtens werden die Untergebrachten in ihre Zielanstalt überstellt. Die Justizanstalt Wien-Mittersteig umfasst 90 Haftplätze, die Außenstelle Floridsdorf 41. Die Insassen werden je nach Fähigkeiten und Fortschritten in verschiedenen Abteilungen untergebracht, d.h. neben der Begutachtungsabteilung (zwölf Plätze) gibt es einen Wohngruppenvollzug, eine Freigängerabteilung, eine Abteilung mit erhöhter Sicherheit und den geschlossenen Vollzug. Derzeit wird ein Umbau durchgeführt, um einerseits vermehrte Plätze für den Wohngruppenvollzug zu schaffen und andererseits eine zweite Freigängerabteilung in Floridsdorf zu installieren. Etwa 30% der Insassen sind im gelockerten Vollzug, 15 % am Freigang. Personell ist die Aufteilung der Justizanstalt inklusive Außenstelle wie folgt aufgeschlüsselt, wobei hier die Anzahl der Personen, nicht jedoch die Stundenanzahl vermerkt ist. Mehr als 50 % der Mitarbeiter des Fachdienstes haben nur eine Teilzeitbeschäftigung innerhalb der Justiz. Es sind eine Anstaltsleiterin, ein ärztlicher Leiter, vier PsychiaterInnen, ein praktischer Arzt, vier ErgotherapeutInnen, acht PsychologInnen, vier diplomierte Gesundheits- und KrankenpflegerInnen und sieben SozialarbeiterInnen in der Einrichtung tätig. 73 Justizwachebeamten (20 an der Außenstelle Floridsdorf) sind für die Sicherheit zuständig. Zusätzlich gibt es zwei administrative Mitarbeiterinnen, einen IT-Beauftragten, drei Verwaltungsangestellte und im Durchschnitt vier bis sechs PraktikanntInnen. Das Behandlungskonzept orientiert sich seit 1.1.2003 an vier Bereichen (Säulen), aus denen sich die entsprechenden Betreuungsmaßnahmen ergeben. Jeder Bereich enthält eine Stufeneinteilung, an welcher der derzeitige Stand und die Fortschritte des Untergebrachten abgelesen werden können. Die psychiatrische Säule umfasst die Einteilung in Frequenz und Intensität der psychiatrischen Therapie, die Säule der sozialen Funktionsfähigkeit beschreibt die sozialtherapeutischen Interventionen (z.B. Wohngruppenvollzug), die psychologische Säule beschreibt die therapeutischen Schritte und die Säule der kriminalprognostischen Einschätzung grenzt den Rahmen der zu erwartenden Fortschritte ein. Die kriminalprognostische Einschätzung orientiert sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen der forensischen-psychologischen und -psychiatrischen Forschung. Die gängigen Prognoseinstrumente werden verwendet bzw. werden regelmäßig
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Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt, um einen hohen Standard der Begutachtung zu sichern. Die vorherrschenden Delikte der Untergebrachten sind in 60 % Sexualstraftaten, in 25 % schwere Gewalttaten und in 15 % aus verschiedensten Bereichen. Die psychiatrische Versorgung wird täglich Montag bis Freitag zwischen 08.00 und 17.00 Uhr angeboten. Akute schwere psychiatrische Fälle müssen daher in die Justizanstalt Göllersdorf oder an den Pavillon 23 Baumgartner Höhe transferiert werden. Die häufigste Diagnose stellt die schwere Persönlichkeitsstörung (80 %) dar, zusätzlich werden organische Störungen und bei knapp 15 % Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. Die sozialtherapeutische Versorgung wird durch den sogenannten CaseManager durchgeführt. Für jeden Untergebrachten steht ein Case-Manager zur Verfügung, der seinen Behandlungs- bzw. Betreuungsplan entwirft, verwaltet und koordiniert. Er ist auch primäre Ansprechperson bei Fragen bzw. Krisen des Untergebrachten. Der Case-Manager organisiert auch die notwendige Nachbetreuung bzw. die Anknüpfung an externe Betreuungseinrichtungen, z.B. WOBES Projekt 21/2 und Bewährungshilfe. Die psychotherapeutische Behandlung folgt einem sechsstufigen Modell. Angefangen von eher verhaltenstherapeutisch orientierten Basisgruppen und Therapietrainings werden spezifische Deliktgruppen (für Sexualstraftäter und Gewalttäter), Alkoholgruppen, empathiefokussierte Gruppen und emotionale Intelligenzgruppen angeboten. Die Deliktgruppen werden in Kooperation mit der Wiener Männerberatung durchgeführt. Nach Absolvierung des gruppentherapeutischen Programms findet eine Evaluation statt, welche die Entscheidung für eine Einzeltherapie nach sich zieht. Einzeltherapien werden dann in Kooperation mit dem Forensisch Therapeutischen Zentrum Wien durchgeführt. Derzeit müssen externe Einzeltherapeuten, die in der Justizanstalt Wien-Mittersteig Therapien durchführen, in Transference Focused Psychotherapy (TFP) ausgebildet sein. Eine besondere Aufgabe kommt der Begutachtungsabteilung (Koordinationsstelle für die Begutachtung und Evaluation von Untergebrachten nach § 21 Abs. 2 StGB) zu. Neben dem Erstellen von Klassifikationsgutachten (zirka 60 im Jahr) werden hier auch die Stellungnahmen zur jährlichen Eingabe bzgl. der Frage nach Empfehlung einer bedingten Entlassung erstellt (zirka 120 im Jahr). Zusätzlich finden regelmäßige Evaluationen von Behandlungsfortschritten von Untergebrachten anderer Justizanstalten statt, bei denen auf Grund des Delikts oder anderer Besonderheiten eine erhöhte Vorsicht angezeigt ist (zirka 15 im Jahr). Insgesamt werden also vom Team der Begutachtungsabteilung knapp 200 forensische Gutachten im Jahr verfasst.
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Die Behandlung Drogenabhängiger im Straf- und Maßnahmenvollzug – ein Überblick Die Justizverwaltung ist gemäß § 66 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz (StVG) zur Sorge um die Einhaltung der körperlichen und geistigen Gesundheit der Strafgefangenen verpflichtet, was auch Maßnahmen zur Behandlung und Betreuung suchtkranker Häftlinge einschließt. Gemäß § 22 Strafgesetzbuch (StGB) kann ein Straftäter vom Gericht in eine „Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher“ eingewiesen werden. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit einer freiwilligen Entwöhnungsbehandlung (gemäß § 68a StVG) in einer geeigneten Einrichtung innerhalb des Strafvollzuges. Die Voraussetzungen hierfür sind neben einem schriftlichen Ansuchen eine ausreichende Motivation sowie die Eignung für eine Behandlung. Des Weiteren soll der Strafrest nicht weniger als 14 Monate und nicht mehr als zwei Jahre betragen. Über ein Ansuchen wird nach Maßgabe freier Plätze entschieden. Das Projekt drogenfreie Abteilungen 1997 wurde vom Bundesministerium für Justiz aufgrund internationaler Erfahrungen und Modelle auch in Österreich das Projekt „drogenfreie Abteilungen“ gestartet. Das Pilotprojekt fand in der Justizanstalt Hirtenberg mit 20 freiwilligen Insassen statt. Mittlerweile hat sich die Anzahl der Insassen in den drogenfreien Abteilungen der Justizanstalten Österreichs auf ca. 600 erhöht. Drogenfreie Abteilungen verfolgen im Wesentlichen folgende Ziele: 1. 2. 3.
Bessere Kontrolle, vor allem bei der Identifizierung drogenkonsumierender Gefangener. Schutz der nicht-süchtigen Gefangenen vor der drogeninduzierten kriminellen Subkultur. Angebote für noch nicht chronisch Süchtige, die ihnen die Möglichkeit bieten, unter dem Schutz eines weitgehend drogenfreien Milieus aus ihrer Sucht auszusteigen und alternative Lebensformen zu finden. Dies geschieht vor allem durch die Schaffung eines positiven Gruppenklimas (=“Peer-Groupeducation“).
Insassen, die sich freiwillig in drogenfreien Abteilungen aufhalten, unterschreiben einen Vertrag, in welchem sie sich zur Einhaltung der Regeln dieser Abteilung verpflichten. Diese enthalten zum einen spezielle Sicherheitsmaßnahmen (verpflichtende, stichprobenartige Harn- und Alkoholtests, vermehrte Personenvisitierungen, kein Privatwäschetausch etc.) und zum anderen die Verpflichtung zur Teilnahme an therapeutischen Programmen. Die Insassen, die gegen die Regeln der drogenfreien Abteilung verstoßen, können sofort in andere Abteilungen verlegt werden. Auf der anderen Seite erhalten die Strafgefangenen in den drogenfreien Abteilungen gewisse Vergünstigungen: z.B. erleichterte Bedingungen für Besuche, Telefonate oder Ausgänge. drogenfreie
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Abteilungen können – erwiesenermaßen – auf diese Art und Weise einen Beitrag zur Schaffung eines positiven Vollzugsklimas leisten. Substitutions-Richtlinien für Justizanstalten Seit 1987 werden in Österreich, durch das 1998 novellierte Suchtmittelgesetz geregelt, opiatabhängige PatientInnen mit synthetischen Opioiden im Rahmen einer oralen Erhaltungstherapie behandelt. Die Substitutionsbehandlung ist eine medizinische Maßnahme und hat folgende Zielsetzungen: Zweck der Substitution 1. 2. 3.
Psychische und physische Stabilisierung von opiatabhängigen Menschen Eindämmung der Beschaffungskriminalität und Vermeidung von Schulden Verminderung des intravenösen Drogenkonsums und needle-sharings und somit der Übertragung von Hepatitis B/C und HIV/AIDS
Strategien der Substitution 1. 2.
3. 4.
5.
Entzugstherapie: Als Überbrückung bis zur Abstinenz wird in kleinen Schritten mit einer Substitutionssubstanz behandelt. Einstellungstherapie: Diese erfolgt nach einem Aufklärungsgespräch mit der/den Patientin/en und kann bis zum Erreichen der passenden Dosis des Substitutionsmittels mit erheblichen Entzugsbeschwerden einhergehen. Überbrückungstherapie: Patientlnnen mit einem eklatantem Opiatabusus werden bis zur geplanten Entzugstherapie substituiert. Dauertherapie: PatientInnen werden wegen der Schwere ihres Krankheitsbildes aufgrund der Opiatabhängigkeit zum Schutz vor weiteren gesundheitlichen, psychischen und sozialen Schäden Jahre oder bis zum Lebensende substituiert. Reduktionstherapie: PatientInnen werden auf eigenen Wunsch über eine ausreichend lange Dauer entsubstituiert.
Substitutionsmittel Es sollen nur solche Substitutionsmittel zur Anwendung kommen, welche zumindest eine 24-stündige Wirkdauer aufweisen und somit nur 1 x pro Tag verabreicht werden müssen. Andere Medikamente sind zur Substitutionsanwendung ungeeignet. Als geeignete Substitutionsmittel sind zu empfehlen:
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Methadon Methadon ist das am längsten bekannte Substitutionsmittel, es wird seit 1965 zur Behandlung der Opiatabhängigkeit eingesetzt, und auch das kostengünstigste. Methadon ist ein Morphinagonist mit einer Halbwertszeit von 24 bis 36 Stunden. Die Substanz wird magistraliter in Form einer Zuckerlösung zubereitet und verabreicht, um eine intravenöse Applikation zu vermeiden. Das Abhängigkeitspotential ist, wie auch bei den retardierten Morphinen, als sehr stark zu bezeichnen. Methadon wird normalerweise täglich in der Apotheke oder in der betreuenden Institution oral eingenommen, da in dieser Applikationsform kein euphorisierendes Gefühl auftritt, im Gegensatz zur intravenösen Verabreichung. Die durchschnittliche Dosis in der Erhaltungstherapie liegt zwischen 40 - 80 mg +/- 20 mg täglich. Eine Dosis von mehr als 120 mg täglich ist nicht empfehlenswert. Das Dosisäquivalent Methadon: retardierte Morphine entspricht 1 : 6 bis 1 : 8. Die Einstiegsdosis beträgt 30 - 40 mg tgl. bei einer Aufsättigung von ca. 10 mg pro Woche. Empfohlene Reduktionsschritte: 5 -10 mg pro Woche. Buprenorphin (Subutex R) Diese Substanz ist ein gemischter partieller Opioid Agonist - Antagonist mit einer Halbwertszeit von 6 bis 8 Stunden, welcher zur einmaligen oralen Einnahme pro Tag und sublingual verabreicht wird. Die Tagesdosen bewegen sich zwischen 8 bis 16 mg, die Verschreibung erfolgt als Sublingualtabletten 2 mg und 8 mg. Im Vergleich zu den anderen Substitutionsmitteln erleben sich die Patienten unter dieser Erhaltungstherapie als sehr klar und „nüchtern“, was für inhaftierte Suchtkranke situationsbedingt oftmals ein Problem darstellt, zumal sie diesen Bewusstseinszustand auch in Freiheit nicht ertragen haben und die Aufarbeitung der Probleme in Haft naturgemäß bewusster, aber nicht einfacher wird. Die Zielgruppe für diese Substanz ist nach derzeitigen Erfahrungen ein krankheitseinsichtiges und motiviertes Klientel. Als häufigste Nebenwirkung werden Kopfschmerzen beschrieben. Wichtig bei der Umstellung von Methadon oder retardierten Morphinen auf Buprenorphin ist, dass es einen Tag Substanzkarenz geben muss, um nicht ein akutes Opiatentzugssyndrom auszulösen. Retardierte Morphine (Substitol retard, Mundidol Uno retard, Compensan retard): Diese Präparate werden einmal täglich in Kapselform (Substitol retard, Mundidol Uno retard) oder als Tablette (Cornpensan retard) eingenommen, wobei der Inhalt der Kapseln auch in ein Wasserglas geleert, eingenommen werden kann, ohne dass ein Wirkungsverlust eintritt. Die mittlere Morphindosis pro Tag beträgt 520 mg, die empfohlene Höchstdosis liegt bei ca. 1.000 mg. Bei Patienten mit laufender antiviraler Therapie sind auch Dosen bis 1-200 mg erforderlich.
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Die Einstiegsdosis richtet sich nach dem Drogenkonsum der Patientlnnen und ist im Standardfall 200 mg, eine Aufsättigung erfolgt mit 60 bis 120 mg pro Woche. Reduktionsschritte: 30 - 60 mg pro Woche. Retardierte Morphine haben ein geringeres Nebenwirkungsspektrum als Methadon (weniger Depressionen, weniger Antriebslosigkeit, weniger vegetative Beschwerden, weniger Gewichtszunahme). Bei allen Substitutionssubstanzen sind Arzneimittelinteraktionen, welche insbesondere durch kompetetive Inhibition oder Induktion von Cytochrom P 450 hervorgerufen werden, zu beachten: Die Antibiotica Ciprofloxazin, Erythromycin, Clarithrornycin, orale Kontrazeptiva und Antidepressiva - SSRIs (z.B. Fluvoxamin), erhöhen die Oploidwirkung, während die HIV - Virostatika Nevirapine, Efavirenz, Nelfinavir/Ritonavir und das homöopathische Mittel Johanniskraut eine Verminderung der Wirkung hervorrufen können. Obligatorische Vereinbarungen mit den PatientInnen: 1. 2. 3. 4. 5.
6.
Einverständniserklärung der/des Patientin/en und Meldung an die SÜST (Suchtmittelüberwachungsstelle). Observanz der Einnahme unter Sicht. Ärztliche Kontrolle eines gesundheitsschädigenden Beikonsums durch Harntests. Regelmäßige Betreuung durch interdisziplinäre Fachdienste. Für jede Patientin / jeden Patienten muss eine genaue Aufklärung über das Substitutionsmittel und Gefahren einer falschen Applikation, sowie eines eventuellen Beikonsums, erfolgen. Beendigung der Substitution bei nicht kontrollierbarer missbräuchlicher Verwendung.
Indikationen für Substitutionen in Justizanstalten 1. 2.
3.
Patient kommt extramural substituiert in die Justizanstalt und wird nach Bestätigung in der jeweiligen Apotheke weitersubstituiert. Patient hatte vor der Inhaftierung einen Opiatabusus, von dem er innerhalb der Justizanstalt nicht loskommen kann und daher vor einem vorprogrammierten Rückfall nach der Enthaftung bewahrt werden soll. Patient wird opiatsüchtig innerhalb der Justizanstalt, wobei er jedoch nach einigen Entzugstherapien nicht von den Opiaten loskommt und zur Leidensminderung („harm-reduction“) zu seiner Sicherheit und gesundheitlichsozialen Prophylaxe substituiert wird.
Notwendige Kontrollen 1. 2.
Genaue Kontrolle der Einnahme des Substitutionsmittels durch das verfügbare und instruierte Personal (Krankenpflegepersonal, Beamte). Verpflichtende ärztlich georderte Harnkontrollen.
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Nachweisbarkeit im Harn: 1. 2.
Morphine, Buprenorphin: 4-5 Tage Methadon: bis zu 3 Wochen (abhängig von mehreren Faktoren)
Ethische Grundsätze der Substitution Die Suchtkrankheit ist eine chronisch rezidivierende Erkrankung, wobei das eigentlich angesetzte Therapieziel der Heilung (=Abstinenz) nur selten erreicht wird. Die moderne Suchttherapie nimmt zusehends mehr den Begriff der „harmreduction“, also der Leidensminderung auf. Die Priorität der Suchttherapie soll in einer Abklärung der Komorbiditäten liegen - sprich der Erkenntnis und Reflexion der Auslöser und Ursachen für die Sucht. Als erstes Substitutionsmittel empfiehlt sich, aus wissenschaftlichen Erfahrungsgründen und nebenbei aus Kostengrundsätzen, Methadon. Bei Auftreten starker Nebenwirkungen unter Methadon muss eine Umstellung auf ein besser verträgliches Substitut erwogen werden. Patientlnnen, die extramural mit einem Substitutionsmittel gut eingestellt waren, soll in Haft das gleiche Substitutionsmittel weiterverordnet werden. Gelegentliche Rückfälle gehören zum Wesen der Suchtkrankheit und sollen keinesfalls automatisch einen Ausschluss aus dein Substitutionsprogramm bedeuten, sondern eine weitere Gesprächsbasis zwischen dem Substituierenden und dem Patienten eröffnen. Insbesondere muss geklärt werden ob die Substitutionsmitteldosis ausreicht oder ob sie erhöht werden muss. Bei sehr oft auftretenden Rückfällen, trotz hoher Dosierung, muss ein eventueller Wechsel des Substitutionsmittels überlegt werden. Bei wiederholter ordnungswidriger Einnahme des Substitutionsmittels und/oder missbräuchlicher Verwendung soll der Patient langsam herunterdosiert und aus dem Substitutionsprogramm genommen werden, da er augenscheinlich doch zu wenig an basaler Motivation und Disziplin für die Substitution aufbringen kann.
Justizanstalt Wien-Favoriten Die Justizanstalt Wien-Favoriten ist eine Sonderanstalt für die Behandlung entwöhnungsbedürftiger Rechtsbrecher und bietet Platz für ca. 100 Insassen. Diese erfahren eine spezielle Betreuung durch ein Team von Psychologen, Psychotherapeuten, Sozialarbeitern, Pädagogen, Medizinern und geschulten Justizwachebeamten. Die JA Wien-Favoriten verfügt auch über eine eigene Abteilung für Frauen sowie über eine Außenstelle in Münchendorf.
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Zielgruppen der Sonderanstalt
• Straftäter, die ein Delikt im Zusammenhang mit berauschenden Substanzen begangen haben und vom Gericht in den Maßnahmenvollzug gemäß §22 StGB eingewiesen wurden. • Strafgefangene aus anderen Justizanstalten, die sich aufgrund des speziellen Suchtbehandlungsangebotes um die Aufnahme in die JA Wien-Favoriten bemühen (gemäß §68a StVG). • Frauen und Männer mit einer Freiheitsstrafe von einem bis rund acht Monaten können sich als „Quereinsteiger“ für den offenen Vollzug bewerben. Vor allem Betroffene mit offenem Strafantritt können so einen Arbeitsplatz unter den Bedingungen des Freiganges behalten und trotzdem ihre Strafe verbüßen. Elemente des Betreuungskonzeptes Wohngruppenvollzug, Gruppenpsychotherapie, Psychologische Gruppenbetreuung, Angebot der zusätzlichen Einzeltherapie/-betreuung, regelmäßige Alkoholund Harntests, Angebot der Beteiligung an verschiedenen Projektgruppen, Arbeitstätigkeit in der Anstalt, im justiznahen Bereich und bei Unternehmen außerhalb der Justizanstalt, intensive medizinische Betreuung Medizinische, therapeutische und psychologische Behandlung Wochentags sind Sanitäter im Dienst, die vor allem die morgendliche Ausgabe der Substitutionsmedikation vornehmen. In täglichen Sprechstunden können akute Beschwerden der Insassen behandelt werden. Des Weiteren stehen täglich ein praktischer Arzt, fast täglich ein Psychiater sowie verschiedene Fachärzte zu Fixzeiten zur Verfügung. Akut Erkrankte werden im nahegelegenen Krankenhaus versorgt, wenn die Versorgung im Hause nicht mehr gewährleistet werden kann. Bis zu zweimal wöchentlich werden von je zwei Therapeuten/Psychologen Gruppenpsychotherapien/Psychologische Betreuungen angeboten. (Gesprächs-, Gestalttherapie, systemische Therapie, Psychodrama und Psychoanalyse), wobei die Teilnahme verpflichtend ist. Zusätzliche Einzelpsychotherapie ist möglich. Konzept der stufenweise Vollzugslockerungen Geschlossener Vollzug Die Insassen können sich im Wohngruppenvollzug (9-12 Personen) rund um die Uhr frei bewegen, versorgen sich selbst und kochen gemeinsam. Sie arbeiten im Haus und nehmen an dem verpflichtenden sowie zusätzlichen Betreuungsangebot teil.
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Offener Vollzug Nach Bewährung und Beendigung des therapeutischen Programmes im geschlossenen Vollzug kann in den offenen Vollzug übergegangen werden. Dieser ist vom geschlossenen Vollzug räumlich getrennt. Hierbei werden folgende Unterteilungen getroffen: Gelockerter Vollzug Die Insassen kaufen abwechselnd direkt im Supermarkt ein und kochen gemeinsam in der Wohngruppe. Die Insassen haben die Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme außerhalb der Anstalt in justiznahen Einrichtungen (Gerichte etc.). Auch die Freizeit wird zunehmend außerhalb verbracht, um das Leben „draußen“ schrittweise zu erproben. Der Aufenthalt in der JA Wien-Favoriten sollte zwei Jahre nicht überschreiten. Ausgenommen sind Personen, die am „Langstrafigenprojekt“ teilnehmen. Im Laufe der Anhaltung wird die Kontrolle durch die Anstalt schrittweise reduziert, um zunehmend mehr Freiheit zu gewähren und somit die Möglichkeit zu geben, nach und nach Eigenverantwortung zu übernehmen. Frauenvollzug Neben den therapeutischen Angeboten im Rahmen einer Entwöhnungsbehandlung bei substanzbezogener Abhängigkeit (Alkohol, illegale Drogen und Medikamente) werden zusätzlich auch jene Probleme behandelt, die im Zusammenhang mit der Suchterkrankung stehen (Missbrauchserfahrung, Gewalterfahrung, partnerschaftliche und familiäre Konflikte). Zielgruppe sind daher jene Frauen, deren Delikte im Zusammenhang mit einer Suchterkrankung standen (Untergebrachte gem. § 22 StGB bzw. Strafgefangene, die sich nach § 68 StVG um einen Behandlungsplatz in Favoriten bewerben). Daneben können auch Frauen mit nicht suchtgebundenen Delikten aufgenommen werden. Behandlungskonzept Grundsätzlich besteht das Prinzip der Eigenverantwortung; die Insassinnen sollen ihren Alltag möglichst selbst organisieren. Dazu gehört auch die aktive Mitarbeit an der eigenen Behandlung. Im geschlossenen Vollzug nehmen die Insassinnen entweder an der psychologischen Gruppe (2x/Woche) oder an einer Gruppentherapie (2x/Woche) teil. Je nach Kapazität und bei entsprechendem Bedarf sind psychologische Einzelbetreuungen möglich.
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Allen Behandlungsangeboten liegt ein frauenspezifischer Ansatz der Suchtentstehung und Suchterkrankung zu Grunde. Dazu zählt auch die Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft sowie die Entwicklung eines weiblichen Selbstverständnisses. Die Förderung von Autonomie und Selbständigkeit zeigt sich dann schlussendlich auch in der Gestaltung des Abteilungslebens. Psychosoziale und Medizinische Betreuung Eine umfassende psychosoziale Betreuung durch Psychologen, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter ist ebenso gewährleistet wie eine umfassende psychiatrische und ärztliche Versorgung. Außerdem werden bestehende – im Gesundheitswesen anerkannte – Substitutionsbehandlungen unter ärztlicher Kontrolle weiter geführt. Zur Kontrolle der Drogenabstinenz bzw. der korrekten Einnahme der Substitution sind Harnabgaben verpflichtend vorgesehen. Behandlungsverlauf Der Behandlungsverlauf gestaltet sich wie oben angeführt auch nach dem Konzept der stufenweisen Vollzugslockerung. Arbeitstherapeutischer Betrieb Nora „NORA“ ist ein sozialtherapeutischer Arbeitsbetrieb der JA Favoriten, in welchem bis zu vier Frauen nach dem Absolvieren eines EDV- Kurses arbeiten können, wenn sie im gelockerten Vollzug sind bzw. einen Freigängerinnen-Status erlangt haben. Die Frauen verarbeiten, formatieren und layouten Texte und erledigen viele andere Büroarbeiten und -aufträge. Die Insassinnen können sich bei „NORA“ unter beschäftigungstherapeutischen Gesichtspunkten im Arbeitsprozess erfahren und in der Auseinandersetzung mit den an sie gestellten Anforderungen fachliche und persönliche Kompetenz entwickeln. Außenstellen Münchendorf und Schweizer Haus Hadersdorf Die Vollzugslockerungen in der Außenstelle Münchendorf finden innerhalb eines therapeutischen Rahmenprogramms schrittweise statt. Die Insassen nehmen zweimal pro Woche verbindlich an einer Gruppenpsychotherapie teil. Das Arbeitsangebot der Außenstelle Münchendorf umfasst zum Teil Arbeiten in Organisationen außerhalb der Anstalt in einer Kleintierzucht, bei der Pflege von Soldatenfriedhöfen, bei Biobauern oder in der Buchbinderei. Auch die Freizeit kann sehr autonom gestaltet werden. Jeweils zwei Insassen sind für das Einkaufen und Kochen zuständig. In der Anstalt sorgt ein abwechslungsreiches Freizeitangebot
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mit mehreren Sportarten für die Teilnahme am sozialen Leben. Die Außenstelle Münchendorf wird von fünf Justizwachebeamten und den Therapeuten betreut und findet eine breite Akzeptanz in der Umgebung. Tabelle 1. Kapazität
Männer: Geschlossener Vollzug:
Gelockerter Vollzug/Freigang: Außenstelle Münchendorf: Frauen: Geschlossener Vollzug: Gelockerter Vollzug/Freigang: Außenstelle SHH: Außenstelle Münchendorf
Zugangsabteilung 8 Insassen Wohngruppen 12- 18 Insassen, gesamt 64 Insassen 15 Insassen 15 Insassen
Wohngruppen 12 bis 18 Insassinnen, gesamt 30 Insassinnen 10 Insassinnen 5 Insassinnen 12 Insassinnen
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Zentrale Informationsstelle In der JA Wien-Favoriten wurde eine zentrale Verteilerstelle für Informationsmaterial betreffend HIV/AIDS bzw. Hepatitis C für die Justizanstalten eingerichtet. Jedem neu Inhaftierten wird anlässlich der Zugangsuntersuchung ein sogenanntes „Care-Paket“ überreicht. Dieses enthält Informationsbroschüren über HIV/AIDS bzw. Hepatitis C, eine 3er-Packung Kondome mit Lubrificans sowie ein Merkblatt, in dem auf das mögliche Risikoverhalten während der Haft eingegangen wird.
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Justizanstalt Innsbruck Seit 01.03.1993 gibt es in der Justizanstalt Innsbruck eine Sonderabteilung für die Behandlung drogenabhängiger Rechtsbrecher mit insgesamt 12 Betten. Zur materiellen und ideellen Unterstützung wurde der Verein „Drug Out“ gegründet. Dieser bezweckt die unbürokratische finanzielle Unterstützung sowie Präventionsarbeit. Die Justizanstalt Innsbruck hat seit 01.03.1997 auch eine „Drogenfreie Abteilung“ für 50 Insassen eingerichtet, die aus mehreren Zonen im Haus besteht. Ziele und Tätigkeiten des Vereins „Drug Out“
• Finanzierung therapeutischer Freizeitaktivitäten von Insassen. • Projekt „Sport gegen Drogen“ (sportliche Aktivitäten und Veranstaltungen mit Experten) - Förderung der Nachbetreuung entlassener Untergebrachter. • Präventionsarbeit (Vorträge, Seminare, Diskussionsveranstaltungen, Workshops etc. von Insassen, therapeutischem Fachpersonal und Vereinsmitgliedern). • Medienarbeit • wissenschaftliche Begleitforschung – Angehörigenarbeit. Projekt „Gefängnis und Sucht“ – Modell Innsbruck Dieses Projekt (Juli 1996 bis Oktober 1998) bildete die Grundlage für die heutige Betreuung Drogenabhängiger in der Justizanstalt Innsbruck. Grundlegende Elemente und Aktivitäten, die während dieses Projektes versucht wurden, bestehen in adaptierter Form weiter und bilden die Grundlage der Betreuung der drogenkranken Insassen und der Insassen, die freiwillig in der „drogenfreien Abteilung“ untergebracht sind. Aspekte der Betreuung Drogenpolitik mit konsequenter Verfolgung:
• Schaffung drogenfreier Zonen für Insassen • Einstellung des Privatwäschetauschs • verstärkte Berücksichtigung von Schmuggel- und Handelsmöglichkeiten an neuralgischen Arbeitsplätzen bei der Arbeitseinteilung für die Insassen
• Harntests bei Risikogruppen, rasche Auswertung im anstaltseigenen Labor; Einbeziehung von Drogenwischtests • mehr Personen- statt Haftraumvisitierungen
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Michael Neider
Freiwillige schriftliche Erklärung der Insassen der „drogenfreien Abteilung“ über völlige Drogenabstinenz und das Einhalten der Regeln dieser Abteilung Veranstaltung von Projekttagen
• Medizinische Vorträge über Drogensucht und Infektonsvermeidung - Expertenvorträge zu Drogenaspekten • Informationsveranstaltungen für Justizbedienstete • Medienarbeit (Talkshows, Radiodiskussionen, Konzerte und Posterausstellungen) Therapeutische Aktivitäten
• verstärkte medizinische, psychologische und psychiatrische Betreuung in der • • • •
Behandlungsabteilung gemäß §22 StGB (nur für männliche Insassen) Methadonsubstitution, psychiatrische Entzugstherapie Gesprächsgruppen (männliche und weibliche Insassen gemeinsam) - Gruppe für Suizidprävention Erlernen von Entspannungstechniken unter psychologischer Anleitung Theatergruppe
Kooperation mit diversen Organisationen Nachbetreuung
• mit Hilfe des Vereins „Drug Out“ • Vernetzung mit externen Organisationen Konzept der Sonderabteilung Die Strafgefangenen werden entweder vom verurteilenden Gericht in den Maßnahmenvollzug für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher gemäß § 22 StGB eingewiesen oder nehmen freiwillig an einer Entwöhnungsbehandlung gemäß § 68a StVG teil. Die Abteilung mit insgesamt 12 Therapieplätzen wird von einem Justizwachebeamten als Leiter der Abteilung, einer Psychologin, einer Psychotherapeutin und einem Sozialarbeiter betreut. An einer Entwöhnungsbehandlung interessierte Insassen bewerben sich beim Behandlungsteam um eine Aufnahme. Oberste Voraussetzung für die Teilnahme am Therapieprogramm ist der schriftliche „Therapievertrag“, der bei der Aufnahme unterschrieben wird. Darin verpflichten sich die Insassen zur absoluten Drogenfreiheit, zur freiwilligen Teilnahme an der Therapie und zur Arbeitswilligkeit sowie zur Erklärung, keine Psychopharmaka und kein Methadon zu erhalten. Die Sonderabteilung
Ärztliche Versorgung im österreichischen Strafvollzug
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nimmt keine Alkoholentwöhnungsbehandlung vor (diese kann in der JA Feldkirch absolviert werden). Therapieprogramm Einstiegsphase (3 Monate) Die Einstiegsphase dient zur Förderung und Beobachtung (Probezeit) der Motivation des Insassen, zum Kennenlernen der Station sowie zum Aufbau einer therapeutischen Beziehung. Die Therapieziele werden gemeinsam erarbeitet; „Änderungsmotivation.“ Hauptphase (ca. 4-6 Monate) In den Gruppenaktivitäten und in der Einzelbetreuung wird an der Umsetzung der Therapieziele gearbeitet. Regelmäßige Ausgänge schaffen die Möglichkeit, persönliche (familiäre) Beziehungen aufrecht zu erhalten bzw. neu zu gestalten. Erste Kontakte zu externen Einrichtungen für eine Nachbetreuung nach der Haft können hergestellt werden. Auch diverse Ausgänge oder Sozialtrainings wie Bergwanderung, Rad fahren, Langlaufen etc. werden in dieser Phase besonders forciert. Entlassungsphase (1-2 Monate) Schwerpunkte in dieser Zeit sind sozialtherapeutische Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung. Neben der Abklärung der späteren Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten werden gezielte Vorbereitungen für eine individuell abgestimmte Nachbetreuung getroffen. Während dieser Phase besteht die Möglichkeit, externe Kurse zum Zwecke der Berufsausbildung und Fortbildung zu besuchen. Ebenso kann ein Freigang gewährt werden, wobei eine Verlegung in die Freigängerabteilung erfolgen muss. Während der gesamten Zeit in der Maßnahmenabteilung sind die Insassen zur anstaltsinternen Arbeitstätigkeit verpflichtet. Interner Therapieablauf
• Organisationsgruppe einmal wöchentlich mit dem Abteilungsbeamten - thera• • • • •
peutische Gruppe einmal wöchentlich einzeltherapeutische Gespräche themenbezogene Gruppe (drogenspezifische Themen) Sportgruppe Kreative Freizeitgestaltung Autogenes Training
Überlegungen zu medizinischer Ethik im Gefängnis
Jörg Pont
Aus ärztlicher Sicht einige Überlegungen zu medizinischer Ethik im Gefängnis und wie wir in Österreich versuchen, diesen gerecht zu werden. Medizinische Betreuung im Gefängnis wirft bei Gefangenen, bei Gefängnisärzten und deren Mitarbeitern sowie bei den Sicherheitsbeamten und der Gefängnisleitung eine Reihe von Fragen und Problemen auf, die spezifisch für die Haftsituation sind: Gefangene, die sich ihren Arzt im Gefängnis ja nicht wählen können, begegnen dem Gefängnisarzt, der im Sold der Strafvollzugsverwaltung steht, oft mit Misstrauen hinsichtlich seiner ärztlichen Verschwiegenheit, seiner beruflichen Unabhängigkeit vom Strafvollzug und seiner Qualifikation. Gefängnisärzte und Pflegepersonen stehen vor dem Problem, wie berufliche Verschwiegenheit und Vertraulichkeit sowie Einverständnis und Selbstbestimmung der Patienten im Umfeld der totalitären Institution Gefängnis verwirklicht und somit das Vertrauen ihrer Patienten gewonnen und erhalten werden kann. Wie geht man mit den oft unbilligen Erwartungen und Forderungen sowohl von Seiten Gefangener als auch der Gefängnisadministration um? Muss Anordnungen der Gefängnisverwaltung, die medizinische Handlungen oder Entscheidungen betreffen, Folge geleistet werden? Ist die Funktion des Gefängnisarztes mit der des Amtsarztes oder der eines Arbeitsmediziners für die Beamten vereinbar? Wie sind erforderliche teure medizinische Maßnahmen trotz knappen Budgets der Haftanstalt durchsetzbar? Leiter von Justizanstalten und Wachebeamten stellen sich die Frage hinsichtlich der Rolle des Gefängnisarztes bei der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Gefängnis: Sind ärztliche Verschwiegenheit, Selbstbestimmung der Patienten und professionelle Unabhängigkeit des Arztes und seines Teams mit Sicherheit und Ordnung im Gefängnis überhaupt vereinbar? Warum sollte der Arzt nicht durch Mitwirkung bei Leibesvisitationen und Drogentests sowie durch Attestierung medizinischer Zumutbarkeit von Disziplinarstrafen zu Sicherheit und Disziplin im Gefängnis beitragen? Kann der Gefängnisarzt nicht auch amtsärztliche Befugnisse wahrnehmen? Ist bei allseits knappen Ressourcen die Durchführung teurer Diagnose- und Behandlungsmethoden bei Gefangenen der Gesellschaft gegenüber überhaupt vertretbar?
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Jörg Pont
Um allen diesen Fragen, Problemen und Gegensätzlichkeiten entsprechend begegnen zu können, ist es unerlässlich, dass • •
Gefängnisärzte und deren Mitarbeiter sich an feste Grundsätze medizinischer Ethik halten und dass die Grundsätze dieser medizinischen Ethik allen Menschen im Gefängnis Gefangenen, Wachebeamten und Leitern der Gefängnisadministration - bekannt gemacht und von ihnen akzeptiert werden.
Es existieren zahlreiche Konventionen, Deklarationen und Empfehlungen, die internationalen Konsens über die ethischen Prinzipien medizinischer Betreuung in Haft festgeschrieben haben. In Österreich hat sich gezeigt, dass viele der in Gefängnissen tätigen Ärzte mit diesen Dokumenten nicht vertraut waren und in ethischen Konfliktsituationen Unsicherheiten zeigen. Wir haben diesem Nachholbedarf durch Erstellung von einem Leitfaden und durch Trainingsangebot Rechnung getragen. Die Essenz medizinischer Ethik im Gefängnis, wie sie in den angeführten internationalen Dokumenten aufscheint, kann wie folgt zusammengefasst werden: 1. Die Tätigkeit von Gefängnisärzten und Pflegepersonen im Gefängnis soll ausschließlich der Gesundheit und dem Wohlergehens der Gefangenen dienen. In Österreich soll daher der Gefängnisarzt nicht an Leibesvisitationen teilnehmen und keine oralen, rektalen oder vaginalen Untersuchungen oder Drogentests durchführen, die aus Gründen der Sicherheit und Ordnung im Gefängnis veranlasst werden und nicht im Interesse der Gesundheit des Gefangenen. Wenn erforderlich, sollen solche Untersuchungen durch einen Amtsarzt erfolgen oder einen anderen Arzt, der nicht mit der Gesundheitsobsorge der Gefangenen betraut ist. Gefängnisärzte sollen auch keine Atteste über die medizinische Tauglichkeit ihrer Patienten für disziplinär verhängte Strafverschärfungen ausstellen, sie sollen aber prompt ihre berechtigten Einwände erheben, wenn die Strafverschärfung die Gesundheit des Gefangenen zu beeinträchtigen oder zu gefährden droht. 2. Die 7 essentiellen Prinzipien für die Gesundheitsversorgung Gefangener, wie sie vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe des Europarates (CPT) festgelegt wurden, lauten: • Ungehinderter Zugang zum Arzt und • Gleichwertigkeit der Gesundheitsversorgung wie in Freiheit Diese beiden Prinzipien stellen in Österreichs Justizanstalten, von den hohen Kosten für die Gesundheitspflege abgesehen, derzeit keine großen Probleme dar. • Selbstbestimmung des Patienten sowie Vertraulichkeit und Verschwiegenheit des Arztes. Selbstbestimmung und Einwilligung des Patienten müssen gerade in der Haftsituation besonders ernst genommen werden. Selbstbestimmung und Einverständnis zu oft komplexen medizinischen Maßnahmen erfordern ausreichende Information („informed consent“). Neben Unterbegabung und Bildungsdefiziten, die so häufig unter Gefängnisin-
Überlegungen zu medizinischer Ethik im Gefängnis
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sassen anzutreffen sind, müssen wegen des hohen Ausländeranteils in österreichischen Justizanstalten Sprachbarrieren bei ärztlicher Aufklärung berücksichtigt werden: Hier herrscht nach wie vor ein Defizit an verfügbaren Dolmetschern. Ohne Einwilligung des ausreichend informierten Patienten darf keine diagnostische oder therapeutische Maßnahme gesetzt werden. Dasselbe gilt auch für Gefangene im Hungerstreik: Jegliche Zwangsernährung gegen den Willen eines mental kompetenten Gefangenen, ist mit medizinischer Ethik absolut unvereinbar, wenn sie auch nach österreichischem Recht immer noch gesetzeskonform ist (StVG §69/2). Während die vertrauliche Handhabung medizinischer Dokumentation in Österreich weitgehend gewährleistet ist, lässt in praxi die Vertraulichkeit der ärztlichen Untersuchung in vielen Justizanstalten noch zu wünschen übrig: Wachebeamte sollten nur dann während einer ärztlichen Untersuchung anwesend sein, wenn der Arzt dies aus Sicherheitsgründen wünscht und auch dann sollen sie sich außer Hörweite aufhalten. Präventive Gesundheitsvorsorge. An gezielten Präventionsstrategien für den Problemkreis Drogenkonsum/HIV/HBV/HCV haben wir in österreichischen Gefängnissen neben intensivierter, fortgesetzter Informationsarbeit „drogenfreie Abteilungen“ in etlichen und Opiatsubstitutionsprogramme in allen Justizanstalten etabliert sowie anonyme Kondomverfügbarkeit veranlasst, für Nadel/Spritzenaustauschprogramme hat in Österreich bisher der politische Mut gefehlt. Die Wiedereinführung eines Tuberkulosescreenings wurde in Anbetracht der neuen epidemiologischen Situation mit zahlreichen Gefangenen aus Osteuropa und dem Auftreten multiresistenter Tuberkulose erforderlich. Diese Maßnahmen kommen nicht nur den Menschen, die sich gerade in Haft befinden zu Gute, sondern der gesamten Gesellschaft. Sie sind allerdings nur dann sinnvoll, wenn sie durch nahtlose Nachbetreuung nach Haftentlassung durch die Gesundheitsbehörden ergänzt werden. Auch in diesem Sinne scheint uns eine „transmural“ orientierte Gesundheitsversorgung gegenüber einer rein „intramural“ ausgerichteten von Vorteil. Weitere strukturelle Verbesserungen der Kooperation mit den Gesundheitsbehörden in Österreich sind hiefür erforderlich. Humanitärer Beistand durch das medizinische Betreuungspersonal benötigen in erster Linie jene Gefangenen die zu den Gefangenengruppen mit besonderer Schutzbedürftigkeit zählen: dies sind (schwangere) Frauen, Mutter und Kind, und jugendliche Gefangene sowie geistig behinderte Gefangene, Angehörige ethnischer oder kultureller Minoritäten und Gefangene wegen Sexualvergehen. Während in vielen Gefängnissen der Schutzbedürftigkeit ersterer bereits Rechnung getragen wird, lässt sie für letztere meist zu wünschen übrig. Professionelle Unabhängigkeit wurde in Österreich durch den Verzicht auf beamtete Dienstverhältnissen von Ärzten wesentlich erleichtert, wie von M. Neider bereits ausgeführt. Professionelle Kompetenz: Das für Gefängnisärzte und Pflegepersonen im Gefängnis benötigte spezialisierte Wissen, um den in Gefängnissen vor-
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Jörg Pont
herrschenden Gesundheitsstörungen und Krankheiten – Drogenmissbrauch und Drogenabhängigkeit, psychiatrische Krankheiten, die Infektionskrankheiten Hepatitis B und C, Tuberkulose, HIV/AIDS - unter den Bedingungen der Haftsituation gerecht werden zu können, wird von der Gesellschaft, aber auch von Ärzten und Pflegepersonen weitgehend unterschätzt. Die CPT zieht daher die Einführung einer anerkannten beruflichen Spezialisierung für Ärzte und Pflegepersonen in Gefängnissen in Betracht, die durch ein entsprechendes post-graduate training und regelmäßige Weiterbildung ausgewiesen werden soll. In Österreich, wie in allen anderen Ländern, besteht eine anerkannte strukturierte Ausbildung dieser Art nicht oder noch nicht. Der Verband österreichischer Justizärzte organisiert regelmäßige Fortbildungstage und bietet jungen oder neuen Kollegen Hilfestellung. Darüber hinaus sind können rezent erschienene Trainingsbehelfe und Guidelines empfohlen werden.
Healthy Prisons – Eine innovative und umfassende Strategie zur Reduktion gesundheitlicher Ungleichheiten in Haft
Heino Stöver
Einleitung ...........................................................................................................236 Was ist Gesundheitsförderung? .......................................................................236 Theoretische Hintergründe des Konzeptes „Gesundheitsförderung“.............237 Bedeutung der Gesundheitsförderung für das setting Gefängnis...................238 Gesundheitsversorgungsstrukturen ................................................................241 Gesundheitliche Belastungen der Gefangenen, Problembereiche der Anstaltsmedizin .................................................................................................248 Gesundheitliche Situation von Frauen im Strafvollzug .................................250 Sexualität als medizinisches Problem im Gefängnis .....................................252 Gesundheitliche Lage der Gefangenen in Deutschland .................................254 Fazit ....................................................................................................................256 Literatur.............................................................................................................257
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Heino Stöver
Einleitung „Healthy Prisons?“ Sind „Gesunde Gefängnisse“ nicht ein Widerspruch in sich selbst? Und: erleben wir nicht im Alltagsumgang mit den Gefangenen, dass viele von ihnen von der guten gesundheitlichen Versorgung nebst haftspezifischer Regelmäßigkeiten (stabiler Tag-Nacht-Rhythmus, Essen, bessere Ansprechbarkeit für Fragen der Hygiene und Körperpflege, Sportangebote etc.) enorm profitieren, ja dass eine gesundheitliche Stabilisierung und sogar Verbesserung erreicht wird, die es draußen (lange) nicht gab (z.B. bei DrogenkonsumentInnen) und schließlich: ist das Gefängnis nicht ein Ort, wo oftmals überhaupt ein erstmaliger Kontakt mit medizinischer Hilfe (z.B. MigrantInnen) stattfindet? Nur wissen wir auch, dass der Entzug der Freiheit in geschlossenen Institutionen krankmachende Wirkungen auf die Insassen hat, ja dass auch neue Krankheiten und Störungen zu den bereits bekannten hinzukommen können. Nicht selten markiert die Haftzeit einen biographischen Zeitabschnitt, in dem möglicherweise gesündere Verhaltensweisen gelebt wurden, die aber bereits an der Schnittstelle zur Freiheit wieder versagen, weil die bekannten Muster das gerade Erreichte in Frage stellen. 1 Dies gilt besonders für die Population der drogenabhängigen Gefangenen, die heute etwa 30 - 50% der Gefangenen ausmachen (vgl. Stöver 2002, Stöver/Weilandt 2007). Ihre gesundheitliche Situation soll vor dem Hintergrund der pathogenen Strukturen des Entzugs der Freiheit und der totalen Institution Gefängnis im Folgenden thematisiert werden. Defizite der gesundheitlichen Versorgung werden aufgezeigt, Alternativen werden angemahnt. Die Gefangenen sollen nicht auch noch mit einer schlechteren gesundheitlichen Versorgung zusätzlich bestraft werden. 2 Das Ergebnis dieser Thematisierung könnte sein, die Widersprüchlichkeiten der Inhaftierungssituation dieser Gruppe zu benennen und zuzuspitzen – also z.B. auch Wege zu einer Entlassung aus der Haft bzw. zur systematisch besser genutzten Haftvermeidung aufzuzeigen. Jenseits oder parallel zu solchen Entwicklungen sollte man aber auch darüber nachdenken, wie Gefängnisse „gesünder“ gemacht werden können.
Was ist Gesundheitsförderung? Das Konzept „Healthy Prisons“ dient als gesundheitstheoretischer Rahmen, um im folgenden Gedanken zur strukturellen Verbesserung der gesundheitlichen Lage von Gefangenen, vor allem mit dem Problem „Drogenkonsum“ und damit assoziierte Erkrankungen und Risiken, zu entwickeln. Dabei ist der Begriff „Healthy Prisons“ als plakativer Leitbegriff zu verstehen, angelehnt an ähnliche Projekte der Weltgesundheitsorganisation („Healthy Schools“, „Healthy Hospitals“ etc.; vgl. umfassend Stöver 2000; Møller et al. 2007). Es gibt – wie oben angedeutet – 1 2
Vgl. umfassend zur Gesundheit in Haft: Keppler/ Stöver 2008. Vgl. dazu umfassend: Stöver/Lesting 1999.
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keine „gesunden Gefängnisse“: der Freiheitsentzug an sich ist gesundheitsabträglich. Gemeint ist die Umsetzung und strukturelle Verankerung des Konzeptes „Gesundheitsförderung“ für alle im Gefängnis lebenden und arbeitenden Menschen – und möglichst mit ihnen. Gesundheitsförderung hat nichts mit dem im deutschen Strafvollzugsgesetz verankerten Prinzip der Gesundheitsfürsorge zu tun, für die der Staat die Verantwortung für die Zeit der Inhaftierung übernimmt. Theoretische Hintergründe des Konzeptes „Gesundheitsförderung“ Die Diskussion über Inhalte, Ziele, Methoden und Organisation einer Förderung von Gesundheit hat mit der 1986 auf der „First International Conference on Health Promotion“ in Ottawa/Kanada verabschiedeten Ottawa Charta eine Grundlage erhalten. Darin wurde der Grundgedanke von Gesundheitsförderung folgendermaßen formuliert: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozeß, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, daß sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können. In diesem Sinn ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. ... Menschen können ihr Gesundheitspotential nur dann weitestgehend entfalten, wenn sie auf die Faktoren, die ihre Gesundheit beeinflussen, auch Einfluß nehmen können.“ Die Kernaussage lautet: Menschen sollen befähigt werden, möglichst viel Einfluß auf die Erhaltung und Verbesserung der eigenen Gesundheit auszuüben und Eigenverantwortung für ihre Gesundheit und die anderer zu übernehmen. Dieser Prozeß kann aber nicht ohne die Schaffung und Veränderung entsprechender sozialer, politischer und ökonomischer Rahmenbedingungen erfolgen. Die Charta umfaßt eine grundsätzliche Strategie für Gesundheitsförderung: „Sie definiert Gesundheitsförderung als ein Programm sozialer Veränderung, das die Weiterentwicklung von Organisationen ebenso umfaßt, wie die Entwicklung persönlicher Kompetenzen“ (Grossman & Scala 1994, S. 24). Der (professionelle) Ansatz ‚Gesundheitsförderung’ bietet sowohl theoretische als auch politische und hilfepraktische Ansatzpunkte, die der Weiterentwicklung der gesundheitlichen Versorgung der Gefangenen und der Bediensteten dienlich sein könnten. Das Konzept ‘Gesundheitsförderung’ versteht sich gerade als ein gesundheitspolitisches Konzept, das Selbstbestimmungsprozesse von Menschen über ihre Lebensverhältnisse erweitern und Partizipationsmöglichkeiten aller gesellschaftlichen Mitglieder an sozialen, gesundheitszentrierten Diskursen und Praxen unterstützen will. Ein konsequenter Lebensweltbezug, Alltagsorientierung, Gemeinwesenorientierung, Partizipation aller Betroffenen und Beteiligten, Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten, Orientierung an Kompetenzen und Ressourcen der Menschen (salutogene Perspektive) sind Ausgangspunkte für gesundheitsfördernde Projekte. Die Rolle der Professionellen läßt sich idealtypischerweise mit
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Heino Stöver
dem Status eines Mentors/einer Mentorin charakterisieren, die vermittelnd, fördernd und unterstützend mit ihrer Arbeit zur Erweiterung der Kontrollmöglickeiten über die eigenen Lebensweltbezüge (Empowerment) der betroffenen Menschen beitragen. Gesundheitsförderung versteht individuelles gesundheitsorientiertes Handeln als eine auf einen übergeordneten lebensweltlichen Kontext bezogene Praxis. Veränderungs- und Förderungsprozesse beziehen sich demnach immer auf das gesamte System der sozialen und gesundheitlichen Thematik (setting-Bezug). Individuelle Gesundheitsförderung wirkt auf die Lebenswelt als das soziale System, strukturelle Gesundheitsförderung wirkt auf individuelle Verhaltensmöglichkeiten zurück. Dieses zirkuläre Entwicklungsverständnis belegt die umfassende gesundheitspolitische Motivation von Gesundheitsförderung. Gesundheitsförderung umfaßt neben der Analyse und Stärkung der Gesundheitsressourcen und -potentiale Einzelner die gleichzeitige Thematisierung gesellschaftlicher Dimensionen kollektiven Gesundheitsverhaltens und der Lebensverhältnisse. Das bedeutet die Abkehr von der Fixierung auf individuelle Verhaltensweisen, hin zum Einbezug sozialer und politischer Ebenen bei der Gestaltung der Gesundheitsförderung (vgl. Brösskamp-Stone, Kickbusch & Walter 1998). Diese Sichtweise kann nicht mehr mit dem Präventionsbegriff operieren: Dieser ist sehr eng gefaßter, und beinhaltet Maßnahmen, wie eine besondere gesundheitliche Schädigung durch gezielte Aktivitäten verhindert, weniger wahrscheinlich oder verzögert werden kann (vgl. Schwartz et al. 1998, S. 151). Mit dem Handlungskonzept „Gesundheitsförderung“ wird ein Paradigmenwechsel deutlich: weg von der Krankheits- hin zur Gesundheitsorientierung (vgl. v.a. Antonovskys Theorie der Salutogenese 1979). Das Konzept „Gesundheitsförderung“ hat zur Durchsetzung eines umfassenden sozial-ökologischen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit in unserer Gesellschaft beigetragen. Es hat die Aufmerksamkeit neben der individuellen Verhaltensveränderung auf die gesundheitsrelevanten Lebens- und Arbeitsbedingungen gelenkt, die nur durch politisches Handeln gesetzt und verändert werden können. Gesundheitsförderung wird zunehmend als Zukunftsinvestition wahrgenommen. Bedeutung der Gesundheitsförderung für das setting Gefängnis Erste Spuren einer auf Gesundheitsförderung angelegten Behandlung von Gefangenen lassen sich bereits im 18. Jahrhundert wahrnehmen. John Howard bspw., einer der großen Strafrechtstheoretiker Englands kommentiert in seinem Werk „The State of Prisons in England and Wales“ bereits im Jahre 1777 (4. Auflage) das Gesetz zur Gesunderhaltung der Gefangenen (Act for Preserving the Health of Prisoners 3 ): „The late Act for Preserving the Health of Prisoners requires that an experienced Surgeon or Apothecary be appointed to every gaol: a man of repute in his profession. His busi3
Dank an Rick Lines, National University of Ireland, Galway, für diesen Hinweis.
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ness is, in the first place, to order the immediate removal of the sick, to the infirmary; and see that they have proper bedding and attendance. Their irons should be taken off; and they should have, not only medicines, but also diet suitable to their condition. He must diligently and daily visit them himself; not leaving them to journeymen and apprentices. He should constantly inculcate the necessity of cleanliness and fresh air; and the danger of crowding prisoners together: and he should recommend, what he cannot enforce. I need not add, that according to the act, he must report to the justices at each quarter-sessions, the state of health of the prisoners under his care.“
Interessant ist, dass bei Howard bereits moderne Prinzipien der Gesundheitsversorgung im Gefängnis deutlich hervorgehoben werden:
• Es soll sich um einen erfahrenen und anerkannten surgeon handeln, der von jedem Gefängnis benannt werden soll.
• Die Kranken sollen von den übrigen Gefangenen getrennt im Krankenbereich untergebracht werden, mit sauberem Bett und attendance.
• Die Eisen als Hauptlast sollen entfernt werden und nicht nur Medizin, sondern auch entsprechende Nahrung sollen gegeben werden.
• Tägliche Besuche durch den Arzt, nicht durch anderes Personal. • Die Notwendigkeit der Einhaltung von Hygiene (Sauberkeit und Frischluft und die Gefahr der Überbelegung wird angesprochen). • Und schließlich wird so etwas wie Gesundheitsberichterstattung eingefordert. Die Geschichte der Bestrafung ist bis heute unmittelbar mit Töten, Foltern, Quälen, dem Zufügen von Leid, der Vorenthaltung von gesundheitlicher Versorgung mit dem Ziel der Abschreckung, dem Erpressen von Geständnissen, der Gewinnung von Informationen verbunden. Eine schlechtere gesundheitliche Versorgung von Gefangenen als Teil der Strafe wird weitgehend anerkannt und übereinstimmend gebilligt: Durch die in der Bevölkerung populäre „Gefangenschaft bei Wasser und Brot“ – Ideologie. Foucault hat in seinem Werk über die ‚Geburt des Gefängnisses’ die Prozesse von der äußerlich sichtbaren, öffentlichen Bestrafung hin zur verdeckten, abgegrenzten ‚inneren’ Bestrafung beschrieben. Die aktuellen Nachrichten über CIAGefängnisse und die dort angewandten Verhörmethoden, die laut Gesetzentwurf den US-amerikanischen Präsidenten ermächtigen „…die schlimmsten Terroristen der Welt weiter zu befragen und ihre Geheimnise zu erfahren…“ mit Methoden, die letztlich nur er für zulässig hält, deuten darauf hin, dass Bestrafung nach wie vor auf Leib und Leben, auf Körper, Seele und Geist des Gefangenen zielt. Die aktuellen Entwicklungen zeigen auch, welche barbarischen und überwunden geglaubte Strategien der Bestrafung von Häftlingen bei Bedarf wieder angewendet werden können, und wohl weltweit in Gulags und (geheimen) Gefängnissen der Welt angewendet werden. Um unveräußerliche Grundlagen für die gesundheitliche Behandlung Gefangener zu schaffen haben die Vereinten Nationen bereits Mitte der 50er Jahre die 'Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners' (1955) erarbeitet: „...The medical services should be organized in close relationship to the general
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health administration of the community or nation... “ (Rule 22/1; vgl. auch Vereinte Nationen 1990, Principle 9). Auch der Europarat hat dies eingefordert: „Die Gesundheitspolitik in der Haft soll Teil der nationalen Gesundheitspolitik und mit ihr vereinbar sein. Der Gesundheitsdienst in einer Vollzugsanstalt soll in der Lage sein, unter Bedingungen, die denen außerhalb der Anstalt vergleichbar sind, eine allgemeinärztliche, psychiatrische und zahnärztliche Behandlung zu gewährleisten und Programme auf dem Gebiet der Hygiene und der vorbeugenden Medizin durchzuführen.” (Empfehlung des Ministerkommittees No. (98) 7 vom 8. April 1998 über die Einhaltung von ethischen und organisatorischen Grundsätzen der medizinischen Versorgung im Gefängnis [Veröffentlichungen des Council of Europe, 1998, Recommendation Nr. (98) 7, in Kurzform ZfStrVO 1999, 104] vgl. auch m.w.N. Pont 2006). Insgesamt wird heute in der internationalen Diskussion auf die Notwendigkeit der Angleichung gesundheitlicher Versorgung und psycho-sozialer Unterstützungspraxis an die extern entwickelten und in der Kommune/Region/Nation praktizierten Standards verwiesen. Von zahlreichen internationalen Organisationen, wie WHO oder Europarat, WHO/UNAIDS/UNODC, wird die Gleichwertigkeit der Versorgung für einzelne Teilbereiche (z.B. Umgang mit HIV/AIDS in Gefängnissen: WHO 1993; WHO/UNAIDS 2006) oder für das gesamte System medizinischer Behandlung eingefordert (Committee for the Prevention of Torture/CPT). Die Gesundheitsfürsorge für die Gefangenen liegt in der Verantwortung der Justizvollzugsbehörden. An die Stelle von Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung in der Herstellung und Erhaltung von Gesundheit tritt die Fürsorge der Anstalt und die Verpflichtung des Gefangenen, die notwendigen medizinischen Maßnahmen zu unterstützen. Durch den Freiheitsentzug steht der Gefangene in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zum Staat, woraus sich eine besondere Verantwortung und Fürsorgepflicht des Staates gegenüber dem Gefangenen ergibt. Die Bedeutung der Herstellung bzw. Erhaltung der physischen und psychischen Gesundheit für die Gefangenen muß als eine zentrale Voraussetzung für die Wiedereingliederung in das Alltags- und Erwerbsleben betrachtet werden. Bei der Normierung der Gesundheitsvorschriften sah sich der deutsche Gesetzgeber 4 zunehmend verpflichtet, die zunächst geplante Übertragung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zugunsten besonderer Regelungen im Vollzug einzuschränken. Das Gesetz geht davon aus, dass die medizinische Versorgung durch hauptamtliche Ärzte und qualifiziertes Krankenpflegepersonal sichergestellt wird (§ 158 Abs. 1, Strafvollzugsgesetz Deutschlands: StVollzG). Diese Regelung soll sicherstellen, dass sowohl für die regelmäßig anfallenden Aufgaben als auch in dringenden Fällen ein Arzt schnell hinzugezogen werden kann. Die über die VV in den einzelnen Bundesländern geltenden Vorschriften sind dort zusätzlich in einer „Dienstordnung Gesundheit" (DOG) oder in einem vergleichbaren Regelwerk zusammengestellt (vgl. Boetticher/Stöver 2006). Die Vorschriften des 7. Titels des deutschen Strafvollzugsgesetzes bspw. regeln die Ansprüche der Gefangenen hinsichtlich medizinischer Dienstleistungen und deren Kostenübernahme. Er umfaßt jedoch keine Bestimmungen zur Rechtsstel4
Im Folgenden orientiere ich mich beispielhaft am deutschen Strafvollzugsgesetz.
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lung, zum Aufgabenbereich, zu den Arbeitsbedingungen und Kontrollstrukturen der Ärzte und ihrer Mitarbeiter (§ 158 StVollzG) im Vollzug. Grundsätzlich hat sich Anstaltsmedizin an den Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung zu orientieren - Strafvollzug soll primär nur Freiheit nehmen, aber nicht durch schlechtere medizinische Versorgung zusätzlich bestrafen. Dieses Äquivalenzprinzip soll die Vergleichbarkeit intra- und extramuraler medizinischen Versorgung gewährleisten. Die Grundlagen für dieses Äquivalenzprinzip bestehen in dem gesetzlichen Auftrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse und Gegenwirkung schädlicher Wirkungen des Freiheitsentzuges (§ 3 Abs. 1 u. 2). Diese Grundsätze verlangen eine Orientierung an den außerhalb erprobten und bewährten Standards und Leitlinien als Richtschnur intramuraler Versorgungs-, Beratungs- und Behandlungsangebote. Dies betrifft auch die psycho-sozialen Hilfen innerhalb des Vollzuges: „Es ist alles zu versuchen, um Gefangene nicht kranker aus dem Vollzug zu entlassen, als sie hereingekommen sind: Das ist das Minimum an vorbeugender Gesundheitsfürsorge, das im Vollzug zu leisten ist” (AlmMerk 1998, 21). Hierzu sind realistische Einschätzungen und Untersuchungen über die den Gefangenen im Vollzug drohenden gesundheitlichen Risiken und dementsprechende anstaltliche Maßnahmen und Mittel der Risikovorsorge erforderlich (vgl. Levy 2005). Das Äquivalenzprinzip ist über ethische und fachliche Grundsätze hinaus aber auch von enorm praktischer Bedeutung: Nur durch eine Angleichung der Standards in der Praxis kann eine wirksame Vernetzung der Hilfen vor und nach der Entlassung in die Kommune gewährleistet werden (Pont/Wools 2006). Das heißt, dass die Maßnahmen zur allgemeinen Gesundheitsfürsorge im Vollzug in enger Zusammenarbeit zwischen nationalen Gesundheitsbehörden, Gefängnisverwaltungen und Zielgruppenvertretern, einschließlich regierungsunabhängiger Organisationen ausgearbeitet werden sollten. Und sie sollten in ein breites Programm der Gesundheitsförderung eingebettet sein. Schließlich sollten die Bedürfnisse von Gefangenen und anderen Personen in der Institution Gefängnis (der Bediensteten) Berücksichtigung finden. Die Gefangenen sind Teil der Gesellschaft; sie verbüßen in der Regel kurze Haftstrafen und gehen danach zurück in die Gesellschaft, zurück zu ihren PartnerInnen, Familien und FreundInnen. Gesundheit im Vollzug ist daher auch ein Thema öffentlicher Gesundheit: „Prison Health is Public Health“! (vgl. Stöver/Knorr/Weilandt 2006). Gesundheitsversorgungsstrukturen Eine wesentliche Einschränkung dieses Äquivalenzprinzips besteht in der Aufhebung des Prinzips der freien Arztwahl, da Kostenträger nicht die gesetzliche Versicherung, sondern die Vollzugsbehörde ist. Gefangene in offenen Anstalten, die als pflichtversicherte Arbeitnehmer beschäftigt sind, haben dagegen die Berechtigung, einen Arzt ihrer Wahl aufzusuchen (§ 62a). Dies bedeutet eine sowohl rechtliche als auch praktische Besserstellung dieser Gefangenen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge, weil ihnen durch Leistungsansprüche gegen die Krankenkasse eine bessere medizinische Versorgung zusteht (vgl. Kirschke 2005, S.
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138). Alle übrigen Gefangenen sind primär auf den Anstaltsarzt angewiesen. Sie haben nur eingeschränkt die Möglichkeit, wie ein Patient außerhalb des Vollzugs auf eigenen Wunsch zu einem anderen Arzt überwiesen zu werden, um Zweifel an der Diagnose zu klären und über die Behandlung mitzuentscheiden. Zwar kann die Anstalt weitere Ärzte hinzuziehen oder dem Gefangenen gestatten, auf eigene Kosten einen freien Arzt aufzusuchen, wenn der Anstaltsarzt dies befürwortet oder nicht erreichbar ist (SondA, S. 212, VV zu § 58 Nr. 2 und 3); die Entscheidung liegt jedoch allein bei der Behörde. Die Einbeziehung aller Gefangener in die gesetzliche Krankenversicherung ist bis zum Erlaß eines besonderen Bundesgesetzes aufgeschoben (§ 198 Abs. 3). Erst hierdurch werden die Voraussetzungen geschaffen, dass auch die Gefangenen entsprechend dem Angleichungsgrundsatz, die für die Allgemeinheit zugänglichen medizinischen Dienste in Anspruch nehmen können, dass eine wesentliche Ursache von Angst und Mißtrauen wegfiele (§ 3). Der Nachteil dieses Konzepts der Gesundheitsfürsorge liegt einmal darin, dass es eine erhebliche Belastung der Arzt-Patient-Beziehung mit sich bringt, wenn der Arzt einerseits in die Hierarchie des Anstaltspersonals integriert ist, und zweitens Kontrollaufgaben für Sicherheitsanforderungen der Institution wahrnimmt (z.B. Urinkontrollen) und 3. die Kontaktaufnahme des Patienten nicht freiwillig erfolgt. Der Anstaltsarzt wird zum „Zwangsansprechpartner“ (Keppler 1996, 111; vgl. auch Riekenbrauck 2005, S. 33; vgl. Pont/Wool 2006) innerhalb des Spannungsverhältnisses von kontrollorientierten Vorgaben und Zwängen des Vollzuges und einer patientenorientierten Behandlung. Dieses strukturelle Problem fördert gegenseitiges Mißtrauen und belastet die gesundheitliche Versorgungsqualität für die Gefangenen. Unter normalen Bedingungen ist der Vertrauensarzt der Krankenkasse, des Arbeitsamtes, des Gesundheitsamtes oder der Betriebsarzt nicht gleichzeitig behandelnder Arzt. Zum anderen dürften die in diesem Titel geregelten Leistungen nicht allein durch hauptamtliche Ärzte zu erbringen sein, so dass das Hinzuziehen von Fachärzten (§ 58 VV Nr. 2 Abs. 2) der Regelfall sein muß. Die Vollzugsbehörde ist nicht in der Lage, die ganze Palette von Spezialisten anzustellen und ihnen die notwendige Praxiseinrichtung zur Verfügung zu stellen. Die Probleme der Belastung des Arzt-Patient-Verhältnisses waren in der Diskussion des Strafvollzugsgesetzes bereits antizipiert worden (zur geschichtlichen Entwicklung siehe Stöver/Lesting 1999). Vorschläge zur zeitlichen Befristung der ärztlichen Tätigkeit wurden zugunsten eines statischen Modells verworfen. Eine Annäherung an eine 'Normalisierung' der Krankenbehandlung und damit einen so weit als möglich geltenden Abbau der Sonderrolle der Anstaltsmedizin kann letztlich auch hier nur durch eine weitgehende Öffnung der Justizvollzugsanstalten, einen fachlichen Austausch und Integration externer Kräfte gelingen. Für diesen Annäherungsprozeß existiert ein Spielraum durch unterschiedliche Organisationsformen, mit denen manche der oben dargestellten Nachteile vermindert werden können: den Ärzten kann gestattet werden, außerhalb der Anstalt nebenher frei zu praktizieren; das Krankenrevier kann zur Abteilung eines öffentlichen Krankenhauses erklärt werden, mit der Folge, dass ein regelmäßiger Wechsel der Ärzte eingeplant werden kann. Die Möglichkeit der Anforderung des Notarztes oder die Vorstellung bei Fachärzten aus der Region stellt in jedem Fall eine sinnvolle Ergänzung dar.
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Anstaltsmedizin arbeitet immer in einem Spannungsfeld zwischen ärztlicher, also patientenorientierter Aufgabe auf der einen Seite und justiziell, vollzuglichkontrollierenden Vorgaben/Zwängen auf der anderen Seite: Einerseits ist in der Patient-Arzt-Beziehung für die Diagnose und Dialog über die Therapie ein Vertrauen gefordert, andererseits kann nicht ignoriert werden, dass sich der Patient in einer Zwangssituation befindet und im Einzelfall auch Hilfe vom Arzt erwartet, mit Hilfe von – tatsächlichen oder vorgeschobenen – Krankheitssymptomen aus seiner Lage befreit zu werden. Hilfe und Kontrolle sind miteinander verbunden, so kann eine ärztliche Duldung bzw. Nicht-Überprüfung eines bestimmten Drogenkonsums der Anstaltspolitik zuwiderlaufen, sie kann aber auch dazu führen, dass diese Praxis konform ist mit anstaltlichen Belangen. Der Konsum von Cannabis etwa wäre jederzeit, sowohl in vollzuglich, als auch in medizinisch angeordneten Urinkontrollen überprüfbar (ggf. für Patienten in Substitutionsbehandlungen, wenn man der Auffassung ist, Cannabis stelle einen unzulässigen Konsum etwa innerhalb einer Substitutionsbehandlung dar). Andererseits wird der Cannabisgebrauch oft als „vollzugskonform” bezeichnet und stillschweigend geduldet, weil er oftmals Ruhe in den Vollzug bringt. Ähnliches gilt für die generelle Verschreibungspraxis des Arztes für das „Vollzugsklima”. Anstaltsmedizin ist im wesentlichen klassisch kurativ, symptomorientiert, nicht ursachenorientiert und - bis auf wenige Ausnahmen (z.B. über die in manchen Anstalten praktizierte Impfempfehlung für Hep. A und B) - nicht prophylaktisch oder im weiteren Sinne präventiv tätig. Eine Angleichung der medizinischen Dienste an und Kooperation mit externen Gesundheitsdiensten wird von vielen internationalen Gremien gefordert. In den 'Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners' (1955) heißt es bereits: „...The medical services should be organized in close relationship to the general health administration of the community or nation... ” (Rule 22/1; vgl. auch Vereinte Nationen 1990, Principle 9; vgl. auch Penal Reform International 1995). Auch in der WHO-Erklärung vom 24. Oktober 2003 in Moskau zum Thema „Gesundheit im Strafvollzug als Teil der öffentlichen Gesundheit“ wird eine enge Zusammenarbeit zwischen den für die Gesundheit und für den Strafvollzug zuständigen Ministerien empfohlen, „...um hohe Qualitätsstandards bei der Behandlung von Gefangenen und zum Schutze der Beschäftigten zu sichern, gemeinsame Fachschulungen zu moderner Krankheitsbekämpfung durchzuführen, eine hohe Professionalität des medizinischen Strafvollzugspersonals zu erzielen, Behandlungskontinuität in Strafvollzug und Gesellschaft zu erreichen und die Statistiken zu vereinheitlichen“. Die Verschränkung der gefängnisinternen medizinischen und gesundheitsorientierten Leistungen mit denen in der Gemeinde/Region dient der Verbesserung der Gesundheit des Patienten/Gefangenen. Die Gesundheitsfürsorge im Gefängnis kann so bessere Überleitungen und Behandlungskontinuitäten für die Zeit nach Haftentlassung herstellen, durch eine beständige Kommunikation und nachhaltige Kooperation mit den Diensten außerhalb kann auch eine verbesserte Absprache (mit Zustimmung des Patienten) bei Haftantritt erreicht werden (Kinner 2006; vgl. zur hohen Mortalität in den ersten Tagen nach Haftentlasung Christensen/Hammerby/Bird (2006)).
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Eine patienten-orientierte und gleichzeitig kosten-effiziente Sichtweise in der Organisation und inhaltlichen Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung würde verstärkt dazu führen, dass notwendige Krankenbehandlungen so früh wie möglich angegangen werden würden, um Verschlimmerungen und Chronifizierungen zu verhindern, die bei einer verzögerten oder gar nicht stattfindenden Behandlungsaufnahme eher eintreten würden. Dies hätte enorme finanzielle Folgen, die dann allerdings erst in der Gesetzlichen Krankenversicherung anfallen würden. Gesundheitsdienste im Gefängnis und außerhalb fallen immer noch auseinander - zum Nachteil des Patienten: Wenn z.B. die Behandlungskontinuität nicht gewährleistet ist oder Anstaltsärzte medizinische Entscheidungen kompetenter Gremien oder KollegInnen außerhalb ignorieren. Dies ist ein Hinweis darauf, statt kameralistisch begründete Separierung, patientenorientierte Orientierung einzuüben und auch organisatorisch umzusetzen. In mehreren Ländern ist eine Überführung der anstaltlichen Gesundheitsdienste in die allgemeinen Gesundheitsdienste der Gemeinde/Region erfolgt oder wird vorbereitet – trotz aller Anfangsschwierigkeiten mit großem Erfolg (England/Wales, Norwegen, Frankreich und New South Wales/Australien; International Centre for Prison Studies 2004). Denn diese ganzheitliche Patientenversorgung ist patienten- und nicht institutionenorientiert. Für einige Krankheiten (z.B. HIV/AIDS-/Hepatitis-Therapie) braucht es dringend der Zusammenarbeit mit Schwerpunktpraxen außerhalb, da nicht jeder Anstaltsarzt oder jeder Vertragsarzt, der für einige Stunden im Vollzug ist, auf dem neuesten Stand der medizinischen Kenntnisse sein kann. Gefangene haben ebenso wie andere Menschen ein Recht darauf von medizinischen Fortschritten zu profitieren. Dass dies nicht so ist, zeigt beispielsweise eine Untersuchung der Substitutionsbehandlung: Die Behandlung selbst wurde in vielen Bundesländern spät eingeführt, ebenso die Erweiterung der Substitutionsmittelpalette (vgl. insgesamt: Keppler/Knorr/Stöver 2004; Stöver/Hennebel/Casselman 2004). Medizinische Leistungen im Vollzug sind immer auch Gegenstand politischer Debatten. An einigen Punkten wird dies eklatant deutlich, etwa wenn es um Gesundheitsversorgung mit umstrittenen, aber bewährten Konzepten wie „harm reduction“ geht, die außerhalb des Vollzuges seit 20 Jahren Einzug in die Drogenhilfearbeit gefunden haben (Uchtenhagen 2005), dann gibt es im Vollzug und auf der politischen Ebene tiefe ideologische Blockaden, diesen notwendigen Transfer erprobter und erfolgreicher HIV/AIDS-Präventionsstrategien in den Strafvollzug zu unterstützen (vgl. Stöver 2005; Nelles/Stöver 2003; Lines et. al. 2005; World Health Organization, UNODC, UNAIDS 2007a+b+c+d). Allein die Diskussion um evidenz-basierte, also erfolgreiche, effektive und erprobte Ansätze zum Management bestimmter Krankheiten bzw. Risiken zeigt, wie ideologiebeladen bestimmte Versorgungsstrukturen immer noch sind. Die Substitutionsbehandlung und die Spritzenvergabe bilden immer noch Konfliktthemen, die auf dem Rücken betroffener Gefangenen ausgetragen wird. Weder wird die Substitutionsbehandlung in Deutschland flächendeckend den Gefangenen angeboten, die sie benötigen (vgl. umfassend Stöver 2007), noch wird die Spritzenvergabe zur Reduktion der Übertragung von Infektionskrankheiten angeboten (einzige Ausnahme die JVA für Frauen in Lichtenberg/Berlin; vgl. umfassend Stöver et al. 2007).
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Wie es aber tatsächlich um die Gesundheit von Gefangenen bestellt ist, darüber ist aufgrund ungenügender oder wenig vergleichbarer Datenerfassung und Forschungsarbeiten wenig bekannt (vgl. für den Mangel an Daten im Bereich psychisch Kranker im Strafvollzug Foerster 2005, S. 143f). Immer noch gibt es keine Gesundheitsberichterstattung, die detailliert Auskunft geben könnte, noch ist die gesundheitliche Lage Gegenstand kommunaler/regionaler Gesundheitsberichterstattung. 5 Bekannt sind lediglich Untersuchungen aus einzelnen Gefängnissen, oftmals noch von Teilpopulationen. Einige Studien haben Daten einzelner oder mehrerer Gefängnisse zusammengefasst – auch in internationaler Blickrichtung. Die Studien sind überwiegend querschnittsorientiert angelegt und enthalten wenig Verlaufsdaten resp. wenig qualitative Daten über risikoreiches Verhalten oder die Wahrnehmung und Bewältigung riskanter Verhältnisse, die Aufschluss über eine Risikodynamik geben könnten. Forschung in deutschen Strafanstalten wird zudem oft mit dem Argument der personellen Überlastung von den Justizvollzugsbehörden abgeblockt. Das System der Gesundheitsversorgung sollte stärker überprüft werden. Effizienter als eine „Selbstüberprüfung“ wäre eine Überprüfung der Versorgungsqualität durch externe, unabhängige Gutachtende, die direkt den Länderparlamenten und übergeordnet dem Bundesparlament berichten sollten. Sowohl ethische als auch fachliche Standards müssten in der Alltagspraxis einer Überprüfung standhalten. Leider existiert in Deutschland kein Inspektoratswesen (wie z.B. in den Niederlanden und England), wo unabhängige, meistens beim Gesundheitsministerium angesiedelte Experten die Behandlungsbedingungen in Haft überprüfen. Dies würde zur Qualitätsverbesserung beitragen, jedenfalls eher als die „Fachaufsicht im eigenen Haus“ (durch Ärzte bei den Landesjustizbehörden), deren Effizienz aufgrund der Interessengebundenheit fraglich ist. Ein externes Qualitätssicherungsverfahren wie in Krankenhäusern, anderen Institutionen und auch für niedergelassene Ärzte üblich, findet in aller Regel im Gefängnis nicht statt. Die Gesundheitsfürsorge im Vollzug, charakterisiert durch den Grundkonflikt zwischen Hilfe und Kontrolle, kann im Prozeß einer Normalisierung, d.h. einer Angleichung der Behandlungs- und Präventionsmaßnahmen an die Verhältnisse zu einer besseren Bewältigung gesundheitlicher Probleme der Gefangenen im Vollzug beitragen. Über die Einführung der üblichen bewährten und erfolgreichen, „evidenz-basierten“ Behandlungs- und Prophylaxeansätze hinaus muß jedoch in den Gefängnissen ein Angleichungsprozeß grundsätzlicherer Art eingeleitet werden: Außerhalb des Vollzuges setzt sich zunehmend in der Public-HealthDebatte die Erkenntnis durch, nicht nur auf Krankheit, individuelles Fehl- und Risikoverhalten abzuheben, sondern auch die sozialen Verhältnisse und Spezifika der Systeme in ihrer Interdependenz und inneren Dynamik auf ihr Gesundheitspotential einzubeziehen; also nicht nur reaktiv die Krankheit des Einzelnen zu behandeln oder bestenfalls Vorsorge(-untersuchungen) und Impfprogramme durchzuführen, sondern darüber hinaus eine die Ressourcen des einzelnen aktivierende Gesundheitsförderung zu betreiben, die alle Akteure in einem bestimmten setting 5
Siehe gute Fortschritte auf diesem Gebiet in Australien: Prisoner Health Information Group 2006.
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zu integrieren versucht: Die gesundheitsabträglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen (die physischen, zeitlichen, baulichen und organisatorischen Bedingungen von Gefängnis) müssen identifiziert, thematisiert und verbessert werden und zwar für alle Beteiligten: Gefangene, aber auch Bedienstete sind mit in die Überlegungen einer Gesundheitsförderung im Gefängnis einzubeziehen. Schließlich geht es darum, die Institution Gefängnis als ein System unter vielen zu begreifen und vor allem Verbindungen mit anderen Institutionen herzustellen (kommunale/regionale Hilfsorganisationen, Familie, Arbeit etc.; vgl. Stöver/Lesting 1999; Stöver 2000). Die WHO hat sich deshalb nach dem Vorbild erfolgreicher “settings-projects” zur Aufgabe gemacht, ein Netzwerk von „Health in Prisons-Projekten” (www.hipp-europe.org) aufzubauen und mit Beteiligung des Europarates und der Europäischen Kommission Datenbasen für eine solche Entwicklung zu schaffen. Gegenwärtig sind 32 Länder in diesem Netzwerk zusammengefaßt (ohne deutsche Beteiligung). Die Rolle der teilnehmenden Länder besteht darin, Gesundheitsförderungsaktivitäten in den Gefängnissen zu stimulieren und einzuführen. Als Praxisbeispiele sind u.a. aufgeführt: Gesünderes Essen, Verbesserung der seelischen Gesundheit, Prophylaxe von Infektionskrankheiten, Erweiterung der sozialen Handlungskompetenzen, Gesundheit am Arbeitsplatz etc. (WHO 1997, 1998 u. o. J.; Möller 2005, 17ff). Gesundheitsgefährdungen und -belastungen bestehen nicht nur für die im Gefängnis einsitzenden, sondern auch für die dort arbeitenden Menschen. Sie sind ebenfalls besonderen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt: Übergriffe, Frustrationen, Involvierung in Gewalthandlungen, Infektionsgefahren bei Zellendurchsuchungen (beispielsweise mit HCV). Im Rahmen von Strategien zur Betrieblichen Gesundheitsförderung im Gefängnis sollten die gesundheitlichen Belastungen der Bediensteten stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Insbesondere die Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes, das auch die Berücksichtigung psychosozialer Faktoren vorsieht, sollte offensiv angegangen werden. Die bisher vorhandenen Ansätze, lediglich bei „besonderen Vorkommnissen“, wie Suizid eines Gefangenen, tätlichen Angriffen Bediensteten gegenüber oder auch Beratungsansätze in den Bereichen ‚Supervision’ und ‚Mediation’, sind nicht ausreichend. Allein die Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage bei Bediensteten sollte zum Ausgangspunkt der Thematisierung von ‚Gesundheit’ im Vollzug allgemein genutzt werden (Bögemann 2005). Was kann und was soll die Gesundheitsfürsorge im Justiz- und Strafvollzug leisten bzw. finanzieren? Diskussionen über eine vermeintliche Besserstellung der Gefangenen und die Forderung nach entsprechenden Eigenbeteiligungen an den Gesundheitskosten der Gefangenen, entsprechend denen der BürgerInnen außerhalb in den Krankenversicherungen, werden ebenso geführt wie Diskussionen darüber, dass Gefangene eine gesundheitlich hoch belastete Population darstellen, die besondere und überproportionale Gesundheitsleistungen erfordert. Letztlich bleibt Richtschnur des Handelns der AkteurInnen in der Gesundheitsfürsorge (Ärzte/innen, Mediziner/innen in den Landesjustizbehörden) – die (notwendigen) Leistungen zum Erhalt und (Wieder-)Herstellung von Gesundheit entlang den Vorgaben des SGB V zu erbringen – angelehnt an die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung. Doch diese Orientierung wird erschwert durch viele Beson-
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derheiten, die sich zum Teil aus der Strafvollzugssituation mit der hohen Sicherheitsdominanz aller Vorgänge einerseits und der hohen gesundheitlichen Belastungsdichte andererseits ergeben. Zusätzlich bestehen sehr unterschiedliche Konzepte darüber, was eigentlich innerhalb einer vorgegebenen Zeit der Inhaftierung zu leisten ist bzw. geleistet und finanziert werden soll. Hier zeigen sich die Problembereiche zwischen „defensiver (klassischer) (Gefängnis-)Medizin“ auf der einen Seite und Gesundheitsversorgung, die auf Nachhaltigkeit, Vernetzung und Kooperation mit den übrigen Gesundheitsdiensten in der Gemeinde setzt auf der anderen Seite. Nur beispielhaft sind hier einige Fragestellungen skizziert:
• Sollen Grippeimpfungen, Hepatitis A+B-Impfungen (offensiv) durchgeführt werden?
• Bei welchem Strafrest sollte mit einer antiviralen oder anti-retroviralen Be• • • • • •
handlung begonnen werden? Wie wird mit Diagnostik, Monitoring und möglicher anschließender Therapie von HIV, HBV/HCV umgegangen (Überweisung in Schwerpunktpraxen außerhalb)? Werden Substitutionsbehandlungen für Opioidabhängige begonnen (vgl. Stöver/Hennebel/Casselman 2006)? Welche Therapien zum Substanzmittelmissbrauch werden angeboten? Welche Ansprüche bestehen auf zahnmedizinische Leistungen? Welche gesundheitlichen Leistungen erhalten straffällig gewordene AsylbewerberInnen oder Abschiebehäftlinge? Wie wird auf besondere Bedürfnisse bestimmter Gefangenengruppen eingegangen (z.B. ältere Gefangene; vgl. Potter et al. 2007)?
Aber reicht die Äquivalenzorientierung überhaupt aus, wenn Gefangene lediglich den Standard medizinischer Versorgung erhalten, den sie in Freiheit auch erhalten würden? Würde man etwa mit gleichen finanziellen Ressourcen der erheblichen und extremen gesundheitlichen Belastungen der Gefangenen effektiv begegnen können? Die oben erwähnten spezifischen gesundheitlichen Belastungen der Gefangenen erfordern über das normale Maß durchschnittlicher Krankenversorgung hinausgehende und außergewöhnliche Maßnahmen, die durchaus präventiv und kausal orientiert sind (Lines 2007). Mit dem Bestehen eines gefängniseigenen Gesundheitssystems entstehen zwangsläufig Bruchstellen mit der Weiterbehandlung in der Kommune bzw. mit der Fortsetzung von in der Kommune begonnenen Krankenbehandlungen. Die Schnittstellenproblematik wird auf der Gefängnisebene zwar z.T. benannt und es wird versucht, dem zu begegnen; es bleiben jedoch strukturelle Defizite einer patientInnenorientierten Gesundheitsfürsorge, die den Gesundheitsbedürfnissen der PatientInnen und nicht (nur) institutionellen Vorgaben folgt. Zwei Bereiche müssen als handlungsleitende Prinzipien benannt werden, die von enormer Bedeutung für die Herstellung von äquivalenten Gesundheitsdienstleistungen innerhalb und außerhalb des Vollzuges von großer Wichtigkeit sind. Die ethisch-fachlich handlungsleitenden Prinzipien müssen sein: informierte Zustimmung und Vertraulich-
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keit als Ausdruck von Professionalität – im Gefängnis muss noch stärker auf die Einhaltung dieser Prinzipien geachtet werden. Ebenso wie in der Gemeinde müssen alle notwendigen Schritte unternommen werden, um die Zustimmung der PatientInnen zu bestimmten Maßnahmen zu erreichen und zu dokumentieren. Professionelle Gesundheitsdienstleistende sind die einzigen AnsprechpartnerInnen der Gefangenen und sind unabhängige AnwälteInnen für die Gesundheit des Gefangenen und die öffentliche Gesundheit. Prinzipien evidenz-basierter Medizin, zusammen mit Menschlichkeit und Leidenschaft, sind im Strafvollzug sogar stärker gefordert als in der Gemeinde. Weniger als diese Leistungen zu erbringen, setzt die GesundheitspraktikerInnen Anwürfen ihrer professionellen KollegInnen aus. Nur die Beibehaltung der professionellen Standards, d.h. die Kenntnis und Umsetzung internationaler und nationaler Behandlungs-/Unterstützungsstandards in gefängnis-bezogenen Protokollen schützt Gesundheitsdienstleistende in Haft vor unethischer Praxis. Es besteht kein Mangel an guten (inter-)nationalen Standards, sondern eher einer in Bezug auf ihre Umsetzung, ihre Verankerung und ihr Verständnis von allen beteiligten Berufsgruppen vor Ort. Es braucht eine grundlegende Verpflichtung zur Qualifizierung und Ausbildung von geeignetem Personal. Es ist anzustreben, examiniertes Krankenpflegepersonal in einem patientInnenfreundlichen, festgelegten PatientIn-Pflege-Schlüssel anzustellen, der aufgrund höherer Gesundheitsbelastungen der Patientenschaft mindestens dem Schlüssel in der Gemeinde folgt. Besonderes und ständig aufzufrischende Fortbildung aller Akteure im Gesundheitsbereich muss zielgruppennah durchgeführt werden, um den basalen Erkrankungsrisiken, wie mehrere Diagnosen bei PatientInnen, Erkennung chronischer Erkrankungen, viralen Infektionskrankheiten, Diagnostik psychischer Störungen, Einschätzung des Geisteszustandes von Gefangenen etc. angemessen begegnen zu können. Für die Fortbildung sollten auch interaktive Medien wie das Internet genutzt werden (siehe Seminar zur Ethik und Medizin im Justizvollzug: http://lupin-nma.net/; siehe auch zu Qualifizierungsbedarfen von Ärzten: Gray/Pearce/Marks 2006).
Gesundheitliche Belastungen der Gefangenen, Problembereiche der Anstaltsmedizin Verantwortung für die Gesundheit der Gefangenen: Der Entzug von Freiheit an sich stellt ein Gesundheitsrisiko dar. Die vollzuglichen Belastungen von Bewegungs- und Reizarmut, Unterforderung und Versorgungscharakter der Gefängnisse tragen eher zu psychisch belastenden Symptomen von Unselbständigkeit, Lethargie, Depressionen, Passivität, Interessen- und Mutlosigkeit bei. Die Fremdbestimmtheit und Monotonie des Alltagsgeschehens führt zu Abstumpfung und Antriebslosigkeit, das Eingeschlossensein fixiert die Aufmerksamkeit auf das eigene Körpergeschehen und verstärkt Ängste, nicht angemessen behandelt zu werden oder im Notfall lange auf Hilfe warten zu müssen (für den in einigen Anstalten lediglich der polizeiliche Beweissicherungsdienst vorgesehen ist); die erzwungene Inaktivität im körperlichen wie im sozialen Bereich läßt Spannungszustände ins
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Leere laufen, eine der wesentlichen Ursachen von Streßerkrankungen. D.h. es findet insgesamt eine Ressourcenverringerung statt - eine Depravierung gleich der längerer Krankenhaus- bzw. anderer Anstaltsaufenthalte, die letztlich abhängigkeitsfördernden Charakter hat und nicht zur Erweiterung von Handlungs- und Sozialkompetenzen beiträgt (vgl. Hillenkamp 2005, S. 15f). Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens psychosomatischer Symptome steigt, während die Abwehrkräfte gegen Infektionen und organische Beeinträchtigungen verringert werden. Dazu kommen weitere strukturelle Gesundheitsrisiken für die Inhaftierten unter den gegebenen Bedingungen: Das gehäufte Auftreten von Problemgruppen mit spezifischen Krankheitsbildern bei Haftantritt nach Zeiten von Obdachlosigkeit, körperlicher Verelendung durch massive Abhängigkeit von legalen oder illegalen Drogen, Überbelegung, Schmutz, deprimierende Umgebungen, oftmals kritisiertes Essen, Bedrohungen, Erpressungen und Aggressionen (nicht nur körperlicher Form, sondern auch verbal, sexuell oder rassistisch), sowie der Verlust von Privatheit und Intimsphäre tragen letztlich dazu bei, dass die seelische Gesundheit der Gefangenen verglichen mit der der Allgemeinbevölkerung weitaus häufiger gestört ist (vgl. WHO 1998, 4). Zwar haben diese Störungen z.T. bereits vor Haftantritt bestanden, sie können im Vollzug jedoch nicht adäquat behandelt werden und verschlimmern sich in Haft noch. Gleichwohl gibt es Gefangene, für die die medizinische Versorgung stabilisierende Effekte hat, weil sie vorher in der Regel nicht über solche Ressourcen verfügt haben (etwa regelmäßige Mahlzeiten, Zahnsanierung, Hygieneverhältnisse). Für viele sichtbar erfolgt bereits nach relativ kurzer Zeit bei einigen Gefangenen eine körperliche Erholung, die sich an Anzeichen der Gewichtszunahme, verbessertem Allgemeinzustand, Ansprachemöglichkeit und Beteiligung an Sportaktivitäten etc. festmacht. Gelegentlich finden ernsthafte Krankheitssymptome erst nach der Inhaftierung Beachtung. Infektionskrankheiten und ein erheblich reduzierter Allgemeinzustand als Folge der Lebensbedingungen kommen besonders bei Drogenkonsumenten und Alkoholikern vor. Für diese Gefangenen ist der Gang zum Arzt leichter als in Freiheit. Allerdings darf diese schnelle körperliche Erholung nicht mit einer parallel verlaufenden psychischen Verbesserung gleichgesetzt werden. Die äußeren Verbesserungen sind lediglich darauf zurückzuführen, dass es in Haft zu regelmäßiger Nahrungsaufnahme und zur Einhaltung eines Tag-NachtRhythmus kommt (Keppler 1996, 83; vgl. Tompkins et al. 2007). In den Gefängnissen leben Menschen vieler verschiedener Nationen und verschiedenster sozio-ökonomischer und kultureller Herkunft zusammen – Menschen, die oftmals schon vor Haftantritt erheblichen sozialen und gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt waren. Bei den Gefangenen handelt es sich zum großen Teil um sozial Benachteiligte – alle Merkmale dieser Benachteiligung lassen sich in erhöhtem Masse wiederfinden: geringes Bildungs- und Ausbildungsniveau, hohe Arbeitslosigkeit, erhöhter Anteil von MigrantInnen. Dies führt zu einem im Vergleich zur übrigen Gesellschaft stark überrepräsentierten Häufung von Erkrankungen: Infektionskrankheiten wie HIV/AIDS, Hepatitis, Tuberkulose, vor allem aber auch Substanzmissbrauch und Suchterkrankungen sowie weitere psychische Störungen belasten die Gefangenen überproportional (vgl. Fazel/Danesh 2002; Andersen 2004). In einigen Regionen der Welt wird die Verbreitung von
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HIV/AIDS und TB wesentlich als ausgehend von Gefängnissen betrachtet (Walcher 2005; vgl. Reyes 2007). In den Gefängnissen findet sich daher eine Verdichtung von Problemlagen: So existieren im Gefängnis 20-mal höhere Infektionsraten von HIV und 40-mal höhere von Hepatitis C im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, 5-mal höheren Suizidrate, ein 2-4-mal häufigeres Auftreten von psychischen Störungsbildern, etwa 3-mal häufigeren Nikotingebrauch. Etwa 30-50% der Gefangenen gelten als drogenerfahren oder -abhängig – verglichen mit etwa 1% in der Gesamtbevölkerung. Etwa 50-75% der Gefangenen leiden unter psychischen Störungen, v. a. an Psychosen, Affekt- und Angststörungen (vgl. auch zur Lage der psychiatrischen Versorgung im dt. Justizvollzug: Sezer/Walpuski 2004; vgl. umfassend international: International Journal of Prisoner Health (2007)). Der Anteil kranker und behandlungsbedürftiger Gefangener steigt stetig: Derzeit sind mehr drogenabhängige Gefangene als jemals zuvor inhaftiert, und viele von ihnen leiden unter den körperlichen und seelischen Folgen. Unter Kostengesichtspunkten sind vor allem folgende Krankheitsbilder relevant, wie die Berliner Senatsverwaltung feststellt: koronare Herzerkrankungen mit Interventionsbedürftigkeit, HIV-Erkrankungen (vgl. Jürgens 2006/2006a), Bluthochdruck, Stoffwechselerkrankungen, chronische Hepatitis und Psychosen. Das medizinische Fachpersonal steht vor Herausforderungen, die kaum mit einer ärztlichen Praxis in Freiheit vergleichbar sind; eher mit Schwerpunktpraxen – ohne jedoch dafür genügend ausgestattet oder ausgebildet zu sein. Selbst wenn man einen gleichen Versorgungsschlüssel (Zahl der Ärzte und Krankenpflegepersonal zu Patienten „drinnen“ und „draussen“ unterstellt, zeigt die sehr viel höhere gesundheitliche Belastung der Gefangenen eine Strukturen der gesundheitlichen Ungleichheit („health inequality“) auf (vgl. Meier 2005, 50; umfassend international Eckstein et al. 2007). Ein Grossteil der Arbeit des medizinischen Dienstes im Vollzug ist allein gebunden durch die Behandlung von Suchterkrankungen und deren Folgen. Diese gesundheitlichen Störungen insbesondere der drogenabhängigen Gefangenen absorbieren einen hohen Teil der medizinischen Leistungen. In einer Untersuchung der U-Haftanstalt Oldenburg wurden 76% aller medizinisch betreuten Gefangenen aufgrund ihrer Drogenproblematik behandelt (Tielking/ Becker/Stöver 2003). Schließlich müssen Gefängnisse eine sichere Umgebung für die dort lebenden und arbeitenden Menschen sein (was Gewalt angeht). Dass diese Umgebung den basalen Anforderungen von Licht, Wärme, Hygieneeinrichtungen, Ventilation und Mindestgröße des Haftraums genügt, ist eine zentrale Anforderung, die es bei Gefängnisneubauten zu beachten gilt. Gesundheitliche Situation von Frauen im Strafvollzug Zur gesundheitlichen Situation von Frauen im Strafvollzug liegen (europaweit) nur lückenhafte Erkenntnisse vor (Tomasevski 1992; Keppler 2005, vgl. umfassend: The International Journal of Prisoner Health 2005; Robert et al. 2007). Als Erklärung des erkannten Defizits wird der geringe Frauenanteil von etwa 4%
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(Maelicke 1995) unter der Gefangenenpopulation angeführt 6 und als mangelnde Relevanz für den Gesamtstrafvollzug gedeutet (zur allgemeinen Benachteiligung von Frauen im Strafvollzug Knarr/Kriesel FoR 1995, 44 f.). Eine Ausnahme bildet die Beachtung des Zusammenhanges Frauen und Mutterschaft als frauenspezifische Realität im Strafvollzug, die umfassender aufgearbeitet und in verschiedenen Praxismodellen umgesetzt wurde. Über die unterstützenswerten subjektiven Interessen und Erfordernisse bei Schwangerschaft und Mutterschaft unter Haftbedingungen hinausblickend, wirkt eine reduzierte Wahrnehmung der gesundheitlichen Situation von inhaftierten Frauen allein unter dem Blickwinkel der biologischen und sozialen Funktion von Mutterschaft affirmativ zu herrschenden gesellschaftlichen Weiblichkeitsvorstellungen und damit einseitig und entwicklungsbegrenzend. Die empirische und vollzugspraktische Beachtung vielfältiger Zusammenhänge von Lebens- und Haftbedingungen weiblicher Gefangener hat gegenwärtig nur ausschnitthaft stattgefunden. Da drogenabhängige Frauen im Vollzug stark überrepräsentiert sind (im mehreren Frauenhaftanstalten z. T. deutlich über 50%; siehe Zurhold/Haasen/Stöver 2005), weisen viele Frauen gesundheitliche Probleme durch ihren langjährigen Drogenkonsum und damit verbundenem Leben in der Illegalität auf. Entsprechend sind drogenbedingte Erkrankungen bzw. solche aufgrund einer langjährigen Verelendung, Mehrfachabhängigkeit und Prostitutionstätigkeit im Vollzug verbreitet: Abszesse, venöse Erkrankungen, Infektionskrankheiten (HIV/AIDS, Hepatitiden, Geschlechtskrankheiten), gynäkologische Erkrankungen, hohe psychische Belastungen, Trennung von eigenen Kindern (Palmer 2003). Frauenspezifische gesundheitliche Hilfe- und Unterstützungsleistungen in Medizin und psychosozialen Diensten ‘von Frauen für Frauen’ sind im Vollzug Mangelware. Heterosexualität ist auch im Vollzug die gesetzte Norm: Sexualpräventive Maßnahmen beschränken sich häufig auf eine instrumentelle Praxis der Vergabe von Kondomen mit entsprechenden Verhaltensappellen. Lesbische Sexualität findet in diesem Präventionsverständnis keine Beachtung. Werden gelebte sexuelle Orientierungen in ihrer Vielfalt nicht durch entsprechende Anerkennung in präventiven Angeboten ernst genommen, wirken sie auf die Zielgruppe unglaubwürdig und realitätsfremd und verlieren an Effektivität. Das Erfahrungsspektrum Sexualität bei inhaftierten Frauen durchzieht häufig, gerade bei Drogenkonsumentinnen und Abschiebehäftlingen, noch andere biographische Erlebnishintergründe: Prostitutionserfahrungen, sexuelle Gewalt und Mißbrauchserlebnisse. Inwieweit sexuelle Nötigungen im Strafvollzug Realität sind, läßt sich nur aus einzelnen – anekdotenhaften – Berichten entnehmen. Wie auch immer die Verbreitung dieser Form von Gewalt ausübender Sexualität ist, präventive Schritte, so noch gehbar in einer solchen Situation, erfordern eine schnelle und möglichst anonyme Zugänglichkeit zu Kondomen (vgl. Laubenthal 2005, S. 206). Der Zusammenhang von Drogenabhängigkeit und Sexualverhalten bei Gefangenen ist nur wenig erforscht. Eine Ausnahme bildet die Untersuchung 6
Dieser Prozentsatz steigt allerdings: in Finnland beispielsweise stieg der Anteil der inhaftierten Frauen von 122 im Jahre 1994 auf 205 im Jahre 2003 (68%iger Anstieg); in den Niederlanden von 385 auf 1025 (ein 166%iger Anstieg); in Zypern von 20 auf 102 (ein 410%iger Anstieg).
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von Antonietti/Romano (1997) mit 90 weiblichen Gefangenen. Dabei berichteten 40% der Gefangenen über ihre Zustimmung zu Sexualkontakten im Austausch für Waren oder Geld. All die Frauen, die über diesen Austausch berichteten, bezeichneten sich selbst als Drogenkonsumentinnen. 75% der Befragten nahmen an, dass dies gewöhnliche Ereignisse unter drogenabhängigen Gefangenen seien, um ihren Drogenkonsum zu finanzieren. Über Erfahrungen sexuellen Mißbrauchs berichten 43,3% der Frauen, die angaben jemals Sexualkontakte ohne Zustimmung gehabt zu haben. Diese Angaben bezogen sich nicht nur auf drogenkonsumierende Gefangene. Sexualität als medizinisches Problem im Gefängnis Eine grundsätzliche Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit männlicher und weiblicher Gefangener betrifft Grundbedürfnisse wie den Verlust sozialer Sexualität mit den Folgen der Reduzierung auf Selbstbefriedigung, Objektivierung des anderen Geschlechts und Stimulation gleichgeschlechtlicher Sexualkontakte. Durch eine Verobjektivierung des weiblichen, z. T. auch des männlichen Körpers in Form von Postern an den Zellenwänden und einer starken Präsenz sexualitätsbezogener Gesprächsinhalte drückt sich der entfremdete Umgang mit den eigenen sexuellen Bedürfnissen aus. Der Objektstatus des sexualisierten Körpers reduziert wiederum die eigene Empfindungsspanne und verleugnet die mit partnerInbezogener Sexualität assoziierten Bedürfnisse nach Nähe, Gemeinsamkeit, Entspannung, Befriedigung. Das Dilemma besteht in der Allgegenwärtigkeit von Sexualität im Alltag und der stark eingeschränkten Befriedigung und letztlich erzwungenen Milieuanpassung sexueller Bedürfnisse. Daraus erwachsen Spannungen, Frustrationen, Aggressionen, sexualisierte Gewaltphantasien. Vorhandene Probleme mit diesem Dilemma können nicht besprochen werden, weil weder informelle noch offizielle Foren im Vollzug zur Verfügung stehen. Zwar existieren vereinzelt Modelle in Strafanstalten, die im Rahmen von Langzeitbesuchen auf eine Ermöglichung auch sexueller Kontakte unter (Ehe-)PartnerInnen zielen (z.B. JVA Werl, JVA für Frauen Vechta) und lockerungsberechtigte Häftlinge können im Urlaub sexuelle Kontakte haben. Doch dies sind vereinzelte und isolierte Möglichkeiten, partnerInnenorientierte Sexualität zu leben. Neben der bedürfnisorientierten Sicht von Sexualität in Haft stellt sich auch die Frage nach dem Recht auf Erfüllung eines Kinderwunsches für Inhaftierte und deshalb die Unterstützung sexueller Kontakte zu ihren Partnern (vgl. Jacob/Stöver 1997). In Haft ist Sexualität ein Tabu: Symbolisierungen sind allgegenwärtig: „Unterschwellig scheint das ‘Verbot’ der Ausübung von Sexualität nach wie vor als Teil der Strafe angesehen zu werden” (Schwermer 1995, 55). Weil Sexualität individuell abgespalten werden muß und die Thematik Sexualität im Vollzug offiziell ausgeblendet wird, finden alle Formen gelebter sozialer Sexualität verdeckt statt. Es gibt eine Realität von Homosexualität, die kaum thematisierbar ist. Der Geheimhaltungsdruck verstärkt sich vor allem dann, wenn die in Haft gelebten homosexuellen Kontakte nicht dem eigenen sexuellen Selbstverständnis „heterosexuell” entsprechen, was bei vielen Inhaftierten der Fall sein wird, die in der Inhaftierungs-
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zeit in Ermangelung heterosexueller Möglichkeiten homosexuelle Kontakte als „Notlösung” praktizieren. Sozio-kulturelle Barrieren einer Zwangsheterosexualität als gesellschaftliche Normalität und Homophobie wirken in dieser doppelten Realität der sexuellen Identität, die sich in der praktizierten Sexualität im Vollzug nicht wiederfindet. Wenn diese „Notlösungen” über lange Zeit zur Gewohnheit sexueller Aktivität werden, repräsentieren sie Normalität unter den Inhaftierten, ohne offizielle Anerkenntnis und Verantwortungsübernahme. So entwickelt sich Homosexualität als Dunkelfeld, wo Prostitution z.B. zur Drogenbeschaffung oder Vergewaltigungen stattfinden - ohne offen als Realität anerkannt zu werden. Gerade unter dem Aspekt „Infektionsschutz” erhält die verdeckte gleichgeschlechtliche Sexualität Relevanz. Während weibliche Homosexualität als wenig infektionsrisikobehaftet gilt, ist männliche Homosexualität aufgrund hochriskanter Sexualpraktiken aus infektionsprophylaktischer Sicht als möglicher Transmissionsweg zu bewerten. Müller (1997, 356 f.) macht erhöhte HIV-Risiken für Männer aus, die gelegentlich Sex mit Männern haben, die auch auf andere sexuell übertragbare Krankheiten anzuwenden sind und gerade auch im Strafvollzug besondere Bedeutung erlangen: „es findet keine Identifikation mit den ‚schwulen Risiken’ der HIV-Infektion statt. Deshalb wird das konkrete HIV-Risiko oft unterschätzt oder negiert, insbesondere bei Jugendlichen spielen die Lust am Abenteuer und Unverletzlichkeitsphantasien eine Rolle. Zum defizitären Selbstbewußtsein kommen Selbstablehnung, Selbsthaß, starke Scham- und Schuldgefühle hinzu, was dann entscheidende Ursache für mangelnde Kommunikations -und Aushandlungsfähigkeit bezüglich Sexualität insgesamt und „Safer Sex” im besonderen sein kann, dies führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zur verstärkten Anpassung an Initiativen und Wünsche der Sexualpartner, z.B. nach dem „unsafen Sex” (siehe umfassend zu „Sexualität in Haft“ Knorr 2005). Selbst wenn eine Kondomzugänglichkeit in der Anstalt gewährleistet ist, was nicht durchgängig selbstverständlich, kostenlos, kostengünstig, niedrigschwellig, vertraulich und anonym erfolgt, läßt sich angesichts der abgespaltenen und häufig verleugneten Realität von gelebter Sexualität von den einzelnen Inhaftierten ein formulierter Bedarf an Kondomen nicht erwarten. Allein ein niedrigschwelliger und anonymisierter Zugang zu Kondomen könnte den individuellen Konflikt mildern und eine Annahmebereitschaft als Infektionsschutz steigern. Dieser Zugang ist jedoch in den meisten Anstalten nicht umgesetzt: vorwiegend sind Kondome beim Drogenberater, Seelsorger, Sozialarbeiter, Sanitäter oder Kaufmann erhältlich (in der Regel alle zwei Wochen) oder sie sind beim Arzt verfügbar (setzt Arzttermin voraus). Vereinzelt werden Kondome auch beim Sozialdienst ausgelegt. Knapp (1996, 371) zeigt auf, dass ein Drittel der von ihm befragten Gefangenen eine Verfügbarkeit von Kondomen in den ihnen selbst bekannten Justizvollzugsanstalten verneint (vgl. bestätigend europäische Übersicht: O’Brian). Auch wenn das OLG Koblenz in NStZ 1997, 360 festgestellt hat, dass die Anstalten nicht zur kostenlosen Abgabe von Kondomen verpflichtet sind, sollten Kondome zur Vermeidung der Übertragung von Infektions- und Geschlechtskrankheiten – wie in mehreren Anstalten praktiziert – anonym, kostenlos und vor allem leicht zugänglich abgegeben werden (zust. Beschluß des 12. Strafverteidigertages StV 1988, 275; Michels KJ 1988, 425); mindestens sollte den Gefangenen aber die
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Möglichkeit eingeräumt werden, Kondome unbeobachtet und preiswert zu erstehen (Siegel ZfStrVo 1989, 159, abl. Eberbach in Schünemann/Pfeiffer 1988, 254). Welches Ausmaß Tätowieren und Piercen unter Strafgefangenen noch besitzt, läßt sich schwer abschätzen (Knapp 1996, 385; Laubenthal 2005, S. 210). Während in anderen Strafvollzugsgesetzen diese Praxis als Ordnungswidrigkeit sanktioniert wird (bspw. Österreich), bestehen darüber im deutschen Strafvollzugsgesetz keine Vorschriften. Problematisch ist das Tätowieren in Hinsicht auf eine Übertragung von Infektionskrankheiten (HIV und Hepatitiden), wenn mit unsterilen Nadeln gearbeitet wird. Auf diese Gefahren sollte mit Aufklärung und mit Einladung externer professioneller Tattoo-Studios reagiert werden (vgl. Trautmann/Stöver 2003; umfassend: Baumann/ Stöver). Gesundheitliche Lage der Gefangenen in Deutschland Über die gesundheitliche Lage von Menschen in Deutschlands Haftanstalten existieren keine zusammenfassenden Erkenntnisse – lediglich über Teilbereiche liegen vereinzelte Informationen vor (über den Zustand der medizinischen Versorgung in den Anstalten Moabit, Tegel [„medical care remained of a high standard“], das zentrale Vollzugskrankenhaus in Hamburg [„equipped to a high standard“] und das Gefängnis in Bützow [„the number of full-time medical and nursing staff was sufficient to provide somatic care,“ „psychiatric care had been seriously neglected“] liegt ein Bericht des European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) vom 17. Juli 1997 vor; Abschnitt 5 Rz. 127 ff.). Dieses Defizit resultiert daraus, dass es im Strafvollzug keine systematisierende Forschung und Dokumentation zur gesundheitlichen Lage der Gefangenen (etwa im Rahmen einer umfassenden Gesundheitsberichterstattung oder eines Gesundheitssurveys) existiert, die ggf. noch bundesländerübergreifende Sichtweisen und Vergleiche einbezieht, und die zur Planungssicherheit von Gesundheitsversorgung genutzt werden könnte (wie etwa in der Schweiz: Koller u. a., oder beispielhaft für Australien: Butler/Milner 2003). Insbesondere an Längsschnittstudien zur Erfassung von gesundheitlichen Veränderungsprozessen während der Haft mangelt es, obwohl die Institution Strafvollzug einen weitgehend konstanten Zugang zu den Forschungssubjekten/Befragten über längere Zeiteinheiten und Meßzeitpunkte gewährleisten könnte. Naheliegend wäre etwa eine Erforschung der Zusammenhänge von Gesundheitsrisiken und Mehrfachbelegungen der Hafträume. Zahlenmäßig erfaßt werden nur außergewöhnliche Vorfälle: Mortalität, Suizidalität, und bestimmte meldepflichtige Krankheiten. Aufgrund dieses fehlenden systematisierten Überblicks über die gesundheitliche Lage der Gefangenen (aber auch über die der Bediensteten, z.B. ihr Krankenstand) erwächst der Eindruck fehlender Vergleichbarkeit mit der 'Normalbevölkerung', hoher Intransparenz und Unklarheit über gesundheitliche Versorgungspotentiale, qualität und -notwendigkeiten. Insbesondere ist hier zu nennen die Kooperation mit Gesundheitsdiensten der Gemeinde (z.B. Beginn und Fortführung von Therapien, wie z.B. HIV-/Hepatitis- und Substitutionstherapien), denn je eher die Be-
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handlung einer Krankheit beginnt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit ihrer Heilung. Beispielhaft für eine Längsschnittstudie zur Gefangenengesundheit ist die „Prisoner health – Report of the New South Wales Chief Health Officer“ zu sehen. Diese im Auftrag des Justice Health Service, in New South Wales erarbeitete empirische Untersuchung erhebt seit 1996 Daten zur gesundheitlichen Situation der Gefangenen:
• • • •
psychischen Erkrankungen Infektionskrankheiten gesundheitliche Risikofaktoren hoch prävalente Gesundheitsprobleme im Strafvollzug.
Bei den übertragbaren Krankheiten spielt HIV/AIDS im Jahr 2001 gegenüber 1996 nur noch eine völlig untergeordnete Rolle (0,1% der männlichen und 0% der weiblichen Insassen sind HIV-positiv), dafür aber Hepatitis C (40,1% der Männer und 63,6% der Frauen) und B (28 bzw. 31,1%), Herpes Simplex (18,6 und 50,7%) sowie Tuberkulose (14,4 und 14,1%). Bei den chronischen Erkrankungen stehen im Jahr 2001 psychische Krankheiten im Mittelpunkt (41 bzw. 54%), dann Sehschwächen (28,7 und 32,7%), Rückenprobleme (27,5 und 37%), Asthma (20,6 und 43,8%), Herzbeschwerden (25 und 33%), Arthritis (13 und 19%). Krebs ist bei 15,3% der Frauen festgestellt worden (bei 4,5% der Männer); statistisch an letzter Stelle liegt Diabetes mit 3,2 bzw. 3,3%. Alles in allem zeigt die Auflistung, dass eine ganze Reihe ernsthafter chronischer Krankheitsbilder im australischen Justizvollzug hoch prävalent sind. Einige Beschwerden wie psychische Erkrankungen, Rücken- und Herzprobleme sowie Asthma und Krebserkrankungen haben von 1996 bis 2001 außerdem zugenommen. Ein Blick auf die gesundheitlichen Risikofaktoren zeigt, dass der regelmäßige Gebrauch illegaler Drogen (80 und 83,6%) sowie starkes Rauchen (77,6 und 82,9%) eindeutig an der Spitze liegen. Bei beiden Problemen ist wie beim speziell untersuchten Gebrauch gespritzter Drogen (53,1 und 73,5% im Jahr 2001) eine deutliche Zunahme zwischen 1996 und 2001 erkennbar. Als weitere Risikofaktoren sind exzessiver Alkoholkonsum (bei den Männern immerhin 48,4%), ein hoher Cholesterinspiegel, mehr als fünfzig Sexualpartner bis zum Zeitpunkt der Befragung sowie Spielsucht und mangelnde körperliche Bewegung aufgelistet. Die Gefangenen beklagen sich, dass die von ihnen geäußerten Symptome allerdings sehr häufig als Reaktion auf die Haftbedingungen mißverstanden und als Simulation, Arbeitsunlust, Medikamentenmißbrauch, Erschleichung von Vergünstigungen oder Wehleidigkeit werden. Die Klagen über die Beeinträchtigungen des Wohlbefindens werden nicht immer entsprechend ernst genommen, was die Angst der Gefangenen, ausgeliefert zu sein, verstärkt. Die Angst hat besonders da ganz reale Gründe, wo es die Regel ist, dass der erste Hilferuf nach einem Arzt grundsätzlich als Simulation gilt (vgl. etwa den von LG Berlin StV 1989, 164, entschiedenen Fall Psychische Störungen werden zudem oft unterdiagnostiziert in den
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ärztlichen Untersuchungen. In der anstaltsmedizinischen Aufnahmeuntersuchung werden psychiatrische Diagnosen oftmals nicht gestellt. Gewöhnlich wird ein Gefangener dem Arzt erst dann vorgestellt, wenn er vorher den zuständigen Bediensteten von der Notwendigkeit seines Anliegens überzeugt hat. Der Arzt wird regelmäßig dann hinzugezogen, wenn die Anstalt für den Betroffenen unangenehme Sicherungs- oder Disziplinarmaßnahmen durchführen will (§§ 21 Satz 1, 91 Abs. 2, 92, 106 Abs. 2 Satz 2, 107 Abs. 1). Solche Erfahrungen können dazu führen, dass der Gefangene den Arzt verstärkt als Interessenvertreter der Vollzugsbehörde ansieht. Andererseits ist der Arzt hinsichtlich medizinischer Fragen autonom, seine Autorität leitet sich aus seinem Beruf ab und nicht aus der Position in der Personalhierarchie. Der Patient erwartet vom Arzt unmittelbare Hilfe, da er in der Regel einem naturwissenschaftlichen Verständnis der Symptomatik verhaftet ist. Diese symptomorientierten Erwartung wird vom Allgemeinmediziner in Freiheit oftmals befriedigt. Auch die Verschreibung von Psychopharmaka, hier v. a. Tranquilizer der Benzodiazepin-Gruppe, findet eine weite Verbreitung außerhalb des Gefängnisses. Inwieweit dies auch allgemeine Praxis innerhalb der Vollzugseinrichtungen geschieht, läßt sich aufgrund fehlenden Datenmaterials nicht sagen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Mittel häufig Verhandlungsobjekte zwischen Arzt und Patient bilden. Nicht-medikamentengestützte Behandlungsformen im Vollzug (wie mehr Bewegung, insgesamt gesündere Ernährung, Einschränkung des Rauchens) besitzen oftmals nur appelativen Charakter, weil viele dieser Bereiche entweder fremdbestimmt, nicht zugänglich oder unter Vollzugsbedingungen unrealistisch sind (z.B. Raucherentwöhnung, völlige Aufgabe des Drogenkonsums). Die Folge dieser Bedingungen ist Verstärkung des Mißtrauens, der Angst und ein negatives Image der Gesundheitsfürsorge.
Fazit Gesundheit im Gefängnis kann nicht eindimensional erklärt und erhalten und gefördert werden durch den Appell an individuelle Verhaltensänderung (v.a. zur Reduktion eines Risikoverhaltens). Gesundheit und das innovative Konzept „Gesundheitsförderung“ schließen verschiedene Zielgruppen (Gefangene und Bedienstete/Leitung) und die baulichen Bedingungen (Licht, Ventilation, Wärme, Ausstattung, Zellgröße etc.) mit ein. In der Gesundheit und in den Körpern der Gefangenen (als einer der meist diskutiertesten Hauptzielgruppen) spiegeln sich die Haftrealitäten wieder (z.B. Neuansteckungen mit Infektionskrankheiten, Suizid, (sexuelle) Gewalt etc.). Deshalb kann Gesundheit nicht isoliert diskutiert werden, sondern nur im Ensemble mit den übrigen Haftbedingungen, die tendenziell pathogen sind:
• Belegungsdichte (Überbelegung), • Organisation der Inhaftierung (z.B. Besuchszeiten, Haftverschubung, Länger der Untersuchungshaftdauer etc.),
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• Zellenbelegung (Einzel- oder Gruppenbelegung; vgl. Frottier et al. 2007). Die für Deutschland festgestellten Defizite in der Organisation der Gesundheitsfürsorge in der Verantwortlichkeit der Landesjustizverwaltungen läßt es nötig erscheinen, über eine grundlegende Umorganisation und Umorientierung der Gesundheitsfürsorge nachzudenken. So sollte die Integration der Gesundheitsfürsorge in die Gesundheitsbehörden der Gemeinde/Städte ernsthaft geprüft werden, um die kontrollbelastete Arzt-Patient-Beziehung zu entkrampfen und um zu gewährleisten, dass sich die Gesundheitsfürsorge auch in Gefängnissen stets auf neuestem Stand befindet und nicht – wie gegenwärtig – häufig zu Lasten der inhaftierten Patienten hinter ihm zurück bleibt (Beispiel HIV/AIDS-Therapien). Das bedeutet nicht, daß alle Probleme damit selbstverständlich gelöst sind, aber es bietet Chancen der Vernetzung und verbesserten Kooperation als Basis für eine Weiterbehandlung nach Haftentlassung.
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Intramurale Psychiatrie in niederländischen Justizvollzugsanstalten
Peter van Panhuis Einleitung ...........................................................................................................266 Arten und Niveau psychiatrischer Einrichtungen im niederländischen Justizvollzug.......................................................................................................266 Gegenwärtige Entwicklungen...........................................................................267 Drogenabhängige Häftlinge ..............................................................................267 Besondere Gruppen...........................................................................................268 Geistig Behinderte .............................................................................................269 Sexualstraftäter .................................................................................................269 Die Beziehung zwischen gefängnisinterner und kommunaler Psychiatrie...269
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Peter van Panhuis
Einleitung 1 Bevor auf die psychiatrische Behandlung von Inhaftierten in den Niederlanden eingegangen werden kann, muss einleitend erwähnt werden, dass das niederländische Strafrechtssystem bezüglich des Umgangs mit gestörten Tätern erheblich von allen anderen Ländern der Welt abweicht. Kern dieser Abweichung ist, dass in den Niederlanden nicht nur eine uneingeschränkte Zurechnungs- und Unzurechnungsfähigkeit besteht, sondern Richter und gerichtliche Begutachter auch die gesetzliche Möglichkeit haben, eine wegen psychiatrischer Störung oder Behinderung verminderte Zurechnungsfähigkeit festzustellen. Dies hat zur Folge, dass der Weg in die Psychiatrie in den Niederlanden nicht nur für Personen mit einer klaren psychiatrischen Erkrankung, wie einer Psychose, oder einem organischen Krankheitsbild, eröffnet ist, sondern auch für Personen mit einer Persönlichkeitsstörung. Praktisch bedeutet dies, dass in den forensischen psychiatrischen Kliniken der Niederlanden (sogenannte Kliniken voor Ter Beschikking van de Regering gestelden) auch Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und beispielsweise sexuelle Gewalttäter interniert sind. In der Praxis impliziert dies dagegen auch, dass diejenige Personen regelmässig in TBS-Kliniken aufgenommen werden, die eigentlich an schweren psychischen Störungen erkrankt sind, jedoch z.B. nur eine leichte Körperverletzung verursacht haben. Bei leichteren (Vermögens-)Delikten werden sie dahingegen in Gefängnissen interniert. Neben den zurechnungsfähigen Personen befindet sich in den Gefängnissen demzufolge eine Restgruppe, die zwar eine schwere psychiatrische Störung aufweist, jedoch nicht wegen Gewaltdelikten verurteilt wurde. Darunter sind manche schwerkranke psychiatrische Patienten.
Arten und Niveau psychiatrischer Einrichtungen im niederländischen Justizvollzug Es mag u.a. an der Parallelität von Gefängniswesen und dem System der TBSKliniken liegen, dass in den Niederlanden bis zum heutigen Tag nur wenige besondere Strafvollzugseinrichtungen für psychisch gestörte Häftlinge entwickelt wurden. Die Situation ist sicherlich nicht vergleichbar mit beispielsweise dem Kanton Zürich mit seiner Strafanstalt Pöschwies, wo spezifische Therapieprozesse existieren. Eigentlich kennen die Niederlande nur eine einzige Strafanstaltsabteilung, in welcher psychisch schwer erkrankte Patienten mit akuten Psychosen aufgenommen und wenn nötig auch zwangsweise medikamentös behandelt werden können. Dabei geht es um die so genannte Forensische Observering en BehandelinsAfdeling in Amsterdam. Weil dort nur eine beschränkte Anzahl Betten zur Verfügung 1
Die Herausgeber danken Herrn Floriaan Went (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Wohlers, Universität Zürich) für die Anfertigung der Übersetzung aus dem Niederländischen.
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steht (48 Betten auf insgesamt 16000 Internierungsplätze), ist bei dieser Institution letztlich mit ständigen Wartezeiten zu rechnen. Vor allem für die Aufnahme von Frauen muss mit langen Wartezeiten gerechnet werden. Neben der FOBA bestehen einige Afdelingen voor Individuele Begeleiding. Dabei geht es um die so genannten IBA's. Hier können Personen mit verhältnismäßig schwererer Problematik platziert werden und individuelle Betreuung erhalten, dennoch kann mit Krisen oder allzu starker Aggression oder Unruhe auf diesen Abteilungen nicht gut umgegangen werden. Im Gegensatz zu der FOBA, in welcher einige festangestellte Psychiater und Assistenzpsychiater tätig sind, werden die psychiatrischen Konsultationen auf den IBA's durch den Forensisch Psychiatrische Dienst durchgeführt, einer Institution des Nederlands Insituut voor Forensische Psychiatrie en Psychologie. Den IBA's steht also nur ein konsultierender Psychiater zur Verfügung. Auch ist für die IBA's nur eine beschränkte Anzahl psychiatrischer Pfleger verfügbar. Unter der Stufe der IBA's besteht in jedem Huis van Bewaring der Niederlande noch eine so genannte Bijzondere Zorg Afdeling (BZA). Das Niveau der Pflege ist dort noch beschränkter. Auch hier sind jeweils ein psychiatrischer Konsulent und ein Psychologe, der die Abteilung koordiniert, anwesend, psychiatrische Pflege ist jedoch häufig nicht spezifisch vorhanden. Neben der Verabreichung von Psychopharmaka und etwas spezifischen Begegnungs- und Strukturberatungen des Bewachungspersonals ist aus therapeutischer Sicht auf diesen Abteilungen nicht möglich. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit Zwangsmassnahmen durchzuführen, begrenzt ist.
Gegenwärtige Entwicklungen Die eben beschriebene, nicht ideale Situation hat die Aufmerksamkeit von Politik und Presse erlangt. Deswegen wird nun ein Programm entwickelt, in welchem vier Haftanstalten für psychisch gestörte Häftlinge geplant sind. Besondere Beachtung richtet sich dabei auf die räumliche Situation, demgegenüber sind die personellen Anforderungen bedauerlicherweise noch stark rückständig. Davon unabhängig besteht die Frage, ob beim derzeitig knappen Arbeitsmarkt überhaupt genügend psychiatrische Pfleger und Psychiater gefunden werden können. Das Risiko, dass die betreffenden Abteilungen nicht halten können, was von ihnen erwartet wird, ist gross.
Drogenabhängige Häftlinge Wie hinlänglich bekannt ist, besteht in den Niederlanden ein großes Maß an freier Erhältlichkeit von diversen Drogen. Ob dies die Ursache dafür ist, dass es viele Wiederholungstäter gibt, welche Straftaten begehen, um ihren Drogenmissbrauch zu finanzieren und damit endlose Verurteilungen für geringfügige Straftaten hinter
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sich haben, wurde nie untersucht. Jedenfalls steht fest, dass eine grosse Gruppe Internierter in den Haftanstalten als „Drehtür-Deliquenten“ ein und ausgeht. Sowohl die Suchtproblematik wie auch psychische Probleme spielen bei diesen Delinquenten eine Rolle. Es kommt häufig vor, dass sie, sobald sie von der Strasse geholt werden, um ihre Strafe abzusitzen, bei ihrer Aufnahme in der Haftanstalt dekompensieren. Dies geschieht nicht nur, weil der Justizvollzug ein Stressfaktor ist, sondern auch, weil ihr System der Beeinflussung ihres Hirnmetabolismus durch allerlei Drogen beeinflusst wird und sie nur schon deswegen „neurochemisch dekompensieren“. Immerhin sorgt die im Justizvollzug weitergeführte Methadonverabreichung gegenwärtig für eine Minderung dieser Dekompensationen. Kürzlich wurde jedoch ein neues System für diese Gruppe Straftäter entwickelt. Die abgeurteilten, aber noch nicht vollzogenen Strafen werden zusammengefügt und für diese Gruppe Straftäter gilt nun das so genannte Verfahren für strukturelle Täter. Das heisst, dass ihnen längere Haftstrafen auferlegt werden, wobei die Hoffnung besteht, dass Strukturierung und Behandlung ihrer Suchtproblematik und psychiatrischer Problematik dazu führen, Straftatwiederholungen vorzubeugen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Behandlungskomponente in den einschlägigen Haftanstalten nicht dergestalt angepasst wurde, dass eine tatsächliche Verminderung des Wiederholungsrisikos erwartet werden kann. Aus diesem Grund sind Richter in diversen niederländischen Bezirken sehr zurückhaltend bei der Auferlegung von verhältnismässig langen Strafen für diese Gruppe von Straftätern bei Begehung relativ leichter Delikte.
Besondere Gruppen Wie auch sonst überall auf der Welt ist in den Niederlanden der Straftatenanteil von Frauen beschränkt. Bei den weiblichen Strafgefangenen beträgt der Anteil nicht viel mehr als 5%. Die Problematik von weiblichen Strafgefangenen ist jedoch unverhältnismäßig größer. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Unterbringungs- und Haftmöglichkeiten für Frauen bei den zuvor erwähnten besonderen Institutionen sehr beschränkt sind. Die wenigen niederländischen Haftanstalten, die spezifisch von weiblichen Strafgefangenen genutzt werden können, müssen oft auf dem höchsten Niveau der IBA (siehe oben) schwere Pathologien bewältigen. Spezielle Mutter-Kind-Abteilungen im Säuglingsbereich bestehen zwar in den Niederlanden, sie sind aber in Anzahl und Dauer begrenzt. Darüber hinaus bestehen kaum Möglichkeiten für Kinder von internierten Müttern.
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Geistig Behinderte Wie bereits aus anderen Ländern berichtet wurde, kam auch in den Niederlanden infolge der Dehospitalisierung von psychiatrischen Patienten ein Dehospitalisierungsprozess für Menschen in Gang, die in Einrichtungen für geistig Behinderte lebten. Es stellte sich heraus, dass sich viele dieser Menschen außerhalb des stützenden, strukturierenden und schützenden Rahmens der Einrichtung, in welcher sie lebten, gesellschaftlich nicht behaupten konnten. Es kommt deswegen hin und wieder zu Übergriffen, wobei vor allem leichte sexuelle Delikte und kleinere Brandstiftungen ins Auge springen. Es darf nicht wundern, dass diese Tätergruppe im Justizvollzug besonders sensibel ist. Für diese Gruppe wurden – leider – noch keine spezifischen Hilfsangebote entwickelt.
Sexualstraftäter Da Sexualstraftätern in den Niederlanden recht schnell TBS auferlegt wird, gibt es für sie wenig therapeutischen Möglichkeiten in den P.I.’s. 2 Diese bleiben beschränkt auf so genannte „luwte afdelingen“ 3 und Abteilungen, in welchen die TBS-Kliniken, bevor die Aufnahme realisiert werden kann, den entsprechenden Patienten eine sogenannte „Prätherapie“ anbietet.
Die Beziehung zwischen gefängnisinterner und kommunaler Psychiatrie Im Zuge der Verbreitung der Psychiatrie und dem zunehmend ambulanten Charakter der niederländischen Pflegeinstitutionen entstand eine Gruppe psychiatrischer Patienten, die früher in einem schützenden Rahmen gepflegt und behandelt wurden, heute aber mit dem Strafrecht in Berührung kommt. Gerade weil die Psychiatrie viel ambulanter und extramuraler geworden ist, ist es häufig schwierig, diese Patienten aus den Gefängnissen in psychiatrische Behandlungsumgebungen zu verlagern. Schließlich wurden gerade die geschlossenen, strukturierten Abteilungen, die früher für diese Menschen bestanden, aufgehoben bzw. in ihrem Umfang stark reduziert. Ein grosses Problem ist dabei, dass die Kultur der strukturellen Pflege fast ausgestorben ist. Es werden in den Niederlanden auf behördlichem und Direktionsniveau sehr viele Anstrengungen unternommen, um die Lücke zwischen Gefängnis und den psychiatrischen Institutionen zu füllen. Leider werden die Praxis der Psychiatrie und vor allem die Pflege nur spärlich bei diesen gut gemeinten Plänen miteinbezogen. Der Widerstand gegen die Aufnahme dieser Gruppe, häufig schwieriger 2 3
Anm. des Übersetzers: Haftanstalten (Penitentiaire Inrichtingen). Übersetzt: geschützte Abteilungen.
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und oft auch drogenabhängigen Patienten, in die psychiatrischen Kliniken, ist auf der Stufe der Pflege begreiflicherweise sehr stark. Dazu kommt, dass aufgrund des gänzlich ungenügsamen zivilen Zwangsrahmens in der herkömmlichen Psychiatrie praktisch kein Druck besteht, um diese schwierige Patientengruppe in einen strukturierten Zwangsbehandlungsrahmen zu integrieren, dort zu halten und wenn nötig auch zwangsweise zu behandeln. Die Verlagerung dieser Patienten in GGZAnstalten 4 , wenn sie im Gefängnis weiter dekompensieren, ist darum immer eine mühselige Angelegenheit.
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Psychiatrische Kliniken
Blood, sweat and … hope – The provision of medical services in the Belgian prison system
Frank Verbruggen, Ann Dierickx, Anne Vandesteene, Francis van Mol
General Background: the Belgian prison system............................................273 A watershed: the Law on prisons and prisoner’s rights (LPPR) ..................274 Basic Principles of Prison Health Care............................................................276 Equivalence of care............................................................................................278 Qualified staff ................................................................................................278 Financial resources ........................................................................................279 Infrastructure..................................................................................................280 Organisation of the Health Care Service........................................................280 Application of the same ethical and good-practice principles and patient rights ..............................................................................................................281 Continuity of health care ..................................................................................282 The specificity of health care ............................................................................283 Special prisoners............................................................................................283 Special doctors...............................................................................................283 Surgery...........................................................................................................283 Release on health grounds .............................................................................284 The professional independence of care providers...........................................284 Care or control? .............................................................................................285 Expertise ........................................................................................................285 Protection of prisoner’s rights........................................................................286 The legality of medical interventions in the execution of sentences ..............287 Legitimate aim ...............................................................................................287 Informed consent ...........................................................................................288
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Frank Verbruggen, Ann Dierickx, Anne Vandesteene, Francis van Mol
Coerced treatment............................................................................................. 292 For health protection...................................................................................... 292 Experiments ................................................................................................... 293 Emergency treatment in the execution of sentences ...................................... 295 Medical standards .......................................................................................... 295 Doctor's duty of confidentiality in the execution of sentences ....................... 296 Confidentiality ............................................................................................... 296 Exceptions ..................................................................................................... 297 Special care for special categories of prisoners............................................... 299 Drug users...................................................................................................... 299 Victims of violence........................................................................................ 300 Hunger strikers .............................................................................................. 301 Disciplinary or safety measures – isolation cell ............................................ 302 Medical care for women and their children in the penal system.................... 302 Handicapped and elderly ............................................................................... 304 Psychiatric patients ........................................................................................ 304 Criminal and civil risks of the institute physician .......................................... 305 Conclusion: From Belgian disease to Belgian prescription? ......................... 306
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General Background: the Belgian prison system The Belgian prison system is seriously ill. History shows that the disease is chronic, but the patient has suffered new fever pitches in recent years. Vital reform initiatives were overshadowed by a massive, comedy caper style prison break, 1 by incessant prison guard 2 strikes, by an abuse scandal involving drunken guards, 3 by prisoners dying of an overdose of drugs, allegedly sold to them by a guard. 4 Yet there is plenty of good work being done in the difficult context of Belgian prisons: efforts to modernize and humanize the system, restorative justice initiatives, extra personnel and better pay, slow but continuous modernisation of the completely outdated infrastructure. Everyone agrees that it was about time. Its adaptation of the Pennsylvania prison system made liberal 19th century Belgium an international reference for scholars and policy makers. Most of its prisons were build in the second half of the 19th and the beginning of the 20th century, conceived in furtherance of a system which counted on solitary confinement, individual repentance and moralizing contacts with decent citizens to ‘recover’ the ‘fallen’. Subsequent, more modern visions of what prisons can and cannot achieve, have only partially found their way into judicial and prison practice. Financial and logistical constraints, as well as disparities in background, recruitment and training of staff lead to very unequal application of new visions like social defence or reintegration-oriented imprisonment. Decades of political and financial neglect undermined the credibility of a system which, as some pundits have it, has to move from the 19th straight to the 21st century. Penitentiary insiders never had many illusions regarding the deterrent effect of imprisonment. Of late, they have given up the idea that prisons can make people better: their limited ambition, to reduce the “detention damage” as much as possible, has now been taken at heart by parliament. Belgium has 33 prisons with a total capacity of 8,346 places. 5 There are not enough cells to grant all prisoners an individual cell. Not all cells have running water or sanitary facilities. The prison population rate has risen from 71 per 100.000 in 1992 to 91 per 100.000 in 2006 and keeps increasing. 6 Like many other countries, Belgium has been struggling with chronic overcrowding. In 1
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“Interpol issues alert following Belgian prison escape”, 21 August 2006, http://www. interpol.int/Public/News/2006/BelgianEscape20060821.asp; GRAY-BLOCK, “Belgian Prison System in Crisis”, Expatica News 2006, http://www.expatica.com/actual/article. asp?subchannel_id=48&story_id=32428. The official title is Penitentiary Agent. M. EECKHAUT, “Al negen cipiers in opspraak in Bergen”, De Standaard (newspaper) 21 December 2006. MCU, “Cipier aangehouden na overdosis twee gedetineerden”, De Standaard 3 May 2007. Capacity on 23 May 2007, according to official data furnished by the Federal Service Justice. Cfr. World Prison Brief: http://www.kcl.ac.uk/depsta/rel/icps/worldbrief/europe_records.php?code=127.
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March 2007, the psychological threshold of 10.000 prisoners was breached. On 23 May 2007, there were 10,073 inmates, at the end of June 2007 there would be 10,200. Of the 9,832 prisoners in February 2007, 3,319 were in pre-trial detention (or with appeals pending), 5,362 were serving a prison sentence. Since there are not enough places in special institutions, 979 mentally ill offenders were detained in prisons. On 23 May 2007, there were 9,639 men and 442 women in prison. About 60% of the inmates are Belgian nationals, about 40% are foreigners. 7 Over 8,000 people are working in the prison system, 1,173 in staff functions, 7,129 as Penitentiary Agents (guards). 600 medically trained persons work in the system, albeit often part time or on an incidental basis (infra). Belgium spends 100 € per prisoner per day, of which 3,41 € on food. 8
A watershed: the Law on prisons and prisoner’s rights (LPPR) The lack of formal legislation regulating prison live and prisoner’s return into society has plagued the Belgian system for almost two centuries. Only in the last decade, parliament has adopted formal rules, governing both the ‘internal legal position’ (rights and obligations of prisoners within the penitentiary institutions) and the ‘external legal position’ (possibility to leave the institutions before the completion of the full sentence and related procedures). Until then, most issues were dealt with by internal rules of each prison, and by guidelines or instructions of the central administration or the Justice Minister. Life within prisons was based on open-ended norms interpreted autonomously by the prison authorities. They could change without warning or justification. They were often inaccessible to prisoners and outsiders. Many ad hoc rules often resulted in incoherent regimes. Starting point was that everything was prohibited, unless prison staff chose to allow it: the system was based on favours, not on enforceable rights. The treatment of prisoners differed greatly between different prisons: in some the prisoners received proper information on the rules and practices upon entry or shortly afterwards, in others they had to find out for themselves. Similar disparities existed regarding practical information given to families of inmates or to the public in general. Remarkable differences also persist between one prison and another in living conditions and accommodation, in relations between inmates, in the attitude of staff, in the activities set up in view of subsequent reintegration into society… Whereas prisoners and insiders had been voicing calls for change for decades, the issue only made it onto the political agenda when case law from the European
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The exact numbers in February 2007: 5,627 Belgian nationals, 4,205 foreigners. DM, “Gevangene kost 100 Euro per dag”, De Morgen 30 May 2007.
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Court of Human Rights and repeated criticism by the Committee for the Prevention of Torture made the status quo indefensible. 9 After painstaking preparatory work, first by K.U. Leuven professor Lieven Dupont, and subsequently by a commission named after him, parliament adopted in 2004-2005 a crucial Basic Law of 12 January 2005 on Prisons and the Internal Legal Position of Prisoners. 10 In spite of a number of changes to the original bill, inspired by pragmatic (financial and logistical) concerns, this Law on Prisons and Prisoner’s Rights (LPPR) is widely recognised as a milestone in Belgian penitentiary history. Somewhat surprisingly in view of the overall political climate, parliament adopted it with very broad cross party support. Members of parliament congratulated themselves and each other on the quality of their legislative performance. The new idiom, with notions like “prisoner’s rights” or “damage caused by detention” found itself remarkably quickly into MP-vocabulary. Central idea of the LPPR, reflecting a fundamental policy choice, is that imprisonment as punishment consists of the partial or complete loss of the freedom of movement and the inevitable limitations of freedom inseparably related to that loss. The maxim is that “people go to prison as punishment, not for punishment”. 11 The logical corollary is that prisoners should suffer no other limitations to their political, civil, social, economic or cultural rights than those which are explicitly included in the court verdict or those which are inseparably linked to the detention or those which are explicitly provided by law (art. 6, § 1 and 9, § 1 LPPR). Prisoners do not have “to hand in their fundamental rights at the gate”. 12 This attempt to ‘normalise’ prison life, to approach the situation in the outside world as much as possible, should help to limit “detention damage” (art. 6, § 2 LPPR) and teach inmates to take responsibility for choices in and about their life. The Belgian prison system is now legally bound to respect human dignity, to maintain or increase the self-respect of detainees and to appeal to their individual and social responsibility (art. 5, § 1 LPPR). The execution of the prison sentence will be organised such as to support restoration of the harm caused to the victims by the offence, to prepare the rehabilitation of the offender and timely and individualised work towards reintegration into free society (art. 9, § 2 LPPR). All attempts to respect prisoners’ rights should of course respect the overall concern for security (art. 5, § 2 and 9, § 3 LPPR). Specific sections of the LPPR have already entered into force. Yet financial constraints and the time needed to prepare the penitentiary and judicial institutions for the turnaround have forced the Minister to opt for a careful phasing in. Many
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L. DUPONT (ed.), Op weg naar een beginselenwet gevangeniswezen (The Road to a Basic Prison Law), Leuven, Leuven University Press, 1998, 113-124 sets out why legislation had become necessary both for legal and for policy reasons. Official Bulletin, 1 February 2005. The phrase was borrowed from Penal Reform Practice International and is also the basis of the European Prison Rules (cfr. L. DUPONT (ed.), op. cit., 132). Bill LPPR, Parl.Doc. 2003-2004, 51 -0231/015, 7.
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of the basic rules require implementation rules, to be issued by Governmental (Royal) or Ministerial Decree. Medical issues came far more to the forefront in the LPPR than traditional prison literature would have suggested, because professor Dupont had learned from his profound preliminary soundings that this was one of the most underestimated and problematic aspects of prison life. 13 Professor Andrew Coyle, one of authors the updated European Prison Rules (2006), later told that the Belgian Law’s attention to medical rights had been an important source of inspiration for the EPR-update. 14 That makes it all the more striking that, as far as we know, the legal regime of intramural medicine has hardly ever been the subject of legal research. 15 Only the regime for mentally ill offenders has received plenty of scholarly attention. Consequently, this contribution cannot be but a moderate first try, based on limited information and hopefully an incentive for more research. The organisation of Belgian prisons is thus at a turning point, and prison health care is no exception. The Prison Health Care Service (PHCS) has already started to work in the spirit of the LPPR and is tailoring its policy and organisation to meet the legal standards when the provisions will enter into force. The ‘extramural’ situation of convicted prisoners has also been fitted with a brand new legislative framework, the Law of 17 May 2006 on the external legal position of convicted prisoners and the rights of victims (LELP). It has partially entered into force in February 2007. It sets out the conditions and procedure for prisoners to obtain exit permits (often used to get extramural medical treatment) and interim release on health grounds.
Basic Principles of Prison Health Care The prison health care service is currently reorganising itself to adapt to the logic of the LPPR, itself inspired by the Council of Europe recommendations relating to the prison system in general 16 and health care in particular 17 . Intramural health 13
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At the hearings in the parliamentary committee which debated on the Bill, professor Dupont explicitly started with a referral to the upheaval in France following the publication in 2000 of the experts from the book Médecin Chef à la prison de la Santé by Véronique Vasseur. Bill LPPR, Parl.Doc. 2003-2004, 51 -0231/015, 6. Prof. Andrew COYLE, lecture on The New European Prison Rules 2006, delivered at the Law Faculty of the K.U. Leuven on 4 May 2006. The only significant one to our knowledge is: F. ANG, “Het recht van gedetineerden op gezondheid” (The right to health of detainees), in: E. BREMS, S. SOTTIAUX, P. VANDEN HEEDE and W. VANDENHOLE (eds), Vrijheden en vrijheidsbescherming, mensenrechten van gedtineerden, Antwerp, Intersentia, 2005, 249-276. It does not refer to any other Belgian legal doctrine dedicated specifically to prisoner’s health. Recommendation R(87)3 on the European prison rules - updated by Recommendation R(2006)2 on the European prison rules. Recommendation R(98)7 concerning the ethical and organisational aspects of health care in prison.
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care is consequently based on four fundamental principles: equivalence of care, continuity of care, specificity of care and professional independence of care providers. Each of these principles will be analysed below. The medical service in prisons performs three, sometimes somewhat overlapping, yet nevertheless distinct functions: curative care, preventive health care and protection of general health. Indirectly, it can also contribute to re-integration into society upon release from prison. The main task of prison care providers is obviously curative: establishing, maintaining or improving the physical and mental health of the detained patient. Belgium excludes births, pregnancy termination, terminal care and organ donation from the remit of the prison health care services. For these interventions the prisoners are transferred to external hospitals or homes. Furthermore, intramural health care also encompasses preventive health care, particularly the dissemination of information on infectious diseases and their origins. Thus, the medical services work closely with those services responsible for detecting tuberculosis. 18 Considerable attention is paid to information on drugrelated diseases such as HIV, hepatitis and tuberculosis and on avoiding risky behaviour. Encouraging a healthy lifestyle also comes under this heading. The protection of the health of personnel and prisoners concerns issues of hygiene, food and welfare at work. It also regards the removal of medical waste and the distribution of drugs (art. 99 LPPR). On hygiene, food and welfare at work, prison doctors will mainly fulfil a signalling function and supplement specialised services in their interventions. The collection of medical waste and the distribution of drugs are however a direct responsibility of the head of the medical service. The large concentration of drug-users and their urge for psychotropic drugs weighs heavily on the safety of drugs management in prisons. That is why recently Belgium decided to switch to a system of distribution via external pharmacies. The drugs are delivered to each prison on a daily basis by a nearby local pharmacist, who has prepared the packs individually for each prisoner in accordance with the prescription of the prison doctor. These local pharmacists are also responsible for controlling and permanently inventorying the emergency stocks in prisons. The drugs are distributed once a day by the nursing staff, if necessary assisted by guards. Prisoners receive their drugs in the original blister packs and, unless the doctor decides otherwise, it is their own responsibility to take them correctly. Belgium heeds the call in European Recommendation R(98)7 to give prisoners more responsibility in matters concerning their own health. Reintegration and the prevention of re-offending are not speficic tasks of health care providers. Nonetheless, for many prisoners the medical service can make a vital contribution. It can e.g. collaborate with care providers who will care for prisoners on substitution therapy following their release, or remove offensive tattoos or fit dental prostheses in young prisoners to improve their chances on the job market. 18
Federal Government Service Health and Flemish (Flemish Agency for Care and Health), French-speaking and German Communities.
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In federal Belgium, social reintegration, health protection and health prevention are the responsibility of the Communities (Flanders, the French-speaking Community and the small German-speaking Community), in contrast to prison health care in the strict sense, which is a federal matter. This division of responsibilities does not mean that the medical services in prisons should not pay attention to the Community-based areas of health care. They have to play a supplementary role by cooperating with the competent Community services. 19 Practice shows that turf wars and blurry lines defining respective jurisdiction and hence, financial responsibility, do create some tension and lead to less than optimal service. 20
Equivalence of care “The prisoner is entitled to health care that is on a par with health care in free society and which is adapted to his or her specific needs” (art. 88 LPPR)
This equivalence of health care requires the authorities to make sufficiently qualified staff and sufficient financial resources available to prison health care. Care providers must be able to work with professional equipment in a suitable infrastructure and within a well-organised structure. Equivalence of care also implies that the same ethical and good-practice rules apply and that the prisoners enjoy patient rights (infra). Qualified staff To fulfil its duty of care, the prison administration uses 600 care providers, although the majority are employed in prisons on a (very) part-time basis only. In Belgium, most health care outside the prisons is provided by independent doctors under a service contract. For the past ten years, prisons have also opted for such a system, in keeping with European Recommendation R(98)7. Independent care providers’ fees are determined either on an hourly lump sum basis or per consultation in line with externally applicable rates, taking into account the specific nature of the prison context. Approximately 180 general practitioners provide medical care in prisons on an independent basis under a service contract. Most of these doctors also have a private practice with ‘ordinary’ patients, thereby guaranteeing contact with all aspects of the profession. Various specialists offer their services on a weekly basis or according to prisoners’ specific needs. This involves 150 specialists in psychiatry, ophthalmology, radiology, gynaecology or paediatrics. An agreement has been entered into with approximately 50 dentists to provide dental care weekly or according to prisoners’ 19 20
Bill LPPR, Parl.Doc. 2003-2004, 51 -0231/015, 17, 27, 29, 120. Bill LPPR, Parl.Doc. 2003-2004, 51 -0231/015.
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needs. Approximately 50 physiotherapists provide their services as prescribed by doctors. Some ten ergotherapists recently concluded an employment contract to provide services in specialised sections for detention of mentally ill offenders. Psychologists within the Psychosocial Service used to combine an obligation to provide care with an advisory role within the execution of sentences. This is no longer possible under the new system. Ten psychologists recently have been attributed an exclusively caring role in sections for mentally ill offenders. With over 400 people interned in prisons, it is obvious that their task will be awesome. Speech therapists, podiatrists and dieticians are called in when necessary. Belgian prisons employ 150 nurses on a statutory or contractual basis. In addition, around 50 nurses regularly provide care on an independent basis. The nurses provide daily health care, medico-administrative management of the health care service in prisons and provide assistance to other care providers. Financial resources Health care is offered to prisoners free of charge. A partial financial contribution on the part of the prisoner or the prison’s social fund is only expected for certain types of care (e.g. the fitting of dental or other prostheses which the prisoner retains upon release). As prisoners are not subject to the system of compulsory medical insurance, the financial burden is partly borne by the budget of the Justice Department. 21 Each year the sum of € 13,250,000 is spent on the medical sector. These budgets follow trends in external health care. The costs of drugs, the costs of external hospitalisation of prisoners in civilian hospitals and of placing prisoners in private establishments is borne by the social security institutions under the guardianship of the Minister for Public Health to the tune of € 30,000,000. The Health Care Service considers the financial resources made available to it sufficient to offer quality health care to prisoners. It has to be pointed out however that psychiatric care traditionally fell outside the scope of the General Health Care Service and was dealt with by the parallel structures of Psycho-Social Services, both at the central level and within each prison. The separation between care and control (infra) has lead to a transfer of psychiatric care to the general health service. This transfer is now being implemented in the penitentiary institutions. The outgoing government had made the improvement of the situation of the mentally ill a priority and has increased the budget. The financial means currently at disposal still seem insufficient however to provide enough quality care to the mentally ill offenders, often victim to the most serious and complex disturbances. 21
In the debate on the LPPR, the Justice Minister herself underlined, as others had done before her, that this causes problems in practice and that this made it impossible to guarantee equivalent care (Bill LPPR, Parl.Doc. 2003-2004, 51 -0231/015, 19). However, the negotiations with the Minister of Health and Social Security and the Service managing health care payments apparently did not bear any fruit and no changes were made.
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Infrastructure Within every prison there is a doctor’s surgery and a dentist’s surgery which offer the necessary guarantees for the protection of privacy. The premises are sometimes still equipped with old furniture, but always have modern medical equipment. Doctors dispose of a telephone, a fax and e-mail. The computer system allows doctors to manage electronic medical records and drug prescriptions and to fix fees for independent care-providers according to the detailed legal standards. The medical service also has a private area for the provision of drugs that are prepared by a local external pharmacist. Three prisons have a specialist medical centre (infra). Organisation of the Health Care Service “Health care in prisons is structured, organised and integrated into the prison activity such that it can be provided in optimal conditions” (art. 97 LPPR)
Equivalence of care also means that policy, organisation and structure have to be tailored to the organisation of health care in the outside world. Policy is determined by the Minister of Justice. Art. 98 LPPR established the Prison Health Council, an advisory body for the Minister, by analogy with the medical councils that were set up in civilian hospitals. This should involve care providers more closely in policy, thereby promoting the quality of health care in prisons. It consists of doctors, dentists and nurses and the meetings are attended by representatives of the Order of Physicians, the Belgian Bioethical Committee and the Department of Public Health. Through the participation of these observers an attempt is made to link health care in prisons to general health care policy. The Central Department of the Health Care Service in prisons acts as a centre of knowledge. It manages the available resources, controls local services, supports and monitors their operations. At a local level, service units have been developed that group together care providers with the same qualifications: general medicine, specialist medicine, psychiatry, dentistry, nursing, pharmacy. They work under the leadership of a head of service who is responsible for the organisation within his unit. The various service units are united in the local Health Care Service under the leadership of a medical superintendent. The medical superintendent coordinates the provision of services and is the link and contact for the local management with whom he confers on a regular basis to resolve organisational problems and promote the necessary collaboration. At intermediate level, a number of coordinators are active. They advise the doctor in charge of the Health Care Service and coordinate and support the activities of the other care providers (coordinators for internment care, dentistry, pharmacy, drugs, medical IT, infectious diseases).
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Application of the same ethical and good-practice principles and patient rights Care providers must respect the principles of ethics and good practice of their profession. Their professional code also applies to their activities within prisons. Prisoners find themselves in a subordinate dependent position and prison is a peculiar environment for care providers to work in. Consequently, they also have to take account of specific rules. The basic law creates a special notification duty for prison doctors who find that the physical or mental condition or the prisoner is serious damaged by continued detention (art. 94 LPPR) or if a prisoner is suffering from an infectious disease which requires special measures to be taken to prevent the spreading of diseases (art. 99 § 4 LPPR). The prisoner-patient can enforce all the patient rights that apply outside prison, 22 with three exceptions. First of all, the free choice of doctor is restricted (art. 91 LPPR). The prisoner can receive visits from a doctor of his choice, 23 but that doctor may only act in an advisory capacity. The freely chosen doctor informs the prison doctor, who remains the attending doctor, in writing of his opinion regarding diagnosis, proposed examinations and treatment. If the two doctors fail to agree, they request the advice of a third doctor whom they appoint by mutual agreement, with the consent of the prisoner. If there is good reason, the head of the health care service can allow the freely chosen doctor also to assume responsibility for treatment. A second particular rule regards the free choice of proxy to assist the patient in the exercise of his rights. In prisons that choice is restricted to an external doctor, a solicitor or a representative of his religion or ideology (art. 92, § 1 LPPR). This restriction must prevent that prisoners would be pressured by fellow prisoners or other unauthorised persons who would obtain presence during the consultation or gain access to their medical records. For the same reason the right to copy of medical documents is limited (art. 92, § 2 LPPR). Since it would be extremely difficult if not altogether impossible to guarantee the confidentiality of a copy of the medical records kept in a prison cell, the prisoner can only exercise the right to copy indirectly by having a copy sent to one of the aforementioned proxies.
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Law of 22 August 2002 on the rights of the patient: right to a quality service, right to free choice of care provider, right to information, right to consent, right to patient records, right of inspection, right to copy, right to protection of privacy, right to complaints mediation. The inmate has to pay the doctor of choice out of his own pocket. Since many prisoners, particularly many mentally ill offenders, have very limited or no resources, this financial threshold seriously hampers access to doctors of choice.
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Continuity of health care “Whilst incarcerated, the prisoner is entitled to continue to receive health care equivalent to that he received before being sent to prison. He shall be taken to the doctor affiliated to the prison as quickly as possible after arrival and thereafter each time he so requests” (art. 89 LPPR)
The health care the prisoner received before incarceration should continue during incarceration, and health care should not end upon release. Incoming prisoners may be suffering from diseases (diabetes, epilepsy, etc.) that require continuity of treatment. Sometimes their arrest involved violence. Some are mentally disturbed, others are under the influence of drugs, have withdrawal symptoms or are suffering from infectious diseases. It is therefore important that they should be seen by a doctor as soon as possible after their arrival. Consultations are therefore held on daily basis and in detention houses also at weekends and on holidays. Equivalent continuity of care upon detention does not restrict the therapeutic freedom of the prison doctor, however. He or she does not necessarily have to continue the treatment chosen by the outside colleague. After all, he or she has to take account of the detention context, which may require treatment to be modified. If necessary, and with the consent of the prisoner, the prison doctor will contact the doctor who was treating the prisoner prior to the detention and discuss with him the prisoner’s treatment whilst detained. Throughout the detention, the prisoner has the opportunity to consult the prison doctor if he or she feels this is necessary. Access to the doctor is unrestricted and consultations and care are free. This seems to encourage over-consumption. 24 On workdays more than 10% of prisoners consult the general medical service. 25 Continuity of care during detention also requires the services to be developed such that they can also deal with emergencies outside normal consulting hours. Several care providers with the same qualifications are being engaged to guarantee continuity of care. The electronic medical record follows the prisoner via an internal network when he or she is transferred to another prison. It can be consulted immediately by the doctor of the prison to which the prisoner is transferred. A uniform “Drugs Form” has been developed for all prisons. That contributes to efficient and economic management but also helps ensuring continuity of care upon transfer. Just like outside, the therapeutic freedom of the doctors who are consulted is not therefore affected while they are consulted when changes are made to the Drugs form. On release of the prisoner, the doctor ensures continuity of care if that is necessary. With the consent of the prisoner any useful information can be forwarded to the doctor taking over treatment.
24 25
Bill LPPR, Parl.Doc. 2003-2004, 51 -0231/015, 217. Outside the prisons, patients have to pay a limited part out of their own pockets, to discourage such overconsumption.
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The specificity of health care Special prisoners “The prisoner is entitled to health care […] which is adapted to his or her specific needs” (art. 88 LPPR)
The legal obligation to adapt health care to the specific needs of the prisoner is not at odds with the principle of equivalence, but rather supplements and strengthens it. Prison health care is also special in the sense that order and security concerns run through the normal relationship between patient and care provider. Care providers attending the personal needs of the prisoners cannot disregard them. Certain categories of prisoner require particular attention because they present specific health problems: drug users, woman and children, elderly prisoners and mentally ill offenders. Their situation will be addressed shortly below. Special doctors “The prisoner is entitled to services of care providers with the required qualifications according to his or her specific needs” (art. 90 LPPR)
Prison doctors can make use of medical imaging, clinical biology and specialist examinations when making their diagnoses. They have the required therapeutic freedom in the prescription of drugs, diets, prostheses and other aids or for treatment by nurses, paramedics or specialist doctors. Each week or according to the needs of the prisoners, consultations are held in prisons by psychiatrists, ophthalmologists, gynaecologists, paediatricians, radiologists. Surgery If the prison is not adequately equipped for a specialist examination or treatment, the prisoner can be transferred to a medical centre. Three prisons have their own medical centre, equipped with modern medical equipment which allows specialist examinations and treatments as well as some surgical interventions. Specialist doctors come from nearby hospitals with which cooperation agreements have been entered into. The specialist doctors affiliated to these hospitals come to perform examinations and outpatient interventions in the prison medical centres. If the intervention cannot be carried out in a medical centre within the prison, 26 the prisoner is taken out for a visit to a specialist outside or transferred to a spe-
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If prisoners, for instance because of an incident or complication on a previous surgical intervention, refuse to be treated in the ‘prison medical centre’, no right to treatment in
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cialist hospital (art. 93 LPPR). A number of hospitals have set up special secure rooms for this purpose. The doctor arranges the appointment, decides the medical aspects of transport and writes the referral letter. He provides the management with the information required to organise the transfer from an administrative point of view. Release on health grounds “If an attending doctor believes that the mental or physical health of a prisoner is being damaged by continued detention or by any related circumstances, he shall, with the consent of the prisoner, report this to the director and to the head of the health care service within the prison administration” (art. 94 LPPR)
Dying in prison is seen as inhuman and degrading. Consequently, prisons do not possess palliative care services. Prisoners with a short-term terminal prognosis are therefore eligible for interim release on health grounds. The prison doctor investigates the care options on the medical front and informs the management without breaching medical confidentiality. Interim release may be revoked if the condition after treatment allows re-incarceration or the behaviour of the patient makes this necessary. Extramural palliative centres usually object to armed police or guards and strict security measures, as it ruins the serenity for the dying and their relatives. That makes it difficult to transfer dangerous terminal patients to specialised palliative centres. During the parliamentary debate, it was explained that the reference to the mental health in art. 94 should allow the release of persons suffering from Alzheimer’s disease, as the prison health services are not capable of providing adequate care. Concerns uttered by an MP that the clause could be used as a backdoor to release of mentally ill offenders which have been interned under Social defence legislation, were said to be unjustified. 27
The professional independence of care providers “Care providers shall retain professional independence and their evaluations and decisions in relation to the health of the prisoner shall be based solely on medical criteria. They cannot be forced to take actions which endanger their relationship of trust with the prisoner. The job of care provider is irreconcilable with a job as an expert in prisons” (art. 96 LPPR)
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an outside hospital is available. The thorny issue is currently being studied by prison complaints boards. Bill LPPR, Parl.Doc. 2003-2004, 51 -0231/015, 116.
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Care or control? True to the European Standards, 28 the separation between medical care (assistance) and medical expert advice for the authorities (control) will be the backbone of on ongoing reform. Care and expertise assignments that were previously performed by the same doctors are now being split according to the good-practice requirements of the profession. Care providers retain their professional independence in relation to the director of the institution and the prison administration as a whole. The guarantee of independence is absolutely necessary to establish a trustbased relationship with the patient, especially in a prison context. Relations between medical experts and care providers operate according to the same rules as on the outside. A restructuring process is currently under way to implement this separation between medical care and expert reporting within the prison system. The operation is due to be completed by the end of 2007. Expertise When prisoners are or get ill, a physician will see them. The position of the attending physicians in a prison is particularly delicate. Theirs is a constant balancing act between the interests of their (detained) patients and the demands of the prison context. As pointed out in the previous section, the very fact of detention brings the patient in a dependent and subordinate position and excludes a full exercise of the right to a freely chosen physician. The prison physicians therefore face far more difficulties to develop a relationship of trust with the patients, which is absolutely necessary to guarantee quality of care. Prison physicians and other medical staff responsible for the treatment of the patients therefore have to take great pains to ensure that their detained patients are not in any way confused about their role. Hence the new provisions of the LPPR introducing the incompatibility between treatment and expert reporting. Articles 100 and 101 LPPR explicitly set out the tasks of advisory physicians (experts), albeit not in an exhaustive way. They distinguish three categories. The first are medical examinations that can be imposed and that are intended purely to clarify the state of health of the prisoner and its negative effect on others or on health in the prison. They do not fall within the remit of medical care, which is only provided with the freely informed consent of the detained patient (infra). Consequently this task is entrusted to an advisory physician, who advises the prison authorities on the appropriate measures to be taken. The advisory physicians are not necessary confidants for the prisoner and are not bound by a professional obligation of secrecy, that is, they can forward the data to the authorities that require the information. They therefore have to inform the prisoner clearly beforehand of their role and mission and must not present themselves as a confidant while executing their mission. Until now, no real force
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Recommendation R(98)7 of the Council of Europe.
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has to be used to impose examinations; event reluctant new prisoners eventually are convinced to subject themselves to the necessary controls. Secondly, advisory physicians are entrusted with expert reporting tasks within the framework of prisoners’ individual detention plans, their placement and transfer, the use of means of coercion to maintain order and the imposition of special safety measures or disciplinary punishments. Within the framework of the individual detention plan they provide advice on, among other things, suitability for sports and work. After all, this suitability can partly determine the course of the prisoner’s detention. When detainees suffer sports- or work-related accidents with lasting consequences for the prisoner’s fitness for work, the prison administration pays the victim compensation, by analogy with industrial accident insurance. The advisory physician’s role is then similar to that of the physician of an insurance company. He can for instance advise the authorities on the degree of permanent invalidity. Advisory physicians also collaborate on the medico-psychosocial expert report with a view to the placement in or transfer of prisoners to a department or institution that is best suited to their mental or physical condition. If medical contra-indications exist, some measures to maintain order and safety in the prison and some forms of coercion are prohibited. Again it will be an advisory physician who has to detect or verify those contra-indications. Although the ultimate responsibility for the use of these measures remains with the prison management, they must be able to rely on a physician’s advice on the medical aspects. If a prisoner is placed on an individual safety regime or in solitary confinement or an isolation cell, the advisory physician must examine whether this regime is in fact compatible with the prisoner’s mental and physical state of health. In the isolation cell use can be made of technical observation methods on his advice (camera, microphone) to guarantee the physical integrity of the prisoner. Advisory physicians must see prisoners in isolation cells or solitary confinement weekly or daily to hear whether they have any complaints. They must notify the prison authorities of possible medical measure. Within the framework of medico-psychosocial expert reports, physicians advise on the application of alternative forms of execution of sentence, such as electronic supervision, and on early (conditional) release. A third and last task of advisory physicians is to inspect, to monitor health and hygiene in living and working areas and advise the management on the measures to be taken. Protection of prisoner’s rights One of the major novelties introduced by the LPPR are the independent Supervision and Complaints Boards for each prison, with one National Supervision and Complaints Board. They are entrusted with the task of monitoring prisoner’s right and have free access to prisoners at any time. The law provides that each Board
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must have a Medical Doctor among its members. 29 That doctor will be able to intervene, to control and to mediate with colleagues inside the system with all the necessary guarantees of professionalism and confidentiality.
The legality of medical interventions in the execution of sentences Legitimate aim The LPPR does not explicitly state the conditions which a medical intervention 30 has to fulfil to be legitimate under criminal and civil law. Under the principle of equivalence (art. 88 LPPR) the general conditions for an intervention not to be a crime or a tort apply. 31 From art. 92, § 1 LPPR, one can infer that detainees enjoy all the rights listed in the Law on patient rights. 32 Exceptions can only be justified by the specificity principle (supra). Medical intervention has to pursue a legitimate aim. 33 In the past the aim was considered legitimate or therapeutic 34 only when the interventions were curative or preventive. 35 This presupposed a pathological condition which had to be cured or prevented. 36 Over the years, these notions have been given a broader interpretation and now they are said to include aesthetic or fertility interventions. 37 This re29
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Art. 138quinquies Royal Decree containing the general rules on the penitentiary institutions, as amended by art. 6 Royal Decree of 3 April 2003, Official Bulletin, 14 May 2003 and art. 31, § 2 LPPR. In this contribution the term ‘medical intervention’ does not include the action by which a person’s life is taken. In this text the medical intervention is primarily studied from the perspective of the criminal law. Law of 22 August 2002, Official Bulletin, 26 September 2002. Y.-H. LELEU and G. GENICOT, Le droit médical. Aspects juridiques de la relation médecin-patient, Brussels, De Boeck & Larcier, 2001, 18. E.g.: Y.-H. LELEU and G. GÉNICOT, o.c., 18; F. SWENNEN, “Juridische grondslagen voor de strafrechtelijke immuniteit van de geneesheer i.h.b. de vereiste van het therapeutisch oogmerk”, T.Gez. 1997-98, 7; M. VAN QUICKENBORNE, “De instemming van de patiënt in de therapeutische relatie”, R.W. 1986-87, 2404; J. VELAERS, “Het menselijk lichaam en de grondrechten” in X., Over zichzelf beschikken? Juridische en ethische bijdragen over het leven, het lichaam en de dood, Antwerp, Maklu, 1996, 197. E.g.: Corr. Brussels September 27th 1969, J.T. 1969, 635; Corr. Charleroi March 29th 1983, Rev.Rég.Dr. 1983, 248; Y.-H. LELEU and G. GÉNICOT, o.c., 18; R. LIBIEZ, “Réflexions sur l’avortement et l’état de nécessité en droit pénal”, Journ.Proc. 1983, 16; C.J. VANHOUDT and W. CALEWAERT, Belgisch strafrecht, II, Gent, E. StoryScientia, 1976, 442 en 443, n° 887 and 890. Art. 1 K.B. 10 November 1967 n° 78 concerning health care professions, Official Bulletin, 14 November 1967; H. NYS, “De toestemming van de patiënt”, Vl.T.Gez. 1983-84, 254; F. SWENNEN, l.c., 4. A. DIERICKX, Toestemming en strafrecht, Mortsel, Intersentia, 2006, III.2.2.2.1.2.
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flects a wider concept of ‘health’, also applied by the WHO, encompassing not only the physical but also the psychological and social well-being, allowing a complete development of one’s personality. 38 Over the years the legitimacy of palliative 39 and some experimental interventions 40 have also been accepted, but for both, the specificity of the prison situation has lead to a separate regime. Informed consent Even if the medical intervention pursues a legitimate aim, the patient-detainee has to consent. This is required, not because of the contractual relation between the medical practitioner and the patient, but on the basis of the right to personal integrity of the patient. 41 The Law on patient rights 42 explicitly grants patients the right freely to consent to each medical intervention. 43 The right to physical integrity and the right to selfdetermination 44 entail a prohibition to use any pressure on the patient in relation to a medical intervention. 45 The patient consequently has the right to refuse a medical intervention. 46 At any time, before or during 47 the intervention, the patient can withdraw given consent. 48 This refusal will bind the practitioner, even when this excludes any possibility of cure, 49 but only if the patient has unambiguously de38
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H. NYS, “Euthanasie is geen medische handeling”, A. Hosp, 1999 (4), 71; R. LIBIEZ, l.c., 13; M. VAN QUICKENBORNE, l.c., 2404; J. VELAERS, l.c., 197. Law of 14 June 2002 on palliative care, Official Bulletin, 26 October 2002. Law of 7 May 2004, Official Bulletin, 18 May 2004. H. NYS, “De toestemming van de patiënt”, 255. Cass. 14 December 2001, T.Gez. 200102, 239, note J.-L. FAGNART; H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, in A.P.R., Brussels, E. Story-Scientia, 2005, 154, n° 344; X. PIN, Le consentement en matière pénale, Paris, Librairie Générale de Droit et de Jurisprudence, 2002, 218-220, n° 250. Cf. art. II-3, 2 Treaty establishing a Constitution for Europe, CIG 86/04; art. 5, 1 Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine (Oviedo, April 4th 1997, http://conventions.coe.int/treaty/en/Treaties/Html/164.htm). Art. 8, § 1, 1 Law on patient rights. Incorporated in art. 8 ECHR. H. NYS, “De toestemming van de patiënt”, 255; C. TROUET, Van lichaam naar lichaamsmateriaal. Recht en het nader gebruik van cellen en weefsels, Antwerp, Intersentia, 2003, 97, n° 157; T. VANSWEEVELT, “De toestemming van de patiënt”, T.P.R. 1991, 287-288. Bill on patient rights, Parl. Chamber 2001-02, n° 50-1642/012, 14 and Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/3, 6; V. VERDEYEN and B. VAN BUGGENHOUT, “Patiëntenrechten, een nieuw wetsontwerp, een stap naar social governance?”, T.Gez. 2001-02, 226. Art. 8, § 4, 1 Law on patient rights. H. NYS and E. STRUBBE, “Medisch handelen en nalaten rond het levenseinde bij een wilsbekwame patiënt”, Panopticon 2000, 430; M. VAN QUICKENBORNE, l.c., 2413-2414. If this is in fact possible. Art. 8, § 4, 1 and in fine Law on patient rights. Bill on patient rights, Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/3, 37.
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fined the specific intervention as well as the circumstances in which no action can be taken. 50 Consent needs to be explicit, except when the practitioner can infer it from the behaviour of the patient. 51 Such a deduction can for instance rightly be made when the patient holds up his arm to have his blood pressure taken. Both the patient and the practitioner can opt for an oral or a written consent, refusal or withdrawal of consent. 52 Most medical practitioners are thought to prefer written consent, 53 but in prisons language difficulties often make that oral or even implicit consent will do for minor interventions. Patients and medical practitioners have to accept it if the other party requests to put consent issue in writing and both have to concur. The latter requirement gives people the opportunity to disagree whenever they think that no real consent is present. 54 It also allows the patient to prevent the use of standard consent forms and the standardisation of the communication with the practitioner. 55
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Bill on patient rights, Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/3, 38-39. However, when the refusal is given in writing and the patient is no longer conscious, the National Council of the Order of Medicine advises the practitioner seriously to consider the opinion of the patient’s proxy (infra) as well (National Council of the Order of Medicine, “Advies van de Nationale Raad aangaande de Conceptnota Rechten van de patiënt”, February 17th 2001, http://www.ordomedic.be/web-Ned/nl/a91/a091016n.htm). This opinion can even be crucial in the process of deciding whether to abstain or intervene. It is even recommended to ask for the opinion of a colleague and or of the multidisciplinary team and to discuss the abstinence or intervention with the family (National Council of the Order of Medicine, “Advies van de Nationale Raad over het voorontwerp van wet betreffende de rechten van de patiënt”, 16 February 2002, http://www.ordomedic.be/web-Ned/nl/a95/a095001n.htm; National Council of the Order of Medicine, “Patiëntenrechtenwet”, 10 May, 21 June and 26 July 2003, http://www.ordomedic.be/web-Ned/nl/VIIbij2_2003.htm). According to the National Council it is considered not done to let a patient die when a successful treatment exists. Nevertheless, the practitioner commits a crime when he does intervene in spite of a true refusal. Impunity can only come from a ground that legitimates the action or takes away the guilt of the practitioner. Art. 8, § 1, 1 Law on patient rights. Art. 8, § 1, 3 and § 4, 2 Law on patient rights. Except when a specific Act stipulated a written consent, e.g. in relation to the transplantation of organs. Also: Bill on patient rights, Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/3, 69. Bill on patient rights, Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/3, 35. Bill on patient rights, Parl. Chamber 2001-02, n° 50-1642/009, 2 and Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/3, 35. Bill on patient rights, Parl. Chamber 2001-02, n° 50-1642/001, 25; H. NYS and I. DREEZEN, “Recente ontwikkelingen medisch recht. De Wet betreffende de rechten van de patiënt en de Wet betreffende de euthanasie” in X., Recht in beweging, Leuven, K.U.L. Rechtsfaculteit Leuven, 2003, 102; C. TROUET and I. DREEZEN, “Rechtsbescherming van de patiënt”, N.J.W. 2003, 6. The use of such forms is acceptable as long as they are substantially individualised (W. DIJKHOFFZ, “Deel III. Het recht op informatie en geïnformeerde toestemming”, T.Gez. 2003-04, 115-116; J.-L. FAGNART, “Stérilisation et consentement éclairé”, T.Gez. 1997-
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Written refusals remain valid, even when they date from long before the moment the medical intervention is considered and the decision relates to an unconscious patient. 56 The refusal is only binding when the patient himself has put it in writing. Standard forms are not taken into account.57 Moreover, the refused intervention has to be specific and well described. It can help to refer to a witness present, e.g. his general practitioner. 58 In general and certainly in relation to the execution of sentences such a refusal is not likely to be known to the prison practitioner. After all, the Law on patient rights does not provide for any system in which such refusals could be registered or published. Under an internationally recognised principle, consent is only valid when given by an informed patient. 59 The practitioner is legally obliged to inform the patient. 60 Conversely, a refusal to undergo a certain medical intervention has to be given in an informed way as well. 61 This also goes for the written refusal which relates to circumstances the patient is no longer conscious. As such a refusal is only binding when the patient has specified and well-described the intervention, too vague and unspecific refusals might lead practitioners to assume that the patient was not well enough informed. 62 Consent (or refusal) needs to be informed also well when a proxy has to decide 63 for the patient. 64
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98, 243; T. VANSWEEVELT, “Un revirement de jurisprudence: la charge de la preuve en matière d’information médicale”, T.Gez. 1998-99, 144). Art. 8, § 4, in fine Law on patient rights; Bill on patient rights, Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/2, 6. Bill on patient rights, Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/3, 38. Bill on patient rights, Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/3, 38; National Council of the Order of Medicine, “Patiëntenrechtenwet”, 10 May, 21 June and 26 July 2003, http://www.ordomedic.be/web-Ned/nl/VIIbij2_2003.htm. Bill on patient rights, Parl. Chamber 2001-02, n° 50-1642/001, 9; C. TROUET and I. DREEZEN, l.c., 2; art. II-3, 2 Treaty establishing a Constitution for Europe, CIG 86/04; art. 5, 1 Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine. First Instance Ct Namur, 30 March 2001, T.Gez. 2001-02, 34; Liège, 30 April 1998, T.Gez. 1998-99, 140, note T. VANSWEEVELT; W. DIJKHOFFZ, l.c., 108; J.-L. FAGNART, l.c., 243; T. VANSWEEVELT, “De toestemming van de patiënt”, 306. Art. 8, § 1, 1 Law on patient rights. W. DIJKHOFFZ, l.c., 111; H. NYS and E. STRUBBE, l.c., 430-431; C. VEZZONI and J. GRIFFITHS, “Schriftelijke wilsverklaringen in recht en praktijk” in M. ADAMS, J. GRIFFITHS and G. DEN HARTOGH (ed.), Euthanasie. Nieuwe knelpunten in een ingezette discussie, Kampen, Kok, 2003, 315. C. VEZZONI and J. GRIFFITHS, l.c., 315. A proxy decides when the patient is a minor (art. 12 Law on patient rights), when he is declared incompetent to decide for himself (art. 13 Law on patient rights) and when the patient cannot decide for himself e.g. because he is unconscious (art. 14 Law on patient rights). In the first two hypotheses the law itself stipulates who will represent the patient. In the latter hypothesis the patient can be represented by a proxy designated by the patient himself, or in the absence thereof by a proxy designated in the law.
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Medical practitioners have to inform their patients at least65 of the aim, the nature, the urgency, the period, the frequency, the relevant contra-indications, the side-effects and the risks, the aftercare, the alternatives and the financial consequences. 66 Practitioners also inform patients on the consequences of a refusal or a withdrawal. They also explain other relevant things, if possible even the legal terms and requisites. 67 Practitioners have to use plain and understandable language. 68 This is particularly important in prisons, as over 40% of the inmates are foreigners. The patient can always request a written confirmation. 69 Moreover, the patient can request in writing that the information is given to a proxy he has designated. 70 The information has to be given to the patient prior to the intervention. 71 Moreover, there has to be enough of time between the giving of the information and the intervention 72 for the patient to deal with it, to consult some family members 73 or another practitioner before giving his consent to the medical intervention. 74 The time that has to be given to the patient depends not only on the urgency of the intervention, but also on the place where the information is given. 75 In prison the detainee should be given the opportunity to make some phone calls and consult a doctor of his own choice. 76 The patient can also explicitly request not to be informed, 77 but such a wish can be disregarded whenever the lack of information is clearly and seriously detrimental to the health of the patient or others. To go against the wishes of the patient is however only possible after previously consulting a colleague and the proxy of the 64 65
66
67 68 69 70 71
72 73 74
75 76 77
W. DIJKHOFFZ, l.c., 114. The account given in art. 8, § 2 Law on patient rights is not exhaustive (W. DIJKHOFFZ, l.c., 109). Art. 8, § 2 Law on patient rights; also art. 5 Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine. Art. 8, § 2 Law on patient rights. Art. 7, § 2, 1 Law on patient rights. Art. 7, § 2, 2 Law on patient rights. Art. 7, § 2, 3 Law on patient rights. Art. 8, § 3 Law on patient rights; art. 5, 1 Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine. Art. 8, § 3 Law on patient rights; art. 33, 1 Deontological Code. Bill on patient rights, Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/3, 14. Bill on patient rights, Parl. Chamber 2001-02, n° 50-1642/001, 26 and n° 50-1642/012, 15 and Parl. Senate 2001-02, n° 2-1250/3, 7; H. NYS, “De Wet betreffende de rechten van de patiënt”, 1128; C. TROUET and I. DREEZEN, l.c., 7. National Council of the Order of Medicine, “Advies betreffende de palliatieve zorg, euthanasie en andere medische beslissingen omtrent het levenseinde”, 22 March 2003, Tijdschrift Nationale Raad, n° 100 of http://www.ordomedic.be/web-Ned/nl/a100/a100006n.htm; W. DIJKHOFFZ, l.c., 119-120; T. VANSWEEVELT, “De toestemming van de patiënt”, 310. T. VANSWEEVELT, “De toestemming van de patiënt”, 311. Art. 91 LPPR. This is also a deontological obligation (art. 33, 1 Deontological Code).
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patient. 78 The medical practitioner can never withhold any information 79 regarding a specific medical intervention on his own initiative. 80 The patient has to consent to a medical intervention or refuse it prior to the carrying out of it. 81 A single consent can relate to more than one intervention on the condition that the patient has beforehand been informed on them all. 82 Thus, when a certain medical act has to be repeatedly carried out, the patient does not have to consent to it every single time. 83 A valid consent to a medical intervention can only be given by a person who is considered to be able to consent or refuse. 84 This is particularly an issue for mentally ill offenders. The Law on patient rights provides for systems of representation in case the patient is previously declared incompetent, 85 is put under anaesthetics or lies in a coma. 86
Coerced treatment For health protection The closeness of the prison community, the continuous and even intimate contacts between the detainees and/or the prison staff and the clandestine use of drugs in prison, create health risks. To what extent can detainees be obliged to undergo medical tests or treatment? The Flemish Community established a general obligation to submit oneself to preventive medical care which is necessary to protect other people’s health.87 People can therefore be subjected to a medical examination to detect or cure infections. They can be compelled to receive medical treatment or a vaccination. This law does not exempt prisoners. This implies that they can be put in temporary iso-
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Art. 7, § 3 Law on patient rights. Under certain conditions he is allowed to do so in relation to the information concerning the general state of health of the patient (art. 7, § 4 Law on patient rights; also: H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 1991, 140-141, n° 308). Bill on patient rights, Parl. Chamber 2001-02, n° 50-1642/012, 16. Art. 8, § 1, 1 and § 4, 1 Law on patient rights; also: art. 5, 1 Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine. C. TROUET and I. DREEZEN, l.c., 6; indirectly: H. NYS, “De Wet betreffende de rechten van de patiënt”, 1127. Bill on patient rights, Parl. Chamber 2001-02, n° 50-1642/001, 24-25. The ability has to be present on the moment of the decision-making, which can possibly be a good deal before the actual carrying out of the medical intervention. Art. 13 Law on patient rights. Art. 14 Law on patient rights. Art. 11 Flemish Decree 21 November 2003 concerning preventive health care, Official Bulletin, 3 February 2004.
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lation in one of the three medical centres 88 or in a hospital or that they can be prohibited to contact other people. 89 It should be possible to isolate detainees within the prison itself if necessary. 90 The LPPR makes it even possible to force a detainee to undergo an expert’s examination in order to clarify his state of health and the negative influence on the health of the other persons staying or working in the prison.91 These examinations should not be carried out by the practitioner in attendance, but by an expert practitioner who cannot treat the detainee. 92 In practice, here and now, the turnover of the system to separate functions has not finished yet and some prisons have difficulties in complying with it. 93 Experiments In the past, detained people were a group which was readily turned to, when a medical or scientific experiment had to be carried out. They are appealing as a group because they are available and live for a relatively long time under similar circumstances. 94 Moreover, because of their position they could easily be persuaded or forced to take part in a medical experiment. The unspeakable experience of nazi-crimes rightfully brought international and national soft 95 and hard 96 law absolutely to prohibit forced participation of prisoners in medical experiments. Less clear is the answer to the question whether a detainee can ever freely and validly consent to such an experiment. Whereas earlier international soft law 97 deemed this impossible, rule 48.1 of the recommendation R(2006)2 on the European Prison Rules states that detained persons are able validly to consent to an experiment. The initial Bill for the LPPR contained an absolute prohibition on medical experiments, but upon suggestion of the government, this was amended in parlia88 89
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Supra. Art. 47, § 1 Flemish Decree 21 November 2003 concerning preventive health care; also: rule 42.3.f CoE Rec (2006)2; Y.-H. LELEU (ed.), Droit médical, Brussels, Larcier, 2005, 177. Y. VAN DEN BERGE, Uitvoering van vrijheidsstraffen en rechtspositie van gedetineerden, Brussels, Larcier, 2006, 171, n° 474; e.g. M.O. n° 1723 December 20th 2000 concerning tuberculosis. Art. 100, § 1, 1° LPPR. Art. 96, § 3 and 100, § 2 and § 3 LPPR. Y. VAN DEN BERGE, o.c., 172, n° 475. J. TER HEERDT, Het experiment beproefd, Antwerp, Maklu, 2000, 242-243, n° 302. Principle 22 UN Body of Principles 1988; rule 27 European Prison Rules 1987; also: F. ANG, “Het recht van gedetineerden op gezondheid” in E. BREMS, S. SOTTIAUX, P. VANDEN HEEDE and W. VANDENHOLE (ed.), Vrijheden en vrijheidsbeneming. Mensenrechten van gedetineerden, Antwerp, Intersentia, 2005, n° 10, 33 and 58. Art. 3 and 8 of the European Convention on Human Rights. It would be a criminal offence under art. 398 etc. and 417bis - 417quinquies Criminal Code. Principle 22 UN Body of Principles 1988; rule 27 European Prison Rules 1987.
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ment. The Minister suggested the general Law of 7 May 2004 on experiments should apply. 98 However, deontological rules still ban Belgian practitioners from experimenting on prisoners because they are still considered not to be able to freely consent. 99 The Law of 2004 on experiments is silent on the matter. It does not treat detainees as a special category of people and in the debate on the LPPR, the Justice Minister suggested that it should not. 100 As the deontological prohibition dates from 1975, i.e. from before the Law on the experiments and the mentioned recommendation, it can be considered implicitly ‘abolished’. We see no reason why HIV-positive detainees would not be able to opt for participation in experimental AIDSvaccination trials. An experiment can only be carried out on a person who has given his prior, free, informed and written 101 consent. 102 Beforehand, the person has to be informed about the nature, the bearing, the aim, the consequences, the expected advantages, the risks, the circumstances and the ethical committee that is authorised to give its advice on the experiment as well as the advice itself. 103 He should also be given a contact point where he can get more information on the experiment. 104 At every given moment and without this being detrimental to him, he can withdraw consent. 105 The Law on Experiments lays down more conditions as extra safeguards for consenting detainees. The more formal ones will not be mentioned here. 106 Essential is the scientific legitimacy of the experiment, which has to be based on both the latest scientific knowledge and a preclinical experiment. The experiment has to aim for the increase in knowledge or of the means that can improve the human condition. No alternative method with a similar effectiveness and probable outcome should exist. The individual advantage for participants and others continuously have to be balanced against the foreseeable physical, psychological, social and economic risks. The prisoners’ right to physical and psychological integrity should always be taken into account, their private life should be respected and their personal data protected. If, at any stage throughout the experiment, the expected advantages do not offset the risks, it should be aborted. The interests of the participant should always prevail on the scientific and community interests. Moreover, the advice of the ethical committee in charge has to be positive. 107 98 99 100 101
102 103 104 105 106 107
Official Bullentin, 18 May 2004. Art. 90 Deontological Code. Bill LPPR, Parl.Doc. 2003-2004, 51 -0231/015, 7. If he is not able to write, he can consent orally in the presence of one witness who has reached majority and is independent of the researcher and the person in charge of the experiment. Art. 6, § 1 Law on experiments. Art. 6, § 2 Law on experiments. Art. 5, 7° Law on experiments. Art. 6, § 3 Law on experiments. Art. 5 Law on experiments. By these conditions the law tries to comply with rule 48.2 of Council of Europe Recommendation R(2006)2, which prohibits experiments that may result in physical injury,
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Emergency treatment in the execution of sentences In urgent matters medical practitioners can, in principle, intervene in any way they think necessary for the benefit of the patient’s health. 108 Whether that patient is free or imprisoned, does not matter. Only in three hypotheses immediate action is impossible. First of all, practitioners have to abstain when the patient refuses treatment (supra). They also have to let things go their way when they know the patient has previously and in writing refused the particular intervention. In urgent matters practitioners at hand often lack knowledge of the existence of such a refusal (supra). When the patient is unconscious and cannot decide for himself, the practitioner has to relate to a proxy. If the proxy refuses the medical care, the medical intervention can generally 109 be carried out for the sake of the patient and to prevent his death or a serious harmful effect on his health. However, the practitioner first has to consult a multidisciplinary team. 110 When urgency or when no proxy is available, the medical intervention can be carried out, 111 as the consent of the patient is then supposed. 112 In each of these hypotheses the practitioners have to obtain the consent of the patient as soon as possible. 113 Medical standards The legitimacy of medical interventions also presupposes they are carried out according to the standards and customs of the medical profession (supra). 114 Practitioner can in no way act negligently. 115 This requirement comes from both the
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mental distress or other damage to the prisoner’s health, regardless the fact he consents to it or not. Art. 8, § 5 Law on patient rights; National Council of the Order of Medicine, “Patiëntenrechtenwet”, 10 May, 21 June and 26 July 2003, http://www.ordomedic.be /web-Ned/nl/VIIbij2_2003.htm. Also: art. 8 Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine. Except when the proxy is designated by the patient himself and the former has explicit proof of the patient’s wishes. Art. 15, § 2 Law on patient rights. Art. 15, § 2 Law on patient rights. Bill on patient rights, Parl. Chamber 2001-02, n° 50-1642/001, 28-29; H. NYS, “De Wet betreffende de rechten van de patient”, 1129. H. NYS, Nieuwe wetgeving inzake patiëntenrechten, 19. Art. 8, § 5, 2 Law on patient rights. L. DUPONT and R. VERSTRAETEN, Handboek Belgisch strafrecht, Leuven, Acco, 1990, 234, n° 393; P. FORIERS, De l’état de nécessité en droit pénal, Brussels, E. Bruylant, 1951, 181, n° 296; Y.-H. LELEU and G. GÉNICOT, o.c., 17-18. Cass. 19 June 1980, Arr.Cass. 1980, n° 656; L. DUPONT and R. VERSTRAETEN, o.c., 234, n° 393; Y.-H. LELEU and G. GÉNICOT, o.c., 19-20; C.J. VANHOUDT and W. CALEWAERT, o.c., 444, n° 891.
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right of the patient to a qualitatively high care that meets his needs and respects his autonomy and human dignity in a non-discriminatory way, 116 and the right to the most adequate relief and treatment of pain. 117
Doctor's duty of confidentiality in the execution of sentences Confidentiality Medical practitioners are bound by professional secrecy, also when they intervene in the execution of sentences. 118 This implies that in principle they cannot reveal the secrets confided to him or ascertained by him as a professional. 119 Art. 458 Criminal Code (C.C.) states that knowingly and willingly 120 to disclose these secrets entails eight days to six months of imprisonment and a fine of 550 Euro to 2750 Euro. Not only the practitioner designated by the prison for the medical care of the detainees 121 is bound by professional secrecy, but also the practitioner chosen by the detainee, 122 the consulted practitioner 123 and the expert that treats the detainee out of prison. 124 Staff which assists them is also bound by professional secrecy in relation to the secret information or data they hear or come into contact with. The secrets cannot be disclosed orally or in writing, not even to a limited number of people. 125 It is not always evident to determine which information precisely can be considered as being the object of secrecy. It will depend on the context in which the information is given to or ascertained by the practitioner, and therefore the other legitimate interests than those protected by the professional secrecy. 126 This means that certain data which relate to a detainee should not be protected by art. 458 C.C. 116 117 118
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Art. 5 Law on patient; art. 88 LPPR. Art. 11bis Law on patient rights. M.O. n° 4/STAZ/IV-XII concerning the professional secrecy and the keeping and making public of the medical file. Art. 458 Criminal Code. H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 534, n° 1241. When the practitioner does not realise he is disclosing secrets entrusted to him as a professional because he acts negligently or errs on the facts, he does not violate his professional secrecy. Art. 89 LPPR. Art. 91 LPPR. Art. 91, § 1, in fine LPPR. Art. 93 LPPR. A. DE NAUW, Inleiding tot het bijzonder strafrecht, Mechelen, Kluwer, 2005, 236, n° 331. H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 533, n° 1239.
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because of the conflicting interests of the prison population and/or of the entire community. Whether data are protected by art. 458 C.C. is for the judge to decide. Exceptions Certain forms of disclosure of the secrets entrusted to or ascertained by the practitioner are not criminal under art. 458 C.C. First of all, attending practitioners can reveal and entrust information to their colleagues, 127 because they are also bound by professional secrecy. 128 This is true only if the disclosure aspires to help the patient. The sharing of the information must be necessary and only encompass the relevant data. 129 Whether the patient previously has to consent to it, is the object of debate. 130 When the practitioner is informed in the exercise of his professional duty that his patient has been the victim of a crime, disclosure is not illegal either because the interests or values protected in art. 458 C.C., are not in danger. 131 The disclosure is made to protect the patient. 132 Patients can, according to the Court of Cassation, not oblige their doctors to break their professional secrecy, not even in court. The practitioners can always remain silent. 133 The question is whether they may indeed reveal the secrets when the patient has consented to it. The issue is still object of debate in the legal literature.134 The more traditional view insists that the criminal law protects the interests of society and that individuals cannot decide on the criminal or legitimate nature of an act by dissenting agreements. The consent of the victim does not legitimise the action. In relation to the professional secrecy, this would imply that the patient could not guarantee the impunity of the disclosure by the practitioner. The protection by the criminal law of the professional secrecy is of a general interest. 135 Art. 458 C.C. must assure everyone to confide in a medical practitioner. 136 The duty to 127 128
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Supra. Cass. 15 December 1994, Arr.Cass. 1994, 118; Cass. 29 May 1986, Arr.Cass. 1985-86, 1329; H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 560-561, n° 1307. A. DE NAUW, o.c., 236, n° 331; H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 535-536, n° 1244-1245; I. VAN DER STRAETE and J. PUT, “Het gedeeld beroepsgeheim en het gezamenlijk beroepsgeheim – halve smart of dubbel leed?”, R.W. 2004-05, 51-53. I. VAN DER STRAETE and J. PUT, l.c., 53. Cass. 9 February 1988, Arr.Cass. 1987-88, 720. Cass. 7 March 2002, Arr.Cass. 2002, n° 164; Cass. 19 January 2001, Arr.Cass. 2001, n° 40; Cass. 9 February 1988, Arr.Cass. 1987-88, 720. Cass. 29 October 1991, Arr.Cass. 1991-92, 197; Cass. 30 October 1978, Arr.Cass. 1978-79, 235; A. DE NAUW, o.c., 239, n° 334. I. VAN DER STRAETE and J. PUT, l.c., 53. Cass. 29 October 1991, Arr.Cass. 1991-92, 197. Cass. 9 June 2004, A.R. P.04.0424.F; Cass. 30 October 1978, Arr.Cass. 1978-79, 235; Conclusion of Advocate-general DUBRULLE for Cass. 19 January 2001, Arr.Cass. 2001,
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remain silent protects not only the interests of the patient, i.e. his privacy, but also these essential, general values. The consent of the patient is no guarantee that the practitioner will elude criminal liability for disclosing the patient’s medical data. 137 A more modern, individualistic standpoint argues that the consent of the patient guarantees impunity for the practitioner. Art. 458 C.C. protects the patient 138 and therefore criminal protection of professional secrecy is not absolute. 139 Plenty of authors defend this opinion, based (excessively?) on self-determination of the patient as ratio for art. 458 C.C.140 Exceptionally the law compels the medical practitioner to speak: when she or he discovers an infectious or transmittable disease 141 like tuberculosis. 142 The attending practitioner must immediately inform the director of the prison of the disease or of the existing threat and of the measures that have to be taken to isolate a detainee or to stop the spreading of the disease. 143 Attending practitioners also have to inform the prison director and the head of the administrative authorities competent for the health care in the prison system and is therefore allowed to reveal some data concerning his patient, when he thinks the physical or psychological health of the detainee is seriously impaired by the imprisonment or related circumstances. This is e.g. possible when the detained person is in an early phase of the Alzheimer disease. 144 The disclosure, however, needs the prior consent of the patient. 145 Sometimes the law explicitly or implicitly permits the practitioner to speak: a right but no duty to speak. It exists when the disclosure of the secret information aims at aiding a person in need. 146 In the execution of sentences this means e.g. that the practitioner can reveal data to protect his patient against the murder plans of another detainee or against an infection by another detainee with the HIV virus or another contagious disease. 147
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n° 40; see also: L. HUYBRECHTS, “Beroepsgeheim in de sfeer van de onderneming”, T.Strafr. 2004, 68-87. Cass. 30 October 1978, Arr.Cass. 1978-79, 235. Cass. 9 February 1988, Arr.Cass. 1987-88, 720. Cass. 7 March 2002, Arr.Cass. 2002, n° 164; Cass. 19 January 2001, Arr.Cass. 2001, n° 40. H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 546, n° 1274. H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 542, n° 1261. E.g. M.O. n° 1723 December 20th 2000 concerning tuberculosis. Art. 99, § 4 LPPR. Until the implementation of this article of the LPPR the similar art. 148 of the Ministerial Decree of 12 July 1971 on the general instruction for penitentiary institutions (not published) applies. Bill of the LPPR, Parl. Chamber 2003-04, n° 51-0231/015, 116. Art. 94 LPPR. Art. 422bis of the Criminal Code prohibits the omission to help someone in need. Also: H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 545, n° 1270-1271. Art. 44, § 3, 1° iuncto 48 Flemish Decree 21 November on preventive health policy; also: F. BLOCKX, “Het medisch beroepsgeheim. Overzicht van rechtspraak (19852002)”, T.Gez. 2004-05, 11.
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Practitioners can also disclose secrets confided to them or ascertained by them as professionals when they are called as a witness before court or a parliamentary committee of inquiry 148 or when there is a subpoena to hand over documents containing secret data according (art. 877 Code of Civil Procedure). 149 When the practitioner decides to remain silent, the judge can check whether the professional secrecy is not falsely invoked. 150 Some data can 151 be communicated by the practitioner when he advises on the ability to work or sport of the detainee, on the existence of medical contraindications for a certain safety measure or regime, an isolation, the use of force to protect the order, safety and discipline in prison and on the full or partial inability to work after an industrial or sporting accident with a view to remuneration. Practitioners can also disclose professional secrets to defend themselves when they are prosecuted for malpractice. 152 The disclosure is also legitimised in case of duress. The practitioner can e.g. be forced to speak when he makes known that his patient has committed a crime. 153 In intramural medical practice, this will be when medical practitioners are informed of another crime than the one for which the patient is imprisoned. Such circumstances can only be considered as duress when the practitioner disclosed this information in order to protect higher interests than those protected by art. 458 C.C. One can think of the safety, the physical integrity or the life of others; his inmates, the staff or when the patient benefits of one of the regimes that imply partial and/or conditional freedom, people from the free world. 154
Special care for special categories of prisoners Drug users Illegal drug use in prisons remains rife. 155 Several deaths because of overdoses have been reported over the last years. Some guards blame the LPPR, for making 148 149 150 151 152
153 154 155
Art. 458 Criminal Code. H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 539, n° 1255. Cass. October 29th 1991, Arr.Cass. 1991-92, 197. Art. 100, § 1, 2° - 5° LPPR. However, this only applies to the data that can (dis)prove his innocence. Cass. May 24th 2005, A.R. P.05.0431.N; Cass. December 23rd 1998, R.W. 1998-99, 1309; Cass. December 22nd 1992, Arr.Cass. 1991-92, 1462; Cass. February 5th 1985, Arr.Cass. 198485, 749; H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 559-560, n° 1304. Such a disclosure is not legitimate when the practitioner sues the patient e.g. for the payment of his fee (H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 560, n° 1305-1306). Cass. May 13th 1987, Arr.Cass. 1986-87, 1203. H. NYS, Geneeskunde. Recht en medisch handelen, 2005, 550-551, n° 1282-1285. S. TODTS, “Jailhouse Blues: druggebruik achter de tralies”, in J. CASSELMAN and H. KINABLE (eds), Het gebruik van illegale drugs. Multidimensionaal bekeken, Kortrijk, UGA, 2007.
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controls and body searches more difficult. To a certain extent this may be true, but drug problems have been around for many years 156 and the degrading effect of intrusive searches had been a source of resentment for long. The Belgian authorities keep fighting to keep drug use under control, but have all but abandoned the idea of realising a complete drug-free prison society. Some prisons have sections for drug care where prisoners receive appropriate care. These experiments with ‘drug free’ wings cannot really be considered a success. 157 Illegal-drug-users require a multidisciplinary approach to which the medical service must contribute. Care providers are responsible for receiving incoming drug-users and are aware of the problems of dependence. They provide prisoner drug-users with information and encourage them to take part in programmes for health prevention and drug assistance in conjunction with external care providers. Substitution programmes, sometimes including the use of methadone, are broadly accepted on the condition the substitution is integrated in personalised treatment and the necessary measures are taken to prevent the patient from combining the treatment with the consumption of illegal drugs. The latter is always difficult, even in prisons. Drug use is also often related to infectious diseases such as HIV, hepatitis B and C and TB. As well as providing information, the medical service therefore also takes preventive measures such as providing disinfectants and contraceptives. There have been no reports of official needle exchange programmes. It is quite unlikely that staff or the public in general would accept that needles would circulate outside of the doctor’s cabinet. Victims of violence Violence may be inflicted on prisoners by other prisoners. Prisoners can however also suffer the violence, justified or not, by police officers at the time of arrest or by prison staff, e.g. during transfer to solitary confinement or an isolation cell. If a prison physician becomes aware of acts of violence or detects traces of violence on a prisoner, he or she must exam the patient and draw up a certificate. That should record the prisoner’s statement, the medical findings and the conclusions relating to the injuries suffered, as well as the expected temporary or permanent disability which may ensue. The certificate, which is protected by medical professional secrecy, is stored in the medical records or at the written request of the prisoner handed over to the management, his solicitor or doctor outside. It is not left in the prisoner’s possession whilst he is detained, to protect the secrecy, as cells are searched by guards or vulnerable to indiscretion of cellmates. 156
157
In old city prisons it is even said to be easy to throw drug-stuffed tennis balls over the prison walls into the yard. T. DECORTE, “Problemen en noden van stimulantiegebruikers in gevangenissen”, Panopticon 2007, n° 5, 7-22.
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The prison physician is not legally obliged to report violence, but if he feels that the interests of his patient have been harmed he can invoke necessity to justify breaking his oath of secrecy (supra) and notify the judicial authorities. Within the framework of combatting and preventing violence, prison physicians also anonymously record acts of violence. Because of their daily contact with prisoners and their position of confidence, they are in fact well placed to notice latent violence and adopt a signalling role. Hunger strikers Prisoners on hunger strike place the attending prison physician in a position where he has to choose between his responsibility to care for the hunger-striker on the one hand and the right to self-determination on the other. Recommendations have been laid down to give the prison physician something to hold onto if a detained patient goes on hunger strike. The leitmotiv running through these recommendations is the hunger-striker’s right to self-determination. As such, this is actually just a specific application of the general rules or coerced treatment, consent and refusal of treatment analysed above. The right to be able to decide what to do with one’s own body is seen as a basic standard enshrined in national law and numerous international standards and declarations. 158 Detention does not affect this right. If a prisoner refuses a particular intervention, the doctor informs him of the medical consequences of this decision. If the hunger-striker stands by his decision, the doctor notes the negative will in the medical records and respects this. A second major anchoring point in the recommendation is the neutrality which the physician must retain in the hunger-striker’s conflict with the authorities. His neutral position is a conditio sine qua non for maintaining the necessary relationship of trust with his patient. This also avoids that prison authorities would medicalise the conflict. The role of the physician in supporting the hunger-striker basically consists of providing information on the medical consequences of refusing food and administering the necessary care as long as the prisoner does not object. The physician visits the hunger-striker daily and monitors closely changes in his state of health. The code of conduct is only a recommendation for the prison physician, who must consider in each individual case whether its application is in the interest of his patient. He can discuss this at any time with the Head of the Health Care Service, who can act as a mediator if necessary. Although hunger strikes are by no means exceptional, so far the system always has succeeded in defusing the conflicts and no fatalities are on record.
158
The ECHR (Art. 3, Art. 8), the Treaty of New York (BUPO) (Art. 10), the Criminal Code (Art. 398), the Law of 22 August 2002 on patient rights (Art. 5, Art. 8), the Tokyo Declaration (WMA-1975), the Malta Declaration (WMA 1995), Recommendation R(98)70 of the Council of Europe, the Medical Ethics Code.
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Disciplinary or safety measures – isolation cell The strict separation between treatment and expert reporting should soon end the dubious role set aside for the prison physician until now: that of declaring his patient fit or unfit for solitary confinement or placement in the isolation cell. In order to avoid damaging the relationship of trust with his patient, the physician only certified, with due consideration for medical secrecy, whether or not medical treatment was required and what this would, if necessary, involve. As outlined above, the LPPR made the detection of contra-indications for imposing or maintaining safety or disciplinary measures the exclusive domain of advisory physicians. This does not mean that the role of the attending physician has come to an end. In view of the continuity of care, he visits the patient in solitary confinement or in the isolation cell, as often as required and whenever the patient so requests. If he feels as attending physician that the measure is no longer compatible with the mental or physical health of his patient he must notify this with the consent of the prisoner to the Director and the Head of the Health Care Service (art. 94 LPPR). Medical care for women and their children in the penal system As in all European countries, women represent a minority in Belgian prisons (4.4%). Women prisoners are housed in specific sections, separate from the sections for men. Apart from this, they are covered by the same regime, although because of their smaller number they remain excluded from special facilities. Thus there are no open prisons or open sections for women prisoners. Many women prisoners come from the fringes of society. They come from a lower social class, spent their youth in shelters or foster homes and come from a world of drugs and alcohol abuse, sexual abuse and prostitution. Often they are battling with mental problems. This is why women prisoners demand particular attention from the medical service. Just like their male counterparts, detained women have access to normal health care in prison. They also have access to a gynaecologist. In Belgian society many women go directly to a gynaecologist for typically female matters, without consulting a GP. In the light of the principle of equality of prison health care, detained women also have direct access to a gynaecologist. A gynaecologist with whom a subcontracting agreement has been concluded holds consultations in the prison at least monthly, or according to prisoners’ needs. The consultation is free and is paid for at an hourly rate by the prison administration. The gynaecologist holds his consultations in the doctor’s surgery which in prisons with a women’s section is equipped with a gynaecology chair and gynaecological instruments. The gynaecologist provides the necessary curative care but is also responsible for preventive cancer screening of breasts and cervix and provides information as part of health promotion and pregnancy prevention. Women prisoners can approach the medical service with questions about pregnancy and pregnancy prevention. If requested, contraceptives are provided.
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The prison doctor reports a pregnancy to the director as quickly as possible with the consent of the prisoner to allow the condition to be taken into account. The prison doctor and the gynaecologist monitor the woman’s pregnancy, partly through several echographic examinations. Given their previous history, detained women have a greater chance of a risk pregnancy. Since most women in Belgium give birth in maternity clinics, pregnant women prisoners are transferred to the women’s prison of Bruges Prison Complex after the seventh month of pregnancy. From there they are, as soon as the birth is imminent, transferred to the maternity ward of the nearby general hospital (art. 93 § 2 LPPR). This arrangement is in keeping with European Recommendation R(2006)2. If the birth passes off without complication, mother and baby return to the prison that same day, where the necessary nursing and medical care is provided. They stay in a specially equipped section with room for ten women. After an average of eight weeks the young mothers and their children return to the original prison. Since 1990, pregnancy terminations have been regulated by law in Belgium. 159 In accordance with these regulations, a pregnancy termination must be carried out in a health-care establishment with an affiliated information service. This information service is responsible for caring for pregnant women and provides them with information on the rights and care options for mothers and children. Pregnant prisoners who request a termination within the legally imposed conditions are transferred to such an establishment (art. 93 § 3 LPPR). If the woman is determined to end the pregnancy the operation is performed in the care establishment in question, after which the woman immediately returns to the prison. Young children may remain with their mother (or father) until the age of three. The mother can keep the child in her cell or entrust it to the care of staff or fellow prisoners in the crèche during the day. Suitable children’s food, children’s items and toys are available in women’s sections. Like any mother not in prison, the mother can call on the services of “Kind en Gezin”, a public institution for preventive child care and family support, for the health care of her child. Children’s medical care is provided by the prison doctor and a paediatrician who holds regular consultations in the prison section with women and young children. If necessary mother and child are taken out for an examination in an external children’s hospital where the child is admitted if required. At the end of 2007 there were seven babies and toddlers living with their mothers in Bruges’ prison. Prison medical services are increasingly confronted with questions from women prisoners wanting a child who cannot get pregnant naturally during prison leave or unsupervised visits in prison. For some women the biological clock is ticking, and the probable date of release is after they have stopped being fertile. The question therefore is whether the prison doctor in the light of the principle of equality of health care intra- and extramuros will cooperate in the fertility treatment and medically supervised fertilisation of women prisoners.
159
Law of 3 April 1990 on pregnancy termination; Official Bulletin, 5 April 1990.
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Because of the ethical considerations that have to be addressed when considering such questions, the question was submitted to the Advisory Committee for Bioethics, a multidisciplinary advisory body for the Government. The question is currently still being studied. Based on the advice, the prison service will determine its position in relation to this delicate matter. Handicapped and elderly There are not that many physically handicapped and elderly in prison, although the greater attention to and stricter rules for sexual offenders has increased the number of elderly prisoners. They are not separated from the other prisoners. If their physical condition no longer permits this and they are reliant on the help of others they are transferred to the nursing care section of a specialised prison. Psychiatric patients The prison doctor refers prisoners with psychiatric problems or with mental or personality disorders to the psychiatrist affiliated to the prison. An increase in psychiatric clinical pictures has been noted among prisoners. The (lack of proper) treatment of the mentally ill has for decades been the shame of the Belgian prison system. Under the Law on Social Defence, which dated back to the 1930’s and had been updated in the 1960’s, mentally ill offenders should be brought to special institutions. Under the terms of the law, mentally ill offenders were supposed to stay in prisons only in a kind of transit phase, particularly the less serious cases. Unfortunately, in practice, particularly the most serious offenders stay in prisons as there are no institutions able or willing to receive them. Policy also differs between Flanders and the French-speaking part of Belgium. The former has so far opted for treatment of offenders in small scale projects, special wings or units of ordinary psychiatric hospitals. The latter have stuck more to the original law’s model of (big) special institutions for the Protection of Society. National and international (e.g. CPT) 160 shaming processes have finally brought the sorry state of then mentally ill offenders on the agenda. 161 Now psychiatrists, in return for remuneration which stays under the market rate and payment of which is often delayed, only have a limited amount of time which they can spend on treatment of the mentally ill. All too often they will limit their assistance to prescription and control of medication, as time and financial constraints make real,
160 161
Already in its reports of 1993, 1997 and 2001. “Battlefield Medicine”, “primitive practices unworthy of a European country” were terms used by the International Observatory on prisons and taken over by Belgian press, “Interview Particia Brad over het lot van geïnterneerden”, De Standaard 17 August 2004.
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intensive therapy illusory for many of the internees. The prison context is usually not suited for therapy at all. In penitentiary institutions or sections housing detained deviants, psychiatric care is supplemented with additional professional aid (care teams with psychologists, ergo-therapists, physiotherapists, psychiatric nurses and social workers). Now there are specific plans for the construction of two purpose-build facilities in Ghent and Antwerp. More of an effort must be made in terms of the psychiatric care provided in Belgian prisons. The establishment of centres which provide psychiatric crisis care and continuous psychiatric care for severely behaviourally impaired and aggressive patients should be the main priority.
Criminal and civil risks of the institute physician For medical malpractice, the general rules on tort apply. Under the classical principle of art. 1382 Civil Code, the alleged victim has to establish a fault, damage and a causal link between both. Case law is victim friendly in that any cause will do and the fact that other causes concur, does not really change that. To decide whether a fault has been made, the standard will be a qualified person with the same professional background. As elsewhere, it has often turned out tremendously difficult to have malpractice established in court within a reasonable time. In recent years several practitioners attending prisoners, have been prosecuted. Most recent cases have resulted in acquittals, but the risk of prosecution might dampen the enthusiasm of medical practitioners to work in and for prisons. Doctors working for a private hospital, enjoy immunity from criminal liability for unintentional harm caused, if the organisational rather than the personal faults were the main cause of the harm. The federal state on the contrary has absolute immunity from criminal law. Hence medical practitioners who work for the state will be targeted personally under criminal law. Early 2007 parliament adopted legislation on objective medical liability. 162 A compensation fund will be created to compensate the victims of ‘medical accidents’. The law only defines the basic principles. All specific rules, the financing and functioning of the fund, the limits and thresholds on liability will have to be defined by Royal Decrees. Because of a political deadlock which delayed the formation of a new government after the 2007 federal elections, the decrees have not been adopted and the law cannot enter into force on 1 January 2008, the date initially foreseen. 1 January 2009 is the new target date. When the new legislation will enter into effect, traditional liability rules will only apply in a limited number of cases (listed in art. 7 Law 15 May 2007), e.g. intentional damage and gross recklessness.
162
Law 15 May 2007 on the compensation for damages resulting from health care, Official Bulletin, 6 July 2007.
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Under the principle of equivalence, it seems that this new legislation would also apply to intramural medical care. Art. 3, § 2 only excludes damages resulting from medical experiments under the law of 7 May 2004 (supra). Civil party claims in criminal procedures for ‘medical accidents’ will be limited to a symbolical 1 € for moral damages (art. 7, § 2 law 15 May 2007). To the extent that some controversial medical decisions in prisons are indeed taken intentionally (supra), they might however remain governed by traditional criminal and tort law.
Conclusion: From Belgian disease to Belgian prescription? Somewhat to our surprise, we found that the medical services provided to prisoners have not yet been the subject of legal scholarship. This first exploration has merely shown that Belgium is at a turning point. The legal guarantees are in place and recent as they are, they can truly be deemed ‘state of the art’. Unfortunately, the pudding is still too hot for the famous ‘proof, which is in the eating’. Belgian prison history is paved with good policy intentions which were subsequently ‘reduced to administrable proportions’, i.e. watered down or even completely perverted for practical purposes. The difference is that now prisoners will be able to turn to judges to have their rights enforced. The mentally ill offenders and anyone caring for them know that promises are easily made but hard to keep. For the time being, the new rules can serve as a tranquillizer, even if it is only a placebo effect. Yet in the long run, the legal rules will have to be realised in day to day prison practice. Belgium still rightfully takes pride on having one of the best and democratic health care systems in the world. We can only hope that prisoners will not be the exception to the general rule.
Intramural Medicine in Poland
Marzena Ksel
Structure of prison system and characteristics of criminal executive system in Poland ................................................................................................309 Control of legality and correctness of imprisonment execution ....................310 System of imprisonment execution ..................................................................311 Obeying European Prison Rules and human rights .......................................311 The main problems of Polish penitentiary system..........................................312 Structure and tasks of prison health care service in Poland..........................313 Medical staff of prison service..........................................................................316 Rules of financing prison health care ..............................................................316 Challenges of the health provision at prison setup .........................................317 Procedure of receiving a prisoner in penitentiary facility .............................317 TB control in prisons.........................................................................................318 Statistic information concerning appearance of some infectious diseases among prisoners in 2006 ...................................................................................319 Evalution of views and rules concerning treatment of HIV and AIDS infected people ...................................................................................................320 Harm reduction and problems concerning HIV/AIDS in penitentiary facilities...............................................................................................................324
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Current epidemiological trends concerning some blood-transmitted diseases ............................................................................................................... 325 Psychiatric and psychological examination, in voluntary treatment ............ 325 Procedures in emergency cases ........................................................................ 327 Self harm ....................................................................................................... 327 Suicidal tendencies.................................................................................... 327 Withdrawal syndromes.............................................................................. 327 Life threatening medical conditions .......................................................... 328 Availability and quality of epidemiological data on mental disorders in prisons ................................................................................................................ 328 Quality standards and ethics ............................................................................ 330 Education of personnel .................................................................................. 330 Use of standardised questionnaires................................................................ 331 Medical data secrecy and confidentiality....................................................... 331
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Structure of prison system and characteristics of criminal executive system in Poland The prison system in Poland is uniform and shaped by a legal act: the Executive Penal Code, Prison Service Act and published on their basis detailed executive acts. In the Polish prison system are two basic penitentiary facilities:
• Remand Prison; • Prison. The penalty of imprisonment is executed in the following kinds of correctional institutions:
• Juvenile penitentiary (convicts, who are under 21 years of age); • Prison for first-time offenders; • Prison for the re-convicted (adults convicted for intended crime for imprisonment and punished for intended crimes, who had previously served such punishment); • Prisons for offenders serving military custody. Every correctional institution can be organized as:
• closed; • half-open; • open. Closed prisons differ from other types, in particular, in the degree of protection, isolation of convicts and their resulting obligations and rights with regard to their free movement within the area of the prison and outside. There are also facilities with maximum security (about 16) for prisoners qualified as „requiring to be put in a special unit or a cell in prison or remand prison, with conditions ensuring additional security for society and safety in prison or remand prison”. 1 To this category belong prisoners „convicted for committing a crime as a part of an organized crime group, or those, who make are posing a serious threat for society or for safety in prison.” 2 Penitentiary facilities are subordinated to the Minister of Justice and can be created as independent facilities or isolated units of prisons or remand prisons (outside units). Several facilities can have a common administration or separate services. Some facilities contain training and development centres for the prison service staff. 1 2
Central Board of Prison Service. Art 88A of the Executive Penal Code.
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The Prison Service in Poland is managed by a Director General of Prison Service, subordinated to the Minister of Justice, appointed and dismissed by the Prime Minister on proposal of the Minister of Justice. The Director General of Prison Service defines purposes of penitentiary facilities. His headquarter is the Central Board of Prison Service. There are 15 regional directors of Prison Service, who are subordinated to the Director General and heads of Regional Inspectorates of the Prison Service. The Director General appoints them from a group of officers of the Prison Service; but they are dismissed by a Minister of Justice. There are 156 penitentiary institutions. Directors of prisons and remand prisons are appointed by a group of officers of prison service and dismissed by a Director General on a proposal of the responsible regional director of the prison service.
Control of legality and correctness of imprisonment execution Penitentiary commissions are working in and supervising the penitentiary facilities. They are subordinated to the penitentiary court. The penitentiary court is chaired by a penitentiary judge. It controls legality and correctness of imprisonment executions, the punishment of remand, temporary arrest and detention, protecting measures connected with putting in prison, as well as disciplinary penalties and means of force resulting from deprivation of liberty. The penitentiary court can also commission a psychiatric examination without the prisoner’s agreement. It is able to overrule decisions of the penitentiary commission. The director of the penitentiary facility appoints prison officers and employees of this institution as members of the penitentiary commission. The director may also invite other trustworthy persons, especially representatives of associations, foundations, organizations and institutions, as well as churches and other religious associations to participate in the work of the commission as advisers. The scope of operations of a penitentiary commission includes among others:
• Referring the convict to an appropriate correctional institution, if it is not specified by the court verdict;
• Drawing up individual programs of exerting impact on the convict and assessment of their realization;
• The convicts education as school students and training participants; • Transferring the convicts to a special unit for high risk prisoners, in conditions ensuring security and verifying the decision at least once every three months;
• Verification of individual programs of exerting impact or individual therapeutic programs, as well as placing and removing convicts from therapeutic units;
• Expressing opinions regarding the granting of transfers, as well as rewards.
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System of imprisonment execution Imprisonment is executed in the following systems:
• System of programmed impact – applies to juvenile convicts as well as adult convicts, who after getting familiar with the project of the impact program, give their consent to cooperate in its preparation and implementation; the aim of the impact is the preparation of the convicts for return to the society. • Therapeutic system – for convicts requiring special impact, especially psychological, medical or rehabilitation care; in particular it is destined for convicts with non-psychotic psychical disturbances, mentally disabled, persons addicted to alcohol or other intoxicants or psychotropic drugs and physically disabled; imprisonment within the confines of the therapeutic system is served primarily in a therapeutic ward of specific specialization. Treatment of the convicts depends, in particular, upon the need to prevent the development of pathological characteristics of their personality, to restore psychical balance and to shape the ability of social interaction and preparation for independent living. Execution of imprisonment is adapted to the needs with regard to treatment, employment, learning, hygienic and sanitary requirements. • Regular system – for other convicts, also those who no longer require special treatment in the therapeutic system; in this system convicts may take advantage of employment, education, education-cultural and sport activities available in the prison. Women serve imprisonment separately from men, mostly in half-open prisons, unless the degree of demoralization or safety reasons make it recommendable for them to serve imprisonment in a prison of a different type. A pregnant or breastfeeding woman is provided with specialist care. In order to make it possible for an imprisoned mother to provide direct and consistent care for her child, mother and child homes are organized within selected prisons until the third year of age.
Obeying European Prison Rules and human rights European minimal rules are generally obeyed in Polish penitentiary facilities. The main problem is still the provision of the space norm a convict. It is a result of overcrowding in penitentiary facilities (about 120%). In this scope norms defined in the Executive Penal Code are not complied. This problem was reflected in the last two reports of the CPT (European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment). The functioning of the prison system, including health care provided to convicts, is assessed by many independent institutions. Prisons are regularly controlled by representatives of Ombudsman’s Office. The aspect of human rights is assessed in a special way. Moreover, the CPT, an organ of the Council of Europe,
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visited Polish prisons three times (in four years intervals). After every visit there was published a protocol, which treated in detail issues connected with obeying human rights, including rights of mentally disabled. Former assessment of Poland made by CPT is in principle positive, with some reservations.
The main problems of Polish penitentiary system • Overcrowding (increase of prisoners population by 50% during a period of 6 • • • • • •
years: 1999-2005) lasting for a few years; Increase of the number of the most serious crimes, perpetrators and members of organized crime groups; Staff shortfalls (increase of the number of prison officers with only 2,6% during a period of 5 years: 1999-2004), with an increase of prisoners population from about 130’000 in 1999 to about 180’000 in 2006; Lack of financial resources in the system; Obsolete accommodation base (only 23% of prisons and remand prisons were built after the Second World War); Low acceptable norm of accommodation space (<3m2/person); Difficulties in providing suitable isolation standards for prisoners (results of a control made by international institutions monitoring penitentiary systems).
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140000
120000
100000
80000
60000
40000
20000
0 1945
1955
1965
1975
1985
1995
2005
2015
Fig.1. Prison population in Poland between 1945 – 20073
Structure and tasks of prison health care service in Poland Prison health care service provides health care to convicts, based on principles of prison population being an integral part of general population and under the regulations of the Executive Penal Code. The legislator defined in a clear way, that the convict, in particular, has the right to adequate – from the point of view of maintaining a good health condition – food, clothes, living conditions, rooms and medical services and satisfactory hygienic conditions (Art. 102, the Executive Penal Code). The convict is provided with free health care services, medications and sanitary articles (Art. 115, § 1, the Executive Penal Code). The area of prison health care service is in particular:
x Providing prisoners with health services, prophylactic, diagnostic, healing, rehabilitation care, as well as psychological examinations and therapy;
3
Central Board of Prison Service.
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• Being in charge of health and sanitary conditions as well as feeding in peniten• • • • • •
tiary facilities; Medical supply (especially medicines, medical materials, medical equipment and prosthesis); Promotion of health and dissemination of health education; Cooperation with other public health care facilities (especially in the area of providing prisoners with diagnostic, healing and rehabilitation services, which provision is not possible in penitentiary facility); Dental examinations and treatment as well as prosthetic service; Stating and giving opinion about the state of health; Care for a woman during pregnancy, childbirth, confinement and for a newborn baby.
Activity of prison health care service is controlled, organized and supervised at the Central Board of Prison Service by the Director of Prison Health Service together with a team of specialists. In every regional inspectorate, among 15, there is hired a Chief Medical Officer of Inspectorate, who is responsible for the functioning of prison health care on his area. Health care services are provided to prisoners in health care facilities, constituted in the organizational structure of penitentiary facilities. There are included: clinics with sick wards, prison hospitals, diagnostic offices, dentist’s offices, prosthetic offices, and rehabilitation and physical therapy rooms. In the structure of every penitentiary facility in Poland exists a public unit of health care, which provides services from the area of basic health care. Altogether, there are 156 primary health clinics working together with sick wards with a total number of about 863 beds. 4 Moreover, the prison health care service has 13 hospitals with 42 wards of a different profile, with a total number of 1135 beds at its disposal. They are public facilities of health care but they are not independent and do not posses their own administration and accountancy. They are entirely responsible for the penitentiary facility in which they are. 5
4 5
Prison Health Service Office. Prison Health Service Office.
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Table 1. Number of clinic consultations provided to prisoners in 2006 6 Clinic in prison Clinic doctor (general) Dentist Specialist Surgeon Infectious diseases Internist Dermatologist Pulmonologist Gynaecologist Cardiologist ENT Specialist Ophthalmologist Orthopaedist Neurologist Psychiatrist Urologist Other Total
1307317 247677 23659 1362 49659 17708 5374 7279 1776 19017 24353 9286 20272 58500 2739 9187 1805165
Public clinic (ZOZ) (outside prison) 3697 918 2295 495 609 940 781 74 399 1306 2920 1202 622 1054 620 4364 22296
In justified cases medical services can be provided by public health care facilities outside the prison. An obligation for public health care facilities outside the prison to cooperate with prison health care is imposed by article 115 of the Executive Penal Code, according to which„ the convict is provided with free healthcare services, medications and sanitary articles. Healthcare assistance is provided to the convict primarily by healthcare units for imprisoned persons. Non-prison healthcare units cooperate with the health care service in prisons in order to provide the convicts with healthcare services if it is necessary, in particular:
• to provide healthcare assistance immediately due to a threat of the convict’s life or well-being; • to conduct special tests, treatment or rehabilitation of the convict; • to provide healthcare services to a convict, taking advantage of a pass or permit for temporarily leaving the prison. Detailed rules, scope and tribe of cooperation between prison and non-prison healthcare were defined in an order of the Minister of Justice and the Minister of Health from 10th September 2003 (Dz. U. Nr 171, poz. 1665).
6
Prison Health Service Office.
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Medical staff of prison service For prison health services persons with high education (doctors, psychologists and head nurses) and secondary education (regular nurses) are hired. Candidates are checked. Special attention is payed to professional qualifications, criminal record and personal characteristics (desirable traits are: resistance to stress, welldeveloped adaptation skills, ability to control emotions, ability to establish interpersonal contacts, capacity to react in a correct way in difficult situations). Table 2. Medical staff of prison health care 7 Medical staff Full-time jobs Prison officers of prison service (employed in reality) Medical Doctor 646* (1 203) 226 Psychiatrist 59* (116) 13 Other medical staff with university education 69* (90) 41 Nurse 827 785 Other medical staff with secondary education 102 70 Others 67 43 Total 1711 1165 *a lot of doctors (who are not prison officers) have part-time employment and they are not available every day and/or full time. For many of them the basic work place is a civil medical facility. It means that the real number of doctors and other higher staff is bigger than the number of full-time jobs.
Medical workers on key positions in prison health care (doctors, psychologists, nurses) have to possess professional qualifications of an officer, warrant officer or non-commissioned officer. A condition to get these qualifications is to complete a suitable school of prison service. An equivalent of this condition is passing the exam of an officer, warrant officer or non-commissioned officer. It is also required to have a correct length of work experience in prison service, the longer the higher the intended position is.
Rules of financing prison health care A reform of public health care service from 1999, which introduced insurance system of financing facilities subordinated to the Ministry of Justice, did not include prison health care facilities. They are still financed by state budget. It means, that financial needs of these facilities are assumed by the director of the penitentiary facility (within theyr function), and not by the National Health Fund.
7
Human Recources Office at Central Borad of Prison Service.
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A similar situation is existing in the case of health services provided to prisoners by health care centres outside prison. These services are also financed by the state budget, by a part controlled by the Minister of Justice. A method of financing provided services was described in a governmental order of 20 December 2004 (Dz. U.Nr281, poz.2789). Services outside prison provided after the 01.01.2005 are paid by the penitentiary facility, which directed a prisoner to health care facility outside prison. Isolated from the Prison Service budget are:
• Purchase of medicines, dressing materials, medical means (in 2006 were spent 15 271 366 PLN = 3 879 230 €); • Purchase of health services for persons not involved in compulsory health insurance (prisoners) in facilities outside the prison (in 2006 were spent 648 013 PLN = 1 688 727 €). 8 Purchase of antiretroviral medicines, which prisoners get in the scope of a program of health politics of the Minister of Health for treatment of people living with HIV (about 5 000 000 PLN = 1 270 099€) is financed by resources of Ministry of Health budget. 9
Challenges of the health provision at prison setup • Overcrowding of prisons is lowering the quality of medical services and lead• • • •
ing to work-congestion of the medical staff; Medical staff shortages caused by low salaries and lack of possibilities to continue postgraduate training while working in a prison; Prison health care budget, which does not allow modernisation of the equipment base; Increase of epidemiological threats of infections (HIV, HCV, HBV) among prisoners (using psychotropic and drugs intravenously); Lack of adequate cooperation between judiciary and civil health care service, especially concerning the moving insane perpetrators from prison hospitals to suitable civil facilities.
Procedure of receiving a prisoner in penitentiary facility Every new prisoner entering the penitentiary facility is placed in a transition cell for a period of 14 days with the purpose of initial medical examinations, sanitary 8 9
Prison Health Service Office. Prison Health Service Office.
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treatment and initial personality examinations, as well as familiarizing with the legal acts concerning the execution of the sentence and the inside orders of the penitentiary facility. Initial medical examinations are made by general doctors, not later than after three working days from the day of arrival. These examinations include: informative examination (medical history) and object examination (physical). During a period of 14 days after arriving, there are additionaly made: radiological examination of the chest and examination of the state of teeth. To all prisoners a check of their HIV status is offered. Prison doctor can commission additional examinations if it is justified by the prisoner’s state of health. During the stay in the penitentiary facility, the prisoner has also routine and control check-ups. Clinic services from the area of specialist health care are provided based on a request of the prison or civil doctor.
TB control in prisons TB control in prisons (TBCP) is part of the national TB control program in Poland. TBCP is based on close cooperation between the penitentiary health personnel and the local health care system responsible for TB control in the region of prison location. Prison Health Service is under the Ministry of Justices responsibility. However, it cooperates closely with the Public Health Service. The level of competence and diagnostic and therapeutic facilities is nearly the same as for the rest of the country. TBCP has the same goals as other TB programs – early detection and DOTS – so every prisoner is tested towards TB including chest X-ray. Prisoner suspected of TB (TB history in the past, clinical abnormalities) are consecutively diagnosed in one of the three prison TB wards (altogether 128 beds). If TB is confirmed, the suitable treatment is provided according to DOTS standard. Every case detected is notified to the public register in the prisoner’s place of residence. Ambulatory clinic notified about the case is obliged to examine the patient’s contacts. There is a full coverage of anti TB drugs, including second line drugs. In Poland prisoners are treated until „cured” in penitentiary TB ward. Very few patients refusing the treatment are isolated in single rooms. The MDR TB cases (very few) are also isolated. Prisoners who are released in the period of treatment are advised to adress to an appropriate ambulatory clinic in places of their residence for the continuation of the treatment. This clinic is notified by the penitentiary service about the release of the prisoners and the personnel of the prison have checks-up every two years. The check-up is also conducted just before the release of the prisoner.
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Table 3. TB-Cases 10 Year
Number of TB cases Prevalence
Incidence
1990 2000 2002 2005 2006
396 338 373 331 312
318 201 155 137 134
426 230 217 190 173
The prevalence rate ranges - in the years of 1990 to 2006 – from 426 to 173/ 100.000 and is at present six times higher than for the general population. The incidence rate in the last 16 years varies from 318 to 134 cases / 100 000 and in comparison with the general population it is also six times higher. In the last decade the number of TB cases in prisons decreased by 52 %. 99 % of the cases are pulmonary TB. Bacteriological confirmed TB was detected in about 40 % of the cases in prison during the last six years. 11 The number of drug-resistant cases is very low. Usually this is a resistance for one drug (mostly SM or INH). Multi-drug resistance is unique – in 1999 there were four cases, in 2000 one case, in 2001 four; in 2002 none, in 2003 two, in 2004 four and in 2005 two cases. There is a growing number of patients with coexistence of TB and HIV infection in prisons. In the decade of 1990 - 1999 there were eight such prisoners, from 2000 - 2006 – 27 patients. 12 During the period of 2000 – 2006, 98% to 92% of TB cases in prisons were detected at the time of entering the prison (78% did not have a TB history before, and 20% were detected before imprisoning). 13 The remaining few percent of TB cases detected were prisoners with long term imprisonment. The stabilization of TB control in prison has been achieved in spite of enlarged overcrowding by entrance screening, implementation of a national strategy and closed cooperation with the public health system.
Statistic information concerning appearance of some infectious diseases among prisoners in 2006 In 2006 in a population of people deprived of liberty in the Polish penitentiary facilities were detected 1228 virus HIV infections, including 89 new detected cases. On the 31st of December there were 433 HIV positive persons in remand prisons
10 11 12 13
Prison Health Service Office. Prison Health Service Office. Prison Health Service Office. Prison Health Service Office.
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and prisons. In this group, 181 persons were provided with ARV (antiretroviral therapy) treatment. 14
Fig. 2. 15
455 persons possessed antigens Hbs Ag of hepatitis B, including 82 new detected cases; 1643 persons possessed antibodies A-HCV of hepatitis type C, including 280 new detected cases. In 2006 a turnover of prisoner’s population in Polish penitentiary facilities was 17.9707 persons. 0.9 of them had a contact with Hepatitis C virus and 0, 25 – with Hepatitis B virus. 16
Fig. 3. 17
14 15 16 17
Prison Health Service Office. Prison Health Service Office. Prison Health Service Office. Prison Health Service Office.
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Evolution of views and rules concerning treatment of HIV and AIDS infected people Knowledge of the HIV virus in 1986, when the first case of HIV was noted in Polish prisons, was not big, even among medical staff. No procedures existed at that time. An atmosphere of uncertainty was additionally stirde up fuelled by catastrophic press reports. Medical workers adjusted quickly to the new threat. Contributed to it, for sure, was a deep-rooted habit of treating every patient as a potential infection source and the other, also valuable in this situation, habit of constant education. A dramatically increasing number of scientific reports on the HIV virus allowed the development of safe procedures and rules of the patients treatment. In 1989 the Central Board of Prison Facilities, due to the problem of an increasing number of detected infections in the country (especially among drug users, homosexuals and prostitutes living with HIV and called HIV carriers at that time), developed guidelines for penitentiary facilities concerning the implementation of HIV prophylaxis among prisoners. It was recognized, that preventing activities should include first of all the organisation of trainings for prison staff, providing information for prisoners about rules of lowering the risk, increasing a sanitary level of the facilities, keeping binding rules of treatment of infected persons and those with suspected infection, and finally increasing the quality and quantity of diagnostic tests. These guidelines included a number of orders concerning among others:
• The necessity to identify possible earlier contacts of inmate with HIV carriers • • • •
and information about previous made tests; Making tests for a group of persons with higher risk; Informing suitable institutions of prison health care about persons with AIDS, who require hospitalisation; Familiarising prisoners, during the time they belong to the facility, with information-educative materials; Thorough analysis of moods among prisoners after revealing the cases of HIV carriers and implementation of prophylactic actions.
A big progress was the development of rules preventing behaviours of infected inmates intending to win different types of concessions from the administration, as well as putting a big emphasis on staff education and creating a correct atmosphere towards the AIDS problem. In 1990 the first cases of infected blood „trade” and intentional self-infection with the HIV virus were noted. The aim of these actions was, as far as it can be judged, to receive a break of the imprisonment penalty, to revoke a decision about temporary arrest or to get other short-term benefits. As a response to increasing needs, within the departments of internal diseases of the prison hospitals there were created sub-units for arrested, convicted and
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punished HIV carriers requiring a hospital medical care. These kinds of sub-units were established in hospitals of remand prisons in GdaĔsk, PoznaĔ and WarszawaMokotów. A bit later, in 1991, a diversification of HIV infected population into three groups was made: HIV infected, who were detected as intoxicants and psychotropic addicts, HIV infected with psychical deviations and others infected with the HIV-virus. The fundamental assumption of the program concerning the HIV infection prevention in penitentiary facilities, connected with the isolation of infected persons, became the object of criticism. One of the demands, proposed during the conference of prison service in 1993 at the Central Training Centre for Prison Service in Kalisz, was the closing of separate units for HIV infected persons, „because they become ghettos, where some determinate prisoners – to get better conditions – try to get into (through self-infections). Infected persons try to win even better conditions through different ways of blackmail and riots”. 18 One of the most important tasks, which was realized by the prison system in 1997, and resulted from the National Programme of HIV Prevention and Care of People living with HIV and AIDS, was the „promotion of tolerance and acceptance through withdrawing a separate placement of HIV carriers and AIDS infected people”. 19 The Central Board of Prison Service made a general assessment of the situation of HIV/AIDS infected prisoners, based on received information and analyses made. It was recognized, that these people do not create serious medical, security and penitentiary problems. Usually, they do not cause intentional threats for other prisoners and penitentiary staff. As it was observed, the relations between HIV infected prisoners, other prisoners and penitentiary staff did improve very much. Infected prisoners stopped causing irrational fear among other people; as a result there were no more demands for isolation. Generally, infected prisoners were placed in many facilities together with other prisoners, who were aware of the fact that among them there is a person living with HIV. The „opening up” of the Polish prison system to the world made a quality breakthrough in philosophy and attitude towards prisoners living with HIV. Numerous relations to penitentiary systems of the whole world (especially European Union), study visits, participation in international scientific conferences brought serious and expected effects. There was a complete resignation of isolation and stigmatisation of prisoners living with HIV. All new prisoners are provided with information – educative influences, including these concerning HIV/AIDS issues. Making a test keeping a doctor-patient privilege is suggested to prisoners, who give informations about their risky behaviour in the past. In the situation, an infected person is drug addicted at the same time and requires detoxification, he/she is directed to the detoxification hospital unit. Most of the infected prisoners are placed in therapeutic units for convicts intoxicants and psychotropic addicted not because of their infection, but because of their drug addiction. Since 1996 the prison system department has been one of the subjects re18 19
Central Board of Prison Service. Central Board of Prison Service.
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alised by the National Programme of HIV Prevention and care of People living with HIV and AIDS. Important aim of this programme is to provide equal access to methods of AIDS prophylactic and antiretroviral therapy for all living with HIV and AIDS, also those arrested and convicted. In 2003, the Central Board of Prison Service developed „a strategy of Prison Service actions for a period of 2004 to 2006 in the scope of the National Programme of HIV Prevention and Care of People Living with HIV and AIDS”. Reduction of HIV was the first mentioned of the main aims. To realize this goal, there was introduced a rule of routine suggesting to make HIV tests to all prisoners in penitentiary facilities (with keeping full freedom of choice and confidentiality, as well as providing a counselling system before and after the test). During initial medical examinations and conversations with social workers, every new prisoner is provided with information about the HIV infection risk, practical prevention methods, risk behaviours and their possible results. There was introduced a monitoring to keep the rights of HIV and AIDS infected convicts during the realisation of specialist therapeutic influences and events connected with HIV/AIDS in penitentiary facilities. A few times per year, the same as during previous years there will be organised trainings for prison health care staff about recent reports concerning HIV/AIDS problems, with a special focus put on shaping correct work habits. There were introduced modern rules of security control concerning medical and laboratory procedures in the facilities of prison health care. There were introduced numerous issues concerning HIV/AIDS prophylactic to the programme of training for non-medical prison system workers at the Central Training Centre for Prison Service in Kalisz. There was also started education of prisoners (in a wider scope), with special consideration to juveniles, concerning HIV/AIDS and including programmes with lectures, films and specialist literature. Thanks to social and non-governmental organisations providing the prison system with free educational and HIV/AIDS prophylactic materials, prisoners received access to current knowledge. As especially important it was recognized the continuation of cooperation with the National Centre for AIDS, the Main Sanitary Inspectorate and other governmental and nongovernmental organizations, in a scope of HIV/AIDS prophylactic as well as in the scope of health promotion and HIV/AIDS prophylactic with the World Health Organisation. The second main aim of the strategy is improvement of the quality of care for persons living with HIV and AIDS, through development of existing penitentiary system of health care. Prisoners are provided with access to the most recent methods of AIDS prophylactic, antiretroviral therapy as well as the treatment of opportunistic infections, cancers and other infectious diseases connected with HIV infection. The Program of Health Politics of the Ministry of Health about „Antiretroviral therapy of people living with HIV in Poland” is still going on, and thank to it prisoners receive free ARV medicines and the possibility to make suitable diagnostic tests.
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In accordance with the human rights related to HIV and AIDS infected person, the people are informed about the possibility to inform the Ombudsman’s Office about cases of rights violation.
Harm reduction and problems concerning HIV/AIDS in penitentiary facilities Presence of prisoners living with the HIV virus among the prison population has been noted since 1989. Most of them (about 70%) are drug addicts. Because of the fact, that prisoners living with HIV are mostly drug addicts, it became a necessity to introduce to penitentiary facilities methods of harm reduction, connected with the drug abuse. In 2002, in Remand Prison in Kraków, the first program of methadone substitution was started. At the moment, similar programs are realized also in the penitentiary facilities of Warsaw, PoznaĔ and in all penitentiary facilities of the Lubelski region. They form an extension of the offer of health services, which – on one side – aims to achieve psychical stabilisation allowing treatment of HIV infections, as well as other serious diseases, and - on the other side – are an important element in prevention of the spread of blood-transmitted infections. Prisoners living with HIV have access to consultation of medical specialists from the area of infectious diseases, realized in penitentiary facilities or clinics outside the prison. Since 2001, thanks to big assistance and favour of the National Centre for AIDS, prisoners have been provided with the same standard of treatment as other ill people. The prison system is one of the contractors of the program of health politics of the Minister of Health Antiretroviral treatment of people living with HIV virus in Poland. It means that prisoners have access to antiretroviral treatment on the same basis as patients in free society. At the beginning, in the period of 2001 to 2002, the number of prisoners treated with ARV was about 70. At the moment, at the beginning of 2007, there are 180 prisoners. 20 A characteristic of this group is its big changeability. Patients treated in clinics outside the prison often come to a remand prison for three months or even for a shorter period and it often happens that they go for a trial and do not come back to a penitentiary facility at all. In case of need, they are hospitalized on the wards of prison hospitals. If there is a need to introduce a high specialized treatment, which is impossible to realize by prison health care, these prisoners receive - on the proposal of a doctor - a break in the sentence or a revoke in the temporary arrest and are directed to facilities outside the prison. As part of the harm reduction program there will be a tendency, as far as financially possible, to make condoms available.
20
Prison Health Service Office.
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Current epidemiological trends concerning some bloodtransmitted diseases The Health Care Office at the Central Board of Prison Service monitors only incidences concerning infectious diseases, such as: Tuberculosis, HIV or Hepatitis. Trends concerning Tuberculosis have a decreasing tendency. As far as HIV and AIDS are concerned, the number of prisoners living with HIV is stable and scores about 1250 cases per year (taking into consideration a big turnover of prisoners). And the number of persons requiring antiretroviral treatment is increasing. 21 As far as Hepatitis is concerned, especially type C, there has been observed a systematic increase of infected people number for a few years.
Psychiatric and psychological examination, in voluntary treatment If a prison physician, after having done a preliminary screening of the prisoner, suspects he or she might be mentally disordered, mentally retarded, addicted to alcohol or to other psychoactive substances, then this doctor indicates the section or division within a penitentiary where this prisoner should be placed, defines further actions such as observation of behaviour and methods of dealing with the prisoner and refers the prisoner to a psychiatrist. Psychiatric consultations may also be provided on the written and justified request of the psychologist employed in a given penitentiary. Finally, the prisoner also has the right to seek a psychiatrist’s or psychologist’s attention at his own request. The prisoner is then subject to voluntary psychiatric or psychological examination. Should a prisoner refuse to be subjected to psychiatric examination, the penitentiary judge has the force to order such an examination. Psychiatric examinations are conducted in appointed diagnostic wards of remand centres or penal institutions. The goals of the examination are:
• To understand the psychological and sociological reasons of the pathological behaviour;
• To diagnose potential mental disorders; • To decide on further treatment and rehabilitation. Prisoners who have been diagnosed with an addiction to alcohol or other psychoactive substances undergo voluntary treatment and rehabilitation. If such a prisoner refuses to be treated, the penitentiary court decides whether the treatment should be carried out on an involuntary basis.
21
Prison Health Service Office.
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To summarise – prisoners are placed in psychiatric wards of prison hospitals in two main instances:
• If the court ordered psychiatric examination and observation (for example during legal proceedings if the offender’s mental condition has to be assassed, whether he or she was of sound mind during the commiting of the crime); • If an offender was convicted and sentenced to imprisonment and then diagnosed with a mental disorder, that requires further examination or hospitalisation and treatment. In such a case admission to the psychiatric ward of the prison is based on referral of a psychiatrist and according to the provisions of the Polish Mental Health Act. For instance Art. 21 § 1 states that „a person, whose behaviour suggests that due to a mental disorder he/she may either impose a direct threat to his/her own life or the life or health of other persons, or is not capable of securing his/her own basic needs, may be subjected to psychiatric examination, also on involuntary basis”. Similarly, Art. 23 § 1 states that „a mentally disordered person may be admitted to a mental hospital against his/her own will, only if his or her present behaviour suggests that due to a mental disorder he or she imposes a direct threat to his/her own life or the life or health of other persons. If this person refuses admission to mental hospital, direct compulsory measures are allowed. If psychiatric observation and examination lead to the diagnosis of a mental disorder, mental retardation or other mental disturbances mentioned in Art. 31 § 1 of the Penal Code, in justified cases and based on the decision of the head of the psychiatric ward, a mentally disordered prisoner stays there until the court makes an appropriate judgment. If the convict is considered a legally insane tempore criminal and, therefore, not guilty according to law, the court should order a transfer to a mental hospital outside the penal system (a preventive measure), where he or she shall be treated for his/her mental disorder until recovery and then be released after a court order. Table 4. Number of medical opinions issued in 2006 22 Psychiatric and forensic opinions
Leading to psychiatric detention
126
Not leading to psychiatric detention
626
Medical certificates
22
Central Board of Prison Service.
11 512
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Procedures in emergency cases Self harm Prisoners with self-inflicted wounds receive medical assistance appropriate to their medical condition. Prisoners who refuse treatment are placed, according to their medical condition, either in prison cells or sick rooms and stay under close medical supervision. Prisoners who reject food have their blood pressure and heart rate measured and are being weighed. A prison doctor decides on the frequency and extent of any medical intervention, necessary specialized laboratory tests and on the place of further stay of such prisoners. Reasons for self harm and suicide are various. Some violent acts directed against oneself are induced by the prison administration (273 incidents in 2006), the court or public prosecutor’s office (69), pressure from the prison subculture (9) or because of being a member of this subculture (18). Other acts have a different background (449), 23 some of which may be of a morbid nature. However, no detailed data is available. Table 5. Incidents of autoaggression (year 2006) 24 Total
Food rejection
Self injury
Attempted suicide
Committed suicide
795
20
587
188
38
Suicidal tendencies There are no special procedures or questionnaires for screening suicidal thoughts or tendencies of prisoners. However, each newly admitted convict has a preliminary examination to be carried out by a doctor and he has to talk to a counsellor or, should it be necessary, to a psychologist. It is obligatory for these professionals to enquire about suicidal tendencies. Withdrawal syndromes If a withdrawal syndrome requires hospitalization, the prisoner is referred to the prison hospital ward (either detox or internal medicine). Should specialised medical intervention be unavailable in the prison hospital, a prisoner is - escorted by wardens - to bring to a civil medical institution outside the prison. Usually, withdrawal syndromes develop in prisoners addicted to alcohol.
23 24
Prison Health Service Office. Central Board of Prison Service.
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Life threatening medical conditions If a given penitentiary has no round-the-clock medical care or its own hospital wards, any acute states threatening a prisoner’s life are then handled by a civil emergency unit. In all other cases medical assistance is provided by a prison medical unit.
Availability and quality of epidemiological data on mental disorders in prisons Poland lacks appropriate and detailed epidemiological information on mental disorders in prisons. The main reason for this is the manual collection of all statistical data, because the long-awaited computer system has still not been introduced into the penal system yet. Moreover, due to numerous transfers of prisoners between penal units, reliable statistics are hard to collect. In 2003 the Health Service Office of the Central Board of Prison Services attempted to evaluate the mental condition of sentenced and temporarily held prisoners. A survey was conducted in eight penitentiaries. Interviews were performed by prison physicians during the routine preliminary examinations of newly admitted prisoners. In total 1.305 people were interviewed. 25 The results are giving an impression of the epidemiological situation in prisons. An analysis of the diagnoses made on newly admitted prisoners shows that mental and behavioural disorders due to alcohol use are most frequent. The second and third place is occupied by anxiety disorders and personality disorders. Mental and behavioural disorders due to psychoactive substance use and mood disorders (depression) are on the fourth place. Schizophrenia, schizotypal and delusional disorders are relatively rare. The analysis of the diagnoses made from preliminary examinations on admission to penitentiary is showing similar information. The main difference is the underestimation of the number of prisoners with mood disorders, anxiety and schizophrenia, caused by not recognising such disorders, despite them being diagnosed before imprisonment. Prisoners who were diagnosed with a mental disorder during their preliminary examination are in most cases referred to a psychologist and/or psychiatrist. Only 1.8% of them were not referred anywhere. This survey unmasked the weaknesses of the diagnostic processes routinely used in penitentiaries. The percentage of prisoners who are diagnosed with a mental disorder on admission to penal units, is significantly lower than the corresponding percentages in other countries. It is unlikely that the prevalence of mental disorders in Polish prisons is different from the prevalence in other countries. Therefore, it is possible that a significant proportion of mental disorders are not recognized. Even though a relatively large percentage of prisoners admit previ25
Prison Health Service Office.
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ously having had problems with the heavy use of drugs and alcohol or having been treated psychiatrically in the past, they are not yet diagnosed with any mental disorder or even addiction. Table 6. Percent of prisoners with psychiatric diagnosis according to main ICD-10 categories before imprisonment and afterwards 26 % of all prisoners Psychiatric diagnosis (ICD-10) Before impris- During imprisonment* onment** F00-F09 Organic, incl. symptomatic, mental disorders 0.2 0.5 F10 Mental & behavioural disorders due to alcohol 3.2 5.3 F11-F19 Mental & behavioural disorders due to psy1.5 2.4 choactive substance F20-29 Schizophrenia, schizotypal and delusional dis0.8 0.4 orders F30–F39 Mood (affective) disorders 1.5 0.7 F40-F48 Neurotic, stress-related and somatoform dis1.9 0.9 orders F60-F62 Disorders of personality and behaviour 1.8 3.7 F70-F79 Mental retardation 0.1 0.3 Other 0.4 0.2 No mental disorders 88.7 85.6 * Data from medical records and interview with prisoners. * * Diagnosis reached after the obligatory examination on admission to the penitentiary.
26
Prison Health Service Office.
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Table 7. Number of deaths in prisons over the last 18 years 27 Years 1989 Cause of death 2006 Disease
AutoaggresSuicide sion 21
Self-harm Other
Total
8
7
115
1989
79
1990
59
27
25
16
127
1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
67 85 65 56 36 59 44 68 65 57 88 54 86 69 71 95
29 25 17 22 18 17 39 38 32 46 47 37
14 19 12 8 9 4 6 4 4 3 7 4
5 8 5 2 27 4 0 0 1 0 0 1 4 10 0 0
115 137 99 88 90 84 89 110 102 106 142 96 127 109 97 133
37 30 26 38
Suicide rates are not routinely calculated, because there is still a controversy regarding whether this rate should be calculated according to the static population of prisons or the dynamic one. For instance, in 2006 the static population was 80’000 and the dynamic population 180’000 (number of prisoners held for at least some time that year). 28 Quality standards and ethics Education of personnel Medical staff working with mentally disordered prisoners, as well as all other medical personnel, regardless of their primary place of employment, is obliged to participate in the CME-education (Continuous Medical Education). This obligation was placed for all doctors by general laws, mainly by the Physician’s Profes27 28
Prison Health Service Office. Central Board of Prison Service.
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sion Act. Moreover, professional training courses organised by the Healthcare Bureau of the Central Executive of the Prison Services and the Forensic Psychiatry Section of the Polish Psychiatric Association are available. Use of standardised questionnaires The psychiatric examination of a prisoner is usually based on a non-structured interview and a clinical evaluation of the mental condition. This procedure is quite similar to the one made in other mental health institutions. A doctor may choose to use a specific questionnaire or a structured clinical interview. However, there are no specific procedures or regulations in this respect. Moreover, there are no psychiatric questionnaires specifically for prisoners. Medical data secrecy and confidentiality The medical confidentiality concerning the results of examinations and treatments of mentally disordered prisoners is not specially regulated and is subject to general applicable laws. The official body in which the prisoner is serving his/her sentence has the right to peruse his/her medical documentation. Article 40 of the Physician’s Profession Act states that all information on patients gathered during a professional doctor’s activity must be kept secret. Medical confidentiality may be restricted only if the patient him-/herself or his/her legal representative approves, or if it is necessary to inform other medical personnel about the patient in order to provide the appropriate healthcare services. Medical confidentiality may also be overruled by a court or prosecutor (Art. 180 § 1 of the Code of Penal Proceedings). However, there is a discrepancy in the laws regarding the interrogation of a doctor as a witness in a trial. Article 180 of the Code of Penal Proceedings allows such a possibility, yet Article 52 of the Mental Healthcare Act does not permit the interrogation as a witness of any person obliged to keep medical confidentiality, even if during medical interventions allowed by the act, a crime is confessed by the mentally disordered person. The same also pertains in the situation where a doctor acts as an expert appointed by an authorized body to issue a psychiatric opinion in court.
Prison and/as Public Health – Prisons and Inmates as Vectors of Health in the New Public Health Era. The Case of Canadian Penitentiaries
Dominique Robert
Introduction .......................................................................................................334 Old and new public health ................................................................................335 Health as a fundamental concern for the modern prison................................335 The old public health model ..........................................................................336 The new public health model.........................................................................336 Prison, prisoners and the new public health ...................................................337 The instrumentalization of prison and prisoners as vectors of community health .............................................................................................................338 Healthization of actuarial justice ...................................................................339 The production-punishment of healthcare consumers inside the walls ........340 Conclusion..........................................................................................................341 References ..........................................................................................................342
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Introduction In Canada, as in many other countries, prisoners in the penitentiary system 1 suffer from the same illnesses as the general population (cardio-vascular diseases, cancer, diabetes, depression, etc.) but in much higher proportions (Wichmann, Serin & Motiuk, 2000; Boothby & Durham, 1999; Hammett & Maruschak, 1999). The following table is indicative of the situation most specific to the prisoners. Table 1. Partial health profile of inmates in Canadian penitentiaries HIV/Aids Hep C Tuberculosis Emotional distress Drug/alcohol Aging
From 2% to 12% of inmates (known cases)/ 6 to 70x higher than general population. 33% of male inmates and 40% of female inmates. 21% of inmates/ 10x higher than general population. 44 % of male inmates have anxiety disorders and 22% of female inmates suffer from depression. 41% have a drug dependency and 47% have an alcohol dependency. 9% are more than 50 and this age group is growing the fastest.
Research also shows that Canadian prisoners make very intensive use of healthcare services (Hutchings et al., 1999; Sheps, Schechter, & Prefontaine, 1987). Table 2. Partial yearly health services utilization profile for inmates in Canadian penitentiaries Nurses
99% of all prisoners visited the nurses. An average of 20 annual visits.
General practitio- 91% of the all prisoners made at least one visit to the G.P. An averners age of 6 annual visits. Specialized services
29% of prisoners used specialized services in the community and 3% used community hospitals.
In order to understand the situation in Canadian penitentiaries, it is important to know that the provision and management of health services is the responsibility of the correctional administration. This creates certain ambiguities: for example, the nurses in the prison are both health professionals and security personnel. The situation creates obvious conflicts of interest tending to compromise the relationships of health-care professional secrecy and prisoner privacy. 1
In Canada, prisoners sentenced to two years or less are incarcerated in the provincial prison system and those sentenced to two years and more are incarcerated in the federal penitentiary system. Table 1 and 2 focus on inmates in the penitentiaries only.
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The portion of the correctional budget dedicated to healthcare is very significant and growing faster than the portions assigned to other correctional requirements. This growth has encouraged some political leaders to suggest healthcare user fees for the inmates. 2 Although currently applied in some American states, prisoner user fees have not been implemented in Canada. In short, Canadian prisoners make extensive use of healthcare. Many critics speak of over-use and even abuses of healthcare by inmates. Nevertheless, few studies aim at understanding this heavy use. It is tempting to believe that the widespread use of healthcare by prisoners is explained by poor health status. But we know that health status is neither the only nor the most important factor in understanding healthcare use (Palepu et al., 1999; Chappell & Blandford, 1987). The organization of services, the provision of these services by healthcare professionals, and the perception and habits of the users are all factors to take into account in trying to understand healthcare use. The purpose of this paper is to suggest some structural elements that might explain the heavy use of healthcare by inmates – namely the role that correctional healthcare seems to play in the broader public health strategies. We will pinpoint two interrelated phenomena. The first, on a macro sociological level, is the mobilisation of prison as a tool for the new public health. The second, on the micro sociological level, is the production of inmates into healthcare “consumers”. Before describing the first element, we need to briefly define what we mean by “old” and “new” public health.
Old and new public health Health as a fundamental concern for the modern prison Since its origins, the modern prison has struggled with health-related questions. The main one in deterrence-oriented correctional systems has been: How do we offer basic conditions of hygiene and care that prevent inmates’ health from deteriorating while making sure that prison doesn’t offer conditions better than those endured by the poorest segment of the free population? This dilemma is known in criminological terms as the “less eligibility principle” and was fundamental to the modern prison as it emerged in the 18th century. Health concerns are also linked to later stages in the development of the modern prison – during the late 18th and 19th century. In this period, it was believed that the “reform” of criminals and the “correction” of their tendencies were possible only in an environment that was healthy and antiseptic (Rothman, 1971). Today, in Canada, renewed interest in the living conditions of prisoners is fuelled by health concerns. These concerns became an issue in the middle of the 1980’s with the “discovery” of AIDS and the high prevalence of infectious diseases (Hep. A and C, TB). These prompted the Canadian penitentiary system to 2
General convention. Alliance démocratique du Québec. 19 et 20 novembre 2005.
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introduce harm-reduction programs like condom distribution and safe tattooing equipment (Service correctional Canada, 2004). The Correctional Service of Canada also made available the most sophisticated medicines as they became available (tri-therapy, Interferon, Rebetron). Moreover, bills and policies were introduced to giving wider parole access for humanitarian reasons to prisoners in terminal phases of disease (C-19, 37ème législature, 3ème session, 13 février 2004). What looks like a constant relationship between health and the improvement of life conditions in prison should not blind us to changes now occurring in the nature and quality of that relationship: Although the «old public health model» was key to the development of the modern prison we are now witnessing a transformation that we call, appropriately enough, the “new public health model”. The old public health model In the «old public health model» the State, as the central authority, took control over health measures, especially when there were epidemics or issues of hygiene in public or private locations or treacherous working conditions. The State acted when problems were already occurring. Basically, the old public health model emphasized environmental factors in order to protect the health of populations and to prevent the occurrence of diseases, especially transmissible ones. In the old public health model authorities did not hesitate to use constraints in order to maximize the health of populations. This approach was very successful and is responsible for the dramatic increase in life expectancies in the last century and a half. Despite these successes, public health was gradually replaced, in the middle of the 20th century, by an approach focusing on individuals (rather that the community) and on the treatment of disease (curative) rather than health promotion (preventive) (Lupton, 1995). The new public health model Starting in the middle of the 1970’s, the new public health model began to emerge. This approach, critical of the curative and individualizing tendencies, promoted and still promotes a return to, and a modernization of, the principle of the old public health. The new public health endorses health as a value per se, that is, what the Anglophones researchers call “healthism” (Greenhalgh & Wessely, 2004). In this vision, the right to health is transformed into a duty to maximize one’s health, a duty for both individuals and collectivities. In order to promote health, prevention campaigns are directed not only towards sick people but also towards the population as a whole. The breadth of these campaigns requires collaboration among all sectors of public administration. Beyond just hospitals and clinics, schools, workplaces and public places generally, are mobilized to spread the health message. Prisons are also involved. The new public health responsibilizes individuals regarding their health, selfcare, risk management and prevention of diseases. The new public health pro-
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motes self-regulation. This model proposes norms to which individuals are exposed through public campaigns, medical discourses, informal social controls by peers to which they have to comply “voluntarily”. «The emphasis, at least in the health promotion literature, is on protecting ´free will´ by fostering ´informed´ health choices rather than attempting persuasion or coercion» (Lupton, 1995:53). In this context, disease becomes the consequence of behaviours that are qualified as irrational, irresponsible, and, most of all, displaying a clear failure of risk management. The new public health and its war against risk behaviours (prevention of preventable conditions) rests on a fundamental fiction: the homo economicus. More precisely, the new public health sees the individual as having a clear understanding of preventable diseases, prevention efficacy and as having the freedom to choose for him or herself (Koening, 1993, cited in Massé, 1998, 7). There are different social uses of deviance and risk that make obsolete the homo economicus ideal: to symbolize one’s identity (some HIV positive men), to protest the dominant ways of seeing and doing, to affirm solidarities. Actions and behaviours perceived by some as irrational can actually be intentional and rational in one’s context but the very narrow framework of the new public health is blind to those complexities. Under the validated scientific truths and the risk profiles identified by epidemiology, the new public health deploys a whole ethical agenda: «the promotion, via coercive means or moral pressures to conform to behaviours and lifestyles that are presented as compulsory for the sanitary salvation» (my translation, (Massé, 1998:2)). It would be simplistic to conceive of the new public health as a model that completely replaces the individualistic and curative approach and the old public health. In fact, those models coexist. The novelty resides in the weight that is attributed to those three components. The self-regulation and responsibilization approach is now at the top of the hierarchy, whereas the curative approach is at the bottom. As has been shown by the British researcher Catrin Smith (2000, 2002), the new public health model has found its way in prison…
Prison, prisoners and the new public health The introduction of new public health is noticeable in two mechanisms: the mobilization of prison/prisoners as tools of the new public health and the production of inmates as “healthcare consumers”.
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The instrumentalization of prison and prisoners as vectors of community health Prison health literature and prison health programs legitimate research and action by focussing on the benefits to inmates. However, this focus often shifts to one more concerned with both the health of the correctional staff and the health of the community outside the walls. 3 Since the inmates will be returning to the community, this can lead to a type of instrumentalization of the inmates as vectors of community health. The interest to promote and maximize health, rather than just protect it, is recent. For example, it is only since 1996, with its program Health in Prisons Project (HIPP) that the World Health Organization (WHO) has promoted health in prison. 4 Targeting prison can appear to make sense because the mental and physical health of inmates is particularly fragile and the prevalence of so-called risk behaviours is high amongst that population (Robert, Frigon & Belzile, 2007). However, health promotion in prison takes place in a specific context. Inmates generally come from underprivileged and underserved groups. Those groups, especially the most marginalized among them, represent a challenge for health authorities, even for the community clinics that specialize in creating a relationship with such people. This challenge comes from the generalized suspicion that those groups have towards state institutions, including health services, and from the lack of impact that health promotion campaigns have on marginalized groups. In this context, prison seems to be the ideal place and opportunity to educate, train and re-orient those hard-to-reach portions of the population towards healthy behaviours. Through prison, a whole segment of the population is now “reachable”. The WHO promotes this point of view: «Prisoners are members of the general population: they come from and usually return to the community. So in terms of communicable diseases the relationship between prisoners' health, their families and the wider community is of acute concern. Limiting the spread of these diseases in prison benefits both the prisoner and the wider community. […] The project's promotes health in its broadest sense within the prison community. It is important both for the rights of the prisoner and for the public health of all countries that time in custody is used positively for the prevention of disease and the promotion of health, and that negative effects of custody on health are reduced to a minimum. The target audience for HIPP is not only prisoners, but also staff, prisoners' families and local communities. Equally, health promotion and disease prevention are not just the responsibility of the clinical professionals in the prison, but can, and to be effective should, be built into every branch of prison management to create a whole climate for improving health» (WHO, 1996, i and iv).
Sensitization and interiorization of «healthy» norms and behaviours by inmates, allows, upon their return in the community, a more general adoption of those 3 4
See the following articles: Merianos et al. 1997a and 1997b; Marquart et al. 1997; Hammet, 2001. Cf. The Bridge quarterly Newsletter of WHO Issue no. 17 Winter 2006 p. 12.
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norms and behaviours by the «rebellious» groups (condom use, safe injection behaviours, observance of medical treatment, early detection test, regular dental care, etc.). Inmates, who form a captive population that comes from and returns to underserved neighbourhoods, are constructed as public health messengers. The message of healthy behaviour is transmitted by their example. In this way, people deprived of health messages can actually be reached. In addition to day-care centres, schools, workplaces and cities - prisons have become a hub of health regulation for the population. Prison is thereby constituted as a tool of government-at-a-distance for a portion of the population that is otherwise barely governable. Healthization of actuarial justice The turn towards actuarial justice and new penology has recently been documented in the United States (Simon & Feeley, 1995; Feeley & Simon, 1992; Simon, 1987), in Canada (Robert, 2001; Hannah-Moffat, 1999, 1997) and in Europe (Cauchie & Chantraine, 2005; Mary, 2001; Peters, 1986). Basically, the concepts of actuarial justice and new penology refer to a change in correctional philosophy where the goal is not to transform or rehabilitate inmates (discipline) but rather to manage the risks they represent. One popular way to do this is through the use of standardized correctional paths and riskmanagement tools and scales. Those tools and scales together form the basis used to classified inmates in a risk profile. Those risk profiles in turn indicate the security risks to control, the programs to follow and, in some case, the time and conditions for parole. Researchers suggest including in those tools and scales, a section on health risks to better decide on correctional path and parole eligibility. In fact, Marquart and his collaborators (1997) advocate widening the information basis that is used to determine the risks posed by an inmate; they suggest broadening the definition of correctional risks. According to them, the information used to establish a risk profile of inmates should also include life-style prior to the admission to prison. The information to take into account by the correctional services should include, not just information on recidivism, but also risks to public health. In such a model, behaviours like tobacco or drug use (individual risks), infection by a communicable disease (community risks) and the financial costs related to treatment (health related economic costs) become information that is integrated within the risk score that the correctional authorities seek to minimize. Following this model, a prisoner having a low criminogenic risk but presenting a high healthrelated economic risk, would be transferred to the community more quickly. On the other hand, this model also allows for the punishment of risky health-related behaviours: «Effective control under [this version of] the new penology may result in returning to prison offenders who acquire and/or transmit infectious diseases. Criminal thus become defined and treated as public health risks (both criminally and healthwise) – people about
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whom more needs to be known and who requires even more rigorous controls. Medical knowledge about offenders will be put to use to enhance disciplinary power over them (Foucault, 1979). Rather than reintegrating offenders into the community, the «medicalization» of supervision will allow the State to maintain control and oversee heretofore-closed aspects of offender’s lives» (Marquart et al. 1997, 153).
To our knowledge, this «healthization» of actuarial justice is not formally in use in the correctional system. For the moment, the extent to which health-related information influences the correctional trajectory within and outside of prison is not known. On the other hand, suggesting the assimilation of health risks within existing actuarial justice tools shows how health in prison is instrumentalized and fused with the new correctional philosophy. It also shows how health can fuel the management imperative in prison. Below the organizational merger, the new public health also makes itself felt in the daily relationships between health professionals and prisoners.
The production-punishment of healthcare consumers inside the walls As previously mentioned the new public health approach responsibilizes individuals for their own health and encourages them, through moralizing pressures, to adopt healthy behaviours. This discourse left a mark on professional socialization of healthcare staff but also on the expectations and reflexes of the patients. It is the wish of most patients to maximize and take control of their health. Health-care services in prison transmit those messages (Smith, 2000, 2002) and prisoners support them, but the prison context appropriates and often perverts those messages. Contradiction between health and carceral constraints are particularly acute for two categories of prisoners and those categories are not mutually exclusive:
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those who experience their incarceration as an opportunity to get back on track and for whom social rehabilitation also entails a physical aspect (getting back into shape, medical, dental and eye exams, taking care of long-neglected physical problems, preventive screening, etc.) and those who have serious medical conditions.
For these two categories of prisoners, better health becomes an imperative. In the first case, health is invested positively; in the second case, the incarceration generates a hyper-consciousness of self, of one’s pain and finitude (Meisenhelder, 1985). Those rapports to health are not without consequences for prisoners’ healthcare utilization. In fact, the prisoners who want to take control of their health, symptoms and pain will use the health services to a great extent. They will experience the constraints that are inherent in Canadian correctional healthcare:
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bureaucratization of access to basic services; impossibility of choosing a general practitioner; difficulty of being recommended to a specialist; difficulty and sometimes impossibility of continuing one’s pre-carceral medical treatments; limited access to over-the-counter medicines and natural products;
etc. In brief, even if the new public health message is promoted by correctional health services, for the inmates who want to take charge of their health and become the healthy and responsible citizens they are asked to be, the carceral reality makes it difficult. In this contradiction lies a great part of inmates’ frustration with correctional healthcare. Moreover, in extreme cases, the correctional system punishes and disciplines the prisoners who take their health into their own hands: for example, when inmates refuse prescribed therapies. During a participant observation period in a penitentiary, we witnessed inmates being sent to the isolation cell for refusing the prescribed dosage of their medication. Of course, this can be explained by the fact that, while asking prisoners to be responsible for their health, the correctional and health authorities also have the mandate to maintain the health of prisoners under their supervision. This conflict of responsibilities provokes a boomerang effect where the exercise of one’s own responsibilities, along with the injunctions of the new public health, are met with authoritarian and disciplinary power.
Conclusion At a time when the prisoner population is aging and governments are short of money, we might be tempted to aim for individualizing solutions to solve the problem of «over-utilization» of health-care in prison. We should think twice about those temptations and rather ask ourselves: Is it legitimate to subordinate an underprivileged population’s right to health to the requirements of punishment and prison? Are the health imperatives imposed upon the prisoners used against them in a more insidious form of control, the control of the body for correctional purposes, a new version of the Panopticon? Finally, since we are interested in improving the health and well-being of people who are sent to prisons and since we also know that prison has, for most of the inmates, a negative impact on health, we should both reconsider applying the new public health approach to prison and, in a more dramatic way, work towards alternatives to prison altogether (Christie, 2006). This could protect both the health of people in prison and the health, in its broadest sense, of our communities.
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Einführung.........................................................................................................346 Der Arzt im Strafvollzug...................................................................................347 Gesundheitsfürsorge/Gesundheitsdienst ........................................................347 Revier.............................................................................................................348 Das Arztgeheimnis im Strafvollzug..................................................................349 Regel..............................................................................................................349 Ausnahme ......................................................................................................349 Die Rechte des Arztes im Strafprozessrecht ..................................................349 Ärztliche Versorgung im Strafvollzug .............................................................350 Die Untersuchung und die Behandlung des Strafgefangenen wurden im Gesetz in der nachfolgend aufgeführten Weise geregelt................................351 Gesundheitskontrolle .....................................................................................351 Einweisung in die Klinik ...............................................................................351 Untersuchungen und Behandlungen der Gefangenen in den Kliniken/Krankenhäusern ..............................................................................351 Vollzugverhindernde Krankheitsfälle ............................................................352 Besondere Problembereiche .............................................................................352 Psychisch Kranke im Strafvollzug.................................................................352 Sucht- und Infektionsgefahren im Strafvollzug .............................................353 Zwangsbehandlung im Strafvollzug ..............................................................354 Schlussbemerkungen.........................................................................................356
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Einführung Die eigentliche Grundlage und Quelle für den türkischen Strafvollzug ist das Gesetz über den Vollzug der Strafe und Sicherheitsmassnahmen mit der Nr. 5275 (CGTIHTK = türkisches Strafvollzugsgesetz - türk-StrafVollzG). Dieses Gesetz wurde am 13. Dezember 2004 verabschiedet und trat am 1. Juni 2005 in Kraft. Als zweite wichtige Grundlage dient das Gesetz über die kontrollierte Freilassung und Hilfszentren und Schutzkommissionen, Nr. 5402. Dieses Gesetz ist am 3. Juli 2005 in Kraft getreten. Bezüglich des zweiten Gesetzes sind weder die grundlegenden Defizite beseitigt worden noch sind die erforderlichen Fachkräfte vorhanden. Deshalb kann man nicht davon sprechen, dass es vollständig angewendet werden kann. Des Weiteren ist zu erwähnen, dass die Ausführungsverordnungen erst später in Kraft getreten sind. Wie man sieht, sind die Vorschriften in diesem Bereich äusserst neu. Auch das türk-StGB und die türk-StPO sind vollkommen neu und erst seit 1. Juni 2005 in Kraft. Somit ist es aus Sicht der Türkei unumgänglich, dieses Thema anhand anderer Gesetze zu erläutern. Die türkische Verfassung legt in Art. 17 fest, dass niemand einer mit der Menschenwürde unvereinbaren Bestrafung oder Behandlung ausgesetzt werden darf. Das türk. Strafvollzugsgesetz bestimmt in Art. 2/2, dass bei dem Vollzug von Strafen und Sicherheitsmassnahmen keine Grausamkeiten, Unmenschlichkeiten, Demütigungen und ehrverletzende Handlungen und Äusserungen getätigt werden dürfen. Im türkischen Grundgesetz gibt es keine Vorschrift vergleichbar Art. 1 des deutschen Grundgesetzes, in der die Unantastbarkeit der menschlichen Würde festgelegt ist. Die Vorschrift auf die ich nachfolgend eingehen werde, nimmt den türkischen Staatsbürger als Grundlage. Auch wenn diese Vorschrift eine unvollständige Regelung mit sich bringt, so ist neben den beschriebenen Vorschriften des türkischen Grundgesetzes und des türk-StrafVollzG in der Einführung des Grundgesetzes in Art. 6 geregelt, dass jeder türkischer Staatsbürger das Recht und die Befugnis auf Führung eines menschenwürdigen Lebens hat. In Artikel 5 wurde bestimmt, dass es Aufgabe des Staates ist, sich um die Schaffung der für die Entwicklung der materiellen und ideellen Existenz des Menschen notwendigen Bedingungen zu bemühen. Des Weiteren kommt dem Staat die Aufgabe zu, die Eingriffe zu unterbinden, die die Grund- und Freiheitsrechte des Einzelnen einschränken oder dem Sozialstaatsprinzip widersprechen. In der türk. StPO Art. 148/3 führt der Gesetzgeber aus, dass auf menschenunwürdige Weise gesammelte Beweise verboten und rechtswidrig sind. Menschenunwürdige Handlungen werden als Verbrechen bestraft (z.B. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Folter, Quälerei, Beleidigung usw.). So wird klargestellt, dass der Gesetzgeber auf die Menschenwürde sehr viel Wert legt. Demzufolge müssen auch die Angestellten der Vollzugsanstalten die Würde des Menschen beachten.1 Ausserdem müssen in den Strafvollzugsanstalten alle Massnahmen und Vorkehrungen zum Schutze von Leib und Leben der Gefangenen getroffen werden. 1
Ähnlich Veli Özer Özbek, Infaz Hukuku, Ankara 2007, S. 24.
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Dies ist auch gesetzlich vorgeschrieben (türk. Strafvollzugsgesetz Art. 6/1-f). Bei der Vollstreckung der Freiheitsstrafe müssen alle möglichen Programme, Methoden und Mittel zur Verringerung der mit der Strafe selbstverständlich verbundenen negativen Einwirkungen angewendet werden. Massnahmen zur Verbesserung werden so angewendet, dass die Gesundheit und Würde des Gefangenen beachtet werden (türk-StrafVollzG Art. 7/2).
Der Arzt im Strafvollzug Gesundheitsfürsorge/Gesundheitsdienst Dieses Thema wurde in der Verordnung über die Verwaltung der Strafvollzugsanstalten und den Vollzug der Strafe und der Sicherheitsmassnahmen, (Art. 25) wie folgt geregelt. 1. Der Gesundheitsdienst ist der Service, der in der Anstalt die medizinische Versorgeleistungen und Behandlungen unter Leitung des Anstaltsarztes durchführt. In diesem Service arbeiten u.a. Anstaltsarzt, Zahnarzt, Apotheker, Tierarzt, Diätassistentin, Gesundheitsbeamte. 2. Die Aufgaben und Pflichten des Anstaltsarztes sind: x Er prüft die gesundheitlichen Voraussetzungen innerhalb der Anstalt und führt die Untersuchungen und Behandlungen der Gefangenen und Vollzugsbeamten durch. x Zur Vermeidung von Handlungen, die die Gesundheit in der Anstalt gefährden könnten, teilt der Anstaltsarzt diejenigen Gefangenen dem Anstaltsdirektor mit, die sich einer Untersuchung entziehen und damit die Gesundheit in der Anstalt gefährden. 3. Es werden Vorkehrungen zur Verhütung von Krankheiten getroffen. Ausserdem überprüft der Anstaltsarzt die Qualität, Menge und Verteilung des Essens, die Sauberkeit der Gefangenen und der Bediensteten, sanitäre Anlagen, Beheizung, Beleuchtung und Belüftungseinrichtungen. Es wird geprüft, ob diese in einer den hygienischen Voraussetzungen entsprechenden Art und Weise funktionieren. Weiterhin wird untersucht, ob die Sportaktivitäten gesundheitsgerecht durchgeführt werden. Um diese Punkte feststellen zu können, überprüft der Anstaltsarzt die Anstalt mindestens einmal monatlich und führt dabei Gesundheitsstatistiken. Der Bericht wird dann dem Anstaltsdirektor übergeben. 4. Die gekauften Lebensmittel werden durch den Anstaltsarzt überprüft. Wird eine Gefahr durch den Verbrauch einiger Lebensmittel gesehen, so stellt er dies fest und lässt diese Lebensmittel entsorgen. 5. Er organisiert bei Abwesenheit des Apothekers die Verteilung der Medikamente. 6. Ihm obliegt die Durchführung von Gesundheitsfürsorge, medizinischen, verwaltungstechnischen und technischen Aufgaben, so wie deren Überprüfung.
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7. Er nimmt die medizinischen Eintragungen/Anmeldungen vor und gestaltet das Archivsystem der Gesundheitsfürsorge. Somit gewährleistet er, dass die Eintragungen regelmässig und in richtiger Art und Weise durchgeführt werden. 8. Er kontrolliert die Bestände an medizinischen Materialien und trifft für deren Aufbewahrung die erforderlichen Vorkehrungen. 9. Die Aufgaben des Zahnarztes: Der Zahnarzt ist mit der Mund- und Zahnpflege der Gefangenen beauftragt. Er trifft vorbeugende Massnahmen und übernimmt die Behandlung. Des Weiteren führt er die Gesundheitsstatistiken. 10. Gemeinsame Aufgaben und Verantwortungsbereiche der Ärzte: Der Anstaltsarzt und der Zahnarzt arbeiten und handeln gemeinsam mit den anderen Gesundheitsangestellten, um die nachfolgend aufgeführten Aufgaben durchzuführen. x Beobachtung der Gesundheit: Die Ärzte kontrollieren die Anstalt so oft wie möglich und besuchen die Anstalt 1- bis 2-mal monatlich. Dabei prüfen sie die gesundheitlichen Zustände in der Anstalt. Bei akuten Krankheiten, mit sofortigem Bedarf weiterer Massnahmen, wird dies unverzüglich dem Anstaltsdirektor mitgeteilt. x Wie das andere Personal können auch die Ärzte in Schichtarbeit eingesetzt werden. Falls dies in der Anstalt nicht vorgesehen worden ist, so muss der Arzt bei Eilfällen jederzeit der Anstalt zur Verfügung stehen. Revier Das Thema ist in der oben genannten Verordnung geregelt worden (Art. 114): 1. In jeder Anstalt muss ein Revier vorhanden sein. Der Anstaltsarzt verwaltet das Revier. 2. Die erforderlichen medizinischen Mittel, die sich in dem Anstaltsrevier befinden müssen, und die Arbeitsgrundlagen werden in einer internen Anleitung der Anstaltsführung aufgezeigt. 3. Sollte Art. 16/4 des Gesetzes Nr. 5275 keine Anwendung finden und sich schwangere Frauen in den Anstalten befinden, dann wird für die Versorgung vor und nach der Geburt der Gefangenen ein privater Bereich bestimmt. Es werden die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, damit die Geburt ausserhalb der Anstalt in einer Gesundheitsanstalt stattfindet. Ist jedoch die Geburt in einer Strafanstalt zustande gekommen, so wird dieser Umstand nicht in die Geburtsurkunde eingetragen.
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Das Arztgeheimnis im Strafvollzug Regel Solange durch den Anstaltsarzt kein anderslautender Antrag gestellt wurde, dürfen sich im Untersuchungszimmer während der Untersuchung und Behandlung des Strafgefangenen keine weiteren Personen ausser dem Gesundheitspersonal befinden. Nur aus Sicherheitsgründen und in einer Art und Weise, bei der das gesprochene Wort nicht zu hören ist, darf die Anstaltverwaltung die erforderlichen Schutzvorkehrungen treffen (Verordnung Art. 117). Ausnahme Das türk-StGB sieht bei Straftaten eine Anzeigepflicht für Bürger in Art. 278 und für Beamte in Art. 279 vor. Ausserdem gibt es eine Anzeigepflicht auch für Gesundheitspersonal (Art. 280). Nach dieser Vorschrift wird das Gesundheitspersonal mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft, wenn es während der Ausübung seines Berufes trotz Vornehmens einer Straftat diese nicht oder verspätet anzeigt. Unter dem Begriff des Gesundheitspersonals sind der Arzt, Zahnarzt, Apotheker, Hebamme, Krankenschwester und weitere Personen, die Gesundheitsdienste leisten, zu verstehen (türk-StGB. Art. 280). Die Rechte des Arztes im Strafprozessrecht Art. 46/1-b der türk-StPO sieht ein Zeugnisverweigerungsrecht für Ärzte vor, unabhängig davon, ob sie mit dem Strafvollzugsgesetz in Berührung kommen oder nicht. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht besteht nicht, wenn die Einwilligung des Betroffenen vorliegt, d.h. der Arzt muss in diesen Fällen als Zeuge aussagen und darf von seinem Zeugnisverweigerungsrecht kein Gebrauch machen. Nach der Gesetzesvorschrift können Personen aufgrund ihrer beruflichen Stellung und dauerhaften Tätigkeiten vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen und somit nicht als Zeuge gehört werden. Im Gesundheitsdienst sind dies Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Hebammen und deren Gehilfen und alle anderen Angehörigen medizinischer Berufe, die wegen ihrer beruflichen Stellung von ihren Patienten oder deren nahen Angehörigen Informationen erhalten (Art. 46/11b). Dagegen wird in der Literatur angenommen, dass Ärzte im Strafvollzug im Prinzip eine Geheimhaltungspflicht haben. Diese Pflicht kann aber durch die Situation eines rechtfertigenden Notstands aufgehoben werden. Dafür muss das Informationsbedürfnis und -interesse der Anstaltsleitung im Verhältnis zum individuellen Geheimnisschutzinteresse des einzelnen Gefangenen höherwertig oder wenigstens gleichwertig sein.
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Ausserdem hat der Anstaltsarzt bei schweren ansteckenden Erkrankungen oder bei HIV-Infektion eines oder mehrerer Gefangenen die Befugnis zur Offenbarung der Anstaltsleitung gegenüber.2
Ärztliche Versorgung im Strafvollzug Das Recht auf Unversehrtheit der körperlichen und geistigen Gesundheit und auf Führung eines gesunden Lebens wird auch bei Personen, die sich in der Anstalt befinden, weiterhin gewährleistet. Dieses Recht kann nicht aus Gründen des Vollzugs aufgehoben oder eingeschränkt werden. Die Strafgefangenen haben ein Recht auf Gesundheitsfürsorge wie die Allgemeinheit, d.h. in gleicher Art und Weise.3 Ihnen ist sogar eine noch intensivere Gesundheitsvorsorge einzuräumen als dem freien Bürger, da die Freiheit des Gefangenen – aufgrund der von ihm begangenen Straftat – vom Staat begrenzt wurde. Nach Art. 56 der türk. Verfassung plant der Staat die Gesundheitseinrichtungen einheitlich und regelt ihre Dienstleistungen, um eine Lebensführung von jedermann in körperlicher und geistiger Gesundheit zu gewährleisten und die Zusammenarbeit der Gesundheitseinrichtungen unter Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und Effizienz menschlicher und materieller Ressourcen zu verwirklichen. Nach dem türk. Strafvollzugsgesetz Art. 71 hat der Gefangene das Recht, sich untersuchen und behandeln zu lassen, um seine körperliche und geistige Gesundheit zu schützen. Er hat auch das Recht die medizinischen Mittel zu nutzen. Deshalb muss der Gefangene in der Strafanstalt und, wenn dies nicht möglich ist, in Staats- oder Universitätskliniken untersucht und behandelt werden können. Für diejenigen Personen, die vom Vollzugsystem abhängig und damit von der Nutzung der Gesundheitsdienste ausgenommen sind, ist die Gewährleistung ihrer Gesundheitsrechte enorm wichtig. Nach der Ansicht des türkischen Gesetzgebers, wäre eine andere Regelung, d.h. die Unvollständigkeit der Gesundheitsdienste oder dessen Nichtbestehen eine zweite, wenn nicht sogar eine tödliche Strafe. Dies kann nicht akzeptiert werden. Die sich in einer Straf- oder Vollzugsanstalt befindlichen Personen haben nicht das Recht, unabhängig und frei medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie sind gezwungen, auf die Fähigkeiten, Fachkompetenzen, Erfolge und die guten Absichten der Ärzte, die durch den Staat für sie ausgesucht wurden, zu vertrauen. Sowohl für Staatsbürger als auch für Bürger mit ausländischer Herkunft oder mit Kommunikationsproblemen ist die Sprache für die medizinische Versorgung sehr wichtig. In den Strafanstalten müssen die erforderlichen Vorkehrungen getroffen werden - damit keine Kommunikationsschwierigkeiten auftreten. Aus diesem Grund werden die Gefangenen zuerst anstaltsintern und erst, wenn dies nicht möglich sein sollte, in staatlichen oder Unikliniken behandelt. Jede Anstalt muss deshalb bei medizinischem Bedarf für die Gesundheits-
2 3
Siehe Hakan Hakeri, Tıp Hukuku, Ankara 2007 (im Druck). Siehe Özbek, Infaz Hukuku, S. 121.
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fürsorge der Gefangenen die erforderlichen Vorkehrungen treffen und diese darüber informieren (türk. Strafvollzugsgesetz Art. 71 Begründung). Dieses Thema wurde im Gesetz über die Leitung der Strafvollzugsanstalten und im Strafvollstreckungsgesetz und per Verordnung geregelt. Die Untersuchung und die Behandlung des Strafgefangenen wurden im Gesetz in der nachfolgend aufgeführten Weise geregelt Die Kontrolle gesunder Lebensbedingungen in der Anstalt, die sofortige oder mögliche Untersuchung und Behandlung im Allgemeinen oder wegen einer Krankheit werden durch den Anstaltsarzt durchgeführt. Diese Untersuchungs- und Behandlungsergebnisse werden in Gesundheitskarten registriert und in den Akten aufbewahrt. Das Gesundheitsministerium und die Gesundheitsdienste der Universitäten haben den Gefangenen bei ihrer Behandlung die erforderliche Hilfe zu leisten. Medizinische Versuche dürfen bei Strafgefangenen, auch wenn die Einwilligung des Betroffenen vorliegt, nicht durchgeführt werden (türk. Strafvollzugsgesetz Art. 78; ähnlich auch Verordnung Art. 117). Gesundheitskontrolle Der Anstaltsarzt kontrolliert die Strafanstalt mindestens einmal im Monat. Bei Krankheiten, bei denen allgemeine und besondere Vorkehrungen zu treffen sind, werden Vorschläge in einem Bericht aufgenommen und den Anstaltsleitungen übergeben (türk. Strafvollzugsgesetz Art. 79). Einweisung in die Klinik Ist die Einweisung eines Gefangenen in eine Klinik erforderlich, so wird dies durch den Anstaltsarzt sofort in einem Bericht aufgenommen und an die Strafanstaltsleitung weitergeleitet (türk. Strafvollzugsgesetz Art. 80). Wird der Gefangene aus gesundheitlichen Gründen in eine Klinik eingewiesen, so ist dieser Umstand durch den Anstaltsarzt in einem Bericht aufzunehmen und dem Anstaltsdirektor sofort mitzuteilen (Verordnung Art. 115/1). Untersuchungen und Behandlungen der Gefangenen in den Kliniken/Krankenhäusern Treten Krankheiten auf, die in der Anstalt nicht behandelt werden können, so wird die Untersuchung und Behandlung der Gefangenen in den staatlichen oder Universitätskliniken durchgeführt. Die Behandlungen werden in Räumen vorgenommen, die der Gefangenenuntersuchung gewidmet wurden. Falls keine Gefangenenräume existieren, so werden durch das Sicherheitspersonal die erforderlichen Vor-
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kehrungen getroffen, sodass die Untersuchungen in anderen Bereichen der Kliniken durchgeführt werden können. Personen in offenen Anstalten und Jugenderziehungsanstalten werden während ihrer Behandlung ausserhalb ihrer Anstalt durch die Sicherheitskräfte des Krankenhauses überwacht. Sie werden ebenfalls in separaten Räumlichkeiten untersucht. Diese Personen können, falls der behandelnde Arzt es für erforderlich hält, vom Ehepartner, von der Mutter, vom Vater, von den Geschwistern, von den Kindern und, falls diese nicht anwesend sein können, einem nahen Familienangehörigen, der vom Oberstaatsanwalt bestellt wird, begleitet werden (Verordnung Art. 116). Vollzugverhindernde Krankheitsfälle Führen die durch den Anstaltsarzt oder den beauftragten Arzt vorgenommen Untersuchungen und Behandlungen zum Ergebnis, dass der Gefangene durch seine Krankheit nicht in der Lage ist, die Strafe anzutreten, so wird dies der Anstaltsleitung mitgeteilt (türk. Strafvollzugsgesetz Art. 81). Kommt der Anstaltsarzt oder der beauftragte Arzt nach seinen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die Erkrankung eine Vollstreckung der Strafe nicht zulässt, so wird dieser Umstand dem obersten Vorgesetzten der Anstalt mitgeteilt (Verordnung Art. 118).
Besondere Problembereiche Psychisch Kranke im Strafvollzug Dieses Thema wird in Art. 18 türk. Strafvollzugsgesetz und in Art. 9 der Verordnung geregelt. Danach werden Gefangene in die Anstalt zurückverwiesen, die nicht wegen der Einsperrung in einem Gefängnis oder aus ähnlichen Gründen, sondern aus einem anderen Grund psychisch krank sind und es medizinisch nicht als erforderlich angesehen wird, diese in einer psychiatrischen Klinik oder Nervenklinik zu betreuen. Die Strafe wird in den dafür vorgesehenen Bereichen und Räumen vollzogen. Das für solche Gefangene erforderliche medizinische Personal wird durch das Gesundheitsministerium beauftragt. Für diejenigen, die an einer psychischen oder körperlichen Krankheit leiden, wurde ein psychosozialer Hilfsdienst gegründet. Dieser Hilfsdienst ist in der Verordnung Art. 24 detailliert geregelt. Danach bezweckt dieser Dienst die Verbesserung der körperlichen und psychischen Gesundheit der Gefangenen. Einerseits soll das Leben der Gefangenen in der Vollzugsanstalt so geregelt werden, dass sie wieder in die Gesellschaft integriert werden können, andererseits werden Vorkehrungen getroffen, dass sie keine neuen Straftaten begehen. Darüber hinaus werden als Service Kontakte mit der Familie des Gefangenen und seinem sozialem Umfeld hergestellt. Dafür werden Psychiater und Sozialarbeiter beauftragt. Bei der Vorbereitung des Behandlungsprogramms und dessen Anwendung hat der Sozial-
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hilfsdienst wichtige Aufgaben. Über die Arbeit des Hilfsdienstes wird alle drei Monate berichtet und der Bericht wird dem Anstaltsdirektor zugeleitet. Somit wird die Überprüfung des Hilfsdienstes erleichtert. Sucht- und Infektionsgefahren im Strafvollzug Der Schutz vor Infektionsgefahren wurde in Art. 113 der Verordnung geregelt. Danach heisst es: Tritt in der Anstalt eine der im Gesetz für allgemeinen Gesundheitsschutz von 1930 (Gesetz No: 1593) Art. 57 beschriebenen Krankheiten oder der Verdacht derartiger Krankheiten auf und kommt es aufgrund dieser Krankheiten zum Tod eines Gefangenen, so ist dies durch den Anstaltsarzt unverzüglich dem Anstaltsdirektor zu melden. Nach Empfang dieser Mitteilung, hat der Vorgesetzte der Anstalt diesen Umstand an die verantwortlichen Stellen weiterzuleiten. Kommt der Anstaltsarzt oder ein anderer Arzt von einer Gesundheitsanstalt bei seinen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass der Gefangene mit den im Gesetz Nr. 1593 Art. 103/3 aufgezählten Geschlechtskrankheiten oder mit HI-Virus infiziert ist, so muss dies den verantwortlichen Stellen schriftlich und in geheimer Weise mitgeteilt werden. Auch in diesen Fällen führt der Anstaltsarzt nach den gegebenen Möglichkeiten die ersten Behandlungen in der Anstalt durch und trifft die erforderlichen Vorkehrungen, um die Ausbreitung der Krankheiten zu vermeiden. Gibt es in der Anstalt keine separaten Bereiche, so müssen die Gefangenen sofort in eine geeignete Anstalt eingewiesen werden, um eine erfolgreiche Behandlung zu ermöglichen. Die Anstaltsverwaltung muss zum Unterbinden der Ausbreitung der Krankheiten die erforderlichen Vorkehrungen treffen (Verordnung Art. 113). Bezüglich dieses Themas möchte ich ausserdem auf die folgenden Punkte aufmerksam machen: Die Gefangenen können bei Einweisung in die Anstalt auf Antrag folgende Tests durchführen lassen: HIV, Hepatitis A, B, C. Diese Tests können bei Drogenabhängigen auf freiwilliger Basis durchgeführt werden. Seit 2006 sind in den Strafanstalten drei HIV-Positive ermittelt worden. Im gleichen Jahr wurde bei 98 Gefangenen eine Infektion mit einem Hepatitis-Virus festgestellt. Wieviele der Betroffenen in der Vergangenheit intravenös Betäubungsmittel konsumiert haben, konnte nicht ermittelt werden. Auf Statistiken über psychische Krankheiten kann man leider nicht vertrauen. Diese Statistiken sind nicht wissenschaftlich. Sie wurden meist nach eigenen Angaben von Gefangenen bestimmt. Danach sind bis 2006 insgesamt 3436 Gefangene mit Beschwerden wegen Psychosen, Neurosen, Psychoneurosen und psychosomatischen Krankheiten zum Anstaltsarzt gegangen. Dagegen sind im Jahre 2006 nur 193 Drogenabhängige und 57 Alkoholabhängige in Behandlung gewesen. Der Gesetzgeber hat hierzu in Art. 27 türk. Strafvollzugsgesetz den Gefangenen eine Pflicht auferlegt. Nach dieser Vorschrift hat der Gefangene die Pflicht, seine eigene Gesundheit vor Krankheiten und Infektionskrankheiten zu schützen, und sich dabei an die erforderlichen Vorkehrungen zu halten. Er muss die Umstände,
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die eine Gefahr für seine Gesundheit darstellen, unverzüglich der Anstaltsleitung mitteilen. Weiterhin ist er verpflichtet, sein Umfeld sauber zu halten. Schliesslich ist der Gefangene auch verpflichtet, sich von Handlungen fern zuhalten, die eine Gefahr für seine Gesundheit und auch die der anderen Gefangenen in sich bergen. In Bezug auf die Gefangenen ist bereits eine ähnliche Vorschrift für Drogen- und Alkoholabhängige vorhanden, wonach der Vollzugsrichter, die Staatsanwaltschaft und das Gesundheitsministerium zusammenarbeiten. In Wirklichkeit ist dies eine Vorschrift, die eine Art Probation vorsieht. Für Alkohol- und Drogenabhängige ist diese Pflicht im Gesetz über kontrollierte Freilassung und Hilfszentren und Schutzkommissionen Art. 23 geregelt. Zwangsbehandlung im Strafvollzug Nach der herrschenden Meinung in der türkischen Literatur dürfen die Ärzte die Gefangenen, die die Ernährung bewusst ablehnen, nicht mit Zwang medizinisch behandeln. Wichtig ist der Wille der Person. Sollte über den Willen der Person Zweifel bestehen, dann soll mindestens ein anderes unabhängiges Gericht darüber entscheiden. Der Gefangene muss über die Gefahren der Ablehnung des medizinischen Eingriffs aufgeklärt werden. Sollte man eine Ausnahme für dieses Prinzip annehmen, dann muss das Verhältnismässigkeitsprinzip beachtet werden. Daneben soll man den psychischen Zustand des Gefangenen und die Schutzpflichten des Staates gegenüber den Gefangenen im Auge behalten. Im Gefängnis ist es schwierig, manchmal sogar unmöglich, ein ganz normales Verhältnis zwischen Gefangenen und Ärzten zu haben, weil der Gefangene nicht frei ist. Einerseits darf der Staat keine Folter oder ähnliche menschenunwürdige Handlungen durchführen (türk-StrVollzG Art. 2/2) und muss Leib und Leben der Gefangenen schützen. Andererseits hat jeder (also auch der Gefangene) Anspruch auf Patientenautonomie bzw. Selbstbestimmungsrecht. Deswegen soll die Zwangsbehandlung eine ultima ratio und auch in den Grenzfällen der Ausnahmefall sein. Wenn die Person bewusst die Behandlung ablehnt oder dieser Wille vorher ganz klar erklärt worden ist, dann darf der Arzt nicht behandeln. Wenn sie aber nicht mehr bei Bewusstsein ist und vorher ihren Willen nicht erklärt hat, dann darf der Arzt in Notstandssituationen auch mit Zwang medizinisch behandeln. Die Menschenwürde und das Selbstbestimmungsrecht des Menschen haben in diesen Fällen weniger Wert als das Lebensrecht.4 Die Berufsordnung der türkischen Ärztekammer hat eine parallele Regelung (Art. 36 l). Art. 82 ff. des türk-StrVollzG verstösst gegen Art. 5 der BiomedizinKonvention, jedoch nicht gegen die türk. Verfassung, weil Art. 17/2. der türkischen Verfassung die Behandlungen in den beschriebenen Fällen erlaubt, solange
4
Siehe für Einzelheiten Hakan Hakeri, Tıp Hukuku, Ankara 2007 (im Druck). Vgl. Do÷an Soyaslan, Açlık Grevi, S. 279.
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diese im Gesetz geregelt sind.5 Nach meiner Meinung verstösst die türkische Verfassung gegen die Biomedizin-Konvention und sollte geändert werden. In den vergangenen Jahren verzeichnete man einen Rückgang im Bereich der Hungerstreiks, in welchen Gefangene die Ernährung verweigern. Diese Streiks führten in der Vergangenheit zu vielen Todesfällen und damit zu Problemen zwischen den Strafanstaltsverantwortlichen und den Gefangenen. Sie werden in den meisten Fällen für ein politisches Ziel geführt. Der erste Ansatz zur Verhinderung von Hungerstreiks war die Aufgabe des Systems des kollektiven Vollzugs (d.h. 100-150 Gefangene werden in einem sehr grossen Zimmer unterbracht). Der Staat wollte kleinere Räume für den Vollzug vorsehen, damit die Gefangene nicht gegenseitig aufeinander einwirken können und der Staat sie leichter unter Kontrolle halten kann. Das alte System wurde bereits geändert. An dessen Stelle wurden die von der Europäischen Union verlangten modernen Strafanstalten gebaut. Die Gefangenen wollen nicht in diese Gefängnisse und Hungerstreik ist auch ein Mittel dazu, die Verlegung zu verhindern. So wollten sie verhindern, in Einzelhaft eingewiesen zu werden. Durch verbotene Vereinigungen wurden die Gefangenen unter Androhung der Tötung oder der Tötung von Familienangehörigen zur Durchführung der Streiks gezwungen. Dieses Thema ist im internationalen Recht umstritten. In EMRG-Urteilen wurde festgestellt, dass die Europäische Menschenrechtskonvention Art. 2 umgegangen wird.6 Dieses Thema ist im türk. Strafvollzugsgesetz Art. 82 wie folgt geregelt: Wenn die Gefangenen, egal aus welchem Grund auch immer, ihre Ernährung dauerhaft ablehnen, so werden sie durch den Anstaltsarzt über die fatalen Folgen dieser Handlungen und die dadurch entstehenden körperlichen und geistigen Gesundheitsverschlechterungen informiert. Auch im Bereich des psychosozialen Dienstes werden Vorkehrungen getroffen, um die Gefangenen von diesen Handlungen abzubringen. Werden dabei keine Ergebnisse erzielt, so fängt man bei der Ernährung des Gefangenen mit der durch den Anstaltsarzt vorgegebenen Diät an. Die Gefangenen, die ihre Ernährung verweigern und sich dadurch in einen Hungerstreik versetzen und so in Lebensgefahr kommen oder ihr Bewusstsein verlieren, werden – nach der Feststellung dieses Falles durch den Anstaltsarzt – unmittelbar, auch ohne ihre Zustimmung, zur medizinischen Behandlung in ein Krankenhaus gebracht, sofern in der Anstalt dazu keine Möglichkeit besteht. Diese Vorkehrungen, nämlich die Behandlung und Ernährung der Gefangenen wurden unter der Voraussetzung getroffen, dass ihrer Gesundheit und ihrem Leben 5 6
Siehe Hakeri, Tıp Hukuku; dagegen Vgl. Feyzio÷lu, Hükümlünün, S. 148. Siehe für Meinungsverschiedenheiten und Kritiken über diesen Thema in der Türkei: Yener Ünver, Türkiye’de Ceza Hukuku Alanında Yapılan Yakın Tarihli Düzenlemelerde Tıp Hukukuna øliúkin Birkaç Sorun, in: Uluslarası Katılımlı I. Tıp Eti÷i ve Tıp Hukuku Sempozyum Kitabı, østanbul 2005, S. 118; Özlem Yenerer Çakmut, Tıbbi Müdahaleye Rızanın Ceza Hukuku Açısından øncelenmesi, østanbul 2003, S. 183 f.; Timur Demirbaú, ønfaz Hukuku, Ankara 2003, S.174, 175 und 185; Metin Feyzio÷lu, Açlık Grevi, AÜHFD, c: 43, sy: 1-4, S. 157 f.; Özbek, ønfaz Hukuku, sh: 105-112; R. Murat Önok, ønsan Hakları ve Türk Ceza Hukuku Açısından, ønfaz Kurumları ve Tutukevlerindeki Açlık Grevlerine Müdahale Eme Yükümlülü÷ü ve Bunun øhmalinden do÷an Sorumluluk, Hukuk ve Adalet, 2007, sy: 9, S. 173 ff.
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keine Schäden zugefügt werden. Abs. 2 wird angewandt, wenn die Gefangenen bei gesundheitlichem Problem die Untersuchung und Behandlung verweigern und damit ihre Gesundheit und ihr Leben in ernste Gefahr bringen oder aber für die Gesundheit oder Leben der in der Strafanstalt befindlichen Personen eine Gefahr darstellen. Die in dieser Vorschrift vorgegebenen Vorkehrungen werden mit der Empfehlung und der Leitung des Anstaltsarztes angewandt. Nur wenn die Behandlung des Anstaltsarztes nicht rechtzeitig und damit verspätet durchgeführt wird und dies für den Gefangenen eine Lebensgefahr in sich birgt, kann ohne die in Abs. 2 vorgegeben Voraussetzungen gehandelt werden. Diese Zwangsmassnahmen können unter der Voraussetzung angewendet werden, dass dabei nicht gegen die Menschenwürde verstoßen wird. Hinter dieser Regelung des türk. Strafvollzugsgesetz steht der Gedanke, dass der Gefangene unter staatlicher Obhut steht. Sollte der Gefangene nicht mehr bei Bewusstsein sein, dann kann er gegen seinen Willen medizinisch behandelt bzw. ernährt werden. Dieser Meinung und Begründung kann ich nicht folgen. Der Gefangene lehnt im geistig und körperlich guten Zustand offensichtlich Ernährung ab. Meiner Ansicht nach muss dem Wunsch der Person gefolgt werden. Der Gefangene darf nicht gegen seinen Willen ernährt werden. Obwohl ich diese Regelung aus dieser Hinsicht kritisiere,7 finde ich die Vorschrift sehr humanistisch, wonach die getroffenen Vorkehrungen den Voraussetzungen der menschlichen Würde entsprechen müssen.
Schlussbemerkungen Nicht nur das Strafvollzugsrecht sondern auch medizinrechtliche Regelungen und medizinethische Regeln sind für das Wohl des Menschen vorgesehen worden. Wenn es um das Wohl des Menschen geht, soll es keine Kollision zwischen beiden Rechtsbereichen geben. Beide sollen zusammen für den Menschen das Beste schaffen, auch wenn wir mit dem Wort „Mensch“ den Gefangenen meinen. Er ist immer noch ein Mensch und man soll ihn möglichst schnell wieder in die Gesellschaft integrieren und neben dem Strafvollzugsprogramm sind die Ärzte und die Medizin dafür sehr wichtig. Der Gefangene verliert seine Rechte nicht, selbst wenn er hinter „schwedischen Gardinen“ ist. Ganz im Gegenteil, der Staat und insbesondere die verbeamteten Ärzte innerhalb einer Anstalt sollen sich um Gefangene mehr bemühen als um andere Patienten, weil der Gefangene einige Rechte nicht oder nur begrenzt ausüben darf. Alle Rechte, besonders Gesundheit und Sicherheit des Gefangenen, sollen vom Staat geschützt und nach dem Strafvollzugszweck ermöglicht werden. Deswegen sollten die Pflichten der Ärzte im Gefängnis gesetzlich noch detaillierter geregelt 7
Für Einzelheiten siehe: Yener Ünver, Türk Tıp Hukukunda Rıza. Yeditepe Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi, III/2, (Özel Sayı) C: 3, sy:2, Istanbul 2006, S. 282-284 und. Yener Ünver. Avrupa Biyo-Hukuk Sözleúmesi’nin Türk Hukukuna Etkileri., KHukA 2005, sy: 99-201, S.186, Fussnot: 27.
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und der Verstoss gegen diese Pflichten mit strafrechtlichen Sanktionen bedroht werden. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe für den Rechtsstaat. Ausserdem soll man bei der Gestaltung der Regelungen darauf achten, dass das Selbstbestimmungsrecht und die Autonomie des gefangenen Patienten im Vordergrund stehen. Die Strafvollzugsgesetze sollen nicht nur den Resozialisierungszweck haben, sondern auch die modernen medizinrechtlichen und ethischen Regeln realisieren. Der Anstaltsarzt ist hauptsächlich nicht ein Teil des Strafvollzuges, sondern ein Arzt, der sich immer und bei allen Situationen mit der Gesundheit des Menschen beschäftigt. Die Ansprüche des gefangenen Patienten gegenüber Ärzten bleiben noch bestehen und vielleicht sollte man sagen, sie sollten aufgrund der Freiheitsberaubung im Gefängnis verstärkt werden. Das türkische Strafvollzugsgesetz ist ganz neu. Obwohl manche Artikel dieses Gesetzes gegen internationale Konventionen verstossen, kann man dieses Gesetz für die Gefangenen noch gut anwenden. Internationale Konventionen und Erfahrungen und neuere Entwicklungen in der Literatur sollen dafür ein Massstab sein. Die Gesetzesanwendung ist mit dem Inhalt des Gesetzes gleichwertig und ein Rechtstaat soll beidem Rechnung tragen und dies in der Praxis realisieren.
Organizational elements of the psychiatric service in the penal system of the Russian Federation
Margarita Kachaeva, Fahrutdin Nasrullaev A substantial rate of psychiatric pathology among convicted persons in correctional institutions, frequency of custodial control violation and socially dangerous acts performed by them for morbid reasons give place for early detection of their mental disorders in order to deliver timely health care and to prevent from occurrence of psychiatric diseases and their negative socio-psychological consequences. Optimal organization of the psychiatric service in correctional institutions is a necessary condition for delivering efficient psychiatric care to convicted persons. Persons convicted for imprisonment are provided with psychiatric care on the grounds and in the procedure established by health legislation, i.e. Fundamentals of Legislation on Public Health Protection in the Russian Federation, the Russian Federation Law on Psychiatric Care and Civil Rights in its providing (1922), and other legislative and subordinate legislation. Organization of psychiatric care to convicted persons in correctional institutions has a two-stage structure. The first stage is represented by the outpatient service in the form of a psychiatric room in the medical unit of the correctional institution. The second stage is represented by psychiatric departments in hospitals of the criminal-executive system and by specialized psychiatric hospitals of the criminal-executive system. The following is entrusted with the task of the outpatient service: (1) prevention of mental disorders among convicted persons; (2) early detection of mental disorders among convicted persons; (3) care and treatment of persons with mental disorders of the border-line level and mild cases of mental retardation in order to provide advisory-and-medical and psychoprophylactic assistance in case of their voluntary reference or consent; (4) conducting of compulsory care and treatment of convicted persons with mental disorders, which do not exclude their imputability with regard to the alleged action; (5) compulsory treatment of convicted persons, being alcoholics, drug or toxicomania addicts, in the place of service of sentence based on decision of the medical examining board of a correctional institution; (6) providing of advisory-and-diagnostic and medical assistance in case of voluntary reference of convicted persons or with their consent; (7) referral of convicted persons, who need hospital treatment, to a mental hospital in the place of confinement in the procedure established by the Russian Federation Law
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Margarita Kachaeva, Fahrutdin Nasrullaev
on Psychiatric Support and Guarantees of Civil Rights in it’s Provision (1992); (8) dispensary check-up over convicted persons suffering from long mental disorders with frequently aggravating morbid manifestations (in particular, persons with recurrent reactive psychoses, with frequent psychogenic decompensations of personality disorders, consequences of brain organic lesion, mental retardation, and others), when such check-up is established by a board of dome doctors. In its turn, the following is entrusted with the task of psychiatric hospitals in the places of confinement: (1) treatment of convicted persons, who need psychiatric in-patient care; (2) psychiatric examination of convicted persons by order of the head of a correctional institution or the body discharging the punishment. With account of tasks of the psychiatric service of the criminal-executive system, it appears extremely important to set up correctly the psychiatric service on its different stages. Early detection of persons with psychic pathology is important for prevention of mental disorders among convicted persons and their decompensations, progressive course, prevention of aggressive tendencies and suicidal intentions and actions. For preliminary detection (selection) of convicted persons with mental disorders in correctional institutions it is expedient to use the following mechanisms: (1) through consulting examination with a preliminary study of medical documents (medical card in a personal file) of all convicted persons arrived in a correctional institution on condition of their voluntary consent; (2) compulsory consulting examination with study of medical documents of all convicted persons newly arrived in a correctional institution, to whom the court awarded out-patient compulsory check-up and treatment; (3) voluntary referral of a convicted person for consulting, consulting-and-diagnostic and medical assistance to the dome doctor of a medical unit; (4) verbal and written information of the administration members of a correctional institution on a strange behavior with non-motivated actions, violations of custodial control, on suicidal observations, intentions, actions, aggressiveness and other facts, which give rise to presuppose availability of a mental disorder with a convicted person. Suspicion of availability of a mental disorder with a convicted person, which can represent a direct danger for this person and the neighbourhood and prevent from implementing the conviction and internment purposes, is a base for psychiatric examination of the convicted person by a dome doctor of the medical unit of a correctional institution with thorough study of personal file materials and anamnesis. In some instances (initial states in neuroses, decompensation of personality disorders and consequences of brain organic lesion, etc.) out-patient psychiatric examination in the medical unit of a correctional institution allows solving diagnostic problems. Afterwards such convicted persons are provided, on condition of their voluntary consent, with consulting and medical assistance by a dome doctor. Regularity of examination with a purpose of controlling over the mental condition of a patient is determined by a dome doctor. With regard to polymorphism and low-differentiation of initial mental disorders in case of schizophrenia coming out in the places of confinement, reactive states, difficulty of their delimitation from initial manifestations of neurosis-like and psy-
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chopathic-like states of other genesis or situational-and-personal reactions of adaptation in correctional institutions, it is expedient to provide dispensary check-up of such patients. Frequency and regularity of check-ups are determined depending on clinical evidence. If the structure of initial mental disorders of schizophrenia or reactive psychosis reveals signs of unstable adaptation to micro social environment and conditions of institutionalization (casual avoidance of work, voluntary movement from the detachment location to other areas of the correctional institution, non-observance of the uniform, delay to forming-up, squabble with convicted persons or administration representatives) alongside with absence of psychopathology manifestations conditioning direct danger for themselves or neighbourhood, it is recommended to establish dispensary check-up of such patients with consequent routine referral to an out-patient psychiatric facility of the criminaland-correctional system to solve the problems of diagnostics, therapy, prognosis for a disease, policy of consequent out-patient check-up and treatment, and also to determine possible service of sentence in the places of confinement. In this particular case, the objectives of out-patient check-up are as follows: detection and delimitation of morbid disorders from situational conditioned asocial forms of behaviour; establishment of a syndromic structure and a degree of manifestation of mental disorders and distress of adaptation; selection of the kind of psychiatric support (out-patient or in-patient treatment) and the policy of its implementation (consulting and medical assistance, out-patient check-up, planned or urgent hospitalization in a mental hospital of the criminal and correctional system). In some instances the structure of initial mental disorders is represented by expressed insane violations with anxiety, suspiciousness, sensation of uprush of fear or imminent danger, unusual, strange bodily sensations, separate ideas of relationship, restraint, sudden and inadequate acts and statements, aggressive tendencies. These disorders are combined with signs of reduced adaptation (systematic ignoring of custodial control, avoidance of work, conflicting, selective opposition towards convicted persons or the administration representatives of the correctional institution, avoidance of correctional and educational effect, loss of interest in correspondence with relatives) or disturbed adaptation (diffuse opposition towards convicted persons or the administration representatives of the correctional institution, autoaggressiveness or heteroaggressiveness, suicidal attempts, conflicting, non-admission of measures of correctional-and-educational and correctional-andlabour effect, unmotivated and inadequate statements, actions, deeds) to the custodial control in a correctional institution. The statement of the above listed disorders is a base for immediate isolation of a patient, establishment of strict control, administration of neuroleptic therapy according to indications and urgent hospitalization in a mental hospital of the criminal and correctional system. The sphere of a mental hospital in the places of confinement includes solution of problems of diagnostics, therapy, prognosis for a disease, the policy of followup out-patient check-up and treatment in the medical unit of a correctional institution, and also medical examination in connection with solving the problem of possible further serving sentence in institutions of the criminal and correctional system.
Medical Care and Treatment in Chinese Prison System
Qiuhong Xiong, Zhenjie Zhou
Introduction .......................................................................................................364 International documents and Chinese Legislation .........................................365 International Documents................................................................................365 Chinese Legislation........................................................................................366 Basic Issues regarding Prison Medical Care and Treatment System ...........368 Structure of prison medical care and treatment system..................................368 Personnel in prison medical care and treatment system.................................370 Resource of fund............................................................................................371 Problems.............................................................................................................372 Imbalance among medical care organs at different levels .............................372 Shortage of medical professionals .................................................................373 Insufficiency of fund......................................................................................374 On-going reforms and suggestions...................................................................375 To make systems regarding prisoners’ medical service more specific ..........376 Specialized medical prison ............................................................................376 Reforms in prison medical service.................................................................377 Social resource...............................................................................................378
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Qiuhong Xiong, Zhenjie Zhou
Introduction Since the end of the Cultural Revolution in 1976 and the Opening-up and Reform policy in 1978, China saw a rapid economic growth and steady progress in the construction of the rule of law. Unfortunately, accompanied with the social transition from planned economy to market economy is a continuous increase in criminal defendants. According to annul reports of the Supreme People’s Court from 1999-2007, defendants convicted at first instance of a criminal trial from 19982002 increased by 18% compared to previous five years, and in recent years, the situation is the same: defendants convicted at first instance in 2003 increased by 1.51% compared to previous years, 2004 by 2.8%, 2005 by 10% and 2006 by 5.2%. 1 The increase of convicted defendants results in big prison population. According to reports of the National Bureau of Statistics, the figure of prisoners keeps higher than 1.5 millions since 2003 (table 1 below). Therefore, how to guarantee that all prisoners have proper access to medical care, which is always the focus of the prison management, gained more and more attention in China. This article begins with related provisions in international documents and Chinese legislations. Then, it introduces basic issues regarding prison medical care and treatment system in China, including the structure of the system, personnel and resource of fund. Furthermore, it reviews problems in the system. Finally, suggestions came up with academic researchers and on-going reforms are briefly discussed. Table 1. Basic Information on Prison population from 2003-2005 2
Year Figure
1
2
2003
2004
2005
In the beginning of the year
1546130 1562742 1558511
Female prisoners
71286
75870
77279
Juvenile prisoners
19990
21975
23957
Prisoners released
342401
332172
319346
At the end of the year
1562742 1558511 1565711
See annual reports of the Supreme People’s Court from 1999-2007, available at www.court.gov.cn (retrieved on 15th May 2007). See year book of Chinese Statistics 2005 and 2006, available at http://www.stats.gov. cn/tjsj/ndsj/ (retrieved on 15th May 2007).
Medical Care and Treatment in Chinese Prison System
365
International documents and Chinese Legislation International Documents According to the Ministry of Foreign Affairs, China has signed more than 20 human rights conventions, including the International Covenant on Civil and Political Rights (October 1998) and International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (October 1997) and it should be noted that the National People’s Congress of China ratified the latter in February 2001. Moreover, China shall comply with requirements of documents adopted by the General Assembly and Commissions and other organs of the UN, among which the following ones shall be taken into consideration when prison medical care is concerned. In the beginning, article 7 of ICCPR, 3 provides that no one shall be subjected to torture or to cruel, inhuman or degrading treatment or punishment. In particular, no one shall be subjected without his free consent to medical or scientific experimentation. This article is a general and preventive requirement. Then, according to the body of principles for the protection of all persons under any form of detention or imprisonment, a proper medical examination shall be offered to a detained or imprisoned person as promptly as possible after his admission to the place of detention or imprisonment, and thereafter medical care and treatment shall be provided whenever necessary. This care and treatment shall be provided free of charge. 4 Furthermore, basic principles for the treatment of prisoners requires all states to guarantee that all prisoners be treated with the respect due to their inherent dignity and value as human being and have access to the health services available in the country without discrimination on the grounds of their legal situation.5 The last one standard minimum rules for the treatment of prisoners, 6 is the most important one because it is the most specific one. According to article 22, at every institution there shall be available the services of at least one qualified medical officer who should have some knowledge of psychiatry. The medical services should be organized in close relationship to the general health administration of the community or nation. They shall include a psychiatric service for the diagnosis and, in proper cases, the treatment of states of mental abnormality. Sick prisoners who require specialist treatment shall be transferred to specialized institutions or 3
4
5
6
G.A. res. 2200A (XXI), 21 U.N. GAOR Supp. (No. 16) at 52, U.N. Doc. A/6316 (1966), 999 U.N.T.S. 171, entered into force March 23, 1976. Article 24 of Body of Principles for the Protection of All Persons under Any Form of Detention or Imprisonment, adopted by General Assembly resolution 43/173 of 9 December 1988. Article 1 and 9 of Basic Principles for the Treatment of Prisoners, adopted by General Assembly resolution 43/173 of 9 December 1988. Adopted by the First United Nations Congress on the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders, held at Geneva in 1955, and approved by the Economic and Social Council by its resolutions 663 C (XXIV) of 31 July 1957 and 2076 (LXII) of 13 May 1977.
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Qiuhong Xiong, Zhenjie Zhou
to civil hospitals. Where hospital facilities are provided in an institution, their equipment, furnishings and pharmaceutical supplies shall be proper for the medical care and treatment of sick prisoners, and there shall be a staff of suitable trained officers. What is more important, it has special stipulation on women and responsibility of medical officer. Article 23 requires that in women's institutions there shall be special accommodation for all necessary pre-natal and post-natal care and treatment. Arrangements shall be made wherever practicable for children to be born in a hospital outside the institution. If a child is born in prison, this fact shall not be mentioned in the birth certificate. Where nursing infants are allowed to remain in the institution with their mothers, provision shall be made for a nursery staffed by qualified persons, where the infants shall be placed when they are not in the care of their mothers. According to article 26, the medical officer shall regularly inspect and advise the director upon:
• • • • • •
The quantity, quality, preparation and service of food; the hygiene and cleanliness of the institution and the prisoners; the sanitation, heating, lighting and ventilation of the institution; the suitability and cleanliness of the prisoners' clothing and bedding; the observance of the rules concerning physical education and sports; in cases where there is no technical personnel in charge of these activities.
Chinese Legislation Chinese legislation concerning medical care and treatment of prisoners can be divided into three levels according to the Law on legislation enacted by the National People’s Congress in the year 2000 (Fig. 1 below). On the highest level are laws enacted by the National People’s Congress. The most important one is the Prison Law of China adopted at the 11th meeting of the Standing Committee of the Eighth National People's Congress on December 29th, 1994, article 54 of which stipulates that a prison shall set up medical organs and living and sanitary facilities, and institute regulations on the life and sanitation of prisoners. Meanwhile, it requires that medical and health care of prisoners shall be put into the public health and epidemic prevention programme of the area in which the prison is located. Another important law is the Criminal Procedural Law enacted in 1997 by the National People’s Congress, which details conditions on which an application for serving a sentence outside prison for medical reason can be granted. According to article 214, a criminal sentenced to fixed-term imprisonment or criminal detention, under either of the following conditions, may be permitted to temporarily serve his sentence outside prison:
Medical Care and Treatment in Chinese Prison System
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• If the criminal is seriously ill and needs to be released on parole for medical treatment; or • If the criminal is pregnant or is breast-feeding her own baby. However, if a criminal to be released on parole for medical treatment may endanger the community or if a criminal injures himself or makes himself disabled, he may not be released on parole for medical treatment, and if it is found that a criminal released on parole for medical treatment does not meet the conditions for release on parole for medical treatment or the criminal has gravely violated the regulations regarding such release, he shall be taken back to prison without delay. Following up the prison law, there are regulations, rules or standards issued by the State Council of China, technically speaking, the Ministry of Justice, or jointly enacted by supreme judicial organs, including the Supreme People’s Procuratorate and the Ministry of Public Security, such as Implementation Suggestions on Transparency of Prison Management, Standards for Modern and Civilized Prison, Standards for Construction of Prison and Rules on Works of Education and Rehabilitation inside a Prison and the Implementation Measures on Medical Parole.. e.g. according to Implementation Suggestions on Transparency of Prison Management. According to those, prisoners have the right to keep physical health and get proper medical treatment if they are sick, and according to Standards for Modern and Civilized Prison, a prison shall establish health record for every prisoner, guarantee all prisoners to have proper access to basic medical treatment and strengthen the prevention of infectious illness of A and B class such as phthisis aiming to keep the sick rate among prisoners and death rate of sick prisoners lower than those of average citizens living in the area the prison is located. On the lowest level are those requirements, regulations or implementation rules issued by local prison management bureaus. E.g. the prison management bureau of Henan province provided in the Ten Promises for Rehabilitating Prisoner that a prison should guarantee that a sick prisoner gets proper treatment in time, in Medical Management of Prisoner that a prison should institute a medical organ, which is in charge of the medical care of prisoners and can offer medical treatment for sick prisoners in time. In measures for dealing with arising from death of prisoners or criminal suspect in custody, a document is jointly issued by judicial administration department, police administration department of Henan Province, Henan Provincial People’s Procuratorate, it is also provided that a prisoner shall get medical treatment in time if he is sick or injured and a prison should guarantee prisoners’ physical health and keep the death rate as low as possible.
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Laws enacted by National People’s Congress Prison Law of China (December 29, 1994) Criminal Procedure Law (January 1, 1997)
Regulations, Rules or Standards issued by State Council of China and Ministry of Justice e.g. Implementation Suggestions on Transparency of Prison Management, Standards for Modern and Civilized Prison.
Regulations or Implementation Rules issued by local prison management bureaus. e.g. ten Promises for Rehabilitating Prisoner issued by prison management bureau of Henan province
Fig. 1. Related Legislation in China
Generally speaking, China has a complicated body of legislation on the medical care and treatment of prisoners, which is composed of laws, rules and regulations enacted or issued by authorities at different levels. However, it can’t be denied that the growing prison population, changing standards for protection of prisoners’ human rights has confronted China with new challenges, which require us to amend or abolish old documents and enact new ones.
Basic Issues regarding Prison Medical Care and Treatment System Structure of prison medical care and treatment system As early as in 1991, China declared in the White Book of Human Rights Situation that a medical care and treatment net in prison system had been successfully completed after continuous effort and mass input. The net is composed of medical organs at three levels, as Fig. 2 below shows, on the highest level are centre hospitals run and managed by the prison management bureau of provincial administrative region. There are at least 32 centre hospitals at provincial level in China now because there are 23 provinces, five autonomous regions and four municipalities,
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directly controlled by the central government of China and there may be more than one centre hospital in one provincial administrative region. Centre hospitals are a crucial part of the net which deals with emergency, suspicious and difficult disease and conducts surgery and also serves as a professional guiding centre for preventing diseases, promoting medical care and health construction and medical research in prison system and a training center for training doctors and nurses in the prison system. Therefore, the basic infrastructure and medical equipment in centre hospitals is comparatively better and doctors are more professional and qualified. E.g. the centre hospital of Beijing prison, also known as Beijing Boren hospital, covers 10.000 m2 and has more than 200 beds and quite advanced medical instruments. Moreover, among 240 doctors and nurses are working there, 1/3 holds a certificate of high or middle-class professional post. 7 At middle level there are prison hospitals. Each prison institutes a hospital of its own because around 70% of more than 700 prisons in China are located far away or at semi-isolated places, where transportation is usually not very satisfactory and a hospital is necessary for both the working staff in prison and the prisoners. 8 In accordance with the size of the prison population and medical situation of prisoners, conditions and size of prison hospitals vary a lot. E.g. the Yanqin prison hospital in Beijing is responsible for medical care and treatment and disease prevention of more than 1000 prisoners including about 900 who are either old or disabled and 300 working staff. It has three functional divisions, the rehabilitation division for prisoners with mental disorder, the one for elderly prisoners and the one for sick and disabled prisoners and each one is equipped with proper medical working staff and instruments, even psychological professionals. 9 On the contrary, in another smaller prison called Hulan in Heilongjiang province, there is a hospital of only 26 doctors and nurses, among them, in 2006, only four held a certificate of a middle-class professional post and three that of an elementary-class professional post. 10 At the grass-root level infirmaries are instituted as units inside a prison. A prison is usually divided into several units in order to promote management and maintain better surveillance. Usually, in each unit there is an infirmary in charge of daily medical issues such as dealing with regular disease, e.g. cold and cough, and providing prisoners with basic knowledge about health, sanitary and disease prevention.
7 8
9
10
See http://profile.8j.com/biz/100/85/092.htm (retrieved on 25th March 2007). See Sheng Longzhong and Chen Fengsan, the defining and shaping the image of prison in China,1 Journal of Crime and Correction (2004). Zhao Song and Zhang Ping, Record of protection of human rights in Yanqing prison of Beijing, 5 Chinese Human Rights (2006). See http://hb.harbin.gov.cn/organ/show.jsp?id=11672028453597 (retrieved on 15th May 2007).
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Center Hospital at Provincial Level (More than 32)
Prison Hospital at Prison Level (More than 700)
Infirmary at Unit Level (Several Thousands)
Fig. 2. Structure of medical care and treatment organs in prison system
Personnel in prison medical care and treatment system According to a report of the Press Office of State Council of China, in the 1990s, there were nearly 3000 medical facilities at all levels, 3.54 health workers per 1,000 and 14.8 sickbeds per 1,000 in the prison system. Recently, as more resources are allocated and preferential policies carried out, the situation has been greatly promoted. Generally speaking, although the figures mentioned above aren’t satisfactory, they are higher than those for average citizens. According to the Ministry of Health of China, there are only 3.46 health workers per 1,000 and 2.40 sickbeds per 1,000 for average citizens nationwide in 2004 (table 2 below).
Medical Care and Treatment in Chinese Prison System
371
Table 2. Sickbeds per 1000 for average citizen since 1990 Year
At national level
At municipal level
At country level
1990
2.32
4.18
1.55
1995
2.39
3.50
1.59
1998
2.40
3.52
1.53
1999
2.39
3.49
1.52
2000
2.38
3.49
1.50
2001
2.39
3.51
1.48
2002
2.32
3.40
1.41
2003
2.34
3.42
1.41
2004
2.40
3.51
1.42
Moreover, more and more attention is being paid to psychological consultation, which has been proven an efficient way to correct criminals. According to official statistics, more than 60% of prisons have been carrying out mental consultation plans. Some prisons in Beijing, Shanghai and Zhejiang also have instituted special organs such as a psychological catharsis chamber and an emotion leading chamber for prisoners who need mental therapy. E.g. the psychological hospital in a prison in Hangzhou, Zhejiang province, which opens to prisoners at each end of the month, has a psychological catharsis chamber of about four square meters. A white sandbag is hung down from the roof and the walls are covered with soft material. In the chamber, a prisoner can do anything he wants to abreact his anger or repressed emotions. After abreaction, the prisoner goes to the emotion leading chamber, where he will receive psychotherapy by through communicating with a psychological consultant. According to a well known Chinese criminologist, psychological catharsis has been taken for an effective measure for mental correction in addition to labour rehabilitation, cultural and idealistic education. 11 Resource of fund The government pays for prisoners’ living and medical service. As early as in 1991, the Press Office of State Council of China declared in “Situation of Human rights in China” that the government was responsible for prisoner’s living and medical care and treatment and the law required each prison to have full-time doctors and be equipped with proper medical instruments and sickbeds. 12 Then in the next years, China once again made clear, aiming rehabilitation of prisoners in China that prisoners in China enjoyed the rights to health, to get free medical ser11 12
See http://news.sohu.com/80/80/news205658080.shtml (retrieved on 15th June 2007). Press Office of State Council, Situation of Human Rights in China 1991.
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vice, regular medical examination and medical treatment in time if they are sick. Prisoners suffering from severe disease could serve their sentences outside prisons, female prisoners who are pregnant or raising infants were entitled to receive the treatment of serving sentences outside prisons. It should be noted that conditions on which a medical parole may be granted are detailed in laws enacted by the National People’s Congress and Documents issued by judicial organs at different levels. E.g. article 214 of the Criminal Procedure Law, in case prisoners use it to escape punishment or governments to evade the responsibility to offer prisoners free medical service. Furthermore, a prison should invite medical experts for consultation or transfer sick prisoners to civil hospitals if necessary at the expense of government. 13 In 1994, the National People’s Congress enacted the Prison Law. Article 54 of the law states clearly that the government should pay for prisoners’ medical service. Meanwhile, it requires that medical and health care of prisoners be put into the public health and epidemic prevention programme of the area in which the prison is located. According to statistics available, in recent years the average expenditure per head was around 100 Yuan. E.g. in a prison in Hubei province, the provincial prison management bureau appropriates 84 Yuan per head for medical care and treatment since 2000, 14 but it should be pointed out that situation varies from province to province in accordance with the GDP size and the prison population because the free medical service for prisoners is at the expense of local governments.
Problems Imbalance among medical care organs at different levels As mentioned above, the medical care and treatment system is divided into three levels: centre hospital capable of handling suspicious and difficult disease, prison hospital in charge of medical treatment and examination of both working staff and inmates in prison and infirmary dealing with regular disease and offering basic knowledge of health, sanitary and disease prevention. Although the latter two is as important or even more important than the centre hospital - because a prison hospital and an infirmary take greater responsibility in offering medical service and centre hospital is usually far away from prisons and prisoners have to be transferred to civil hospitals nearby in emergent situation that the prison hospital can’t handle - thus, the government pays more and more resource is appropriated to centre hospitals, so they have better instruments, more qualified medical staff. E.g. in Heilongjiang province, the centre hospital of the prison management bureau had 148 doctors and nurses and 150 sickbeds at the 13
14
Press Office of the State Council, White Book of Rehabilitation of Prisoners in China 1992. See Ma Wangtao, Studies on reform of fund for medical service of prison inmates in China, 4 Contemporary Manager (2005).
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end of 2007. 15 While the above-mentioned Hulan hospital prison in Heilongjiang province has a medical staff of only 26, among whom only four hold a certificate of middle-class professional post and three that of an elementary-class professional post, but it is responsible for medical service of hundreds of prisoners, people working there and their families. What we mean here isn’t that centre hospitals aren’t important, but more importance and resources should be given to medical facilities at lower levels now. Imbalance can be found not only among medical facilities at different levels but also among those at the same level in different regions. E.g. according to an official introduction, the centre hospital of Sichuan prison management bureau had more than 190 medical professionals by 2003, among whom 24 were doctors and nurses holding certificate of high-class professional post and 75 that of middleclass professional post. Due to heavy investments, the hospital has 250 sickbeds, seven sections and necessary advanced medical instruments. 16 In comparison, the centre hospital of one Autonomous Region, established in 2002, had only about 20 medical professionals and 60 sickbeds. Two factors contribute to the above mentioned gap. One is that the prison population in the Autonomous Region was much smaller than that in Sichuan: in 2002, there were three prisons and 2300 prison inmates, 17 the other is that the economic situation in the eastern area is quite better than the one in the west, therefore the former can invest more in training medical staff and purchase more advanced medical instruments and basic infrastructure. Shortage of medical professionals As mentioned above, the majority of prisons are located far away from the cities, even in remote or even semi-isolated places, so a few doctors and nurses want to work in prisons because of the poor living condition, low income and less opportunity to make full use of their capability. Consequently, prisons are in urge need of qualified medical professionals, especially female medical staff. It was reported that at the Taihang prison in Hebei Province, which is located three kilometers from a small country called Mancheng, there were more than 800 female prisoners but only one female doctor. 18 Therefore, many prisons have to let young, healthy inmates do supplementary work. E.g. in Yanqing Prison in Beijing, about 200 young prison volunteers do such work, like taking care of sick inmates and doing sanitation work. According to some of them, these works are also part of rehabilitation and taking care of elderly inmates who are unable to walk, eat or wash in15
16
17
18
See http://www.lababc.com/hospital/ArticleShow.asp?ArticleID=66918 (retrieved on 15th April 2007). See editor, the Center Hospital of Sichuan prison management bureau, 2 Medical Journal of West China (2006). See http://news.eastday.com/epublish/gb/paper148/20020527/class014800018/hwz678 254.htm (retrieved on 10th April 2007). See Jing Qiang and Zuo Baoming, Showing her love in daily works - a story of Wang Sumei, a prison doctor in Taihang prison, at http://news.xinhuanet.com/legal/200308/15/content_1028439.htm (retrieved on 15th April 2007).
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dependently can remind them of their parents and thus they can feel calm and think more of good. 19 As far as psychological staff is concerned, the situation is even worse. According to a research conducted by prison officials, in 2004, 50% of the prisons in China didn’t have a mental correction institution and only 27.6% had one or more certificated psychological consultant. By March 2006, only about 300 among those who were in charge of mental corrections had been awarded the certificate of psychological consultant in the whole prison system in China. E.g. the ratio of certificated psychological consultants compared to prisoners in a province is 1:5880, far lower than the minimum ratio 1:150 suggested by western researchers. 20 What is worse is that about 66. 7% organs having defendants or criminals in custody didn’t have a certificated psychological consultant at all. 21 Moreover, it shall be pointed out that a considerable part of the mental correction working staff once were policemen in charge of the management or surveillance. A study conducted in five provinces showed that 8 among 12 full-time mental correction workers were once policemen responsible for management or education work before, 22 another national research also showed that 71% of psychological consultants in prison system were trained policemen. 23 Therefore, the former policeman-criminal relationship unavoidably affects the mental correction and leads to distrust between the one offering psychological consultation and the one being corrected. On one side, although many criminals want to get psychological consultation, they can’t accept the new role of people offering it, because they were policemen maybe just a few days ago, and some criminals deliberately refuse to cooperate. On the other side, more than one psychological worker feels hard to adjust the new role and to comply with the basic principle of equality and being not critical. In this regard, we can’t expect much from the current psychological correction. Insufficiency of fund As mentioned above, the government should pay for prisoners’ medical service. However, the funds appropriated by the governments at different levels can’t meet the actual needs due to various limits, among which financial income and the population size of the prison are most important. E.g. in the prison of Hubei Province mentioned above, the annual fund of the prison management bureau for pris19
20
21
22
23
Zhao Song and Zhang Ping, Record of protection of human rights in Yanqing prison of Beijing, 5 Chinese Human Rights (2006), Chinese Human Rights No.5. 2006. Quoted from Kong Yange, Reflection on the Development and Perfection of Criminals' Psychological Correction, 2 Justice of China (2007). Kong Yange, Reflection on the Development and Perfection of Criminals' Psychological Correction, 2 Justice of China (2007). Di Xiaohua, Introduction to Criminals’ Psychological Correction, People’s Press (2004), p. 403. Kong Yange, Reflection on the Development and Perfection of Criminals' Psychological Correction, 2 Justice of China (2007).
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oners’ medical service is 65,000 Yuan since 2000, 84 Yuan per head. However, the actual total expenditure was more than 120,000 Yuan between 2002 and 2005, 120 Yuan per head. 24 The same situation can be found in a prison in Xinjiang Wei Autonomous Region, where it was reported that the prison paid 170,000 Yuan for inmates’ medical service in 2004, 30,000 Yuan of which was spent on a prisoner who caught severe hepatitis. 25 Therefore, there exists a big gap between the fund appropriated by the government and the actual outlay of the prisons on inmates’ medical service. How to make up for this gap? One important way is the profit made by prison enterprises. Although this practice is criticized time and again, it really helps to ease the financial burden of prisons and gets proper medical service for prisoners. E.g. in Jiangsu province, although fund is offered by the government, are on gradual increase, it still lags considerably behind the actual need. Therefore, the prison management depends on profit of prison enterprises. It is estimated that the profit of prison enterprises accounts for nearly 48% of the total expenditure of the whole prison system in Jiangsu in 1997. Fortunately, this figure has been decreasing and had dropped to less than 25% in 2002 as Table 3. below shows.26 Table 3. Composition of prison fund in Jiangsu Province: 1997-2002; Unit: 10,000 Year Item
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Total budget Official fund Profit of prison enterprises Percent of official fund (%)
40703 21576 19127 52.7
54902 33085 21817 60.8
60725 37560 23165 62.4
67014 43427 23587 64.1
77059 53170 23889 69.4
87692 67050 20642 76.4
On-going reforms and suggestions Aware of the problems in the prison management and medical care and treatment system and in order to promote the current situation according to international standards and offer better medical service, Chinese scholars and official organs have brought up with many brilliant and pertinent ideas and suggestions, some of which have been put into practice. Here we will outline the on-going reforms and suggestions which have been proved effective.
24
25
26
See Ma Wangtao, Studies on reform of fund for medical service of prison inmates in China, 4 Contemporary Manager (2005). See Zhang Le and Xing Jing, Xinjiang Wei Autonomous Region strives to protect human rights of prisoners in custody, http://news.xinhuanet.com/misc/2005-09/20/ content_3516113.htm (retrieved on 8th May 2007). Quoted from Wu Xu, Change of Social Structure and Privately-run Prison and Its Regulation, available at http://www.jsjy.gov.cn/art/2006/09/22/art_641_11852.html (retrieved on 10th May 2007).
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To make systems regarding prisoners’ medical service more specific Although China has enacted a lot of legislations regarding prisoners’ medical service, the absence of a clear-cut and specific implementation of rules has resulted in that some prisons are being unable to pay for the basic medical care and treatment for prisoners while in some prisons expenditure for that is on a surprising increase. Therefore, the Prison Management of Ministry of Justice of China decided to carry out a national research into issues concerning the guarantee of prisoners’ free medical service in September 2006, so as to promote the implementation of related systems, specify scope and standards of basic medical services, set up a mechanism to guarantee funding and finally protect the prisoners’ legal interests. Specialized medical prison A medical prison is designed for two purposes, one is to imprison and the other one is to cure prisoners suffering from mental and other severe illness, and this is the reason why it is called hospital specially constructed for sick prisoners. To offer sick prisoners proper medical treatment it is both a central idea of humanitarianism and of internationally accepted standards for the protection of human rights of prisoners in custody. Therefore, more and more countries are constructing medical prisons, which symbolize the above mentioned humanitarian idea, since 1950. E.g. France has specially designed prisons or units in a prison for prisoners suffering from age, chronic disease and disabled prisoners and Japan has a special imprisonment facility for mentally ill and disabled prisoners. 27 Although different in specific names and managing methods, medical prisons in all countries have a lot in common. Firstly, they are both prison and hospital in nature. Secondly, the core duty or aim of the medical hospitals is more to cure than to imprison. Finally, they all follow medically required procedures and methods in daily management in addition to requirements provided in legislations for average prisons. The growing prison population results in more sick inmates in the recent year. According to official statistics, there were around 70,000 prison inmates in custody by the end of 2006 in Shandong province, among which more than 4000 were affected by kinds of disease, including about 500 prisoners suffering from infectious ones, the same number being mentally disordered to a certain degree and nearly 3000 inmates having severe chronic illnesses. If these sick prisoners were kept in custody in different prisons, in the first place, due to poor conditions of prison hospitals, they might have to be transferred to civil medical facilities, which would add to prisons’ both financial and personnel burden. Moreover, it would become harder for prisons to prevent infectious illness from affecting other inmates and maintain orders due to these scattered mentally ill prisoners. Furthermore, the prison management might be unable to offer necessary medical treatment to mentally ill inmates or those suffering from infectious disease because of 27
See Dai Yanling, Blueprint of Reforming the Structure and Function System of Chinese Prisons, 12 Justice of China (2005).
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insufficient fund and shortage of qualified medical staff. Therefore, medical prison is the best choice either from the perspective of saving fund, maintaining prison order or offering better service. Therefore, since 2001, the Shandong prison management bureau began to reconstruct one of its centre hospitals according to standards of typical imprisonment organ in order to meet requirements for a medical hospital. In 2003, the centre hospital was renamed Xinkang Hospital according to the approval of Ministry of Justice of China and began to function as a special medical prison. After years of continuous investment and reconstruction, it is now a special medical and imprisoning facility covering 6810 square meters, having 306 sickbeds and a capacity of 336 prisoners. In order to promote management, the whole hospital is divided into five units with different functions: one for prisoners having common disease, one for those having severe disease, one for female sick prisoners, one for mentally disordered prisoners and one for those having contagious disease. 28 Reforms in prison medical service On the condition that funding by the government is insufficient, prisons have to find ways to lower their costs and promote management of appropriated funding, so as to guarantee that all prisoners can get proper medical service if they are sick. Among reforms being carried out in different prisons, we will introduce the following three, the Labor-Award System, Little and Whole plan and Disease Prevention Project, which we think are efficient ways for prisoners to maintain health and for prisons to fulfil their duties of both offering free medical service and reforming prisoners. According to Prison Law, work is one way to rehabilitate prisoners, article 3 of the law provides that a prison shall, with regard to the prisoners, implement the principle of combining punishment with reform and combining education with labor, in order to transform them into law-abiding citizens. Article 4 requires prisons to engage prisoners in productive labor in accordance with the needs of reforming prisoners and the following article further requires that prisoners must accept education and take part in labor. The Labor-Award System is just based on the above mentioned provisions. According to the system, if a prisoner makes outstanding achievements in work, he would get a financial award in addition to reward he ought to get. E.g. in a prison in Hubei province, in 2003 and 2004, the minimum annual award for each prisoner was 500 Yuan, the maximum might have reached 1500 Yuan. 29 This system has been proven effective in two ways, on one hand, it can promote prisoners’ enthusiasm for learning skills and improving working efficiency, on the other one, it enables prisoners to afford to get extra medical service. 28
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See Feng Zhengjun and Si Weihai, the Development Route for General Hospital of Prison in New Situation, at http://www.kaogo.com/learning/html/2007-4/200741413471 267695748.html (retrieved on 16th May 2007). See Ma Wangtao, Studies on reform of fund for medical service of prison inmates in China, 4 Contemporary Manager (2005).
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Qiuhong Xiong, Zhenjie Zhou
The Little and Whole plan is a pilot practice in many prisons. This plan can’t add to the total amount of medical funding but it can improve efficiency of fund management, by which cost may be lowered and money used in better ways. A typical way is that the prison takes a little amount of the money appropriated to each prisoner every month or reward for his labor and pools the collected money together as a fund for severe diseases and other emergent situations. 30 The last reform is comparatively a small one or even can’t be called a reform, but it is really meaningful. Recognizing that, to prevent costs less than to cure, governments at different levels and prisons are allocating more resources to medical facilities at basic level for strengthening construction, purchase new medical instruments, establish new laboratory and train the medical staff in order to prevent disease. 31 This is usually called Disease Prevention Project by many scholars and prison management organs. Social resource The above mentioned reforms may be called inner measures because they mainly concern the management inside the prison system. The last practice we’d like to introduce can be called a social one that is to open up prisons and get social support. E.g. prison management bureaus at all levels are trying to ask civil medical organs to conduct free medical examination for prisoners, contact charity group and accept donation, establish one-to-one relationship between prisoners and citizens who are willing to help, and the latter may offer medical suggestions or even medicine and allow pharmaceutical factories or companies to open drugstores in prisons, which deal medicine at lower prices. By inviting social forces to prisons, on one hand, prisoners can get more help, not only material one but also psychological one because communication is a good way to abreact repressed anxiety, loneliness, eliminate self-abasement and let them know that society doesn’t give up on them and they are still considered as fellows. On the other hand, they can keep in touch with society outside the prison and will receive new knowledge and new skills, which will help them to reintegrate into society. In conclusion, although the overall situation of prison medical service and treatment isn’t quite satisfactory, China is making effort to achieve improvements by allocating more resources, promoting management and getting more social support. Moreover, it should be noted that, that taking into consideration the population size of China and attitudes of the society to criminals, the medical care and health condition in the prison system is kind of better than that of an average citizen, The fact that more than one is willing to exchange his freedom for health is a good proof. It was reported by Chongqin Morning on 30 April 2007 that Mr. Luo 30
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See Ma Wangtao, Studies on reform of fund for medical service of prison inmates in China, 4 Contemporary Manager (2005). See http://www.zjsjy.gov.cn/news/show_article.asp?ID=00000649 (retrieved on 15th May 2007).
Medical Care and Treatment in Chinese Prison System
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Wanfu, a 40 years old average citizen suffering from severe chronic disease, had volunteered to go to prison, as he intentionally committed misdemeanors since 1992 According to him, he did that because he couldn’t afford the expensive medical service while it was available for free in prisons. 32 The case of Mr. Luo Wanfu shows that prisoners can get necessary medical care and treatment for free while average citizens in less-developed area in China can’t.
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See Going Prison for Free Medical Service, Chongqin Morning, 30th April 2007.
Georgien und Usbekistan – Intramurale Medizin in Transformationsländern
Katrin Nagler
Einführung.........................................................................................................382 Strafen und Strafvollzug in Usbekistan...........................................................383 Strafen und Strafvollzug in Georgien ..............................................................385 Medizinische Versorgung intra muros ............................................................386 Georgien – Gesetzliche Regelungen für den Strafvollzug .............................386 Usbekistan – Gesetzliche Regelungen für den Strafvollzug ..........................388 Äquivalenzprinzip..........................................................................................389 Medizinische Versorgung extra muros......................................................390 Entwicklung des Gesundheitssystems im unabhängigen Georgien...........392 Entwicklung des Gesundheitssystems im unabhängigen Usbekistan........394 Fazit...........................................................................................................397 Überbelegung und Ressourcenknappheit im georgischen Strafvollzug.........397 Herausforderung Infektionskrankheiten in Usbekistan..................................400 Schluss ................................................................................................................401 Anhang: Ausgewählte gesetzliche Regelungen................................................403 Usbekistan .....................................................................................................403 Georgien ........................................................................................................407
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Katrin Nagler
Einführung Es ist mir eine Freude und Ehre, Ihnen im Rahmen des Symposiums „Intramurale Medizin. Gesundheitsfürsorge zwischen Heilauftrag und Strafvollzug im Schweizerischen und internationalen Diskurs“ einen Einblick zu Usbekistan und Georgien als Beispiel für Transformationsländer zu geben. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Frau Prof. Tag dafür zu danken, dass sie dieses spannende Thema und mich zusammengebracht hat sowie für ihre Unterstützung und konstruktive Kritik. Georgien und Usbekistan - beide Staaten verbinden knapp siebzig Jahre gemeinsame Geschichte als Teil der Sowjetunion. Seit deren Auflösung und der Unabhängigkeit im Jahr 1991 befinden sie sich im Transformationsprozess, dem Übergang von einer zentral gelenkten Planwirtschaft zu einem marktwirtschaftlichen System, verbunden mit dem Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen. Georgien im Süd-Kaukasus ist ein Land mit uralten Wurzeln und einer belebten Geschichte. Es grenzt an Armenien, Aserbaidschan, die Türkei und das Schwarze Meer. Die Georgier bezeichnen ihre Heimat, die auf der Grenze zwischen Europa und Asien liegt, gelegentlich als „Balkon Europas“. Das Land ist mit 69.700 Quadratkilometern 1 etwas grösser und mit ca. 4,5 Millionen Einwohnern 2 dünner besiedelt als die Schweiz 3 . Die vorherrschende Religion ist Georgisch orthodox. Auch die Region Usbekistans (der Staat Usbekistan ist eine Schöpfung der Sowjetunion) kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Seit dem Altertum verlief die Seidenstraße – lange Zeit der wichtigste Verkehrs- und Handelsweg zwischen Asien und Europa – durch das heutige Staatsgebiet. Die Usbeken, ein Turkvolk, dessen Name auf den Khan Usbek zurückgeht, bilden etwa 75% der Bevölkerung. Im Zuge der arabischen Expansion setzte sich bereits ab dem 8. Jahrhundert der Islam, die meistverbreitete Religion in Usbekistan, durch. Mit 25,03 Mio. Einwohnern 4 ist Usbekistan heute das bevölkerungsreichste Land
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Information des Auswärtigen Amtes auf http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laen der/Georgien.html. Hinweis: Sämtliche zitierte Internetseiten wurden zuletzt am 14. Dezember 2007 aufgerufen. Information der Internet-Seite des georgischen Präsidenten http://www.georgiawelcomesusa.com/country.htm; Information des Auswärtigen Amtes: 4,321 Mio (Stand 2005), 71% Georgier, 9% Russen, 7,1% Armenier, 6% Aseris, weitere 7% andere Volksgruppen; Bevölkerungszahl 2005: 4,321 Mio.; Bevölkerungsrückgang seit dem Ende der UdSSR ca. 1 Mio., http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Geor gien.html. Schweiz: 7,5 Mio. Einwohner auf 41.300 Quadratkilometern, vgl. „Das Schweizer Portal“ unter http://www.ch.ch/schweiz/ 01063/01065/index.html?lang=de. Angabe der usbekischen Botschaft in Deutschland unter http://www.uzbekistan.de/de/ L_Daten_W.htm; Information des Auswärtigen Amtes: 26 Mio. bestehend aus etwa einhundert Völkerschaften, davon circa 75% Usbeken, 5% Russen, 5% Tadschiken, 4% Tataren, 3% Kasachen sowie Karakalpaken, Kirgisen, Turkmenen, Koreaner, Ukrainer,
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Zentralasiens. Der Binnenstaat nimmt eine Fläche von 447.000 Quadratkilometer ein 5 und wird begrenzt durch Kasachstan, Kirgisien, Tadjikistan, Turkmenistan und Afghanistan.
Strafen und Strafvollzug in Usbekistan Das usbekische Strafgesetzbuch 6 sieht neben der Busse, dem Entzug eines Rechts, der Besserungsarbeit (die nicht mit Freiheitsentzug, aber gegebenenfalls einer Ortsbestimmung durch den Richter verbunden ist) 7 , den Arrest, den Freiheitsentzug in Gefängnis oder Kolonie und die Todesstrafe vor, Art. 43 StGB. Arrest meint eine kurze Freiheitsstrafe und strikte Isolation für ein bis sechs Monate, Art. 48 StGB. Der Freiheitsentzug in Gefängnis oder Kolonie dauert zwischen sechs Monaten und zwanzig Jahren. Die Todesstrafe soll laut Erlass des Präsidenten in Usbekistan ab dem Jahr 2008 abgeschafft, ihre Anwendung bis dahin ausgesetzt und bereits gefällte Todesurteile nicht mehr vollstreckt, sondern in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt werden. 8 Die gesetzliche Zuständigkeit für den Vollzug der Freiheitsstrafen liegt auf staatlicher Ebene, beim usbekischen Innenministerium. 9 Gesetzlich vorgesehen sind ein Gefängnis- und vierzehn Kolonietypen.10 Die Einrichtungen unterscheiden sich im Wesentlichen hinsichtlich der Intensität der Sicherheitsvorkehrungen und der Bewegungsfreiheit sowie des Kontakts mit Personen ausserhalb des Strafvollzugs (Besuche, Telefonate, Briefwechsel) und der Berechtigung zu persönlichem Besitz innerhalb der Einrichtung.11 Anhand der Schwere der Tat und der Gefährlichkeit des Täters entscheidet das erkennende Gericht, in welcher Einrichtung der Vollzug der Freiheitsstrafe beginnt. Härteste
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Armenier, ca. 5.000 deutsche Volkszugehörige; Bevölkerungswachstumsrate 1,4%, vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Usbekistan.html. Information der usbekischen Botschaft in Deutschland auf http://www.uzbekistan.de /de/L_Daten_W.htm; vgl. Deutschland: 82,4 Mio. Einwohner auf 357.000 Quadratkilometern, Angabe des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung unter http://www.deutschland.de/home.php?lang=1. Strafgesetzbuch der Republik Usbekistan (StGB) vom 22. September 1994. Vgl. auch Art. 26 StVG. Erlasses des Präsidenten der Republik Usbekistan vom 1. August 2005 Nr. UP-3641 auf http://www.press-service.uz/ru/gsection.scm?groupId=4347&contentId=11811; entsprechende Änderungen des Strafgesetzbuches sieht das „Gesetz der Republik Usbekistan über die Vornahme von Änderungen und Ergänzungen in einigen Gesetzgebungsakten der Republik Usbekistan aufgrund der Abschaffung der Todesstrafe“ vom 09. Juli 2007 vor. Artikel 14 Abs. 2 des Strafvollzugsgesetzes der Republik Usbekistan (StVG), vom 25. April 1997. Einschliesslich der Einrichtungen für Minderjährige. Beispielsweise wird für die Kolonie mit strenger Ordnung der Empfang von Briefen auf vier Sendungen im Jahr beschränkt, Art. 119 StVG.
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Katrin Nagler
Form ist die Unterbringung im Gefängnis, wo die vom Gericht zu Gefängnishaft Verurteilten einsitzen aber auch Häftlinge, die in allgemeinen und strengen Kolonien die Anstaltsordnung verletzt haben, Art. 52 StVG. Hinsichtlich der Strafvollzugskolonien unterscheidet das Gesetz zwischen Ansiedlungskolonien, Kolonien mit allgemeiner, strenger und besonders strenger Ordnung (Regime) sowie Erziehungskolonien, Art. 45 StVG, und gliedert diese weiter auf. Zum Beispiel sieht das Gesetz drei Formen der Kolonie mit strenger Ordnung vor, Art. 48 StVG:
x Kolonien für Ersttäter einer besonders schweren Straftat, x Kolonien für Männer, die bereits eine Freiheitsstrafe für ein vorsätzliches Verbrechen verbüßt haben und nochmals für die Begehung des vorsätzlichen Verbrechens verurteilt wurden und x Kolonien für Frauen, die bereits eine Freiheitsstrafe für ein vorsätzliches Verbrechen verbüßt haben und nochmals für die Begehung des besonders schweren Verbrechens verurteilt sind, sowie für besonders gefährliche Rückfalltäterinnen. Die Bestimmungen zur Struktur offenbaren, wie auch einige andere Stellen des Strafvollzugsgesetzes, eine Privilegierung weiblicher Straftäterinnen. So ist die Freiheitsstrafe in Kolonien mit besonders strenger Ordnung nur gegen besonders gefährliche männliche Rückfalltäter sowie für zum Tode Verurteilte zu verhängen, deren Strafe durch Freiheitsstrafe ersetzt wurde. Auch die Todesstrafe war zuletzt nur für Männer vorgesehen. 12 Offiziellen Angaben zufolge gibt es in Usbekistan 53 StrafvollzugsEinrichtungen, darunter 11 vorprozessuale Haftcenter, 1 Gefängnis, 41 Kolonien (eine hiervon für frühere Mitarbeiter der Strafverfolgungsorgane), ein Gefängniskrankenhaus in der Hauptstadt Taschkent und 2 Tuberkulosekolonien. Die Anzahl der Inhaftierten wurde für August 2003 mit 48.000 Inhaftierten angegeben (einschliesslich Untersuchungshäftlinge). 13 Dies ergibt 184 Häftlinge auf 100.000 Einwohner. Für das Jahr 2000 waren mit 63.900 ca. 14.000 Inhaftierte mehr angegeben worden. Im Zusammenhang mit den sinkenden Gefangenenzahlen sind umfangreiche Amnestien anlässlich der Jahrestage der Verfassung durch den Päsidenten bzw. den Senat des Parlaments (Oliy Majlis) in den Jahren 2002 14 , 2005 15 und 2006 16 zu erwähnen. 12
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Art. 51 StGB, dementsprechend bestimmt nun das „Gesetz der Republik Usbekistan über die Vornahme von Änderungen und Ergänzungen in einigen Gesetzgebungsakten der Republik Usbekistan aufgrund der Abschaffung der Todesstrafe“ vom 09.07.2007 in Nummer 4, dass lebenslängliche Freiheitsstrafe nicht bezüglich Frauen verhängt werden darf, ausserdem nicht gegen Personen, die bei Verübung des Verbrechens das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und gegen männliche Täter über 60. Aktuellste Angabe, vgl. www.prisonstudies.org. Amnestie aus Anlass des 10. Jahrestages der Annahme der Verfassung der Republik Usbekistan, Erlass des Präsidenten vom 3. Dezember 2002: Straferlass unter Anderem für Frauen, Personen, die zur Zeit der Tat minderjährig waren, Invaliden der Gruppen I und II, Männer über 60 Jahre, erstmalig verurteilte Bürger ausländischer Staaten; Fahr-
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Strafen und Strafvollzug in Georgien Das georgische Strafgesetzbuch 17 nennt als Sanktionen die Geldstrafe, den Entzug des Rechts, eine bestimmte Stellung zu begleiten oder eine bestimmte Arbeit auszuführen, gemeinnützige Arbeit, Besserungsarbeit, Restriktion hinsichtlich Militärdienst, Freiheitseinschränkung, (kurze) Inhaftierung, Entzug der Freiheit für einen bestimmten Zeitraum, Entzug der Freiheit für einen unbestimmten Zeitraum (lebenslänglich), Art. 40 StGB. Am 27. Dezember 2006 unterzeichnete Präsident Micheil Saakaschwili eine Verfassungsänderung zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe. 18 Wie in Usbekistan liegt die die gesetzliche Zuständigkeit für den Vollzug der Freiheitsstrafen in staatlicher Hand - beim georgischen Justizministerium. 19 Auch das georgische Freiheitsentzugsgesetz (FEG) 20 sieht den Vollzug der Freiheitsstrafe in Einrichtungen vor, die sich hinsichtlich der Intensität der Sicherheitsvorkehrungen, der Bewegungsfreiheit (volle Bewegungsfreiheit bis eine Stunde täglicher Ausgang), der Unterbringung (von Schlafsaal bis Einzelzelle)
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lässigkeitstäter. Einzustellen sind danach auch alle von Gerichten nicht verhandelte Ermittlungssachen und Sachen zu Verbrechen, die von in Art. 1 des Erlasses aufgeführten Personen verübt wurden, sowie zu Verbrechen, die keine große öffentliche Gefahr darstellen. Straferlass erhalten Personen, die wegen Beteiligung an der Tätigkeit von extremistischen Organisationen, wegen der Verübung von Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Republik Usbekistan in deren Reihen oder wegen anderer Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit erstmals zu einer Haftstrafe bis einschließlich zehn Jahre oder zu Strafen ohne Freiheitsentzug verurteilt wurden. Der Erlass sieht ausserdem für bestimmte Fälle eine Herabsetzung der Haftzeit vor. Ausgenommen sind Wiederholungstäter und wegen schwerer Verbrechen Verurteilte. Er erstreckt sich auch auf Strafen ohne Freiheitsentzug. Amnestie aus Anlass des 13. Jahrestags der Annahme der Verfassung der Republik Usbekistan, Beschluss des Senats des Parlaments (Oliy Majlis) der Republik Usbekistan vom 2. Dezember 2005 in Übereinstimmung mit dem Vorschlag des Präsidenten der Republik Usbekistan. Der Beschluss einer Amnestie durch den Senat des Oliy Majlis anlässlich des 14. Jahrestages der Verfassung Usbekistans vom 7. Dezember 2006 betraf unter Anderem Frauen und Häftlinge, die das 60. Lebensjahr erreicht hatten sowie Häftlinge mit schwerer Krankheit oder Behinderung, vgl. Mitteilung vom 7. Dezember 2006 durch den Pressedienst des Präsidenten der Republik Usbekistan unter http://www.pressservice.uz/en/gsection.scm?groupId=5203&contentId=26020. Strafgesetzbuch Georgiens vom 22. Juli 1999. Zwar war die Todesstrafe bereits seit dem Jahr 1997 grundsätzlich nicht mehr vorgesehen. In Artikel 15 Absatz 2 der georgischen Verfassung hieß es jedoch weiterhin: „Bis zu ihrer vollständigen Abschaffung kann die Todesstrafe für besonders schwer wiegende Verbrechen gegen das Leben im Verfassungsrecht vorgesehen werden. Nur der Oberste Gerichtshof hat das Recht, diese Strafe zu verhängen“. Diese Regelung wurde im Zuge der Verfassungsänderung ersetzt durch die Formulierung „Die Todesstrafe ist abgeschafft“. Artikel 3 der georgischen Verfassung, verabschiedet am 24. August 1995. Gesetz über den Freiheitsentzug vom 22. Juli 1999.
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und der Anzahl und Dauer der erlaubten Besuche unterscheiden: Einrichtungen mit allgemeiner Ordnung, mit strenger Ordnung und Gefängnisse, Art. 6 Nr. 3 FEG, und nennt drei Gefängnistypen: Einkerkerung, Gefängnis mit regulärer (allgemeiner) Ordnung und Gefängnis mit strikter Ordnung, Art. 78 FEG. Strafgefangene unter 18 Jahren sind in einer Jugenderziehungsanstalt unterzubringen, Art. 6 Nr. 4 FEG. Wie das usbekische Strafvollzugsgesetz schreibt das georgische Freiheitsentzugsgesetz eine Trennung von männlichen und weiblichen Häftlingen, von Minderjährigen und Volljährigen, Ersttätern und Wiederholungstätern sowie zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe Verurteilten und anderen Häftlingen vor, Art. 22 Nr. 1 FEG. Auch enthält das Gesetz einige Privilegierungen weiblicher Häftlinge. Sie verbüssen ihre Strafe ohne Ansehen der Schwere der Tat in Strafvollzugseinrichtungen des regulären Regimes, Art. 78 FEG. Das FEG sieht persönlichen Lebensraum von mindestens 3 Quadratmetern in einer Einrichtung für Frauen, 2,5 Quadratmetern in einem Gefängnis, 3,5 Quadratmetern in einer Einrichtung für Minderjährige, 3 Quadratmetern in einer medizinischen Einrichtung und 2 Quadratmetern in einer sonstigen Strafvollzugseinrichtung vor, Art. 33 Ziffer 2 FEG. Die Verwendung von Schusswaffen und auch von Zwangsjacken als Zwangsmittel gegen Frauen (und auch Minderjährige) ist untersagt, Art. 95 Ziffer 2 FEG.
Medizinische Versorgung intra muros Georgien – Gesetzliche Regelungen für den Strafvollzug Das georgische Strafvollzugsdepartement ist dem Justizministerium untergeordnet, Art. 4 Ziff. 1 FEG. Die Zuständigkeit für die medizinische Versorgung im Strafvollzug wurde an das Gesundheitsministerium übergeben, Art. 37 FEG. Dies führte und führt zu Konfusion, da unter anderem nicht geklärt ist, ob und inwieweit die Übergabe auch das Budget des Gesundheitsministeriums belastet und wie die Aufgabenverteilung im Einzelnen aussieht. Das Freiheitsentzugsgesetz schreibt für Strafvollzugsanstalten mit mindestens einhundert Häftlingen eine Krankenstation mit 24-Stunden-Service vor, Art. 40 FEG, für Strafvollzugsanstalten mit weniger als einhundert Inhaftierten eine medizinische Einheit, die medizinische Versorgung auf der Basis eines Vertrages mit einer geeigneten medizinischen Einrichtung anbietet, Art. 40 Nr. 2 FEG. Falls ein Häftling nicht in der Krankenstation oder der auf vertraglicher Basis arbeitenden medizinischen Einrichtung geheilt werden kann, muss er in eine andere Krankenstation oder ein ziviles Krankenhaus verlegt werden, Art. 40 Nr. 3 FEG. Eine Strafvollzugsanstalt ohne Krankenstation und Vertrag mit einer medizinischen Einrichtung soll einen Arzt beauftragen, der die Insassen der Strafvollzugsanstalt auf vertraglicher Basis medizinisch versorgt, Art. 41 Nr. 1 FEG. Die Aufgaben des beauftragten Arztes sind im Gesetz gesondert geregelt. Er soll den Gesundheitszustand der Häftlinge regelmässig kontrollieren, medizinische Behandlung soweit möglich bieten und, sofern nötig, den Transfer in eine andere medizi-
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nische Institution ersuchen, Art. 41 Nr. 2 FEG. Der Arzt soll in festgelegten Zeitabständen medizinische Untersuchungen durchführen und gegebenenfalls den Direktor einer Strafvollzugsanstalt über Bedingungen informieren, die schädlich für die Gesundheit der Häftlinge sind. Das Freiheitsentzugsgesetz sieht für alle Häftlinge eine Eingangsuntersuchung vor, Art. 38 Nr. 1; 63 Nr. 2 S. 1 FEG, sowie mindestens eine Prüfung des Gesundheitszustandes jährlich. Kranke Häftlinge sollen umgehend behandelt werden, Art. 38 Nr. 2 FEG. Ausserdem regelt es Hafterleichterungen sowie die Möglichkeit der Entlassung bei Krankheit. Im Fall der Verschlechterung der Gesundheit ist aufgrund und nach medizinischer Untersuchung eine Überstellung von einer Einrichtung mir strenger Ordnung in eine Einrichtung mit regulärer Ordnung möglich, Art. 81 Nr. 3 FEG. Eine Entlassung aus der Haftanstalt ist vorgesehen, wenn der Häftling mit einer schweren oder unheilbaren Krankheit infiziert wird, Art. 65 Nr. 1b FEG. Das Gesetz sieht eine vom Gesundheitsminister bestätigte Liste der schweren oder unheilbaren Krankheiten, die einen Entlassungsgrund darstellen, vor, Art. 65 Nr. 2 FEG. Der Antrag auf vorzeitige Entlassung wird durch den Häftling oder den Direktor der Strafvollzugsanstalt bei Gericht eingereicht, Art 67 FEG. Dem Problem der Überalterung im Strafvollzug begegnet das Gesetz mit der Möglichkeit der Entlassung wegen hohen Alters. Für Frauen ab dem Alter von 65, für Männer ab 70 kann der Direktor der Einrichtung oder der Häftling selbst eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen, Art. 67 FEG. Bei der Entscheidung über die Entlassung wegen hohen Alters sollen die Schwere des Delikts, die Vorstrafen, das Verhalten während der Verbüssung der Strafe, die Einstellung zur Arbeit, familiäre Bedingungen und der Gesundheitszustand einbezogen werden. Neben dem Freiheitsentzugsgesetz enthalten die Gesetze zum Gesundheitswesen 21 spezielle Regelungen für Häftlinge, die gleichermassen für die Untersuchungshaft und den Strafvollzug gelten: Der Zugang des Häftlings zur Gesundheitsfürsorge wird durch staatliche Programme sichergestellt. Mit Beginn des Freiheitsentzuges hat er das Recht auf geeignete medizinische Untersuchung, unabhängige medizinische Expertise und nötigenfalls medizinische Behandlung, Art. 45 PatientenG. Im Rahmen der Kodifizierung des „informed consent“ hat der Gesetzgeber sogar die problematische Frage der Eingriffsmöglichkeit bzw. –pflicht bei Hungerstreik ausdrücklich geregelt: „Medizinische Behandlung wird einem Patienten in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug nicht geleistet, einschliessend den Fall des Hungerstreikes, sofern der Patient nicht seine aufgeklärte Einwilligung gibt. Die medizinische Versorgung ist gemäss den gesetzlichen Regeln zu erbringen.“ [§ 13 GesundheitsfürsorgeG]
Eine Ausnahme vom Erfordernis des informed consent statuiert § 44 GesundheitsfürsorgeG für Notfälle „und“ den Fall, dass das Leben des Häftlings in Gefahr ist
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Gesetz Georgiens vom 10. Dezember 1997 über die Gesundheitsfürsorge (GesundheitsfürsorgeG) und Gesetz über die Rechte des Patienten vom 5. Mai 2000 (PatientenG).
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und es aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht möglich ist, die Einwilligung zu erhalten. Usbekistan – Gesetzliche Regelungen für den Strafvollzug Die Zuständigkeit des usbekischen Innenministeriums für den Strafvollzug schliesst auch die medizinische Versorgung ein. In Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium regelt es die medizinische Behandlung, die Ausgabe von Arzneimitteln, die Organisation und Durchführung von Kontrollen und die Benutzung von therapeutischen Einrichtungen, Art. 87. Abs. 3 StVG. 22 Für den Vollzug medizinischer Zwangsmaßnahmen an psychisch Kranken, die gemeingefährliche Handlungen begangen haben, sind die medizinischen Institutionen der Gesundheitsbehörden zuständig, Art. 15 Abs. 2 StVG. Medizinische Zwangsmaßnahmen an alkohol-, drogen- und medikamentenabhängigen Verurteilten werden grundsätzlich durch die Institutionen der Gesundheitsbehörden vollzogen. Lautet das Urteil aber auf Freiheitsstrafe, so sind auch hierfür die medizinischen Institutionen der Organe der Inneren Angelegenheiten zuständig, Art. 15 StVG. Das Strafvollzugsgesetz bestimmt, dass der Verurteilte berechtigt ist, die Gesundheit zu kräftigen und ambulante und stationäre Behandlung entsprechend ärztlichem Gutachten zu erhalten, Art. 9 StVG. Konkretere Regelungen zum Umfang der medizinischen Versorgung enthält das Strafvollzugsgesetz nicht. Artikel 87 Absatz 4 StVG bestimmt lediglich, dass die medizinische Versorgung der zur Freiheitsstrafe Verurteilten auf Kosten des Staatshaushalts erfolgt und die medizinische Vorsorge sowie die Bekämpfung von Epidemien in den Haftanstalten vorschriftsmäßig organisiert und durchgeführt wird. Hierfür sieht das Gesetz medizinische Abteilungen mit Krankenstationen vor, Heilkolonien für die Behandlung und Unterbringung von Tuberkulosekranken und spezialisierte Krankenhäuser für die Erbringung qualifizierter medizinischer Hilfe, Artikel 87 StVG. Im Fall der Krankheit eines Häftlings ist seine Verlegung von der Kolonie oder dem Gefängnis in eine spezialisierte Heilanstalt auf Grund eines ärztlichen Gutachtens zulässig, Art. 57 Abs. 3 StVG. In Ausnahmefällen kann ein Häftling in die Heilanstalten der Gesundheitsbehörden eingewiesen werden, Art. 41 StVG. Sofern die Behandlung vor Ort nicht möglich ist, steht das zentrale Gefängniskrankenhaus in Taschkent zur Verfügung. Aufgrund der Grösse des Landes kann der Transport zum Krankenhaus ein (Zeit-)Problem darstellen. Festlegungen hinsichtlich einer Eingangsuntersuchung oder regelmässiger Gesundheitskontrollen enthält das Strafvollzugsgesetz nicht. Die Regelungen zur Behandlung von geistig Kranken sowie drogenabhängigen Straftätern beschränken sich auf Aussagen zur Zuständigkeit, Art. 181 ff. StVG.
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Vgl. auch, Ahmedov, Azimov, Alimova, Rechel, Uzbekistan: Health system review. Health Systems in Transition, 2007; 9(3) (Publikation der Weltgesundheitsorganisation unter Beteiligung des Gesundheitsministeriums Usbekistans), S. 47.
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Der im Strafvollzug tätige Mediziner ist in die Anstaltshierarchie eingegliedert, was bereits durch seine Uniformierung deutlich wird. Seine Aufgaben werden im Gesetz punktuell angesprochen. So verlangt das Strafvollzugsgesetz die Anwesenheit eines „medizinischen Mitarbeiters“ bei Anwendung der Zwangsjacke, Art. 70 StVG. 23 Äquivalenzprinzip Soweit die für den Strafvollzug einschlägigen Gesetze keine detaillierten Regelungen hinsichtlich Umfang und näherer Ausgestaltung der medizinischen Versorgung enthalten, findet sich der Massstab hierfür in den Regelungen zur Gesundheitsfürsorge extra muros. Für Usbekistan ergibt sich der Grundsatz der Äquivalenz aus der Verfassung 24 , dem Strafvollzugsgesetz und dem Gesetz über die Gesundheitsfürsorge 25 . Die Usbekische Verfassung enthält den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 18 S. 1. Art. 40 der Verfassung statuiert für jeden ein Recht auf qualifizierte ärztliche Betreuung, Art. 26 Abs. 2 das Verbot von Folter, Nötigung oder einer anderen brutalen und die Menschenwürde missachtenden, erniedrigenden Behandlung. Gemäss Strafvollzugsgesetz haben die Verurteilten die für die Bürger der Republik Usbekistan vorgesehenen Rechte, Freiheiten und Verpflichtungen. Ausnahmen und Beschränkungen unterliegen dem Gesetzesvorbehalt, Art. 8 StVG. Art. 13 Gesundheitsfürsorge-Gesetz statuiert für alle Bürger das unabdingbare Recht auf Gesundheitsfürsorge. 26 Die Georgische Verfassung 27 enthält den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz in Art. 14. Konkretisierend statuiert das FEG das Äquivalenzprinzip hinsichtlich der Ausstattung der medizinischen Einheiten und der Qualifikation des medizinischen Personals der Strafvollzugsanstalten. Gemäss Art. 37 S. 2 FEG dürfen diese nicht schlechter sein als das allgemeine Niveau des gesamten Gesundheitssystems. Art. 46 des Gesetzes über die Rechte des Patienten bestimmt ausdrücklich, dass auch
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Diese ist bei Gewalttätigkeit eines Häftlings vorgesehen und darf nicht länger als zwei Stunden und nicht gegenüber Minderjährigen und Frauen erfolgen. Verfassung der Republik Usbekistan, verabschiedet am 8. Dezember 1992 auf der 11. Tagung der 12. Einberufung des Obersten Rates der Republik Usbekistan. Gesetz der Republik Usbekistan vom 29. August 1996 über die Gesundheitsfürsorge für die Bürger. Art. 13 Gesundheitsfürsorge-Gesetz. Recht der Bürger auf Gesundheitsfürsorge: Die Bürger der Republik Usbekistan haben das unabdingbare Recht auf Gesundheitsfürsorge. Der Staat garantiert den Bürgern den Schutz der Gesundheit ohne Ansehen ihres Alters, ihres Geschlechts, Rasse, Nationalität, Sprache, Religionszugehörigkeit, sozialer Herkunft, Überzeugung, persönliche und gesellschaftliche Stellung. Der Staat garantiert den Bürgern den Schutz vor Diskriminierung, unabhängig vom Vorliegen einer Form von Erkrankung bei ihnen. Eine Person, die der Verletzung dieser Bestimmung schuldig ist, muss sich gemäss der gesetzlichen Ordnung verantworten. Verfassung Georgiens vom 24. August 1995.
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Personen in Haft sämtliche Rechte geniessen, die dieses Gesetz statuiert. Eine Einschränkung enthält Art. 47: Die Leitung der Einrichtung darf das Recht des Häftlings auf freie Arztwahl beschränken. Solch eine Entscheidung kann vor Gericht angefochten werden. Eine allgemeine Regelung zur Gleichwertigkeit der medizinischen Versorgung, die nach dem Wortlaut auch den Umfang der medizinischen Versorgung einbezieht, findet sich im Gesetz über die Gesundheitsfürsorge, das den Schutz vor Diskriminierung bei der Gesundheitsfürsorge festgenommener oder inhaftierter Personen als einen Grundsatz der staatlichen Politik im Bereich der Gesundheitsfürsorge formuliert 28 . Der Massstab für die Gesundheitsfürsorge intra muros ist demzufolge die medizinische Versorgung extra muros. Die Ausführungen zu Charakter und Standart der „allgemeinen“ Gesundheitsfürsorge sollen jedoch nur eine Orientierung geben, eine Einordnung ermöglichen. Auf die Frage, was das Gebot der Gleichwertigkeit bzw. das Verbot der Diskriminierung im Einzelnen bedeutet und, ob und inwieweit die Gegebenheiten des Strafvollzuges sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung darstellen, soll hier nicht näher eingegangen werden. Auch ist fraglich, ob angesichts der unterschiedlichen Strukturen der Gesundheitssysteme hinsichtlich des Äquivalenzprinzips allgemeingültige, grenzüberschreitende Aussagen möglich sind. Interessant wäre hier die Frage, wie sich die Betrachtung bei der Organisation des Gesundheitssystems entsprechend einem Markt-Modell 29 , das grundsätzlich privat getragen ist, darstellt. Dies kann weiter zu der Frage führen, inwieweit Ansprüche intra muros im Lichte der an Bedeutung gewinnenden Ressourcenknappheit unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten vertretbar sind. Ebenfalls einer anderen Abhandlung soll die Frage vorbehalten bleiben, ob das in den behandelten Ländern statuierte Diskriminierungsverbot einen Anspruch des Einzelnen begründet oder lediglich eine Zielbestimmung ist. Dies kann nicht als selbstverständlich angenommen werden; wenn beispielsweise die usbekische Verfassung neben Grundrechten und –freiheiten auch einen Katalog von Grundpflichten der Bürger enthält (Art. 47 bis 52) und gemäss Gesetz über die Gesundheitsfürsorge bei einer Verletzung des Rechts auf Gesundheitsfürsorge der hierfür „Schuldige“ zur Verantwortung gezogen wird (Art. 13), so sind Funktion und Adressat(en) der Normen bzw. Regelungswerke im Einzelnen zu prüfen. Medizinische Versorgung extra muros Der Transformationsprozess fordert den Umbau eines Systems während es „läuft“. Einen „Bauplan“ gibt es nicht, die Orientierung an anderen Ländern erfolgt mit Zurückhaltung. Die 1991 gewonnene Souveränität ist für beide Staaten – wenn auch von ganz unterschiedlicher Bedeutung - Neuland, in dem ein eigener Weg
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§ 4 Nummer 5 in Kapitel I (Allgemeine Bestimmungen) sowie § 6 in Kapitel II (Rechte der Bürger in der Gesundheitsfürsorge). Markt-Modell: überwiegend private Finanzierung und private Bereitstellung von Gesundheitsleistungen und relativ wenige staatliche Eingriffe oder Kontrollen.
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mit eigenen Werten, einer eigenen Identität angestrebt wird. Während für Georgien der Kampf um die nationale Eigenstaatlichkeit als Tradition bezeichnet werden kann, als Überlebenskampf, der sich tief ins nationale Bewusstsein eingegraben hat bzw. einen bedeutenden Teil dieses Bewusstseins ausmacht, ist Usbekistan eine Schöpfung der Sowjetunion. Der Staat Usbekistan entstand mit deren Auflösung. Die innere Stabilisierung und die aussenpolitische Positionierung sind zugleich Bestandteile und Leitlinien der zahllosen Aufgaben, die seit der Unabhängigkeit zu bewältigen sind und zu denen auch die (Um-) Strukturierung des Gesundheitssystems zählt. Dieses war in der Sowjetunion, entsprechend dem nach dem ersten Gesundheitsminister benannten „Semashko-Modell“, vollständig staatlich gelenkt, finanziert und organisiert. Gesetzliche Grundlage hierfür bildeten die 1964 in Kraft getretenen „Grundsätze zur Gesundheit in der UdSSR und den Sowjetrepubliken“, die als Rahmengesetz für alle Sowjetrepubliken galten. Die Entscheidungen wurden im Wesentlichen in Moskau getroffen. Nur wenige Zuständigkeiten verblieben den Gesundheitsbehören der einzelnen Republiken. Sie bestanden hauptsächlich in der Durchsetzung und im Berichtswesen zur Erfüllung bzw. Nichterfüllung der Pläne aus der Hauptstadt. Die medizinische Versorgung sollte frei sein hinsichtlich Therapie und Medikamenten. 30 Das Gehalt des medizinischen Personals wurde vom Staat gezahlt. Auch wenn sich in Usbekistan die Aussage findet, die Planung des weit entfernten Moskau sei teilweise an den Bedürfnissen vorbeigegangen, kann grundsätzlich festgestellt werden, dass die Gesundheitsversorgung der Sowjetunion nicht auf höchstem Niveau aber dafür flächendeckend funktionierte. 31 Bemerkenswert ist dies angesichts der Grösse des Landes insbesondere im Bereich der Immunisierungsprogramme. Nach der Unabhängigkeit wurde sowohl in Georgien als auch in Usbekistan der Grundsatz der kostenlosen Gesundheitsfürsorge aufgegeben. Jedoch spielt die soziale Komponente weiterhin eine grosse Rolle. Der Gesetzgeber legt Wert auf die Gleichbehandlung aller Bevölkerungsschichten hinsichtlich des Zuganges zu medizinischer Hilfe. Sowohl die Grundversorgung als auch die Behandlung bestimmter bedürftiger Bevölkerungsgruppen soll staatlich finanziert bleiben und so die Entwicklung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft hinsichtlich der medizinischen Versorgung verhindert werden. Qualitativ hochwertige Therapien sowie Medikamente sind in beiden Ländern grundsätzlich erhältlich, auch aufgrund der heute bestehenden Möglichkeit der einträglichen Leistungserbringung auf private Kosten. Äusserst schwierig gestaltet sich die - unter dem Schlagwort „Ressourcenknappheit“ auch in der Schweiz und Deutschland immer stärker diskutierte Frage, was der Staat zu leisten fähig ist und wie dies verteilt wird. Wie weit geht die Grund30
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Vgl. jedoch Ahmedov, Azimov, Alimova, Rechel, Uzbekistan: Health system review. Health Systems in Transition, 2007; 9(3), S. 55: Informelle Zahlungen waren vermutlich bereits eine Erscheinung der Gesundheitsfürsorge in der Sowjetunion. Vgl. Beske, Fritz, Deutsche Beratertätigkeit in Mittel- und Osteuropa: Hilfe zur Selbsthilfe für ein neues Gesundheitssystem, Deutsches Ärzteblatt 93, Ausgabe 10 vom 08.03.1996, Seite A-594/ B-518/ C-474.
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versorgung und welche über diese Grundversorgung hinaus gehenden Leistungen werden unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit staatlich finanziert? Wer zählt zu den bedürftigen Bevölkerungsgruppen? Wie weit geht die Selbstverantwortung und wie weit ist der Kreis der an der Verpflichtung Beteiligten (Familie)? Beispielsweise sah ein Plan der staatlichen Grundversorgung Georgiens ursprünglich neun Programme vor (Immunisierung, Gesundheitsfürsorge für Schwangere, Kinder, medizinische Betreuung im Krankenhaus etc.). Im Jahr 2003 hatte er sich vergrössert auf 41 Programme, jedenfalls auf dem Papier. Der Plan habe so gut wie alles für jeden abgedeckt, jedoch in der Realität nichts für irgend jemanden, so die Einschätzung eines USAID-Mitarbeiters. 32 Entwicklung des Gesundheitssystems im unabhängigen Georgien Nach der Unabhängigkeit kollabierte das Gesundheitssystem Georgiens bedingt durch Krieg und wirtschaftlichen Kollaps. Öffentliche Gelder wurden drastisch reduziert in dem von staatlichen Mitteln abhängigen System. 33 So sanken die ProKopf-Ausgaben für die medizinische Versorgung von dreizehn US$ im Jahr 1990 auf weniger als einen US$ im Jahr 1994. 34 Die Immunisierungs-Programme brachen zusammen. In der Folge verbreiteten sich Infektionskrankheiten (bspw. Tuberkulose). 35 Flüchtlinge wurden in medizinischen Einrichtungen untergebracht, belegten zeitweise 80 bis 90 % der Kapazitäten; Energieengpässe machten sich auch in den medizinischen Einrichtungen bemerkbar. Insbesondere in den Wintern 1994 und 1996 aber auch in der Folgezeit waren die Krankenhäuser von Stromausfällen betroffen. Mediziner berichten, dass Patienten nur überleben konnten weil sie über Stunden manuell beatmet wurden. Im Jahr 1993 begann die Reform des Gesundheitssektors mit Hilfe internationaler Organisationen (WHO, UNICEF, World Bank, American International Health Alliance). Laut georgischer Verfassung hat heute jeder das Recht, von der Krankenversicherung als einer zugänglichen medizinischen Versorgung Gebrauch zu machen. Die staatliche Krankenversicherung deckt jedoch nur einen geringen Teil der Bevölkerung ab. Es besteht die Möglichkeit, der privaten (Zusatz-) Versicherung, die allerdings nur für kleine Teile der Bevölkerung erschwinglich ist. Einige grössere
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Dr. Gegi Mataradze, Projektmanagement-Spezialist für Programme von USAID: „In the past, the Basic Benefits Plan covered practically everything for practically everybody, but in reality it didn`t cover anything for anybody,“ vgl. Molodini, A long list of needs, and not much cash, Caucasus Investigative Reporting Center, http://www.circ. ge/news.php?lan=en&newsid=EEFEZpVlFlnzGprXYu&pageid=newsletter. Vgl. Gamkrelidze, Atun, Gotsadze, MacLehose, Georgia: Health system review. Health Systems in Transition, 2002; 4 (2), S. 3. Vgl. Gamkrelidze, Atun, Gotsadze, MacLehose, Georgia: Health system review. Health Systems in Transition, 2002; 4 (2), S. 4. Vgl. Gamkrelidze, Atun, Gotsadze, MacLehose, Georgia: Health system review. Health Systems in Transition, 2002; 4 (2), S. 9.
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Institutionen bieten ihren Mitarbeitern interne Versicherungssysteme an, z.B. Ministerien, Staatliche Hochschule. In den durch Gesetz festgelegten Fällen wird medizinische Hilfe kostenlos gewährleistet, Artikel 37 Ziff. 1 der Verfassung. Das Gesetz zur Gesundheitsfürsorge verbietet die Diskriminierung eines Patienten aufgrund der ökonomischen Situation 36 und verpflichtet die Mediziner aber auch jeden Bürger im Notfall kostenlos Hilfe zu leisten. Ausserdem statuiert es ein Recht des Bürgers auf medizinische Versorgung entsprechend den staatlichen Gesundheitsprogrammen. Diese sehen einige freie Leistungen vor, zum Beispiel eine allgemeine Grundversorgung im Krankenhaus und Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft sowie die medizinische Versorgung bei der Geburt. Diese Leistungen werden auch tatsächlich kostenlos erbracht, jedoch ist ein grosser Teil der Kosten für medizinische Versorgung, insbesondere Medikamente, privat zu zahlen. Private Zuschüsse bzw. Trinkgelder bei staatlich finanzierten Leistungen sind üblich und garantieren eine angemessene und sorgfältige Behandlung (z.B. im Krankenhaus an die Krankenschwester oder die Reinigungskraft). Das Personal, auch Ärzte, wiederum ist auf private Zahlungen angewiesen, da der finanzielle Ausgleich für die auf Staatskosten erbrachten Leistungen sehr knapp bemessen ist. Beispielsweise bekommen zwar die allgemeinen Krankenhäuser den grössten Teil der öffentlichen Gelder, doch dies sind weniger als 13 Prozent der Ausgaben aus Sicht der Hospitäler. Dabei sind Ausgaben, wie z.B. Medikamente, angeschafft vom Krankenhaus oder gekauft vom Patienten, nicht eingerechnet. 37 Tatsächlich werden in Georgien Sozialabgaben erhoben. Allerdings führt nur ein Teil der arbeitenden Bevölkerung die Abgaben tatsächlich ab und hiervon kam in der Vergangenheit aufgrund von Korruption nur ein Teil im Staatshaushalt an und fehlte bei Entlohnung und Versorgung. 38 Der georgische Präsident sagte dazu: „Nobody could work honestly - no one! Whatever they did the government could always catch them at it. The tax law was penned in such a way that nobody could really abide by it. Even those who just wanted to declare their legal income would immediately wind up being investigated. Not because they wanted the money for the state but because they wanted to put it in their own pockets. So everyone hid their incomes.“ 39
Das Gesetz zur Gesundheitsversorgung kennt die Begriffe Patientenautonomie, informed consent, persumed consent und stellt für die Tätigkeit des medizinischen
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Art. 37 Ziffer 1Kapitel II, § 6 Gesetz über die Gesundheitsfürsorge. Öffentliche Gelder finanzieren fast 20% der Kosten von Wöchnerinnenheimen, etwa 80% in Kinder-Krankenhäusern und fast 100% in psychischen Krankenhäusern. Dies bezieht sich jedoch nicht auf alle anfallenden Kosten, vgl. Gamkrelidze, Atun, Gotsadze, MacLehose, Georgia: Health system review. Health Systems in Transition, 2002; 4 (2), S. 13. Angabe für Mitte bis Ende der 1990er Jahre: Etwa ein Drittel der Georgier arbeitete in rechtmässigen Jobs, etwa zwei Dittel wurde „unter dem Tisch” bezahlt, vgl. Molodini, A long list of needs, and not much cash, a.a.O. The Old System Turned Everyone into a Criminal, Spiegel-online Interview aus November 2004 unter http://www.spiegel.de/international/0,1518,329854,00.html.
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Personals die Interessen des Patienten an erste Stelle. Das Bewusstsein hinischtlich der existierenden Rechte ist bei den Patienten jedoch noch nicht verbreitet. Der georgische Gesundheitsminister sagte hierzu: „Patients’ rights are very important and we should do our best to uphold them ... . They are supposed to be posted, but doctors don’t want to post them. The level of information patients have varies greatly, but on average about one person in six knows (his or her) rights.“ 40
Nicht übersehen werden dürfen die zahlreichen Fälle, in denen die an den gesetzlichen Regelungen vorbeigehende Praxis einverständlich geübt wird. Die parallele Existenz von Gesetz und altbewährtem “common sense” ist ein verbreitetes Phänomen in Transformationsländern. Es stellt sich die Frage, ob die übliche Handhabung – wenn sie tatsächlich auf einer allgemein herrschenden Einstellung beruht – nach und nach per Gesetz durchbrochen werden kann oder inwieweit die Praxis durch das Gesetz aufgenommen werden darf und soll. Diese Frage könnte sich zum Beispiel beim Datenschutz im Gesundheitswesen stellen, hinsichtlich dessen die Haltung der Bevölkerung in Georgien als “offener” einzuschätzen ist, als dies beispielsweise in der Schweiz der Fall ist.. Entwicklung des Gesundheitssystems im unabhängigen Usbekistan Auch die usbekische Verfassung garantiert allen Bevölkerungsschichten den Zugang zu allen Stufen der Fürsorge,41 jedoch im Gegensatz zum sowjetischen Gesundheitssystem nicht generell kostenlos. Die grundlegenden Prinzipien im Bereich der Gesundheitsfürsorge sind gemäss Art. 3 des Gesundheitsfürsorge-Gesetzes: Erfüllung des Rechts des Bürgers im Bereich der Gesundheitsfürsorge, medizinische Hilfe für alle Teile der Bevölkerung, Priorität der Vorsorge, Einheitlichkeit der medizinischen Wissenschaft/ Lehre und Praxis. Gemäss Art. 7 des Gesundheitsfürsorge-Gesetzes besteht in der Republik Usbekistan ein einheitliches Gesundheitssystem, das aus der Gesamtheit des staalichen, des privaten und anderer Gesundheitssysteme besteht. Nach der Unabhängigkeit wurden einige Reformen für die Einwicklung eines privaten Sektors und die Etablierung der nichtstaatlichen Finanzierung von Leistungen unternommen. 42 Die usbekische Regierung beschloss, die staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung auf ein Basispaket zu reduzieren. Es soll die Grundversorgung, eine Notfallversorgung und Massnahmen mit besonderem Effekt für die öffentliche Gesundheit und/oder sozialen Effekten (Infektionskrankheiten, be-
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Lado Chipashvili, Gesundheitsminister Georgiens in: Okhanashvili, Hospitals rarely tell you your rights, but CIRC can help, Bericht des Caucasus Investigative Reporting Center auf http://www.circ.ge/news.php?lan=en&newsid=EEFEZpEVVAclPYgTyh&pag eid=newsletter. Artikel 40: Jeder hat ein Recht auf qualifizierte ärztliche Betreuung. Vgl. Ahmedov, Azimov, Alimova, Rechel, Uzbekistan: Health system review. Health Systems in Transition, 2007; 9(3), S. 153.
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stimmte psychische Störungen, Krebs, endokrine Krankheiten, Gesundheitsfürsorge bei Schwangerschaft und Geburt) 43 sowie eine spezielle Fürsorge für gefährdete Bevölkerungsgruppen 44 enthalten. So ergibt sich ein recht umfangreiches Basispacket staatlich finanzierter Leistungen. 45 Die angestrebte Etablierung der freiwilligen zusätzlichen Krankenversicherung spielt bislang nur eine sehr kleine Rolle 46 Staatliche Gesundheitseinrichtungen sind weiterhin am stärksten vertreten. Ihnen hat der Gesetzgeber gestattet, vom Patienten (Zu-) Zahlungen für Leistungen ausserhalb des staatlich garantierten Paketes zu erheben. Daneben entwickelten sich private Einrichtungen. Diese sind laut Gesetz in bestimmten Fällen ebenfalls zur kostenlosen Erbringung von Leistungen (bzw. zur Erbringung auf Staatskosten) verpflichtet. 47 Aussagen über den Anteil der staatlich getragenen Kosten sind nicht möglich, da auch in Usbekistan zahlreiche Leistungen privat gezahlt und nicht erfasst werden. Laut Angaben des Finanzministeriums, betrugen die Gesundheitsausgaben im Jahr 2006 7,9 % des nationalen Budgets, 495 Billion Som (Umtauschkurs: 1240 Som = 1 US$). Dies ist eine Steigerung verglichen mit 7.8 % in 2005 (378 Billion Som) und 7.7 % in 2004 (282 Billion Som), 7.2 % in 2003 (229 Billion Som). 48 Die Aussagekraft der Zahlen ist allerdings beschränkt, da die Inflation nicht berücksichtigt ist. Laut Bericht der Weltgesundheitsorganisation aus 2007 sind informelle (unregistrierte) Zahlungen der Patienten üblich und bilden vermutlich eine grössere Summe als formelle (registrierte) Zahlungen für medizinische Leistungen. Sie fallen zusätzlich zur oder anstatt der staatlichen Leistung an. Höhe und Häufigkeit sind regional verschieden, eher geringer fallen die privaten Zahlungen bei Leistungen aus, die allgemein als kostenlos be- und anerkannt sind (Notfälle,
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Ilkhamov, Jakubowski, Uzbekistan: Health system review. Health Systems in Transition, 2001, S. 24f. Dreizehn Gruppen, darunter Waisen, Behinderte, Kinder, Jugendliche bis zum 17. Lebensjahr, alleinstehende Rentner, Familien, die soziale Unterstützung beziehen. Bspw. Art. 16 S. 1 Gesundheitsfürsorge-Gesetz: Bei Erkrankung, Verlust der Arbeitsfähigkeit und in anderen Fällen besteht das Recht auf medizinisch-soziale Hilfe, die prophylaktische, diagnostische, rehabilitierende, orthopädische (Protesen) Versorgung, Heilkuren und andere Formen der Hilfe einschliesst, aber auch soziele Unterstützungen, um die Krankheit, Arbeitsunfähigkeit und Invalidität zu überwinden, einschliessend die Zahlung einer Unterstützung während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit. Obwohl vom Gesetz für Gesundheitsfürsorge vorgesehen, Art. 16 S. 3; vgl. Ahmedov, Azimov, Alimova, Rechel, Uzbekistan: Health system review. Health Systems in Transition, 2007; 9(3), S. 16, 47. Art. 10 Gesundheitsfürsorge-Gesetz: Auch private medizinische Einrichtungen sind verpflichtet, bestimmten Gruppen „kostenlos“ medizinische Hilfe zu gewähren (entsprechend den Festlegungen des Ministerkabinetts). Vgl. Ahmedov, Azimov, Alimova, Rechel, Uzbekistan: Health system review. Health Systems in Transition, 2007; 9(3), S. 38.
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Impfungen). Der grösste Teil betrifft Zuzahlungen für Medikamente, die auch von medizinischen Einrichtungen gefordert werden. 49 Auch in Usbekistan sind Ärzte und medizinisches Personal auf private Zahlungen angewiesen. Das Gehalt eines Arztes ist schwer zu ermitteln – die Angaben schwanken zwischen US$ 20 und 200. Jedoch ist diese Zahl angesichts der (mit europäischen Standarts vergleichen) geringeren Lebenshaltungskosten schwer einzuordnen. Das Gesundheitsfürsorge-Gesetz enthält in Art. 24 einen umfangreichen Katalog zu den Rechten der Patienten - das Recht auf achtsame und humane Behandlung von Seiten des medizinischen und des betreuenden Personals, auf Wahl des Arztes und der Heileinrichtung und die Konsultation weiterer Ärzte, die geheime Aufbewahrung der Informationen über den Fakt des Aufsuchens der medizinischen Hilfe, den Gesundheitszustand, die Diagnose und andere Kenntnisse, die bei der Untersuchung und Behandlung erhalten wurden, 50 auf Information des Patienten über seine Rechte und Pflichten und den Zustand seiner Gesundheit, aber auch zur Auswahl der Personen welchen im Interesse des Patienten Auskünfte über den Zustand seiner Gesundheit erteilt werden können. Das Gesetz enthält ausserdem Regelungen zum informed consent 51 und zum Recht des Patienten, einen Eingriff abzulehnen sowie zur Rechtmässigkeit des medizinischen Eingriffs ohne oder gegen den Willen des Patienten im Falle einer Erkrankung, die eine Gefahr für die Umgebung darstellt, Art. 28 52 .
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Vgl. Ahmedov, Azimov, Alimova, Rechel, Uzbekistan: Health system review. Health Systems in Transition, 2007; 9(3), S. 55 f. Ausführliche Regelung zum Arztgeheimnis in Art. 45 Gesetz über die Gesundheitsfürsorge. Art. 26. Einwilligung in den medizinischen Eingriff: Notwendige Vorbedingung eines medizinischen Eingriffs ist die informierte freiwillige Einwilligung des Bürgers. In den Fällen, in denen der Zustand des Bürgers das Ausdrücken seines Willens nicht erlaubt, der medizinische Eingriff aber unaufschiebbar ist, entscheidet die Frage seiner Durchführung ein Konsilium im Interesse des Bürgers, wenn jedoch das Versammeln des Konsiliums nicht möglich ist – der unmittelbar behandelnde (diensthabende) Arzt mit anschliessender Benachrichtigung der Amtsperson der Heileinrichtung. Die Einwilligung in den medizinischen Eingriff bei einer Person, die das Alter von vierzehn Jahren nicht erlangt hat, und einer Person, die im geregelten gesetzlichen Verfahren für handlungsunfähig erklärt wurde, geben die gesetzlichen Vertreter. Bei Abwesenheit der Eltern oder anderer gesetzlicher Vertreter wird die Entscheidung über den medizinischen Eingriff durch ein Konsilium getroffen, wenn die Versammlung des Konsiliums nicht möglich ist - der unmittelbar behandelnde (diensthabende) Arzt mit folgender Mitteilung an die Amtsperson/ diensthabende Person der Heileinrichtung und die gesetzlichen Vertreter. Art. 28. Medizinische Hilfeleistung ohne die Einwilligung des Bürgers: Die Leistung medizinischer Hilfe [...] gegenüber einer Person, die an einer Krankheit leidet, die eine Gefahr für die Umgebung darstellt, ohne Einverständnis der Person oder ihres gesetzlichen Vertreters ist gestattet auf Grundlage und nach dem Verfahren, die durch das Gesetz festgelegt sind.
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Fazit Das Diskriminierungsverbot bzw. das Äquivalenzprinzip setzt – nach den Buchstaben des Gesetzes – einen sehr hohen Massstab für die medizinische Versorgung intra muros. Bei der Frage des Leistungsangebotes ist festzustellen, dass sowohl in Usbekistan, als auch in Georgien extra muros eine breite Palette medizinischer Leistungen erhältlich ist. Einschränkungen für den Strafvollzug sieht das Gesetz hier ausdrücklich lediglich hinsichtlich der freien Arztwahl vor. Zur zweiten Frage, der Finanzierung, ist festzustellen, dass in beiden Ländern Leistungen der umfangreichen Grundversorgung auf staatliche Kosten erfolgen und für die Patienten (gemäss Gesetz) kostenlos erhältlich sein sollen. Darüber hinaus finanziert der Staat (gemäss gesetzlicher Bestimmungen) Leistungen für besonders bedürftige Bevölkerungsgruppen. Ob Inhaftierte diesen gleichzustellen sind, ist den vorliegenden Regelungen nicht zu entnehmen. Für Georgien wird die Finanzierungsfrage nicht ausdrücklich vom Gesetz beantwortet. In Usbekistan wurde jedoch gesetzlich festgelegt, dass die medizinische Versorgung der Häftlinge auf Staatskosten erfolgt. Das Äquivalenzprinzip schreibt für die medizinische Versorgung intra muros, abgesehen von der freien Arztwahl, die gesamte Palette der auch extra muros erhältlichen Leistungen und Rechte vor. Dem Gesetz sind hier keine weiteren Einschränkungen zu entnehmen. Überbelegung und Ressourcenknappheit im georgischen Strafvollzug Nach Angaben des georgischen Justizministeriums gibt es in Georgien 16 Strafvollzugseinrichtungen, darunter ein Gefängniskrankenhaus in der Hauptstadt Tiflis und eine Einrichtung für Tuberkulosefälle. 53 Die Zahl der Inhaftierten in Georgien ist im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität in den vergangenen drei Jahren stark angestiegen. Im Oktober 2007 befanden sich knapp 20.000 Inhaftierte (einschliesslich Untersuchungshäftlinge) in den Einrichtungen. 54 Dies ergibt eine 53
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Übersicht des Justizministeriums auf http://www.dep.gov. ge/mappage.aspx; teilweise sind in den Strafvollzugsanstalten auch Untersuchungshäftlinge untergebracht (Zuständigkeit für Untersuchungshaft: Innenministerium), z.B. Gefängnis No. 6, Rustavi: 711 Häftlinge, davon 129 in U-Haft, 46 lebenslänglich, vgl. Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe an die georgische Regierung über den Besuch in Georgien vom 21. März bis zum 2. April 2007, Europarat, Strassburg, 25. Oktober 2007 (CPT-Report Georgien 2007), S. 26, auf http://www.cpt.coe.int/documents/geo/ 2007-10-25-eng.htm. Nach Angaben des Justizministeriums, Stand 31. Oktober 2007: 19.880, vgl. http:// www.justice.gov.ge/pics/patimarta%20raodenoba14_eng.jpg; Tendenz steigend seit dem Jahr 2004: 15.423 (2006), 8895 (2005), 7200 (2004), 6274 (2003), 7635 (2002), 8181 (2001) , Zahlen einschl. Untersuchungshäftlinge, z.B. befanden sich mit Stand 31.10.2007 24,1% der 19.880 Häftlinge in Untersuchungshaft.
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relative Gefangenenzahl von über 440 Inhaftierten auf 100.000 Einwohner, wesentlich mehr als beispielsweise in der Schweiz (79) oder Deutschland (93), jedoch noch weniger als beispielsweise in den Vereinigten Staaten von Amerika (750 Häftlingen auf 100.000 Einwohner) und Russland (628). 55 Ausgehend von lediglich 2,5 qm Lebensraum pro Häftling sind die derzeit fast 20.000 Inhaftierten auf 14.162 Plätzen 56 untergebracht. Das Defizit von 5.700 Plätzen und die daraus resultierende Überbelegung betrifft besonders die vorprozessualen Hafteinrichtungen, prägt aber auch den Strafvollzug. 57 Die Ressourcenknappheit macht sich auch bei der Einrichtung der Zellen bemerkbar. Laut Bericht des georgischen Ombudsmannes für das Jahr 2006 haben die Häftlinge in einigen Einrichtungen keine Sitzmöglichkeiten und müssen aus Platzmangel in Etappen schlafen. 58 Ein Grund für die Überfüllung ist die „zero-tolerance-policy“ der georgischen Regierung nach der „Rosenrevolution“ im November 2003 zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität. 59 Aus einer Rede des Präsidenten Mikheil Saakashvili im Februar 2006 auf einer Zeremonie anlässlich der Vereidigung von Richtern: „We have submitted to the Parliament a law which envisages zero tolerance for petty crimes and that irritated some of our opponents. As soon as we came into power the police force imprisoned some of the convicts, however the court let them free exactly in a year. The reason we are here is to state that law does exist in Georgia. Rule of law means protecting public’s interest. I myself am not going to stop working on these issues. What is clear is that we should root out so called institute of thieves in Georgia.”(…) „When a criminal is caught in the district people see that the culprits are being punished, however when after a month that person turns up in the street people’s conviction on equity disappears. Normally, after that, people absolutely have no desire to cooperate with the investigation.”
Der Kampf gegen die Kriminalität umfasst die Inhaftierung sämtlicher sogenannter „Diebe im Gesetz“ 60 und die gesetzlich gestützte Konfiszierung ihres Vermögens. 61 Die „zero-tolerance-policy” geht jedoch weiter. Gegen sämtliche Straftäter
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Vgl. http://www.prisonstudies.org. Angabe des Justizministeriums vom 28. Februar 2007, vgl. CPT-Report Georgien 2007 a.a.O., S. 20. Unveröffentlichter Bericht des Ombudsmanns Georgien zur Situation der Menschenrechte in Georgien und zur Entwicklung der Menschenrechtsorganisationen für das Jahr 2006. Beispiel im Bericht des Ombudsmannes 2006: 24 Betten für 107 Häftlinge im Gefängnis Nr. 5 Tiflis. Vgl. zur Situation nach der Rosenrevolution Lammrich, Georgien ein Jahr nach der „Rosenrevolution” in Osteuropa Recht 2005, 236 ff. „ɜɨɪ ɜ ɡɚɤɨɧɟ” (wor v zakone). Vgl. Information des Pressedienstes des Präsidenten auf http://www.president.gov.ge/?l
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werden hohe Freiheitsstrafen verhängt, in der Regel entsprechend den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Bewährungsstrafe, Geldstrafe und auch die weiteren im Strafgesetzbuch vergesehnene Strafen werden kaum als Alternativen zum Freiheitsentzug angesehen. 62 „People should be sent to prison for every petty crime, however the penalty of the juvenile delinquents and those who will cooperate with the investigation might be mitigated. All the others must serve their sentence and we will abolish all types of probation sentences.“ 63
Auch die früher rege genutzte Möglichkeit der Begnadigung hat ihre Bedeutung verloren, da sie als Freilassung auf individuelles Gesuch regelmässig mit der Gewährung eines Vorteils zu Gunsten des entscheidenden Amtsträgers verbunden war und damit nach der Rosenrevolution auch zum Ziel der Korruptionsbekämpfung wurde. Bereits aufgrund der Überfüllung von Haftanstalten sind die Schaffung bzw. Erhaltung hygienischer Lebensbedingungen und eine adäquate Behandlung kranker Häftlinge kaum möglich. Der Bericht des Ombudsmannes für das Jahr 2006 bezeichnet ausserdem das zur medizinischen Versorgung vorhandene Material, die technische Ausstattung, den Personalbestand, den Zugang zur und die Qualität der Gesundheitsfürsorge, die Sicherheit der Patienten und den Schutz ihrer Rechte und ihrer Würde als gering, beziehungsweise in einigen Anstalten als nicht existent. Beispielsweise sei Verbandmaterial nicht sterilisiert; teilweise sei dies auch bei Material aus humanitärer Hilfe zweifelhaft, weil eine Kennzeichnung hinsichtlich Sterilisation und Verfallsdatum fehle. Diese Umstände erhöhen das Risiko der Ausbreitung von Infektionskrankheiten in einem Gebiet, das bereits Risikozone sei. Medikamente werden meist in Eigeninitiative durch die Angehörigen der Häftlinge beschafft. Der Bericht des Ombudsmannes für 2006 weist auch auf einige Fälle von Korruption durch die (gering entlohnten) Anstaltsmitarbeiter hin und erwähnt das gelegentliche Verschwinden von Ausstattung der medizinischen Einrichtungen in der Vergangenheit. Hinsichtlich dieses Problems ist jedoch während einer Besichtigung durch das Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) im März 2007
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=E&m=0&sm=3&st=70&id=1267; Entsprechend seines Ehrenkodex wird ein „klassischer“ Dieb im Gesetz seine Position nicht verleugnen. Innerhalb der Hafteinrichtungen wurden die „Diebe im Gesetz” von den anderen Häftlingen isoliert. Ihre Unterbringung in einer gemeinsamen Zelle soll dazu geführt haben, dass sie sich gegenseitig bekämpfen. Dagegen: das nach der Rosenrevolution durch die Staatsanwaltschaft praktizierte und später auch gesetzlich untermauerte „Pre-Bargaining” als Möglichkeit, sich vom Vorwurf der Korruption freizukaufen, vgl. Lieber ein armer Mafioso als ein reicher in Haft, Interview mit dem georgischen Präsidenten in Spiegel-Online vom 26.11.2004. Vgl. Rede des georgischen Präsidenten vom 23. Februar 2006 auf der Homepage der georgischen Regierung unter http://www.president.gov.ge/?l=E&m=0&sm=3&st=70& id=1495; zuletzt aufgerufen am 20. November 2007.
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eine Verbesserung festgestellt worden. Die Korruption durch Mitarbeiter sei stark zurückgegangen. 64 Den Defiziten durch Überbelegung und Ressourcenknappheit will die georgische Regierung unter anderem mit einer Erweiterung der Kapazitäten begegnen. Im Jahr 2005 wurde ein Aktionsplan für den Zeitraum 2006 – 2010 beschlossen, der die Reform der Justiz und des Strafvollzuges vorsieht, Verbesserungen bei Auswahl, Schulung und Entlohnung der Mitarbeiter und ein Programm zu Sanierung und Neubau. Er beinhaltet den Bau einer neuen Einrichtung in Tiflis (Gldani) mit einer Kapazität von 4.000 Plätzen. 65 Ausserdem wurde die Sanierung des Gefängnisses Rustavi Nr. 6 mit Hilfe von Mitteln aus dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen in Höhe von USD 1,7 Mio. bereits im Jahr 2005 begonnen und 2007 fertiggestellt. Der Aktionsplan sieht ein Budget von über 1 Milliarden Lari (etwa 420 Mio. Euro) für 4 Jahre vor. Für das Jahr 2007 wurde das Budget des Strafvollzugssystems gegenüber 2006 mehr als verdoppelt, die Mittel für die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug dabei mehr als verfünffacht, für die Verpflegung verdreifacht. 66 Geplant sind auch neue Gesetze. Angedacht sind ein neues Strafgesetzbuch sowie ein neues Strafprozessgesetz und auch ein neues Freiheitsentzugsgesetz. Die kurze Lebensdauer gesetzlicher Regelungen – die häufige Änderung und auch das Verwerfen relativ junger Gesetze und die Ausarbeitung komplett neuer Regelungswerke entspricht einem allgemeinen Trend in der ausserordentlich belebten Rechtsentwicklung des unabhängigen Georgien. Zu den genannten Bereichen liegen bereits einige Entwürfe von verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen vor, deren Ausarbeitung (wie auch die der geltenden Gesetze) zum Teil durch Organisationen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit initiiert und finanziell gefördert und in Zusammenarbeit mit ausländischen und inländischen Experten realisiert wurde. Herausforderung Infektionskrankheiten in Usbekistan Seit der Unabhängigkeit ist in Usbekistan, wie in anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, eine Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verzeichnen. HIV/ Aids stellt eine relativ neue Herausforderung dar. 1998 waren weniger als 50 Infektionen registriert. 2004 wurden 2.016 neue Fälle verzeichnet – insgesamt 5.600 Infektions-Fälle. Die meisten Infektionen geschehen im Zusammenhang mit Drogenkonsum. Gefängnisinsassen sind hier eine Risikogruppe – knapp 35% aller neueren Fälle wurden bei Inhaftierten registriert.
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CPT-Report Georgien 2007 a.a.O., S. 20. CPT-Report Georgien 2007 a.a.O., S. 26; das Gefängnis wurde eröffnet, vgl. Medienbericht vom 10. Dezember 2007 auf http://www.medianews.ge/Politics/1499.html; dies dürfte kurzfristig die Kapazitätsprobleme entspannen – jedoch fehlen weiterhin Plätze und hinsichtlich des rapiden Anstiegs der Zahl der Inhaftierten zeichnet sich bis dato noch keine Trendwende ab. CPT-Report Georgien 2007 a.a.O., S.20.
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Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage nach der Unabhängigkeit und der Verschlechterung der Tuberkulose-Behandlung in den 1990er Jahren hat sich die Krankheit wie in vielen Staaten der ehemaligen Sowjetunion stark ausgebreitet. Beispielsweise sank zwar die Anzahl der Todesfälle aufgrund von Tuberkulose von 57.5 pro 100.000 Einwohner im Jahr 1980 auf 43.1 im Jahr 1995, stieg jedoch auf 78.4 pro 100.0000 Einwohner in 2004. Eine Studie der Organisation „Ärzte ohne Grenzen” im Jahr 2001/2002 ergab in der Region Karakalpakistan, die durch die Austrocknung des Aralsees wirtschaftlich und ökologisch schwer belastet ist, eine der weltweit höchsten Raten von multiresistenter Tuberkulose. 67 Der Anstieg der Tuberkulose-Fälle und das Problem der multiresitenten Tuberkulose tritt in den Strafvollzugseinrichtungen als „Risikozonen” verstärkt auf. 68 Aufgrund der Enge und der hygienischen Bedingungen sind Ansteckungs- und Todesraten wesentlich höher. 69 Das Gesundheitsministerium hatte mit Unterstützung internationaler Organisationen im Jahr 2005 ein Programm ins Leben gerufen, um insbesondere der multiresistenten Form der Tuberkulose zu begegnen. 70
Schluss Organisierte Kriminalität, gewaltsame Gefängnisrevolten 71 , bewaffnete Befreiung von Gefängnisinsassen 72 , Strukturen organisierter Kriminalität, Foltervorwürfe gegen Personal, Ressourcenknappheit – dies sind nur einige Aspekte zum Strafvollzug der behandelten Länder. Sie spiegeln das Klima wieder, in dem die Gesundheitsfürsorge stattfindet bzw. stattfinden soll. Dabei ist der Strafvollzug nur eine der zahlreichen Herausforderungen die nach der Unabhängigkeit innerhalb kurzer Zeit zu bewältigen waren und sind und von
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Vgl. Meldung der „Ärzte ohne Grenzen” für Karakalpakisten auf http://www.aerzteohne-grenzen.de/Presse/Pressemitteilungen/2003/Pressemitteilung-2003-10-29.php; Ahmedov, Azimov, Alimova, Rechel, Uzbekistan: Health system review. Health Systems in Transition, 2007; 9(3), S. 14 f. Gefängnisinsassen als Hoch-Risiko-Gruppe, vgl. Global Tuberculosis Control. Surveillance, Planning, Financing, WHO-Report 2007, S.48, auf http://www.who.int/ tb/publications/global_report/en/index.html. Richtwert für die Länder der ehemaligen Sowjetunion insgesamt: TB-Ansteckungsrate rund 50-mal höher als in der Gesamtbevölkerung, Todesrate 28-mal höher, vgl. Ruffert, Gemeinsam gegen Tuberkulose, in: Finanzielle Zusammenarbeit. Im Dienste der Gesundheit, in Kooperation mit der kfw Entwicklungsbank, November 2006, auf http://www.kfw-entwicklungsbank.de/DE_Home/Service/Online_Bibliothek/PDFDokumente_Medienkooperation_mit_E+Z/Gesundheit_11_2006.pdf. Vgl. Seite des Programms auf http://www.dots.uz. In Georgien bspw. im März 2006 (sieben Todesopfer), vgl. Nachricht auf http://news.bbc. co.uk/2/hi/europe/4848652.stm und http://www.rferl.org/featuresarticle/2006/03/9c5f4 d3d-ab4a-4aed-95f2-1eea60a24919.html. Befreiung von 526 Häftlingen im Mai 2005 in Andijan, vgl. Meldung der usbekischen Botschaft in Berlin auf http://www.uzbekistan.de/en/2005/e_n0519a.htm.
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denen Stabilität und Souveränität als Basis der Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Wohlstand erste Priorität geniessen. Der usbekische Präsident Islam Karimov formulierte dies so: „Erste, wichtigste Priorität muss die Priorität der Unabhängigkeit bleiben. Priorität einer unabhängigen Entwicklung beinhaltet vor allem unser Recht, über unser Schicksal selbst zu bestimmen, unsere Zukunft aufzubauen, über die Reichtümer des Landes zu verfügen, und das in erster Linie ausgehend von den Interessen des eigenen Volkes.“ „Zweite Priorität. Das heißt Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität im Lande, von territorialer Integrität, Unantastbarkeit seiner Grenzen, von Frieden und Ruhe für unsere Bürger.“ 73
Vor dem umrissenen Hintergrund wurden in beiden Staaten seit der Unabhängigkeit im Bereich des Strafvollzuges Gesetze geschaffen, in denen grosser Wert auf eine humane Behandlung des Häftlings und den Schutz seiner Rechte gelegt wird. Die Gesundheitsfürsorge wurde thematisiert und das Äquivalenzprinzip verankert. Dieses verweist auf eine Gesetzgebung im Bereich des Gesundheitswesens mit starker Betonung der sozialen Gerechtigkeit. Die Probleme und Interessenkonflikte bei der Umsetzung der Normen im Strafvollzug sind – neben den transformationsspezifischen Herausforderungen - auf die in dieser und der vorhergehenden Veranstaltung in Heidelberg diskutierten Interessenkonflikte, Spannungsfelder und Defizite zurückzuführen. Diese treten einerseits in den Transformationsländern ebenso oder deutlicher zu Tage, sind aber andererseits noch nicht oder nicht in ausreichendem Umfang Themen wissenschaftlicher Diskussionen. Von der verstärkten Einbeziehung der Länder in den Austausch zur intramuralen Medizin ist deshalb ein Gewinn für alle Seiten zu erwarten.
73
Präsident Islam Karimov, Hauptrichtungen der weiteren Konsolidierung der demokratischen Umgestaltungen und der Schaffung der Grundlagen für eine Zivilgesellschaft in Usbekistan, Rede auf der IX. Sitzung des Oliy Majlis am 29. August 2002.
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Anhang: Ausgewählte gesetzliche Regelungen Usbekistan
Normen aus der Verfassung der Republik Usbekistan Artikel 18 Verfassung Alle Bürger der Republik Usbekistan haben die gleichen Rechte und Freiheiten und sind unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Rasse, Nationalität, Sprache, Religion, sozialen Herkunft, ihren Anschauungen oder ihrer persönlichen und gesellschaftlichen Stellung vor dem Gesetz gleich. Vorrechte können nur durch ein Gesetz festgelegt werden und müssen den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit entsprechen.
Art. 26 Verfassung Jeder, dem die Begehung einer Straftat zur Last gelegt wird, gilt als unschuldig bis ihm seine Schuld im gesetzlichen Verfahren auf dem Wege einer öffentlichen Gerichtsverhandlung nachgewiesen wird, bei der ihm alle Möglichkeiten zur Verteidigung gewährleistet werden. Niemand darf Folter, Nötigung oder einer anderen grausamen oder und die Menschenwürde missachtenden erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Niemand darf ohne sein Einverständnis medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen ausgesetzt werden.
Art. 40 Verfassung Jeder hat das Recht auf qualifizierte ärztliche Betreuung.
Normen aus dem Strafvollzugsgesetz der Republik Usbekistan Art. 8 StVG. Grundlagen der rechtlichen Stellung der Verurteilten Die Verurteilten besitzen die für Bürger der Republik Usbekistan vorgesehenen Rechte, Freiheiten und Verpflichtungen, mit den Ausnahmen und Beschränkungen, die von dem vorliegenden Gesetzbuch und von anderen Gesetzen bestimmt werden. Verurteilte Auslandsbürger und Personen ohne Staatsbürgerschaft können auch die Rechte, Freiheiten und Verpflichtungen besitzen, die von völkerrechtlichen Verträgen der Republik Usbekistan vorgeschrieben werden. [...]
Art. 15 StVG. Einrichtungen und Organe, die andere Massnahmen der strafrechtlichen Einwirkungen vollziehen Die Kontrolle über das Verhalten der bedingt Verurteilten erfolgt durch die Organe der Inneren Angelegenheiten, und hinsichtlich der Militärangehörigen – durch das Kommando der militärischen Einheit (Einrichtung) am Ort des Dienstes.
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Die medizinischen Zwangsmaßnahmen werden vollzogen: bezüglich der psychisch Kranken, die gesellschaftsgefährliche Handlung begangen haben, durch medizinische Einrichtungen der Gesundheitsbehörden; bezüglich der Verurteilten, die an Alkohol-, an Drogen- oder Medikamentenabhängigkeit leiden, - durch medizinische Einrichtungen der Gesundheitsbehörden und bei zum Freiheitsentzug oder Arrest Verurteilten – durch medizinische Einrichtungen der Organe der Inneren Angelegenheiten. Zwangsmaßnahmen an Minderjährigen werden vollzogen: Auferlegung der Verpflichtung, den Geschädigten um Entschuldigung zu bitten, den verursachten Schaden zu ersetzen oder zu beseitigen - durch das Gericht; Unterbringung in einer speziellen Lehr-Erziehungseinrichtung durch die Organe der nationalen Volksbildung.
Art. 41 StVG. Gewährleistung von Lebensbedingungen und medizinische Versorgung der Verurteilten Die Wohn- und Lebensbedingungen der Verurteilten im Arrest sollen den hygienischen und den Normen des Gesundheitsschutzes entsprechen. Die Norm der Wohnfläche für einen Verurteilten soll nicht weniger als 2,5 Quadratmeter sein. Dem Verurteilten wird ein persönlicher Schlafplatz, Bettzeug, sowie Nahrung zur Verfügung gestellt gemäss den gesetzlich bestimmten Normen für Personen, die in Untersuchungs-Einzelzellen untergebracht sind. Die Zellen des Arrest-Gebäudes werden mit Rundfunkanschlüssen ausgestattet, den Verurteilten stehen Brettspiele, Zeitschriften, Zeitungen zur Verfügung, sie sind berechtigt, die Bibliothek benutzen. Die medizinische Versorgung der Verurteilten erfolgt entsprechend Artikel 87 des vorliegenden Gesetzbuches. Für die Leistung dringender spezieller medizinischer Hilfe kann der Verurteilte zum Strafvollzug in die Heileinrichtungen bei den Kolonien überstellt werden und in Ausnahmefällen in die Heileinrichtungen der Gesundheitsbehörden.
Art. 45 StVG. Arten von Strafvollzugseinrichtungen Der Vollzug der Strafe in Form des Freiheitsentzuges erfolgt durch die Strafvollzugseinrichtungen. Zu den Strafvollzugseinrichtungen gehören: Strafvollzugskolonien; Erziehungskolonien; Gefängnisse. (Untersuchungs-) Isolierräume erfüllen die Funktionen der Strafvollzugseinrichtungen hinsichtlich der zur Freiheitsstrafe Verurteilten, die zur Verrichtung haushälterischer Arbeit in der Einrichtung verbleiben.
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Die Strafvollzugskolonien gliedern sich in die Ansiedlungs-Kolonien, die Kolonien mit allgemeinem, strengem, besonderem Regime und sind vorgesehen für die Unterbringung der Strafgefangenen, die die Volljährigkeit erlangt haben. Die Erziehungs-Kolonien sind bestimmt für die Unterbringung minderjähriger Verurteilter. Die Gefängnisse sind für die Unterbringung der volljährigen Strafgefangenen bestimmt.
Art. 57 StVG. Strafverbüssung in einer Einrichtung [...] Im Fall der Krankheit des Verurteilten ist seine Überstellung von der Kolonie oder vom Gefängnis in eine spezialisierte Heilanstalt auf Grund eines ärztlichen Gutachtens zulässig. [...]
Art. 70 StVG. Anwendung der Zwangsjacke Bei Verurteilten ist die Anwendung der Zwangsjacke gestattet, wenn sie Gewalttätigkeit zeigen. Die Anwendung der Zwangsjacke erfolgt im Beisein eines medizinischen Mitarbeiters und die Dauer ihrer Anwendung darf zwei Stunden nicht überschreiten. Die Anwendung der Zwangsjacke erfolgt nicht gegenüber Minderjährigen und Frauen
Art. 87 StVG. Gesundheitsfürsorge der Verurteilten Die medizinisch-prophylaktische Hilfe und hygienisch-epedemieverhütende Arbeit in den Freiheitsentzugseinrichtungen wird in Übereinstimmung mit der Gesetzgebung organisiert und durchgeführt. Für die Gesundheitsfürsorge der Verurteilten werden medizinische Einheiten mit Krankenstationen gebildet, für die Behandlung und Unterbringung der an Tuberkulose Erkrankten – Heilkolonien, für die Erbringung qualifizierter medizinischer Hilfe – spezialisierte Krankenhäuser für die Verurteilten. Die Ordnung der medizinischen Hilfeleistung gegenüber den Verurteilten, der Ausgabe von Arzneimitteln, der Organisation und Durchführung der Aufsicht der hygienischen Bedingungen, der Benutzung von medizinisch-prophylaktischen Einrichtungen, des Heranziehens von medizinischem Personal der Organe des Gesundheitswesens wird vom Ministerium des Innern der Republik Usbekistan in Absprache mit dem Ministerium für Gesundheitswesen der Republik Usbekistan bestimmt. Die Gesundheitsfürsorge der zur Freiheitsstrafe Verurteilten erfolgt auf Staatskosten. Die Verurteilten sind verpflichtet die Regeln der persönlichen und allgemeinen Hygiene zu erfüllen.
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Art. 181 StVG. Verfahren der Anwendung von Zwangsmassnahmen medizinischen Charakters bei psychisch Kranken Zwangsmaßnahmen medizinischen Charakters bei psychisch Kranken werden durch die Behörden des Gesundheitswesens entsprechend der Ergebnisse der gerichtlichpsychiatrischen Begutachtung in folgender Ordnung angewandt: die zwangsweise ambulante Überwachung und Behandlung durch den Psychiater erfolgen in den psychoneurologischen Einrichtungen am Wohnort des Kranken; die Zwangsbehandlung mit Isolierung des Kranken von der Gesellschaft, wird abhängig von seinem psychischen Zustand entweder im allgemeinen psychiatrischen Krankenhaus oder in den Rehabilitationsabteilungen der allgemeinen psychiatrischen Krankenhäuser oder in psychiatrischen Krankenhäusern oder Abteilungen mit intensiver Aufsicht durchgeführt.
Normen aus dem Gesetz der Republik Usbekistan über die Gesundheitsfürsorge der Bürger Art. 7 Gesundheitsfürsorge-Gesetz. System der Gesundheitsfürsorge In der Republik Usbekistan gilt ein einheitliches System der Gesundheitsfürsorge, das aus der Gesamtheit des staatlichen, des privaten und anderer Systeme der Gesundheitsfürsorge besteht.
Art. 13 Gesundheitsfürsorge-Gesetz. Recht der Bürger auf Gesundheitsfürsorge Die Bürger der Republik Usbekistan haben das unabdingbare Recht auf Gesundheitsfürsorge. Der Staat garantiert den Bürgern den Schutz der Gesundheit ohne Ansehen ihres Alters, ihres Geschlechts, Rasse, Nationalität, Sprache, Religionszugehörigkeit, sozialer Herkunft, Überzeugung, persönlichen und gesellschaftlichen Stellung. Der Staat garantiert den Bürgern den Schutz vor Diskriminierung, unabhängig vom Vorliegen einer Form von Erkrankung. Eine Person, die der Verletzung dieser Bestimmung schuldig ist, muss sich gemäss den gesetzlichen Bestimmungen verantworten.
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Normen aus der georgischen Verfassung Art. 14 Verfassung Alle Menschen sind von Geburt an frei und vor dem Gesetz gleich, ungeachtet der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, des Geschlechts, religiöser, politischer oder anderer Anschauungen, der nationalen, ethnischen und sozialen Angehörigkeit sowie der Abstammung, des Vermögens, des Standes und des Wohnsitzes.
Art. 17 Verfassung 1. Würde und Ehre eines Menschen sind unantastbar. 2. Folter, unmenschliche, grausame Behandlung und Bestrafung oder Behandlung und Bestrafung, die Ehre und Würde verletzen, sind unzulässig.
Normen aus dem Freiheitsentzugsgesetz Georgiens Art. 22 FEG. Separation von Häftlingen 1. In einer Strafvollzugsanstalt sollen die folgenden Personen separat untergebracht werden: a) Frauen; b) Minderjährige; c) Häftlinge, die zum ersten Mal verurteilt wurden; d) Häftlinge, die zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt wurden. 2. In einer medizinischen Einheit einer Strafvollzugseinrichtung, sollen Häftlinge, die am HIV-Virus leiden oder einer anderen unkontrollierten ansteckenden Krankheit, separat untergebracht werden. 3. Der Justizminister kann im Konsens mit dem Gesundheitsminister weitere Regeln zur separaten Unterbringung aufstellen.
Art. 37 FEG. Gesundheitsfürsorge in Strafvollzugseinrichtungen Die medizinische Einheit einer Strafvollzugseinrichtung ist Teil des Systems des georgischen Gesundheitsministeriums. Die Ausstattung der medizinischen Einheiten der Strafvollzugseinrichtungen und die Qualifikation des medizinischen Personals soll nicht schlechter sein als das allgemeine Level des gesamten Gesundheitssystems. […]
Art. 38 FEG. Kontrolle über den Gesundheitszustand der Häftlinge 1. Sobald ein Häftling in der Strafvollzugseinrichtung eintrifft, soll er/ sie medizinisch untersucht werden.
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2. Der Gesundheitszustand des Häftlings soll mindestens ein Mal jährlich untersucht werden. Kranke Häftlinge sollen umgehend behandelt werden.
Art. 40 FEG. Medizinische Versorgung in Strafvollzugseinrichtungen 1. In einer Strafvollzugseinrichtung mit mindestens einhundert Häftlingen wird eine stationäre medizinische Einheit eingerichtet, um eine 24-Stunden-Versorgung zur Verfügung zu stellen. 2. In einer Strafvollzugsanstalt mit weniger als einhundert Häftlingen soll eine medizinische Einheit eingereichtet werden, die medizinische Versorgung auf Grundlage eines Vertrages mit einer geeigneten Gesundheitsinstitution anbietet. 3. Wenn ein Häftling nicht in der stationären medizinischen Einheit oder der Gesundheitseinrichtung, die medizinische Versorgung auf vertraglicher Basis anbietet, geheilt werden kann, soll er/ sie überstellt werden in eine medizinische Einheit des Departments oder ein ziviles Krankenhaus. 4. Die Verwaltung einer Strafvollzugseinrichtung soll die Sicherheit der medizinischen Einheit sicherstellen.
Art. 41 FEG. Der Arzt einer Strafvollzugseinrichtung 1. Eine Strafvollzugseinrichtung, die keine eigene stationäre medizinische Einheit hat oder keinen Vertrag mit einer Gesundheits-Einrichtung abgeschlossen hat, soll einen Arzt beauftragen, der den Insassen der Strafvollzugseinrichtung medizinische Versorgung auf vertraglicher Basis anbietet. 2. Ein durch die Verwaltung der Strafvollzugseinrichtung auf vertraglicher Basis beauftragter Arzt soll die Gesundheit der Häftlinge einer regelmässigen Kontrolle unterziehen, ihnen soweit möglich medizinische Behandlung bieten und, falls nötig, um ihren Transfer in eine medizinische Einrichtung ersuchen. 3. Der Arzt soll innerhalb festgelegter Fristen medizinische Untersuchungen durchführen und, wenn die Umstände es erfordern, den Direktor der Strafvollzugseinrichtung über Bedingungen informieren, die schädlich für die Gesundheit der Häftlinge sind.
Art. 65 FEG. Gründe für die Entlassung aus der Strafvollzugsanstalt 1. Ein Häftling soll aus der Strafvollzugsanstalt entlassen werden: a) bei Ablauf der Frist der Verurteilung; b) wenn er/ sie mit einer schweren oder unheilbaren Krankheit infiziert wird; [...] f) bei Eintritt hohen Alters entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen [Ergänzung vom 04.07.2002] 2. Eine Liste schwerer oder unheilbarer Krankheiten, die einen Grund für die Entlassung eines Häftlings darstellen, wird durch den Gesundheitsminister Georgiens erlassen.
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Art 67 FEG. Entlassung wegen Krankheit oder hohen Alters 1. Einen Antrag auf vorzeitige Entlassung eines Häftlings wegen schwerer oder unheilbarer Krankheit oder hohen Alters (Frauen im Alter von 65 und Männer im Alter von 70) kann durch den Häftling und/ oder den Direktor der Strafvollzugsanstalt entsprechend den gesetzlichen Regelungen dem Gericht übermittelt werden. 2. Bei der Entscheidung über die Entlassung eines Häftlings wegen hohen Alters sollen die Schwere des Delikts, für das er/ sie verurteilt wurde, das Vorstrafenregister, Verhalten während der Strafverbüssung, die Einstellung zur Arbeit, Familienverhältnisse und Gesundheit berücksichtigt werden.
Art. 81 FEG. Festsetzung oder Abänderung des strengen Regimes 1. Die Art des Regimes, in der der Häftling die Strafe verbüsst, wird festgelegt oder geändert durch das Gericht, auf Antrag des Direktors der Strafvollzugsanstalt. 2. Ein solcher Antrag soll eine Begründung enthalten, die die Notwendigkeit der Festesetzung oder Abänderung eines Regimes rechtfertigt. Wenn die Festsetzung des strengen Regimes beantragt wird, soll die Dauer des Aufenthaltes im strengen Regime spezifiziert werden. 3. Ein Häftling kann im Fall der Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nur auf Grundlage einer medizinischen Untersuchung von einem strengen Regime in ein allgemeines Regime überstellt werden.
4. Wenn ein in ein allgemeines Regime überstellter Häftling interne Regelungen der Strafvollzugseinrichtung verletzt, kann er/ sie in ein strenges Regime zurücküberstellt werden.
Normen aus dem Gesetz Georgiens über die Rechte des Patienten Art. 46 Patientenrechte-Gesetz Eine in Straf- oder Untersuchungshaft untergebrachte Person geniest alle durch dieses Gesetz vorgesehenen Rechte.
Art. 47 Patientenrechte-Gesetz Die Leitung der Strafvollzugsinstitution oder des Gefängnisses ist befugt, das Recht einer inhaftierten Person auf die Wahl des Anbieters der medizinischen Versorgung zu beschränken. Solch eine Entscheidung kann vor Gericht angefochten werden.
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Normen aus dem Gesetz über die Gesundheitsfürsorge Georgiens § 6 Gesundheitsfürsorgegesetz (1) Jegliche Diskriminierung eines Patienten wegen seiner Rasse, Hautfarbe, Geschlechts, religiösen Überzeugungen, politischen oder anderen Ansichten, ethnischer oder sozialer Herkunft, ökonomischen Standes oder Status, Wohnorts, Krankheit, sexuelle Orientierung oder negativen persönlichen Eigenschaften ist verboten. (2) Diskriminierung von Strafgefangenen hinsichtlich medizinischer Versorgung ist verboten.
§ 13 Gesundheitsfürsorgegesetz Medizinische Behandlung wird einem Patienten in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug nicht geleistet, einschliessend den Fall des Hungerstreikes, sofern der Patient nicht seine aufgeklärte Einwilligung gibt. Die medizinische Versorgung ist gemäss den gesetzlichen Regeln zu erbringen.
§ 44 Gesundheitsfürsorgegesetz Ein Mediziner soll keine Behandlung an einer Person in Verwahrung oder in Haft vornehmen, bis er die aufgeklärte Einwilligung der betroffenen Person erhalten hat, ausser in Notfällen oder, wenn das Leben der Person in Gefahr ist und es aufgrund der Ernsthaftigkeit ihres Zustandes nicht möglich ist, ihr Einverständnis zu erhalten. Der Mediziner soll auch jede medizinische Behandlung ablehnen, die mit den Regeln der Medizin und der Ethik unvereinbar ist.
Verbesserte Entdeckung Drogen konsumierender Gefangener in Nordrhein-Westfalen – Einsatz oral-enteraler Urinmarkierung vor Drogenscreening
Michael W. E. Riedel
IIlegale Drogen und ihr Konsum im Gefängnis..............................................412 Ausgangssituation..........................................................................................412 Drogenkonsumnachweis bei Gefangenen bisher ...........................................412 Bekannte Manipulationsformen zur Ergebnisverfälschung und Aufdeckung ...............................................................................................413 Künftiges Vorgehen zum Drogenkonsumnachweis bei Gefangenen in NRW......................................................................................414 Veränderter Umfang der Laboranalyse in NRW .......................................415 Umgang mit dem Problem der Dilution ................................................415 Zusammenfassung .........................................................................................416
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Illegale Drogen und ihr Konsum im Gefängnis Ausgangssituation Nordrhein-Westfalen (NRW) mit ca. 18 Mio. Einwohnern ist das bevölkerungsreichste Bundesland von 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland. In den Gefängnissen von NRW befinden sich derzeit ca. 18.000 Gefangene in allen Haftformen, davon weniger als 900 Frauen. Die Haftziele und –bedingungen sind im Wesentlichen im noch bundesweit gültigen Strafvollzugsgesetz geregelt. Sein Kern stellt der Behandlungsauftrag dar, nach dem Gefangene befähigt werden sollen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten ist eine weitere Aufgabe. 1 Von der Inhaftierung, als der härtesten Kriminalsanktion unseres demokratischen Rechtsstaates abgesehen, werden in unserem Justizvollzug Lebensbedingungen angestrebt, die, soweit wie möglich, denen in Freiheit entsprechen. Diesem Spiegelbild der Lebensbedingungen in Freiheit entspricht intra murus die gleiche Drogenproblematik wie extra murus. „Wir haben heute im Justizvollzug unseres Landes fast fünf mal so viele Drogenabhängige wie zu Zeiten der erstmaligen statistischen Erfassung vor 25 Jahren: Am 31.12.1982 wurden 1.244 Gefangene gezählt, die als behandlungsbedürftig abhängig von illegalen Drogen eingestuft wurden. Dies entsprach 7,2 Prozent der damaligen Gesamtbelegung. Am 31.10.2006 dagegen waren 5.722 Gefangene allein von illegalen Drogen abhängig – mit 31,6 Prozent fast ein Drittel der Gesamtbelegung von rund 18.000 Gefangenen. Wenn wir die legalen Suchtmittel – vor allem Alkohol -dazuzählen, kommen wir sogar auf etwa 7.000 Betroffene.“ 2
Diese Entwicklung muss natürlich Auswirkung für den Strafvollzug haben. Drogenkonsumnachweis bei Gefangenen bisher Bisher kommen Drogenschnellteste und laborchemische Untersuchungen zur Anwendung. Drogenschnellteste mittels Teststreifen oder –Kassetten sollen nur dann Verwendung finden, wenn z.B. der Anstaltsarzt sofort einen Anhalt für stattgehabten Heroinkonsum bestätigt finden muss, um dann z.B. sofort Methadon für eine opiatgestützte Entzugsbehandlung anordnen zu können. Bei diesen rein qualitativen Verfahren sind Abstriche in der Aussagequalität hinzunehmen. Die Ergebnisse hieraus sind sicher nicht gerichtsverwertbar. Täuschungsversuche sind damit kaum, oder weit überwiegend, nicht aufzudecken.
1 2
Siehe § 2 Strafvollzugsgesetz (StVollzG). Rede der Justizministerin Nordrhein-Westfalens zum Thema „Bekämpfung der Drogenkriminalität“, 2007.
Verbesserte Entdeckung Drogen konsumierender Gefangener in NRW
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Deutlich überlegenere Verfahren werden regelmäßig angewendet, wenn ein Drogenkonsumnachweis weitreichende Konsequenzen für den Konsumenten hat. Herausnahme aus dem Offenen Vollzug, anstaltsseitiges Versagen einer prognostisch günstigen Aussage vor Gerichtsentscheidung über eine bedingte, also vorzeitigen Entlassung, vorzeitige Beendigung einer Berufsausbildungschance ohne Abschlussmöglichkeit. Aber auch Versagung von Lockerungsentscheidungen wie Verlegung in den Offenen Vollzug, unbegleiteter Ausgang, Urlaub usw. erfordern ein hohes Maß an Zuverlässigkeit in der Begründung der Nichtgewährung. Qualitativ höherwertige Aussagen werden über semiquantitative laborchemische Analyseergebnisse erzielt. Diesen liegen Immunoassays zu Grunde. Erfahrungsgemäß sind diese Untersuchungen ohne zusätzliche Analysen störanfällig im Sinne einer Manipulierbarkeit. Im Wissen um die zuvor beispielhaft dargestellten vollzuglichen Nachteile bei Nachweis stattgehabten Drogenkonsums, gab es immer schon Manipulationsversuche seitens der Probanden. Diese nahmen in den letzten Jahren zu. Insoweit gelten die Ausführungen auch für Suchtambulanzen usw. in Freiheit. Dort droht Abhängigen die Herausnahme z.B. aus der Methadonsubstitution bei Nachweis von Beikonsum oder Manipulation. Bei ständigen Qualitätskontrollen der Laboratorien durch Ringversuche liegt der größte Unsicherheitsfaktor vor Laboreingang, der sogenannten Präanalytik. Hier liegt besonders das Risiko der manipulativen Ergebnisverfälschung. Bekannte Manipulationsformen zur Ergebnisverfälschung und Aufdeckung Bekannte Manipulationsgrößen sind z.B. die Urinvertauschung bei fehlender gewissenhafter, ständiger und unausgesetzter Beobachtung bei der Urinabgabe. Die Verdünnung, also Dilution, des eigenen Urins durch externe Wasserzugabe oder Steigerung der Trinkmenge stellt erfahrungsgemäß die häufigste Manipulationsform dar. Ferner kann die Zusetzung von Chemikalien den Drogennachweis in einer Urinprobe verhindern. Beispiele hierfür sind die Urinabgabe in den Probenbecher durch die eingeseifte Hand oder die Kontamination der Urinprobe mit oxidierenden Substanzen, wie sie z.B. in Zahnprothesenreinigern ihre Kernaufgabe erfüllen. Allesamt sind nach diesen Manipulationen falsch negative Werte zu erwarten. Zudem ist oft Personal stundenlang mit der Beaufsichtigung der Probanden und Abwicklung der Probenabgabe gebunden. Nicht selten führt auch noch die Aufforderung der Bediensteten, die Probanden sollten doch noch Tee oder Wasser trinken, damit sie später leichter urinieren können, zu einem falsch negativen Befund durch Dilution. Bei der bisher auch im Strafvollzug in NRW üblichen Laboranalytik ergab sich dann ein Manipulationsverdacht durch Dilution, wenn der erst seit einigen Jahren im Urin vom Labor ebenfalls gemessene Kreatininwert unterhalb der Norm von 0,4 g/l lag. Kreatinin ist ein regelmäßig anfallendes und messbares Abbauprodukt vor allem aus dem Stoffwechsel der Muskulatur. Mit dem Verdünnungseffekt gelingt es den Probanden, die Menge messbarer Drogenabbauprodukte unterhalb des sog. cutoffs zu bringen. Dieser cutoff-Wert
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ist eine eher willkürlich vereinbarte Größe oberhalb der Drogennachweisgrenze. Er soll falsch positive Bewertungen, z.B. durch Passivaufnahme von Cannabinoiden oder durch Kreuzreaktionen verhindern. Erst bei einem Messwert oberhalb des cutoffs wird vom Labor dem Einsender ein positiver Befund mitgeteilt. Da im Labor Substanz in definierter Flüssigkeitsmenge gemessen wird, führt Verdünnung oft zu falsch negativen Ergebnissen. Gemäß der Festlegungen in den USA und Canada gilt dort der Urin als manipuliert, wenn er einen Kreatininwert in der Probe unterhalb von 0,2 g/l zeigt. Bisher waren Disziplinierungen, wie zuvor aufgeführt, die Folge. Eigene Recherchen nach vermehrten Eingaben Gefangener ergaben, dass bei Trink- und Durstversuchen an gesunden Medizinstudenten an der Ruhruniversität Bochum Urinkreatininwerte von 0,158 g/l nach Sturztrunk von 1 l ungesüßtem Tee, zusätzlich zur tagesüblichen Trinkmenge, gemessen werden konnten. Gefangene, die erklären, viel Durst gehabt (z.B. nach Sport oder körperlicher Arbeit) und viel getrunken zu haben, dürfen angesichts dieser Erkenntnisse natürlich nicht pauschal dem Vorwurf der Manipulation ausgesetzt werden. Ferner gibt es Krankheiten inneren Ursprungs, die regelmäßig mit erhöhter Trinkmenge und folglich übermäßiger Urinausscheidung einhergehen. Der pauschale Vorwurf der Manipulation und deren Folgen dürfte bei alledem nach erfolgter Disziplinierung keiner gerichtlichen Überprüfung standhalten. Der Einfallsreichtum Gefangener erforderte wieder einmal eine veränderte, umfangreichere Analyse. Das veränderte Vorgehen ist in jeder Hinsicht dem bisherigen überlegen. Der begrenzte Kostenanstieg ist hinzunehmen. Das Verfahren wurde entwickelt von Prof. Dr. Dr. R. Keller, Leiter des Zentrallabors der Städt. Kliniken Köln, Anfragen zum Markerbezug bitte über ihn. Künftiges Vorgehen zum Drogenkonsumnachweis bei Gefangenen in NRW Zunächst kann bzw. wird Gefangenen in NRW die gleichzeitige Aufnahme eines Markers mit stark gesüßtem Tee oder (eigenem) Colagetränk angeboten. Dieser Marker ist ein Polymer, wie es im Alltag nicht vorkommt. Er findet ausschließlich in der Medizin Verwendung. Bei diesem Polymer handelt es sich nicht um ein Arzneimittel und seine Anwendung am Menschen wurde durch die zuständige Behörde zugelassen. Zuvor hatten sich zwei unabhängige Ethikkommissionen mit der Anwendung am Menschen beschäftigt und keine Bedenken erhoben. Dieses Polymer gibt es derzeit in drei veränderten Molekulargewichtsklassen, so dass es durch hoheitlich vorab getroffene Markerzuweisung derzeit mathematisch sieben Mono- oder Kombinationsformen gibt. Ein großer Vorteil besteht darin, dass nach der Markereinnahme der Proband allein und unbeobachtet seinen Urin in das Probengefäß ablassen darf. Der gültige Zeitraum beträgt zwischen 30 und 150 Minuten nach Markeraufnahme. Ebenso hat oder darf er seinen Urin in die vorgegebenen Laborröhrchen aufziehen und diese mit seinen Namens- oder sonstigen vorgegebenen Identifikationsaufklebern versehen. Dies spart nicht nur Arbeitszeit der ohnehin knappen Ressource bei den Vollzugsbediensteten, vielmehr
Verbesserte Entdeckung Drogen konsumierender Gefangener in NRW
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geht neben der Verantwortung für ggf. stattgehabten Drogenkonsum auch die für die Präanalytik, einschließlich möglicher Manipulationsversuche, wieder auf den Probanden über. Veränderter Umfang der Laboranalyse in NRW Vor den eigentlichen Untersuchungen auf Drogenabbauprodukte finden umfangreiche Vortestungen statt. So wird zunächst der Urin daraufhin untersucht, ob sich der hoheitlich ausgegebene Zucker aus der stark gesüßten Markerflüssigkeit als intaktes Disaccharid nicht verstoffwechselt vorfindet. Die als sog. Spucktest bezeichnete Untersuchung kann somit dem für die Präanalytik verantwortlichen Probanden nachweisen, dass er manipulativ unter Umgehung seines tagesaktuellen Körperstoffwechsels Fremdurin oder vor dem Drogenkonsum erzeugten, unbelasteten Eigenurin mit seinem Marker versetzt und abgegeben hat. Es folgen umfangreiche Tests auf Manipulation durch Störung der Drogenanalytik mittels Zusatz unterschiedlicher chemischer Substanzen. Schließlich wird der Kreatiningehalt im Urin bestimmt. Bei Normalwerten erfolgt schlussendlich die Untersuchung auf die einen Konsum beweisenden Drogenabbauprodukte (Opiate, Kokain, Cannabis, Methadon, Benzodiazepine usw.). Es versteht sich fast von selbst, dass das Labor einen Bericht erstattet, der über die Resultate sämtlicher Teilergebnisse verständliche Auskunft erteilt. Umgang mit dem Problem der Dilution Bisher werden Urinproben unterhalb des cutoff als negativ bewertet. Es ist erfahrungsgemäß vom Zufall abhängig, ob der Beurteiler den Kreatininwert im Urin beachtet. Durch Verdünnung gelingt es also Probanden, ein falsch negatives Ergebnis zu erzeugen. Gleichwohl sind Probanden vor ungerechtfertigten falsch positiven Befunden oder diesbezüglichen Vorwürfen mit ggf. weitreichenden Haftund somit Lebenskonsequenzen zu schützen. Man könnte nun aufwendig und somit kostenintensiv der Urinprobe alleinig Wasser unter Beibehaltung der übrigen Urinbestandteile entziehen. Dies gelingt aber nachweisbar auch mathematisch. Aus der Nachbetrachtung von ca. 10.000 Urinproben wurde ein Kreatinin Durchschnittswert ermittelt. Setzt man nun die gemessenen Drogennachweiswerte im verdünnten Urin (Kreatinin < 0,4 g/l) in Beziehung zum unteren klinisch-chemischen Referenzwert von 0,4 g / l, erhält das Labor mathematisch einen hochempfindlichen Index. Dieser Index eignet sich besonders als Indikator (ca. 80 %), ob stattgehabter Drogenkonsum in der verdünnten Urinprobe überhaupt naturwissenschaftlich exakt und somit gerichtsverwertbar nachgewiesen werden kann. Unterhalb des mathematisch angepassten Wertes ist und bleibt die Urinprobe negativ. Oberhalb folgt künftig in NRW automatisch eine Gaschromatographie/Massenspektrometrie (GC/MS), die eindeutig und gerichtsverwertbar, den stattgehabten Konsum beweist. Selbstverständlich stellt das Labor dem Einsender die Ergebnisse mit eindeutigen, einfach verständlichen Aussagen zur Verfügung. Diese einfach verständli-
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chen Aussagen können von den betroffenen Probanden sehr gut nachvollzogen werden und finden Akzeptanz. Zusammenfassung Einfallsreichtum von Gefangenen, ihre Urinproben zu manipulieren, um der konsequenten Disziplinierung oder Herausnahme aus einer Substitutionsbehandlung nach stattgehabten Drogenkonsum zu entgehen, erfordern eine veränderte Logistik und erweiterte Analytik. Mit dem Einsatz der oral-enteralen Urinmarkierung reagiert der Justizvollzug in NRW einerseits auf eine veränderte Mitwirkung der Probanden und andererseits der politischen Vorgabe unser Justizministerin, 3 härter und konsequenter gegen die Drogenkriminalität vorzugehen. Aus dieser klaren politischen Vorgabe resultiert auch eine erhöhte Behandlungschance, besser gegen die Sucht- und somit Krankheitsfolgen vorgehen zu können. Es überrascht sicher nicht, dass mit der veränderten Logistik auch viel mehr Drogenkonsumnachweise geführt werden können. Der Zunahme der Versuche, über Dilution das nun überlegenere Analyseverfahren auszuhebeln, begegnen wir entschlossen. Ich gehe davon aus, der Dilution damit ein Ende zu setzen. Für jeden Nichtmediziner ist es einfach nachvollziehbar, dass kein Mensch freiwillig und gerne erhebliche Mengen an Tee oder Leitungswasser (1-2 l) über den üblichen Tagesdurchschnitt hinaus im Sturztrunk trinken mag. Mit den neuen Erkenntnissen ist der originäre Behandlungsauftrag an Gefangenen nach dem Strafvollzugsgesetz besser zu erfüllen, als mit Nichtwissen, Vermutungen oder akzeptierten Ungenauigkeiten. Jede andere Logistikform muss sich nunmehr die Frage gefallen lassen, ob man stattgehabten Drogen- oder Beikonsum nicht so genau wissen will.
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Rede der Justizministerin Nordrhein-Westfalens zum Thema „Bekämpfung der Drogenkriminalität“, 2007.
Zusammenfassung der Diskussionen im Rahmen des internationalen Symposiums „Intramurale Medizin“
Claudia Schwarz
Nachfolgend werden zusammenfassend einige Schwerpunkte der während des Symposiums geführten Diskussionen wiedergegeben. Im Anschluss an die Referate zur intramuralen Medizin in Deutschland, Italien und Österreich hebt Prof. Unger hervor, dass die Problematik der Gefängnismedizin viel grösser ist als wohl von vielen angenommen worden war – als er selber je gedacht hätte. Er verdeutlicht dies anhand der zahlreichen involvierten Personen. Neben den Gefangenen sind dies die Wärter, Ärzte, Richter und Rechtsanwälte. Das ergibt allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine Zahl von ca. 200000 Personen, die im Bereich der intramuralen Medizin beschäftigt sind. Stelle man diese Zahl in Relation zu den insgesamt ca. 100 Mio. Einwohnern in den genannten drei Ländern, werde einem die Betroffenheit durch die intramurale Medizin, aber auch der entsprechende Handlungsbedarf erst richtig bewusst. Die Tatsache, dass in der breiten Öffentlichkeit trotzdem wenig Problembewusstsein und Interesse an der Thematik vorhanden ist, zeigt gemäss Unger auf, dass zu allererst die Gesellschaft darauf sensibilisiert werden sollte. Es stelle sich daher die Frage, ob über das Thema genügend diskutiert und ob es genügend nach aussen getragen werde. Prof. Pont führt hierzu aus, ein Symposium wie dieses stelle bereits einen ersten Schritt dar, da sich zumindest Fachleute aus den verschiedensten Disziplinen mit dem Thema beschäftigten und einen interdisziplinären Dialog führten. Mit Blick auf die Sensibilisierung der Bevölkerung sei es aber wichtig, dass sich diese Gruppe von Experten nun überlege, wie man die Bevölkerung mittels sachlich fundierten Informationen für das Thema gewinnen könnte. Prof. Unger gibt daraufhin zu bedenken, dass entsprechende Informationen bei der Bevölkerung vermutlich auf wenig Interesse stossen dürften und dass die Gesellschaft unter Umständen eine zu aggressive Haltung gegenüber dem Thema einnehmen könnte, zumal weil bekannt sei, dass der Ausländeranteil in den Gefängnissen 30% -35% ausmache. Prof. Hillenkamp schliesst sich dem Gesagten insoweit an, als in der Bevölkerung teilweise die Auffassung herrsche, die Gefängnisse würden zum „Eldorado der unteren Klassen“ und man könne sich dort auf Kosten des Staates „sanieren“. Weil es aber letztlich auch im Interesse der Gesellschaft liegt – unter
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Claudia Schwarz
dem Strich auch im finanziellen Interesse –, dass Inhaftierte die Gefängnisse als gesunde Menschen verlassen, plädiert er dafür, dies der Gesellschaft auch plausibel zu machen, damit die Notwendigkeit einer effizienten Medizin innerhalb der Mauern auch in der Gesellschaft auf Resonanz stosse. Prof. Hillenkamp nutzt die Gelegenheit, um auf die in Österreich realisierte Idee zurückzukommen, in den Gefängnissen möglichst wenige beamtete Ärzte zu beschäftigen. Er gibt gegenüber Prof. Pont zu bedenken, die vollständige Trennung von Arzt und Vollzugsbeamtem könne ein falsches und auch gefährliches Signal aussenden, weil dem Insassen die Vollzugsunabhängigkeit des Arztes vermittelt werde, obwohl diese nicht grundsätzlich gewährleistet sei. Zumindest bei der Eingangsuntersuchung begegne der Arzt dem Straffälligen nicht nur als Patienten, sondern auch als Gefangenem. Eine vollständige Trennung von Arzt und Vollzugsbeamtem sei kaum umsetzbar; sie verlangte zudem konsequenterweise eine Trennung bereits bei der Eingangsuntersuchung, wobei der Arzt ausschliesslich die Gesundheit diagnostizieren, jegliche weitere Feststellung von Fähigkeiten hingegen dem Vollzugsbeamten überlassen müsste. In seinen Augen sei dieses System zu idealistisch; er plädiere für das seiner Ansicht nach wesentlich realistischere Anstaltsarztprinzip. Dem widerspricht Prof. Pont ausdrücklich. Es gehe letztlich darum, das Vertrauen des Insassen zu gewinnen. Dies erreiche man, wenn man von Anfang an über die genaue Funktion aufkläre und offen mit dem Gefangenen darüber spreche. Dr. Neider fügt hinzu, die Situation in Österreich belege, dass eine Trennung von Anstaltsleiter und Arzt durchaus realistisch sei und sich über all die Jahre bewährt habe. Im Zusammenhang mit der Eingangsuntersuchung müsse lediglich klar notiert werden, wenn ein Gefangener diese verweigere und dann – aufgrund der deswegen fehlenden Kenntnis einer allfälligen Infektion des Insassen – gewisse Funktionen nicht ausüben könne. Prof. Palma beantwortet die Frage, was seines Erachtens am italienischen System primär geändert werden müsste, um die intramurale Medizin zu optimieren. Nach seiner Ansicht müsste in erster Linie eine neue Strafvollzugspolitik angestrebt werden. Da die einzige Strafmöglichkeit, die dem Richter zur Verfügung stehe, Gefängnis sei, und gleichzeitig die Gefängnisse stets überbelegt seien, sodass die Mindeststandards nicht gewährleistet werden könnten, wäre laut Prof. Palma die Ausarbeitung von alternativen Strafformen dringend geboten. Denn wie soll man eine optimale Gesundheitsversorgung gewährleisten, wenn man nicht einmal allen Straffälligen ein normales Bett bereitstellen kann? Diesen Aspekt greift eine Teilnehmerin auf, die darauf hinweist, dass auch in ganz Osteuropa alternative Strafformen fehlten. Sie fragt, was konkret getan werde, um diesem Problem – Gefängnis als einzige Form der Strafe – zu begegnen. Prof. Palma meint dazu, das Problem werde in neuerer Zeit vermehrt aufgegriffen und es würden etwa Sozialprogramme, Gesellschaftsprogramme, Sozialdienste, Mischformen von Gefängnis und Sozialdienst etc. entwickelt, um das Problem zu entschärfen. Ein Teilnehmer gibt zu bedenken, zwischen dem hochgehaltenen Anspruch auf Behandlung nach dem Äquivalenzprinzip und der Schaffung eines Facharztes für Vollzugsmedizin bestehe ein Widerspruch. Wenn nämlich der Äquivalenzanspruch umgesetzt werde, die Versorgung also transparent und durchgängig sei, brauche es keinen Facharzt für Vollzugsmedizin. Prof. Hillenkamp entgegnet,
Zusammenfassung der Diskussionen
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angesichts der oft auftretenden Mehrfacherkrankungen (Komorbidität) in den Gefängnissen sei eine spezifische Ausbildung von Nöten. Sie könne aber durchwegs in das medizinische Curriculum eingebunden werden, so dass sich Äquivalenzprinzip und Facharzt für Vollzugsmedizin nicht entgegenstünden. Prof. Pont pflichtet Prof. Hillenkamp bei, dass ein Ausbildungsbedarf ganz klar vorhanden sei, besonders auch im Lichte dessen, dass die gesellschaftliche Wertschätzung von Ärzten in Gefängnissen nicht sehr hoch sei. Wenn dargestellt würde, dass die Leute wirklich etwas können und evt. ein Diplom dies belege, liesse sich die Akzeptanz der Gefängnisärzte sicher verbessern. Im Laufe der Diskussion wird die Frage der Verbeamtung von Ärzten noch einmal aufgegriffen. Ein Teilnehmer erklärt, die Versorgung durch beamtete Ärzte befreie von dem sonst auf Arztpraxen lastenden finanziellen Druck der gesetzlichen Sozialversicherung. Diese Unabhängigkeit ermögliche eine gute medizinische Versorgung der Inhaftierten, weshalb eine Verbeamtung aus diesem Blickwinkel Vorteile bringe. Auch Prof. Hillenkamp schliesst sich dem an, während Dr. Neider entgegnet, bei nicht verbeamteten Ärzten bestehe kein finanzieller Druck, denn die Honorierung der Gefängnisärzte erfolge mittels eines Einzelvertrages. Die Bezahlung der Versorgung laufe zu 100% über das Gefängnis, wovon die Arzthonorare einen Teil ausmachten. Die Teilnehmer kommen auch auf die Thematik der Drogensubstitution und der kontrollierten Heroin- bzw. Spritzenabgabe zu sprechen. Ein Teilnehmer vertritt die Auffassung, das Prinzip der völligen Drogenfreiheit im Strafvollzug sei nicht nur gerechtfertigt, sondern es komme sogar einem medizinisch-ethischen Postulat gleich. Diese Ansicht wird von allen Referenten gestützt. Man müsse in erster Linie diejenigen unterstützen, die von der Droge loskommen wollten, aber daneben auch die Drogenabhängigen, indem man ihnen Substitutionsprogramme anbiete. Schliesslich wird kurz die Problematik und das Risiko eines Burnout bei Anstaltsärzten und Vollzugsbeamten angeschnitten. Besonders interessiert die Teilnehmer, ob vorbeugende Massnahmen getroffen werden und wie im Allgemein auf diese Thema eingegangen wird? Prof. Pont betont die Notwendigkeit der Rücksichtnahme gegenüber den betroffenen Personen. Hauptsächlich liefen aber die Justizwachebeamten, nicht die Anstaltsärzte oder das Pflegepersonal, das Risiko eines Burnout. Ein Teilnehmer möchte zum dritten Symposiumsabschnitt Intramurale Medizin ausserhalb der Europäischen Union von Frau Prof. Robert wissen, wie sie sich die hohe Zahl von behandlungsbedürftigen Gefangenen in den Strafanstalten Kanadas erklärt: Ob dies damit zusammenhänge, dass ausserhalb der Gefängnismauern das Gesundheitssystem nicht genügend effizient und für jeden zugänglich sei. Dies würde nicht gerade für das System des Public Health sprechen, weil dann offensichtlich ein Leistungsversagen in der kurativen Medizin vorliegen würde. Prof. Robert äussert sich dahingehend, die miserable Gesundheitssituation der Gefangnen sei damit zu erklären, dass meist arme Leute in Haft gesetzt werden, die in Freiheit zwar Zugang zu den gesundheitlichen Dienstleistungen hätten, diese aber weniger in Anspruch nähmen. Prof. Robert hält ausserdem die Überalterung der Gefängnisinsassen für ein ernstzunehmendes Problem. Aufgrund der immer länger
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werdenden Strafen, ermöglicht durch neue Gesetze, würden die Insassen in den Gefängnissen immer älter. Der gleiche Teilnehmer äussert sich auch kritisch zur Berücksichtigung des „gesundheitlichen Wohlverhaltens“ für den Entscheid, ob eine Bewährungsstrafe ausgesprochen wird oder nicht. Er betont, dass in einem Rechtsstaat die Resozialisierung im Vordergrund stehen sollte und diese nicht von einem vorbildlichen Gesundheitsverhalten abhängig gemacht werden dürfe. Diese Einschätzung korrigiert Prof. Robert dahingehend, dass es darum gehe, medizinische Daten zu berücksichtigen, um zu erkennen, welches Gesundheitsrisiko von einem Häftling ausgehe. Dabei stünden ansteckende Krankheiten im Vordergrund und nicht etwa Nikotinabhängigkeit oder Ähnliches. Prof. Robert hält jedoch die Entwicklung in Kanada ebenfalls für inakzeptabel, zumal sie auch jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehre. Die Wirklichkeit sehe aber leider so aus. In der Folge verlagert sich die Diskussion auf die Frage, ob es Regeln gibt, wie sich Ärzte verhalten müssen, wenn sie Spuren von Misshandlung und Folter feststellen. Die drei Referenten sind sich einig, dass Bericht erstattet werden muss, sobald der Verdacht von Misshandlung vorliegt. Frau Prof. Kachaeva beantwortet die Frage, ob man in Russland die Bewährungsstrafe kennt und ob deren Einführung vor allem auch mit Blick auf die sehr hohe Zahl Gefangener nicht viele Vorteile mit sich brächte. Frau Kachaeva stimmt dem zu und führt aus, dass viele Menschen inhaftiert sind, die nur geringfügige Straftaten begangen haben. Mit der Einführung der Bewährungsstrafe könnte man wirtschaftliche und soziale Vorteile erzielen. Besonders wichtig sei auch, dass das Erleben der miserablen Bedingungen in den Gefängnissen wegen Überbelegung durch die Einführung einer Bewährungsstrafe für viele Delinquenten vermieden werden könnte; so liessen sich die Menschenrechte wenigstens für diese Straftäter wahren. Ein weiteres Thema bilden Hungerstreiks. Ein Teilnehmer stellt die provokative These auf, dass, wenn man Leute mit Hungerstreik nicht zwangsernähre, weil man ihren Willen schützen wolle man dieses Verhalten auch auf Bilanzsuizide ummünzen müsste. Diese Ansicht stösst auf vehemente Ablehnung einiger Referenten. Im Zentrum stehe die Gesundheit des Menschen. Wenn ein Mensch wegen Hungerstreiks bewusstlos werde, zwinge das einen Arzt, helfend einzugreifen, um ihn vor dem Tod zu retten. Genau dasselbe gelte bei Suizidgefährdeten. Der Arzt habe die Pflicht, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um einen Menschen vor dem Tod zu schützen. Die Thematik des Suizides gibt Anlass, die Situation in Italien zu beleuchten. Dort haben Gefangene einen offenen Brief an die Regierung verfasst, in dem sie das Abschaffen der lebenslänglichen Zuchthausstrafe forderten. Andernfalls würden sie das Recht auf Sterben gelten machen wollen. Das Anliegen der Gefangenen wird demnächst vor dem Parlament behandelt. Dabei wird sich vor allem die Frage nach der Verfassungskonformität der lebenslänglichen Zuchthausstrafe stellen, denn der eigentliche Zweck einer Strafe, die Resozialisierung, wird durch diese Art der Strafe völlig verfehlt. Unter dem Stichwort „Zwangsbehandlung“ wird die Situation in Russland nochmals näher beleuchtet. Es interessiert vor allem die psychiatrische Behand-
Zusammenfassung der Diskussionen
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lung. Frau Prof. Kachaeva erklärt, eine Zwangsbehandlung werde dann durchgeführt, wenn die Person sich oder Dritte gefährden könnte. Es finde aber keine Absonderung im Sinne einer Einzelhaft statt. Die Möglichkeit einer Zwangsbehandlung von Sexualstraftätern mit Hormonen, wie sie in Holland bekannt ist, gibt es gemäss Prof. Kachaeva in Russland nicht. Eine solche Behandlung könne in Russland nur mit dem Einverständnis des Täters durchgeführt werden. Bei vermindert zurechnungsfähigen Sexualstraftäter, könne das Gericht allerdings eine ambulante Zwangsbehandlung empfehlen. Frau Prof. Tag fragt nach, inwieweit der Angleichungsgrundsatz in Kanada, Russland und der Türkei verwirklicht ist. Die Antwort lautet, dass in Russland die Gleichbehandlung innerhalb und ausserhalb der Gefängnisse sehr stark von der geographischen Lage abhängig sei. Während beispielsweise in Mittel- und Zentralrussland die medizinische Versorgung in den Gefängnissen derjenigen ausserhalb stark angeglichen sei, treffe dies in entfernteren Regionen nicht zu. In der Türkei wiederum sei die Situation innerhalb und ausserhalb der Mauern durchgehend ziemlich angeglichen, allerdings auf einem allgemein eher niedrigen Niveau. Auch in Kanada sei der Angleichungsgrundsatz verwirklicht, wenngleich dies von den Insassen zum Teil nicht bestätigt werde. Diese seien der Ansicht, dass in den Gefängnissen inkompetente Ärzte arbeiten würden. Diese Ansicht sei jedoch nicht begründet, da Gefängnisärzte stets diplomiert sein müssten, um diese Funktion auszuüben. Der zweite Punkt, den Prof. Tag zur Diskussion stellt, bezieht sich auf den Status von Gefängnisärzten. Sind das Ärzte die von aussen zugezogen werden oder handelt es sich um beamtete oder fest angestellte Ärzte? In Russland sind die meisten Ärzte vollamtlich in den Gefängnissen tätig, einige lediglich Teilzeit. In der Türkei sind Anstaltsärzte meistens auch ausserhalb tätig, also nicht fest angestellt, ausnahmsweise sind es Beamte. In Kanada sind die Ärzte vom Gefängnis mittels Einzelvertrag angestellt. Zum Schluss interessiert noch die Situation von straffälligen, schwangeren Frauen. Gibt es die Möglichkeit diese Frauen zu inhaftieren, zu verurteilen und wenn ja, gibt es dann spezielle Mutter-Kind-Einrichtungen? In allen drei Ländern werden auch schwangere Frauen inhaftiert. Je nach Schweregrad des Verbrechens kann allerdings von einer Verurteilung Umgang genommen werden. Bei schwereren Delikten schützt eine Schwangerschaft aber keineswegs vor einer Verurteilung. In Russland existiert ein einziges Frauengefängnis in der Nähe von Moskau. Dieses hat auch eine Mutter-Kind-Einrichtung. In der Türkei blieben bis vor 4-5 Jahren die Kinder von straffälligen Müttern bis zum Grundschulalter im Gefängnis. Diese Situation war natürlich für die Kinder sehr belastend und ungünstig für die Entwicklung. Neu ist es nun so, dass die Kinder nur im ersten Lebensjahr bei der Mutter bleiben und danach bei Verwandten oder wenn keine vorhanden sind, in staatlichen Kinderheimen untergebracht werden. Allerdings verfügen diese über keine Kontrollestellen, so dass das Missbrauchsrisiko sehr hoch ist. In Kanada bleiben die Kinder bis 4jährig bei der Mutter in einer speziellen Mutter-KindAbteilung. Zu Beginn der Diskussion zur intramuralen Medizin in Georgien, Usbekistan und China wird zum Ausdruck gebracht, wie wichtig die vorgängigen Referate
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gewesen seien, vor allem unter dem Blickwinkel, dass die östlichen Länder ja nicht die gleiche Freiheit geniessen würden wie die westlichen. Das Zustandekommen eines so weitgreifenden internationalen Symposiums zeige aber, dass der Transformationsprozess in China zumindest ansatzweise im Gange sei. Dies sei der Beweis, dass die Freiheit tatsächlich bestehe. Anschliessend interessiert die Teilnehmer die Zahl der Tuberkuloseerkrankten in den verschiedenen Ländern. Während in China die Zahlen nicht offengelegt sind, gibt es in Usbekistan und Georgien zwar Angaben, diese sind aber nicht aussagekräftig. Festgehalten werden kann, dass die Problematik sehr gross ist und die Zahlen stets steigend sind. Die Aussage, dass eine Verurteilung zu Gefängnis einem Todesurteil gleichkomme, ist nicht blosse Schwarzmalerei, sondern beinhaltet viel Wahres. Die Situation soll durch internationale Programme in den Griff bekommen werden; auch die Einrichtung von Tuberkulosekrankenhäusern soll der steigenden Infektionsrate entgegenwirken. Auf die Frage eines Teilnehmers, wie lange in China ein zum Tode Verurteilter auf die Vollstreckung seines Urteils warten müsse und ob er während dieser Zeit medizinisch oder psychologisch betreut werde, antwortet Prof. Xiong, die Zeit sei von Fall zu Fall unterschiedlich, betrage im Schnitt aber ungefähr 1 Jahr. Eine spezielle Betreuung sei offensichtlich in den meisten Fällen nicht notwendig. Diskutiert wird auch, ob der Angleichungsgrundsatz verwirklich ist und wie das Gefälle zwischen Stadt- und Landregion aussieht. Prof. Xiong sagt, die Behandlung intra- und extramurales entspreche dem gleichen Standard und auch die Qualität sei dank professioneller Ausbildung der Gefängnisärzte sehr gut. Bezüglich des Verhältnisses von Stadt und Land sei die Versorgung zumindest annähernd gleich, obwohl die Krankenhäuser in Peking einen etwas höheren Standard aufweisen würden als die Provinzkrankenhäuser. Zum Abschluss richtet sich das Interesse auf Usbekistan und Georgien. Prof. Tag hebt hervor, dass Frau Nagler in ihrem Referat die intramurale Medizin zurückhaltend behandelt habe. Sie stellt die Frage, ob der Umstand, dass die medizinische Versorgung ausserhalb der Mauern ggf. sehr rudimentär sei, darauf schliesse, dass intra muros eine annähernd effiziente Versorgung noch viel weniger vorhanden ist und demzufolge eine intramurale Medizin im eigentlichen Sinne gar nicht existiere. Frau Nagler hält dem entgegen, es gebe sehr wohl eine intramurale Medizin. Es gebe Krankenstationen, Ärzte und Krankenpersonal. Was fehle und für eine effiziente Medizin notwendig sei, seien die Medikamente, die Instrumente und das Geld für eine adäquate Ausstattung. Prof. Tag interessiert sich schliesslich noch dafür, ob in den Gefängnissen in China Platz sei für die traditionelle chinesische Medizin. Herr Zhou erklärt, die traditionelle Medizin werde in China oft praktiziert; diese Behandlungsmethode werde aber innerhalb der Gefängnisse weder angewandt noch sei sie gesetzlich geregelt.
Zusammenfassung der Podiumsdiskussion des internationalen Symposiums „Intramurale Medizin“
Julian Mausbach
Nach einer kurzen Vorstellung der Podiumsteilnehmer 1 wurden diese vom Diskussionsleiter Herrn Prof. Dr. Dölling gebeten, eine Stellungnahme zu Themen der intramuralen Medizin abzugeben. Hierbei kristallisierten sich bereits die Schwerpunkte der anschliessenden Diskussion heraus: Administrative Strukturierung der Intramuralen Medizin, Äquivalenzprinzip, medizinische Forschung an und mit inhaftierten Personen, ältere und alte Patienten in Haft als neue Herausforderung der intramurale Medizin, Arztgeheimnis und Meldepflicht bei Straftaten, Misshandlungen oder Folterspuren, der Umgang mit psychisch Kranken in Haft sowie, unter dem Gesichtspunkt des freien Willens, die Problematik des Hungerstreiks und der Zwangsernährung. Die Diskussion eröffnend betonte Frau Prof. Dr. Tag, dass es trotz der vielfältigen, manchmal gar zersplitterten Rechtslage in der Schweiz, gut möglich sei, mit den unterschiedlichen Modellen zu leben und zu arbeiten. Zudem ermöglichen die geschaffenen (Strafvollzugs-)Konkordate und die so genannte „Neuer-Konferenz“ interne Abmachungen unter den Konkordatsbeteiligten. Es sei daher nicht unbedingt notwendig, ein einheitliches Bundesgesetz zum Strafvollzug zu schaffen. Das Schweizerische System könne gegebenenfalls auch für andere Länder, etwa jene, die durch Föderalismusreformen erschüttert wurden, eine Vorbildfunktion einnehmen. Es gelte zudem, die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) zur Behandlung inhaftierter Personen hervorzuheben. Gerade aufgrund ihrer vereinheitlichenden Wirkung komme ihnen grosse Bedeutung zu. Insbesondere in Zweifelsfällen böten sie den Gefängnisärzten eine nicht zu unterschätzende Hilfestellung. Dennoch sei insgesamt eine weitere Vereinheitlichung wünschenswert, da die Rechtslage, die im Einzelfall prakti1
Neben der Leitung durch Herrn Prof. Dr. Dölling waren Mitglieder des Podiums die Veranstalter Frau Prof. Dr. Tag und Herr Prof. Dr. Hillenkamp sowie Herr Dr. Staub (Vizepräsident der Konferenz der schweizerischen Gefängnisärzte), Herr Prof. Dr. Palma (Präsident des CPT und Referent für Italien), Herr Prof. Dr. Verbruggen (Referent für Belgien), Herr Prof. Dr. Pont (Referent für Österreich), Herr Prof. Dr. Schöch und Herr Prof. Dr. Ünver (Referent für die Türkei).
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kabel ist, manchen Wermutstropfen für den Gefängnismediziner bestehen lasse. Schon deshalb, weil in nicht wenigen Situationen die persönliche (auch strafrechtliche) Verantwortung des Gefängnisarztes stark in den Vordergrund gestellt wird, plädierte Frau Prof. Tag dafür, die Konkordatsabsprachen weiter zu modernisieren und auszuweiten. So könne über eine weitergehende Verflechtung für die Gefängnisärzte insgesamt mehr strukturierte Rechtssicherheit geschaffen werden. Von Vertretern aus Ländern mit einem zentralen Verwaltungssystem wurde darauf hingewiesen, dass man insgesamt froh sei, im Vergleich zum kantonalen System in der Schweiz und zur Länderkompetenz in Deutschland, bei neuen Entwicklungen (wie etwa erhöhtem Tuberkuloseaufkommen) auf das zentrale System zurückgreifen zu können. Dieses sei bei der Einführung von neuen (Behandlungs-) Konzepten, nicht nur der einheitlichen Umsetzung wegen sehr hilfreich. Übereinstimmung herrschte darin, dass der in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzende Angleichungsgrundsatz ein international anerkanntes und wichtiges Prinzip sei. Betont wurde, dass auch wenn Angleichung immer relativ auf die extramuralen Verhältnisse zu beziehen sei, es doch erfreulich sei, dass ein Symposium, wie das abgehaltene, auch dazu beitragen werde, dass man sich weltweit genieren müsse, falls bestimmte Mindeststandards unterlaufenden werden. Wenn dies durch internationalen Diskurs und Zusammenarbeit transportiert werden könne, dann werde, da viele Länder die entsprechenden Softlaw-Vereinbarungen unterzeichnet haben, die Bemühung um Angleichung in der intramuralen Medizin nicht umsonst sein. Jedoch dürfe man nicht vergessen, dass das Umfeld des Strafvollzugs die Herbeiführung von Gleichwertigkeit erschwere. Das Fehlen der freien Arztwahl sowie der limitierte Zugang zu medizinischer Versorgung führen zu einer „Monopolstellung“, die etwa das Erkennen von medizinischen Fehlern erschwere. Dies könne sich besonders bei ethnischen Minderheiten soweit zuspitzen, dass Verständigungsschwierigkeiten und eingeschränkter Zugang zu medizinischer Betreuung dazu führen, dass (insbesondere psychiatrische) Versorgung unter bestimmten Rahmenbedingungen für diese Personengruppe gänzlich unzugänglich werde. Das Problem der Äquivalenz erweiternd wurde weiterhin angesprochen, dass die Kluft zwischen den bestehenden Rechtsvorschriften und der tatsächlichen Situation in den Strafvollzugsanstalten von nicht zu unterschätzender Grösse sei. Zwar sei heutzutage in nahezu allen Rechtsordnungen der Gleichwertigkeitsgrundsatz, und zumindest auf Ebene der Europäischen Union dieser auch speziell für inhaftierte Personen und deren medizinische Versorgung, manifestiert. „In Tat und Wahrheit stelle sich aber die Frage, was dieser Grundsatz in der Praxis gelte“. An der Verkleinerung und letztlich Aufhebung der Kluft zwischen Theorie und Praxis sei dringend zu arbeiten. In diesem Zusammenhang müsse auch der Gesichtspunkt der Überbelegung und deren negative Auswirkungen auf die medizinische Versorgung diskutiert werden. Die immer weiter sowohl relativ als auch absolut steigende Zahl von Inhaftierten führe in einigen Ländern zu einer Verunmöglichung der medizinischen Versorgung. Aber auch in Ländern der Europäischen Union werde die steigende Gefangenenpopulation in der Regel nicht von einer entsprechenden Steigerung der Ressourcen begleitet. In diesen Fällen werde das Overcrowding zu einem drängenden Problem.
Zusammenfassung der Podiumsdiskussion
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Bezüglich der Frage der medizinischen Forschung an inhaftierten Personen wurde in die Diskussion eingebracht, dass diese in Deutschland nach dem bestehenden Arzneimittelgesetz, nicht stattfinden soll. Dies sei auf die geschichtliche Belastung Deutschlands zurückzuführen, aus welcher eine besondere Ängstlichkeit im Umgang mit diesem Thema herrühre. Dennoch sei es ethisch nicht richtig auf die medizinische Forschung zu verzichten, wenn dies einer Chancenvorenthaltung gleichkomme. Dies ergänzend wurde betont, dass es in Österreich, welches historisch mindestens so belastet sei wie Deutschland, noch vor zehn bis fünfzehn Jahren nicht in Frage gekommen sei, im Strafvollzug medizinische Forschung zu betreiben. Inzwischen aber habe, sowohl durch das verstärkte Auftreten des HIVirus als auch durch das Bedürfnis, mehr über Substitutionsbehandlungen zu erfahren, ein Umdenken stattgefunden. Dies und die sich rasch entwickelnden Therapiemethoden führen dazu, dass Phase 3-Studien, also solche Studien bei denen es zumindest wahrscheinlich ist, dass durch die Teilnahme den Probanden ein unmittelbarer gesundheitlicher Vorteil erwächst, auch inhaftierten Personen nicht vorenthalten bleiben dürfen. Eine entsprechende Novelle des Strafvollzugsgesetzes, welche die Möglichkeit von Phase 3-Studien mit Zustimmungen der Ethikkommission der Medizinischen Universität in Wien auch im Strafvollzug erlaubt, sei daher inzwischen im Gesetzgebungsprozess angelangt. Mit Blick auf die im Gefängnis sehr sensible Frage des Einverständnisses müsse aber festgehalten werden, dass auf sonstige medizinische Forschung zu verzichten sei, es sei denn, die entsprechende Fragestellung könne nicht durch extramurale Forschung beantwortet werden. Diese Ausführungen wurden aber nicht unwidersprochen geteilt. Es wurde zu bedenken gegeben, dass zwar die Population im Gefängnis überschaubar ist und daher sehr gut überprüfbar sei, in wie weit Medikamente wirken oder auch nicht. Aber auf der anderen Seite sei die Population im Gefängnis auch in ihrer Autonomie beschränkt. Daher sei es aufgrund des unüberhörbaren Rufs nach Freiheit ganz normal, dass die Patienten gegebenenfalls auch in nicht ungefährliche Versuche schneller einwilligen würden. Es stelle sich daher die Frage, ob es der „Experimente“ intramuros wirklich bedarf. Einzelne Ausnahmetatbestände, etwa Phase 3-Studien zur Behandlung von HIV, können hier genannt werden, aber generell sprächen gute Argumente gegen eine Befürwortung der Forschung intramuros. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Vorbildfunktion, welche den Ländern der Europäischen Union und der Schweiz hinsichtlich der Standards auf dem Gebiet der intramuralen Medizin weltweit zukomme, sei es „geradezu fatal“, wenn man die Forschung am Menschen generell zuliesse. Die Erwiderung konzentrierte sich darauf, dass die Möglichkeiten die geschaffen werden sollen, eher als „Heilversuche mit dem erkrankten Menschen“, denn als „Forschung am Menschen“ zu bezeichnen seien. Denn eben jener Heilversuch, bei dem der medizinische Nutzen im Vordergrund stehe, sei etwa nach deutschem Recht ebenfalls ausgeschlossen. Zum einen stelle dies eine unethische und verfassungswidrige Vorenthaltung von Heilungschancen dar, zum anderen würde man sich bei einem solchen Vorgehen genau nach dem Zusatzprotokoll der BioethikKonvention, welches 2005 fertiggestellt und mittlerweile, da von 5 Staaten des Europarates ratifiziert, in Kraft getreten ist, richten. Keinesfalls aber und da näher-
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ten sich die Ansichten, sei die Forschung am Menschen im Strafvollzug generell zu erlauben. Es gelte die Entstehung des Eindrucks zu vermeiden, dass Forschung an inhaftierten Menschen in Europa wieder pauschal möglich sei. Bei den bestehenden Missbrauchsmöglichkeiten sei weiterhin dringend darauf zu achten, dass man über europäische Regelungen, welche in vielen Ländern zudem keinesfalls verbindlich sind, nicht eben diesen Möglichkeiten den Weg bereitet. Daher sei es geboten, die erforderliche Vorsicht und Sorgfalt an den Tag zu legen, etwa durch Einschaltung von Ethikkommissionen. Verstärkt wurde diese Schlussfolgerung durch die Annahme, dass etwa das deutsche Strafvollzugsgesetz 2 den Leistungsanspruch für die medizinische Versorgung an der gesetzlichen Sozialversicherung orientiere. Jene sähe aber gerade keine Forschung oder die Teilnahme daran vor. Dieses sei vielmehr eine freie Lebensentscheidung. Der Leistungsanspruch sei daher begrenzt, so dass der pauschale Zugang zu Forschung gerade nicht vom Äquivalenzprinzip erfasst werde. Zudem sei auch bei grundsätzlicher Annerkennung des Gebots der Chancengleichheit zu bedenken, dass „Äquivalenz“ keinesfalls mit „Gleichheit“ identisch sei, sondern „Gleichwertigkeit unter spezifischen Umständen“ bedeute. Zudem sei für die Teilnahme an medizinischer Forschung Voraussetzung, dass ein frei gefasster Entscheid vorliegt, welcher im Prinzip im Gefängnis nicht möglich sei. Die freie informierte Zustimmung zu spezifischen Behandlungsmethoden sei in einem nichtfreien Umfeld immer zumindest mit Anführungszeichen zu versehen und daher deutlich sensibler zu betrachten und zu bewerten als dies extramuros der Fall ist. Daraufhin wurde die Problematik der ansteigenden Zahl von älteren und alten Patienten der intramuralen Medizin diskutiert. Diese würden zwar nicht von Heute auf Morgen pflegebedürftig, aber mit der steigenden Zahl stiegen auch die Anforderungen an die Gefängnismedizin überproportional an. Dieses Problem verstärke sich dadurch, dass die Aufseher, aus verständlichen Gründen (etwa mangelnde spezifische Ausbildung oder anders definiertes Aufgabenfeld), nicht bereit seien, diesen Patienten „die Socken anzuziehen“. Daher sei, in Anbetracht der bereits bestehenden, aber sicher noch zunehmenden Aktualität, ein Konzept zur Begegnung dieses Problems zu entwickeln. Als mögliche Lösungskonzepte wurde von spitalähnlichen Einrichtungen für alte Häftlinge und von geplanten „lazarettähnlichen Abteilungen“ in Justizanstalten, in welchen auch eine Pflege rund um die Uhr gewährleistet werden soll, berichtet. Ein weiterer Ansatzpunkt ergebe sich aus dem georgischen Gesetz über die Inhaftierung. Danach sei als Entlassungsgrund auch das Alter einer inhaftierten Person denkbar. Auch wurde auf die Strafvollzugsanstalt in Singen/Hohentwiel (Deutschland) hingewiesen, in welcher die Gefangenenpopulation ausschliesslich aus älteren und alten Inhaftierten besteht. Diese Strafvollzugsanstalt, die beson2
§ 61 dStVollzG: Für die Art der Gesundheitsuntersuchungen und medizinischen Vorsorgeleistungen sowie für den Umfang dieser Leistungen und der Leistungen zur Krankenbehandlung einschließlich der Versorgung mit Hilfsmitteln gelten die entsprechenden Vorschriften des Sozialgesetzbuchs und die auf Grund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen.
Zusammenfassung der Podiumsdiskussion
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ders auf die Bedürfnisse älterer Menschen Rücksicht nimmt, könnte Modelcharakter entfalten. Ein weiterer herausragender Diskussionspunkt betraf die Frage des Arztgeheimnisses und der Meldepflicht für den Fall, dass der Gefängnismediziner Misshandlungen oder Spuren von Folter feststellt. Nach deutschem Recht, habe der Arzt, ein Ermessen, ob er diesen Vorfall dem Anstaltsleiter oder gar den Strafverfolgungsbehörden anzeige. Dies könne zwar nach einer Ansicht nur eine Reduktion des Ermessen auf Null nach sich ziehen, wenn der Arzt den Eindruck habe, dass Folter vorliege oder es sich um Fälle wiederholter Misshandlungen handle. Es sei aber dennoch günstiger in solchen Fällen eine gesetzliche Anzeigepflicht zu statuieren, wie sie beispielsweise in den SAMW-Richtlinien zu finden ist. Es sei wünschenswert, solche vorbildlichen Richtlinien für ganz Europa, etwa durch Empfehlungen des Council of Europe oder durch Rahmenbeschlüsse der Europäischen Union oder gar auf Ebene der Vereinten Nationen, einzuführen. Die Schweiz, so ergänzende Ausführungen, befinde sich hinsichtlich der Frage Offenbarungspflicht und Offenbarungsbefugnis in einer recht günstigen Position. Der Gefängnismediziner könne sich in schwierigen (Abwägungs-)Fällen vertrauensvoll an die vorgesetzte Behörde wenden. Sofern die Behörde dann eine Bewilligung erteile, sei der Gefängnismediziner von der Frage, ob er sich im Falle eines Offenbarens strafbar macht, befreit. Dieses Modell könne zumindest für den Strafvollzug auch in anderen Ländern Anwendung finden und damit eine Verlagerung der Verantwortlichkeit in die Hände der Verwaltung ermöglichen. Von anderer Seite wurde zu bedenken gegeben, dass man bei einer zu raschen Offenbarung, selbst im Falle, dass man Folterspuren feststellt, jedenfalls auch auf das ArztPatienten-Verhältnis Rücksicht nehmen müsse. Eine zu schnelle Offenbarung würde das Vertrauen zwischen den Parteien zerstören. Es gelte daher immer auch nach Alternativen zu suchen und die Grenze zum Offenbaren so hoch als möglich anzusetzen. Es wurde des Weiteren auf Ziffer 31 der Empfehlungen des Ministerkommitees 3 von 1998 verwiesen. Diese geben vor, dass jegliche Information über Misshandlungen oder Gewaltanwendungen gegen Insassen von den Gefängnisärzten, bei Einwilligung des Patienten, an die zuständige Behörde weiterzugeben ist. Nicht vergessen dürfe man bei der Frage der Offenbarungsrechte und Pflichten, dass die Ärzte Garanten für die körperliche Unversehrtheit der (inhaftierten) Patienten seien. Daher trete neben das Recht zu Schweigen auch die Pflicht zum Eingreifen. Das bedeute aus strafrechtlicher Sicht für den Arzt, dass ein Nichtoffenbaren, in Fällen in denen ein Patient sich in höchster Gefahr befindet, einen Vorwurf der Tötung durch Unterlassen nach sich ziehen könnte. Dies bedeute, zumindest in den Rechtsordnungen, in denen eine Einwilligung in die aktive Tötung nicht möglich ist, dass eine Offenbarungspflicht bestehe, insofern der Arzt eine Lebensgefahr erkennt, da sich anderenfalls dieser selbst strafbar mache.
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Empfehlungen des Ministerkommitees R (98) 7 Ziffer 31: Any information on cases of violence against inmates, occasioned in the course of detention, should be forwarded to the relevant authorities. As a rule, such action should only be undertaken with the consent of the inmates concerned.
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Der Frage des Umgangs mit psychisch Kranken im Strafvollzug war ein beträchtlicher Teil der Diskussion gewidmet. Es herrschte sowohl auf dem Podium als auch im Plenum Einigkeit darüber, dass die Probleme auf diesem Feld der intramuralen Medizin zu den drängensten zu zählen sind. Hervorgehoben wurde, dass besonders die psychotischen Personen im Strafvollzug nur unzulänglich behandelt werden. Mann könne zwar konsiliarisch einen Psychiater heranziehen, aber eine kontinuierliche verantwortungsbewusste psychiatrische Behandlung sei in der Regel nicht möglich. Sofern die am Symposium vertretenden Länder zu diesem Thema berichtet haben, sei übereinstimmend berichtet worden, dass diese Personen für bestimmte Behandlungen in psychiatrische Krankenhäuser überführt werden müssten, wobei erhebliche Risiken, gerade auch strafrechtlicher Natur, für die Psychiater und Vollzugsmediziner in Kauf zu nehmen seien und erhebliche Kosten anfallen würden. Dies sei ein Zustand, der Psychiatern und Vollzugsmedizinern nicht zugemutet werden könne. Zwar gäbe es in einigen Bundesländern in Deutschland spezielle forensisch-psychiatrische Abteilungen innerhalb des Justizvollzuges, die vorhandenen Plätze allerdings seien bei Weitem nicht ausreichend. Dies würde zwar nunmehr durch das Gesetz zur Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus und in der Entzugsanstalt geregelt. Es sei aber unbedingt auf eine Ausweitung dieser Regelung im Sinne der angemessenen Betreuung psychisch kranker Straftäter zu sorgen. Zustimmend wurde geäussert, dass auch in Belgien häufig psychiatrische Krankenhäuser die Aufnahme von problematischen oder gefährlichen Patienten aus dem Strafvollzug verweigern. Man scheue die Verantwortung, die persönliche Haftung und die Kosten. Nur der Druck aus Fachkreisen könne hier eine Änderung bewirken. Daraufhin kristallisierte sich Uneinigkeit über den adäquaten Umgang mit (kompensierten) Schizophrenen heraus. Es wurde berichtet, dass eine Unterbringung im Normalvollzug für diese Patienten durchaus vorteilhaft sein könne. Die Patienten fühlen sich dort sehr viel wohler, als in einer Psychiatrie, was nicht zuletzt an der Tatsache läge, dass sie sich in diesem Umfeld stärker für ihre Taten verantworten müssen. Zudem gestatte die Ausstattung in einigen der schweizerischen Strafvollzugsinstitutionen eine gute Behandlung dieser Personen. Die Erwiderung konzentrierte sich darauf, dass sich Schizophrene auch im Massregelvollzug wohlfühlen würden. Gerade weil dieser auf Kompensation und Entlassung ausgerichtet sei. Zudem sei international der Standard der Ausbildung des Strafvollzugspersonals und die Ausstattung der Strafvollzugsinstitutionen nicht so, wie dies für die Schweiz geschildert würde. Es gebe im Allgemeinen grosse Probleme und daher gelte eine Unterbringung im Massregelvollzug als vorteilhaft. Am Beispiel der Situation in Österreich, wo neben einem psychiatrischen Justizkrankenhaus in vielen psychiatrischen Einrichtungen geschlossene Abteilungen eingerichtet seien, wurde ergänzt, dass man dort davon ausgehe, als Patienten deklarierte Personen sollten nicht im Strafvollzug aufgehoben sein. Gemäss dem Spannungsverhältnis von Art. 2 EMRK (Lebensschutz) und Art. 3 EMRK (Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung) gelte es, eine ausgewogene Entscheidung zu treffen Dies wurde einführend zur Thematik Hungerstreik und Zwangsernährung betont. Zunächst überwiege keineswegs der Lebens-
Zusammenfassung der Podiumsdiskussion
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schutz per se die anderen Grundrechte, sondern diese haben alle den gleichen Rechtsstatus. Daher sei es in Zweifelsfällen über den Willen des hungerstreikenden Patienten - etwa bei Druck durch Dritte - möglich, dass ein Gericht entscheiden könne, dass Anordnung und Vollzug von Zwangsernährung nicht Art. 3 EMRK widerspricht. Des Weiteren sei in den Fällen in denen keine Entscheidung über Zwangernährung eines im Hungerstreik befindlichen Patienten vorlag und sich seine Situation immer weiter verschlechterte und zudem die Umsetzung der Zwangsernährung nicht als unmenschlich oder erniedrigend zu bewerten war, bereits zu Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs gekommen, die eine unter diesen Voraussetzungen vorgenommene Zwangsernährung nicht als Verstoss gegen Art. 3 EMRK bewertet haben. Daraufhin wurde festgestellt, dass es der Arbeit von Herrn Prof. Dr. Amelung aus Dresden zu verdanken ist, dass an der Möglichkeit der freien Willensentscheidung im Strafvollzug im Grundsatz nicht zu zweifeln sei. Sehr wohl müsse man genau hinschauen, insbesondere bei Hungerstreik und Forschung, aber die Einwilligungsfähigkeit zu normalen Behandlungen, welche zu Recht den informed consent voraussetzten, könne zumindest ohne grundsätzliche Zweifel angenommen werden. Im weiteren Verlauf der Diskussion zeigten sich gegensätzliche Ansätze hinsichtlich des Umgangs mit hungerstreikenden Patienten. Zum einen wurde vertreten, dass, so lange eine freie Entscheidung durch den Patienten ausgeübt werden könne, diese zu respektieren sei und ab dem Zeitpunkt, ab dem diese freie Entscheidung nicht mehr getroffen werden könne, sei der Lebenswille zu unterstellen und ärztlich einzugreifen. Ebenso wurde aber auch vertreten, dass man den Willen des Patienten bis zu letzt zu respektieren habe, mit der Konsequenz, dass sich ein ärztliches Eingreifen verbiete. Des Weiteren wurde die Ansicht vertreten, dass man in diesen Fällen differenzieren müsse. Ausgehend von der Überlegung, dass für den Fall, dass man die Existenz des Bilanzselbstmordes annehme, dieser auch in der totalitären Umgebung des Strafvollzuges zulässig sein müsse, müsse man bei Hungerstreikenden bedenken, dass der Streik der Verfolgung eines Ziels diene. Dabei läge eben nicht der unbedingte Wunsch zu sterben vor, sondern der Wunsch zu sterben, wenn nicht diese oder jene Bedingung erfüllt werde. Dies sei für den Fall, dass die Bedingung nicht erfüllt wird, angemessen in Ausgleich zu bringen und zu gewichten. Letztlich bliebe es eine Frage der Verhältnismässigkeit, die im Einzelfall zu klären sei und zu einer Art Case-Law führe. Darüber hinaus wurde auf die Richtlinie der SAMW verwiesen, welche hinsichtlich des Umgangs mit Hungerstreikenden eine grosse Hilfe darstellen könne. Auch sei nicht zu unterschlagen, dass sich gerade aus medizinischer Sicht eine Reihe somatischer und psychologischer Massnahmen böten, die in der Regel eine Zwangsbehandlung unnötig machen würden. Im Rahmen der Abschlussbemerkungen wurde in den Vordergrund gestellt, dass die Existenz und Schaffung von praktikablen Standards unabdingbar sei. Auch eine internationale Vernetzung der Gefängnismediziner, die dann beispielsweise bei gemeinschaftlichen Trainings daran arbeiten könnten, diese Standards in
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Julian Mausbach
das Bewusstsein des Strafvollzugsalltags zu tragen und so die Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit zu verringern, sei wünschenswert. Darüber hinaus sei die interdisziplinäre Verknüpfung und die Verknüpfung von intramuraler und extramuraler Medizin, hin zu einer transmuralen Medizin anzustreben. Dies insbesondere deshalb, weil der Vorurteilsabbau gegenüber der intramuralen Medizin weitergeführt werden müsse. Unmittelbare Verbesserungen innerhalb der Strafvollzugsinstitutionen seien vor allem in den Bereichen der Prävention und bei der Planung des Vollzugs zu erzielen.
Im Folgenden finden sich die PowerPoint-Präsentationen von Herrn Dr. Restellini und Herr Dr. Staub, die anlässlich des internationalen Symposiums “Intramurale Medizin. Gesundheitsfürsorge zwischen Heilauftrag und Strafvollzug im Schweizerischen und internationalen Diskurs“ im Rahmen der jeweiligen Referate zum Einsatz gekommen sind. Sie sind als solche nicht als ausgearbeitete Beiträge zu verstehen, sollen aber abgedruckt werden, um der geneigten Leserschaft die Möglichkeit zu bieten, das durch die Lektüre der vorstehenden Beiträge gewonnene Bild zur intramuralen Medizin und den Stand der Diskussion zu vervollständigen. Abgedruckt sind die Begleitfolien zum Referat „Die Rolle des Arztes im Schweizerischen Strafvollzug“ von Herrn Dr. Staub sowie zum Referat „Die medizinisch-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen” von Herrn Dr. Restellini, einschliesslich einer Aufstellung der Aufgaben der SAMW und des Verfahrens der Zentralen Ethikkommission.
Die Rolle des Arztes im Schweizerischen Strafvollzug
Thomas Staub
WHO-Definition „Gesundheit“ (Palais des Nations, Genève 1958)..............435 Definition „Gefängnismedizin“ ........................................................................435 Das Äquivalenzprinzip......................................................................................435 Die Situation in der Schweiz.............................................................................435 Die medizinische Betreuung in Schweizer Gefängnissen wird gewährleistet durch ...........................................................................................436 Ziele der ärztlichen Betreuung.........................................................................436 Medizinische Standardleistungen bei (legaler oder illegaler) Einreise in die Schweiz .........................................................................................................436 Medizinische Grundversorgung in Schweizer Gefängnissen ........................437 Schwierige gefängnismedizinische Probleme ..................................................437 Bei der Konferenz Schweizerischer Gefängnisärzte im Januar 2005 wurde festgestellt, dass in den verschiedenen Gefängnissen der Schweiz ....437 Unsere bisherigen Tätigkeiten beinhalteten....................................................437 1. Phase: Erhebung des IST-Zustandes in Schweizer Gefängnissen ............438 Weitere Schritte: Definitionen..........................................................................438 Alter der Gefangenen in der Strafanstalt Pöschwies .....................................439
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Thomas Staub
Strafdauer der Gefangenen in der Strafanstalt Pöschwies............................ 439 Ausblicke............................................................................................................ 440
Die Rolle des Arztes im Schweizerischen Strafvollzug
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WHO-Definition „Gesundheit“ (Palais des Nations, Genève 1958) Nicht allein das Fehlen einer Krankheit oder eines Gebrechens, sondern auch körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden gehören zu den Grundrechten des menschlichen Lebens.
Definition „Gefängnismedizin“ Umfassende gesundheitliche Betreuung der Gefangenen auf professioneller und ethischer Basis, in gleicher Qualität wie in Freiheit (Äquivalenzprinzip) und unter Einbezug der Haftsituation.
Das Äquivalenzprinzip x Strafvollzug soll „nur“ Freiheit beschränken, das heisst:
o gleichwertige Behandlung wie in Freiheit ! o gleichwertige Ethik wie in Freiheit ! x Realistischer Unterschied: o keine freie Arztwahl o Abhängigkeit von Arztmeinung o Beschränkung der Behandlung durch Aufwand und Kosten Æ Dilemmasituation von Arzt und Patient!
Die Situation in der Schweiz x 25 Kantone mit: o
o o
total 122 Institutionen mit: Polizeigefängnissen Bezirksgefängnissen, Untersuchungshaftanstalten Geschlossenen Vollzugsanstalten Frauengefängnissen Halbgefangenschaften, Kurzstrafen Halbfreiheiten / Offenem Vollzug Arbeitserziehungsanstalten (Jugendliche) Ausschaffungsgefängnissen total 6.460 Haftplätze (Einer-, Doppel- bis Dreierbelegung) 3 Konkordate: Ost-, West- und Nordwest-/ Zentralschweiz
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Thomas Staub
Die medizinische Betreuung in Schweizer Gefängnissen wird gewährleistet durch x x x x x x
Sanitäter (oft Gefängnisaufseher in Doppelrolle) Krankenpfleger/ -schwestern (oft Teilzeit) Somatiker (Arzt aus Umgebung, meist Teilzeit) Psychiater (Arzt aus Umgebung, oft Teilzeit) selten vollamtliche „professionelle“ Betreuung Notfallmässige Hospitalisationen mit Ambulanz und/ oder Polizei im nächstgelegenen Spital jederzeit x Stationär im Universitätsspital Bern oder Genf, da nur dort spezielle Gefängnisabteilungen vorhanden sind
Ziele der ärztlichen Betreuung x x x x x
Eintrittsmusterung / Gesundheits-Check up gute und rationelle Diagnostik verständliche Aufklärung und Prävention angemessene Behandlung, Heilung Prophylaxe von Spätfolgen
Medizinische Standardleistungen bei (legaler oder illegaler) Einreise in die Schweiz x Befragung oder Fragebogen über aktuellen Gesundheitszustand (Wohlbefinden) Mantoux-Test (Tuberkulose) Thorax-Röntgenbild (Tuberkulose) Kontrolle durch medizinische Fachperson bei Bedarf Hospitalisation bei Bedarf Bluttest für Hepatitis B/C oder HIV nicht obligatorisch, wird oftmals angeboten x Abgabe einer kleinen Notapotheke
x x x x x
Die Rolle des Arztes im Schweizerischen Strafvollzug
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Medizinische Grundversorgung in Schweizer Gefängnissen x Grundsätzlich erhält jede/r Gefangene die (überlebens-) notwendigen medizinischen Grundleistungen x Weitergehende medizinische Leistungen in Abhängigkeit von Dringlichkeit, Haftdauer, Kosten bzw. Kostenträger Æ Die Entscheidung durch den (Spital-) Arzt ist nicht immer einfach !
Schwierige gefängnismedizinische Probleme x Generelle Verweigerungshaltung: Abklärungs-/ Therapieverweigerung, Hungerstreik x Gewaltanwendungen, Disziplinierungen: Isolationszelle, Leibesvisitation x Geisteskrankheit, körperliche Behinderungen, eingeschränkte Hafterstehungsfähigkeit Bei der Konferenz Schweizerischer Gefängnisärzte im Januar 2005 wurde festgestellt, dass in den verschiedenen Gefängnissen der Schweiz:
x jedes Gefängnis unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung hat (räumlich, x x x x
personell, materiell) es kein einheitliches Abklärungs-/ Behandlungskonzept gibt die medizinische (Grund-) Versorgung deshalb sehr unterschiedlich ausfällt die Übergabe von Patientendaten sehr unterschiedlich gehandhabt wird die Zusammenarbeit zwischen Pflegefachleuten, Ärzten, Psychiater, etc. sehr unterschiedlich ist
Deshalb wurde daraus geschlossen, dass:
x eine bessere Koordinierung und Zusammenarbeit unbedingt notwendig ist x gewisse Konzepte, Standards und Richtlinien sinnvoll wären x damit auch viele Ressourcen und Kosten eingespart werden könnten
Unsere bisherigen Tätigkeiten beinhalteten x Die Definition unserer Konferenz mittels Statuten x Die Bekanntmachung unserer Jahreskonferenz Æ mehr Teilnehmer
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Thomas Staub
x Die Aufschaltung einer Homepage mit Adressen und div. Informationen: www.chuv.ch/psy/smpp.htm
x Die Erfassung sämtlicher in Schweizer Gefängnissen arbeitenden Medizinalpersonen
x Die Erarbeitung eines medizinischen Übergabe-Rapportblattes (zweisprachig) x Die Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Forum für Gesundheitsdienste der medizinischen Pflegefachleute
1. Phase: Erhebung des IST-Zustandes in Schweizer Gefängnissen x x x x x x
bauliche Einrichtungen (Untersuchungszimmer, Krankenzimmer) personelle Bestückung (Sanitäter, Pflegefachperson, Arzt) materielle Ausstattung (Medikamente, Verbandsmaterial, Injektionen, etc.) Organisation (auf Abruf, Pikettdienst, hauptamtlich) Grundversorgung (Notfall, Triage, Dauerbetreuung) Prophylaxe (Aufklärung, Broschüren, Medikamente)
Weitere Schritte: Definitionen x x x x
Rechte des Häftlings Mindestleistungen im Pflegebereich Mindeststandards für Ausrüstung und Infrastrukturen Vorgaben zur Abklärung und Behandlung von Hepatitis B/C, HIV/AIDS, Tuberkulose, etc. x Sorgenkind: immer mehr Gefangene mit zunehmender Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit
Die Rolle des Arztes im Schweizerischen Strafvollzug
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Alter der Gefangenen in der Strafanstalt Pöschwies
50 bis 59 J 15%
40 bis 49 J 24%
60 J und mehr 4% bis 20 J 0% 20 bis 29 J 24%
30 bis 39 J 33%
Strafdauer der Gefangenen in der Strafanstalt Pöschwies
Verwahrung 21%
bis 1 Jahr 1%
bis 2 Jahre 1% bis 3 Jahre 5% bis 5 Jahre 16%
Vorzeitiger Antritt 12%
Lebenslang 4%
bis 10 Jahre 20% bis und mit 20 Jahre 20%
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Thomas Staub
Verwahrungen nach Art. 43 aStGB 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
16 26 29 37 40 42 43 45 49 53 56
Ausblicke x Die Tendenz zeigt immer mehr langstrafige, gesundheitlich angeschlagene bis invalidisierte Gefangene.
x Wohin mit den zwar pflegebedürftigen, aber noch immer gefährlichen Gefangenen?
x In der Schweiz existiert dazu noch kein Bewusstsein oder gar Modell. Æ mehr politischer Druck wird erwünscht!
Die medizinisch-ethischen Richtlinien der SAMW für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen – The medical-ethical guidelines of the Swiss academy of the Medical Sciences concerning the exercise of medical activities in respect of detained persons
Jean-Pierre Restellini
I.
Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) / The Swiss Academy of Medical Sciences (SAMS)
II. Die Zentrale Ethikkommission (ZEK) / The Central Ethical Committee (CEC) III. Die Richtlinien: “Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen“/ The guidelines: “The exercise of medical activities in respect of detained persons” Auftrag der SAMW / Mission of the SAMS 1. Die Klärung ethischer Fragen im Zusammenhang mit medizinischen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft / Clarification of ethical questions in connection with medical developments and their effects on society; 2. Eine umfassende Reflexion über die Zukunft der Medizin / Comprehensive reflection on the future of medicine; 3. Engagement in der Hochschul-, Wissenschafts- und Bildungspolitik, verbunden mit einer Experten- bzw. Beratungstätigkeit zuhanden von Politik und Behörden / Engagement in university, scientific and education politics, combined with expert and advisory activity for the attention of politicians and authorities;
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Jean-Pierre Restellini
4. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, insbesondere in der klinischen Forschung / Promotion of the professional training of the coming generation of scientists, especially in clinical research; 5. Die Unterstützung der hohen Forschungsqualität in der biomedizinischen und klinischen Forschung / Support of the high quality of the research in biomedical and clinical research; 6. Die Verbindung der wissenschaftlichen Medizin mit der Praxis / The connection between scientific medicine and medical practice. Verfahren der ZEK / Procedure of the CEC 1. Zur Ausarbeitung von Richtlinien setzt die ZEK eine interdisziplinär zusammengesetzte Subkommission ein / For the formulation of guidelines, the CEC appoints an interdisciplinary sub-committee 2. Der Entwurf der Richtlinien wird betroffenen Personen, Organisationen und Institutionen zur Stellungnahme unterbreitet; Die Subkommission prüft die eingegangenen Stellungnahmen und trägt diesen so weit als möglich und sinnvoll Rechnung / The draft of the guidelines is submitted to the persons, organizations and institutions concerned for their comments. The subcommittee then studies the comments received and takes them into account as far as this is possible and practicable. Verfahren der ZEK / Procedure of the CEC II 3.
Die überarbeitete Version wird nach Zustimmung durch ZEK und Vorstand dem Senat zur definitiven Verabschiedung vorgelegt; die endgültige Fassung wird in der Schweizerischen Ärztezeitung veröffentlicht / After it has been agreed by the CEC and the Board of Administration, the revised version is submitted to the Senate for definitive approval; the final version is published in the Swiss Medical Journal
Geschichtliche Überblick / Brief Historical Februar 1987
März 1999 November 2000 November 2002
(SAZ-BMS Band 68, 1987, heft 12, p. 497-498) Beschluss des ZK der FMH / Decision of the Council of the Swiss Medical Association Tod eines Gefangenen in Kloten / Death of a detainee in Zurich airport Einsetzung der Subkommission / Setting up of the subcommission Genehmigung vom Senat / Adoption by the SMAS‘s Senat
Richtlinien für die Ausübung der ärzlichen Tätigkeit an inhaftierten Personen
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Ziel der Richtlinien / Aim of the Guidelines • •
“Wiederzuschreiben der Europäischen Richtlinien auf die Schweiz“ / “To rewrite in swiss“ the europeen guidelines Ergänzen um polizeiliche Aspekte / To complete the police aspects
Die Richtlinien: “Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen“ / the guidelines: “The exercise of medical activities in respect of detained persons” Mitglieder der Subkommission / Members of the subcommittee • • • • • • •
ein Kantonsarzt / a Medical Cantonal Doctor ein Kommandant der Kantonspolizei / a chiefpolice at the cantonal level ein Direktor eines Kantonalamtes für Strafvollzug / a chief prison cantonal dpt ein Rechtsprofessor/ a professor of law ein Chefarzt einer zentralen Notfallaufnahme / a emergency hospital chief doctor zwei Psychiater / two psychiatrists ein (ehemaliger) Gefängnisarzt / a (former) prison doctor
Hauptpunkte 1. Begriff der Verweigerung aus Gewissensgründen / Concept of refusal for reasons of conscience 2. Gutachter und Therapietätigkeiten / Expert v. treating situations 3. Disziplinarstrafen/ Disciplinary punishment 4. Untersuchungsbedingungen / Conditions of medical examination 5. Gleichwertigkeit der Behandlung / Equality of treatment/ care 6. Einwilligung zu einer medizinischen Behandlung und Zwangsbehandlung / Agreement to a medical treatment or to a coercive treatment 7. Hungerstreik / Hunger strike 8. Schweigepflicht / Confidentiality 9. Erstattung einer Anzeige über eventuelle Misshandlungen / Filing a complaint on suspected abuse 10. Ärztliche Unabhängigkeit / Doctor’s independence 11. Ausbildung / Training 12. Durch die Behörden beschlossene Zwangsmassnahmen im Polizeigewahrsam oder im Strafvollzug / Coercive measures decided and applied by the police or prison authorities
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Es stellt sich die Frage zur Notwendigkeit der Aktualisierung der vorgestellten Richtlinien / The question arises if the presented guidelines have to be updated?
Vorstellung der SAMW und der ZEK
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Auftrag der SAMW...........................................................................................446 Verfahren der ZEK ...........................................................................................446
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Auftrag der SAMW Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) wurde 1943 durch die fünf Medizinischen und die zwei Veterinärmedizinischen Fakultäten sowie die Verbindung der Schweizer Ärzte FMH gegründet. Hauptaufgabe der unabhängigen Stiftung mit Sitz in Basel war damals – in einer Zeit der kriegsbedingten Isolation der Schweiz – die Forschungs- und Nachwuchsförderung. Heute setzt die SAMW mit ihren beiden Hauptprogrammen «Medizin und Gesellschaft» und «Medizinische Wissenschaft und Praxis» folgende Schwerpunkte:
• die Klärung ethischer Fragen im Zusammenhang mit medizinischen Entwick• • • • •
lungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft; eine umfassende Reflexion über die Zukunft der Medizin; Engagement in der Hochschul-, Wissenschafts- und Bildungspolitik, verbunden mit einer Experten- bzw. Beratungstätigkeit zuhanden von Politik und Behörden; die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, insbesondere in der klinischen Forschung; die Unterstützung der hohen Forschungsqualität in der biomedizinischen und klinischen Forschung; die Verbindung der wissenschaftlichen Medizin mit der Praxis.
Alle diese Aktivitäten beziehen sich primär auf das schweizerische Umfeld, orientieren sich aber stark an den internationalen Entwicklungen. Der internationale Bezug wird gepflegt durch Mitgliedschaft in verschiedenen internationalen Organisationen und die Teilnahme von SAMW-Mitgliedern an internationalen Tagungen im Bereich der biomedizinischen Ethik und Zukunft der Medizin.
Verfahren der ZEK Die Zentrale Ethikkommission (ZEK) antizipiert und diskutiert ethische Probleme der Medizin. Sie orientiert sich an den Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene und fördert dabei den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit mit verwandten Institutionen. Die Zentrale Ethikkommission diskutiert neu auftretende Fragestellungen im Bereich der Medizinethik. Sie tagt sooft ihre Geschäfte dies erfordern, in der Regel fünf Mal jährlich. Im Rahmen dieser Sitzungen lädt sie Gastreferenten zu einem aktuellen Thema ein, diskutiert neue Gebiete, wo sich medizinisch-ethische Probleme abzeichnen, und berät über nötige Revisionen bereits vorhandener oder das Erstellen neuer Richtlinien. Zur Ausarbeitung von Richtlinien setzt die ZEK eine interdisziplinär zusammengesetzte Subkommission ein. Diese arbeitet in der Regel innerhalb eines Jah-
Vorstellung der SAMW und der ZEK
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res einen Entwurf aus, welcher nach Verabschiedung durch die ZEK zur Genehmigung an Vorstand und Senat weitergeleitet wird. Der Entwurf der Richtlinien wird betroffenen Personen, Organisationen und Institutionen zur Stellungnahme unterbreitet und einer öffentlichen Vernehmlassung unterworfen. Die Subkommission prüft die eingegangenen Stellungnahmen und trägt diesen so weit als möglich und sinnvoll Rechnung. Die überarbeitete Version wird nach Zustimmung durch ZEK und Vorstand dem Senat zur definitiven Verabschiedung vorgelegt; die endgültige Fassung wird in der Schweizerischen Ärztezeitung veröffentlicht.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Dr. Ann Dierickx LL.M., Senior researcher, Institute of Criminal Law, Katholische Universität Leuven, Belgien,
[email protected]; Lawyer,
[email protected]
Prof. Dr. med. Bernice S. Elger Professeure adjointe, Centre Universitaire Romand de Médecine Légale, Genf, Schweiz
[email protected] /
[email protected]
Dr. med. Marc Graf Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, stv. Leiter der Forensischen Abteilung der UPK Basel, Schweiz
[email protected]
Prof. Dr. iur. Dr. h. c. Thomas Hillenkamp Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim (IMGB), Deutschland
[email protected]
Prof. Dr. med. Margarita Kachaeva Leading Researcher, Serbsky National Research Centre for Social and Forensic Psychiatry Head of theCourse of ForensicPsychiatry, Postgraduate Faculty of Sechenov Moscow Medical Academy Moskau, Russland
[email protected]
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Verzeichnis der Autoren und Autorinnen
Dr. med. Marzena Ksel Chief Medical Officer in the Polish Prison Service, Warsaw, Polen
[email protected]
Julian Mausbach Wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrstuhl Prof. Dr. Tag, Universität Zürich, Schweiz
[email protected]
Francis van Mol MD, Director of the Prison Health Care Service of the Belgian Federal Public Service Justice
Katrin Nagler Wissenschaftliche Mitarbeiterin Lehrstuhl Prof. Dr. Tag, Universität Zürich, Schweiz; ehemals stellv. Leiterin der Repräsentanz der Konrad-Adenauer-Stiftung für Zentralasien und den Süd-Kaukasus in Taschkent
[email protected]
Fahrutdin Nasrullaev, M.D. Senior Scientific Researcher Serbsky National Research Center for Social and Forensic Psyhiatry Moskau, Russland
Sektionschef Dr. iur. Michael Neider Leiter der Strafvollzugssektion Bundesministerium für Justiz Wien, Universität Wien, Österreich
[email protected] /
[email protected]
Prof. Dr. Mauro Palma President European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Council of Europe Strasbourg, Italien
[email protected]
Dr. med. Peter J.A. van Panhuis Psychiater, Mitglied des Direktionsrates des Niederländischen Instituts für forensische Psychiatrie und Psychologie (NIFPP), Forensisch Psychiatrischer Dienst Den Bosch, Ministerium der Justiz, Niederlande
[email protected]
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Univ. Prof. Dr. med. Jörg Pont Vorstandsmitglied von "Ärzte ohne Grenzen, Österreich" Medizinische Universität Wien
[email protected]
Prof. Dr. iur. Xiong Qiuhong Associate Professor, Law Institute, Chinese Academy of Social Sciences Peking, China
[email protected]
Michael W. E. Riedel Ltd. Regierungsmedizinaldirektor, Facharzt für Allgemeinmedizin, Suchtmedizinische Grundversorgung, Medizinaldezernent beim Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen (NRW), Wuppertal, Deutschland
[email protected]
Dr. med. lic. iur. Jean Pierre Restellini European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Council of Europe Strasbourg, Schweiz
[email protected]
Prof. Dr. iur. Dominique Robert Professor, Department of Criminology, University of Ottawa, Canada
[email protected]
Claudia Schwarz Wissenschaftliche Mitarbeiterin Lehrstuhl Prof. Dr. Tag, Universität Zürich, Schweiz
[email protected]
Dr. med. Thomas Staub Leitender Gefängnisarzt der Kant. Strafanstalt Pöschwies (Kanton Zürich), Schweiz, FMH für Innere Medizin und Rheumatologie, Vize-Präsident der Konferenz der schweizerischen Gefängnisärzte,
[email protected]
Prof. Dr. rer. pol. Heino Stöver Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Pädagogik, Deutschland
[email protected]
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Verzeichnis der Autoren und Autorinnen
Prof. Dr. iur. utr. Brigitte Tag Lehrstuhl für Straf- und Strafprozessrecht, Universität Zürich, Schweiz
[email protected]
Prof. Dr. Yener Ünver Yeditepe Universität, Türkei
[email protected]
Anne Vandesteene LL.M., M Crim, is Expert in Medical Law at the Prison Health Care Service of the Belgian Federal Public Service Justice
Prof. Dr. Frank Verbruggen Associate Professor Institute of Criminal Law, Katholische Universität Leuven, Belgien
[email protected]
Zehnjie Zhou LL.M, PhD Candidate Law Institute Chinese Academy of Social Sciences Peking, China
[email protected]