Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
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Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
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Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht
Begründet von Viktor Bruns
Herausgegeben von Armin von Bogdandy · Rüdiger Wolfrum
Band 208
Michael Rötting
Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union und seine Auswirkungen am Beispiel der Gotovina-Affäre im kroatischen Beitrittsverfahren P Constitutional Accession Process to the European Union The and its Effects Exemplified by the Proceeding Evoked by the causa Gotovina in Croatia’s Accession Process (English Summary)
ISSN 0172-4770 ISBN 978-3-642-01765-0 e-ISBN 978-3-642-01766-7 DOI 10.1007/978-3-642-01766-7 Springer Dordrecht Heidelberg London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2009 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf : WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Meinen lieben Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2008 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. Sie entstand im Kern während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am MaxPlanck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg von 2004 bis Ende 2006. Rechtsprechung und Literatur sind bis Januar 2007 systematisch berücksichtigt. Darüber hinaus ist für die Druckfassung eine Überarbeitung mit Blick auf die durch den Vertrag von Lissabon möglicherweise eintretenden Änderungen der Unionsverfassung erfolgt. Mein herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. Armin von Bogdandy, der mich als Doktorvater stets fördernd und fordernd begleitet hat. Meine Tätigkeit am Max-Planck-Institut, dessen Direktor er ist, öffnete die Türen zu Aufenthalten in Kroatien, Belgien und Österreich, von denen die Arbeit außerordentlich profitiert hat. Herrn Prof. Dr. Stefan Kadelbach danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Rüdiger Wolfrum gebührt mein herzlicher Dank für seine Bereitschaft, die Arbeit in die Reihe der „Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht“ aufzunehmen. Eine Dissertation ist ein Projekt, das ohne die Hilfe von Lehrern, Ratgebern, Freunden und Helfern nicht zu bewerkstelligen wäre. Eine Aufzählung der Personen, denen Dank gebührt, wird immer lückenhaft sein, weshalb ich zögere, eine solche folgen zu lassen. Mein verehrter Lehrer Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Zuleeg hat die Arbeit inhaltlich stärker beeinflusst, als ich in Fußnoten zum Ausdruck bringen kann und ist mir in den schwierigeren Momenten ihrer Entstehung mehrfach mit Rat und aufmunternden Worten zur Seite gestanden. Dr. Frank Hoffmeister und Thomas Hagleitner von der Europäischen Kommission sowie Antoinette Primatarova vom Centre for Liberal Strategies in Sofia haben bereitwillig Auskünfte über einzelne Aspekte des Beitrittsverfahrens erteilt. Wichtige inhaltliche Anregungen verdanke ich Frau Prof. Dr. Anne van Aaken, Frau Prof. Dr. Mahulena Hofmann, dem Philosophen Kai Denker sowie den Teilnehmern des Gesprächskreises EU-Erweiterung am Max-Planck-Institut. Dr. Dietrich Westphal hat sich mit zentralen Teilen des Manuskriptes kritisch auseinandergesetzt. Dagmar Buchhold und Andreas Kalbfleisch schließlich haben die Ar-
VIII
Vorwort
beit in Gänze und mehrfach durchgesehen und jahrelang die mit ihrer Entstehung verbundenen Nervenzusammenbrüche und Nachtschichten stoisch ertragen. Das ist nicht der einzige Grund, weshalb ich ihnen zu Dank verpflichtet bin. Frankfurt, im Juni 2008
Michael Rötting
Inhaltsverzeichnis A. Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung ...... 1 I. Sachverhalt ..................................................................................... 1 II. Relevanz der causa „Gotovina“ ................................................... 4 III. Der kroatische Weg nach Europa................................................. 6 1. Beitritt als gemeinsames Ziel opponierender Parteien in einem Transformationsland .................................................... 7 2. Verfassungsreformen ............................................................. 10 3. Begleitung der Transformation durch die Beteiligung an Präadhesionsinstrumenten und an den Instrumenten der Nachbarschaftspolitik............................. 12 4. Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens .................................................... 16 5. Antrag auf Beitritt ................................................................. 23 IV. Länderauswahl............................................................................. 24 1. Kroatien.................................................................................. 24 2. Seitenblicke und „Krebsgänge“ ............................................ 26 a) Länder in einer aktuell vergleichbaren Situation ........... 27 b) Länder der Süderweiterung: Spanien.............................. 27 c) Länder der Osterweiterung 2004.................................... 28
B. Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren .......................................................................................... 31 I.
Der Beitritt im Spannungsverhältnis zwischen politischem Prozess und rechtlichem Verfahren....................... 31 1. Klärung des Verfahrensbegriffs ............................................ 31 2. Beitrittsverhandlungen als rein politischer Prozess ............ 37 3. Relevanz der Frage, ob ein rechtliches Verfahren vorliegt.................................................................................... 42 II. Der Beitritt als völkerrechtliches Verfahren.............................. 51 1. Anwendbarkeit der allgemeinen Regeln des Völkerrechts ........................................................................... 52 2. Anwendung auf EU-Beitrittsverhandlungen ...................... 55 a) Völkerrechtliche Abstützung einer unionsrechtlich gefällten Entscheidung im Beitrittsverfahren im Fall der Türkei ......................................................................... 58
X
Inhaltsverzeichnis
b) Vermeidung der Entstehung völkerrechtlicher Pflichten im Europaabkommen mit Slowenien............. 60 III. Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren...................................................................................... 62 1. Verfassungsrechtliches oder einfachrechtliches Verfahren ................................................................................ 63 a) Existenz einer Unionsverfassung.................................... 63 b) Historischer Überblick über die Entwicklung des einheitlichen Beitrittsverfahrens ..................................... 68 aa) Historische Entwicklung eines einheitlichen Beitrittsverfahrens ..................................................... 69 bb) Beteiligung des Parlaments und Überführung ins Unionsrecht ......................................................... 72 cc) Fixierung ungeschriebener Normvoraussetzungen.............................................. 73 c) Verfassungsauftrag Erweiterung im gültigen Recht ...... 74 aa) Präambel des EG-Vertrags........................................ 77 bb) Präambel des EU-Vertrags........................................ 81 cc) Kollidierende Verfassungsziele................................. 83 dd) Ergebnis: Erforderlichkeit einer verfassungsrechtlichen Normierung ........................ 84 2. Formelle verfassungsrechtliche Vorgaben ........................... 85 3. Inhaltliche Vorgaben der Art. 49 I 1 EU, 6 I EU für das Beitrittsverfahren ................................................................... 85 4. Methodenfragen zur Ermittlung des Gehalts der verfassungsrechtlichen Vorgaben ......................................... 88 a) Substraktionsmethode ..................................................... 89 b) Methode der positiven Annäherung ............................... 90 IV. Inhaltliche Vorgaben der Verfassung im Beitrittsverfahren......................................................................... 93 1. Europäischer Staat ................................................................. 93 2. Achtung der Freiheit ............................................................. 98 3. Achtung der Demokratie .................................................... 100 4. Ein Unterfall des Demokratieprinzips: Die Wahrung der Rechte der Minderheiten .............................................. 103 5. Achtung der Menschenrechte ............................................. 111 6. Rechtsstaatlichkeit ............................................................... 115 a) Vollständige Kooperation mit dem ICTY als Anwendungsfall des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit ......................................................... 117 aa) S/RES/827 i.V.m. Art. 25 UN-Charta ................... 118 bb) Genfer Konvention ................................................. 119
Inhaltsverzeichnis
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cc) Vertragliche Verpflichtung im Rahmen des Dayton-Abkommens .............................................. 121 dd) Bilaterale Verpflichtung der Republik Kroatien gegenüber dem Kriegsverbrechertribunal und verfassungsrechtliche Selbstverpflichtung ............. 122 ee) Vertragliche Verpflichtung im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses zur Europäischen Union......................................... 124 b) Ergebnis: Verpflichtung aus Art. 49 I 1 EU i.V.m. Art. 6 I EU (Rechtsstaatlichkeit) im Beitrittsverfahren ........................................................... 126 V. Formelle Vorgaben der Verfassung an das Beitrittsverfahren (Art. 49 I 2, II EU)...................................... 128 1. Adressat des Beitrittsantrags............................................... 128 2. Festlegung des Beginns des Beitrittsverfahrens................. 128 3. Einstimmiger Beschluss des Rats........................................ 129 4. Zustimmung des Parlaments............................................... 133 a) Möglichkeit der Einflussnahme des Parlaments in laufenden Beitrittsverfahren.......................................... 135 b) Beispiel: Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung....................................... 136 c) Beispiel: Forderung des auswärtigen Ausschusses des Parlaments zur sofortigen Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien vom 17. März 2005 ................................................................................. 141 5. Anhörung der Kommission ................................................ 142 6. Abkommen in Bezug auf Aufnahmebedingungen und Ratifikation durch die Vertragsstaaten............................... 147 7. Kurzdarstellung der verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahrensschritte ................................................................ 150 VI. Die politische Ausgestaltung der inhaltlichen Vorgaben der Verfassung: Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens .................................. 151 1. Rechtliche oder politische Bindungswirkung der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates ..................... 152 2. Präzisierung der verfassungsrechtlichen Anforderungen oder darüber hinausgehende Erfordernisse? ...................................................................... 156 3. Wirtschaftliche Kriterien..................................................... 158 4. Rechtliche Kriterien: Übernahme des acquis communautaire als faktisch leitender Bezugspunkt.......... 163
Inhaltsverzeichnis
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5. Die Kopenhagener politischen Kriterien als Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Determinanten ..................................................................... 167 a) Zurückbleiben der politischen Beitrittsanforderungen hinter den Vorgaben des Europäischen Verfassungsrechts................................... 169 b) Politische Beitrittsanforderungen übertreffen die Vorgaben des Europäischen Verfassungsrechts ........... 172 c) Identität der Beitrittsanforderungen mit den Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts.......... 175 6. Alternatives völkerrechtliches Verständnis der Kopenhagener Kriterien als Auslegungsregel im Sinne der WVK .............................................................................. 176 VII. Änderungen durch den Vertrag von Lissabon ........................ 177
C. Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane im kroatischen Beitrittsverfahren .............. 181 I.
Beitrittsgesuch als Beginn der Einleitung des Beitrittsverfahrens ..................................................................... 181 II. Die Affäre Gotovina: Verschiebung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien vom 16. März 2005 bis 3. Oktober 2005................................................................... 184 1. Ermittlung des dem Ratsbeschluss zugrunde liegenden Sachverhalts.......................................................................... 185 a) Vorteile der Einbeziehung externen Sachverstands..... 186 b) Gefahren der Einbeziehung externen Sachverstands.................................................................. 186 c) Vorgehen von Kommission und Rat im Vorfeld der Beschlussfassung am 16. März 2005 ............................. 189 2. Probleme des Vorgehens von Kommission und Rat im Vorfeld des 16. März 2005................................................... 196 a) Probleme der Übertragung von verfassungsverfahrensrechtlichen Aufgaben der Kommission an den ICTY für die Arbeit des Gerichtshofs ................................................................... 197 aa) Aufgabengebiet des Kriegsverbrechertribunals .... 197 bb) Einbeziehung in das EU-Beitrittsverfahren außerhalb des zugewiesenen Aufgabenkreises...... 199 cc) Zusätzliches Sanktionsinstrument ......................... 200 dd) Rolle der Anklage.................................................... 204
Inhaltsverzeichnis
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b) Probleme der Übertragung von verfassungsverfahrensrechtlichen Aufgaben der Kommission an den ICTY für das Beitrittsverfahren ........................................................... 207 III. Umgang mit der Beitrittskrise.................................................. 215 IV. Beilegung der Beitrittskrise durch Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien................ 219 1. Der Inhalt des Berichts der ICTY-Chefanklägerin an die EU Task Force on Croatia vom 3. Oktober 2005 ....... 221 2. Die Form des Berichts......................................................... 224 3. Ergebnis................................................................................ 226
D. Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards auf Altmitglieder und Bewerberstaaten ................................ 227 I.
Vergleich des Beitrittsverfahrens mit der Durchsetzung der unionsrechtlichen Anforderungen gegenüber Mitgliedstaaten im Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU.................................................................................... 231 1. Inhaltliche Vorgaben des Suspendierungsverfahrens nach Art. 7 I, 6 I EU (Amsterdamer Vertrag)................... 234 a) Grundsätze des Art. 6 I EU .......................................... 234 b) Schwerwiegende Verletzung ......................................... 235 c) Anhaltende Verletzung .................................................. 238 2. Inhaltliche Vorgaben des Suspendierungsverfahrens nach Art. 7 I, 6 I EU (Vertrag von Nizza) ......................... 240 a) Eindeutige Gefahr .......................................................... 240 b) Schwerwiegende Verletzung ......................................... 241 3. Verfahrensvorgaben ............................................................. 241 a) Frühwarnverfahren ........................................................ 242 aa) Ein Drittel der Mitgliedstaaten............................... 242 bb) Europäisches Parlament.......................................... 243 cc) Kommission............................................................. 243 dd) Begründung des Vorschlags.................................... 246 ee) Zustimmung des Parlaments .................................. 246 ff) Anhörung des betroffenen Mitgliedstaates ........... 247 gg) Weisengutachten ...................................................... 247 hh) Beschlussfassung des Rates..................................... 248 b) Verfahren zur Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung.......................................... 248 aa) Vorschlagsberechtigung und parlamentarische Zustimmung............................................................. 249
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Inhaltsverzeichnis
bb) Stellungnahme des betroffenen Mitgliedstaates .... 249 cc) Feststellung durch den Rat ..................................... 250 c) Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten....................... 251 d) Revisionsverfahren bei Veränderung der Sachlage ...... 255 e) Ausschluss eines Mitgliedstaates? ................................. 256 f) Die Suspendierung der Mitgliedschaftsrechte nach Art. 309 EG und Art. 204 EA ....................................... 258 4. Ergebnisse des Vergleichs zum Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU............................................................................ 259 II. Anwendung gleicher Standards gegenüber Bulgarien und Rumänien ........................................................................... 264 1. Verspätete Länder der Osterweiterung .............................. 264 2. Aufnahmeempfehlung der Kommission............................ 266 3. Bedeutung für das Beitrittsverfahren ................................. 270 III. Anwendung gleicher Standards auf den 28. Mitgliedsstaat.... 275 IV. Schlussbetrachtung: Vorteile des Rechtsverfahrens gegenüber der Politik .................................................................277
Summary............................................................................................... 279 Literaturverzeichnis .......................................................................... 291 Sachregister .......................................................................................... 311
A. Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung I. Sachverhalt Der Rat der Europäischen Union beschloss am 16. März 2005 in der Besetzung als Rat der Außenminister, aufgrund eines fehlenden Konsenses zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien, deren Beginn für den 17. März 2005 terminiert war, diese auf unbestimmte Zeit zu verschieben1. Der Rat begründete seine Entscheidung mit der unzureichenden, da nicht vollständigen Kooperation Kroatiens mit dem Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY). Der Vorwurf unzureichender Kooperation fußte auf Äußerungen der Chefanklägerin des Kriegsverbrechertribunals, Carla Del Ponte. Konkret bemängelte Frau Del Ponte im Vorfeld der Tagung des Rats, dass der als Kriegsverbrecher in Den Haag angeklagte kroatische General Ante Gotovina sich in Reichweite kroatischer Behörden befinde und dennoch nicht an das Kriegsverbrechertribunal überstellt worden sei2. General Ante Gotovina, ein französischer Staatsbürger, der lange in der französischen Fremdenlegion diente, war im in Kroatien so genannten Heimatkrieg 1995 entscheidend beteiligt an der Befreiung serbisch besetzter Teile des kroatischen Territoriums durch die kroatische Armee in der Operation „Oluja“ (Sturm)3. Der Heimatkrieg wird in Kroatien 1
Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 6969/05 (Presse 44) vom 16. März 2005, 2649. Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“, Nr. 9. 2
Siehe Handelsblatt vom 10.3.2005, S. 3 „Kroatien hat bei der EU schlechte Karten“ unter Berufung auf einen – nicht veröffentlichten – Brief der Chefanklägerin Carla Del Ponte an die luxemburgische Ratspräsidentschaft vom 4. März 2005. 3
Zum militärischen Verlauf der Operation „Oluja“ siehe Zabkar, Die strategische Operation „Gewitter“ – Vorbereitungen, Durchführung und mögliche Implikationen, Österreichische Militärische Zeitschrift 1995, Bd. 33, Ausg. 6, S. 665-676.
M. Rötting, Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 208, DOI: 10.1007/978-3-642-01766-7_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
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Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung
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als eine an sich legitime militärische Operation zur Befreiung der serbisch besetzten Teile des Territoriums der Republik aufgefasst. Grundsätzlich dürfte diese Sichtweise auch zutreffen4. Aufgrund seiner militärischen Erfolge in diesem Krieg wurde Gotovina in Kroatien und in den kroatisch bevölkerten Teilen Bosnien-Herzegowinas als Volksheld verehrt. Während des Heimatkrieges ist es aber auch zu Kriegsverbrechen an der nicht kämpfenden serbischstämmigen Bevölkerung in den besetzten Gebieten Kroatiens, vor allem in der Krajina, gekommen5. Für diese sollten die Verantwortlichen, darunter General Ante Gotovina, vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal zur Rechenschaft gezogen werden6. Die Republik Kroatien, die als eine der ersten die Schaffung des Kriegsverbrechertribunals gefordert hat, hat sich in verschiedenen Zusammenhängen zur vollständigen Zusammenarbeit mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal verpflichtet, so auch im Rahmen ihres Annäherungsprozesses an die Europäische Union. Zu dieser Verpflichtung gehört auch, dass die Republik Kroatien den Rechtshilfeersuchen des Kriegsverbrechertribunals nachkommt und vom ICTY gesuchte Kriegsverbrecher, die sich in ihrer Reichweite befinden, an das Kriegsverbrechertribunal überstellt. Zum Zeitpunkt der Verschiebung des Beginns der Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien im März 2005 lässt sich die Frage der Kooperation der Kroaten mit dem ICTY wie folgt quantitativ darstellen. Der ICTY hatte 626 Rechtshilfeersuchen bis März 2005 an die Re4
Die Operation Sturm diente der Inkraftsetzung der kroatischen Verfassung in den besetzten Gebieten Kroatiens. Siehe dazu UN-Dok. S/1995/666, Anhang II: Brief des Präsidenten der Republik Kroatien an den Sonderbeauftragten des Generalsekretärs, 30.7.1995. Vieles spricht dafür, dass die Vereinigten Staaten durch eine „sorgfältig formulierte Mitteilung“ ihres Botschafters Galbraith an den kroatischen Präsidenten Tuđman Kroatien zur Operation Sturm ermutigt haben, um Fortschritte im bosnischen Friedensprozess zu erzielen. Dazu Eisermann, Der lange Weg nach Dayton, S. 327; Rosegrant/ Watkins, Getting to Dayton: Negotiating an End to the War in Bosnia, S. 14. 5
Zu den Drangsalierungen an den ca. 5000 in der Krajina verbliebenen serbischen Einwohnern siehe IP 50 (1995) 12, S. 107-114, Bericht der Sonderberichterstatterin der UN-Menschenrechtskommission, Elisabeth Rehn, vom 3. November 1995 über die Lage der Menschenrechte im früheren Jugoslawien (Auszüge). 6
Vgl. Anklageschrift des ICTY gegen Ante Gotovina, IT-01-45, initial indictment vom 8. Juni 2001, amended indictment vom 24. Februar 2004, beide abrufbar über www.un.org/icty/cases-e/index-e.htm.
Sachverhalt
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publik Kroatien gerichtet. Hiervon sind 625 Rechtshilfeersuchen erfüllt worden7. Insbesondere hatte die Republik Kroatien im März 2005 sämtliche Personen nach Den Haag überstellt, deren Überstellung vom ICTY begehrt worden war. Lediglich General Ante Gotovina war im März 2005 noch nicht an den Gerichtshof überstellt. Damit stand die kroatische Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal in einem kontrastreichen Gegensatz zu den ebenfalls zur Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal verpflichteten Staaten Serbien und Montenegro, die bis Juni 2006 noch einen Bundesstaat bildeten, sowie Bosnien-Herzegowina. Beide Länder begegneten größeren Schwierigkeiten bei der Überstellung vor allem serbischstämmiger mutmaßlicher Kriegsverbrecher. Im Fall des gesuchten Generals Gotovina fasste die kroatische Regierung nach der Überstellung des früheren serbischen Präsidenten Milošević durch Serbien und Montenegro im Jahr 2001 den Beschluss, Gotovina und seinen Mitangeklagten Rahim Adeni nach Den Haag zu überstellen. Der Beschluss führte zum Rücktritt zweier Minister der kroatischen Regierung, die den Volkshelden schützen wollten. Es ließ sich nicht übersehen, dass General Gotovina über hohe Sympathiewerte in der kroatischen Bevölkerung verfügte und der Beschluss der Regierung gegen erhebliche Widerstände gefällt wurde. Adeni wurde an den ICTY überstellt. Ante Gotovina gelang es unterzutauchen8. Es lässt sich nicht ausschließen, dass er 2001 noch über ein ihn deckendes Netzwerk in Teilen der Polizei und der Justiz der Republik Kroatien verfügte, das ihm beim Verlassen des Landes behilflich gewesen sein könnte. Seit Gotovinas Untertauchen im Jahre 2001 betonte die kroatische Regierung fortwährend, dass er sich nicht in Kroatien aufhalte und sie daher keinen Zugriff auf ihn habe. General Ante Gotovina wurde am 8. Dezember 2005 auf der spanischen Ferieninsel Teneriffa festgenommen, nachdem er, aus Mauritius kom-
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Roggemann, Kroatien und die EU – Südosteuropapolitik auf Eis?, Berichte aus und über Osteuropa (BOI) 2005, Bd. 22, S. 52-61 (57); Kim, Balkan Cooperation on War Crimes Issues: 2005 Update, in: Congressional Research Service, Report for Congress, March 28, 2005, RS22097, 2005, S. 5. 8
GB/PIS/606-e, 26. Juli 2001; siehe auch Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 145.
Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung
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mend, mit einem Interpol bekannten gefälschten kroatischen Pass nach Spanien eingereist war9.
II. Relevanz der causa „Gotovina“ Die Verschiebung der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen stellte ein bisher singuläres Ereignis in der Erweiterungsgeschichte der Europäischen Union dar. Als dessen Ursache gab der Rat das von ihm nicht zu erzielende Einvernehmen über die Frage der vollständigen Kooperation der Republik Kroatien mit dem ICTY an10. Die Argumentation, die dem fehlenden Einvernehmen des Rats zugrunde lag, stützte sich darauf, dass die nicht erfolgte Überstellung Ante Gotovinas nach Den Haag einen Beweis für die mangelnde Kooperation der Republik Kroatien mit dem ICTY liefere. Hierdurch kam das Beitrittsverfahren der Republik Kroatien zum Stillstand. Obwohl General Ante Gotovina immer noch nicht an das Kriegsverbrechertribunal überstellt worden war, beschloss der Rat der Europäischen Union am 3. Oktober 2005 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien und zeitgleich mit der Türkei. Damit wurde der Stillstand im kroatischen Beitrittsverfahren überwunden. Im Vorfeld hatte die ICTY-Chefanklägerin Carla Del Ponte am 3. Oktober 2005 die vollständige Zusammenarbeit Kroatiens mit dem Gerichtshof gegenüber einer von der Europäischen Union eingerichteten Task Force bestätigt, obwohl sie wenige Tage zuvor auf einer Pressekonferenz in Zagreb unter Anwesenheit des kroatischen Präsidenten und des kroatischen Premierministers anders lautende Äußerungen gemacht hatte11. Die Informationen, auf die die ICTY-Chefanklägerin
9
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.12.2005, Mutmaßlicher Kriegsverbrecher Gotovina in Spanien festgenommen, S. 1, sowie Schwarz, Als Kriegsheld gefeiert, als Kriegsverbrecher gesucht, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.12.2005, S. 3. 10
Vgl. Rat der Europäischen Union, Pressemitteilung 6969/05 (Presse 44) vom 16.3.2005, 2649. Tagung des Rates Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen, Brüssel, 16. März 2005, S. 9, Absatz 5. 11
Siehe etwa SETimes/ Radio Nizozemska vom 2.9.2005, „Del Ponte poziva EU da izvrši pritisak na Hrvatsku i Srbiju i Crnu Goru glede pune suradnje s ICTY-em“, http://www.setimes.com/cocoon/setimes/xhtml/hr/features/2005/0 9/02/feature-01; Vetter, Kroatien will bereits 2008 in die Union. Diplomaten
Relevanz der causa „Gotovina“
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noch bis Ende September 2005 ihre Äußerung stützte, Gotovina befinde sich in Reichweite kroatischer Behörden, stellten sich mit der Festnahme Gotovinas im spanischen Teneriffa Anfang Dezember 2005 als falsch heraus. Für die vorliegende Arbeit kommt es auf den geklärten Verbleib von Ante Gotovina zwischen März und Dezember des Jahres 2005 nicht an. Auf den Fall „Gotovina“ wird in der Begründung vom 16. März 2005 bezüglich der Verschiebung der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Republik Kroatien durch den Rat der Europäischen Union verwiesen. Der Verweis erstaunt im Wesentlichen durch die Art und Weise, in der er ergangen ist. Diese Geschehnisse im kroatischen Beitrittsverfahren sollen Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung sein. Der verfassungsrechtliche Kern des Beitrittsverfahrens zur Europäischen Union und seine Auswirkungen sollen am Beispiel des kroatischen Beitrittsverfahrens betrachtet werden. Zunächst basiert die folgende Untersuchung auf der Hypothese, dass der Beitritt eines Landes zur Europäischen Union kein rein politischer Prozess zwischen den Mitgliedstaaten und dem Beitrittsstaat ist. Es handelt sich beim Beitritt zur Europäischen Union vielmehr um ein rechtlich geordnetes, rechtsanwendendes Verfahren, dessen Gerüst durch den EU-Vertrag verfassungsrechtlich vorgegeben ist (Teil B). Dieses Verfahren findet seine normative verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 49 EU. Es wird durch die Kopenhagener Beitrittskriterien und weitere Dokumente politisch ausgestaltet. Im Zuge der verschiedenen vergangenen Beitrittsrunden hat es sich auch in seinen nicht unmittelbar verfassungsrechtlich vorgegebenen Voraussetzungen und Verfahrensschritten rechtlich gefestigt. Ziel der verfassungsrechtlichen Vorgaben des rechtlich ausgestalteten Beitrittsverfahrens ist es, die auf Erweiterung und Vertiefung angelegte Europäische Union durch bestimmte verfassungsrechtliche Homogenitätsgebote, die in den Beitrittskriterien zum Ausdruck kommen, vor einer Aushebelung des Europäischen Verfassungsrechts durch überbordende Heterogenität in wesentlichen Wertefragen zu bewahren. Daher sind die Beitrittskriterien identisch mit den Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts als Kern des verfassungsrechtlichen Zusammenhalts in der Europäischen Union. Auf der Grundlage der Ergebnisse zum Beitrittsverfahren und zu seinen materiellen und formellen Gehalten wird der Beschluss vom 16.
erwarten „die kürzesten Verhandlungen der Erweiterungsgeschichte“, Handelsblatt vom 5.10.2005, S. 7.
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Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung
März 2005 über die Verschiebung der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien auf unbestimmte Zeit untersucht. Endpunkt der Untersuchung ist die Beilegung des Konflikts durch die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober 2005 (Teil C). Durch den Beschluss vom 16. März 2005 scheint eine Verletzung der kroatischen Verfahrensrechte möglich. Es wird aufgezeigt, wie der Verstoß politisch und rechtlich bewältigt wurde und welche möglichen Wege existieren, um vergleichbare Krisen zukünftig zu vermeiden. Der letzte Teil der Arbeit (Teil D) beschäftigt sich mit der Frage der Auswirkungen des Verfassungsreformbedarfs der Union nach der Aufnahme des 27. Mitgliedstaates zum 1. Januar 2007. Untersucht wird hier auch, ob Auswirkungen für das nunmehr bereits laufende kroatische Beitrittsverfahren entstehen können.
III. Der kroatische Weg nach Europa Der kroatische Weg nach Europa, also die Transformation des Landes von einer (sozialistischen) Diktatur hin zu einem EU-Mitgliedstaat, weist einige Charakteristika auf, die sich in verschiedenen europäischen Transformationsstaaten wieder finden. Diese Stationen erscheinen daher als typisch für die Entwicklung von Transformationsstaaten, die mittelfristig eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union anstreben. An dieser Stelle sollen am kroatischen Beispiel mit Seitenblick auf die Transformationsprozesse anderer Länder zunächst die typischen Geschehnisse bis zur Stellung eines Antrags auf Mitgliedschaft in der Union nach Art. 49 I 1 EU dargestellt werden. Diese Einschränkung wird aus dem Grund vorgenommen, dass die Stellung eines Antrags auf Mitgliedschaft den ersten Schritt des von Art. 49 EU vorgezeichneten Weges zur Mitgliedschaft in der Union symbolisiert, dem dann weitere in dieser Norm vorgesehene Schritte folgen. Der (faktische) Prozess der Europäisierung eines Landes, das die Mitgliedschaft in der Europäischen Union anstrebt, findet zwar nicht erst mit der Stellung eines solchen Mitgliedschaftsantrags beim Rat statt. Anders als das Vorgehen nach der Stellung des Antrags findet die nähere Anbindung an die Europäische Union vor der Stellung eines Mitgliedschaftsantrags aber keine rechtliche Grundlage in der Regelung des EU-Beitritts im Vertragstext. Formal betrachtet gehört dieser Regelungskreis vor der Stellung des Mitgliedschaftsantrags daher nicht zur Erweiterungskompetenz der
Der kroatische Weg nach Europa
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Union, sondern zu den Außenkompetenzen der Gemeinschaft12 oder zur Außenpolitik der Union13. Dennoch können die außenpolitischen Instrumente effektive Anreize zur erfolgreichen Transformation setzen. Das gilt zumindest, wenn sie durch eine politische Beitrittsoption begleitet werden.
1. Beitritt als gemeinsames Ziel opponierender Parteien in einem Transformationsland In Kroatien zeigt sich, dass sich in der Frage des Beitrittswunsches des Landes zur Europäischen Union ein parteiübergreifender Konsens sonst heftig opponierender und nicht miteinander kooperierender Teile des politischen Spektrums herstellen lässt. Das lässt sich durch einen Blick auf die Regierungsprogramme der sozialdemokratisch geführten Regierung14 sowie ihrer nationalkonservativen Folgeregierung belegen. Vor der Stellung des Mitgliedschaftsantrags sprachen sich im Jahr 2002 alle im Parlament vertretenen Parteien in einer Deklaration für das Ziel der EU-Mitgliedschaft aus. Dieser Konsens hat natürlich unter anderem wirtschaftliche Gründe. Darüber hinaus weist er aber auch eine Identitätskomponente auf. Diese kann grob so skizziert werden, dass die Aufnahme des eigenen Landes in die Europäische Union als Anerkennung der eigenen europäischen Identität, als „europäischer Ritterschlag“, ja bisweilen sogar als „Aufnahme in die Familie der europäischen Nationen“, so im Falle
12
In Betracht kommen Art. 310 EG für rechtlich verbindliche Assoziierungen oder Art. 133, 308 EG für Kooperations- und Handelsabkommen, in deren Rahmen nur unverbindliche Empfehlungen gegeben werden. 13
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union ist in Art. V des EU-Vertrags geregelt. Für einen Überblick siehe Marquardt in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Vorbem. zu den Art. 11 bis 28 EU, v.a. Rn. 4 und 7; zu Art. 24 EU, der eine Kompetenz zum Abschluss von Übereinkünften mit Drittstaaten enthält Marquardt in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 24 EU. 14
Hierzu Government of the Republic of Croatia, Action Plan for European Integration of the Republic of Croatia, S. 15ff. (v.a. Punkt 1.2. “Importance of EU Integration for Croatia”).
Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung
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Sloweniens15 und Kroatiens16, interpretiert wird. Für die Republik Kroatien lässt sich der Konsens der opponierenden Teile des Parteienspektrums anschaulich bei der Betrachtung des Regierungswechsels 2003 aufzeigen, bei dem die in die Regierung gewählte, bisher als nationalkonservativ bewertete HDZ-Partei17 nicht müde wurde, ihr Festhalten am europäischen Weg zu betonen18. Nachdem die von der HDZ geführte Regierung das Land zwischen 1995 und 1999 international isoliert hatte, hatten viele Beobachter einen Rückfall in diese Zeit befürchtet, so auch die EU-Kommission19. Dass die HDZ-Regierung Sanader die Reformanstrengungen zum EU-Beitritt engagiert fortführte, belegt die Attraktivität des EU-Beitritts. Auch in anderen europäischen Transformationsstaaten zeigt sich, beginnend mit den demokratischen Wandlungsprozessen in Südeuropa in den späten siebziger und achtziger Jahren, die in die Süderweiterung 1982 / 1986 gemündet sind, dass die Anstrengungen zum Beitritt zur Europäischen Union eine gemeinsame Perspektive sonst heftig zerstrittener und über den Kurs des Landes streitender opponierender Parteien bieten können. Detailliert politologisch untersucht wurde dieser Sachverhalt etwa für den Fall des Königreichs Spanien. Hier konnten sich in der transición das sozialistische und das konservative Lager, die sich bis heute im politischen Spektrum des Landes ungewöhnlich unversöhnlich gegenüberstehen, darauf einigen, dass gemeinsame Anstrengungen zur Einhaltung der europäischen Standards erforderlich sind. Wie kaum ein anderes beitretendes Land hat Spanien nicht nur von den wirtschaftlichen Anreizen der Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft
15
Šabič/ Brglez, The national identity of post-communist small states in the process of accession to the European Union: the case of Slovenia, Communist and Post-Communist Studies 2002, Bd. 35, S. 67-84 (67). 16
Government of the Republic of Croatia, Action Plan for European Integration of the Republic of Croatia, S. 15. Hier wird als Ziel der kroatischen EUMitgliedschaft angegeben, “to confirm the role of Croatia as a significant and creative member of the European family of nations” (Hervorhebung vom Verfasser). 17
Hrvatska Demokratska Zajednica (Kroatische Demokratische Union).
18
Vgl. Kušić, Kroatien nach dem Regierungswechsel: Weiterhin auf EUKurs?, Südosteuropa 2003, Bd. 52, Ausg. 7-9, S. 381-387. 19
Vgl. nur EU-Kommission, COM(2004) 257 final vom 20 April 2004, Opinion on the application of Croatia for membership of the European Union, Punkt 1.1.1., S. 13 (S. 16 dt. Fassung).
Der kroatische Weg nach Europa
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profitiert, sondern auch seine Verfassunggebung, Rechtsetzung und Rechtspraxis am Beispiel anderer EG-Mitgliedstaaten orientiert20. Die Beitrittsperspektive zur Europäischen Union setzt somit für europäische postdiktatorische Staaten einen entscheidenden Anreiz, ihre Rechtsordnungen zu transformieren. Zu diesem Ergebnis kommt das Magazin „Economist“ in seinem „Survey of EU enlargement“ vom November 200321. Hier wird zudem vertreten, dass die Europäische Union als Modell für die (Wieder-) Errichtung demokratischer Institutionen diene22. In ähnlicher Richtung argumentiert der ehemalige außenpolitische Berater Tony Blairs und spätere Generaldirektor für Außen- und Sicherheitspolitik beim Europäischen Rat, Robert Cooper, in seinem 2003 erschienenen Buch „The Breaking of Nations“. Nach Cooper stellt die Europäische Union die am weitesten reichende Form imperialer Expansion dar23. Das zeige sich daran, dass in den letzten Jahren Länder in ganz Mittel- und Osteuropa ihre Verfassungen, Gesetze und Marktregelungen aufgrund der Beitrittsperspektive transformiert hätten24. Sie ordneten sich damit einem hegemonialen Strukturprinzip unter, das die 20
Siehe hierzu die deutlichen Bezüge der spanischen Verfassung von 1978 zum Grundgesetz, vgl. Stein, Die Integration Deutschlands und Spaniens in die Europäische Union unter besonderer Berücksichtigung von Bundesländern und Autonomen Gemeinschaften, in: Fernández Segado (Hrsg.), La Constitución Española en el Contexto Constitucional Europeo, S. 421-447; siehe zur Vorbildlichkeit der spanischen Verfassung Häberle, Die Vorbildlichkeit der spanischen Verfassung von 1978 aus gemeineuropäischer Sicht, in: Fernández Segado (Hrsg.), La Constitución Española en el Contexto Constitucional Europeo, S. 559-577 und für den Einfluss auf mittelosteuropäische Staaten Garlicki, The 1978 Constitution of Spain and the Drafting of the 1997 Constitution of Poland, in: Fernández Segado (Hrsg.), La Constitución Española en el Contexto Constitucional Europeo, S. 545-557; Complak, El uso de la Constitución Española de 1978 en la Constituyente Polaca, in: Fernández Segado (Hrsg.), La Constitución Española en el Contexto Constitucional Europeo, S. 523-544; Klíma, El sistema constitucional de la República Checa como un sistema constitucional de transición (una comparación con el sistema constitucional de España), in: Fernández Segado (Hrsg.), La Constitución Española en el Contexto Constitucional Europeo, S. 731-739. 21 22 23 24
Economist, 22. November 2003, Survey on EU enlargement. Economist, 22. November 2003, Survey on EU enlargement, S. 3. Cooper, The breaking of nations, S. 71. Cooper, The breaking of nations, S. 71 f.
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Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung
Vereinheitlichung gewisser Strukturen in ganz Europa anstrebt. Cooper betont, dass diese Reformen „have been taken voluntarily with a view to joining the empire, securing a seat at its table and a voice in its government“25. Er stellt sodann die These auf, dass die Beitrittsperspektive eine lebenswichtige Rolle bei der Stabilisierung der Länder des Balkans und der Anregung von demokratischen und rechtsstaatlichen Reformen in anderen europäischen Ländern spiele26. Die erfolgreichen Transformationen in Kroatien und Slowenien könnten als Beleg dieser These dienen.
2. Verfassungsreformen Ein parteiübergreifender Konsens über das zu erreichende Ziel einer Aufnahme in die Europäische Union erleichtert es in der Transformation erheblich, das Rechtssystem im Hinblick auf eine Einhaltung der Beitrittsvoraussetzungen zu reformieren. Die jeweiligen politischen Akteure nutzen das „EU-Argument“ in der politischen Debatte. So gelingt es diesen Akteuren mittels Schaffung des Bewusstseins von der Notwendigkeit der Erfüllung der Beitrittskriterien bereits frühzeitig im Transformationsprozess, die Reform der Rechts- und Verfassungsordnung ihres vormals diktatorischen Landes an den Beitrittskriterien auszurichten. Daher spielen auch in diesem verhältnismäßig frühen Moment der Transformation bereits die Anforderungen des in Art. 49 EU geregelten Beitrittsverfahrens eine Rolle. Diese ist in den vergangenen Jahren immer stärker geworden. Im Rahmen der spanischen Transición27 spielte etwa das Bemühen der Spanier um die Etablierung einer funktionierenden Demokratie im Wesentlichen aus spanischen Motiven eine wichtige Rolle, während die Instrumente der Nachbarschaftspolitik zumindest während den Jahren der Franco-Diktatur in Bezug auf die Konvergenz Spaniens mit den Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts in ihrer damals noch weniger ausgestalteten Variante quasi wirkungslos blieben. Anders gestaltete sich diese Entwicklung etwa im Fall der slowenischen Verfassung, die aus Gründen der Europafähigkeit
25 26 27
Cooper, The breaking of nations, S. 72. Cooper, The breaking of nations, S. 72.
Hierzu Sánchez González/ Mellado Prado, La Constitución Democrática Española y sus Fuentes, S. 80-83.
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des Landes konkrete Anpassungen erlebt hat28. Ähnlich wurden in Folge des Regierungswechsels in Kroatien nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Januar 2000 zwei Verfassungsänderungen im November 2000 und im März 2001 initiiert, in denen im Hinblick auf die Europafähigkeit des Landes umfangreiche Änderungen im institutionellen Bereich, im Übergang zur parlamentarischen Demokratie und in der Kompetenzabgrenzung der drei Gewalten zueinander vorgenommen wurden29. Die Republik Kroatien hat im Hinblick auf ihren Beitrittswunsch in fast allen Punkten ihres Rechtssystems Transformationen eingeleitet. Diese werden beispielsweise in der Stellungnahme der Kommission zum Antrag Kroatiens auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union dargestellt und gewürdigt30. Im Einzelnen betrifft dies etwa die Ablösung des semipräsidentiellen Systems der Tuđman-Ära mit seinen teilweise schwachen demokratischen Zügen31 durch ein rein parlamentarisches Demokratiemodell im Zuge der Verfassungsreform 200032, die Umstrukturierung des Polizeiapparats33 und die Arbeitsweise des Justizwesens34. Wichtig im Hinblick auf die Beitrittsfähigkeit war auch die Verbesserung der Rechte vor allem der serbischen Minderheit durch das Verfassungsgesetz zum Schutz der nationalen Minderheiten, durch den Beitritt zum Europaratsübereinkommen über den Schutz der 28
Konkret wurden die Bestimmungen zum Wahlsystem angepasst und Art. 68 der slowenischen Verfassung dahingehend geändert, dass das Verbot des Grunderwerbs für Ausländer aufgehoben wurde. Vgl. Lukšič, Das politische System Sloweniens, in: Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Osteuropas, S. 603-638 (608). 29
Vgl. zusammenfassend Kušić, Kroatiens Wirtschaft auf dem Weg in die EU, Südosteuropa 2006, S. 214-234 (217). 30
EU-Kommission, COM(2004) 257 final vom 20 April 2004, Opinion on the application of Croatia for membership of the European Union, Teil B. 1. 31
Zakošek, Das politische System Kroatiens, in: Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Osteuropas, S. 639-679 (646 ff.). 32
EU-Kommission, COM(2004) 257 final vom 20 April 2004, Opinion on the application of Croatia for membership of the European Union, Punkt 1.1. “Democracy and Rule of Law”, S. 12, S. 15 der deutschen Fassung. 33
EU-Kommission, COM(2004) 257 final vom 20 April 2004, Opinion on the application of Croatia for membership of the European Union, Punkt 1.1.2. a.E., S. 15, S. 18 der deutschen Fassung. 34
EU-Kommission, COM(2004) 257 final vom 20 April 2004, Opinion on the application of Croatia for membership of the European Union, Punkt 1.1.3., S. 20-23 der deutschen Fassung.
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Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung
Menschenrechte und durch diverse einfachgesetzliche Initiativen35. Ohne den Blick auf die Beitrittsanforderungen wären diese Verbesserungen politisch in Anbetracht der serbisch-kroatischen kriegerischen Auseinandersetzungen im Zuge der Unabhängigkeitserklärung der Republik Kroatien von der Bundesrepublik Jugoslawien erheblich schwerer durchsetzbar gewesen. Diese historische Ausgangslage erklärt auch, weshalb insbesondere die Verbesserung der Situation der serbischen Minderheit besondere Anstrengungen von der kroatischen Seite verlangt, die nicht immer sofort umgesetzt werden können36.
3. Begleitung der Transformation durch die Beteiligung an Präadhesionsinstrumenten und an den Instrumenten der Nachbarschaftspolitik Einen nicht zu unterschätzenden Hintergrund für die Orientierung der Transformation an Kriterien, die vom Europäischen Verfassungsrecht determiniert werden, bilden neben den Beitrittskriterien auch die Anforderungen, die von Seiten der Europäischen Union an Staaten gestellt werden, die sich vertraglich im Rahmen von sogenannten „Partnerschafts- und Kooperationsabkommen“ (mit osteuropäischen Ländern) oder von Assoziierungsabkommen (mit Mittelmeeranrainerstaaten und anderen Staaten) an die Union binden. Rechtsgrundlage der Assoziierungsabkommen ist Art. 310 EG, der es der Gemeinschaft erlaubt, Abkommen zu schließen, die eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren herstellen. Auf der Grundlage der Europäischen Sicherheitsstrategie, die am 12. Dezember 2003 vom Europäischen Rat zu Brüssel gebilligt wurde37 und die letztlich ihre Verankerung in Titel V des EU-Vertrags findet, entwickelte die Kommission ein Strategiepapier zur Europäischen Nachbar35
EU-Kommission, COM(2004) 257 final vom 20 April 2004, Opinion on the application of Croatia for membership of the European Union, Punkt 1.2., S. 24 der deutschen Fassung, und Punkt 1.2.3., S. 29 der deutschen Fassung. 36
Vgl. den aufgezeigten Handlungsbedarf, EU-Kommission, COM(2004) 257 final vom 20 April 2004, Opinion on the application of Croatia for membership of the European Union, Punkt 1.2.3., S. 30 der deutschen Fassung. 37
Siehe „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt – Europäische Sicherheitsstrategie“, online abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/uedocs/c msUpload/031208ESSIIDE.pdf.
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schaftspolitik38. Demnach ist die Europäische Nachbarschaftspolitik ein rein politisches Instrument, dessen Ziel es sein soll, die Vorteile der EUOsterweiterung 2004 mit den östlichen und südlichen Nachbarstaaten zu teilen, um das Entstehen neuer Trennlinien zu vermeiden. So soll ein Ring stabiler, befreundeter Staaten um die EU herum errichtet werden. Zu diesem Zweck erstellt die Kommission Länderberichte; sodann werden mit jedem einzelnen Land Aktionspläne vereinbart, deren Umsetzung die Kommission in regelmäßigen Berichten überwacht39. Als Anreiz zur Teilnahme werden die vereinbarten Reformen durch technische und finanzielle Hilfe aus den EG-Fonds unterstützt. Der einzige Sanktionsmechanismus der Union bei mangelnder Umsetzung ist es, diese technische und finanzielle Förderung auszusetzen. Die Nachbarschaftspolitik soll sich dabei klar von der Erweiterungspolitik, die ihre Grundlage in Art. 49 EU findet, unterscheiden40. Dennoch bezieht sich die Nachbarschaftspolitik nicht ausschließlich auf Länder, denen der Beitritt zur Europäischen Union nach Art. 49 EU mangels Zugehörigkeit zu Europa nicht offen steht, was eine durchaus denkbare und stimmige Konzeption wäre, die auch verschiedentlich vertreten wurde. Zwar wird der westliche Balkan nicht in das Instrument der Nachbarschaftspolitik einbezogen; neben den Mittelmeeranrainern41 und den Ländern des Kaukasus42 inkludiert die Nachbarschaftspolitik auch Weißrussland, Moldawien und die Ukraine, denen die Zugehörigkeit zum europäischen Kontinent nicht abgesprochen werden kann und denen folglich bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen ein Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU offen stehen müsste. Die Europäische Nachbarschaftspolitik lässt sich folglich nur als ein parallel zum Beitrittsverfahren bestehendes politisches Instrument auffassen, das – anders als das Beitrittsverfahren – auch nichteuropäischen Staaten angeboten wird. Mit Art. 7a EU in der Fassung des Vertrages 38
EU-Kommission, KOM(2004) 373 endgültig vom 12.5.2004, Mitteilung der Kommission, Europäische Nachbarschaftspolitik, Strategiepapier. 39
Für eine genauere Beschreibung der Funktionsweise siehe die Webseite der EU-Kommission, http://ec.europa.eu/world/enp/howitworks_de.htm. 40
EU-Kommission, KOM(2004) 373 endgültig vom 12.5.2004, Mitteilung der Kommission, Europäische Nachbarschaftspolitik, Strategiepapier, S. 3. 41
Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, die Palästinensische Autonomiebehörde, Syrien und Tunesien nahmen im Oktober 2006 an der ENA teil. 42
Armenien, Aserbaidschan und Georgien.
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von Lissabon wird sie auf eine eigenständige Kompetenzgrundlage gestützt, die normativer Ausgangspunkt einer Annäherung an ein rechtlich geordnetes Verfahren sein könnte, das wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen aber strikt vom Beitrittsverfahren getrennt bleiben muss. Die Rechtsordnung der Europäischen Union kennt also verschiedene Instrumente, um Staaten bei der Transformation der Rechts- und Wirtschaftsordnung zu unterstützen. Für beitrittswillige europäische Staaten in Mittelosteuropa (Beitrittsrunde 2004), auf dem Balkan und für die Türkei wurde im politischen Bereich eine so genannte Präadhesionsstrategie43 („pre-accession strategy“) entwickelt, also eine Strategie der Heranführung an das Beitrittsverfahren mit entsprechenden Instrumenten, die strukturelle Parallelen zur Nachbarschaftspolitik erkennen lässt. Sie umfasst den strukturierten Dialog, finanziell ausgestattete Programme wie das PHARE-Programm44, das ISPA-Programm45,
43
Zur Begriffsprägung „Präadhesion“ (Präadhesionsstrategie der Kommission) und „Präadhesionsprozess“ vgl. Vedder in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), Kommentar zum EUV/ EGV, Art. 49 EUV, Rn. 60. Die Bezeichnung des Prozesses in der Literatur ist nicht einheitlich, Meng spricht etwa von „intensivierter Heranführung“, Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 49. Vorliegend werden die Begriffe Heranführungsstrategie und Präadhesionsstrategie bzw. -prozess synonym verwendet, um den politischen Prozess der Heranführung potentieller Beitrittsländer an den Rechtsrahmen der Union zu kennzeichnen. 44
Poland Hungary Assistance for the Restruction of the Economy (seit 1989), das rasch für alle mittelosteuropäischen Länder geöffnet wurde. Seit dem Rat von Luxemburg vom 12. und 13. Dezember 1997 dient PHARE explizit auch der Beitrittsvorbereitung, siehe hierzu die Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Rn. 15, http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressDat a/de/ec/00400.D7.htm. Zu allen finanziellen Unterstützungsprogrammen für den Transformationsprozess siehe Dauderstädt, Transformation und Integration der Wirtschaft der postkommunistischen Beitrittsländer, Aus Politik und Zeitgeschichte 2004, Bd. 5-6, S. 15-24 (22f.). Siehe auch die PHARE, ISPA, SAPARD-Broschüre der EU-Kommission unter http://europa.eu.int/comm/ enlargement/pas/sapard.htm und die ausführlicheren Dokumentationen der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, Europäische Kommission / Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, Evaluation of the pre-accession economic programmes of candidate countries; Europäische Kommission / Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, Pre-accession economic programme of the acceding and other candidate countries. Overview and assessment, Brüssel 2003 und 2005.
Der kroatische Weg nach Europa
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das SAPARD-Programm46 sowie TAIEX47. Auch hier wird die vertragliche Grundlage abgebildet durch die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, die für die mittelosteuropäischen Staaten als Europaabkommen bezeichnet wurden. Dabei hängt im Sinne der Konditionalitätsklausel die Verfügbarkeit finanzieller Maßnahmen von den Fortschritten der Teilnehmerstaaten und insbesondere von der Übernahme des acquis communautaire ab48. Auch im Rahmen der Europaabkommen und der Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen erstellt die Kommission jährliche Fortschrittsberichte über die Umsetzung der vereinbarten Reformen. Rechtlicher Rahmen dieser Heranführungsstrategien ist jedoch auch hier nicht die Möglichkeit eines Beitritts zur Union nach Art. 49 EU. Art. 49 EU lassen sich schon dem Wortlaut nach keine Hinweise auf eine wie auch immer geartete Präadhesionsstrategie vor dem Stellen eines Mitgliedschaftsantrags entnehmen. Als adäquater rechtlicher Rahmen kommt für die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen als vertraglicher Rahmen erneut nur die Kompetenz der Gemeinschaft in Betracht, mit Staaten Abkommen zu schließen, die eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren herstellen, Art. 310 EG. Damit findet sich die Rechtsgrundlage der Präadhesionsinstrumente in einer Außenkompetenznorm der Union49. Gleiches trifft für die Teilnahme an den Instrumenten der Nachbarschaftspolitik der Union zu. Ein Unterschied lässt sich lediglich qualitativ in Bezug auf die vereinbarten Reformanstrengungen ermitteln. Während die Teilnahme an der Europäischen Nachbarschaftspolitik auch nichteuropäischen Nachbarländern ermöglicht wird, steht die Teilnahme an Präadhesionsinstrumenten nur möglichen 45
Instrument for Structural Policies for Pre-Accession, es handelt sich um einen mit ca. 1 Milliarde Euro ausgestatteten Strukturfonds für die Bereiche Umwelt und Infrastruktur. 46
Special Accession Program for Agricultural and Rural Developments, ab 1999/2000, ausgestattet mit ca. 500 Millionen Euro jährlich. 47
Technical Assistance Information Exchange Office, ein Instrument zum Austausch von Expertenwissen. 48
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 49. 49
Vgl. hierzu Weber in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 310 EG, Rn. 61ff., der von Beitrittsassoziierung spricht.
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Beitrittskandidaten nach Art. 49 EU, also europäischen Staaten offen. Instrumente wie das PHARE-Programm oder das TAIEX-Programm werden jedoch parallel in der Nachbarschaftspolitik wie im Rahmen der Präadhesionsstrategie angewendet. Die Vorbereitungen für die Einführung eines finanziellen Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments laufen50.
4. Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens Der Transformationsprozess in europäischen postdiktatorischen Staaten wird häufig begleitet durch den Abschluss eines Assoziierungsabkommens des betreffenden Landes mit der Europäischen Union. Im Fall der mittelosteuropäischen Länder der Beitrittsrunde 2004 hießen diese Assoziierungsabkommen „Europaabkommen“, im Fall der Länder des westlichen Balkans werden sie, im begrifflichen Einklang mit der politischen Strategie eines Stabilisierungsprozesses auf dem westlichen Balkan als „Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen“ bezeichnet. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Assoziierungen sich, wie oben gezeigt, auf eine Außenkompetenznorm der Gemeinschaft stützen. Anders als Art. 49 EU bezieht sich Art. 310 EG nicht auf einen Beitritt. Das Assoziierungsabkommen begründet einen vertraglichen Rahmen für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem assoziierten Land. Es kann daher – so etwa im Fall der Europaabkommen der postsozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas, die 2004 Unionsmitglieder wurden – den Weg zur Vollmitgliedschaft ebnen. Das liegt darin begründet, dass im Rahmen dieses Abkommens Verpflichtungen implementiert werden können, die gleichzeitig die Erfüllung der Beitrittskriterien erleichtern. Die Kommission hat bereits im Jahr 1992 die Assoziierung mit beitrittswilligen Ländern als geeignetes Heranführungsinstrument propagiert51, was 1997 vom Europäischen Rat in Lu-
50
Vgl. EU-Kommission, KOM(2004) 628 endgültig vom 29.9.2004, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit allgemeinen Bestimmungen zur Schaffung eines Europäischen Nachbarschaftsund Partnerschaftsinstruments. 51
EG-Kommission, Die Erweiterung Europas: eine neue Herausforderung, BullEG, Beilage 3-92, Ziffer 34ff. Siehe auch KOM(1994) 361 endg. vom 27.7.1994.
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xemburg dankbar aufgenommen52 und auf dem Europäischen Rat von Santa Maria da Feira im Juni 2000 für den Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess mit den Ländern des westlichen Balkans bekräftigt wurde53. Daher stellt ein abgeschlossenes Assoziierungsabkommen regelmäßig die rechtliche Grundlage für die Beziehungen eines beitrittswilligen Staates mit der Europäischen Union bis zum Beitritt dar54. Die Bindungen, die durch das Assoziierungsabkommen als völkerrechtlichem Vertrag eingegangen werden, eignen sich ebenso, um im Rahmen eines Beitrittsverfahrens nach Art. 49 EU die Beziehungen zwischen dem Beitrittskandidaten und der Union zu regulieren und zu präzisieren. Daher wird das Instrument der Assoziierung auch zur Annäherung im Rahmen eines Beitrittsverfahrens genutzt. Assoziierungsabkommen nehmen also für beitrittswillige Länder eine Doppelrolle ein. Sie sind auf der einen Seite völkerrechtliche Verträge, die die Europäische Union mit ihnen auf der Grundlage der Kompetenz der Gemeinschaft nach Art. 310 EG, Assoziierungen mit gegenseitigen Rechten und Pflichten herzustellen, abgeschlossen hat und regeln die besonderen Beziehungen des assoziierten Landes zur EU55. Andererseits wird der Assoziierungsvertrag als vertragliche Grundlage zur Umsetzung der Verpflichtungen herangezogen, die sich aus dem Beitrittsverfahren ergeben. Assoziierungsverträge finden damit einen Platz im Auftreten der Gemeinschaft gegenüber Drittstaaten und gründen sich rechtlich auf die Außenkompetenznorm des Art. 310 EG, dienen aber auch als vertragli52
Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Regierungskonferenz des Europäischen Rates von Luxemburg vom 12. und 13.12.1997, Rn. 1-30. 53
Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Santa Maria da Feira), 19. und 20. Juni 2000, Schlussfolgerung 67, http://www.consilium.europa.eu /ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/00200-r1.d0.htm. 54
Für den kroatischen Fall so explizit EU-Kommission, COM(2004) 257 final vom 20 April 2004, Opinion on the application of Croatia for membership of the European Union, S. 9. 55
Zur Typologie der Assoziierungsabkommen als Freihandelsassoziierung, Beitrittsassoziierung und Entwicklungsassoziierung, die alle auf der identischen Rechtsgrundlage des Art. 310 EG beruhen, siehe Weber in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 310 EG, Rn. 54 f. Konkret zur Beitrittsassoziierung als besonderer Form des Assoziierungsabkommens am Beispiel von Griechenland, der Türkei und den Europaabkommen mit den mittelosteuropäischen Ländern ebendort, Rn. 61-72.
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che Grundlage der Ausgestaltung des Beitrittsverfahrens, das gerade darauf zielt, dass einem Drittstaat eine Perspektive zur Aufnahme als gleichrangiges Mitglied in die Union eröffnet wird. Das Ziel der Begründung eines Unionsverhältnisses setzt gerade die Beendigung des Assoziierungsverhältnisses voraus. Art. 49 EU als Norm, die den Beitritt zur Union regelt, lässt sich hingegen kein Hinweis auf den verbindlichen Abschluss eines Assoziierungsabkommens als Voraussetzung des Beitritts entnehmen. Die Kommission hat in ihrem Strategiepapier 2005 dementsprechend für die Westbalkanländer die effektive Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwar politisch zur unerlässlichen Voraussetzung dafür gemacht, dass die Europäische Union einen Beitrittsantrag in Erwägung zieht56. Diese Verpflichtung auf den Abschluss eines Stabilisierungsund Assoziierungsabkommens ist aber rein politischer Natur und kann folglich auch im Rahmen des politischen Ermessens abgeändert werden. Nachdem das Instrument der Assoziierung zur Vorbereitung des Beitritts gut funktioniert, ist hiervon freilich nicht auszugehen. Die Aussicht auf Mitgliedschaft in der Union mit den durch diese Mitgliedschaft konkret verbundenen Einflussmöglichkeiten verleiht dem vertraglichen Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses einen ungleich effektiveren Rahmen als die Nutzung des identischen Instruments in der Außen- und Nachbarschaftspolitik. Der dargestellten Doppelrolle entsprechend, führt der Abschluss eines Assoziierungsabkommens auch nicht automatisch auf den Weg zur Mitgliedschaft in der Union, was sich daran zeigen lässt, dass Assoziierungsabkommen auch mit Staaten geschlossen werden, denen – etwa, weil sie nicht in Europa liegen – jegliche Beitrittsperspektive fehlt57. 56
EU-Kommission, COM (2005) 561 vom 9.11.2005, Communication from the Commission: 2005 enlargement strategy paper, S. 10 (“essential element for the EU to consider any membership application”). 57
Vgl. etwa das zum 1. März 2000 in Kraft getretene Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Union und Marokko. Zur Entwicklungskooperation im Rahmen von Assoziierungen siehe Weber in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 310 EG, Rn. 73ff., der aber fälschlicherweise die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit den Ländern des westlichen Balkans trotz der hier existierenden Beitrittsperspektive mit den Entwicklungsassoziierungen mit afrikanischen Staaten wie Tunesien, Algerien und Marokko gleichstellt. Siehe hierzu Koooperationsabkommen mit Tunesien vom 25.4.1976 (in Kraft seit 1.11.1978), ABl. 1978 Nr. L 265 S. 1ff.; Kooperationsabkommen mit Algerien vom 26.4.1976 (in Kraft seit 1.11.1978),
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Das Beitrittsabkommen mit der Türkei zeigt zudem, dass selbst die ausdrückliche Erwähnung des Beitrittsziels im Abkommen58 – eine solche wurde in den Europaabkommen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten vor deren Beitritt im Jahre 2004 sorgfältig vermieden – nicht auf einen „fast track“ zum Beitritt führen muss, wenn dem politische, wirtschaftliche, rechtliche oder andere Gründe entgegenstehen. Im Falle Kroatiens wurde das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen59 am 14. Mai 2001 paraphiert, am 29. Oktober 2001 unterzeichnet und von Kroatien am 30. Januar 2002 ratifiziert. Der Ratifikationsprozess in den EU-Mitgliedstaaten war bis 2004 abgeschlossen; die Osterweiterung 2004 machte ein Erweiterungsprotokoll erforderlich. Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen trat daher zum 1. Februar 2005 in Kraft60. Es ersetzt das seit dem 1. März 2002 geltende Interimsabkommen zwischen Kroatien und der Europäischen Union, das sich jedoch im Wesentlichen auf die Regelung von Handelsfragen beschränkte und dementsprechend auf Art. 133 EG stützte61. Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen bildet nunmehr den vertraglichen Rahmen für die Beziehungen der Europäischen Union mit Kroatien während des Heranführungszeitraumes an die Mitgliedschaft62. Es stellt zugleich, wegen der eingefrorenen politischen Beziehungen der Europäischen Union zwischen den Ereignissen des Jahres 1995 und dem Regierungswechsel nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2000, die erste umfassende vertragliche BeABl. 1978 Nr. L 263 S. 1ff.; Kooperationsabkommen mit Marokko vom 27.4.1976 (in Kraft seit 1.11.1978), ABl. 1978 Nr. L 295 S. 35f. 58
Art. 28 und Art. 3 der Präambel des türkischen Assoziationsabkommens 1964, ABl. 1964 Nr. 217, S. 3685. 59
Vgl. EU-Kommission, COM(2001) 371 final vom 09.07.2001, Proposal for a Council Decision concerning the signature of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and its Member States and the Republic of Croatia on behalf of the European Community; Proposal for a Council and Commission Decision concerning the conclusion of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and their Member States, of the one part, and the Republic of Croatia, of the other part. 60
IP/05/, Pressemitteilung vom 1. Februar 2005.
61
Interimsabkommen über Handel und Handelsfragen zwischen der Europäischen Gemeinschaft einerseits und der Republik Kroatien andererseits, ABl. EG Nr. L 330 vom 14.11.2001, S. 3ff. 62
IP/05/, Pressemitteilung vom 1. Februar 2005.
Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung
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ziehung zwischen der Republik Kroatien und der Europäischen Union dar63. Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen behandelt unter anderem den politischen Dialog, die regionale Zusammenarbeit Kroatiens mit anderen Ländern des westlichen Balkans, die vier Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts, die Anpassung der kroatischen Rechtsordnung an den acquis communautaire, die Zusammenarbeit mit Kroatien in den Politikbereichen der Gemeinschaft sowie Verpflichtungen der kroatischen Seite in Bezug auf die in Art. 6 I EU normierten Grundsätze, auf denen die Europäischen Union beruht. Häufig werden hierin präzisere Verpflichtungen geschaffen als sie dem allgemeinen Rahmen des Unions- und Gemeinschaftsrechts unmittelbar zu entnehmen sind64. In Bezug auf die Grundfreiheiten wird etwa in Art. 15 die Errichtung einer Freihandelszone für gewerbliche Waren und die meisten landwirtschaftlichen Erzeugnisse vereinbart, die binnen sechs Jahren nach Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens verwirklicht sein soll65. Die Angleichung der kroatischen Rechtsordnung an den gemeinschaftlichen Besitzstand wird in Art. 69 Nr. 1 des Abkommens verpflichtend festgelegt. Hier heißt es: “The Parties recognise the importance of the approximation of Croatia’s existing legislation to that of the Community. Croatia shall
63
EU-Kommission, COM(2001) 371 final vom 09.07.2001, Proposal for a Council Decision concerning the signature of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and its Member States and the Republic of Croatia on behalf of the European Community; Proposal for a Council and Commission Decision concerning the conclusion of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and their Member States, of the one part, and the Republic of Croatia, of the other part, S. 2, Explanatory Memorandum. 64
Siehe Rodin, Croatia, in: Blockman/ Łazowski (Hrsg.), The European Union and Its Neighbors, S. 358-390 (366-373). 65
EU-Kommission, COM(2001) 371 final vom 09.07.2001, Proposal for a Council Decision concerning the signature of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and its Member States and the Republic of Croatia on behalf of the European Community; Proposal for a Council and Commission Decision concerning the conclusion of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and their Member States, of the one part, and the Republic of Croatia, of the other part, Art. 15 (S. 19).
Der kroatische Weg nach Europa
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endeavour to ensure that its existing laws and future legislation will be gradually made compatible with the Community acquis”66. Darüber hinaus enthält das Abkommen genauere Regelungen für die Anpassungen im Bereich des Wettbewerbs (Art. 70), die Rechte an geistigem Eigentum (Art. 71) und für das öffentliche Beschaffungswesen (Art. 72). In Bezug auf die Grundsätze, auf denen die Europäische Union beruht, wird das europäische Prinzip der Rechtsstaatlichkeit aufgegriffen. Hierzu heißt es in Art. 75 des Abkommens: “In their co-operation in justice and home affairs the Parties will attach particular importance to the consolidation of the rule of law and the reinforcement of institutions at all levels in the areas of administration in general, and law enforcement and the machinery of justice in particular. Co-operation in the field of justice will focus in particular on the independence of the judiciary, the improvement of its effectiveness and the training of the legal professions”67. In Art. 2 des Abkommens, unter Titel 1 „General Principles“, werden das Demokratieprinzip, die Bedeutung der Achtung der Menschenrechte, die Achtung der völkerrechtlichen Prinzipien, die Herrschaft des Rechts sowie das marktwirtschaftliche Prinzip als die Grundlagen der internen wie der auswärtigen Politik der Parteien hervorgehoben. In Art. 4 verpflichtet sich Kroatien, die Zusammenarbeit und gutnachbarschaftliche Beziehungen mit den anderen Ländern der Region aufrecht66
EU-Kommission, COM(2001) 371 final vom 09.07.2001, Proposal for a Council Decision concerning the signature of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and its Member States and the Republic of Croatia on behalf of the European Community; Proposal for a Council and Commission Decision concerning the conclusion of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and their Member States, of the one part, and the Republic of Croatia, of the other part, Art. 69 (S. 41). 67
EU-Kommission, COM(2001) 371 final vom 09.07.2001, Proposal for a Council Decision concerning the signature of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and its Member States and the Republic of Croatia on behalf of the European Community; Proposal for a Council and Commission Decision concerning the conclusion of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and their Member States, of the one part, and the Republic of Croatia, of the other part, Art. 75 (S. 45).
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zuerhalten und zu fördern, was vor allem auch den problematischen Punkt der Rückkehr von Flüchtlingen einschließt. Zentrales Organ des Abkommens ist der Assoziationsrat, der sich aus Mitgliedern des Rats der Europäischen Union, der Kommission und der kroatischen Regierung zusammensetzt, Art. 111. Wie schon die Europaabkommen, vermeidet das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Kroatien die konkrete Zusicherung der Beitrittsmöglichkeit. In der ersten Präambelerwägung heißt es: “Considering the strong links between the Parties and the values that they share, their desire to strengthen those links and establish a close and lasting relationship based on reciprocity and mutual interest, which should allow Croatia to further strengthen and extend the relations with the Community”68. Die letzte Präambelerwägung greift dann doch die politisch eingeräumte potenzielle Beitrittsmöglichkeit auf und erinnert an die Konditionalität in Form der Abhängigkeit der Fortschritte von der Implementation des Assoziierungsabkommens durch die kroatische Seite: “Recalling the European Union’s readiness to integrate to the fullest possible extent Croatia into the political and economic mainstream of Europe and its status as a potential candidate for EU membership on the basis of the Treaty on European Union and fulfilment of the criteria defined by the European Council in June 1993, subject to the successful implementation of this Agreement, notably regarding regional co-operation”69. 68
EU-Kommission, COM(2001) 371 final vom 09.07.2001, Proposal for a Council Decision concerning the signature of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and its Member States and the Republic of Croatia on behalf of the European Community; Proposal for a Council and Commission Decision concerning the conclusion of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and their Member States, of the one part, and the Republic of Croatia, of the other part, Erste Präambelerwägung (S. 14). 69
EU-Kommission, COM(2001) 371 final vom 09.07.2001, Proposal for a Council Decision concerning the signature of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and its Member States and the Republic of Croatia on behalf of the European Community; Proposal for a Council and Commission Decision concerning the conclusion of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and their Member States, of the one part, and the Republic of Croatia, of the other part, letzte Präambelerwägung (S. 15), Hervorhebungen vom Verfasser.
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Es zeigt sich somit, dass das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen den Beitritt vorbereiten kann und den vertraglichen Rahmen des Annäherungsprozesses bildet. Diese Rolle wird der Assoziierung aufgrund einer langjährigen Übung zugeschrieben. Mangels Fixierung in Art. 49 EU handelt es sich aber nicht um einen unabdingbaren Teil des Beitrittsverfahrens.
5. Antrag auf Beitritt Der informelle Annäherungsprozess an die Europäische Union endet mit der Stellung eines Antrags auf Beitritt zur Europäischen Union durch die Regierung des beitrittswilligen Staates. Mit diesem Antrag wird das informelle, nur durch das Assoziierungsabkommen institutionalisierte Reformvorgehen durch das von Art. 49 I EU skizzierte Beitrittsverfahren abgelöst. Politisch wird nunmehr, wie bereits gezeigt, der Abschluss eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens vorausgesetzt, das dem Beitrittsverfahren eine völkerrechtlich bindende Grundlage verschafft, obwohl Art. 49 EU nicht von Assoziierungen spricht. Bereits eingegangene Verpflichtungen bleiben jedoch bestehen; ein bereits existierendes Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen wird also nicht beendet, sondern lediglich gegebenenfalls um die sich nun stellenden Fragen erweitert und bildet weiter den vertraglichen Rahmen für die Beziehungen der Europäischen Union zum antragstellenden Staat. De facto gesellt sich das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU also zum weiterlaufenden Präadhesionsprozess70 hinzu, sodass die Instrumente zur näheren Anbindung eines Landes an die Europäische Union fortbestehen, wenn es einen Mitgliedschaftsantrag nach Art. 49 I 1 EU stellt. Im Falle Kroatiens wurde der Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union am 21. Februar 2003 gestellt. Damit hat die Republik Kroatien den nach Art. 49 I 1 EU notwendigen ersten Schritt zur Einleitung 70
Zur Begriffsprägung „Präadhesion“ (Präadhesionsstrategie der Kommission) und „Präadhesionsprozess“ vgl. Vedder in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), Kommentar zum EUV/ EGV, Art. 49 EUV, Rn. 60. Die Bezeichnung des Prozesses in der Literatur ist nicht einheitlich, Meng spricht etwa von „intensivierter Heranführung“, Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 49.
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Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung
eines Beitrittsverfahrens im nachfolgend dargestellten, engeren Sinn vorgenommen. Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen bildet nunmehr auch den vertraglichen Rahmen des Beitrittsprozesses ab.
IV. Länderauswahl Die vorliegende Untersuchung trifft aus praktischen Überlegungen eine Auswahl der Länder, die im Schwerpunkt sowie in vergleichenden „Krebsgängen“ betrachtet werden.
1. Kroatien Die Republik Kroatien bildet den Länderschwerpunkt der Arbeit. Die Besonderheiten ihres Beitrittsverfahrens sind Ausgangspunkt der Untersuchung im zweiten Hauptteil; im ersten Teil der Arbeit wird das kroatische Beispiel vorrangig zur Illustration der Anwendung des Beitrittsverfahrens herangezogen. Die Republik Kroatien ist der Europäischen Union noch nicht beigetreten und befindet sich momentan in einer an den Kriterien des Beitritts zur Europäischen Union ausgerichteten Transformation71. Kroatien nimmt eine Vorreiterrolle ein für die Länder des von der Europäischen Union so bezeichneten westlichen Balkans, also für die Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawiens abzüglich des EU-Mitglieds Slowenien und zuzüglich Albanien. Diesen Ländern wurde auf dem Europäischen Rat von Thessaloniki eine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union politisch zugesichert72. Die Zusicherung wurde in
71
Zu den spezifischen Besonderheiten des kroatischen Transformationsprozesses, der auf einem in Europa einzigartigen Zusammenfallen von Systemtransformation, Staatsbildung und Krieg gründet, siehe Zakošek, Das politische System Kroatiens, in: Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Osteuropas, S. 639-679 (641ff., Bezug zur EU auf S. 675ff.). Vgl. zu einer Beschreibung der wesentlichen Transformationsschritte in Kroatien auch EU-Kommission, COM(2004) 257 final vom 20 April 2004, Opinion on the application of Croatia for membership of the European Union. 72
Rat der Europäischen Union (Übermittlungsvermerk), Dok. Nr. 11638/03 vom 1. Oktober 2003, Europäischer Rat (Thessaloniki), Tagung vom 19. und 20. Juni 2003, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, http://www.consilium.
Länderauswahl
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der Folgezeit auch mehrfach bestätigt. Aufbauend hierauf hat im März 2004 auch die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien einen Beitrittsantrag gestellt73. Die Europäische Union übernimmt bei der Stabilisierung Bosnien-Herzegowinas74 sowie Serbiens75 und Montenegros76 jeweils eine hervorgehobene Stellung. Die umfassenden kroatischen Verfassungsreformen der Jahre 2000 und 2001, mit denen das parlamentarisch-präsidentielle Mischsystem zu einer rein parlamentarischen Demokratie abgeändert wurde, der Präsieuropa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/76285.pdf, rungen 40 und 41.
Schlussfolge-
73
Siehe hierzu EU-Kommission, KOM(2005) 562 endg. vom 9. November 2005, Stellungnahme der Kommission zum Antrag der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien auf Beitritt zur Europäischen Union, http://europ a.eu.int/comm/enlargement/report_2005/pdf/package_v/com_562_final_de_opi nion_fyrom.pdf (zuletzt abgerufen am 4.4.2006), wo die Kommission die Verleihung des Kandidatenstatus an Mazedonien empfiehlt. 74
Die Europäische Union verhandelt seit November 2005 mit BosnienHerzegowina über den Abschluss eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens und ist Signatar des Friedensabkommens von Dayton. Zum aktuellen Stand der SAA-Verhandlungen siehe die Webseite der EU-Kommission über die Beziehungen mit Bosnien-Herzegowina, http://ec.europa.eu/enlargement/ bosnia_and_herzegovina/eu_bosnia_and_herzegovina_relations_en.htm. 75
Die Europäische Union verhandelte ab Oktober 2005 mit dem Staatenbund Serbien-Montenegro über den Abschluss eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens, machte Verhandlungsfortschritte jedoch im Sinne der Konditionalität abhängig von gewissen Reformschritten, darunter auch der Kooperation mit dem ICTY. Infolge der ausgebliebenen Überstellung des – sich nachgewiesen in Serbien aufhaltenden – mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladić an den Gerichtshof wurden die Verhandlungen am 3. Mai 2006 abgebrochen und seither (Dezember 2006) nicht mehr eröffnet. Zum aktuellen Stand der Beziehungen mit Serbien siehe die Webseite der EU-Kommission über die Beziehungen mit Serbien, http://ec.europa.eu/enlargement/serbia/eu_s erbia_and_montenegro_relations_en.htm. 76
Nach dem montenegrinischen Unabhängigkeitsreferendum vom 21. Mai 2006, das zur Auflösung des Staatenbundes Serbien-Montenegro führte, und der Anerkennung Montenegros als unabhängigem Staat durch die EU und ihre Mitgliedstaaten am 12. Juni 2006 wurden Verhandlungen mit Montenegro über den Abschluss eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens am 26. September 2006 aufgenommen. Zum aktuellen Stand der Verhandlungen siehe die Webseite der EU-Kommission über die Beziehungen mit Montenegro, http:// ec.europa.eu/enlargement/montenegro/eu_serbia_and_montenegro_relations_e n.htm.
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Der Fall Gotovina: Ausgangspunkt der Untersuchung
dent geschwächt77 und die zweite Parlamentskammer (das Haus der Gespanschaften78) abgeschafft wurde79, sind klar durch die politischen Bestrebungen motiviert gewesen, das Land in die EU zu führen, nachdem es in den Jahren nach seiner Unabhängigkeit vom früheren Jugoslawien von der nationalkonservativen Regierung unter Franjo Tuđman vom restlichen Europa weitgehend isoliert war80.
2. Seitenblicke und „Krebsgänge“ Seitenblicke und „Krebsgänge“ illustrieren und vergleichen die Entwicklung in Kroatien mit jener in anderen Beitrittsländern. Diese „Krebsgänge“ sind ebenfalls auf die Betrachtung der Beitrittsprozesse in wenigen Staaten eingeschränkt. Zahlreiche Länder, die im Zuge der verschiedenen Erweiterungsrunden der Europäischen Union beigetreten sind, wiesen bereits im Vorfeld des Beitritts seit langem ein freiheitliches, demokratisches, rechtsstaatliches und grundrechtsschützendes System auf und verfügten zudem über eine funktionierende Marktwirtschaft. Hier konnte sich der Beitrittsprozess also im Wesentlichen auf die Überprüfung der Übernahme des acquis communautaire beschränken. Diese Staaten, unter ihnen etwa die skandinavischen Länder und Österreich, stellen Beispiele einer erfolgreichen EU-Erweiterung dar. Ihre rechtlichen Beitrittsverfahren versprechen jedoch in Folge der unproblematischen Integration kaum aussagekräftige Vergleichspunkte zu kritischen Fragen im kroatischen Beitrittsverfahren. Daher können sie in der Untersuchung weitgehend vernachlässigt werden. Anders gestaltet sich die Sachlage in postdiktatorischen Beitrittsstaaten. Diese mussten zu verschiedenen historischen Beitrittszeitpunkten jeweils eine diktatorische Rechts- und Gesellschaftsordnung überwinden und ihre Rechts- und Verfassungsordnung umfassend transformieren, 77
Zakošek, Das politische System Kroatiens, in: Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Osteuropas, S. 639-679 (655). 78
Die Gespanschaft, kroatisch „županija“, ist eine kroatische territoriale Gebietskörperschaft. 79
Zakošek, Das politische System Kroatiens, in: Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Osteuropas, S. 639-679 (651). 80
Zakošek, Das politische System Kroatiens, in: Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Osteuropas, S. 639-679 (676).
Länderauswahl
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um der Gemeinschaft bzw. der Union beitreten zu können. Dabei können sich Probleme in allen Bereichen der Beitrittskriterien stellen. Die Aufnahme von ehemaligen Diktaturen ist daher erhellend für die Frage, inwieweit die Europäische Union nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft darstellt, und welche rechtliche Basis für die Formierung dieser Wertegemeinschaft zur Verfügung steht. Daher beschränkt sich die Untersuchung auf die Beitrittsprozesse einiger ausgewählter ehemaliger Diktaturen zur Europäischen Gemeinschaft/ Europäischen Union.
a) Länder in einer aktuell vergleichbaren Situation In Betracht kommen für Seitenblicke auf Länder in einer aktuell vergleichbaren Situation Bulgarien, Rumänien und die Türkei. Die Türkei nimmt aufgrund ihrer Bevölkerungsgröße, ihrer relativen wirtschaftlichen Schwäche und ihrer Geschichte und Geographie eine Sonderrolle ein, die sie für Seitenblicke in bestimmten Bereichen privilegiert. Ihre Situation ist allerdings komplexer und daher weniger für einen direkten Vergleich der Beitrittsverfahren geeignet als in allen anderen Beitrittsländern. Bulgarien und Rumänien sind zum 1.1.2007 der Europäischen Union beigetreten. Sie sind „Nachfolger“ der Osterweiterung 2004, die im Jahr 2004 nicht in die Union aufgenommen wurden, weil sie noch mehr Zeit brauchten, um den nötigen Reformprozess umzusetzen. Ein Blick auf ihre Situation im Vergleich zur kroatischen Situation kann daher wertvoll sein.
b) Länder der Süderweiterung: Spanien Weiter bietet es sich an, für einen vergleichenden Blick zum kroatischen Beitrittsverfahren das Beitrittsverfahren eines der Länder zu wählen, die im Rahmen der Süderweiterung in den 1980er Jahren der Europäischen Gemeinschaft beigetreten sind. Diese Staaten, Spanien, Portugal (beide Beitritt 198681) und Griechenland (Beitritt 198282), sind heute gefestigte demokratische Rechtsstaaten mit funktionierenden Zivilgesellschaften, nachdem sie ihre Diktaturen überwunden haben.
81 82
Beitrittsdokumente ABl. 1985 Nr. L 302, S. 1ff. Beitrittsdokumente ABl. 1979 Nr. L 291, S. 1ff.
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Aufgrund der pointierten Stellungnahmen der Europäischen Kommission, die die wiederholten Beitrittsversuche Spaniens seit 196283 – also wenige Jahre nach Gründung der Gemeinschaft – unter Hinweis auf die nicht gegebene Übereinstimmung mit europäischen Prinzipien abgelehnt hat84, kommt als ein Objekt für intensivere Seitenblicke der Beitrittsprozess des Königreichs Spanien in Betracht, das 1986 in die Gemeinschaft aufgenommen wurde. Spanien ist zudem, wie auch Portugal, ein westeuropäisches Land, das eine Diktatur überwunden und funktionierende rechtsstaatliche, demokratische und zivilgesellschaftliche Strukturen im Rahmen der europäischen Integration aufgebaut hat. Den Schwerpunkt der ehemaligen Diktaturen unter den Mitgliedstaaten der Union bilden, nachdem im Rahmen der Osterweiterung 2004 acht Länder Mittel- und Osteuropas in die Europäische Union aufgenommen wurden, vormals sozialistische Staaten85. Ein Seitenblick auf Spanien erfüllt somit auch eine strategische Funktion, die über die hier vorgenommene Untersuchung hinausgeht. Mit dem Rekurs auf Spanien lässt sich zeigen, dass der Prozess der an den gemeinsamen europarechtlich fixierten Kriterien orientierten Überwindung der Diktatur eine historische Erfahrung darstellt, die Ländern in Westeuropa, Mitteleuropa und Osteuropa gemeinsam ist. Die in den Beitrittskriterien verkörperten Grundsätze werden so zu gesamteuropäischen, zukunftsweisenden Werten.
c) Länder der Osterweiterung 2004 Schließlich drängt sich ein vergleichender Blick auf Vertreter der Osterweiterung der Europäischen Union 2004 auf. Mit der Osterweiterung wurde die „historische Spaltung“ des europäischen Kontinents in West-
83
Antrag Spaniens auf Abschluss eines Assoziationsabkommens vom 9. Februar 1962. 84
Vgl. die Stellungnahme der Kommission zu den Beitrittsgesuchen Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und Norwegens vom 1.10.1969, in: EA 1969 D 508 ff., Nr. 34 ff. und die Stellungnahme der Kommission vom 29.9.1972, in: EA 1972 D 484 Nr. 21. 85
Es handelt sich um Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Slowenien.
Länderauswahl
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und Osteuropa überwunden86. Aufgrund der mit dem Beitrittskandidaten Kroatien vergleichbaren Ausgangslage der Erforderlichkeit der Überwindung der sozialistischen Diktatur im ehemaligen Jugoslawien und der Schaffung eines souveränen Staates bietet es sich an, den Beitrittsprozess der Republik Slowenien besonders intensiv in die Betrachtung zu integrieren87. Jedoch werden in der „Krebsgangmethode“ auch Seitenblicke auf andere Beitrittsländer Mittel- und Osteuropas, die im Rahmen ihres Beitritts bestimmte rechtliche Probleme lösen mussten, unternommen.
86
Siehe nur die zweite Präambelerwägung zum EU-Vertrag, die von der „Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents“ spricht. Aus der Zeit der Spaltung des Kontinents instruktiv ist Löwenthal, Die Gemeinsamkeiten des geteilten Europa, in: Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität Europas, S. 43-65 . 87
Zur slowenischen Verfassungsentwicklung und den slowenisch-kroatischen Bemühungen, eine konföderale Ordnung des früheren Jugoslawiens durchzusetzen, vgl. Lukšič, Das politische System Sloweniens, in: Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Osteuropas, S. 603-638 (606).
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B. Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren Der Beitritt eines Neumitglieds zur Europäischen Union erfolgt in Anbetracht der völkerrechtlichen Genese des Europarechts im Wege eines völkerrechtlichen Vertrags, den die EU-Mitgliedstaaten mit dem beitrittswilligen Nichtmitglied schließen88. Art. 49 II S. 1 EU spricht von einem „Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat“, das nach Art. 49 II S. 2 EU „der Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften“ bedarf. Allgemein eröffnen die Verfahren zum Abschluss völkerrechtlicher Abkommen einen erheblichen Verhandlungsspielraum, der sich aus dem völkerrechtlichen Grundsatz der Vertragsfreiheit ergibt89 und vorrangig nach politischen Gesichtspunkten genutzt werden kann. Daher liegt zunächst der Gedanke nahe, dass das Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat über den Beitritt im Rahmen eines politischen Prozesses ausgehandelt wird. Denkbar ist jedoch auch ein rechtliches Verfahren, das dem Zustandekommen des Beitrittsaktes als unionsrechtlichem Akt zugrunde liegt. Diese Frage soll zunächst untersucht werden.
I. Der Beitritt im Spannungsverhältnis zwischen politischem Prozess und rechtlichem Verfahren 1. Klärung des Verfahrensbegriffs Dazu ist zunächst zu klären, auf welchem Verfahrensverständnis die Arbeit basiert. Nach Niklas Luhmann zählen rechtlich geordnete Verfahren der Entscheidungsfindung „zu den auffälligsten Merkmalen des politischen Systems moderner Gesellschaften“90. In den Zwanziger Jah88
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 4. 89 90
Doehring, Völkerrecht, S. 147, Rn. 333. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 11.
M. Rötting, Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 208, DOI: 10.1007/978-3-642-01766-7_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
ren des vergangenen Jahrhunderts war bereits die so genannte „reine Rechtslehre“ 91 konsequent darum bemüht, alles Recht auf Verfahrensrecht zurückzuführen92. Doch weder das liberale Rechts- und Staatsdenken noch andere Richtungen waren in der Lage, eine angemessene, alle rechtlich geordneten Verfahren umfassende einheitliche Theorie zu entwickeln93. Kern der Problematik der klassischen Verfahrenslehren war stets der Bezug auf Wahrheit oder wahre Gerechtigkeit als Verfahrensziel94. Ein System, das sicherstellen muss, dass am Ende eines Verfahrens eine Entscheidung gefällt wird, kann die objektive Richtigkeit dieser gefällten Entscheidung jedoch letztlich gar nicht garantieren95. Niklas Luhmann entwickelt ausgehend von dieser Einsicht seine Theorie von der „Legitimation durch Verfahren“, indem er von der Funktion der Wahrheit für die klassischen Verfahrenslehren ausgeht und einen abstrakteren, funktionalen Bezugsgesichtspunkt sucht. Dieser schließt den Wahrheitsmechanismus ein, erschöpft sich aber in ihm nicht96. Dabei stößt er auf die Ausübung von Macht und das Problem ihrer Legitimität97. Legitimität versteht Luhmann dabei als „generalisierte Bereitschaft, inhaltlich noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen hinzunehmen“98. Der systemtheoretische Verfahrensbegriff sieht das Verfahren als einen Prozess, der aus dem Raum aller 91
Der Begriff wurde wesentlich geprägt von Hans Kelsen, vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre. Einleitung in die rechtswissenschaftliche Problematik, Leipzig 1934, sowie die überarbeitete zweite Auflage von Kelsen, Reine Rechtslehre, Wien 1960. Der Begriff der reinen Rechtslehre findet sich allerdings schon in früheren Werken anderer Autoren, siehe dazu etwa Mehmel, Die reine Rechtslehre (1915); Kunz, Völkerrechtswissenschaft und reine Rechtslehre (1923). 92
So etwa Sander, Die transzendentale Methode der Rechtsphilosophie und der Begriff des Rechtsverfahrens, Zeitschrift für öffentliches Recht 1919/1920, Bd. I, S. 468-507 (479, 484, 487 „ist alle Rechtslehre... Verfahrenslehre“). 93 94 95 96
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 11. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 18. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 21. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 25.
97
Zur Legitimität siehe Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 27, Fn. 2, vor allem der zitierte Überblick über die juristische Diskussion bei Welzel, An den Grenzen des Rechts. Die Frage nach der Rechtsgeltung, der auf nur 32 Seiten die wesentlichen Argumente der Diskussion Mitte der sechziger Jahre (1966) umreißt, siehe aber auch die von Luhmann zitierten soziologischen und politologischen Schriften. 98
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 28.
Der Beitritt zwischen politischem Prozess und rechtlichem Verfahren
33
möglichen Entscheidungen eine konkrete Entscheidung dergestalt selektiert, dass die Verfahrensbeteiligten durch die Teilnahme am Verfahren mit der Entscheidung leben können, ihr Zustandekommen als legitim empfinden. Die juristische Dogmatik konstruiert in der Prozesstheorie den Prozess ausgehend vom Grundbegriff der Handlung, der Rechtslage beziehungsweise der Situation oder vom Grundbegriff der Beziehung. Die entsprechenden Verfahrenslehren sind jedoch miteinander in Teilen unvereinbar und können sämtlich den Verfahrensbegriff nicht befriedigend konstruieren99. Der von Luhmann gewählte systemtheoretische Ansatz versteht Verfahren als soziale Systeme, die eine spezifische Funktion erfüllen. Diese Funktion liegt darin, eine einmalige verbindliche Entscheidung zu erarbeiten100. Daher sind Verfahren von vornherein in ihrer Dauer begrenzt101. Die Struktur eines Verfahrenssystems ist durch allgemeine, für viele Verfahren geltende Rechtsnormen vorgezeichnet. Diese reduzieren die möglichen Verhaltensweisen so weit, dass es möglich wird, ohne umständliche Vorverhandlungen über den Grund der Zusammenkunft einzelne Verfahren als Systeme in Gang zu bringen und die Handlungsoptionen der Beteiligten einzuschränken, zu definieren und sie ihnen bewusst zu machen102. In Luhmanns Terminologie reduzieren Verfahren die Komplexität der Handlungsmöglichkeiten, indem sie den Beteiligten erlauben, Selektionsleistungen anderer zu übernehmen. Zu denken ist hierbei etwa an die Selektionsleistung, dass beim Beitritt zur Europäischen Union bestimmte, bereits im Vorfeld benannte Kriterien und Abläufe festgelegt sind, an denen sich das Vorgehen aller im Verfahrensablauf qua Bereitschaft zur Teilnahme orientiert. Verfahren setzen daher – in Abgrenzung zu Nicht-Verfahren – stets eine strukturelle Rahmenordnung voraus, in der das Verfahren stattfindet und von der es Verhaltensregeln vorgegeben bekommt103. Dieses Verfahren wird eingegrenzt und zu einer gewissen Autonomie erweckt, indem Regeln der Irrelevanz, der Zulassung von Personen und Themen, 99
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 38. Siehe auch Foschini, Natura giuridica del processo, Rivista di diritto processuale 1948, Ausg. 3, S. 110115, auf den Luhmann verweist. 100 101 102 103
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 41. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 41. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 42. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 43.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
der Definition und Regeln zur Vermeidung von Verfahrensstörungen es strukturieren104. Diese Formatierung des Verfahrens entspricht dem grundlegenderen Konzept der Grenze eines Systems105, die nicht deklarativ, sondern vermittels der Operationen des Systems positiv definiert wird106. Zielpunkt des Verfahrens bleibt das Fällen einer verbindlichen Entscheidung, die vom Verfahren nicht eindeutig vorgegeben ist. Der Komplexität des Systems entsprechend muss die Offenheit dieser Entscheidung in die Verhaltensmotivation mit eingehen107. Sie stellt die conditio sine qua non der Teilnahmebereitschaft dar. Mit ein wenig Phantasie lässt sich ausgehend von dieser systemtheoretischen Definition des Begriffs des rechtlich geordneten Verfahrens auch eine Rekonstruktion des Beitritts zur Europäischen Union im Wege einer im freien Ermessen des Rats der Europäischen Union stehenden, politischen Entscheidung über das Beitrittsgesuch als rechtlich geordnetes Verfahren verstehen. Es soll nämlich eine einmalige verbindliche Entscheidung über ein Beitrittsgesuch gefällt werden. Zu dieser Entscheidung, die einstimmig fallen muss, ist der Rat der Europäischen Union berufen; andere Verfahrensbeteiligte sind nicht zugelassen. Das rechtlich geordnete Momentum reduzierte sich in diesem Verfahren daher auf die Festlegung des Entscheidungsgremiums und die Art und Weise (Einstimmigkeit), wie dieses seine Entscheidung fällt. In der vorliegenden Arbeit wird der systemtheoretische Verfahrensbegriff in Abgrenzung zum Begriff des politischen Prozesses enger gefasst. Charakteristisch für den politischen Prozess ist, dass eine im politischen Prozess gefällte Entscheidung keinen rechtlichen Schranken im Bezug auf die Voraussetzungen der Entscheidung und das Verfahren zu ihrer Überprüfung unterliegt, sondern dass die Entscheidung aus politischen Gründen gefällt wird. Es stellt sich also nicht die Frage nach der rechtlichen Legitimität der gefällten Entscheidung, sondern lediglich die Frage nach ihrer politischen Weisheit. Es läge also eine politische Entscheidung in einem politischen Beitrittsprozess vor, der nur ganz rudi104
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 45.
105
Das System Recht ist bei Luhmann durch die Leitdifferenz „recht – unrecht“ bestimmt, die regelt, welche Aussagen zum System Recht gehören und welche nicht, sodass überhaupt nur die Aussagen, die auf diese Leitdifferenz hin verstanden werden können, diesem System als sinnvoll erscheinen können. 106 107
Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, S. 35f. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 51.
Der Beitritt zwischen politischem Prozess und rechtlichem Verfahren
35
mentär, durch die Bestimmung des Entscheidungszuständigen, in ein rechtliches Verfahren eingebettet wäre108. Zwischen dem in diesem Sinne verstandenen politischen Prozess, der systemtheoretisch gleichwohl auch als Verfahren – geringerer Dichte – aufgefasst werden kann, und einem rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahren nach dem hier vertretenen Verständnis ist weiter zu differenzieren. Ein rechtlich geordnetes, rechtsanwendendes Verfahren grenzt sich von anderen Verfahren zunächst dadurch ab, dass es seine Grundlage in der Anwendung von Recht findet, also die Existenz einer anwendbaren rechtlichen Regelung voraussetzt109. Mit der Ausnahme der Lückenfüllung wird das anzuwendende Recht also nicht im rechtsanwendenden Verfahren entwickelt, sondern ist ihm vorausgesetzt. Das unterscheidet das rechtsanwendende Verfahren grundlegend von der Entscheidungsfindung in einem freien politischen Prozess. Der gesellschaftliche Einfluss auf das Verfahren wird im Idealfall nur noch über rechtsbildende, schließlich über ausdrücklich gesetzgebende Entscheidungen geleitet. Auf diese Weise wird er auf ein einzelnes Einflussventil konzentriert und spezifiziert110. Das rechtsanwendende Verfahren lässt sich somit präziser lenken als der politische Prozess. Aus der Fixierung auf das Recht entspringt auch, dass alle Unterschiede und Ungleichheiten sich als Ergebnis des Verfahrens darstellen lassen müssen111. Vor dem Verfahren sind alle, die je eine funktional äquivalente Rolle einnehmen, gleich. Dieser Grundsatz der Verfahrensgleichheit hat elementare Bedeutung für rechtsanwendende Verfahren.
108
Das rudimentär bestehende Rechtsverfahren wird quasi vollständig vom Primat der Politik überlagert. Im Luhmannschen Sprachduktus würden die entscheidenden Selektionsleistungen in diesem Fall nicht vom System Recht, sondern vom System Politik erbracht. 109
Diese Beobachtung gilt auch für rechtsanwendende Verfahren, die – etwa im Common Law – ohne Gesetzgebung auskommen müssen. Fehlt anwendbares Recht, so können sich rechtsanwendende Verfahren selbst programmieren, also mitentscheiden, was als Recht gilt, ohne dass die Programmierung als Entscheidungsinhalt ausgewiesen oder mit verantwortet würde. Siehe Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 139. Auch diese rechtsanwendenden Verfahren setzen prinzipiell voraus, dass die Rechtsordnung, auf die sie rekurrieren, bereits existiert. 110 111
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 64. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 197.
36
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Die Trennung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung setzt, anders als die Anwendung einfacher Verfahren, eine hochentwickelte Rechtskultur und eine komplexe, differenzierte Gesellschaft voraus112. Aus der Existenz einer relevanten Rechtsordnung, die das rechtsanwendende Verfahren determiniert, folgt sodann, dass im rechtsanwendenden Verfahren in irgendeiner Form Beweislastregelungen existieren müssen. Diese müssen festlegen, wer das Vorliegen welcher Verfahrensvoraussetzungen behaupten kann und es gegebenenfalls beweisen muss113. Diese Fixierung auf die Beweisfrage ist ein zentrales Charakteristikum rechtsanwendender Verfahren. Anders als im politischen Prozess – hier ist die politische Überzeugungskraft ausschlaggebend – kommt es im rechtsanwendenden Verfahren auf den Beweis der (Tatbestands-) Voraussetzungen an. Rechtsanwendende Verfahren werden daher in Rechtsform ermöglicht. Das sichert ihre Existenz; einzelne Verfahrensfehler oder gar ein Versagen eines konkreten Verfahrens führen damit nicht unmittelbar zur Abänderung der für das Verfahren geltenden Regelungen oder gar zur Abschaffung des Verfahrens114. Ihre Voraussetzungen sind andererseits so abstrakt gehalten, dass ein Entscheidungsspielraum bestehen bleibt115. Der Verlust der einen, „wahren“ Entscheidung durch die Einräumung eines Entscheidungsspielraums wird im rechtsanwendenden Verfahren dadurch kompensiert, dass Verfahrensrechte und Prozessgarantien eingeführt werden. Wenn eine Einigung auf bestimmte inhaltliche Positionen nicht möglich ist, bringt die Einigung auf die Verfahren, mit denen die Entscheidungen gefällt werden, ein das „zerfallende Vertrauen in das Recht“ wieder stützendes „Korsett“116.
112
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 140.
113
Vgl. zum Unterschied der Beweislastregelungen im zivilgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 57f. 114 115 116
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 71. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 71.
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 148. In diesem Zusammenhang spricht Luhmann auch von Chancen, Erwartungen und sogar von Erwartungen auf Erwartungen, die den Verfahrensbeteiligten vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Vergangenheit des Verfahrens aufs Neue Handlungsoptionen anbieten und so einen Anreiz zur Teilnahme am Verfahren bieten. Vgl. hierzu Luhmann, Rechtssoziologie, S. 39; zum Begriff des Befolgungsmotivs Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 134ff.
Der Beitritt zwischen politischem Prozess und rechtlichem Verfahren
37
Rechtsanwendende Verfahren werden daher nicht von Fall zu Fall erfunden und vereinbart, sondern auf gesellschaftliche Ressourcen schonende Art und Weise durch Wahl eines bereits vorher konstituierten Verfahrenstyps eingeleitet117. Auch hierin unterscheiden sie sich bisweilen von politischen Prozessen, die nicht selten ad hoc auf aktuelle Meinungslagen reagieren. Das rechtsanwendende Verfahren muss ferner eine Ausdifferenzierung gewährleisten, also eine Sinnsphäre für sich konstruieren, in der „selektive Prozesse der Verarbeitung von Umweltinformationen durch systemeigene Regeln und Entscheidungen gesteuert werden können“118. Das bedeutet, dass Umweltinformationen erst dann verfahrenserheblich werden dürfen, wenn sie im Einklang mit den Regeln des Verfahrenssystems gefiltert und in systemimmanente Begriffe übersetzt wurden. Durch die Beteiligung am Verfahren fällt die Entscheidung am Ende des Verfahrens nicht als „unerwartbare Überraschung“. Vielmehr konnte sich der Antragsteller im Verfahren auf die Entscheidung einstellen und sich „miterlebend und mithandelnd“ auf sie vorbereiten119.
2. Beitrittsverhandlungen als rein politischer Prozess Man kann sich vor dem Hintergrund der stark von politischen Faktoren abhängigen Beitrittskonstellation auf den Standpunkt stellen, die Mitgliedstaaten seien allenfalls politisch – im oben beschriebenen Sinn einer im politischen Prozess zu fällenden Entscheidung – an eine bestimmte Vorgehensweise bei den Verhandlungen zum und beim Abschluss des Beitrittsabkommens gebunden120. Diese Ansicht lässt sich 117
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 59.
118
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 59; Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, S. 92ff. 119 120
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 232.
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 14, der von einer politischen Entscheidung spricht, die keinerlei rechtlichen Bindungen unterliegt. Siehe schon Meng in: von der Groeben/ Thiesing/ Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. O EUV, Rn. 14, 52. Vgl. auch Zeh, Recht auf Beitritt? Ansprüche der Kandidatenstaaten gegen die Europäische Union, in: Calliess/ Isaak (Hrsg.), Der Konventsentwurf für eine EU-Verfassung im Kontext der Erweiterung, S. 81-89 (81, 83); Zeh, Recht auf Beitritt?, S. 26, die diese Argumentation entkräftet.
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mit einem Blick auf Art. 48 EU stützen, der den Mitgliedstaaten der Union die Kompetenz zur Änderung der Verträge, auf denen die Union beruht, zuweist. Wie Meng betont, sind die Mitgliedstaaten der Union als Herren der Verträge, sofern sie sich einig sind, stets frei darin, die Verträge ihren sich wandelnden Vorstellungen anzupassen121. Meng zieht daraus die Schlussfolgerung, dass es keinen methodisch begründbaren Weg gebe, die Mitgliedstaaten an einer vollständigen Umgestaltung der Gemeinschaftskonzeption zu hindern und dementsprechend auch die Beitrittsvoraussetzungen, einschließlich der Frage der Achtung der gemeinsamen Grundsätze des Art. 6 I EU122, und das Verfahren zu ihrer Anwendung bei der Erweiterung der Union beliebig ausgestaltet werden können und somit keinen rechtlichen Schranken unterliegen123. Im Einklang mit der Sichtweise einer beliebigen Gestaltbarkeit der Beitrittsvoraussetzungen und des Verfahrens zu ihrer Anwendung finden sich – insbesondere bei kroatischen Politikwissenschaftlern – Forderungen, den Rahmen des Beitritts, also die Beitrittsbedingungen selbst neu zu verhandeln und nicht die vorgegebenen Kriterien passiv hinzunehmen124.
121
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 14, „frei, ihre Aufnahmebedingungen in jedem einzelnen Fall – über die allgemeinen Beitrittsvoraussetzungen hinaus – selbständig zu formulieren“. 122
Ausdrücklich in diesem Sinne für die wichtige Frage der Einhaltung der Grundsätze des Art. 6 I EU Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 193: “the decision on the compliance of candidate countries with the common principles laid down in Article 6 para. 1 TEU is a political decision that includes a large margin of discretion” und S. 196 “respect for the common principles mentioned in Article 6 para. 1 TEU is a political, but not legally enforceable prerequisite of EU membership” (Hervorhebung im Original). 123
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 14, siehe auch schon Meng in: von der Groeben/ Thiesing/ Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. O EUV, Rn. 14, 50, 52; Meng in: von der Groeben/ Thiesing/ Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. N EUV, Rn. 18-21. 124
Staničić, Croatia in the world today, in: Staničić (Hrsg.), Croatia on its Way towards the EU, S. 11-20 (13). Hier heißt es wörtlich: “Since [...] enlargement is of strategic interest for the EU, Brussels must pay more attention than before to the national interests of the applicant countries, putting them in a position in which they will not only passively accept the imposed conditions, but
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Diese Ansicht ist herrschend. Ihr ist darin zuzustimmen, dass sowohl die inhaltlichen Voraussetzungen des in Art. 49 EU geregelten Beitritts zur Europäischen Union als auch das für den Beitritt vorgesehene Verfahren von den Mitgliedstaaten, unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Einstimmigkeit – und der parlamentarischen Ratifikation in den Mitgliedstaaten125 – über Art. 48 EU änderbar sind. Für die Ansicht, den Beitritt als politischen Prozess aufzufassen, spricht auf den ersten Blick auch der Wortlaut des Art. 49 I 1 EU. Art. 49 I 1 EU lässt sich eindeutig nur ein Recht auf Stellung eines Mitgliedsantrages entnehmen. Ob sich hieraus ein Recht auf Beitritt ergibt, hat Juli Zeh 2002 auf der Grundlage des derzeit immer noch gültigen Rechts erörtert. Dabei zeigte sich, dass sich weder ein justiziables noch ein nicht justiziables Recht auf Aufnahme in die Union begründen lässt126. Dennoch spricht die Tatsache, dass ein Anspruch auf Aufnahme in die Union nicht existiert, nicht gegen die hier vorgetragene Hypothese, dass der Beitrittsprozess in einem rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahren durchgeführt wird. Das zeigt ein Blick auf nationale Verfahren, die in vergleichbarer Weise dem Antragsteller keinen Anspruch auf eine bestimmte begehrte Rechtsfolge einräumen, aber gleichwohl der zuständigen Behörde das Ermessen einräumen, die vom Antragsteller begehrte Rechtsfolge auszusprechen. So existiert etwa im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht, sofern kein öffentliches Interesse an der Einbürgerung nach § 85ff. Ausländergesetz vorgegeben ist127, ein Ermessen der zuständigen Behörde darüber, ob diese Einbürgerung vorgenommen werden solle, vgl. § 8 I StAG
will also negotiate these conditions”. Ob dieser Einschätzung gefolgt werden kann, kann dahinstehen, sie zeigt jedoch, dass ein politischer Prozess Verhandlungsspielraum für beide Seiten gibt. 125
Meng hingegen scheint in seiner Argumentation das Erfordernis der Ratifikation zu übersehen. 126 127
Zeh, Recht auf Beitritt?, S. 76.
§ 85ff. Ausländergesetz gewähren Ausländern nach einem achtjährigen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland einen Anspruch auf Einbürgerung; nach § 85 II Ausländergesetz kann der Zeitraum des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts bei Ehegatten und minderjährigen Kindern von Ausländern, die einen Anspruch auf eine Einbürgerung haben, kürzer sein. Vgl. Absatz Nr. 8.0 der Verwaltungsvorschrift zum StAG, abgedruckt bei Hailbronner in: Hailbronner/ Renner (Hrsg.), Staatsangehörigkeitsrecht, § 8 StAG, Vorbemerkung.
40
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(„kann“)128. Das Ermessen setzt voraus, dass die in § 8 I Nr. 1-4 StAG gestellten gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Das bedeutet gleichwohl nicht, dass der Antragsteller deshalb der Willkür des Amtswalters ausgeliefert wäre. Vielmehr ist das Einbürgerungsverfahren trotz des fehlenden Anspruchs auf Einbürgerung in Deutschland in einem Rechtsverfahren ausgestaltet129, woraus sich für den Einbürgerungsbewerber bestimmte Verfahrensrechte und für den Amtswalter bestimmte Amtspflichten ergeben. So wird etwa seine Ermessensausübung rechtlich kanalisiert durch die Kriterien des § 8 I Nr. 1 bis 4 StAG und die Berücksichtigung sachfremder Erwägungen unterbunden. Der Bewerber erhält einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Ermessensausübung130, aber keinen Anspruch auf Einbürgerung. In insofern durchaus vergleichbarer Weise schließt das bei der Aufnahme eines neuen Mitgliedstaates in die Europäische Union gegebene politische Ermessen des Rates also das Vorliegen eines rechtlich geordneten und rechtsanwendenden Beitrittsverfahrens nicht aus. Der im Einbürgerungsverfahren gegebene Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung durch Verwaltungsvorschriften und den Gleichheitsgrundsatz lässt sich im Beitrittsverfahren ähnlich darstellen als eine Selbstbindung der handelnden Organe bei der Ausübung des ihnen eingeräumten Ermessens durch den europarechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Staaten in Verbindung mit den Kopenhagener Kriterien, so weit diese über das verfassungsrechtlich Geforderte hinausgehen und es nicht nur wiederholen. Weiter ist richtig, dass das Faktum der Abänderlichkeit auf den Gesamtbestand des vertraglich fixierten Unionsrechts zutrifft. Das Gemeinschafts- und Unionsrecht kennt, anders als etwa das deutsche Grundgesetz mit Art. 79 III GG, keinen Bereich des besonderen Schutzes für bestimmte Normen. Diese Änderbarkeit spricht jedoch weder gegen die rechtliche Qualität der Beitrittsanforderungen noch dafür,
128
Hailbronner in: Hailbronner/ Renner (Hrsg.), Staatsangehörigkeitsrecht, § 8 StAG, Rn. 43ff. 129
Anzuwenden sind die verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Bundeslandes, Renner in: Hailbronner/ Renner (Hrsg.), Staatsangehörigkeitsrecht, § 40 StAG, Rn. 4; Hailbronner in: Hailbronner/ Renner (Hrsg.), Staatsangehörigkeitsrecht, § 8 StAG, Rn. 110, siehe auch den Abdruck der einschlägigen Verwaltungsvorschriften in Anhang A III (ab S. 1264). 130
Hailbronner in: Hailbronner/ Renner (Hrsg.), Staatsangehörigkeitsrecht, § 8 StAG, Rn. 46.
Der Beitritt zwischen politischem Prozess und rechtlichem Verfahren
41
dass jegliche rechtliche Schranken des Beitrittsverfahrens abzulehnen wären. Die Änderbarkeit des Regelungsrahmens durch ein für diese Änderung vorgesehenes Verfahren, im Fall des europäischen Primärrechts also durch das Verfahren nach Art. 48 EU, spricht nicht gegen die Annahme eines rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahrens. Das zeigt erneut ein vergleichender Blick auf innerstaatliche Verfahren. So ist etwa die Erteilung einer Baugenehmigung für den Bau eines Einfamilienhauses in den deutschen Bundesländern durchaus unterschiedlichen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen unterworfen131. Diese können zudem durch den zuständigen Landesgesetzgeber jederzeit geändert werden132. Auch die inhaltlichen Voraussetzungen der Erteilung einer Baugenehmigung sind, wie alle einfachen Gesetze, nicht änderungsfest. Selbst die deutsche Verfassung kann in weiten Teilen unter Einhaltung der entsprechenden Voraussetzungen, vor allem der qualifizierten Mehrheitsverhältnisse nach Art. 79 II GG (Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat) und der Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG, der bestimmte Kernelemente der Verfassung spezifisch schützt, geändert werden133. Dennoch wurde diese hypothetische Änderbarkeit – soweit dem Verfasser ersichtlich – noch nicht genutzt, um dem Grundgesetz oder etwa dem Baurecht den rechtlichen Charakter streitig zu machen. Selbst dem Verfahren, das bei der Stellung eines Bauantrags zu beschreiten ist, wird sein rechtlicher Charakter nicht abgestritten. Insofern ist festzuhalten, dass „gegen die Verbindlichkeit und den rechtlichen Charakter einer Norm nicht ihre hypothetische Änderbarkeit sprechen [kann]“134. 131
In Hessen etwa wird differenziert nach baugenehmigungsfreien Vorhaben (§ 55 HessBauordnung), Vorhaben, die ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren durchlaufen (§ 57 HessBauordnung) und nach genehmigungspflichtigen Bauten, die das Baugenehmigungsverfahren des § 58 HessBauordnung durchlaufen. Zur vorherigen Rechtslage siehe Hermes, Baurecht, in: Meyer/ Stolleis (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht für Hessen, S. 71-94 (5. Auflage 2000), zu den neuen Verfahren die Folgeauflage 2007. 132
In Hessen etwa können landesgesetzliche Regelungen nach Art. 116 der hessischen Verfassung vom Landtag oder durch Volksentscheid geändert werden. 133
Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 79 GG, Rn. 10, 30, 32ff.; Lücke in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 79 GG, Rn. 20-23. 134
Zeh, Recht auf Beitritt?, S. 27.
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Vor dem Hintergrund des Begriffs des rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahrens kann lediglich die Änderbarkeit des europäischen Primärrechts nicht begründen, dass ein den Anforderungen an ein rechtlich geordnetes, rechtsanwendendes Verfahren nicht genügender, rein politischer Prozess vorliegen soll. Lediglich die von Meng behauptete jederzeitige Änderbarkeit der Verfahrensgrundlagen und Verfahrensbedingungen135 spräche gegen die Annahme eines rechtsanwendenden Verfahrens. Für diese Behauptung lassen sich jedoch keine Anhaltspunkte im europäischen Primärrecht finden. Vor allem übersieht Meng, dass eine über Art. 48 EU vorgenommene Änderung des europäischen Primärrechts neben der Einstimmigkeit im Rat noch die Ratifikation der Vertragsänderung in allen Mitgliedstaaten nach den relevanten verfassungsrechtlichen Vorschriften, in der Regel also durch die Parlamente der Mitgliedstaaten und in manchen Fällen durch Referendum136, voraussetzt. Von einer „jederzeitigen“ Änderbarkeit des rechtlichen Regelungsrahmens kann also in keiner Weise die Rede sein.
3. Relevanz der Frage, ob ein rechtliches Verfahren vorliegt Dass der Beitritt zur Europäischen Union möglicherweise einem rechtlichen Verfahren unterworfen sein könnte, hat Pascal Richter in seiner Dissertation bereits auf einer halben Seite kurz gestreift137. Richter hat 135
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 14. 136
Ein obligatorisches Referendum zur Ratifikation von Änderungen des europäischen Primärrechts besteht lediglich in Irland, wo auf der Grundlage von Art. 46 der irischen Verfassung jede Verfassungsänderung eines Referendums bedarf. In Dänemark verlangt Art. 20 der dänischen Verfassung bei der Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf supranationale Organisationen eine 5/6Mehrheit im Parlament und schreibt ein Referendum vor, wenn diese Mehrheit nicht zustande kommt. De facto besteht daher auch in Dänemark Referendumszwang. Siehe dazu Kurpas, What Could be Saved from the European Constitution if Ratification Fails?, in: Centre for European Policy Studies Policy Brief No. 70, May 2005 (www.ceps.be) 2005, S. (1ff.). Fakultative, bindende Referenden sind möglich in Frankreich (Art. 11 der französischen Verfassung), Polen, Portugal und Tschechien. Konsultative Referenden sind möglich in Großbritannien, Luxemburg, den Niederlanden und in Spanien. In den anderen Mitgliedstaaten wird parlamentarisch ratifiziert. 137
Richter, Die Erweiterung der Europäischen Union, S. 59f.
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der Entscheidung dieser Frage jedoch unter Berufung auf die limitierte Zahl an möglichen Beitrittsfällen, die jedenfalls fehlende Justiziabilität und den Primat der Politik die Relevanz abgesprochen138. Klassifiziert man das Verhältnis der am EU-Beitritt beteiligten Parteien zueinander als ein Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten zu einem Drittstaat, so liegt der Gedanke nahe, dass es sich um Außenbeziehungen handelt. Der Bereich der Außenbeziehungen wird traditionell stärker dem politischen als dem rechtlichen Feld zugeordnet139. Man könnte daher vorbringen, dass der Wortlaut des Art. 49 EU zwar einen Beitritt zur Union vorsieht, aber ein rechtsanwendendes Beitrittsverfahren, das als anzuwendendes Recht rechtsverbindliche Beitrittskriterien postuliert, nicht ausdrücklich verlangt. Daher wäre es unklug, in diesem sensiblen Bereich der Außenbeziehungen den politischen und faktischen Handlungsspielraum der Entscheidungsträger auf Unionsebene dadurch einzuengen, dass man sie in ein rechtsanwendendes Verfahren einbindet, während der Verhandlungspartner regelmäßig sämtliche politischen Spielräume wird nutzen können. Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz. Der von Art. 49 EU vorgesehene Beitritt europäischer Staaten zur Union unterscheidet sich qualitativ von Außenbeziehungen, die die Union etwa im Bereich internationaler Abkommen, Handelsbeziehungen oder auch im Sektor ihrer Nachbarschaftspolitik aufnimmt. Das zeigt schon die systematische Stellung von Art. 49 EU in den Schlussbestimmungen des Unionsvertrages, während Abkommen der Europäischen Gemeinschaft, soweit vertraglich vorgesehen, gemäß Art. 133, 308 EG als rechtlich nicht verbindliche Handels- und Kopperationsabkommen und Assoziierungen gemäß Art. 310 EG abgeschlossen werden140 und folglich ihre Rechtsgrundlage syste138
Richter, Die Erweiterung der Europäischen Union, S. 60.
139
So finden sich in Art. 11 bis 28 EU die unionsrechtlichen Grundlagen für eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Zu ihrer rechtlichen Stellung Marquardt in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Vorbem. zu den Art. 11 bis 28 EU, Rn. 14. Zur grundsätzlichen Organkompetenz der Bundesregierung für die auswärtige Gewalt siehe Streinz in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 59 GG, Rn. 24; Jarass in: Jarass/ Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 20 GG, Rn. 26; BVerfGE 68, 1 (83ff., 87), strittig. 140
Weber in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 310 EG, Rn. 8.
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matisch an gänzlich anderer Stelle verortet ist. Auch die Handlungsformen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nach Art. 12 EU nehmen keinen Bezug auf die Erweiterung141. Das spricht dafür, dass es sich bei Art. 49 EU gerade nicht um einen Vertragsartikel handelt, der Außenbeziehungen der Union normiert. Vielmehr steht er im systematischen Zusammenhang mit Art. 48 EU, der das Verfahren zur Vertragsänderung reguliert, und normiert mit der Möglichkeit des Beitritts zur Union ein Kernelement der europäischen Integration, die Erweiterung142. Obwohl die Beschlussfassung über den Beitritt eine im Ermessen des Rates liegende, politisch zu fällende Entscheidung darstellt, ergeben sich konkrete Folgen rechtlicher und tatsächlicher Art aus der Frage, ob diese politische Entscheidung in einem rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahren oder ausschließlich in einem politischen Prozess gefällt wird. Das gilt zunächst für das Selbstverständnis der Europäischen Union als Rechtsgemeinschaft. Die Erweiterung bringt wirtschaftliche und rechtliche Veränderungen für die Union und ihre Mitgliedstaaten, vor allem aber auch für die der Unionsrechtsordnung unterworfenen Bürger mit sich143. Das Recht der Union ist die einzige transnationale Rechtsordnung, die dem Einzelnen konkrete Freiheiten einräumt und so dem Prinzip der Freiheit in konkreten Rechtsbeziehungen breite Wirklichkeit verschafft144. Für die Unionsbürger ist es, wie sich aus der Einräumung konkreter Rechtspositionen aus dem Unions- und Gemeinschaftsrecht für den einzelnen Bürger ergibt, nicht einerlei, ob die hoheitliche Macht bei einer Änderung seines Rechtskreises in einem rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahren handelt oder ob er diesbezüglich politischer Willkür ausgeliefert ist. 141
Marquardt in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 12 EU, Rn. 2 mit Stellungnahme zum Abschluss internationaler Abkommen, die systemwidrig nicht als Handlungsformen der GASP genannt wurden. 142
Vergleiche zur Rolle der Erweiterung in der europäischen Verfassungsordnung unten Kapitel B. III. 1. c) Verfassungsziel Erweiterung. 143
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 5. 144
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (164).
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Die Relevanz der Frage, ob ein rechtlich geordnetes, rechtsanwendendes Verfahren vorliegt, gilt weiterhin aus der Perspektive der Beitrittskandidaten etwa für die Frage, ob die antragstellenden Staaten sich auf Verfahrensrechte berufen können. Die mit einem rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahren verknüpften Verfahrensrechte gehen dabei über ein verschiedentlich diskutiertes Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung weit hinaus145. Zunächst besteht ein Recht auf Ablehnung des Beitrittsgesuchs, wenn sich die Nichterfüllbarkeit der Beitrittsvoraussetzungen endgültig herausstellt146. Umgekehrt könnte diesem Anspruch ein Anspruch auf Weiterführung des Beitrittsverfahrens entsprechen, wenn klar ist, dass eine Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen in naher Zukunft eintreten kann147. Nach Thomas M. Franck ist schließlich sogar die Wahrnehmung als legitimes Verfahren entscheidend für die Compliance der Kandidatenstaaten148. Das Verständnis des Beitrittsverfahrens als rechtlich geordnetes, rechtsanwendendes Verfahren impliziert vor allem die Anwendung der gängigen Verfahrensrechte. Hierbei handelt es sich um das Recht, im Falle einer Ablehnung des Antrags eine begründete Entscheidung zu erhalten149. So lässt sich dem Einfließen sachfremder Erwägungen in die Entscheidung entgegenwirken; auch die Gründe für die Ausübung des Ermessens zwischen den ermessensleitenden Verfassungszielen und Verfassungsprinzipien sind darzulegen. Aus dem gleichen Gedanken lässt sich ein Recht herleiten, den betroffenen Bewerberstaat vor allen ihn negativ betreffenden verfahrenserheblichen Entscheidungen zu hören. Dieses Recht auf Gehör ist in rechtsanwendenden Verfahren mit entscheidend dafür, dass die Verfahren als legitim empfunden werden. Beitrittswilligen Staaten wird so ermöglicht, ihre Position vor kritischen Beschlüssen darzulegen. 145
Einen solchen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung vertreten etwa Bruha/ Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, S. 477-502 (500); Czerwinski, Das Universalitätsprinzip und die Mitgliedschaft in internationalen universalen Verträgen und Organisationen, S. 124. Richter, Die Erweiterung der Europäischen Union, S. 60 lässt die Frage nach einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung ausdrücklich offen, lehnt aber ausdrücklich einen Anspruch auf Aufnahme auch bei erfüllten Beitrittsvoraussetzungen ab. 146
So sogar Vedder in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), Kommentar zum EUV/ EGV, Art. 49 EUV, Rn. 29; Zeh, Recht auf Beitritt?, S. 75. 147 148 149
So nur Zeh, Recht auf Beitritt?, S. 75. Franck, Fairness in International Law and Institutions, S. 24. Zeh, Recht auf Beitritt?, S. 76.
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Diese Überlegungen basieren darauf, dass die künftigen Unionsbürger, die Bürger der Beitrittsländer, in die Unionsrechtsordnung als rechtlich Gleiche150 eintreten sollen. Anders als von Richter behauptet, ist die Problematik des rechtlichen Charakters des Beitrittsverfahrens überdies auch unabhängig davon, ob die Einhaltung dieser Verfahrensrechte im Zweifel eingeklagt werden könnte. Wie etwa Anneli Albi betont, ist der Beitrittsprozess für Kandidatenstaaten vom Blickwinkel der demokratischen Legitimation durchaus nicht unproblematisch151. Die Vorbereitung auf den EU-Beitritt verlangt vom Beitrittsaspiranten nicht nur die Erfüllung der Beitrittsanforderungen, vor allem der Kopenhagener Kriterien, sondern damit auch die umfassende Übernahme des acquis communautaire und somit eine Transformation der Rechtsordnung in so substantiellem Umfang, dass zwischen 50% und 80% des Korpus an Normen des betroffenen Landes tangiert sind. Es liegt auf der Hand, dass diese Transformation geeignet ist, einen Großteil der exekutiven und legislativen Kapazitäten des Beitrittsaspiranten auf Jahre zu binden. Der entscheidende Punkt liegt darin, dass die Beitrittskandidaten gezwungen sind, im Zuge der Vorbereitungen auf den Beitritt ihre Rechtsordnung an ein Normengebäude – die Unionsrechtsordnung – anzupassen, an dessen Zustandekommen sie nicht demokratisch beteiligt waren152. In vielen Fällen werden diese Modifikationen irreversibel sein153 – und diese Irreversibilität ist durchaus mit Blick auf die künftige Funktionsfähigkeit in der Union gewünscht154. Die demokratischen Be150
In Anlehnung an das aus dem Grundsatz der Freiheit, Art. 6 I EU, abgeleitete Konzept der Freiheit als rechtlicher und moralischer Gleichheit, vgl. von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (163). 151
Albi, EU Enlargement and the Constitutions of Central and Eastern Europe, S. 56ff. 152
Albi, EU Enlargement and the Constitutions of Central and Eastern Europe, S. 56. 153
Das übersieht Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 73, wenn er behauptet, eine Übervorteilung der Beitrittskandidaten sei nicht zu befürchten, da sie völkerrechtlich bis zur Hinterlegung der Ratifikationsurkunde frei seien, ihren Beitritt auszusetzen, wenn die Union einseitig die Beitrittsbedingungen verändert. 154
So bezieht Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der
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teiligungsrechte der Bevölkerungen der betroffenen Staaten werden nach Albi de facto darauf reduziert, im vor dem EU-Beitritt eventuell stattfindenden Referendum die Modifikationen ihrer Rechtsordnung nachträglich gutzuheißen155. Nach der Sicht des Verfassers besteht ein weiteres demokratisches Korrektiv darin, EU-skeptische Parteien zu wählen und so dem Beitrittsprozess gegebenenfalls eine Absage erteilen zu können156. Daher stellt sich die von Albi aufgezeigte Problematik nicht ganz in der von ihr aufgezeigten Schärfe. Aber die Problematik bezüglich der demokratischen Legitimation des Beitrittsprozesses stellt sich dennoch. Wie auch Meng als radikalster Vertreter der These eines rein politisch zu entscheidenden Beitritts durchaus treffend feststellt, müssen die beitrittswilligen Staaten abwägen, ob sie die Kosten des Eintritts in die Union um den Nutzen der Mitgliedschaft willen akzeptieren wollen157. In dieser Abwägung liegt der Kern der Frage der demokratischen Legitimation der beitrittsbedingten Transformation. Wie diese Nutzen/Kosten-Abwägung den demokratisch hierzu legitimierten Organen der Beitrittsbewerber gelingen soll, wenn – wie etwa Meng vertritt158 – die Union frei ist, jederzeit und in jedem Einzelfall anders ihre Beitrittsbedingungen auch über die allgemeinen Beitrittsvoraussetzungen hinaus neu festzusetzen, kann nicht einleuchten. Voraussetzung der Möglich-
Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 2 die Einfügung des Mitgliedschaftssuspendierungsverfahrens auf die mit der EU-Osterweiterung drohenden Gefahren für ein „stillschweigendes Axiom gemeinsamer Werte und Überzeugungen“ (Rn. 1). Nach Schorkopf in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 7 EU, Rn. 2 dient Art. 7 EU dem Schutz der Homogenität vor einem Abfall der Mitgliedstaaten in Verhältnisse, die Art. 6 I EU widersprechen. Hieraus lässt sich auf die erforderliche Permanenz der Anstrengungen im Bezug auf die Voraussetzungen des Art. 6 I EU schließen. 155
Albi, EU Enlargement and the Constitutions of Central and Eastern Europe, S. 61. 156
Zur Verdeutlichung dieser Möglichkeit sei etwa auf die deutlich europaskeptischen Positionen der mit diesem Programm in Wahlen teilweise recht erfolgreichen Schweizer Volkspartei (SVP) hingewiesen. 157
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 14. 158
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 14.
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
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keit zur Evaluierung der Kosten des Beitritts ist, dass diese Kosten – in Gestalt der Anforderungen an die Beitrittsfähigkeit – dem Beitrittsbewerber auch bekannt sind, bevor er sich zur Stellung eines Beitrittsantrags entschließt. Diese Evaluierung wäre bei Beitrittsbedingungen, die bloße politische Qualität besäßen und jederzeit abänderlich wären, überhaupt nicht möglich. Eine solche Öffnung des Beitrittsverfahrens für politische Willkür wird der herausgehobenen Rolle der Beitrittsmöglichkeit für die Rechtsgemeinschaft der Europäischen Union159 nicht gerecht. Es bleibt festzustellen, dass die Europäische Union ihren künftigen Unionsbürgern, den Staatsbürgern der Beitrittskandidaten, im Zuge der Vorbereitungen auf den Beitritt ein erhebliches demokratisches Defizit zumutet, das erst im Zuge des erfolgten EU-Beitritts ihres Landes über die dann stattfindende demokratische Teilhabe am Willensbildungsprozess in der Union behoben wird160. Damit gewinnt offensichtlich die Frage erhebliche Bedeutung, ob der Beitritt in einem rein politischen Prozess ohne rechtliche Handhabe der Beitrittskandidaten vonstatten geht oder ob er in einem rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahren abläuft. Der Unterschied, der von der Beantwortung dieser Frage abhängt, liegt aus der Perspektive der demokratischen Legitimation darin, ob sich ein Beitrittskandidat jahrelang, vielleicht sogar jahrzehntelang von der politischen Willkür der Regierungen der bisherigen EU-Mitgliedstaaten abhängig macht oder ob er sich, im Rahmen eines rechtlich geordneten und rechtsanwendenden Verfahrens, auf bestimmte Verfahrensrechte, Beteiligungsrechte und Anhörungsrechte sowie auf tatbestandlich fixierte Beitrittskriterien verlassen kann, die gegenüber der eigenen Bevölkerung das enorme demokratische Risiko der Stellung eines EUBeitrittsantrags und der Durchführung des Beitrittsverfahrens als gerechtfertigt erscheinen lassen. Die Achtung der gemeinsamen Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie insbesondere auch der Rechtsstaatlichkeit161 wird in Art. 49 I 1 EU auch von 159
Zur herausgehobenen Rolle der Beitrittsmöglichkeit für die Rechtsordnung der Union siehe unten S. 74 ff., Kapitel III. 1. c) Verfassungsauftrag Erweiterung im gültigen Recht. 160
Zur Behebung des demokratischen Defizits durch Teilhabe an der Willensbildung in der Union Albi, EU Enlargement and the Constitutions of Central and Eastern Europe, S. 61. 161
Art. 6 I EU.
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den Beitrittskandidaten eingefordert. Vor diesem Hintergrund erscheint in Anbetracht des demokratischen Defizits, das im Rahmen des Beitrittsverfahrens in den Rechtsordnungen der Beitrittskandidatenländer notwendig entsteht, die Ansicht, nach der der Beitritt zur EU einen rein politischen Prozess darstellt, nicht mehr vertretbar. Mit Armin von Bogdandy lässt sich feststellen, dass die Etablierung einer Kultur des Rechts zentral geworden ist für die Entwicklung der europäischen Integration. Die Rechtsförmigkeit ihres Handelns steht vor der Verfassung162. Das gilt nach dem bisher Gesagten auch für ein Handeln im Rahmen des Art. 49 EU. Das Beitrittsverfahren muss folglich, trotz des bestehenden Ermessens bei der Entscheidung über den Beitritt, notwendig als rechtlich geordnetes und rechtsanwendendes Verfahren ausgestaltet sein, um der Unionsrechtsordnung zu entsprechen. Die Erweiterung zielt darauf, den Anwendungsbereich des Europarechts auf weitere europäische Staaten auszudehnen. Die Europäische Union stellt aber eine Rechtsgemeinschaft dar163. Die durch die Verträge geschaffene supranationale Rechtsordnung begründet konkrete und einklagbare Rechtspositionen für die einzelnen Unionsbürger164. Da die Gemeinschaft ein reines Geschöpf des Rechts ist165, ist die Herrschaft des Rechts in der Rechtsgemeinschaft für sie noch grundlegender als für Nationalstaaten166. Im Zuge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten werden diese Rechte für bisherige Drittstaatsangehörige, die nunmehr Unionsbürger werden, neu begründet. Für Unionsbürger in den bisherigen 162
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (166). 163
Zur Begriffsprägung Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 51-77, deutlich auf S. 53; zur Rezeption des Begriffs Fernandez Esteban, The Rule of Law in the European Constitution, S. 154-155. 164
So erzwingt der Status der Unionsbürgerschaft eine durchgehende Gleichbehandlung mit Staatsbürgern in den national organisierten Solidarsystemen, von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (183); EuGH, Rs. C-184/99 vom 20. September 2001, Grzelczyk/Centre Public, Slg. 2001, S. I-6193 (Rn. 31); Borchardt, Der sozialrechtliche Gehalt der Unionsbürgerschaft, NJW 2000, S. 2057-2061 (2058, 2061). 165 166
Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 53.
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (167); Everling, Bindung und Rahmen: Recht und Integration, in: Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität Europas, S. 152-172 (161, 164ff.).
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Mitgliedstaaten wird der räumliche Anwendungsbereich ihrer Rechte sowie das Vertrauen auf die gemeinsame supranationale Rechtsordnung auf die neuen Mitgliedstaaten ausgedehnt. Anders als in klassischen Außenbeziehungen sind die Geschehnisse im Beitrittsverfahren also unmittelbar für die Rechtspositionen der Bürger relevant. Schon dieser grundrechtliche und grundfreiheitliche Bezug spricht dagegen, das Beitrittsverfahren als reinen politischen Prozess zu verstehen, der keinen rechtlichen Grenzen unterworfen ist. Innerhalb der Rechtsgemeinschaft, die die Europäische Union verkörpert, sind rechtsförmige Verfahren rein politischen Prozessen gegenüber zu bevorzugen. Das gilt aus Gründen des Grundrechts- und Grundfreiheitsschutzes, der Rechtssicherheit und des Rechtsstaatsprinzips generell. Es kann nur dann keine Geltung beanspruchen, wenn der Gesetzgeber durch klare Anhaltspunkte eine Präferenz deutlich gemacht, einen bedeutsamen Vorgang dem Primat des Rechts zu entziehen und ihn ausschließlich der politischen Sphäre zuweist167. Art. 49 EU enthält zwar nach seinem eindeutigen Wortlaut keinen Anspruch auf Beitritt zur Union nach Erfüllung der Beitrittskriterien. Er spricht jedoch auch nicht dagegen, bestimmte inhaltliche Beitrittskriterien rechtsverbindlich festzulegen und ein rechtliches Verfahren zur Ausgestaltung seiner verfahrensmäßigen Vorgaben im Einklang mit den sonstigen Prinzipien der Unionsrechtsordnung vorzusehen. Das Europäische Parlament „billigt und unterstützt“ daher ausdrücklich das Stellen von „klaren und objektiven Bedingungen“168 für den Beitritt, die den Prinzipien einer Rechtsgemeinschaft entsprechen. Damit ist es vorzugswürdig, das Beitrittsverfahren trotz seiner politischen Implikationen und trotz des vorgesehenen Ermessensspielraums bei der Entscheidung über den Beitritt als ein rechtlich geordnetes, rechtsanwendendes Verfahren anzusehen.
167
So ausdrücklich geschehen im Fall der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, vgl. Art. 17 I 1 EU a. E. mit der Ermöglichung einer gemeinsamen Verteidigung, „falls der Europäische Rat dies beschließt“. 168
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 4.
Der Beitritt als völkerrechtliches Verfahren
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II. Der Beitritt als völkerrechtliches Verfahren Der Beitrittsvertrag stellt einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der Union auf der einen Seite und dem Beitrittsstaat auf der anderen Seite dar169. Die Beitrittsverhandlungen werden entsprechend formal geführt als Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem jeweiligen Beitrittsland, unter Leitung des jeweiligen Ratspräsidenten, obwohl de facto die Kommission auf Seiten der Europäischen Union eine wesentliche Rolle innehat170. Die formale Verhandlungsführung durch die Mitgliedstaaten und das Beitrittsland lässt zunächst den Gedanken aufkommen, den Beitritt als völkerrechtliches Verfahren, nämlich als Verfahren zum Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags, zu interpretieren. Auch ein völkerrechtliches Verfahren könnte nämlich in Betracht kommen, um der festgestellten Erforderlichkeit eines rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahrens gerecht zu werden. Beim Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages gilt zwar der Grundsatz der völkerrechtlichen Vertragsfreiheit171. Wie bei Verhandlungen zu anderen völkerrechtlichen Verträgen könnte man sich daher auf den Standpunkt stellen, dass Bindungen einer Verhandlungsseite aufgrund dieser Vertragsfreiheit nicht existieren. In diesem Sinne geht die herrschende Meinung bis heute davon aus, dass EU-Beitrittsverhandlungen einen rein politischen Prozess im oben beschriebenen Sinne darstellen, die Entscheidung über den Beitritt also politisch zu fällen ist und in Folge des Primats der Politik keine Verpflichtung irgendeiner Art zur Aufnahme eines bestimmten antragstellenden Landes in die Union her-
169
Cremer in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 49 EU, Rn. 3; Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 87, 91ff; Niedobitek, Tschechien und Polen auf dem Weg in die Europäische Union, DÖV 2003, S. 67-74 (70). 170
Cremer in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 49 EU, Rn. 2. 171
Für eine umfassende Darstellung des Grundsatzes der völkerrechtlichen Vertragsfreiheit vgl. Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht. Die Formen des völkerrechtlichen Handelns, die inhaltliche Ordnung der internationalen Gemeinschaft, S. 535 (§ 145, v. a. Rn. I.1); Doehring, Völkerrecht, S. 147 (Rn. 333).
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
geleitet werden könne172. Es ist aber durchaus denkbar, dass sich im Rahmen des Beitrittsverfahrens, verstanden als Anbahnung eines völkerrechtlichen Vertrags, Verpflichtungen für die verhandelnden Parteien ergeben. Sie könnten entstehen aus den Grundregeln bei der völkerrechtlichen Vertragsanbahnung, aber auch aus selbst auferlegten Verpflichtungen des nationalen Verfassungsrechts eines Verhandlungspartners. Diese Frage soll daher nunmehr geklärt werden. Wie schon angerissen, wird der Beitritt nach Art. 49 II 1 EU im Wege des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrages ausgeführt, dessen Vertragspartei die Europäische Union selbst nicht ist, sondern lediglich ihre Mitgliedstaaten. Im Anschluss an die Klärung völkerrechtlicher Pflichten ist daher zu fragen, ob eine formale, rein völkerrechtliche Sicht auf das Beitrittsverfahren zutreffend ist. Hiergegen spricht der eigenständige, sich vom Völkerrecht deutlich unterscheidende Charakter des Unionsrechts, das eine eigenständige Rechtsordnung errichtet173. Zunächst soll der Fokus jedoch auf den allgemeinen Regeln des Völkerrechts liegen.
1. Anwendbarkeit der allgemeinen Regeln des Völkerrechts Auf das Beitrittsabkommen als schriftlichem völkerrechtlichen Vertrag, dessen Zustandekommen dem – hier in der Wiener Vertragsrechtskonvention geregelten174 – Verfahren zum völkerrechtlichen Vertragsschluss unterworfen ist, sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts in vollem Umfang anwendbar. Denkbar wäre daher, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Vorfeld des Abschlusses des Beitrittsvertrages bereits Bindungen auf der Grundlage des Völkerrechts eingehen. Vor 172
Vgl. Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 14; Vedder in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, Band 2, EGV Maastrichter Fassung, EWGV Römische Fassung auf dem Stand der 14. EL Oktober 1999, Art. 237 EGV (Maastrichter Fassung), Rn. 5. 173
Vgl. schon EuGH, Rs. 6/64 vom 15. Juli 1964, Costa/ENEL, Slg. 1964, S. 1251; EuGH, Rs. 26/62 vom 5. Februar 1963, Van Gend en Loos, Slg. 1963, S. 1; Barents, The autonomy of community law. 174
Doehring, Völkerrecht, S. 148, Rn. 334; s. auch Rosenne, Vienna Convention on the Law of Treaties, in: Bernhardt/ Macalister-Smith (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, S. 1308-1317 (1311).
Der Beitritt als völkerrechtliches Verfahren
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allem sind Bindungen im Bezug auf das Verfahren, in dem die Verhandlungen stattfinden, und auf die Verhandlungsführung denkbar. Diese Bindungen müssten von den EU-Mitgliedstaaten zunächst dann beachtet werden, wenn sie als „Herren der Verträge“ völkerrechtlich souveräne Handlungen durchführen. Fraglich ist daher zunächst, ob sich aus den allgemeinen Regeln des Völkerrechts völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses ergeben können. Bernhardt weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Grundsatz in den Vorstadien des Vertragsschlusses keine zwingenden Regeln des allgemeinen Völkerrechts existieren175. Eine Geltung nicht zwingender Regeln des allgemeinen Völkerrechts müsste zwischen den Parteien vereinbart werden. Fehlt eine solche – zumindest konkludente – Vereinbarung, so lässt sich eine völkerrechtliche Bindung schwerlich konstruieren. Nicht nur der Vertragsinhalt, sondern auch die Formalitäten des Vertragsschlusses unterliegen also der freien Entscheidungsbefugnis der Völkerrechtssubjekte176. Damit ähnelt das Verfahren zum völkerrechtlichen Vertragsschluss dem oben dargestellten politischen Prozess mit einer nur rudimentären rechtlichen Verankerung. Dem entspricht die Tatsache, dass es sich beim Beitritt um einen Bereich handelt, in dem die Union bzw. ihre Mitgliedstaaten völkerrechtlich (beitrittswilligen) Drittstaaten gegenüber treten. Die freie Entscheidungsbefugnis der Völkerrechtssubjekte könnte im Fall eines Beitritts zur Europäischen Union dadurch kanalisiert werden, dass der EU-Vertrag in Art. 49 EU selbst den Beitritt normiert. Damit enthält der EU-Vertrag eventuell Regelungen, die die freie Entscheidungsbefugnis der Mitgliedstaaten beim Abschluss des Beitrittsvertrages einschränken. Diese Einschränkungen sind jedoch nicht völkerrechtlich, sondern lassen sich spezifisch dem EU-Vertrag entnehmen und entstammen damit der Sphäre des Europarechts, genauer des Unionsrechts. Eine denkbare Konstruktion, um den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten völkerrechtlich einzuschränken, wäre, in der Regelung im EU-Vertrag einen (völkerrechtlichen) Vertrag der EU-Mitgliedstaaten zu Gunsten Dritter zu sehen. Dazu wäre erforderlich, dass der völkerrechtliche Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten durch Art. 49 EU 175
Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, ZaöRV 1957-1958, Bd. 18, S. 652-690 (652). 176
Doehring, Völkerrecht, S. 147f., Rn. 333f.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
eingeschränkt wird. Genau dies ist jedoch nicht der Fall. Art. 49 EU enthält Handlungsanweisungen an die europäischen Organe für ein spezifisch europarechtliches, nach der hier vertretenen Ansicht sogar europaverfassungsrechtliches Beitrittsverfahren. Die völkerrechtliche Rolle der Mitgliedstaaten wird durch die Vertragsabschlusskompetenz und die – an sich deklaratorische – Betonung des Ratifikationserfordernisses des abgeschlossenen Beitrittsvertrages aber gerade in keiner Weise berührt. Eine völkerrechtliche Einschränkung des Handlungsspielraumes der Mitgliedstaaten im Außenverhältnis zu Drittstaaten können die unionsrechtlichen Regelungen daher nicht begründen177. Der Beitritt begründet ein „Unionsverhältnis“ zwischen den Mitgliedstaaten178. Die Union ist mehr als lediglich ein völkerrechtlicher Verband ihrer Mitgliedstaaten; sie erhält bei Beitritten eine Position mit eigenem Gewicht179. Damit unterscheidet sich der Beitritt nach Art. 49 EU fundamental von der Wahrnehmung gemeinschaftlicher Kompetenzen gegenüber Drittstaaten180 sowie von der Gemeinsamen Außenpolitik, die auf der Grundlage des Titels V des EU-Vertrages ebenfalls die Möglichkeit von Übereinkünften mit Drittstaaten vorsieht181. Gewisse völkerrechtliche Rechtsregeln lassen sich aber dennoch dem Völkergewohnheitsrecht oder den „principes généraux de droit recon-
177
Siehe dazu unten (Kapitel zum bulgarischen Beitritt). Ratifiziert etwa ein Mitgliedstaat den Beitrittsvertrag nicht, so kann kein Beitritt erfolgen, obwohl das Verfahren nach Art. 49 EU ansonsten erfolgreich durchschritten wurde. 178
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 98. 179
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 99. 180
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 98. 181
Hierzu Marquardt in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 24 EU, etwa Rn. 6 zu den Abkommen mit Westbalkanstaaten, die den Status und die Modalitäten der European Union Monitoring Mission in diesen Ländern regeln. Die EUMM soll die politischen Entwicklungen in den Westbalkanstaaten beobachten und dem Rat hierüber Bericht erstatten, um ihn bei der Vorbereitung seiner politischen Entscheidungen zu unterstützen.
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nus par les nations civilisées“ im Sinne des Art. 38 I c des Statuts des Internationalen Gerichtshofes entnehmen182. Ähnlich wie im nationalen Recht bei der Anbahnung eines zivilrechtlichen Vertrags entsteht im Völkerrecht bei der Vertragsanbahnung ein engeres Verhältnis der potentiellen Vertragspartner, als es im allgemeinen, nicht vertraglichen Verkehr zwischen souveränen Staaten der Fall ist.
2. Anwendung auf EU-Beitrittsverhandlungen Diese Beobachtung trifft besonders für die Aufnahme und Führung von EU-Beitrittsverhandlungen zu. Hier verlassen sich die Verhandlungspartner im Rahmen eines unionsrechtlich ausgeformten Beitrittsverfahrens auf die Aussagen der Verhandlungspartner der „Gegenseite“. In der Praxis bedeutet dies, dass auf Seiten der Europäischen Union die EU-Kommission und auf Seiten des antragstellenden Landes dessen Regierung miteinander interagieren. Das beitrittswillige Nichtmitglied nimmt im Vertrauen auf die Gültigkeit der im Beitrittsverfahren gemachten Aussagen der am Verfahren partizipierenden Organe der Union und ihrer Mitgliedstaaten umfangreiche Modifikationen der eigenen Rechts- und Gesellschaftsordnung vor. Im innerstaatlichen Recht existiert in den meisten Rechtsordnungen für die sich im Rahmen zivilrechtlicher Vertragsanbahnungen ergebenden Verpflichtungen das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo. Dieses Institut verpflichtet die Vertragsparteien zu gegenseitiger Sorgfalt und Rücksichtnahme und begründet bei Verstoß dagegen Schadensersatzpflichten. Es ist entweder gesetzlich normiert, so in Deutschland in § 311 II, III BGB, oder jedenfalls gewohnheitsrechtlich und richterrechtlich anerkannt183. Durchaus vergleichbar spielt sich auch im Völ182
Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, ZaöRV 1957-1958, Bd. 18, S. 652-690 (652). 183
Zur Anerkennung der culpa in contrahendo im deutschen Zivilrecht vor ihrer Kodifizierung in § 311 II, III BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2003 siehe BGHZ 6, 330 (333), st.Rspr. Zu Einzelheiten des § 311 II, III BGB Löwisch in: Staudinger (Begr.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen. Buch 2. Recht der Schuldverhältnisse. §§ 311, 311a, 312, 312a-f, § 311 BGB, Rn. 92ff. Rechtsvergleichend Nirk, Rechtsvergleichendes zur Haftung für culpa in contrahendo, Rabel’s Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 1953, Bd.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
kerrecht die Vertragsanbahnung nicht in einem rechtsleeren Raum ab184. Feste, eventuell sogar normierte Vorschriften sind gleichwohl nicht ersichtlich. Es existieren jedoch Grundregeln, die bei der völkerrechtlichen Vertragsanbahnung von den vertragsschließenden Parteien zu beachten sind. Hierzu zählen die bona fides, also die Grundsätze von Treu und Glauben, das Estoppel-Prinzip, das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo und das Verbot des Rechtsmissbrauchs185. Aus ihnen können sich durch die in Folge der Vertragsanbahnung eingegangenen engeren Beziehungen zwischen einzelnen Völkerrechtssubjekten konkrete Verhaltenspflichten ergeben186. Für das Beitrittsverfahren bedeutet das, dass die beteiligten Organe der Union und ihrer Mitgliedstaaten nicht nur die rechtlichen Verpflichtungen beachten müssen, die sich aus dem Unionsrecht ergeben187. Sie sind zudem an die sich hauptsächlich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergebenden Verhaltenspflichten des Völkerrechts gebunden. Es zeigt sich, dass damit das Völkerrecht die für die Verhandlungspartner sich aus dem Unionsrecht ergebenden, präziseren Verhaltenspflichten untermauert und absichert. Das bedeutet, dass sich Beitrittskandidaten über den völkerrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben auf die im Rahmen der Beitrittsverhandlungen gemachten verbindlichen Zusagen ihrer Verhandlungspartner berufen können. Wird etwa während der Vertragsverhandlungen von den Mitgliedstaaten verbindlich zugesichert, dass ein Beitritt nach Erfüllung bestimmter
XVIII, S. 310-355 (S. 315-322 zum mitteleuropäischen Rechtskreis, S. 322-327 zum romanischen Rechtskreis, S. 327-332 zum nordischen Rechtskreis, S. 332339 zum angloamerikanischen Rechtskreis). Rechtshistorisch Heldrich, Das Verschulden beim Vertragsabschluss im klassischen römischen Recht und in der späteren Rechtsentwicklung, Leipziger rechtswissenschaftliche Studien, Heft 7 (1924), S. 1-58. Siehe auch Medicus, Zur Entdeckungsgeschichte der culpa in contrahendo, in: Benöhr/ Hackl/ Knütel/ Wacke (Hrsg.), Ius Professio. Festgabe für Max Kaser zum 80. Geburtstag, S. 169-181 . 184
Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, ZaöRV 1957-1958, Bd. 18, S. 652-690 (653). 185
Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, ZaöRV 1957-1958, Bd. 18, S. 652-690 (653). 186
Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, ZaöRV 1957-1958, Bd. 18, S. 652-690 (654). 187
Vgl. Art. 49 EU i.V.m. weiteren Normen, hierzu sogleich unten Teil B.
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Beitrittskriterien erfolgen kann und gelingt es dem Beitrittskandidaten, diese Kriterien vollständig zu erfüllen, so verstöße die weitere Verweigerung des Beitritts gegen den völkerrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben. Eine solche verbindliche Zusicherung ist völkerrechtlich durchaus denkbar, wenngleich es schwerfällt, sich Konstellationen vorzustellen, in denen eine solche verbindliche Zusicherung ohne entsprechende Gegenleistung vorgenommen werden sollte. Hierbei ist deshalb zu beachten, dass diese völkerrechtlichen Wirkungen nicht eintreten, wenn es an der verbindlichen Zusicherung der Beitrittsmöglichkeit fehlt. An der Verbindlichkeit der Zusicherung der Beitrittsmöglichkeit scheitert für alle derzeitigen Beitrittsanwärter ein völkerrechtlicher Anspruch auf Beitritt aus Treu und Glauben. Bezüglich des Beitrittskandidaten Türkei könnte man allerdings an eine verbindliche Zusicherung durch wiederholte Unionsakte denken, dass ein Beitritt nicht am Kriterium „europäischer Staat“ scheitern werde188. Das Beitrittsverfahren ist zudem durch Art. 49 EU normiert. Dadurch entsteht ein Duopol der völkerrechtlichen Vertragsanbahnung mit den Beitrittsregelungen des Unionsrechts. Die deutlich präziseren Vorschriften des Unionsrechts bilden, sofern sie – wovon man ausgehen kann – mit dem Völkerrecht im Einklang stehen, stets den eigentlichen Rahmen der Verhandlungen und gehen schon aufgrund der lex specialis-Regel den „principes généraux de droit reconnus par les nations civilisées“ im Sinne des Art. 38 I c des Statuts des Internationalen Gerichtshofes voraus. Diese Wirkweise lässt sich an zwei Beispielen beitrittswilliger Staaten beleuchten, von denen einer, Slowenien189, seit 1. Mai 2004 Mitglied der
188 189
Hierzu sogleich.
Akte betreffend den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union, ABl. L 236 vom 23. September 2003 unter Bezugnahme auf die Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zum Antrag der Republik Slowenien auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union (AA-AFNS 1-6 - C5-0123/2003 2003/0901H(AVC)) (S. 13) sowie die Anlagen zu den Anhängen IV, V, VII, VIII, IX, X, XI, XII, XIII und XIV der Akte, Amtsblatt C 227 E vom 23. September 2003.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Union ist, während mit dem zweiten, der türkischen Republik, am 3. Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen begonnen wurden190.
a) Völkerrechtliche Abstützung einer unionsrechtlich gefällten Entscheidung im Beitrittsverfahren im Fall der Türkei Im Fall des Beitrittsgesuchs der türkischen Republik wird in der öffentlichen Meinung und teilweise auch in der wissenschaftlichen Literatur regelmäßig bezweifelt, dass die Türkei ein europäischer Staat sei191. Im Einklang mit der den Beitritt regelnden Norm des Art. 49 EU werden jedoch nur Beitrittsanträge europäischer Staaten berücksichtigt. Dementsprechend ist, vorbehaltlich der über Art. 48 EU bei Einigkeit der Vertragsparteien stets möglichen Vertragsänderung192, die ratifikationsbedürftig wäre, der Beitritt eines Landes, das weder geographisch noch in historisch-kultureller Hinsicht Europa zugehörig ist, schon aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen193. Diese Sichtweise kommt in der Ablehnung des Beitrittsantrags Marokkos durch die Kommission eindeutig zum Ausdruck194.
190
Siehe das Negotiating Framework, Luxemburg, 3. Oktober 2005, abrufbar unter http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/turkey/st20002_05_TR_framed oc_en.pdf. 191
Vgl. hierzu etwa Steinbach, Udo, Europa – Türkei: Probleme der geografischen, kulturellen und politischen Grenzziehung, http://www.bpb.de/themen /JWK1AJ.html; Schultz, Hans-Dietrich, Die Türkei: (k)ein Teil des geographischen Europas?, http://www.bpb.de/themen/4EWX80.html. 192
Auf diese Möglichkeit weisen hin Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 54; Ehlermann, Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft – Rechtsprobleme der Erweiterung, der Mitgliedschaft und der Verkleinerung –, in: EuR 1984, S. 113-125 (114) sowie schon zu Art. 237 EWGV Mosler, Die Aufnahme in internationale Organisationen, ZaöRV 1958, Bd. 19, S. 275-317 (285f.). 193
Langenfeld, Erweiterung ad infinitum? Zur Finalität der Europäischen Union, ZRÜ 2005, S. 73-76 (73, Fn. 2). 194
Antwort an Marokko, EA 1987, Z 207. Man beachte, dass die Kommission direkt auf den marokkanischen Antrag reagierte, obwohl eine Entscheidungszuständigkeit des Rats über Beitrittsanträge besteht. Zur Rolle der EUKommission als Überprüferin der rechtlichen Voraussetzungen des Beitritts siehe unten S. 142 ff. (Anhörung der Kommission).
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Die türkische Republik hat lediglich einen kleinen Teil ihres Territoriums auf dem europäischen Kontinent. Ihre Bevölkerung gehört überwiegend dem islamischen Glauben an, der trotz der Existenz weiterer mehrheitlich muslimisch geprägter Staaten auf dem europäischen Kontinent195 von einigen als morgenländisch und „uneuropäisch“ empfunden wird. Dementsprechend stellte sich die Frage, ob die Türkei ein europäisches und somit antragsberechtigtes Land im Sinne des Art. 49 EU sei. Die Frage der unionsrechtlichen Auslegung des Begriffs „europäisch“ in Art. 49 I EU war dabei Gegenstand hitziger Debatten. Zugunsten der Zulässigkeit des türkischen Beitrittsgesuchs kann darauf hingewiesen werden, dass bereits in Art. 28 und in Abs. 3 der Präambel des Assoziierungsabkommens von 1964196 der Türkei die Mitgliedschaft in der damaligen Gemeinschaft in Aussicht gestellt wurde und sie somit zu einem denkbar frühen Zeitpunkt als europäisches Land anerkannt wurde. Bei dieser Anerkennung der europäischen Identität der Türkei handelt es sich nicht um einen einmaligen „Fehltritt“. Vielmehr wurde die europäische Identität der Türkei mehrfach erneut bekräftigt, jüngeren Datums etwa im Rahmen der Errichtung der Zollunion mit der Türkei197. Unterstützend spricht auch die türkische Mitgliedschaft im Europarat für eine Klassifizierung der Türkei als europäisches Land198. Vom Blickpunkt des Europarechts müsste eine unterschiedliche Verwendung des Begriffs „europäisch“ im europäischen Primärrecht im Vergleich zum Rechtsrahmen des Europarats durch nachvollziehbare Gründe belegt werden. Solche sind hier nicht ersichtlich. Es erscheint zudem vorzugswürdig, dass zwei internationale Organisationen mit einem teilidentischen Mitgliederkreis, von der die eine – die Europäische Union – die Mitgliedschaft in der anderen – dem Eu195
Albanien, Bosnien-Herzegowina und – ungeachtet des noch ungeklärten völkerrechtlichen Status – der Kosovo sind europäische Staaten bzw. Regionen mit islamischer Bevölkerungsmehrheit. Darüber hinaus bestehen alteingesessene islamische Minderheiten etwa in Griechenland, Mazedonien, Bulgarien und Rumänien. 196
ABl. 1964 Nr. 217, S. 3685.
197
Art. 28 Beschluss 1/95 des Assoziationsrates vom 22.12.1995 zur Errichtung der Zollunion, ABl. 1996 L 35/1. 198
Bruha/ Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, S. 477-502 (483). Art. 4 S. 1 Europaratssatzung lautet: „Jeder europäische Staat, der für fähig und gewillt befunden wird, die Bestimmungen des Artikels 3 zu erfüllen, kann vom Ministerkomitee eingeladen werden, Mitglied des Europarats zu werden“.
60
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
roparat – zur Bedingung ihrer Mitgliedschaft macht199, sich auf vergleichbare geographische Begrifflichkeiten stützen. Auf dieses völkerrechtlich abgestützte Argument muss jedoch vorliegend nicht notwendig zurückgegriffen werden, da die Europäische Union durch das Handeln ihrer Organe und Mitgliedstaaten wie oben gezeigt die Entscheidung über die Frage der europäischen Identität der Türkei bereits verbindlich getroffen hat200. Diese europarechtlich getroffene Entscheidung wird nunmehr über das Europarecht hinaus auch völkerrechtlich abgestützt: Eine hypothetische Aberkennung der europäischen Identität der Türkei, verbunden mit der deswegen nicht erfolgten Eröffnung von Beitrittsverhandlungen oder eines darauf gestützten Abbruchs der Beitrittsverhandlungen, würde einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Prinzip des venire contra factum proprium darstellen.
b) Vermeidung der Entstehung völkerrechtlicher Pflichten im Europaabkommen mit Slowenien In umgekehrter Richtung lässt sich am Beispiel des Europaabkommens mit Slowenien201 zeigen, wie die handelnden Akteure regelmäßig umsichtig versuchen, die Entstehung völkerrechtlich bindender Pflichten im Vorfeld des völkerrechtlichen Vertragsschlusses zu vermeiden. So heißt es in Abs. 21 der Präambel des Europaabkommens mit Slowenien im Hinblick auf das ausdrückliche slowenische Ziel, der Europäischen Union beizutreten, dass „in der Erkenntnis, daß Slowenien letztlich die Mitgliedschaft in der EU anstrebt[,] diese Assoziation nach Auffassung der Vertragsparteien Slowenien helfen wird, dieses Ziel zu erreichen“. Zwar erkennen die Vertragsparteien übereinstimmend die Motivation Sloweniens für den Abschluss des Europaabkommens an. Sorgfältig wird hier jedoch jede Formulierung vermieden, aus der sich ein An199
Hölscheidt, Voraussetzung der Osterweiterung der EU, Juristische Arbeitsblätter (JA) 2001, S. 85-87 (86). 200
Siehe Vedder in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), Kommentar zum EUV/ EGV, Art. 49 EUV, Rn. 11 mit weiteren Nachweisen; Bruha/ Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, S. 477-502 (483). 201
Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den im Rahmen der Europäischen Union handelnden Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Slowenien andererseits vom 10.6.1996, ABl. 1999, L 51/1.
Der Beitritt als völkerrechtliches Verfahren
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spruch auf einen Beitritt herleiten ließe. Eine klare Begründung eines Anspruchs auf Aufnahme in die Europäische Union bei der Erfüllung bestimmter Kriterien durch den Beitrittsaspiranten im Assoziierungsabkommen202 würde, löste man diesen Anspruch nicht ein, zu einem Verstoß gegen das Völkerrecht führen. Das Entstehen solcher Ansprüche der osteuropäischen Bewerberstaaten sollte vermieden werden, um den politischen Aktionsradius gegenüber den Beitrittsaspiranten nicht unnötig zu verengen. Es zeigt sich, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts als stützende Pfeiler des Beitrittsprozesses in Frage kommen und hierfür auch genutzt werden können. Der Beitrittsvertrag hat zwar eine Doppelnatur als völkerrechtlicher Vertrag und daneben als unionsrechtlicher Akt203. Der wesentliche rechtliche Rahmen des Beitrittsprozesses findet sich hingegen eindeutig im Unionsrecht.
202
Unabhängig von der konkreten Bezeichnung des Assoziierungsabkommens als „Europaabkommen“ oder als „Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen“. 203
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 12.
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
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III. Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren Der von dieser Arbeit vorgeschlagene Ansatz sieht den Beitrittsprozess eines Staates verankert in einem rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahren, dem Beitrittsverfahren. Das Beitrittsverfahren findet seinen primärrechtlichen normativen Anker in Art. 49 EU. Akte des Unionsrechts sowie politische Akte der Unionsorgane konkretisieren die primärrechtlichen Vorgaben inhaltlich und gestalten sie aus. Der Wortlaut des Beitrittsartikels 49 des EU-Vertrages lautet: „Jeder europäische Staat, der die in Artikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätze achtet, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden. Er richtet seinen Antrag an den Rat; dieser beschließt einstimmig nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder beschließt. Die Aufnahmebedingungen und die durch eine Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge, auf denen die Union beruht, werden durch ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat geregelt. Das Abkommen bedarf der Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Schranken.“204 Art. 6 I EU, auf den der Beitrittsartikel verweist, hat folgenden Wortlaut: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.“ Aus dem Verständnis des Beitrittsverfahrens als rechtlich geordnetem, rechtsanwendendem Verfahren ergibt sich ein Verständnis der soeben zitierten Normen, nach dem sie die rechtlichen Voraussetzungen des EU-Beitritts festlegen, also das anzuwendende Recht festlegen. Weiter räumen sie dem Rat bei erfüllten Tatbestandsvoraussetzungen ein Ermessen zur Entscheidung über das Beitrittsgesuch ein. Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich diese Hypothese verifizieren lässt und 204
Art. 49 EU (Vorgängernorm: Art. O EUV) in der Fassung des Vertrags von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl. Nr. C 340 vom 10. November 1997.
Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren
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welche Konsequenzen sich aus diesem neuen rechtlichen Blick auf das Beitrittsverfahren ergeben.
1. Verfassungsrechtliches oder einfachrechtliches Verfahren Zunächst ist zu klären, ob die zu erfüllenden Voraussetzungen einen verfassungsrechtlichen oder einen einfachrechtlichen Charakter haben. Mithin ist die Frage angesprochen, ob ein verfassungsrechtliches oder ein einfachrechtliches Verfahren vorliegt. Es ist daher zu untersuchen, welchen Rang das von Art. 49 EU skizzierte Verfahren im Unionsrecht einnimmt. Art. 49 EU stellt eine Norm des Primärrechts dar, während die Rechtsakte, die im Rahmen des Beitrittsprozesses und zu dessen Begleitung entstehen, dem Sekundärrecht zuzurechnen sind und andere Dokumente, die im Beitrittsprozess verwendet werden können, rein politische Bedeutung haben können. Die Möglichkeit der Einordnung als verfassungsrechtliches oder einfachrechtliches Verfahren – in Abgrenzung zum oben bereits abgelehnten rein politischen „Verfahren“ setzt zunächst voraus, dass es überhaupt ein Verfassungsrecht der Europäischen Union gibt. Fraglich ist also zunächst, ob überhaupt eine Unionsverfassung existiert.
a) Existenz einer Unionsverfassung Im Vorfeld der Verabschiedung des Vertrags über eine Verfassung für Europa (Verfassungsvertrag), der in den Referenden in den Niederlanden und Frankreich abgelehnt wurde205, wurde in der Literatur vermehrt die These vertreten, die Europäische Union verfüge noch über keine Verfassung206. Der Verfassungsvertrag wurde dementsprechend von einigen begrüßt, da nunmehr die Zeit für eine Verfassung gekommen sei207, andere hingegen hielten den Zeitpunkt noch für verfrüht208. 205
Vgl. Kornack, Das Demokratiekonzept des Vertrags über eine Verfassung für Europa, Hanse Law Review 2005, S. 199-213 (199); Jopp/ Kuhle, Wege aus der Verfassungskrise – die EU nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden, integration 2005, S. 257-261 (257f.). 206
Cromme, Verfassungsvertrag der Europäischen Union, DÖV 2002, S. 593-600 (596). 207
Vgl. etwa Cromme, Verfassungsvertrag der Europäischen Union, DÖV 2002, S. 593-600 (596).
64
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Noch kritischere Positionen bezweifeln den Verfassungsbedarf209 und gar die Verfassungsfähigkeit der Europäischen Union210. Eine wesentliche Begründung für die ablehnende Position ist häufig, dass sie Verfassungen den staatlichen Verbänden vorbehalten sieht. Die Europäische Union als nicht-staatlicher Verband sei daher nicht verfassungsfähig, aber auch nicht verfassungsbedürftig. Diese Ansicht ist zu eng, da über staatliche Verbände hinaus auch andere Hoheitsträger Hoheitsrechte ausüben211. Die Europäische Union stellt einen solchen nicht-staatlichen Herrschaftsverband dar, der die hoheitlichen Befugnisse ausübt, die ihm auf der Grundlage der begrenzten Einzelermächtigungen von seinen Mitgliedstaaten zur Ausübung übertragen wurden. Kennzeichnend für das Primärrecht der Europäischen Union ist seine völkerrechtliche Grundlage212. Der bloße völkerrechtliche Ursprung verhindert jedoch nicht, dass den abgeschlossenen Verträgen Verfassungsqualität zukommt213. Auch andere Verfassungen sind durch völkerrechtlichen Vertrag zustande gekommen, ohne dass den daraus gebildeten Einheiten prinzipiell die Verfassungsfähigkeit abgesprochen wurde214. Nach Stefan Kadelbach ist entscheidend, dass die Verfassung 208
Scholz, Zu früh für eine Verfassung, Die Welt, 19.2.1999, S. 10.
209
Koenig, Anmerkungen zur Grundordnung der Europäischen Union und ihrem fehlenden „Verfassungsbedarf“, NVwZ 1996, S. 549-552. 210
Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, DÖV 1998, S. 268275; Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, S. 362-471. 211
Häberle, Verfassungsrechtliche Fragen im Prozeß der europäischen Einigung, EuGRZ 1992, S. 429 (430 f.). Diese Erkenntnis hat sich auf der Staatsrechtslehrertagung 2001 auf breiter Ebene durchgesetzt. Siehe hierzu die Referate von Ingolf Pernice, S. 148-193; Peter M. Huber, S. 194-241; Gertrude Lübbe-Wolf, S. 246-289; Christoph Grabenwarter, S. 290-349, VVDStRL 60 (2001). 212
Müller-Graff, Strukturmerkmale des neuen Verfassungsvertrages für Europa im Entwicklungsgang des Primärrechts, integration 2004, S. 186-201 (189); Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip. Normativität und Legitimation als Elemente des europäischen Verfassungsrechts, S. 137, Gliederungspunkt B.II.1.a. 213
Dorau, Die Verfassungsfrage der Europäischen Union: Möglichkeiten und Grenzen der europäischen Verfassungsentwicklung nach Nizza, S. 68f., Gliederungspunkt B.I.2. 214
Etwa die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1791, die von gewählten Konventen der einzelnen Unionsstaaten ratifiziert wurde, hierzu Kelly/ Harbison/ Belz, The American Constitution. Its Origins and Development. Vol. I, S. 103; ähnlich kam auch die Verfassung des Deutschen Reiches
Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren
65
die Voraussetzungen schafft, auf denen sämtliche verhaltensregelnden Normen in einer Rechtsordnung beruhen, da diese Voraussetzungen über die Zugehörigkeit einer Norm zur Rechtsordnung bestimmen215. In Bezug auf die Frage des Verfassungscharakters der EU-Verträge kommt es also entscheidend auf ihren Inhalt, nicht auf ihre Rechtsform an216. Die Funktion einer Verfassung in einem Herrschaftsverband ist es gerade, die Grundlage für die Zuweisung von hoheitlichen Befugnissen zu bilden und darüber hinaus Regelungen und Grundsätze aufzuweisen, die im Verhältnis zu anderen Normen als höherrangig betrachtet werden217. Sie gibt einem Herrschaftsverband ein Organisationsstatut, weist ihm Aufgaben und Ziele zu, teilt die Hoheitsgewalt und enthält (Verfassung-) Grundsätze und Strukturmerkmale. Betrachtet man das Europarecht unter diesem funktionalen Blickwinkel, so stellt man fest, dass sämtliche Funktionen im gegenwärtigen Europarecht bereits erfüllt werden218. Der EG-Vertrag, der EU-Vertrag und der Euratom-Vertrag werden in ihrem Titel und in ihrem jeweiligen Art. 1 als Gründungsstatute ausge-
vom 16. April 1871 durch einen völkerrechtlichen Vertrag zustande, in dem die Monarchen der deutschen Staaten eine Verfassung vereinbaren. Vgl. hierzu § 1 dieser Verfassung sowie Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, S. 329; Frotscher/ Pieroth, Verfassungsgeschichte, S. 197 (Rn. 372). 215
Kadelbach, Einheit der Rechtsordnung als Verfassungsprinzip der Europäischen Union?, in: Bogdandy/ Ehlermann (Hrsg.), Konsolidierung und Kohärenz des Primärrechts nach Amsterdam, S. 51-66 (55). 216
Zuleeg, Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, Der Staat 2002, S. 359384 (361); ebenso Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001) S. 148ff. (168ff.). 217
Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, S. 39. Die folgende Argumentation orientiert sich an diesem Text. 218
Vgl. Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, S. 165; Pescatore, Die Gemeinschaftsverträge als Verfassungsrecht – ein Kapitel Verfassungsgeschichte in der Perspektive des europäischen Gerichtshofs, systematisch geordnet, in: Grewe/ Rupp/ Schneider (Hrsg.), Europäische Gerichtsbarkeit und nationale Verfassungsgerichtsbarkeit. Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans Kutscher, S. 319-338 ; Kadelbach, Einheit der Rechtsordnung als Verfassungsprinzip der Europäischen Union?, in: Bogdandy/ Ehlermann (Hrsg.), Konsolidierung und Kohärenz des Primärrechts nach Amsterdam, S. 51-66 (57).
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
wiesen, nach denen sich die Zweckbestimmung der Organisation richtet. Mit dieser grundlegenden Funktion erfüllen sie ein erstes Verfassungselement. Weiter regeln die Verträge die Befugnisse zur Ausübung hoheitlicher Gewalt auf Unions- und Gemeinschaftsebene. Sie schaffen bestimmte Organe und weisen diesen Organen eine klar definierte Rolle bei der Ausübung von exekutiven, legislativen und judikativen Hoheitsbefugnissen zu. Außerdem begründen die Verträge eine Normenhierarchie, nach der sich das auf der Grundlage der Verträge geschaffene Recht, das Sekundärrecht, am Primärrecht messen lassen muss. Der EuGH hat daher bereits den EWG-Vertrag als „Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft“ bezeichnet219. Zwar fehlt den Gründungsverträgen ein ausführlicher Grundrechtskatalog. Dieser wurde erst im Wege der aus dem Gedanken von Art. 288 II EG sprechenden Befugnis des Europäischen Gerichtshofs zur Rechtsfortbildung in das Gemeinschaftsrecht eingefügt220. Nicht anders als im nationalen Verfassungsrecht, aber in deutlich stärkerem Maßstab enthält das europäische Verfassungsrecht folglich Elemente, die im Wege der Lückenschließung durch Richterrecht eingefügt wurden. Dementsprechend umfasst das Europäische Verfassungsrecht die Gründungsverträge und die vom Europäischen Gerichtshof ausgebildeten Rechtsgrundsätze221. In diesem breiteren Verständnis existieren in der Rechtsordnung der Europäischen Union alle wichtigen Verfassungsgrundsätze wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, föderative Prinzipien und ein extensiver Grundrechtsschutz, also alle Verfassungsfunktionen222. Die Verfassung 219
EuGH, Gutachten 1/91, Slg. 1991, S. I-6079 (6102), erstes EWR-Gutachten. 220
Zuleeg, Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, Der Staat 2002, S. 359384 (361f., 374), zu den einzelnen geschützten Rechten Beutler in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Art. 6 EU, Rn. 76-96 mit den Nachweisen der jeweils einschlägigen Rechtsprechung des EuGH. 221
Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, S. 41; Commichau, Nationales Verfassungsrecht und europäische Gemeinschaftsverfassung; Wechsler, Der Europäische Gerichtshof in der EG-Verfassungswerdung. 222
Langenfeld, Erweiterung ad infinitum? Zur Finalität der Europäischen Union, ZRÜ 2005, S. 73-76 (75); Ruffert, Schlüsselfragen der Europäischen Verfassung der Zukunft. Grundrechte – Institutionen – Kompetenzen – Ratifizierung, EuR 2004, S. 165-201 (199).
Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren
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etabliert auch die Strukturmerkmale der europäischen Rechtsordnung, wie etwa die Wirksamkeit des Europarechts, die Verhältnismäßigkeit, die Rechtssicherheit, den Vertrauensschutz und das Recht auf eine gute Verwaltung223. Es zeigt sich die Verfassungsfähigkeit der Union224. Auf die – breit aufgearbeitete und kontrovers diskutierte – Frage, ob der Europäischen Union Staatlichkeit zukommt225, kommt es für die Frage ihrer Verfassungsfähigkeit nicht an. Daher muss an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen werden226. Auch ohne die Ratifikation des Verfassungsvertrags existiert bereits eine europäische Verfassung. Sie gewährt dem Einzelnen konkrete und durchsetzbare Rechte227. 223
Näher zu diesen Strukturmerkmalen Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, S. 148-152. 224
Zuleeg, Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, Der Staat 2002, S. 359384 (361); Huber, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001) 2001, S. 194 (208f.). Wahl, Erklären staatstheoretische Leitbegriffe die Europäische Union?, in: Dreier (Hrsg.), Rechts- und staatstheoretische Schlüsselbegriffe: Legitimität – Repräsentation – Freiheit. Symposium für Hasso Hofmann zum 70. Geburtstag, S. 113-149 (131) spricht insofern von der Verfassung der Union als aliud zur Verfassung von Staaten. 225
Aus der Diskussion um die Staatlichkeit der EU und die Übertragbarkeit staatsrechtlicher Konzepte auf sie sei verwiesen auf von Bogdandy, Supranationaler Föderalismus als Wirklichkeit und Idee einer neuen Herrschaftsform, S. 29ff. mit umfangreichen weiteren Nachweisen; von Bogdandy, Zur Übertragbarkeit staatsrechtlicher Figuren auf die Europäische Union. Vom Nutzen der Gestaltidee supranationaler Föderalismus anhand des Demokratieprinzips, in: Brenner/ Huber/ Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura zum 70. Geburtstag, S. 1033-1052 (vor allem Kap. III, S. 1042f.); MacCormick, Questioning Sovereignty. Law, State, and Nation in the European Commonwealth, S. 138 f. 226
Die Literatur zur Verfassungsfähigkeit der Union ist fast unüberschaubar. Zu einem ersten Überblick sei verwiesen auf Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, JZ 1995, S. 581-591 (586); Böckenförde, Welchen Weg geht Europa; Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, DÖV 1998, S. 268-275 (270-273); Möllers, Verfassungsgebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 1ff. ; Zuleeg, Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, Der Staat 2002, S. 359-384 (361). 227
Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, S. 41; Zuleeg, Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, Der Staat 2002, S. 359-384 (361, 374-376).
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Die Verfasstheit der Europäischen Union lässt sich lediglich leugnen, wenn man formalistisch darauf beharrt, dass eine Verfassung in einem einheitlichen Textdokument vorliegen müsse. Dann müsste man aber auch etwa der Republik Österreich, die über verschiedene Gesetze im Verfassungsrang verfügt, die rechtliche Verfasstheit absprechen. Die Bestrebungen zum Abschluss des Verfassungsvertrags sind mit Manfred Zuleeg lediglich als ein „Neuanfang“ zu bewerten, der „die unübersichtlichen und ausladenden Gründungs- und Abänderungsverträge mit vielen Anhängen und Protokollen sowie ergänzenden Verträgen“, die die Grundlage der gegenwärtigen europäischen Verfassung bilden, übersichtlicher abbilden sollte228. Hier wird diesem funktionalen Ansatz gefolgt und die Gründungsverträge werden als Teil der europäischen Verfassung angesehen. Art. 49 EU, der das Beitrittsverfahren regelt, ist folglich eine Norm, die in Verfassungsrang steht.
b) Historischer Überblick über die Entwicklung des einheitlichen Beitrittsverfahrens Die Möglichkeit des Beitritts zur Europäischen Union ist einheitlich in Art. 49 EU geregelt. Diese einheitliche Regelung existiert, obwohl die Europäische Union sowohl über supranationale als auch intergouvernementale Handlungsoptionen verfügt und ihre vertragliche Grundlage in einer Reihe verschiedener völkerrechtlicher Verträge findet. Zu nennen sind hier vorrangig der EU-Vertrag vom 7. Februar 1992, der EGVertrag vom 25. März 1957 und der Euratom-Vertrag vom 25. März 1957. Ein Beitritt zur Europäischen Union ist nach der geltenden Rechtslage nur in ihrer Gesamtheit möglich; ein Beitritt ausschließlich zu einzelnen Verträgen, auf denen die Union beruht, ist auch theoretisch nicht mehr denkbar. Damit fixiert der Wortlaut von Art. 49 EU eine Rechtslage, die nach dem hier vertretenen Verständnis gewohnheitsrechtlich seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl229, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Euratom-Gemeinschaft zum 25. März 1957 bestanden hat. Das hier vertretene Verständnis steht im Widerspruch zu einer rein wortlautfixierten Interpretation der Bestim228 229
Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, S. 165f.
EGKS-Vertrag, unterzeichnet am 18.April 1951, in Kraft getreten zum 23. Juli 1952.
Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren
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mungen, die den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften bzw. zur Europäischen Union in der Vergangenheit geregelt haben230. Nachdem die Frage für die Zukunft eindeutig geklärt ist231, sei zur Verdeutlichung der hier vertretenen Position die historische Entwicklung des Erweiterungsrechts knapp beschrieben.
aa) Historische Entwicklung eines einheitlichen Beitrittsverfahrens Das Erweiterungsrecht der Gemeinschaften und der Union lässt sich in fünf historische Phasen unterteilen232. In der ersten Phase ermöglichte Art. 98 des zwischenzeitlich aufgrund seiner 50-jährigen Geltungsdauer zum 23. Juli 2002 ausgelaufenen Vertrags über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vom 18. April 1951 es jedem europäischen Staat, sich um Aufnahme zu bewerben und wies dem Rat die Befugnis zu, sich mit dieser Bewerbung auseinander zu setzen, nachdem die Hohe Behörde (die Kommission) eine Stellungnahme zum Antrag abgegeben hatte. Wir erkennen in diesem Verfahren somit bereits die Grundzüge des heute noch gültigen Beitrittsverfahrens. So wird dem Rat die Kompetenz zur politischen Entscheidung über den Beitrittsantrag zugewiesen, während der Kommission die Kompetenz zur inhaltlichen Beurteilung des Beitrittsantrags und inhaltlichen Stellungnahme über den Beitrittsantrag zukommt. Erst auf der Grundlage dieser Stellungnahme konnte der Rat seine politische Entscheidung über den Beitrittsantrag treffen. Dieses Verfahren kam jedoch für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl eigenständig nie zum Tragen. Zum 25. März 1957 wurden nämlich die Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und über die Euratom-Gemeinschaft 230
Vgl. unter den Vertretern einer selektiven Beitrittsmöglichkeit zu einzelnen Gemeinschaften unter der Rechtslage bis zum Abschluss des MaastrichtVertrages Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 1. 231
Das erkennt auch Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 2. 232
Basierend auf Kochenov, EU Enlargement Law: History and Recent Developments: Treaty – Custom – Concubinage?, European Integration online Papers (EIoP), Vol. 9 (2005) No. 6, http://eiop.or.at/eiop/texte/2005-006a.htm (2005), S. 4.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
in Kraft gesetzt, die nach wesentlichen Vertragsänderungen bis heute tragende Säulen der Unionsrechtsordnung darstellen. Beide Verträge enthielten wortidentische Beitrittsbestimmungen in Art. 237 EWGVertrag und Art. 205 Euratom-Vertrag, die jedoch von der Normierung in Art. 98 EGKS-Vertrag abwichen. Nach Art. 237 I EWG-Vertrag und Art. 205 I Euratom-Vertrag konnten europäische Staaten ihre Bewerbung um Mitgliedschaft wiederum an den Rat richten, der nach Erhalt der Stellungnahme der Kommission einstimmig darüber zu befinden hatte. Darüber hinaus legte jedoch Absatz II der relevanten Vertragsartikel fest, dass die Bedingungen des Beitritts und die Anpassungen der Verträge Gegenstand eines Abkommens zwischen den Mitgliedstaaten und dem Bewerberstaat seien und dass die Mitgliedstaaten den Beitrittsvertrag im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Bestimmungen ratifizieren müssten. Diese Modifikation wurde von Frank Hoffmeister als geringfügig geändertes Verfahren gekennzeichnet233. Dem kann so nicht zugestimmt werden; das Beitrittsverfahren wurde fundamental angepasst234. So ist zunächst zu beachten, dass die Mitgliedstaaten als Akteure neben die Kommission und den Rat treten. Zudem werden ihre nationalen verfassungsrechtlichen Bestimmungen über das Ratifikationserfordernis aktiv in das Beitrittsverfahren integriert. Anders als Kochenov behauptet235, führte dies jedoch nicht zu einem anderen Beitrittsverfahren. Vielmehr ist das Verfahren nach Art. 98 EGKS-Vertrag in der Praxis nie eigenständig relevant geworden. An dieser Stelle liegt das revolutionäre Moment der durch Art. 237 EWG-Vertrag und Art. 205 Euratom-Vertrag eingeführten Regelung. Obwohl es sich um rechtlich selbständige völkerrechtliche Verträge handelte, wurde in der Beitrittspraxis ein Beitritt nur gemeinsam zu al-
233
“Slightly different procedure”, Hoffmeister, Changing Requirements for Membership, in: Ott/ Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, S. 90-102 (91). 234
Vgl. Kochenov, EU Enlargement Law: History and Recent Developments: Treaty – Custom – Concubinage?, European Integration online Papers (EIoP), Vol. 9 (2005) No. 6, http://eiop.or.at/eiop/texte/2005-006a.htm (2005), S. 6, der von einer “essentially different procedure” spricht. 235
Kochenov, EU Enlargement Law: History and Recent Developments: Treaty – Custom – Concubinage?, European Integration online Papers (EIoP), Vol. 9 (2005) No. 6, http://eiop.or.at/eiop/texte/2005-006a.htm (2005), S. 6.
Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren
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len drei Gemeinschaftsverträgen ermöglicht236. Diese Kongruenz der Beitrittsverfahren findet sich in den Vertragstexten durch die identische Formulierung der Regelungen in Art. 237 EWG-Vertrag und in Art. 205 Euratom-Vertrag. Im Unterschied zur Darstellung von Kochenov237 entwickelte sich zudem auch kein gewohnheitsrechtliches Beitrittsverfahren im Wege der Synthese aus Art. 98 EGKS-Vertrag, Art. 237 EWG-Vertrag und Art. 205 Euratom-Vertrag. Vielmehr wurde Art. 98 EGKS-Vertrag um die ihm textlich fehlenden Elemente gewohnheitsrechtlich ergänzt, sodass eine einheitliche, auf dem Vertragstext basierende normative Grundlage zum Beitrittsverfahren zu den Gemeinschaften geschaffen wurde. Bereits 1957 wurden somit in der Rechtspraxis die Beitrittsmöglichkeiten zu den drei verschiedenen Gemeinschaften zu einem Beitrittsverfahren zusammengeführt. Damit wurde die theoretisch denkbare Möglichkeit des selektiven Beitritts zu einer einzelnen Gemeinschaft238 entwertet. Das Fundament zur einheitlichen Rechtsgemeinschaft wurde so gelegt. Diese rechtliche Sichtweise wurde spätestens 1965 mit dem „Fusionsvertrag“239, also vor der ersten Erweiterungsrunde, ins ausdrückliche Vertragsrecht überführt. Das einheitliche Beitrittsverfahren wurde sodann im Lauf der Zeit durch einfachrechtliche und gewohnheitsrechtliche Elemente konkretisiert und weiter ausgestaltet. Vor dem so gestalteten normativen Hintergrund fand dann die Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaften um Spanien, Portugal und Griechenland statt.
236
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 3. 237
Kochenov, EU Enlargement Law: History and Recent Developments: Treaty – Custom – Concubinage?, European Integration online Papers (EIoP), Vol. 9 (2005) No. 6, http://eiop.or.at/eiop/texte/2005-006a.htm (2005), S. 6. 238
Von einer solchen selektiven theoretischen Beitrittsmöglichkeit geht etwa Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 1 für Art. 237 EWGV, Art. 205 EAG und Art. 98 EGKS aus. 239
Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965, in Kraft getreten am 1. Juli 1967. Die Zusammenlegung der Ministerräte der drei Gemeinschaften erfolgte mit Wirkung zum 1. Juli 1967. Dieser Vertrag wurde durch Art. 9 I des Amsterdamer Vertrags aufgehoben und seine wesentlichen Gehalte in das konsolidierte Vertragswerk überführt.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
bb) Beteiligung des Parlaments und Überführung ins Unionsrecht Im Anschluss an die Süderweiterung folgte eine dritte Phase der Änderung der vertraglichen Beitrittsbestimmungen durch die Einheitliche Europäische Akte240, in der die Beteiligung des Europäischen Parlaments in das Erweiterungsverfahren eingefügt wurde. Der Vertrag über die Europäische Union241 überführte sodann das seit 1957 einheitliche, zu den jeweiligen Gemeinschaftsverträgen durchgeführte Beitrittsverfahren in die einheitliche Rechtsgrundlage des damaligen Art. O EUVertrag. Mit dieser Änderung wurde die theoretisch bestehende Möglichkeit des Beitritts zu einzelnen Gemeinschaftsverträgen, die nach der hier vertretenen Ansicht de facto seit Gründung der Gemeinschaften, spätestens aber seit Inkrafttreten des Fusionsvertrags 1967, nicht in Betracht kam, auch normativ eindeutig zugunsten eines einheitlichen Beitritts abgeschafft. Zentral an dieser vierten Phase der inhaltlichen Gestaltung der Normen, die den Beitritt regeln, ist zudem, dass mit Art. O EU-Vertrag im Jahre 1992 die Beitrittsmöglichkeit aus dem Recht der einzelnen Verträge in den EU-Vertrag überführt wird. Während im Vergleich zu Art. 237 EWG-Vertrag und Art. 205 Euratom-Vertrag mit Ausnahme der Einfügung des Wortes „Union“ keine textlichen Änderungen am Beitrittsartikel vorgenommen wurden, erhielt er durch diese Überführung seine neue systematische Stellung im Recht der Union. Aus bisherigem Gemeinschaftsrecht wurde also Unionsrecht, das nun auch begrifflich und systematisch widerspiegelt, dass ein Beitritt zur Rechtsordnung der Europäischen Union nur in ihrer Gesamtheit möglich ist. Zudem wird hiermit dokumentiert, dass die supranationale Rechtsordnung der Europäischen Union den Beitritt regelt und allenfalls subsidiär auf die Regelungen des Völkervertragsrechts zurückgegriffen werden kann. Wegen der Völkerrechtsfreundlichkeit des Unionsrechts unterstützt das Unionsrecht jedoch autonom die Anforderungen, die das Völkerrecht im Zuge der Verhandlungen, die zum Abschluss des Beitrittsvertrages führen sollen, an die Verhandlungspartner stellt242. Gleichwohl finden die Beitrittsverhandlungen primär in einem vom Unionsrecht festgelegten Verfahren statt. Sie werden nicht von den Re240
Unterzeichnet am 28. Februar 1986, in Kraft getreten am 1. Juli 1987, Amtsblatt EG Nr. L 169 vom 29.6.1987, S. 1. 241
Unterzeichnet am 7. Februar 1992, Amtsblatt EG Nr. C 191 vom 29.7.1992, S. 1. 242
Siehe oben unter B. I.
Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren
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geln des völkerrechtlichen Vertragsschlusses dominiert. Von Bedeutung ist zudem, dass das Unionsrecht eine übergreifende Rechtsordnung mit Geltungsanspruch gegenüber den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten darstellt. Daher führt die Inkorporierung des Beitrittsverfahrens in das Unionsrecht zu einem Mehr an Rechtssicherheit für die beteiligten Parteien, aber auch für die Bürger, die ein legitimes Vertrauen auf die Geltung des Rechts in der Unionsrechtsordnung geltend machen können.
cc) Fixierung ungeschriebener Normvoraussetzungen Mit dem Vertrag von Amsterdam243 wurde in der fünften historischen Phase der Änderung des Beitrittsartikels Art. O EU-Vertrag umbenannt in Art. 49 EU. Zudem wurde eine Referenz auf die in Art. 6 I EU genannten Grundsätze in den Vertragsartikel eingefügt. Wie sogleich im Rahmen der Frage, ob das dargestellte Verfahren als verfassungsrechtlich zu qualifizieren ist, zu erörtern sein wird, stellt die ausdrückliche Erwähnung der Grundsätze des Art. 6 I EU aber keine inhaltliche Änderung des Beitrittsverfahrens dar, sondern fixiert lediglich die ohnehin schon bestehenden inhaltlichen Anforderungen des Unionsverfassungsrechts im Normtext des Beitrittsartikels244. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Beitritt in der Rechtsordnung der Gemeinschaften seit ihrer Gründung im Jahre 1957 einer einheitlichen Regelung unterliegt. Er ist von Anfang an gekennzeichnet durch eine Beteiligung des Rats und der Kommission als gemeinschaftsrechtlichen bzw. unionsrechtlichen Organen sowie durch eine Beteiligung der Mitgliedstaaten unter ausdrücklichem Hinweis auf die erforderliche Ratifikation des Beitrittsvertrags nach ihren verfassungsrechtlichen Bestimmungen. Dabei entscheidet der Rat einstimmig über die Behandlung des Antrags und stützt sich hierbei auf die inhaltliche Stellungnahme der Kommission. Im Zuge der Entwicklung der letzten 243
Vertrag von Amsterdam zur Änderung der Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, unterzeichnet am 2. Oktober 1997, Amtsblatt EG Nr. C 340 vom 10.11.1997. 244
So de Witte, Enlargement and the EU Constitution, in: Cremona (Hrsg.), The Enlargement of the European Union, S. 209-252 (229); Bruha/ Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, S. 477-502 (484) mit ausführlichen weiteren Nachweisen für das hierüber im Schrifttum bestehende Einvernehmen.
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Jahrzehnte wurde weiterhin eine Beteiligung des Europäischen Parlaments am Beitrittsverfahren festgeschrieben. Außerdem wurde der Beitritt 1992 aus dem Gemeinschaftsrecht in das Unionsrecht überführt. 1997 wurden inhaltliche Beitrittskriterien in den Wortlaut der Norm übernommen. Bei der Beitrittsklausel des Art. 49 EU handelt es sich somit um eine Norm des Unionsrechts, die sowohl inhaltliche als auch prozedurale Aspekte des Beitritts zur Europäischen Union in ihrer Gesamtheit regelt.
c) Verfassungsauftrag Erweiterung im gültigen Recht Der besondere supranationale Charakter des Unionsrechts245 erfordert es teilweise, dass auch Detailfragen primärrechtlich reguliert werden, die in nationalstaatlichen Verfassungen nicht im Verfassungstext enthalten sind. Es stellt sich daher die Frage, ob es sich bei der Normierung des Beitritts in Art. 49 EU um eine solche technische Regulierung handelt, die nur deshalb Eingang ins Primärrecht gefunden hat, weil in ihr beispielsweise eine besondere Kompromissregelung vertraglich fixiert werden sollte. Andererseits könnte es sich bei Art. 49 EU aber auch um eine Norm handeln, die veritable verfassungsrechtliche Funktionen erfüllt, indem sie der Erfüllung eines wesentlichen Ziels der Union dient. In dem, hier vertretenen, Verständnis des Primärrechts als Teil der Verfassung der Union könnte nach derzeitigem Recht nämlich ein Verfassungsauftrag zur Erweiterung enthalten sein. Daher gilt es zunächst, den Sinn und Zweck der Verträge zu determinieren und ihre Aussagen in Bezug auf die Erweiterung der Union zu ermitteln. Hierzu kann ein Blick in die Präambeln der Gründungsverträge wertvolle Einblicke liefern. Die Verträge zur Gründung und Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Union sind sämtlich mit Präambeln ausgestattet, womit einerseits ihrer völkerrechtlichen Entstehung gehuldigt wird246, andererseits jedoch 245
Siehe zum supranationalen Charakter des Unionsrechts beispielsweise noch Weiler, The Community System: The Dual Character of Supranationalism, Y.E.L. 1 (1981), S. 268. 246
In völkerrechtlichen Verträgen besteht eine langjährige Tradition, diese mit Präambeln zu versehen, vgl. Treviranus, Preamble, in: Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, S. 1097f.; Kopetz, Präambeln: unverbindliche Verfassungslyrik oder verbindliches Verfassungsprogramm?, in: Becker/ Bovenkerk/ Groh/ Gröblinghoff/ Gußen/ Hellmann/ Kolcu/ Klein/
Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren
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auch der Anspruch dieser Verträge zum Ausdruck kommt, verfassungsähnliche Züge zu tragen247. Die Präambel ist ein privilegierter Ort, um Daseinszwecke, Daseinsgründe, Motivationen und Ziele verfasster Gemeinwesen zu fixieren. Sie rekurriert auf das Selbstverständnis der Verfassungsgeber und nennt die Grundsätze und Staats- bzw. Verfassungsziele für die Gestaltung der Zukunft248. Inhaltlich kondensieren Präambeln den „Basiskonsens“, auf dem ein verfasstes Gemeinwesen beruht249. Präambeln erfüllen neben einer Identifikationsfunktion250 die normative Funktion, Prinzipien bereitzuMenzel/ Terhechte (Hrsg.), Die Europäische Verfassung – Verfassungen in Europa (45. Assistententagung Öffentliches Recht Bielefeld 2005), S. 9-33 (15). Aus der Sicht des Völkerrechts zählen Präambeln zum Vertragszusammenhang gemäß Art. 31 II WVK, in dessen Licht die im Vertrag verwendeten Ausdrücke auszulegen sind, Art. 31 I WVK. Präambeln sind damit Bestandteil des Vertragstextes und zählen zum interpretierbaren und interpretierten Kontext von völkerrechtlichen Verträgen. Vgl. hierzu Aust, Modern Treaty Law and Practice, S. 188-191; s. auch Ipsen, Völkerrecht, S. 142 (§ 11 Rn. 13). 247
Kopetz, Präambeln: unverbindliche Verfassungslyrik oder verbindliches Verfassungsprogramm?, in: Becker/ Bovenkerk/ Groh/ Gröblinghoff/ Gußen/ Hellmann/ Kolcu/ Klein/ Menzel/ Terhechte (Hrsg.), Die Europäische Verfassung – Verfassungen in Europa (45. Assistententagung Öffentliches Recht Bielefeld 2005), S. 9-33 (25), für die Verfassungsfunktionen der Präambeln von internationalen Verträgen Kolb, Principles as Sources of International Law, Netherlands International Law Review 2006, Bd. LIII, S. 1-36 (25ff.). 248
Isensee, Staat und Verfassung (§ 15), in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts II, S. 3-106 (24, Rn. 30); Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: Festschrift für Johannes Broermann, S. 224 (231ff. m.w.N.); Kopetz, Präambeln: unverbindliche Verfassungslyrik oder verbindliches Verfassungsprogramm?, in: Becker/ Bovenkerk/ Groh/ Gröblinghoff/ Gußen/ Hellmann/ Kolcu/ Klein/ Menzel/ Terhechte (Hrsg.), Die Europäische Verfassung – Verfassungen in Europa (45. Assistententagung Öffentliches Recht Bielefeld 2005), S. 9-33 (15). 249
Kopetz, Präambeln: unverbindliche Verfassungslyrik oder verbindliches Verfassungsprogramm?, in: Becker/ Bovenkerk/ Groh/ Gröblinghoff/ Gußen/ Hellmann/ Kolcu/ Klein/ Menzel/ Terhechte (Hrsg.), Die Europäische Verfassung – Verfassungen in Europa (45. Assistententagung Öffentliches Recht Bielefeld 2005), S. 9-33 (15). 250
Zur Identifikationsfunktion siehe etwa am Beispiel der Präambel zur Europäischen Grundrechtecharta Busse, Eine kritische Würdigung der Präambel der Europäischen Grundrechtecharta, EuGRZ 2002, S. 559 (565); Meyer in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Präambel, Rn. 17.
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halten, mit denen bisher noch nicht bewusst gesehene Entwicklungen politisch und rechtlich bearbeitet werden können251 und die politische Funktion, das prägende politische Bekenntnis eines Gemeinwesens zum Ausdruck zu bringen252. Bei der Europäischen Union handelt es sich, wenn auch nicht um einen Staat im klassischen Verständnis, so doch um ein verfasstes Gemeinwesen. Nach dem funktionalen Verständnis besteht ein europäisches Verfassungsrecht, das sich aus den Gründungsverträgen in Kombination mit den vom Gerichtshof herausgebildeten Rechtsgrundsätzen zusammensetzt253. Für die so verstandene Europäische Verfassung wird die Rolle der Präambel von den Präambeln des EU-Vertrages und des EGVertrages eingenommen. In ihnen finden sich Anhaltspunkte für den „Basiskonsens“ (Kopetz) des verfassten Gemeinwesens der EU sowie für deren Verfassungsprinzipien und Ziele, die Aufschluss über die ratio des politischen Gemeinwesens geben können. Da die Entstehungsgeschichte im Fall der Gründungsverträge – wie bei anderen völkerrechtlichen Verträgen – der Öffentlichkeit nur eingeschränkt zur Verfügung steht, erhalten die ihnen vorangestellten Präambeln eine wesentliche Rolle bei ihrer Auslegung254. Der Kompetenzbereich der Gemeinschaft wird nicht nur durch den eigentlichen Vertragstext umrissen, sondern auch durch die in den Präambeln enthaltenen Ziele abgesteckt255. Die in den Präambeln fixierten Rechtsgrundsät251
Kolb, Principles as Sources of International Law, Netherlands International Law Review 2006, Bd. LIII, S. 1-36 (7, 9). 252
Kopetz, Präambeln: unverbindliche Verfassungslyrik oder verbindliches Verfassungsprogramm?, in: Becker/ Bovenkerk/ Groh/ Gröblinghoff/ Gußen/ Hellmann/ Kolcu/ Klein/ Menzel/ Terhechte (Hrsg.), Die Europäische Verfassung – Verfassungen in Europa (45. Assistententagung Öffentliches Recht Bielefeld 2005), S. 9-33 (17). 253
Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, S. 41; Commichau, Nationales Verfassungsrecht und europäische Gemeinschaftsverfassung; Wechsler, Der Europäische Gerichtshof in der EG-Verfassungswerdung. 254
EuGH, Übereinkommen über den Objektschutz, 1/78, Slg. 1978, S. 2155 (2175); Zuleeg in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU/EG-Vertrag, Präambel zum EU-Vertrag, Rn. 3. 255
EuGH, Rs. 56/64 und 58/64 vom 13. Juli 1966, Consten GmbH und Grundig GmbH/Kommission, Slg. 1966, S. 329 (388); Zuleeg in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Präambel zum EU-Vertrag, Rn. 3.
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ze belegen daher die gemeinsamen Grundanschauungen der Vertragsparteien und bilden, in den Worten des ehemaligen EuGH-Richters Manfred Zuleeg, „Bausteine für die Rechtsfortbildung“ durch den EuGH256. Dabei trifft die Mitgliedstaaten eine Pflicht zur Wahrung der Verfassungsgrundsätze der Gemeinschaft, und damit auch jener Verfassungsgrundsätze, die sich aus den Präambeln ergeben, im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts257. Daher soll nunmehr ein Blick darauf geworfen werden, welchen Stellenwert die beiden Präambeln des EU-Vertrages und des EG-Vertrages der Erweiterung der Union zumessen und welche weiteren Verfassungsprinzipien und Verfassungsziele bei der Gestaltung des Erweiterungsverfahrens wichtig werden könnten.
aa) Präambel des EG-Vertrags Die Bedeutung des Elements der Erweiterung zeigen etwa die zweite Präambelerwägung zum EG-Vertrag, „die Europa trennenden Schranken beseitigen“ und besonders die achte Präambelerwägung zum EGVertrag, „mit der Aufforderung an die anderen Völker Europas, die sich zu dem gleichen hohen Ziel bekennen, sich diesen Bestrebungen anzuschließen“258. Neben der Erweiterung ist das zweite bedeutende Kernelement der europäischen Integration die Vertiefung, wie sie im „festen Willen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen“259 zum Ausdruck kommt260. Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist hervorgegangen aus dem EWG-Vertrag vom 25. März 1957. Er enthält die äl256
Zuleeg in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU/EG-Vertrag, Präambel zum EU-Vertrag, Rn. 3. 257
EuGH, Rs. 5/88 vom 13. Juli 1989, Wachauf/Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft, Slg. 1989, S. 2609 (2639f.); EuGH, Rs. C-260/89 vom 18. Juni 1991, ERT/DEP, Slg. 1991, S. I-2925 (2963f.); Zuleeg in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Präambel zum EUVertrag, Rn. 9. 258 259 260
Hervorhebungen vom Verfasser. Erste Präambelerwägung zum EG-Vertrag.
Zuleeg in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU/EG-Vertrag, Präambel zum EU-Vertrag, Rn. 4, 5, der sogar ausdrücklich die Entwicklung zu einem europäischen Bundesstaat von der Präambel umfasst – aber nicht gefordert – sieht.
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teste Präambel der derzeit geltenden Gründungsverträge und hierin bereits die wesentlichen Prinzipien, auf denen das europäische Verfassungsrecht beruht. Schwächer als die noch sehr deutliche Präambel zum EGKS-Vertrag geht sie in der achten Präambelerwägung auf die Entstehung des Zusammenschlusses aus der Sorge um den Frieden in Europa ein, enthält aber auch diesen zentralen Gesichtspunkt261. Der Beschluss zur Gründung der Gemeinschaft wird nach der ersten Präambelerwägung gefasst „in dem festen Willen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen“. Mit dem Hinweis auf den „immer engeren Zusammenschluß“ enthält die erste Präambelerwägung eine zentrale verfassungsrechtliche Aussage, nämlich die Festlegung auf eine stetig voranschreitende europäische Integration und somit auf eine kontinuierliche Vertiefung des gemeinsamen supranationalen Rechtsrahmens. Weiter geht es in dieser Präambelerwägung um den „Zusammenschluß der europäischen Völker“. Hier werden zwei Aussagen getroffen. Zunächst weist das Element „europäisch“ darauf hin, dass der gewünschte Zusammenschluss nach außen abgegrenzt ist durch die Grenzen Europas, wobei eine genauere Festlegung, wie diese Grenzen zu ziehen sind, nicht getroffen wird. Dennoch macht der Hinweis auf ein notwendiges Europäischsein es deutlich, dass es sich bei dem mit der Gemeinschaft geschaffenen Zusammenschluss um ein nur begrenzt für neue Mitglieder offenes Gebilde handelt. Die zweite, wichtigere Aussage ist jene, dass die geschaffene Gemeinschaft der Zusammenschluss der europäischen Völker sein soll. Die Formulierung bezieht sich grammatikalisch eindeutig auf die Gesamtheit der europäischen Völker; die Europäische Gemeinschaft ist also in ihrem Gründungsstatut von Anfang an nicht als ein exklusiver Club einiger europäischer Völker angelegt, sondern propagiert trotz der begrenzten Anzahl von sechs Gründungsmitgliedern in der Präambel die Vision eines gesamteuropäischen Hauses. Damit werden Erweiterung und Vertiefung in der ersten Präambelerwägung gleichberechtigt als tragende Verfassungsaufträge genannt.
261
Die Präambel zum EGKS-Vertrag sprach in drei von fünf Erwägungsgründen den Frieden an. Hierzu Zuleeg in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Präambel zum EU-Vertrag, Rn. 6. Zur Europäischen Gemeinschaft als „Friedensordnung par excellence“ Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 53, 66, 16ff.
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Manfred Zuleeg ordnet die Elemente der europäischen Integration, namentlich den immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker, in seiner Kommentierung der Präambel des EU-Vertrages sogar als Rechtsgrundsätze ein, die Bausteine der Rechtsfortbildung darstellen262. Fraglich ist insofern, ob man diesbezüglich von Erweiterung und Vertiefung als Verfassungsprinzipien oder Verfassungsgrundsätzen sprechen kann. Versteht man den Begriff des Verfassungsprinzips als ein Prinzip, an dem ein Ermessen auszurichten ist, wo immer die Gemeinschaftsorgane einen Gestaltungsspielraum für politisches Handeln besitzen263, so ist dies durchaus denkbar. Denn auch durch die in einer Verfassung festgeschriebenen Ziele und Aufträge wird das Ermessen der Entscheidungsträger gelenkt. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass Erweiterung und Vertiefung strukturell anders aufgebaut sind als die Verfassungsprinzipien etwa der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit. Versteht man, wie Armin von Bogdandy264 Integration gerade als die Ausbildung gemeinsamer Verfassungsprinzipien, so können Erweiterung und Vertiefung nicht als Rechtsgrundsätze in diesem Sinn verstanden werden. Begrifflich korrekt handelt es sich daher um gleichgeordnete Verfassungsaufträge oder Verfassungsziele, die aber ebenso wie die in den Präambeln verkörperten Rechtsgrundsätze eine rechtliche Qualität haben und die Gemeinschaftsorgane bei ihrem politischen Handeln binden. Vor dem Hintergrund der in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bestehenden Teilung des europäischen Kontinents durch den Ost-West-Konflikt ist die Hervorhebung der dargestellten gesamteuropäischen Vision in der Präambel des EG-Vertrages überaus bemerkenswert265. Sie wird unterstrichen durch weitere Prä262
Zuleeg in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU/EG-Vertrag, Präambel zum EU-Vertrag, Rn. 4, 5. 263
Zuleeg in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, Präambel EU, Rn. 3. 264
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (160-162, „Supranationaler Föderalismus als Gestaltidee“ und „Verfassungsprinzipien angesichts variierender Sektoralregelungen“). 265
Hierzu Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung. Darstellung und Dokumentationen 1945-2005, S. 137-138, der die Vision der „Einheit Europas“ im EWGV nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft als bemerkenswert hervorhebt. Siehe dort auch S. 245ff. zur Erweiterung
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ambelelemente. So enthält die zweite Präambelerwägung den Entschluss, „die Europa trennenden Schranken [zu] beseitigen“. Die achte Präambelerwägung stellt zunächst auf die Wahrung und Festigung von Frieden und Freiheit durch den Zusammenschluss der Wirtschaftskräfte der Mitgliedstaaten ab. Sie weist damit vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs auf die wesentlichen Motivationen zur Gründung der Gemeinschaft hin266. Dies waren einerseits die dauerhafte Sicherung des Friedens, damals insbesondere durch die Einbindung Deutschlands in die Gemeinschaft, und andererseits die Sicherung der Freiheit, vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes auch als Abgrenzung zum kommunistischen Block zu verstehen267. Gleichzeitig enthält die Präambelerwägung bereits den erfolgreichsten Weg, wie es der Gemeinschaft gelungen ist, diese Aufgaben zu erfüllen: durch ökonomische Kooperation, den Zusammenschluss der Wirtschaftskräfte. Doch die achte Präambelerwägung geht über diese Leitlinien deutlich hinaus. Sie unterstreicht das Verfassungsziel der Erweiterung der Gemeinschaft aus der ersten Präambelerwägung „mit der Aufforderung an die anderen Völker Europas, [...] sich diesen Bestrebungen anzuschließen“. Diese Aufforderung unterstreicht eindrucksvoll den Anspruch der Europäischen Gemeinschaft, zur Gemeinschaft aller friedlichen und freiheitlichen europäischen Völker zu werden. Sie enthält, bereits 1957, einen Aufruf an die diktatorisch regierten Völker in Süd-, Mittel- und Osteuropa, ihre diktatorischen Regierungen zu stürzen und sich nach der Transformation zu einem demokratischen Rechtsstaat der Europäischen Gemeinschaft anzuschließen. Der Präambel des EG-Vertrags lässt sich damit entnehmen, dass die Erweiterung ein tragendes Verfassungsziel der Gemeinschaft darstellt.
und Erneuerung der EG in den Jahren 1972-1985 sowie S. 511ff. zur Erweiterung als Zukunftsaufgabe in historischer Sicht. 266
Zur europäischen Integration als Friedensprojekt Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 53, aktuell hieran erinnernde Stimmen finden sich etwa bei den Preisträgern des Walter-Hallstein-Preises 2004 und 2005, Wim Duisenberg und Jean-Claude Juncker, die in den jeweiligen Dankesreden auf die zentrale Rolle des Friedensprojektes hinwiesen. 267
Olivi, L’Europa difficile. Storia politica della Comunità Europea, S. 33; Janz, Die Geschichte der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität Europas, S. 80-111 (86).
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bb) Präambel des EU-Vertrags Die Präambel des EU-Vertrages vom 7. Februar 1992 unterstreicht die bereits aus dem EG-Vertrag hergeleiteten Verfassungsziele der Erweiterung und Vertiefung und fügt sie in die nach dem Ende des Ost-WestKonfliktes veränderte historische Ausgangslage268 ein. Zunächst zeigen sich die vertragschließenden Parteien in der ersten Präambelerwägung „entschlossen, den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleiteten Prozeß der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben“ und bestätigen damit die Fortführung des Integrationsprozesses. Für das Verfassungsziel der stetigen Vertiefung der Integration wiederholt die zwölfte Präambelerwägung den Entschluss, „den Prozeß der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas [...] weiterzuführen“. Neu an dieser Formulierung ist, dass die Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas als Prozess verstanden wird, der also mittlerweile deutlich über die nötigen Grundlagen269 hinausgeht. Redaktionell wurde der Begriff des Zusammenschlusses in der deutschen Version durch den der Union ersetzt, was den Rückschluss darauf erlaubt, dass die mit dem EU-Vertrag geschaffene Union jene Union der Völker Europas ist, die den bisherigen Zusammenschluss fortführt und auf eine noch breitere Grundlage stellt270. Neu ist weiter der ausdrückliche Hinweis auf das – auch im EG-Vertrag in Art. 5 EG enthaltene – Subsidiaritätsprinzip durch die Festlegung auf eine „Union [...], in der die Entscheidungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden“271. Hier findet die Sorge vor einer europäischen Superregulierung272 ihren Ausdruck, doch inhaltlich
268
Zur veränderten Ausgangslage ab 1989 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung. Darstellung und Dokumentationen 1945-2005, S. 337-343, 347-350, 423-425 mit im Anschluss abgedruckten Dokumenten, v. a. den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rats von Amsterdam vom 16./17. Juni 1997. 269
So noch die erste Präambelerwägung zum EG-Vertrag.
270
In vielen anderen Sprachfassungen entfällt diese redaktionelle Änderung, da „Zusammenschluss“ und „Union“ ohnehin identisch übersetzt werden. 271 272
Zwölfte Präambelerwägung zum EU-Vertrag.
Vgl. zur politischen Sorge um eine europäische Superregulierung nur „Europa: Die Angst vor dem Superstaat – ein Gespräch mit dem tschechischen
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bringt die Erwähnung des Subsidiaritätsprinzips keinen neuen rechtlichen Aspekt. Wichtig ist hingegen, dass weiter von einer immer engeren Union der Völker Europas gesprochen wird. Das Verfassungsziel der steten Vertiefung der europäischen Integration findet somit, trotz der Erwähnung des Subsidiaritätsprinzips, eine eindrucksvolle Bestätigung. Ebenso bestätigt die zwölfte Präambelerwägung, dass es sich bei der Europäischen Union weiter um die Union der Völker Europas handelt und wiederholt für die Union den schon aus dem EG-Vertrag hergeleiteten gesamteuropäischen Anspruch der Gemeinschaft. Das ist umso erstaunlicher als im Jahre 1992, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, die Frage der Aufnahme der Reformstaaten Mittel- und Osteuropas in die Union politisch umstritten war273, wie man auch an der oben274 dargestellten sorgsamen Vermeidung der Begründung eines Anspruchs auf Mitgliedschaft im Fall des Europaabkommens mit Slowenien sehen kann. Die zweite Präambelerwägung, „eingedenk der historischen Bedeutung der Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents und der Notwendigkeit, feste Grundlagen für die Gestalt des zukünftigen Europas zu schaffen“, spricht eine andere, deutliche Sprache. Sie geht sehr viel direkter als der EG-Vertrag im Fall des Zweiten Weltkriegs auf die historische Lage ein, in der der EU-Vertrag entstanden ist und bezieht sich ausdrücklich auf den Fall des Eisernen Vorhangs275. Die zweite Präambelerwägung enthält eine klare Aussage, dass der EUVertrag aus der Notwendigkeit geschaffen wurde, in dieser neuen Ausgangslage feste Grundlagen für die Gestalt des zukünftigen Europas zu schaffen. Das Bekenntnis zum Verfassungsziel der Erweiterung könnte eindeutiger nicht sein: Für die Union besteht lediglich dann die NotPräsidenten Václav Klaus“, Die Zeit, Heft 17, 2003, S. 10, sowie die Darstellung bei Giering, Europa zwischen Zweckverband und Superstaat. 273
Aus der Diskussion der Neunziger Jahre etwa Schüller, Die Europäische Union vor der Frage der Osterweiterung. Entscheidungslinien und Hindernisse, Ordnungsprobleme Europas 1994, S. 79-108. Aus der Zeit unmittelbar vor der Osterweiterung 2004 finden sich eindrucksvolle Schauermärchen, so etwa Ulfkotte, Grenzenlos kriminell. Die Risiken der Osterweiterung. 274 275
Siehe oben S. 60 ff.
Zum Bezug der Entstehung des EU-Vertrages zum Fall des Eisernen Vorhangs siehe Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung. Darstellung und Dokumentationen 1945-2005, S. 424f.
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wendigkeit, die Grundlagen für die Gestalt des zukünftigen Europas zu schaffen, wenn sie sich selbst als den adäquaten Rahmen für dieses zukünftige Europa betrachtet. Im Hinblick auf die gleichzeitige Erwähnung der Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents heißt dies nichts anderes, als dass nunmehr die Grundlagen geschaffen werden, um jene Länder Mittel- und Osteuropas, die der Aufforderung aus der achten Präambelerwägung des EG-Vertrags Folge geleistet haben und sich nun der Gemeinschaft anschließen möchten, in die Union aufzunehmen276. Damit bestätigt die Präambel zum EU-Vertrag eindrucksvoll das Verfassungsziel der Erweiterung.
cc) Kollidierende Verfassungsziele Die Erweiterung der Europäischen Union stellt neben ihrer stetigen Vertiefung also das zentrale Ziel der europäischen Integration dar277. Der Anspruch der Union ist gesamteuropäisch; es handelt sich gerade nicht um einen exklusiven Club privilegierter Nationen. Art. 49 EU dient folglich dazu, den „immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker“278 zu ermöglichen. Diese Norm gehört somit nicht zum Bestand der die Außenbeziehungen regulierenden Bestimmungen. Sie dient vielmehr der Verwirklichung eines wesentlichen Verfassungsziels. Mit diesem kollidiert das gleichrangige Verfassungsziel der Vertiefung der Integration, das es bei Beitritten erfordert, dass die Wahrung des bisher erreichten Besitzstandes nicht gefährdet und eine weitere Vertiefung gefördert wird. Wo immer den Gemeinschaftsorganen in den Verträgen ein Gestaltungsspielraum für ihr Handeln zugestanden wird, ist ihr Ermessen an den Grundsätzen auszurichten, die in den Präambeln festgeschrieben sind279. Soweit im Beitrittsverfahren den Unionsorganen Ermessensspielräume zugewiesen werden, müssen diese Organe ihr Ermessen folglich am verfassungsrechtlichen Erweiterungsziel orientie276
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 13. 277
Zeh, Recht auf Beitritt? Ansprüche der Kandidatenstaaten gegen die Europäische Union, in: Calliess/ Isaak (Hrsg.), Der Konventsentwurf für eine EUVerfassung im Kontext der Erweiterung, S. 81-89 (82). 278 279
Erste Präambelerwägung zum EG-Vertrag.
Zuleeg in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU/EG-Vertrag, Präambel zum EU-Vertrag, Rn. 3.
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ren. Als mit dem Erweiterungsziel kollidierender Gesichtspunkt kommt nur eine Gefährdung der voranschreitenden Vertiefung der europäischen Integration in Frage, nicht jedoch andere, rein „politische“ Gesichtspunkte.
dd) Ergebnis: Erforderlichkeit einer verfassungsrechtlichen Normierung Art. 49 EU erfüllt ausdrücklich die Funktion, den Beitritt europäischer Staaten zur Union zu ermöglichen. Er dient damit der Verwirklichung des Erweiterungsziels, eines der beiden zentralen Verfassungsziele, Erweiterung und Vertiefung, auf denen die europäische Integration beruht280. Diese Rolle erfordert es, die wesentlichen inhaltlichen Anforderungen und Verfahrensschritte eines Beitritts zur Union ebenfalls verfassungsrechtlich zu normieren. Gleichzeitig steht Art. 49 EU im Rang des Primärrechts. Daher ist es gerechtfertigt, seine Anforderungen als verfassungsrechtliche Vorgaben zu verstehen. Die derzeitige Rechtslage wäre bei einer Ratifikation des Vertrags über eine Verfassung für Europa eindrucksvoll bestätigt worden. Dessen Art. I-58 I VVE stellt fest, dass die Union allen europäischen Staaten offen steht. Damit wäre das Erweiterungsziel nunmehr von der Präambel in den Text des Beitrittsartikels verschoben und somit nochmals verstärkt worden. Vor dem Hintergrund des „Big Bangs“ der Osterweiterung 2004, mit der man die Wiedervereinigung Europas als im Wesentlichen abgeschlossen betrachten könnte, ist dies beachtlich. Gleichzeitig ist das Vertiefungsziel dadurch selbst in der Erweiterungsnorm angesprochen, dass der Beitritt die Verpflichtung impliziert, die Werte, auf die sich die Union gründet, nicht nur zu achten, sondern „ihnen gemeinsam Geltung zu verschaffen“281. Der Vertrag von Lissabon übernimmt die derzeitige Rechtslage hinsichtlich des aus den Vertragspräambeln hergeleiteten Verfassungsauf-
280
Zeh, Recht auf Beitritt? Ansprüche der Kandidatenstaaten gegen die Europäische Union, in: Calliess/ Isaak (Hrsg.), Der Konventsentwurf für eine EUVerfassung im Kontext der Erweiterung, S. 81-89 (82). 281
Die Aufnahme dieser beiden Verfassungsziele in den Beitrittsartikel selbst übersieht Cremer in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union. Kommentar der Grundlagenbestimmungen (Teil I), Art. I-58 VVE, Rn. 9, der etwas undeutlich davon spricht, es habe „kaum eine substantielle Änderung“ (im Vergleich zu Art. 49 EU) gegeben.
Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren
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trags zur Erweiterung unverändert und integriert mit der Verpflichtung an die Beitrittskandidaten, sich für die Förderung der Werte der Union einzusetzen, das Vertiefungsziel in der Norm, die das Beitrittsverfahren regelt. Auch hierin liegt eine beachtliche erneute Bestätigung der Rolle der Erweiterung der Union als Verfassungsziel, an dem die Vertragsparteien unverändert festhalten.
2. Formelle verfassungsrechtliche Vorgaben Vorgaben, wenngleich rudimentäre, in Bezug auf das im Rahmen des Beitrittsprozesses einzuhaltende formelle Verfahren enthalten Art. 49 I 2, II EU. Damit regelt die Verfassungsvorschrift in Grundzügen das beim Beitritt zu beschreitende Verfahren. Diese Vorschriften sind aber – wie es bei Verfassungsnormen häufig der Fall ist – ausgestaltungsfähig und ausgestaltungsbedürftig durch das einfache Recht und durch politische Akte282. Daher soll zunächst in Kapitel IV abstrakt auf die inhaltlichen Vorgaben der Verfassungsnorm eingegangen werden, bevor deren inhaltliche Ausgestaltung im einfachen Recht und im zweiten Hauptteil der Arbeit (C.) ihre Wirkung auf das kroatische Beitrittsverfahren konkret beleuchtet werden.
3. Inhaltliche Vorgaben der Art. 49 I 1 EU, 6 I EU für das Beitrittsverfahren Inhaltliche Bedingungen stellt der Beitrittsartikel des geltenden Rechts an künftige Mitglieder in Art. 49 I 1 EU. Diese Norm verlangt, dass es sich beim Antragsteller zunächst um einen Staat handelt, der überdies europäisch sein muss. Darüber hinaus werden über den Verweis auf Art. 6 I EU die europäischen Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und die Rechtsstaatlichkeit zu inhaltlichen Kriterien des Beitrittsverfahrens erhoben. Die Achtung dieser Grundsätze ist also, seit dem Vertrag von Maast-
282
Zur begrenzten Thematik verfassungsrechtlicher Normierungen siehe etwa am Beispiel des Grundgesetzes sowie der französischen und amerikanischen Verfassungen Isensee, Staat und Verfassung (§15), in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts II, S. 3-106 (19ff., Rn. 21f.)
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
richt auch ausdrücklich im Primärrecht der Union normiert, conditio sine qua non eines Beitritts. Unabhängig von der Wertediskussion, in der teilweise die Grundsätze des Art. 6 I EU als die europäischen „Grundwerte“ 283 bezeichnet werden, waren diese Prinzipien, auf die die Union sich gründet, auch schon vorher im Unions- und im Gemeinschaftsrecht vorhanden284. Das zeigt etwa ein Seitenblick auf den spanischen Beitritt zur Gemeinschaft 1986. In den Grundsätzen des Art. 6 I EU verkörpert sich nach dem Selbstverständnis der Union „die Idee Europas als einer Gemeinschaft von Zivilisationswerten“285. Die Grundsätze des Art. 6 I EU enthalten einen Wertkern, der durchaus geeignet ist, universal – also auch außerhalb der Gemeinschaft europäischer Staaten – Geltung zu beanspruchen286. So urteilte etwa der kanadische Supreme Court im Jahr 1998, dass die kanadische Rechtsordnung auf vier Prinzipien fuße287, von denen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Respekt für die Rechte von Minderheiten ihrem Gehalt nach dem europäischen Wertkern des Art. 6 I EU zu entsprechen scheinen288. Diese Werte werden überdies von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere beispielsweise von Angehörigen der
283
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 4. 284
Vergleiche zur Erwähnung dieser Prinzipien in Antwort auf den Antrag Spaniens auf Abschluss eines Assoziationsabkommens vom 9. Februar 1962 und spätere Beitrittsgesuche etwa die Stellungnahme der Kommission zu den Beitrittsgesuchen Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und Norwegens vom 1.10.1969, in: EA 1969 D 508 ff.; Nr. 34 ff. und die Stellungnahme der Kommission vom 29. September 1972, in: EA 1972 D 484 Nr. 21. 285
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 20f., vgl. auch Isensee, Europa – die politische Erfindung eines Erdteils, in: Isensee (Hrsg.), Europa als politische Idee und als rechtliche Form, S. 103-138 (103ff.). 286
Heit, Die Werte Europas, in: Heit (Hrsg.), Die Werte Europas. Verfassungspatriotismus und Wertegemeinschaft in der EU?, S. 7-22 (9), allerdings schon in Bezug auf die im VVE enthaltenen Werte. 287
Namentlich sind dies “federalism, democracy, constitutionalism and the rule of law, and respect for minorities”. 288
Siehe hierzu Leslie, The Supreme Court Sets Rules for the Secession of Quebec, 29 The Journal of Federalism 2 (1999), S. 135-151 (139).
Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren
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christlichen Religion, als „ihre“ Werte in Anspruch genommen289. Sie sind jedoch anschlussfähig auch für jene Menschen, die keine Verbindung zu einer Religion haben. In Anbetracht des völligen Fehlens eines Gottesbezuges in den jetzigen Vertragstexten, die die Verfassung der Union bilden, sowie des bewussten Nichterwähnens eines Gottesbezuges im Text des VVE trotz entsprechender Forderungen290, kann davon ausgegangen werden, dass die Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts gerade nicht identisch sind mit den christlichen Werten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht durch die Aufnahme des neuen zweiten Erwägungsgrundes in den EU-Vertrag in der Fassung des Vertrags von Lissabon, „schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas“. Denn zunächst gehören auch Judentum und Islam zum religiösen Erbe Europas. Zudem bedeutet das Schöpfen aus dem religiösen Erbe Europas nicht, dass hiermit eine Eingrenzung auf Staaten, die in christlicher Tradition stehen, verbunden wäre. Die Union ist gerade kein „christlicher Club“. Für eine Mitgliedschaft in der Union kommt es nicht darauf an, dass die Grundsätze, auf denen sie beruht, aus christlicher Überzeugung oder aus irgendeiner anderen Überzeugung heraus verinnerlicht werden. Es kommt lediglich auf die Achtung der gemeinsamen Grundsätze an. Die Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts fordern daher von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und von beitrittswilligen Staaten ein Mindestmaß an „Homogenität“ 291 dahingehend, dass es
289
Siehe hierzu etwa die Darstellung von Belafi, Christliche Werte und europäische Verfassung, in: Heit (Hrsg.), Die Werte Europas. Verfassungspatriotismus und Wertegemeinschaft in der EU?, S. 70-84 mit den aussagekräftigen Textteilen „Christliche Werte in der Europäischen Verfassung“ (S. 73ff.) und „Christliche Werte durch die Europäische Verfassung“ (S. 77ff.). 290
So die Forderung der Europäischen Volkspartei nach einer am Beispiel der polnischen Verfassung orientierten Verankerung des Gottesbezugs im VVE, hierzu Suppanz, Das Kreuz mit den Präambeln. Die österreichischen Debatten über den Religionsbezug im europäischen Verfassungsvertrag, in: Heit (Hrsg.), Die Werte Europas. Verfassungspatriotismus und Wertegemeinschaft in der EU?, S. 57-69 (60). 291
Zur Begriffsprägung im Hinblick auf die Europäische Union siehe Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, der im Hinblick auf eine solche von „gemeinsamen Rechtsprinzipien“ (S. 81) spricht, die einzuhalten sind. Vgl. auch schon grundlegend Frowein, The European Community and the requirement of a republican form of government, Michigan Law Review 1984, Bd. April-May 1984, Ausg. 82, S. 1311 (1312 ff, 1321 f.); Frowein, Die rechtliche Be-
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Staaten sein müssen, die den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, dem Schutz von Minderheiten und schließlich der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet sein müssen. Sämtliche dieser Prinzipien sind miteinander verwoben, sodass eine saubere Trennung ihrer Voraussetzungen nicht immer gelingt. Vielmehr überlappen und bedingen sich die einzelnen Grundsätze gegenseitig: ohne Rechtsstaatlichkeit sind auch die Menschenrechte gefährdet, ohne die Achtung der Menschenrechte steht es schlecht um die Freiheit, Demokratie verlangt nach Freiheit, und ohne Demokratie wird die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze kaum möglich sein292. Auf diesem Niveau der Abstraktion handelt es sich zudem schwerlich um subsumtionsfähige Tatbestände. Eine Präzisierung ihres Gehalts und damit der Anforderungen, die an beitrittswillige Staaten gestellt werden, ist jedoch möglich, wenn man sich die Auswirkungen der einzelnen Prinzipien in der europäischen Verfassungswirklichkeit, einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, anhand von Einzelrechtssätzen und Unterprinzipien vor Augen führt293.
4. Methodenfragen zur Ermittlung des Gehalts der verfassungsrechtlichen Vorgaben Die Arbeit begegnet methodisch dem Problem, dass es sich bei den Beitrittskriterien, die beitrittswillige Staaten erfüllen müssen, um Mitglieder der Europäischen Union werden zu können, in der Regel nicht einfach um subsumtionsfähige Tatbestände handelt. Dies erschwert das Verständnis dieser Beitrittskriterien als tatbestandlich dem Beitrittsverfahren vorgegebenes Recht, das in einem rechtlich geordneten Verfahren nurmehr angewendet wird. Die Fragen der Einhaltung von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz, wie sie Art. 49 I EU in Verbindung mit Art. 6 I EU beitrittswilligen Staaten abverlangt, können nicht unmittelbar durch einen Vergleich der rechtlichen Anforderungen des Primärdeutung des Verfassungsprinzips der parlamentarischen Demokratie für den europäischen Integrationsprozeß, EuR 1983, S. 301 (309 ff.). 292
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 4. 293
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 75.
Das Beitrittsverfahren als unionsverfassungsrechtliches Verfahren
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rechts mit dem Lebenssachverhalt beantwortet werden294. Vielmehr bedarf es für die konkrete Anwendung dieser Prinzipien der Ausformung in Einzelrechtssätze und Unterprinzipien295, die sich nicht mehr unmittelbar im Vertragstext finden. Im Einzelfall können zudem erhebliche Variationen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten in Bezug auf das Verständnis einzelner Kriterien bestehen. Das ergibt sich schon daraus, dass „jeder Staat und jede Gesellschaft [in der Europäischen Union] das Recht haben, ein eigenes Modell [der Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und Verwirklichung der Menschenrechte] zu entwickeln“296. Gerade in Europa sind die Rechtstraditionen der an der europäischen Integration beteiligten Staaten in Folge ihrer voneinander getrennten Entwicklung dementsprechend extrem vielfältig297. Daher kann nicht jede Ausformung der Grundsätze der Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten zum Kernbestand der Beitrittsanforderungen gehören. Beitrittsanwärtern muss folglich eine – durchaus erhebliche – Varianz zugestanden werden, wie sie den an sie gestellten Beitrittsanforderungen in einem spezifisch auf sie zugeschnittenen Modell nachkommen werden. Gleichwohl ist es erforderlich, gerade für die Behandlung kritischer Fälle zu ermitteln, was unabdingbar zum Kernbestand der Beitrittsanforderungen zählt, auf deren Erfüllung in keinem Fall verzichtet werden darf.
a) Substraktionsmethode Insofern böte sich zunächst die Substraktionsmethode zur Bestimmung eines Kerngehalts an. Mit der Substraktionsmethode würde lediglich bestimmt, was nach dem gemeinsamen Verständnis der Mitgliedstaaten 294 295
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 75. Vgl. Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 75.
296
EU-Kommission, KOM(1998) 146 endg. vom 12.3.1998, Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und verantwortungsvolle Staatsführung: die Herausforderungen der Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten, 6. Nichts anderes kann im Verhältnis der Mitgliedstaaten zur Union gelten, solange die unionsrechtlichen Anforderungen im Ergebnis eingehalten werden. 297
Riedel, Der gemeineuropäische Bestand von Verfassungsprinzipien zur Begründung von Hoheitsgewalt, in: Müller-Graff/ Riedel (Hrsg.), Gemeinsames Verfassungsrecht in der Europäischen Union, S. 77-97 (80ff.).
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
als unvereinbar mit der Teilnahme an der europäischen Integration gilt. Damit ließe sich jedoch lediglich ermitteln, welche Verstöße auf keinen Fall tolerabel sind298. Grauzonen, die sich bei der Betrachtung einer komplexen Gesamtsituation zwangsläufig ergeben und die auch nur in einer Gesamtbetrachtung evaluiert werden können, lassen sich mit dieser Methode systematisch schlecht erfassen. Eine genauere Bestimmung der inhaltlichen Kriterien der EU-Integration kann mit der Substraktionsmethode nicht geleistet werden. Gerade eine solche ist aus Gründen der Rechtssicherheit jedoch erforderlich, um eine Entscheidung zu fällen, wann ein Mitgliedstaat die gemeinsamen Rechtsprinzipien oder ein den Beitritt zur Union begehrender Staat die an ihn gestellten Beitrittsanforderungen erfüllt299.
b) Methode der positiven Annäherung Eine genauere Bestimmung der inhaltlichen Kriterien der EU-Integration könnte durch eine positive Annäherung an diese geleistet werden. Dabei lassen sich zwei Wege beschreiten. Die Rechtsprinzipien der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit sind allgemein die Konstituenten der Idee des europäischen Verfassungsstaates300 und werden von Art. 6 I EU ausdrücklich erwähnt. Zunächst könnte man daher versuchen, von den Aussagen der Verträge – die insoweit aufgrund der Allgemeinheit ihrer Formulierungen, wie bereits gesehen, nicht wesentlich weiterführen – und der auf ihrer Basis ergangenen Rechtsdokumente deduktiv den Umfang der gemeinsamen Grundsätze zu ermitteln. Zu denken ist in erster Linie an sekundärrechtliche Rechtsakte, aber auch an Urteile und Gutachten des EuGH, die die gemeinsamen Grundsätze ausgestalten. Für die Methode der positiven Annäherung in Bezug auf das Beitrittsverfahren können etwa die Präadhesionsinstrumente („pre-accession influence tools“) Hinweise darauf geben, was die Organe der Union als Bestand der gemeinsamen 298
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 80 mit Nachweisen zur Substraktionsmethode allgemein in Fn. 224, die allerdings eine Anwendung der Substraktionsmethode im Bereich des deutschen Grundgesetzes betreffen. 299 300
Vgl. hierzu Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 81.
Stern, Grundideen europäisch-amerikanischer Verfassungsstaatlichkeit, S. 13ff.; Häberle, Europäische Rechtskultur, S. 9 (21ff.).
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Grundsätze ansehen. Der Schwerpunkt muss aber auf die Dokumente im Beitrittsverfahren selbst gesetzt werden, mit denen auf politischer wie auf rechtlicher Ebene die Beitrittsanforderungen konkretisiert werden. In Betracht kommen die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates301, die Stellungnahmen und Empfehlungen der Kommission zu Anträgen auf den Abschluss von Assoziationsabkommen, die Assoziationsabkommen selbst302, die regelmäßigen, jährlichen Berichte der Kommission auf der Grundlage des Assoziationsabkommens303 und im Beitrittsverfahren304 sowie schließlich die Beitrittsverträge305. Dieses 301
Als wichtigste Schlussfolgerungen für Beitrittsverfahren allgemein sind die Schlussfolgerungen des Rats von Kopenhagen zu nennen, die „Kopenhagener Beitrittskriterien“, Europäischer Rat, SN 180/1/93, Europäischer Rat Kopenhagen, 21.-22. Juni 1993, Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Für die Westbalkanländer wichtig ist auch die Eröffnung der konkreten Beitrittsperspektive durch die Schlussfolgerungen des Rats von Thessaloniki. Rat der Europäischen Union (Übermittlungsvermerk), Dok. Nr. 11638/03 vom 1. Oktober 2003, Europäischer Rat (Thessaloniki), Tagung vom 19. und 20. Juni 2003, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs /pressData/de/ec/76285.pdf, Schlussfolgerung 40. 302
Für Kroatiens Assoziationsvertrag siehe Rat und Kommission, Beschluss 2005/40/EG vom 13.12.2004, Beschluss des Rates und der Kommission vom 13. Dezember 2004 über den Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten und der Republik Kroatien. 303
Aus dem Jahr 2003 für die damaligen drei Kandidatenstaaten, nicht aber für die 10 Staaten, deren Beitritt schon feststand, abrufbar online unter ht tp://ec.europa.eu/enlargement/archives/pdf/key_documents/2003/rr_bg_final_ de.pdf für Bulgarien, http://ec.europa.eu/enlargement/archives/pdf/key_docu ments/2003/rr_ro_final_de.pdf für Rumänien und http://ec.europa.eu/enlar gement/archives/pdf/key_documents/2003/rr_tk_final_de.pdf für die Türkei. 304
Für Kroatien etwa zuletzt der Fortschrittsbericht Kroatien 2006 vom 8.11.2006, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen online abrufbar unter http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2006/Nov/hr_sec_138 5_de.pdf. 305
Vgl. etwa aus der aktuellen Entwicklung den Beitrittsvertrag Rumäniens und Bulgariens, Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, der Tschechischen Republik, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, Irland, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, dem Großherzogtum Luxemburg, der Republik Ungarn, der Republik Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Republik Polen, der Portugiesischen
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
deduktive methodische Vorgehen ist jedoch nicht unproblematisch. Überschreiten die Organe der Union ihre Kompetenzen oder handeln sie rechtswidrig, etwa, indem sie verfassungsrechtlich vorgegebene Beitrittskriterien ignorieren, so machte man „den Bock zum Gärtner“, wenn man sich auf die deduktive Vorgehensweise verließe. Des Weiteren könnte man, auch zur Abmilderung der Gefahren der deduktiven Vorgehensweise, induktiv versuchen, die Inhaltsermittlung der Grundsätze des Art. 6 I EU mittels Rechtsvergleichung des Beitrittsprozesses in verschiedenen beitrittswilligen Staaten zu ermitteln. Die Rechtsvergleichung nimmt hier ihren Ausgangspunkt in der Funktion der miteinander zu vergleichenden Rechtsnormen306, sodass über diese Funktionenbestimmung eine Inhaltspräzisierung möglich wird. Beide Methoden schließen sich nicht gegenseitig aus. Sie ergänzen sich vielmehr und können daher komplementär genutzt werden. Eine rechtsvergleichende Betrachtung des Beitrittsprozesses in den 19 Mitgliedstaaten, die der Union seit ihrer Gründung als Europäische (Wirtschafts-)Gemeinschaft beigetreten sind, würde jedoch jeden Rahmen sprengen. Ein sinnvolles Arbeitsergebnis setzt daher voraus, dass sowohl bezüglich der induktiven als auch der deduktiven Variante der positiven Annäherung eine Auswahl unter den zu betrachtenden Beitrittsprozessen verschiedener Länder getroffen wird. Auch dann ist es nicht sinnvoll möglich, den gesamten Beitrittsprozess vollumfänglich zu analysieren. „Krebsgänge“ sollen es daher der vorliegenden Arbeit ermöglichen, punktuell zu den strittigen Fragen Vergleiche zwischen den Beitrittsprozessen Kroatiens und anderer Staaten zu ziehen und so den Gehalt der Beitrittsanforderungen präziser zu ermitteln.
Republik, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik, der Republik Finnland, dem Königreich Schweden, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (Mitgliedstaaten der Europäischen Union) und der Republik Bulgarien und Rumänien über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (im Folgenden: Beitrittsvertrag Bulgarien und Rumänien) vom 25.4.2005, ABl. EU L 157/11 vom 21.6.2005, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/2005/l_157/l_157200 50621de00110027.pdf. 306
Zweigert/ Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, Band I: Grundlagen, S. 34f.; Häberle, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, EuGRZ 1991, S. 261-274 (271ff.).
Inhaltliche Vorgaben der Verfassung im Beitrittsverfahren
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IV. Inhaltliche Vorgaben der Verfassung im Beitrittsverfahren 1. Europäischer Staat Art. 49 I 1 EU sichert jedem europäischen Staat ausdrücklich das Recht zu, einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Union zu stellen307. Das bedeutet zunächst, dass dem Antragsteller Staatsqualität in der Form eigener Staatlichkeit zukommen können muss308. Relevant ist dieser Faktor in Abgrenzung zu mehreren denkbaren und durch Art. 49 I 1 EU verfassungsrechtlich ausgeschlossenen Beitrittskonstellationen. So stellt die Norm etwa klar, dass ein Beitritt von Völkerrechtssubjekten, denen keine Staatsqualität zukommt, ausgeschlossen ist. Zu denken wäre hier in erster Linie an den Heiligen Stuhl, dessen EU-Integration aufgrund der von einigen309 immer wieder hervorgehobenen historischen Verwurzelung Europas im Christentum310 auf den ersten Blick zumindest nicht ganz fernliegend erscheint. Auch ausgeschlossen ist der EU-Beitritt von Untergliederungen eines Staates, denen keine eigene Staatsqualität zukommt. Vielmehr bringt Art. 49 I 1 EU zum Ausdruck, dass der Beitrittsantrag von der gesamtstaatlichen Ebene gestellt werden muss. Schließlich gesteht Art. 49 I 1 EU das Recht auf Stellung eines Mitgliedsantrages nur europäischen Staaten zu. Über eine Vertragsänderung nach Art. 48 EU kommt zwar jederzeit auch ein Beitritt eines außereu307
Zeh, Recht auf Beitritt?, S. 14.
308
Cremer in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 49 EU, Rn. 8. 309
Vgl. für eine differenzierte Diskussion der Bedeutung des christlichen Elements für die europäischen Staaten Weiler, Ein christliches Europa. S. auch Dorau, Die Öffnung der Europäischen Union für europäische Staaten, EuR 1999, S. 736-753 (742ff.). 310
Aus dem juristischen Schrifttum sieht etwa Langenfeld, Erweiterung ad infinitum? Zur Finalität der Europäischen Union, ZRÜ 2005, S. 73-76 (74) die Rolle des sunnitischen Islam im Staatswesen der Türkei als nicht vereinbar mit dem Konsens europäischer Gesellschaften in Bezug auf eine Gleichheit der Religionen. Anders hingegen Weiler, Ein christliches Europa, S. 18, der explizit betont, dass eine Zurückweisung des Beitrittswunsches der Türkei zur Union aus religiösen Gründen „das Bekenntnis Europas zum Pluralismus, zur Toleranz und zu den Menschenrechten seiner Bedeutung“ entleeren würde.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
ropäischen Staates zur Europäischen Union in Frage311. Eine solche Vertragsänderung entspräche jedoch einer Verfassungsänderung, für die ein verfassungsänderndes Quorum, nämlich die entsprechende Einstimmigkeit aller vertragschließenden Parteien, erforderlich wäre312. Im Rahmen des derzeit geltenden Verfassungsrechts beschränkt Art. 49 I 1 EU die Beitrittsmöglichkeit über das Antragsrecht auf europäische Staaten und bringt damit die begrenzte Offenheit der Europäischen Union für Erweiterungen zum Ausdruck313. An keiner Stelle definiert die Verfassung jedoch den Begriff „europäisch“. Weder Art. 49 EU, noch dem restlichen Text der Gründungsverträge, noch etwa der gewohnheitsrechtlich gefestigten Rechtsprechung lassen sich eindeutige Kriterien zur Abgrenzung des Begriffs entnehmen314. Dennoch wird versucht, dem verfassungsrechtlichen Begriff „europäisch“ als Tatbestandsmerkmal des Art. 49 EU eine gewisse Konturierung zukommen zu lassen. Die Konturierung geschieht in geographischer Hinsicht vor dem Hintergrund, dass Europa, ähnlich wie Indien, streng geographisch ein asiatischer Subkontinent ist315. Anders als etwa im Vergleich zum australischen Kontinent, der klare geographische Grenzen hat, verfügt Europa lediglich an Mittelmeer und Atlantik nach Westen und Süden über solch 311
Auf diese Möglichkeit weisen hin Ehlermann, Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft – Rechtsprobleme der Erweiterung, der Mitgliedschaft und der Verkleinerung –, in: EuR 1984, S. 113-125 (114) sowie schon zu Art. 237 EWGV Mosler, Die Aufnahme in internationale Organisationen, ZaöRV 1958, Bd. 19, S. 275-317 (285f.). 312
Cremer in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 48 EU, Rn. 3. 313
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 52. Insofern enthielt Art. I-57 I VVE als Verfassungsreformprojekt keine inhaltlichen Modifikationen. Auch weiterhin steht die Union „allen europäischen Staaten offen“, soweit diese die im Anschluss genannten Voraussetzungen erfüllen. Art. 49 EU in der Fassung des Lissabonner Vertrages behält insoweit die jetzige Formulierung bei. 314
Cremer in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 49 EU, Rn. 8. 315
Brockhaus-Enzyklopädie, Band 8, Emas-Fasy, 21. Auflage 2006, Stichwort Europa, erster Absatz.
Inhaltliche Vorgaben der Verfassung im Beitrittsverfahren
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klare geographische Grenzen, während seine Grenzen im Osten und Südosten nicht klar geographisch zu ziehen sind. Geht man historisch vom vorherrschenden Europaverständnis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor, so darf man zumindest nach Westen und Süden eine klare Grenzziehung durch Atlantik und Mittelmeer unterstellen und nach Osten von einer imaginären Grenzlinie aus Ural, Kaspischem Meer, Manytsch-Niederung, Asowschem Meer, Bosporus, Marmaris und Dardanellen ausgehen316. Von der Gültigkeit dieser geographischen Auffassung kann auch heute noch ausgegangen werden. Mittelmeeranrainer wie Marokko, Tunesien oder Israel sind daher trotz einer eventuellen historisch-kulturellen Verbundenheit mit Europa eindeutig keine europäischen Staaten. Dementsprechend sind Beitrittsanträge solcher Staaten, die klar außerhalb der europäischen Grenzen liegen, von Art. 49 I 1 EU nicht erfasst317. Die Eröffnung eines Beitrittsverfahrens nach Art. 49 EU kommt daher schon aus diesem rechtlichen Hindernis von vornherein nicht in Betracht. Dementsprechend hat die EU-Kommission zum Beispiel das Beitrittsgesuch Marokkos umgehend aus rechtlichen Gründen abgewiesen318, ohne dass sich der an sich zur Beschlussfassung über Mitgliedschaftsanträge befugte Rat überhaupt mit der Frage der Eröffnung eines Beitrittsverfahrens nach Art. 49 EU zu beschäftigen brauchte. Staaten wie Russland und die Türkei verfügen hingegen über europäische und asiatische Gebietsteile. Ihre Zugehörigkeit zu Europa ist deshalb anzweifelbar. Vor allem die Türkei sah sich daher dem Einwand ausgesetzt, sie sei kein europäischer Staat, als sie einen Mitgliedsantrag
316
Vgl. Der Große Brockhaus, 16. Auflage 1953, Stichwort Europa, zitiert nach Bruha/ Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, S. 477-502 (480f.). Als „konventionelle Grenzen zu Asien“ werden diese auch in der aktuellen Auflage angegeben, vgl. Brockhaus-Enzyklopädie, Band 8, EmasFasy, 21. Auflage 2006, Stichwort Europa, zweiter Absatz („Lage“). 317
Vgl. hierzu Langenfeld, Erweiterung ad infinitum? Zur Finalität der Europäischen Union, ZRÜ 2005, S. 73-76 (73), die von einer geographischen und historisch-kulturellen eindeutigen Nichtzugehörigkeit spricht. 318
Antwort an Marokko, EA 1987, Z 207. Langenfeld, Erweiterung ad infinitum? Zur Finalität der Europäischen Union, ZRÜ 2005, S. 73-76 (73, Fn. 2) sieht die Zurückweisung des Antrags als „rechtlich geboten“ an. Dem kann jedoch wegen der Möglichkeit einer Annahme des Antrags über Art. 48 EU nicht völlig zugestimmt werden.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
stellte319. Für diese Einordnung werden religiöse und historische Gründe angeführt, die sich der Verfassung selbst nicht entnehmen lassen. Insbesondere fehlt den Gründungsverträgen jeder Hinweis auf eine religiöse Verwurzelung Europas320. Historische Elemente enthalten die Gründungsverträge zwar321, diese können jedoch einen Ausschluss von Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches nicht tragen. Das zeigen die Mitgliedschaft von Griechenland, Rumänien und Bulgarien. Wie oben322 für den Fall der Türkei gezeigt, wurde der Begriff „europäisch“ auf der Ebene des einfachen Rechts aber jedenfalls für die Türkei dahingehend konturiert, dass die Türkei als europäisches Land angesehen wird. Ihre Zugehörigkeit zu Europa könnte ihr daher im Rahmen des Beitrittsverfahrens nur unter Verstoß gegen das Völkerrecht wieder aberkannt werden. Bruha und Vogt legen den Begriff „europäisch“ in Art. O EUV, der Vorläufernorm zu Art. 49 EU, unter Rückgriff auf die Geschichte des europäischen Integrationsprozesses und die vertraglichen Zielbestimmungen aus und wollen damit rechtfertigen, „bis an die Grenze der möglichen Bedeutung zu gehen“323.
319
Langenfeld, Erweiterung ad infinitum? Zur Finalität der Europäischen Union, ZRÜ 2005, S. 73-76 (74) etwa bezweifelt, dass die „Türkei tatsächlich gewillt [ist], ganz in Europa aufzugehen“. 320
Die zweite Präambelerwägung des Entwurfs zum Vertrag über eine Verfassung für Europa (Konventsentwurf) enthält einen Hinweis auf die religiösen Überlieferungen Europas, bezeichnet also das Christentum ebenfalls nicht ausschließlich. Gleiches gilt für den zweiten Erwägungsgrund in der Präambel zum EU-Vertrag in der Fassung des Lissabonner Vertrags. Der Verfassungsvertragsentwurf der Regierungskonferenz sprach in der Präambel in der deutschen Sprachfassung von „geistig-religiös“, in anderen Sprachfassungen jedoch von “spirituel” bzw. “spiritual”. Dem noch geltenden, den Verfassungsrahmen bildenden Vertragsrecht fehlt jeder religiöse Bezug. 321
Siehe etwa den Bezug zum Fall des Eisernen Vorhangs in der zweiten Präambelerwägung zum EU-Vertrag und die Erwähnung der Entschlossenheit, „Frieden und Freiheit zu wahren“ in der achten Präambelerwägung zum EGVertrag als möglicher Bezug zur Kernidee Europas als Friedensprojekt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 322
Vgl. S. 58 ff., a) Völkerrechtliche Abstützung einer unionsrechtlich gefällten Entscheidung im Beitrittsverfahren im Fall der Türkei. 323
Bruha/ Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, S. 477-502 (482).
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Die Berufung auf die Geschichte der europäischen Integration erscheint dem Verfasser zirkelschlusshaft. Neue Erweiterungsrunden sollen damit ausschließlich unter Hinweis auf den bisherigen Erfolg und die bisherige Geschichte der Erweiterungen gerechtfertigt werden, ohne dass das Kriterium „europäisch“ noch irgendeine inhaltliche Relevanz entfalten könnte. Die Verfassungsziele des Unionsrechts als „vertragliche Zielbestimmung“ erlauben allerdings in der Tat Rückschlüsse auf eine möglichst umfassende Interpretation des Tatbestandsmerkmals „europäisch“. Meng sieht hingegen im Begriff „europäisch“ die „für die tagtägliche Ausfüllung des Integrationswerks unabdingbar[e]“ Homogenität verkörpert, überlässt aber die konkrete Inhaltsbestimmung – konsequent für seinen rein politischen Ansatz – doch den Mitgliedstaaten324. Fest steht in jedem Fall, dass der Begriff „europäisch“ in Grenzfällen einen gewissen Deutungsspielraum eröffnet. Art. 49 I 2 EU legt fest, dass der Rat über Mitgliedschaftsanträge beschließt. Daher ist der Rat verfassungsrechtlich zur Ausfüllung des eröffneten Deutungsspielraums berufen. Unter den Staaten, die zurzeit (2008) den Kandidatenstatus haben, ist das Tatbestandsmerkmal „europäisch“ für die Republik Kroatien und für Mazedonien unzweifelhaft erfüllt. Beide Staaten liegen mit ihrem gesamten Staatsgebiet auf dem europäischen Kontinent. Für die Türkei ist die Frage der Zugehörigkeit zu Europa bereits europarechtlich mehrfach bestätigt worden325. Eine völkerrechtliche Absicherung dieser europarechtlich getroffenen Entscheidung ergibt sich durch einen Blick auf die Mitgliedschaft der türkischen Republik in europäischen Regionalorganisationen außerhalb der Europäischen Union sowie auf die Mitarbeit der Türkei in der UNO. Der Rat steht im Einklang mit fast allen wesentlichen Gremien, wenn er die Türkei als antragsberechtigtes europäisches Land im Sinne des Art. 49 EU anerkennt. So betont die Europäische Kommission in ihrem Working Document zur Beitrittsperspektive der Türkei, dass die Türkei bereits die Mitgliedschaft in den wesentlichen europäischen Regionalorganisationen innehat326. So wurde die Türkei im Jahr 1949 324
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 52. 325 326
Vgl. oben S. 58ff.
EU-Kommission, COM(2004) 656 final vom 6.10.2004, Commission Staff Working Document: Issues Arising from Turkey’s Membership Perspective, S. 10.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Gründungsmitglied des Europarates, im Jahr 1961 Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und im Jahr 1973 der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE/CSCE). Ebenso besteht seit 1952 eine NATO-Mitgliedschaft. Auch im Rahmen der Regionalisierung der Vereinten Nationen wird die Türkei durchgängig als europäisches Land behandelt. Innerhalb der regionalen Kommissionen des Economic and Social Council ist die Türkei Gründungsmitglied der Economic Commission for Europe327. Dort besteht zwar auch eine Mitgliedschaft der Vereinigten Staaten, die auf die Rolle der USA beim Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zurückzuführen sein dürfte, sowie eine temporäre Mitgliedschaft Israels. Der regionale Schwerpunkt der 56 Mitgliedstaaten liegt jedoch unzweifelhaft in Europa und exkludiert gerade jene Staaten in Nordafrika, deren Unionsmitgliedschaft nach der bereits dargestellten Mitteilung der Kommission an Marokko im gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Rahmen nicht in Frage kommt. Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass die europarechtlich determinierte Bestätigung der Eigenschaft der Türkei als europäischer Staat vom Völkerrecht gestützt wird. Im Hinblick auf zukünftige Erweiterungen könnte die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „europäisch“ allerdings fraglich werden, sollten etwa Russland oder kaukasische Staaten einen Beitrittsantrag stellen.
2. Achtung der Freiheit Freiheit bedeutet, im negativen Sinn, die Abwesenheit von Zwang und impliziert, dass hoheitliche Eingriffe lediglich auf gesetzlicher Grundlage möglich sind328; im positiven Sinn bedeutet Freiheit die Möglichkeit individueller Selbstbestimmung329. Sie garantiert diese Selbstbestimmung des Menschen im Rahmen einer rechtsstaatlich fundierten Rechtsordnung330 und ist somit mit dem Rechtsstaatsprinzip untrenn327
Vgl. die Liste der Mitgliedstaaten unter http://www.unece.org/oes/memb er_countries/member_countries.htm. 328
Stumpf in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 6 EU, Rn. 7.
329
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (163). 330
Geiger in: Geiger (Hrsg.), Art. 6 EU, EUV/EGV, Rn. 5.
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bar verbunden. Als historischer und normativer Leitbegriff steht sie nicht zur Disposition der Hoheitsgewalt. Sie findet ihre immanente Ergänzung im Prinzip der Solidarität331, in der Menschenwürde und in den Grundrechten332. Damit stellt die Freiheit als primärrechtlicher europäischer Grundsatz eine Absage an jede Form von Zwangskollektivismus – sei es in kommunistischer oder faschistischer Prägung – dar333. So postuliert das Europäische Verfassungsrecht mit der Erwähnung der Freiheit als erstem Grundsatz in Art. 6 I EU auch den Auftrag, diktatorische Staats- und Gesellschaftsordnungen zu überwinden und das unionale Handeln an der Etablierung freiheitlicher Strukturen auszurichten. Dieser Auftrag wird durch die Aufforderung an die Völker Europas, die sich zur Wahrung von Frieden und Freiheit bekennen, sich der Gemeinschaft anzuschließen, in der letzten Präambelerwägung des EGVertrags eindrucksvoll unterstrichen. Das Prinzip der Freiheit entfaltet somit eine fundamentale prinzipielle Bedeutung für den Erweiterungsprozess. Als eigenständig normierter Grundsatz muss die Freiheit, wenn sie, wie der Normtext nahe legt, eigene Bedeutung entfalten soll, die später genannten Grundsätze der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit transzendieren. Wie Armin von Bogdandy treffend festgestellt hat, ist im Anwendungsbereich der europäischen Rechtsordnung jeder Mensch freies Rechtssubjekt und alle Menschen begegnen sich in dieser Rechtsordnung als rechtlich und moralisch Gleiche334. Konkret für die gelebte Rechtsordnung eines beitrittswilligen Staates folgt hieraus, dass sie „auf einem im weitesten Sinne aufklärerischen Verständnis des Einzelnen beruhen“ muss und es keine internen Segmentierungen geben darf, die dazu führen, dass die Mitglieder der Gesellschaft sich nicht wechselseitig als gleiche Rechtsgenossen begegnen335. 331
Beutler in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Art. 6 EU, Rn. 26.
332
Siehe zu einer ausführlichen Darstellung der sich konkret aus dem Freiheitsprinzip ergebenden Folgerungen Straub, Zum Verfassungsvertrag für Europa und dem Beitritt der Türkei, StudZR 2005, S. 199-225 (209-213). 333
Pechstein in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV. Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 6 EU, Rn. 4. 334
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (163). 335
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (165).
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
3. Achtung der Demokratie Der Begriff der Demokratie bildet in seiner klassischen, negativen Abgrenzung zunächst das Gegenbild zur Herrschaft eines Einzelnen oder Weniger336. Positiv gewendet setzt Demokratie voraus, dass jegliches hoheitliches Handeln sein Fundament im Willen des Volkes finden muss337. Der Wesensgehalt des kollektivbezogenen Demokratieprinzips338 wird determiniert durch die grundlegenden, den in der Union zusammengeschlossenen europäischen Staaten gemeinsamen Prinzipien339 der Selbstbestimmung, des Minderheitenschutzes, der Meinungsfreiheit, der Transparenz des Entscheidungsprozesses und der Parteienmehrheit340, die somit auch ein Gerüst für die Untersuchung der Beitrittsfähigkeit eines Landes vorgeben. Eine spannende Frage ist dabei, inwieweit eine Vertiefung des demokratischen Prinzips im Rahmen der Union – etwa durch die (Verfassungs-)Reformen des Unionsprimärrechtes Auswirkungen auf die einzelnen Mitgliedstaaten und Beitrittsanwärter der Union in Form von höheren Anforderungen an ihre Rechtsordnungen haben könnte341. Auf der europäischen Ebene setzt sich das Demokratieprinzip zusammen aus der Achtung der Demokratie in der Europäischen Union selbst – dies war bis zum Amsterdamer Vertrag mit der Einführung des Art. 6 EU nicht unumstritten342 – sowie in dem von der Europäischen Union umfassten Verbund von Staaten, also in jedem einzelnen Mitgliedstaat. Es geht also um eine Gesamtkonzeption von Demokratie in den natio336 337
Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch VIII, Kapitel 12. Sachs in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 20 GG, Rn. 12.
338
Müller-Graff, Die Kopfartikel des Verfassungsentwurfs für Europa – ein europarechtlicher Vergleichsblick, integration 2003, S. 111-129 (116). 339
Kleger/ Karolewski/ Munke, Europäische Verfassung. Zum Stand der europäischen Demokratie im Zuge der Osterweiterung, S. 186-188. 340
Beutler in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Art. 6 EU, Rn. 30.
341
Vgl. hierzu die Beobachtung von Schwarze, Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, in: Schwarze (Hrsg.), Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung. Das Ineinandergreifen von nationalem und europäischem Verfassungsrecht, S. 463-570 (463f.). 342
Siehe hierzu die Darstellung der Entwicklung des Postulats eigener demokratischer Legitimität der Gemeinschaft bei von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (171ff.).
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nalen Staaten plus Demokratie in der Union343. Ob dabei für die Europäische Union in Bezug auf die Achtung des Demokratiegebots – etwa in der Folge ihres supranationalen Charakters – andere Anforderungen gelten als für die Mitgliedstaaten, ist umstritten344. So sieht Peter Badura die Demokratie in der Europäischen Union als „verdoppelte“ Demokratie an, die auch auf die Verbindung zwischen der Europäischen Union und den ihr angehörigen Nationalstaaten zu beziehen ist345. Für die Union erhalte die Demokratie aufgrund des gegebenen supranationalen Charakters eine eigenständige Gestalt. Dem widerspricht mit Nachdruck die Richterin am Bundesverfassungsgericht Gertrude LübbeWolff, die die volle Gültigkeit des im Nationalstaat entwickelten Demokratieprinzips für die Europäische Union behauptet346. Ihr Argument überzeugt: Selbstbestimmtes Handeln der Bürger zu ermöglichen, ist ein Grundanliegen der Demokratie347. Ein System der Gewährleistung individueller Grundrechte oder Grundfreiheiten muss daher in ein funktionsfähiges System der kollektiven Entscheidung über die Grenzen der gewährten Rechte und Freiheiten eingebettet sein348, sonst würden die Grundrechte und Grundfreiheiten entwertet. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der supranationale Charakter der Union es erlauben 343
Wahl, Erklären staatstheoretische Leitbegriffe die Europäische Union?, in: Dreier (Hrsg.), Rechts- und staatstheoretische Schlüsselbegriffe: Legitimität – Repräsentation – Freiheit. Symposium für Hasso Hofmann zum 70. Geburtstag, S. 113-149 (145). 344
Bis in die Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde von mehreren renommierten Autoren noch vertreten, dass die supranationale EU rechtlich keiner anderen demokratischen Legitimation bedürfe als andere internationale Organisationen. Siehe Randelzhofer, Zum behaupteten Demokratiedefizit der Europäischen Gemeinschaft, in: Kirchhof/ Hommelhoff (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 39-55 (40); Ipsen, Zur Exekutiv-Rechtsetzung in der Europäischen Gemeinschaft, in: Badura/ Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens. Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, S. 425-441 (428). 345
Badura, Bewahrung und Veränderung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassungsstruktur in den internationalen Gemeinschaften, VVDStRL 1966, Bd. 23, S. 34-96 (38, 72). 346
Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 2001, Bd. 60, S. 246-289 (246f., 251f., 255). 347
BVerfGE 2, 1 (12); 44, 125 (142), Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 2001, Bd. 60, S. 246-289 (252). 348
Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 2001, Bd. 60, S. 246-289 (253).
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sollte, Abstriche bei der Einhaltung des Demokratieprinzips zu machen, nur weil staatliche Macht gemeinschaftlich und nicht durch den Nationalstaat ausgeübt wird. Für die Erweiterung der Union kommt es auf diese Kontroverse hingegen nicht an. Staaten, die Mitglieder der Union werden wollen, müssen dem gemeinschaftlichen Demokratieprinzip in der Ausprägung gerecht werden, die von den Mitgliedstaaten der Union eingefordert wird. Die Messlatte muss dabei einen gewissen Spielraum der Nationalstaaten für eigene Demokratiemodelle ermöglichen. Betrachtet man die Verwendung des Begriffs der Demokratie in der Rechtsprechung des EuGH349, so fällt auf, dass dieser den Begriff überaus vorsichtig verwendet350. Der Stand der rechtsförmigen Konkretisierung des europäischen Demokratieprinzips wie auch seine rechtswissenschaftliche Erforschung sind noch gering entwickelt351. Damit sind auch die unionsrechtlichen Vorgaben für die Verwirklichung des Demokratieprinzips in den Beitrittsstaaten nur sehr vorsichtig vorgezeichnet. Den Beitrittsstaaten wie auch den Mitgliedstaaten der Union eröffnet sich somit ein recht breiter Raum zur Verwirklichung ihres spezifischen Demokratiemodells.
349
Siehe etwa EuGH, Rs. 138/79 vom 29. Oktober 1980, Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, S. 3333 (Rn. 33); EuGH, Rs. C-300/89 vom 10. November 1989, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991, S. I-2867 (Rn. 20); EuGH, Rs. C-65/93 vom 30. März 1995, Parlament/Rat, Slg. 1995, S. I-643 (Rn. 21); EuGH, Rs. C-21/94 vom 5. Juli 1995, Parlament/Rat (Nichtigkeit der RL 93/89/EWG), Slg. 1995, S. I-1827 (Rn. 17); EuGH, Rs. C-392/95 vom 10. Juni 1997, Parlament/Rat, Slg. 1997, S. I-3213 (Rn. 14). 350
von Bogdandy, Zur Übertragbarkeit staatsrechtlicher Figuren auf die Europäische Union. Vom Nutzen der Gestaltidee supranationaler Föderalismus anhand des Demokratieprinzips, in: Brenner/ Huber/ Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura zum 70. Geburtstag, S. 1033-1052 (1044). 351
von Bogdandy, Zur Übertragbarkeit staatsrechtlicher Figuren auf die Europäische Union. Vom Nutzen der Gestaltidee supranationaler Föderalismus anhand des Demokratieprinzips, in: Brenner/ Huber/ Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura zum 70. Geburtstag, S. 1033-1052 (1047).
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4. Ein Unterfall des Demokratieprinzips: Die Wahrung der Rechte der Minderheiten Anders als die Kriterien der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes der Grund- und Menschenrechte findet die Wahrung der Rechte der Minderheiten keine unmittelbare Entsprechung in Art. 6 I EU. Die Rechte der Personen, die Minderheiten angehören, werden durch den Vertrag von Lissabon jedoch ausdrücklich in den neuen Art. 1a EU aufgenommen werden. Ihr Schutz wird von den Kopenhagener Kriterien den Beitrittskandidaten aber bereits jetzt ausdrücklich abverlangt und stellt im Rahmen der Konditionalität auch einen eigenen Prüfungspunkt dar352. Das hat dazu geführt, dass verschiedene Autoren eine Diskrepanz zwischen den Anforderungen der Union an ihre Mitgliedstaaten und an Bewerberstaaten zu erkennen meinen353 und diese als Anwendung doppelter Standards geißeln354. Diese Beobachtung trifft jedoch nur auf den ersten Blick zu. So fehlt im EU- und EG-Vertrag eine Kompetenzgrundlage für eine eigenständige Minderheitenpolitik der Gemeinschaft. Infolgedessen besteht kein eigenständiger minderheitenrechtlicher acquis355. Die EMRK, auf die Art. 6 II EU verweist, enthält ebenfalls keine eigene Gewährleistung für die Anerkennung von nationalen Minderheiten 352
Der Prüfungspunkt in den jährlichen Berichten der Kommission heißt regelmäßig “Human rights and the protection of minorities”. 353
Hillion, Enlargement of the European Union – the discrepancy between membership obligations and accession conditions as regards the protection of minorities, Fordham International Law Journal 2004, Bd. 27, Ausg. 2, S. 715740; Wiener/ Schwellnus, Contested Norms in the Process of EU Enlargement: Non-Discrimination and Minority Rights, in: Bermann/ Pistor (Hrsg.), Law and Governance in an Enlarged Union, S. 451-483 (453); de Witte, Politics Versus Law in the EU’s Approach to Ethnic Minorities. European University Institute, Working Paper No. RSC 2000/4, S. 4. 354
So allgemein etwa Krygier, Introduction, in: Sadurski/ Czarnota/ Krygier (Hrsg.), Spreading Democracy and the Rule of Law? The Impact of EU Enlargement on the Rule of Law, Democracy and Constitutionalism in PostCommunist Legal Orders, S. 3-24 (12, “double standards requiring of new applicants what had not been and still was not required of existing ones”). 355
Pan, Minderheitenschutz in Europa: Fakten und Perspektiven, in: Blumenwitz/ Gornig/ Murswiek (Hrsg.), Minderheitenschutz und Menschenrechte, S. 17-30 (25).
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oder die Zuerkennung spezifischer kultureller oder politischer Rechte an sie356, wobei aber auf das im Rahmen des Europarates seit 1995 bestehende Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten hingewiesen sei. Vielmehr sieht der EGMR die Rechte von Minderheiten vom Demokratieprinzip umfasst. Er betont etwa, dass Demokratie nicht immer die Durchsetzung der Mehrheitsauffassung verlangt und dass eine faire Behandlung von Minderheiten, die den Missbrauch dominanter Positionen verhindert, konstitutiv für eine demokratische Gesellschaft ist357. Zu den besonderen Merkmalen der demokratischen Gesellschaft, von der die EMRK ausgeht, zählen zudem Pluralismus, Toleranz und ein Geist der Offenheit358. Gestützt auf die Präambel und die Absätze II der Art. 8 bis 11 EMRK sieht der EGMR die Demokratie als Basis des europäischen ordre public359. Darin ist der Minderheitenschutz in einem gewissen Ausmaß umfasst. Nichts anderes gilt für das Recht der Union. Dass die Kommissionspraxis, wie bereits erläutert, den Minderheitenschutz gemeinsam mit den Menschenrechten thematisiert, hat in der Vorgehensweise den Vorzug, dass regelmäßig Probleme im Bereich der Gewährleistung des Schutzes von Minderheiten begleitet sein dürften von solchen im Bereich der Gewährleistung von Menschenrechten. Diese praxisnahe Vorgehensweise widerspricht jedoch nicht der systematischen Verankerung des Minderheitenschutzes im Demokratieprinzip. Für den Minderheitenschutz als Anforderung zum Beitritt zur Europäischen Union kann daher keine andere Aussage gelten, als dass er rechtlich von der Verpflichtung zur Achtung des Demokratiegebots gemäß Art. 6 I und Art. 6 II EU in Verbindung mit der EMRK umfasst ist. In 356
Pabel, Gemeinsame europäische Standards und Erweiterung – Erfahrungen des EGMR bei der Durchsetzung der EMRK, in: Calliess/ Isak (Hrsg.), Der Konventsentwurf für eine EU-Verfassung im Kontext der Erweiterung, S. 95-110 (105). 357
EGMR, Urteil vom 20.12.2001, Gorzelik u.a./Polen, Nr. 44158/98, Rn. 57; EGMR, Urteil vom 13.8.1981, Young, James und Webster/Vereinigtes Königreich, Serie A 44, Rn. 63; EGMR (Große Kammer), Urteil vom 29.4.1999, Chassagnou u.a./Frankreich, RJD 1999-III, Rn. 112. 358
EGMR, Urteil vom 7.12.1976, Handyside/Vereinigtes Königreich, Serie A 24, Rn. 49; EGMR, Urteil vom 25.5.1993, Kokkinakis/Griechenland, Serie A260-A, Rn. 33. 359
EGMR, Urteil vom 30.1.1998, Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei u.a., RJD 1998-I, Rn. 45.
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diesem Sinn finden die Minderheitenrechte ihren materiellen Schwerpunkt nicht im Recht der Europäischen Union, sondern mit der EMRK im Recht des Europarates360, dem die Europäische Union im Beitrittsverfahren weitere „Zähne“ verleiht, sowie im Völkerrecht. Zu den internationalen Menschenrechtsverträgen, die im Rahmen der Vereinten Nationen verabschiedet wurden (der sogenannten „International Bill of Human Rights“) und eine Relevanz für den Gehalt der Minderheitenrechte haben, gehören der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR). Hinzu treten das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung sowie, außerhalb der Vertragswerke, die Erklärung über die Rechte von Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten angehören361. Zu jedem dieser Verträge wurde ein „Vertragsorgan“ eingerichtet, also ein Ausschuss unabhängiger Sachverständiger, der die Einhaltung der in diesen Verträgen enthaltenen Menschenrechtsbestimmungen überwacht. Für den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ist dieses Vertragsorgan der Menschenrechtsausschuss (Human Rights Committee, HRC), für den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Committee on Economic, Social and Cultural Rights, CESCR) und für das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung der UNAusschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Discrimination, CERD). Gemäß Art. 2 II IPwskR verpflichten sich die Vertragsparteien, die in diesem Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminierung hinsichtlich, unter anderen Kriterien, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der nationalen Herkunft und der Geburt zu gewährleisten. Art. 27 IPbpR legt, über die in diesem Pakt enthaltenen Individualrechte hinaus, fest, dass in Staaten mit religiösen oder sprachlichen Minderhei360
Siehe hierzu die Darstellung der Entwicklung des Minderheitenrechtsschutzes auf europäischer Ebene bei Badrakhan, Minderheitenrechte zwischen Europarecht und Völkerrecht, der den Rechtsschutz auf der Ebene der Europäischen Union (S. 28) zwar gleichrangig mit dem Rechtsschutz auf der Ebene des Europarates aufführt (S. 26), dann jedoch bezüglich konkreter Rechte ausschließlich auf solche der EMRK abstellt (S. 47ff., 79ff.). 361
Resolution 47/135 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 18. Dezember 1992.
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ten Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden darf, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen. Der Gehalt von Art. 27 IPbpR wurde vom HRC in General Comment No. 23 vom 8.4.1994 konkretisiert362. In Rn. 6.1 heißt es hierzu: “[…] a State party is under an obligation to ensure that the existence and the exercise of this right are protected against their denial or violation. Positive measures of protection are, therefore, required not only against the acts of the State party itself, whether through its legislative, judicial or administrative authorities, but also against the acts of other persons within the State party.” In Rn. 6.2 wird fortgefahren: “[P]ositive measures by States may also be necessary to protect the identity of a minority and the rights of its members to enjoy and develop their culture and language and to practice their religion, in community with the other members of the group.” Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung enthält schließlich Regelungen zur Eliminierung der Rassendiskriminierung, die auch auf nationalem Ursprung oder Volkstum beruhende Unterscheidungen einbezieht, Art. 1 I des Übereinkommens. Von besonderer Relevanz für Kroatien ist angesichts seiner Flüchtlingsproblematik die General Recommendation No. 22 des CERD, die betont, welche Rechte Flüchtlingen und „Displaced Persons“ zustehen363. Die ausdrückliche Erwähnung der Minderheitenrechte in den Kopenhagener Kriterien scheint diesem vorgegebenen Rahmen gegenüber kein rechtlich neues, inhaltlich darüber hinausgehendes Beitrittskriterium auszudrücken. Sie betont nur eine von der Achtung des Demokratiegebots umfasste Selbstverständlichkeit, dass Beitrittskandidaten auch ihren auf dem Gebiet der Minderheitenrechte bestehenden Verpflichtungen nachkommen müssen.
362
Office of the High Commissioner for Human Rights, General Comment No. 23: The rights of minorities (Art. 27): 08/04/94 CCPR/C/21/Rev.1/Add.5, online abrufbar unter http://www.unhcr.ch. 363
Vgl. Office of the High Commissioner for Human Rights, General Comment No. 22: Article 5 and refugees and displaced persons: . 24/08/96, v.a. Rn. 2.
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Dies scheint einer politischen Besonderheit geschuldet. In vielen der mittel- und osteuropäischen Länder, die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs den Beitritt zur Union begehrten – und Kroatien macht insofern keine Ausnahme – spielen Konflikte zwischen ethnischen oder ethnisch-nationalen Gruppen aufgrund der Bevölkerungszusammensetzung und Historie auch im politischen Alltag eine große Rolle364. Für Kroatien gilt dies durch den in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina im Zuge des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawiens aufgeflammten ethnischen kroatisch-serbischen Konflikt in besonderer Schärfe365. Umso mehr erstaunt, dass Minderheitenfragen im Zuge der Vorbereitung auf den Beitritt zwar Erwähnung finden; ihre rechtliche Abarbeitung aber erstaunlich reibungslos verlaufen ist366. Die Stellungnahmen der Vertragsorgane der oben zitierten internationalen Menschenrechtsabkommen sehen noch im Jahr 2001 erhebliche Defizite in der Einhaltung der minderheitenrechtlichen Verpflichtungen, vor allem in Bezug auf die Rechte der serbischen Minderheit. So heißt es in den Concluding Obervations des CESCR vom 30.11.2001, das Komitee „notes with concern that many displaced ethnic Serbs continue to face legal and administrative difficulties in attempting to repossess their former homes“367. Am 30.4.2001 stellte das HRC in seinen Concluding Observations in Bezug auf Personen serbischer Volkszugehörigkeit fest, dass „The Committee remains concerned at the number
364
Pabel, Gemeinsame europäische Standards und Erweiterung – Erfahrungen des EGMR bei der Durchsetzung der EMRK, in: Calliess/ Isak (Hrsg.), Der Konventsentwurf für eine EU-Verfassung im Kontext der Erweiterung, S. 95-110 (102); zu weiteren Ursachen vgl. Nowak, Einführung in das internationale Menschenrechtssystem, S. 195; Küpper, Minority Rights: Current Developments in Central and South Eastern European States, in: Feldbrugge (Hrsg.), Law in Transition, S. 81-98 (81f.). 365
Küpper, Minority Rights: Current Developments in Central and South Eastern European States, in: Feldbrugge (Hrsg.), Law in Transition, S. 81-98 (87). 366
Blitz, Refugee Returns, Civic Differentiation, and Minority Rights in Croatia 1991-2004, 18 Journal of Refugee Studies 3 (2005), S. 362-386 (369), der gleichwohl eine schleppende Implementierung der positiv bewerteten Rechtslage durch die Regierung Račan bis 2003 bemängelt. 367
Concluding Observations of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Croatia. 30/11/2001. E/C.12/1/Add.73., abrufbar unter http://www.unhcr.ch, Rn. 10.
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of cases which are still outstanding and at the length of time these persons are having to wait for resolution of their cases“368. Dieser Lage steht zum einen die offensichtlich nicht herausragende Relevanz minderheitenrechtlicher Fragen im kroatischen Beitrittsverfahren gegenüber. Zum anderen stellt der Bericht Walter Kälins vom 29.12.2005 eine gänzlich andere Situation dar369. Hier heißt es in der Zusammenfassung auf S. 2: “[T]he issues of widespread internal displacement caused by the armed conflicts on the territory of the former Yugoslavia, insofar as they affected Croatia, have in large measure been resolved. The Representative commends the Government for, in recent years, committing significant resources and exhibiting broad political will to achieving final resolution of the outstanding issues of internal displacement”. Im ausführlichen Bericht heißt es dann (Seite 19, Rn. 47): “Particularly since the change of Government in 2000, Croatia has demonstrated impressive political commitment and allocated considerable resources to resolving issues of internal displacement”. Weiter geht der Bericht darauf ein, dass teilweise die Ziele der kroatischen Regierung zur Reintegration der Flüchtlinge durch Gewalt auf lokaler Ebene konterkariert worden sind. Die rechtliche Umsetzung der Anforderungen im Bereich des Minderheitenschutzes ist in Kroatien erstaunlich weit gediehen. Das erklärt, weshalb die Frage in den Beitrittsverhandlungen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Das Verfassungsgesetz über die Rechte der nationalen Minderheiten in der Republik Kroatien vom 13. Dezember 2002 etwa kam nach intensivem Dialog mit der Venedig-Kommission des Europarats zustande370 und enthält, durchaus im Gegensatz zur problematischen rechtlichen 368
Concluding observations of the Human Rights Committee: Croatia. 30/04/2001. CCPR/CO/71/HRV., abrufbar unter http://www.unhcr.ch, Rn. 15. 369
Commission on Human Rights, Report of the Representative of the Secretary-General on the human rights of internally displaced persons, Walter Kälin: Mission to Croatia. E/CN.4/2006/71/Add.3 vom 29. Dezember 2005, abrufbar unter http://www.unhcr.ch. 370
Siehe http://www.venice.coe.int/, dort vor allem die Reaktion auf das Gesetz von Mai 2000, Opinion on the Croatian Constitutional Law Amending the rd Constitutional Law of 1991, adopted by the Venice Commission at its 43 Plenary Meeting (Venice, 16 June 2000), CDL-INF (2000) 10.
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Situation der Minderheiten unter den Vorgängerregelungen von 1991 und Mai 2000371, alle durch eine Mitgliedschaft im Europarat notwendigen minderheitenrechtlichen Schutzbestimmungen372. Zu seiner Durchführung wurden einfache Gesetze, etwa über die Bildung, die Benutzung von Minderheitensprachen und deren Schriften im offiziellen Kontext sowie im Rahmen des Gesetzes über die Wahl der Selbstverwaltungseinheiten (in Bezug auf die Wahl der Minderheitenräte) erlassen, die den oben beschriebenen Standards gerecht werden373. Gleichwohl bestehen nach wie vor Implementationsdefizite374. Vorbehalte und Vorurteile einzelner Bürger, insbesondere gegen Angehörige der serbischen Minderheit, lassen sich leider nicht so schnell ändern wie Gesetze, und gefährden in Teilen des Landes deren Implementation. Vor diesem Hintergrund ist die es erstaunlich, dass die Lage der nationalen Minderheiten in Kroatien auch bezüglich der Implementation der rechtlichen Vorschriften von Beobachtern als „beachtlich gut“ bezeichnet wird375. Das Beispiel der Durchsetzung von Minderheitenrechten in Kroatien belegt jedoch die allgemeine Einschätzung, dass das Instrument der Konditionalität im Erweiterungsverfahren vor allem dann effektiv funktioniert, wenn seine Anforderungen sich mit innerstaatlichen Präferenzen und innerstaatlichen politischen Zielsetzungen verknüpfen lassen, denen es dann zur effektiven Durchsetzung verhilft376. Im kroati371
Hierzu Petričušić, Constitutional Law on the Rights of National Minorities in the Republic of Croatia, 2 European Yearbook of Minority Issues (2002/2003), S. 607-629 (610). 372
Zu einem englischsprachigen Kommentar der einzelnen Bestimmungen siehe Petričušić, Constitutional Law on the Rights of National Minorities in the Republic of Croatia, 2 European Yearbook of Minority Issues (2002/2003), S. 607-629 (611-622). 373
Petričušić, Constitutional Law on the Rights of National Minorities in the Republic of Croatia, 2 European Yearbook of Minority Issues (2002/2003), S. 607-629 (624). 374
So schon befürchtet von Petričušić, Constitutional Law on the Rights of National Minorities in the Republic of Croatia, 2 European Yearbook of Minority Issues (2002/2003), S. 607-629 (608). 375
Küpper, Minority Rights: Current Developments in Central and South Eastern European States, in: Feldbrugge (Hrsg.), Law in Transition, S. 81-98 (88) “satisfactory both in theory and practice”. 376
Diese Aussage trifft ohne Bezug auf Kroatien Sadurski, EU Enlargement and Democracy in New Member States, in: Sadurski/ Czarnota/ Krygier
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
schen Fall war dies der Regierungswechsel, auf dessen Auswirkungen sogleich einzugehen sein wird. In den jährlichen Berichten der Kommission zu Kroatien im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses sowie im Beitrittsverfahren findet sich zwar an verschiedenen Stellen die Forderung zur Verbesserung der Situation der Minderheiten. Die rechtliche Ausgangslage für die nationalen Minderheiten in Kroatien hat sich jedoch seit der Ablösung der Tuđman-Regierung sehr schnell verbessert, und auch die praktische Implementation der neuen Rechtslage gelingt – trotz bestehender Vorbehalte gegenüber Serben in vielen vom Krieg betroffenen Regionen Kroatiens377. Die Situation der nationalen Minderheiten in Kroatien spielt dementsprechend, soweit ersichtlich, im Beitrittsverfahren nur eine untergeordnete Rolle. Regelmäßig konnte die EUKommission in ihren Berichten feststellen, dass die verlangten Fortschritte, wenn auch bisweilen nur teilweise, auch erzielt wurden. Die erzielten Fortschritte dürften sich nicht in erster Linie durch die EU-Konditionalität erklären lassen, die von Beitrittsanwärtern ein Institutionengefüge verlangt, das den Respekt für und den Schutz von Minderheiten sicherstellt. Wichtiger war im kroatischen Fall wohl, dass die sozialdemokratisch geführte Regierung Račan für eine stabile Mehrheit im Parlament auf eine Koalition mit Parteien der nationalen Minderheiten angewiesen war378. Diese konnten so ihre politische Priorität der Verbesserung der Situation für die nationalen Minderheiten unter Hinweis auf die ohnehin bestehende Verpflichtung aus dem Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess effektiv durchsetzen. Für die konservative Minderheitsregierung unter Sanader verstärkte sich dieser Effekt noch, da diese Regierung auf die parlamentarische Duldung durch die Abgeordneten der Partei der serbischen Minderheit angewie(Hrsg.), Spreading Democracy and the Rule of Law? The Impact of EU Enlargement on the Rule of Law, Democracy and Constitutionalism in PostCommunist Legal Orders, S. 27-49 (30). 377
Hierzu Blitz, Refugee Returns, Civic Differentiation, and Minority Rights in Croatia 1991-2004, 18 Journal of Refugee Studies 3 (2005), S. 362-386 (370ff.). 378
Unverständlich vor diesem Hintergrund daher die Auffassung von Blitz, Refugee Returns, Civic Differentiation, and Minority Rights in Croatia 19912004, 18 Journal of Refugee Studies 3 (2005), S. 362-386 (369), der unter Hinweis auf einen Bericht des Norwegian Refugee Councils gerade die parlamentarische Schwäche der Regierung Račan für die schleppende Implementation der minderheitenrechtlichen Regelungen verantwortlich macht.
Inhaltliche Vorgaben der Verfassung im Beitrittsverfahren
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sen ist. Dieses Faktum dürfte erklären, weshalb beide kroatischen Regierungen seit 2001 mit großer Energie daran arbeiten, die Situation für Angehörige der nationalen Minderheiten und insbesondere der serbischen Minderheit auch gegen den Widerstand gegen die entsprechende Rechtslage in einzelnen Regionen Kroatiens zu verbessern. Dass damit auch einer Anforderung im Rahmen des Beitrittsverfahrens entsprochen wird, dürfte sich positiv auswirken, aber nicht den Hauptbeweggrund für die tatsächlichen Verbesserungen in der Implementation der Rechte der Minderheiten in Kroatien darstellen. Die Anforderungen des Beitrittsverfahrens unterstützen vielmehr nur die Präferenzen und Prioritäten der nationalen Politik in Kroatien. Gerade in dieser Konstellation wirken sie jedoch besonders effektiv.
5. Achtung der Menschenrechte Der Begriff der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Art. 6 I EU nimmt, formuliert durch Art. 6 II EU, Bezug auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts. Die EMRK formuliert einen Mindestbestand an Menschenrechten, die in allen Mitgliedstaaten des Europarats gewährleistet sein sollen. Die Europäische Union darf nach ihrem Selbstverständnis, obwohl sie auf der Grundlage der derzeit379 gültigen Rechtslage der EMRK nicht selbst förmlich beitreten kann380, dieses Schutzniveau nicht unterschreiten381. Sehr wohl ist es aber möglich, ein über das Niveau der EMRK hinausgehendes Schutzniveau im Recht der Europäischen Union zu verankern. Schließlich impliziert die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auch, dass ein Kern an Rechten der Minderheiten gewahrt sein muss. Dem vertraglich fixierten europäischen Primärrecht fehlt jedoch ein solcher ausdrücklicher Grundrechtekatalog. Zwar gibt es die Charta der
379
Zur Frage des Beitritts zur EMRK nach dem Verfassungsvertrag siehe Kingreen in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union. Kommentar der Grundlagenbestimmungen, Art. I-9 VerfEU, Rn. 14ff. 380 381
EuGH, Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, EMRK, Slg. 1996, S. I-1759.
Kingreen in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 6 EU, Rn. 18; Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 92.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Grundrechte der Europäischen Union382. Diese sollte durch ihre Inkorporierung als Teil II des Vertrags über eine Verfassung für Europa auch rechtliche Bindungswirkung in Verfassungsrang erhalten. In Anbetracht der nicht erfolgten Ratifikation des VVE fehlt aber der Grundrechtecharta bislang die rechtliche Bindungswirkung, obwohl der EuGH sich in seiner Rechtsprechung zur Auslegung des Gehalts von Grundrechten breits auf sie bezieht, da er in der Proklamation durch Rat, Parlament und Kommission am 7. Dezember 2000 in Nizza eine Bekräftigung der Bedeutung der Grundrechtecharta erkennt383. Es handelt sich bei ihr um eine politische Erklärung, die die Bürger vor Gericht nicht geltend machen können384. Gleichwohl reflektiert die Grundrechtecharta in erster Linie den Grundrechtsschutz, der in der Union bereits erreicht ist385. Sie kann darüber hinaus der Rechtsprechung als weitere Erkenntnisquelle dienen. Mit der Ratifikation des Vertrags von Lissabon erlangt die Grundrechtecharta die rechtliche Verbindlichkeit und wird auf verfassungsrechtliche Ebene gestellt, wie es Art. 6 I EU in der Fassung des Vertrags von Lissabon ausdrücklich festhält386. Auch ohne den expliziten Einbezug der Grundrechtecharta in den verfassungsrechtlichen Rahmen der Union sind die Grund- und Menschenrechte in der Europäischen Union jedoch bereits umfassend geschützt. So hat der Europäische Gerichtshof, ausgehend von den Entscheidungen Nold387 und Hauer388 begonnen, einen unionsinternen Grundrechtsschutz aufzubauen und sich dabei von den gemeinsamen
382
ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1-22, online abrufbar unter http:// ww.europarl.eu.int/charter/pdf/text_de.pdf. 383
So ausdrücklich EuGH, Rs. C-540/03 vom 27.6.2006, Familienzusammenführung, Slg. 2006, S. I-5769 (Rn. 39). 384
Schmitz, Die Grundrechtecharta als Teil der Verfassung der Europäischen Union, EuR 2004, S. 691-713 (696); siehe dazu näher Schmitz, Die EUGrundrechtecharta aus grundrechtsdogmatischer und grundrechtstheoretischer Sicht, JZ 2001, S. 833-843 (835f.). 385
Schmitz, Die Grundrechtecharta als Teil der Verfassung der Europäischen Union, EuR 2004, S. 691-713 (691). 386
Lediglich Polen und das Vereinigte Königreich haben im Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die rechtliche Überprüfbarkeit durch ihre Gerichte und den EuGH mit Bezug auf ihre Länder eingeschränkt. 387 388
EuGH, Rs. 4/73 vom 14. Mai 1974, Nold, Slg. 1974, S. 491. EuGH, Rs. 44/79 vom 13. Dezember 1979, Hauer, Slg. 1979, S. 3727.
Inhaltliche Vorgaben der Verfassung im Beitrittsverfahren
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Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie von den Rechten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der alle Mitgliedstaaten angehören, leiten lassen. Mittlerweile ist dieser Grundrechtsschutz so elaboriert, dass er alle Grundrechte umfasst, die durch ein Tätigwerden in den Kompetzenbereichen des Unions- und Gemeinschaftsrechts tangiert werden können. Diese Rechtsprechung wurde durch die Einfügung von Art. 6 II EU bestätigt, wonach die Union die Grundrechte achtet, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Es zeigt sich, dass sich ein effektiver und lückenloser Grundrechtsschutz nicht nur durch einen umfassenden Grundrechtskatalog – etwa nach dem Vorbild der Art. 1 bis 19 GG – erreichen lässt, sondern auch durch eine Grundrechteklausel wie Art. 6 II EU, welche den Gerichtshof zur Entwicklung einer Grundrechtsrechtprechung auf hohem Niveau anhält389. Für die Rolle des Schutzes der Grund- und Menschenrechte in der Rechtsordnung eines beitrittswilligen Landes hat diese Konzeption des Grundrechtsschutzes in der Union Konsequenzen. Die Rechtserkenntnisquellen, aus denen der Gerichtshof die gemeinschaftsinternen Grundrechte als ungeschriebene allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts entdeckt hat, sind zunächst die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind. Aus dieser Bezugnahme auf die EMRK lässt sich schließen, dass das Schutzniveau der EMRK jenes Minimum ist, auf das sich alle Mitgliedstaaten der Union geeinigt haben. Diese Beobachtung wird durch einen Blick auf Art. 52 III 1 der Grundrechtecharta (bzw. Art. 6 III EU in der Fassung des Vertrags von Lissabon oder auch die Vorläufernorm des Art. II-52 III 1 VVE) bestätigt. In dieser Norm heißt es: „So weit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird“. Obwohl sich die unionsinternen Grundrechte lediglich auf unionales bzw. gemeinschaftsrechtliches Handeln beziehen, zeigt der dieser Norm innewohnende Gedanke, dass die EMRK das gemeinschaftliche konsentierte Minimum des Schutzstandards in Bezug auf die Grundrechte gewährleisten soll. Für die Mitgliedschaft in der Union lässt sich hieraus schließen, dass sie den vorherigen Beitritt zur EMRK 389
Schmitz, Die Grundrechtecharta als Teil der Verfassung der Europäischen Union, EuR 2004, S. 691-713 (692).
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
mit ihren Zusatzprotokollen und eine hinreichende Beachtung der sich hieraus ergebenden Verpflichtungen in der innerstaatlichen Rechtsordnung voraussetzt390. Insbesondere dürfte ein Vorbehalt in Bezug auf die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Individualverfahren die Mitgliedschaft in der Union ausschließen, da hierdurch die Rechte der zukünftigen Unionsbürger beschnitten würden. Dem entspricht die zentrale Rolle der EMRK in der Transformation vieler postsozialistischer Länder391. Am faktischen Zwang zur EMRK-Mitgliedschaft lässt sich zudem die Vertiefung des Unionsverfassungsrechts im grund- und menschenrechtlichen Bereich anschaulich darlegen. Zwar gehören heute alle EUMitgliedstaaten der EMRK an, nicht alle von ihnen waren jedoch zum Zeitpunkt ihres Beitritts schon Mitglieder. Der Vertiefung des gemeinschaftsrechtlichen verfassungsrechtlichen Besitzstands entspricht also auch eine Erhöhung der Anforderungen an beitrittswillige Staaten, sofern diese Anforderungen gleichzeitig auch an alle Mitgliedstaaten gestellt werden. Als weitere Rechtserkenntnisquelle der gemeinschaftsinternen Grundrechte nutzt der Europäische Gerichtshof die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Die historische Fülle dieser Verfassungsüberlieferungen impliziert einen Reichtum an Überlieferungsmodellen. Hieraus folgt für das Beitrittsverfahren, dass sich nur unter größten Schwierigkeiten über die EMRK hinaus gehende Anforderungen an den Standard des Schutzes der Grundrechte in der Rechtsordnung beitrittswilliger Staaten ermitteln lassen. Zwar legt Art. 52 III 2 der Grundrechtecharta (Art. II-52 III 2 VVE) explizit fest, dass die Bindung an das Recht der EMRK nicht dem entgegensteht, „dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt“. Art. 6 II 2 EU in der Fassung des Vertrags von Lissabon konstatiert hierzu, dass der Beitritt der Union zur EMRK nicht die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union ändert. Diese Ermöglichung eines höheren Schutzniveaus bezieht sich aber explizit auf das Recht der Union. 390
Hölscheidt, Voraussetzung der Osterweiterung der EU, Juristische Arbeitsblätter (JA) 2001, S. 85-87 (86), ausdrücklich für die Mitgliedschaft in der EMRK und im Europarat. 391
Zur Rolle der EMRK in der Transformation der acht postsozialistischen Mitgliedstaaten der EU-Osterweiterung 2004 Pabel, Gemeinsame europäische Standards und Erweiterung – Erfahrungen des EGMR bei der Durchsetzung der EMRK, in: Calliess/ Isak (Hrsg.), Der Konventsentwurf für eine EUVerfassung im Kontext der Erweiterung, S. 95-110 .
Inhaltliche Vorgaben der Verfassung im Beitrittsverfahren
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Ein Gedanke, dass das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten, soweit Unionsrecht nicht zur Anwendung gelangt, sich einem solchen höheren Schutzniveau anschließen müsse, lässt sich dem gerade nicht entnehmen. Voraussetzung einer über die Anforderungen der EMRK hinausgehenden verfassungsrechtlichen Beitrittsanforderung im Beitrittsverfahren wäre also die Feststellung eines verfassungsrechtlichen Konsenses aller Mitgliedstaaten über ein höheres Schutzniveau. Erneut sei an dieser Stelle auf den Reichtum der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten der Union und die hieraus folgende Variabilität hingewiesen. So lange sich das grundrechtliche Schutzniveau der Rechtsordnung eines Beitrittskandidaten im Rahmen dieser Variabilität hält und die Anforderungen der EMRK respektiert, wird man die unionsverfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an die Achtung der Menschenrechte als erfüllt ansehen müssen.
6. Rechtsstaatlichkeit Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit wird auf englisch als „respect of the rule of law“ bezeichnet. Diese Formulierung erscheint für den europäischen Kontext treffender als die deutsche Rechtsstaatlichkeit392, da der Herrschaft des Rechts der immanent im deutschen Begriff enthaltene Aspekt der Staatlichkeit fehlt und der Union selbst gerade keine Staatlichkeit zukommt, obwohl auch auf Unionsebene rechtsstaatliche Prinzipien zu beachten sind, also die „rule of law“ einzuhalten ist. Mit Bezug auf die Mitgliedstaaten, denen ja eine Staatlichkeit zukommt, ist es aber auch begrifflich gerechtfertigt, vom Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zu sprechen. Es bezweckt, in der Perspektive des „freiheitssichernden“ Rechtsstaats393, den Schutz des Individuums und seiner Freiheit gegen willkürliche hoheitliche Machtausübung394. Das Rechtsstaatsprinzip als solches 392
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (165); Gerkrath, L’émergence d’un droit constitutionnel pour l’Europe, S. 347. 393
Müller-Graff, Die Kopfartikel des Verfassungsentwurfs für Europa – ein europarechtlicher Vergleichsblick, integration 2003, S. 111-129 (116). 394
Siehe in Anwendung auf das türkische Beitrittsgesuch Straub, Zum Verfassungsvertrag für Europa und dem Beitritt der Türkei, StudZR 2005, S. 199225 (218-220) und Betz, Eine kritische Gegendarstellung zum Beitrag von Straub, StudZR 2005, S. 227-239 (235f.).
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
ist daher in wesentlichen Teilen abhängig von der Gewährleistung weiterer Prinzipien395. Den europäischen Staaten, die sich in der Union zusammengeschlossen haben, gemeinsam sind dabei insbesondere der Grundsatz der Gewaltenteilung, die Achtung der Grundrechte, die Rechtmäßigkeit der Gewaltausübung und der Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte396. Weiter enthält der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit die Grundsätze der Rechtssicherheit, das Bestimmtheitsgebot397, das Gebot des Vertrauensschutzes, das Rückwirkungsverbot und das Gebot der Verhältnismäßigkeit398. In weiten Teilen sind diese Grundsätze in ihrem europarechtlichen Gehalt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ausgeformt worden399. Für die Frage des Beitritts zur Union hat eine herausgehobene Bedeutung, dass der Rechtsstaatsgrundsatz eine Bindung der Herrschaft an das Recht einfordert. Kommunistische, sozialistische und faschistische Rechtsordnungen, die anders als Rechtsstaaten die Herrschaft an die Verwirklichung der Ideologie statt an das Recht binden400, müssen im Rahmen ihrer Transformation daher zunächst die Bindung der Herrschaft an das Recht verwirklichen, bevor sie Mitglieder der Union werden können. Hier stellt das Unionsrecht im Beitrittsverfahren verhältnismäßig konkrete Anforderungen an das Rechtswesen der beitrittswilligen Staaten, beispielsweise in Bezug auf die Ausgestaltung des Justizwesens, das Bestehen von Rechtsschutzmöglichkeiten, die Länge des Rechtsweges und die Besetzung der Gerichte. Relevant ist auch die Fähigkeit zur Durchsetzung des Rechts und der im demokratischen Verfahren getroffenen 395
Gerkrath, L’émergence d’un droit constitutionnel pour l’Europe, S. 347, 353ff. für die Gewährleistung von Grundrechten im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips. 396
Schwarze, Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, in: Schwarze (Hrsg.), Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung. Das Ineinandergreifen von nationalem und europäischem Verfassungsrecht, S. 463570 (479ff.). 397 398
Beutler in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Art. 6 EU, Rn. 35. Stumpf in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 6 EU, Rn. 15.
399
Vgl. etwa zum rechtsstaatlichen Gebot auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz EuGH, Rs. 222/84 vom 15.5.1986, Johnston/ Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary, Slg. 1986, S. 1651 (Rn. 18). 400
Vgl. hierzu (am russischen Beispiel) Mögelin, Die Transformation von Unrechtsstaaten in demokratische Rechtsstaaten.
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Entscheidungen. Das betrifft auch die Fähigkeit zur Durchsetzung der bestehenden und eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen.
a) Vollständige Kooperation mit dem ICTY als Anwendungsfall des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit Im Beitrittsverfahren der Republik Kroatien relevant wurde hier die Frage der Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien. Die Verpflichtung der Republik Kroatien zur Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal ergibt sich aus verschiedenen Rechtsquellen, die sich gegenseitig verstärken. Zu nennen sind insbesondere Absatz 4 der Sicherheitsratsresolution 827 in Verbindung mit der Verpflichtung aus Art. 25 der Charta der Vereinten Nationen, Entscheidungen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der Charta auszuführen, die völkervertragsrechtlichen Verpflichtungen, die Kroatien im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses mit der Europäischen Union eingegangen ist, sowie das nationale kroatische Verfassungsrecht. Im kroatischen Verfassungsrecht ist das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in verschiedenen Verfassungsartikeln angerissen. Auffällig ist dabei, dass Art. 1 kroatische Verfassung augenfällig auf dem Modell des Art. 20 GG aufbaut und damit, analog zu Art. 20 GG, das Demokratieprinzip, das Sozialstaatsprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und – im kroatischen Fall – das Einheitsstaatsprinzip verkörpert. In Art. 3 der kroatischen Verfassung wird die Herrschaft des Rechts zudem als einer der höchsten Werte der kroatischen Verfassungsordnung nochmals ausdrücklich erwähnt. Art. 5 der kroatischen Verfassung legt fest, dass die Gesetze im Einklang mit der Verfassung zu stehen haben und die übrigen Vorschriften mit Gesetz und Verfassung übereinstimmen müssen. Völkerrechtliche Verträge stehen in Kroatien im Rang unterhalb der kroatischen Verfassung, aber über normalen Gesetzen, Art. 140 kroatische Verfassung. Demnach unterstützt das kroatische Recht auch innerstaatlich die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die die Republik Kroatien in Bezug auf die Kooperation mit dem ICTY eingegangen ist, indem es ihnen einen Übergesetzesrang zuweist. Daher soll zunächst auf die völkerrechtliche Ebene eingegangen werden.
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
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aa) S/RES/827 i.V.m. Art. 25 UN-Charta Die unmittelbar der Völkerrechtsordnung entstammende Verpflichtung der Staaten zur Kooperation mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien ergibt sich aus der UN-Charta401. So bestimmt Art. 25 der UN-Charta, dass alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen – und sogar Staaten, die nicht Mitglied der Vereinten Nationen sind402 – rechtlich verpflichtet sind, die unter Kapitel VII der UNCharta getroffenen Resolutionen des Sicherheitsrats auszuführen403. Das UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien wurde errichtet durch die Sicherheitsratsresolution 827 vom 25. Mai 1993. Kapitel VII der UN-Charta ermöglicht es dem Sicherheitsrat, bindende Mechanismen zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit zu schaffen404. In diesem Sinn legt Abs. 4 der S/RES/827 die Verpflichtung zur Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal ausdrücklich fest. Wörtlich heißt es: “Decides that all States shall cooperate fully with the International Tribunal and its organs in accordance with the Present Resolution and the Statute of the International Tribunal”405. Nachdem das Kriegsverbrechertribunal auf der Basis einer Resolution nach Kapitel VII der UN-Charta errichtet wurde, ergibt sich somit eine verbindliche Verpflichtung aus dem Völkerrecht für alle Staaten und somit auch für die Republik Kroatien, den Hilfeersuchen des Gerichtshofs Folge zu leisten und den Beschlüssen seiner Kammern Effektivität zu verschaffen406. Dies folgt daraus, dass „enforcement measures“, also Zwangsmaßnahmen unter Kapitel VII der UN-Charta durch Art. 2 Nr. 401
Die folgende Argumentation orientiert sich an Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 117. 402
Nachdem die Republik Kroatien ein Mitgliedstaat der Vereinten Nationen ist, erübrigt es sich, auf diesen Problemkomplex einzugehen. 403
Zu Kapitel VII der UN-Charta siehe Frowein/Krisch in: Simma u. a. (Hrsg.), the Charter of the United Nations: A Commentary, Art. 39-43 UNCharter; Doehring, Völkerrecht, S. 205-208, Rn. 461-467. 404 405 406
Doehring, Völkerrecht, S. 205, Rn. 461. S/RES/827 vom 25. Mai 1993, Abs. 4.
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 117.
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7 UN-Charta vom Prinzip der Nichtintervention ausgenommen sind und daher effektiv die Souveränität der Mitgliedstaaten übertrumpfen407. Art. 2 Nr. 7 UN-Charta legt hierzu ausdrücklich fest: „Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden; die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII wird durch diesen Grundsatz nicht berührt“408. Diese Verpflichtung aller Staaten zur Kooperation mit dem ICTY wurde in Art. 29 des ICTY-Statuts noch einmal ausdrücklich festgehalten. Hier heißt es: “States shall comply without undue delay with any request for assistance or an order issued by a Trial Chamber.” Auch diese Verpflichtung aus Art. 29 des ICTY-Statuts geht als auf Kapitel VII der Charta gestützte Zwangsmaßnahme entgegenstehendem innerstaatlichem Recht vor, da das Unterbleiben innerstaatlicher Rechtsetzung eine nicht erfolgende Kooperation mit dem Tribunal nicht rechtfertigen kann409.
bb) Genfer Konvention In Bezug auf schwerwiegende Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949, deren Vertragspartei die Republik Kroatien aufgrund der Rechtsnachfolge des ehemaligen Jugoslawien stets war, ergibt sich eine weitere völkerrechtliche Verpflichtung zur Kooperation Kroatiens. Die Genfer Konventionen verpflichten die Vertragsstaaten rechtlich, “[to] enact any legislation necessary to provide effective penal sanction for persons committing or ordering to be committed, any of the grave breaches of the present Convention
407
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 119. 408 409
Hervorhebung vom Verfasser.
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 118.
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… search for persons alleged to have committed, or to have ordered to be committed, such grave breaches, … hand such persons over for trial to another High Contracting Party”410. Hierbei handelt es sich um drei Verpflichtungen, die die Republik Kroatien völkerrechtlich zu beachten hat: (1) um die Verpflichtung, die nötige Gesetzgebung zu erlassen, um effektive strafrechtliche Sanktionen gegen Täter und Anstifter von Verstößen gegen die Konvention bereitzuhalten, (2) die Verpflichtung, diese Täter zu verfolgen und (3) die Verpflichtung, solche Täter einer anderen vertragschließenden Partei zur Gerichtsverhandlung zu überstellen. (1) Die Verpflichtung, die nötige Gesetzgebung zu erlassen, um effektive strafrechtliche Sanktionen bereitzuhalten, könnte implizit die Verpflichtung enthalten, ein innerstaatliches Gesetz zur Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal zu erlassen, in dem die Grundlagen der Kooperation und die Pflicht zur Zusammenarbeit der innerstaatlichen Behörden geregelt werden. Dem ist, wie unten noch gezeigt wird, die Republik Kroatien im vollen Umfang nachgekommen. Diese Pflicht ergibt sich dann aus der Genfer Konvention, wenn das Kriegsverbrechertribunal die einzige Möglichkeit ist, um die schweren Verstöße gegen die Genfer Konvention effektiv sanktionieren zu können. Genau die Gefahr, dass die nationalen Rechtssysteme unter dem Eindruck des bewaffneten ethnischen Konflikts nicht in der Lage sein könnten, effektive strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, war jedoch schon eines der Argumente der Republik Kroatien bei der Forderung der Errichtung des Kriegsverbrechertribunals. (2) Aus dem gleichen Gesichtspunkt könnte sich aus der Genfer Konvention die Verpflichtung zur Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal ergeben, wenn das nationale Rechtssystem nicht in der Lage ist, seiner Verpflichtung zur Verfolgung der Täter nachzukommen.
410
Art. 49 Genfer Konvention I, Art. 50 Genfer Konvention II, Art. 129, Genfer Konvention III, Art. 146 Genfer Konvention IV, zitiert nach Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 118.
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(3) Problematisch ist schließlich, ob der Verpflichtung der Überstellung von Tätern „to another High Contracting Party“ eine Verpflichtung zur Überstellung gesuchter Personen an den ICTY entnommen werden kann. Dagegen spricht der klare Wortlaut, denn das Kriegsverbrechertribunal ist gerade keine vertragschließende Partei der Genfer Konvention. Für eine Herleitung einer Verpflichtung zur Überstellung gesuchter Personen auch auf der Grundlage der Genfer Konvention könnte der Charakter der Arbeit des Kriegsverbrechertribunals auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta sprechen. Hiergegen spricht, dass es einer solchen Auslegung nicht bedarf, weil die Pflicht zur Überstellung gesuchter Personen sich bereits umfassend aus anderen völkerrechtlichen Akten ergibt, die zudem ihre Entsprechung im nationalen Verfassungsrecht und im nationalen einfachen Recht gefunden haben. Es bleibt jedoch festzustellen, dass die Republik Kroatien auch auf der Grundlage der Genfer Konvention völkerrechtlich zur Kooperation mit dem ICTY verpflichtet ist, soweit dieser eine der schwerwiegenden Straftaten verfolgt, die von den Genfer Konventionen unter Strafe gestellt werden.
cc) Vertragliche Verpflichtung im Rahmen des Dayton-Abkommens Als eine der Vertragsparteien des Dayton-Abkommes411, das den Frieden in Bosnien-Herzegowina wiederherstellte, ist die Republik Kroatien ebenfalls zur vollständigen Kooperation mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal verpflichtet. Diese Verpflichtung beruht auf dem General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina, mit dem der Konflikt auf dem Gebiet Bosnien-Herzegowinas beendet werden sollte412. Diese gemeinhin als Dayton-Abkommen bezeichnete Friedensvereinbarung hat eine insoweit ungewöhnliche Struktur, als die konkreten Verpflichtungen in Annexen enthalten sind, in die die unter411
Zur genaueren und recht eigentümlichen Struktur des Dayton-Abkommens, das Kroatien und Serbien (BR Jugoslawien) sowie die USA, Frankreich, Russland, Großbritannien, Deutschland und die EU an der Lösung des Konflikts in Bosnien-Herzegowina beteiligte, siehe Eisermann, Der lange Weg nach Dayton, S. 377ff. 412
Hierzu Stroh, Die nationale Zusammenarbeit mit den Internationalen Straftribunalen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, S. 51ff.
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zeichneten Parteien eingewilligt haben, während die Unterzeichnerstaaten des Abkommens diese Vereinbarungen lediglich „endorse“, also begrüßen und gutheißen, aber nicht selbst von ihnen verpflichtet werden413. Die Verpflichtungen aus dem Dayton-Abkommen sind also doppelt hergeleitet. Sie beruhen einmal – allgemein – auf dem völkerrechtlichen Vertragsschluss, an den sich alle unterzeichnenden Parteien gebunden fühlen, bezüglich konkreter Verpflichtungen aber auf der einseitigen Unterzeichnung der Annexe. Dies bedingt, dass weite Teile der entscheidenden Regelungen des Abkommens nur für die konkreten Konfliktparteien in Bosnien-Herzegowina unmittelbare Bindungswirkung entfalten. So haben von den Annexen, die konkrete Verpflichtungen enthalten, die „Mutterländer“ der serbischen und kroatischen Konfliktparteien in Bosnien, also die Bundesrepublik Jugoslawien und die Republik Kroatien, jeweils nur die Annexe 1 und 10 unterzeichnet. Jedoch heißt es in Annex 1a, Art. X des Dayton-Abkommens: “The Parties shall co-operate fully with all entities involved in implementation of this peace settlement, as described in the General Framework Agreement, or which are otherwise authorised by the United Nations Security Council, including the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia”414. Damit ergibt sich eine Verpflichtung der Republik Kroatien zur vollständigen Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien aus der eingegangenen Verbindlichkeit im Rahmen des General Framework Agreements.
dd) Bilaterale Verpflichtung der Republik Kroatien gegenüber dem Kriegsverbrechertribunal und verfassungsrechtliche Selbstverpflichtung Die Republik Kroatien hat mit dem Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien ein Kooperationsabkommen abgeschlossen. Diese Kooperation wurde vom kroatischen Parlament, dem Sabor, in ein Gesetz mit Verfassungsrang zur Kooperation mit dem Kriegsver413
Stroh, Die nationale Zusammenarbeit mit den Internationalen Straftribunalen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, S. 53. 414
General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina (GFA), http://www.nato.int/ifor/gfa/gfa-frm.htm, zitiert nach Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 119, Fn. 16.
Inhaltliche Vorgaben der Verfassung im Beitrittsverfahren
123
brechertribunal gegossen415. Das Verfassungsgesetz zur Kooperation mit dem ICTY regelt die Zuständigkeiten auf der kroatischen Seite und verpflichtet die kroatischen Behörden zur vollständigen Kooperation mit dem Gerichtshof416. Auf dieser Grundlage werden Ermittlungsteams der Anklagebehörde des Kriegsverbrechertribunals mit eigenen Mitarbeitern in Kroatien eingesetzt417. In Art. 13 III des Verfassungsgesetzes wird die kroatische Polizei überdies verpflichtet, ohne den sonst in Kroatien für Festnahmen erforderlichen Haftbefehl eines Ermittlungsrichters Personen festzunehmen, deren Überstellung das Kriegsverbrechertribunal begehrt hat. Das kroatische Verfassungsgericht hat im Fall Naletilić-Tuta den Rang des Verfassungsgesetzes und seine Vereinbarkeit mit der kroatischen Verfassungsordnung bestätigt418. Die von der Tuđman-Regierung vertretene Ansicht, dass das Kriegsverbrechertribunal keine Jurisdiktion über die Aktionen Bljesak (Blitz) und Oluja (Sturm)419 habe, da es sich bei diesen Aktionen nicht um mi-
415
Ustavni zakon o suradnji Republike Hrvatske s Međunarodnim kaznenim sudom (Verfassungsgesetz zur Kooperation der Republik Kroatien mit dem ICTY) vom 19. April 1996, Narodne novine (Gesetzblatt) vom 19.4.1996, 012-01/96-01/02), auf kroatisch abrufbar über http://www.nn.hr/sluzbenilist/sluzbeni/index.html, in inoffizieller englischer Übersetzung (Republic of Croatia Constitutional Act on the Cooperation of the Republic of Croatia with the International Criminal Tribunal) erhältlich über http://www.vlada.hr (Webseite der kroatischen Regierung) oder http://www.un.org/icty/legaldoc-e/ba sic/cooperation/leg-croatia-e.htm. 416
Näher hierzu Stroh, Die nationale Zusammenarbeit mit den Internationalen Straftribunalen für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, S. 156-158. 417
Roggemann, Kroatien und die EU – Südosteuropapolitik auf Eis?, Berichte aus und über Osteuropa (BOI) 2005, Bd. 22, S. 52-61 (56). 418
Verfassungsgericht der Republik Kroatien, Aktenzeichen U-III-854/1999, Mladen Naletilić-Tuta, abrufbar über die Webseite des Gesetzblattes Narodne Novine unter http://www.nn.hr/sluzbeni-list/sluzbeni/index.html. NaletilićTuta hatte sich darauf berufen, dass die kroatische Verfassung keine Auslieferung kroatischer Staatsbürger erlaube, um seine Überstellung an den ICTY zu verhindern. Zu der Diskussion um die Vereinbarkeit des Gesetzes mit der kroatischen Verfassung im Vorfeld der Verfassungsgerichtsentscheidung siehe Josipović, Haaško implementacijsko kazneno pravo, S. 188-205, englische Zusammenfassung. 419
In der Aktion Sturm soll Ante Gotovina die ihm zur Last gelegten Kriegsverbrechen begangen haben, siehe die Anklageschrift des ICTY gegen Ante Gotovina, IT-01-45, initial indictment vom 8. Juni 2001, amended indict-
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
litärische Aktionen, sondern um polizeiliche Aktionen zur Wiederherstellung der territorialen Integrität der Republik Kroatien gehandelt habe420, wurde von der Nachfolgeregierung Račan aufgegeben. Die neue, die Verpflichtung zur vollständigen Kooperation mit dem Tribunal auch im Fall der Aktionen Blitz und Sturm bestätigende Haltung der Regierung wurde vom kroatischen Parlament bei nur sieben Gegenstimmen in einer eindrucksvollen Resolution bestätigt421. Darüber hinaus besteht in Bezug auf Kriegsverbrechen in internationalen wie in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten eine Zuständigkeit der kroatischen Justiz nach den Normen des Strafgesetzes der Republik Kroatien422.
ee) Vertragliche Verpflichtung im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses zur Europäischen Union Die Republik Kroatien hat sich in ihrem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union dieser gegenüber in Art. 2 zur Achtung der völkerrechtlichen Prinzipien und der Herrschaft des Rechts verpflichtet („respect for international law principles and the ru-
ment vom 24. Februar 2004, beide abrufbar über www.un.org/icty/casese/index-e.htm. 420
Hierzu der Brief des kroatischen Justizministers Zvonimir Šeparović an den Präsidenten des ICTY, wiedergegeben in Regierung der Republik Kroatien, Bijela knjiga Vlade Republike Hrvatske o suradnji s međunarodim kaznenom sudom za kazneno gonjenje osoba odgovornih za teška kršenja međunarodnog humanitarnog prava na području bivše Jugoslavije od godine 1991 (Weißbuch der Regierung der Republik Kroatien über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Bezug auf die Verfolgung von Personen, die wegen schweren Verstößen gegen die internationalen Menschenrechte seit 1991 im Territorium des früheren Jugoslawiens verantwortlich gemacht werden), S. 99, vgl. dort auch S. 52-54. 421
Izvješča Hrvatskoga Sabora (Berichte des kroatischen Parlaments), Nr. 237 (1999), S. 42, siehe auch Deklaracija o suradnji s Međunarodnim kaznenim sudom u Den Haagu, Narodne Novine (Gesetzblatt) 41/2000 und 24/1999, abrufbar unter http://www.nn.hr/sluzbeni-list/sluzbeni/index.html. 422
Eine umfängliche Darstellung der Regelungen des kroatischen Strafgesetzes im Vergleich zum IStGH-Statut findet sich bei Novoselec, Kroatien, in: Eser/ Sieber/ Kreicker (Hrsg.), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen (Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht), S. 20-83 (32-43).
Inhaltliche Vorgaben der Verfassung im Beitrittsverfahren
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le of law“)423. Diese Verpflichtung schließt die volle Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal ein. Deutlicher kommt dies in der sechsten Präambelerwägung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens zum Tragen: “Considering the commitment of the Parties to the full implementation of all principles and provisions of the UN Charter, of the OSCE, notably those of the Helsinki Final Act, the concluding documents of the Madrid and Vienna Conferences, the Charter of Paris for a New Europe, and of the Stability Pact for south-eastern Europe, as well as to compliance with the obligations under the Dayton/Paris and Erdut agreements, so as to contribute to regional stability and co-operation among the countries of the region”424. Damit hat sich die Republik Kroatien erneut gegenüber der Europäischen Union im vertraglichen Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens zur vollständigen Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal verpflichtet. Wie bereits oben angesprochen, beruht die Assoziation eines Landes auf der Rechtsgrundlage des Art. 310 EG und nicht auf Art. 49 EU. Die vertraglichen Beziehungen im Rahmen des Assoziationsabkommens bilden jedoch auch den vertraglichen Rahmen des Beitrittsprozesses ab. Die vertragliche Festlegung im Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen kann daher als explizite Ausgestaltung und Absicherung der bestehenden Verpflichtung aus dem Beitrittskriterium der Achtung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit verstanden werden.
423
EU-Kommission, COM(2001) 371 final vom 09.07.2001, Proposal for a Council Decision concerning the signature of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and its Member States and the Republic of Croatia on behalf of the European Community; Proposal for a Council and Commission Decision concerning the conclusion of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and their Member States, of the one part, and the Republic of Croatia, of the other part, Art. 2 (S. 15). 424
EU-Kommission, COM(2001) 371 final vom 09.07.2001, Proposal for a Council Decision concerning the signature of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and its Member States and the Republic of Croatia on behalf of the European Community; Proposal for a Council and Commission Decision concerning the conclusion of the Stabilisation and Association Agreement between the European Communities and their Member States, of the one part, and the Republic of Croatia, of the other part, sechste Präambelerwägung (S. 14).
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
b) Ergebnis: Verpflichtung aus Art. 49 I 1 EU i.V.m. Art. 6 I EU (Rechtsstaatlichkeit) im Beitrittsverfahren Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass die Republik Kroatien zur Erfüllung des Beitrittskriteriums der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien aus Art. 49 I 1 EU i.V.m. Art. 6 I EU ebenfalls zur vollständigen Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien verpflichtet ist, dass diese Verpflichtung sich aber bereits aus der Sicherheitsratsresolution 827 und Annex 1 zum General Framework Agreement (Dayton-Abkommen) völkerrechtlich und aus dem kroatischen Verfassungsrecht nach innerstaatlichem höchstrangigem Recht ergibt. Es besteht also eine inhaltsgleiche Verpflichtung, die mehrfach völkerrechtlich, nach innerstaatlichem Verfassungsrecht und im Rahmen des Beitrittsverfahrens europarechtlich fundiert ist. An dieser Stelle der kroatischen Verpflichtung zur vollständigen Kooperation mit dem ICTY setzt die Kritik des Rates an der Republik Kroatien in seinem Beschluss vom 16. März 2005425 an. In die rechtliche Terminologie der Beitrittsvoraussetzungen übersetzt bedeutet der fehlende Konsens im Rat im Bezug auf die vollständige Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal426, dass der Rat der Republik Kroatien unterstellt, die Beitrittsvoraussetzung der Rechtsstaatlichkeit sei in Kroatien in so eklatanter Weise nicht erfüllt, dass Beitrittsverhandlungen mit Kroatien nicht aufgenommen werden können. In der Historie des Beitrittsverfahrens wurde in Kenntnis der Nichtüberstellung von General Gotovina an das Kriegsverbrechertribunal im April 2004 von der Europäischen Kommission die Europareife Kroatiens in ihrer Stellungnahme zum Beitrittsgesuch ausdrücklich anerkannt. Im Anschluss beschlossen das Europäische Parlament mit absoluter Mehrheit, der Europäische Rat und der Rat der Europäischen Union einstimmig, Kroatien den Kandidatenstatus zu verleihen und das Land zu Beitrittsverhandlungen einzuladen. In keinem der vor März 2005 ergangenen Beschlüsse wurde dabei die Festnahme und Überstel-
425
Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 6969/05 (Presse 44) vom 16. März 2005, 2649. Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“. 426
Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 6969/05 (Presse 44) vom 16. März 2005, 2649. Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“, S. 9.
Inhaltliche Vorgaben der Verfassung im Beitrittsverfahren
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lung Gotovinas ausdrücklich zu einer Bedingung für den Verhandlungsbeginn gemacht427. Obgleich die Republik Kroatien mit der einen vorliegenden Ausnahme allen Rechtshilfeersuchen des Gerichtshofes nachgekommen ist, beweise nunmehr die Nichtüberstellung des angeklagten Generals Gotovina, dass entweder in Kroatien der politische Wille zur Auslieferung und damit zur vollständigen Kooperation mit dem Tribunal nicht bestehe – was bedeuten würde, dass auf höchster Ebene ein bewusster Verstoß gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit vorliegt – oder dass die hoheitlich gefällte Entscheidung zur Auslieferung des Generals in diesem Fall nicht durchgesetzt werden könne428. Im letzteren Fall wird auf ein Netz an Unterstützern und Verehrern hingewiesen, über das der gesuchte General in weiten Teilen der kroatischen Exekutive und Judikative verfüge. Träfe diese Sichtweise zu, so läge ein bedenkliches Implementationsdefizit in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip vor. In beiden Fällen müsse Kroatien der Eintritt in die Europäische Union verwehrt bleiben, bis das bestehende Defizit behoben sei429. Damit wurde die Einleitung des nächsten Verfahrensschrittes, der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen, der Republik Kroatien am 16. März 2005 verweigert.
427
Roggemann, Kroatien und die EU – Südosteuropapolitik auf Eis?, Berichte aus und über Osteuropa (BOI) 2005, Bd. 22, S. 52-61 (59). 428
So die von der Defence Academy of the United Kingdom herausgegebene Stellungnahme von Watkins, Croatia at a Crossroads: The EU – ICTY Debate, in: Conflict Studies Research Center (Surrey) 2005, alternativ veröffentlicht in: Review of International Affairs 2005, Ausg. 1117, S. 31-33. 429
So vor allem die Position des britischen Vertreters im Rat, Jack Straw, am 16.3.2005: „Eine wesentliche Vorbedingung ist nicht erfüllt“. Wiedergegeben bei http://www.eiz-niedersachsen.de/ewb/kroatien/news.htm unter >Kroatien> Aktuelle Informationen > 16.3.2005.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
V. Formelle Vorgaben der Verfassung an das Beitrittsverfahren (Art. 49 I 2, II EU) 1. Adressat des Beitrittsantrags Art. 49 I 2, 1. Hs. EU benennt als Adressaten des Antrags auf Mitgliedschaft den Rat der Europäischen Union. Damit tritt die Europäische Union im Beitrittsverfahren einem Bewerberstaat gegenüber als geschlossene Einheit auf430. Diese förmliche Festlegung auf den Rat ist bedeutend in Bezug auf Beitrittswünsche, die etwa im Rahmen von Staatsbesuchen führender Politiker der Mitgliedstaaten in beitrittswilligen Ländern von den Politikern dieser Länder geäußert werden. Auch wenn sich die Regierungschefs einzelner Mitgliedstaaten positiv auf die geäußerten Beitrittswünsche äußern, bleiben diese Äußerungen in einem rein politischen Rahmen und haben keinerlei Auswirkungen auf ein etwaiges Beitrittsverfahren. Sie können auch keine Bindung der Unionsorgane oder der Union selbst hervorrufen. Ein anschauliches Beispiel bieten etwa die Äußerungen des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi aus dem Jahr 2004, er unterstütze den Beitritt von Russland und Israel zur Europäischen Union. Die betroffenen Länder könnten, vorausgesetzt, ein Interesse ihrerseits an einem Beitritt bestünde, die entsprechend geäußerte Unterstützung auch nicht im Beitrittsverfahren geltend machen. Ähnlich wie der bereits erwähnte Beitrittsantrag von Marokko wäre ein Beitrittsgesuch von Israel, das geographisch eindeutig in Westasien liegt, schon aus dem geographischen Grund nicht zulässig. Eine politisch etwa dennoch gewünschte Aufnahme Israels oder Marokkos müsste im Wege der Verfassungsänderung über Art. 48 EU erfolgen.
2. Festlegung des Beginns des Beitrittsverfahrens Mit der Fokussierung auf die Stellung des Beitrittsantrags legt Art. 49 I 2, 1. Hs. EU auch den Beginn des verfassungsrechtlich vorgesehenen Beitrittsverfahrens fest. Schritte, die der Stellung des Mitgliedschaftsantrags vorangehen, erwähnt Art. 49 EU nicht. 430
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 87.
Formelle Vorgaben der Verfassung an das Beitrittsverfahren
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Diese Beobachtung erstaunt, da in der Rechtswirklichkeit Heranführungsstrategien und Präadhesionsinstrumente von verschiedenen Ländern vermeintlich unabhängig davon genutzt werden, ob ein Beitrittsantrag vorliegt oder nicht. Der Zeitpunkt der Stellung des Beitrittsantrags ist jedoch für die rechtliche Vorgehensweise durchaus entscheidend. Erst hiermit beginnt das Beitrittsverfahren, wie es verfassungsrechtlich vorgezeichnet ist. Damit kommt zum Ausdruck, dass die Heranführungsstrategien und Präakzessionsinstrumente im Lauf der Zeit im Wege der einfachen Rechtsetzung an neue sich stellende Problematiken angepasst werden können, ohne dass dies für das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren relevant würde.
3. Einstimmiger Beschluss des Rats Weiter legt Art. 49 I 2, 2. Hs. EU fest, dass der Rat der Europäischen Union über den Mitgliedsantrag einstimmig beschließt, nachdem er die Kommission angehört hat und nachdem das Europäische Parlament, das mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder beschlossen hat, zugestimmt hat. Zunächst hat hier die einstimmige Beschlussfassung im Rat eine hervorgehobene Bedeutung. Dass der Rat über die Erweiterung der Union nur im Wege der Einstimmigkeit beschließen kann, kennzeichnet die Frage der Erweiterung als eine der wesentlichen Kernfragen des Unionsrechts. Jeder Mitgliedstaat erhält über seinen Ratsvertreter ein „Vetorecht“, mit der er eine ungewünschte Erweiterung der Union verhindern kann431. Ob der Begriff des Vetos, also des Einlegens eines Einspruches, der innerhalb eines formell definierten Rahmens geschieht und damit Entscheidungen aufschieben (suspensives Veto) oder blockieren (absolutes Veto) kann, die Situation treffend kennzeichnet, dass im Falle einer einvernehmlich zu treffenden Entscheidung das erforderliche Einvernehmen nicht hergestellt werden kann, kann letztlich dahinstehen. Als staatsrechtlicher oder völkerrechtlicher Begriff scheint das „Veto“ hier unpassend, da gerade nicht einem Mitgliedstaat über seinen Ratsvertreter die Möglichkeit eingeräumt wird, einen Einspruch gegen den Ratsbeschluss einzulegen, sondern weil die Mitwirkung des Ratsvertreters für die Beschlussfassung konstitutiv ist. 431
Cremer in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 49 EU, Rn. 3, der den Begriff des Vetorechts ausdrücklich verwendet.
130
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Der Begriff der Sperrminorität erscheint insofern passender, als Sperrminoritäten die Möglichkeit einer Minderheit umschreiben, bei Abstimmungen einen bestimmten Beschluss zu verhindern. Im konkret vorliegenden Fall würde dies jedoch ein Verständnis voraussetzen, in dem die erforderliche Einstimmigkeit als qualifizierte Mehrheit verstanden wird432. Jedenfalls untechnisch umschreibt der Begriff des Vetos die Situation treffend: auch wenn die Ratsvertreter aller anderen Mitgliedstaaten den Beschluss wünschen, kommt er ohne die Zustimmung des einen Ratsvertreters nicht zustande. Insofern soll im Folgenden aus Gründen der begrifflichen Vereinfachung in der Terminologie von Cremer weiter vom „Vetorecht“ gesprochen werden, auch wenn es sich in der Sache um eine nicht erteilte, jedoch konstitutive Zustimmung zum Beschluss handelt. In Anbetracht der herausgehobenen Rolle der Erweiterung unter den Verfassungszielen der Union ist die Beobachtung, dass schon ein einzelner Mitgliedstaat gegen den Willen aller anderen Mitgliedstaaten eine Erweiterung verhindern kann, bemerkenswert. Sie erklärt sich andererseits unionsrechtlich gerade aufgrund der enormen Bedeutung der Erweiterung für das Selbstverständnis der Union, die es erforderlich macht, alle bisherigen Mitglieder einvernehmlich am Beschluss über die Erweiterung zu beteiligen und auch die gemeinschaftliche Homogenität, ausgedrückt durch das Verfassungsziel der stetigen Vertiefung, zu schützen. Sie erklärt sich darüber hinaus über die im Beitrittsverfahren noch besonders deutlich zu Tage tretende völkerrechtliche Genese des Unionsrechts. So legt Art. 49 II 2 EU fest, dass das Beitrittsabkommen der Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften bedarf. Aus der Sicht des Völkerrechts ist dies lediglich eine Einordnung als ratifikationsbedürftiger Vertrag nach den allgemein gültigen Grundsätzen des völkerrechtlichen Vertragsschlusses433; Art. 49 EU stellt aus dieser Sicht eine spezielle Abschlussregel zum Beitritt weiterer Staaten zu einem offenen Vertrag im Sinne des Art. 8
432
Insofern entspricht die Situation hier gerade nicht jener der Sperrminorität bei Abstimmungen im Ministerrat nach VVE. 433
Art. 24 WVK (Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969). Siehe hierzu Doehring, Völkerrecht, S. 149, Rn. 337 m.w.N. in Fn. 14.
Formelle Vorgaben der Verfassung an das Beitrittsverfahren
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WVK dar434. Aus der Sicht des Europarechts ist es daher sinnvoll, die Mitgliedstaaten nicht nur über die Vertragsratifikation zum Abschluss des Verfahrens in die Erweiterung mit einzubeziehen, sondern die mitgliedstaatliche demokratische Legitimation auch für das Unionsrecht über das Unionsorgan Rat im Wege des Einstimmigkeitserfordernisses zu erhalten. Orientiert man sich streng am Wortlaut, so bezieht sich die in Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU geforderte Beschlussfassung des Rates zunächst auf die Bescheidung des Mitgliedsantrags, also darauf, ob am Ende des Beitrittsverfahrens ein europäischer Staat in die Union aufgenommen wird. Es liegt auf der Hand, dass eine einmalige Beschlussfassung des Rates am Ende des Beitrittsverfahrens der soeben dargestellten herausgehobenen Rolle des Rates und seiner Mitglieder im Beitrittsverfahren nicht gerecht wird. Sie würde zudem die Gefahr schwerer politischer Verwerfungen in sich bergen, wenn nach erfolgreichem Abschluss eines langwierigen Beitrittsprozesses einzelne nationale Ratsvertreter erstmals ihre Bedenken gegen einen Beitritt in Form eines Vetos anbrächten. Doch der Text der Vorschrift ist nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Mit der Formulierung „dieser beschließt einstimmig“ in Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU fehlt eine eindeutige Bezugnahme darauf, worüber genau der Rat beschließt. Aus dem vorangegangenen Halbsatz ergibt sich, dass sich die Beschlussfassung des Rats auf den Mitgliedsantrag erstreckt. Das kontextuelle Verständnis der Vorschrift geht daher über eine bloße einstimmige Beschlussfassung des Rates über die Aufnahme eines neuen Mitgliedstaats am Ende des Beitrittsverfahrens hinaus. Vielmehr ist die Vorschrift so zu verstehen, dass der Rat über alle wesentlichen Schritte des verfassungsrechtlich vorgesehenen, rechtlich geordneten und rechtsanwendenden Beitrittsverfahrens jeweils einstimmig beschließen muss. Diese einstimmigen Ratsbeschlüsse finden sich in allen wesentlichen Schritten vorangegangener Beitrittsprozesse. Hierdurch wird die soeben aufgestellte These des sich aus Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU ergebenden Einstimmigkeitserfordernisses bei Ratsbeschlüssen zu allen verfahrenswesentlichen Schritten des Beitrittsverfahrens durch die Praxis eindrucksvoll bestätigt. Wir haben oben bereits gesehen, dass der erste verfassungsrechtlich vorgesehene Schritt des Beitrittsverfahrens die Stellung eines Antrags auf Mitgliedschaft durch den Beitrittskandidaten ist435. Art. 49 I 1 EU 434 435
Doehring, Völkerrecht, S. 152, Rn. 343. Siehe oben S. 128.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
schränkt jedoch den Kreis der potenziellen Antragsteller ein. Daher muss, sofern die Frage der möglichen Kandidateneigenschaft eines Bewerberlandes, anders als im Falle Marokkos oder als im hypothetischen Falle Israels, nicht klar verneint werden kann436, zur Einleitung des Beitrittsverfahrens zunächst eine Entscheidung darüber gefasst werden, ob ein Land als Beitrittskandidat in Frage kommt. Mit der Verleihung des Status als Beitrittskandidat sind konkrete Vorteile im Rahmen der Heranführungsstrategie verknüpft437. Sie unterscheidet sich von einer – von einer Antragstellung unabhängigen – Klassifizierung als potentieller Beitrittskandidat, wie sie etwa anlässlich des Europäischen Rats von Thessaloniki für die Staaten des westlichen Balkans vorgenommen wurde438. Die Verleihung des Kandidatenstatus im Rahmen des verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahrens ist mit der Einräumung einer konkreten Rechtsposition für den antragstellenden Staat verknüpft. Damit unterscheidet sie sich fundamental von der bloß politischen Einräumung einer Beitrittsperspektive. Besonders für die Türkei war der Wechsel von der rein politischen Position eines Bewerbers um die Mitgliedschaft zu einem Land mit Kandidatenstatus von erheblicher Bedeutung. Aus der Zuerkennung des Kandidatenstatus ergibt sich zunächst, dass der Rat der Europäischen Union das antragstellende Land nicht nur politisch, sondern für das Beitrittsverfahren bindend als zum Kreis der antragsberechtigten Staaten gehörend ansieht. Damit verknüpft ist weiter die Einräumung konkreter Verfahrensrechte für den Beitrittskandidaten. Das ergibt sich aus dem rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Charakter des Verfahrens. Die zu erfüllenden Beitrittskriterien müssen tatbestandsähnlich schriftlich fixiert werden, zur Überprüfung ihrer Erfüllung müssen Beweislastregeln eingeführt werden, die ein faires Verfahren garantieren. Für das antragstellende Land liegt daher in der Verleihung des Kandidatenstatus der wesentliche Schritt vom politischen
436
In klaren Fällen kann die Kommission aufgrund ihrer rechtlichen Prüfungskompetenz den Mitgliedschaftsantrag unmittelbar zurückweisen, vgl. Antwort der Kommission zum Antrag Marokkos, EA 1987, Z 207. 437 438
Z. B. die Teilnahme an Programmen wie PHARE.
Rat der Europäischen Union (Übermittlungsvermerk), Dok. Nr. 11638/03 vom 1. Oktober 2003, Europäischer Rat (Thessaloniki), Tagung vom 19. und 20. Juni 2003, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, http://www.consilium. europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/76285.pdf, Schlussfolgerung 40.
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Bittsteller zum mit eigenen Rechten ausgestatteten Verfahrensbeteiligten. Nach der Verleihung des Kandidatenstatus ist der von Art. 49 EU vorgezeichnete nächste wesentliche Schritt die Einleitung von Beitrittsverhandlungen. Weitere wesentliche Schritte des von Art. 49 EU vorgezeichneten Verfahrens sind etwaige Unterbrechungen der Beitrittsverhandlungen im Fall eines Verstoßes gegen die Beitrittskriterien, sowie – schließlich – der Abschluss des Beitrittsvertrages. Im Einklang mit dem Telos des Art. 49 I 2 EU ist für alle diese wesentlichen Verfahrensschritte jeweils eine einstimmige Beschlussfassung im Rat erforderlich.
4. Zustimmung des Parlaments Weiter verlangt Art. 49 I 2 EU, dass der Rat erst nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließt. Die Beteiligung des Parlaments im Beitrittsverfahren wurde durch die Einheitliche Europäische Akte eingeführt439. Sie ist Ausdruck der wichtigen Rolle des Europäischen Parlaments für die demokratische Legitimation des gemeinschaftlichen Handelns, wie sie auch in der Beteiligung des Europäischen Parlaments am Gesetzgebungsprozess zum Ausdruck kommt440. Indem das Parlament dem Mitgliedsantrag zustimmen muss, kommt ihm im Beitrittsverfahren eine zentrale Rolle zu. Das Beitrittsverfahren, demokratisch von Unionsseite bereits legitimiert durch die Abhängigkeit aller wesentlichen Verfahrensschritte von einstimmigen Beschlüssen des Rats und damit der nationalen Ratsvertreter aller Mitgliedstaaten, kann nicht erfolgreich zum Abschluss gebracht werden ohne die zusätzliche, sich direkt auf die Unionsbürger stützende unmittelbare demokratische Legitimation im Wege der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Damit reflektiert sich im Beitrittsverfahren das erfolgreiche europarechtliche duale Legitimationsmodell, das über einen mitgliedstaatlichen Strang und einen direkt auf die Unionsbürger zurückführenden Strang verfügt441. 439
Unterzeichnet am 28. Februar 1986, in Kraft getreten am 1. Juli 1987, Amtsblatt EG Nr. L 169 vom 29.6.1987, S. 1. 440 441
Gerkrath, L’émergence d’un droit constitutionnel pour l’Europe, S. 330ff.
Zum dualen Legitimationsmodell, das eine Legitimation unionalen Handelns über den mitgliedstaatlichen, den unionalen oder beide Stränge erlaubt, siehe von Bogdandy, Das Leitbild der dualistischen Legitimation für die euro-
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Fraglich ist jedoch, ob sich die Zustimmung des Europäischen Parlaments, ebenso wie die Beschlussfassung durch den Rat, auf alle wesentlichen Schritte des Beitrittsverfahrens beziehen muss. Das würde die Rolle des Europäischen Parlaments im Beitrittsverfahren erheblich aufwerten, gleichzeitig jedoch auch das Verfahren wegen der Schwerfälligkeiten parlamentarischer Entscheidungsfindung442 teilweise deutlich verzögern. Ein Blick auf die Praxis zeigt, dass die Zustimmung des Parlaments erst nach Abschluss der Verhandlungen mit dem Beitrittskandidaten eingeholt wird, wenn die Beitrittsverträge ausgehandelt sind und bevor die letztverbindliche Beschlussfassung im Rat über die Annahme des Antrags stattfindet. Diese Rechtspraxis ist konsequent, denn in diesem Stadium gelingt es dem Parlament noch, Bedingungen an seine Zustimmung zu knüpfen. Das hat das Vorgehen des Parlaments im Fall des bulgarischen und rumänischen Beitritts gezeigt. Zudem ist es nicht sachlich erforderlich, das Europäische Parlament an jedem wesentlichen Verfahrensschritt zu beteiligen. Dadurch würde das Beitrittsverfahren unnötig gelähmt. Die Verneinung der Erforderlichkeit der Beteiligung des Parlaments stößt sich auf den ersten Blick in Anbetracht des Wortlauts von Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU mit der oben aufgestellten These, dass sich die einstimmige Beschlussfassung des Rats auf jeden verfahrenswesentlichen Schritt im Beitrittsverfahren bezieht. Der Wortlaut der Verfassungsnorm ist insoweit eindeutig, dass der Rat erst nach der Zustimmung des Parlaments beschließt. Dieser Widerspruch lässt sich jedoch durch eine funktionale Betrachtung der Rolle des Parlaments lösen. Ein Rekurs auf die Zustimmung des Parlaments vor jedem verfahrenswesentlichen Schritt würde das Beitrittsverfahren unnötig lähmen. Vielmehr darf der Rat im Beitrittsverfahren von der Zustimmung des Parlaments ausgehen, solange das Parlament dem Vorgehen des Rates nicht widerspricht. Der Wortlaut von Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU deckt noch diese Auslegung, nach der der Rat über alle verfahrenswesentlichen päische Verfassungsentwicklung. Gängige Missverständnisse des MaastrichtUrteils und deren Gründe, Kritische Vierteljahresschrift 2000, S. 284-297 (v. a. 293ff.); vgl. auch von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (175) und BVerfGE 89, 155 (184). 442
Zu den Schwerfälligkeiten parlamentarischer Entscheidungsfindung Wasner, Parlamentarische Entscheidungsfindung: Einblicke in das schwierige Geschäft der Mehrheitsbeschaffung.
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Schritte des Beitrittsverfahrens einstimmig beschießt, abschließend über den Beitrittsantrag jedoch erst nach der erteilten Zustimmung des Parlaments beschließt. Der zentralen Rolle des Europäischen Parlaments ist dann dahingehend Rechnung getragen, dass das Parlament befugt ist, seine Zustimmung zum Antrag am Ende des Beitrittsverfahrens abschließend zu erteilen. In den vorangehenden Verfahrensschritten ist eine Zustimmung des Parlaments nicht zwingend erforderlich. Sie kann durch die mutmaßliche Zustimmung des Parlaments ersetzt werden, um das Beitrittsverfahren nicht unnötig zu lähmen. Es ist jedoch zu beachten, dass das Parlament sich jederzeit zu laufenden Beitrittsverfahren äußern kann und eine Ablehnung durch das Parlament dann dahingehend verfahrenserheblich ist, dass der Rat etwaige Bedenken des Parlaments berücksichtigen muss. Auf diese Einflussmöglichkeit des Parlaments in laufenden Beitrittsverfahren soll nunmehr eingegangen werden.
a) Möglichkeit der Einflussnahme des Parlaments in laufenden Beitrittsverfahren Die Mitglieder des Europäischen Parlaments haben, wie sich aus Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU im Wege der Auslegung ergibt, die Möglichkeit, in allen Verfahrensschritten des Beitrittsverfahrens sowie in allgemeinen politischen Fragen Einfluss zu nehmen über ihre normalen parlamentarischen Befugnisse. Die verfassungsrechtliche Pflicht des Parlaments aus Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU, vor der letztverbindlichen Beschlussfassung im Rat über den geplanten Beschluss abzustimmen, kann daher nicht dahingehend verstanden werden, dass das Europäische Parlament auf diese einmalige Zustimmung reduziert wäre. Im Gegenteil kann das Parlament durch seine legitime verfassungsrechtliche Rolle im Beitrittsverfahren nach Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU bereits im Vorfeld zur Erweiterungspolitik des Rates, der Durchführung dieser Politik durch die Kommission und sogar in einzelne laufende Beitrittsverfahren eingreifen, beispielsweise im Wege der Entschließung. Von dieser Möglichkeit macht das Parlament regen Gebrauch, in der Regel durch seinen außenpolitischen Ausschuss. Der außenpolitische Ausschuss des Europäischen Parlaments (Committee on Foreign Affairs) erstellt Berichte (reports), die über die Webseite des Ausschusses
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
in aller Regel auch öffentlich zugänglich sind443 und über die sich das Parlament seine Einflussmöglichkeiten sichert. Diese Auslegung von Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU ist systematisch sinnvoll. Wenn sich im parlamentarischen Diskurs abzeichnet, dass eine parlamentarische Zustimmung zu einer bestimmten Erweiterungspolitik fehlt und die auf der Grundlage dieser Politik durchgeführten Beitrittsverfahren am konstitutiven Zustimmungserfordernis des Europäischen Parlaments scheitern würden, so muss dem Parlament jederzeit die Gelegenheit gegeben werden, auf diese Fehlentwicklung hinzuweisen und so auf ihre Änderung hinzuwirken. Auch ist es legitim, dass die Erweiterungsstrategie der Union im Parlament debattiert wird und das Parlament hierzu Stellung bezieht, wenn es ihm geboten erscheint. Das gebietet schon die Rolle des Demokratieprinzips für die Unionsrechtsordnung selbst.
b) Beispiel: Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung Ein eindrucksvolles Beispiel, in dem das Europäische Parlament Stellung bezogen hat zur Erweiterungsstrategie der Union ist seine Entschließung zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung444. Diese Entschließung des Europäischen Parlaments wurde in der Presse von einigen Kommentatoren dahingehend verstanden, dass das Parlament nunmehr eine erweiterungskritische, wenn nicht sogar der weiteren Erweiterung der Europäischen Union ablehnend gegenüber stehende Haltung bezogen habe. Die nähere Analyse der Entschließung zeigt, dass hiervon nicht die Rede sein kann, dass den Äußerungen des Parlaments jedoch wertvolle Hinweise auf seine Haltung im Erweiterungsprozess, die unterschiedliche Wertigkeit einzelner Beitrittskriterien und auf die Positionen, von denen die parlamentarische Zustimmung zu weiteren Erweiterungsrunde abhängt, entnommen werden können. Die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. März 2006 wurde dem Rat, der Kommission sowie den Parlamenten
443
Vgl. http://www.europarl.europa.eu/committees/afet_home_en.htm, Zugang zu den einzelnen Berichten nach Klick auf die entsprechende Legislaturperiode, dann nach Datum geordnet. 444
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung.
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und Regierungen der Mitgliedstaaten, der Beitrittskandidaten Türkei, Kroatien und Mazedonien übermittelt445. Anlass der Unterstellung, das Europäische Parlament nehme eine der fortgesetzten EU-Erweiterung ablehnende Haltung ein, könnte seine Auffassung gewesen sein, „ dass [...] das Vorhandensein von Aufnahmekapazitäten der Gemeinschaft eine der Bedingungen für den Beitritt neuer Länder bleiben wird“446 und „dass aufgrund der Sackgasse, in der sich der Ratifizierungsprozess der Verfassung derzeit befindet, die Europäische Union ihre Aufnahmekapazitäten nicht erhöhen kann“447. In diese Aussage ließe sich hineininterpretieren, dass das Parlament die Fortsetzung der Erweiterung der Europäischen Union von einer erfolgreichen Ratifizierung des Verfassungsvertrages abhängig machen wollte. Bei genauem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass das Parlament keine Aussage darüber trifft, wo die Grenze der Aufnahmekapazität der Europäischen Union derzeit liegt. Die Aufnahmekapazität als in den Kopenhagener Kriterien fixiertes Beitrittskriterium und als dem Unionsverfassungsrecht zugrunde liegendes Prinzip kann jedoch nur in Bezug auf einen konkret gestellten Mitgliedschaftsantrag unter Berücksichtigung der institutionellen Anpassungsfähigkeit der Unionsrechtsordnung und der finanziellen Leistungsfähigkeit der Union beurteilt werden. Dabei spricht einiges dafür, dass dasselbe rechtliche Kriterium sich für einen großen Beitrittskandidaten mit einem großen Agrarsektor, einer großen Bevölkerung und einer noch verhältnismäßig schwach entwickelten Wirtschaft – ein solcher Beitrittskandidat ist etwa die Türkei – zu einem Hindernis im Beitrittsverfahren entwickeln könnte, während es für bevölkerungsmäßig kleine Beitrittskandidaten mit einem der Union vergleichbaren 445
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 62. Zusätzlich fand eine Übermittlung an die Parlamente und Regierungen der in der Entschließung genannten Staaten Albanien und Bosnien-Herzegowina sowie an die provisorischen Institutionen der Selbstregierung und die UNMIK (UN-Mission zur Übergangsverwaltung) im Kosovo statt. 446
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 5. 447
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 6.
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Wohlstandsniveau – zu denken wäre in erster Linie an den Beitrittskandidaten Kroatien, aber auch an potenzielle Beitrittsgesuche etwa der Schweiz, Norwegens oder Islands – nur eine untergeordnete Relevanz entfalten könnte. Abgesehen vom Hinweis auf die Aufnahmekapazitäten der Union enthält die Entschließung des Europäischen Parlaments mehrere eindrucksvolle Bestätigungen des Verfassungsprinzips der Erweiterung im Allgemeinen und des europäischen Commitments gegenüber den Ländern des westlichen Balkans im Besonderen. So erinnert das Parlament daran, „dass das Ziel weiterhin die langfristige europäische Perspektive bleibt“448. Die teilweise als erweiterungskritisch eingeordnete Aufforderung des Parlaments an Kommission und Rat, Vorschläge für eine enge multilaterale Beziehung mit der EU unterhalb der Ebene der Mitgliedschaft zu erarbeiten, dient dazu, die europäische Perspektive „allen europäischen Ländern“ zu eröffnen, auch jenen, „die derzeit keine Aussicht auf Mitgliedschaft haben“449. Es soll sich dabei ausdrücklich um einen „Zwischenschritt hin zu einer Vollmitgliedschaft“450 handeln. Von einer Hinwendung des Parlaments zu dauerhaften privilegierten Partnerschaften mit europäischen Ländern oder ähnlichen Konzepten kann also keine Rede sein. Vielmehr wird allgemein das Prinzip der Erweiterung als grundlegendes Prinzip des Unionsrechts bestätigt. Die Mitgliedstaaten der Union werden aufgefordert, „ihre Verpflichtungen hinsichtlich des möglichen Beitritts der betreffenden Länder einzuhalten“451. In Bezug auf die Länder des westlichen Balkans geht das Parlament über diese allgemeine Bekräftigung deutlich hinaus. Es sieht den „künftige[n] Beitritt der Länder des westlichen Balkans als eine nächste Phase im Hinblick auf die Wiedervereinigung Europas nach dem Kalten 448
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 9. 449
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 10, S. 1. 450
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 10, S. 2. 451
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 13.
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Krieg“452 an und „unterstützt voll und ganz“ die auf dem europäischen Rat von Thessaloniki453 den Ländern des westlichen Balkans eingeräumte Beitrittsperspektive, indem es erwähnt, dass diese Länder „Teil der Europäischen Union sein werden, sobald sie die festgelegten Kriterien erfüllen“454. Zudem erkennt das Europäische Parlament die Bedeutung der Beitrittsperspektive für die friedliche demokratische Entwicklung der Länder dieser Region an. Es „vertritt die Ansicht, dass die europäische Integrationsstrategie, in deren Rahmen die EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt wird, der letztmögliche Anreiz455 ist, um zu erreichen, dass die Reformen durchgeführt werden, die zur Schaffung eines dauerhaften Friedens und lang anhaltender Stabilität“456 erforderlich sind. Die Bekräftigung der europäischen Perspektive der Länder des westlichen Balkan durch das Europäische Parlament könnte deutlicher nicht sein. Insofern muss von einer parlamentarischen Bestätigung der Erweiterungsstrategie in Bezug auf diese Länder ausgegangen werden. Darüber hinaus enthält die Entschließung des Parlaments konkrete Aussagen in Bezug auf das türkische457, das kroatische458 und das mazedoni452
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 46. 453
Rat der Europäischen Union (Übermittlungsvermerk), Dok. Nr. 11638/03 vom 1. Oktober 2003, Europäischer Rat (Thessaloniki), Tagung vom 19. und 20. Juni 2003, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, http://www.consiliu m.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/76285.pdf, Schlussfolgerung 40. 454
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 44. 455
In der englischen Fassung ist hier, sprachlich präziser und passender, von “ultimate incentive” die Rede. 456
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 45. 457
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 21-31. 458
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 32-38.
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sche Beitrittsverfahren459. Diese Aussagen sind zu Kroatien in Nr. 32 und 34 deutlich weniger kritisch als in Bezug auf die Türkei in Nr. 22, 24 und 30 der Entschließung. Abschließend bleibt zu betonen, dass das Parlament Wert auf die Einhaltung klar formulierter Beitrittskriterien und deren Überprüfung durch die hierzu verfahrensmäßig vorgesehenen europäischen Organe legt460. So fordert das Parlament in Nr. 14 der Entschließung, dass strenge Bedingungen (strict conditions) aufgestellt und diese rigoros umgesetzt und durchgesetzt werden. Das lässt sich nur in einem rechtlich geordneten und rechtsanwendenden Verfahren erreichen, das den Kern des notwendig Einzuhaltenden dem Ermessensspielraum des Politischen im Beitrittsverfahren entzieht. Damit stellt die Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung eine beachtliche Bestätigung der hier vorgetragenen These eines rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Beitrittsverfahrens dar. Auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht ist die Entschließung des Europäischen Parlaments bemerkenswert. So „billigt und unterstützt“ das Parlament „die Hervorhebung von fairen und strengen Bedingungen durch die Kommission“461. Durch die Formulierung, dass die Kommission „ [Verfahrensschritte] ausschließlich dann zulassen wird, wenn sie umfassend davon überzeugt ist“[, dass die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen,] kommt zum Ausdruck, dass das Parlament – im Einklang mit der sogleich unten skizzierten Rolle der Kommission im Erweiterungsverfahren – dieser die Sachverhaltsermittlungs- und Evaluationskompetenz zuerkennt.
459
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 39-43. 460 461
Siehe vor allem Nr. 4, 12, 14 der Entschließung.
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 4, Hervorhebungen vom Verfasser.
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c) Beispiel: Forderung des auswärtigen Ausschusses des Parlaments zur sofortigen Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien vom 17. März 2005 Das kroatische Beitrittsverfahren zeigt, dass das Europäische Parlament von seiner Kompetenz, sich zu laufenden Beitrittsverfahren zu äußern, auch dann Gebrauch macht, wenn es Fehlentwicklungen anprangern will, die es nicht verhindern kann. So verlangt Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU, dass verfahrensrelevante Ratsbeschlüsse einstimmig gefasst werden. Bei der Beschlussfassung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien am 16. März 2005 mangelte es gerade an der erforderlichen Einstimmigkeit. Der erforderliche Beschluss konnte somit nicht gefasst werden462; auf eine stillschweigende parlamentarische Zustimmung kam es mithin nicht an. Der außenpolitische Ausschuss des Europäischen Parlaments initiierte bereits am Folgetag, dem 17. März 2005 (einem Ostermontag!) einen Brief an den Rat, in dem das Parlament den sofortigen Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien fordert463. Dieser Brief wurde von einer überwältigenden Mehrheit der Parlamentarier unterstützt. Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten schlägt darin vor, die Verhandlungen ohne weitere Verzögerungen zu beginnen und sie gegebenenfalls auszusetzen, sofern sich tatsächlich Beweise dafür finden sollten, dass die Republik Kroatien nicht vollständig mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal kooperiere. Vermutlich aufgrund der fehlenden Verfahrensrelevanz fand dieser Brief in der Presse jedoch kaum Beachtung464, obwohl ein Einschwenken auf die Forderungen des Europäischen Parlaments die Krise im kroatischen Beitrittsverfahren zu 462
Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 6969/05 (Presse 44) vom 16. März 2005, 2649. Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“, S. 9. 463
Europäisches Parlament, Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (European Parliament Foreign Affairs Committee), Dok. Nr. EP05-031EN vom 17. März 2005. Vgl. hierzu auch die Pressemeldung auf der „European Union @ United Nations“-Webseite unter http://www.europa-eu-un.org/articles/en/arti cle_4483_en. htm sowie die Pressemeldung vom Ausschussvorsitzenden Elmar Brok auf http://www.elmarbrok.de/en/press/pr/2005/20050316kroatien_en. shtml. 464
Lediglich Roggemann, Kroatien und die EU – Südosteuropapolitik auf Eis?, Berichte aus und über Osteuropa (BOI) 2005, Bd. 22, S. 52-61 (59) erwähnt den Brief unter Hinweis auf die realitätsnähere Haltung des Europäischen Parlaments.
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verhindern geholfen hätte. Die Existenz der brieflichen Äußerung der Parlamentarier zeigt jedoch, dass das Europäischen Parlament laufende Beitrittsverfahren aktiv begleitet und die ihm verfassungsrechtlich zugebilligten Rechte durchaus wahrnimmt.
5. Anhörung der Kommission Schließlich verlangt Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU, dass die Beschlussfassung des Rates erst nach Anhörung der Kommission erfolgt. Der Unterschied in der Formulierung zwischen der Zustimmung des Europäischen Parlaments und der lediglich erforderlichen Anhörung der Kommission macht deutlich, dass der Rat in seiner Beschlussfassung nicht an die Stellungnahme der Kommission gebunden ist. Fraglich ist daher zunächst, weshalb Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU trotzdem verbindlich die Anhörung der Kommission vorschreibt. Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Blick auf die Funktionen der am Beitrittsverfahren beteiligten Unionsorgane hilfreich. So zählt es zu den Aufgaben der Kommission nach Art. 211 EG, für die Anwendung des Vertrages sowie der von den Organen aufgrund des Vertrages getroffenen Bestimmungen Sorge zu tragen465. Sie hat außerdem die Aufgabe, Empfehlungen und Stellungnahmen abzugeben, und zwar sowohl, wenn diese Empfehlungen und Stellungnahmen im Vertrag vorgesehen sind, als auch, wenn sie es sonst für notwendig erachtet466. Aufgrund dieses konstitutiven Elements des Art. 211 EG wird die Kommission auch als „Motor der Integration“ bezeichnet467. Obwohl Empfehlungen und Stellungnahmen gem. Art. 249 EG nicht verbindlich sind, kommt ihnen für die Bildung eines politischen Grundkonsenses, für die Sachverhaltsermittlung und für die Artikulation des Gemeinschaftsinteres-
465
Art. 211 erster Spiegelstrich EG. Siehe hierzu Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 211 EG, Rn. 4. 466
Art. 211 zweiter Spiegelstrich EG. Jorna in: Schwarze (Hrsg.), EUKommentar, Art. 211 Rn. 23; Hummer in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), EUKommentar, 1999, Art. 155 Rn. 38, 50; Geiger, EUV/EGV-Kommentar, Art. 155 Rn. 9. 467
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 211 EG, Rn. 34-36.
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ses, entsprechend der Rolle der Kommission als Sprecherin der Gemeinschaft468, eine entscheidende Rolle zu469. Die Kommission ist das Organ im Organgefüge der Europäischen Union, das am Ehesten Aufgaben der Überwachung und der Sachverhaltsanalyse wahrnehmen kann. Ihr Initiativmonopol im Regelungsbereich des Gemeinschaftsrechts, ein Kernstück des institutionellen Gleichgewichts der Unionsorgane, sichert die Berücksichtigung des Unionsinteresses ab. Aus ihm folgt aber auch, dass die Kommission nicht nur zur Evaluierung am besten geeignet ist, sondern sogar im Gemeinschaftsrecht dafür zuständig ist, die Konsensfähigkeit von Verhandlungspositionen mit dem Bewerberstaat auszuloten, eine Annäherung der Standpunkte herbeizuführen und gegenüber dem Bewerberstaat die Rolle des Informationsvermittlers zu übernehmen470. Zu diesen Aufgaben eignet sich schon aufgrund seiner Größe und der Art und Weise parlamentarischer Entscheidungsfindung kaum das Europäische Parlament. Auch der Rat ist für eine längerfristige Überwachung und eine breiter angelegte Sachverhaltsanalyse weniger geeignet, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Rat gemäß Art. 203 I EG zusammengesetzt ist aus Vertretern der Mitgliedstaaten, die für ihre respektiven Regierungen verbindlich handeln. Macht man sich zudem klar, dass der Ratsvorsitz nach Art. 203 II EG alle sechs Monate zu einem anderen Mitgliedstaat wechselt und dass jede Ratspräsidentschaft eine eigene Agenda festlegt und während dieser Zeit auch eigene Interessen verfolgt, so wird deutlich, weshalb der Rat für ein mehrjähriges Beitrittsverfahren nicht der Ort ist, wo die Aufgaben der Sachverhaltsanalyse, der Überwachung und der Informationsvermittlung privilegiert wahrgenommen werden sollten. Diese institutionelle Aufgabenverteilung übersehen einige Vertreter in der Literatur, nach denen die 468
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 211 EG, Rn. 105. 469
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 211 EG, Rn. 35. 470
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 97, für den Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands 1995 so ausdrücklich Jorna, The Accession Negotiations with Austria, Sweden, Finland and Norway: A Guided Tour, European Law Review 1995, S. 131-158 (133).
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Kommission in Beitrittsverhandlungen ausschließlich aufgrund eines Mandats des Rats tätig wird471. Die Verhandlungsführerschaft der Kommission ergibt sich aus ihrer Rolle im Institutionengefüge der Union in Verbindung mit ihrer Verankerung in Art. 49 I 2, 2. Halbsatz EU, wonach der Rat verfahrenserhebliche Beschlüsse im Beitrittsverfahren erst nach Anhörung der Kommission fällen darf. Im Ergebnis bleibt also festzustellen, dass die Kommission im Organgefüge der Europäischen Union jenes Organ ist, das am Effektivsten über die personellen und organischen Ressourcen verfügt, um sich der Aufgaben der Überprüfung der Kriterien der Beitrittsfähigkeit eines Landes anzunehmen. Dementsprechend ist die Kommission im Beitrittsprozess auch mit diesen Aufgaben betraut, wie sich aus der aus Art. 49 I 2 EU („nach Anhörung der Kommission“) abgeleiteten Analyse ergibt. Damit prüft die Kommission die rechtlich fixierten Beitrittsanforderungen des Art. 49 EU aufgrund eines ihr von Art. 49 I 2 EU erteilten Verfassungsauftrags und nicht etwa im Auftrag des Rats472. Die Kommission fasst ihre Ergebnisse in einer (gegebenenfalls vorläufigen) Stellungnahme zusammen, die sie dem Rat als Datengrundlage für seine Beschlussfassung zur Verfügung stellt. Lediglich soweit die Kommission Beitrittskriterien prüft, die über die verfassungsrechtlich verankerten Kriterien eines Beitritts zur Union hinausgehen, und deren Stellung und Überprüfung daher im politischen Ermessen des Rats ste-
471
So etwa Cremer in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 49 EU, Rn. 2; a. A. zutreffend Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 95, 96, der darauf hinweist, dass in einem einheitlichen Verfahren durch die Gemeinschaften verhandelt wird und dabei die Verhandlungen vom Rat auf Vorschlag der Kommission geführt werden, während die Kommission teilweise die Konsensfähigkeit bestimmter Positionen und kleinere Fragen auch direkt mit den Beitrittsbewerbern klärt. Lediglich hinsichtlich der GASP und ZBJI liegt das Initiativrecht primär beim Ratsvorsitz. Siehe auch zum österreichischen Beitrittsverfahren Rack/ RennerLoquenz, Die Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der EU, Österreichisches Jahrbuch für Internationale Politik 1993, Bd. 10, S. 116. 472
So aber scheinbar – und widersprüchlich zu seinen späteren Äußerungen in Rn. 95 und 96 – Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 88.
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hen, muss die Kommission durch den Rat mandatiert werden473. Über die von der Kommission bemängelte Nichterfüllung dieser Kriterien kann sich der Rat bei seiner Beschlussfassung über den Mitgliedschaftsantrag im Rahmen seines politischen Ermessens aber hinwegsetzen, wie etwa der Beschluss des Rats zur Aufnahme Griechenlands trotz der von der Kommission geäußerten Bedenken in Bezug auf die Erfüllung ungeschriebener wirtschaftlicher Beitrittskriterien zeigt474. Auch hier hat der Rat der Kommission die Sachverhaltsermittlungskompetenz jedoch nicht abgesprochen, sondern sich lediglich im Rahmen seines politischen Ermessens über ihre Einschätzung hinweggesetzt. Der Rat ist somit vor seiner Beschlussfassung dazu verpflichtet, die Kommission anzuhören, um sich überhaupt erst eine geeignete Datengrundlage für seine Beschlussfassung verschaffen zu können. Er ist an ihre Stellungnahme nicht gebunden, soweit ihm eigenes Ermessen durch Art. 49 I 2 EU eingeräumt wird, muss aber die tatsächlichen Grundlagen der Stellungnahme der Kommission berücksichtigen. Nur die Kommission kann nämlich den Standpunkt und das Interesse der Union institutionell adäquat evaluieren475. Diese Funktion wird abgesichert durch das unions- und gemeinschaftsrechtliche Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung, das in seiner neueren Ausprägung wesentlich dem Schutz und der Förderung der spezifischen Aufgaben der unter-
473
In der Praxis wurde daher die Kommission auch nicht vom Rat mit der Verhandlungsführung mandatiert, sondern lediglich gebeten, Vorschläge zu erarbeiten. Lediglich für den Bereich der GASP und der ZIJB unterscheidet sich diese Vorgehensweise; hier erarbeitet die Ratspräsidentschaft in enger Zusammenarbeit mit Rat und Kommission die Vorschläge. Zu dieser Vorgehensweise in den Beitrittsverhandlungen der Norderweiterung Jorna, The Accession Negotiations with Austria, Sweden, Finland and Norway: A Guided Tour, European Law Review 1995, S. 131-158 (132). 474
Hierzu Janz, Die Geschichte der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität Europas, S. 80-111 (105) mit Sorgen in Bezug auf die institutionellen Risiken der damaligen Erweiterung, die der heutigen Erweiterungsdebatte aufs Haar gleichen. Ausführlich zu den wirtschaftlichen Bedenken Alexopoulos, Wirtschafts- und wettbewerbspolitische Probleme des griechischen EG-Beitritts, S. 197-212. 475
Das erkennt auch Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 88, der hieraus jedoch nicht die erforderlichen Schlüsse zieht.
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schiedlichen Organe im politischen Prozess der Union dient476. Dass der Rat dann an die Stellungnahme der Kommission nicht gebunden ist, entspricht der Tatsache, dass es sich bei der Beschlussfassung über die Annahme oder Ablehnung eines Antrags letztlich um eine politisch zu fällende Entscheidung handelt, die den hierzu demokratisch legitimierten Organen, also dem Rat und dem Europäischen Parlament, obliegt. Aus der Analyse der Funktion der Kommission im Beitrittsverfahren ergibt sich zwangsläufig die Antwort auf die Frage, ob die Kommission lediglich, wie das Parlament, zum Abschluss des Verfahrens angehört werden muss oder ob eine Pflicht besteht, die Kommission vor jedem wesentlichen Verfahrensschritt anzuhören. Wenn die Kommission die unentbehrliche Aufgabe hat, die Datengrundlage für die Beschlüsse in den verschiedenen verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahrensschritten zu ermitteln, muss der Rat folglich vor jeder verfahrenserheblichen Beschlussfassung die Kommission konsultieren. Zwar ist er an die jeweilige Stellungnahme der Kommission auch bei einzelnen Beschlüssen nicht gebunden, doch ermittelt nur die Kommission im Rahmen ihrer unionsrechtlichen Kompetenzen die unionsrechtlich verbindliche Datengrundlage für die Beschlussfassung des Rates. Die hervorgehobene Rolle der Kommission, wie sie sich aus dem institutionellen Gleichgewicht der Unionsorgane und der Aufgabenverteilung nach Art. 49 EU ergibt, wird in der Praxis auch anerkannt. Die tatsächlichen Beitrittsverfahren werden seit der ersten Erweiterung – mit einem anfänglichen Versuch einer Verhandlungsführung durch die Mitgliedstaaten – auf Vorschlag der Kommission geführt477. Das Europäische Parlament geht in seiner bereits angesprochenen Entschließung zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung vom 16. März 2006 auf die Rolle der Kommission im Beitrittsverfahren ein. In Nr. 4 der Entschließung „billigt und unterstützt“ das Parlament „die Hervorhebung von fairen und strengen Bedingungen durch die Kommission, wozu die Kommission klare und objektive Bedingungen für jede Phase des Beitrittsprozesses stellen und eine Fortsetzung der Verhandlungen ausschließlich dann zulassen wird, wenn sie umfassend davon überzeugt ist, dass die einschlägigen Bedingungen erfüllt wur-
476
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (170). 477
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 94-96.
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den“478. Hieraus lassen sich mehrere wichtige Schlüsse ziehen. Zunächst besagt die Hervorhebung durch die Kommission, dass die fairen und strengen Bedingungen des Beitritts bereits in der Unionsrechtsordnung existieren. Der Kommission kommt zunächst die Rolle zu, sie im konkreten Beitrittsverfahren gegenüber verschiedenen möglichen Beitrittskandidaten hervorzuheben und ihre Anwendung zu präzisieren. Darüber hinaus besagt die Abhängigmachung der Fortsetzung der Verhandlungen von der Überzeugung der Kommission, dass die Bedingungen erfüllt wurden, dass der Kommission, wie oben dargelegt, die Durchführungs- und Evaluierungskompetenz für das Beitrittsverfahren zukommt. Der Rat hat diese Kompetenz gerade nicht, sondern muss auf die Evaluierungskompetenz der Kommission bei der Sachverhaltsermittlung vertrauen. Es verstieße also gegen das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren, wenn der Rat vor einer für dieses Beitrittsverfahren relevanten Beschlussfassung nicht die Kommission anhörte und seinen Beschluss auf eine nicht von der Kommission erhobene Datengrundlage stützte.
6. Abkommen in Bezug auf Aufnahmebedingungen und Ratifikation durch die Vertragsstaaten Sodann legt Art. 49 II 1 EU fest, dass „[d]ie Aufnahmebedingungen und die durch eine Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge, auf denen die Union beruht, [...] durch ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat geregelt“ werden. Damit drückt die Norm eine völkerrechtliche Selbstverständlichkeit aus, von der das unionsrechtliche Beitrittsverfahren nicht abweicht. Ebenso stellt die von Art. 49 II 2 EU geforderte Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften eine Üblichkeit des Völkerrechts dar479. Zwar kann, wie etwa Art. 110 III der Charta der Vereinten Nationen zeigt, ein völkerrechtlicher Vertrag bereits in Kraft treten, ohne dass alle Unterzeichnerstaaten bereits nach Maßgabe ihres Verfassungsrechts ratifiziert hätten. Dass 478
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 4, Hervorhebungen vom Verfasser. 479
Cremer in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 49 EU, Rn. 3; Streinz, Europarecht, Rn. 95.
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das Unionsrecht die Ratifikation durch alle Vertragsstaaten verlangt, verdeutlicht vor diesem Hintergrund die Tiefe des eingegangenen Unionsverhältnisses im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft, an die kein Mitgliedstaat im Bezug zu einem anderen Staat gebunden werden soll, ohne dass die hierzu nach dem innerstaatlichen Verfassungsrecht berufenen Organe diese Bindung ratifiziert hätten. Beide Voraussetzungen, Abkommen und Ratifikationserfordernis, machen deutlich, dass sich das unionsrechtliche Beitrittsverfahren noch nicht von seiner völkerrechtlichen Genese abgewendet hat, sondern sich, obschon durchaus mit eigenen Verfahrensvorschriften und inhaltlichen Kriterien ausgestattet, formal in den Grenzen des Völkerrechts bewegt. Diese Einsicht hat rechtliche Folgen. So erlangen sowohl über den Abschluss des völkerrechtlichen Beitrittsvertrags als auch über dessen Ratifizierung die Mitgliedstaaten nochmals eigenständige Positionen im Beitrittsverfahren, mit denen sie völkerrechtlich den Beitritt eines Landes zur Europäischen Union wirksam unterbinden können. Denkbar ist dabei zunächst die Konstellation, dass ein Mitgliedstaat, dessen Ratsvertreter dem Beitritt zugestimmt hat, den Abschluss des Beitrittsvertrages verweigert. Das ist theoretisch möglich, aber nicht in der Praxis wahrscheinlich. Es würde bedeuten, dass zwischen der Zustimmung im Rat und dem Abschluss des Beitrittsvertrages ein politischer Sinneswandel in der Regierung des betroffenen Mitgliedstaats stattgefunden haben müsste. Ein solches Verhalten verstöße in jedem Fall gegen den Grundsatz des unionsfreundlichen Verhaltens aus Art. 10 EG480. Der einstimmige Aufnahmebeschluss des Rates und der Abschluss des Beitrittsvertrags durch die Regierungen der Mitgliedstaaten und des Beitrittslandes sind unmittelbar aufeinander folgende Verfahrensschritte. In aller Regel ist daher zu erwarten, dass ein Mitgliedstaat, dessen Regierung erhebliche Bedenken gegen den Abschluss des Beitrittsvertrages hätte, bereits bei der Beschlussfassung im Rat über ihren Ratsvertreter das Zustandekommen eines einstimmigen Aufnahmebeschlusses verhindern würde. In der Praxis relevant werden könnte hingegen, dass nach erfolgtem einstimmigem Ratsbeschluss und Abschluss des Beitrittsvertrags der von Art. 49 II 2 EU vorgesehene Ratifikationsprozess gemäß den verfassungsrechtlichen Vorschriften der Vertragsstaaten scheitert. Eine denkbare Konstellation, die bereits in der politischen Diskussion be480
Hierzu Kahl in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 10 EG, Rn. 24ff.
Formelle Vorgaben der Verfassung an das Beitrittsverfahren
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fürchtet wird ist etwa, dass ein Beitritt der Türkei zur Union an einem möglichen Referendum über den Beitrittsvertrag in einem der Mitgliedstaaten scheitern könnte481. Es wäre eine Überlegung wert zu fragen, ob Mitgliedstaaten, die über eine Wahlmöglichkeit zwischen parlamentarischer Ratifikation und Ratifikation durch Referendum verfügen, gegen den Grundsatz des unionsfreundlichen Verhaltens verstoßen, wenn sie ein Ratifikationsreferendum durchführen, das zu einem Scheitern der Ratifikation des Beitrittsvertrages führt. Eine solche Position ginge jedoch zu weit. Die Verfassungen einiger Mitgliedstaaten ermöglichen – teilweise fakultative – Referenden gerade, um besonders heikle verfassungsrechtliche Fragen dem Souverän unmittelbar zur Entscheidung vorlegen zu können. Verläuft das Referendum erfolgreich, so handelt es sich dabei um eine „gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften“ zustande gekommene Ratifikation im Sinn des Art. 49 II 2 EU. Dementsprechend trägt die europäische Verfassung den unterschiedlichen Ausgestaltungen der Demokratie in den EU-Mitgliedstaaten Rechnung und respektiert sowohl Demokratiemodelle mit starken plebiszitären Elementen482 als auch Demokratiemodelle, die plebiszitäre Elemente weitgehend zurückdrängen483. Folglich führt das Scheitern des Ratifikationsprozesses in einem Mitgliedstaat dazu, dass der Beitritt nicht vollzogen werden kann.
481
Konkrete Befürchtungen bestehen insbesondere bezüglich der Revision der französischen Verfassung, die ein Referendum über weitere Beitrittsverträge vorsieht. Die französische Bevölkerung steht einem türkischen EU-Beitritt besonders ablehnend gegenüber. 482
Ein Beispiel für ein Demokratiemodell mit starken plebiszitären Elementen ist jenes der Republik Irland, das Verfassungsänderung stets von einem positiven Referendum abhängig macht. 483
Ein Beispiel für ein Demokratiemodell, das plebiszitäre Elemente weitgehend zurückdrängt, ist die Bundesrepublik Deutschland, siehe hierzu Jarass in: Jarass/ Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 20 GG, Rn. 7 mit weiteren Nachweisen.
150
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
7. Kurzdarstellung der verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahrensschritte Zusammenfassend lassen sich die von Art. 49 EU vorgesehenen verfahrensrelevanten Schritte des Beitrittsverfahrens in ihrer zeitlichen Abfolge tabellarisch darstellen484. Verfahrensschritt
Normative Verortung
Stellung eines Antrags auf Mitgliedschaft durch den Art. 49 I 1 EU Bewerberstaat Stellungnahme der Kommission zum Beitrittsge- Art. 49 I 2 EU485 such und Empfehlung zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen Ratsbeschluss zur Eröffnung von Beitrittsverhand- Art. 49 I 2 EU486 lungen Abschluss der Beitrittsverhandlungen (Beitrittsver- Art. 49 II 1 EU trag) Zustimmung des Europäischen Parlaments
Art. 49 I 2 EU
Stellungnahme der Kommission
Art. 49 I 2 EU
Unterzeichnung des Beitrittsvertrags durch die Re- Art. 49 II 1 EU gierungen der Mitgliedstaaten und des Beitrittsstaats Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren Art. 49 II 2 EU verfassungsrechtlichen Vorschriften Beitritt
Art. 49 EU
484
Die tabellarische Darstellung lehnt sich an an die von Hoffmeister, Changing Requirements for Membership, in: Ott/ Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, S. 90-102 (101) dargestellten Schritte des Beitrittsprozesses der Norderweiterung. Sie weicht jedoch inhaltlich von dieser Darstellung ab und behandelt ausschließlich die verfassungsrechtlichen Vorgaben, nicht jedoch die von Hoffmeister dargestellten tatsächlichen Vorgänge. 485
Hoffmeister, Changing Requirements for Membership, in: Ott/ Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, S. 90-102 (101) geht insoweit abweichend von der hier vertretenen Ansicht von einer impliziten normativen Verortung in Art. 49 II 1 EU aus, die der Verfasser nicht nachvollziehen kann. 486
Hoffmeister, Changing Requirements for Membership, in: Ott/ Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, S. 90-102 (101) spricht hier von einer mitgliedstaatlichen Entscheidung zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen und zieht erneut die nicht nachvollziehbare Rechtsgrundlage des Art. 49 II 1 EU heran. Der Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ist jedoch ein einstimmiger Ratsbeschluss.
Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens
151
VI. Die politische Ausgestaltung der inhaltlichen Vorgaben der Verfassung: Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens Während der Kriterienkatalog, an dem im Zuge der Süderweiterung Spanien, aber auch Portugal und Griechenland gemessen wurden, im Wesentlichen – trotz deutlicher Parallelen des zeitgleich erfolgten spanischen und des portugiesischen Beitrittsprozesses – in bilateralen Verhandlungen übermittelt wurde, hat der Europäische Rat in Kopenhagen im Juni 1993 für künftige Erweiterungen der Union einen Kriterienkatalog erlassen487, anhand dessen die Beitrittsfähigkeit der Kandidatenstaaten ermittelt werden soll. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Süderweiterung nicht im Licht der oben dargestellten verfassungsrechtlichen Kriterien stattgefunden hätte. So hat der Europäische Rat von Kopenhagen bereits im April 1978 betont, dass die Aufrechterhaltung einer parlamentarischen Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte essentielle Komponenten der Zugehörigkeit der Mitgliedstaaten zu den Europäischen Gemeinschaften sind488. Das Parlament hat diese Festlegung eindrucksvoll unterstrichen und als Beitrittskriterium formuliert489. Es verfolgt die Durchsetzung der Beitrittskriterien konsequent weiter. So hat das EP zuletzt in Nr. 12 seiner Entschließung vom 16. März 2006 betont, dass „a wholehearted commitment to the fundamental principles“ wesentlich für den Erweiterungsprozess sei490. Dementsprechend beharrte die Kommission sowohl im Fall Mattheus / Doego491 als auch in ihrer Stellungnahme zum griechischen Beitrittsge-
487
Europäischer Rat, SN 180/1/93, Europäischer Rat Kopenhagen, 21.-22. Juni 1993, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, v.a. Gliederungspunkt 7. A. iii (S. 12 ff.); abgedruckt z.B. in Europa-Archiv 1993, D 258 ff. 488
Europäischer Rat, Declaration of 7/8 April 1978, OJ 1978 C 103, S. 1.
489
Europäisches Parlament, Resolution of 18 January 1979, OJ 1979 C 39, S. 47 ff. 490
Europäisches Parlament, P6_TA-PROV(2006)0096 vom 16. März 2006, Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung, Nr. 12. 491
EuGH, Rs. 93/78 vom 22. November 1978, Lothar Matteus / Doego Fruchtimport, Slg. 1978, S. 2203 (v.a. die Darstellung der Ansicht der Kommission auf S. 2208).
152
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
such492 darauf, dass eine pluralistische Demokratie und der Schutz der Menschenrechte Beitrittsbedingungen seien. Die gleiche Aussage findet sich auch in der Stellungnahme der Kommission zu den spanischen und portugiesischen Beitrittsgesuchen493. Es zeigt sich, dass die so genannten „Kopenhagener Kriterien“ von 1993 sich auf Vorläufer in vorangegangenen Beitrittsrunden stützen können.
1. Rechtliche oder politische Bindungswirkung der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates Die Kopenhagener Kriterien sind Beitrittskriterien, mit denen der komplexe Beitrittsprozess einer überaus heterogenen Kandidatengruppe nach gewissen Gesichtspunkten geleitet wird. Sie wurden als „Schlussfolgerungen“ des Europäischen Rates von Kopenhagen schriftlich fixiert. Die Rechtsnatur solcher Schlussfolgerungen ist noch nicht abschließend geklärt494. Nach einer traditionellen Ansicht kann, anders als nach Art. 9 I 2, zweiter Spiegelstrich EU in der Fassung des Vertrags von Lissabon im zur Zeit geltenden Unionsrecht der Europäische Rat nicht als ein Organ der Union klassifiziert werden, da die Union nicht über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfüge495. Auch sei der Europäische Rat kein Organ der Europäischen Gemeinschaft noch handele er im Rahmen der gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahren496. Somit könne der Rat der Europäischen Union kein verbindliches Gemeinschaftsrecht schaffen. 492 493
Europäische Kommission, Opinion of 23 May 1979, OJ 1979 L 291, S. 3. Europäische Kommission, Opinion of 31 May 1985, OJ 1985, L 302, S. 3.
494
Bruha/ Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, S. 477-502 (485). 495
Everling, Reflections on the Structure of the European Union, 29 Common Market Law Review (1992), S. 1053-1077 (1061); von Simson/ Schwarze, Europäische Integration und Grundgesetz. Maastricht und die Folgen für das deutsche Verfassungsrecht, S. 43; a. A. Ress, Die Europäische Union und die neue juristische Qualität der Beziehungen zu den Europäischen Gemeinschaften, JuS 1992, S. 985-991 (986), der dies – für den Verfasser nicht nachvollziehbar – aus der Errichtung einer systematischen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten folgert. 496
Bruha/ Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, S. 477-502 (485) mit umfangreichen Nachweisen in Fn. 35.
Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens
153
Folgte man dieser Ansicht, so wären die Beschlüsse und Schlussfolgerungen des Europäischen Rates nicht gemeinschaftsrechtlicher oder unionsrechtlicher, sondern völkerrechtlicher Natur. Im Einzelfall könnten sie als völkerrechtliche Vereinbarungen gedeutet werden – die dann allerdings durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden müssten497. Eine Ratifizierung der Kopenhagener Kriterien durch die mitgliedstaatlichen Parlamente ist jedoch nicht erfolgt. Diese traditionelle Ansicht erscheint jedoch überholt: Sie stützt sich in erster Linie auf die angeblich fehlende Rechtspersönlichkeit der Union, gegen die mit überzeugenden Argumenten schon früh gestritten wurde498. Im Amsterdamer Vertrag sowie im Vertrag von Nizza haben sich zudem die Indizien für eine interne und internationale Rechtspersönlichkeit verdichtet499. Die Europäische Union ist nämlich in der Lage, einen eigenen, vom Willen der Mitgliedstaaten verschiedenen Willen bilden zu können. Das zeigt sich etwa bei der Ausweitung des Raumes für Mehrheitsbeschlüsse in Art. 23 II EU und in Art. 24 III EU, bei der Abschaffung des positiven Einstimmigkeitserfordernisses in Titel V und VI (vgl. Art. 23 I EU und Art. 41 I EU) sowie bei der Einräumung eines gegenüber den Mitgliedstaaten gleichrangigen Initiativrechts für die Kommission durch Art. 34 II 2 EU. Intern ist die Union in der Lage, ihre Mitgliedstaaten zu binden, wie etwa die unmittelbar ohne Umsetzungsakt bindenden Beschlüsse und Rahmenbeschlüsse nach Art. 34 II b) und c) EU oder die Verbindlichkeit der gemeinsamen Aktionen im Rahmen der GASP auf der Grundlage von Art. 14 III EU zeigt. Auch zeigt ein Blick auf das Suspendierungsverfahren des Art. 7 EU, dass die hier vorgenommenen Regelungen leichter verständlich sind,
497
Bruha/ Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, S. 477-502 (485); Bleckmann, Europarecht, S. 38, Rn. 70. Vgl. hierzu auch BVerfGE 89, 155 (175 ff., 196, 209). 498
Siehe nur von Bogdandy, The legal case for unity: the European Union as a single organization with a single legal system, 36 CMLR 5 (1999), S. 887-910. 499
Die nachfolgenden Überlegungen basieren auf Thym, Die völkerrechtlichen Verträge der Europäischen Union, ZaöRV 2006, Bd. 66, Ausg. 4, S. 863925 und Wichard in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 1 EG, Rn. 9-15.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
wenn man davon ausgeht, dass die Union ein von ihren Mitgliedstaaten verschiedenes Rechtssubjekt ist500. Im Außenverhältnis verleiht Art. 24 EU dem Rat die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge im Bereich der Zusammenarbeit in den Bereichen Polizei und Justiz sowie in der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik. Daniel Thym hat aufgrund einer beeindruckenden Analyse der Vertragsschlusspraxis gezeigt, dass – anders als noch 2004 bei der Vereinbarung zur Verwaltung der Stadt Mostar, in der als Vertragspartner die „Member States of the European Union acting within the Framework of the Union“ auftraten501, mittlerweile die Europäische Union selbst als vertragsschließende Partei auftritt und von den Vertragspartnern als solche akzeptiert wird502. Diese Praxis kann die textlich immer noch nicht eindeutige Rechtslage nicht ändern, sie liefert aber ein kräftiges Indiz dafür, dass die relevanten Akteure mittlerweile von einer Rechtspersönlichkeit der Union ausgehen. Dieser Ansicht ist zu folgen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob hieraus Konsequenzen für die konkrete Problemstellung der rechtlichen Wirkung von Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zu ziehen sind. Der Europäische Rat wird durch Art. 4 EU als ein Unionsorgan geschaffen503. Art. 5 EU, der festlegt, wie die Organe der Union ihre Befugnisse ausüben, spricht jedoch nur das Europäische Parlament, den Rat, die Kommission, den Gerichtshof und den Rechnungshof an. Für den Europäischen Rat fehlt es im gesamten Verfassungsrecht an der Festlegung eines Beschlussfassungsmechanismus. Wie Art. 4 I EU zeigt, gibt der Europäische Rat „der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für diese Entwicklung fest“. Die dem Europäischen Rat zugewiesenen Aufgaben sind also nur politischer oder grundsätzlicher Natur.
500
Hierzu später ausführlich in Teil D. der Arbeit.
501
Thym, Die völkerrechtlichen Verträge der Europäischen Union, ZaöRV 2006, Bd. 66, Ausg. 4, S. 863-925 (865). 502
Thym, Die völkerrechtlichen Verträge der Europäischen Union, ZaöRV 2006, Bd. 66, Ausg. 4, S. 863-925 (877-899). 503
So Wichard in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 4 EU, Rn. 10; Curtin/ Dekker, in: Craig/ Burca (Hrsg.), The Evolution of EU Law, S. 83 (98).
Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens
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Bezüglich Schlussfolgerungen des Rates sieht das europäische Verfassungsrecht folglich auch keine Überprüfbarkeit in rechtlicher Hinsicht vor, und zwar weder im Sinne einer gerichtlichen Überprüfbarkeit noch im Sinne einer Absicherung durch die „checks and balances“ des institutionellen Gleichgewichts der Unionsorgane. Vor dem Hintergrund, dass die Europäische Union eine Rechtsgemeinschaft ist, wäre es daher geradezu unerträglich, den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates eine rechtliche Bindungswirkung zuzubilligen. Ginge man diesen Weg, so errichtete man sich ein quasi-diktatorisches Gremium, dessen Macht nicht durch sonstiges Verfassungsrecht eingehegt wäre. Das widerspräche dem Wesen der Europäischen Union. Es bleibt die Alternative, Schlussfolgerungen des Europäischen Rates und damit auch die Kopenhagener Kriterien als politisches Lenkungsmoment zu verstehen504, mit dem die verfassungsrechtlichen Vorgaben ausgestaltet und ergänzt werden. Das entspricht der dem Europäischen Rat nach Art. 4 I EU zukommenden Aufgabe, „die allgemeinen politischen Zielvorstellungen“ für die Entwicklung der Union festzulegen505. Insofern ist also der Europäische Rat trotz seiner Rolle als Unionsorgan seinen Wurzeln als Regierungskonferenz noch sehr nah. Die hier gefundene Rollenverteilung der Unionsorgane Europäischer Rat, Rat, Kommission und Parlament entspricht auch der systemtheoretisch herausgearbeiteten Rolle der Politik. Sie ist im Vergleich zur Verwaltungsbürokratie das komplexere, instabilere System und deshalb zur Leitung der weniger komplexen, aber besser strukturierten Verwaltungsbürokratie berufen. Diese muss umgekehrt die Leistungen der Politik voraussetzen können, um überhaupt das politisch Machbare realisieren zu können506. Die Kopenhagener Kriterien sollen folglich als politische Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Beitrittsverfahrens durch das hierzu berufene politische Lenkungsgremium verstanden werden.
504
So zutreffend Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 58: „politische Absichtserklärung“, die „zu einem Beitritts-Obligatorium erstarkt“ sei. 505
Vgl. Kornack, Das Demokratiekonzept des Vertrags über eine Verfassung für Europa, Hanse Law Review 2005, S. 199-213 (206) zu Art. I-21 I VVE. 506
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 184.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
2. Präzisierung der verfassungsrechtlichen Anforderungen oder darüber hinausgehende Erfordernisse? Die Kopenhagener Kriterien konkretisieren den nach Art. 49 I 1 EU möglichen Beitritt europäischer Staaten zur Europäischen Union in Bezug auf jene Länder, die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts Aufnahme in die Union begehren507. Sie gehen, wie zu zeigen sein wird, über die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Beitrittsverfahrens nach Art. 49 EU teilweise deutlich hinaus und spiegeln damit den Einfluss des politischen Moments für das rechtsförmige Beitrittsverfahren wider. Damit ist die Aussage Christine Langenfelds, dass „der in den Kopenhagener Kriterien niedergelegte Grundsätzekanon [...] die EU als Wertegemeinschaft [kennzeichnet]“ und „grundlegendes Element der Identität EU-Europas“ sei508, so nicht ganz richtig. Als Grundsätzekanon kommen die in Art. 6 I EU festgehaltenen Grundsätze in Betracht, die im Verfassungstext verankert sind. Nur sie sind in der Lage, die Beitrittskriterien rechtsverbindlich und verpflichtend für jeden Beitrittskandidat zu normieren509. Ein politisches Lenkungsdokument wie die Kopenhagener Kriterien, das die zu erfüllenden verfassungsrechtlichen Beitrittsanforderungen präzisiert, ausgestaltet und in Teilen über sie hinausgeht, ist hingegen als grundlegendes Element der Identität EU-Europas ungeeignet. Es kann lediglich eine Ausformung dieser Identität versinnbildlichen. Die Kopenhagener Kriterien besagen, (1) dass die Wirtschaft des jeweils beurteilten Beitrittskandidaten eine „funktionsfähige Marktwirtschaft“ sein muss, die in der Lage sein muss, 507
Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Regierungskonferenz des Europäischen Rates von Kopenhagen vom 21. und 22.6.1993, Abschnitt 7. A) iii). 508
Langenfeld, Erweiterung ad infinitum? Zur Finalität der Europäischen Union, ZRÜ 2005, S. 73-76 (74). 509
Das erkennt Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 58, der jedoch eine seltsame Perspektive aufgreift und die Kopenhagener Kriterien im Primärrecht verankert sieht, soweit sie sich mit den Grundsätzen des Art. 6 I EU decken. Vielmehr ist es umgekehrt so, dass die Kopenhagener Kriterien auf einen verfassungsrechtlich verankerten Kern in Art. 6 I EU aufbauen.
Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens
157
dem Wettbewerbsdruck auf dem Binnenmarkt standzuhalten (sog. wirtschaftliches Beitrittskriterium), (2) dass der Beitrittskandidat in der Lage sein muss, „die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen zu übernehmen“, insbesondere seine Rechtsordnung an den acquis communautaire anzupassen und sich „auch die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschaftsund Währungsunion zu eigen zu machen“ (sog. rechtliches Beitrittskriterium), und (3) dass bestimmte als „politisch“ bezeichnete Kriterien eingehalten werden müssen, die besagen, dass die Rechtsordnung des Beitrittskandidaten freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen, menschenrechtlichen und minderheitenschutzrechtlichen Grundsätzen entspricht. Hinzu kommt als weiteres, häufig übersehenes Kriterium (4) die Aufnahmefähigkeit der Union. Zwar ist die Entscheidung über den Beitritt eines Landes zur Europäischen Union eine letztlich politisch zu entscheidende Frage, die – da der Beitrittsvertrag einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt510 – in allen bisherigen Mitgliedstaaten der Union und im beitrittswilligen Staat nach den Vorschriften des jeweiligen nationalen Verfassungsrechts ratifiziert werden muss, Art. 49 II 2 EU511. Durch die Kopenhagener Kriterien von 1993 werden jedoch auch die über das unmittelbar von der Verfassung geforderte Maß hinausgehenden Anforderungen an die Beitrittskandidaten in nachvollziehbare, tatbestandsähnlich fixierte Kriterien gebracht, die das inhaltliche Gerüst eines rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahrens ausgestalten. Dementsprechend charakterisieren sogar Vertreter eines rein politisch ausgestalteten Beitrittsprozesses die Kopenhagener Kriterien als „unabdingbares Beitrittsregime“512. 510
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 54. 511
Cremer in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV / EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 49 EU, Rn. 3. 512
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 57.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
„Politische Willkür“ wird somit durch die Unionsrechtsordnung selbst auch bei der Frage der Erweiterung der Union ausgeschlossen. Zudem werden eindeutige verfahrensrechtliche Regelungen implementiert, die eine entsprechende verfahrensrechtliche Verantwortung der jeweils zur Beurteilung der Kriterien berufenen unionsrechtlichen Institutionen begründen. Dieses rechtlich geordnete, rechtsanwendende Verfahren wird völkervertraglich begleitet durch die Bedingungen, die der Rat im Rahmen des jeweiligen Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses eines beitrittswilligen Landes festlegt und die durch die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens ebenfalls zu verbindlichen Kriterien werden. Da ein abgeschlossenes Assoziierungsabkommen in der Praxis den vertraglichen Rahmen des Beitrittsprozesses bildet, fließen diese Bedingungen parallel zu den verfassungsrechtlich vorgesehenen Beitrittsanforderungen in das Beitrittsverfahren mit ein. Dabei ist die Feststellung bedeutsam, dass von den drei Arten der Kopenhagener Beitrittskriterien lediglich die politischen Kriterien in direkter Korrelation stehen zu den von Art. 49 I 1 EU in Verbindung mit Art. 6 I EU verfassungsrechtlich verankerten inhaltlichen Beitrittsanforderungen513. Daher soll im Folgenden zunächst untersucht werden, ob auch den wirtschaftlichen Kriterien und dem Kriterium der Fähigkeit zur Übernahme des acquis communautaire eine verfassungsrechtliche Verankerung zukommt. Diese Prüfung ist erforderlich: Sofern eine entsprechende verfassungsrechtliche Verankerung bestünde, wäre der Rat im Rahmen seines Ermessens nach Art. 49 I 2 EU an diese verfassungsrechtlichen Anforderungen gebunden. Wenn es sich bei diesen Kriterien hingegen um „politische“ Kriterien handelt, mit denen die Kopenhagener Kriterien über die vom verfassungsrechtlichen Verfahren vorgegebenen Kriterien hinausgehen, dürfte der Rat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung aus politischen Gründen Abweichungen von diesen prinzipiellen politischen Vorgaben hinnehmen.
3. Wirtschaftliche Kriterien Insbesondere bezüglich des in den Kopenhagener Kriterien fixierten wirtschaftlichen Beitrittskriteriums versuchen einige Autoren, diesem 513
Vergleiche den Wortlaut der Kopenhagener Kriterien mit Art. 49 EU i.V.m. Art. 6 EU.
Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens
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durch das Auffinden einer entsprechenden normativen Verortung im Primärrecht eine verfassungsrechtliche Verankerung zu geben. Das würde in der hier vertretenen Auffassung eines rechtsanwendenden Beitrittsverfahrens dazu führen, dass Beitritte von Staaten aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommen, deren Wirtschaft nach einer (rechtlich!) zu treffenden Prognoseentscheidung dem Wettbewerbsdruck auf dem Binnenmarkt nicht standhalten könnte oder deren Wirtschaftssystem keine funktionsfähige Marktwirtschaft darstellt. Otto Luchterhand versucht etwa, aus der Formulierung des Art. 4 I EG das wirtschaftliche Beitrittskriterium herzuleiten514. Nach dieser Norm umfasst „die Tätigkeit der Mitgliedstaaten [...] die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die [...] dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist“. Sven Hölscheidt hingegen argumentiert, das wirtschaftliche Beitrittskriterium sei in Art. 2 EG i.V.m. Art. 3 I g) EG enthalten515. Dieser verfassungsrechtlichen Verortung entsprechend erstaunen sich manche Autoren darüber, dass das wirtschaftliche Kriterium im Zuge des Amsterdamer Vertrags 1997 nicht in Art. 49 EU eingefügt wurde516. Beide Ansätze genügen jedoch nicht, um eine verfassungsrechtliche Forderung nach einem wirtschaftlichen Beitrittskriterium zu begründen. Art. 2 und 3 EG beschreiben die Aufgabe und Tätigkeit der Gemeinschaft und richten sich schon deshalb nicht primär an die Mitgliedstaaten. Sie können also direkt keine verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung eines künftigen Mitgliedstaates begründen. Auch der Wortlaut des Art. 4 EG legt nur Grundsätze der Wirtschaftspolitik fest, verlangt aber keine entsprechenden sichtbaren Erfolge von den Mitgliedstaaten. Zwar wies die Kommission bisweilen, auch schon vor Inkrafttreten der Kopenhagener Kriterien, darauf hin, dass die Mitgliedschaft eine funktionierende und wettbewerbsfähige Marktwirtschaft voraussetze517. Das
514
Luchterhand, Verfassungshomogenität und Osterweiterung der EU, in: Bruha/ Hesse/ Nowak (Hrsg.), Welche Verfassung für Europa?, S. 125-147 (146). 515
Hölscheidt, Voraussetzung der Osterweiterung der EU, Juristische Arbeitsblätter (JA) 2001, S. 85-87 (86). 516
Hoffmeister, Changing Requirements for Membership, in: Ott/ Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, S. 90-102 (96, “astonishingly”). 517
Vgl. etwa Europäische Kommission, Europe and the Challenge of Enlargement, EC Bull., Supplement 3/92, para. 9.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
wirtschaftliche Beitrittskriterium drückt die Sorge um eine Schwächung der wirtschaftlichen Schlagkräftigkeit der Union bei einer Aufnahme einer großen Anzahl wirtschaftlich noch schwacher Staaten aus. Diese hat im Zuge der Osterweiterung der Union um die wirtschaftlich dynamischen, aber doch noch armen mittelosteuropäischen Staaten im Jahre 2004, anders als in vorangegangenen Erweiterungsrunden, besonderes Gewicht erhalten. Das widerspricht nicht notwendig der festgestellten fehlenden verfassungsrechtlichen Verankerung des wirtschaftlichen Beitrittskriteriums in Art. 49 EU. Eine im Wesentlichen wirtschaftliche Einschätzung lässt sich ohnehin nur schwer an spezifisch rechtlichen Kriterien festmachen518. Rufen wir uns in Erinnerung, dass die Entscheidung über einen Beitritt zwar von bestimmten verfassungsrechtlichen Kriterien abhängt, aber im Rahmen der Grenzen des Ermessens des Rates, die vor allem durch das Erweiterungsziel und das Vertiefungsziel aus der Präambel vorgezeichnet sind, politisch gefällt wird. Daher bleibt es den entscheidenden Akteuren im Beitrittsverfahren freigestellt, zur Absicherung der Homogenität der Mitgliedstaaten der Union weitere Beitrittskriterien einfachrechtlich oder politisch zu formulieren, so lange sie im Einklang mit den Grundsätzen, Aufgaben und Tätigkeiten der Union beziehungsweise der Gemeinschaft stehen und dem verfassungsrechtlich erforderlichen rechtsanwendenden Beitrittsverfahren nicht widersprechen. Das wirtschaftliche Beitrittskriterium entspricht, wie Luchterhand und Hölscheid gezeigt haben519, sowohl den Grundsätzen der Wirtschafts- und Währungspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft als auch den Gemeinschaftsaufgaben und Gemeinschaftstätigkeiten nach Art. 2 und 3 EG. Vor dem Hintergrund der von Frank Hoffmeister bestaunten fehlenden Inkorporierung des wirtschaftlichen Beitrittskriteriums in Art. 49 EU kann überdies davon ausgegangen werden, dass die Mitgliedstaaten als Herren der Verträge die verfassungsrechtliche Verankerung bewusst unterlassen haben. Das wirtschaftliche Kriterium muss in besonderer Weise Gegenstand des politischen Ermessensspielraumes bei der Beschlussfassung über einen Beitritt sein. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit lässt 518
Bruha/ Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, S. 477-502 (488). 519
Luchterhand, Verfassungshomogenität und Osterweiterung der EU, in: Bruha/ Hesse/ Nowak (Hrsg.), Welche Verfassung für Europa?, S. 125-147 (246); Hölscheidt, Voraussetzung der Osterweiterung der EU, Juristische Arbeitsblätter (JA) 2001, S. 85-87 (86).
Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens
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sich mit rechtlichen Kriterien, wenn überhaupt, dann nur sehr unzulänglich messen. Wie viel Solidarität sich ein Gemeinwesen leisten kann und will, ist nicht zuletzt eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Das wirtschaftliche Beitrittskriterium eröffnet daher in jedem Fall einen breiteren Spielraum für politische Beurteilungen im Rat, die zwischen der Größe eines Beitrittskandidaten, seiner wirtschaftlichen Stärke, dem Interesse an seiner Aufnahme520 und der – vor allem finanziell verstandenen – Aufnahmekapazität der Union abwägen. Dieses Beitrittskriterium kann daher „weicher“ gehandhabt werden als Kriterien, die in Art. 49 EU eine eindeutige verfassungsrechtliche Verankerung finden. Das belegt schon ein Blick auf vorangegangene Beitrittsrunden. So wurde im Rahmen der Süderweiterung weder von Griechenland noch von Spanien oder Portugal ein formeller Nachweis verlangt, dass ihre Volkswirtschaften wirtschaftlich leistungsfähige Marktwirtschaften darstellen521, obwohl in der Literatur diesbezüglich erhebliche Bedenken vorgebracht wurden522. Die wirtschaftliche Prüfung unterblieb gänzlich beim EU-Beitritt Schwedens, Finnlands und Österreichs 1995, obwohl die Kopenhagener Kriterien zu dieser Zeit bereits formuliert waren523. Das könnte freilich auf die offensichtliche Leistungsfähigkeit dieser reichen Volkswirtschaften zurückzuführen sein524. Doch auch ein Blick auf die EU-Osterweiterung 2004 zeigt, welche Flexibilität bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Beitrittskriteriums besteht. Polen, Lettland und Litauen wurden trotz erheblicher wirtschaftlicher Probleme aufgenommen. Mit Bulgarien und Rumänien wurden die Beitrittsverhandlungen in Kenntnis der nicht erfüllten wirt520
Siehe hierzu etwa das Beispiel der Aufnahme Griechenlands.
521
Hoffmeister, Changing Requirements for Membership, in: Ott/ Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, S. 90-102 (96). 522
Vgl. etwa zu Griechenland Moravetz, Die wirtschaftliche Folge eines Beitritts Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft, EA 1977, S. 249 (257); Janz, Die Geschichte der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität Europas, S. 80-111 (105). 523
Die Verhandlungen, die vor dem Inkrafttreten des EU-Vertrages begannen, wurden auf Beschluss des Europäischen Rats von Edinburgh im Dezember 1992 auf der Grundlage der alten Rechtslage zum Beitritt geführt. Vgl. hierzu Jorna, The Accession Negotiations with Austria, Sweden, Finland and Norway: A Guided Tour, European Law Review 1995, S. 131-158. 524
Vgl. Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 42.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
schaftlichen Kriterien eröffnet, um deren kooperative und regional stabilisierende Rolle im Kosovokrieg anzuerkennen525. Die stärkere Betonung dieses Kriteriums durch das politische Lenkungsgremium Europäischer Rat könnte jedoch Ausdruck der politischen Sorge um die Finanzierbarkeit des Gemeinschaftshaushalts in den kommenden Jahren sein526. In Bezug auf den kroatischen Mitgliedschaftsantrag lässt sich mit einigem Rückhalt vermuten, dass das wirtschaftliche Beitrittskriterium im Beitrittsverfahren weiterhin nur eine moderate Rolle spielen wird. Das lässt sich zum einen damit begründen, dass Kroatien nach seinen relevanten wirtschaftlichen Eckdaten deutlich erfolgreicher abschneidet527 als die restlichen Beitrittskandidaten Türkei und Mazedonien, vor allem aber nach den relevanten makroökonomischen Daten, wie dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, dem Zufluss ausländischer Direktinvestitionen und den Wachstumsraten einen besseren oder vergleichbaren Rang einnimmt wie die EU-Mitgliedsländer Rumänien, Bulgarien, Litauen, Lettland und Polen528. Derzeit gehören der EU also bereits mehrere Länder an, die nach ihren wirtschaftlichen Eckdaten ärmer sind als Kroatien. Zudem stellt Kroatien, anders als etwa Bulgarien, Rumänien, die Türkei, aber auch die Slowakei und Litauen, ein Hochlohnland dar529, von dem kaum ein Migrationsdruck im Niedriglohnsegment auf 525
van Meurs, Den Balkan integrieren. Die europäische Perspektive der Region nach 2004, Aus Politik und Zeitgeschichte 2003, Bd. 10-11, S. 34-39 (37). 526
Zur Frage der Finanzierbarkeit des Unionshaushaltes bei fortschreitender Erweiterung siehe auch Meyer-Ohlendorf/ Rötting, EU-Enlargement – A Success Story?, S. 23f. 527
Siehe hierzu Sanader, Croatia’s Course of Action to Achieve EU Membership. Discussion Paper C 59, Zentrum für Europäische Integrationsforschung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität, S. 19, wonach Kroatien wesentliche Kriterien der Wirtschafts- und Währungsunion bereits jetzt erfüllt. 528
Kušić, Kroatiens Wirtschaft auf dem Weg in die EU, Südosteuropa 2006, S. 214-234 (218ff.) unter Berufung auf den Bertelsmann-Transformations-Index 2005, den Transition Report 2005 und verschiedene Rating-Agenturen wie Standard & Poor’s oder Moody’s, die Kroatien besser beurteilen als Bulgarien oder Rumänien. 529
Siehe die Statistik zum Bruttoinlandsprodukt pro Kopf des kroatischen Amts für Statistik, Državni zavod za statistiku, 2006, abgedruckt bei Kušić, Kroatiens Wirtschaft auf dem Weg in die EU, Südosteuropa 2006, S. 214-234 (218).
Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens
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die Arbeitsmärkte wohlhabenderer EU-Mitgliedstaaten befürchtet werden muss. Wirtschaftlich betrachtet fällt die Aufnahme kleiner Volkswirtschaften, die ohnehin weitgehend mit dem europäischen Binnenmarkt verflochten sind, nicht spürbar ins Gewicht530, selbst wenn diese – was für die kroatische Wirtschaft mit ihren Stärken in den Branchen Tourismus, Pharmazie, Elektroindustrie, Telekommunikation, Software und biologischer Lebensmittelanbau531 nicht notwendig zutrifft – schwächer wären als viele der Unionsmitgliedstaaten. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass das wirtschaftliche Beitrittskriterium zwar seine Berechtigung als einfachrechtliches Beitrittskriterium findet, es aber keine verfassungsrechtlich normierte Beitrittsbedingung konkretisiert. Dementsprechend sind die Beurteilungsspielräume in der Evaluierung der Erfüllung des wirtschaftlichen Beitrittskriteriums größer, da dem Kriterium keine verfassungsrechtliche Fixierung zugrunde liegt. So lange eine realistische Wahrscheinlichkeit besteht, dass das wirtschaftliche Beitrittskriterium bis zum Zeitpunkt des Beitritts (oder gar etwas später) erfüllt werden kann, wird sich eine Ablehnung der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen daher nicht auf das wirtschaftliche Beitrittskriterium stützen lassen.
4. Rechtliche Kriterien: Übernahme des acquis communautaire als faktisch leitender Bezugspunkt Das rechtliche Kriterium der Übernahme des acquis communautaire drückt eine Selbstverständlichkeit des Unionsrechts aus. Das Unionsrecht geht ersichtlich von der aus seiner völkerrechtlichen Genese folgenden und im Unionsrecht vollumfänglich zu beachtenden Gleichwertigkeit der Mitgliedstaaten der Union aus532. Weder findet eine rechtli530
van Meurs, Den Balkan integrieren. Die europäische Perspektive der Region nach 2004, Aus Politik und Zeitgeschichte 2003, Bd. 10-11, S. 34-39 (37). 531
Kušić, Kroatiens Wirtschaft auf dem Weg in die EU, Südosteuropa 2006, S. 214-234 (230). 532
Kornack, Das Demokratiekonzept des Vertrags über eine Verfassung für Europa, Hanse Law Review 2005, S. 199-213 (202); Hänsch, Der Konvent – unkonventionell, Integration 2003, Bd. 26, Ausg. 4, S. 331-337 (335); Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union. Der Entwurf des Europäischen Konvents, Deutsches Verwaltungsblatt 2003, Bd. 118, Ausg. 18, S. 11651176 (1168).
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
che Differenzierung nach Größe, Wirtschaftskraft oder Bevölkerungszahl statt noch eine solche nach dem Datum des Beitritts zur Union533. Daraus folgt, dass neue Mitgliedstaaten den alten Mitgliedstaaten gleichgestellt sind und behandelt werden müssen, als ob sie schon immer der Union angehört hätten534. Dementsprechend erhalten sie vom Beginn ihrer Mitgliedschaft an die gleichen Rechte wie die Altmitgliedstaaten, müssen jedoch auch ab dem ersten Tag der Mitgliedschaft die gleichen Verpflichtungen eingehen535. Hieraus ergibt sich, dass der Bestand des gemeinsamen Rechts, der acquis communautaire, vollständig in die Rechtsordnung des neuen Mitgliedstaats übernommen werden muss. Dessen ursprüngliche Rechtsordnung muss im Rahmen des Beitrittsverfahrens also umfangreich transformiert werden. Eine Ausnahme kommt lediglich in Betracht, wenn im Beitrittsvertrag Übergangsregelungen für einen bestimmten Zeitraum vereinbart wurden536. Solche Vereinbarungen von Ausnahmen für eine durchaus längere Übergangszeit sind, in den Worten Stefan Kadelbachs, „normale“ Bestandteile von Beitrittsverträgen537. Die Möglichkeit der Ausnahme bestätigt aber gerade das Prinzip der gleichen Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten, das sich in der Verpflichtung zur vollständigen Übernahme des acquis communautaire konkretisiert. Inhaltlich bedeutet die Übernahme des acquis communautaire, dass der gesamte gemeinschaftsrechtliche Besitzstand in die Rechtsordnung des beitretenden Staates übertragen werden muss. Wie Art. 3 EU ein533
Das tritt etwa deutlich zu Tage in Art. 4 der Beitrittsakte 1995, in der festgelegt wird, „daß sich ein neuer Mitgliedstaat [...] in derselben Lage wie die derzeitigen Mitgliedstaaten [befindet]“. 534
Hoffmeister, Changing Requirements for Membership, in: Ott/ Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, S. 90-102 (97), vgl. auch Much, Rechtliche Grundsatzfragen zur Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften, EuR 1972, Bd. 7, S. 324-340 (330) und Art. 4 der Beitrittsakte 1995. 535
Hoffmeister, Changing Requirements for Membership, in: Ott/ Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, S. 90-102 (97). 536
So ausdrücklich der Ratspräsident bei der Ministertagung zur Eröffnung der Konferenzen über den Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands am 1. Februar 1993, BullEG 1/2-1993, 1.3.1. Siehe auch EU-Kommission, KOM(1993) 142endg., Stellungnahme der Kommission zum norwegischen Beitritt 1993, Vorbem. Ziff. 3, S. 2f. 537
So anlässlich der zypriotischen Beitrittsverhandlungen Kadelbach, The accession of Cyprus to the European Union, Rechtstheorie 2003, Bd. 34, Ausg. 1, S. 75-84 (79).
Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens
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drucksvoll zeigt, schließt der einheitliche institutionelle Rahmen des Unionsrechts die Verpflichtungen aus allen drei Säulen des Unionsrechts in den acquis communautaire mit ein538. In der ersten Säule beinhaltet dies das Primärrecht, das Recht, das sich aus Abkommen der Gemeinschaft mit Drittstaaten ergibt, das Sekundärrecht und auch das gefestigte, vom EuGH etablierte Richterrecht539. Der acquis wird von der Kommission in 31 Verhandlungskapitel aufgeteilt540; diese enthalten auch die Verpflichtungen in Bezug auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) aus der zweiten Säule541 und in Bezug auf die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres aus der dritten Säule542, die dem EU-Vertrag entnommen werden und stärker intergouvernementale Züge tragen. Schließlich impliziert die Fähigkeit zur Übernahme des acquis, dass in den Beitrittsstaaten Verwaltungsstrukturen existieren oder geschaffen werden müssen, die die Anwendung des Unionsrechts sicherstellen543. In der Betonung dieses Aspekts durch den Europäischen Rat von Madrid vom 15./ 16. Dezember 1995 und durch die jährlichen Fortschrittsberichte der Kommission drückt sich die Sorge aus, die einheitliche Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten auch in einer größer werdenden Union sicherzustellen. 538
Hoffmeister, Changing Requirements for Membership, in: Ott/ Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, S. 90-102 (97f.). 539
Gialdino, Some Reflections on the Acquis Communautaire, 32 CMLRev (1995), S. 1089 (1092ff.); Ott, Die anerkannte Rechtsfortbildung des EuGH als Teil des gemeinschaftlichen Besitzstandes (aquis communautaire), EuZW 2000, S. 293 (294); Hoffmeister, Changing Requirements for Membership, in: Ott/ Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, S. 90-102 (98). 540
Europäische Kommission, GD Erweiterung, „Die 31 Verhandlungskapitel zur erfolgreichen Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes (acquis communautaire)“, http://www.europa.gv.at/Docs/2005/2/8/31_Kapitel_Pdf.pdf (17.04.06). 541
Kapitel 27, vgl. Europäische Kommission, GD Erweiterung, „Die 31 Verhandlungskapitel zur erfolgreichen Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes (acquis communautaire)“, http://www.europa.gv.at/Docs/2005/2/8/31_ Kapitel_Pdf.pdf (17.04.06). 542
Kapitel 24, vgl. Europäische Kommission, GD Erweiterung, „Die 31 Verhandlungskapitel zur erfolgreichen Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes (acquis communautaire)“, http://www.europa.gv.at/Docs/2005/2/8/31_ Kapitel_Pdf.pdf (17.04.06). 543
Ott, Die anerkannte Rechtsfortbildung des EuGH als Teil des gemeinschaftlichen Besitzstandes (aquis communautaire), EuZW 2000, S. 293 (294) m.w.N.
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Der im Rahmen eines eröffneten Beitrittsverfahrens durchgeführte erste Verfahrensschritt, die analytische und vergleichende Prüfung des nationalen Rechts des Kandidatenstaats mit Blick auf die Vereinbarkeit mit dem acquis communautaire durch die Kommission, wird dabei als „Screening“ bezeichnet544. Zu fragen ist jedoch auch beim rechtlichen Beitrittskriterium, ob es verfassungsrechtlich verankert ist, oder ob es lediglich einfachrechtlich eine Beitrittsbedingung fixiert. Die Verpflichtung zur Übernahme des aquis communautaire wurzelt in den unionsverfassungsrechtlichen Prinzipien des effet utile und des Anwendungsvorrangs des Europarechts. Die Gleichrangigkeit der Mitgliedstaaten lässt sich ebenfalls unmittelbar aus dem Sinn der Gründungsverträge ableiten. Hingegen finden sich keine verfassungsrechtlichen Normen, die ausdrücklich die Verpflichtung zur vollständigen Übernahme des acquis communautaire normieren. Ein Blick auf die Erweiterungspraxis der vergangenen Jahre zeigt, dass insbesondere einzelne Kapitel des acquis communautaire Gegenstand von Übergangsvereinbarungen waren, also Beitritte erfolgt sind, ohne dass die neuen Mitgliedstaaten das rechtliche Beitrittskriterium zum Zeitpunkt des Beitritts schon vollständig erfüllt hätten. In manchem Land der Beitrittsrunden 2004 und 2007 bestehen sogar immer noch bedenkliche Defizite in der Verwaltungskapazität, wie etwa der kurz vor dem Beitritt der beiden Länder veröffentlichte Monitoring-Bericht der EU-Kommission über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens aufzeigt545. Dieser Befund spricht dafür, dass das rechtliche Beitrittskriterium keine unmittelbare verfassungsrechtliche Verankerung findet. Sein Bezug zu fundamentalen Verfassungsprinzipien lässt es jedoch als gefährlich erscheinen, die Evaluierung dieses Kriteriums ganz ins Ermessen der Mitgliedstaaten und des Rats bei den Beitrittsverhandlungen zu stellen. Während Übergangsregelungen und einzelne Defizite bei der Übernahme des acquis zum Zeitpunkt des Beitritts noch tolerierbar sind, muss sichergestellt sein, dass die Verwaltungskapazitäten zur effektiven Anwendung des Europarechts spätestens mit dem Beitritt geschaffen sind, wenn man diese effektive Anwendung nicht gefährden will. In 544
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 50. 545
EU-Kommission, KOM(2006) 549 endgültig vom 29.9.2006, Mitteilung der Kommission. Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens.
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Fällen, wo ein Beitritt erfolgt sein sollte, obwohl dies nicht der Fall war546, trifft den Mitgliedstaat eine unionsverfassungsrechtlich abgesicherte Verpflichtung, die entsprechenden Strukturen unverzüglich zu schaffen. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass es sich beim rechtlichen Beitrittskriterium um eine einfachrechtliche Beitrittsbedingung handelt, die jedoch durch ihren Bezug zu tragenden Prinzipien des Unionsverfassungsrechts dem Verhandlungsspielraum beim Beitritt in weiten Teilen entzogen ist. Das gilt insbesondere, wenn Rechte der Unionsbürger betroffen sind.
5. Die Kopenhagener politischen Kriterien als Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Determinanten Schließlich benennen die Kopenhagener Kriterien bestimmte, als „politisch“ bezeichnete Beitrittsbedingungen. Der Bezug dieser Bedingungen zu den in Art. 6 I EU normierten Verfassungsgrundsätzen der Union, nämlich der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit, sticht unmittelbar ins Auge. Wie wir bereits gesehen haben, werden die Verfassungsprinzipien des Art. 6 I EU über Art. 49 I 1 EU zu inhaltlichen Anforderungen des verfassungsrechtlichen Beitrittsverfahrens zur Union gemacht. Fraglich ist daher zunächst, in welchem Verhältnis die „politischen“ Kopenhagener Beitrittskriterien zu den in Art. 6 I EU enthaltenen Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts stehen. Die „Grundsätze“ des Art. 6 I EU stellen nach einer überzeugenden Auffassung den Kristallisationspunkt der Verfassungshomogenität in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union dar547. Armin von Bogdandy bezweifelt die Tauglichkeit der gemachten Vorgaben zur Annahme eines Prinzips der Verfassungshomogenität „mit substantiellen 546
So mit Sicherheit im bulgarischen Fall, siehe hierzu Kapitel D II. 2., S. 266 ff. sowie den Monitoring-Bericht der EU-Kommission, KOM(2006) 549 endgültig vom 29.9.2006, Mitteilung der Kommission. Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens. 547
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union; Calliess in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 6 EU, Rn. 1, „Verfassungskern“.
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und einheitsstiftenden europäischen Vorgaben für die nationalen Verfassungssysteme“ aufgrund der aktuellen Vielfalt der nationalen Verfassungen548. Er sieht aber durchaus, dass die eingeforderten Prinzipien solche sind, auf denen das Europäische Verfassungsrecht beruht und dass sie von den Mitgliedstaaten eine „strukturelle Kompatibilität“ abverlangen549. Dabei erkennt er, dass die Vorgaben, die das Europäische Verfassungsrecht seinen Mitgliedstaaten und den Beitrittsstaaten machen kann, schon aufgrund des Respekts vor nationalen Verfassungsarrangements, Art. 6 III EU, im Vergleich zu nationalen Verfassungshomogenitätsvorgaben nur von reduzierter Dichte sein können. Die Vorgaben gehen gleichwohl über eine bloße strukturelle Kompatibilität hinaus. Das zeigt etwa die Politik der Gemeinschaft zum Schutz von Minderheitenrechten, die gegenüber Mitgliedstaaten wie auch gegenüber Beitrittsländern nicht nur strukturelle Kompatibilität verlangt (also die bloße Existenz irgendeiner Minderheitenpolitik, die die besondere Schutzbedürftigkeit von Minderheiten anerkennt), sondern die konkrete Handlungsschritte abverlangt. Auch wenn die inhaltlichen Vorgaben des Europäischen Verfassungsrechts von geringerer Dichte sind als Homogenitätsvorgaben nationaler Verfassungen, so ist es angesichts konkreter inhaltlicher Komponenten doch gerechtfertigt, über die strukturelle Kompatibilität hinausgehend von Vorgaben zur Verfassungshomogenität zu sprechen550. Denkbar ist vor dem Hintergrund möglicher Beitritte nunmehr, dass die zu erfüllenden „politischen“ Kopenhagener Beitrittsanforderungen hinter den „Grundsätzen, auf denen die Union beruht“ zurückbleiben, dass sie über diese Prinzipien hinausgehen, oder dass sie mit ihnen identisch sind.
548
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (189). 549
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (189) 550
A.A. dann wohl doch von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (197), der davon ausgeht, dass die europäische Rechtsordnung die Annahme Einheit stiftender Prinzipien nicht trägt.
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a) Zurückbleiben der politischen Beitrittsanforderungen hinter den Vorgaben des Europäischen Verfassungsrechts Für ein Zurückbleiben der politischen Beitrittsanforderungen hinter den Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts spricht zunächst, dass in den bisherigen Erweiterungsrunden – teilweise erhebliche – Beitrittsrabatte eingeräumt wurden551. Diese Beitrittsrabatte wurden jedoch, und diese Feststellung ist bedeutsam, nie im Kernbereich der politischen Beitrittsanforderungen gewährt. So hatte beispielsweise Polen zum Zeitpunkt seines Beitritts im Jahr 2004 den aquis communautaire noch nicht vollständig in polnisches Recht umgesetzt, darüber hinaus bestanden erhebliche Implementationsdefizite. Gleiches gilt in der Beitrittsrunde 2007 für Bulgarien und, eingeschränkt, für Rumänien. Ähnliche Entwicklungen gab es in mehreren der mittel- und osteuropäischen Mitgliedsländer der Erweiterungsrunde 2004. Sie ließen sich aber auch für Spanien zum Zeitpunkt seines EG-Beitritts 1986 beobachten. Hingegen zeigt das Beispiel Spaniens auch, dass Beitrittsverhandlungen überhaupt nicht begonnen wurden, bevor eine weitgehende Konvergenz mit den Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts, zu dieser Zeit also vor allem eine parlamentarische Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte, hergestellt war552. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich im Rahmen der Osterweiterung für die Slowakei beobachten, mit der Verhandlungen ausgesetzt wurden, nachdem sich das politische System der Slowakei von der europäischen Verfassungshomogenität entfernt hatte. Ist die prinzipielle Verfassungshomogenität jedoch gewährleistet, so kann eine völlige Übernahme der rechtlichen Verpflichtungen der EU-Mitgliedschaft freilich auch noch nach dem Beitritt herbeigeführt werden. Hierfür stehen zunächst verschiedene Instrumente zur Verfügung, die die Kommission und andere Akteure gegenüber allen Mitgliedstaaten nutzen können. Hierzu zählen Sicherheitsmaßnahmen in bestimmten Politikbereichen, etwa im Agrarsektor bei der Seuchenbekämpfung. Diese Sicherheitsmaßnahmen 551
Zu Beitrittsrabatten im Agrarbereich und im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Beitrittsrunde 2004 vgl. Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 31 mit Fn. 40 und 41. 552
Vgl. die Stellungnahme der Kommission zu den Beitrittsgesuchen Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und Norwegens vom 1.10.1969, EA 1969 D 508 ff., Nr. 34 ff. und die Stellungnahme der Kommission vom 29.9.1972, EA 1972 D 484 Nr. 21.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
sind vom acquis communautaire unter jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen explizit vorgesehen. Weitere Sicherheitsmaßnahmen bestehen im Bezug auf Finanzierungsfonds der EU und Maßnahmen im Rahmen der Wettbewerbspolitik. Schließlich ist an das Vertragsverletzungsverfahren zu denken553. Darüber hinaus können im Beitrittsvertrag Instrumente vereinbart werden, die gegenüber den Beitrittsstaaten zusätzliche Instrumente einführen, wie dies etwa in Art. 36, 37 und 38 des Beitrittsvertrages mit Rumänien und Bulgarien geschehen ist. Wegen der Gleichheit der Mitgliedstaaten im Unions- und Gemeinschaftsrecht können solche zusätzlichen, nur für spezifische Mitgliedsstaaten anwendbaren Instrumente allerdings nur für eine bestimmte, begrenzte Zeit vereinbart werden, da mit permanenten, spezifisch nur auf einzelne Mitgliedstaaten anwendbaren Instrumenten in der Tat eine mit der Struktur der Union unvereinbare „Mitgliedschaft zweiter Klasse“ geschaffen würde554. Unter den dauerhaft gegenüber allen Mitgliedstaaten anwendbaren Instrumenten zur Durchsetzung steht insbesondere der EU-Kommission das Instrument der Vertragsverletzungsklage vor dem Europäischen Gerichtshof zur Verfügung555, das sich für Verstöße in Bezug auf die gemeinsamen Grundsätze der Union eher anbietet als die spezifischeren Maßnahmen, deren Voraussetzungen regelmäßig nicht gegeben sein dürften. Das Instrument der Vertragsverletzungsklage lässt allerdings keine wirksame Sanktion für fortdauernden, vorsätzlichen Vertrags-
553
EU-Kommission, COM (2006) vom 26.9.2006, Monitoring report on the state of preparedness for EU membership of Bulgaria and Romania, http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2006/sept/report_bg_ro_ 2006.pdf, S. 7, Punkt 3.1. 554
Siehe hierzu etwa Art. 36, 37 und 38 der Beitrittsakte zum Beitrittsvertrag mit Bulgarien und Rumänien, ABl. EU Nr. L 157/11 vom 21.6.2005, die eine Einführung von Sicherheitsmaßnahmen im wirtschaftlichen Bereich, Binnenmarktbereich und im Bereich Justiz und innere Angelegenheiten jeweils nur für einen Zeitraum von drei Jahren nach Beitritt erlauben. Vgl. auch EUKommission, COM (2006) vom 26.9.2006, Monitoring report on the state of preparedness for EU membership of Bulgaria and Romania, http://ec.europa. eu/enlargement/pdf/key_documents/2006/sept/report_bg_ro_2006.pdf, S. 7, 8, Punkte 3.1 und 3.2. 555
Siehe zum Vertragsverletzungsverfahren Tesauro, Les sanctions pour le non-respect d’une obligation découlant du droit communautaire par les Etats membres, in: van Gerven/ Zuleeg (Hrsg.), Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, S. 17-27 (19ff.)
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bruch erkennen556. Zwar besteht mittlerweile seit dem Maastrichter Vertrag nach Art. 228 II EG die Möglichkeit, dass der Gerichtshof den vertragsbrüchigen Mitgliedstaat zu Sanktionszahlungen verurteilt557. Ein Vollstreckungsmechanismus für deren Zahlung ist jedoch vertraglich nicht explizit vorgesehen. Selbst wenn man mit Charlotte Gaitanides darauf abstellt, dass ein Urteil des EuGH in seiner Natur bereits einen vollstreckbaren Titel darstellt558, kann dies entgegen ihrer Darstellung nicht dazu verhelfen, die in Art. 256 I EG, zweiter Halbsatz enthaltene Ausnahme von der Vollstreckbarkeit gegenüber Staaten außer Kraft zu setzen. Dieser Ausnahme liegt nämlich die Rücksicht auf den besonderen Rang von Staaten zugrunde559. Dieser Gedanke der Rücksichtnahme bezieht sich nicht nur auf Entscheidungen der Kommission und des Rates, sondern muss auch für Urteile des Gerichtshofs gelten560. Darüber hinaus erscheint eine solche Zwangsvollstreckung in der Praxis mangels entsprechender Durchsetzungsmacht nicht zweckmä-
556
So effektiv die von Tesauro beschworene juristische Kontrolle auch sein mag, handelt es sich bei diesem Instrument nicht um ein „hartes“ Zwangsmittel. Vgl. hierzu Tesauro, Les sanctions pour le non-respect d’une obligation découlant du droit communautaire par les Etats membres, in: van Gerven/ Zuleeg (Hrsg.), Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, S. 17-27 (23). 557
Gaitanides in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 228 EG, Rn. 11-12. 558
Gaitanides in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 228 EG, Rn. 22; Gaitanides in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 244 EG, Rn. 3. 559
Schmidt in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 256 EG, Rn. 10 560
Daher verweist Art. 244 EG auf Art. 256 EG. Siehe hierzu Schwarze in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 228 EG, Rn. 10; Heidig, Die Verhängung von Zwangsgeldern nach Art. 228 Abs. 2 EGV – Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 4.7.2000, Kommission/Griechenland, Rs. C-387/97 –, EuR 2000, S. 782-791 (790); Díez-Hochleitner, Le traité de Maastricht et l’inexécution des arrêts de la Cour de justice par les Etats membres, RMUE 1994, S. 111 (147); Tesauro, La sanction des infractions au droit communautaire, Riv. Dir. Eur. 1992, S. 488.
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ßig561. Soweit eine durchaus praktikable Aufrechnung mit dem vertragsbrüchigen Mitgliedstaat zustehenden Gemeinschaftsmitteln562 nicht in Betracht kommt, beruht somit die Einhaltung des Vertrages wie auch die Zahlung der Strafen letztlich auf dem Goodwill des betroffenen Mitgliedstaates. Hingegen besteht während der Beitrittsverhandlungen noch die wirksame Drohung, den Beitritt des Kandidatenstaates auszusetzen, wenn dieser die Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts nicht einhält. Für diese Vorgehensweise spricht, dass die Aufnahme von Staaten, die nicht willens oder in der Lage sind, die Grundsätze, auf denen die Union beruht, einzuhalten, auf Dauer den Bestand der Union als Rechtsgemeinschaft gefährdet. Dementsprechend kann das Modell, beim Beitritt den Kandidatenstaaten geringere Anforderungen abzuverlangen als jene der Einhaltung der Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts, nicht überzeugen. Vielmehr muss eine Homogenität in den wichtigen Verfassungsprinzipien schon zum Zeitpunkt der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen gegeben sein und nach dem Beitritt dauerhaft aufrecht erhalten werden.
b) Politische Beitrittsanforderungen übertreffen die Vorgaben des Europäischen Verfassungsrechts Sodann wäre denkbar, dass die Beitrittsanforderungen im rechtlichen Bereich die Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts übertreffen. Für diesen Gedanken spricht, dass für eine erfolgreiche Integration eines Landes in die Europäische Union im rechtlichen Bereich eine über die Einhaltung der Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts hinausgehende Konvergenz überaus hilfreich sein kann. Diese Ansicht lässt sich stützen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Entscheidung über einen Beitritt zur Europäischen Union letztlich politisch gefällt wird und nach ganz herrschender Meinung dementsprechend auch
561
Middeke/ Szczekalla, Änderungen im europäischen Rechtsschutzsystem, JZ 1993, S. 284 (288). 562
Gaitanides in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 228 EG, Rn. 22; Schoo in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 256 EG, Rn. 6f.; P. Karpenstein/ U. Karpenstein in: Grabitz/ Hilf, Das Recht der Europäischen Union. Kommentar, Art. 228 EG, Rn. 44.
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kein Anspruch eines europäischen Landes auf den Beitritt besteht, auch wenn sämtliche aufgestellten Beitrittskriterien erfüllt werden. Wie schon gesehen, können etwa im Bereich der Wirtschaftsordnung von den Beitrittskandidaten Anstrengungen verlangt werden, die über die unmittelbaren Vorgaben des Art. 49 EU hinausgehen563. Vor diesem Hintergrund ist daher nicht ersichtlich, weshalb Rat und Kommission bei der Beurteilung der politischen Beitrittsfähigkeit an die Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts gebunden sein sollten. Für diese Sichtweise spricht auf den ersten Blick auch ein Vergleich des Wortlauts von Art. 6 I EU mit dem Wortlaut der Kopenhagener Beitrittskriterien. So inkludieren die politischen Kopenhagener Beitrittskriterien ausdrücklich die Anerkennung und den Schutz von Rechten der Minderheiten, während im Wortlaut von Art. 6 I EU Minderheitenrechte nicht explizit erwähnt werden. Allerdings lässt sich zeigen, dass der Schutz von Demokratie und Menschenrechten mit dem Minderheitenschutz eng verwoben ist und von diesen kaum getrennt werden kann, sodass minderheitenschutzrechtliche Anforderungen an Beitrittskandidaten von den Grundsätzen des Art. 6 I EU mit umfasst werden. Eine ZweiKlassen-Union, die Neumitgliedern härtere Minderheitenschutzregelungen aufzwingt als ihren Altmitgliedern, entsteht hier gerade nicht; vielmehr ist der verfassungsrechtliche acquis eindeutig gegenüber allen Mitgliedstaaten einheitlich zu handhaben. Daher entsteht bei Beitrittskandidaten die berechtigte Erwartung, in ihren Beitrittsverhandlungen bezüglich des einzuhaltenden rechtlichen Schutzniveaus nicht schlechter gestellt zu werden als die Staaten, die bereits Mitglieder der Union sind. Vor dem gemeinschaftsrechtlichen Prinzip der Gleichheit der Mitgliedstaaten, das sich in Anbetracht der völkerrechtlichen Genese des Gemeinschaftsrechts aus dem völkerrechtlichen Prinzip der Staatengleichheit ableiten lässt564, ist diese Erwartung auch gut begründbar. Zwar ist der vertieften Integration auch bei der Beurteilung der Erfüllung der Beitrittskriterien Rechnung zu tragen. So forderte etwa bei der Beitrittsrunde 2004 das quantitative und qualitative Wachstum des ac563 564
Siehe oben S. 158 ff.
So ausdrücklich de Witte, Enlargement and the EU Constitution, in: Cremona (Hrsg.), The Enlargement of the European Union, S. 209-252 (247). Zum völkerrechtlichen Prinzip der Gleichheit der Staaten Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht. Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte, S. 234, 236 (§ 26 Rn. 1, 2, 6). Spezifisch zum gemeinschaftsrechtlichen Prinzip der Gleichheit der Mitgliedstaaten Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 67.
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Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
quis communautaire erheblich größere Anstrengungen der mittel- und osteuropäischen neuen Mitgliedsaaten zu dessen Übernahme als etwa im Vergleich zum spanischen Beitritt im Rahmen der Süderweiterung der Gemeinschaft 1986. Insofern müssen heute beitrittswillige Staaten ein „Mehr“ an Konvergenzleistung erbringen als Staaten, die vor zwanzig Jahren beigetreten sind. Auf diese Beobachtung lässt sich der Vorwurf einer Zwei-Klassen-Union jedoch nicht gründen. Auch die Altmitglieder müssen den gesteigerten Anforderungen nachkommen. Gegen ein Übertreffen der Anforderungen des Europäischen Verfassungsrechts spricht auch folgende Überlegung. In allen bisherigen Erweiterungsrunden wurden einzelnen Staaten erhebliche „Beitrittsrabatte“ dadurch eingeräumt, dass ihr Beitritt erfolgte, obwohl nicht alle Beitrittskriterien vollständig erfüllt waren. Aus diesem konsistenten Vorgehen lässt sich zwar keine Selbstbindung der Europäischen Union dahingehend konstruieren, dass beitrittswillige Staaten die Erfüllung der Beitrittskriterien zumindest teilweise unterlassen könnten. Der Beitritt wird vielmehr aus politischen Gründen unter der Annahme zugelassen, dass eine Konvergenz mit der Unionsrechtsordnung trotz der noch bestehenden Defizite in kurzer Zeit nach dem Beitritt, notfalls unter Ausnutzung der hierfür vorgesehenen Verfahren wie der Vertragsverletzungsklage, erfolgen wird. Gleichwohl lässt sich der bisherigen Erweiterungspraxis eine Selbstbindung dahingehend entnehmen, dass beitrittswilligen Staaten keine größeren Anstrengungen als die Konvergenz mit den Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts abverlangt werden. Mehr als dieses Minimum an Verfassungshomogenität wird nämlich auch von jenen Staaten nicht gefordert, die bereits Mitglied der Union sind565. Höhere Anforderungen beim Beitritt wären folglich nicht stimmig und würden eine Entwicklung zur „Zwei-Klassen-Union“ einleiten, die es zu vermeiden gilt. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn man zum nicht hinnehmbaren Ergebnis käme, dass Mitgliedstaaten nach dem Beitritt berechtigt wären, den zum Beitritt erforderlichen hohen Standard in der Einhaltung der Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts wieder auf das Niveau der Altmitgliedstaaten abzusenken.
565
Siehe dazu etwa Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 7 sowie extensiv zum Suspendierungsverfahren Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union.
Die Kopenhagener Kriterien als politischer Kern des Beitrittsverfahrens
175
Überdies verlangt eine erfolgreiche Integration in die Rechtsordnung der Union zwar die Konvergenz mit den Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts, sie verlangt in Anbetracht der verfassungsrechtlichen Vielfalt der EU-Mitgliedstaaten von diesen aber auch nicht mehr. In diesem Zusammenhang ist besonders zu beachten, dass die Europäische Union einen supranationalen Zusammenschluss darstellt, dessen Verfassungshomogenität notwendig deutlich weniger breit ist als die Verfassungshomogenität in klassischen Nationalstaaten. Wie ein Blick auf Art. 7 I EU zeigt, erfordert es eine „schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Artikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat“, um die Mitgliedschaftsrechte eines Staates auszusetzen. Kern der von den Mitgliedstaaten abverlangten Verfassungshomogenität sind also die gleichen Grundsätze, die beitrittswillige Staaten nach Art. 49 I EU achten müssen. Mangels eines darüber hinaus gehenden Konsenses über den Inhalt der Verfassungshomogenität in der Union ist es also nicht möglich, über die notwendige Verfassungshomogenität hinausgehende Beitrittsanforderungen überhaupt zu formulieren. Vielmehr konkretisieren die politischen Kopenhagener Kriterien gerade den Gehalt der Verfassungshomogenität in der Europäischen Union zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Folglich ist das Modell, nach dem die politischen Beitrittsanforderungen über die Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts hinausgehen können, abzulehnen.
c) Identität der Beitrittsanforderungen mit den Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts Schließlich verbleibt als einzig sinnvolles Modell die Annahme, dass der zum Zeitpunkt des Beitritts erreichte Stand der Erfüllung der Kopenhagener „politischen“ Beitrittskriterien deckungsgleich mit der Einhaltung der Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts sein muss. Geht man mit Armin von Bogdandy davon aus, dass die Verfassungsprinzipien des Art. 6 EU sich zu drei Ebenen von Standards mit abnehmender Dichte konkretisieren lassen, wobei die Ebene größter Dichte die eigene Verfasstheit der Union betrifft, eine Ebene reduzierter Dichte die Anforderungen an die Mitgliedstaaten konkretisiert und eine letzte Ebene minimaler Dichte die Außenpolitik der Union anleiten soll566, so dürfen sich die Anforderungen an den Beitritt nicht an den
566
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (190); ausführlich zu diesem Modell
176
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
Minimalanforderungen der Außenpolitik gegenüber Drittstaaten orientieren. Vielmehr müssen sie die Anforderungen gegenüber Mitgliedstaaten reflektieren, denn die Mitgliedschaft ist ja gerade das Ziel des Beitritts. Sieht man in diesem Modell die Beitrittsstaaten als Staaten auf dem Weg von der minimalen zur mittleren Ebene von Standards, so fehlt zugleich jede Rechtfertigung für eine Verortung der Beitrittsanforderungen zwischen der mitgliedstaatlichen und der die Union selbst treffenden Ebene. Die beim Beitritt vom neuen Mitgliedstaat zu erfüllende Verfassungshomogenität567 ist also identisch mit jener, der die Altmitgliedstaaten gerecht werden müssen.
6. Alternatives völkerrechtliches Verständnis der Kopenhagener Kriterien als Auslegungsregel im Sinne der WVK Von einem rein völkerrechtlichen Standpunkt aus betrachtet stellt sich die Frage, ob der oben vorgenommene Abgleich der Kopenhagener Kriterien mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Gründungsverträge überhaupt erforderlich ist. Insbesondere die unterschiedlich starke Verankerung der einzelnen Kriterien im Verfassungsrecht könnte Kritik auf sich ziehen. Aus der Sicht des Völkerrechts erscheint es harmonischer, die Kopenhagener Kriterien im Sinne des Art. 31 II lit. a) der Wiener Vertragsrechtskonvention als eine allgemeine Auslegungsregel des EU-Vertrages zu verstehen568. Eine abgestufte Betrachtung der einzelnen Kriterien nach ihrer Entsprechung im Verfassungsrecht der Union könnte so unterbleiben. Diese Betrachtung überzeugt für das Völkerrecht, obwohl Schlussfolgerungen des Europäischen Rates wegen der Beteiligung des Kommissionspräsidenten streng genommen nicht als eine sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft verstanden werden können, die (ausschließlich) zwischen den Vertragsparteien getroffen wurde. Diese Klippe lässt sich von Bogdandy, Grundrechtsgemeinschaft als Integrationsziel? Grundrechte und das Wesen der Europäischen Union, JZ 2001, S. 157-171 (162f.). 567
Von von Bogdandy als „strukturelle Kompatibilität“ bezeichnet, von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (189), aber inhaltlich wohl ohne Abweichungen, da von Bogdandy den Mitgliedstaaten der Union nur eine strukturelle Kompatibilität abverlangen will. 568
Vgl. zum Interpretationskanon der WVK Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention, S. 83 ff., 91.
Änderungen durch den Vertrag von Lissabon
177
umschiffen, wenn man die nachfolgende mitgliedstaatliche Praxis als ausschlaggebend betrachtet. Auch die Hürde, dass die Schlussfolgerungen als Übereinkunft nicht anlässlich des Vertragsschlusses, sondern erst Jahre später getroffen wurden, lässt sich zumindest durch eine analoge Anwendung des Art. 31 WVK umschiffen. Sieht man das Unionsrecht hingegen als ein vom Völkerrecht getrenntes Rechtsgebiet an, das zwar seinen Ursprung im Völkerrecht findet, aber nunmehr mit eigenen verfassungsrechtlichen Regeln ausgestattet ist, so fällt ein Rückgriff auf Art. 31 WVK schwer. Folgt man der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung, dass die an Beitrittskandidaten gestellten Anforderungen im Bereich der Verfassungshomogenität identisch sein müssen mit jenen, denen die Altmitgliedstaaten gerecht werden müssen, so zeigen sich die Vorteile der oben vorgenommenen differenzierten Betrachtung. So wirken die politischen Vorgaben der Kopenhagener Kriterien nicht unmittelbar und vollständig als verfassungsrechtliche Kriterien auf die Altmitgliedstaaten zurück. Art. 31 WVK dürfte zu weit überdehnt werden, wenn man in die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates bezüglich der Erfüllung von Beitrittskriterien hineindeuten wollte, dass sie sich selbst gegenüber eine entsprechende verfassungsrechtliche Bindung begründen wollten. Wie oben gezeigt, kann dies wegen des Prinzips der Gleichheit der Mitgliedstaaten höchstens für den Bereich der politischen Beitrittskriterien angenommen werden. Die Frage der rechtlichen Qualität der Kopenhagener Kriterien verlöre jedoch mit der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon an Relevanz, da nach dem neu eingefügten Art. 49 II 3 EU die vom Europäischen Rat vereinbarten Kriterien berücksichtigt werden und der Europäische Rat mit dem Vertrag von Lissabon ausdrücklich zu einem Organ der Union wird, was ihn in das Organgefüge der Verfassung einbindet.
VII. Änderungen durch den Vertrag von Lissabon Der am 13. Dezember 2007 unterzeichnete Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft betrifft auch das Beitrittsverfahren, ändert dieses jedoch nicht in seinen wesentlichen Grundzügen. Art. 49 EU erhält folgenden Wortlaut, in dem Änderungen kursiv dargestellt sind:
Der Beitritt zur Union: ein verfassungsrechtliches Verfahren
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„Jeder europäische Staat, der die in Artikel 1a genannten Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden. Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente werden über diesen Antrag unterrichtet. Der antragstellende Staat richtet seinen Antrag an den Rat; dieser beschließt einstimmig nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder beschließt. Die Aufnahmebedingungen und die durch eine Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge, auf denen die Union beruht, werden durch ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat geregelt. Das Abkommen bedarf der Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Schranken.“569 Der neue Art. 1a EU, der Art. 6 EU ersetzt, erhält folgenden Wortlaut: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet“. In die Präambel des Vertrags über die Europäische Union wird ein neuer zweiter Erwägungsgrund eingefügt; der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft wird in „Vertrag über die Arbeitsweise der Union umbenannt“. Im Übrigen bleiben die Wortlaute der Präambelerwägungen beider Verträge, aus denen in der vorliegenden Arbeit der Verfassungsauftrag, die Union zu erweitern, hergeleitet wurde, aber unverändert bestehen. Hierin liegt eine erneute Bestätigung des Verfassungszieles der Erweiterung durch den Verfassungsgeber. Eine entscheidende Änderung ist darin zu sehen, dass die EG nunmehr in der Union aufgeht. Dies wirkt sich aber nicht auf die Gestaltung des schon bisher einheitlichen Beitrittsverfahrens aus.
569
Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007, ABl. C 306 vom 17. Dezember 2007.
Änderungen durch den Vertrag von Lissabon
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Ein neu eingefügter Art. 49a EU schafft explizit die Möglichkeit des Austritts aus der Union und legt in Absatz 5 fest, dass ein Wiedereintritt nach dem Verfahren (!) des Artikels 49 beantragt werden muss. Durch die Herausstellung der Achtung der Menschenwürde als wichtigstem Menschenrecht im neuen Art. 1a EU dürften sich keine veränderten Anforderungen ergeben, da die Menschenwürde auch bisher schon von den Grundsätzen, auf denen die Union beruht, umfasst war. Neu ist hingegen die Anforderung an Beitrittskandidaten, dass diese die Werte, auf die sich die Union gründet, nach dem Wortlaut der Norm nicht mehr lediglich achten, sondern sich auch für ihre Förderung einsetzen müssen. Welche konkreten Anforderungen an ein Fördern zu stellen sind, lässt sich dem Verfassungstext selbst nicht entnehmen. Rechtliche Kriterien hierfür zu entwickeln, dürfte ebenfalls scheitern. Es wird vielmehr ein neuer, politisch zu füllender Ermessensspielraum für den Rat bei der Beschlussfassung über einen Beitrittsantrag geschaffen. Dieser unterstreicht jedoch die in der vorliegenden Arbeit aufgestellte These, dass das Ermessen des Rates, einem Beitrittsantrag stattzugeben, jedenfalls schon überhaupt nicht eröffnet ist, wenn die Werte der Union nicht geachtet werden. Dann müsste unmittelbar nach dem Beitritt ein Verfahren nach Art. 7 EU eröffnet werden. Auch für die Beurteilung, ob ein Fördern der Werte der Union vorliegt, sind hingegen die Verfahrensrechte des Beitrittskandidaten zu beachten. Für den sogleich betrachteten Fall des Vorgehens der Unionsorgane im kroatischen Beitrittsverfahren würden sich daher keine Änderungen ergeben.
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C. Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane im kroatischen Beitrittsverfahren Im folgenden Teil der Arbeit soll das Vorgehen der Unionsorgane speziell im kroatischen Beitrittsverfahren rechtlich beleuchtet werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Vorgehen der Europäischen Kommission und des Rats im Rahmen der Aussetzung der bereits für 17. März 2005 angekündigten Eröffnung von Beitrittsverhandlungen auf unbestimmte Zeit am 16. März 2005 im Zusammenhang mit der Affäre um die Auslieferung des kroatischen Generals Ante Gotovina an den ICTY. Die Darstellung orientiert sich dabei an den oben (S. 150) bereits tabellarisch vorgezeichneten verfahrenswesentlichen Schritten im primärrechtlich fixierten Beitrittsverfahren.
I. Beitrittsgesuch als Beginn der Einleitung des Beitrittsverfahrens Die Republik Kroatien stellte am 21. Februar 2003 einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union und leitete damit den ersten Schritt des oben dargestellten verfassungsrechtlich fixierten Beitrittsverfahrens ein. Damit war sie, bis zur Stellung eines Beitrittsgesuchs durch die Republik Mazedonien und die Annahme Mazedoniens als Beitrittskandidat am 17. Dezember 2005 das jüngste Land unter den vier verbliebenen Beitrittskandidaten. Kroatien liegt aber vor allem in der Erfüllung wirtschaftlicher Kriterien deutlich vor den 2007 der Union beigetretenen Staaten Rumänien und Bulgarien, und vor der Türkei570. Auf der Grundlage der Stellungnahme der Kommission beschließt der Rat der Europäischen Union über die Zuerkennung des Kandidatenstatus an ein beitrittswilliges Land. Der Rat legt zudem – nicht notwendig zum gleichen Zeitpunkt – ein Datum fest, an dem die Beitrittsverhandlungen mit dem Kandidaten beginnen. Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ist dabei eine weitgehende Konformität mit den in Art. 6 I EU normierten Prinzipien des Europäischen Verfas570
Kušić, Kroatiens Wirtschaft auf dem Weg in die EU, Südosteuropa 2006, S. 214-234 (218).
M. Rötting, Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 208, DOI: 10.1007/978-3-642-01766-7_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
181
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Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane
sungsrechts. Die eigentlichen Beitrittsverhandlungen orientieren sich an den von der Kommission formulierten 31 Kapiteln des acquis communautaire. Daher muss die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen der Moment sein, an dem die institutionalisierte Überprüfung der Einhaltung der politischen Beitrittskriterien erfolgt. Wegen der Gleichstellung des neuen Mitglieds mit Altmitgliedern ab dem Tag des Beitritts erscheint es als sinnvoll, für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen denselben Maßstab anzulegen, wie er umgekehrt für die Suspendierung der Mitgliedschaft nach Art. 7 I EU erforderlich wäre. Zum Zeitpunkt der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen darf also keine „schwerwiegende und anhaltende Verletzung“ der Grundsätze des Art. 6 I EU seitens des beitrittswilligen Landes mehr vorliegen oder zu befürchten sein. Sollte nach Eröffnung der Beitrittsverhandlungen im beitrittswilligen Staat eine Lage eintreten, in der eine solche schwerwiegende und anhaltende Verletzung der Verfassungsprinzipien des Art. 6 I EU auftritt, so sind die Vertragsverhandlungen abzubrechen. Dafür gibt es mit der Unterbrechung der Beitrittsverhandlungen mit der Slowakei in Folge von Verstößen der Regierung Meciar gegen die europäischen Verfassungsprinzipien ein historisches Beispiel. Im Falle Kroatiens beschloss der Rat der Europäischen Union am 14. April 2003 die Anwendung des Verfahrens nach Art. 49 EU. Auf der Grundlage der Stellungnahme der Kommission zum kroatischen Beitrittsgesuch vom 20.4.2004 wurde Kroatien am 18.6.2004 vom Rat der Kandidatenstatus zugebilligt571. Am 13.9.2004 legte der Rat die „Prioritäten, Prinzipien und Voraussetzungen der EU-Partnerschaft“ fest572, die eine präzisiertere Grundlage des weiteren Verfahrens bilden. Der Beginn von Beitrittsverhandlungen wurde Kroatien am 17. Dezember 2004 für den 17. März 2005, einen Ostermontag, in Aussicht gestellt573.
571
Vgl. Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 10615/04 vom 16. Juni 2004, Draft Conclusions European Council (17-18 June 2004), http://ue.eu.int/ue Docs/cms_Data/docs/pressData/en/ec/80998.pdf. 572
Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 9376/04 vom 2.9.2004, Beschluss des Rates über Grundsätze, Prioritäten und Bedingungen der Europäischen Partnerschaft mit Kroatien, angenommen am 13.9.2004. 573
Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 16238/04 vom 17. Dezember 2004, Schlussfolgerungen des Vorsitzes zur Tagung des Europäischen Rates (Brüssel) vom 16./17. Dezember 2004, http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/ docs/pressData/de/ec/83221.pdf, http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/
Beitrittsgesuch als Beginn der Einleitung des Beitrittsverfahrens
183
Am 16. März 2005 beschloss der Rat der Europäischen Union in der Besetzung als Rat der Außenminister die Verschiebung des Beginns der Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien auf unbestimmte Zeit. Diese Entscheidung kam zustande, weil die für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen erforderliche Einstimmigkeit im Rat in Folge der Verweigerung der Zustimmung durch die Außenminister von vier Mitgliedstaaten, darunter Großbritannien, nicht erzielt werden konnte574. Andere Ratsvertreter, etwa aus Österreich, Ungarn und der Slowakei, brachten ihre Enttäuschung hierüber ungewöhnlich deutlich zum Ausdruck575. Der Rat begründete seinen Beschluss mit der nach Äußerungen der Chefanklägerin des ICTY, Carla Del Ponte, nicht gegebenen vollständigen Kooperation Kroatiens mit dem Tribunal unter Hinweis auf den zu überstellenden General Gotovina. Eine solche Verschiebung ist in der bisherigen Erweiterungsgeschichte der Europäischen Union noch nie vorgekommen. Parallelen lassen sich jedoch ziehen zum bereits erwähnten Einfrieren der Beitrittsverhandlungen mit der Slowakischen Republik während der Meciar-Regierung aufgrund von eklatanten Verstößen dieser Regierung gegen die Beitrittskriterien. Hingegen ist die Verschiebung in allerletzter Minute nicht nur verfahrensrechtlich erstaunlich. Eine ex post-Betrachtung zeigt, dass die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien bereits am 3. Oktober 2005 eröffnet wurden, Ante Gotovina jedoch erst am 8. Dezember 2005 festgenommen wurde – in Spanien, nachdem er sich zuvor auf Mauritius aufgehalten hatte. Die Verhandlungen mit der Republik Kroatien wurden also
cms_Data/docs/pressData/de/ec/83221.pdf, Schlussfolgerung Nr. 16.
alternativ:
Südosteuropa 2005,
574
Die Ratsvertreter von Großbritannien, der Niederlande, Dänemarks und Schwedens verweigerten ihre Zustimmung zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen. Deutlich die Position des britischen Außenministers Jack Straw am 16.3.2005: „Eine wesentliche Vorbedingung ist nicht erfüllt“. Ähnlich der niederländische Außenminister Bernard Bot: „Es wäre das falsche Zeichen, wenn die EU jetzt Verhandlungen mit Kroatien begönne“. Beide Äußerungen sind wiedergegeben bei http://www.eiz-niedersachsen.de/ewb/kroatien/news.htm unter >Kroatien> Aktuelle Informationen > 16.3.2005. 575
Markant die Äußerung der österreichischen Außenministerin Ursula Plassnik vom 16.3.2005: „Es geht nicht um Milde oder Härte mit Kroatien, sondern es geht um die Frage der Fairness“, wiedergegeben bei http://www.eizniedersachsen.de/ewb/kroatien/news.htm unter >Kroatien> Aktuelle Informationen > 16.3.2005.
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Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane
begonnen, obwohl der von Carla Del Ponte geforderte „Beweis“ der vollständigen Kooperation der Republik Kroatien mit dem ICTY, die Überstellung Ante Gotovinas an den Gerichtshof, noch nicht erbracht war. Die objektiv nachprüfbare Kooperation der Behörden der Republik Kroatien mit dem Kriegsverbrechertribunal war also am 3. Oktober 2005 genau so gut oder schlecht wie am 16. März 2005. Somit liegt der Gedanke an einen Verfahrensfehler im kroatischen Beitrittsverfahrens nahe, der entweder in der nicht erfolgten Eröffnung von Beitrittsverhandlungen zum 17. März 2005 oder in der erfolgten Eröffnung von Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober 2005 liegen könnte.
II. Die Affäre Gotovina: Verschiebung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien vom 16. März 2005 bis 3. Oktober 2005 Noch Ende März 2005 führte der fehlende Konsens in Bezug auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien zu einem Vakuum, das bisher in der Erweiterungspraxis der Europäischen Union ungekannt war. Wie bereits dargestellt, prüft normalerweise die EU-Kommission (gegebenenfalls unter Zuhilfenahme externen Sachverstands), ob die Vorbedingungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erfüllt sind576. Nach ihrer positiven Stellungnahme beschließt der Rat über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Die eigentlichen Verhandlungen werden dann in einer Regierungskonferenz mit allen Mitgliedstaaten der Union und dem beitrittswilligen Kandidaten geführt. Vorliegend gelang es den im Rat vertretenen EU-Außenministern jedoch nicht, einen Konsens über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zum geplanten Beitrittstermin am 17.3.2005 zu erreichen577. Besonders deutlich sprach sich die britische Regierung aufgrund der von ihr wahrgenommenen Defizite für eine Verschiebung des Verhandlungsbeginns aus, während etwa die österreichische, ungarische und sloweni-
576 577
Vgl. oben S. 142ff.
Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 6969/05 (Presse 44) vom 16. März 2005, 2649. Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“, S. 9.
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185
sche Position darauf drängten, die Beitrittsverhandlungen zum geplanten Zeitpunkt beginnen zu lassen578.
1. Ermittlung des dem Ratsbeschluss zugrunde liegenden Sachverhalts Wie oben gezeigt, ist die Kommission verfassungsrechtlich dafür verantwortlich, dem Rat vor entscheidenden Schritten im Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU die erforderlichen Sachverhaltsinformationen für seine Entscheidung bereitzustellen579. Deshalb muss die Kommission vor diesen entscheidenden Verfahrensschritten angehört werden. In der Praxis vorangegangener Beitrittsrunden zeigte sich, dass die entsprechenden Stellungnahmen der Kommission für die Beschlussfassung des Rates ein fundamentales Gewicht entfalten und dass die Kommission regelmäßig vor verfahrensrelevanten Schritten angehört wurde. Wir haben auch gesehen, dass die inhaltliche Voraussetzung für eine Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit einem Kandidaten die weitgehende Konvergenz mit den Grundsätzen, auf denen die Union beruht, ist. Implizit ist zudem erforderlich, dass die Kommission davon ausgeht, dass der Kandidatenstaat zum Zeitpunkt des Abschlusses der Beitrittsverhandlungen die Konvergenz mit den Grundsätzen, auf denen die Union beruht, erreichen wird. Dass die Europäische Kommission bei der Beurteilung dieser Frage auf externen Sachverstand von anderen Institutionen angewiesen ist, versteht sich angesichts ihrer begrenzten Ressourcen und der Komplexität der gestellten Problematik von selbst. So zeigt ein kurzer Blick auf den Beitritt etwa Spaniens oder zahlreicher mittel- und osteuropäischer Staaten, dass für die Frage der Einhaltung der Menschenrechte etwa die Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention und deren Anwendung eine entscheidende Rolle spielen. Insofern kann die Kommission die Frage der Einhaltung der Menschenrechte in beitrittswilligen Staaten nicht völlig unabhängig selbst beurteilen, sondern ist für diese Frage auf Stellungnahmen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs und des Europarats angewiesen. Diese Einbeziehung exter-
578
Bonse, Europäische Union sucht Ausweg aus der Beitrittskrise, Handelsblatt vom 16.3.2005 2005, S. 8. 579
Siehe oben S. 143ff.
186
Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane
nen Sachverstands ist daher an sich nicht zu kritisieren. Sie hat enorme Vorteile, birgt aber auch einige Gefahren.
a) Vorteile der Einbeziehung externen Sachverstands Die evidenten Vorteile dieses Vorgehens liegen darin, dass die Kommission die Fachkompetenz der jeweiligen externen Organisation nutzen kann. Die um Hilfe ersuchten Organisationen sind regelmäßig spezialisiert auf einzelne Teilfragen, die sich im Rahmen der Gesamtbetrachtung der Frage der Beitrittsfähigkeit ergeben. So können Stellungnahmen aus dem Bereich der EMRK für die Frage der Einhaltung der menschenrechtlichen Standards des Europäischen Verfassungsrechts überaus hilfreich sein580, während sie für die Beurteilung der Fähigkeit der Wirtschaft des Kandidatenstaates, auf dem gemeinsamen Markt zu bestehen, regelmäßig wertlos sein werden. In der Regel kann auf einzelne Teilfragen spezialisierten Organisationen auch eine größere Objektivität bei der Beurteilung der speziellen Teilfrage zugestanden werden, weil sie als „neutrale Dritte“ entscheiden können, die zumindest im Idealbild von einem möglichen Beitritt des betroffenen Staates zur Europäischen Union weder positiv noch negativ berührt werden; einem solchen also neutral gegenüberstehen können. Zudem können sie mit größeren personellen Ressourcen ausgestattet sein als die Kommission581.
b) Gefahren der Einbeziehung externen Sachverstands Bei der Nutzung externen Sachverstands für die Beurteilung der Beitrittsfähigkeit eines Landes zur Europäischen Union ergeben sich jedoch auch Gefahren. So verfügen auch die befragten Organisationen
580
Die EMRK lässt sich für die Bestimmung des Mindestgehalts der Gemeinschaftsgrundrechte heranziehen, siehe hierzu Calliess in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 6 EU, Rn. 3. 581
Ein konkreter Vergleich der Personalstärke der Kommission und der Anklagebehörde des ICTY zeigt jedoch, dass dem nicht so sein muss. So verfügte die Anklagebehörde etwa im ersten Jahr ihrer Tätigkeit über 67 Vollzeitstellen einschließlich des Chefanklägers, vgl. Bassiouni/ Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 831 (Auszug aus dem ersten Jahresbericht des Gerichtshofs).
Verschiebung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien
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möglicherweise nur über begrenzte personelle Ressourcen, deren Hintergrund einer eingehenden Überprüfung durch die Europäische Kommission entzogen ist. Zudem könnte es passieren, dass den so einbezogenen Organisationen neue, nicht satzungsmäßig für sie vorgesehene Aufgabenfelder zugewiesen werden und die Arbeit dieser Organisationen mit der politisch beladenen Aufmerksamkeit aufgrund der Relevanz für einen möglichen EU-Beitritt belastet wird. Schließlich ist zu bedenken, dass Sachverständige, die außerhalb des Rechtsrahmens der Europäischen Union stehen, nicht notwendig in den Kategorien der Begrifflichkeiten der Europäischen Union und ihrer Rechtsordnung denken und urteilen. Diese Punkte muss die Kommission beachten, wenn sie für ihre Evaluation auf externen Sachverstand zurückgreift. Daraus ergibt sich die rechtliche Konsequenz, dass sich die Kommission durch die Einbeziehung von externem Sachverstand nicht ihrer Verpflichtung gegenüber dem Rat zur Bereitstellung der für die Beschlussfassung zum anstehenden Verfahrensschritt erforderlichen Datengrundlage entledigen kann. Die Kommission ist folglich, wie aus ihrer in Art. 49 EU fixierten Rolle im Beitrittsverfahren geschlossen werden kann, dazu verpflichtet, selbst dem Rat die Datengrundlage für seine beitrittsverfahrensrechtliche Beschlussfassung zu liefern. Dazu kann sie sich der Hilfe externer Sachverständiger bedienen; gegebenenfalls ist hierzu sogar eine entsprechende Verpflichtung denkbar, sofern der erforderliche Sachverstand in der Kommission nicht vorhanden ist. Die Kommission darf jedoch nicht ihre nach Art. 49 EU erforderliche Mitwirkung am Beitrittsverfahren vollständig an Sachverständige delegieren, die außerhalb des rechtlichen Rahmens des Unionsrechts stehen. Sie muss vielmehr selbst dem Rat gegenüber zu einer Einschätzung gelangen. Schon in den späten fünfziger Jahren hat der EuGH bezüglich der förmlichen Delegation von Durchführungsbefugnissen aufgrund des EGKS-Vertrages in der Meroni-Rechtsprechung festgehalten, dass eine solche förmliche Delegation nur zulässig ist, wenn (1) genau umgrenzte Ausführungsbefugnisse delegiert werden und (2) die Ausführung der delegierten Aufgabe in vollem Umfang von der delegierenden Behörde überwacht wird582. Schon hieraus folgt in analoger Anwendung, da kei-
582
EuGH, Rs. 9/56 und 10/56 vom 13. Juni 1958, Meroni, Slg. 1958, S. 9 und S. 51 (43, 81).
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Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane
ne förmliche Delegation vorliegt, eine Pflicht der Kommission zur Überwachung externer Sachverständiger, deren sie sich bedient. In der Folgezeit entwickelte der EuGH in Anbetracht der im europäischen Primärrecht fehlenden Vorschriften zu einer Gewaltenteilung oder Gewaltentrennung das Verfassungsprinzip des institutionellen Gleichgewichts583. Es besagt, dass den Verfahrensregelungen über das Zusammenwirken der Organe eine entscheidende – dem Grundsatz der Gewaltenteilung im nationalen Verfassungsrecht vergleichbare! – Bedeutung zukommt. Die den Organen durch die horizontale Kompetenzverteilung jeweils zugeteilten Aufgaben müssen effektiv geschützt werden584. Wie Jürgen Bast feststellt, ergibt sich aus Art. 249 EG ein Intraorganverhältnis, das auf den Grundsätzen der Autonomie und der Gleichberechtigung der Organe beruht585. Die entscheidende verfassungsrechtliche Schlussfolgerung ziehen Manfred Zuleeg und Anna von Oettingen, wenn sie auf dieser Grundlage feststellen, dass das europäische Primärrecht „den Organen jeweils bestimmte Kompetenzen zugewiesen [hat], die nicht politisch ausgestaltet oder übertragen werden können“586. Das gilt sowohl für Kompetenzen auf der Grundlage des EG-Vertrages als auch für solche auf der Grundlage des EU-Vertrages, da beide als ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts enthalten. Die Verpflichtung der Europäischen Kommission, die ihr von Art. 49 I 2 EU zugewiesene Kompetenz selbst wahrzunehmen und sie nicht vollständig an einen außerhalb der Unionsrechtsordnung stehenden Sachverständigen zu delegieren, folgt also letztlich aus dem Verfassungsgrundsatz des institutionellen Gleichgewichts der Organe, das bereits mit der Meroni-Rechtsprechung vorgezeichnet wurde und seine ultimative Verankerung im Gedanken der Rechtsgemeinschaft findet.
583
Vgl. EuGH, Rs. C-70/88 vom 22.5.1990, Parlament/Rat, Slg. 1990, S. I2041 (21,22), vor allem die Aussage, die Befugnisse des Parlaments seien „Bestandteil des von den Verträgen gewollten institutionellen Gleichgewichts“. 584
Zuleeg/ von Oettingen, Rechtsstaat und europäische Rechtsetzung, DRiZ 2007, S. 268. 585
Bast, Handlungsformen, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 479-537 (504). 586
Zuleeg/ von Oettingen, Rechtsstaat und europäische Rechtsetzung, DRiZ 2007, S. 268.
Verschiebung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien
189
Dieses Ergebnis lässt sich auch unmittelbar im Normtext verorten. Nach Art. 49 I 2 EU „beschließt [der Rat] einstimmig nach Anhörung der Kommission“; von einer Anhörung unabhängiger Sachverständiger spricht die Verfassungsnorm gerade nicht.
c) Vorgehen von Kommission und Rat im Vorfeld der Beschlussfassung am 16. März 2005 Im Fall der für 17. März 2005 angekündigten Eröffnung von Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Republik Kroatien587 war es somit die aus Art. 49 I 2 EU folgende Aufgabe der Europäischen Kommission, dem Rat der Europäischen Union die Datengrundlage für die Beschlussfassung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen am 16. März 2005 bereit zu stellen. Vor diesem rechtlichen Hintergrund erstaunt der Verweis auf die Äußerung der ICTY-Chefanklägerin Carla Del Ponte, Kroatien kooperiere nicht vollständig mit dem Gerichtshof, in der Begründung des Ratsbeschlusses vom 16. März 2005 zur Verschiebung der Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien auf unbestimmte Zeit588. Wie Thomas Hagleitner vom juristischen Dienst der Kommission, DG Enlargement, Croatia-Team, dem Verfasser in einer Email vom 15. Dezember 2005 bestätigt hat, hat die Kommission den Rat regelmäßig über den Stand der Erfüllung der für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen erforderlichen Kriterien informiert. Die letzte diesbezügliche Stellungnahme erging durch Erweiterungskommissar Rehn am
587
Dieses Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen wurde festgesetzt durch Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 16238/04 vom 17. Dezember 2004, Schlussfolgerungen des Vorsitzes zur Tagung des Europäischen Rates (Brüssel) vom 16./17. Dezember 2004, http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/ pressData/de/ec/83221.pdf, http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Da ta/docs/pressData/de/ec/83221.pdf, alternativ: Südosteuropa 2005, S. 140-146, Rn. 17. 588
Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 6969/05 (Presse 44) vom 16. März 2005, 2649. Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“, S. 9 sowie Rat der Europäischen Union, Conclusions of the General Affairs and External Relations Council regarding Croatia, 16. März 2005, 4. und 5. Absatz, online abrufbar auf der Seite der luxemburgischen Ratspräsidentschaft unter http://www.eu2005.lu/en/actualites/conseil/2005/03/16conclu sionscagre/croatia.pdf.
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31. Januar 2005589. Bezüglich der Verpflichtung der kroatischen Seite zur vollen Kooperation mit dem ICTY und der Betonung, dass es nur das reguläre Verfahren zum EU-Beitritt über die Erfüllung des Beitrittskriteriums der Rechtsstaatlichkeit gebe, ist diese Stellungnahme ausgesprochen deutlich: “The Commission has delivered its part of the job in timely fashion. Now it is up to the Croatian authorities to prove that they fully cooperate with the tribunal in The Hague. If the Commission were to give its recommendation on the basis of today’s information, I could not recommend opening negotiations with Croatia. I trust the Croatian government will take this message seriously. There is no shortcut to Europe, just the regular road, which means the respect of the rule of law.”590 Drei Elemente fallen an dieser Stellungnahme auf. Zunächst macht der Erweiterungskommissar – trotz der deutlichen Worte, die er zur Verpflichtung der Republik Kroatien zur vollständigen Kooperation mit dem ICTY gefunden hat – nicht eindeutig klar, wie Kroatien die vollständige Kooperation mit dem Gerichtshof beweisen soll. Von den kroatischen Behörden wird ein Beweis für ihre vollständige Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal verlangt, ohne ausdrücklich zu sagen, worin dieser Beweis bestehen soll. In Anbetracht der bereits erwähnten 625 erfüllten von 626 Rechtshilfeersuchen des Gerichtshofes erschließt sich der geforderte Beweis erst aus dem Kontext. Diverse Äußerungen der ICTY-Chefanklägerin Carla Del Ponte vor dem 31. Januar 2005, aber auch nach diesem Datum, weisen darauf hin, dass das Kriegsverbrechertribunal zum Beweis der vollständigen Kooperation die Auslieferung von General Ante Gotovina erwartete. Hinter diese Forderung stellt sich die Kommission selbst jedoch höchstens implizit. Ein eindeutiger Bezug des Erweiterungskommissars auf die Überstellung Gotovinas fehlt allen verbindlichen Dokumenten, die stets nur eine vollständige Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal verlangen und die Frage, ob diese Kooperation vollständig ist, dem ICTY überantworten. Die Kommission delegiert die Entscheidung dieser kritischen Frage also an den ICTY. Am deutlichsten zeigt sich die inoffizielle Verknüpfung der Frage der vollständigen Kooperation mit der Frage der Überstellung von General Gotovina in einer Rede, die Erweiterungskommissar 589 590
Vgl. EU-Kommission, IP/05/05 vom 31. Januar 2005. EU-Kommission, IP/05/05 vom 31. Januar 2005, S. 1.
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Rehn vor dem Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments am 18. Januar 2005 gehalten hat. Hier heißt es: “(I)t is now of outmost importance that Croatia does everything in its power to ensure full cooperation with the ICTY. (…) I made it very clear to our Croat counterparts yesterday that Croatia must solve the issue of General Gotovina. (…) Without a positive assessment by ICTY, negotiations will not open on 17 march”591. In dieser Rede zeigt sich die Abhängigkeit von einer positiven Einschätzung durch den ICTY sowie die Verknüpfung der Frage der vollständigen Kooperation mit dem Gerichtshof mit der Frage der Überstellung von General Gotovina nach Den Haag. Auch hier wird jedoch nur eine Lösung des Problems von Kroatien gefordert und nicht explizit die Überstellung des Generals verlangt. Diese Forderung stellte vielmehr ausschließlich der ICTY. Zweitens ist befremdlich, dass die letzte Stellungnahme des Erweiterungskommissars zur Frage der Erfüllung des Beitrittskriteriums der Rechtsstaatlichkeit („respect for the rule of law“) vor dem Ratsbeschluss vom 16. März 2005 vom 31. Januar 2005 datiert. Über sechs Wochen sollte die kroatische Regierung die Warnung des Kommissars ernst nehmen („take this message seriously“)592, was zumindest nach dem Medienecho innerhalb und außerhalb Kroatiens auch der Fall war. Wie wir mittlerweile wissen, hielt sich der gesuchte General zum Zeitpunkt des Ratsbeschlusses über die Verschiebung des Beginns der Beitrittsverhandlungen schon nicht mehr in Kroatien auf593. Ein Beweis der vollständigen Kooperation der kroatischen Behörden mit dem Kriegsverbrechertribunal durch die Auslieferung des letzten gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrechers der kroatischen Seite an den ICTY war also aus tatsächlichen Gründen gar nicht mehr möglich. Der ICTY verlangte von der Republik Kroatien eine unmögliche Handlung zum Beweis ihrer vollständigen Kooperation, und die EUKommission ermöglichte durch die Abhängigmachung ihres Urteils von der Stellungnahme des ICTY, dass dieser unmittelbar über den Fortgang im kroatischen Beitrittsverfahren entscheiden konnte. Die 591
European Parliament Foreign Affairs Committee, SPEECH/05/20 vom 18.1.2005, Brüssel, Olli Rehn (Member of the European Commission, responsible for Enlargement): State of play: Enlargement process. 592 593
EU-Kommission, IP/05/05 vom 31. Januar 2005, S. 1.
Schwarz, Als Kriegsheld gefeiert, als Kriegsverbrecher gesucht, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.12.2005 2005, S. 3.
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kroatische Regierung hat zu diesem Zeitpunkt bereits konsistent behauptet, sie habe keinen Zugriff auf Ante Gotovina594. Vor diesem Hintergrund wäre seitens der Kommission eine detailliertere Beschreibung des geforderten Beweises für die vollständige Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal erforderlich und für die erfolgreiche Fortsetzung des Beitrittsverfahrens hilfreich gewesen. Schließlich befremdet in der Stellungnahme des Erweiterungskommissars an den Rat vom 31. Januar 2005, dass der Rat am 16. März 2005 nicht auf sie Bezug genommen hat595, sondern den fehlenden Konsens auf Äußerungen der ICTY-Chefanklägerin stützt. Diese hatte im Vorfeld des 16. März 2005 auf einer Pressekonferenz am 8. März 2005 ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, dass der angeklagte kroatische General Gotovina noch nicht an ihren Gerichtshof überstellt worden sei und darin einen Beleg für die mangelnde Kooperation der kroatischen Seite mit ihrem Gerichtshof gesehen596. Nach den Informationen von Thomas Hagleitner vom juristischen Dienst der Kommission stützte sich der Rat am 16. März 2005 neben den Äußerungen der Chefanklägerin auf besagter Pressekonferenz inhaltlich auf unterschiedliche Quellen. Hierzu gehören die regelmäßigen Berichte des ICTY-Präsidenten597 und der ICTY-Chefanklägerin598 an 594
Siehe etwa die Stellungnahme des kroatischen Ministerpräsidenten Sanader in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26.3.2005, S. 6 „Kroatien erleichtert über EU-Beschluß“: „Wir werden alles tun, was wir können, um den Fall Gotvina zu lösen, und wenn wir ihn nicht lösen können, werden wir verlangen, daß unsere Bemühungen gewürdigt werden“ (Hervorhebungen vom Verfasser). 595
Vgl. Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 6969/05 (Presse 44) vom 16. März 2005, 2649. Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“, S. 9. 596
Siehe Handelsblatt vom 9. März 2005, S. 7: EU verhandelt erst später mit Kroatien; so mehrfach wiederholt, etwa in Office of the Prosecutor, CDP/MOW/977-e, Address by Carla Del Ponte, Prosecutor of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia to the Security Council, 13 June 2005, http://www.un.org/icty/pressreal/2005/p977-e.htm, 9. Absatz: “Until Gotovina is in The Hague, or until Croatia is providing the precise whereabouts of this fugitive, it is impossible to say, however, that Croatia is fully cooperating with the ICTY”. 597
Vgl. etwa United Nations Security Council, S/2005/343, Letter dated 25 May 2005 from the President of the International Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of the Former Yugoslavia since 1991, ad-
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den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen; regelmäßige Berichte in der Form eines Briefes an den Ratsvorsitz, davon der letzte Brief Carla Del Pontes an den luxemburgischen Ratsvorsitz Mitte Februar 2005, sowie eigene geheimdienstliche Informationsquellen einiger Mitgliedstaaten aus der Region. Es verwundert, in welch geringem Ausmaß die für die Beschlussfassung maßgeblichen Datengrundlagen von der Kommission bereitgestellt wurden. Man kann in der von der Kommission vorgenommenen Einbeziehung des Sachverstands der ICTY-Chefanklägerin in Bezug auf den Aspekt der vollständigen Zusammenarbeit mit dem ICTY als Unterpunkt des Beitrittskriteriums der Einhaltung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit durchaus davon sprechen, dass die Kommission durch die unklare Formulierung der Forderung an die kroatische Regierung die Beurteilung dieses Beitrittskriteriums an die ICTY-Chefanklägerin „outgesourct“ hat. Der den Wirtschaftswissenschaften entlehnte Begriff des „Outsourcing“ wird in diesem Zusammenhang bewusst verwendet. Beim Outsourcing werden außerhalb eines Unternehmens liegende Bezugsquellen für die Erledigung an sich unternehmensinterner Aufgaben herangezogen, wobei im Gegensatz zum „Sourcing“ ein Verantwortungsübergang an den externen Produzenten oder Dienstleister stattfindet599. Für einen förmlichen Delegationsakt der EU-Kommission an den ICTY fehlen hier jegliche Anhaltspunkte. Das unterscheidet den Sachverhalt grundlegend von der Delegation von Durchführungsbefugnissen der Hohen Behörde auf eine nach dem innerstaatlichen Recht eines Mitgliedstaats errichtete juristische Person des Privatrechts in den Meroni-Urteilen600. Die Kommission hat informell eine ihr obliegende Aufgabe, die Evaluation der Zusammenarbeit mit dem ICTY im Rah-
dressed to the President of the Security Council, Rn. 17. Hier heißt es wörtlich: “As to the status of co-operation with Croatia, the situation remains the same as last reported: good except for the arrest and transfer of Ante Gotovina (…)”. 598
Vgl. Office of the Prosecutor, CDP/MOW/977-e, Address by Carla Del Ponte, Prosecutor of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia to the Security Council, 13 June 2005, http://www.un.org/icty/pressreal/ 2005/p977-e.htm, 9. Absatz. 599
Brockhaus-Enzyklopädie, Band 20, Norde-Parak, 21. Auflage 2006, Stichwort “Outsourcing”. 600
Vgl. EuGH, Rs. 9/56 und 10/56 vom 13. Juni 1958, Meroni, Slg. 1958, S. 9 und S. 51.
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men des Beitrittskriteriums der Rechtsstaatlichkeit, an den ICTY abgegeben. Rechtlich blieb, wie oben gezeigt, die Kommission schon wegen des klaren Wortlauts des Art. 49 I 2 EU weiter zur Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet – so wie ein outsourcender Unternehmer seinem Kunden gegenüber weiter verpflichtet bleibt, de facto hat sie die Verantwortung zur Evaluation der Zusammenarbeit an den Gerichtshof übertragen. Damit gleicht die Konstruktion dem Outsourcing, bei dem eine interne Aufgabe gegen Bezahlung an einen vermeintlich effektiveren externen Dienstleister abgegeben wird. Auch ein Bezahlungselement findet sich vorliegend: Das Kriegsverbrechertribunal wird durch die Relevanz seiner Aussage mit einem Sanktionsinstrument gegen die Republik Kroatien ausgestattet und kann somit gegenüber Kroatien effektiver agieren als gegenüber Staaten, denen gegenüber es über keine Sanktionsinstrumente verfügt. In Anbetracht der Abhängigkeit des kroatischen Beitrittsverfahrens davon, ob Kroatien mit dem Kriegsverbrechertribunal vollständig kooperiert und somit das europäische Verfassungsprinzip der Rechtsstaatlichkeit wahrt, ist davon auszugehen, dass sich die Kommission ab spätestens Ende Januar 2005 im Wege des Outsourcing an den ICTY selbst entmachtet hat. Bereits aus den Grundsätzen der Meroni-Rechtsprechung601, die analog auch auf die nichtförmliche Kompetenzabgabe Anwendung finden müssen, folgt die Verpflichtung zur Überwachung der Ausführung der delegierten Aufgabe durch die Kommission. Weiter ergibt sich aus dem Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts, dass die Kommission ihr zugewiesene Kompetenzen auch selbst wahrzunehmen hat. Das betrifft insbesondere die Ausübung des ihr bei der Evaluation des kroatischen Vorgehens eingeräumten Ermessensspielraumes602. Dem ist die Kommission hier nicht nachgekommen. Die Kommission hat somit die ihr in Art. 49 I 2 EU verfassungsrechtlich zugedachte Rolle im kroatischen Beitrittsverfahren nicht mehr wahrgenommen. Damit hat sie gegen das verfassungsrechtlich vorgesehene Verfahren beim Beitritt eines Staates zur Europäischen Union verstoßen.
601
EuGH, Rs. 9/56 und 10/56 vom 13. Juni 1958, Meroni, Slg. 1958, S. 9 und S. 51 (43, 81). 602
Nach deutscher Dogmatik besser Beurteilungsspielraum; der EuGH trennt jedoch nicht zwischen diesen beiden Rechtsfiguren.
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Der Rat hat das Outsourcing an den ICTY in der Frage der Beurteilung des Beitrittskriteriums der Rechtsstaatlichkeit hingenommen, indem er diese Vorgehensweise nicht kritisiert hat603 und seine Beschlussfassung auf die alternativ bereitstehende Datengrundlage gestützt oder sich eigene Quellen durch die Geheimdienstinformationen einzelner Mitgliedstaaten erschlossen hat604. Er hat damit die Selbstentmachtung der Kommission hingenommen und den hiermit verbundenen Verfahrensfehler toleriert, statt vor der Beschlussfassung am 16. März 2005 eine weitere, abschließende Stellungnahme dahingehend einzufordern, welche konkreten Schritte die kroatischen Behörden seit dem 31. Januar 2005 unternommen haben, um die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze in Kroatien in Bezug auf die vollständige Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal zu beweisen und welche Empfehlung die Kommission nunmehr in Bezug auf die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien geben könne. Der Rat der Europäischen Union hat somit im Vorfeld der Beschlussfassung am 16. März 2005 die erneut verfassungsrechtlich nach Art. 49 I 2 EU gebotene Anhörung der Kommission unterlassen und somit den Verfahrensverstoß hingenommen. Rat und Kommission haben mit ihrem Vorgehen bis zum 16. März 2005 folglich gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 49 I EU verstoßen und damit das kroatische Recht auf ein ordentlich gemäß den verfassungsrechtlichen und einfachrechtlichen Bestimmungen durchgeführtes, rechtlich geordnetes Beitrittsverfahren verletzt. Diese Rechtsverletzung kann auch nicht durch einen Hinweis auf die letztlich politisch zu fällende Beitrittsentscheidung geheilt werden, denn Art. 49 I 2 EU verpflichtet, auch im Interesse des Beitrittskandidaten, den Rat vor wesentlichen Verfahrensschritten im Beitrittsverfahren zur Anhörung der Kommission und verbietet es der Kommission implizit, ihre Mitwirkung am Beitrittsverfahren an fremde Sachverständigenorganisationen zu übertragen. Die verfassungsrechtlich der Kommission zugedachte Rolle muss bei der Kommission verbleiben; ein Outsourcing mit Übertragung der Verantwortung an eine außerhalb der Unionsrechtsordnung stehende Institution ist mithin ausgeschlossen. Mit ihrem Vorgehen haben die Europäische Kommission und der Eu603
Vgl. Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 6969/05 (Presse 44) vom 16. März 2005, 2649. Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“, S. 9. 604
Email von Thomas Hagleitner, EU-Kommission, GD Erweiterung, an den Verfasser vom 15. Dezember 2005.
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ropäische Rat das EU-Beitrittsverfahren der Republik Kroatien somit in eine verfassungsrechtlich relevante Krise gestürzt.
2. Probleme des Vorgehens von Kommission und Rat im Vorfeld des 16. März 2005 Die Übertragung der Beurteilungskompetenz zur Einhaltung des Beitrittskriteriums der Rechtsstaatlichkeit an das UN-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien führte dazu, dass die Unionsorgane, die nach Art. 49 I 2 EU verfassungsrechtlich für die Beantwortung der Frage vorgesehen sind, ob ein Beitrittskandidat die Voraussetzungen für bestimmte Schritte des Beitrittsverfahrens erfüllt, dieser Aufgabe nicht mehr in der in der Norm vorgesehenen Art und Weise nachgekommen sind605. Diese Vorgehensweise führte das kroatische Beitrittsverfahren in den Stillstand einer im Erweiterungsrecht der Europäischen Union bisher einmaligen Krise606. Die Folgen für die Unionsrechtsordnung sind gravierend607. Es kommt jedoch auch möglicherweise zu Problemen bei der um Unterstützung ersuchten Sachverständigenorganisation. Das soll im Folgenden am Beispiel des ICTY illustriert werden. Zur Beurteilung der Frage, inwieweit in Kroatien die Aufarbeitung des Unrechts, das während des Unabhängigkeitskrieges und des sog. „Heimatkrieges“ geschehen ist, erfolgreich vonstatten geht, band die Kommission die Expertise des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien ein. Ausschlaggebend waren hier insbesondere die Äußerungen von Chefanklägerin Carla Del Ponte. Die Einbeziehung externen Sachverstands für die Beurteilung einer beitrittsverfahrensrechtlichen Frage durch die Kommission ist, solange sich die Kommission damit den erforderlichen Sachverstand verschafft, rechtlich nicht zu beanstanden.
605
Siehe oben S. 193ff.
606
Vgl. Watkins, Croatia at a Crossroads: The EU – ICTY Debate, in: Conflict Studies Research Center (Surrey) 2005, alternativ veröffentlicht in: Review of International Affairs 2005, Ausg. 1117, S. 31-33 “History will remember the event as Croatia being the first country in EU history to have its accession negotiations cancelled or postponed”. 607
Hierzu unten S. 207ff., 215ff.
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Das bisher noch nicht in einem Beitrittsprozess vorkommende Element im Beitrittsverfahren der Republik Kroatien ist nun, dass die Europäische Kommission die Beantwortung der Frage der vollständigen Kooperation mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien ( – eine Frage, die der Beurteilung der Einhaltung des Kriteriums der Rechtsstaatlichkeit dient – ) vollständig an die Chefanklägerin abgegeben hat. Anders als die bloße Einbeziehung fremden Sachverstands begegnet dieses Vorgehen erheblichen Bedenken.
a) Probleme der Übertragung von verfassungsverfahrensrechtlichen Aufgaben der Kommission an den ICTY für die Arbeit des Gerichtshofs Aus der Sicht des ICTY als der Sachverständigenorganisation, die von der Kommission zur Beurteilung des Sachverhalts einbezogen wird, könnte man zunächst der Ansicht sein, dass aus den gleichen Gründen, die eine Bereitstellung des Sachverstandes für die Zwecke der Union als sinnvoll erscheinen lassen, es auch nicht zu beanstanden sei, wenn die Sachverständigenorganisation eine vom Unionsrecht gestellte Frage selbst beantwortet. Die Einbeziehung des UN-Kriegsverbrechertribunals in die unionsrechtliche Frage, ob die Republik Kroatien dem Standard zur Einhaltung des unionsverfassungsrechtlichen Prinzips der Rechtsstaatlichkeit entspricht, zeigt jedoch, dass zwischen der Bereitstellung von externem Sachverstand zur Beurteilung einer spezifischen Frage und ihrer letztverbindlichen Beantwortung eine enorme Lücke klafft, die die Arbeit der als Sachverständigenorganisation einbezogenen Institution fundamental belasten kann.
aa) Aufgabengebiet des Kriegsverbrechertribunals Das UN-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien wurde durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats608 auf der Grundlage von Art. 41 der UN-Charta609 mit dem Ziel geschaffen, den Friedens- und 608
S/RES 817 vom 25. Mai 1993, zuletzt geändert durch S/RES 1481 vom 19. Mai 2003. Die aktuell gültige Fassung des Statuts ist online abrufbar unter http://www.un.org/icty/legaldoc-e/index.htm. 609
Diese Rechtsgrundlage war umstritten. Im Fall Tadić, dem ersten Fall vor dem ICTY, argumentierte die Verteidigung, dass der Sicherheitsrat mit der Errichtung des Gerichtshofs kompetenzwidrig gehandelt habe. Dieses Argument griff nicht, da Art. 41 UN-Charta lediglich eine nicht abschließende Beispielliste der möglichen Maßnahmen enthält. Vgl. Decision on the Defence Motion for
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Aussöhnungsprozess in und zwischen den Ländern des früheren Jugoslawiens durch eine juristische Aufarbeitung des in den Konflikten um die Auflösung Jugoslawiens begangenen Kriegsunrechts zu stützen610. Die Festlegung der Arbeit des ICTY auf die Unterstützung des Friedensprozesses folgt schon daraus, dass der UN-Sicherheitsrat kein Gremium zur Rechtsdurchsetzung darstellt, sondern eines zur Friedensschaffung. Die Rechtsdurchsetzung, wie hier mittels des ICTY, fällt daher nur dann in den Aufgabenbereich des Sicherheitsrats, wenn sie mit der Aufrechterhaltung bzw. Schaffung von Frieden und Sicherheit auf internationaler Ebene zusammenfällt611. Diese Fokussierung der Arbeit des Kriegsverbrechertribunals auf die Befriedungsfunktion kommt auch in den nach Art. 1 bis 4 der ICTY-Statuten verfolgbaren Straftaten zum Ausdruck, die nur das schwerwiegende Kriegsunrecht abbilden, das von kroatischer, serbischer und bosnisch-muslimischer Seite in den Konflikten im Zuge des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawiens seit 1991 begangen wurde612. Die Fähigkeit des ICTY, diese Befriedungsfunktion wahrzunehmen, wurde teilweise heftig bestritten613. Um seine Aufgabe erfolgreich bewerkstelligen zu können, muss das Tribunal daher, wie Rachel Kerr in ihrer Analyse der Arbeit des ICTY treffend feststellt, einen behutsamen Balanceakt an der Schnittstelle zwischen Recht und Politik bewerkstelligen, um die politische Umwelt so zu beeinflussen, dass sie die judizielle Funktion des Gerichtshofes stützt, ohne dass das Gerichtsverfahren dadurch politisiert wird614. Dabei kommt dem politischen und diplomatischen Scharfsinn des Chefanklägers eine Schlüsselrolle zu, die Politisierung des justiziellen VerfahInterlocutory Appeal on Jurisdiction, Prosecutor v. Tadić, IT-94-1, 2. Oktober 1995, Rn. 35f. 610
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 62. 611
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 9. 612
Siehe Lescure/ Trintignac, International Justice for Former Yugoslavia. The Working of the International Criminal Tribunal of the Hague, S. 19ff. 613
Siehe etwa Fox, The Objections to Transfer of Criminal Jurisdiction to the UN Tribunal, 46 International and Comparative Law Quaterly (1997), S. 434-442. 614
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 3; Lescure/ Trintignac, International Justice for Former Yugoslavia. The Working of the International Criminal Tribunal of the Hague, S. 70.
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rens zu verhindern und so die Effektivität der Arbeit des Gerichtshofs sicherzustellen615.
bb) Einbeziehung in das EU-Beitrittsverfahren außerhalb des zugewiesenen Aufgabenkreises Durch das Politikum eines möglichen EU-Beitritts Kroatiens wurde das UN-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien in seiner wichtigen eigentlichen Arbeit belastet. Statt sich der für die Zukunft der Westbalkanländer fundamental wichtigen friedensschaffenden und -sichernden Aufgabe der juristischen Aufarbeitung des Kriegsunrechts616 vollständig widmen zu können, musste der Gerichtshof, vor allem das Büro der Anklage (Office of the Prosecutor), zusätzliche Ressourcen für die Beurteilung der Kooperationsfrage bereitstellen. Die öffentliche Aufmerksamkeit in den Ländern der Region, aber auch in den Ländern der Europäischen Union, konzentrierte sich auf die Frage, wie der Beitrittskandidat Kroatien aus der Sicht des UNKriegsverbrechertribunals mit diesem kooperiert statt darauf, ob und wie es dem Kriegsverbrechertribunal gelingt, im Wege der juristischen Aufarbeitung des begangenen Kriegsunrechts Kriegsverbrecher einer als gerecht empfundenen Strafe zuzuführen und so die Befriedungsmöglichkeiten des Rechts in der Region zu nutzen617. Vor dem Hintergrund, dass der ICTY für eine erfolgreiche Arbeit neben seiner juristischen Rolle auch diplomatisches und politisches Geschick beweisen muss, da er auf die Kooperation der Staaten und anderer Akteure angewiesen ist618, könnte die Zusammenarbeit der ICTYChefanklägerin mit Kommission und Rat im Rahmen des EU-Beitrittsverfahrens der Republik Kroatien zu interpretieren sein. Diese Zusammenarbeit könnte zudem die Arbeit des Gerichtshofs stärken. Die Europäische Union stattet durch ihr Vorgehen im kroatischen Beitritts615
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 11. 616
Zur Versöhnungs- und Friedenssicherungsfunktion des ICTY Pruzan, Reconciliation in BIH and the Role of the ICTY. Essay presented at the XI Cervia International Summer School 2005. 617
Pruzan, Reconciliation in BIH and the Role of the ICTY. Essay presented at the XI Cervia International Summer School 2005, S. 10. 618
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 115.
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verfahren das UN-Kriegsverbrechertribunal mit einem Sanktionsinstrument im EU-Beitrittsverfahren aus, sofern Kroatien als beitrittswilliger Staat nicht vollständig mit dem Gerichtshof kooperiert.
cc) Zusätzliches Sanktionsinstrument Unbestritten erhält das UN-Kriegsverbrechertribunal durch die Verknüpfung seiner Beurteilung der kroatischen Kooperation mit dem Fortgang des EU-Beitrittsverfahrens eine höhere Beachtung in den Medien, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Arbeit des Gerichtshofs im Besonderen und den Friedensprozess in den Ländern des westlichen Balkans im Allgemeinen lenkt. Hinzu tritt, wie die Verschiebung des Beginns der Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Republik Kroatien zeigt, ein neues Sanktionsinstrument für die ICTY-Chefanklägerin, nämlich die Auswirkung ihrer Einschätzung auf das unionsrechtliche Beitrittsverfahren. Wenn der Rat der Europäischen Union, hierzu verleitet durch die Übertragung der Sachverhaltsbeurteilung von der Kommission an den ICTY als externe Sachverständigenorganisation, die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen von der Einschätzung der ICTY-Chefanklägerin zu einer Frage des Rechts des UN-Kriegsverbrechertribunals (also einer völkerrechtlichen Institution, die nicht der Rechtsordnung der Unionsrechtsordnung angehört) abhängig macht statt von einer Einschätzung der Kommission zu einer unionsrechtlichen Frage, so entscheidet damit die ICTYChefanklägerin letztverbindlich darüber, ob der Rat der Europäischen Union Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien eröffnet. In der Satzung des UN-Kriegsverbrechertribunals ist ein solches, unmittelbare tatsächliche Rechtsfolgen hervorrufendes Sanktionsinstrument, wie es durch die Übertragung der Sachverhaltsbeurteilungskompetenz von der Europäischen Kommission an die ICTY-Chefanklägerin für die Republik Kroatien geschaffen wird, jedoch nicht vorgesehen. Positiv gesprochen statten die Organe der Europäischen Union damit die Handlungen des UN-Kriegsverbrechertribunals mit mehr Effektivität aus. Dass die Unionsrechtsordnung anderen internationalen Rechtsregimen unterstützend unter die Arme greift, indem es ihre Regelungen mit europarechtlichem „Biss“ ausstattet, ist eine bemerkenswerte, jedoch nicht unbekannte Tatsache. So unterstützt das Gemeinschaftsrecht in der Interpretation des EuGH etwa das Recht der Welthandelsorganisation, indem es unter bestimmten Voraussetzungen welthandelsrechtli-
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che Regelungen mit der unmittelbaren Wirksamkeit des Europarechts ausstattet. Nach den Grundsätzen der Nakajima-Rechtsprechung des EuGH ist ein Gemeinschaftsrechtsakt dann am Maßstab des WTO-Rechts zu messen, wenn die Gemeinschaft durch ihn eine bestimmte im Rahmen der WTO eingegangene Verpflichtung übernehmen wollte619. Nach der Fediol-Rechtsprechung ist eine Überprüfung am Maßstab des WTORechts zudem auch dann möglich, wenn der Gemeinschaftsrechtsakt ausdrücklich auf eine spezielle Bestimmung des WTO-Rechts verweist620. Weiter besteht die Möglichkeit der WTO-rechtskonformen Auslegung von Gemeinschaftsrechtsakten621. Darüber hinaus sehen Armin von Bogdandy und Tilman Makatsch in der Rechtsprechung des EuGH Hinweise darauf, dass mitgliedstaatliche Maßnahmen generell am Maßstab des WTO-Rechts zu messen sind622. Für den Bereich des Rechts der Europäischen Union erhält das Welthandelsrecht somit in Ausnahmefällen unmittelbare Wirkungen, die WTO und GATT als völkerrechtliche Rechtsregime an sich nicht entfalten – und dies ohne Rücksicht darauf, ob andere WTO-Vertragsparteien diese rechtlichen Wirkungen reziprok gewähren. Allerdings zeigt dieser Fall auch, dass der eingeräumte „europarechtliche Biss“ nur innerhalb des Geltungsbereichs der Unionsrechtsordnung wirkt; andere WTO-Vertragsparteien sind hiervon höchstens positiv betroffen. Auch für das WTO-Regime selbst sind nur positive Auswirkungen ersichtlich, wenn einzelne Vertragsparteien dem WTO-Recht unter bestimmten Bedingungen eine unmittelbare Wirkung zugestehen. Fraglich ist, ob hier eine ähnliche positive Wirkung für die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals seitens der Kommission intendiert war und bejahendenfalls, ob ein zusätzliches faktisches Sanktionsmittel der
619
EuGH, Rs. C-69/89 vom 7. Mai 1991, Nakajima/Rat, Slg. 1991, S. I-2069 (Rn. 31). 620
EuGH, Rs. 70/87 vom 22. Juni 1989, Fediol/Kommission, Slg. 1989, S. 1781 (Rn. 19). 621
EuGH, Rs. C-53/96 vom 16. Juni 1998, Hermès, Slg. 1998, S. I-3603; EuGH, Rs. C-300/98 und C-392/98 vom 14. Dezember 2000, Parfums Christian Dior, Slg. 2000, S. I-11307. 622
von Bogdandy/ Makatsch, Kollision, Koexistenz oder Kooperation? Zum Verhältnis von WTO-Recht und europäischem Außenwirtschaftsrecht in neueren Entscheidungen, EuZW 2000, Bd. 9, S. 261-268 (267).
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Auswirkungen auf das Beitrittsverfahren die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals tatsächlich befördert. Wie bereits erwähnt, wurde das Kriegsverbrechertribunal durch eine Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen errichtet623. Diese Vorgehensweise hatte den Vorteil der Zügigkeit und der unmittelbaren Effektivität, da „all states would be under a binding obligation to take whatever action is required to carry out a decision taken as an enforcement measure under chapter VII“624. Ein Vorgehen des Sicherheitsrates unter Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen muss jedoch der Friedenssicherung dienen. Im konkreten Konflikt auf dem westlichen Balkan ist ein entscheidendes Element der Akzeptanz der Arbeit des Kriegsverbrechertribunals, dass dieses seine Arbeit ohne Ansehen des ethnischen Hintergrundes der von ihm verfolgten Personen leistet und die Verpflichtungen der staatlichen Entitäten und Staaten gegenüber dem ICTY identisch sind. Das Kriegsverbrechertribunal verfolgt Kriegsverbrechen aus den Konflikten um den Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens, gleich, ob die Täter ethnische Kroaten, Serben oder Bosniaken sind, ohne nach der Staatsangehörigkeit oder der Ethnie zu differenzieren. Die völkerrechtliche Verpflichtung zur Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal besteht für alle Staaten. Vor diesem Hintergrund erscheint es problematisch, wenn bezüglich eines bestimmten Staates, der zur Kooperation mit dem ICTY verpflichtet ist, die Sanktionsmechanismen des Tribunals durch handfeste Auswirkungen im Beitrittsverfahren dieses Staates ausgedehnt werden, während dieses Sanktionsinstrument – mangels Beitrittsantrag – im Verhältnis zu den beiden anderen ehemaligen Konfliktparteien nicht zur Verfügung steht. Diese Überlegung lässt sich am kroatischen Beispiel illustrieren. Die ursprünglich überwältigende Zustimmung der kroatischen Bevölkerung zu einem EU-Beitritt ihres Landes ging im Zuge der Verschiebung des Beginns der Beitrittsverhandlungen so stark zurück, dass im Oktober 2005 in Umfragen keine Mehrheit für einen Beitritt mehr bestand. Umgekehrt wurde die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals stark kritisch beäugt, was dem Umstand geschuldet gewesen sein dürfte, dass Kroa-
623 624
S/RES/827 vom 25. Mai 1993.
Report of the Secretary-General Pursuant to para. 2 of S/RES/808 (1993), S/25704, 3. Mai 1993, hier zitiert nach Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 37.
Verschiebung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien
203
tien aufgrund der Flucht Ante Gotovinas im Beitrittsverfahren ein Verfahrensschritt vorenthalten wurde, auf den man aufgrund der enormen Anstrengungen einen legitimen Anspruch zu haben glaubte, während im benachbarten Serbien hochrangige Verantwortliche von Kriegsverbrechen weitgehend unbehelligt am öffentlichen Leben teilnehmen konnten, ohne dass die serbischen Behörden oder die internationale Gemeinschaft eingriffen. Fasst man die von Kroatien geforderte vollständige Kooperation mit dem ICTY als das Verlangen nach vorbehaltloser rechtlicher Kooperation mit der Internationalen Strafjustiz, so geht dieses Rechtsstaatlichkeitskriterium über das hinaus, was wichtige NATO-Staaten zu leisten bereit sind625. Inhaltlich lässt sich hieraus ein erstaunlich tiefer Gehalt des unionsrechtlichen Rechtsstaatlichkeitsprinzips ableiten. Stattet die Europäische Union die Internationale Strafjustiz aber zusätzlich mit Sanktionsmechanismen des Unionsrechts aus, so gefährdet sie damit deren Legitimität, die sich in den betroffenen Ländern nicht unwesentlich darauf gründet, dass sie mit einem unparteiischen, gegenüber allen betroffenen Parteien und Staaten gleichen Vorgehen eine Funktion erfüllt, 625
Unter anderem die Vereinigten Staaten vertreten ein Souveränitätsverständnis, das sich strikt dagegen wendet, dass die Angehörigen ihres Militärs vor internationale Gerichte gestellt werden können. Dieses US-amerikanische Souveränitätsverständnis spiegelt sich etwa im “American Service Man Protection Act”, der die Regierung der Vereinigten Staaten dazu ermächtigt und verpflichtet, die Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) zu verweigern und amerikanische Soldaten, die wegen des Verdachts der Kriegsverbrechen festgenommen wurden, um sie dem ICC zu überstellen, notfalls gewaltsam zu befreien. Die Vereinigten Staaten drängen andere Länder, darunter auch Kroatien, bilaterale Nichtkooperationsabkommen zu unterzeichnen und bestrafen die Verweigerung dieser Abkommen prompt mit einer Verschlechterung der Aussichten auf Aufnahme in die NATO. Siehe hierzu Roggemann, Kroatien und die EU – Südosteuropapolitik auf Eis?, Berichte aus und über Osteuropa (BOI) 2005, Bd. 22, S. 52-61 (56, 58). Eine detaillierte Darstellung der US-amerikanischen Position im Bezug auf die Befugnisse des ICC findet sich bei Wedgewood, The International Criminal Court: An American View, 10 European Journal of International Law (1999), S. 93-107; Hafner, A Response to the American View as Presented by Ruth Wedgewood, 10 European Journal of International Law (1999), S. 108-123; Zwanenburg, The Statute for an International Criminal Court and the United States: Peacekeepers under Fire?, 10 European Journal of International Law (1999), S. 124-143; konkret zu einzelnen amerikanischen Befürchtungen siehe auch Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 176.
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die die nationalen Justizsysteme zumindest in einigen betroffenen Staaten des Westbalkans noch unvollständig leisten können. dd) Rolle der Anklage Fraglich ist nunmehr, wie diese kritische Entwicklung seitens des Kriegsverbrechertribunals selbst hätte verhindert werden können. Aus der Perspektive des Kriegsverbrechertribunals stellt sich damit die Problematik des Ermessensspielraums der Anklage626. Die Stellung des Chefanklägers oder der Chefanklägerin ist hierfür entscheidend627. Art. 16 des ICTY-Statuts legt seine Rolle fest und enthält in Abs. 4 die Regelung seiner Ernennung. Demnach wird der Chefankläger vom Sicherheitsrat auf Vorschlag des Generalsekretärs ernannt, was der politischen Bedeutung der Position gerecht wird. Art. 16 I ICTY-Statut beschreibt seine Aufgaben, nämlich die Leitung der Ermittlungen und die strafrechtliche Verfolgung von schweren Verstößen gegen die internationalen Menschenrechte im Territorium des ehemaligen Jugoslawien seit 1. Januar 1991. Nicht minder bedeutsam ist Art. 16 II ICTY-Statut, das die Unabhängigkeit des Chefanklägers festlegt: “The Prosecutor shall act independently as a separate organ of the International Tribunal. He or she shall not seek or receive instructions from any Government or from any other source.” Die Unabhängigkeit der Anklagebehörde sichert ein faires, rechtsstaatlichen Prinzipien genügendes Verfahren mit ab und sorgt dafür, dass Versuche der politischen Einflussnahme in den hochsensiblen Verfahren vor dem Kriegsverbrechertribunal begrenzt werden628. Gerade weil die Stellung des Chefanklägers politisch bedeutsam ist und – wie die verschiedenen Konflikte um Anklagen, nicht nur im Fall Gotovina, zeigen – politisch aufgeladen ist, ist die Betonung der Unabhängigkeit des Chefanklägers so imminent wichtig.
626
Vgl. zur Rolle der Anklage umfassend Bassiouni/ Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 828ff. 627
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 51. 628
Bassiouni/ Manikas, The Law of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 828, Punkt 11.7.2., Abs. 1 des Berichts des Generalsekretärs.
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205
Gleichzeitig formulieren Art. 16 I, II ICTY-Statut jedoch auch die Grenzen der Einbeziehbarkeit des ICTY bzw. der ICTY-Chefanklägerin Carla Del Ponte in externe Verfahren wie das EU-Beitrittsverfahren. Die Abgabe von Stellungnahmen über die Kooperationsbereitschaft von Staaten mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal zählt hiernach nicht zu den Aufgaben der Chefanklägerin nach Art. 16 I ICTY-Statut. De facto ist die Chefanklägerin zwar die zur Auskunft über die Kooperationsbereitschaft einzelner Staaten mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal prädestinierte Person, da die von ihr geleitete Behörde mit den einzelstaatlichen Behörden kooperiert. Auskünfte über die Kooperationsbereitschaft einzelner kann die Chefanklägerin daher geben, wenn sie in Anbetracht der ihr von Art. 16 II ICTY-Statut eingeräumten Unabhängigkeit und des daraus folgenden Ermessensspielraums den Eindruck hat, dass diese Auskünfte die Arbeit des Gerichtshofs nicht beeinträchtigen. Im konkreten Fall hat Chefanklägerin Del Ponte im Vorfeld des EURatsbeschlusses vom 16. März 2005 in diesem Sinn Auskünfte an verschiedene Stellen erteilt. Im Rahmen ihres Ermessens war es nicht abwegig, dass eine öffentliche Brandmarkung der Republik Kroatien wegen mangelnder Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal diese Kooperation weiter verbessern würde und so die Arbeitsfähigkeit des ICTY und der Anklagebehörde steigern würde. Dabei entsprach es Art. 16 II 2 ICTY-Statut, dass sich die erteilten Informationen einzig an der Arbeit des Kriegsverbrechertribunals orientierten und dessen rechtliche Grundlagen als Maßstab nahmen. Die Befugnis der Anklagebehörde zur Mitwirkung an externen Verfahren anderer internationaler, supranationaler oder nationaler Verfahren ist jedoch nach dem Sinn und Zweck des Art. 16 ICTY-Statut dann nicht mehr gegeben, wenn dadurch die Arbeitsfähigkeit der Anklagebehörde oder gar des gesamten Kriegsverbrechertribunals gefährdet würde. In diesem Sinn kann die Mitwirkung an einem Verfahren, in dessen Rahmen der Chefanklägerin ein unmittelbares Sanktionsrecht gegen einen zur Kooperation mit dem ICTY verpflichteten Staat in Form der Entscheidung über die Aussetzung des Beginns von Beitrittsverhandlungen der EU mit diesem Staat eingeräumt wird, als ein Verstoß gegen die Statuten des Gerichtshofs aufgefasst werden, da die Mitwirkung am EU-Beitrittsverfahren über Monate die Ressourcen des ICTY erheblich belastet und so die effektive Ausübung der Aufgaben nach Art. 16 I ICTY-Statut unterbunden hat. Die hierzu aufgebrachten Ressourcen hätten jedenfalls im Sinne der Statuten des UN-Kriegsverbrechertribunals effektiver genutzt werden können.
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Folgt man dem, so überschritt Carla Del Ponte mit der Mitwirkung am EU-Beitrittsverfahren ihre Kompetenzen als Chefanklägerin des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für das frühere Jugoslawien. Damit liegt ein Verstoß gegen Art. 16 ICTY-Statut vor. Es sei an dieser Stelle unterstellt, dass die Kompetenzverletzung unbewusst und in der besten Absicht geschah, durch den hiermit erzeugten Druck den untergetauchten Angeklagten Gotovina endlich fassen zu können und weitere Beweise für die vollständige Kooperation der Behörden der Republik Kroatien mit dem Kriegsverbrechertribunal zu erhalten. Folgt man der hier dargestellten Auffassung nicht, so bleibt dennoch festzustellen, dass die Mitwirkung des ICTY im EU-Beitrittsverfahren die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals jedenfalls nicht befördert hat und der Akzeptanz der Arbeit des Kriegsverbrechertribunals in der Bevölkerung der Länder des westlichen Balkans, insbesondere in Kroatien, abträglich war. Obwohl Recht und Politik im Bereich der Arbeit des ICTY in einem untrennbaren Spannungsverhältnis zueinander stehen629, ist es für die Ausübung der juristischen Funktion des Kriegsverbrechertribunals entscheidend, dass insbesondere das Amt des Chefanklägers nicht den Eindruck erweckt, dass es einer politischen Einflussnahme von außen zugänglich ist630. Als solche externe Einflussnahme konnte die verbindliche Einbindung der ICTY-Chefanklägerin in das EU-Beitrittsverfahren der Republik Kroatien jedoch erscheinen. Im Interesse der Reputation und Arbeitsfähigkeit des für die Entwicklung Südosteuropas überaus bedeutsamen Gerichtshofs631 ist es erfreulich, dass diese kritische Entwicklung kaum bemerkt worden zu sein scheint632. Zudem zeigt die Folgeentwicklung der Gotovina-Krise glücklicherweise die ersten Ansätze zur Behebung dieses Missstandes
629
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 3. 630
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 208, 209. 631
Pruzan, Reconciliation in BIH and the Role of the ICTY. Essay presented at the XI Cervia International Summer School 2005, S. 10; International Crisis Group, After Milosevic: A Practical Agenda for lasting Balkans Peace. ICG Balkans Report No. 108. 632
ratur.
Beachte hierzu das – soweit ersichtlich – ausgebliebene Echo in der Lite-
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207
auf, sodass man hoffen kann, dass weitere Fehlentwicklungen in die dargestellte Richtung in der Zukunft unterbunden werden.
b) Probleme der Übertragung von verfassungsverfahrensrechtlichen Aufgaben der Kommission an den ICTY für das Beitrittsverfahren Die Gefährdung der Reputation des UN-Kriegsverbrechertribunals und seiner Arbeit geschah zumindest fahrlässig von Seiten der europäischen Organe. Im Folgenden soll untersucht werden, welche Auswirkungen die Übertragung der Kommissionsaufgabe der Sachverhaltsermittlung und -bewertung im Beitrittsverfahren europarechtlich hat. Deutlicher noch als in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung der Arbeit des Gerichtshofs zeigt sich die Problematik der Kooperation mit der Europäischen Union für die Rechtsordnung der Europäischen Union mit ihrem eigenständigen, verfassungsrechtlich normierten und rechtsförmigen Beitrittsverfahren. Die für die Zwecke der Aufarbeitung des begangenen Kriegsunrechts vor dem ICTY verwendeten Begrifflichkeiten müssen andere sein als für die Zwecke der Erweiterung der Europäischen Union. Für die Zwecke der Arbeit des Kriegsverbrechertribunals, also der juristischen Aufarbeitung des geschehenen Kriegsunrechts633, ist „kroatisch“ kein staatsrechtlicher, sondern in erster Linie ein ethnisch-völkisch geprägter Begriff634. Hingegen muss für die Zwecke der EU-Erweiterung der Begriff „Kroatien“ rein staatsrechtlich zu verstehen sein, da nur der Nationalstaat der Republik Kroatien eine Aufnahme in die Europäische Union nach Art. 49 EU beantragt hat635. Folglich ist es für die Frage der vollständigen kroatischen Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal aus der Sicht des Unionsrechts unabdingbar erforderlich, dass sich die Kooperation ausschließlich auf Behörden, Gerichte und sonstige Organe der Republik Kroatien bezieht. Wie schon oben bei der Herausarbeitung der Bedeutung des Ver633
Siehe Pruzan, Reconciliation in BIH and the Role of the ICTY. Essay presented at the XI Cervia International Summer School 2005. 634
Siehe nur Judgement, Prosecutor v. Blaškić, IT-95-14, 3. März 2000, Rn. 127: “In an inter-ethnic armed conflict, a person’s ethnic background may be regarded as a decisive factor in determining to which nation he owes his allegiance and may thus serve to establish the status of the victims as protected persons” (Hervorhebungen vom Verfasser). 635
Beitrittsantrag der Republik Kroatien vom 21. Februar 2003.
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Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane
fahrens betont, können Umweltinformationen in einem rechtsanwendenden Verfahren erst dann Relevanz entfalten, wenn sie im Einklang mit den Regeln des Verfahrenssystems gefiltert wurden. Fraglich ist daher, wo vorliegend im Beitrittsverfahren der Filter für die von der Chefanklägerin des ICTY kommenden Informationen eingebaut wurde. Er könnte – rechtswidrigerweise – fehlen. Im Unterschied zu den unionsrechtlichen Anforderungen bezieht die Chefanklägerin Carla Del Ponte für die Zwecke der Arbeit ihres Gerichtshofs bei ihrer Beurteilung der Frage, ob die kroatische Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal vollständig ist, die kroatische Entität in Bosnien in ihre Bewertung mit ein636. Wenn die Chefanklägerin also, wie vor dem EU-Ratsbeschluss vom 16. März 2005 und auch bis Ende September 2005 wiederholt geschehen, behauptete, dass der gesuchte Kriegsverbrecher Ante Gotovina sich in der kroatischen Einflusssphäre aufhalte637, so bezeichnete sie damit das Staatsgebiet der Republik Kroatien und das Gebiet der kroatisch-muslimischen Föderation innerhalb des selbständigen Staates Bosnien-Herzegowina. Für die Arbeit des UN-Kriegsverbrechertribunals ist diese Kategorisierung auch überaus sinnvoll. In den Konflikten um den Zerfall der Bundesrepublik Jugoslawien kämpften die Kontrahenten nämlich nicht entlang der Grenzen der früheren Teilrepubliken, sondern sie orientierten sich an den Kategorien ethnischer Zugehörigkeit638. Kroaten aus Kroatien und Bosnien kämpften gegen muslimische Bosniaken und Serben aus Serbien, Kroatien und Bosnien. Diese Beobachtung gilt einheitlich für die verschiedenen Konflikte, die das UN-Kriegsverbrechertribunal aufarbeitet.
636
Siehe das Zitat Carla Del Pontes in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.6.2005, S. 6 „Mesić: Beitritt Kroatiens außer Frage“. 637
So etwa die Äußerung Carla Del Pontes auf einem Treffen der EU Task Force in Luxemburg am 26.4.2005, siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.4.2005, S. 4 „Del Ponte bekräftigt Kritik an Kroatien – Gotovina in Reichweite“, sowie in ihrer Rede vom 19. Mai 2005 vor der OSZE in Wien, zitiert in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.6.2005, S. 6 „Mesić: Beitritt Kroatiens außer Frage“. 638
Judgement, Prosecutor v. Blaškić, IT-95-14, 3. März 2000, Rn. 127 (oben Fn. 634). Siehe auch Pabel, Gemeinsame europäische Standards und Erweiterung – Erfahrungen des EGMR bei der Durchsetzung der EMRK, in: Calliess/ Isak (Hrsg.), Der Konventsentwurf für eine EU-Verfassung im Kontext der Erweiterung, S. 95-110 (102).
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Auch der „Heimatkrieg“ zur Befreiung der kroatischen Krajina, in dem General Gotovina sich diverser Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben soll, orientierte sich an solchen ethnischen Kriterien: Es ging nicht nur darum, die Krajina wieder de facto der Republik Kroatien einzuverleiben. Vielmehr kam es bei dieser Befreiungsaktion auch – das ist Teil des Vorwurfs, der gegen Gotovina erhoben wird639 – zur Vertreibung und Misshandlung dort ansässiger ethnischer Serben. Bis heute räumt etwa der Friedensvertrag von Dayton, der den bewaffneten Konflikt in Bosnien-Herzegowina beendete, den Nachbarstaaten Kroatien und Serbien eine besondere Rolle in der Staatsordnung BosnienHerzegowinas ein640. In Bosnien-Herzegowina ist die föderative Ordnung sowie das politische Leben dominiert vom komplizierten Ausgleich der bosnisch-kroatischen, bosnisch-muslimischen und bosnischserbischen Interessen, der notfalls durch die Maßnahmen des Hohen Repräsentanten der Internationalen Staatengemeinschaft herbei gezwungen wird641. Für den Zweck der strafrechtlichen Aufarbeitung des Kriegsunrechts, die in seinen Statuten festgeschriebene Aufgabe des Internationalen Kriegsverbrechertribunals, ist es daher stimmig, dass der ICTY die Kooperation seitens der Republik Kroatien und seitens der kroatischen Entität Bosnien-Herzegowinas als „kroatische“ Kooperation zusammenfasst. Kroatien als Nationalstaat, der sich um Aufnahme in die Europäische Union bewirbt, ist jedoch strikt zu trennen von der kroatischen Volksgruppe, die eine der drei konstituierenden Volksgruppen des Staates Bosnien-Herzegowina stellt. Bosnien-Herzegowina bewirbt sich, zumindest noch, nicht um Aufnahme in die Europäische Union642. Sein 639
Siehe International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, Case IT-01-45-I, The Prosecutor of the Tribunal against Ante Gotovina, Indictment, Anklagepunkt Nr. 9, http://www.un.org/icty/indictment/english/got-ii010608e. htm. 640
Die Republik Kroatien und Serbien-Montenegro sind, gemeinsam mit Bosnien-Herzegowina, Vertragsparteien des “General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Hercegovina”. Siehe hierzu http://www.state.gov/www /regions/eur/bosnia/daytable.html. 641
Schwarz/ Zeh, Maßnahmen und Macht des Hohen Repräsentanten: Substitution der Staatsmacht in Bosnien-Herzegowina, Jahrbuch für Ostrecht 2005, Bd. 46, S. 65-74 (67ff.). 642
Die Verhandlungen der EU mit Bosnien-Herzegowina um den Abschluss eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens wurden im November
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Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane
hypothetisches Beitrittsgesuch müsste zudem nach den Rechtsprinzipien, die das Beitrittsverfahren lenken, getrennt von dem der Republik Kroatien begutachtet werden, da jeder Staat des westlichen Balkans ausschließlich anhand seiner eigenen Fortschritte beurteilt werden soll643. Für die Europäische Union kommt es bei der Bewertung der Erfüllung der Beitrittskriterien, anders als für den ICTY bei seiner strafverfolgenden Tätigkeit, einzig auf die staatsrechtliche Entität der Republik Kroatien an. Der Beitrittskandidat Republik Kroatien wurde somit in Geiselhaft genommen für Geschehnisse, die möglicherweise in BosnienHerzegowina stattgefunden haben. Weder nach eigenem kroatischen Verfassungsrecht644 noch nach dem EU-Verfassungsrecht, welches in den Beitrittskriterien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit seinen Ausdruck findet, darf Kroatien jedoch einen solchen Einfluss auf die Geschehnisse in BosnienHerzegowina besitzen. Die letztinstanzliche und damit verantwortliche Instanz in Bosnien-Herzegowina ist der Hohe Repräsentant der Internationalen Staatengemeinschaft. Diese Institution wurde mit dem Dayton-Vertrag645 geschaffen. Der Hohe Repräsentant der Internationalen
2005 begonnen und sind auf einer technischen Ebene gut fortgeschritten; ein Abschluss der Verhandlungen ist jedoch noch nicht ersichtlich. Zum aktuellen Stand siehe die Informationswebseite der EU-Kommission zu den Beziehungen mit Bosnien-Herzegowina, http://ec.europa.eu/ enlargement/bosnia_and_herze govina/eu_bosnia_and_herzegovina_relations_en.htm. 643
Rat der Europäischen Union (Übermittlungsvermerk), Dok. Nr. 11638/03 vom 1. Oktober 2003, Europäischer Rat (Thessaloniki), Tagung vom 19. und 20. Juni 2003, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, http://www.consili um.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/76285.pdf, Schlussfolgerungen 40 und 41. 644
Einschlägig ist insbesondere auch Art. 141 II der kroatischen Verfassung, der die Erneuerung der südslawischen Gemeinschaft verbietet. Darüber hinaus respektiert das kroatische Recht die Souveränität und Eigenstaatlichkeit Bosnien-Herzegowinas in vollem Umfang; siehe hierzu etwa das DaytonAbkommen. 645
General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Hercegovina, ausgehandelt zwischen dem 1.11.1995 und dem 21.11.1995 in der WrightPatterson Airbase in Dayton, Ohio. Das Abkommen enthält zahlreiche Übereinkommen, Stellungnahmen und Annexe in einem Gesamtumfang von über 170 Seiten. Völkerrechtliche Vertragsparteien (parties) des Abkommens sind die Republik Bosnien-Herzegowina, die Republik Kroatien und die Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro als Rechtsnachfolgerin der BR Jugoslawien.
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Staatengemeinschaft kann aufgrund seiner „extensiven Vollmachten“646 seit 1997 in Bosnien eigenständig Gesetze verabschieden und bosnische Politiker auf allen Ebenen entlassen647. Ihm wird daher von Stimmen in der Literatur die Rolle als „Europäischer Raj“648 oder gar als „Despot an der Drina“649 zugeschrieben oder er wird mit Kolonialherren des British Empire verglichen650. Diese Institution lässt sich kaum mit rechtsstaatlichen Mitteln fassen651 und substituiert die Staatsmacht in Bosnien-Herzegowina652. Unterstellt, der flüchtige General Gotovina habe sich, im Einklang mit der Aussage der ICTY-Chefanklägerin, die für die Verschiebung des Beginns der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien ausschlaggebend war, unter anderem auf dem Gebiet der kroatischen Entität in Bosnien aufgehalten, so gelang es der internationalen Staatengemeinschaft, die in Bosnien-Herzegowina maßgeblich von der Europäischen Union selbst geführt wird653, augenscheinlich nicht, in Bosnien-Herzegowina die Zum Dayton-Abkommen siehe www.state.gov/www/regions/eur/bosnia/dayta ble.html. 646
Oschlies, Das politische System Bosnien-Herzegowinas, in: Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Osteuropas, S. 701-730 (714). 647
Schwarz/ Zeh, Maßnahmen und Macht des Hohen Repräsentanten: Substitution der Staatsmacht in Bosnien-Herzegowina, Jahrbuch für Ostrecht 2005, Bd. 46, S. 65-74 (66f.), vgl. zu einem knappen Überblick der Kompetenzen des Hohen Repräsentanten auch Bertelsmann-Stiftung, Bertelsmann Transformations-Index Bosnien und Herzegowina 2003 S. 3. 648
Knaus/ Martin, Lessons from Bosnia and Hercegovina – Travails of the European Raj, 14 Journal of Democracy 3 (2003), S. 60-74. 649
Profil (österreichisches Nachrichtenmagazin), Ausgabe Nr. 29 vom 1.7.2003, S. 76ff. 650
Schwarz/ Zeh, Maßnahmen und Macht des Hohen Repräsentanten: Substitution der Staatsmacht in Bosnien-Herzegowina, Jahrbuch für Ostrecht 2005, Bd. 46, S. 65-74 (66). 651
Schwarz/ Zeh, Maßnahmen und Macht des Hohen Repräsentanten: Substitution der Staatsmacht in Bosnien-Herzegowina, Jahrbuch für Ostrecht 2005, Bd. 46, S. 65-74 (65). 652
Schwarz/ Zeh, Maßnahmen und Macht des Hohen Repräsentanten: Substitution der Staatsmacht in Bosnien-Herzegowina, Jahrbuch für Ostrecht 2005, Bd. 46, S. 65-74 (71f.). 653
Infolge der Personalidentität des Hohen Repräsentanten der Internationalen Staatengemeinschaft mit dem Repräsentanten der Europäischen Union. Bis 2005 wurde die Institution des Hohen Repräsentanten ausgeübt von Paddy
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Strukturen zu zerschlagen, die dort möglicherweise den flüchtigen General stützten. Es ist eine politisch zu beantwortende Frage, ob die Europäische Union beitrittswilligen Staaten Dinge abverlangen soll, zu denen sie selbst augenscheinlich nicht in der Lage ist. Wer die Entstehung einer Zwei-Klassen-Union mit gleichen Neumitgliedern und gleicheren Altmitgliedern vermeiden will, muss diese Frage konsequent verneinen. Wie sich mittlerweile jedoch herausgestellt hat, hielt sich Ante Gotovina im fraglichen Zeitpunkt außerhalb Europas auf654. Seine Überstellung an das Kriegsverbrechertribunal konnte daher weder von den Behörden der Republik Kroatien noch von den letztinstanzlich von einem Vertreter der EU beherrschten Behörden Bosnien-Herzegowinas geleistet werden. Gotovina wurde im Dezember 2005, nach seiner Einreise nach Spanien, in Teneriffa gestellt und von den spanischen Behörden an das Kriegsverbrechertribunal überstellt655. Die Europäische Kommission traf im Vorfeld des Beschlusses des Rats der Europäischen Union vom 16. März 2005 eine auf Art. 49 I 2 EU basierende Verpflichtung, die Datengrundlage für den Beschluss sorgfältig bereitzustellen und so die funktionell ihr im Beitrittsverfahren zugewiesene Kompetenz zu wahren. Sie trifft die Rolle, im rechtsanwendenden Verfahren die „Filterfunktion“ für Umweltinformationen, zu denen die Informationen anderer Organisationen gehören, wahrzunehmen. Obwohl die Einbeziehung fremden Sachverstands sich bei der komplexen Beurteilung der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze in der Republik Kroatien – wie bei allen anderen Beitrittskandidaten – gerade aufdrängt, muss die Kommission als das Organ, das nach Art. 49 I 2 EU anzuhören ist, bevor der Rat einstimmig beschließt, besondere Sorgfalt auch darauf verwenden, welche Quellen sie für die notwendige Datenbeschaffung zugrunde legt und wie sie diese Quellen gewichtet. Sie muss die Daten selbst beschaffen und gewichten und darf diese Aufgabe nicht einfach vollständig an eine einbezogene Sachverständigenorganisation delegieren.
Ashdown, seit 2005 ist der frühere deutsche Postminister Christian SchwarzSchilling Hoher Repräsentant. 654
Schwarz, Als Kriegsheld gefeiert, als Kriegsverbrecher gesucht, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.12.2005, S. 3. 655
Schwarz, Als Kriegsheld gefeiert, als Kriegsverbrecher gesucht, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.12.2005, S. 3.
Verschiebung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien
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Für die Frage der vollständigen Kooperation der Republik Kroatien mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal war die Einbeziehung der ICTYChefanklägerin in die Datenerhebung mit Sicherheit eine privilegierte Wahl. Wie soeben gesehen, differiert die inhaltliche Bedeutung der in der Arbeit des Kriegsverbrechertribunals verwendeten Begrifflichkeiten jedoch deutlich vom Inhalt der ähnlich lautenden Begrifflichkeiten des mit verfassungsrechtlichen Prinzipien aufgeladenen EU-Beitrittsverfahrens. Aus den dargestellten inhaltlichen Divergenzen ergibt sich für die Kommission eine Pflicht, die Äußerungen der ICTY-Chefanklägerin zu evaluieren, bevor sie dem Rat als Grundlage seiner verfahrensrelevanten Beschlussfassung vorgelegt werden. Diese Evaluation hat die Europäische Kommission jedoch unterlassen. Dass die Europäische Kommission ihre verfassungsrechtlich vorgesehene Aufgabe, auch in Teilgebieten, nicht vollständig auf ein anderes Organ oder eine andere Institution übertragen darf, folgt schon aus dem Telos des Art. 49 I 2 EU, der eine Anhörung der Kommission vorschreibt, in Verbindung mit dem Verfassungsgrundsatz des institutionellen Gleichgewichts der Organe, der auch für den Bereich des EUVertrages Gültigkeit hat. Das auf dem institutionellen Gleichgewicht fußende Organgefüge der Unionsorgane656 weist gute Gründe auf, weshalb die Europäische Kommission unter den Organen der Union das geeignete ist, um die Datenerhebung für die Anhörung in einem komplexen Sachverhalt, wie ihn die Beurteilung der Beitrittsfähigkeit eines Kandidatenstaates darstellt, durchzuführen657. Schon wenn die Europäische Kommission ihre in Art. 49 I 2 EU vorgesehene Mitwirkung am Beitrittsverfahren an ein anderes Unionsorgan delegieren würde, läge hierin ein Verstoß gegen den Grundsatz, dass die Organe verpflichtet sind, die ihnen zugewiesenen Kompetenzen selbst wahrzunehmen658. Sogar eine Teilfrage – hier ein Aspekt der Wahrung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit –
656
Hierzu Calliess in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Art. 7 EG, Rn. 9, 28ff. 657
Zu Gegenstand und Formen der Überwachung durch die Kommission als „Hüterin der Verträge“ Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 211 EG, Rn. 11-13, 14-20. 658
Vgl. schon EuGH, Rs. 9/56 und 10/56 vom 13. Juni 1958, Meroni, Slg. 1958, S. 9 und S. 51 (41).
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kann sich entscheidend auf den Fortschritt des gesamten Beitrittsverfahrens auswirken und ist daher selbst zu evaluieren. Das Gesagte muss erst recht gelten, wenn die Europäische Kommission ihre von Art. 49 I 2 EU vorgesehene Aufgabe nicht an ein anderes Unionsorgan delegiert, sondern sie an eine Sachverständigenorganisation überträgt, die außerhalb der Unionsrechtsordnung existiert659. Im Fall der Einbeziehung fremden Sachverstands muss die Kommission daher stets bewerten, in welchem Rechtsrahmen sich die einbezogene Sachverständigenorganisation bewegt und wie sich dieser zur Unionsrechtsordnung verhält. An die Überprüfung stellen sich strengere Anforderungen, wenn sich wie beim ICTY deutliche Divergenzen zeigen. Die Kommission darf dann nicht unbesehen die Ansicht der Sachverständigenorganisation übernehmen, sondern muss diese selbst auf Inkonsistenzen mit der Unionsrechtsordnung überprüfen. Das ist vorliegend nicht geschehen. Im Gegenteil hat die Kommission es zugelassen, dass der Rat für die Datengrundlage des Beschlusses über die Eröffnung bzw. Verschiebung der Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien sich überdies auf unionsfremde Quellen verlassen hat660. Damit ist die Europäische Kommission ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabe aus Art. 49 I 2 EU nicht nachgekommen. Die Folge dieses Vorgehens war, dass sich der Beschluss des Rats der Europäischen Union vom 16. März 2005 zur Verschiebung des Beginns der Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien auf eine Datengrundlage stützte, die nicht nur im Widerspruch zum verfassungsrechtlich in Art. 49 I 2 EU vorgesehenen Verfahren zustande gekommen ist, sondern die auch den inhaltlichen Kriterien des Unionsrechts nicht entsprochen hat. Der Beitrittsprozess mit Kroatien wurde somit in unionsverfassungswidriger Weise zum Stocken gebracht.
659
Vgl. zu den Einschränkungen einer – prinzipiell möglichen – Übertragung auf vertragsfremde Einrichtungen schon EuGH, Rs. 9/56 und 10/56 vom 13. Juni 1958, Meroni, Slg. 1958, S. 9 und S. 51 (42). 660
In Email von Thomas Hagleitner, Europäische Kommission, GD Erweiterung, an den Verfasser, vom 15. Dezember 2005 bezieht sich dieser auf die unterschiedlichen Datengrundlagen, die dem Ratsbeschluss zugrunde lagen.
Umgang mit der Beitrittskrise
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III. Umgang mit der Beitrittskrise Die Republik Kroatien wurde mit der Affäre Gotovina einem Dilemma ausgesetzt, für das keine praktikable Lösung erkennbar gewesen wäre. Wäre es Kroatien in kurzer zeitlicher Folge auf die Verschiebung des Beginns der Beitrittsverhandlungen gelungen, den flüchtigen General an das Kriegsverbrechertribunal auszuliefern, so hätte die Glaubwürdigkeit der bisherigen kroatischen Äußerungen im Rahmen des Beitrittsprozesses über den Verbleib Gotovinas in Frage gestanden661. Die kroatische Regierung hatte nämlich im Vorfeld des Beschlusses von März 2005 wiederholt verkündet, dass sie keinen Zugriff auf den gesuchten General habe und sich dieser nicht im Einflussbereich der Republik Kroatien aufhalte. Die Glaubwürdigkeit der Einhaltung der rechtsstaatlichen Prinzipien auf höchster Regierungsebene in Kroatien wäre erschüttert gewesen, wenn sich diese Aussage als Lüge zum Schutz Gotovinas herausgestellt hätte. In einem solchen Fall eines bewiesenen Verstoßes gegen die gemeinsamen Grundsätze hätte der Rat der Europäischen Union, nunmehr mit vollem Recht, den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien aussetzen müssen, bis den rechtsstaatlichen Prinzipien in Kroatien so Geltung verschafft worden wäre, dass die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien gerechtfertigt erschienen wäre. So lange die Chefanklägerin Carla Del Ponte aber darauf beharrte, dass eine Auslieferung des Generals zur Feststellung der vollständigen Kooperation Kroatiens mit dem Tribunal erforderlich sei, würde die Republik Kroatien mit dem Makel mangelnder Kooperation behaftet sein. Ohne ihr Gesicht zu verlieren, konnten die Verfechter der Aufschiebung des Beginns von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien im Rat, vor allem Großbritannien, dieser Eröffnung unmöglich zustimmen, ohne dass sich die Beurteilung dieser Kooperation änderte. Wie ex post mit der Festnahme Ante Gotovinas in Spanien im Dezember 2005 bekannt wurde, hatte die kroatische Regierung in der Tat keinen Zugriff auf den General, der sich vor seiner Einreise nach Spanien auf Mauritius aufhielt662. Im März 2005 stellte sich aus kroatischer Sicht eine ausweglose Situation dar. Weder für den Fall, dass die Sachverhalts661
Vgl. zu dieser Argumentation Schwarz, Eine Anklägerin richtet über Kroatien, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.3.2005 2005, S. 1. 662
Schwarz, Als Kriegsheld gefeiert, als Kriegsverbrecher gesucht, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.12.2005 2005, S. 3.
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Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane
schilderung der kroatischen Regierung zutraf und sie tatsächlich keinen Zugriff auf General Gotovina hatte, noch für den Fall einer zutreffenden Sachverhaltsschilderung der ICTY-Chefanklägerin Carla Del Ponte, nach der sich Ante Gotovina im Einflussbereich der kroatischen Behörden aufhielt, war eine Lösung der Beitrittskrise nach dem Ratsbeschluss vom 16. März 2005 ersichtlich663. Schuld hieran war das grundlose Verlassen des verfassungsrechtlich vorgezeichneten Rahmens des Beitrittsverfahrens nach Art. 49 EU. Zur Behebung der Krise war es daher unbedingt erforderlich, einen für beide Seiten gesichtswahrenden Weg zur Rückkehr in das rechtsförmige Verfahren zu finden. Die luxemburgische Ratspräsidentschaft erarbeitete in der Folge des 16. März 2005 daher einen Kompromissvorschlag, der auf dem Europäischen Rat vom 22. und 23. März 2005 unterstützt wurde664. Nach diesem Vorschlag wurde eine „task force to report on Croatia’s progress in meeting the conditions for opening accession negotiations with the European Union“ eingerichtet. Die EU Task Force on Croatia wurde geleitet vom Präsidenten des Rats der Europäischen Union unter der luxemburgischen Ratspräsidentschaft, dem luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn. Sie bezog außerdem den Hohen Repräsentanten Javier Solana, Vertreter der Europäischen Kommission und Vertreter der beiden Länder ein, die Luxemburg im Ratsvorsitz folgten, Österreich und Großbritannien665. Damit brachte die „Task Force on Croatia“ die auf Unionsseite im Beitrittsverfahren relevanten Akteure zusammen, nämlich die Europäische Kommission, den Rat – über die Ratspräsidentschaft und die künftigen Ratspräsidentschaften – sowie die Mitgliedstaaten, wobei es ein glückli663
Vgl. Watkins, Croatia at a Crossroads: The EU – ICTY Debate, in: Conflict Studies Research Center (Surrey) 2005, alternativ veröffentlicht in: Review of International Affairs 2005, Ausg. 1117, S. 31-33 “…the government is left little option to manoeuvre apart from Gotovina surrendering voluntarily or possibly irrefutable evidence emerging that he is not within the borders of Croatia”. 664
Pressemitteilung der luxemburgischen Ratspräsidentschaft des Rats der Europäischen Union 2005 vom 23.3.2005, “European Council supports creation of task force on Croatia”, online abrufbar unter http://www.eu2005.lu/en/ actualites/communiques/2005/03/23conseurcro/ . 665
Pressemitteilung der luxemburgischen Ratspräsidentschaft des Rats der Europäischen Union 2005 vom 23.3.2005, “European Council supports creation of task force on Croatia”, 2. Absatz, online abrufbar unter http:// www.eu2005.lu/en/actualites/communiques/2005/03/23conseurcro/ .
Umgang mit der Beitrittskrise
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cher Schachzug war, mit dem Vereinigten Königreich und Österreich jene Positionen in die Task Force einzubeziehen, die bei dem vorangegangenen Beschluss im Rat die entgegengesetzten Pole des Meinungsspektrums im Rat abgebildet haben. Die „Task Force on Croatia“ berichtete ihrerseits an den Rat der Europäischen Union in der Zusammensetzung als Rat für allgemeine Angelegenheiten666. Damit wird verdeutlicht, dass die Task Force ein – wenn auch exzeptionelles – Instrument des Rates der Europäischen Union ist. Die rechtliche Verantwortung zur Lösung des Konflikts im kroatischen Beitrittsverfahren findet sich damit verfahrensrechtlich beim Rat der Europäischen Union. Das betont die Ratspräsidentschaft, indem sie anlässlich des Europäischen Rats darauf beharrt, dass „the conclusions of the General Affairs Council of 16 March 2005 on Croatia „have not been changed by the European Council and remain in force“ und dass der Rat der Europäischen Union zu entscheiden hat „when the moment has come to open accession negotiations with Croatia“667. Das entspricht der Rolle, die Art. 49 I 2 EU dem Rat der Europäischen Union im Beitrittsverfahren zuweist. Dementsprechend erfüllt die Einrichtung der „Task Force on Croatia“ die Aufgabe, den Konflikt im kroatischen Beitrittsprozess in das rechtsförmige Beitrittsverfahren zurückzuführen und ihn dort mit den dafür vorgesehenen Mitteln des Europarechts zu lösen. Der exzeptionelle Charakter der Task Force wurde mehrfach vom Ratsvorsitz betont668. Die Task Force „cannot constitute a precedent for the coming years“669. Ebenso wurde betont, dass die Kommission „will not be deprived be it only of a part of its monitoring competences in the 666
Pressemitteilung der luxemburgischen Ratspräsidentschaft des Rats der Europäischen Union 2005 vom 23.3.2005, “European Council supports creation of task force on Croatia”, 3. Absatz, online abrufbar unter http:// www.eu2005.lu/en/actualites/communiques/2005/03/23conseurcro/ . 667
Pressemitteilung der luxemburgischen Ratspräsidentschaft des Rats der Europäischen Union 2005 vom 23.3.2005, “European Council supports creation of task force on Croatia”, 4. Absatz, online abrufbar unter http:// www.eu2005.lu/en/actualites/communiques/2005/03/23conseurcro/ . 668
Siehe hierzu Handelsblatt vom 24.3.2005, S. 3 „Brüssel gibt Kroatien zweite Chance“. 669
Pressemitteilung der luxemburgischen Ratspräsidentschaft des Rats der Europäischen Union 2005 vom 23.3.2005, “European Council supports creation of task force on Croatia”, 5. Absatz, online abrufbar unter http:// www.eu2005.lu/en/actualites/communiques/2005/03/23conseurcro/ .
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Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane
enlargement process“670. Das kann als klare Feststellung der aufrecht erhaltenen Rechte und Kompetenzen der Kommission im Rahmen des Beitrittsverfahrens interpretiert werden, aber auch als Hinweis darauf, dass die Kommission diese Kompetenzen wahrzunehmen hat und sie nicht ohne Weiteres an andere Stellen übertragen darf. Mit der Einrichtung der Task Force bei Betonung ihres außergewöhnlichen Charakters wurde die Möglichkeit geschaffen, einen wesentlichen Beitrag zur Beilegung der Krise im kroatischen Beitrittsverfahren zu leisten. Dies konnte geschehen, indem die Task Force aufzeigte, dass Kroatien alle Wege zur vollständigen Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal nutzte beziehungsweise indem sie Kroatien bei der Vertiefung dieser Kooperation unterstützte und so die Bedenken einiger Mitgliedstaaten im Rat zerstreute. Die Task Force übernahm mithin die Funktion, den Sachverhalt, der dem Ratsbeschluss vom 16. März 2005 zugrunde lag, durch ein unionsrechtsinternes Gremium neu zu bewerten. Dabei bediente sie sich des Mittels der Konsultation mit den kroatischen Behörden und mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien671. Die Einrichtung der Task Force on Croatia war ein exzeptionelles Mittel, in den Rahmen des rechtsförmigen Verfahrens zurückzukehren, nachdem dieser durch die Übertragung der Bewertung eines Beitrittskriteriums an eine Sachverständigenorganisation außerhalb des Rechtsrahmens des Unionsrechts verlassen wurde. Die Task Force musste daher in ihrer Arbeit nach außen gerichtet zwei Aufgaben verfolgen: Gegenüber den kroatischen Behörden musste sie deutlich machen, wo die Union noch Verbesserungsbedarf sieht. Gegenüber den Akteuren am Kriegsverbrechertribunal war hingegen zu präzisieren, welche Kriterien für das unionsrechtliche Beitrittsverfahren relevant sind. Intern stellte die Task Force zudem ein privilegiertes Forum dar, in dem die relevanten Akteure des Beitrittsverfahrens, vor allem der österreichische und der britische Ratsvertreter, einen Ausgleich ihrer unter670
Pressemitteilung der luxemburgischen Ratspräsidentschaft des Rats der Europäischen Union 2005 vom 23.3.2005, “European Council supports creation of task force on Croatia”, 5. Absatz, online abrufbar unter http:// www.eu2005.lu/en/actualites/communiques/2005/03/23conseurcro/ . 671
Pressemitteilung der luxemburgischen Ratspräsidentschaft des Rats der Europäischen Union 2005 vom 23.3.2005, “European Council supports creation of task force on Croatia”, 3. Absatz, online abrufbar unter http:// www.eu2005.lu/en/actualites/communiques/2005/03/23conseurcro/ .
Beilegung der Beitrittskrise
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schiedlichen Sachverhaltsbewertungen suchen konnten. Dass diese Arbeit der Task Force geglückt ist, zeigt die Tatsache, dass am 3. Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien aufgenommen wurden, obwohl der Verbleib von General Ante Gotovina zu dieser Zeit noch ungeklärt war. Es ist der Task Force also gelungen, das kroatische Beitrittsverfahren zur Europäischen Union von der „Affäre Gotovina“ zu trennen.
IV. Beilegung der Beitrittskrise durch Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien Die Krise im kroatischen EU-Beitrittsverfahren wurde durch die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober 2005 beigelegt672. Zeitgleich wurden an diesem Tag Beitrittsverhandlungen mit der türkischen Republik begonnen, was Anlass zur Bewertung der politischen Geschehnisse gibt. So wurde in der Presse wiederholt vermutet, dass die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien einem Junktim zu verdanken sei, da die österreichische Regierung ihre Zustimmung an die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei an die Zustimmung der Partner zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien gebunden habe673. Diese Vermutungen dürften sich bei einem näheren Blick auf die Geschehnisse im Vorfeld des 3. Oktober 2005 als haltlos erweisen. Am 3. Oktober 2005 und somit am Tag des Treffens des Rates Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen, auf dem am Abend die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei erwartet wurde, erstattete die Chefanklägerin am ICTY, Carla Del Ponte, der vom Rat eingerichteten EU Task Force on Croatia einen Bericht über die Kooperation 672
Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 12877/05 vom 4. Oktober 2005, Tagung des Rates (Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen) vom 3. Oktober 2005, Schlussfolgerungen des Rates zu Kroatien, http://register. consilium.eu.int/pdf/de/05/st12/st12877.de05.pdf. 673
Etwa Bonse, Am Rande des Abgrunds, Handelsblatt vom 5.10.2005, S. 7; Schwarz, Ankara gegen Zagreb. Wie Kroatien im Spiel der EU-Erweiterung zum Bauernopfer wird, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 2.10.2005, S. 2, der das Junktim nur dann als widerlegt angesehen hätte, wenn die EU Verhandlungen mit der Türkei, nicht aber mit Kroatien aufgenommen hätte.
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Rechtliche Bewertung des Vorgehens der Unionsorgane
der Republik Kroatien mit dem Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien674. Eine politische Verquickung des Datums des Berichts der Chefanklägerin an die EU Task Force mit dem anvisierten Datum der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der türkischen Republik würde nicht erstaunen, wenn man bedenkt, dass den Befürwortern einer Eröffnung der Verhandlungen mit Kroatien wichtig war, dass Kroatien nicht im Vergleich zur Türkei, die das politische Gewicht einer europäischen Großmacht für ihre Verhandlungsführung einsetzen kann, benachteiligt würde. Während in Kroatien de facto die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen an der Überstellung eines einzelnen flüchtigen Mannes an das Kriegsverbrechertribunal hing, auf den – wie sich ex post herausstellte – die kroatischen Behörden zum fraglichen Zeitpunkt keinen Zugriff (mehr) hatten, bestehen in Bezug auf die Türkei ernsthafte Bedenken in Bezug auf die Wahrung der gemeinsamen Grundsätze aus Art. 6 I EU675. Diese Bedenken werden durch die Stellungnahme der Kommission, in der die Kommission die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei befürwortet, eher bekräftigt statt entkräftet676. Der Bericht der Chefanklägerin Del Ponte an die EU Task Force on Croatia ist jedoch nicht nur vor diesem Verhandlungshintergrund bemerkenswert. Er erstaunt in erster Linie in Bezug auf seinen Inhalt. Setzt man diesen in Beziehung zu den Äußerungen, die noch bis Ende September 2005 von der ICTY-Chefanklägerin in Bezug auf die Kooperation Kroatiens mit dem Kriegsverbrechertribunal gemacht wurden, so hätte man eine derart positive Stellungnahme der Chefanklägerin kaum erwartet.
674
Der Bericht wurde veröffentlicht, siehe Office of the Prosecutor, JP/MO/1009e, Assessment of the Prosecutor of the Co-operation Provided by Croatia, The Hague, 3 October 2005, http://www.un.org/icty/pressreal/2005/p 1009-e.htm. 675
Siehe nur Langenfeld, Erweiterung ad infinitum? Zur Finalität der Europäischen Union, ZRÜ 2005, S. 73-76 (74, „bestehen noch erhebliche Defizite, insbesondere bei der rechtspraktischen Umsetzung der Reformen“ (wird ausgeführt)). 676
EU-Kommission, KOM(2005) 561 final / SEK (2005) 1426 vom 9. November 2005, Türkei. Fortschrittsbericht 2005, online abrufbar unter http://ec.europa.eu/enlargement/archives/pdf/key_documents/2005/package/se c_1426_final_progress_report_tr_de.pdf.
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Auch die Betrachtung des formellen Vorgehens ist erhellend, wenn man sie mit dem Vorgehen des Rates am 17. März 2005 vergleicht, als der Rat den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien wegen der von Carla Del Ponte gerügten fehlenden Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal auf unbestimmte Zeit verschoben hat. Schließlich erlaubt die Analyse von Gehalt und Adressaten des Berichts Rückschlüsse auf die vorliegende rechtsförmige Ausgestaltung des Beitrittsverfahrens.
1. Der Inhalt des Berichts der ICTY-Chefanklägerin an die EU Task Force on Croatia vom 3. Oktober 2005 Der Bericht der ICTY-Chefanklägerin Carla Del Ponte an die EU Task Force on Croatia enthält eine Evaluierung der Fortschritte, die die Republik Kroatien seit April 2005 bei der Kooperation mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien gemacht hat. Kernpunkt der Streitigkeit in Bezug auf die kroatische Kooperation mit dem Gerichtshof war die Frage der Überstellung des als Kriegsverbrecher angeklagten kroatischen Generals Ante Gotovina an das Kriegsverbrechertribunal. Nach der Anklageschrift gegen Ante Gotovina am ICTY kam es nach der Befreiung der Krajina bis November 1995 unter seinem Kommando (und entgegen der Zusicherung des kroatischen Präsidenten) zu zahlreichen Massakern an diesen in Kroatien verbliebenen serbischstämmigen Zivilisten, denen mindestens 150 Menschen zum Opfer fielen677. Hierfür soll Gotovina vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zur Verantwortung gezogen werden. Im März 2005 drückte die ICTY-Chefanklägerin Carla Del Ponte auf einer Pressekonferenz ihr Missfallen über die fehlende Überstellung Gotovinas aus. Sie behauptete in der Folgezeit mehrfach, dass sich Ante Gotovina in Reichweite der kroatischen Behörden aufhalte678 – also, gemäß der Terminologie der Arbeit des Gerichtshofs, in der Republik Kroatien oder in der kroatischen Entität Bosniens. Von einer vollstän677
Anklageschrift des ICTY gegen Ante Gotovina, IT-01-45, initial indictment vom 8. Juni 2001, amended indictment vom 24. Februar 2004, beide abrufbar über www.un.org/icty/cases-e/index-e.htm. 678
Siehe hierzu Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.10.2005, S. 2 „Erleichterungen in Kroatien nach Aufnahme der Beitrittsverhandlungen“.
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digen Kooperation Kroatiens mit dem Kriegsverbrechertribunal könne nicht die Rede sein, solange der gesuchte General nicht an das Tribunal überstellt worden sei679. Dabei vermied die Anklägerin, die für ihre Arbeit auf Informationen verschiedenster nationaler Geheimdienste angewiesen ist, eine Mitteilung darüber, auf welche Quellen sie ihre Überzeugung stützte, Gotovina halte sich im Einflussbereich kroatischer Behörden auf680. Auch in den darauffolgenden Monaten hat Frau Del Ponte wiederholt darauf hingewiesen, dass die Feststellung der vollständigen Kooperation Kroatiens mit dem ICTY voraussetze, dass Gotovina nach Den Haag überführt werden müsse681. Vor diesem Hintergrund brachte Carla Del Ponte auf einer Pressekonferenz am 1. Oktober 2005 in Zagreb mit Präsident Mesić und Premierminister Sanader ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass Ante Gotovina immer noch flüchtig sei682. Wörtlich sagte die Chefanklägerin: „Sie können sich nicht vorstellen, wie enttäuscht ich bin“683. Dabei ließ sie die verantwortlichen kroatischen Politiker Mesić und Sanader nach dem – recht polemischen – Eindruck der kroatischen Presse schlecht aussehen684. In Anbetracht dieser Entwicklung erstaunt der Inhalt des Berichts der Chefanklägerin an die EU Task Force on Croatia vom 3. Oktober 2005685. Im Unterschied zu anderen verfahrenserheblichen Äuße679
Hierzu Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.10.2005, S. 2 „Erleichterungen in Kroatien nach Aufnahme der Beitrittsverhandlungen“. 680
So etwa kritisiert von Schwarz, Eine Anklägerin richtet über Kroatien, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.3.2005, S. 1. 681
Vgl. etwa Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.6.2006, S. 6 „Noch keine volle Zusammenarbeit/ Del Ponte in Zagreb/ Kritik an Suche nach Gotovina“. 682
Vgl. hierzu die Stellungnahmen in der Presse, etwa Handelsblatt vom 5.10.2005, S. 11 „Del Pontes Coup“; Handelsblatt vom 6.10.2005, S. 8 „Del Ponte streitet Einflussnahme ab“; Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 9.10.2005, „Die Dickköpfige“. 683
Vgl. Bolzen, Demontage, selbstverschuldet, Die Welt, 5.10.2005, S. 3.
684
Slobodna Dalmacija vom 2.10.2005, „Posljednja nada Task Force“ und „Sanader: Hrvatska još nije dobila „žuti karton““, abrufbar unter http://slobodnadalmacija.hr/20051002/novosti01.asp. 685
Office of the Prosecutor, JP/MO/1009e, Assessment of the Prosecutor of the Co-operation Provided by Croatia, The Hague, 3 October 2005, http://www.un.org/icty/pressreal/2005/p1009-e.htm.
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rungen der Chefanklägerin, etwa ihren vertraulichen Briefen an den Ratsvorsitz, ist dieser Bericht im Wortlaut veröffentlicht worden. Das wird der politischen Brisanz der Thematik gerecht. Nunmehr bescheinigt Carla Del Ponte der EU Task Force, dass “Croatia’s co-operation … is indeed currently the best of all the countries in the region”686. Die Chefanklägerin weist ausführlich auf die Problematik der Causa Gotovina hin, die als letztes Hindernis für die volle Kooperation verbleibe687, und stützt sich erneut auf das Urteil westlicher Geheimdienste, dass sich Gotovina in Kroatien oder Bosnien aufhalte688. Entscheidend für die Bewertung der Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal gegenüber der Task Force ist jedoch eine Beweislastregelung. Diese scheint erstaunlicherweise im vorangegangenen Verfahren keine Rolle gespielt zu haben. Sie ist, soweit ersichtlich, auch für die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals unerheblich, das ergebnisorientiert auf die Kooperation der betroffenen Länder in konkreten Fragen angewiesen ist689. Die Beweislastregelung könnte aber eine Rolle im Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU spielen. So stützt Carla Del Ponte ihre Stellungnahme, dass Kroatien vollständig mit ihrem Gerichtshof kooperiere, darauf, dass gegenteilige Beweise fehlen. Wörtlich: “There is no evidence that Croatia is not doing everything it can to locate and arrest Ante Gotovina”690. Obwohl
686
Office of the Prosecutor, JP/MO/1009e, Assessment of the Prosecutor of the Co-operation Provided by Croatia, The Hague, 3 October 2005, http://www.un.org/icty/pressreal/2005/p1009-e.htm, zweiter Absatz. 687
Office of the Prosecutor, JP/MO/1009e, Assessment of the Prosecutor of the Co-operation Provided by Croatia, The Hague, 3 October 2005, http://www.un.org/icty/pressreal/2005/p1009-e.htm, 5. Absatz. 688
Office of the Prosecutor, JP/MO/1009e, Assessment of the Prosecutor of the Co-operation Provided by Croatia, The Hague, 3 October 2005, http://www.un.org/icty/pressreal/2005/p1009-e.htm, 10. Absatz, “sources outside the Croatian government”. 689
Kerr, The International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. An Exercise in Law, Politics and Diplomacy, S. 115. 690
Office of the Prosecutor, JP/MO/1009e, Assessment of the Prosecutor of the Co-operation Provided by Croatia, The Hague, 3 October 2005, http://www.un.org/icty/pressreal/2005/p1009-e.htm, 12. Absatz.
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“[t]he commitments made in the Action Plan presented by Croatia to the Task Force on 26 April 2005 were only partly implemented”, “[t]here is no evidence that information has been deliberately hidden from us or from other relevant Croatian agencies”691. Anders als noch in der Pressekonferenz vom 1. Oktober 2005 wird für die Bewertung im Rahmen des Beitrittsverfahrens also nicht mehr darauf abgestellt, dass Kroatien Gotovina „liefern“ müsse, sondern es genügt, dass sich keine Anzeichen finden lassen, dass die kroatischen Behörden Gotovina decken. In diesem wesentlichen Punkt unterscheidet sich der Bericht fundamental von den Äußerungen auf der Pressekonferenz im März, die zum Verschieben des Beginns der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien geführt haben. In der Ergebnisorientierung des ICTY kommt es nach wie vor auf die Überstellung Gotovinas an. Der rechtlich geordnete, rechtsanwendende Charakter des Beitrittsverfahrens bedingt jedoch, dass von Kroatien nichts Unmögliches verlangt werden darf. Ein rechtlich geordnetes, rechtsanwendendes Verfahren erfordert die Einräumung von Verfahrensrechten und die Einrichtung von für das Verfahren geltenden Beweislastregeln. Eine Überstellung Gotovinas an das Kriegsverbrechertribunal darf also nur gefordert werden, wenn die Kommission auch nachweisbare Anhaltspunkte dafür ermittelt hat, dass sich der Gesuchte tatsächlich in Kroatien aufhält. Fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass Kroatien nicht vollständig mit dem ICTY kooperiert, so müssen aus Gründen der Beweislast im rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Beitrittsverfahren trotzdem die Beitrittsverhandlungen eröffnet werden. Für die Frage der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union muss daher ausreichen, dass der Republik Kroatien kein Zweifel an der vollständigen Kooperation nachgewiesen werden kann.
2. Die Form des Berichts Des Weiteren ist bemerkenswert, dass die Chefanklägerin gegenüber der EU Task Force on Croatia eine entsprechende Evaluierung der Kooperation Kroatiens mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien abgegeben hat. Bei der Task Force handelt 691
Office of the Prosecutor, JP/MO/1009e, Assessment of the Prosecutor of the Co-operation Provided by Croatia, The Hague, 3 October 2005, http://www.un.org/icty/pressreal/2005/p1009-e.htm, 6. Absatz.
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es sich um ein Gremium, das unter der Leitung der luxemburgischen Ratspräsidentschaft den Hohen Repräsentanten, Vertreter der Europäischen Kommission und Vertreter der Staaten, die in 2005 und im ersten Halbjahr 2006 turnusmäßig den Vorsitz im Rat innehaben, also um Vertreter Luxemburgs, des Vereinigten Königreichs und Österreichs, zusammenführt692. Die Task Force stellt somit ein vom Rat der Europäischen Union eingesetztes Gremium dar. Dieses Gremium sollte die nach dem 17. März 2005 entstandene Krise entschärfen und gemeinsam mit der kroatischen Seite die Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal überprüfen und gegebenenfalls Kroatien bei der Implementation geeigneter Strategien für eine bessere Kooperation mit dem Tribunal unterstützen693. Politisch sinnig an der Zusammensetzung der Task Force ist, dass sie mit Vertretern Österreichs und Großbritanniens jene Stimmen im Rat zur Kooperation zwang, die die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kroatien am deutlichsten befürwortet bzw. abgelehnt haben. Mit der Schaffung der Task Force gelang es, die Evaluierung des Beitrittskriteriums „Kooperation mit dem ICTY“ zurück in den unionalen Rahmen – nämlich durch die Kommunikation der Task Force mit der Chefanklägerin – zu holen. Dadurch war man nicht mehr darauf angewiesen, auf Äußerungen der Chefanklägerin zurückzugreifen, die diese eventuell tätigte, ohne auf die Besonderheiten der Unionsrechtsordnung Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil stellt der Inhalt des Berichts der ICTY-Chefanklägerin an die EU Task Force deutlich heraus, dass der als Sachverständigenorganisation ins Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU einbezogene ICTY nunmehr auf die Besonderheiten der Unionsrechtsordnung, hier in Gestalt der Beweislastverteilung im unionsverfassungsrechtlichen Beitrittsverfahren, Rücksicht genommen hat, statt sich einseitig an einer Darstellung der Situation aus der Sicht der eigenen Arbeit zu orientieren.
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Pressemitteilung der luxemburgischen Ratspräsidentschaft des Rats der Europäischen Union 2005 vom 23.3.2005, “European Council supports creation of task force on Croatia”, 2. Absatz, online abrufbar unter http:// www.eu2005.lu/en/actualites/communiques/2005/03/23conseurcro/ . 693
Pressemitteilung der luxemburgischen Ratspräsidentschaft des Rats der Europäischen Union 2005 vom 23.3.2005, “European Council supports creation of task force on Croatia”, online abrufbar unter http://www.eu2005.lu/en/ actualites/communiques/2005/03/23conseurcro/ .
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3. Ergebnis Die Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien haben auf Beschluss des Rates Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen vom 3.Oktober 2005 am 3. Oktober 2005 begonnen694. Damit ist die Krise im kroatischen Beitrittsprozess, die am 17. März 2005 mit der Verschiebung der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen auf unbestimmte Zeit eingesetzt hatte, beigelegt. Der Inhalt des Berichts an die EU Task Force on Croatia vom 3. Oktober 2005 macht zudem deutlich, dass der Beschluss vom selben Tag zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Republik zu Stande kam durch eine Korrektur der Stellungnahme der ICTY-Chefanklägerin, die sich für die Zwecke dieser Stellungnahme an den Beweislastregeln des unionsverfassungsrechtlichen Beitrittsverfahrens orientierte statt an den Kriterien, die das Kriegsverbrechertribunal für eine Feststellung einer vollständigen Kooperation Kroatiens in seiner eigenen Arbeit anlegt. Ein politisches Junktim, wie es Österreich unterstellt wurde, war somit nicht erforderlich. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, nach der die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bereits am 16. März 2005 rechtlich geboten war, so ermöglichte es die erneute Bewertung der gestellten Frage anhand von unionsrechtlichen Kriterien vor der Task Force, den mit der Verschiebung des Beginns der Beitrittsverhandlungen am 16. März 2005 verknüpften Verfahrensfehler zu heilen, indem der gebotene Eröffnungsbeschluss des Rates nunmehr nachgeholt wurde695. Jedenfalls wurde das rechtsförmige Beitrittsverfahren der Republik Kroatien durch die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen in die von Art. 49 EU hierfür verfassungsrechtlich vorgesehenen Bahnen zurückgelenkt.
694
Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 12877/05 vom 4. Oktober 2005, Tagung des Rates (Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen) vom 3. Oktober 2005, Schlussfolgerungen des Rates zu Kroatien, http://register.con silium.eu.int/pdf/de/05/st12/st12877.de05.pdf. 695
Diese Überlegung entspricht einer Parallele zu § 45 I Nr. 4 VwVfG des Bundes. Hiernacht kommt eine Heilung von Verfahrens- und Formfehlern in Betracht, wenn „der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird“.
D. Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards auf Altmitglieder und Bewerberstaaten In den inhaltlichen Anforderungen an beitrittswillige Staaten kommen konkrete Inhalte des Verfassungsrechts der EU zum Ausdruck. Kern des rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahrens nach Art. 49 EU ist das anzuwendende Recht des Art. 49 I 1 EU und des Art. 6 I EU696. Nun soll in einem weiteren Schritt untersucht werden, wie sich diese Kriterien zu den Anforderungen verhalten, die von den Staaten zu erfüllen sind, die bereits Mitglieder der Union sind. Damit ist die Frage angesprochen, wie die Europäische Union sicherstellt, dass der Kern ihrer verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenüber den Mitgliedstaaten nach einem Beitritt durchgesetzt wird. Hier kommen verschiedene Mittel in Betracht. Am herausstechendsten dürfte die Durchsetzung nach Art. 7 EU sein. Diese Norm erlaubt die Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten im Fall der Verletzung fundamentaler Grundsätze durch einen Mitgliedstaat. Der einzige praktische Fall, in dem eine Sanktionierung eines Mitgliedstaates in der Folge eines vermeintlichen oder befürchteten Verstoßes gegen die gemeinsamen Grundsätze der Gemeinschaft bisher vorgekommen ist, ist jener der „EU-Sanktionen“ gegen Österreich nach der Regierungsbeteiligung der FPÖ697. Dieser Fall lässt sich, trotz anfänglicher Evozierung des Art. 7 EU698, rechtlich charakterisieren als eine Koordinierung unilateraler Sanktionen der jeweiligen Mitglieder gegen 696
Siehe oben S. 93ff.
697
Hierzu Schorkopf, Verletzt Österreich die Homogenität in der Europäischen Union? Zur Zulässigkeit der „bilateralen“ Sanktionen gegen Österreich, DVBl. 2000, S. 1036-1044; Hau, Sanktionen und Vorfeldmaßnahmen zur Absicherung der europäischen Grundwerte. Rechtsfragen zu Art. 7 EU, S. 100-136. 698
Vgl. hierzu die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Regierungsbildung in Österreich vom 3.2.2000, PE 284.656, sowie die Entschließung des Ausschusses der Regionen vom 16.2.2000, CdR 59/2000, zitiert nach Schorkopf, Verletzt Österreich die Homogenität in der Europäischen Union? Zur Zulässigkeit der „bilateralen“ Sanktionen gegen Österreich, DVBl. 2000, S. 1036-1044 (1036).
M. Rötting, Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 208, DOI: 10.1007/978-3-642-01766-7_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
Österreich699, deren Zulässigkeit angesichts eines vom Unionsrecht vorgesehenen Sanktionsverfahrens zumindest zweifelhaft war700. Er hat eine umfangreiche Reaktion der Literatur ausgelöst701. Vor dem Hintergrund des derzeit gültigen Gemeinschaftsrechts ist in Bezug auf Mitgliedstaaten, bei denen ein Verstoß gegen die gemeinsamen europäischen Werte zu befürchten ist, zunächst an die Beschreitung des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 und 227 EG zu denken702, sodann ist der bereits erwähnte Sanktionsmechanismus des Artikels 7 EU einschlägig. Mit Art. 7 EU ist durch den Vertrag von Amsterdam (1997) – damals als Art. F.1 EUV – erstmals ein Verfahren im Unionsprimärrecht eingeführt worden, mit dem grundlegende Werte der europäischen Integration durch die Union gewährleistet werden sollen. Dieses Verfahren ist auf die verfassungsrechtliche Situation in den Mitgliedstaaten fokussiert, indem es die Verletzung der unionsverfassungsrechtlichen Grundsätze des Art. 6 I EU durch die Mitgliedstaaten „zu einem von der Europäischen Union sanktionierbaren Tatbestand“ macht703.
699
Art 7 EU war mangels Verletzung der in Art. 6 I EU genannten Grundsätze durch die bloße Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich nicht einschlägig, siehe Schorkopf, Verletzt Österreich die Homogenität in der Europäischen Union? Zur Zulässigkeit der „bilateralen“ Sanktionen gegen Österreich, DVBl. 2000, S. 1036-1044 (1040). 700
Schorkopf, Verletzt Österreich die Homogenität in der Europäischen Union? Zur Zulässigkeit der „bilateralen“ Sanktionen gegen Österreich, DVBl. 2000, S. 1036-1044 (1041, rechte Spalte), „Da die Sanktionierung eines Mitgliedstaates die Zufügung von schwersten Nachteilen bedeuten kann und sogar in Rechte der Unionsbürger einzugreifen vermag, hat jeder Mitgliedstaat auch ein Recht darauf, dass nur im Rahmen der vertraglich vorgesehenen Verfahren Maßnahmen gegen ihn ergriffen werden“. 701
Etwa Hummer/ Obwexer, Die Wahrung der „Verfassungsgrundsätze“ der EU. Rechtsfragen der „EU-Sanktionen“ gegen Österreich, EuZW 2000, S. 485; vgl. insbesondere auch Ahtisaari/ Frowein/ Oreja, Bericht vom 8. September 2000 (über das Eintreten der österreichischen Regierung für die gemeinsamen europäischen Werte und die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ), dt. Übersetzung EuGRZ 2000, S. 404. 702
Hierzu Tesauro, Les sanctions pour le non-respect d’une obligation découlant du droit communautaire par les Etats membres, in: van Gerven/ Zuleeg (Hrsg.), Sanktionen als Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, S. 17-27. 703
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 23.
Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
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Bei Art. 7 EU in der Fassung des Vertrages von Amsterdam war in Anbetracht des Wortlauts der Norm und ihrer fehlenden Justiziabilität704 jedenfalls vor der Anwendung von Sanktionen gegen Österreich die Argumentation nicht fernliegend, es handle sich bei der Entscheidung über die Einleitung des Sanktionsverfahrens um eine politische Entscheidung im Ermessen des Rats, der in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs einstimmig – ohne die Stimme des betroffenen Mitgliedstaats – beschließt. Die Argumente zum rein politischen Charakter des Sanktionsverfahrens nach Art. 7 EU ähneln jenen, die auch zum politischen Charakter des Beitrittsverfahrens vorgebracht werden. Anders als im Beitrittsverfahren wurden die Voraussetzungen des Sanktionsverfahrens jedoch nach der Beilegung des Streits im Fall der Sanktionen gegen Österreich aufgrund der dortigen FPÖ-Regierungsbeteiligung nicht zuletzt auf österreichisches Beitreiben hin705 deutlich präziser gefasst und um ein Frühwarnsystem ergänzt. Das zu beschreitende Verfahren wurde zudem einer Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof unterstellt. Die Unterstellung des Art. 7 EU unter die Kontrolle des Europäischen Gerichtshofes belegt dabei, dass es sich beim Verfahren nach Art. 7 EU nunmehr eindeutig um ein rechtlich geordnetes, rechtsanwendendes Verfahren im oben dargestellten Sinne handelt. Nur solche Verfahren sind – im Unterschied zu „rein politischen“ Ermessensentscheidungen, einer gerichtlichen Kontrolle überhaupt zugänglich. In der Parlamentskorrespondenz des Österreichischen Parlaments heißt es hierzu wörtlich: „Eine wesentliche Frage des EU-Vertrages, die im Zuge der „Sanktionen“ gegen Österreich aufgetreten war, konnte durch eine Neuformulierung des Art. 7 gelöst werden. Die alte Textierung des Amsterdamer Vertrages sah die Möglichkeit vor, bei einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von in Art. 6 Abs. 1 genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat Sanktionen (Aussetzung bestimmter Rechte, einschließlich der Stimmrechte) gegen diesen zu verhängen, ohne aber präventive Vorkehrungen zu treffen. Absatz 1 704
Schorkopf, Verletzt Österreich die Homogenität in der Europäischen Union? Zur Zulässigkeit der „bilateralen“ Sanktionen gegen Österreich, DVBl. 2000, S. 1036-1044 (1041, linke Spalte unten). 705
Siehe hierzu Österreichisches Parlament, Parlamentskorrespondenz / 03 / 08.06.2001 / Nr. 430, Vertrag von Nizza, online abrufbar unter http://www. konvent.gov.at/portal über Parlamentarisches Geschehen > Pressedienst > Meldungen im Jahr 2001 > PK=430.
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des Art. 7 postuliert nun insofern ein Frühwarnsystem, als der Rat auf begründetem Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Kommission mit einer VierFünftel-Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments feststellen kann, dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Grundrechte oder der Grundfreiheiten, auf die sich die Union stützt, durch einen Mitgliedstaat besteht. Der Rat kann daraufhin an diesen Mitgliedstaat geeignete Empfehlungen richten, wobei der betroffene Staat zu hören ist. Der Rat hat auch das weitere Vorliegen der Gründe, die zu dieser Feststellung geführt haben, regelmäßig zu überprüfen. Gemäß Art. 46 EU-Vertrag unterliegen nun auch die Verfahrensbestimmungen des Art. 7 der nachprüfenden Kontrolle des Europäischen Gerichtshofes.“706 Sowohl im Beitrittsverfahren als auch im Suspendierungsverfahren geht es um den Schutz der fundamentalen Grundsätze, auf denen die Union beruht, vor einem Zustand, in dem diese durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten nicht (mehr) eingehalten werden. In beiden Fällen liegen rechtlich geordnete, rechtsanwendende Verfahren vor. Ein Vergleich des Suspendierungsverfahrens nach Art. 7 EU mit dem Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU kann daher dazu dienen, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und die verfahrensrechtlichen Mechanismen beider Verfahren wechselseitig klarer zu machen. Aus diesem Vergleich lässt sich dann ableiten, ob die Union gegenüber Altmitgliedern die gleichen verfassungsrechtlichen Standards anwendet wie gegenüber Beitrittskandidaten oder ob die angewendeten Standards divergieren707.
706
Österreichisches Parlament, Parlamentskorrespondenz / 03 / 08.06.2001 / Nr. 430, Vertrag von Nizza, online abrufbar unter http://www.konvent.gov.at/ portal über Parlamentarisches Geschehen > Pressedienst > Meldungen im Jahr 2001 > PK=430. (Hervorhebungen vom Verfasser). 707
Vgl. etwa de Witte, Enlargement and the EU Constitution, in: Cremona (Hrsg.), The Enlargement of the European Union, S. 209-252 (233), der die Anwendung von “double standards” gegenüber Mitgliedstaaten und Kandidatenstaaten geißelt und (S. 236) am Beispiel festmacht, dass sich die „Causa Austria“ hypothetisch im Kandidatenstaat Ungarn ereignet hätte.
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
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I. Vergleich des Beitrittsverfahrens mit der Durchsetzung der unionsrechtlichen Anforderungen gegenüber Mitgliedstaaten im Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU Art. 7 EU stellt zunächst die schriftliche Fixierung der vorher stillschweigenden Übereinkunft dar, dass die Union auf gemeinsamen Werten und Überzeugungen beruht, gegen die nicht verstoßen werden darf708. Damit zeigt sich für die Entstehungsgeschichte der Verfassungsnorm, die eine Suspendierung der Mitgliedschaft in der Union ermöglicht, die gleiche Tendenz zur schriftlichen Fixierung und Konkretisierung des bislang teilweise ungeschriebenen, aber gleichwohl bereits vorhandenen Verfassungsrechts, wie sie schon beim Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU und bei den Verfassungsprinzipien nach Art. 6 I EU beobachtet werden konnte. Die Aufnahme in das als (Teil-)Verfassung verstandene Primärrecht geht über eine bloße Fixierung und Konkretisierung des bisher vorhandenen, ungeschriebenen Verfassungsrechts aber weit hinaus. Auch ohne Art. 7 EU der Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs zu unterstellen, benannte Art. 7 EU schon in der Fassung des Amsterdamer Vertrages die Beteiligten und Prozeduren eines rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahrens und legte als anzuwendendes Recht die in Art. 6 I EU genannten Grundsätze fest, die Verfassungsprinzipien der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit. Das rechtlich geordnete, rechtsanwendende Verfahren lässt die vorhergehende Verfassungslage weit hinter sich. Nach dieser entsprang der Eigenschaft der Mitgliedstaaten als Herren der Verträge in Verbindung mit der Geschäftsgrundlage der Verträge, auf denen Union und Gemeinschaften beruhen – nämlich dass der Zusammenschluss auf ge708
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 2 behauptet, dass sich in der Normierung das Misstrauen der bisherigen Mitglieder der Union gegenüber den künftigen Mitgliedern aus Mittel- und Osteuropa ausdrücke, ob ein „blindes Vertrauen“ auf Einhaltung der gemeinsamen Werte und Überzeugungen weiter gerechtfertigt sei. Aufgrund der erfolgten Normierung sei diese Frage dahingestellt. Die Entstehungsgeschichte der Norm könnte allerdings genauso gut auf ein durch einige Altmitglieder enttäuschtes Vertrauen auf die Unerschütterlichkeit der Verfassungsprinzipien hindeuten.
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
meinsamen Werten und Überzeugungen fußt – die Möglichkeit der verbliebenen Mitgliedstaaten, bei Verstößen gegen diese gemeinsamen Werte und Überzeugungen politische Maßnahmen gegen den Verletzerstaat einzuleiten. Art. 7 EU überträgt nunmehr der Union selbst die Sanktionsgewalt über einen Mitgliedstaat, der gegen die Grundsätze des Art. 6 I EU verstößt und lässt sie somit zum „Garanten liberal-demokratischer Verfasstheit und damit des normativen Grundbestands der europäischen Moderne“ erstarken709. Die Existenz des Sanktionsverfahrens nach Art. 7 EU bewirkt nunmehr zudem verfahrensrechtlich, dass im Bereich des Unions- und Gemeinschaftsrechts wegen der schwerwiegenden Nachteile einer Sanktionierung für den betroffenen Mitgliedstaat und die in ihm lebenden Unionsbürger, „jeder Mitgliedstaat auch ein Recht darauf [hat], dass nur im Rahmen der vertraglich vorgesehenen Verfahren Maßnahmen gegen ihn ergriffen werden“710. Dieser Rationalitätsgewinn durch die Einführung eines rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahrens wird völlig unabhängig von einer etwaigen Justiziabilität des Verfahrens erzielt. Art. 7 EU rekurriert inhaltlich in Bezug auf das anzuwendende Recht auf die gleichen, sich gegenseitig bedingenden und überlappenden Schutzgüter, die auch die Beitrittsanwärter im Rahmen des Beitrittsverfahrens zur Europäischen Union nach Art. 49 I 1 EU beachten müssen. Nach einer zunächst in Deutschland von Frank Schorkopf entwickelten These dient Art. 7 EU der Sicherstellung der Homogenität in der Europäischen Union711. Diese These hat, trotz des geringeren Interesses für die Frage der Homogenität im Unionsrecht in anderen Mitgliedstaaten, die Sprachgrenzen überschritten712 und sich zur formal herrschenden Meinung in Europa entwickelt713. 709
von Bogdandy, Zweierlei Verfassungsrecht. Europäisierung als Gefährdung des gesellschaftlichen Grundkonsenses?, Der Staat 2000, S. 163-184 (168). 710
Schorkopf, Verletzt Österreich die Homogenität in der Europäischen Union? Zur Zulässigkeit der „bilateralen“ Sanktionen gegen Österreich, DVBl. 2000, S. 1036-1044 (1041). 711
Vgl. Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union.
712
Vgl. nur von Bogdandy, The European Union as a Human Rights Organization? Human Rights and the Core of the European Union, 37 Common Market Law Review (2000), S. 1307-1338 (1321). 713
Hierzu Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
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Letztlich kommt es für das verfassungsrechtlich fixierte Verfahren der Suspendierung der Mitgliedschaft in der Union nach Art. 7 EU aber nicht darauf an, ob Art. 7 EU tatsächlich abstrakt die Verfassungshomogenität in der Europäischen Union schützen will. Die Norm enthält nämlich als rechtliche Tatbestandsvoraussetzungen Grundsätze, die nicht von Seiten eines Mitgliedstaats verletzt werden dürfen; diese sind auch konkret genug oder jedenfalls durch Unterteilung in Einzelrechtssätze und Unterprinzipien konkretisierbar714. Im rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahren des Art. 7 EU wird dem Rat – vergleichbar zum Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU – ein politisches Ermessen darüber zugestanden, ob konkrete Verfahrensschritte eingeleitet werden sollen. Das zeigt die Formulierung „der Rat kann“ bzw. „kann der Rat“ in Art. 7 I, II 1, III EU715. Damit drängt sich die Vermutung auf, dass Art. 7 EU gegenüber Staaten, die bereits Mitglieder in der Europäischen Union sind, das zum Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU spiegelbildliche rechtsförmige Verfahren darstellt716, mit dem inhaltlich die gemeinsamen Verfassungsprinzipien der Union abgesichert werden sollen. Daher werden im Folgenden das Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU in der ursprünglichen und in der reformierten Variante in seinen Voraussetzungen spiegelbildlich zum Beitrittsverfahren analysiert.
Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 9; ohne erkennbare inhaltliche Unterschiede zu Schorkopf lehnen manche Autoren jedoch den Begriff „Verfassungshomogenität“ ab, so etwa von Bogdandy, Zweierlei Verfassungsrecht. Europäisierung als Gefährdung des gesellschaftlichen Grundkonsenses?, Der Staat 2000, S. 163-184 (167), der von verdichteten unionalen Anforderungen an die nationalen Verfassungen spricht. 714
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 12. 715
Diese Beobachtung trifft sowohl für die Fassung des Art. 7 EU im Amsterdamer Vertrag als auch nach dem Vertrag von Nizza zu. 716
Diese Überlegung gilt unabhängig davon, dass die Schwelle des Art. 49 EU wegen des dem Rat eingeräumten Ermessens, von den Mindestanforderungen eines Beitritts durch zusätzliche, aber einheitlich gegenüber allen Beitrittskandidaten anzuwendenden, Anforderungen „nach oben“ abzuweichen, höher liegen kann als für die Einleitung eines Suspendierungsverfahrens.
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
1. Inhaltliche Vorgaben des Suspendierungsverfahrens nach Art. 7 I, 6 I EU (Amsterdamer Vertrag) Das Verfahren zur Suspendierung der Mitgliedschaft in der Union lässt sich in verschiedene Verfahrensschritte unterteilen. Der erste Verfahrensschritt nach dem Amsterdamer Vertrag von 1997 stellt die Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen dar717. Nur in diesem Verfahrensschritt sind die inhaltlichen Voraussetzungen verfassungsrechtlich vorgegeben. Voraussetzung der Einleitung eines Verfahrens zur Suspendierung der Mitgliedschaft in der Union nach Art. 7 EU und zu seiner Fortführung in weiteren Verfahrensschritten ist daher, dass Grundsätze des Art. 6 I EU schwerwiegend und dauerhaft verletzt sind.
a) Grundsätze des Art. 6 I EU Art. 6 I EU zählt als Verfassungsprinzipien, auf denen „[d]ie Union beruht“ und die „allen Mitgliedstaaten gemeinsam“ sind, die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit auf. Wie bereits im Rahmen des Beitrittsverfahrens nach Art. 49 EU betont, überlappen sich diese vier Grundsätze und bedingen sich gegenseitig718. Zu einem Überblick über ihren Inhalt kann daher auf die entsprechenden Betrachtungen im Rahmen der Untersuchung des Beitrittsverfahrens verwiesen werden719. Obwohl der Wortlaut des Art. 7 I EU im Plural eine Verletzung von Grundsätzen verlangt, was dazu veranlassen könnte, auch tatsächlich die Verletzung mindestens zweier Grundsätze zu verlangen720, muss die Verletzung eines einzigen Grundsatzes des Art. 6 I 717
Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 174.
718
Siehe hierzu Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 4 sowie oben S. 98ff. 719
Siehe S. 98ff., zum Grundsatz der Freiheit S. 98, zum Grundsatz der Demokratie S. 100, zum Grundsatz der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten S. 111, zum Schutz von Minderheiten S. 103 und zum Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit allgemein S. 115 ff. Vgl. auch die gemeinsame Darstellung der “Common Principles” für Art. 7 EU und Art. 49 EU bei Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 186-191. 720
So ausdrücklich Anton in: Léger/ Anton (Hrsg.), Commentaire article par article des traités UE et CE, Art. 7 UE, Rn. 4.
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
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EU tatbestandsmäßig genügen721. Das lässt sich zum einen semantisch daraus begründen, dass alle anwendbaren Sprachfassungen der Norm den unbestimmten statt des bestimmten Plurals verwenden. Zum anderen lässt sich diese Feststellung auch inhaltlich darauf stützen, dass die Grundsätze des Art. 6 I EU sich überlappen und sich gegenseitig bedingen722. Die Verletzung eines einzigen Verfassungsprinzips wird daher immer auch eine Verletzung weiterer Verfassungsprinzipien nach sich ziehen. Deren Nachweis wäre daher nur eine unnötige semantische Formalität723.
b) Schwerwiegende Verletzung Die Verletzung der in Art. 6 I EU normierten Verfassungsgrundsätze der Union muss schwerwiegend sein. Frank Schorkopf versucht in seiner Dissertation zur Homogenität in der Europäischen Union eine Definition des Begriffs der schwerwiegenden Verletzung724. Er geht aus von der Beobachtung, dass fast jede „einfache“ Vertragsverletzung eines der Verfassungsprinzipien des Art. 6 I EU tangieren kann. Für solche einfachen Vertragsverletzungen sehen die Verträge, auf denen die Unionsrechtsordnung beruht, jedoch Rechtsschutzmöglichkeiten vor, deren mögliche Ingebrauchnahme dementsprechend eine schwerwiegende Verletzung ausscheiden lässt. Andererseits enthalte Art. 6 I EU als eine der wichtigsten Vorschriften im Unionsrecht eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einhaltung der Grundsätze, sodass seine Verletzung bereits die Vermutung der Schwere der Beeinträchtigung in sich trage. Dementsprechend müsse man „[j]ede über eine „einfache“ Vertragsver721
Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 191; Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 15; Kluth in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EUV / EGV –, Art. 7 EU, Rn. 5; Hummer/ Obwexer, Die Wahrung der „Verfassungsgrundsätze“ der EU. Rechtsfragen der „EU-Sanktionen“ gegen Österreich, EuZW 2000, S. 485 (487). 722
Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 191.
723
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 15. 724
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 150, Rn. 239. Die nachfolgende Beschreibung orientiert sich an diesem Text.
236
Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
letzung hinausgehende finale Beeinträchtigung der Prinzipien“ des Art. 6 I EU „als „schwerwiegend“ einordnen“725. Dem Verfasser erscheint fraglich, ob Schorkopf damit eine handhabbare Definition des Begriffs der schwerwiegenden Verletzung geglückt ist. Der Begriff „schwerwiegend“ impliziert, dass es darüber hinaus einfache oder normale Verletzungen der Verfassungsprinzipien des Art. 6 I EU geben muss, die die Erheblichkeitsschwelle des Art. 7 I EU nicht erreichen726. Das müssen jene Vertragsverletzungen sein, bei denen eine Inanspruchnahme der normalen Rechtsschutzmöglichkeiten, also vor allem des Vertragsverletzungsverfahrens und des Vorabentscheidungsverfahrens, zu einer Abhilfe führt. Hier ist jeder Gedanke an das Sanktionsverfahren nach Art. 7 EU unnötig, weil der unionsrechtskonforme Zustand wieder hergestellt ist. Anders als von Schorkopf behauptet, kann somit nicht jede finale Verletzung bereits die Vermutung der Schwere der Beeinträchtigung in sich tragen. Vielmehr wird eine Definition des Begriffs „schwerwiegend“ jeweils nur einzelfallbezogen vor dem Hintergrund des Telos des Verfahrens der Suspendierung der Mitgliedschaft in der Union zu beantworten sein. Dementsprechend finden sich mit Ausnahme des Schorkopfschen Definitionsversuchs auch keine weiteren wirklichen Definitionsversuche in der Literatur727. Schmitt von Sydow schlägt einen Kriterienkatalog vor, der nach dem Gegenstand der Verletzung, der Folge der Verletzung, der Intensität der Verletzung und dem Verhalten des inkriminierten Mitgliedstaates differenziert, aber auch weitere Kriterien zulässt728. Dieser Ansatz ist praktikabler als der von Schorkopf gewählte. Die dem Verfahren zur Suspendierung der Mitgliedschaft innewohnende, sich aus dem Beurteilungsspielraum des Rats ergebende Ungenauigkeit eines politisch regelmäßig hochsensiblen Verfahrens wird durch den offenen Kriterienkatalog reflektiert.
725
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 150, Rn. 239.
726
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 25. 727
Vgl. Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 20. 728
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 33
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
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Ziel des Verfahrens zur Suspendierung der Mitgliedschaft ist es nicht, einen Mitgliedstaat aus der Union auszuschließen729. Die Möglichkeit eines Ausschlusses fehlt daher dem Wortlaut des Art. 7 EU. Art. 7 EU bezweckt vielmehr, den Mitgliedstaat, der die Grundsätze des Art. 6 I EU schwerwiegend und anhaltend verletzt – also in einem Fall, in dem die normalen Überwachungsinstrumente wie etwa das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG nicht mehr genügen – durch drastischere Maßnahmen auf den richtigen Weg der Achtung der gemeinsamen Verfassungsprinzipien zurückzuführen. Das Verfahren ist daher hochpolitisch, was sich auch daran zeigt, dass dem Rat von Art. 7 I EU ein Beurteilungsspielraum bei der Sachverhaltsermittlung sowie ein Ermessen eingeräumt wird („kann der Rat“), die Vertragsverletzung festzustellen. Vor diesem Hintergrund wird man dem Rat auch eine Einschätzungsprärogative für die Bewertung, wann eine Verletzung schwerwiegend im Sinne des Art. 7 I EU ist, zugestehen müssen730. Wie in anderen rechtsanwendenden Verfahren folgt aus der Gewährung einer Einschätzungsprärogative aber nicht, dass der Rat durch das eingeräumte Ermessen und die eingeräumte Einschätzungsprärogative in seinem Handeln völlig frei sei731. Seine Einschätzungsprärogative wird durch den anerkannten, etwa in der Rechtsprechung des EuGH reflektierten Stand des Gemeinschaftsrechts im Bereich der Verfassungsprinzipien und durch verschiedene, rational nachvollziehbare Kriterien, wie sie etwa Schmitt von Sydow vorschlägt732, eingeschränkt und gelenkt. Aus der Tatsache, dass Art. 7 I EU die „Grundfesten des verfassungsmäßigen Systems“ der Union schützt, folgt umgekehrt, dass jede tatbestandsmäßige Verlet729
Anders jedoch Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 184, der die fehlende vertragliche Möglichkeit, einen Mitgliedsstaat aus der Union auszuschließen, im Wege der Analogie aus Art. 7 EU herleiten will. 730
Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 184f.
731
Zur Ermessensreduzierung aufgrund der Einwirkung von Grundrechten und sonstigen Verfassungssätzen für das deutsche Verwaltungsrecht etwa Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 139, § 7, Rn. 24ff. Zur Lehre vom Beurteilungsspielraum ebenda S. 141, § 7 Rn. 31ff. 732
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 33, zur genaueren Beschreibung einzelner Kriterien Rn. 26-32.
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
zung des Art. 7 EU, stellt der Rat sie fest, auch „unverzüglich und mit der notwendigen Entschlossenheit und Härte verfolgt werden muss“733.
c) Anhaltende Verletzung Art. 7 I EU verlangt weiter, dass die Verletzung der in Art. 6 I EU genannten Grundsätze anhaltend sein muss. Der Begriff „anhaltend“ weist dabei ähnliche Unschärfen bei der Definition auf wie schon der Begriff „schwerwiegend“. Auch für die Beurteilung der Frage, wann eine schwerwiegende Verletzung der Verfassungsprinzipien des Art. 6 I EU anhaltend ist, wird man daher dem zur Feststellung der schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung berufenen Rat eine gewisse Einschätzungsprärogative zugestehen müssen734. Diese Einschätzungsprärogative wird allerdings noch stärker als bei der Frage, ob ein Verstoß schwerwiegend ist, durch existierende Rechtsakte und Rechtsprechung im Unionsrecht gelenkt. So hat der EuGH sogar die Selbstverständlichkeit richterrechtlich fixiert, dass eine nur kurze Wirkung nicht anhaltend ist735. Daher schließt der Begriff „anhaltend“ unzweifelhaft solche Verletzungen aus, die auf vorübergehende Einzelfälle beschränkt bleiben736. Das gilt allerdings nach der begrüßenswerten Rechtsprechung des EuGH dann nicht, wenn eine Reihe von Einzelfällen zu einer Praxis führt, die die von Art. 7 EU geschützten Grundsätze erschüttert, oder wenn Handlungen wiederholt stattfinden
733
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 19. 734
Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 184f.
735
Vgl dazu EuGH, Rs. 2/77 vom 12.7.1977, Hoffmann’s Stärkefabriken, Slg. 1977, S. 1375 (Rn. 10, 11); Kluth in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EUV / EGV –, Art. 7 EU, Rn. 8; Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 37. 736
Schmahl, Die Reaktionen auf den Einzug der Freiheitlichen Partei Österreichs in das österreichische Regierungskabinett – Eine europa- und völkerrechtliche Analyse, EuR 2000, S. 819-836 (823); Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 36.
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und daher doch als anhaltend zu bewerten sind737. Des Weiteren hat die Rechtsprechung Kriterien entwickelt, anhand derer die Dauer der Verletzung zu bewerten ist. Hierzu zählt zunächst der Grad der Dringlichkeit, die Rechtsordnung der Union wiederherzustellen738. Sodann zählt dazu die erforderliche Zeit zur Bereinigung des Verstoßes durch den Mitgliedstaat739. Schließlich spielen Warnungen an den rechtsbrüchigen Mitgliedstaat in Form von Verurteilungen durch den Gerichtshof740 und Mahnungen durch die Kommission741 eine Rolle. An diesen Kriterien muss der Rat seine Einschätzung, ob die Verletzung der Verfassungsprinzipien durch den betroffenen Mitgliedstaat anhaltend ist, ausrichten. Dabei spielt eine besondere Rolle, dass sich schon aus Art. 10 EG ergibt, dass der Mitgliedstaat zunächst auf anderen Wegen zur Einhaltung seiner vertraglichen Pflichten anzurufen ist742. Die Einleitung des Verfahrens nach Art. 7 EU setzt also eine vorherige, erfolglose Mahnung an den Mitgliedstaat voraus743, ohne die eine anhaltende Verletzung der Verfassungsprinzipien des Art. 6 I EU nicht festgestellt werden kann.
737
EuGH, Rs. 27/64 und 30/64 vom 8.7.1965, Fonzi, Slg. 1965, S. 615 (Rn. II.2.E3); Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 36. 738
Vgl. Schlussanträge des GA Colomer zu EuGH, Rs. C-387/97 vom 4.7.2000, Kommission/ Griechenland, Slg. 2000, S. I-5047 (Rn. 113 der Schlussanträge). 739
EuGH, Rs. C-17/90 vom 7.11.1991, Pinaud Wieger/ Bundesanstalt für den Güterfernverkehr, Slg. 1991, S. I-5253 (Rn. 10). 740
Schlussanträge des GA Darmon zu EuGH, Rs. C-17/90 vom 7.11.1991, Pinaud Wieger/ Bundesanstalt für den Güterfernverkehr, Slg. 1991, S. I-5253 (Rn. 16 der Schlussanträge); Schlussanträge der GA Leger zu EuGH, Rs. C5/94 vom 23.5.1996, Hedley Lomas, Slg. 1996, S. I-2553 (Rn. 164 der Schlussanträge). 741
EuGH, Rs. C-265/95 vom 9.12.1997, Fraises (Erdbeeren), Slg. 1997, S. I6959 (Rn. 42, 65). 742
Vgl. Hummer/ Obwexer, Die Wahrung der „Verfassungsgrundsätze“ der EU. Rechtsfragen der „EU-Sanktionen“ gegen Österreich, EuZW 2000, S. 485 (487). 743
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 39.
240
Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
2. Inhaltliche Vorgaben des Suspendierungsverfahrens nach Art. 7 I, 6 I EU (Vertrag von Nizza) Nach dem Vertrag von Nizza wird aus Art. 7 I EU in der Fassung des Amsterdamer Vertrags Art. 7 II EU. Auch die weiteren Absätze des Art. 7 EU verschieben sich in ihrer Nummerierung, bleiben aber ansonsten in Wortlaut und Inhalt identisch aufrecht erhalten. Neu durch den Vertrag von Nizza in den EU-Vertrag eingeführt wird Art. 7 I EU, der ein „Frühwarnsystem“ installiert und das Verfahren zur Beilegung des Konflikts mit Österreich durch die Erstellung eines Berichts von drei „Weisen“744 in das Frühwarnverfahren aufnimmt. Der neue Art. 7 I 1 EU bestimmt, dass der Rat auf begründeten Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Kommission mit der Mehrheit von vier Fünfteln seiner Mitglieder und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments feststellen kann, dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen besteht. Er kann an diesen Mitgliedstaat geeignete Empfehlungen richten. Nach Art. 7 I 2 EU muss er, bevor er eine solche Feststellung trifft, den betroffenen Mitgliedstaat hören. Nach demselben Verfahren kann er „unabhängige Persönlichkeiten“ ersuchen, innerhalb einer angemessenen Frist einen Bericht über die Lage in dem betreffenden Mitgliedstaat vorzulegen. Art. 7 I 3 EU verpflichtet den Rat darauf, regelmäßig zu überprüfen, ob die Gründe, die zur Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen geführt haben, noch vorliegen. Inhaltlich erfordert das Frühwarnverfahren daher lediglich die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen.
a) Eindeutige Gefahr Eine Gefahr ist nach allgemeinem juristischem Begriffsverständnis die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, hier also die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens einer der Grundsätze der Freiheit, der Demo744
Ahtisaari/ Frowein/ Oreja, Bericht vom 8. September 2000 (über das Eintreten der österreichischen Regierung für die gemeinsamen europäischen Werte und die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ).
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
241
kratie, der Rechtsstaatlichkeit oder Geltung von Menschen- und Minderheitsrechten im betroffenen Mitgliedstaat verletzt werden wird. Fraglich ist, wann diese Gefahr eindeutig ist. Die Frage der Eindeutigkeit führt zurück auf die Beweisbarkeit der behaupteten Verletzung. Daher genügt es für die erforderliche Eindeutigkeit nicht, wenn lediglich Zweifel an der Einhaltung der Grundsätze des Art. 6 I EU in einem Mitgliedstaat bestehen. Vielmehr müssen konkrete Indizien für eine die europäischen Verfassungsprinzipien gering achtende Lage im betroffenen Mitgliedstaat bestehen, die keinen vernünftigen Zweifel daran lassen, dass ein Bruch dieser Verfassungsprinzipien bevorsteht. Damit hängt die Messlatte für die Einleitung des Frühwarnverfahrens verhältnismäßig hoch.
b) Schwerwiegende Verletzung Die Verletzung eines Verfassungsgrundsatzes, deren Eintritt wahrscheinlich ist, muss – für den Fall, dass sie eintritt – schwerwiegend sein. Zur Frage, wann eine Verletzung schwerwiegend ist, kann auf die Ausführungen zum Verfahren zur Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten verwiesen werden. Anders als das Verfahren zur Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten verlangt das Frühwarnverfahren aber nicht das Bevorstehen einer anhaltenden Verletzung. Das ist konsequent, da das Frühwarnverfahren gerade eingeführt wurde, um bei der eindeutigen Gefahr von schwerwiegenden Verletzungen angewendet zu werden, bevor diese überhaupt andauernd werden können.
3. Verfahrensvorgaben Das Verfahren zur Suspendierung der Mitgliedschaft in der Union lässt sich in verschiedene Verfahrensstufen unterteilen745. Das Frühwarnverfahren nach Art. 7 I EU stellt die vom Vertrag von Nizza eingefügte, neue erste Verfahrensphase dar746. Erst sofern diese scheitert und es tat745
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 7ff.; Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 174. 746
Lenaerts/ van Nuffel, Constitutional law of the European Union, S. 379 (Rn. 9-012).
242
Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
sächlich zu einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen kommt, ist das Verfahren zur Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten einschlägig. Dabei impliziert die Forderung nach einer anhaltenden Verletzung, dass zwischen der Einleitung des Frühwarnverfahrens und der Einleitung des Verfahrens zur Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten (Sanktionsverfahren) eine geraume Zeit vergehen muss – zumindest, sofern das Frühwarnverfahren rechtzeitig eingesetzt wird. Die Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen stellt die sich an ein erfolgloses Frühwarnverfahren anschließende Verfahrensphase dar und ist in Art. 7 II EU (Art. 7 I EU in der Fassung des Amsterdamer Vertrags) geregelt. In der sich an die Feststellung anschließenden dritten Verfahrensphase kann der Rat dann beschließen, bestimmte Mitgliedschaftsrechte auszusetzen747. Dies normiert Art. 7 III EU (Art 7 II EU Amsterdam) und kann zeitlich, wie ein Vergleich zu Art. 7 IV EU (Art. 7 III EU Amsterdam) zeigt, unmittelbar an die Feststellung der schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung anschließen. Schließlich kodifiziert Art. 7 IV EU eine Revisionsphase und regelt damit die Abänderung oder Aufhebung der nach Art. 7 III EU getroffenen Maßnahmen, wenn eine Veränderung der Sachlage eingetreten ist.
a) Frühwarnverfahren Das Frühwarnverfahren wird eingeleitet auf begründeten Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Kommission. aa) Ein Drittel der Mitgliedstaaten Die Vorschlagsberechtigung zur Einleitung des Verfahrens nach Art. 7 I EU für ein Drittel der Mitgliedstaaten erfordert beim derzeitigen Stand von 27 Mitgliedstaaten eine koordinierte Handlung von mindestens 9 Mitgliedstaaten, um die eindeutige Gefahr einer Verletzung der europäischen Verfassungsgrundsätze in einem weiteren Mitgliedstaat anzuprangern. In Anbetracht der von Art. 7 I EU weiter geforderten Mehr747
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 18-20; Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 174.
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
243
heit von vier Fünfteln im Rat erstaunt das Quorum von einem Drittel der Mitgliedstaaten in der Vorschlagsberechtigung. Es trägt vermutlich der Tatsache Rechnung, dass die nationalen Behörden über das Gros der qualifizierten Fachleute im Bereich der Grundrechte verfügen748 und will diesen Erfahrungsschatz dem unionsrechtlichen Verfahren nicht verschließen. bb) Europäisches Parlament Weiter vorschlagsberechtigt ist das Europäische Parlament. Dieses neu geschaffene Beteiligungsrecht des Parlaments stärkt seine Rolle im Gefüge der Organe der Gemeinschaft und erlaubt es den Parlamentariern, auf beängstigende Entwicklungen in einzelnen Mitgliedstaaten hinzuweisen. cc) Kommission Daneben vorschlagsberechtigt ist schließlich die Kommission. Der Europäischen Kommission kommt neben der Möglichkeit der Verfahrenseinleitung durch den Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder durch das EP im Verfahren nach Art. 7 I EU eine herausgehobene Stellung zu. Das liegt daran, dass im Organgefüge der Unionsorgane die Kommission das Organ darstellt, das am Ehesten die komplexe und langwierige Sachverhaltsanalyse erbringen kann, die zur Einleitung eines Mitgliedschaftssuspendierungsverfahrens erforderlich ist. So trägt die Kommission gemäß Art. 211 EG, erster Spiegelstrich, für den Bereich des Gemeinschaftsrechts – also des im EG-Vertrag fixierten Primärrechts – ausdrücklich Sorge für „die Anwendung des Vertrags sowie der von den Organen aufgrund dieses Vertrags getroffenen Bestimmungen“. Sie wird deshalb auch als die Hüterin der Verträge bezeichnet749. Damit geht einher, dass die Kommission auch zur Hüterin des Europäischen Verfassungsrechts berufen ist. Die Anwendung des EG-Vertrages beruht nämlich auf denselben fundamentalen Grundsätzen wie die Anwendung des EU-Vertrags. Die Verfassungsprinzipien 748
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 51. 749
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 211 EG, Rn. 2.
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte, die die Schutzgüter des Verfahres nach Art. 7 I EU sind, sind im europäischen Verfassungsrecht universell vorgegeben und gelten gerade nicht nur für den Bereich eines einzelnen Vertrags, sondern für die Gesamtheit des Handelns auf Unions- und Gemeinschaftsebene. Denn gerade mit der Konzeption einer einheitlichen Rechtsordnung ist die Erwartung nachvollziehbarer, also rechtsstaatlicher Ausübung von Herrschaft verknüpft750. Die Verfassung steht für jeden Hoheitsakt am Ende der Legitimationskette751 und der Rahmen für die Achtung der Grundrechte ist im Unions- und im Gemeinschaftsrecht einheitlich, auch wenn er nicht immer gerichtlich nachprüfbar ist752. Eine Differenzierung der Rolle der Kommission danach, ob durch die Verletzung eines fundamentalen Verfassungsgrundsatzes die Anwendung des EU-Vertrages oder des EG-Vertrages beeinträchtigt wird, wäre vor diesem Hintergrund sinnwidrig. In aller Regel dürfte ohnehin die Anwendung beider Verträge tangiert sein, wenn die Einleitung eines Suspendierungsverfahrens nach Art. 7 EU ernsthaft im Raum steht. Für die Erfüllung dieser Überwachungsaufgabe hilfreich ist die Unabhängigkeit der Kommission im Organgefüge der Union753. Die Kommission vertritt – anders als einzelne Mitgliedstaaten oder auch eine Gruppe von Mitgliedstaaten – nur das gemeinsame Interesse der Union;
750
Kadelbach, Einheit der Rechtsordnung als Verfassungsprinzip der Europäischen Union?, EuR – Beiheft 2 (1998), Konsolidierung und Kohärenz des Primärrechts nach Amsterdam 1998, S. 51-66 (51). 751
Kadelbach, Einheit der Rechtsordnung als Verfassungsprinzip der Europäischen Union?, EuR – Beiheft 2 (1998), Konsolidierung und Kohärenz des Primärrechts nach Amsterdam 1998, S. 51-66 (55). 752
Kadelbach, Einheit der Rechtsordnung als Verfassungsprinzip der Europäischen Union?, EuR – Beiheft 2 (1998), Konsolidierung und Kohärenz des Primärrechts nach Amsterdam 1998, S. 51-66 (64). 753
Die Unabhängigkeit der Kommissionsmitglieder gegenüber den Mitgliedstaaten und sonstigen Stellen einschließlich Privater ergibt sich aus Art. 213 I 1 EG und Art. 213 II EG. Die institutionelle Unabhängigkeit der Kommission ergibt sich nach Ruffert bereits aus ihrem supranationalen Charakter, nach Schmitt von Sydow hingegen ebenfalls aus Art. 213 EG. Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 211 EG, Rn. 7-9; Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 30, Fn. 72.
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
245
die Amtspflichten ihrer Mitglieder sind ausschließlich am allgemeinen Wohl der Gemeinschaft orientiert754. Deswegen und wegen ihrer Unparteilichkeit ist die Kommission besonders dazu berufen, das Sanktionsverfahren vorzubereiten und durchzuführen755. Hinzu kommt, dass die Kommission mittlerweile über beträchtliche Erfahrung im Bereich der auswärtigen Beziehungen sowie im Bereich der Justiz und inneren Sicherheit angesammelt hat und etwa durch ihre Rolle im Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU oder in Assoziierungsfragen über beträchtliche Expertise bei der Implementierung der Verfassungsprinzipien des Art. 6 I EU in den verschiedenen Verfahren verfügt. Entsprechend hat die Kommission während der Österreichkrise im Jahr 2000 in einer Mitteilung auf ihre besondere Eignung zur Vorbereitung und Durchführung des Sanktionsverfahrens hingewiesen756. Hier betonte die Kommission, dass sie die Besorgnis der Mitgliedstaaten teile und Österreichs Verhalten, entsprechend ihrer Rolle als Hüterin der Verträge, auf die Einhaltung des Art. 6 I EU intensiv beobachten werde757. Sie betonte aber auch, dass sie zum damaligen Zeitpunkt aber keine Veranlassung sehe, die Kontakte mit Österreich auf Arbeitsebene abzubrechen758. Damit hat die Kommission in der Österreichkrise eine Position bewiesen, die deutlich stärker als die damalige Position der Mitgliedstaaten auf dem rechtlichen Fundament der Verfassungsprinzipien des Art. 6 I EU fußt.
754
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 10. 755
So Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 51. 756
Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission: Österreich, IP/00/93 vom 31.1.2000, zugänglich unter http://europa.eu.int/comm/exter nal_relations/news/2000/02_00/ip_00_93.htm. 757
Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission: Österreich, IP/00/93 vom 31.1.2000, zugänglich unter http://europa.eu.int/comm/exter nal_relations/news/2000/02_00/ip_00_93.htm. 758
Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission: Österreich, IP/00/93 vom 31.1.2000, zugänglich unter http://europa.eu.int/comm/exter nal_relations/news/2000/02_00/ip_00_93.htm.
246
Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
Der Kommission als unparteilichem, unabhängigem Unionsorgan, das das gemeinsame Interesse vertritt, kommt daher zu Recht auch im rechtlich geordneten, rechtsanwendenden Verfahren nach Art. 7 EU die „aktive Schlüsselrolle“759 zu. Damit zeigt sich eine deutliche Parallele in der Schlüsselrolle der Kommission zwischen dem Verfahren nach Art. 7 EU und dem Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU. dd) Begründung des Vorschlags Der Vorschlag muss begründet werden. Das bedeutet, dass die Indizien, die die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung von europäischen Verfassungsprinzipien begründen, im Antrag benannt werden müssen und Grundlage der Beschlussfassung des Rats werden. ee) Zustimmung des Parlaments Das Europäische Parlament muss vor der Beschlussfassung des Rats der Europäischen Union über die Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen seine Zustimmung erteilen760. Nach Art. 7 VI EU beschließt das Europäische Parlament mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Das Erfordernis der Zustimmung des Parlaments stellt eine bemerkenswerte Parallele zum Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU dar. In beiden Fällen wird der zu treffende Beschluss von einer konstitutiven Zustimmung des Parlaments abhängig gemacht und damit dem Parlament faktisch eine „Vetomacht“ zugestanden, mit der es das Zustandekommen des jeweiligen Beschlusses verhindern kann761. Im Beitrittsverfahren gilt dies für die
759
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 51. 760 761
Art. 7 I EU, „nach Zustimmung des Parlaments“.
Für das Beitrittsverfahren Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 107, für das Verfahren nach Art. 7 EU Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 59.
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247
Verhinderung des Beitritts eines neuen Mitgliedstaates762. Im Sanktionsverfahren nach Art. 7 EU kann das Parlament umgekehrt verhindern, dass ein Verstoß gegen europäische Verfassungsprinzipien in einem Mitgliedstaat festgestellt wird763, nicht aber eine sich an den Feststellungsbeschluss anschließende Sanktion764. Beides trägt dem dualen Legitimationsmodell des Unionsrechts, das auf einem mitgliedstaatlichem und einem unionalen Strang aufbaut765, Rechnung. Das hohe parlamentarische Quorum sichert dabei die Erforderlichkeit eines breiten parlamentarischen Konsenses ab, bevor eine entsprechender Beschluss durch den Rat gefällt werden kann. ff) Anhörung des betroffenen Mitgliedstaates Die nach Art. 7 I 2 EU erforderliche Anhörung des betroffenen Mitgliedstaates vor der Beschlussfassung des Rates ist Ausdruck der Einräumung von Verfahrensrechten. Sie bestätigt damit, dass es sich beim Verfahren nach Art. 7 EU um ein rechtlich geordnetes, rechtsanwendendes Verfahren handelt. gg) Weisengutachten Ferner räumt Art. 7 I 2 EU dem Rat die Möglichkeit ein, nach dem von Art. 7 I 1 EU vorgezeichneten Verfahren unabhängige Persönlichkeiten zu ersuchen, innerhalb einer angemessenen Frist einen Bericht über die Lage in dem betreffenden Mitgliedstaat vorzulegen766. Damit wird die Vorgehensweise zur Beilegung der Sanktionen gegen Österreich durch die Beauftragung der „Weisen“ Ahtissaari, Oreja und Frowein, einen 762
Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 103-107. 763
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 14, 16. 764
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 20. 765
von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (174). 766
Vgl. Lenaerts/ van Nuffel, Constitutional law of the European Union, S. 379 (Rn. 9-012).
248
Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
Bericht über die Lage in Österreich zu erstellen, nachträglich primärrechtlich übernommen. Art. 7 EU in der Fassung des Vertrags von Lissabon sieht, wie auch schon der Vertrag über eine Verfassung für Europa in seinem Art. I-59 VVE jedoch vor, den Bericht unabhängiger Persönlichkeiten wieder aus dem Normtext herauszunehmen; er würde darüber hinaus die Abstimmungsmodi auf allen drei Stufen des Mitgliedschaftssuspendierungsverfahrens zwar präzisieren, aber auch komplexer machen767. hh) Beschlussfassung des Rates Der Rat beschließt nach Art. 7 I 1 EU mit vier Fünfteln seiner Mitglieder und handelt dabei, gemäß Art. 7 V EU, ohne Berücksichtigung der Stimme des Vertreters der Regierung des betroffenen Mitgliedstaats768. Rechtsfolge der Feststellung der eindeutigen Gefahr einer Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen ist, dass der Rat an den Mitgliedstaat geeignete Empfehlungen richten kann, Art. 7 I 2 EU. Diese Empfehlungen sind gemäß Art. 249 V EG nicht rechtlich bindend769, sie werden aber in Anbetracht der Relevanz des Frühwarnverfahrens eine erhebliche politische Bedeutung entfalten. Art. 7 I 3 EU verpflichtet den Rat darauf, regelmäßig zu überprüfen, ob die Gründe, die zu seiner Feststellung geführt haben, noch zutreffen.
b) Verfahren zur Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung Die Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat ist dem Frühwarnverfahren nachgeschaltet. Sie ist Voraussetzung für die Einleitung konkreter Sanktionsmaßnahmen gegen den betroffenen Mit767
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 2. 768
Hierzu auch Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 165; Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 20. 769
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 11.
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249
gliedstaat nach dem EU-Vertrag, kodifiziert in Art. 7 III, IV EU, sowie nach dem EG-Vertrag und Euratom-Vertrag, kodifiziert in Art. 309 EG und Art. 204 EA. Die Feststellung ist wegen ihrer herausgehobenen politischen Wirkung auch eigenständig als Sanktion aufzufassen770, mit der jedoch noch keine Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten des betroffenen Mitgliedstaats verbunden ist. Sie ist im Vergleich zur Feststellung nach Art. 7 I EU deutlich wirkungsmächtiger: das Verfahren nach Art. 7 EU wird einen Mitgliedstaat, der gegen die gemeinsamen Grundsätze verstößt, mit zwei rechtlich folgenlosen, aber politisch bedeutsamen „Warnschüssen“ bedenken, bevor die Suspendierung konkreter Mitgliedschaftsrechte in Frage kommt. aa) Vorschlagsberechtigung und parlamentarische Zustimmung Das Verfahren zur Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen wird eingeleitet auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder auf Vorschlag der Kommission, Art. 7 II EU (am Anfang). Erstaunlich ist, dass das Europäische Parlament, wie in der Vorgängernorm des Amsterdamer Vertrages, nunmehr nicht mehr vorschlagsberechtigt ist, obwohl seine Vorschlagsberechtigung neu in das Frühwarnverfahren eingefügt wurde und auch das Feststellungsverfahren nach Art. 7 II EU zunächst politische Wirkungen entfaltet. Es wäre sinnvoll, diese Inkonsistenz bei einer künftigen Vertragsrevision aufzulösen, zumal auch nach Art. 7 II EU der Rat nicht ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließen kann und der Ausschluss des Parlaments aus der Vorschlagsberechtigung daher nunmehr systemwidrig erscheint. bb) Stellungnahme des betroffenen Mitgliedstaates Der betroffene Mitgliedstaat wird zu einer Stellungnahme über die geplante Feststellung aufgefordert. Damit wird ihm nach dem Grundsatz audiatur et altera pars rechtliches Gehör gewährt771. Reagiert er nicht, stellt dies jedoch kein Verfahrenshindernis dar772. Die Anhörung kann parallel zur Mahnung des vertragsbrüchigen Mitgliedstaates im Ver-
770 771 772
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 160, Rn. 262. Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 155, Rn. 250. Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 155, Rn. 252.
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tragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG erfolgen773. Im Gegensatz zum Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU erhält der betroffene Mitgliedstaat im Feststellungsverfahren nach Art. 7 II EU mithin ein ausdrücklich verfassungsrechtlich verankertes Recht zur Verfahrensbeteiligung durch die Gewährung rechtlichen Gehörs bei Entscheidungen des Rats, die ihn negativ betreffen. Einem solchen Recht auf Anhörung fehlt im Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU zumindest die ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerung. cc) Feststellung durch den Rat Kompetentes Organ zur Feststellung der schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat ist der Rat der Europäischen Union, Art. 7 I EU („kann der Rat ... feststellen“). Er muss in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagen und bei der Feststellung der Verletzung einstimmig handeln, was der politischen Bedeutung der Feststellung Nachdruck verleiht774. Gemäß Art. 7 V 1 EU handelt der Rat ohne Berücksichtigung der Stimme des Vertreters der Regierung des betroffenen Mitgliedstaats, der ansonsten die einstimmige Beschlussfassung im Rat verhindert hätte775. Zudem steht eine Stimmenthaltung von anwesenden oder vertretenen Mitgliedern dem Zustandekommen des Beschlusses über die Feststellung der schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen nicht entgegen, Art. 7 V 2 EU776. 773
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 9, 15 774
Pechstein in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV. Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 7; Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 16; Anton in: Léger/ Anton (Hrsg.), Commentaire article par article des traités UE et CE, Art. 7 UE, Rn. 10. 775
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 10, 16; Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 176. 776
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 10, 16.
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
251
c) Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten Wurde eine Feststellung nach Art. 7 II EU getroffen, so „kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung dieses Vertrags auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten, einschließlich der Stimmrechte des Vertreters der Regierung dieses Mitgliedstaats im Rat“, Art. 7 III 1 EU. Dabei fällt zunächst auf, dass die in der Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten bestehende Sanktion gegen einen Mitgliedstaat, der gegen eines der Verfassungsprinzipien des Art. 6 I EU verstößt, vom Rat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden kann777. Stimmenthaltungen können hierbei das Zustandekommen der qualifizierten Mehrheit verhindern; der betroffene Staat wird beim Berechnungsmodus nach Art. 205 II EG778 aber weiter nicht mitgezählt779. Anders als bei der Feststellung des Verstoßes, der nach Art. 7 II EU Einstimmigkeit mit Ausnahme der Stimme des betroffenen Mitgliedstaates verlangt, können Sanktionen gegen einen verfassungsbrüchigen Mitgliedstaat nach dem Durchlaufen des ersten Verfahrensschrittes des Suspendierungsverfahrens, der Feststellung, mit qualifizierter Mehrheit gefällt werden, ohne dass hierzu nochmals Einstimmigkeit im Rat erforderlich wäre780. Dies könnte die Sorge zum Ausdruck bringen, dass einzelne Mitgliedstaaten, etwa aus Angst um wirtschaftliche Konsequenzen, die Verhängung wirksamer Sanktionen verhindern wollen. Art. 7 V 3 legt fest, dass „[a]ls qualifizierte Mehrheit [...] derselbe Anteil der gewogenen Stimmen der betreffenden Mitglieder des Rates [gilt], der in Artikel 205 Absatz 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft festgelegt ist“. Art. 205 II EG enthält einen Verteilungsschlüssel zur Gewichtung der Stimmen der einzelnen Mitgliedstaaten im Rat und legt für das Zustandekommen eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit eine Mindeststimmenzahl von 232 Stimmen fest, wobei Art. 205 II EG zwischen Beschlüssen, die auf Vorschlag der 777
Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 176.
778
Hierzu Wichard in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 205 EG, Rn. 3; Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 177. 779
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 20. 780
Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 176.
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
Kommission gefasst werden (Satz 2), und Beschlüssen, die in anderen Fällen gefasst werden (Satz 3) differenziert. Im letzteren Fall muss die Mindeststimmenzahl zusätzlich eine Mehrheit von zwei Drittel der Mitgliedstaaten, also derzeit achtzehn Mitgliedstaaten umfassen781. Auf Antrag eines Mitgliedstaates kann zudem nach Art. 205 IV EG überprüft werden, dass die zustande gekommene qualifizierte Mehrheit mindestens 62% der Gesamtbevölkerung der Union repräsentiert782. Man könnte nunmehr auf die Idee kommen, das Feststellungsverfahren nach Art. 7 II EU und die anschließende Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten nach Art. 7 III EU als einheitliches Verfahren zu betrachten und daher für die Frage, welche qualifizierte Mehrheit vorliegen muss, danach unterscheiden, ob im Rahmen der Einleitung des Feststellungsverfahrens die Kommission oder ein Drittel der Mitgliedstaaten ihr Vorschlagsrecht wahrgenommen haben. Für diesen Feststellungsbeschluss fordert Art. 7 II EU aber eindeutig Einstimmigkeit. Richtigerweise wird man daher zwischen den vier verschiedenen Europäischen Beschlüssen im Rahmen des Verfahrens nach Art. 7 EU, dem Frühwarnbeschluss, dem Feststellungsbeschluss, dem Suspendierungsbeschluss und dem Revisionsbeschluss, trennen müssen. Demgemäß ist der im Rahmen von Art. 7 III 1 EU zu fällende Beschluss des Rats über die Verhängung von Sanktionsmaßnahmen, mit denen Mitgliedschaftsrechte des betroffenen Mitgliedstaates suspendiert werden, mit einer qualifizierten Mehrheit im Sinne des Art. 205 II 3 EG zu fällen, also mit einer Mehrheit von mindestens 232 gewichteten Stimmen, die zugleich bei einer Beschlussfassung über Sanktionen gegen einen Mitgliedstaat mindestens siebzehn Mitgliedstaaten783 repräsentiert.
781
Vgl. Wichard in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 205 EG, Rn. 3. Diese Differenzierung nimmt Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 177, nicht vor und gelangt so zum Schluss, dass “the additional requirement of a certain quorum of Member States is excluded”. 782
Wichard in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 205 EG, Rn. 4a. 783
Zwei Drittel von 26 Mitgliedstaaten ergeben ein rechnerisches Erfordernis der Repräsentation durch 17,33 Mitgliedstaaten.
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
253
Weiter erwähnt Art. 7 III EU nicht mehr, dass der Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagen müsse, wie dies Art. 7 II EU verlangt. Die Verhängung von Sanktionsmaßnahmen in Form der Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten stellt sich mithin als eine Ausführungshandlung dar, die nicht mehr der herausgehobenen politischen Signalwirkung eines einstimmigen Beschlusses der Staats- und Regierungschefs bedarf784. Vielmehr greift das von Art. 7 III EU verfassungsrechtlich vorgesehene Verfahren für die konkrete Beschlussfassung in Bezug auf die Suspendierungsmaßnahmen auf die normale Arbeitsweise des Rates bei Beschlüssen, die eine qualifizierte Mehrheit erfordern, zurück785. Art. 7 III 2 EU lenkt dabei das politische Ermessen des Rates bei seiner Beschlussfassung über Suspendierungsmaßnahmen durch konkrete Gesichtspunkte. Der Rat „berücksichtigt“ hiernach „die möglichen Auswirkungen“ seiner Beschlussfassung „auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen“, Art. 7 III 2 EU786. Damit zeigt sich erneut, dass das Unionsrecht nicht nur ein Recht zwischen den Mitgliedstaaten ist, sondern dass es sich um eine Rechtsordnung handelt, die dem einzelnen Unionsbürger konkrete Rechtspositionen verleiht787 und diesen in das Zentrum ihres Handelns stellt. Durch den Bürgerstatus wird der Charakter der Union als Solidargemeinschaft und Schicksalsgemeinschaft evoziert788; ihr Verständnis als personal geprägte poli784
Zur politischen Wirkung des einstimmigen Beschlusses des Rats in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs vgl. Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 160, Rn. 262. 785
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 20. 786
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 169f; Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 24. 787
So erzwingt der Status der Unionsbürgerschaft eine durchgehende Gleichbehandlung mit Staatsbürgern in den national organisierten Solidarsystemen, von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (183); EuGH, Rs. C-184/99 vom 20. September 2001, Grzelczyk/Centre Public, Slg. 2001, S. I-6193 (Rn. 31); Borchardt, Der sozialrechtliche Gehalt der Unionsbürgerschaft, NJW 2000, S. 2057-2061 (2058, 2061). 788
Augustin, Das Volk der Europäischen Union. Zu Inhalt und Kritik eines normativen Begriffs. Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht, S. 355ff; Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungser-
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
tische Rechtsgemeinschaft – im Gegensatz zur technokratischen Zweckgemeinschaft – kommt zum Ausdruck789. Die geforderte Berücksichtigung der Auswirkungen einer Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten auf die Rechte und Pflichten von natürlichen und juristischen Personen kann nämlich nur bedeuten, dass ein Eingriff in deren Rechtspositionen nur besonders schwer zu rechtfertigen ist790 – und in jedem Fall vom Rat gerechtfertigt werden muss791. Es ist ein Charakteristikum der supranationalen Rechtsordnung des Unionsrechts, dass anders als etwa im klassischen Völkerrecht die Interessen des einzelnen Bürgers in der Beschlussfassung mitbeachtet werden und die Unionsbürger – neben den Mitgliedstaaten – als unmittelbare Mitglieder der Europäischen Union angesprochen werden792. Das durch die Position des Rats in Art. 7 EU stark intergouvernemental geprägte Suspendierungsverfahren wird so eindeutig in die Grundlinien des Unionsrechts eingefügt. Anders sieht dies gegenüber dem verfassungsbrüchigen Mitgliedstaat selber aus: Hier stellt Art. 7 III 3 EU klar, dass eine Suspendierung seiner Mitgliedschaftsrechte ihn nicht von der Erfüllung seiner eigenen Mitgliedschaftspflichten entbindet793. Diese sind auf jeden Fall weiter
wartungen an die Grundrechtsausübung (§115), in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts V, S. Rn. 107. 789
von Bogdandy, Supranationaler Föderalismus als Wirklichkeit und Idee einer neuen Herrschaftsform. Zur Gestalt der Europäischen Union nach Amsterdam, S. 30ff; Everling, Die Stellung des Bürgers in der Europäischen Gemeinschaft, ZfRV 1992, S. 241 (254); Kluth in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 17 EGV, Rn. 4. 790
Art. 17 EU begründet zwar die Unionsbürgerschaft, regelt die hiermit verbundenen Rechte aber nicht selbst, sondern durch Verweis in seinem Absatz 2 auf die „in diesem Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten“. Daher stellt sich auch die Frage der Rechtfertigung von Eingriffen in diese Rechte jeweils im Rahmen der konkret betroffenen Norm. 791
In diesem Sinne Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 177: “the Council should at least reduce the impact on private parties, in particular where subjective rights could be jeopardized”. 792
Oppermann, Europarecht. Ein Studienbuch, Rn. 210 und 1551; Kluth in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 17 EGV, Rn. 4. 793
Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 178, der so weit geht, zu behaupten, dass ein Mitgliedsstaat in dieser Situation sogar wirk-
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
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verbindlich. Erneut bringt Art. 7 EU damit seinen Telos zum Ausdruck, die Funktionsfähigkeit der Union in der Zukunft sichern zu wollen, nicht hingegen einen Mitgliedstaat zu bestrafen oder ihn gar aus der Union auszuschließen794. Die Verfassungsnorm lässt dabei offen, welche Mitgliedschaftsrechte suspendiert werden können. Der ausdrückliche Hinweis auf die Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten von natürlichen und juristischen Personen in Art. 7 III 2 EU erlaubt jedoch den Rückschluss, dass nicht nur eine Suspendierung von Mitwirkungsrechten der Regierung des betroffenen Mitgliedstaats im Rat vorgesehen ist, sondern dass alle Mitgliedschaftsrechte, einschließlich der Grundfreiheiten, von der Suspendierung tangiert sein können. Wie die Existenz von Art. 7 III 2 EU selbst verdeutlicht, scheint aber etwa eine Bestrafung von Bürgern des betroffenen Mitgliedstaates in Form des Entzugs ihrer sich aus der Unionsbürgerschaft ergebenden Rechte kaum zu rechtfertigen795. Insbesondere vor dem Hintergrund des Zwecks des Suspendierungsverfahrens, den Mitgliedstaat auf den gemeinsamen Weg zurückzuführen, erscheint eine Aussetzung der politischen Mitwirkungsrechte insbesondere der Regierung des betroffenen Mitgliedstaates als besonders geeignete Sanktionsmaßnahme.
d) Revisionsverfahren bei Veränderung der Sachlage Art. 7 IV EU regelt schließlich das Vorgehen des Rates bei einer Veränderung der Lage, die zur Verhängung der nach Art. 7 III EU getroffenen Maßnahmen geführt hat. Voraussetzung des Revisionsverfahrens ist also eine Veränderung der Sachlage, wobei die Norm keine Anhaltspunkte dafür gibt, ab welcher Schwelle eine solche Veränderung eingetreten ist. Damit erhält der Rat erneut einen politischen Einschätzungsspielraum, den er nutzen kann796. Der Rat entscheidet, wie auch bei der sam verpflichtet werden könne, etwa an friedenserhaltenden Maßnahmen teilzunehmen. 794
Vgl. Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 34. 795
Noch weitergehend Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 182: “…it would be illegal to suspend… as soon as individuals have accrued subjective rights”. 796
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 22.
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
Verhängung der Suspendierungsmaßnahmen, mit qualifizierter Mehrheit im Sinne des Art. 7 V 3 EU i.V.m. Art. 205 II 3 EG. Je nach Veränderung der Sachlage kann es dabei zu einer Aufhebung oder Änderung der Suspendierungsmaßnahmen kommen797. Voraussetzung einer Aufhebung muss sein, dass die europaverfassungskonforme Lage im betroffenen Mitgliedstaat wiederhergestellt ist, dass dieser also nicht mehr schwerwiegend und anhaltend gegen die in Art. 6 I EU genannten Grundsätze verstößt798. Eine Änderung der Suspendierungsmaßnahmen kommt als Verschärfung oder als Milderung der nach Art. 7 III EU beschlossenen Maßnahmen in Betracht799. Eine Milderung der beschlossenen Maßnahmen setzt eine Verbesserung der Lage im betroffenen Mitgliedstaat voraus, die aber noch nicht substantiiert genug erscheint, um die Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten aufzuheben. Umgekehrt hingegen kann eine Verschärfung der Suspendierungsmaßnahmen sowohl in Betracht kommen, wenn sich die Lage im betroffenen Mitgliedstaat verschlechtert hat oder – aus taktischen Gründen – wenn keine Veränderungen an den schwerwiegenden und anhaltenden Verstößen gegen die Grundsätze des Art. 6 I EU eingetreten sind800. In einem solchen Fall haben sich die zunächst nach Art. 7 III EU ergriffenen Sanktionsmaßnahmen als (weitgehend) wirkungslos erwiesen. Ihre Verschärfung ist daher möglich.
e) Ausschluss eines Mitgliedstaates? Vor dem Hintergrund der schon tangierten Problematik stellt sich die Frage, ob Art. 7 EU als Suspendierungsmaßnahme einen Ausschluss ei-
797
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 80; Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 180. 798
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 81. 799
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 80. 800
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 81.
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
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nes Mitgliedstaats trägt801. Erweist sich die Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten als ineffektives Sanktionsinstrument, so wird in aller Regel die Regierung des betroffenen Mitgliedstaates kaum an einer Rückkehr in die Unionsrechtsordnung interessiert sein. Die mit dem Mitgliedstaat verbundenen Unionsbürger haben jedoch vielfältige, sich aus ihrer Unionsbürgerschaft ergebende Interessen an der Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft802. Der Wortlaut von Art. 7 III 1 EU spricht ausdrücklich von einer Aussetzung bestimmter Mitgliedschaftsrechte. Der Begriff „aussetzen“ impliziert zunächst, dass die betroffenen Rechte nur für eine gewisse Zeit nicht ausgeübt werden können. Er schließt es aus, dass die Unterbrechung dauerhaft ist. Des Weiteren spricht Art. 7 III 1 EU davon, dass „bestimmte“ Mitgliedschaftsrechte ausgesetzt werden können. Soweit die Aussetzung nicht zur Sanktionierung des Verfassungsbruchs taugt, reduziert sich das Ermessen des Rats bei der Beschlussfassung quasi auf Null. Die Fokussierung auf bestimmte Mitgliedschaftsrechte bedeutet zudem semantisch, dass nicht sämtliche Mitgliedschaftsrechte ausgesetzt werden dürfen. Art. 7 EU trägt mithin nicht den Ausschluss eines Mitgliedstaates als Sanktionsmaßnahme803. Das derzeit gültige Verfassungsrecht der Union sieht einen Austritt oder Ausschluss eines Mitgliedstaates überhaupt nicht vor. De facto wird ein aktiv von einem Mitgliedstaat betriebener Austritt dennoch nicht von den Unionsorganen verhindert werden können804. Die Erforderlichkeit eines Ausschlusses eines Mitgliedstaates dürfte die Union jedoch ohnehin vor solch gravierende faktische Probleme stellen, dass der Weg über eine Verfassungsänderung durch Vertragsänderung, Art. 48 EU, oder gar der Weg über eine völkerrechtliche Neugründung
801
Vgl. hierzu Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 185ff.
802
So ist mit dem Status der Unionsbürgerschaft beispielsweise die durchgehende Gleichbehandlung mit Staatsbürgern in den national organisierten Solidarsystemen verbunden, vgl. von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (183); EuGH, Rs. C-184/99 vom 20. September 2001, Grzelczyk/Centre Public, Slg. 2001, S. I-6193 (Rn. 31); Borchardt, Der sozialrechtliche Gehalt der Unionsbürgerschaft, NJW 2000, S. 2057-2061 (2058, 2061). 803
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 187; Anton in: Léger/ Anton (Hrsg.), Commentaire article par article des traités UE et CE, Art. 7 UE, Rn. 5. 804
Es fehlt insoweit an anwendbaren Zwangsmitteln.
258
Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
einer Union ohne das verfassungsbrüchige Mitglied nicht mehr fernliegend erscheint805. Das Verfahren nach Art. 7 EU sieht mit gutem Grund diesen verfassungsrechtlichen Extremfall nicht vor. Es orientiert sich an der Maßgabe, die verfassungsrechtliche Homogenität in der Union bereits frühzeitig abzusichern und den Extremfall Ausschluss gar nicht erst auftreten zu lassen. Dementsprechend sind dem Verfahren nach Art. 7 EU mehrere wirksame Rechtsmittel zur Sicherung der Vertragstreue der Mitgliedstaaten vorgeschaltet und es enthält selbst ein Frühwarnverfahren, Art. 7 I EU. Hinzuweisen ist ausdrücklich auf das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG, das der Kommission die Rolle zuweist, frühzeitig gegen Vertragsverstöße, einschließlich von Verstößen gegen die Verfassungsprinzipien, auf denen die Union beruht, rechtlich vor dem Europäischen Gerichtshof vorzugehen.
f) Die Suspendierung der Mitgliedschaftsrechte nach Art. 309 EG und Art. 204 EA Art. 309 I EG und Art. 204 I EA dehnen die Rechtswirkungen einer Aussetzung von Stimmrechten des Vertreters der Regierung eines Mitgliedstaates nach Art. 7 III EU auf den Anwendungsbereich des EGund des Euratom-Vertrages aus806. Art. 309 II EG und Art. 204 II EA enthalten zu Art. 7 III EU analoge Verfahren zur Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten im Bereich des jeweiligen Vertrages, wenn eine Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen nach Art. 7 II EU festgestellt wurde, die zusätzlich oder eigenständig gegen vertragsbrüchige Mitgliedstaaten verhängt werden können807. Art. 309 III EG und Art. 204
805
Zum Weg eines Entlassungsvertrags über Art. 48 EU vgl. Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 188, Rn. 322; sowie Ehlermann, Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft – Rechtsprobleme der Erweiterung, der Mitgliedschaft und der Verkleinerung –, EuR 1984, S. 113-125 (124f.); Everling, Überlegungen zur Struktur der EU und zum neuen Europaartikel des GG, DVBl. 1993, S. 936 (942). 806
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 309 EG, Rn. 2, 3. 807
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemein-
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
259
III EA sind daher Parallelnormen für das Revisionsverfahren nach Art. 7 IV EU. Griller geht sogar so weit, dass eine Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten nach Art. 7 EU automatisch für den Bereich des EG-Vertrages und der Atomgemeinschaft Gültigkeit beanspruche808. Dementsprechend gestaltet sich die Rechtslage für das gesamte Unionsrecht einheitlich, sodass auf die oben gemachten Aussagen verwiesen werden kann.
4. Ergebnisse des Vergleichs zum Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU Der Vergleich des Verfahrens nach Art. 7 EU zum Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU zeigt die Parallelen und Unterschiede beider Verfahren. Sowohl Art. 7 EU als auch Art. 49 EU normieren im Verfassungsrecht der Union rechtlich geordnete, rechtsanwendende Verfahren mit einem politischen Ermessensspielraum des Rats der Europäischen Union. Bei Art. 7 EU kommt diese Konstruktion klar zum Ausdruck, indem das Verfahren genau umrissen wird. So wird beispielsweise das Recht zur Stellungnahme des betroffenen Mitgliedstaates in Art. 7 I EU und Art. 7 II EU ausdrücklich normiert. Auch enthält Art. 7 III 2 EU ausdrücklich Kriterien, die das Ermessen des Rates bei seiner Beschlussfassung über die Verhängung von Suspendierungsmaßnahmen gegen einen Mitgliedstaat rechtlich lenken. Im Vergleich dazu ist das rechtsanwendende Verfahren des Art. 49 EU stärker politisch geprägt. Die Verfahrensrechte des antragstellenden Beitrittskandidaten sind der verfassungsrechtlichen Norm nicht ausdrücklich zu entnehmen. Sie müssen, wie oben gezeigt809, der Verfassungsnorm im Wege der Auslegung und aufgrund der grundrechtsrelevanten Implikationen eines Mitgliedschaftsantrags und aus dem Gesichtspunkt der erforderlichen demokratischen Legitimation entnommen werden. In Bezug auf die Verfahrensbeteiligten ist sowohl Art. 7 EU als auch Art. 49 EU eine vergleichbare Rollenverteilung der europäischen Orgaschaft, Art. 309 EG, Rn. 14, 15ff. für die Aussetzung von Stimmrechten nach Art. 309 EG. 808 809
Griller, The treaty of Amsterdam. Facts, analysis, prospects, S. 174.
Siehe S. 85ff., 3. Inhaltliche Vorgaben der Art. 49 I 1 EU, 6 I EU für das Beitrittsverfahren.
260
Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
ne gemein. In beiden Fällen ist der Rat der Europäischen Union das Organ, das mit politischem Ermessen versehene Beschlüsse fällt. Das Europäische Parlament muss im Fall des Art. 49 I 2 EU dem Beitrittsgesuch mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder zustimmen. Im Fall der Art. 7 I, II EU ist eine Zustimmung des Europäischen Parlaments nach Art. 7 VI EU mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich, wobei das Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder beschließen muss. In beiden Fällen kann somit das Parlament einstimmige Beschlüsse des Rates im politisch hochsensiblen Bereich unterbinden810. Damit wird der demokratischen Legitimation durch die Unionsbürger im dualen Legitimationsmodell des Unionsrechts Rechnung getragen811. Sowohl Art. 7 I EU, Art. 7 II EU als auch Art. 49 II 1 EU beteiligen zudem die Mitgliedstaaten, die sonst im Organgefüge des Unionsrechts nicht eigenständig in Gestalt treten, sondern über die Vertreter ihrer Regierungen im Rat Einfluss nehmen, ausdrücklich am Verfahren. Das verdeutlicht die besondere Relevanz des Suspendierungs- und des Beitrittsverfahrens für die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten. Es weist außerdem auf die völkerrechtliche Genese des Unionsrechts hin. Eine weitere deutliche Parallele zeigt sich in beiden Verfahren in der herausgehobenen Rolle der Europäischen Kommission für die Sachverhaltsermittlung, also das Bereitstellen der Datengrundlage für die Beschlussfassung des Rates. Wegen ihrer Unabhängigkeit und ihrer Aufgabe als Hüterin des Gemeinschaftsrechts812 ist die Kommission das im 810
Für das Beitrittsverfahren Meng in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 49 EU, Rn. 107, für das Verfahren nach Art. 7 EU Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 59. 811
Zum dualen Legitimationsmodell, das eine Legitimation unionalen Handelns über den mitgliedstaatlichen, den unionalen oder beide Stränge erlaubt, siehe von Bogdandy, Das Leitbild der dualistischen Legitimation für die europäische Verfassungsentwicklung. Gängige Missverständnisse des MaastrichtUrteils und deren Gründe, Kritische Vierteljahresschrift 2000, S. 284-297 (v. a. 293ff.); vgl. auch von Bogdandy, Europäische Prinzipienlehre, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 149-203 (175) und BVerfGE 89, 155 (184). 812
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 211 EG, Rn. 2.
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
261
verfassungsrechtlich determinierten Organgefüge prädestinierte Organ für diese Schlüsselrolle in beiden Verfahren. Inhaltlich beziehen sich sowohl Art. 49 I 1 EU als auch Art. 7 I EU und Art. 7 II EU auf die „in Artikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätze“, also die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit. Diese Grundsätze stellen die Verfassungsprinzipien des Unionsrechts dar. Die Homogenität dieser Grundsätze, so arbeitet Frank Schorkopf heraus, soll sowohl gegenüber Mitgliedstaaten durch das Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU als auch gegenüber Beitrittsstaaten durch das Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU gesichert werden813. Dabei verlangt Art. 49 I 1 EU von beitrittswilligen Staaten, dass sie die Grundsätze des Art. 6 I EU „achten“, während Art. 7 EU den Mitgliedstaaten lediglich verbietet, diese Grundsätze schwerwiegend (und nach Art. 7 II EU anhaltend) zu verletzen. Fraglich ist daher, welches Verhältnis beide Verfahren zu den Verfassungsprinzipien des Unionsrechts einnehmen. Aus der Beantwortung dieser Frage ergeben sich sodann Rückschlüsse auf den Gehalt und die Wirkung der Verfassungsprinzipien. Denkbar ist zunächst, dass Art. 49 I 1 EU einen höheren Maßstab, jenen der „Achtung“, in Bezug auf die Wahrung der gemeinsamen Verfassungsprinzipien an Beitrittskandidaten anlegt als es Art. 7 EU gegenüber Mitgliedstaaten der Union tut. Das würde politischen Beschwerden über eine „Zwei-Klassen-Union“ Vorschub leisten, da von Neumitgliedern, um beizutreten, mehr abverlangt würde als von Altmitgliedern, um zu verhindern, dass deren Mitgliedschaftsrechte suspendiert würden814. Gleichwohl gilt zu bedenken, dass Art. 7 EU lediglich ein (letzter) Rettungsanker ist, um Mitgliedstaaten auf den Weg der Achtung der gemeinsamen Verfassungsprinzipien zurück zu bringen815. Ihm vorgeschaltet sind eine Reihe von rechtlichen Instrumenten des Gemeinschaftsrechts, die gegenüber vertrags813
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 70.
814
Vgl. hierzu etwa die Warnung von Hughes/ Grabbe/ Smith, Lassen sich die MOE-Staaten einbinden? Integrationspositionen der EU-Anwärter, Internationale Politik 1999, Bd. 4, S. 63-69 (68). Eine Zwei-Klassen-Union eher positiv aufgrund der „Notwendigkeit, Differenzierung als strategische Chance in einer immer stärker heterogenen Union zu verstehen“ sieht Thalmaier, Nach den gescheiterten Referenden: Die Zukunft des Verfassungsvertrages, in: CAP Analyse, Ausgabe 2/2005, abrufbar unter http://www.cap.lmu.de/download/20 05/CAP-Analyse-2005-02.pdf 2005, S. 16. 815
Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union, S. 187.
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
brüchigen Mitgliedstaaten greifen, nicht jedoch gegenüber Beitrittskandidaten. Insofern wäre ein höherer Maßstab im Rahmen des Beitrittsverfahrens zu rechtfertigen. Die tatsächliche Beobachtung der bisherigen Erweiterungsprozesse trägt diese Überlegung jedoch nicht. Einzelnen Beitrittskandidaten wurden bei ihrem Beitritt stets Übergangsfristen in bestimmten Bereichen zugestanden, vor allem im Bereich einzelner Grundfreiheiten. Während dieser Übergangsfristen – und nur dann – wurde nicht mit dem Gemeinschaftsrecht konformes Verhalten gleichwohl toleriert816. Im Beitrittsverfahren nicht zu tolerieren ist hingegen, wie die Bedenken gegen eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Kroatien gezeigt haben, eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Art. 6 I EU genannten Grundsätzen. Hätte sich Ante Gotovina tatsächlich in der Republik Kroatien aufgehalten, so wäre seine dauerhaft nicht erfolgte Überstellung an das Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien ein Verstoß gegen das europäische Verfassungsprinzip der Rechtsstaatlichkeit gewesen. Eine Aufnahme der Republik Kroatien in die Europäische Union wäre dann aus rechtlichen Gründen unmöglich gewesen. Ein einzelner, inzwischen abgestellter Bruch der Verfassungsgrundsätze, etwa, wenn Gotovina nur kurzfristig und nur von einigen Amtsträgern gedeckt worden wäre – was durchaus denkbar ist – würde einer Aufnahme von Beitrittsverhandlungen nach der Wiederherstellung des unionsrechtskonformen Zustands, also spätestens mit der Überstellung des Gesuchten, egal wo er gefasst wurde, hingegen nicht entgegenstehen. Verfassungsrechtlich reicht es für eine Achtung der von Art. 6 I EU genannten Grundsätze daher aus, dass sich keine Anhaltspunkte für deren schwerwiegende und anhaltende Verletzung finden. Genügt ein Beitrittsanwärter diesen Anforderungen, so kann der Rat dem Beitrittsgesuch stattgeben. Daher sind die Minimalanforderungen eines Beitritts identisch mit jenen, die die Mitgliedstaaten erfüllen müssen, um nicht Objekt eines Suspendierungsverfahrens zu werden.
816
Vgl. hierzu etwa die nach Art. 37 bis 42 der Beitrittsakte 2004 möglichen Übergangsmaßnahmen. Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, ABl. 2003 Nr. L 236/33.
Suspendierungsverfahren nach Art. 7 EU
263
Eine „Zwei-Klassen-Union“ gibt es nicht. Der Begriff der Achtung schließt es im Zusammenhang mit dem politischen Ermessen des Rats bei der Beschlussfassung über das Beitrittsgesuch allerdings auch nicht aus, dass im Wege der Absicherung des acquis communautaire und der Integration höhere Anforderungen an die Achtung der europäischen Verfassungsprinzipien in den Beitrittskandidatenstaaten gestellt werden. Das erfordert jedoch eine allgemeingültige Festlegung der zu erfüllenden Kriterien; einzelne Beitrittskandidaten dürfen gegenüber anderen nicht benachteiligt werden. Eine solche Festlegung stellen die Kopenhagener Kriterien dar, die im wirtschaftlichen Bereich über das verfassungsrechtlich Notwendige hinausgehen817. Ob sie im politischen Bereich den Kern des Verfassungsrechts der Europäischen Union darstellen, wird hier zwar angenommen, kann aber daher für das Beitrittsverfahren weiter dahingestellt werden. Zu beachten ist jedoch, insbesondere im Hinblick auf die nach der Aufnahme der Republik Kroatien folgenden möglichen weiteren Beitritte, die aus dem Vergleich von Art. 7 EU mit Art. 49 EU zu gewinnende Feststellung, dass jedenfalls ein Zurückbleiben der Anforderungen im Rahmen des Beitrittsverfahrens hinter jenen des Suspendierungsverfahrens nicht in Frage kommt. Ein Beitritt eines Staates, gegen den ein Suspendierungsverfahren eröffnet werden müsste, ist daher schon aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen. Im Ergebnis lässt sich daher feststellen, dass Art. 7 EU und Art. 49 EU sich auf einen identischen Maßstab in Bezug auf die gemeinsamen Verfassungsprinzipien des Art. 6 I EU beziehen. Dieser Maßstab darf jedoch im Bereich des Beitrittsverfahrens in Folge des Ermessensspielraums des Rates und seiner Einschätzungsprärogative bei der Auslegung des Begriffes „achten“ verschärft werden, solange eine Gleichbehandlung der Beitrittskandidaten gewährleistet bleibt, ohne dass die Verfassungsnorm dem entgegenstehen würde.
817
Siehe oben Seite 158ff.
264
Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
II. Anwendung gleicher Standards gegenüber Bulgarien und Rumänien Nach dem bisher Gesagten entwirft das Unionsrecht ein fast symmetrisches Bild der Instrumente zum Schutz der Verfassungshomogenität in der Europäischen Union. Gegenüber beitrittswilligen europäischen Ländern fungiert Art. 49 EU als Motor des Wandels, weil das Unionsverfassungsrecht mit dem Beitrittsverfahren vertiefte inhaltliche Anforderungen an einen Beitritt aufstellt und diese mit verfahrensrechtlicher Stringenz einfordert. Inhaltlicher Angelpunkt sind dabei die Verfassungsprinzipien der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit, wie sie in Art. 6 I EU verfassungsrechtlich fixiert sind. Wird der hier vorgeschriebene Standard in der Einhaltung der gemeinsamen europäischen Verfassungsprinzipien nicht erreicht, so bleibt dem Unionsrecht das Mittel, den Beitritt eines antragstellenden Staates bis zur Herstellung der geforderten Konformität zu verzögern. Als ultima ratio bleibt zudem, den Antrag eines beitrittswilligen Staates, der die von Art. 49 I 1 EU in Verbindung mit Art. 6 I EU geforderte Verfassungshomogenität auf absehbare Zeit nicht einhalten kann, gänzlich abzulehnen818. Fraglich bleibt, ob dieses rechtliche Instrumentarium genügt, um eine ausreichende Homogenität der EU-Mitgliedstaaten abzusichern. Dem soll ein Seitenblick auf die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in die Europäische Union nachgehen, da hier zeitweilig der Eindruck entstehen konnte, die Kommission erwäge die Einrichtung eines zusätzlichen permanenten Überwachungsinstrumentariums nur gegenüber diesen beiden Neumitgliedern
1. Verspätete Länder der Osterweiterung Bulgarien und Rumänien sind Länder, die schon im Rahmen der Osterweiterung 2004 der EU beitreten wollten, deren Beitritt mangels Erfüllung der Beitrittskriterien jedoch auf einen späteren Zeitpunkt verzögert wurde. Beide Länder haben den Beitrittsvertrag mit der Europäi818
Vgl. zur Ablehnung des spanischen Mitgliedsantrags unter der FrancoDiktatur oben S. 27ff.; gleiches geschah 1989 mit dem 1987 gestellten Beitrittsantrag der türkischen Republik, der aus wirtschaftlichen, menschenrechtlichen und demokratierechtlichen Gründen (Hintergrund war eine Machtübernahme in der Türkei durch das Militär) abgelehnt wurde.
Anwendung gleicher Standards gegenüber Bulgarien und Rumänien
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schen Union im Jahre 2005 abgeschlossen819, der einen Beitritt zum 1. Januar 2007 vorsieht820. Eine Verschiebung des Beitritts auf den 1. Januar 2008 war nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 3 und 4 für einen oder für beide Staaten möglich, wenn der Rat einen Beschluss nach Art. 39 des Protokolls über die Bedingungen und Einzelheiten der Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens in die Europäische Union821 beziehungsweise nach Art. 39 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Bulgarischen Republik und Rumäniens und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge gefasst hätte822. Der Unterschied zwischen der Anwendung des Protokolls oder der Beitrittsakte liegt in der Frage, ob zum Zeitpunkt des Beitritts Bulgariens und Rumäniens der Verfassungsvertrag bereits in Kraft getreten ist. Da dies zum 1.1.2007 nicht der Fall war, findet die Beitrittsakte Anwendung, deren Regelungsgehalt aber inhaltlich identisch mit dem Regelungsgehalt des Protokolls ist, soweit sich die Regelungen des gültigen Verfassungsrahmens mit dem des Verfassungsvertrages decken. Art. 39 der Beitrittsakte lautet in seinen Absätzen 1 und 2:
819
Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, der Tschechischen Republik, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, Irland, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, dem Großherzogtum Luxemburg, der Republik Ungarn, der Republik Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Republik Polen, der Portugiesischen Republik, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik, der Republik Finnland, dem Königreich Schweden, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (Mitgliedstaaten der Europäischen Union) und der Republik Bulgarien und Rumänien über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (im Folgenden: Beitrittsvertrag Bulgarien und Rumänien) vom 25.4.2005, ABl. EU L 157/11 vom 21.6.2005, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/2005/l_157/l_15720050621de00 110027.pdf. 820
Beitrittsvertrag Bulgarien und Rumänien, ABl. EU L 157/11 vom 21.6.2006, Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1. 821
Protokoll über die Bedingungen und Einzelheiten der Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens in die Europäische Union, ABl. EU L 157/29 vom 21.6.2005. 822
Akte über die Bedingungen des Beitritts der Bulgarischen Republik und Rumäniens und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, ABl. EU L 157/203 vom 21.6.2005.
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(1) Falls auf der Grundlage der von der Kommission sichergestellten kontinuierlichen Überwachung der Verpflichtungen, die Bulgarien und Rumänien im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eingegangen sind, und insbesondere auf der Grundlage der Überwachungsberichte der Kommission eindeutig nachgewiesen ist, dass sich die Vorbereitungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung des Besitzstands in Bulgarien oder Rumänien auf einem Stand befinden, der die ernste Gefahr mit sich bringt, dass einer dieser Staaten in einigen wichtigen Bereichen offenbar nicht in der Lage ist, die Anforderungen der Mitgliedschaft bis zum Beitrittstermin 1. Januar 2007 zu erfüllen, so kann der Rat auf Empfehlung der Kommission einstimmig beschließen, den Zeitpunkt des Beitritts des betreffenden Staates um ein Jahr auf den 1. Januar 2008 zu verschieben. (2) Werden bei der Erfüllung einer oder mehrerer der in Anhang IX Nummer I aufgeführten Verpflichtungen und Anforderungen durch Rumänien ernste Mängel festgestellt, so kann der Rat ungeachtet des Absatzes 1 mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission in Bezug auf Rumänien einen Beschluss gemäß Absatz 1 fassen.
2. Aufnahmeempfehlung der Kommission Die EU-Kommission empfiehlt in ihrem Monitoring-Bericht vom 26. September 2006 eine Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in die Europäische Union zum 1. Januar 2007823. Diese Empfehlung erfolgte trotz gravierender Bedenken in Bezug auf die Erfüllung der Beitrittskriterien in beiden Ländern824. Insbesondere in Bezug auf Bulgarien scheinen erhebliche Bedenken über die Unabhängigkeit der bulgarischen Justiz fortzubestehen825. Es verwundert, dass die EU-Kommission die Aufnahme Bulgariens zu einem Zeitpunkt empfiehlt, in dem nach ihrem 823
EU-Kommission, KOM(2006) 549 endgültig vom 29.9.2006, Mitteilung der Kommission. Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens, S. 15. 824
EU-Kommission, KOM(2006) 549 endgültig vom 29.9.2006, Mitteilung der Kommission. Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens, S. 11 für Bulgarien, S. 12 für Rumänien. 825
EU-Kommission, KOM(2006) 549 endgültig vom 29.9.2006, Mitteilung der Kommission. Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens, S. 16-18.
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eigenen Dafürhalten in Bulgarien „Zweifel an der Unabhängigkeit der Richterschaft“, „ernste Fälle von unprofessionellem Verhalten einiger Staatsanwälte“ sowie „Unklarheiten bei der Rechenschaftspflicht des Justizsystems“ bestehen826. Nach dem Vorbringen der Kommission ist damit die Beitrittsanforderung der Rechtsstaatlichkeit nicht sicher erfüllt. Zwar stellt die Kommission auf Änderungsvorschläge zur bulgarischen Verfassung ab, mit denen den vorgebrachten Bedenken abgeholfen werden solle827. Eine Empfehlung zur Aufnahme des Landes hätte aber jedenfalls nicht erfolgen dürfen, bevor diese Änderungen auch tatsächlich angenommen wurden. Im Vergleich dazu sind die Bedenken, die die EU-Kommission zu Rumänien vorbringt, wesentlich weniger schwerwiegend. Sie betreffen vor allem nicht im gleichen Ausmaß den Kern der Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit, das Justizwesen. Nach dem erfolgten Beitritt Bulgariens fällt jedoch die Sanktion, den Beitritt zu verzögern oder ihn gänzlich abzulehnen, weg. Zur Sicherung der Beachtung der gemeinsamen Rechtsordnung sind nunmehr die hierzu berufenen Akteure, vor allem die Kommission828, auf die allgemeinen Institute zur Sicherung der Vertragstreue der Mitgliedstaaten angewiesen. Greifen diese nicht, liegt also ein Fall einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der in Art. 6 I EU genannten Verfassungsprinzipien vor, so hätte schon im Beitrittsverfahren nach Art. 49 EU ein Beitritt des betroffenen antragstellenden Staates nicht erfolgen dürfen. Diese Gefährdung bestand nach der Aufnahme in die Union. Unterstellt man den gravierenden Fall, dass die Durchsetzung der rechtsstaatlichen Prinzipien in Bulgarien nicht gelingt, so stellt das Unionsrecht zunächst die politisch bedeutsamen Feststellungen der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung (Art. 7 I EU) sowie der schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von Verfassungsprinzipien (Art. 7 II EU) und sodann den Sanktionsmechanismus nach Art. 7 III EU i.V.m. Art. 309 EG und Art. 204 EA zur Verfügung. Deren Zweck ist aber nicht der Ausschluss des abtrünnigen Mitgliedstaats, 826
EU-Kommission, KOM(2006) 549 endgültig vom 29.9.2006, Mitteilung der Kommission. Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens, S. 16, 17. 827
EU-Kommission, KOM(2006) 549 endgültig vom 29.9.2006, Mitteilung der Kommission. Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens, S. 17. 828
Die herausragende Rolle der Bürger und Unternehmen für die Durchsetzung der Unionsrechtsordnung, etwa im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG, soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden.
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sondern die Wiederherstellung des verfassungskonformen Zustands der Beachtung der gemeinsamen europäischen Verfassungsprinzipien. Von der Möglichkeit des Art. 39 I der Beitrittsakte machte die EUKommission trotz der vor allem gegenüber Bulgarien bestehenden gravierenden Bedenken in ihrem Monitoring-Bericht keinen Gebrauch. Vor dem Hintergrund der erforderlichen Anerkennung der Reformbemühungen in Bulgarien und Rumänien mochte diese Haltung politsch verständlich sein, sie war jedoch in der Situation des Beitrittsverfahrens rechtlich bedenklich. Diesen rechtlichen Bedenken ist sich die EU-Kommission in ihrem Monitoring-Bericht durchaus bewusst. In einem historischen Novum verweist sie auf die nach Art. 36, 37 und 38 der Beitrittsakte mit Bulgarien und Rumänien möglichen spezifischen Schutzmaßnahmen bei wirtschaftlichen Störungen, Binnenmarktbeeinträchtigungen und bei Beeinträchtigungen im Bereich Justiz und Inneres829. Diese können zwar prinzipiell nur für einen Übergangszeitraum von bis zu drei Jahren angewendet werden, Art. 36 I 1, Art. 37 S. 1 und Art. 38 S. 1 der Beitrittsakte. Art. 37 S. 6 und Art. 38 S. 5 der Beitrittsakte ermöglichen jedoch darüber hinausgehend eine längere Anwendung der hier vorgesehenen länderspezifischen Schutzmaßnahmen, „solange die einschlägigen Verpflichtungen nicht erfüllt sind“ beziehungsweise „solange die Mängel weiter bestehen“. Selbst eine permanente Anwendung der gegen Bulgarien und Rumänien vorgesehenen länderspezifischen Schutzmaßnahmen ist also vom Wortlaut dieser Bestimmungen der Beitrittsakte nicht ausgeschlossen. Eine solche schien die EU-Kommission in ihrem Monitoring-Bericht ins Auge zu fassen830. Diese Überlegung gab Anlass zu konkreter Sorge, dass die Kommission eine permanente Überwachung der Neumitglieder in einer zwischen den Altmitgliedern und den Neumitgliedern differenzierenden Art und Weise erwog. Die von der EU-Kommission im Monitoring-Bericht angedeutete Möglichkeit, permanente Schutzmaßnahmen gegen einzelne Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Beitrittsakte einzuführen und dadurch 829
EU-Kommission, KOM(2006) 549 endgültig vom 29.9.2006, Mitteilung der Kommission. Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens, S. 9f. 830
EU-Kommission, KOM(2006) 549 endgültig vom 29.9.2006, Mitteilung der Kommission. Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens, S. 10.
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zwei einzelne Mitgliedstaaten – im Unterschied zu allen anderen Mitgliedstaaten – im Bezug auf bestimmte Kriterien durch ein eigens auf sie zugeschnittenes Überwachungsverfahren von der Kommission beaufsichtigen zu lassen, widerspricht ersichtlich dem Grundsatz der Gleichheit der Mitgliedstaaten. Ein spezifisches Sonderrecht für Bulgarien und Rumänien würde geschaffen. Obwohl der Wortlaut der Art. 37 S. 6 und 38 S. 5 der Beitrittsakte eine solche permanente Überwachung noch tragen würde, widerspricht sie dem Charakter dieser Ausnahmebestimmungen, die als zeitlich befristete Übergangsregelungen in die Beitrittsakte Aufnahme gefunden haben. Dabei ergibt sich schon aus dem Zusammenhang mit Art. 37 S. 1 und Art. 38 S. 2 der Beitrittsakte, dass nicht vom bisherigen Prinzip abgewichen wird, nur vorübergehende Maßnahmen zu gestatten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Vertragsparteien in der Beitrittsakte einen der fundamentalen Grundsätze des Unionsrechts, die Gleichheit der Mitgliedstaaten, dauerhaft außer Kraft setzen und durch die Einführung von Mitgliedschaften erster und zweiter Klasse ersetzen wollten. Vielmehr ist der sich aus Art. 37 S. 1, Art. 38 S. 2 und dem Gesamtzusammenhang beider Normen ergebende, zeitlich befristete Ausnahmecharakter der Vorschriften zu betonen, die eine gesonderte Überwachung Bulgariens und Rumäniens ermöglichen. Dementsprechend trägt die Beitrittsakte keine permanenten Überwachungsstrukturen gegen diese beiden neuen EU-Mitgliedstaaten, die über die allgemeinen Befugnisse der Organe der Union gegenüber allen Mitgliedstaaten hinausgehen. Die prinzipielle Möglichkeit der Anwendung von Schutzmaßnahmen nach Art. 37 und 38 der Beitrittsakte mit Rumänien und Bulgarien mindert zwar die Gefahr, die mit einer Aufnahme eines Mitgliedstaats „unter Standard“ für die Rechtsordnung der Europäischen Union verbunden ist. Käme es jedoch tatsächlich zu einer permanenten Überwachung, der nur bestimmte Mitgliedstaaten unterlägen, so müsste die Frage nach der Gleichheit der Mitgliedstaaten in der Union, mithin die Frage nach einer „Mitgliedschaft zweiter Klasse“ neu gestellt werden. Das Unionsverfassungsrecht würde hierdurch in seinem Kern gefährdet. Die zunächst dramatisch erscheinende Gefahr für das Unionsverfassungsrecht erscheint mittlerweile gebannt. In ihren Fortschrittsberichten vom 27. Juni 2007 stellt die Kommission klar, dass eine Inanspruchnahme des besonderen Sanktionsmechanismus auf der Grundlage der
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
Beitrittsakte nicht mehr erwogen wird831. Bulgarien und Rumänien unterliegen somit der gleichen Überwachung wie die 25 weiteren Mitgliedstaaten.
3. Bedeutung für das Beitrittsverfahren Kehrt man vor dem Hintergrund der soeben skizzierten Gefährdung für den Bestand der Union durch die Aufnahme von Mitgliedstaaten, die die gemeinsamen Grundsätze nicht einhalten, zurück, so ergeben sich Rückschlüsse für die Bedeutung des Beitrittsverfahrens nach Art. 49 EU. Dem Beitrittsverfahren lässt sich zwar kein Rechtsanspruch auf Beitritt nach Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen entnehmen832. Die erste Präambelerwägung des EG-Vertrages beauftragt die handelnden Organe im Beitrittsverfahren aber auch hier, den Zusammenschluss möglichst aller europäischen Völker durch die Sicherstellung der Verfassungshomogenität im Beitrittsverfahren zu ermöglichen. Sehr wohl besteht somit ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Rates unter Berücksichtigung der sich aus den Verträgen und ihren Präambeln ergebenden Verfassungszielen, insbesondere des Erweiterungsund Vertiefungsziels, und Verfassungsprinzipien. Ein Beitritt kann freilich auch bei einer ermessensfehlerfreien Entscheidung des Rates an bestimmten Erwägungen, etwa wirtschaftlicher Art, scheitern, sofern diese Erwägungen mit den europäischen Verfassungszielen und Verfassungsprinzipien vereinbar sind833. Das entbindet den Rat aber zu keiner Zeit von seiner Verpflichtung auf die in Art. 6 I EU normierten Verfassungsprinzipien im Beitrittsverfahren sowie von der Reduktion des ihm eingeräumten Ermessens durch das Vertiefungs- und das Erweiterungsziel aus den Präambeln. Ein „Kuhhandel“ etwa der Art, dass höheres wirtschaftliches Wachstum und damit eine schnellere Annäherung an 831
EU-Kommission, COM(2007) 377 final vom 27.6.2007, Report from the Commission to the European Parliament and the Council on Bulgaria’s progress on accompanying measures following Accession; EU-Kommission, COM(2007) 378 final vom 27.6.2007, Report from the Commission to the European Parliament and the Council on Romania’s progress on accompanying measures following Accession. 832 833
Zeh, Recht auf Beitritt?, S. 76.
Fraglich wäre dies etwa für den – historischen – Fall des Vetos der französischen Republik gegen die Aufnahme des Vereinigten Königreichs in den 1960er Jahren.
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das Wohlstandsniveau der Altmitglieder Defizite etwa bei der Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien ausgleichen könnte834, ist daher im Beitrittsverfahren schon verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens bleiben im Blick auf die Vorgaben zur Verfassungshomogenität in der Union immer die Prinzipien des Art. 6 I EU. Vorteil der Sichtweise des Beitritts als rechtlich geordnetem, rechtsanwendendem, verfassungsrechtlichem Verfahren ist, dass die Grundsätze, auf denen die Union beruht, nicht im Rahmen eines politischen Prozesses zur Disposition gestellt werden können. Der rationalisierende Effekt des Rechtsverfahrens verbietet es zudem, dass sich die Akteure des eingeräumten politischen Ermessens im Beitrittsverfahren, also die im Rat versammelten Politiker, auf vermeintlich nicht erfüllte vage Kriterien berufen, wenn sie in Wahrheit eine Entscheidung für oder gegen den Beitritt eines Landes aus anderen Gründen, etwa kultureller, geographischer oder sicherheitspolitischer Art, treffen. Durch den Rationalisierungseffekt des verfassungsrechtlichen Verfahrens, das Beitrittsanwärtern konkrete Rechtspositionen einräumt, wird das Defizit des Beitrittsverfahrens im Hinblick auf die demokratische Legitimation zwar nicht abgeschafft; das demokratische Risiko für die betroffenen Gesellschaften aber doch deutlich abgemildert. Das Beitrittsverfahren und das Verfahren zur Suspendierung der Mitgliedschaft sind gleichwohl nur fast spiegelbildliche Verfahren zur Sicherung der europäischen Verfassungshomogenität. An Mitgliedstaaten der Union wird in Bezug auf die vollständige Einhaltung der gemeinsamen Verfassungsprinzipien ein rechtlich milderer Maßstab angelegt als an beitrittswillige Staaten. Letzteren wird im Stadium schwerwiegender und anhaltender Verstöße gegen die Grundsätze des Art. 6 I EU eine Fortsetzung des Beitrittsverfahrens verweigert. Die Mitgliedschaft in der Union kommt, sofern Rat und Kommission sich an das Verfahren des Art. 49 EU halten und rechtmäßig handeln, überhaupt nur in Betracht, wenn keine gravierenden Mängel in Bezug auf die Beachtung der gemeinsamen europäischen Verfassungsprinzipien ersichtlich sind. Umgekehrt drohen Mitgliedstaaten der Union, die in ähnlich schwerer Art und Weise gegen die gemeinsamen Verfassungsprinzipien versto834
Solche Tendenzen sind teilweise in der Außenpolitik im Auftreten gegenüber einigen stark prosperierenden asiatischen Staaten zu beobachten. Nach der hier vertretenen Ansicht verstößt ein solcher Ansatz gegenüber potenziellen EU-Beitrittskandidaten – und damit gegenüber allen europäischen Staaten – gegen die Leitgedanken des Unionsrechts.
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ßen, zunächst nur politisch bedeutsame, aber rechtlich in den Verfahrensschritten nach Art. 7 I EU und Art. 7 II EU folgenlose Feststellungen. Selbst im Anschluss daran ist die Zielsetzung einer Suspendierung der Mitgliedschaft nur, bestimmte – nicht alle – Rechte des abtrünnigen Mitgliedstaates auszusetzen. Die letztlich faktisch mögliche Sanktion des Ausschlusses aus der Union ist im Normtext von Art. 7 EU nicht enthalten und widerspricht zudem dem Geist des Unionsrechts. Die symmetrischen Verfahren zur Absicherung der europäischen Verfassungshomogenität weisen somit eine Asymmetrie in der Behandlung des verstoßenden Staates auf. Nunmehr stellt sich die Frage, wie die dargestellte Asymmetrie zu rechtfertigen ist. Die Europäische Union gründete sich lange auf das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten zueinander in Bezug auf die Einhaltung gewisser gemeinsamer Werte835. Diese Beobachtung ist umso bemerkenswerter, als ein nachgewiesenes Motiv etwa Frankreichs zur Gründung der Gemeinschaft die Einbindung und damit verbundene Bändigung des ehemaligen Kriegstreibers Deutschland war836. Hier zeigt sich, dass ein gegenseitiges Vertrauen in Bezug auf die Einhaltung gewisser gemeinsamer Werte zumindest zu Beginn der Gemeinschaft vermutlich nicht so eindeutig bestanden hat. Dennoch dürfte der Verzicht auf eine Art. 7 EU vergleichbare Norm bis zum Vertrag von Nizza dem gegenseitigen Vertrauen entsprochen haben837. Damit wäre eindrucksvoll die vertrauensbildende Wirkung der europäischen Integration bewiesen. Dass eine Norm zur Suspendierung der Mitgliedschaft im Zuge der Vorbereitungen auf die Osterweiterung in die Verträge eingefügt wurde, entspricht nun nicht notwendig – wie von Teilen der Literatur behauptet838 – einem Misstrauen gegenüber den beitrittswilligen Staaten in Mittel- und Osteuropa in Bezug auf die Einhaltung der gemeinsamen Ver835
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 1. 836
Olivi, L’Europa difficile. Storia politica della Comunità Europea, S. 33.
837
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 1. 838
Schmitt von Sydow in: von der Groeben/ Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 7 EU, Rn. 2.
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fassungsprinzipien. Ein viel überzeugenderes Motiv stellt die Schaffung von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit durch die Kodifizierung und Präzisierung des bereits weitgehend vorhandenen Unionsverfassungsrechts dar. Eine Kodifizierung des Beitrittsverfahrens war dabei schon aus praktischen Gesichtspunkten früh erforderlich, um den rechtlichen Rahmen zur Verwirklichung des Verfassungsauftrags zur Erweiterung der Gemeinschaft bzw. der Union zu schaffen. Umgekehrt stellt die Einfügung des Mitgliedschaftssuspendierungsverfahrens in das Verfassungsrecht der Union das Eingeständnis dar, dass man ein solches Verfahren benötigt, falls man mit der Verwirklichung der Verfassungsaufträge zur Erweiterung und Vertiefung scheitern sollte. Ein Mindestmaß an Wertehomogenität muss auch in einer heterogen zusammengesetzten Gemeinschaft erreicht werden839. Dieser Realität ist die Asymmetrie in der Behandlung der gegen die Grundsätze des Art. 6 I EU verstoßenden Staaten zu verdanken. Beitrittswillige Staaten kann man „draußen“ halten, bis die erforderliche Homogenität hergestellt ist. Damit wird das Verfassungsziel der Erweiterung allenfalls verzögert, nicht jedoch verhindert. Einmal erfolgte Integrationsschritte lassen sich wegen der Fokussierung der Union auf ihre Vertiefung jedoch nur ganz schwer – und nur unter massivem Eingriff in die Rechte der Unionsbürger – wieder rückgängig machen. Deshalb liegt es in der Natur des Unionsrechts, im Zweifel gegenüber Bewerbern strengere Kriterien anzuwenden als gegenüber Mitgliedstaaten. Die neuen Mitglieder profitieren nach dem erfolgten Beitritt von den gleichen Privilegien und von der durch diese Vorgehensweise erhöhten Verfassungshomogenität. Die Parallelität des Beitrittsverfahrens zum Mitgliedschaftssuspendierungsverfahren zeigt in Verbindung mit der früher einsetzenden und schärferen Sanktionierung von Verstößen gegen die Grundsätze des Art. 6 I EU aber ein Dilemma des Unionsrechts auf. Dieses Dilemma lässt sich in Parallele zum berühmten Satz des Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde aufzeigen, wonach der Staat gegenüber seinen Bürgern von Voraussetzungen lebt, deren Existenz er nicht garantieren kann840. Durchaus ganz ähnlich lebt auch die Union gegen839
Ruffert in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, Art. 7 EU, Rn. 1. 840
Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Böckenförde (Hrsg.), Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Rechtsphilo-
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über ihren Mitgliedstaaten von verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, zu deren Durchsetzung ihr allein die Mittel fehlen. Sowohl Art. 49 EU als auch Art. 7 EU sichern die durch Art. 6 I EU fixierte europäische Verfassungshomogenität. Die Existenz dieser Verfassungshomogenität lebt aber nicht in erster Linie durch ihre normative Verankerung oder schriftliche Fixierung, sondern durch die tägliche Beachtung der einzelnen Grundsätze in einer spezifisch nationalstaatlichen Ausformung, die dem europaverfassungsrechtlichen Kern gerecht wird, in den zur Zeit 27 und bald, sofern die Europäer einen seit mehr als 60 Jahren überaus erfolgreichen Weg weiter beschreiten, 28 und mehr Mitgliedstaaten.
sophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, S. 92-114 ; Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 36ff; Isensee, Freiheit ohne Pflichten? Zum verfassungsrechtlichen Status des Bürgers im Staat des Grundgesetzes, S. 33.
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III. Anwendung gleicher Standards auf den 28. Mitgliedsstaat Verschiedene Teile der Unionsrechtsordnung sind nach dem geltenden Recht in der Fassung des Vertrags von Nizza nämlich maximal für eine Union mit 27 Mitgliedstaaten ausgelegt. Daher wird die Unionsrechtsordnung durch die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und der Türkei vor eine neue Herausforderung gestellt. Fraglich ist vor diesem Hintergrund, ob sich nicht die neue Situation stellt, dass die Union nicht mehr aufnahmefähig ist. Diese Sorge wird politisch mit dem Argument illustriert, das „Boot“ sei „voll“. Die hierin ausgedrückte Sorge betrifft zunächst das Institutionengefüge. Konkret stellt sich die Frage der Repräsentation der Mitgliedstaaten in der Kommission durch einen eigenen Kommissar. Bereits eine aus 27 Kommissaren zusammengesetzte Kommission erscheint schwerfällig; kleinere Kollegialorgane können schlagkräftiger und effizienter auftreten. Des Weiteren ist die Zusammensetzung und Größe des Europäischen Parlaments reformbedürftig bzw. eine Begrenzung seiner Größe erforderlich. Auch im Rat der Europäischen Union sind die Stimmen neuer Mitgliedstaaten auszuhandeln841. Erfolgte die Aufnahme Kroatiens auf der Grundlage des derzeit gültigen Rechts, so enthielte dieses keinen Rechtsrahmen für eine Integration der kroatischen Vertreter in Rat, Kommission und Parlament. Deshalb ordnen die Bestimmungen des Protokolls über die Erweiterung der Europäischen Union zum Vertrag von Nizza842 eine Revision der einschlägigen institutionellen Bestimmungen nach der Aufnahme des 27. Mitgliedstaats an. Konkret betrifft das die Zusammensetzung der Kommission. Ihre Mitgliederanzahl soll nach Art. 4 II des Protokolls ab dem Amtsantritt der kommenden Kommission geringer sein als die Anzahl der Mitgliedstaaten. Ihre Mitglieder sollen „auf der Grundlage einer gleichberechtigten Rotation ausgewählt, deren Einzelheiten vom Rat einstimmig festgelegt werden“. Anhaltspunkte für einen Konsens, wie sich der nunmehr erforderliche Ratsbeschluss gestalten soll, sind noch nicht ersichtlich. Weitere institutionelle Reformen sind unabdingbar erforderlich bezüglich der Stimmgewichtung im Rat (vergleiche Art. 3 des Protokolls) und bezüglich der Repräsentation neuer Mit841
Meyer-Ohlendorf/ Rötting, EU-Enlargement – A Success Story?, S. 17-
22. 842
Protokoll über die Erweiterung der Europäischen Union zum Vertrag von Nizza, ABl. EU Nr. C 80 vom 10.3.2001, S. 1.
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Anwendung gleicher verfassungsrechtlicher Standards
gliedstaaten im Parlament, das eine gewisse Größe nicht überschreiten darf, um arbeitsfähig zu bleiben. Das prominenteste Reformprojekt zur Herstellung dieser – bereits jetzt verfassungsrechtlich eingeforderten – institutionellen Aufnahmefähigkeit war zunächst der Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa, dessen Ratifikation durch die Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert ist. Das mit der Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon am 13. Dezember 2007 vorgenommene neue Reformprojekt bezieht sich ebenfalls auf den Verfassungsreformbedarf der Union und wird aller Voraussicht nach die Ratifikationshürde nehmen. Die Herstellung der institutionellen Aufnahmefähigkeit der Union durch eine Reform der Zusammensetzung von Kommission, Parlament und Rat erforderte jedoch bei weitem nicht das umfängliche Verfassungsrevisionsprojekt des VVE. Eine punktuelle Reform der angesprochenen Normen würde für die Herstellung der Aufnahmefähigkeit völlig genügen843. Der Vertrag von Lissabon, der ebenfalls ein deutlich anspruchsvolleres Reformprojekt darstellt, nimmt jedenfalls alle erforderlichen Änderungen vor. Selbst wenn, wider Erwarten, der Ratifikationsprozess auch für den Vertrag von Lissabon scheitern würde, genügt für die Herstellung der institutionellen Aufnahmefähigkeit der Union eine punktuelle Reform, die wesentlich einfacher zu bewerkstelligen ist. Solche institutionellen Reformen haben im Gemeinschafts- und Unionsrecht eine lange Tradition. Ihre Durchsetzbarkeit ist, bei allen Schwierigkeiten, bei der Frage einer Stimmgewichtung zu einem Konsens zu gelangen – wie etwa die Verhandlungen im Vorfeld des Vertrags von Nizza gezeigt haben – im Vergleich zu einem umfänglichen Verfassungsrevisionsprojekt deutlich reduziert, da es sich lediglich um punktuelle Anpassungen des Institutionengefüges handelt und nicht um grundlegende Veränderungen. Insofern dürfte es vertretbar sein, dass, unabhängig von der wahrscheinlich erfolgenden Ratifikation des Vertrags von Lissabon, der Fortgang der Verhandlungen in bereits eröffneten Beitrittsverfahren nicht davon abhängig gemacht werden kann, wann und wie es auf Unionsebene gelingt, einen Konsens über die erforderlichen Anpassungen des institutionellen Rahmens zu erzielen. Die zuständigen Unionsorgane, vor allem also den Rat, trifft vielmehr neben der schon im Protokoll zum Vertrag von Nizza fixierten verfassungsrechtlichen Pflicht auch eine Pflicht aus dem Beitrittsverfahren, die nötigen Reformen einzuleiten. 843
Meyer-Ohlendorf/ Rötting, EU-Enlargement – A Success Story?, S. 23.
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Lediglich wenn es nicht gelingen sollte, über die nötige Reform des institutionellen Gefüges einen Konsens zu erzielen, wovon nach der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon am 13. Dezember 2007 nicht mehr ausgegangen werden kann, hätte die Tatsache einer fehlgeschlagenen Reform des Institutionengefüges in der Art in die Ermessensentscheidung des Rates über das Beitrittsgesuch einfließen können, dass ein Beitritt das Funktionieren der Organe der Union beeinträchtigen und damit das Vertiefungsziel gefährden könnte. Vor dem Hintergrund des gleichrangigen Erweiterungsziels dürfte, bei Berücksichtigung der Anpassbarkeit der die Zusammensetzung der Organe regelnden Normen, sich selbst dann eine hierauf gestützte Ablehnung des Beitrittsgesuchs nur schwer halten lassen – ganz abgesehen davon, dass sie im rechtsanwendenden Beitrittsverfahren vom Rat explizit begründet werden müsste und einen politischen Skandal auslösen würde, da die Union ihre gegebenen politischen Versprechen wegen eigener Reformunfähigkeit brechen würde. Man braucht kein Prophet zu sein, um die Behauptung aufzustellen, dass es so weit nicht kommen wird. Zumindest eine punktuelle Reform des Organgefüges der Union wird rechtzeitig vor Aufnahme des 28. Mitgliedstaates gelingen und könnte gegebenenfalls sogar durch eine Anpassung der Verträge im Beitrittsabkommen vorgenommen werden, wie es Art. 49 II 1 EU vorsieht. Die interne Reformbedürftigkeit der Union stellt somit keine Schranke für den Fortgang des kroatischen oder türkischen Beitrittsverfahrens dar.
IV. Schlussbetrachtung: Vorteile des Rechtsverfahrens gegenüber der Politik Die Anwendung eines rechtlich geordneten, rechtsanwendenden und verfassungsrechtlich verankerten Verfahrens zur Durchführung des Beitritts, wie es in dieser Arbeit aus Art. 49 EU in Verbindung mit Art. 6 EU entwickelt wird, hat gegenüber einem politischen Prozess mit politischen Unwägbarkeiten diverse Vorteile. Das zeigt sich gerade dann, wenn man die in dieser Arbeit vorgenommene Fokussierung auf Kroatien aufweicht und den Blick auf weitere Länder, etwa auf die Türkei richtet. Die Verfahrensschritte eines zum Beitritt führenden Rechtsverfahrens werden für den beitrittswilligen Staat nachvollziehbar. Die Bedingungen der Aufnahme können als rechtliche Tatbestände präziser gefasst werden als ausschließlich durch politische Kritieren. Die Kosten der Anpassung an die europäische Rechtsordnung sind dadurch zumindest
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leichter projizierbar. Dadurch kann dem betroffenen Staat die Abwägung der Kosten und Nutzen eines Beitritts besser gelingen. Das dem Beitrittsverfahren immanente Demokratiedefizit für den Beitrittsanwärter lässt sich durch ein Rechtsverfahren mit Anhörungs- und Beteiligungsrechten zumindest signifikant reduzieren. Die Rationalisierungsfunktion des Rechtsverfahrens entfaltet sich vor allem auch in der Begründungspflicht für negative Verfahrensschritte. Der Rat wird dazu gezwungen, die Kriterien, die seinen Beschlüssen zugrundeliegen, dem antragstellenden Staat mitzuteilen. Zwar schränken diplomatische Erfordernisse den Gehalt solcher Begründungen ein; auch besteht ein dem Rat eingeräumter Ermessensspielraum. Dennoch steigert das Rechtsverfahren die Rationalität der Entscheidungsfindung. Vorbehalte in einigen Bereichen gegen die Aufnahme eines bestimmten Landes lassen sich nicht mehr so leicht durch Vorwände kaschieren, sondern müssen benannt werden. Durch die bessere Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung steht der Rat im Beitrittsverfahren für die Folgen seiner Beschlüsse ein, während bei rein politischen Entscheidungen ein „Versteckspiel“ unter Ausnutzung von Vorwänden nicht nur möglich ist, sondern zu den Elementen des politischen Verfahrens im Luhmannschen Sinn gehört. Die größere Rationalität des Beitrittsverfahrens als Rechtsverfahren stärkt somit auch die Demokratie in der Union. Daher wäre wünschenswert, dass der Charakter des Beitrittsverfahrens als rechtlich geordnetem, rechtsanwendendem Verfahren in einer Reform des Unionsverfassungsrechts stärker als bisher herausgestellt wird.
Summary The Constitutional Accession Process to the European Union and its Effects Exemplified by the Proceeding Evoked by the causa Gotovina in Croatia’s Accession Process The present study aims to show that the accession of a new Member State to the European Union is not merely a political process. It is governed by a legal procedure rooted in European Constitutional Law and meant to carry into effect the constitutional mandate of enlargement. To demonstrate the legal relevance of these findings, the study analyzes certain aspects connected to the postponement of the opening of accession negotiations with the Republic of Croatia in March 2005. This postponement was caused by the so-called causa Gotovina, as the members of the Council could not reach a consensus on Croatia’s compliance with the accession criterion of respect for the rule of law because Croatia did not transfer the alledged war criminal and Croatian general Ante Gotovina to the International Court of Justice for the former Yugoslavia. The study concludes that by making the evaluation of Croatia’s compliance with an accession criterion dependant on an assessment by the ICTY prosecutor and thus outsourcing it, the European Union violated Croatia’s procedural rights in the accession process. As European Union law originates in international law, the accession of a new Member State to the European Union takes place by means of a contract governed by international law concluded between the Member States of the Union and the applicant State. According to Art. 49 II TEU, “[t]he conditions of admission and the adjustments to the Treaties on which the Union is founded, which such admission entails, shall be the subject of an agreement between the Member States and the applicant State. This agreement shall be submitted for ratification by all the contracting States in accordance with their respective constitutional requirements.” In general, the procedures leading to the conclusion of an international treaty leave plenty of negotiating room, ultimately deriving from the in-
M. Rötting, Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 208, DOI: 10.1007/978-3-642-01766-7_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
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ternational law principle of freedom of contract. This freedom may be exercised according to political priorities. Thus, it is a manifest hypothesis that the accession treaty between the Member States and an applicant State to the European Union is negotiated within the scope of a political process. Nevertheless, accession might also take place through the means of a legal process. The present study discusses the differences arising from the distinction between the two. Therefore, it is crucial to clarify the notion of “process” the study is based on. The classical process doctrines refer to truth or true justice as the finality of a process. The allusion to an objective truth has always been the core problematic issue of the classical process doctrines. It is also the main reason why the classical process doctrines are not persuasive. Legal dogmatics try to construe a theory of process based on the terms of either action, legal situation, or relation. The corresponding theories of process, however, are partly incompatible with each other. Thus, they do not succeed in construing a satisfactory understanding of a process. A system that has to guarantee that a definite decision is taken as the result of a process cannot at the same time guarantee that the taken decision is based on the objective truth. Rooted in this understanding, Niklas Luhman developed the theory of “legitimacy through process”. Luhmann proceeds from the function of truth in the classical theories of process and searches for a more abstract and more functional reference. This reference should include the mechanism of finding the truth, but go beyond the search for the objective truth. Luhmann comes across the exercise of power and its legitimacy. He interprets legitimacy as the generalised willingness to accept decisions of a content yet undetermined, within the scope of a certain tolerance. System-theoretical understanding thus describes a process as a system that selects one concrete decision out of the body of all possible decisions by the means of a process that permits the persons or institutions concerned to take part in the creation of the decision. This allows them to live with the decision and to perceive the way of its creation as legitimate. The system-theoretical approach proposes an understanding of processes as social systems that fulfil specific functions by elaborating a non-recurring, binding decision. The focus on a single case implies that processes are always of limited duration.
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According to Luhmann, processes regulated by law belong to the most noticeable characteristics of the political systems of modern societies. The structure of the procedural system is predefined by general legal provisions applicable for a multitude of processes. These provisions reduce the number of possible actions and reactions in a process to such an extent that it becomes possible to launch certain processes as systems, without the further necessity to discuss the reasons for coming together, or to define and clarify the options to act and react of all parties involved. Processes regulated by law reduce the complexity of possible actions of the parties involved by permitting them to absorb the selections achieved by others. With a view towards European Union enlargement, the functioning of such a reduction of complexity might be illustrated: Before an accession takes place, certain criteria, as well as procedures are fixed. Because of their willingness to take part in the process, all parties involved take these selections as a point of orientation for their own proceedings. Processes – as opposed to non-processes – require a framework that structures the process and defines the rules of conduct. The taking of a binding decision, however, remains the finality of all processes. This decision is not predetermined by the process. Corresponding to the complexity, the openness of the final decision constitutes a decisive motivation to participate in the process and perceive it as legitimate. The possibility to reach the desired output is thus a conditio sine qua non for the willingness to participate. Based on the given definition of a process regulated by law, derived from system theory, it is not too difficult to subsume under this term even an accession process to the European Union where the Council takes a political decision based on its unrestricted discretion. Such a process would also be involved in the taking of a binding decision in a specific case. The legal momentum, however, would be reduced to appointing the institutional body bound to act, and to establishing the procedure for this body to decide – unanimous vote. Nevertheless, in this study, the author conceptualizes the notion of a process regulated by law in a narrower sense. For a political process, it is characteristic that the decision taken is not subject to legal boundaries with regard to its preconditions and the procedure of its verification. It is characteristic that the decision is mainly made for political reasons. When verifying the decision in a reviewing process, one would not ask whether it was legally legitimate. Instead one would be interested in whether it was, from an ex post perspective, a politically wise decision.
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The key elements in this process for the reduction of complexity would therefore be of a political nature, while the legal systeme merely appoints the institutional body competent for making this political decision. In the notion this study is based upon, a process regulated by law distinguishes itself from the political process through its footing in the application of law. It presumes that an applicable legal regulation already exists844. With the exception of closing legal loopholes, a process regulated by law does not develop the applicable law. On the contrary, it is based on the application of existing legal provisions. In this sense, the legal process is significantly different from the political process. Ideally, society’s influence on legal processes is exercised exclusively by decisions leading to the creation of law, be it statutory or common. Thus, societal developments may influence the legal process uniquely through a single, concentrated and specified valve. This allows to control legal processes far more precisely than political processes. The fixation on the law requires that all differences and inequalities must be presentable as the consequences of the application of legitimate, pre-existing procedural rules. From the perspective of the legal process, all those in a functionally equivalent role are equal. This principle of procedural equality is of fundamental importance for legal processes. Legal processes compensate for the loss of the idea of a single decision based on objective truth – a loss which results from the margin of discretion given to the deciding body – with the guarantee of procedural rights. If it is not possible to reach mutual consent on the material contents of a necessary decision, mutual consent on the process in which this decision is taken can constitute the “corset” that helps to restore trust in the law if this trust is lost by a decision perceived as materially wrong or unfair. This is the reason why information may only become procedurally relevant after it has been filtered in accordance with the rules of the procedural system, and translated into terms immanent to this system. By taking part in the process, the parties, especially the applicant, are witnesses to the procedural steps, act within the system, and prepare for the decision to be taken. As a consequence, this decision 844
This observation is even true for legal processes that have to be conducted without applicable statutory law. In this case, the legal process has to decide what shall be the law. However, these processes are also based on the assumption that the legal order they are based on preexists. See Luhmann, Legitimation durch Verfahren, p. 139.
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does not come as a surprise. Being prepared helps all involved parties to accept the outcome even if it is not the desired one. European Union accession negotiations depend largely on political factors. One therefore might argue that the resolution on the accession is a political decision and that the Member States could, if at all, only be bound politically when taking the final decision. At first sight, this view is supported by Art. 48 TEU. Art. 48 TEU attributes the power to amend the treaties on which the Union is founded to the Member States, acting by common accord. Provided that such a common accord can be reached among the 27 Member States, they are indeed free to adapt the treaties to their transforming views of how the Union should be organized and which principles it is based upon. Werner Meng concludes that there is no methodical way to prevent the Member States from completely redesigning the community structures. Therefore, the conditions of accession as well as the process leading to the accession of another Member State would not be subject to legal boundaries. It is true that the accession conditions fixed by Art. 49 TEU are alterable via Art. 48 TEU, with regard to contents as well as with regard to procedural provisions. However, it should be kept in mind that such an alteration requires ratification in all 27 Member States. It is also true that the wording of Art. 49 I 1 TEU only allows deduction of a right of European states to apply for membership in the Union, but not a right to membership as such. Juli Zeh has shown that no right to membership, be it enforceable or not, can be deducted from this provision or from other provisions of the treaties. Nevertheless, the fact that there is no enforceable right to membership does not bar the hypothesis that the application process is a process regulated by law and applying law. A number of legal processes of national law do not lead to legally enforceable claims either. It cannot be denied that the entirety of the legal provisions contained in the treaties on which the Union is founded is alterable via Art. 48 TEU. Unlike, for example, the German Basic Law in Art. 79 III GG, European Union law does not contain provisions protecting certain norms from being altered. The possibility to alter norms nevertheless does not disrobe them of their legal character. Neither does it constitute an argument in favor of denying all legal ties of the accession process. Furthermore, there is no indication that any alterations of the provisions of the EU and EC treaties would be easy. On the contrary, alteration of these norms requires ratification in accordance with the respective con-
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stitutional requirements in all 27 Member States, including some that require or allow for referenda. As long as these requirements are not met, the Member States acting in the Council are bound by the existing legal framework. This also means that they cannot act freely without legal boundaries. If we classify the relationship of the parties involved in an EU accession procedure as the relationship of EU Member States with a third State, the thought is not far-fetched that we might be talking about external relations of the Union. However, the sector of external relations is traditionally more closely connected to the political sector than to the legal sector. One could argue that Art. 49 TEU does not explicitly demand an accession procedure that comprehends the given criteria as binding legal criteria. In the sensitive sector of external relations, it could be unwise to limit the political and factual scope of action of the Union institutions by binding them to a legal process, while the applicant State, not yet bound by the European Union legal order and thus acting in external relations, will most probably use all political instruments available. However, this view does not take into account some decisive aspects. The accession of a new Member State to the Union, as it is foreseen by Art. 49 TEU, differs qualitatively from external relations with third States that the Union might have in the sectors of international treaties or trade relations or even in the sector of the so-called neighbourhood policy. This is already illustrated by the systematic position of Art. 49 TEU in the final provisions of the EU Treaty. Agreements concluded by the European Community with third States are either based on Art. 133, 308 EC or are concluded in the form of legally non-binding trade and cooperation agreements on the basis of Art. 310 TEC. Neither does Art. 12 TEU, the provision that defines the forms of action by which the Union pursues the objectives of the common foreign and security policy, refer to the enlargement of the Union. Already from its systematic position, it can be concluded that Art. 49 TEU does not constitute a provision governing external relations. It rather has to be seen in context with Art. 48 TEU. Both are fundamental provisions of the EU Treaty. Indeed, by creating the possibility of accession to the Union, Art. 49 TEU regulates one of the core elements of European integration, namely, enlargement. The relevance of this element is shown in intriguing clarity by the considerations in the preambles to the EC and EU Treaties. The second
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preambular consideration of the EC Treaty speaks of the contracting parties being “resolved to ... eliminate the barriers which divide Europe”. In the eighth preambular consideration to the EC Treaty, they are then “calling upon the other peoples of Europe ... to join in their efforts”. Moreover the Community is founded to “lay the foundations of an ever closer union among the peoples of Europe”, as the first preambular consideration of the EC Treaty indicates. While the element of an “ever closer union” constitutes the principle of European integration, the second element, “among the peoples of Europe”, refers clearly to the entirety of the peoples of Europe, not only to some European peoples of a couple of European nations. It thus establishes the principle of enlargement. As early as in 1957, with only six founding Member States, the EC Treaty propagated the vision of a pan-European house and urged the European peoples of Central, Eastern and Southern Europe to overcome the dictatorships in their countries and join the Community! The preamble of the 1992 EU Treaty emphasizes the same principles of integration and enlargement and adapts them to the different historical situation after the democratic transitions in Central and Eastern Europe. The twelfth consideration in the preamble of the EU Treaty continues to speak of the process of creating an “ever closer union among the peoples of Europe”. It thus confirms the principle of enlargement as well as the pan-European dimension of European integration. Given that in 1992 the question of an accession of the Central and Eastern European reform democracies was highly controversial, particularly in the light of the economic differences between the regions of Europe, such a confirmation is amazing. The second consideration of the EU Treaty’s preamble, “recalling the historic importance of the ending of the division of the European continent and the need to create firm bases for the construction of the future Europe”, gives a direct guideline for the future development of the Union. Unlike the EC Treaty at the end of World War II, the preamble of the EU Treaty directly mentions the historic situation after the fall of the Iron Curtain. It then contains the affirmation that the EU Treaty has been designed to create a firm basis for the construction of the future Europe. For the Union, there only is a necessity to create this firm basis if the Union regards itself as the adequate institutional framework for the future Europe. This means that the EU Treaty has also been created to prepare the Union for the accession of the Central and Eastern European democracies. The commitment to the principle of enlargement could not have been more intense.
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The principles laid down in the preambles illustrate the common basic concepts and convictions of the contracting parties. According to Manfred Zuleeg, the former German judge at the European Court of Justice, the principles and constitutional mandates fixed in the treaties, including the principles fixed in the treaties’ preambles, constitute core elements of the development of the law by the ECJ’s interpretation. Within the scope of application of Community and Union law, the Member States are required to respect and safeguard these principles. Even though the Council has a substantial margin of discretion when deciding on an accession application, important consequences arise from the question whether the accession process is a merely political one or a legal one, regulated by law and which applies the law. This is at first true for the perception the European Union has of itself as a community of law. Enlargement brings economic and legal change not only to the Union and its Member States, but above all to the citizens, the subjects of the Union’s legal order. As a matter of fact, European Union law constitutes the only transnational legal order that attributes individual rights and liberties directly to individuals and even creates a Union citizenship. As the Union’s citizens are granted individual rights without having to use the detour via their home states, it is of a more than merely theoretical importance for the citizens whether actions affecting their economic and legal status are taken in a process regulated by law and applying the law. Moreover the creation of the applicable law can ultimately be retraced to the people – acting through their national representatives in the Council and through their representatives in the European Parliament. Denying the existence of a legal process would mean that the legal sphere of the citizens of the Union might thus become the object of an arbitrary use of power. For the applying State, the question of whether accession negotiations are governed by a legal process is decisive when it comes to determining whether it is possible refer to procedural rights. These procedural rights go far beyond the right to obtain a final resolution on the accession application that does not arbitrarily misuse the margin of discretion. For example, a right of the applicant State to receive a rejecting resolution, when it becomes clear that it will definitely not be able to meet the accession criteria, can be deducted as a procedural right in a legal process. Vice versa, there could also be a procedural right to the continuation of the accession process when it becomes clear that the applicant state will be able to fulfil the accession criteria in the near future. According to Thomas M. Franck, the perception of a legitimate process is even the decisive issue for the compliance of candidate states. More-
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over, the understanding of the accession process as a legal process implies the applicability of all common procedural rights. This includes the right to be given the reasons in case of a rejection of the application. Such a requirement for giving reasons helps to oppose the influx of offtopic reasons that are not related to the accession criteria communicated to the applicant State. The principles that guided the exercise of discretion also have to be mentioned. Based on the same thoughts, one can deduce a right of the candidate State to be heard before each relevant decision taken in the accession process which would negatively affect this state. Such a right to be heard is a core element of the perception of a procedure as legitimate. The right to be heard enables candidate States to set forth their position before relevant procedural steps are taken. These ideas are based on the assumption that the citizens of candidate States are meant to join the Union’s legal order as Union citizens equal to all other Union citizens. Anneli Albi points out that from the point of view of the candidate States, accession to the European Union is quite problematic with regard to democratic legitimacy. During the accession process, the candidate state is not only required to fulfil the accession criteria, above all the Copenhagen criteria, but also it has to adopt the entire acquis communautaire. This includes a transformation of the legal order of a country, affecting between fifty and eighty percent of the body of norms. Obviously, such a transformation process is likely to tie down for years a substantial part of the executive and legislative capacities of the state in question. From the point of view of democratic legitimacy, the core issue is that candidate States are required to adapt to a legal order although their peoples did not take part in the democratic process establishing this legal order. In many cases, the transformation will be irreversible, and with a view of the future functioning of the Union, a certain irreversibility of the transformation processes is perceived as a desirable sideeffect of accession negotiations. The democratic rights of the peoples of the candidate States during the accession process, however, are reduced to either accepting or rejecting the accession treaty at the end of the process, at a point when many irreversible transformations have already taken place. Even the most radical proponents of the thesis that accession to the union is a uniquely political process acknowledge that candidate States have to weigh up the democratic and economic risks of the accession application on the one hand, and the possible profits arising out of membership on the other hand. However, it is incomprehensible how the relevant political bodies in the applicant State are to be enabled to
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perform such an appreciation of values if on the other hand the Union is free to alter the accession conditions at any time and apply them differently in every single case, even going beyond the written accession criteria. Under such circumstances, it would be impossible to weigh up the costs of an application for membership. It is thus indispensable that the costs of the application, described by precise accession criteria, are known to the democratically elected policymakers and decision-making units of the applicant State before the decision on the application is made. We come to the conclusion that an accession process designed as a political process without legal fundament would correspond neither to the outstanding role of the principle of enlargement in the European Union legal order nor to its concretisation by the possibility of accession in Art. 49 TEU. To sum up, we have observed that the accession process to the European Union creates a striking democratic deficit in the candidate countries. This deficit is remedied years later, within the scope of a successful integration of the candidate country, by the democratic participation in the common decision-making process in the Union. Only the assumption that the accession process takes place as a legal process, regulated by law, and applying the law, impedes the danger that candidate States might become hostages of arbitrary political decisions of the governements of the current European Union Member States represented in the Council. Thus, only a legal process can justify, with regard to democratic legitimacy, the democratic risks an application for European Union membership encompasses. With regard to the accession process of the Republic of Croatia and the postponement of the opening of accession negotiations in March 2005, the legal question the Council had to find a consensus on in order to open the negotiations was whether Croatia was respecting the rule of law, by fully cooperating with the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. The obligation to cooperate with the ICTY can be deducted from several impressive sources of national and international law. The present study shows that it was the Commission’s task to provide the Council with all the necessary data to decide this question. This can be deduced from the role of the Commission as an institutional body within the framework of the Union’s institutions. It also follows from the institutional balace of powers in the European Union. Among the Union’s institutions, only the Commission is attributed with sufficient
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resources to lead an ongoing, long-term evaluation of facts, as it is required in accession negotiations. In the present case, however, the Council did not rely on material provided by the Commission to evaluate whether the Republic of Croatia was fully cooperating with the ICTY. It relied on an assessment by the ICTY’s prosecutor, Carla Del Ponte. Ms. Del Ponte made her initial assessment on Croatia’s cooperation dependent on whether the alledged war criminal Ante Gotovina had been transferred to the Court in The Hague. While the authorities of the Republic of Croatia consistently asserted that Gotovina had fled the country and that they could not get hold of him, the ICTY prosecutor’s assessment claimed that Ante Gotovina could still be located in the “Croatian” sphere of influence. However, due to the purpose pursued by the Tribunal to resolve legal issues connected to the severe crimes committed during the conflicts leading to the dissolution of former Yugoslavia, which had been fought along ethnic lines, in the terminology of the work of the ICTY, “Croatian” refers to the Republic of Croatia as well as to the Croatian entity in Bosnia and Herzegovina. Thus, Ms. Del Ponte suspected Gotovina to hide either in Croatia or in parts of Bosnia and Herzegovina, and she did not provide any proof that the authorities of the Republic of Croatia had access to the general. In the legal scope of the accession process to the European Union, “Croatia” nevertheless may only refer to the Republic of Croatia. When the Council relied on the prosecutor’s assessment, while both institutions were using the term “Croatian”, the understanding of the term in the Council’s question was not congruent with the understanding of the term in the answer the prosecutor provided. This is why Union law accredits the task of providing the factual basis of the Council’s decision to the Commission. It follows from an analogous application of the principles created by the European Court of Justice in Meroni that the Commission could not fully delegate this task to an organization outside of the legal framework of the Union. However, the ICTY is not part of the Union’s legal framework. By outsourcing the evaluation of Croatia’s cooperation with the ICTY to the prosecutor instead of only using the ICTY’s expertise and cross-checking it with the procedural and factual requirements of Union law, the Commission had thus violated the procedural rights the Republic of Croatia had in the application process. In the terms of the system-theoretical understanding of legal process developed in this study, the information on Croatia’s compliance with the accession criterion of respect for the rule of law had not been adequately filtered in accordance with the rules of the
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procedural system, and translated into terms immanent to this system. It was thus an infringement of Croatia’s procedural rights that this information became decisive for a procedural step to be taken. The study then shows that the conflict was resolved by the creation of a “Task Force on Croatia”, as an extraordinary body that nevertheless remained within the Union’s legal framework, and a new assessment by the ICTY prosector addressed to the “Task Force” in October 2005. In this assessment, Ms. Del Ponte based her evaluation of Croatia’s full cooperation with the ICTY on the fact that “[t]here is no evidence that Croatia is not doing everything it can to locate and arrest Ante Gotovina” – while Gotovina had still not been transferred to the Hague. It becomes clear that from March 2005 to October 2005, the burden of proof had shifted. In a further step, the study then develops the core constitutional requirements that have to be met by an applicant State before Council can exercise its margin of appreciation on the application. These requirements are identical with the principles whose infringement by a Member State can lead to a suspension of membership rights based on Art. 7 I TEU. Art. 49 TEU and Art. 7 TEU are thus parallel legal processes, both targeted to safeguard a minimum of constitutional homogeneity in the European Union. Finally, a view on the accessions of Bulgaria and Romania shows advantages of the proposed understanding of Art. 49 TEU as a legal process rooted in the Union’s Constitution.
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Sachregister Abbruch der Vertragsverhandlungen: 182 acquis communautaire: 15, 20, 26, 46, 157, 158, 163-166, 170, 182, 263 Anspruch auf Aufnahme: 39 Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Rates: 45, 270 Arbeitsfähigkeit des ICTY: 205 Assoziierungsabkommen: 12, 15-24, 59, 61, 124, 125, 158 Aufnahmebeschluss: 148 Aufnahmefähigkeit der Union: 137, 157, 161, 276 Ausschluss eines Mitgliedstaats: 237, 256-258 Außenbeziehungen: 43, 44, 50 Außenkompetenzen: 7 Außenpolitik: 7, 54, 175, 176 außenpolitischer Ausschuss des Europäischen Parlaments: 135, 141 Austritt aus der Union: 179 Ausübung von Hoheitsrechten: 64 Befriedungsfunktion: 198 Beitrittsantrag: 69, 128, 129, 179 Beitrittsperspektive: 9, 10, 18, 24, 97, 132, 139 Beitrittsprozess – demokratische Legitimation: 47, 48, 133, 271 Beitrittsrabatte: 169, 174
Beitrittsverfahren – rechtlich geordnetes Verfahren: 5, 31, 32, 34, 35, 39-42, 44, 45, 48-51, 62, 131, 132, 140, 157, 158, 195, 224, 228 – rechtsanwendendes Verfahren: 35-37, 41, 62, 88, 131, 132, 140, 157-160, 208, 212, 228, 271, 277 Beitrittsverhandlungen: 1, 2, 4-6, 37, 51, 55, 56, 60, 72, 108, 126, 127, 133, 141, 144, 161, 163, 166, 169, 172, 173, 181185, 195, 219 – Verschiebung der Eröffnung: 215 Beitrittsvoraussetzungen – Gestaltbarkeit: 38 Beschlussfassung des Rates: 131, 142, 146, 185, 247, 260 Bestimmtheitsgebot: 116 Beweislast: 36, 132, 223-226 Bosnien-Herzegowina: 2, 3, 25, 107, 121, 122, 208-212, 223 Bulgarien: 27, 96, 161, 162, 166, 169, 170, 181, 264-273 Christentum: 87, 93 culpa in contrahendo: 55, 56 Dayton-Abkommen: 121, 122, 126, 209, 210 Delegation von Durchführungsbefugnissen: 187-190, 193, 194, 212, 213 Del Ponte: 1, 4, 183, 184, 189, 190, 193, 196, 205, 206, 208, 215, 216, 219, 220-222, 223
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Demokratie: 11, 25, 100-102, 136, 149, 151, 152, 278 demokratische Legitimation: 46-48, 131, 133, 259, 260, 271 demokratisches Defizit: 48, 49, 278 Drittstaat: 17, 18, 43, 53, 54, 165, 176 duales Legitimationsmodell: 133, 247, 260 effet utile: 166 EGKS: 68-71, 78, 187 Einräumung von Verfahrensrechten: 36, 45, 46, 48, 132, 179, 224, 247, 259 EMRK: 103-105, 111, 113-115, 186 Erweiterungskompetenz der Union: 6 Erweiterungspolitik: 13, 135, 136 ethnische Zugehörigkeit: 107, 208 EU-Kommission – Aufgabenbereich: 142 – Verhandlungsführerschaft: 144 Europäische Sicherheitsstrategie: 12 Europarat: 59, 98, 104, 105, 109, 185 EU Task Force on Croatia: 4, 216-226 Evaluierungskompetenz: 147 EWG: 66, 69-72, 77 Ewigkeitsklausel: 41 externer Sachverstand: 184189, 195-198, 200, 212 faires Verfahren: 132 Fall des Eisernen Vorhangs: 82, 107
Sachregister
Finanzierbarkeit des Gemeinschaftshaushalts: 162 Flüchtlingsproblematik: 118 Freiheit: 44, 48, 80, 85, 88-90, 98-100, 115, 167, 178, 234 Friedensprozess: 198 Friedenssicherung: 199, 202 Frühwarnsystem: 239-242, 248, 249, 258 Fusionsvertrag: 71 GATT: 201 Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik: 7, 43, 153, 167 Gewaltenteilung: 116, 145, 188 Gleichheit der Mitgliedstaaten: 170, 173, 177, 269 Gleichheitsgrundsatz: 40 Gleichwertigkeit der Mitgliedstaaten: 163 Gotovina: 1-5, 126, 127, 181, 183, 184, 190-192, 203, 204, 206, 208, 209, 211, 212, 215, 216, 219, 221-224, 262 Griechenland: 27, 71, 96, 145, 151, 161 Grundfreiheiten: 20, 48, 79, 85, 88-90, 101, 111, 113, 167, 230, 231, 234, 255, 261, 262, 264 Grundrechtecharta: 112-114 Grundrechtskatalog: 66, 113 Grundrechtsschutz: 26, 66, 112, 113 Grundsatz der Gewaltenteilung: 116, 145, 188 Grundsatz des unionsfreundlichen Verhaltens: 148, 149 Heiliger Stuhl: 93 Heimatkrieg: 1, 2, 196, 209 Heranführungsstrategien: 15, 129, 132
Sachregister
Hoher Repräsentant der Internationalen Staatengemeinschaft in BiH: 209, 210 Homogenität: 5, 87, 97, 130, 160, 167-169, 172, 174-177, 232, 233, 235, 258, 261, 264, 270-274 ICTY: 1-4, 117-123, 125, 126, 141, 181, 183, 184, 189-216, 218-226, 262 Implementationsdefizit: 109, 127, 169 institutionelle Anpassungsfähigkeit: 137 institutionelle Reformen: 275 institutionelles Gleichgewicht der Unionsorgane: 143, 146, 155, 188, 194, 213 Integration: 26, 28, 44, 49, 7779, 81-84, 89, 90, 93, 96, 97, 139, 142, 172, 173, 175, 263, 272, 273, 275 Intraorganverhältnis: 188 ISPA: 14 Jugoslawien: 12, 24, 26, 29, 107, 119, 122, 198, 202, 204, 208 Junktim: 219, 226 Justizwesen: 11, 116, 124, 204, 267, 268 Kandidatenstatus: 97, 126, 132, 133, 181, 182 Komplexität: 33, 34, 185 Konditionalität: 15, 22, 103, 109, 110 Konvergenz: 10, 169, 172, 174, 175, 185 Konzeption einer einheitlichen Rechtsordnung: 244 Kopenhagener Beitrittskriterien: 5, 40, 46, 91, 103, 106,
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137, 151-153, 155-159, 161, 167, 168, 173, 175-177, 263 Kosovokrieg: 162 Kosten der Anpassung: 277 Krajina: 2, 209, 221 Kriegsunrecht: 198, 199, 207, 209 Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien, siehe ICTY KSZE: 98 Legitimationskette: 244 Legitimität: 32, 34, 203 Lückenschließung durch Richterrecht: 35, 66 Mazedonien: 25, 97, 137, 162, 181 Meinungsfreiheit: 100 Menschenrechte: 12, 21, 48, 62, 79, 85, 88-90, 99, 103, 104, 111-115, 151, 152, 167, 169, 173, 178, 185, 204, 231, 234, 244, 261, 264 Menschenwürde: 99, 178, 179 Meroni-Rechtsprechung des EuGH: 187, 188, 193, 194 Methode der positiven Annäherung: 90, 92 Milošević: 3 Minderheiten – Minderheitenpolitik: 103, 168 – Minderheitenrechte: 86, 103109, 111, 173 – Minderheitenschutz: 11, 88, 100, 104, 108, 109, 157, 168 Mitgliedschaft zweiter Klasse, siehe Zwei-Klassen-Union: 170, 269 Mitgliedschaftsrechte: 135, 228, 242, 249, 251-259, 261
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Nachbarschaftspolitik: 10, 1216, 18, 43 NATO: 98, 203 neutrale Dritte: 186 Normenhierarchie: 66 OECD: 98 ökonomische Kooperation: 80 Österreich: 26, 68, 161, 183, 184, 216, 217, 219, 225-229, 240, 245, 247, 248 Operation „Oluja“ (Sturm): 1, 123, 124 Organgefüge: 143, 144, 177, 213, 243, 244, 260, 261, 277 Organisationsstatut: 65 Osterweiterung: 13, 19, 27, 28, 84, 160, 161, 169, 264, 272 Ost-West-Konflikt: 79-81, 156 Outsourcing: 193-195 Parteienmehrheit: 100 PHARE: 14, 16 politische Signalwirkung: 253 politische Willkür: 44, 48, 158 politischer Prozess: 5, 31, 3437, 39, 42, 44, 48-51, 53, 146, 271, 277 politisches Lenkungsmoment: 155 Politisierung des justiziellen Verfahrens: 198 postdiktatorische Beitrittsstaaten: 9, 16, 26 potentieller Beitrittskandidat: 132 Prinzip der Nichtintervention: 119 Prinzipien des Europäischen Verfassungsrechts: 5, 10, 87, 167, 169, 172-175, 182 Prozessgarantien: 36 Prozesstheorie: 33
Sachregister
qualifizierte Mehrheit: 41, 130, 251-253, 256 Račan: 110, 124 Rat der Europäischen Union: 1, 4, 5, 126, 128, 129, 132, 152, 181-183, 189, 195, 200, 215, 217, 225, 250, 260, 275 Ratifikation: 19, 31, 39, 42, 54, 58, 62, 67, 70, 73, 84, 112, 130, 131, 147-150, 178, 185, 276 Ratifikationsreferendum: 149 Ratsvorsitz: 143, 193, 216, 217, 223 Recht auf Anhörung: 48, 247, 249, 250, 278 rechtliches Gehör: 249 Rechtmäßigkeit der Gewaltausübung: 116 Rechtsgemeinschaft: 44, 48-50, 66, 71, 155, 172, 188 Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte: 116 Rechtssicherheit: 50, 67, 73, 90, 116, 273 Rechtsstaatlichkeit: 21, 48, 62, 66, 79, 85, 86, 88-90, 103, 115117, 125-127, 167, 178, 190, 191, 193-197, 203, 210, 213, 231, 234, 241, 244, 261, 262, 264, 267 Rechtsstaatsprinzip: 50, 98, 115-117, 127 Rechtsvergleichung: 92 regionale Zusammenarbeit: 20 reine Rechtslehre: 32 Republik Kroatien: 1-6, 8, 11, 12, 20, 23, 24, 97, 108, 117122, 124-127, 141, 181, 183, 184, 189-191, 194-197, 199, 200, 205-210, 212-215, 219221, 224, 226, 262, 263
Sachregister
Revisionsverfahren: 255, 259 Rollenverteilung der Unionsorgane: 155, 259 Rückkehr in das rechtsförmige Verfahren: 216 Rückwirkungsverbot: 116 Rumänien: 27, 96, 161, 162, 166, 169, 170, 181, 264-270 Sachverhaltsermittlungskompetenz: 140, 142, 145, 147, 207, 260 Sanader: 8, 110, 222 Sanktionsgewalt: 232 Sanktionsinstrument: 194, 200, 202, 257 Sanktionsverfahren: 228, 229, 232, 236, 242, 245, 247 Sanktionszahlungen: 171 SAPARD: 15 Screening: 166 Selbstbestimmung: 98, 100 Selbstbindung (der Verwaltung): 40, 174 selektiver Beitritt: 71 Serbien und Montenegro: 3, 25, 203, 209 Sicherheitsrat: 117, 118, 193, 197, 198, 202, 204 Slowakei: 162, 169, 182, 183 Slowenien: 8, 10, 24, 29, 57, 60, 82 Spanien: 4, 8, 10, 27, 28, 71, 151, 161, 169, 183, 185, 212, 215 Staatengleichheit, siehe Gleichheit der Mitgliedstaaten: 173 Stabilisierung: 10, 16, 25 Stabilität: 139 strukturelle Kompatibilität: 168 Subsidiaritätsprinzip: 81, 82
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Substraktionsmethode: 89, 90 Süderweiterung: 8, 27, 71, 72, 151, 161, 174 Südeuropa: 8 Supreme Court of Canada: 86 Suspendierung der Mitgliedschaft: 182, 227, 231, 233, 249, 252-256, 258, 259 Suspendierungsverfahren: 153, 230, 231, 233, 234, 236, 237, 241-244, 248, 251, 260263, 272, 273 TAIEX: 15, 16 Transformationsprozess: 6, 10, 16 Transformationsstaaten: 6, 8 Transición: 10 Transparenz des Entscheidungsprozesses: 100 Tuđman: 11, 26, 110, 123 Türkei: 4, 14, 19, 27, 57-60, 9598, 132, 137, 140, 149, 162, 181, 219, 220, 275, 277 Übergangsfristen: 262 Übergangsregelungen: 164, 166, 269 Überwachung der Neumitglieder: 237, 264, 268, 269 Überwachungsinstrumentarium: 264 Umweltinformationen: 37, 208, 212 Unabhängigkeit des Chefanklägers: 204, 205 UN-Charta: 118, 119, 197 Unionsbürger: 44, 46, 48, 49, 114, 133, 167, 232, 253-255, 257, 260, 273 Unionsverfassung: 62, 63, 114, 166, 167, 197, 225, 228, 269, 273, 278
316
Venedig-Kommission: 108 Verfahrensfehler: 36, 184, 195, 226 Verfahrensrechte: 6, 36, 40, 45, 46, 48, 132, 179, 224, 247, 259 Verfahrensstörungen: 34 Verfahrensziel: 32 Verfassungsauftrag: 74, 78, 79, 144, 178, 273 Verfassungsbedarf: 64 Verfassungsfähigkeit: 64, 67 Verfassungsgrundsätze: 66, 77, 79, 167, 235, 241, 242, 244, 262 Verfassungshomogenität: 5, 87, 130, 167-169, 172, 174-177, 232, 233, 258, 264, 270-274 Verfassungsprinzipien: 45, 76, 77, 79, 138, 145, 166, 167, 172, 175, 182, 188, 194, 231, 233239, 241, 243, 245-247, 251, 258, 261-264, 267, 268, 270, 271 Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten: 113-115 Verfassungsziele: 45, 75, 77, 79, 81, 83, 84, 97, 130, 178, 270 Verhältnismäßigkeitsgebot: 67, 116 Verhandlungskapitel: 165 Vertrag über eine Verfassung für Europa: 63, 67, 68, 84, 87, 112-114, 137, 248, 265, 276 Vertrag von Amsterdam: 73, 100, 153, 159, 228, 229, 231, 234, 240, 242, 249 Vertrag von Lissabon: 14, 84, 87, 103, 112-114, 152, 177, 248, 276, 277 Vertragsänderung: 42, 44, 58, 70, 93, 94, 257
Sachregister
Vertragsverletzungsverfahren: 170, 174, 228, 236, 237, 258 vertrauensbildende Wirkung: 272 Vertrauensschutz: 67, 116 Verwaltungsbürokratie: 155 Vetorecht: 129-131, 246 Völkerrecht – allgemeine Regeln: 52, 53, 61 – bona fides: 56 – principes généraux de droit reconnus par les nations civilisées: 54, 57 – Verbot des Rechtsmissbrauchs: 56 – Vertrag zu Gunsten Dritter: 53 – Völkergewohnheitsrecht: 54 völkerrechtliche Genese des Gemeinschaftsrechts/ Unionsrechts: 31, 130, 148, 163, 173, 260 völkerrechtlicher Vertrag: 61, 68, 147, 154 völkerrechtliches Verfahren: 51 Vorabentscheidungsverfahren: 236 Wahrheitsmechanismus: 32 Weisengutachten: 240, 247 Welthandelsorganisation: 200, 201 Werte der Union: 27, 28, 84-86, 156, 178, 179, 228, 231, 232, 272 Wertegemeinschaft: 27, 156 Wertehomogenität: 273 Wettbewerbsdruck auf dem Binnenmarkt: 157, 159 Wettbewerbspolitik: 170
Sachregister
Wiederherstellung des verfassungskonformen Zustands: 256, 268 Wirtschafts- und Währungspolitik: 160 Zusicherung der Beitrittsmöglichkeit: 22, 57 Zustimmung des Europäischen Parlaments: 62, 133-136,
317
141, 142, 150, 178, 230, 240, 246, 249, 260 Zwangskollektivismus: 99 Zwangsvollstreckung: 171 Zwei-Klassen-Union: 173, 174, 212, 261, 263 Zweiter Weltkrieg: 80, 82, 98
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Hrsg.: A. von Bogdandy, R. Wolfrum Bde. 27–59 erschienen im Carl Heymanns Verlag KG Köln, Berlin (Bestellung an: Max-Planck-Institut für Völkerrecht, ImHeidelberg, Neuenheimer Feld 535, 69120 Heidelberg); ab Band 60 im Springer-Verlag Berlin, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona 208 Michael Rötting: Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union. 2009. XIV, 317 Seiten. Geb. E 79,95 207 Björn Ahl: Die Anwendung völkerrechtlicher Verträge in China. 2009. XIX, 419 Seiten. Geb. E 289,95 206 Mahulena Hofmann: Von der Transformation zur Kooperationsoffenheit? 2009. XIX, 585 Seiten. Geb. E 299,95 205 Rüdiger Wolfrum, Ulrike Deutsch (eds.): The European Court of Human Rights Overwhelmed by Applications: Problems and Possible Solutions. 200 9. VIII, 128 Seiten. Geb. E 59, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 204 Niels Petersen: Demokratie als teleologisches Prinzip. 2 0 09. XXVII, 280 Seiten. Geb . E 79, 95 203 Christiane Kamardi: Die Ausformung einer Prozessordnung sui generis durch das ICTY unter Berücksichtigung des Fair-Trial-Prinzips. 2009. XVI, 424 Seiten. Geb. E 89, 95 202 Leonie F. Guder : The Administration of Debt Relief by the International Financial Institutions. 2009. XVIII, 355 Seiten. Geb. E 84, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 201 Silja Vöneky, Cornelia Hagedorn, Miriam Clados, Jelena von Achenbach: Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht. 2009. VIII, 351 Seiten. Geb. E 84,95 200 Anja Katarina Weilert : Grundlagen und Grenzen des Folterverbotes in verschiedenen Rechtskreisen. 2009. XXX, 474 Seiten. Geb. E 94,95 199 Suzette V. Suarez: The Outer Limits of the Continental Shelf. 2008. XVIII, 276 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 198 Felix Hanschmann: Der Begriff der Homogenität in der Verfassungslehre und Europarechtswissenschaft. 2008. XIII, 370 Seiten. Geb. E 84,95 197 Angela Paul: Kritische Analyse und Reformvorschlag zu Art. II Genozidkonvention. 2008. XVI, 379 Seiten. Geb. E 84,95 196 Hans Fabian Kiderlen: Von Triest nach Osttimor. 2008. XXVI, 526 Seiten. Geb. E 94,95 195 Heiko Sauer: Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen. 2008. XXXVIII, 605 Seiten. Geb. E 99,95 194 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Legitimacy in International Law. 2008. VI, 420 Seiten. Geb. E 84,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 193 Doris König, Peter-Tobias Stoll, Volker Röben, Nele Matz-Lück (eds.): International Law Today: New Challenges and the Need for Reform? 2008. VIII, 260 Seiten. Geb. E 69,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 192 Ingo Niemann: Geistiges Eigentum in konkurrierenden völkerrechtlichen Vertragsordnungen. 2008. XXV, 463 Seiten. Geb. E 94,95 191 Nicola Wenzel: Das Spannungsverhältnis zwischen Gruppenschutz und Individualschutz im Völkerrecht. 2008. XXXI, 646 Seiten. Geb. E 99,95 190 Winfried Brugger, Michael Karayanni (eds.): Religion in the Public Sphere: A Comparative Analysis of German, Israeli, American and International Law. 2007. XVI, 467 Seiten. Geb. E 89,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 189 Eyal Benvenisti, Chaim Gans, Sari Hanafi (eds.): Israel and the Palestinian Refugees. 2007. VIII, 502 Seiten. Geb. E 94,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 188 Eibe Riedel, Rüdiger Wolfrum (eds.): Recent Trends in German and European Constitutional Law. 2006. VII, 289 Seiten. Geb. E 74,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 187 Marcel Kau: United States Supreme Court und Bundesverfassungsgericht. 2007. XXV, 538 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt.
186 Philipp Dann, Michal Rynkowski (eds.): The Unity of the European Constitution. 2006. IX, 394 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 185 Pál Sonnevend: Eigentumsschutz und Sozialversicherung. 2008. XVIII, 278 Seiten. Geb. E 74,95 184 Jürgen Bast: Grundbegriffe der Handlungsformen der EU. 2006. XXI, 485 Seiten. Geb. E 94,95 183 Uwe Säuberlich: Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht. 2005. XV, 314 Seiten. Geb. E 74,95 182 Florian von Alemann: Die Handlungsform der interinstitutionellen Vereinbarung. 2006. XVI, 518 Seiten. Geb. E 94,95 181 Susanne Förster: Internationale Haftungsregeln für schädliche Folgewirkungen gentechnisch veränderter Organismen. 2007. XXXVI, 421 Seiten. Geb. E 84,95 180 Jeanine Bucherer: Die Vereinbarkeit von Militärgerichten mit dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 8 Abs. 1 AMRK und Art. 14 Abs. 1 des UN Paktes über bürgerliche und politische Rechte. 2005. XVIII, 307 Seiten. Geb. E 74,95 179 Annette Simon: UN-Schutzzonen – Ein Schutzinstrument für verfolgte Personen? 2005. XXI, 322 Seiten. Geb. E 74,95 178 Petra Minnerop: Paria-Staaten im Völkerrecht? 2004. XXIII, 579 Seiten. Geb. E 99,95 177 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Developments of International Law in Treaty Making. 2005. VIII, 632 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 176 Christiane Höhn: Zwischen Menschenrechten und Konfliktprävention. Der Minderheitenschutz im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). 2005. XX, 418 Seiten. Geb. E 84,95 175 Nele Matz: Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge. Völkervertragsrechtliche und institutionelle Ansätze. 2005. XXIV, 423 Seiten. Geb. E 84,95 174 Jochen Abr. Frowein: Völkerrecht – Menschenrechte – Verfassungsfragen Deutschlands und Europas. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Matthias Hartwig, Georg Nolte, Stefan Oeter, Christian Walter. 2004. VIII, 732 Seiten. Geb. E 119,95 173 Oliver Dörr (Hrsg.): Ein Rechtslehrer in Berlin. Symposium für Albrecht Randelzhofer. 2004. VII, 117 Seiten. Geb. E 54,95 172 Lars-Jörgen Geburtig: Konkurrentenrechtsschutz aus Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EGV. Am Beispiel von Steuervergünstigungen. 2004. XVII, 412 Seiten (4 Seiten English Summary). Geb. E 84,95 171 Markus Böckenförde: Grüne Gentechnik und Welthandel. Das Biosafety-Protokoll und seine Auswirkungen auf das Regime der WTO. 2004. XXIX, 620 Seiten. Geb. E 99,95 170 Anja v. Hahn: Traditionelles Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften zwischen geistigen Eigentumsrechten und der public domain. 2004. XXV, 415 Seiten. Geb. 84,95 169 Christian Walter, Silja Vöneky, Volker Röben, Frank Schorkopf (eds.): Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty? 2004. XI, 1484 Seiten. Geb. E 169,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 168 Kathrin Osteneck: Die Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen durch die Europäische Gemeinschaft. 2004. XXXIX, 579 Seiten. Geb. E 99,95 167 Stephan Sina: Der völkerrechtliche Status des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens nach den Osloer Verträgen. 2004. XXI, 410 Seiten. Geb. E 84,95 166 Philipp Dann: Parlamente im Exekutivföderalismus. 2004. XXIII, 474 Seiten. Geb. E 89,95 165 Rüdiger Wolfrum (Hrsg.): Gleichheit und Nichtdiskriminierung im nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz. 2003. VIII, 299 Seiten. Geb. E 74,95 164 Rüdiger Wolfrum, Nele Matz: Conflicts in International Environmental Law. 2003. XI, 213 Seiten. Geb. E 64,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 163 Adam Bodnar, Michal Kowalski, Karen Raible, Frank Schorkopf (eds.): The Emerging Constitutional Law of the European Union. 2003. IX, 595 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 162 Jochen Abr. Frowein, Klaus Scharioth, Ingo Winkelmann, Rüdiger Wolfrum (Hrsg.): Verhandeln für den Frieden/Negotiating for Peace. Liber Amicorum Tono Eitel. 2003. XIII, 866 Seiten. Geb. E 129,95