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Vorwort
Gerechtigkeit ist ein Grundbegriff nicht nur der Medizinethik, sondern der Ethik überhaupt. Die abendländische Philosophie und die christliche Tradition zählen die Gerechtigkeit neben Tapferkeit, Klugheit und Mäßigkeit zu den vier Kardinaltugenden. Neben einem tugendethischen Verständnis von Gerechtigkeit steht ein pflichtenethisches Gerechtigkeitverständnis, welches die Korrelation zwischen Rechtsansprüchen und Pflichten, die Menschen einander in der sozialen Interaktion schulden, zum Thema macht. Mit der neuzeitlichen Wende zum Subjekt konzentriert sich der Gerechtigkeitsdiskurs auf die formale Gleichheit und Freiheit vernünftiger und autonomer Individuen. Grundlage des modernen Gerechtigkeitsbegriffs in der Tradition der europäischen Aufklärung ist die Idee freiheitlich fundierter Menschenrechte. Zu ihnen zählt auch das Recht auf Gesundheit bzw. auf Gesundheitsschutz. Artikel 12, Absatz 1 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus dem Jahr 1966 lautet: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an.“ Absatz 2 führt aus, dass die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechtes u.a. Maßnahmen zur Schaffung der Voraussetzungen umfassen, die für jeden Menschen im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen. Auch die Grundrechtscharta der Europäischen Union vom Dezember 2000 führt das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und ärztliche Betreuung – „nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ – unter den Grundrechten auf. Was im Einzelnen zu einer gerechten Gesundheitsvorsorge und medizinischen Betreuung gehört, ist freilich Gegenstand ethischer sowie gesundheitspolitischer und -ökonomischer Kontroversen. Strittig ist schon, ob es sich bei Gesundheit um ein privates, öffentliches oder transzendentales Gut handelt, oder ob Gesundheit wie Bildung und Sicherheit ein Güterbündel ist. Von der Beantwortung diese Frage hängt wiederum ab, wie weit man Gesundheitsvorsorge und medizinische Versorgung als Aufgabe des Sozialstaates oder privater Eigenverantwortung betrachtet, wie weit man Gesundheit und medizinische Dienstleistungen nach den Grundsätzen der Tauschgerechtigkeit marktförmig
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Vorwort
organisieren oder den Gesetzes des Marktes entziehen und im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit regeln will. In der Debatte stehen sich nicht nur unterschiedliche Auffassungen von Gesundheit, sondern auch verschiedene Gerechtigkeitsbegriffe gegenüber. Neben den klassischen Begriffen der Verteilungs-, Tauschund Gemeinwohlgerechtigkeit werden heute unterschiedliche Konzepte der Teilhabegerechtigkeit oder Befähigungsgerechtigkeit diskutiert. Sie vertreten die Auffassung, dass die Forderung nach Eigenverantwortung im Gesundheitswesen nur dann ethisch legitim ist, wenn Staat und Gesellschaft ihrer Verpflichtung nachkommen, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Individuen auch tatsächlich Selbstverantwortung übernehmen können. In der bisherigen Diskussion über Teilhabegerechtigkeit lassen sich zwei grundlegend verschiedene Konzepte unterscheiden. Das erste schließt an die neuere Sozialstaatsdebatte und einige philosophische Theorien an, die im Sinne einer Güterlehre und empfängerzentriert argumentieren. Aufgabe des Staates ist es demnach, Grundrisiken des Lebens abzudecken und durch eine Politik der Umverteilung und spezifischen Förderung, Möglichkeiten der Teilhabe und Teilnahme an gesellschaftlichen Gütern wie Bildung und Arbeit zu schaffen. Dieses Modell von Teilhabegerechtigkeit orientiert sich an menschlichen Grundbedürfnissen und garantiert bestenfalls eine Grundsicherung, spart aber die Frage nach einer prinzipiellen Rechtfertigung von sozialer Ungleichheit aus. Das zweite Verständnis von Teilhabegerechtigkeit beruft sich demgegenüber auf die Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls. Der Sozialstaat hat demnach die Aufgabe, institutionelle Schritte hin zur Verwirklichung fundamentaler Gerechtigkeit zu machen. Was Rawls vorschwebt, ist nicht nur eine Grundversorgung aller Bevölkerungsschichten, sondern auch eine Stärkung der politischen Teilhabemöglichkeiten derer, die über die geringsten Einkommensmöglichkeiten verfügen, sowie strukturelle Verbesserungen der Institutionen von Bildung und Ausbildung, der Verteilung von Arbeit und der Mitbestimmungsmöglichkeiten bei zentralen ökonomischen Entscheidungen. Die Debatte über Gesundheit und Gerechtigkeit ist Teil der allgemeinen Diskussion über die Idee des Wohlfahrtsstaates, die Rolle des Subsidiaritätsprinzips im Gesundheits- und Sozialwesen sowie den Paradigmenwechsel vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft. Zur Diskussion stehen dabei auch Idee und Realität der Zivilgesellschaft. Im internationalen Maßstab ist dazu zu sagen, dass nicht nur die Vorstellungen von der Sozialpflichtigkeit des Staates, sondern auch das Verständnis von Gerechtigkeit variieren und erheblich voneinander abweichen können. Das gilt nicht nur für den Vergleich zwischen Europa und den USA,
Vorwort
VII
sondern auch für den interkulturellen Vergleich zwischen europäischen und asiatischen Gesellschaften. Das vorliegende Buch konkretisiert die Debatte über Gesundheit und Gerechtigkeit anhand eines interkulturellen Vergleichs zwischen Österreich und den Philippinen. Der Vergleich ist nicht nur von exemplarischer, sondern auch von paradigmatischer Bedeutung. Er wird unter anderem zum Testfall für den medizinethischen Prinziplismus, wie ihn überaus einflußreich T.L. Beauchamp und J.F. Childress vertreten. Seine Kritik aber führt in das Zentrum von Interkulturalitäts- und Kommunitarismusdiskursen, in denen um die Verhältnisbestimmung des Gerechten zum Guten gerungen wird. Letztlich lautet die Frage, ob Gerechtigkeit im Sinne formal-gleicher Freiheit von Individuen den Primat vor dem Guten hat, oder ob die kulturell variable Idee des Guten den Primat vor der Gerechtigkeit hat. Die Autoren des Buches erörtern diese Fragen nicht nur auf metatheoretischer Ebene, sondern auch anhand von materialethischen Einzelthemen wie Transplantationsmedizin, dem Stellenwert von alternativer Medizin in unterschiedlichen Kulturen, durch den Klimawandel bedingten Gesundheitsrisiken, aber auch der Migration von Krankenpflegepersonal und dem dadurch entstehenden asymmetrischen Braindrain von Ländern der sogenannten Dritten Welt in solche des wohlhabenden Nordens. Themen der interkulturellen Medizin- und Pflegeethik gehören seit einigen Jahren zu den besonderen Forschungsschwerpunkten des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin. Das vorliegende Buch schließt sachlich an interdisziplinäre Symposien und Veröffentlichungen zu Lebensanfang und Lebensende in den Weltreligionen (2004) sowie Spiritualität, Religion und Kultur am Krankenbett (2009) an. In diesem Fall handelt es sich jedoch erstmals um ein Forschungsprojekt, bei dem das Institut für Ethik und Recht in der Medizin mit einer außereuropäischen Forschungseinrichtung kooperiert, verstärkt durch Dr. Michael Reder von der Hochschule für Philosophie, München. Mein besonderer Dank und meine Anerkennung gilt nicht nur meinen Mitarbeitern Frau Dipl.Math. Julia Inthorn und Herrn Dr. Lukas Kaelin, die dieses Forschungsprojekt initiiert und organisiert haben, sondern auch der Ateneo de Manila University und dem dortigen Departement für Philosophie unter Leitung von Professor Remmon Barbaza. Es ist zu wünschen und zu hoffen, dass die begonnene Kooperation zwischen Wien, München und Manila ihre Fortsetzung findet. Wien, im Juni 2009
Ulrich H.J. Körtner Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
Grußwort
Anfang des Jahres 2008 machten Dipl.-Math. Julia Inthorn (Universität Wien), Dr. Michael Reder (Hochschule für Philosophie München) und Dr. Lukas Kaelin (zu dieser Zeit Dozent an der Ateneo de Manila University) den Vorschlag, an der Ateneo de Manila University ein Seminar zum Thema Gesundheit und Gerechtigkeit in Österreich und auf den Philippinen abzuhalten. Es sollte das erste seiner Art an der Ateneo Universität und – soweit ich vermute – auf den Philippinen überhaupt sein. Ich bin Lukas Kaelin dankbar, dass er das Seminar organisiert hat, und Julia Inthorn und Michael Reder bin ich dankbar, dass sie auf die Philippinen gekommen sind und eine intensive Auseinandersetzung mit Studierenden und Mitarbeitern der Fakultät zu dem Thema Gesundheit und Gerechtigkeit in Gang gesetzt haben. Ich hoffe, dass durch ihren Besuch ein zukünftiger Austausch von Ideen und internationale Zusammenarbeit angeregt wird. Im selben Jahr (21.-22. Juli 2008) fand an der Ateneo de Manila University eine Tagung mit dem Titel Public Health and Medicine in the Twentieth Century Philippines statt, die von dem Department of History an der Ateneo Universität und der Zeitschrift Philippine Studies in Kooperation mit der Ateneo School of Medicine and Public Health organisiert und durchgeführt wurde. Einige der Vorträge finden sich in der Ausgabe der Philippine Studies (Juni 2009), die unter dem Oberthema Geschichte von Public Health erschienen ist. Ich kann daher zu meiner Zufriedenheit sagen, dass das Jahr 2008 ein sehr fruchtbares Jahr für die Ateneo Universität war, besonders in Bezug auf die begonnen Diskussionen und Studien zu dem Themenfeld Gesundheit und Gerechtigkeit. Wie uns die Geschichte gezeigt hat, machen einige Krankheiten keinen Unterschied zwischen Reich und Arm oder ökonomischen und sozialen Schichten. Die gemeinsame Natur des Körpers und der Krankheit lässt solche Grenzen verschwimmen. Es zeigt sich, dass auch führende Industriestaaten stark von solchen Krankheiten beeinträchtigt werden können, wie zurzeit das Beispiel der AH1N1 Pandemie in den USA und Japan veranschaulicht.
Grußwort
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Auch wenn Krankheit und Tod über kurz oder lang feste Bestandteile im Leben jedes Menschen darstellen, gibt es allerdings auch eine Vielzahl von Fällen, in denen die Kluft zwischen Erster und Dritter Welt bzw. zwischen armen und reichen Menschen aufgrund des fehlenden Zugangs zu medizinischen Ressourcen bestehen bleibt und diese Kluft über Leben und Tod entscheiden kann. Gesundheit und Krankheit können deshalb nicht einfach als rein medizinische Fragen behandelt werden, sondern sie bedürfen einer breiteren politischen und letztendlich auch ethischen Reflexion. Francis Gealogos Nachforschungen über die medizinischen Umstände auf den Philippinen während der Grippe-Pandemie in den Jahren 1918-1919 zeigen sehr deutlich, inwiefern unterschwellige rassistische und koloniale Einstellungen Einfluss auf Maßnahmen im Public HealthSektor genommen haben. Dies hatte wiederum negative Auswirkungen für die philippinische Bevölkerung insgesamt. Statt sich des Problems der Grippe-Pandemie ernsthaft anzunehmen, war die größte Sorge der amerikanischen Kolonialregierung, ihr Bild als starke Kolonialmacht aufrecht zu erhalten, indem sie weiterhin propagierten, die Pandemie unter Kontrolle zu haben. Francis Gealogo formuliert es mit folgenden Worten: „No real effort was made to recognize [the pandemic’s] foreign origin, (…) therefore, the pandemic could not be contained through a systematic effort to reporting, recording, isolation, and quarantine.“ (Gealogo 2009 289) Das Buch von Julia Inhorn, Michael Reder und Lukas Kaelin wird sicherlich ein Ansporn sein, dass Österreich und die Philippinen weiterhin darüber nachdenken, wie Gesundheit und Gerechtigkeit für alle Menschen realisiert werden kann.
Manila, im Juli 2009
Remmon E. Barbaza Professor of Philosophy School of Humanities Ateneo de Manila University
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ....................................................................................................V Grußwort............................................................................................. VIII
Einleitung .................................................................................................. 1
Gesundheit und Gerechtigkeit: Theoretische Grundlegung ............. 5 I. Gesundheit ............................................................................................. 5 Philosophisches Fragen nach Gesundheit, Krankheit und dem Humanismus in der Medizin ..................................................... 5 Zugänge und Aspekte von Gesundheit............................................ 12 Soziale Dimension von Gesundheit ................................................. 19 Entstehung des Gesundheitsbegriffs in der Klinik: Michel Foucaults diskurstheoretische Rekonstruktion.................... 24 Politische und ökonomische Dimension von Gesundheit...............28 Interkulturelle Dimension von Gesundheit .................................... 31 II. Gerechtigkeit...................................................................................... 35 Die philosophische Debatte .............................................................. 35 Zugänge zur Gerechtigkeit im philosophischen Diskurs ...............37 Systematische Perspektive auf einzelne Facetten von Gerechtigkeit..............................................................................53 Interkulturalität und das Verhältnis von Gesundheit und Gerechtigkeit.................................................. 61
XII
Inhaltsverzeichnis
III. Interkulturelle Bioethik...................................................................65 Bioethik: Eine Begriffsbestimmung..................................................65 Der bioethische Diskurs auf den Philippinen .................................69 UNESCO Erklärung über Bioethik (2005) ....................................75 Die UNESCO Erklärung im Verhältnis zur Bioethik auf den Philippinen .....................................................76 Strukturmerkmale einer philippinischen Bioethik ..........................81 Chancen einer interkulturellen Bioethik .........................................83
Österreich und Philippinen: Interkulturelle Praxisfelder .................84 I. Gesetzliche Grundlagen des Gesundheitswesens............................84 Gesundheitswesen zwischen Markt und Staat ................................84 Gesundheit in Zahlen: ein Vergleich ................................................85 Rechtliche Rahmenbedingungen auf den Philippinen ...................86 Gesundheitswesen in Österreich.......................................................89 Rechtliche Regelungen im Gesundheitswesen und Gerechtigkeit..............................................................................91 II. Organtransplantation.......................................................................93 Organtransplantation in Österreich.................................................94 Fragen der gerechten Verteilung von Organen.............................101 Kommerzialisierung menschlicher Organe?..................................102 Organspende auf den Philippinen ..................................................103 Fragen der Gerechtigkeit ................................................................108 III. Komplementärmedizin..................................................................111 Komplementärmedizin in Österreich.............................................111 Komplementärmedizin in den Philippinen....................................117 Aspekte von Gesundheit und Gerechtigkeit – ein Vergleich........122
Inhaltsverzeichnis
XIII
IV. Zur Migration von Pflegepersonal .............................................. 123 Die Philippinen als Migrationsgesellschaft ....................................124 Migration von Pflegepersonal in historischer Perspektive............128 Die Migration von Pflegepersonal heute....................................... 132 Pflegemigration nach Österreich ................................................... 135 Gerechtigkeitstheoretische Überlegungen..................................... 136 V. Klimawandel und Gesundheit ....................................................... 141 Klimawandel als weltpolitisches Thema........................................ 141 Gesundheit im Kontext des Klimawandels ................................... 143 Auswirkungen auf Österreich und die Philippinen ...................... 149 Ethische Dimension der Frage nach Klimawandel und Gesundheit ....................................................... 152 Politische Lösungsstrategien ........................................................... 157
Fazit ........................................................................................................ 163
Literaturverzeichnis............................................................................. 169
Einleitung
Auch wenn Gesundheit und Krankheit die grundlegenden Kategorien der medizinischen Praxis sind, so entziehen sich diese Begriffe doch einer klaren Festlegung. Biologische und soziale Komponenten bestimmen den Gesundheitsbegriff ebenso wie das Verständnis von Krankheit. Das Nachdenken über Gesundheit und Krankheit gehört daher zu den zentralen Aufgaben der Medizinethik. Die gegenwärtigen ethischen Diskussionen über Gesundheit drehen sich dabei verstärkt um die Frage nach einem gerechten Umgang mit Ressourcen im sich ausdifferenzierenden Gesundheitswesen. Gerechtigkeit ist ein Kernbegriff in der Beantwortung der Frage, wie Gesundheit am besten für alle ermöglicht werden kann. Dies gilt nicht nur für den österreichischen oder europäischen Raum, sondern weltweit. Jedoch werden in diesem globalen Diskurs Gerechtigkeit sowie Gesundheit unterschiedlich verstanden bzw. ausgelegt. Beide sind geprägt durch divergierende gesellschaftliche Praktiken. Der vorliegende Band nimmt diese praktisch gelebten Verschiedenheiten zum Anlass, der Frage nach dem Verhältnis von Gesundheit und Gerechtigkeit in interkultureller Perspektive nachzugehen. Dabei dienen Österreich und die Philippinen als Vergleichsländer aus dem mitteleuropäischen und südostasiatischen Kontext. In beiden Ländern wird nicht nur Gesundheit und Gerechtigkeit unterschiedlich verstanden, sondern auch verschieden politisch umgesetzt. Verschiedene Aspekte machen den Vergleich zwischen den beiden Ländern reizvoll. Zum einen bestehen bei aller Verschiedenheit strukturelle Ähnlichkeiten in Form des dominanten Katholizismus als auch im Gegensatz zwischen Stadt-Land. Diese strukturellen Ähnlichkeiten erfahren aber durch die jeweilige historische Situation, geographische Lage und kulturelle Prägung eine je spezifische Ausformung. Die Philippinen liegen zwischen Taiwan und Japan im Norden und Indonesien im Süden. Sie sind ein aus über 7000 Inseln bestehender Archipel zwischen Südchinesischen Meer und dem Pazifik. Auf die Landkarte Europas kamen die Philippinen als Ferdinand Magellan bei seiner Weltumseglung die Philippinen erreichte und dort einen gewaltsamen Tod starb. Die Philippinen wurden bereits im 16. Jahrhundert Teil des spanischen Weltreiches und blieben dies für rund dreihundert Jahre. Ein
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Einleitung
Haupterbe dieser langen spanischen Periode ist der katholische Glaube, welchen eine große Mehrheit der Bevölkerung teilt, und welcher die Philippinen zum einzigen mehrheitlich christlichen Land Ost- und Südostasiens macht. Der philippinische Unabhängigkeitskrieg und der spanisch-amerikanische Krieg führten 1898 dazu, dass die europäische durch die amerikanische Kolonialmacht abgelöst wurde. In der knapp 50 Jahre dauernden amerikanischen Kolonialzeit wurde ein Staats- und Bildungswesen geschaffen, das bis heute Bestand hat. Die spanischen und amerikanischen Kolonialstrukturen haben allerdings auch Tendenzen zu einer sozialen Fragmentierung der Gesellschaft verstärkt. Diese Fragmentierung hat sich bis heute in dem mittlerweile auf rund 90 Millionen Einwohner gewachsenen Land erhalten, wenn nicht sogar noch verstärkt. Die Philippinen sind heute ein Palimpsest von verschiedenen kulturellen Einflüssen. Die spanische und die amerikanische Kolonialzeit hinterließen deutliche Spuren, welche sich noch heute in vielen Lebensbereichen zeigen, jedoch nicht über die südostasiatischen kulturellen Eigenheiten hinwegtäuschen können. Das fließende Englisch und der westliche Lebensstil sind eingebettet in eine südostasiatische Kultur, die über die 350 Jahre dauernde Kolonialzeit die verschiedenen Einflüsse transformierend inkulturiert hat. Verwiesen sei an dieser Stelle beispielsweise auf animistische Tendenzen im Katholizismus philippinischer Prägung (folk catholicism) oder die Usurpation des amerikanischen Politsystems durch Familiendynastien. Österreich hingegen ist bezüglich der geographischen Lage in gewisser Weise ein Gegenteil zu den Philippinen. Als im Vergleich zu den Philippinen relativ kleines Binnenland liegt Österreich in Mitteleuropa zwischen Deutschland und Italien, der Schweiz und Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien. Politisch ist Österreich in die Europäische Union eingebunden. Historisch blickt Österreich auf eine lange wechselhafte Geschichte zurück, in der das österreichische Reich viele Jahrhunderte maßgeblich die Geschicke Europas geprägt hat. Durch seine Geschichte als Vielvölkerstaat ist Österreich, ähnlich wie die Philippinen, von verschiedenen kulturellen Strömungen beeinflußt worden. Im Unterschied zu den Philippinen geschah diese kulturelle Anpassung jedoch nicht als Folge einer Kolonisierung, sondern vielmehr durch einen kontinuierlichen Austausch mit der Bevölkerung anderer Länder. Wie in den Philippinen stellt der Katholizismus in Österreich die mit Abstand größte religiöse Bekenntnisgruppe dar. In Österreich sind 74 % römisch-katholisch, in den Philippen 81 %. Eine weitere Gemeinsamkeit beider Länder ist das Stadt-Land-Verhältnis: Die Großstädte Wien und Manila dominieren politisch, ökonomisch und kulturell die beiden Länder. Dabei weisen die ländlichen Regionen eigene Formen sozialer Strukturierung auf und sind durch eigene Lebensformen geprägt.
Einleitung
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Der interkulturelle Vergleich der beiden Länder reflektiert damit sowohl die strukturellen Ähnlichkeiten als auch die kulturellen Unterschiede. Er kann vielfache Impulse für das Nachdenken über die beiden Themenfelder Gesundheit und Gerechtigkeit und deren Verhältnis geben. Diese Impulse betreffen sowohl die theoretische Grundlegung von Gesundheit und Gerechtigkeit als auch verschiedene Praxisfelder (Organtransplantation, Komplementärmedizin usw.), die exemplarisch mit Blick auf die beiden Länder in dem vorliegenden Band analysiert und kritisch diskutiert werden. Der erste Teil der theoretischen Grundlegung beschäftigt sich zunächst mit dem Begriff Gesundheit in historischer und systematischer Perspektive. Dabei wird deutlich, dass ein biologisches Modell der Gesundheit um eine soziale und historische Dimension zu ergänzen ist und dieses kulturell je spezifische Ausformungen findet. Der Blick auf Gesundheit wird überdies durch eine ökonomische und politische Dimension und damit um die Perspektive des Gesundheitswesens erweitert. Schließlich werden die konkreten kulturell geprägten Deutungen von Gesundheit in Österreich und den Philippinen betrachtet. Was als Gesundheit verstanden wird, welche Ursachen dafür verantwortlich gemacht werden und welche Rolle dem Patienten im Kontext der Krankenversorgung zugeschrieben wird, wird je nach Kontext unterschiedliche gedeutet. Gerechtigkeit, der zweite Leitbegriff dieses Bandes, spielt in der gegenwärtigen Diskussion der praktischen Philosophie eine entscheidende Rolle. Die Darstellung der aktuellen Debatte beginnt mit der Rekonstruktion der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls, die im 20. Jahrhundert den Diskurs entscheidend geprägt hat. Diese Theorie sowie einige zentrale Einsprüche gegen das liberale Konzept von Gerechtigkeit werden vorgestellt. Gerechtigkeit erscheint jedoch nicht nur als Modell, sondern lässt sich ebenso unter verschiedenen inhaltlichen Facetten diskutieren, von Bedarfs-, Chancen- und Verfahrensgerechtigkeit bis hin zu Fragen der globalen Gerechtigkeit. In diesem mehrdimensionalen Sinn wird Gerechtigkeit als der theoretische Rahmen zur Diskussion von ethischen Fragestellungen in Hinblick auf Gesundheit in interkultureller Perspektive vorgestellt. An diese Überlegungen fügt sich der abschließende Teil der theoretischen Grundlegung zur interkulturellen Bioethik an. Darin werden die Grundsätze einer prinzipienorientierten Bioethik dargelegt, wie sie in der europäischen Diskussion zur Anwendung kommen. Gleichzeitig werden diese mit der philippinischen medizinischen Praxis kontrastiert. Die UNESCO Erklärung zur Bioethik fungiert dabei als kritisch zu hinterfragender Standard, vor welchem die verschiedenen sozialen Praktiken in Österreich und auf den Philippinen zu deuten sind. Die Diskussion der interkulturellen Bioethik erhellt sowohl die soziale Prägung des Gesund-
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Einleitung
heitsbegriffs als auch die kulturelle Ausformung des Gerechtigkeitsverständnisses und schließt so den theoretischen Teil des Bandes ab. Die konkrete Diskussion ausgewählter Praxisfelder beginnt mit einer Gegenüberstellung der gesetzlichen Rahmenbedingungen in Österreich und den Philippinen im Gesundheitsbereich. Dabei werden die grundlegende Organisation des Gesundheitswesens sowie konkrete gesetzliche Bestimmungen, beispielsweise zur staatlichen Krankenversicherung, zu Generika und zur Dezentralisierung des Gesundheitssystems analysiert. Im Vordergrund des Vergleichs der gesetzlichen Rahmenbedingungen steht die Frage, wie im jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Kontext Gerechtigkeitsnormen umgesetzt werden, aber auch inwiefern die (politische) Praxis im Gesundheitswesen hinter den Gerechtigkeitsvorgaben zurückbleibt. Ein weiterer Bereich des Gesundheitswesens, in dem eine langjährige Debatte zu gerechten Rahmenbedingungen geführt wird, ist die Transplantationsmedizin. Das Kapitel zur Organtransplantation zeichnet die unterschiedlichen Diskurse in Österreich und den Philippinen nach. Die Organknappheit führt in beiden Ländern zu unterschiedlichen Problemlagen. Während in Österreich die Widerspruchslösung, das Hirntodkriterium und eine gerechte Allokation der Organe von Verstorbenen intensiv diskutiert werden, dreht sich der philippinische Diskurs primär um die Frage nach der kulturellen Anerkennung der Organspende und um den Umgang mit finanziellen Anreizen bei nicht-verwandten Lebendspenden. Doch nicht nur technologieintensive Anwendungen der modernen Medizin kommen zur Sprache, sondern auch der interkulturell verschiedene Umgang mit der Komplementärmedizin. In Österreich und auf den Philippinen wird dabei auf unterschiedliche Angebote der Komplementärmedizin zugegriffen. Darüber hinaus zeigt sich, dass weltanschauliche wie finanzielle Gründe die Nutzungsstrukturen von komplementärmedizinischen Angeboten im Verhältnis zur Schulmedizin prägen. Während man sich in Österreich die Komplementärmedizin, die häufig nicht von der Krankenkasse bezahlt wird, leisten können muss, ist auf den Philippinen die Schulmedizin eine Frage der finanziellen Möglichkeiten. Prominent im Hintergrund dieser letzten beiden diskutierten Praxisfelder steht die ökonomische Disparität beider Länder, welche entscheidend den unterschiedlichen Umgang mit Organtransplantation wie Komplementärmedizin prägt. Auch die Migration von Pflegepersonal spielt sich vor allem entlang solcher ökonomischer Linien ab. Dabei sind die Philippinen der weltweit größte Exporteur von Pflegepersonal. In Österreich kommen in der 24Stunden-Pflege vor allem Pflegerinnen aus dem (süd-)osteuropäischen Raum zum Einsatz. Die Frage nach Gerechtigkeit stellt sich daher in diesem Feld sehr unterschiedlich: In den Philippinen ist sie mit Blick auf die
Einleitung
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Emigrationsbewegung aus dem Gesundheitswesen von Bedeutung und in Österreich in Bezug auf den Umgang mit den aus dem Ausland rekrutierten Pflegerinnen und Pflegern. Im Auswanderungsland Philippinen und im Einwanderungsland Österreich ist die Migration von Pflegepersonal ein zentraler Aspekt der gerechtigkeitstheoretischen Auseinandersetzung mit dem Gesundheitswesen. Abschließend werden im Praxisteil Fragen des Klimawandels hinsichtlich der Konsequenzen für die Gesundheit erörtert. So wie die verschiedenen Weltregionen unterschiedlich vom Klimawandel betroffen sind, so sind auch die Gesundheitsauswirkungen sehr verschieden. Dies gilt auch für Österreich und die Philippinen. Diesen klimabedingten Folgen für die Gesundheit ist sowohl mit Klimaschutz als auch mit adaptiven Maßnahmen zu begegnen. Ethisch ist Gerechtigkeit in diesem Themenfeld vor allem unter dem Gesichtspunkt von Public Health zu diskutieren und nach politischen Lösungsstrategien zu suchen. Das Fazit des Bandes will noch einmal die zentralen Aspekte der interkulturellen Perspektive auf den Diskurs über Gesundheit und Gerechtigkeit herausstellen und mit Blick auf weitere Forschungen zuspitzen. Dass die Frage nach Gerechtigkeit im weiten Feld des Nachdenkens über Gesundheit gerade durch den interkulturellen Vergleich klarer gestellt werden kann und sich durch interkulturelle Querschnittsperspektiven neue politische Handlungsoptionen auftun, ist eine wichtige Schlussfolgerung dieses Bandes. Zum Schluss gebührt all jenen Dank, die zur Realisierung dieses Bandes maßgeblich beigetragen haben. Gedankt sei den Studierenden an der Ateneo de Manila Universität im Wintersemester 2007/08 und an der Universität Wien im Sommersemester 2008 für viele Anregungen und konstruktive Auseinandersetzungen. Prof. Ulrich Körtner und Prof. Remmon Barbaza sei herzlich gedankt für die aktive Unterstützung des Projekts. Institutionell haben die Ateneo de Manila Universität, das Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien, die Hochschule für Philosophie in München und die Deutsche Forschungsgemeinschaft durch die Bereitstellung finanzieller Ressourcen sowie eine großzügige Freistellung von zeitlichen Ressourcen zum geglückten Abschluss dieses Bandes beigetragen. Dank gebührt außerdem Sabine Parrag und Johannes Jüde für mannigfaltige Hinweise und die Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage.
Gesundheit und Gerechtigkeit: Theoretische Grundlegung I. Gesundheit 1. Philosophisches Fragen nach Gesundheit, Krankheit und dem Humanismus in der Medizin Viele Argumentationsfiguren der Philosophie kreisen um das Themenfeld von Gesundheit und Krankheit. Die Leiblichkeit und die damit verbundene Verletzlichkeit des Menschen, seine Endlichkeit und die Möglichkeit, mittels medizinischen Wissens in die Prozesse von Gesundheit und Krankheit einzugreifen, waren zu allen Zeiten Gegenstand philosophischer Überlegungen. Im Folgenden werden einige Stränge dieser Überlegungen skizziert. Dabei werden nach einem knappen Blick in die Philosophiegeschichte verschiedene Dimensionen der Reflexion auf Gesundheit rekonstruiert. Daran anschließend wird die diskursive Veränderung des Gesundheitsbegriffs im Rahmen der Entstehung der modernen Medizin nachgezeichnet. Abschließend wird nach den Rahmenbedingungen für Gesundheit gefragt und interkulturelle Aspekte des Sprechens über Gesundheit diskutiert. Philosophiegeschichtlich kann festgehalten werden, dass ganzheitliche Vorstellungen von Gesundheit kein Produkt der Moderne sind. Bereits in platonisch inspirierten Vorstellungen wird Gesundheit als ein erstes, grundlegendes Prinzip oder eine Idee verstanden, die etwas über das Wesen des Lebendigen insgesamt aussagt (vgl. Phaidon; Plato 1991, 100de). Gesundheit betrifft dabei nicht nur den Leib, sondern auch die Seele und den Geist. Sie manifestiert sich darin, das rechte Maß gegenüber den Ansprüchen aller drei Bereiche menschlichen Lebens zu finden. Bei Platon spielt die seelische und geistige Gesundheit sogar eine übergeordnete Rolle, weil die dort auftretenden Disharmonien noch gewichtiger sind als die körperlichen Krankheiten. Wenn in Gesellschaften vermehrt körperliche Krankheiten auftreten, deutet Plato dies als einen Hinweis auf massive seelische und geistige Gebrechen der Gesellschaft. Daher sieht Plato „im Anwachsen vieler Krankenhäuser und in der Ansiedlung von Ärzten in einer Stadt ein Anzeichen für einen ungesunden moralischen Zustand des Gemeinwesens und einer ungesunden Lebens-
Gesundheit
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weise der Bewohner“ (Dörnemann 2003, 48). Lebenspraktisch bedeutet dies, die Gesundheit des Einzelnen als eine Anteilnahme an dem Prinzip bzw. der Idee der Gesundheit zu verstehen. Der einzelne Mensch ist dazu aufgefordert, eine Harmonie zwischen der Gesundheit des Leibes, der Seele und des Geistes herzustellen. Gesundheit als teleologisches Prinzip bzw. als Aufgabe einer glückenden Lebensführung sind Ausdruck dieses ganzheitlichen Verständnisses des Menschen, das heute wieder eine gewisse Renaissance erfährt. Diese Einheit der Gesundheit von Leib, Geist und Seele wird von späteren Autoren in Frage gestellt. Insbesondere setzt eine starke Kritik der Idee der Gesundheit des Geistes ein. Zwar verwendet Kant den Begriff noch, aber schon im deutschen Idealismus regt sich deutliche Skepsis an der Verbindung von Gesundheit und Vernunft. Ein Kulminationspunkt dieser Kritik ist Friedrich Nietzsche, der sowohl die Einheit der Gesundheit als auch die Konzeptualisierung der Seele oder des Geistes als „gesund“ als eine Fiktion bezeichnet. Deshalb plädiert er für eine wechselseitige Verschränkung von Gesundheit und Krankheit. „Gesundheit und Krankheit sind nichts wesentlich Verschiedenes, wie es die alten Mediziner und heute noch einige Praktiker glauben. Man muss nicht distinkte Prinzipien und Entitäten daraus machen, die sich um den lebenden Organismus streiten und aus ihm ihren Kampfplatz machen.“ (Nietzsche 1956, 781)
Nietzsche geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er behauptet, dass auch die Krankheit einen Sinn für die Gesundheit des Menschen besitzen kann. Deshalb macht für ihn sowohl die platonische Überhöhung von Gesundheit als auch eine trennende Gegenüberstellung von Gesundheit und Krankheit keinen Sinn. Aus dem Wechselverhältnis von Krankheit und Gesundheit wird in der phänomenologisch inspirierten Philosophie Martin Heideggers ein Dreierverhältnis, indem er den Begriff des Todes hinzunimmt. Er thematisiert diese Frage nach dem Tod innerhalb seines fundamentalontologischen Denkens. Seine These der ontologischen Differenz besagt, dass die Philosophie das Sein zu sehr als Seiendes konzeptualisiert und damit das Sein nicht als Sein gedacht hat. Die daraus resultierende Seinsvergessenheit will Heidegger dadurch überwinden, dass er das Sein als existenzielles Dasein des Menschen versteht. Dieser Daseins-Charakter des Seins erschließt sich dem Menschen letztlich aber erst durch den Tod, weshalb er vor allem in Sein und Zeit (1927/1979) dem Tod eine besondere Bedeutung beimisst. Den Tod interpretiert er in einem existenziellen Sinn: Der Tod fordert den Menschen heraus, sein Dasein radikal existenziell zu denken. Die daran anschließende Kritik eines naturalistischen und technizistischen Verständnisses des Daseins des Menschen, wie es sich in der modernen Medizin findet, ist eine notwendige Konsequenz dieser phänomenologischen Grammatik menschlichen Daseins.
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Hans-Georg Gadamer steht ebenfalls in der Tradition der Phänomenologie, wendet aber den Blick weniger dem Tod als der Gesundheit zu. Gesundheit deutet er als wesentlichen Teil des Daseins des Menschen, er bezeichnet sie daher mit Blick auf Heidegger als ‚in-der-Welt sein‘. Weil Gesundheit Gadamers Einschätzung nach nie etwas Offensichtliches ist, das verobjektiviert werden könnte, kann sie philosophisch letztlich nur mit Blick auf die Erfahrung des Menschen verstanden werden: „Es liegt ganz unzweifelhaft in der Lebendigkeit unserer Natur, dass die Bewusstheit sich von sich selbst zurückhält, so dass Gesundheit sich verbirgt. Trotz aller Verborgenheit kommt sie aber in einer Art Wohlgefühl zutage, und mehr noch darin, dass wir vor lauter Wohlgefühl unternehmenslustig, erkenntnisoffen und selbstvergessen sind und selbst Strapazen und Anstrengungen kaum spüren – das ist Gesundheit. Sie besteht nicht darin, dass man sich in den eigenen schwankenden Befindlichkeiten immer mehr um sich sorgt oder gar Unlustpillen schluckt. (…) Gesundheit ist eben überhaupt nicht ein Sich-Fühlen, sondern ist Da-Sein, In-der-Welt-Sein, Mit-den-Menschen-Sein, von den eigenen Aufgaben des Lebens tätig und freudig erfüllt zu sein.“ (Gadamer 1993, 144)
Zur Gesundheit gehört also immer auch das Element des Verborgenseins, ja Gadamer argumentiert, dass darin letztlich ihr Geheimnis bestünde. Krankheit ist demgegenüber das, „was sich aufdrängt, als das Störende, das Gefährliche, mit dem es fertig zu werden gilt“ (Gadamer 1993, 135). Damit verabschiedet sich Gadamer von einem eindeutig bestimmbaren Gesundheitsbegriff und verweist auf seine Vielschichtigkeit ebenso wie auf die subjektive und soziale Dimension von Gesundheit. Zu den stärker epistemologisch zugeschnittenen Fragen der Bestimmung von Gesundheit und Krankheit als Formen von Lebensvollzügen menschlichen Daseins traten durch den Fortschritt der Medizin und die neuen technischen Möglichkeiten in der Bekämpfung von Krankheiten in der philosophischen Debatte der letzten Jahre zunehmend Fragen der Grenzen der Machbarkeit bzw. des Eingriffs in natürliche Abläufe in den Vordergrund. Die durch Peter Sloterdijk angestoßene Debatte über die Regeln für den Menschenpark (Sloterdijk 1999) kann hier exemplarisch für philosophische Diskussion über Gesundheit und Krankheit und die Funktion menschlicher Technik dabei stehen. Sloterdijk stellt sich in die Tradition der Auseinandersetzung über den Humanismus, genauer hin versteht er seine Überlegungen als ein Antwortschreiben auf den Brief über den ‚Humanismus‘ von Heidegger aus dem Jahr 1946 (vgl. Heidegger 2004). Heidegger hatte argumentiert, dass angesichts der im 20. Jahrhundert stattgefundenen politischen Katastrophen die Rede vom Humanismus an ihr Ende gekommen ist. Die gängigen Formen des Humanismus, wie sie beispielsweise im Existenzialismus oder Christentum bewahrt werden, sind aus Heideggers Sicht problematisch, weil sie die Frage nach dem Wesen des Menschen nicht adäquat beantworten. Dagegen wird für Heidegger der Mensch zum Hüter des Seins bestellt: „Die Sprache ist das Haus des Seins, darin wohnend der Mensch ek-sistiert, indem
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er der Wahrheit des Seins, sie hütend, gehört.“ (Heidegger 2004, 333) Die großen humanistischen Theorien greifen zu kurz, weil sie das Dasein des Menschen zu reduktionistisch denken. Der Mensch kann das Sein nicht verobjektivieren, sondern nur noch ‚belauschen‘. Der traditionelle Humanismus hat Heideggers Ansicht nach diese Einsicht missachtet und nicht zuletzt deswegen hat der Humanismus dazu geneigt, die Verbrechen, die im Namen des menschlichen Wohls begangen worden sind, zu rechtfertigen. Sloterdijk greift die Kritik am Humanismus von Heidegger auf und stellt sie in einen historischen Kontext. Die Kulturgeschichte ist für Sloterdijk ein deutlicher Hinweis dafür, dass das Sein nicht nur belauscht werden kann, sondern dass es immer aktive Formen der kulturellen Gestaltung des Seins bis hin zu technischen Eingriffen gegeben hat. Das zentrale Argument von Sloterdijk besteht darin, dass der Mensch geschichtlich betrachtet nie nur in einem humanistischen Sinn zusammengelebt hat, sondern „dass es mit der erzieherischen Zähmung und Befreundung des Menschen mit den Buchstaben allein zu keiner Zeit getan sein konnte. Gewiss war das Lesen eine Menschen bildende Großmacht – und sie ist es, in bescheideneren Dimensionen, noch immer; das Auslesen jedoch – wie auch immer es sich vollzogen haben mag – war stets als die Macht hinter der Macht im Spiel.“ (Sloterdijk 1999, 43)
Die Sozialgeschichte zeigt sich daher auch immer als eine der Zähmung. Mit dem Bau von Häusern und Siedlungen, mit der Entstehung von Arbeitsmärkten und auch mit der Entwicklung der modernen Medizin hat der Mensch in das Sein eingegriffen. Hinter dem Horizont der schulisch-humanistischen Zähmung des Seins findet sich deshalb für Sloterdijk schon immer der Horizont der Menschenzüchtung, den er mit Blick auf Nietzsche herausarbeitet. Sloterdijk plädiert dafür, diese Frage nicht hinter dem Schleier des Humanismus zu verstecken, sondern offen auszutragen und damit medizinisch betrachtet die kulturelle Selektionsgeschichte unvoreingenommener zu diskutieren als dies momentan der Fall ist. Die Aufgabe der Philosophie im Anschluss an Nietzsche ist es für ihn deshalb, über die Regeln für den Menschenpark nachzudenken. Daher fordert er, „das Spiel aktiv aufzugreifen und einen Codex der Anthropotechniken zu formulieren“ (Sloterdijk 1999, 44). Weil ‚Gott als der Hirte des Seins‘ heute nicht mehr postuliert werden kann, ist der Mensch gezwungen, sich selber zu hüten. Einen offenen Diskurs darüber zu führen ist für Sloterdijk der erfolgversprechendste Weg. Die Rede von Sloterdijk hat eine Vielzahl von Kritiker auf den Plan gerufen, die auf die Gefahren einer solchen Argumentation hingewiesen haben – nicht zuletzt und vor allem, wenn man philosophisch über Gesundheit und Krankheit nachdenken will. Berechtigt ist sicherlich das Anliegen Sloterdijks, dass die modernen Fragen der Medizin einen offe-
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nen Diskurs bedürfen, v.a. um zu klären, welche Formen des Eingriffs in den menschlichen Körper Gesellschaften zulassen wollen und welche nicht. Die Radikalität der Überlegungen von Sloterdijk weist darauf hin, dass vielfach solche Eingriffe schon vorgenommen werden, ohne dass darüber ein Diskurs geführt würde. Allerdings birgt der an Nietzsche angelehnte Gedankengang eine große Gefahr mit sich: nämlich die unvoreingenommene Akzeptanz der Eingriffe und damit eine Anerkennung des Faktischen zugunsten der Stärksten in diesem Kampf um Anthropotechniken. Daher argumentieren Autoren wie Jeffry Bishop letztlich mit Heidegger gegen Sloterdijk. Bishop hat, ähnlich wie Heidegger, ebenfalls große Skepsis gegenüber dem traditionellen Humanismus, der heute in der modernen Medizin als ein ‚Zusatz‘ wieder eine Rolle spielt. Bishop fragt daher nach den metaphysischen Grundlagen moderner Medizin und argumentiert, dass auch moderne Strömungen der Medizin, wie beispielsweise die Alternativmedizin oder narrative Medizin, die sich selbst als humanistische Korrektur moderner Medizin verstehen, in denselben metaphysischen Problemen der Medizin stecken bleiben, die sie kritisieren wollen. Solche alternativen Erweiterungen werden nur als eine Ergänzung zur herkömmlichen Medizin verstanden, implizieren aber dieselbe strikte Trennung von biologisch-körperlicher Existenz und sinnhaftem, narrativ verfasstem Leben und damit die Differenz von Bedeutung und Objekt. Die alternativen und narrativen Methoden werden dadurch instrumentalisiert; sie dienen dazu, die herkömmliche medizinische Metaphysik an aktuelle gesellschaftliche Diskurse anschlussfähig zu machen. Aber: „It is odd to think that beings – whether the subject (the doctor) or the object (the patient) of medicine – can be made human and free of their animality through the addition of narrative humanism.“ (Bishop 2008, 22)
Stattdessen will Bishop eine radikale Kehre im Sinn Heideggers vollziehen, d.h. eine Ablösung von einem rein biologistischen bzw. naturalistischen Menschenbild und Gesundheit im Sinne des Daseins des Menschen verstehen. Aus dieser Sicht scheint die Forderung Sloterdijks hinter Heidegger zurück zufallen, weil sie die Potenziale des Humanismus missachtet und damit ein Medizinbild fördert, das letztlich wieder auf die technische Gestaltbarkeit des Menschen abstellt. Auch wenn die Debatte über den Humanismus in der Medizin, wie sie vor allem durch den Vortrag von Sloterdijk international große Aufmerksamkeit bekommen hat, in den heutigen philosophischen Reflexionen zu Gesundheit und Krankheit keine zentrale Rolle mehr spielt, verdeutlicht sie einige Problemfelder im Zugang zu Gesundheit und Krankheit aus philosophischer Sicht: Die Begriffe Gesundheit und Krankheit referieren auf verschiedene begriffliche Bezugssysteme aus dem Bereich anthropologischer, ontologischer wie epistemologischer Fragestellungen
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und setzen dabei Unterscheidungen wie die zwischen Natur und Technik oder die zwischen narrativ und physisch verfasstem Leben bereits voraus. Die Debatte um Gesundheit ist auf diese vorgängigen Unterscheidungen verwiesen. Daneben hat die Philosophie vielfältige Bezugspunkte in andere Wissenschaften, deren verschiedene Perspektiven jeweils auf andere Fragestellungen aufmerksam machen. Auch die Teildisziplin der Medizin- und Bioethik schließt an diese verschiedenen philosophischen Traditionen an. Zwei Spielarten des medizinethischen Diskurses scheinen dabei heute besonders im Vordergrund zu stehen, nämlich ein liberal-rechtlicher Ansatz, der das Recht auf ein würdevolles und gesundes Leben in den Mittelpunkt stellt, und ein aristotelisch-tugendethischer Ansatz, der stärker auf die Gesundheit als eine Möglichkeit des Einzelnen abstellt. Der liberal-rechtliche Ansatz wird mit ganz unterschiedlichen ethischen Ansätzen begründet. Bei Otfried Höffe findet man beispielsweise eine an Rawls anlehnende Begründung. Höffes Argumentationsfigur basiert auf der Menschenwürde als höchstem Moral- und Rechtsprinzip (Höffe 2002, 52) und der Idee des Tausches als reziprokem Anerkennungsverhältnis. Durch diesen wechselseitigen Tausch von Rechten und Pflichten erkennen Menschen ihr Gegenüber als Menschen an und ermöglichen somit ein Gemeinwesen (Höffe 2002, 188ff). Für die ethische Dimension von Gesundheit ergibt sich daraus, dass Menschen in diesem transzendentalen Tausch wechselseitig anerkennen, dass ihr Gegenüber auch ein gesundes Leben führen möchte. Insofern erkennen Menschen wechselseitig an, dass sie nicht so handeln dürfen, dass diese Möglichkeit dem anderen genommen wird. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Menschenwürde rechtlich abzusichern und daran anschließend die Frage nach der Gesundheit in einem liberal-rechtlichen Rahmen zu konzeptualisieren. Die aristotelisch-tugendethische Linie fokussiert zwar genauso wie die liberale Argumentationsfigur auf den einzelnen Menschen, sie konzeptualisiert aber die Frage nach Gesundheit weniger als eine Frage der Rechte als eine der Lebensvollzüge der Individuen und schließt damit an die antike Tradition an. Gesundheit wird – teilweise auch in einem dezidiert ganzheitlichen Verständnis – als anthropologische Größe verstanden, die Teil eines Gesamtkonzepts des gelingenden Lebens ist. Der Mensch ist herausgefordert, seine Möglichkeiten zu nutzen, um diesem Ideal eines gelungenen gesunden Lebens zu entsprechen. Martha Nussbaum (Nussbaum 1999) stellt beispielsweise im Anschluss an die aristotelische Tradition eine Liste von Grundbedingungen menschlichen Lebens auf, zu der sie u.a. Ernährung, Gesundheit oder die Fähigkeit zur Kooperation mit anderen Menschen zählt. Wenn der Mensch die Möglichkeit hat, ein gesundes Leben zu führen und keine körperlichen oder seelischen Probleme hat, wird er auch ein gelingendes
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Leben führen können. Ethisch werden dann solche Maßnahmen oder Institutionen positiv bewertet, die ein gesundes und gelingendes Leben fördern. Die Gegenüberstellung dieser beiden Traditionen macht bereits deutlich, dass für ethische Fragestellungen der zu Grunde liegende Gesundheitsbegriff die Deutung der normativen Fragestellung deutlich prägt. Die in dieser philosophiehistorischen Perspektive aufscheinenden Aspekte von Gesundheit werden im Folgenden nochmals erweitert und es wird danach gefragt, was verschiedene Gesundheitsbegriffe in einem interkulturell vergleichenden Zugang beitragen können.
2. Zugänge und Aspekte von Gesundheit „Mit der Gesundheit (...) ist es misslich bewandt. Man kann sich gesund fühlen (aus dem behaglichen Gefühl seines Lebens urteilen), nie aber wissen, dass man gesund sei. – (...) Es gibt viele, von denen man sagt, ohne sie eben verspotten zu wollen, dass sie immer kränkeln und nie krank werden können (...) und die es im Leben (...) doch der Länge nach, weit bringen.“ (Kant 1798/1968, 100)
Dieser Ausspruch von Immanuel Kant macht deutlich: der Gesundheitsbegriff ist vielschichtig und schwer zu bestimmen. Was Gesundheit ist, ist nicht zuletzt deshalb, weil es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Gesundheit und dem äußerlich erkennbaren Zustand des Menschen gibt, schwer zu fassen. Kant macht aus diesem Grund zu Recht darauf aufmerksam, dass es sein kann, dass jemand sich gesund fühlt, aber dies vielleicht gar nicht ist. Gleiches gilt natürlich auch umgekehrt. Bereits dieser kurze Ausspruch verdeutlicht, dass es also keine einfachen Antworten darauf gibt, was Gesundheit bedeutet und wie sie theoretisch konzeptualisiert werden kann. In dem Zitat von Kant klingen unterschiedliche Konzepte von Gesundheit an. Diesen verschiedenen Vorstellungen von Gesundheit soll im Folgenden weiter nachgegangen werden. Die von Kant vorgenommene Gegenüberstellung von gesund und krank (und kränkelnd) verweist auf eine erste einfache Definition von Gesundheit, die Gesundheit ex negativo feststellt. Gesundheit wird in dieser Perspektive als ein Zustand des Menschen bestimmt, der durch die Abwesenheit von Krankheit bzw. Krankheitsanzeichen gekennzeichnet ist. Gesund ist ein Mensch, wenn er frei von solchen Symptomen einer Krankheit ist. Diese Bestimmung im Sinne eines pathogenetischen Modells (Hurrelmann 2006, 127) ist angewiesen auf eine korrespondierende medizinische Sichtweise und deren Deutung von Symptomen als Krankheit. Mit dem Hinweis auf kränkelnde Personen, die dennoch eine hohe Lebenserwartung haben können, macht Kant auf eine weitere Bedeutungsfacette des Begriffs Gesundheit aufmerksam. Gesundheit ist nicht
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nur im Gegenüber zu Krankheit zu bestimmen, sondern auch hinsichtlich einer Beeinträchtigung des weiteren Lebens. Ein langes Leben verweist dabei rückwirkend im Sinne eines Indikators auf eine gute Gesundheit. Auf ähnliche Vorstellungen von Gesundheit verweist auch Herzlich (Herzlich 1973). Herzlich hat bereits in den 1970er Jahren in Frankreich in einer einflussreichen Studie alltagssprachliche Vorstellungen von Gesundheit medizinischer Laien untersucht und dabei neben der Vorstellung von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit zwei weitere Bilder von Gesundheit in der Alltagsvorstellung identifiziert. Dies ist zuerst die Deutung von Gesundheit als ein Reservoir an Energie oder als Widerstandkraft, die der Körper zur Bekämpfung von Krankheiten nutzt. Diese Vorstellung findet sich beispielsweise in Formulierungen wie: „Der Patient ist kerngesund, die Bakterien können ihm nichts anhaben.“ Eine weitere Verwendung von Gesundheit in der Alltagssprache impliziert ein Verständnis von Gesundheit als ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Ebenen des Menschseins. Ein vollkommen gesunder Mensch wird umgangssprachlich meist als jemand gedeutet, der in einem solchen Gleichgewicht lebt. Umgekehrt verweist der Ausruf „das ist doch krank“ häufig nicht auf medizinische Symptome, sondern auf die Vorstellung, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist. In dieser Begriffsverwendung schwingen auch die Dimension von psychischer Gesundheit sowie Vorstellungen von Normalität mit. In diesen ersten Zugängen zu Gesundheit ist eine große Bandbreite von Aspekten der Bestimmung von Gesundheit impliziert, die es zu systematisieren gilt. Sie lassen sich als fünf Spannungsfelder skizzieren, die das Sprechen über Gesundheit und Krankheit prägen. (a) Ein erster Gegensatz ist der zwischen einem weiten und einem engen Gesundheitsverständnis. Ein enges Verständnis von Gesundheit versucht möglichst eindeutig die Kriterien für den Zustand eines gesunden Menschen anzugeben. Eine Definition von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit liegt in dieser Argumentationslogik. Ein weiter Gesundheitsbegriff versucht hingegen die verschiedenen Aspekte und Dimensionen von Gesundheit nicht auf einige wenige Kriterien zu reduzieren, sondern die Vielfalt derselben in dem Verständnis von Gesundheit selbst mit zu bedenken. In einer solchen Perspektive ist eine eindeutige Bestimmung von Gesundheit nur bedingt möglich. Für einen interkulturellen Vergleich ist ein enger Gesundheitsbegriff vor allem geeignet, Unterschiede zwischen verschiedenen Vorstellungen herauszuarbeiten. Einzelne Phänomene werden durch einen engen Gesundheitsbegriff als gesund oder krank zuordenbar. Was in einem Verständnis als krank gilt, kann in einem anderen als gesund gelten. So können beispielsweise religiös motivierte Formen des Leidens, wie sie im Rahmen einer Karfreitags-Tradition auf den Philippinen bestehen, bei der sich einige junge Männer selbst geißeln und auch kreuzigen lassen, als Ausdruck religiöser Hinga-
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be verstanden werden.1 In einem anderen kulturellen Rahmen können sie als Ausdrucksformen einer Psychose und damit als krank gedeutet werden. (b) Eine zweite Unterscheidung, die sich an dieses Gegensatzpaar anschließt, ist die zwischen subjektivem und objektivem Gesundheitsbegriff. In dem Zitat von Kant ist bereits das Problem angedeutet, dass Gesundheit immer auch eine subjektive Komponente impliziert. Die Angabe von objektiven, rein äußerlichen Kriterien zur Bestimmung von Gesundheit steht immer in der Gefahr, diese subjektiven und meist nur innerlich zugänglichen Aspekte zu unterlaufen. Subjektive und objektive Gesundheit müssen entsprechend nicht übereinstimmen (Zok 2007). Der Vorteil eines objektiven Begriffs von Gesundheit ist, dass die Aussagen über Gesundheit nicht der rein subjektiven Wertung oder dem subjektiven Wohlempfinden des Menschen überlassen werden. Damit wird Gesundheit operationalisierbar und für eine wissenschaftliche Herangehensweise zugänglich. Auch Versicherungssysteme wenden einen objektiven Gesundheitsbegriff an, um Vergleichbarkeit zwischen den Versicherungsnehmern herstellen zu können. Im interkulturellen Vergleich ist hier vor allem interessant, in wie weit sich die kulturellen Unterschiede, die sich im Rahmen der subjektiven Deutung von Gesundheit finden lassen, in objektiven Gesundheitsbegriffen niederschlagen. Beispielsweise wird die Grenze zwischen medizinisch notwendigem Eingriff und einem Eingriff aus rein ästhetischen Gründen in verschiedenen Kontexten unterschiedlich gezogen – auch wenn das subjektive Wohlbefinden jeweils ähnlich sein kann. (c) Die Philosophie hat gerade in der Neuzeit eine lange Debatte über das Verhältnis von Körper und Geist geführt. Gingen in der antiken Philosophie bis hinein ins Mittelalter noch die meisten Philosophen davon aus, dass Körper, Geist und Seele eine dynamische und unauflösbare Einheit miteinander bilden, so ist diese Einheit spätestens mit den Arbeiten von René Descartes strittig geworden. Körper und Geist werden seither als zwei getrennte Dimensionen des Menschen aufgefasst und die Frage, in welchem Verhältnis beide stehen, ist Gegenstand heftiger Diskussionen. Wenn die drei Dimensionen des Menschseins auseinanderfallen – und dies ist in nicht wenigen philosophischen Deutungen des Menschseins der Neuzeit der Fall – dann erscheint der Körper als ein geist- und seelenloser Mechanismus, teilweise sogar als eine Maschine. Für das Verständnis von Gesundheit bedeutet dies wiederum, dass diese Maschine nur entsprechend gepflegt, gewartet oder repariert werden muss, damit sich der Zustand der Gesundheit einstellt (vgl. Pfleiderer
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Diese Tradition auf den Philippinen besteht gegen den Willen der Kirchenführung und wird zunehmend zu einer Touristenattraktion, vgl. http://www.tagesschau.de/ausland/philippinen112.html (abgerufen am 30.10.09).
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2003, 170). Der Fokus dieser Perspektive liegt auf der Diagnose der Krankheit und einer entsprechenden Behandlung, weshalb der Soziologe Niklas Luhmann für den Arzt der Neuzeit pointiert festgehalten hat, dass dieser mit „Gesundheit nichts und nur mit Krankheiten etwas anfangen“ (Luhmann 1990, 187) kann. Gegenüber diesem technischverobjektivierenden Verständnis von Gesundheit haben andere Philosophen heftig Einspruch erhoben und betont, dass Gesundheit immer aus einer Wechselwirkungen von Körper, Seele und Geist besteht. Wenn die Seele, verstanden als die ganzheitlich-emotionale Kompetenz des Menschen, ins Spiel gebracht wird, wie das beispielsweise in der psychosomatischen Medizin heute der Fall ist, dann wird für eine Einheit und gegen eine scharfe Trennung der verschiedenen Dimensionen des Menschseins argumentiert. Die Vorstellung der Wechselwirkung dieser Dimensionen wird ebenfalls unterschiedlich gedeutet. Die scharfe Trennung von Körper und Geist, wie sie als Kennzeichen der westlichen Schulmedizin angesehen werden kann, ist dabei nur eine mögliche Sichtweise. Jocano (2004, 82ff.) arbeitet für die Gemeinde Bay in der Provinz Laguna auf den Philippinen heraus, dass dort das Gesundheitsverständnis drei Dimensionen umfasst, die rein physische Belastbarkeit, daneben aber auch geistige Aufmerksamkeit und emotionale Ausgewogenheit. Erst eine Person, die in allen drei Dimensionen keine Beschwerden hat, gilt als völlig gesund. (d) Daran anschließend wird eine vierte Unterscheidung wichtig, nämlich die zwischen Gesundheit als Zustand und Gesundheit als Prozess. Ein enger oder verobjektivierender Gesundheitsbegriff, der auf die An- oder Abwesenheit bestimmter Symptome abstellt, fokussiert auf Gesundheit als einem bestimmten Zustand des Menschen. Mit einem solchen Verständnis kann zu jedem Zeitpunkt bestimmt werden, ob ein Mensch gesund ist oder nicht. Wird dagegen der Prozesscharakter von Gesundheit betont, dann wird deutlich gemacht, dass Gesundheit nicht ein verobjektivierbarer Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern immer in einer zeitlichen Dimension zu denken ist. Gesundheit muss in einem solchen Verständnis immer wieder neu und in Abhängigkeit der Lebensumstände hergestellt werden (Zimmermann 2006, 208). Gesundheit ist damit ein Prozess, der in komplexen Wechselwirkungen mit anderen Lebensvollzügen steht. Diese Lebensumstände können sehr unterschiedlich sein und individuelles Lebensschicksal wie den Verlust von Angehörigen ebenso umfassen wie Zugang zu gesunder Ernährung und sauberem Wasser oder Bildung. Ein prozesshafter Gesundheitsbegriff kann damit in verschiedenen Kontexten unterschiedlich gefüllt werden und verschiedene Rahmenbedingungen für Gesundheit mit in den Blick nehmen. (e) Wendet man den Blick und untersucht die Vorstellungen von Gesundheit aus der Perspektive des Krankheitsbegriffs zeigen sich ähnliche
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Spannungsfelder. Hinsichtlich des Krankheitsbegriffs stehen ebenfalls die Fragen nach den Ursachen im Zentrum. Zwar hat auch Gesundheit Ursachen, allerdings ist das Wissen hierüber vor allem gewonnen aus dem Wissen darüber, was Krankheiten auslösen oder fördern kann. Eine historische Perspektive macht deutlich, dass die Ursachen immer schon auf verschiedenen Ebenen gesucht wurden. Krankheit wurde zunächst lange Zeit als ein übernatürlich begründetes Übel interpretiert. In dieser Perspektive wurden übernatürliche Mächte ausgemacht, die beispielsweise bei Verfehlungen oder auch absichtlich durch die besondere Kraft von Hexen Menschen mit Krankheiten bestraft haben. Demgegenüber steht die Vorstellung von Krankheit als ein natürlich verursachtes Phänomen, wie sie durch die beginnenden Naturwissenschaften erforscht wurden. Auf Grund von bestimmten äußeren Einflüssen wird eine normale Funktionalität des Körpers unmöglich gemacht und die Krankheit ausgelöst. Im sich wandelnden Verhältnis von Magie und gelehrter Medizin und dem jeweils unterschiedlichen Verständnis von natürlichen Ereignissen vor dem Hintergrund theologischer und naturwissenschaftlicher Weltbilder, lassen sich die verschiedenen Versuche nachzeichnen, Krankheiten und deren Verursachung zu verstehen (Kaudertz 2003). Dabei wurde um den Platz sowohl natürlicher als auch göttlicher oder magischer Verursachung von Krankheit in verschiedenen Weltbildern gerungen. Auch in interkultureller Perspektive spielen die verschiedenen Vorstellungen von Verursachung von Krankheit eine wichtige Rolle (Inthorn 2009a). Die Frage der persönlichen Schuld an einer Erkrankung als eine Ursache ist weder im österreichischen noch im philippinischen Kontext aufgehoben. Durch den hohen Stellenwert der Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit können zum einen mangelnde Vorsorge oder falsche Ernährung als persönlich verschuldete Ursachen von Krankheit angesehen werden, zum anderen kann Krankheit auch als Strafe für soziales Fehlverhalten interpretiert werden, die durch übernatürliche Kräfte einer anderen Person übertragen wird (Jocano 2004, 118ff.). Auch in den Diskursen zu Krankheit innerhalb der Medizin finden sich unterschiedliche Modelle von Verursachung, die zwar alle auf dem Boden einer natürlichen Verursachung von Krankheit argumentieren, jedoch zur Erklärung der Entstehung, Verbreitung und Heilung von Krankheit sehr unterschiedliche Modelle anwenden. Neben dem traditionellen Ursachenverständnis des biomedizinischen Modells in der westlichen Schulmedizin lassen sich u.a. das Stress-Coping-Modell, das Risikofaktoren-Modell oder das psychosomatische Modell nennen (Waller 2007, 9ff.). Damit sind einige wesentliche, alltagssprachlich beobachtbare Spannungsfelder skizziert, in denen sich das Sprechen über Krankheit und Gesundheit bewegt. Sowohl für das Alltagsverständnis der Menschen als auch auf der Ebene politischer wie akademischer Diskurse lässt sich im
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Anschluss an diese Unterscheidungen fragen, welcher Gesundheitsbegriff für die Bearbeitung interkultureller Fragestellungen besonders geeignet scheint. Mit zunehmendem Verständnis sozioökonomischer Einflussfaktoren auf Gesundheit und einer Pluralisierung von in der Gesellschaft anerkannten Heilmethoden erscheint ein enger Gesundheitsbegriff immer problematischer. Ein sehr weiter Gesundheitsbegriff ist in der Satzung der Weltgesundheitsorganisation gleich zu Beginn paradigmatisch grundgelegt. Dort steht: „Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“ (WHO 2006b)
Damit wird sowohl eine Absage an einen verkürzten Begriff von Gesundheit im Sinn der Abwesenheit von Krankheit erteilt als auch verschiedene Dimensionen eines Gesundheitszustandes benannt; es wird außerdem auf die körperliche, geistige und soziale Dimension von Gesundheit verwiesen. In diese drei Dimensionen spielen wiederum unterschiedlichste Faktoren hinein, die letztlich erst in einem Zusammenspiel das kennzeichnen, was in einem weiten Sinn als Gesundheit interpretiert werden kann. Auf der Ebene der körperlichen Dimension können z.B. genetische Faktoren und ein Funktionieren aller menschlichen Organe genauso eine Rolle spielen wie gesunde Ernährung, genügend Schlaf oder auch Belastbarkeit für bestimmte körperliche Arbeiten. Die geistige Dimension ist ebenfalls gekennzeichnet durch ganz unterschiedliche Faktoren, beispielsweise durch emotionale Ausgeglichenheit, psychische Stabilität, eine erfüllte Sexualität oder auch die Möglichkeit zu einem sinnhaften Leben. Insbesondere auf Basis vielfältiger psychologischer Forschungen lässt sich eine Wechselwirkung zwischen der körperlichen und der geistigen Dimension von Gesundheit feststellen, insofern psychische Störungen zu einer Schädigung der Gesundheit insgesamt führen können.2 Nicht zuletzt gilt diese Vielfalt von möglichen Faktoren auch für den Bereich der sozialen Dimension von Gesundheit. In diese Dimension gehören beispielsweise Faktoren wie wechselseitige Anerkennung, intakte soziale Beziehungen oder auch Sicherheit. Der Bereich des Sozialen lässt sich ggf. auch weiter verstehen und ein spirituelles Verständnis des Sozialen mit Ahnen oder anderen Geistwesen in diese Dimension integrieren. Bereits diese exemplarische Annäherung an die drei Dimensionen der WHO Definition macht deutlich, dass verschiedene kulturell gepräg-
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Exemplarisch seien die Arbeiten zur Traumaforschung von Gewaltopfern in Krisenregionen genannt, deren Gesundheitszustand durch die Erfahrung psychischer Gewalt deutlich geschwächt wird (vgl. Lindorfer 2008).
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te Zugangsweisen zu Gesundheit sich unter diesem Begriff vereinen lassen. Die Definition integriert durch ihre Offenheit verschiedenste Perspektiven, ohne eine davon absolut zu setzen. Problematisch scheint an der WHO Definition allerdings der utopische Charakter. Gesundheit im Sinne dieser Definition ist für kaum jemanden erreichbar. Für eine interkulturelle Perspektive auf Gesundheit scheint also ein Verständnis von Gesundheit sinnvoll, das Gesundheit als ein mehrdimensionales Phänomen versteht, das nicht nur auf die Abwesenheit von Krankheit oder ein rein verobjektivierbares Funktionieren von Organen reduziert werden kann. Neben der rein körperlichen Dimension sind andere Dimensionen zu berücksichtigen, wie beispielsweise soziale oder auch geistige. Diese Dimensionen werden wiederum von vielfältigen Faktoren beeinflusst. Ein prozesshaftes Verständnis von Gesundheit – und gleiches gilt auch für Krankheit – ermöglicht darüber hinaus zeitliche Verläufe auf verschiedenen Ebenen zu Gesundheit in Beziehung zu setzen. Sozioökonomische Rahmenbedingungen, Zugang zu gesundheitsfördernden Lebensweisen und medizinischen Einrichtungen wie auch Stressfaktoren aus dem individuellen Lebensverlauf lassen sich so in Beziehung setzen mit Gesundheit und Krankheit. Dabei können Prozesse hin zu Gesundheit wie hin zu Krankheit gleichzeitig ablaufen. „Gesundheit und Krankheit sind vor allem Prozesse, zeigen jeweils ein Spektrum; Krankheit entsteht aus Gesundheit, ebenso Gesundheit wieder aus Krankheit. Übergänge zwischen Gesundheit und Krankheit erscheinen aber nicht nur im zeitlichen Verlauf. Gesundheit und Krankheit existieren auch nebeneinander, insofern gleichzeitig einzelne Bereiche oder Funktionen des Körpers gesund, andere dagegen krank sein können. Der Verlust eines Organs wird nicht selten durch ein anderes kompensiert.“ (Engelhardt 1998, 112f.)
Ein solches prozesshaftes Gesundheitsverständnis ist offen für einen interkulturellen Vergleich auf verschiedenen Ebenen. Es lassen sich auf einer Makroebene öffentliche und private Systeme der Gesundheitsversorgung ebenso vergleichen wie auf der Mikroebene des individuellen Verhaltens verschiedene kulturelle Deutungen des Verhältnisses von Komplementärmedizin zu westlicher Schulmedizin. Dabei verweisen Komplexität und Prozesscharakter von Gesundheit deutlich auf den konstruktivistischen Anteil bei der Bestimmung von Gesundheit. Eine weiterer konstruktivistischer Aspekt des Gesundheitsbegriffs wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie die Grenzen von Gesundheit bestimmt werden. Gesundheit wird auf Vorstellungen von Normalität zurückgegriffen, welche die Grenze zwischen gesund und nicht-gesund plausibilisieren sollen. Dabei spielen normative Urteile eine wesentliche Rolle insofern „statistische, ideelle und individuelle Normbegriffe gleichermaßen eine Rolle [spielen] – die Norm des Durchschnitts, die Norm einer Idee, die Norm eines Individuums.“ (Engel-
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hardt 1998, 113) Je nachdem, welcher Normbegriff stark gemacht wird, wird der Gesundheitsbegriffs je anders material gefasst. Die Interpretation von Gesundheit hängt deshalb immer mit bestimmten (normativ ausgerichteten) Weltanschauungen zusammen, die unterschiedliche Konstruktionen von Gesundheit ermöglichen.3
3. Soziale Dimension von Gesundheit Gesundheit, so wurde bereits betont, hat neben einer körperlichen und geistigen auch eine soziale Dimension. Gerade für einen interkulturellen Vergleich erscheint es wichtig, diese soziale Dimension von Gesundheit noch einmal genauer in den Blick zu nehmen, da sich im Bereich des Sozialen kulturelle Unterschiede besonders deutlich zeigen. Diese soziale Dimension von Gesundheit lässt sich in unterschiedlicher Richtung bestimmen. Eine erste Bestimmung schließt an die Überlegungen des Soziologen Talcott Parsons an. Dieser deutet „Krankheit als die Beeinträchtigung der Fähigkeit des Individuums zur effektiven Erfüllung sozialer Rollen und den Rollenerwartungen entsprechend organisierter Aufgaben“ (Parsons 1981, 59). Aus der struktur-funktionalistischen Perspektive Parsons erscheint Gesundheit also negativ bestimmt: Das, was Gesundheit ist, wird deutlich, wenn sie fehlt und zwar in dem Sinn, dass der kranke Mensch bestimmte soziale Rollen nicht mehr erfüllen kann. Dies gilt natürlich für Rollenerwartungen auf unterschiedlichen Ebenen, im beruflichen wie privaten Kontext. Besonders deutlich wird diese Bedeutung von Krankheit, wenn jemand krank geschrieben wird, d.h. eine Bescheinigung erhält, dass seine Erkrankung es ihm unmöglich macht, seine Rolle als Arbeitnehmer auszufüllen. Die Rollenerwartung kann mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten zusammenhängen und daher können Beeinträchtigungen unterschiedliche Folgen haben: Heiserkeit beispielsweise ist für Lehrpersonal oder Sänger ein Grund, Veranstaltungen abzusagen, ein vorwiegend am Computer arbeitender Angestellter hingegen kann
3 Ein Gesundheitsverständnis, das der Strategie einer Entmystifizierung eines überhöhten Gesundheitsbegriffes folgt und dabei sowohl die vielfältigen Dimensionen von Gesundheit wie deren Konstruiertheit in den Blick nimmt, ist beispielsweise das von Antonovsky. Im Zentrum dessen Gesundheitsverständnis als Salutogenese steht das Kohärenzgefühl, das den beiden genannten Anforderungen entspricht: „Das Kohärenzgefühl ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind; einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen; diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen.“ (Antonovsky 1997, 36)
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seine Rolle auch ohne Stimme noch vollständig erfüllen. Neben der beruflichen Rolle können auch andere, weniger funktional ausgerichtete Rollen wie die von Eltern beeinträchtigt sein. Die Rollenerwartungen an eine Person oder auch der Personen selbst können sehr unterschiedlich sein, dies zeigt sich unter anderem in Vorstellungen von Gesundheit bei älteren Menschen. Untersuchungen zeigen, dass in Österreich bei älteren Menschen die soziale Rolle, als Großeltern ebenso wie als Bridge-Spieler, immer mehr an Bedeutung gewinnt und die Möglichkeiten, diese Rolle zu erfüllen zum Gradmesser für die eigene Gesundheit wird (Inthorn 2009b). Die soziale Dimension von Gesundheit bleibt in der Perspektive Parsons formal, da sie als Voraussetzung zur erfolgreichen Teilnahme am sozialen bzw. gesellschaftlichen Leben interpretiert wird, die erst durch die jeweils konkrete Rolle material gefüllt wird. Die soziale Dimension von Gesundheit schlägt sich auch in anderen Facetten nieder, zwei sind mit Blick auf die vorliegende Studie von besonderer Bedeutung. Der erste der beiden Aspekte ist der Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und Gesundheit, der gerade im internationalen Vergleich intensiv diskutiert wird. Soziale Ungleichheit – beispielsweise in Form eines großen Gefälles zwischen Arm und Reich – geht einher mit einem schlechteren Gesundheitszustandes auf Seiten der Benachteiligten. Die WHO hat darauf besonders in ihrem World Health Report 2000 aufmerksam gemacht und damit den Zusammenhang von Armut (verstanden in einem weiten Sinne) und Gesundheit ins Zentrum der Diskussion gestellt (vgl. WHO 2000b).4 In der Debatte hat sich dabei der Begriff health inequality zur Bezeichnung dieses Zusammenhangs durchgesetzt. Am eindrücklichsten ablesbar ist dieser Zusammenhang sicherlich bei der Lebenserwartung im internationalen Vergleich. Die Daten belegen, dass Länder, die eine geringere Versorgung mit Grundnahrungsmitteln, sauberem Trinkwasser oder niedrigere grundlegenden Hygienestandards haben, in aller Regel auch eine deutlich geringere Lebenserwartung der Bevölkerung aufweisen. Negativ wirken sich auch Faktoren wie fehlende Bildung, Mangel an Arbeitsplätzen oder Migration und soziale bzw. politische Konflikte aus. Eine Weltkarte, auf der die durchschnittliche Lebenserwartung abgebildet wird, belegt, dass die Länder mit der geringsten durchschnittlichen Lebenserwartung auch die Länder sind, die in 4 Neben dem World Health Report der WHO sind zudem eine Reihe weiterer theoretischer und empirischer Studien zu diesem Zusammenhang publiziert worden, vgl. http://www.who.int/health-systems-performance/docs/ (abgerufen am 30.10.2009). In eine ähnliche Richtung, aber stärker politisch ausgerichtet sind die Berichte des von der EU initiierten European Portal for Action on Health Equity, die sich ebenfalls mit dem Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und Gesundheit beschäftigen, vgl. http://www.health-inequalities.eu/ (abgerufen am 30.10.2009).
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Fragen grundlegender Entwicklung bzw. Armut am unteren Ende liegen. So weisen die Länder in Afrika südlich der Sahara eine durchschnittliche Lebenserwartung zwischen 35 und 50 Jahren auf, während in Europa oder Nordamerika diese bei 70 Jahren und höher liegt. Auch der Vergleich zwischen Österreich und den Philippinen zeigt einen solchen Zusammenhang: Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt liegt in Österreich bei 82,87 Jahren für Frauen und 77,34 Jahre für Männer (Statistik Austria 2008, 30). Auf den Philippinen liegt die Lebenserwartung etwa 10 Jahre niedriger und wird für 2008 mit 74,15 Jahre für Frauen und 68,17 Jahre für Männer beziffert (CIA 2009). Dabei beträgt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf den Philippinen nur etwa ein Zehntel des österreichischen Werts. Dieser Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit, wie er sich im Ländervergleich zeigt, wird auch in den einzelnen Staaten auf der Meso- und Mikroebene sichtbar. Dies gilt sowohl für die westlichen Länder, in denen ein niedriges Einkommen oder eine niedrige soziale Stellung in der Gesellschaft oftmals zu einem schlechteren Gesundheitszustand führen, als auch für Länder in anderen Erdteilen. Als ein Beispiel solcher Forschungen für Österreich kann die Studie von Wolfgang Freidl et al. (2007) zum Zusammenhang von Gesundheitszustand, Langzeitarbeitslosigkeit und empfundener sozialer Ungleichheit herangezogen werden. Aufbauend auf dem Salutogenese-Konzept von Antonovsky haben Freidl et al. in den Jahren 2003 und 2004 Interviews in Österreich zu diesem Themenfeld durchgeführt. Die Studie zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und dem Gesundheitszustand der Befragten. Langzeitarbeitslosigkeit führt letztlich zu einem schwächeren Selbstbewusstsein und einer deutlich höheren Anfälligkeit gegenüber Krankheiten wie Bluthochdruck oder immunologischen Störungen. Die subjektiv empfundene soziale Ungleichheit der Betroffenen verstärkt dies noch einmal, weshalb die Autoren die Schlussfolgerung ziehen, dass neben den Faktoren sozialer Ungleichheit auch die empfundene soziale Benachteiligung ausschlaggebend dafür ist, dass Menschen deutlich anfälliger gegenüber Krankheiten sind als andere Gesellschaftsmitglieder, die diese Benachteiligung nicht empfinden oder besser gestellt sind. Für die Philippinen zeichnet Reese diesen Zusammenhang nach: „Der Zugang zu Gesundheit ist in starkem Maße vom wachsenden Gegensatz von Arm und Reich bestimmt.“ (Reese 2005, 47) Dies zeigt sich auf den Philippinen u.a. an der Kindersterblichkeit und am Zugang zu Gesundheitsversorgung oder zu sauberem Trinkwasser. Health inequality ist damit nicht nur ein Thema des Nord-Süd Vergleichs, vielmehr lässt sich jede Gesellschaft dahingehend untersuchen, wie Gesundheit und für Gesundheit notwendige Ressourcen verteilt bzw. zugänglich sind.
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Der dritte wichtige Aspekt der sozialen Dimension von Gesundheit besteht darin, dass die Konstruktionen von Krankheit und Gesundheit im öffentlichen Diskurs oft mit normativen Urteilen verbunden werden. Das heißt beispielsweise, dass einzelne Krankheiten in der Öffentlichkeit positiv oder negativ besetzt sind und so mit normativen Wertungen verbunden werden. Gesundheit und Krankheit werden dann nicht als rein deskriptive Begriffe verstanden, sondern erlauben gleichzeitig eine Bewertung der Person oder deren Lebenswandel. Dies kann im positiven Sinn geschehen, indem Gesundheit als Wert angenommen wird, oder im negativen Sinn durch Schuldzuweisungen oder der Interpretation von Krankheit als Makel. Die Autorin, die in ganz besonderer Weise auf diese soziale Dimension der Konstruktion von Gesundheit und Krankheit aufmerksam gemacht hat, ist die 2004 verstorbene US-amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag. In dem 1989 erschienen Band Krankheit als Metapher (deutsch: Sontag 1996) setzt sie sich damit auseinander, inwieweit in der Öffentlichkeit bestimmte Krankheiten als soziale Metaphern verwendet und damit Werturteile mit diesen Krankheiten verbunden werden. Dies zeigt sie beispielsweise anhand der Krebserkrankung auf, die in den 1970er Jahren in vielen westlichen Ländern als Metapher für ein unterdrücktes Leben gedeutet wurde. Krebskranke Patienten, so die These, wurden konstruiert als Menschen, die ihre Gefühle oder Ängste unterdrückt haben, im Extremfall sogar unfähig waren, irgendeine Form von Emotionalität oder Sexualität auszuleben, und deswegen selbst Ursache für diese Krankheit seien. Die Bildsprache, die hinter der Krankheitsbezeichnung ‚Krebs‘ steht, suggeriert diese Bedeutungskonstruktion gewissermaßen von selbst: Der Krebs hat große Scheren, bewegt sich leise und schneidet sich von innen seinen Weg frei. In solchen sozialen Konstruktionen, die – folgt man Sontags Rekonstruktion – in vielen westlichen Gesellschaften durch Literatur oder Medien reproduziert werden, wird also mehr ausgesagt, als dass jemand nur krank ist oder seine soziale Rolle nicht mehr übernehmen kann. „Ich sage nicht, dass die Metapher die klinische Auffassung hervorbringt, aber ich vertrete das Argument, dass die Metapher mehr tut als die klinische Auffassung nur zu bestätigen.“ (Sontag 1996, 117)
Die Metapher reicht über die klinische Darstellung der Krankheit hinaus und deutet die Krankheit zusammen mit dem Kranken. Hierbei entsteht die normative Konstruktion des Krebskranken als demjenigen, der selbst schuld ist oder auf Grund psychologischer Defizite zu dieser Krankheit beigetragen hat. Diese Konstruktionen, die in den Metaphern der Krankheitsbegriffe impliziert sind, zeichnet Sontag nicht nur bei Krankheiten wie Krebs oder Tuberkulose nach, sondern auch bei der neu entstehenden Pandemie auf Grund von HIV/AIDS. In ihrem Folgeband Krankheit als Meta-
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pher & Aids und seine Metaphern (Sontag 2003) zeigt sie, wie sich solche normativen Konstruktionen bei HIV/AIDS etabliert haben und die mit dem Virus infizierten Menschen massiv unter Druck setzen. Die Bandbreite geht von Vorurteilen, dass ‚die‘ Afrikaner, die am meisten von dieser Krankheit betroffen sind, selbst Schuld seien, bis hin zur Stigmatisierung ganzer Gruppen (v.a. der Homosexuellen), bei denen die Krankheit als Bestrafung für ‚unmoralisches‘ sexuelles Verhalten gedeutet wird. „Ihr Kampf gegen die Krankheitsmetaphorik war nichts anderes als ein Kampf gegen den moralischen Druck, der im Reden und Schreiben über Gesundheit oder Krankheit auf vielfältige Weise ausgeübt wird, ein Kampf zur Befreiung von Straf-, Schuld- und Minderwertigkeitsfantasien, die durch populäre und pseudowissenschaftliche Krankheitsbilder oft erzeugt werden und den Kranken belasten. Die Einschätzung der Krankheit als ‚Prüfung des moralischen Charakters‘, die ‚Vorstellung, dass eine Krankheit eine besonders geeignete und gerechte Bestrafung sein könne‘, die Ausdeutung von Krankheiten ‚als Metaphern für das Böse‘: solche ‚albernen und gefährlichen Ansichten bringen es zuwege, dass die Last der Krankheit dem Patienten aufgebürdet wird‘.“ (Anz 2005)
Für die Philippinen beschreibt Miranda (1994, 90) ähnliche Formen der Schuldzuweisung bei bestimmten Krankheitsformen. So wird die Erkrankung von Kindern beispielsweise auf Streitigkeiten oder Untreue zwischen den Eltern zurückgeführt. Auch hier finden sich Formen der Zuschreibung, bei der normative Vorstellungen über eine richtige Lebensführung – in diesem Beispiel als Eltern – mit Krankheit in Verbindung gebracht werden. Hinsichtlich der sozialen Dimension von Gesundheit kann also dreierlei festgestellt werden: Erstens ist Gesundheit eng verbunden mit der Möglichkeit zu einer Beteiligung am gesellschaftlichen Leben, weshalb Gesundheit bzw. Krankheit immer auch soziale Auswirkungen nach sich zieht. Zweitens zeigen vielfältige nationale wie internationale Studien, dass Gesundheit mit sozialen Ungleichheiten in einem engen Zusammenhang stehen. Armut muss dabei als ein zentraler Einflussfaktor von Krankheit verstanden werden. Gleichzeitig verstärken auch subjektiv empfundene soziale Ungleichheiten diesen Zusammenhang. Drittens zeigt sich die soziale Dimension von Gesundheit in der normativen Konstruktion von Krankheit. Dies geschieht sprachlich auf der Ebene von Metaphern. Durch diese werden normative Urteile an einen deskriptiven Begriff von Gesundheit und Krankheit gekoppelt, was eine stigmatisierende Wirkung und damit erhebliche soziale Auswirkungen für die Betroffenen zur Folge haben kann. Diese drei sozialen Dimensionen des Gesundheits- bzw. Krankheitsbegriffs verdeutlichen, dass Gesundheit wie Krankheit immer auch aus dem sozialen Kontext heraus verstanden werden muss. Claudine Herzlich hat in einer medizin-soziologischen Perspektive zudem darauf aufmerksam gemacht, dass Krankheit nicht einfach nur die Diagnose bestimmter Symptome oder Krankheiten ist, sondern diese immer vielfälti-
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ge Folgen für das eigene Leben haben (Auge/Herzlich 1984). Krankheit kann beispielsweise den Betroffenen in individuelle Sinnkrisen stürzen oder zur sozialen Stigmatisierung führen. Gesundheit und Krankheit können damit sowohl als soziales Phänomen verstanden werden als auch ihrerseits soziale Auswirkungen haben, die immer mit bedacht werden müssen, wenn über Krankheit und Gesundheit nachgedacht wird.
4. Entstehung des Gesundheitsbegriffs in der Klinik: Michel Foucaults diskurstheoretische Rekonstruktion Die bisherigen Überlegungen haben sich verschiedenen Gesundheitsbegriffen aus einer Vielfalt an Perspektiven angenähert. Das biomedizinische Verständnis von Gesundheit und Krankheit der westlichen Schulmedizin war dabei eine Perspektive neben anderen. Da das Verständnis der westlichen Schulmedizin nicht nur für den europäischen, sondern auch im internationalen Kontext ein wesentlicher Bezugspunkt ist und das Nachdenken über Gesundheit und Krankheit in ganz besonderer Weise bestimmt, soll im Folgenden die Entwicklung der modernen Medizin als Bedingungsverhältnis dieses Gesundheitsverständnisses näher analysiert werden. Hierfür ist ein Blick in die Arbeiten Michel Foucaults hilfreich. Der 1984 verstorbene französische Philosoph widmet sich in historisch angelegten Studien der Entwicklung der modernen Medizin. Diese Studien helfen, Mechanismen der Konstruktionen von Gesundheit, wie sie mit der Entwicklung der modernen Medizin verbunden sind, besser zu verstehen. Hintergrund der Überlegungen von Foucault ist seine diskurstheoretische Deutung sozialer Prozesse. Diskurse sind, seiner Ansicht folgend, nach einem bestimmten Prinzip geordnete sprachliche Äußerungen, in denen das jeweilige Verständnis von Wirklichkeit, Menschsein und Gesellschaft durchscheint. Die Strukturierungen der Diskurse erfolgt dabei durch bestimmte Mechanismen bzw. Prinzipien, die diese ordnen und festlegen, ob, was und wie etwas in diesem Diskurs formuliert werden darf. „Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.“ (Foucault 1991, 10f.)
Diese Prozeduren, die Foucault in seiner viel beachteten Antrittsvorlesung aus dem Jahr 1970 unter dem Titel Die Ordnung des Diskurses (deutsch: Foucault 1991) identifiziert, sind vielfältig. Er benennt beispielsweise interne Ausschließungssysteme wie Verbote und Tabus, interne Prozeduren wie Kommentare oder Disziplingrenzen und die Ver-
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knappung sprechender Subjekte. Foucault betont nach einer Analyse dieser Ordnungsformen von Diskursen auch die Aufgaben der Diskurstheorie, nämlich sowohl eine genealogische Rekonstruktion der Entstehung dieser Prozeduren als auch eine Kritik derselben, die auf der Basis der historisch-genealogischen Rekonstruktion der Mechanismen die Grenzen und Probleme dieser Prozeduren benenne sollte. Vor diesem Hintergrund der methodologischen Überlegungen seiner Diskurstheorie wendet sich Foucault der Entstehung der modernen Medizin zu, insbesondere der Entstehung der Klinik, die er als paradigmatischen Ort moderner Medizin und ihres Selbstverständnisses interpretiert. Anhand einer historisch-genealogischen Analyse des Aufstiegs der pathologischen Anatomie als wissenschaftliche Basisdisziplin der modernen Medizin und damit einer Rekonstruktion der Entwicklung vom traditionellen ärztlichen Blick hin zur anatomisch-klinischen Methode arbeitet Foucault die prägenden Diskursmechanismen in diesem Feld heraus. Die Etablierung der zentralen Diskursprozeduren der modernen Medizin vollzieht sich für Foucault besonders im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert in der Geburt der Klinik (Foucault 1973). Foucault überschreibt eines der zentralen Teilkapitel seiner Überlegungen mit dem Titel Öffnen Sie einige Leichen! und befasst sich darin mit der Rolle der Pathologie im Wandel des Verständnisses von Krankheiten. Die Pathologie entwickelt sich für Foucault zu einer Methode, um die Tiefenstrukturen von Krankheiten zu verobjektivieren. „Der pathologischen Anatomie wurde also das merkwürdige Vorrecht zugesprochen, dem neuen Wissen zuletzt die ersten Grundlagen seiner Positivität geliefert zu haben.“ (Foucault 1973, 137)
Damit werden auch mystische oder rituelle Deutungen des Körpers oder der Krankheit, wie sie bis in die Renaissance weit verbreitet waren, endgültig zurückgewiesen und der Körper selbst zu einem Objekt. Der Pathologe bleibt das erkennende Subjekt, das als Gegenüber des Körpers konzeptualisiert wird. Aber der Abstand zwischen beiden wird deutlich geringer. In dieser Entwicklung wird das Objekt – die Leiche – immer differenzierter sichtbar, durch den Pathologen werden auch äußerlich nicht erkennbare, erst durch den Vorgang des Sezierens sichtbar gemachte und tiefer liegende Gewebeveränderungen zugänglich. In dieser Transformation der Medizin spiegeln sich viele Elemente wider, die als Grundannahmen moderner Medizin bis heute Bestand haben. „Fortschritt der Beobachtung, Bemühung um Entwicklung und Erweiterung der Erfahrung, immer größere Treue zu den Offenbarungen der sinnlichen Gegebenheiten, Verzicht auf Theorien und Systeme zugunsten eines wissenschaftlichen Empirismus.“ (Foucault 1973, 150)
Der menschliche Körper erhält dabei eine Umdeutung vom Subjekt einer Krankheit hin zum Objekt. Während in der alten Vorstellung eine
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Krankheit einen Körper befällt, wird sie nun mit ihm identisch, „die Krankheit ist der krank gewordene Körper selbst“ (ebd.), die sich dem Arzt als Ansammlung beliebig ausdifferenzierter empirischer Daten zeigt. Kennzeichnend für diese Entwicklung ist eine Veränderung des medizinischen Fokus von der Betrachtung von Symptomen, die als Bündel von Eigenschaften eine Krankheit ausmachen und dem Körper akzidentiell zukommen, hin zur Analyse von Organen und Geweben und damit dem Körper selbst. Die Medizin fokussiert auf die Gewebe, die den Organen zugrunde liegen bzw. durch welche sich die einzelnen Organe erst voneinander abgrenzen lassen. „Die Krankheit ist nicht mehr ein Bündel von Eigenschaften, die hier und dort an der Oberfläche des Körpers verstreut sind und untereinander durch statistisch beobachtbare Gleichzeitigkeiten und Sukzessionen verbunden sind.“ (Foucault 1973, 150)
Das Erfassen von einzelnen Symptomen oder deren Häufigkeit tritt in den Hintergrund zugunsten einer Analyse der den Symptomen zugrunde liegenden Gewebe. Im Zuge dieser Entwicklung wird Krankheit als eine bestimmte zeitlich und räumlich strukturierte Anordnung von Gewebeformen verstanden. Der Pathologe entwickelt damit einen besonderen Blick, der eine höhere Tiefenschärfe aufweist, weil er hinter die Oberfläche der Symptome blickt. Die Klinik hat damit die Verworrenheit und Dunkelheit der Symptome gelichtet und stattdessen die Frage nach der Ursache von Krankheiten in das Zentrum der modernen Medizin gestellt. Der Arzt, mit seinem klinisch-anatomischen Blick, ist derjenige, der diesen neuen Fokus in der Praxis der Medizin repräsentiert.5 Mit der Entstehung der Klinik und der modernen pathologischen Anatomie als eine Basisdisziplin der Medizin geht für Foucault auch eine weitere wichtige Entwicklung einher, die bis heute von großer Bedeutung ist, nämlich eine neue Deutung des Todes. Der Tod ist nicht mehr ein den ganzen Menschen betreffendes, ‚absolutes‘ Phänomen, sondern „die pathologische Anatomie, die eine Technik des Leichnams ist, muss dem Begriff des Todes einen strengeren, vor allem instrumentelleren Status verleihen.“ (Foucault 1973, 155) Der Tod ist nicht mehr länger lebensweltlich konnotiert oder in den Kontext umfassender weltanschaulicher Fragen gestellt, sondern er ist das Resultat verschiedener Veränderungen von Gewebekomplexen. Der Tod ist also „vielfältig und zeitlich
5 Auch wenn Foucault später der Konzeption des ärztlichen Blickes eher skeptisch gegenüberstand, so können diese Überlegungen zur Charakterisierung der modernen Medizin und ihres Gesundheitsverständnisses überaus hilfreich sein.
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gestreut: er ist nicht jener absolute und privilegierte Punkt, an dem die Zeiten anhalten und kehrtmachen“ (Foucault 1973, 156). Das fortschreitende Absterben von Organen wird nicht länger als Vorbote des Todes, sondern als funktionale Abhängigkeit interpretiert und gibt daher auch Einblicke in das Leben selbst. Damit verändert sich die Interpretation des Todes. Bis in die Neuzeit hinein wurde der Tod immer vom Lebendigen aus bestimmt, worin auch jeweils ein Verständnis des Wesens des Lebendigen sichtbar wurde. Dies ändert sich mit der Entstehung der Klinik, weil die Erkenntnis der Zerstörung des Lebens und damit der Tod als solcher ins Zentrum rücken und der Tod seine übergeordnete Bedeutung verliert. Er wird zu einem medizinischen Phänomen, womit die „Medizin von der Todesfurcht befreit“ wurde (Foucault 1973, 160). Dieser knappe Einblick in die Werkstatt diskurs-archäologischen Denkens macht deutlich, wie sich der Diskurs der Medizin selbst und in Wechselwirkung damit auch der allgemein-gesellschaftliche Diskurs über medizinische Fragen durch die Einführung der Pathologie verschoben hat und sich durch entsprechende Veränderungen auch heute noch verschiebt. Es werden Mechanismen innerhalb des Diskurses etabliert, die Spiegelbild einer neuen Konzeptualisierung des menschlichen Körpers als ein Objekt sind, das immer ausdifferenzierter erfasst werden kann. Die erweiterten medizintechnischen Möglichkeiten erlauben es, diesen Blick immer mehr zu verfeinern. Gleichzeitig wird damit das Sprechen über Krankheit oder Tod in dem skizzierten Sinne zu einem neuen Diskurs geformt.6 Insbesondere in den späteren Arbeiten von Foucault zeigt sich der zweite bereits genannte Aspekt der Diskursanalyse, nämlich die Kritik von sich verselbstständigenden Sanktionierungen und Disziplinierungen. Bezüglich des Diskurses über Medizin firmieren seine Überlegungen dazu unter dem Stichwort ‚Bio-Macht‘ bzw. ‚Bio-Politik‘ (vgl. Lemke 2007). Foucault analysiert moderne Diskurse dahingehend, wie sich unter Bezugnahme auf ökonomische Argumente neue Formen der Kontrolle über den menschlichen Körper etablieren, beispielsweise hinsichtlich der Fortpflanzung, der Geburtenrate, des Gesundheitsniveaus oder ganz allgemein der Lebensdauer. Das Ziel dieser Diskursmechanismen ist für Foucault eine Regulation der Bevölkerung.
6 Eine ähnliche archäologische Genealogie entwirft Foucault hinsichtlich der Grenzziehung von Vernunft und Wahnsinn (Foucault 1993b). Er analysiert in historischer Perspektive, inwieweit die Bestimmung des Wahnsinns als das Andere der Vernunft ebenfalls kontingent ist und sich damit die Sanktionierungen innerhalb der Diskurse, was als Wahnsinn ausgeschlossen oder als Vernunft eingeschlossen wurde, in der Neuzeit erheblich verschoben hat.
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„Statt die Grenzlinie zu ziehen, die die gehorsamen Untertanen von den Feinden des Souveräns scheidet, richtet sie die Subjekte an der Norm aus, indem sie sie um diese herum anordnet. (…) Eine Normalisierungsgesellschaft ist der historische Effekt einer auf das Leben gerichteten Machttechnologie.“ (Foucault 1977, 172)
Der einzelne Mensch in seiner Körperlichkeit soll in der Perspektive der Bio-Macht optimiert werden, das heißt, er soll weniger anfällig werden und damit besser seine gesellschaftlichen Funktionen erfüllen können. Der Körper wird nur noch als etwas zu optimierendes interpretiert. Diese Optimierung wird zur alleinigen Handlungsmaxime für den modernen Menschen: Sich gesund zu ernähren, ins Fitness-Studie zu gehen, nicht zu rauchen usw. konstituieren heute in westlichen Gesellschaften die Norm der Bio-Macht, die letztlich zu vielfältigen Formen der Sanktionierung von Diskursen und Selbstdisziplinierungen führen.7 Beide von Foucault dargestellten Diskursstränge, die Entstehung des ärztlichen Blicks und die Bio-Politik, prägen das gegenwärtige Bild von Gesundheit und Krankheit. Krankenhäuser und hochtechnisierte Methoden der Behandlung sind aus diesem Kontext in keiner Kultur mehr wegzudenken. Während aber in Österreich dieser Diskurs der von Foucault nachgezeichneten Genese entspringt, ist für den philippinischen Kontext die westliche Medizin ein Import von außen. Die Verankerung des ärztlichen Blicks im lokalen Diskurs über Gesundheit und Krankheit ist entsprechende eine andere.
5. Politische und ökonomische Dimension von Gesundheit In den vergangenen Jahrzehnten ist neben der Frage nach dem Verständnis von Gesundheit und Krankheit noch eine andere Frage ins Zentrum gerückt, und zwar die nach einer angemessenen Gesundheitsversorgung. Für den europäischen Kontext sind unter anderem mit den gestiegenen technischen Möglichkeiten der Medizin, aber auch mit dem wachsenden Anteil älterer Menschen, die Kosten für die Gesundheitsversorgung massiv angestiegen (Marckmann 2003). Demgegenüber steht in den westlichen Ländern die Tradition eines – zumindest in den Grundzügen – solidarischen Gesundheitssystems. Wenn die Kosten nun immer weiter an-
7 Ähnliches zeigt Foucault für den Bereich der Sexualität und der gesellschaftlichen Steuerung der Fortpflanzung auf (vgl. Foucault 1977, 140ff.). Werkimmanent ist bei Foucault eine Verschiebung seines Forschungsinteresses von einer Analyse der Diskursprozeduren hin zu den Mechanismen der Selbstdisziplinierungen beobachtbar, was sich an der Bedeutung des Begriffs der „Technologien des Selbst“ in den späteren Werken ablesen lässt (vgl. Foucault 1993a). Diesen Technologien steht Foucault insgesamt skeptisch gegenüber, weil sie die Diskursmechanismen in den Vollzug des Subjektes selbst verlagern und damit die Kontrollfunktion noch einmal verstärken.
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steigen, stellt sich die Frage, ob und wie diese Kosten noch solidarisch umgelegt werden können. Mit dem Aufkommen der Fragestellung, hat eine deutliche Ökonomisierung des Diskurses über Gesundheit stattgefunden. Die Knappheit der Ressourcen führt in ethischer Perspektive dann vor allem zu einer Debatte über die Frage, was eine gerechte Verteilung der Ressourcen ist und welches Ziel damit verfolgt werden soll. Für die Philippinen stellt sich das Problem der Gesundheitsversorgung in anderer Weise. Der Anteil junger Menschen an der Bevölkerung ist gleichbleibend hoch, hier liegt nicht das Problem. Allerdings ist nur ein kleiner Teil der Bevölkerung ausreichend versichert (2002: 7,3%; Reese 2005, 51). Der Zugang zu Einrichtungen der Gesundheitsversorgung ist auf dem Land deutlich schlechter als in der Metropolregion Manila, hinzu kommt, dass arme Bevölkerungsschichten durch Mangelernährung, fehlendem Zugang zu Trinkwasser etc. in Umständen leben, die Krankheiten Vorschub leisten. Auch für die Bestimmung der politischen und ökonomischen Dimensionen von Gesundheit ist es wichtig zu klären, was unter Gesundheit verstanden wird und welche Funktion ihr zukommt: In ökonomischer Perspektive hat Gesundheit eine doppelte Funktion. Sie ist einerseits ein privates Gut, dem man mehr oder weniger Bedeutung zumisst, insofern jedes Individuum selbst entscheiden kann, was und wie viel Ressourcen es zum Erhalt dieses Gutes aufwenden will. Wie bei anderen privaten Gütern gibt es einen Markt, auf dem Waren und Dienstleistungen im Bereich Gesundheit angeboten werden. Daher können Menschen Geld in ihre eigene Gesundheit investieren, wenn sie dieses Gut für sich selbst hoch einschätzen. Allerdings müssen die Mittel für eine Investition dem Einzelnen auch zur Verfügung stehen. Sehr armen Menschen steht der Gesundheitsmarkt wie andere Märkte nur theoretisch offen. Auf den Philippinen, wo der Großteil der Krankenversorgung in privater Hand liegt, kann Gesundheit zum Luxusgut werden. Damit ist auf die zweite Funktion von Gesundheit im ökonomischen Kontext verwiesen. Bei Gesundheit handelt es sich immer auch um ein öffentliches Gut, weil auf der Basis eines menschenrechtlichen Verständnisses niemand von diesem Gut ausgeschlossen werden darf. Öffentliche Güter sind Teil des Gemeinwohls, die nicht ausschließlich dem Markt überlassen werden dürfen. Einige Autoren wie beispielsweise Wolfgang Kersting (2002) gehen noch einen Schritt weiter und argumentieren, dass Gesundheit ein transzendentales Gut ist, weil es eine zentrale Voraussetzung der Verwirklichung individueller Lebenspläne darstellt und nicht nur alleine von dem einzelnen Individuum geschaffen werden kann. Gesundheit hat also in der Perspektive der Gütertheorie einen Doppelcharakter und nicht zuletzt daraus resultieren die strittigen Punkte in den aktuellen ökonomischen und ethischen Debatten zur Gesundheitsversorgung. Soll Gesundheit als ein privates Gut verstanden werden, für
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das der Einzelne verantwortlich ist und jeder selber entscheiden muss, wie viel Geld er hierfür aufwenden will? Oder ist Gesundheit ein öffentliches Gut, für das die Gesellschaft als Ganze bzw. sogar die internationale Gemeinschaft verantwortlich ist, weil die Gesundheit ihrer Mitglieder Voraussetzung für die Schaffung des Gemeinwohls und einer aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist? Die faktischen Antworten auf diesen Konflikt fallen weltweit höchst unterschiedlich aus. Auf der einen Seite stehen Länder, die aus unterschiedlichen Gründen keine solidarische Verteilung der Kosten des Gesundheitswesens kennen. In vielen Entwicklungsländern weltweit fehlt schlicht und ergreifend das Geld, um ein solches Gesundheitssystem zu finanzieren. Auf den Philippinen werden über die Hälfte der Gesundheitsausgaben aus privaten Mitteln bezahlt, u.a. werden bei einem Krankenhausaufenthalt verschiedenste ärztliche und pflegerische Dienstleistungen wie auch medizinisches Verbrauchsmaterialien dem Patienten gesondert privat in Rechnung gestellt. Dadurch wird dort faktisch gesehen Gesundheit meist zu einem privaten Gut – auch bereits auf sehr basalen Ebenen der gesundheitlichen Grundversorgung. Auf der anderen Seite stehen die Industrieländer des Nordens und Westens, die zwar in unterschiedlicher Ausprägung, aber doch alle mehr oder weniger in den vergangenen 200 Jahren ein solidarisches Gesundheitssystem etabliert und damit Gesundheit gesellschaftlich betrachtet als ein öffentliches Gut konzeptualisiert haben. In Österreich ist die Gesundheitsversorgung über ein umfassendes Versicherungssystem geregelt, das allen Menschen den Zugang zu Gesundheitseinrichtungen ermöglicht. Zudem können sich die meisten Menschen in Österreich das Gut Gesundheit leisten und haben die finanzielle Möglichkeit, auf dem freien Markt für ihre Gesundheit zu sorgen. Angesichts der Knappheit der Ressourcen wird die Frage, wie hoch die Grundstandards der Gesundheitsversorgung sein sollen und können, nicht nur in den Philippinen, sondern auch in Österreich, teils hitzig debattiert. Als Kostentreiber wird dabei neben dem medizinischen Fortschritt vor allem die demographische Entwicklung, in einigen Ländern aber auch die Leistungsausweitung im Bereich der gesundheitlichen Grundversorgung oder fehlende Prävention identifiziert. Wie die Verschränkung von öffentlicher und privater Gesundheitsversorgung genau aussehen soll, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen (vgl. Aldebert 2007, Birnbacher 2002, Schöne-Seifert 2006; vgl. auch das Kapitel zu Gesetzlichen Grundlagen des Gesundheitswesens). Während Bahro et al. (2001) dem Markt einen sehr großen Spielraum einräumen wollen, scheint dies bei anderen Autoren weniger der Fall zu sein, auch wenn sie ebenfalls für eine Verschränkung von privater und öffentlicher Gesundheitsversorgung plädieren. Höffe schlägt beispielsweise ein vierstufiges System vor, in dem neben der kollektiven Grund-
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versorgung unterschiedliche Stufungen privater Versicherung hinzukommen können (Höffe 2002, 234ff.). Die ethischen Argumente, die in diesen Vorschlägen impliziert sind, werden später unter dem Fokus der Gerechtigkeit einer eigenen Analyse unterzogen. Schon jetzt kann man allerdings unabhängig davon festhalten, dass eine überzeugende Antwort auf diese Fragen bislang noch nicht gefunden wurde, was sich auch an den hitzigen Debatten in allen westlichen Ländern ablesen lässt. Nicht nur deshalb ist die politische Debatte über diese Fragen nach wie vor wichtig, um zu einer für alle tragbaren Lösung zu gelangen. Wichtig hierbei erscheint, dass dies nicht nur eine Debatte der gesunden und reichen Gesellschaftsmitglieder sein sollte, sondern eine, an der alle Gesellschaftsmitglieder gleichermaßen beteiligt werden. Marckmanns diskursethisch motivierter Forderung ist deshalb zuzustimmen, dass es in Zukunft weiterhin erhebliche Anstrengungen bedarf, um „faire politische Verfahren [zu] ermöglichen, die eine deliberative Entwicklung von gesundheitspolitischen Vorstellungen des guten Lebens und entsprechenden Versorgungsprioritäten ermöglichen.“ (Marckmann 2003, 342) Die Einschätzung zur Bedeutung der Gesundheit für das Gemeinwesen der WHO könnte hierbei handlungsleitend sein: „Der Besitz des bestmöglichen Gesundheitszustandes bildet eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Anschauung und der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung. Die Gesundheit aller Völker ist eine Grundbedingung für den Weltfrieden und die Sicherheit; sie hängt von der engsten Zusammenarbeit der Einzelnen und der Staaten ab. Die von jedem einzelnen Staat in der Verbesserung und dem Schutz der Gesundheit erzielten Ergebnisse sind wertvoll für alle.“ (WHO 2006b)
Gesundheit aus ökonomischer Perspektive bleibt in diesen Debatten immer auf den nationalen Kontext verwiesen. Konzeptualisiert man Gesundheit im Rahmen einer Menschenrechtsdebatte oder auch im Sinne der Voraussetzung für die Beteiligung an Gemeinschaft, könnte die Frage nach Solidarität im Gesundheitswesen aber auch länderübergreifend gestellt werden.
6. Interkulturelle Dimension von Gesundheit Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass Gesundheit und Krankheit sehr unterschiedlich verstanden und je nach Ausgangspunkt verschiedene politische Schlussfolgerungen daraus abgeleitet werden können. Diese Mehrdimensionalität von Gesundheit wird noch einmal komplexer, wenn der Blick auf ihr Verständnis in verschiedenen Kulturen gelenkt wird. Das, was in anderen Kulturen unter Gesundheit und Krankheit sowohl theoretisch als auch praktisch verstanden wird, ist alles andere als einheitlich. Dabei spielen die jeweiligen kulturell bedingten
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Deutungen von Wirklichkeit, Menschsein oder Gesellschaft eine große Rolle. Zudem nimmt der Gesundheitsbegriff Bezug auf Kausalitätsvorstellungen, die hinter den Erklärungsmodellen von Krankheit liegen und fußt in verschiedenen Zugangsweisen von medizinischem Wissen und anderen Formen der Heilkunde (vgl. das Kapitel zu Komplementärmedizin).8 Diese kulturelle Mehrdimensionalität von Gesundheit und Krankheit lässt sich entlang der in den vorangegangenen Teilkapiteln skizzierten Aspekte aufzeigen. Zuerst findet sich empirisch gesehen in jeder Kultur eine eigene alltagssprachliche Verwendung dieser Begriffe und eine entsprechende lebensweltliche Verankerung der beiden Phänomene. Die Spannungspole von engem – weitem oder subjektivem – objektivem Verständnis von Gesundheit und die von Körper – Geist finden sich in fast allen Kulturen wieder, werden aber unterschiedlich akzentuiert. In Österreich ist der Diskurs durch die große Bedeutung einer technisierten und hoch entwickelten Medizin geprägt. Dabei erscheint Gesundheit als ein großes Ideal, dem die Bürger in ihrer eigenen Lebenswelt einen hohen Stellenwert zuschreiben, wie sie Foucault unter dem Schlagwort der Technologien der Selbstdisziplinierung beschreibt. Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die technischen Möglichkeiten werfen gleichzeitig auch viele neue Fragen auf, beispielsweise nach dem Sterben, wie die aktuellen Diskussionen über die Patientenverfügung in Österreich nachdrücklich belegen (vgl. Inthorn/Klete²ka-Pulker 2008). Und schlussendlich zeigt sich in Österreich auch die für Industrieländer typische Debatte über mögliche Reformen des Gesundheitswesens, in der um die richtige Balance zwischen Gesundheit als privatem und als öffentlichem Gut gerungen wird. Demgegenüber weist das Verständnis von Gesundheit und Krankheit auf den Philippinen einige andere Aspekte auf. Dabei ist es zuerst hilfreich darauf zu achten, was unter Krankheit verstanden wird und mit
8 Eine Analyse der kulturellen Mehrdimensionalität des Verständnisses von Medizin und Gesundheit wird momentan u.a. in der so genannten Ethnomedizin betrieben. Solche Forschungen haben – zumindest teilweise – auch wieder einen Rückkopplungseffekt auf das Nachdenken über westliche Medizin selbst, weil durch diese Analyse und daran anschließende interkulturelle Vergleiche die Absolutsetzung einer bestimmten Deutung von Medizin und Gesundheit in ihren Begrenzungen sichtbar werden. „Die Betrachtung der kulturellen Einbettung von Medizin weltweit hatte zunächst ‚unsere‘ Medizin ergänzt, dann aber ihre eigenen Fundamente erreicht, in Frage gestellt und schließlich sie selbst mit zum Gegenstand der Betrachtung gemacht. Thema der Ethnomedizin sind damit alle unterschiedlichen medizinischen Traditionen, weltweit: ihre materiellen Erscheinungsformen und ganz besonders auch ihr Umgang mit Wissen, Denken und Theoriebildung.“ (Lux 2003, 10)
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Hilfe welcher Theorien sie erklärt wird.9 Miranda stellt für den philippinischen Kulturkontext heraus, dass Krankheit als eine existenzielle Erfahrung des Menschen verstanden wird, die eine starke soziale Komponente beinhaltet (Miranda 1994, 88). Die Krankheit erklärt sich in vielen Fällen erst aus diesen sozialen Faktoren heraus. Krankheiten können deswegen im Alltagsverständnis nicht verobjektiviert, sondern müssen aus dem sozialen Erfahrungskontext der Menschen heraus interpretiert werden (ebd.). Hinter diesem Verständnis von Krankheit stehen unterschiedliche Theorien der Verursachung und Entstehung, die sich teils deutlich voneinander unterscheiden. Miranda identifiziert drei große Theoriestränge: mystische, personalistische und naturalistische Modelle (vgl. Miranda 1994, 89-97). Zu den mystischen Theorien der Krankheitsentstehung gehören Erklärungen wie Vergeltung, Schicksal oder Seelenverlust. Sie alle implizieren die Annahme einer übernatürlichen Macht, die den Menschen mit der Krankheit in eine existenzielle Erfahrung, meist eine besondere Prüfung, führt. In diesen Theorien wird der Kranke eher passiv konzeptualisiert und als ein Gegenüber zu der übernatürlichen Macht. In den personalistischen Modellen, wie beispielsweise animistischen und magischen Konzeptionen, kommt dem Patienten eine andere Rolle zu. „In a personalistic medical system, sickness is explained as the result of the active and purposeful intervention of an agent.“ (Miranda 1994, 92) Krankheit wird nach diesen Modellen verursacht, weil der Kranke sich selbst eines Vergehens schuldig gemacht hat – beispielsweise wenn er eine soziale Norm oder ein Ritual nicht erfüllt hat. In dem letzten Theoriemodell, das sich ebenfalls in verschiedene Formen aufteilt, herrscht eine Interpretation der Krankheit als natürlich verursacht vor. Beispiele hierfür sind Infektionen oder schlechte Ernährung als Ursache für Krankheit. Ein Blick auf die Seite der therapeutischen Modelle innerhalb dieser naturalistischen Theorien von Krankheit zeigt allerdings, dass ‚naturalistisch‘ nicht unbedingt in dem Sinne der westlichen Medizin interpretiert wird. „This [naturalistic theories of illness] is wider than definitions which refer to modern medical science, since it accepts certain therapeutically effective phenomena not admitted by mainstream medical groups: acupuncture, chiropractice, osteopathy, faith healing.“ (Miranda 1994, 94)
Neben diesen oft sehr alten Erklärungsmustern von Krankheit, darf der Einfluss des Christentum auf die Deutung von Gesundheit und Krankheit nicht unterschätzt werden. Die Philippinen sind ein stark ka-
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Für eine systematische Reflexion der kulturellen Konzepte von Krankheit, unabhängig des österreichischen und philippinischen Kontextes vgl. Lux 2003, 145-189.
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tholisch geprägtes Land, das auf Grund seiner Geschichte eng mit dieser Religion verbunden ist. Deshalb spielen neben den genannten Erklärungsmustern von Krankheit oder mit diesen verbunden, christliche Deutungsmuster eine sehr wichtige Rolle. Weitere Unterschiede lassen sich für die soziale Dimension von Gesundheit und Krankheit herausarbeiten. In den Kulturen Südostasiens wird der Aspekt des Sozialen gegenüber dem Aspekt der Individualität in vielen philosophischen Debatten stark betont. Dies drückt sich auch in dem Verständnis von Gesundheit aus, in dem die soziale Dimension deutlich stärker beachtet wird als in europäischen Gesellschaften. So wird beispielsweise eine Entscheidung über eine Therapie, die in Österreich üblicherweise in Form eines unterzeichneten informed consent des Patienten getroffen wird, auf den Philippinen von der Familie getroffen. Hierin spiegeln sich verschiedene Facetten der sozialen Dimension des Krankheitsverständnisses wider. Zunächst gilt der Kranke als Person, die geschont werden muss und von dem belastenden Entscheidungen fernzuhalten sind. Daher wird er auch nicht mit Fragen der Behandlung belastet. Weiter begleitet die Familie den Kranken kontinuierlich und ist beständig an seiner Seite. Die Einbindung in das eigene soziale Netz wird durch Krankheit nicht unterbrochen. In Österreich kann es hingegen vorkommen, dass Kranke gezielt in Ruhe gelassen werden, um sich erholen zu können und diese sich nach der Genesung wieder zurückmelden müssen. Darüber hinaus verweist die Behandlungsentscheidung durch die Familie auch auf die ökonomischen Rahmenbedingungen. Im Regelfall ist die Familie die Solidargemeinschaft, die für eine Behandlung finanziell aufkommen muss. Von daher wird die Gemeinschaftsentscheidung vor dem Hintergrund der dafür zur Verfügung stehenden Mittel getroffen. Das Beispiel der Behandlungsentscheidung macht deutlich, dass die einzelne Person als Kranker nicht nur einer anderen Rollenerwartung ausgesetzt ist, sondern auch die Rahmenbedingungen der Deutung sozialer Zusammenhänge die Situation zu einer anderen macht, als das in Österreich der Fall ist. Der westliche Medizin- und Gesundheitsdiskurs fokussiert insbesondere in der Medizinethik stark auf das einzelne Individuum und dessen Autonomie wie beispielsweise in den bioethischen Prinzipien von Beauchamp und Childress (1994, 120ff.). Der Arzt-Patienten-Beziehung wird ein großer Stellenwert innerhalb der Debatte eingeräumt. Dagegen legt der philippinische Diskurs den Schwerpunkt auf den sozialen Kontext, die gesellschaftlich verwirklichten Werte und die Familie als primären Akteur im moralischen und gesellschaftlichen Feld. Bezüglich der Debatte über Medizinethik bedeutet dies, dass nicht wie Beauchamp & Childress dies getan haben, einzelne Prinzipien isoliert werden können, die als solche eine Handlungsorientierung für die Medizin geben, sondern dass soziale Werte nur als ein komplexes Gebilde gedeutet werden
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können, die in der sozialen Praxis der Gemeinschaft verankert sind und darauf abzielen, einen harmonischen Ausgleich in dieser herzustellen. „In the Filipino experience, for example, the values expressed in ethics are inextricably fused and woven delicately into each other; they are never expressible as a set of principles to be distinguished rigorously from each other and employed discretely. The resulting texture is one of normative virtues that are not easily placed into deontological-teleological taxonomies of the West. It is an ethic whose temper is more consensual than controversial.“ (Alora/Lumitao 2001, 5)
Der Familie kommt in diesem Prozess der moralischen Selbstverständigung eine zentrale Rolle in der philippinischen Kultur zu. Familie ist, verstanden in einem weiten Sinne, das zentrale Netzwerk, innerhalb dessen sich Menschen bewegen und in dem die gemeinsamen Normen zur Handlungsorientierung verankert sind. Alora und Lumitao sprechen daher auch von der Familiengemeinschaft als moralischem Agenten (Alora/Lumitao 2001, 7ff.). Insofern ist immer auch die Familie der primäre soziale Kontext, in dem Krankheit erlebt wird und der primäre Ansprechpartner für die Behandelnden. „Assured that others will take care of and support him or her, the sick family member accepts role of dependency and passive tolerance, leaning on the family as a direct source of strength and support.“ (Alora/Lumitao 2001, 15)
Damit sind zentrale Facetten des Verständnisses von Gesundheit skizziert und auf ihre interkulturelle Dimension hin befragt. Nun soll der Blick dem ethischen Zentralbegriff des Bandes zugewandt werden, und zwar der Gerechtigkeit.
II. Gerechtigkeit 1. Die philosophische Debatte Das Nachdenken über politische Fragen in der Philosophie hat mit der Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls 1971 (deutsch: Rawls 1979) einen enormen Schub erhalten. Das philosophische Nachdenken über Politik, Ökonomie oder Gesellschaft spielte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine untergeordnete Rolle, derartige Fragen wurden letztlich als zweitrangig gegenüber den Fragen nach Wirklichkeit, Erkenntnis oder Sprache angesehen. Mit Rawls und der sich an ihn anschließenden Debatte über Gerechtigkeit hat sich dies grundlegend verändert. Die Frage nach Gerechtigkeit ist bis heute ein Dreh- und Angelpunkt der praktischen Philosophie (vgl. Kersting 2000; Honneth 2000; Krebs 2000; Jansen 1998). Egal ob von liberaler oder kommunitaristischer Seite
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– es taucht immer wieder an zentraler Stelle die Frage auf, inwieweit Gerechtigkeit der Maßstab für die Beurteilung menschlichen Handelns sein kann bzw. sein soll. Ottfried Höffe (Höffe 1999) ist genauso ein Beispiel hierfür wie Amartya Sen. Inwieweit Gerechtigkeit dabei einen universalen Anspruch erheben kann und welche Rolle kulturelle Prägungen von Gerechtigkeit spielen, darüber besteht freilich nicht immer Einigkeit. Auch in der bioethischen Debatte ist das Prinzip der Gerechtigkeit zu einem der Kernprinzipien geworden. Vor allem Beauchamp und Childress (1994) haben neben dem Prinzip der Autonomie, des Nichtschadens und des Benefizienzprinzips das Prinzip der Gerechtigkeit betont. Seither ist es aus dem Diskurs über Gesundheit nicht mehr wegzudenken, vor allem auch wenn es um die Frage der Verteilung von Gütern im Gesundheitswesen geht. Für die Frage nach dem Verhältnis von Gesundheit und Gerechtigkeit ist es deshalb wichtig, der Frage nach Gerechtigkeit in der praktischen Philosophie eigens nachzugehen. Das Nachdenken über Gerechtigkeit basiert letztlich auf der alltäglichen Erfahrung, dass Menschen oder Gruppen nicht immer die gleichen Ziele verfolgen. Ihre Ziele sind oftmals nicht einfach harmonisierbar, da es unweigerlich auch um konkurrierende Ansprüche geht. Da nicht alle Ansprüche zugleich und in vollem Umfang befriedigt werden können, braucht es eine Reflexion darüber, wie im Konfliktfall bestmöglich entschieden werden kann. Aus dieser Reflexion kristallisieren sich ethische Leitbilder, die im Konfliktfall eine angemessene Verteilung von Interessen oder Ansprüchen ermöglichen. Gerechtigkeit fungiert im gegenwärtigen philosophischen Diskurs als zentrales Schlagwort, unter dem Vorschläge für einen solchen Ausgleich gemacht werden. Die Überlegungen zu Gerechtigkeit können dabei stärker auf politische Institutionen, einzelne Kulturen oder die Einstellungen des Individuums bezogen sein. Weil John Rawls mit seinem Nachdenken über Gerechtigkeit nicht nur der Ausgangspunkt der gegenwärtigen Debatte, sondern auch noch bis heute einer der wichtigen Ansätze ist, von dem sich die alternativen Konzepte absetzen, soll sein Gerechtigkeitskonzept den Ausgangspunkt des folgenden Nachdenkens über Gerechtigkeit bilden. Weitere zentrale Ansätze des Diskurses werden dann als Einsprüche gegenüber der liberalen Gerechtigkeitstheorie formuliert, wodurch ein facettenreiches Bild des aktuellen Diskurses gezeichnet werden soll. Für jeden Einspruch soll dabei auch die Frage beantwortet werden, in welcher Weise Gesundheit zu einem Thema des Nachdenkens über Gerechtigkeit wird. An die Skizze des Gerechtigkeitsdiskurses schließt dann eine systematische Diskussion der verschiedenen Dimensionen von Gerechtigkeit an.
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2. Zugänge zur Gerechtigkeit im philosophischen Diskurs a) Die liberale Gerechtigkeitstheorie von Rawls Die liberale Form des Nachdenkens über Gerechtigkeit von Rawls steht letztlich in der Tradition Kants, auch wenn dieser die Frage nach der Gerechtigkeit nicht ins Zentrum der praktischen Philosophie gestellt hat. Von Kant übernimmt die Gerechtigkeitstheorie von Rawls die Annahme, dass der Mensch ein freies und vernünftiges Wesen ist sowie den universalistischen Zug in der Argumentation. Kant hatte betont, dass der mit Vernunft und Wille ausgestattete Mensch den kategorischen Imperativ aus sich selbst heraus einsehen kann. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (Kant 1785, BA 52) Damit wird eine universale Regel zur Grundlage ethischen Nachdenkens. Wichtig dabei ist, dass anders als in den theologisch begründeten Ethikentwürfen des Mittelalters, keinerlei inhaltliche Normen vorgegeben werden. Der kategorische Imperativ ist lediglich ein formales Prinzip – als solches aber universal. Viele praktische Philosophen haben im 20. Jahrhundert diese kantische Idee aufgenommen und mit Blick auf die Probleme ihrer Zeit neu interpretiert und angewandt. John Rawls ist mit seiner Theorie der Gerechtigkeit (Rawls 1979) sicherlich einer der bekanntesten und wichtigsten für die praktische Philosophie. Seine Grundfrage ist dabei im Grunde sehr einfach: Wie sollen die Institutionen einer gerechten Gesellschaft aussehen und welche Argumente lassen sich dafür anführen? Rawls entwickelt damit einen Entwurf einer gerechten Gesellschaftsordnung. Er fragt weniger danach, was eine gerechte Handlung ist oder wodurch sich ein gerechter Mensch auszeichnet. „Der erste Gegenstand der Gerechtigkeit (ist) die Grundstruktur der Gesellschaft“ (Rawls 1979, 23). Gerechtigkeit ist – wie er selbst sagt – die „erste Tugend sozialer Institutionen“ (Rawls 1979, 19). Die Theorie der Gerechtigkeit impliziert genauso wie der Ansatz von Kant einige Grundannahmen. Dies sind neben der Annahme des rationalen und willensfähigen Individuums vor allem einige grundlegende gesellschaftstheoretische Annahmen: Erstens geht Rawls vom Faktum des Pluralismus aus, d.h. er nimmt an, dass sich die Lebenspläne der Menschen in heutigen Gesellschaften unterscheiden. Dieses Faktum des Pluralismus ist eine unhintergehbare gesellschaftliche Tatsache, der sich jedes ethische Nachdenken über Gerechtigkeit zu stellen hat. Deshalb will er keine einheitliche Moral, Religion oder Weltanschauung voraussetzen, sondern eine möglichst allgemeine Begründung einer gerechten Gesellschaftsordnung liefern.
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Zweitens nimmt er an, dass gesellschaftlich betrachtet eine relative Güterknappheit herrscht. Alle Bürgerinnen und Bürger benötigen Güter, um ihre Lebenspläne zu verwirklichen, die aber nicht in unbegrenzter Menge zur Verfügung stehen. Die Gerechtigkeitsfrage stellt sich daher ganz besonders als eine Verteilungsfrage. „Die Art wie die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen Grundrechte und -pflichten und die Früchte gesellschaftlichen Zusammenlebens verteilen“ (Rawls 1979, 23) ist die zentrale Frage der Gerechtigkeit. Für die Begründung von Gerechtigkeit schaut Rawls zuerst auf die Philosophiegeschichte und skizziert, welche Konzeptionen von Gerechtigkeit er für unzureichend hält. Rawls argumentiert gegenüber dem Utilitarismus, dass Glück alleine keine zufriedenstellende Quelle für Gerechtigkeit sein kann. Aber auch der Hobbesianismus hält seiner Ansicht nach keine überzeugende Begründung von Gerechtigkeit parat, weil dieser Gesellschaft als den „Kampfes aller gegen alle“ bestimmt. Um zu begründen, was eine gerechte Gesellschaft ausmacht, stellt er deshalb ein eigenes Gedankenexperiment an: Rawls fragt danach, für welche Gesellschaftsordnung sich Menschen in einem fiktiven Urzustand entscheiden würden. Die Menschen im Urzustand haben, so seine Annahme, einerseits eine individuelle Vorstellung von ihrem eigenen Lebensplan und wollen diesen bestmöglich verwirklichen. Menschen sind dabei in gewisser Weise eigennützig, denn bei der Verteilung von Grundgütern will jeder lieber mehr als weniger haben. Andererseits haben alle Menschen auch ein Interesse daran, sich als freie Menschen für eine bestmögliche Gesellschaftsordnung zu entscheiden. Um ein möglichst gerechtes Verfahren zur Verteilung von Gütern und Rechten innerhalb einer Gesellschaft zu gewährleisten, nimmt Rawls zudem an, dass die Menschen im Urzustand kein Wissen über persönliche Anlagen und Fähigkeiten, äußere Umstände, gesellschaftliche Positionen oder Generationenzugehörigkeit haben. Sie befinden sich in Urzustand hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ und wissen nichts über ihre gesellschaftliche Ausgangssituation. In einem Abwägungsprozess würden die Menschen nun hinter diesem Schleier des Nichtwissens überlegen, welchen allgemeinen Prinzipien sie zustimmen würden, um sowohl ihren Lebensplan als auch eine gerechte Gesellschaft bestmöglich verwirklichen zu können. Am Ende dieses Prozesses entscheiden sich die Menschen für zwei Gerechtigkeitsgrundsätze – so die zentrale These von Rawls. Der erste Grundsatz besagt, dass Grundfreiheiten das Wichtigste sind, für das sich Menschen aus rationalen Überlegungen entscheiden würden. „Jedermann hat das gleiche Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist“ (Rawls 1979, 336). Alle Menschen würden also für ein möglichst weit reichendes Set an gleichen Grundfreiheiten votieren – so der erste Grundsatz. Zu diesen Freiheiten
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gehören beispielsweise Gedankenfreiheit, Freiheit der politischen Rede, Gewissens-, Vereinigungs- oder Religionsfreiheit. Der zweite Grundsatz, für den sich die Menschen im Urzustand entscheiden würden, betrifft die Verteilung bzw. den Zugang zu materiellen und gesellschaftlichen Grundgütern. Dieser Grundsatz lautet: „Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen folgendermaßen beschaffen sein: a) sie müssen unter der Einschränkung des gerechten Spargrundsatzes den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen, und b) sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offenstehen.“ (Rawls 1979, 336)
Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind nach Rawls also nur dann zulässig, wenn erstens eine faire Chancengleichheit gewahrt ist, d.h. Ämter und gesellschaftliche Positionen allen offen stehen, und zweitens die Unterschiede denen, die am wenigsten begünstigt sind, am meisten zugute kommen. Bei dem zweiten Aspekt unterscheidet sich Rawls deutlich von utilitaristischen Positionen, die für eine Nutzenmaximierung votieren, ohne zu fragen, wem die Vorteile zugute kommen. Damit betont Rawls v.a. einen Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit. Bezüglich des Verhältnisses der beiden Prinzipien argumentiert Rawls für eine lexikalische Ordnung, d.h. dass der erste Grundsatz dem zweiten vorgeordnet ist. Grundfreiheiten sind deshalb in allen Fällen wirtschaftlichen Dingen vorgelagert, weshalb Freiheiten nur um der Freiheit willen und nicht aus wirtschaftlichen Gründen eingeschränkt werden dürfen. Rawls legt mit seiner Gerechtigkeitstheorie den liberalen Ethikansatz des 20. Jahrhunderts schlechthin vor. Er entwickelt eine gerechtigkeitstheoretische Begründung des demokratischen Rechtsstaats, denn das System der größtmöglichen Grundfreiheiten und das Verteilungsprinzip von Grundgütern führen, wenn man beide Gerechtigkeitsprinzipien politisch ausbuchstabiert, letzten Endes zu einem sozialstaatlich organisierten Modell von Demokratie. Ein Vorteil der liberalen Gerechtigkeitstheorie von Rawls ist sicherlich, dass sie sich weitgehend Wertaussagen enthält. Was Menschen in ihrem privaten Lebensraum tun, bleibt dem ethischen Urteil entzogen. Seine liberale Gerechtigkeitstheorie ist damit Ausdruck eines modernen Pluralismusverständnisses. Mittels gerechtigkeitstheoretischer Überlegungen wird nach verallgemeinerbaren, aber eben formalen Prinzipien zur politischen Gestaltung gesellschaftlicher Strukturen gefragt (vgl. exemplarisch Höffe 1999). Problematisch an diesem Ansatz ist, dass er letztlich auf zwei Stützpfeilern westlichen Denkens aufbaut: dem Individuum und einem bestimmten Verständnis von Rationalität. Dies zeigt sich vor allem, wenn man die Implikationen der Urzustandsüberlegung genauer in den Blick nimmt. Rawls nimmt z.B. an, dass Menschen grundsätzlich ein Interesse haben, einen Gerechtigkeitssinn auszubilden. Zudem sind alle Menschen
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im Urzustand rational und in der Lage, Gerechtigkeitsprinzipien anzuerkennen. Vor allem im interkulturellen Diskurs wird dies moniert. Andere kulturelle Traditionen – so das Argument der interkulturellen Philosophie – bauen weder auf einem atomistisch gedeuteten Individuum auf, noch kennen sie einen so starken Vernunftbegriff. Das Verhältnis der Gestaltung der Institutionen zu den kulturellen Prägungen der einzelnen Gemeinschaften werde außerdem zu wenig beachtet (vgl. Walzer 1992). Damit erweist sich die liberale Theorie auf dieser Ebene als deutlich anschlussfähiger an westliche Gesellschaften wie Österreich als an nichteuropäische Kulturen, wie beispielsweise die philippinische. Für die Frage nach dem Verhältnis von Gesundheit und Gerechtigkeit impliziert die Gerechtigkeitstheorie von Rawls vor allem zwei Aspekte: Das erste Prinzip macht deutlich, dass hinsichtlich der eigenen Lebensgestaltung auch die Frage nach der Gesundheit in der freiheitlichen Verantwortung jeder Bürgerin und jedes Bürgers liegt. „Rawls beschränkte sich für seine Zwecke auf die Bestimmung der gerechten politischen Grundstruktur einer Gesellschaft als System der fairen und stabilen Kooperation freier und gleicher Bürger. Er sagte wenig darüber, welchen Stellenwert Gesundheit und Gesundheitsvorsorge in einer gerechten Gesellschaft haben und was eine gerechte Gesellschaft kranken und behinderten Bürgern, die nicht oder nur eingeschränkt zur Kooperation fähig sind, schuldet.“ (Rauprich 2009, 520).
Diese können selbst entscheiden, welchen Lebensstil sie wählen und welche Gesundheitsrisiken sie damit eingehen wollen. Die Freiheit des einzelnen Bürgers als Ausgangspunkt der Argumentation führt Rawls zu einer individualistischen Sicht auf Gesundheit. Überträgt man den liberalen Ansatz auf die Gesundheitsthematik, so wird dabei besonders nach der Verteilung von Gütern gefragt (Rauprich et al. 2005). Ausgangspunkt ist hierbei ebenfalls der einzelne Bürger. Entsprechend des universalistischen Zugangs zu Gerechtigkeit kann mit der Rawlsschen Gerechtigkeitstheorie gefragt werden, welche Antwort die beiden Grundsätze auf die Frage nach der Verteilung von Gütern (z.B. in einem Gesundheitssystem) geben können (Marckmann 2003; Schöne-Seifert 2006). Insbesondere das Differenzprinzip fokussiert dabei auf die Frage, welche Auswirkungen die Verteilung der Güter auf die Schwächsten einer Gesellschaft, z.B. die Ärmsten oder Krankheitsanfälligsten, haben. Eine Verteilung der Güter ist nur so zulässig, wenn sich die gesundheitliche Situation insbesondere der Ärmsten einer Gesellschaft nicht verschlechtert. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln oder die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser oder basaler Gesundheitsvorsorge kommen damit auf der präventiven Ebene in den Blick. Gleichzeitig ergibt sich aus dieser Perspektive das Problem, bestimmen zu müssen, wer die Schwächsten in einem Gesundheitssystem sind. Sind beispielsweise
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diejenigen, die eine Niere zum Verkauf anbieten schwächer als diejenigen, die auf ein Spenderorgan warten? Aber auch für die Ausgestaltung eines staatlichen Gesundheitssystems kann dieses zweite Prinzip als Richtschnur dienen: Die Allokation von Kosten innerhalb eines Gesundheitssystems wäre immer so vorzunehmen, dass die am schlechtesten Gestellten durch den Verteiligungsschlüssel nicht noch schlechter gestellt werden. Die Kosten der Gesundheitsversorgung sind deshalb sozial verträglich zu verteilen.
b) Einspruch des Kommunitarismus Die kommunitaristischen Positionen werden seit den 1980er Jahren in den Debatten der praktischen Philosophie als ein Einspruch gegen liberale Theorien formuliert. Kommunitaristen wie Charles Taylor oder Alasdair MacIntyre betonen, dass Normen immer rückgebunden sind an die sprachlich, kulturell oder religiös gefasste Gemeinschaft. In jeder Gemeinschaft existieren geteilte und gelebte Moralvorstellungen, welche die Basis für die Beurteilung von Handlungen in dieser Gemeinschaft bilden. Deshalb stößt eine universale Theorie von Gerechtigkeit aus ihrer Perspektive immer an Grenzen. Mit diesem Ansatz soll erstens betont werden, dass der Mensch nicht als ein vereinzeltes Individuum gedacht werden kann, wie das in der kantischen Tradition der Neuzeit oft üblich gewesen ist. Im Anschluss an Aristoteles wird die soziale Dimension des Menschen also stärker in Anschlag gebracht. Zweitens will der Kommunitarismus die Vielfalt normativer Argumente und Traditionen betonen. Weil Menschen Teil einer bestimmten Gemeinschaft sind, sind deren moralische Vorstellungen immer an diese Gemeinschaft rückgebunden, auch wenn es um die Begründung von Normen geht. Als ein besonders wichtiger Einspruch gegenüber Rawls können die Arbeiten von Michael Walzer gelesen werden. Sein Hauptwerk in der Hochphase dieser Debatte veröffentlichte er 1983 unter dem Titel Sphären der Gerechtigkeit (deutsch: Walzer 1992). Als Gegenentwurf zu Rawls liberaler Gerechtigkeitstheorie argumentiert Walzer, dass Philosophie keine universalen Regeln begründen kann, nach denen Güter gerecht verteilt werden können. Soziale Güter werden vielmehr in verschiedenen Sphären unterschiedlich bewertet und nach je eigenen Kriterien zugeteilt. Walzer will also weniger eine abstrakte und universal gültige Theorie der Gerechtigkeit entwickeln, sondern vielmehr Gerechtigkeit von sozialen Kontexten ausgehend diskutieren. Bezugspunkt für sein Nachdenken über Gerechtigkeit ist die jeweilige politische Gemeinschaft, die durch eine gemeinsame Sprache, Geschichte und Kultur geprägt ist. Gerechtigkeit ist deshalb immer relativ in Bezug auf die Tradition und Struktur der jeweiligen Gemeinschaft. Gegen Rawls wendet
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Walzer ein, dass Gerechtigkeitsprinzipien nicht hinter einem Schleier des Nichtwissens gesucht werden können, sondern nur vor dem konkreten Hintergrund kultureller und geschichtlicher Erfahrungen. Gerechtigkeit wurzelt also in all den Dingen, die eine gemeinsame Lebensweise ausmachen. Sich über dieses Verständnis hinwegzusetzen, bedeutet ungerecht zu sein – so Walzers prägnante These (Walzer 1992, 32ff.). Walzer spricht deshalb von Sphären von Gerechtigkeit, also von Gerechtigkeit im Plural. Diese Sphären der Gerechtigkeit sind zu beachten und zu respektieren, andernfalls nimmt eine Gesellschaft ideologische oder gar totalitäre Züge an. Gegenüber der liberalen Gerechtigkeitstheorie von Rawls betont Walzer also vor allem die gesellschaftlichen Unterschiede in Form von Bindung an Familien, Kulturen, Staaten oder moralische Gemeinschaften (vgl. Haus 2000). Liberale Theorien betonen seiner Meinung nach zu sehr das Individuum und vernachlässigen die Rolle der Gemeinschaft. Außerdem halten sie an einer scheinbar allgemein gültigen Rationalität fest, die (wie im Fall von Rawls) allgemeine Gerechtigkeitsprinzipien begründen soll. Selbst bei Habermas, der Rationalität als kommunikative Vernunft interpretiert, zeigt sich dieser Glaube an eine Harmonisierung der Unterschiede im rational geführten Gespräch. Kulturelle Prägungen als Teil gesellschaftlicher Diskurse werden auch von ihm wenig beachtet. Eine solche Kritik ließe sich vom philippinischen Kontext aus an das liberale Gesellschaftsverständnis Westeuropas richten. Von daher erweist sich auf dieser Ebene der kommunitaristische Ansatz sicherlich als anschlussfähiger an das philippinische Selbstverständnis von Gesellschaft als an das österreichische. Auch hinsichtlich der Frage nach dem Zusammenleben der Kulturen in einer globalisierter Welt betont Walzer diese Rückbindungen an die jeweilige Gemeinschaft. Hierzu unterscheidet er zwischen einer dicken und einer dünnen Moral. Mit dem Begriff dicke (oder auch dichte) Moral ist die von einer Gemeinschaft geteilte Moral gemeint. „Die entscheidende Gemeinsamkeit der menschlichen Rasse ist der Partikularismus: Wir alle nehmen Anteil an unseren eigenen ‚dichten‘ Kulturen.“ (Walzer 1996, 110)
Gleichzeitig bildet sich auf globaler Ebene aber auch eine dünne Moral geteilter Minimalnormen. Sie speist sich aus den dichten Moralvorstellungen und lebt von diesen. Menschen sind immer gleichzeitig Teil dichter lokaler Moralgemeinschaften und der Weltgemeinschaft, die durch eine geteilte dünne Moral gekennzeichnet ist. Ein Nachdenken über Gerechtigkeit angesichts der stetig wachsenden Erfahrung von Multikulturalität auf globaler und lokaler Ebene ist für Walzer herausgefordert, ein komplexes Gleichgewicht zwischen den dichten Moralvorstellungen der Kulturen und der dünnen, globalen Moral anzuvisieren. Ethischer Universalismus ist nach Walzer deshalb einer
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der Wiederholung. Dünne Moral entsteht ständig neu und wird wiederholt konfrontiert mit anderen dichten Moralvorstellungen und weltgesellschaftlichen Entwicklungen. Man könnte sagen, der Universalismus wird damit dynamisiert. „Der Universalismus der Wiederholung wirkt größtenteils innerhalb durch ‚wir und sie‘ gezogener Grenzen – er handelt von ‚unserer‘ Vernunft und ‚ihrer Vernunft‘, nicht von der Vernunft als solcher. Er erfordert Achtung vor den anderen, die nicht weniger Bildner von Moral sind als wir selbst. Das heißt nicht, dass die von ihnen und die von uns geschaffenen Moralen den gleichen Wert (oder Unwert) haben. Es gibt keinen einheitlichen oder ewigen Wertmaßstab (...), die Wiederholung ist eine beständige und beständig umstrittene Tätigkeit. Die umfassendste Forderung der Moral, das Kernprinzip eines jeden Universalismus, muss darum lauten: Wir müssen einen Weg finden, diese streitbare Tätigkeit auszuüben und zugleich mit den anderen Akteuren in Frieden zu leben.“ (Walzer 1996, 168)
Auch in Bezug auf die Frage nach Gesundheit setzt sich der Kommunitarismus von der liberalen Gerechtigkeitstheorie von Rawls deutlich ab. Im Gegensatz zur liberalen Perspektive ist die kommunitaristische Sicht mehr auf die soziale Dimension von Gesundheit ausgerichtet. Nicht nur die Vorstellung von Gerechtigkeit, auch die Vorstellung von Gesundheit entsteht nicht losgelöst von der jeweiligen kulturellen Gemeinschaft und ihren sozialen Praktiken. Das, was Gesundheit ausmacht, kann deshalb nur verstanden werden, wenn das Konzept von Gesundheit vor dem Hintergrund des jeweiligen kulturellen Kontexts thematisiert wird. Der Kommunitarist wendet sich damit gegen eine individualistische Engführung des Gesundheitsverständnisses, die tendenziell in der liberalen Gerechtigkeitstheorie angelegt ist. Damit kommt das österreichische Verständnis von Gesundheit, das stark auf den einzelnen Bürger bezogen ist, auf den Prüfstand. Hinsichtlich der Gerechtigkeit als Frage einer Verteilung von Gütern betont der Kommunitarist gegenüber der liberalen Gerechtigkeitstheorie, dass es nicht nur um eine allgemein-rationale Verteilung von Gütern oder Kosten geht, sondern dass vorrangig auch die Heterogentität der Güter und ihrer Bewertungen ernst genommen werden muss. Die Bewertung des Gutes Gesundheit ist ebenfalls kulturell bedingt. Auch hier spielt die Vielfalt der Sphären von Gerechtigkeit eine wichtige Rolle und muss beachtet werden. Gesundheit kann nicht nur aus einer Sphäre alleine beurteilt werden, sondern nur in einem komplexen Gleichgewicht. Gesamtgesellschaftlich muss ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Sphären geschaffen werden. Auch wenn in der westlichen Welt in der Sicht von Walzer eine Dominanz des Gutes Geld vorherrscht, so gibt es für Walzer deshalb keinen sinnvollen Grund, diese Dominanz anzuerkennen, geschweige denn global auszuweiten. Gesundheit darf deshalb nicht auf die Kostenfrage reduziert werden. Verhandlungsprozesse, die sich als Ausgleich zwischen verschiedenen Sphären deuten lassen kön-
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nen, wären ein möglicher Umgang mit Risikoverhalten in einem Gesundheitssystem. Dies gilt auch für die zunehmende Auseinandersetzung mit der so genannten wunscherfüllenden Medizin. Individuellen Wünschen – beispielsweise in der Reproduktionsmedizin – wird viel Bedeutung beigemessen, der Wunsch nach Kindern ist im Gesundheitswesen ebenso präsent wie Abtreibung oder Sterilisation. Auch hier steht in der Perspektive des Kommunitarismus eine ausgleichende Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Interessen noch aus. Gerade in einem interkulturellen Diskurs kann die Bewertung von Gesundheit unter der Sichtweise von Gerechtigkeit sehr unterschiedlich ausfallen. Das was Gesundheit ausmacht und welchen Stellenwert dieses jeweilige Verständnis von Gesundheit im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Gütern hat, ist je neu vor dem jeweiligen geschichtlichen und kulturellen Kontext zu bestimmen. Dies gilt beispielsweise für den Bereich der Komplementärmedizin, der im Vergleich zwischen Österreich und den Philippinen unterschiedlich wichtig bewertet wird. Eine allgemeine, d.h. global anwendbare Regel für die Verteilung von Gesundheitskosten wird für solche Fragen aus Sicht des Kommunitarismus abgelehnt.
c) Einspruch des Utilitarismus Der Utilitarismus dient Rawls als eine wichtige philosophische Tradition, von der er sich absetzen will, um sein Verständnis von Gerechtigkeit zu verdeutlichen. Deshalb erscheint es sinnvoll und wichtig, die potenziellen Einsprüche, die der Utilitarismus gegenüber einer liberalen Gerechtigkeitstheorie vorbringt, zu diskutieren. Auch der Utilitarismus hat eine lange Tradition in der Philosophiegeschichte, Jeremy Bentham und John Stuart Mill sind wohl seine bekanntesten Vertreter. Der Utilitarismus zielt ähnlich wie die Theorie der Gerechtigkeit von Rawls auf ein universales Prinzip für die Ethik ab, fokussiert jedoch nicht auf die Gerechtigkeit, sondern auf den Nutzen bzw. das Glück des einzelnen Menschen. Zielpunkt der Argumentation ist eine Maximierung des Nutzens. Es wird ein Nutzenkalkül entwickelt, mit dem die einzelnen Handlungen dahingehend abgewogen werden, welche den größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Gruppe von Menschen hervorbringen kann. Aus ethischer Perspektive sind dann die Handlungen zu bevorzugen, die den Nutzen über einen bestimmten Zeitraum hinweg maximieren. Bentham formulierte paradigmatisch dieses utilitaristische Ziel: Es ist das ethisch gerechtfertigte Ziel, „das größte Glück der größten Zahl“ zu verwirklichen. Bei aller Unterschiedlichkeit der verschiedenen Varianten dieser utilitaristischen Argumentation geht es grundsätzlich immer darum, die Folgen menschlichen Handelns oder gesellschaftlicher Regeln hinsichtlich ihres Nutzens abzuschätzen.
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Gegenüber der liberalen Theorie von Rawls stellt der Utilitarist das Nachdenken über Gerechtigkeit unter das Primat des Nutzens. Gerecht ist die Handlung oder Regel, die eine Nutzenmaximierung ermöglicht (vgl. Gesang 1998). Die Frage nach der rechtlichen Ausgestaltung von Regeln stellt sich deshalb nur zweitrangig. Außerdem ist der Utilitarist skeptisch gegenüber dem Differenzprinzip, das eine unbegründete Einschränkung des Prinzips der Nutzenmaximierung darstellt. Man sieht schnell, dass diese utilitaristische Position sich deutlich von dem kommunitaristischen Argument absetzt, denn die utilitaristische Argumentation impliziert ein universales Prinzip zur Beurteilung von Handlungen, und zwar die Maximierung des Nutzens. Dieses Kriterium kann über alle Gesellschaften hinweg angewendet und Handlungen danach beurteilt werden. Eine solche ethische Argumentation ist leicht an die ökonomische Logik anschließbar, denn auch die Ökonomie zielt letztlich auf eine Maximierung des Nutzens der jeweiligen Wirtschaftssubjekte. Die utilitaristische Position bringt sowohl aus liberaler als auch aus kommunitaristischer Sicht einige Schwierigkeiten mit sich (Reder 2009, 44ff.). Erstens ist nicht klar, ob und gegebenenfalls wie sich überhaupt Nutzen universal bestimmen lässt. Würde man Vertreter verschiedener Kulturen fragen, was für sie Nutzen oder Glück bedeutet, bekäme man sehr unterschiedliche Antworten. Der Utilitarist ist deshalb immer mit dem Problem konfrontiert zu begründen, was unter Nutzen zu verstehen ist. In den meisten utilitaristischen Ansätzen wird auf einen konsumorientierten Begriff zurückgegriffen und damit Nutzen letztlich monetär verstanden. Deshalb achten utilitaristische Theorien oftmals auf die ökonomischen Aspekte gesellschaftlicher Prozesse, weil diese mit einem monetären Nutzenkonzept erklärt werden können. Gegenüber dem Utilitarismus würde der Kommunitarismus einwenden, dass ein solches monetäres Nutzenverständnis an das westliche Zivilisationsmodell gebunden ist. Eine solche Verallgemeinerung des Nutzenverständnisses stößt aus dieser Sicht schnell an Grenzen. Der zweite Nachteil besteht darin, dass der Nutzen meist als der Nutzen einer Gruppe oder Gesellschaft, das heißt als eine aggregierte Größe verstanden wird. Der Utilitarist tut sich schwer danach zu fragen, für wen denn die Maximierung des Nutzens einen Vorteil bringt. Wenn sich die Situation einer Gesellschaft insgesamt nicht verschlechtert, die Nutzensteigerung aber vor allem den reichen Menschen dieser Gesellschaft zugute kommt, erscheint das utilitaristische Kriterium aus Sicht der armen Menschen alles andere als ethisch überzeugend. Verteilungsfragen innerhalb einer Gesellschaft kommen für den Utilitaristen also kaum in den Blick, was für Rawls aus der Perspektive des Differenzprinzips problematisch ist.
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Bezüglich der Frage nach Gesundheit kann festgehalten werden, dass der Utilitarismus – ähnlich dem liberalen Ansatz – eine individualistische Perspektive eröffnet. Der Utilitarismus beurteilt dabei den gerechtigkeitsrelevanten Aspekt der Frage nach Gesundheit vor allem unter dem Kriterium der Nutzenmaximierung (Birnbacher 2006). Aus dieser Sicht fragt er danach, wie die Gesundheit eines Individuums bestmöglich maximiert werden kann oder – anders herum formuliert – wie die Kosten für die Bekämpfung von Krankheiten bestmöglich minimiert werden können. Gegenüber Rawls rücken damit Verteilungsfragen in den Hintergrund. Wenn einzelne Entscheidungen die Gesundheitslage einer Gesellschaft insgesamt verbessern, sich jedoch für eine kleine Gruppe negativ auswirken würden, könnte der Utilitarist diese Strategie für gerechtfertigt halten. Der Organhandel wäre hierfür ein Beispiel. Im Extremfall bedeutet dies, dass der Utilitarismus den Tod einiger Menschen – in diesem Fall der Organspender – billigend in Kauf nimmt, wenn sich damit die Gesundheit einer großen Gruppe maximieren lässt. Positiv am Utilitarismus ist demgegenüber sein Fokus auf Public Health. Mit relativ wenig ökonomischem Aufwand (z.B. sauberes Wasser) lässt sich beispielsweise der Gesundheitszustand einer großen Bevölkerungsgruppe verbessern. Deshalb wäre eine solche breitenwirksamen Maßnahme letztlich einer Spezialistenmedizin (z.B. der Kardiologie) normativ betrachtet vorzuziehen, weil der Nutzengewinn deutlich größer ist. Kulturelle Unterschiede im Verständnis von Gesundheit und ihre daraus folgenden unterschiedlichen Gewichtungen in der ethischen Argumentation spielen dabei für den Utilitaristen allerdings eine untergeordnete Rolle. So wird auch das Nutzenkriterium meist auf einen monetären Nutzenbegriff enggeführt, was zur Folge hat, das utilitaristische Ansätze v.a. auf die ökonomischen Implikationen der Gesundheitsfrage fokussieren und andere Aspekte ausblenden. Unterschiede zwischen Gesellschaften bzw. Kulturen lassen sich allerdings insofern innerhalb einer utilitaristischen Logik verarbeiten, als die Maximierung des monetären Nutzens mit Blick auf sehr unterschiedlichen Standards anvisiert wird. So geht es in Österreich um eine Nutzenmaximierung bei hohem gesundheitlichen Grundstandard wohingegen auf den Philippinen die einzelnen Bürgerinnen und Bürger ihren gesundheitlichen Nutzen auf einem sehr basalen Niveau zu sichern versuchen.
d) Einspruch des Dekonstruktivismus Jacques Derrida hat sich lange Zeit nicht dezidiert als politischer Philosoph geäußert. Die Beantwortung der Frage nach Gesellschaft, Politik oder Kultur musste meist indirekt über eine Entschlüsselung seiner allgemeinen philosophischen Überlegungen erfolgen. In den letzten 15 Jah-
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ren seines Lebens hat sich dies geändert. Immer wieder hat er sich direkt zu politischen Fragestellungen geäußert – vor allem auch zur Frage der Gerechtigkeit. Der Ausgangspunkt seines philosophischen Denkens ist im Kontext der Metaphysikkritik der 1960er Jahre zu verorten. In einer von Martin Heidegger inspirierten Dekonstruktion menschlicher Sprache zeigt Derrida auf, dass in der Philosophie lange Zeit so getan wurde, als sei die Schrift etwas Sekundäres im Vergleich zum beschriebenen Gegenstand. Die Schrift hinke gewissermaßen dem scheinbar zeitlosen Gegenstand hinterher. Derrida nennt dies auch das „Gesetz der Präsenz“ (Derrida 1974, 424). Da auch die Abgrenzung der Gegenstände untereinander scheinbar eindeutig ist, schlussfolgerten viele Philosophen, dass der Mensch in klar fassbaren Gegensätzen denkt. Demgegenüber zeigt Derrida auf, dass zum einen die Sprache nichts Zweitrangiges gegenüber dem Gegenstand ist und zum anderen jedes Wort immer in einem Netz von geschichtlichen und textuellen Bezügen steht. Bedeutung erklärt sich nur in der Thematisierung dieser sich komplex verästelnden Bezüge. Mit der Dekonstruktion entwickelt Derrida eine Gedankenfigur, die diesem grundlegenden Aspekt menschlichen Denkens und Sprechens Rechnung tragen will. Es geht ihm vor allem darum, Widersprüche in scheinbar eindeutigen Gegensatzpaaren aufzuspüren. Was sind verdrängte oder ignorierte Gegensätze? Wie widersprüchlich sind scheinbar fixierte Gegensätze? Die Dekonstruktion spürt solchen starken Gegensätzen und versteckten Bedeutungen nach und thematisiert diese. Auch im Bereich des ethischen oder politischen Sprechens gibt es solche scheinbar eindeutigen Gegensatzpaare, die es zu dekonstruieren gilt. Oftmals wird beispielsweise im alltäglichen Sprachgebrauch Gewalt als ein Äußeres, scheinbar eindeutig beschreibbares Phänomen verstanden. Derrida zeigt auf, dass Gewalt mehr ist und viele Aspekte von Gewalt meist zu wenig zur Sprache kommen. Vor allem wohnt auch der Schrift selbst eine Gewalt inne. In der Unterdrückung anderer Bedeutungen oder in der Etablierung von Tabus zeigt sich menschliche Sprache selbst als gewalttätig. Genau solche versteckten Formen von Gewalt gilt es im ethischen Nachdenken zu thematisieren. Durch Dekonstruktion kann Gewalt in der Sprache aufgedeckt und bewusst gemacht werden. Damit kann Gewalt auch in diesen Formen natürlich nicht automatisch verhindert, aber zumindest erkannt werden. Sich eines Tabus bewusst werden kann dann Ausgangspunkt für ein gewaltfreieres politisches Sprechen sein. Das wohl berühmteste Beispiel derridascher Dekonstruktion im Bereich der Ethik ist das Nachdenken über Gerechtigkeit. Derridas Anliegen ist es auch hierbei, die scheinbar eindeutige Grenzziehung von ge-
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recht und ungerecht zu hinterfragen und die Möglichkeiten einer überzeugenden Rede von Gerechtigkeit zu diskutieren. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist das Wechselverhältnis von Recht und Gerechtigkeit. Gerechtigkeit wird in Demokratien mittels des Rechtes realisiert. Das Problem dabei ist allerdings, dass die allgemeine rechtliche Regel nur bedingt dem Besonderen des Einzelfalles gerecht werden kann. „Jeder Fall ist anders, jede Entscheidung ist verschieden und bedarf einer vollkommen einzigartigen Deutung, für die keine bestehende, eingetragene, codierte Regel vollkommen einstehen kann und darf.“ (Derrida 1991, 48)
Eine allgemeine Regel kann dem nur bedingt entsprechen. Deshalb ist die Herstellung von Gerechtigkeit ebenfalls immer begrenzt und bleibt doch gleichzeitig auf das Recht angewiesen. Ein gerechter Richter ist deshalb weder eine Auslegungsmaschine des Rechts noch kann er unentschieden bleiben. Er erweist sich als gerecht, wenn er in seinem Handeln genau diese paradoxe Spannung umzusetzen vermag (Derrida 1991, 48). Gerechtigkeit ist das anvisierte Ziel des Rechts, aber letztlich eine Erfahrung des Unmöglichen. In genau dieser aporetischen Erfahrung zeigt sich indirekt der positive Gehalt von Gerechtigkeit. Niemals kann man sagen, eine Entscheidung oder eine Person ist gerecht, und trotzdem bleibt Gerechtigkeit als Idee das anvisierte Ziel von Recht. Gerechtigkeit ist zwar nicht vollkommen herstellbar, aber sie ist ein wichtiger Orientierungsmaßstab für rechtliches und politisches Handeln. Derrida betont deshalb, dass wenn man über Gerechtigkeit spricht, immer das Wort vielleicht hinzufügen sollte. Gerechtigkeit kann sich nur (vielleicht) ereignen, sie kann nicht technisch geplant oder gemacht werden. Derrida zeigt mit seinen Überlegungen die Grenzen eines Nachdenkens über Gerechtigkeit auf. Allerdings gibt er dabei den universalistischen Aspekt von Gerechtigkeit nicht auf. Denn er betont trotz des aporetischen Charakters von Gerechtigkeit deren visionären Aspekt und die Notwendigkeit des Rechts zur Realisierung von Gerechtigkeit. Gerechtigkeit steht für Derrida wie gesehen immer in einem engen Zusammenhang zu Recht. Gerechte Verteilung von Gütern hinsichtlich der Gesundheit ist deshalb auch für Derrida auf das Recht angewiesen – hier stehen die liberale Sicht von Rawls und die von Derrida sich sehr nahe. Derrida macht allerdings gegenüber Rawls darauf aufmerksam, dass damit niemals eine objektiv gerechte Verteilung erzielt werden kann. Rechtliche Steuerung von Gesundheitsfragen ist immer nur teilweise gerecht. Man könnte deshalb nicht sagen: Ein Gesundheitssystem ist vollkommen gerecht. Deshalb ist auch die Verteilung von Gütern im Bereich der Gesundheit immer nur vorläufig möglich und bedarf der ständigen Korrektur. Hinsichtlich der demokratischen Ordnung spricht Derrida in diesem
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Zusammenhang auch von der kommenden Demokratie, was sich auch auf die Frage nach dem Verhältnis von Gesundheit und Gerechtigkeit übertragen lässt. Denn eine gerechte Gesellschaft ist letztlich eine Erfahrung der Unmöglichkeit und trotzdem das immer neu anvisierte Ziel. Deshalb ist auch jeder einzelne Bürger gefordert, durch sein eigenverantwortliches Handeln mit an dieser Vision zu arbeiten (Derrida 2003, 150f.). Das Kommen nennt Derrida deshalb auch ein Versprechen, weil Demokratie nie vollständig existieren wird und sich doch täglich neu verspricht. Sie ist kommend, nicht ankommend im Sinne, dass sie morgen da wäre. Die kommende Demokratie ist damit auch schon im Hier und Jetzt, aber nur in Form eines geduldigen Vielleicht. Auch die Gesundheit der Bürger ist deshalb niemals vollständig unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit in einer Gesellschaft regelbar. Auch hier ist die Demokratie nur im Kommen und muss ständig neu die Frage nach der Gesundheit beantworten. Derrida ist deshalb sowohl skeptisch gegenüber eindeutigen Grenzziehungen zwischen Krankheit und Gesundheit als auch gegenüber politischen Vorschlägen, die, wie beispielsweise utilitaristisch orientierte Ansätze, ein scheinbar objektives Kriterium zur Ausgestaltung eines Gesundheitssystem angeben wollen. Gerechtigkeit impliziert deshalb auch immer ein konstruktivistisches Element (Forst 2007). Gerechtigkeit muss auf ein solches Kriterium verzichten und bleibt auch in der Frage der Gesundheit im Kommen. In diesem Zusammenhang fungiert für Derrida als ausgleichendes Korrektiv die unbedingte Gastfreundschaft, die er als zentrales politisches Prinzip deutet. Vergleicht man nun den Dekonstruktivismus mit dem Kommunitarismus, kann man Folgendes festhalten: Bedingte Gastfreundschaft hat Ähnlichkeiten mit der dichten Moral Walzers, welche die moralische Verbundenheit innerhalb einer Familie, Sippe oder kulturellen Gemeinschaft ausdrückt. Unbedingte Gastfreundschaft geht darüber hinaus: Sie nimmt diejenigen in den Blick, die außerhalb dieses Bezugsrahmens massives Leid – beispielsweise Krankheit – erfahren. Über Gerechtigkeit und Gesundheit nachdenken bedeutet in diesem Sinne deshalb, den Kranken jenseits traditioneller Grenzen zu beachten. Dies gilt ganz besonders in einer globalisierten Welt.
e) Einspruch der Tugendethik Alle vier genannten Theorien der Gerechtigkeit fokussieren in unterschiedlicher Perspektive auf die kantische Frage: Was soll ich tun? Die Frage nach dem einzelnen Menschen, seinen Motivationen und seiner je eigenen Frage nach einem gelungenen Leben bleibt dabei außen vor. In der liberalen Tradition wird dies am deutlichsten, wo diese Frage eindeutig in den Bereich der individuellen und privaten Lebensplangestaltung
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abgeschoben wird. Aber auch der Utilitarist interessiert sich letztlich nicht für die auf der individuellen Ebene liegende Frage nach einem gelungen Leben, denn sie geht seiner Ansicht nach in der Frage der Nutzenmaximierung auf. Der Tugendethiker erhebt nun seinen Einspruch gegenüber Rawls (oder dem Utilitaristen) und betont, dass die Frage nach dem moralisch guten Handeln immer in den individuellen Einstellungen der einzelnen Menschen begründet ist (vgl. Rippe/Schaber 1998, 13f.). Der einzelne Mensch ist herausgefordert, durch Selbstreflexion und Einübung diese jeweiligen Grundhaltungen auszubilden und zu verbessern, um in aufkommenden Konfliktsituationen in angemessener Weise reagieren zu können. Der Maßstab für ethisch richtiges Handeln ist für Vertreter dieser Argumentationsrichtung im Ideal eines tugendhaften Menschen zu sehen. Als zentraler Referenzpunkt für die Tugendethik fungiert dabei meist Aristoteles. Für diesen ist die menschliche Erfahrung die Ausgangsbasis. Er stellt fest, dass Menschen vor dem Horizont ihrer Lebenserfahrungen ständig abwägen, welche Handlungen gut und welche schlecht sind. Je mehr Erfahrungen sie gesammelt haben, desto bessere wird diese Abwägung. Aus diesem Abwägungsprozess bildet sich dann die Tugend als innere Einstellung des Menschen heraus, die jeweils das Mittel von Extrempositionen anvisiert. Diese Tugenden sind dabei bezogen auf die anthropologischen bedingten Grunderfahrungen menschlichen Lebens. Aristoteles bezeichnet in der Nikomachischen Ethik Gerechtigkeit als die höchste Tugend (1129b). Gerechtigkeit besteht dabei aus unterschiedlichen Aspekten, und zwar der Rechtmäßigkeit (eine Handlung ist gerecht, wenn sie dem Gesetz entspricht), der ausgleichenden Gerechtigkeit (Erhaltung bzw. Wiederherstellung eines als ethisch gut erfahrenen Zustandes) und der Verteilungsgerechtigkeit, die sich auf ein angemessenes Verhältnis der Bürger bezieht und eine gleichmäßige Beteiligung bzw. Belastung der Einzelnen am Gemeinwesen vor Augen hat. Die Tugend der Gerechtigkeit, insbesondere in den beiden zuletzt genannten Hinsichten, zielt auf einen Ausgleich zwischen zwei extremen Positionen. „Es ergibt sich daraus, dass das gerechte Handeln die Mitte ist zwischen dem Unrechttun und dem Unrechtleiden.“ (1133b) Im aktuellen Diskurs der praktischen Philosophie bringt Martha Nussbaum diese aristotelische Konzeption von Gerechtigkeit, verstanden als Tugend, in die Diskussion ein (vgl. Nussbaum 1998, 115ff; Nussbaum 1999). Vor allem in Abgrenzung zu liberalen oder utilitaristischen Ansätzen argumentiert Nussbaum für eine inhaltlich gefüllte Theorie des Guten. Gerechtigkeit besteht für sie entgegen Rawls nicht in einer abstrakt gefassten Verteilungsgerechtigkeitsregel, sondern in der mit Aristoteles formulierten Frage nach gerechten Möglichkeiten zur Realisierung eines guten Lebens. Basis hierfür ist eine essentialistische Deutung der menschlichen
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Natur, auf der die materiale Füllung des Gerechtigkeitsverständnisses aufbaut. Nussbaum diagnostiziert zuerst, dass Tugenden heute meist als Mittel der individuellen Selbsterschaffung missgedeutet werden. Dies entspricht jedoch nicht der aristotelischen Argumentation. Sie betont mit Aristoteles, dass sich von der Beobachtung menschlicher Grunderfahrungen sehr wohl allgemeine anthropologische Rückschlüsse ziehen lassen. Menschliches Leben ist für sie gekennzeichnet durch universale Erfahrungen, wie beispielsweise Sterblichkeit, Körper, Freude oder auch kognitive Fähigkeiten (Nussbaum 1999, 57 ff.). Aus dieser Vielzahl menschlicher Erfahrungen leitet sich ein allgemeines Verständnis davon ab, was den Mensch als Menschen auszeichnet. Gelungenes Leben besteht in der Perspektive der Tugendethik nun darin, eine möglichst umfassende Verwirklichung dieser grundlegenden menschlichen Vollzüge bzw. Dimensionen zu ermöglichen. Wenn Dimensionen des Menschseins nicht beachtet werden, zeigt sich ex negativo das Inhumane. Tugendhaftes Leben ist daher ein Leben, das diese Grunderfahrungen und Vollzüge achtet und sie zu einer umfassenden Entfaltung führt. Politisch gesprochen zeigt sich die Gerechtigkeit einer politischen Ordnung darin, ob diese die allgemein menschlichen Erfahrungen schützt bzw. deren Entfaltung fördert. Eine solche Liste menschlicher Grunderfahrungen impliziert entgegen der formal-liberalen Konzeption von Rawls einen (wenn auch nur „vagen“) materialen Universalismus. Allerdings ist die Liste insofern auch vage, als Nussbaum betont, dass die einzelnen Aspekte menschlichen Lebens in kulturellen Kontexten unterschiedlich spezifiziert werden, worin sich eine gewisse Nähe zum Kommunitarismus zeigt. Ein solches tugendethisches Verständnis von Gerechtigkeit findet sich in vielen nichteuropäischen Kontexten wieder, nicht zuletzt in den philippinischen Debatten. Darin zeigt sich die Skepsis gegenüber der liberalen Tradition des Nachdenkens über Gerechtigkeit; gleichzeitig wird die Pluralität ethischer Perspektiven betont. Das (plurale) Gute bekommt ethisch damit dem Vorzug von dem (universalen) Rechten. Auch wenn der tugendethische Fokus auf den Einzelnen im philippinischen Kontext zurückgenommen wird, so wird hier doch deutlich die aristotelische Idee des Guten auf Basis einer bestimmten Anthropologie in Anschlag gebacht. Die liberale Gerechtigkeitstheorie ist trotz dieser kulturellen Offenheit der Liste von Grundvollzügen des Menschen skeptisch gegenüber einer solchen materialen Fassung des Menschseins. Allgemeine Aussagen über das Menschsein an sich sind für Rawls nicht sinnvoll begründbar. Im Vergleich zu der Konzeption der dünnen Moral von Walzer werden einige Parallelen deutlich. Denn die dünne Moral versteht sich wie gesehen als ein kulturübergreifender Minimalkonsens, der nicht zuletzt in
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allgemein-menschlichen Erfahrungen (wie beispielsweise Unrechtserfahrungen) fußt. Allerdings betont Walzer, dass die dünne Moral ständig neu wiederholend hergestellt werden muss und daher nicht in einer scheinbar statischen Liste festgelegt werden kann. Außerdem fragen einige kommunitaristische Autoren an, ob es sich bei dieser Liste von Grunderfahrungen bzw. -vollzügen wirklich um eine von Kultur unabhängige Liste handelt. Lokale Spezifikationen – so der Einwand – werden in dieser Perspektive, auch wenn sie als vage bezeichnet werden, zu wenig beachtet (vgl. Weber 2002). Kritik an der Tugendethik regt sich aber noch in eine andere Richtung von Seiten der liberalen Gerechtigkeitstheorie, denn die Tugendethik fokussiert zu sehr auf die Haltung des einzelnen Individuums und stellt zu wenig bzw. zu unspezifisch die Frage nach der Gestaltung von sozialen Institutionen. Daher stellt sich die Frage nach Gesundheit und Gerechtigkeit für den modernen Tugendethiker in einer ganz anderen Perspektive als bei den bisher skizzierten Ansätzen. Gesundheit steht hier erstens in einem direkten Verhältnis zu einer anthropologischen Bestimmung des Menschseins. Das was Menschsein ausmacht – bei Nussbaum beispielsweise eine Liste von zehn Grunderfahrungen – dient dann auch als Bestimmung von Gesundheit. Gesundheit ist dann gegeben, wenn Menschen in einem möglichst vollen Umfang diese Grunderfahrungen realisieren können. Gesundheit ist daher primär gebunden an eine anthropologische Perspektive und wird ethisch betrachtet dort zum Problem, wo einzelne Befähigungen nicht realisiert werden können. Der tugendethische Ansatz fokussiert zweitens in einer besonderen Weise auf das Individuum. Gesundheit ist nämlich gerechtigkeitstheoretisch weniger ein Verteilungsproblem von Gütern, sondern Aufgabe des jeweiligen Individuums. Der einzelne Mensch ist grundsätzlich daran interessiert und motiviert, seine grundlegenden Befähigungen bestmöglich zu realisieren. Dieser Zug findet sich zwar nicht bei Nussbaum, die im Anschluss an Sen stärker die institutionelle Förderung der Chancen in den zehn Feldern betont. In tugendethischen Konzeptionen, die weniger stark diese entwicklungspolitische Komponente von Sen übernehmen, findet sich allerdings ein solches Verständnis von Gesundheitspolitik, das oft bei der individuellen Verantwortung des einzelnen Bürgers ansetzt. Die gesellschaftliche Ebene wird allerdings auch hier nicht ausgeblendet, zumindest von Nussbaum nicht. Denn dort, wo gesellschaftliche Institutionen negative Effekte auf die individuelle Realisierung der Befähigungen haben, erweist sich nach Nussbaum eine Gesellschaft als ungerecht. Auch hier ist deshalb eine Verteilung von Gütern anvisiert. Es geht in dieser Perspektive vor allem um Public Health und die Ermöglichung eines gesunden Lebens. Die Verteilung von Gütern bzw. die Ermöglichung grundlegender Lebenschancen richtet sich allerdings nicht
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nach einer abstrakten Verteilungsregel wie bei Rawls oder an einem subjektiven Nutzenkriterium wie beim Utilitarismus, sondern an einer objektiven Bestimmung des Menschseins. Damit steht diese in der Gefahr, kulturelle geprägte Deutungen von Gesundheit bzw. Krankheit zugunsten der universalen Bestimmung menschlicher Natur zu missachten. Liberale Gerechtigkeitstheorie Gerechtigkeit durch Freiheit, Recht und Berücksichtung der Schwächsten Einspruch I Kommunitarismus Sphären der Gerechtigkeit, kulturelle Bedingtheit
Einspruch II Utilitarismus Maximierung des Nutzens als Gerechtigkeit
Einspruch III Dekonstruktivismus Aporien der Gerechtigkeit und kommende Demokratie
Einspruch IV Tugendethik Gerechtigkeit als gelungenes Leben
3. Systematische Perspektive auf einzelne Facetten von Gerechtigkeit Im vorangegangenen Abschnitten wurden vor dem Hintergrund der philosophischen Debatte der vergangenen 40 Jahre wichtige Gerechtigkeitsansätze vorgestellt und skizziert, welche unterschiedlichen Schlussfolgerungen daraus für die Frage nach der Gesundheit gezogen werden. Im Folgenden soll nun der Blick auf die systematische Ebene gelenkt werden. In den verschiedenen Gerechtigkeitstheorien wurde bereits deutlich, dass die Fragen nach Gerechtigkeit inhaltlich sehr unterschiedliche Akzente setzen. In einer kohärenztheoretischen Vorgehensweise lassen sich jedoch vielfältige Gemeinsamkeiten und Überschneidungen bezüglich der implizierten Gerechtigkeitskonzeptionen feststellen. Deshalb werden im Folgenden die wichtigsten inhaltlichen Facetten des Leitbildes Gerechtigkeit skizziert, die in den meisten Ansätzen in ähnlicher Weise angelegt sind, und danach gefragt, welche systematische Bedeutung sie für die Frage nach Gesundheit haben (vgl. für einen allgemeinen Überblick zu dieser Frage Höffe 2002).
a) Bedarfsgerechtigkeit Gerechtigkeit bedeutet in allen skizzierten Zugängen auf einer ganz grundlegenden Ebene, das Überleben aller Menschen zu sichern. Damit stehen die Grundbedürfnisse der Menschen im Zentrum der Frage nach Gerechtigkeit. Das Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit, das diese Einsicht zum Ausdruck bringt, besagt, dass eine Gesellschaft sich dann als gerecht erweist, wenn sie das Überleben aller ihrer Mitglieder zu sichern ver-
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sucht. Aus diesem Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit heraus ergibt sich die Forderung, dass gesellschaftliche Entwicklungen insbesondere dort zu problematisieren sind, wo sie das Überleben der Menschen im Sinne einer Versorgung mit überlebensnotwendigen Grundgütern gefährden. Nach diesem Prinzip hat die Befriedigung fundamentaler menschlicher Bedürfnisse stets höchste Priorität. Gesundheit ist in dieser Perspektive der Bedarfsgerechtigkeit vor allem eine Frage der Versorgung mit Grundgütern, die zu einem Überleben in Würde notwendig sind. Es geht dabei also um ganz basale Gesundheitsversorgung wie beispielsweise um die Bekämpfung von Seuchen, die Versorgung mit ausreichend Nahrungsmitteln oder den Zugang zu sauberem und genügendem Trinkwasser. Von philippinischer Seite wird diese Facette von Gerechtigkeit gegenüber westlichen Ansätzen stark gemacht: In den Philippinen – so das Argument – geht es primär um basale Gesundheitsversorgung, d.h. um ärztliche Grundversorgung, Versorgung mit Medikamenten oder um die Herstellung eines basalen Lebensstandards, der ein gesundes Leben in Würde ermöglicht. In globaler interkulturelle Perspektive ist dabei freilich im Einzelnen zu klären – so kann beispielsweise mit dem Kommunitaristen eingewendet werden –, was zu den menschlichen Grundbedürfnissen zu zählen ist. Mit Blick auf die Vielfalt menschlichen Lebens ist es denkbar, dass Bedarfsgerechtigkeit hinsichtlich der gesundheitlichen Grundversorgung in verschiedenen Kulturen unterschiedlich gefasst wird. Fest dürfte dabei allerdings stehen, dass sich gesundheitliche Grundbedürfnisse wohl in allen Kulturen der Welt nicht nur auf das ‚nackte Überleben‘ beziehen, sondern sie entsprechend eines umfassenden Verständnisses von Menschsein – hier könnte man dem Tugendethiker zustimmen – weiter zu fassen sind.
b) Chancengerechtigkeit Sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch auf globaler Ebene spielt daneben das Prinzip der Chancengerechtigkeit eine wichtige Rolle. In den allermeisten Ethikansätzen wird betont, dass eine gerechte Gesellschaft möglichst vielen Menschen die Chance einräumen sollte, sich an politischen Prozessen zu beteiligen und Zugang zu ökonomischen Austauschvorgängen zu erhalten. Dabei geht es um einen möglichst fairen Zugang zu den relevanten Prozessen innerhalb einer Gesellschaft bzw. der Weltgesellschaft als Ganzer. Politische Beteiligungsrechte, Rechtssicherheit oder Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und sozialen Sicherungssystemen sind Aspekte einer solchen Chancengerechtigkeit. Für die meisten skizzierten Ansätze spielt eine so verstandene Chancengerechtigkeit eine wichtige Rolle, sie findet sich gleichermaßen in der Argumentation von Rawls, Walzer oder Nussbaum.
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Es ist offensichtlich, dass zuerst die jeweilige Gemeinschaft bzw. der Staat diejenigen sind, die Chancengerechtigkeit sichern sollten. Allerdings kann er meist nicht alleine Chancengerechtigkeit herstellen. Es braucht das Engagement und die Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger. Zivilgesellschaftliche Organisationen spielen als Stellvertreter in diesem Prozess der Stärkung von Chancengerechtigkeit nicht selten eine wichtige Rolle (vgl. Sen 2000). Sie ist zudem innerhalb der entwicklungspolitischen Debatte von zentraler Bedeutung. „Chancengerechtigkeit zielt daher auf eine möglichst gleiche Verteilung von Chancen der freien Lebensgestaltung, wobei es vorrangig darum geht, die Chancen der extrem Benachteiligten oder Ausgeschlossenen zu verbessern. (...) Die Betroffenen sind umso mehr zu bevorzugen, je weiter sie unterhalb des Schwellenwertes liegen.“ (Wallacher et al. 2009, 56f.)
Es ist daher nicht verwunderlich, dass Chancengerechtigkeit v.a. für den philippinischen Kontext einen zentralen Stellenwert einnimmt. Wenn in Österreich von Chancengerechtigkeit die Rede ist, so ist diese meist anders besetzt, weil es weniger um die grundlegenden Chancen einer gesunden Lebensgestaltung geht, als um Chancen, die schon einen bestimmten Gesundheitsstandard voraussetzen. Chancengerechtigkeit bezüglich der Frage nach Gesundheit bedeutet, dass nicht nur eine gesundheitliche Grundversorgung, sondern darüber hinaus auch Maßnahmen zur Integration von Benachteiligten, wie HIVInfizierten oder Behinderten ergriffen werden müssen. Um Menschen die Chance zur gleichberechtigten Teilhabe an sozialen, politischen, ökonomischen oder kulturellen Prozessen zu geben, ist eine gesundheitliche Versorgung aber auch ein Umfeld zu gewährleisten, die ihnen eine solche Teilhabe ermöglicht. Die aktuellen Forschungen zum Themenfeld Public-Health spiegelt diese Überlegung wider (vgl. Schröder 2007; Razum 2006). Wenn Menschen zwar genügend Nahrungsmittel zum Überleben haben, aber darüber hinaus ständig massiven Krankheitsrisiken ausgesetzt sind, ohne dass sie sich gegen diese schützen könnten (z.B. durch ein Krankenversicherungssystem oder durch allgemeine Impfprogramme), hat dies enorm negative Auswirkungen auf die Möglichkeiten ihrer gesellschaftlichen Teilhabe. Insofern zeichnet sich eine gerechte Gesellschaft dadurch aus, dass sie gesundheitliche Risiken – insbesondere für die Ärmsten – so abzusichern versucht, dass allen die gleichen Chancen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben offen stehen. Ein Gesundheitssystem zur Versicherung von Risiken kann genauso Ausdruck von Chancengerechtigkeit sein wie andere kulturelle Systeme der wechselseitigen Absicherung.
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c) Verfahrensgerechtigkeit Gerechtigkeit zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass politische Institutionen und Verfahren entwickelt werden, an denen möglichst alle Betroffenen gleichermaßen beteiligt werden. Die Gerechtigkeit von Ordnungsstrukturen hängt in hohem Maße davon ab, wie politische Rahmenbedingungen zustande kommen und wer entscheidet, welche Regeln zu welchem Zeitpunkt gelten bzw. außer Kraft gesetzt werden. Deshalb kommt dem Prinzip der Verfahrensgerechtigkeit entscheidende Bedeutung zu. Bei gesellschaftlichen Entscheidungen wird heute noch immer zu wenig auf die Mitsprache armer Personengruppen oder Länder geachtet, die oft weniger Möglichkeiten besitzen, ihre Positionen und Fragestellungen in den politischen Prozess einzubringen. Sowohl in personeller als auch finanzieller Hinsicht stehen auf globaler Ebene den ärmeren Ländern in internationalen Verfahren meist deutlich weniger Ressourcen zur Beteiligung zur Verfügung. Solche Defizite sind aus Gründen globaler Verfahrensgerechtigkeit als negativ zu bewerten und möglichst zu beheben. Verfahrensgerechtigkeit bezogen auf die Frage nach der Gesundheit bedeutet zuerst, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen an der grundlegenden Gestaltung dieses Systems teilhaben sollten. Politische Verfahren, die beispielsweise nur von einer Elite geformt werden, müssen als ungerecht qualifiziert werden, weil sie aller Voraussicht nach vor allem die Interessen der Elite in den Blick nehmen und Gesundheitsrisiken anderer gesellschaftlicher Gruppen vernachlässigen. Zweitens sind auch gerechte Verfahren im Sinne einer fairen Verteilung der Güter bzw. Kosten für den Gesundheitsbereich zu etablieren. Für Österreich könnte dies beispielsweise bedeutet, dass an der Aushandlung über die Frage, welche Behandlungen von der Krankenkasse bezahlt werden, nicht nur Schulmediziner beteiligt werden sollten. Verfahrensgerechtigkeit würde bedeutet, dass die Perspektiven verschiedener Heilverfahren an der Entscheidung zu beteiligen sind, auch um sich auf gemeinsame Prüfverfahren für Medikation und Heilverfahren zu einigen. Verteilungsgerechtigkeit bedeutet mit Rawls außerdem, dass die Situation der am schlechtesten gestellten besonders Beachtung finden sollte. Diese Gruppe ist für Krankheitsrisiken besonders anfällig und eine Verteilung der Ressourcen oder Kosten darf nicht zulasten dieser Gruppe gehen – so das gerechtigkeitstheoretische Argument. Mit den Kommunitaristen kann allerdings darauf hingewiesen werden, dass solche Verfahren zur Förderung von Gesundheit kulturell unterschiedlich ausfallen, weshalb nicht nur ein politisches Modell oder ein Gesundheitssystem dieses Prinzip umsetzen kann.
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d) Intergenerationelle Gerechtigkeit Gerechtigkeit bezieht sich in den skizzierten Ansätzen zuerst auf die gegenwärtige gesellschaftliche Situation. Gerechtigkeit hat allerdings auch eine zeitliche Dimension, nicht zuletzt, weil bereits in der jeweils aktuellen Situation mehrere Generationen miteinander leben. Deshalb ist die Solidargemeinschaft zeitlich auszuweiten. Intergenerationelle Gerechtigkeit ist hinsichtlich der Frage der Gesundheit besonders in einer Vorwärtsperspektive auf die Zukunft hin bezogen (vgl. Veith 2006). Aus dem Prinzip der intergenerationellen Gerechtigkeit kann beispielsweise geschlussfolgert werden, dass heute bestimmte politische Maßnahmen zu ergreifen sind (Klimaschutz), um zukünftigen Generationen bestmögliche Überlebens- und Gestaltungschancen und damit eine bestmögliche gesundheitliche Ausgangssituation zu hinterlassen. Umstritten ist in dieser Debatte wie weit das Prinzip der intergenerationellen Gerechtigkeit reichen soll. Hat eine Gesellschaft beispielsweise nur die Gesundheit ihrer Kinder und Enkel in den Blick zu nehmen oder reicht die Verantwortung auch über diesen Zeitraum hinaus? Wenn diese Frage bejaht wird, so ist aber auch dann noch völlig offen, ob von einer gleich starken Verpflichtung gegenüber allen Generationen ausgegangen wird oder die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen mit der Zeit abnimmt (vgl. Birnbacher 2001). Aus der Perspektive der intergenerationellen Gerechtigkeit kann argumentiert werden, dass es kein ethisches Argument gibt, nur das Überleben oder die Chancen der heute lebenden Generationen zu schützen. Insofern ist es notwendig, gesellschaftliche Entscheidungen so zu treffen oder Institutionen so auszugestalten, dass auch zukünftige Generationen die Möglichkeit haben, gesund zu leben bzw. für ihre Gesundheit Sorge tragen zu können. Intergenerationelle Gerechtigkeit verweist außerdem darauf, dass Gesundheitssysteme so ausgestaltet sein müssen, dass nachfolgenden Generationen keine Kosten entstehen, indem beispielsweise die Sozialsysteme auf Krediten aufgebaut werden. Allerdings lassen sich in der Umkehrperspektive auch keine übermäßigen Forderungen an die aktuelle Generationen stellen. Um zukünftige Gesundheit zu schützen, darf nicht die Gesundheit der heute Lebenden unterminiert werden.
e) Umweltgerechtigkeit Das Prinzip der Umweltgerechtigkeit flankiert diese Überlegung zur intergenerationellen Gerechtigkeit. Die Lasten von Umweltveränderungen treten nämlich auf Grund der Vernetzungen des globalen Ökosystems nicht notwendig dort auf, wo sie verursacht wurden. Diese Frage nach der Umweltgerechtigkeit entstammt der US-amerikanischen Debatte (environmental justice), die auf der Basis eines Menschenrechtsansat-
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zes die überdurchschnittlichen Umweltbelastungen für einzelne Gruppen bzw. Minderheiten der Gesellschaft thematisiert. „Environmental justice is the fair treatment and meaningful involvment of all people regadless of race, colour, national origin, or income with respect to the development, implementation, and enforcement of environmental laws, regulations, and policies. Fair treatment means that no group of people, including racial, ethnic, or a socioeconomic group, should bear a disproportionate share of the negative environmental consequences.“ (U.S. Environmental Protection Agency 2005)
Das Prinzip der Umweltgerechtigkeit besagt, dass die faktisch in einer Region auftretenden negativen Auswirkungen von Umwelteinflüssen mit den verursachenden Faktoren in ein Verhältnis zu setzen sind und eine möglichst gerechte Verteilung der Lasten anzuvisieren ist. Für Gesundheitsfragen ist besonders problematisch, wenn Umwelteinflüsse sich negativ auf die Gesundheit einer Gruppe oder Gesellschaft auswirken, obwohl sie für diese Umweltveränderungen überhaupt nicht verantwortlich sind. Aus Überlegungen der Umweltgerechtigkeit heraus erscheint es daher ethisch problematisch, dass die Folgen des Klimawandels vor allem von den Ländern des Nordens verursacht werden, aber deutlich häufiger in den Ländern des Südens ihre Wirkung zeigen und dort die Gesundheit der Menschen erheblich beeinträchtigen (Die deutschen Bischöfe 2007). Auf den Philippinen werden klimabedingte Veränderung des Reisanbaus oder die klimabedingte Zunahme extremer Wetterereignisse (Taifune), welche beide negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben (können), aus dieser Perspektive der Umweltgerechtigkeit gedeutet. Die Perspektive auf Umweltgerechtigkeit macht darüber hinaus auf eine negative Spirale aufmerksam, die besonders problematisch ist: Besonders betroffen von negativen Umwelteinflüssen sind nicht selten die ärmsten Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig führt dies zu einer weiteren Abwertung ihres Lebensraumes, wodurch sie noch weniger Möglichkeiten haben, ihre gesundheitliche Situation zu verbessern. Dies zeigen beispielsweise Entwicklungen von Wohnraum in direkter Umgebung zu Mülldeponien oder beim Gebrauch von Wasser, das durch Zuleitungen an Qualität verliert. Die Gesundheit der dort Lebenden ist durch die negativen Auswirkungen besonders gefährdet. In Österreich wie im gesamten deutschsprachigen Raum ist diese Debatte über Umweltgerechtigkeit und Gesundheit bislang noch deutlich unterbelichtet. Dies hat mehrfache Gründe. Zum einen ist die Forschung zu Fragen der Gesundheit bislang stark am einzelnen Bürger ausgerichtet, weshalb soziale Aspekte der Gesundheit und negative Auswirkungen darauf bislang nur teilweise thematisiert werden. Zum anderen ist die Korrelation von sozialer Ungleichheit und räumlicher Verteilung nach wie vor wenig bearbeitet (vgl. Elvers 2005). Evers fragt deshalb provozierend an, ob über Umweltgerechtigkeit vielleicht deshalb nicht publiziert wird, weil der Zusammenhang als zu evident erscheint, um intensiver beforscht zu werden.
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f) Globale Gerechtigkeit Menschen bilden auf globaler Ebene eine Weltgemeinschaft. Auch wenn manche Philosophen diese Einsicht stärker hervorheben als andere, so scheint sie sich grundsätzlich immer mehr durchzusetzen (vgl. Merle 2005; Ballestrem 2001). Angesichts der komplexen Entwicklungen der Globalisierung beschäftigen sich immer mehr Philosophen in den vergangenen Jahrzehnten mit globalen Fragen. Von Rawls (1998) über Habermas (2004) bis hin zu Derrida (2003) und Walzer (1996) ist dies zu beobachten. Weil gesellschaftliche, politische oder ökonomische Prozesse heute weltweit vernetzt sind, ist es nicht möglich, nationenübergreifende ethische Fragen nur mit einem an den Grenzen des Nationalstaates orientierten Gerechtigkeitskonzept zu beantworten. Wenn z.B. Umwelteinflüsse negative Auswirkungen auf die Gesundheit einer Gesellschaft haben, aber von einer anderen Gesellschaft verursacht wurden, ist dies aus gerechtigkeitstheoretischen Gründen problematisch. Es gibt kein plausibles Argument, wieso die skizzierte Prinzipien der Bedarfs- oder Chancengerechtigkeit in solchen Fällen an den nationalstaatlichen Grenzen halt machen sollte. Als ein Beispiel der Frage nach globaler Gerechtigkeit und Gesundheit soll ein kurzer Blick auf die Debatten der letzten Jahre über die TRIPS-Abkommen (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) zum Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation geworfen werden. Diese Debatten illustrieren die Frage nach globaler Gerechtigkeit im Hinblick auf Gesundheit und die dabei auftretenden Problempunkte. Auf der einen Seite gibt es sicherlich gute Argumente für den Schutz geistiger Eigentumsrechte. Er kann grundsätzlich dazu beitragen, Anreize für Innovationen zu erhöhen, weil Unternehmen durch den Schutz die Gewissheit haben, dass sie die Ergebnisse ihrer Forschung für einen bestimmten Zeitraum weitgehend exklusiv nutzen können. Dies ist ohne Schutz geistigen Eigentums besonders dann nicht gegeben, wenn die Entwicklung neuer Produkte sehr aufwändig, die Imitationskosten dagegen gering sind, wie beispielsweise bei chemisch-pharmazeutischen Industrien im Gesundheitssektor. Problematisch aus der Sicht vieler Entwicklungsländer ist mit Bezug auf das Prinzip der globalen Gerechtigkeit weniger der Schutz geistiger Eigentumsrechte an sich, sondern die vereinbarte Ausweitung auf Bereiche, die beispielsweise für eine basale Gesundheitsversorgung der Menschen wichtig sind (Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz 2006). Insbesondere beim Zugang zu Medikamenten ist dies aus der Perspektive globaler Gerechtigkeit zu problematisieren. Um die Bevölkerung mit möglichst preis-
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günstigen Medikamenten versorgen zu können, hatten die meisten Entwicklungsländer bisher keinen Patentschutz für Pharmazeutika. Auf Grund des TRIPS-Abkommens sind alle Länder verpflichtet, für Medikamente einen solchen Schutz bereit zu stellen. Ausnahmebestimmungen gibt es für die ärmsten Länder und in nationalen Notlagen, wie etwa die Bedrohung der öffentlichen Gesundheit durch Krankheiten wie HIV/AIDS. Im Fall von nationalen Notlagen könnten Zwangslizenzen zur Produktion von Nachahmerprodukten, so genannte Generika, erteilt werden. Dies ist allerdings an eine Reihe von interpretationsoffenen und schwer erfüllbaren Voraussetzungen geknüpft (vgl. dazu auch das Kapitel zu gesetzlichen Regelungen des Gesundheitswesens). Hauptstreitpunkt war in den letzten Jahren die Vergabe grenzüberschreitender Zwangslizenzen. Auf diese Weise könnten Entwicklungsländer, die über keine eigene Pharmaindustrie verfügen und folglich keine Zwangslizenzen an einheimische Produzenten erteilen können, Unternehmen in großen Entwicklungsländern wie Brasilien oder Indien beauftragen, weit billigere Generika für sie herzustellen, um so lebensnotwendige Medikamente zugänglich zu machen. Mit dem Argument, dies würde zu billigen Rückimporten in Industrieländer führen, wurde dies lange blockiert. Nach zähen Verhandlungen einigte man sich auf einen vorläufigen Kompromiss, der 2005 in Hongkong in das TRIPSAbkommen aufgenommen wurde. Danach können Entwicklungsländer bei der WTO eine Ausnahmegenehmigung für Lizenzen (z.B. zur Herstellung von Generika) beantragen. Dieser Mechanismus, der auf Grund strikter Bedingungen und hoher bürokratischer Hürden äußerst komplex ist, trägt allerdings den Interessen der armen Länder nur unzureichend Rechnung. Das skizzierte Beispiel bringt deutlich die Probleme einer Umsetzung globaler Gerechtigkeit zum Ausdruck. Es zeigt auch, dass vor allem globale Verfahren aufzubauen und zu stärken sind, die in derartigen Fragen die Chancengerechtigkeit der – im rawlschen Sinn – am schlechtesten gestellten Weltbürger in den Blick nehmen. Österreich wäre in dieser Perspektive herausgefordert, in internationalen Verhandlungen dort auf Patentrechte zu verzichten, wo dies für die Gesundheitsversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern wie den Philippinen von zentraler Bedeutung ist.
g) Gendergerechtigkeit Oftmals mehrfach benachteiligt sind Frauen, nämlich als Arme, als Frauen und manchmal noch als Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten. Sie haben nicht nur weniger Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen, zu Bildung oder Einrichtungen des Rechtsstaats, sondern sind vielfach auch von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Entsprechend
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dem Prinzip der Geschlechtergerechtigkeit ist einer solchen Ungleichverteilung zwischen den Geschlechtern entgegenzuwirken. Auch dieses Prinzip richtet sich in erster Linie an die jeweiligen Gemeinschaften bzw. Staaten. Da sich die Benachteiligung von Frauen aber auch immer stärker als ein globales Problem zeigt, ist Geschlechtergerechtigkeit auch eine wichtige Facette globaler Gerechtigkeit (vgl. Reder 2008). Für die Frage nach der Gesundheit ist deshalb besonders zu beachten, inwieweit sich auch in diesem Bereich genderspezifische Ungerechtigkeiten zeigen. Gerade in Entwicklungsländern sind Frauen gesundheitlich oftmals mehrfach belastet. In den Philippinen spielt beispielsweise die Frage nach reproduktive Gesundheit und dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen in diesem Bereich eine wichtige Rolle. Das Recht auf Geburtskontrolle zur Erhaltung der eigenen Gesundheit wird in diesem Kontext den Frauen nur sehr bedingt zugestanden, was auch an dem Einfluss des Katholizismus in den Philippinen festmachen lässt (vgl. Gómez/Yu-Soliven 1999, 189ff.). Hinzu kommt das Problem, dass Frauen bzw. Mütter von Armut oftmals mehr bedroht sind als Männer. Gerade hinsichtlich einer ausreichenden Ernährung als Grundlage von Gesundheit zeigen sich hier oft tiefgreifende Probleme, z.B. wenn die Mütter die wenigen zur Verfügung stehenden Nahrungsmitteln mit den Kindern teilen und dabei von den Männern bzw. Vätern nur wenig Bereitschaft zur Unterstützung erhalten. Hier zeigen sich genderspezifische Formen von Ungerechtigkeit, die sich negativ auf den Gesundheitszustand der Frauen auswirken (Reese 2006, 59f.).
4. Interkulturalität und das Verhältnis von Gesundheit und Gerechtigkeit Gesundheit ist ein mehrdimensionales Konzept, das kulturell unterschiedlich gefasst wird – so wurde bereits in dem Kapitel zum Gesundheitsverständnis deutlich. Hinsichtlich einer Klärung des interkulturellen Aspektes des Verhältnisses von Gesundheit und Gerechtigkeit kann ein Blick auf die Debatten der interkulturellen Philosophie hilfreich sein. Seit den 1990er Jahren hat sich in der Philosophie dieser Bereich der interkulturellen Philosophie herausgebildet. Die interkulturelle Philosophie will bei der Beantwortung grundlegender philosophischer Fragen kulturelle Differenzen bewusst machen und in den philosophischen Diskurs einbringen. Oft wird bei dem Stichwort Philosophie ja ausschließlich an europäische Philosophie gedacht. Deshalb sind erst einmal nichteuropäische philosophische Traditionen in den Diskurs einzuspeisen. Gleichzeitig versteht sich die interkulturelle Philosophie aber nicht als ein reines Nebeneinanderstellen der Traditionen. Entsprechend dem Grundduktus philosophischen Fragens geht es auch und vor allem um die Frage nach
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den Bedingungen der Möglichkeit für diese kulturellen Differenzen und die Konsequenzen für ein wechselseitiges Verstehen und Übersetzen. Für diesen philosophischen Verstehens- und Übersetzungsprozess hat die interkulturelle Philosophie das Modell eines Polylogs entwickelt (vgl. Wimmer 2004): „Wir verstehen interkulturelles Philosophieren als die Bemühung, die vielen philosophierenden Stimmen im Kontext ihrer jeweiligen Kulturen vernehmbar und in einer gemeinsamen und gleichberechtigten Auseinandersetzung füreinander fruchtbar zu machen. Im interkulturellen Philosophieren sehen wir also vor allem eine neue Orientierung und Praxis des Philosophierens, eines Philosophierens, das eine Haltung der gegenseitigen Achtung, des Zuhörens und Lernens erfordert.“10
Mit dem Modell des Polylogs will die interkulturelle Philosophie die verschiedenen Einflüsse und Prägungen im interkulturellen Gespräch erfassen und auch in einem ganz praktischen Sinn auf ein gleichberechtigtes Gespräch der verschiedenen Traditionen hinarbeiten. Aus dem Konzept der interkulturellen Philosophie lassen sich einige Schlussfolgerungen für den Diskurs über das Verhältnis von Gesundheit und Gerechtigkeit ziehen. Erstens ist es aus der Sicht der interkulturellen Philosophie wichtig, sich bei der Diskussion von Konzepten wie Gesundheit und Gerechtigkeit einer erkenntnistheoretischen Selbstbegrenzung zu verpflichten. Weil die Analyse der verschiedenen Kulturen zeigt, dass es ganz unterschiedliche Perspektiven auf globale Prozesse gibt, ist Vorsicht geboten hinsichtlich der Verabsolutierung einer Perspektive. Mall formuliert diese Einsicht sehr deutlich. „Zum Wesen der interkulturellen Philosophie gehört das Kultivieren der Einsicht in die erkenntnistheoretische, methodische, metaphysische, ethischpolitische und religiöse Bescheidenheit des je eigenen Zugangs zum regulativen Einen mit vielen Namen.“ (Mall 2003, 42)
Diese erkenntnistheoretische Vorsicht drückt sich auch darin aus, dass multikulturelle Erklärungen den Vorzug bekommen. Daraus lässt sich mit Wimmer eine Minimalregel für die Beschreibung globaler Prozesse ableiten: Es ist Skepsis gegenüber den philosophischen Thesen geboten, an deren Entstehung nur eine Kultur beteiligt ist und die diese zum alleinigen Bewertungsmaßstab erhebt. Die Frage nach der Gesundheit und Gerechtigkeit kann deshalb nicht endgültig oder universal-kulturübergreifend beantwortet werden. Für eine interkulturelle Verständigung über Gesundheit ist auf die Verschiedenartigkeit der Konzepte und deren mögliche Überschneidungen zu achten. Mit der interkulturellen Philosophie kann darüber hinaus darauf aufmerksam gemacht werden, dass auch theoretische Konzepte wie Ge-
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http://prof.polylog.org/obj-de.htm (abgerufen am 30.10.2009)
Gerechtigkeit
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sundheit selbst kulturell bedingt sind. Wenn das Gesundheitswesen beispielsweise ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Nutzenmaximierung betrachtet wird, dann wird damit eine zu starke Reduktion auf eine (bestimmte) westliche Sichtweise vorgenommen. Die kulturelle Dimension der Gesundheitskonzepte ist deshalb mit zu bedenken, will man nicht auf dieser Ebene einem naiven Ethnozentrismus verfallen – hier ist dem Kommunitarismus sicherlich recht zu geben. Philosophisches Nachdenken über Gesundheit und Gerechtigkeit sollte daher sowohl kulturelle Differenzen anerkennen als auch nach Überschneidungen suchen. Ganz im herderschen Sinne geht es um ein Hineinversetzen in andere Kulturen und die Anregung eines wechselseitigen Übersetzungsprozesses der verschiedenen Konzepte von Gesundheit. Das heißt also auch, dass die Frage nach Gesundheit nicht kulturrelativistisch beantwortet werden kann (Lux 2003). Es ist sehr wohl möglich, sich über das Konzept von Gesundheit in einem interkulturellen Dialog auszutauschen und nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu fragen. Wie können diese Schlussfolgerungen der interkulturellen Philosophie nun noch einmal mit Blick auf die skizzierten Ethikansätze und Facetten von Gerechtigkeit hin zugespitzt werden? Der Ausgangspunkt für die ethischen Überlegungen ist dabei der westliche Diskurs der Philosophie. Die kritischen Anmerkungen zu den einzelnen Ethikkonzepten zu Beginn dieses Kapitels zeigten bereits, dass jeder dieser Zugänge Vorund Nachteile hat. Die Nachteile einer starken Tugendethik und einer utilitaristischen Konzeption sind dabei allerdings so groß, dass diese beiden für eine überzeugende Diskussion der gerechtigkeitstheoretischen Aspekte von Gesundheit weniger in Frage kommen. Am überzeugendsten ist vor dem Hintergrund einer interkulturellen Philosophie eine Mischform aus liberaler und kommunitaristischer Position. Auch wenn diese beiden oftmals als idealtypische Gegensätze konstruiert wurden, zeigt sich gerade im Kontext aktueller (welt)gesellschaftlicher Debatten, dass sie sich im Grunde wechselseitig ergänzen können. Mit der kommunitaristischen Perspektive kann betont werden, dass Unterschiede in einer globalisierten Welt bei der Suche nach einer globalen Moral immer zu achten sind. Die Verankerung in moralischen Traditionen empfinden weltweit Menschen als wichtig. Noch mehr: Sie sind ein zentraler Bestandteil der Identität der Menschen und auch wichtig für die Motivation der Weltbürger zur Beteiligung an weltpolitischen Prozessen. Gleichzeitig fordert die Globalisierung aber auch zur Suche nach einer überzeugenden Begründung für eine allgemein gültige Moral heraus. Menschen leben nicht nur in abgeschlossenen Gemeinschaften, sondern können auf Grund unterschiedlicher Erfahrungen (beispielsweise ihrer Sprachfähigkeit) nach übergreifenden Normen fragen und diese auch anerkennen. Die liberale Form ethischen Nachdenkens kann – wenn die beiden Vor-
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aussetzungen der Individualität und Rationalität abgeschwächt werden – eine überzeugende Strategie bei der Suche nach allgemein gültigen moralischen Spielregeln für das Zusammenleben in der Kosmopolis sein. Die verschiedenen Ethikansätze setzen bei der Zuordnung der einzelnen Facetten von Gerechtigkeit unterschiedliche Schwerpunkte. Die Mischung aus liberaler und kommunitaristischer Perspektive lässt v.a. drei Prinzipien besonders wichtig erscheinen: Dem Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit kommt hinsichtlich des Gesundheitsaspekts sicherlich eine grundlegende Bedeutung zu, weil damit die grundlegendste Form des Überlebens der Menschen anvisiert wird. Chancengerechtigkeit wiederum erweitert diese Perspektive auf einen weiteren Gesundheitsbegriff hin. Schließlich misst die liberale Sicht der Verfahrensgerechtigkeit eine zentrale Bedeutung bei. Viele Studien zur interkulturellen Gültigkeit von Gerechtigkeit zeigen, dass sich diese drei Aspekte von Gerechtigkeit in vielen Kulturen gleichermaßen wiederfinden. Sowohl die Forderung nach einer Grundversorgung im Gesundheitsbereich (Bedarfsgerechtigkeit) als auch nach gerechten Verfahren in diesem Bereich prägen heute weltweit die öffentlichen Diskussionen zu diesem Thema. Der entscheidende Punkt ist, dass die einzelnen Prinzipien auf der formalen Ebene überall als gültig angesehen werden, ihre materiale Füllung allerdings in den verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich ist. Was beispielsweise in den Philippinen oder in Österreich unter gerechten Verfahren verstanden wird oder was zu den Grundbedürfnissen zu rechnen ist, wird kulturell verschieden ausbuchstabiert. Die Interkulturalität hinsichtlich der Frage nach Gesundheit und Gerechtigkeit drückt sich daher darin aus, wie die einzelnen Facetten von Gerechtigkeit erstens material gefüllt und zweitens in dieser Fassung einander zugeordnet werden. In beiderlei Hinsicht ergeben sich die interkulturell unterschiedlichen Bestimmungen des Verhältnisses von Gesundheit und Gerechtigkeit. Gerechtigkeit als politisches Ziel zur Gestaltung des Themenfeldes Gesundheit ist weder technisch planbar noch jemals vollständig herstellbar – hier ist Derrida zuzustimmen. Gerechtigkeit ist letztlich – egal in welcher kulturellen Füllung und Zuordnung – eine „Erfahrung der Unmöglichkeit“, die gerade in dieser Form eine orientierende und motivierende Funktion für Menschen weltweit hat. Die Erwartungshaltungen in den öffentlichen Diskursen vieler europäischer Länder neigen zu der Annahme, dass am Ende dieser Diskussionen ein optimales Gesundheitssystem stehen könnte, das wirklich gerecht ist Einer solchen Erwartung ist mit Derridas Dekonstruktion von Gerechtigkeit auch im Gesundheitsbereich eine Skepsis entgegen zu setzten. Es wird sicherlich niemals ein wirklich gerechtes Gesundheitssystem geben können. Trotzdem ist Gerechtigkeit eine ständig neu politisch zu realisierende Aufgabe.
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III. Interkulturelle Bioethik Im Bereich der medizinischen Bioethik nimmt die Frage nach der Gerechtigkeit eine spezifische Form an. Gerechtigkeit wird hierbei primär als bioethisches Prinzip diskutiert. Gerechtigkeit ist somit eingebettet in eine angewandte Bereichsethik neben den Prinzipien Autonomie, Benefizienz und Nichtschaden. Im Folgenden soll die kulturelle Relativität der Bioethik am Beispiel der Philippinen vor dem Hintergrund eines prävalenten westlichen Verständnisses gezeigt werden. Um dies zu veranschaulichen soll zuerst der Begriff der Bioethik bestimmt werden, wie er sich im amerikanischen und europäischen Diskurs seit den 1970er Jahren herausgebildet hat. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses von Bioethik, welches maßgeblich auch die österreichische Bioethik prägt, wird der bioethische Diskurs in den Philippinen beschrieben, der sich durch seine religiöse und kulturelle Färbung auszeichnet und die gesellschaftliche Fragmentierung widerspiegelt. In einem dritten Schritt wird die UNESCO Erklärung zur Bioethik (2005) diskutiert, welche ein genuin westliches Verständnis von Bioethik zeigt, das sich primär auf die vier Prinzipien von Beauchamp und Childress stützt. In einem vierten Schritt wird aus der philippinischen Perspektive die kulturelle Relativität der UNESCO Erklärung gezeigt, bevor zum Abschluss die Grundstrukturen einer philippinischen Bioethik dargelegt werden.
1. Bioethik: Eine Begriffsbestimmung Bioethik ist ein relativ junges wissenschaftliches Feld. Erst seit den 1960er Jahren entwickelte sich Bioethik allmählich zu einer wissenschaftlichen Disziplin. Durch den medizinischen Fortschritt, welcher in der Transplantations-, Fortpflanzungs- und Intensivmedizin gemacht wurde, stellten sich neue ethische Probleme. Diesen wandten sich Mediziner, Biologen, Soziologen, Juristen, Theologen und Philosophen zu, um gesellschaftsverträgliche Lösungen zu finden. Die genuin ethische Frage nach dem, was angesichts solcher medizinischer Möglichkeit zu sollen sei, wurde zu einem interdisziplinären Feld. Im rasch sich ausweitenden Bereich der Bioethik haben sich unzählige Strömungen und Ansätze entwickelt, was dazu führt, dass das mit Bioethik Gemeinte in unterschiedlichen Disziplinen und Kulturen variiert. Im Westen hat sich in der Medizinethik das 1979 erschienene und seither in verschiedenen Neuauflagen herausgegebene Buch Principles of Biomedical Ethics von Tom Beauchamp und James Childress (zitiert nach 4. Auflage: 1994) als Standardwerk etabliert. Die hier vorgenommene Begriffsbestimmung von Bioethik nimmt daher auch die vier von Beauchamp und Childress vertretenen Prinzipien als Ausgangspunkt für die Diskussion der Eigenhei-
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ten der philippinischen Bioethik. Die vier Prinzipien sind Autonomie, Benefizienz, Nichtschaden und Gerechtigkeit. Der Begriff der Autonomie hat bei Beauchamp and Childress eine vieldiskutierte zentrale Rolle. In der ersten Auflage ihres Standardwerkes wird Autonomie wie folgt definiert: „Autonomy is a form of personal liberty of action where the individual determines his or her own course of action in accordance with a plan chosen by himself or herself.“ (Beauchamp/Childress 1979, 56)
Spätere Ausgaben verweisen dann verstärkt darauf, dass das Prinzip der Autonomie nicht univok zu fassen und innerhalb einer bestimmten Theorie zu konkretisieren ist (Beauchamp/Childress 1994, 120f.). Zentral in der Konzeption der Autonomie ist der Begriff des Willens, der sich in einem sozialen Kontext manifestiert. Bei Kant steht die Autonomie, verstanden als Selbstbestimmung, erzwungenen Handlungen und Handlungen aus Neigung entgegen. Mill versteht dagegen Autonomie schwächer als Nicht-Behinderung durch andere. Beauchamp und Childress wollen die Autonomie im weiten Sinne verstanden wissen. Die Autonomie des Anderen nicht respektieren hieße, seine Freiheit, nach seinen eigenen Urteilen zu handeln, zu missachten. Die Autonomie verweist auf die Vernunftkapazität des Menschen. Wo diese fehlt, ist die Autonomie substanziell eingeschränkt, wie bei Kleinkindern, geistig Behinderten oder dementen Menschen. Operationalisierbar wird dieser Begriff der Autonomie in der medizinischen Praxis durch die informierte Zustimmung (informed consent) als notwendige Bedingung jeglichen medizinischen Eingriffs. Der medizinische Eingriff bedarf der Einwilligung des Patienten; eine Einwilligung, die beispielsweise bei einem bewusstlosen Unfallopfer unterstellt werden kann. Nach Beauchamp und Childress dient die Einholung der informierten Zustimmung nicht nur dem Schutz des Patienten, sondern soll auch individuelle Autonomie und rationale Entscheidungen fördern, gleichzeitig Zwang und Betrug verhindern und zur kritischen Selbsterforschung des medizinischen Personals beitragen (Beauchamp/Childress 1994, 142). Folgende Elemente müssen bei der informierten Zustimmung vorhanden sein: Die Information bezüglich eines medizinischen Eingriffs (oder Forschungsvorhabens) muss in verständlicher Art und Weise vermittelt werden, die Zustimmung muss freiwillig geschehen und die zustimmende Person muss zustimmungsfähig sein. Sowohl im Bereich der gewährleisteten Information als auch bei der Zustimmungsfähigkeit bestehen Grauzonen. Welche Informationen müssen in welcher Sprache vermittelt werden? Der Optimalfall einer umfassenden Information des Patienten über alle Aspekte des vorzunehmenden Eingriffes und möglicher Alternativen in einer dem Patienten verständlichen Sprache scheitert schon häufig an den im Krankenhausalltag bestehenden zeitlichen Zwängen, aber auch an dem Wissensgefälle zwischen Patient und Arzt. Bei der
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Zustimmungskompetenz können auch graduelle Unterschiede festgestellt werden. Unter Zustimmungsfähigkeit wird entweder eine Entscheidung auf Grund rationaler Überlegungen (starke Zustimmungsfähigkeit) oder die Fähigkeit überhaupt eine Entscheidung zu fällen (schwache Zustimmungsfähigkeit) verstanden. Die Frage bleibt bestehen, ob man im Fall von Zweifeln an der Zustimmungsfähigkeit des Patienten eher auf der Seite der Freiheit oder der medizinisch verstandenen Sicherheit argumentieren soll. Diese Frage stellt sich nochmals dringlicher im Kontext des Prinzips der Benefizienz. Das Prinzip des Nichtschadens, in welchem die Maxime primum non nocere im Zentrum steht, verlangt Leid und Schaden nicht nur nicht zuzufügen, sondern auch zu verhüten und im Schadensfall Unheil aufzuheben. Entscheidend ist dabei sowohl die Absicht, keinen Schaden zufügen zu wollen, als auch das Risiko eines möglichen Schadens zu minimieren. Dass sich zuweilen Schaden in Form von Schmerzen bei medizinischen Eingriffen nicht verhindern lässt, ist eine Erfahrung in der medizinischen Praxis. Hier kommt das Prinzip des Doppeleffektes zur Anwendung. Eine Handlung ist im Sinn dieses Prinzips gerechtfertigt, wenn erstens die beabsichtigte Handlung sittlich legitimiert ist. Zweitens kommt es auf die Intention der guten Wirkung an, die schlechte wird nur in Kauf genommen und nicht beabsichtigt. Drittens darf die schlechte Wirkung keine Mittel für die gute Wirkung sein. Viertens schließlich muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben (Beauchamp/Childress 1994, 207; Ricken 1998, 231f.). So ist nach dem Prinzip der Doppelwirkung die Entfernung eines erkrankten Uterus erlaubt, auch wenn der Fötus dabei stirbt, wenn dadurch das Leben der Frau gerettet werden kann. Das Prinzip des Doppeleffekts erlaubt hier unter den skizzierten Bedingungen Schaden zuzufügen, um eines größeren Gutes willen. Das Benefizienzprinzip schließt an das Prinzip des Nichtschadens an und geht gleichzeitig über es hinaus. Es verlangt nicht nur nicht zu schaden, sondern auch aktiv Wohltaten zu gewähren. Inwiefern Benefizienz eine Pflicht ist oder ‚bloß‘ eine optionale Handlung der Barmherzigkeit, darüber divergieren verschiedene ethische Positionen. Jedoch haben gewisse Professionen – allen voran der medizinische Berufsstand im Hypokratischen Eid – Benefizienz zum Prinzip erhoben. Wichtig dabei ist im medizinischen Kontext, eine Therapie zu finden, welche die Wohltat maximiert und die negativen Effekte minimiert. Jedoch haftet diesen Abwägungen immer auch ein Grad von Unwägbarkeit an, wenn beispielsweise die Risiken einer Herzoperation gegen die eingeschränkte Lebensqualität bei unterbleibender Operation abgewogen werden müssen. Hinzu kommt, wie beispielsweise bei Impfungen, dass nicht nur die Einzelsituation, sondern auch die gesellschaftliche Gesamtsituation in Betracht gezogen werden muss. Grundsätzlich gilt, dass man es im medizinischen Kontext bei diesen Abwägungen immer mit Wahrscheinlich-
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keiten zu tun hat, die auf Studien der evidence based medicine beruhen, und die gegeneinander aufgewogen werden müssen. Die Frage stellt sich jedoch, was zu tun ist, falls sich das medizinisch Gebotene und der Wunsch des Patienten unterscheiden. Diese Frage stellt sich vor allem in einem Kontext, in welchem die Urteilsfähigkeit des Patienten beispielsweise durch Medikamente oder psychische Erkrankungen wie Depressionen beeinträchtigt ist. In diesem Fall kommt das Prinzip der Benefizienz mit jenem der Autonomie in Konflikt. Befürworter des Paternalismus argumentieren, dass dieser als soziale Versicherung zu verstehen sei, um Patienten im Falle einer Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit vor sich selbst zu schützen (Beauchamp/ Childress 1994, 271f.). Gegner halten einen solchen Paternalismus nicht für gerechtfertigt, da er leicht auf eine schiefe Ebene führe. Ist einmal Paternalismus grundsätzlich als moralisch zulässig erachtet, so tendiere man dazu, immer mehr in die Autonomie des Einzelnen einzugreifen. Grundsätzlich geht es in der Paternalismusdebatte darum, unter welcher Rücksicht die Autonomie des Einzelnen gegenüber seinem mutmaßlichen Nutzen nachrangig zu behandeln sei. Hier schließt die unter dem Abschnitt zur Autonomie besprochene Diskussion zur Grenze der Zustimmungsfähigkeit an. Das Prinzip der Gerechtigkeit schließlich diskutieren Beauchamp und Childress im Hinblick auf die Verteilung von medizinischen Gütern und Dienstleistungen. Gerechtigkeit wird bei Beauchamp und Childress nicht so sehr im Bezug auf Fairness verstanden, sondern stärker als Verdienst (desert). Gerechtigkeit heißt jedem das zu geben, auf was er Anspruch hat. In der Gerechtigkeitsdiskussion im Gesundheitsbereich geht es vor allem um die Verteilungsgerechtigkeit angesichts knapper Güter. Das auf Aristoteles zurückreichende formale Prinzip der Gerechtigkeit, Gleiche gleich und Ungleiche ungleich zu behandeln, wirft die Frage auf, welche Kriterien diesbezüglich zu berücksichtigen sind. Welches Kriterium soll also bei der Verteilung von knappen Gütern zur Anwendung gelangen? Beauchamp und Childress zählen hierzu verschiedene Kandidaten auf: Ein egalitärer Ansatz verlangt, dass jeder Person der gleiche Anteil gegeben oder der gleiche Zugang zu Gütern ermöglicht wird. Eine marxistische Theorie betont, dass alle (Grund-)Bedürfnisse gleichermaßen befriedigt werden sollen. Nach libertärer Argumentation, die die ungehinderte individuelle Freiheit betont, soll jeder auf Grund seines Verdienstes Zugang zu Gütern haben. Der utilitaristische Standpunkt schließlich betont die Maximierung des individuellen und des öffentlichen Nutzens. Häufig kommen auch Mischformen dieser verschiedenen Theorien zur Anwendung. Wenn es um die medizinische Grundversorgung geht, also ein grundlegendes Gut, so folgt die europäische Praxis weitgehend einem egalitären Gerechtigkeitsverständnis. Zugang zur Gesundheitsversorgung steht jedem ungeachtet seiner Beitragsleistung offen; speziellere
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Gesundheitsdienstleistungen jedoch müssen vom Einzelnen selber bezahlt werden. Diese Praxis wird von Beauchamp und Childress (1994, 341) mit der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls identifiziert. Teil der Anwendung des Gerechtigkeitsprinzips ist auch die Frage nach der Mikro- und Makroallokation der Ressourcen im Gesundheitswesen. Die Mikroallokation beispielsweise fragt nach den Kriterien, nach welchen Betten in der Intensivstation eines Krankenhauses belegt werden sollen. Auch die Frage nach der Priorität bei einer Organtransplantation ist eine klassische Frage der Mikroallokation. Bei der Makroallokation geht es um die grundlegenden politischen Entscheidungen, wie die vorhandenen Ressourcen sinnvoll genutzt werden. Wie viel der gesellschaftlichen Ressourcen sollen ins Gesundheitswesen fließen und wie sollen diese Ressourcen am besten verteilt werden? Wie viel soll für die Prävention im Verhältnis zur Therapie ausgegeben werden? Wie sollen die finanziellen Ressourcen im Bereich der medizinischen Forschung am besten eingesetzt werden? Es sind diese Gerechtigkeitsfragen, um welche es bei der Makroallokation von finanziellen Ressourcen geht. Diese vier Prinzipien werden gemeinhin als Kern der biomedizinischen Ethik erachtet. Wie genau diese Prinzipien verstanden und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, variiert in den unterschiedlichen ethischen Richtungen und wird auch vor unterschiedlichen kulturellen Hintergründen verschieden gedeutet. So wird die zentrale Bedeutung dieser Prinzipien im westlichen Bioethikdiskurs und auch in Österreich weitgehend anerkannt. In Österreich steht die bioethische Diskussion zugleich bemerkbar in der Tradition der katholischen Naturrechtslehre. Dies zeigt sich beispielsweise in der vorrangigen Stellung der Benefizienz gegenüber der Autonomie. Nichtsdestotrotz besteht ein Konsens über die Legitimität dieser vier Prinzipien im österreichischen Bioethikdiskurs. Außerdem zeichnet sich der österreichische Bioethikdiskurs dadurch aus, dass er in der Regel mit einer gewissen Verspätung auf die Diskurse umliegender Länder reagiert (Grabner 2003, 202). Eine Ausnahme bildete das Patientenverfügungsgesetz, bei welchem die österreichische Gesetzgebung eine Vorreiterrolle übernahm. Vor dem Hintergrund der paradigmatischen Funktion dieser Prinzipien im westlichen – und somit auch österreichischen – Bioethikdiskurs wird im Folgenden der Bioethikdiskurs auf den Philippinen betrachtet.
2. Der bioethische Diskurs auf den Philippinen Der bioethische Diskurs auf den Philippinen ist durch drei miteinander verknüpfte Dimensionen geprägt: soziale Segmentierung, katholischchristliche Prägung und süd-ostasiatische Kultur mit kolonialen Einflüssen. Diese drei Bereiche sollen in ihrer Bedeutung für den bioethischen Diskurs im Folgenden analysiert werden.
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a) Sozioökonomische Segmentierung Die philippinische Gesellschaft ist stark sozial segmentiert. Eine mehrheitlich arme Bevölkerungsschicht steht einer vergleichsweise kleinen Mittel- und Oberschicht gegenüber. Armut ist das dominierende Problem des Landes. Die soziale Ungleichheit ist bedeutend stärker als im benachbarten Malaysia oder Thailand (Reese 2006, 54). Über die Hälfte der Bevölkerung schätzt sich nach Angaben der Social Weather Station als arm ein.11 60% der Bevölkerung müssen mit weniger als 2 US-$ am Tag auskommen.12 Auf der anderen Seite kann sich eine reiche Oberschicht beispielsweise Studiengebühren von an die 1000 € pro Semester, wie sie an den besten privaten philippinischen Universitäten üblich sind, leisten. Inmitten der rasanten ökonomischen Entwicklung im südostasiatischen Raum der vergangenen drei Jahrzehnte sind die Philippinen stehen geblieben, was nicht zuletzt am ungebrochenen Bevölkerungswachstum liegt.13 Die soziale Segmentierung der Gesellschaft zusammen mit einem sowohl finanziell als auch sozial schwachen Staat führen zu einem Gesundheitssystem, welches nur einer Minderheit offen steht. Eine Mehrheit der Menschen sterben in den Philippinen ohne ärztliche Betreuung und in vielen ländlichen Gegenden ist das Gesundheitssystem entweder nicht vorhanden oder nicht erschwinglich und somit einer Mehrheit nicht zugänglich (Ombio/Azue 2005; Miranda 1994, 147). Oder wie es Miranda in seiner Abhandlung über eine philippinische Bioethik schreibt: „Painful as it might be to admit, in the concrete realities of Philippine society the right to life and health is clearly not for each and all.“ (Miranda 1994, 191) Zugang zum Gesundheitssystem hat nur die schmale Mittel- und Oberschicht, welche sich auch ethnisch und kulturell vom Rest der Bevölkerung unterscheidet, und sich bedeutend stärker am westlichen Lebensstil orientiert als die Unterschicht.14 Was unter Bioethik verstanden wird, hängt daher sehr stark von der sozialen Klasse ab, auf welche Bezug genommen wird. Die zugrunde liegende Frage ist, inwiefern sich die wissenschaftliche Diskussion den 11
http://www.sws.org.ph/ (abgerufen am 30.10.2009) Im vom Asienhaus vorgelegten Bericht „Armut und Armutsbekämpfung in den Philippinen“ wird des Weiteren ausgeführt, dass etwa 40% der Bevölkerung mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen müssen (vgl. Reese 2005). 13 Anschaulich zeigt dies Jeffrey Sachs Studie The End of Poverty (2005), die für die Philippinen eine negative Bruttosozialproduktentwicklung pro Kopf für den Zeitraum von 1980-2000 errechnet, während alle umliegenden Länder ein durchschnittliches Bruttosozialproduktwachstum pro Kopf und Jahr von über 2,5% erzielten. 14 Niels Mulder (1997, 49f.) argumentiert, dass die ökonomisch, ethnisch und kulturell getrennte Oberschicht ihr kulturelles Zentrum eher in Washington als in Manila sieht. 12
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wenigen widmet, welche sich eine Gesundheitsvorsorge leisten können, oder ob auch jene, welche keinen Zugang zum Gesundheitswesen haben, berücksichtigt werden. Mehrheitlich konzentrieren sich Publikationen zur Bioethik auf die medizinethischen Fragestellungen im nach westlichen Standards eingerichteten Krankenhausalltag. Zuweilen reagiert der philippinische Bioethikdiskurs auch auf westliche Debatten. So finden sich in der bioethischen Literatur auch Anmerkungen zum Klonen Ende der 90er Jahre und zur Forschung an embryonalen Stammzellen in den letzten Jahren (Gómez/Yu-Soliven 1999; Gómez 2006). Der akademische Hauptdiskurs im Bereich der Bioethik folgt in der Schwerpunktsetzung und Argumentationsweise damit teilweise dem westlichen Diskurs. Er weist jedoch auch Eigenheiten auf, welche sich aus der Religion und Kultur auf den Philippinen ergeben. Neben dem akademischen Diskurs gibt es jedoch auch Versuche, eine Bioethik zu entwickeln, welche sich der unterprivilegierten Mehrheit zuwendet, um zu beschreiben, was Bioethik in diesem Kontext heißen kann. Der dabei entwickelte originäre Standpunkt ist – so man westliche Maßstäbe zu Hilfe nimmt – am ehesten mit einer aristotelischen Tugendethik zu vergleichen (Miranda 1994). Darauf wird in der Diskussion zur philippinischen Bioethik ausführlicher einzugehen sein.
b) Katholische Prägung Ein Blick auf die Titel philippinischer Literatur zu bioethischen Fragen genügt, um zu sehen, dass es sich nicht um einen säkularen Diskurs handelt. Das zeigt sich schon an vielen Titeln von Bioethik Sammelbänden: Celebrating the Gospel of Life. Basic Issues in Bioethics (Gómez 2006), Conscience, Cooperation, Compassion (Gómez et al. 1998) oder Pagkamakabuhay. On the Side of Life. Prolegomana for Bioethics from a Filipino-Christian Perspective (Miranda 1994). Eine naheliegende Erklärung für diese Fundierung bioethischer Diskurse in der Religion liegt im Bildungssystem, welches vor allem im universitären Bereich weitgehend privat ist und von religiösen Orden geleitet wird. Von den vier bedeutendsten Universitäten der Philippinen werden neben der staatlichen University of the Philippines, die anderen drei von religiösen Orden geleitet.15 Das Verhältnis von privaten zu öffentlichen universitären Einrichtungen ist rund drei zu eins.16 Wenn auch die Trägerschaft alleine noch
15 Es sind dies die von Dominikanern geleitete University of Santo Thomas (UST), welche als älteste Universität Asiens gilt, die von den Schulbrüdern geleitete De la Salle University (DLSU) und die von den Jesuiten geleitete Ateneo de Manila University (ADMU). 16 Landesweit stehen 522 öffentliche tertiäre Bildungsinstitute, 1494 privaten gegenüber. In Metro Manila (National Capital Region, NCR) kommen auf eine
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kein Garant für eine bestimmte weltanschauliche Ausrichtung ist, so zeigt sich die genuin religiöse Prägung sowohl im Leitbild als auch im Fächerkanon der privaten universitären Einrichtungen auf den Philippinen. Im bioethischen Diskurs zeigt sich dieser religiöse Einfluss zum einen in der Themensetzung und zum anderen in der Einbringung religiöser Begründungsmuster in die wissenschaftliche Argumentation. Zu den dominierenden Themen gehören Empfängnisverhütung, Abtreibung und Fragen der Sterbehilfe. Abtreibung wird dabei als schwerwiegendes Zivilisationsproblem gesehen und durchgehend kategorisch abgelehnt.17 Diese Ablehnung wird auch in erschwerenden Situationen aufrecht erhalten. So wird selbst bei Schwangerschaften mit AIDS oder die durch Vergewaltigung zustande gekommen sind, auf die ethische Verwerflichkeit der Abtreibung verwiesen (Gómez/Yu-Soliven 1999, 189ff.). Die Diskussion eines dieser Fallbeispiele schließt mit einer im philippinischen Kontext häufig anzutreffenden religiösen Bezug: „Hope should never be abandoned“ (Gómez/Yu-Soliven 1999, 192). Zu den erforderlichen Tugenden für die Pflegekräfte werden beispielsweise neben Klugheit, Respekt und Aufrichtigkeit, christliche Tugenden wie Demut, Hoffnung, Liebe und Frömmigkeit gezählt (vgl. Gómez et al. 1997, 108f.). Die Begründung in der bioethischen Debatte geschieht oft mit Bezug auf religiöse Überzeugungen. Paradigmatisch hierfür ist die Diskussion zur Euthanasie, welche mit Bezug auf die Gottgegebenheit des menschlichen Lebens verworfen wird: „Human life is a gift from God, it must be protected and defended and not destroyed or rejected.“ (Ibeas 2006, 187) Ohne sich mit Differenzierungen wie aktiver und passiver Sterbehilfe oder dem Autonomieargument auseinander zu setzen, lehnt Ibeas auf dieser Grundlage Sterbehilfe ab (vgl. Vout 2006). Andernorts wird ausführlich auf den spirituellen Aspekt der Sterbebegleitung eingegangen und gemeinsames Gebet und Bibellektüre empfohlen.18 Auch in anderen Bereichen von Abtreibung bis zur sozialen Gerechtigkeit wird oft religiös argumentiert (Mallillim 2006).
öffentliche tertiäre Bildungsinstitution gar acht private (33:276). Die Daten stammen von der Commission on Higher Education, CHED: http://www.ched.gov.ph/hes/index.html (abgerufen am 15.10.2008). 17 So bezeichnet Moraczewski die Abtreibung als bedeutendstes moralisches Problem, welches die Weltzivilisation zu lösen hat: „Clearly, abortion is the most griveous moral problem our civilization faces.“ (Moraczewski 1997, 169) 18 Es soll hier nur auf die Prevalenz religiöser Begründungen hingewiesen werden. Dass im Kontext der Sterbehilfe auch philosophische Begründungen vorgebracht und abwägendere Positionen vertreten werden, zeigen beispielsweise die Beiträge von Micetich (1999) und vor allem die Reaktion von Miranda (1999).
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c) Soziokulturelle Merkmale Im bioethischen Diskurs, welcher sich auf den Krankenhausalltag bezieht, wird auch verschiedentlich Bezug auf die kulturellen Eigenheiten der Philippinen genommen. Diese Charakteristika umfassen enge familiäre Bindungen, Religiosität, inneres Schuldgefühl (utang na loob), Schicksalsergebenheit bzw. Fatalismus, Personalismus, die nichtkonfrontierende Beziehung (pakikisama) und eine Achtung vor Personen mit Status, welche zu Unterwürfigkeit führen kann (Alora 1997, 81; Lynch 2004). Enge familiäre Bindungen sind das Hauptcharakteristikum der sozialen Struktur der Philippinen. Die quasi-autarke Familie fungiert als soziale, ökonomische und emotionale Einheit, sie ist der Rückhalt oder die Versicherung gegenüber einer als feindlich empfundenen sozialen Umwelt (Alora 1997, 82).19 Dieser starke Familiensinn bringt Verantwortung und Loyalitätsverpflichtungen mit sich. Erfolg wird nicht individuell, sondern als Familie erzielt; die Interessen der Familie haben gegenüber den Eigeninteressen Vorrang, und Entscheidungen werden daher oft im hierarchisch strukturierten Familienverband getroffen. Diese Struktur der wechselseitigen Abhängigkeit in der Familie wird auch, in schwächerer Form, auf andere zwischenmenschliche Beziehungen in der Nachbarschaft oder im Kreis der Arbeitskollegen angewandt. Nicht individuelle Unabhängigkeit, sondern wechselseitige Abhängigkeit ist das Ideal sozialer Beziehungen: „Security is sought not by independence so much as by interdependence“ (Lynch 2004, 41). Diese kulturell verankerte Bedeutung der Familie hat zur Folge, dass die Privatsphäre des Einzelnen und seine individuelle Entscheidungsfreiheit gegenüber dem Familienzusammenhalt zurückstehen müssen. Das zeigt sich auch im Krankenhausalltag, in welchem der Patient vor allem als Familienmitglied erscheint, für welches die Familie die primäre Betreuung übernimmt, die somit in Entscheidungsprozesse eingebunden ist und oftmals vorab und besser als der Patient über seinen Zustand informiert wird. Das Loyalitätsgebot im Familien- und Gruppenverband beinhaltet, die Harmonie in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht durch Widerspruch oder gar Konflikte zu stören. Pakikisama beschreibt dieses Harmoniebedürfnis, welches oft ein Einlenken auf eine andere Position bedeutet, um einen Konflikt zu vermeiden.
19 „In the Filipino mind, the family is a defense against a potentially hostile world, an insurance against hunger and old age, an eternal (!) source of food, clothing and shelter, and environment where it can be oneself. For the Filipino, all his basic needs are met by his family or group.“ (Alora 1997, 82)
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„A healthcare provider might assist in a procedure he would otherwise not have performed because of ‚pakikisama‘. A health care professional might not call attention to a misdeed or error of a collegue because of ‚pakikisama‘.“ (Alora 1997, 84)
Gepaart mit dem kulturell bedingten Respekt vor Personen mit Status, wozu Ärzte zu zählen sind, führt diese Eigenheit zu vertikalen ArztPatient Strukturen. Der Arzt gilt als wohlwollende Vaterfigur, der respektiert und dem gehorcht wird. Widerspruch gegenüber dem Arzt, oder teilweise auch nur kritische Rückfragen, ist für die meisten philippinischen Patienten kein kulturell akzeptiertes Handlungsmuster. „Patients are usually submissive and inhibited in participating in their own care. They defer to their doctor’s decisions. It is unthinkable for a Filipino patient to refuse a diagnostic test or treatment proposed by his physician.“ (Alora 1997, 88)
Der Arzt auf der anderen Seite ist sich seiner paternalistischen Rolle bewusst, geht davon aus, dass seinem Urteil vertraut wird und empfindet es unter Umständen nicht als notwendig, die Zustimmung des Patienten einzuholen, da in seinem Selbstverständnis er der Experte ist und daher weiß, was für den Patienten am besten ist. Verstärkt wird die beschriebene Konstellation durch den Personalismus in den Philippinen. Persönliche Beziehungen spielen eine größere Rolle als inhaltliche Argumente: „issues do not matter as much as personal allegiances“ (Alora 1997, 89). Verantwortung und Pflichten werden gegenüber konkreten Personen empfunden, die Befolgung der Regeln abstrakter Institutionen hat demgegenüber sekundäre Bedeutung. Diese kulturellen Eigenheiten haben einen Einfluss auf den Krankenhausalltag. So führen die engen familiären Beziehungen dazu, dass Entscheidungen oft im Familienverbund getroffen werden und dadurch individuelle Autonomie, Privatheit und Vertraulichkeit der Informationen gegenüber der Sorge um das Wohlergehen des Patienten in den Hintergrund rücken. Oder wie es in der Diskussion eines Fallbeispiels heißt. „In the Philippine context, adult patients usually willingly delegate many rights which are seldom delegated in western culture: autonomy/confidentiality/privacy/informed consent/truth telling. In exchange the patients are free from stress of decision making.“ (Gómez/Yu-Soliven 1999, 182)
Die sozioökonomische, religiöse und kulturelle Ausprägung der Philippinen beeinflusst sowohl das Verständnis der Bioethik als auch die Normen, welche im Krankenhausalltag zur Geltung kommen. Zuerst wird jedoch die Allgemeine Erklärung über Bioethik und Menschenrechte, welche die UNESCO 2005 verabschiedet hat und welche den Anspruch erhebt, universal geltende Prinzipien zu identifizieren, vorgestellt. Diese Erklärung dient als Folie vor deren Hintergrund sich die Regeln und Gesetzmäßigkeiten der philippinischen Bioethik abheben.
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3. UNESCO Erklärung über Bioethik (2005) Betrachtet man den Inhalt der UNESCO Erklärung über Bioethik (2005), so zeigt sich, dass sich die darin formulierten Prinzipien an den von Beauchamp und Childress formulierten Prinzipien der biomedizinischen Ethik orientieren. Artikel 3 bis 17, welche die Grundsätze der UNESCO Erklärung bilden, zeigt dies (die folgenden Artikel beziehen sich auf die Anwendung der Grundsätze). Nach dem Bezug auf die Menschenwürde und -rechte (Art. 3) und einer utilitaristischen Forderung zur Nutzensmaximierung und Schadensminimierung (Art. 4), befassen sich die Artikel mit dem Prinzip der Autonomie. Artikel 5 ruft zur Respektierung der Autonomie auf, Artikel 6 und 7 behandeln die freiwillige Einwilligung und den richtigen Umgang mit nichteinwilligungsfähigen Personen. Schließlich werden die persönliche Integrität (Art. 8) und die Grundsätze von Privatsphäre und Vertraulichkeit (Art. 9) hervorgehoben. Die zweite Gruppe von Artikeln (Art. 10-16) befasst sich – auf die eine oder andere Art – mit dem Grundsatz der Gerechtigkeit. Personen sollen unabhängig von ihren spezifischen kulturellen, religiösen oder ethnischen Zugehörigkeiten gleich behandelt werden (Art. 10-12). Solidarität und Kooperation sollen gefördert (Art. 13) und der gleiche Zugang zu den lebensnotwendigen Ressourcen – von Wasser und Nahrung im Allgemeinen bis zum Gesundheitswesen im Speziellen – soll gewährleistet werden (Art. 14-15). Artikel 16 schließlich betont die Notwendigkeit von intergenerationeller Gerechtigkeit. Der Schwerpunkt der Deklaration, so lässt sich zusammenfassen, liegt vor allem auf diesen beiden Prinzipien: Autonomie und Gerechtigkeit. Es sind dies gerade jene Prinzipien, welche kulturell und sozial geprägt sind und sich daher nicht einfach auf den Kontext der Philippinen übertragen lassen. Dies wird das Thema des nächsten Kapitels sein. Der zweite Teil der Erklärung befasst sich mit der Anwendung der im ersten Teil besprochenen Grundsätze. Es wird deutlich, dass die Bioethik, wie sie in der Deklaration verstanden wird, eine Institutionenethik ist: „Diese Erklärung richtet sich an die Staaten.“ (Art. 1.2) Wenn es um die Implementierung der vorgeschlagenen Grundsätze geht, so sind die Hauptakteure die Nationalstaaten. Die Erklärung fordert die Einrichtung von „unabhängige[n], fachübergreifende[n] und pluralistische[n] Ethik-Kommissionen“ (Art. 19), welche die Umsetzung der Grundsätze anstreben. Verhaltensregeln für transnationale Kooperationen werden vorgeschlagen (Art. 21) und internationale Kooperationen ermutigt (Art. 24). Kurzum, die Staaten haben die Verantwortung, die neue Technologien im Feld der Medizin und der Lebenswissenschaften zu regulieren.
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4. Die UNESCO Erklärung im Verhältnis zur Bioethik auf den Philippinen Bioethik, in der von Beauchamp und Childress zur Norm gewordenen Form, basiert auf Prinzipien. Wie im obigen Abschnitt gezeigt, folgt die UNESCO Erklärung weitgehend diesem Typ von Bioethik, sowohl in ihrer Ausrichtung als auch in ihrem Inhalt: sie stellt eine prinzipienbasierte, auf Institutionen zentrierte Ethik dar. Der Anspruch der Allgemeingültigkeit wird im folgenden Abschnitt sowohl unter den beiden Grundsätzen Autonomie und Gerechtigkeit diskutiert als auch der Geltungsbereich der Erklärung in Frage gestellt.
a) Autonomie Zwei kulturelle Aspekte in den Philippinen stellen den westlichen Begriff der Autonomie hauptsächlich in Frage: Die Bedeutung der Familie und das Verständnis des Patienten. Angeles Tan Alora und Joseph M. Lumitao schreiben dazu in ihrer Kritik der westlichen Bioethik: „The focus of Western bioethics is individual; elsewhere it focuses on social units.“ (Alora/Lumitao 2001, 4). Ohne Zweifel sind die Philippinen Teil des Anderenorts. Die Familie ist die grundlegende Einheit der Gesellschaft, welche ihre Bedeutung in der Verfassung explizit zugestanden bekommt. Da heißt es: „The State recognizes the Filipino family as the foundation of the nation.“20 Dieser starke Begriff der Familie wirkt sich auf das Prinzip der individuellen Autonomie und der informierten Zustimmung aus. Kuan und Lumitao (2001, 27) beschreiben den Fall einer 75-jährigen Diabetespatientin, bei welcher das rechte Bein amputiert werden sollte. Die Tochter der Patientin bittet den Chirurgen die Mutter nicht über die Operation zu informieren, aus Angst die Mutter könnte die Operation ablehnen. Die Tochter gibt ihre Einwilligung zur Operation an Stelle der Mutter. Dieses Vorgehen, wie Lumitao und Kuan zutreffender Weise anmerken (2001, 27), widerspricht verschiedenen Aspekten des Grundsatzes der Autonomie, wie er in der UNESCO Erklärung ausformuliert wird. Sowohl die informierte Zustimmung als auch die Privatsphäre und die Vertraulichkeit der Information werden zu Gunsten des mutmaßlichen Wohls der Patientin übergangen. Die große Bedeutung der Familie, welche maßgeblich über das medizinische Vorgehen mitentscheidet, wird höher bewertet als das Prinzip der Autonomie Der zweite kulturelle Aspekt, welcher dem Grundsatz der Autonomie entgegensteht, ist das in den Philippinen vorherrschende Verständnis, wie mit dem Patienten umzugehen ist. Der Patient soll sich mög20 Weiter heißt es: „Accordingly, it shall strengthen its solidarity and actively promote its total development.“ (Art. XV, Sec. 1)
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lichst ausruhen und nicht belastet werden, und das heißt im medizinischen Alltag, dass der Informationsfluss häufig über die Angehörigen verläuft und der Patient nur mittelbar – und nach Gutdünken der Angehörigen – über die medizinische Lage informiert wird. „During a consultation, the physician sometimes talks to the relatives first, especially if the relative is older, as if the patient were not present at all.“ (Kuan/ Lumitao 2001, 25)
Manchmal ist der Patient sogar von der Entscheidung über die richtige Behandlung ausgeschlossen, wie obiges Beispiel gezeigt hat. „The sick family member accepts a role of dependency and passive tolerance.“ (Alora 2001, 15) Der Patient soll möglichst von allen Stressfaktoren abgeschirmt werden, und die Entscheidung über die zu wählende Behandlung kann dabei als einer dieser Stressfaktoren aufgefasst werden. Die Grundsätze von Autonomie, Zustimmung, Privatsphäre und individuelle Vertraulichkeit werden so marginalisiert oder sind in gewissen Fällen gar nicht vorhanden. Eine Möglichkeit, die philippinische Praxis im Kontext der Deklaration der UNESCO und deren Betonung der Autonomie zu deuten, ist, den Grundsatz der Autonomie auf Familien anstatt auf Individuen anzuwenden. Demzufolge wäre nicht die individuelle Autonomie zu berücksichtigen, sondern jene der Familie. Ein grundsätzliches Problem einer solchen Interpretation ist, dass die Familie nicht eine gleichermaßen klare Grenze nach außen hat, wie das Individuum. Soll nur die Kernfamilie gelten oder sind entfernte Cousins des zweiten und dritten Grades, wie sie in den Philippinen zur Familie gezählt werden, darin mit inbegriffen? Ein bedeutenderes Problem jedoch ist, dass die traditionell vertikalen Strukturen der philippinischen Gesellschaft, welche sich beispielsweise in einem starken Vertrauen in medizinische Autoritäten äußert, den Grundsatz der Autonomie und speziell des informed consent, welche horizontale Beziehungen zur Grundbedingung haben, zuwiderlaufen. Kuan und Lumitao erwähnen das Beispiel eines Schlaganfallpatienten, welcher von einem orthopädischen Chirurgen, einem Familienfreund, behandelt wurde. Dieser Arzt wurde nicht wegen seiner medizinischen Kenntnisse im relevanten Feld ausgesucht, sondern wegen familiären Beziehungen. Die Krankenschwester beobachtet, wie sich die gesundheitliche Situation des Patienten verschlechtert und empfiehlt, ihn an einen Spezialisten zu überweisen. Der behandelnde Arzt jedoch fühlt sich durch diesen Vorschlag beleidigt und betont, dass er der einzige Arzt ist, dem die Familie Vertrauen schenkt (Kuan/Lumitao 2001, 29). In solchen gesellschaftlichen Verflechtungen spielt die Autonomie in jedem Fall eine untergeordnete Rolle. Außerdem zeigt der in obigem Beispiel zum Ausdruck kommende Personalismus die Grenzen eines egalitären Gerechtigkeitsbegriffs, wie im Folgenden aufzuzeigen sein wird.
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b) Gerechtigkeit Während im Falle der Autonomie direkt aufgezeigt werden kann, dass dieser Grundsatz im philippinischen Kontext nur bedingt den sozialen Gegebenheiten gerecht wird, geschieht das Aufweisen der kulturellen Färbung des Gerechtigkeitsbegriffs auf indirektem Wege. Die vielversprechendste Art den Unterschied in den Gerechtigkeitsauffassungen zu verstehen, ist auf die unterschiedlichen Verständnisse von Ethik hinzuweisen. So schreiben Alora und Lumitao, dass die philippinische Bioethik eine gelebte Moral sei, deren Fokus nicht – wie in westlicher Bioethik – auf dem Individuum und dessen Wohl liegt. Vielmehr liege der Fokus auf der Familie als Grund der sozialen Realität und Moralität. Dieser Fokus führt zu einer Färbung des Gerechtigkeitsdiskurses, welcher die Verantwortung gegenüber der Familie hervorhebt und dabei soziale Verwerfungen als unveränderbar hinnimmt. So diskutiert Tiong (2001) das Fallbeispiel eines philippinischen Gefängnisinsassen, welchem angeboten wird, gegen eine finanzielle Entschädigung eine Niere an einen Ausländer zu spenden. Diese Organspende wird nicht primär unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Gerechtigkeitsnormen erörtert und mit kantischen oder utilitaristischen Argumenten unterlegt. Vielmehr wird die religiös motivierte Verpflichtung gegenüber der Integrität des eigenen Körpers als Argument gegen eine Organspende ins Feld geführt und die Verantwortung gegenüber der Familie, welche das Geld bekommen würde, als Argument für eine Organspende hervorgehoben.21 Gerechtigkeit wird somit nicht als abstraktes Prinzip einer Verfahrensoder Verteilungsgerechtigkeit verstanden, sondern vielmehr als konkret gelebte Tugend in einer persönlichen Beziehung. Dieses Beispiel verdeutlicht zum einen die Verantwortung gegenüber der Familie, welche gegenüber den Eigeninteressen und dem persönlichen Wohlergehen überwiegt. Gerechtigkeit bezieht sich primär als Tugend auf diesen Familienkontext. Zum anderen zeigt dieses Beispiel, dass auf Grund der kulturellen Bedingungen Gerechtigkeit in einem ganz anderen Bezugsystem wahrgenommen wird: nicht als abstraktes Prinzip zur Organisation und Bewertung bestehender Strukturen, sondern als Verantwortung gegenüber nahestehenden Personen, insbesondere gegenüber der Familie. Alora und Lumitao (2001, 4) heben in ihrer Einführung zu einer authentischen nicht-westlichen Bioethik hervor, dass abstrakte Prinzipien zwar prima facie als bedeutend erscheinen, dass sie jedoch überlagert werden von den kulturellen Eigenheiten, welche die persönlichen Beziehungen und der Bedeutung der Familie hervorheben. Die auf Prinzipien
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Die Fallbeschreibung spricht von 3000 US-$, welcher der Gefängnisinsasse für seine Nierenspende bekommen würde. Dieses Geld würde dann seiner Familie und der Erziehung seiner Kinder zugute kommen (Tiong 2001, 89).
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basierende Bioethik des Westens (in welcher jedoch im Alltag durchaus persönliche Beziehungen eine wichtige Rolle spielen, die in der bioethischen Diskussion kaum abgebildet werden) steht in einem Spannungsverhältnis zur an Personen orientierten philippinischen Bioethik. Der bereits erwähnte Personalismus wird von Alora pointiert beschrieben: „Filipino culture is person oriented: Persons take precedence over abstract, impersonal issues or ideas.“ (Alora 2001, 9) Dieses Verständnis von Bioethik, welches auch in Mirandas Buch Pagkamakabuhay – zu übersetzen etwa als Auf der Seite des Lebens – zu finden ist, transformiert den Gerechtigkeitsbegriff. Die Verantwortung gegenüber Personen wird als viel stärker wahrgenommen als die ethische Forderung, einem abstrakten Prinzip zu folgen. Dieses Verständnis von gegenseitiger Verantwortung oder Dankbarkeit unterläuft westliche Gerechtigkeitsnormen. Fragen von Bedarfs-, Verfahrens- oder Chancengleichheit sind sekundär gegenüber den wechselseitigen Verpflichtungen und Verantwortungen. Der Begriff der Verantwortung oder In-der-Schuld-stehen (utang na loob) gegenüber dem konkreten Mitmenschen macht die gerechte Allokation von knappen Ressourcen problematisch: Ein freies Bett in einer sonst ausgelasteten Intensivstation wird eher demjenigen Patienten gegeben, der zu dem Arzt in Beziehung steht, als demjenigen, der es am dringendsten braucht (Alora/Lumitao 2001, 18). Die Bedeutung von harmonischen Beziehungen, der Personalismus und das kulturell verankerte Inder-Schuld-stehen geben dem Beziehungsnetz einen Vorrang gegenüber dem abstrakten Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit. Vorschnell wird diese Unterminierung egalitärer Prinzipien gern als Vetternwirtschaft oder Korruption interpretiert. Eine solche Deutung wird sicherlich von vielen Filipinos geteilt, welche grundsätzlich eine negative Sicht ihrer Institutionen haben (Mulder 1997, 69). Jedoch birgt ein vorschnelles Urteil auf Grund eines westlichen moralischen Koordinatensystems die Gefahr, die kulturellen Eigenheiten nicht zu verstehen. Es soll an dieser Stelle darum gehen, Strukturen im medizinischen Bereich aus den kulturellen Eigenheiten zu beschreiben.
c) Geltungsbereich der Erklärung Die obige Diskussion bezüglich Autonomie und Gerechtigkeit hat gezeigt, dass eine an Prinzipien orientierte Bioethik in den Philippinen durch kulturelle Gegebenheiten in Frage gestellt wird. Die UNESCO Erklärung ist an einem westlichen, prinzipienbasierten Bioethikverständnis ausgerichtet, welches in den Philippinen nur in Ansätzen geteilt wird. Jedoch ist nicht nur der Inhalt, sondern auch der Geltungsbereich der UNESCO Erklärung unter zwei Gesichtspunkten kulturell geprägt. Die Erklärung, so wird anfangs ausgeführt, „betrifft ethische Fragestellungen in Bezug auf die Medizin, die Lebenswissenschaften und diesbe-
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zügliche Technologien in ihrer Anwendung auf den Menschen“ (Art. 1.1) und „richtet sich an die Staaten“ (Art 1.2). Ein Blick auf die soziale Realität der Philippinen zeigt, dass Fragen bezüglich der Anwendung von innovativen Technologien nicht zu den dringenden Problemen des Landes gehören. Während man in der UNESCO Erklärung noch vergeblich nach einer Definition von Bioethik sucht, zeigt der Internetauftritt der UNESCO klarer, welche Themenfelder die Erklärung zu regeln versucht. Die Themenfelder, welche prominent auf dem UNESCO Internetauftritt auftauchen – Stammzellforschung und Klonen22 – und den rapiden Fortschritt in Medizin und Lebenswissenschaften aufzeigen sollen, spielen in der sozialen Realität der Philippinen keine Rolle. Wie aufgezeigt wurde, ist die Absenz vieler dieser Themenstellungen jedoch nicht gleichbedeutend mit mangelndem Interesse an Bioethik. Die besprochenen Themenfelder sind jedoch andere und werden anders diskutiert. Das westliche Verständnis von Bioethik ist das einer auf Grundsätzen basierenden Institutionenethik. Demzufolge ist es nicht überraschend, dass die UNESCO Erklärung sich an Staaten richtet, und nur en passant andere mögliche Akteure erwähnt. Die UNESCO fordert beispielsweise Ethik-Kommissionen, internationale Kooperationen und Regulationen von transnationalen Forschungen. Mit anderen Worten, Bioethik wird nicht primär als die Aufgabe des Einzelnen erachtet, sondern von Institutionen, welche die entwickelten Standards umzusetzen haben. Eine solche Institutionenethik steht quer zum philippinischen Verständnis von Bioethik als gelebte moralische Tugenden (Angeles/Lumitao 2001a, 4). Natürlich lässt sich fragen, warum man sich auf den Philippinen mit einer Erklärung auseinandersetzen soll, welche an der philippinischen Realität weitgehend vorbeigeht. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Erklärung durchaus eine regulierende Funktion hat, da sie nicht nur als normativer Hintergrund in der akademischen Diskussion, sondern auch als Regulierungsinstrument für künftige Forschungsausrichtung Anwendung findet. Erklärungen auf internationaler Ebene werden darüber entscheiden, wie zukünftig internationale Forschungsgelder vergeben werden, welche Art von Forschung betrieben wird und in welche Richtung sich Wissenschaft entwickelt. Jedoch ist auch bei der UNESCO Deklaration zwischen dem Schriftstück und der jeweiligen lokalen Umsetzung zu unterscheiden. Diese nimmt eine je eigenen kulturell geprägte Form an, welche wiederum kritisiert wird. Dies kann – wie dies bei der UN-Menschenrechtserklärung der Fall war – zu Erweiterungen und somit zur nachträglichen Berücksichtigung bislang vernachlässigter kultureller Perspektiven führen. Inso-
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www.unesco.org/shs/bioethics (abgerufen am 30.10.2009).
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fern ist die UNESCO Erklärung nicht einfach ein Stück Papier, welches vernachlässigt werden kann, sondern ist als Teil eines kontinuierlichen diskursiven Prozesses zu verstehen, in welchen weitere Aspekte Aufnahme finden können.
5. Strukturmerkmale einer philippinischen Bioethik Nachdem die Prägung der UNESCO Erklärung durch westliche Fragestellungen und Prinzipien dargelegt wurde, und bevor die Aufmerksamkeit der philippinischen Bioethik zugewandt werden soll, sollen einige wissenschaftstheoretischen Bemerkungen die Relativität des Begriffs der Bioethik erhellen. Wissenschaft hat eine Doppelnatur: Einerseits zeigen sich in ihr universale Geltungsansprüche, andererseits ist sie in konkreten sozialen und kulturellen Situationen verwurzelt; wissenschaftliche Disziplinen sind dann, im wörtlichen Sinn, Reflexionen von Fragen, welche aus dem konkreten sozialen und historischen Kontext entspringen. Die Disziplin – Onora O’Neill spricht von einem „meeting ground“ (2002) – der Bioethik ist hierfür ein gutes Beispiel. Der junge Begriff der Bioethik hat seinen Ursprung in akademischen Diskussionen in Nordamerika und Europa und kann als Antwort auf den schnellen Fortschritt der Medizin verstanden werden, der ethische Fragen nach Beginn und Ende des menschlichen Lebens aufwirft, welche innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin erörtert werden. Der Begriff Bioethik entspringt also einer konkreten sozialen und historischen Situation und entwickelt von da aus Prinzipien mit universalem Geltungsanspruch. Die soziale und historische Situation, welche zum Begriff Bioethik führte – eine individualisierte Gesellschaft mit rapidem technologischen Fortschritt – existierte und existiert in den Philippinen mit Bezug auf den medizinischen und lebenswissenschaftlichen Therapie- und Forschungsbereich so nicht. Gesamtgesellschaftlich betrachtet bleibt beispielsweise die Frage nach der Euthanasie – obwohl für eine schmale Schicht relevant – unbedeutend. Der einfache Grund hierfür ist, dass die Technisierung und Individualisierung der Gesellschaft nicht so weit fortgeschritten sind. Die gesellschaftlichen Fragen, über welche ein Verständigungsprozess nötig ist, sind andere. Dringender stellt sich die Frage nach Zugang zur medizinischen Versorgung, welche für eine Mehrheit der Bevölkerung nicht gegeben ist. Fragen, die den technologischen Fortschritt betreffen, sind dagegen zweitrangig. Zugespitzt gesagt: Wo Menschen sterben, weil sie die Kosten der Operation nicht bezahlen können, da spielen ethische Fragen bezüglich Stammzellforschung und pränataler genetischer Diagnose keine gesellschaftlich relevante Rolle. Die ethische Evaluierung neuer Technologien, wie sie im engen Begriff der Bioethik, welcher auch die UNESCO Erklärung vorschlägt, zur Frage wird, stellt sich in den Philippinen nicht.
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Wie schon angedeutet, gibt es auch alternative Weisen, wie Bioethik in den Philippinen verstanden wird. Miranda formuliert in Pagkamakabuhay die notwendige Bedingung für eine philippinische Bioethik wie folgt: „The test of bioethics as a discipline lies in its responsiveness to the ethical problems of Filipinos today.“ (Miranda 1994, 57) Es geht also darum, dass die in den Philippinen aufgeworfenen ethischen Fragen ernst genommen werden. Das Augenmerk muss auf den ethischen Fragen liegen, welche dem sozialen und kulturellen Kontext der Philippinen entspringen und eine dem Kontext angemessene Antwort bekommen. Um eine genuin philippinische Bioethik zu entwickeln, analysieren sowohl Miranda als auch Alora und Lumitao die philippinische Sprache. Begriffe wie loob (das Innen), hiya (Verlegenheit, Schüchternheit) and pakikisama (die Suche nach Harmonie mit anderen) werden ins Spiel gebracht, um die Eigenheit der philippinischen Kultur zu verstehen und den Grund für eine genuin philippinische Bioethik zu legen. In der Tat ist die Sprache, wie Heidegger betont, das ‚Haus des Seins‘ (vgl. das Kapitel zu Gesundheit) und eine Untersuchung der Sprache kann zu einer philippinischen Anthropologie führen. Jedoch ist zwischen Kulturanthropologie und Bioethik zu unterscheiden. Auch wenn eine Ethik ein explizites anthropologisches Fundament hat, wie beispielsweise bei Spinozas Ethik (Spinoza 1994) gesehen werden kann, so muss eine Bioethik ein normatives Element beibehalten. Eine solche philippinische Bioethik unterscheidet sich strukturell von einer westlichen Bioethik. Im Westen ist es vor allem der technologische Fortschritt, welcher jene ethischen Fragen aufwirft, die in der bioethischen Diskussion beantwortet werden sollen. Diese Problematik findet sich so in den Philippinen nicht. Bioethik muss dann die basalen Themen des gerechten Zugangs zur medizinischen Grundversorgung diskutieren und dabei das holistische philippinische Verständnis von Gesundheit und Krankheit zum Thema machen. Ein weiteres Desiderat einer philippinischen Bioethik ist, dass sie die verschiedenen sozialen Welten, welche die soziale Realität in den Philippinen ausmachen, berücksichtigt sollten. Miranda (1994, 336ff.) spricht von drei Welten des philippinischen Gesundheitswesens: die erste Welt der privaten, teuren Krankenhäuser, die sich minimal von westlichen Spezialkliniken unterscheiden; die zweite Welt von überfüllten und unterbesetzten öffentlichen Krankenhäusern und die dritte Welt, in welcher traditionelle Kräuter ebenso zur Krankheitslinderung in Anspruch genommen werden wie Geistheiler. Miranda, welcher sein Buch als Prolegomena einer philippinischen Bioethik versteht, ist einer der wenigen, welcher sich dieser zweiten und dritten Welt widmet. Jedoch bleibt sein Zugang bei einer kulturanthropologischen Beschreibung stehen.
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6. Chancen einer interkulturellen Bioethik Nimmt man zum Schluss nochmals die Beschreibung des philippinischen Bioethik-Diskurses vor dem Hintergrund der westlichen Prinzipienethik in den Blick, so können durch den Vergleich Konturen des jeweiligen Bioethikverständnisses und der damit verbundenen Praktiken klarer aufscheinen. Ein solcher Vergleich kann gegenseitig befruchtend wirken. Während für den philippinischen Diskurs die Existenz der westlichen Bioethik offenkundig ist, so mangelt es dem prinzipienbasierten Diskurs Österreichs an Bewusstsein der Alternativdiskurse. In diesem Vergleich ist daher die Aufgabenstellung eine mehrfache. In den Philippinen bedarf es einer Selbstvergewisserung der kulturellen, sozialen und historischen Aspekte, um eine originäre philippinische Bioethik entstehen zu lassen. Vieles im Bioethikdiskurs konzentriert sich auf eine beschränkte Adaption westlicher Prinzipien für den einer reichen Minderheit zugänglichen Krankenhausalltag. Das Prinzip der Autonomie wird dabei modifiziert und Gerechtigkeit entweder als Verantwortung gegenüber Angehörigen aufgefasst oder gar nicht thematisiert. Theoretische Ansätze, die versuchen allen Gesellschaftsschichten gerecht zu werden, können auch in ihren bis dato holzschnittartigen Formulierungen als normativer Horizont einer philippinischen Bioethik fungieren. Von westlicher Seite dient eine philippinische Bioethik als Anregung. Gerade im Umgang mit der Autonomie des Patienten, welche im Kontext der Familie aufgehoben ist, zeigt sich, dass in den Philippinen ein Problem anders gelöst ist, welches im westlichen Kontext ebenfalls als Problem gesehen wird: nämlich welche Rolle die Angehörigen übernehmen können und sollen. Ihre konstante Präsenz im medizinischen Kontext auf den Philippinen dient auch dazu, die Extremsituation des Patienten durch ein vertrautes Umfeld psychologisch abzufedern. Eine Reflexion auf die philippinischen Alltagsstrukturen im Umgang mit diesem Problem kann auch in hiesigen Breitengraden einen Lernprozess anstoßen. Ferner bildet der zum Beispiel bei Miranda vorgefundene holistische Gesundheitsbegriff als Korrektiv zur Schulmedizin eine Diskussionsgrundlage. Gerade solche kulturell geprägten Ansätze zur Bioethik können einen wechselseitigen Dialog mit Gewinn für westlichen wie nichtwestlichen Bioethik anstoßen.
Österreich und Philippinen: Interkulturelle Praxisfelder I. Gesetzliche Grundlagen des Gesundheitswesens 1. Gesundheitswesen zwischen Markt und Staat Das wohl naheliegendste Themengebiet zur Fragen von Gerechtigkeit und Gesundheit ist die Verteilung von Ressourcen im Gesundheitswesen. Jede Gesellschaft hat heute Regeln dafür aufgestellt und ein entsprechendes System entwickelt, wie Ressourcen für das Gesundheitswesen generiert und für welche Zwecke diese verwendet werden sollen. Die gesellschaftliche Diskussion darüber, wie mit der Frage nach Gesundheit und Krankheit im Kontext knapper Ressourcen umzugehen sei, wird zum Teil äußerst kontrovers geführt. Dies wird in der Debatte um den Vorschlag des US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama zur Einführung einer allgemein verpflichtenden Krankenversicherung in den USA gegenwärtig besonders plakativ deutlich. In Österreich und auf den Philippinen sind die Gesundheitssysteme seit einer Reihe von Jahren in ihren Grundsätzen unverändert – die vorgenommenen Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen führen nicht zu massiven Umbrüchen, sondern lassen sich als Korrekturen und Adaptionsprozesse verstehen. Wesentlichstes Steuerungsinstrument hierfür sind gesetzliche Regelungen, mittels derer die Verteilung begrenzter Ressourcen gesteuert wird. Gesundheitsversorgung baut dabei auf zwei Säulen auf. Eine erste Säule ist staatlich organisiert und wird in der Regel über ein gesetzlich verankertes Versicherungswesen finanziert. Eine zweite Säule ist ein privatwirtschaftlich organisierter Teil. Die gesetzlichen Regelungen dienen häufig dazu, das Verhältnis zwischen beiden zu regeln. Um die Struktur der Gesundheitsversorgung rekonstruieren und deren Probleme verstehen zu können, soll zuerst eine Bestandsaufnahme der gesundheitlichen Situation der Bevölkerung in Österreich und auf den Philippinen vorgenommen werden. Danach werden einzelne Regelungen im Gesundheitswesen genauer betrachtet.
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2. Gesundheit in Zahlen: ein Vergleich Die klassischen Indikatoren für die Gesundheit einer Bevölkerung sprechen im Vergleich zwischen Österreich und den Philippinen eine deutliche Sprache. So weisen die Philippinen nach wie vor eine enorm hohe Sterblichkeitsrate von Säuglingen auf, was ein wichtiges Indiz für eine mangelhafte Gesundheitsversorgung ist. Die Säuglingssterblichkeit geht zwar seit Jahren zurück, dennoch sterben durchschnittlich 25 Säuglinge pro Tausend Geburten innerhalb des ersten Lebensjahres (Flores 2009). In Bevölkerungsgruppen, in denen der Bildungsstand der Mütter sehr gering ist und diese keine Schulbildung haben, liegt die Säuglingssterblichkeit auf den Philippinen über 30 Promille (WHO 2008, 10). In Österreich hingegen liegt die durchschnittliche Säuglingssterblichkeit bei lediglich 4,5 Promille (Bundesministerium für Gesundheit und Frauen 2005, 38). Während auf den Philippinen ein beträchtlicher Anteil an Geburten und Versorgung von Neugeborenen ohne die Unterstützung von Fachpersonal verläuft, ist in Österreich durch den Mutter-Kind-Pass und die damit verbundenen kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft und in den ersten 62 Lebensmonaten ein standardisiertes Vorsorgeprogramm realisiert worden, das die Säuglingssterblichkeit seit den 1970er Jahren erheblich verringert hat. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Ernährung und der Versorgung mit sauberem Wasser, die Voraussetzungen für einen guten Gesundheitszustand sind. „37 % aller Kinder im Vorschul- und 31 % aller Kinder im Schulalter [auf den Philippinen] gelten als untergewichtig (…). Mehr als 15 Millionen Menschen (also 18 % der Bevölkerung) müssen auf eine Mahlzeit am Tag verzichten. (…) Einer Erhebung des Nationalen Statistikamtes (NSO) aus dem Jahr 2000 zufolge haben 24 Millionen Filipinos keinen sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und ebenso viele keine hygienischen Toiletten – einer der Hauptgründe für die Verbreitung von Infektionskrankheiten im Land.“ (Reese 2005, 46)
Hinzu kommt eine mangelhafte Versorgung mit Ärzten und Medikamenten. 2006 kam in den Philippinen auf 10.000 Einwohner 13 Krankenhausbetten, in Österreich sind es 76 (WHO Data 2008), was den Unterschied in der Gesundheitsversorgung sehr deutlich macht. Besonders problematisch auf den Philippinen ist, dass sich sowohl Ärzte als auch Krankenhäuser vor allem in Manila und den anderen Ballungszentren befinden und deshalb die Gesundheitsversorgung auf dem Land noch einmal schlechter ist, als die Zahlen bereits andeuten. Auch die Kosten, die für Gesundheit landesweit ausgegeben werden, sind auf den Philippinen extrem niedrig. Sie lagen laut Angaben des National Statistical Coordination Board (NSCB) 2004 bei 3,4 Prozent des Bruttosozialprodukts (NSCB 2004). Statistik Austria beziffert für Österreich den Anteil öffentlicher Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt im Vergleichsjahr mit 7,9% des BIP (Statistik Austria 2009).
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Während in Österreich das System, trotz einer Ergänzung bzw. Erweiterung durch private Versicherungen, nach wie vor ein solidarisches Gesundheitssystem und finanziell gut ausgestattet ist, sieht sich die staatliche Krankenversicherung PhilHealth massiven finanziellen Problemen ausgesetzt. Sie erstattet daher „bloß einige medizinische Grundleistungen und auch die nicht in voller Höhe“ (Reese 2005, 51). Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Einzahlungen vor allem auf Grund des geringen Einkommens und der festgesetzten Obergrenzen für die Beiträge entsprechend gering ausfallen. Eine solidarische Versorgung über die staatliche Krankenversicherung ist deswegen nur sehr bedingt möglich. Die Erfahrung von Ungleichheit im Gesundheitssystem ist deshalb eine sehr prägende auf den Philippinen. Während die reichen Einwohner sich über ihr Privatvermögen oder private Versicherungen absichern, ist eine solche Versorgung für die meisten Filipinos nicht möglich. Nicht zuletzt deshalb haben sich viele NGOs und Netzwerke gebildet, die im Gesundheitssektor wenigstens einen Beitrag zur Grundversorgung zu leisten versuchen, damit ein Stück weit soziale Ungleichheit gemildert wird (Angara 1992, 135ff.). Aber diese Maßnahmen sind oft nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn eine nachhaltige Gesundheitsversorgung ist sicherlich erst möglich, wenn die Grundbedingungen dafür auch von staatlicher Seite aus realisiert werden. Ein Recht auf Gesundheit lässt sich auf den Philippinen nicht verwirklichen, ohne die Primärversorgung mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln sowie gesundheitlich unbedenklichem Wohnraum sicherzustellen (vgl. das Kapitel zu Klimawandel und Gesundheit). Insofern ist die Erfahrung von basaler sozialer Ungleichheit neben den verschiedenen kulturellen Deutungen von Gesundheit und Krankheit (vgl. das Kapitel zu Gesundheit) sicherlich die wichtigste im Vergleich zwischen Österreich und den Philippinen.
3. Rechtliche Rahmenbedingungen auf den Philippinen Den oben dargestellten Problemen der Gesundheitsversorgung soll auf den Philippinen durch entsprechende Regelungen entgegengewirkt werden. Dazu wurden in den letzten Jahren von staatlicher Seite einige gesetzliche Regelungen auf den Weg gebracht. Zu nennen sind hier vor allem das Gesetz zum Versicherungsschutz, die Regelungen zum Umgang mit Generika sowie die Programme für eine bessere Stadt-Land Verteilung medizinischer Einrichtungen.
a) Die staatliche Krankenversicherung PhilHealth Durch den National Health Insurance Act von 1995 (Republic Act No. 7875) wurde ein erster Schritt in Richtung einer nationalen und übergrei-
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fenden Krankenversicherung für die gesamte Bevölkerung gesetzt. Eines der im Gesetz festgeschriebenen Ziele lautet: „The National Health Insurance Program shall give the highest priority to achieving coverage of the entire population with at least a basic minimum package of health insurance benefits.“ (Art. 1 Sec. 2b)
Das Ziel des Gesetzes ist, der gesamten Bevölkerung ein Mindestmaß an Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen, ohne von dieser dafür allzu hohe Kosten zu verlangen. Laut Gesetzestext wird angestrebt, dass der Versicherungsschutz flächendeckend für alle gilt, also auch für nicht erwerbstätige Personen. Die Versicherung ist als Solidargemeinschaft angelegt, in der gesunde für kranke Personen die finanziellen Mittel für die medizinische Versorgung aufbringen. Faktisch profitiert allerdings nur ein geringer Anteil der Bevölkerung von der Versicherung – NSCB gibt für 2008 einen Anteil von 76% an. Die finanziellen Ressourcen von PhilHealth sind dadurch limitiert. Zudem ist der Beitrag zur Krankenversicherung in zweifacher Hinsicht beschränkt: Er darf 3% des Einkommens nicht überschreiten und es gibt eine Beitragsbemessungsgrenze (Art.VII Sec.28). PhilHealth kann damit nicht auf ausreichende Finanzmittel zurückgreifen, um eine flächendeckende Versorgung zu finanzieren, ebenso fehlen Finanzmittel zum Erhalt und Ausbau von Versorgungseinrichtungen. Dies schlägt sich in den Zahlen zur Gesamtfinanzierung von Gesundheitsleistungen nieder. Staatliche Zuschüsse und Versicherungen machen demnach nur ca. 39% der Ausgaben im Gesundheitssektor aus (Reese 2005, 127). Der durch das Recht formulierte Anspruch einer umfassenden Versorgung wird faktisch also nicht eingelöst. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. So bedingen sich die z.T. schlechten Angebote medizinischer Versorgung in Einrichtungen vor allem auf dem Land und der geringe Anteil an Versicherten in der Bevölkerung gegenseitig. Eine Investition in ein Gesundheitswesen, das wenig Leistungen verspricht, scheint für die bislang nicht Versicherten wenig sinnvoll. Ebenso kann ein entsprechend unterfinanziertes System keine adäquaten Leistungen anbieten. Hierdurch verlagert sich für diejenigen, die es sich leisten können, die Gesundheitsversorgung auf den privaten Sektor.
b) Generika und billige Medikamente: Sparen durch Verzicht auf Markennamen Nicht nur in der Anbieterstruktur, die zunehmend auf einer privaten feefor-service Basis beruht (WHO 2008, 13), sondern auch in einer Dominanz von Marken-Medikamenten, die durch die Pharmaindustrie stark beworben werden (ebd., 12), zeigt sich, dass das philippinische Gesundheitswesen primär marktorientiert strukturiert ist. Durch den Generics
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Act von 1988 (Rep. Act 6675) versuchte die Regierung der Entwicklung der Arzneimittelpreise entgegen zu steuern, indem sie Generika einen Vorrang bei der Verschreibung und Nennung in allen medizinischen Einrichtungen einräumt. Apotheken müssen Listen veröffentlichen, die die Namen der Generika an prominenter Stelle offen legen und die entsprechenden Preise benennen (Rep. Act 6675, Sec. 6d). Die Förderung von Generika soll eine bessere Zugänglichkeit finanzierbarer Medikamente für die Bevölkerung ermöglichen. Allerdings zeigt sich, nicht zuletzt durch die Lobby der pharmazeutischen Industrie vermittelt, dass die Bevölkerung, wie in anderen Ländern auch, der Wirksamkeit von Generika misstraut und von sich aus auf den deutlich teureren Markenprodukten besteht (de la Cruz 2004). Die Möglichkeiten, von staatlicher Seite gegen die durch Werbemaßnahmen großzügig unterstützte diskursive Vorherrschaft von Markenprodukten vorzugehen, scheinen gering zu sein. Durch die mangelnde Umsetzung des Generics Act liegen die Kosten für Medikamente weiterhin deutlich über dem Niveau in anderen Ländern Südostasiens (de la Cruz 2004). Zwanzig Jahre nach dem Erlass des Generics Act wurde mit einem weiteren Gesetz, dem Universally Accessible Cheaper and Quality Medicines Act von 2008 (Rep. Act 9502) ein weiterer Vorstoß gemacht, einer breiten Bevölkerungsgruppe Medikament zu erschwinglichen Preisen zugänglich zu machen. Die Reaktionen hierauf sind verhalten bis negativ. Die grundsätzliche Zielsetzung wird zwar unterstützt. Allerdings wird auf die Abhängigkeit der Philippinen von internationalen Konzerngruppen verwiesen, die die Preise auf dem philippinischen Markt diktieren. Ohne eine entsprechende staatliche Unterstützung der lokalen Pharmaindustrie müssen die wesentlichen Medikamente weiterhin zum Großteil importiert werden (Salamat 2009). Medikamentenpreise landesweit durch staatliche Stellen zu regulieren, ist im Gesetz zwar vorgesehen, aber an die Zustimmung der Präsidentin gekoppelt. Das Vertrauen, dass diese eine Kontrollfunktion für das Gesundheitswesen übernehmen könnte, ist auf Grund ihrer sonstigen Verwicklung in Korruption und ihre Haltung zu marktliberalen Positionen erschüttert (Olea 2008). Dem Gesetz wird deshalb lediglich ein Feigenblattcharakter zugeschrieben.
c) Medizinische Versorgung in ländlichen Gebieten: Devolution Die Gesundheitsversorgung in städtischen wie ländlichen Gebieten sicherzustellen, ist eine der Herausforderungen jedes Gesundheitswesens. Die philippinische Regierung befasste sich in den frühen 1990er Jahren mit diesem Problem und legte mit dem Local Government Code von 1991 einen ersten Versuch vor, der starken Zentralisierung in den Städten entgegen zu wirken. Dabei war vor allem die Struktur der medizinischen Versorgung von diesen Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen. Länd-
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liche Gebiete sollten hiervon profitieren und die Gesundheitsversorgung insbesondere auf der lokalen und regionalen Ebene verbessert werden. Die hierfür eingesetzten Steuerungsinstrumente waren eine Umverteilung von finanziellen Ressourcen sowie die Verlagerung von Entscheidungsinstanzen weg vom Gesundheitsministerium und hin zu einer regionalen Verwaltungsebene. Als Ziel wurde angegeben, „to improve the efficency and effectiveness of health-service provision through reallocation of decision-making and resources to peripheral areas“ (Grundy et al. 2003, 4). Der große Unterschied hinsichtlich des Zugangs zu medizinischer Versorgung zwischen Stadt und Land sollte dadurch nivelliert werden. Dies bedeutete vor allem eine neue Strukturierung der Zuständigkeiten verschiedener medizinischer Einrichtungen. Nicht mehr das Gesundheitsministerium, sondern lokale Verwaltungseinheiten sind seither für Entscheidungen zuständig und können diese, so die Idealvorstellung, besser an lokale Bedürfnisse anpassen. Die Ergebnisse dieses Ansatzes von devolution waren eher ernüchternd. Grundy et al. halten in ihrer Evaluation dieser ersten Phase fest, dass sich die Versorgung durch die veränderte Gesetzeslage und neue Organisations- und Entscheidungsstruktur eher verschlechtert hat (Grundy et al. 2003). Insbesondere die veränderte Entscheidungsstruktur wird hierbei kritisiert. Die Unterscheidung zwischen ‚rural‘, ‚primary‘ und ‚secondary‘ Versorgungseinrichtungen nivelliert sich in der Praxis, was zur Folge hat, dass spezialisierte Verfahren – die Autoren beziehen sich als Beispiel auf einen Not-Kaiserschnitt – in keiner Einrichtung angeboten werden können. Politische Entscheidungsträger sahen sich daher vor die Frage gestellt, ob der gesamte Prozess der Dezentralisierung der medizinischen Versorgung wieder rückgängig gemacht werden sollte, oder in einer zweiten Phase Maßnahmen zur effektiveren Umsetzung der ursprünglichen Intention der Dezentralisierung auf den Weg gebracht werden sollten. Man entschied sich für den zweiten Weg der „Reintegration of systems through ‚making devolution work‘“ (Grundy et al. 2003, 8). Die Auswirkungen dieser zweiten Initiative, die 1998 begonnen wurde, bleiben abzuwarten. Das Problem der Versorgung auf dem Land hängt aber sicher auch mit dem bereits skizzierten Finanzierungsproblem zusammen. In Regionen, in denen Ärzte vor allem auf die Gelder der staatlichen Versicherung für ihr Einkommen angewiesen sind, weil die Bevölkerung arm ist und sich keine private bezahlte Behandlung leisten kann, ist es für Ärzte wenig attraktiv zu praktizieren.
4. Gesundheitswesen in Österreich In Österreich beruht das Krankenversicherungssystem auf der Pflichtversicherung aller Bürger. Hieraus werden die Mittel für das Gesundheitswesen vor allem gewonnen. Das österreichische Ministerium für
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Gesundheit und Frauen gibt 2005 an, dass schätzungsweise 98% aller Österreicher krankenversichert sind (2005, 51). Für nicht versicherte Personen übernimmt die Sozialhilfe die Kosten der Krankenbehandlung (Dimmel 2006, 304). Darüber hinaus sind ca. ein Drittel der Bevölkerung zusätzlich privat versichert, Tendenz fallend (ebd., 110). Die privaten Versicherungen decken spezielle Formen der Behandlung, aber auch zusätzliche Leistungen wie Einzelzimmer bei einem Spitalaufenthalt ab. Die Reduzierung der Kosten für Arzneimittel ist ein lang angelegtes Ziel der Gesundheitspolitik in Österreich. Die Kosten für Arzneimittel fallen dabei aber – anders als auf den Philippinen – für die Sozialversicherungsträger, nicht für die Individuen an. In Österreich sind die Preise für Arzneimittel staatlich reguliert. Die Preise liegen im Vergleich zu anderen europäischen Staaten im Mittelfeld (Dimmel 2006, 62f.). Auch in Österreich werden Generika als eine Möglichkeit angesehen, im Gesundheitssystem Kosten zu sparen. Hierfür soll der Anteil der Generika an eingenommenen Medikamenten langfristig erhöht werden. Bislang beträgt der Anteil 12,3% (Dimmel 2006, 62). Es werden verschiedene Maßnahmen diskutiert, um den Anteil von Generika zu erhöhen. Eine Möglichkeit wäre u.a., ähnlich wie in Deutschland, Apotheker zu verpflichten, Originalpräparate durch Generika zu ersetzen, sofern diese auf dem Markt sind. Dies ist in Österreich bislang nicht der Fall. Die Wahl eines verschreibungspflichtigen Medikaments liegt derzeit beim Arzt. Die Haltung der Bevölkerung gegenüber dem Ersatz von Originalpräparaten durch Generika ist skeptisch. Auch hier zeigt sich, ähnlich wie auf den Philippinen, ein größeres Vertrauen in Original- und Markenprodukte. Eine weitere Regelung zur Begrenzung der Kosten für Arzneimittel ist in Österreich die vorgeschriebene chefärztliche Bewilligung von besonders teuren oder anderweitig ausgezeichneten Medikamenten (ebd., 61). Bei diesen Produkten muss der behandelnde Arzt eine zusätzliche Genehmigung durch eine dafür bestellte Kontrollinstanz einholen, andernfalls übernimmt die Sozialversicherung die Kosten dafür nicht. Auch im dritten Punkt der strukturellen Regelungen gibt es Parallelen zwischen den beiden Ländern: Ähnlich wie auf den Philippinen ist auch in Österreich die flächendeckende Gesundheitsversorgung Aufgabe des Staates. Im seit 2006 als Planungsinstrument eingesetzten Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) wird von staatlicher Seite eine Leistungsangebotsplanung vorgenommen. Hierzu wird die Mindestversorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsdienstleistungen geplant (ebd., 58). Trotz der strukturellen Ähnlichkeiten hinsichtlich der Frage der flächendeckenden Gesundheitsversorgung, zeigt sich an dieser Stelle ein deutlicher Unterschied: Anders als auf den Philippinen wurde in Österreich ein zentrales Steuerungsinstrument gewählt, das in einem top-down Ansatz die Versorgungsleistungen für alle Regionen Österreichs festhält.
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5. Rechtliche Regelungen im Gesundheitswesen und Gerechtigkeit Das Gesundheitswesen eines Staates kann unterschiedlich organisiert sein. Fleischhauer unterscheidet drei Typen, nämlich das korporatistische, staatliche und dezentrale Modell (Fleischhauer 2007, 12). Das Gesundheitswesen in Österreich und das auf den Philippinen können als Repräsentanten des ersten und dritten Typs eingeordnet werden. In Österreich ist das Gesundheitssystem als Solidarsystem organisiert, in dem gesetzliche Regelungen und Planungen durch den Staat wesentliche Teilbereiche bestimmen. „Innerhalb des durch diese Gesetze vorgegebenen Rahmens werden die Einzelheiten dann durch Verhandlungen zwischen den Beteiligten geregelt.“ (Fleischhauer 2007, 12) Auf den Philippinen ist der durch die öffentliche Hand strukturierte Teilbereich deutlich kleiner, hier prägen vor allem Marktmechanismen das Gesundheitssystem. Gesundheitspolitik verfolgt in beiden Ländern ähnliche Ziele: Die verschiedenen Gesetze und Regelungen sollen vor allem eine flächendeckende Versorgung mit medizinischen Dienstleistungen sicherstellen. Hierfür müssen die notwendigen Mittel aufgebracht werden – aus privaten oder öffentlichen Kassen. Damit die stetig steigenden Kosten weiterhin gedeckt bzw. aufgebracht werden können, werden Kostenreduktionen in einzelnen Bereichen (z.B. Generika) diskutiert bzw. bereits vorgenommen, die allen zu Gute kommen sollen. Dabei entsteht allerdings oftmals ein Konflikt, weil den stetig wachsenden Möglichkeiten medizinischer Versorgung keine entsprechend wachsenden Mittel gegenüberstehen und Prioritäten gesetzt werden müssen. Die Gesundheitspolitik reagiert nun in unterschiedlichen Formen auf diesen Konflikt. In Österreich wird betont, dass die solidarische Gesundheitsversorgung eine große Errungenschaft ist und nicht nur zum Wohlstand der Gesellschaft, sondern auch zum inneren Frieden beigetragen hat. Heute werden allerdings Gegenstimmen laut, dass diese Errungenschaften sicherlich wichtig sind, dass aber eine Modifikation des Gesundheitssystems angesichts der aktuellen ökonomischen Herausforderungen unumgänglich ist. Da das Gesundheitswesen auf den Philippinen im Sinn des dezentralen Modells organisiert ist, muss die Diskussion über Veränderungen im Gesundheitswesen durch gesetzliche Regelungen vor allem unter der Rücksicht einer Marktperspektive als Eingriff in den freien Wettbewerb verstanden werden. Die Integration gering verdienender Bevölkerungsschichten in das Versorgungssystem wirft die Frage nach gesellschaftlicher Solidarität und Gerechtigkeit auf. Einzelne gesetzliche Regelungen können als Wechsel von Leistungsgerechtigkeit hin zu Bedarfsgerechtigkeit gelesen werden.
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Reformen können dabei grundsätzlich – unabhängig von der jeweiligen Gestalt des Gesundheitswesens in den Philippinen und in Österreich – ganz unterschiedlich ausfallen, beispielsweise in Form von Rationalisierung, d.h. einem effizienteren Einsatz der Mittel, der nicht notwendig zu Leistungskürzungen führen muss. Die Regelungen zu devolution und Generika können als solche verstanden werden. Einige Autoren (vgl. Bahro et al. 2001) argumentieren dagegen, dass jedes Gesundheitssystem, auch ein auf Vollversorgung angelegtes wie in Österreich, bereits heute implizite wie explizite Formen der Rationierung, d.h. der Begrenzung von Gesundheitsleistungen, vornimmt. Solche Rationierungen sind beispielsweise die Verweigerung von Leistungen über einer bestimmten Altersgrenze, die Ausdünnung von Maßnahmen oder längere Wartezeiten (Bahro et al. 2001, 50). Die Autoren fordern eine offene Diskussion über diese bereits vollzogenen und zukünftig notwendigen Formen der Rationierung. Dabei sollen stärker ökonomische Argumente in die Debatte über das Gesundheitswesen Einzug finden. Sie wenden sich gegen eine Verteilung nach einem rein egalitaristischen Prinzip. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass Verteilungsgerechtigkeit bedeuten solle, allen Menschen den absolut gleichen Zuschuss zur Begleichung ihrer medizinischen Kosten zu vergüten. Hier sind in der Zukunft gesundheitspolitisch diejenigen Wege konsequenter zu gehen, die für den Einzelnen einen höheren Selbstbehalt für Gesundheitsausgaben vorsehen. Bessere und höherwertige medizinische Leistungen, die letztlich alle Bürgerinnen und Bürger wünschen, rechtfertigen auch einen größeren eigenen Aufwand, sie zu bezahlen. Dies kann zur Folge haben, dass Menschen, die ‚von Natur aus‘ kränker sind oder die beispielsweise während Kindheit oder Adoleszenz eine Krankheit mit Spätfolgen erleiden und sich einer über Jahre andauernden Behandlung unterziehen müssen, relativ mehr für ihre Gesundheit aufwenden müssen als Gesunde. Chancengleichheit hinsichtlich des Zuganges zu medizinischen Leistungen darf nicht verwechselt werden mit Gleichheit der Individuen generell.“ (Bahro et al 2001, 54)
Aus dieser ökonomischen Logik wird auch die Notwendigkeit von Anreizsystemen gefolgert, welche die Eigenverantwortung der Bürger im Bezug auf ihre Gesunderhaltung fördern sollen. Gesundheit wird damit stärker als ein privates Gut konzeptualisiert. Zwar werden von vielen Autoren Grundformen solidarischer Grundversorgung nach wie vor gefordert, diese sollen aber gegenüber der momentanen Form eines korporatistischen Gesundheitssystems deutlich eingeschränkt werden. Kersting plädiert für ein minimalistisches, kollektiv finanziertes System zur Verteilung der Gesundheitsleistungen, weil nur so eine faire Verteilung möglich wird und das Problem der knappen Ressourcen nachhaltig angegangen werden kann (Kersting 2002). Über diese Minimalversorgung hinaus sollen dann private Systeme der Gesundheitsversorgung etabliert werden. Die Situation auf den Philippinen verdeutlicht allerdings – neben dem offenkundigen Mangel an medizinischer Versorgung in einigen Bevölke-
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rungsteilen –, dass eine marktorientierte Ausrichtung des Gesundheitswesens erstens zu anderen Verteilungsstrukturen und damit neuen Gerechtigkeitsfragen führt. Zweitens wird deutlich, dass in einem marktorientierten System die ökonomische Logik nicht nur Fragen von Angebot und Nachfrage bei Gesundheitsdienstleistern betrifft. Vielmehr sind auch Dimensionen von Public Health betroffen, d.h. der Ermöglichung von Gesundheit, beispielsweise durch Ernährungssicherheit oder Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Gesunderhaltung, wie sie aus einer in Public Health Perspektive wünschenswert wäre, wird ebenso wie der Zugang zur Gesundheitsversorgung zum privaten Gut und damit als Frage der sinnvollen Investition behandelt. Solange aber die Grundversorgung mit lebensnotwendigen Gütern wie sauberem Trinkwasser und ausreichender Nahrung für einen Teil der Bevölkerung ein Problem darstellt, wird damit ärmeren Bevölkerungsgruppen eine doppelte Last zugemutet, denn diese muss sich um die Gesunderhaltung und die medizinische Versorgung selbst kümmern. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ausgangslage der Gesundheitsversorgung und die ökonomischen Möglichkeiten einer solidarischen Gesundheitsversorgung einen wesentlichen Unterschied zwischen Österreich und den Philippinen darstellt. Darüber hinaus wird die Frage nach der politischen Organisation des Gesundheitswesens in den beiden Kulturen je anders beantwortet. Dies liegt wiederum zum einen daran, auf welchem Verständnis von Gesundheit und solidarischer Verteilung die Gesellschaften aufbauen. Zum anderen spielen aber auch rein ökonomische Aspekte eine wichtige Rolle. Auf den Philippinen stehen deutlich weniger finanzielle Ressourcen zur Verfügung, ein solches solidarisches Gesundheitssystem zu etablieren, so dass die Ausgangslage zur Realisierung eines solchen Systems bereits grundlegend verschieden ist. Ein enges Verständnis der Aufgaben eines Gesundheitssystems kann im Rahmen einer (durchaus sinnvollen) Rationierungsdebatte allerdings dazu führen, die wesentlichen Fragen von Gesundheit und Gerechtigkeit, nämlich die Bedingungen für Gesundheit im Alltag, aus dem Blick zu verlieren.
II. Organtransplantation Der Bereich der Organtransplantation ist Gegenstand von anhaltenden wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten, sowohl in Österreich als auch in den Philippinen. Diese Debatten spielen sich in unterschiedlichen Rahmen ab. In Österreich gab und gibt das Ganzhirntodkriterium, welches den Tod des Menschen feststellt, Anlass zu argumentativer Auseinandersetzung. Außerdem stellen sich Fragen bezüglich einer gerechten
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Verteilung der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Organe. In den Philippinen dagegen steht der Umgang mit Organhandel im Brennpunkt. Im Folgenden wird zuerst die ethische Diskussion in Österreich im Kontext des deutschsprachigen Raumes wiedergegeben. Dabei werden der Reihe nach die in Österreich geltende Widerspruchslösung, die Debatte um den Hirntod, Fragen bezüglich der Lebendspende und die europäische Antwort auf die Herausforderung der Verteilungsgerechtigkeit diskutiert.23 Die Frage nach einer möglichen Kommerzialisierung der Organspende (und wie sie mehr oder minder einhellig im europäischen Raum beantwortet wird) leitet über zum philippinischen Diskurs. Auf diesen wird zum einen unter der Frage nach kulturellen Vorbehalten gegenüber der Totenspende eingegangen. Zum anderen wird die auch in der philippinischen Öffentlichkeit diskutierte Frage nach einer möglichen Kommerzialisierung der Lebendspende erörtert. Abschließend werden die Fragestellungen im Bereich der Organspende aus gerechtigkeitstheoretischer Sicht evaluiert.
1. Organtransplantation in Österreich a) Gesetzliche Regelung in Österreich: Widerspruchslösung Der in der Medizinethik in Österreich geführte Diskurs zur Transplantationsmedizin deckt eine Bandbreite von verschiedenen Fragen ab. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es sich bei der Transplantationsmedizin um eine Teildisziplin der Medizin handelt, welche somit Heilung und Lebensrettung zum Ziel hat. Die Transplantationsmedizin entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zuerst experimentell und ist seit den 1980er Jahren ein bedeutender Zweig der Medizin, als es gelang durch das Medikament Cyclosporin A die immunologische Abstoßungsreaktion nach einer Transplantation zu unterdrücken. Die Zahl der Organtransplantationen ist jedoch vor allem durch die beschränkte Zahl der zur Verfügung stehenden Organe limitiert. So konnten beispielsweise 2007 in Deutschland von 12.000 Organbedürftigen nur 4.000 mit einem 23 So strukturiert Siep in seiner Einleitung zum von Ach und Quante herausgegebenen Buch zum Hirntod und Organverpflanzung die moralischen Fragen in vier Gruppen: i) Lebendspende, ii) Totenspende und damit die mit dem Hirntod aufgeworfenen Fragen, iii) Sonderfälle wie die Transplantation von Hirngewebe abgetriebener Embryonen, und schließlich iv) die Gefahren einer Kommerzialisierung (Siep 1997, 13). Auf die Sonderfälle wird im Folgenden nicht eingegangen, da sie im Diskurs auf den Philippinen keine Relevanz haben, insbesondere weil jede Abtreibung illegal ist und daher kein Zugang zu abgetriebenen Embryonen vorhanden ist. Zu einer Diskussion dieser Sonderfälle siehe Körtner 2004, 127ff.
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neuen Organ versorgt werden (Kreß 2009, 217). Zwar ist Österreich hinter Spanien europaweit mit 40 Nierentransplantationen pro Million Einwohner führend, jedoch sterben trotzdem etwa 100 Menschen jährlich auf der Warteliste. Rechtlich gilt in Österreich die sogenannte Widerspruchlösung. Diese besagt, dass Verstorbenen Organe entnommen werden können, wenn damit das Leben anderer Menschen gerettet werden kann. Jedoch ist laut österreichischem Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz die Organentnahme „unzulässig, wenn den Ärzten eine Erklärung vorliegt, mit der der Verstorbene, oder, vor dessen Tod, sein gesetzlicher Vertreter eine Organspende ausdrücklich abgelehnt hat.“ (§62a KAKuG) Obwohl rechtlich nicht zwingend notwendig, werden in der Praxis bei NichtVorliegen einer Erklärung die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen befragt und somit um Zustimmung zur Organentnahme gebeten. Diese sogenannte erweiterte Widerspruchslösung unterscheidet sich vom Vorgehen anderer Staaten darin, das in Österreich der Organentnahme aktiv widersprochen werden muss und eine Nicht-Äußerung als Zustimmung gewertet wird. In Deutschland oder der Schweiz, aber auch auf den Philippinen, muss einer Organentnahme durch den Verstorbenen oder dessen Angehörigen aktiv zugestimmt werden. Steht man einer Organspende ablehnend gegenüber, so hat man in Österreich die Möglichkeit, sich in ein staatlich geführtes Widerspruchsregister einzutragen, welches vor einer möglichen Organentnahme konsultiert wird. Die Widerspruchslösung erstreckt sich auf alle in Österreich verstorbenen Personen unabhängig davon, ob sie Österreicher sind, in Österreich leben oder nur auf Reise bzw. Durchreise sind. Des Weiteren legt das Gesetz fest, dass der Tod von einem Arzt festgestellt werden muss, der nicht an der Transplantation beteiligt ist. Jeglicher Handel mit menschlichen Organen ist untersagt. Die Widerspruchslösung, so wird argumentiert, hat den Vorteil, zu einem erhöhten Organaufkommen und dadurch zu verbesserten Möglichkeiten für die Transplantationsmedizin zu führen. Jedoch ist mit Verweis auf das Prinzip der Autonomie zu fragen, ob mit einem fehlenden Widerspruch der über den Tod hinausreichender Selbstbestimmung des Menschen genüge getan wird. Schließlich lässt sich nicht davon ausgehen, dass die Gesetze, welche die Organtransplantation regeln, allen in Österreich sich aufhaltenden Menschen bekannt sind. Andererseits könnte man argumentieren, dass diejenigen, welchen ihre körperliche Integrität nach dem Tode wichtig ist, sich über die Gesetzeslage informieren und willentlich dazu Stellung nehmen. Wie man sich in dieser Debatte positioniert, hängt unter anderem auch davon ab, welche Einschätzung man zur Transplantationsmedizin im Allgemeinen und zum Hirntodkriterium im Speziellen hat.
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b) Die Debatte um den Hirntod Die meisten Spendeorgane in Europa stammen von Toten. Trotz einer wachsenden Anzahl von Lebendspenden bei Nierentransplantationen beträgt der prozentuale Anteil am Gesamttransplantationsvolumen in Österreich zurzeit nur etwa 15% (Meinhart 2008). Bei der Totenspende ist der Ganzhirntod notwendiges Kriterium zur Organentnahme. Dieses Ganzhirntodkriterium steht bis heute in der Kritik. Dabei wird vor allem argumentiert, dass mit dem Tod des Gesamtgehirns der Organismus noch nicht vollständig abgestorben ist. In der Diskussion um die Organtransplantation wird unter anderem die Position vertreten, dass der Hirntod des Menschen von seinem Tod zu unterscheiden ist, weil es sich dabei um eine (wenn auch späte) „Zäsur intra vitam“ (Kreß 2009, 226) handelt. Wendet man das Hirntodkriterium an, so erklärt man Menschen an einem noch zum Leben gehörenden Punkt im Sterbeprozess für tot (Quante 1997, 27) – zeigt doch die hirntote Person noch organische Reaktionen auf die Umwelt, wie beispielsweise ein gelegentlich vorkommender Blutdruckanstieg oder Schwitzen bei der Organentnahme (Kreß 2009, 226). Die Konsequenz eines solchen Todesverständnisses zieht entweder eine massive Erschwerung bis zu einer Verunmöglichung der Organentnahme nach sich, oder aber es wird in der Organentnahme die eigentliche Todesursache gesehen. Das Hirntodkriterium schlägt das irreversible Koma als Kriterium für den Tod des Menschen vor. Dieses besteht in einem irreversiblen Ausfall des Großhirns als auch des Hirnstamms. In der österreichischen medizinischen Praxis orientiert man sich hierbei am Beschluss des Obersten Sanitätsrates von 1997. Der Hirntod muss in Österreich nach Krankenanstaltengesetz von einem „zur selbständigen Berufsausübung berechtigte[n] Arzt“ (§62a2) festgestellt werden. Jedoch empfiehlt der Oberste Sanitätsrat, dass der Tod von zwei Ärzte mit Erfahrung in der Beurteilung von schweren Hinschädigungen festgestellt werden sollte. Des Weiteren wird Befürwortern des Hirntodkriteriums vorgeworfen, dass es einen cartesischen Dualismus zwischen Geist und Materie, zwischen Gehirn und Organismus, wieder aufleben lässt, in welchem das Gehirn gegenüber dem Organismus überschätzt wird (Hoff/Schmitten 1994). Eine solche Perspektive auf den Hirntod argumentiert, dass in vielen Kulturen das Herz als das Zentrum der menschlichen Individualität angesehen wird. Nur müsste eine solche Argumentation wiederum die kontinuierliche Identität nach geglückter Herztransplantation erklären. Hans Jonas sieht im Hirntodkriterium eine Wiederkehr „des alten Leib-Seele-Dualismus“ in Form eines „Dualismus von Körper und Gehirn“: „Wenn das Gehirn stirbt, ist es so, wie wenn die Seele entfloh: was bleibt, sind die ‚sterblichen Überreste‘.“ (Jonas 1985, 234). Jonas gesteht dem Gehirn jene entscheidende Funktion schon zu, empfiehlt jedoch, den darauf folgenden natürlichen Tod nicht aufzuhalten. Für Jonas wirkt
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in diesem toten Körper, welcher so unverwechselbar identisch mit demjenigen der abgelebten Person ist, die Individualität nach, welche es verbietet, ihn als bloßes Mittel zu gebrauchen. Anders gewendet kann man dem Hirntodverständnis vorwerfen, dass es das Subjekt des Todes nicht klar und deutlich benennen kann, geht es doch von einem Tod des Gehirns bei fortlaufendem Leben des Organismus aus. Die Einheit des Individuums hingegen verlangt nach einer Benennung eines Subjekts des Todes und kann eine endgültige Aufteilung in ein mentales und organisches Moment nicht annehmen (Birnbacher 2007, 264). Schließlich ist – gerade im Hinblick auf die später zu diskutierenden kulturellen Eigenheiten der Philippinen – ein letzter Einwand zur Kenntnis zu nehmen, welcher auf den Menschen als relationales Wesen verweist. Die Würde des Menschen macht vor der Respektierung von autonomen Handlungsabsichten und der Fähigkeit zu selbstbestimmten Handeln „die leibliche Begegnung mit dem Anderen“ aus: „Daher kann vom Tode des Anderen so lange nicht die Rede sein, wie er uns als leibliche Einheit entgegentritt“ (Hoff/Schmitten 1994, 200). Die Wahrnehmung des leiblichen Anderen wird so zu einem wesentlichen Kriterium des Menschseins. Nun erscheint der Andere uns im Falle des Hirntodes noch keinesfalls als Leiche, sondern hat vielmehr durch den intakten Organismus noch alle Zeichen des vorher bekannten Angehörigen. So gestehen auch Befürworter des Hirntodkriteriums zu, dass dadurch das landläufige Verständnis davon, was eine Leiche ist, verändert wird. Es besteht eine „phänomenale Fremdheit“ (Quante 1997, 22) zum durch das Hirntodkriterium festgestellten Tod. Der hirntote Mensch ist der Körper eines Toten, jedoch kein toter Körper (Kreß 2009, 225). Diese Kritik des Hirntodkriteriums ist vor allem in einem interkulturellen Kontext ernst zu nehmen. So ist, laut Kreß (2009, 219), dieses Kriterium nicht „selbstverständlich“ sondern „kulturrelativ“. „Der Tod ist kein naturwissenschaftliches Faktum (…) Er ist ein soziokulturelles Phänomen.“ (Hoff/Schmitten 1994, 10) Zum einen hat erst in der europäischen Neuzeit das Gehirn das Herz als Zentrum des Menschen abgelöst, zum anderen haben andere Kulturen andere Todesverständnisse. So ist traditionell im Fernen Osten ein Todesverständnis üblich, in welchem die Seele über einen längeren Zeitraum aus dem Verstorbenen entweicht und dadurch der Verstorbene in der Gemeinschaft aufgehoben bleibt (Kreß 2009, 220). So verhält es sich bei philippinischen Bergvölkern, in welcher Tote ihre soziale Stellung nach dem Tod beibehalten. Die Präsenz des Geistes des Menschen wird über seinen leiblichen Tod hinaus wahrgenommen – den Segen erhofft man sich, vor der Eifersucht und Rache des Toten fürchtet man sich. Nicht nur bereitet sich ein alternder Mensch bewusst auf seinen eigenen Tod und seine Beisetzung vor, es kommt auch vor, dass die eigene Bestattung schon zu Lebzeiten gefeiert wird (Neu 2001, 495). So berichtet Rainer Neu von einer Art Bestat-
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tungsritual bei den Igorots in der Cordilliera im Norden der Philippinen, welches noch zu Lebzeiten stattfindet. Durch dieses Ritual könne der Tod herbeigeführt werden, so die Vorstellung. Der Tod stellt dabei den Eingang in die Gemeinschaft der Ahnen dar. „Die Diskontinuität der körperlichen Form wird überlagert von der Kontinuität des seelisch-geistigen Weiterlebens und der Fortdauer der sozialen Gemeinschaft.“ (Neu 2001, 496)
Interessanterweise finden sich auch in Österreich solche sozialen Konstruktionen des Todes, wenn beispielsweise das eigene Grab schon zu Lebzeiten gepachtet, mit beschriftetem Grabstein versehen und selber gepflegt wird. Festzuhalten bleibt daher, dass wie die Begriffe Gesundheit und Krankheit, so der Tod nicht bloß auf eine physische Begebenheit Bezug nimmt, sondern im jeweiligen kulturellen Kontext unterschiedlich verstanden und folglich verschieden damit umgegangen wird (vgl. das Kapitel zu Gesundheit). Dies heißt nun nicht, dass die gegen den Hirntod vorgebrachten Vorwürfe im Raum stehen gelassen würden, lassen sie sich doch immanent kritisieren. Pöltner legt aus phänomenologischer Perspektive beispielsweise dar, wie der Hirntod als Tod des Menschen zu verstehen ist. „Leben ist keine Eigenschaft des Menschen, sondern seine Existenzweise.“ (Pöltner 2006, 231) Das Leben des Menschen wird durch den irreversiblen Funktionsausfall des Gehirns, welche den Leib, den man hat und ist, steuert, beendet. Durch das Versagen des zentralen Steuerungsorgans wird „die dynamische Einheit des Lebens selbst vernichtet“ (Pöltner 2006, 233). Weniger phänomenologisch, mehr technisch argumentiert, lässt sich herausstreichen, dass die Dualität von totem Gehirn und lebendigem Organismus nur insofern besteht, als der Organismus künstlich am Leben erhalten wird. Ohne diese künstliche Stabilisierung von außen bedeutet das Ende der Gehirnaktivität den unweigerlichen organischen Tod. Insofern ist der Verweis auf die Dualität von Gehirn und Organismus irreführend. Was das relationale Personenverständnis betrifft, so ist zu fragen, ob das Menschsein als Verhältnisbestimmung hinreichend erfasst ist. Obwohl das soziale Anerkennungsverhältnis wesentlich zum Menschsein gehört, so ist doch auch nach einer inhärenten Substanz zu fragen, welche das Menschsein konstituiert. Würde doch ein einsam sterbender Mensch nicht schon durch die bloße Tatsache, dass er alleine ist, sein Menschsein schneller verlieren. Der relationale Einspruch kann jedoch einen wichtigen Impuls in der Diskussion um die Einwilligung zur Organspende geben. Auch wenn die in Österreich praktizierte Widerspruchslösung, welche bei keiner vorliegenden Willensäußerung für oder gegen eine Organspende von seiner Zustimmung ausgeht, es nicht verpflichtend nahe legt, die Angehörigen zu fragen, so erscheint es aus der relationalen Perspektive doch sinnvoll. In der klinischen Praxis werden
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denn auch die Angehörigen zumeist um ihre Zustimmung gebeten. Mit dieser erweiterten Widerspruchslösung bürdet man jedoch auch den Angehörigen in einer schweren Stunde eine Entscheidung auf.
c) Eine familiäre Begrenzung der Lebendspende? Bei der Lebendspende von Organen – v.a. der Nierenspende, aber auch einer Teilleberspende – stellt sich die Frage nach der adäquaten Regulierung. Um sich dieser Frage zu nähern, ist die Betrachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen hilfreich. Ein Vergleich der drei deutschsprachigen Länder zeigt die unterschiedliche Gewichtung ethischer Bedenken. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Schweiz erlauben nicht nur die gerichtete Spende, sondern auch die ungerichtete anonyme Spende. In der gerichteten Spende kennen sich Spender und Empfänger und sind verwandtschaftlich und/oder emotional miteinander verbunden. Am häufigsten wird so direkten Verwandten – Kindern, Eltern, Geschwistern – und Ehepartnern gespendet. Unter die gerichteten Spenden fallen auch die sogenannten Cross-over-Spenden, in welcher zwei Paare, die dem jeweiligen Partner nicht spenden können, dem jeweils anderen spenden (SAMW 2008, 11). Auch ist in der Schweiz die selten vorkommende nicht-gerichtete Spende erlaubt, in welcher jemand zumeist aus religiösen und/oder altruistischen Motiven spendet. Jedoch ist in diesen Fällen ein größeres Augenmerk auf die Motivation, die nach den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in jedem Fall zu erfragen und überprüfen ist, zu legen. Gegebenenfalls sei eine zusätzliche psychosoziale Abklärung vorzunehmen (SAMW 2008, 11). Die gesetzliche Regelung schließt auch die Spende durch einen im Ausland wohnhaften Spender nicht aus, was faktisch auf jeden sechsten Spender zutrifft (SAMW 2008, 12). Der Spende hat eine umfassende Aufklärung über die Konsequenzen der Spende vorauszugehen. Die Abklärung soll die Urteilsfähigkeit des Spenders, seine Motivation, seine Lebensumstände, die Beziehung zum Empfänger, der Verlauf des Entscheidungsprozesses und die Erwartung an die Organspende umfassen (SAMW 2008, 13). In Deutschland wird die Lebendspende deutlich restriktiver gehandhabt. Ungerichtete Spenden sind nicht erlaubt. Bei der gerichteten Spende muss eine persönliche Verbundenheit vorliegen. Der deutsche Gesetzgeber formuliert dies folgendermaßen: „Die Entnahme einer Niere, des Teils einer Leber oder anderer nicht regenerierungsfähiger Organe ist darüber hinaus nur zulässig zum Zwecke der Übertragung auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe stehen.“ (TPG §8)
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Damit soll verhindert werden, dass Fremde durch Druck von außen zur Organspende gezwungen werden. Werden diese Einschränkungen nicht gemacht, so argumentiert der Gesetzgeber, droht eine Kommerzialisierung der Organübertragungen und in der Folge ein Organhandel. Insofern ist es auch Aufgabe des Staates, seine Bürger davor zu schützen, sich selbst zu schädigen. In Österreich schließlich gelten keine gesetzlichen Beschränkungen der Lebendspende. Jedoch werden in der Praxis Lebendspenden nur zwischen verwandtschaftlich oder emotional nahestehenden Angehörigen durchgeführt.24 Über lange Zeit lag jedoch die Lebendspende in Österreich bei Nieren konstant bei 5%. Es war die öffentlichkeitswirksame Nierenspende, die Niki Lauda im Jahre 1997 von seinem Bruder bekommen hat, welche das Augenmerk verstärkt auf diese Möglichkeit lenkte. In den folgenden Jahren verdoppelte sich der Anteil der Lebendspenden auf 10% (Niehaus 2004). Schon mit einem Blick auf die spätere den Philippinen gewidmete Diskussion ist zu fragen, ob nicht im familiären Kontext Druck-, Verpflichtungs- und Loyalitätsverhältnisse wirken, welche eine Lebendspende problematisch erscheinen lassen. Oft sind diese Abhängigkeitsmechanismen und Verpflichtungsnormen nicht einfach festzustellen. In den Philippinen wird die eigene Identität viel stärker über die Familienidentität bestimmt, als das im westlichen Kulturkreis der Fall ist. Die Migrationserzählungen von Arboleda, Nuqui und Panao (Arboleda/Nuqui 2007; Nuqui/Panao 2008) folgen häufig einem Erzählmuster, in welchem die Arbeit im Ausland als Opfer zum Wohl der Familie interpretiert wird. So wird denn auch im philippinischen Bioethikdiskurs zur verwandten Lebendspende auf die Familiendynamik hingewiesen, welche eine Ablehnung zu spenden unter Umständen erschwert. „Coercion is a real danger among family members. The authority of family head, close family ties and ‚utang na loob‘ (debt of gratitude) cultural characteristics among Filipinos strongly influence a donor’s capacity to refuse.“ (Alora 2006, 58)
Im Lichte eines Familienverständnisses, welches deutlich höhere familieninterne Loyalität erwartet, sind die auf Selbstbestimmung basierenden Richtlinien beispielsweise der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften nur schwer anzuwenden. Diese nehmen zwar wiederholt Bezug auf die spezielle Situation von ausländischen Spendern und Empfängern, werden wohl aber nicht mit den institutionellen Instrumentarien Missbrauch im Sinne des Gesetzgebers verhindern können. 24
Vergleiche beispielsweise das Positionspapier von Roche Österreich, unter: http://www.roche.at/portal/eipf/austria/ap/roche.at/Transplantation (abgerufen am 30.10.2009).
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2. Fragen der gerechten Verteilung von Organen Aus gerechtigkeitstheoretischer Sicht ist die Frage nach der Verteilung der in beschränktem Ausmaß zur Verfügung stehenden Organe sicherlich die Hauptfrage. Angesichts einer stagnierender Anzahl postmortaler Spender und nur schwach steigender Lebendspender bei gleichzeitigem deutlich zunehmendem Organbedarf erfährt die Frage nach der gerechten Verteilung der knappen Organe eine erneute Aktualität. Im Bereich von Eurotransplant, welchem zurzeit Österreich, Deutschland, die Beneluxländer, Slowenien und Kroatien angehören, wurden im Jahre 2008 rund 6.000 Transplantationen von toten Spendern durchgeführt von denen gut die Hälfte Nierentransplantationen und ein Viertel Lebertransplantationen waren. Gut 15.000 Personen sind auf der Warteliste.25 Eurotransplant ist für die Verteilung der knappen Ressourcen zuständig. Dabei werden folgende Kriterien herangezogen, um die Verteilung möglichst gerecht und effizient zu gestalten: Blutgruppe, Gewebeeigenschaft, je nach Organ Gewicht bzw. Größe, Dringlichkeit und Wartezeit.26 Mit Bezug auf die Nierenspende, schreibt Wiesing, überlagern sich bei der europäischen Vergabepraxis verschiedene ethische Prinzipien, die teilweise in einem Spannungsverhältnis stehen: „Man versucht das Prinzip des größtmöglichen individuellen Nutzens mit den Prinzipien der Gleichheit der Bedürftigen, der Chancengleichheit bei Immunisierung und der Schadensvermeidung zu kombinieren.“ (Wiesing 1997, 236) Während die HLA-Komptabilität auf den größeren individuellen Nutzen abzielt, versucht die Warteliste eine maximale Gleichheit herzustellen. Jedoch wird die Warteliste wiederum in zwei Dringlichkeitsstufen unterteilt, mit dem Ziel den Schaden durch den „Tod auf der Warteliste“ zu minimieren. Der gesellschaftliche Nutzen im Sinne der erwarteten Restlebensjahre, dem zu erwartenden Beitrag zur Gesellschaft – Nobelpreisträger vs. Sozialhilfeempfänger – oder der finanziellen Möglichkeiten des Empfängers spielen dabei keine Rolle. Würden diese Aspekte mit erfasst, so wäre die unausweichliche Konsequenz eine Diskriminierung auf Grund von Alter, Reichtum oder gesellschaftlichem Status. Das bis vor kurzem Menschen jenseits des 65. Altersjahr kaum Chancen auf eine Nierenspende hatten, lag nicht an der erwarteten Restlebensdauer, sondern vielmehr an dem gestiegenen Infektionsrisiko, welche eine sorgfältige Risikoabwägung vor der Aufnahme in die Warteliste nahe legt (Werner/Schubert 2002, 327).
25 Vgl. http://www.eurotransplant.nl/files/statistics/year_2008.pdf (abgerufen am 30.10.2009). 26 Vgl. http://www.eurotransplant.nl/?id=arbeitsverfahren (abgerufen am 30.10.2009).
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3. Kommerzialisierung menschlicher Organe? Was die Kommerzialisierung menschlicher Organe betrifft, sind verschiedene Grade der finanziellen Entschädigung und deren ethische Zulässigkeit zu unterscheiden. Das Anliegen der Befürworter einer maßvollen Kommerzialisierung ist, ein Anreizsystem zu schaffen, welches den Pool von zur Verfügung stehenden Organen vergrößert. So könnten in Deutschland alleine durch eine offensivere „Politik der Organbeschaffung jährlich etwa tausend Patienten vor dem Tode bewahrt werden“ (Schöne-Seifert 2007, 37). In diesem Kontext stellt sich die Frage nach einer Liberalisierung der restriktiven Regeln der Organspende, welche auch durch finanzielle Anreize ein höheres Organaufkommen schaffen. Während ein freier Handel mit Organen unisono abgelehnt wird, werden durchaus Argumente vorgebracht, die für die ethische Zulässigkeit einer Aufwandsentschädigung sprechen. Das Ziel ist dabei eine Erhöhung der Organspendebereitschaft. Jedoch stellt sich die ethische Frage, in welchem Umfang eine Aufwandsentschädigung noch keinen finanziellen Anreiz stellt, so man denn finanzielle Anreize als ethisch unzulässig beurteilt. Schneider systematisiert die verschiedenen Formen der Lebensspende wie folgt: 1) genetisch verwandte Spenden, 2) emotional verbundene Spenden, 3) altruistische Spenden, 4a) Spenden mit finanzieller Kompensation, 4b) Spenden mit finanziellen Anreizen, 5) vollständige Kommerzialisierung der Spende, und 6) kriminelle Lebendspende durch Kidnapping (Schneider 2003, 198). Wie oben gesehen ist man sich über die Zulässigkeit von 1) und 2) (und im Falle der Handhabung der Schweiz auch 3) einig und will 5) und 6) in aller Regel verhindern. Also stellt sich die Frage nach dem angemessenen Umgang mit 4), welches in der internationalen Diskussion auch als rewarded gifting (honoriertes Geben) bezeichnet wird. Dieses lässt sich in zahllose verschiedene Stufen unterteilen. Dabei wird zumeist argumentativ versucht darzulegen, dass die an sich altruistische Motivation durch finanzielle (oder andersförmige) Unterstützung gestärkt wird. Der Altruismus werde „monetär ergänzt“ (Schneider 2003, 199). International wird dies auch unter der Frage diskutiert, ob solche Maßnahmen als Anreize oder als Behebung von Abschreckungen (disincentives) zu werten sind. Wenn beispielsweise einem Organspender in einem Land ohne Krankenversicherung kostenlose Gesundheitsversicherung angeboten wird, um das Gesundheitsrisiko der Organspende auszugleichen, ist das dann ein Anreiz oder die Entfernung eines Abschreckmittels? (Nullis-Kapp 2004). Nun wird kein Befürworter der Schaffung eines finanziellen Anreizes für eine unreglementierte Freigabe der Organspende bzw. -verkaufs optieren. Diskutiert wird zumeist vielmehr ein staatlich regulierter Ankauf von Organen, in welchem die Kosten durch das solidarisch organisierte Gesundheitssystem getragen würden. Dies würde sich, so die Argumentation, auch finanziell rechnen,
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weil die Dialysekosten über mehrere Jahre die Transplantationskosten übersteigen (Oduncu 2003, 19). Einig sind sich alle in ihrem Ablehnung einer vollständigen Liberalisierung der Organspende: „Der Handel mit Körpersubstanzen oder Körperteilen muss untersagt bleiben.“ (Irrgang 2005, 110) Gegner einer solchen Entschädigungszahlung der Organspende wenden dagegen ein, dass durch die finanziellen Anreize die altruistische Spende zurückgehen würde. Das Beispiel Iran scheint zu zeigen, dass diese Befürchtung nicht vollkommen unbegründet ist, sei doch im Zuge einer finanziellen Entschädigung der Spender „die Bereitschaft zur Organspende im Verwandtenkreis dramatisch abgesunken“ (Eich 2007, 312). Zudem führe eine finanzielle Entschädigung zu einer Ausbeutung der Armen, welche sich in der Not mit nichts anderem als dem Verkauf ihrer Organe zu helfen wüssten. Es ist dieses Argument, welches mit Blick auf die philippinische Situation besonderes Gewicht hat und in diesem Kontext später aufgegriffen und diskutiert werden wird.
4. Organspende auf den Philippinen a) Regelungen und Praxis Spricht man von der Organspende in den Philippinen, so muss zuerst das Offensichtliche ausgesprochen werden, nämlich, dass die überwältigende Anzahl der Menschen sich alleine schon die Operationskosten für eine Organtransplantation finanziell nicht leisten kann. So schreibt das Council for Health and Development, die nationale Organisation von kommunalen, staatsunabhängigen Gesundheitsinitiativen in den Philippinen, dass die Behandlung von Nierenkrankheiten sehr teuer bis unbezahlbar ist (CHD Bulletin 2009).27 Bei Nierentransplantationen wird, so die finanziellen Rahmenbedingungen stimmen, zumeist eine Lebendspende von einem verwandten oder unverwandten Spender benützt. Nur rund 5% der transplantierten Organe stammen dabei von Toten (Mendoza 2009). Kann man sich eine Transplantation nicht leisten, so bleibt als Möglichkeit die Dialyse. So vermeldet die Nationale Gesundheitsversicherung PhilHealth, dass sie im Jahr umgerechnet rund 6 Millionen Euro für 180.000 Dialyse Behandlungen bezahle (Basa 2008).28 Dieser Betrag deckt
27 Wobei die Dialysekosten in den Philippinen mit umgerechnet rund 10.000 Euro (540.000 bis 792.000 Pesos) für Behandlung und Medikation pro Patient und Jahr im Vergleich zum europäischen Maßstab tief sind, betragen hier doch die Kosten ein Vielfaches davon (CHD Bulletin 2009). 28 „In 2007 alone PhilHealth has paid some P413 million for 180,000 dialysis treatments nationwide.“ (Basa 2008)
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aber bei drei Behandlungen pro Woche nur etwa 2000 Patienten pro Jahr ab. Dies ist eine kleine Zahl angesichts der Verbreitung von Nierenerkrankungen in den Philippinen, die laut dem CHD Bulletin über eine Million Menschen betrifft, wovon 7000 jährlich an Nierenversagen sterben (CHD Bulletin 2009). Verständlich daher auch die Klage eines führenden Kolumnisten der Philippinen, der den Tod von mehreren ihm persönlich bekannten Patienten betrauerte, die die Kosten für die Dialyse nicht bezahlen konnten (Cruz 2008). Dies kann daran liegen, dass nur ein Teil der Bevölkerung bei PhilHealth krankenversichert ist, in der Regel Behandlungen nur bezuschusst und nicht vollständig bezahlt werden. Ein vordergründiges Rätsel stellt die mangelnde Organausbeute von Toten dar, obwohl Unfälle die fünfthäufigste Todesursache in den Philippinen sind und beispielsweise der Organspendeausweis auf der Rückseite des Führerscheins ist (Manauis et al. 2008, 2103). Außerdem wurde in einer originellen eintägigen Intitiative unter dem Motto „Your Ticket is on me [the traffic officer] as long as you donate your organ“ in Makati (Metro Manila) Verkehrsündern angeboten, dass sie die Buße nicht bezahlen müssen, wenn sie sich dafür bereit erklärten, ihre Organe zu spenden (Dacanay 2008). Doch trotz solcher öffentlichkeitswirksamer Initiativen bleibt bisher die Anzahl der Organe von Totenspenden gering. Dafür sind verschiedene Gründe ausschlaggebend. Zuerst ist darauf hinzuweisen, dass wie bereits im ersten Teil dieses Buches erwähnt, große Teile der Bevölkerung von der medizinischen Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sind und in der Folge auch nicht unter medizinischer Aufsicht sterben. Ein zweiter Grund ist der Mangel eines effektiven Systems, welches sicherstellen würde, dass verfügbare Organe entnommen, konserviert und innerhalb kurzer Zeit zum Bestimmungsort transportiert werden (Mendoza 2009). Schließlich verlangt die praktizierte Zustimmungslösung, dass der Patient oder die Angehörigen einer Organspende zustimmen, was in 90% der Fälle nicht gemacht wird – laut Cruz (2008) aus religiösen oder traditionellen Überzeugungen. Offiziell gilt in den Philippinen das Gehirntodkriterium. So keine Erklärung des Verstorbenen vorliegt, muss die Zustimmung zur Organspende vom Erblasser getroffen werden und in der Präsenz von zwei Zeugen schriftlich bestätigt werden (Bagheri 2005, 2160). Die oben dargelegten kulturell bedingten Vorbehalte gegenüber der Organspende wirken auch bei Filipinos, die sich im Ausland niedergelassen haben. In den USA beispielsweise sind Filipinos signifikant weniger Organspender als der Bevölkerungsdurchschnitt. Das weist darauf hin, dass die gebildete Mittel- und Oberschicht, zu welcher die Migrantenfamilien in den USA gehören, die kulturellen Einwände gegen die Organspende zu einem gewissen Grad teilt. Eine Untersuchung in Hawaii zeigte, dass Filipinos auf den Wartelisten überrepräsentiert und als Organspender unterrepräsentiert sind (Albright et al. 2005, 4156). Ein Grund für die man-
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gelnde Spendenbereitschaft ist unter anderem auf ein widersprüchliches Verhalten gegenüber der Familie zurückzuführen. Auf der einen Seite spielt die Familie eine zentrale Rolle bei der Entscheidung, ob ein verstorbenes Familienmitglied Organspender sein soll. Es bedarf einer regen Diskussion der ganzen Familie, um eine Zustimmung zur Organspende zu erreichen. Auf der anderen Seite fühlen sich viele willige Organspender unwohl, ihre Entscheidung gegenüber der Familie kundzutun. Eine Diskussion über Organspende würde als morbid erachtet. Der Akzeptanz der Entscheidung zur Organspende durch die Familie wird allgemein eine sehr große Rolle beigemessen (Albright et al. 2005, 4157). Hinzu kommt eine oft geäußerte Überzeugung, die Integrität des Körpers über den Tod hinaus erhalten zu wollen. Darin spiegelt sich ein kulturell verankerter Glaube, welcher von einem Weiterleben des Geistes des Toten, welcher sich gegenüber den Lebenden wohl- oder übelwollend verhält, ausgeht. Jedoch wird sich eine solche Argumentation nur noch selten explizit finden. Gängiger wird wohl die Reaktion eines Vaters einer Organspenderin einzustufen sein, der die Organspende mit dem Satz „You come to life with your whole body, you need to go back with your whole body“ ablehnte (Albright et al. 2005, 4155).
b) Die Debatte um die Kommerzialisierung der Organspende Der Diskurs über die Kommerzialisierung erfährt im philippinischen Kontext eine Radikalisierung. Diese Radikalisierung ist einerseits dem existierenden Schwarzmarkt von Nierenspenden zum ökonomischen Gewinn geschuldet. Andererseits stellt sich die Frage der Spende von Organen im Kontext von sozialer Armut und kollektiv-familiärer Gesellschaftsauffassung. Überspitzt formuliert ist nach traditionellen philippinischen Werten der primäre Organismus nicht das einzelne Individuum, welches sich selber durch den Verkauf einer Niere schaden zufügen würde, sondern vielmehr ist die Familie vorrangig. Insofern wird eine nichtverwandte Nierenlebendspende aus finanziellen Gründen mit dem Vorteil für die Familie begründet (Sandvand 1999). In der emotional geführten Kontroverse über die Einschätzung des Verkaufs von Organen – welche formal immer noch eine Spende ist, welche aber mit einer für die arme Bevölkerungsschicht verhältnismäßig hohen Entschädigung einhergeht – stehen sich vor allem zwei Argumente gegenüber, welche beide zum Wohle der finanziell schlechter Gestellten vorgebracht werden. Zum einen wird das Verbot des Verkaufs von Organen als unzulässiger Eingriff in die Selbstbestimmung des Individuums bzw. der Familie aufgefasst, welcher ihnen die einzige Möglichkeit nimmt, ihr Leben zu verbessern, um beispielsweise Kinder auf die Schule zu schicken oder einem Familienmitglied eine Operation zu bezahlen. Dem steht das häufig vorgebrachte Argument entgegen, dass den finanziell schlecht Ge-
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stellten nicht das Letzte genommen werden darf, das sie haben, nämlich ihre, soweit es die ärmlichen Lebensbedingungen zulassen, intakte Gesundheit. Durch das Leben in einer verschmutzen Umwelt mit mangelnder medizinischer Versorgung wird die Nierenspende zudem zu einem größeren Gesundheitsrisiko (Turner 2009, 194). Zuweilen klingt bei den Gegnern auch ein Unwohlsein an, ob die Philippinen im Ausland den Ruf eines Ersatzteillagers für eine globalisierte Gesundheitswirtschaft bekomme (Macabenta 2007, 5). Empirische Untersuchungen zeigen auch, dass viele der Organspender später Bedauern über ihre Entscheidung äußern. Padilla (2009, 122) zitiert eine unpublizierte Studie über Organspender aus der Provinz Quezon, nach der fast alle eine Organspende nicht weiterempfehlen würde und drei Viertel ihre Niere nicht wieder spenden würden. Die gesetzliche Regelung in den Philippinen verbietet den Verkauf von Organen. Was jedoch nicht verboten ist, ist das Überreichen von Geschenken aus Dankbarkeit für ein gespendetes Organ, welche den beträchtlichen Umfang einer Lebens- oder Krankenversicherung, Arbeitsvermittlung oder einen finanziellen Beitrag zur Ausbildung der Kinder umfassen können (Manauis et al. 2008, 2100). Das 2002 vom Gesundheitsministerium der Philippinen ins Leben gerufene Philippine Organ Donation Program (PODP) wurde beauftragt, ein Transplantationsprogramm zu entwickeln. Bei der Durchführung überwachte das National Transplant Ethics Committee (NTEC) die Nierenspende von lebenden nicht-verwandten Spendern, sogenannten LURDs (Living UnRelated Donors). Das NTEC zeigt sich unter anderem dafür zuständig sicherzustellen, dass (1) Organe nicht verkauft werden, (2) die Transplantationszentren akkreditiert sind, (3) eine Warteliste für die Patienten geführt wird, (4) die potentiellen Spender evaluiert werden, (5) die Quote der Organtransplantation an Ausländer nicht über 10% liegt, (6) die Spender eine kostenlose Nachversorgung haben und schließlich (7) werden über eine Stiftung die aus Dankbarkeit gegebenen Geschenke geregelt (Manauis et al. 2008, 2100). Von speziellem Interesse in der Arbeit des Nationalen Transplantationsethikkomittees ist das Screening der potentiellen Spender und die – je nach Sprachgebrauch – Geschenke aus Dankbarkeit, Entschädigung oder Bezahlung. Von 2004 bis 2006 haben sich knapp 700 Spender gemeldet, von welchen jedoch nur knapp 100 eine Niere tatsächlich gespendet haben. Diese geringe Quote liegt zuerst daran, dass über die Hälfte der Spender ihre Zusage wieder zurückgezogen oder sich nicht mehr gemeldet haben. Rund 100 wollten ihr Organ verkaufen und sind deswegen nicht in das Spendeprogramm aufgenommen worden und weitere 77 waren aus medizinischen Gründen nicht geeignet. Außerdem hat
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das Ethik Komitee nach Evaluierung in zwölf Fällen Einspruch gegen die Spende eingelegt (Manauis et al. 2008, 2102).29 Für Diskussionen sorgten die in diesem Programm gewährleisteten Vergütungen von umgerechnet rund 2500 Euro, welche sich aus dem Ersatz für den Gehaltsausfall und allgemeiner Lebensunterstützung ergibt. Dieser Betrag liegt knapp über dem durchschnittlichen Jahreseinkommen für eine ganze Familie. Angesichts der Größe dieses Betrages, so Padilla (2009, 121), könne von einer Praxis von staatlich reguliertem Verkauf von Nieren gesprochen werden. Jedoch gelang es diesem Programm nicht, den Transplantationstourismus einzudämmen. Die 10% Transplantationsquote für Ausländer wurde massiv überschritten (Uy 2008; Jalbuena 2007). Die Transplantationen an Ausländern nahmen so stark zu, dass die Philippinen von der WHO 2007 als eine von fünf Staaten ausgemacht wurden, in welchen am meisten Organhandel betrieben werde (Padilla 2009, 121). In der Folge wurde 2008 die Organspende an Ausländer gänzlich verboten (Torres 2009). Die Zahlen machen deutlich, dass NTEC tatsächlich nur bei einem Bruchteil der Spenden involviert ist. Vergleicht man sie beispielsweise mit den 3000 Personen, die in einem Slum von Manila eine Niere für umgerechnet zwischen 1000 und 2000 Euro verkauften, so scheinen die offiziellen Spendewege nur einen kleinen Teil abzudecken (Jalbuena 2007). Des Weiteren kann bei dieser Praxis nur noch euphemistisch von einer Spende gesprochen werden. Der vollzogene Tausch, das deuten die umfangreichen Anreize an, ist einer von Niere gegen eine neue ökonomische Existenz. Sicherlich ist festzuhalten, dass diese Praxis für Betroffene einen Fortschritt gegenüber den Organspenden an nicht Verwandte vor 2002 darstellte. Mittelsmänner hatten bis dahin einen großen Anteil verdient, der Informationsfluss über die Art des Eingriffs war nur unzureichend und die Spender wurden zur Spende häufig gedrängt (Sandvand 1999). Diese Faktoren führten dazu, dass die meisten der Spender im Nachhinein ihr Bedauern über die Organspende geäußert haben. Die finanzielle Entschädigung war in der Regel in einem Milieu, in dem das Familiennetzwerk einen Anteil verlangt, die Lebensumstände nicht konstant sind und das Wissen um einen adäquaten Umgang mit Geld teilweise mangelhaft ist, sehr schnell aufgebraucht, wie die mit dem George Foster Peabody Award for Investigative Journalism ausgezeichnete Dokumentation von Jessica Soho Kidney for Sale eindrücklich veranschaulicht.
29 „Sixty-eight of 79 became small-scale entrepreneurs postdonation.“ (Manauis et al. 2008, 2103). Am ehesten sind damit selbständige Verkäufer in so genanten Sari-Sari-Stores, Kleinstläden auf wenigen Quadratmeter, die alles für den Tagesbedarf in Kleinportionen verkaufen, gemeint. Padilla (2009, 22) weist darauf hin, dass keine Daten über die langfristige sozioökonomische Lage der Spender vorliegt.
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Die mangelhafte Durchsetzung der im Bereich der Organtransplantation geltenden Regeln in den vergangenen Jahren führte zu neuen gesetzlichen Regulierungen. Schon erwähnt wurde das Verbot der Organspende an Ausländer, welches im April 2008 erlassen wurde, welcher unter anderem auf Druck von nationalen und internationalen Organisationen und einer medialen Debatte zustande kam (Padilla 2009, 122). Außerdem hat das Gesundheitsministerium ein Netzwerk genehmigt – das Philippine Network for Organ Donation and Transportation (PhilNetDat) –, das eine Warteliste führen soll, damit Organe von nicht-verwandten Lebendspender gerecht verteilt werden. Umstritten ist dabei noch die Frage der Kompensationen (Padilla 2009, 122). Wie in der obigen Diskussion zur Kommerzialisierung der Organspende angedeutet, so geht es auch im philippinischen Diskurs um die Frage danach ob und falls ja, in welcher Art und Weise finanzielle Anreize gesetzt werden sollen. Im Großen und Ganzen ist man solchen Anreizen aus sozialen Gründen aufgeschlossener als in Europa, zumal wenn sie dazu beitragen können, in einem kontrollierten Maße die Lebensbedingungen der Armen zu verbessern, beispielsweise durch eine Krankenversicherung, eine ökonomische Existenz oder der Deckung der Ausbildungskosten für die Kinder (Ona 2000). Diese Fragen nach der Gerechtigkeit der Organspende werden im Folgenden Abschnitt noch eingehender diskutiert.
5. Fragen der Gerechtigkeit Adorno paraphrasierend lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass es kein gerechtes Leben im ungerechten gibt (Adorno 1997, §18). Ethische Reflexion und rechtliche Regulierungen zum Thema Organtransplantation müssen die gesellschaftliche Situation, in denen sie geschehen, mitbedenken. Diese ist in den Philippinen geprägt durch ein kulturelles Vorverständnis und organisatorische Praktiken, welche die Totenspende wenig wahrscheinlich macht. Initiativen, die darauf abzielen, ein öffentliches Bewusstsein zur Organspende zu fördern und die organisatorische Voraussetzung für eine systematische Erfassung und Vergabe der zur Verfügung stehenden Organe zu schaffen, erscheinen sinnvoll. Was jedoch gerechtigkeitstheoretisch schwerer wiegt, sind die sozialen Ungleichheiten, welche im Falle der nichtverwandten Lebendspende eine Rolle spielen. Eine Evaluierung der bestmöglichen rechtlichen Rahmenbedingungen auf Grund ethischer Reflexion muss diese soziale Situation mitbedenken. Jedoch sollte dabei nicht einem Defätismus, welcher die sozialen Ungleichheiten als unhintergehbar erachtet, das Wort geredet werden. Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass von Befürwortern einer finanziellen Entlohnung zwar eine große Bereitschaft an den Tag gelegt wird, die rechtlichen Bedingungen der Organspende zu verändern, jedoch die
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Ein- und Ausschlusskriterien des Gesundheitssystems als unveränderbar angenommen werden (Schneider 2003, 196). Zwei Ebenen sind bei einer gerechtigkeitstheoretischen Erörterung der Frage nach der Lebendspende zu unterscheiden: Die Spender- und die Empfängerseite. Die Frage auf der Empfängerseite ist, inwiefern die Möglichkeit ein Organ zu erhalten ungeachtet der sozialen und finanziellen Situation gegeben ist. Im Iran beispielsweise ist diese Zugangsvoraussetzung dadurch gewährleistet, dass die Transplantationskosten durch den Staat getragen werden. Diese Zugangsvoraussetzung zeigt sich in der Folge darin, dass die Hälfte aller Organempfänger im Iran als arm eingestuft wird (Eich 2007, 311). Diese Chancengleichheit gibt es auf den Philippinen nicht. Im Gegensatz zum Iran ist die nichtverwandte Lebendspende in den Philippinen eindeutig eine entlang des ökonomischen Status. Eine Niere muss man sich leisten können. Insofern wird das Überleben in der Tat eine Frage der finanziellen Möglichkeiten.30 Folgt man Rawls Theorie der Gerechtigkeit, wird hierdurch ein elementarer Bereich der Zugangsvoraussetzung und Teilhabe an der Gesellschaft verletzt. Jedoch ist auch zu fragen, ob eine gerechte Verteilung der knappen Ressource im Bereich der hoch technologisierten Medizin ein Menschenrecht darstellt, oder ob sich eine Gesellschaft zumal in einem Entwicklungsland auch entscheiden kann, diese Kosten nicht mehr solidarisch zu finanzieren. Es ließe sich anführen, dass angesichts der beschränkten Mittel weniger kostenintensive Bereiche im Gesundheitswesen einer breiteren Masse von Menschen zugänglich gemacht werden sollen, beispielsweise Medikamente gegen die Tuberkulose, welche die dritthäufigste Todesursache in den Philippinen ist (WHO 2006b). Im österreichischen Kontext wird die Frage nach der gerechten Verteilung der Organe institutionell durch die Vergaberichtlinien von Eurotransplant geregelt. Die dort zur Anwendung kommenden Prinzipien versuchen Wartezeit, Kompatibilität und Dringlichkeit im Sinne einer Verfahrensgerechtigkeit bestmöglich zu kombinieren. Dabei gelten restriktive Maßnahmen; eine finanzielle Entschädigung für den Organspender wird kategorisch ausgeschlossen. Gerechtigkeitsfragen stellen sich im österreichischen Diskurs zur Organtransplantation im Bezug auf die Widerspruchslösung und gegebenenfalls wie die Verfahrensgerechtigkeit bei der Organvergabe im Detail zu regeln ist. Dieser Diskurs ent-
30 Die philippinische Bioethikerin Alora legitimiert in ihrem Studentenhandbuch das Privileg der Reichen eine Niere zu bekommen mit folgendem Argument: „The ability to pay the costs of the transplant and the expensive antirejection medication determine success and concequently access. The wealthy have a greater chance of success than the less well to do. In justice they are not equal to the poor. The wealthy should be given the organs.“ (Alora 2006, 59)
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zieht sich jedoch weitgehend einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung und wird in spezialisierten Gremien geführt. Schaut man sich die Spenderseite an, so sind zwei Problemfelder zu diskutieren: Zum einen spielt die philippinische Familiendynamik bei der verwandten Lebendspende eine Rolle, in welcher die individuelle Freiwilligkeit der Spende zu problematisieren ist. Die durch starke wechselseitige Verpflichtung charakterisierte Familienstruktur verlangt vom Einzelnen ein Handeln zum Wohle der Familie auch gegen das gefühlte Eigeninteresse. Eine Gerechtigkeitstheorie, welche die Autonomie des einzelnen Individuums hervorhebt, wird an einer solchen Praxis Anstoß nehmen, da basale Kriterien einer autonomen Entscheidung nicht erfüllt sind. Aus der kommunitaristischen Perspektive jedoch lässt sich ein normatives Urteil bedeutend schwerer fällen. Lässt sich doch eine kulturelle Praxis von wechselseitigen Abhängigkeiten – in welcher nicht Unabhängigkeit, sondern wechselseitige Abhängigkeit soziale Strukturen konstituiert – nur schwer von außen kritisieren. Hier wäre mit Walzer zu fragen, wie stark die dünne Moral ist, welche jenseits der Gemeinschaftssphären wirkt und so universale Normen stiftet. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass diese familiären Verpflichtungen im philippinischen Diskurs ausgesprochen kritisch diskutiert werden. Eine autonome, freiwillige Zustimmung wird als Bedingung für eine Organspende angesehen (bspw. Alora 2006, 58; UST 2001, 34). Gleichzeitig findet jedoch die Opferlogik, mit welcher die Spende legitimiert wird, breite öffentliche Zustimmung und wird auch im bioethischen Diskurs als statthaften Grund für die Organspende erachtet. In Österreich ließe sich umgekehrt anfragen, ob nicht eine familieninterne Solidarität gegenüber dem Beharren auf Autonomie gestärkt werden soll. Angesichts des im internationalen Verhältnis geringen Anteils der Lebendspenden wäre eine größere wechselseitige Verantwortung unter familiär und emotional vertrauten Menschen wünschenswert. Zu bedenken wäre, ob nicht die Autonomie des Einzelnen gegenüber der gemeinschaftlichen Solidarität überbetont wird. Dass es keine rechtlich durchsetzbare Pflicht zur Organspende gibt, darüber besteht Einigkeit. Bei der Nichtverwandten Lebendspende auf den Philippinen ist die entscheidende Frage wie die finanzielle Transaktion gerechtigkeitstheoretisch zu beurteilen ist. Zwar ist im offiziellen Diskurs ein Organverkauf nach wie vor nicht erlaubt, jedoch genügen die Entschädigungsformen von Lebensversicherung zu Erwerbsausfallsentschädigung für mehrere Monate als finanzielle Anreize für eine Nichtverwandte Lebendspende. Von Altruismus ist nicht auszugehen. Im Sinne einer Teilhabegerechtigkeit ließe sich argumentieren, dass die Organspende es dem Spender erst ermöglicht, in verstärktem Maße an der Gesellschaft zu partizipieren. Jedoch geht die Konzeption der Teilhabegerechtigkeit davon aus, dass die Partizipation jedem Gesellschaftsmitglied ermöglicht wird, ohne dass
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dieses eine außerordentliche Leistung (als welche wohl die Lebendorganspende zu bezeichnen ist) zu erbringen hat. Somit gelangt man wiederum zur Feststellung, dass eine stark sozial segmentierte Gesellschaft wie die Philippinen zurzeit keinen für das gesellschaftliche Miteinander notwendigen Zugang zur Gesundheitsversorgung und gesellschaftlichen Teilhabe garantieren kann. Langfristig gilt es diesen Zustand zu ändern. Der Versuch, kurzfristig das Leiden der ärmeren Bevölkerungsteile durch die Ermöglichung einer Spende ihrer Organe zu lindern, wirft nicht nur Fragen nach der Nachhaltigkeit dieser einmaligen Finanzspritze auf, sondern verfestigt auch die bestehende Klassengesellschaft und ein Bewusstsein fundamentaler gesellschaftsimmanenter Ungleichheit. Wie auch der Iran erlauben die Philippinen seit kurzem keine Spende an Ausländer mehr. Dies erscheint angesichts eines drohenden Organtourismus durchaus sinnvoll. Angesichts der großen Wohlstandsunterschiede innerhalb der Philippinen ist jedoch zu fragen, ob die Ausnützung der Notlage der Armen grundsätzlich anders zu bewerten ist, wenn sie durch die einheimische Oberschicht vorgenommen wird. Im Gegensatz zum Iran, wo die Hälfte der Organempfänger als arm eingestuft wird, ist es in den Philippinen bei nichtverwandten Lebendspendern eine eindeutige Spende von Armen für die Reichen. Dies verstärkt die ethische Problematik, da Gesundheit weitgehend dem Einzelnen überlassen bleibt und es kein soziales Netz (außerhalb der Familie) gibt, welches substanziell für eine Gesundheitsbeeinträchtigung aufkommen würde. Von den nüchternen Zahlen betrachtet (vgl. das Kapitel zu den gesetzlichen Grundlagen des Gesundheitswesens) hätten ihre Niere spendende Filipinos im Sinne einer marktliberalen Logik sogar ein Interesse an ausländischen Abnehmern, die einen höheren Preis zu zahlen bereit sind.
III. Komplementärmedizin 1. Komplementärmedizin in Österreich a) Praktizierte Formen von Komplementärmedizin in Österreich Alternative Heilmethoden, Komplementärmedizin oder ganzheitliche Medizin: Die Heilmethoden jenseits der Schulmedizin tragen unterschiedliche Namen. Der Anspruch der Schulmedizin, für den kranken Menschen der primäre Ansprechpartner zu sein, wird heute durch eine zunehmende Vielfalt an Angeboten aus anderen Heiltraditionen und Wissensbeständen zurückgedrängt. Ob der alleinige Anspruch der Schulmedizin je faktisch bestanden hat, soll hier nicht Gegenstand der
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Untersuchung sein. Allerdings lässt sich eine zunehmende Pluralisierung von heilkundlichen Angeboten für Österreich feststellen, die mit einem wachsenden Markt in diesem Bereich verbunden ist. In Österreich finden sich zwei verschiedene Zugänge zu alternativen Heilmethoden. Zum einen gibt es traditionell überliefertes Wissen lokaler Heilkundiger, zum anderen eine Pluralisierung unterschiedlicher Angebote aus anderen Kulturen und weltanschaulicher Hintergründe auf dem Gesundheitsmarkt. Bei dem traditionellen Wissen handelt es sich in der Regel um mündlich weitergegebenes Wissen zur Wirksamkeit von Heilkräutern, bestimmten Heilverfahren und Ähnlichem. Dieses Wissen ist über Generationen hinweg aus Erfahrung gewachsen und wird heute noch angewandt. Es hat Eingang gefunden in Hausmittel zur Linderung von Beschwerden, wie beispielsweise die Kastanie in der Hosentasche, die gegen Rheuma vorbeugen soll. Zudem wird es von lokal bekannten Heilkundigen angewendet. Dieses Wissen ist von der Schulmedizin weitgehend zurückgedrängt worden. Allerdings haben sich einige Substanzen, wie das Johanniskraut bei leichter und mittlerer Depression, einen festen Platz unter den allgemein anerkannten Wirkstoffen erobert. Pohl-Sennhauser (1996) hat eine Zusammenstellung tradierter Heilmethoden aus Österreich durch Befragung von Personen erstellt, die über volksheilkundliches Wissen verfügen. Ihre Darstellung stellt eine Zusammenschau des mündlich überlieferten traditionellen Heilwissens dar, das unabhängig vom gegenwärtigen Boom naturkundlicher Heilung ausschließlich auf Wissen beruht, das über mehrere Generationen hinweg tradiert wurde.31 Die Formen von Heilwissen beziehen sich dabei auf Erkrankungen von Mensch und Tier, wobei die Pflanzenheilkunde den größten Teil der sehr detaillierten Darstellungen und Anweisungen einnimmt. Darüber hinaus hat die Autorin auch andere Formen von Heilkunde, die heute keine Rolle mehr spielen, gesammelt und zusammengestellt. Hierunter fallen Therapie durch Tiere und Tierteile, insbesondere tierische Fette, Heilung durch Urin oder Kot, durch den Einsatz von Nahrungsmitteln oder durch Steine. Die Wahrnehmung solcher Formen ist einem starken zeitlichen Wandel unterlegen, für Pohl-Sennhauser ist es „unverkennbar, dass die vormaligen zootherapeutischen Variationen dem Volke nicht mehr bekannt sind. Verglichen mit den Kräuterkenntnissen fallen sie kaum mehr ins Gewicht.“ (Pohl-Sennhauser 1996, 22) Um diese Formen von Wissen nicht vollständig zu verlieren, gibt es verschiedene Bemühungen der Dokumentation, die unter anderem von der Nationalagentur für das Immaterielle Kulturerbe unterstützt werden, die 2006 als Teil der Österreichischen
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Eine ähnliche Zusammenstellung traditionell überlieferter Heilmethoden wurde in einer Datenbank des Institutes für Pharmakognosie der Universität Wien vorgenommen (Saukel/Kubelka 1994).
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UNESCO Kommission ins Leben gerufen wurde.32 Praktiziert werden diese Formen in Hausmitteln und daraus entstandenen pflanzlichen Medikamenten, zudem gibt es Heilkundige. Da deren Tätigkeit unter den ärztlichen Vorbehalt fällt, ist diese jedoch nicht offiziell dokumentiert. Neben dem regional verwurzelten traditionellen Heilwissen hat sich im Bereich der Anbieter auf dem Gesundheitsmarkt im Lauf der letzten Jahrzehnte zudem ein Markt verschiedenster Formen von Heilungsangeboten aus anderen Kulturen und Ideologierichtungen etabliert: neben klassischer westlicher Schulmedizin und Kräuterheilkunde finden sich Akupunktur ebenso wie Schamanismus, Geistheilung und Heilung durch Gebet.33 Diese Formen von Heilung werden teilweise auch in Österreich praktiziert. Auch die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und die Tibetische Medizin haben sich in Österreich etabliert.
b) Akzeptanz komplementärmedizinischer Methoden Die Akzeptanz komplementärmedizinischer Methoden in Österreich lässt sich von verschiedenen Seiten beleuchten: von Seiten der Patienten und der Sozialversicherungsträger, sowie hinsichtlich ihrer rechtlichen Stellung. Hier zeigt sich ein gemischtes Bild. Komplementärmedizin wird von Seiten der Patientinnen und Patienten gern in Anspruch genommen. Verschiedene Untersuchungen aus dem westlichen Kontext zeigen, dass komplementärmedizinische Heilmethoden und Therapieformen und Schulmedizin sich aus der Perspektive der Patientinnen und Patienten nicht ausschließen. Große Gruppen nutzen beide Formen parallel (Fadlon 2005, 67; Weidenhammer 2006, 2929), ohne hierin einen Widerspruch zu sehen. Vielmehr werden die Formen als sich ergänzend wahrgenommen. Auch wenn die hinter den verschiedenen Verfahren stehenden Verständnisse von Wissenschaft, Ursache-WirkungsZusammenhang und Menschenbild sehr unterschiedlich und zum Teil inkompatibel erscheinen, lassen sie sich aus Sicht der Patientinnen und Patienten pragmatisch zum eigenen Nutzen kombinieren – selbst wenn häufig zwischen den Heilmethoden hin und her gewechselt wird. Die Deutung ist postmodern fragmentiert, die dahinterstehenden kosmologischen Annahmen werden daher nur selten vollständig geteilt (Fadlon 2005, 68). Dies zeigt sich in der vielfältigen Parallelnutzung aber auch zum Teil in der Klage, dass der authentische Kern und die Verwurzelung einer Methode in einer Religion, wie beispielsweise bei der tibetischen
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Vgl. www.kulturleben.at/ike (abgerufen am 30.10.2009) Vgl. für Österreich www.schamanismus-akademie.com (abgerufen am 30.10.2009). Hinweise finden sich auch bei Aldridge (2002, 55) und Lussi (2002, 80).
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Medizin im Buddhismus, nicht ausreichend berücksichtigt werden (Ari 2007). Von Seiten der Medizinberufe wird ebenfalls auf diese steigende Nachfrage reagiert. Ärztinnen und Ärzte bieten eine Vielzahl komplementärmedizinischer Methoden an. Dies spiegelt sich in einer wachsenden Zahl an Ärzten wider, die Verfahren wie Chirotherapie, Homöopathie oder Akupunktur anbieten, zu denen sie sich durch spezielle Weiterbildungen qualifiziert haben. Die Österreichische Ärztekammer verleiht hierfür in den folgenden Bereichen Spezialdiplome nach erfolgreich absolvierter Zusatzfortbildung:34 Akupunktur Anthroposophische Medizin Applied Kinesiology Begleitende Krebsbehandlungen Chinesische Diagnostik und Arzneitherapie Diagnostik und Therapie nach Dr. F. X. Mayr Homöopathie Integrative Kurmedizin Kneippmedizin Manuelle Medizin Neuraltherapie Phytotherapie Komplementärverfahren in der Zahnheilkunde Zahnärztliche Hypnose und Kommunikation Die Sonderausbildungen beziehen sich ganz oder teilweise auf Wissensbestände, die in der Schulmedizin nicht anerkannt bzw. wenig etabliert sind. Die Gründe für die gegenwärtig geringe Anerkennung können in fehlender Forschung in diesem Bereich liegen wie auch in weltanschaulich anderen Zugangsweisen zum kranken Menschen. Während die steigende Akzeptanz dieser Methoden unter Ärzten sowohl auf die steigende Nachfrage als auch auf den gesamtgesellschaftlichen Trend hin zu einer Pluralisierung therapeutischer Formen zurückzuführen ist (Wiesing 2008, 464), ist die Akzeptanz von Seiten der Krankenkassen durch andere Argumente begründet. Laut österreichischem Sozialversicherungsrecht ist dem Patienten „eine ausreichende und zweckmäßige, das Maß des Notwendigen nicht überschreitende Krankenbehandlung zu gewähren.“ (Thaler/Plank 2005, 154) Die Formulierungen lassen dabei offen, durch welchen methodischen Zugang eine
34 Vgl. http://www.arztakademie.at/oeaek-diplome-zertifikate-cpds/oeaekspezialdiplome/ (abgerufen am 30.10.2009).
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solche Behandlung erreicht werden soll. Damit steht einer Kostenübernahme bei komplementärmedizinischen Maßnahmen von Seiten des Gesetzes grundsätzlich nichts entgegen. Allerdings werden auf Grund der begrenzten Ressourcen nicht alle Behandlungen gleichermaßen übernommen, sondern es findet eine Auswahl statt. Diese wird entlang dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit begründet; mit möglichst zielgenauen, wenigen und wirksamen Mitteln soll der bestmögliche Erfolg erzielt werden (ebd. 29). Hierfür fehlt allerdings bei einem Großteil komplementärmedizinischer Methoden der wissenschaftliche Nachweis (Weidenhammer 2006). Der Oberste Sanitätsrat, der als beratendes Gremium in wichtigen Gesundheitsfragen tätig ist, spielt bei der Anerkennung von Methoden daher eine zentrale Rolle. Seine Empfehlungen, ob eine Methode als wissenschaftlich anerkannt gelten soll, sind sowohl für den OGH als auch für die Krankenversicherungsträger eine wichtige Orientierung (Thaler/Plank 2005, 171). Der Oberste Sanitätsrat prüft dabei aus der Perspektive eines schulmedizinischen Verständnisses von Krankheit und Behandlung die Wirksamkeit einzelner Methoden. Die Empfehlungen, die zu diesen Fragen seit den 1980er Jahren abgegeben werden, beinhalten sowohl die Anerkennung einzelner Methoden bei speziellen Indikationen als auch die Ablehnung einer solchen Anerkennung. Auch wenn die Empfehlungen keinen verbindlichen Charakter tragen, haben sie eine wesentliche Bedeutung für die Kostenübernahme. Darüber hinaus gibt es Kassen, die so genannte Negativlisten erstellt haben, durch die sie bestimmte Verfahren klar aus ihrem Leistungskatalog ausschließen (Thaler/Plank 2005, 200). Ein weiterer Aspekt der Anerkennung komplementärmedizinischer Methoden zeigt sich entlang der Möglichkeit der Berufsausübung in diesem Bereich. Auf Grund des Arztvorbehaltes (§2 Abs. 2 ÄrzteG 1998) sind insbesondere die Diagnose und Therapie in Österreich nur von Ärzten bzw. von Ärzten beauftragte Personen und Angehörigen der übrigen Gesundheits- oder Pflegeberufe auszuführen. Andere Personengruppen – sofern sie nicht als Familienmitglieder oder im Rahmen von Erster Hilfe tätig werden – haben kaum Möglichkeiten, die Heilung von Kranken zu ihrem Beruf zu machen. Das Tätigkeitsspektrum der Ärzte ist allerdings nicht auf schulmedizinische Methoden beschränkt (Thaler/Plank 2005, 155ff.). Dies bedeutet in der Praxis, dass Ärzte zwar im Rahmen ihrer Berufsausübung komplementärmedizinische Methoden anbieten können, es aber keine Form der Spezialisierung auf bestimmte Methoden außerhalb des Arztberufes geben kann. Anders als in Deutschland, wo Heilpraktiker als eigenständige Berufsgruppe praktizieren können, ist in Österreich diese Form der Tätigkeit untersagt (vgl. Thaler/Plank 2005, 122).
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c) Gerechtigkeitsaspekte hinsichtlich Komplementärmedizin in Österreich Gerechtigkeit als eines der vier zentralen bioethischen Prinzipien (Beauchamp/Childress 1994, 326ff.) ist vor allem im Bezug auf den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Fragen der Rationalisierung und Rationierung Thema im österreichischen Gesundheitssystem (vgl. die Kapitel zu Gerechtigkeit und interkultureller Bioethik). Komplementärmedizin spielt eine unbedeutende Rolle in dieser Debatte. Die Betrachtung von Komplementärmedizin erlaubt aber einen Blick auf das österreichische Gesundheitswesen und darin grundgelegte Prinzipien, die für die Gerechtigkeitsdebatte eine Rolle spielen: Der Zugang zu Komplementärmedizin in Österreich ist trotz aller Pluralisierungsbewegungen und steigender Akzeptanz in der Bevölkerung beschränkt. Die Beschränkung erfolgt vor allem hinsichtlich zweier Kriterien: Sicherheit und Effektivität. Durch rechtliche Regelungen soll erstens sichergestellt werden, dass Maßnahmen, die für Patienten gefährlich werden könnten, unzulässig sind und Patienten davor geschützt werden. Schulmedizinisch ausgebildetes Personal wird als Entscheidungsinstanz für Fragen der Gesundheit und Krankheit eingesetzt und erhält eine Schlüsselfunktion für die Bewertung komplementärmedizinischer Maßnahmen. Damit erhält das schulmedizinische Gesundheitsverständnis ein Primat vor anderen, alternativen Zugängen zu Gesundheit und Krankheit. Zudem hat die Berufsausübung die schulmedizinische Ausbildung als Bedingung. Auch hierdurch wird der schulmedizinischen Logik ein Vorrang eingeräumt. Schulmedizin wird zum Garanten der Sicherheit der Patientinnen und Patienten. Diese Vorrangstellung kann in zweifacher Hinsicht gedeutet werden: einmal als Filterfunktion, durch die alle Maßnahmen gleichermaßen geprüft werden und sich dadurch unter dem Dach der Schulmedizin eine Vielfalt entwickelt; oder als diskursives Primat, deren Logik sich andere Maßnahmen unterordnen müssen. Empirisch zeigt sich, dass alternative Heilmethoden heute im schulmedizinisch geprägten System ‚domestiziert‘ sind und beide parallel genutzt werden (Fadlon 2005). Die Bemühungen, volkskundliches Wissen über Heilmethoden zu bewahren, hat vor allem kulturelle Gründe und ist nur in geringem Maße in Institutionen der Gesundheitsversorgung integriert. Die Kostenübernahme bei komplementärmedizinischen Maßnahmen erfolgt zweitens nach der Maßgabe der Effektivität. Dieses Kriterium wird gemessen entlang der Logik der evidence based medicine. Die Verfahren des Nachweises sind aufwändig und teuer. Anders als bei schulmedizinischen Verfahren, und vor allem bei Medikamenten, ist das ökonomische Interesse an alternativmedizinischen Verfahren eher gering, was dazu führt, dass wenige Verfahren überhaupt geprüft werden. Im
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Gegensatz zu schulmedizinischen Maßnahmen sind komplementärmedizinische Verfahren und Medikamente in der Regel privat zu bezahlen. Bei Hausmitteln, die mit frei verkäuflichen anderen Medikamenten konkurrieren, sind komplementärmedizinische Mittel weit verbreitet und günstig zu erwerben. Darüber hinaus sind komplementärmedizinische Maßnahmen häufig ein Luxusgut, da sie privat bezahlt werden müssen und dadurch ein verhältnismäßig exklusiver Zugang besteht. Die Wahl zwischen verschiedenen Gesundheitsverständnissen auf Patientenseite wird also stark durch finanzielle Möglichkeiten mitbestimmt: Komplementärmedizin muss man sich leisten können. Vor allem in den Bereichen der präventiven Medizin, Gesunderhaltung, chronischen Erkrankungen und Allergien wird deutlich, dass vor allem Wohlhabendere sich diese Art von Medizin leisten können und wollen. Die Betrachtung der Komplementärmedizin verweist damit wie die Ergebnisse der Public Health Forschung darauf, dass trotz des hervorragenden Zugangs zu Gesundheitsversorgung in Österreich, Gesundheit weiterhin eng mit dem Einkommen verknüpft ist. Der Zugang zu Alternativen und den damit verbundenen Sichtweisen auf die eigene Gesundheit ist reglementiert und muss privat erkauft werden. Das Bild sich vielfältig durchdringender Formen und kultureller Aneignungsprozesse im Bereich medizinischer Maßnahmen muss deshalb (auf bestimmte Patientengruppen) eingeschränkt werden. Aus der Perspektive der Verteilungsgerechtigkeit muss man für Österreich also feststellen, dass alternative Heilmethoden nicht allen Menschen gleichermaßen zugänglich sind.
2. Komplementärmedizin in den Philippinen a) Praktizierte Formen von Komplementärmedizin auf den Philippinen Die auf den Philippinen praktizierten Formen von Komplementärmedizin sind vielfältig. Es liegen eine Reihe von medizinanthropologischen Studien vor, die eine große Palette verschiedener Heilmethoden und damit verbundener Wissensbestände abbilden. Dabei liegt der Fokus dieser Studien ausschließlich auf traditionellem Heilwissen, zur Nutzung alternativmedizinischer Methoden aus anderen kulturellen Kontexten (wie beispielsweise TCM) wird nichts ausgesagt. Eine frühe Studie über Formen und Verbreitung alternativer Heilmethoden auf den Philippinen zählt neben Mitteln aus der Apotheke auch Pflanzenheilmittel, tierische Heilmittel, auf den Körper auflegbare Heilmittel, wie Steine, Knochen o.ä., Massagen sowie Oracion (Beschwörungsformeln) auf (Velimirovic 1972, 64ff.). Diese werden sowohl kurativ als auch präventiv eingesetzt.
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Mascuñana und Mascuñana berichten darüber hinaus von Formen der Heilung durch Handauflegen und Räuchern (Mascuñana/Mascuñana 2002, 29ff.). Auf der von ihnen untersuchten Insel Siquijor findet das Ritual des Heilkräutersammelns und die Herstellung von Heilmitteln nach einem festen Ablauf in der Karwoche statt. Neben diesem Bezug zum Christentum spielen aber auch Ahnen und andere Geistwesen in den Riten eine Rolle (ebd. 27). Eine besondere Form des Heilungsangebots in Diagnostik und Therapie, die auf den Philippinen praktiziert wird, ist die Geistheilung durch psychische Chirurgie (Licauco1999; Chesi 1981). Inwieweit es sich hierbei um eine Heilmethode oder um reine Scharlatanerie mit einem großen Show-Effekt handelt, ist umstritten (Licauco 1999, 155ff.; Chesi 1981, 252ff.). Ihre medizinische Tätigkeit wird von den Heilern selbst als spirituelle Heilung bezeichnet (Chesi 1981, 17, auch 31). Hierbei wird mit der bloßen Hand ein Eingriff vorgenommen, bei dem am Körper des Patienten eine Materialisation entsteht, teilweise auch der Körper an einer kleinen Stelle geöffnet wird und die Hände des Heilers in den Körper eindringen und i.d.R. schädigende Gewebeteile (Polypen, Nierensteine) „herausnehmen“ (Chesi 1981, 31). Diese Eingriffe werden als rein spirituelle Eingriffe beschrieben. Auch hier hatten oder haben viele Heiler eine enge Bindung an eine christliche Kirche, in diesem Fall vor allem die Union Espiritista Cristiana de Filipinas. Castro-Palaganas et al. (2001) untersuchen im Norden der Philippinen bei den Igorots, einem marginalisierten Teil der philippinischen Gesellschaft, welche Formen traditionellen Heilwissens dort praktiziert werden und welche Wirkung dabei nachgewiesen werden kann. Während Erkrankungen wie Masern oder Windpocken (Feuchtplattern) in dieser Region eine große Bedrohung für das Leben der Kinder darstellen, da lokale Mittel nicht helfen und Impfungen schlecht zugänglich sind (Castro-Palaganas et al. 2001, 101), gibt es in anderen Bereichen nachweislich wirksame aus der Natur entnommene Mittel, die traditionell eingesetzt werden. Hier nennen sie u.a. den Einsatz von Guaven-Blättern als Antiseptikum. Die Autoren sehen die Herausforderung daher vor allem darin, dieses Wissen um wirksame traditionelle Methoden zu erhalten und sinnvoll und kulturell sensibel mit schulmedizinischem Wissen zu verknüpfen (Castro-Palaganas et al. 2001,134f.).
b) Akzeptanz alternativer Heilmethoden in den Philippinen Von Patientenseite ist die Akzeptanz traditioneller Heilmethoden vorhanden, allerdings ist diese häufig eng verbunden mit der Frage des Zugangs zu anderen medizinischen Dienstleistungen. In ländlich geprägten Gegenden, in denen westliche Medizin gut zugänglich ist, werden westliche Medizin und komplementäre Heilmethoden von der Bevölkerung
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gleichermaßen genutzt, nur wenige beschränken sich auf eine Herangehensweise (Velimirovic 1972, 78ff. u. 154ff.). Die beiden Herangehensweisen werden als miteinander vereinbar angesehen. Castro-Palaganas u.a zeichnen für ein Gebiet mit schlechter schulmedizinischer Gesundheitsversorgung im Norden der Philippinen ein anderes Bild: hier sind traditionelle Heilmethoden die einzige zugängliche Alternative für die Bevölkerung (Castro-Palaganas et al. 2001). Für die Insel Siquijor beschreiben Mascuñana und Mascuñana zwei Tendenzen im Umgang mit alternativen Heilmethoden. Zum einen wurden solche Heilmethoden z.T. als Schadenszauber eingestuft, also als Einsatz von heilkundlichem Wissen mit dem Ziel jemandem Schaden zuzufügen. Hierauf weisen beschlagnahmte Instrumente und Mittel von Heilkundigen hin (Mascuñana/Mascuñana 2004, 83). Die Einordnung von traditionellen Methoden als Schadenszauber hatte dabei auch Auswirkung auf den Handlungsspielraum von anderen Heilkundigen, in diesem Falle Kräuterheilkundige (mamanambal) die keinen Schadenszauber, sondern ausschließlich panambal, d.h. kurativ angelegtes Heilen anwenden. Traditionelle Medizin wurde von der Bevölkerung als bedrohlich eingestuft und erst im Lauf der Zeit normalisierte sich der Umgang damit. Die Autoren beschreiben dies als eine zunehmende Emanzipation der Bevölkerung, die sich dem Schadenszauber nicht mehr hilflos ausgesetzt sieht: „According to information, in the early 1960s, anybody suspected of doing sorcery was killed by some local folks planting explosives or dynamite under the house killing the sorcerer including his/her family. In some instance, a few mamanambal were brought to prison (on the pretext of illegal practice of ‚healing without licence‘) since the practice of panambal was believed to also involve the practice of pangdaut (sorcery). At present, the sense of secrecy and dread that surround the praxis panambal-pangdaut has gradually disappeared, the people in the community getting more open towards it (for which the media is partly responsible). Now, local folks know whom (mananambal) to approach for a curse as well a save general knowledge on the use of antidote against sorcery. Stories about amulets or antidotes against sorcery are quite popular in the island.“ (Mascuñana/Mascuñana 2004, 81)
Zum anderen berichten sie auch von einer zunehmenden Attraktivität einiger Rituale auf Siquijor, wo viele Besucher, auch Touristen aus dem Ausland, hinkommen, um einzelne Ritualphasen mitzuerleben. Hierdurch gewinnen nicht nur die Heilkunst, sondern auch die Heilkundigen selbst zunehmend an Status. (ebd., 14) Die angeführten Formen und damit verbundene Akzeptanz fußt allerdings ausschließlich auf Studien, die im ländlichen und stark agrarisch geprägten Raum durchgeführt wurden. Hier lässt sich festhalten, dass traditionelle Heilmethoden weiter Bestand haben, zum einen durch ein neues Interesse, das zum Teil von außen durch ausländische Patienten,
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Medien o.ä. verstärkt wird, zum anderen weil es in einigen Regionen die einzige gut zugängliche Form der Unterstützung im Krankheitsfall ist. Für Städte, und vor allem für die Metropolregion Manila mit knapp 12 Millionen Einwohnern, zeigt sich ein anderes Bild. Da insbesondere die ärmere Bevölkerung in den Städten nicht krankenversichert ist (vgl. das Kapitel zu den gesetzlichen Grundlagen des Gesundheitswesens) und auch sonst kaum Ressourcen für Gesundheitsversorgung aufbringen kann, stellt sich die Frage, auf welche Heilmethoden diese Personengruppen im Krankheitsfall zurückgreifen. Traditionelle Heilkundige gibt es in den Städten zwar auch, allerdings konkurrieren diese mit schulmedizinisch ausgerichteten Angeboten. Ihre Dienste müssen bezahlt werden, wie andere Heilungsangebote auch. Harden untersucht in einer Studie zum Umgang mit Husten und Erkältungskrankheiten, welche Mittel hiergegen von sehr armen Bevölkerungsteilen in Manila eingesetzt werden (Harden 1994). Die von ihm untersuchte Bevölkerung hatte auf Grund fehlender finanzieller Mittel keinen Zugang zu schulmedizinischer Hilfe im Sinn von niedergelassenen Ärzten oder staatlichen Gesundheitszentren. Auch in dieser Gruppe werden pflanzliche Heilmittel zur Linderung von Husten bzw. zur Stärkung des Patienten gegeben, außerdem wird eine der Akupressur ähnliche Massage angewendet (Harden 1994, 51ff.). Vor allem aber versucht diese Gruppe sich durch starke schulmedizinische Arzneimittel zu kurieren. Diese Arzneimittel sind, auch wenn viele davon eigentlich verschreibungspflichtig wären, in kleinen Läden erhältlich (ebd.; vgl. auch Tan 1994, 74). Harden kann mit seiner Untersuchung zeigen, dass die angespannte gesundheitliche Situation in diesen Gruppen dazu führt, auch bei leichten Erkrankungen in Selbstmedikation sehr starke Medikamenten einzusetzen. Die Begründung hierfür liegt darin, einer Verschlechterung vorzubeugen, die in ihrem Kontext ein besonderes Risiko darstellen würde. Traditionelle Medizin und entsprechendes Wissen ist hier wenig vorhanden bzw. wird kaum genutzt. Die Effektivität traditioneller Verfahren wird in Relation zu den Kosten als zu gering eingeschätzt. Diese Haltung wird durch vielfältige Formen der Werbung für schulmedizinische Arzneien verstärkt. Die von staatlicher Seite begonnene Förderung von pflanzlichen Hausmitteln durch Fortbildungsmaßnahmen zeigt hier bislang wenig Effekt. Von politischer Seite wurde 1997 ein Schritt unternommen, der traditionell verankerten Komplementärmedizin einen rechtlich abgesicherten Platz innerhalb der Gesundheitsdienstleistungen zu geben. Hierfür wurde im Republic Act No. 8423: an act creating the Philippine Institute of Traditional and Alternative Health Care (PITAHC) die Grundlage geschaffen. Das Gesetz dient dem Zweck „to improve the quality and delivery of health care services to the Filipino people through the development of traditional and alternative health care and its integration into the national health care delivery system“ (Rep. Act 8423, Art.1 Sec.2). Durch
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das Gesetz soll vorhandenes Wissen über Heilverfahren aufgearbeitet und allgemein zugänglich gemacht werden. Dieses Wissen wird als Ressource verstanden, die gefördert werden soll. Daher wurde das Philippine Institute of Traditional and Alternative Health Care (PITAHC) gegründet, dessen Arbeitsgrundlage durch das Gesetz geschaffen wurde. Alternative Heilmethoden sollen damit als weitere Säule der Gesundheitsversorgung gefördert werden. Hierzu gehört sowohl die Prüfung von Verfahren als auch Fortbildungsmaßnahmen, medizinethische Fragestellungen und die Vernetzung lokal aktiver Heilkundiger. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass das PITAHC hinter diesen hochgesteckten Erwartungen zurückbleibt. Auf der Webseite des Instituts wird auf wenige Aktivitäten verwiesen, die Zahl der geprüften und angebotenen Heilmittel auf Pflanzenbasis ist sehr klein.
c) Gerechtigkeitsaspekte im Umgang mit Komplementärmedizin auf den Philippinen Das starke Ungleichgewicht hinsichtlich des Zugangs zu Gesundheitsversorgung auf den Philippinen spiegelt sich auch im Umgang mit alternativen Heilmethoden wider. Wohlhabende Personen, die zudem im städtischen Raum leben, haben guten Zugang zu Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und können sich deren Dienste leisten. Auf dem Land ist dies bereits schwieriger, zudem sind die Leistungen teuer. Traditionelle Medizin, vor allem in Form von Hausmitteln, wird hier zum manchmal einzigen Heilmittel. Sie füllt eine Lücke und bietet Gesundheitsversorgung in Bereichen an, die sonst gänzlich ohne Versorgung wären. Die Verfahren sind allerdings nur zum Teil hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bzw. Sicherheit überprüft. Die staatliche Unterstützung, die auf Grund des Republic Act No. 8423 und das entsprechende Institut möglich wäre, und von einzelnen Autoren auch eingefordert wird (Castro-Palaganas 2001, 7), fehlt bislang. Komplementärmedizinische Methoden verbleiben ohne einen solchen wissenschaftlichen Hintergrund die unsichere und ineffektivere Alternative zur Schulmedizin. Dies spiegelt sich in den Nutzungsstrukturen in städtischen Gebieten wider: Da man sich von schulmedizinischen Methoden effektivere Heilung verspricht, wird traditionelles Wissen im Bereich der allgemeinen Versorgung verdrängt. Eine echte Wahlmöglichkeit besteht entsprechend nur für Personenkreise, die über die nötigen finanziellen Ressourcen verfügen und es sich leisten können, andere Kriterien als eine reine Kosten-Nutzen-Kalkulation in Betracht zu ziehen. Das den traditionellen Heilmethoden zu Grunde liegende Verständnis von Gesundheit und Krankheit und das schulmedizinische Verhältnis stehen hierbei zunächst pragmatisch nebeneinander. Die Konkurrenz
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zwischen beiden entsteht nicht auf weltanschaulicher Ebene. Auf der Ebene der Nutzung allerdings wird Komplementärmedizin als billigere und weniger wirksame Alternative zur Schulmedizin angesehen. Neben den Hausmitteln, auf die alle zurückgreifen, gilt Schulmedizin als effektivere Form der Krankheitsbehandlung. Innerhalb dieses Verständnisses stellt sich die Frage der Gerechtigkeit als Frage des Zugangs zu effektiver medizinischer Versorgung. Das Mit- und Nebeneinander von traditioneller und Schulmedizin darf nicht als Feigenblatt genutzt werden, großen Bevölkerungsgruppen nicht die Form der medizinischen Behandlung zukommen zu lassen, die sie für sinnvoll erachten.
3. Aspekte von Gesundheit und Gerechtigkeit – ein Vergleich Verschiedene theoretische Konzepte, welche den alternativen Heilmethoden zu Grunde liegen, konkurrieren in unterschiedlicher Weise in den beiden Ländern. Vor allem die Gesetzgebung regelt in beiden Ländern das Verhältnis von Komplementärmedizin und Schulmedizin: im Fall Österreichs ist hierbei ein Primat der schulmedizinischen Logik, deren Prüfmechanismen und auch deren Personal gegeben. Auf den Philippinen agieren die Formen nebeneinander. Die theoretische Auseinandersetzung mit verschiedenen Ansätzen von Heilung und anthropologischen Zugängen zu Gesundheit ähneln sich dabei trotz der verschiedenen Rahmenbedingungen. Beispielsweise wird der Stellenwert von Gebeten und Spiritualität im Heilungsprozess in beiden Ländern – trotz der unterschiedlichen Ausgangslage – ähnlich diskutiert (Gómez/Yu-Soliven 2002; Körtner et al. 2009). Die direkte Wirkung von Gebeten wird dabei sowohl von theologischer als auch medizinischer Seite skeptisch gesehen.35 Die Diskussion der Rolle der Komplementärmedizin in beiden Ländern verdeutlicht zudem den hohen Stellenwert, den Gesundheit hat. Die Diskurse sind bestimmt davon, mit welchen Mitteln die eigene Gesundheit optimal aufrecht erhalten werden kann. In Österreich wird Komplementärmedizin dabei zu einer Art Luxusgut, das zusätzlich zur allgemein zugänglichen Schulmedizin ein Leben in Gesundheit und Beschwerdefreiheit ermöglichen soll. Auf den Philippinen wird Gesundheitsversorgung insgesamt zur Kostenfragen und – vorausgesetzt der Zugang ist zumindest rein räumlich gegeben – durch Abwägungen hinsichtlich der finanziellen Ressourcen und der dafür möglichen Gesundheitsversorgung bestimmt. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung ist in beiden Ländern sehr unterschiedlich: Betrachtet man Heilmethoden als Gesamtheit, ist in bei35 Für die Philippinen vgl. Gaston und Abaquin (in Gómez/Yu-Soliven 2002), für Österreich vgl. Körtner 2009, Krug 2009.
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den Ländern ein Zugang zu medizinischer Versorgung gegeben, allerdings ist die Aufteilung verschieden. In Österreich ist die schulmedizinische Versorgung für alle möglich, der Zugang zu komplementärmedizinischen Methoden ist reglementiert und muss – darüber hinaus – selbst finanziert werden. Auf den Philippinen ist der Zugang zu traditionellen Heilverfahren für einen Großteil der Bevölkerung möglich. Schulmedizinische Versorgung ist hingegen an finanzielle Möglichkeiten und auch regionale Erreichbarkeit geknüpft. Versteht man die Frage von Gesundheit und Gerechtigkeit als eine reine Frage des Zugangs zu Gesundheitsversorgung scheinen beide Länder unterschiedliche Formen der Lösung dafür gefunden zu haben. Zieht man andere Faktoren, wie die Qualität der Versorgung oder auch Kennzahlen wie Heilungs- und Überlebenschancen bei bestimmten Erkrankungen in die Überlegungen mit ein, ergibt sich ein anderes Bild. Gesundheitsversorgung muss nicht nur prinzipiell in irgendeiner Form zugänglich sein, sondern sich auch an ihren Resultaten messen lassen. Hierfür sind weitere Kriterien notwendig. Innerhalb der Abwägungen spielen in beiden Kontexten daher die Effektivität von Behandlungen sowie deren Sicherheit eine wesentliche Rolle. Das Benefizienzprinzip und das Nichtschadens-Prinzip werden hierdurch umgesetzt. Aus der Perspektive der liberalen Gerechtigkeitstheorie von Rawls ist eine Abhängigkeit des Zugangs zu alternativen Heilmethoden vom ökonomischen Status problematisch. Stattdessen sollte dieser Zugang gerecht, d.h. für alle gleichermaßen unabhängig von ihrem Einkommen, möglich sein. Dies entspricht dem Kriterium der Chancengerechtigkeit, womit die kommunitaristische Perspektive von Gerechtigkeit stark gemacht werden kann: Das, was sich innerhalb einer Gemeinschaft über die Zeit hinweg als kulturell anschlussfähige Heilmethoden herausgebildet hat, sollte nicht aus ökonomischen Gründen aus dem Bereich der Medizin gedrängt, sondern als ein Bestandteil von ihr verstanden werden.
IV. Zur Migration von Pflegepersonal Die Philippinen sind weltweit der Hauptexporteur von Pflegepersonal, anders als Österreich, das ein Zielland der Migration von Pflegekräften ist. Schon in den 1960er Jahren fanden viele philippinische Krankenpflegerinnen (und in einem geringeren Umfang Pfleger) Zugang zum amerikanischen Arbeitsmarkt. In den 1970er Jahren kamen auch 700 philippinische Krankenpflegerinnen nach Österreich. Die seither anhaltende globale Migrationsbewegung hat sich im Zuge der Globalisierung im letzten Jahrzehnt nochmals deutlich verstärkt. Dabei migrieren philippinische Pflegekräfte in alle Welt; in Österreich spielen vor allem die aus dem ost-
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europäischen Ausland kommenden, zumeist illegal beschäftigten Pflegerinnen und Pfleger in privaten Haushalten eine Rolle. Gründe für die Emigration aus den Philippinen sind zum einen die anhaltende Armut, der Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal in vielen arabischen und westlichen Ländern und auch die rapide Ausbreitung von Krankenpflegeausbildungsstätten. Zudem wird der Export von Arbeitskräften und darunter Pflegepersonal aktiv von der philippinischen Regierung gefördert. Diese Entwicklung hat deutliche gesellschaftliche Auswirkungen und führt sowohl zu Defiziten in der medizinische Ausbildung und Versorgung in den Philippinen als auch zu gesellschaftlichen Verwerfungen. Im Folgenden sollen die Konsequenzen der massiven Migration von Pflegepersonal unter ethischen, insbesondere gerechtigkeitstheoretischen Gesichtspunkten erläutert werden. Dafür muss aber in einem ersten Schritt die Philippinen als Migrationsgesellschaft beschrieben werden. Die Migration von Pflegepersonal ist zu verstehen als ‚privilegierter‘ Teil einer Kultur der Arbeitssuche in der Diaspora. Des Weiteren werden die gesellschaftlichen und historischen Dynamiken der Migration von Pflegepersonal erläutert, welche es erlauben später diese Frage sozialethisch in den Blick zu nehmen. Für diese normative Bewertung sind auch das Ausmaß und die Gestalt der Migration von Pflegepersonal wichtig. Eine Interpretation der statistischen Angabe zur Migration von Pflegepersonal ist daher erforderlich. Die philippinische Situation wird dann kontrastiert mit der österreichischen Situation als Empfängerland von Pflegekräften. Zuletzt wird die Migration von Pflegepersonal gerechtigkeitstheoretisch erörtert.
1. Die Philippinen als Migrationsgesellschaft In den Philippinen haben 2006 und 2007 jeweils mehr als eine Million Menschen das Land verlassen, um im Ausland zu arbeiten (Asis/Baggio 2008, 1). Diese enorme Migrationsbewegung – pro Tag verlassen somit mittlerweile fast 3000 Menschen das Land36 – wird aktiv von der Regierung gefördert, um durch die Auslandsüberweisungen die fortwährend fragile Wirtschaft am Funktionieren zu halten. Mit einigem Erfolg. Nach offiziellen Angaben lagen die Überweisungen durch sogenannte OFWs (Overseas Filipino Workers) bei jährlich mittlerweile fast 15 Milliarden Dollars (Asis/Baggio 2008, 1). Der tatsächliche Betrag dürfte auf Grund der informellen, nicht von der Zentralbank erfassten Überweisungen
36 Siehe die vom Philippine Overseas Employment Administration (POEA) für 2007 veröffentlichten Zahlen, nach denen täglich 2.952 Menschen täglich die Philippinen verließen, http://www.poea.gov.ph/stats/stats2007.pdf (abgerufen am 30.10.2009).
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deutlich höher liegen (Orbeta 2008, 18). Die Rücküberweisungen stellen somit einen wichtigen Faktor in der philippinischen Wirtschaft dar. Historisch lassen sich drei Phasen der philippinischen Migration im 20. Jahrhundert unterscheiden, welche eng mit der amerikanischen Kolonialgeschichte verknüpft und durch sie geprägt sind (Cabuag 2003, 4ff.). In einer ersten Welle von Anfang des 20. Jahrhundert, als die Philippinen eine amerikanische Kolonie wurden, bis zur Rezession in den 30er Jahren wanderten viele Filipinos in die USA aus, um dort als Landarbeiter und teilweise Fabrikarbeiter zuerst auf Hawaii und später auf dem amerikanischen Festland zu arbeiten. Dies wurde durch den Umstand erleichtert, dass Filipinos bis 1934 als Einwohner einer amerikanischen Kolonie den Einheimischen gleichgestellt waren (Cabuag 2003, 5). Eine zweite Welle der Migration fand ihren Anfang in den späten 60er Jahren, als vor allem Fachpersonal vom Boom der amerikanischen Wirtschaft angezogen und durch politische Rahmenbedingungen gefördert in die USA auswanderte. Obwohl diese Migrationsbewegung kürzer als die erste war und weniger Menschen umfasste, hat sie dennoch ihre Spur hinterlassen, als vor allem gut ausgebildete Arbeiter das Land verließen – Braindrain, also die Abwanderung von gut ausgebildeten Arbeitskräften, ersetzte den physical labor drain. Schließlich begann ab den 70er Jahren aus verschiedenen Gründen eine sukzessive und organisierte Emigration von Vertragsarbeitern, welche bis heute anhält, beziehungsweise sich über die Jahre intensivierte (Nuqui/Panao 2008, 8). Am Ursprung dieser Migration steht eine Grundsatzentscheidung der Regierung von Ferdinand Marcos, die Migration von Arbeitskräften aktiv zu fördern, um sowohl die Arbeitslosigkeit zu senken als auch durch die Auslandsüberweisung die Binnenwirtschaft zu stärken (Parreñas 2003, 52). Zudem war im Zuge des ökonomischen Erstarkens des ölfördernden Nahen Osten dort ein Bedarf an Arbeitskräften, um welchen der philippinische Staat aktiv warb.37 Die Migration hat zudem in den letzten 30 Jahren stetig zugenommen. Während in den späten 80er Jahren noch etwa 30.000 Gastarbeiter die Philippinen pro Monat verließen, waren es Ende 90er Jahre schon 60.000 (Cabuag 2003, 8). Mittlerweile sind es über 80.000, mit weiterhin steigender Tendenz. In den letzten zwei Jahrzehnten haben jedoch deutliche strukturelle Veränderungen in der Arbeitsmigration stattgefunden. Zum einen fand eine Diversifizierung der Migration statt: Filipinos arbeiten nicht nur in Amerika und im Nahen Osten, sondern auch als Entertainer in Japan, als Haushaltshilfe in Hongkong oder Singapur und als Pfleger in Kanada oder Großbritannien (Cabuag 2003, 8f.).
37 Auch heute noch ist es ein gängiges Ritual, dass die Präsidentin auf ihren Reisen aktiv versucht philippinische Arbeitskräfte im Ausland unterzubringen, wie man beispielsweise dem folgenden Artikeltitel des Philippine Daily Inquirer entnehmen kann: „Arroyo in Dubai job hunt; OFWs warned“ (13.4.2009).
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Damit einher geht eine Feminisierung der Migration. Seit geraumer Zeit stellen nicht mehr die überwiegend von Männer ausgeübten Berufe des Seefahrers, Bauarbeiters oder Farmarbeiters den Hauptteil der Gastarbeiter, sondern die weiblich dominierten Berufe der Hausmädchen, Entertainerinnen und (Kranken-)Pflegerinnen, so dass der Anteil der weiblichen Gastarbeiter schon zwei Drittel beträgt (vgl. Cabuag 2003, 9; Abinales/Amoroso 2005, 298). Geschätzt leben zurzeit 8,7 Millionen Filipinos im Ausland (POEA 2007, 42). Damit arbeiten dreimal soviel Filipinos im Ausland wie in der heimischen industriellen Produktion (Montañez 2003, 21). Davon sind etwa die Hälfte temporäre und die andere Hälfte dauerhaft im Ausland lebende Migranten. Während Filipinos fast nie dauerhaft in den Nahen Osten migrieren, sind 90% der in den USA lebenden Migranten dauerhaft in diesem Land.38 Mit anderen Worten: Während der Aufenthalt im Nahen Osten fast immer zeitlich beschränkt ist und in der Regel nach einigen Jahren zu Ende geht, ist die Migration nach Nordamerika meist permanent. Dies entspricht auch der öffentlichen Grundhaltung in den Philippinen, in welcher das Leben in den USA idealisiert wird. Diese Diaspora, die 10% der Bevölkerung der Philippinen ausmacht, wird vor allem dadurch gesellschaftlich problematisch, weil die Migration primär die arbeitende Bevölkerung betrifft. Außerdem ist die demographische Situation in den Philippinen so beschaffen, dass der Anteil der Bevölkerung im Arbeitsalter deutlich kleiner ist als in westlichen Breitengraden, was durch das niedrige Durchschnittsalter auf den Philippinen von 22,5 Jahren ersichtlich wird. Gesellschaftlich wird der Exodus von philippinischen Arbeitskräften verschieden bewertet. Zum einen wird auf den ökonomischen Nutzen hingewiesen, welche mit Rücküberweisungen deutlich zum Bruttosozialprodukt beitragen (Abinales/Amoroso 2005, 298). Wiederholt wird in der Literatur betont, dass die philippinische Wirtschaft sonst zusammenbrechen würde (Montañez 2003, 21). Andererseits fehlen dadurch nicht nur qualifizierte Fachkräfte im Inland, sondern auch eine engagierte, aktive Schicht im politischen als auch ökonomischen Leben. Schließlich führt die Migration auch zu familiären und gesellschaftlichen Problemen, die durch den ausgesprochenen Familiensinn noch stärker ins Gewicht fallen (Kaelin 2009). Die von Arboleda, Nuqui und Panao gesammelten Geschichten über philippinische Migrantenschicksale veranschaulichen eindrücklich die sozialen und psychologischen Probleme, welche durch eine über Jahre getrennte Familie auftreten (Arboleda/Nuqui 2007, Nu-
38 Dauerhaft wird laut POEA dadurch definiert, dass der Aufenthaltstitel nicht abhängig vom Arbeitsvertrag ist. Neben diesen beiden Kategorien wird in den Schätzungen der POEA eine dritte Kategorie der ‚irregulären‘ Auslandsfilipinos aufgeführt (POEA 2007, 42ff.).
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qui/Panao 2008). Der Preis für den ökonomischen Wohlstand geht oftmals zu Lasten eines intakten Familienlebens. Obwohl die teilweise vertretene Ansicht, wonach kaum eine Familie mehr kein Mitglied im Ausland hat, wohl übertrieben ist, so zeugt sie doch von einer gesellschaftlichen Realität, welche vor allem in der Mittelklasse verbreitet ist.39 Die individuelle wie gesellschaftliche Abhängigkeit von der finanziellen Unterstützung durch OFW findet auch im politischen Alltag deutlich Ausdruck. Schicksale von OFWs stehen bei internationalen Konflikten vor allem im Nahen Osten – sei es der Bürgerkrieg im Libanon oder der unter US-amerikanischer Führung vorgenommene Angriff auf den Irak – im Zentrum der Berichterstattung. Das philippinische Truppenkontingent von einigen Duzend Soldaten im Irak wurde auf Grund der Entführung eines im Irak tätigen philippinischen Lastwagenfahrers, die wiederum verknüpft war mit einer Enthauptungsdrohung sofern die philippinischen Streitkräfte weiterhin im Land bleiben würden, umgehend abgezogen.40 Die allgemeine Sensibilität in den Philippinen ist groß, wenn das Leben der philippinischen Migranten in Gefahr ist. Dies liegt möglicherweise auch daran, dass ein halb unterdrücktes Bewusstsein der prekären Situation besteht, welcher die Migranten in ihrem neuen, unbekannten Umgebung erwartet. Zumal die Arbeitsbedingungen als Entertainerin oder Haushaltshilfe mit einem erhöhten Risiko des Missbrauchs verbunden sind. Daher erstaunt es nicht, dass die Hinrichtung von Flor Contemplación, einer philippinischen Haushaltshilfe in Singapur, welche beschuldigt wurde, ein Kind und eine Haushaltshilfe ermordet zu haben, zu anhaltendem öffentlichen Protest und diplomatischen Unstimmigkeiten zwischen Singapur und den Philippinen führte. Wenn nun der Blick speziell auf die Migration von Pflegepersonal gerichtet wird, so darf dabei nicht vergessen werden, dass es dabei um einen Teilaspekt einer umfassenderen Migration geht. Jedoch zeichnet sich die Pflegekräftemigration dadurch aus, dass sie tief historisch verwurzelt ist und einen sehr großen Teil der Migration von qualifizierten Arbeitskräften ausmacht.41 Im Folgenden wird diese Migration genauer untersucht,
39 „Rare is the Filipino family nowadays that has none of its members living abroad. We have long become a nation of emigrants.“ (David 2004, 108) Diese Einschätzung steht in einer Spannung zur Angabe von Yang/Martinez (2006, 82), wonach nur 6% aller Haushalte ein Mitglied im Ausland haben. 40 Siehe beispielsweise den Bericht der BBC vom 19.7.2004 (http://news.bbc. co.uk/2/hi/middle_east/3904053.stm (abgerufen am 30.10.2009) oder die Erläuterungen von Abinales/Amoroso (2005, 299f.). 41 Die Kategorie der domestic helpers macht bei weitem den größten Anteil der Migration aus, vor production and reltated workers und caregivers and caretakers. Die Anzahl der nach offiziellen Angaben in 2007 migrierten professionellen Pflegekräften betrug lediglich ein Fünftel der Haushaltshelfer; vgl. http://www.poea.gov.ph/stats/stats2007.pdf (abgerufen am 30.10.2009, 18).
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zuerst aus historischer Perspektive und dann mit Blick auf die Statistik der Pflegemigration heute.
2. Migration von Pflegepersonal in historischer Perspektive Catherine Ceniza Choy beschreibt in historischer Perspektive die Migration von Pflegepersonal vor allem in die Vereinigten Staaten und sieht die Wurzeln in der kolonialen Vergangenheit der Philippinen (Choy 2003). Es wäre zu einfach, die Migration von Pflegepersonal als eine Ansammlung von individuellen, rationalen Entscheidungen von einzelnen Krankenpflegerinnen zu verstehen, welche zwecks Erwerbssteigerung das Land verlassen wollen. Eine solche Sicht vernachlässigt die Rolle, welche die involvierten Regierungen und die Rekrutierungsagenturen spielen. Außerdem vergisst eine solche Sicht die historische Dimension, in welcher sich Migrationsströme immer bewegen. So hat die koloniale Vergangenheit maßgeblich zu den Ursprüngen des Exports von philippinischem Pflegepersonal beigetragen. Die Krankenpflege spielte eine wichtige Rolle im amerikanischen kolonialen Projekt am Anfang des 20. Jahrhunderts. So entwickelte sich das philippinische Gesundheitssystem mit dem Import durch die Kolonialmacht Amerika. Es kamen amerikanische Ärzte und Pfleger in die Philippinen, und es ließen sich schon damals Filipinos in Amerika ausbilden (Choy 2003, 15ff.). Die Einführung eines westlichen Gesundheitswesens geriet jedoch an verschiedenen Stellen mit traditionellen Gesundheitsvorstellungen in Konflikt. Beispielsweise war auch die Idee von Krankenpflegerinnen den Philippinen fremd und wurde gegen kulturelle Bedenken durchgesetzt (Choy 2003, 25). Die Einführung der Krankenpflege in die Philippinen war von Anfang an eine geschlechtsabhängige Angelegenheit.42 Zum einen gab es den amerikanischen Frauen einen Platz im kolonialen Unternehmen, zum anderen entwickelte sich die Krankenpflege-Mütze bald zum Symbol der Modernität der Filipina (Choy 2003, 36). Dieser „wohlwollende“ Kolonialismus verknüpfte den importierten medizinischen Fortschritt mit der Rechtfertigung der Ausübung kolonialer Herrschaft (ebd., 21f.). Gleichzeitig bereitete die Entwicklung des philippinischen Gesundheitswesens unter deutlichem Einfluss von amerikanischen Ärzten und Pflegern den Boden für die spätere Migration von philippinischem Pflegepersonal. Der Grundstein für die Massenmigration von philippinischem Pflegepersonal in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde somit in der frühen amerikanischen Kolonialzeit gelegt. Laut Choy sind es fünf ver42
Wie sich die Krankenpflege im europäischen Kontext zu einem weiblichen Beruf entwickelt hat, ja ‚gemacht‘ wurde, zeigt Claudia Bischoff (1994) in ihrer Studie über die Entwicklung der Frauenrolle in der Krankenpflege.
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schiedene Aspekte, die den Boden für die spätere Pflegemigration bereitet haben (Choy 2003, 41ff.). Erstens wird das Leben und Arbeiten in Amerika bis heute idealisiert. „Filipino nurses’ idealization of American work and academic experience would be only one of several preconditions that would lay the foundation for Filipino nurse mass migrations overseas in the second half of the twentieth century. Americanized nursing education and work culture in the Philippines would inform and shape others.“ (Choy 2003, 40)
Zweitens führte die amerikanische Kolonialisierung mit der Prägung des Erziehungssystems (in deutlich stärkerem Maße als die spanische Kolonialisierung) zu einer amerikanisierten Krankenpflegeausbildung. Drittens haben die USA wiederum deutlich stärker als die Spanier die Philippinen sprachlich geprägt; fließendes Englisch gehört daher zum Kapital der philippinischen Pfleger auf dem internationalen Pflegekräftemarkt. Viertens sorgte die Kolonialzeit nicht nur für Sprache und Ausbildung, sondern auch für eine amerikanisierte Arbeitskultur. Schließlich, fünftens, wurde in der amerikanischen Kolonialzeit auch die Krankenpflege als geschlechtsspezifische Arbeit für Frauen eingeführt. All diese Grundvoraussetzungen reichten jedoch noch nicht aus, fehlte doch der Ermöglichungsgrund für die tatsächliche Migration von Pflegepersonal, nämlich die rechtlichen Rahmenbedingungen und die faktische Nachfrage von Pflegerpersonal in Amerika. Bis dahin blieb die Migration ein Traum. Dies änderte sich durch das 1948 von der amerikanischen Regierung ins Leben gerufenen Exchange Visitor Program, welches philippinischen Krankenpflegerinnen erlaubte, für maximal zwei Jahre in den USA zu arbeiten. Liest man die Erfahrungsberichte dieses Programms bis in die 60er Jahre hinein, so sieht man, wie es von Seiten amerikanischer Gesundheitsinstitutionen dazu benutzt wurde, Lücken im Pflegepersonal kostengünstig zu füllen, es aber auch von philippinischen Krankenpflegerinnen als Möglichkeit der permanenten Auswanderung wahrgenommen wurde. Die Rückkehr zur Arbeit in der Pflege in den Philippinen kam nicht in Frage; zu groß wurde der sozioökonomische Vorteil schon damals wahrgenommen. Die Arbeit in den USA gab den Pflegerinnen nicht nur bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch einen deutlich höheren Lohn43 und nicht zuletzt einen erhöhten Status für sich und die zurückgebliebene Familie innerhalb der Philippinen.44 Schon in den frü43 Choy (2003, 70) errechnet, dass 1971 der Gehalt einer Krankenpflegerin in den USA zwölfmal so hoch war wie derjenige in den Philippinen. So wird auch klar, was bis heute gilt, dass der mit Abstand wichtigste Grund für die Migration die Gehaltsdisparität ist. 44 Choy 2003, 74ff. Status ist in den Philippinen nicht so sehr ein Attribut von Indiviuen als eines von Familien. Der Ethnologe Landa F. Jocano bringt es auf den Punkt: „All personal consideration come second to those of family interest.“
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hen 60er Jahren wurde die Ausbildung zum Krankenpfleger deswegen aufgenommen, weil man damit im Ausland – vor allem in den USA – arbeiten konnte; in der Tat wurde laut dem Slogan Your Cap is a Passport die Ausbildung zur Krankenpflegerin genau als das verstanden: als Ticket nach Übersee (Choy 2003, 73 und 90).45 Jedoch rief der auf breite Resonanz stoßende Wunsch nach der Ferne, nach Amerika, schon in den 60er Kritiker auf den Plan, welche den Mangel an guter Gesundheitsvorsorge vor allem in ländlichen Regionen der Philippinen monierten. Was bis dahin nicht vorgesehen war, wurde durch den Immigration and Nationality Act 1965 zur bis heute anhaltenden Norm, nämlich nicht die temporäre, sondern die permanente Auswanderung in die USA. Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in Amerika erleichterte es, philippinischen Ärzten und Pflegepersonal auszuwandern. Diese kamen über das alte Exchange Visitor Program und vor allem über die gesetzlich festgelegten Quoten nach Amerika. Die Zahlen sind zwar nach heutigem Maßstab gering – in der zweiten Hälfte der 60er Jahre sind wohl gut 3.000 philippinische Pfleger und fast ebenso viele Ärztinnen in die USA eingewandert – doch war der Trend deutlich sichtbar und erwies sich als dauerhaft. Zum ersten Mal kamen die meisten neuen Krankenpfleger in den USA aus den Philippinen.46 1970 waren mehr philippinische Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen in Kanada und den USA registriert als in den Philippinen (Kingma 2006, 11). Aktiv wurde schon in den 60er Jahren um philippinisches Pflegepersonal geworben, welches durch die schlechten Arbeitsbedingungen und niedrig Löhne in den Philippinen willens war, den Verheißungen von Rekrutierungs-Agenturen und in Zeitungen werbenden amerikanischen Krankenhäusern zu folgen. Die Verheißung eines Lebens in Amerika erzeugte einen Sog auf den Pflegeberuf, so dass schon Anfang der 60er Jahre nicht ausreichend Studien-
(Jocano 1998, 61f.) Die westliche Vorstellung des Einzelnen, welcher sich seinen Platz in der Gesellschaft sucht, trifft auf die Philippinen, wenn dann nur sehr bedingt zu. Viel eher entscheidet die Familie für den Einzelnen: „The family is the Filipino society. The family chooses for the individual his own function and role“ (Andres/Ilada-Andres 1987, 43). Über die Bedeutung von Ehre geben wiederum die von Nuqui und Panao gesammelten Migrationsgeschichten Auskunft, indem sie unter anderem veranschaulichen, wie eine erfolglose Rückkehr aus dem Ausland zu einem Gesichtsverlust führen kann (Nuqui/Panao 2008). 45 Der von Choy angefügte Rekrutierungsslogan findet sich verschiedentlich (stets mit Referenz zu Choy), aber immer in einer – eigentlich noch einprägsameren – Formulierung als Your Cap is Your Passport (Brush/Sochalski 2007, 39; Kingma 2006, 23). 46 „By 1967, the Philippines became the world’s top sending country of nurses to the United States, ending decades of numerical domination by European and North American (?) countries. In 1967, Filipino nurses received the highest number of U.S. nursing licenses among foreign-trained nurses, followed by Canadian and then British nurses.“ (Choy 2003, 98)
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plätze zur Verfügung standen. Dies führte zu einer Vervielfachung von Ausbildungsstätten für Krankenpfleger von 17 auf 140 zwischen 1950 und 1970 (vgl. Choy 2003, 111).47 Eine nochmalige Verstärkung erfuhr die Migrationsbewegung durch die Forcierung des Exports von Gütern und Arbeitskräften durch die Marcos Administration. So richtete sich der Präsident im Philippine Journal of Nursing direkt an das Pflegepersonal mit den Worten: „We intend to take care of [Filipino nurses] but as we encourage this migration, I repeat, we will now encourage the training of all nurses because as I repeat, this is a market that we should take advantage of. Instead of stopping the nurses from going abroad why don’t we produce more nurses? If they want one thousand nurses we produce a thousand more.“ (Ferdinand Marcos zitiert in Choy 2003, 115f.)
Die offene Werbung für den Export von Pflegepersonal und die damit einhergehende Hoffnung auf Unterstützung der einheimischen Wirtschaft durch Rücküberweisungen stellen seit Marcos einen Grundpfeiler der philippinischen Politik dar. Die Philippinen sind mit ihrer aktiven Exportstrategie von Pflegepersonal bis heute einzigartig (Brush/Sochalski 2007, 37). Ihre Unterstützung der Familien durch die Arbeit im Ausland, macht die Krankenpfleger im Ausland zu den ‚neuen Nationalhelden‘ (vgl. Choy 2003, 116).48 Durch die 70er Jahre hindurch blieben die Philippinen das Hauptexportland von Pflegepersonal in den USA. Für die Pflegekräfte tat sich zudem ab Mitte der 70er Jahre ein neuer Markt auf, nämlich der Nahe Osten. Der ökonomische Boom zog zwar primär männliche Migranten an, welche im Baugewerbe tätig waren, doch zeigt die Statistik für diesen Zeitraum schon Mitte der 80er Jahre einen Anstieg des Bedarfs an Arbeitskräften im Dienstleistungssektor: Haushaltshilfen, Entertainerinnen und nicht zuletzt Krankenpflegerinnen. In den 80er Jahren nahm die Anzahl der in die Vereinigten Staaten emigrierenden Pflegerinnen und Pfleger ab, und der Nahe Osten gewann an Bedeutung für Pflegekräfte (Ball 2004, 124). Die Gesamtzahl des emigrierenden Pflegepersonals ist seither – trotz einiger Schwankungen – konstant hoch geblieben. „Since the 1980s, the annual exodus of nurses has fluctuated markedly but has always remained substantial to the extent that according to the World Health
47 Diese Pflegerschulen sind ein sehr lukratives Geschäft in einem Gesellschaftssystem, in welchem die Tertiärausbildung primär in privater Hand ist. Die Ausbildungskosten sind sehr hoch, was den Beruf für ärmere Familien unzugänglich macht. 48 Eine Einschätzung, die sich bis heute hält; vgl. Abinales und Amoroso (2005, 299): „Little wonder that the state calls OFWs the nation’s ‚heroes‘ and accords them small courtesies such as dedicated immigration counters at the country’s international airports.“
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Organization (WHO), the Philippines is the largest global exporter of registered nurses.“ (Ball 2004, 124)
Schließlich sind die Migrationsströme in der globalisierten Welt vielschichtiger geworden, was in den Philippinen als Chance begriffen wird. Während sich früher die Migration von Pflegepersonal von einigen wenigen Entwicklungsländern zumeist in die Länder ehemaliger Kolonialmächte abspielte, sind die heutigen Migrationsbewegungen umfassender und ausdifferenzierter.49 Einen Blick auf die letzten knapp zwanzig Jahre zeigt große Schwankungen in den Destinationen. So wanderten über 5.000 Pflegekräfte 2001 nach Großbritannien aus. Die Zahl pendelte sich danach aber wieder im dreistelligen Bereich ein. Die mit Abstand größte Zahl von Pflegepersonal emigrierte nach Saudi Arabien, wohin jährlich etwa zwischen 3.000 und 6.000 Krankenpflegerinnen migrierten (POEA 2006, 42). Laut dieser Statistik sind seit 1996 nie mehr als 500 Pflegerinnen jährlich in die USA ausgewandert. Jaime Galvez Tan, ein ehemaliger Gesundheitsminister, verweist jedoch darauf, dass die Wege, auf welchen Krankenpflegerinnen in die USA gelangen, nur unzureichend von der offiziellen Statistik erfasst werden. Alleine im Jahr 2001 seien an die 10.000 philippinische Krankenpfleger von amerikanischen Krankenhäusern angeworben worden (Galvez Tan 2005).
3. Die Migration von Pflegepersonal heute In den vergangenen Jahrzehnten ist ein deutlicher Anstieg von Absolventen von Pflegestudiengängen wie Pflegestudieneinrichtungen zu verzeichnen.50 Mit der weltweiten Nachfrage nach Pflegekräften sind auch in den Philippinen mehr Pflegekräfte ausgebildet worden. „As the demand for nursing services grew, so too did the production and exportation of Filipino nurses.“ (Brush/Sochalski 2007, 38) Nach der Statistik der POEA haben zwischen 2000 und 2007 zwischen 7.000 und 14.000 Krankenpfleger jedes Jahr die Philippinen verlassen, wovon zwischen 80 und 90% weiblich waren (POEA 2006, 42; POEA 2007, 18). Das die reale 49 Brush und Sochalski (2007, 38) beschreiben die vielschichtigen Migrationsströme in Detail: „The internation movement of workers is anything but linear, however. Many countries both send and receive health workers […] For example, Canada supplies the United States as it recruits from South Africa, which recruits from Cuba. Australia and New Zealand supply the United Kingdom while they recruit from the Pacific Island states that recruit from Burma and China.“ Zudem wechseln die migrierenden Pfleger oft das Land, jedoch nur in eine Richtung. 40% von den in Großbritannien beschäftigten philippinischen Pflegekräften waren zuvor im Nahen Osten oder anderen Ländern Südostasiens beschäftigt (Kingma 2006, 13). Der umgekehrte Fall, d.h. dass Filipino zuerst in Großbritannien und dann im Nahen Osten arbeiten, ist dagegen äußert selten. 50 Da die Datenlage zu aktuellen Migrationsbewegungen uneinheitlich ist, werden im Folgenden verschiedene Indikatoren für Migration zusammengeführt.
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Zahl deutlich darüber liegen dürfte, machen die Ausführungen von Galvez Tan deutlich (Galvez Tan 2005). Im gleichen Zeitraum haben zwischen 8.000 und 50.000 (!) Krankenpflegeschüler jährlich die nationale Zulassungsprüfung abgelegt, die jedoch nur von jeweils der Hälfte bestanden wurde. Während von 2000 bis 2003 jeweils einige Tausend Krankenpfleger mehr das Land verließen als die Prüfung bestanden haben, ist in den darauffolgenden Jahren (2004 bis 2006) die Anzahl der erfolgreichen Pflegeschulabgänger enorm gestiegen.51 Jahr 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
Geprüfte 9.270 8.269 9.449 15.606 25.294 50.280 42.006 67.728
Bestanden 4.601 4.430 4.228 7.526 12.581 25.951 17.781 28.924
Emigriert 8.341 13.822 12.335 9.270 8.879 7.768 8.528 9.178
Differenz - 3.740 - 9.392 - 8.107 - 1.744 3.702 18.183 9.253 19.746
Quelle: Brush/Sochalski 2007, 41; Brush 2008, 22; Rodis 2007; POEA 2006; POEA, 2007
Die Zahl der Absolventen von Krankenpflegeschulen ist in den letzten Jahren weiter gestiegen. So haben sich 2009 78.574 Personen zur Zulassungsprüfung angemeldet.52 Die starken Schwankungen erklären sich unter anderem mit den unterschiedlichen Nachfragen von Empfängerländern und den dadurch entstehenden Rückkopplungseffekten. So bestand in den 80er Jahren in den Philippinen eine beträchtliche Unterbeschäftigung von Pflegepersonal dadurch, dass die USA einen kleineren Bedarf hatten. Dies führte zu einem drastischen Einbruch bei den Absolventen von Pflegeschulen. Nachdem die Nachfrage nach Pflegepersonal wieder anstieg und viele Krankenpflegerinnen emigrierten, führte dies zu einer empfindlichen Knappheit von Pflegepersonal in den Philippinen, worauf sich wiederum in den späten 90er Jahren viele Menschen zu Krankenpflegern ausbilden ließen (Ball 2004, 125). Nun sollte auch die enorm hohe Zahl von Absolventen von Pflegeschulen nicht über die gesellschaftliche Problematik hinwegtäuschen. Die Motivation, sich zur Krankenpflegerin ausbilden zu lassen, ist mit dem Wunsch im Ausland zu arbeiten verbunden. Demzufolge wird in den 51 In der zweiten Hälfte der 90er Jahre haben dagegen deutlich mehr Pfleger die Prüfung gemacht und bestanden als emigriert sind (Brush/Sochalski 2007, 41; POEA 2006, 42). 52 So vermeldete es der Philippine Daily Inquirer am 21.5.2009.
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Philippinen die Ausbildung als Sprungbrett für einen Arbeitsvertrag im Ausland betrachtet (Ball 2004, 125). Sollte sich dieser Wunsch nicht erfüllen, so ist die Alternative nicht die Arbeit in der Pflege in den Philippinen, sondern vielmehr die Arbeit in einem Callcenter oder als Flugbegleiter. Es lässt sich daher nicht durch eine einfache Subtraktion der migrierten Pfleger auf die in den Philippinen tätigen schließen. Dieser Sachverhalt einer Krankenpflegeausbildung für den Export hat verschiedene Folgen. Zum einen ist es für philippinische Krankenhäuser schwierig, erfahrene Krankenpflegerinnen zu finden. Oftmals bleiben nur die neu ausgebildeten Krankenpflegerinnen in den Philippinen zurück, während die erfahrenen und auch die Ausbilder das Land verlassen. Darunter leidet die Qualität in der Pflege (Troy et al. 2007). Der Exodus führt aber auch zu einer Verschlechterung der Ausbildung von Pflegekräften während des Studiums. Unter der raschen Ausbreitung von Pflegeausbildungsstätten mit mangelnden personellen Ressourcen – mit Dekanen, die gleichzeitig verschiedene Schulen leiteten und vielen nur auf dem Papier existierenden Dozenten – litt die Lehre. Nach einer Überprüfung durch die Regierung 2004 mussten nicht weniger als 23 Krankenpflege-Ausbildungsstätten schließen (Brush/Sochalski 2007, 41). Nun könnte man argumentieren, dass gerade bei zeitlich befristeten Arbeitsverträgen, die vor allem im nahen Osten zur Anwendung kommen, die Krankenpfleger langfristig den Philippinen erhalten bleiben. Angesichts der Motivation, welche zur Ausbildung antreibt, der schlechten Arbeitsbedingung, dem niedrigen Gehalt und dem schlechten sozialen Status der Krankenpflege in den Philippinen ist eine solche Rückmigration illusorisch. Falls eine Rückmigration stattfindet, dann nicht um in den Philippinen als Krankenpflegepersonal zu arbeiten. Folglich findet auch keine Wissenstransfer zurück in die Philippinen statt (Troy et al. 2007). Während in anderen Ländern der Braindrain von einer brain circulation abgelöst wird, so geht in den Philippinen die Migrationsbewegung nur in eine Richtung. Und die Regierung unternimmt auch keine Anstrengungen die Rückmigration zu fördern.53
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„The pattern for Philippine nurses, however, is different. They seem to go abroad and bring their families as soon as they are settled, including parents and siblings. Philippine nurses tend not to return to their native country. There has been no campaign on the part of the Filipino government to encourage return migration – quite the opposite, in fact. The Philippine government has put a greater focus on establishing protective government offices in countries where there are large communities of Filipino migrant workers. The emphasis is servicing their exported workers in the destination countries rather than encouraging them to return to the Philippines.“ (Kingma 2006, 203) Ob Rückmigration stattfindet, hängt auch an den politischen Möglichkeiten und dem Willen der Regierung, welche solche Migrationsbewegungen fördern oder entgegenwirken kann.
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Das wohl beunruhigendste Zeichen des sich intensivierenden Sogs zur Emigration ist die Umschulung von Ärzten zu Pflegern zwecks Verbesserung der Migrationschancen. Prominent in die mediale Öffentlichkeit getragen wurde das Thema 2004, als der Jahrgangsbeste der landesweiten Ärzteprüfung unmittelbar nach Studienabschluss das Land verließ, um in den USA als Krankenpfleger zu arbeiten (Abinales/Amoroso 2005, 299f.; Geller 2007). Die öffentliche Deutung dieses Vorgangs schwankte zwischen dem Vorwurf des Landesverrats und der Würdigung der Emigration als selbstlosem Einsatz zum Wohle der Familie. Dass das Leben als Pfleger in den Vereinigten Staaten durchaus auch mit Problemen verbunden sein kann, bemerkte mit sanftem Unterton der Philippine Daily Inquirer als besagter Jahrgangsbester nach nur fünf Monaten seinen Job in den USA wegen schlechter Arbeitsbedingungen an den Nagel hängte, jedoch schnell wieder einen neuen fand (Lirio 2006; Geller 2007). Gesellschaftlich problematisch ist die weit verbreitete Tendenz von Ärzten (und andere Fachkräfte) sich zu Pflegern umschulen zu lassen, da die entstehenden Versorgungslücken nicht schnell geschlossen werden können. Schätzungen gehen davon aus, dass sich 9.000 von 56.000 der Ärzte in den Philippinen zu Pflegern umschulen ließen, wovon gut die Hälfte schon emigriert sind (Geller 2007). Dies führt vor allem in ländlichen Krankenhäusern zu Knappheit von Pflegern und Ärzten und wirft die im Folgenden zu besprechenden gerechtigkeitstheoretischen Fragen auf.
4. Pflegemigration nach Österreich Im Gegensatz zu den Philippinen hat Österreich eine Tradition als Zielland von Pflegekräften. Ähnlich wie sich die Abwanderung von Pflegekräften in den Philippinen in den 1960er Jahre intensivierte, so hat die Zuwanderung von Pflegerinnen und Pflegern nach Österreich ihren Anfang in der anwachsenden Arbeitsmigration der 1960er Jahre. Pflegekräfte migrierten in dieser Zeit aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich; 1974 wurden 700 Krankenpflegerinnen aus den Philippinen rekrutiert (Lenhart/Österle 2007, 9). Schwierig gestaltete sich die Anfangsphase der zugewanderten philippinischen Pflegekräfte vor allem aus sprachlichen und kulturellen Gründen. So dauerte es auch eine Zeit bis ein Vertrauensverhältnis zwischen dem zugewanderten und dem österreichischen Pflegepersonal sowie mit den Patienten aufgebaut worden war (Wittmann 2005). Heute stammen die meisten zugewanderten Pflegekräfte in Österreich aus dem südost- bzw. osteuropäischen Raum. Dabei werden sie sowohl zur legalen Krankenpflege in Krankenhäusern eingesetzt als auch verstärkt zur oftmals illegalen (Alten-)Pflege in privaten Haushalten. Nach offiziellen Angaben sind knapp 7% aller Pflegekräfte nicht öster-
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reichische Staatsbürger. Fragt man danach, ob die Pflegekräfte im Ausland ausgebildet wurden, so ergibt sich ein Prozentsatz zwischen 8,2% (Krankenanstalten) und 10,5% (Alten- und Pflegeheime) (Lenhart/Österle 2007, 9). Diese Zahlen liegen unterhalb des Ausländeranteils an der Gesamtbevölkerung. Diese offiziellen Zahlen erfassen kaum die Pflegekräfte, die in der sogenannte 24-Stunden-Pflege in Privathaushalten arbeiten. Eine solche ganztätige Betreuung pflegebedürftiger Personen wird durch das österreichische Hausbetreuungsgesetz geregelt, das seit dem 1. Juli 2007 in Kraft ist. Dieses regelt die Auszahlung eines Pflegegeldes für pflegebedürftige Personen. Gesicherte Zahlen, wie viele ausländische Pflegekräfte in dem Bereich tätig sind, liegen nicht vor. Schätzungen gehen von 20.000 bis 40.000 ausländischen Pflegekräften aus (Lenhart/Österle 2007, 8). Kondratowitz (2005, 420) bezeichnet Österreichs Umgang mit irregulärer Pflegearbeit als „Duldungsstrategie“, welche er gegenüber einem restriktiveren Vorgehen in Deutschland gegen „Schwarzarbeit in der Pflege“ (2005, 420) und einem sukzessiven Legalisierung irregulärerer Pflegeverhältnisse in Italien abgrenzt. Die Hilfskräfte, so Kondratowitz, werden durch Agenturen oder Vereine vermittelt. Es bestehen also in Österreich schon übergeordnete Strukturen, die die Migration von Pflegekräften organisieren. Gerade im Bereich der Pflege in Privathaushalten spielen in Österreich aus dem Ausland rekrutierte Pflegekräfte eine entscheidende Rolle. Diesen Arbeitsverhältnissen in der Pflege im Privathaushalt fehlen arbeitsrechtliche Absicherungen und Versicherungsschutz. Außerdem besteht durch fehlende Sprach- und Rechtskenntnisse eine große Abhängigkeit gegenüber dem privaten Arbeitgeber. Zwar wird oft von beiden Seiten versucht, ein für die Arbeit im Privathaushalt notwendiges Vertrauensverhältnis herzustellen, in welchem die Pflegerin als Teil der Familie verstanden wird. Jedoch sollte diese Rhetorik nicht über die grundlegende Prekarität dieser Arbeits-verhältnisse in der informellen Pflege hinwegtäuschen (Gendera/Hai-dinger 2007, 30).
5. Gerechtigkeitstheoretische Überlegungen Grundsätzlich gilt, dass die Pflegemigration ein existierendes Ungleichgewicht zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern verstärkt. Wie im obigen Abschnitt zu Österreich gesehen, besteht ein solches Ungleichgewicht auch innerhalb Europas. Choy errechnet, dass den zwei Dritteln der Weltbevölkerung, die in Entwicklungsländer leben, nur 15% des weltweiten Pflegepersonals zur Verfügung stehen. Die Migration verstärkt dieses Ungleichgewicht nochmals, weswegen Choy vom Empire of Care spricht (Choy 2003, 3). Diese Migration von Pflegekräften geschieht auch innerhalb Europas mit der Haupttendenz von Osten nach Westen. In der obigen Beschreibung klingen schon ethisch problemati-
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sche Aspekte des Exodus von Pflegepersonal an. Hierbei sind vor allem die Dynamik der sich verschlechternden Gesundheitssituation in den ländlichen Gebieten der Philippinen und die Umschulung von Ärzten zu Pflegern zu diskutieren. In diesem Teilkapitel geht es darum, von den im ersten Teil dargelegten Gerechtigkeitstheorien ausgehend das soziale Phänomen der Migration von Pflegepersonal unter die Lupe zu nehmen. Folgt man dem im ersten Teil ausführlich diskutierten liberalen Gerechtigkeitsmodel wie es John Rawls paradigmatisch formuliert hat und wendet es auf die globale Ebene an, so gehört der Zugang zur Gesundheitsvorsorge zu den von ihm besprochenen Grundgütern, welche unabdinglich für das Leben als freie Bürger in der Gesellschaft sind (Rawls 2001, 57f. und 170f.).54 Ein nach dem Differenzprinzip zu bestimmendes Minimum an Gesundheitsvorsorge muss gewährleistet werden, damit wir von unseren basalen Rechten Gebrauch machen können und damit Chancengleichheit innerhalb der Gesellschaft hergestellt wird (Rawls 2001, 174).55 Insofern die Migration von Pflegepersonal die ohnehin prekäre und oftmals von den finanziellen Möglichkeiten abhängige Gesundheitsversorgung der Bürger in den Philippinen beschränkt und damit das Grundgut der Gesundheit bedroht, unterminiert sie die liberale Gerechtigkeitsnorm. Zugleich wäre die Rückfrage zu stellen, inwiefern die Migration nach Österreich das Gesundheitswesen im südosteuropäischen Raum schwächt. Nun könnte man argumentieren, dass die Knappheit von Krankenpflege anderenorts genauso schwer wiegt und es daher – blendet man die normative Kraft nationaler Gemeinschaften aus – das Gerechtigkeitsdefizit damit nur zwischen zwei Ländern hin und her geschoben wird.56 Diese Sicht jedoch verkennt das bestehende Ungleichgewicht von Krankenpflegepersonal zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. So besteht in den Industrieländern eine deutlich höhere Krankenpfleger-Bevölkerung-Ratio als beispielsweise in Südostasien
54 Grundgüter [primary goods] sind die „various social conditions and allpuropse means that are generally necessary to enable citizens adequately to develop and fully exercise their two moral powers, and to pursue their determinate conceptions of the good (…) Primary goods are things needed and required by personas seen in the light of the political conception of persons, as citizens who are fully cooperating members of society, and not merely as human beings apart from any normative conception.“ (Rawls 2001, 57) 55 Dieses Minimum an Gesundheitsversorgung darf nicht so groß werden, dass es andere vitalen Bereiche der Gesellschaft finanziell gefährden würde wie eine aktive Arbeiterschaft und die Erziehung der Kinder (Rawls 2001, 173). 56 So erhofft man sich in vielen westlichen Ländern durch den Import von Pflegepersonal das Gerechtigkeitsdefizit, das darin besteht, keine als adäquat erachtete Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellen zu können, Abhilfe zu schaffen. Als Beispiel sei hier der Artikel von De Guzman im Vue Weekly genannt: Nursing Shortage: Can the Philippines solve the growing Nursing Crisis in Alberta? (24.4.2008)
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(Buchan/Calman 2005, 2). Dieses Ungleichgewicht wird, wie auch Choy (2003, 3) schreibt, durch die kontinuierliche Migration noch verstärkt. Vor diesem Hintergrund ergibt sich aus einer rawlsschen Gerechtigkeitstheorie klarer Handlungsbedarf, um die bestehende Ungerechtigkeit auf globaler Ebene einzudämmen. Diese Untersuchung des Phänomens der Migration von Pflegepersonal erfasst jedoch nur den Aspekt des Grundrechts des Einzelnen auf adäquate Gesundheitsversorgung, nicht aber die gerechtigkeitstheoretische Problematik des Braindrain. Dessen Grundproblematik besteht darin, dass in einer (nationalen) Gemeinschaft ausgebildete Fachkräfte diese Gemeinschaft verlassen. Die dabei aufgeworfene Frage ist, ob die ausbildende Gemeinschaft gewisse Ansprüche an die aus ihrer Mitte produzierten Fertigkeiten geltend machen kann. Dabei stellt sich die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft, welche ihm das Handwerkszeug für seinen Lebensunterhalt an die Hand gegeben hat. Eine starke Rawls Auslegung verlangt vom Individuum, welches sich durch eigene Talente und einen unterstützenden Familienhintergrund weiterentwickelt, Verantwortung gegenüber dieser Gemeinschaft wahrzunehmen. Denn es ist nicht der eigene Verdienst, welcher dem Individuum diesen Möglichkeitsraum eröffnete. Rawls folgend würde man zu weit gehen, deswegen die individuelle Bewegungsfreiheit grundlegend beschneiden zu wollen. Jedoch legt dieser Gedankengang von Rawls die Pflicht nahe, regulierend einzugreifen, um die Gesundheitsversorgung in den Philippinen zu gewährleisten. Denn das Recht der Menschen von ihren natürlichen Gaben Gebrauch zu machen, bedeutet nicht, dass sie „ein Recht auf ein System der Zusammenarbeit hätten, das ihnen die Erlangung weiterer Vorteile auf Weisen gestattet, die anderen keine Vorteile bringen.“ (Rawls 1979, 125) Anders gelagert ist die gerechtigkeitstheoretische Problematik der Migration und dadurch vor allem der Anwerbung von philippinischem Pflegepersonal, wenn der kommunitaristische Gerechtigkeitsbegriff zur Beurteilung herangezogen wird. Die kommunitaristische Annahme von verschiedenen Sphären der Gerechtigkeit (Walzer) wird in der vorliegenden Problematik unscharf, weil verschiedene normative Kultursysteme durch die Einführung von westlicher Pflege in der Kolonialzeit in den Philippinen erst zusammengekommen sind. Wenn Walzer von der Dominanz des verabsolutierten Geldes in der westlichen Welt spricht, so sind die mutmaßlich außerhalb des westlichen Kulturkreises angesiedelten Philippinen schon integriert und damit Teil der gleichen Sphäre. Die Migration geschieht ja primär aus finanziellen Erwägungen. Insofern ist davon auszugehen, dass die westliche und die philippinische Sphäre zwar nicht deckungsgleich sind, sich aber dennoch substantiell überlappen. Indes mahnt uns die kommunitaristische Perspektive auch vor einer vorschnellen Verurteilung der philippinischen Praxis des Exports von Kran-
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kenpflegerinnen und Krankenpflegern, bevor wir nicht die kulturellen Eigenheiten in den Blick genommen haben. Folgende Aspekte sind für eine Bewertung der Migration von Pflegepersonal aus kommunitaristischer Perspektive von Bedeutung: Erstens ist bei der Betrachtung die obig skizzierte einzigartige geschichtliche Konstellation zu berücksichtigen. Diese wirkte im Falle der Philippinen auf Frauen zugleich befreiend und neu unterdrückend. So ermöglichte sie das Aufbrechen bisher bekannten Rollenmustern, stellte aber wiederum andere Muster in einer patriarchalisch dominierten Welt zur Verfügung. Die Migration von Pflegepersonal ist, wie gezeigt, eng mit der Kolonialgeschichte verflochten, und somit ohne die einseitige induzierte Überlagerung von zwei kulturellen Sphären nicht denkbar. Zweitens ist die Migration von staatlichen Stellen explizit erwünscht. Durch die Rücküberweisungen trägt sie wesentlich zur wirtschaftlichen Stabilität der Philippinen bei und von der um die Produktion von Pflegepersonal herum geschaffene Industrie – Rekrutierungsagenturen und Pflegeausbildungsstätten – profitiert eine kleine Elite. Der Gedanke, dass die Inszenierung der Overseas Filipino Workers als Nationalhelden einheitsstiftend wirkt und möglicherweise auch eine kritische Mittelschicht verhindert, welche die herrschende Elite bedrohen könnte, lässt sich nicht vollständig von der Hand weisen. Drittens muss jedoch auch auf die Bedeutung der Familie hingewiesen werden, um derentwillen häufig die Beschwerlichkeiten der Migration auf sich genommen werden. Nicht der Staat wird im kollektiven Bewusstsein als der Urheber der produzierten Talente bzw. Fertigkeiten angesehen, sondern die Familie. Folglich wäre auch, um an den Gedankengang zum Braindrain anzuschließen, nicht der Staat, sondern primär die Familie diejenige Institution, der sich der Einzelne verdankt. Dies gilt umso mehr in einem Staat, in welchem wichtige Funktionen wie Erziehung und Gesundheitsvorsorge nicht vom Staat sondern von der Familie übernommen werden. Daher gilt auch die primäre Verantwortlichkeit gegenüber ihr. Wenn also die teure Pflegeausbildung, zumeist in einer privaten Ausbildungsstätte, in der Regel unter finanziellen Hilfe der Familie absolviert wird, so gilt die subjektiv gefühlte Verpflichtung (und die objektive Erwartung von außen) der unterstützenden Familie, welche – wirtschaftliche gesprochen – ein Return of Investment erwartet. Schließlich steht sowohl der Staat als auch die Familie der Migration ambivalent gegenüber: von Staats wegen ist sie gewünscht zwecks Rücküberweisungen und skeptisch beäugt vom Gesundheitsministerium angesichts der negativen Folgen für das einheimische Gesundheitswesen. Die Familie erhofft sich durch die Migration einen ökonomischen und sozialen Aufstieg, durch das Prestige eines erfolgreichen OFW Familienmitglieds, weiß aber auch um die emotionale Problematik einer über Kontinente zerstreuten Familie.
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Wenn nun diese Aspekte für eine kommunitaristische Abwägung herangezogen werden, so ergibt sich ein uneindeutiges Bild. Innerhalb des familiären Netzwerkes, welches den primären Bezugpunkt für die individuellen Werte darstellt, gilt die Migration eines Familienmitglieds als finanzieller Vorteil und eine emotionale Problematik. Auch im überlagernden, nationalstaatlichen Diskurs wird die Migration im Endeffekt positiv gewertet und von einer regierungsnahen Schicht als heldenhaft inszeniert. Jedoch führt die Migration zur Stärkung einer Mittelschicht mit migrierten Familienmitgliedern und geht zu Lasten einer Unterschicht, welche nicht von Rücküberweisungen profitieren kann und zudem unter einer verschlechternden Gesundheitslage zu leiden hat. Die Beobachtung der Dynamiken innerhalb der Philippinen zeigt, dass verschiedene Akteure unterschiedlich von der Migration profitieren bzw. davon negativ betroffen sind. Obwohl man gerechtigkeitstheoretisch im Sinne des Kommunitarismus festhalten kann, dass der primäre Referenzrahmen – das Familiennetzwerk – der Migration ihrer Mitglieder positiv gegenüber eingestellt ist, bedarf es auch der entwicklungspolitischen Perspektive um die Migration von Pflegepersonal zu beurteilen. Die Migration von Pflegepersonal erschwert vielen der Ursprungsländer von Pflegepersonal eine nachhaltige und soziale Entwicklung. Hier bedarf es internationaler Rahmenbedingungen, welche diese ungleiche Verteilung von Pflegepersonal bekämpft. Die Rekrutierung von Pflegepersonal aus den Philippinen gefährdet den Zugang zur Gesundheitsversorgung vor allem in ländlichen Regionen. Man macht es sich zu einfach, auf die fehlende Infrastruktur und die Versäumnisse der philippinischen Regierung zu verweisen, oder die Rekrutierung auf der bloßen individuellen Ebene zu betrachten. Migration muss nicht gänzlich unterbleiben, doch sollte sie durch begleitende Maßnahmen in ihrer Wirkung abgefedert werden und für das Geberland nachhaltig organisiert sein. An diese Argumentation schließen sich denn auch die von Galvez Tan (2005) vorgeschlagenen strategischen Lösungen an. Angesichts seiner Einschätzung nicht nur eines Braindrain sondern einer brain hemorrhage schlägt Galvez Tan sieben Punkte vor, die zur Mitigation der durch die Migration verursachten Probleme beitragen sollen. Davon seien drei mit Nachdruck angemahnt. Zuerst empfehlen sich bilaterale Abkommen zwischen den reichen Ländern des Nordens mit den Philippinen, welche helfen, die Migration zu koordinieren und nachhaltig zu gestalten.57 Außerdem könnte ein solches Abkommen erlauben, dass die
57 Solche Übereinkünfte sind selten. Eine Ausnahme stellt die zwischen der britischen Gesundheitsvorsorge National Health Service und der philippinischen POEA bestehende Übereinkunft dar, welche zum Ziel hat, dass die Rekrutierung transparent verläuft und Missbrauch verhindert wird. Dies verhindert den Ein-
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Kosten für die Ausbildung des Pflegepersonals mitgetragen werden. Zweitens wird von Galvez Tan ein Partnerschaftsprogramm zwischen Krankenhäusern des Nordens und Südens empfohlen. In einer solchen Partnerschaft würde das Krankenhaus des Nordens für jede rekrutierte philippinische Pflegekraft das andere Krankenhaus finanziell unterstützen. Im Gegenzug erlaubt eine solche Partnerschaft auch eine bessere Gestaltung des Übergangs des Pflegepersonals und bringt daher auch einen Gewinn für das rekrutierende Krankenhaus. Dies könnte auch eine nachhaltige Form der Entwicklungszusammenarbeit darstellen, welche auch dem Empfängerkrankenhaus dient. Schließlich empfiehlt Galvez Tan die Implementierung eines National Health Service Act, welche die PflegerInnen dazu verpflichtet nach erfolgreicher Ausbildung für einige Jahre in den Philippinen zu arbeiten. Solche Maßnahmen würden dazu beitragen, die Verletzlichkeit des philippinischen Gesundheitswesens gegenüber ausländischen Rekrutierungsschwankungen zu minimieren. Außerdem erlaubten sie einen weiteren Handlungshorizont und eine Sicherstellung der Pflege auch in ländlichen Gegenden. Dass sich damit nicht die durch die Migration entstehenden Probleme – vor allem sozialer und emotionaler Art – lösen lassen, ist evident. Auf die Multidimensionalität dieser Probleme wurde schon hingewiesen. Doch angesichts der derzeitigen Rahmenbedingungen wird die Migration anhalten, solange keine gleichen Zugangsvoraussetzungen zu Bildungs- und Gesundheitssystem vorhanden sind. Dieser Problemzirkel könnte durch veränderte Rahmenbedingungen und begleitende Maßnahmen bei der Migration von Pflegepersonal abgeschwächt werden.
V. Klimawandel und Gesundheit 1. Klimawandel als weltpolitisches Thema Die Folgen des Klimawandels sind heute im politischen Diskurs eines der wichtigsten und wohl auch brisantesten Themen auf globaler Ebene. Der Weltklimarat (IPCC) hat mit seinen Berichten im Jahr 2007 diese Diskussion entscheidend mit angestoßen. Die Tatsache eines vom Menschen gemachten Klimawandels ist heute nicht mehr bestreitbar (vgl. IPCC 2007). Wichtigste Folge des Klimawandels ist der Anstieg der Temperatur. Hauptursache hierfür sind die seit der Industrialisierung stark angestiegenen Emissionen, ganz besonders von Kohlendioxid. Absatz der zuweilen zwielichtigen Recruiting-Agenturen, welche häufig hohe Gebühren verlangen und teilweise irreführende Angaben zur Beschäftigung im Ausland machen (Bach 2006, 21).
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hängig davon, ob diese Emissionen in den kommenden Jahren reduziert werden können, erwarten die Experten bis 2100 einen Temperaturanstieg zwischen einem und sechs Grad Celsius im Vergleich zum Niveau von 1990 (vgl. Rahmstorf/Schellnhuber 2007). Dieser Temperaturanstieg wiederum wird vielfache Folgen haben. Zwei gravierende Auswirkungen sind der Anstieg des Meeresspiegels und die Zunahme extremer Wetterereignisse. Gleichzeitig werden steigende Temperaturen in vielen Entwicklungsländern schlechtere Wasserversorgung und nicht zuletzt eine Gefährdung der Gesundheit der Menschen nach sich ziehen. In den Medien in Europa werden oft die Auswirkungen des Klimawandels auf den gegenwärtigen Wohlstand der Industrieländer und deren wirtschaftliches Wachstum herausgestellt. Als Gesundheitsgefährdung werden beispielsweise die heißen Sommer oder die Überschwemmungen im Frühjahr und Herbst genannt. Dies ist eine verkürzte Sicht, denn die Hauptopfer des Klimawandels sind in den ärmsten Ländern der Welt zu finden (vgl. Reder/Schroeder 2008). Die armen Bevölkerungsteile leben oft in geographisch sensiblen Regionen, die von den Folgen des Klimawandels in ihrer Lebensgrundlage besonders betroffen sein werden (vgl. Reder 2009; UNDP 2007). Die ärmsten Länder stehen dabei vor einem zweifachen Problem. Zum einen werden die negativen Auswirkungen des Klimawandels die Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse wie Ernährungssicherheit und Versorgung mit sauberem Trinkwasser erschweren und damit die Armut verstärken. Extreme Wetterereignisse wie Wirbelstürme oder Hochwasser, die voraussichtlich verstärkt in den Ländern des Südens auftreten werden, werden die Ernährungslage in diesen Regionen deutlich verschärfen (vgl. Füssel 2008). Dazu wird der Wassermangel auf Grund höherer Durchschnittstemperaturen ebenfalls beitragen. Zum anderen haben diese Länder meist eine geringere Kapazität zur Bewältigung der Klimafolgen. Geringerer Zugang zu sozialen Grunddiensten, allem voran einem funktionierendem Gesundheitswesen oder auch fehlender Versicherungsschutz sind für eine effektive Anpassung hinderlich. Klimaforscher sprechen deshalb davon, dass arme Menschen besonders anfällig gegenüber den Folgen des Klimawandels sind. In dieser Perspektive gelten die Menschen als besonders vulnerabel, die am ehesten Risiken ausgesetzt sind und „deren Bewältigungsstrategien am eingeschränktesten sind, die am stärksten unter den Konsequenzen einer Krise leiden und deren Erholungspotential am geringsten ist“ (Bohle et al. 1994, 38; Adger 2006).
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2. Gesundheit im Kontext des Klimawandels Die Gesundheit des Menschen hängt von vielfachen physischen, psychischen und sozialen Faktoren ab. Schon hinsichtlich der physischen Faktoren lässt sich zeigen, dass der Klimawandel negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen weltweit haben wird. „Eine Störung der physikalischen Bedingungen (z.B. der Temperatur, der Wetterabläufe, der Wasserverfügbarkeit oder des Meeresspiegels) und der davon abhängigen Ökosysteme (z.B. der Lebensbedingungen von Krankheitsüberträgern oder der landwirtschaftlichen Ökosysteme) durch eine merkliche Klimaänderung birgt daher unkalkulierbare Risiken für die menschliche Gesundheit.“ (Kasang 2001)
Bei den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Menschen lassen sich direkte und indirekte Wirkungspfade unterscheiden. Bei den direkten Wirkungen handelt es sich um die unmittelbaren Folgen von Klima- und Wetteränderungen auf den menschlichen Organismus. Sowohl Hitzewellen wie extreme Kälte können z.B. zu einer erhöhten Sterblichkeit und einem Anstieg der Häufigkeit von Krankheiten führen. Aber auch eine langsame Veränderung der Durchschnittstemperatur kann sich negativ auf das körperliche Wohlbefinden auswirken. Wetterextreme und deren Folgen wie Dürren, Stürme, Sturmfluten, Überschwemmungen, Lawinenabgänge oder Erdrutsche können das Überleben und damit auf einer ganz basalen Ebene die Gesundheit vieler Menschen bedrohen. Krankheitsüberträger wie Stechmücken, Zecken oder Nagetiere, deren Verbreitungsgebiete, Population oder Infektionspotenzial von klimatischen Bedingungen abhängig sind, können als indirekte Folge des Klimawandels vermehrt auftreten und die Gesundheit der Menschen bedrohen. Solche indirekten Folgen treten auch auf, wenn z.B. die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in einer unter veränderten klimatischen Bedingungen produzierenden Landwirtschaft massiv eingeschränkt wird. Im Folgenden werden einige Bereiche näher analysiert, in denen der Klimawandel die Gesundheit beeinflusst.
a) Extreme Wetterereignisse Als erstes sind in dieser Gruppe Naturkatastrophen zu nennen, die in den vergangenen Jahren immer häufiger aufgetreten sind und insbesondere in den Entwicklungs- und Schwellenländern des Südens verheerende Auswirkungen haben. „Im Jahr 2007 wurden weltweit fast 1000 Naturkatastrophen gezählt, bei denen mehr als 16.000 Menschen ums Leben kamen. Die größte Katastrophe löste mit 3300 Opfern der Zyklon Sidr aus, der Mitte November die Küstengebiete von Bangladesch verwüstete. 50.000 Menschen wurden verletzt, mehr als drei
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Millionen verloren ihr Zuhause. Bereits im Juli und August des Jahres hatte der Monsun in Indien, Nepal und Bangladesch zu großflächigen Überschwemmungen geführt, die mehr als 2000 Menschen in den Tod rissen.“ (Loster 2008, 5).
Gleiches gilt für die Wirbelstürme, die seit gut 20 Jahren weltweit verstärkt auftreten, sei es an der Ostküste der USA oder in Asien. Auch wenn umstritten ist, welche dieser extremen Wettereignisse direkt auf den Klimawandel zurückzuführen ist, so sind sich die Experten jedoch einig, dass viele dieser Ereignisse durch die Klimaveränderungen stark begünstigt bzw. sogar hauptverantwortlich ausgelöst werden und solche Extremereignisse mit immer größeren Folgen des Klimawandels zunehmen werden. Dies betrifft laut IPCC insbesondere die Länder SubsaharaAfrikas, die Flussdeltas in Asien und die Länder des Pazifiks (vgl. IPCC 2007). Auch der extreme Anstieg von Temperaturen in Form von Hitzewellen wird zu direkten gesundheitlichen Belastungen führen. Solche Hitzewellen führen vor allem bei Menschen, die bereits an Herz-Kreislaufoder Atemwegserkrankungen leiden, oder nur ungenügend mit Wasser versorgt sind, zu erheblichen gesundheitlichen Belastungen. „So starben etwa 1987 in Griechenland während einer Hitzewelle innerhalb einer Woche 4000 Menschen mehr als im statistischen Durchschnitt, 2000 davon allein in Athen. In London erhöhte sich die allgemeine Sterblichkeit durch Hitzewellen im Juli 1976 und Juli-August 1995 um 15%. Im Juli 1995 fielen in Chikago 700 Menschen einer Hitzewelle zum Opfer, wodurch die Zahl der Todesfälle um 85% höher lag als in derselben Periode in den vorangegangenen Jahren.“ (Kasang 2001)
Armut verstärkt das Krankheitsrisiko bei Hitzewellen noch einmal erheblich, weshalb bei besonders armen Personengruppen eine deutlich höhere Sterblichkeitsrate in Zeiten großer Hitze festgestellt werden muss. Am Beispiel der Hitzwellen lässt sich auf Basis der aktuellen Studienlage auch gut zeigen, wie sich die gesundheitliche Gefährdung durch klimabedingten Temperaturanstieg in Zukunft aller Voraussicht nach weiter verschärfen wird. „Untersuchungen zu mehreren nordamerikanischen Städten, Shanghai und Kairo deuten darauf hin, dass bis zum Jahre 2020 ungefähr mit einer Verdoppelung der hitzebedingten Todesfälle zu rechnen ist.“ (Kasang 2001)
Dabei haben nicht nur die Hitzwellen selber einen Einfluss auf die Gesundheit, sondern auch der allgemeine, Klimawandel bedingte Anstieg der Temperatur. Natürlich kann die prognostizierte Abkühlung von einigen Regionen durch den Klimawandel teilweise auch zu einer Absenkung der Sterblichkeitsrate führen. Die Studien insgesamt überblickend verschärfen sich die direkten Folgen mehr, als dass sie gesundheitsdienlich sind.
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b) Wasserqualität und Nahrungsmittelangebot Wasser spielt für die Gesundheit des Menschen eine sehr große Bedeutung (vgl. Wallacher 1999). Sowohl in Form von Trinkwasser als auch in Form sanitärer Einrichtungen ist der Zugang zu Wasser eine zentrale Voraussetzung zum Überleben. Zum einen wird durch eine Unterversorgung mit Trinkwasser die Gesundheit des Menschen insgesamt geschwächt, zum anderen werden durch eine mangelnde Wasserqualität vielfache Krankheiten, wie Durchfallerkrankungen, ausgelöst. Die WHO schätzt heute, dass rund eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben und 2,5 Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberen sanitären Einrichtungen haben (UNICEF/WHO 2008, 6ff. u. 22ff.). Beide Faktoren gelten als massiv gesundheitsgefährdend. Der Klimawandel kann diese Situation noch einmal entscheidend verschärfen. Zum einen kann auf Grund von extremen Temperatur- oder Niederschlagsschwankungen eine dauerhafte Versorgung mit qualitativ gutem Wasser deutlich erschwert werden, insbesondere in den Entwicklungsländern, in denen keine ausreichende Infrastruktur zur Wasserversorgung existiert. Auch der Anstieg des Meeresspiegels und die damit verbundene Versalzung des Grundwassers kann die Wasserversorgung bzw. Wasserqualität negativ beeinflussen. Ähnliche Auswirkungen sind hinsichtlich der Ernährungssicherheit insbesondere in den Ländern des Südens zu erwarten. In diesen Regionen, beispielsweise in Subsahara-Afrika, ist schon heute mangelnde Ernährung eine zentrale Ursache einer erhöhten Sterblichkeitsrate vor allem bei Kindern. Wenn die Klimafolgen in diesen Regionen auf Grund steigender Temperaturen oder mangelnder Niederschläge zu massiven Ernteverlusten führen und die entsprechenden Regionen gleichzeitig stark von einer eigenen Versorgung mit Nahrungsmitteln abhängig sind, wird dies aller Wahrscheinlichkeit nach massive gesundheitliche Auswirkungen für die Menschen haben. Auch hier werden vermutlich die Kinder besonders betroffen sein.
c) Zunahme vektorbedingter Erkrankungen Der Klimawandel wird nicht nur direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen weltweit haben, sondern auch vielfältige indirekte Folgen nach sich ziehen. Eine erste Gruppe von indirekten Auswirkungen ist die Zunahme von verschiedenen Krankheitsüberträgern (Vektoren) wie beispielsweise von Insekten, die Malaria oder beispielsweise auf den Philippinen Dengue-Fieber verursachen. Insekten sind besonders stark von äußeren klimatischen Bedingungen abhängig. Veränderung der Temperatur und „klimabedingten Umweltfaktoren wie Oberflächenwasser, Feuchtigkeit, Wind, Bodenfeuchte,
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Waldverbreitung“ (Kasang 2001) haben eine große Auswirkungen auf die Population und Verbreitung der Insekten. Die indirekten Auswirkungen auf die Gesundheit erklären sich nun aus der zu erwartenden klimabedingten Zunahme der Krankheitsüberträger. Sowohl eine höhere Temperatur als auch steigende Niederschlagsmengen können in einigen Regionen der Welt ihre Lebensbedingungen verbessern sowie ihre regionale Verbreitung erweitern. Die Übertragung von Malaria beschäftigt die klimabezogene Gesundheitsforschung dabei besonders. Denn „die durch die AnophelesStechmücken übertragene Malaria gehört weltweit zu den wichtigsten vektorbedingten Krankheiten. Gegenwärtig leben in 101 Staaten und Territorien 2,4 Milliarden Menschen oder 40% der Weltbevölkerung in malaria-gefährdeten Gebieten, 400-500 Millionen werden jährlich neu infiziert und über eine Million Menschen, meistens Kinder unter fünf Jahre, sterben jedes Jahr an einer Malaria-Infektion“ (Kasang 2001; vgl. McMichael/Githeko 2001, 571f.). Über 80% der Malaria-Fälle werden in Afrika südlich der Sahara diagnostiziert. Eine durchschnittliche Temperatur von 20-30 Grad Celsius und eine genügend feuchte Umwelt sind Voraussetzung für eine intensive und weitreichende Fortpflanzung der Stechmücke, die dann in erhöhter Zahl den Krankheitserreger übertragen kann. In Regionen, in denen bislang diese klimatischen Ausgangsbedingungen nicht geherrscht haben, kann sich dies durch die Folgen des Klimawandels ändern. Es ist wahrscheinlich und kann heute schon in einigen Regionen der Erde beobachtet werden, dass die neuen Bedingungen die Ausbreitung der Krankheit mit steigenden Stechmücken-Populationen rapide verstärken werden. Extreme Wetterereignisse wie beispielsweise Fluten führen meist zu einem feuchteren Klima und unterstützen damit noch einmal die skizzierte Entwicklung. Eine exakte Prognose zur Entwicklung der Stechmücken-Population sowie der von ihr übertragenen Krankheiten ist nur bedingt möglich. Die genannten Argumente sprechen allerdings für eine gesundheitliche Gefährdung, vor allem durch Malaria, im Zuge des Klimawandels. „Bei einem Temperaturanstieg um 3-5o C bis zum Jahre 2100 wird sich hiernach die Übertragungsgefahr von Malaria in tropischen Regionen verdoppeln und in gemäßigten Gebieten sogar mehr als verzehnfachen. Auch in Mitteleuropa muss mit einer künftigen Ausbreitung von Malaria gerechnet werden. Insgesamt wird sich in der zweiten Hälfte des nächsten Jahrhunderts der Anteil der Weltbevölkerung, der in malariagefährdeten Gebieten lebt, von gegenwärtig 45% auf 60% erhöhen. Die Fälle von Malaria werden sich von 500 auf 550 bis 580 Millionen pro Jahr erhöhen.“ (Kasang 2001)
Die Folgen des Klimawandels hinsichtlich der vektorbedingten Malariaerkrankung werden aber nicht nur Entwicklungsländer in Afrika oder Asien, sondern auch Europa, Nordamerika und Teile Chinas betreffen.
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Neben einer Ausbreitung von Malaria wird der Klimawandel voraussichtlich auch zu einer Zunahme anderer vektorbedingter Krankheiten führen. Beispielhaft hierfür sei das Dengue-Fieber genannt, das ebenfalls durch eine Moskitoart übertragen wird. Weltweit sind heute ungefähr 50-100 Millionen Menschen von Dengue-Fieber betroffen. Die globale Verbreitung in den verschiedenen Weltregionen ähnelt der von Malaria. Auch bezüglich dieser Krankheit prognostizieren die aktuellen Modellrechungen einen Zuwachs der Krankheit bei entsprechenden Klimaveränderungen, wobei auch hier vor allem Temperaturanstieg und steigende Niederschlagsmenge den Ausschlag geben werden.58 Auch wenn also die genauen Entwicklungen der vektorbedingten Krankheiten durch den Klimawandel nicht absehbar sind – nicht zuletzt, weil diese Entwicklungen noch von vielen anderen (u.a. regionalen) Faktoren abhängen –, so sind sich jedoch die meisten Forscher einig, dass der Klimawandel aller Voraussicht nach negative Auswirkungen haben wird. Daher erscheint es sinnvoll und wichtig, entsprechende Forschungen auf diesem Feld anzustoßen, um die vielschichtigen Auswirkungen erfassen und gegebenenfalls angemessen darauf reagieren zu können.59
d) Psychische und soziale Auswirkungen Klimaveränderungen werden weltweit in den Städten in einer besonders hohen Intensität zu spüren sein. Temperaturanstieg, Hitzewellen oder Wassermangel werden das Alltagsleben in den Städten erheblich beein58 In Europa werden zudem Vektor-Krankheiten, die durch Zecken übertragen werden, mit dem Klimawandel eine größere Verbreitung finden, und zwar die Meningoenzephalitis und die Borreliose. Insbesondere die erst genannte ist auf Grund ihres möglichen tödlichen Ausgangs eine große Gefährdung für die Menschen in Europa. Vor allem die niedrigere Wintertemperatur in Europa, die voraussichtlich mit dem Klimawandel noch weiter sinken wird, erhöht die Population der Zecken und ermöglicht damit eine größere Verbreitung der beiden Krankheiten. Auf Grund der im Vergleich zu Malaria und Dengue-Fieber jedoch niedrigen Infektionsraten und der Möglichkeit des Impfschutzes für FSME werden diese Krankheiten voraussichtlich kein massives Gesundheitsrisiko darstellen. 59 Nicht nur die Folgen des Klimawandel, sondern bereits seine Ursachen können gesundheitsrelevante Folgen für den Menschen haben. Beispielhaft sei die Zerstörung der Ozonschicht genannt, die zum einen den Klimawandel beschleunigt und zum anderen durch die verstärkte Sonneneinstrahlung zu erhöhter Gefährdung der Menschen durch Sonneneinstrahlung führt (z.B. Sonnenbrand aber auch erhöhtes Hautkrebsrisiko). Zwar zeigen aktuelle Forschungen, dass sich die Ozonschicht auf Grund des Verbots von FCKW wieder stabilisiert, wodurch auch die gesundheitlichen Risiken aller Voraussicht nach abnehmen nehmen. Prognosen gehen allerdings davon aus, dass die Regeneration der Ozonschicht bis zu 50 Jahre dauern kann, weshalb zumindest für die kommenden Jahre von einem nach wie vor anhaltenden Gesundheitsrisiko ausgegangen werden muss.
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flussen. Diese Folgen des Klimawandels werden zudem negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben. Dies gilt gleichfalls natürlich für ländliche Regionen, wird sich auf Grund der bereits hohen psychischen Belastung in den Megastädten der Welt noch einmal besonders zuspitzen. „Urban populations in developing countries are both vulnerable and are increasingly contributors to climatic threats to health. Specific health vulnerabilities range from heat waves and air-pollution impacts to sea-level rise and storms in coastal cities and to emerging infectious diseases.“ (CampbellLendrum/Corvala’n 2007, 114f.)
Soziale und psychische Auswirkungen des Klimawandels treten nicht nur graduell auf. Menschen, die auf Grund von klimabedingten Umweltfolgen ihren Lebensraum verlassen und migrieren müssen – so genannte Umweltflüchtlinge, werden hierdurch ihrer Lebensgrundlage und ihres Zuhauses beraubt. Der Begriff Umweltflüchtling wurde erstmals von der UNEP 1985 verwendet und hat sich seither in der wissenschaftlichen wie politischen Diskussion eingebürgert. Umweltflüchtlinge sind die Personen, die auf Grund von massiven Umweltentwicklungen ihren Lebensraum verlassen müssen. Natürlich kann die Linie zwischen Umweltflüchtlingen und Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen migrieren nicht trennscharf gezogen werden, weil die negativen Umweltentwicklungen als Zerstörung des eigenen Wirtschaftsraumes auch ökonomische Auswirkung zur Folge haben. Zentral für die Gruppe der Umweltflüchtlinge ist aber der Anstoß zu dieser negativen ökonomischen Entwicklung, nämlich ein entsprechendes Umweltereignis. Biermann unterscheidet hierbei vier verschiedene Ursachen (vgl. Biermann 2001): Disposition (wenn auf Grund von Verschmutzung ein Gebiet nicht mehr bewohnt werden kann), Degradation (lokale Zerstörung, die eine Grundversorgung unmöglich macht), Desaster (Naturkatastrophe) und Destabilisierung (durch Umweltzerstörung evozierte Konflikte bis hin zu Kriegen). Alle vier Ursachen können durch den Klimawandel hervorgerufen werden. Die zu erwartende Zahl der Umweltflüchtlinge ist sehr schwer zu beziffern. Meist werden nur sehr vorsichtige Schätzungen vorgenommen. Bezüglich der Naturkatastrophen findet sich beim UNHCR folgende Abschätzung: „According to the International Federation of the Red Cross and Red Crescent Societies, the total number of people affected by natural disasters has tripled over the past decade to 2 billion people, with the accumulated impact of natural disasters resulting in an average of 211 million people directly affected each year. This is approximately five times the number of people thought to have been affected by conflict over the past decade.“ (UNHCR 2006, 27)
Es ist wohl kaum möglich genaue Zahlen hinsichtlich der Gruppe von Umweltflüchtlingen anzugeben, die auf Grund der Folgen des Klima-
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wandels migrieren – zum einen, weil Klimafolgen meist nicht eindeutig als solche identifiziert werden können und zum anderen, weil es schwer ist, aus dem komplexen Bündel von Fluchtursachen die Gruppe herauszukristallisieren, die vor allem wegen dieser Klimafolgen migriert ist. Einig sind sich die Experten allerdings, dass die Zahl der Klimaflüchtlinge mit steigendem Risiko stetig zunimmt. Die sozialen Auswirkungen dieser Entwicklung sind massiv. Sie betreffen die Länder, aus denen die Menschen flüchten, genauso wie die Länder, in die sie migrieren. Die Migration selbst, aber auch die Situation in den Aufnahmeländern kann die Gesundheit der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.
3. Auswirkungen auf Österreich und die Philippinen Sicherlich ist es schwierig, die genauen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit für einzelne Region anzugeben. Viele andere Faktoren spielen hier noch mit hinein, zusätzlich zu der Tatsache, dass auch einzelne Umweltveränderungen immer nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit als Folge des Klimawandels bestimmt werden können. Nichts desto trotz sind sich die meisten Experten in der Forschung einig, dass der Klimawandel massive Auswirkungen haben wird, die v.a. auch die Gesundheit der Menschen betreffen wird. Dabei zeigen aktuelle Erhebungen (vgl. Annual Review of Public Health 2008), dass die Zahl der klimabedingten Todesfälle in den Ländern des Südens, allen voran in Afrika, aber auch in Südostasiens deutlich höher ist als in Europa. Im Folgenden soll ein Blick auf die voraussichtlichen Klimafolgen auf die Gesundheit der beiden Länder gerichtet werden, die als Bezugspunkte in diesem Band fungieren, nämlich Österreich (für Europa) und die Philippinen (für Südostasien).
a) Österreich In den Ländern Mitteleuropas, wie beispielsweise in Österreich, wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Durchschnittstemperatur auf Grund des Klimawandels steigen, insbesondere in den Wintern. Hinsichtlich der Niederschlagsmenge werden die Winter voraussichtlich feuchter und die Sommer insgesamt trockener. „Gleichzeitig ist mit einer Zunahme der Häufigkeit und einer Verschärfung des Ausmaßes extremer Wetterereignisse zu rechnen“ (WHO-Europa 2005, 1), beispielsweise in Form sommerlicher Hitzewellen oder von Stürmen in Herbst und Winter. Diese temperaturbedingten Klimafolgen werden voraussichtlich auf Grund der milderen Winter die landwirtschaftlichen Erträge positiv beeinflussen. Selbst wenn es durch Hitzesommer negative Erträge geben sollte, hätte dies allerdings wohl kaum negative Auswirkungen auf die
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Ernährungssicherheit, da Österreich nicht von den eigenen Ernteerträgen abhängt und zudem genügend finanzielle Mittel vorhanden sind, um sich an diese Veränderungen anzupassen. Auch mögliche wirtschaftliche Einbußen, wie beispielsweise durch eine immer höher liegende Schneegrenze im Winter und damit zurückgehende Einnahmen aus Wintertourismus, werden die Wirtschaft wohl kaum so negativ beeinflussen, dass die Gesundheit grundlegend gefährdet wäre. Trotzdem wird Europa und damit auch Österreich nicht von Klimafolgen verschont bleiben. Obgleich diese Folgen nicht so gravierend sind, beeinträchtigen sie auf mehreren Ebenen die Gesundheit der dort lebenden Menschen. In einer Studie der WHO Abteilung Europa werden vor allem vier Auswirkungen des Klimas auf die Gesundheit der Bevölkerung Europas genannt. (a) Auf Grund der wärmeren Winter werden wahrscheinlich die krankheitsbedingten Todesfälle in den Wintermonaten eher zurückgehen. Gleichzeitig werden durch die wärmeren Sommer und die damit einhergehenden Hitzewellen in diesen Monaten die Todesfälle zunehmen. Diese Entwicklung ist heute schon beobachtbar und sie wird sich verstärken, weil die Forscher einvernehmlich konstatieren, dass die Zahl der Hitzetage im Jahr mit über 30 Grad deutlich steigern wird – im Jahr 2040 in Wien beispielsweise drei mehr als heute, in Oberösterreich fünf mehr als heute (WWF 2007). Allerdings werden parallel die präventiven Maßnahmen in Europa ständig verbessert, so dass die Zunahme der Todesfälle insgesamt sehr gering ausfallen dürfte. „Durch Verbesserung der Bereitschaft und Handlungsfähigkeit der Gesundheitssysteme, durch Bereitstellung von Frühwarnsystemen und durch Aufklärung und Beratung von Bürgern kann die Sterblichkeitsrate gesenkt werden“ (WHO-Europa 2005, 2).
Insofern kann man festhalten, dass trotz steigender Temperaturen vom Klimawandel für Österreich keine übergroßen Gefahren in dieser Hinsicht ausgehen werden bzw. bestehende Gefahren durch das Gesundheitswesen aufgefangen werden können. (b) Als eine zweite Gefahrenquelle werden Hochwasser genannt. Sie sind schon seit jeher die weitreichendsten Naturkatastrophen, die in Europa auftreten (1995-2004: ca. 30 Hochwasserkatastrophen mit großem Ausmaß mit insgesamt ca. 1000 Todesfällen). Diese Hochwasser werden auf Grund der Klimafolgen eher zu- als abnehmen. Aber auch hier gilt, dass auf Grund ausgebauter Frühwarnsysteme und technischer Maßnahmen die gesundheitlichen Folgen insgesamt eher gering sein dürften. Als eine weitere auf das Wasser bezogene Folge des Klimawandels wird sich in Österreich sicherlich die Gletscherlandschaft in den kommenden Jahren massiv verändern. „Die Gletscherschmelze ist wohl der eindrücklichste Beleg für die globale Erwärmung“ (WWF 2007, 5) – dies gilt für
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die meisten österreichischen Bundesländer in der Alpenregion. Dies wird möglicher Weise Konsequenzen für die Wasserversorgung mit sich bringen, die gesamtgesellschaftlich allerdings wohl kaum gesundheitsgefährdend sein werden. (c) Das größte gesundheitliche Risiko dürfte in den vektorbedingten Erkrankungen liegen, vor allem in den durch Zecken und Stechmücken übertragenen Krankheiten. Auf Grund der steigenden Temperaturen ist es wahrscheinlich, dass Erreger vektorbedingter Erkrankungen vermehrt in Europa auftreten und sich entsprechend verbreiten. Zu den gesundheitlichen Risiken gehören deshalb beispielsweise Hirnhautentzündung oder auch Malaria.60
b) Philippinen Die Auswirkungen des Klimawandels werden in Südostasien und auf den Philippinen eine andere Dimension annehmen als in den Ländern Europas. Ein Blick auf den Global Climate Risk Index zeigt dies sehr schnell. Mit diesem Index werden zentrale Indikatoren erhoben, und zwar die absolute Zahl der klimabedingten Todesfälle, der Prozentsatz der klimabedingten Todesfälle in Bezug auf 100.000 Einwohner, die Summe der ökonomischen Schäden und die Höhe der Schäden in Bezug auf das GDP des jeweiligen Landes. Bezogen auf den Zeitraum von 1998 bis 2007 lagen die Philippinen auf diesem Index auf Platz 10 der am meisten gefährdeten Länder, mit einem wirtschaftlichen Gesamtverlust in diesem Zeitraum von 700 Millionen US-Dollar und einem prozentualen Schaden in Höhe von 0,33 % des GDP (vgl. Harmeling 2008). Besonders weitreichend sind insbesondere zwei Folgen des Klimawandels: Die erste Folge besteht in der Verschiebung der heißen und feuchten Jahreszeiten bzw. der Zunahme der jeweiligen Intensität. Klimastudien haben gezeigt, dass die warmen Jahreszeiten immer wärmer und die feuchten immer feuchter werden. Dies hat Auswirkungen auf die Reisproduktion, da die momentanen Formen der Saat und Ernte als auch des Saatgutes nicht an diese veränderten Jahreszeiten angepasst sind. Dies führt im Vergleich der vergangenen Jahre zu einem Rückgang der Reisproduktion und damit auch zu einer Gefährdung der Ernährungssicher-
60 Als zwei weitere, aber sicherlich weniger wichtiger gesundheitliche Risiken, die insbesondere schwer abzuschätzen sind, sind Lebensmittelinfektionen in Folge steigender Temperaturen und allergische Erkrankungen zu nennen. Darüber hinaus werden in vielen Studien auch weitere Folgen des Klimawandels benannt, die keine direkten Folgen für die Gesundheit des Menschen haben, die aber nichtsdestotrotz das (kulturelle) Leben der Menschen nachhaltig verändern werden. Hierbei wird insbesondere eine Veränderung der Vegetation in den Alpen und der Rückgang der Artenvielfalt genannt (vgl. WWF 2007).
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heit, was sich langfristig negativ auf die Gesundheit der Menschen auswirken kann – zumal schon heute Reise importiert werden muss. Die zweite gravierende Folge des Klimawandels ist eine Zunahme von extremen Wetterereignissen, insbesondere Taifunen, die mit Sturmfluten einhergehen. Die Zahl dieser Stürme hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen und könnte sich mit dem Klimawandel noch einmal erhöhen. Besonders betroffen sind v.a. arme Menschen, die in Küstennähe leben und daher kaum Möglichkeiten haben, sich vor den Taifunen grundlegend zu schützen. Außerdem sind Taifune neben Sturmfluten und Dürren die größten Verursacher bei Verlusten der philippinischen Reisproduktion. Im Oktober 2009 haben mehrere Taifune mehrere Hundert Todesopfer gefordert. Die nachfolgenden Überschwemmungen stellen ebenfalls eine massive Gefährdung der Gesundheit der Menschen dar. „Seit 1. Oktober starben in den Überschwemmungsgebieten im Vorort Marikina bei Manila 132 Menschen an Leptospirose, 2000 seien infiziert, berichteten die Gesundheitsbehörden. Die Infektionskrankheit wird von Bakterien übertragen, die sich in mit Tier-Urin verseuchtem Wasser vermehren. Sie führt zu schweren Entzündungen der inneren Organe (dpa).“61
Die langfristigen Probleme bei Wasser- und Gesundheitsversorgung in solchen betroffenen Gebieten stellen eine schwerwiegende Herausforderung für die dort lebenden Menschen dar.
4. Ethische Dimension der Frage nach Klimawandel und Gesundheit a) Gerechtigkeit Drei Gerechtigkeitsprinzipien sind für die ethische Beurteilung der Folgen des Klimawandels besonders relevant: Bedarfs-, Chancen- und Verfahrensgerechtigkeit.62 Diese drei Prinzipien stehen in einem dynamischen Wechselverhältnis zueinander. Der Befriedigung fundamentaler menschlicher Bedürfnisse nach ausreichender Nahrung oder sauberem Trinkwasser kommt allerdings ein prinzipieller Vorrang zu. Das heißt, die Grundbedürfnisse der Menschen und damit die Bedarfsgerechtigkeit 61 Vgl. http://www.abendblatt.de/vermischtes/article1237848/Taifun-vorden-Philippinen-wird-immer-staerker.html (abgerufen am 30.10.2009). 62 Vgl. hierzu die ethischen Überlegungen des Projekts Klimawandel und Gerechtigkeit, in dem das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, das Institut für Gesellschaftspolitik an der Hochschule für Philosophie München, das Bischöfliche Hilfswerk Misereor und die Münchener Rück Stiftung Vom Wissen zum Handeln zusammenarbeiten (Reder/Schroeder 2008; Wallacher et al. 2009).
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stehen im Zentrum aller Bemühungen um Armutsbekämpfung und Klimaschutz und bilden gleichzeitig die Grundlage für Gesundheit. Alle politischen Maßnahmen müssen daher auch daraufhin ausgerichtet werden, die Möglichkeiten zur Versorgung mit lebensnotwendigen Grundgütern zu verbessern. Diese Grundgüter sind Voraussetzung für die Gesundheit der Menschen, insbesondere der ärmsten Bevölkerungsschichten. Die Menschen selbst zum Ausgangspunkt, Träger und Ziel aller Bemühungen zur Bekämpfung der Armut sowie zur Bewältigung der schädlichen Folgen des Klimawandels zu machen, erfordert allerdings mehr als reine Bedarfsgerechtigkeit. Dem Grundverständnis einer Entwicklung von unten entspricht die ethische Forderung, die Menschen mit ihren Handlungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt zu stellen. Chancengerechtigkeit ist deshalb das zweite wichtige Prinzip, mit dem ethisch gefordert wird, dass die Menschen selbstverantwortlich ihre Probleme angehen können sollten. Hilfe zur Selbsthilfe ist auch im Gesundheitswesen ein zentraler Pfeiler eines solchen Gerechtigkeitsverständnisses. Verringert werden muss die Verwundbarkeit der Menschen nicht nur für, sondern auch mit und von den Menschen. Mehr Bedarfsgerechtigkeit und mehr Chancengerechtigkeit werden ohne gerechte politische Verfahren kaum zu erreichen sein. Das Prinzip der Verfahrensgerechtigkeit ist daher ein dritter wichtiger Aspekt in den Gerechtigkeitsüberlegungen. Ob Ordnungsstrukturen gerecht sind oder nicht, hängt in hohem Maße davon ab, wie ordnungspolitische Rahmenbedingungen zustande kommen, und wer entscheidet, welche Regeln zu welchem Zeitpunkt gelten oder außer Kraft gesetzt werden. Folglich muss weit mehr als bisher institutionell gesichert werden, dass auch die ärmeren Länder und die Armen, die in besonderer Weise vom Klimawandel betroffen sind, angemessen an Beratungen und Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Dies gilt nicht zuletzt auch und besonders für die Anpassung an die Folgen für die Gesundheit der Menschen. Der Klimawandel weist wie kaum ein anderes Problem auf weltweite Verflechtungen und Abhängigkeiten hin. In einer interdependenten Welt haben Handlungen immer auch Fernwirkungen. Gerechtigkeitsüberlegungen sind also notwendigerweise in einer globalen Perspektive zu erörtern. Gesundheit und Gerechtigkeit in Zeiten des Klimawandels stellt sich daher dezidiert als eine globale Herausforderung, die auch globaler Antworten auf der politischen Ebene bedarf (vgl. Reder 2006). Gerechtigkeit im Kontext von Klimawandel ist aber nicht nur in räumlicher, sondern auch in zeitlicher Perspektive zu erweitern. Dies ist Gegenstand der intergenerationellen Gerechtigkeit, die sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft einbezieht. Grundlage dieses Maßstabs ist die Annahme, dass der Mensch ein geschichtliches Wesen ist, der mit früheren und späteren Generationen in Beziehung steht. Die Herstellung
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intergenerationeller Gerechtigkeit erfordert auch, die Lebenschancen nachfolgender Generationen in die ethischen Überlegungen einzubeziehen (Meyer 2008). Das ist beim Klimawandel besonders relevant, da es sich um ein langfristiges Problem handelt und viele seiner Folgen erst in der Zukunft sichtbar werden. Dabei gilt es besonders die Pfadabhängigkeit von Entscheidungen (zum Beispiel in der Energiepolitik) zu beachten. Weichenstellungen ziehen oft langfristige Folgen nach sich, nicht nur ökonomisch (Ott 2007). Damit ist Gerechtigkeit als ethischer Horizont des Nachdenkens über die Folgen des Klimawandels skizziert. Dabei wurde auch schon deutlich, inwieweit Bedarfs- oder Chancengerechtigkeit die Gesundheit der Menschen fördern. Es gilt nun aber noch dezidierter die ethischen Implikationen der gesundheitsrelevanten Klimafolgen in den Blick zu nehmen. Hierfür erscheint eine Public Health Ethik am erfolgversprechendsten.
b) Klimawandel und Gesundheit: Eine Frage der Public Health Ethik Die Frage nach Gesundheit wurde lange Zeit medizinethisch mit Fokus auf die Unterscheidung krank/nicht krank diskutiert. Diese Differenz liegt bis heute vielen bioethischen Arbeiten zu Gesundheit zu Grunde, woraus sich die „traditionell personalethische Orientierung der biomedizinischen Ethik“ (Dabrock 2002, 83) erklärt. Im Zentrum steht dann das Individuum (der Patient bzw. der Arzt), dessen Handeln entlang der Unterscheidung von krank/nicht krank betrachtet wird. Ethisch wird dann vor allem auf die Bedingungen reflektiert, die dieser Unterscheidung von krank/nicht krank und der zugrunde liegenden Personenzentrierung entsprechen. In dieser Perspektive können auch die bioethischen Prinzipien von Beauchamp und Childress gedeutet werden, bei denen zumindest die Prinzipien der Autonomie, des Nichtschadens und der Benefizienz diesen beiden Grundannahmen entsprechen. Klimawandel als Gesundheitsrisiko stellt sich quer zu diesen beiden Prämissen der Bioethik, denn es geht bei diesem Thema weniger um die Krankheit eines einzelnen Individuums und auch nicht um die Unterscheidung krank/nicht krank. Gesundheit wird innerhalb der Debatte über die Folgen des Klimawandels vielmehr dort zum Thema, wo strukturelle Probleme (z.B. fehlende Adaptationsmaßnahmen oder soziale Sicherungssysteme gegenüber den negativen klimatischen Folgen) die Gesundheitslage einer Gruppe von Menschen beeinflussen. In diesem Sinne ist auch die ethische Frage nach Gesundheit deutlich erweitert: Es geht weniger um die Autonomie des Patienten, sich in einer bestimmten Krankheitssituation für oder gegen eine Therapie zu entscheiden, sondern um strukturell-politische Entscheidungen, welche die Gesundheitsvorsorge einer Gruppe als Ganze in den Blick nehmen.
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Solche Fragen werden in den vergangenen Jahren unter dem Stichwort Public Health Ethik diskutiert, die sich dezidiert von herkömmlichen medizinethischen Ansätzen absetzt. Public Health will sich von der Personenzentrierung lösen und das Gesundheitswesen als Ganzes in den Blick nehmen. Folgende Aspekte sind dabei charakteristisch für die Public Health Forschung (Kälble 2007): Ein multidimensionaler und multidisziplinärer Ansatz, der sich an größeren Bevölkerungsgruppen orientiert und den Fragen nach Gesundheitswesen, Prävention, Umweltbedingungen und Gesundheitsorientierung systematisch nachgehen will. „Public Health wird als Disziplin gesehen, die den moralischen Anspruch hat, das Wohlergehen der Menschen durch Verbesserung ihrer Gesundheit zu fördern.“ (Schröder 2007, 107)
Ethisch betrachtet setzt sich die Public Health Ethik von der Medizinethik ab, indem sie die strukturethischen Dimensionen von Gesundheit offen legt und reflektiert. Die Ansätze sind vielfältig und spiegeln die im Kapitel zur Gerechtigkeit dargelegten ethischen Theoriestränge wieder. Schröder verfolgt beispielsweise einen modifizierten utilitaristischen Ansatz und sieht als zentrales Prinzip der Public Health Ethik die „Maximierung des gesundheitlichen Gesamtnutzens und Bevölkerungsschutz, Achtung vor der Menschenwürde, Effizienz, Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit“ (Schröder 2007, 110). Dabrock dagegen adaptiert den Capability-Ansatz von Sen und Nussbaum und konzeptualisiert das Ziel der Public Health Ethik folgendermaßen: „Eine solche Public Health Ethik (…) hat die Semantiken und strukturellen wie organisationellen Rahmenbedingungen, die den Anspruch erheben (eine sozialkonstruktive Vorstellung von) Gesundheit zu transportieren und zu befördern, auf ihre Kohärenz und Plausibilität zu prüfen. (…) Das Maß einer gerechten Gesundheitsversorgung muss sich orientieren an der Befähigung zu einer längerfristigen integral-eigenverantwortlichen Lebensführung zum Zwecke der Teilnahmemöglichkeit an sozialer Kommunikation.“ (Dabrock 2002, 88)
Auf Grund der in den Überlegungen zur Gerechtigkeit ausgewiesenen Skepsis gegenüber einem utilitaristischen Ansatz erscheint ethisch betrachtet eine Verknüpfung von Klimawandel und Gesundheit innerhalb einer Public Health Ethik im Anschluss an Dabrock überzeugender zu konzeptualisieren zu sein. Public Health hat dann die Aufgabe, die strukturellen Voraussetzungen für die Realisierung von Gesundheit zu schaffen. Wie diese Maßnahmen aussehen und was genau dabei als Gesundheit verstanden wird, kann im Sinne eines kultursensiblen Ansatzes offen bleiben – ja muss es sogar, weil solche Maßnahmen, welche in die Struktur einer Gesellschaft eingreifen, erst vor dem jeweiligen soziokulturellen Hintergrund überzeugend gewählt werden können. In dieser Hinsicht werden in einer Public Health Ethik, wie sie von Dabrock vorgeschlagen wird, sowohl Elemente einer liberalen, kommunitaristischen und tugendethischen Konzeption von Gerechtigkeit verarbeitet.
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Übersetzt man diese ethischen Anforderungen in die Semantik eines Public Health Ansatzes und bezieht sie auf den Bereich des Klimawandels, dann bedeutet dies erstens eine Verbesserung der Analyse der Wechselwirkungen von Klimafolgen auf die Gesundheit der Menschen, zweitens ein effektives und kohärentes Monitoring der Auswirkungen bzw. ein schnelles und effektives Reaktionssystem darauf und drittens eine größtmögliche Integration unterschiedlicher Akteure in diesen Prozess. Auf einem Treffen von Public Health Verantwortlichen der WHO 2004 wurden bereits diese drei Ebenen besonders hervorgehoben: „1. In the future the negative impact on health from recent extreme weather events should be assessed; 2. Based on this, effective real-time health-monitoring systems should be implemented to react to and respond more efficiently to sudden health threats caused by extreme weather events; 3. The development of immediate and co-ordinated strategies and measures should bring together the efforts of various public bodies that are involved in responding to these health threats.“ (Meusel et al. 2004, 380)
Die Verbindung zwischen einer detaillierten Analyse komplexer Zusammenhänge von Klimawandel und Gesundheit und der Etablierung eines effektiven Kommunikationssystems über diese Verbindungen stehen also im Mittelpunkt einer Public Health Strategie, die sich den Folgen des Klimawandels stellen will (vgl. Frumkin/McMichael 2008). Wenn aus der Perspektive von Public Health die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Menschen thematisiert werden soll, so ist dabei insbesondere auf die langfristigen Folgen zu achten. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar, weil Gesundheitswissenschaftler oftmals auf den aktuellen Gesundheitszustand achten und langfristige Zusammenhänge bislang wenig thematisieren. Weil die Folgen des Klimawandels aber sehr langfristig sind, ist die Public Health Forschung darauf angewiesen, diese zeitliche Perspektive deutlich mehr zu erschließen als bisher. „Climate change, however, requires public health and preventive medicine to engage and anticipate health needs on an unprecedented time scale.“ (Frumkin/McMichael 2008, 403)
Wichtig ist hierbei außerdem, den verwendeten Gesundheitsbegriff immer wieder einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Dies gilt besonders für eine Public Health Strategie, welche auf die klimabedingten Folgen für Gesundheit eine Antwort geben will. Public Health steht dabei grundsätzlich in der Gefahr, einen engen Gesundheitsbegriff zu verwenden und vor allem auf die Gesundheitsversorgung im Rahmen eines Krankenversorgungssystems zu fokussieren. Dies widerspricht nicht nur den vielfältigen Bedeutungsdimensionen von Gesundheit, die zu Beginn dieses Bandes als Teil eines weiten Gesundheitsbegriffs ausgewiesen wurden, sondern auch den Ansprüchen eines interkulturellen Dialogs über Gesundheit, welcher für die verschiedenen materialen Füllungen
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von Gesundheit aus der Perspektive einer globalen Gerechtigkeit offen sein sollte. Deshalb ist auch eine Public Health Ethik darauf angewiesen, in einem interkulturellen Gespräch zu klären, welche Facetten von Gesundheit in der jeweiligen kulturellen Deutung besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und welche ethisch begründeten Antworten sich daraus ergeben. Innerhalb des Projekts Klimawandel und Gerechtigkeit (vgl. Fußnote 63) wurden 2009 aus diesem Grund acht Dialogforen in Schwellen- und Entwicklungsländern – darunter auch die Philippinen – durchgeführt, um mit den Stakeholdern vor Ort die jeweiligen kulturellen Deutungen des Klimawandels und seiner relevanter Folgen hörbar zu machen und in einen internationalen Dialog einspeisen zu können. Dabei ging es auch um die Frage, inwieweit der Klimawandel kulturell bedingte Formen der Anpassung induziert, die tief greifende Veränderungen soziokultureller Verhaltensmuster mit sich bringt. Ein solcher offener Dialog wäre auch für die Frage der gesundheitsbedingten Folgen des Klimawandels wünschenswert.
5. Politische Lösungsstrategien a) Vermeidung von Emissionen Hauptaugenmerk sollte in den politischen Diskussionen um die globalen Auswirkungen des Klimawandels aus der Sicht von Gerechtigkeit eine Verminderung der Vulnerabilität der Armen sein. Eine solche Vermeidung besteht erstens aus einer Verringerung der biophysikalischen Vulnerabilität. Dies ist nur zu erreichen, wenn wirksame Maßnahmen der Vermeidung von schadhaften Folgen des Klimawandels auf den Weg gebracht werden. Hierzu sind insbesondere Mittel und Wege zu suchen, um die Kohlendioxidemissionen nachhaltig zu reduzieren. Neben der Förderung regenerativer Energien oder der Erhöhung von Energieeffizienz ist es sinnvoll, auch die Folgekosten von Emissionen finanziell in das Weltwirtschaftssystem einzubinden. Der Handel mit Emissionsrechten wäre sowohl eine Möglichkeit, die Kosten der Emissionen ökonomisch fassbar zu machen als auch Reduktionsziele durch die Limitierung von Emissionsrechten politisch durchzusetzen. Österreich unterstützt in den internationalen Klimaverhandlungen im Rahmen der EU-Strategie die Einführung eines solchen globalen Emissionshandels. Durch den Handel mit Emissionsrechten könnten zudem große Summen den ärmeren Ländern zufließen, weil die Industrieländer Emissionsrechte von den Entwicklungsländern kaufen müssten, um ihren gegenwärtigen Energieverbrauch zu halten. Die Entwicklungsländer könnten diese Einnahmen
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wiederum in den Abbau sozialer Vulnerabilität investieren, z.B. in ein breitenwirksames Gesundheitssystem.
b) Anpassung an die gesundheitlichen Folgen Auch wenn in den internationalen Klimaverhandlungen in den kommenden Jahren eine Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen beschlossen und diese von allen Beteiligten umgesetzt würde, so sind einigen Klimafolgen bereits unabwendbar. Diese Folgen werden deshalb auch Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben. Deshalb ist eine Gesundheitspolitik notwendig, die im Sinne einer umfassenden Public Health-Strategie auf eine bestmögliche Anpassung an diese Klimafolgen ausgerichtet ist. Im Framework der UNO zur Konvention über Klimawandel (vgl. WHO 2000a, 25) finden sich beide Ebenen, wenn sowohl der Aspekt einer Erhöhung der Flexibilität von Managementsystemen für Vulnerabilität als auch der Aspekt der Erhöhung der Anpassungsfähigkeit als Strategien empfohlen werden. In den Dokumenten der WHO stößt man immer wieder auf die Forderung nach Mehrdimensionalität der Maßnahmen. Anpassungsmaßnahmen, die eine nachhaltige Sicherung bzw. Förderung von Gesundheit anzielen, sollten daher sowohl eine technische, medizinische, politische als auch pädagogische Dimension beinhalten. Technische Maßnahmen beinhalten z.B. Wettervorhersagen oder globale Frühwarnsysteme. Medizinisch besteht die Herausforderung v.a. in dem Überwachen und Evaluieren der entsprechenden Gesundheitsrisiken und auftretenden Krankheiten, um angemessen auf die entsprechenden Entwicklungen reagieren zu können. Dies betrifft beispielsweise die Kontrolle der vektorübertragenen Krankheiten wie Malaria oder Dengue-Fieber. Andere Maßnahmen zur Anpassung verstehen sich als langfristige Steuerung sozioökonomischer Entwicklungen und fußen neben technischen Maßnahmen vor allem auf vielfältigen politischen Steuerungsmechanismen. Dabei spielen nicht zuletzt ökonomische Faktoren eine nicht unerhebliche Rolle. Beispiele hierfür wären langfristige Pläne zur Herstellung von Ernährungssicherheit, die sowohl auf der globalen, kontinentalen als auch lokalen Ebene verankert werden müssen. Nicht zuletzt zielen einige Maßnahmen auch auf eine Bewusstseinsveränderung der Betroffenen und liegen daher auf der Ebene der präventiven Aufklärung oder Bildung. Die damit skizzierten Dimensionen der Anpassung liegen größtenteils im Bereich öffentlicher Aufgaben, aber Anpassung betrifft natürlich auch immer die Sphäre des Privaten. Pläne zur Ernährungssicherheit werden nicht nur von Regierungen, sondern immer auch von den einzelnen Familien erstellt. Gleiches gilt für Frühwarmsysteme oder Versiche-
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rungsschutz. Eine nachhaltige Form der Anpassung hat daher immer beide Ebenen, die private und öffentliche, mit zu beachten. Außerdem lassen sich die Maßnahmen der Anpassung auch dahingehend unterscheiden, ob sie präventiven Charakter haben, d.h. die Bevölkerung durch technische oder politische Maßnahmen auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten wollen, oder ob sie reaktiven Charakter haben, d.h. nach einer entsprechenden Klimafolge zur Abfederung der entstandenen Probleme dienen. Vor diesem Raster lassen sich nun für die einzelnen Klimafolgen entsprechende Anpassungsmaßnahmen für den Bereich Gesundheit formulieren. Exemplarisch seien einige zentrale Maßnahmen davon genannt (vgl. WHO 2000a, 26): Extreme Wetterereignisse (Hitzewellen, Stürme, Fluten): Investition in Warnsysteme, Bebauungsplanung, Etablierung von natürlichen Schutzmechanismen bis hin zu Beratung und Versorgung in Katastrophensituationen. Epidemien: Etablierung eines integrierten Umweltmanagements, Monitoring der Epidemien, Versorgung mit Impfungen, globale und lokale Kontrolle der Krankheitswege und Ausbreitungen. Ernährungssicherheit: Aufbau globaler Mechanismen zur Sicherung der Ernährungssicherheit, lokaler Wettervorhersagen, globaler Frühwarnsysteme und Umsetzung von Aktionsplänen bei Hungerkatastrophen. Wasserversorgung: Reduktion der Wasserverschmutzung, Schutzmechanismen zur Erhöhung der Wasserqualität oder Capacity Building im Sinne einer umfassenden Vermittlung von Handlungskompetenzen und Wissen. Alle genannten Maßnahmen erfordern ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure. Sie sind also weniger medizinische Maßnahmen im engeren Sinne, sondern Teil einer umfassenden globalen Public Health Strategie. Eine solche Politik ist darauf angewiesen, dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, Administration, Politik und Ökonomie zusammenarbeiten, um entsprechende Maßnahmen überhaupt nachhaltig realisieren zu können. Erst durch eine solche Kooperation ist eine Verbesserung der Kapazität zur Anpassung an die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels möglich. Das bedeutet, dass eine Verschränkung von bottom-up und top-down Strategien notwendig ist. Ethisch gesprochen ist es also erstens wichtig, die jeweiligen betroffene Gruppe mit ihren soziokulturellen Traditionen ernst zu nehmen und in einen entsprechenden politischen Prozess der Bekämpfung von Gesundheitsfolgen durch den Klimawandel einzubeziehen (bottom-up). Zweitens ist es angesichts der Komplexität des Problems genauso wichtig, von einer ordnungspolitischen Perspektive
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Rahmenbedingungen auf regionaler, nationaler und auch globaler Ebene zu schaffen, die eine solche Bekämpfung übergreifend möglich machen, wofür sich aus einer liberalen Perspektive nach Rawls viele Argumente finden ließen (top-down). Die Verschränkung von beiden Strategien und die Einbindung möglichst vieler Akteure in beide Richtungen wird von Public Health Akteuren immer wieder besonders herausgestrichen: „To promote resilience to climate change and other community stressors, a stepwise course of action is proposed for community-based adaptation that engages stakeholders in a proactive problem solving process to enhance social capital across local and national levels. In addition to grassroots actions undertaken at the community level, reducing vulnerability to current and projected climate change will require top-down interventions implemented by public health organizations and agencies.“ (Ebi/Semenza 2008, 501)
In diesem Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure sind intersektorale Kooperationen von besonderer Bedeutung. Es geht darum, sektorenübergreifenden die Akteure zu einer solchen globalen Public Health Strategie zu bewegen und sie in diese aktiv zu integrieren. Bereits 1992 wurde bezüglich der Frage der Wasserversorgung eine solche intersektorale Kooperation innerhalb der UNO anvisiert. „The holistic management of freshwaters as a finite and vulnerable resource, and the integration of sectoral water plans and programs within the framework of national economic and social policy are of paramount importance for action.“ (WHO 2000a, 35)
Um sowohl Maßnahmen im technischen als auch medizinischen Bereich umfassend realisieren zu können, sind zudem neue Partnerschaften zu suchen, die möglicherweise auf den ersten Blick nicht auf der Hand liegen. Public Private Partnerships können hier genauso eine Möglichkeit sein wie Kooperationen im Bereich der Technologieentwicklung und des Transfers. Wenn sich Unternehmen für die Entwicklung und den Aufbau von Frühwarmsystemen gegen Taifune und Überschwemmungen in Südostasien einsetzt und finanziell engagieren, so ist dies eine solche gelungene Kooperation, in der ökonomische und politische Akteure aus unterschiedlichen Interessen das gleiche Ziel verfolgen und damit insgesamt die Anpassungskapazität erhöhen können. Allerdings können solche Partnerschaften staatliches Handeln niemals ersetzen, weil sie immer den partikularen Interessen der eingebundenen Akteure folgen und damit nicht das Wohl des Gemeinwesens als Ganzes in den Blick nehmen. Darüber hinaus sind Gesellschaften weltweit herausgefordert, ein Gesundheitssystem aufzubauen oder bestehende Systeme so an die aktuellen Entwicklungen anzupassen, dass eine umfassende Gesundheitsversorgung ermöglicht wird und präventive Maßnahmen zum Schutz vor klimabedingten Gesundheitsrisiken gestärkt werden. Dies ist nicht zuletzt auch ein politisches und ökonomisches Problem. Es zeigt sich aber schon jetzt, dass in den Regionen, in denen solche Gesundheitssysteme
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bereits etabliert sind, die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels, insbesondere für die ärmsten Menschen dieser Regionen begrenzt werden können, beispielsweise was eine basale Gesundheitsversorgung in Naturkatastrophen oder der Schutz vor Epidemien wie Malaria oder Dengue-Fieber betrifft. Als ein Beispiel hierfür kann Mosambik genannt werden, das in den letzten Jahren die Zahl der Malariatoten um über 25% senken konnte.63 Bezüglich der gesundheitlichen Folgen des Klimawandels ist die Weltgesundheitsorganisation heute der zentrale Akteur, der in horizontal und vertikal vernetzten Strukturen agiert und versucht, die unterschiedlichen Akteure miteinander zu vernetzen. Mit den unterschiedlich weitreichenden Instrumenten der Forschung und politischen Einflussnahme ist die WHO sicherlich eine der wichtigsten Organisationen auf diesem Feld. Sie ist auf mehreren Ebenen aktiv und kann unterschiedlichste Akteure und Steuerungsmechanismen in eine integrierte Public Health Strategie einbinden. Eine große Stärke der Weltgesundheitsorganisation besteht darin, dass sie wissenschaftliche und praktisch-politische Schritte miteinander vernetzt und so zur Entwicklung einer integrierten Strategie effektiv beitragen kann. Von der Weltgesundheitsorganisation selbst werden auf ihrer Homepage folgende Schritte zum Aufbau einer internationalen Gesundheitspolitik als Antwort auf mögliche Folgen des Klimawandels genannt: Umfassende Strategie, welche die Folgen des Klimawandels für die Gesundheit beachtet Präventive Umweltinterventionen, die gesundheitsfördernd sind Warnsystem für Epidemien Sicherung der Umweltgesundheit bei Katastrophen Aufbau von nachhaltigem Handlungsvermögen aller Akteure im Gesundheitssektor Auf- und Ausbau von Allianzen für nachhaltige Entwicklung Klimaschutz (Mitigation) und Gesundheitsfürsorge (Adaptation) Eine nachhaltige Strategie, die diese unterschiedlichen Ziele verfolgt, muss als ein gemeinsamer Lernprozess der Weltgemeinschaft verstanden werden. Das Spezifikum von komplexeren globalen Lernprozessen ist, dass nicht schon von Beginn alle Schritte eindeutig festgelegt sind, sondern sich aus den unterschiedlichen Analysen und Teilschritten neue gemeinsame Perspektiven ergeben.64 Der wichtigste Ausgangspunkt für
63 Vgl. http://www.kma-online.de/nachrichten/politik/id__17410___view (abgerufen am 30.10.2009). 64 Vgl. die von Louis/Hess skizzierten Elemente eines solchen Lernprozesses, die sie unter folgendem Titel zusammengefasst haben: „Promoting awareness and
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Interkulturelle Praxisfelder
diesen Lernprozess ist allerdings, dass der Klimawandel überhaupt als ein Gesundheitsrisiko erkannt wird. Das Konzept von Public Health erscheint hierzu besonders Erfolg versprechend, weil es sowohl einen weiteren Gesundheitsbegriff impliziert als auch die komplexen sich wechselseitig beeinflussenden Bedingungen von Gesundheit thematisieren kann. Gerade in einem Themenfeld wie dem Klimawandel, der enorm komplex ist und viele unterschiedliche Gesellschaften und Kulturen betrifft, erscheint ein solcher Ansatz besonders zielführend. Eine Ethik, die an einen solchen Public Health Ansatz anschließen würde, hätte die Möglichkeit auf verschiedene Traditionen des Nachdenkens über Gerechtigkeit zu rekurrieren und könnte damit ein breites Feld der Diskussion über die vom Klima bedingten Folgen für die Gesundheit eröffnen. Wichtig hierfür ist es allerdings, dass sich insbesondere der deutschsprachige Diskurs dem Thema Public Health öffnet und die Chancen dieses Diskurses nützt, was bislang nur ansatzweise der Fall ist (vgl. Wehkamp 2008).
action on climate change within global health efforts: a collaborative learning initiative“ (vgl. St. Louis/Hess 2008, 533ff.).
Fazit
Die Frage nach Gerechtigkeit im Feld der Gesundheit ist in unterschiedlichen Kulturen gleichermaßen zentral für das Zusammenleben der Menschen. Auch wenn die Ausgangsbedingungen und jeweiligen Probleme sehr unterschiedlich sind, stellt sich das Nachdenken über Gerechtigkeit und Gesundheit sowohl in Österreich als auch in den Philippinen als ein wesentliches und vielschichtiges Problem dar. Die Frage nach Gesundheit und Gerechtigkeit ist dabei in zweifacher Weise relevant: Die Bedingungen für Gesundheit im Rahmen von Public Health, Gesunderhaltung und Gesundheitsversorgung sind ein Bereich, in dem Gerchtigkeitsüberlegungen eine zentrale Rolle spielen. Umgekehrt ist Gesundheit selbst eine wesentliche Bedingung für Partizipation und damit auch Voraussetzung für bestimmte Formen von Gerechtigkeit – insbesondere Chancenund Teilhabegerechtigkeit. Diesem zweifachen Verhältnis wurde im Rahmen der Auseinandersetzung mit der theoretischen Grundlegung sowie den Praxisfeldern nachgegangen. Dabei wurde deutlich, dass die sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen in beiden Ländern zu unterschiedlichen Strategien im Umgang mit der Frage nach Gesundheit und Gerechtigkeit führen. Die angewandte interkulturelle Perspektive ermöglicht es, diese unterschiedlichen Hintergründe in den Blick zu nehmen und die Perspektive der beiden Kulturen sowie ihre Binnendifferenzierungen zu rekonstruieren. Eine kulturübergreifende Diskussion solcher bioethischer Fragen muss dabei sowohl normative Argumentationen als auch deskripitv-kulturwissenschaftliche Zugänge integrieren (Schlieter 2005, 19). Die Darstellung der bioethischen Reflexion in beiden Ländern, die als eine Bioethik in den Kulturen verstanden werden kann, wurde daher durch verschiedene Überlegungen flankiert. Sie wurde in deskriptiver Richtung um die kulturellen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen, vor denen die Diskussionen stattfinden, erweitert. Hierfür musste ein Blick auf die konkreten sozialen Praktiken geworfen werden. Gleichzeitig wurde in theoretischer Hinsicht nach der begrifflichen Grundlage und damit der theoretischen Fundierung der Diskussionen gefragt und diese mit den Argumenten einer universalistisch ausgerichteten Bioethik ins Gespräch gebracht. Erst vor dem Hintergrund dieser beiden Analyse-
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Fazit
stränge wird eine „Bioethik in der Perspektive interkulturellen Philosphierens“ (ebd.) möglich, die sich zum einen der Beschränktheit des je kulturgebundenen Ansatzes bewusst ist, zum anderen den Dialog oder Polylog (vgl. Wimmer 2004) für einen wechselseitigen Lernprozess nutzen kann. Der Polylog als ein Zusammenspiel verschiedener kultureller wie auch theoretischer Zugänge zu diesem Problemfeld bildet einen möglichen Hintergrund, nach globalen und gegebenfalls universalen Lösungen zu suchen. Die Analysen dieses Bandes machen deutlich, dass eine Anerkennung von Interkulturalität in diesem Themenfeld zunächst bedeutet, die verschiedenen Zugänge hörbar zu machen und reflexiv einzuholen. Sowohl auf der Ebene der begrifflich-theoretischen Reflexion als auch der empirischen Analyse ist es wichtig, die Verschiedenheiten sichtbar zu machen. Erst damit wird deutlich, wie ausdifferenziert die Frage nach Gesundheit und Gerechtigkeit ist. Im Rahmen der interkulturellen Auseinandersetzung wird die Vielschichtigkeit der Betrachtungsweisen auch innerhalb der beiden Kulturen sichtbar. So wird durch den Dialog die Aufmerksamkeit auf Diskurse in beiden Ländern gelenkt, die jenseits der gesellschaftlich etablierten liegen. Dies zeigt sich beispielsweise in dem Themenfeldern traditioneller Medizin oder der Bedeutung religiöser Argumente im Bereich der Organtransplantation, die im österreichischen Diskurs über Gesundheit eine untergeordnete Rolle spielen, duch den interkulturellen Vergleich aber sehr wohl deutlich werden. Dadurch erfährt die Reflexion der eigenen Verhältnisbestimmung von Gesundheit und Gerechtigkeit wichtige Impulse. Indem die kulturellen Signaturen von Gesundheit und Gerechtigkeit auf den Begriff gebracht werden, werden grundlegende Annahmen und Begrenzungen des eigenen kulturell geprägten Verständnisses deutlich und lassen sich verflüssigen. Der interkulturelle Vergleich zwischen Österreich und den Philippinen zeigt darüber hinaus besonders eindrücklich, dass die Begriffe Gesundheit sowie Gerechtigkeit sozial konstruiert sind und damit als wandelbar und kontingent angesehen werden müssen. Ein a-historisches, essentialistisches Verständnis beider Begriffe kann damit zurückgewiesen werden. Auch wenn bestimmte Aspekte der beiden Begriffe in allen Kulturen eine Rolle spielen, so sind doch sowohl Begründungsfiguren als auch materiale Füllungen alles andere als a-kulturell ausweisbar. Ethische Reflexion kann deshalb nicht einfach auf einzelne Begriffe oder biologisch-medizinisches Wissen als eindeutige Bezugspunkte rekurrieren. Bereits die Wahl der Begriffe impliziert eine bestimmte normative Ausrichtung, die Auswirkungen auf die Ausgestaltung eines Gesundheitswesens oder die Prioritätensetzung mit Blick auf Fragen der Gerechtigkeit haben. Deshalb ist bei jeder Begriffsbestimmung zu fragen, inwieweit sie für konkrete Problemstellungen sinnvoller Ausgangspunkt ist.
Fazit
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Die kulturellen Bestimmungen von Gesundheit und Gerechtigkeit sind zudem mit vorherrschenden Diskursen anderer Themenfelder in diesen Gesellschaften verwoben. Beispielsweise erscheint die Frage von Gesundheit und Gerechtigkeit in Österreich oftmals als eine Allokationsfrage, weil die Steuerung mittels ökonomischer Verfahren dort gesamtgesellschaftlich eine große Rolle spielt. Demgegenüber wird Gesundheit und Gerechtigkeit auf den Philippinen vor allem als Entwicklungsdiskurs konzeptualisiert, weil diesem innerhalb der philippinischen Gesellschaft eine zentrale Bedeutung zukommt. Dabei geht es in beiden Ländern natürlich auch um finanzielle Aspekte, doch dies ist nur eine Facette des Themenfeldes, auf den die Diskussion nicht reduziert werden kann. Die Mehrdimensionalität von Gesundheit, die kulturell bedingten Verhaltensmuster und die unterschiedlichen politischen Handlungslogiken der beiden Länder prägen die Verhältnisbestimmung von Gesundheit und Gerechtigkeit mindestens genauso sehr und sollten deshalb in einer systematischen Reflexion des Verhältnisses Beachtung finden. Der interkulturelle Vergleich zwischen Österreich und den Philippinen kann noch in einer weiteren Hinsicht eine Hilfestellung geben. In westlichen Ländern erscheint der Diskurs über Gesundheit oftmals als ein sehr technischer. Es geht um einzelne Teilaspekte, wie beispielsweise die Autonomie des Sterbenden, die Zuzahlung bei Medikamenten oder Rationalisierungsprozesse zur Ressourceneinsparung. Dabei wird vernachlässigt, dass die Frage nach Gesundheit und Gerechtigkeit die Gesellschaft als Ganze betrifft und sich nicht auf die Summe einer Vielzahl technischer Fragen reduzieren lässt. Es geht im letzten darum, in welcher Gesellschaft Menschen leben wollen. Was bedeutet Gesundheit für das Leben der Menschen und wie soll Gerechtigkeit verwirklich werden? Solche Fragen müssen auch im Detail durchdacht und umgesetzt werden, doch daneben ist es wichtig, die übergeordnete Frage nicht aus dem Blick zu verlieren. Dies bedeutet, grundlegend nach Wegen und Lösungen jenseits der diskutierten Felder zu suchen. Der interkulturelle Dialog über Gesundheit und Gerechtigkeit kann in diesem Zusammenhang hilfreiche Impulse geben, weil er auf solche Ausblendungen aufmerksam macht, zur Reflexion des eigenen Selbstverständnisses anregt und in einem offenen interkulturellen Dialog Anregungen für eine Weiterführung des Diskurses gibt. Für den hier vorliegenden Dialog bedeutet dies vor allem die Wechselbeziehung von Bioethik und Public Health-Ethik stärker in den Blick zu nehmen und Gerechtigkeit nicht ausschließlich als Frage der Struktur von Gesundheitsversorgung zu bearbeiten. Zu Beginn des Bandes hatte Prof. Barbaza aus Manila bereits auf die globale Dimension von Gesundheit und Gerechtigkeit aufmerksam gemacht. Gesundheit ist sicherlich – und wahrscheinlich auch in erster Linie – eine Aufgabe für die jeweiligen Gesellschaften und ihre politischen Systeme. Aber es wäre verkürzt, würde man Gesundheit ausschließlich
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Fazit
als eine nationalstaatliche Angelegenheit interpretieren. Die Analysen zu den gesundheitsbedingten Folgen des Klimawandels oder zur Migration von Pflegekräften machen deutlich, dass Gesundheit und Gerechtigkeit eine globale Dimension habt. Wenn die Menschenrechte mit dem basalen Recht auf ein menschenwürdiges Leben in Gesundheit, ernst genommen werden sollen, dann ist auch auf globaler Ebene nach entsprechenden Strategien und Verfahren zu suchen, wie diese Rechte gesichert werden können. Dazu sind globale Institutionen wie die WHO zu stärken, um beispielsweise Fragen der Public Health im Kontext des Klimawandels angemessen politisch beantworten zu können. Der vorgestellte interkulturelle Dialog macht neben den inhaltlichen Fragen auch auf theoretische Implikationen aufmerksam. Bereits die Gegenüberstellung der beiden zentralen Begriffe in diesem Band, Gesundheit und Gerechtigkeit, suggeriert eine Unterscheidung von empirischdeskriptiven Fragen auf der einen Seite und normativen Fragen auf der anderen Seite. Im westlichen Diskurs über Gesundheit und Gerechtigkeit wird in bioethischen Analysen oftmals eine klare Trennung zwischen der deskritpiven und normativen Ebene vorausgesetzt. Ethisch besteht dann die Aufgabe darin, ein überzeugendes Gerechtigkeitskonzept zu begründen und dieses auf das Thema der Gesundheit anzuwenden. Viele Arbeiten zur Allokation im Gesundheitswesen tragen im Gefolge des nach wie vor prägenden liberalen Ansatzes von Rawls die Handschrift dieses Vorgehens. Der interkulturelle Vergleich zwischen Österreich und den Philippinen zeigt die Grenzen einer solchen eindeutigen Trennung zwischen den beiden Ebenen auf. Bereits die kulturell pluralen Verständnisse von Gesundheit zeigen, dass der Gesundheitsbegriff selbst Ziele impliziert und damit normative Aspekte transportiert. Analog lässt sich Gerechtigkeit ebenfalls nicht eindeutig anwenden, sondern ist verwiesen auf die jeweils kulturrelative Beschreibung von gesellschaftlichen Konstellationen. Die ethische Frage nach Gerechtigkeit steht damit immer schon in einem engen Wechselverhältnis zu der deskriptiven Analyse sozialer Zusammenhänge. Eine überzeugende Bestimmung des Verhältnisses von Gesundheit und Gerechtigkeit ist deshalb auf eine detaillierte Analyse der jeweiligen Praktiken, Verhaltensmuster und Strukturen angewiesen und kann nur in einem Wechselverhältnis mit diesen bestimmt werden. Damit kann wiederum der interkulturelle Vergleich dieses Themenfeldes seinerseits hilfreiche Impulse für die ethische Debatte insgesamt liefern, indem er Skepsis gegenüber einer scharfen Trennung von Empirie und Moral anmeldet. Die Popularität pragmatistischer Ansätze in der Ethik in den vergangenen Jahren ist ein Spiegelbild hiervon. Die Analyse der verschiedenen bioethischen Debatten in beiden Ländern zeigt bei aller Unterschiedlichkeit, dass die Frage nach Gerechtigkeit im Gesundheitsbereich grundlegend für die Gesellschaften ist. In der Weise, in der Gesundheit weltweit immer mehr zu einem Ideal menschli-
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chen Lebens wird, und gleichzeitig soziale Asymmetrien die Umsetzung dieses Ideals erschweren, erweist sich die Suche nach Gerechtigkeit und Gesundheit als eine Grechtenfrage (post)moderner Gesellschaften. Dies gilt für beide Kulturen gleichermaßen, auch wenn eine gerechte Verwirklichung dieses Ideals teilweise sehr unterschiedlich gesellschaftlich interpretiert und politisch anvisiert wird.
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