W
;XZQVOMZ[3]ZbTMPZJÛKPMZ LMZ:MKP\[_Q[[MV[KPIN\
3TI][;KP_IQOPWNMZ0Z[O
µ[\MZZMQKPQ[KPM[;\ZINZMKP\ .ÃTTM]VL...
313 downloads
1164 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
W
;XZQVOMZ[3]ZbTMPZJÛKPMZ LMZ:MKP\[_Q[[MV[KPIN\
3TI][;KP_IQOPWNMZ0Z[O
µ[\MZZMQKPQ[KPM[;\ZINZMKP\ .ÃTTM]VL4Õ[]VOMV
^WTT[\ÃVLQOÛJMZIZJMQ\M\M)]ãIOM
;XZQVOMZ?QMV6M_AWZS
W=VQ^8ZWN,Z3TI][;KP_IQOPWNMZ 1V[\Q\]\NÛZ;\ZINZMKP\;\ZINXZWbM[[ZMKP\]VL3ZQUQVWTWOQM 4MWXWTL.ZIVbMV[=VQ^MZ[Q\Ã\ 1VV[JZ]KSµ[\MZZMQKP
,I[?MZSQ[\]ZPMJMZZMKP\TQKPOM[KPÛ\b\ ,QM LIL]ZKP JMOZÛVLM\MV :MKP\M QV[JM[WVLMZM LQM LMZ »JMZ[M\b]VO LM[ 6IKP LZ]KSM[LMZ-V\VIPUM^WV)JJQTL]VOMVLMZ.]VS[MVL]VOLMZ?QMLMZOIJMI]N XPW\WUMKPIVQ[KPMU WLMZ ÃPVTQKPMU?MOM ]VL LMZ ;XMQKPMZ]VO QV ,I\MV^MZIZ JMQ\]VO[IVTIOMVJTMQJMVI]KPJMQV]ZI][b]O[_MQ[MZ>MZ_MZ\]VO^WZJMPIT\MV
]VL ;XZQVOMZ>MZTIO?QMV 8ZQV\MLQV)][\ZQI
;XZQVOMZ?QMV6M_AWZSQ[\MQV=V\MZVMPUMV^WV ;XZQVOMZ;KQMVKM*][QVM[[5MLQI [XZQVOMZI\ ,QM ?QMLMZOIJM ^WV /MJZI]KP[VIUMV 0IVLMT[VIUMV ?IZMVJMbMQKPV]VOMV ][_ QV LQM[MU*]KPJMZMKP\QO\I]KPWPVMJM[WVLMZM3MVVbMQKPV]VOVQKP\b]LMZ)VVIPUM LI[[ [WTKPM 6IUMV QU ;QVVM LMZ ?IZMVbMQKPMV ]VL 5IZSMV[KP]\b/M[M\bOMJ]VO IT[NZMQb]JM\ZIKP\MV_ÃZMV]VLLIPMZ^WVRMLMZUIVVJMV]\b\_MZLMVLÛZNMV 8ZWL]S\PIN\]VO";ÃU\TQKPM)VOIJMVQVLQM[MU.IKPJ]KPMZNWTOMV\ZW\b[WZONÃT\QOMZ*M IZJMQ\]VO]VL3WV\ZWTTMWPVM/M_ÃPZ-QVM0IN\]VOLM[)]\WZ[WLMZLM[>MZTIOM[I][ LMU1VPIT\LQM[M[?MZSM[Q[\I][OM[KPTW[[MV
;I\b]VL,Z]KS".MZLQVIVL*MZOMZ;ÕPVM/M[MTT[KPIN\UJ0 0WZVµ[\MZZMQKP
/MLZ]KS\I]N[Ã]ZMNZMQMUKPTWZNZMQOMJTMQKP\MU8IXQMZw<+. ;816"
*QJTQWOZIâ[KPM1VNWZUI\QWVLMZ,M]\[KPMV*QJTQW\PMS ,QM,M]\[KPM*QJTQW\PMS^MZbMQKPVM\LQM[M8]JTQSI\QWVQVLMZ,M]\[KPMV 6I\QWVITJQJTQWOZIâM#LM\IQTTQMZ\MJQJTQWOZIâ[KPM,I\MV[QVLQU1V\MZVM\ÛJMZ P\\X"LVJLLJLMIJZ]NJIZ
1;;6!
1;*6! ;XZQVOMZ?QMV6M_AWZS 1;*6! ;XZQVOMZ?QMV6M_AWZS
!USÏDEMÏ6ORWORTÏZURÏÏ!UmAGE Unsere Studenten1 wünschen seit Langem ein Buch mit Fällen und Lösungen auch von den Innsbrucker Professoren. Früher habe ich dafür nicht viel Verständnis gehabt: Professoren sollen nicht Klausurenkunde, sondern Strafrecht unterrichten; und das Auswendiglernen von Falllösungen bringt Studenten nicht weiter. Aber in Übungen taucht, nachdem ein Fall besprochen wurde und die Lösung feststeht, immer wieder die Frage auf, „wie man das schreiben soll“. Ich sage immer, man müsse bloß zwei Regeln beachten: a) Von den Merkmalen des gesetzlichen Tatbildes soll man zuerst die Merkmale der äußeren und dann jene der inneren Tatseite prüfen; und die Merkmale des gesetzlichen Tatbildes soll man vor allfälligen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen prüfen. b) Den Merkmalen des Tatbildes, eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes muss man in der Lösung die Umstände aus dem Sachverhalt gegenüber stellen, in denen sie verwirklicht sind. Alles andere ist Geschmacksache. Wir lassen bei einer Prüfung alle Rechtsauffassungen gelten, die in der Rechtsprechung oder im Schrifttum vertreten werden; und wir lassen nicht nur unsere, sondern jede Lösung gelten, die nach der Rechtsauffassung, von welcher der Student ausgeht, eben noch vertretbar ist. Dennoch sind die Ergebnisse bescheiden. Wie man gesetzlichen Merkmalen Tatumstände gegenüber stellt, bleibt vielen ein Geheimnis. Und seit in Innsbruck das Strafrecht ein Fach des ersten Studienabschnitts geworden ist, ist an konfusen und absurden Fragen kein Mangel. Natürlich sind wir froh, dass Studenten sich getrauen, auch solche Fragen zu stellen! Christian Bertel
Für alle, denen das nicht ohnehin selbstverständlich ist: „Student“ ist hier natürlich geschlechtsneutral zu verstehen. 1
V
6ORWORTÏZURÏÏ!UmAGE 3EITÏDERÏERSTENÏ!UmAGEÏDESÏ&ALLBUCHESÏHATÏSICHÏVIELÏGETANÏ$URCHÏDASÏ StRÄG 2004 wurden zum Schutz der unbaren Zahlungsmittel mehrere neue Tatbestände (§§ 241a – 241f) in das StGB eingefügt, die in der Praxis SEHRÏHÇUlGÏ!NWENDUNGÏlNDEN ÏABERÏGLEICHZEITIGÏDIEÏ,SUNGÏEINFACHSTERÏ Fälle erheblich verkomplizieren. Die neuen Deliktstypen bringen auch schwierige Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen mit sich. Wir haben eiNIGEÏ&ÇLLEÏAUSÏDERÏ6ORAUmAGEÏNEUÏNACHÏDERÏGEÇNDERTENÏ2ECHTSLAGEÏGElöst, aber auch manche neue Fälle aufgenommen, die interessante und typische Fallkonstellationen beinhalten. Die zweite – noch wesentlich einschneidendere – Änderung betrifft die Neugestaltung des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens durch das Strafprozessreformgesetz (StPRefG), das am 1. 1. 2008 in Kraft tritt. Bereits seit dem Wintersemester 2005/2006 lehren und prüfen wir die neue StPO, weil unsere Studierenden nach dem Abschluss ihres Studiums mit der neuen Rechtslage konfrontiert sein werden. So war es selbstverständlich, auch im vorliegenden Fallbuch der neuen StPO Rechnung zu tragen. Inzwischen liegt auch der Entwurf des Strafprozessreformbegleitgesetzes I vom Juli 2007 (BMJ-L590.004/0001-II 3/2007) vor. Bei der Lösung der Prozessfälle haben wir uns an diesem Entwurf orientiert. Allerdings könnte es bis zur Gesetzanwendung noch die eine oder andere kleine Änderung geben, die sich auch auf die Lösung eines Falles auswirkt. Für diesen Fall bitten wir den Leser, dies zu berücksichtigen. Aber wir wollen nicht bis zum Herbst warten. 7IRÏ HABENÏ EINIGEÏ &ÇLLEÏ AUSÏ DERÏ 6ORAUmAGEÏ ¿BERNOMMENÏ UNDÏ NEUÏ nach dem StPRefG gelöst. Wir haben aber auch zahlreiche neue Fälle eingefügt und uns dabei bemüht, die wichtigsten Neuerungen abzudecken: Sie betreffen insbesondere die neue Aufgabenverteilung im Ermittlungsverfahren zwischen Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, neue Zwangsmittel, die wesentlich verbesserte Stellung des Opfers und den Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren. Im Jahr 2006 gab es am Innsbrucker Strafrechtsinstitut erfreulicherweise zwei Habilitationen: Frau ao. Univ.-Prof. Dr. Verena Murschetz, LL.M., und Frau ao. Univ.-Prof. Dr. Margarethe Flora. Da beide auch als VII
6ORWORTÏZURÏÏ!UmAGE
NEUEÏ0R¿FERINNENÏFUNGIEREN ÏLAGÏESÏNAHE ÏSIEÏBEIÏDERÏ.EUAUmAGEÏDIESESÏ Fallbuches einzubeziehen. Andererseits ist Herr o. Univ.-Prof. Dr. Christian Bertel ÏDERÏ(ERAUSGEBERÏDERÏERSTENÏ!UmAGE ÏIMÏ(INBLICKÏAUFÏSEINEÏ Emeritierung am 30. 9. 2007 als Autor ausgeschieden. Die bisher von den Fällen von Prof. Bertel abgedeckten Deliktsbereiche werden nun hauptsächlich von den neuen Fällen von Frau Murschetz und Frau Flora abgedeckt. )MÏ ÍBRIGENÏ HABENÏ WIRÏ DASÏ +ONZEPTÏ DERÏ 6ORAUmAGEÏ BEIBEHALTENÏ %SÏ handelt sich fast ausschließlich um tatsächlich vorgekommene und bewusst eher einfache Fallkonstellationen. Bei den Lösungen haben wir uns bemüht, nicht viel mehr zu schreiben als man von den Studierenden bei einer 3-stündigen Klausurarbeit noch erwarten kann. Die Lösungen der Fälle zum materiellen Recht entsprechen der im Lehrbuch von Bertel/Schwaighofer vertretenen Rechtsauffassung; wenn B/S von der Rechtsprechung abweichen, weisen wir in kursiver Schrift auf die Rechtsprechung hin. Die Lösungen zum Prozessrecht beziehen sich auf das neue Lehrbuch „Strafprozessrecht“ von Bertel/Venier, das 2007 erschienen ist. Andere Lehrmeinungen zitieren wir nur ausnahmsweise, weil wir das Buch nicht mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat belasten wollten. Wir hoffen, dass dieses Buch den Studierenden hilft, die Strafrechtsprüfung erfolgreich zu absolvieren. Frau Mag. Tanja Schermer, Herrn Mag. Hannes Schmid, Frau Mag. Eva-Maria Schmiderer und Frau Mag. Julia Wendt haben uns bei der Durchsicht des Manuskripts, beim Lesen der Fahnen und bei der Anfertigung des Sachregisters sehr geholfen. Frau Manuela Seidner hat die Schreib- und Korrekturarbeiten erledigt. Wir danken ihnen allen herzlich. Innsbruck, im Juli 2007
VIII
Klaus Schwaighofer
)NHALTSVERZEICHNIS Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................... XIII Mitarbeiterverzeichnis ......................................................................................................... XV
!Ï&ÇLLEÏZUMÏMATERIELLENÏ2ECHT )Ï&,/2! Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall
1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8:
„Der schwere Gegner“ ............................................................................................. „Die Zaunlatte“ ......................................................................................................... „Valentinstag“............................................................................................................ „Der Brieföffner“ ...................................................................................................... „Der Urlaub in der Karibik“..................................................................................... „Pech an der Bushaltestelle“.................................................................................... „Der falsche Klosterbruder“ ..................................................................................... „Die Polizeikontrolle“...............................................................................................
Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall
1: 2: 3: 4: 5: 6: 7:
„Das leere Bierglas“.................................................................................................. „Eine unangenehme Auseinandersetzung“ ............................................................. „Tabledance mit Folgen“.......................................................................................... „Troubles in der Autowerkstatt“ .............................................................................. „Der unterbrochene Fernsehabend“ ....................................................................... „Der soziale Bürgermeister“..................................................................................... „Der Hase und der Hund“ .......................................................................................
3 5 8 12 14 17 20 22
))Ï-523#(%4: 27 29 31 34 38 41 43
)))Ï3#(%), Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall
1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8:
„When Lights Are Low“............................................................................................ „Round Midnight“..................................................................................................... „Gee Baby, Ain’t I Good to You?“ ........................................................................... „Straight No Chaser“................................................................................................. „Ev’rybody’s Somebody’s Fool”............................................................................... „Stomping At The Savoy“......................................................................................... „Misterioso“............................................................................................................... „More Than You Know“...........................................................................................
Fall Fall Fall Fall
1: 2: 3: 4:
„Panik durch schwere Ehekrise“ ............................................................................. „Leichtsinnige Buben“.............................................................................................. „Taxifahrt“ ................................................................................................................. „Flucht mit Polizeiauto“ ...........................................................................................
47 50 53 57 62 67 71 77
)6Ï3#(7!)'(/&%2 83 85 87 89 IX
Inhaltsverzeichnis Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall
5: „Zweifelhafte Geldbeschaffung“.............................................................................. 6: „Mantelverwechslung“.............................................................................................. 7: „Die Leihschier“........................................................................................................ 8: „Überforderter Briefträger“....................................................................................... 9: „Bankomat- und Kreditkartenmissbrauch“.............................................................. 10: „Drogenkonsum ist teuer“ ..................................................................................... 11: „Unseriöser Hausverwalter“ ................................................................................... 12: „Sexuelle Übergriffe“ ..............................................................................................
94 97 100 103 107 111 114 117
6Ï6%.)%2 Fall 1: „Denkzettel“.............................................................................................................. Fall 2: „Der Schaltfehler“ ..................................................................................................... Fall 3: „Steinschlag auf der Autobahn“............................................................................... Fall 4: „Der obszöne Anruf“................................................................................................ Fall 5: „Eine unsportliche Auseinandersetzung“ ................................................................ Fall 6: „Besuch in der Spedition“........................................................................................ Fall 7: „Das Kuvert“ ............................................................................................................. Fall 8: „Tankstellenüberfall“ ................................................................................................ Fall 9: „Die reuige Rentnerin“ ............................................................................................. Fall 10: „Kunstfälscher und Kunsthändler“ ........................................................................ Fall 11: „Sommerschlussverkauf“........................................................................................ &ALLÏÏu$ERÏlNGIERTEÏ2AUBh ............................................................................................... Fall 13: „Mit vertauschten Rollen“.......................................................................................
121 123 125 128 129 132 135 138 140 143 146 148 150
"Ï&ÇLLEÏZUMÏ0ROZESSRECHT )Ï&,/2! Fall Fall Fall Fall Fall Fall
1..................................................................................................................................... 2..................................................................................................................................... 3..................................................................................................................................... 4..................................................................................................................................... 5..................................................................................................................................... 6.....................................................................................................................................
155 156 158 160 161 162
))Ï-523#(%4: Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall
1..................................................................................................................................... 2..................................................................................................................................... 3..................................................................................................................................... 4..................................................................................................................................... 5..................................................................................................................................... 6..................................................................................................................................... 7.....................................................................................................................................
Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall
1..................................................................................................................................... 2..................................................................................................................................... 3..................................................................................................................................... 4..................................................................................................................................... 5..................................................................................................................................... 6..................................................................................................................................... 7.....................................................................................................................................
165 168 169 171 172 174 175
)))Ï3#(%),
X
177 180 181 183 185 186 188
Inhaltsverzeichnis )6Ï3#(7!)'(/&%2 Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall
1..................................................................................................................................... 2..................................................................................................................................... 3..................................................................................................................................... 4..................................................................................................................................... 5..................................................................................................................................... 6..................................................................................................................................... 7..................................................................................................................................... 8..................................................................................................................................... 9..................................................................................................................................... 10................................................................................................................................... 11...................................................................................................................................
Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall Fall
1..................................................................................................................................... 2..................................................................................................................................... 3..................................................................................................................................... 4..................................................................................................................................... 5..................................................................................................................................... 6..................................................................................................................................... 7..................................................................................................................................... 8..................................................................................................................................... 9..................................................................................................................................... 10................................................................................................................................... 11................................................................................................................................... 12................................................................................................................................... 13...................................................................................................................................
193 194 196 198 199 200 201 202 203 204 205
6Ï6%.)%2 209 210 211 212 214 215 217 219 220 220 222 223 224
3TICHWORTVERZEICHNIS ....................................................................................................... 227
XI
!BK¿RZUNGSVERZEICHNIS Abs aM AnwBl Art AT !UmÏ Bd B/S BT I B/S BT II B/V BGBl BT B-VG bzw ca dh DV-StAG E EGMR EMRK EvBl f ff Fabrizy StPO FinStrG FN Fuchs AT I hA Hinterhofer BT II hL idgF iSd iVm JBl JGG KH
Absatz anderer Meinung Österreichisches Anwaltsblatt Artikel Allgemeiner Teil !UmAGE Band Bertel/Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht Besonderer Teil I 10. !UmÏ Bertel/Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht Besonderer Teil II 7. !UmÏ Bertel/Venier, Strafprozessrecht (2007) Bundesgesetzblatt Besonderer Teil Bundes-Verfassungsgesetz 1920 idF von 1929 beziehungsweise circa das heißt Verordnung zur Durchführung des Staatsanwaltschaftsgesetzes BGBl 1986/338 idgF Entscheidung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten BGBl 1958/210 Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (in der ÖJZ) folgende fortfolgende Fabrizy Ï3T0/ÏUNDÏAUSGEWÇHLTEÏ.EBENGESETZE Ï+URZKOMMENTARÏÏ!UmÏ (2004) Finanzstrafgesetz BGBl 1958/129 idgF Fußnote Fuchs ÏSTERREICHISCHESÏ3TRAFRECHTÏ!LLGEMEINERÏ4EILÏ)ÏÏ!UmÏ herrschende Auffassung Hinterhofer Ï3TRAFRECHTÏ"ESONDERERÏ4EILÏ))ÏÏ!UmÏ herrschende Lehre in der geltenden Fassung im Sinne des/der in Verbindung mit Juristische Blätter Jugendgerichtsgesetz 1988 BGBl 599 idgF Plenarbeschlüsse und Entscheidungen des k.k. Obersten Gerichts- als Kassationshofes XIII
Abkürzungsverzeichnis K/H AT
Kienapfel/Höpfel, Grundriss des österreichischen Strafrechts AllgemeiNERÏ4EILÏÏ!UmÏ Ï K/Schm Stud BT II Kienapfel/Schmoller, Strafrecht Besonderer Teil II Studienbuch (2003) K/Schm Stud BT III Kienapfel/Schmoller, Strafrecht Besonderer Teil III Studienbuch (2005) K/Schr BT I Kienapfel/Schroll, Grundriss des österreichischen Strafrechts, Besonderer Teil, Bd I (2003) Lewisch BT I Lewisch Ï3TRAFRECHTÏ"ESONDERERÏ4EILÏ)ÏÏ!UmÏ lit litera (Buchstabe) L/St Leukauf/Steininger Ï+OMMENTARÏZUMÏ3TRAFGESETZBUCHÏÏ!UmÏ mwN mit weiteren Nachweisen OGH Oberster Gerichtshof OGHG Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof BGBl 1968/328 idgF ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung ÖJZ-MRK MRK-Entscheidung in der ÖJZ OLG Oberlandesgericht RAO Rechtsanwaltsordnung RGBl 1868/96 idgF RZ Österreichische Richterzeitung Rz Randziffer s siehe SbgK Salzburger Kommentar zum StGB, hrsg von Triffterer, Rosbaud und Hinterhofer Seiler AT II Seiler Ï3TRAFRECHTÏ!LLGEMEINERÏ4EILÏ))ÏÏ!UmÏ SMG Suchtmittelgesetz BGBl I 1997/112 idgF sog so genannt(e) SPG Sicherheitspolizeigesetz BGBl 1991/566 idgF SSt Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten StGB Strafgesetzbuch 1974 BGBl 60 idgF StGG Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger 1867 RGBl 142 StPRefBeglG Strafprozessreformbegleitgesetz (Entwurf) StPRefG Strafprozessreformgesetz BGBl I 2004/19 StPRefBeglG I-Entw Entwurf des Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Strafgesetzbuch und das Jugendgerichtsgesetz 1988 geändert werden (Strafprozessreformbegleitgesetz I), GZ BMJ-L590.004/0001-II 3/2007 StPO Strafprozessordnung 1975 BGBl 631 (Wv) idgF StVO Straßenverkehrsordnung 1960 BGBl 159 idgF usw und so weiter VfGH Verfassungsgerichtshof VfSlg Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des VfGH vgl vergleiche Vorbem Vorbemerkungen VStG Verwaltungsstrafgesetz 1991 BGBl 52 (Wv) idgF VwGH Verwaltungsgerichtshof WaffGebrG Waffengebrauchsgesetz 1969 BGBl 149 idgF WK2Ï 7IENERÏ+OMMENTARÏZUMÏ3TRAFGESETZBUCH ÏÏ!Um ÏHRSGÏVONÏHöpfel und Ratz WK-StPO Wiener Kommentar zur StPO, hrsg von Fuchs und Ratz Wv Wiederverlautbarung Z Ziffer zB zum Beispiel
XIV
-ITARBEITERVERZEICHNIS Dr. Dr. Dr. Dr.
Margarethe Flora, Verena Murschetz, Andreas Scheil, Klaus Schwaighofer,
Dr. Andreas Venier,
ao. Universitätsprofessorin in Innsbruck ao. Universitätsprofessorin in Innsbruck Universitätsprofessor in Innsbruck o. Universitätsprofessor in Innsbruck (Herausgeber) ao. Universitätsprofessor in Innsbruck
XV
A. Fälle zum materiellen Recht
I. FLORA Fall 1: „Der schwere Gegner“ In einem Grazer Lokal kommt es in den frühen Morgenstunden zu einer Prügelei zwischen K und X. Die Prügelei endet für K böse. Ein Zeuge gibt an, dass der 130 Kilogramm schwere X auf K’s Brust gekniet sei und mit den Fäusten auf ihn eingeschlagen habe. K verlässt daraufhin das Lokal mit blutenden Wunden im Gesicht. Am nächsten Tag will K wieder in sein Stammlokal gehen. Diesmal nimmt er ein Messer mit. Als K dort auftaucht, kommt es wieder zu einer Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten: Die anderen Gäste können den X nicht aufhalten: Er stürzt sich erneut auf K. Nun sticht K zu und durchtrennt dem X dabei eine Arterie im Oberschenkel. X verblutet. Hat sich K strafbar gemacht?
Lösung 1. a) K könnte eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB) begangen haben: Der Stich in den Oberschenkel verursacht bei X eine stark blutende Wunde. Die Wunde ist eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, weil eine medizinische Behandlung notwendig ist.1 X handelt jedenfalls mit Verletzungsvorsatz (§ 83 Abs 1 StGB), es kommt ihm geradezu darauf an (§ 5 Abs 2 StGB), den K zu verletzen, damit er ihn abwehren kann. Die Körperverletzung hat den Tod des X zur Folge. K handelt diesbezüglich fahrlässig: Die objektive Sorgfaltswidrigkeit steht auf Grund der vorsätzlichen Verletzung fest. An der objektiven Zurechnung der Todesfolge ist nicht zu zweifeln: Der Tod ist keine ungewöhnliche Folge der 1
B/S BT I § 83 Rz 1. 3
I. Flora
Tathandlung. Messerstiche in den Oberschenkel sind auch deshalb verboten, weil sie eine lebensgefährliche Folge nach sich ziehen können. b) Zu prüfen ist weiters eine nachÏeÏÏ!BSÏÏ:ÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERTEÏ Körperverletzung: Das Messer ist zwar ein „lebensgefährliches Mittel“, aber ein Stich mit einem Messer in den Oberschenkel ist keine lebensgefährliche Misshandlung.2 Bei einem Stich in den Oberschenkel muss man nicht um das Leben des Opfers fürchten.3 Auch müsste sich K der Lebensgefährlichkeit seines Stiches bewusst sein und sich zumindest daMITÏABlNDENÏeÏÏ!BSÏÏ3T'" Ï$ASÏISTÏNICHTÏDERÏ&ALL 2. K könnte auch eine absichtliche schwere Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 87 Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB) begangen haben: In diesem Fall müsste es K darauf angekommen sein (§ 5 Abs 2 StGB), dem X mit seinem Stich in den Oberschenkel eine an sich schwere, also lebensgefährliche4 Verletzung zuzufügen oder zumindest eine Verletzung, die diesen über 24 Tage an der Gesundheit schädigt. Um den Gegner kampfunfähig zu machen, hat K eine solche schwere Verletzung zwar möglicherweise in Kauf genommen, darauf angekommen ist es ihm aber nicht. 3. a) K könnte in Notwehr (§ 3 StGB) gehandelt haben, weil sich der X auf den K stürzt. Dies ist ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf sein Leben, jedenfalls auf seine körperliche Unversehrtheit. Zur Abwehr dieses Angriffs wählt K den Stich in den Oberschenkel. Auf Grund der körperlichen Überlegenheit des X (130 Kilogramm schwer) hat K nicht viele Möglichkeiten, sich gegen den Angreifer wirkungsvoll zur Wehr zu setzen. Der Stich in den Oberschenkel ist wohl das einzige verfügbare Verteidigungsmittel, das den Angriff sofort und endgültig abwehren kann.5 K bedient sich daher nur der notwendigen Verteidigung; es liegt kein Notwehrexzess vor. K weiß auch um das Vorliegen der Notwehrsituation. b) Da K mit dem Messer das Lokal aufgesucht hat, in dem er am Tag zuvor verletzt wurde, ist zu prüfen, ob vielleicht eine Notwehrprovokation vorliegt. Das wäre dann der Fall, wenn angenommen werden müsste, dass K den Angriff des X mutwillig herausgefordert hat, um B/S BT I § 84 Rz 9. B/S BT I § 84 Rz 8. 4 B/S BT I § 84 Rz 4. Die Rsp verlangt keine lebensgefährliche Verletzung, sondern eine Verletzung oder Gesundheitsschädigung, durch die wichtige Organe oder Körperteile beeinträchtigt werden oder bei der der Heilungsverlauf ungewiss ist bzw weitere gesundheitliche Folgen zu erwarten sind: s K/Schr BT I § 84 Rz 12. 5 Seiler AT I Rz 352. 2 3
4
Fall 2: „Die Zaunlatte“
Gelegenheit zur Abwehr und damit zur Straffreiheit zu erhalten. Davon kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht ausgegangen werden; K muss einem Angriff auch nicht dadurch ausweichen, dass er sein Stammlokal nicht mehr besucht.6 Ergebnis: K hat eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB) begangen. Er ist jedoch durch Notwehr (§ 3 StGB) gerechtfertigt und daher nicht strafbar.
Fall 2: „Die Zaunlatte“ X fährt mit seinem Freund Y als Beifahrer nach einem Discobesuch in Zell am Ziller nach Hause. Auf der Zillertaler Bundesstraße kommt X auf Grund seiner unaufmerksamen Fahrweise mit seinem Wagen von der Straße ab und fährt einen Zaun nieder. Dabei durchbohrt eine der Zaunlatten die Schulter des Beifahrers Y. Y will selbst mit dem Handy die Rettung rufen, doch X reißt ihm das Handy aus der Hand. X will verhindern, dass die Polizei von dem Unfall erfährt, da er vor der Fahrt Alkohol konsumiert hat. Nach einiger Zeit lässt X es doch zu, dass Y die Rettung ruft, die dann mit der Polizei gemeinsam an den Unfallort kommt. Bei X werden 1,2 ‰ Alkohol im Blut festgestellt. Im Strafverfahren stellt der Sachverständige fest, dass Y hätte verbluten können, wenn die Rettung eine Stunde später gekommen wäre. Hat sich X strafbar gemacht?
Lösung 1. a) X könnte eine fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB begangen haben: Die durchbohrte Schulter des X ist eine Körperverletzung, weil zweifellos medizinische Hilfe nötig ist.7 X hat objektiv sorgfaltswidrig gehandelt, weil er gegen § 5 Abs 1 StVO verstößt. X ist alkoholisiert. Er fährt auch nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit, mit der ein einsichtiger und besonnener Autofahrer auf der Bundesstraße fahren würde. Die Körperverletzung ist auf die Alkoholisierung und die damit verbundene fehlende Aufmerksamkeit des X zurückzuführen. Gründe, die den Risi6 7
Fuchs AT I 17. Kap Rz 39, K/H AT Z 11 Rz 18. B/S BT I § 83 Rz 1. 5
I. Flora
kozusammenhang ausschließen, sind nicht ersichtlich. § 5 Abs 1 StVO UNDÏDIEÏ0mICHT ÏDIEÏNTIGEÏ!UFMERKSAMKEITÏWALTENÏZUÏLASSEN ÏSOLLENÏ,EIBÏ und Leben der Verkehrsteilnehmer schützen und Unfälle wie den eingetretenen verhindern.8 Der Erfolg ist X auch subjektiv zurechenbar. X hätte die Gefahr trotz seiner Alkoholisierung erkennen und einsehen können. Alkoholbedingte Beeinträchtigungen haben nach der Rsp bei der Beurteilung der subjektiven Zurechenbarkeit außer Betracht zu bleiben.9 X wäre aber auch dann, wenn man auf Grund der Alkoholisierung die subjektive ZurechNUNGÏ VERNEINTE Ï NICHTÏ STRAmOSÏ $AÏ ERÏ ALKOHOLISIERTÏ GEFAHRENÏ IST Ï KNNTEÏ ihm Übernahme- oder Einlassungsfahrlässigkeit angelastet werden.10 b) X könnte bei Y fahrlässig eine schwere Körperverletzung (§ 88 Abs 4 1. Fall StGB) verursacht haben: Da der Sachverständige feststellt, dass Y an dieser Verletzung hätte verbluten können, ist sie lebensgefährlich und damit „an sich schwer“ iSd § 84 Abs 1 StGB.11 Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die Schulter des Y länger als 24 Tage schmerzen wird. c) Weiters könnte die Tat nach § 88 Abs 4 2. Fall (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB QUALIlZIERTÏSEINÏ Mit 1,2 ‰ Alkohol im Blut ist X absolut fahruntauglich. Als Autofahrer muss X über die für ihn noch erlaubte Alkoholmenge Bescheid wissen, und X hat auch schon während des Trinkens in der Disco vorhergesehen, dass er noch nach Hause fahren wird.12 Dass sich X und Y eine andere Art nach Hause zu kommen, zB mit dem Taxi zu fahren, vorgenommen hätten, geht aus dem Sachverhalt nicht hervor. d) X könnte durch Einwilligung (§ 90 StGB) des Y gerechtfertigt sein: Y könnte in die gefährliche Autofahrt und die damit verbundenen Folgen eingewilligt haben, wenn er nicht selbst zu alkoholisiert ist, um die Gefahr, in die er sich begibt, zu überblicken. Von einer starken Alkoholisierung des Y steht nichts im Sachverhalt. Daher kann seine Einwilligungsfähigkeit angenommen werden.13 Steigt Y in voller Kenntnis der Alkoholisierung des X zu ihm ins Auto, dann hat er in die gefährliche Handlung des X und damit auch in die daraus resultierende schwere Ver-
B/S BT I § 80 Rz 9. S K/Schr BT I § 80 Rz 119f. 10 B/S BT I § 80 Rz 25. 11 B/S BT I § 84 Rz 4. 12 B/S BT I § 81 Rz 13, 15. 13 B/S BT I § 90 Rz 3. 8 9
6
Fall 2: „Die Zaunlatte“
letzung eingewilligt.14 Die Fahrt des X ist dann gegenüber dem Y nicht sittenwidrig. Wenn X daher nur aus alkoholbedingter Unaufmerksamkeit von der Straße abgekommen ist, dann rechtfertigt ihn die Einwilligung des Y.15 Nach der Rsp liegt keine Einwilligung vor, weil Y nicht in die Verletzung, sondern höchstens in eine Gefährdung eingewilligt hat.16 2. a) X könnte wegen Imstichlassen eines Verletzen (§ 94 Abs 1 StGB) strafbar sein: X hat die Verletzung des Y in objektiv sorgfaltswidriger Weise verursacht und er weiß auch, dass medizinische Hilfe erforderlich ist. Jeder vernünftige Mensch mit einer solchen Verletzung nimmt ärztliche Hilfe in Anspruch. X holt absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) keine Hilfe, damit ihm nicht der Führerschein entzogen wird. Die Hilfeleistung wäre ihm auch zumutbar, weil der Verlust des Führerscheins das Unterlassen der Hilfeleistung höchstens dann unzumutbar machen kann, wenn dem Opfer nur ein geringer Schaden droht.17 !BERÏDAÏ8ÏF¿RÏDIEÏQUALIlZIERTEÏSCHWEREÏ+RPERVERLETZUNGÏNACHÏeÏÏ Abs 4 2. Fall StGB eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu erwarten hat, kommt § 94 Abs 1 StGB nicht zur Anwendung (§ 94 Abs 4 StGB). b) Auszuschließen ist, dass X eine Aussetzung (§ 82 StGB) begangen hat. Der Täter hat Y zwar in Lebensgefahr gebracht und er unterlässt es, die Lebensgefahr sofort abzuwenden, aber es ist davon auszugehen, dass X die lebensgefährliche Lage des Opfers gar nicht erkennt. Damit fehlt ihm der für § 82 StGB erforderliche Vorsatz. 3. X könnte eine Nötigung (§ 105 StGB) begangen haben: Durch das Entreißen des Handys könnte X den Y mit Gewalt am Telefonieren gehindert haben. Fraglich ist ob, X gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet. Gewalt liegt vor, wenn das Opfer durch das Entreißen einer Sache zu Boden stürzt oder Schmerzen leidet.18 Da das Opfer an der Schulter schwer verletzt ist, kann angenommen werden, dass für Y das ruckartige Entreißen des Handys sehr schmerzhaft ist. X hat den Y daher mit Gewalt am Telefonieren gehindert und dies auch in seinen Vorsatz aufgenommen. Es kam ihm geradezu darauf B/S BT I § 90 Rz 2. B/S BT I § 90 Rz 7. 16 S K/H AT E 1 Rz 79. 17 B/S BT I § 94 Rz 17. 18 B/S BT I § 105 Rz 5, § 142 Rz 4: Für den OGH liegt schon dann Gewalt vor, wenn der Täter dem Opfer einen Gegenstand entreißt und dabei einen „Selbstbehauptungswillen“ überwindet. 14 15
7
I. Flora
an (§ 5 Abs 2 StGB) zu verhindern, dass X die Rettung oder die Polizei ruft. 4. Für den niedergefahrenen Zaun ist X nicht strafbar. Diese Sachbeschädigung hat X nur fahrlässig begangen. Ergebnis: Wenn X für die fahrlässige schwere Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 88 Abs 4 2. Fall StGB) durch Einwilligung des Y gerechtfertigt ist, dann ist er wegen Imstichlassens eines Verletzten (§ 94 Abs 1 StGB) und Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) zu bestrafen. Nimmt man keine Einwilligung des Y an, dann hat X für die QUALIlZIERTEÏSCHWEREÏ+RPERVERLETZUNGÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏÏ&ALLÏ3T'"ÏEINEÏ Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu erwarten, weshalb § 94 Abs 1 StGB nicht zur Anwendung kommt (§ 94 Abs 4 StGB).
Fall 3: „Valentinstag“ Der Valentinstag steht vor der Tür. Da X seine neue Freundin in ein gutes Restaurant einladen will, leiht er sich von seinem Kollegen (K) ÏãÏ8ÏVERSPRICHT ÏDASÏ'ELDÏSPÇTESTENSÏINÏEINEMÏ-ONATÏZUR¿CKZUzahlen. Als K nach zwei Monaten immer noch kein Geld bekommen hat, stellt er den X zur Rede. X behauptet nun aber, nie Geld bekommen zu haben. Da wird K wütend und versetzt dem X einen Faustschlag ins Gesicht. X stürzt mit dem Hinterkopf auf die Gehsteigkante, und zieht sich dabei eine stark blutende Platzwunde zu. Beim Sturz fällt dem X die Geldtasche aus der Hosentasche. K sieht die Geldtasche, nimmt sie und geht davon. Während er wegGEHT Ï ENTNIMMTÏ ERÏ AUSÏ DERÏ 'ELDTASCHEÏ Ï ãÏ $ABEIÏ DENKTÏ ERÏ SICHÏ uÏãÏSCHULDETÏERÏMIR ÏUNDÏÏãÏBEHALTEÏICHÏALSÏ:INSENhÏ$ASÏ'ELDÏ steckt er ein, die Geldtasche wirft er dann weg. Haben sich X und K strafbar gemacht?
Lösung 1. a) X könnte einen Betrug (§ 146 StGB) begangen haben: 8ÏBITTETÏDENÏ+ÏUMÏEINÏ$ARLEHENÏVONÏÏãÏ%RÏSAGTÏAUCHÏAUSDR¿CKLICH Ï dass er ihm das Geld zurückzahlen werde. Konkludent gibt er damit auch zu verstehen, dass er in der Lage sein wird, das Geld zurückzu8
Fall 3: „Valentinstag“
zahlen.19 Wenn A nicht vor hat das Geld zurückzuzahlen, oder er davon ausgeht, dass es seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zulassen werden, dann täuscht er über seine Bereitschaft bzw Fähigkeit, das Geld ZUR¿CKZUGEBEN ÏUNDÏVERLEITETÏDAMITÏDENÏ+ ÏIHMÏDIEÏÏãÏZUÏGEBENÏ$AÏ K das Geld nicht mehr zurückbekommen wird, schädigt er sich durch seine Handlung selbst am Vermögen.20 Fraglich ist die innere Tatseite des X. X ist nur dann wegen Betruges zu bestrafen, wenn er schon im Zeitpunkt der Darlehensannahme vor hatte, dem K das Geld nicht wieder zu geben, oder wenn er es zumindest für möglich gehalten und sich damit abgefunden (§ 5 Abs 1 StGB) HAT Ï DASSÏ ERÏ lNANZIELLÏ NICHTÏ INÏ DERÏ ,AGEÏ SEINÏ WERDE Ï DEMÏ +Ï DIEÏ Ï ãÏ zurückzuzahlen. b) Eine Veruntreuung (§ 133 StGB) kommt nicht in Frage, weil Darlehen kein anvertrautes Gut sind.21Ï$IEÏÏãÏGEHENÏINÏDIEÏFREIEÏ6ERF¿GUNGSmacht des Empfängers (X) über. 2.a) K könnte eine Körperverletzung (§ 83 StGB) begangen haben: Eine stark blutende Platzwunde ist eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, weil das Opfer medizinische Versorgung braucht. $IEÏ7UNDEÏMUSSÏMITÏEINEMÏ0mASTERÏVERSORGT ÏMGLICHERWEISEÏAUCHÏGEnäht werden. Der Faustschlag war kausal für den Sturz des X und damit auch für die daraus resultierende Platzwunde. Auf der inneren Tatseite muss der Täter zumindest mit Misshandlungsvorsatz nach § 83 Abs 2 StGB gehandelt haben. K, der dem X den Faustschlag aus Wut darüber versetzt, dass er sein Geld nicht zurückbekommt, kam es vermutlich darauf an (§ 5 Abs 2 StGB), dem X Schmerzen zu bereiten, ihm ernsthaft weh zu tun. Da K dem X offensichtlich einen sehr heftigen Schlag versetzt, hat er möglicherweise auch an eine Verletzung gedacht und sich mit einer solchen abgefunden (§ 5 Abs 1 StGB). Dann wäre X nach § 83 Abs 1 StGB strafbar.22 b) K könnte wegen Imstichlassen eines Verletzen (§ 94 Abs 1 StGB) strafbar sein: K hat die Platzwunde des X verursacht. X ist auch hilfsbedürftig, weil jeder vernünftige Mensch mit einer stark blutenden Wunde ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen würde.23 Fraglich ist, ob K die Verletzung des K erkennt und daher die Erforderlichkeit der HilfeleistungsPmICHTÏINÏSEINENÏ6ORSATZÏAUFGENOMMENÏHATÏ 19 20 21 22 23
B/S B/S B/S B/S B/S
BT BT BT BT BT
I I I I I
§ § § § §
146 Rz 5. 146 Rz 17. 133 Rz 8. 83 Rz 9. 94 Rz 5. 9
I. Flora
.ACHÏ DERÏ 2SPÏBESTEHTÏEINEÏ.ACHSCHAUPmICHTÏUNDÏDERÏ4ÇTERÏISTÏSCHONÏ dann strafbar, wenn er sich vorsätzlich nicht davon überzeugt hat, ob das Opfer hilfsbedürftig ist.24 Aber da die vorsätzliche Körperverletzung nach § 83 Abs 1 oder 2 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist, kommt § 94 Abs 1 nicht zu Anwendung (§ 94 Abs 4 StGB). 3.a)Ï+ÏKNNTEÏANÏDENÏÏãÏEINENÏDiebstahl (§ 127 StGB) begangen haben: Die Geldscheine sind fremde, bewegliche Sachen, die offensichtlich einen Wert haben und im Eigentum des X stehen. Auch wenn dem X die Geldtasche aus der Hosentasche gefallen ist, steht sie und damit auch das Geld noch im Gewahrsam des X. X hat an der Geldtasche samt Inhalt so LANGEÏ'EWAHRSAM ÏALSÏERÏSICHÏNOCHÏINÏ3ICHTWEITEÏDERÏ3ACHENÏBElNDET25 )NDEMÏ+ÏDIEÏ'ELDTASCHEÏSAMTÏDENÏÏãÏAUFHEBTÏUNDÏSICHÏDAMITÏENTFERNT Ï bricht er den Gewahrsam des X und begründet Alleingewahrsam. Auf der inneren Tatseite muss K zum Zeitpunkt der Wegnahme den Vorsatz haben, sich die Sache zuzueignen und sich daran unrechtmäßig zu bereichern. Da K die Geldtasche wegwirft, ist dieser Vorsatz IMÏ(INBLICKÏAUFÏDIEÏ'ELDTASCHEÏZUÏVERNEINENÏ$IEÏÏãÏWILLÏ+ÏBEHALTENÏ bzw für sich verwenden. Fraglich ist aber der Vorsatz auf unrechtmäßige "EREICHERUNGÏBEZ¿GLICHÏDERÏGESAMTENÏÏãÏ$AÏ+ÏDEMÏ8ÏÏãÏGELIEHENÏ HAT ÏHATÏERÏEINÏ2ECHTÏAUFÏDIEÏÏãÏUNDÏDAHERÏKEINENÏ6ORSATZÏAUFÏUNRECHTmäßige Bereicherung.26Ï%INÏ2ECHTÏAUFÏÏãÏ:INSENÏHATÏ+ÏNICHTÏUNDÏDASÏ weiß er auch. b) Wenn K zum Zeitpunkt der Wegnahme der Geldtasche nur an die geLIEHENENÏÏãÏGEDACHTÏHAT ÏDANN KANNÏERÏAUCHÏWEGENÏDERÏÏãÏ:INSENÏ nicht wegen Diebstahls bestraft werden, weil ihm zum Zeitpunkt der Wegnahme der erforderliche Vorsatz fehlt. In diesem Fall wäre K weGENÏDERÏÏãÏNACHϧ 134 Abs 2 StGB (Anschlussunterschlagung) zu BESTRAFENÏ%RÏHATÏDIEÏÏãÏDEMÏ/PFERÏOHNEÏ:UEIGNUNGSVORSATZÏWEGGEnommen27 und später den Vorsatz gefasst, sich durch die Zueignung der ÏãÏUNRECHTMÇIGÏZUÏBEREICHERNÏ7IEÏOBENÏAUSGEF¿HRT ÏWEIÏ+ ÏDASSÏERÏ KEINÏ2ECHTÏAUFÏÏãÏ:INSENÏHAT c) Wenn +ÏSCHONÏZUMÏ:EITPUNKTÏDERÏ7EGNAHMEÏÏãÏALSÏ:INSENÏBEHALten wollte, könnte er einen Bedrängnisdiebstahl (§ 127, 128 Abs 1 Z 1 StGB) begangen haben: 24 25 26 27
10
B/S B/S B/S B/S
BT BT BT BT
I I I I
§ § § §
94 Rz 10, K/Schr BT I § 94 Rz 28. 127 Rz 13. 127 Rz 26. 134 Rz 9.
Fall 3: „Valentinstag“
X hat vom Sturz auf die Gehsteigkante eine stark blutende Platzwunde. Die Frage ist, ob es ihm dadurch wesentlich erschwert ist, sein %IGENTUMÏZUÏSCH¿TZENÏ$IEÏBLUTENDEÏ0LATZWUNDEÏMACHTÏ8ÏNICHTÏHILmOSÏ !LSÏHILmOSÏWÇREÏ8ÏNURÏANZUSEHEN ÏWENNÏERÏVOMÏ3TURZÏBEWUSSTLOSÏODERÏ zumindest benommen und desorientiert wäre. d) Da X durch den Faustschlag zu Boden stürzt, hat K gegen das Opfer Gewalt angewendet. Ein Raub (§ 142 StGB)ÏHINSICHTLICHÏDERÏÏãÏ Zinsen ist jedoch auszuschließen, da K dafür schon im Zeitpunkt der Gewaltanwendung den Vorsatz gehabt haben müsste, dem X das Geld wegzunehmen und sich daran unrechtmäßig zu bereichern. Es ist aber davon auszugehen, dass K nur aus Wut auf den X einschlägt. Die Idee, das Geld zu nehmen, kommt ihm erst, als er die Geldtasche am Boden liegen sieht. 4. An der Geldtasche könnte K eine dauernde Sachentziehung (§ 135 StGB) begangen haben: Wie oben ausgeführt hat K die Geldtasche dem Opfer weggenommen. Wenn K zum Zeitpunkt der Wegnahme den Vorsatz hatte, die Geldtasche wegzuwerfen, also dem Opfer für immer zu entziehen, dann ist er wegen dauernder Sachentziehung zu bestrafen.28 Davon kann ausgegangen werden, da es K offensichtlich von Anfang an nur darauf ankam, sein Geld wiederzubekommen. Nach aM käme es nicht drauf an, dass der Täter dem Opfer die Geldtasche weggenommen hat. Eine dauernde Sachentziehung könnte auch an einer Sache begangen werden, die der Täter schon selbst innehat.29 Ergebnis: 7ENNÏ8ÏZUMÏ:EITPUNKTÏDERÏÍBERGABEÏDERÏÏãÏDENÏ6ORsatz hatte, das Geld nicht zurückzugeben, ist er nach § 146 StGB zu beSTRAFENÏ3ONSTÏISTÏ8ÏSTRAmOS Je nach dem, ob K mit Verletzungs- oder Misshandlungsvorsatz zugeschlagen hat, ist er nach § 83 Abs 1 oder 2 StGB zu bestrafen. Wegen DERÏÏãÏ:INSENÏISTÏERÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏZUÏBESTRAFEN ÏFALLSÏERÏSCHONÏIMÏ :EITPUNKTÏDERÏ7EGNAHMEÏANÏDIESEÏÏãÏGEDACHTÏHATÏUNDÏ:UEIGNUNGS Ï und unrechtmäßigen Bereicherungsvorsatz hatte. Sonst ist er nach § 134 Abs 2 StGB zu bestrafen.
28 29
B/S BT I § 135 Rz 3. B/S BT I § 135 Rz 4 mwN. 11
I. Flora
Fall 4: „Der Brieföffner“ X bricht die Türe zu einem Schreibwarengeschäft auf. Sein Freund Y begleitet ihn dabei. Im Geschäft packt X gezielt Kugelschreiber der Marken Montblanc, Porsche und Parker in eine mitgebrachte Reisetasche, das Einbruchswerkzeug verstaut er in einer Aktentasche. Als X und Y das Geschäft verlassen wollen, werden sie noch im Geschäft von einem Wachmann überrascht. Dieser packt Y, der die Aktentasche trägt, am Arm. X stellt die Reisetasche mit der Beute ab, nimmt einen spitzen Brieföffner in die Hand und geht damit drei Schritte auf DENÏ7ACHMANNÏZUÏ$ERÏ7ACHMANNÏLÇSSTÏ9ÏLOSÏ8ÏUNDÏ9Ïm¿CHTENÏSAMTÏ "EUTEÏAUSÏDEMÏ'ESCHÇFTÏ$IEÏ"EUTEÏHATÏEINENÏ7ERTÏVONÏÏã Haben sich X und Y strafbar gemacht?
Lösung 1.a) X könnte einen Diebstahl (§ 127 StGB) begangen haben: X packt die Kugelschreiber, die im Eigentum und Gewahrsam des Geschäftsinhabers stehen, in seine Reisetasche. Der Diebstahl ist vollendet, wenn X die Sachen in seinen Alleingewahrsam gebracht hat. Fraglich ist, ob X an den Sachen mit dem Hineingeben in die mitgebrachte Reisetasche schon Alleingewahrsam erlangt hat. Grundsätzlich ist der Diebstahl kleinerer Sachen mit dem Einstecken vollendet. Da X die Menge an Kugelschreibern aber offensichtlich nicht in einer kleinen Tasche oder in seinen Manteltaschen verbergen kann, ist davon auszugehen, dass der Diebstahl erst vollendet ist, wenn X mit der Reisetasche das Geschäft verlässt und sich damit aus den Räumen des Geschäftsinhabers entfernt.30 X hat zum Zeitpunkt der Wegnahme auch die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), sich die Sachen zuzueignen und sich daran unrechtmäßig zu bereichern. b)Ï$AÏDERÏ7ERTÏDERÏ+UGELSCHREIBERÏÏãÏ¿BERSTEIGT ÏISTÏ8ÏAUCHÏWEGENÏ schweren Diebstahls (§§ 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB) zu bestrafen. X hat offensichtlich nur die teuersten Kugelschreiber-Marken eingesteckt, und daher war ihm zum Zeitpunkt der Tat zumindest mitbewusst, dass der 7ERTÏSEINERÏ"EUTEÏÏãÏ¿BERSTEIGT31 c) X könnte einen Einbruchsdiebstahl (§§ 127, 129 Z 1 StGB) begangen haben: 30 31
12
B/S BT I § 127 Rz 17f. B/S BT I § 127 Rz 11.
Fall 4: „Der Brieföffner“
$ASÏ 3CHREIBWARENGESCHÇFTÏ BElNDETÏ SICHÏ INÏ EINEMÏ 'EBÇUDE Ï UNDÏ 8Ï dringt in das Gebäude ein, indem er die Türe zu dem Geschäft aufbricht. Auch hat X die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), nach dem Eindringen in das Gebäude einen Diebstahl zu begehen. d) X könnte einen räuberischen Diebstahl (§ 131 StGB) begangen haben: X geht mit dem spitzen Brieföffner auf den Wachmann zu. Damit bedroht er den Wachmann mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. X stellt dem Wachmann in Aussicht, ihn sofort erheblich zu verletzen.32 X wird auf frischer Tat betreten, weil er die Kugelschreiber schon in seiner Tasche hat. So hat er schon Mitgewahrsam an der Beute.33 Nach aM kommt ein räuberischer Diebstahl nur dann in Frage, wenn der Diebstahl schon vollendet ist. Hat der Täter erst Mitgewahrsam an der Beute und wendet räuberische Mittel an, um Alleingewahrsam an der Beute zu erlangen, dann begeht er einen Raub (§ 142 StGB).34 Auf der inneren Tatseite muss X die Absicht haben, sich die Beute zu erhalten. Wenn man annimmt, dass A den Wachmann nur deshalb mit dem Brieföffner bedroht, damit er den Y loslässt, dann wäre X nicht wegen räuberischen Diebstahls zu bestrafen. Dann hätte er nur eine Nötigung (§ 105 StGB) begangen. 2.a) Y könnte einen sonstigen Beitrag zum Einbruchsdiebstahl (§§ 12 3. Fall, 127, 129 Z 1 StGB) geleistet haben: Da Y keine Ausführungshandlung des Diebstahls setzt, ist Y nicht als Mittäter des Diebstahls anzusehen. Zu prüfen ist aber, ob sich Y als Beitragstäter strafbar gemacht hat. Bloße Anwesenheit am Tatort wäre noch nicht als Beteiligung an der Tat zu werten.35 Da Y aber für den Transport des Tatwerkzeugs verantwortlich ist, leistet er einen Beitrag zum Diebstahl. Auf der inneren Tatseite hat auch Y die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), durch seinen Beitrag am Einbruchsdiebstahl des X mitzuwirken. b) Fraglich ist, ob auch Y über der Wert der Kugelschreiber informiert ist. Kugelschreiber sind ja üblicherweise nicht so wertvoll. Wenn Y der Wert der Kugelschreiber, die X einpackt, nicht einmal mitbewusst ist, ist er nicht nach §§ 12 3. Fall, 128 Abs 1 Z 4 StGB zu bestrafen.
32 33 34 35
B/S BT I § 142 Rz 5. B/S BT I § 131 Rz 4. S B/S BT I § 131 Rz 5, K/Schm StudB BT II § 131 Rz 7ff. Fuchs AT I 33. Kap Rz 54, K/H AT E 5 Z 18. 13
I. Flora
c) Y ist auch nicht wegen Beitragstäterschaft zum räuberischen Diebstahl (§§ 12 3. Fall, 131 StGB) zu bestrafen. Y könnte nur dann nach § 131 StGB bestraft werden, wenn er mit der Absicht, sich oder einem Dritten die Beute zu erhalten, zur Drohung beigetragen hätte.36 Da diesbezüglich mit X nichts abgesprochen war und X nur auf Grund der bestehenden Gelegenheit nach dem Brieföffner greift, kann kein Beitrag zu § 131 StGB angenommen werden. Ergebnis: X ist wegen schweren räuberischen Einbruchsdiebstahls (§§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 131 StGB) zu bestrafen, wenn er durch die Bedrohung des Wachmannes die Beute erhalten wollte. Sonst wäre X neben dem schweren Einbruchsdiebstahl wegen Nötigung zu bestrafen. Y ist Täter durch sonstigen Beitrag zum Einbruchsdiebstahl des X (§§ 12, 127, 129 Z 1 StGB). Ob Y auch nach § 128 Abs 1 Z 4 StGB zu bestrafen ist, hängt davon ab, ob ihm der Wert der Beute zumindest mitbewusst war.
Fall 5: „Der Urlaub in der Karibik“ Der X und die Y sind miteinander befreundet, schlafen immer wieder miteinander, aber sie haben keine gemeinsame Wohnung. Eines Tages schlägt der X seiner Freundin vor, sie solle aus dem Kasten ihrer Großmutter das Sparbuch, von dem Y das Losungswort kennt, NEHMEN ÏVONÏDEMÏ'UTHABENÏÏãÏABHEBENÏUNDÏDANNÏDASÏ3PARbuch zurücklegen. Mit dem Geld würde X dann für sie beide einen gemeinsamen Urlaub in der Karibik buchen. Y hebt das Geld ab, dann hat sie aber doch Bedenken, dem X das Geld zu geben. Jetzt droht X der Y, dass er sie verlassen werde, wenn sie ihm das Geld für den gemeinsamen Urlaub nicht gebe. Y ist sehr bestürzt und gibt X das Geld. X hat nun aber keine Lust mehr, mit der Y auf Urlaub zu fahren, und erzählt der Y, er wäre auf dem Weg in das Reisebüro von zwei Männern mit einem Messer bedroht worden und hätte ihnen das Geld aushändigen müssen. Daraufhin hat die Y genug und verlässt den X. X hat bald eine neue Freundin, die Z. Diese gewinnt er vor allem mit Einkäufen aus teuren Luxusboutiquen für sich. Die Schuhe und 4ASCHENÏBEZAHLTÏ8ÏVONÏDENÏÏãÏ:ÏLÇSSTÏSICHÏGERNEÏVONÏ8ÏMITÏDENÏ schönen Geschenken überraschen und trägt stolz die neueste Mode. Haben sich X, Y und Z strafbar gemacht? 36
14
B/S BT I § 131 Rz 8.
Fall 5: „Der Urlaub in der Karibik“
Lösung 1.a) Y könnte einen Betrug (§ 146 StGB) begangen haben: Y täuscht den Bankangestellten darüber, dass sie ein Recht auf die Auszahlung des Geldes hätte, obwohl sie dazu nicht berechtigt ist.37 Auf 'RUNDÏDERÏ4ÇUSCHUNGÏZAHLTÏDERÏ"ANKANGESTELLTEÏDERÏ9ÏDIEÏÏãÏAUSÏ Da Y das Losungswort kennt und anzunehmen ist, dass es sich bei dem Sparbuch um ein Kleinbetragssparbuch handelt, bei dem sich die abhebende Person nicht ausweisen muss, darf der Bankangestellte das Geld an die Y auszahlen. Daher wird durch die Auszahlung zwar nicht die Bank, wohl aber die Großmutter geschädigt. Y hat auch die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), durch die Täuschung sich und den X unrechtmäßig zu beREICHERNÏ-ITÏDEMÏ3CHADENÏF¿RÏDIEÏ'ROMUTTERÏlNDETÏSIEÏSICHÏZUMINDESTÏ ab (§ 5 Abs 1 StGB). $AÏDERÏ3CHADENÏAUSÏDEMÏ"ETRUGÏÏãÏAUSMACHTÏUNDÏSICHÏAUCHÏ9SÏ Vorsatz auf diese Summe erstreckt, ist der Betrug nach §§ 146, 147 Abs 2 StGBÏQUALIlZIERTÏ b) Y hat den Betrug zum Nachteil der Großmutter und damit zum Nachteil einer Angehörigen in gerader Linie (§ 72 Abs 1 StGB) begangen. Daher ist ihre Tat nach § 166 Abs 1 StGB (Begehung im Familienkreis) privilegiert. c) Ein Diebstahl (§ 127 StGB) am Sparbuch kommt nicht in Frage. Das Sparbuch ist kein Wertträger und daher nicht diebstahlsfähig.38 d) Y könnte an dem Sparbuch eine Urkundenunterdrückung (§ 229 StGB) begangen haben. Ein Sparbuch ist eine Urkunde (§ 74 Abs 1 Z 7 StGB), weil es eine schriftliche Gedankenerklärung enthält, der Aussteller – die Bank – ersichtlich ist und es im Rechtsverkehr dazu dient, die Forderung des Inhabers des Sparbuches gegenüber der Bank zu beweisen. Da Y das Sparbuch wieder zurück in den Kasten legt, unterdrückt sie die Urkunde nicht. Sie verhindert nicht, dass die Großmutter die Urkunde verwenden kann.39 Auch mangelt es an der inneren Tatseite. Da Y von Anfang an vorhat, das Sparbuch nach der Abhebung wieder in den Kasten zurückzulegen, hat sie nicht den Vorsatz, die Großmutter am Gebrauch dieser Urkunde zu hindern.40
37 38 39 40
B/S B/S B/S B/S
BT BT BT BT
I § 146 Rz 7. I § 127 Rz 7. II § 229 Rz 2. II § 229 Rz 4. 15
I. Flora
2.a) X könnte sich wegen Bestimmung zum schweren Betrug (§§ 12 2. Fall, 146, 147 Abs 2 StGB) strafbar gemacht haben: Ohne X wäre Y gar nicht auf die Idee gekommen, das Geld der Großmutter für einen gemeinsamen Urlaub abzuheben. So weckt X in Y den Tatentschluss für den Betrug.41 Auf der inneren Tatseite hat X die !BSICHT ÏDASSÏ9ÏDIEÏ4ATÏAUSF¿HRTÏUNDÏÏãÏABHEBTÏ3OÏISTÏ8ÏALSÏ"ESTIMmungstäter zum schweren Betrug strafbar. b) Eine Privilegierung nach § 166 StGB kommt bei X nicht zum Tragen. X wäre nach § 166 Abs 2 StGB nur dann privilegiert, wenn Y die Tat nur zum eigenen Vorteil begangen hätte. Da mit dem Geld der gemeinsame Urlaub bezahlt werden sollte, sollte die Beute geteilt werden. Die Privilegierung ist für X daher ausgeschlossen. 3. X könnte eine Nötigung (§ 105 StGB) oder eine Erpressung (§ 144 StGB) begangen haben: X droht der Y, sie zu verlassen, wenn sie ihm das Geld nicht gibt. Die Drohung ist aber keine Drohung iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB, weil das Verlassen keine Beeinträchtigung der Rechtsgüter Leib oder Leben, Freiheit, Ehre oder Vermögen darstellt. 4.a) X könnte ein Veruntreuung (§ 133 StGB) begangen haben: 9ÏHATÏDEMÏ8ÏDIEÏÏãÏANVERTRAUTÏ3IEÏHATÏIHMÏDASÏ'ELDÏINÏSEINENÏ!Lleingewahrsam übergeben mit dem Auftrag, damit den gemeinsamen KaRIBIKURLAUBÏZUÏBEZAHLENÏ8ÏEIGNETÏSICHÏDIEÏÏãÏZU ÏINDEMÏERÏSIEÏBEHÇLTÏ und der Y vortäuscht, er wäre beraubt worden.42 Da X weiß, dass er mit dem Geld den Urlaub bezahlen sollte, handelt er mit dem notwendigen Zueignungsvorsatz und er hat auch den entsprechenden Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung. Er handelt absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB). $AÏ8ÏÏãÏVERUNTREUTÏUNDÏDIESENÏ3CHADENÏINÏSEINENÏ6ORSATZÏAUFGEnommen hat, haftet er nach § 133 Abs 2 1. Fall StGB. b) Obwohl X und Y Lebensgefährten sind, kommt für ihn eine Privilegierung nach § 166 Abs 1 StGB nicht in Frage, weil sie dafür miteinander in Hausgemeinschaft leben müssten. Sie haben aber laut Sachverhalt keine gemeinsame Wohnung. 5. Die Delikte nach §§ 12 2. Fall, 146, 147 Abs 2 StGB und § 133 Abs 2 StGB konkurrieren echt miteinander.
41 42
16
Fuchs AT I 33. Kap Rz 25f. B/S BT I § 133 Rz 11.
Fall 6: „Pech an der Bushaltestelle“
6. Z könnte eine Geldwäscherei (§ 165 Abs 2 StGB) begangen haben: Die Schuhe und Taschen sind Vermögensbestandteile, in denen sich der Wert des ursprünglich durch die Veruntreuung erlangten Geldes verkörpert, und Z bringt diese auch an sich, indem sie sich beschenken lässt.43 Doch diese Vermögensbestandteile stammen nicht aus einem Verbrechen, weil § 133 Abs 2 StGB nicht mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 17 StGB). Im Übrigen müsste Z, um eine Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 StGB zu begehen, auch wissen, dass die Geschenke mit dem Ertrag aus der Veruntreuung bezahlt wurden. Auch das ist nicht der Fall. Ergebnis: Y ist nach § 166 Abs 1 StGB iVm §§ 146, 147 Abs 2 StGB zu bestrafen. X ist nach §§ 12 2. Fall, 146, 147 Abs 2 StGB und § 133 Abs 2 Ï&ALLÏ3T'"ÏZUÏBESTRAFENÏ:ÏISTÏSTRAmOS
Fall 6: „Pech an der Bushaltestelle“ Die B sucht an der Bushaltestelle nach ihrer Fahrkarte. Dabei fällt ihr die Kreditkarte aus der Geldtasche. X, der neben ihr steht, behält die Kreditkarte im Auge, bis B in den Bus steigt und wegfährt. Nachdem B weggefahren ist, nimmt X die Kreditkarte an sich. Daraufhin will X mit der Kreditkarte einkaufen. Im Kaufhaus hat er kein Glück. Die Kassiererin glaubt ihm nicht, dass die Karte von seiner Mutter stammt und er diese Karte verwenden darf. Als X sein Auto aus der Parkgarage holt, kann er zumindest die ParkGEB¿HRÏ Ïã ÏMITÏDERÏ+ARTEÏBEZAHLENÏ%RÏSCHIEBTÏDIEÏ+REDITKARTEÏ in den Automaten und ohne weiteres – es kommt zu einem elektronischen Ablesen der Daten vom Magnetstreifen, eine Code-Eingabe ist nicht erforderlich – wird sein Parkticket eingelöst. Dann wirft er die Kreditkarte in einen Müllcontainer. Hat sich X strafbar gemacht?
Lösung 1.a) X könnte eine Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (§ 241e Abs 1 1. Fall StGB) begangen haben: Die Kreditkarte ist ein unbares Zahlungsmittel (§ 74 Abs 1 Z 10 StGB). 3IEÏ ISTÏ PERSONENBEZOGEN Ï LÇSSTÏ ALSÏ !USSTELLERÏ DIEÏ +REDITKARTENlRMAÏ ER43
B/S BT I § 165, 165a Rz 4, 11. 17
I. Flora
kennen, ist durch Unterschrift vor Missbrauch geschützt und hat im Rechtsverkehr bargeldvertretende Funktion bzw dient der Ausgabe von Bargeld. Fraglich ist, ob sich X die Kreditkarte verschafft. Das „Sich-Verschaffen“ muss auf rechtswidrige Weise durch Wegnehmen, Abnötigen oder Herauslocken erfolgen.44 X wartet, bis B mit dem Bus davonfährt. Damit hat sie den Gewahrsam über die Kreditkarte verloren und X hat die Karte nicht weggenommen, sondern gefunden. Daher hat X durch das Einstecken der Karte keine Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (§ 241e Abs 1 1. Fall StGB) begangen. Nach aM ist jedes faktische „An-sich-Nehmen“ der Kreditkarte als ein „Sich-Verschaffen“ zu verstehen. Damit wäre auch das Einstecken der gefundenen Karte tatbildlich und strafbar. Da X offensichtlich auch vorhat, sich durch die Verwendung der Karte im Rechtsverkehr unrechtmäßig zu bereichern, haftet X nach dieser Auffassung nach § 241e Abs 1 1. Fall StGB.45 b) Eine Fundunterschlagung (§ 134 Abs 1 1. Fall StGB) kommt nicht in Frage, weil die Kreditkarte kein Wertträger ist und daher nicht unterschlagen werden kann.46 2.a) X könnte einen versuchten Betrug (§§ 15, 146 StGB) begangen haben: X behauptet vor der Verkäuferin im Geschäft, dass die Karte von seiner Mutter sei und dass er die Karte benützen dürfe. Da sich die Kassiererin von dieser Behauptung nicht täuschen lässt, setzt sie keine schädigende Handlung und der Erfolg tritt nicht ein. Daher ist ein Versuch zu prüfen. X handelt mit vollem Tatentschluss, ihm kommt es darauf an (§ 5 Abs 2 StGB), die Kassiererin durch die falsche Behauptung zur Ausgabe von Waren zu verleiten und damit einen Dritten (die KreditkarteninhaBERINÏODERÏDIEÏ+REDITKARTENlRMA ÏAMÏ6ERMGENÏZUÏSCHÇDIGENÏ$URCHÏDIEÏ Täuschung tätigt X eine Ausführungshandlung. Fraglich ist, ob dieser Versuch ein absolut untauglicher Versuch (§ 15 Abs 3 StGB) ist: Es muss geprüft werden, ob es für einen die Tat begleitenden Beobachter, der den Tatplan des X kennt, denkunmöglich erscheint, dass X auf Grund der Behauptung, die Karte gehöre seiner Mutter und er dürfe sie verwenden, mit dieser Karte bezahlen könnte.47 Auch wenn üblicherweise eine Kreditkarte nicht weitergegeben werden darf, damit ein anderer sie verwendet, ist es nicht denkunmöglich, dass 44 45 46 47
18
B/S BT II § 241e Rz 3. K/Schm StudB III § 241e Rz 11 mwN. B/S BT I § 134 Rz 1. K/H AT Z 24 Rz 12f, 17a.
Fall 6: „Pech an der Bushaltestelle“
X mit dieser Kreditkarte einkaufen kann. Der Versuch ist damit als tauglich zu beurteilen.48 Der Versuch des X ist fehlgeschlagen. Mit der Weigerung der Kassiererin, die Kreditkarte zu akzeptieren, erkennt X, dass er sein Ziel, nämlich mit dieser Karte die Waren zu bezahlen, nicht mehr erreichen kann.49 Dazu müsste er einen neuen Versuch in einem anderen Geschäft starten. b) Die Kreditkarte wurde nicht iSd § 241e Abs 1 StGB entfremdet; daher liegt kein schwerer Betrug (§ 147 Abs 1 Z 1 StGB) vor. Zur Unterdrückung der Kreditkarte s unten 4. Nach aM hätte X die Kreditkarte entfremdet und dann diese entfremdete Kreditkarte zur Täuschung verwendet. Damit wäre der Täter nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB strafbar. § 241e Abs 1 StGB tritt dann hinter dem schweren Betrug zurück.50 3. X könnte einen betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauch (§ 148a Abs 1 StGB) begangen haben: Durch das Einschieben der Karte in den Parkautomaten werden DaTENÏ EINGELESEN Ï DIEÏ SICHÏ AMÏ -AGNETSTREIFENÏ DERÏ +ARTEÏ BElNDENÏ $AMITÏ wird ein Datenverarbeitungsvorgang ausgelöst, der zur Abbuchung von ÏãÏVOMÏ+REDITKARTENKONTOÏDERÏ"ÏUNDÏSOMITÏZUÏEINEMÏ3CHADENÏBEIÏ einem Dritten führt. Den Schaden führt X auch absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) herbei, um sich durch die ersparten Parkgebühren unrechtmäßig zu bereichern. 4. X könnte eine Unterdrückung eines unbaren Zahlungsmittels (§ 241e Abs 3 StGB) begangen haben: Die Kreditkarte ist ein unbares Zahlungsmittel, über das X nicht verfügen darf. Unterdrücken heißt, den Berechtigten an der (weiteren) Verwendung der Karte zu hindern.51 Mit der (versuchten) Verwendung zeigt der Täter zwar, dass er die Karte nicht an den Berechtigten zurückgelangen lassen will. Die Verwendung der Kreditkarte durch X verschlechtert aber die Position des Berechtigten nicht. So könnte X die Kreditkarte allenfalls durch das Wegwerfen unterdrücken (§ 241e Abs 3 StGB), weil die Rückerlangung an den Berechtigten dadurch sehr unwahrscheinlich wird.52 Auch nach Fuchs’ Lehre von der objektiven Untauglichkeit käme man zu einem tauglichen Versuch: Fuchs AT 30. Kap Rz 28f. 49 Fuchs AT I 31. Kap Rz 22, K/H AT Z 23 Rz 20. 50 K/Schm StudB III § 241e Rz 42. 51 B/S BT II § 229 Rz 2 52 B/S BT II § 229 Rz 2. 48
19
I. Flora
Man könnte aber auch die Meinung vertreten, dass Tatobjekte, an denen der Berechtigte keinen Gewahrsam mehr hat, überhaupt nicht unterdrückt werden können, weil sie der Berechtigte ohnehin nicht mehr gebrauchen kann. Dann könnte man das Wegwerfen jedoch als Beschädigung oder Zerstörung werten, und X beginge dadurch eine Unterdrückung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB. Auf der inneren Tatseite muss X den Vorsatz haben, dass das unbare Zahlungsmittel unterdrückt (beschädigt oder zerstört) wird. Das ist anzunehmen, weil der Müll üblicherweise verbrannt, zerkleinert oder deponiert wird. Ergebnis: X ist nach §§ 15, 146 StGB, § 148a StGB und § 241e Abs 3 StGB strafbar.
Fall 7: „Der falsche Klosterbruder“ X, nach dem in Deutschland wegen diverser Delikte gefahndet wird, bewirbt sich in einem Kloster in Tirol als Ordensanwärter und wird dort aufgenommen. Als Pförtner des Klosters nimmt er Spenden an das Kloster und Geld für Messen entgegen und wirtschaftet davon ÏãÏINÏDIEÏEIGENEÏ4ASCHEÏ Einmal pro Woche muss er zum Metzger Fleisch fürs Kloster einkaufen gehen. Dabei kauft er für sich, ohne dass es ihm die Klosterleitung erlaubt hätte, immer auch eine Leberkässemmel auf Rechnung des Klosters. Bei der Jahresabrechnung – das Kloster schreibt beim Metzger an – wird dies von der Klosterleitung entdeckt (Schaden Ïã Ï8ÏWIRDÏDESÏ+LOSTERSÏVERWIESEN Hat sich X strafbar gemacht?
Lösung 1.a) X könnte sich wegen Veruntreuung (§ 133 StGB) strafbar gemacht haben: Die Spenden- und Messgelder werden dem X von den Spendern ins Alleingewahrsam übergeben, damit er sie an die im Kloster zuständiGEÏ3TELLEÏWEITERLEITETÏ$IEÏÍBERGABEÏERFOLGTÏMITÏDERÏ6ERPmICHTUNG ÏGENAUÏ diese Gelder an das Kloster weiterzugeben. Damit sind sie ihm anvertraut.53
53
20
B/S BT I § 133 Rz 7.
Fall 7: „Der falsche Klosterbruder“
X leitet das Geld nicht weiter, sondern „wirtschaftet in die eigene 4ASCHEhÏ%SÏISTÏANZUNEHMEN ÏDASSÏ8ÏDIEÏÏãÏF¿RÏSICHÏVERWENDET ÏSIEÏ ausgegeben hat; damit hat er sich das Geld auch zugeeignet.54 Auf der inneren Tatseite muss X den Vorsatz haben, durch Zueignung des Geldes sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern. Da X weiß, dass er das Geld an das Kloster weiterleiten müsste, es aber trotzdem nicht tut und es für sich selbst verwendet, kann angenommen werden, dass X absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) handelt. Die Schäden aus den Veruntreuungen, die X im Laufe der Zeit begeht, werden nach § 29 StGB zusammengerechnet. Da der Gesamtschaden ÏãÏ¿BERSTEIGT ÏHAFTETÏERÏNACHϧ 133 Abs 2 1. Fall StGB. Ob X die Höhe des Gesamtschadens kennt oder sich darüber gar keine Gedanken gemacht hat, ist unerheblich. b) Ein Betrug (§ 146 StGB) am Kloster oder an den Spendern kommt nicht in Frage: X hat sich zwar die Anstellung als Pförtner im Kloster unter Vorspiegelung falscher Behauptungen erschlichen, aber er hat damit die Klostergemeinschaft nicht zu einer selbstschädigenden Handlung verleitet. Zum Schaden kommt es nicht durch die Anstellung im Kloster, sondern erst durch seine Zueignungshandlungen.55 Ein Betrug an den Spendern scheitert an der fehlenden Täuschung. X hat die Spender nicht durch eine Täuschung verleitet, diese Spendenoder Messgelder zu geben, und er war auch dazu berechtigt, die Gelder anzunehmen. 2. X könnte eine Untreue (§ 153 StGB) begangen haben: X hat die Befugnis, rechtsgeschäftlich über fremdes Vermögen zu verfügen. Er hat die rechtgeschäftliche Vollmacht, im Namen des Klosters beim Metzger Fleisch einzukaufen und damit das Kloster gegenüber dem -ETZGERÏZURÏ:AHLUNGÏDESÏ+AUFPREISESÏZUÏVERPmICHTENÏ%RÏMISSBRAUCHTÏSEIne Vollmacht, indem er auf Kosten des Klosters auch Leberkässemmeln kauft, die er nicht hätte kaufen dürfen. Damit nimmt X als Vollmachtsinhaber eine Handlung vor, die er im Innenverhältnis nicht vornehmen dürfte.56 Mit diesen Käufen führt er einen Schaden im Vermögen des +LOSTERSÏHERBEI ÏDAÏDASÏ+LOSTERÏDEMÏ-ETZGERÏDIEÏÏãÏBEZAHLENÏMUSS Auf der inneren Tatseite muss X wissentlich handeln. X weiß, dass es ihm nicht erlaubt ist, für sich persönlich Leberkässemmeln zu kaufen. -ITÏDEMÏ3CHADENÏF¿RÏDASÏ+LOSTERÏlNDETÏERÏSICHÏZUMINDESTÏABÏeÏÏ!BSÏÏ StGB). 54 55 56
B/S BT I § 133 Rz 13. B/S BT I § 146 Rz 18. B/S BT I § 153 Rz 4. 21
I. Flora
Ergebnis: X hat sich wegen Veruntreuung (§ 133 Abs 2 1. Fall StGB) und Untreue (§ 153 StGB) strafbar gemacht.
Fall 8: „Die Polizeikontrolle“ X fährt auf der Ennstaler Bundesstraße. Schon aus einiger Entfernung sieht er den Polizisten P mit der Haltekelle winken. P geht mit der Haltekelle in die Fahrbahnmitte und gibt dem X das Zeichen anzuhalten. X verlangsamt das Tempo und blinkt nach rechts. Plötzlich fällt X ein, dass er vor der Fahrt einige große Bier getrunken hat. Aus Angst vor einem Alkotest reißt er sein Fahrzeug nach links, um an P vorbeizufahren, und fährt mit voller Geschwindigkeit weiter. Aus Schreck macht P einen Satz nach rückwärts und verstaucht sich dabei den Knöchel. Die Kollegen von P nehmen die Verfolgung des X auf und können ihn bei der nächsten Ampel stellen. Der durchgeführte Alkotest ergibt, dass X betrunken ist. Als die Polizisten seine Daten aufnehmen, fragt X die Polizisten grantig, „ob das denn wirklich sein müsse?“. Die "EAMTENÏNEHMENÏIHMÏDENÏ&¿HRERSCHEINÏVORLÇUlGÏABÏUNDÏERSTATTENÏ Anzeige. Hat sich X strafbar gemacht?
Lösung 1. X könnte sich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt (§ 269 StGB) strafbar gemacht haben: Die Polizisten wollen bei X eine Fahrzeugkontrolle durchführen. Die Polizisten sind Beamte und die Fahrzeugkontrolle ist eine Amthandlung.57 Die Polizisten üben als Hoheitsorgane Befehls- und Zwangsgewalt aus (§ 269 Abs 3 StGB). X könnte gegenüber dem P versuchte Gewalt angewendet haben, wenn er den Vorsatz hat, auf den Körper des Beamten einzuwirken.58 X will an dem Polizisten aber mit Vollgas vorbeifahren. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass er gegen den Polizisten Gewalt anwenden wollte. Das wäre nur dann der Fall, wenn es nur mehr von der Geistesgegenwart des P abhängig gewesen wäre, dass er vom Auto des X nicht erwischt wird.59 B/S BT II § 302 Rz 1. B/S BT II § 269 Rz 5. Das Zufahren auf eine Person kann auch als gefährliche Drohung gewertet werden: B/S BT I § 105 Rz 7. 59 B/S BT II § 269 Rz 5, 9. 57 58
22
Fall 8: „Die Polizeikontrolle“
2.a) X könnte eine fahrlässige Körperverletzung (§ 88 StGB) begangen haben: Der verstauchte Knöchel des P ist schmerzhaft und daher mehr als eine nur unerhebliche Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit. Das Verhalten des X ist auch objektiv sorgfaltswidrig, weil der maßgerechte Autofahrer natürlich nicht so an einem anderen Menschen vorbeifährt, dass dieser glaubt, sich vor dem Auto retten zu müssen. Das Verhalten des X war kausal für die Körperverletzung des P. Gründe, die den Risikozusammenhang ausschließen würden, sind nicht ersichtlich. $IEÏ 0mICHT Ï VONÏ ANDERENÏ 6ERKEHRSTEILNEHMERNÏ !BSTANDÏ ZUÏ HALTEN Ï SOLLÏ auch Unfälle wie den eingetretenen verhindern.60 Auch an der subjektiven Zurechnung ist nicht zu zweifeln.61 c) X könnte die fahrlässige Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 88 Abs 1, Abs 3 StGB) begangen haben: Besonders gefährliche Verhältnisse nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB liegen vor, wenn das knappe Vorbeifahren an dem P einen Unfall mit schweren Folgen außerordentlich wahrscheinlich machte. Würde X auf den P mit Vollgas zufahren, könnte dies besonders gefährliche Verhältnisse begründen.62 Da X aber auf den Beamten nicht zufährt, sondern anscheinend mit ausreichendem Abstand an ihm vorbeifährt will, ist ein Unfall mit schweren Folgen nicht außerordentlich wahrscheinlich. 3. X könnte versucht haben, die Beamten zu einem Amtsmissbrauch durch Unterlassen (§§ 2, 302 StGB) zu bestimmen (§ 12 2. Fall): a) Hätten die Beamten von der Führerscheinabnahme und der Anzeige abgesehen, dann könnten sie einen Amtsmissbrauch durch Unterlassen (§§ 2, 302 StGB) begangen haben: Die Polizisten, die bei X die Alkoholkontrolle durchführen, sind BeAMTE Ï DIEÏ AUFÏ 'RUNDÏ DESÏ POSITIVENÏ !LKOTESTSÏ VERPmICHTETÏ SIND Ï DEMÏ 8Ï NACHÏ eÏ Ï &3'Ï DENÏ &¿HRERSCHEINÏ VORLÇUlGÏ ABZUNEHMENÏ UNDÏ IHNÏ NACHÏ § 99 Abs 1 lit a StVO anzuzeigen.63 Beamte, die von der Abnahme des Führerscheins und der Anzeige absehen, missbrauchen ihre Befugnis. 3IEÏW¿RDENÏESÏPmICHTWIDRIGÏUNTERLASSEN ÏEINEÏ:WANGSMANAHMEÏIMÏ.Amen des Bundes und in Vollziehung der Gesetze vorzunehmen. Und sie würden den Hoheitsakt des Beamten verhindern, der für den Entscheid im Verwaltungsstrafverfahren zuständig ist.64
60 61 62 63 64
B/S BT I § 80 Rz 9. Zur subjektiven Zurechnung bei betrunkenen Autofahrern vgl Fall 2 1.a). K/Schr BT I § 81 Rz 20. B/S BT II § 302 Rz 5. B/S BT II § 302 Rz 10. 23
I. Flora
Damit hätten die Beamten einen Amtsmissbrauch durch Unterlassen (§§ 2, 302 StGB) zu verantworten. Polizisten sind Garanten für die 6ERFOLGUNGÏVONÏ3TRAFTÇTERNÏUNDÏDAMITÏF¿RÏEINEÏVORLÇUlGEÏ!BNAHMEÏDESÏ Führerscheins und die Anzeige nach der StVO.65 Wenn sie die Abnahme und die Anzeige in der Absicht unterlassen, dem X die Verwaltungsstrafe zu ersparen, dann wäre ihr Unterlassen einem Tun auch gleichwertig.66 Auf der inneren Tatseite müssten die Beamten wissentlich hinsichtlich des Befugnismissbrauchs handeln. An diesem Wissen ist laut Sachverhalt nicht zu zweifeln. X hat den Alkotest nicht „bestanden“ und damit die Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs 1 lit a StVO wirklich begangen. Daher hätten die Beamten auch den entsprechenden Schädigungsvorsatz gehabt.67 b) Die Beamten haben sich jedoch durch die Frage des X nicht beirren lassen. Daher ist für X die versuchte Bestimmung zum Amtsmissbrauch (§§ 15, 12 2. Fall, 302 StGB) zu prüfen: Eine Bestimmungshandlung liegt vor, wenn der Bestimmungstäter den unmittelbaren Täter vorsätzlich zur Ausführung einer strafbaren Handlung – hier den Amtsmissbrauch durch Unterlassen – veranlasst.68 Da sich die Beamten aber nicht anstiften lassen (missglückte Bestimmung)69, ist zu überlegen, ob eine versuchte Bestimmung vorliegt. Bei der versuchten Bestimmung setzt der Bestimmungstäter die Ausführungshandlung, indem er die Bestimmungshandlung vornimmt.70 Eine Bestimmungshandlung zu einem Amtsmissbrauch durch Unterlassen wäre zB anzunehmen, wenn der Täter die Beamten bittet oder auffordert, ihn nicht anzuzeigen.71 Aus der Frage des X, „ob das denn wirklich alles sein müsse?“ lässt sich eine solche Bitte oder eine Aufforderung, die Amtshandlungen zu unterlassen, aber nicht ableiten. X hat daher keine versuchte Bestimmung unternommen. Anders beurteilt die Rsp diese Frage. In der E 12 Os 170/98 wurde eine Bestimmungshandlung angenommen, obwohl die Beschwerdeführerin die Beamten gar nicht explizit gebeten hatte, die Anzeige zu unterlassen. Der OGH ging davon aus, dass die Annahme, das Gespräch mit den Beamten habe nur als Intervention verstanden werden können, auf einer „denkgesetzmäßigen Basis“ beruhe.
65 66 67 68 69 70 71
24
B/S BT II § 302 Rz 13. B/S BT II § 302 Rz 16. B/S BT II § 302 Rz 25. Seiler AT I Rz 765. Fuchs AT I 34. Kap Rz 31. Fuchs AT I 34. Kap Rz 34. K/H AT E 4 Rz 10.
Fall 8: „Die Polizeikontrolle“
Wenn man eine Bestimmungshandlung annimmt, dann müsste der Bestimmungstäter auf der inneren Tatseite den Vorsatz haben, die Beamten von der Führerscheinabnahme und der Anzeige abzuhalten. Darüber hinaus muss er wissen, dass das Unterlassen der Beamten rechtlich nicht vertretbar ist, und er muss es zumindest ernsthaft für möglich halTENÏUNDÏSICHÏDAMITÏABlNDEN ÏDASSÏAUCHÏDIEÏ0OLIZISTENÏDASÏWISSEN72 Fraglich ist aber bei einem solchen Sachverhalt, ob der Täter den Vorsatz hat, den Staat an seinen Hoheitsrechten zu schädigen. X weiß zwar, dass er gegen die StVO verstoßen hat, aber der Versuch, die eigene Bestrafung zu verhindern, gehört zu seinen Verteidigungsrechten. Die Verhinderung der eigenen Bestrafung ist kein Schaden für den Staat. Strafbar kann er sich aber machen, wenn er einen Beamten zB besticht (§ 307 Abs 1 Z 1 StGB) oder jemanden verleumdet (§ 297 StGB).73 Nach der Rsp ist ein betrunkener Autofahrer, der den Polizisten bittet oder auffordert, ihn laufen zu lassen und nicht anzuzeigen, ebenso wegen Bestimmung zum Amtsmissbrauch strafbar wie der Autofahrer, der den Beamten dafür Geld anbietet.74 Ergebnis: X hat nur eine fahrlässige Körperverletzung (§ 88 Abs 1 StGB) begangen.
72 73 74
B/S BT II § 302 Rz 29. B/S BT II § 302 Rz 27. B/S BT II § 302 Rz 27. 25
II. MURSCHETZ Fall 1: „Das leere Bierglas“ In einem Lokal kommt es zu einem Streit zwischen dem 17-jährigen X und dem 14-jährigen Y. Im Zuge eines heftigen Wortgefechts versetzt Y dem X einen Stoß gegen die Brust, sodass dieser auf eine Sitzbank zurückfällt. Damit Y gar nicht erst auf die Idee kommt, nochmals zuzustoßen, nimmt X ein leeres Bierglas und schlägt es seinem Angreifer gegen den Oberkörper. Durch die Wucht des Schlages zerbricht aber das Glas und eine Scherbe dringt dem Y genau in die Halsschlagader, was zur Folge hat, dass Y innerhalb weniger Minuten verblutet. (Kurier vom 21.9.98) Hat sich X strafbar gemacht?
Lösung 1. X könnte eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB) begangen haben: Der Schnitt mit der Glasscherbe verursacht bei Y eine stark blutende Wunde. Die Wunde ist eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, weil sie Schmerzen bereitet und eine medizinische Behandlung notwendig ist.1 Zu prüfen ist, ob X mit Misshandlungs- oder Verletzungsvorsatz (§ 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB) gehandelt hat. Dass er das Zerspringen des Glases und damit eine Verletzung des Y für möglich gehalten und sich damit auch abgefunden hat, ist mehr als zweifelhaft. Einen Denkzettel wollte er Y aber jedenfalls verpassen und ihm weh tun, weshalb Misshandlungsvorsatz gegeben ist. Die Körperverletzung hat den Tod des Y zur Folge. X handelt diesbezüglich fahrlässig: Der Verstoß gegen § 83 Abs 2 StGB indiziert die objektive Sorgfaltswidrigkeit. Der Schlag des X war für den Tod kausal 1
B/S BT I § 83 Rz 1. 27
II. Murschetz
und an der objektiven Zurechnung der Todesfolge besteht kein Zweifel: Die Folge liegt nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung und auch der Risikozusammenhang besteht. Man soll Gläser nicht mit Wucht auf den Körper anderer schlagen, weil sie brechen und in der Folge den Tod des Opfers verursachen können. 2. X könnte auch eine absichtliche schwere Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 87 Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB) begangen haben: In diesem Fall müsste es X darauf angekommen sein (§ 5 Abs 2 StGB), dem Y mit dem Bierglas eine an sich schwere, also lebensgefährliche2 Verletzung zuzufügen oder zumindest eine Verletzung, die diesen über 24 Tage an der Gesundheit schädigt. Da er nicht einmal einen Verletzungsvorsatz hatte, kann ihm eine solche Absicht nicht unterstellt werden. 3. X könnte in Notwehr (§ 3 StGB) gehandelt haben, da Y ihm einen Stoß versetzt hatte. Hier ist zunächst fraglich, ob dieser Stoß einen Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut darstellt, denn der Stoß ist eine Misshandlung. Misshandlungen ohne Verletzungsfolgen zählen gem § 115 StGB zu den Ehrverletzungen.3 Durch eine bloße Misshandlung wird daher kein notwehrfähiges Rechtsgut verletzt. Hier kann auch nicht argumentiert werden, dass bei einer ex-ante-Beurteilung des Sachverhaltes eine Körperverletzung und damit ein rechtswidriger Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut drohte. Offensichtlich war der Stoß gegen die Brust als solcher geplant und ausgeführt worden. Sollte X geglaubt haben, dass der Stoß eine Körperverletzung befürchten ließ, so kommt Putativnotwehr dennoch nicht in Betracht, da der Angriff des Y bereits abgeschlossen war. In Frage käme daher höchstens ein indirekter Verbotsirrtum gem § 9 StGB, wenn X glaubte, er dürfe sich auch vorbeugend wehren. Dieser wird dem 17-Jährigen aber vorwerfbar sein, da das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war. Ergebnis: X hat eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 Abs 2, 86 StGB) begangen.
2 B/S BT I § 84 Rz 4. Die Rsp verlangt keine lebensgefährliche Verletzung, sondern eine Verletzung oder Gesundheitsschädigung, durch die wichtige Organe oder Körperteile beeinträchtigt werden oder bei der der Heilungsverlauf ungewiss ist bzw weitere gesundheitliche Folgen zu erwarten sind: s K/Schr BT I § 84 Rz 12. 3 Fuchs AT I 17. Kap Rz 23.
28
Fall 2: „Eine unangenehme Auseinandersetzung“
Fall 2: „Eine unangenehme Auseinandersetzung“ A gerät in eine Auseinandersetzung mit C, er schlägt auf ihn ein. C fällt zu Boden, seine Brieftasche liegt auf der Straße. A bückt sich, HEBTÏ SIEÏ AUFÏ UNDÏ LÇUFTÏ WEGÏ %RÏ lNDETÏ INÏ DERÏ "RIEFTASCHEÏ Ï ãÏ UNDÏ EINEÏ"ANKOMATKARTEÏ$IEÏÏãÏSTECKTÏERÏINÏSEINEÏEIGENEÏ'ELDTASCHE Ï mit der Bankomatkarte geht er zu B und fragt ihn, ob er es riskieren solle, damit abzuheben. „Wirf sie weg“, rät B, „wenn du damit abhebst, wirst du Schwierigkeiten bekommen“. So wirft A die Bankomatkarte in den Müllkübel. Haben A und B sich strafbar gemacht?
Lösung 1.a) A könnte eine Körperverletzung nach § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB begangen haben. Der Sachverhalt nennt die Folgen der Tat jedoch nicht. Daher ist davon auszugehen, dass keine Verletzungsfolgen eingetreten sind. Damit käme nur mehr eine versuchte Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB in Betracht, wenn A mit Verletzungsvorsatz auf C eingeschlagen hat. Eine versuchte Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB gibt es nicht. Es könnte höchstens eine Bewusstlosigkeit des C angenommen werden (eine Verletzung iSd § 83 StGB), da A die auf der Straße liegende Geldtasche – offensichtlich ohne Probleme – wegnehmen kann.4 b) Ein Raub gem § 142 StGB ist nicht anzunehmen, da der Sachverhalt nicht erkennen lässt, dass A den C schlug, um ihm die Geldtasche wegnehmen zu können. Vielmehr ist anzunehmen, dass eine Auseinandersetzung stattfand und A erst später, als sich ihm die Gelegenheit bot, die Geldtasche aufhob. 2. Zu prüfen ist ein Diebstahl nach § 127 StGBÏANÏÏã Das Geld stellt eine fremde – da im Eigentum des C stehende – bewegliche Sache dar. Da sie neben C am Boden liegt, steht sie zumindest in dessen Mitgewahrsam. A hat mit dem Weglaufen Alleingewahrsam am Geld erlangt, der Diebstahl ist damit vollendet. Es kam ihm geradezu darauf an, durch die Wegnahme an das Geld zu kommen sowie dieses zu verwenden und dessen Wert in sein Vermögen überzuführen (Zueignungs- und unrechtmäßiger Bereicherungsvorsatz). 4
B/S BT I § 83 Rz 2. 29
II. Murschetz
Der Diebstahl ist nach § 128 Abs 1 Z 1 StGB als Bedrängnisdiebstahl QUALIlZIERT ÏWENNÏSICHÏ#ÏINÏEINERÏHILmOSENÏ,AGEÏBEFANDÏUNDÏ!ÏDIESEÏVORSÇTZLICHÏ AUSNUTZTEÏ 6ONÏ EINERÏ HILmOSENÏ ,AGEÏ ISTÏ AUSZUGEHEN Ï WENNÏ DERÏ Betroffene sich gegen den Angriff nicht oder nur schwer zur Wehr setzen kann. Dies wäre der Fall, wenn C bewusstlos oder zumindest benommen und desorientiert war. 3. Wenn A bereits zum Zeitpunkt der Wegnahme entschlossen war, das Brauchbare aus der Geldtasche zu entnehmen und die Geldtasche wegzuwerfen, so begeht er an der Geldtasche eine dauernde Sachentziehung gem § 135 StGB, die aber als typische Begleittat zum Diebstahl straffrei bleibt.5 Abweichend davon nimmt die herrschende Lehre und Rsp hier eine echte Konkurrenz an. Hatte er jedoch zum Zeitpunkt der Wegnahme den Vorsatz diese zu behalten, so begeht A auch an der 'ELDTASCHEÏEINENÏQUALIlZIERTENÏ$IEBSTAHL 4.a) In Bezug auf die Bankomatkarte ist § 241e Abs 1 StGB zu prüfen. Die Bankomatkarte stellt ein unbares Zahlungsmittel nach § 74 Abs 1 Z 10 StGB dar, da sie personenbezogen ist, die Bank als Aussteller erkennen lässt und durch einen Code vor Missbrauch geschützt ist. Sie hat bargeldvertretende Funktion und dient der Ausgabe von Bargeld. Fraglich ist zunächst, ob A zum Zeitpunkt der Wegnahme bewusst war, dass sich in der Geldtasche eine Bankomatkarte befand. Dies wird man ihm in der heutigen Zeit wohl unterstellen können. Hatte er aber auch den Vorsatz, diese Bankomatkarte zu verwenden? Wenn er sich bloß noch Tipps für die beste Verwendung der Karte von B holen wollte, wäre der Verwendungsvorsatz gegeben. Aber die Tatsache, dass er erst den B fragen muss, ob er es riskieren solle, damit abzuheben, spricht eher dafür, dass er die Verwendung zwar für möglich hielt, sich aber nicht damit abfand, sondern ihren Einsatz von weiteren Erkundigungen abhängig machen wollte. Diesfalls scheidet eine Strafbarkeit nach § 241e Abs 1 StGB aus. b) Dann kommt eine Strafbarkeit nach § 241e Abs 3 StGB in Betracht. Mit der Wegnahme der Geldtasche hat A dem C auch die Bankomatkarte entzogen; in weiterer Folge wirft er sie in einen Müllkübel. Bereits mit der Entziehung hat A das unbare Zahlungsmittel unterdrückt, weil er damit den C an der Verwendung hindert.6 Darauf richtet sich auch A’s Vorsatz: Er wollte die Karte gewiss nicht an den Berechtigten zurückgelangen lassen.
5 6
30
B/S BT I § 127 Rz 23. B/S BT II § 241e Rz 11, § 229 Rz 2.
Fall 3: „Tabledance mit Folgen“
5. Die Unterdrückung eines Beweismittels nach § 295 StGB kann ausgeschlossen werden, da die Bankomatkarte noch nicht zur Verwendung in einem Verfahren bestimmt ist. Die Beseitigung von Beweismitteln, bevor die Polizei Anhaltspunkte für die Tat oder das Vorhandensein des Beweismittels hat, ist nicht strafbar.7 Ergebnis: A ist wegen Diebstahls gem § 127 StGB, eventuell quaLIlZIERTÏ NACHÏ eÏ Ï !BSÏ Ï :Ï Ï 3T'" Ï UNDÏ WEGENÏ 5NTERDR¿CKUNGÏ EINESÏ unbaren Zahlungsmittels gem § 241e Abs 3 StGB zu bestrafen. Die dauernde Sachentziehung an der Geldtasche bleibt als typische Begleittat ZUMÏ$IEBSTAHLÏSTRAmOS
Fall 3: „Tabledance mit Folgen“ Die beiden Frauen A und B arbeiten als Tabledancer in einem Nachtlokal in Innsbruck. Der Kunde X steckt ihnen viel Geld zu. Im späteren Gespräch prahlt er mit seiner vollen Geldtasche. Daraufhin beschließen die beiden, dem X das Geld abzuknöpfen. Wie, wird nicht näher besprochen. Beide gehen mit dem erfreuten Herrn X in dessen Wohnung. Zu Hause angekommen erleichtert sich X seines Sakkos und wirft es aufs Bett. In einem unbeobachteten Moment entnimmt A der Innentasche des Sakkos die Geldtasche und lässt sie in ihrer Handtasche verschwinden. Weder B noch X haben diesen Vorgang bemerkt. B verfolgt ganz andere Pläne. Sie schüttet dem X eine ordentliche Portion Schlafmittel in dessen Sektglas. Als X 10 Minuten später in Tiefschlaf verfällt, durchsucht die B seine Taschen und sein Sakko, KANNÏABERÏKEINÏ'ELDÏlNDENÏ"ÏWEI ÏDASSÏNURÏ!ÏALSÏ4ÇTERINÏINÏ&RAGEÏ kommt. Sie stellt diese zur Rede. A leugnet. Daraufhin zieht B ein Klappmesser und fordert A zur Herausgabe des Geldes auf. A überGIBTÏDERÏ"ÏDASÏGESAMTEÏ"ARGELDÏINÏDERÏ(HEÏVONÏÏãÏDIEÏ'ELDtasche wirft sie auf den Boden. 8Ï WACHTÏ ERSTÏ Ï 3TUNDENÏ SPÇTERÏ AUFÏ UNDÏ lNDETÏ SEINEÏ LEEREÏ 'ELDTAsche. Haben A und B sich strafbar gemacht?
7
B/S BT II § 295 Rz 2. 31
II. Murschetz
Lösung 1.a) A könnte am Geld einen Diebstahl gem § 127 StGB begangen haben. Das Geld ist eine fremde Sache, da es im Eigentum des X steht. Da ESÏSICHÏINÏSEINEMÏ3AKKOÏBElNDET ÏISTÏESÏINÏSEINEMÏ!LLEINGEWAHRSAMÏ-ITÏ dem Einstecken in ihre Handtasche bricht A den fremden Gewahrsam und erlangt Alleingewahrsam.8 Mit dieser Wegnahme ist der Diebstahl vollendet. A handelt absichtlich, es kommt ihr geradezu darauf an, das Geld wegzunehmen, um es dann zu verwenden und den Wert in ihr Vermögen zu überführen. Die spätere Herausgabe des Geldes an B ist strafrechtlich nicht relevant. b) An der Geldtasche hat A einen Diebstahl begangen, wenn sie zum Zeitpunkt der Wegnahme den Vorsatz hatte, diese zu behalten bzw zu verwenden. Mit der Wegnahme wäre der Diebstahl vollendet. Das spätere Liegenlassen der Geldtasche ändert daran nichts. Hatte sie jedoch den Vorsatz, in einer ruhigen Minute das Geld herauszunehmen und die 'ELDTASCHEÏWEGZUWERFEN ÏDANNÏLIEGTÏEINEÏnÏALSÏSTRAmOSEÏ"EGLEITTATÏNICHTÏ gesondert strafbare – dauernde Sachentziehung gem § 135 StGB vor.9 2.a) Hinsichtlich B ist zunächst versuchter Raub gem §§ 15, 142 Abs 1 StGB zu prüfen. Das Verabreichen eines Schlafmittels, welches zum Tiefschlaf des Täters führt, ist als Gewalt zu bewerten.10 Es handelt sich um eine Einwirkung auf den Körper, die widerstandsunfähig macht.11 Das Wegnehmen oder Abnötigen des Geldes unterbleibt aber, da die Sakkotasche leer ist. Es ist daher Versuch zu prüfen. B handelt mit vollem Tatentschluss, sie will das Geld unter Einsatz von Gewalt erlangen, es sich zueignen und sich daran unrechtmäßig bereichern. Durch die Verabreichung des Schlafmittels hat sie bereits eine Ausführungshandlung gesetzt. Der Versuch ist fehlgeschlagen, da sie erkennt, dass sie keine Möglichkeit mehr hat, die Tat weiterzuführen. Zudem ist die Tauglichkeit des Versuchs zu prüfen. Es handelt sich hier um die Frage der Tauglichkeit des Objekts, da sich das Tatobjekt 'ELDTASCHEÏ NICHTÏ MEHRÏ IMÏ 3AKKOÏ DESÏ 8Ï BElNDETÏ :IEHTÏ MANÏ HIERÏ DIEÏ objektive Theorie heran, so ist nach der vorzunehmenden ex-post-Beurteilung festzustellen, ob es sich um ein nicht existentes oder ein zufällig B/S BT I § 83 Rz 2. B/S BT I § 127 Rz 23, § 135 Rz 12. 10 EvBl 1997/15, 1978/117; B/S BT I § 105 Rz 5, K/Schr BT I § 105 Rz 16, L/St § 105 Rz 5. 11 B/S BT I § 105 Rz 5 und 5. 8 9
32
Fall 3: „Tabledance mit Folgen“
abwesendes Tatobjekt handelt.12 Hier ist von letzterem auszugehen: Die Tat scheiterte zufällig, da sich in dem leeren Sakko kurz zuvor Geld befand. Der Versuch ist daher nur relativ untauglich und somit strafbar. b) Die Betäubung des X stellt eine Freiheitsentziehung gem § 99 Abs 1 StGB dar. Dem Opfer wurde dadurch „auf andere Weise“ die persönliche Freiheit entzogen.13 Da die Betäubung 10 Stunden andauerte, wurde die Mindestdauer von 10 Minuten klar überschritten.14 B handelte absichtlich, es kam ihr geradezu darauf an, den X außer Gefecht zu setzen. Da die Freiheitsentziehung länger andauert als dies für die Begehung des Raubes notwendig ist, steht sie zu § 142 StGB in echter Konkurrenz. c) Nun zieht B ein Klappmesser und fordert das Geld von A. Wiederum ist Raub gem § 142 Abs 1 StGB zu prüfen. Das Vorhalten des Klappmessers ist als konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu werten. Durch diese unmissverständliche Geste droht sie, die A unverzüglich schwer zu verletzen. $IEÏ$ROHUNGÏISTÏGEEIGNET ÏDEMÏ/PFERÏBEGR¿NDETEÏ"ESORGNISSEÏEINZUmßen. Die Herausgabe des Geldes stellt ein Abnötigen dar, mit Einstecken des Geldes erlangt B Alleingewahrsam. B handelt absichtlich. Es kommt ihr geradezu darauf an, durch die Drohung das Geld zu erlangen. Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz sind gegeben. Es handelt sich – trotz des gleichen Tatvorsatzes (Geld des X) – um eine selbständig strafbare Tat, weil sich das Raubopfer unterscheidet. "ÏKNNTEÏEINENÏQUALIlZIERTENÏ2AUBÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏUNTERÏ6ERWENdung einer Waffe begangen haben. Fraglich ist, ob das Klappmesser eine Waffe iSd § 1 WaffenG darstellt, dh ob es dazu bestimmt ist, andere anzugreifen oder sich zu verteidigen. Da ein Klappmesser nicht alleine zum Angriff bzw zur Verteidigung bestimmt ist, sondern auch andere Funktionen hat, es also ein Messer ist, das sich aus praktischen Gründen auseinanderklappen lässt, stellt es keine Waffe iSd § 143 StGB dar. Nach der Rsp und einem Teil der Lehre hingegen fallen auch Gegenstände, die keine Waffen nach dem WaffenG, aber diesen zumindest gleichwertig sind, unter die Waffen des § 143 StGB.15 Nach dieser Auffassung würde auch die Verwendung des Klappmessers § 143 StGB erfüllen.
SSt 57/38; K/H AT Z 24 Rz 16; vgl auch Fuchs AT I 30. Kap Rz 37. B/S BT I § 99 Rz 3. 14 B/S BT I § 99 Rz 6. Die hL und Rsp lässt hier auch kürzere Zeitspannen gelten (JBl 1982, 269; K/Schr BT I § 99 Rz 10 und 15ff). 15 S die Nachweise bei B/S BT I § 143 Rz 4. 12 13
33
II. Murschetz
3. Da A und B, als sie mit X nach Hause gehen, um ihm sein Geld abzuknöpfen, noch keinen genauen Tatplan gefasst hatten, liegt zu diesem Zeitpunkt noch kein Versuch eines Delikts vor. Auch ein Raubkomplott nach § 277 StGB wurde aus diesem Grund nicht verwirklicht. Dafür hätten sie sich über die Art der Tatbegehung und ihres Zusammenwirkens einig sein müssen. Der spätere Ablauf zeigt, dass dies gerade nicht der Fall war. Ergebnis: A hat am Geld einen Diebstahl nach § 127 StGB begangen. Hinsichtlich der Geldtasche ist sie je nach Vorsatz zum Zeitpunkt der Wegnahme wegen des Diebstahls oder der als typische Begleittat straffreien dauernden Sachentziehung gem § 135 StGB zu bestrafen. B ist wegen des versuchten Raubes gem §§ 15, 142 Abs 1 StGB und der Freiheitsentziehung gem § 99 StGB, beides begangen an C, zu bestrafen. Zudem hat sie einen vollendeten Raub nach § 142 StGB an A begangen.
Fall 4: „Troubles in der Autowerkstatt“ A arbeitet als Mechanikerin für eine Autowerkstatt in Kufstein. Eines Morgens wird ein fast neuer Audi Q7 zur Reparatur gebracht. A soll die Arbeit erledigen. Nachdem sie das Auto repariert hat, unternimmt sie damit die übliche Probefahrt. Variante 1: A beschließt, den Nachmittag blau zu machen und mit dem Auto auf Deutschlands Autobahnen zu fegen. Auf der Rückfahrt kommt sie auf der nassen Fahrbahn ins Schleudern und prallt rückwärts gegen die Leitplanken. Der Audi ist schwer beschädigt. Die Kreditkarte, die sie in der Mittelkonsole entdeckt, nimmt sie mit. Das Auto lässt sie stehen. Variante 2: Während der Probefahrt trifft sie ihren Kollegen B, der sie dazu überredet, ihm das Auto zu verkaufen. Dies macht sie auch. Variante 3: Nach der üblichen Probefahrt stellt A das reparierte Auto ZUR¿CKÏINÏDIEÏ7ERKSTÇTTEÏ$AÏ!ÏINÏlNANZIELLENÏ3CHWIERIGKEITENÏSTECKT Ï beschließt sie später, den Wagen ihrem Kollegen C in Rosenheim zu verkaufen, mit dem sie schon ein paar krumme Dinge gedreht hat. Am Sonntag holt sie den Audi unbemerkt aus der Werkstatt und fährt nach Rosenheim. Doch C ist für 3 Wochen verreist. Sie fährt zurück und stellt das Auto wieder in die Werkstätte. Haben sich A und B strafbar gemacht? 34
Fall 4: „Troubles in der Autowerkstatt“
Lösung Variante 1: a) A könnte einen unbefugten Fahrzeuggebrauch gem § 136 StGB begangen haben. Sie nimmt das Fahrzeug in Gebrauch, indem sie es mit der Kraft des Motors fährt. Zur üblichen Probefahrt ist sie als beauftragte Mechanikerin ermächtigt. Jedoch sind mehr als geringfügige Überschreitungen nicht mehr von dieser Einwilligung gedeckt, worunter die mehrstündige Spritztour auf deutschen Autobahnen zu subsumieren ist.16 A handelt vorsätzlich. Wenn sie es nicht sogar weiß, dann wird sie es zumindest für MGLICHÏHALTENÏUNDÏSICHÏDAMITÏABlNDEN ÏDASSÏDIEÏ3PRITZTOURÏNICHTÏERLAUBTÏ ist und daher keine Einwilligung vorliegt. !UFÏ'RUNDÏDESÏ3CHADENSÏAMÏ!UTOÏKOMMTÏEINEÏ1UALIlKATIONÏJEÏNACHÏ Schadenssumme nach § 136 Abs 3 1. oder 2. Fall StGB zum Tragen. $IESEÏ1UALIlKATIONÏWURDEÏFAHRLÇSSIGÏHERBEIGEF¿HRT b) Eine dauernde Sachentziehung gem § 135 StGB hat A durch das Abstellen am Straßenrand nicht verwirklicht, da sie den Audi nicht aus dem Gewahrsam entzogen hat (er wurde ihr anvertraut).17 Nach einem Teil der Lehre und der Rsp kann eine dauernde Sachentziehung auch an Sachen begangen werden, die der Täter bereits inne hat.18 Aber auch diesfalls ist die Strafbarkeit abzulehnen, da es am dauernden Entzug fehlt: Auf Grund des Kennzeichens ist eine erfolgreiche Fahndung in Deutschland und damit auch die Rückerlangung durch das Opfer anzunehmen.19 c) Die Kreditkarte stellt ein unbares Zahlungsmittel dar und ist als solches nicht Gegenstand der Veruntreuung. Vielmehr ist hier § 241e Abs 1 StGB zu prüfen. Von einem widerrechtlichen Sich-Verschaffen ist hier nicht auszugehen, da A das Auto samt Karte zur Probefahrt anvertraut wird. Sie hat die Karte daher weder weggenommen noch abgenötigt oder herausgelockt. Als sie die Karte später, wahrscheinlich mit Verwendungsvorsatz, aus dem Auto nimmt, hat sie bereits Gewahrsam daran und kann sie sich daher nicht mehr verschaffen, weshalb eine Strafbarkeit nach § 241e Abs 1 StGB ausscheidet.20 Nach den Gesetzesmaterialien und einem Teil der Lehre hingegen ist bereits das bloße Behalten einer
16 17 18 19 20
K/Schm StudB BT II § 136 Rz 24. B/S BT I § 135 Rz 3f und 10. S die Nachweise bei Bertel WK2 § 135 Rz 3. K/Schm StudB BT II § 135 Rz 37 mit weiteren Judikaturnachweisen. B/S BT II § 241e Rz 3. 35
II. Murschetz
anvertrauten Sache tatbestandsmäßig.21 Andere verlangen eine Intensivierung des Naheverhältnisses durch ein aktives Verhalten.22 Die Mitnahme aus dem Auto könnte als ein solches, das Naheverhältnis zur und die Verfügungsmöglichkeit über die Sache verstärkendes, aktives Tun beurteilt werden. Das Entfernen aus dem Auto kann als Unterdrücken gem § 241e Abs 3 StGB gewertet werden, weil sie dadurch verhindert, dass die Karte an den Fahrzeugbesitzer zurückgelangt.23 Variante 2: a) A könnte eine Veruntreuung nach § 133 StGB begangen haben. Das Auto wurde ihr zur Probefahrt in den Alleingewahrsam übergeBENÏ MITÏ DERÏ 6ERPmICHTUNGÏ ESÏ DANACHÏ ZUR¿CKZUGEBENÏ %SÏ ISTÏ DAHERÏ EINÏ anvertrautes Gut. Der Verkauf an den B stellt die Zueignungshandlung dar. Auf diese Tatbestandsmerkmale erstreckt sich der Vorsatz der A. Zudem kommet es ihr darauf an, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. $IEÏ4ATÏISTÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏÏ&ALLÏ3T'"ÏQUALIlZIERT ÏDAÏDASÏ!UTOÏMEHRÏ ALSÏÏãÏWERTÏISTÏ$IESENÏ7ERTÏKENNTÏ! b) B hat A dazu überredet, ihm das Auto zu verkaufen. Im Sachverhalt ist nicht angeführt, ob B wusste, dass sie bloß eine Probefahrt macht. Da er aber ein Kollege ist, kann davon ausgegangen werden. B hat daher den Vorsatz, A zum Verkauf des anvertrauten Autos zu bewegen. Dabei hat er auch den Vorsatz sie und sich selbst unrechtmäßig zu bereichern. Er ist daher als Bestimmungstäter nach §§ 12 2. Fall, 133 Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB zu bestrafen. Da § 133 StGB ein Sonderdelikt darstellt, kann nur A, der das Auto anvertraut wurde, unmittelbare Täterin sein. Variante 3: a) A geht sonntags in die Werkstatt und holt den Wagen. Zu prüfen ist Diebstahl gem § 127 StGB. Der Wagen stellt eine fremde, bewegliche Sache dar, die sich nun NICHTÏMEHRÏINÏIHREMÏ!LLEINGEWAHRSAMÏBElNDETÏ$ERÏ!UDIÏSTEHTÏIMÏ'Ewahrsam des Werkstättenleiters. A bricht dessen Gewahrsam und begründet mit dem Verlassen des Werkstättengeländes Alleingewahrsam am Auto. Damit ist der Diebstahl vollendet. Sie hat den Vorsatz, den Wagen wegzunehmen, um ihn sich zuzueignen und den Wert in ihr Vermögen überzuführen. 21 22 23
36
S die Nachweise bei B/S BT II § 241e Rz 3 sowie bei K/Schm StudB BT III § 241e Rz 10. K/Schm StudB BT III § 241e Rz 10 und 16f. B/S BT II § 241e Rz 3, § 229 Rz 2.
Fall 4: „Troubles in der Autowerkstatt“
$AÏDERÏ7ERTÏDESÏ!UTOSÏÏãÏ¿BERSTEIGT ÏISTÏDERÏDiebstahl nach § 128 Abs 2 StGBÏ QUALIlZIERTÏ !LSÏ !UTOMECHANIKERINÏ WEIÏ !Ï UMÏ DENÏ Wert des Autos Bescheid. b) A bringt den Wagen unverrichteter Dinge zurück. Sie könnte durch tätige Reue gem § 167 StGB straffrei geworden sein. Der Diebstahl ist ein reuefähiges Delikt. Sie hat den Wagen rechtzeitig, bevor die Behörde von ihrem Verschulden erfahren hat, zurückgebracht. Sie hat den ganzen Schaden gutgemacht. Der Benzinverbrauch spielt dafür keine Rolle. Zudem muss A freiwillig gehandelt haben. Freiwilligkeit liegt vor, wenn kein Zwang zur Schadensgutmachung bestand. Dies ist gem § 167 StGB ausdrücklich auch dann noch gegeben, wenn das Opfer den Täter dazu drängt. Ein äußerer Zwang, das Auto zurückzustellen, lag nicht vor.24 A hatte die Möglichkeit, das Auto jemand anderem zu verkaufen oder es irgendwo unterzustellen, und den Verkauf in drei Wochen nochmals zu versuchen. Es ist daher von einer Rückgabe ohne Zwang auszugehen. A wird durch tätige Reue straffrei. c) Durch das Fahren des Autos nach Rosenheim nimmt sie das Auto unbefugt in Gebrauch. Darauf erstreckt sich auch ihr Vorsatz. Dieser unbefugte Gebrauch wird vom Diebstahl des Autos als typische Begleittat konsumiert. Denn eine Wegnahme des Autos ist ohne unbefugten Gebrauch kaum möglich. Da A hinsichtlich des Diebstahls tätige Reue geübt hat, lebt die Strafbarkeit nach § 136 StGB wieder auf. Doch auch diesfalls ist tätige Reue möglich:25 Um straffrei zurückzutreten, müsste sie auch den Verbrauch der Betriebsmittel ersetzen. Ein Teil der Lehre geht hingegen davon aus, dass die Tätige Reue bei § 136 StGB nicht möglich ist, da dieses Delikt nicht in § 167 StGB aufgezählt ist.26 Ergebnis: A hat in Variante 1 einen unbefugten Gebrauch von Fahrzeugen je nach Schadenssumme gem § 136 Abs 1 und 3 1. oder 2. Fall StGB begangen. Wegen der Mitnahme der Kreditkarte ist sie nach § 241e Abs 3 StGB zu bestrafen. In Variante 2 macht sich A wegen Veruntreuung des Autos gem § 133 Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB strafbar. B ist Bestimmungstäter zu diesem Delikt. )NÏ6ARIANTEÏÏBEGEHTÏ!ÏEINENÏQUALIlZIERTENÏ$IEBSTAHLÏNACHÏeeÏ ÏÏ Abs 2 StGB. Sie übt diesbezüglich aber tätige Reue nach § 167 StGB und ist daher straffrei. Hinsichtlich des unbefugten Fahrzeuggebrauchs nach eÏÏ!BSÏÏ3T'" ÏDERÏDIESFALLSÏWIEDERÏAUmEBT ÏWIRDÏSIEÏEBENFALLSÏDURCHÏ tätige Reue straffrei, wenn sie die verbrauchten Betriebsmittel ersetzt. 24 25 26
Fuchs/Reindl BT I 196. B/S BT I § 167 Rz 3. S die Nachweise bei B/S BT I § 167 Rz 3. 37
II. Murschetz
Fall 5: „Der unterbrochene Fernsehabend“ A hat es sich für den Abend zu Hause vor dem Fernseher gemütlich gemacht und bereits ein paar Flaschen Bier getrunken. Nun ruft ihn seine Tochter an, die den letzten Bus versäumt hat, und bittet ihn, sie aus dem 5 km entfernten Nachbarort abzuholen. A tut dies. Auf der Rückfahrt sorgen Müdigkeit und Alkoholisierung dafür, dass er unaufmerksam wird und an einer Kreuzung mit geringer Geschwindigkeit in das Auto des B kracht. Die Tochter bricht sich den kleinen Zeh. B, der zunächst unverletzt geblieben ist, versucht nun die Unfallstelle zu sichern. Dabei wird er von einem nachfolgenden Fahrzeug gerammt. Er erleidet einen Oberschenkelhalsbruch. Die Polizei stellt bei A einen Blutalkoholwert von 0,9 ‰ fest. Hat A sich strafbar gemacht?
Lösung 1. Die Verletzung der Tochter: a) A könnte eine fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB begangen haben. Der Bruch der Zehe ist eine Körperverletzung, da er eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit darstellt, die Schmerzen bereitet und eine Behandlung erforderlich macht. A handelte sozial inadäquat, da er alkoholisiert fuhr und damit gegen die Rechtsnorm des § 5 Abs 1 StVO verstieß. Er fuhr auch ohne die notwendige Aufmerksamkeit, die die StVO vorschreibt. Die Alkoholisierung und die dadurch verminderte Aufmerksamkeit sind für die Körperverletzung der Tochter ursächlich. Beides kann nicht weggedacht werden, ohne dass DERÏ%RFOLGÏENTlELEÏ$IEÏOBJEKTIVEÏ:URECHNUNGÏISTÏGEGEBENÏESÏSINDÏKEINEÏ Gründe ersichtlich, die den Adäquanz- oder Risikozusammenhang ausschließen könnten. Fraglich ist, ob A auch subjektiv sorgfaltswidrig handelte.27 Dazu ist festzustellen, ob A nach seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten in der Lage war, sorgfaltsgemäß zu handeln. Wahrscheinlich konnte A auf Grund seiner Alkoholisierung und Müdigkeit nicht aufmerksamer fahren und schneller reagieren. Laut Sachverhalt ergibt sich seine mangelnde Aufmerksamkeit gerade aus diesen Komponenten. Ist dies der Fall, so muss die subjektive Sorgfaltswidrigkeit ausgeschlossen werden. Eine 3TRAmOSIGKEITÏDESÏ!ÏISTÏDIESFALLSÏABERÏAUFÏ'RUNDÏDERÏÜbernahmefahrlässigkeit zu verneinen.28 Er hätte die gefährliche Tätigkeit des Autofahrens 27 28
38
B/S BT I § 80 Rz 18ff. Fuchs AT I 26. Kap Rz 7.
Fall 5: „Der unterbrochene Fernsehabend“
nach einigen Flaschen Bier objektiv nicht mehr übernehmen dürfen. Dies ist ihm auch subjektiv vorzuwerfen, da er zum Zeitpunkt des Losfahrens in der Lage war zu erkennen, wie viele Flaschen Bier er getrunken hatte und dass er in diesem Zustand nicht mehr fahren dürfe. Nach der Rsp hingegen hat eine allfällige Beeinträchtigung durch Alkohol bei Beurteilung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit außer Betracht zu bleiben.29 b) Der Bruch der kleinen Zehe stellt keine schwere Körperverletzung iSd § 88 Abs 4 iVm 84 Abs 1 StGB dar. Sie ist nicht an sich schwer, da zu keinem Zeitpunkt Lebensgefahr bestand. Zu diesem Ergebnis dürfte auch die Rsp gelangen, die eine an sich schwere Verletzung annimmt, wenn ein „wichtiger“ Knochen betroffen ist.30 Die Tochter wird auch nicht mehr als 24 Tage lang Schmerzen haben, in ihrer Bewegungsfreiheit wesentlich eingeschränkt (Gesundheitsschädigung) oder an der Ausübung ihrer sozialen Funktionen gehindert sein (Berufsunfähigkeit). c) Die Tat des A könnte nach § 88 Abs 3 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGBÏQUALIlziert sein. A hatte im Unfallzeitpunkt zumindest 0,9 ‰ Alkohol im Blut. Ab 0,8 ‰ liegt absolute Fahruntauglichkeit vor. Er konnte aber nicht vorhersehen, dass ihm noch eine gefährliche Tätigkeit bevorsteht. Er hatte sich auf einen gemütlichen Abend zu Hause eingestellt und wusste daher nicht, dass er noch Auto fahren müsse. Der Sachverhalt enthält auch keine Hinweise darauf, dass die Tochter ihren Bus immer wieder versäumt und er sie immer wieder abholen muss, er also möglicherweise hätte vorhersehen können, nochmals fahren zu müssen. d) Da der Täter seine eigene Tochter verletzte, ist an den Strafausschließungsgrund des § 88 Abs 2 Z 1 StGB zu denken. Sie ist mit ihm in absteigender Linie verwandt. Zudem darf den Täter kein schweres Verschulden treffen. Dieses läge vor, wenn der Täter auffallend sorglos handelte und der Eintritt eines Unfalls sehr wahrscheinlich war. Sein Sorgfaltsverstoß besteht in der mangelnden Aufmerksamkeit auf Grund seiner Alkoholisierung. Diese ist mit 0,9 ‰ zwar für den Straßenverkehr zu viel, aber nicht ausnehmend hoch. Bis auf die Unaufmerksamkeit fuhr er den Regeln entsprechend, insbesondere nicht zu schnell. Eine auffallende Sorglosigkeit, die einen Unfall sehr wahrscheinlich macht, kann ihm daher nicht unterstellt werden. Er bleibt gem § 88 Abs 2 StGB straffrei.
29 30
S die Nachweise bei K/Schr BT I § 80 Rz 120. S die Nachweise bei B/S BT I § 84 Rz 5. 39
II. Murschetz
2. Die Verletzung des B: Wiederum ist eine fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB zu prüfen. Der Oberschenkelhalsbruch stellt eine Körperverletzung dar, weil er Schmerzen bereitet und eine Behandlung erforderlich macht. Die soziale Inadäquanz ergibt sich aus dem zur Tochter Gesagten. Auch für diese Verletzung war A kausal. Es liegt nicht außerhalb der Lebenserfahrung, dass es bei alkoholbedingten Unaufmerksamkeiten zu einem Auffahrunfall kommt und jemand bei der Absicherung der Unfallstelle verletzt wird. Der Risikozusammenhang ist ebenfalls gegeben: Es wirkt sich hier gerade die Gefahrenquelle aus, die der Täter geschaffen hat. Erst das Absichern der Unfallstelle entschärft diese bestehende Gefahrenquelle. Wäre der Unfall erst danach erfolgt, so stünde die Verletzung nicht mehr im Risikozusammenhang, da diesfalls der Erfolg bloß eine Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos darstellte.31 Aus dem Sachverhalt ergeben sich auch keine Hinweise darauf, dass der konkrete Unfall auf Grund eines grob fahrlässigen Fehlverhaltens des Dritten erfolgte und der Risikozusammenhang aus diesem Grund zu verneinen wäre. Die Körperverletzung könnte gem § 88 Abs 4 iVm § 84 Abs 1 StGB QUALIlZIERT sein, wenn der Bruch eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge hatte. Bei einer solchen Verletzung ist davon auszugehen, dass B mehrere Wochen in seiner Bewegungsfreiheit wesentlich eingeschränkt ist (GesundheitsSCHÇDIGUNG ÏWESHALBÏDIEÏ1UALIlKATIONÏERF¿LLTÏISTÏÍBERÏDIEÏ"ERUFSUNFÇhigkeit lässt sich keine Aussage treffen, da der Sachverhalt keinen Hinweis darauf enthält, welche soziale Funktionen B erfüllt. Eine an sich schwere Körperverletzung ist auszuschließen, da zu keinem Augenblick Lebensgefahr bestand. Die Rsp sieht den Oberschenkelhals als wichtigen Knochen an und bejaht deshalb die an sich schwere Körperverletzung.32 $IEÏ1UALIlKATIONÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏÏ&ALLÏeÏÏ!BSÏÏ:Ï Ï3T'"ÏSCHEIdet wegen der fehlenden Vorhersehbarkeit der gefährlichen Tätigkeit aus. Ergebnis: A ist wegen der Verletzung der Tochter auf Grund des Strafausschließungsgrundes des § 88 Abs 2 StGB nicht zu bestrafen. Die Verletzung des B ist ihm zuzurechnen und er ist dafür gem § 88 Abs 1, Abs 4 1. Fall StGB zu bestrafen.
31 32
40
Fuchs AT I 13. Kap Rz 39. S die Nachweise bei B/S BT I § 84 Rz 5.
Fall 6: „Der soziale Bürgermeister“
Fall 6: „Der soziale Bürgermeister“ A hat in einer Tiroler Gemeinde ein Haus ohne Baubewilligung errichtet. Bürgermeister B wird darauf aufmerksam gemacht. Er erklärt dem A, dass er das Haus wieder abreißen müsse, eine BaubewilliGUNGÏKNNEÏERÏDAF¿RÏNICHTÏERHALTENÏGEGENÏEINEÏu3PENDEhÏVONÏÏãÏ an die Gemeinde würde er, der Bürgermeister, die Sache jedoch vergessen. A zahlt und der Bürgermeister bleibt untätig. Haben sich A und B strafbar gemacht?
Lösung 1. Die Strafbarkeit des B: a) B könnte einen Amtsmissbrauch durch Unterlassen gem § 2 iVm § 302 StGB begangen haben. Der Bürgermeister ist ein Beamter, der im Namen der Gemeinde Hoheitsakte vornimmt. In Bausachen wird er als Baubehörde erster Instanz tätig. Erlangt er von einem bewilligungsPmICHTIGENÏ"AUÏ+ENNTNIS ÏDERÏOHNEÏ"AUBEWILLIGUNGÏERRICHTETÏWURDE ÏSOÏ hat er die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes anzuordnen. Er hat eine Frist zur Einbringung eines nachträglichen Bauansuchens zu stellen. Wird dieses nicht gestellt oder kann die Bewilligung nicht erteilt werden, so ist der Abbruch des Hauses mit Bescheid anzuordnen.33 Bleibt der Bürgermeister untätig, so verstößt dieses Unterlassen des Hoheitsaktes gegen das materielle Recht; er missbraucht seine Befugnis. Der Bürgermeister ist als Baubehörde erster Instanz Garant für die rechtmäßige Bautätigkeit in seiner Gemeinde.34 Das Unterlassen ist im vorliegenden &ALLÏDERÏPmICHTWIDRIGENÏ6ORNAHMEÏEINESÏ(OHEITSAKTESÏgleichwertig, da der Bürgermeister gezielt untätig bleibt. Er handelt in der Absicht, dem A einen großen Nachteil zu ersparen.35 Auf der subjektiven Tatseite muss der Beamte seine Befugnis wissentlich missbrauchen. B kennt die Tiroler Bauordnung und weiß laut Sachverhalt, dass A für das Haus keine Bewilligung erhalten würde, weshalb ihm Wissentlichkeit vorzuwerfen ist. Zudem muss B einen zumindest bedingten Schädigungsvorsatz haben. Da er weiß, dass sein Unterlassen dem materiellen Recht widerspricht, weiß er auch, dass das Land in seinem Recht auf Einhaltung der Bauordnung geschädigt und ihr Zweck vereitelt wurde.36 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er der Gemeinde eine Spende zukommen lassen will. 33 34 35 36
§ 37 Abs 1 TBO 2001 (Tiroler Bauordnung, LGBl Nr 94/2001 idgF). § 51 Abs 1 TBO 2001. B/S BT II § 302 Rz 16. OGH JBl 1992, 56; B/S BT II § 302 Rz 24. 41
II. Murschetz
b) Durch die Forderung des Geldes könnte sich B der Geschenkannahme durch Beamte nach § 304 Abs 1 StGB strafbar gemacht haben. "ÏISTÏEINÏ"EAMTER ÏDERÏF¿RÏDIEÏPmICHTWIDRIGEÏ5NTERLASSUNGÏEINESÏ!MTSgeschäftes von A einen Vermögensvorteil für die Gemeinde fordert und auch annimmt. Er tut dies vorsätzlich. $AÏ SICHÏ "Ï ABERÏ AUFÏ 'RUNDÏ DERÏ PmICHTWIDRIGENÏ 5NTERLASSUNGÏ BEREITSÏ nach § 302 StGB strafbar gemacht hat, tritt die Geschenkannahme als subsidiäres Delikt zurück.37 c) Fraglich ist, ob der Bürgermeister auf Grund der Forderung des Vermögensvorteils Erpressung gem § 144 StGB zu verantworten hat. B droht dem A mit dem Abbruch des Hauses. Dies ist eine gefährliche Drohung gegen das Rechtsgut Vermögen des A. Zudem nötigt er den A zur Zahlung einer Spende an die Gemeinde, dh er nötigt ihn zu einer Handlung, die diesen am Vermögen schädigt. B kommt es geradezu darauf an, den A durch die Drohung zur Zahlung zu bewegen. Er handelt, um die Gemeinde unrechtmäßig zu bereichern. Die Drohung mit dem Abbruch des Hauses steht dem Bürgermeister zwar zu, sie widerspricht daher als solche nicht den guten Sitten, doch ist sie zur Erlangung eines unrechtmäßigen Vermögensvorteils unzulässig.38 2. Die Strafbarkeit des A: a) A könnte einen Beitrag zum Amtsmissbrauch durch Unterlassen gem § 12. 3. Fall, §§ 2, 302 StGB begangen haben. Da der Bürgermeister selbst auf die Idee kommt, die Sache gegen Geld auf sich beruhen zu lassen, kommt die Bestimmungstäterschaft für A nicht in Frage. Aber durch seine Spende könnte er dazu beigetragen haben. Der Beitrag wurde kausal, da B die Spende einsteckt und daraufhin untätig bleibt. Auf der subjektiven Tatseite muss A wissen, dass B’s Vorgehen dem materiellen Recht widerspricht. Dies ist anzunehmen. Der Sachverhalt enthält keinen Hinweis, dass A es für möglich gehalten hat, dass das Untätigbleiben des B in dessen Ermessen stand. A muss zudem einen zumindest bedingten Schädigungsvorsatz haben. Aber der Täter, der sich nur der eigenen Bestrafung entziehen möchte, handelt nicht mit Schädigungsvorsatz.39 Gerade dies tut A, denn er will durch seinen Beitrag den Abbruch des Hauses vermeiden. Er ist daher nicht strafbar. Da der Täter weiß, dass das Untätigbleiben des Bürgermeisters nicht in dessen Hinterhofer BT II § 302 Rz 56; Teile der Lehre gehen von echter Konkurrenz aus, s die Nachweise bei B/S BT II § 304 Rz 8. 38 B/S BT I § 144 Rz 5. 39 B/S BT II § 302 Rz 27. 37
42
Fall 7: „Der Hase und der Hund“
Ermessen steht, läge nach der Rsp ein Schädigungsvorsatz und damit Strafbarkeit vor.40 b) A könnte sich wegen Bestechung gem § 307 Abs 1 Z 1 StGB strafbar gemacht haben. %RÏ GEWÇHRTÏ DEMÏ "¿RGERMEISTERÏ F¿RÏ DIEÏ PmICHTWIDRIGEÏ 5NTERLASSUNGÏ eines Amtsgeschäftes einen Vermögensvorteil und tut dies vorsätzlich. Es kommt ihm geradezu darauf an, dadurch die Untätigkeit des Bürgermeisters zu erwirken. Entschuldigender Notstand kann A schon deshalb nicht für sich in Anspruch nehmen, da er den drohenden Eingriff durch sein eigenes rechtswidriges Verhalten (Verstoß gegen die Bauordnung) zu verantworten hat. Ergebnis: B ist gem § 302 StGB strafbar, die Geschenkannahme gem § 304 Abs 1 StGB tritt als subsidiäres Delikt zurück. In echter Konkurrenz begeht B zudem eine Erpressung gem § 144 StGB. A hat sich wegen Bestechung gem § 307 Abs 1 Z 1 StGB strafbar gemacht.
Fall 7: „Der Hase und der Hund“ A, ein begeisterter Hobbyjäger ohne Jagdschein, geht am späten Nachmittag nach der Dämmerung auf die Pirsch. Er hat seiner Frau B versprochen, diesmal einen schönen Hasenbraten nach Hause zu bringen. Tatsächlich entdeckt er zwei Wildhasen. Er zielt auf den einen und trifft ihn. Dem Rascheln des anderen Hasen folgt er schnell. In der Nähe eines Hauses hört er wieder Geräusche. A zielt auf das Tier, doch statt des Hasen trifft er den Hund der Frau X. Der Schuss durchbohrt jedoch nur ein Ohr des Hundes und schlägt nach Zerstörung der Fensterscheibe in ein Bild in der Küche des Hauses ein. Frau X, die beim Kochen ist, wird von der Kugel nicht getroffen. Sie hat kurz zuvor die Küche verlassen, um Gemüse aus dem Keller zu holen. Haben sich A und B strafbar gemacht?
40
S die Nachweise bei B/S BT II § 302 Rz 27. 43
II. Murschetz
Lösung 1. a) A könnte einen Eingriff in fremdes Jagdrecht nach § 137 StGB begangen haben. Der Wildhase ist keine fremde Sache, weil er nicht im Eigentum eines anderen steht, und kann daher auch nicht Gegenstand eines Vermögensdelikts sein. Er zählt vielmehr zum Wild iSd § 137 StGB. Da A keine Jagdberechtigung hat, verletzt er fremdes Jagdrecht. Die Ausführungshandlung besteht im Nachstellen, Töten sowie Zueignen. A handelt vorsätzlich. b) Auch der zweite Schuss gilt einem Wildhasen, trifft aber einen Hund. Wegen des Erfolges ist die Sachbeschädigung gem § 125 StGB zu prüfen. Der Hund ist eine bewegliche und auch fremde Sache, da er im Eigentum der X steht. Die „Sache“ wird beschädigt. A hatte aber den Vorsatz, einen Wildhasen und nicht einen Hund zu treffen. Er unterliegt daher einem Tatbildirrtum. Er irrt über ein ungleichartiges Tatobjekt: Der Hase ist keine fremde bewegliche Sache, sondern wird nur im Rahmen des Jagdrechts als Wild geschützt. Der Hund hingegen ist eine fremde bewegliche Sache und damit ein Tatobjekt, das den allgemeinen Vermögensdelikten unterstellt ist. Die beiden Tatobjekte sind daher nicht gleichartig. Da der Tatbildirrtum den Vorsatz des A ausschließt, ist er nicht wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung zu bestrafen. Die fahrlässige Sachbeschädigung hingegen ist strafrechtlich nicht relevant. A hat versucht, einen Wildhasen zu töten, das ist nach §§ 15, 137 StGB strafbar. Da aber bereits das Nachstellen, das ist unter anderem das Durchstreifen des Reviers mit schussbereitem Gewehr, eine Ausführungshandlung des § 137 StGB darstellt, ist A wegen des vollendeten Delikts zu betrafen.41 c) A könnte ein Tierquälerei gem § 222 StGB begangen haben. Es ist zu prüfen, ob der Durchschuss eines Ohrs als rohe Misshandlung oder Zufügung unnötiger Qualen gewertet werden kann. Ersteres verlangt eine intensive, mit starken Schmerzen verbundene Einwirkung auf das Tier, das einer gefühllosen Gesinnung des Täters entspringt. A wollte das Tier sofort töten und handelte daher nicht aus gefühllosen Beweggründen. Unnötige Qualen sind erhebliche Schmerzen, die eine gewisse Zeit andauern. Auch dies ist nicht der Fall. Der Durchschuss des Ohres ist zwar schmerzlich, überschreitet diese Erheblichkeitsschwelle aber wohl nicht.
41
44
Bertel WK2 § 137 Rz 3.
Fall 7: „Der Hase und der Hund“
Eine Strafbarkeit ist aber ohnehin auf keinen Fall gegeben, da A nicht den Vorsatz hat, den Hasen roh zu misshandeln oder ihm unnötige Qualen zuzufügen. Er wollte das Tier sofort töten. c) Die Zerstörung des Fensters und die Beschädigung des Bildes sind mangels Vorsatzes nicht nach § 125 StGB strafbar. d) Hinsichtlich der Bewohnerin des Hauses, X, ist die Gefährdung der körperlichen Sicherheit gem § 89 StGB zu prüfen. Zunächst ist zu überlegen, ob X durch den Schuss konkret und nicht nur abstrakt gefährdet wurde. Konkret gefährdet ist sie, wenn sie sich IMÏ7IRKUNGSBEREICHÏDERÏGEFÇHRLICHENÏ(ANDLUNGÏBElNDETÏUNDÏDERÏ6ERLETzung nur mehr oder weniger knapp und durch Zufall entronnen ist.42 X befand sich zunächst, als sie sich in der Küche aufhielt, im Wirkungsbereich der gefährlichen Handlung; als die Kugel einschlug, hatte sie den Raum aber bereits verlassen. Sie befand sich in einem anderen Raum und daher nicht mehr im konkreten Wirkungsbereich der gefährlichen Handlung. Mangels konkreter Gefährdung ist § 89 StGB auszuschließen. 2. a) B könnte sich an dem Eingriff in fremdes Jagdrecht nach § 137 StGB beteiligt haben. Sie ist in den Plan des A eingeweiht, da er ihr laut Sachverhalt diesmal einen schönen Hasenbraten verspricht. Weitere Unterstützungshandlungen, die die Tatausführung ermöglichen, erleichtern oder sonst fördern, sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Allein die Kenntnis des Tatplanes fördert die Tatausführung des A nicht. Das In-Aussicht-Stellen des späteren Kochens des Hasen könnte als psychische Unterstützung GEWERTETÏWERDEN ÏABERÏNURÏWENNÏDIESÏAUFÏ!ÏEINENÏ%INmUSSÏHATTEÏ7ARÏESÏ für ihn unerheblich, ob er selbst oder seine Frau den Braten kocht oder ob der Hase überhaupt gekocht wird – ihm ging es um den Reiz des Jagens – so liegt kein Beitrag zu Tatausführung vor. b) Das Unterlassen der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung gem § 286 StGB ist auszuschließen, da die strafbare Handlung des A (§ 137 StGB) nur mit einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist. $ERÏ 3ACHVERHALTÏ ENTHÇLTÏ KEINEÏ (INWEISEÏ AUFÏ ALLFÇLLIGEÏ 1UALIlKATIONENÏ nach § 138 StGB, zB wegen des Jagens in der Schonzeit. Ergebnis: A hat einen Eingriff in fremdes Jagdrecht gem § 137 StGB BEGANGENÏ"ÏISTÏSTRAmOS
42
B/S BT I § 89 Rz 1, Fuchs/Reindl BT I 43. 45
III. SCHEIL Fall 1: „When Lights Are Low“ )NÏ lNSTERERÏ .ACHTÏ WIRDÏ INÏ EINEÏ "ANKÏ EINGEBROCHENÏ $IEÏ %INBRECHer entkommen unerkannt. In der Bank wohnt im ersten Stock der Förster F. Von den Einbrechern bei ihrem Abgang geweckt, zieht sich F an, nimmt seinen Revolver und schleicht in das Parterre, um nach dem Rechten zu sehen. Dort ist es ruhig. F tritt vorsichtig ins Freie, schaut sich um und erspäht tatsächlich hinter einer Hecke eine Gestalt, die eine Pistole auf ihn richtet. F zielt auf den, wie er meint, „Gangster“ und drückt, ohne lange zu fackeln, ab. Die Einbrecher wecken nicht nur F, sie lösen auch auf der nächst gelegenen Polizeiinspektion Alarm aus. Der 40-jährige, uniformierte Polizist G rast mit einem Kollegen zur Bank, legt sich hinter einer Hecke auf die Lauer, weil er einen, wie er meint, „Einbrecher“ im Hausgang herumschleichen sieht. Er zieht seine Dienstpistole und richtet sie auf den vermeintlichen „Einbrecher“, tatsächlich auf F. Als F mit seinem Revolver in der Hand vorsichtig ins Freie tritt, sich umschaut und plötzlich mit dem Revolver auf ihn zielt, will G noch „Polizei! Waffe weg! Stehen bleiben!“ schreien, da trifft ihn auch schon die von F abgefeuerte Kugel in den Bauch – er kann nach mehreren Operationen erst drei Jahre später wieder seinen Dienst als Polizist verrichten. F wird daraufhin vom Kollegen des G niedergeschossen, überlebt aber auch. Beurteilen Sie die Strafbarkeit des F!
Lösung 1. F könnte eine Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) begangen haben. Ein Schuss in den Bauch ist eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und darum eine Verletzung.1 F 1
B/S BT I § 83 Rz 1. 47
III. Scheil
handelt absichtlich, es kommt ihm gerade darauf an, G zu verletzen (§ 5 Abs 2 StGB). 2.Ï&¿RÏDIEÏ4ATÏKOMMENÏMEHREREÏ1UALIlKATIONENÏINÏ"ETRACHT Es handelt sich allein wegen der Öffnung der Bauchhöhle, unter Umständen auch wegen der Perforation des Darms oder des Magens, wegen der Schädigung der Leber oder einer Niere usw um eine schwere Verletzung (§ 84 Abs 1 StGB). Jede dieser Verletzungen ist „an sich schwer“, weil sie alle lebensgefährlich sind bzw weil wichtige Organe in einer Weise beeinträchtigt werden, dass damit wesentliche Funktionseinbußen verbunden sind, weil der Heilungsverlauf ungewiss ist und überdies die Gefahr von Komplikationen besteht.2 G ist auch länger als 24 4AGE ÏUNDÏZWARÏDREIÏ*AHRE ÏBERUFSUNFÇHIGÏ&¿RÏDIESESÏERFOLGSQUALIlZIERTEÏ Delikt genügt es, dass F die Folgen zumindest fahrlässig herbeiführt (§ 7 Abs 2 StGB).3 Schon die Verwirklichung des Grunddelikts § 83 Abs 1 StGB stellt einen Sorgfaltsverstoß dar, der die Fahrlässigkeit bezüglich der besonderen Folge der Tat indiziert.4 Ein einsichtiger und besonnener Mensch schießt nicht mit einem Revolver auf einen Menschen. Für § 84 Abs 2 Z 1 StGB kommt es darauf an, ob ein Mittel (der Revolver des F) konkret lebensgefährlich eingesetzt wird – F schießt G mit dem Revolver aus nicht allzu großer Distanz in den Bauch und bringt IHNÏDAMITÏTATSÇCHLICHÏINÏ,EBENSGEFAHRÏ$IESÏMUSSÏBEIÏDIESERÏ1UALIlKATIon vom Vorsatz umfasst sein. F weiß um die Lebensgefährlichkeit des Bauchschusses.5 § 84 Abs 2 Z 4 StGB kommt in Frage, weil es sich bei G um einen "EAMTENÏ HANDELT Ï DERÏ GERADEÏ DABEIÏ IST Ï EINEÏ $IENSTPmICHTÏ ZUÏ ERF¿LLEN Ï und zwar einen gefährlichen Angriff zu beenden (§ 21 Abs 2 SPG). Diese 1UALIlKATIONÏWIRDÏABERÏNICHTÏVERWIRKLICHT ÏWEILÏ&ÏDERÏGEFORDERTEÏ6ORSATZÏ fehlt. Er erkennt trotz Uniform nicht einmal, dass es sich bei G um einen Polizisten handelt, er hält ihn ja für einen „Gangster“. F unterliegt wegen eines Tatsachenirrtums einem Tatbildirrtum, der den Vorsatz ausschließt.6 G ist für drei Jahre berufsunfähig, drei Jahre sind für einen erst 40-jährigen Polizisten, der bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahrs arbeitet, keine lange Berufsunfähigkeit iSd § 85 Z 3 StGB.7 B/S BT I § 84 Rz 4f; K/Schr BT I § 84 Rz 12. Fuchs AT I 9. Kap Rz 9; K/H AT Z 9 Rz 10, Z 27 Rz 26ff. 4 K/H AT Z 27 Rz 28. 5 B/S BT I § 84 Rz 13. Die Rsp und manche Autoren zB K/Schr BT I § 84 Rz 58 verlangen überdies, dass das Mittel “abstrakt lebensgefährlich” ist; dies wäre für den Revolver auch zu bejahen. 6 Fuchs AT I 14. Kap Rz 47f; K/H AT Z 16 Rz 11. 7 B/S BT I § 85 Rz 3f. 2 3
48
Fall 1: „When Lights Are Low“
§ 87 StGB ist zu verneinen, da es wohl nicht gerade Ziel des F ist (§ 5 Abs 2 StGB), G eine schwere Körperverletzung iSd § 84 Abs 1 StGB zuzufügen. Er schießt zwar auf G, aber wohl nicht gezielt in den Bauch. 3. Es scheint, dass F in Notwehr (§ 3 StGB) handelt, weil G seine Pistole auf ihn richtet. Dieser unmittelbar drohende Angriff auf sein Leben, seine körperliche Unversehrtheit, jedenfalls aber auf seine Freiheit für den Fall der Festnahme ist aber nicht rechtswidrig. G hat als Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach § 2 Z 1 und Z 3 WaffGebrG das Recht, seine Dienstwaffe zur Erzwingung einer Festnahme (Z 3) und im Falle der Notwehr (Z 1) zu gebrauchen oder, wenn das ausreicht, ihren Gebrauch anzudrohen (§ 4 WaffGebrG). G hat hinreichenden Grund, F des Einbruchsdiebstahls zu verdächtigen, und darf ihn wegen Betretung auf frischer Tat festnehmen (§ 171 Abs 2 Z 1 StPO). Und F richtet seinen Revolver rechtswidrig auf G und begründet damit für G auch noch eine Notwehrsituation, weil G kein „Gangster“ ist, der eben in die Bank eingebrochen hat und dem die Beute durch Drohung mit, unter Umständen sogar durch Gebrauch einer Schusswaffe abgenommen werden dürfte. F hält G irrtümlich für einen „Gangster“, der in der Absicht, auf ihn zu schießen, seine Pistole auf ihn richtet, deshalb ist die irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (§ 8 StGB) zu prüfen. Würde das der Realität entsprechen, so würde es sich um einen unmittelbar drohenden – der Schuss steht knapp bevor – und rechtswidrigen – ein „Gangster“ hat kein Recht, auf F zu schießen – Angriff auf sein Leben, zumindest auf seine körperliche Unversehrtheit handeln, also um eine Notwehrsituation. F bedient sich auch nur der notwendigen Verteidigung, ihm stünde im Augenblick kein gelinderes Mittel zur Verfügung, um den Angriff sofort und endgültig8 bzw verlässlich9 abzuwehren. F irrt fahrlässig über die Notwehrsituation. Einem einsichtigen und besonnenen Menschen in seiner Situation wäre aufgefallen, dass die „Gestalt“, von der sich F angegriffen wähnt, eine Uniform trägt, an der sie unschwer als Polizist zu erkennen gewesen wäre. Weil F fahrlässig irrt und weil es ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt gibt,10 ist F ist wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 88 Abs 1, Abs 4 2. Fall StGB) ZUÏBESTRAFENÏ$IEÏ1UALIlKATIONÏDESÏeÏÏ!BSÏÏÏ&ALLÏ3T'"ÏISTÏDESHALBÏ erfüllt, weil es sich um eine schwere Körperverletzung handelt und weil INÏ lNSTERERÏ .ACHTÏ BEIÏ EINEMÏ DERARTIGENÏ 3CHNELLSCHUSSÏ AUFÏ EINENÏ -ENschen hinter einer Hecke eine gefährliche Verletzung außerordentlich K/H AT Z 11 Rz 13. Fuchs AT I 17. Kap Rz 29ff. 10 „Doppelt bedingte Fahrlässigkeitshaftung“, Fuchs AT I 20. Kap Rz 6ff; K/H Z 19 Rz 8f. 8 9
49
III. Scheil
wahrscheinlich ist, weil also besonders gefährliche Verhältnisse iSd § 81 Abs 1 Z 1 StGB vorliegen.11 Ergebnis: F ist wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 4 2. Fall StGB zu bestrafen.
Fall 2: „Round Midnight“ :WEIÏ!NGESTELLTEÏEINERÏPRIVATENÏ"EWACHUNGSlRMAÏSEHENÏUMÏ-ITTERnacht auf ihrer Streife durch den Innsbrucker Rapoldipark den arbeitslosen Ägypter X mit einem Küchenmesser in der Hand auf den See zugehen und Ausschau nach Federvieh halten. „X hatte eine Stockente am Kragen gepackt und wollte ihr gerade den Hals durchschneiden, als er uns sah, hat er den Vogel sofort fallen lassen und ist mit dem Messer auf uns losgegangen“, sagt einer von ihnen in der Hauptverhandlung. Zurück in den Rapoldipark. Die Sicherheitsleute nehmen X das Küchenmesser ab und halten ihn fest, bis zwei Polizisten eintreffen. „Er HATÏMICHÏINÏDIEÏ2IPPENÏGESCHLAGENÏUNDÏISTÏGEm¿CHTETh ÏSOÏDERÏ0OLIZISTÏ P in der Hauptverhandlung, der danach rund vierzehn Tage Schmerzen hat, „vor allem beim Lachen.“ Weit kommt X auf seiner Flucht nicht. Schon nach einem Fünfzig-Meter-Sprint kann er von den Polizisten wieder gefasst werden. Beurteilen Sie die Strafbarkeit des X!
Lösung 1. Die Jagd auf die Stockente: a) X könnte einen Eingriff in fremdes Jagd- oder Fischereirecht (§ 137 StGB) begangen haben. Die Stockente ist ein wild lebendes Tier, das in Tirol dem Jagdrecht unterliegt.12 X ist dabei, die bereits gefangene Ente zu töten, er stellt ihr also nach. Dabei verletzt er fremdes Jagdrecht, weil nicht er der in Innsbruck zur Jagd Berechtigte und auch nicht dessen Jagdgast ist.13 Die Strafbarkeit scheitert aber daran, dass der Ägypter X wohl nicht einmal laienhaft die Wertungen des Tiroler Jagdrechts nachvollzieht und deshalb den sozialen Bedeutungsgehalt der Tatbild11 12 13
50
B/S BT I § 88 Rz 10, § 81 Rz 2ff. § 1 Abs 2 iVm Anlage 1 Z 2 lit f Tiroler Jagdgesetz 2004. B/S BT I § 137 Rz 3.
Fall 2: „Round Midnight“
elemente des § 137 StGB verkennt. Oder hätten Sie gewusst, dass es sich bei der Stockente im Rapoldipark – im Gegensatz zu den anderen Enten dort – um ein in Tirol jagdbares Tier handelt und dass Sie, wenn Sie das Tier töten und sich zueignen, in das ausschließliche Aneignungsrecht des Jagdberechtigten eingreifen? X unterliegt einem Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, der den von § 137 StGB geforderten Vorsatz ausschließt.14 b) Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls (§§ 15, 127 StGB) ist zu verneinen, weil die Stockente als Wildtier in niemandes Eigentum steht und deshalb keine fremde Sache ist und weil sie auch gewahrsamsfrei ist und deshalb nicht unter Bruch fremder Gewahrsame weggenommen werden kann. Mangels Tauglichkeit des Objekts liegt absolut untaugLICHERÏUNDÏDESHALBÏSTRAmOSERÏ6ERSUCHÏeÏÏ!BSÏÏ3T'" ÏVORÏnÏDIEÏ3TOCKente besitzt die Eigenschaft nicht, derentwegen die Strafbestimmung Diebstahl besteht.15 2. Das Losgehen auf die zwei Wachmänner: a) X könnte sich wegen versuchter Nötigung (§§ 15, 105 Abs 1 StGB) strafbar gemacht haben. Sein Ziel, die zwei Wachmänner zur Unterlassung der Anhaltung zu bewegen, erreicht er nicht. Der Erfolg der Nötigung tritt nicht ein. Deshalb ist Versuch zu prüfen. Seinen Tatentschluss, die Tatbildmerkmale des § 105 Abs 1 StGB mit Absicht zu verwirklichen, betätigt X durch eine Ausführungshandlung, er droht bereits gefährlich (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB), indem er den Wachmännern mit dem Küchenmesser in der Hand eine Körperverletzung in Aussicht stellt, so sie ihn nicht ziehen lassen. Diese Drohung ist geeignet, begründete Besorgnis einzumEN Ï8ÏVERMITTELTÏIHNENÏDENÏ%INDRUCK ÏERÏSEIÏINÏDERÏ,AGEÏUNDÏWILLENS Ï das angedrohte Übel auch auszuführen.16 Schwere Nötigung (§ 106 Abs 1 Z 1 StGB) liegt nicht vor, weil X nicht einmal konkludent eine Morddrohung ausstößt. b) X ist nicht durch Notwehr (§ 3 StGB) gerechtfertigt, er liefert den beiden Wachmännern hinreichende Gründe für den Verdacht, gerade einen Eingriff in fremdes Jagd- und Fischereirecht zu begehen, und begründet damit das Anhalterecht Privater (§ 80 Abs 2 StPO). Mangels Rechtswidrigkeit des Angriffs der zwei Wachmänner auf seine Freiheit liegt für X keine Notwehrsituation vor.
14 15 16
Fuchs AT I 14. Kap Rz 21ff und 45ff; K/H AT Z 16 Rz 4. Fuchs AT I 30. Kap Rz 26. B/S BT I § 105 Rz 10. 51
III. Scheil
3. Die Misshandlung des Polizisten: a) X könnte eine Körperverletzung (§ 83 Abs 2 StGB) begangen haben. X misshandelt P durch Schläge gegen die Rippen, weil er ihm Schmerzen zufügt,17 er behandelt P derart unangemessen, dass dessen körperliches 7OHLBElNDENÏ NICHTÏ UNERHEBLICHÏ BEINTRÇCHTIGTÏ IST,18 und verursacht dadurch eine Körperverletzung, die Rippenprellung, eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, die nicht ganz geringfügig ist, weil sie bei vielen Bewegungen, insbesondere beim „Lachen“, starke Schmerzen verursacht.19 Die Misshandlung, das Zufügen von Schmerzen, ist von Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) getragen, hinsichtlich der Verletzung genügt Fahrlässigkeit (§ 7 Abs 2 StGB), mit der X handelt, ist es doch sozialinadäquat, auf einen Menschen einzuprügeln. b) Die Tat ist als schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 2 Z 4 StGB) QUALIlZIERT ÏWEILÏSIEÏANÏEINEMÏ0OLIZISTEN ÏEINEMÏ"EAMTENÏeÏÏ!BSÏÏ:ÏÏ StGB), während der Amtshandlung, der Festnahme wegen des Verdachts des Eingriffs in ein fremdes Jagd- und Fischereirecht und der versuchten Nötigung (§ 171 Abs 2 Z 1 StPO), begangen wird. Hinsichtlich der Verwirklichung dieser Umstände handelt X mit Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB). 4. Die kurze Flucht vor den Polizisten: X macht sich wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs 1 1. Fall StGB) strafbar. Die Festnahme des unmittelbar nach der Tat glaubwürdig der Verwirklichung des Eingriffs in fremdes Jagd- und Fischereirecht und der versuchten Nötigung beschuldigten und des auf frischer Tat der schweren Körperverletzung betretenen X (§ 171 Abs 2 Z 1 StPO) ist eine Amtshandlung, die Polizisten üben als Hoheitsorgane Befehls- und Zwangsgewalt aus (§ 269 Abs 3 StGB). Polizisten sind Beamte.20 U gelingt es jedoch nicht, seine Festnahme zu vereiteln, durch die kurze Flucht verzögert er die Amtshandlung nur. Deshalb ist Versuch (§ 15 StGB) zu prüfen. U hat vollen Tatentschluss. Er hat die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), die Beamten an seiner Festnahme zu hindern. Diesen Tatentschluss betätigt er durch eine Ausführungshandlung, er wendet Gewalt gegen P an, indem er mit Schlägen gegen die Rippen erheblich auf dessen Körper einwirkt und ihm Schmerzen zufügt.21
17 18 19 20 21
52
B/S BT I § 83 Rz 9. K/Schr BT I § 83 Rz 65. B/S BT I § 83 Rz 1f; K/Schr BT I § 83 Rz 6. B/S BT II § 302 Rz 1. B/S BT II § 269 Rz 3.
Fall 3: „Gee Baby, Ain’t I Good to You?“
Ergebnis: X ist wegen versuchter Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 StGB, wegen schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 2, 84 Abs 2 Z 4 StGB und wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 1. Fall StGB zu bestrafen – §§ 83 Abs 2, 84 Abs 2 Z 4 StGB und § 269 Abs 1 1. Fall StGB konkurrieren echt miteinander.22
Fall 3: „Gee Baby, Ain’t I Good to You?“ Nach Mitternacht in einem „Beisl“ in Wien. Die „wilde W“ (Zuhälterin) will mit ihrer Lebensgefährtin L schmusen. L will nicht. W dazu: „Ihr war es peinlich vor den Leuten. Da hab ich ihr gesagt: ‚Geniere Dich nicht, da hast eine Watschen, dann wissen es alle, und jetzt schmusen wir! “, was dann auch geschieht. Der Streit wird im Auto fortgesetzt, L fährt mit Vollgas bei Rot über die Kreuzung. W dazu: „Sie kann sich alleine umbringen, aber nicht mich und meine französische Bulldogge!“ Dafür gibt es, nachdem L mit dem Auto stehen bleibt, „zwei oder drei Verkehrte“ (Variante DERÏ7ATSCHE ÏMITÏDERÏ2¿CKSEITEÏDERÏmACHENÏ(ANDÏAUSGEF¿HRT Ï,ÏTRÇGTÏ einen Bluterguss um das Auge davon. Und W wirft L’s Autoschlüssel samt Schlüsselbund in den frisch gefallenen Schnee. W dazu: „Eine halbe Stunde habe ich ihr suchen geholfen, dann bin ich nach Hause gegangen, weil mein Hund gefroren hat.“ L muss die Nacht bei minus 15 Grad in ihrem Auto verbringen, in ihre alte Wohnung kann sie nicht gehen, weil auch der Wohnungsschlüssel im Schnee liegt, und in die gemeinsame Wohnung zu W traut sie sich nicht. Am nächsten Tag erstattet L bei der Polizei Anzeige gegen W. „Wenn du eine Anzeige machst, werde ich dir in der Verhandlung den Schädel abschneiden!“, hatte W L noch vor dem Heimgehen gesagt. Nichts dergleichen passiert. Schon am nächsten Tag versöhnen sie sich wieder. L verzeiht W. Und W verzeiht L. Beurteilen Sie die Strafbarkeit von W und L!
Lösung 1. Erzwungenes Schmusen im Beisl: W könnte eine Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) begangen haben. Die Watsche ist eine Einwirkung auf den Körper, die Schmerzen bereitet, also 22
B/S BT II § 269 Rz 19. 53
III. Scheil
Gewalt.23 L muss sich dadurch wie von W gewollt verhalten, sie wird zu einer Handlung, zum Schmusen, oder zum Dulden, zum GeschehenLassen von Zärtlichkeiten, genötigt. Damit ist die Nötigung vollendet. W handelt absichtlich. 2. Das Überfahren der Ampel: L könnte eine Gefährdung der körperlichen Sicherheit (§ 89 StGB) verwirklicht haben. Das Überfahren einer roten Ampel macht einen Unfall außerordentlich wahrscheinlich und L handelt mit auffallender Sorglosigkeit.24 Besonders gefährliche Verhältnisse iSd § 81 Abs 1 Z 1 StGB liegen vor. Freilich verlangt § 89 StGB auch noch die „konkrete“ Gefährdung der W (oder eines Dritten). Sie läge dann vor, wenn ein verständiger Beobachter sagte: „Ein Wunder, wenn W (oder der Dritte) unverletzt bleibt.“25 Dies wäre etwa der Fall, wenn andere Fahrzeuge die Kreuzung gerade queren und wenn L sie nur knapp verfehlt. Im Sachverhalt gibt es keinen Hinweis auf einen Beinahe-Zusammenstoß, es ist nach Mitternacht, wahrscheinlich sind kaum noch Autos unterwegs. 3. Die zwei, drei Verkehrten: W begeht eine Körperverletzung (§ 83 Abs 2 StGB). Die Schläge ins Gesicht sind Misshandlungen, da sie der L Schmerzen bereiten.26 Bezüglich der Misshandlung handelt W absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB), Verletzungen hat sie wohl nicht in ihren Vorsatz aufgenommen, deshalb trifft § 83 Abs 1 StGB nicht zu. Durch die Schläge verursacht W eine Körperverletzung. Der Bluterguss stellt eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Integrität dar.27 Schläge ins Gesicht eines anderen sind sozial inadäquat, weil sie weh tun und leicht Verletzungen verursachen können. Dass es zu einem Bluterguss ums Auge als Folge von Schlägen ins Gesicht kommt, liegt nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung und ist für W vorhersehbar. Deshalb verursacht sie die Körperverletzung als Folge der Tat (§ 7 Abs 2 StGB) fahrlässig. 4. Das Werfen des Schlüsselbunds in den frisch gefallenen Schnee: a) Durch das Hinauswerfen des Schlüsselbunds könnte W eine dauernde Sachentziehung (§ 135 Abs 1 StGB) begangen haben. Die Schlüssel sind fremd, sie stehen im Eigentum der L. Da die Wiederbeschaffung 23 24 25 26 27
54
B/S BT I § 105 Rz 2, 5. B/S BT I § 81 Rz 2, 10. B/S BT I § 89 Rz 1. B/S BT I § 83 Rz 7f. B/S BT I § 83 Rz 1.
Fall 3: „Gee Baby, Ain’t I Good to You?“
mit Kosten verbunden ist, sind sie auch nicht wertlos.28 Sie haben einen nicht völlig unerheblichen Tauschwert.29 L hat die Schlüssel unmittelbar inne – sie stecken im Zündschloss ihres Autos, das sie fährt. W bricht die Gewahrsame, indem sie den Schlüsselbund aus dem Fenster wirft. Dadurch wird L am Vermögen geschädigt, da die Wiederbeschaffung der Schlüssel nicht kostenlos ist. W handelt hinsichtlich des Gewahrsamsbruchs absichtlich, dass die Schlüssel fremde Sachen sind, weiß sie. Überdies muss sich ihr erweiterter Vorsatz auf die dauernde Entziehung richten.30 Hält W es für MGLICHÏUNDÏlNDETÏSICHÏDAMITÏABÏ%VENTUALVORSATZ ÏeÏÏ!BSÏÏ3T'" ÏDASSÏ die Schlüssel im frisch gefallenen Schnee nicht mehr gefunden werden? Bei, was anzunehmen ist, weil eine halbstündige Suche erfolglos geblieben ist, hohem Schnee ist der Verlust recht wahrscheinlich. Da sie im Zeitpunkt der Tathandlung nicht auf das Finden des Schlüssels vertraut, HÇLTÏSIEÏDIEÏDAUERNDEÏ%NTZIEHUNGÏERNSTLICHÏF¿RÏMGLICHÏUNDÏlNDETÏSICHÏ damit auch ab. Die Rsp und hL betrachten das Merkmal „dauernd“ als Tatbildmerkmal. Sie fragen danach, ob das Wiedererlangen des Schlüsselbundes nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ernstlich in Frage gestellt ist.31 Auch das ist wegen des tiefen Schnees zu bejahen. b) Tätige Reue (§ 167 StGB) kommt W nicht zugute. Dazu müsste sie DENÏDELIKTSSPEZIlSCHENÏ3CHADENÏGUTMACHENÏeÏÏ!BSÏÏ3T'" 32 Bei der 3UCHEÏZUÏHELFEN ÏGEN¿GTÏNICHT Ï7ÏM¿SSTEÏDENÏ3CHL¿SSELÏTATSÇCHLICHÏlNDENÏ ODERÏ3CHADENERSATZÏLEISTENÏODERÏSICHÏDAZUÏVERPmICHTEN c) W hat das Delikt jedoch zum Nachteil der L begangen. Da L und W in (gleichgeschlechtlicher) Lebensgemeinschaft leben, sind sie wie Angehörige zu behandeln (§ 72 Abs 2 StGB). Die dauernde Sachentziehung ist wegen Begehung im Familienkreis (§ 166 StGB) privilegiert und W darf nur auf Verlangen der L (Privatanklage) verfolgt werden (§ 166 Abs 3 StGB). Durch das Verzeihen der Tat am nächsten Tag erlischt L’s Recht auf Privatanklage (§ 71 Abs 2 StPO).33 5. Die Unbenutzbarkeit des Autos: W könnte auch eine Sachbeschädigung (§ 125 StGB) verwirklicht haben. Das Auto ist unbrauchbar, weil es ohne Zündschlüssel nicht ge28 29 30 31 32 33
B/S BT I § 127 Rz 3. K/Schm StudB BT II § 127 Rz 19f. B/S BT I § 135 Rz 7. K/Schm StudB BT II § 135 Rz 30. B/S BT I § 167 Rz 6, 10. B/V Rz 166. 55
III. Scheil
fahren werden kann. Es ist jedoch auch beim Unbrauchbar-Machen die Einwirkung auf die Sache selbst notwendig, weshalb § 125 StGB nicht verwirklicht ist.34 6. Die Drohung mit dem „Schädel-Abschneiden“ für den Fall der Strafanzeige: W könnte versuchte Nötigung (§§ 15, 105 Abs 1 StGB) zu verantworten haben. Trotz der Drohung, ihr im Falle einer Anzeige „den Schädel abzuschneiden“, zeigt L W an. Der Nötigungserfolg – die Unterlassung der Strafanzeige – ist nicht eingetreten, das Tatbild also nicht erfüllt. Deshalb ist Versuch zu prüfen. W hat vollen Tatentschluss, es kommt ihr darauf an, L von der Strafanzeige abzuhalten.35 Die Drohung ist nicht wörtlich zu verstehen. W wird L nicht den „Schädel abschneiden“ wollen, aber man darf annehmen, dass eine Misshandlung oder eine Körperverletzung gemeint ist. In Anbetracht ihres gewalttätigen Wesens ist diese Drohung auch geeignet, begründete Besorgnis zu erregen und ernst genommen zu werden. Es handelt sich um eine gefährliche Drohung iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB.36 Durch das Aussprechen der Drohung betätigt W ihren Tatentschluss, damit setzt sie die tatbestandsmäßige Handlung des § 105 Abs 1 StGB, die Ausführungshandlung (§ 15 Abs 2 StGB) zum Versuch.37 Versuchte schwere Nötigung (§§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB) wegen Drohung mit dem Tod ist auszuschließen, weil das „Schädel-Abschneiden“ nicht wörtlich zu nehmen ist. 7. Das Übernachten im Auto bei minus 15 Grad Celsius: W begeht keine Aussetzung (§ 82 Abs 1 StGB). L schwebt weder in Lebensgefahr (in ihrem Auto ist sie trotz der niedrigen Außentemperatur RELATIVÏGUTÏGESCH¿TZT ÏNOCHÏISTÏSIEÏINÏEINERÏHILmOSENÏ,AGE ÏSIEÏKNNTEÏSICHÏ aus ihrer zugegeben misslichen Situation selbst befreien. In Wien einen WARMENÏ0LATZÏZUÏlNDEN ÏISTÏNICHTÏSCHWER38 Ergebnis: W ist wegen Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB und wegen teils versuchter, teils vollendeter Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 StGB zu bestrafen. L ist straffrei.
34 35 36 37 38
56
B/S BT I § 125 Rz 3. K/H AT Z 22 Rz 7. Vgl B/S BT I § 105 Rz 9ff. Fuchs AT I 29. Kap Rz 22. Vgl B/S BT I § 82 Rz 1.
Fall 4: „Straight No Chaser“
Fall 4: „Straight No Chaser“ 5 Ï5NTERNEHMERÏINÏlNANZIELLENÏ3CHWIERIGKEITEN ÏZ¿CKTÏINÏEINERÏ"ANKÏ ein Feuerzeug, das einer Pistole zum Verwechseln ähnelt, deutet damit auf das Geld hinter dem Schalter, lässt sich einen Plastiksack mit RUNDÏÏãÏANF¿LLENÏUNDÏSUCHTÏDASÏ7EITE Die Polizisten P1 und P2 entdecken ihn und sprechen seine Festnahme aus. U zückt wieder sein „Pistolenfeuerzeug“. P1 und P2 schießen ihn nieder. U kann trotz Treffer aufstehen, richtet sein „Pistolenfeuerzeug“ neuerlich auf P1 und P2 und wird von ihnen wieder niedergeschossen. U steht ein zweites Mal auf, zielt mit seinem „Pistolenfeuerzeug“ wieder auf P1 und P2 und auf den Polizisten P3, der als Verstärkung gerade dazugekommen ist, und wird ein drittes und letztes Mal niedergeschossen. Am Abend stirbt U. Von den mehr als 20 Schüssen auf U gehen die meisten fehl, die zwei Schüsse in den Brustkorb und in den Bauch aber, von denen laut Obduktionsbericht jeder tödlich gewesen ist, werden bei der letzten Schießerei abgegeben und stammen aus den Pistolen des P1 und P3. Es kann nicht festgestellt werden, welcher der beiden Schüsse den Tod zuerst verursacht hat. 1. Beurteilen Sie die Strafbarkeit des U (als er noch lebte)! 2. Und beurteilen Sie die Strafbarkeit der Polizisten P1 und P3 hinsichtlich der letzten Schießerei!
Lösung 1. Der Banküberfall: a) U könnte einen Raub (§ 142 Abs 1 StGB) begangen haben. Gegenstand des Raubes ist eine fremde bewegliche Sache in der Allein- oder Mitgewahrsame eines anderen, hier das Geld, das im Eigentum der Bank und in der Alleingewahrsame des Kassiers am Bankschalter steht. U nötigt dem Kassier das Geld ab, indem er ihn durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Herausgabe zwingt. Er vermittelt ihm durch Gesten mit seinem „Pistolenfeuerzeug“ den Eindruck, er sei in der Lage und willens, auf der Stelle auf ihn zu schießen und ihn so am Körper zu verletzen, ja zu töten, wenn er nicht unverzüglich das tut, was er von ihm will. Seine Gesten sind durchaus geeignet, dem Kassier im Hinblick auf die Wichtigkeit des angedrohten Übels begründete BeSORGNISÏEINZUmEN ÏDAÏERÏNICHTÏERKENNT ÏDASSÏESÏSICHÏBEIÏDEMÏu0ISTOLENfeuerzeug“ um einen harmlosen Gegenstand handelt.39 U handelt dies39
B/S BT I § 142 Rz 6. 57
III. Scheil
bezüglich mit Absicht (§ 5 Abs 2 StGB). Es kommt ihm auch darauf an, sich das Geld zuzueignen, er will es zum Tilgen von Schulden ausgeben (Zueignungsvorsatz) und sich dadurch unrechtmäßig bereichern, er will sein Vermögen durch Abbau von Passiva vermehren (Bereicherungsvorsatz), ohne ein Recht dazu zu haben. b) Schwerer Raub (§ 143 Satz 1 2. Fall StGB; bewaffneter Raub) liegt nicht vor, weil U nicht mit einer Waffe, sondern mit einer Waffenattrappe droht.40 Minderschwerer Raub (§ 142 Abs 2 StGB) scheidet allein desHALBÏAUS ÏWEILÏ5ÏKEINEÏ3ACHEÏMITÏGERINGEREMÏ7ERTÏALSÏÏã41 bzw nach 2SPÏUNDÏH,ÏGERINGEREMÏ7ERTÏALSÏÏãÏraubt.42 2. Der Widerstand gegen die Festnahme: Dabei könnte U einen versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs 1 1. Fall StGB) begangen haben. Die Festnahme des unmittelbar nach der Tat glaubwürdig des Raubs beschuldigten U (§ 171 Abs 2 StPO) ist eine Amtshandlung, die Polizisten üben als Hoheitsorgane Befehls- und Zwangsgewalt aus (§ 269 Abs 3 StGB). Polizisten sind auch Beamte (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB), die in der Verwaltung tätig sind.43 U gelingt es jedoch nicht, die Beamten an seiner Festnahme zu hindern, das Delikt ist nur versucht. U hat vollen Tatentschluss. Er hat die Absicht, die Beamten an seiner Festnahme zu hindern. Diesen Tatentschluss betätigt er durch eine Ausführungshandlung, durch eine gefährliche Drohung (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB). Er zieht das „Pistolenfeuerzeug“, richtet es auf die Polizisten und droht ihnen zumindest mit einer Körperverletzung. Auch diese Drohung ISTÏGEEIGNET ÏBEGR¿NDETEÏ"ESORGNISÏEINZUmEN ÏDIEÏ"EAMTENÏKNNENÏAUSÏ der Ferne das „Pistolenfeuerzeug“ nicht von einer echten Waffe unterscheiden und gewinnen so den Eindruck, U sei in der Lage und willens, das angedrohte Übel auszuführen.44 Auch hier handelt U absichtlich. U macht sich nach den §§ 15, 269 Abs 1 1. Fall StGB strafbar, wenn man annimmt, er drohe gar mit dem Tod, dann würde es sich um eine schwere Nötigung iSd § 106 Abs 1 Z 1 StGB handeln, U wäre dann nach den §§ 15, 269 Abs 1 2. Fall StGB zu bestrafen. 3. Die Strafbarkeit der Polizisten P1 und P3 hinsichtlich der letzten Schießerei: a) P1 und P3 könnten eine Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) und DIVERSEÏ1UALIlKATIONENÏeeÏÏ!BSÏ Ï!BSÏÏ:Ï ÏÏ3T'" ÏODERÏAUCHÏEINEÏ 40 41 42 43 44
58
B/S BT I § 143 Rz 2; K/Schm StudB BT II § 143 Rz 18. B/S BT I § 142 Rz 14. K/Schm StudB BT II § 142 Rz 101. B/S BT II § 302 Rz 1. B/S BT I § 105 Rz 10.
Fall 4: „Straight No Chaser“
absichtliche schwere Körperverletzung (§ 87 Abs 1, Abs 2 StGB) begangen haben. P1 und P3 treffen U in den Brustkorb und in den Bauch. Jeder verursacht, weil er die körperliche Integrität des U nicht unerheblich beeinträchtigt, eine Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB. Beide handeln absichtlich, weil es ihnen gerade darauf ankommt, U zu treffen und am Körper zu verletzen. b) Bei den Brustkorb- und Bauchverletzungen handelt es sich um „an sich schwere“ Körperverletzungen (§ 84 Abs 1 StGB), weil sie lebensgefährlich sind,45 weil wichtige Organe in einer Weise beeinträchtigt werden, dass damit wesentliche Funktionseinbußen verbunden sind, weil der Heilungsverlauf ungewiss ist und überdies die Gefahr von Komplikationen besteht.46 Diese besondere Folge der Tat führen sie fahrlässig herbei (§ 7 Abs 2 StGB), es ist sozial inadäquat und daher fahrlässig, auf Menschen zu schießen. Vielleicht handeln sie sogar mit Eventualvorsatz (§ 5 Abs 1 Satz 2 StGB). Bei dem Kugelhagel, mit dem P1 und P3 U eindecken, halten sie es ernstlich für möglich, dass sie U schwer verletzen, weil sie nicht darauf vertrauen, dass eine schwere Verletzung ausbleibt, UNDÏlNDENÏSICHÏDAMITÏAUCHÏAB47 Außerdem geschieht die Tat mit einem Mittel und auf eine Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist (§ 84 Abs 2 Z 1 StGB), P1 und P3 setzen ihre Dienstpistolen, weil sie U mit einem relativ ungezielten Kugelhagel eindecken und nicht einzelne Schüsse gezielt auf die Extremitäten abgeben, konkret lebensgefährlich ein.48 Polizisten wissen um die Lebensgefährlichkeit von Schüssen, die auf den Körper und nicht gezielt auf die Extremitäten eines Menschen abgefeuert werden (§ 5 Abs 3 StGB). Die Körperverletzungen führen zum Tod des U, P1 und P3 verwirklichen so auch eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 86 StGB). P1 und P3 handeln auch diesbezüglich fahrlässig, auf einen Menschen zu schießen ist objektiv sorgfaltswidrig. Jeder der Schüsse führt für sich zur tödlichen Verletzung und ist als hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung kausal für den Tod des U. Die Eliminationsmethode nach der Formel von der „conditio sine qua non“ führt hier zur Verneinung der Kausalität beider Handlungen: Wenn man den Schuss des P1 in den Brustkorb des U wegdenkt, würde der Erfolg in seiner konkreten Gestalt, der Tod des U zu einem bestimmten Zeitpunkt, nicht entfallen, deshalb wäre sein Tun nicht kausal für den Erfolg. Dasselbe gälte für P3 hinsichtlich des Schusses in den Bauch. Um dieses absurde Ergebnis zu 45 46 47 48
B/S BT I § 84 Rz 4f. K/Schr BT I § 84 Rz 12. Fuchs AT I 14. Kap Rz 53ff; K/H AT Z 15 Rz 11f, Z 27 Rz 22ff. B/S BT I § 84 Rz 8; K/Schr BT I § 84 Rz 58ff. 59
III. Scheil
vermeiden, wendet man die Eliminationsmethode im Fall der „Doppelkausalität“ (alternative Kausalität) – jede von mehreren für sich hinreichenden, aber jeweils nicht notwendigen Bedingungen ist kausal – nicht an, sondern die Formel von der „gesetzmäßigen Bedingung“,49 nach der sowohl der Schuss des P1 als auch der Schuss des P3 ursächlich für den Tod des U ist. P 1 und P 3 könnten sogar eine absichtliche schwere Körperverletzung (§ 87 Abs 1 StGB) begangen haben. Dazu muss es ihr Ziel sein, U lebensgefährlich zu verletzen oder eine Verletzung zuzufügen, die zu einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung führt (§ 84 Abs 1 StGB). Wenn sie aber, wie es Polizisten lernen, gezielt auf Beine und Arme feuern, um U außer Gefecht zu setzen, aber auch nicht gezielt auf seine Brust bzw seinen Bauch, dann fehlt es ihnen an der Absicht auf eine schwere Körperverletzung. Beide handeln hinsichtlich der schweren Körperverletzung nur mit Eventualvorsatz, jeder wird sich denken: „Wenn ich ihn in der Brust bzw im Bauch treffe, na wenn schon!“ Gerade auf eine schwere Verletzung ankommen wird es ihnen aber nicht.50 c) Für die Tat von P1 und P3 kommen mehrere Rechtfertigungsgründe in Frage: Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 5 SPG) dürfen in Ausübung ihres Dienstes, hier zur Erzwingung der Festnahme des U (§ 171 Abs 2 StPO), ihre Dienstwaffen gebrauchen (§ 2 Z 3 WaffGebrG). Der „lebensgefährdende“ Gebrauch einer Waffe, zB durch Schießen auf einen Menschen, ist zur Erzwingung der Festnahme wegen des Verbrechens Raub zulässig nur, wenn er unmittelbar vorher ausdrücklich und deutlich angedroht wird, zB durch einen Warnschuss (§ 8 Abs 1 WaffGebrG). P1 und P3 warnen U nicht, sie schießen sofort auf U und die Schüsse vor der dritten Schießerei sind auch keine Warnschüsse, weil U durch sie nicht in Aussicht gestellt wird, dass weitere folgen werden. Allein deshalb ist dieser Rechtfertigungsgrund nicht verwirklicht. Im Zeitpunkt der dritten Schießerei ist U schon zweimal niedergeschossen worden, der Angriff auf das Vermögen der Bank ist abgewehrt, WEILÏ5ÏWOHLÏNICHTÏMEHRÏINÏDERÏ,AGEÏIST ÏMITÏDERÏ"EUTEÏZUÏmIEHEN ÏDESHALBÏ liegt kein rechtswidriger Angriff auf Vermögen mehr vor, weshalb P1 und P 3 auch nicht mehr zur Nothilfe berechtigt sind. Der „lebensgefährdende“ Waffengebrauch „im Falle gerechter Notwehr“, wozu Nothilfe zählt (§ 3 Abs 1 Satz 1 StGB), wäre Organen des öffentlichen Sicherheits49 50
60
Fuchs AT I 13. Kap Rz 10, 14; K/H AT Z 10 Rz 12. K/H AT Z 15 Rz 11ff, Z 27 Rz 24.
Fall 4: „Straight No Chaser“
dienstes überdies nicht zur Verteidigung von Vermögenswerten erlaubt (argumentum e contrario aus § 7 Z 1 WaffGebrG).51 Und ein rechtswidriger Angriff auf das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des P1 und des P3, der den „lebensgefährdenden“ Waffengebrauch durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes rechtfertigte (§ 7 Z 1 WaffGebrG iVm § 3 Abs 1 StGB), liegt auch nicht vor, weil U nur mit seinem harmlosen „Pistolenfeuerzeug“ auf sie zielt. d) P1 und P3 irren jedoch darüber, dass eine Notwehrsituation vorliegt, dass U mit einer Pistole auf sie schießen wird. Die irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (§ 8 StGB) hat Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit zur Folge, wenn der Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht und wenn es ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt gibt (§ 8 Satz 2 StGB).52 Zumindest P1 handelt objektiv sorgfaltswidrig. Er ist schon in die ersten zwei Schießereien verwickelt, einem einsichtigen und besonnenen Menschen aus seinem Verkehrskreis, einem maßgerechten Polizisten also, würde auffallen, dass U aus seinem „Pistolenfeuerzeug“ keinen einzigen Schuss abgibt – es ist kein Knall zu hören, kein Mündungsfeuer und kein Rückstoß zu sehen. Anders hinsichtlich P3: Auch der maßgerechte Polizist, der wie P3 erst unmittelbar vor der dritten Schießerei am Tatort auftaucht und der die Vorgeschichte nicht kennt, würde an seiner Stelle eine Notwehrsituation annehmen, sein Irrtum beruht nicht auf Fahrlässigkeit, P3 macht sich nicht strafbar. P1 ist wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§§ 80, 81 Abs 1 Z 1 StGB) zu bestrafen, da er den Tod des U verursacht und da sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. Besonders gefährliche Verhältnisse iSd § 81 Abs 1 Z 1 StGB liegen deshalb vor, weil Schießen auf einen Menschen den Eintritt des Todes außerordentlich wahrscheinlich macht und weil P1 mit auffallender Sorglosigkeit handelt, er weiß sogar, dass auf einen Menschen zu schießen lebensgefährlich ist.53 e) P1 und P3 könnten sogar einen Mord (§ 75 StGB) begangen haben. Beide Schüsse sind kausal für den Tod des U, beide handeln aber nicht einmal mit Eventualvorsatz hinsichtlich seines Todes, sondern vertrauen auf sein Überleben. Die Hemmschwelle, jemanden zu töten, liegt idR sehr hoch. Konkrete Hinweise, dass sie auch dann geschossen hätten, wenn sie den Tod des U für gewiss gehalten hätten („erste Frank’sche Formel“),54 gibt es im Sachverhalt nicht. 51 52 53 54
Fuchs AT I 17. Kap Rz 48. Fuchs AT I 20. Kap Rz 6ff; K/H Z 19 Rz 8f. B/S BT I § 81 Rz 2ff, 10. B/S BT I § 75 Rz 6. 61
III. Scheil
Ergebnis: U wäre, so er noch lebte, wegen Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 1. Fall (bei Drohung mit dem Tod 2. Fall) StGB zu bestrafen – die auch verwirklichte (schwere) Nötigung wird wegen Spezialität des Widerstands gegen die Staatsgewalt ihr gegenüber verdrängt. P1 ist wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach den §§ 80, 81 Abs 1 Z 1 StGB zu bestrafen 0ÏISTÏSTRAmOS
Fall 5: „Ev’rybody’s Somebody’s Fool” Der „liebesbedürftige“ L ist wegen eines Rauschs nicht mehr dazu in der Lage, Geld vom Bankomaten abzuheben. Er gibt der Prostituierten P seine Bankomatkarte und nennt ihr den PIN-Code. P hebt NICHT ÏWIEÏVEREINBART ÏDENÏu,IEBESLOHNhÏVONÏÏã ÏSONDERNÏÏãÏABÏ und behält das Geld für sich. In der anschließenden „Liebesnacht“ nimmt P auch noch heimlich die Bankomatkarte aus der Geldtasche von L. Sie will damit eine Woche VONÏ3ONNTAGÏBISÏ3ONNTAG ÏLANGÏJEDENÏ4AGÏÏãÏVOMÏ"ANKOMATENÏ abheben, mehr erlaubt diese Karte pro Tag nicht. Um die Sperre der Karte so lange zu verhindern, wird L am nächsten Tag von einem „Herrn Huber“ angerufen, in Wahrheit von Z, dem Zuhälter der P. Er habe die Bankomatkarte gefunden, sie sei schon mit der Post unterwegs zu ihm. Dafür bedankt sich L beim „Herrn Huber“, also bei Z, und verschweigt ihm, dass er die Karte bereits sperren hat lassen. !LSÏ0ÏNOCHÏANÏDIESEMÏ4AGÏDIEÏERSTENÏÏãÏABHEBENÏWILL ÏWIRDÏDIEÏ Karte vom Bankomaten eingezogen und P mit Hilfe des dabei anGEFERTIGTENÏÍBERWACHUNGSVIDEOSÏIDENTIlZIERT Beurteilen Sie die Strafbarkeit der P und des Z!
Lösung 1. Das !BHEBENÏDERÏÏãÏVORÏDERÏu,IEBESNACHTh a) P könnte einen betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauch (§ 148a Abs 1 StGB) begangen haben. P veranlasst elektronisch durch das Eingeben von Daten, und zwar des PIN-Codes und des Geldbetrags, und durch Bestätigung des Betrags über die als Liebeslohn vereinbarten Ï ãÏ HINAUSÏ DURCHÏ ZWEIMALIGESÏ $R¿CKENÏ DERÏ "ESTÇTIGUNGSTASTEÏ WIDERrechtlich eine Abbuchung vom Konto des L und schädigt ihn dadurch 62
Fall 5: „Ev’rybody’s Somebody’s Fool”
INÏSEINEMÏ6ERMGENÏUMÏÏã ÏWEILÏERÏF¿RÏDIESENÏ'ELDBETRAGÏKEINEÏ'Egenleistung erhält. Auf der inneren Tatseite handelt sie hinsichtlich aller Tatbildmerkmale absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB). Es kommt ihr auch darauf AN ÏIHRÏ6ERMGENÏUMÏÏãÏZUÏVERMEHREN ÏAUFÏDIEÏSIEÏKEINÏ2ECHTÏHAT ÏSIEÏ will sich um diesen Betrag unrechtmäßig bereichern.55 Nach Meinung der Rsp begeht P einen Diebstahl an den Geldscheinen der Bank.56 Die Gewahrsame der Bank wird aber nicht gegen einen entgegenstehenden Willen gebrochen, die Geldscheine werden dem bisherigen Gewahrsamsträger also nicht „weggenommen“, sondern mit ihrem Einverständnis „herausgegeben“. b) P begeht keine Veruntreuung (§ 133 Abs 1 StGB), ihr ist nur die Bankomatkarte, nicht aber das Bankguthaben (zB durch Überweisung im Rahmen eines Auftragsverhältnisses) anvertraut.57 c) Sie begeht auch keine Untreue (§ 153 Abs 1 StGB), weil sie keine Vollmacht hat, als Vertreter des L über sein Konto zu verfügen, sondern nur den Auftrag, für ihn Geld abzuheben.58 2. Das Entfernen der Bankomatkarte aus der Geldtasche: a) Zunächst ist die Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (§ 241e Abs 1 Satz 1 StGB) zu prüfen. 'EMÇÏDERÏ$ElNITIONÏINÏeÏÏ!BSÏÏ:ÏÏ3T'"ÏHANDELTÏESÏSICHÏBEIÏDERÏ Bankomatkarte um ein unbares Zahlungsmittel.59 Als Tathandlung verlangt § 241e Abs 1 StGB, dass sich der Täter das unbare Zahlungsmittel verschafft. Durch den heimlichen Griff in die Geldtasche bricht die P die Gewahrsame des L an der Karte, begründet eigene durch Einstecken der Karte und verschafft sich durch diese Wegnahme das Zahlungsmittel.60 Der Täter muss zum Zeitpunkt der Tathandlung Bereicherungsvorsatz haben.61 Diesen Vorsatz hat P, da sie plant, mit der Karte am Bankomaten Geld abzuheben und dadurch ihr Vermögen zu vermehren. P handelt absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB). b) Die „bloße“ Entfremdung nach § 241e Abs 3 StGB ist ebenfalls zu prüfen. Bei einer Entfremdung mit dem erweiterten Vorsatz nach § 241e Abs 1 Satz 1 StGB geht die Unterdrückung nach § 241e Abs 3 StGB regel55 56 57 58 59 60 61
B/S BT I § 148a Rz 3. RZ 1997/50; JBl 1992, 605. B/S BT I § 133 Rz 10. B/S BT I § 153 Rz 1ff. B/S BT II § 241a Rz 2f. K/Schm StudB BT III § 241e Rz 11f. B/S BT II § 241e Rz 4. 63
III. Scheil
mäßig einher. Dies schließt P auch in ihren Vorsatz ein. Sie hat zumindest das Begleitwissen, dass L die Karte nicht mehr im Rechtsverkehr benutzen kann.62 Die Anwendung des § 241e Abs 1 Satz 1 StGB konsumiert aber die typische Begleittat nach § 241e Abs 3 StGB. c) Diebstahl (§ 127 StGB) scheidet aus, weil P die Karte nur vorübergehend gebrauchen und dann wegwerfen (oder L wieder zukommen lassen) will, sie will die Karte zB nicht für immer behalten (Zueignungsvorsatz) und ihr Vermögen dadurch unrechtmäßig vermehren (Bereicherungsvorsatz),63 sie will das eigene Vermögen nicht um den wirtschaftlichen Wert der Karte unrechtmäßig vermehren.64 Ihr fehlen der Zueignungs- und der Bereicherungsvorsatz. Die Rsp verneint mangels Tauschwerts der Bankomatkarte auch Diebstahl.65 d) Die Urkundenunterdrückung nach § 229 StGB kommt nicht zur Anwendung. Die Unterdrückung eines unbaren Zahlungsmittels ist exklusiv nach § 241e Abs 3 StGB strafbar.66 Dieses Delikt tritt aber hinter § 241e Abs 1 Satz 1 StGB zurück (s oben). e) Dauernde Sachentziehung (§ 135 StGB) ist ebenfalls auszuschließen. Diese Bestimmung kommt zur Anwendung, wenn etwa ein Wertträger („quick-chip“) ohne Bereicherungsvorsatz weggenommen wird. Für unbare Zahlungsmittel, die keine Wertträger sind, kommt exklusiv § 241e Abs 3 StGB zur Anwendung. Dies gilt auch, wenn die Karte mit einem „quick-chip“ versehen ist.67 3. DasÏMISSGL¿CKTEÏ!BHEBENÏDERÏERSTENÏÏãÏnach der „Liebesnacht“ – Strafbarkeit der P: a) P könnte sich wegen versuchten betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs (§§ 15, 148a Abs 1 StGB) strafbar gemacht haben. Bezüglich der äußeren Tatseite des § 148a Abs 1 StGB gilt das oben unter 1.a) Gesagte, allerdings tritt hier der Erfolg nicht ein, der VermögensschaDENÏINÏ(HEÏVONÏÏãÏ0ÏHANDELTÏMITÏVOLLEMÏ4ATENTSCHLUSS ÏIHRÏKOMMTÏ es darauf an (§ 5 Abs 2 StGB), alle Tatbildmerkmale zu verwirklichen, und durch das Eingeben der Daten (PIN-Code, Geldbetrag, Bestätigung) betätigt sie ihren Tatentschluss durch eine Ausführungshandlung. 62 63 64 65 66 67
64
B/S BT II § 241e Rz 12. B/S BT I § 127 Rz 18ff. K/Schm StudB BT II § 127 Rz 143ff. RZ 1997/50; K/Schm StudB BT II § 127 Rz 19f. B/S BT II § 241e Rz 13, § 229 Rz 6. B/S BT II § 241e Rz 13.
Fall 5: „Ev’rybody’s Somebody’s Fool”
Der Versuch ist untauglich, weil die Karte gesperrt ist, es ist nicht mehr möglich, mit ihr Geld abzuheben. Der Versuch ist nur relativ, aber nicht absolut untauglich (§ 15 Abs 3 StGB) und deshalb strafbar, weil § 148a Abs 1 StGB beliebige Mittel und beliebige Handlungen zulässt und weil das verwendete Mittel, die Bankomatkarte, und die Handlung, die Eingabe der Daten in den Bankomaten, dann auf ihre Gefährlichkeit ex ante zu beurteilen sind.68 Für einen mit Durchschnittswissen ausgestatteten begleitenden Beobachter, der den Tatplan der P kennt und der die Erfolgsaussichten ex ante aus Sicht der P beurteilt, kann die Eingabe der Daten unter Verwendung dieser Karte zum Erfolg führen, zur (ERAUSGABEÏDERÏÏã ÏDIEÏ+ARTENSPERREÏISTÏNICHTÏERKENNBARÏUNDÏBEREITSÏ einen Tag nach dem Verlust auch nicht zwingend anzunehmen.69 Strafaufhebender Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) liegt nicht vor. Als ersten Schritt verlangt der Rücktritt die endgültige Aufgabe der Ausführung der Tat. „Aufgeben“ kann man nach dem Wortsinn ein Verhalten nur dann, wenn man es noch fortführen kann oder fortführen zu können glaubt. In dem Zeitpunkt, in dem der Bankomat die Karte einzieht und auf dem Bildschirm den Abbruch der Aktion ankündigt, nimmt P zur Kenntnis, dass sie ihr Ziel, nämlich Geld abzuheben, nicht mehr erreichen kann. Beim „fehlgeschlagenen Versuch“ ist der strafaufHEBENDEÏ2¿CKTRITTÏMANGELSÏ!UFGABEÏDERÏ4ATAUSF¿HRUNGÏBEGRIFmICHÏAUSGEschlossen,70 die Freiwilligkeit als weiteres Merkmal des Rücktritts braucht gar nicht mehr geprüft zu werden. b)Ï 0Ï WILLÏ DURCHÏ ACHTÏ :UGRIFFEÏ INSGESAMTÏ Ï ãÏ ERBEUTEN Ï IHRÏ 6ORSATZÏ erstreckt sich auf die Verwirklichung des § 148a Abs 2 1. Fall StGB, auf DIEÏ(ERBEIF¿HRUNGÏEINESÏÏãÏ¿BERSTEIGENDENÏ3CHADENSÏ$IEÏACHTÏ4Athandlungen richten sich gegen dasselbe Rechtsgut, liegen zeitlich eng beieinander – eine Woche lang jeden Tag ein Zugriff – die Begehungsweise ist gleichartig – jedes Mal will sie auf dieselbe Weise Geld abheben –, und die Tathandlungen sind von einem einheitlichen Vorsatz, einem Gesamtvorsatz, getragen, der sich von vornherein auf eine ziffernmäßig bestimmte Summe bezieht. Es handelt sich dabei um ein fortgesetztes Delikt,71 mit dem ersten Teilakt (§ 15 Abs 2 StGB) ist bereits das gesamte fortgesetzte Delikt versucht (strittig).72 P macht sich nach den §§ 15, 148a !BSÏ ÏÏÏ3TRAFSATZÏ3T'"ÏSTRAFBAR ÏDAÏEINEÏECHTEÏ$ELIKTSQUALIlKATIONÏWIEÏ diese im Versuch begangen werden kann.73 Fuchs AT I 30. Kap Rz 18f, 28ff. K/H AT Z 24 Rz 10ff. 70 Fuchs AT I 31. Kap Rz22 ff; K/H AT Z 23 Rz 20f. 71 K/H AT E 8 Rz 58ff. 72 Schmoller, Bedeutung und Grenzen des fortgesetzten Delikts 56f; aM Venier, Der Fortsetzungszusammenhang im österreichischen Strafrecht 9f. 73 Fuchs AT I 28. Kap Rz 20. 68 69
65
III. Scheil
Nach der Rsp handelt es sich um einen versuchten schweren Diebstahl an den Geldscheinen der Bank (§§ 15, 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB). c) Konkurrenz: P hat durch die Wegnahme der Karte (mit Bereicherungsvorsatz) den Tatbestand des § 241e Abs 1 Satz 1 StGB verwirklicht. Ebenfalls hat sie sich nach den §§ 15, 148a Abs 1, 2 1. Strafsatz StGB strafbar gemacht. Es stellt sich die Frage, ob diese Delikte zum Schein oder echt konkurrieren.74 P hat die Bankomatkarte an sich genommen, um sich durch deren missbräuchliche Verwendung zu bereichern und L an seinem Vermögen zu schädigen. Dieser Bereicherungsvorsatz muss gegeben sein, um sich nach § 241e Abs 1 Satz 1 StGB strafbar zu machen. Der später begangene betrügerische Datenverarbeitungsmissbrauch oder zumindest der Versuch ist regelmäßige Folge einer Entfremdung unbarer Zahlungsmittel und wird daher von § 241e Abs 1 Satz 1 StGB umfasst.75 Hier handelt P ALLERDINGSÏQUALIlZIERTÏNACHÏeÏAÏ!BSÏÏÏ3TRAFSATZÏ3T'" ÏDAÏSIEÏBEABSICHTIGT ÏEINENÏÏãÏ¿BERSTEIGENDENÏ"ETRAGÏZUÏERLANGENÏ)NÏDIESEMÏ&ALLÏ kann nicht mehr von einer typischen Folge der Entfremdung gesprochen WERDENÏ6IELMEHRÏISTÏDASÏ3ICH 6ERSCHAFFENÏEINEÏSTRAmOSEÏ6ORTATÏUNDÏTRITTÏ hinter die Anwendung des Strafsatzes nach § 148a Abs 2 StGB zurück.76 4. Der Beitrag des Z: a) Ein Beitrag des Z zur Entfremdung unbarer Zahlungsmittel ist nicht möglich, da dieser bereits mit der vollendeten Wegnahme der Bankomatkarte abgeschlossen ist. Zu diesem Zeitpunkt war Z noch nicht in das Geschehen eingebunden. b) Z könnte sich wegen sonstigen Tatbeitrags zum betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauch strafbar gemacht haben. Durch seinen Anruf bei L will er die acht Zugriffe auf dessen Konto durch P ermöglichen, L soll die Sperre der Bankomatkarte eine Woche lang unterlassen. Dieser physische Beitrag wird aber nicht wirksam, weil L die Karte schon vor dem Anruf hat sperren lassen. Anders als der Versuch der Bestimmung und der Versuch der unmittelbaren Täterschaft ist der Versuch des sonstigen Tatbeitrags nicht strafbar (§ 15 Abs 2 StGB).77 Wenn Z sich mit P berät und sie in ihrem bereits gefassten Tatentschluss bestärkt, das Konto des L zu plündern, insbesondere wenn er sie darin bestärkt, die Bankomatkarte eine Woche lang zu verwenden, weil er durch seinen Anruf bei L die Sperre der Karte hinauszögern wird, 74 75 76 77
66
K/H E 8 Rz 11ff. B/S BT II § 241e Rz 8. B/S BT I § 148a Rz 7. Fuchs AT I 34. Kap Rz 38f; K/H AT E 6 Rz 35f.
Fall 6: „Stomping At The Savoy“
dann ist er kausal geworden dafür, dass P die Tat ausführt, dann fördert er ihre Tatausführung (psychischer Tatbeitrag).78 Z handelt auch mit dem 6ORSATZ ÏÏãÏZUÏERBEUTENÏ%RÏISTÏFREILICHÏNURÏWEGENÏsonstigen Tatbeitrags zum Versuch des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs (§§ 15, 12 3. Fall, 148a Abs 1, 2 1. Strafsatz StGB) zu bestrafen, weil P als unmittelbare Täterin im Versuchsstadium stecken bleibt.79 Nach der Rsp handelt es sich hier um sonstigen Tatbeitrag zum Versuch des schweren Diebstahls an den Geldscheinen der Bank (§§ 15, 12 3. Fall, 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB). Ergebnis: P ist wegen teils versuchten, teils vollendeten betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach den §§ 15, 148a Abs 1, 2 1. Strafsatz StGB zu bestrafen. § 241e Abs 1 Satz 1 StGB tritt zurück (Rsp: wegen teils versuchten und teils vollendeten Diebstahls nach den §§ 15, 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB und wegen Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 Satz 1 StGB).80 Z ist wegen sonstigen Tatbeitrags zum Versuch des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach den §§ 15, 12 3. Fall, 148a Abs 1, 2 1. Strafsatz StGB (Rsp: wegen sonstigen Tatbeitrags zum Versuch des Diebstahls nach den §§ 15, 12. 3.Fall, 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB) zu bestrafen.
Fall 6: „Stomping At The Savoy“ A, der in einer Bank arbeitet, die „Clubbings“ (Tanzfeste) zu veranSTALTENÏPmEGT ÏNIMMTÏVONÏDORTÏEINENÏ3TOÏ"LANKOFORMULAREÏMITÏNACHÏ Hause und macht aus ihnen mit Hilfe seines Computers und Drukkers Eintrittskarten für das inzwischen legendäre „Stomping At The 3AVOYhÏÏ+ARTENÏSETZTÏERÏABÏÏãÏW¿RDEÏEINEÏECHTEÏ%INTRITTSKARTEÏ F¿RÏDIESESÏu#LUBBINGhÏKOSTEN ÏVONÏ!ÏBEKOMMTÏMANÏSIEÏUMÏÏãÏ.ICHTÏ allen Käufern gelingt der Eintritt, weil der Veranstalter Wind davon bekommt und einige Fälschungen beim Eintritt entdeckt. Beurteilen Sie die Strafbarkeit des A!
78 79 80
Fuchs AT I 33. Kap Rz 54; K/H AT E 5 Rz 11. Fuchs AT I 34. Kap Rz 27; K/H AT E 6 Rz 37f. K/Schm StudB BT III § 241e Rz 42f. 67
III. Scheil
Lösung 1. Das Nach-Hause-Nehmen der Blankoformulare: a) A könnte einen Diebstahl (§ 127 StGB) an den Blankoformularen begangen haben. Eintrittskarten für ein von einer Bank veranstaltetes „Clubbing“ müssen etwas „hermachen“, das sind keine Billigdrucke auf schäbigem Papier wie für ein „Festl“ der alternativen Szene, vielleicht sind sie sogar mit einem „Hologramm“ versehen, um Fälschungen zumindest zu erschweren. Solche Blankoformulare sind nicht so wertlos, dass sich die Bank ohne nennenswerten Aufwand Ersatz verschaffen kann (Wiederbeschaffungswert).81 Die Formulare sind auch fremd, weil sie im Eigentum der Bank stehen, und A nimmt sie weg, sobald er sie aus der Gewahrsame desjenigen in der Bank entzieht, der sie verwahrt, und eigene Gewahrsame daran begründet, zB durch Verstauen in seiner Aktentasche, spätestens aber mit Verlassen des Bankgebäudes.82 Diesbezüglich handelt A absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB). Es kommt A auch darauf an, sich durch Zueignung der Formulare – er will sie verbrauchen zum $RUCKÏDERÏ&ALSIlKATEÏnÏUNRECHTMÇIGÏZUÏBEREICHERNÏnÏERÏWILLÏSEINÏ6ERmögen, ohne eine Recht darauf zu haben, vermehren, indem er sich Ausgaben für solche Formulare spart.83 Nach Rsp und hL sind solche Blankoformulare84 dann keine tauglichen Objekte eines Diebstahls, wenn sie schon mit dem Namen der Bank etc bedruckt sind, weil sie dann nicht mehr verkauft werden können und deshalb gar keinen Tauschwert haben. b) A könnte auch eine Veruntreuung (§ 133 Abs 1 StGB) verwirklicht haben. Dazu müssten ihm die Blankoformulare anvertraut sein. Er müsste sie in seine Alleingewahrsame übernehmen und sich dem ÍBERGEBER ÏSEINEMÏ6ORGESETZTENÏZ" ÏVERPmICHTEN ÏSIEÏZURÏ%RF¿LLUNGÏEINESÏ Auftrags zu verwenden, zB selbst Eintrittskarten für ein „Clubbing“ in der Bank zu drucken oder sie auf Anforderung einem anderen zum Druck herauszugeben.85 Die Formulare sind körperliche Gegenstände und sie haben auch, wie zum Diebstahl ausgeführt, einen Wiederbeschaffungswert.86 Tathandlung der Veruntreuung ist die Zueignung des Tatobjekts, A verbraucht die Formulare, indem er sie bedruckt, dadurch eignet er sie sich zu und vollendet das Delikt.87 Hinsichtlich der Verwirklichung des Tatbilds handelt A absichtlich. Auch der erweiterte Vorsatz liegt in Form 81 82 83 84 85 86 87
68
B/S BT I § 127 Rz 3. B/S BT I § 127 Rz 13ff. B/S BT I § 127 Rz 20ff. Für Scheckformulare OGH SSt 56/32, LSK 1977/98; K/Schr BT I § 127 Rz 27. B/S BT I § 133 Rz 3ff. B/S BT I § 133 Rz 1f. B/S BT I § 133 Rz 11.
Fall 6: „Stomping At The Savoy“
der Absicht vor, die Vermehrung seines Vermögens durch Sparen der Auslagen für solche Formulare ist sein Ziel. Nach Rsp und hL sind solche Blankoformulare mangels Tauschwerts auch keine tauglichen Objekte für eine Veruntreuung,88 s oben a). Ich gehe davon aus, dass die Formulare A nicht anvertraut waren, dass er sie also gestohlen hat. 2. Der Druck der Eintrittskarten: a) A könnte eine Urkundenfälschung (§ 223 Abs 1 1. Fall StGB) begangen haben. Die Eintrittskarte für das „Clubbing“ enthält eine schriftliche, mit dem menschlichen Auge lesbare Gedankenerklärung des Inhalts, dass der Inhaber der Karte zum Eintritt zum „Clubbing“ berechtigt ist. Die Eintrittskarte wird auch errichtet, um die Berechtigung zum Eintritt zu beweisen, sie ist eine Absichtsurkunde. Auch der „geistige Urheber“ der Eintrittskarte, der Aussteller, scheint auf, hier die Bank (§ 74 Abs 1 Z 7 StGB).89 A stellt eine falsche90 (unechte)91 Urkunde her, weil er ein Blankett mit einer Erklärung versieht, die vom Willen des Ausstellers nicht gedeckt ist – die Organe der Bank wissen von seinem „Nebengeschäft“ nichts und sind damit auch nicht einverstanden. Durch das Ausfüllen des Blankoformulars, auf das der Namen des Ausstellers schon gedruckt ist, durch Beschriften des Formulars mit dem Namen des Fests und des Orts, WO Ï UNDÏ DEMÏ $ATUM Ï WANNÏ DASÏ u#LUBBINGhÏ STATTlNDET Ï VIELLEICHTÏ AUCHÏ durch Bedrucken mit dem Eintrittspreis für dieses „Clubbing“ entsteht die Urkunde erst (Blankettfälschung). A handelt absichtlich, insbesondere hinsichtlich der Täuschung über den Aussteller. Er handelt auch mit dem erweiterten Vorsatz, dass all die falschen Eintrittskarten im Rechtsverkehr zum Beweis des Eintrittsrechts gebraucht werden. b) A bewirkt auch, dass die falschen Eintrittskarten von den Käufern beim Eintritt zum „Clubbing“ vorgewiesen werden, dass sie der zu täuschenden Person,92 dem Beweisadressaten,93 zugänglich gemacht, also gebraucht werden (§ 223 Abs 2 StGB). A ist nicht unmittelbarer Täter, weil nicht er die dem Wortlaut des Tatbestands entsprechende Ausführungshandlung vornimmt. Aber er erweckt vorsätzlich durch den Verkauf der falschen Eintrittskarten in den ahnungs-, deshalb vorsatz- und straflosen Käufern den Handlungsentschluss, die falschen Eintrittskarten zum Eintritt zum „Clubbing“ zu gebrauchen und so die Tat auszuführen, und 88 89 90 91 92 93
K/Schr BT I § 133 Rz 14. B/S BT II § 223 Rz 2ff. B/S BT II § 223 Rz 10. K/Schm StudB BT III § 223 Rz 29. B/S BT II § 223 Rz 20. K/Schm StudB BT III § 223 Rz 46. 69
III. Scheil
verwirklicht so, weil er auch vorsätzlich, und zwar mit Absicht handelt, als Bestimmungstäter den Tatbestand der Urkundenfälschung (§§ 12 2. Fall, 223 Abs 2 StGB).94 3. Der Verkauf der Eintrittskarten: a) A könnte einen Betrug (§ 146 StGB) an den Käufern begangen haben. Er erregt in ihnen durch Fordern des Kaufpreises, also durch schlüssiges Verhalten einen Irrtum darüber, dass die Karten falsch sind und deshalb nicht zum Eintritt berechtigen, veranlasst sie dadurch zum Kauf der FalSIlKATEÏUNDÏSCHÇDIGTÏSIEÏJEWEILSÏUMÏÏãÏANÏIHREMÏ6ERMGEN ÏWEILÏIHren Aufwendungen eine unverwertbare Gegenleistung gegenübersteht.95 Dass einem Teil der Käufer der Eintritt gelingen wird, ändert an der Wertlosigkeit der Karten und damit am Vermögensschaden nichts. A handelt auch mit dem erforderlichen Tatvorsatz, er täuscht absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) und weiß (§ 5 Abs 3 StGB), dass die Käufer einen Schaden von JEWEILSÏÏãÏERLEIDENÏ5NDÏESÏKOMMTÏIHMÏDARAUFÏAN ÏSEINÏ6ERMGENÏUMÏ JEWEILSÏÏãÏZUÏVERMEHREN ÏOHNEÏEINÏ2ECHTÏDARAUFÏZUÏHABEN b) A hat auch einen schweren Betrug (§ 147 Abs 2 StGB) verwirklicht. Da die Höhe seiner Strafdrohung von einem „ziffernmäßig“ bestimmten Betrag abhängt, den die Handlung verursacht hat – der Schaden muss ÏãÏ¿BERSTEIGENÏn ÏISTÏDIEÏ3UMMEÏDERÏ3CHADENSBETRÇGEÏÏã ÏMAgebend, weil A mehrere Betrügereien begeht, das sind mehrere Taten derselben Art (Zusammenrechnungsprinzip, § 29 StGB). c) A verwirklicht nicht einen schweren Betrug unter Verwendung einer Urkunde (§ 147 Abs 1 Z 1 StGB), weil er zwar eine unwahre Behauptung über die Echtheit der Urkunde Eintrittskarte aufstellt, die falsche Urkunde aber nicht zum Beweis seiner Behauptung verwendet.96 d) A erweckt in den ahnungslosen Käufern durch den Verkauf der Karten auch den Entschluss, das „Clubbing“ zu besuchen. Sie sollen sie beim Eintritt vorweisen und so durch Täuschung über die Tatsache, kein Recht auf den Eintritt zu haben, den Zutritt zu der Veranstaltung erschleichen, ohne das festgesetzte Entgelt zu entrichten. Das Entgelt, das sich DIEÏ"ESUCHERÏERSPAREN ÏISTÏMITÏÏãÏPROÏ%INTRITTÏGERING ÏWEILÏESÏDENÏ7ERTÏ VONÏÏãÏNICHTÏ¿BERSTEIGTÏUNDÏWEILÏDERÏ6ERLUSTÏDENÏ6ERANSTALTERÏ"ANKÏ nicht schwer trifft.97 Eine Zusammenrechnung der Entgelte – A hat 450 falsche Eintrittskarten abgesetzt, damit könnten Eintrittsgelder in Höhe 94 95 96 97
70
Fuchs AT I 33. Kap Rz 5, 27; K/H AT E 4 Rz 22ff. K/Schm StudB BT II § 146 Rz 146f; Lewisch BT I 235. K/Schm StudB BT II § 147 Rz 23. K/Schm StudB BT II § 141 Rz 17f.
Fall 7: „Misterioso“
VONÏÏãÏGESPARTÏWERDEN ÏEINÏ"ETRAG ÏDERÏNICHTÏMEHRÏuGERINGhÏWÇREÏ nÏlNDETÏHIERÏNICHTÏSTATT ÏWEILÏeÏÏ3T'"ÏDIEÏ:USAMMENRECHNUNGÏNURÏANordnet, wenn der deliktsrelevante Betrag „ziffernmäßig“ bestimmt ist, was auf den Begriff „geringes Entgelt“ nicht zutrifft. A macht sich wegen Bestimmung zur (zum Versuch der) Erschleichung einer Leistung nach den §§ (15 Abs 1), 12 2. Fall, 149 Abs 1 StGB strafbar – wegen Bestimmung zum Versuch in den Fällen, in denen den Käufern seiner &ALSIlKATEÏ DERÏ %INTRITTÏ ZUMÏ u#LUBBINGhÏ VERWEHRTÏ WIRD Ï INÏ DENENÏ SIEÏ IMÏ Versuch stecken bleiben.98 Ergebnis: A macht sich strafbar wegen Diebstahls nach § 127 StGB, wegen schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 2 StGB und wegen Bestimmung zur (zum Versuch der) Erschleichung einer Leistung nach den §§ (15 Abs 1), 12 2. Fall, 149 Abs 1 StGB. Nicht bestraft werden darf er wegen der Urkundenfälschung, sie konkurriert nur zum Schein. Die Herstellung der falschen Urkunde (§ 223 Abs 1 1. Fall StGB) tritt wegen stillschweigender (materieller) Subsidiarität99 hinter den Gebrauch der falschen Urkunde (§ 223 Abs 2 StGB) zurück. Die lex specialis schwerer Betrug unter Verwendung einer Urkunde (§§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB) würde den Gebrauch der falschen Urkunde (§ 223 Abs 2 StGB) verdrängen (Spezialität) – würde deshalb, weil sie tatsächlich nicht verwirklicht worden ist. Da aber die lex specialis Erschleichung einer Leistung (§ 149 Abs 1 StGB) das Grunddelikt "ETRUGÏeÏÏ3T'" ÏSAMTÏALLÏSEINENÏ1UALIlKATIONENÏVERDRÇNGTÏWIEDERÏ Spezialität), den schweren Betrug unter Verwendung einer Urkunde inbegriffen, kommt die Urkundenfälschung (§ 223 Abs 1 1. Fall und Abs 2 StGB) nicht zur Anwendung.100
Fall 7: „Misterioso“ Der Tiroler T kauft in Holland fünf Kilogramm Haschisch, bringt es nach Österreich und wird wegen Einfuhr von Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs 2 SMG) verurteilt. Von wem er das Haschisch in Holland gekauft hat, sagt T nicht. Der Verdacht fällt auf den Holländer L, der die Haschischlieferung an T bestreitet und zum Beweis dafür in der Hauptverhandlung in Innsbruck eine vor einem Notar in Holland abgegebene schriftliche Fuchs AT I 34. Kap Rz 8, 23; K/H AT E 6 Rz 18ff. K/Schm StudB BT III § 223 Rz 70. 100 K/Schm StudB BT II § 149. 98 99
71
III. Scheil
Erklärung des Holländers X vorlegt, laut der X der Verkäufer des Haschischs ist. L wird freigesprochen. X bestreitet, als ihm in Innsbruck der Prozess gemacht wird, die Richtigkeit seiner Erklärung vor dem Notar in Holland: „Der Vater von L lag damals im Sterben. L wollte ihn noch einmal sehen und hat mich gebeten, diese Erklärung abzugeben.“ X legt eine schriftliche Erklärung von seinem, wie sich erst jetzt herausstellt, Cousin L vor, in der L zugibt, doch der Lieferant des Haschischs gewesen zu sein. Prüfen Sie die Strafbarkeit von L und X!
Lösung 1. Der Verkauf des Haschischs in Holland an T: L ermöglicht durch den Verkauf der fünf Kilogramm Haschisch an T die Einfuhr dieser großen Menge Suchtgifts nach Österreich. L weiß (§ 5 Abs 3 StGB), dass das Haschisch für Österreich bestimmt ist, und macht sich wegen sonstigen Tatbeitrags zur Einfuhr von Suchtgift in einer großen Menge (§ 12 3. Fall StGB, § 28 Abs 2 SMG) strafbar. Auf diese in Holland begangene Straftat nach dem SMG ist österreichisches Strafrecht anzuwenden, weil wegen des Imports des Rauschgifts nach Österreich österreichische Interessen verletzt werden (§ 64 Abs 1 Z 4 StGB); und weil L sich im Ausland an einer Tat beteiligt, die der unmittelbare Täter T bei der Einfuhr des Haschischs mit Überschreiten der Staatsgrenze nach Österreich (auch) im Inland begeht (§ 64 Abs 1 Z 8 StGB). 2. Die Erklärung des X vor dem Notar in Holland: a) X könnte sich wegen Bestimmung zur Fälschung eines Beweismittels (§§ 12 2. Fall, 293 Abs 1 StGB) strafbar gemacht haben. Er gibt dem ahnungslosen Notar in Holland eine Erklärung zu Protokoll und erweckt so vorsätzlich in ihm den Handlungsentschluss,101 ein falsches Beweismittel herzustellen, ein Schriftstück, das etwas Falsches zu beweisen scheint, und zwar die Lieferung des Haschischs an T durch X. Die schriftliche Lüge, die Ausstellung einer Urkunde mit unwahrem Inhalt, ist strafbar nur dann, wenn die Urkunde nach dem Vorsatz des Täters in einem – wegen des geschützten Rechtsguts „österreichische RechtsPmEGEhÏ nÏ STERREICHISCHENÏ BEHRDLICHENÏ 6ERFAHRENÏ VERWENDETÏ WERDENÏ soll. Auch das trifft hier zu, weil das Schriftstück nach Absicht des X im Strafverfahren gegen L in der Hauptverhandlung in Innsbruck präsentiert 101
72
Fuchs AT I 33. Kap Rz 5, 27; K/H AT E 4 Rz 22ff.
Fall 7: „Misterioso“
werden soll.102 Auch hinsichtlich der Verwirklichung der anderen Tatbildmerkmale handelt X absichtlich. Österreichisches Strafrecht ist allerdings auf diese Auslandstat eines !USLÇNDERSÏNACHÏDENÏeeÏÏFFÏ3T'"ÏNICHTÏANWENDBAR ÏSIEÏISTÏSTRAmOS b) L erweckt vorsätzlich durch seine Bitte in X den Tatentschluss, im Notar in Holland den Tatentschluss zur Herstellung des falschen Beweismittels zu wecken („Kettenbestimmung“), und macht sich nach der Rsp und hL103 wegen Bestimmung zur, nach anderer Ansicht104 wegen sonstigen Tatbeitrags an der Fälschung eines Beweismittels (§§ 12 2. bzw 3. Fall, 293 Abs 1 StGB) strafbar. Hier ist österreichische Strafbarkeit gegeben, weil L die Bitte in Innsbruck äußert, die Bestimmungshandlung also im Inland setzt (§ 62 StGB). c) Der Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 223 Abs 1 StGB) wird nicht verwirklicht, weil keine falsche Urkunde hergestellt wird, keine Urkunde, die nicht von dem Aussteller stammt, von dem sie zu stammen scheint: Über die Person des Ausstellers wird nicht getäuscht. Die Herstellung einer bloß inhaltlich unrichtigen Urkunde („Lugurkunde“) ist nicht tatbildlich.105 3. Die Präsentation der schriftlichen Erklärung des X in der Hauptverhandlung: a) L könnte sich auch wegen Fälschung eines Beweismittels durch Gebrauch eines falschen Beweismittels (§ 293 Abs 2 StGB) strafbar gemacht haben. L verwirklicht das Tatbild, indem er in der Hauptverhandlung den Beweisantrag stellt, die schriftliche Erklärung des X zu verlesen eÏÏ!BSÏÏ3T0/ ÏnÏDIESEÏ%RKLÇRUNGÏDESÏ8ÏISTÏKEINEÏSTRAmOSEÏ!USSAGEÏ des Beschuldigten L.106 L gebraucht das falsche Beweismittel absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB). X trägt in Holland absichtlich zum Gebrauch des Beweismittels in Innsbruck bei, er ermöglicht diese Tat erst, indem er seine Erklärung vom Notar protokollieren lässt und das Schriftstück L schickt (§§ 12 3. Fall, 293 Abs 2 StGB). Anders als bei der Herstellung ist hier sehr wohl österreichisches Strafrecht anwendbar, weil L als unmittelbarer Täter im Inland handelt 102 103 104 105 106
B/S BT II §§ 293, 294 Rz 1f. K/H AT E 4 Rz 13. Fuchs AT I 36. Kap Rz 13ff, Rz 18. B/S BT II §§ 223 Rz 12; K/Schm StudB BT III § 223 Rz 16ff. B/S BT II §§ 293, 294 Rz 4f. 73
III. Scheil
und X sich an der Inlandstat des unmittelbaren Täters L beteiligt (§ 64 Abs 1 Z 8 StGB). b) Die Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung (§ 298 Abs 1 StGB) verwirklicht L nicht, weil er dem Vertreter der Staatsanwaltschaft, einer Behörde nach § 151 Abs 3 StGB, in der Hauptverhandlung keine Informationen über eine zur Gänze erfundene Straftat zukommen lässt.107 c) Die Begünstigung (§ 299 Abs 1 StGB) wird auch nicht verwirklicht, weil die Fälschung von Beweismitteln, durch die jemand begünstigt wird und derer sich X durch Beteiligung am Gebrauch strafbar macht, ausschließlich nach § 293 StGB strafbar ist (Exklusivität).108 Nach der Rsp und hL109 verwirklicht X aber auch diesen Tatbestand. Er entzieht durch seine Erklärung vor dem holländischen Notar L, der sich wegen der von ihm wirklich begangenen und nach § 12 3. Fall StGB, § 28 Abs 2 SMG auch strafbaren Tat, ganz der Verfolgung, weil L von der Anklage freigesprochen wird, und darauf kommt es X an (§ 5 Abs 2 StGB), damit L aus der Untersuchungshaft entlassen wird und seinen sterbenden Vater besuchen kann. X kommt aber der Strafausschließungsgrund gem § 299 Abs 3 StGB zugute, weil er einen Angehörigen begünstigt, seinen VONÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"ÏSOÏGENANNTENÏu6ETTERh ÏDASÏISTÏSEINÏ#OUSINÏ,Ï3TRAmOsigkeit der Angehörigenbegünstigung). Nach der Rsp und hL verwirklicht dann auch L als Bestimmungstäter den Tatbestand der Begünstigung (§§ 12 2. Fall, 299 Abs 1 StGB), er erweckt vorsätzlich durch seine Bitte in X den Tatentschluss, ihn durch die Erklärung vor dem holländischen Notar der Strafverfolgung zu entziehen, aber auch L kommt ein Strafausschließungsgrund zugute, und zwar § 299 Abs 2 StGB 3TRAmOSIGKEITÏDERÏ3ELBSTBEG¿NSTIGUNG d) Auch nicht verwirklicht wird die falsche Beweisaussage vor Gericht (§ 288 Abs 1 StGB). X wird weder als Zeuge noch als Auskunftsperson und schon gar nicht förmlich, das heißt nach Belehrung über die WahrHEITSPmICHT 110 von einem ausländischen Gericht im Rahmen der Rechtshilfe in einem österreichischen Gerichtsverfahren (§ 64 Abs 1 Z 3 StGB) 107 B/S BT II § 298 Rz 2 – Die ausdrückliche Subsidiaritätsklausel des § 298 Abs 1 StGB zugunsten § 297 Abs 1 StGB braucht deshalb gar nicht bemüht zu werden, mangels (volldeliktischer) Verwirklichung beider Tatbestände liegt hier gar keine (Schein-)Konkurrenzsi tuation vor. 108 B/S BT II § 299 Rz 3. 109 B/S BT II § 299 Rz 3. 110 B/S BT II §§ 288–291 Rz 5.
74
Fall 7: „Misterioso“
vernommen und die schriftliche Auskunft, die in der Hauptverhandlung in Innsbruck vorgelegt wird, ist keine tatbildliche „Aussage“.111 4. Die Beschuldigung des X in der Hauptverhandlung: a) L könnte eine Verleumdung (§ 297 Abs 1 1. Halbsatz StGB) begangen haben. Er verdächtigt X, zur Tat des T durch Verkauf des Haschischs VORSÇTZLICHÏBEIGETRAGEN ÏALSOÏEINÏ/FlZIALDELIKTÏeÏÏÏ&ALLÏ3T'" ÏeÏÏ!BSÏ 2 SMG) begangen zu haben. Geschütztes Rechtsgut der Verleumdung ISTÏNURÏDIEÏuSTERREICHISCHEhÏ2ECHTSPmEGE ÏWEILÏAUFÏDIESEÏ4ATÏEINESÏ(OLländers in Holland aber österreichisches Strafrecht angewendet werden muss, ist auch dieses Kriterium erfüllt. Die Verdächtigung ist falsch, die strafbarkeitsbegründenden Umstände sind unwahr, weil nicht X, sondern L der Lieferant des Haschischs ist. Die während der Hauptverhandlung durch den Beweisantrag und durch Vorlage der schriftlichen Erklärung des X ausgesprochene unwahre Verdächtigung erreicht eine zur Strafverfolgung berufene Stelle, und zwar den Vertreter der Staatsanwaltschaft, und gibt triftigen Anlass für Ermittlungen gegen X wegen Begehung EINESÏ/FlZIALDELIKTS ÏAUFÏDASÏSTERREICHISCHESÏ3TRAFRECHTÏANZUWENDENÏISTÏ Dadurch setzt L den X auch der Gefahr behördlicher Verfolgung aus und vollendet damit das Delikt. L ist subjektiv davon überzeugt, dass seine Verdächtigung falsch ist, er weiß, dass er und nicht sein Cousin X der Lieferant des Haschischs ist, deshalb handelt er mit der von § 297 Abs 1 StGB diesbezüglich geforderten Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB). Auch hinsichtlich der Verwirklichung der anderen Tatbildmerkmale handelt L wissentlich, es wird nicht gerade sein Ziel (Absicht) gewesen sein, X der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen.112 b) Da die strafbare Handlung (§ 12 3. Fall StGB, § 28 Abs 2 SMG), derer X wider besseres Wissen verdächtigt wird, mit Freiheitsstrafe bis zu F¿NFÏ*AHRENÏBEDROHTÏIST ÏVERWIRKLICHTÏ,ÏAUCHÏDIEÏ1UALIlKATIONÏGEMϧ 297 Abs 1 2. Halbsatz StGB. Als objektive Bedingung (erhöhter) Strafbarkeit braucht dieser Umstand nicht vom Vorsatz des L umfasst zu sein.113 c) L könnte durch die Einwilligung des verleumdeten X gerechtfertigt sein. Die Einwilligungssituation liegt vor, L übt auf seinen Cousin X zwar einen gewissen Druck aus durch die Bitte, die Tat auf sich zu nehmen, um ihm den Besuch seines in Holland im Sterben liegenden Vaters zu ermöglichen, dieser Druck ist aber nicht so stark, dass er die Freiwilligkeit der Erklärung des X ausschließt. Die Einwilligung scheint auch sonst frei von Willensmängeln zu sein, sie ist ernst gemeint und vor der 111 112 113
B/S BT II §§ 288–291 Rz 3. B/S BT II § 297 Rz 2ff. B/S BT II § 297 Rz 15. 75
III. Scheil
Tat erteilt. Aus dem Sachverhalt ergeben sich auch keine Zweifel daran, dass X die Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung im Hinblick auf die zu erwartende Strafverfolgung verkennt, dass X also nicht dispositionsfähig wäre.114 Problematisch freilich ist, dass X durch die Einwilligung in die Strafverfolgung gegen ihn über Eingriffe in seine Freiheit (Untersuchungshaft, Strafhaft), in sein Vermögen (Geldstrafe) und seine Ehre disponiert, alles Individualrechtsgüter, über die er als Rechtsgutsträger VERF¿GENÏDARF ÏDASSÏABERÏAUCHÏDASÏ2ECHTSGUTÏu2ECHTSPmEGEhÏBETROFFENÏIST Ï das durch § 297 Abs 1 StGB ebenfalls geschützt ist und das als Rechtsgut der Allgemeinheit seiner Dispositionsbefugnis entzogen ist. Nach der neueren Rsp und nach einem Teil der Lehre115 „dominiert“ bei diesem DeLIKTÏDIEÏNICHTÏDISPONIBLEÏ2ECHTSPmEGEÏ– dann rechtfertigt die Einwilligung die Verleumdung nicht –, nach einem anderen Teil der Lehre sind die Schutzgüter „im Wesentlichen gleichwertig“116 bzw beseitigt die Einwilligung des Verleumdeten das für § 297 StGB „typische Unrecht“117 – dann ist die Tat gerechtfertigt. L hält sich auch an den Rahmen dessen, was der Rechtsgutsträger X gewollt und erklärt hat – L legt nur dessen schriftliche Erklärung vor und bezichtigt ihn nicht auch noch anderer Straftaten –, und L hat Kenntnis von der Einwilligungssituation. Deshalb ist L durch Einwilligung gerechtfertigt. d) Wer mit der neueren Rsp und hL den Rechtfertigungsgrund Einwilligung verneint, muss noch Tätige Reue (§ 297 Abs 2 StGB) prüfen. Sie kommt L nicht zugute, weil er die Verdächtigung erst widerruft, nachdem die Hauptverhandlung gegen X schon begonnen hat, er beseitigt die Gefahr der Verfolgung nicht rechtzeitig. e) X macht sich nicht durch Beteiligung durch sonstigen Tatbeitrag an der Verleumdung (§§ 12 3. Fall, 297 Abs 1 StGB) strafbar, ihm fehlt der Vorsatz, einen „anderen“ der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen, soll er doch selbst mit seiner Einwilligung dieser Gefahr ausgesetzt werden. Ergebnis: L macht sich strafbar wegen sonstigen Tatbeitrags zur Einfuhr von Suchtgift in einer großen Menge (§ 12 3. Fall StGB, § 28 Abs 2 SMG), wegen Fälschung eines Beweismittels durch Gebrauch eines falschen Beweismittels (§ 293 Abs 2 StGB) – nach der Rsp und hL auch wegen Verleumdung (§ 297 Abs 1 1. und 2. Halbsatz StGB). Die Bestimmung (bzw der sonstige Tatbeitrag) zur Fälschung eines Beweismittels durch Herstellung eines falschen Beweismittels nach den §§ 12 2. bzw 114 115 116 117
76
Fuchs AT I 16. Kap Rz 1ff; K/H AT E 1 Rz 62ff. K/H AT E 1 Rz 81. Fuchs AT I 16. Kap Rz 26. B/S BT II § 297 Rz 12.
Fall 8: „More Than You Know“
3. Fall, 293 Abs 1 StGB ist als vorbereitende Handlung stillschweigend (materiell) subsidiär gegenüber der Fälschung eines Beweismittels durch seinen Gebrauch (§ 293 Abs 2 StGB), deswegen kann L nicht bestraft werden. X macht sich strafbar nur wegen sonstigen Tatbeitrags zur Fälschung eines Beweismittels durch seinen Gebrauch (§§ 12 3. Fall, 293 Abs 2 StGB).
Fall 8: „More Than You Know“ Aufenthaltsgenehmigungen sind rar geworden in Österreich, GeSCHÇFTEMACHERÏ VERSUCHENÏ DAVONÏ ZUÏ PROlTIERENÏ 3OÏ AUCHÏ DERÏ 7ACHkommandant der Wiener Polizei W. Er bietet sich Ausländern, die wegen der immer restriktiveren Fremdenpolitik stark verunsichert sind, als „Vermittler“ für Aufenthaltsgenehmigungen an. Für ein paar hundert Euro würde er für sie bei der zuständigen Magistratsabteilung intervenieren und die Papiere besorgen. Tatsächlich handelt es sich um Aufenthaltsgenehmigungen, die ohnedies erteilt würden, die Antragsteller werden aber glauben GEMACHT ÏSIEÏM¿SSTENÏÏãÏu3CHMIERGELDhÏBEZAHLENÏ)NSGESAMTÏBLÇTtern vom Sommer bis zum nächsten April 15 Opfer – O1 bis O15 nÏINSGESAMTÏÏãÏHINÏ7ÏBEHÇLTÏDASÏ'ELDÏF¿RÏSICH ÏINTERVENIERTÏUNDÏ geschmiert wird gar nicht. Angebahnt werden die Geschäfte von Gastwirten im Polizeibezirk des W. Sie preisen – nichts ahnend – seine Dienste an und arrangieren in ihren Gasthäusern Treffen zwischen ihm und den Aufenthaltswerbern. W revanchiert sich bei den Wirten, indem er sie vor Razzien gegen ausländische Schwarzarbeiter und Geheimprostituierte warnt. Das Treiben des Wachkommandanten W bleibt seinem Kollegen, dem Bezirksinspektor B, nicht verborgen. Er behält sein Wissen für sich und unternimmt nichts. Beurteilen sie die Strafbarkeit des W, des Opfers O1 und des Bezirksinspektors B!
Lösung 1. Die angebliche Vermittlung der Aufenthaltsgenehmigungen: a) W könnte einen Betrug (§ 146 StGB) begangen haben. Er ruft bei den Aufenthaltswerbern durch die falsche Behauptung, er werde Beamte der Magistratsabteilung bestechen, also durch Täuschung über seine Absicht 77
III. Scheil
– auch das ist eine Tatsache118 –, einen themagleichen Irrtum hervor, der SIEÏDAZUÏVERANLASST Ï7ÏJEWEILSÏÏãÏu3CHMIERGELDhÏANZUVERTRAUENÏ$URCHÏ dieses Tun schädigen sie sich selbst an ihrem Vermögen, weil sie keine Gegenleistung für das „Schmiergeld“ erhalten, die Aufenthaltsgenehmigungen werden ohne es erteilt. Dass die in Aussicht gestellte Gegenleistung in einer unerlaubten Handlung bestehen soll, in der Erteilung einer gesetzwidrigen Aufenthaltsgenehmigung, schadet nicht.119 W handelt absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale. Überdies handelt er mit Bereicherungsvorsatz, er will sein Vermögen um JEWEILSÏÏãÏVERMEHREN b) Die Tat ist als schwerer Betrug (§ 147 Abs 2 StGB) QUALIlZIERTÏ$IEÏ einzelnen Beträge sind gemäß § 29 StGB zusammenzurechnen, da es sich um Taten derselben Art handelt. Der Gesamtschaden in Höhe von ÏãÏ¿BERSTEIGTÏDIEÏ7ERTGRENZEÏVONÏÏãÏ7ÏWEIÏUMÏDIEÏ(HEÏDESÏ Gesamtschadens, sie ist von seinem Vorsatz umfasst (§ 5 Abs 2 StGB). Weiters könnte es sich um einen gewerbsmäßigen Betrug (§ 148 StGB) handeln. W kommt es darauf an, sich durch wiederholte Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (§ 70 StGB). Seine Absicht ist auf die regelmäßige Begehung von gleichartigen Betrügereien gegenüber Aufenthaltswerbern gerichtet, und zwar über einen längeren Zeitraum hinweg, rund 10 Monate lang.120 Auf ihn kommt jedoch nur § 148 1. Fall StGB zur Anwendung, da die einzelnen Betrügereien nicht nach § 147 !BSÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERTÏSIND ÏDIEÏEINZELNENÏ4ATENÏSINDÏKEINÏSCHWERERÏ"ETRUG ÏDIEÏ7ERTQUALIlKATIONÏWIRDÏERSTÏDURCHÏDIEÏ:USAMMENRECHNUNGÏDERÏ Schadensbeträge begründet121ÏnÏDESHALBÏSINDÏIMÏ5RTEILÏBEIDEÏ1UALIlKATIOnen, § 147 Abs 2 und § 148 1. Fall StGB, nebeneinander zu zitieren. c) Die Taten werden nicht unter Ausnützung der Amtsstellung (§ 313 StGB) begangen. W benützt nicht seine Funktion als Wachkommandant, um die Betrügereien zu begehen.122 Er tritt als Vermittler auf, das könnte er genauso gut als Privatmann. d) W verwirklicht auch nicht Geschenkannahme durch Beamte (§ 304 Abs 1 StGB), da er keine Amtsgeschäfte vornimmt. e) W macht sich auch nicht wegen Bestechung (§ 307 Abs 1 Z 1 StGB) STRAFBARÏ %RÏ GIBTÏ ZWARÏ VOR Ï u3CHMIERGELDERhÏ ANÏ "EAMTEÏ F¿RÏ DIEÏ PmICHT118 119 120 121 122
78
B/S BT I § 146 Rz 1; K/Schm StudB BT II § 146 Rz 38. B/S BT I § 146 Rz 20. K/Schm StudB BT II § 130 Rz 12f. B/S BT I § 148 Rz 2; K/Schm StudB BT II § 148 Rz 9. B/S BT II § 313 Rz 3.
Fall 8: „More Than You Know“
widrige Vornahme von Amtsgeschäften zahlen, tatsächlich zahlt er aber keinen Cent Bestechungsgeld und hat auch zu keinem Zeitpunkt den Vorsatz, das zu tun. 2. Die Warnung der Wirte vor den Razzien: a) W könnte einen Amtsmissbrauch (§ 302 Abs 1 StGB) begehen. Als Wachkommandant ist W Beamter, da er in der Verwaltung tätig ist.123 Voraussetzung für Amtsmissbrauch ist, dass er selbst für die Razzien zuständig ist, die unter anderem der Feststellung der Identität von Schleppern (§ 35 Abs 1 Z 1 SPG) oder von Wirten dienen, wenn der dringende Verdacht besteht, dass sie in ihren Gasthäusern Fremde beherbergen, die nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sind (§ 35 Abs 1 Z 4 SPG) usw. Es ist anzunehmen, dass er wenigstens an der Durchführung dieser Hoheitsakte beteiligt ist, wenn er sie nicht sogar selbst anordnet. W missbraucht seine Befugnis, am Zustandekommen eines Hoheitsaktes MITZUWIRKEN ÏPmICHTWIDRIG ÏWEILÏERÏDIEÏ$URCHF¿HRUNGÏDERÏ)DENTITÇTSFESTstellungen usw durch seine Warnungen vereitelt.124 W weiß (§ 5 Abs 3 StGB) auch, dass er seine Befugnis missbraucht. Außerdem hat er den Vorsatz, den österreichischen Staat an seinen Hoheitsrechten, nämlich am Recht zu schädigen, Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung abzuschieben usw.125 b) W könnte sich auch wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses (§ 310 Abs 1 StGB) strafbar gemacht haben. W ist als Polizist Beamter. Die nicht allgemein bekannten Informationen über geplante Razzien, das Geheimnis, erfährt W, gleichgültig, ob er sie selbst anordnet oder ein anderer, bei Erfüllung seiner amtlichen Aufgaben, es ist ihm ausschließlich kraft Amtes anvertraut.126 Wäre er nicht Wachkommandant, hätte er keine Ahnung, wann und wo eine Razzia vorgenommen wird. Dieses Geheimnis offenbart er durch Bekanntgabe an die Wirte, weil sie von den Razzien vorher nichts wissen. Die Offenbarung durch Information der Wirte ist auch geeignet, das öffentliche Interesse an der Exekution fremdenpolizeilicher Maßnahmen zu beeinträchtigen. All diese Umstände nimmt W in seinen Vorsatz auf, er handelt absichtlich. 3. DasÏ:AHLENÏVONÏÏãÏANÏ7ÏDURCHÏ/ a) Das Opfer O1 könnte wegen versuchter Bestimmung zum Amtsmissbrauch (§§ 15, 12 2. Fall, 14 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 2. Fall, 302 Abs 1 StGB) strafbar sein. O1 versucht vorsätzlich, in W den Tatent123 124 125 126
B/S BT II § 302 Rz 1. Vgl B/S BT II § 302 Rz 5. B/S BT II § 302 Rz 23f. B/S BT II § 310 Rz 2. 79
III. Scheil
schluss zu wecken (§ 12 2. Fall StGB), in dem für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung zuständigen Beamten der Magistratsabteilung den Tatentschluss zu erwecken, die Aufenthaltsbewilligung zu Unrecht zu ERTEILEN ÏALSOÏEINENÏ(OHEITSAKTÏPmICHTWIDRIGÏZUÏSETZEN ÏWEILÏ/ÏJAÏGLAUBT Ï kein Anrecht auf die Aufenthaltsbewilligung zu haben. Es bleibt beim Versuch (§ 15 StGB), weil es O1 nicht gelingt, in W den Tatentschluss zu erwecken, einen Beamten zum Amtsmissbrauch zu bestimmen. /ÏHATÏVOLLENÏ4ATENTSCHLUSSÏ&¿RÏEINÏUNRECHTSGEPRÇGTESÏ3ONDERPmICHTdelikt wie den Amtsmissbrauch ist es erforderlich, dass der unmittelbare Täter (intraneus) „in bestimmter Weise“ an der Tat mitwirkt (§ 14 Abs 1 Satz 2 2. Fall StGB). Für den Amtsmissbrauch bedeutet das, dass der Beamte sein Amt „wissentlich“ missbraucht127 – nach der neueren Rsp genügt für die Strafbarkeit des Beteiligten bedingt vorsätzlicher Missbrauch.128 Auf der subjektiven Tatseite des am Amtsmissbrauch Beteiligten (extraneus) genügt Eventualvorsatz hinsichtlich der „Wissentlichkeit“ des Beamten beim Missbrauch129 – die Rsp verlangt Wissentlichkeit.130 !BERÏ ESÏ ISTÏ 7ISSENTLICHKEITÏ HINSICHTLICHÏ DERÏ 0mICHTWIDRIGKEITÏ DESÏ -ISSbrauchs erforderlich.131 O1 erfüllt all diese Erfordernisse, er ist subjektiv DAVONÏ ¿BERZEUGT Ï DASSÏ DERÏ "EAMTEÏ PmICHTWIDRIGÏ HANDELTÏ UNDÏ DASSÏ DERÏ "EAMTEÏDASÏAUCHÏWEI ÏF¿RÏEINENÏPmICHTGEMÇENÏ(OHEITSAKTÏW¿RDEÏERÏ NICHTÏGLEICHÏÏãÏFORDERNÏ$AMITÏGEN¿GTÏ/ÏAUCHÏDENÏ!NFORDERUNGENÏ der Rsp. O1 betätigt seinen Tatentschluss durch eine Ausführungshandlung, INDEMÏ ERÏ 7Ï DIEÏ Ï ãÏ GIBTÏ UNDÏ BITTET Ï DENÏ "EAMTENÏ ZURÏ %RTEILUNGÏ DERÏ Aufenthaltsbewilligung zu „überreden“.132 Nach der Rsp und Kienapfel ist der Versuch der Bestimmung zur Bestimmung als Bestimmungsversuch strafbar.133 Für Fuchs ist Bestimmung zur Bestimmung sonstiger Tatbeitrag (§ 12 3. Fall StGB)134 und als solcher nur strafbar, wenn W versucht, den unmittelbaren Täter, den Beamten, zum Amtsmissbrauch zu bestimmen.135Da es dazu nicht kommt, ist der Beitrag nur versucht und der ist nach § 15 Abs 2 StGB nicht strafbar. b) W könnte sich wegen versuchter Bestimmung zur Bestechung (§§ 15, 12 2. Fall, 307 Abs 1 Z 1 StGB) strafbar gemacht haben. Obwohl 127 128 129 130 131 132 133 134 135
80
B/S BT II § 302 Rz 29; Fuchs AT I 35. Kap Rz 25 ff; K/H AT E 7 Rz 32. SSt 58/74. B/S BT II § 302 Rz 29; Fuchs AT I 35. Kap Rz 25; K/H AT E 7 Rz 36. SSt 58/74. B/S BT II § 302 Rz 29; Fuchs AT I 35. Kap Rz 25 ff; K/H AT E 7 Rz 36. K/H AT E 6 Rz 24. K/H AT E 6 Rz 13. Fuchs AT I 36. Kap Rz 13, 18. Fuchs AT I 36. Kap Rz 17f.
Fall 8: „More Than You Know“
das „Vermittlungsgeschäft“ von W angebahnt wird, handelt O1 dennoch als Bestimmungstäter (§ 12 2. Fall StGB). W ist in Wahrheit gar nicht zur Bestechung entschlossen, er gibt es nur vor und kann deshalb noch dazu bestimmt werden.136 Die Tat wird auch erst durch O1 konkretisiert. Auch hier bleibt es beim Versuch, weil es O1 nicht gelingt, in W den Entschluss zur Bestechung zu wecken. Die Absicht des O1 ist darauf GERICHTET ÏDASSÏ7ÏEINEMÏ"EAMTENÏZUMÏ:WECKEÏDERÏPmICHTWIDRIGENÏ%RTEILUNGÏEINERÏ!UFENTHALTSBEWILLIGUNGÏÏãÏZAHLT ÏALSOÏEINENÏ6ORTEILÏGEWÇHRTÏ$IESENÏ(ANDLUNGSENTSCHLUSSÏBETÇTIGTÏERÏDURCHÏÍBERGABEÏDERÏÏãÏ verbunden mit dem Auftrag, diesen Vorteil dem Beamten zukommen zu lassen. Dieser Bestimmungsversuch ist untauglich, da W nicht im Traum darANÏDENKT ÏDIEÏÏãÏZURÏ%RLANGUNGÏDERÏ!UFENTHALTSBEWILLIGUNGÏDEMÏ"Eamten zu geben. Der Versuch ist aber nur relativ untauglich, da es aus Sicht eines begleitenden Beobachters, also ex ante aus Sicht des Handelnden nach dem Urteil eines vernünftigen Durchschnittsmenschen,137 auch, eine böse Zunge würde sagen, gerade in Österreich nicht unwahrscheinlich ist, dass solche Bestechungsversuche vorgenommen werden und auch zum Ziel führen. Der Unwertgehalt der versuchten Bestimmung zur Bestechung wird durch Bestrafung wegen versuchter Bestimmung zum Amtsmissbrauch mit abgegolten (Konsumtion).138 4. Die Unterlassung der Strafanzeige gegen W: !LSÏ0OLIZEIBEAMTERÏISTÏ"ÏVERPmICHTET ÏIHMÏZURÏ+ENNTNISÏGELANGTEÏ3TRAFtaten anzuzeigen (§ 78 StPO). Da er dies unterlässt, ist er wegen Amtsmissbrauchs durch Unterlassung (§§ 2, 302 StGB) strafbar. Seine Hauptaufgabe besteht darin, Straftäter zu verfolgen, er ist kraft Gesetzes Garant iSd § 2 StGB und kann deshalb den Amtsmissbrauch durch Unterlassen der Anzeige begehen.139 Sein Unterlassen ist auch kausal für den Erfolg, für das Nicht-Zustandekommen von Hoheitsakten wie die Einleitung eines Strafverfahrens gegen W: Denkt man sich das gebotene Tun, die Strafanzeige gegen W, hinzu, würde der Erfolg, die NichtEinleitung des Strafverfahrens gegen W, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen (hypothetische Kausalität)140 bzw wenn die PmICHTWIDRIGEÏ5NTERLASSUNGÏDERÏ3TRAFANZEIGEÏGEGENÏ7ÏDIEÏDEMÏ2ECHTSGUTÏ drohende Gefahr, die sie verwirklicht hat, die Nicht-Einleitung des Straf-
136 137 138 139 140
Vgl K/H AT E 4 Rz 16f. Fuchs AT I 30. Kap Rz 33. B/S BT II § 307 Rz 4. B/S BT II § 302 Rz 13. K/H AT Z 29 Rz 10f. 81
III. Scheil
verfahrens, wesentlich verhindert hätte.141 Diese Unterlassung ist einem Tun gleichwertig, weil seine Absicht gezielt darauf gerichtet ist, dem W zu nützen.142 B weiß, dass er W anzeigen müsste, und er weiß auch, dass er den Staat dadurch in seinem Hoheitsrecht schädigt, Straftäter zu verfolgen und abzuurteilen, er verwirklicht also auch den subjektiven Tatbestand. Ergebnis: W macht sich strafbar wegen schweren und gewerbsmäßigen Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 2, 148 1. Fall StGB und wegen Amtsmissbrauchs nach § 302 Abs 1 StGB; die Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs 1 StGB ist laut ihrer ausdrücklichen Subsidiaritätsklausel formell subsidiär gegenüber dem Amtsmissbrauch, weil er mit strengerer Strafe bedroht ist. O1 macht sich strafbar wegen versuchter Bestimmung zum Amtsmissbrauch gem §§ 15, 12 2. Fall, 14 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 2. Fall, 302 Abs 1 StGB (nach FuchsÏSTRAmOS ÏDIEÏVERSUCHTEÏ"ESTIMMUNGÏZURÏ"ESTECHUNGÏ nach den §§ 15, 12 2. Fall, 307 Abs 1 Z 1 StGB wird durch die Bestrafung wegen Amtsmissbrauchs konsumiert (Fuchs würde Strafbarkeit mangels Konkurrenzsituation bejahen). B ist strafbar nach §§ 2, 302 StGB.
141 142
82
Fuchs AT I 37. Kap Rz 32ff. B/S BT II § 302 Rz 16.
IV. SCHWAIGHOFER Fall 1: „Panik durch schwere Ehekrise“ In der Ehe zwischen A und B (sie haben eine gemeinsame zweijährige Tochter) kriselt es schon seit längerer Zeit. Herr A kommt immer unregelmäßiger abends nach Hause, die Streitereien darüber und ¿BERÏANDEREÏ$INGEÏWERDENÏIMMERÏHÇUlGERÏ%INESÏ!BENDSÏERFFNETÏ!Ï seiner Frau B, dass er nächste Woche ausziehen werde: Die ständige Nörgelei gehe ihm auf die Nerven, er habe eine jüngere, attraktivere Frau gefunden, die ihn besser verstehe; und wohlhabend sei sie außerdem noch! B ist verzweifelt: Wenn A sie verlässt, steht sie mit ihrem Kind vor dem Nichts. Sie sieht keinen anderen Ausweg, als ihrem Leben ein Ende zu setzen und das Kind dabei mitzunehmen: B nimmt das Kind, geht auf den Balkon der im 3. Stock gelegenen Wohnung, klettert über das Geländer und springt mit dem Kind im Arm in die Tiefe. Mit viel Glück überleben beide – freilich mit schweren Verletzungen. A sieht dem ganzen Geschehen ungerührt zu und denkt sich bloß, dass sich damit so manches bevorstehende Problem von alleine löse. Beurteilen Sie die Strafbarkeit von A und B! Würde sich etwas an der rechtlichen Beurteilung ändern, wenn A und B nicht verheiratet wären?
Lösung 1. B, die mit ihrem Kind vom Balkon in die Tiefe springt, könnte dadurch einen (versuchten) Mord bzw Totschlag (§§ 15, 75 bzw §§ 15, 76 StGB) begangen haben: Da das Kind überlebt, kommt nur ein versuchter Mord (oder Totschlag) in Betracht. Mit dem Hinunterspringen setzt B eine Ausführungshandlung zur Tötung des Kindes. Laut Sachverhalt will B Selbstmord 83
IV. Schwaighofer
begehen und das Kind dabei „mitnehmen“, hat also auch den Vorsatz, das Kind zu töten. Der Versuch ist fehlgeschlagen, sodass ein Rücktritt nicht in Betracht kommt.1 An der Tauglichkeit des Versuchs ist nicht zu zweifeln. Fraglich ist, ob ein versuchter Totschlag angenommen werden KANNÏ 6ORAUSSETZUNGÏ IST Ï DASSÏ SICHÏ "Ï INÏ EINERÏ ALLGEMEINÏ BEGREImICHENÏ heftigen Gemütsbewegung zur Tötungshandlung hat hinreißen lassen. B, die plötzlich mit der Beendigung der Beziehung konfrontiert wird UNDÏMITÏIHREMÏKLEINENÏ+INDÏVORÏDEMÏ.ICHTSÏSTEHT ÏBElNDETÏSICHÏGEWISSÏ in einer heftigen Gemütsbewegung; und diese ist wohl allgemein beGREImICH ÏWEILÏAUCHÏEINÏ$URCHSCHNITTSMENSCHÏINÏDIESERÏ3ITUATIONÏINÏEINEÏ heftige Gemütsbewegung geraten wäre.2 Die Frau ist also nur nach §§ 15, 76 StGB zu bestrafen. Der OGH würde bei der Mutter vermutlich einen Mordversuch annehmen: Er wendet § 76 StGB nur an, wenn sich die Tötungshandlung gegen denjenigen richtet, der den Anlass für die Gemütsbewegung gegeben hat. Da das Kind schwer verletzt ist, wäre auch der Tatbestand der schweren Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB) erfüllt; die Verletzungsdelikte werden jedoch von den versuchten Tötungsdelikten konsumiert. 2. a) A, der gegen den erweiterten Selbstmord der B nichts unternimmt, könnte durch sein Untätigbleiben in Bezug auf das Kind einen Beitrag zum Mordversuch durch Unterlassen (§§ 12 3. Fall, 15, 75 iVm § 2 StGB)3 begangen haben: Als Vater des Kindes ist A GarantÏ DURCHÏ GESETZLICHEÏ 6ERPmICHTUNGÏ hinsichtlich des Wohles des Kindes und kommt somit als Täter des unechten Unterlassungsdelikts nach §§ 2, 75 StGB (iVm § 15 StGB) in Betracht.4 Sein Unterlassen kann nur ein Beitrag zum Mordversuch durch B sein, weil die eigentliche Tötungshandlung ja von B gesetzt wird, indem sie mit dem Kind vom Balkon in die Tiefe springt. A hat die Möglichkeit die Tat zu verhindern; er ist zur Verhinderung AUFÏ'RUNDÏSEINERÏ'ARANTENSTELLUNGÏVERPmICHTETÏUNDÏSEINÏ5NTERLASSENÏISTÏ einem positiven Tun gleichwertig.5 Da der Erfolg nicht eintritt, kann A nur wegen Beitrags zum versuchten Mord haften. Auf der inneren Tatseite hat A erkennbar den Vorsatz, dass B und das Kind ums Leben kommen, sodass der notwendige Vorsatz gegeben 1 2 3 4 5
84
Fuchs AT I 31. Kap Rz 22ff, K/H AT Z 23 Rz 20f. B/S BT I § 76 Rz 3. Fuchs AT I 37. Kap Rz 90. Fuchs AT I 37. Kap Rz 47, K/H AT Z 30 Rz 10. Die Gleichwertigkeit spielt nur bei verhaltensgebundenen Delikten eine Rolle.
Fall 2: „Leichtsinnige Buben“
ist. Die Privilegierung nach § 76 StGB kommt für ihn natürlich nicht zum 4RAGEN ÏWEILÏERÏSICHÏINÏKEINERÏ!FFEKTSITUATIONÏBElNDET6 Das echte Unterlassungsdelikt nach § 286 StGB tritt gegenüber dem unechten Unterlassungsdelikt zurück. b) In Bezug auf die Frau könnte sich A der Mitwirkung am (versuchten) Selbstmord durch Unterlassen (§§ 15, 78 iVm § 2 StGB) schuldig gemacht haben: A ist auf Grund des ABGB auch Garant für das leibliche Wohl seiner Frau, weshalb er wiederum die Voraussetzungen des § 2 StGB erfüllt. Bezüglich der Frau kann aber kein Beitrag zum Mord durch Unterlassen angenommen werden, weil die Frau ja einen freiwilligen Selbsttötungsentschluss fasst (daher wäre der Adäquanz- und Risikozusammenhang zu verneinen). A trägt freilich durch sein Unterlassen zum (versuchten) Selbstmord der Frau bei, was in § 78 StGB besonders vertypt ist. Auf der inneren Tatseite liegt bei A zweifellos der Vorsatz vor, dass B sich selbst tötet. Da der Tod nicht eintritt, haftet A (nur) wegen Mitwirkung am versuchten Selbstmord durch Unterlassen. 3. Wenn A und B nicht verheiratet wären, so würde sich bezüglich des Kindes nichts ändern; die Garantenstellung besteht gegenüber unehelichen Kindern natürlich gleichermaßen. Bezüglich der B ist die Garantenstellung fraglich. Da die beiden in Lebensgemeinschaft gelebt haben, ist eine Garantenstellung auf Grund enger natürlicher Verbundenheit zu bejahen.7 Der OGH verneint die Garantenstellung für Lebensgefährten.8 Danach wäre A wegen Nichtverhinderung des Selbstmords seiner Lebensgefährtin nach § 95 StGB (Unterlassung der Hilfeleistung) zu bestrafen. Ein drohender Selbstmord ist als Unglücksfall iSd § 95 StGB anzusehen; dass Hilfeleistung erforderlich ist, ist klar, und darauf erstreckt sich auch der Vorsatz des A.
Fall 2: „Leichtsinnige Buben“ Der Autofahrer A biegt von einer Bundesstraße in einen schmalen Gemeindeweg ein, der zu seinem Haus führt. Nach Durchfahren einer unübersichtlichen Kurve sieht der langsam fahrende A, dass drei Buben mit ihren Fahrrädern mit hoher Geschwindigkeit diesen ab6 7 8
B/S BT I § 76 Rz 4, Fuchs AT I 25. Kap Rz 3, 5. So K/H AT Z 30 Rz 13; aM Fuchs AT I 37. Kap Rz 48. Vgl K/H AT Z 30 Rz 13 mwN. 85
IV. Schwaighofer
schüssigen Weg heruntersausen. Der Weg ist nass und glitschig. Aus diesem Grund hält A sein Auto sofort am rechten Rand des Weges an. Neben seinem Fahrzeug bleibt noch etwa 1 Meter Platz. Die beiden vorderen Buben kommen problemlos vorbei; der dritte macht eine Vollbremsung, kommt mit dem Fahrrad zu Sturz und schlittert gegen das Fahrzeug des A. Der Bub steht auf, humpelt einige Meter an den Wegrand und setzt sich auf einen Holzstapel. A fragt den Buben, ob er verletzt sei; der Bub antwortet: „Danke, es geht schon.“ Daraufhin fährt A weiter. Im Krankenhaus stellt sich heraus, dass der Bub einen Wadenbeinbruch erlitten hat. Beurteilen Sie die Strafbarkeit des A!
Lösung 1. A könnte eine fahrlässige Körperverletzung (§ 88 Abs 1 StGB) begangen haben: Voraussetzung ist zunächst eine objektiv sorgfaltswidrige, sozial inadäquate Handlung des A.9 Eine solche ist aber nicht zu erkennen: A fährt langsam und bleibt sogar ganz stehen, als er die Kinder entgegenkommen sieht. Anders hätte ein vorbildlicher Autofahrer auch nicht gehanDELTÏ3CHONÏMANGELSÏ6ERLETZUNGÏEINERÏ3ORGFALTSPmICHTÏscheidet § 88 StGB aus. Die weitere Prüfung in Richtung Zurechnung der (eindeutig vorliegenden) Verletzung usw entfällt. Die Körperverletzung des Buben wäre wohl schwer iSd § 84 Abs 1 StGB, weil sie vermutlich eine mehr als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (Gipsverband) zur Folge hatte.10 2. Da A weiterfährt, obwohl der Bub verletzt ist, könnte er das Vergehen nach § 94 StGB (Imstichlassen eines Verletzten) begangen haben: § 94 ist aber ein Sonderdelikt, das nur von demjenigen begangen werden kann, der die Verletzung eines anderen durch eine sozial inadäquate Handlung in objektiv zurechenbarer Art und Weise verursacht hat.11 Da dies oben verneint wurde, scheidet § 94 Abs 1 StGB aus. Der OGH ist allerdings anderer Meinung: Er lässt jede Verursachung einer Körperverletzung im Sinne der naturgesetzlichen Kausalität genügen; unter dieser Voraussetzung könnte A Täter des § 94 Abs 1 StGB sein. 3. Wenn § 94 StGB mangels „Verursachung“ der Verletzung ausgeschlossen wird, ist noch die Strafbarkeit des A nach § 95 StGB (Unterlassen der Hilfeleistung) zu prüfen: Vgl B/S BT I § 80 Rz 2ff. B/S BT I § 84 Rz 1, 3. 11 B/S BT I § 94 Rz 2, Kienapfel BT I § 94 Rz 16, 18. 9
10
86
Fall 3: „Taxifahrt“
Der Sturz mit der dabei erlittenen Verletzung des Buben ist gewiss ein 5NGL¿CKSFALLÏI3DÏeÏÏ3T'" ÏWOMITÏDIEÏALLGEMEINEÏ6ERPmICHTUNGÏZURÏ(ILfeleistung besteht. B hat es auch objektiv unterlassen, die erforderliche Hilfe zu leisten: B hätte dafür sorgen müssen, dass der Bub in ärztliche Behandlung kommt. Das wäre ihm auch möglich gewesen. Die Erforderlichkeit der Hilfeleistung muss für den HilfeleistungsPmICHTIGENÏABERÏoffensichtlich sein, dh der Betreffende muss geradezu wissen, dass Hilfe erforderlich ist.12 Da der Bub sagt, dass ihm nichts fehle, und abgesehen vom Humpeln auch äußerlich keine Zeichen einer Verletzung gegeben waren, war diese Offensichtlichkeit nicht gegeben. B hat es vielleicht ernstlich für möglich gehalten, dass der Bub verletzt ist, sich aber wohl nicht damit abgefunden, dass er die erforderliche Hilfe unterlässt. Daher scheidet auch die Strafbarkeit nach § 95 StGB aus.
Fall 3: „Taxifahrt“ Ein reichlich alkoholisierter Mann (M) lässt sich mit einem Taxi von A nach B bringen. In B angekommen verlangt der Taxler (T) den DERÏ3TRECKEÏENTSPRECHENDENÏ&AHRPREISÏVONÏÏãÏ-ÏMEINTÏuÏãÏF¿RÏ die paar Kilometer? Du bist wohl verrückt!“ und will ohne zu zahlen aussteigen. Kurz entschlossen schlägt T dem M mit der Faust ins Gesicht, um ihn daran zu hindern. M stürzt benommen aus der Beifahrertür, rappelt sich auf und läuft davon. Beim Sturz rutscht dem M die Geldbörse aus der Sakkotasche und fällt neben dem Fahrzeug auf die Straße. T hebt die Geldtasche auf, stellt mit Wohlgefallen fest, DASSÏSIEÏÏãÏENTHÇLT ÏUNDÏBEHÇLTÏBEIDES Beurteilen Sie die Strafbarkeit von M und T!
Lösung 1. M, der sich vom Taxifahrer von A nach B bringen lässt, ohne am Ende bezahlen zu wollen, könnte einen Betrug (§ 146 StGB) begangen haben: Der Betrug verlangt jedoch eine Täuschung. M hat den Taxifahrer nur dann getäuscht, wenn er beim Einsteigen den Eindruck erweckte, zahlungsfähig und zahlungswillig zu sein, ohne dass dies in Wahrheit zutraf.13Ï !USÏ DEMÏ 5MSTAND Ï DASSÏ -Ï Ï ãÏ INÏ SEINERÏ 'ELDTASCHEÏ HATTE Ï 12 13
B/S BT I § 95 Rz 6. B/S BT I § 146 Rz 6. 87
IV. Schwaighofer
und aus dem Verhalten des M am Ende der Fahrt (Erregung über den hohen Fuhrlohn) ist jedoch zu schließen, dass M den T nicht täuschte, sondern vielmehr beim Einsteigen zahlungsfähig und zahlungswillig war. Erst am Ende wollte er die Bezahlung der Fahrt verweigern, weil ihm die Fahrt einfach zu teuer war. Betrug scheidet also aus, weil es an der Täuschung und demzufolge auch an dem in diesem Zeitpunkt erforderlichen Vorsatz fehlt, durch das Verhalten des Getäuschten einen Schaden herbeizuführen und sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern. Die Nichtbezahlung einer Schuld ist keine strafbare Handlung! 2. a) T, der dem M mit der Faust ins Gesicht schlägt, um ihn am Aussteigen zu hindern, könnte eine Körperverletzung (§ 83 StGB) begangen haben: Aus dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, dass M durch den Faustschlag mehr als bloß unerheblich in seiner körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt wurde, was für eine Körperverletzung iSd § 83 StGB notwendig wäre. Denkbar wäre eine versuchte Körperverletzung; diese erforderte aber einen Verletzungsvorsatz (eine versuchte Körperverletzung kommt nur nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB in Betracht). Da T den M jedoch nur möglichst schnell am Weglaufen hindern will, ist eher bloß ein Misshandlungsvorsatz anzunehmen. An einem solchen Vorsatz, einem anderen ernsthaft weh zu tun, ist bei der Versetzung eines Faustschlags kaum zu zweifeln. Da § 83 Abs 2 StGB aber nicht im Versuch begangen werden KANNÏ %RFOLGSQUALIlKATION Ï scheidet eine versuchte Körperverletzung aus.14 b) T könnte eine Nötigung (§ 105 StGB) begangen haben: Durch den Faustschlag ins Gesicht wendet T Gewalt an, weil er so erheblich auf den Körper des M einwirkt, das dieser zu Sturz kommt. T will den M durch die Gewaltanwendung am Aussteigen hindern, ihn somit zu einer Unterlassung nötigen. Da M aber davonlaufen kann, ist wiederum Versuch zu prüfen:15 Mit dem Schlag hat T bereits eine Ausführungshandlung gesetzt, und er hat gerade die Absicht, den M am Aussteigen zu hindern und ihn zum Bezahlen des Fuhrlohnes zu veranlassen, sodass § 105 Abs 1 StGB zu bejahen wäre. Zu prüfen ist jedoch § 105 Abs 2 StGB, der nach B/S16 als Tatbestandseinschränkung (und nicht als Rechtfertigungsgrund) zu verstehen ist: Nach § 105 Abs 2 StGB ist die Tat nicht rechtswidrig, wenn das eingesetzte 14 15 16
88
B/S BT I § 83 Rz 11; aM Kienapfel BT I § 83 Rz 76f. B/S BT I § 105 Rz 15. B/S BT I § 105 Rz 16.
Fall 4: „Flucht mit Polizeiauto“
Tatmittel (hier die Gewaltanwendung) zur Erreichung des angestrebten Zwecks nicht den guten Sitten widerstreitet. T hat zweifellos ein Recht auf die Bezahlung des Fuhrlohnes, sodass der Zweck rechtmäßig ist. Das eingesetzte Tatmittel zur Erreichung dieses Zwecks, der Faustschlag ins Gesicht, kann gerade noch als vertretbar angesehen werden, wenn der Faustschlag nicht sonderlich fest war (was anzunehmen ist; andernfalls hätte er wohl Verletzungen zur Folge gehabt).17 Somit bleibt T nach § 105 Abs 2 StGB STRAmOS Ïweil das angewendete Mittel zur Erreichung des Zwecks nicht den guten Sitten widerstreitet (Grenzfall!). Damit brauchen Rechtfertigungsgründe nicht mehr geprüft zu werden. 3.Ï&¿RÏ4 ÏDERÏDIEÏ'ELDTASCHEÏMITÏÏãÏANÏSICHÏNIMMTÏUNDÏBEHÇLT ÏKOMMTÏ weiters ein Diebstahl (§ 127 StGB) oder eine Unterschlagung (§ 134 StGB) in Betracht; das hängt davon ab, ob M an der Geldtasche noch einen Gewahrsam hat. Die Geldtasche liegt auf der Straße, und M ist davongelaufen. Damit hat er keinen Mitgewahrsam mehr an der Geldtasche samt Inhalt, sie ist gewahrsamsfrei; es handelt sich um eine verlorene Sache, an der nur eine Fundunterschlagung begangen werden kann (§ 134 Abs 1 1. Fall StGB).18 Wenn die Geldtasche hingegen im Auto des Taxifahrers liegen geblieben wäre, dann hätte T sonst ohne sein Zutun Gewahrsam an der Geldtasche erlangt (§ 134 Abs 1 3. Fall StGB). Die Geldtasche ist ein fremdes Gut; laut Sachverhalt eignet sich T die Geldbörse samt Inhalt zu, weil er sie behält. Der Vorsatz, sich durch ZueigNUNGÏUNRECHTMÇIGÏZUÏBEREICHERN ÏERSTRECKTÏSICHÏNAT¿RLICHÏNURÏAUFÏÏã Ï WEILÏERÏHINSICHTLICHÏDERÏÏãÏ&UHRLOHNÏJAÏEINEÏ&ORDERUNGÏGEGENÏ-ÏHAT
Fall 4: „Flucht mit Polizeiauto“ A hat von der Polizei eine Vorladung zu einer Vernehmung erhalten, WEILÏ ERÏ EINÏ $ARLEHENÏ VONÏ Ï ãÏ BETR¿GERISCHÏ ERLANGTÏ HATÏ $AÏ ERÏ die Vorladung (wieder) nicht befolgt, werden die Beamten X und Y mit einem Funkstreifenwagen zu seiner Wohnung geschickt, um A vorzuführen. A hat vom Fenster aus gesehen, dass ein Polizeiauto vorgefahren ist: Er vermutet, dass der Besuch ihm gilt, und versteckt sich in der Besenkammer hinter der Eingangstür. Die Beamten läuten an der Wohnungstür. A’s Freundin B, mit der er seit einer Woche zusammenlebt, öffnet die Tür und lässt die Beam17 18
B/S BT I § 105 Rz 17, 19. B/S BT I § 134 Rz 3. 89
IV. Schwaighofer
ten ein. Auf deren Frage, ob A in der Wohnung sei, antwortet sie, A sei am Vortag geschäftlich ins Ausland verreist; sie könnten aber gerne in der Wohnung nachschauen. Während die beiden Beamten im Wohn- und Schlafzimmer nach A suchen, schleicht dieser aus der Besenkammer, verlässt mit B die Wohnung und versperrt von außen rasch die Tür. A und B laufen ins Freie, springen in das unversperrte Polizeiauto – günstigerweise steckt auch der Zündschlüssel – und fahren los. Als die Beamten bemerken, was passiert ist und dass sie eingesperrt sind, öffnen sie das straßenseitige Fenster der im ersten Stock gelegenen Wohnung und rufen dem nächsten Passanten zu, er möge sofort die Polizei und einen Schlüsseldienst verständigen. Schon drei Minuten später trifft eine Funkstreife ein und öffnet die Tür. Der Beamte X konnte es aber nicht erwarten: Beim Sprung aus dem 4 Meter über dem Straßenniveau gelegenen Fenster bricht er sich den rechten Knöchel. Die Fahrt von A und B dauert nicht lange: A nimmt eine Kurve zu schnell, gerät ins Schleudern, rutscht in eine Wiese und prallt auf einen Telegrafenmasten, der durch den Anprall schief steht. A nimmt als „Souvenir“ noch die Dienstmütze des Beamten mit, dann suchen SIEÏDASÏ7EITEÏ$IEÏ2EPARATURÏAMÏ0OLIZEIAUTOÏKOSTETÏÏã ÏDIEÏ6ERANKERUNGÏDESÏ-ASTESÏÏã Prüfen Sie die Strafbarkeit von A und B! (auf den Kreditbetrug des A ist nicht einzugehen!)
Lösung 1. a) A, der die beiden Beamten X und Y in der Wohnung einsperrt, könnte dadurch eine Freiheitsentziehung (§ 99 Abs 1 StGB) begangen haben: Die beiden Beamten sind vorübergehend in der Wohnung „gefangen“. Laut Sachverhalt wird die Türe aber schon drei Minuten nach ihrem Hilferuf von einer Funkstreife geöffnet. Diese Dauer der Freiheitsentziehung ist für ein Gefangenhalten iSd § 99 Abs 1 StGB zu kurz (Mindestdauer zehn Minuten).19 Ein ausreichendes ernstliches Hindernis läge hingegen vor, weil die Fenster 4 Meter über dem Straßenniveau liegen und daher eine Befreiung nur unter Gefahr einer Körperverletzung möglich wäre. Da die Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB nicht vollendet ist, ist Versuch nach §§ 15, 99 Abs 1 StGB zu prüfen:
19
90
B/S BT I § 99 Rz 6. Die Rechtsprechung lässt auch kürzere Zeitspannen genügen.
Fall 4: „Flucht mit Polizeiauto“
A hat durch das Versperren der Tür eine Ausführungshandlung gesetzt. Für die Strafbarkeit wegen Versuchs kommt es darauf an, ob A den Vorsatz hatte, X und Y mehr als zehn Minuten lang gefangen zu halten. $ASÏ ISTÏ ZUÏ BEZWEIFELNÏ )NÏ ERSTERÏ ,INIEÏ GINGÏ ESÏ DEMÏ !Ï DARUM Ï m¿CHTENÏ zu können und einen Vorsprung gegenüber den Beamten herauszuholen. Dafür reichen schon einige wenige Minuten. Allerdings könnte auch durchaus ein zumindest bedingter Vorsatz angenommen werden, dass X und Y mehr als zehn Minuten in der Wohnung eingesperrt bleiben; dann wäre eine versuchte Freiheitsentziehung zu bejahen. b) Wenn ein Versuch nach § 99 Abs 1 StGB angenommen wird, könnte NOCHÏDIEÏ1UALIlKATIONÏNACHϧ 99 Abs 2 StGB geprüft werden, da einer der beiden Beamten beim Sprung aus dem Fenster einen Knöchelbruch erleidet: Der Knöchelbruch ist ein schwerer Nachteil für den Beamten; gesundheitliche Folgeschäden durch die Freiheitsentziehung fallen darunter.20 Aber selbst dann wäre § 99 Abs 2 StGB hier zu verneinen, weil ESÏSICHÏBEIÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"ÏUMÏEINEÏECHTEÏ1UALIlKATIONÏHANDELT ÏDHÏDERÏ Vorsatz des Täters muss sich auf die besonderen Umstände beziehen.21 A hatte aber gewiss nicht den Vorsatz, dass ein Beamter eine schwere Verletzung davonträgt. c) Wegen des Einsperrens wäre auch ein Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 269 StGB) zu überlegen: A wendet aber weder Gewalt noch eine gefährliche Drohung gegen die Beamten an: Das Einsperren ist keine Gewalt, weil dafür eine nicht unerhebliche Einwirkung auf den Körper notwendig ist.22 Der OGH lässt auch Freiheitsentziehungen als Gewalt iSd § 269 StGB gelten.23 d) Auf Grund der schweren Verletzung, die ein Beamter erleidet, ist ein Verletzungsdelikt zu prüfen: Da A keinen Verletzungsvorsatz hat, kommt nur eine fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 StGB (wegen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB) in Betracht: Das Einsperren ist zweifellos eine sozial inadäquate, objektiv sorgfaltswidrige Handlung. Aber der Erfolg, die schwere Verletzung durch B/S BT I § 99 Rz 13; nach dem Wortlaut des § 99 Abs 2 StGB („unter solchen Umständen..., dass“) ist es allerdings zweifelhaft, ob gesundheitliche Folgeschäden tatsächlich darunter zu subsumieren sind. 21 B/S BT I § 99 Rz 11. 22 B/S BT II § 269 Rz 4. 23 Vgl B/S BT I § 105 Rz 5, BT II § 269 Rz 4 mwN. 20
91
IV. Schwaighofer
den Sprung, ist dem A objektiv nicht zuzurechnen: Dass der Beamte aus dem Fenster springt, war wohl objektiv nicht vorhersehbar, weshalb es am Adäquanzzusammenhang fehlt. Überdies stellt der Sprung aus dem Fenster, obwohl bereits Hilfe herbeigerufen wurde, ein grob fahrlässiges, ja unverständliches Fehlverhalten des Beamten dar, das den Risikozusammenhang ausschließt.24 Der Beamte war in keiner bedrängenden Situation, sodass sich absolut keine Notwendigkeit für den Sprung ergab. e) Durch die Fahrt mit dem Polizeiauto könnte sich A nach § 136 Abs 1 StGB (unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen) schuldig gemacht haben: Das Polizeiauto wird eindeutig unbefugt (ohne Einwilligung) in Gebrauch genommen, weil A und B damit ein Stück fahren. Auf der inneren Tatseite hat A gewiss nur den Vorsatz, das Auto vorübergehend für die Flucht zu verwenden und dann irgendwo stehen zu lassen.25 Die Rückerlangung eines Polizeifahrzeugs ist mit Sicherheit anzunehmen, gleichgültig wo man es stehen lässt. Der unbefugte Fahrzeuggebrauch könnte QUALIlZIERT sein: $IEÏ 1UALIlKATIONÏ NACHÏ § 136 Abs 2 StGB scheidet aus, weil der Schlüssel nicht widerrechtlich erlangt wurde: Er steckte ja im Schloss. !UCHÏDIEÏ1UALIlKATIONÏNACHϧ 136 Abs 3 StGB trifft nicht zu, weil DERÏDURCHÏDIEÏ4ATÏVERURSACHTEÏ3CHADENÏAMÏ&AHRZEUGÏNURÏÏãÏBETRÇGTÏ Der Schaden am Masten ist nicht relevant und kann nicht dazugerechnet werden.26 Weil die Beschädigung des Telegrafenmastes nur fahrlässig erfolgt, scheidet auch eine Sachbeschädigung nach § 125 StGB aus. f) Durch das Mitnehmen der Dienstmütze des Beamten als Souvenir könnte A eine Anschlussunterschlagung (§ 134 Abs 2 StGB) begangen haben: A hat mit dem Wegfahren das Auto weggenommen und dabei gleichzeitig, ohne einen Zueignungsvorsatz zu haben, alle Gegenstände im Auto in seinen Gewahrsam gebracht.27 Tathandlung der Unterschlagung ist die Zueignung: Sie ist gegeben, wenn A die Mütze mit nach Hause nimmt und dort verbirgt. Auf der inneren Tatseite muss A den Vorsatz haben, sich durch Zueignung der Mütze unrechtmäßig zu bereichern; das ist anzunehmen, wenn A die Mütze auf Dauer als Souvenir behalten will. 24 25 26 27
92
Fuchs AT I 13. Kap Rz 47f, K/H AT Z 27 Rz 9. B/S BT I § 136 Rz 18. B/S BT I § 136 Rz 24f. B/S BT I § 134 Rz 9.
Fall 4: „Flucht mit Polizeiauto“
2. a) Die Freundin B könnte durch ihre falschen Angaben gegenüber den Polizisten, A sei geschäftlich ins Ausland verreist, eine Begünstigung (§ 299 StGB) begangen haben: A hat laut Sachverhalt einen Betrug begangen. Der Täter nach § 299 StGB muss den Begünstigten der Strafverfolgung entziehen, indem er IHNÏVERBIRGTÏODERÏIHMÏHILFT ÏUNTERZUTAUCHENÏODERÏZUÏmIEHENÏ"LOÏFALSCHEÏ Angaben gegenüber Polizeiorganen sind nicht tatbildlich; sie sind, wenn überhaupt, nur nach den Aussagedelikten gemäß §§ 288ff StGB strafbar.28 Daher scheidet eine Strafbarkeit nach § 299 StGB aus. Dass B mit A geMEINSAMÏVORÏDERÏ0OLIZEIÏmIEHTÏUNDÏIMÏ0OLIZEIAUTOÏMITFÇHRT ÏISTÏEBENFALLSÏ nicht nach § 299 StGB tatbildlich. Der OGH und die herrschende Meinung erkennen jedoch auch falsche Auskünfte gegenüber Exekutivorganen als Begünstigungshandlungen an.29 Nach dieser Auffassung könnte B eine Begünstigung begangen haben: B hat offensichtlich den Vorsatz, dass die Beamten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Da sie aber dennoch Nachschau in der Wohnung halten und die Verfolgung des A somit nicht verzögert wird, könnte NURÏ EINÏ 6ERSUCHÏ VORLIEGENÏ $IEÏ "EG¿NSTIGUNGÏ WÇREÏ ABERÏ STRAmOS Ï WENNÏ sie einen Angehörigen vor der Strafverfolgung schützen soll (§ 299 Abs 3 StGB). B lebt zwar erst seit einer Woche mit A zusammen, aber es genügt für eine Lebensgemeinschaft iSd § 72 Abs 2 StGB, wenn das Zusammenleben mit der Absicht begonnen wurde, eine Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft zu begründen. In diesem Fall ist B Angehörige des A und ihre Strafbarkeit entfällt nach § 299 Abs 3 StGB. b) Für B, die beim Einsperren der Beamten dabei ist und im Polizeiauto mitfährt, kommt noch eine Beitragstäterschaft zu §§ 15, 99 Abs 1 sowie § 136 Abs 1 StGB in Betracht: Voraussetzung für einen Beitrag zur (versuchten) Freiheitsentziehung ist, dass dieser Plan vorher abgesprochen wurde. Nur dann könnte ein psychischer Beitrag durch Bestärken des Tatentschlusses angenommen werden. Das bloße Wahrnehmen, dass A die Wohnung versperrt, reicht dafür nicht aus. Hinsichtlich eines möglichen Beitrags am unbefugten Fahrzeuggebrauch ist ebenfalls das bloße Mitfahren zu wenig. Ein Beitrag käme nur in Betracht, wenn B das Fahrtziel (mit)bestimmt.30 Wenn diese beiden Voraussetzungen nicht vorliegen und daher die Beitragstäterschaft entfällt, könnte noch an § 286 StGB (Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung) gedacht werden: 28 29 30
B/S BT II § 299 Rz 3. Vgl B/S BT II § 299 Rz 3 mwN. B/S BT I § 136 Rz 8, Fuchs AT I 33. Kap Rz 53f. 93
IV. Schwaighofer
Die Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB wurde möglicherweise bereits versucht und ist mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht. B könnte die Ausführung wohl verhindern, indem sie zB die Tür wieder aufsperrt. Aber für B trifft der Entschuldigungsgrund nach § 286 Abs 2 Z 1 StGB zu: Die Verhinderung war in diesem Fall nicht möglich, ohne den Angehörigen A der Strafverfolgung (das ist ein beträchtlicher Nachteil) auszusetzen.
Fall 5: „Zweifelhafte Geldbeschaffung“ A, ein 18-jähriger junger Mann, der auf Grund einer geistigen Behinderung entwicklungsmäßig auf dem Niveau eines 10-Jährigen geblieben ist, soll in ein Heim, weil seine Mutter ihn zu Hause nicht mehr erträgt. Das will er unter allen Umständen verhindern. Er klagt sein Leid einem Bekannten B. B, der dem A helfen will, sagt, er müsse eben Geld besorgen, dann brauche er nicht ins Heim. Da erinnert sich A eines Wandtresors, der SICHÏINÏDERÏ7OHNUNGÏDERÏ-UTTERÏBElNDETÏ)MÏ4RESOR ÏSOÏERZÇHLTÏ!ÏDEMÏ B, verwahre seine Mutter immer ein paar hundert Euro und auch den Typenschein für ihr Moped. B schlägt dem A daraufhin vor, den Tresor herbeizuschaffen. Mit dem Geld könnte man eine Unterkunft für A besorgen und mit dem Typenschein könnte man auch das Moped verkaufen. Gleich am nächsten Tag stemmt A den eingemauerten Tresor mit einem Brecheisen aus der Wand und nimmt ihn mit. In der Wohnung des B brechen sie gemeinsam den Tresor auf. Er enthält zwar nur wenig Bargeld und den Typenschein des Mopeds, aber – überraschenderweise – auch einigen Schmuck. B nimmt das Geld und den Typenschein in Verwahrung; für den Schmuck sieht er keine Verwendung, weshalb sie den kaputten Tresor mitsamt dem Schmuck in die Sill werfen. Beurteilen Sie die Strafbarkeit von A und B!
Lösung 1. a) A, der den Tresor mit Geld und Typenschein aus der Wand bricht, könnte einen Diebstahl (§ 127 StGB) begangen haben: Das im Tresor enthaltene Geld ist eine fremde bewegliche Sache; mit dem Herausbrechen und Entfernen aus der Wohnung der Mutter hat A den Gewahrsam der Mutter gebrochen und Alleingewahrsam daran be94
Fall 5: „Zweifelhafte Geldbeschaffung“
gründet.31 Er hat in diesem Zeitpunkt der Wegnahme auch den Vorsatz, sich durch Zueignung des Geldes unrechtmäßig zu bereichern. :UÏDENKENÏWÇREÏANÏDIEÏ1UALIlKATIONÏNACHϧ 129 StGB (Einbruchsdiebstahl). A hat den Diebstahl aber nicht begangen, indem er in eine Wohnstätte usw eingebrochen oder eingestiegen ist (Z 1), und er hat den Diebstahl auch nicht begangen, indem er ein Behältnis aufgebrochen hat :Ï Ï$IESEÏ1UALIlKATIONÏKOMMTÏNURÏZUMÏ4RAGEN ÏWENNÏDASÏ!UFBRECHENÏ der Wegnahme vorangeht.32 In unserem Fall wird das Behältnis erst zu einem Zeitpunkt aufgebrochen, als A die Sache (den Tresor samt Inhalt) bereits weggenommen hatte. Auch die Z 3 des § 129 StGB ist nicht erfüllt, weil die Mauer, in der der Tresor eingebaut ist, keine Sperrvorrichtung darstellt.33Ï$IEÏ1UALIlKATIONENÏNACHÏeÏÏ3T'"Ïscheiden daher aus. Da das Geld der Mutter gehört, wird der Diebstahl zum Nachteil eines Angehörigen begangen. Somit ist die Privilegierung nach § 166 Abs 1 StGB (Begehung im Familienkreis) erfüllt. b) A will auch den Typenschein erbeuten. Der Typenschein ist als DIEBSTAHLSFÇHIGEÏ3ACHEÏANZUSEHEN ÏWEILÏDASÏ/PFERÏEINIGEÏlNANZIELLEÏ-ITtel aufwenden muss, um sich ein Duplikat zu beschaffen.34 Mit der Wegnahme des Tresors wird auch der Typenschein weggenommen. Da geplant ist, den Typenschein später gemeinsam mit dem Moped der Mutter einem Käufer zu übergeben, ist in diesem Fall auch der auf der inneren Tatseite erforderliche Vorsatz, sich oder einen Dritten durch Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, gegeben. Somit liegt auch hinsichtlich des Typenscheins ein Diebstahl nach § 127 StGB (wiederum privilegiert nach § 166 StGB) vor. Die Rsp und Teile der Lehre würden hinsichtlich des Typenscheins allerdings eine Urkundenunterdrückung nach § 229 StGB annehmen, weil der Typenschein nicht als diebstahlsfähige Sache angesehen wird.35 c) Am Tresor selbst begeht A keinen Diebstahl, weil er keinen Vorsatz hat, sich durch Zueignung des Tresors unrechtmäßig zu bereichern. Vermutlich hatte A bei der Wegnahme den Vorsatz, den Tresor dann später beiseite zu schaffen (wegzuwerfen). Dann erfüllt A den Tatbestand der dauernden Sachentziehung (§ 135 StGB); die durch das Aufbrechen entstandene Sachbeschädigung am Tresor (§ 125 StGB) wird von § 135 StGB konsumiert.36 31 32 33 34 35 36
B/S BT I § 127 Rz 13, 15. B/S BT I § 129 Rz 14. B/S BT I § 129 Rz 11. B/S BT I § 127 Rz 3. Vgl B/S BT I § 127 Rz 4, BT II § 229 Rz 8f mwN. B/S BT I § 125 Rz 11. 95
IV. Schwaighofer
d) Die Wand, in der sich der Tresor befunden hat und aus der der Tresor herausgestemmt wird, wird zweifellos beschädigt. Daher verantwortet A an der Mauer den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 125 StGB), die ebenfalls nach § 166 StGB privilegiert ist (Wohnung der Mutter). e) Mit dem Geld und dem Typenschein erbeutet A auch Schmuck, von dem er allerdings nichts wusste. Da A im Zeitpunkt der Wegnahme somit keinen Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz in Bezug auf den Schmuck hatte, kann er diesbezüglich keinen Diebstahl (§ 127 StGB) begehen.37 Da eine dauernde Sachentziehung (§ 135 StGB) nach Auffassung von B/S38 einen Entziehungsvorsatz im Zeitpunkt der Wegnahme verlangt, scheidet auch dieser Deliktstypus aus. Durch das Versenken des Schmucks in der Sill könnte A höchstens wieder eine Sachbeschädigung (§ 125 StGB) begangen haben, weil die Sachen (falls es sich um unechten Modeschmuck handelte) allmählich kaputt werden. Darauf müsste sich auch der Vorsatz des A beziehen. Der OGH, der eine dauernde Sachentziehung auch an Sachen für MGLICHÏHÇLT ÏDIEÏSICHÏBEREITSÏIMÏ'EWAHRSAMÏDESÏ4ÇTERSÏBElNDEN ÏW¿RDEÏ A bezüglich des Schmucks nach § 135 StGB verurteilen.39 Zusammenfassend hat A durch seine Handlungen einen Diebstahl am Geld und am Typenschein, eine dauernde Sachentziehung am Tresor sowie eine Sachbeschädigung an der Wand (und eventuell am Schmuck) begangen, wobei all diese Delikte nach § 166 StGB privilegiert sind. Da A nach den Angaben im Sachverhalt aber auf dem Niveau eines 10Jährigen stehen geblieben ist, ist von einer fehlenden Dispositions- und Diskretionsfähigkeit und damit von einer Schuldunfähigkeit iSd § 11 StGB auszugehen (Zurechnungsunfähigkeit wegen Schwachsinns).40 2. a) B will A bei der Geldbeschaffung helfen und macht den Vorschlag, den Tresor mit dem darin erhofften Geld und dem Typenschein herbeizuschaffen. Daher kann sich B wegen Bestimmungstäterschaft zu den von A begangenen Handlungen strafbar gemacht haben: Er weckt in A den Tatentschluss, den Tresor samt Inhalt herauszubrechen und herbeizuschaffen. Auf der inneren Tatseite hat B auch den Vorsatz, dass A diese Handlungen vornimmt. B haftet dafür nach § 12 2. Fall, § 127, § 135 und § 125 StGB. Auch bei ihm ist ein Zueignungsund Bereicherungsvorsatz in Bezug auf Geld und Typenschein sowie 37 38 39 40
96
B/S BT I § 127 Rz 25. BT I § 135 Rz 10. Vgl B/S BT I § 135 Rz 4 mwN. Fuchs AT I 22. Kap Rz 1ff.
Fall 6: „Mantelverwechslung“
der Vorsatz auf Beseitigung des Tresors und auf Beschädigung der Wand anzunehmen.41 Für den Schmuck gilt das zu A Gesagte. Hinsichtlich der Beschädigung des Tresors, die er ja gemeinsam mit A vornimmt, wäre A unmittelbarer Täter, doch ändert dies nichts an der Konsumtion der Sachbeschädigung durch die dauernde Sachentziehung. Auch bezüglich des Schmucks, den B gemeinsam mit A in die Sill wirft, wäre B unmittelbarer Mittäter.42 b) Zu prüfen ist noch, ob auch dem B die Privilegierung nach § 166 StGB zugute kommt. Nach § 166 Abs 2 StGB ist dies dann der Fall, wenn sich B nur zum Vorteil des A an der Tat beteiligt.43 Ob dies zutrifft, ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Aber den Umständen nach ist davon auszugehen, dass die Tat ausschließlich dem A zugute kommen soll, sodass diese Voraussetzung erfüllt ist.
Fall 6: „Mantelverwechslung“ A geht mit seinem „Kumpel“ B nach der Arbeit in ein Lokal: Nach einigen Gläsern Wein verlassen die beiden das Lokal; A nimmt beim Hinausgehen einen Trenchcoat mit, obwohl er gar keinen Mantel getragen hatte. Das fällt B nicht auf, bis A ihm auf der Straße sagt, er habe eben in dem Mantel einen Mercedesschlüssel entdeckt. B schlägt ihm vor, den dazugehörigen Wagen zu suchen. Sie haben ihn bald gefunden. Niemand ist in der Nähe; so steigen sie ein und brausen mit dem Mercedes davon. A steuert den Wagen trotz erheblicher Alkoholisierung und obwohl er noch keinen Führerschein besitzt. Bei einer Kurve kommen sie zu weit hinaus und beschädigen einen Zaun. Der Wagen ist schwer ramponiert; daraufhin lassen sie das Auto stehen und suchen das Weite. Wonach haben sich A und B strafbar gemacht?
Lösung 1. A, der den falschen Trenchcoat samt Schlüssel beim Hinausgehen mitnimmt, könnte einen Diebstahl (§ 127 StGB) begangen haben: Hinsichtlich des Mantels ist am Tatobjekt des § 127 StGB (fremde bewegliche Sache) nicht zu zweifeln. Entscheidend ist, ob A im Zeitpunkt, 41 42 43
Fuchs AT I 33. Kap Rz 30, K/H AT E 4 Rz 31. K/H AT E 3 Rz 5ff. B/S BT I § 166 Rz 5f. § 166 Abs 2 StGB gilt analog auch für § 125 StGB. 97
IV. Schwaighofer
als er den Mantel von der Garderobe nahm, den Vorsatz hatte, sich durch Zueignung des Mantels unrechtmäßig zu bereichern. Dies lässt sich aus dem Sachverhalt nicht verlässlich beantworten; da er aber gar keinen Mantel mithatte, ist eine Verwechslung auszuschließen und eher von einem Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz auszugehen. A hat also am Mantel einen Diebstahl begangen. Mit dem Mantel wird auch der Schlüssel weggenommen; im Zeitpunkt der Wegnahme hatte A aber gewiss keinen Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz am Schlüssel, weil er von dem Schlüssel noch gar nichts wusste.44 Daher scheidet ein Diebstahl aus. Hinsichtlich des Schlüssels könnte eine Anschlussunterschlagung (§ 134 Abs 2 StGB) geprüft werden: Der Schlüssel wurde (mit dem Mantel) weggenommen, wobei A in diesem Zeitpunkt keinen Zueignungsvorsatz hatte.45 Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 134 Abs 2 StGB ist aber, dass sich der Täter den Schlüssel mit dem Vorsatz zueignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern. Da A (und B) bloß den Vorsatz fassen, den Schlüssel zum unbefugten Gebrauch eines Fahrzeugs zu verwenden, ist ein Zueignungsvorsatz zu verneinen.46 Was die beiden weiter mit dem Schlüssel tun wollen, geht aus dem Sachverhalt nicht hervor. Selbst wenn A vorgehabt hätte, den Schlüssel wegzuwerfen, könnte er keine dauernde Sachentziehung mehr begehen, weil § 135 StGB verlangt, dass der Täter im Zeitpunkt der Wegnahme den Vorsatz auf dauernde Entziehung der Sache fasst.47 Nach Auffassung des OGH, der eine dauernde Sachentziehung auch an Sachen für möglich hält, die sich bereits im Gewahrsam des Täters BElNDEN ÏWÇREÏHINGEGENÏINÏDIESEMÏ&ALLÏEINEÏ3TRAFBARKEITÏNACHÏeÏÏ3T'"Ï zu bejahen.48 2. B hat laut Sachverhalt nicht bemerkt, dass A einen fremden Mantel mitgenommen hat. Es gibt keinen Hinweis im Sachverhalt, dass B in irgendeiner Weise am Diebstahl des Mantels beteiligt sein könnte, und es gibt auch keinen Hinweis, dass er den Mantel später an sich nimmt, was zur Annahme einer Hehlerei führen könnte. Daher haftet B für die Wegnahme des Mantels nicht. Hinsichtlich des Schlüssels ist B gleichermaßen straffrei wie A.
44 45 46 47 48
98
B/S BT I § 127 Rz 25. B/S BT I § 134 Rz 9. B/S BT I § 127 Rz 19. B/S BT I § 135 Rz 3, 10. Vgl B/S BT I § 135 Rz 4 mwN.
Fall 6: „Mantelverwechslung“
3. Hinsichtlich des Wegfahrens mit dem Mercedes ist ein unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen (§ 136 StGB) zu prüfen: A fährt das Auto selbst und ist daher unmittelbarer Täter nach § 136 Abs 1 StGB. Auf der inneren Tatseite verlangt § 136 StGB den Vorsatz, das Kfz (nur) vorübergehend zu verwenden und es dann in einer Weise stehen zu lassen, die die Rückerlangung durch den Berechtigten gewährleistet. Das ist bei A mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Eine dauernde Sachentziehung nach § 135 StGB ist eher auszuscheiden, weil sie ursprünglich wohl nicht den Vorsatz hatten, das Auto so zurückzulassen, dass es dem Eigentümer nicht mehr zukommen wird.49 B hat den Vorschlag gemacht, den Mercedes zu suchen und wohl auch in Gebrauch zu nehmen. Daher ist B wegen Bestimmungstäterschaft gemäß §§ 12 2. Fall, 136 Abs 1 StGB strafbar: Er hat den Vorsatz, A zur unmittelbaren Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs zu veranlassen, und hat wohl ebenso den Vorsatz, dass der Mercedes nur vorübergehend verwendet und dann wieder so zurückgelassen werde, dass er aufgefunden wird. Unmittelbarer Täter nach § 136 Abs 1 StGB ist nur, wer selbst das Fahrzeug lenkt.50 Zu prüfen sind noch allfällige 1UALIlKATIONENÏdes § 136 StGB: § 136 Abs 2 StGB wird verwirklicht, wenn das Auto mit Hilfe eines widerrechtlich erlangten Schlüssels (weggenommener Schlüssel iSd § 129 Z 1 StGB) in Gebrauch genommen wird. A hat den Schlüssel mit dem Mantel weggenommen, und diese Wegnahme war zweifellos widerrechtlich, sodass A nach § 136 Abs 2 StGB haftet. !UCHÏ DEMÏ "Ï ISTÏ DIEÏ 1UALIlKATIONÏ NACHÏ eÏ Ï !BSÏ Ï 3T'"Ï ANZULASten, weil zur Ingebrauchnahme des Wagens der von A widerrechtlich erlangte Schlüssel verwendet wird und B auch einen diesbezüglichen Vorsatz hat: Er weiß ja laut Sachverhalt, dass sich der Schlüssel in dem von A weggenommenen Mantel befand. $AÏDASÏ!UTOÏIMÏ:UGEÏDERÏ&AHRTÏBESCHÇDIGTÏWIRD ÏISTÏDIEÏ1UALIlKATIon nach § 136 Abs 3 StGB zu prüfen: Wenn der Schaden am Fahrzeug (nicht am Zaun!)51Ï ÏãÏ ¿BERSTEIGT Ï WOVONÏ AUSZUGEHENÏ ISTÏ uSCHWERÏ RAMPONIERTh Ï VERWIRKLICHTÏ !Ï DIESEÏ 1UALIlKATION Ï WEILÏ DIESERÏ 3CHADENÏ von ihm fahrlässig herbeigeführt wurde. !UCHÏ DEMÏ "Ï ISTÏ DIESEÏ 1UALIlKATIONÏ ANZULASTEN Ï WEILÏ ERÏ JAÏ DENÏ 6ORschlag zur Fahrt mit dem Mercedes gemacht hat und ihm insofern Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, als er den alkoholisierten A, der noch dazu keinen Führerschein besitzt, zur Fahrt animiert hat.
49 50 51
B/S BT I § 136 Rz 17f. B/S BT I § 136 Rz 8. B/S BT I § 136 Rz 25. 99
IV. Schwaighofer
4. Die Beschädigung des Zaunes erfolgt nur fahrlässig und ist deshalb nicht nach § 125 StGB strafbar. 5. Das Stehen-Lassen des Fahrzeugs nach dem Unfall ändert nichts an der Strafbarkeit der beiden.
Fall 7: „Die Leihschier“ Ein deutscher Urlaubsgast G mietet sich ein Paar Leihschier. Am Ende des Schitags macht er einen „Einkehrschwung“ in einer Schihütte bei der Talstation der Gondelbahn. Als er herauskommt, bemerkt er, dass die Leihschier weg sind. Kurz entschlossen nimmt er ein anderes, ähnlich aussehendes Paar vom Schiständer und begibt sich damit zum Schiverleiher. Er hofft, dass dem Verleiher der „Austausch“ der Schier nicht auffällt. Das funktioniert aber nicht: Der Schiverleiher bemerkt sofort, dass G die falschen Schier zurückgebracht hat. ZähneKNIRSCHENDÏBEZAHLTÏ'ÏÏãÏF¿RÏDIEÏVERLORENENÏ3CHIERÏDIEÏuFALSCHENhÏ Schier lässt der frustrierte Gast einfach stehen. Beurteilen Sie die Strafbarkeit des G!
Lösung 1. a) Hinsichtlich der Wegnahme der Schier durch G ist an einen Diebstahl (§ 127 StGB) zu denken: Die Schier sind eine fremde, bewegliche Sache iSd § 127 StGB, weil sie im Eigentum eines anderen stehen, ohne Substanzverlust an einen anderen Ort gebracht werden können und einen Wert haben. Die SchiER ÏDIEÏAMÏ3CHISTÇNDERÏNEBENÏEINERÏ3CHIH¿TTEÏSTEHEN ÏBElNDENÏSICHÏIMÏ Gewahrsam des Eigentümers, weil sie so zurückgelassen wurden, wie MANÏ SIEÏ ¿BLICHERWEISEÏ ZUR¿CKZULASSENÏ PmEGT52 Mit der Wegnahme der Schier vom Ständer bricht G den fremden Gewahrsam und begründet eigenen Alleingewahrsam, womit der Diebstahl vollendet wäre. Auf der inneren Tatseite verlangt § 127 StGB den Vorsatz, sich oder einen Dritten durch Zueignung der Sache unrechtmäßig zu bereichern. Der Täter muss also den Vorsatz haben, die Sache in sein Vermögen oder in das eines Dritten überzuführen, sowie den Vorsatz, sich oder den Dritten gerade um den Wert der Sache selbst unrechtmäßig zu bereichern.53 52 53
100
B/S BT I § 127 Rz 10. B/S BT I § 127 Rz 18–24.
Fall 7: „Die Leihschier“
G hat nicht den Vorsatz, sich selbst gerade um den Wert dieser Schier unrechtmäßig zu bereichern. Er will die Schier ja dem Verleiher überlassen und sich selbst nur eine Ersatzzahlung für die abhanden gekommenen Schier ersparen. Das ist zwar eine unrechtmäßige Bereicherung, aber nicht durch Zueignung an sich selbst. G will die Schier beim Schiverleiher als die von ihm entlehnten zurückgeben und hofft, dass der Verleiher diese Schier akzeptiert und er deswegen nichts für den Verlust der eigentlich entlehnten Schier bezahlen muss. Was weiter geschieht, das dürfte dem G gleichgültig gewesen sein: Ob der Verleiher die (gleichwertigen) Schier behält und weiter als Leihschier verwendet oder ob der Verleiher die Schier wieder wird herausgeben müssen, das kümmert den G nicht. Wenn G einen derartigen alternativen Vorsatz hat, dann hat er jedenfalls auch den Vorsatz, einen Dritten durch Zueignung unrechtmäßig zu bereichern: nämlich den Verleiher, der die Schier behalten soll; dies ist eine unrechtmäßige Bereicherung, weil der Verleiher objektiv kein Recht auf das Behalten dieser Schier hat. Damit hat G auch auf der inneren Tatseite die Voraussetzungen eines Diebstahls erfüllt. b) G könnte durch die Wegnahme der Schier auch eine dauernde Sachentziehung (§ 135 StGB) begangen haben: Voraussetzung dafür wäre, dass er bei der Wegnahme damit rechnet, dass der Eigentümer nicht mehr zu seinen Schiern kommen wird, und SICHÏDAMITÏABlNDETÏ!UCHÏDASÏWIRDÏMANÏDENÏ5MSTÇNDENÏNACHÏANNEHMENÏ können. Wenn er aber (auch) den Vorsatz hat, dass der Schiverleiher die Schier behalten wird, dann hat er einen Zueignungsvorsatz, der die Anwendung des § 135 StGB ausschließt.54 Wenn G hingegen nicht damit gerechnet hat, dass dem Schiverleiher die Schier bleiben werden, sondern dass er sie wieder wird herausgeben müssen, dann kommt anstelle eines Diebstahls die dauernde Sachentziehung nach § 135 StGB in Betracht: Die Entziehung der Sache in Form einer Wegnahme ist eindeutig gegeben; der Verlust der Schier ist für den Eigentümer selbstverständlich ein Schaden. Mit der Entziehung ist die dauernde Sachentziehung nach hA vollendet.55 Was die innere Tatseite betrifft, so ist § 135 StGB zu bejahen, wenn G im Zeitpunkt der Wegnahme annimmt, dass der Eigentümer seine Schier nicht wieder zurückerlangen wird (Schädigungsvorsatz).56 Rechnet G hingegen in diesem Zeitpunkt damit, dass der Eigentümer seine Schier wieder bekommen wird, scheidet § 135 StGB aus. 54 55 56
B/S BT I § 135 Rz 8. B/S BT I § 135 Rz 6; aM Kienapfel BT II § 135 Rz 30f. B/S BT I § 135 Rz 7. 101
IV. Schwaighofer
2. Das Abgeben der falschen Schier ist unter dem Aspekt eines Betruges (§ 146 StGB) zu untersuchen: G möchte den Schiverleiher dazu veranlassen, die falschen Schier zu akzeptieren und von einer Ersatzforderung wegen der dem G abhanden gekommenen Schier abzusehen. Da dieser Plan nicht aufgeht, kommt nur ein Versuch gemäß §§ 15, 146 StGB in Betracht: G hat bereits eine Ausführungshandlung gesetzt, weil er mit dem Hingeben der falschen Schier den Verleiher konkludent getäuscht hat.57 Diese Täuschungshandlung soll den Schiverleiher dazu veranlassen, diese Schier zu akzeptieren und keine Ersatzforderung zu stellen. Diese Handlung bzw Unterlassung muss den Getäuschten (den Schiverleiher) oder einen anderen am Vermögen schädigen. Als Schaden käme in Betracht, dass der Verleiher von der ihm zusteHENDENÏ&ORDERUNGÏVONÏÏãÏDIEÏ'ÏLETZTLICHÏJAÏBEZAHLENÏMUSS ÏABSIEHTÏ Allerdings soll er ein anderes Paar Schi als „Ersatz“ bekommen. Da es sich dabei um fremde Schier handelt, erlangt der Schiverleiher daran zwar kein Eigentum; wenn es aber unwahrscheinlich ist, dass der Schiverleiher die Sache wieder herausgeben muss, dann ist die Nichterlangung des Eigentums bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise noch kein Schaden.58 Ein Schaden wäre dann gegeben, wenn die zurückgebrachten Schier gegenüber den entliehenen Schiern minderwertig sind (Differenzschaden).59 Der OGH nimmt generell einen Betrug an, wenn dem Käufer einer deliktisch erworbenen Sache kein Eigentum verschafft wird.60 Auf der inneren Tatseite muss G insbesondere einen Schädigungsvorsatz haben und den Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern. Ein Schädigungsvorsatz ist auszuschließen, wenn G damit rechnet, dass der Schiverleiher die Schier behalten kann und sie wertmäßig den tatsächlich entliehenen Schiern entsprechen. Da G (auch) annimmt, dass der Verleiher die Schier behalten kann (s oben), kommt ein Betrug nur mehr in Betracht, wenn G den Vorsatz hat, dass die zurückgebrachten Schier gegenüber den entliehenen minderwertig sind (Differenzschaden). Ob das zutrifft oder nicht, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Aber da es sich um ein ähnlich aussehendes Paar handelt, könnte man annehmen, dass sie auch den gleichen Wert haben, was einen Schädigungsvorsatz ausschließen würde. Hatte G hingegen den Vorsatz, dass der Schiverleiher die Schier wieder herausgeben wird müssen bzw dass sie minderwertig sind, dann ist ein Betrugsversuch anzunehmen, da diesfalls ein Schädigungsvorsatz und auch ein Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung (Ersparnis der SONSTÏZUÏZAHLENDENÏÏã ÏGEGEBENÏSINDÏ 57 58 59 60
102
Fuchs AT I 29. Kap Rz 21ff. B/S BT I § 146 Rz 23. B/S BT I § 146 Rz 28. Vgl Kienapfel BT II § 146 Rz 166 mwN.
Fall 8: „Überforderter Briefträger“
Der Versuch ist nicht absolut untauglich, weil es bei einer ex-anteBeurteilung eines begleitenden Beobachters nicht völlig ausgeschlossen erscheint, dass die Täuschung funktioniert (es geht um die Tauglichkeit der Handlung).61 Dass das Gelingen des Plans sehr unwahrscheinlich ist, weil die Schier üblicherweise mit einem Strichcode ausgestattet sind, ändert nichts an der Tauglichkeit. Da der Schiverleiher die Schier sofort als die falschen erkennt, handelt es sich um einen fehlgeschlagenen Versuch, von dem ein Rücktritt nicht mehr möglich ist.62 3. Das Stehen-Lassen der Schier nach dem gescheiterten Rückgabeversuch ändert an der Strafbarkeit des G nichts mehr: § 135 StGB kommt nur zur Anwendung, wenn der Täter im Zeitpunkt des Gewahrsamsbruchs den Vorsatz auf dauernde Entziehung hat.63 Nach Auffassung des OGH kann die dauernde Sachentziehung hingegen auch dadurch begangen werden, dass der Täter eine fremde Sache aus seinem Gewahrsam wegwirft oder preisgibt.64 Mit dem Wortlaut des § 135 StGB ist die Ansicht des OGH nicht mehr vereinbar. Im Übrigen ist es im Zeitpunkt des Stehen-Lassens der Schier ohnehin unwahrscheinlich, dass G an eine dauernde Entziehung denkt; im Gegenteil wird er eher damit rechnen, dass auf diese Weise die Schier an den wahren Eigentümer zurückgelangen. Aber für eine tätige Reue reicht das auch nicht.
Fall 8: „Überforderter Briefträger“ Ein Briefträger B fühlt sich heillos überlastet. Vor Weihnachten hat er neben der normalen Post eine gewaltige Menge von Werbesendungen auszutragen. So beschließt er, sich die Arbeit etwas zu erleichtern, und wirft einen großen Stapel Werbesendungen sowie einige besonders schwere, auf Hochglanzpapier gedruckte Zeitschriften in den nächsten Altpapiercontainer. Einige Zeit später kommt A vorbei und sieht bei einem zufälligen Blick in den Altpapiercontainer obenauf eine ganz aktuelle ZeitSCHRIFT ÏDIEÏERÏSICHÏOHNEHINÏKAUFENÏWOLLTEÏ%RFREUT ÏDASSÏERÏSICHÏÏãÏ gespart hat, nimmt er die Zeitschrift heraus und steckt sie ein. Prüfen Sie die Strafbarkeit von B und A! 61 62 63 64
K/H AT Z 24 Rz 12f. Fuchs AT I 31. Kap Rz 22ff, K/H AT Z 23 Rz 20f. B/S BT I § 135 Rz 3f, 10. Vgl B/S BT I § 135 Rz 4 mwN. 103
IV. Schwaighofer
Lösung 1. a) Durch das Wegwerfen der Werbesendungen und Zeitschriften in einen Altpapiercontainer könnte sich B nach § 133 StGB (Veruntreuung) strafbar gemacht haben: Gegenstand der Veruntreuung ist ein Gut, das dem Täter anvertraut wurde. Die Poststücke sind ein fremdes Gut iSd § 133 StGB, weil sie im Eigentum eines anderen (des Absenders) stehen und einen Wert (Verkaufspreis der Zeitungen, Herstellungskosten der Werbesendungen) repräsentieren. Der Briefträger übernimmt die auszutragende Post beim zuständigen Postamt; die Post wird ihm dadurch in seinen Alleingewahrsam übergeben, weil sein Dienstgeber nach der Übergabe keine faktische Zugriffsmöglichkeit mehr auf die Poststücke besitzt (die Absender haben ihren Gewahrsam bereits mit dem Einwerfen in den Postkasten oder mit der Abgabe der Sendungen beim Postamt aufgegeben). $ERÏ"RIEFTRÇGERÏHATÏDIEÏ6ERPmICHTUNG ÏMITÏDERÏ0OSTÏAUFÏGANZÏBESTIMMTEÏ Art und Weise zu verfahren (sie auszutragen). Daher ist die Post dem Briefträger anvertraut iSd § 133 StGB.65 Ausführungshandlung der Veruntreuung ist die Zueignung (selbst oder einem Dritten).66 Der Briefträger eignet sich die Post eindeutig nicht selbst zu: Er führt sie nicht in sein Vermögen über, sondern wirft sie in einen Altpapiercontainer. Dadurch werden die Werbesendungen und Zeitschriften in das Vermögen des Containeraufstellers übergeführt, so dass man insoweit von einer Zueignung an einen Dritten sprechen könnte. Allerdings wird mit dem Einwerfen in den Container nicht der in den Sendungen repräsentierte Wert in das Vermögen des Containeraufstellers übergeführt, sondern höchstens der (minimale) Wert als Altpapier (Gewicht). Daher kann man schon die Zueignung an einen Dritten verneinen. Auch der für eine Veruntreuung notwendige Vorsatz, sich oder einen Dritten durch Zueignung des Gutes unrechtmäßig zu bereichern, wäre zu verneinen: B will den in den Poststücken repräsentierten Wert nicht einem anderen zuführen, damit dieser dadurch unrechtmäßig bereichert wird, sondern er hat bloß den Vorsatz, sich der Poststücke zu entledigen.67 B hat sich somit nicht nach § 133 StGB strafbar gemacht. b) Zu prüfen ist, ob B sich nach § 135 StGB (Dauernde Sachentziehung) strafbar gemacht hat: Wie bereits oben ausgeführt, sind die Poststücke fremde bewegliche Sachen und daher geeignete Tatobjekte des § 135 StGB. Nach B/S68 und 65 66 67 68
104
B/S BT I § 133 Rz 3. B/S BT I § 133 Rz 11. B/S BT I § 133 Rz 21. BT I § 135 Rz 2f.
Fall 8: „Überforderter Briefträger“
einem Teil der Lehre ist die Tathandlung des § 135 StGB ein Gewahrsamsbruch. B hat die Poststücke im Tatzeitpunkt aber bereits in seinem Alleingewahrsam (sie wurden ihm anvertraut) und kann sie daher nicht wegnehmen. Nach dieser Auffassung scheidet § 135 StGB somit aus. Wenn man hingegen die Auffassung des OGH und eines anderen Teiles der Lehre vertritt, wonach die Tathandlung lediglich die Herstellung eines Zustandes ist, durch den dem Berechtigten die Sachen auf Dauer vorenthalten werden, so ist eine dauernde Sachentziehung auch an anvertrauten Sachen möglich.69 Durch die Entsorgung in den Altpapiercontainer werden sie dem Berechtigten zweifellos dauernd entzogen. Auf eine derartige dauernde Entziehung erstreckt sich auch der Vorsatz des B. Nach dieser Meinung, die dem Wortlaut des § 135 StGB aber nicht entspricht, wäre B somit nach § 135 StGB strafbar, da auch keine Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- oder Strafausschließungsgründe ersichtlich sind. c) Wenn man (iSd Lehrmeinung von B/S) wie hier die Anwendbarkeit des § 135 StGB verneint, muss man prüfen, ob sich B nach § 125 StGB (Sachbeschädigung) strafbar gemacht hat: Die Post ist ein geeignetes Tatobjekt (s oben). Die Postsendungen werden zwar von B nicht unmittelbar zerstört oder beschädigt, aber B bewirkt mit dem Einwerfen in den Altpapiercontainer, dass das Altpapier in der Folge vom Containeraufsteller abgeholt und zwecks Herstellung neuen Papiers vernichtet wird. B wird ursächlich dafür, dass ein vorsatzlos handelndes Werkzeug (Containeraufsteller) die Post zerstört. Man könnte auch sagen, dass die Poststücke unbrauchbar gemacht werden, weil sie nicht mehr der zweckentsprechenden Verwendung dienen können.70 Freilich bleiben sie durch das Einwerfen in den Altpapiercontainer vorerst durchaus lesbar. Dass das Papier im Container der Vernichtung zugeführt wird, ist jedermann klar und gewiss auch dem B. Daher ist am notwendigen Vorsatz nicht zu zweifeln. Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass sich B nach § 125 StGB strafbar gemacht hat. B ist kein Beamter,71 daher ist § 313 StGB jedenfalls unanwendbar. 2. a)Ï! ÏDERÏEINEÏ:EITSCHRIFTÏIMÏ7ERTÏVONÏÏãÏAUSÏDEMÏ!LTPAPIERCONTAINERÏ nimmt, könnte sich nach § 127 StGB (Diebstahl) strafbar gemacht haben: Tatobjekt des § 127 StGB ist eine fremde bewegliche Sache. Fremd ist eine Sache, wenn sie im Allein- oder Miteigentum eines anderen steht. Die Zeitschrift bleibt, obwohl sie von B weggeworfen wird, im Eigen69 70 71
Vgl B/S BT I § 135 Rz 4 mwN. B/S BT I § 125 Rz 2f. Es wäre aber eine Einwirkung notwendig. B/S BT II § 302 Rz 4. 105
IV. Schwaighofer
tum des Absenders, also des Verlages. Erst mit der Übergabe an den Empfänger geht sie in dessen Eigentum über. B selbst kann fremdes Eigentum nicht aufgeben. (Nur wenn der Eigentümer selbst Sachen in den Müll-, Altpapier-, Glascontainer usw wirft, gibt er sein Eigentum daran auf. Im Übrigen enthalten manche Landesgesetze die Bestimmung, wonach mit dem Einwurf in derartige Container das Eigentum an den Sachen auf den Aufsteller der Container übergeht).72 Die Zeitschrift hat auch objektiv einen Tauschwert,ÏDAÏSIEÏAKTUELLÏISTÏUNDÏUMÏÏãÏVERKAUFTÏ wird. A nimmt die Zeitschrift weg, weil er den Gewahrsam des Containeraufstellers an diesen Sachen bricht und eigenen neuen Gewahrsam an der Zeitschrift begründet. Aber vermutlich hat der Containeraufsteller gegen die Entnahme einzelner Zeitungen gar nichts einzuwenden; dann liegt schon objektiv keine Wegnahme (= gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers) vor.73 Davon abgesehen verlangt § 127 StGB auf der inneren Tatseite den tatbestandsmäßigen Vorsatz auf alle Tatbildmerkmale und den überschießenden Vorsatz, sich durch die Zueignung der Sache unrechtmäßig zu bereichern. Vermutlich denkt sich A, dass jemand die Zeitschrift bald nach dem Kauf wieder weggeworfen hat, weil er sie bereits ausgelesen hat oder weil sie ihm nicht gefallen hat. A glaubt demnach, dass der Eigentümer der Zeitschrift sein Eigentum daran aufgegeben hat. Wenn A überdies annimmt, dass sie überhaupt herrenlos ist (dass sie auch nicht dem Containeraufsteller gehört), hat er keinen Vorsatz auf eine fremde Sache, sodass § 127 StGB ausscheidet. Selbst wenn A wüsste, dass die Sachen, die in den Container eingeworfen werden, nach dem geltenden Landesgesetz mit dem Einwurf in das Eigentum des Containeraufstellers übergehen, so kann er immer noch davon ausgehen, dass der Containeraufsteller mit der Entnahme einzelner Zeitschriften einverstanden ist, zumal der Schaden durch die Reduzierung des Altpapiergewichts quasi Null ist: Dann hat er keinen Vorsatz, einem anderen eine Sache gegen dessen Willen wegzunehmen. Somit scheidet § 127 StGB jedenfalls mangels Vorliegens der inneren Tatseite aus. Dies, obwohl er zweifellos den Vorsatz hat, sich die Sache zuzueignen. b) Eine Fundunterschlagung (§ 134 Abs 1 StGB) kommt nicht in Betracht, weil die Sache ja nicht gewahrsamsfrei ist, sondern im Gewahrsam des Containeraufstellers steht, was dem A auch klar sein dürfte.74 72 73 74
106
B/S BT I § 127 Rz 2. B/S BT I § 127 Rz 13, 16. B/S BT I § 134 Rz 3.
Fall 9: „Bankomat- und Kreditkartenmissbrauch“
c) Wenn man die Strafbarkeit nach § 127 StGB verneint, entfällt natürlich auch die Prüfung in Richtung der Privilegierung nach § 141 StGB (Entwendung), die hier erfüllt wäre: Die Zeitschrift hat nur einen geringen Wert, und sie wird zur Befriedigung eines Gelüstes (alsbaldiges Lesen) weggenommen. Schließlich (im Fall der Bejahung des § 127 bzw § 141 StGB) würde hier eindeutig der Strafausschließungsgrund nach § 42 StGB greifen, weil der Schaden völlig unbedeutend ist, die Schuld minimal und auch präventive Überlegungen nicht dagegen sprechen.75 Im Ergebnis bleibt A daher STRAmOS
Fall 9: „Bankomat- und Kreditkartenmissbrauch“ Die Mutter A übergibt ihrem 18-jährigen Sohn B ihre Bankomatkarte, teilt ihm den Code mit und bittet ihn, rasch zum nächsten BankoMATENÏ ZUÏ GEHENÏ UNDÏ F¿RÏ SIEÏ Ï ãÏ ZUÏ BEHEBENÏ $ERÏ 3OHNÏ BEHEBTÏ JEDOCHÏ Ï ãÏ DIEÏ VONÏ DERÏ -UTTERÏ BENTIGTENÏ Ï ãÏ LIEFERTÏ ERÏ SAMTÏ "ANKOMATKARTEÏBEIÏDERÏ-UTTERÏAB ÏDIEÏRESTLICHENÏÏãÏVERBRAUCHTÏERÏ für private Zwecke. Einige Tage später nimmt B die Kreditkarte seiner Mutter aus A’s Geldtasche. Per Telefon bucht er für sich und seine Freundin eine Bahnfahrt nach Amsterdam und retour und bezahlt die Fahrtkosten, indem er der Dame am Telefon die Nummer und das Gültigkeitsdatum der Kreditkarte ansagt. Wonach hat sich B strafbar gemacht?
Lösung A. Die Abhebung mit der Bankomatkarte: 1. B könnte sich nach § 241e Abs 1 StGB (Entfremdung unbarer Zahlungsmittel) strafbar gemacht haben. Tatobjekt ist ein echtes unbares Zahlungsmittel, über das der Täter nicht oder nicht allein verfügen darf.76 Die Bankomatkarte der Mutter ist ein unbares Zahlungsmittel iSd § 74 Abs 1 Z 10 StGB. Im vorliegenden Fall hat B aber auf Grund des Ersuchens der Mutter, mit ihrer Bankomatkarte Geld abzuheben, eine vorübergehende Verfügungsbefugnis, sodass es schon am Tatobjekt iSd § 241e Abs 1 StGB mangelt. Die geforderte Tathandlung, das „Sich-Verschaffen“ des fremden unbaren Zahlungsmittels, ist ebenfalls nicht erfüllt, weil B 75 76
Seiler AT II Rz 270ff. B/S BT II § 241e Rz 2. 107
IV. Schwaighofer
die Bankomatkarte nicht rechtswidrig (zB durch Wegnehmen, Abnötigen, Herauslocken)77 erlangt hat: Die Mutter hat ihrem Sohn die Bankomatkarte ja anvertraut. Somit scheidet § 241e Abs 1 StGB aus. 2. B könnte sich nach § 133 StGB (Veruntreuung) strafbar gemacht haben: Tatobjekt der Veruntreuung ist ein anvertrautes Gut. Die Mutter hat dem B die Bankomatkarte anvertraut, weil er sie mit ihrem Willen in SEINENÏ!LLEINGEWAHRSAMÏ¿BERNOMMENÏHATÏMITÏDERÏ6ERPmICHTUNG ÏDAMITÏ Geld zu beheben und Karte und Geld wieder zurückzubringen.78 Anvertrautes Gut sind auch die Ïã die B beheben sollte.79 B hat DENÏ!UFTRAG ÏDIESEÏ3UMMEÏDERÏ-UTTERÏABZULIEFERNÏDIEÏÏã ÏDIEÏERÏMITÏ Hilfe der Bankomatkarte abhebt, entsprechen dem Erlös, den zB ein Kommissionär aus dem Verkauf der Ware erzielt und den er dem Kommittenten abführen muss. Veruntreuung scheidet aber hinsichtlich der "ANKOMATKARTEÏ UNDÏ DERÏ Ï ãÏ DENNOCHÏ aus, weil sich B diese beiden 3ACHENÏJAÏNICHTÏZUEIGNET ÏSONDERNÏPmICHTGEMÇÏABF¿HRT80 Die Ïã die sich B behält, sind kein anvertrautes Gut, weil sich der Auftrag der Mutter darauf gar nicht erstreckt. Daher hat sich B nicht nach § 133 StGB strafbar gemacht. 3. B könnte sich nach § 127 StGB (Diebstahl) strafbar gemacht haben: Diebstahl verlangt die Wegnahme einer fremden, beweglichen SaCHEÏ$IEÏÏãÏSINDÏZWEIFELLOSÏEINÏSOLCHESÏ4ATOBJEKTÏ7EGNAHMEÏVERLANGTÏ den Bruch fremden Gewahrsams und die Begründung eigenen Alleingewahrsams. B erlangt dieses Geld aber nicht gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers (Firma Europay, die die Bankomaten betreibt).81 Wer im Besitz einer Bankomatkarte ist und den richtigen Code eingibt, dem wird „willentlich“ von der Maschine die gewünschte Geldsumme ausgezahlt. Die Maschine ist so programmiert, dass sie bei Übereinstimmung von Karte und Code den gewünschten Betrag „hingibt“. Somit liegt kein Diebstahl nach § 127 StGB vor. 82 Der OGH nimmt in diesem Fall einen Diebstahl an, weil eine willentliche „Hingabe“ des Geldes nur an den Berechtigten erfolge. Die willentliche Ausgabe stehe unter der Bedingung, dass der Berechtigte das Geld erhält. Unberechtigte erlangen es gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers.83 77 78 79 80 81 82 83
108
B/S BT II § 241e Rz 3; einige Autoren verstehen den Begriff „Sich-Verschaffen“ weiter. B/S BT I § 133 Rz 3. B/S BT I § 133 Rz 7. B/S BT I § 133 Rz 11, 13. B/S BT I § 127 Rz 13, 16. Fuchs/Reindl BT I 114. Vgl B/S BT I § 148a Rz 2 mwN.
Fall 9: „Bankomat- und Kreditkartenmissbrauch“
4. Auch eine Untreue (§ 153 StGB) kommt nicht in Betracht, weil B keine Befugnis hat, rechtsgeschäftlich über fremdes Vermögen zu verfügen; er hat nur eine faktische Verfügungsmöglichkeit mit Hilfe der Karte.84 5. Eine Strafbarkeit wegen Betruges (§ 146 StGB) kommt hier ebenfalls nicht in Betracht, weil nur Menschen getäuscht werden können. B tritt aber nur mit einer Maschine in Kontakt. 6. Zu prüfen ist die Strafbarkeit nach § 148a StGB (betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch): B gibt Daten ein (die Geheimzahl der Bankomatkarte und den geW¿NSCHTENÏ"ETRAG ÏUNDÏBEEINmUSSTÏDADURCHÏINSOFERNÏDASÏ%RGEBNISÏEINERÏ automationsunterstützten Datenverarbeitung, als mehr Geld ausgezahlt und vom Konto der Mutter abgebucht wird als das sonst der Fall gewesen wäre. Dadurch tritt im Vermögen der Mutter ein Schaden in Höhe VONÏÏãÏEINÏ Auf diese Tatbildmerkmale erstreckt sich auch der Vorsatz des B. Außerdem hat er den Vorsatz, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, weil er das Geld behalten will. Da keine Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- oder Strafausschließungsgründe vorliegen, wäre B nach § 148a StGB zu bestrafen.85 7. Zu beachten ist allerdings § 166 StGB (Begehung im Familienkreis): Die Tat wird eindeutig zum Nachteil der Mutter begangen, weil von IHREMÏ+ONTOÏDIEÏZUSÇTZLICHENÏÏãÏABGEBUCHTÏWERDENÏ"ÏISTÏSOMITÏNURÏ mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen und nur auf Verlangen der Mutter zu verfolgen (Privatanklagedelikt).86 B. Die Bezahlung der Bahnfahrt mit der Kreditkarte: 1. Durch das Herausnehmen der Kreditkarte könnte sich B nach § 241e Abs 1 StGB (Entfremdung unbarer Zahlungsmittel) strafbar gemacht haben. Die Kreditkarte ist ein „klassisches“ unbares Zahlungsmittel iSd § 74 Abs 1 Z 10 StGB. B hat keine Verfügungsberechtigung über die Kreditkarte. Durch das Herausnehmen der Kreditkarte aus der Geldtasche verschafft er sich das unbare Zahlungsmittel rechtswidrig. Dass er die Karte gleich nach der Verwendung wieder in die Geldtasche zurücksteckt, ändert am Verschaffen nichts: Dazu genügt schon eine kurzfristige Gewahrsamserlangung. 84 85 86
B/S BT I § 153 Rz 3. Vgl B/S BT I § 148a Rz 2. B/S BT I § 166 Rz 1. 109
IV. Schwaighofer
B hat auch im Zeitpunkt des Herausnehmens der Kreditkarte den geforderten Vorsatz, sich durch die Verwendung der Karte (Bezahlung der Bahnfahrt) unrechtmäßig zu bereichern. 2. Durch das Bezahlen der Bahnfahrt mit der Kreditkarte könnte sich B nach § 146 StGB (Betrug) strafbar gemacht haben: Durch die Angabe der Kreditkartennummer und des Gültigkeitsdatums täuscht er die Dame am Telefon konkludent über seine Berechtigung, diese Karte zu verwenden. Dadurch wird die Dame am Telefon dazu verleitet, die Kreditkarte als Zahlungsmittel zu akzeptieren und DIEÏ!BBUCHUNGÏDESÏENTSPRECHENDENÏ"ETRAGESÏBEIÏDERÏ+REDITKARTENlRMAÏ und in weiterer Folge vom Konto der Mutter zu veranlassen. Dadurch wird ein Vermögensschaden in Höhe des abgebuchten Betrages herbeigeführt. Auf der inneren Tatseite hat B genau den Vorsatz, diesen Schaden herbeizuführen und sich unrechtmäßig zu bereichern, weil er sich dadurch die Fahrtkosten erspart. Der Betrug ist nach § 147 Abs 1 Z 1 StGBÏ QUALIlZIERT Ï WEILÏ ERÏ ZURÏ Täuschung ein entfremdetes unbares Zahlungsmittel (die KreditkarTEÏDERÏ-UTTER ÏVERWENDETÏ$URCHÏ!NWENDUNGÏDIESERÏ1UALIlKATIONÏWIRDÏ § 241e Abs 1 StGB verdrängt, weil § 147 Abs 1 Z 1 StGB alle Unrechtselemente des § 241e Abs 1 StGB enthält (Spezialität).87 Es handelt sich hier um eine „personenbezogene“ Verwendung der fremden Kreditkarte. Bei nicht personenbezogener Verwendung einer Kreditkarte (zB zur Bezahlung von Parkgebühren an Automaten, Bezahlung von Waren bei Internetgeschäften wie zB mit Amazon) begeht der Täter durch die Verwendung der Kreditkarte einen betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauch nach § 148a Abs 1 StGB. Da § 241e Abs 1 StGB einen Bereicherungsvorsatz verlangt und somit auch den vermöGENSRECHTLICHENÏ!SPEKTÏERFASST ÏISTÏeÏAÏ!BSÏÏ3T'"ÏBLOÏALSÏSTRAmOSEÏ Nachtat anzusehen.88 3. Der schwere Betrug nach § 147 Abs 1 Z 1 StGB könnte nach § 166 StGB (Begehung im Familienkreis) privilegiert sein: Auch wenn bei der "EZAHLUNGÏMITÏEINERÏ+REDITKARTEÏZUNÇCHSTÏDIEÏ+REDITKARTENlRMAÏDENÏENTsprechenden Betrag (abzüglich des vertraglich vereinbarten Abschlags) dem Unternehmen überweist und erst in weiterer Folge die KreditkarTENlRMAÏDASÏ+ONTOÏDESÏ+REDITKARTENINHABERSÏBELASTET ÏTRITTÏBEIÏWIRTSCHAFTlicher Betrachtungsweise der Schaden im Vermögen der Mutter ein. Somit kommt für B wiederum nur der geringere Strafsatz des § 166 StGB B/S BT II § 241e Rz 8. B/S BT II § 241e Rz 8; die hL und Rsp nimmt hier echte Konkurrenz an (Schroll WK2 § 241e Rz 31). 87 88
110
Fall 10: „Drogenkonsum ist teuer“
zur Anwendung und er ist nur auf Verlangen der Mutter zu verfolgen (Privatanklagedelikt). Daran kann in diesem Fall kaum ein Zweifel bestehen, weil § 241e Abs 1 StGB durch § 147 Abs 1 Z 1 StGB verdrängt wird. Problematischer ist die Sache, wenn (zB beim nicht personenbezogenen Gebrauch) § 241e Abs 1 StGB bestehen bleibt. Da es sich aber der Sache nach um ein Vermögensdelikt handelt, ist § 166 StGB analog auch auf § 241e Abs 1 StGB anzuwenden.89
Fall 10: „Drogenkonsum ist teuer“ Der schwer suchtmittelabhängige A benötigt dringend Drogennachschub. B, A’s Drogenlieferant, gibt dem A keine Ware mehr auf Kredit. So muss sich A anderweitig behelfen: Bei einbrechender Dunkelheit verfolgt er eine gut gekleidete Dame. Er wartet, bis keine anderen Passanten in der Nähe sind, dann setzt er sich mit schnellen Schritten hinter die Frau, drückt ihr von hinten die Antenne seines Handys gegen die Rippen und verlangt Geld, SONSTÏSEIÏSIEÏGELIEFERTÏ6ERÇNGSTIGTÏKRAMTÏDIEÏ&RAUÏÏãÏAUSÏIHRERÏ'ELDbörse. A reißt ihr das Geld aus der Hand und sucht das Weite. Die Frau ist schwer geschockt. Weil sie gar nicht zu beruhigen ist, wird sie ins Krankenhaus eingeliefert. Sie leidet noch monatelang unter Angstzuständen und Schlafstörungen. Mit dem Geld kauft A bei seinem Bekannten B Heroin. B ist völlig klar, dass A sich das Geld illegal beschafft hat. Prüfen Sie die Strafbarkeit von A und B! (Delikte nach dem SMG sind außer Betracht zu lassen!)
Lösung 1. a) ! ÏDERÏDERÏ&RAUÏÏãÏABNIMMT ÏKNNTEÏEINENÏRaub (§ 142 StGB) begangen haben: Das Geld, auf das es A abgesehen hat, ist zweifellos eine fremde bewegliche Sache von Wert. Tatmittel des Raubes ist entweder Gewalt gegen eine Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Gewalt erfordert eine erhebliche Einwirkung auf den Körper eines anderen. Das Drücken der Antenne des Handys gegen die Rippen ist keine erhebliche Einwir89
B/S BT II § 241e Rz 8, BT I § 166 Rz 2. 111
IV. Schwaighofer
kung auf den Körper; auch das Wegreißen des Geldes aus der Hand erfüllt diese Voraussetzung nicht.90 Indem A der Frau die Handyantenne gegen die Rippen drückt und ihr ankündigt, sie sei geliefert, wenn sie kein Geld herausgebe, droht A mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Er erweckt bei der Frau den Eindruck, als hätte er eine Pistole in der Hand und könnte sie unverzüglich töten oder erheblich verletzen. Dass A in Wahrheit bloß ein Handy in der Hand hält und diese Drohung mit diesem Mittel gar nicht wahr machen könnte, ist nicht von Bedeutung. Die Drohung ist jedenFALLSÏGEEIGNET ÏDERÏ&RAUÏBEGR¿NDETEÏ"ESORGNISSEÏEINZUmEN ÏDASSÏ!ÏSIEÏ womöglich niederschießt.91 Mit dem Wegreißen des Geldes hat A Alleingewahrsam erlangt und damit den Raub nach § 142 StGB vollendet. Auf der inneren Tatseite hat A zweifellos den Vorsatz, sich durch ZuEIGNUNGÏDERÏÏãÏUNRECHTMÇIGÏZUÏBEREICHERN b) Zu prüfen ist weiters, ob der Raub nach eÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERT ist: Das Handy ist eindeutig keine Waffe iSd § 143 StGB. Selbst nach Ansicht des OGH, der auch gleichwertige Mittel als Waffen iSd § 143 StGB ANSIEHT ÏWÇREÏDIESERÏ2AUBÏNICHTÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERT ÏWEILÏDASÏ Handy von seiner Funktion und Wirkungsweise her einer Waffe nicht gleichwertig ist.92 Ein schwerer Raub läge auch vor, wenn jemand durch die ausgeübte Gewalt schwer verletzt wird. Die Frau erleidet zwar einen schweren Schock und leidet noch monatelang unter Angstzuständen und Schlafstörungen, aber derartige psychische Störungen fallen nicht unter den Begriff der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung iSd §§ 83, 84 StGB.93Ï$AHERÏISTÏSCHONÏAUSÏDIESEMÏ'RUNDÏDIEÏ1UALIlKATIONÏZUÏVERNEInen. Aber selbst wenn man – wie der OGH – psychische Folgen unter § 84 Abs 1 StGB subsumierte, so sind diese Folgen im vorliegenden Fall nicht durch eine Gewaltanwendung, sondern nur durch die Drohung eingetreten, weshalb § 143 StGB nicht erfüllt ist.94 c)Ï7ENNÏDERÏ2AUBÏNICHTÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERTÏIST ÏKNNTEÏDIEÏ0RIVIlegierung nach § 142 Abs 2 StGB (minderschwerer Raub) vorliegen: ÏãÏSINDÏ(auch nach der Judikatur des OGH) noch ein geringer Wert; der Raub wird auch ohne Anwendung erheblicher Gewalt (es liegt gar keine Gewalt vor) begangen. Die lang anhaltenden Angstzustände und
90 91 92 93 94
112
B/S BT I § 105 Rz 2, 5, § 142 Rz 3. B/S BT I § 142 Rz 5f. Vgl B/S BT I § 143 Rz 4. B/S BT I § 83 Rz 4ff, § 84 Rz 3; aM jedoch der OGH – s zu 1.d. B/S BT I § 143 Rz 5.
Fall 10: „Drogenkonsum ist teuer“
Schlafstörungen bleiben auch bei § 142 Abs 2 StGB außer Betracht, sodass diese Privilegierung zutrifft.95 Der OGH würde anders entscheiden. d) Wegen der monatelangen psychischen Beeinträchtigungen der Frau ist auch an ein Körperverletzungsdelikt zu denken: A hat gewiss keinen Vorsatz, die Frau am Körper zu verletzen oder an ihrer Gesundheit zu schädigen, und auch keinen Vorsatz, sie zu misshandeln. Daher kommt – wenn überhaupt – nur eine fahrlässige Körperverletzung (§ 88 StGB) in Betracht: Am Vorliegen einer objektiv sorgfaltswidrigen Handlung ist nicht zu zweifeln; aber seelische Beeinträchtigungen sind nicht als Gesundheitsschädigungen anzusehen. Daher scheidet § 88 Abs 1 (und Abs 4) StGB aus. Der OGH und Teile der Lehre sehen freilich auch seelische Beeinträchtigungen als Gesundheitsschädigungen iSd §§ 83, 84 StGB an.96 In diesem Fall hätte A auch den Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 StGB verwirklicht. § 88 Abs 4 StGB steht in echter Konkurrenz zum Raub nach § 142 StGB, weil nur schwere Körperverletzungen, die durch eine Gewaltanwendung eintreten, von § 143 StGB konsumiert werden. Wenn die Gesundheitsschädigungen Folge einer Drohung sind, konkurrieren sie echt mit § 142 StGB. 2. a) B, der dem A Heroin verkauft und dafür die Geldscheine entgegen nimmt, die A durch den Raub erlangt hat, könnte eine Hehlerei (§ 164 Abs 2 StGB) begangen haben: B kommt als Täter einer Hehlerei in Betracht, weil er an der Vortat des A eindeutig nicht beteiligt ist. Gegenstand der Hehlerei ist eine körperliche Sache, die der Vortäter durch ein Vermögensdelikt erlangt hat. Auch das trifft zu, weil es sich offenbar genau um jene Geldscheine handelt, die A durch den Raub an der Frau erlangt hat.97 Die Ausführungshandlung nach § 164 Abs 2 StGB ist die Annahme eben dieser Geldscheine (eigennützige Hehlerei). Auf der inneren Tatseite muss der Hehler den Vorsatz haben, dass die Sache aus einem Vermögensdelikt stammt. Da laut Sachverhalt dem B völlig klar ist, dass A sich das Geld illegal beschafft hat, ist auch diese Voraussetzung zu bejahen. „Illegal“ heißt zwar nicht notwendig, dass das Geld aus einem Vermögensdelikt stammt, ist hier aber wohl anzunehmen. Vom Raub weiß B nichts, daher ist Abs 3 unanwendbar.
95 96 97
B/S BT I § 142 Rz 14. Vgl B/S BT I § 83 Rz 4, § 84 Rz 3 mwN. B/S BT I § 164 Rz 2. 113
IV. Schwaighofer
b) Eine Geldwäscherei (§ 165 StGB) scheidet hier aus: Das Geld ist zwar ein Vermögensbestandteil, der aus einem Verbrechen (Raub) herrührt; aber wenn jemand genau die erbeutete Sache annimmt, begeht er eine Hehlerei; die Geldwäscherei ist der Hehlerei gegenüber subsidiär.98 Im Übrigen würde es dem B wohl an dem für § 165 StGB erforderlichen Vorsatz mangeln, dass das Geld gerade aus einem Verbrechen herrührt. Er hat vermutlich nur den Vorsatz, dass es zB aus einem Diebstahl (Vergehen) stammt.
Fall 11: „Unseriöser Hausverwalter“ H ist Verwalter einer Eigentumswohnungsanlage. Für eine notwendige Dachreparatur holt er Angebote ein und vergibt den Auftrag schließlich an einen Bekannten B, der ihm aus Dank für die AuftragsVERGABEÏÏãÏINÏEINEMÏ+UVERTÏ¿BERGIBTÏ Prüfen Sie die Strafbarkeit von H und B!
Lösung 1. a) Der Verwalter H könnte sich nach § 153 StGB (Untreue) strafbar gemacht haben: H hat auf Grund des Bestellungsaktes der Eigentümer (sowie auf Grund des Wohnungseigentumsgesetzes) eine Vollmacht, über das Vermögen der Wohnungseigentümer zu verfügen, dh er kann Rechtsgeschäfte für die Wohnungseigentumsgemeinschaft (WEG) und auf deren Rechnung abschließen. Durch die Auftragsvergabe wird die WEG verPmICHTET Tathandlung des § 153 StGB ist der Missbrauch der Vollmacht, dh die Vornahme einer Handlung (oder auch eine Unterlassung), die der Vollmachtsinhaber im Innenverhältnis nicht vornehmen dürfte (bzw vornehmen müsste). Sofern keine besonderen Vereinbarungen bestehen, ist DERÏ6OLLMACHTSINHABERÏVERPmICHTET ÏDEMÏ-ACHTGEBERÏGRTENÏ.UTZENÏZUÏ verschaffen.99 Die Annahme der Provision für sich erfolgt nicht im Namen des Machtgebers (der WEG), sondern im eigenen Namen und scheidet daher als Ausführungshandlung des § 153 StGB aus. Missbräuchlich kann aber die Auftragsvergabe sein, wenn die Firma des Bekannten B nicht 98 99
114
B/S BT I §§ 165, 165a Rz 5; aM Kienapfel BT II § 165 Rz 54. B/S BT I § 153 Rz 4.
Fall 11: „Unseriöser Hausverwalter“
der Bestbieter war (im Allgemeinen ist der Billigstbieter der Bestbieter). Selbst wenn B das billigste Angebot gelegt hat, so müsste H auf Grund SEINERÏ6ERPmICHTUNGÏALSÏ"EVOLLMÇCHTIGTERÏZUMINDESTÏVERSUCHEN ÏDASÏ!Ngebot des B (um die Provisionssumme) zu drücken. Wenn er das nicht getan hat, liegt objektiv ein Missbrauch der Vollmacht vor.100 .ACHÏ !NSICHTÏ DESÏ /'(Ï BEEINmUSSTÏ EINEÏ 0ROVISIONÏ GRUNDSÇTZLICHÏ den Vertrag zum Nachteil des Machtgebers, es sei denn, die Provision wird ohne vorhergehende Verabredung erst nach Vertragsabschluss gezahlt.101 Die Handlung muss dem Machtgeber (WEG) einen Schaden zufüGENÏ$ASÏISTÏOBJEKTIVÏZUÏBEJAHEN ÏWEILÏDIEÏ7%'ÏUMÏÏãÏWENIGERÏHÇTTEÏ bezahlen müssen, wenn statt der Provisionszahlung das Angebot herabgesetzt worden wäre. Auf der inneren Tatseite erfordert § 153 StGB Wissentlichkeit in Bezug auf den Vollmachtsmissbrauch: H muss wissen, dass die Firma des B nicht der Bestbieter war, bzw wenn sie das war, dass das Angebot um die Provisionssumme noch herunterhandelbar gewesen wäre. Unter diesen Voraussetzungen hätte sich H nach § 153 StGB strafbar gemacht, weil auch ein bedingter Schädigungsvorsatz in diesem Fall wohl zu bejahen wäre.102 Andernfalls scheidet § 153 StGB wegen Fehlens des besonderen Vorsatzes aus. b) Dann kommt für H § 153a StGB in Betracht (Geschenkannahme durch Machthaber): Die Tatbildmerkmale entsprechen § 153 StGB, doch fehlt es an der Missbräuchlichkeit des Handelns und an der Schädigung. Es genügt die !NNAHMEÏEINESÏNICHTÏBLOÏGERINGF¿GIGENÏ6ERMGENSVORTEILSÏBEIÏÏãÏ ERF¿LLT Ï F¿RÏ DIEÏ !US¿BUNGÏ DERÏ 6OLLMACHT Ï DERÏ PmICHTWIRDRIGÏ NICHTÏ ABGEführt wird.103 Das ist auf Grund des Sachverhaltes zweifellos gegeben („für die Auftragsvergabe“), und auch am diesbezüglichen Vorsatz ist nicht zu zweifeln. 2. a) Der Bekannte B könnte sich wegen Bestimmungs- bzw Beitragstäterschaft zu § 153 StGB strafbar gemacht haben: )NÏDERÏ"EZAHLUNGÏVONÏÏãÏKANNÏMANÏEINEÏ"ESTIMMUNGSHANDLUNGÏ zu § 153 StGB (H wurde dadurch veranlasst, B den Auftrag zu erteilen) oder eine Beitragshandlung zu § 153 StGB sehen (wenn H schon entschlossen war, B den Auftrag zu geben, und H in seinem Entschluss 100 101 102 103
Vgl B/S BT I § 153 Rz 9. Vgl B/S BT I § 153 Rz 10 mwN. B/S BT I § 153 Rz 14f. B/S BT I § 153a Rz 2. 115
IV. Schwaighofer
durch die Zahlung noch bestärkt wurde).104 Nahe liegender ist eine Bestimmung. Objektiv kommt eine Bestimmung oder ein Beitrag zu § 153 StGB nur in Betracht, wenn der unmittelbare Täter, also H, seine Vollmacht wissentlich missbraucht. Der OGH hält es für ausreichend, dass der Machthaber bedingt vorsätzlich handelt.105 Auf der inneren Tatseite ist erforderlich, dass B weiß, dass es sich bei der Handlungsweise des H um einen Vollmachtsmissbrauch handelt (Vergabe des Auftrags an ihn als Nicht-Bestbieter), und den (zumindest bedingten) Vorsatz hat, dass der Machtgeber (die WEG) dadurch geschädigt wird. Darüber hinaus muss B noch den (bedingten) Vorsatz haben, dass der unmittelbare Täter H von der Missbräuchlichkeit der Vollmachtsausübung weiß.106 Der OGH hingegen verlangt, dass der Extraneus weiß, der unmittelbare Täter (Intraneus) werde seine Befugnis zumindest bedingt vorsätzlich missbrauchen.107 Ergebnis: Wenn B tatsächlich nicht der Bestbieter war und H durch die Geldzahlung zur Auftragsvergabe veranlasst wurde, dann wird man auch die genannten Voraussetzungen auf der inneren Tatseite bejahen können, sodass B wegen Bestimmung zur Untreue haftet. War B hinGEGENÏOHNEHINÏ"ESTBIETERÏUNDÏHÇTTEÏERÏAUCHÏOHNEÏ:AHLUNGÏDERÏÏãÏ kein billigeres Angebot gelegt (mit dem Geld wollte er sich nur dankbar erweisen und für spätere Aufträge empfehlen), kommt weder eine Bestimmung noch ein Beitrag zu § 153 StGB in Betracht. b) Eine Bestimmung oder ein Beitrag zu § 153a StGB scheidet für B aus, weil bei diesem Deliktstypus gar keine Beteiligung durch den Vorteilsgeber möglich ist: Das ergibt sich daraus, dass § 153a StGB dem § 305 StGB entspricht (sog passive Bestechung), der Gesetzgeber aber bewusst auf eine dem § 307 StGB entsprechende Strafbestimmung für die aktive Bestechung bei § 153a StGB verzichtet hat.108
Vgl K/H AT E 5 Rz 10. B/S BT I § 153 Rz 17, Fuchs AT I 35. Kap Rz 24, 27, K/H AT E 7 Rz 32 mwN. 106 B/S BT I § 153 Rz 17, Fuchs AT I 35. Kap Rz 25; nach einem Teil der Lehre ist dieser Vorsatz nicht nötig, vgl K/H AT E 7 Rz 36. 107 Vgl Fuchs AT I 35. Kap Rz 27, K/H AT E 7 Rz 36 mwN. 108 B/S BT I § 153a Rz 5. 104 105
116
Fall 12: „Sexuelle Übergriffe“
Fall 12: „Sexuelle Übergriffe“ Der 15-jährige A und der 17-jährige B halten das 13-jährige Mädchen -ÏGEMEINSAMÏFEST ÏENTKLEIDENÏESÏUNDÏlXIERENÏSEINENÏ/BERKRPERÏAUFÏ dem Bett. Dann führt A einen Finger in die Scheide des Mädchens ein. Ein paar Tage später greift A in einer Diskothek einem anderen 16jährigen Mädchen kurz auf die Brust und zwickt dem Mädchen in das Gesäß. Wonach haben sich A und B strafbar gemacht?
Lösung 1. a) A könnte durch das Einführen seines Fingers in die Scheide des Mädchens eine Vergewaltigung (§ 201 Abs 1 StGB) begangen haben: Eine Vergewaltigung begeht, wer eine Person mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung nötigt. Von einer Drohung ist im konkreten Fall nicht die Rede; das gemeinsame Festhalten stellt aber Gewaltanwendung dar; überdies erfolgt die Tat durch eine Entziehung der persönlichen Freiheit. Die Vergewaltigung verlangt die Nötigung zum Beischlaf oder zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung. Ein Beischlaf – darunter versteht man den „klassischen“ vaginalen Geschlechtsverkehr – liegt zweifellos nicht vor. Eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung ist nach herrschender Auffassung jede – nicht ganz unerhebliche – Penetration der Vagina mit anderen Körperteilen als dem Penis sowie der Anal- und Oralverkehr. Der OGH wertet auch das Einführen von Gegenständen in den After einer anderen Person als eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung.109 7ENNÏESÏSICHÏNICHTÏBLOÏUMÏEINÏGANZÏm¿CHTIGES ÏTEILWEISESÏ%INDRINGENÏ mit dem Finger in die Scheide handelte, liegt demnach im konkreten Fall eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vor, die das Opfer durch die Gewaltanwendung erdulden musste. Andernfalls wäre der Täter nur nach § 202 Abs 1 StGB zu bestrafen. Auch der OGH verlangt eine gewisse Erheblichkeit des Eindringens, nimmt aber bei „digitalen Vaginalpenetrationen“ regelmäßig eine dem 109
Vgl B/S BT II § 201 Rz 2 mwN. 117
IV. Schwaighofer
Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung an, wenn das Opfer noch unmündig war. Der Vorsatz des A erstreckte sich auf die gewaltsame Nötigung der M zur Duldung dieser Handlung. Der Täter ist daher, da keine Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe erkennbar sind, nach § 201 Abs 1 StGB zu bestrafen. b) Da das Opfer erst 13 Jahre alt und somit unmündig ist, könnte sich A durch das Einführen des Fingers auch nach § 206 StGB (schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen) strafbar gemacht haben: § 206 und § 207 StGB beschreiben im Wesentlichen die gleichen Tathandlungen wie § 201 und § 202 StGB. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass das Opfer in den Fällen des § 206 und § 207 StGB unmündig ist und dass der Täter keine besonderen Tatmittel wie Gewalt oder Drohung anzuwenden braucht. Da das Einführen des Fingers in die Scheide oben als eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung gewertet wurde und M noch unmündig ist, erfüllt A auch den Tatbestand des § 206 Abs 1 StGB. Der Vorsatz des A muss sich insbesondere auf die Unmündigkeit des Mädchens beziehen. Es wird angenommen, dass A gewusst hat, wie alt M ist;110 dann ist A auch nach § 206 Abs 1 StGB zu bestrafen: Dieser Deliktstypus steht in echter Konkurrenz zu § 201 StGB, weil die Unmündigkeit des Opfers im Unrechtsgehalt der Vergewaltigung nicht mit umfasst ist. Zu beachten ist jedoch der Strafausschließungsgrund des § 206 Abs 4 StGB: Wenn das Alter des Täters das Alter der unmündigen Person, die das 13. Lebensjahr bereits vollendet haben muss, nicht um mehr als drei Jahre übersteigt und die geschlechtliche Handlung nicht in der Penetration mit einem Gegenstand besteht, bleibt der Täter straffrei. All diese Voraussetzungen treffen in unserem Fall zu: A ist nur zwei Jahre älter als M, M ist bereits 13 Jahre alt, und das Eindringen erfolgt mit dem Finger, also nicht mit einem Gegenstand. Die Anwendung dieser sog „Alterstoleranzklausel“ wird – überraschenderweise – nach dem Gesetz auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter Gewalt angewendet hat. A ist daher nur nach § 201 Abs 1 StGB zu bestrafen.
Wenn M zB körperlich schon sehr entwickelt war, könnte A vielleicht angenommen haben, dass sie schon 14 Jahre alt ist. Dann unterliegt er einem Tatbildirrtum, der ihm zugute kommt, dh er könnte nicht nach § 206 StGB bestraft werden; vgl B/S BT II § 206 Rz 7, Fuchs AT I 14. Kap Rz 42, 47. 110
118
Fall 12: „Sexuelle Übergriffe“
c) Durch den kurzen Griff auf die Brust eines anderen Mädchens in der Diskothek könnte sich A nach § 202 StGB (geschlechtliche Nötigung) strafbar gemacht haben: Eine geschlechtliche Handlung iSd § 202 StGB ist eine nicht BLOÏ m¿CHTIGEÏ SEXUALBEZOGENEÏ "ER¿HRUNGÏ EINERÏ ZURÏ UNMITTELBARENÏ 'Eschlechtssphäre gehörigen, somit dem männlichen oder weiblichen KörPERÏSPEZIlSCHÏEIGENT¿MLICHENÏ+RPERPARTIEÏ$IEÏENTWICKELTEÏ"RUSTÏEINESÏ Mädchens (davon ist bei einem 16-jährigen Mädchen sicher auszugehen) ISTÏ EINÏ SOLCHERÏ GESCHLECHTSSPEZIlSCHERÏ +RPERTEILÏ .ICHTÏ BLOÏ m¿CHTIGÏ heißt intensiv oder doch von einiger Erheblichkeit.111 Bei einem kurzen, leichten Griff auf die Brust fehlt es an der geforderten Erheblichkeit. Somit liegt gar keine geschlechtliche Handlung iSd § 202 StGB vor. Außerdem wendet der Täter in diesem Fall keine Gewalt an: Er wirkt nicht erheblich auf den Körper des Mädchens ein.112 Auch nach Auffassung des OGH, der auf eine nicht ganz unerhebliche physische Kraftentfaltung abstellt, läge hier keine Gewalt vor. d) A könnte eine sexuelle Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB begangen haben: Die sexuelle Belästigung verlangt eine Belästigung einer anderen Person durch eine geschlechtliche Handlung, ohne dass der Täter irgendwelche Tatmittel wie Gewalt oder Drohung anwendet. Da aber der Begriff der geschlechtlichen Handlung in § 218 StGB derselbe ist wie in § 202 StGB und eine solche Handlung oben (c) bereits verneint wurde, scheidet auch die Anwendung des § 218 Abs 1 Z 1 StGB aus. e) Auch durch das Zwicken in das Gesäß könnte A eine geschlechtliche Nötigung (§ 202 StGB) begangen haben: Beim Zwicken in das Gesäß handelt sich aber von vornherein um keine geschlechtliche Handlung, weil das Gesäß keine dem männlichen ODERÏWEIBLICHENÏ+RPERÏSPEZIlSCHÏEIGENT¿MLICHEÏ+RPERPARTIEÏISTÏ%INEÏ geschlechtliche Nötigung scheidet daher aus. Wenn A fest gezwickt hat, liegt eine Misshandlung iSd § 83 Abs 2 StGB vor. Es ist aber nicht anzunehmen, dass daraus eine Körperverletzung iSd § 83 StGB resultierte. Denn bloß eine Rötung, die nach ein, zwei Stunden wieder verschwindet, genügt dafür nicht. Folgenlose Misshandlungen sind nicht nach § 83 StGB strafbar, weil § 83 Abs 2 StGB auch nicht im Versuch begangen werden kann.113
111 112 113
B/S BT II § 202 Rz 2. B/S BT II § 202 Rz 3. B/S BT I § 83 Rz 2, 11. 119
IV. Schwaighofer
Zu denken wäre noch an eine Beleidigung (§ 115 StGB): Für eine Misshandlung iSd § 115 StGB genügt schon eine Einwirkung AUFÏDENÏ+RPER ÏDIEÏDASÏ7OHLBElNDENÏNICHTÏUNERHEBLICHÏBEEINTRÇCHTIGTÏ Das trifft für das Zwicken zu. Auch die notwendige Publizität ist in der Diskothek sicher gegeben: Es waren mit Sicherheit mehrere (mindestens drei unbeteiligte) Personen anwesend. Allerdings ist zu bezweifeln, dass das Zwicken von mehreren Personen wahrgenommen werden konnte; und mit größter Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass sich der Vorsatz des A nicht darauf erstreckt hat, dass das Zwicken von mehreren wahrgenommen werden kann. Daher ist A auch hinsichtlich des Zwickens nicht strafbar. Auch die sexuelle Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB ist mangels einer geschlechtlichen Handlung nicht anwendbar. 2. a) B, der das Mädchen M ebenfalls festhält, während A den Finger in die Scheide einführt, könnte ebenfalls eine Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB begangen haben: B wendet gleichermaßen wie A Gewalt gegen M an und beschränkt ihre persönliche Freiheit. Allerdings nimmt er selbst keine (dem Beischlaf gleichzusetzende) geschlechtliche Handlung vor, sondern nur A. Dennoch verwirklicht auch B das Delikt des § 201 Abs 1 StGB als unmittelbarer Täter, weil auch B durch Gewalt das Opfer nötigt, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung zu dulden. Sein Handeln entspricht ebenfalls der Ausführungshandlung des § 201 Abs 1 StGB, weil nicht vorausgesetzt wird, dass jeder Mitwirkende selbst auch die geschlechtliche Handlung vornimmt.114 Da wohl auch B den Vorsatz hatte, dass das Mädchen zu einer (beischlafgleichwertigen) geschlechtlichen Handlung, nämlich dem Erdulden des Einführens eines Fingers, genötigt wird, ist er ebenfalls nach § 201 Abs 1 StGB zu bestrafen. b) Das zu § 206 StGB Gesagte gilt auch für B, sofern er den Vorsatz auf die Unmündigkeit der M hatte. Bei B greift allerdings der persönliche Strafausschließungsgrund des § 206 Abs 4 StGB nicht, weil er mehr als drei Jahre älter ist als M. Daher ist B nach § 201 Abs 1 und § 206 Abs 1 StGB zu bestrafen.
114
120
B/S BT II § 201 Rz 11.
V. VENIER Fall 1: „Denkzettel“ Der schwer alkoholisierte X gerät mit einem Lokalbesucher in Streit. Zwei Faustschläge ins Gesicht genügen, um X zu Boden zu strecken, er steht auf und verlässt das Lokal. Nach 10 Minuten kehrt X mit einem Küchenmesser bewaffnet zurück. Als ihn der Lokalbesucher höhnisch fragt, ob er denn nicht genug habe, versetzt ihm X zwei Stiche in den Bauch. Die Stiche verursachen tiefe Wunden, an denen der Mann innerlich verblutet. Er habe dem Opfer nur einen Denkzettel verpassen wollen, meint X, nachdem er wieder halbwegs nüchtern ist. Gefragt ist die Strafbarkeit des X.
Lösung 1. Die Tat kann als Mord (§ 75 StGB) strafbar sein, wenn X die Stiche mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) geführt hat. Ein solcher Vorsatz ist allerdings unwahrscheinlich, weil X dem Gegner nur einen Denkzettel verpassen, ihn aber nicht abstechen will. Außerdem ist X zum Tatzeitpunkt schwer alkoholisiert und nach dem Vorgefallenen BEGREImICHERWEISEÏ SEHRÏ ERREGTÏ )NÏ EINERÏ SOLCHENÏ 6ERFASSUNGÏ DENKTÏ DERÏ Täter über die möglichen Folgen des Zustechens vermutlich nicht nach. Der Täter muss den Tod des Opfers nicht nur für sehr wahrscheinlich halten, sondern auch entschlossen sein, ihn hinzunehmen.1 Wenn er an DENÏ4ODÏDESÏ/PFERSÏNICHTÏDENKT ÏKANNÏERÏSICHÏAUCHÏNICHTÏMITÏIHMÏABlNden. Dass dem Täter die tödliche Wirkung der Stiche erst im Nachhinein bewusst wird, genügt nicht.
1
B/S BT I § 75 Rz 6. 121
V. Venier
2. a) Für X kommt immerhin eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB) in Frage: Wunden sind Körperverletzungen nach § 83 StGB, erst recht, wenn sie tief ins Fleisch gehen. Voraussetzung ist weiters ein Verletzungs- oder wenigstens ein Misshandlungsvorsatz. Dass ein Bauchstich notwendig verletzt, weiß jeder (§ 5 Abs 3 StGB), auch ein schwer alkoholisierter Täter. Die Tat erfüllt daher das Grunddelikt nach § 83 Abs 1 StGB. Der Tod wiederum ist keine ungewöhnliche Folge der Tathandlung. Stiche in den Bauch sind nicht zuletzt deshalb sozial inadäquat, weil sie lebensgefährlich sind. Eine Notwehrsituation hat für X im Zeitpunkt der Tat längst nicht mehr bestanden, ebenso wenig eine Putativnotwehrsituation, da sich X durch die höhnische Bemerkung nicht bedroht, sondern nur in seiner Ehre gekränkt fühlt. Eben darum will er dem Opfer einen Denkzettel verpassen. b) Zu prüfen ist ferner eine nach eÏ Ï !BSÏ Ï :Ï Ï 3T'"Ï QUALIlZIERTEÏ Körperverletzung. Stiche mit einer längeren Messerklinge in den Bauch sind objektiv lebensgefährlich, weil man im Vorhinein nicht sagen kann, ob wichtige Blutgefäße getroffen werden und das Opfer daran innerlich verbluten wird. Wer ein Messer so einsetzt, verwendet es auf lebensgefährliche Weise. Nebenbei ist das Messer ein „abstrakt lebensgefährliches Mittel“, wie der OGH in manchen Entscheidungen fordert.2 X muss sich aber auch der Lebensgefährlichkeit von Bauchstichen bewusst sein und sich DAMITÏABlNDENÏeÏÏ!BSÏÏ3T'" Ï$ASÏISTÏDURCHAUSÏNICHTÏSELBSTVERSTÇNDlich, wenn man seine schwere Alkoholisierung und seine starke Erregung bedenkt. Nur wenn man diesen Vorsatz bejaht, erfüllt X die QualilKATIONÏ$ERÏ3CHULDSPRUCHÏM¿SSTEÏDANNÏNEBENÏeeÏÏ!BSÏ ÏÏAUCHÏeÏÏ Abs 2 Z 1 StGB zitieren.3 c) Probleme ergeben sich aus der Alkoholisierung des X. Wenn der Blutalkoholgehalt im Tatzeitpunkt über 3 ‰ beträgt, ist der Täter im Regelfall zurechnungsunfähig.4 Eine so schwere Alkoholisierung könnte bei X durchaus vorgelegen haben. Dann ist X nur wegen Begehung der Tat im Vollrausch nach § 287 Abs 1 iVm §§ 83 Abs 1, 86 (eventuell auch § 84 Abs 2 Z 1) StGB zu bestrafen. Mit Ausnahme der Schuldfähigkeit erfüllt X alle Voraussetzungen der Strafbarkeit, auch den Vollrausch dürfte X sich fahrlässig, wenn nicht gar vorsätzlich angetrunken haben.5 2 3 4 5
Rz 2. 122
Vgl B/S BT I § 84 Rz 9. K/Schr BT I § 86 Rz 24. B/S BT II § 287 Rz 2. Ausnahmen sind bei krankhafter Alkoholintoleranz denkbar; s Hinterhofer BT II § 287
Fall 2: „Der Schaltfehler“
3. Besondere Zurückhaltung ist gegenüber der Annahme einer absichtlichen schweren Körperverletzung (§ 87 Abs 1, 2 2. Fall StGB) geboten. Von dieser Absicht könnte man im vorliegenden Fall nur ausgehen, wenn X das Opfer zwar nicht töten – sonst läge Mord vor –, aber geradezu schwer verletzen wollte. Es müsste ihm darauf angekommen sein, das Messer so in den Bauch des Opfers zu stechen, dass es nicht irgendeine, sondern eine lebensbedrohliche Wunde, also eine an sich schwere Verletzung,6 oder zumindest eine Wunde erleidet, die es über 24 Tage an der Gesundheit schädigt. Die Absicht, dem Opfer gerade eine solche Wunde zuzufügen, wäre schon bei einem nüchternen Täter recht ungewöhnlich, bei einem stark alkoholisierten und äußerst erregten Täter erscheint sie mir so gut wie ausgeschlossen. Ergebnis: X hat sich nach §§ 83 Abs 1, 86 (allenfalls auch nach § 84 Abs 2 Z 1) StGB iVm § 287 Abs 1 StGB strafbar gemacht.
Fall 2: „Der Schaltfehler“ &RANZÏmIRTETÏINÏDERÏ!PRËS 3KI "ARÏMITÏEINEMÏ-ÇDCHENÏUNDÏTRINKTÏNEbenbei ausgiebig Bier. Das Mädchen lässt sich schließlich auf einen Drink im 10 Kilometer entfernten „Dorfstadl“ überreden. Franz läuft nach Hause, holt sein Auto und fährt mit Mary, so heißt das Mädchen, in Richtung „Dorfstadl“. Einen Kilometer vor dem Ziel gerät der Wagen wegen eines Schaltfehlers auf der schneebedeckten Fahrbahn ins Schleudern. Das Auto landet im Straßengraben, wobei sich Mary den rechten Unterarm bricht. Wie ist der Unfall des Franz strafrechtlich zu beurteilen?
Lösung 1. Franz hat eine fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB begangen: Ein Armbruch ist zweifellos eine Körperverletzung, weil er sogar einen Gipsverband erfordert.7 Die Körperverletzung ist auf das Schleudern des Autos und dieses auf den Schaltfehler zurückzuführen (Kausalität). Der Schaltfehler ist objektiv sorgfaltswidrig: Der einsichtige und besonnene Autolenker begeht keine Schaltfehler, weil es dadurch, zumal 6 7
B/S BT I § 84 Rz 4. B/S BT I § 83 Rz 2. 123
V. Venier
auf Schneefahrbahnen, leicht zu Schleuderunfällen kommen kann.8 Und selbst wenn ihm ein Schaltfehler unterläuft, ist er geistesgegenwärtig und geschickt genug, Schleuderunfälle zu vermeiden. Gründe, welche die objektive Zurechnung der Verletzung ausschlössen, sind nicht ersichtlich. Problematischer ist die subjektive Zurechnung. Sicher hat es Franz in der konkreten Situation an Geschicklichkeit und Konzentration gefehlt. Aber das ist nur natürlich: Nach ausgiebigem Bierkonsum können auch dem besten Lenker Fahrfehler passieren. Franz hätte die Gefahr trotz der Alkoholisierung leicht vorhersehen können. Da er dennoch gefahren ist, kann er wegen Übernahme- oder Einlassungsfahrlässigkeit bestraft werden.9 2. Der Armbruch kann eine über 24 Tage währende Gesundheitsschädigung zur Folge haben (§ 88 Abs 4 1. Fall iVm § 84 Abs 1 StGB). Wahrscheinlich muss das Mädchen länger als 24 Tage einen Gipsverband tragen (idR 4 bis 6 Wochen). Wenn er sich nicht nur auf den Unterarm, sondern auf den Oberarm einschließlich des Ellenbogens erstreckt, ist das Opfer erheblich in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sonst nicht.10 Dass man den Arm nach Abnahme des Verbandes bloß nicht übermäßig belasten soll, ist noch keine erhebliche Beeinträchtigung. Ein gewöhnlicher Unterarmarmbruch ist – auch mangels Lebensgefahr – keine an sich schwere Verletzung.11 Nach Ansicht der Judikatur käme es auf die Bedeutung des gebrochenen Knochens an. Unterarmknochen gelten immer als „bedeutend“.12 Damit werden auch aus ziemlich harmlosen Brüchen automatisch „an sich“ schwere Verletzungen. 3. Weiters könnte die Tat nach § 88 Abs 3 oder – je nach Art und Dauer der Beeinträchtigung – nach § 88 Abs 4 2. Fall (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB QUALIlZIERTÏSEIN Der ausgiebige Bierkonsum deutet auf eine absolute Fahruntauglichkeit des Franz hin (0,8 ‰ Blutalkoholgehalt, 0,4 mg/l Alkohol in der Atemluft). Als Autofahrer musste er über die für ihn gerade noch zuträgliche Biermenge Bescheid wissen.13 So hat sich Franz fahrlässig in einen Rauschzustand versetzt, der die Zurechnungsfähigkeit (noch) nicht ausschloss. Mit Bier allein, habe ich mir sagen lassen, kann man B/S BT I § 80 Rz 5. B/S BT I § 80 Rz 25. 10 B/S BT I § 84 Rz 3. 11 B/S BT I § 84 Rz 4. 12 B/S BT I § 84 Rz 5; K/Schr BT I § 84 Rz 12. 13 B/S BT I § 81 Rz 15. 8 9
124
Fall 3: „Steinschlag auf der Autobahn“
sich einen Vollrausch nicht antrinken. Unklar ist freilich, ob Franz schon beim Trinken das Fahren vorhersehen hätte müssen. Wurde die Idee, das Lokal zu wechseln, während oder erst nach dem Genuss einer die Fahruntauglichkeit begründenden Biermenge geboren? Man kann hier nur Vermutungen anstellen: Einerseits scheint Franz ein Mann spontaner Entschlüsse zu sein, weil er den Wagen erst von zu Hause holen muss. !NDERERSEITSÏmIRTETÏ&RANZÏMITÏDEMÏ-ÇDCHEN ÏWÇHRENDÏERÏTRINKT ÏAUERDEMÏ muss er das Mädchen zum Lokalwechsel überreden. Da liegt es nahe, dass Franz schon beim Biertrinken Überzeugungsarbeit leisten musste. Das hat zur Folge, dass die Autofahrt zumindest vorhersehbar war. Hat Franz neben der Z 2 auch die Z 1 des § 81 Abs 1 (§ 88 Abs 3 bzw Abs 4 2. Fall) StGB verwirklicht? Die Annahme einer zweifachen 1UALIlKATION wäre nur zulässig, wenn Franz, von der Alkoholisierung abgesehen, besonders riskant gefahren wäre.14 Dafür bietet der Fall keine Anhaltspunkte. Ergebnis: Franz ist nach § 88 Abs 1, Abs 3 StGB oder – falls das Mädchen den Arm länger als 24 Tage nicht abbiegen konnte – nach § 88 Abs 1, 4 (2. Strafsatz) StGB zu bestrafen.
Fall 3: „Steinschlag auf der Autobahn“ Dem 15-jährigen Armin ist fad. Von der Fußgängerbrücke, die über die Autobahn führt, starrt er auf die Fahrbahn, der Verkehr ist schwach um 9 Uhr abends, vielleicht jede halbe Minute kommt ein Auto. ArMINÏBESORGTÏSICHÏVONÏEINERÏ"AUSTELLEÏHANDGROEÏ0mASTERSTEINE ÏUNDÏ wenn der Lichtkegel eines herannahenden Autos auftaucht, lässt er einen Stein fallen. Sechs Autos verfehlt Armin, beim siebten landet er einen Volltreffer. Der Stein durchschlägt die Windschutzscheibe, der Lenker verreißt das Steuer, der Wagen bricht aus und prallt gegen einen Betonpfeiler. Der Fahrer ist sofort tot. Die Polizei kann Armin als den Steinewerfer ausforschen. Bei der Vernehmung gibt Armin an, dass ihm eine Beschädigung der Autos egal war, über andere Folgen habe er nicht nachgedacht. Angenommen, diese Verantwortung lässt sich nicht widerlegen, nach welchen Bestimmungen hat sich Armin strafbar gemacht?
14
B/S BT I § 81 Rz 20. 125
V. Venier
Lösung 1. a) Ich beginne mit der strafrechtlichen Beurteilung des Volltreffers: Armin (A) hat über die Folgen seines Tuns (von der Beschädigung abgesehen) nicht nachgedacht, das bedeutet, er hat weder den Tod noch eine Verletzung oder Misshandlung eines Menschen ernstlich für möglich gehalten, geschweige sich damit abgefunden.15 Immerhin könnte A eine fahrlässige Tötung (§ 80 StGB)ÏBEGANGENÏHABENÏ7ERÏ0mASTERSTEINEÏVONÏ einer Autobahnbrücke fallen lässt, handelt sozial inadäquat gefährlich für Leib oder Leben der Straßenbenützer (§ 6 StGB). Die Handlung des A ist ursächlich für den Unfall und damit den Tod des Lenkers. Dass der Lenker durch einen Treffer erschrecken und den Wagen verreißen würde, war unschwer vorauszusehen, auch der Tod des Lenkers ist keine ganz ungewöhnliche Folge der Tat.16 Der Tod des Fahrers ist dem A objektiv, aber auch subjektiv zuzurechnen: Dass A an die möglichen Folgen nicht gedacht hat, entschuldigt ihn nicht, zumal auch ein 15-Jähriger in der Regel reif genug ist, die Gefährlichkeit der Handlung einzusehen.17 b) Die Tat könnte nach § 81 Abs 1 Z 1 StGBÏQUALIlZIERTÏSEIN ÏWENNÏDIEÏ GEFÇHRLICHEÏ(ANDLUNG ÏDASÏ&ALLENLASSENÏDESÏ0mASTERSTEINS ÏEINENÏUnfall mit schweren Folgen außerordentlich wahrscheinlich machte.18 Angenommen, der Stein träfe die Windschutzscheibe, dann wäre ein schwerer Unfall schon deshalb sehr wahrscheinlich, weil das Zerbersten der Scheibe den Fahrer völlig aus der Fassung brächte. Aber auch ein Treffer auf die Motorhaube würde den Fahrer leicht die Beherrschung über seinen Wagen verlieren lassen. Der Fahrer würde instinktiv das Lenkrad verreißen, und bei der hohen Geschwindigkeit könnte das Auto leicht von der Fahrbahn abkommen. Wie wahrscheinlich war nun ein solcher Treffer? Im Allgemeinen sind Autobahnbrücken recht niedrig, der Abstand zum Auto misst nur wenige Meter, andererseits erfordert es gewisse Übung, die Frontpartie eines Pkw, der mit hoher Geschwindigkeit unter einer Brücke durchfährt, zu treffen (Treffer auf dem Dach sind sehr viel weniger gefährlich). A hat freilich schon sechs Versuche hinter sich, und er lässt den Stein nicht irgendwie, sondern gezielt fallen. Deshalb erscheint ein gefährlicher Treffer ausgesprochen wahrscheinlich. A handelt auch auffallend sorglos,19 weil es auch für ihn leicht erkennbar sein muss, dass mit der Zahl der Versuche ein gefährlicher Treffer sehr wahrscheinlich wird. So ist A auch nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB strafbar. 15 16 17 18 19
126
Vgl Fuchs AT I 14. Kap Rz 54. Vgl B/S BT I § 80 Rz 8. B/S BT I § 80 Rz 19. B/S BT I § 81 Rz 2. B/S BT I § 81 Rz 10.
Fall 3: „Steinschlag auf der Autobahn“
2. Die Fehlversuche könnten den Tatbestand des § 89 StGB (Gefährdung der körperlichen Sicherheit) erfüllen. Die Insassen der nicht getroffenen Autos sind konkret gefährdet, weil die Steine die Fahrzeuge nur mehr oder weniger knapp verfehlen. Die konkrete Gefährdung muss aber eine solche unter besonders gefährlichen Verhältnissen iSd § 81 Abs 1 Z 1 StGB darstellen. So kommt es wieder auf die Wahrscheinlichkeit an, mit der die Steine Windschutzscheibe oder Motorhaube der Fahrzeuge treffen könnten. Diese Wahrscheinlichkeit wächst mit der Zahl der Versuche, spätestens beim fünften oder sechsten Versuch ist sie außerordentlich groß. Die Autoinsassen sind in diesen Fällen nur mit Glück einem schweren Unfall entronnen. Dass das Risiko eines schweren Unfalls mit der Zahl der Treffversuche steigt, kann auch ein 15-Jähriger leicht nachvollziehen.20 Darum hat sich A zumindest in einem Fall nach § 89 StGB strafbar gemacht. 3. Zu prüfen ist auch das Delikt der fahrlässigen Gemeingefährdung nach § 177 StGB. Eine Gemeingefahr läge vor, wenn durch die Aktion des A mindestens zehn Personen beinahe verletzt worden wären, und das annähernd zur gleichen Zeit.21 Das wäre der Fall, wenn die Autoinsassen nur um Haaresbreite einer Massenkarambolage entgangen wären.22 Aber dafür sind die Abstände zwischen den einzelnen Fahrzeugen (ca eine halbe Minute) viel zu groß. Nach der Rsp sind auch neun oder weniger Personen eine „größere Zahl“ im Sinn von § 177 StGB , wie viele, weiß man nicht.23 So könnte unter Umständen auch der Beinahe-Unfall eines einzelnen, vollbesetzten Pkw unter den Tatbestand fallen. 4. A hat eine Sachbeschädigung nach § 125 StGB begangen, indem er durch einen Steinwurf die Windschutzscheibe des Autos zertrümmert. $EMÏ!ÏISTÏEINEÏ"ESCHÇDIGUNGÏuEGALh ÏWASÏSOVIELÏBEDEUTETÏ%RÏlNDETÏSICHÏ DAMITÏABÏ"EIÏEINEMÏ4REFFERÏWIRDÏDASÏ!UTOÏZWANGSLÇUlGÏBESCHÇDIGT ÏZ"Ï an der Karosserie. Das ist A beim Herunterwerfen durchaus bewusst, und dass der Stein gerade die Windschutzscheibe treffen wird, daran braucht er nicht zu denken.24 Es genügt, dass er irgendeine Beschädigung für sehr wahrscheinlich, dh ernstlich für möglich hält (§ 5 Abs 1 StGB). An einen Totalschaden hat A offensichtlich nicht gedacht. Er ist DAHERÏVORLÇUlGÏNURÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏSTRAFBAR A könnte aber auch die eine oder andere versuchte Sachbeschädigung (§§ 15, 125 StGB) begangen haben, da er auf verschiedene Autos 20 21 22 23 24
Vgl B/S BT I § 81 Rz 10. B/S BT II §§ 176, 177 Rz 2, 4. Vgl Hinterhofer BT II §§ 176, 177 Rz 3. K/Schm BT III Vorbem §§ 169 ff Rz 51. Vgl K/H AT Z 16 Rz 5. 127
V. Venier
zielt.25 Wenn A ernsthaft damit rechnet, das eine oder andere Auto zu treffen, dann können die Schadensbeträge aus allen, den versuchten und den vollendeten Taten, nach § 29 StGB zusammengerechnet werden.26 So könnte A nach § 126 Abs 1 Z 7 StGB strafbar sein, vorausgesetzt, der VOMÏ6ORSATZÏUMFASSTEÏ3CHADENÏ¿BERSTEIGTÏINÏ3UMMEÏÏãÏ Ergebnis: Armin ist nach §§ 80, 81 Abs 1 Z 1 StGB, weiters nach § 89 und nach § 125 (allenfalls iVm § 15) StGB, möglicherweise auch nach § 126 Abs 1 Z 7 StGB strafbar.
Fall 4: „Der obszöne Anruf“ In der Wohnung von Frau X läutet das Telefon. Sie nimmt den Hörer ab. „Zieh dich aus, du Schlampe!“, herrscht sie eine Männerstimme an. X ist fassungslos, das ist ihr noch nie passiert. „Perverses Schwein!“, zischt sie in den Hörer, worauf der Anrufer mit drohendem Unterton ERWIDERTÏu)CHÏWEI ÏWOÏDUÏWOHNST ÏICHÏKRIEGÏDICHhÏUNDÏAUmEGTÏ$ERÏ anonyme Anrufer lässt nichts mehr von sich hören, dennoch hat X einen Monat lang Angst, allein aus der Wohnung zu gehen. Hat sich der Anrufer strafbar gemacht?
Lösung 1. Der Anrufer könnte eine versuchte Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB begangen haben: Er verlangt eine Handlung, nämlich die Frau solle sich ausziehen. Sich ausziehen ist keine „geschlechtliche Handlung“ iSd § 202 StGB,27 aber immerhin eine Handlung nach § 105 StGB. Der Täter müsste versuchen, diese Handlung durch eine gefährliche Drohung zu erzwingen. Erforderlich wäre die Androhung eines bestimmten Übels (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB). Der Anrufer versucht die Frau durch einen barschen Befehlston einzuschüchtern, aber er droht kein Übel an. Erst als die Frau den Mann ein perverses Schwein nennt, droht er ihr, aber die Drohung dient nicht dazu, die Frau zum Ausziehen zu bewegen. Wenn dem so wäre, hätte der Mann nicht sofort aufgelegt, sondern eine Antwort abgewartet. Kann der Anrufer denn überhaupt erwarten, die Frau werde sich am Telefon 25 26 27
128
Vgl L/St StGB § 28 Rz 60. K/Schm BT II § 128 Rz 56. B/S BT II § 202 Rz 2.
Fall 5: „Eine unsportliche Auseinandersetzung“
ausziehen? Doch wohl nicht, wahrscheinlich hofft er, durch die obszöne Forderung zu schockieren, was ihm ja auch gelungen ist. Der Vorsatz, das Opfer zu schockieren, ist jedoch kein Vorsatz, das Opfer zu einer Handlung zu nötigen. 2. Der Anrufer könnte durch die Drohung das Delikt nach § 107 Abs 1 StGB begangen haben: „Ich weiß wo du wohnst, ich krieg dich!“, kann man als gefährliche Drohung iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB auffassen. „Ich krieg dich!“, deutet DARAUFÏHIN ÏDASSÏDERÏ-ANNÏDERÏ&RAUÏAUmAUERNÏUNDÏIHRÏETWASÏANTUNÏWIRDÏ Darin steckt die Drohung, sie zu misshandeln, was eine leichte Körperverletzung, zB Blutergüsse, Prellungen, durchaus befürchten lässt. Die Ankündigung ist freilich zu vage, um aus ihr ein noch schlimmeres Übel, zB eine Vergewaltigung, abzuleiten. Ob der Mann tatsächlich gewalttätig ist, kann die Frau nicht wissen, aber auch nicht ausschließen, darum muss sie die Drohung den Umständen nach ernst nehmen.28 Dem Anrufer ist sicher bewusst, dass er droht. Aber hat er auch die Absicht, die Frau in Furcht und Unruhe zu versetzen? Es muss ihm darauf ankommen, das Opfer so zu ängstigen, dass es einige Zeit darunter leidet.29 Wenn der Mann die Drohung nur im Zorn ausspricht, ohne an die Angst der Frau zu denken, fehlt es an dieser Absicht. Da aber der Mann offensichtlich schockieren will, hat er auch die Wirkung der Worte auf das Opfer bedacht, weshalb § 107 Abs 1 StGB verwirklicht ist. Im Übrigen erfüllt der Anruf nicht die Voraussetzzungen des § 107a StGB, weil der Täter nicht ständig („beharrlich“), sondern nur einmal anruft.30 Ergebnis: Der Anrufer ist nach § 107 Abs 1 StGB strafbar.
Fall 5: „Eine unsportliche Auseinandersetzung“ Nach dem Besuch des Bergrestaurants will der Schiurlauber Anton zu 4ALÏFAHREN ÏKANNÏABERÏSEINEÏNEUENÏ3CHIERÏNICHTÏlNDENÏOFFENSICHTLICHÏ hat sie jemand vor dem Restaurant mitgenommen. Drei Tage später sieht Anton seine „Brettln“ auf der Schulter eines anderen Urlaubers. Anton bezichtigt den Mann des Schidiebstahls, packt ihn am Arm und hindert ihn am Weggehen. Der Mann bestreitet die Tat katego28 29 30
Vgl B/S BT I § 105 Rz 10. B/S BT I § 107 Rz 6. B/S BT I § 107a Rz 3. 129
V. Venier
risch, als das nichts nützt, lässt er plötzlich die Schier fallen und versetzt Anton einen Faustschlag ins Gesicht. Anton – er blutet stark aus der Nase – lässt den Mann los und dieser kann in der Menge der Urlauber untertauchen. Die Polizei kann den Mann schließlich INÏ SEINEMÏ (OTELÏ AUSlNDIGÏ MACHENÏ *OHN Ï SOÏ HEITÏ ER Ï GIBTÏ ZU Ï DIEÏ Schier vor dem Bergrestaurant mitgenommen zu haben, weil ihm sein eigenes Paar gestohlen worden sei. Er habe das fremde Paar nur ein paar Tage benützen und dann am Schiständer der Talstation abstellen wollen. Haben sich Anton und John (gemäß seiner Verantwortung) strafbar gemacht, wenn ja, nach welchen Bestimmungen?
Lösung 1. a) Anton hält John am Arm fest und hindert ihn dadurch am Weggehen. Zu denken ist an eine Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB). Voraussetzung dafür ist eine Gewaltanwendung. Das bloße Festhalten am Arm ist keine Gewalt, dh keine erhebliche Einwirkung auf den Körper, weil es dem Angehaltenen nicht weh tut.31 Die Rsp verlangt die „Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft“, das könnte womöglich auch ein Festhalten am Arm sein, je nachdem, wie man „nicht unerhebliche physische +RAFThÏDElNIERT b) Weiters ist Freiheitsentziehung (§ 99 StGB) zu prüfen: Freiheitsentziehung kann nur angenommen werden, wenn der Täter das Opfer so festhält, dass es sich nur mit erheblichem Kraftaufwand befreien kann.32 Das träfe nicht zu, wenn sich John mit einem kräftigen Ruck losreißen könnte. Da Anton erst nach einem Faustschlag ins Gesicht loslässt, war ein Losreißen wohl nicht so einfach möglich. Das Festhalten dauert freilich nur kurz, zu kurz für ein Gefangenhalten. Denkbar ist, dass Anton den Urlauber für länger, nämlich für mehr als 10 Minuten,33 festhalten möchte, um ihn der Polizei zu übergeben. Darin läge eine versuchte Freiheitsentziehung (§§ 15, 99 StGB). Aber ist die (versuchte) Freiheitsentziehung rechtswidrig? Das Anhalterecht nach § 80 Abs 2 StPO kommt Anton nicht zugute, da der mutmaßliche Diebstahl schon drei Tage zurückliegt, die Tat also nicht „unmittelbar zuvor“ begangen wurde.34 Auch Notwehr (§ 3 StGB) kommt nicht in Frage, weil der Angriff, die Wegnahme der Schier, nicht mehr 31 32 33 34
130
B/S BT I § 105 Rz 5. B/S BT I § 99 Rz 5. B/S BT I § 99 Rz 6. K/H AT E 1 Rz 12.
Fall 5: „Eine unsportliche Auseinandersetzung“
„gegenwärtig“ ist. Immerhin greift erlaubte Selbsthilfe:35 Das Festhalten des Fremden dient der Durchsetzung eines privatrechtlichen Anspruchs, nämlich der Wiedererlangung der Schier. Der Unbekannte wehrt sich gegen die Anschuldigung, er wird daher mit den Schiern verschwinden, wenn Anton loslässt. Es bleibt Anton nichts anderes übrig, als den Fremden festzuhalten, um ihm die Schier abzunehmen oder, falls das scheitert, durch die Polizei abnehmen zu lassen. Bloßes Festhalten ist nicht unangemessen.36 Anton ist durch Selbsthilfe gerechtfertigt. 2. a) John hat eine Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) begangen: Er wendet Gewalt an, indem er Anton einen Schlag ins Gesicht versetzt, was eine erhebliche Einwirkung auf den Körper darstellt.37 Anton ist gezwungen, John loszulassen. Diese Unterlassung ist ein relevanter Nötigungserfolg, weil sie John die Flucht ermöglicht. John hat das natürlich beabsichtigt. Hat John möglicherweise ein Recht darauf, dass Anton ihn sofort gehen lässt? Immerhin lässt John die Schier unmittelbar vor dem Schlag fallen. Aber John hat die neuen Schier drei Tage lang gefahren, so hat Anton zumindest Anspruch darauf, dass ihm John das Schiservice (Kantenschliff, Belag ausbessern) bezahlt. Solange Anton nicht weiß, wer der Fremde ist und wo er wohnt, kann er diesen Anspruch nicht durchsetzen: Die Selbsthilfesituation besteht daher fort, und John hat kein Recht auf sofortige, bedingungslose Freilassung. Im Übrigen entspricht die Reaktion des John, dem Anton ins Gesicht zu schlagen, keinesfalls den guten Sitten (§ 105 Abs 2 StGB). b) John versetzt Anton einen Faustschlag ins Gesicht. Das ist eine Misshandlung, weil der Schlag schmerzt. Der Schlag wiederum bewirkt eine leichte Körperverletzung iSd § 83 StGB, nämlich starkes Nasenbluten.38 Ob John mit Verletzungs- (§ 83 Abs 1 StGB) oder nur mit Misshandlungsvorsatz (§ 83 Abs 2 StGB) zugeschlagen hat, ist schwer zu sagen. John ist wahrscheinlich sehr erregt, weil er festgehalten wird und eine Anzeige befürchten muss. Welche Folgen der Schlag haben könnte, bedenkt John vielleicht gar nicht;39 immerhin ist ihm bewusst, dass der Schlag ordentlich weh tut. So ist zumindest § 83 Abs 2 StGB erfüllt. Eine Notwehrsituation (§ 3 StGB) liegt nicht vor: Zwar ist das Festhalten ein Angriff gegen die Freiheit des John, weil er am Weggehen gehindert wird, aber der Angriff ist nicht rechtswidrig, weil Anton noch 35 36 37 38 39
Vgl K/H AT E 1 Rz 36f. Vgl K/H AT E 1 Rz 41. B/S BT I § 105 Rz 5. B/S BT I § 83 Rz 1. B/S BT I § 83 Rz 9. 131
V. Venier
Selbsthilfe üben darf (s oben a). Die leichte Körperverletzung wird freilich als typische Begleittat der Gewaltanwendung durch die Verurteilung nach § 105 Abs 1 StGB abgegolten. Anders die Rsp, die in solchen Fällen auch nach § 83 StGB verurteilt.40 c) Die Mitnahme der Schier könnte eine dauernde Sachentziehung (§ 135 Abs 1 StGB) sein: Nach der Verkehrsauffassung stehen sie im (gelockerten) Gewahrsam des Anton, weil er sie, wie es üblich ist, vor dem Bergrestaurant ablegt.41 Indem sie John von dort wegträgt, entzieht er sie dem Gewahrsam des Anton. John will die Schier nicht behalten, sie also nicht stehlen (§ 127 StGB), sondern nur einige Zeit benützen. Fraglich ist, ob John im Zeitpunkt der Wegnahme eine Schädigung des Berechtigten in Kauf nimmt. Nach der Rsp würde auch ein später gefasster Schädigungsvorsatz genügen.42 John will die Schier nach ein paar Tagen an der Talstation beim Schiständer abstellen. Aber darf er annehmen, dass der Berechtigte sie DORTÏUNTERÏDENÏVIELENÏANDERENÏ3CHIERNÏSUCHENÏUNDÏlNDENÏWIRDÏ!NÏ*OHNSÏ Stelle müsste man erhebliche Zweifel haben: Nach neuwertigen Schiern wird der Berechtigte freilich eher suchen als nach gebrauchten, nach nicht versicherten eher als nach versicherten. Möglich, dass der Berechtigte auch noch Tage nachher den Schiständer absucht und sich beim Liftpersonal nach gefundenen Schiern erkundigt, aber realistisch ist das nicht. So ist ein Schädigungsvorsatz wahrscheinlich. Dass dem John die eigenen Schier gestohlen wurden, entschuldigt die Wegnahme natürlich nicht. Das Fallenlassen der Schier ist keine tätige Reue, weil es an der Freiwilligkeit fehlt: John muss damit rechnen, dass ihm die Schier gewaltsam abgenommen werden.43 Ergebnis: !NTONÏISTÏSTRAmOS Ï*OHNÏDAGEGENÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"ÏUNDÏ nach § 135 Abs 1 StGB strafbar.
Fall 6: „Besuch in der Spedition“ Die Eltern des 17-jährigen A besitzen ein Speditionsunternehmen. Eines Nachts dringt A zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund B in die Büroräume ein, indem er die Eingangstür mit einem Schlüssel 40 41 42 43
132
B/S BT I § 105 Rz 32. B/S BT I § 127 Rz 10. K/Schm BT II § 135 Rz 25, 46. B/S BT I § 167 Rz 15.
Fall 6: „Besuch in der Spedition“
öffnet, den er sich zu Hause vom Schlüsselbrett der Eltern besorgt hat. B weiß davon. Im Büro suchen die Jugendlichen nach Brauchbarem, lNDENÏ EINEÏ (ANDKASSEÏ SOWIEÏ DENÏ 3CHL¿SSELÏ F¿RÏ EINENÏ -ERCEDES Kleinlaster, beides nehmen sie mit. Vor dem Gebäude startet A mit dem Autoschlüssel den Kleinlaster, A und B drehen abwechselnd einige Runden auf dem Parkplatz, lassen das Fahrzeug stehen und machen sich mit der Handkasse aus dem Staub. Später brechen sie DIEÏ+ASSEÏAUF ÏTEILENÏSICHÏDIEÏ"EUTEÏIMÏ7ERTÏVONÏÏãÏUNDÏWERFENÏ die leere Kassette in einen Müllcontainer. Den Türschlüssel hängt A wie geplant wieder ans Schlüsselbrett. Haben sich A und B strafbar gemacht, wenn ja, nach welchen Bestimmungen?
Lösung 1. a) A und B haben am Bargeld, einer fremden beweglichen Sache, einen Diebstahl (§ 127 StGB) begangen: Die Handkasse wird im Büro aufbewahrt, steht also im Gewahrsam der Eltern des A oder einer ihrer Angestellten.44 A und B nehmen die Kassette weg, indem sie sie aus dem Gebäude tragen. Da im Sachverhalt nicht unterschieden wird, wer welchen Handgriff geleistet hat, sind A und B wohl Mittäter (§ 12 1. Fall StGB).45 Sicher denken A und B bei der Wegnahme an Geld, das sich ja üblicherweise in solchen Kassetten BElNDET ÏUNDÏAUCHÏDARAN ÏESÏENTWEDERÏSELBSTÏZUÏBEHALTENÏODERÏMITÏDEMÏ Freund zu teilen. Darin liegt der Vorsatz begründet, sich oder einen Dritten durch Zueignung der Sache unrechtmäßig zu bereichern. An einen bestimmten Betrag brauchen sie bei der Wegnahme nicht zu denken.46 Andererseits kommt ein versuchter schwerer Diebstahl nach § 128 Abs 1 :ÏÏ3T'"ÏNURÏINÏ&RAGE ÏWENNÏSIEÏERNSTHAFTÏMITÏMEHRÏALSÏÏãÏINÏDERÏ Kasse gerechnet haben. Dass sie eine so hohe Summe bloß nicht ausschließen können, ist noch kein bedingter Vorsatz, einen Betrag in dieser Höhe zu stehlen.47 b) Der Diebstahl könnte als Einbruchsdiebstahl nach § 129 Z 1 StGB QUALIlZIERTÏSEIN $IEÏ"¿RORÇUMEÏBElNDENÏSICHÏINÏEINEMÏ'EBÇUDE ÏUNDÏA dringt ein, indem er die Türe mit einem Schlüssel aufsperrt, den er sich von zu Hause besorgt hat. Der Schlüssel stand zumindest im Mitgewahrsam der 44 45 46 47
B/S BT I § 127 Rz 11, 15. Vgl Fuchs AT I 33. Kap Rz 11; strenger wohl K/H AT E 3 Rz 10. B/S BT I § 127 Rz 28. B/S BT I § 128 Rz 10f. 133
V. Venier
Eltern, auch wenn er für A am Schlüsselbrett leicht erreichbar war.48 Es wäre immerhin denkbar, dass A bis auf weiteres die Erlaubnis besitzt, den Schlüssel selbständig vom Brett zu nehmen, um zB in der Firma am Computer zu arbeiten oder zu spielen. In diesem Fall wäre der Schlüssel nicht widerrechtlich „erlangt“, sondern nur für einen widerrechtlichen Zweck gebraucht, § 129 Z 1 StGB wäre nicht anwendbar. Was aber, wenn A jeweils um Erlaubnis fragen muss oder eine Erlaubnis nicht zur Diskussion steht? Dann ist der Schlüssel widerrechtlich erlangt. Wenn auch B damit rechnet, dass A den Türschlüssel, den er soeben zum Aufsperren verwendet, ohne Genehmigung der Eltern ausgeBORGTÏHAT ÏTRIFFTÏDIEÏ1UALIlKATIONÏDESÏeÏÏ:ÏÏ3T'"ÏAUCHÏAUFÏIHNÏZUÏ$ASSÏ sich B an der Schlüsselwegnahme nicht beteiligt hat, schadet nicht. Ferner ist anzunehmen, dass A und B schon beim Aufsperren der Türe daran denken, „Brauchbares“ zu stehlen. Was und wie viel es sein wird, braucht noch nicht festzustehen. Mit der Wegnahme der Kassette ist der Einbruchsdiebstahl vollendet, auch wenn die Kassette erst später aufgebrochen und die Beute geteilt wird. Ein Einbruchsdiebstahl (auch) nach § 129 Z 2 StGB kommt nach der Wegnahme der Kassette nicht mehr in Frage.49 Am Türschlüssel selbst haben A und B kein Delikt begangen. 2. A und B werfen die Kassette in einen öffentlichen Abfallcontainer. Denkbar ist eine dauernde Sachentziehung (§ 135 Abs 1 StGB) für den Fall, dass sie schon bei der Wegnahme daran gedacht haben, die Kassette später wegzuwerfen. Ein solcher Vorsatz ist ziemlich wahrscheinlich, weil die Kassette den Tätern nichts nützt. Die Tat ist auch hier mit der Wegnahme vollendet, und auch hier sind A und B als Mittäter anzusehen (s 1. a). Nach der Rsp genügt für § 135 StGB, dass die Täter den Vorsatz, die Sache wegzuwerfen, erst nach der Entziehung aus dem Gewahrsam fassen. 50 In dem Vorsatz, die Kassette wegzuwerfen, ist auch ein Schädigungsvorsatz enthalten. Das vorsätzliche Beschädigen der Kassette durch AufBRECHENÏeÏÏ3T'" ÏISTÏDAHERÏNURÏNOCHÏSTRAmOSEÏ.ACHTAT51 3. A begeht die Taten gemäß § 166 Abs 1 StGB „zum Nachteil“ seiner Eltern. Bei B muss man unterscheiden: Am Einbruchsdiebstahl beteiligt sich B nicht „bloß zum Vorteil“ des A, weil die Beute geteilt wird. In diesem Fall steht § 166 Abs 2 StGB einer Privilegierung entgegen. Die 48 49 50 51
134
B/S BT I § 129 Rz 6, § 127 Rz 11. B/S BT I § 129 Rz 14. K/Schm BT II § 135 Rz 25, 46. B/S BT I § 135 Rz 11.
Fall 7: „Das Kuvert“
dauernde Sachentziehung aber begeht B ausschließlich zum Nachteil von A’s Eltern, insoweit gilt § 166 Abs 2 StGB wenigstens analog.52 4. A und B fahren abwechselnd und ohne Einverständnis der berechtigten Eltern mit dem Kleinlaster. Da beide fahren, sind beide (unmittelbare) Täter nach § 136 Abs 1 StGB (Unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen). A und B wissen, dass sie nicht fahren dürfen. Auch an eine mutmaßliche Einwilligung der Eltern ist nicht zu denken, weil es keinen vernünftigen Grund geben kann, zwei 17-Jährigen einen Kleinlaster zu überlassen.53 Die Tat könnte nach § 136 Abs 2 (§ 129) StGB QUALIlZIERTÏSEINÏ$ERÏ Autoschlüssel ist nicht etwa „gefunden“, denn an den Gegenständen im Büro behalten die Firmeninhaber oder ihre Angestellten Gewahrsam, auch wenn andere das Büro erlaubt oder unerlaubt betreten. Dass jemand den Schlüssel in die Hosentasche steckt,54 ist nicht notwendig, um Gewahrsam daran zu erlangen. A und B verschaffen sich „Gewalt“ über das Fahrzeug, dh sie starten es und fahren damit. Die beiden beteiligen sich gemeinsam an der widerrechtlichen Erlangung des Schlüssels (Wegnahme). Sie können allerdings wegen dieser Tat nicht bestraft werden (§ 136 Abs 4 StGB): A, weil das Fahrzeug seinen Eltern gehört, und B, weil er bloß mit Zustimmung des A gefahren ist.55 Ergebnis: A ist nach § 127 StGB, eventuell auch nach § 129 Z 1 StGB, weiters nach § 135 Abs 1 StGB strafbar, wobei die Taten nach § 166 Abs 1 StGB privilegiert sind. B haftet als Mittäter nach diesen Bestimmungen, privilegiert ist in seinem Fall nur die dauernde Sachentziehung. Die Fahrt MITÏDEMÏ+LEINLASTERÏISTÏF¿RÏBEIDEÏSTRAmOS
Fall 7: „Das Kuvert“ A geht am Einfamilienhaus des B vorbei und sieht auf dem Briefkasten am Gartentor ein zugeklebtes Kuvert liegen. Neugierig nimmt er es in die Hand. Es dürfte eine Kreditkarte enthalten. A öffnet das +UVERTÏUNDÏlNDETÏTATSÇCHLICHÏEINEÏ+REDITKARTE ÏERÏSTECKTÏSIEÏINÏSEINEÏ Jackentasche; Kuvert und Begleitschreiben wirft er in den nächsten Mülleimer. Zu Hause unterschreibt er die Kreditkarte mit dem auf B/S BT I § 166 Rz 7. Vgl B/S BT I § 136 Rz 5. 54 Anders bei Gegenständen, die man vorerst nur zur Ansicht in die Hand nimmt, zB Waren: vgl K/Schm BT II § 127 Rz 115. 55 B/S BT I § 136 Rz 14. 52 53
135
V. Venier
der Vorderseite angegeben Namen des B. In den darauf folgenden Tagen bestellt A unter Eingabe der Kartennummer Waren im Wert VONÏ Ï ãÏ IMÏ )NTERNETÏ !LSÏ ERÏ INÏ EINEMÏ 'ESCHÇFTÏ EINEÏ ,EDERJACKEÏ Ïã ÏMITÏDERÏ+ARTEÏKAUFENÏWILL ÏISTÏSIEÏBEREITSÏGESPERRTÏ$ARAUFHINÏ bricht A die Karte wütend auseinander. Beurteilen Sie die Strafbarkeit des A.
Lösung 1. a) Das Einstecken der Kreditkarte könnte eine Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (§ 241e Abs 1 StGB) sein: Die Kreditkarte ist ein unbares Zahlungsmittel (§ 74 Abs 1 Z 10 StGB). Sie lässt den Aussteller (Kreditkarteninstitut) erkennen, ist in besonderer Weise gegen Fälschung oder missbräuchliche Verwendung gesichert (Unterschriftenvergleich, bei Barbehebung Codeeingabe) und hat bargeldvertretende Funktion oder dient der Ausgabe von Bargeld. Die Kreditkarte selbst ist kein Wertträger und darum nicht diebstahlsfähig.56 A darf über die Kreditkarte nicht verfügen. Der Brief auf dem Briefkasten am Gartentor steht im (gelockerten) Gewahrsam des B. Indem A die Karte einsteckt, nimmt er sie weg, dh er verschafft sie sich.57 Dem A ist wohl schon beim Einstecken der Karte bewusst, dass sie noch nicht unterschrieben und daher erst mit der Unterschrift voll gültig ist. Wahrscheinlich denkt er auch schon daran, die Kreditkarte später für Internetbestellungen und Einkäufe zu verwenden (§ 241e Abs 1 erster Satz StGB). Dann hat er bei der Wegnahme der Karte wohl auch den Vorsatz, sie durch Nachmachen der Unterschrift zu verfälschen (§ 241e Abs 1 zweiter Satz StGB). Aber das Verschaffen mit (Ver-)Fälschungsvorsatz ist nur eine typische Vorbereitungshandlung zum tatsächlichen (Ver-)Fälschen nach § 241a StGB. So kann A nicht auch noch nach § 241e Abs 1 zweiter Satz StGB verurteilt werden.58 b) Das Unterschreiben der Kreditkarte mit B’s Namen verwirklicht § 241a Abs 1 StGB. B ist nicht der Aussteller der Kreditkarte, die Unterschrift ist nur ein beweiserheblicher Zusatz, der vor Missbrauch schützen soll. Indem A eigenmächtig für B unterschreibt, verfälscht er die Kreditkarte. Beim Unterschreiben denkt B sicher daran, mit der Kreditkarte einkaufen zu gehen, dh er will die verfälschte Kreditkarte im Rechtsverkehr verwenden. 56 57 58
136
B/S BT II § 241e Rz 1f. B/S BT II § 241e Rz 3. B/S BT II § 241e Rz 9.
Fall 7: „Das Kuvert“
Zwischenergebnis:Ï 3OÏ ISTÏ !Ï nÏ VORLÇUlGÏ WENIGSTENSÏ nÏ WEGENÏ DERÏ Entfremdung der Kreditkarte nach § 241e Abs 1 erster Satz StGB und wegen ihrer Verfälschung nach § 241a StGB strafbar. In der Folge muss man aber unterscheiden, wofür er die Kreditkarte verwendet: 2. Das Bestellen von Waren im Internet könnte ein betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch (§ 148a Abs 1 StGB) sein. !ÏTÇUSCHTÏNIEMANDEN ÏERÏBEEINmUSSTÏEINENÏELEKTRONISCHENÏ$ATENVERARbeitungsvorgang, indem er Daten eingibt (Kreditkartennummer, -ablaufdatum, Betrag) und der Bestellung – zB durch Anklicken von „Bestellen“ – zustimmt. Er veranlasst dadurch eine elektronische Abbuchung vom Konto des B (die Daten werden automatisch, ohne Prüfung durch einen Menschen an das Kreditkarteninstitut weitergeleitet).59 Dadurch tritt der Schaden ein. Dass B bei dem Vorgang geschädigt wird, ist A natürlich bewusst. Es kommt ihm ferner darauf an, sich durch die Abbuchung von INSGESAMTÏÏãÏUNRECHTMÇIGÏZUÏBEREICHERNÏ Aber § 148a Abs 1 StGB ist nur eine STRAmOSEÏ.ACHTATÏzur Entfremdung nach § 241e Abs 1 erster Satz:60 Die Entfremdung diente ja dazu, die Internetbestellung zu ermöglichen. 3. Der Versuch, mit der Kreditkarte eine Lederjacke zu bezahlen, kann als versuchter Betrug (§§ 15, 146 StGB) strafbar sein. A handelt mit vollem Tatentschluss: Die Karte soll den Verkäufer über A’s Berechtigung täuschen und ihn dazu verleiten, die Kartendaten und den Kaufpreis dem Kreditkarteninstitut zu übermitteln. Dann käme es zur Belastung von B’s +ONTOÏ MITÏ Ï ãÏ UNDÏ "Ï WÇREÏ GESCHÇDIGTÏ .ICHTÏ EINMALÏ DIEÏ 4ÇUSCHUNGÏ gelingt, weil die Karte gesperrt ist. Selbstverständlich will sich A um die Ïã ÏDIEÏVONÏDEMÏ+ONTOÏDESÏ"ÏABGEBUCHTÏWERDENÏSOLLTEN ÏUNRECHTMÇßig bereichern. Der Versuch ist nur relativ untauglich, weil die Karte nur zufällig gesperrt ist. Der Versuch ist ferner fehlgeschlagen, weil A den Betrug, selbst wenn er wollte, nicht mehr vollenden könnte. Der versuchte Betrug ist nach § 147 Abs 1 Z 1 (2. Fall) StGB QUALIlziert. Die Vorlage der entfremdeten und verfälschten Kreditkarte soll den Verkäufer täuschen und zur elektronischen Datenübermittlung verleiten. Die Entfremdung (§ 241e Abs 1 StGB) und die Verfälschung (§ 241a) der Kreditkarte werden durch die Verurteilung nach § 147 Abs 1 Z 1 zweiter Fall abgegolten.61 Variante: Wenn erst die nachgemachte Unterschrift auf dem Rechnungsbeleg den Verkäufer zur Datenübermittlung verleitete, läge ein 59 60 61
B/S BT I § 148a Rz 2. B/S BT I § 148a Rz 7. B/S BT I § 147 Rz 10. 137
V. Venier
(versuchter) Urkundenbetrug nach § 147 Abs 1 Z 1 (1. Fall StGB) vor. § 241a StGB bliebe dann weiter anwendbar. 4. A zerbricht die Kreditkarte. Zu prüfen ist Unterdrückung unbarer Zahlungsmittel (§ 241e Abs 3 StGB). Als A die Kreditkarte zerbricht, ist sie bereits gesperrt, damit ist sie auch für den Berechtigten unbrauchbar geworden. Unbrauchbare Kreditkarten werden durch § 241e Abs 3 StGB nicht geschützt. Eigentlich sind sie gar keine unbaren Zahlungsmittel. Auch A weiß, dass die Kreditkarte mit der Sperre nicht mehr brauchbar ist. 5. A wirft den Brief in den Mülleimer. Denkbar wäre Urkundenunterdrückung (§ 229 StGB). Das Begleitschreiben ist jedoch keine Urkunde (§ 74 Abs 1 Z 7 StGB), es fehlt ihm an der Rechtserheblichkeit: Es begründet kein Recht, weil der Vertrag zwischen B und dem Institut schon vorher abgeschlossen wurde. Es enthält auch keine rechtlich erheblichen Tatsachen, sondern nur die Information, die Kreditkarte sei jetzt angekommen. A verletzt das Briefgeheimnis nach § 118 StGB: Er öffnet das zugeklebte Kuvert (Abs 1) und unterdrückt den Brief, indem er ihn nach dem Aufreißen wegwirft (Abs 3). Dass der Brief nicht zu seiner Kenntnis bestimmt ist, weiß A. Die Tat ist freilich nur ein Privatanklagedelikt (§ 118 Abs 4 StGB). Ergebnis: Für die Wegnahme der Kreditkarte und die Internetbestellung ist A nach § 241e Abs 1 erster Satz StGB, für den versuchten Jackenkauf mit Hilfe der entfremdeten und verfälschten Kreditkarte nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 (2. Fall) StGB strafbar. Für das Öffnen und Wegwerfen des Briefes haftet er nach § 118 Abs 1, 3 StGB.
Fall 8: „Tankstellenüberfall“ A und B beschließen, eine Tankstelle zu überfallen. Um 1 Uhr nachts betritt A die Tankstelle, hält dem Tankwart wie ausgemacht einen Gasrevolver vor die Brust und fordert die Tageslosung. B wartet inzwischen auf dem Motorrad vor der Eingangstür, die weit offen steht. Der Tankwart erschrickt beim Anblick der Waffe, fasst sich aber ein Herz und versucht, A das Vorhaben auszureden. A ist verunsichert und macht einige Schritte zur Tür. B, der die Szene beobachtet, brüllt durch die offene Tür: „Steig auf, es hat keinen Sinn!“ A überlegt nicht lange, schwingt sich auf den Beifahrersitz und braust mit B davon. Haben sich A und B strafbar gemacht? 138
Fall 8: „Tankstellenüberfall“
Lösung 1. a) Da A die Tageslosung nicht erhält, könnte er wegen Raubversuchs (§§ 15, 142 Abs 1 StGB) strafbar sein: Die Drohung stellt bereits eine Ausführungshandlung zum Raub dar (§ 15 Abs 2 StGB). A droht mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, indem er einen Gasrevolver auf den Tankwart richtet. Mit dieser Art von Waffe kann man zwar niemanden schwer verletzen oder töten, aber für den Tankwart ist das nicht erkennbar. Bis zum Beweis des Gegenteils muss er auch einen Gasrevolver für eine äußerst gefährliche Schusswaffe halten. Die Drohung ist daher geeignet, das Opfer um sein Leben oder wenigstens um seine Gesundheit fürchten zu lassen. A hat den vollen Tatentschluss: Mit der Drohung möchte er die sofortige Herausgabe der Tageslosung erzwingen, dh eine fremde bewegliche Sache abnötigen. A handelt dabei mit Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz, weil er die Beute anschließend mit B teilen will. Die Drohung wird mit einer Waffe iSd § 143 2. Fall StGB verübt: Der Gasrevolver, obwohl von geringer Gefährlichkeit, fällt unter den Waffenbegriff des WaffenG.62 b) A gibt auf, nachdem der Tankwart auf ihn eingeredet hat und B ihn zur Flucht auffordert. Es ist an Rücktritt vom Versuch zu denken. Der Versuch ist unbeendet, weil A seiner Vorstellung nach die Drohung wiederholen müsste, um den Tankwart vom Ernst der Lage zu überzeugen.63 Die Ausführung der Tat wäre noch möglich, A ist nur verunsichert, aber er hält den Versuch nicht für gescheitert. Dass die Tatausführung nach Ansicht des B „keinen Sinn hat“, bedeutet nicht, dass der Versuch aus der Sicht des A fehlgeschlagen ist. Wenn A nur etwas energischer reagierte, müsste der Tankwart nachgeben und die Tageslosung aushändigen. A fehlt es offensichtlich nur an Entschlossenheit oder Mut, die Tat zu Ende zu bringen.64Ï )NDEMÏ ERÏ AUFÏ "Ï HRTÏ UNDÏ m¿CHTET Ï GIBTÏ ERÏ SEINENÏ 4ATENTschluss endgültig und freiwillig auf (§ 16 Abs 1 1. Fall StGB). 2. B beteiligt sich an der Tat, indem er mit A zur Tankstelle fährt und vor DERÏ4¿RÏWARTET ÏUMÏNACHÏDEMÏÍBERFALLÏMITÏ!ÏZUÏm¿CHTENÏ%RÏLEISTETÏDAdurch wie geplant einen Beitrag zum Raubversuch (§ 12 3. Fall, § 15 Abs 1, § 142 Abs 1 StGB)Ï!UCHÏIMÏ&ALLÏDESÏ"ÏTRIFFTÏDIEÏ1UALIlKATIONÏDESÏ § 143 2. Fall StGB zu, weil das Drohen mit der Waffe abgesprochen war. Aber die Tatausführung unterbleibt, nachdem B den unentschlossenen A zurückruft, weil „es keinen Sinn“ habe. Damit ist B zumindest mitur62 63 64
B/S BT I § 143 Rz 2. Fuchs AT I 31. Kap Rz 21, 41. Vgl Fuchs AT I 31. Kap Rz 43. 139
V. Venier
sächlich dafür, dass A den Versuch endgültig abbricht (§ 16 Abs 1 2. Fall StGB).65 Denkbar wäre, dass B seinen Komplizen deshalb zurückpfeift, weil er ihn für ganz unfähig hält, die Tat (noch) auszuführen. In diesem Fall hielte B den Raubversuch für gescheitert. Wenn es ihm aber wie dem A nur an Entschlossenheit oder Mut gebricht, ist der Versuch auch aus seiner Sicht noch möglich und der Rücktritt freiwillig. 3. A und B (vorausgesetzt § 16 Abs 1 StGB trifft auch auf B zu) könnten nach § 277 StGB (Verbrecherisches Komplott) strafbar sein. Sie hatten die gemeinsame Ausführung eines Raubes verabredet, da ein Zusammenwirken am Tatort geplant war.66 Das Raubkomplott ist jedoch gegenüber dem Raubversuch subsidiär, und mit dem freiwilligen Rückritt vom Raubversuch lebt auch die Strafbarkeit des Raubkomplotts nicht wieder auf.67 Durch den Rücktritt vom Raubversuch sind A und B außerdem von der im Raub enthaltenen versuchten Nötigung zur Herausgabe der Tageslosung zurückgetreten. Eine darüber hinausgehende (versuchte) Nötigung des Tankwarts ist nicht ersichtlich. Auch § 107 StGB ist nicht erfüllt, weil A nicht mit der Absicht droht und B ihn nicht in der Absicht unterstützt, den Tankwart in einen länger andauernden, peinvollen Angstzustand zu versetzen.68 Die Angst des Tankwarts sollte ja nur während des Überfalls andauern. Ergebnis: A und eventuell auch B sind wegen Rücktritts vom VerSUCHÏSTRAmOS
Fall 9: „Die reuige Rentnerin“ Die Rentnerin R putzt unter der Woche im Pfarrhaus. Da der Pfarrer die meiste Zeit außer Haus ist, besitzt R einen eigenen Haustürschlüssel. Am Dachboden des Hauses steht seit vielen Jahren eine barocke (EILIGENlGURÏ7ERTÏUNGEFÇHRÏÏã ÏF¿RÏDIEÏSICHÏNIEMANDÏZUÏINTERessieren scheint. R nimmt das zum Anlass, die Figur in den Laden des Antiquitätenhändlers H zu tragen und als Erbstück anzupreisen. Der Händler zeigt sich interessiert, tut aber so, als sei die Figur nicht viel wert. Die in Kunstsachen unerfahrene R überlässt sie ihm schließlich UMÏ ÏãÏ%INIGEÏ4AGEÏDANACHÏFORDERTÏ2ÏDIEÏ&IGURÏVONÏ(ÏWIEDERÏ zurück, weil ihr der Heilige im Traum erschienen sei. Der Händler 65 66 67 68
140
K/H AT E 6 Rz 29, 44. B/S BT II § 277 Rz 4. B/S BT II § 277 Rz 8. B/S BT I § 107 Rz 6.
Fall 9: „Die reuige Rentnerin“
erfährt dabei auch, dass die Figur der Kirche gehört und R die Figur zurückgeben möchte. H will die Figur aber nur herausgeben, wenn 2ÏDENÏ+AUFPREISÏZUZ¿GLICHÏEINERÏ%NTSCHÇDIGUNGÏVONÏÏãÏBEZAHLT Ï sonst müsse er sich an die Polizei wenden. R ist entrüstet und zeigt H wegen „Erpressung“ an. Die Polizei beschlagnahmt daraufhin die Figur bei H. Wie ist das Verhalten der Rentnerin R und des Händlers H strafrechtlich zu beurteilen?
Lösung 1. a) R hat durch die Wegnahme der Figur einen Diebstahl (§ 127 StGB) begangen: $IEÏ(EILIGENlGURÏISTÏEINEÏFREMDEÏ3ACHE ÏWEILÏSIEÏDERÏ+IRCHEÏGEHRTÏ Da sie auf dem Dachboden des Pfarrhauses verwahrt wird, behält der Pfarrer wenigstens Mitgewahrsam an ihr, auch wenn er untertags fast nie zuhause ist und R über einen eigenen Haustürschlüssel verfügt.69 § 133 StGB scheidet schon aus diesem Grund aus. Indem R die Figur aus dem Pfarrhaus trägt, nimmt sie diese weg. Dabei handelt R in der Absicht, die Figur zu verkaufen und den Erlös zu behalten, also in der Absicht, sich den Wert der Figur zuzueignen und sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern. Die Tat könnte nach § 128 Abs 1 Z 4 StGB QUALIlZIERTÏSEIN ÏABERÏNUR Ï WENNÏ2ÏSCHONÏBEIÏ7EGNAHMEÏANÏEINENÏ7ERTÏDERÏ3ACHEÏVONÏ¿BERÏÏãÏ GEDACHTÏHATÏ$AGEGENÏSPRICHT ÏDASSÏ2ÏDIEÏ&IGURÏUMÏLÇCHERLICHEÏÏãÏ hergibt, weil sie keine Ahnung von ihrem eigentlichen Wert hat. Eine 1UALIlKATIONÏNACHϧ 128 Abs 1 Z 2 StGB scheidet gleichfalls aus: HeiliGENlGURENÏSINDÏDERÏ6EREHRUNGÏuGEWIDMETh ÏWENNÏUNDÏSOLANGEÏMANÏSIEÏ als Gnadenbildnisse verehrt.70 Auf Dachböden ist eine solche Andacht nicht üblich. Der Diebstahl wird durch tätige Reue straffrei, wenn R den Schaden in Verbindung mit einer Selbstanzeige gutmacht (§ 167 Abs 3 StGB). Indem R den Händler der „Erpressung“ beschuldigt, muss sie auch auf ihre Tat zu sprechen kommen, also Selbstanzeige erstatten. Und da die Polizei die Beute ohne nennenswerte Verzögerung sicherstellen kann,71 F¿HRTÏDIEÏ3ELBSTANZEIGEÏZURÏ3TRAmOSIGKEITÏDESÏ$IEBSTAHLS
69 70 71
B/S BT I § 127 Rz 12. B/S BT I § 128 Rz 3. Kienapfel BT II § 167 Rz 65. 141
V. Venier
b) R täuscht den Händler über ihre Verfügungsberechtigung, indem sie sich als Eigentümerin ausgibt. Möglich ist ein Betrug nach § 146 StGB: Die TäuschungÏVERLEITETÏDENÏ(ÇNDLERÏZURÏ"EZAHLUNGÏVONÏÏã ÏALSÏ Gegenleistung erhält er eine Figur, deren Eigentümerin die Kirche ist. H kann nicht Eigentümer der Figur werden, weil er die Sache vom Dieb und nicht vom „Vertrauensmann“ erworben hat (§ 367 ABGB). Die Bezahlung des Kaufpreises schädigt ihn wirtschaftlich gesehen aber nur, WENNÏ DIEÏ &IGURÏ PRAKTISCHÏ UNVERKÇUmICHÏ WÇREÏ ODERÏ WENNÏ ERÏ DIEÏ 3ACHEÏ dem Eigentümer wahrscheinlich wieder herausgeben oder Ersatz für sie leisten müsste.72 Dieses Risiko besteht bei sehr teuren und bekannten Kunstgegenständen, die entsprechend dokumentiert und versichert sind, NICHTÏABERÏBEIÏEINERÏMÇIGÏWERTVOLLENÏ(EILIGENlGUR ÏVONÏDERÏSCHONÏBISher niemand Notiz nahm. Dass die Figur schließlich wegen einer Selbstanzeige der Diebin beschlagnahmt wird, damit war bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht zu rechnen. H ist daher nicht geschädigt. 2. a) H wiederum könnte einen Betrug (§ 146 StGB) zum Nachteil der R begangen haben: %RÏZAHLTÏIHRÏNURÏÏãÏF¿RÏEINEÏ&IGUR ÏDIEÏGUTÏUNDÏGERNEÏÏãÏWERTÏ ist. Für Betrug ist freilich eine Täuschung nötig. Die Behauptung, etwas sei nicht viel wert, ist noch keine Täuschung. Auf die Angemessenheit eines Kaufanbots kann man sich nicht verlassen.73 R wäre getäuscht, wenn H behauptete, die Sache sei ein billiges Imitat und deshalb nicht viel wert. Fraglich wäre jedoch die Schädigung der R, die für eine gestohlene Sache objektiv gesehen keinen schlechten Preis erzielt, denn für einen gestohlenen Kunstgegenstand bekommt der Dieb in der Regel nur einen Bruchteil des objektiven Wertes. Auch aus diesem Grund ist Betrug abzulehnen. b) Denkbar wäre Geldwucher nach § 154 Abs 1 StGB: H nützt die Unerfahrenheit der R aus, indem er sie dazu bringt, ihm DIEÏ(EILIGENlGURÏZUÏEINEMÏnÏWIEÏERÏGLAUBTÏnÏUNANGEMESSENÏNIEDRIGENÏ Preis zu überlassen. Objektiv gesehen ist der Preis jedoch gar nicht so übel. Für eine gestohlene Sache muss der Dieb den Preis akzeptieren, der ihm angeboten wird. Für eine gestohlene Sache gibt es keinen im „anständigen, redlichen Verkehr“ noch üblichen Preis.74 Ein „auffallendes Missverhältnis“ zwischen dem Wert der Ware und der Gegenleistung besteht nur in der Phantasie des H, dagegen hätte ein informierter Betrachter einen Geldwucher zu keinem Zeitpunkt für möglich gehalten.75 So ist 72 73 74 75
142
B/S BT I § 146 Rz 22. Vgl B/S BT I § 146 Rz 8. B/S BT I §§ 154–155 Rz 3. Fuchs AT I 30. Kap Rz 34.
Fall 10: „Kunstfälscher und Kunsthändler“
der Versuch des H, einen Geldwucher zu begehen, absolut untauglich (§ 15 Abs 3 StGB). 3. a) H fordert für die Rückgabe eine „Entschädigung“, sonst zeige er die R an. Darin kann man eine versuchte Erpressung nach §§ 15, 144 StGB erblicken: Die „Entschädigung“ steht in keinem Verhältnis zu den möglichen Aufwendungen des Händlers. Wenn R sich darauf einließe, wäre sie am Vermögen geschädigt und H unrechtmäßig bereichert. H droht mit einem Übel iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB, nämlich mit einer Verletzung am Vermögen oder zumindest an der Ehre: Es droht ihr die Verurteilung zu einer Geldstrafe, jedenfalls schadet das Strafverfahren ihrem Ansehen. R muss die Drohung wohl ernst nehmen, auch wenn H sich mit der Anzeige vielleicht selbst schadet, weil er die Figur entschädigungslos der Polizei aushändigen muss. H hat den vollen Tatentschluss, dh er will die R am Vermögen schädigen, ihr mit einem Übel drohen und sich durch eine übermäßig hohe Entschädigung unrechtmäßig bereichern. Sein Verhalten entspricht nicht den guten Sitten (§ 144 Abs 2 StGB).76 b) Der Händler wäre Hehler nach § 164 Abs 2 StGB nur, wenn er die zunächst im guten Glauben erworbene Figur bösgläubig einem „Dritten“ verschaffte. Als Vortäterin ist R jedoch keine „Dritte“ im Sinn des Gesetzes, außerdem macht H die Rückstellung von Bedingungen abhängig, die R nicht erfüllen will. Das bloße Behalten der Figur ist jedenfalls STRAmOSÏ Ergebnis: RÏISTÏWEGENÏTÇTIGERÏ2EUEÏSTRAmOS ÏH dagegen wegen versuchter Erpressung (§§ 15, 144 Abs 1 StGB) strafbar.
Fall 10: „Kunstfälscher und Kunsthändler“ Der begabte junge Maler Tobias kopiert zum Zeitvertreib Werke eines bekannten Landschaftsmalers und signiert sie mit dessen Namen. Der Kunsthändler Kuno überredet Tobias, ihm ein Bild zu überlassen, indem er verspricht, die Kopie als echt auszustellen und, wenn sie gekauft wird, den Erlös mit Tobias zu teilen. Der Autohändler Max wollte schon immer ein Gemälde dieses LandSCHAFTSMALERSÏ BESITZEN Ï SOÏ ERWIRBTÏ ERÏ DASÏ "ILDÏ UMÏ Ï ãÏ +UNOÏ ZWEIGTÏ VONÏ DEMÏ %RLSÏ Ï ãÏ F¿RÏ SICHÏ AB Ï DENÏ 2ESTÏ TEILTÏ ERÏ MIT 76
B/S BT I § 144 Rz 5. 143
V. Venier
Tobias. Als Tobias das Bild zufällig im Autosalon des Max hängen sieht, wird er neugierig. Was er denn dafür bezahlt habe, will er VONÏ-AXÏWISSENÏÏã ÏDARUNTERÏSEIÏEINÏ7ERKÏWIEÏDIESESÏNICHTÏZUÏ haben, brüstet sich Max. Wütend wendet sich Tobias an Kuno und fordert seinen gerechten Anteil, sonst müsse er Max empfehlen, den Kaufpreis zurückzufordern. Schließlich gibt sich Tobias mit einer AbSCHLAGSZAHLUNGÏVONÏÏãÏZUFRIEDEN Haben sich Kuno und Tobias strafbar gemacht, wenn ja, nach welchen Bestimmungen?
Lösung 1. a) Kuno hat durch den Verkauf der Fälschung zum Nachteil des Max einen Betrug (§ 146 StGB) begangen: Er täuscht Max, indem er die Kopie als „echt“, dh unter dem Namen des bekannten Künstlers, anbietet und Max darauf hereinfällt. Der Irrtum VERANLASSTÏ -AXÏ ZURÏ "EZAHLUNGÏ VONÏ Ï ãÏ %RÏ SCHÇDIGTÏ SICHÏ DADURCHÏ selbst am Vermögen, weil die Kopie sicher um vieles weniger wert ist. Kuno handelt mit Betrugsvorsatz: Er täuscht absichtlich, der geringere Wert der Kopie ist ihm bewusst, so wie ihm klar ist, dass er und Tobias durch den höheren Preis ungerechtfertigt bereichert werden. Da Max nur am Original interessiert ist, ist er um den bezahlten Kaufpreis abzüglich der Summe geschädigt, die bei einem Weiterverkauf der Kopie zu erzielen wäre.77Ï$IEÏ$IFFERENZÏD¿RFTEÏÏãÏJEDENFALLSÏ¿BERsteigen. Als Kunsthändler dürfte Kuno zudem eine ungefähre Vorstellung vom Wert der Kopie haben und davon, dass dieser erheblich unter dem des Originals liegt. So macht sich Kuno auch nach § 147 Abs 2 StGB strafbar. Das Bild ist mit einer nachgemachten Signatur versehen, was auf Urkundenbetrug (§ 147 Abs 1 Z 1 1. Fall StGB) schließen lassen könnte. Die Signatur besagt, dass das Bild vom Unterzeichner stammt. Das könnte man für eine schriftliche, freilich sehr verkürzte Gedankenerklärung halten.78 Allerdings werden Bilder nicht in der Absicht signiert, um ein Recht oder eine rechtserhebliche Tatsache zu beweisen, sondern um sich zur künstlerischen Urheberschaft zu bekennen. Auch Gedichte und Liebesbriefe werden unterschrieben und sind dennoch keine Urkunden.79 Man könnte immerhin Beweismittelbetrug (§ 147 Abs 1 Z 1 4. Fall StGB) erwägen, weil die Signatur den Eindruck vermitteln soll, das Bild wäre 77 78 79
144
B/S BT I § 146 Rz 26. Vgl B/S BT II § 223 Rz 3. B/S BT II § 223 Rz 6.
Fall 10: „Kunstfälscher und Kunsthändler“
das Original.80 Aber die Signatur beweist gar nichts, insbesondere nicht die Echtheit des Werkes, weil sich Kopien gerade dadurch auszeichnen, dass auch die Signatur mitkopiert wird. Ein falsches Beweismittel wäre etwa die unwahre Expertise, die jemand der Fälschung beilegt („schriftliche Lüge“).81 b) Tobias trägt zum Betrug bei, indem er Kuno die Kopie überlässt. Dieser Beitrag (§ 12 3. Fall StGB) ist ursächlich für die Täuschung und Schädigung des Käufers. Tobias lässt sich zu diesem Beitrag überreden, und so wie Kuno will auch Tobias den potentiellen Käufer über die Echtheit des Werkes täuschen. Auch Tobias glaubt an einen Schaden des Käufers, weil der Kunde statt des versprochenen Originals nur eine minder wertvolle Kopie erhalten soll. Desgleichen will Tobias für sich und Kuno einen ungerechtfertigten Gewinn herausschlagen, sich und Kuno also unrechtmäßig bereichern. Als kunstverständiger Maler wird Tobias auch eine ungefähre Vorstellung vom Wert des Originals und dem der Kopie haben. So denkt Tobias wohl schon beim Überlassen der Kopie DARAN ÏDERÏ+UNDEÏWERDEÏMEHRÏALSÏÏãÏZUVIELÏBEZAHLENÏ!UCHÏERÏERF¿LLTÏ DEMNACHÏDIEÏ1UALIlKATIONÏDESÏeÏÏ!BSÏÏ3T'" 2. Kuno ENTSCHLIETÏSICHÏERSTÏNACHÏDEMÏ"ETRUG ÏÏãÏABZUZWEIGENÏ Das könnte eine Veruntreuung (§ 133 StGB) sein, da er diese Summe an sich zur Hälfte abführen müsste. Fraglich ist, ob der Erlös ein anvertrautes Gut darstellt. Man könnte zweifeln, ob Kuno überhaupt VERPmICHTETÏIST ÏDENÏ%RLSÏZUÏTEILENÏ%RÏISTÏJEDENFALLSÏNICHTÏVERPmICHTET ÏEInen Betrug zu begehen, und wenn er ihn begeht, hat Tobias keinen im bürgerlichen Recht begründeten Anspruch auf Beteiligung an der Beute. Die hM lässt den zivilrechtlichen Einwand nicht gelten, sondern stellt ausschließlich auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise ab.82 Danach ist Kuno der Erlös wie bei einem gültigen Kommissionsgeschäft anvertraut; indem er ihn bei der Aufteilung verheimlicht, eignet er sich ihn zu. Kuno ist bewusst, dass er sich dadurch unrechtmäßig bereichert. Da er gemäß DERÏ!BMACHUNGÏÏãÏMEHRÏHERAUSGEBENÏMUSS ÏISTÏDIEÏ6ERUNTREUUNGÏ ZUDEMÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏÏ&ALL Ï3T'"ÏQUALIlZIERTÏ3OÏSCH¿TZTÏDASÏ3TRAFrecht – leider – auch Gauner vor gegenseitiger Übervorteilung.83 Kuno könnte durch tätige Reue straffrei werden, aber nur, wenn er 4OBIASÏDIEÏGESAMTENÏÏãÏWENIGSTENSÏANBTEÏ(§ 167 Abs 2 Z 2 StGB). $ASÏ!NBOTÏNURÏEINERÏ!BSCHLAGSZAHLUNGÏVONÏÏãÏISTÏZUÏWENIG 80 81 82 83
Vgl B/S BT II § 293 Rz 1. B/S BT II § 293 Rz 2. K/Schm BT II § 133 Rz 36. Vgl auch Fall 9 (3. Der viel zu geringe Preis). 145
V. Venier
3. Tobias droht, den Käufer zu informieren, falls Kuno nicht gerecht teile. Kuno und Tobias einigen sich daraufhin auf eine Abschlagszahlung von ÏãÏ4OBIASÏKNNTEÏDADURCHÏEINEÏNötigung (§ 105 Abs 1 StGB) begangen haben. Tobias droht Kuno mit einem Vermögensschaden, weil der hereingelegte Käufer den Kaufpreis aller Voraussicht nach auf Heller und Pfennig zurückverlangen wird. Die Kopie, die Kuno im Gegenzug erhielte, könnte seinen Verlust nicht wettmachen. Vielleicht wird der verärgerte Käufer Kuno als Betrüger anzeigen, dann drohte ihm womöglich sogar eine Freiheitsstrafe. In jedem Fall wäre es um seinen guten Ruf als Kunsthändler geschehen (Verletzung an der Ehre). Tobias drohte zwar auch ein Strafverfahren, aber sein Ruf als Künstler litte darunter nicht. Viele große Künstler haben alte Meister kopiert, um sich einen Namen zu machen. So muss Kuno wohl annehmen, Tobias würde seine Drohung (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) wahr machen. Tobias zwingt Kuno zu einer Handlung, nämlich zur Zahlung von ÏãÏDAMITÏISTÏDIEÏ.TIGUNGÏVOLLENDETÏ!BERÏDIEÏ4ATÏISTÏnicht sittenwidrig (§ 105 Abs 2 StGB), weil Tobias nur seinen „gerechten Anteil“ verlangt. Auch nach hM hätte Tobias bei wirtschaftlicher Betrachtung Anspruch auf seinen Anteil.84 Wegen des fehlenden unrechtmäßigen Bereicherungsvorsatzes scheidet auch Erpressung (§ 144 Abs 1 StGB) aus. Ergebnis: Kuno ist nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB und – wenigstens nach hM – auch nach § 133 Abs 2 (1. Fall) StGB zu bestrafen. Tobias haftet wegen Beitragstäterschaft zum Betrug nach §§ 12 3. Fall, 146, 147 Abs 2 StGB.
Fall 11: „Sommerschlussverkauf“ V ist Verkäuferin in einem Modegeschäft, die Geschäftsinhaberin ist die meiste Zeit im Hauptgeschäft. Auf Sommermode darf V einen Nachlass von 30 % gewähren. Ihrer Freundin F verkauft V eine Bluse zum halben Preis und gibt ihr einen Gürtel gratis dazu, zwei anderen Kundinnen verkauft sie Hosenanzüge um je 40 % billiger als regulär. !LSÏSIEÏDIEÏ#HElNÏBEIÏDERÏ4AGESABRECHNUNGÏDARAUFÏANSPRICHT ÏRECHTfertigt sich V, es handle sich bei F um eine besonders treue Kundin, und die anderen Kundschaften hätten die Hosenanzüge bei einem .ACHLASSÏVONÏNURÏÏÏNICHTÏGEKAUFTÏ$IEÏ#HElNÏLÇSSTÏ6ÏWISSEN ÏDASSÏ ihr der überhöhte Nachlass vom Lohn abgezogen wird. V hält das für ungerecht, traut sich aber nicht zu protestieren. Hat sich die Verkäuferin V strafbar gemacht? 84
146
Vgl K/Schm BT II § 133 Rz 36.
Fall 11: „Sommerschlussverkauf“
Lösung 1. V könnte das Delikt der Untreue nach § 153 Abs 1 StGB verwirklicht HABENÏ6ÏDARFÏIMÏ.AMENÏUNDÏAUFÏ2ECHNUNGÏDERÏ#HElNÏ-ODEBEKLEIDUNGÏ verkaufen. Das ist eine Befugnis (Vollmacht), einen anderen – die ChelNÏnÏZUÏVERPmICHTENÏUNDÏ¿BERÏFREMDESÏ6ERMGENÏZUÏVERF¿GEN85 V missbraucht diese Befugnis, indem sie ihrer Freundin F die Bluse zum halben Preis verkauft und einen Gürtel gratis dazugibt, obwohl sie angewiesen ist, nur 30 % vom Preis nachzulassen, von „gratis“ hat die #HElNÏGARÏNICHTSÏGESAGTÏ$ERÏ'RATISG¿RTELÏISTÏEINEÏ!RTÏ0REISNACHLASSÏ.ATURALRABATT ÏAUCHÏIHNÏGEWÇHRTÏ6ÏIMÏ.AMENÏDERÏ#HElNÏSONSTÏW¿RDEÏESÏSICHÏ um eine Zueignung im eigenen Namen (Veruntreuung) oder vielleicht um eine Wegnahme (Diebstahl) handeln. 6Ï KENNTÏ DIEÏ !NWEISUNGÏ DERÏ #HElN Ï SIEÏ HATÏ SIEÏ IGNORIERTÏ UNDÏ DAMITÏ ihre Befugnis wissentlich missbraucht. Fraglich sind der Schaden und der Schädigungsvorsatz. V behauptet, sie habe nur die besondere Treue der Kundin belohnt. So stellt sich die Frage, ob eine Belohnung in diesem Umfang noch vertretbar ist.86 Übliche Treuegeschenke sind bei wirtschaftlicher Betrachtung kein Schaden, aber ein fünfzig- statt dreißigprozentiger Preisnachlass und ein Gratisgürtel sind wohl mehr als nur eine übliche Anerkennung. Vielleicht glaubt V, bei einer besonders treuen Kundin zahle sich ausnahmsweise auch eine höhere Treueprämie aus, dann fehlte es ihr am Schädigungsvorsatz. Wahrscheinlicher ist aber, dass V ihrer Freundin F nur einen Gefallen erweisen wollte. So hat V selbst nicht an die wirtschaftliche Angemessenheit der Belohnung geglaubt. V hat daher insoweit § 153 Abs 1 StGB verwirklicht. Auch der um 10 % überhöhte Nachlass beim Verkauf der beiden Hosenanzüge ist ein Befugnismissbrauch, weil er klar gegen die AnweiSUNGÏDERÏ#HElNÏVERSTTÏ)MMERHINÏISTÏ6ÏVIELÏZUR¿CKHALTENDERÏALSÏIMÏ&ALLÏ der Freundin, und vielleicht ist ihr eigenmächtiges Vorgehen wirtschaftlich gerechtfertigt. Es kann ja sein, dass die Hosenanzüge bei einem nur DREIIGPROZENTIGENÏ .ACHLASSÏ KAUMÏ VERKÇUmICHÏ SINDÏ "EIÏ AUSÏ DERÏ -ODEÏ gekommenen Modellen oder ganz ungewöhnlichen Konfektionsgrößen wird der Preisnachlass deutlich höher ausfallen müssen. Dann hat die #HElNÏ DIEÏ 0REISEÏ INÏ 7AHRHEITÏ ZUÏ HOCHÏ ANGESETZTÏ UNDÏ KANNÏ DARUMÏ BEIÏ wirtschaftlicher Betrachtung nicht geschädigt sein. Wenn V das annimmt, fehlt es ihr am Schädigungsvorsatz. Möglicherweise hat V insgeheim mit DEMÏ%INVERSTÇNDNISÏDERÏ#HElNÏGERECHNETÏ!BERÏWARUMÏRUFTÏSIEÏDIEÏ#HElNÏNICHTÏANÏUNDÏFRAGTÏUMÏ%RLAUBNISÏ6ÏGLAUBTÏWOHLÏDOCHÏNICHTÏANÏEINÏ%INVERSTÇNDNISÏDERÏ#HElN ÏWASÏDIEÏ7ISSENTLICHKEITÏDESÏ"EFUGNISMISSBRAUCHSÏ ausschlösse. Unabhängig davon kann der überhöhte Nachlass wirtschaft85 86
B/S BT I § 153 Rz 1, 4. B/S BT I § 153 Rz 12. 147
V. Venier
lich gerechtfertigt sein oder V das zumindest annehmen. In dem Fall hat V § 153 Abs 1 StGB nicht verwirklicht. 2. 6ÏLÇSSTÏESÏGESCHEHEN ÏDASSÏDIEÏ#HElNÏDIEÏ¿BERHHTENÏ.ACHLÇSSEÏVOMÏ Lohn abzieht. Zu prüfen ist tätige Reue (§ 167 StGB). Untreue ist ein reuefähiges Delikt. V macht kein Geheimnis daraus, dass sie der F und auch den anderen einen überhöhten Nachlass gewährt hat, auch den '¿RTELÏSCHEINTÏSIEÏNICHTÏZUÏVERSCHWEIGENÏ$IEÏ#HElNÏISTÏALSOÏIMÏ"ILDE Ï als sie den Schaden mit dem Lohnanspruch der V aufrechnet. Durch die Aufrechnung wird der Schaden vollständig gutgemacht.87 V handelt freiwillig, auch wenn sie ihr Fehlverhalten beschönigt und sich der Aufrechnung nur nicht zu widersprechen getraut. Vielleicht ist die Aufrechnung ja wirklich nur zum Teil berechtigt (s oben). Ergebnis: V ist wegen tätiger Reue straffrei.
&ALLÏÏu$ERÏlNGIERTEÏ2AUBh Eine kleine Tankstelle wurde im letzten Monat zweimal überfallen, jedes Mal konnte der als Tankwart beschäftigte T die Täter mit Pfefferspray vertreiben. Das bringt ihn auf eine Idee: Er entnimmt der +ASSAÏ DIEÏ GESAMTENÏ 4AGESEINNAHMENÏ Ï ã Ï UNDÏ LEGTÏ SIEÏ INÏ DASÏ Handschuhfach seines Autos. Dann wählt T den Polizeinotruf und meldet mit erregter Stimme, von zwei Tätern überfallen und um ÏãÏBERAUBTÏWORDENÏZUÏSEINÏ%INEÏSOFORTÏEINGELEITETEÏ'ROFAHNdung nach den Tätern bleibt ergebnislos. Die Polizei beginnt sich deshalb für T zu interessieren, sie durchsucht seinen Pkw und wird rasch fündig. Wie ist das Verhalten des T strafrechtlich zu beurteilen?
Lösung 1. T begeht eine Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB: Dem T sind die Einnahmen aus den Treibstoffverkäufen anvertraut, denn wie bei kleinen Tankstellen üblich, ist er als Tankwart auf sich allein gestellt, das bedeutet, das eingenommene Bargeld steht in seinem Alleingewahrsam.88Ï !UERDEMÏ ISTÏ ERÏ VERPmICHTET Ï DIEÏ %INGÇNGEÏ INÏ DERÏ 87 88
148
B/S BT I § 167 Rz 10. Vgl B/S BT I § 127 Rz 15.
&ALLÏÏu$ERÏlNGIERTEÏ2AUBh
Kassa aufzubewahren, um sie an den Betriebsinhaber oder dessen Beauftragten abzuführen.89 Stattdessen verbirgt T das Geld im Handschuhfach seines Wagens, was er zweifellos nicht darf und wo man es auch nicht vermuten würde.90 Darin liegt eine Zueignung, auch wenn das Bargeld wenig später durch die Polizei sichergestellt wird. Die Zueignung ist GEWOLLT ÏEBENSOÏDIEÏUNRECHTMÇIGEÏ"EREICHERUNGÏINÏ(HEÏVONÏÏãÏ Danach verwirklicht T § 133 Abs 1 und Abs 2 (1. Fall) StGB. 2. T zeigt der Polizei einen Raubüberfall an, die daraufhin eine Großfahndung einleitet. In Frage kommt das Vortäuschen einer mit Strafe bedrohten Handlung (§ 298 StGB): T täuscht die Polizei wissentlich über das Vorliegen einer Straftat. Die Polizei ist eine Strafverfolgungsbehörde (§ 151 Abs 3 StGB), der Raub ist vollständig erfunden, und die Anzeige hat bereits Ermittlungen, ja sogar eine Großfahndung nach den angeblichen Tätern ausgelöst. Dass die Polizei nach den Tätern fahnden wird, ist so gut wie sicher; davon geht auch T aus. T hat den Raub in der Absicht erfunden, die Veruntreuung zu vertuschen. Die Polizei soll T von Anfang an für das Opfer, nicht für den Täter halten. Das unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt von FälLEN Ï INÏ DENENÏ DERÏ 4ÇTERÏ ERSTÏ ALSÏ "ESCHULDIGTERÏ EINÏ $ELIKTÏ ERlNDET Ï UMÏ einen schon bestehenden Verdacht zu entkräften. Wenn der Täter das $ELIKTÏZUÏSEINERÏ6ERTEIDIGUNGÏERlNDET ÏHANDELTÏERÏINNERHALBÏDERÏVerteidigungsrechte.91 Allerdings ist der Unterschied zwischen den Fällen nicht allzu groß. Ob der Täter die Polizei von Anfang an oder erst später auf die falsche Fährte lockt, macht keinen Unterschied. Beide Male soll die unwahre Behauptung seine Bestrafung verhindern. Dass die Polizei dadurch zu Ermittlungen veranlasst wird, die sie sonst nicht unternommen hätte, hält der Rechtsstaat aus. Die Rsp würde wohl anders entscheiden: Für sie macht es keinen UnTERSCHIED Ï OBÏ DERÏ 4ÇTERÏ DASÏ $ELIKTÏ ERlNDET Ï UMÏ DERÏ EIGENENÏ 3TRAFVERFOLgung zu entgehen, oder nur deshalb, weil er die Polizei ärgern möchte.92 Das leuchtet nicht ein: § 298 StGB soll der Polizei unnötige Ermittlungen ersparen, aber nicht die Verteidigungsrechte beschneiden. Ergebnis: T ist strafbar nach § 133 Abs 1 und 2 (1. Fall) StGB.
89 90 91 92
B/S BT I § 133 Rz 7. Vgl B/S BT I § 133 Rz 11. Hinterhofer BT II § 298 Rz 10. Vgl L/St StGB § 298 Rz 5a. 149
V. Venier
Fall 13: „Mit vertauschten Rollen“ Der erheblich alkoholisierte X verschuldet mit seinem Auto einen Verkehrsunfall, bei dem ein Radfahrer tödlich verletzt wird. X ist völlig verzweifelt. Er überredet seine Beifahrerin und Lebensgefährtin B, die Schuld auf sich zu nehmen. Als Nichtalkoholisierte werde ihr schon nicht viel passieren. B ist einverstanden. Bei ihrer Vernehmung durch die Polizei gibt sie sich überzeugend als Lenkerin aus und bekennt, den Unfall verschuldet zu haben. X bestätigt als Zeuge bei der Vernehmung durch die Polizei die Version der B. Erst in der Hauptverhandlung kommt die Wahrheit ans Licht. Wie ist das Verhalten des X und seiner Lebensgefährtin B strafrechtlich zu werten?
Lösung 1. X hat den Unfall, wie es im Sachverhalt heißt, „verschuldet“ und dadurch eine fahrlässige Tötung begangen. Er haftet dafür nach § 80 StGB, möglicherweise auch nach § 81 Abs 1 Z 2 StGB, dann nämlich, wenn er sich fahrlässig betrunken hat und dabei das spätere Autofahren vorhersehen hätte können. Näheres ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. a) X bezichtigt seine Lebensgefährtin B vor der Polizei wissentlich einer Tat, die sie nicht begangen hat, nämlich einer fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB. Darin könnte man eine Verleumdung nach § 297 Abs 1 (1. Strafsatz) StGBÏ ERBLICKENÏ $IEÏ ANGEDICHTETEÏ 4ATÏ ISTÏ EINÏ /FlZIALDELIKT Ï die Beschuldigung begründet nicht nur die Gefahr von Ermittlungen, sondern führt bereits zu Ermittlungen gegen B, nämlich zu ihrer Vernehmung.93 X sind diese Umstände bewusst, ja er legt es darauf an, dass nicht er, sondern B verfolgt wird (§ 5 Abs 2 StGB). Die Verfolgung geschieht allerdings mit Einwilligung der B, wodurch das deliktstypische Unrecht der Verleumdung entfällt.94 Nach Ansicht der Rsp bleibt die Einwilligung außer Betracht, weil es bei einem Delikt zum Schutz der Allgemeinheit darauf nicht ankomme. Diese Ansicht ist heute, auch auf Grund der zunehmenden Bedeutung der Opferinteressen, nicht mehr aufrecht zu erhalten. In Wahrheit ist die Allgemeinheit durch § 297 StGB nur zweitrangig geschützt, in erster Linie 93 94
150
Vgl B/S BT II § 297 Rz 6. B/S BT II § 297 Rz 12.
Fall 13: „Mit vertauschten Rollen“
geht es um den Schutz des Opfers vor ungerechter Strafverfolgung. Wenn das Opfer auf einen Schutz verzichtet, indem es in die Verleumdung einwilligt, tritt das Interesse des Staates an der Bestrafung der unwahren Beschuldigung zurück.95 b) Die Beschuldigung der Lebensgefährtin durch X lässt die Polizei gegen die falsche Person ermitteln. Der Tatbestand des § 298 StGB (Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung) wäre aber nur erfüllt, wenn auch die fahrlässige Tötung erfunden wäre.96 Nach älterer Rsp genügte auch eine Täuschung über die Person des Täters. Aber diese Meinung hat die Rsp wieder aufgegeben.97 Auch Begünstigung scheidet für X aus, weil es sich in seinem Fall nur UMÏSTRAmOSEÏSelbstbegünstigung handeln kann (§ 299 Abs 2 StGB). Zu B s unten. Als Zeuge sagt X bei seiner Vernehmung durch die Polizei absichtlich falsch aus. Polizisten (Kriminalbeamte) sind aber keine Verwaltungsbehörde im Sinn des § 289 StGB.98 Aber X macht sich ab 1.1.2008 wegen falscher Beweisaussage nach § 288 Abs 4 StGB (idF StPRefBeglG I-Entw) strafbar, wenn er als Zeuge bei einer förmlichen Vernehmung (§ 161 StPO) im Ermittlungsverfahren falsch aussagt. 2. Die Lebensgefährtin B kann als Beschuldigte keine falsche Beweisaussage (§ 289 StGB) begehen. Sie beschuldigt keinen anderen, begeht DAHERÏKEINEÏ6ERLEUMDUNGÏeÏÏ3T'" ÏSIEÏERlNDETÏAUCHÏKEINEÏ4ATÏSÏOBENÏ 1. b), weshalb § 298 StGB ausscheidet; aber sie verzögert die strafrechtliche Verfolgung des wahren Täters. Für den letzteren Fall könnte man Begünstigung nach § 299 Abs 1 StGB erwägen. Dafür reicht es jedoch nicht aus, dass B jemand anderen durch eine unwahre Verantwortung entlastet. Unwahre Angaben sind entweder nach den §§ 288, 289, 297 3T'"ÏSTRAFBARÏODERÏSTRAmOS99 Solange B niemanden wissentlich falsch verdächtigt, kann sie einer unwahren Verantwortung wegen nicht bestraft werden. Die Rsp lässt für eine Begünstigung alle möglichen unwahren Angaben genügen, sogar gegenüber Krankenhausärzten, die darum eine Anzeige unterlassen.100 Die Aussagedelikte der §§ 288, 289 StGB werden dadurch unterlaufen.
Fuchs AT I 16. Kap Rz 27. B/S BT II § 298 Rz 2. 97 L/St StGB § 298 Rz 3. 98 B/S BT II §§ 288–289 Rz 2. 99 B/S BT II § 299 Rz 3. 100 Vgl L/St StGB § 299 Rz 8. 95 96
151
V. Venier
Im Fall der B greift außerdem der Strafausschließungsgrund nach § 299 Abs 3 StGB, weil sie in der Absicht handelt, einen Angehörigen (§ 72 Abs 2 StGB) der Strafverfolgung zu entziehen. Ergebnis: X ist wegen fahrlässiger Tötung und – ab 1.1.2008 – nach § 288 Abs 4 StGB zu bestrafen; BÏISTÏSTRAmOS
152
B. Fälle zum Prozessrecht
I. FLORA Fall 1 Frau X meldet am 30. Mai bei der Kriminalpolizei, dass sie ihren Mann im gemeinsamen Haus erschossen aufgefunden habe. Daraufhin wird sie in den folgenden Wochen mehrmals (31. Mai; 12. Juni; 22. Juni; 27. Juni) von der Kriminalpolizei befragt. Am 27. Juni erklärt ihr der befragende Beamte, dass sie nun auf Grund ihrer bisherigen widersprüchlichen Angaben der Tat verdächtig sei. Noch im Ermittlungsverfahren stellt sich heraus, dass am 9. Juni für das Handy der Frau X eine Nachrichtenüberwachung nach § 135 Abs 3 Z 3 lit a StPO idF StPRefBeglG I-Entw gerichtlich bewilligt und angeordnet wurde. a) Hat sich die Kriminalpolizei rechtmäßig verhalten? b) Was kann die Beschuldigte gegen das Vorgehen der Kriminalpolizei tun? Die Protokolle der Befragungen werden in der Hauptverhandlung verlesen. Frau X wird wegen Mordes an ihrem Mann verurteilt. c) Was kann die Beschuldigte nun tun?
Lösung a) Die Polizei hat sich nicht rechtmäßig verhalten. Eine Nachrichtenüberwachung nach § 135 Abs 3 Z 3 lit a StPO idF StPRefBeglG I-Entw ist zulässig, wenn Frau X als Inhaberin der technischen Einrichtung (Handy) der Tat dringend verdächtig war. Das heißt, dass Frau X spätestens ab dem 9. Juni dringend verdächtig war, ihren Mann ermordet zu haben. Sonst hätte die Nachrichtenüberwachung nicht bewilligt und angeordnet werden dürfen. Daher hätte Frau X ab dem 9. Juni als Beschuldigte behandelt werden müssen. Die Kriminalpolizei hätte die Verdächtige sobald als mög155
I. Flora
lich nach § 50 StPO belehren müssen. Vor der Vernehmung muss eine Belehrung nach § 164 Abs 1 StPO erfolgen.1 Die Befragungen der Kriminalpolizei am 12. Juni und 22. Juni umgehen daher die Bestimmungen über die Vernehmung des Beschuldigten. Diese Befragungen sind als unzulässige Erkundigungen anzusehen. Erkundigungen, die die Bestimmungen über die Vernehmung eines Beschuldigten umgehen, sind nach § 152 Abs 1 StPO nichtig. b) Gegen das Vorgehen der Polizei kann Frau X Einspruch nach § 106 Abs 1 Z 1 StPO erheben, weil Frau X ihr subjektives Recht auf Belehrung als Beschuldigte verwehrt wurde.2 c)Ï$IEÏ(AUPTVERHANDLUNGÏWEGENÏ-ORDESÏeÏÏ3T'" ÏlNDETÏVORÏDEMÏ'Eschworenengericht statt (§ 31 Abs 2 Z 1 StPO). Daher kann Frau X durch ihren Verteidiger Nichtigkeitsbeschwerde erheben: Zumindest bei den Befragungen vom 12. 6. und vom 22. 6. handelt es sich um nichtige Ermittlungsakte (§ 152 Abs 1 StPO). Nichtige Beweisaufnahmen aus dem Ermittlungsverfahren sind unverwertbar und dürfen in die Hauptverhandlung nicht eingeführt werden.3 Der Verteidiger kann eine Nichtigkeitsbeschwerde nach § 345 Abs 1 Z 3 StPO erheben. Gegen die Verlesung der Protokolle muss er sich in der Hauptverhandlung allerdings erfolglos ausgesprochen haben.
Fall 2 Nach der Begehung eines Raubmordes wird der Verdächtige X um 17.00 Uhr von der Kriminalpolizei festgenommen. X wird ordnungsgemäß über seine Rechte belehrt. Dann wird X bis 04.00 Uhr des nächsten Tages von der Kriminalpolizei vernommen. Ein Verteidiger ist bei der Vernehmung nicht anwesend. Um 04.00 Uhr unterschreibt der Beschuldigte ein Geständnis. Es weist einige Widersprüche und Unklarheiten auf: Nach dem Geständnis soll das Opfer eine dunkle Jacke getragen haben, in Wahrheit war es eine helle Jacke. X gibt zu Protokoll, dass er das blutige Messer in einen Müllcontainer geworfen habe, dort kann aber kein Messer gefunden werden. In der Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht wird das Geständnis
1 2 3
156
B/V Rz 257. B/V Rz 210. B/V Rz 230, 493.
Fall 2
trotz Widerspruchs des Verteidigers verlesen und der Beschuldigte verurteilt. a) War die Vernehmung gesetzmäßig? b) Durfte das Geständnis in der Hauptverhandlung verlesen werden? c) Was kann X gegen das Urteil tun?
Lösung a) Die Kriminalpolizei hat den Verdächtigen offensichtlich aus eigener Macht festgenommen (§ 171 Abs 2 StPO). Wäre der Verdächtige auf Grund einer gerichtlichen Bewilligung festgenommen worden, hätte die Kriminalpolizei den Beschuldigten ohne unnötigen Aufschub in die Justizanstalt des zuständigen Gerichts einliefern müssen. Eine Vernehmung durch die Kriminalpolizei sieht das Gesetz für diesen Fall gar nicht vor.4 Die Kriminalpolizei hat den Beschuldigten sobald als möglich nach § 50 StPO über seine Rechte zu belehren und sie hat den Festgenommenen nach § 171 Abs 3 StPO zu belehren, dass er das Recht hat, eine Vertrauensperson und einen Verteidiger zu verständigen. Wenn X ordnungsgemäß belehrt wurde, dann muss er nach der Festnahme über diese Rechte belehrt worden sein und vor der Vernehmung darüber, dass er der Vernehmung einen Verteidiger beiziehen kann (§ 164 Abs 2 StPO). X hat offensichtlich auf dieses Recht verzichtet. Dann muss bei der Vernehmung kein Verteidiger anwesend sein. X ist von der Kriminalpolizei 11 Stunden vernommen worden. Vernehmungen bis zur Erschöpfung – das ist bei einer Vernehmung von solcher Länge anzunehmen – sind als unzulässige Vernehmungsmethode iSd § 164 Abs 4 StPO anzusehen.5 Die Vernehmung war daher nicht gesetzmäßig. b) Nach § 166 Z 2 StPO ist ein Vernehmungsprotokoll nichtig, wenn die Aussage durch Vernehmungsmethoden gewonnen wurde, die fundamentale Verfahrensgrundsätze verletzen. Ein Verstoß gegen § 164 Abs 4 StPO ist als eine Verletzung fundamentaler Verfahrensgrundsätze zu werten.6 Daher ist das Protokoll nichtig und die Verlesung des Geständnisses in der Hauptverhandlung unzulässig. c)Ï $IEÏ (AUPTVERHANDLUNGÏ WEGENÏ -ORDESÏ eÏ Ï 3T'" Ï lNDETÏ VORÏ DEMÏ Geschworenengericht statt (§ 31 Abs 2 Z 1 StPO). Die Verlesung eines 4 5 6
B/V Rz 355; aM neuerdings 11 Os 127/06w. B/V Rz 262. B/V Rz 264. 157
I. Flora
nichtigen Ermittlungsaktes kann vom Verteidiger mit einer Nichtigkeitsbeschwerde nach § 345 Abs 1 Z 3 StPO bekämpft werden, da er sich in der Hauptverhandlung gegen die Verlesung ausgesprochen hat. Das Geständnis des X weist Unklarheiten und Widersprüche auf. Die Geschworenen müssen ihren Wahrspruch nicht begründen, aber auf Grund dieser Angaben im Geständnis hätten sie die Hauptfrage nach Mord nicht mit „ja“ beantworten dürfen. Das Urteil kann daher nach § 345 Abs 1 Z 10a StPO bekämpft werden: Da die Vernehmung 11 Stunden gedauert hat und es im Geständnis offensichtliche Widersprüche gibt, bestehen erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit schulderheblicher Feststellungen. Der OGH weist Nichtigkeitsbeschwerden nach § 345 Abs 1 Z 10a StPO oftmals mit der Begründung zurück, dass die Beweiswürdigung im geschworenengerichtlichen Verfahren nicht anfechtbar sei.7
Fall 3 Die Kriminalbeamten belehren den Verdächtigen nach der Festnahme, dass er eine Vertrauensperson oder einen Anwalt anrufen dürfe. Die Beamten lassen ihn über das Telefon mit einem ihm befreundeten Rechtsanwalt reden, der Anwalt verspricht, er werde in einer halben Stunde da sein. Der Verdächtige gibt das an die Beamten weiter. „Wir können nicht so lange warten“, sagen die Beamten und beginnen mit ihren Fragen. Der Verdächtige antwortet widerwillig. Als der Rechtsanwalt eintrifft und mit dem Verdächtigen sprechen will, sagen ihm die Beamten, das sei nicht möglich, das Verhör habe schon begonnen. Der Rechtsanwalt will bei der Vernehmung dabei sein; die Beamten lehnen ab, der Verdächtige habe so etwas nicht verlangt. a) Haben sich die Kriminalbeamten richtig verhalten? b) Was kann der Rechtsanwalt tun? c) Ist die Aussage, die der Verdächtige bei dieser Vernehmung ablegt, in der Hauptverhandlung verwertbar?
Lösung a) Die Kriminalpolizei hat den Verdächtigen offensichtlich aus eigener Macht festgenommen (§ 171 Abs 2 StPO).8 Die Kriminalbeamten haben 7 8
158
Vgl B/V Rz 564. S dazu Fall 2 a).
Fall 3
sich insofern richtig verhalten, dass sie den Verdächtigen nach der Festnahme darüber belehrt haben, dass er einen Anwalt anrufen könne (§ 171 Abs 3 Z 1 StPO). Der Rechtsanwalt sagt zu, in einer halben Stunde bei der Vernehmung zu sein. Die Beamten wollen aber nicht so lange warten. Wie lange die Kriminalpolizei die Vernehmung aufschieben muss, damit der Beschuldigte einen Verteidiger beiziehen kann, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Da der Beschuldigte nach § 49 Z 4 StPO das Recht hat, sich vor der Vernehmung mit seinem Verteidiger zu besprechen, und er dieses Recht auch ausüben will, ist eine Wartezeit von einer halben Stunde zumutbar, auch wenn die Beamten den Verdächtigen nach der Festnahme unverzüglich (§ 172 Abs 2 StPO) vernehmen müssen. Der Rechtsanwalt will bei der Vernehmung anwesend sein. Die Kriminalpolizei verweigert ihm dies zu Unrecht. Es kommt nicht darauf an, ob der Verdächtige die Anwesenheit des Verteidigers bei der Vernehmung fordert. Der Verteidiger hat nach § 57 Abs 1 StPO das Recht, alle erforderlichen Verteidigungsmittel zu ergreifen. Auf die Zustimmung des Beschuldigten kommt es dabei nicht an, solange er dem Verteidiger nicht widerspricht.9 Der Verteidiger darf von der Vernehmung des Beschuldigten nur ausgeschlossen werden, wenn eine Gefahr für die laufenden Ermittlungen bestünde oder Beweismittel beeinträchtigt werden könnten (§ 164 Abs 2 StPO). Dafür gibt es aber im Sachverhalt keinerlei Hinweise. b) Der Verteidiger kann einen Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 1 StPO beim Staatsanwalt einbringen. Der Beschuldigte ist in seinem prozessualen Recht auf Beiziehung eines Verteidigers verletzt worden.10 c) Dass bei der Vernehmung zu Unrecht kein Verteidiger anwesend war, macht die Aussage des Beschuldigten nicht nichtig. Ob die Aussage des Verdächtigen in der Hauptverhandlung verlesen werden darf, hängt davon ab, ob der Verdächtige von den Kriminalbeamten vor der Vernehmung nach § 164 Abs 1 StPO über sein Recht, die Aussage zu verweigern, belehrt worden ist. Ohne diese Belehrung war die Vernehmung eine unerlaubte Erkundigung. Das Protokoll über eine solche Erkundigung wäre nichtig (§ 152 Abs 1 StPO) und darf in der Hauptverhandlung nicht verlesen werden.
9 10
B/V Rz 141. B/V Rz 210. 159
I. Flora
Fall 4 S ist wegen Suchtmittelhandels vorbestraft und wird seit längerer Zeit von der Polizei beschattet. S trifft sich in einem Café mit dem Mexikaner X. Dabei werden sie von der Kriminalpolizei beobachtet. Daraufhin vermutet die Polizei, dass X Mitglied eines Drogenrings ist. Als X in sein Auto steigt um wegzufahren, wird er von der Polizei festgenommen. Nach Einlieferung in die Justizanstalt wird X vom Richter vernommen. Der Richter fragt dazu bei der Kriminalpolizei nach, was gegen X nun eigentlich vorliege. Ein Polizeibeamter antwortet, X sei mit hoher Wahrscheinlichkeit Mitglied eines Drogenrings. Der schriftliche Bericht werde gerade geschrieben und der Richter werde den Akt am folgenden Tag erhalten. Nachdem X schon dreißig Stunden in Haft ist, will der Richter nicht mehr so lange warten. Er verhängt die Untersuchungshaft: X sei nach Auskunft der Polizei des Verbrechens nach § 278a StGB dringend verdächtig, er sei Ausländer und es sei zu befürchten, dass er ÏWEGENÏDERÏ(HEÏDERÏZUÏERWARTENDENÏ3TRAFEÏINSÏ!USLANDÏm¿CHTENÏWERDEÏ a) Haben sich Kriminalpolizei und Richter rechtmäßig verhalten? b) Was kann der Beschuldigte gegen die Verhängung der Untersuchungshaft tun?
Lösung a) Die Kriminalpolizei hat X offensichtlich aus eigener Macht festgenommen (§ 171 Abs 2 StPO). Aus dem Sachverhalt geht nicht hervor, ob die Kriminalpolizei den Beschuldigten belehrt oder zum Tatverdacht und den Haftgründen vernommen hat (§ 172 Abs 2 StPO). Es geht aus dem Sachverhalt auch nicht hervor, ob die Kriminalpolizei den Staatsanwalt verständigt hat und dieser einen Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft gestellt hat (§ 173 Abs 1 StPO). Ohne Antrag des Staatsanwalts darf der Richter die Untersuchungshaft nicht verhängen. Der Richter darf die Untersuchungshaft nur verhängen, wenn gegen den Beschuldigten ein dringender Tatverdacht (§ 173 Abs 1 StPO) vorliegt. X müsste sehr wahrscheinlich der Täter sein und wahrscheinlich als Täter überführt werden können.11 Ein dringender Tatverdacht auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) liegt hier aber nicht vor. Der Richter kennt den Akt gar nicht, er verlässt sich nur auf die Behauptungen der Kriminalpolizei. Daraus kann ein dringender Tatverdacht nicht abgeleitet werden. Tatverdacht und Haftgründe müssen sich zweifelsfrei aus 11
160
B/V Rz 361.
Fall 5
dem vorgelegten Akt ergeben (vgl § 174 Abs 3 Z 4 StPO). Der Richter muss bei seiner Entscheidung den ganzen Akt zur Verfügung haben.12 Auch Fluchtgefahr kann so nicht angenommen werden. Der Richter hätte X fragen müssen, ob er einen Wohnsitz, Familie oder Arbeit in Österreich hat. § 278a StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht. Bei solchen Delikten ist Fluchtgefahr nicht anzunehmen, wenn der Beschuldigte einen Wohnsitz in Österreich hat und in geordneten Lebensverhältnissen lebt, solange er nicht Vorkehrungen zur Flucht getroffen oder die Flucht versucht hat (§ 173 Abs 3 StPO). b) Der Beschuldigte bzw sein Verteidiger kann sich gegen die Verhängung der Untersuchungshaft beim OLG beschweren (§ 87 Abs 1, § 174 Abs 4 StPO). Er kann in seiner Beschwerde vorbringen, dass auf Grund der fehlenden Beweise weder der dringende Tatverdacht noch die Fluchtgefahr angenommen werden können. Ist die Untersuchungshaft ohne Antrag des Staatsanwalts verhängt worden, kann die Unzulässigkeit der Untersuchungshaft auch auf diesen Verfahrensmangel gestützt werden. Wird die Beschwerde gegen die Verhängung der Untersuchungshaft vom OLG abgewiesen, kann der Verteidiger des Beschuldigten eine Grundrechtsbeschwerde beim OGH einbringen (§ 1 GRBG). Er kann vorbringen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Haft fehlen, weil dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr nicht vorliegen (§ 2 Abs 1 GRBG). Ist die Untersuchungshaft ohne Antrag des Staatsanwalts verhängt worden, dann hat das Gericht das Gesetz sonst unrichtig angewendet (§ 2 Abs 1 GRBG), weil es gegen wesentliche Verfahrensvorschriften verstoßen hat.13
Fall 5 Gegen den vorbestraften X wird ein Ermittlungsverfahren wegen Einbruchsdiebstahls (§§ 127, 129 Z 1 StGB) geführt. X soll in ein Computergeschäft im Wohnhaus seiner Eltern eingebrochen sein und 10 Laptops gestohlen haben. Eine Durchsuchung der Wohnung von X und der Wohnung seiner Eltern bleibt ohne Erfolg. Verwertbare DNA-Spuren vom Tatort gibt es nicht. Der Zeuge, der den Einbruch BEOBACHTETÏHAT ÏKANNÏ8ÏBEIÏDERÏ'EGEN¿BERSTELLUNGÏNICHTÏIDENTIlZIEren. Er gibt an, der Täter sei größer als X gewesen. a) Was hat der Staatsanwalt nun zu tun? b) Was kann X tun, wenn der Staatsanwalt untätig bleibt? 12 13
B/V Rz 368. B/V Rz 385. 161
I. Flora
Lösung a) Laut Sachverhalt sind alle möglichen Beweise aufgenommen worden, und die Aussage des Zeugen trägt zur Entlastung des Beschuldigten bei. Daher besteht kein Grund mehr, den X weiter zu verfolgen (§ 190 Z 2 StPO). Die bisherigen Ermittlungen und die aufgenommenen Beweise reichen offensichtlich nicht aus, den Beschuldigten X für den Täter zu halten. Da keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, ist eine Intensivierung des Tatverdachtes gegen X nicht zu erwarten.14 Der Staatsanwalt muss das Verfahren gegen X daher nach § 190 Z 2 StPO einstellen. b) Wenn der Staatsanwalt das Verfahren gegen X nicht einstellt, kann X einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens nach § 108 Abs 1 Z 2 StPO stellen. Der Antrag ist beim Staatsanwalt einzubringen. Da X ein Einbruchsdiebstahl – ein Verbrechen (§ 17 Abs 1 StGB) – zur Last gelegt wird, kann der Antrag auf Einstellung frühestens sechs Monate nach Beginn des Ermittlungsverfahrens eingebracht werden (§ 108 Abs 2 StPO).
Fall 6 Y wird für die Hauptverhandlung gegen X als Zeuge geladen. X wird vorgeworfen, auf der Bundesstraße nach einem Überholmanöver so abrupt abgebremst zu haben, dass er damit den dahinter fahrenden Y zu einer Vollbremsung genötigt (§ 105 StGB) habe. Der Tag der Hauptverhandlung kommt Y ungelegen. Für diesen Zeitraum hat er einen Urlaub in Mallorca gebucht. So ruft er den für die Hauptverhandlung zuständigen Einzelrichter an, dass er an diesem Termin nicht kommen KANNÏ%INÏ0ROTOKOLLÏ¿BERÏEINEÏPOLIZEILICHEÏ6ERNEHMUNGÏDESÏ8ÏBElNDETÏ sich nicht im Akt. Daraufhin vernimmt ihn der Einzelrichter schon vor der Hauptverhandlung und verliest das von ihm verfasste Protokoll in der Hauptverhandlung. So braucht Y zur Hauptverhandlung nicht zu kommen. X wird wegen Nötigung verurteilt. a) War die Verlesung des Protokolls zulässig? b) Was kann X gegen das Urteil tun?
Lösung a) Die Verlesung des Vernehmungsprotokolls des Zeugen Y in der Hauptverhandlung war nicht zulässig. Da eine Entscheidung in der Sache ohne 14
162
B/V Rz 392.
Fall 6
Vernehmung des Zeugen nicht denkbar ist, hätte der Einzelrichter die Verhandlung schon vor Beginn nach § 226 Abs 1 Z 4 StPO idF StPRefBeglG I-Entw vertagen (verlegen) müssen (vgl auch § 242 Abs 2 StPO). Der Einzelrichter hat den Zeugen vor der Hauptverhandlung vernommen. In der Hauptverhandlung gilt der Grundsatz der Unmittelbarkeit. Zeugen sollen in der Hauptverhandlung ihre Aussage ablegen, damit sich das Gericht ein Bild vom Zeugen machen kann und damit der Beschuldigte Fragen an den Zeugen stellen kann.15 Ausnahmen von DIESEMÏ 'RUNDSATZÏ lNDENÏ SICHÏ INÏ eÏ Ï 3T0/Ï $IEÏ Verlesung von Vernehmungsprotokollen von Zeugen oder Mitbeschuldigten, die vor der Hauptverhandlung aufgenommen wurden, ist in der Hauptverhandlung nur unter den Voraussetzungen des § 252 Abs 1 StPO zulässig. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO könnte das Protokoll über die Zeugenvernehmung verlesen werden, wenn das Gericht den Zeugen nicht in absehbarer Zeit vernehmen könnte. Dafür genügt es aber nicht, dass der Zeuge sich im Urlaub belNDET16 Die Parteien haben der Verlesung auch nicht nach § 252 Abs 1 Z 4 StPO zugestimmt. Die Verlesung ist daher nach § 252 Abs 1 StPO nichtig. b) Für das Hauptverfahren wegen Nötigung ist das Landesgericht als Einzelrichter zuständig (§ 31 Abs 4 Z 2 StPO). Dem X steht daher das Rechtsmittel der „vollen Berufung“ offen.17 Da die Verlesung des Protokolls in der Hauptverhandlung unzulässig war, kann X Nichtigkeitsberufung nach § 489 Abs 1, § 281 Abs 1 Z 3 StPO erheben, weil der Einzelrichter in der Hauptverhandlung eine nichtige Beweisaufnahme (Verlesung) durchgeführt hat.18 X kann auch Nichtigkeitsberufung nach § 489 Abs 1, § 281 Abs 1 Z 10 StPO wegen unrichtiger Rechtsanwendung erheben. Das Urteil geht offensichtlich davon aus, dass X durch das abrupte Abbremsen den Y mit Gewalt zum Anhalten genötigt hat. Doch das abrupte Abbremsen ist nicht unter den Gewaltbegriff zu subsumieren. (Versuchte) Gewalt ist nur anzunehmen, wenn der Täter auch den Vorsatz hat, auf den Körper des Opfers einzuwirken. Bei einem Autofahrer, der den Hintermann durch abruptes Abbremsen zum Anhalten zwingt, ist nicht davon auszugehen, dass er wirklich einen Auffahrunfall und damit eine Einwirkung auf den Körper des Opfers bewirken wollte.19 X könnte allenfalls wegen Gefähr-
15 16 17 18 19
B/V Rz 58. EvBl 1996/5; B/V Rz 449. B/V Rz 591. B/V Rz 493. B/S BT I § 105 Rz 7. 163
I. Flora
dung der körperlichen Sicherheit von Y (§ 89 StGB) verurteilt werden, wenn ein Auffahrunfall nur mit Glück vermieden werden konnte.20 Die hM sieht eine Vollbremsung ohne Anlass, die den Hintermann zum Abbremsen zwingt, immer als Gewalt an.21
20 21
164
B/S BT I § 89 Rz 1. ZVR 1999/93; K/Schr BT I § 105 Rz 19.
II. MURSCHETZ Fall 1 Während einer Scheidung zeigt die Frau ihren Mann an, er habe die gemeinsame Tochter, ein Mädchen von 13 Jahren, missbraucht. Bei einer Vernehmung durch eine Kriminalbeamtin belastet das Mädchen DENÏ6ATERÏ$IEÏ&RAUÏBIETETÏDEMÏ-ANNÏAN ÏF¿RÏÏãÏWERDEÏSIEÏVERSUchen, die Tochter zu bewegen, künftig die Aussage zu verweigern. In der Hauptverhandlung bestreitet der Mann den Missbrauch. Die Aussage des Mädchens wird verlesen, denn ein Psychiater bestätigt, eine weitere Vernehmung werde dem Mädchen ernsthaft schaden. Der Mann beantragt die Vernehmung der Frau als Zeugin zum Beweis dafür, dass sie ihm für Geld angeboten habe, das Kind zur Verweigerung der Aussage zu bewegen. Der Vorsitzende weist den Antrag ab, weil Kindesmissbrauch trotz solcher Angebote strafbar sei. Der Mann wird auf Grund der Aussage der Tochter verurteilt. Haben sich Kriminalpolizei und Gericht richtig verhalten? Was kann der Verteidiger tun?
Lösung a) Zunächst ist die sachliche und funktionelle Zuständigkeit zu klären. Da die Tochter 13 Jahre alt ist, wird der Missbrauch entweder nach § 206 StGB oder nach § 207 StGB verfolgt. In beiden Fällen ist das Schöffengericht zuständig. Hinsichtlich des § 206 StGB nach § 31 Abs 3 Z 1 StPO wegen des 5 Jahre übersteigenden Strafrahmens, hinsichtlich des § 207 StGB auf Grund der ausdrücklichen Sonderzuständigkeit nach § 31 Abs 3 Z 4 StPO. b) Kriminalpolizei und Gericht haben sich nicht richtig verhalten: Vor der Hauptverhandlung fand nur eine Vernehmung der Tochter statt und diese wurde von einer Kriminalbeamtin in Abwesenheit der Parteien 165
II. Murschetz
durchgeführt. Da das Mädchen das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und es durch die Tat in seiner Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnte, wäre eine kontradiktorische Vernehmung durch das Gericht nach § 165 Abs 4 StPO zwingend vorgeschrieben. Die Befragung hätte diesfalls nach § 165 Abs 3 StPO von einem Sachverständigen (Kinderpsychologen) durchgeführt werden können. Da dies aber nicht geschah und in der Hauptverhandlung nur die Aussage der Tochter vor der Polizei verlesen wird, kann der Vater sein Fragerecht nicht ausüben. Die Verlesung der Aussage der Tochter ist nicht zulässig, da keiner der in § 252 Abs 1 StPO genannten Verlesungsgründe vorliegt. Unter § 252 Abs 1 Z 1 StPO ist der vorliegende Fall nicht zu subsumieren, da das Fernbleiben der Tochter ein von den Ermittlungsbehörden selbst geschaffenes Hindernis darstellt. Es kann also nicht argumentiert werden, dass ihre Anwesenheit aus erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt werden konnte. Hätte sich die Kriminalpolizei gesetzmäßig verhalten und eine kontradiktorische Vernehmung veranlasst, wäre die Tochter nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO von der Aussage in der Hauptverhandlung befreit und eine Verlesung gem § 252 Abs 1 Z 2a StPO zulässig gewesen.1 Nach der Rsp hingegen könnte das Fernbleiben der Tochter unter § 252 Abs 1 Z 1 StPO subsumiert werden. Diesfalls wäre die Verlesung ihrer Aussage daher zulässig.2 Da keiner der Verlesungsgründe des § 252 Abs 1 StPO vorliegt, stellt die Verlesung der Aussage der Tochter vor der Kriminalpolizei eine Verletzung der Verlesungsbestimmungen dar, die nach § 252 Abs 1 StPO mit Nichtigkeit bedroht ist. c) Der Vater beantragt die Einvernahme der Frau zum Beweis dafür, dass sie ihm für Geld angeboten hat, die Tochter zur Aussageverweigerung zu bewegen. Er hat damit einen Beweisantrag gem § 55 StPO gestellt, dem die Einvernahme der Frau als Beweismittel zugrunde liegt. Gem § 55 Abs 1 StPO hat der Beweisantrag ein Beweisthema zu enthalten sowie eine Begründung, außer diese ist bereits offensichtlich. Die Gründe, aus denen ein Beweisantrag abgelehnt werden darf, sind in § 55 Abs 2 StPO taxativ aufgezählt. Das Gericht ist der Meinung, dass der Beweisantrag ohne Bedeutung ist, da der Kindesmissbrauch trotz dieses Angebotes strafbar sei. Das ist richtig, doch wurde der Beweisantrag gestellt, um etwas anderes zu beweisen. Das Beweisthema wurde zwar nicht besonders deutlich formuliert, doch ist offensichtlich, dass damit die Unglaubwürdigkeit der Tochter bewiesen werden soll. Da die Frau ihre Tochter gegen Geld zur Aussageverweigerung bringen würde, ist 1 2
166
B/V Rz 450. 14 Os 143/99.
Fall 1
davon auszugehen, dass auch die Beschuldigungen der Tochter auf der "EEINmUSSUNGÏ DURCHÏ DIEÏ -UTTERÏ BASIERENÏ $AHERÏ ISTÏ DERÏ "EWEISANTRAGÏ eindeutig geeignet, erhebliche Tatsachen zu beweisen, weshalb keiner der Ablehnungsgründe des § 55 Abs 2 StPO vorliegt. d) Da das Verfahren vor dem Schöffengericht stattfand, wird der Verteidiger eine Nichtigkeitsbeschwerde erheben. Geltend zu machen ist der Nichtigkeitsgrund gem § 281 Abs 1 Z 3 StPO, da die Verlesung der Aussage der Tochter vor der Kriminalpolizei eine mit Nichtigkeit bedrohte Verletzung der Verlesungsbestimmungen gem § 252 Abs 1 StPO darstellt. e) Außerdem wurde der Antrag auf Einvernahme der Frau in der Hauptverhandlung zu Unrecht abgelehnt.3 Durch die Ablehnung dieses Antrages wurden Grundsätze des Verfahrens verletzt, die die Verteidigung sichern, da der Beweisantrag auf Grund seiner Erheblichkeit nicht hätte abgelehnt werden dürfen (§ 55 StPO). Zudem wurde gegen das in Art 6 Abs 3 lit d EMRK verbriefte faire Verfahren verstoßen, da der Beschuldigte in der Folge auf Grund einer einzigen belastenden Aussage verurteilt wurde, hinsichtlich derer er sein Fragerecht nicht ausüben konnte. Der Verteidiger kann daher den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO geltend machen. Nach der Rsp des OGH hingegen können mit diesem Nichtigkeitsgrund nur Zwischenerkenntnisse des Senates angefochten werden. Da nur eine Zurückweisung durch den Vorsitzenden, nicht aber eine Ablehnung durch den Senat vorlag, hätte der Verteidiger mit einem weiteren Antrag eine Beschlussfassung des Schöffensenates begehren müssen.4 f) Das Urteil stützt sich ausschließlich auf die Aussage der Tochter, die der Beschuldigte selbst zur Sache nie befragen konnte, weitere bestätigende oder untermauernde Beweise liegen nicht vor. Darin ist ein Verstoß gegen Art 6 Abs 3 lit d 1. und 2. Satz EMRK zu erblicken, der auch ohne gesonderten Nichtigkeitsgrund bekämpfbar wäre. Diesfalls stützt sich der Nichtigkeitsgrund auf besondere gesetzliche bzw verfassungsrechtliche Vorschriften, die § 281 StPO in der Einleitung in Abs 1 nennt.5
3 4 5
B/V Rz 495. ÖJZ EvBl 1997/206. B/V Rz 515. 167
II. Murschetz
Fall 2 A ist verdächtig, in alkoholisiertem Zustand auf einer Landstraße einen Autounfall verursacht zu haben. 2 Personen wurden verletzt. Variante 1: Die Polizisten verlangen einen Bluttest, doch A will sich dies nicht gefallen lassen. So bringen die Polizisten den A zum Amtsarzt, der dem sich heftig wehrenden A schließlich Blut abnimmt. Variante 2: Der Sachverhalt entspricht Variante 1, doch liegt diesfalls eine Anordnung des StA vor. Variante 3: A ist bewusstlos und wird in ein Krankenhaus eingeliefert. Im Zuge der ärztlichen Untersuchungen wird ihm Blut abgenommen. In allen Varianten wird ein Blutalkoholwert von mehr als 0,8 Promille festgestellt und dieses Ergebnis der Blutabnahme in die Akten aufgeNOMMENÏUNDÏBEIÏDERÏ5RTEILSlNDUNGÏBER¿CKSICHTIGT Haben sich Polizei und Gericht richtig verhalten?
Lösung Variante 1: Die Blutabnahme stellt eine körperliche Untersuchung nach § 117 Z 4 StPO dar, deren Anordnungsvoraussetzungen in § 123 StPO verankert sind: Es ist eine Anordnung des StA auf Grund einer gerichtlichen Bewilligung notwendig. Bei Gefahr im Verzug kann die staatsanwaltliche Anordnung genügen; die gerichtliche Bewilligung ist diesfalls aber unverzüglich einzuholen (§ 123 Abs 3 StPO). Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen: Es liegt weder eine Anordnung des StA noch eine Bewilligung des Gerichts vor, weshalb das eigenmächtige Handeln der Exekutive unzulässig ist. Die Verwertung des Ergebnisses der Blutabnahme ist nach § 123 Abs 6 Z 2 StPO nicht zulässig, da es auf einer nicht rechtmäßig angeordneten körperlichen Untersuchung beruht. Variante 2: Aus dem Sachverhalt geht nicht hervor, ob Gefahr im Verzug vorliegt. Ist dies der Fall, genügt nach § 123 Abs 3 StPO die Anordnung des StA, eine gerichtliche Bewilligung ist aber unverzüglich einzuholen. Wird diese nicht erteilt, so ist das Ergebnis der Blutabnahme zu vernichten. Wurde eine gerichtliche Bewilligung eingeholt, so ist zu prüfen, ob die zwangsweise Durchsetzung der Blutabnahme erlaubt war. Eingrif168
Fall 3
fe, die keine Gesundheitsschädigung von mehr als 3 Tagen bewirken können, sind grundsätzlich zulässig, benötigen aber die ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen. Die Blutabnahme jedoch wird von § 123 Abs 4 dritter Satz StPO als Bagatelleingriff gewertet und kann daher laut Gesetz in bestimmten Fällen auch ohne Einwilligung des Betroffenen durchgeführt werden. Einer dieser Fälle, § 123 Abs 4 Z 1 StPO, ist hier gegeben, da A verdächtig ist, einen Unfall mit Verletzungsfolgen in alkoholisiertem Zustand begangen zu haben. Zudem kann die Polizei nach § 93 Abs 2 StPO im Fall der Weigerung Zwang ausüben, um ein Verhalten, zu dem der Betroffene gesetzlich VERPmICHTETÏ IST Ï DURCHZUSETZENÏ $ASÏ BEDEUTET Ï DASSÏ DASÏ 'ESETZÏ HIERÏ DIEÏ zwangsweise Blutabnahme erlaubt; ein Ergebnis, das sich mit dem als Verfahrensgrundsatz in § 7 Abs 2 StPO einfachgesetzlich sowie in Art 6 EMRK und Art 90 Abs 2 B-VG verfassungsrechtlich verankerten Selbstbelastungsverbot kaum vereinbaren lässt. Denn demnach darf der Beschuldigte nicht gezwungen werden, sich selbst zu belasten. Gerade dies bewirkt aber die zwangsweise Abnahme von Blut, das als Beweismittel gegen den Beschuldigten dient.6 Variante 3: A wird bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert. Dort erfolgt im Zuge der ärztlichen Untersuchungen eine Blutabnahme. Diese körperliche Untersuchung wurde nicht aus strafprozessualen Gründen durchgeführt, sondern erfolgte nach § 123 Abs 7 StPO aus anderen Gründen. Diesfalls ist die Verwertung des Ergebnisses der Blutabnahme im Strafverfahren zum Nachweis einer Straftat zulässig, derentwegen die Blutabnahme hätte angeordnet werden dürfen. Die Anordnung wäre zulässig gewesen, da die Alkoholisierung für die Aufklärung der Körperverletzung bzw für die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit von maßgeblicher Bedeutung ist. Auch die Voraussetzung des § 123 Abs 4 Z 1 StPO, der die Blutabnahme ohne Einwilligung des Betroffenen erlaubt, liegt vor. Wiederum ist eine Vereinbarkeit mit dem Selbstbelastungsverbot zu bezweifeln.7
Fall 3 A ist eines schweren Betruges (§§ 146, 147 Abs 3 StGB) angeklagt. In der Hauptverhandlung werden die von Staatsanwalt und Verteidiger beantragten Beweisaufnahmen durchgeführt. Ohne dass der gesamte Akt verlesen wird, fragt der Vorsitzende, ob er „verlesen wird der ge 6 7
B/V Rz 41 und 319, Seiler StPO Rz 354. S VfSlg 11.923/1988. 169
II. Murschetz
samte Akt“ protokollieren dürfe. Staatsanwalt und Verteidiger nicken. Der Angeklagte wird verurteilt. – Im Hauptverhandlungsprotokoll steht am Schluss: „Die Parteien stellen keine weiteren Beweisanträge, mit Einverständnis der Parteien wird der gesamte Akt verlesen“. Die Gründe des Urteils berufen sich für den Schädigungsvorsatz des A auf eine Zeugenaussage, die zwar im Akt enthalten ist, über die in der Hauptverhandlung aber nicht gesprochen wurde. War das Verfahren in Ordnung? Was kann der Verteidiger tun, wenn es nicht in Ordnung war?
Lösung a) In der Hauptverhandlung erfolgte eine unrichtige Protokollierung, da der gesamte Akt – insb die für den Schädigungsvorsatz relevante Zeugenaussage des C – gerade nicht verlesen wurde. Der Verteidiger muss innerhalb von 4 Wochen einen Protokollberichtigungsantrag nach § 271 Abs 7 StPO stellen, sodass nicht der gesamte Akt als verlesen gilt, sondern nur die Passagen, die tatsächlich in der Hauptverhandlung vorkamen. Das Nicken des Verteidigers ist nicht relevant, da nach § 252 Abs 2a StPO für die Gültigkeit des Verzichtes auf die Verlesung zumindest die wesentlichen Inhalte des Aktes mündlich hätten referiert werden müssen. b) Da in der Hauptverhandlung weder eine Verlesung stattfand noch die wesentlichen Inhalte referiert wurden, verletzte der Richter den in § 12 StPO verankerten Mündlichkeitsgrundsatz. c) Für das Hauptverfahren wegen des schweren Betruges nach § 147 Abs 3 StGB ist gem § 31 Abs 3 Z 1 StPO das Schöffengericht zuständig. Der Verteidiger wird eine Nichtigkeitsbeschwerde gem § 281 StPO erheben. Hier liegt der Nichtigkeitsgrund nicht in der Verletzung einer bestimmten Ziffer des § 281 Abs 1 StPO begründet, sondern in der Verletzung von in der Einleitung des § 281 Abs 1 StPO genannten besonderen gesetzlichen Bestimmungen. Es handelt sich um einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs in der Hauptverhandlung (Art 6 Abs 1 EMRK, § 258 Abs 1 StPO).8 Nach der Rsp läge hier ein Begründungsmangel nach § 281 Abs 1 Z 5 2. Fall StPO vor, da sich die Feststellungen zum Schädigungsvorsatz auf ein in der HV nicht vorgekommenes Beweismaterial stützen.9 8 9
170
B/V Rz 515 u 517. S die Nachweise bei B/V Rz 517.
Fall 4
Fall 4 A wird anklagegemäß wegen Raubes verurteilt. Das Gericht stützt seine Entscheidung auf einen Zeugen, der das Auto des A am Tatort gesehen hat. Die Aussage der Zeugin F, dass A zur Tatzeit bei ihr war, erwähnt das Urteil nicht. a) A möchte aus diesem Grund ein Rechtsmittel erheben. Welches Rechtsmittel wird A erheben und warum? b) A beantragt auch einen weiteren Zeugen, der seine Unschuld bestätigen soll. Kann das Rechtsmittelgericht diesen Zeugen hören? X wird anklagegemäß wegen § 127 StGB verurteilt, wobei das Gericht seine Entscheidung vor allem auf die Aussage des Opfers stützt. Der entlastenden Aussage der Gattin des X schenkt das Gericht keinen Glauben. c) X möchte aus diesem Grund ein Rechtsmittel erheben. Welches Rechtsmittel wird X erheben und warum? d) X beantragt auch einen weiteren Zeugen, der seine Unschuld bestätigen soll. Kann das Rechtsmittelgericht diesen Zeugen hören?
Lösung a) Für das Hauptverfahren wegen Raubes ist das Landesgericht als Schöffengericht zuständig (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO). Der Beschuldigte wird das Urteil daher mit Nichtigkeitsbeschwerde gem § 281 StPO bekämpfen. Als Nichtigkeitsgrund wird er einen Begründungsmangel gem § 281 Abs 1 Z 5 2. Fall StPO geltend machen, da das Gericht ein Beweisergebnis, die Aussage der Zeugin F, die ihm ein Alibi verschafft, übergangen hat. b) Der OGH als Rechtsmittelgericht kann den neuen Zeugen nicht hören, da mit der Nichtigkeitsbeschwerde keine neuen Beweisanträge gestellt werden dürfen; es gilt das Neuerungsverbot.10 c) Für das Hauptverfahren wegen Diebstahls ist das Bezirksgericht gem § 30 Abs 1 StPO zuständig. Der Beschuldigte kann das Urteil mit der vollen Berufung bekämpfen. Hier wird er eine Schuldberufung nach § 464 Z 2 1. Fall StPO erheben, da er seine Schuld bestreitet und einen neuen Zeugen beantragt. 10
B/V Rz 495. 171
II. Murschetz
d) Der 3-Richter-Senat des Landesgerichts als Rechtsmittelgericht (§ 31 Abs 5 Z 1 StPO) kann den neuen Zeugen hören, da das Neuerungsverbot nicht gilt: Der Berufungswerber hat nach § 467 Abs 1 StPO das Recht, mit der Schuldberufung neue Tatsachen vorzubringen oder wie im vorliegenden Fall neue Beweisanträge zu stellen.
Fall 5 Der Tischlereibetrieb des B in Salzburg brannte über Nacht vollständig nieder, das Feuer wurde gelegt. B, hoch verschuldet und gut feuerversichert, verstrickt sich bei der Befragung durch die Kriminalpolizei in Widersprüche. Die ermittelnden Beamten gehen davon aus, dass B den Brand selbst gelegt hat. Der Vernehmungsbeamte erklärt ihn daraufhin für verhaftet. B begehrt, mit seinem Anwalt zu sprechen, aber der Beamte lehnt wegen „bestehender Verdunkelungsgefahr“ ab. Weiters meint B: „Ich kann das doch nicht gewesen sein, ich war die letzten 4 Tage bei meiner Freundin C in Tirol, die das auch bestätigen kann.“ Die Polizei hält C für uninteressant, da sie die Freundin des Verdächtigen ist, und unternimmt nichts. Hat sich die Kriminalpolizei richtig verhalten?
Lösung a) Zunächst ist die Verhaftung des B gesetzwidrig, da sie nicht rechtmäßig angeordnet wurde. Denn eine Verhaftung aus eigener Macht (ohne gerichtliche Bewilligung) setzt voraus, dass der Täter entweder auf frischer Tat betreten wurde (§ 171 Abs 2 Z 1 StPO) oder ein Haftgrund sowie Gefahr im Verzug vorliegt (§ 171 Abs 2 Z 2 StPO). Die Betretung auf frischer Tat scheidet laut Sachverhalt aus. Gefahr im Verzug ist ebenso wenig gegeben, da die Verhaftung während bzw nach der Befragung des A stattfand und genug Zeit gewesen wäre, mit StA und Gericht Kontakt aufzunehmen. Zudem liegt kein Haftgrund nach § 170 Abs 2 StPO vor. Die Tatsache, dass sich der Beschuldigte in Widersprüche verstrickt, stellt keine Verdunkelung und damit keinen Haftgrund dar, sondern legt nur den Verdacht der Tatbegehung nahe. Ein Tatverdacht alleine ist wiederum kein Haftgrund. b) Zudem ist aus dem Sachverhalt nicht erkennbar, ob B von der Kriminalpolizei vor der Vernehmung belehrt wurde. Sobald die Polizei den 172
Fall 5
Verdacht hatte, dass B der Täter sein könnte, und ihn (weiter) befragt, erlangt er den Status eines Beschuldigten mit den damit verbundenen Rechten. Diese können nur ausgeübt werden, wenn sie dem Beschuldigten zur Kenntnis gebracht werden. Er ist daher nach § 50 Abs 1 StPO so bald wie möglich zu belehren. Die Belehrung darf nur unterbleiben, wenn der Zweck der Ermittlungen ansonsten gefährdet würde. Dieser Aufschub ist aber nicht unbegrenzt möglich: Die Vernehmung stellt nach § 151 Z 2 StPO ausdrücklich eine Befragung nach Belehrung über die Rechte dar, weshalb die Belehrung rechtzeitig vor der Vernehmung stattZUlNDENÏHATÏ$IESÏGEBIETETÏAUCHÏeÏÏ!BSÏÏ3T0/ ÏDERÏBESAGT ÏDASSÏDIEÏ Vernehmungsbestimmungen bei sonstiger Nichtigkeit nicht durch Erkundigungen umgangen werden dürfen. Wurde B nicht über seine Rechte belehrt, liegt eine Umgehung der Vernehmungsbestimmungen vor und seine Aussage wäre nichtig. c) Die Kriminalpolizei hat sich auch insofern rechtswidrig verhalten, als sie das Gespräch mit dem Anwalt nicht hätte verweigern dürfen. Zunächst besteht gem § 49 Z 4 und Z 5 StPO das Recht des Beschuldigten, sich mit dem Verteidiger zu besprechen und diesen der Vernehmung beizuziehen. Dem festgenommenen Beschuldigten ist der Kontakt mit einem Verteidiger gem § 59 StPO zu ermöglichen. Dieser Kontakt kann unter keinen Umständen untersagt werden. Erlaubt ist nach § 59 Abs 1 StPO vor Einlieferung in die Justizanstalt nur die Überwachung des Kontakts sowie dessen Beschränkung auf eine allgemeine Rechtsauskunft. Auch wenn der Beschuldigte wegen Verdunkelungsgefahr angehalten wird, wie es die Polizei im vorliegenden Fall fälschlich anzunehmen scheint, kann der Kontakt nicht verboten, sondern nur die Überwachung der Gespräche angeordnet werden, und dies nur, wenn auf Grund besonderer, schwer wiegender Umstände die Beeinträchtigung von Beweismitteln zu befürchten ist. All dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. d) Die Aussage des B, dass er bei seiner Freundin war und diese dies bestätigen könne, ist ein Beweisantrag nach § 55 Abs 1 StPO. Beweismittel ist die Freundin, Beweisthema das Alibi des A. Eine Begründung ist nicht notwendig, da offensichtlich ist, warum die Zeugin etwas zum Beweisthema aussagen kann. Auf die Wortwahl des Beschuldigten bzw die ausdrückliche Formulierung als Beweisantrag kann es nicht ankommen. Er drückt mit seiner Aussage unmissverständlich aus, dass es eine Zeugin gibt, die zu dem Beweisthema aussagen kann und dass diese gehört werden soll.11 Nach der Rsp hingegen hat der Beschuldigte wahrscheinlich mangels Gebrauches bestimmter Worte keinen Beweisantrag gestellt. 11
B/V Rz 128. 173
II. Murschetz
Er hätte „…die Vernehmung der Zeugin C zum Beweis dafür, dass …“ beantragen müssen.12 Über diesen Beweisantrag hätte die Kriminalpolizei gem § 55 Abs 4 StPO entscheiden müssen. Sie hätte ihn entweder aufnehmen oder ihn mit einem Anlassbericht der StA vorlegen müssen. Diese wiederum hat die Beweisaufnahme zu veranlassen oder den Beschuldigten darüber zu informieren, warum sie nicht durchgeführt wird. Gegen diese abschlägige Entscheidung steht dem Beschuldigten der Einspruch nach § 106 Abs 1 Z 1 StPO zu.
Fall 6 "ÏERSTATTETÏ!NZEIGE ÏDASSÏSEINÏNEUESÏ3KATEBOARDÏIMÏ7ERTÏVONÏÏãÏ gestohlen worden sei; in Wahrheit hat er es verkauft. Von der Versicherung bekommt er den angeblichen Schaden ersetzt. Das Gericht verurteilt ihn wegen Betruges nach § 146 StGB; eine Verurteilung nach § 298 StGB wegen Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung erfolgt nicht. a) Hätte B auch wegen § 298 StGB verurteilt werden können, wenn die Anklage darauf nicht gerichtet war? b) Wenn die Anklage nicht darauf gerichtet war: Was kann der Ankläger gegen das Urteil unternehmen, um auch eine Verurteilung nach § 298 StGB zu erwirken?
Lösung a) Eine Verurteilung nach § 298 StGB wäre nur möglich gewesen, wenn der StA die Anklage in der Hauptverhandlung nach § 263 Abs 1 StPO auf dieses Delikt ausgedehnt hätte.13 Ohne Ausdehnung wäre eine Verurteilung wegen § 298 StGB nicht zulässig gewesen, da es sich nicht um eine idente Tat handelt.14 Zwar stehen die beiden Taten in einem engen Zusammenhang, doch beruhen sie auf zwei selbständigen Tathandlungen. Zudem wurden verschiedene Rechtsgüter verletzt.15 Der Betrug dient dem Schutz des Vermögens, während § 298 StGB der Schutz der RechtsPmEGEÏZUGRUNDEÏLIEGT Vgl B/V Rz 128. Wenn, wie diesfalls, die Tat schon vorher bekannt war, müsste einem Vertagungsantrag des Beschuldigten stattgegeben werden, um sein Recht auf ausreichende Vorbereitungszeit zu wahren. 14 Zur Anklageausdehnung s B/V Rz 464 ff. 15 B/V Rz 460 f. 12 13
174
Fall 7
b) War die Anklage nicht auf § 298 StGB gerichtet und hat der StA in der Hauptverhandlung keinen Ausdehnungsantrag gestellt, so hat er sich bezüglich dieses Faktums verschwiegen. Er kann nach der Urteilsfällung (dh auch im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens) dagegen nichts mehr unternehmen.16 Der Verurteilte kann wegen dieser Tat nicht mehr verfolgt werden, es gilt das Doppelverfolgungsverbot (ne bis in idem). Eine Wiederaufnahme nach § 355 StPO kommt im vorliegenden Fall wohl nicht in Frage, da die Strafbarkeit bereits geklärt ist und neue Beweise daher kaum relevant wären.
Fall 7 Der StA hat vor dem Schöffengericht Anklage erhoben. In der Hauptverhandlung stellt das Schöffengericht fest, dass a) es örtlich nicht zuständig ist; b) statt des Raubes eine Nötigung vorliegt; C ÏDERÏ2AUBÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERTÏIST 1. Was kann oder muss das Gericht in den verschiedenen Varianten unternehmen? 2. Was kann der Beschuldigte unternehmen, wenn er in Variante c) vom Schöffengericht wegen des schweren Raubes verurteilt wird?
Lösung 1.a) Ab Rechtswirksamkeit der Anklageschrift kann die örtliche Unzuständigkeit im schöffengerichtlichen Verfahren (wie auch im geschworenengerichtlichen Verfahren) nicht mehr berücksichtigt werden: perpetuatio fori (§ 213 Abs 5 StPO).17 1.b) Liegt statt eines Raubes eine Nötigung vor, so wäre auf Grund der ausdrücklichen Bestimmung des § 31 Abs 1 Z 2 StPO der Einzelrichter zuständig. Wiederum ist eine Berücksichtigung der Unzuständigkeit ab Rechtswirksamkeit der Anklage aber nicht möglich, denn ein Unzuständigkeitsurteil darf nur gefällt werden, wenn für die Sache ein Gericht höherer Ordnung zuständig wäre.18 Dh das Schöffengericht hat diesfalls 16 17 18
B/V Rz 467, Seiler StPO Rz 615; SSt 2003/61. Seiler StPO Rz 123. B/V Rz 473, Seiler StPO Rz 120. 175
II. Murschetz
wegen des Delikts der Nötigung zu verhandeln und gegebenenfalls zu verurteilen. 1.c) Liegt statt eines Raubes ein schwerer Raub nach § 143 StGB vor, so besteht gem § 31 Abs 2 Z 1 StPO Zuständigkeit des Geschworenengerichts. Das Schöffengericht hat als unzuständiges Gericht niederer Ordnung ein Unzuständigkeitsurteil nach § 261 Abs 1 StPO zu fällen. Der StA hat diesfalls entweder das Ermittlungsverfahren fortzuführen oder die Anordnung der Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht zu beantragen (§ 261 Abs 2 StPO idF StPRefBeglG I-Entw). 2.c) Verurteilt das Schöffengericht den Beschuldigten wegen des schweren Raubes, so kommt für den Beschuldigten das Rechtmittel der Nichtigkeitsbeschwerde nach § 281 Abs 1 StPO in Frage. Es besteht jedoch kein ausdrücklicher Nichtigkeitsgrund, wenn das Schöffengericht irrtümlich nicht erkennt, dass das Geschworenengericht zuständig wäre. § 281 Abs 1 Z 6 StPO enthält einen Nichtigkeitsgrund, wenn das Gericht zu Unrecht ein Unzuständigkeitsurteil gefällt hat. Die gesonderte Geltendmachung des Urteils eines unzuständigen Gerichts fehlt jedoch. Da der Beschuldigte diesfalls aber in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt wurde, muss der genannte Nichtigkeitsgrund analog auch auf diese Fälle angewandt werden können. Denkbar wäre auch, die Entscheidung des sachlich unzuständigen Gerichts mit dem Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 1 StPO zu bekämpfen, da die Richterbank nicht gehörig besetzt war. Zur Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes muss der Fehler aber bereits in der Hauptverhandlung gerügt worden sein. Nach der Rsp ist ausschließlich eine Geltendmachung mit Nichtigkeitsbeschwerde nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO möglich. Dies setzt voraus, dass in der Hauptverhandlung ein Antrag auf Fällung eines Unzuständigkeitsurteils gestellt wurde.19
19
176
EvBl 1998/201.
III. SCHEIL Fall 1 / Ï EHEMALIGERÏ /BMANNÏ EINESÏ 0ROlSPORTVEREINS Ï ISTÏ WEGENÏ WISSENTlicher Hinterziehung von Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen (§ 33 !BSÏÏLITÏBÏ&IN3TR' ÏINÏ(HEÏVONÏ Ï-ILLIONENÏãÏVORÏDEMÏ3CHFFENgericht angeklagt. Von den nicht versteuerten Löhnen („Schwarzlöhne“), die vom Vereinskassier auf Konten der Sportler in Liechtenstein überwiesen worden sind, hat er nichts „gewusst“, sagt er, und fordert einen Freispruch. „Stimmt nicht!“, sagt der wegen sonstigen Tatbeitrags mitangeklagte Vereinskassier, O habe sehr wohl von den „Schwarzlöhnen“ gewusst. Das könne N bezeugen, sein Nachfolger als Vereinsobmann. Beim Obmannwechsel habe O den N in die Praxis der „Schwarzlöhne“ eingeweiht und N habe diese Praxis dann fortgesetzt. Deswegen ist gegen N bereits ein Finanzstrafverfahren eingeleitet, allerdings vor dem Finanzamt als Finanzstrafbehörde (Verwaltungsbehörde): Er soll INÏSEINERÏ:EITÏALSÏ/BMANNÏ!BGABENÏINÏ(HEÏVONÏÏãÏVERK¿RZTÏ HABEN ÏERSTÏBEIÏ(INTERZIEHUNGÏVONÏMEHRÏALSÏÏãÏWÇREÏDASÏ3TRAFgericht zuständig. Auch N bestreitet, von den Schwarzlöhnen „gewusst“ zu haben. Um nun zu klären, ob O von den „Schwarzlöhnen“ gewusst hat oder nicht, ob er schuldig- oder freizusprechen ist, wird N als Zeuge zur Hauptverhandlung gegen O geladen. Dort weigert er sich, über das Gespräch beim Obmannwechsel aussagen. Er müsste zugeben, dass die „Schwarzlöhne“ erörtert worden sind und dass O und auch er davon gewusst haben. Auf Grund dieser Zeugenaussage vor Gericht, die das Finanzamt im Finanzstrafverfahren zum Beweis der Verwirklichung der subjektiven Tatseite seiner Abgabenhinterziehung gegen ihn verwerten dürfte und würde, könnte N mit Geldstrafe bis ÏãÏ DASÏ :WEIFACHEÏ DESÏ STRAFBESTIMMENDENÏ 7ERTBETRAGSÏ VONÏ Ïã ÏAUSÏSPEZIALPRÇVENTIVENÏ'R¿NDENÏZUSÇTZLICHÏSOGARÏMITÏ&REIheitsstrafe bis zu drei Monaten bestraft werden. 177
III. Scheil
a) Muss N über das Gespräch mit O anlässlich des Obmannwechsels aussagen? b) Wenn ja, wie dürfte N zur Aussage gezwungen werden? C Ï)NÏWELCHESÏ'RUNDRECHTÏDESÏ.ÏWIRDÏDURCHÏDIEÏ0mICHTÏZURÏ:EUGENaussage eingegriffen?
Lösung a) Zeugen müssen richtig und vollständig aussagen (§ 154 Abs 2 StPO). +EINEÏ0mICHTÏZURÏ!USSAGEÏBESTEHTÏNEBENÏDEMÏ6ERNEHMUNGSVERBOTÏeÏÏ 3T0/ Ï WENNÏ DERÏ :EUGEÏ VONÏ DERÏ 0mICHTÏ ZURÏ !USSAGEÏ BEFREITÏ ISTÏ eÏ Ï StPO) oder ihm ein Aussageverweigerungsrecht (§ 157 StPO) zukommt. Das Aussageverweigerungsrecht nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO steht N nicht zu, weil das gegen ihn eingeleitete kein gerichtliches (2. Fall), sondern ein verwaltungsbehördliches Strafverfahren ist.1 N muss sich durch seine Aussage nicht der Gefahr „strafgerichtlicher Verfolgung“ aussetzen, WEILÏ SEINEÏ !BGABENHINTERZIEHUNGÏ WEGENÏ DESÏ UMÏ Ï ãÏ ZUÏ NIEDRIGENÏ (strafbestimmenden Wert-) Betrags nicht in die Zuständigkeit des Strafgerichts fällt (§ 53 Abs 1 lit b FinStrG). Die StPO sieht neben dem eben genannten Recht, die gesamte Aussage zu verweigern, auch das Recht vor, einzelne Fragen nicht beantworten zu müssen. N könnte dieses Recht beanspruchen, das einer Person zusteht, die sich durch die Aussage der Gefahr der „Schande“ aussetzt (§ 158 Abs 1 Z 1 1. Fall StPO). Diese Gefahr besteht, wenn dem Zeugen der Vorwurf eines ins Gewicht fallenden unsittlichen oder unehrenhaften Verhaltens gemacht, wenn seine Wertschätzung in sittlicher Hinsicht in der Öffentlichkeit herabgesetzt werden könnte.2 Auf ein verwaltungsbehördlich strafbares Finanzvergehen, wenn es nicht gerade von einem Organ der Finanzverwaltung begangen wird, trifft das nicht zu, selbst gerichtlich strafbare Finanzvergehen gelten in Österreich weithin als „Kavaliersdelikte“. Das Recht auf Verweigerung der Antwort auf einige Fragen steht auch der Person zu, der die Aussage einen „unmittelbaren und bedeutenden vermögensrechtlichen Nachteil“ bringt (§ 158 Abs 1 Z 1 2. Fall StPO). Die Geldstrafe wegen einer Verwaltungsübertretung ist ein solcher Nachteil und sie steht auch „unmittelbar“ bevor, das Finanzstrafverfahren gegen N ist schon eingeleitet, seine Aussage vor Gericht wird verwertet und er wird bald bestraft werden. Ob die Geldstrafe ein „bedeutender“ 1 Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Bezeichnung meint die StPO nur ein gerichtliches und nicht auch ein verwaltungsbehördliches Strafverfahren. 2 SSt 48/25.
178
Fall 1
Vermögensnachteil ist, eine „auf längere Zeit wirksame nachhaltige Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Gesamtsituation“,3 hängt nicht vom Strafrahmen ab, sondern von der konkret drohenden Geldstrafe:4 N hat, WENNÏERÏ%RSTTÇTERÏIST ÏMITÏEINERÏ'ELDSTRAFEÏVONÏRUNDÏÏãÏZUÏRECHNEN5 Und das hängt von seinem Einkommen ab. Eine Geldstrafe in Höhe von zwei Netto-Monats-Einkommen sieht der OGH noch nicht als „bedeutenden“ Nachteil an.6 Da ich nicht weiß, wie hoch das Einkommen von N ist, nehme ich eine Sachverhaltsergänzung vor und gehe davon aus, dass N EINÏ.ETTO -ONATS %INKOMMENÏVONÏÏãÏHAT ÏDANNÏWIRDÏSEINÏ%INKOMmen sieben Monate lang durch die Geldstrafe vollständig aufgebraucht, das ist ein „bedeutender“ Nachteil. N darf daher die Beantwortung einer Frage nach den „Schwarzlöhnen“ grundsätzlich verweigern. Trotz Verweigerung der Aussage muss der Zeuge zur Aussage verPmICHTETÏ WERDEN Ï WENNÏ SIEÏ uwegen der besonderen Bedeutung für den Gegenstand des Verfahrens unerlässlich ist“ (§ 158 Abs 2 StPO). $AZUÏ MUSSÏ DASÏ 'ERICHTÏ DASÏ )NTERESSEÏ ANÏ DERÏ 7AHRHEITSlNDUNGÏ INÏ DERÏ konkreten Strafsache gegen das Interesse des Zeugen an der Vermeidung der vermögensrechtlichen Nachteile abwägen. Das Gericht wird und muss auf der Aussage des N bestehen zur Aufklärung der schwerWIEGENDENÏ &INANZSTRAFTATÏ !BGABENVERK¿RZUNGÏ Ï -ILLIONENÏ ã Ï WEILÏ außer dem Angeklagten nur N über das für den Schuld- oder Freispruch entscheidende „Wissen“ des O Auskunft geben kann. b) Wenn sich der Zeuge (in der Hauptverhandlung) unberechtigt weigert AUSZUSAGEN ÏKANNÏERÏDURCHÏ"EUGEGELDSTRAFEÏBISÏÏãÏUND ÏBEIÏWEIterer Weigerung, „in wichtigen Fällen“ durch Beugehaft bis sechs Wochen zur Aussage gezwungen werden (§ 93 Abs 4 StPO). Diese Beugemittel dürfen aber nur unter der Maßgabe des § 5 StPO angewendet werden, sie müssen also in einem „angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Straftat“ und „zum angestrebten Erfolg“ stehen (§ 93 StPO).7 Eine Beugegeldstrafe, selbst in voller Höhe, würde diese Bedingungen erfüllen, ist die Aussage doch unerlässlich zur Aufklärung der schwerwiegenden Finanzstraftat. Beugehaft gegen N zu verhängen, wäre freilich unverhältnismäßig, weil O, wenn überhaupt, wie bei Finanzstraftaten üblich, nur eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe erwartet: Den Zeugen der Freiheit zu berauben, um den Angeklagten zu überführen, der selbst SSt 48/63. SSt 48/63. 5 Finanzstrafbehörden verhängen bei (vorsätzlicher) Abgabenhinterziehung erfahrungsgemäß über einen Ersttäter eine Geldstrafe in Höhe von rund 40 Prozent des Verkürzungsbetrags (= strafbestimmender Wertbetrag). 6 SSt 48/63. 7 B/V Rz 186. 3 4
179
III. Scheil
bei Verurteilung mit keinem Verlust der Freiheit zu rechnen hat, würde das im Hinblick auf das angestrebte legitime Ziel erforderliche Ausmaß übersteigen. c)Ï3CHONÏWEGENÏDERÏ!USSAGEPmICHTÏALSÏ:EUGE ÏUNDÏGANZÏKRASSÏIMÏ&ALLEÏ der Verhängung einer Beugegeldstrafe, ist N dazu gezwungen, sich selbst zu beschuldigen. Damit wird in sein Grundrecht eingegriffen, schweigen zu dürfen und sich nicht selbst beschuldigen zu müssen („nemo-tenetur-Grundsatz“). Dieses Recht ist in Art 6 EMRK8 nicht ausdrücklich erwähnt, der EGMR zählt es aber zum Kernbereich des Rechts auf ein „faires Verfahren“, das auch für das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren uneingeschränkt gilt. Der VfGH verlangt seit 1985 Beweisverwertungsverbote, damit solche Grundrechte nicht „illusorisch“ und „unwirksam“ sind.9 Darauf wartet auch N bis heute vergeblich.
Fall 2 E steht im dringenden Verdacht, einen Einbruchsdiebstahl begangen zu haben. Deshalb ordnet der Richter im Ermittlungsverfahren die Überwachung seines Telefons an. Bei der Überwachung wird auch ein Gespräch zwischen E und seiner Freundin F aufgezeichnet, bei dem sie ihm sagt, dass sie gerade einen „Joint“ (Haschischzigarette) rauche. Dieses auf Tonband festgehaltene Gespräch lässt der Staatsanwalt schriftlich aufzeichnen; die Aufzeichnung wird in der Hauptverhandlung gegen F verlesen und im Urteil verwertet. F wird wegen Besitzes eines Suchtgifts (§ 27 Abs 1 SMG) verurteilt. a) Darf das Gericht das Schriftstück über den Inhalt des Gesprächs als Beweismittel gegen F verwenden? b) Wenn nein, welches Rechtsmittel stünde F zu? c) Was macht der Staatsanwalt falsch? d) In welches Grundrecht der F wird eingegriffen?
Lösung a) Zuständig für das Verfahren gegen F ist das Bezirksgericht (§ 30 Abs 1 StPO), weil § 27 Abs 1 SMG eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten androht. 8 Der VfGH leitet dieses Grundrecht (auch) aus dem Anklageprozess (Art 90 Abs 2 BVG) ab. 9 VfSlg 10.291/1984.
180
Fall 3
Das Bezirksgericht darf die schriftliche Aufzeichnung über das Rauchen der Haschischzigarette in der Hauptverhandlung nicht verlesen und auch nicht für das Urteil verwerten. Das Ergebnis der „Überwachung von Nachrichten“ (§ 135 Abs 3 StPO) darf als Beweismittel in einem anderen gerichtlichen Verfahren, hier im Verfahren gegen F, nur verwertet werden, wenn die Ermittlungsmaßnahme auch zum Nachweis dieses Delikts hätte bewilligt werden dürfen (§ 140 Abs 1 Z 4 StPO). Das Abhören und Aufzeichnen des Inhalts eines Telefongesprächs, die Nachrichtenüberwachung (§ 134 Z 3 StPO), ohne Zustimmung des Anschlussinhabers wäre nur zur Aufklärung einer vorsätzlich begangenen Straftat zulässig, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht ist (§ 135 Abs 3 Z 3 StPO). § 27 Abs 1 SMG droht keine so schwere Freiheitsstrafe an. b) Das Urteil des Bezirksgerichts ist mit Berufung wegen Nichtigkeit anzufechten, weil das Bezirksgericht eine Vorschrift verletzt, deren Beachtung bei sonstiger Nichtigkeit vorgeschrieben ist (§ 468 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 140 Abs 1 Z 4 StPO). c) Der Staatsanwalt verhält sich falsch. Er darf nur diejenigen Ergebnisse schriftlich übertragen lassen, die auch als Beweismittel verwendet werden dürfen (§ 138 Abs 4 StPO). Dies ist, wie oben unter a) dargelegt, nicht der Fall. Er muss dieses unverwertbare Beweisergebnis von Amts wegen vernichten (§ 139 Abs 4 StPO). d) Eingegriffen wird in das Grundrecht auf Achtung des Fernmeldegeheimnisses bzw Kommunikationsgeheimnisses (Art 10a StGG, Art 8 EMRK), das die Vertraulichkeit der nicht zur Kenntnisnahme durch Dritte bestimmten Telekommunikation schützt.
Fall 3 E, einundzwanzigeinhalbjähriger Innsbrucker, nimmt seinen Freund F, ebenfalls aus Innsbruck, mit dem Auto mit nach Graz. Dort wechselt er unvorsichtig die Fahrspur, muss abrupt bremsen, um einen Zusammenstoß mit einem anderen Auto zu vermeiden, F stößt mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und erleidet eine Platzwunde an der Stirn, die nach vier Tagen verheilt. In dem Auto, mit dem er beinahe zusammengestoßen wäre, sitzen Polizisten in Zivil. Sie halten E an, entdecken dabei die frische Platzwunde seines Freundes, nehmen E und F mit auf die Polizeiinspektion, vernehmen E, der 181
III. Scheil
nichts beschönigt, und auch F, nachdem er im Krankenhaus unterSUCHTÏUNDÏMEDIZINISCHÏMITÏEINEMÏ0mASTERÏVERSORGTÏWORDENÏWAR ÏUNDÏ erstatten einen Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft, dem der Befund des Krankenhauses angeschlossen wird. Einige Zeit später bekommt E in Innsbruck Post von der Staatsanwaltschaft beim LG Graz. Sie macht ihm das Angebot, von der VerfolGUNGÏZUR¿CKZUTRETEN ÏWENNÏERÏEINENÏ'ELDBETRAGÏINÏ(HEÏVONÏÏãÏ bezahlt (§ 200 StPO). a) Warum kommt dieser Vorschlag von der Staatsanwaltschaft beim LG? b) Und warum von der Staatsanwaltschaft beim LG Graz und nicht von der beim LG Innsbruck? c) Bevor E das Angebot der Staatsanwaltschaft akzeptiert, hört er sich in Innsbruck um und erfährt, dass die Staatsanwaltschaft Innsbruck bei einem solchen Verkehrsunfall eigentlich immer das Ermittlungsverfahren wegen Geringfügigkeit einstellt (§ 191 StPO), dass er also in Innsbruck mit großer Wahrscheinlichkeit völlig ungeschoren davonkäme. Was muss E tun, um der Innsbrucker Justiz Gelegenheit zu geben, ein weiteres Mal ihre Milde unter Beweis zu stellen? d) An welches Gericht muss sich E mit seinem Anliegen wenden und in welcher Zusammensetzung entscheidet dieses Gericht?
Lösung a) Das Delikt, dessen Tatbestand E wahrscheinlich verwirklicht hat, ist fahrlässige Körperverletzung (§ 88 Abs 1 StGB), die eine Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten androht. Zu ihrer Ahndung ist sachlich zuständig das Bezirksgericht (§ 30 Abs 1 StPO). Die diversionellen Maßnahmen sollen in erster Linie vom öffentlichen Ankläger durchgeführt werden (§ 198 Abs 1 StPO), um die Stigmatisierung des Beschuldigten zu vermeiden,10 und erst in zweiter Linie von den Gerichten (§ 199 StPO). Die Staatsanwaltschaft beim LG vertritt auch die Anklage vor dem BG im Sprengel des LG (§ 4 Abs 1 StAG), deshalb kommt der Vorschlag von ihr. b) E ist kein „junger Erwachsener“ mehr, es kommen daher auch nicht die Bestimmungen des JGG über die örtliche Zuständigkeit zur Anwendung (§ 29 JGG). Die Staatsanwaltschaft beim LG Graz ist örtlich zuständig, weil die Tat in ihrem Sprengel ausgeführt wurde (§ 25 StPO). 10
182
K/H E 10 Rz 3.
Fall 4
c) E muss erstens bei der Staatsanwaltschaft beim LG Graz die Fortsetzung des Verfahrens beantragen (§ 207 StPO) – wenn er das Angebot nur ablehnt, kann ihm ein Neues gemacht werden, das wäre also reine Zeitverschwendung. Und E muss zweitens einen Antrag stellen, die Strafsache an das BG Innsbruck zu delegieren. „Aus anderen wichtigen Gründen“ kann die Strafsache einem anderen Gericht übertragen werden (§ 39 StPO), wenn damit die Beschleunigung des Verfahrens oder die Ersparnis von Kosten verbunden ist, zB weil – wie hier – der Beschuldigte und das Opfer, also der Zeuge, in dem anderen Sprengel wohnen.11 Die Grazer Polizisten bräuchte man als Zeugen in Innsbruck nicht, der Fall kann auch ohne sie geklärt werden. d) Den Delegierungsantrag muss E beim BG Graz einbringen (§ 39 Abs 2 StPO). Die Entscheidung darüber fällt der OGH, weil das BG Graz und das BG Innsbruck nicht im selben Sprengel eines OLG liegen, das in diesem Fall zuständig wäre (§ 39 Abs 1 StPO).12 Der OGH entscheidet über den Delegierungsantrag durch einen „Dreiersenat“ (§ 7 Abs 1 Z 2 OGHG).
Fall 4 Der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs verfügt vor Beginn der Hauptverhandlung, dass die Geschworenenbank nicht aus acht, sondern aus zehn Geschworenen bestehe. Wider Erwarten fällt während der fast neun Monate dauernden Hauptverhandlung kein Geschworener aus. Deshalb bestimmt der Vorsitzende nach Schluss der Verhandlung die zwei Geschworenen, die nicht an der Beratung und Fällung des Urteils teilnehmen dürfen, und entlässt sie. Einige Verteidiger stellen schon zu Beginn der Hauptverhandlung fest, dass alle zehn Geschworenen ihre Sitze in alphabetischer Reihenfolge einnehmen, andere bemerken es im Laufe der Hauptverhandlung. Sie schweigen darüber bis nach Verkündung des Urteils, mit dem ihre Mandanten zu langen Freiheitsstrafen verurteilt werden. „Von einem gewieften Verteidiger darf nicht erwartet werden, dass er da brav aufsteht und das Gericht auf einen möglicherweise gravierenden Fehler aufmerksam macht“, brüstet sich einer der Verteidiger gegenüber einem Journalisten, der ihn in der Zeitung zitiert, würde er sich doch „eine Trumpfkarte aus der Hand schlagen“, und zwar 11 12
B/V Rz 102. B/V Rz 102. 183
III. Scheil
das Urteil, wenn es ihm nicht passt, allein wegen dieses Fehlers bekämpfen zu können. a) Was macht der Vorsitzende falsch? b) Welches Rechtsmittel können die Verurteilten mit Aussicht auf Erfolg ergreifen? c) In welches Grundrecht der Angeklagten greift der Vorsitzende ein?
Lösung a) Wenn eine Hauptverhandlung „von längerer Dauer“ zu erwarten ist, kann der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs bestimmen, dass der Hauptverhandlung ein oder mehrere Ersatzgeschworene zugezogen werden (§ 300 Abs 3 StPO). Wenn mehrere bestellt werden, treten sie nach der Reihenfolge der Dienstliste an die Stelle der verhinderten Geschworenen (§ 300 Abs 4 StPO). Der Vorsitzende unterlässt es gesetzwidrig, vor Beginn der Hauptverhandlung zu bestimmen, wer die Ersatzgeschworenen sind. Mit der Entlassung der zwei Geschworenen nach Schluss der Hauptverhandlung, die seiner Meinung nach die Ersatzgeschworenen gewesen sein sollen und die, weil keine Geschworenen ausgefallen sind, nicht an der Beratung (und Fällung) des Urteils mitwirken dürfen (§ 320 Abs 2 StPO), versucht er – vergeblich – diesen Fehler auszubessern. b) Die nicht richtige Besetzung der Geschworenenbank – zehn statt acht Geschworene – macht das Urteil des Geschworenengerichts nichtig (§ 345 Abs 1 Z 1 StPO). Das ist ein absoluter Nichtigkeitsgrund, der die Aufhebung des Wahrspruchs und des Urteils zur Folge hat (§ 349 Abs 1 StPO). Er kann von den Angeklagten aber nicht mit Aussicht auf Erfolg mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden, weil ihre Verteidiger die nicht richtige Zusammensetzung schon zu Beginn bzw während der Hauptverhandlung erkannt und es unterlassen haben, diesen Fehler umgehend zu rügen (§ 345 Abs 2 StPO). Von einem „gewieften“ Verteidiger kann also keine Rede sein, und schon gar nicht, WENNÏERÏSEINENÏ&EHLER ÏDIEÏ6ERLETZUNGÏDERÏ2¿GEPmICHT ÏAUCHÏNOCHÏ¿BERÏ die Presse hinausposaunt. c) Der Vorsitzende greift in das Grundrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ein (Art 83 Abs 2 B-VG; auch in das Grundrecht auf ein faires Verfahren vor einem auf Gesetz beruhenden Gericht nach Art 6 Abs 1 EMRK). Nach ständiger Rsp des VfGH liegt eine Verlet184
Fall 5
zung dieses Grundrechts auch dann vor, wenn eine unrichtig zusammengesetzte Kollegialbehörde13 entscheidet.14
Fall 5 Vierzehn Tage vor Beginn der Hauptverhandlung lässt der Vorsitzende des Schöffengerichts V den Angeklagten A aus der Untersuchungshaft vorführen und erklärt ihm, dass er in diesem Strafverfahren bereits als Richter im Ermittlungsverfahren die Festnahme gegen A bewilligt hat. Er fragt A, ob er damit einverstanden sei, dass er trotzdem die Hauptverhandlung leite, und ob er auf Rechtsmittel dagegen verzichte. A ist einverstanden und verzichtet. Am nächsten Tag informiert V A darüber, dass der beisitzende Richter B als Journalrichter die Untersuchungshaft über ihn verhängt hat. A verzichtet auch wegen der Teilnahme des Richters B an der Hauptverhandlung auf Rechtsmittel. Die Protokolle über die zwei Gespräche werden von A in Abwesenheit seines Verteidigers unterzeichnet, der Verteidiger wird vom Vorsitzenden V zu den Gesprächen gar nicht erst eingeladen. A gibt auch zu Protokoll, er halte es nicht für notwendig, sich mit seinem Verteidiger zu besprechen. An der Hauptverhandlung nehmen V und B teil. a) Verhalten sich die Richter V und B richtig? b) Auf welches Rechtsmittel verzichtet A und ist der Verzicht wirksam? c) Welcher Verfahrensgrundsatz wird verletzt durch die Teilnahme der beiden Richter an der Hauptverhandlung? d) In welches Grundrecht des A wird eingegriffen?
Lösung a) V hat, als Richter im Ermittlungsverfahren, den Festnahmeantrag gegen A bewilligt, er ist daher vom Verfahren ausgeschlossen (§ 43 Abs 2 StPO).15 Der Journalrichter, der ständig erreichbare Richter, der den Ermittlungsrichter im Urlaub, am Wochenende usw vertritt, ist von der Hauptverhandlung ebenfalls ausgeschlossen. Mit seiner Entscheidung, ZB VfSlg 13.946/1994, 14.499/1996. Mangels Überprüfungsmöglichkeiten von gerichtlichen Entscheidungen liegen freilich keine Erkenntnisse des VfGH zur unrichtigen Zusammensetzung von Gerichten vor. 15 B/V Rz 108. 13 14
185
III. Scheil
über A die Untersuchungshaft zu verhängen, wird auch er im Ermittlungsverfahren „tätig“. Ab dem Zeitpunkt, ab dem V und B erkennen, dass sie von der Hauptverhandlung ausgeschlossen sind, müssen sie ihre Ausgeschlossenheit unverzüglich dem Gerichtsvorsteher anzeigen (§ 44 Abs 2 StPO), der dann für die Stellvertretung sorgt (§ 45 Abs 1, Abs 2 StPO).16 Und sie müssen jede weitere Tätigkeit unterlassen, so nicht, weil ein anderer Richter nicht rechtzeitig bestellt werden kann, unaufschiebbare Handlungen anstehen (§ 44 Abs 1 StPO): Den Angeklagten A zum Einverständnis mit der Teilnahme ausgeschlossener Richter an der Hauptverhandlung und zum Rechtsmittelverzicht zu bewegen und dann an der Hauptverhandlung teilzunehmen, ist gar nicht nötig. b) A verzichtet auf die Nichtigkeitsbeschwerde nach § 281 Abs 1 Z 1 StPO. Auf die Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde kann verzichtet werden (§ 285a Z 1 StPO), aber nicht – wie hier – im Vorhinein, sondern erst nach Urteilsverkündung.17 Der Verzicht, den der EGMR wegen der Begleitumstände als „questionable, to say at least“ bezeichnet,18 ist unbeachtlich, weil er nicht dem Gesetz entspricht. c) Durch die Teilnahme des Ermittlungsrichters und des Journalrichters wird der Grundsatz der Unmittelbarkeit verletzt, der Richter soll unter dem Eindruck der Hauptverhandlung entscheiden und dabei nicht von EINEMÏu6ORURTEILhÏBEEINmUSSTÏWERDEN ÏDASÏERÏSICHÏDURCHÏSEINEÏVORHERGEhende Tätigkeit im Ermittlungsverfahren gebildet hat, ja bilden musste.19 d) Es wird in das Grundrecht auf ein faires Verfahren vor einem unparteiischen und einem auf Gesetz beruhenden Gericht eingegriffen (Art 6 Abs 1 EMRK).
Fall 6 Die Staatsanwaltschaft ersucht den Richter im Ermittlungsverfahren E in einem Aufsehen erregenden Korruptionsfall, den Zeugen Z zu vernehmen. Z erscheint E auf Grund seiner Aussagen plötzlich selbst dringend verdächtig, sich an der Straftat beteiligt zu haben, wegen der die Ermittlungen geführt werden. 16 17 18 19
186
B/V Rz 109. KH 334. EGMR 25. 2. 1992 Pfeifer und Plankl gegen Österreich, ÖJZ 1992, 455 MRK-E 21. B/V Rz 56.
Fall 6
Deshalb und weil es sich bei Z um eine prominente Person handelt, von der es heißt, sie werde von der Staatsanwaltschaft zu Unrecht geschont, verhängt E über Z auf der Stelle die Untersuchungshaft wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr, ohne mit der Staatsanwaltschaft deswegen vorher Kontakt aufzunehmen. a) Warum beantragt die Staatsanwaltschaft die gerichtliche Vernehmung des Z? b) Darf E über Z die Untersuchungshaft verhängen? c) Was kann Z nach Abweisung der Haftbeschwerde durch das OLG noch tun? d) Gegen welchen verfassungsrechtlich garantierten Verfahrensgrundsatz verstößt der Richter?
Lösung a) Grundsätzlich werden Beweise nur unter den Voraussetzungen des § 104 StPO vom Gericht aufgenommen. Einer der genannten Gründe ist die Beweisaufnahme auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses (§ 101 Abs 2 StPO). Die Staatsanwaltschaft nimmt hier auf Grund des Aufsehens, den der Korruptionsfall erregt, des Bekanntheitsgrades des Z und der Gerüchte um ihre Ermittlungstätigkeit öffentliches Interesse an. Das Gericht muss über einen solchen Antrag entscheiden. b) Die Untersuchungshaft darf nur verhängt werden, wenn ein Antrag des Staatsanwalts auf Verhängung der Untersuchungshaft vorliegt (§ 173 Abs 1 StPO)20, daran mangelt es hier, E darf die Untersuchungshaft nicht verhängen. c) Nach Erschöpfung des Instanzenzuges sieht das Gesetz die Möglichkeit einer Grundrechtsbeschwerde vor (§ 1 GRBG). Die Grundrechtsbeschwerde ist hier zulässig, das Gesetz sieht nach der Entscheidung des OLG keine weitere Instanz für Haftbeschwerden vor. Die Grundrechtsverletzung besteht in der unrichtigen Anwendung des Gesetzes. E darf ohne Antrag der Staatsanwaltschaft nicht die Untersuchungshaft verhängen.21 d) E verstößt gegen den Anklagegrundsatz. Im Anklageprozess (Art 90 Abs 2 B-VG) muss das Strafverfahren durch den Antrag des Anklägers 20 21
B/V Rz 359. B/V Rz 386. 187
III. Scheil
veranlasst und begrenzt sein (§ 4 Abs 1 StPO). Das gilt auch für die Verhängung der Untersuchungshaft; s § 173 Abs 1 StPO.22
Fall 7 Der Österreicher A mit Hauptwohnsitz in Berlin und Nebenwohnsitz in Kitzbühel steht im dringenden Verdacht, im Jahr 2009 in Berlin zu Lasten zahlreicher deutscher Staatsbürger einen Betrug begangen zu HABENÏnÏ3CHADENÏCIRCAÏÏ-ILLIONÏãÏeÏÏ!BSÏ Ï!BSÏÏ:ÏÏDEUTSCHESÏ StGB; Strafdrohung: Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 10 Jahre). A bestreitet den Betrugsschaden, schließlich hätten die „angeblichen /PFERhÏ WERTHALTIGEÏ 'UTSCHEINEÏ ERHALTEN Ï F¿RÏ DIEÏ JEÏ Ï ãÏ VONÏ IHRENÏ Konten zu seinen Gunsten durch Einziehung abgebucht wurden. A entzieht sich dem Strafverfahren in Deutschland, wo über ihn die Untersuchungshaft verhängt worden ist, durch Rückkehr in sein Haus in Kitzbühel, weshalb die deutsche Justiz gegen ihn einen Europäischen Haftbefehl erlässt. Auch die österreichische Justiz verfolgt ihn wegen des Betrugs. Nach einem halben Jahr Ermittlungen durch die Kriminalpolizei wird sein Telefon überwacht. Laut dem Überwachungsprotokoll Nummer 3742 sagt A zu seinem Verteidiger: „Dann sollen den Geschädigten, die SICHÏMELDEN ÏDIEÏÏãÏEBENÏZUR¿CKGEZAHLTÏWERDENhÏ In der Wortwahl „Geschädigten“ erblickt der Einzelrichter im Ermittlungsverfahren das lange ersehnte Geständnis und verhängt über A wegen des jetzt dringenden Tatverdachts die Untersuchungshaft. Als Haftgründe nimmt er Fluchtgefahr an, weil A sich dem deutschen Strafverfahren durch Flucht entzogen habe, und Verdunkelungsgefahr, weil das österreichische Gericht noch nicht den gesamten deutschen Strafakt übermittelt erhalten habe. a) Warum ist österreichisches Strafrecht auf die Auslandstat des A anwendbar? b) Darf der Europäische Haftbefehl von der österreichischen Justiz im Jahr 2009 vollstreckt werden? c) Welches Gericht ist für die Verhängung der Untersuchungshaft im Ermittlungsverfahren zuständig? d) Ist die Verhängung der Untersuchungshaft mit dieser Begründung korrekt? e) Darf das Gericht das Protokoll der Telefonüberwachung zur Verhängung der Untersuchungshaft heranziehen? Was kann A dagegen unternehmen? 22
188
B/V Rz 22.
Fall 7
f) In welches Grundrecht hat der Einzelrichter im Ermittlungsverfahren durch Übertragung des Gesprächs zwischen A und seinem Verteidiger in Schriftform eingegriffen?
Lösung a) Nach § 65 Abs 1 Z 1 StGB gelten die österreichischen Strafgesetze, konkret §§ 146, 147 Abs 3 StGB, für diese Auslandstat des A, weil er im Tatzeitpunkt Österreicher war und weil Betrug auch im Tatortstaat Deutschland (§ 263 Abs 1, Abs 3 Z 2 deutsches StGB) mit gerichtlicher Strafe bedroht ist („aktives Personalitätsprinzip“). b) Den Europäischen Haftbefehl gegen A darf die österreichische Justiz trotz grundsätzlicher Zulässigkeit der Vollstreckung gegen österreichische Staatsbürger ab 1. 1. 2009 (§ 77 Abs 2 EU-JZG) nicht vollstrecken, weil der schwere Betrug nach den §§ 146, 147 Abs 3 StGB im Zusammenhang mit § 65 Abs 1 Z 1 StGB „dem Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze“ unterliegt (§ 5 Abs 2 EU-JZG). c) Sachlich zuständig für das Ermittlungsverfahren ist immer das Landesgericht (§ 29 Abs 1 Z 2 StPO), funktional zuständig für die Verhängung der Untersuchungshaft ist der Einzelrichter (§ 31 Abs 1 Z 2 StPO). Die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts im Ermittlungsverfahren richtet sich nach der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft (§ 36 Abs 1 StPO). Da der Tatort im Ausland liegt und da im Inland auch kein Erfolg eingetreten ist, ist die Staatsanwaltschaft für das Ermittlungsverfahren gegen A zuständig, in deren Sprengel er seinen (Neben-)Wohnsitz oder Aufenthalt hat (§ 25 Abs 2 StPO). Das ist die Staatsanwaltschaft beim Landesgericht Innsbruck, in deren Sprengel Kitzbühel liegt. Für die Verhängung der Untersuchungshaft ist daher der Einzelrichter des Ermittlungsverfahrens des Landesgerichts Innsbruck sachlich und örtlich zuständig. d) Nur weil A in einem Telefongespräch mit seinem Verteidiger den Begriff „Geschädigte“ übernimmt, mit dem ihn die Strafverfolgungsorgane seit Monaten konfrontieren, steigt nicht die Wahrscheinlichkeit, dass er überführt werden kann: An seiner Verantwortung, dass er werthaltige 'UTSCHEINEÏF¿RÏDIEÏJEWEILSÏÏãÏGEGEBENÏUNDÏDASSÏERÏDESHALBÏKEINENÏ6ERmögensschaden verursacht hat, an seinem Leugnen also, ändert dieser Begriff nichts, das ist kein Umstand, der den Tatverdacht jetzt dringend erscheinen lässt. A hat sich dem in Deutschland gegen ihn geführten Strafverfahren durch Flucht nach Österreich entzogen. Alleine daraus kann nicht abge189
III. Scheil
leitet werden, dass er sich auch dem in Österreich gegen ihn geführten Verfahren durch Flucht entziehen werde. Im Gegenteil: A hat sich durch die Rückkehr nach Österreich gleichsam unter den Schutz der österreichischen Justiz begeben. Ebenso den Denkgesetzen widerspricht die Annahme der Verdunkelungsgefahr, weil das österreichische Gericht noch nicht den gesamten deutschen Strafakt erhalten hat: A hat keinen Zugang zum deutschen Strafakt, es ist ausgeschlossen, dass er dem Akt Informationen entnehMENÏKANN ÏDIEÏERÏZURÏ"EEINmUSSUNGÏVONÏ:EUGENÏUSWÏVERWENDENÏKNNTE Ï oder dass er aus dem Akt belastendes Beweismaterial verschwinden lassen kann. Die Verhängung der Untersuchungshaft mit dieser Begründung ist daher gesetzwidrig. e) Die Staatsanwaltschaft muss die Ergebnisse der Überwachung von Nachrichten, das ist der Inhalt der übertragenen Nachrichten (§ 134 Z 5 StPO), prüfen und darf nur diejenigen Teile in Schriftform übertragen lassen und zu den Akten nehmen, die für das Verfahren von Bedeutung sind und die darüber hinaus als Beweismittel verwendet werden dürfen (§ 138 Abs 4 StPO). Ein Verteidiger hat das Recht auf Aussageverweigerung über das, was ihm in seiner Eigenschaft als Verteidiger bekannt geworden ist (§ 157 Abs 1 Z 2 StPO): Dazu gehören insbesondere vertrauliche Telefongespräche mit Mandanten wie dem Beschuldigten A. Das Aussageverweigerungsrecht des Verteidigers darf bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden (§ 157 Abs 2 StPO), auch nicht durch Überwachung der Nachrichten, die über ein Telekommunikationsnetz ausgetauscht werden – welcher der zwei Gesprächsteilnehmer wen angerufen hat und dass „nur“ der Telefonanschluss des A und nicht der des Verteidigers überwacht worden ist, spielt dabei keine Rolle. Auf das Umgehungsverbot des § 157 Abs 2 StPO verweist § 138 Abs 4 StPO bezüglich der Zulässigkeit der Übertragung der Ergebnisse der Überwachung von Nachrichten ausdrücklich und verbietet sie. Die Übertragung des Telefongesprächs zwischen A und seinem Verteidiger in Schriftform, das Zum-Akt-Nehmen des über den Inhalt des Gesprächs verfassten Protokolls und die Verwendung des Gesprächsinhalts zur Verhängung und Begründung der Untersuchungshaft waren rechtswidrig. A kann den Antrag auf Vernichtung des aufgezeichneten Gesprächs mit dem Verteidiger und des darüber verfassten Protokolls wegen Unzulässigkeit der Verwendung dieser Beweismittel stellen (§ 139 Abs 4 StPO). Und er kann seine Haftbeschwerde an das OLG (§ 174 Abs 4 StPO) gegen die Verhängung der Untersuchungshaft auch auf Gesetz190
Fall 7
widrigkeit wegen Verwertung der nichtigen Überwachungsergebnisse zur Begründung des „dringenden Tatverdachts“ stützen. f) Der Einzelrichter im Ermittlungsverfahren hat durch die rechtswidrige Übertragung des Gesprächs in Schriftform in das Grundrecht auf wirksame Verteidigung eingegriffen (Art 6 Abs 3 lit c EMRK), wozu insbesondere gehört, dass sich der Beschuldigte unüberwacht mit seinem Verteidiger besprechen darf und dass der Gesprächsinhalt auch vertraulich bleibt.
191
IV. SCHWAIGHOFER Fall 1 Die Staatsanwaltschaft legt dem Beschuldigten B in seiner Anklage zur Last, er sei in das Haus des Opfers O eingestiegen und habe 3CHMUCKÏIMÏ7ERTÏVONÏÏãÏMITGENOMMENÏ"ÏBEANTRAGTÏDIEÏ"EIgebung eines Verfahrenshelfers, weil er die Kosten eines Verteidigers nicht tragen könne. Der Antrag bleibt unerledigt, die HauptverhandLUNGÏGEGENÏ"ÏlNDETÏOHNEÏEINENÏ6ERTEIDIGERÏSTATT Ï"ÏWIRDÏANKLAGEKONform verurteilt. a) Kann B das Urteil bekämpfen, weil der Antrag nicht erledigt wurde und er deshalb in der Hauptverhandlung keinen Verteidiger hatte? Wenn ja, mit welchem Rechtsmittel? b) Wie ist obige Frage zu beantworten, wenn die Staatsanwaltschaft DEMÏ"ÏANLASTET ÏERÏHÇTTEÏDEMÏ/Ï3CHMUCKÏIMÏ7ERTÏVONÏÏãÏWEGgenommen?
Lösung a) Für die Aburteilung eines Einbruchsdiebstahls mit einem Schaden von ÏãÏISTÏDERÏEinzelrichter zuständig. In diesem Fall besteht keine notwendige Verteidigung nach § 61 Abs 1 Z 5 StPO (Ausnahme für den Einbruchsdiebstahl nach § 129 Z 1 – 3 StGB!).1 B kann das Urteil nur bekämpfen, wenn er den Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshelfers in der Hauptverhandlung wiederholt und dieser Antrag zu Unrecht abgelehnt wird (zB weil die Sach- oder Rechtslage doch schwierig ist; § 61 Abs 2 Z 4 StPO).2
1 2
B/V Rz 147. B/V Rz 148. 193
IV. Schwaighofer
Im Fall der ungerechtfertigten Ablehnung des Antrags in der Hauptverhandlung kann B das Urteil mit Berufung wegen Nichtigkeit gemäß § 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 4 StPO bekämpfen.3 b) Wenn die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten eine Schadenssumme VONÏMEHRÏALSÏÏãÏANLASTET ÏISTÏDASÏSchöffengericht zuständig. Dann muss der Beschuldigte in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten sein (§ 61 Abs 1 Z 4 StPO); das Fehlen eines Verteidigers im schöffengerichtlichen Verfahren kann mit Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 281 Abs 1 Z 1a StPO bekämpft werden.
Fall 2 Die Staatsanwaltschaft am LG Innsbruck ordnet auf Grund einer geRICHTLICHENÏ "EWILLIGUNGÏ DIEÏ &ESTNAHMEÏ DESÏ m¿CHTIGENÏ 8Ï AN Ï DERÏ IMÏ Verdacht eines Raubes nach § 142 Abs 1 StGB steht. X wird von der Kriminalpolizei am 8. 12. 2007 um 7.00 Uhr früh verhaftet. a) Wie lange darf X auf Grund dieser Anordnung in Haft gehalten werden? Welches Rechtsmittel kann X gegen die Festnahme ergreifen, wenn er sie für rechtswidrig hält? b) Was ändert sich, wenn X von der Kriminalpolizei von sich aus wegen Gefahr im Verzug festgenommen wird? Welches Rechtsmittel kann X in diesem Fall ergreifen, wenn er die Festnahme für rechtswidrig hält? c) X wird in weiterer Folge in Untersuchungshaft genommen: Wann ist die erste Haftverhandlung spätestens durchzuführen?
Lösung a) Die Festnahme des X ist durch die Staatsanwaltschaft auf Grund einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen. Der Beschuldigte ist ohne unnötigen Aufschub, längstens aber binnen 48 Stunden nach der Festnahme (also bis zum 10. 12. 2007, 7.00 Uhr) in die Justizanstalt des zuständigen Gerichts einzuliefern. Bei einer Verhaftung um 7.00 Uhr früh wird die Einlieferung jedenfalls noch am selben Tag erfolgen müssen. Die Ausnützung der 48 Stunden, um den Beschuldigten noch ausgiebig zu vernehmen, ist gesetzwidrig. 4 3 4
194
B/V Rz 495. Schwaighofer, RZ 2006, 62 (63f), B/V Rz 355; aM OGH 14 Os 150/01.
Fall 2
Grundsätzlich hat die Einlieferung in das zuständige Gericht (das wäre die Justizanstalt Innsbruck) zu erfolgen. Wenn X jedoch weit entfernt vom zuständigen Gericht (zB im Burgenland) festgenommen wurde und deshalb eine Einlieferung in die Innsbrucker Justizanstalt innerhalb der 48 Stunden nicht zu bewerkstelligen ist, kann X nach § 172 Abs 1 StPO in ein unzuständiges Gericht eingeliefert werden (bei Festnahme im Burgenland in die Justizanstalt am Landesgericht Eisenstadt).5 Das Gericht (Einzelrichter des LG) hat ab der Einlieferung 48 Stunden Zeit, den Beschuldigten zu vernehmen (§ 174 Abs 1 StPO) und über die Untersuchungshaft zu entscheiden. Innerhalb von 48 Stunden, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Einlieferung, muss das Gericht nach § 74 Abs 1 StPO entweder die Untersuchungshaft (mit Beschluss) verhängen oder den Beschuldigten enthaften.6 Wenn die Einlieferung in das unzuständige Gericht nach § 174 Abs 1 StPO erfolgte, dann kann die Vernehmung des Beschuldigten und die Verkündung des Beschlusses über die Untersuchungshaft im Wege einer Videoübertragung erfolgen (§ 172 Abs 1, 3 StPO). Ergebnis: Die Anhaltung darf im äußersten Fall vier Tage (2 x 48 Stunden) dauern. Da die Festnahme auf einer gerichtlichen Bewilligung beruht, kann X eine Beschwerde nach § 87 Abs 1 StPO ergreifen. b) Wenn die Kriminalpolizei den X von sich aus gem § 172 Abs 2 StPO festgenommen hat, so muss sie den Beschuldigten vor der Einlieferung in die Justizanstalt vernehmen und hat ihn erst dann – sofern er nicht nach § 172 Abs 1 zweiter Satz StPO sofort freizulassen ist – ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber wiederum 48 Stunden nach der Festnahme, in die Justizanstalt einzuliefern (§ 172 Abs 3 StPO). Die weitere Vorgangsweise nach der Einlieferung ist gleich wie oben bei a) beschrieben. An der zulässigen Anhaltungsdauer von maximal vier Tagen ändert sich nichts. Gegen die seines Erachtens rechtswidrige Festnahme kann X in diesem Fall (bis zur Beendigung des Ermittlungsverfahrens) Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO erheben (§ 106 Abs 1 Z 2 StPO). c) Die erste Haftfrist beträgt 14 Tage und beginnt mit der Verhängung der Untersuchungshaft (§ 175 Abs 2 Z 1 StPO; anders noch die alte StPO: ab Festnahme). Angenommen, die Untersuchungshaft wurde am 11. 12. 2007 um 12.00 Uhr verhängt, so muss die erste Haftverhand5 6
B/V Rz 355. B/V Rz 358. 195
IV. Schwaighofer
LUNGÏ SPÇTESTENSÏ AMÏ Ï Ï Ï STATTlNDENÏ UNDÏ ZEITLICHÏ SOÏ ANBERAUMTÏ werden, dass längstens um 12.00 Uhr die Entscheidung über die Fortsetzung der Untersuchungshaft getroffen wird. Der OGH 7 berechnet diese Haftfristen allerdings nach § 6 StPO, dh dass der erste Tag des Fristenlaufs, der 11. 12. 2007, nicht mitgezählt wird. Nach dieser Fristberechnung hätte das Gericht bis zum 27. 12. 2007, 24.00 Uhr Zeit, seine Entscheidung zu treffen. Denn das Ende der Frist fällt auf einen Feiertag (25. 12.) und dann folgt ein weiterer Feiertag, sodass die Frist erst am nächstfolgenden Werktag abläuft.
Fall 3 Ein Autolenker A fährt bei schlechten Straßenverhältnissen (teilweise Schneefahrbahn) mit 45 km/h durch das Stadtgebiet. Als ein Fußgänger die Fahrbahn betritt, um sie zu überqueren, bremst A sofort, die Räder blockieren jedoch und das Fahrzeug schlittert gegen den Fußgänger. Dieser wird niedergestoßen und erleidet zahlreiche Prellungen, die ihn drei Wochen berufsunfähig machen. A wird wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB verurteilt. Die Geschwindigkeitsüberschreitung von 15 km/h stelle ein schweres Verschulden dar; denn laut verkehrstechnischem Sachverständigen wäre bei den gegebenen Verhältnissen eine Geschwindigkeit von höchstens 30 km/h zulässig gewesen. Sie sind Rechtsanwalt und A kommt am Donnerstag, den 25. 10. 2007, zu Ihnen. Er will gegen das Urteil etwas unternehmen, weil er der Meinung ist, er sei ohnehin viel langsamer gefahren als der Sachverständige festgestellt hat, und außerdem sei der Fußgänger so plötzlich auf die Fahrbahn getreten, dass er auch mit 30 km/h keine Chance gehabt hätte, den Unfall zu verhindern. A teilt Ihnen allerdings mit, dass er sofort nach der Urteilsverkündung am Dienstag, den 23. 10. 2007, dummerweise auf Rechtsmittel verzichtet hat. a) Können Sie noch etwas für A tun? b) Können Sie ein Rechtsmittel ergreifen? Wenn ja, aus welchen Gründen?
Lösung a) Die fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB fällt in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts. Ein Rechtsmittelverzicht, der un7
196
EvBl 1994/139.
Fall 3
mittelbar nach Urteilsverkündung in Abwesenheit eines Verteidigers abgegeben wird, ist nach § 57 Abs 2 StPO unwirksam.8 Der Beschuldigte bzw Sie als Verteidiger haben daher noch die Möglichkeit, innerhalb von drei Tagen nach Urteilsverkündung ein Rechtsmittel anzumelden. Da das Ende der 3-tägigen Anmeldefrist auf Freitag, den 26. 10. 2007 (Feiertag), fällt und sich daran ein Samstag und ein Sonntag anschließen, endet die Anmeldefrist erst am Montag, den 29. 10. 2007, um 24 Uhr. Für die Ausführung des Rechtsmittels besteht dann gemäß § 467 Abs 1 StPO eine Frist von vier Wochen ab Zustellung der Urteilsausfertigung (nicht ab Anmeldung!).9 b) Im bezirksgerichtlichen Verfahren steht das Rechtsmittel der (vollen) Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld, Strafe sowie wegen der privatrechtlichen Ansprüche gemäß § 464 StPO zur Verfügung. Wenn Sie geltend machen wollen, dass A in Wahrheit gar nicht 45 km/h, sondern viel langsamer gefahren sei, dann bekämpfen Sie die Feststellungen (und die Beweiswürdigung) des Bezirksgerichts, die vor allem auf dem Sachverständigengutachten beruhen. In diesem Fall ist eine Schuldberufung gemäß § 464 Z 2 StPO zu ergreifen.10 Eine Nichtigkeitsberufung nach § 468 Abs 1 Z 3 iVm § 281 Abs 1 Z 5 StPO käme nur in Betracht, wenn die Feststellung, A sei mit 45 km/h gefahren, offenbar unzureichend begründet wäre, also etwa nur mit dem Sachverständigengutachten, obwohl noch andere Beweismittel zur Verfügung standen (zB die Aussage des Beschuldigten oder eines Zeugen wurde ignoriert).11 Der Sachverhalt gibt für derartige Spekulationen aber nichts her. Alternativ soll geltend gemacht werden, dass – selbst wenn A schneller als 30 km/h gefahren sein sollte – auch bei Einhaltung der noch zulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h der Unfall ebenfalls nicht zu verhindern gewesen wäre. In diesem Fall wird geltend gemacht, dass durch das sorgfaltswidrige Verhalten das Risiko gegenüber einem hypothetischen rechtmäßigen Alternativverhalten nicht erhöht wurde, was die objektive Zurechnung des Erfolges ausschließen würde und zu einem Freispruch des A führen müsste.12 Dies ist durch eine Nichtigkeitsberufung gemäß § 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 9a StPO geltend zu machen.13
B/V Rz 141. B/V Rz 490. 10 B/V Rz 578. 11 B/V Rz 502, 577. 12 Fuchs AT I 13. Kap Rz 52ff, K/H AT Z 27 Rz 16f. 13 B/V Rz 511f, 577. 8 9
197
IV. Schwaighofer
Es könnte auch die Beurteilung des Fahrens mit 45 km/h als schweres Verschulden bekämpft werden. Bei Fahrlässigkeitsdelikten sollte nur ein extremes Verschulden (Fälle des § 81 StGB) die Anwendung der Diversion nach § 198 StPO ausschließen. Sie könnten also geltend machen, dass das Bezirksgericht zu Unrecht nicht von den Bestimmungen gemäß §§ 198ff StPO Gebrauch gemacht hat. Dies geschieht mit einer Nichtigkeitsberufung nach § 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 10a StPO.14
Fall 4 Frau F erfährt, dass ihr Mann M ihr untreu war, und sie beschließt sich zu rächen: Sie geht zur Polizei und gibt dort (wahrheitsgemäß) an, ihr Mann habe sie unlängst geschlagen und ihr angedroht, sie noch viel schlimmer zu verprügeln, falls sie die Wohnung verlasse. M habe sie so das ganze Wochenende in der Wohnung festgehalten. Der Beamte nimmt ein Protokoll über ihre Aussage auf. Es kommt zur Hauptverhandlung gegen M; inzwischen hat sich das Paar aber wieder ausgesöhnt und die Frau will ihrem Mann jetzt nicht mehr schaden. a) Was kann die Frau tun? Ist das Polizeiprotokoll in der Hauptverhandlung verwertbar? b) Was kann die Frau tun, wenn sie in der Anzeige ihren Mann beschuldigt hat, er habe sie zu einem Geschlechtsverkehr gezwungen? Welches Gericht ist in diesem Fall sachlich zuständig?
Lösung a)Ï$IEÏ6ERHANDLUNGÏlNDETÏGEMÏeÏÏ!BSÏÏ:ÏÏ3T0/ÏVORÏDEMÏEinzelrichter statt (Vorwurf einer Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB; die Nötigung zur Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung wird konsumiert). Wenn die Frau dem Mann gem § 31 Abs 4 Z 1 StPO nicht mehr schaden will, dann kann sie von ihrem Aussagebefreiungsrecht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO Gebrauch machen. Dann darf das Polizeiprotokoll bei sonstiger Nichtigkeit nicht verlesen und auch im Urteil nicht verwertet werden. Die Verlesung wäre nur zulässig, wenn Frau F im Ermittlungsverfahren gemäß § 165 StPO kontradiktorisch vernommen wurde (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO).15 14 15
198
B/V Rz 496, 577. B/V Rz 242, 254, 452f.
Fall 5
Wenn es trotz der berechtigten Aussageverweigerung zur Verlesung des Protokolls und zur Verwertung im Urteil kommt, verletzt das Gericht die mit Nichtigkeit bedrohte Vorschrift des § 252 Abs 1 Z 2a StPO. Dieser Fehler kann im einzelrichterlichen Verfahren mit einer Berufung wegen Nichtigkeit gemäß § 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 3 StPO (§ 468 Abs 1 Z 3 StPO) bekämpft werden.16 b) Seit dem StRÄG 2004 sind die Vergewaltigung und die geschlechtLICHEÏ .TIGUNGÏ ZWISCHENÏ %HEGATTENÏ LEIDER Ï REINEÏ /FlZIALDELIKTEÏ $IEÏ Frau kann daher, um eine Verurteilung abzuwenden, wiederum nur von ihrem Aussagebefreiungsrecht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO Gebrauch machen. Nach der früheren Rechtslage handelte es sich hingegen um Antragsdelikte. Wenn die Frau dem Mann nicht mehr schaden wollte, brauchte sie den Verfolgungsantrag bloß wieder zurückzuziehen. Dann musste M freigesprochen werden (Formalfreispruch gemäß § 259 Z 1 StPO).17 In diesem Fall wird die Verhandlung vor dem Schöffengericht stattlNDEN ÏWEILÏESÏUMÏDENÏ6ORWURFÏEINERÏ6ERGEWALTIGUNGÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏ StGB geht (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO).
Fall 5 Die 12-jährige M behauptet in einer Anzeige bei der Polizei, der Nachbar N habe sie sexuell missbraucht. Das Gericht setzt auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine kontradiktorische Vernehmung der M unter beschränkter Beteiligung der Parteien an. Doch auf alle Fragen, die ihr gestellt werden, antwortet sie nur, sich an nichts mehr erinnern zu können. a) Welches Gericht ist für die Hauptverhandlung gegen N sachlich zuständig? b) Kann M, wenn sie zur Hauptverhandlung vorgeladen wird, dort die Aussage verweigern? c) Wenn M in der Hauptverhandlung die Aussage verweigert: Darf ihre Aussage vor der Polizei verlesen und verwertet werden?
Lösung a) Dem N wird ein (schwerer) sexueller Missbrauch von Unmündigen nach § 206 oder § 207 StGB vorgeworfen. Für die Hauptverhandlung we16 17
B/V Rz 493, 577, 591. B/V Rz 471. 199
IV. Schwaighofer
gen dieses Delikts ist das Schöffengericht zuständig: entweder schon auf Grund der Strafdrohung (§ 206 StGB) oder sonst gemäß § 31 Abs 3 Z 4 StPO. b) Nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO ist ein unmündiges Kind, das Opfer einer Sexualstraftat geworden sein könnte, von der Aussage befreit, sofern die Parteien bereits Gelegenheit hatten, sich an einer (gerichtlichen) kontradiktorischen Vernehmung gemäß § 165 StPO zu beteiligen.18 Da M bei dieser Vernehmung aber bloß antwortet, sich an nichts mehr erinnern zu können (das ist der Sache nach eine Verweigerung der Aussage), ist M in der Hauptverhandlung nicht von der Aussage befreit. Es handelte sich nur formal um eine Vernehmung iSd § 165 StPO; inhaltlich hatten die Parteien aber keine Gelegenheit ihr Fragerecht auszuüben.19 c) Die Aussage des Mädchens vor der Polizei darf verlesen und verwertet werden, wenn das Mädchen die Aussage berechtigt verweigert und die Parteien sich an einer kontradiktorischen Vernehmung beteiligen konnten (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO).20 Da M von der Aussage nicht befreit ist, kommt nach dieser Bestimmung eine Verlesung und Verwertung nicht in Betracht. Die Verlesung könnte auf § 252 Abs 1 Z 3 StPO gestützt werden, wenn das Mädchen in der Hauptverhandlung vorgeladen wurde und das Zeugnis unberechtigt verweigert.21 Das ist hier der Fall. Allerdings verLETZTÏEINEÏ6ERURTEILUNG ÏDIEÏAUSSCHLIELICHÏOHNEÏmANKIERENDEÏ"EWEISE Ï auf der Aussage des Mädchens vor der Polizei beruht, ohne dass der Beschuldigte bzw sein Verteidiger das Fragerecht ausüben konnten, den Grundsatz des fairen Verfahrens gem Art 6 EMRK.22 Der Verteidiger sollte der Verlesung widersprechen, um den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO geltend machen zu können.
Fall 6 X hat mit der Bankomatkarte seiner Mutter, deren Code er kennt, OHNEÏDERENÏ7ISSENÏÏãÏBEHOBENÏ$ASÏ"EZIRKSGERICHTÏVERURTEILTÏIHNÏ dem Strafantrag des Bezirksanwalts entsprechend wegen Diebstahls nach § 127 StGB. 18 19 20 21 22
200
B/V Rz 254. Vgl B/S BT II §§ 288–291 Rz 7. Näher B/V Rz 452f. B/V Rz 454. Schwaighofer, Moos-FS 320 FN 31.
Fall 7
X liest im Lehrbuch von Bertel/Schwaighofer nach und stellt fest, dass derartige Handlungen in Wahrheit unter § 148a StGB zu subsumieren sind. a) Mit welchem Rechtsmittel muss X diesen Fehler geltend machen? b) Wie wird das Rechtsmittelgericht entscheiden?
Lösung a) X will in seinem Rechtsmittel die falsche rechtliche Subsumtion (§ 127 StGB statt § 148a StGB) bekämpfen. Das geschieht im bezirksgerichtlichen Verfahren mit einer Berufung wegen Nichtigkeit gemäß § 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 10 StPO.23 Da die Tat zum Nachteil der Mutter begangen wurde, handelt es sich überdies gemäß § 166 Abs 3 StGB um ein Privatanklagedelikt, sodass der Bezirksanwalt kein berechtigter Ankläger ist.24 Das Urteil ist daher nach § 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 9c StPO nichtig.25 Dieser materielle Nichtigkeitsgrund ist von Amts wegen nach § 477 Abs 1 StPO wahrzunehmen und X gemäß § 259 Z 1 StPO freizusprechen.26 b) Das Rechtsmittelgericht würde sich vermutlich an der herrschenden Judikatur des OGH orientieren, die in einem solchen Fall einen Diebstahl nach § 127 StGB zum Nachteil der Bank annimmt; daher hätte X im Rechtsmittelverfahren vermutlich keinen Erfolg.
Fall 7 Die Staatsanwaltschaft hat gegen X wegen einer strafbaren Handlung Anklage erhoben: a) beim Bezirksgericht b) beim Einzelrichter c) beim Schöffengericht. Der Akt wird dem Bezirksrichter/Einzelrichter/Vorsitzenden des Schöffengerichts vorgelegt; dieser stellt – noch vor der Hauptverhandlung – fest, dass das angerufene Gericht örtlich unzuständig ist. Was kann/muss der Richter tun bei Variante a), b) und c)? 23 24 25 26
B/V B/V B/V B/V
Rz Rz Rz Rz
511f, 577. 471. 512, 577. 522, 582. 201
IV. Schwaighofer
Lösung a) Wenn der Bezirksrichter vor der Hauptverhandlung seine örtliche Unzuständigkeit entdeckt, dann stellt er mit Beschluss die Unzuständigkeit des Bezirksgerichts fest und tritt das Verfahren dem zuständigen Bezirksgericht ab (sinngemäße Anwendung des § 450 StPO).27 Das Urteil eines örtlich unzuständigen Bezirksgerichts ist nichtig (§ 468 Abs 1 Z 1 StPO). b) Wenn der Einzelrichter glaubt, für die Strafsache örtlich nicht zuständig zu sein, so hat er in sinngemäßer Anwendung des § 450 StPO seine Unzuständigkeit festzustellen und das Verfahren dem zuständigen Landesgericht abzutreten (§ 485 Abs 1 Z 1 StPO idF StPRefBeglG I-Entw). c) Im schöffengerichtlichen Verfahren tritt mit Rechtswirksamkeit der Anklageschrift die sogenannte „perpetuatio fori“ ein, dh die örtliche Unzuständigkeit kann nach diesem Zeitpunkt nicht mehr wahrgenommen werden (§ 212 Abs 5 StPO).
Fall 8 A ist wegen schweren Betruges gemäß §§ 146, 147 Abs 2 StGB angeklagt. Weil er trotz ordnungsgemäß zugestellter Ladung zur Hauptverhandlung nicht erscheint, verhandelt der Einzelrichter in Abwesenheit. In der Hauptverhandlung ergibt sich – entgegen der Verantwortung des A bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren –, DASSÏ DIEÏ URSPR¿NGLICHÏ MITÏ Ï ãÏ BEZIFFERTEÏ 3CHADENSSUMMEÏ WEITÏ HHERÏISTÏUNDÏRUNDÏÏãÏBETRÇGTÏ!ÏWIRDÏINÏ!BWESENHEITÏWEGENÏ §§ 146, 147 Abs 3 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. a) Ist das Urteil gesetzmäßig zustande gekommen? b) Was kann A gegen dieses Urteil tun?
Lösung a) Das Urteil ist nicht gesetzmäßig: Da die Schadenssumme mehr als Ï ãÏ BETRÇGTÏ UNDÏ DERÏ "ETRUGÏ NACHÏ eeÏ Ï Ï !BSÏ Ï 3T'"Ï MITÏ BISÏ zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, handelt es sich um ein Verbrechen, über das nicht in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt werden darf: Das Gericht hat daher gegen § 427 Abs 1 StPO verstoßen.28 27 28
202
B/V Rz 570. B/V Rz 590.
Fall 9
Davon abgesehen fällt die Hauptverhandlung wegen schweren Betruges nach § 147 Abs 3 StGB in die Zuständigkeit des Schöffengerichts (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO). b) Der Verurteilte kann gegen dieses Urteil binnen 14 Tagen Einspruch nach § 427 Abs 3 StPO erheben. Im Einspruch kann er geltend machen, dass er auf Grund eines unabweisbaren Hindernisses nicht in der Lage war, zur Hauptverhandlung zu erscheinen.29 Mit dem Einspruch kann der Angeklagte eine Berufung wegen Nichtigkeit erheben. Wegen der Verletzung des § 427 StPO kann der Verurteilte den Nichtigkeitsgrund nach § 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 3 StPO geltend machen.30 Dass anstelle des Einzelrichters das Schöffengericht hätte entscheiden müssen, der Einzelrichter es also verabsäumt hat, ein Unzuständigkeitsurteil zu fällen, kann als nicht gehörige Besetzung des Gerichts (§ 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 1 StPO) geltend gemacht werden, sofern der Fehler rechtzeitig gerügt wurde. Denkbar wäre auch die analoge Anwendung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 6 StPO. Nach dem StPRefBeglG I-Entw ist die örtliche und sachliche Unzuständigkeit des Einzelrichters kein eigener Nichtigkeitsgrund mehr, weil § 489 Abs 1 StPO nun auf § 281 StPO und nicht mehr auf § 468 Abs 1 Z 1 und 2 StPO verweist.
Fall 9 A ist wegen einer strafbaren Handlung angeklagt: a) beim Bezirksgericht b) beim Einzelrichter c) beim Schöffengericht. Der zuständige Richter (Vorsitzende) gelangt nach Studium des Aktes – noch vor der Hauptverhandlung – zur Auffassung, dass die Tat bereits verjährt sei. Was kann/wird der Richter tun in Variante a), b) und c)?
Lösung a) Wenn der Bezirksrichter noch vor der Hauptverhandlung feststellt, dass die angeklagte Tat bereits verjährt ist, wird er das Verfahren nach § 451 Abs 2 StPO mit Beschluss einstellen. Der Staatsanwalt kann dagegen eine Beschwerde ergreifen (§ 87 StPO). 29 30
B/V Rz 670f. B/V Rz 590f. 203
IV. Schwaighofer
b) Der Einzelrichter hat die Verjährung ebenfalls selbst wahrzunehmen: Er hat den Strafantrag mit Beschluss zurückzuweisen und das Verfahren einzustellen (§ 485 Abs 1 Z 3 iVm § 212 Z 1 StPO). c) Im schöffengerichtlichen Verfahren kann der Vorsitzende die seines Erachtens eingetretene Verjährung nicht selbst wahrnehmen. Diesen Umstand hätte der Beschuldigte in einem Einspruch gegen die Anklageschrift nach § 212 Z 1 StPO geltend machen können und sollen.31 Wenn das nicht geschehen und die Anklage bereits rechtswirksam geworden ist, muss der Vorsitzende die Hauptverhandlung anordnen.32 Dort wird er gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen werden.
Fall 10 Der Angeklagte A wird wegen schwerer Körperverletzung verurteilt: Er hat seinen Kontrahenten, der ihn als „schwule Sau“ bezeichnet hatte, mit der Faust niedergeschlagen und ihn dadurch schwer verletzt. Das Gericht verhängt im Hinblick auf 15 einschlägige Vorstrafen eine unbedingte Freiheitsstrafe von vier Monaten. Nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung sagt A: „Das Urteil lass’ ich mir nicht gefallen, ich geh’ nicht ins Gefängnis!“ und verlässt den Sitzungssaal. Ein Schriftsatz des Angeklagten langt bei Gericht nicht mehr ein. a) Hat A gültig ein Rechtsmittel eingelegt? b) Wie hat das Rechtsmittelgericht darauf zu reagieren?
Lösung a) A wurde nach § 84 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Sachlich zuständiges Gericht war ein Einzelrichter (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO). A war offensichtlich nicht durch einen Verteidiger vertreten. Seine Äußerung, er lasse sich dieses Urteil nicht gefallen, ist dem Sinn nach eine (volle) Berufung (§ 489 Abs 1 iVm § 464 StPO), die gleich nach der Urteilsverkündung angemeldet wurde. Die Äußerung lässt erkennen, dass A mit dem Urteil nicht einverstanden ist; somit liegt eine gültige Rechtsmittelanmeldung vor. 31 32
204
B/V Rz 421. B/V Rz 420.
Fall 11
b) A hätte das Recht, die Berufung binnen vier Wochen nach Zustellung einer Urteilsausfertigung auszuführen (§ 489 Abs 1 iVm § 467 Abs 1 StPO). Der Beschwerdeführer muss entweder in der Anmeldung oder in der Ausführung deutlich erklären, durch welche Punkte er sich beschwert erachtet und welche Nichtigkeitsgründe er geltend macht, sonst ist auf das Rechtsmittel keine Rücksicht zu nehmen (§ 489 Abs 1 iVm § 467 Abs 2 StPO). Eine Rechtsmittelausführung langt jedoch nicht ein. A hat im vorliegenden Fall keinen Nichtigkeitsgrund näher bezeichnet, daher ist auf die Nichtigkeitsberufung nicht einzugehen. Wohl aber reicht A’s Äußerung gleich nach der Urteilsverkündung aus, dass das Rechtsmittelgericht auf die Schuld- und Strafberufung eingehen muss: Mit seiner Äußerung, sich das Urteil nicht gefallen zu lassen, bekämpft er die Richtigkeit (der Feststellungen) des Urteils und auch das Strafausmaß. Im Übrigen schließt die Schuldberufung die Strafberufung mit ein (§ 467 Abs 3 StPO). Eine nähere Ausführung dieser beiden Rechtsmittel ist nicht nötig.33 Das OLG darf daher die Berufung nicht als unzulässig zurückweisen, sondern muss über die Schuld- und Strafberufung auf einem Gerichtstag entscheiden (§ 489 Abs 1 iVm § 471 Abs 1).
Fall 11 A war Leiter der Wertpapierabteilung einer Bank. In dieser Funktion schloss er hoch riskante Spekulationsgeschäfte ab, die zu erheblichen Verlusten führten. Um diese Verluste auszugleichen, vervielfachte er den Einsatz und das Risiko, bis die Verluste für die Bank einige MilLIONENÏãÏERREICHTENÏ$IEÏ"ANKÏERSTATTETEÏ!NZEIGE Variante a: Die Staatsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren gegen A wegen Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB ein. Die Bank schließt sich dem Verfahren als Privatbeteiligte an. Nach Durchführung mehrerer Vernehmungen stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen fehlenden Schädigungsvorsatzes nach § 190 StPO ein. Der Beschuldigte und die Bank werden davon gemäß § 194 StPO verständigt. Variante b: Die Staatsanwaltschaft bringt eine Anklageschrift wegen § 153 Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB ein, tritt aber, bevor es zur Anberaumung einer Hauptverhandlung kommt, gemäß § 72 Abs 1 StPO von der Anklage zurück. 33
B/V Rz 578, 582. 205
IV. Schwaighofer
Variante c: A wird vom Schöffengericht von der Anklage wegen UnTREUEÏFREIGESPROCHENÏDIEÏ"ANKÏWIRDÏMITÏIHRERÏ&ORDERUNGÏVONÏÏ-IOÏãÏ auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Variante d: A wird der Anklage entsprechend verurteilt. Die Bank wird mit ihren privatrechtlichen Ansprüchen jedoch auf den Zivilrechtsweg verwiesen, weil die genaue Feststellung der Schadenssumme zu aufwändig wäre. Welche Möglichkeiten hat die Bank, im Strafverfahren doch Schadenersatz zu erlangen?
Lösung Variante a: Die Bank ist Opfer iSd § 65 Z 1 lit c StPO, weil sie durch die Tat des A einen Schaden erlitten haben könnte, und hat daher die allgemeinen Opferrechte gemäß § 66 Abs 1 StPO. Weiters ist die Bank durch ihre Anschlusserklärung Privatbeteiligte gemäß § 67 StPO geworden (s § 69 Abs 1 StPO). Dadurch hat sie zusätzlich das Recht, die Aufnahme von Beweisen zu beantragen, um Staatsanwaltschaft und Gericht von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen und ihren Schadenersatzanspruch durchzusetzen (§ 67 Abs 6 Z 1 StPO).34 Wenn die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren einstellt, hat die Bank das Recht, die Fortführung des Verfahrens zu verlangen (§ 66 Abs 1 Z 8 StPO, § 195 Abs 1 StPO), um einen Schuldspruch und den Zuspruch von Schadenersatz zu erreichen (§ 366 Abs 2 StPO).35 Variante b: Wenn die Staatsanwaltschaft erst nach Einbringung der Anklage vor ihr zurücktritt, kann die Bank als Privatbeteiligte gemäß § 72 Abs 1 StPO Subsidiaranklage erheben. Sie muss binnen 14 Tagen, nachdem sie vom Rücktritt von der Anklage verständigt wurde, die Erklärung abgeben, die Anklage aufrecht zu erhalten (§ 72 Abs 3 StPO).36 Durch diese rechtzeitige Erklärung kommt es zu einer Hauptverhandlung, in der die Bank wiederum durch geeignete Anträge versuchen kann, ihre Rechte durchzusetzen und einen Schuldspruch und die Verurteilung des A zum Ersatz des Schadens zu erwirken. Nach § 245 Abs 1a StPO idF StPRefBeglG I-Entw ist der Angeklagte auch über die gegen ihn erhobenen privatrechtlichen Ansprüche zu vernehmen und zur Erklärung aufzufordern, ob und in welchem Umfang er sie anerkennt (§ 69 Abs 2 StGB). 34 35 36
206
B/V Rz 161. B/V Rz 165. B/V Rz 168.
Fall 11
Variante c: Ab 1. 1. 2008 hat der Privatbeteiligte das Recht, gegen einen Freispruch des Schöffengerichts Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 281 Abs 1 Z 4 StPO zu ergreifen (§ 282 Abs 2 StPO idF StPRefBeglG I-Entw). Voraussetzung dafür ist, dass die Bank einen auf die Geltendmachung ihrer privatrechtlichen Ansprüche gerichteten Antrag in der Hauptverhandlung gestellt hat, der zu Unrecht abgelehnt wurde. Variante d: Wenn die Bank als Privatbeteiligte trotz Verurteilung auf den Zivilrechtsweg verwiesen wird (§ 366 Abs 1 und 2 StPO), so steht ihr das Rechtsmittel der Berufung zu (§ 366 Abs 3, § 283 Abs 1 und 4 StPO). In der Berufung muss die Bank geltend machen, dass über den privatrechtlichen Anspruch ohne erheblich verzögernde Beweisaufnahme hätte entschieden werden können (§ 366 Abs 3 StPO).37
37
B/V Rz 164. 207
V. VENIER Fall 1 A hat zusammen mit B einen Einbruchsdiebstahl in Linz, später allein einen räuberischen Diebstahl in Innsbruck und zuletzt einen Einbruchsdiebstahl in Wien begangen. Die Polizei nimmt A in Wien fest. a) Wer hat das Ermittlungsverfahren gegen A und B zu führen? b) Welches Gericht führt das Hauptverfahren?
Lösung a) Das Ermittlungsverfahren führt in erster Linie der Staatsanwalt des Tatorts (§ 25 Abs 1 StPO). Im vorliegenden Fall gibt es jedoch drei Tatorte, wobei die Taten nach § 26 Abs 1 StPO zusammenhängen: A und B sind an derselben Tat beteiligt, A hat außerdem mehrere Taten begangen. Da A und B jeweils unmittelbare Täter sind, entscheidet nach § 26 Abs 2 StPO das Zuvorkommen, dh derjenige Staatsanwalt ist zuständig, der zuerst in einer der Strafsachen tätig geworden ist, indem er zB die Verhängung der Untersuchungshaft beantragt hat.1 So ist der Staatsanwalt in Wien auch für die in Linz und Innsbruck begangenen Taten zuständig. Der Staatsanwalt in Wien kann freilich die Strafsachen nach § 27 StPO trennen und den in Innsbruck begangenen räuberischen Diebstahl nach Innsbruck, den in Linz begangenen Einbruchsdiebstahl nach Linz abtreten.2 Trennung und Abtretung wirken nur für das Ermittlungsverfahren. b) Für das Hauptverfahren richtet sich die Zuständigkeit nach folgenden Grundsätzen: Für Einbruchsdiebstahl ist der Einzelrichter des LG (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO), für räuberischen Diebstahl das Schöffen1 2
B/V Rz 85. B/V Rz 86f. 209
V. Venier
gericht (§ 31 Abs 3 Z 3 StPO) sachlich zuständig. Örtlich zuständig ist das Tatortgericht (§ 36 Abs 3 StPO). Zusammenhängende Strafsachen sind in einem Hauptverfahren zu erledigen (§ 37 Abs 1 StPO). Dieses 6ERFAHRENÏlNDETÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏ3T0/ vor dem Gericht höherer Ordnung statt, gemeint ist das örtlich zuständige Gericht höherer Ordnung,3 hier das Schöffengericht in Wien. Es entscheidet auch über die in Linz und Innsbruck begangenen Einbruchsdiebstähle.4
Fall 2 Der Einzelrichter des LG entdeckt bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung, dass er im Ermittlungsverfahren über einen Einspruch des Beschuldigten wegen Rechtsverletzung entschieden hat. Er ruft daraufhin den Verteidiger an und fragt ihn, ob dieser etwas dagegen habe, dass er die Hauptverhandlung durchführe. Der Verteidiger hat nichts dagegen. Der Richter führt die Hauptverhandlung durch und verurteilt den Beschuldigten. a) War die Durchführung der Hauptverhandlung zulässig? b) Wenn nein, kann der Verteidiger das Urteil deswegen anfechten?
Lösung a) Der Einzelrichter war schon „im Ermittlungsverfahren tätig“, weil er über einen Einspruch nach § 106 StPO entschieden hat. Er ist daher von der Durchführung der Hauptverhandlung ausgeschlossen (§ 43 Abs 2 StPO).5 Der Verzicht des Verteidigers ist rechtlich unbeachtlich, weil die Unvoreingenommenheit des erkennenden Gerichts (auch) im öffentlichen Interesse liegt (§ 3 Abs 2 StPO), außerdem ist ein Verzicht auf die Geltendmachung von Ausschließungsgründen im Gesetz nicht vorgesehen. Der Richter hätte seine Ausgeschlossenheit dem Gerichtspräsidenten anzeigen müssen (§ 44 Abs 2 StPO). In der Hauptverhandlung hätte er sich selbst für ausgeschlossen erklären müssen.6 b) Die Ausgeschlossenheit ist ein Nichtigkeitsgrund nur, wenn sie der Verteidiger sofort zu Beginn der Hauptverhandlung geltend macht (§ 281 Abs 1 Z 1, § 489 Abs 1 StPO). Das ist nicht geschehen. So wird der Nichtigkeitsberufung des Verteidigers in diesem Punkt kein Erfolg beschieden sein. 3 4 5 6
210
EBRV 25 BlgNR 22. GP 57. Vgl B/V Rz 99. B/V Rz 108. Vgl B/V Rz 109.
Fall 3
Fall 3 A wird in Innsbruck um 1.00 Uhr nachts in der Nähe des Tatorts und im Besitz von Einbruchswerkzeug angetroffen. Die Polizei nimmt ihn mit auf die Dienststelle und will mit der Vernehmung beginnen. A fragt, ob er seinen Verteidiger V, der auch ein guter Freund von ihm sei, verständigen dürfe. Die Beamten lassen A telefonieren, A erreicht V aber nicht. Nach drei weiteren Versuchen meldet sich der schlaftrunkene V und sagt zu, gleich loszufahren, A solle inzwischen nichts sagen. Als die Beamten erfahren, dass V von Salzburg anreisen muss, drängen sie A, gleich auszusagen: Sie würden sehr ungern warten, bis V endlich in Innsbruck eintreffe. A sei auf Grund der Indizien so gut wie überführt, da könne auch der beste Verteidiger nichts ausrichten, ein Geständnis würde allen die Sache erleichtern und A bei Gericht eine erheblich mildere Strafe eintragen. A legt daraufhin ein Geständnis ab. a) Haben sich die Beamten gesetzmäßig verhalten? b) Was kann V unternehmen, wenn er der Meinung ist, die Beamten hätten sich nicht richtig verhalten?
Lösung a) Die Mitnahme auf die Dienststelle ist eine Festnahme. Die Polizei darf sie von sich aus durchführen, da A offenbar unmittelbar nach der Tat mit Gegenständen (hier Tatwerkzeug) betreten wird, die auf seine Täterschaft hinweisen (§ 171 Abs 2 Z 1 iVm § 170 Abs 1 Z 1 StPO). Die Polizei muss den Festgenommenen sofort, also noch auf der Straße, nach § 171 Abs 3 StPO belehren.7 Ob sie das getan hat, lässt der Sachverhalt offen. Und sie muss ihn „unverzüglich“ zu den Haftvoraussetzungen vernehmen (§ 172 Abs 2 StPO), vorher freilich nach § 164 Abs 1 StPO belehren. Ob das geschehen ist, ist ebenfalls nicht klar.8 Immerhin lässt die Polizei den Beschuldigten seinen Verteidiger anrufen (§ 171 Abs 3 Z 1 StPO), und sie ist anscheinend sogar bereit, eine gewisse Zeit auf sein Eintreffen zu warten. Der Beschuldigte hat nach § 164 Abs 2 StPO zwar das Recht, seiner Vernehmung einen Verteidiger beizuziehen, aber wie lange die Polizei die Vernehmung aufschieben muss oder darf, sagt das Gesetz nicht. Nach § 172 Abs 2 StPO müsste die Vernehmung sogar unverzüglich erfolgen. Dass die Polizei eine gewisse Zeit auf Wunsch und im Interesse des Festgenommenen mit der Verneh7 8
B/V Rz 351, 349. B/V Rz 352. 211
V. Venier
mung wartet, kann man freilich nicht als „Verzug“ ansehen. Zwei Stunden Aufschub – so lange ungefähr dauert die Autofahrt von Salzburg nach Innsbruck – dürfte allerdings nicht leicht zu rechtfertigen sein. Man kann den Beamten schwerlich einen Vorwurf machen, wenn sie nicht so lange warten wollen. Der Verteidiger hat in dieser Situation das einzig Richtige getan, indem er dem Beschuldigten geraten hat, vorerst nichts zu sagen. Bedenklicher ist das Drängen der Polizei. Der Beschuldigte braucht nicht auszusagen, eben darüber mussten ihn die Beamten nach § 164 Abs 1 StPO informieren. Die Polizei verspricht dem Beschuldigten nichts, das wäre nach § 164 Abs 4 StPO jedenfalls unzulässig; sie stellt seine Lage „nur“ als völlig aussichtslos dar und macht ihm dann Hoffnung auf eine milde Strafe, falls er ein Geständnis ablege. Diese Taktik ist hart an der Grenze des noch Zulässigen.9 b) Der Verteidiger kann einen Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO erheben; freilich hat er nur Erfolg, wenn der Beschuldigte in einem prozessualen Recht verletzt worden ist.10 Das ist nach dem oben Gesagten aus dem Sachverhalt kaum herauszulesen.
Fall 4 Der Beschuldigte wird von der Kriminalpolizei vernommen; hinterher begehrt er Akteneinsicht, weil er sich ein Bild von den Ermittlungen machen möchte. Die Polizei lehnt ab, weil nur der Verteidiger Akteneinsicht erhalte. So spricht der Verteidiger bei der Polizei vor und möchte Einsicht in den Akt nehmen. Die Polizei verweigert sie ihm kategorisch, weil noch nicht alle Zeugen vernommen seien. Der Verteidiger wendet sich daraufhin telefonisch an den Staatsanwalt und bittet ihn, der Polizei anzuordnen, sie möge ihm, dem Verteidiger, doch endlich Akteneinsicht gewähren. Der Staatsanwalt meint, das könne er nicht, bevor er nicht selbst den Akt studiert habe. a) Durfte die Polizei die Akteneinsicht verweigern? b) Hat der Staatsanwalt richtig gehandelt? c) Wie kann der Verteidiger sich zur Wehr setzen?
Lösung a) Wenn der Beschuldigte schon einen Verteidiger hat, „übt“ dieser „die Verfahrensrechte aus, die dem Beschuldigten zustehen“ (§ 57 Abs 2 9 10
212
B/V Rz 263. B/V Rz 210.
Fall 4
StPO), dh die Polizei braucht – wie übrigens im alten Recht (§ 45 Abs 2 StPO alt) – Akteneinsicht nur dem Verteidiger zu gewähren. Die Polizei darf die Akteneinsicht nur insoweit beschränken, als „besondere Umstände“ befürchten lassen, dass durch die „sofortige Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre“ (§ 51 Abs 2 StPO). Sie darf also nur jene Aktenstücke von der Einsicht ausnehmen, welche Informationen enthalten, die der Beschuldigte – der Verteidiger kommt dafür kaum in Frage – wahrscheinlich nützen wird, um die angeblich noch nicht vernommenen :EUGENÏZUÏBEEINmUSSEN.11 Die Polizei nimmt aber den gesamten Akt, ja sogar das Beschuldigtenprotokoll von der Einsicht aus. Das ist jedenfalls unzulässig. Im Übrigen sind keine Gründe ersichtlich, warum der Beschuldigte sich mit den Zeugen absprechen und die Zeugen sich auf eine Absprache einlassen sollten. Wenn es aber Gründe gibt, wird die Polizei die Zeugen ehestens vernehmen müssen, um die Verteidigung nicht länger als nötig zu behindern. Auch die Akteneinsicht darf nur so lange beschränkt werden, als es „zur Aufgabenerfüllung“ erforderlich und angemessen ist (§ 5 Abs 1 StPO). b) Der Staatsanwalt kann von der Polizei einen Anlassbericht verlangen (§ 100 Abs 2 Z 2 StPO), sie muss ihm dann auch die kriminalpolizeilichen Akten übermitteln (§ 100 Abs 4 StPO), und er kann, wenn er die Voraussetzungen für gegeben hält, selbst die Akteneinsicht gewähren (§ 103 Abs 2 StPO).12 Der Staatsanwalt kann die Polizei auch telefonisch kontaktieren, und, wenn die Gründe für eine Beschränkung der Akteneinsicht nicht ausreichen, der Polizei noch am Telefon anordnen (§§ 98 Abs 1, 102 Abs 1 dritter Satz StPO),13 sie solle dem Verteidiger Akteneinsicht gewähren. Als Ermittlungsleiter (§ 101 Abs 1 StPO) ist der 3TAATSANWALTÏ VERPmICHTET Ï 2ECHTSVERLETZUNGENÏ DERÏ 0OLIZEIÏ ABZUSTELLENÏ Dass die Polizei dem Verteidiger die Akteneinsicht schlechthin verweigert, ist jedenfalls eine Gesetzesverletzung. c) Gegen die Verweigerung der Akteneinsicht kann der Verteidiger Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 Abs 1 Z 1 StPO) erheben. Der Staatsanwalt muss in diesem Fall reagieren: Entweder ordnet er der Polizei an, Akteneinsicht zu gewähren oder er legt den Einspruch dem Gericht zur Entscheidung vor (§ 106 Abs 4, 5 StPO).14
11 12 13 14
B/V B/V B/V B/V
Rz Rz Rz Rz
119. 123. 196. 197. 213
V. Venier
Fall 5 Die Kriminalpolizei führt den Beschuldigten aus der Untersuchungshaft für eine Tatortbesichtigung aus. Der Beschuldigte steht unter Mordverdacht und soll zeigen, wie er das Opfer erstochen hat. Ein Polizist gibt dem Beschuldigten entsprechende Regieanweisungen und fragt ihn dabei, ob das so stimme. Der Beschuldigte antwortet, er könne sich nicht mehr erinnern, weil er zur angeblichen Tatzeit ein „Blackout“ gehabt habe, im Übrigen befolgt er brav die Regieanweisungen. Das ganze Geschehen nimmt die Polizei auf Video auf und legt die Aufnahme dem Staatsanwalt vor. a) Ist das Vorgehen der Polizei rechtmäßig? b) Was kann der Beschuldigte dagegen tun? c) Was kann der Angeklagte unternehmen, wenn die Videoaufnahme in der Hauptverhandlung vorgeführt und er verurteilt wird?
Lösung a) Die „Tatortbesichtigung“ ist in Wahrheit eine Tatrekonstruktion (§ 149 Abs 1 Z 2 StPO):15 Der Beschuldigte soll die Tat nachstellen und sagen, ob das Nachgestellte dem entspricht, was er angeblich getan hat. Die Befragung müsste eine Vernehmung sein, und der Polizist müsste den Beschuldigten vorher nach § 164 Abs 1 StPO belehren. Das ist offenbar nicht geschehen. So ist die Befragung eine formlose Erkundigung, die eine Vernehmung umgeht, und darum nach § 152 Abs 1 StPO nichtig.16 Ferner sind Tatrekonstruktionen dem Gericht vorbehalten, sie dürfen nur auf Antrag des Staatsanwalts durchgeführt werden (§ 149 Abs 3 StPO). Außerdem muss der Verteidiger (§ 61 Abs 1 Z 1 StPO) dazu eingeladen werden, damit er Fragen stellen, ergänzende Ermittlungen und Feststellungen verlangen kann (§ 150 Abs 1 StPO). Auch das ist nicht geschehen. Die Ausführung hätte überdies nur mit Einverständnis des Staatsanwalts durchgeführt werden dürfen (§ 184 Z 2 StPO): Die Polizei soll über Untersuchungsgefangene nicht nach Belieben verfügen können. b) Der Beschuldigte kann beim Staatsanwalt Einspruch wegen Rechtsverletzung einbringen (§ 106 Abs 3 StPO): weil seine Ausführung aus der Haft der Zustimmung des Staatsanwalts bedurfte; die Polizei die Tatrekonstruktion nicht durchführen, ihn nicht formlos befragen durfte; 15 16
214
B/V Rz 265. B/V Rz 234.
Fall 6
weil der Verteidiger nicht eingeladen wurde (§ 106 Abs 1 Z 1 StPO)17. Der Staatsanwalt freilich kann den Rechtsverletzungen nicht mehr abhelfen, er kann den Einspruch insoweit nur an das Gericht weiterleiten, das die Rechtsverletzungen nachträglich feststellen kann (§ 106 Abs 5 StPO). Der Beschuldigte kann aber auch verlangen, dass die Videoaufnahme über die nichtige Erkundigung vernichtet und die Tatrekonstruktion unter Einhaltung der gesetzlichen Regeln wiederholt wird.18 Das kann der Staatsanwalt sehr wohl veranlassen (§ 106 Abs 4 StPO). c) Die Hauptverhandlung wegen Mordes (§ 75 StGB) musste vor dem GeschworenengerichtÏ STATTlNDENÏ eÏ Ï !BSÏ Ï :Ï Ï 3T0/ Ï 'EGENÏ DASÏ Urteil kann der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde erheben (§§ 344ff StPO). Die Videoaufnahme, soweit sie die nichtige Erkundigung wiedergibt, ist insoweit „ein Protokoll über eine nichtige Erkundigung im Ermittlungsverfahren“, ihre Vorführung in der Hauptverhandlung ist nichtig nach § 345 Abs 1 Z 3 StPO, vorausgesetzt, der Verteidiger hat sich dagegen ausgesprochen.
Fall 6 Die Brüder N und G stehen im dringenden Verdacht, jeweils als Mittäter eine Sachbeschädigung nach § 125 StGB (Fußtritte gegen ein FREMDESÏ!UTO Ï3CHADENÏUNTERÏÏã ÏUNDÏEINENÏ2AUBÏNACHÏeÏÏ!BSÏ Ï3T'"Ï!BNAHMEÏVONÏÏãÏDURCHÏ&AUSTSCHLÇGEÏINSÏ'ESICHTÏUNDÏ&Utritte gegen den Bauch) begangen zu haben. Das Gericht verhängt auf Antrag des Staatsanwalts die Untersuchungshaft und begründet dies wie folgt: „Zum angenommenen Haftgrund der Verdunkelungsgefahr ist auszuführen, dass beide Beschuldigte die Taten kategorisch in Abrede stellen. Es ist daher davon auszugehen, dass sie ohne Haftverhängung versuchen werden, ihre Verantwortung aufeinander abzustimmen. Diese Gefahr besteht umso mehr, als die Beschuldigten Brüder sind und gemeinsam eine Tankstelle betreiben. Hinsichtlich der Tatbegehungsgefahr ist darauf zu verweisen, dass den Beschuldigten zwei Anlasstaten zur Last liegen, die gegen fremdes Vermögen gerichtet sind. Es handelt sich bei beiden Anlasstaten um solche mit nicht bloß leichten Folgen. Es ist daher zu befürchten, dass beide Beschuldigte ohne Haftverhängung, ungeachtet des gegen sie geführten Strafverfahrens, erneut eine solche strafbare Handlung mit nicht 17 18
Vgl B/V Rz 211. B/V Rz 211. 215
V. Venier
bloß leichten Folgen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist, begehen werden.“ a) Liegen die angenommenen Haftgründe vor? b) Welche Möglichkeiten gibt es für die Beschuldigten, die Aufhebung der Haft zu erreichen?
Lösung a) Verdunkelungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 2 StPO) ist die hohe Wahrscheinlichkeit einer unzulässigen Einwirkung auf Beweismittel. Dass die Beschuldigten leugnen, ist ihr gutes Recht (§ 164 Abs 1 StPO), andererseits haben sie kein Recht, sich untereinander abzusprechen. Eine Absprache zwischen Mittätern könnte die Aufklärung der Tat beträchtlich erschweren. Um das zu verhindern, genügt es, die Beschuldigten getrennt zu vernehmen (vgl § 174 Abs 1 StPO) und ihre Angaben zu protokollieren.19 Schließlich geht es nicht an, Mitbeschuldigte in Haft zu belassen, nur weil eine Absprache weiterhin möglich scheint. Sonst könnte das Gericht bei mehreren Beschuldigten die Zwei-Monats-Frist des § 178 Abs 1 Z 1 StPO immer voll ausschöpfen. Fraglich ist auch die Tatbegehungsgefahr: Das Gericht beruft sich bei der Annahme des Haftgrundes auf Taten mit „nicht bloß leichten Folgen“ (§ 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO). Für „nicht bloß leichte Folgen“ muss der Vermögensschaden nach manchen Autoren20 „deutlich über der Bagatellgrenze“ des § 141 StGB21 liegen. Andererseits beginnen die schweren Folgen (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO) erst ab einem Schaden von Ïã22 So kann der am Auto angeblich verursachte Schaden von uUNTERhÏÏãÏNOCHÏDURCHAUSÏALSÏLEICHTEÏ&OLGEÏGELTENÏ.ICHTÏMEHRÏBLOÏ leichte Folgen sind Schäden über der Wertgrenze des § 126 Abs 1 Z 7 StGB.23Ï$IEÏ2AUBBEUTEÏVONÏÏãÏISTÏGERADEZUÏLÇCHERLICHÏGERING ÏFREILICHÏ haben die Beschuldigten dem Opfer Faustschläge ins Gesicht und Fußtritte in den Bauch versetzt, was auf erhebliche Gewalt schließen lässt (vgl § 142 Abs 2 StGB). Die Folgen des Raubes könnten trotzdem leicht sein, wenn dem Opfer darüber hinaus nichts passiert ist.24 Die Rsp will „alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit“
B/V Rz 363. Fabrizy StPO § 180 Rz 9. 21 Ï .ACHÏDERÏ2ECHTSPRECHUNGÏLIEGTÏDERÏuGERINGEÏ7ERThÏDESÏeÏÏ3T'"ÏBEIÏNURÏÏãÏNÇHERÏ B/S BT I § 141 Rz 4. 22 Vgl Fabrizy StPO § 180 Rz 9. 23 B/V Rz 364. 24 Vgl B/V Rz 364. 19 20
216
Fall 7
berücksichtigen, was immer man unter „gesellschaftlicher Wirklichkeit“ versteht.25 Selbst wenn das Gericht die Folgen des Raubes und der Sachbeschädigung nicht mehr als bloß leicht einstuft, darf es Tatbegehungsgefahr nur annehmen, wenn die konkrete Gefahr einer Begehung gleichartiger Delikte gegeben ist.26 Das Gericht muss „bestimmte Tatsachen“ angeben können, die gerade bei den Beschuldigten eine Tatbegehung akut befürchten lassen (§ 173 Abs 2 StPO). Im konkreten Fall begnügt sich das Gericht bloß mit der Wiedergabe der Gesetzesworte. Begehungsgefahr wird im Beschluss bloß unterstellt, aber nicht begründet. Gegen Begehungsgefahr spricht jedenfalls, dass die Beschuldigten nicht einmal vorbestraft sind. b) Die Beschuldigten können sich gegen die Verhängung der Untersuchungshaft innerhalb von 14 Tagen ab Verkündung (§ 88 Abs 1 StPO) des Haftbeschlusses beim OLG beschweren (§ 33 Abs 1 Z 1, § 174 Abs 4 StPO). Diese Beschwerde lässt allerdings die erste Haftverhandlung entfallen (§ 174 Abs 4 StPO). Sie können stattdessen die erste Haftverhandlung (§ 175 Abs 1, 2 Z 1 StPO) abwarten und sich dann gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft beschweren (§ 176 Abs 5 StPO).27 Wenn das OLG die Beschwerden verwirft, können die Beschuldigten Grundrechtsbeschwerde an den OGH erheben.28 Sie können ferner einen Enthaftungsantrag (§ 176 Abs 1 Z 2 StPO) beim Gericht einbringen, das darüber unverzüglich in einer Haftverhandlung entscheiden muss. Über die Haft muss das Gericht freilich auch in der ersten Haftverhandlung, also innerhalb von 14 Tagen ab Verhängung der Untersuchungshaft, entscheiden. Ein Enthaftungsantrag gleich nach Verhängung der Untersuchungshaft bringt den Beschuldigten keinerlei Vorteile.
Fall 7 Ein Informant teilt der Polizei mit, dass der beschäftigungslose X häulGÏINÏEINEMÏ,OKALÏDERÏ3UCHTGIFTSZENEÏVERKEHREÏ8ÏHABEÏSICHÏDORTÏWIEderholt mit polizeibekannten „Giftlern“ getroffen und sich mit ihnen leise unterhalten. Eine halbe Stunde nach der Mitteilung machen sich zwei Kriminalbeamte zur Wohnung des X auf und begehren Einlass. Als sich X nach dem Grund erkundigt, antworten sie: „Wir haben 25 26 27 28
Fabrizy StPO § 180 Rz 8. B/V Rz 364. B/V Rz 373. B/V Rz 384ff. 217
V. Venier
schon unsere Gründe.“ Doch X will einen Durchsuchungsbeschluss sehen, die Beamten machen daraufhin „Gefahr im Verzug“ geltend und drängen X zur Seite. Beim Durchstöbern der Wohnung stoßen sie im Bad auf einen Haschischjoint, sonst können sie nichts VerDÇCHTIGESÏlNDEN a) Ist die Durchsuchung rechtmäßig, wenn nein, gegen welche Bestimmungen wird verstoßen? b) Was kann X gegen die Durchsuchung unternehmen?
Lösung a) Die Kriminalbeamten führen eine Durchsuchung der Wohnung nach § 117 Z 2 lit b StPO durch. X hat sie dazu nicht eingeladen.29 Die Durchsuchung erfordert den begründeten Verdacht, dass sich Drogen INÏDERÏ7OHNUNGÏDESÏ8ÏBElNDENÏeÏÏ!BSÏÏ3T0/ Ï%INENÏSOLCHENÏ6ERdacht können die Beamten nicht haben: Dass jemand in zwielichtigen Lokalen verkehrt und sich dort mit Menschen von zweifelhaftem Ruf – laut oder leise – unterhält, reicht nicht aus, ihn für einen Kriminellen zu halten. Die Beamten vermuten nur, es könnte an der Sache „etwas dran“ sein. Die Durchsuchung der Wohnung dient lediglich dazu, „irGENDÏETWASÏ"ELASTENDEShÏZUÏlNDENÏ$ASÏREICHTÏF¿RÏEINEÏ$URCHSUCHUNGÏ keinesfalls aus. Die Beamten müssen X außerdem die Möglichkeit einräumen, das Gesuchte freiwillig herauszugeben (§ 121 Abs 1 StPO). Dafür ist es nötig, das Gesuchte wenigstens zu bezeichnen.30 Dass die Beamten schon „ihre Gründe“ haben, ist kein Grund, eine fremde Wohnung zu durchstöbern. Für eine Wohnungsdurchsuchung benötigen Polizisten im Regelfall eine Anordnung des Staatsanwalts auf Grund einer richterlichen Bewilligung (§ 120 Abs 1 StPO). Die Beamten machen jedoch „Gefahr im Verzug“ geltend (§ 120 Abs 1 StPO), zu Unrecht, wie sich zeigen lässt: Die Polizisten machen sich erst eine halbe Stunde nach dem Anruf auf den Weg zur Wohnung des X. Sie hätten wenigstens versuchen können, den Staatsanwalt telefonisch zu erreichen.31 Vielleicht ist den Beamten bewusst, dass sie eine Durchsuchungsbewilligung angesichts vager Mutmaßungen nicht erhalten werden; darum behaupten sie „Gefahr im Verzug“.
29 30 31
218
B/V Rz 303. B/V Rz 307, 304. B/V Rz 306, 192.
Fall 8
b) Die Durchsuchung kann X nicht ungeschehen machen, er kann nur durch einen Einspruch nach § 106 StPO erreichen, dass das Gericht bestimmte Rechtsverletzungen feststellt: zB dass ihm die Beamten nicht gesagt haben, wonach sie suchen (§ 121 Abs 1 StPO); dass Gefahr im Verzug nicht vorgelegen hat (§ 120 Abs 1 StPO). Dass die Durchsuchung wegen des fehlenden Verdachts gar nicht zulässig war, kann X in einem Einspruch nicht geltend machen: Darüber muss das Gericht auf Antrag des Staatsanwalts im Verfahren nach § 122 Abs 1 StPO entscheiden.32
Fall 8 Am Vortag der Hauptverhandlung wegen Einbruchsdiebstahls beantragt der Angeklagte, der Richter solle ihm einen Verfahrenshelfer beigeben. Der Richter erklärt in der Hauptverhandlung, der Antrag sei zu spät gestellt, führt die Verhandlung durch und verurteilt den Angeklagten, der sofort auf Rechtsmittel verzichtet. a) Hat der Richter gesetzmäßig gehandelt? b) Kann der Angeklagte das Urteil anfechten, wenn er es sich anders überlegt?
Lösung a) Einbruchsdiebstahl ist trotz seiner hohen Strafdrohung – leider – kein Fall notwendiger Verteidigung (§ 61 Abs 1 Z 5 StPO). Unter Umständen hat der Angeklagte Anspruch auf Verfahrenshilfe, zB wegen schwieriger Sach- und Rechtslage (§ 61 Abs 2 Z 4 StPO). Der Antrag wurde freilich erst am Tag vor der Hauptverhandlung gestellt, also jedenfalls zu spät, um noch rechtzeitig einen Verfahrenshelfer zu bestellen, der sich auch noch vorbereiten sollte. Eine Vertagung der Hauptverhandlung33 kommt aber nur in Frage, wenn der Angeklagte gehindert war, den Antrag früher zu stellen, etwa weil ihn niemand – zB in einer Rechtsbelehrung nach § 50 StPO (§ 484 StPO) – auf die Verfahrenshilfe hingewiesen hat. Das ist schwer vorstellbar. b) Der Rechtsmittelverzicht ohne Beisein eines Verteidigers ist unwirksam (§ 57 Abs 2 letzter Satz StPO). Eine Anfechtung des Urteils ist allerdings nur möglich, wenn der Beschuldigte das Rechtsmittel in32 33
B/V Rz 214. Vgl B/V Rz 458. 219
V. Venier
nerhalb von drei Tagen nach Urteilsverkündung anmeldet (§ 489 Abs 1, § 466 Abs 1 StPO). In Frage kommt das Rechtsmittel der Berufung (§ 489 Abs 1 StPO), da es sich um ein Urteil des Einzelrichters (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO) handelt.
Fall 9 In der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter wird der angeklagte Geschäftsführer zum Vorwurf des Betrugs zum Nachteil von Firmenkunden befragt. Aus der Vernehmung ergibt sich, dass eine Täuschung eher nicht in Betracht kommt, wohl aber eine Untreue zum Nachteil der GmbH. Darf das Gericht wegen Untreue verurteilen?
Lösung Es handelt sich um ein Problem der Identität der Tat: Das Gericht darf nur wegen einer Tat schuldig sprechen, die von der Anklage umfasst ist (§ 4 Abs 3, § 262 StPO). Zwar sind Betrug und Untreue Vermögensdelikte, aber die Verletzung am Vermögen beruht auf ganz unterschiedlichen Tathandlungen zu Lasten ganz verschiedener Personen, nämlich laut Anklage Täuschung und Schädigung von Kunden, nach Meinung des Gerichts Vollmachtsmissbrauch zum Nachteil der Firma. In Wahrheit liegen verschiedene Rechtsgutsverletzungen vor; es fehlt daher an der Identität der Tat.34 So darf das Gericht wegen Untreue nur verurteilen, wenn der Staatsanwalt die Anklage darauf ausdehnt (§ 263 StPO), sonst muss es – wenn es Betrug nicht für gegeben hält – freisprechen. Die Rsp neigt dazu, die unter Anklage gestellte Tat vom Sachverhalt zu lösen und als „Gesamtverhalten“ zu umschreiben. Unter diese vage Bezeichnung lassen sich nachträglich ganz unterschiedliche Rechtsgutsverletzungen subsumieren.35
Fall 10 S soll unter anderem auch an den türkischen Staatsbürger H einige Gramm Heroin verkauft haben. H wird in einem selbständigen Verfahren wegen Drogenerwerbs verurteilt und nach Verbüßung der Strafe von der Fremdenpolizei in die Türkei abgeschoben, wo er 34 35
220
B/V Rz 460. Vgl B/V Rz 462.
Fall 10
untertaucht. An sich sollte H im Verfahren gegen S als Zeuge aussagen, weil er diesen vor der Polizei massiv belastet hat. Da die Vernehmung des H jetzt nicht mehr möglich ist, wird in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht das Polizeiprotokoll über H’s Vernehmung verlesen und S auf Grund dessen verurteilt. Der Verteidiger hat zur Verlesung geschwiegen. a) Ist die Verlesung rechtmäßig? b) Kann S das Urteil anfechten, wenn ja, aus welchen Gründen?
Lösung a) Die Verlesung widerspricht § 252 Abs 1 StPO: Nach der Z 1 ist die Verlesung von Polizeiprotokollen in der Hauptverhandlung nur zulässig, wenn das Erscheinen des Zeugen „aus erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt“ werden kann. Es müssen schwerwiegende Hindernisse sein, für welche die Strafverfolgungsbehörden nichts dafür können, andere Gründe sind nicht „erheblich“.36 Das Prinzip der Unmittelbarkeit (§ 13 Abs 3 StPO) und das Recht des Angeklagten, sein Fragerecht auszuüben (Art 6 Abs 3 lit d EMRK),37 dürfen nur ausnahmsweise anderen Interessen geopfert werden. Eine Abschiebung durch die Fremdenpolizei ist kein zwingender Grund, eine solche Ausnahme zuzulassen. Dass die Fremdenpolizei dringend benötigte Zeugen offenbar ohne Rücksprache mit der Justiz abschiebt, wäre leicht zu verhindern. Das Innenministerium bräuchte die Fremdenpolizei nur anzuweisen, Zeugen erst abzuschieben, wenn sie unter Beiziehung der Parteien nach § 165 StPO gerichtlich vernommen worden sind. Das Gericht hat die kontradiktorische Vernehmung auf Antrag des 3TAATSANWALTSÏ DURCHZUF¿HRENÏ eÏ Ï !BSÏ Ï 3T0/ Ï UNDÏ DIEÏ 0mICHTÏ DESÏ Staatsanwalts zur Objektivität und Wahrheitserforschung (§ 3 StPO) gebietet, die Vernehmung zu beantragen, wenn sie in der Hauptverhandlung „aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen“ nicht möglich sein wird (§ 165 Abs 1 StPO). Dass der Staatsanwalt den Antrag nicht stellt oder die Fremdenpolizei ihn über die drohende Abschiebung bloß nicht informiert, darf nicht auf dem Rücken des Angeklagten und auf Kosten DERÏ7AHRHEITSlNDUNGÏAUSGETRAGENÏWERDENÏ Anders der OGH: Die Abschiebung sei kein Anlass, auf die Verlesung von Polizeiprotokollen zu verzichten (11 Os 98/01). Dass der Verteidiger zur Verlesung schweigt, bedeutet im Übrigen nicht, dass er damit „einverstanden“ ist (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO).38 36 37 38
B/V Rz 450. B/V 58. B/V Rz 455. 221
V. Venier
b) S kann das Urteil mit Nichtigkeitsbeschwerde nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO anfechten, weil die Verlesung den Regeln des § 252 Abs 1 StPO nicht entsprochen hat. Da sich der Fehler ersichtlich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat (§ 281 Abs 3 StPO), muss das Urteil aufgehoben werden.39 Nach Meinung des OGH fehlt es schon an der Verletzung des § 252 Abs 1 StPO.
Fall 11 Der Angeklagte hat laut Strafantrag am Innsbrucker Westbahnhof ein fremdes Fahrrad aufgebrochen und nach Hause mitgenommen, um es zu behalten. Demgegenüber behauptet der Angeklagte, er hätte das Fahrrad nur für die Heimfahrt gebraucht, es aber am nächsten Tag in der Innenstadt abstellen wollen. Das Gericht schließt sich der Anklage an und verurteilt den schon wegen Einbruchsdiebstahls vorbestraften Angeklagten nach §§ 127, 129 Z 3 StGB. Es stellt im Urteil fest, der Angeklagte habe das Fahrrad behalten wollen. Die Verantwortung des Angeklagten widerspräche jeder Lebenserfahrung und sei eine bloße Schutzbehauptung. a) Welches Rechtsmittel kann der Angeklagte einlegen? b) Welche Gründe wird er vorbringen?
Lösung a) Möglich sind Nichtigkeits-, Schuld- und Strafberufung (Berufung nach §§ 489 Abs 1, 464 StPO), da es sich um ein Urteil des Einzelrichters (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO) handelt. b) Für den Angeklagten bietet sich die Nichtigkeitsberufung an, die auf einen Begründungsmangel gestützt werden kann (§ 281 Abs 1 Z 5 2. Fall, § 489 Abs 1 StPO): Die Feststellung des Gerichts, der Beschuldigte habe das Fahrrad mitgenommen, um es zu behalten, betrifft eine entscheidende, weil schulderhebliche Tatsache: Aus ihr leitet sich nämlich der Diebstahlsvorsatz ab.40 Die Verantwortung des Angeklagten dagegen, er habe das Fahrrad nur gebrauchen und dann abstellen wollen, läuft – abgesehen von der 3ACHBESCHÇDIGUNGÏDURCHÏ!UFBRECHENÏnÏAUFÏEINENÏSTRAmOSENÏ'EBRAUCHSvorsatz, allenfalls auf einen Entziehungsvorsatz nach § 135 StGB hinaus. Das Urteil müsste sich in den Entscheidungsgründen mit dieser Verant39 40
222
Vgl B/V Rz 519. B/V Rz 498.
Fall 12
wortung auseinandersetzen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO).41 Dass sie angeblich jeder Lebenserfahrung widerspricht, ist eine unhaltbare Verallgemeinerung. Eine Lebenserfahrung, wonach Vorbestrafte fremde Fahrräder nicht gebrauchen, sondern nur stehlen wollen, ist selbst lebensfremd.42 Selbstverständlich kann der Angeklagte eine lebensfremde Beweiswürdigung auch mit Schuldberufung anfechten (§§ 464 Z 2, 489 Abs 1 StPO). § 281 Abs 1 Z 5a StPO kommt im Einzelrichterverfahren nicht in Betracht.
Fall 12 X hat im Polizeiverhör eine Brandstiftung gestanden. Bald darauf meldet sich A bei der Kriminalpolizei und behauptet, den wahren Täter zu kennen. Die Polizei notiert im Akt seine Personalien und fügt hinzu: „möglicher Zeuge“; dann schickt sie A weg, ohne ihn zu vernehmen. Der Akt geht mit dem Abschlussbericht an den Staatsanwalt. Der Staatsanwalt schenkt dem Aktenvermerk keine weitere Beachtung, sondern verfasst sofort eine Anklageschrift gegen X wegen Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB. In der Hauptverhandlung widerruft X sein Geständnis. Das erkennende Gericht schenkt dem Aktenvermerk ebenfalls keine Beachtung. Auch der Verteidiger stellt keinen Antrag, den A zu vernehmen. X wird auf Grund des Polizeiprotokolls im Sinne der Anklage schuldig erkannt. a) Haben sich Polizei, Staatsanwalt und erkennendes Gericht richtig verhalten? b) Was kann X gegen die seiner Ansicht nach ungerechte Verurteilung tun?
a) Polizei, Staatsanwalt und Gericht haben sich nicht richtig verhalten: Polizei, Staatsanwalt und Gericht müssen die Wahrheit erforschen und allen Umständen nachgehen, die für die Aufklärung der Tat von Bedeutung sein können (§ 3 Abs 1, § 2 Abs 2, § 232 Abs 2 StPO).43 Sie dürfen sich dabei nicht bloß mit den belastenden Umständen befassen (§ 3 Abs 2 StPO). Die Polizei hätte den A vernehmen, der Staatsanwalt ihr die Vernehmung wenigstens anordnen sollen (§ 101 Abs 4 StPO). 41 42 43
B/V Rz 478. Vgl auch die Beispiele in B/V Rz 504. B/V Rz 13. 223
V. Venier
Polizei und Staatsanwalt durften die Beweisaufnahme nicht etwa nach § 55 Abs 3 StPO der Hauptverhandlung vorbehalten: Die Vernehmung des A konnte geeignet sein, den Tatverdacht zu entkräften. Überdies durfte der Staatsanwalt Anklage nur erheben, wenn der Sachverhalt ausreichend geklärt war (§ 210 Abs 1 StPO).44 Ausreichend geklärt ist der Sachverhalt aber erst, wenn alle in Frage kommenden Zeugen angehört wurden. Das erkennende Gericht schließlich durfte den Angeklagten nur verurteilen, wenn Tat und Schuld aufgeklärt (§ 2 Abs 2 StPO), dh alle Zweifel ausgeräumt waren. Die Verlesung des Polizeiprotokolls (§ 245 Abs 1 StPO) konnte Zweifel, ob A nicht vielleicht doch Erhebliches zur Aufklärung der Tat beitragen konnte, nicht ausräumen. b)Ï$ASÏ6ERFAHRENÏlNDETÏVORÏDEMÏSchöffengericht statt (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO). Gegen dessen Urteil steht dem Angeklagten die Nichtigkeitsbeschwerde zu. Als Nichtigkeitsgrund könnte § 281 Abs 1 Z 5a StPO in Frage kommen: Für die Z 5a ist erforderlich, dass sich „aus den Akten“ erhebliche Bedenken gegen entscheidende, dh schulderhebliche Feststellungen ergeben. Das trifft ua zu, wenn im Akt enthaltene Beweisergebnisse in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen sind.45 Die im Akt enthaltene Notiz „möglicher Zeuge“ ist selbst noch kein Beweisergebnis, nur ein Hinweis, dass die Vernehmung des „möglichen Zeugen“ ein Beweisergebnis erbringen könnte. Was dieses Beweisergebnis sein wird und ob es überhaupt ins Gewicht fällt, kann im Vorhinein nicht gesagt werden. Indem das Gericht die Beweisaufnahme unterlassen hat, hat es seine AufKLÇRUNGSPmICHTÏVERLETZTÏ!BERÏDASÏALLEINÏISTÏNOCHÏKEINÏ.ICHTIGKEITSGRUND46 Der Verteidiger hätte den Aktenvermerk zum Anlass nehmen sollen, die Vernehmung des Zeugen zu beantragen. Darum gibt es den Nichtigkeitsgrund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO. So aber muss der Verurteilte die Rechtskraft des Urteils abwarten, um die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen: Der Zeuge X ist ein neu beigebrachtes Beweismittel iSd § 353 Z 2 StPO.
Fall 13 Der holländische Feriengast J hat einen Discobesucher durch einen Faustschlag verletzt. J gesteht bei der polizeilichen Vernehmung ein, 44 45 46
224
B/V Rz 134. B/V Rz 508. B/V Rz 508.
Fall 13
er habe sich über das Opfer maßlos geärgert und deshalb zugeschlagen. Der Staatsanwalt klagt J vor dem Bezirksgericht wegen Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) an. J wird zur Hauptverhandlung geladen, aber ihm ist die Anreise zu umständlich. Das Bezirksgericht verurteilt J in Abwesenheit im Sinne der Anklage. Das Urteil wird J im Rechtshilfeweg am 14. 3. zugestellt. Daraufhin teilt J dem Richter schriftlich mit, dass er sich unschuldig fühle, weil er nur eine Attacke des Gegners abgewehrt habe. Er beantrage die „Wiederaufnahme der Verhandlung“, um sich persönlich verteidigen zu können. Der Brief wurde am 28. 3. zur Post gegeben. a) Durfte das Gericht gegen J in Abwesenheit verhandeln? b) Wie ist der Antrag des J zu verstehen und ist er berechtigt?
Lösung a) J wurde zur Hauptverhandlung offensichtlich ordnungsgemäß geladen und, wie es scheint, von der Polizei nach § 164 StPO zu allen schulderheblichen Umständen vernommen. Die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten war daher rechtmäßig (§ 427 Abs 1 StPO). b) Das Schreiben muss man als Einspruch gegen das Abwesenheitsurteil (§ 478 StPO) werten, zumal sich J persönlich in einer Verhandlung rechtfertigen will. Der Einspruch ist eben noch rechtzeitig erhoben worden, weil die 14-tägige Einspruchsfrist am 28. 3. um 24 Uhr abläuft.47 Aber er ist unbegründet, weil J nicht gehindert war, an der Hauptverhandlung teilzunehmen (§ 478 Abs 1 StPO):48 Die Anreise war ihm nur zu umständlich. Wenn das BG den Einspruch verwirft, kann J dagegen Beschwerde an das LG erheben (§ 478 Abs 2 StPO). Wenn er keine Beschwerde erhebt und auch sonst nichts von sich hören lässt, wird man sein Schreiben wenigstens als Anmeldung und gleichzeitige Ausführung der Schuldberufung zu verstehen haben (vgl § 478 Abs 2 StPO); Schuldberufung deshalb, weil J – abweichend von seiner früheren Verantwortung – jetzt sinngemäß Notwehr einwendet und damit einen neuen schulderheblichen Umstand vorbringt.49 In der Schuldberufung ist zu seinen Gunsten die Strafberufung eingeschlossen (§ 467 Abs 3 StPO).
47
Der Tag der Zustellung und der Postlauf werden nicht mitgezählt (§ 84 Abs 1 Z 2, 3
StPO). 48 49
B/V Rz 670. B/V Rz 578. 225
Stichwortverzeichnis A = Fälle zum materiellen Recht. B = Fälle zum Prozessrecht. Römische Zahlen beziehen sich auf die Autoren (I = Flora, II = Murschetz, III = Scheil, IV = Schwaighofer, V = Venier), arabische Zahlen auf die Nummer des Falles. Absichtliche schwere Körperverletzung A I 1, A V 1 Abtretung B V 1 – an das zuständige Gericht B IV 7 Abwesenheit des Beschuldigten B IV 8 Akteneinsicht B V 4 Alkoholisierung A I 2, A II 5, A V 1, A V 2, B II 2 ALLGEMEINÏBEGREImICHEÏ'EM¿TSBEWEGUNGÏ A IV 1 alternativer Vorsatz A IV 8 Amtsgeheimnis A III 8 Amtsmissbrauch A I 8, A II 6, A III 8 – durch Unterlassen A I 8, A II 6 amtswegige Wahrnehmung von Nichtigkeitsgründen B IV 6 Angehörige, Begünstigung von A III 7, A IV 4 Anhalterecht A III 2, A V 5 Anklageausdehnung B II 6 Anklagegrundsatz B III 6 Anlassbericht B V 4 Anmeldung eines Rechtsmittels B IV 3, B V 7, B V 8 Antragsdelikt B IV 4 anvertrautes Gut A II 4, A III 6, A IV 8, A IV 9, A V 10, A V 12 ausdrückliche Subsidiarität A III 8 Ausführung des Rechtsmittels B IV 3 ausgeschlossener Richter B III 5, B V 2 Ausnützung einer Amtsstellung A III 8 Aussagebefreiung(-srecht) B IV 4, B IV 5 Aussageverweigerung(-srecht) B III 1, B III 7, B IV 4 Aussetzung A I 2, A III 3 Bagatelleingriff B II 2 Bankomatkarte A II 2, A III 5, A IV 9
Bedrängnisdiebstahl A I 3, A II 2 Befugnismissbrauch A II 6, A V 11 Begehung – einer Tat im Vollrausch A V 1 – im Familienkreis A I 5, A III 3, A IV 5, A IV 9, A V 6 Begleittat –, typische A II 2, A II 3, A II 4 Begründungsmangel B II 4, B IV 3, B V 11 Begünstigung A III 7, A IV 4, A V 13 Behältnis A IV 5, A V 6 Beharrliche Verfolgung A V 4 Beischlaf A IV 12 Beitrag durch Unterlassen A IV 1 Beitragstäterschaft A I 4, A II 6, A III 5, A III 7, A III 8, A IV 4, A IV 11, A V 8, A V 10 Belehrung des Beschuldigten B I 1, B I 2, B II 5, B V 3, B V 8 Beleidigung A II 1, A IV 12 Berufsunfähigkeit A III 1 Beschwerde B IV 2 – an das LG B V 13 – an das OLG B I 4, B III 7, B IV 9, B V 6 – an den Drei-Richter-Senat B IV 9 besonders gefährliche Verhältnisse A I 2, A I 8, A II 5, A III 1, A III 3, A V 2, A V 3, A V 13 Besorgniseignung A IV 10, A V 4, A V 8, A V 9, A V 10 Bestechung A II 6, A III 8 Bestimmungstäterschaft A I 5, A I 8, A II 4, A III 7, A III 8, A IV 5, A IV 6, A IV 11 –, versuchte A I 8 Betretung auf frischer Tat A III 1, A III 2, B II 5 Betrug A I 3, A I 5, A I 6, A I 7, A III 6, A III 8, A IV 3, A IV 7, A IV 9, A V 7, A V 9, A V 10, B III 7 227
Stichwortverzeichnis –, gewerbsmäßiger A III 8 –, schwerer A I 5, A I 6, A III 6, A IV 9, A V 7, A V 10 betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch A I 6, A III 5, A IV 9, A V 7 Beugegeldstrafe B III 1 Beugehaft B III 1 Beweisantrag B II 1, B II 5, B III 6 Beweisaussage, falsche A III 7 Beweismittel –, falsches A III 7, A V 10 –, Unterdrückung eines A II 2 Beweismittelbetrug A V 10 Beweisverwertungsverbote B I 1, B I 2, B I 6, B II 1, B II 2, B III 1, B III 2, B IV 4, B IV 5 Beweiswürdigung B IV 3, B V 11 bewusstlos B II 2 Blankettfälschung A III 6 Blutabnahme B II 2 Briefgeheimnis A V 7 Dauernde Sachentziehung A I 3, A II 2, A II 3, A II 4, A III 3, A III 5, A IV 5, A IV 6, A IV 7, A IV 8, A V 5, A V 6 Delegierung B III 3 Diebstahl A I 3, A I 4, A I 5, A II 2, A II 3, A II 4, A III 2, A III 5, A III 6, A IV 3, A IV 5, A IV 6, A IV 7, A IV 8, A IV 9, A V 5, A V 6, A V 9 –, räuberischer A I 4 –, schwerer A I 3, A I 4, A II 2, A II 4, A V 6, A V 9 diebstahlsfähige Sache A IV 5 Dienstliste B III 4 Differenzschaden A IV 7, A V 10 Dispositionsfähigkeit A IV 5 Diversion, unterbliebene B IV 3 Doppelkausalität A III 4 Doppelverfolgungsverbot B II 6 Drei-Richter-Senat B II 4, B III 3 Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben A III 2, A III 3, A IV 10, A V 8 Einbruchsdiebstahl A I 4, A III 1, A IV 5, AV6 Einfuhr von Suchtgift A III 7 Eingriff in fremdes Jagd- oder Fischereirecht A II 7, A III 2 Einlassungsfahrlässigkeit A II 5, A V 2 Einspruch – gegen das Abwesenheitsurteil B IV 8, B V 13 228
– gegen die Anklageschrift B IV 9 – wegen Rechtsverletzung B I 1, B I 3, B II 5, B IV 2, B V 3, B V 4, B V 5, B V 7 Einstellung B I 5, B IV 9 Einwilligung A I 2, A III 7, A V 13 Entfremdung unbarer Zahlungsmittel A I 6, A II 2, A II 4, A III 5, A IV 9, A V 7 Enthaftungsantrag B V 6 Entwendung A IV 8 Erkundigung B I 1, B I 3, B II 5 Erpressung A I 5, A II 6, A V 9, A V 10 Ersatzgeschworener B III 4 Erschleichung einer Leistung A III 6 Fahrlässige – Gefährdung der körperlichen Sicherheit AV3 – Gemeingefährdung A V 3 – Körperverletzung A I 2, A I 8, A III 1, A IV 2, A IV 4, A IV 10, A V 2 – Tötung A V 3, A V 13 – Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen A III 4, A V 3, A V 13 faires Verfahren B III 5, B IV 5 Falsche Beweisaussage – vor Gericht A III 7 – vor einer Verwaltungsbehörde A V 13 Fälschung unbarer Zahlungsmittel A V 7 Fernmeldegeheimnis B III 2 Festnahme B I 2, B II 5, B III 5, B IV 2, BV3 Fluchtgefahr B I 4 Formalfreispruch B IV 4, B IV 6 Fortführungsantrag B IV 11 fortgesetztes Delikt A III 5 Fortsetzung des Verfahrens, Antrag auf B III 3 Fragerecht der Parteien B I 6, B IV 5, B V 10 Frank’sche Formel A III 4 Freiheitsentziehung A II 3, A IV 4, A V 5 Garantenstellung A II 6, A IV 1 Gebrauchsverhinderungsvorsatz A III 5 Gefahr im Verzug B II 2, B II 5, B V 7 Gefährdung der körperlichen Sicherheit A II 7, A III 3, A V 3 gefährliche Drohung A III 4, A V 4, A V 8, AV9 Geldwäscherei A I 5, A IV 10 Geldwucher A V 9 Gerichtsvorsteher B III 5 Geschenkannahme
Stichwortverzeichnis – durch Beamte A II 6, A III 8 – durch Machthaber A IV 11 geschlechtliche – Handlung A IV 12, A V 4 – Nötigung A IV 12 Geschworenenbank B III 4 gesetzlicher Richter B III 4 Gewahrsam A I 3, A II 2, A II 3, A II 4, A III 3, A III 4, A III 5, A III 6, A IV 3, A IV 4, A IV 7, A V 5, A V 6, A V 7, A V 9, A V 12 –, gelockerter A V 5, A V 7 Gewahrsamsbruch A II 4, A IV 5, A IV 8, A IV 9, A V 6, A V 9 Gewalt A I 2, A II 3, A III 3, A IV 3, A IV 4, A IV 10, A IV 12, A V 5 –, schwere A IV 12 Gewerbsmäßigkeit A III 8 Gleichwertigkeit A II 6, A IV 1 Grundrechtsbeschwerde B I 4, B III 6, BV6 Haftantrag B III 6 Haftbefehl B III 7, B IV 2 Haftfristen B IV 2, B V 6 Haftgründe B II 5, B III 7, B V 6 Haftverhandlung B IV 2, B V 6 Hehlerei A IV 10, A V 9 Hilfeleistung A IV 2 Identität der Tat B II 6, B V 9 Imstichlassen eines Verletzten A I 2, A I 3, A IV 2 internationaler Anwendungsbereich österreichischen Strafrechts A III 7, B III 7 irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts A III 1, A III 4 Journalrichter B III 5 junger Erwachsener B III 3 Justizanstalt, Einlieferung in die B IV 2 Kausalität A II 5 –, alternative A III 4 –, hypothetische A III 8 Kettenbestimmung A III 7, A III 8 Komplott A II 3, A V 8 Konkurrenz, echte A I 5, A II 3, A III 5, A IV 10, A IV 12 Konsumtion A III 5, A III 8, A IV 1, A IV 3, A IV 5 kontradiktorische Vernehmung B II 1, B IV 4, B IV 5, B V 10
Körperverletzung A I 1, A I 3, A II 1, A II 2, A III 1, A III 2, A III 3, A III 4, A IV 3, A IV 12, A V 1, A V 2, A V 5 – mit tödlichem Ausgang A I 1, A II 1, A III 4, A V 1 –, absichtliche schwere A I 1, A II 1, A III 4, AV1 –, fahrlässige A I 2, A I 8, A II 5, A III 1, A IV 2, A IV 4, A IV 10, A V 2 –, schwere A I 1, A I 2, A II 5, A III 1, A III 2, A IV 1, A IV 2, A V 1, A V 2 Kreditkarte A I 6, A II 4, A IV 9, A V 7 Lebensgemeinschaft A III 3, A IV 1, A IV 4, A V 13 Lugurkunde A III 7 Mangelnde Strafwürdigkeit der Tat A IV 8 Misshandlung A II 1, A III 2, A III 3, A IV 12 Misshandlungsvorsatz A I 3, A II 1, A IV 3, AV5 Mittäterschaft A IV 5, A V 6 Mitwirkung am Selbstmord durch Unterlassen A IV 1 Mord A III 4, A IV 1, A V 1 Mündlichkeitsgrundsatz B II 3 NACHTAT ÏSTRAmOSEÏ!Ï)))Ï Ï!Ï)6Ï Ï!Ï6Ï AV7 Ne bis in idem s Doppelverfolgungsverbot nemo-tenetur-Grundsatz B II 2, B III 1 Neuerungsverbot B II 3 Nichtigkeitsberufung s Nichtigkeitsgründe Nichtigkeitsbeschwerde s Nichtigkeitsgründe Nichtigkeitsgründe – § 281 Abs 1 Z 1 B II 7, B III 5, B V 2 – § 281 Abs 1 Z 1a B IV 1 – § 281 Abs 1 Z 3 B I 6, B II 1, B IV 4, B IV 8, B V 10 – § 281 Abs 1 Z 4 B II 1, B II 7, B IV 1 – § 281 Abs 1 Z 5 B II 3, B II 4, B IV 3, B V 11 – § 281 Abs 1 Z 5a B V 12 – § 281 Abs 1 Z 6 B II 7 – § 281 Abs 1 Z 9a B IV 3 – § 281 Abs 1 Z 9c B IV 6 – § 281 Abs 1 Z 10 B IV 6 – § 281 Abs 1 Z 10a B IV 3 – § 345 Abs 1 Z 3 B I 1, B I 2, B V 5 – § 345 Abs 1 Z 10a B I 2 – § 468 Abs 1 Z 2 B IV 8 229
Stichwortverzeichnis – § 468 Abs 1 Z 3 B III 2, B IV 3 – § 468 Abs 1 Z 4 B IV 3, B IV 6 –, relative B V 10 Nötigung A I 2, A I 4, A I 5, A III 2, A III 3, A IV 3, A V 4, A V 5, A V 10 Notwehr A I 1, A II 1, A III 1, A III 2, A V 5 Notwehrprovokation A I 1 notwendige Verteidigung B IV 1, B V 8 Objektive Bedingung (erhöhter) Strafbarkeit A III 7 Objektivität B V 12 Opfer B IV 11 Perpetuatio fori B II 7, B IV 7 Privatanklage A III 3, A IV 9, A V 7, B IV 6 Privatbeteiligte B IV 11 Protokollberichtigungsantrag B II 3 Protokollierung, unrichtige B II 3 Provision A IV 11 Putativnotwehr A II 1, A III 4, A V 1 Raub A I 3, A I 4, A II 2, A II 3, A III 4, A IV 10, A V 8 –, bewaffneter A II 3, A III 4, A V 8 –, minderschwerer A IV 10 –, schwerer A IV 10 Räuberischer Diebstahl A I 4 Raubkomplott A II 3, A V 8 Rechtsirrtum A III 2 Rechtswirksamkeit der Anklageschrift B II 7, B IV 7 Rechtsmittel des Privatbeteiligten B IV 11 Rechtsmittelverzicht B III 5, B IV 3, B V 8 Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten B IV 3 Risikozusammenhang A I 8, A II 1, A II 5, A IV 4 2¿GEPmICHTÏ"Ï)))Ï Sachbeschädigung A II 7, A III 3, A IV 4, A IV 5, A IV 6, A IV 8, A V 3, A V 6 Schuldberufung B II 4, B IV 3, B IV 10, B V 11, B V 13 Schuldfähigkeit A IV 5, A V 1 seelische Beeinträchtigungen A IV 10 Selbstanzeige A V 9 Selbstbegünstigung A III 7, A V 13 Selbsthilfe, erlaubte A V 5 Selbstmord A IV 1 sexuelle Belästigung A IV 12 Sexueller Missbrauch von Unmündigen A IV 12 230
Sonderdelikt A II 4 Sparbuch A I 5 Sperrvorrichtung A IV 5 Spielzeugpistole A III 4 Strafausschließungsgrund A II 5, A IV 8, A IV 12 Strafberufung B IV 10 subjektive Sorgfaltswidrigkeit A II 5 Subsidiaranklage B IV 11 Subsidiarität A IV 10 Subsidiaritätsklausel A III 7 Subsumtionsirrtum B IV 3, B IV 6 Tatbegehungsgefahr, B V 6 Tatbildirrtum A II 7, A III 1, A III 2 Tätige Reue A II 4, A III 3, A III 7, A IV 7, A V 5, A V 9, A V 10, A V 11 Tatrekonstruktion B V 5 Tatverdacht, dringender B I 4 Täuschung A III 6, A IV 3, A IV 7, A V 9, A V 10 Tauschwert A III 3, A III 5, A III 6, A IV 8 Telefonüberwachung B III 2, B III 7 Telekommunikation B III 2 Tierquälerei A II 7 Totschlag A IV 1 Trennung von Strafsachen B V 1 Übernahmefahrlässigkeit A II 5, A V 2 Unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen A II 4, A IV 4, A IV 6, A V 6 unechtes Unterlassungsdelikt A IV 1 Unmittelbarkeitsgrundsatz B III 5, B V 10 unrichtige Beweiswürdigung B IV 3, B V 11 Unterlassung – der Hilfeleistung A IV 1, A IV 2 – der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung A II 7, A IV 4 Unterlassungsdelikt, unechtes A III 8, A IV 1 Unterschlagung A I 3, A I 6, A IV 3, A IV 4, A IV 6, A IV 8 Untersuchungshaft B I 4, B III 5, B III 6, B III 7, B IV 2, B V 6 Untreue A I 7, A III 5, A IV 9, A IV 11, A V 11 Unzuständigkeitsurteil B II 7 Urkunde, falsche A III 6 Urkundenbetrug A V 10 Urkundenfälschung A III 6, A III 7 Urkundenunterdrückung A I 5, A III 5, A IV 5, A V 7
Stichwortverzeichnis Verbotsirrtum A II 1 Verbrecherisches Komplott A II 3, A V 8 Verdunkelungsgefahr B II 5, B III 7, B V 6 Verfahren vor dem gesetzlichen Richter B III 4 Verfahrenshilfe B IV 1, B V 8 Vergewaltigung A IV 12 Verjährung B IV 9 Verlesung von Polizeiprotokollen B II 1, B IV 4, B IV 5, B V 10 Verlesungsverbote s Beweisverwertungsverbote Verletzung des Amtsgeheimnisses A III 8 Verleumdung A III 7, A V 13 Vermögensschaden A IV 7, A IV 9, A IV 11, A V 9, A V 10 Vernehmung B V 3 – des Beschuldigten B I 1 – kontradiktorische B IV 4, B IV 5, B V 10 Vernehmungsmethoden, unzulässige B V 3 Vernichtung unverwertbarer Beweisergebnisse B III 2 Versuch A I 6, A I 8, A II 3, A III 2, A III 3, A III 5, A III 8, A IV 1, A IV 3, A IV 4, A IV 7, A V 3, A V 4, A V 6, A V 7, A V 8, A V 9 –, beendeter/unbeendeter A V 8 –, fehlgeschlagener A I 6, A II 3, A III 5, A IV 1, A IV 7, A V 7, A V 8 –, Rücktritt A III 5, A V 8 –, Tauglichkeit A I 6, A II 3, A III 2, A IV 7, A V 7, A V 9 Vertagung B I 6, B V 8 Verteidiger B I 2, B II 5, B III 5, B IV 1, BV4 Verteidigungsrecht A V 12 Veruntreuung A I 3, A I 5, A I 7, A II 4, A III 5, A III 6, A IV 8, A IV 9, A V 9, A V 10, A V 12 Verweisung auf den Zivilrechtsweg B IV 11 Verzeihung A III 3 Verzicht – auf Privatanklage A III 3 – auf die Geltendmachung von Ausschließungsgründen B V 2 Videoübertragung B IV 2 volle Berufung B IV 3, B IV 10
Vollmachtsmissbrauch A I 7, A IV 11, A V 11 Vollrausch A V 1 Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung A III 7, A V 12, A V 13 Waffe A II 3, A III 1, A III 4, A IV 10, A V 8 Waffenattrappe A III 4 Waffengebrauch A III 4 –, lebensgefährdender A III 4 –, rechtfertigender A III 1, A III 4 Wahrheitserforschung B V 10 Warnschuss A III 4 widerrechtlich erlangter Schlüssel A IV 4, A IV 6, A V 6 Widerstand gegen die Staatsgewalt A I 8, A III 2, A III 4, A IV 4 Wiederaufnahme des Verfahrens B II 6, B V 12 Wiederbeschaffungswert A III 6 Wissentlichkeit A II 6, A IV 11, A V 1, A V 13 Wohnungsdurchsuchung B V 7 Zahlungsmittel, unbares A I 6, A II 2, A II 4, A III 5, A IV 9, A V 7 Zeugenaussage, falsche A V 13 Zeugnisbefreiung s Aussagebefreiung Zeugnisverweigerungsrecht s Aussageverweigerung Zueignung A I 5, A IV 8, A V 10, A V 12 Zurückziehung des Antrags auf Verfolgung B IV 4 Zusammenrechnung der Werte und Schadensbeträge A III 6, A V 3 Zuständigkeit – des Bezirksgerichts B II 4, B II 7, B III 3, B IV 3 – des Einzelrichters B II 7, B IV 1, B IV 4, B IV 10, B V 1 – des Geschworenengerichts B II 7 – des Schöffengerichts B II 1, B II 3, B II 4, B II 7, B IV 1, B IV 4, B IV 5, B IV 8 – im Ermittlungsverfahren B V 1 –, örtliche B III 7, B IV 7 –, sachliche B II 1, B III 7, B IV 8
231