Als das Raumschiff aus den unendlichen Tiefen des Weltalls auf dem dritten Planeten der Sonne landete, stand das Leben ...
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Als das Raumschiff aus den unendlichen Tiefen des Weltalls auf dem dritten Planeten der Sonne landete, stand das Leben am Anfang seiner Entwicklung. Jahrtausende würden vergehen, bevor der letzte Überlebende des fremden Schiffes Kontakt mit intelligenten Lebewesen aufnehmen könnte. In einer Umlaufbahn um den Planeten schlief Ardath dem Zeitpunkt entgegen, an dem seine Suchgeräte die Strahlen eines genialen Menschen melden würden ... DAS GOLDENE RAUMSCHIFF von Henry Kuttner Gallegher hatte sich Vorschuß geben lassen, mehrere tausend Credits für drei Erfindungen, die man bei ihm in Auftrag gegeben hatte. Als die Wirkung des Alkohols nachließ, unter dessen Einfluß sein Genie erst leistungsfähig wird, konnte er sich an nichts mehr erinnern, schon gar nicht an die Funktion der grotesken Maschinerie, die er im Alkoholrausch gebastelt hatte ... GALLEGHER PLUS von Lewis Padgett
In der Reihe der Ullstein Bücher: SCIENCE-FICTION-STORIES Band 1 bis Band 49 SCIENCE-FICTION-STORIES 50 (Ullstein Buch 3153) Erzählungen von Larry Niven, James Tiptree jr., Frederik Pohl SCIENCE-FICTION-STORIES 51 (Ullstein Buch 3159) Erzählungen von Robert Sheckley, Burt Filer, Poul Anderson, Robert Silverberg, Brian W. Aldiss, Damon Knight, Samuel R. Delany, E. G. Von Wald SCIENCE-FICTION-STORIES 52 (Ullstein Buch 3166) Erzählungen von Colin Kapp. R. A. Lafferty, Sidney van Scyoc, Laurence Yep, Ryu Mitsuse SCIENCE-FICTION-STORIES 53 (Ullstein Buch 3178) Vier Erzählungen von Eric Frank Russell SCIENCE-FICTION-STORIES 54 (Ullstein Buch 3187) Erzählungen von Brian W. Aldiss, Fred Saberhagen, Katherine McLean, Terry Carr, H. H. Hollis SCIENCE-FICTION-STORIES 55 (Ullstein Buch 3195) Erzählungen von Tom Purdon, Ben Bova und Myron R. Lewis, Christopher Anvil. William F. Temple. Edward Jesby, C. C. McApp, Josef Nesvadba, John Brunner, Robert Lory SCIENCE-FICTION-STORIES 56 (Ullstein Buch 3202) 3 Erzählungen von Lewis Padgett
Ullstein Buch Nr. 3212 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Aus dem Amerikanischen von Brigitte Kraus und Klaus Fecher Umschlagillustration: ACE/Roehling Alle Rechte vorbehalten Übersetzung © 1976 by Verlag Ullstein GmbH Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1976 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3-548-03212-5
Science-FictionStories 57 von Henry Kuttner und Lewis Padgett
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
INHALT Das goldene Raumschiff Henry Kuttner ....................................................
6
Gallegher Plus Lewis Padgett ..................................................... 121
Henry Kuttner DAS GOLDENE RAUMSCHIFF 1 Ardath öffnete die Augen und versuchte krampfhaft, sich den hämmernden Schmerz in seinem Schädel zu erklären. Über ihm hing ein verbogener Träger aus gelbem Metall, dahinter lag die Innenwand des Raumschiffes. Was war geschehen? Es schien erst eine Sekunde her zu sein, daß das Schiff vom Durcheinander sich überstürzender Befehle, aufgeregt hin und her rennender Gestalten und dem Kreischen der Luft beim Sturz des Schiffes erfüllt gewesen war. Dann kam der Schock der Landung – tiefe Schwärze. Und nun? Mühsam richtete Ardath seinen schmalen Körper auf. Ihn umgab Tod und Zerstörung. Die Körper derer, die den furchtbaren Aufprall nicht überlebt hatten, waren schlaff in sich zusammengesunken. Aber als er sah, daß einer sich bewegte und leise aufstöhnte, reagierte Ardath. Theron! Theron, der Befehlshaber – Ranghöchster und Weisester – lebte noch. Er war nicht allein auf dieser unbekannten Welt. Schnell beugte er sich über den schwach atmenden Mann. Therons graues, bartloses Gesicht war schmerzverzerrt. Der Blick seiner blaßblauen Augen heftete sich auf Ardath. »Ardath ...« flüsterte er.
Ein Beben lief durch das Schiff und erstarb. »Lebt noch jemand?« fragte Theron unter Aufbietung aller Kräfte. »Ich weiß es nicht!« »Schau nach!« Ardath durchsuchte das riesige Schiff. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung spiegelten sich auf seinem Gesicht, als er zurückkam. »Wir beide sind die einzigen Überlebenden, Theron.« Der Befehlshaber nagte an seiner Unterlippe. »Und mit mir ist es auch bald vorbei.« Er lächelte, als Ardath heftig protestierte. »Glaube mir, Ardath! Ich fühle es, und du weißt nicht, wie alt ich schon bin. Öffne eine Sichtluke und laß mich sehen wo wir uns befinden!« »Auf dem dritten Planeten dieses Systems«, sagte Ardath. Er drückte auf einen Knopf, und die Blende glitt von der Sichtluke zurück. Zuerst konnten sie nichts erkennen, aber dann gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht des Morgens. Das Raumschiff war an einer öden Küste gestrandet. Ein feiner Nieselregen fiel. »Teste die Atmosphäre!« befahl Theron. Die spektroskopische Analyse, die sie schon im äußeren Raum gemacht hatten und derzufolge die Luft verträglich war, bestätigte sich. Auf Therons Verlangen öffnete Ardath eine Luke. Eine merkwürdige schwefelhaltige Luft strömte herein, die die beiden Männer zu heftigem Husten reizte. »Trag mich hinaus!« Als der junge Mann zögerte,
sah Theron ihn fest an. »Ich werde bald sterben«, sagte er. »Aber zuvor will – muß ich wissen, daß ich mein Ziel erreicht habe.« Schweigend hob Ardath den schmächtigen Körper hoch, watete ein paar Schritte durch das warme Wasser und legte ihn behutsam auf den Sand. Die Sonne, noch halb verborgen hinter einer Wolkenbank, ging langsam auf. Ein grauer Himmel und ein graues Meer, ein verlassener Strand war alles, was sich ihren Augen bot. Unter ihren Füßen bebte die Erde von unterirdischer Vulkantätigkeit. Nirgends eine Spur von Vegetation. War es eine Insel oder ein Kontinent, auf dem sie standen? Das Land stieg übergangslos aus dem Wasser zu felsigen Klippen empor. Theron seufzte. »Du bist im Raum geboren, Ardath. Du kannst dir nicht vorstellen daß nur ein Planet eine wirkliche Heimat sein kann. Aber ich fürchte ...« Seine Stimme sank zu einem gequälten Flüstern herab. »Bevor ich sterbe, muß ich dir noch etwas sagen. Hör gut zu, Ardath! Du hast niemals Kyria, deinen Heimatplaneten, gekannt. Er ist Lichtjahre von dieser Welt entfernt. Das heißt, er war es. Vor Jahrhunderten entdeckten wir, daß Kyria zum Untergang verurteilt war. Ein Komet kam so nahe heran, daß er schließlich mit uns zusammenstoßen und unsere Zivilisation zerstören mußte. Kyria war eine wunderschöne Welt.« »Ich weiß. Ich habe die Filme gesehen.« »Du hast die großen Städte gesehen und die grünen Wälder und Felder ...« Ein heftiger Hustenanfall schüttelte den sterbenden Befehlshaber. Hastig fuhr er fort: »Wir sind geflohen. Eine auserwählte Gruppe
baute dieses Raumschiff und verließ Kyria, um eine neue Heimat zu suchen. Aber von den Hunderten von Planeten, die wir fanden, eignete sich keiner für menschliche Besiedlung. Dieser dritte Planet der gelben Sonne ist unsere letzte Hoffnung. Unser Treibstoffvorrat ist fast erschöpft. Ardath, es ist unsere Pflicht, die Kultur von Kyria vor dem Verlöschen zu bewahren.« »Aber das hier ist eine tote Welt«, warf der junge Mann ein. »Es ist eine junge Welt«, berichtigte ihn Theron. Er hielt inne und streckte die Hand aus. Ardath starrte auf die Brandung, die in müden, schmutzigtrüben Wellen heranrollte. Dann wich das Wasser zurück und entblößte die Felsen. Und da auf einem abschüssigen Felsstück lag etwas, das ihn zustimmend nicken ließ. Es war ein kleiner, formloser Schleimklumpen, der ohne Zweifel von Leben erfüllt war. Die nächste Welle nahm den schimmernden Protoplasmaklumpen wieder mit. Theron lächelte triumphierend. »Leben! Hier gibt es eine Sonne hinter den Wolken, eine Sonne die lebenspendende Energie aussendet, kosmische Strahlen, die Strahlen der Evolution. Unermeßliche Zeiträume werden vergehen, bevor hier menschliches Leben entsteht; aber entstehen wird es. Unsere sorgfältigen Studien der Entwicklungsgeschichte anderer Planeten befähigt uns, den Gang der Evolution vorauszusagen. Aus den Einzellern werden sich im Wasser lebende Vertebraten entwickeln, aus ihnen Amphibien und Reptilien. Flugechsen und Dinosaurier werden von Warmblütern verdrängt; der
Affenmensch wird schließlich den Planeten an wirkliche Menschen abtreten müssen!« »Aber das wird Jahrmillionen dauern!« »Du mußt hierbleiben!« erklärte ihm Theron. »Du mußt warten und wenn es eine Million Jahre ist. Bringe das Schiff in den Raum jenseits der Atmosphäre! Schwenke in eine reguläre Umlaufbahn ein und umkreise den Planeten wie ein zweiter Satellit! Stelle die Instrumentierung so ein, daß du im Laufe der Zeit aufwachst und den evolutionären Fortschritt dieses Planeten beobachten kannst! Ich gebe zu, daß du lange wirst warten müssen. Aber am Ende wirst du Menschen vorfinden.« »Menschen wie wir?« Theron schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein. Super-Mentalität ist das Ergebnis strenger Eugenik. Gelegentlich wird ein Genie geboren, aber das kommt nur vereinzelt vor. Auf Kyria haben wir eine genaue Auswahl betrieben. Immer wieder haben wir die Intelligenzelite untereinander verheiratet, bis schließlich die Nachkommen dieser Auslese den Planeten bevölkerten. Dasselbe Selektionsverfahren wirst du auf diesem Planeten anwenden.« »Aber wie ...« »Durchsuche die Zeitalter! Gönne dir keine Ruhe, bis du eine dieser Intelligenzgrößen gefunden hast! Du wirst sie leicht erkennen. Schon als Kinder sondern sie sich von ihrer Umwelt ab und verfolgen ihre einsamen Ziele. Sie sind die Genies, die für die größten Erfindungen und Bewegungen ihrer Zeit verantwortlich sind. Nimm diesen Mann – oder vielleicht auch Frau – und suche weiter, bis du einen andersgeschlechtlichen Gefährten für sie oder ihn aufgetrieben
hast! Du selbst, Ardath, könntest dich niemals mit einer Frau dieser Welt verbinden. Da du von einem anderen System abstammst, wäre es eine biologische Unmöglichkeit. Die Verbindung bliebe steril. Deine Pflicht besteht darin, eine Auslese von Genies zu treffen und eine Elite zu schaffen, die den Kyriern ähnlich ist. In gewisser Weise wirst du der Urvater einer neuen Rasse.« Theron ließ seinen Kopf auf die Brust sinken. »Der große Erbauer möge dich geleiten, Ardath«, sagte er weich. Der Kopf sank noch ein Stück tiefer, und Theron war tot. Die grauen Wellen murmelten ein monotones Requiem. Ardath blickte auf das erschöpfte, zerquälte Gesicht, das sich im Tode entspannt hatte. Er war mutterseelenallein unendlich weit entfernt von jedem menschlichen Wesen! Aber die trostlose Verlassenheit, die in ihm aufsteigen wollte, wurde von einem neuen Gefühl abgelöst, dem Gefühl, kein Heimatloser im All mehr zu sein.
2 Am 7. August 1924 versetzte ein acht Jahre alter Junge das Publikum eines Vorstadttheaters in Panik. Er hieß Stephen Court und war der Sohn eines sehr mittelmäßig begabten Schauspielerehepaares, der »Verrückten Courts«, wie sie sich nannten. Ihre Vorstellung bestand aus kabarettistischen Liedern mit Tanzeinlagen. Stephen reiste mit seinen Eltern von Ort zu Ort, wo sie für einen Abend auf zweit- und
drittklassigen Bühnen gastierten. 1924 konnte das Schmierentheater sich noch neben dem Kino behaupten. Der Jazz begann gerade seinen Siegeszug. Stephen war schon als Kind von so auffallender Intelligenz, daß die Eltern ihn bald als Wunderkind in ihr Programm aufnahmen. Er trug eine Robe und einen Doktorhut und wurde am Schluß der Darbietung präsentiert. »Meine Damen und Herren, haben Sie die Güte, ihn jedes x-beliebige historische Datum zu fragen! Der Herr in der dritten Reihe! Was wünschen Sie zu wissen?« Und Stephen antwortete. Wann entdeckte Kolumbus Amerika? Wann wurde die Magna Charta unterzeichnet? Wann fand die Schlacht von Hastings statt? Das Geburtsjahr Lafayettes? »Mathematische Fragen? Bitte ...« Stephen irrte sich nie. Der Wert von Pi? Er wußte ihn. Formeln und Gleichungen kamen wie aus der Pistole geschossen. Im Rampenlicht stand er auf der Bühne, unbewegten Gesichts, ein schmächtiger, dunkelhaariger kleiner Bursche mit durchdringenden braunen Augen und beantwortete gleichmütig alle Fragen. Jedes Buch, das ihm zwischen die Finger kam, verschlang er heißhungrig. Er war verschlossen und zeigte nicht das geringste Liebesbedürfnis, wie seine Mutter von Zeit zu Zeit bekümmert feststellte. Dann, in dieser Augustnacht, sollte etwas geschehen, was sein Leben veränderte. Die Vorstellung war fast vorbei. Begeistert applaudierten die Zuschauer. Die Courts standen, sich verbeugend neben dem Jungen. Stephen starrte reglos in das dämmrige Theater.
»Verbeug dich!« zischte sein Vater. Der Junge gab keine Antwort. Er rührte sich einfach nicht. Eine merkwürdige Intensität lag über der unbeweglichen Gestalt und auf dem starren Gesicht. Nur die Augen brannten in verhaltenem Feuer. Im Theater breitete sich unterdrücktes Gemurmel aus, das sich schnell zu allgemeiner Unruhe steigerte und sich in einem lauten Schrei entlud. »Feuer!« Court sah weder Rauch noch Flammen, aber er machte ein Zeichen zur Kapelle, die mit einem flotten Tusch einsetzte. Der Aufbruch war nicht mehr aufzuhalten. In panischer Angst drängten sich die Leute zum Ausgang. Frauen kreischten hysterisch. In zehn Minuten war das Theater leer. Ein Wunder, daß niemand in dem Gewühl verletzt worden war. In der Garderobe blickte Court seinen Sohn verwundert an, als er sich abschminkte. »Was war denn heute abend mit dir?« fragte er. »Nichts«, antwortete Stephen abwesend. »Kommt mir komisch vor, die Sache! Keine Spur von Feuer!« Stephen saß auf einem Stuhl und baumelte mit den Beinen. »Der Hypnotiseur, mit dem wir letzte Woche aufgetreten sind ...« »Ja, und?« »Ich beobachtete ihn, als er einen Mann aus dem Publikum hypnotisierte. Das ist alles. Und heute abend habe ich dasselbe versucht.« Court lachte, aber das Lachen klang nicht ganz echt. Er hatte das unbehagliche Gefühl, daß dieser
Junge, der da vor ihm saß, nicht sein Sohn war. Er hatte ein Kindergesicht, aber nicht die Augen eines Kindes. Sie blickten ihn kalt und wachsam an. »Du spinnst«, sagte er. »Vielleicht, aber deswegen stimmt es trotzdem. Die Bedingungen waren günstig. Die gesamte Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf mich. Und ich möchte in die Schule«, wechselte er plötzlich das Thema. »Schickst du mich in die Schule?« »Das können wir uns aus beruflichen Gründen nicht leisten. Außerdem bist du eine Attraktion. Später ...« Stephen ließ sich auf keinen Wortwechsel ein. Er stand auf und ging zur Garderobe seiner Mutter, betrat sie aber nicht, sondern rannte die Hintertreppe hinunter auf die Straße. Er hatte beschlossen, wegzulaufen. Stephen wußte sehr gut, daß er weit über dem Durchschnitt begabt war. Aber er war untrainiert, sein Geist hungerte nach Wissen und Lernstoff, nach einer Ausbildung, die ihm seine Eltern nie zuteil werden lassen konnten. Es machte ihm nichts aus, seine Eltern zu verlassen. Er fühlte weder Kummer noch Bedauern. Sein kühler Intellekt zusammen mit der allen Kindern eigenen natürlichen Grausamkeit ließ ihn den nötigen Schritt tun. Aber er brauchte Geld, und seine Jugend stand ihm da im Weg. Niemand würde ein Kind anstellen, höchstens als Zeitungsjungen; noch dazu galt es, seine Eltern zu überlisten, die sicherlich nach ihrem Sohn suchen lassen würden. Komischerweise war nichts Rührendes an Stephen, wie er entschlossen die verlassene, dunkle Straße entlangstapfte. Seine eiserne Zielstrebigkeit und sein
harter Wille gaben ihm eine Würde, die nicht zu der schmalen Kindergestalt passen wollte. Er marschierte zum Bahnhof. Er wuchs zu einem gutaussehenden jungen Mann heran, und durch geschickt lancierte Erfindungen war es ihm schon gelungen, ein beträchtliches Vermögen zu erwerben. Aber er war noch immer so gefühlsarm wie in seiner Kindheit. Durch Detektive ließ er den Aufenthaltsort seiner Eltern suchen und setzte ihnen anonym eine ansehnliche jährliche Summe aus. Sehen wollte er sie nicht. Was war das Ziel dieser Jahre verbissenen Studiums? Er wußte es selbst nicht. Erweiterung seines Wissens, Experimentieren, neue Erkenntnisse waren für ihn ein Bedürfnis wie für andere Menschen Hunger und Durst. In nichts anderem konnte er Befriedigung und Bestätigung finden. Ihn beseelte die Ruhelosigkeit des großen Erfinders und Genies. Aber sein Hunger machte ihn auch blind. Er war ein mehr als außerordentlicher Mann – und unmenschlich. Um das Jahr 1941 herum war er der bedeutendste Wissenschaftler der Welt.
3 Bevor der Mensch die Götter erschuf, war Ardath. Er schlief in seinem Raumschiff, während ein Zeitalter ins nächste versank ... Manchmal erwachte er und hielt vergeblich nach intelligentem Leben Ausschau. Die Straße der Evolution war lang und blutig.
Endlos dehnte sich die Weite der Ozeane. Ungeheuer suhlten sich in den Sümpfen. Schuppige Riesenechsen stampften über Land. Brontosaurier und Pterodaktylen wurden geboren und starben. Es gab auch Säugetiere – Urpaarzeher und ein winziges Beuteltier, in dem die Flamme der Intelligenz glomm. Aber noch regierten die Riesenreptile. Die Säugetiere konnten sich in dieser überdimensionalen Welt nicht halten. Wuchernder tropischer Urwald erstreckte sich bis zu den Polen. Dann kam die Eiszeit. Hatte Ardath den Ablauf beeinflußt? Nicht unmöglich! Sein Wissen war nicht irdisch und seine Fähigkeit unvorstellbar. Die Gletscher schmolzen und bliesen ihren eisigen Atem über die heißen Sumpfwälder und die gigantischen Reptilien. Die Hegira floh nach Süden. Die Schicksalsstunde hatte für die idiotischen Kolosse, die zu lange die Szene beherrschten, geschlagen. Aber die Säugetiere überlebten. Sie suchten in der äquatorialen Zone Zuflucht, hungerten und fristeten mühsam ihr Leben. Während Ardath schlief, entwickelten sie sich. Als Ardath wieder die Augen aufschlug, fand er haarige wilde Tiermenschen. Sie lebten in Horden, regiert von denen, die sich als die Stärksten erwiesen hatten. Eng drückten sie sich in ihren Höhlen zusammen, da draußen immer noch der kalte Gletscherwind wehte. Ardath stieß auf einen, der weiser als die anderen war, und lehrte ihn den Gebrauch des Feuers. Ein kümmerliches Feuer begann vor den Höhleneingängen zu brennen. Mit Grunzen und Zeichensprache
verbreitete sich die Geschichte. Äonen später würde der Mensch von Prometheus erzählen, der das Feuer von den Göttern gestohlen hatte. Es gibt unzählige Mythen und Sagen von Irdischen, die Bekanntschaft mit den Göttern gemacht haben. Mit fremder Macht begabt, kehrten diese Götterfreunde zurück. Speer und Bogen, das Schmelzen von Erz, Säen und Ernten des Getreides ... Wie viele Erfindungen gingen auf Ardath zurück? Ardath hatte sich zu einem längeren Schlaf als sonst niedergelegt, aus dem er diesmal erwachte. Die Stadt war dunkel. Wie ein kauerndes Tier lag sie am Ufer ein Konglomerat aus rohem Gestein. Ardaths Schiff schwebte unsichtbar in der Dunkelheit. In seinem Labor bediente er einen Apparat, der die Frequenz des menschlichen Gehirns feststellte. Der Denkvorgang machte elektrische Energie frei, und Ardaths Maschine registrierte die Energiestärke. Vorsichtig sandte er eine Sonde in die Stadt. Auf einer Skala schnellte eine Nadel empor, blieb stehen, sank und ging wieder in die Höhe. Die Erde beherbergte jetzt intelligente Wesen, aber ihr Intelligenzvolumen lag weit unter seinen Ansprüchen. Plötzlich zuckte die Nadel. Ardath schaltete den Fernsehschirm ein. Er benutzte den Strahl als Träger und konzentrierte ihn auf eine Szene, die sofort in die Bildfläche sprang. Auf einem schwarzen Steinthron saß eine große, majestätische Frau. Sie war ungefähr vierzig Jahre alt, hatte unerschrockene, scharfe Züge und trug derbe Lederkleidung. Rechts und links war sie von einer Leibwache flankiert, starken, entschlossenen, mit Speeren bewaffneten Männern.
Vor dem Thron stand ein Mann, und es war dieser Mann, der Ardath interessierte. Er hatte den fähigsten Menschen dieser primitiven, uranfänglichen Welt vor sich. Er war in Ketten. Riesig, massiv, mit haarbedeckter Bronzehaut. Sein haßerfülltes Gesicht erinnerte an ein gefangenes Tier. Bernsteinfarbene Katzenaugen funkelten unter den zusammengewachsenen Brauen. Der Mund wirkte wie eine Schnauze. Und doch steckte eine erstaunliche Intelligenz in diesem Wilden. Sein barbarisches Äußeres verriet nur nichts von der Gerissenheit und Umsicht, mit denen er seine Ziele rücksichtslos verfolgte. Auch die Königin überragte ihre Zeitgenossen an Intelligenz und Weitblick. Ardath blickte auf den Schirm, und seine Augen weiteten sich. Ein neuer Faktor spielte in das Geschehen. Hastig wandte er sich einer komplizierten Maschine zu ... Thordred, der Rebell, sah der Frau, die seine Pläne durchkreuzt hatte, zornig ins Gesicht. Kalt begegnete Zana seinem Blick. »Nun«, fragte sie. »Hast du mir etwas zu sagen?« »Nichts«, grollte Thordred. »Ich habe kein Glück gehabt. Das ist alles.« »Ja, du hast verloren. Und du weißt, welches Schicksal einen Verlierer erwartet. Von meinem Thron wolltest du mich vertreiben, und statt dessen stehst du gefesselt vor mir. Du bist gescheitert, und deshalb mußt du sterben!« Thordred grinste sie unverschämt an. »Und eine Frau wird weiterhin über unser Land
herrschen. Nie zuvor haben wir diese Schande erdulden müssen. Schmach und Schande bedeutet es für unser Land. Immer wurden wir von Männern regiert – von Kriegern.« »Nennst du mich einen Feigling?« fauchte Zana. »Bei den Göttern, du bist kühn, Thordred. Wohl weißt du, daß ich keine Schlacht gescheut habe und daß mein Schwert schnell und sicher trifft. Ich bin so stark wie ein Mann und klüger als du.« »Trotzdem bleibst du eine Frau. Töte mich, wenn du willst, aber dein Geschlecht kannst du nicht verleugnen.« »Und ob ich dich töten werde«, knirschte Zana. »So langsam werde ich dich zu Tode quälen, daß du um ein barmherzigeres Ende winselst. Den Geiern auf dem Berg der Götter werfe ich deinen Kadaver zum Fraß vor.« Thordred brach unvermittelt in dröhnendes Gelächter aus. »Spar dir die Worte, Weib! Ganz Frauenart, mit leeren Worten zu drohen. Eines Mannes Rache ist ein Speer, schnell und unerwartet. Ich ...« Er brach ab, und ein gefährliches Glitzern trat in seine gelben Raubtieraugen. Seine Schultern strafften sich. Vor den Toren des Thronsaals wurde wildes Getöse laut die Türen gaben nach und ein johlender Mob ergoß sich in den Saal. »Thordred«, brüllten sie. »Ho, Thordred!« Mit einem Fluch sprang Zana auf, entriß der Wache einen Speer und schleuderte ihn auf den Gefangenen. Aber Thordred wich ihm lachend aus. Er setzte seinen Fuß auf die Fesseln, die seine Handgelenke umspannten. Wulstig traten seine Halsadern hervor, sein
Körper krümmte sich unter ungeheurer Anstrengung, ein Ruck – und Thordred war frei. »Erschlagt ihn, erschlagt ihn!« schrie die Königin. »Laßt ihn nicht entkommen!« Der Mob wälzte sich zur Tür hinaus, verfolgt von der Wache und nachströmenden Kriegern, Zana an der Spitze. Auf dem offenen Platz, in der Mitte der Stadt, kam der Strom zum Stillstand. Von Thordred geführt, stellten sich die Volksmassen zum Kampf. Zanas Soldaten hatten sich formiert und rückten vorwärts. »Wache vor!« schrie Zana. »Schont niemanden!« Mit einem Speerregen wurde das Gefecht eröffnet. »Aufstand, Aufstand, Bürgerkrieg«, heulte es durch die Straßen. Thordred ließ den Speer in seiner Hand sinken und hob den Kopf. Sein Mund öffnete sich. Zum erstenmal in seinem Leben hatte Thordred Angst. Gelähmt vor Entsetzen starrte alles zum Himmel. »Dämonen!« kreischte jemand. »Dämonen!« Furchterregende Gestalten zeichneten sich gegen den Abendhimmel ab. Ihre Köpfe ragten über die Stadtmauer. Zottig, bucklig, mit vor Gier verzerrten Gesichtern näherten sie sich unaufhaltsam der Stadt. Niemand bemerkte, daß ihr Anmarsch nicht das geringste Geräusch verursachte. Panik ergriff die Massen. Auf beiden Seiten ließ man die Waffen fallen und floh. Eine große, glänzende Kugel wurde sichtbar. Sie verharrte über dem Platz, zwei Lichtstrahlen schossen herab, trafen Thordred und Zana. Völlig erstarrt wurden sie von den Strahlen ergriffen, in die Luft ge-
hoben. Sie schienen in der Kugel zu verschwinden. Überraschenderweise wurden auch die Ungeheuer vom Himmel verschluckt. Ardath setzte einen kleinen Metallkasten neben die bewußtlosen Gestalten von Zana und Thordred. Er hatte ein neues Experiment vor, eines, das er noch nie ausprobiert hatte. Er verstand weder die Sprache dieser Erdlinge, noch konnten sie die seine sprechen. Aber Wissen konnte von einem Gehirn auf das andere übertragen werden. Der Denkvorgang war eine Form von Energie und diese Energie konnte weitergeleitet werden ... Zuerst der Mann! Er nahm ein Metallband aus dem Kasten und legte es um Thordreds Kopf. Ein ähnliches Band befestigte er an seinem eigenen. Er drückte einen Knopf und fühlte ein kribbelndes, fast schmerzhaftes Ziehen, das sich dann wie ein Ring um seinen Kopf schloß. Dann entfernte er die Metallbänder und wartete geduldig. Gelang das Experiment? Seine Lippen formten fremdartige Silben. Er beherrschte Thordreds Sprache, aber war das unentwickelte Gehirn des Barbaren ähnlich aufnahmefähig? Thordred stöhnte und machte die Augen auf. »Du bist weder verletzt«, sagte Ardath in der kehligen, primitiven Sprache Thordreds, »noch will dir jemand etwas Böses.« Der Erdling machte ein paar unsichere Schritte auf Ardath zu, taumelte und fiel mit einem lauten Krachen auf den Gedankenübertragungsapparat. Das Werk von Wochen war zerstört, aber der Apparat konnte repariert werden. Die Hauptsache war, daß das Experiment geglückt war.
Thordred bewegte sich und rollte auf die andere Seite. Verwirrt heftete er den Blick auf Ardath, als er in der weichen, melodischen Sprechweise der Kyrier fragte: »Wer bist du, ein Gott oder ein Dämon?« Ein befriedigtes Lächeln huschte über Ardaths Gesicht. Nun mußte er dem Erdling die Zusammenhänge erklären und ihm die Furcht nehmen. Eines konnte Ardath allerdings nicht ahnen. Nämlich, daß der Apparat zu gut funktioniert hatte. Er hatte nicht nur die kyrische Sprache auf Thordreds Gehirn übertragen, sondern ihm sein gesamtes Wissen vermittelt. In augenblicklicher Erfassung der Situation hatte der Barbar den Übertragungsapparat absichtlich zerstört. Zana sollte an diesem Wissen nicht teilhaben. Sie mußte ausgeschaltet werden. Bewußt gab er seinem Gesicht einen Ausdruck unverständigen Staunens. Er durfte nicht aus seiner Rolle fallen. Nie durfte Ardath erfahren, daß er seine Geheimnisse teilte. Während er sich den Anschein gab, den Erklärungen Ardaths aufmerksam zu folgen – er wußte ja bereits alles –, schmiedete er Pläne. Zana mußte natürlich beseitigt werden. Was den jahrhundertelangen Schlaf anging – nun, die Aussicht war nicht erfreulich. Ardath mußte er auch umbringen, so daß er mit überlegenem Wissen auf die Erde zurückkehren konnte. »Die Giganten, die du am Himmel gesehen hast, waren nicht wirklich. Es waren dreidimensionale Projektionen, von meinem Apparat vergrößert ...«
Aber die primitiven Stadtbewohner hatten sie gesehen und vergaßen sie nicht. Die Panik legte sich, und zurück blieben Furcht und Aberglaube, die die Priesterschaft weidlich ausnutzte. Die Zeit verstrich, und weder Zana noch Thordred kehrten zurück. Neue Herrscher besetzten den schwarzen Thron. Auf dem Berg der Götter fronten die Männer unter der Knute der Priester. Monströse Steinbilder wuchsen in den Himmel. Ihre schrecklichen Fratzen ähnelten denen, die eines Abends über der Stadt erschienen waren. »Sie könnten wiederkommen«, warnten die Priester. »Baut die Götterstatuen höher! Davor haben die Dämonen Angst. Sie schlagen sie in die Flucht. Sie beschützen unsere Stadt.«
4 Neujahr 1941 war ein denkwürdiger Tag für Stephen Court. Den Dezember 1940 hatte er ohne Unterbrechung in seinem Labor verbracht, über einem Problem brütend, dessen Natur er niemandem anvertraute. Das Herrenhaus in Wisconsin war zu einer Burg der Wissenschaft geworden. Alle paar Stunden fuhr sein Freund Sammy zur Bahn und holte geheimnisvolle Sendungen für Stephen ab. Auch diesmal hatte ihn Stephen nach einem besonders ungeduldig erwarteten Paket geschickt. Der alte Mann nahm es in Empfang, trat aus der Bahnhofshalle und sah dem abfahrenden Zug nach. Alte Sehnsüchte wurden in Sammy wach. Er erin-
nerte sich an seine Tage als Tramp. Nun, jetzt ging es ihm ja viel besser – gut genährt und versorgt wie er war. Und doch – es tat gut, ab und zu einen Zug pfeifen zu hören. Zu Hause erwartete ihn ein Mädchen in weißem Laborkittel schon an der Tür. »Ist es angekommen?« fragte sie. »Sicher, Marion, hier!« Seit drei Jahren gehörte Marion zum Haushalt. Sie war nicht mehr wegzudenken. Zuerst war sie für einen erkrankten Laborassistenten als Vertretung eingesprungen, aber sie erwies sich als so brauchbar, daß Court sie behielt. Die Tatsache, daß sie ein sehr hübsches Wesen war – schlank, dunkelhaarig, mit strahlenden Rehaugen, einer Pfirsichhaut und einem auffallend schönen Mund –, bedeutete Court nichts. Er sah in ihr nur die tüchtige Assistentin. Sie fand Court vor dem Mikroskop. »Warten Sie!« rief er, als sich das Mädchen zum Gehen anschickte. »Ich muß etwas mit Ihnen besprechen.« »Bitte.« »Es – ist Neujahr, ich weiß. Haben Sie heute abend etwas vor?« Marion hielt den Atem an. Wollte er sie einladen? »Ich würde es zu schätzen wissen, wenn Sie dablieben. Ich bedauere, Sie darum bitten zu müssen, aber es ist wichtig. Ich habe einige Tests durchzuführen.« »Selbstverständlich bleibe ich«, sagte Marion errötend. »Gut! Färben Sie bitte die Proben ein!«
Es war schon spät, als sie eine Pause einlegten und Marion ein Tablett mit Kaffee und belegten Broten holte. Als sie wiederkam, hatte Court eines der mit Eisblumen verzierten Fenster geöffnet. »Kommen Sie bitte!« Marion sah mit Erstaunen, daß Courts Gesicht grau und verfallen wirkte. Nur seine Augen glänzten, als ob er Fieber hätte. »Dort oben«, zeigte er mit dem Finger. »Sehen Sie etwas?« »Nichts Ungewöhnliches.« »Natürlich. Niemand kann etwas sehen und doch ...« Müde rieb er sich die Stirn. »Es ist unmöglich, daß ich mich in meinen Beobachtungen irre.« Court setzte die Tasse mit dem dampfenden Kaffee an die Lippen und fragte abrupt: »Haben Sie etwas dagegen, mit mir nach Kanada zu fliegen? Dort muß ich einen Mann besuchen, einen Patienten.« Mit plötzlicher Entschlossenheit lehnte er sich zurück. »Marion, Sie wissen nicht, an welchem Versuch ich arbeite. Eigentlich sollte ich zu niemandem darüber sprechen, ehe sich mein Verdacht nicht bestätigt hat. Aber ich muß es loswerden.« Für einen winzigen Augenblick überschattete eine ihm selbst unbewußte Einsamkeit sein Gesicht. Aber sofort hatte er sich wieder in der Gewalt. »Ich habe Gründe, anzunehmen, daß die Erde von einer Seuche bedroht ist, die unsere gesamte Zivilisation zerstört.« »Eine Seuche?« keuchte sie. »So nenne ich es, in Ermangelung eines besseren Ausdrucks. Jedermann wird von ihr befallen.« Einem Safe in der Wand entnahm er einen längli-
chen Bleibehälter. Er enthielt eine runde transparente Scheibe. »Schauen Sie es durchs Mikroskop an, aber kommen Sie dem Ding nicht zu nahe!« Marion erblickte einen daumennagelgroßen schimmernden Klumpen. »Es phosphoresziert. Was ist es? Ein Erz?« »Ein Stückchen Fleisch, dem Oberschenkel eines Frankokanadiers namens Pierre Locicault entnommen.« »Fleisch? War es einer Radiumbestrahlung ausgesetzt?« Court schloß den Behälter wieder ins Safe. »Nein, nichts dergleichen. Locicault lebte in einem abgelegenen Seitental. Vor einem Monat kam er ausgemergelt und zu Tode erschöpft in der nächsten Kreisstadt an. Niemand glaubte ihm seine Geschichte. Er behauptete, daß sich eines Tages ein dichter Nebel über das Tal gelagert und höchst merkwürdig auf die Bewohner ausgewirkt hätte. Sie bekamen furchtbaren Hunger, verschlangen Berge von Nahrung, ihre Haut wurde siedendheiß, sie alterten zusehends und starben. Als Locicault in der Stadt ankam, erkannte ihn keiner. Er sah dreißig Jahre älter aus. Auf was schließen Sie Marion?« »Gesteigerter Metabolismus.« »Genau. Es wurde eine Rettungsmannschaft hingeschickt. Sie fand die Leichen von einem Dutzend Frauen und Männern, aber keine Anzeichen der Todesursache. Locicault wurde in die Isolierstation des dortigen Krankenhauses geschafft. Er aß ununterbrochen. Es fiel auf, daß seine Haut Strahlung aussandte. Im Dunkeln leuchtete sein Körper. Die Kranken-
schwester, die ihn betreute wurde angesteckt. Sie beging Selbstmord. Locicault befindet sich jetzt in völliger Isolierung, denn kein Arzt und keine Schwester wagen sich mehr in seine Nähe. Als man sich an mich wendete schlug ich Bleiisolierung vor, und so konnte Dr. Granger ihn für mich dabehalten. Ich habe vor, Locicault zu besuchen und mir den Fall näher anzusehen.« Marion runzelte die Stirn. »Sie haben noch weiteres Beweismaterial?« »Natürlich. Das ist nicht das einzige Vorkommnis. Erinnern Sie sich an die Affäre, die vor sieben Jahren soviel Aufsehen erregt hat? Als in einem Gebirgstal in Frankreich die Leute umgekommen sind? Man machte Giftgas dafür verantwortlich. Und die westindische Insel, wo über Nacht alles Leben ausgelöscht wurde, ohne jede Erklärung. Da hat man es auf vulkanische Gase geschoben.« Das Mädchen erschauerte. »Und Sie halten diese Fälle für den Anfang der Seuche?« »Sie häufen sich besorgniserregend.« »Um ein Virus kann es sich nicht handeln«, meinte Marion. »Nein, ein Virus steht außer Debatte. Er könnte keine zellulare Radioaktivität erzeugen.« »Eine Kriegswaffe?« »Kaum, da es unkontrollierbar ist. Dieses bedrohliche unbekannte X stammt nicht von Menschenhand. Es ist ein natürliches Phänomen, und unser einziger Anhaltspunkt ist Nebel.« »Ein Gas ...?« Court nickte und schaute abwesend über sie hinweg.
»Woher kommt es – aus der Erdtiefe? Möglich, aber nur einmal ist es in vulkanischem Gebiet aufgetreten. Ich fürchte, X kommt aus dem interstellaren Raum.« »Deshalb haben Sie die Berichte der Observatorien angefordert. Die Fotografien und Spektra.« »Aber sie zeigten nichts, und das will mir nicht in den Kopf.« »Vielleicht waren die Bedingungen nicht günstig. Phosphoreszenz wird bei Tageslicht nicht sichtbar. Und X ist im Raum nicht zu sehen.« Court zerbröselte eine Zigarette. »Ein Katalysator! Natürlich, ein Katalysator! Daß ich nicht eher darauf gekommen bin! Irgendein Element in unserer Atmosphäre macht X sichtbar und wahrscheinlich auch gefährlich. Im äußeren Raum tritt es nicht in Erscheinung, aber wenn es in Berührung mit einem Element in der Luft kommt ... Auf diesen Gedanken haben Sie mich gebracht, Marion.« Er starrte grimmig in den dunklen Sternenhimmel. »Vielleicht treibt eine riesige kosmische Wolke seit Urzeiten durch das All. Bis jetzt hat sie uns nur gestreift, aber wenn wir mit ihr zusammenstoßen ...« Court ballte die Faust im Gefühl seiner Ohnmacht. »Ein Element, so andersartig, daß wir uns seine Struktur gar nicht vorstellen können. Nur von seiner tödlichen Wirkung können wir auf seine Existenz schließen. Welche physikalischen Gesetze wohnen dieser schrecklichen Materie inne? Ist es überhaupt Materie, wie wir sie kennen?« Seine Augen wurden hart und entschlossen. »Wir fliegen nach Kanada. Noch heute nacht. Chartern Sie eine Maschine!«
5 Es war dunkel in dem Wald, obwohl Sonnenlicht durch die Zweige drang. Ardath mühte sich, mit dem gigantischen Thordred Schritt zu halten. Er hing trüben Gedanken nach. Der Tod Zanas war und blieb ein Rätsel. Ganz kurz hatte er Thordred verdächtigt aber diese absurde Vorstellung schnell wieder verworfen. Er hatte zwar verschiedene Gifte im Schiff, aber Thordred konnte unmöglich von ihrem Vorhandensein wissen, noch sie anwenden. Die zwei hatten sich daran gemacht, diese neue Zivilisation zu erforschen. Das Raumschiff lag sicher im Wald versteckt. Sie hatten zwei Eingeborene eingefangen, mit Hilfe der Übertragungsmaschine ihre Sprache erlernt, und ihre Kleidung zurückbehalten. Ardath löschte jede Erinnerung an diese Begegnung in ihnen aus und setzte sie wieder auf freien Fuß. »Zwerge sind das heutzutage«, spöttelte Thordred. »Ihre Sachen platzen mir an allen Ecken und Enden am Leib.« »Unsere eigene Bekleidung wäre noch auffälliger gewesen. Hoffen wir, daß sie an deiner Größe keinen Anstoß nehmen.« Thordred spie verächtlich aus. »Ich fürchte die Weichlinge nicht. Warum darf ich keine Waffe tragen, Herr?« »Ich bin bewaffnet«, entgegnete Ardath ruhig. Thordred wäre lieber im Schiff geblieben. Dann hätte er ins Labor gehen können und danach weder Ardath noch sonst jemanden fürchten müssen. Aber er hatte sich nicht getraut, der Aufforderung Ardaths
nicht nachzukommen. Der Wald wurde lichter, das Gelände fiel steil ab. Unten im Tal lag eine Stadt. Im Norden erhob sich eine zerklüftete Bergkette. Offensichtlich Vulkane, denn dünne Rauchsäulen stiegen von ihnen auf. »Das ist ihre Hauptstadt«, sagte Ardath. »Denk daran, daß wir Bauern aus einer entlegenen Provinz sind, wenn jemand fragt!« Thordreds Grinsen wurde noch breiter. Er und ein Bauer! Seine Pranken gehörten ans Schwert und nicht an den Pflug. Keine Mauern liefen um die Stadt. Mehrere ungepflasterte, aber breit ausgetretene Straßen führten hinein, auf denen Wagen und Karren verkehrten. Die meisten Häuser waren aus Holz, aber es gab auch einige Steinhäuser und sogar ein paar Marmorbauten. Allem Anschein nach Tempel. Auf den Straßen herrschte reges Treiben. Zwei Typen fielen ihnen im Straßenbild auf. Einfach gekleidete sonnverbrannte Bauern, die vor ihren Karren schwitzten, und die Aristokratie, die in überdachten Sänften vorbeigetragen wurde. Auch bewaffnete Soldaten ritten vorbei, die im Vergleich mit Thordreds gigantischen Ausmaßen winzig erschienen. »Hier«, sagte Ardath und deutete auf einen Torweg. »Tavernen sind der richtige Ort, um sich über den lokalen Klatsch zu informieren.« Ein großer Raum mit niedriger Balkendecke nahm sie auf. Wein- und Bierdunst schlug ihnen entgegen. Die dunkleren Ecken wurden von Lampen erhellt; hier und da standen rohgezimmerte Tische, an denen sich trinkende, fluchende und lachende Männer lümmelten. Zwei bärtige Seeleute spielten Würfel auf dem
Fußboden. »Durstig sind wir«, erklärte Ardath einem herbeigeeilten Wirt. Er rührte den Wein, den man vor sie hinstellte, nicht an, aber Thordred stürzte seinen in einem Zug hinunter und schrie nach mehr. »Ihr seid Fremde hier?« erkundigte sich der Wirt. Er nahm die Münzen, die ihm Ardath in die Hand drückte – kleine, flache Bronzescheiben, in die ein Kreis mit einem Kreuz geprägt war. Sie stammten aus den Taschen der Eingeborenen. »Ja, wir sind zum erstenmal in der Stadt.« »Wollt ihr Geschäfte machen?« »Nein, wir sind hier, um einen Blick auf die Frau zu werfen, deren Ruhm bis zu uns gedrungen ist. Man erzählt sich, sie sei von so außerordentlicher Schönheit, daß ...« »So?« Der Wirt zog die Brauen in die Höhe. »Wie heißt sie denn?« »Das weiß ich nicht, aber ich kann ihre Züge skizzieren.« Mit einem von ihm konstruierten Stift zeichnete Ardath ein Gesicht auf die Tischplatte. Die Ähnlichkeit war nahezu fotografisch, so daß der Wirt sie sofort erkannte. »Beim Gott unserer Stadt, du bist ein Künstler. Das ist Jansaiya, die Oberpriesterin. Sie soll sehr schön sein, nur daß niemand sie zu Gesicht bekommt. Dagons Priesterinnen verlassen nie ihren Tempel, und nur während der Seefeiern kann man ihm opfern. Nur einmal im Jahr haben ihre Bewunderer Gelegenheit, sie von der Ferne zu erspähen, wenn sie die Opfertische weiht. Aber bis dahin müßt ihr zehn Mo-
nate warten.« »Wo ist ihr Tempel?« Nachdem sie die Richtung erfahren hatten, machten sie sich auf den Weg. »Warum willst du diese Hure sehen?« brummte Thordred ungnädig. »Weil sie die klügste ihrer Zeit ist.« Der unerklärliche Tod Zanas, der Amazone, nagte an ihm. Er hatte Jansaiya als Ersatz ausersehen. Sie würde mit ihnen ins nächste Zeitalter hinüberschlafen, denn die Jetztzeit erfüllte nicht Ardaths Anforderungen. Sie erreichten die äußeren Wandelgänge des Tempels. »Warte hier!« befahl er Thordred. Der Barbar zog sich in den Schatten eines Baumes zurück, während Ardath auf das Tor zuschritt, vor dem ein Wächter sich auf seinen Speer stützte. Der Wächter warf sich in Positur, aber plötzlich nahmen seine Augen einen blinden, verschwommenen Ausdruck an. Dieses abergläubische Volk besaß geeignete Medien für die Hypno-Beeinflussung. Ardath durchquerte das Tor. Der Tempel, eine Symphonie aus Porphyr, Onyx und rosenfarbenem Marmor, erhob sich vor ihm. Eine anmutig geschwungene Treppe führte zu ziselierten Bronzetoren, die halb offenstanden. Je ein Tempelwächter standen rechts und links. Ungeschoren betrat er den Tempel, ein hohes Gewölbe, in dem es betäubend nach Weihrauch duftete. Der Boden war grün wie die See. Jadegrün war auch der Altar, aus dessen geheiligten Gefäßen Rauch aufstieg. Ein junger Priester mit kahlgeschorenem Kopf
sprach ihn an: »Du bist gekommen, um Dagon deine Huldigung zu erweisen? Wo sind deine Opfergaben? Kommst du mit leeren Händen?« Ardath beschloß, seine Taktik zu ändern. Er sah den Priester durchbohrend an. »Du – bist fremdartig«, stammelte er. »Deine Gestalt zerfließt.« Dem hypnotisierten Priester kam es vor, als ob Ardaths Gestalt sich in Nebel auflöste, der heftig auf und nieder wogte. Es war Dagon, der Seegott, so wie ihn der Priester in seiner Vorstellung sah! »Du kennst mich?« fragte Ardath. »O Herr, vergib deinem unwürdigen Diener!« Der Priester konnte sich kaum auf den Füßen halten und brabbelte unverständliche Gebete. »Bring die Oberpriesterin Jansaiya zu mir!« Der Priester verbeugte sich und schleppte sich mit letzter Kraft aus dem Tempel.
6 Sie war wundervoll. Ihre Züge waren elfenzart, von kindlich weichem Schmelz, und atmeten doch eine gewisse herrische Überlegenheit, die einen Hauch latenter Grausamkeit ahnen ließ. Die Haare flossen ihr goldblond den Rücken hinab, ihre Augen waren seegrün. Sie war zierlich wie eine Nereide, aber ihre Figur hatte nichts Kindhaftes an sich. Nach einer tiefen Verbeugung warf sie dem Priester ihren Schleier zu und trat näher. Ardath spürte
einen stechenden Schmerz im Arm und riß ihn hoch. »Das ist kein Gott«, schrie sie mit schriller Stimme. »Er ist ein Betrüger.« Ein kleiner Dolch glitzerte in ihrer Hand. Im Nu umringten kahlköpfige Priester Ardath. Ihre Augen funkelten nicht weniger gefährlich als ihre Schwertklingen. »Auch wir verstehen etwas von Hypnose. Selbst Götter lassen sich auf die Probe stellen«, sagte einer verächtlich. Ardath überlegte blitzschnell. Immer mehr Priester kamen hinter den Wandbehängen hervor. Jansaiya war wirklich klug. Vor ihrem Erscheinen hatte sie sich abgesichert und durch Geheimgänge Priester in den Tempel geschickt. Der Projektor unter seinem Gewand hätte in Sekundenschnelle jeden Priester im Tempel umgebracht. Aber die sublime Ethik einer uralten Rasse verbot ihm die unnötige Vernichtung von Leben. Statt dessen bewegte sich seine in der Toga verborgene Hand unmerklich und ließ eine hauchzarte Kristallscheibe auf die grünen Fliesen des Tempels fallen. Er setzte seinen Fuß darauf. »Du ergibst dich also?« fragte der Anführer der Priester. Ardath zertrat die Kristallscheibe und hielt den Atem an. Ein anästhetisierendes Gas verbreitete sich im Tempel. Er entwand einem in Bewegungslosigkeit erstarrten Priester das Schwert und packte die bewußtlose Jansaiya. Mit seiner leichten Bürde hastete er aus dem Tempel. Wo steckte nur Thordred? War er gefangenge-
nommen worden? Ardath hatte keine Zeit zu verlieren. Hinter ihm erwachten lärmend die Priester und Wachen aus ihrer Betäubung. Gebückt rannte er die Straße hinunter, verfolgt vom Geschrei der Priester. »Tötet ihn, tötet ihn!« Hinter ihm klang Pferdegetrappel. Er setzte Jansaiya ab und drehte sich um. Das Schwert des Soldaten blitzte in der Luft, aber ehe er zustoßen konnte, hatte Ardath ihm eine klaffende Wunde an der Stirn beigebracht. Er zerrte den Soldaten aus dem Sattel und schwang sich aufs Pferd. Jansaiya quer vor sich, stürmte er aus der Stadt. Noch dreimal mußte er sich und Jansaiya mit dem Schwert verteidigen, da Passanten sich ihm in die Zügel hängten. Es war schon später Nachmittag. Jansaiya schlief noch. Unvorstellbar schön ruhte sie vor ihm auf dem Pferderücken. Den grausamen Zug um ihren Mund konnte er mit seinen Mitteln beseitigen, und dann würde sie die denkbar beste Gefährtin für einen Elitemann sein. Als er das Schiff erreichte, loderte ein weißglühender Vorhang vor der Einstiegsluke. »Thordred!« rief er scharf. Der Barbar schlüpfte aus dem Dickicht. Sein Gesicht war undurchdringlich. Ardath näherte sich dem Schiff, und der Vorhang erlosch. »Warum hast du versucht, das Schiff zu betreten? Ich hatte es verboten.« »Ich wollte dir zu Hilfe eilen, Herr, als ich sah, daß du von Priestern umstellt warst. Aber ich kam nicht weiter als bis zum Eingang. Außerdem war ich un-
bewaffnet, und so kehrte ich um und wollte mir aus dem Schiff eine Waffe holen.« Ardath warf ihm einen langen, nachdenklichen Blick zu. »Niemand kann ohne meinen Willen in das Schiff eindringen. Du tust gut daran, mir in Zukunft zu gehorchen.« »Das Mädchen wacht auf«, bemerkte Thordred, froh, das Thema zu wechseln. Jansaiyas Blick drückte Schrecken und Abscheu aus, als sie Ardath sah. Dann streiften ihre Augen den kräftigen Barbaren. Instinktiv spürte Thordred ein geheimes Einverständnis zwischen sich und der Priesterin. In ihr hatte er wahrscheinlich eine Verbündete gefunden. Sie lauschte den Erklärungen Ardaths, der ihr den Grund ihrer Entführung darlegte. »Du willst mich schlafen lassen?« fragte sie. »Tausend Jahre lang?« »Tausend Jahre oder mehr. Deine Kultur ist mir nicht hochstehend genug. Ist sie dir so ans Herz gewachsen, daß du dich nicht von ihr trennen willst?« »Nein«, antwortete sie. »Ich will nicht wieder Gefangene in Dagons Tempel sein! Ich bin glücklich, daß ich frei bin. Aber meine Welt für immer verlassen ...« »Königreiche vergehen. Kulturen versinken zu Staub und Asche. Wenn wir erwachen, erinnert sich vielleicht niemand mehr an dein Land.« Jansaiya trat an eine Sichtluke. Die rote Abendsonne tauchte ihr Gesicht wie in Blut. »Du irrst dich«, sagte sie trotzig. »Ich bin in deiner Macht, und mir bleibt nichts übrig als dir zu gehor-
chen. Aber selbst wenn wir hunderttausend Jahre schlafen, wird niemand mein Königreich vergessen. Unsere Zivilisation ist die mächtigste der Welt. Sie kann nicht untergehen. Immer mächtiger wird sie mit den Jahrhunderten. Nicht einmal die Götter können unser Land zerstören. Nicht einmal Dagon, der Herr der See, vermag Atlantis zu verwüsten!«
7 Am 2. Januar 1941 flog Stephen Court nach Kanada ab. Sammy war dabei. »Ich falle dir bestimmt nicht zur Last, Stevie«, hatte er argumentiert. »Um diese Jahreszeit jucken mich die Füße, und außerdem bin ich noch nie geflogen. Ich mache mich nützlich.« Er zwinkerte mit seinen blauen, wäßrigen Augen. »Beim Aus- und Einpacken.« Es war ein klarer, beißend kalter Tag. Schneegefahr bestand allerdings nicht. Court flog ziemlich tief, da er fürchtete, es könnte sich Eis an den Flügeln ansetzen. Er war ungewöhnlich gesprächig. Mit einer an ihm nie wahrgenommenen Lebhaftigkeit und Wärme unterhielt er sich mit Marion und Sammy. »Seuche, eh?« meinte Sammy. »Im Süden hab ich mal eine Seuche miterlebt. War grauenhaft. Kinder und Frauen – wir kamen mit dem Gräberschaufeln nicht nach. Hoffentlich ist es nicht so etwas.« »Ehe ich Locicault nicht in meinem Labor habe ...« »Ich denke, es besteht Ansteckungsgefahr«, unterbrach ihn Marion entsetzt. »Ich habe Vorsorge getroffen«, beruhigte sie Court.
»Er wird in einem mit mehreren Bleiisolierungen ausgekleideten Ambulanzwagen transportiert. Übrigens«, fuhr er fort, »ich habe eine unerwartete Entdeckung gemacht. Während ich den Himmel vergeblich nach der Größe X absuchte, ist mir ein Erdsatellit aufgefallen. Bis jetzt ist er den Observatorien entgangen; er ist klein und bewegt sich mit unglaublicher Geschwindigkeit. Scheint aus homogenem Metall zu sein. Weichem Metall, Marion. Nicht narbig und rauh wie ein Asteroid. Er besteht aus purem Gold oder aus goldähnlichem Metall.« Das Mädchen schaute Court an. »Ein Raumschiff?« »Möglicherweise. Wo es nur herkommt? Wahrscheinlich von einem anderen Planeten.« »Kann man es erreichen?« »Mit unseren gegenwärtigen Raketen noch nicht. Nehmen wir an, daß dieser höchst unnatürliche Satellit ein echtes Raumschiff ist das sich schon lange im interstellaren Raum befindet.« In Gedanken versunken verstummte er. Im Krankenhaus wurden sie von Dr. Granger erwartet. »Court?« begrüßte er ihn aufatmend. »Ich bin froh, daß Sie da sind. Sind Sie hungrig?« »Nein.« Charakteristischerweise stellte er niemanden vor. »Wo ist der Patient?« »Im linken Krankenhausflügel. Wir haben ihn vollkommen leergemacht. Sie müssen den Bleianzug anziehen. Dumm, daß wir nur einen haben!« Court schien wie in eine Maschine verwandelt zu sein. Wortlos stieg er in den Anzug. »Ich begleite Sie nicht«, informierte ihn Granger. »Wir wissen nicht, welche Reichweite die Strahlen haben.«
Court nickte, ließ sich den Weg beschreiben und stapfte aus der Tür. Ein anderer Mann als Court hätte das Zimmer dieses unheimlichen Kranken nicht ohne Befangenheit betreten. Nicht so Court. Ohne Zögern druckte er die Klinke nieder. Der weiße Raum war leer bis auf einen Instrumententisch. Auf dem Bett lag lang ausgestreckt ein Mann. Court musterte ihn durch seine bleihaltigen Gläser. Locicault war bewußtlos. Nein, er schlief. Er bestand nur aus Haut und Knochen. Auf dem Kopfkissen ruhte der Schrumpfkopf eines unvorstellbar alten Mannes. Locicault war dreiundzwanzig. Der zahnlose Mund stand offen und zeigte einen ekelerregenden schwärzlichen Gaumen. Am kahlen Schädel hatten sich schlaffe Hautsäcke gebildet. Nase und Ohren hatten sich unförmig vergrößert. Court ging zum Fenster und ließ die Rolläden herab. Das Gesicht des Patienten leuchtete silbern! Das Leuchten griff auf den ausgezehrten, nackten Körper über. »Locicault!« rief Court. Als er den Mann an der Schulter rüttelte, zuckte er zusammen und machte die Augen auf. Das waren keine menschlichen Augen sondern phosphoreszierende Augenhöhlen. »Locicault, können Sie mich hören?« »Ja, ja. M'sieu, nicht mit den Augen. Ich bin blind, aber irgendwie kann ich Sie trotzdem sehen.« Was sollte nun wieder diese Antwort bedeuten? »Was können Sie sehen?« »Sie sind bedeckt mit – einer Rüstung, glaube ich.
Ich weiß nicht, wie ich das sehe. Ich bin blind.« »Ich bin Arzt«, sagte Court. »Wenn es Sie nicht allzusehr anstrengt, möchte ich einige Fragen an Sie richten.« »Oui, M'sieu. Bitte!« »Haben Sie Schmerzen?« »Nein – das heißt, doch. Ich bin hungrig. Ich habe schrecklichen Hunger und Durst, aber ich möchte nichts zu essen. Kann es nicht verstehen ...« Court wartete, daß er fortfuhr. Als Locicault aber nichts mehr sagte, versuchte er es mit einer anderen Frage. »Erzählen Sie mir etwas über den Nebel!« »Da gibt es nicht viel zu berichten. Als ich mein Haus verließ, konnte ich den Weg nicht finden. Der Nebel war so dicht – und roch so komisch.« »Wonach roch er? Woran erinnerte er Sie?« »Weiß nicht. Halt! Ich war einmal in dem großen Elektrizitätswerk am Staudamm, und so ähnlich roch es.« »Weiter!« drängte Court. »Zuerst kam mir der Nebel kalt vor, aber dann erwärmte er sich. Ich spürte ihn in mich hineinkriechen. Meine Lungen fingen an, wie Feuer zu brennen, und mein Herz schlug rasend schnell. Ich verspürte auch plötzlich Hunger, obwohl ich erst gegessen hatte. Doktor, ich fühle, daß ich mich verändere! Am Anfang war dieses Gefühl nicht so stark, aber jetzt fühle ich mich nicht mehr menschlich. Können Sie mich verstehen?« »Natürlich«, beruhigte ihn Court. »Es ist merkwürdig; mein Geist ist klar, aber meine Sinnesorgane! Ich spreche nicht mehr mit meiner
Zunge und höre nicht mehr mit meinen Ohren ...« Locicault verlor das Bewußtsein. Court fragte kurz danach Granger: »Die Strahlung ist progressiv, wird immer stärker?« »Ja. Jedenfalls eine Zeitlang. Locicault hatte einen fürchterlichen Heißhunger. Die Strahlung verstärkte sich jedesmal, wenn wir ihn fütterten. Gestern allerdings hat er das Essen zurückgewiesen.« »Aber er ist hungrig«, entgegnete Stephen. »Sagt er. Gegessen hat er aber nichts. Die Strahlung hat auch nachgelassen.« »Ich verstehe«, murmelte Court. »Lassen Sie ein Meerschweinchen holen!« Locicault war noch bewußtlos. Langsam streckte Court den Arm aus, bis das Tier die Hand des Patienten berührte. Die Finger schlossen sich um das Tier, das plötzlich laut quietschte und sich zappelnd zu befreien suchte. Dann erschlaffte es und schien erstaunlicherweise kleiner zu werden. Der Schein, der von Locicaults Körper ausging, nahm an Leuchtkraft zu. »Aha«, war alles, was Court sagte. Er zog das Meerschweinchen aus den Knochenfingern. Es war tot, wie er vermutet hatte. »Sie haben ihn nicht mit dem richtigen Zeug gefüttert«, teilte er Granger mit, als er den Anzug ablegte. Er gab ihn Granger, der ihn nun anzog. »Locicault verändert sich langsam, aber sicher zu einer Lebensform, die definitiv nicht menschlich ist. Er verliert die Fähigkeit, Nahrung intern zu verbrennen. Er bezieht seine Energie direkt – wie ein Vampir, um es dramatisch auszudrücken. Er tötet jedes Lebewesen, das in seine Nähe kommt.«
»Guter Gott!« rief Granger. »Wir können ihn nicht am Leben lassen.« »Wir müssen, weil ich ihn brauche. Ich muß den Verlauf der Seuche am lebenden Objekt beobachten. Locicault muß mit Meerschweinchen, Kaninchen und so weiter versorgt werden.« »Stevie, gib acht auf dich«, warnte Sammy. Stephen hörte ihn nicht, wie er überhaupt niemanden hörte, wenn er von einem neuen Problem besessen war. »Marion, packen Sie meine Instrumente aus! Der Bleiwagen wird erst morgen hier eintreffen. Bis dahin will ich möglichst viele Versuche anstellen. Ein Glück, daß ich Locicault noch lebend angetroffen habe!« »Können Sie ihn retten?« fragte Marion. »Natürlich nicht. Ich bin auch gar nicht daran interessiert, selbst wenn ich könnte. Wenn er nicht von selbst stirbt, muß er letzten Endes sogar getötet werden.« Marion verbarg ihre Enttäuschung. »Was haben Sie dann ...?« Granger stürzte mit schreckensbleichem Gesicht herein. »Er ist tot«, keuchte er. »Was?« fuhr Court auf, »das kann nicht sein. Er ist bloß bewußtlos. Schnell, Adrenalin her und ein neues Meerschweinchen!« Die Minuten, bis Court zurückkam, dehnten sich wie eine Ewigkeit. »Sie hatten recht, Granger, er ist tot. Ich bin zu spät gekommen.« »Wünschen – Sie eine Autopsie?«
»Nein, die nützt mir nichts. Nur die Studie an einem lebenden Objekt bringt mich weiter.« Niedergeschlagenheit schwang in seiner Stimme mit. »Treffen Sie alle nur möglichen Vorsichtsmaßnahmen für das Begräbnis! Ohne Bleianzug darf ihn niemand berühren. Sie verbrennen ihn selbstverständlich?« Granger schlurfte in den Korridor hinaus, um die nötigen Anweisungen zu geben. »Verdammt«, fluchte Court in plötzlicher Erbitterung. »Warum mußte er sterben. Wo jede Stunde zählt!« Mechanisch schlüpfte er wieder in den Anzug. Wenn es auch nicht viel Zweck hatte, wollte er doch ein paar Blut- und Hautproben mitnehmen. Als er in Locicaults Zimmer kam, fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf. »Sammy«, flüsterte er. »O mein Gott, du Narr!« Der alte Mann stand bewegungslos neben dem Bett. »Hallo, Stevie«, sagte er sanft. »Kipp nicht aus den Pantinen. Schließlich bin ich nicht mehr ganz jung, und du brauchst einen Fall für die Fortführung deiner Forschung. Wenn es so ansteckend ist, wie du sagst, hab ich mich jetzt mit Sicherheit infiziert.« »Sammy«, wiederholte Court hilflos, »warum ...?« Er konnte nicht weitersprechen. »Warum?« Der alte Mann zog die Schultern hoch. »Ich hab's getan. Ich habe dir von der Seuche im Süden erzählt, mit all den Frauen und Kindern. Wenn ich dazu helfen kann, das Leben von unzähligen Frauen und Kindern zu retten, habe ich das Richtige getan. Das Weitere liegt in deinen Händen, Stevie!«
8 Ardath saß mißmutig in seinem Labor. Er hatte das Gefühl, daß er seinem Ziel nicht näher kam. Die barbarischen Horden, die die Erde überrannten versprachen wenig. Nur im Fernen Osten brannte die Fackel der Zivilisation. Weder Jansaiya noch Thordred erwiesen sich als so intelligent, wie er angenommen hatte. Von Zeit zu Zeit konnte Thordred in richtigen Stumpfsinn verfallen, trotz seiner Lernbegierde. Ein flüchtiger Verdacht ging Ardath durch den Kopf. Stellte sich Thordred nur so dumm ...? Warum sollte er? Ardath, dessen Wesen Betrug und Verstellung fremd waren, fand keinen Grund. Er hatte Thordred das Leben gerettet, aber die menschliche Denk- und Empfindungsweise waren ihm zu unvertraut. Er kannte keinen Neid, keine Mißgunst und keine Machtgier. Thordred war machtlüstern, das wußte er. Er hatte Zanas Thron haben wollen. Ardath stand auf und drückte einen Schalter. Die Flammenwand, die den Laboreingang versperrt hatte, fiel in sich zusammen. Als er über der Schwelle war, flammte sie erneut auf. Thordred wandte ihm sein Raubtiergesicht zu. »Es gibt nichts Neues, Herr.« Ardath lächelte traurig und schüttelte den Kopf. »Wie oft muß ich dir noch sagen, daß du mich nicht mit Herr anreden sollst? Daß ich weiser bin als du, bedeutet nicht, daß du mein Sklave bist. Dieses Bedürfnis der Erdlinge nach Versklavung ...« Er hatte diesen barbarischen Planeten satt, auf dem
nur Haß und Bosheit regierten und wo sich die Menschen grundlos totschlugen. »Thordred«, sagte er langsam. »Ich muß dich und Jansaiya verlassen, für eine Weile.« Ardath entging das Aufglitzern in Thordreds Augen. »Da gibt es einen Barbarenhäuptling, Dro-Ghir. Seine Handlungen sind weise, wenn sie auch das gewalttätige Temperament des Wilden nicht verleugnen.« Jansaiyas schöne Augen verengten sich. »Du gehst fort, hast du gesagt?« »Ja, und ihr bleibt im Schiff, bis ich wiederkomme!« Thordred und Jansaiya warteten, bis der Wald Ardath verschluckt hatte. Thordred begab sich zum Laboreingang. Er strich mit der flachen Hand über die Wand, und der Lichtvorhang verging. »Ardath ist ein Dummkopf«, brummte er. »Wer sonst würde sein Labor unbewacht lassen, selbst wenn er nicht weiß, daß jemand seine Geheimnisse teilt.« »Tust du das wirklich?« fragte Jansaiya. Über seine Schulter spähte sie in das offene Labor. »Es ist Ewigkeiten her, seit dich die Übertragungsmaschine in seine Gedanken eingeweiht hat.« »Ich weiß genug, um mich seiner Waffen zu bedienen, wenn ich Hand an sie legen kann. Wir werden Ardath jetzt nachschleichen und ihn erschlagen. Dann werden wir sehen, ob wir diese Welt in die Knie zwingen können.« »Ich habe Angst«, sagte das Mädchen. »Versuch nicht, Ardath zu töten! Manchmal bemerke ich etwas in seinen Augen, das mich zittern machte. Er ist kein
Erdgeborener. Laß uns lieber fliehen an einen sicheren Ort, wo er uns nicht findet!« »Solange er lebt, sind wir nicht sicher«, murrte Thordred. »Komm!« Er sprang über die Schwelle und wurde zurückgeschleudert. Ein blauer Flammenwall bäumte sich drohend auf. Krachend und zischend wogte er auf und ab. Thordred machte einen gewaltigen Satz nach hinten; Arm und rechte Seite schmerzten fürchterlich. Jansaiya flüchtete sich kreischend in eine Ecke. »Er ... er beobachtet uns«, wimmerte sie. »Ich habe es nicht geglaubt, aber er ist doch ein Dämon.« »Ruhe!« knurrte Thordred mit zusammengebissenen Zähnen. »Ardath ist schlau, und sonst nichts. Ein Schloß an der Tür ist gut, aber zwei sind besser. Hat er mich im Verdacht ...?« Er schüttelte seinen zottigen Kopf. »Nein, nur eine Vorsichtsmaßnahme, die jeder treffen würde. Laß mich sehen.« Thordred betastete den blauen Lichtwall. Er fühlte sich metallisch an. »Das ist ein neuer Trick, den ich noch nicht kenne. Vielleicht gelingt es mir, diese Barriere zu entfernen, bevor er kommt.« Unterdessen marschierte Ardath durch den Wald. Er wunderte sich über den Stammeshäuptling DroGhri. Die Taten eines Genius, aber ansonsten ein Wilder! Viel später würden Dschingis-Khan und Attila, König der Hunnen, die Erde heimsuchen, so wie sie jetzt von Dro-Ghir heimgesucht wurde. Die Mauern Chinas würden vor dem Eroberer fallen, wie sie vor Dro-Ghir gefallen waren. Aus den Steppen des Nor-
dens brausten sie auf ihren kleinen Pferden heran, blutrünstige Barbaren, die alles niederhieben, was sich ihnen in den Weg stellte. In runden Filzzelten, sogenannten Jurten, kampierten sie auf ihrem Vormarsch. Nach Osten hatte sich die Welle der Nomaden ergossen, die Küsten entlang, in die Länder des Orients. Im Westen wurden sie vom Gebirge aufgehalten. Im Süden verwüsteten sie ein Land voll üppig-grüner Dschungel und kunstvoller Steintempel, in denen die Menschen Schiwa und Kali anbeteten. Die Hufe ihrer mageren Steppenpferde donnerten über die Erde. »Tötet!« war ihr Kampfschrei. »Tötet und zeigt kein Erbarmen!« Sie badeten den Osten in Blut. »Gefangene lehnen sich auf und zetteln Aufstände an. Deshalb macht keine Gefangenen, erschlagt sie gleich!« Das waren die Untertanen Dro-Ghirs. Ardaths Fernsehschirm hatte gezeigt, daß Dro-Ghir mit einer Gruppe von Anführern in der Nähe rastete. Die Nacht war hereingebrochen, als er das Lager erreichte und von einem Wachtposten angesprochen wurde. Der stumme Zweikampf währte nicht lange; der Posten geleitete ihn zu einem großen Zelt in der Mitte des Lagers und öffnete die Zeltklappe. Ardath stand dem erstaunlichen Dro-Ghir gegenüber. Ein paar Tongefäße, in denen ein gedrehter Docht in rauchendem Tieröl glimmte, warfen flackerndes, gelbes Licht auf die Zeltwände. Auf dem Boden lagen verstreut schmutzige Felle. Dro-Ghir hatte sich von
seinem schmierigen Fell erhoben und musterte ihn mißtrauisch. Er war so riesig wie Thordred. Er hatte einen losen Umhang über den breiten Schultern, der seine schwarzbehaarte Brust freiließ. Der dicke Bart troff von Öl. Über der Lippe war er zu kurzen, abstehenden, mit Golddraht umwundenen Zöpfen geflochten. Auf dem Kopf saß eine Pelzkappe. Sein Gesicht war das eines wilden Tieres. Er hatte eine niedere, fliehende Stirn, und die Schlitzaugen verrieten wenig Intelligenz. War das der Genius, den Ardath suchte? In der Hand wog er einen kurzen Wurfspeer. »Li Yang«, brüllte er. »Komm her!« Ardath bediente sich der Sprache der Nomaden. »Ich komme als Freund«, begann er. »Ich ...« »Frieden, Herr!« ließ sich eine Stimme aus der Dunkelheit vernehmen. »Er trägt keine Waffen. Warte!« Ardath kniff angestrengt die Lider zusammen und erkannte die Umrisse eines unglaublich fetten Orientalen, der mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen saß. Die flinken schwarzen Augen verschwanden fast hinter den dicken Hängebacken eines runden, spiegelnd glatten Gesichts. Li Yangs loses Gewand war mit einer goldenen Kordel über dem dicken Bauch gegürtet. Dro-Ghir hatte sich ebenfalls nach dem Orientalen umgedreht. »Höre ihn an!« riet Li Yang und ergriff ein lautenähnliches Musikinstrument, das neben ihm lag. »Worte tun nicht weh!« Mit gespreizten Beinen baute sich Dro-Ghir vor
Ardath auf. »Nun?« fragte er fordernd. Der Kyrier hob beschwichtigend die Hände. »Ich komme in Frieden.« »Wie bist du an der Wache vorbeigekommen?« »Das ist unwichtig. Ich habe eine Botschaft für dich.« Dro-Ghir murmelte eine Drohung. »Laß ihn sprechen, Herr!« wisperte Li Yang. »Dann sprich – aber beeile dich!« Geschwind erzählte Ardath ihm seine Geschichte. Kein Verstehen glomm in den stumpfen, verschlagenen Augen des Häuptlings. Unheimliche Stille herrschte im Zelt, als er geendet hatte. Unruhig flakkerten die Lichter. »Wie sieht deine Antwort aus?« Dro-Ghir strich sich den Bart, während seine Hand den Speer umklammerte. Der Orientale brach die Spannung. »Herr, ich glaube, dieser Fremdling besitzt geheimnisvolle Macht. Du tätest gut, ihn willkommen zu heißen:« Der Orientale hievte sich auf die Füße und beschrieb eine schnelle Bewegung mit seiner Kinderhand. Der Häuptling zögerte, dann verzerrte sich sein Gesicht zu einem wölfischen Grinsen. »Gut! Laßt uns das Brot der Freundschaft brechen!« Li Yang watschelte in den Hintergrund des Zeltes und legte einen Fladen ungesäuerten Brots in DroGhirs Pranke. Er brach es in zwei Hälften, reichte eine Ardath und stopfte sich die andere in sein Maul. Die Brösel blieben in seinem öligen Bart hängen. Hier läuft etwas falsch, dachte der Kyrier, während er das Brot kaute. Was nur?
»Wirst du mit mir kommen?« fragte er. »Ich bin es müde, Gewalt anzuwenden. Solltest du nicht wollen, lasse ich dich und setze meine Suche fort.« »Trink!« dröhnte Dro-Ghir. Er hielt Ardath ein ausgehöhltes Horn hin. Der Orientale gab Dro-Ghir einen Becher. Dann zog er sich in seinen Winkel zurück und machte sich daran, seine Laute zu stimmen. Der Wein dampfte würzig. »Trink – in Freundschaft!« Dro-Ghir leerte seinen Becher mit einem Schluck. Li Yang stimmte einen monotonen, orientalischen Gesang an. »Wir sehen die Rose sich entblättern, der Jasmin verwelkt, verblaßt ist der Lotos ...« Dro-Ghirs Augen quollen plötzlich aus ihren Höhlen, seine Hand umkrampfte den Becher. Klirrend fiel er auf den Boden. »Aber keiner sieht sein Schicksal im Fallen der Blütenblätter ...« Der Häuptling faßte sich gurgelnd an die Kehle und stürzte wie ein gefällter Baum. Erschrocken starrte Ardath in die schwarzen Lackaugen Li Yangs. »Wir müssen fliehen, bevor jemand ins Zelt kommt. Die meisten der Männer sind betrunken, wie immer nach einem Sieg. So ...« »Ich verstehe nicht«, stotterte Ardath. Die Augen des Orientalen glitzerten in boshaftem Vergnügen. »Der vergiftete Becher war eigentlich für dich bestimmt, aber ich habe ihn vertauscht. Höre, Ardath, so ist doch dein Name – deine Worte waren nicht für die Ohren dieses Barbaren. Seit Dro-Ghir mich gefan-
gen hat, vor vielen Jahren, habe ich ihm mit meiner Klugheit gedient. Er schonte mich, weil er meinen Rat brauchte.« Das war also das Geheimnis. Li Yang war die Macht hinter Dro-Ghirs Thron. Der Orientale war das Genie, das den Stammesführer inspiriert hatte! »Ich habe es satt, ein Sklave zu sein«, gab Li Yang unumwunden zu. »Irgendwann einmal hätte ich mich geirrt, und Dro-Ghir hätte mein Versagen mit dem Tode bestraft. Außerdem mißfällt mir diese barbarische Wirtschaft« – er wies auf die schmierigen Felle – »und ich möchte mit dir, Ardath, in die Zukunft reisen, wo es wenigstens bequemere Lagerstätten gibt.« Unwillkürlich mußte Ardath lächeln. Ihm gefiel dieser Orientale der mit einer Hand die Laute zupfte und mit der anderen Gift reichte. Die zwei huschten aus dem Zelt und gingen mit angehaltenem Atem durchs Lager. Erst als die Lagerfeuer zu hellen Punkten in der Nacht zusammengeschrumpft waren, konnten sie Luft holen. Ardath betrachtete den Mann, der an seiner Seite ging, aus den Augenwinkeln. Nicht daß er am Ende seiner Suche war, noch lange nicht, aber Li Yang würde einen guten Gefährten abgeben. Das Gesicht des Orientalen blieb unbewegt, aber seine Lippen bebten, als sie zum Schiff kamen. »Fliegt der Wagen tatsächlich?« fragte er ehrfürchtig. »Das ist ja wie der Drachenwagen des Sti-Shan.« Thordred lief ihnen entgegen. »Es ist Zeit, daß du kommst«, grollte er. »Schau!« Er zeigte auf den Laboreingang. »Vom Wald kamen Feinde. Schreiend und Speere schleudernd galoppierten sie auf das
Schiff zu. Sie hämmerten so an die Außenwand, daß ich Angst bekam ...« »Kein Speer kann das Metall durchdringen.« »Jansaiya fürchtete sich, und ich war wie immer waffenlos. Als ich keinen Ausweg wußte und das Labor betreten wollte – du siehst ja selbst. Du vertraust uns nicht!« »Du irrst dich, Thordred. Das waren nichts als Vorkehrungen für den Fall, daß ...« »Wenn die Barbaren eingedrungen wären, hätten sie uns abgeschlachtet wie Tiere in der Falle. Unser Glück, daß sie es schließlich aufgegeben haben!« »Wir wollen den Vorfall vergessen. Darf ich euch einen Freund vorstellen?« Thordred schluckte seine Wut hinunter. Wieder war es ihm nicht gelungen. Immerhin hatte er sich nicht verraten, und Ardath ahnte nichts. Aber nach dieser Schlafperiode würde er seinem Schicksal nicht entgehen. Der Barbar ballte die Faust.
9 »Wir haben zwei Ziele, die wir verfolgen müssen«, setzte Stephen Court Marion auseinander. »Zuerst ...« »Zuerst müssen Sie etwas essen«, unterbrach ihn das Mädchen. Er würgte ein Sandwich hinunter und fuhr fort: »Rufen Sie sich bitte ins Gedächtnis, was ich Ihnen über das goldene Raumschiff erzählt habe! Ich gelange immer mehr zu der Überzeugung, daß es von einer uns weit überlegenen Zivilisation stammt. Also ist ihre Wissenschaft auch entsprechend weiterent-
wickelt. Vielleicht finde ich in diesem Schiff eine Waffe, die uns völlig unbekannt ist und mit der wir die Seuche bekämpfen können. Zumindest könnte sie mich auf die richtige Spur bringen.« Marion setzte sich auf den Schreibtisch und wippte mit ihren schlanken Beinen. »Aber wie wollen Sie das Schiff einfangen?« »Es gibt eine Möglichkeit, die Schwerkraft zu überwinden.« »Großer Gott!« Mit einem Satz war sie vom Schreibtisch herunter. »Sie meinen doch nicht ...?« »Geraten Sie nicht aus dem Häuschen! Ich bin mit der Analyse noch nicht fertig. Der Vorteil dieser Legierung ist, daß sie, richtig magnetisiert, widerstandsfähig gegen die Schwerkraft wird. Ich theoretisierte nur, aber ich glaube, ich liege richtig. Die Erde ist ein gigantischer Magnet. Gleiche Pole stoßen sich ab, entgegengesetzte Pole ziehen sich an. Wenn es uns gelänge, eine mit der Erde absolut identische Magnetfeldstärke zu schaffen, könnten wir dieses Prinzip anwenden. Bis jetzt hat noch niemand den Versuch unternommen, außer den Fremden, die das goldene Schiff gebaut haben. Wenn ich die Legierung nachmachen könnte – was nicht unmöglich ist –, und ich die richtige Energie hätte, wäre das Problem gelöst.« Das Mädchen sah ihn bestürzt an, wandte dann abrupt den Kopf. »Was ist? Was ist los?« fragte er. Ihre großen, braunen Augen schimmerten feucht. »Sie werden mich auslachen. Ich weiß, ich bin albern, abergläubisch, aber wenn Ihnen etwas zustößt ... Gesetzt den Fall, das Schiff lauert nur darauf, daß ...«
Er grinste ironisch. »Ich habe keine Angst vor dem Rendezvous. Sie sind abgespannt, Marion. Deshalb kommen Ihnen solche Wahnvorstellungen. Wir alle sind abgespannt, fürchte ich.« Sie verfielen in bedrücktes Schweigen. Beide dachten sie an Sammy in seinem bleiverkleideten Zimmer. »Er hat das auf sich genommen, und ich lasse mich nicht von einem Hirngespinst ins Bockshorn jagen. Reichen Sie mir den Bleianzug, Marion! Sammys Visite.« Nervös half sie ihm in den Anzug. »Im Dorf geht etwas vor. Die Leute werfen Ihnen vor, das ganze Dorf tödlicher Gefahr auszusetzen, weil Sammy hier ist.« »Verdammte Idioten! Er ist so isoliert, daß überhaupt ...« »Sie sind keine Wissenschaftler. So einfache Leute können ...« »Die Polizei hat keine Handhabe, mich zu belangen.« »Darum geht es nicht.« Marion biß sich auf die Lippen. »Na ja, ich hoffe, daß nichts passiert.« »Natürlich nicht«, versicherte er. Sammys Raum war vollgestopft mit rätselhaften Geräten. Er selbst war nicht mehr zu erkennen. Seine Haut sandte eine silberne Strahlung aus. Court bekämpfte die Übelkeit, die ihn jedesmal überfiel, wenn er Sammy so grauenhaft verändert sah. Er durfte seinem Gefühl nicht nachgeben; nicht einmal das Vorhandensein von Gefühlen zugeben. Er mußte vergessen, daß er diesen alten Mann gekannt hatte, daß dieser ehemalige Landstreicher sein einziger Freund, seine ganze Familie gewesen war. Vor ihm lag ein
Versuchsobjekt. »Hallo. Sammy«, sagte er mit erstickter Stimme. »Wie fühlst du dich?« »Hallo, Stevie«, antwortete Sammy bemerkenswert klar. »Irgendeine Veränderung?« »Nein, ich bin nur hungrig.« Court nahm ein Kaninchen aus dem bleiverkleideten Behälter neben dem Bett und setzte es auf die Kralle, die einst Sammys Hand gewesen war. Das Tierchen zuckte und war still. Das Leuchten von Sammys Haut verstärkte sich. »Besser?« »Ja. Danke. Stevie.« Court zog sich einen Stuhl ans Bett und legte einen Meßapparat an. Er notierte die Werte. »Ja, Entropie ... unglaublich! Ich begreife einfach nicht ...« »Was ist, Stevie?« »Nichts, was wir nicht schon wissen. Trotzdem finde ich ein Heilmittel, verlasse dich drauf.« »Deine Kur hilft mir nicht mehr. Ich bin schon wieder hungrig.« Court gab ihm ein zweites Kaninchen. Dann begann er mit dem üblichen Wort-Assoziationstest. So primitiv er war, hatte er sich als sehr zweckmäßig bei der Überprüfung der geistigen Metamorphose des Patienten herausgestellt. Aber diesmal sollte er eine Überraschung erleben. Der Test verlief normal, nur bei den Begriffen »Mensch« und »Leben« zögerte Sammy merkbar. Dann sagte Court »Nahrung«, und Sammy antwortete ohne zu überlegen: »Menschlich.«
Court bemühte sich, die Fassung nicht zu verlieren. Er hatte es kommen sehen. Sammy absorbierte die Lebensenergie lebendiger Wesen, und das menschliche Wesen stellte die höchste Form dieser Lebensenergie dar. Die Antworten kamen schleppend, als der Patient schwächer wurde. Court verließ ihn mit ein paar aufmunternden Sätzen. Er fühlte sich überarbeitet und deprimiert. Es war schon dunkel, und er schaltete die Lampen im Labor ein. Müde ließ er sich auf einen Stuhl fallen und überdachte die Situation. »Entropie«, flüsterte er. »Das ist die Antwort, aber was bedeutet es?« Entropie war die Einheit des universalen Verfalls. Ein menschlicher Körper besteht aus Atomen und Elektronen wie das Universum. Wenn der entropische Wert eines Organismus steigt, ergibt sich welches Resultat? Sammy verwandelte sich in eine fremde Lebensform, das war sicher. Er nahm Energie durch Berührung auf. Ich muß vorsichtiger sein, dachte Court, er könnte gefährlich werden. In diesem Augenblick stieß Marion die Tür auf. »Stephen«, schrie sie aus Leibeskräften. »Männer kommen die Straße herauf. Mit Fackeln. Ich fürchte ...« »Diese Dummköpfe«, brüllte Court wütend. »Trommeln Sie die Dienstboten zusammen! Teilt die Gewehre aus! Auf meinen Befehl sollen sie feuern.« Marion starrte ihn aus schreckgeweiteten Augen an. »Sie wollen doch nicht wirklich schießen lassen?« »Warum nicht? Dieser Bande geht es doch nur um
ihre eigene kostbare Haut. Mir nichts dir nichts würden sie das Haus niederbrennen und Sammy umbringen. Ein Glück, daß ich vorgesorgt habe. Tun Sie, was ich Ihnen sage!« Mit einem Fluch ging Court auf die Veranda. Ein heller Mond beleuchtete die Szene. Vor ihm fiel die Straße steil zum Dorf ab. Fünfundzwanzig oder dreißig Männer – vielleicht auch mehr – trotteten in unheilvoller Stille die Straße herauf. Diese unwissenden Idioten! Schnell hatte der Mob einen Halbkreis um die Veranda gebildet. Zum größten Teil waren es Dörfler und Bauern. Unter normalen Umständen hätten sie ihr Leben friedlich vor sich hinarbeitend verbracht und sich niemals auf ein solch waghalsiges Unternehmen eingelassen. Aber nun standen sie entschlossen vor der Veranda. Court breitete die Arme aus. Obwohl er keine Waffe hatte, zog sich der Mob ein paar Schritte zurück. Ein grauhaariger älterer Mann ergriff das Wort. »Wir möchten einige Fragen beantwortet haben, Mr. Court«, sagte er finster. »Sie beherbergen einen an der Seuche erkrankten Patienten?« »Ja.« Das Ja klang vollkommen ruhig, aber ein Murren machte sich breit. »Ich denke, Sie wissen, daß es ansteckend ist. Nichts kann es aufhalten.« »Es besteht keinerlei Ansteckungsgefahr«, entgegnete Court. »Dafür verbürge ich mich.« Er deutete auf die Fackeln. »Was wollt ihr – meinen Patienten umbringen?« »Nein!« erklärte der Wortführer. »Wir wollen ihn
in ein Krankenhaus schaffen. Die Zeitungen schreiben, daß es kein Mittel gegen die Seuche gibt. Ich habe zwei Kinder, Mr. Court, und der Rest hier sind alles Familienväter. Was würden Sie sagen, wenn ...« »Ich versichere euch, daß keine Gefahr besteht.« Zorn stieg in ihm auf. Seine Nerven, ohnehin durch Überarbeitung und Schlaflosigkeit geschwächt, waren zum Zerreißen gespannt. »Verschwindet!« brüllte er, »oder ihr werdet es bereuen.« Das Murmeln schwoll gefährlich an. Sie rückten näher und hielten nur inne, weil Court die Hand hob. »Wartet! Ich habe ein Dutzend Leute im Haus. Sie stehen schußbereit an den Fenstern. Wir können uns gegen Lynchjustiz wehren.« »Wir wollen niemanden lynchen, Mr. Court. Alles, was wir vorhaben, ist, unser Dorf beschützen. Drunten haben wir ein Auto stehen, mit dem wir Ihr Seuchenopfer ins Krankenhaus bringen.« Court lachte schrill. »Sie armer Irrer! Gerade haben Sie gesagt, daß die Seuche ansteckend ist.« »Sicher. Aber wir haben Gummihandschuhe mitgebracht und in antiseptischer Lösung getränkte Mundbinden, und hinterher waschen wir uns in Karbol.« »Gummihandschuhe!« spottete Court. »Nur eine dicke Bleischicht schützt vor Ansteckung. Wenn ihr euch nicht augenblicklich davonmacht, werden wir euch mit den Gewehren überzeugen.« »Er blufft nicht«, sagte einer. »Ich hab eine Gewehrmündung hinterm Fenster gesehen.« »Keine Angst«, beruhigte sie der Anführer. »Wir
kommen ins Haus, Mr. Court, außer Sie geben den Mann freiwillig heraus.« »Sie setzen den Fuß auf die Schwelle, und ich jage Ihnen eine Kugel durch den Kopf.« Unbeeindruckt stieg der Wortführer die Treppe hinauf; der Rest des Haufens folgte ihm. Court hatte den Finger am Abzug, aber er feuerte nicht. Ein fürchterlicher Konflikt wühlte in ihm. Seine eiskalte Logik gebot ihm zu schießen, Sammy und sein Experiment vor diesen Ignoranten zu retten. Diese Ignoranten waren rechtschaffene, arbeitsame Männer, die nichts Böses im Schilde führten. Sie handelten nur im Interesse der Gemeinschaft. Aus dem Haus drang ein markerschütternder Schrei. »Stephen, schnell!« schrie Marion. »Sammy ist ins Labor gekommen. Er war ...« Der Mann auf der Treppe holte entsetzt Luft, machte ein paar Schritte rückwärts: Furcht und Unsicherheit lief durch die Reihen. Court wußte, daß es Sammy war. Aber die Veränderung war so rapide fortgeschritten, daß er keine Ähnlichkeit mehr mit dem menschenähnlichen Wesen vor einer halben Stunde aufwies. Ein blendender Schatten, mit verfließenden Umrissen, stand auf der Treppe. Und er wisperte. Ein undeutliches, wortloses Surren gab er von sich, wie das Summen eines elektrischen Gerätes. Der Schatten glitt vorwärts. Er umarmte den vor Schreck erstarrten Anführer. Der brüllte auf, als ob er am Spieß steckte. Dann fiel er wachsbleich und leblos der Länge nach hin.
Die Rotte stob nach allen Richtungen auseinander. Das Ding, das Sammy gewesen war, huschte hinter ihnen her. »O mein Gott!« flüsterte Court. »Sammy ...« Er beendete den Satz nicht. Ein Schuß krachte in der Nacht. Der Schatten war unverletzt. Court feuerte das ganze Magazin leer. Aber der Schatten schwebte den Abhang hinunter, den flüchtenden Gestalten nach. »Es hat keinen Sinn«, knirschte Court mit zusammengebissenen Zähnen. »Er absorbiert jede Art von Energie, eingeschlossen kinetische.« Er machte ein Zeichen zu den Fenstern. Die Maschinenpistolen und Gewehre ratterten los. Der Schatten bog um eine Baumgruppe und verschwand in der Nacht. »Armer Sammy! Wir müssen ihn einfangen.« Marion packte Court am Arm. »Das ist nicht mehr Sammy«, sagte Court grimmig. »Ein Ungeheuer, ein Ding aus einem anderen Universum vielleicht. Wir werden die Verfolgung aufnehmen, aber erst muß ich meinen Bleianzug anziehen. Ich glaube nicht, daß wir ihn kriegen.« Er blies über die rauchende Mündung seiner Pistole. »Eine Kreatur, deren Berührung augenblicklichen Tod bedeutet, befindet sich auf freiem Fuß. Und ich bin mir nicht einmal sicher, ob man sie umbringen kann.«
10 Scipio Agricola Africanus hockte in einem Verlies unter der Zirkusarena. Durch die Stäbe des Gitters beobachtete er, wie ein Gladiator den anderen tötete. Der Schwertstreich konnte sich sehen lassen, dachte er. Die Männer aus Gallien waren wirklich Wölfe, dunkel, wild und geschmeidig. Scipio hoffte, gegen einen Gallier antreten zu müssen und nicht gegen einen Löwen oder Elefanten. Ein Wächter in Rüstung klirrte den Gang entlang, öffnete Scipios Gitter und streckte sein Falkengesicht ins Verlies. »Jetzt bist du dran.« »Gut«, antwortete Scipio mit einem erleichterten Aufseufzen. »Ich habe es satt, mich mit Fliegen zu schlagen.« Der Soldat lachte, als er sich bückte, um seine Beinschiene zu richten. »Bei den Laren, du hast Mumm! Zu schade, daß deine Träume gescheitert sind. Ich hätte nichts dagegen gehabt, unter einem Mann wie dir zu dienen.« »Ich bin besiegt worden, weil meine Leute Hasenfüße waren.« Er spuckte verächtlich aus. »Glaub mir, wir hätten Karthago ohne Blutvergießen nehmen können.« »Wenn deine Armee dich nicht im Stich gelassen hätte ...« Der Soldat grinste. »Nichts als Unruhe, seit du nach Afrika gekommen bist, Scipio. War schon genug, daß diese verdammten Römer ihr ›Karthago muß fallen‹ bei jeder Gelegenheit anbrachten. Aber sie beschränkten sich wenigstens auf dieses Geschrei.
Und was hast du gemacht?« Scipios Augen funkelten. Er war ein riesiger, schwarzverbrannter Mann, dessen Gesicht und Körper die Narben ungezählter Schlachten zierten. Der schiefen, verknorpelten Nase sah man an daß sie mehr als einen Schlag hinter sich hatte. In die Stirn ringelten sich pechschwarze Locken. »Was ich getan habe?« fragte der Abenteurer. »Wäre willens gewesen, deinem König meine Dienste anzubieten, aber er hat keinen Wert darauf gelegt.« »Jupiter!« rief der Soldat. »Betrunken hast du den König in eine übel beleumundete Spielhölle geschleppt. Kein Wunder, daß du danach in die Berge fliehen mußtest. Dann kam dir die verrückte Idee eine eigene unabhängige Stadt zu gründen. Das wäre dir geglückt wenn du mit deinen Gefolgsleuten weit genug ins Innere Nubiens gezogen wärst. Aber du hast dir Karthago ausgesucht. Ausgerechnet Karthago!« Der Soldat brach in höhnisches Gelächter aus. »Komm in Reichweite meiner gefesselten Hände«, forderte ihn Scipio freundlich auf, »und ich drehe dir mit Vergnügen den Kragen um.« »Spar es dir für die Arena«, meinte der Soldat, zog sich aber doch ein wenig zurück. »Heute abend werden die Ausschreier verkünden, daß der Karthager Scipio nicht mehr ist. Nur daß du eigentlich kein Karthager bist. Nicht wahr?« »Warum nicht? Rom ist ein Schmelztiegel. Das Blut von einem Dutzend verschiedener Rassen fließt in meinen Adern. Zur Zeit bin ich jedenfalls ein Bürger Karthagos. Übrigens, wie soll ich sterben?« »Elefant. Sie haben einen riesengroßen Bullen, den sie durch Hunger und Durst gereizt haben. Ihr wer-
det euch zu gleichen Bedingungen gegenübergestellt – beide unbewaffnet.« Er warf einen vorsichtigen Blick über die Schulter. »Ich werde dich bis zum Tor in die Arena begleiten. Und solltest du mein Schwert erwischen und mitnehmen – solche Dinge sind schon vorgekommen.« Scipio nickte. »Dumm, daß du keine Lanze hast. Mit einem Schwert läßt sich nicht viel anfangen. Aber es fließt wenigstens ein bißchen Blut, bevor mich der Koloß zertrampelt. Wenn du mich jetzt entkommen läßt, mache ich dich zum Statthalter eines Staates, den ich zu gründen hoffe.« »Hört den Verrückten«, sagte der Soldat, konnte aber seine Bewunderung nicht verhehlen. »In Ketten, ohne einen einzigen Gönner, in einer Viertelstunde zermatscht, und bietet mir an, mich zum Statthalter zu machen. Im Land deiner Träume, vielleicht. Leider bin ich durch meinen Waffeneid gebunden, und du wirst wohl oder übel in die Arena müssen.« Das schmutzige Stroh raschelte, als Scipio aufstand. Die Schreie eines zu Tod Verwundeten klangen herein, gefolgt vom triumphierenden Gebrüll eines Löwen. »Deine Stunde hat geschlagen«, bemerkte der Soldat. »Bin mir nicht so sicher.« In Scipios Augen glomm ein merkwürdiges Feuer. »Noch kurz bevor du kamst, hatte ich das bestimmte Gefühl, daß die Götter mich beobachteten. Nicht ausgeschlossen, daß ...« Mehr Wachen erschienen, und der Karthager wurde abgeführt. Fast nackt schimmerte sein Körper wie Ebenholz im Dämmerlicht des Ganges. Die Fesseln wurden ihm
abgenommen, und das Tor zur Arena tat sich auf. Neben sich erblickte er den freundlichen Soldaten, so abgewandt, daß er nur nach dem Schwertgriff zu greifen brauchte. Bevor die verblüfften Wachen sich rühren konnten, rannte er in die Arena. Seine Fußsohlen brannten von dem heißen Sand. Unbarmherzig glühte die Sonne. Scipio nahm die Zuschauermenge nur undeutlich wahr. Er umklammerte den Schwertgriff und strich sich die Locken aus der Stirn. Ein Elefant! Keiner kam gegen ein solches Biest an, aber kämpfen konnte man wenigstens. »Lebt wohl, meine Träume vom Imperium«, murmelte er mit einem sarkastischen Lächeln. »Die Welt hätte ich beherrschen können, unter der Voraussetzung von ein bißchen mehr Glück und Zeit. Und jetzt tränke ich den Sand mit meinem Blut.« Er wandte sich zur Herrscherloge und hob die Hand zum Gruß. Der König nickte, in Erwartung des üblichen »Die Todgeweihten grüßen dich«. Scipio enttäuschte seinen Gastgeber. Aus Leibeskräften brüllte er die Worte, die die Karthager am meisten in Wut versetzen mußten. »Karthago muß fallen!« Die Zuschauer sprangen auf. Der Herrscher machte eine kurze ärgerliche Bewegung. Grinsend sah Scipio, wie ein schweres Eisengitter hochgezogen wurde. Ein paar Herzschläge lang lag Totenstille über dem Zirkus. Die Blutflecken im Sand dampften. Dann donnerte der Elefant aus dem Tor, bremste Staub aufwirbelnd in der Mitte der Sandfläche. Er zwinkerte mit den kleinen blutunterlaufenen Augen
und entrollte nervös seinen Rüssel. Scipio wog das Schwert in der Hand. Es war nutzlos, da er es nicht als Wurfspieß benutzen konnte. Die kurze Klinge war zu breit, um ein Auge, die verwundbarste Stelle eines Elefanten, durchbohren zu können. Er dachte daran, dem Ungeheuer den Rüssel abzuhauen, aber da waren immer noch die Stoßzähne und die Säulenbeine, die einen Menschen zu Brei zerstampfen konnten. »Jedenfalls«, stellte er mit bitterer Befriedigung fest, »haben sie für meinen Tod ihren größten Elefanten aufgeboten.« Der Elefant trabte auf ihn zu. Seine roten Augen suchten in allen Richtungen, bis er Scipio gefunden hatte. Er blieb stehen, schwang den Rüssel und trompetete wütend. Wieder wurde die Sonne von einer Wolke verdunkelt. Der Karthager hatte keine Zeit, aufzublicken. Er ging in die Knie, das Schwert wie einen Wurfspieß in der Hand. Der Elefant verfiel in einen schwankenden Trab, wurde schneller ... Scipio sah die zurückgelegten Ohren, den mörderisch erhobenen Rüssel, die glänzenden Stoßzähne. Jetzt war der graue Fleischberg direkt vor ihm ... Vom Himmel schoß ein Blitz herab. Er traf den Elefanten in der Bewegung, badete ihn in weißglühende Helligkeit. Und das Untier verschwand! Die tiefen Eindrücke seiner Füße endeten nur wenige Meter vor der Stelle, an der Scipio kauerte. Von den Galerien erhob sich ein entsetzter Schrei. Ein goldener Ball von unglaublichen Ausmaßen senkte sich in die Arena. Leicht wie eine Feder setzte
er auf. Eine Öffnung in seiner Außenwand sprang auf. Scipio erkannte einen mageren, blassen Mann mit den scharfen, vornehmen Zügen eines Adligen. Er war merkwürdig gekleidet und winkte ihm. Hinter ihm stand ein fetter Orientale. Ein Speer prallte an der goldenen Wand ab. Fassungslos, ohne zu wissen, was er tat, raste Scipio zum Schiff und kletterte hinein. Ob der blasse Mann ein Gott oder ein Unhold war, zumindest schien er freundlich. Und was noch wichtiger war, die Arena bedeutete den sicheren Tod. Die Tür schlug hinter Scipio zu, er stolperte durch die innere Schleuse und stand breitbeinig da, um seine Umgebung zu mustern. Ein Ruck schüttelte das Schiff, als es sich in die Luft erhob. Der Orientale strahlte ihn an. »Entspanne dich, Freund!« sagte er lispelnd. »Du sprichst Latein?« »Natürlich«, erklärte Scipio. »Die ganze Welt spricht Latein. Bist du ein Gott? Ich bezweifle es, denn nur Bacchus und Silenus sind so fettleibig, aber ihre Haut ist nicht gelb.« Der Chinese schüttelte sich vor Lachen, so daß er sich den Bauch halten mußte. »Von diesem Bacchus habe ich gehört. Ein neuer Gott, aber ein guter. Laß dich nieder!« Er wies einladend auf eine Bank. »Mein Name ist Li Yang. Bist du hungrig?« Scipio verneinte und setzte sich behutsam auf die weiche Polsterung. »Du hast mich Freund genannt?« fragte er. »Ich sollte dich besser Gefährte nennen. Ardath,
der blasse Mann, der dich ins Schiff gewinkt hat, sah deine latenten Fähigkeiten, Narbengesicht. Er las deine Gedanken, während du schliefst. Ah, du träumst Träume von einem Imperium, du Narr!« »Das Unglück hat mich verfolgt«, sagte Scipio leichthin. »Die Götter sind mir nicht wohlgesinnt, und deshalb trage ich keine Krone.« »Noch wirst du eine tragen! Du bist nicht skrupellos genug. Du könntest ein Imperium erobern, aber mit dem Regieren hapert es. Unter allen Thronen ringelt sich die Schlange der Falschheit. Du bist zu aufrichtig, Scipio!« Der Karthager hatte den Mund zu einer Antwort geöffnet, als er plötzlich innehielt und die Augen aufriß. Zwei Gestalten standen auf der Schwelle. Eine davon war Thordred, aber Scipio verschwendete keinen Blick auf den Riesen. Sein Blick hing an der Priesterin von Atlanta. Sie war wirklich hinreißend schön, wie sie so dastand und Scipio mit bewundernder Aufmerksamkeit betrachtete. »Beim Blitz des Zeus«, keuchte er. »Das ist eine Göttin! Venus persönlich!« Jansaiya sonnte sich in ihrer Wirkung. Aus halbgeschlossenen, seegrünen Augen sah sie ihn unverwandt an. »Du bist Scipio?« Sie kam auf ihn zu und legte eine kleine schlanke Hand auf den muskulösen Arm des Karthagers. Er schaute sie verklärt an. »Woher kennst du mich? Wer bist du?« »Jansaiya!« Sie drehte kokett ihren Kopf. »Und das
ist Thordred.« Erst jetzt sah Scipio mit Bewußtsein den Giganten. Die Blicke der beiden Männer trafen sich. Scipio merkte nicht, daß Jansaiya ihre Hand von seinem Arm nahm. Li Yang spitzte die Lippen, als er seine Blicke von einem zum anderen wandern ließ. Der Anblick war sehenswert. Scipios Züge verhärteten sich unter dem Blick der gelben Raubtieraugen. Geheime Feindschaft schwelte in diesem Blick. Ardath brach, aus dem Labor kommend, die peinliche Stille. »Wir schwenken in unsere Umlaufbahn«, verkündete er gutgelaunt. »Bald werden wir wieder schlafen. Aber vorher laß mich erklären, Krieger ...« »Wirst du uns begleiten?« fragte Ardath am Ende seiner Ausführungen. »Warum nicht? Diese Welt ist nicht reif für einen Mann wie mich. In kommenden Zeitaltern wird man meine Größe erkennen und sich willig meiner Herrschaft unterwerfen.« Sein markantes Narbengesicht verzog sich zu einem Grinsen, und er sah zu Jansaiya hinüber. »Außerdem befinde ich mich in angenehmster Gesellschaft. Wie vielen Männern ist es vergönnt, eine Göttin kennenzulernen.« Thordred brummte einen Fluch in seinen Bart, während Li Yang kicherte. Der fette Chinese ergriff seine Laute und spannte die Saiten. Er begann mit einem schleppenden Singsang. Ein eindringlicher Summton, der sich rapide steigerte, breitete sich im Schiff aus. Li Yang schwang sich schwerfällig auf eine Couch. Scipio folgte seinem Beispiel.
»Schenke mir süße Träume, holde Göttin«, murmelte er. Jansaiya war schon eingeschlafen. Li Yangs winziger Hand entglitt die Laute. Scipio fielen die Augen zu. Ardath kam mit seinem sanften Lächeln aus dem Labor. Vielleicht dachte er daran, daß ihn das nächste Aufwachen seinem Ziel näherbringen würde. Er merkte nicht, daß Thordred neben ihm stand. Mit langsamer werdenden Fingern strich er über die Wand. Thordred kniff abwechselnd die Augen zusammen und riß sie wieder auf, als er gewaltsam gegen den Schlaf ankämpfte. Mit der Langsamkeit einsetzender Starre kam seine Hand hinter dem Rücken hervor. Sie hielt einen dicken Metallstab. Er ließ ihn auf Ardaths Kopf niedersausen. Ardath fiel ohne einen Laut. Blut sickerte in sein dunkles Haar. Augenblicklich machte sich Thordred an der Instrumentierung zu schaffen. Wenn es ihm noch gelang, einen einzigen Hebel zu bewegen, schaltete sich der Einschläferungs-Apparat aus. Der Summton wurde lauter. Er vibrierte durch jedes Atom von Thordreds Körper. Thordred sank auf den Boden, aber sein Bewußtsein flammte noch einmal auf und zwang ihn auf die Knie. Er stemmte sich hoch, um nach dem Hebel zu greifen. Hilflos glitt seine Hand ab, und diesmal brach er endgültig zusammen. Die gelben Augen überzog der Film kataleptischen Schlafes. Das Summen erreichte seinen Höhepunkt und erstarb. Im goldenen Schiff rührte sich nichts mehr, als
es in seine Bahn einschwenkte und die RobotSteuerung die richtigen Einstellungen vornahm. Das Schiff raste um die Erde. Auf Li Yangs Laute war eine Saite gesprungen ...
11 Stephen Court steuerte seinen Wagen in atemberaubender Geschwindigkeit über eine Brücke in Wisconsin, als Marion aufblickte und ihn fragte: »Wie lange noch?« »Zwei Stunden ungefähr. Erst kommen wir durch Madison«, brummte Court. »Der Flughafen ist hundertfünfzig Kilometer südlich von hier.« Marion zog ein Notizbuch aus ihrer Tasche und blätterte hastig darin. »Es ist alles überprüft, denke ich«, berichtete sie abwesend. »Nur der Testflug der Terra wurde nicht durchgeführt.« »Alberner Name, den die Zeitungen dem Schiff gegeben haben. Wozu braucht es einen Namen? Die Hauptsache, es macht den Flug.« »Und wenn es ihn nicht macht?« »Dann ist nicht viel verloren. Mehr als vier Wochen arbeite ich nun an der Seuche – seit Sammy weg ist –, und ich bin kein Stück weitergekommen. Unsere Wissenschaft ist einfach nicht fortgeschritten genug. Meine einzige Hoffnung ist, daß ich in dem goldenen Schiff auf etwas stoße, das mich weiterbringt. Wir werden ja sehen.« »Warum müssen Sie allein gehen?« fragte sie mit unsicherer Stimme.
»Weil nur Platz für eine Person ist. Wir können nichts riskieren. Es enthält sowieso nur wenig Luft und Proviant. Ich bin der geeignetste Mann, und deshalb gehe ich.« »Aber nehmen wir an, es passiert etwas!« »Ich kann die Seuche sowieso nicht ausrotten. X ist immer noch rätselhaft. Der einzige Schlüssel heißt Entropie. Ich weiß, daß X von einem Element in der Erdatmosphäre katalysiert wird. Es beschleunigt die Entropie eines lebenden Organismus, verändert ihn in eine Lebensform, die allen Vorausberechnungen nach in einer Million Jahre auftreten wird.« Er schaltete das Radio an. Ein Nachrichtensprecher verkündete mit erregter Stimme: »In der Umgebung von Pittsburgh wurde der Ausnahmezustand erklärt. Pioniere sprengen einen tiefen Graben um die Stadt und füllen ihn mit Säuren. Ob die Maßnahme wirksam ist, weiß niemand. In den Flüssen treiben die Leichen. Die Seuche breitet sich unaufhaltsam aus. Ungefähr hundert Überträger wurden in Pittsburgh gezählt, und die Brücken sind von Flüchtenden verstopft ...« So viele waren es also schon. Sammy war einer der ersten gewesen, und er befand sich immer noch in Freiheit, da nichts ihn fangen oder zerstören konnte. »Die Überträger töten ihre Opfer unverzüglich durch Berührung. Die Polizei ist mit Bleianzügen ausgestattet worden, aber sie garantieren nicht immer vollen Schutz. Es hängt von der Strahlungsstärke des Überträgers ab. An den New Yorker Brücken und in den Untergrundbahnen hat der Bürgermeister Sprengladungen anbringen lassen. Er wird, falls es nötig ist, Manhattan abriegeln. Laut Schätzungen existieren an die dreitausend
Überträger im Augenblick, über die ganze Erde verstreut. Von Buenos Aires ...« Mit einer ungeduldigen Bewegung schaltete Court das Radio aus. »Keine Hoffnung«, sagte er. »Die Seuche ist nicht einzudämmen.« In stummer Verzweiflung saßen sie im Wagen. Die Landschaft zog friedlich an ihnen vorüber. Rechts und links begleiteten sie die grünen geschwungenen Hügel von Wisconsin. Neben der Straße floß ein breiter, träger Fluß. Der einzige Laut in der Stille war das Geräusch des Motors. Marion lehnte sich in ihrem Sitz zurück und starrte in den wolkenlos blauen Himmel. Sie ließ ihre Gedanken treiben. Wenn die Erde nicht von der Seuche befallen worden wäre, und Stephen und sie würden unter demselben Himmel die Straße entlangfahren ... Kurz darauf erreichten sie das Flugfeld. Das Schiff war herausgefahren worden. Ein schimmernder, goldener Zylinder, von vier Metern Durchmesser und zehn Metern Länge. Glänzend hob es sich von dem schwarzen Untergrund ab. »Ein bißchen klein«, stellte Court fest. »Aber bei diesem Zeitdruck konnten wir kein größeres bauen.« Eine Gruppe von Mechanikern und Arbeitern umstand das Schiff. »Alles in Ordnung«, erklärte der Ingenieur. »Es ist warmgelaufen und startbereit, Mr. Court.« »Viel Glück«, sagte Marion schwer atmend. »Danke.« Er blieb an der Einstiegsluke stehen. »Nun ...« Sein Blick ruhte auf dem Mädchen, glitt zu den grünen Hügeln und wieder zu Marion. Scharfe Falten gruben sich in seine Mundwinkel, unbewußt
öffnete er die Lippen, gewann aber dann mit sichtbarer Anstrengung seine Beherrschung zurück. »Danke«, sagte er noch einmal. »Auf Wiedersehen. Marion. Wir sehen uns bald.« Er stieg ins Schiff und schloß die Tür. Marion stand ganz still und merkte nicht, wie ihre Finger das Taschentuch zerknüllten. Die Terra stieg mit Beschleunigung in den Himmel, wurde kleiner und kleiner, bis sie nur noch ein glitzerndes Goldkorn im unendlichen Blau war. Eine nie gekannte Aufregung ergriff Court, als er sich seinem Ziel näherte. Instinktmäßig fühlte er, daß die Begegnung noch wichtiger werden würde, als er sich vorgestellt hatte. Als Court feststellte, daß seine Hände an den Schalthebeln zitterten, unterdrückte er gewaltsam seine Nervosität. Aber er konnte sich eines Schauers nicht erwehren, daß er, Stephen Court, ein Mann der Erde, einer solch schicksalhaften Begegnung entgegensah. Er blickte aus der Luke, und sein Herzschlag setzte für eine Sekunde aus. Das goldene Schiff hing vor ihm, eine geheimnisvolle, schimmernde Kugel in der sternenerleuchteten Schwärze des Raums. Schnell wurde es größer. Als Court seine Geschwindigkeit verringerte, war er totenblaß. Es war nicht schwierig, die Terra an die Seite des goldenen Schiffes heranzumanövrieren. Hülle kratzte gegen Hülle, bis die Einstiegsluken sich gegenüberlagen. Court zog einen Hebel aus seiner Ruhestellung, drehte ein Rad, und ein luftdichter, gummiartiger Ring umspannte die Schiffe. Er stülpte sich eine Sauerstoffmaske über, nahm ei-
nen Revolver und öffnete vorsichtig die Außentür. Es strömte keine Luft aus dem Schiff. Vor sich hatte er eine gelbe Metalloberfläche, in der eine feine Linie den ovalen Türeinschnitt markierte. Court drückte gegen die Tür, aber sie gab nicht nach. Er versuchte es mit einem Elektromagneten, aber ohne Erfolg. Schließlich griff er zu einer Säure, die ein kleines Loch in das Metall fraß. Die Luft, die er sofort prüfte war verbraucht, aber nicht giftig. Court langte durch das Loch und konnte die Tür öffnen. Die Knie versagten ihm fast, als er einen drei Meter langen, leeren Gang entlangstolperte. Er öffnete den Verschluß, und die zweite Tür schwang auf. Von der Terra drang ein Luftstrom ins goldene Schiff. Er überquerte die Schwelle und blieb mit klopfendem Herzen stehen. Er befand sich in einem Raum mittlerer Größe, offenbar nur einer von vielen in diesem geräumigen Schiff. Das Zimmer war kahl; es enthielt nur ein paar Couches. Und auf den Couches lagen menschliche Wesen! Ein gigantischer, vernarbter Mann, nackt bis auf einen Lederschurz; sein brauner Körper glänzte in dem matten Licht, das eine unsichtbare Quelle verbreitete. Ein Chinese, fett wie ein Buddha, hatte sich auf einer Liege ausgestreckt. Ein Mädchen war da ... Sie lächelte im Schlaf, das Gesicht halb von goldblonden Haaren bedeckt. Auf dem Boden neben der Tür entdeckte Court einen Mann von zartem Körperbau mit feingeschnittenen, vornehmen Zügen. Die ganze Gestalt trug den Stempel des Andersartigen. Der nächste lag auf der Schwelle zum anschließenden Raum, die Hand nach
dem Schaltbrett ausgestreckt. Court ging zu ihm. Er bemerkte, daß er sich in einem Laboratorium befand – und zwar in keinem irdischen. Staunend betrachtete er die ihm unverständlichen Apparate und Vorrichtungen. Dann bezwang er seine Neugierde und kniete sich neben die mit dem Gesicht nach unten liegende Gestalt. Er drehte sie auf den Rücken. Die Züge des Mannes waren brutal. Besonders fiel ihm sein kämpferisch vorgeschobenes Kinn auf. Die Brust des Mannes hob und senkte sich nicht. Court konnte keinen Pulsschlag spüren. Er nahm nicht an, daß er tot war. Der Körper war unversehrt. Gab es nicht etwas wie Katalepsie? Die anderen waren nicht weniger gut erhalten! Aus seinem Schiff holte er Heizkissen und stimulierende Mittel. Bei welchem sollte er zuerst mit seinen Wiederbelebungsversuchen anfangen? Bei dem Mädchen? Oder dem Chinesen? Warum nicht bei dem bärtigen Riesen? Der Umstand, daß er im Labor lag – dem Herzen des Schiffes – sprach dafür, daß er Wissenschaftler war. Als erstes Wärme! Er plazierte die Heizkissen in die Achselhöhlen und an die Innenseite der Schenkel. Dann ließ er Adrenalin, Brandy und künstliche Beatmung folgen. Endlich fing die Lunge zu arbeiten an. Der Riese stieß ihn vor die Brust und sprang auf die Beine. Benommen starrte er den Kleineren an. Er sagte irgend etwas, das Court nicht verstand. Court hielt seinen Revolver in der Hand und fi-
xierte den Riesen. Der ging an ihm vorbei in den nächsten Raum und kehrte grinsend zurück. Er stemmte die Arme in die Seite und sprach ihn lateinisch an. Als Wissenschaftler hatte Court einige Zeit auf das Studium dieser alten Sprache verwendet. »Ich komme von der Erde«, erklärte er. »Vom dritten Planeten der Sonne. Ich hege keine bösen Absichten. Ich habe dich aufgeweckt ...« Der andere nickte. »Mein Name ist Thordred. Aber es ist keine Zeit mit Reden zu verlieren. Erzähle mir kurz, wie du uns gefunden hast!« Court gehorchte. Während seiner Schilderung ging Thordred auf und ab, betrachtete die schlafenden Gestalten und stieß den kleinen, schlanken Mann mit dem Fuß an. »Tot, glaube ich. Ist das dein Schiff?« Er deutete auf die Einstiegsluke. »Ja.« »Gut, das wirst du nicht mehr brauchen. Mein Schiff ist von jetzt ab auch deines.« Thordreds Augen funkelten, als er Ardath in Courts Schiff schleifte. Er studierte die Instrumentierung. Nach einer wohlüberlegten Einstellung kam er wieder. Die Tür der Terra hatte sich geschlossen, dann der Einstieg des großen Schiffes. Court wurde es unbehaglich. »Thordred«, herrschte er ihn an, »was tust du?« Der Riese wandte sich zu einem Fernsehschirm an der Wand. »Schau!« Auf dem Schirm sah Court die Terra durch den Raum davonschießen. Er fühlte einen Stich, der sich
in kalte Wut verwandelte. »Welches Recht ...« Thordred grinste verschlagen. »Langsam, Stephen Court! Ich habe dir gesagt, daß dieses Schiff deines ist. Was den Schmächtigen betrifft« – Haß sprühte aus seinen gelben Augen –, »er war ein Abtrünniger und Verräter. Er plante, uns alle umzubringen. Jetzt ist er tot, aber Wissenschaft und Zauberei können vielleicht sogar einen Toten wieder lebendig machen. So geht Ardath dahin, wo es weder Wissenschaft noch Magie gibt – nämlich zur Sonne!« »Zur Sonne!« »Ja. Auf diesen Kurs habe ich dein Schiff gesetzt. Ardath entgeht seinem Schicksal nicht, sofern ein toter Mann überhaupt ein zweites Mal sterben kann. Jetzt wollen wir uns um die anderen kümmern.« »Wecken wir sie?« »Einen nach dem anderen. Das Mädchen kommt als erste dran.« Thordred zögerte. »Nimm dir Jansaiya vor, während ich die Daten eingebe. Wir fliegen zur Erde.« »Gut!« Courts Ärger war verflogen. »Wir können deine Hilfe brauchen.« Er dachte daran, daß es ihrem vereinten Wissen gelingen konnte, der Seuche Herr zu werden. Thordred ging triumphierend ins Labor.
12 Court mühte sich mit dem goldhaarigen Mädchen ab. Sie erschien ihm wie eine Nymphe, ein unirdisches Geschöpf.
Die hauchdünne violette Seide ihres Gewandes verhüllte kaum die lockenden Rundungen ihres zarten Körpers. Ihre langen Wimpern ruhten auf den rosigen Wangen. Sie wirkte so hilflos, so kindlich. Wie ein Kätzchen lag sie zusammengerollt auf der Couch. Ihre ergreifende Lieblichkeit empfand Court plötzlich als fast körperlichen Schmerz. Nicht daß er sich augenblicklich in sie verliebt, daß die Leidenschaft ihn gepackt hätte. Aber sie stellte für ihn die Verkörperung von etwas bisher nicht Wahrgenommenem dar. Sie war Jugend und Schönheit, ein Symbol der Träume, die die meisten Männer geträumt haben, bevor sie zu alt werden. Während er Jansaiya anstaunte, wurde ihm klar, daß er Jugend und wunderbare Träume nicht kannte. Marion Barton drängte sich in seine Gedanken, aber er schob sie von sich. Gelegentlich kam Thordred aus der Tür des Labors, um Courts Bemühungen zu begutachten, aber mit fortschreitender Zeit wurden seine Besuche seltener. Obwohl der Übertragungshelm ihm Ardaths Wissen vermittelt hatte, hatte er ihm nicht seine überlegene schöpferische Intelligenz verliehen. Das Schiff zur Erde zu steuern, war schwieriger, als er sich vorgestellt hatte. Außerdem arbeitete er an gewissen Veränderungen des Übertragungshelmes. So erlebte er nicht Jansaiyas Erwachen. Seit einiger Zeit atmete sie regelmäßig. Nun flatterten ihre Augenlider, und die grünen Augen öffneten sich. Als sie Court erblickten, formten die Lippen eine weiche, wortlose Frage. »Athloyee s'ya voh ...?« Court beantwortete des Mädchens Sprache, von
der er nicht wissen konnte, daß sie Atlantisch war, mit Latein. »Strenge dich nicht mit dem Sprechen; an! Du bist in Sicherheit.« »Ich bin das? Natürlich! Aber wo ist Ardath?« »Tot. Thordred ...« Court brach ab, von dem Gesichtsausdruck Jansaiyas verwirrt. Er sah Furcht, Verwunderung und die Andeutung eines Lächelns voll so bösen Triumphs, daß es ihn abstieß. »Tot?« Sie wandte den Kopf und schaute sich im Raum um. »Li Yang. Ja. Und Scipio. Wo steckt Thordred? Ist er auch tot?« »Nein. Soll ich ihn rufen?« Eine kleine Hand hielt ihn zurück. »Warte! Wer bist du?« Ehe er antworten konnte, schreckte sie Thordreds harte Stimme auf. »Jansaiya! Du bist wach? Gut!« Thordred machte ein verstohlenes Signal zu Jansaiya, dessen Bedeutung Court nicht verstand. Das Mädchen verzog die Lippen, sagte aber nichts. Im Labor drückte ihn Thordred auf einen Stuhl. »Setze diesen Helm auf!« Court wog das gewichtige Kopfstück in der Hand. Schneckenförmige Drähte gingen von ihm aus. Er beäugte es argwöhnisch. »Es ist nicht gefährlich. Es bringt dir meine Sprache bei und lehrt mich deine. Gewisse Gedächtnismuster – Aufbau deiner Muttersprache – werden wechselseitig übertragen. Komm!« Thordred stülpte sich einen ähnlichen Helm auf den Kopf. Ein unerklärlicher Impuls hielt Court zurück.
»Ich weiß nicht ...« Der Riese grinste breit. »Ich sagte dir schon, daß ich nichts Schlimmes mit dir vorhabe. Wenn ich dich hätte umbringen wollen, hätte ich es längst tun können. Ich brauche dein Wissen und du meines.« Thordred kicherte. »Und es vereinfacht nur unser Zusammenleben, wenn wir unsere Sprache beherrschen.« Court erklärte sich einverstanden. Sofort beugte sich Thordred zur Instrumentierung. Court hörte das Knistern freigewordener Energie. Der Druck in seinem Kopf war so unerträglich, daß er fürchtete, er würde ihm den Schädel sprengen. Ihm wurde schwarz vor den Augen. Er verlor das Bewußtsein. Als er aufwachte, war das Labor leer. Sein Kopf schmerzte fürchterlich. Der Helm war weg. »Wach, eh?« erkundigte sich Thordred in unmißverständlichem Englisch. Er ging zu einem Bord und holte einen Flakon herunter. »Trink das! Es ist ein Anregungsmittel. Kein Brandy, aber ebenso wirksam.« Court schüttete die geschmacklose kalte Flüssigkeit hinunter. Sein Kopfweh war wie weggeblasen. »Du hast Englisch gelernt, wie ich sehe. Der Helm ist genial. Aber ich merke nichts von deiner Sprache.« »Stimmt«, gab Thordred zu. »Muß an einer Funktionsstörung liegen. Ist im Augenblick auch nicht wichtig. Wir haben genug Zeit das nachzuholen. Zumindest kann ich Englisch. Das genügt, um wissenschaftliche Gespräche zu führen.« Stephen gab sich zufrieden. »Wo sind wir?« fragte er. »Wir landen gleich auf der Erde.« Thordred
schaute ihn prüfend an. »Court, ich will ehrlich mit dir sein. Dein Gehirn hat mir mehr verraten, als nur deine Sprache. Die Seuche zum Beispiel, die dich belastet.« Courts Gesicht verfinsterte sich. Diese unerwartete Eröffnung barg Gefahren. Wieviel war aus seinem in Thordreds Gehirn übergegangen? Aber was beunruhigte es ihn? Der bärtige Riese war sein Freund, der einzige mächtige Verbündete auf Erden. »Thordred! Mit deinen Fähigkeiten und meinen sollte es möglich sein, sie zu besiegen.« »Da gibt es nur einen Ausweg. Die Erde ist dem Untergang geweiht. Sie bedeutet den sicheren Tod. Aber dies ist ein Raumschiff und es besteht keine Notwendigkeit, auf den Tod zu warten.« Thordred kam Courts Einwand zuvor. »Warte! Es gibt andere Planeten auf denen Leben möglich ist. Wir können fünfzig bis siebzig Passagiere laden, Frauen und Männer. Mit ihnen läßt sich auf einer anderen Welt eine neue Zivilisation gründen.« »Nein!« Court wußte kaum, was er sagte. »Du meinst, wir sollen diese Welt im Stich lassen?« »Welchen Sinn hat es, zu bleiben? Es ist Selbstmord. Du bist kräftig und intelligent, Court. Die Sorte Mann, die ich für eine Neugründung brauche. Deshalb habe ich dich nicht umgebracht.« Es herrschte Totenstille. Thordred wich seinem Blick nicht aus. »Ich kann dich auch jetzt noch leicht umbringen. Die Entscheidung liegt bei dir. Schließe dich mir an, stelle dein fähiges Gehirn in meinen Dienst, und du brauchst nicht zu sterben!« Court versuchte, sich über seine Gefühle klar zu
werden. Sein Bestroben die Seuche zu bekämpfen, war vorwiegend wissenschaftlicher Natur. Hatte er, ein Super-Intellekt, jemals Mitgefühl für gewöhnliche Menschen empfunden? War es wirklich so schrecklich daß die Erde unterging, wenn auf einem entfernten sicheren Planeten eine neue Kultur aufgebaut würde? Eine Alarmglocke schrillte. Thordred schaltete den Fernsehschirm an. Das Schiff war auf einem parkähnlichen Gelände gelandet. Plötzlich erkannte Court den Central Park in New York. Ein Polizeikordon schirmte das Schiff gegen die andrängende Menschenmasse ab. Eine kleine Gruppe uniformierter Männer machte sich an der Außenwand zu schaffen und brannte ein Loch ins Metall. Thordred grinste. »Vielleicht hätte ich an einer weniger dicht bevölkerten Stelle landen sollen, aber das Schiff ist mit den Waffen, die mir zur Verfügung stehen, uneinnehmbar. Ein Strahl, und diese Leute verbrennen zu Asche.« »Du wirst doch nicht ...« hörte sich Court sagen. »Natürlich. Je eher die Erde meine Macht spürt, desto besser.« Thordred ging zum Kontrollbord. Stephen starrte auf seinen Rücken. Die Empfindungen, die er sein ganzes Leben unterdrückt hatte wallten in ihm auf. Er sah Marion Bartons weiches Gesicht vor sich; Sammys altes, braun und faltig. Er hatte sich für ein Ideal geopfert, das Ideal der Menschlichkeit, an das Court nicht glaubte. Das heißt, er hatte bisher nicht daran geglaubt. Courts natürliches Erbe, seine tiefe Menschlichkeit
brach durch die künstlichen Barrieren, die sein Verstand errichtet hatte. Er hatte die Seuche bekämpft, um das Leben von Frauen und Männern zu retten, um sie vor einem gräßlichen Tod zu bewahren. Jetzt erst erkannte er sein wahres Motiv. Fälschlich hatte er sich eingeredet, daß er eine wissenschaftliche Maschine war. Er war ein Genie, vielleicht, aber in erster Linie war er Mensch. Instinktiv verteidigte er die Schwächeren, selbst gegen unbesiegbare Mächte. Court stockte der Atem, als er den Riesen einen Hebel bewegen sah. Mit dem Mut der Verzweiflung warf er sich auf Thordred. Von einem lähmenden Schock wurde er zurückgeschleudert. Thordred wirbelte mit aufgerissenem Mund herum. Als Court zum zweiten Sprung ansetzen wollte, hielt Thordred ihn mit einer Hand fest. »Du Narr, durch den Abwehrschirm um meinen Körper kommst du nicht. Bleib wo du bist!« Court zitterte vor Wut. »Du hast deine Wissenschaft, Thordred, aber ich besitze meine.« »Deine Wissenschaft«, äffte ihn Thordred nach. »Hör mir gut zu! Daß ich mehr als deine Sprache aus deinem Hirn geholt habe, weißt du bereits. Aber du weißt nicht, daß ich dein gesamtes Wissen aufgenommen habe. Nichts ist mehr in deinem Kopf, das ich nicht auch wüßte.« Court wurde es schwach, als er die volle Tragweite dieser Mitteilung erkannte. Mit den Blicken suchte er das Labor nach einer Waffe ab. Die Apparatur war ihm vollkommen fremd, doch mußte sie auf ihm vertrauten wissenschaftlichen Prinzipien beruhen.
Courts Gehirn arbeitete fieberhaft. Hebel, Schaltknöpfe, Drähte, Röhren – alle waren sie nach einem bestimmten System angeordnet. Auf einem Brett flammten mehrere rote Lichter. Unter jeder Lampe erkannte Court etwas, was ein Druckknopf sein mußte. Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder hatte das Schaltbrett etwas mit Thordreds Todesstrahl zu tun oder es war Teil eines Alarmsystems. Wahrscheinlich war es ein Alarmsystem, denn Thordred hantierte an einem anderen Instrumentenbord. Die Polizei draußen brannte ein Loch in die Schiffstür, und das rote Licht flackerte. Der Knopf unter dem Licht, entschied Court, öffnete die Tür. Sein Gesicht war unbeweglich, als er entmutigt die Schultern hängen ließ. Thordred fiel auf diese Bewegung herein und lockerte seinen Griff. Diesmal sprang Court nicht auf Thordred. Er stürzte sich auf das Brett, wo das rote Licht glühte. Er streckte die Hand aus und drückte auf den Knopf! Thordred brüllte vor Wut. Schritte trampelten laut auf dem Metallboden der Luftschleuse. Die Hände schützend über dem Kopf, in Erwartung eines Angriffs, rannte Court ihnen entgegen. Aber Thordred verfolgte ihn nicht. Statt dessen hörte er ein Knistern und Zischen. Kräftige Hände packten ihn, und er fand sich inmitten der Polizisten. Er drehte sich um. Vor der Tür des Labors hatte sich ein wabernder Lichtschleier gebildet. Court zog den Beamten am Arm. »Vorsicht! Das ist gefährlich.« »Was meinen Sie? Wer sind Sie denn?«
»Das ist im Moment unwichtig. Schießen Sie durch diese Lichtsperre, aber kommen Sie ihr nicht zu nahe! Sie können einen elektrischen Schlag abkriegen.« Der Vorgesetzte der Gruppe, ein grauhaariger, vierschrötiger Mann, starrte ihn an. »Sie kommen mir bekannt vor. Sie sind Stephen Court. Ich habe Ihr Bild in der Zeitung gesehen.« Court bemerkte die Rangabzeichen auf dem blauen Ärmel. »Für Erklärungen ist jetzt keine Zeit, Sergeant. Hinter der Lichtsperre befindet sich ein Mörder, der so schnell wie möglich unschädlich gemacht werden muß.« »Aber wir können auf Ihr Wort hin niemanden niederschießen.« Court entriß mit einer blitzschnellen Bewegung einem Beamten die Maschinenpistole und jagte Salve auf Salve in den Schirm. Die Kugeln konnten ihn nicht durchdringen; halbgeschmolzen fielen sie auf den Boden. Sie entwanden ihm die Waffe. Der Sergeant schaute ihn kopfschüttelnd an. »Ich sage Ihnen allen Ernstes ...« Court machte eine Geste der Verzweiflung, als er ein leises, schnell an Lautstärke gewinnendes, winselndes Geräusch hörte, das das Schiff in sanfte Schwingungen versetzte. »Das Schiff kann jede Minute in die Luft gehen. Schicken Sie ihre Männer 'raus und drängen Sie die Menge zurück!« Er deutete auf den bewußtlosen Chinesen und den narbengesichtigen Riesen auf der Couch. »Schafft die auch 'raus!« Jansaiya, das Mädchen aus Atlanta, konnte er nir-
gends erblicken. Eine drohende Explosion, begriff der Sergeant. Die Männer rannten aus dem Schiff. Court folgte. Court biß sich auf die Lippen. Was nun? Thordred war hinter seinem Abwehrschirm unangreifbar. Ohne Ausrüstung konnte er, Courts, nichts unternehmen. Mit dem richtigen Apparat, wußte er, ließ sich die Frequenz feststellen und neutralisieren. »Steht das in irgendeinem Zusammenhang mit der Seuche?« fragte der Sergeant. »Wir evakuieren New York.« »Was?« »Ja. Die Stadt ist eine Todesfalle mit ihren acht Millionen Einwohnern. Der Ausnahmezustand ist über New York verhängt worden. Die ganze Stadt wird geräumt, bevor sich die Seuche ausbreiten kann.« Court nickte bestürzt und starrte auf das Schiff. »Machen Sie den Park leer, sperren Sie ihn ab und sorgen Sie dafür, daß ein paar Flugzeuge das Schiff bombardieren, solange noch Zeit ist! Ich weiß nicht, ob es etwas nützt, aber wir wollen nichts unversucht lassen. Die zwei bewußtlosen Männer müssen ins Krankenhaus. Dann ...« Er wurde von einem Strahl giftgrüner Helle unterbrochen. Eine eiskalte Welle durchlief ihn. Er spürte, wie ihn alle Kraft verließ. Die Sinne schwanden ihm ... Der Strahl wurde leuchtender, wurde gelb, dann weiß. Er ergoß sich in blassem Feuer über den Sergeanten. Seine markanten Züge verzerrten sich; das Fleisch schrumpfte zusammen ... Durch verschleierte Augen sah Court noch, wie das Schiff startete.
Als der tödliche Strahl Court getroffen hatte, war er noch nicht stark genug gewesen, aber der Sergeant war tot. Sein Gehör erlangte er als erstes wieder. Das Geräusch war chaotisch. Er spitzte die Ohren und versuchte es zu analysieren. Ein unverständliches Gebrabbel wie von mehreren sich überlagernden Stimmen. Dazwischen schrille Pfeiftöne und entnervende Sirenen. Seine Augen sahen eine weiße Decke, auf der Sonnenflecken tanzten. Er konnte sich bewegen! Ohne Schwierigkeiten setzte er sich auf und sah, daß er sich in einem Bett befand. Er war in einem Krankenhaus. Seine Stimme klang heiser, als er nach einer Schwester rief. Niemand erschien. Er schrie noch einmal. Nur ein Echo antwortete ihm. Es hallte gespenstisch durch den Saal. Fassungslos rieb er sich das Kinn. Ein Bart! Er mußte mindestens zwei Wochen bewußtlos gelegen haben. Er stand auf; es fröstelte ihn in seinem Krankenhausnachthemd. Obwohl die Fenster geschlossen waren war der Raum eiskalt. Der Mann im Bett neben ihm kam ihm bekannt vor. Es war der fette Orientale, den er zuletzt im goldenen Schiff gesehen hatte. Auf der anderen Seite lag der Schwarzhaarige, der ihn an einen Gladiator erinnerte. Er sah ebenfalls wie tot aus. Auch einige der restlichen Betten waren belegt. Unbekannte – alle tot. Manche waren einfach verhungert und verdurstet. Die Decken waren zerwühlt und beschmutzt. In ihrer Todesangst und Verzweif-
lung hatten sich ein paar aus den Betten geworfen und waren auf dem Boden weitergekrochen. Ein alter Mann hatte sich bis zur Tür geschleppt, die dürre Hand vergebens nach Hilfe ausgestreckt. Das Krankenhaus war verlassen worden. Was hatte die Ärzte bewogen, ihre Patienten ihrem Schicksal zu überlassen? So leicht brechen Mediziner ihren hippokratischen Eid nicht! Nur die Seuche ... Court stolperte zu einem Tisch, auf dem eine Wasserkaraffe stand. Das Wasser schmeckte abgestanden, aber er zwang sich zu einem Schluck. Eine zusammengefaltete Zeitung lag daneben. Auf der ersten Seite sprangen ihm dicke Schlagzeilen ins Auge. SEUCHE JETZT IN NEW YORK Zwanzig Überträger in Manhattan gezählt Bürgermeister läßt Stadt räumen! Von einem Tag auf den anderen war die Seuche in New York ausgebrochen. In Queens, Brooklyn, Bronx, von Harlem bis Battery waren die unheimlichen Todesboten aufgetaucht. In der Annahme, daß die Seuche aus Jersey kam, hatte der Bürgermeister die Evakuierung nach Norden verlegt. Aber in einem umrandeten Abschnitt mit der Überschrift »Neueste Nachrichten« war zu lesen, daß die Infektion sich mit rasender Geschwindigkeit verbreitete. Bei einer Bevölkerung von acht Millionen saß sie an der Futterkrippe. Court ging zum Fenster. Unter ihm dehnte sich die öde, schneebedeckte Weite des Central Park. Auf dem Schnee erkannte er vereinzelte schwarze Flecken. Wa-
ren es Leichen? Court fand ein Telefon und nahm hastig den Hörer ab. Nicht einmal das Amtszeichen antwortete ihm. New York mußte vollkommen ausgestorben sein. Es gab nur noch Tote! Wieder trat er ans Fenster. Ein schimmerndes Oval, durch die Entfernung verkleinert, schwebte unter den Bäumen. Ein Überträger ... Court wußte, daß er nicht hier bleiben konnte. Mit einer entschlossenen Kopfbewegung hielt er nach den Dingen, die er für die Wiederbelebung des Chinesen und des Gladiators brauchte, Ausschau. Selbst wenn sie sich als Belastung herausstellen sollten, wollte er sie nicht in ihrem Erstarrungszustand in diesem verwüsteten New York zurücklassen. Heizkissen und ein Beatmungsgerät hatte er bald gefunden. Um an Adrenalin zu kommen, mußte er erst eine Tür aufbrechen. Das Krankenhaus war von der Elektrizitätsversorgung abhängig. Er konnte sich jedoch vorstellen, daß es keinen Strom mehr gab. Stirnrunzelnd überlegte er. Er hörte den gedämpften Lärm, der ihn aufgeweckt hatte. Radios, natürlich! Im Aufbruch hatte man vergessen, die Radios abzuschalten. Das bedeutete, daß noch Elektrizität vorhanden war. Erleichtert machte sich Court an die Arbeit. Er preßte die Heizkissen unter die Achselhöhlen der Schlafenden. Nur wenig künstliche Beatmung war nötig. Unter dem Schock des Adrenalins rührte sich zuerst der Gladiator und dann der Chinese. Court setzte sich erschöpft aufs Bett. Bis jetzt hatte
er nicht gemerkt, wie sehr ihn diese vierzehn Tage hypnotischen Schlafes geschwächt hatten. Und dabei galt es jetzt, allen Verstand und alle Kraft zusammenzunehmen. Sie mußten heil aus New York herauskommen. »Und zunächst«, murmelte er, »muß ich was in meinen. Bauch kriegen. Nein«, er sah an seinem Nachthemd herunter, »ich brauche als erstes ein Paar Hosen.«
13 Es war fast eine Stunde vergangen, als Court seine Geschichte beendet hatte und Li Yang und Scipio ihn über die Zusammenhänge aufklärten. Glücklicherweise verstanden beide Latein. Wenn Court nicht mehr in Latein weiter wußte, behalf er sich mit Griechisch was Scipio ebenfalls sprach. »Mir sind alle Sprachen geläufig, die im Mittelmeerraum gesprochen werden. Dein Englisch klingt wie eine Mischung aus Griechisch, Lateinisch, Germanisch und Zeus weiß was noch. Trotzdem möchte ich es lernen. Bei uns gibt es ein Sprichwort, daß man in Helvetia es den Helvetiern nachmachen soll, obwohl alles, was sie im allgemeinen tun, das Frieren ist.« »Und wir haben ein Sprichwort, daß Esel im ungeeignetsten Moment schreien«, bemerkte Li Yang kühl. »Laß deshalb deine dummen Scherze, wenn wir Pläne machen!« Er seufzte. »Ardath ist also tot! Er war ein weiser Mann, und ein guter dazu. Auch meine Leute habe ich verloren, was mich sehr schmerzt.«
»Ich habe Ardath kaum gekannt«, sagte Scipio. »Obwohl er mir das Leben gerettet hat. Aber die Nymphe – Jansaiya – ein Blick und ich war ihr mit Leib und Seele verfallen.« Er verzog kummervoll sein Narbengesicht. »Was tun wir am besten, Court?« »Raus aus New York. Ich muß in mein Labor. Aber jetzt kommt mit!« Zu dritt verließen sie den Saal. Li Yang schüttelte es in seinem losen Gewand. »Die Welt ist kälter geworden«, murrte er. »Nicht einmal in den nördlichen Steppen habe ich so gefroren.« Court drückte vergeblich den Aufzugknopf. »Hätte mir gleich denken können, daß er nicht funktioniert. Nun müssen wir den ganzen Weg marschieren. Hält uns warm. Paßt auf Überträger auf!« Als sie auf der Straße standen, war Scipio der einzige, dem nicht die Puste ausgegangen war. »Zeus, Apollo, Kronos und Neptun!« rief er beim Anblick der Wolkenkratzer. »Sicher haben die Götter diese Gebäude geschaffen?« »Sind die Pyramiden ein Werk der Götter?« fragte Li Yang mit unverhohlener Ironie. »Die Menschen entwickeln sich und bauen immer höher. Aber meine armen Zehen fallen mir bald ab.« Er wackelte grotesk durch den Schneematsch. »Ihr seid eine zähe Rasse, Court, in diesen dünnen Togen herumzuspazieren.« Court schaute rechts und links in die Geschäfte. »Hier herein!« Die Schaufensterscheiben waren eingeschlagen, und die Alarmglocke schrillte. Das erklärte das seltsame Geräuschgemisch, das er sich im Krankenhaus
nicht hatte erklären können. In ganz New York liefen die Alarmanlagen auf Hochtouren. Der Mob hatte vor der Flucht geplündert. Court half Li Yang und Scipio, sich auszustaffieren. »Vor allem feste, hohe Stiefel«, riet er ihnen. »Wir müssen für einen tüchtigen Marsch gerüstet sein.« Es war nicht einfach, für den riesigen Karthager die passenden Kleidungsstücke zu finden. Bei Li Yang war es noch schwieriger. Schließlich standen sie aber wetterfest ausgestattet, mit lammfellgefütterten Handschuhen, abmarschbereit vor ihm. Nun mußten sie etwas zum Essen und Trinken auftreiben. An der Ecke befand sich ein Schnellimbiß. Court führte sie hinein. Am Eingang mußten sie über einen Toten steigen. Er war blaß, ausgezehrt und völlig steifgefroren. Court erkannte die schwärzlich verfärbte Haut, das Erkennungszeichen der Seuchenopfer. Obwohl der Mann zweifellos schon geraume Zeit tot war, zeigte sich kein Verfall. »Natürlich! Der Entzug aller Lebensenergie ist gleichbedeutend mit absoluter Sterilität. Keine Keime und Mikroben.« Er gab den beiden ein Tablett und suchte die Nahrungsmittel aus, die noch einigermaßen eßbar erschienen. Aus der Kaffeemaschine rann eine teerige, kalte Flüssigkeit. Aber sie war immer noch genießbarer als saure Milch und abgestandenes Wasser. Court ging zum Radio und stellte es ein. Dann setzte er sich zu den anderen an einen der kleinen runden Tische.
»Nachrichten«, sagte er und deutete auf den Kasten, der für sie unbekannt war. »Ich übersetze.« »Die statischen Störungen werden immer unerträglicher. Die elektrische Energie, die von den Überträgern ausgestrahlt wird, stört die Sendungen. Kurzwellenübertragung aus Europa ist nicht mehr möglich. Die Transatlantik-Kabel fallen aus. Von Washington kommen die letzten europäischen Nachrichten per Flugzeug. Die Seuche scheint sich auf die Westliche Hemisphäre zu konzentrieren, obwohl sie am schrecklichsten in Europa wütet. Die Häfen sind von Menschenmassen überfüllt, die auf die Schiffe stürmen. Es herrscht das Gefühl, als ob das Meer Sicherheit böte. Doch das trifft nicht zu. Die Hozima Maru, ein Passagierschiff, strandete gestern an der Küste bei Point Reyers, nahe bei San Francisco. Wie Augenzeugen berichten, befanden sich außer Überträgern keine Lebenden mehr an Bord. Die Evakuierung der Ostküste geht weiter. In den Vereinigten Staaten ist der Ausnahmezustand erklärt worden. Die Seuche ist immer noch ein Rätsel, obwohl Wissenschaftler in aller Welt Tag und Nacht an der Lösung des Problems arbeiten. Ein wissenschaftlicher Kongreß tritt morgen mittag in Den Haag zusammen ... Uns erreichen immer noch Berichte über das mysteriöse goldene Raumschiff, das vor zwei Wochen im Central Park, New York, gelandet ist. Seither weiß man noch von acht weiteren Landungen, alle in dünnbesiedelten Gegenden. Laut Gerüchten sollen Männer und Frauen gezwungen worden sein, in das Schiff zu steigen. Vor zwei Stunden, meldet KFRC, San Francisco landete es in den Hügeln von Berkeley!«
Courts Stimme wurde aufgeregt, während er übersetzte. Scipio lohnte sich mit einem Ruck zurück, und der Orientale kräuselte die Lippen. »Also ist Thordred noch auf der Erde.« Li Yang rieb sich die fetten Hände. »Sehr gut! Court, dieses Schiff birgt wissenschaftliche Wunder, all die Errungenschaften von Ardaths großer Zivilisation. Wenn du ihrer habhaft werden kannst ...« »Sobald Thordred die nötige Anzahl für den Aufbau einer neuen Welt zusammen hat, verschwindet er für immer. Das Schlimmste ist, daß er alles Wissen aus meinem Gehirn gesogen hat. Alles, was ich weiß, teilt er mit mir. Aber in meinem Laboratorium in Wisconsin habe ich Apparate, die es ermöglichen, gegen ihn vorzugehen. Bis dahin kann ich nicht einmal den Standort des goldenen Schiffes lokalisieren.« »Warum vertrödeln wir dann hier die Zeit?« Scipio stand auf. »Los! Los!«
14 Milwaukee hatte die Seuche noch nicht erfaßt. Obwohl auch dort alle Verkehrsmittel in Bereitschaft standen Tatsächlich waren relativ wenig Städte betroffen worden und die Zahl der Todesopfer war verhältnismäßig gering. Die wirkliche Gefahr lag in der Zukunft, wenn man weiterhin so wehrlos blieb. In Madison mietete Court einen Wagen. Er fühlte, daß er müde wurde und nahm etwas von dem Benzedrinsulfat, das er in Madison gekauft hatte.
Scipio polierte auf dem Rücksitz mit einem alten, öligen Lappen sein Schwert, und Li Yang schnarchte. Hin und wieder sah er einen Überträger. Was würde geschehen, wenn der Wagen einen streifte? Käme es zu einer katastrophalen Explosion freigewordener Energie? Sein Gehirn war so verwirrt, daß er nicht mehr klar denken konnte. Seine Hände zitterten am Steuerrad, und das Herz hämmerte ihm in der Brust. Aber er mußte durchhalten. Sein Zuhause war nicht mehr weit. Als sie sich dem Dorf näherten, fiel ihm die Stille und Dunkelheit auf. Niemand war auf der Straße. Aus der Gemischtwarenhandlung drang Radiogeräusch. Vor dem Laden lag die große verrenkte Gestalt eines Mannes. Marion ...! Sicher war sie zum Labor zurückgekehrt. Oder hatte sie sich der allgemeinen Flucht angeschlossen? Entsetzen ergriff ihn, als er ein formloses Lichtbündel um eine Ecke, biegen sah. Ein Überträger! Ein zweiter gesellte sich zu ihm. Aber sie machten keine Anstalten, das Auto zu belästigen. »Wie weit noch?« fragte Scipio ungeduldig. »Wir sind fast da«, stöhnte Court. »Nur noch über den Hügel.« Ein heller Schatten hatte sich drohend vor dem Wagen aufgebaut und blockierte die Durchfahrt. Court trat kurzentschlossen auf die Bremse und riß das Steuer herum. Die Reifen quietschten, das Auto drohte sich zu überschlagen, fiel aber auf die Räder und blieb im Feld neben der Straße stecken. Im Rückspiegel konnte er sehen, daß der Überträger sich noch an derselben Stelle befand. Er verfolgte
sie nicht. Court lenkte das Auto wieder auf die Straße. »Götter!« bellte Scipio. »Ich hätte mich fast mit dem Schwert durchbohrt.« Li Yang gurgelte schadenfroh. »So gut gepolstert wie ich bist du nicht. Aber ich bin auch froh, daß die Fahrt zu Ende ist. Ist sie doch, oder, Court?« »Ja, das ist das Haus.« Court blieb die Stimme weg, als er den Wagen mit einem Ruck zum Stehen brachte. Anstelle des Labors ragte ein rauchender Trümmerhaufen auf. Inmitten der Ruine gähnte ein schwarzes Kraterloch. Das Labor war zerstört und mit ihm die Chance, die Erde zu retten! Der Schlag war so fürchterlich, daß Court nichts empfinden konnte. Wie ein unbeteiligter Schaulustiger glotzte er auf die abgebrannten Mauern. Thordred hatte dies angerichtet! Natürlich Thordred! Er hatte nicht gewartet, bis die Waffen dieses Labors ihn angriffen. »Steve!« Der Schrei riß ihn aus seiner Erstarrung. Es war Marions Stimme! Er raste auf das Mädchen zu. Sie stürzte in seine Arme, nach Luft ringend. »Steve, Gott sei Dank, daß du lebst. Ich – sah die Scheinwerfer eines Autos – ich wußte nicht, daß du es warst – aber du würdest zum Labor zurückkommen, wenn irgend möglich ...« Er sah in ihre Augen und preßte sie an sich. Er sagte mit einer Stimme, die er kaum als seine erkannte: »Marion, ich – ich liebe dich.« Sie starrte ihn groß an und lächelte plötzlich.
»Ich bin so froh«, flüsterte sie und drückte ihren Kopf an seine Brust. Die anderen hatten ihn eingeholt und musterten Marion. Sie löste sich aus seiner Umarmung. »Wer sind diese Männer?« »Keine Zeit jetzt für Vorstellungen. Erzähle mir lieber, was passiert ist!« »Vor ein paar Stunden kam ein bärtiger, riesiger Mensch namens Thordred und zerstörte das Haus. Ich war die einzige, die lebend herauskam. Das Schiff war ganz in der Nähe. Als ich losrannte, traf mich ein Lichtstrahl, und ich war gelähmt. Der Bärtige schleppte mich ins Schiff. Er schien zu wissen, wer ich war.« »Natürlich«, unterbrach sie Court. »Mit seiner verdammten Maschine.« »Dann war da ein Mädchen Jansaiya. Sie sagte kein Wort, sie beobachtete nur. Thordred zeigte mir Dutzende von Männern und Frauen, die einen kataleptischen Schlaf schliefen. Er erzählte mir, er wollte eine neue Zivilisation aufbauen. Dazu brauche er auch mich. Da ich deine Assistentin gewesen war, Steve, bildete er sich ein, daß ich auch für ihn sehr brauchbar wäre. Er eröffnete mir, du seist tot, er hätte dich mit seinem Strahl in New York getötet.« »Also wußte er nicht, daß er mich nur gelähmt hatte.« »Ich tat so, als ob ich einwilligte und mit ihm gehen wollte. Da sparte er sich die Mühe, mich einzuschläfern. Er leitete den Start ein, und das Schiff begann sich in die Luft zu erheben. Ich ... ich ...« »Weiter!« forderte sie Court auf.
»Er paßte nicht auf mich auf. Ich sah, wie er an den Instrumenten hantierte und stürzte mich drauf. Irgendwie gelang es mir, all die Knöpfe zu drücken, bevor er mich daran hindern konnte. Das Schiff fiel auf die Erde. Ich wollte nicht mehr leben, da du tot warst, Steve und Thordred sollte als Strafe für deinen Tod mit mir sterben.« Court zog das Mädchen an sich. »Das Schiff war total zerstört. Es ist hinter der Hügelkette. Alle Gefangenen fanden den Tod, und Jansaiya wurde verletzt. Ich versuchte, ihr zu helfen, aber Thordred zerrte mich weg. Er führte sich wie ein Verrückter auf. Er holte Waffen aus dem Wrack und trieb mich vor sich her. Ich weiß nicht, was er vorhatte, aber ich glaube er wollte mich für einen langsamen und qualvollen Tod aufheben.« Steve verfärbte sich bei ihren Worten. »Wir müssen zum Schiff. Vielleicht können wir noch etwas bergen. Li Yang, halte Ausschau nach Thordred!« Die vier stiegen den Hügel hinauf. Vor ihnen, im Tal, lag das Wrack. Beim Abstieg schrie Marion leise auf. Hinter einem Busch wurde ein schimmerndes, gegen den Rand hin verblassendes Oval sichtbar, das auf die Gruppe zuschoß. Instinktiv schob Court das Mädchen hinter seinen Rücken. Scipio schwang sein Schwert. Court wußte, daß es keine Waffe gegen einen Überträger gab. Er wollte rufen, daß sie fliehen sollten, aber aus einem unerklärlichen Grund wartete er. Das schimmernde Etwas hielt an und stand vor ihnen regungslos in der Luft. Court fühlte eine merk-
würdige Intensität von ihm ausgehen. Gott das Ding betrachtete sie! Gewöhnlich machten sie kein Federlesen mit ihrer Beute. Warum wartete der Überträger? Das Bild Sammys schob sich vor sein inneres Auge; sein braunes, runzliges Gesicht unter dem weißen Haarschopf. Er hörte Marions ergriffene Stimme. »Sammy!« Der Überträger schien sie zu verstehen; er machte eine zögernde Bewegung und entfernte sich. »Guter Gott!« flüsterte Court erstickt. »Marion, glaubst du wirklich, daß es Sammy war?« »Ja, Steve. Und er hat uns erkannt. Deshalb ...« Die Stimme versagte ihr. Schweigend führte Court sie den Abhang hinunter. Er schüttelte sich, und Marion sah ihn an. »Fühlst du es auch?« »Was? Ja. Warte! Irgendeine Strahlung ...« »Schau dahin!« sagte Li Yang. Ein blaues Flammenbündel glühte auf der Schiffshülle. Court erriet sofort was es war. Die Atomenergie, die die riesigen Triebwerke gespeist hatte, war freigeworden. »Nicht näher!« Court packte Scipios Arm. »Das verbrennt dich wie Papier.« »Scipio!« »Jansaiya!« Und wieder der schwache Schrei. Klagend, vogelzart und unendlich traurig. »Hilf mir!« In fünfzig Metern Entfernung stand ein Strauch, und unter ihm lag Jansaiya. Mondlicht fiel auf ihr bleiches Gesicht. Sie sahen, daß sie eine Sterbende vor sich hatten. »Jansaiya«, kam es tonlos über Scipios Lippen.
Er kniete sich hin und nahm das Mädchen in seine mächtigen Arme. Mit einem müden Seufzer rollte ihr Kopf auf seine Schulter. »Mein Rücken ... mein ...« Nach einer flüchtigen Untersuchung nickte Court Scipio müde zu. Er brauchte nichts zu sagen, denn Jansaiyas zerrissenes Gewand und aufgeschürften Glieder erzählten, wie sie sich in Sicherheit geschleppt hatte. »Thordred hat dich so liegenlassen?« fragte Scipio heiser. Die schönen grünen Augen verschleierten sich vor Qual, als sie ihren Kopf an seine Brust drückte. »Ich glaube – ich hätte dich lieben können – Krieger«, murmelte sie. Sie schluchzte in wahnsinnigem Schmerz. Die Lider fielen ihr über die seegrünen Augen. Ihre farblosen Lippen bewegten sich kaum, als sie flüsterte: »Im alten Atlantis – gab – es keine Schmerzen ...« Das waren ihre letzten Worte. Scipio legte sie sanft aufs verschneite Gras: Er strich ihr über die Haare, die Augen, drückte seine Lippen auf ihren kalten Mund, von dem auch die letzte Spur von Grausamkeit gewichen war. Der Mond war am Untergehen. Langsam wandte ihm Scipio sein Gesicht zu. »Court«, sagte er hart, »du hast sie gehört. Er hat sie sterben lassen ...« Der Wechsel von Schmerz zu wilder Grausamkeit in Scipios Antlitz erschreckte ihn fast. »Er gehört mir«, schwor er. »Denk daran, er gehört mir.« Jansaiya konnte seinen Schwur nicht mehr hören. Schlag und schmal und lieblich, für immer unberühr-
bar, beschützt vor allem Weh lag sie aufs Gras gebettet. Sie schlief wie ein Kind. »Du möchtest mich töten?« ertönte eine rauhe, spöttische Stimme. »Nun, ich bin bereit, Scipio.« Aus dem Schatten des Gebüsches löste sich Thordred. Court war unfähig, sich zu rühren. Er verfluchte sich. Damit hätten sie rechnen können. Scipio zog das Schwert. Er ging auf Thordred zu, die Augen lodernd vor Haß und Blutgier. Thordred brachte mit einem schnellen Griff einen linsenförmigen Kristall zum Vorschein, der einen grünen Lichtspeer abschoß. Er traf Scipio. Der Karthager erstarrte mitten im Schritt. Court, Marion, Li Yang konnten sich nicht rühren, während Thordred den Kristall von einer Hand in die andere warf und grinste. »Ihr Trottel. Dich habe ich also nicht erwischt, Court! Nun, das läßt sich schnell nachholen. Ohne euch hätte ich mein Schiff noch. Für Rache ist es allerdings nicht zu spät. Ihr sollt langsam sterben, so qualvoll wie möglich. Bei lebendigem Leibe sollt ihr verschmoren. Ich werde die Strahlungsstärke mit Bedacht regulieren. Was ich danach tue, weiß ich noch nicht. Vielleicht kann ich ein neues Raumschiff bauen. Mit meinem gestohlenen Wissen gelingt es unter Umständen. Aber das kommt nach meiner Rache.« Der Strahl, den Thordred auf Courts Brust schickte, ließ ihn taumeln. Er wurde blind. Der Geruch versengter Haut stieg in seine Nase.
15 Als Thordred Ardath in das kleine Raumschiff geschleppt hatte, war er der Überzeugung, der Kyrier sei tot. Seine Furcht vor Ardaths Intellekt war so groß, daß er sich nicht eher sicher fühlte, als bis das solare Inferno ihn verschlungen hatte. Aber er hatte sich geirrt, Ardath war nicht tot. Blendende Helligkeit weckte ihn. Er befand sich in einem Schiff, einem kleinen, ihm unvertrauten. Sonnenlicht flammte durch die Sichtluken. Ardath begriff sofort, daß er der sich rapide vergrößernden Sonne entgegenraste. Trotz seiner Schwäche kroch er zur Steuerung. Er begutachtete die unbekannten Vorrichtungen; bewegte hier einen Hebel, da einen und war sich gleich über das System im klaren. Er ließ das Schiff einen weiten Bogen beschreiben und stellte es für den Flug zur Erde ein. Dann begab er sich auf Nahrungssuche. Court hatte das Schiff für Notfälle gut ausgerüstet. Das meiste der Vorräte war Ardath fremd, aber er suchte das ihm genießbar Erscheinende heraus. Brandy putschte ihn auf, und während er aß, überlegte er seine Situation. Wie war er in das Schiff gekommen? Was hatte ihn aus seinem kataleptischen Schlaf geweckt? Seine letzte Erinnerung war der Schlag auf dem Kopf. Thordred hatte ihn betrogen. Aber wie lange war das her? Während seiner letzten Wachperiode hatte er eine automatische Alarmglocke konstruiert, die auf das Vorhandensein jeder ungewöhnlichen Begabung auf der Erde reagierte. Thordreds Knüppel hatte ihn getroffen, bevor er die Alarmglocke gestellt hatte. So
hätte jeder Schiffsinsasse bis in die Unendlichkeit geschlafen, wenn er nicht von außen geweckt wurde. Ardath studierte die Konstellationen der Sternes um an ihnen die verflossene Zeit abzulesen. Einer groben Schätzung nach waren mindestens zwanzig Jahrhunderte vergangen. Er hatte wahrscheinlich eine ganze Reihe Genies verschlafen. Er wußte es nicht, aber er hatte Moses, Konfuzius, Sokrates, Galileo, Newton und andere versäumt. Ardath blickte auf die Sonne. Ihre mächtigen, von keiner Atmosphäre gebrochenen Strahlen hatten ihn aus dem kataleptischen Schlaf geweckt. Er fühlte Dankbarkeit gegenüber dem unbekannten Erbauer dieses Schiffes, der durchsichtige Sichtluken hatte anbringen lassen, durch die die lebenspendenden Strahlen gedrungen waren. Die Bauweise des Schiffes war offensichtlich irdisch – eine konsequente Weiterführung von Bauformen, die er in einem früheren Stadium auf der Erde gesehen hatte. Die Reise auf die Erde würde einige Zeit beanspruchen. Ardath vertrieb sich mit dem Studium von Karten, die er in einem Schrank fand, die Tage. Aus einem Roman, den einer der Arbeiter vergessen hatte, gewann er seine ersten Kenntnisse der fremden Sprache. Zwei Aufgaben mußten gelöst werden. Er mußte sein Schiff finden, und er brauchte eine Waffe. Ein Stempel auf den Karten verriet ihm, daß der Besitzer des Schiffes Stephen Court hieß und in der Nähe einer Stadt in Wisconsin lebte. Diese Stadt wurde sein Ziel. Das psychologische Fingerspitzengefühl des Kyriers half ihm, die Ge-
schehnisse, die während seiner Bewußtlosigkeit stattgefunden hatten, zu rekonstruieren. Als Court das goldene Schiff betreten hatte und die leblosen Körper vorfand, war das Natürliche, daß er sie zu erwecken versuchte. Was war passiert, nachdem er Thordred geweckt hatte? Es gab zwei Möglichkeiten. Thordred war Macht das wichtigste auf der Welt. Macht um jeden Preis. Er hatte dem Kyrianer seine Machtposition mißgönnt. Nachdem er scheinbar seinen Herrn beseitigt hatte, war er kaum bereit, Court zu gehorchen oder die Macht mit ihm zu teilen. Waren die beiden Freunde geworden, mußte er sich auf zwei Feinde gefaßt machen. Aber warum sollte Court, als Erbauer dieses kostspieligen und ideenreichen Schiffes, eingewilligt haben, daß es durch seinen Kurs auf die Sonne zerstört wurde? Ein logischer Mensch zerstört nicht wertvolle Dinge. Thordred sah es ähnlich, das kleinere Schiff auszuschalten, damit er das einzige besaß. Ein Schachzug, der seine Macht stärkte. Court hatte aller Wahrscheinlichkeit nach die Zerstörung seines Eigentums übelgenommen. Der Schluß lag nicht fern, daß er und Thordred sich verfeindet hatten. Nun machte sich Ardath an die Konstruktion einer Waffe. Elektrizität und Material waren zur Hand. Sie mußte über eine größere Entfernung einen schweren, sogar tödlichen Schock austeilen. Das setzte einen Leiter voraus. Ein Wasserstrahl? Gewöhnliches Wasser kam allerdings nicht in Frage. Ardath experimentierte in dem behelfsmäßigen Labor.
Das Schiff näherte sich seinem Bestimmungsort. Die Erde wuchs von einem Stern zu einer wolkenbedeckten rotierenden Kugel; wurde dann zu einer großen, konkaven Scheibe, die die anderen Sterne überstrahlte. Er verglich die Umrisse Nordamerikas mit der Karte. Er ließ das Schiff um den Michigansee kreisen, den er von jenseits der Atmosphäre sehen konnte. Es war schon dunkel, als er außerhalb von Courts Dorf landete. Seine Kleidung würde Neugierde erregen, aber das konnte er nicht ändern. Er ergriff seine neue, sehr unhandliche Waffe und machte sich auf den Weg. Er hatte Glück. Ein Junge, der einen Feldweg entlang trottete, blieb stehen und starrte ihn an. Der Kyrier packte die Gelegenheit beim Schopf. Die unvertrauten Worte sorgfältig artikulierend, fragte er: »Kannst du mir sagen, wo Stephen Court wohnt?« Der Junge blinzelte. »Sicher! Sie sind Ausländer, nicht wahr?« Als keine Antwort kam, streckte er den Finger aus. »Hier die Straße lang! Aber ich würde, wenn ich Sie wäre, nicht hingehen. Vor kurzem hat es dort gebrannt, und die Leute haben ein komisches Luftschiff gesehen. Sie behaupten, es sei im Tal hinter dem Haus abgestürzt, aber keiner hat sich getraut, nachzusehen. Wir machen einen großen Bogen um Courts Haus.« Ohne ein Wort eilte Ardath davon. Er hatte etwas von einem »komischen Luftschiff« verstanden. War das goldene Schiff gemeint? Wenn es abgestürzt war ... Das bis auf die Grundmauern abgebrannte Haus
bestätigte die Aussage des Jungen. »Im Tal hinterm Haus«, hatte er gesagt. Ardath erklomm den Hügel. Sein Gesicht versteinerte sich. Er sah das Wrack und fast gleichzeitig die gigantische Gestalt Thordreds und seine gelähmten Gefangenen. Lautlos rannte er den Abhang hinunter und schlich sich hinter das Gebüsch. Er war nahe genug. »Thordred!« Der bärtige Riese wirbelte herum, nackte Angst. In den gelben Raubtieraugen. Ehe er den tödlichen Strahl auf Ardath richten konnte, spritzte ein dünner Strahl auf Thordreds Arm. Er brüllte auf und krümmte sich vor Schmerzen. »Du hast mich betrogen, Thordred«, sagte Ardath unbewegt. »Du verdienst den Tod!« Er ging auf ihn zu und stolperte. Für eine Sekunde glitt der Strahl von Thordreds Arm. Er benützte sie zur Flucht. Man hörte nur noch das Krachen im Unterholz. Ardath zuckte mit den Schultern und senkte seine Waffe. Dann bückte er sich nach Thordreds Linse. Er schraubte an dem Kristall und badete die vier in einer blauen Lichtflut. Die Lähmung verging. »Ardath«, stöhnte Li Yang. »Du kamst zur rechten Zeit.« »Bei den Göttern, ja!« röhrte Scipio. Seine Stimme wurde leise. »Wenn auch nicht früh genug, um Jansaiya zu retten.« Schwert schwingend verschwand er im Dickicht. »Ich komme mit Thordreds Kopf zurück«, versprach er. »Du – du bist Ardath?« fragte Court. Die Wunde in seiner Brust brannte fürchterlich,
aber sie war nicht tief, und Ardaths Licht hatte sie gekühlt. Er starrte auf seinen Retter. »Ich bin Ardath. Du scheinst mich zu kennen. Bist du Stephen Court?« »Ja. Aber wie hast du Englisch gelernt? Wie bist du der Sonnenfalle entkommen?« »Einen Augenblick!« Ardath wies mit dem Kopf auf das Wrack. »Erst muß die Atomenergie neutralisiert werden. Sie ist« – er suchte nach dem richtigen Wort – »gefährlich. Ihr nahe zu kommen, bedeutet den Tod.« »Blei?« schlug Court vor. »Nur eine Speziallegierung isoliert die radioaktiven Strahlen. Siehst du den Behälter neben dem Lichtbündel? Nur er bändigt die Strahlungsenergie.« »Wer den Behälter aufsetzt, muß sterben«, warf Li Yang ein. »Gut, ich werde es auf mich nehmen.« Court packte ihn entsetzt am Arm. »Du sollst dich nicht opfern!« Ardaths Gesicht war ausdruckslos, als er in seinem gebrochenen merkwürdigen Englisch fortfuhr: »Wer gehen will, muß sich beeilen. Die Strahlen töten sehr schnell. Den Behälter aufgestülpt und an den richtigen Platz gesetzt. Das ist alles.« »Steve«, bat Marion mit zitternder Stimme, »laß mich gehen.« »Nein! Nicht du! Ardath, ist das Opfer unbedingt nötig?« Ardath nickte kummervoll. »Die Strahlen breiten sich aus, bis sie auf Erz treffen. Dann beschleunigen sie sich zu unheimlicher Geschwindigkeit, und die Zerstörung der Erde ist das Endprodukt.« Ein Überträger schwebte zum Schiff.
Die vier hielten den Atem an. Das unheimliche Gebilde beugte sich über die Außenhülle, hob einen Gegenstand hoch, eine schnelle Bewegung, und das Feuer war verschwunden. »Sammy hat uns gehört«, rief Court. »Guter, alter Sammy!« Der Überträger trieb über das Schiff und verschwand im Tal. Ardath kam mit dem mattschimmernden Behälter vom Schiff zurück. »Wir haben vieles zu bereden«, sagte er zu Court. »Nur die Sprache, die macht mir noch erhebliche Schwierigkeiten.« »Zurück zum Wagen und direkt nach Washington! Ich glaube, du kannst uns im Kampf gegen die Seuche helfen, Ardath. Deine Atomenergie hat mich schon auf einen Gedanken gebracht.« Scipio stieß wieder zu ihnen. »Ich hab ihn nicht erwischt, den Mörder«, knirschte er.
16 Zwei Wochen später war Court am Rande der Erschöpfung. Er und Ardath, unterstützt von Li Yang, Scipio und Marion, hatten Tag und Nacht gearbeitet. Experimentiert, getestet und verworfen. Zu alledem kamen noch Courts Kämpfe mit der Regierung. Der Präsident wollte, obwohl ihm Courts Vorschläge einleuchteten, ohne die Billigung des Wissenschaftsrates keine Schritte unternehmen. »Sie haben immer noch nicht begriffen, worum es geht!« beklagte sich Court bei Marion.
»Aber sie sehen doch, was die Seuche anrichtet. Die Todesfälle häufen sich.« »Ich hätte nicht eine so ungeheure Summe verlangen dürfen. Aber wir brauchen sie. Mit kleinen Waffen ist nichts getan. Wir müssen einen Schutzwall bauen.« »Nun, heute ist der Tag der Entscheidung. Die Wissenschaftler sind zur Stelle, eine Abordnung hoher Offiziere und die Leute aus Washington.« Kurz hinterher stand Court am Rednerpult. Ohne Einleitung begann er: »Ich ersuche um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit, um« – die Blitzlichter der Reporter blendeten ihn – »Ihnen ein Experiment vorzuführen. Die meisten von Ihnen kennen bereits meinen Vorschlag. Ich habe eine Methode gefunden, die Seuche wirksam zu bekämpfen, ja unschädlich zu machen. Aber das Unternehmen wird Millionen verschlingen. Auf der anderen Seite ist es die einzige Möglichkeit, die menschliche Rasse vor der Ausrottung zu bewahren.« »Geschwätz!« gellte eine Stimme. »Beweisen Sie es!« Court hob die Hände. »Einen Augenblick, bitte. Sie alle haben über Ardath und seine merkwürdige Geschichte gelesen. Darf ich ihn vorstellen.« Ardath erschien auf der Rednerbühne. Schmal und klein, in einem modernen Flanellanzug stand er da und ließ seine kühlen Blicke über das Auditorium schweifen. »Betrug!« Ein älterer Mann erhob sich. »Wenn Sie eine Waffe gegen die Seuche gefunden
haben, beweisen Sie es uns! Diese Person namens Ardath kann leicht ein Betrüger sein. Er steht in keinem Zusammenhang ...« Ardath brachte kein Wort zu seiner Verteidigung vor, er trat nur nach vorn, und irgend etwas in seinen fremdartigen Augen brachte die Versammlung zum Schweigen. Court fuhr fort: »Sie wissen, daß die Seuche tödlich ist. Es gibt keine hundertprozentig verläßliche Isolierung. Meine Theorie über den Ursprung der Seuche habe ich schon dargelegt. Sie ist Lebensenergie in ihrer reinsten Form – Enderscheinung aller Evolution, Restbestand eines unvorstellbar alten Universums, das sich vielleicht schon vor Äonen zu purer Energie komprimiert hat. Diese kosmische Energiewolke treibt nun durch den interstellaren Raum und hat unseren Planeten gestreift. Ein Katalysator in unserer Atmosphäre hat die Energie freigesetzt und unsere Lebensform infiziert. Die Wirkung ist – einfach ausgedrückt – Entropiebeschleunigung. Die Evolution, die nun stattfindet, ist widernatürlich, anormal. Das evolutionäre Gleichgewicht ist gestört. Lassen Sie mich kurz unsere Zukunft skizzieren. Mehr und mehr Überträger bilden sich, da die Erde immer tiefer in die Wolke gerät. Sie ernähren sich von denen, die einst ihre Mitmenschen waren. Im Endeffekt existieren nur noch sie auf diesem Planeten, und selbst sie gehen an Nahrungsmangel ein. In weniger als fünfzig Jahren ist die Erde ein verödeter, toter Planet im Weltall.« Die klare Stimme des Kyriers drang durch den Vortragssaal. »Court spricht die Wahrheit. Wenige werden die
Geschichte meiner Herkunft glauben, aber das spielt keine Rolle. Court und ich haben in angestrengtester wissenschaftlicher Arbeit die Natur der Seuche erkannt und eine Lösung ausgearbeitet. Es dreht sich um folgendes: Die Überträger stellen eine Form von Energie dar. Sie können zerstört werden, aber nur von einem stärkeren Energietyp der die ihre absorbiert. Nur eine Energieform kommt in Frage – atomare Energie. Ein Überträger kam mit der freien Atomenergie meines Raumschiffes in Berührung. Später suchten wir nach ihm und fanden ihn verendet neben dem Schiff. Atomare Energie schließt die Überträger kurz. Wir haben bereits kleine Handwaffen entworfen, die vollauf genügen.« »Aber die Wolke im Raum«, unterbrachen ihn die Zuhörer. »Die ist unzerstörbar.« »Stimmt. Und die Zahl der Überträger wird schnell zunehmen, wenn wir uns dem Kern der Wolke nähern. Aber wir können die Erde schützen, indem wir einen Wall um sie ziehen, eine Schutzschicht aus atomarer Energie, die den Planeten völlig gegen die Wolke abschirmt. Die Sonnenstrahlung wird ungeschmälert durch den Schirm dringen, aber keine Spur der tödlichen Lebensenergie.« Das Gemurmel im Saal steigerte sich zu wildem Aufruhr. Die Leute standen auf, überschütteten ihn mit Fragen, beschimpften ihn. Einen Schutzwall um die Erde! Lächerlich! Solche unausgegorenen Hirngespinste gehörten in die Kategorie des Perpetuum mobile und anderer geplatzter Theorien. Ardath warf Court einen hilflosen Blick zu. »Ich kann sie nicht überzeugen. Wollen wir ...?«
Court versuchte, die aufgebrachte Menge zu beruhigen. Niemand sah die Bewegung, die Court zum Vorhang hin machte. Der Vorhang ging hoch, und ein Schreckensschrei entrang sich den Zuhörern. Auf der Bühne war – ein Überträger! Ein riesiger Metallbehälter, offensichtlich der Käfig des fürchterlichen Gebildes, war geöffnet worden, und der Überträger schwebte zielstrebig auf die vordersten Sitzreihen zu. Ardath und Court rannten auf die eine Seite der Bühne, und Scipio erschien mit einem kleinen Gerät, das wie ein Diktaphon aussah. Oben darauf saß eine konische Röhre, die in einer Linse endete. »Gut! Aber um Gottes willen sei vorsichtig!« zischte Court dem Karthager zu. Scipio zeigte seine weißen Zähne. »Bleiben Sie auf den Plätzen!« schrie Court ins Auditorium. »Es besteht keine Gefahr, außer wenn Sie hysterisch werden.« Ein uniformierter Mann im Zwischengang zog seinen Revolver. Kugel um Kugel durchbohrte die schimmernde Kreatur. Natürlich ohne Erfolg. »Niemand wird die Echtheit dieses Überträgers bezweifeln! Passen Sie auf!« Die Kreatur befand sich am Rand der Bühne, als Scipio seine Waffe auf ihn richtete. Das Ergebnis war nicht sehr spektakulär. Ein intensiver weißer Lichtstrahl sprang aus der Linse, und der Überträger begann zu verblassen. Er blieb regungslos in der Luft hängen und sank dann auf den Boden. »Bleiben Sie bitte auf den Plätzen, Gentlemen! Ich habe keine weiteren Überraschungen für Sie. Ich
würde es begrüßen, wenn ein Komitee auf die Bühne käme, um den toten Körper des Überträgers zu untersuchen.« Der erste, der sich durch die Reihen drängte, war ein stattlicher, gutaussehender Mann mit angegrauten Haaren. »Herr Präsident«, rief Court. »Wenn ich gewußt hätte, daß Sie beabsichtigen, an diesem Experiment teilzunehmen, hätte ich ...« »Ich freue mich, daß Sie dieses Experiment veranstaltet haben«, sagte der Präsident der Vereinigten Staaten. »Ich nehme kaum an, daß der Wissenschaftsrat Ihrem Vorschlag seine Zustimmung verweigert. Selbst wenn, mache ich meine Entscheidung nicht mehr von ihm abhängig. Ich habe die Vollmacht, Ihnen den Befehl zum Bau eines Schutzwalles um die Erde zu geben und Ihnen jede erforderliche Unterstützung zu gewähren.« Er wandte sich dem Auditorium zu und winkte die Reporter heran. »Ein paar Schlagzeilen für euch, Jungs. Stephen Court ist beauftragt ...« Ardath flog mit Li Yang und zweihundert Wissenschaftlern nach China. Es galt, dort einen gigantischen Turm zu errichten. Court war für den Bau eines solchen Turmes in Amerika verantwortlich. Er stand in Funkverbindung mit Ardath. Eile war geboten. Jede Kraftreserve des Landes wurde für den Bau des Schutzwalles herangezogen. Wirtschaft und Handel wurden vernachlässigt. Die Fabriken arbeiteten ununterbrochen.
Alle anderen Länder boten ihre Hilfe an. Kanada, England, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan – vergessen waren wirtschaftliche Interessen. Es ging darum, dem gemeinsamen Feind zuvorzukommen. Niemand hatte mehr Zeit für Eigeninteressen. »Baut die Türme! Konstruiert den Schutzwall!« Das waren die vordringlichsten Aufgaben.
17 Court hatte das FBI beauftragt, nach dem verschwundenen Thordred zu suchen. Aber der bärtige Riese war spurlos verschwunden. Eines Nachts standen Court, Scipio und Marion im Kontrollraum. Das Werk war vollendet. Der letzte Arbeiter stieg gerade in den Aufzug. Der Raum war fünfundzwanzig Meter breit, eine flache Plattform, um die ein niedriges Geländer lief. Er hatte keine Wände. In kurzen Zwischenräumen stützten Metallpfeiler die mächtige Kuppel. Court drehte an einem Fernseher. »Ich wollte, ich hätte das Ding schon vor Wochen fertiggestellt«, klagte er. »Ardath zeigte mir, wie es zu bauen war, aber ich hatte keine Zeit. Mal sehen ...« »Versuchst du China ...?« Auf dem Schirm erschien nach anfänglichem Geflimmer das fette, buttergelbe Gesicht Li Yangs. »Court? Hallo! Wie steht es mit der Arbeit?« »Fertig! Wir warten nur noch auf euch. Der letzte Anschluß wurde vor einer halben Stunde gelegt.« »Prima!« strahlte Li Yang. »Ich gratuliere. Wir sind morgen soweit, vielleicht schon in ein paar Stunden.
Warte einen Augenblick, hier kommt Ardath.« Li Yang wurde von den schmalen, asketischen Zügen des Kyriers abgelöst. Seine Augen waren rot umrändert vor Müdigkeit. »Ihr seid also fertig, Court. Meine Arbeiter waren nicht viel langsamer. Wir haben es tatsächlich in ein bis zwei Stunden geschafft, nicht morgen, Li Yang! Dann schalten wir die Energie an. Vergiß nicht« – seine Lippen wurden dünn – »daß wir sehr aufpassen müssen. Wenn wir nicht auf die Sekunde genau den Schalter betätigen, gibt es eine Katastrophe. Die Atomschirme müssen sich auf halbem Weg treffen. Bist du auch nur eine halbe Sekunde zu früh, jagt dein Energieschirm meinen zurück, und er zerschmettert seinen Ausgangspunkt.« »Ich werde aufpassen ...« Die Alarmglocke schrillte. Sie hörten den Lift hochfahren. Ein Mann im Werkkittel, von einer Holzkiste halb verdeckt, stieg aus. Die Kiste fiel krachend auf den Boden. Das Gesicht dahinter war nicht mehr bärtig, und die Haare waren gebleicht. Aber der arrogant ausgeworfene Mund und die gelben Raubtieraugen konnten nur einem gehören. Thordred! Eine blaue Linse blitzte in der Hand. »Keine Bewegung!« zischte er. »Kein Muckser! Ich bin wieder da!« Ardaths Gesicht auf dem Bildschirm beobachtete unbewegt und aufmerksam die Szene. Courts Hand tastete verstohlen nach einem schweren Schraubenschlüssel, der auf dem Sims des Fernsehers lag. »Sei nicht verrückt!« sagte er. »Es gibt kein Ent-
kommen für dich.« Thordred lachte bitter. »Nein, dafür hast du gesorgt. Die Polizei hat mich fast zu Tode gehetzt. Ohne deine Erinnerungen wäre ich ihr kaum entkommen. Ich habe mich als Arbeiter verkleidet und bin hierher gefahren. Niemand hat mich aufgehalten. Und eine Waffe habe ich auch! Ardaths Wissen hat mir dazu verholfen.« »Was hast du vor?« »Dich umbringen«, keuchte Thordred. »Dann schalte ich die Atomenergie ein und zerschmettere Ardath mitsamt seinem Turm. Wenn ihr zwei aus dem Weg geräumt seid, kann nichts mehr meine Herrschaft erschüttern. Mit dem kombinierten Wissen von Ardath und dir ist mein Gehirn das überlegenste der Welt.« »Und die Seuche?« »Die habe ich nicht vergessen. Die Türme können repariert und der Schutzwall kann auch ohne euch errichtet werden. Dann regiere ich diesen Planeten!« »Ardath«, wisperte Court, »geh an den Schalter. Wir kommen zwar mit um, aber es ist der einzige Ausweg!« Der Kyrier schüttelte den Kopf. »Jetzt«, drohte Thordred und kam näher, »jetzt heißt es sterben.« »Thordred!« donnerte Ardaths Stimme aus dem Lautsprecher. Gleichzeitig flammte ein weißer Lichtstrahl in Ardaths Hand auf. Er blendete Thordred. Wie ein brüllender Stier senkte Thordred den Kopf; ein blauer Blitz aus seiner Linse fuhr ziellos durch den Raum. Court packte den Schraubenschlüssel und schlug sie ihm aus der Hand.
Er machte Anstalten, sich auf Thordred zu werfen, als die gebieterische Stimme des Karthagers ihn zurückhielt. »Court, laß ab! Er gehört mir!« Die stählernen Hände des Gladiators aus Karthago fanden ihr Ziel – die Kehle des Wilden. Und sie drückten zu. Alle Kraft Scipios schien in seine Arme zu fließen. Die Adern traten wie Stricke hervor. Thordred zerrte an den Händen, die ihm den Atem abschnürten. Die Augen quollen ihm heraus. Wie wild versuchte er, sich zu befreien ... »Du hast sie verenden lassen wie ein waidwundes Reh im Gebüsch«, flüsterte Scipio. Thordred bäumte sich in einer letzten Anstrengung auf. Irgend etwas krachte mit einem trockenen Geräusch. Schwankend stand er aufrecht, die gelben Augen stierten, der Atem rasselte. Dann schlenkerte plötzlich der Kopf auf dem gebrochenen Genick. Thordred fiel zu Boden. Mit einem Satz war Scipio auf den Beinen. Er schleifte den schweren Körper ans Geländer, hievte ihn hoch und schleuderte ihn in den Abgrund. Düster starrte er ihm nach. »Deine Rache, Jansaiya – und meine!« Er vergrub sein Gesicht in den Armen. Scipio Agricola Africanus, der Mann aus Karthago, weinte. Court wandte sich mitfühlend ab und ging zum Fernseher, an dem die totenblasse Marion lehnte. Li Yangs schwarze Lackaugen schauten traurig. »Oje!« seufzte er. »Wehe den Männern wie Scipio, die weder Thron noch Liebe finden!« Ardath sprach mit einem Mann, der auf dem
Schirm erschienen war. Nach ein paar Worten drehte er sich um. »Wir sind früher fertig geworden, als ich erwartet hatte. Wir können die Energie jetzt einschalten. Vergleiche dein Chronometer mit meinem!« Die beiden Zeitmesser stimmten haargenau überein. »Betätige deinen Schalter Punkt elf Uhr! Ich werde dasselbe tun.« Bis dahin waren es noch zehn Sekunden. Fünf – drei ... Courts Hand zitterte am Schalter. Zwei – eins ... Ein Jahr später stand eine kleine Gruppe Menschen auf den Hügeln von Wisconsin und inspizierte ein riesiges, goldenes Raumschiff, das sich gegen die grünen Hügel reckte. Es hatte Monate gedauert, um ein neues Schiff nach Ardaths Spezifikationen zu bauen. Scipio, Li Yang und Ardath standen an der offenen Luftschleuse. »Es tut mir sehr leid, daß ihr beide nicht mit uns geht«, sagte Ardath endlich. »Aber ihr mögt recht haben.« »Du kennst meine Beweggründe«, entgegnete Court. »Die Seuche ist vorbei, aber neue Gefahren können heraufziehen. Ich gehöre zu den Menschen, in deren Zeit ich geboren bin. Ich muß für den Dienst an der Menschheit bereitstehen. Darin sehe ich die Aufgabe und Verpflichtung eines überlegten Geistes. Und ich kann auf so vielen Gebieten helfen, Ardath. Es ist so vieles, das in meiner Welt verbessert werden
muß. Welche Fortschritte sind schon in einem Jahr erzielt worden. Wenn ich sterbe, möchte ich in einem Utopia sterben, das ich miterschaffen habe.« Ardath nickte. »Ich habe die Zeiten nach einem Genie durchsucht, das einer der Urväter meiner neuen Rasse werden sollte. Nun, in dir, Stephen Court, ist mir ein Genie begegnet. Wir sind alle Teil eines kosmischen Schöpfungsplans, und dieser Plan entwickelt sich zum Guten hin und nicht zum Schlechten. Er ist konstruktiv und nicht destruktiv. So setze ich meine Suche nach einer Menschheit fort, die mir ähnlich ist und bei der ich mich glücklich fühlen kann. In tausend Jahren stehe ich neben deinem Grab, Stephen Court.« »Und ich ebenfalls. Eure Welt ist keine schlechte«, warf Scipio ein. »Und einiges in ihr gefiel mir. Aber ich jage einem Traum nach. Vielleicht winkt mir ein Imperium in der Zukunft ...« Er wurde schwermütig. »Ich – kann – nicht bleiben. Jansaiya ist hier gestorben ...« »Auch ich bleibe nicht«, murmelte Li Yang. »Vielleicht begleite ich Ardath aus purer Neugierde. Ich weiß nicht. Das Unbekannte übt eine gewisse Faszination auf mich aus und ich möchte wissen, wie die Welt in einer Million Jahre aussieht. So lebt wohl – und vergeßt den alten, fetten Li Yang nicht!« Er drehte sich brüsk um und watschelte ins Schiff. Scipio küßte Marion auf die Stirn, bevor er Court fast den Arm ausrenkte. »Die Götter mögen euch beschützen«, knurrte er und war verschwunden. Nun ruhten Ardaths fremde, weise Augen auf den beiden.
»Nichts, das ich euch sagen könnte«, flüsterte er. »Nur auf Wiedersehen!« Ganz stark spürten die Männer in diesem Augenblick das Band ihrer geistigen Verwandtschaft. Dann folgte der Kyrier den anderen ins Schiff. Marion und Court starrten dem Schiff nach, bis es sich im Himmel verlor. Schweigend und eng umschlungen stiegen sie den Hügel hinab. Sie brauchten keine Worte; sie verstanden einander auch so.
Originaltitel: THE CREATURE FROM BEYOND INFINITY Copyright © 1968 by Popular Library, Inc.
Lewis Padgett GALLEGHER PLUS Gallegher spähte unsicher durch das Fenster, durch das er eigentlich seinen Hinterhof hätte sehen müssen, und sein empfindlicher Magen schien in jenes lächerlich unglaubwürdige Loch zu fallen, das statt dessen dort gähnte. Es war schon ein Mordsloch! Und tief! Fast tief genug, um Galleghers überdimensionalen Kater aufzunehmen. Aber der Kater war doch ein bißchen größer. Gallegher überlegte sich, ob er einen Blick auf den Kalender werfen sollte, und entschied sich dann dagegen. Ihm kam vor, als hätte er bereits vor mehreren tausend Jahren mit dem ersten Schluck der kürzlich beendeten Sauferei angefangen. Selbst für einen Mann mit seinem Durst und seinem Fassungsvermögen hatte er eine verteufelte Menge Alkohol zu sich genommen. »Sauferei!« stöhnte Gallegher, kroch schwankend auf seine Couch zu und ließ sich darauf niederfallen. »Orgie klänge viel eindrucksvoller. Nee, Orgie ist auch nicht besser, das klingt so nach Orgel – Orgel?« Er fuhr mit kraftloser Hand zum Schalter seiner Schnapsorgel, zögerte und legte eine kurze Zwiesprache mit seinem Magen ein. Diese verlief etwa folgendermaßen: Gallegher: Nur einen ganz kleinen Schluck, nicht wahr? Magen: Vorsicht! Paß auf! Gallegher: Nach den Lehren der Homöopathie ...
Magen: O-o-o-oh! Gallegher: Stell dich nicht so an. Ich brauche einen Schluck! Mein Hinterhof ist verschwunden. Magen: Am liebsten würde ich auch verschwinden. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein Roboter betrat das Zimmer. Scheiben, Zahnräder und allerlei Mechanik bewegten sich wirbelnd unter seiner durchsichtigen Verkleidung. Gallegher warf einen Blick auf ihn und schloß dann die Augen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. »Mach, daß du 'rauskommst!« knurrte er. »Ich verfluche den Tag, an dem ich dich gebaut habe. Ich hasse deine ratternden Innereien.« »Du hast keine Ahnung von Ästhetik«, sagte der Roboter in gekränktem Ton. »Hier. Hier ist etwas Bier.« »Hm-m-m!« Gallegher riß dem Roboter die Plastikflasche aus der Hand und trank durstig. Das kühle Gebräu gluckerte erfrischend in seiner Kehle. »Ahh«, sagte er und setzte sich auf. »Das war schon ein bißchen besser. Nicht viel, aber ...« »Wie steht es mit einer Thiaminspritze?« »Ich habe fast 'ne Allergie gegen das Zeug entwikkelt«, ließ Gallegher seinem Roboter resigniert wissen. »Der Durst ist mein Fluch. Hm-m-m!« Er blickte zu seiner Schnapsorgel auf. »Vielleicht ...« »Ein Polizist will dich sprechen.« »Ein was?« »Ein Polizist. Er wartet schon eine ganze Weile.« »Oh«, machte Gallegher. Er starrte in eine Zimmerecke, in deren Nähe ein Fenster offenstand. »Was ist das?« Es sah aus wie irgendeine sehr merkwürdige Ma-
schine. Gallegher betrachtete sie mit verwundertem Interesse und einer Spur von Verblüffung. Zweifellos hatte er das verdammte Ding selbst zusammengebaut. Ich hab wieder mal was gemacht, dachte Gallegher. Laut sagte er: »Mehr Bier, Joe, und ein bißchen fix!« Als der Roboter hinausgegangen war, faltete Gallegher seine Glieder auseinander und ging zu dem Apparat hinüber. Neugierig untersuchte er die Maschine. Sie war offenbar abgestellt. Durch das offene Fenster führten einige helle, schlaffe Kabel von der Dicke eines Daumens hinaus. Sie hingen einen halben Meter oder so über dem Loch, das die Stelle bezeichnete, an der sich sein Hinterhof hätte befinden sollen. Die Kabel endeten in ... H-m-m-m! Gallegher zog eins davon hoch und betrachtete es ausführlich. Das Kabel endete in einer metallenen Öffnung, und es war hohl. Sonderbar! Insgesamt war die Maschine ungefähr zwei Meter lang, und sie sah aus wie ein lebendig gewordener Altmetallhaufen. Gallegher hatte die Gewohnheit, zu improvisieren. Wenn er nicht das richtige Verbindungsstück fand, pflegte er den nächstliegenden mehr oder weniger geeigneten Gegenstand einzubauen – einen Druckknopf zum Beispiel oder einen Garderobenständer. Mit anderen Worten: Die qualitative Analyse einer von ihm zusammengebastelten Maschine war keineswegs einfach. Was zum Beispiel sollte dieses fasrige, entenförmige Ding sein, das er da mit Draht umwickelt hatte und das sich zufrieden an ein vorsintflutliches Waffeleisen zu schmiegen schien? »Dieses Mal bin ich völlig übergeschnappt«, über-
legte Gallegher laut. »Andererseits befinde ich mich nicht in Schwierigkeiten wie sonst. Wo bleibt denn das Bier?« Der Roboter stand vor einem Spiegel und starrte fasziniert auf seinen Bauch. »Bier? Oh, hier ist es. Ich hielt nur inne, um einen bewundernden Blick auf mich zu werfen.« Gallegher bedachte den Roboter mit einem ungehörigen Ausdruck, nahm aber die Plastikflasche dankbar in Empfang. Er blinzelte den Apparat unter dem Fenster an; sein langes, hageres Gesicht verzog sich in nachdenkliche Falten. Das Endprodukt ... Die seilähnlichen Schläuche kamen aus einer großen Verteilerkammer, die früher einmal als blecherner Papierkorb gedient hatte. Der war nun zugeschweißt, doch ein gebogenes Rohr verband ihn mit einem winzigen Dynamo, beziehungsweise mit einer Vorrichtung die wie ein Dynamo aussah. Nein, dachte Gallegher, Dynamos sind doch sonst ziemlich groß, oder nicht? Mein Gott, ich wünschte, ich hätte eine technische Ausbildung. Wie soll ich daraus nur schlau werden? Es gab jedoch noch mehr, noch viel mehr unerklärliche Dinge an der Maschine. Da war zum Beispiel ein rechteckiges graues Schließfach. Gallegher, im Augenblick nicht ganz zurechnungsfähig, versuchte, den Inhalt in Quadratmetern auszurechnen. Er kam auf 486, was offensichtlich falsch war, da der ganze Kasten nur 45 x 45 x 45 Zentimeter groß war. Die Klappe des Kastens war geschlossen; Gallegher ließ es im Augenblick dabei und fuhr mit seiner vergeblichen Untersuchung fort. Es gab da noch weitere erstaunliche Vorrichtungen. Am Ende der Maschine befand
sich ein Rad von zehn Zentimetern Durchmesser mit geriffeltem Rand. »Und das Ganze ist – was? He, Narzissus, weißt du es?« »Ich heiße nicht Narzissus«, verwies ihn der Roboter. »Es ist schon schlimm genug, dich anzusehen, ohne sich auch noch an deinen Namen erinnern zu müssen«, antwortete Gallegher. »Maschinen sollten eigentlich überhaupt keine Namen haben. Komm hierher!« »Wo fehlt's?« »Was ist das?« »Eine Maschine«, sagte der Roboter, »allerdings ist sie keineswegs so lieblich wie ich.« »Hoffentlich ist sie dafür aber nützlicher. Was kann sie denn?« »Sie frißt Dreck.« »Aha. Das erklärt das Loch im Hinterhof.« »Es gibt keinen Hinterhof«, sagte der Roboter, der es sehr genau nahm. »Aber natürlich.« »Ein Hinterhof«, sagte der Roboter und zitierte sehr frei eine Stelle von Thomas Wolfe, »ist nicht nur Hinterhof, sondern auch die Verneinung von Hinterhof. Er ist das Zusammentreffen von Hinterhof und Nichthinterhof im Raum. Ein Hinterhof ist endlicher und unausgebreiteter Dreck, eine Tatsache, die von ihrer eigenen Verneinung bestimmt wird.« »Weiß du eigentlich, wovon du redest?« fragte Gallegher. »Natürlich.« »Mhm. Na ja, laß vorläufig mal den Dreck aus un-
serer Unterhaltung heraus. Ich will wissen, warum ich diese Maschine gebaut habe.« »Warum fragst du mich überhaupt? Tagelang – genaugenommen seit Wochen – bin ich abgestellt gewesen.« »Ach ja. Ich erinnere mich. Du hast vor dem Spiegel gestanden und wolltest mich an jenem Morgen nicht zum Rasieren 'ranlassen.« »Es war eine Frage künstlerischer Integrität. Die Ebenen meines funktionellen Gesichts sind weitaus harmonischer und dramatischer als bei dir.« »Jetzt hör mal zu, Narzissus«, sagte Gallegher, der sich zusammennehmen mußte. »Ich möchte etwas herausfinden. Können die Ebenen deines verdammten funktionellen Gehirns das kapieren?« »Aber gewiß«, sagte Narzissus kühl. »Aber ich kann dir nicht helfen. Du hast mich erst heute morgen wieder angestellt und bist anschließend in den Schlaf des Betrunkenen verfallen. Die Maschine war bereits fertig, stand aber still. Ich säuberte das Haus und brachte dir freundlicherweise Bier, als du mit deinem üblichen Kater aufwachtest.« »Dann bring mir bitte freundlicherweise noch mehr davon und halt den Mund.« »Und was geschieht mit dem Polizisten?« »Oh, den hab ich vergessen. Äh ... das beste wird sein, ich höre ihn mir mal an.« Narzissus entfernte sich auf leisen Sohlen. Gallegher fröstelte es. Er ging zum Fenster und starrte hinaus auf jenes unwahrscheinliche Loch. Warum? Wie? Er plünderte sein Gehirn aus. Zwecklos, natürlich. Sein Unterbewußtsein hatte die Antwort, aber die saß dort fest. Jedenfalls – ohne guten Grund hätte er den
Apparat nicht gebaut, oder doch? Sein Unterbewußtsein folgte einer sonderbaren verzerrten Art von Logik. Narzissus war ursprünglich als Superbierdosenöffner konstruiert worden. Ein muskulöser junger Mann in peinlich sauberer Uniform folgte dem Roboter ins Zimmer. »Mr. Gallegher?« fragte er. »Ja.« »Mr. Galloway Gallegher?« »Die Antwort lautet immer noch ›ja‹. Womit kann ich Ihnen dienen?« »Sie können diese Vorladung annehmen«, sagte der Polizist. Er überreichte Gallegher ein zusammengefaltetes Papier. Der Schwulst verwinkelter juristischer Phraseologie war für Gallegher unverständlich. »Wer ist Dell Hopper?« fragte er. »Habe nie von ihm gehört.« »Das geht mich nichts an«, sagte der Polizist. »Ich habe Ihnen die Vorladung gebracht, und das reicht mir.« Er ging. Gallegher starrte auf das Schreiben. Er war so schlau wie zuvor. Da ihm nichts Besseres einfiel, visiphonierte er einen Anwalt, ließ sich mit dem Gerichtsarchiv verbinden und fand schließlich den Namen von Hoppers Rechtsanwalt, Trench. Ein Wirtschaftsjurist, auch das noch! Trench hatte ein Regiment von Stellvertretern und Assistenten, welche die Anrufe annehmen, doch mit Hilfe von Drohungen, Flüchen und Bitten drang Gallegher schließlich zum großen Boss selbst durch. Auf dem Visischirm sah Gallegher Trench als angegrauten, dünnen und vertrockneten Mann mit gepflegtem Schnurrbart. Seine Stimme war scharf wie
eine Raspel. »Mr. Gallegher? Ja?« »Hören Sie mal her«, sagte Gallegher, »ich habe gerade eine Vorladung bekommen.« »Aha, Sie haben sie also. Gut.« »Was soll das heißen: Gut? Ich habe nicht die geringste Ahnung, worum es geht.« »Ach nein!« sagte Trench skeptisch. »Vielleicht darf ich Ihr Gedächtnis auffrischen. Mein Klient, der über ein weiches Herz verfügt, verfolgt Sie nicht etwa wegen Beleidigung, angedrohter oder vollzogener Körperverletzung, er will bloß sein Geld wiederhaben – oder das, was Sie dafür liefern wollten.« Gallegher schloß die Augen und schüttelte sich. »Was will er? Ich ... äh ... habe ihn beleidigt?« »Sie haben ihn«, sagte Trench und schlug in einem dicken Aktenbündel nach, »eine plattfüßige Wanze genannt, einen übelriechenden Neandertaler und entweder einen schmutzigen Bullen oder eine schmutzige Bulle. Beides sind Beleidigungen.« »Und wann war das?« flüsterte Gallegher. »Vor drei Tagen.« »Und – Sie haben was von Geld gesagt?« »Tausend Credits, die er Ihnen à conto gezahlt hat.« »À conto, wofür?« »Einen Auftrag, den Sie für ihn übernehmen wollten. Mit den genauen Einzelheiten bin ich nicht vertraut. Jedenfalls haben Sie nicht nur den Auftrag nicht ausgeführt, sondern sich auch noch geweigert, das Geld zurückzuzahlen.« »Oh! Wer ist denn Hopper überhaupt?« »Die Hopper-Unternehmungen – Dell Hopper,
Entrepreneur und Impresario. Ich glaube jedoch, Sie wissen das sehr gut. Wir sehen uns vor Gericht, Mr. Gallegher. Und falls Sie nichts dagegen haben, ich bin ziemlich beschäftigt. Ich habe heute einen Fall vor Gericht, und ich fürchte, der Angeklagte wird eine längere Gefängnisstrafe bekommen.« »Was hat er gemacht?« fragte Gallegher schwach. »Einfacher Fall von Körperverletzung«, sagte Trench. »Auf Wiedersehen.« Sein Gesicht verschwand vom Bildschirm. Gallegher preßte eine Hand vor die Stirn und schrie nach Bier. Er ging an seinen Schreibtisch, schlürfte aus der Plastikflasche mit der eingebauten Kühlvorrichtung und untersuchte nachdenklich seine Post. Nichts. Keinen Hinweis. Tausend Credits – er konnte sich nicht daran erinnern. Aber vielleicht stand es im Abrechnungsbuch. So war es. Unter den Daten von einigen Wochen zuvor war verzeichnet: Erhalten D. H. – à conto Erhalten J. W. – à conto Erhalten Dickerchen – à conto
c 1000 c 1500 c 800
Dreitausenddreihundert Credits! Und auf seinem Bankauszug war diese Summe nicht verzeichnet. Nach den Unterlagen hatte er nur siebenhundert Credits abgehoben, so daß noch etwa fünfzehn auf seinem Konto stehen mußten. Gallegher stöhnte und durchsuchte seinen Schreibtisch nochmals. Unter einer Schreibunterlage fand er einen Briefumschlag, den er bisher übersehen hatte. Darin befanden sich Aktien – gewöhnliche und Vor-
zugsaktien – für irgend etwas, was sich »AG für unbegrenzte Unternehmungen« nannte. Der beiliegende Brief bestätigte den Empfang von viertausend Credits, für welche Zahlung dem Mr. Galloway Gallegher auftragsgemäß Aktien überschrieben worden waren. »Hilfe!« sagte Gallegher. Er schluckte sein Bier, während seine Gedanken durcheinanderwirbelten. Die Unannehmlichkeiten, die zunächst ausgeblieben waren, hatten sich nun verdreifacht. D. H. – Dell Hopper – hatte ihm tausend Credits bezahlt, damit er ihm irgend etwas lieferte. Jemand mit den Initialen J. W. hatte seinerseits fünfzehnhundert Credits für einen ähnlichen Zweck bezahlt. Und Dickerchen, dieser Knauser, hatte nur achthundert Credits Vorauszahlung herausgerückt. Warum? Das wußte nur Galleghers verrücktes Unterbewußtsein. Dieser Gehirnkrüppel hatte mit leichter Hand die Abschlüsse getätigt, den Zaster vereinnahmt, Galleghers persönliches Bankkonto deziminiert – um nicht zu sagen ausgeräubert – und schließlich Aktien der »UnbegrenztenUnternehmungen-AG« gekauft. Ha! Gallegher benutzte noch einmal das Visiphon. Sein Makler erschien auf dem Bildschirm. »Arnie?« »Tag, Gallegher«, sagte Arnie und schaute zu dem Bildschirm über seinem Schreibtisch auf. »Wo fehlt's?« »Bei mir. Ich hab den Kopf schon in der Schlinge. Hör mal, hab ich in der letzten Zeit irgendwelche Aktien gekauft?«
»Sicher. Unternehmungen – UU.« »Dann will ich verkaufen. Ich brauche das Geld. Und ein bißchen dalli.« »Augenblick mal.« Arnie druckte ein paar Knöpfe. Laufende Notierungen blitzten über eine Wand seines Zimmers, Gallegher kannte das. »Nun?« »Nichts zu machen. Die Leute sitzen im Keller. Angebot zu vier, keine Nachfrage.« »Und zu wieviel habe ich gekauft?« »Zwanzig.« Gallegher stieß das Heulen eines verwundeten Wolfs aus. »Zwanzig? Und du hast mich das machen lassen?« »Ich versuchte, dir abzuraten«, sagte Arnie müde. »Ich habe dich gewarnt, weil ich wußte, daß die Werte abrutschen würden. In irgendeiner Bausache ist eine Verzögerung eingetreten. Genaues weiß ich nicht. Aber du sagtest, du hättest vertrauliche Informationen. Was konnte ich da machen?« »Du hättest mich nüchtern schlagen sollen«, sagte Gallegher. »Na ja, laß mal. Jetzt ist es zu spät. Habe ich noch irgendwelche andere Aktien?« »Hundert Anteile von Mars-Bonanza.« »Und wie stehen die?« »Aus dem ganzen Paket könntest du höchstens fünfundzwanzig Credits herausschlagen.« »Morgenrot, Morgenrot«, murmelte Gallegher. »Wie bitte?« »Leuchtest mir zum frühen Tod.« »Ah, ich verstehe.« Arnie nickte. »Stimmt«, nickte Gallegher. »Das kannst du bei meinem Begräbnis singen, mein Freund.« Hier wurde
die Verbindung unterbrochen. Warum, im Namen aller Heiligen und Unheiligen, hatte er diese UU-Aktien gekauft? Was hatte er Dell Hopper versprochen, oder den Hopper-Unternehmungen? Wer war J. W. (fünfzehnhundert Credits) und Dickerchen (achthundert Credits)? Warum befand sich ein Loch an der Stelle seines Hinterhofes? Was war das für eine verdammte Maschine, die sein Unterbewußtsein gebaut hatte? Und warum hatte er sie gebaut? Er drückte auf den Adressenknopf seines Visiphons und drehte so lange, bis er gefunden hatte, was er wollte: Hopper-Unternehmungen. Dann wählte er diese Nummer. »Ich möchte Mr. Hopper sehen.« »Ihr Name?« »Gallegher.« »Sprechen Sie bitte mit unserem Anwalt, Mr. Trench.« »Das hab ich ja!« sagte Gallegher. »Jetzt hören Sie einmal ...« »Mr. Hopper ist beschäftigt.« »Sagen Sie ihm«, sagte Gallegher zornig, »daß ich habe, was er wollte.« Offensichtlich hatte er das Kennwort getroffen. Hopper erschien auf dem Bildschirm, ein Büffel von einem Mann, mit einer Mähne grauen Haares, unduldsamen schwarzglänzenden Augen und einer schnabelförmigen Nase. Er streckte sein vorstehendes Kinn dem Bildschirm entgegen und bellte: »Gallegher? Für drei Cents würde ich Ihnen ...« Plötzlich än-
derte er seinen Ton. »Sie haben mit Trench gesprochen, wie? Ich hab's mir gedacht, daß der Ihnen ordentlich einheizen würde. Sie wissen doch, ich kann Sie ins Gefängnis bringen, nicht wahr?« »Nun ja, vielleicht ...« »Vielleicht! Mist! Glauben Sie etwa, daß ich persönlich zu jedem übergeschnappten Erfinder komme, dem ich mal einen Auftrag gegeben habe? Wenn ich nicht überall gehört hätte, Sie wären der beste Mann auf Ihrem Gebiet, hätte ich Sie schon vor Tagen unter Anklage gestellt!« Erfinder? »Um es genau zu sagen«, fing Gallegher sanft an, »ich bin krank gewesen.« »Diese Ausrede können Sie sich an den Hut stekken«, sagte Hopper rüpelhaft. »Sie waren voll wie eine Strandhaubitze. Und ich bezahle niemanden dafür, daß er sich besäuft. Haben Sie vergessen, daß jene tausend Credits nur eine Teilzahlung waren, daß neuntausend noch ausstehen?« »Äh ... wieso, n-nein. Wie ... neuntausend?« »Und dazu noch eine Prämie für schnelle Arbeit. Die Prämie bekommen Sie immer noch. Glücklicherweise. Es ist ja erst ein paar Wochen her. Ihr Schaden ist es nicht, daß Sie die Sache jetzt fertig haben. Ich habe mir schon ein paar Fabriken besorgt, und Vertrauensleute sehen sich bereits für mich im ganzen Land nach guten Gelegenheiten um. Kann man es auch für kleine Apparate verwenden. Gallegher? Mit denen holen wir nämlich unseren eigentlichen Gewinn heraus, die großen Zuschauermengen sind nur eine Nebenerscheinung.« »Peng«, sagte Gallegher. »Ah ...«
»Haben Sie's dort? Ich komme gleich mal vorbei, um mir's anzusehen.« »Halt! Warten Sie einmal. Vielleicht kann ich noch letzte Hand anlegen.« »Ich bin nur an der Idee interessiert«, sagte Hopper. »Wenn mich das befriedigt, ist der Rest einfach. Ich werde jetzt Trench rufen und lasse ihn die Vorladung annullieren. Also, bis bald.« Er verschwand vom Bildschirm. Gallegher schrie nach Bier. »Und ein Rasiermesser«, fügte er hinzu, als Joe aus dem Zimmer stapfte. »Ich möchte mir die Kehle durchschneiden.« »Warum?« fragte der Roboter unbeteiligt und sachlich. »Nur, um dir eine Freude zu machen, warum sonst? Bring das Bier endlich!« Joe brachte eine Plastikflasche. »Ich verstehe nicht, warum du dich so aufregst«, bemerkte er. »Warum vertiefst du dich nicht in meine hinreißende Schönheit?« »Das Rasiermesser ist besser«, sagte Gallegher trübe. »Weitaus besser. Drei Klienten, wobei ich mich an zwei überhaupt nicht erinnern kann, haben mir Aufträge erteilt, an die ich mich ebenfalls nicht erinnern kann. Ha!« Der Roboter überlegte. »Versuche es mal mit der induktiven Methode. Dieser Apparat ...« »Was ist damit?« »Nun ja, wenn du eine Arbeit übernimmst, trinkst du doch gewöhnlich so lange, bis dein Unterbewußtsein alle Hemmungen überwunden hat und die Aufgabe erledigt. Dann wirst du wieder nüchtern. Und
offenbar ist das auch diesmal passiert. Du hast doch die Maschine gebaut?« »Natürlich«, sagte Gallegher, »aber für welchen Kunden? Ich weiß noch nicht mal, wofür sie gut ist!« »Du könntest sie ja einschalten und es herausfinden.« »Oh, das könnte ich. Heute morgen bin ich nicht ganz klar im Kopf.« »Du bist niemals ganz klar«, sagte Joe. »Und außerdem sehr häßlich. Je mehr ich meine eigene vollkommene Lieblichkeit bewundere, um so mehr Mitleid empfinde ich für euch Menschen.« »Ach, halt's Maul!« schnappte Gallegher, dem die Sinnlosigkeit eines Wortwechsels mit dem Roboter wieder einmal deutlich wurde. Er ging zu der rätselhaften. Maschine und betrachtete sie von neuem. In seinem Gehirn spielte sich nichts ab. Er sah einen Schalter und bediente ihn. Die Maschine fing an die Ballade vom »St. Hospital« zu singen: »... und sah meinen Liebling liegen auf einem Marmortisch ...« »Jetzt verstehe ich alles«, sagte Gallegher in einem Anfall wilder Verzweiflung. »Jemand hat mich beauftragt, ein Grammophon zu erfinden.« »Wart mal«, meinte Joe. »Schau einmal aus dem Fenster.« »Das Fenster. Gewiß. Was ist mit dem Fenster? Wa –« Gallegher lehnte sich über die Brüstung und vergaß, Atem zu holen. Seine Knie waren aus Butter, oder zumindest kam es ihm so vor.
Die Schläuche, die aus der Maschine austraten und aus dem Fenster hingen, mußten sich unglaublich in die Länge ziehen lassen, wie ein altes Seeräuberteleskop. Sie erstreckten sich bis auf den Boden der Grube, fast zehn Meter in die Tiefe, und fuhren dort in ungeordneten Kreisbewegungen herum, wie Staubsauger auf dem Teppich. Sie bewegten sich so schnell, daß Gallegher nur noch ein Flimmern wahrnehmen konnte. Es sah aus wie der Kopf einer Medusa die den Veitstanz bekommen und diese Krankheit auf ihre Schlangen übertragen hatte. »Schau sie dir nur einmal an«, sagte der in tiefe Betrachtung versunkene Roboter und lehnte seinen metallischen Korpus schwer gegen Gallegher. »Ich vermute, daß so das Loch entstanden ist. Sie fressen Dreck.« »Ja«, seufzte der Wissenschaftler und zog sich wieder zurück. »Ich möchte bloß wissen, warum. Dreck, Erde ... Hm-m-m. Vielleicht als Rohmaterial!« Er beäugte die Maschine, welche ebenso empfindsam wie lautstark ihren Singsang fortsetzte: »... kannst die ganze weite Welt durchsuchen und findest nie 'nen Mann so gut wie mich.« »Nur noch elektrische Verbindungen«, sprach Gallegher vor sich hin und ließ sein forschendes Auge über die Maschine gleiten. »Die Erde als Rohmaterial geht in diesen ehemaligen Papierkorb. Und was dann? Elektronenbombardement? Protonen, Neutronen, Positronen – ich möchte bloß wissen, was diese Worte bedeuten«, schloß er klagend. »Wenn ich nur eine Universitätsausbildung genossen hätte!«
»Ein Positron ist ...« »Bitte, sag's mir nicht«, jammerte Gallegher. »Ich begreife den Inhalt dieser Worte ja doch nie im Leben! Ich weiß schon, was ein Positron ist, bloß kenn ich es nicht unter diesem Namen. Ich kenne bloß seine Bedeutung. Und die kann man ohnehin nicht in Worte kleiden.« »Aber die Eigenschaften eines Positrons kann man beschreiben«, erklärte ihm Joe. »Aber nicht ich. Diese verdammten Worte machen mir angst und bange. Ich kann sie einfach nicht mit ihrer Bedeutung zusammenbringen.« »Das ist Blödsinn«, sagte der Roboter. »Das Positron läßt sich völlig eindeutig beschreiben.« »Eindeutig für dich! Ich denke dabei nur an eine Bande kleiner Männer mit Fischschwänzen und grünen Schnurrbärten. Deswegen kann ich ja auch nie dahinterkommen, was mein Unterbewußtsein nun eigentlich wollte. Ich muß logische Symbolik benutzen, und die Symbole ... Ach, schweig endlich still«, grollte Gallegher. »Warum sollte ich mich überhaupt mit dir über Semantik auseinandersetzen.« »Du hast damit angefangen«, sagte Narzissus. Gallegher starrte den Roboter böse an und ging dann zu seiner Maschine zurück. Sie fraß immer noch Erde und sang die rührselige Ballade. »Ich möchte bloß wissen, warum sie diesen Schwachsinn singt!« »Du singst es doch gewöhnlich, wenn du betrunken bist, oder nicht? Am liebsten in einer vollbesetzten Bar.« »Das besagt gar nichts«, sagte Gallegher kurz angebunden. Er untersuchte die Maschine. Sie arbeitete
wie geschmiert, strahlte ein bißchen Wärme aus, und irgend etwas fing an zu rauchen. Gallegher fand eine vernachlässigte Schmierstelle, ergriff eine Ölkanne und drückte. Das Rauchen hörte auf, ebenso der schwache Geruch nach Verbranntem. »Es kommt gar nichts heraus«, sagte Gallegher, nachdem er die Maschine eine Weile lang mit wachsender Verblüffung beobachtet hatte. »Vielleicht dort?« Der Roboter zeigte auf eine Stelle. Gallegher untersuchte das geriffelte Rad, das sich rasch drehte. Gerade darüber befand sich eine kleine, kreisrunde Öffnung in der glatten Oberfläche eines Zylinders. Jedoch schien auch aus diesem Loch nichts herauszukommen. »Stell das Ding ab«, sagte Gallegher. Joe gehorchte. Die Öffnung schloß sich, und das Rad blieb stehen. Auch jede andere Tätigkeit der Maschine hörte sofort auf. Die Musik erstarb. Die Tentakel draußen in der Grube hörten auf herumzuwirbeln und verkürzten sich auf ihre normale Ruhelänge. »Tja, offenbar gibt es kein Endprodukt«, sagte Gallegher. »Der Apparat frißt Dreck und Erde und verdaut das Zeug vollständig. Einfach lächerlich.« »Ja?« »Ja, lächerlich! In der Erde stecken noch Elemente. Sauerstoff Stickstoff – New York steht auf Granit, also muß es Aluminium, Natrium, Silicium geben – eine Menge Zeug. Keinerlei physikalischer oder chemischer Verarbeitungsprozeß könnte so etwas erklären.« »Du meinst, irgend etwas müßte die Maschine auch wieder verlassen?«
»Jawohl«, sagte Gallegher. »Es wäre mir viel wohler, wenn irgend etwas herauskäme. Meinetwegen Schlamm.« »Musik kommt heraus«, machte ihn der Roboter aufmerksam. »Falls man dieses Geschrei überhaupt als Musik bezeichnen kann.« »Nein, auch wenn ich meine Einbildungskraft bis zur Zerreißgrenze beanspruchte, mit diesen furchtbaren Gedanken könnte ich mich nicht abfinden«, sagte der Wissenschaftler mit fester Stimme. »Ich gebe zu, mein Unterbewußtsein ist ein bißchen verrückt. Aber es hat seine Logik, auf seine eigene, oft abwegige Art. Ich würde keine Maschine bauen, die aus Dreck Musik herstellt, selbst wenn so etwas möglich wäre.« »Aber sie tut doch nichts anderes, oder?« »Nein. Äh. Hm-m-m. Ich möchte bloß wissen, was ich für Hopper hätte machen sollen. Er hat irgend etwas von Fabriken und Zuhörerschaft gesagt.« »Bald wird er hier sein«, meinte Joe. »Frag ihn doch.« Gallegher würdigte ihn keiner Antwort. Er verwarf den Gedanken, mehr Bier zu verlangen, und benutzte statt dessen die Schnapsorgel, um sich aus mehreren Spirituosen ein anregendes Getränk zu komponieren. Danach setzte er sich auf einen Generator mit dem ominösen Namen »Monstro«. Damit offenbar nicht zufrieden, vertauschte er diesen Sitzplatz mit einem kleineren Generator, der »Bubbles« hieß. Wenn er auf Bubbles saß, fiel Gallegher das Denken gewöhnlich leichter. Das Getränk hatte seine Gedankengänge geölt, alkoholische Dämpfe durchzogen sein Gehirn. Eine Maschine ohne Endprodukt – Erde, die im Nichts
verschwand. Hm-m-m. Materie kann nicht verschwinden wie ein Kaninchen im Zylinder eines Zauberers. Irgendwo muß sie bleiben – Energie? Offenbar nicht. Die Maschine lieferte keine Energie. Die Leitungen und Anschlußstecker zeigten vielmehr, daß sie elektrische Energie brauchte, um zu funktionieren. Und also ... Wie? Man müßte es von einer anderen Seite sehen. Galleghers Unterbewußtsein – Galleghers Genie – hatte den Apparat aus irgendeinem logischen Grund gebaut. Diesen Grund stellten offenbar die dreitausenddreihundert Credits dar, die er vereinnahmt hatte. Diese Summe hatten ihm insgesamt drei verschiedene Leute bezahlt, damit er – vielleicht – drei verschiedene Dinge für sie erfinden sollte. Auf welches Problem lieferte nun die Maschine, die er da gebaut hatte, eine Antwort? Man muß es als eine Gleichung ansehen. Nennen wir einmal die Klienten a, b und c. Nennen wir den Zweck der Maschine – nicht die Maschine selbst natürlich – x. Dann muß a (oder) b (oder) c gleich x sein. Nicht ganz, denn a würde nicht etwa Dell Hopper bedeuten, es müßte Hoppers Wunsch symbolisieren. Und das mußte logischer- und notwendigerweise den Zweck der Maschine darstellen. Oder das, was der geheimnisvolle J. W. beziehungsweise das gleichermaßen geheimnisvolle Dikkerchen haben wollte. Nun, Dickerchen war nicht ganz so rätselhaft. Gallegher hatte einen Anhaltspunkt. Dickerchen mußte dick sein. Wenn man J. W. durch b symbolisieren
konnte, so war Dickerchen c plus Fettanlagerungen. Nennt man die Fettanlagerungen f, was erhält man dann? – Durst. Gallegher ließ sich mehr Bier bringen, was Joe von seinem Platz vor dem Spiegel aufscheuchte. Gallegher saß immer noch auf Bubbles ließ die Beine baumeln und zog sein Gesicht in nachdenkliche Falten, eine dunkle Haarsträhne lag unordentlich über seinen Augen. Gefängnis? Uff! Nein, irgendwo mußte noch ein anderer Ausweg zu finden sein. Zum Beispiel die UU-Aktien. Warum hatte Gallegher bloß viertausend Credits für das Zeug ausgegeben, wenn die Notierung schon am Abrutschen war? Wenn er dafür eine Antwort finden könnte, wäre er einen ganzen Schritt weiter. Denn Galleghers Genie tat nichts, was keinen Sinn hatte. Was war überhaupt diese »AG für unbegrenzte Unternehmungen?« Er versuchte es noch einmal mit dem Adressendienst des Visiphons. Glücklicherweise war der Sitz von UU hier im Staat und die Büros befanden sich in Manhattan. Eine ganzseitige Anzeige fiel ihm in die Augen. UNBEGRENZTE UNTERNEHMUNGEN WIR MACHEN ALLES! RED 5-1400-M Jetzt wußte Gallegher immerhin die VisiphonNummer der Firma, und das war schon etwas. Als er gerade RED gewählt hatte, ertönte ein Summer, und resigniert verließ »Narzissus« seinen Spiegel und
ging zur Tür. Einen Augenblick später erschien er wieder mit dem bulligen Mr. Hopper. »Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat«, brummte Hopper. »Mein Chauffeur beachtete ein rotes Licht nicht, und ein Verkehrspolizist hielt uns an. Ich mußte ihn ziemlich hart anfahren.« »Den Chauffeur?« »Den Polizisten. Na, wo steht der Apparat?« Gallegher fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Hatte er in seinem Rausch diesen Riesen tatsächlich in die Sitzfläche getreten? Der Gedanke war nicht sehr beruhigend. Er deutete aufs Fenster. »Dort.« War das richtig? Wollte Hopper eine Maschine haben, die Erde auffraß? Die Augen des großen Mannes öffneten sich voller Erstaunen. Er warf einen raschen, verwunderten Blick auf Gallegher, dann näherte er sich dem Apparat und untersuchte ihn von allen Seiten. Er schaute aus dem Fenster, doch schien ihn das, was er dort sah, nicht sehr zu interessieren. Statt dessen wandte er sich wieder an Gallegher und setzte eine drohendfragende Miene auf. »Meinen Sie das im Ernst? Wohl ein völlig neues Prinzip? Aber anders kann es nicht sein.« Immer noch kein Hinweis. Gallegher versuchte es mit einem schwachen Lächeln. Hopper blickte ihn an. »Nun los«, sagte er. »Wie steht es mit der praktischen Anwendung?« Gallegher trieb steuerlos auf stürmischem Meer. »Ich zeige es Ihnen am besten«, sagte er schließlich, durchquerte sein Labor und schaltete den Apparat
ein. Alsbald fing die Maschine an, die Ballade vom »St. James Hospital« zu singen, und die Tentakel verlängerten sich und begannen, Erde zu verzehren. Das Loch in dem Zylinder öffnete sich, das geriffelte Rad drehte sich. Hopper wartete. Nach einer Weile sagte er: »Nun?« »Sie – Sie sind nicht damit zufrieden?« »Woher soll ich das wissen? Ich weiß noch nicht mal, was das Ding da tut. Gibt es denn keinen Schirm?« »Aber gewiß«, sagte Gallegher, der völlig im dunkeln tappte. »Er befindet sich in dem Zylinder da.« »In – was?« Hoppers buschige Augenbrauen zogen sich über seinen schwarzen Augen zusammen. »In dem Zylinder?« »Jawohl.« »Zum ...« Hopper schien zu ersticken. »Was hat er dort für einen Sinn? Jedenfalls ohne Röntgenaugen?« »Sollte die Maschine Röntgenaugen haben?« murmelte Gallegher, der vor Verwirrung nicht ein noch aus wußte. »Sie wollten also einen Schirm mit Röntgenaugen?« »Sie sind immer noch besoffen!« fuhr ihn Hopper an. »Entweder das, oder Sie sind total verrückt!« »Warten Sie doch noch einen Augenblick. Vielleicht habe ich bei der Konstruktion einen Fehler gemacht ...« »Einen Fehler!« »Bitte, sagen Sie mir nur eins: Welchen Auftrag haben Sie mir eigentlich erteilt?« Hopper holte dreimal tief Atem. Mit kalter, präziser Stimme sagte er dann: »Ich habe Sie gefragt, ob Sie eine Vorrichtung bauen können, mit der sich
dreidimensionale Bilder projizieren lassen, welche man aus jedem Winkel, von vorn, hinten oder der Seite, verzerrungsfrei betrachten kann. Sie sagten ja, Sie könnten das. Ich leistete eine Anzahlung von tausend Credits. Ich habe mit ein paar Fabriken Verträge abgeschlossen, so daß ich ohne Verzögerung mit der Produktion beginnen könnte. Ich habe Vertrauensleute ausgeschickt, die nach geeigneten Theatern Umschau halten. Ich plane einen Werbefeldzug, um den Apparat als Zusatzgerät zu den Heimfernsehgeräten zu verkaufen. Und nun, Mr. Gallegher, verlasse ich Ihr Haus und begebe mich zu meinem Anwalt, den ich beauftragen werde, Ihnen die Daumenschrauben anzulegen.« Wutschnaubend verließ er das Zimmer. Der Roboter schloß sachte die Tür, kehrte zurück und eilte ungefragt, um Bier zu holen. Gallegher winkte ab. »Ich werde die Orgel benutzen«, stöhnte er. Dann mixte er sich einen recht steifen Schluck. »Stell diese verfluchte Maschine ab, Joe. Mir fehlt die Kraft dazu.« »Nun, eins hast du wenigstens herausgefunden«, sagte der Roboter ermutigend. »Für Hopper hast du diesen Apparat nicht gebaut.« »Wie wahr! Der ist für ... äh ... entweder J. W. oder für Dickerchen. Wie kann ich herausfinden, um wen es sich handelt?« »Du brauchst Ruhe«, sagte der Roboter. »Warum entspannst du dich nicht einfach und lauschst meiner lieblichen, melodischen Stimme? Ich werde dir vorlesen.« »Sie ist nicht melodisch«, sagte Gallegher automatisch und geistesabwesend. »Sie quietscht wie eine verrostete Türangel mit Sand darin.«
»Für deine Ohren. Meine Sinne sind feiner. Für mich hast du eine Stimme wie das Krächzen eines asthmatischen Frosches. Du kannst mich nicht so sehen, wie ich mich selbst sehe – ebensowenig wie du meine Stimme in dem Umfang hören kannst, wie mir das vergönnt ist. Aber das wird schon sein Gutes haben. Du würdest dich sonst in Ekstase verlieren.« »Narzissus«, sagte Gallegher geduldig, »ich versuche zu denken. Würdest du bitte liebenswürdigerweise dein eisernes Maul halten?« »Ich heiße nicht Narzissus«, sagte der Roboter, »ich heiße Joe.« »Dann taufe ich dich eben um. So, und nun ... Ich wollte mich gerade über UU informieren. Wie war doch gleich die Nummer?« »RED Fünf vierzehnhundert M.« »Stimmt.« Gallegher benutzte sein Visiphon. Eine Sekretärin zeigte guten Willen, war aber nicht in der Lage, nützliche Auskünfte zu erteilen. »Unbegrenzte Unternehmungen« war der Name einer Art Holding-Gesellschaft. Sie hatte in der ganzen Welt Beziehungen. Wenn ein Klient irgendeine Arbeit verlangte, trat UU durch irgendeinen ihrer Agenten mit den richtigen Leuten in Beziehung und erledigte die Angelegenheit. UU stellte dafür das Geld zur Verfügung, führte die Abrechnung und die Arbeit in eigener Regie durch und ließ sich später dafür Prozente bezahlen. Es klang unwahrscheinlich kompliziert, und Gallegher tappte immer noch im dunkeln. »Steht mein Name irgendwo in Ihren Akten? Nein – oh. Äh ... können Sie mir vielleicht sagen, wer J. W. ist?«
»J. W? Tut mir leid, mein Herr. Ich benötige den ausgeschriebenen Namen.« »Den habe ich nicht. Und es ist wichtig.« Nach einigem Hin und Her setzte Gallegher seinen Kopf durch. Der einzige Mann bei UU, dessen Initialen J. W. lauteten, hieß Jackson Wardell und befand sich zur Zeit auf Callisto. »Seit wann ist er dort?« »Er wurde dort geboren«, sagte die Sekretärin wahrheitsgemäß, was Gallegher aber nicht viel half. »Er ist in seinem Leben noch nie auf der Erde gewesen. Meiner Meinung nach ist Mr. Wardell sicherlich nicht der, den Sie suchen.« Gallegher war dieser Meinung auch. Es hatte auch keinen Zweck, nach Dickerchen zu fragen, entschied er, und löste mit schwachem Seufzen die Verbindung. Und was jetzt? Das Visiphon läutete. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines vollwangigen, kahlen, feisten Mannes, der bekümmert aussah. Als er den Wissenschaftler erblickte, brach er in ein erleichtertes Lächeln aus. »Oh, da sind Sie ja. Mr. Gallegher«, sagte er. »Schon seit einer Stunde habe ich versucht, Sie zu erreichen. Irgend etwas stimmt nicht mit der Verbindung. Mein Gott, ich hatte mich darauf ver- lassen, daß ich schon eher von Ihnen hören würde!« Galleghers Herz stolperte ein bißchen. Dickerchen – natürlich! Gott sei Dank, das Glück schien sich nun wieder seiner zu erinnern! Dickerchen – achthundert Credits. À conto! Und für was? Die Maschine? Löste sie Dickerchens Problem oder das von J. W.? Galleg-
her sandte ein inbrünstiges Stoßgebet zum Himmel, daß Dickerchen sich eine Vorrichtung bestellt hätte, die Erde fraß und vom »St. James Hospital« sang. Das Bild wackelte und flimmerte auf dem Schirm, und aus dem Lautsprecher krachte es ein bißchen. Dickerchen sagte hastig: »Irgend etwas stimmt nicht in der Leitung. Aber – haben Sie es gemacht, Mr. Gallegher? Haben Sie eine Methode gefunden?« »Aber sicher«, sagte Gallegher. Wenn er den Mann sachte dazu bringen könnte, auch nur eine Andeutung dessen von sich zu geben, was er verlangt hatte ... »Oh, das ist ja prima! UU hat mich schon seit Tagen bedrängt. Ich habe sie bisher abwimmeln können, aber ewig warten die auch nicht. Cuff nimmt mich übel in die Zange, und ich kann um dieses alte Statut nicht herumkommen ...« Der Bildschirm wurde dunkel. Gallegher biß sich vor ohnmächtiger Wut bald die Zunge durch. Nervös hängte er ein und ging dann im Labor auf und ab, gespannt wartete er auf den nächsten Anruf. In der nächsten Sekunde würde das Visiphon wieder läuten. Dickerchen würde noch einmal anrufen. Selbstverständlich. Und dieses Mal würde Gallegher als erstes fragen: »Wer sind Sie?« Die Zeit verstrich. Gallegher stöhnte, dann reklamierte er und bat das Amt, ihm die Nummer des Anrufers zu nennen. »Tut mir leid, mein Herr. Der Anruf kam von einer Selbstwählanlage. Nachträglich können wir den Teilnehmer nicht mehr herausfinden.« Zehn Minuten später hörte Gallegher mit dem Fluchen auf, holte sich seinen Hut vom Schädel eines ei-
sernen Hundes, welcher einst einen Vorgarten geziert hatte, und schoß auf die Tür zu. »Ich gehe aus«, schrie er Narzissus an. »Behalte die Maschine im Auge.« »Wird gemacht. In einem Auge.« Der Roboter gehorchte aufs Wort. »Ich brauche das andere, um mein wunderschönes Innere zu betrachten. Warum bemühst du dich nicht, herauszufinden, wer Cuff ist?« »Was?« »Cuff. Dickerchen erwähnte doch jemanden, der diesen Namen trägt. Er sagte, Cuff nähme ihn hart in die Zange.« »Stimmt! Das hat er gesagt. Und – was war es noch? – Er sagte, er käme an irgendeiner alten Statue nicht vorbei.« »Statut. Das ist soviel wie ein Gesetz.« »Ich weiß, was Statut bedeutet«, knurrte Gallegher. »Ich bin schließlich kein hundertprozentiger Idiot. Jedenfalls jetzt noch nicht. Cuff, wie? Ich werd's noch mal mit dem Visiphon probieren.« Sechs Cuffs waren registriert. Drei davon hatten weibliche Vornamen. Der eine war nicht zu Hause, also blieben noch zwei übrig – Max und Frederick. Er rief Frederick an und bekam einen dürren Jüngling mit Froschaugen auf den Schirm, der offensichtlich noch nicht einmal wahlberechtigt war. Gallegher bedachte den Burschen mit einem mörderischen Blick und schaltete ab. Frederick zerbrach sich die nächste halbe Stunde den Kopf, wer ihn da wohl angerufen hatte, ein Gesicht schnitt wie der Satan und ohne ein weiteres Wort die Verbindung wieder trennte. Aber Max Cuff blieb übrig, und das war gewiß der richtige Mann. Gallegher wurde seiner Sache sicher,
als Max Cuffs Butler den Anruf zu seinem Büro in der Innenstadt weiterleitete, wo eine Empfangsdame Gallegher mitteilte, daß Mr. Cuff den Nachmittag im »Club der gehobenen Gesellschaft« verbrachte. »So, so. Sagen Sie einmal, wer ist Cuff überhaupt?« »Verzeihung?« »Was treibt er eigentlich? Was für ein Geschäft betreibt er meine ich?« »Mr. Cuff hat kein Geschäft«, sagte das Mädchen, kalt wie ein Eisschrank. »Er ist Magistratsmitglied.« Das war interessant! Gallegher suchte nach seinem Hut, fand ihn auf seinem Kopf und verabschiedete sich von dem Roboter, der ihn jedoch keiner Antwort würdig fand. »Wenn Dickerchen wieder anruft«, trug ihm der Wissenschaftler auf, »laß dir seinen Namen geben, verstehst du? Und paß auf diesen Apparat auf, falls er vielleicht anfängt, zu mutieren oder sonst irgendeinen Unfug anzustellen.« Nun waren anscheinend alle losen Enden wieder beisammen. Gallegher verließ sein Haus und trat auf die Straße. Ein kühler Herbstwind wirbelte die dürren Blätter von den Parkanlagen über der Stadt herunter. Ein paar Taxicopter kurvten vorbei, doch Gallegher rief ein Straßentaxi; er wollte lieber sehen, wohin es ging. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß ein Visiphonanruf bei Max Cuff wenig Erfolg zeitigen würde. Den Mann mußte man mit Feingefühl behandeln, vor allem, wenn er jemanden »in die Zange nahm«. »Wohin mein Freund?« »Gehobener Gesellschaftsklub. Wissen Sie, wo das ist?« »Keine Ahnung«, sagte der Fahrer, »aber ich kann's
herausfinden.« Er benutzte den TV-Stadtplan auf seinem Armaturenbrett. »Innenstadt. Ziemlich weit.« »In Ordnung«, sagte Gallegher und ließ sich in die Polster fallen Dunkle Gedanken tauchten in ihm auf. Warum waren die Leute so schlecht zu fassen? Seine Klienten waren im allgemeinen keine Gespenster. Aber Dickerchen blieb im Nebel und namenlos – ein Gesicht, das war alles, und Gallegher hatte es noch nicht einmal erkannt. Wer J. W. war, das war auch noch eine Preisfrage. Nur Dell Hopper war persönlich erschienen, und Gallegher wünschte, er hätte es bleiben lassen. Die Vorladung knisterte noch in seiner Tasche. »Was ich brauche«, redete sich Gallegher ein, »ist etwas zu trinken. Daher kommt das ganze Unglück. Ich bin wieder nüchtern geworden. Oder besser gesagt, ich bin zu früh nüchtern geworden. Ach, verdammt.« Dann hielt das Taxi vor einem Gebäude, das einst ein herrschaftliches Glasziegelhaus gewesen war und nun schmutzig und verloren aussah. Gallegher stieg aus, bezahlte die Fahrt und stieg die Stufen hinauf. Eine kleine Karte trug die Inschrift »Klub für gehobene Gesellschaft«. Da er keine Klingel fand, öffnete er die Tür und trat ein. Sofort blähten sich seine Nüstern wie bei einem Schlachtpferd, das Pulverdampf wittert. Hier wurde getrunken. Mit dem Instinkt einer heimkehrenden Brieftaube fand Gallegher den kürzesten Weg zur Bart die eine ganze Wand des großen Saales einnahm, der mit Stühlen. Tischen und Leuten angefüllt war. In einer Ecke spielte ein traurig aussehender Mann mit einem Derbyhut an einem Spielautomaten. Als Gal-
legher näher kam, sah er auf, torkelte ihm in den Weg und murmelte: »Suchen Sie jemanden?« »Ja«, sagte Gallegher. »Max Cuff. Mir wurde gesagt, er sei hier.« »Im Moment nicht«, sagte der traurige Mann. »Was wollen Sie von ihm?« »Es handelt sich um Dickerchen«, sagte Gallegher aufs Geratewohl. Kalte Augen bohrten sich in die seinen. »Wer soll die Dame sein?« »Ein Mann – Sie kennen ihn vermutlich nicht. Aber Max kennt ihn.« »Max wollte Sie sehen?« »Gewiß.« »Nun«, sagte der Mann zweifelnd, »im Augenblick ist er gerade in den ›Drei Sternen‹ auf einer Budentour. Wenn er damit einmal anfängt ...« »Die ›Drei Sterne‹? Wo ist das?« »Die vierzehnte Straße vom Broadway aus.« »Vielen Dank«, sagte Gallegher. Er ging hinaus und warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf die Bar. Nein, jetzt noch nicht. Erst das Geschäft. Die »Drei Sterne« waren der Namen für eine Schnapsmühle, mit schweinischen Bildern an den Wänden und so. Die Bilder bewegten sich in einer stereoskopischen und ziemlich verblüffenden Art. Gallegher betrachtete den Effekt nachdenklich und sah sich dann unter den Gästen um. Es gab nicht sehr viele. Ein großer Mann an einem Ende der Bar zog seine Aufmerksamkeit auf sich, er hatte eine Gardenie im Knopfloch und einen blitzenden Brillanten am Ringfinger.
Gallegher ging auf ihn zu. »Mr. Cuff?« »Stimmt«, sagte der große Mann und drehte sich langsam auf dem Barstuhl wie Jupiter um seine Achse, dabei pendelte er leicht um seine Gleichgewichtslage. »Wer sind Sie?« »Ich bin ...« »Lassen wir das lieber«, sagte Cuff und zwinkerte. »Man soll nicht seinen richtigen Namen angeben, wenn man gerade ein Ding gedreht hat. Sie sind also voll, wie?« »Wie bitte?« »Ha, ha, ich kann euch Kerle doch mit verbundenen Augen herausfinden. Sie ... Sie ... he!« sagte Cuff und beugte sich schnüffelnd vor. »Sie haben getrunken!« »Das«, sagte Gallegher bitter, »ist eine Untertreibung.« »Dann leiste mir Gesellschaft«, lud ihn der große Mann leutselig ein. »Ich bin gerade bei E. Egg Flip. Tim!« brüllte er. »Noch 'nen Egg Flip für meinen neuen Freund hier! Und drück auf die Tube! Dann kannst du schon mit F anfangen.« Gallegher glitt auf den Hocker neben Cuff und betrachtete seinen Gefährten nachdenklich. Das Magistratsmitglied schien ein bißchen beschwipst zu sein. »Ja«, sagte Cuff, »nach dem Alphabet zu trinken ist die einzig vernünftige Art. Man fängt mit A an – Absinth – und geht dann der Reihe nach weiter, Brandy, Cointreau, Daiquiri, Egg Flip ...« »Und dann was?« »F natürlich«, sagte Cuff mit leichter Überraschung, »Flip. Hier ist dein Glas. Auf eine gute Befeuchtung!«
Sie tranken. »Hör mal«, sagte Gallegher, »ich wollte dich wegen Dickerchen fragen.« Er benutzte ebenfalls das vertrauliche Du, das Zechkumpane austauschen, ohne sich etwas dabei zu denken. »Wer ist das?« »Dickerchen«, erklärte Gallegher und blinzelte vielsagend. »Du weißt doch. Du hast ihn in der letzten Zeit schwer in die Zange genommen. Das Statut. Du weißt doch.« »Ach so! Den!« Cuff brüllte plötzlich vor Lachen. »Dickerchen, wie? Das ist gut. Das ist Prima. Dickerchen ist weiß Gott der richtige Name für ihn.« »Sein richtiger Name ist ganz anders, nicht wahr?« sagte Gallegher vorsichtig. »Ganz anders! Dickerchen, haha!« »Schreibt er sich mit e oder mit i?« »Mit beiden«, sagte Cuff. »Tim, wo ist der Flip? Oh, du hast ihn schon fertig, wie? Nun dann, Prost, mein Junge!« Gallegher beeilte sich mit seinem Egg Flip und begann, sich um den Flip zu kümmern, der sich bis auf den Namen in nichts von dem vorigen Getränk unterschied. Was nun? »Äh, die Sache mit Dickerchen«, sagte er aufs Geratewohl. »Ja?« »Wie läuft die Sache?« »Ich beantworte nie Fragen«, sagte Cuff und wurde plötzlich nüchtern. Er blickte Gallegher scharf an. »Gehörst du denn überhaupt zu unseren Jungs? Ich kenne dich nicht.« »Pittsburgh. Als ich in die Stadt kam, schickte man mich zum Klub.«
»Da stimmt doch irgend etwas nicht«, sagte Cuff. »Ach, laß mal! Es wird schon richtig sein. Ich habe gerade eine wichtige Sache erledigt, und jetzt wird gefeiert. Fertig mit deinem Flip? Tim! Gin!« Sie gingen das Alphabet durch, bis sie zu J kamen. »Und jetzt einen Jazzbo«, sagte Cuff befriedigt. »Das hier ist die einzige Bar in der Stadt, die einen Drink mixt, der mit J anfängt. Danach muß ich allerdings einige Stationen auslassen. Ich kenne nichts, was sich mit K schreibt.« »Kirschwasser«, sagte Gallegher abwesend. »Ki... Noch mal! Wie hieß das?« Cuff brüllte den Barkeeper an. »Tim! Hast du Kirschwasser?« »Nix«, sagte der Mann. »Das führen wir nicht, mein Herr.« »Dann werden wir jemand finden, der es hat. Du bist ein schlauer Junge, komm mit. Ich brauche dich.« Gallegher folgte gehorsam. Da Cuff offenbar nicht über Dickerchen reden wollte, mußte sich Gallegher zumindest bemühen, sein Vertrauen zu gewinnen. Und mit ihm zu trinken schien der beste Weg zu diesem Ziel zu sein. Unglücklicherweise erwies sich die alphabetische Budentour mit ihren unwahrscheinlichen Mixturen als keineswegs günstig für den Magen. Gallegher hatte bereits einen brummenden Schädel. Und Cuffs Durst war unersättlich. »L? Was ist mit L?« »Lacrimae Christi oder Liebfrauenmilch.« »Gerechter Gott!« Das Deutsch schien ihm ernsthafte Schwierigkeiten zu bereiten. Erleichtert kehrte er dann zum Martini zurück. Nach dem Orange Blossom konnte Gallegher nicht mehr ganz klar sehen. Für R gab es Reiswein. Auf
einmal schrie Cuff auf. »Reiswein! Wir haben das N ausgelassen! Jetzt müssen wir wieder mit A anfangen!« Nur mit Mühe konnte Gallegher den Magistratsangehörigen davon abhalten, und es gelang ihm gerade noch, Cuff mit dem exotischen Namen »ng ga po« zu faszinieren. Sie arbeiteten sich weiter durch, durch S, T, U und kamen nach Whisky, der mit Wodka vermischt war, zu X. Sie starrten sich gegenseitig durch Alkoholschwaden hindurch an. Gallegher zuckte die Achseln und schaute sich um. Wie waren sie nur in diesen vornehm, bequem möblierten privaten Klubraum gekommen? überlegte er sich. Es war nicht der Gesellschaftsklub, das war sicher. Ach, es war ja auch egal. »X?« fragte Cuff noch einmal. »Laß mich jetzt nicht im Stich Kamerad.« »Xstra Whisky«, sagte Gallegher mit einem Geistesblitz. »Du hast es. Jetzt bleiben noch zwei. Ypsilon und ... und – was kommt nach Ypsilon?« »Dickerchen. Erinnerst du dich nicht mehr?« »Das alte Dickerchen Schmidt«, sagte Cuff und fing unmäßig an zu lachen. Jedenfalls klang es so wie Schmidt. »Dickerchen ist genau der richtige Name! Haha!« »Wie heißt er mit Vornamen?« fragte Gallegher. »Wer?« »Dickerchen.« »Nie von ihm gehört«, sagte Cuff und kicherte. Ein Page kam herüber und berührte Cuff am Arm. »Jemand will Sie sprechen, mein Herr. Draußen.« »Okay. Bin in 'ner Minute wieder da, mein Freund.
Die Leute wissen alle, wo ich zu finden bin – besonders hier. Geh nicht fort. Wir haben immer noch Ypsilon und ... und ... den anderen Buchstaben vor uns.« Er verschwand. Gallegher setzte sein Glas unberührt nieder, stand auf und nahm leicht schwankend Kurs auf den Waschraum. Eine Visiphonzelle stand ihm im Weg. Ohne zu überlegen, betrat er sie und rief sein Labor an. »Schon wieder besoffen?« fragte Narzissus, als das Gesicht des Roboters auf dem Bildschirm erschien. »Genau«, stimmte Gallegher zu. »Ich bin ... urp ... voll bis obenhin. Aber jedenfalls – ich habe einen Hinweis.« »Ich würde dir raten, die Polizei aufzusuchen«, sagte der Roboter. »Ein paar Ganoven sind hier eingebrochen und haben sich nach dir erkundigt, kurz nachdem du weggegangen bist.« »Ein paar – was? Sag das noch mal!« »Ein paar Ganoven«, wiederholte Narzissus geduldig. »Der Anführer war ein dünner, langer Kerl in einem karierten Anzug, mit gelbem Haar und einem goldenen Schneidezahn. Die anderen ...« »Ich möchte keine Beschreibung«, knurrte Gallegher, »sondern ich will wissen, was passiert ist.« »Nun, das ist alles. Sie wollten dich entführen. Dann wollten sie die Maschine stehlen. Ich habe sie hinausgejagt. Für einen Roboter bin ich doch ein ziemlich harter Bursche.« »Haben sie die Maschine kaputtgemacht?« »Um mich kümmerst du dich wohl gar nicht?« Narzissus war gekränkt. »Ich bin viel wichtiger als dieser häßliche Zauberapparat. Willst du dich nicht nach meinen Wunden erkundigen?«
»Nein«, sagte Gallegher. »Hast du welche?« »Natürlich nicht. Aber du hättest wenigstens eine leichte Besorgnis zeigen können.« »Haben sie mit der Maschine etwas gemacht?« »Ich ließ sie nicht in die Nähe kommen«, sagte der Roboter, »und du kannst mir jetzt den Buckel 'runterrutschen.« »Ich rufe dich noch mal an«, sagte Gallegher. »Im Moment brauche ich schwarzen Kaffee.« Er unterbrach die Verbindung, stand auf und schwankte aus der Zelle. Mac Cuff kam auf ihn zu. Drei Männer folgten dem Magistratsangehörigen. Einer von ihnen blieb wie angewurzelt stehen und riß den Mund auf. »Beim Himmel!« sagte er. »Das ist der Kerl, Boss. Das ist Gallegher. Hast du vielleicht mit dem getrunken?« Gallegher versuchte, seine Augen auf den Mann einzustellen. Allmählich wurde das Bild deutlicher. Es handelte sich um einen großen, dünnen Kerl in einem Schachbrettanzug, und er hatte blondes Haar und einen goldenen Schneidezahn. »Gib's ihm«, sagte Cuff. »Schnell, eh er schreit. Und ehe jemand anders hereinkommt. Gallegher, wie? Schlauer Junge, wie?« Gallegher sah, wie sich irgend etwas seinem Kopf näherte, und versuchte, in die Visiphonzelle zurückzuspringen, wie eine Schnecke, die sich in ihr Haus zurückzieht. Es gelang nicht. Wirbelnde blendende Lichtblitze fuhren durch seinen Kopf. Der Mann mit dem goldenen Schneidezahn steckte den Totschläger zufrieden wieder ein. Das Schlimme an unserer modernen Gesellschaft – so dachte Gallegher verträumt – ist die Tatsache, daß
sie sowohl an Riesenwuchs wie auch an Arterienverkalkung leidet. Eine Zivilisation kann man mit einem Blumenbeet vergleichen. Das Wachstum entspricht dem Fortschritt. Jede Einzelpflanze repräsentiert eine Komponente der Kultur. Die Technologie konnte man sich als anfänglich etwas verkümmerte Narzisse vorstellen, deren Wurzeln mit konzentriertem Vitamin B 1 übergossen worden waren; eine Folge der Kriege die das Wachstum gerade dieser Pflanze mit Notwendigkeit vorantreiben mußten. Aber keine Welt, keine Kultur befindet sich in einem zufriedenstellenden Zustand, wenn sich ihre Einzelteile nicht in einem vernünftigen Verhältnis zum Ganzen entwickeln. Die Narzisse überschattete nun eine andere Pflanze, in welcher daraufhin parasitische Instinkte wachgerufen wurden. Sie schlang sich um die Narzisse und kletterte an ihren Stengeln und Blättern empor. Diese würgende Schlingpflanze hieß Politik, Wirtschaft und Kultur – veraltete Formen, die sich zu langsam änderten und von dem aufsteigenden Kometen der Wissenschaft ihrer gesunden Wurzeln beraubt wurden. Vor langer Zeit hatten die Schriftsteller eine Theorie aufgestellt, daß sich in der Zukunft – in ihrer Zukunft – die Gesellschaftsstruktur völlig verändern würde. In den Tagen der Raketenschiffe sollte es solche unlogischen Dinge wie Schwindelaktien, Korruption und Gangster nicht mehr geben. Aber jene Theoretiker hatten nicht klar genug gesehen. Sie hielten Raketenschiffe noch für Dinge aus einer fernen Zukunft. Aber Ley landete bereits auf dem Mond, als die Autos noch mit Vergasern ausgerüstet waren.
Die großen Kriege des frühen 20. Jahrhunderts gaben der Technologie einen heftigen Auftrieb, und dieses ungesunde Wachstum setzte sich in der Folgezeit fort. Unglücklicherweise beruhte der größte Teil des Gesellschaftsmechanismus auf solchen Dingen wie Arbeitsstunden und einer finanziellen Wertskala. Letzten Endes handelt es sich um eine Zeit des Chaos, der Reorganisation, der mühseligen und schmerzvollen Veränderung alter Grundsätze und Werte – und alles flog wie ein Pendel heftig von einer Seite zur anderen. Die Juristerei war so verworren, daß ganze Kompanien von Experten die Hilfe von Pedersen-Rechnern und Elektronengehirnen von Mechanistra benötigten, um ihre an den Haaren herbeigezogenen Argumente unter Kontrolle halten zu können. Argumente, die weit hinaus in das unbekannte Gebiet symbolischer Logik und – gelegentlich – puren Unsinns reichten. Ein Mörder konnte straflos davonkommen, vorausgesetzt, daß er kein Geständnis unterzeichnete. Und selbst in diesem Falle gab es Mittel und Wege, solide, einwandfreie Beweise unhaltbar erscheinen zu lassen. Parallelen wurden an den Haaren herbeigezogen, und mit früheren Gerichtsurteilen wurden Schindluder getrieben. In diesem Eldorado der Verrücktheit hielten sich Verwaltung und Gerichte an feststehende Begriffe aus der Geschichte – Präzedenzfälle – und diese wurden oft so verdreht, daß alles dadurch nur noch unsicherer wurde. Und so verhielt es sich auf allen Gebieten menschlichen Zusammenlebens. In einer späteren Zeit würde die menschliche Gesellschaft auch die Technologie wieder einholen können. Aber im Augenblick war es halt noch nicht so weit. Wirtschaftliches Hasardspiel
hatte eine ungeahnte Blütezeit erreicht, und es bedurfte genialer Fähigkeiten, um in dem Durcheinander wenigstens einigermaßen den Überblick zu behalten. Die Natur kompensierte die Mißverhältnisse in gewisser Hinsicht, indem sie entsprechende Genies auf dem Umweg über eine verstärkte Mutation zur Verfügung stellte; doch sollte noch eine lange Zeit vergehen, ehe alles eine halbwegs befriedigende Lösung gefunden hatte. Der Mensch mit der besten Aussicht, das alles zu überstehen – so weit waren Galleghers Gedankengänge gediehen –, mußte über ein beträchtliches Maß an Anpassungsfähigkeit verfügen und über ein erstklassiges Reservoir praktischen und unpraktischen Wissens, er mußte sich auf fast jedem Gebiet einigermaßen auskennen. Kurz gesagt ... Gallegher öffnete die Augen. Es gab nicht viel zu sehen. Der Hauptgrund dafür war – wie er alsbald feststellte –, daß er mit dem Gesicht auf einer Tischplatte lag. Mit einer gewissen Anstrengung richtete er sich auf. Er war nicht gefesselt, und er befand sich in einem ungenügend beleuchteten Dachraum, der offenbar als Rumpelkammer diente. Zerbrochener und ausgedienter Krempel lag überall herum. Eine Leuchtröhre flackerte müde an der Decke. Die Dachkammer hatte eine Tür, doch der Mann mit dem Goldzahn stand davor. Auf der anderen Seite des Tisches saß Max Cuff und goß sorgsam Whisky in ein Glas. »Ich will auch was davon«, sagte Gallegher schwach. Cuff sah ihn an. »Wach geworden, wie? Tut mir leid, daß dir Blazer so ein hartes Ding auf den Deckel
gegeben hat.« »Ach, macht nichts. Vielleicht wäre ich auch ohne das zusammengeklappt. Dieser alphabetische Fahrplan hat es wirklich in sich.« »Haha«, sagte Cuff, schob Gallegher das Glas hin und goß sich ein neues ein. »Das muß man in Kauf nehmen. Es war sehr schlau von dir, dich in meiner Nähe aufzuhalten – wo dich die Jungs sicherlich zuletzt gesucht hätten.« »Ich bin von Natur aus ein schlaues Kind«, sagte Gallegher bescheiden. Der Whisky weckte seine Lebensgeister wieder. Doch in seinem Gehirn herrschte immer noch Nebel. »Ihre ... äh ... Geschäftspartner, womit ich diese elenden Schurken da meine, wollten mich aus meinem Labor holen, oder?« »Stimmt genau. Du warst nicht zu Hause. Dein komischer Roboter ...« »Der ist ein Kapitel für sich.« »Ja. Und jetzt hör mal zu. Blazer hat mir von dem Apparat erzählt, den du da zusammengebaut hast. Ich möchte nicht, daß Schmidt den in die Finger bekommt.« Schmidt – Dickerchen. Hm-m-m. Das Pendel fing wieder an zu schwingen. Gallegher seufzte. Wenn man sich nicht in die Karten schauen ließ ... »Schmidt hat den Apparat bis jetzt noch nicht gesehen.« »Das weiß ich«, sagte Cuff. »Wir haben seine Visiphonleitung angezapft. Einer unserer Leute dort fand heraus, daß Schmidt UU erzählt hat, er hatte einen Mann mit der Sache beauftragt. Verstehst du? Er sagte dabei bloß nicht, wen er beauftragt hatte. Wir konnten also nichts unternehmen, als uns hinter
Schmidt klemmen und seine Gespräche überwachen, bis er mit dir in Verbindung trat. Danach – nun ja, wir haben euer Gespräch abgehört. Du sagtest Schmidt, du hattest die Maschine fertig.« »Na und?« »Wir haben die Verbindung unterbrochen, und zwar plötzlich und Blazer und seine Bande statten dir einen Besuch ab. Wie ich bereits sagte, möchte ich nicht, daß Schmidt seine Verpflichtung einhalten kann.« »Sie haben nie etwas von einer Verpflichtung erzählt«, sagte Gallegher. »Stell dich nicht dumm. Schmidt hat den Leuten von UU erzählt, daß er dir die ganze Sachlage geschildert hat.« Das konnte schon stimmen. Nur war Gallegher damals betrunken und der Zuhörer war Galleghers Unterbewußtsein gewesen das prompt die Informationen unangreifbar in seinen unzugänglichen Gehirnpartien gespeichert hatte. »Und was folgt daraus?« Cuff rülpste. Er schob plötzlich sein Glas fort. »Ich rede später mit dir. Ich bin nicht mehr ganz – ich kann nicht mehr klar denken. Aber eines – ich will nicht, daß Schmidt den Apparat bekommt. Dein Roboter hat uns nicht herangelassen. Du wirst ihn übers Visiphon anrufen und ihn irgendwohin schicken so daß meine Leute deine Erfindung wegtragen können. Sag jetzt ja oder nein. Falls nein, komm ich noch mal zurück.« »Nein«, sagte Gallegher, »Sie würden mich ohnehin umlegen lassen, damit ich nicht eine neue Maschine für Schmidt baue.«
Cuffs Augenlider schlossen sich langsam. Eine Zeitlang saß er bewegungslos da, scheinbar eingeschlafen. Dann sah er Gallegher ausdruckslos an und stand auf. »Ich werd mir dich später noch mal vorknöpfen. Bis dann.« Er rieb sich mit einer Hand die Stirn; seine Zunge schien ein wenig schwer. »Blazer, paß auf den Hampelmann hier auf.« Der Mann mit dem Goldzahn trat heran. »Fehlt dir was, Boss?« »Schon in Ordnung. Ich kann bloß nicht richtig denken.« Cuff schnitt eine Grimasse. »Eine Sauna. Das macht mich wieder fit.« Er ging zur Tür und zog Blazer mit sich. Gallegher sah, wie sich die Lippen des Magistratsmitglieds bewegten. Er konnte ein paar Worte ablesen: »... genug besoffen ... ruf den Roboter an ... versuch's ... wenigstens ...« Dann entfernte sich Cuff. Blazer kam zurück und setzte sich Gallegher gegenüber. Er schob ihm die Flasche hin. »Wir können es uns ebensogut gemütlich machen«, schlug er vor. »Nimm noch 'nen Schluck, du hast es nötig.« Gallegher dachte: schlaue Bürschchen. Sie rechnen damit, daß ich das heulende Elend kriege und dann tue, was sie wollen. Nun gut – die Medaille hatte aber auch noch eine andere Seite, an die sie nicht dachten. Wenn Gallegher erst einmal richtig unter Alkohol stand, trat sein Unterbewußtsein an die Oberfläche. Und dieses gehörte einem Genie – zwar verrückt, aber immer noch ein Genie. Galleghers verstecktes Genie würde einen Ausweg finden, wenn es erst einmal durch ausreichende Mengen Alkohol geweckt wurde.
»So ist's recht«, sagte Blazer und schaute zu, wie der Whisky verschwand. »Nimm dir noch einen. Max ist ein guter Kerl. Er würde dich niemals um die Ecke bringen. Er kann es bloß nicht vertragen, wenn andere Leute seine Pläne durchkreuzen.« »Was für Pläne?« »Nun, zum Beispiel den mit Schmidt«, erklärte Blazer. »Verstehe.« Galleghers Glieder fingen an zu kribbeln. Es würde nicht mehr lange dauern, und sein vegetatives System war so mit Alkohol gesättigt, daß sein Unterbewußtsein an die Oberfläche kam. Er trank weiter. Vielleicht war er zu eifrig gewesen. Unter gewöhnlichen Umständen pflegte Gallegher seine Drinks mit Überlegung zurechtzumixen. Diesmal jedoch summierten sich die Faktoren der Gleichung zu einem bedrückenden Nichts. Er stellte fest, daß sich der Tisch langsam seiner Nase näherte, verspürte einen sanften, fast angenehmen Stoß, und fing an zu schnarchen. Blazer stand auf und schüttelte ihn. »Wein, Weib und Gesang«, sagte Gallegher mit belegter Stimme. »Roter Mohn, rote Lippen, roter Gesang – roter Wein, Wein. Ich will roten Wein!« »Jetzt will er Wein«, sagte Blazer. »Der Kerl ist wie ein lebendiger Badeschwamm.« Er schüttelte Gallegher nochmals, es erfolgte aber keine weitere Reaktion. Blazer grunzte, dann hörte man seine Schritte, die sich entfernten. Gallegher hörte, wie sich die Tür schloß. Er versuchte, sich aufzusetzen, rutschte vom Stuhl und schlug mit dem Kopf recht schmerzhaft gegen das Tischbein.
Das wirkte besser als kaltes Wasser. Schwankend kam er wieder auf die Füße. Die Dachkammer war leer bis auf ihn und den anderen Abfall. Unter Anwendung größter Sorgfalt gelang es ihm, die Tür zu erreichen. Sie war verschlossen und zudem mit Stahlbändern gesichert. »Das hat man gern«, murmelte Gallegher. »Wenn ich mal mein Unterbewußtsein brauche, dann rührt es sich nicht und sagt keinen Ton. Wie, zum Teufel, komm ich hier nur heraus?« Es gab keinen Ausweg. Die Kammer hatte kein Fenster, und die Tür ließ sich nicht aufbrechen. Gallegher schwebte auf das Gerümpel zu. Ein altes Sofa. Ein Karton mit Plunder. Alte Kissen. Ein zusammengerollter Teppich. Gerümpel. Gallegher fand ein bißchen Draht, etwas Glimmer, eine verbogene Plastikspirale, die einst zu einer beweglichen Puppe gehört hatte, und andere Abfälle der Kultur. Er verband die Teile miteinander. Das Ergebnis hatte eine leichte Ähnlichkeit mit einer Pistole, obwohl es ebensogut ein Schaumbesen hätte sein können. Es sah ebenso fremdartig aus wie der Schnuller eines Marsbabys. Danach kehrte Gallegher zu seinem Stuhl zurück und setzte sich. Er versuchte mit aller Willenskraft, nüchtern zu werden. Großen Erfolg hatte er damit nicht. Als er hörte, wie die Schritte zurückkamen, wogten in seinem Gehirn immer noch hochprozentige Dämpfe hin und her. Die Tür öffnete sich. Blazer kam herein und warf einen raschen vorsichtigen Blick auf Gallegher, der seine Bastelei unter dem Tisch verborgen hielt. »Bist du wieder zurück? Ich dachte, es wäre Max.«
»Der wird auch bald kommen«, sagte Blazer. »Wie geht's dir?« »Benebelt. Ich könnte noch 'nen Schluck gebrauchen. Die Flasche da habe ich leergemacht.« Gallegher hatte sie wirklich geleert. Er hatte sie in ein Rattenloch gegossen. Blazer verschloß die Tür von innen und kam näher, als Gallegher plötzlich aufstand. Der Wissenschaftler verlor das Gleichgewicht und torkelte vorwärts. Blazer zögerte. Gallegher brachte die Kreuzung zwischen Pistole und Schaumschläger in Anschlag, hielt sie in der ausgestreckten Hand und zielte auf Blazers Gesicht. Der Gangster fuhr mit der Hand in sein Jackett, entweder nach seiner Pistole oder nach seinem Totschläger. Doch das gespenstische Ding das Gallegher auf ihn richtete, brachte ihn aus der Fassung. Er hielt plötzlich inne. Er wußte nicht, welche bedrohliche Waffe der Wissenschaftler da in der Hand haben mochte. Nach einer Sekunde würde er handeln, so oder so – vielleicht würde er dann seine Hand nicht leer aus dem Jackett ziehen. Gallegher wartete nicht. Blazers Blick war auf Galleghers verrückten Marsschnuller gerichtet. In völliger Nichtachtung der Regeln des Marquis von Queensbury trat Gallegher seinen Widersacher unter der Gürtellinie in den Magen. Als Blazer zusammenklappte, nahm Gallegher seinen Vorteil wahr und warf sich mit wilden Arm- und Beinbewegungen auf den Gegner. Blazer wollte seine Waffe hervorziehen, doch machte ihm jener erste Tiefschlag immer noch zu schaffen. Gallegher war zu betrunken, um seine Bewegungen zielsicher koordinieren zu können. Er
schloß einen Kompromiß zwischen seinem Zustand und dem Gebot der Stunde, indem er auf seinen Gegner kletterte und den Solarplexus bearbeitete. Diese Taktik verfehlte ihre Wirkung nicht. Nach ein paar Minuten war Gallegher in der Lage, Blazer den Totschläger aus der Hand zu winden und die Schläfe des Mannes damit wirkungsvoll zu behandeln. Das war der halbe Weg in die Freiheit. Gallegher erhob sich und betrachtete seine Bastelei und überlegte sich, wofür es Blazer wohl gehalten hatte. Vielleicht für einen Todesstrahler. Gallegher grinste. Er fand den Schlüssel in der Tasche seines bewußtlosen Opfers, verließ die Dachkammer und stieg ermattet die Treppe hinab. Soweit, so gut. Es hatte doch sein Gutes, wenn man einen Ruf als Wissenschaftler hat. Zumindest war es ihm damit gelungen. Blazers Aufmerksamkeit abzulenken. Was nun? Das Haus war ein dreistöckiges Gebäude in der Nähe der New Yorker Battery. Gallegher empfahl sich durch ein Fenster. Er gönnte sich keine Ruhe, bis er sicher in einem Lufttaxi saß und die Stadt unter ihm lag. Dann atmete er tief, öffnete das Windfilter und ließ sich von der Nachtbrise die Wangen kühlen. Der Vollmond stand hoch an dem herbstlichen, dunklen Himmel. Durch den transparenten Boden der Flugmaschine konnte er die leuchtenden Bänder der Straßen sehen, die von den oberen Schnellbahnen diagonal gekreuzt wurden. Schmidt. Dickerchen Schmidt. Irgendeine Verbindung zu UU. Mit neugewonnener Vorsicht ließ er sein Taxi auf einem Landeplatz halten und bezahlte den Piloten. Er
ging in eine Visiphonzelle und rief sein Labor an. Der Roboter meldete sich. »Narzissus!« »Joe«, berichtigte ihn der Roboter. »Und du hast inzwischen noch mehr getrunken. Warum willst du nicht wenigstens ein einziges Mal nüchtern werden?« »Schweig still und hör zu. Was ist passiert?« »Nicht viel.« »Diese Gangster. Sind sie noch mal zurückgekommen?« »Nein«, sagte Narzissus. »Aber ein paar Kriminalbeamte kamen vorbei, um dich zu verhaften. Erinnerst du dich an die Vorladung die du erhalten hast? Du hättest um 17 Uhr vor Gericht erscheinen sollen.« Vorladung? Ach ja! Dell Hopper – eintausend Credits. »Sind sie jetzt noch dort?« »Nein. Ich sagte, du seist ausgerissen.« »Warum?« fragte Gallegher. »Damit sie nicht auf dich warten. Jetzt kannst du nach Hause kommen, wann du willst – wenn du einige Vorsichtsmaßregeln triffst.« »Zum Beispiel?« »Das ist deine Sache«, sagte Narzissus. »Kauf dir einen falschen Bart. Ich habe mein Teil getan.« Gallegher sagte: »Nun gut. Koch schwarzen Kaffee, und zwar 'ne Menge. Hat sich sonst noch jemand gemeldet?« »Jemand aus Washington. Ein Oberst von der Raumpolizei. Er hat seinen Namen nicht angegeben.« »Raumpolizei! Sind die etwa auch hinter mir her? Was wollte er denn?« »Dich«, sagte der Roboter. »Auf Wiedersehen. Du
hast ein schönes Lied unterbrochen, das ich mir vorgesungen habe.« »Koch den Kaffee!« befahl Gallegher, während das Bild des Roboters schon vom Schirm verschwand. Er verließ die Zelle und versank für einen Augenblick in Nachdenken. Rings um ihn erhoben sich die Türme von Manhattan mit ihren unregelmäßigen Mustern erhellten Fenster. Rechteckig, oval, kreisförmig, als Schlangenlinie oder sternförmig. Ein Anruf aus Washington. Hopper machte ernst. Max Cuff und seine Ganoven. Dickerchen Schmidt. Schmidt versprach noch die besten Aussichten. Er versuchte es nochmals mit dem Visiphon und rief UU an. »Für heute haben wir leider schon geschlossen.« »Es ist eine dringende Angelegenheit«, sagte Gallegher unerbittlich. »Ich brauche eine Auskunft. Ich muß mich mit einem Mann namens ...« »Tut mir leid.« »Sch-m-i-d-t«, buchstabierte Gallegher, »sehen Sie doch bitte einmal in den Akten nach, oder tun Sie sonst etwas, seien Sie so nett. Oder soll ich mir die Kehle durchschneiden, während Sie zuschauen?« Er suchte in seiner Tasche herum. »Wenn Sie morgen noch einmal anrufen wollen ...« »Das wäre zu spät. Können Sie es nicht ausnahmsweise einmal für mich nachsehen? Bitte, bitte, bitte!« »Tut mir leid.« »Ich bin ein Aktionär von UU«, grollte Gallegher. »Ich warne Sie, mein Fräulein!« »Ein ... oh! Nun, es ist zwar ungewöhnlich, aber –
Sch-m-i-d-t? Einen Augenblick, bitte. Wie lautet der Vorname?« »Keine Ahnung. Geben sie mir alle Schmidts.« Das Mädchen verschwand und kam mit einem Karteikasten wieder, der die Inschrift SMI trug. »Ach du lieber Gott«, sagte sie und blätterte die Karten durch. »Da sind mehrere hundert Schmidts drin.« Gallegher stöhnte. »Ich brauche einen Dicken«, sagte er verzweifelt. »Das kann man vermutlich nicht nachprüfen.« Die Sekretärin biß sich auf die Lippe. »Oh, ein Komiker. Ich verstehe. Gute Nacht!« Sie unterbrach die Verbindung. Gallegher saß da und starrte auf den leeren Bildschirm. Ein paar hundert Schmidts. Nicht sehr ermutigend. Genaugenommen ziemlich schlecht. Augenblick mal. Er hatte doch UU-Aktien gekauft, als sie am Fallen waren. Warum? Er mußte damit gerechnet haben, daß die Notierung wieder anzog. Aber nach Arnies Auskunft waren die Aktien weiter gefallen. Vielleicht lag darin ein brauchbarer Hinweis. Er erreichte Arnie zu Hause und ließ sich nicht abschütteln. »Laß die Gäste warten. Es dauert nicht lange. Sieh bloß mal bitte für mich nach, warum UU in den Keller gefallen ist. Wenn du's gefunden hast, ruf mich in meinem Labor an. Sonst drehe ich dir den Hals um. Und beeil dich! Ich muß es unbedingt wissen, verstanden?« Arnie sagte zu. Gallegher trank schwarzen Kaffee in einer Espresso-Bar, ließ sich müde in ein Taxi fallen und fuhr nach Hause. Hinter sich drehte er den Schlüssel zweimal um. Narzissus tanzte vor dem
großen Spiegel im Labor. »Irgendwelche Anrufe?« sagte Gallegher. »Nein. Nichts Neues. Schau dir einmal diesen graziösen pas an.« »Später. Wenn jemand herein will, ruf mich. Ich versteck mich dann, bis du ihn losgeworden bist.« Gallegher kniff die Augen zusammen. »Ist der Kaffee fertig?« »Schwarz und stark. In der Küche.« Statt dessen ging der Wissenschaftler jedoch in den Waschraum, zog sich aus, duschte kalt und ließ sich kurz bestrahlen. Nach dieser Prozedur fühlte er sich nicht mehr ganz so übel. Er goß sich einen großen Topf voll mit dampfendem Kaffee und kehrte ins Labor zurück. Er setzte sich nackt auf Bubbles und widmete sich dem Kaffee. »Du siehst aus wie der ›Denker‹ von Rodin«, fand Narzissus. »Ich hol dir einen Bademantel. Dein mißgestalteter Körper beleidigt mein ästhetisches Gefühl.« Gallegher hörte nicht hin. Er zog den Bademantel an, da seine feuchte Haut unangenehm kühl geworden war, doch fuhr er fort, Kaffee zu trinken und in die Unendlichkeit zu starren. »Narzissus. Mehr davon.« Gleichung: a (oder) b (oder) c ist gleich x. Er hatte versucht, den Wert von a, b oder c herauszufinden. Vielleicht war das der falsche Weg. J. W. hatte er überhaupt nicht gefunden. Schmidt blieb ein Phantom. Und Dell Hopper (eintausend Credits) war keinerlei Hilfe gewesen. Vielleicht wäre es besser, wenn er zunächst einmal den Wert von x herausfände. Diese dämliche Maschine mußte doch irgendeinen Zweck haben. Zugegeben, sie fraß Erde. Aber Materie
läßt sich nicht zerstören, sie muß in etwas anderes umgewandelt werden. Dreck und Erde verschwanden in der Maschine, und nichts kam heraus. Jedenfalls nichts Sichtbares. Freie Energie? Die war zwar unsichtbar, man konnte sie aber mit Instrumenten nachweisen. Voltmeter, Amperemeter, Elektroskop. Gallegher stellte die Maschine noch einmal kurz an. Der Gesang war gefährlich laut, doch niemand klopfte an die Tür, und nach ein oder zwei Minuten schaltete Gallegher wieder ab. Er wußte genausoviel wie vorher. Arnie rief an. Der Makler hatte die gewünschte Auskunft erhalten. »War gar nicht so leicht. Ich mußte alle meine Beziehungen spielen lassen. Aber ich habe herausgekriegt, warum UU gefallen sind.« »Gott sei Dank! Spuck's aus!« »UU ist so 'ne Art Verteilerstation, weißt du. Sie nehmen große Aufträge an und geben sie an andere Unternehmen weiter. In diesem Fall handelt es sich um ein großes Bürogebäude, das in Manhattan errichtet werden soll, mitten in der Innenstadt. Aber der Bauunternehmer konnte bis jetzt noch nicht anfangen. In der Sache steckt 'ne Stange Geld, und irgend jemand hat eine Flüsterkampagne gestartet, die dem Kurs der UU-Aktien nicht gutgetan hat.« »Rede weiter.« Arnie fuhr fort: »Ich habe mir für alle Fälle die ganze Sache erklären lassen. Zwei Firmen haben sich um
die Bauarbeiten beworben.« »Wer?« »Ajax und jemand namens ...« »Nicht etwa Schmidt?« »Genau der«, sagte Arnie. »Thaddäus Schmidt. Sch-m-i-e-d, wie er sich buchstabiert.« Eine Zeitlang herrschte Schweigen. »Sch-m-i-e-d«, wiederholte Gallegher schließlich. »Deshalb also konnte das Mädchen bei UU nicht ... wie? Oh, nichts. Ich hätte es mir denken können.« Natürlich, als er Cuff gefragt hatte, ob sich Dickerchen mit einem i oder einem e schrieb, hatte der Mann vom Magistrat gesagt, mit beiden. Schmied. Ha! »Schmied bekam den Kontrakt«, fuhr Arnie fort. »Er unterbot Ajax. Ajax hat den größeren politischen Einfluß. Sie brachten irgendeinen vom Magistrat dazu, den Finger draufzuhalten und ein altes Statut auszugraben, das Schmied an Händen und Füßen festband. Er kann überhaupt nichts machen.« »Warum nicht?« »Weil«, sagte Arnie, »er kein Recht hat, den Verkehr in Manhattan zu stören. Es hängt an den Luftrechten. Schmieds Agent – oder besser UUs Angst – hat den Grund und Boden vor kurzem verkauft, doch die Luftrechte über dieser Stelle sind für eine Zeitdauer von neunundneunzig Jahren an Transworld Strato verpachtet worden. Die Stratolines haben ihre Hangars ganz in der Nähe dieses Grundstücks, und du weißt ja, daß es keine Hubschrauber sind. Sie brauchen ein gutes Stück freie Bahn, ehe sie aufsteigen können. Nun, diese Bahn, wozu sie Rechte erworben haben, verläuft genau über dem Grundstück. Und ihr Anspruch ist unumstößlich. Neunundneun-
zig Jahre lang dürfen sie die Luft über diesem Grundstück benutzen, aber 15 Meter über dem Boden und darüber.« Gallegher runzelte nachdenklich die Stirn. »Wie konnte dann Schmied erwarten, dort ein achtstöckiges Gebäude zu errichten?« »Dem neuen Besitzer gehört das Gebiet von 15 Meter über dem Erdboden bis hinunter zum Mittelpunkt der Erde. Kapiert. Einfach ein großes achtstökkiges Gebäude – und das meiste davon unterirdisch. Das ist nichts Neues, aber in diesem Fall wird es durch krumme politische Touren verhindert. Und wenn Schmied seinen Kontrakt nicht einhalten kann, geht die Arbeit nach Ajax – Ajax aber hat den Mann vom Magistrat in der Hand.« »Ja, Max Cuff«, sagte Gallegher. »Ich bin dem Schuft begegnet. Aber trotzdem – was ist denn das für ein Statut, von dem du sprichst?« »Ein ganz alter Hut, heute schon ziemlich unsinnig, aber halt immer noch gültig. Und gesetzlich einwandfrei. Das habe ich nachgeprüft. Es ist nämlich verboten, den Verkehr in der Innenstadt zu behindern oder das in der Höhe gestaffelte Transportsystem durcheinanderzubringen, so lautet die Bestimmung wörtlich. Umständlich, nicht?« »Na und?« »Wenn man ein Loch für ein achtstöckiges Gebäude graben will«, sagte Arnie, »bekommt man eine Menge Dreck und Steine. Wie will man die wegtransportieren, ohne den Verkehr zu behindern? Ich habe zwar nicht versucht, auszurechnen, wieviele Tonnen da befördert werden müssen, aber ...« »Ich verstehe«, sagte Gallegher gedämpft.
»Da hast du's also, auf einem silbernen Tablett. Schmied hat den Kontrakt bekommen. Und jetzt kann er nicht anfangen. Er kann das Zeug, das er ausgräbt, nicht wegschaffen, und bald wird Ajax die Sache übernehmen und dann natürlich ohne weiteres die Erlaubnis erhalten, den anfallenden Dreck abzutransportieren.« »Wie kommt das – wenn es bei Schmied nicht möglich ist?« »Erinnerst du dich an den Mann im Magistrat? Nun, vor ein paar Wochen wurden einige Straßen der Innenstadt gesperrt. Reparaturarbeiten. Der Verkehr wurde umgeleitet, und zwar gerade am Baugelände vorbei. Der Verkehrsstrom ist dort so dicht zusammengedrängt, daß die Transportwagen ihn mit Bestimmtheit verstopfen würden. Natürlich ist das nur für kurze Zeit« – Arnie lachte kurz auf –, »so lange bis Schmied aus der Angelegenheit herausgedrängt worden ist. Dann wird man den Verkehr über eine andere Umleitung schleusen, und Ajax kann die Baugenehmigung ohne weiteres erhalten.« »Oh!« Gallegher schaute über die Achsel auf die Maschine. »Vielleicht gibt es einen Ausweg.« Draußen vor der Tür drückte jemand auf den Summer. Narzissus machte eine fragende Handbewegung. Gallegher sagte: »Tu mir noch einen Gefallen, Arnie. Ich möchte, daß Schmied hier in mein Labor kommt, und zwar schnell.« »Na ja, dann ruf ihn doch an.« »Sein Visiphon ist angezapft. Ich wage es nicht. Kannst du nicht zu ihm gehen und ihn herbringen, und zwar gleich?« Arnie seufzte. »Weiß Gott, ich muß wirklich im
Schweiße meines Angesichts mein Brot verdienen, aber meinetwegen.« Sein Bild verblaßte auf dem Schirm. Gallegher horchte auf den Summer, runzelte die Stirn und nickte dann dem Roboter zu. »Sieh mal nach, wer es ist. Ich zweifle, daß Cuff jetzt schon irgend etwas anstellen wird, aber – na ja, sieh nach. Ich bin hier im Schrank.« Er stand im Dunkeln, wartete, strengte seine Ohren an und überlegte. Schmied – Schmieds Problem hatte er gelöst. Die Maschine fraß Erde. Das war die einzig vernünftige Art, Erde wegzuschaffen, ohne eine Staubexplosion zu riskieren. Achthundert Credits, à conto, für eine Vorrichtung oder eine Methode, die genug Erde für einen unterirdischen Bürobau zu schaffen, der unterirdisch sein mußte, weil die Luftrechte schon vergeben waren. Dagegen war nichts einzuwenden. Nur – wo ging der Dreck hin? Narzissus kehrte zurück und öffnete die Schranktür. »Es ist ein Oberst John Wall. Er hat heute abend schon einmal visiphoniert. Erinnerst du dich? Ich hab's dir mitgeteilt.« »John Wall?« J. W., fünfzehnhundert Credits! Der dritte Klient! »Laß ihn 'rein!« befahl Gallegher atemlos. »Schnell! Ist er allein?« »Ja.« »Dann eil dich!« Narzissus trollte sich von dannen und kehrte mit einem grauhaarigen, untersetzten Mann in der Uniform der Raumpolizei zurück. Wall grinste Gallegher kurz an, dann richteten sich seine scharfen Augen auf die Maschine am Fenster.
»Ist es das?« Gallegher sagte: »Guten Tag, Oberst! Ich ... ich bin ziemlich sicher, daß es das ist. Aber zuerst möchte ich gern noch einige Einzelheiten mit Ihnen besprechen.« Wall hob die Augenbrauen. »Geld? Sie können doch nicht die Regierung erpressen! Oder habe ich mich in Ihnen getäuscht? Fünfzigtausend Credits müßten Ihnen eigentlich für eine Weile reichen.« Sein Gesicht wurde wieder freundlich. »Sie haben fünfzehnhundert bereits erhalten. Sowie Sie mir Ihre Erfindung zufriedenstellend vorführen, kann ich Ihnen einen Scheck ausschreiben.« »Fünfzigtau...« Gallegher holte tief Atem. »Nein, darum geht es natürlich nicht. Ich wollte bloß sicher sein, daß ich unser Übereinkommen Wort für Wort befolgt habe. Ich möchte mich davon überzeugen, daß ich alle Ihre Wünsche erfüllt habe.« Wenn er nur erfahren könnte, was Wall verlangt hatte! Vielleicht wollte er auch eine Maschine, die Erde fraß. Das war eine weithergeholte Hoffnung, ein unwahrscheinliches Zusammentreffen, aber Gallegher mußte es herausfinden. Er bot dem Oberst einen Stuhl an. »Aber wir haben das Problem doch in allen Einzelheiten besprochen ...« »Nur noch eine Überprüfung«, sagte Gallegher gewandt. »Narzissus, gib dem Obersten noch etwas zu trinken.« »Vielen Dank, nein.« »Kaffee?« »Ich wäre Ihnen sehr verbunden dafür. Nun also, wie ich Ihnen vor einigen Wochen erzählte, wir brauchen eine Fernbedienungseinrichtung für Raumschif-
fe – eine Verbindung zwischen den Bedienungshebeln und dem Schaltelement, die sowohl elastisch ist als auch auf Zug beansprucht werden kann.« Oh – oh, dachte Gallegher. Wall beugte sich vor, seine Augen leuchteten. »Ein Raumschiff ist notwendigerweise ziemlich ausgedehnt und kompliziert. Ein paar Steuervorgänge müssen mit der Hand eingeleitet werden. Aus Konstruktionsgründen können aber die Verbindungen zu den Hebeln nicht immer geradlinig geführt werden, sie müssen oft um scharfe Ecken geleitet werden und vom Punkt A zu Punkt B einen vielfach gewundenen Weg zurücklegen. Pneumatische oder hydraulische Verbindungen sind zu anfällig, und wegen der elektromagnetischen Stürme im Raum können wir uns auch nicht auf elektrische Fernsteuerung verlassen.« »Nun ...« »Es ist so«, sagte Wall, »als wollten sie einen Wasserhahn in einem Haus aufdrehen, das sich zwei Querstraßen entfernt befindet. Und Sie wollen es tun, während Sie hier in Ihrem Labor sitzen bleiben. Wie macht man das?« »Seil. Draht. Kabel.« »Jawohl, eine solche Verbindung könnte man um Ecken herumführen, was zum Beispiel mit einer starren Stange nicht möglich wäre. Aber, Mr. Gallegher, lassen Sie mich wiederholen, was ich vor zwei Wochen gesagt habe. Dieser Wasserhahn läßt sich schwer aufdrehen. Und er muß oft, hundertmal am Tag, auf- und zugedreht werden, wenn sich das Schiff im Raum befindet. Selbst unsere widerstandsfähigsten Spezialdrahtseile haben sich als ungeeignet erwiesen. Das Material bricht bei dieser hohen Bean-
spruchung. Wenn ein Kabel scharf geknickt wird, und wenn man es dann wieder gerade richtet – verstehen Sie?« Gallegher nickte. »Gewiß. Wenn man Draht oft genug hin und her biegt, kann man ihn abbrechen.« »Das also ist das Problem, dessen Lösung Sie übernehmen wollten. Nun – haben Sie es erreicht? Und wie?« Eine Art Bowdenzug, der um scharfe Ecken gelegt werden konnte und starke Beanspruchung aushielt. Gallegher betrachtete seinen Apparat. Stickstoff – ein Gedanke bewegte sich irgendwo in seinem Gehirn, Gallegher konnte ihn aber nicht recht zu fassen kriegen. Der Summer kündigte neuen Besuch an. Schmied, dachte Gallegher und nickte Narzissus zu. Der Roboter verschwand. Er erschien wieder und hatte vier Männer in seinem Gefolge. Zwei davon waren uniformierte Beamte. Bei den anderen handelte es sich um Schmied und Dell Hopper. Hopper lächelte sadistisch. »Guten Tag, Gallegher«, sagte er. »Wir haben auf Sie gewartet. Wir waren zwar nicht schnell genug, als dieser Mann« – er nickte in Richtung auf Oberst Wall – »hereinkam, aber wir warteten auf eine zweite Chance.« Schmied, dessen plumpes Gesicht seine Ratlosigkeit widerspiegelte, sagte: »Mr. Gallegher, was ist hier los? Ich drückte auf Ihren Summer, und dann umringen mich plötzlich diese Leute ...« »Ist schon in Ordnung«, sagte Gallegher. »Jedenfalls sind Sie hier hereingekommen. Schauen Sie einmal aus dem Fenster.«
Schmied gehorchte. Strahlend richtete er sich wieder auf. »Dieses Loch da ...« »Stimmt. Und ich habe den Dreck auch nicht weggefahren. Ich werde Ihnen die Sache gleich vorführen.« »Das können Sie im Gefängnis tun«, sagte Hopper beißend. »Ich habe Sie gewarnt, Gallegher, daß ich mit mir nicht spielen lasse. Ich habe Ihnen tausend Credits gegeben, um einen Auftrag für mich auszuführen, und Sie haben weder etwas getan, noch mir mein Geld zurückerstattet.« Oberst Wall riß Mund und Augen auf, seine Kaffeetasse hing vergessen in einer Hand. Ein Beamter näherte sich Gallegher und nahm ihn beim Arm. »Einen Augenblick mal«, fing Wall an, aber Schmied war schneller. »Ich denke, ich schulde Mr. Gallegher einige Credits«, sagte er und holte seine Brieftasche heraus. »Ich habe zwar nicht viel mehr als tausend bei mir, aber für den Rest werden Sie einen Scheck nehmen, vermute ich. Wenn dieser – Gentleman – jedoch Bargeld verlangt, so habe ich sicher wenigstens die tausend bei mir.« Gallegher schluckte. Schmied nickte ihm ermutigend zu. »Zumindest meinen Auftrag haben Sie ausgeführt, wissen Sie. Ich kann jetzt mit dem Bau beginnen – und mit der Ausschachtung –, und zwar schon morgen. Noch nicht mal eine Erlaubnis für Lastwagentransporte brauche ich dafür.« Hopper bleckte die Zähne. »Zum Teufel mit dem Geld! Ich werde diesen Mann Mores lehren! Meine
Zeit ist eine Menge wert, und er hat meinen Terminplan völlig umgeworfen. Verträge mit Fabriken, Vorarbeiten – ich bin davon ausgegangen, daß er auch tun kann, wofür ich ihn bezahlt habe, und jetzt denkt er, er kann sich aus der Verantwortung davonstehlen. Nun, Mr. Gallegher, das können Sie nicht. Sie sind der Vorladung nicht gefolgt, die Ihnen heute überreicht wurde, und darauf stehen nach dem Gesetz einige Strafen – und die werden Sie absitzen, verdammt noch mal!« Schmied sah sich um. »Aber – ich bürge für Mr. Gallegher. Ich will alles ...« »Nein!« fuhr ihn Hopper an. »Der Mann sagt nein«, murmelte Gallegher. »Es ist mein Herzblut, das er will. Ist er nicht ein bösartiger kleiner Teufel, wie?« »Sie besoffener Idiot!« knurrte Hopper. »Bringen Sie ihn ins Gefängnis, und zwar jetzt!« »Haben Sie keine Sorge, Mr. Gallegher«, ermutigte ihn Schmied. »Im Handumdrehen habe ich Sie wieder draußen. Ich habe auch noch ein paar Drähte, an denen ich ziehen kann.« Galleghers Kinnlade sank herab. Er atmete heiser wie ein Asthmatiker und starrte Schmied an, der einen Schritt zurückwich. »Drähte«, flüsterte Gallegher. »Und ein ... ein dreidimensionaler Bildschirm, den man aus jedem Blickwinkel betrachten kann. Sie sagten – Drähte!« »Führen Sie ihn ab!« befahl Hopper barsch. Gallegher versuchte, sich von den Polizisten loszureißen, die ihn festhielten. »Warten Sie doch einen Augenblick! Nur eine Minute! Ich habe jetzt die Antwort. Es muß die Antwort sein. Hopper, ich habe,
was Sie wollen – und was Sie wollen, Oberst, habe ich auch gefunden. Lassen Sie mich los!« Hopper feixte und deutete mit dem Daumen auf die Tür. Narzissus näherte sich lautlos wie ein Panther. »Soll ich ihnen die Schädel spalten, Boss?« fragte er sanft. »Ich liebe Blut. Rot ist eine der primären Farben.« Oberst Wall setzte die Kaffeetasse nieder und erhob sich, seine Stimme klang hart und metallisch: »Lassen Sie das, Wachtmeister! Lassen Sie Mr. Gallegher in Frieden.« »Hört nicht auf ihn«, ereiferte sich Hopper. »Wer sind Sie überhaupt? Ein interstellarer Leichtmatrose!« Walls gebräunte Wangen verdunkelten sich. Er holte eine kleine, lederne Brieftasche hervor und entnahm ihr einen Ausweis. »Oberst Wall«, sagte er, »von der Verwaltung der Raumkommission. Und dich« – er blickte Narzissus an – »ernenne ich hiermit und für diese Sachlage vorübergehend zum Regierungsbeauftragten. Wenn diese Vertreter der lokalen Polizeibehörden Mr. Gallegher nicht binnen fünf Sekunden freigeben, dann schlag ihnen die Köpfe ein.« Aber das war unnötig. Die Raumkommission war mächtig. Hinter ihr stand die Regierung, und die örtlichen Polizeistellen waren im Vergleich zu ihr nur ganz kleine Lichter. Die Polizisten ließen Gallegher hastig los und versuchten auszusehen, als hätten sie ihn nie im Leben angefaßt. Hopper schien kurz vor einer Explosion zu stehen. »Mit welchem Recht maßen Sie sich an, sich in die Gerichtsbarkeit einzumischen, Oberst?« fragte er herausfordernd. »Das Interesse des Staates an Mr. Gallegher hat vor
Ihren Interessen den Vorrang. Die Regierung benötigt eine Erfindung, die Mr. Gallegher für uns gemacht hat. Zumindest hat er das Recht, gehört zu werden.« »Das hat er nicht!« Wall sah Hopper kalt an. »Wenn ich recht gehört habe, sagte er vor ein paar Minuten, daß er auch Ihren Auftrag ausgeführt hat.« »Mit diesem Alptraum da?« Der Manager wies auf die Maschine. »Sieht das vielleicht wie ein 3-DBildschirm aus?« Gallegher sagte: »Bring mir eine ultraviolette Lampe, Narzissus.« Zu sich selbst sagte er: »Das Zeug muß einfach fluoreszieren.« Er ging auf die Maschine zu und schickte ein kleines Stoßgebet gen Himmel, auf daß sich seine Vermutung als richtig erweise. Aber es mußte so sein. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Wenn man Stickstoff, wenn man jedes andere gebundene Gas aus Gestein oder Erde heraustreibt, muß man zum Schluß doch noch irgend etwas Festes in der Hand behalten. Gallegher berührte den Schalter. Die Maschine fing an, das »St. James Hospital« zu besingen. Oberst Wall schreckte hoch und sah nicht mehr ganz so freundlich aus. Hopper schnaubte. Schmied lief zum Fenster und betrachtete verzückt die langen, Erde fressenden Tentakeln. »Die Lampe, Narzissus.« Die UV-Lampe war bereits an ein Verlängerungskabel angeschlossen. Gallegher bewegte sie langsam um die Maschine herum. Dann erreichte er das geriffelte Rad auf der dem Fenster abgewandten Seite. Irgend etwas begann zu leuchten. Es fluoreszierte in blauer Farbe – es kam aus dem
gleichen Loch in dem Metallzylinder, wand sich um das Rad und staute dann sich in großen Spiralen auf dem Boden. Gallegher berührte den Schalter. Sobald die Maschine stillstand, verschloß sich die Öffnung in dem Metallzylinder, und das rätselhafte blau leuchtende Etwas wurde dort abgeschnitten. Gallegher nahm die herumliegenden Windungen auf. Wenn er das Licht entfernte, sah man nichts mehr. Er näherte die Lampe, und das drahtähnliche Etwas erschien wieder. »Sehen Sie, das ist es, Oberst«, sagte er. »Versuchen Sie es mal.« Wall blickte mit zusammengekniffenen Augen auf das fluoreszierende Material. »Zugfestigkeit?« »Eine Menge«, sagte Gallegher. »Ist ja auch kaum anders möglich. Anorganische, mineralische Komponenten von Gestein und Erde, zusammengepreßt und unter Druck und Draht verformt. Natürlich hat das eine enorme Zugfestigkeit. Allerdings könnte man ein Gewicht von einer Tonne nicht dranhängen.« Wall nickte. »Natürlich nicht. Das Zeug würde durch Stahl schneiden wie ein Zwirnsfaden durch Butter. Sehr gut, Mr. Gallegher. Wir werden zwar noch einige Versuche damit anstellen müssen ...« »Bitte sehr, es wird Sie zufriedenstellen. Sie können diesen Draht um sämtliche Ecken verlegen, die Ihnen einfallen, von einem Ende eines Raumschiffes zum andern, und er wird nie, auch nicht unter größter Belastung, reißen. Er ist zu dünn. Deshalb kann er auch nicht ungleichmäßig beansprucht werden – weil er zu dünn ist. Ein Metalldrahtkabel würde das nicht aushalten. Sie verlangten Biegsamkeit, die nicht auf Kosten der Zugfestigkeit gehen sollte. Die einzig
mögliche Antwort war ein sehr dünner, fester Draht.« Der Oberst grinste zufrieden. Mehr brauchte er nicht. »Wir werden noch die üblichen Versuche anstellen müssen«, sagte er, »aber das ist nur noch eine reine Formsache. Brauchen Sie noch irgendwelches Geld? Wir sind gern bereit, Ihnen bis zur endgültigen Übernahme jeden erforderlichen Vorschuß zu zahlen – in vernünftigen Grenzen. Sagen wir mal zehntausend. Einverstanden?« Hopper drängte sich vor. »Ich habe aber nie Draht bestellt, Gallegher. Also haben Sie meinen Auftrag nicht ausgeführt.« Gallegher antwortete nicht. Er nahm an seiner Lampe einige Einstellungen vor. Der Draht, der eben noch blau fluoresziert hatte leuchtete nun gelb und dann rot auf. »Das ist Ihr Bildschirm, Sie Schlaumeier«, sagte Gallegher. »Sehen Sie diese hübschen Farben?« »Natürlich sehe ich sie! Ich bin ja nicht blind. Aber.« »Verschiedene Farben – je nach der Wellenlänge des auftreffenden ultravioletten Lichts. Sehen Sie, so: rot, blau, wieder rot gelb. Und wenn ich die Lampe abstelle ...« Der Draht, den Wall immer noch in der Hand hielt, wurde unsichtbar. Hopper machte den Mund wieder zu. Er beugte sich vor und hielt den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, als wäre das Läuten einer fernen Glocke an sein Ohr gedrungen. Gallegher sagte: »Dieses Material hat denselben Brechungsindex wie Luft. Ich habe das absichtlich so eingerichtet.«
Er war noch nicht völlig verdorben, deshalb errötete er leicht. Aber, nun ja – Gallegher zwei – das Genie in seinem Unterbewußtsein – würde später einen Drink auf seine Rechnung zu sich nehmen dürfen. »Mit Absicht?« »Sie wollten doch einen stereoskopischen Bildschirm, der sich aus jedem Winkel ohne jede Verzerrung betrachten läßt. Und die Farben – heutzutage ist das doch eine Selbstverständlichkeit. Nun, hier haben Sie, was Sie wollten.« Hopper atmete schwer. Gallegher strahlte ihn an. »Nehmen Sie die Kanten eines Würfels als Gerüst und spannen Sie diesen Draht auf allen Seiten und im Inneren des Würfels aus. Dann haben Sie, mit anderen Worten, einen unsichtbaren Würfel, der aus meinem Draht besteht. Nun gut. Dann nehmen Sie Ultraviolett, um Ihren Film oder Ihr Fernsehprogramm zu projizieren, und je nach der Wellenlänge des UV-Lichtes erhalten Sie farbige Muster – also ein Bild. Ein Farbbild. Und zudem noch ein dreidimensionales Bild, weil es auf einen unsichtbaren Würfel projiziert wird. Dazu kommt schließlich noch, daß sich dieses Bild aus jedem Winkel verzerrungsfrei betrachten läßt, weil es nicht nur stereoskopisch eine Raumwirkung vortäuscht – sondern weil es sich um ein echtes, dreidimensionales Bild handelt. Kapiert?« Hopper sagte schwach: »Ja. Ich verstehe. Sie ... warum haben Sie mir das nicht vorher erzählt?« Gallegher beeilte sich, das Thema zu wechseln. »Oberst Wall, ich hätte gern ein wenig polizeilichen Schutz. Ein Gangster namens Max Cuff hat versucht, diese Maschine in seine Finger zu bekommen. Seine
Kumpane haben mich heute nachmittag entführt, und ...« »Wollen die sich in Regierungsangelegenheiten einmischen, was?« sagte Wall grimmig. »Ich kenne diese Dreigroschenpolitiker. Max Cuff wird Sie nicht mehr stören. – Darf ich einen Augenblick das Visiphon benutzen?« Schmied strahlte bei der Aussicht, daß es Cuff nun einmal richtig gegeben werden sollte. Gallegher bemerkte den Blick. Ein angenehmes, freundliches Leuchten war darin, und irgendwie legte das Gallegher nahe, seinen Gästen etwas zu trinken anzubieten. Diesmal nahm sogar der Oberst an, er hatte seinen Visiphonanruf beendet und ließ sich von Narzissus das Glas reichen. »Ihr Laboratorium wird überwacht werden«, teilte er Gallegher mit. »Sie werden also keine weiteren Schwierigkeiten mehr haben.« Er trank, stand auf und schüttelte Gallegher die Hand. »Ich muß meinen Bericht aufsetzen. Viel Glück und vielen Dank. Wir werden morgen die weiteren Verhandlungen mit Ihnen beginnen.« Der Oberst verließ das Zimmer. Ihm folgten die beiden mit leeren Händen abziehenden Polizisten. Hopper schluckte seinen Cocktail hinunter und sagte: »Ich müßte mich wohl entschuldigen. Aber vergessen ist vergessen, nicht wahr, Old Man?« »H-m-m-«, sagte Gallegher, »Sie sind mir etwas Geld schuldig.« »Trench wird Ihnen den Scheck zuschicken. Und ... äh und ...« Seine Stimme verließ ihn. »Was ist?« fragte Gallegher bestürzt. »N-nichts«, sagte Hopper, setzte sein Glas nieder
und sah ziemlich grün aus. »Ein bißchen frische Luft ... uhrp!« Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß. Gallegher und Schmied sahen sich erstaunt an. »Komisch«, sagte Schmied. »Vielleicht ist ihm ein Geist erschienen«, vermutete Gallegher. »Gottes Mühlen mahlen langsam ...« »Wie ich sehe, ist Hopper gegangen«, sagte Narzissus sachlich, der mit neuen Drinks erschien. »Ja. Warum?« »Das hab ich mir gedacht. Ich habe ihm ein paar Tropfen ins Glas getan«, erklärte der Roboter. »Er hat mich nicht einmal angesehen. An sich bin ich nicht eitel, aber wenn jemand so wenig Gefühl für Schönheit hat, dann muß man ihm eine Lehre erteilen. Und jetzt stört mich bitte nicht. Ich gehe in die Küche und übe mich im Tanzen, und ihr könnt euch eure Getränke aus der Orgel einfüllen. Wenn ihr Lust habt, könnt ihr auch mit herauskommen und mir zusehen.« Narzissus verschwand mit kreisenden Eingeweiden. Gallegher seufzte. »Tja, so geht es nun«, sagte er. »Was?« »Ach, ich weiß nicht. Alles. Beispielsweise erhalte ich Aufträge für drei völlig verschiedene Dinge, und dann lasse ich mich vollaufen und stelle dabei einen Apparat her, der alle drei Probleme auf einmal löst. Mein Unterbewußtsein sucht sich halt immer den leichtesten Weg. Unglücklicherweise ist das für mich der schwerste – nachdem ich nämlich wieder nüchtern geworden bin.« »Warum dann überhaupt nüchtern werden?« fragte Schmied mit zwingender Logik. »Wie funktioniert eigentlich diese Schnapsorgel?«
Gallegher führte es vor. »Ich fühle mich nicht besonders gut«, vertraute er Schmied an. »Ich brauche entweder 'ne Woche Schlaf oder ...« »Was?« »Etwas zu trinken. Prost. Wissen Sie – eine Sache macht mir immer noch Kummer.« »Was, schon wieder?« »Ja, warum singt die Maschine die Ballade vom ›St. James Hospital‹, wenn sie in Betrieb ist?« »Es ist ein schönes Lied«, sagte Schmied. »Sicher, aber mein Unterbewußtsein tut nichts Unlogisches. Seine Logik ist zwar ein bißchen verrückt, das gebe ich zu. Aber trotzdem ...« »Prost«, sagte Schmied. Gallegher lehnte sich zurück. Ein warmes, rosiges Leuchten schien aus seinem Innern zu dringen. Er hatte Geld auf der Bank. Die Polizei war nicht mehr hinter ihm her. Max Cuff büßte mit großer Wahrscheinlichkeit gerade seine Sünden ab. Und ein dumpfes Stampfen war das Zeichen dafür, daß Narzissus seinen Tanz in der Küche begonnen hatte. Mitternacht war schon vorüber, als sich Gallegher plötzlich verschluckte und sagte: »Jetzt erinnere ich mich!« »Swmpmf«, sagte Schmied, den Galleghers Ausruf aufgestört hatte. »Was ist los?« »Ich möchte gern singen.« »Na und?« »Na ja, ich möchte gern die Ballade vom ›St. James Hospital‹ singen.« »Bitte, lassen Sie sich nicht stören«, meinte Schmied wohlwollend. »Aber nicht allein«, führte Gallegher seinen Ge-
danken weiter aus. »Ich will das immer singen, wenn ich blau bin, aber ich denke mir, als Duett klingt es am besten. Damals allerdings, als ich diesen Apparat zusammenbaute, war ich allein.« »Nun?« »Ich muß ein Aufnahme- und Wiedergabegerät eingebaut haben«, sagte Gallegher, verloren in Bewunderung für die verrückten Fähigkeiten und sonderbaren Neigungen von Gallegher zwei. »Du meine Güte! Eine Maschine, die vier Dinge gleichzeitig schafft! Sie frißt Erde, sorgt für eine Hebelverbindung im Raumschiff, macht einen dreidimensionalen, verzerrungsfreien Bildschirm und singt noch im Duett mit mir. Das ist alles sehr sonderbar.« Schmied überlegte es sich lange und gründlich. »Du bist ein Genie!« sagte er dann. »Ja, das ist es. Natürlich. H-m-m.« Gallegher stand auf, stellte den Apparat an und ließ sich dann auf Bubbles nieder, Schmied, den das Schauspiel immer wieder faszinierte, lehnte sich aus dem Fenster und schaute den flirrenden Tentakeln zu, wie sie die Erde vertilgten. Unsichtbarer Draht wurde unterdessen auf dem geriffelten Rad gesponnen. Die Ruhe der Nacht wurde von dem mehr oder weniger melodischen Bericht über das »St. James Hospital« zerrissen. Neben der vor Rührung erfüllten Stimme der Maschine erhob sich ein tieferer Baß, der einen unbekannten Mitmenschen leidenschaftlich aufforderte, die weite, wilde Welt zu durchsuchen. »... und sah meinen Liebling liegen auf einem Marmortisch – kannst die ganze weite Welt durchsuchen
und findest nie 'nen Ma-a-ahnn so gut wie mich.« Gallegher zwei sang ebenfalls. Als Galloway Gallegher am nächsten Morgen erwachte, stand Joe regungslos in einer Ecke des Labors. Zu seinen Füßen lagen die Scherben eines zerborstenen Spiegels. Die starren Augen des Roboters schienen Gallegher vorwurfsvoll zu mustern. Gallegher strich sich erst einmal die Haare aus dem Gesicht, wobei er feststellte, daß ihm die Zunge förmlich am Gaumen klebte. Er drehte sich stöhnend nach der anderen Seite und griff nach den Hebeln seiner bewährten Schnapsorgel. Die Hand hielt mitten in der Bewegung erstarrt inne. Hinter der Schnapsorgel stand, genauso erstarrt wie Joe, sein Besucher von gestern abend. Wie hieß er doch? – Ach so, Schmied. Einer der drei Leute, für die er irgendeine Maschine gebaut hatte. Sie stand auch noch in der Ecke, war aber Gott sei Dank abgestellt. Die Augen des Dicken, mit dem er gestern abend gezecht hatte blickten ihn genauso vorwurfsvoll an wie die Glasaugen des Roboters. Und genauso starr. Gallegher blinzelte verwirrt. Er stand auf und schaltete den Roboter wieder ein. Offensichtlich hatte er ihn so bei der Arbeit gestört, daß er ihn außer Betrieb setzen mußte. »Hol mir Bier!« befahl er. Joe rührte sich nicht. Das heißt, sein Fuß schien sich um ein paar Millimeter, in gräßlich übertriebenem Zeitlupentempo sozusagen nach vorn zu bewegen.
Was war denn nun schon wieder passiert? fuhr es Gallegher durch den Kopf. Hatte sein verdammtes Unterbewußtsein denn schon wieder irgendeine verrückte neue Sache erfunden? Aber was? Er blickte sich suchend im Labor um. Dabei fingerte er in seinen Taschen nach Zigaretten. Die Pakkung Camel war zwar leer, fühlte sich aber ungewöhnlich schwer an. Er legte sie auf den Tisch. In der leeren Zigarettenpackung befand sich ein Metallgehäuse mit vielen Drähtchen, Röhrchen und kleinen Hebeln. Außen – da, wo früher das gelbe Kamel prangte – blickte ihn ein seltsames Zifferblatt mit zwei Zeigern an. Gallegher stöhnte und setzte sich wieder auf die alte Laborcouch. Gallegher zwei war wieder aktiv gewesen, soviel stand für ihn nach kurzer Überprüfung der Lage fest. Das Visiphon summte. Gallegher versuchte, es zu überhören, aber dann drückte er doch auf den Einschaltknopf. »Hallo, Gallegher!« sagte eine bekannt klingende Stimme. Das dazugehörende Gesicht kam dem Wissenschaftler ebenfalls bekannt vor. Hatte er nicht gestern ... Richtig! Oberst Wall! Im gleichen Augenblick fiel ihm wieder alles ein. Wall wollte einen Draht haben, der so dünn war, daß er sich in Raumschiffen für bestimmte Verbindungen benutzen ließ, die um viele Ecken zu laufen hatten. Nun, was wollte der Oberst? Er hatte seinen Auftrag doch ausgeführt? Das Durcheinander mit der Polizei genügte ihm gerade. »Gallegher – schlafen Sie noch? Oder sind Sie schon wieder betrunken? Ich wollte nur hören ...«
»Sie sind Oberst Wall«, stellte Gallegher zunächst einmal fest. »Und Sie wollten heute wegen eines Vertrages mit mir verhandeln. Gut. Was gibt's Neues? Haben Sie es sich anders überlegt?« »Hören Sie mal, mein Lieber!« sagte Wall geduldig. »Ich habe Sie gestern abend spät noch einmal besucht. Wissen Sie das denn nicht mehr?« »Nein.« »Sie saßen mit diesem Bauunternehmer zusammen und tranken aus Ihrer ulkigen Schnapsorgel. Ich glaube, Schmied hieß er. Ich brachte Ihnen einen neuen Auftrag, den Sie unverzüglich erledigen wollten. Wie ist es denn damit?« »Ich habe alles vergessen«, gab Gallegher zu und drehte von neuem an der Orgel. Er wußte nur noch, daß er ganz zum Schluß mit seiner Maschine das Duett vom »St. James Hospital« gesungen hatte. Was danach kam, hatte er vollkommen vergessen. »Gut – ich erkläre es Ihnen noch einmal. Wir wollten ...« Mit einem Schlag wurde der Bildschirm dunkel. Zugleich sprang die Tür auf, und ein alter Bekannter von Gallegher trat mit zwei nicht sehr vertrauenswürdig aussehenden Gesellen ein. »Er wollte gerade noch mit Wall visiphonieren«, sagte einer der Gorillas. »Ich habe die Leitung im letzten Augenblick abschneiden können.« »Guten Tag, Max«, sagte Gallegher schwach. Seine alphabetische Sauftour vom vergangenen Tage fiel ihm mit allen Begleitumständen wieder ein. »Was wollen Sie von mir?« »Zunächst diesen hier.« Er zeigte auf die starre Gestalt von Schmied, der sich immer noch nicht gerührt hatte.
»Und dann müssen wir über dein Verhalten von gestern verhandeln, du Halunke«, fügte der zweite der Leibwächter des Politikers hinzu. »Halt den Mund, Glenn, ich rede selbst mit ihm.« Max Cuff hockte sich auf den Dynamo Bubbles. Das machte Gallegher nervös, weil es sein gewohnter Stammplatz zum Nachdenken war. Sein Blick fiel auf den Tisch, wo immer noch die Camelpackung lag. Einer plötzlichen Eingebung folgend, griff er hastig danach. Keiner bemerkte es, weil sich seine lieben Gäste im Moment entweder mit Schmied oder mit der Maschine neben dem Fenster beschäftigten. »Gut, daß ich dieses Teufelsding hier erwischt habe«, sagte Max Cuff triumphierend. »Ich sehe nicht ein, warum Schmied den Auftrag doch noch bekommen sollte. He, Schmied, sagen Sie was!« Der rührte sich nicht. Nur der Ausdruck seiner Augen hatte sich irgendwie gewandelt. Jetzt sprach nackte Angst aus seinen Pupillen. Die drei Männer blickten ihn kurz an, wandten sich aber dann wieder Gallegher zu. »Laß ihn, er ist vor Schreck steif geworden«, kommandierte Cuff. »Diesen hier müssen wir mitnehmen.« Er deutete auf den Wissenschaftler. »Er hat gerade mit Oberst Wall visiphoniert. Das Gespräch wurde von uns gewaltsam unterbrochen. Was folgt daraus?« Klar, daß die Polizei jeden Augenblick zur Stelle sein mußte. Die Gangster beeilten sich plötzlich, drehten dem protestierenden Gallegher die Arme auf den Rücken und schleppten ihn mit sich. Draußen verfrachteten sie ihn in einen Luftwagen und verbanden ihm die Augen.
Daß er gekidnappt worden war, kam Gallegher nicht so schlimm vor. Viel mehr beschäftigte ihn das Problem des neuen Auftrags von Oberst Wall und die Frage, warum Schmied und der Roboter sich nicht gerührt hatten. Ob das mit der Zigarettenpackung zusammenhing? Jetzt war keine Zeit, sich darüber klarzuwerden. Der Flug dauerte nur eine halbe Stunde, dann wurde Gallegher der an mörderischem Durst litt, herausgeholt und in ein dunkles Haus gebracht. Offensichtlich befand er sich irgendwo in der Nähe des Stadtrandes, jedenfalls gab es hier in dieser Gegend keine Hochhäuser mehr. »So, nun können wir uns ein wenig unterhalten«, meinte Cuff. »Ich habe Durst«, erklärte Gallegher. »Durst? Jungs, bringt mal eine Flasche Whisky!« Gallegher bekam ein Wasserglas voll eingeschenkt, was natürlich nicht genügte, um erstens seinen Kater zu überwinden und zweitens sein müdes Unterbewußtsein an die Oberfläche zu locken. »Was wollt ihr eigentlich von mir?« fragte er zwischen zwei Schlucken. »Von dir eigentlich nichts«, sagte Cuff. »Wir wollen nur verhindern, daß Schmied von dir irgendwelche Vorteile hat.« Der Wissenschaftler mußte grinsen. »Dann habt ihr es nicht sehr schlau angefangen.« »Warum nicht?« »Ihr hättet Schmied und die Maschine mitnehmen sollen – nicht aber mich.« Die beiden Revolverhelden blickten sich gegenseitig überrascht an. Es begann in ihren Holzköpfen zu
arbeiten. Cuff war schlauer. »Meinst du etwa, das hätte ich mir nicht längst überlegt? Schmied ist von einer seltsamen Starre befallen, die vielleicht auf irgendeines deiner geheimnisvollen Experimente zurückzuführen ist. Einerlei, mich soll es nicht kümmern. Zumindest ist er vorläufig aktionsunfähig, und bis er wieder zu sich kommt, wird ein anderer den Bauauftrag haben. Mit deinen Aktien von der UU ist es dann natürlich Essig.« Gallegher nickte betrübt. Cuff hatte recht. Aber warum waren Schmied und der Roboter ... Verdammt, der Roboter auch? Es konnte sich also um keine Krankheit handeln, denn die hätte nicht eine Maschine befallen können. Er befühlte vorsichtig das Schächtelchen in seiner Tasche. »Ich muß mich erst einmal ein wenig erfrischen«, erklärte Cuff. »Ich mache meine alphabetische Budentour, diesmal aber allein. Wenn ich wieder zurückkomme, unterhalten wir uns weiter.« Er schlug die Tür hinter sich zu. Gallegher setzte sich bequem zurecht, und seine beiden Wächter hinderten ihn auch nicht daran, als er sich noch ein Glas Whisky einschenkte. Mit steigendem Alkoholspiegel in seinem Kreislauf begann auch sein Gehirn wieder besser zu funktionieren. Er trank ein drittes Glas, worauf Gallegher zwei zögernd zum Vorschein kam. Was war das für ein Auftrag gewesen, von dem der Oberst gesprochen hatte? Wenn ich das nur wüßte, quälte sich Gallegher ab, dann könnte ich das ganze Problem viel einfacher lösen. Die beiden Wächter verloren alles Interesse an ihm und setzten sich an ein Fenster, das mindestens fünf
Meter vom Stuhl entfernt lag, auf dem der Wissenschaftler hockte. Die Flasche hatten sie ihm glücklicherweise gelassen. Einer von ihnen zog ein Päckchen Spielkarten aus der Tasche, worauf sie sich eifrig in eine Partie »Sun-Buck« vertieften. Gallegher ordnete zunächst einmal seine spärlichen Erinnerungen. Der Oberst war also noch einmal zurückgekommen, ohne daß er selbst etwas davon wußte. Er hatte ihm einen Auftrag erteilt und danach war offensichtlich manches passiert. Joe und Schmied waren in einem Zustand der Erstarrung verfallen. Der Erstarrung? Hatte sich nicht der Roboter langsam, ganz langsam bewegt? Und der Gesichtsausdruck des Dicken hatte sich verändert, als Max Cuff eintrat. Inzwischen war bestimmt der Oberst mit einem Polizeiaufgebot erschienen und hatte die beiden sichergestellt. Er versuchte, sich das Bild seines Labors ins Gedächtnis zu rufen, wie er es nach seinem Aufwachen angetroffen hatte. Nichts war verändert gewesen. Keine neue Maschine stand auf dem Fußboden herum. Nur die beiden steifen Gestalten und ... Ja, das kleine Ding, das er noch in der Tasche hatte. Die Camelpackung mit dem Zifferblatt auf der Vorderseite. Ob das vielleicht ... Er hielt inne und zog vorsichtig die Packung aus der Tasche. Seine Bewacher hatten nur Augen für die Karten. Gallegher konnte ungestört das Produkt seiner nächtlichen Arbeit betrachten. Unzweifelhaft hatte er es selbst gebaut, denn gestern abend war die Schachtel noch nicht vorhanden gewesen. Welche Funktion übte sie aus? Hing sie mit dem Erstarrungszustand von Schmied zusammen?
Langsam und behutsam, um nichts kaputt zu machen, schob Gallegher die Hülle ein wenig zurück. Das Werk einer alten Taschenuhr, zwei Zahnstocher, viel dünner Draht und einige Kristalle waren das Kernstück der seltsamen Vorrichtung, die er nun zu definieren versuchte. Auf der Rückseite entdeckte er einen kleinen Knopf. Vielleicht ließ sich das Ding damit einschalten oder dazu bewegen, irgend etwas zu tun. Gallegher drückte auf den Knopf. Nichts passierte. Er betrachtete das primitive Zifferblatt. Zahlen von eins bis zehn, zwei Zeiger, sonst nichts. Beide Zeiger, der große und der kleine (früher gehörten sie offensichtlich auch zu der alten Taschenuhr) wiesen genau auf die drei. Dreiunddreißig. Dreihundertdreißig. Oder dreitausenddreihundert – was bedeuteten bloß die Zahlen? Gallegher seufzte, was die Aufmerksamkeit der Wächter für einen kurzen Moment auf ihn lenkte. Sie sahen aber nicht, was er in der Hand hielt. Er trank schnell hintereinander zwei Gläser Whisky. Jetzt fühlte er sich bereits wesentlich wohler. Es war ihm klar geworden, daß er die Lösung seiner Probleme buchstäblich in der Hand hielt. Eine winzige Maschine. Eine Zeitmaschine? – Nein. Das konnte nicht sein. Aber was sonst? Die Flasche war mehr als zur Hälfte geleert. Gallegher war fast zur Hälfte voll. Welchen Auftrag hatte ihm der Oberst erteilt? Einen neuen Raumschiffantrieb? Oder eine Waffe? Eine Verteidigungswaffe.
Das sagte ihm etwas. Eine Gedankenverbindung – wenn auch noch unklar – wurde hergestellt. Der Oberst hatte doch etwas von der Selbstverteidigung der Raumschiffmannschaften gesagt. Ein kleines, praktisches und wirksames Taschengerät. Jetzt wurde manches klarer. Er hielt ein Taschengerät in der Hand. Die Zigarettenschachtel. Eine Waffe also. Aber wie funktioniert sie? Hätte er doch eine bessere Grundausbildung genossen, dann könnte er vielleicht jetzt das Ding hier auseinandernehmen und analysieren. So blieb ihm nur die induktive Methode übrig. Joe hätte ihm dabei helfen können, aber der Roboter war erstens nicht zur Stelle und zweitens nicht in Betrieb. Oder zumindest fast nicht in Betrieb. Die Bewegung, mit der er nach Galleghers Ruf nach Bier seinen Fuß nach vorn gesetzt hatte, war mehr als langsam gewesen. Künstlich verlangsamt. Durch die neue Erfindung seines verrückten Unterbewußtseins ... Gallegher atmete auf, er fühlte, wie er sich der Lösung seines Problems allmählich näherte. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Gallegher ließ diese Camelpackung wieder in der Rocktasche verschwinden. Max Cuff, schon leicht angeschlagen, stand im Türrahmen und hielt sich daran fest. »Ich bin bis J gekommen«, knurrte er. »Jetzt brauche ich dich, Gallegher. Wie hieß doch das Ding mit dem K?« »Kirschwasser«, erklärte der Wissenschaftler zerstreut. »Eigentlich solltest du mitkommen«, brummte der
große Mann. »Aber dann spielst du mir irgendeinen Streich. – Augenblick, ich hab's! Ihr kommt alle drei mit!« Sie marschierten ab und fuhren in einem gewöhnlichen Wagen zum »Club für gehobene Gesellschaft«, den Gallegher bereits kannte. Die beiden Wachhunde ließen keinen Blick von ihrem Opfer, so daß sich Gallegher nicht mehr mit der Packung in seiner Tasche befassen konnte. Er nannte Cuff die Buchstaben seines SchnapsAlphabets, die ihm fehlten. Cuff wurde immer betrunkener und zugleich immer friedlicher. Er wollte Gallegher unbedingt als Leibdiener anstellen, aber der Wissenschaftler dankte für dieses ehrende Angebot. Dann sagten sie nichts mehr. Sie widmeten sich alle vier dem inhaltsreichen Alphabet. Du mußt jetzt gut aufpassen, sagte sich Gallegher und übersprang einige Buchstaben, indem er den Inhalt der Gläser insgeheim unter den Tisch goß. Seine Begleiter waren längst nicht mehr so aufmerksam wie zu Beginn der Tour. Was soll denn schon passieren? sagte sich Gallegher und beschloß, einen Versuch mit seiner neuen Maschine – die er immer noch nicht verstand – zu unternehmen. Er holte die Packung aus der Tasche, hielt sie Cuff hin, als ob er ihm eine Zigarette anbieten wollte, und drückte dabei auf den Knopf. Die Zeigereinstellung ließ er dabei unverändert. Max Cuff erstarrte mitten in der Bewegung nach der angebotenen Zigarette. Seine Begleiter sprangen ernüchtert auf und wollten sich auf den Wissenschaftler stürzen, erstarrten
aber ebenfalls mitten in der Bewegung. Gallegher ließ den Knopf wieder los. »So, nun können wir uns vernünftiger unterhalten«, sinnierte er. »Was habe ich überhaupt mit euch angestellt? Ich muß es herausfinden, denn der Oberst wird es wissen wollen. Da kann ich euch genausogut wie irgendeinen anderen als Versuchskaninchen verwenden. Paßt mal auf.« Er drehte beide Zeiger auf Null, richtete die Pakkung aus sicherem Abstand von drei Metern auf Cuff und drückte wieder auf den Knopf. »Du Hund, was hast du mit mir gemacht?! Ich werde dir ...!« brüllte der Politiker und flog mit einem Satz, der bei seiner Körperfülle und seinem augenblicklichen Zustand überraschend wirkte, auf Gallegher zu. Dieser hatte rasch den größeren Zeiger auf eins geschoben und wieder auf den Knopf gedrückt. Cuffs Bewegungen sahen jetzt mehr als ulkig aus. Er schob sich zentimeterweise an Gallegher heran und sagte dazu im gleichen Zeitlupemtempo: »... wie ... ei-ne ... Flie-ge ... zer-drücken.« Langsam bewegte sich Gallegher zurück, um die Auswirkungen seiner neuen Verteidigungswaffe zu studieren, gleichzeitig aber außerhalb der Reichweite der viel zu langsamen Bewegungen seines Gegners zu bleiben. Das war es also! Das Gerät verlangsamte die Körperfunktion und alle damit verbundenen Reaktionen, Sinnesäußerungen und Wahrnehmungen auf einen Bruchteil des normalen Wertes. Ziffer eins – Verlangsamung um ein Hundertstel, bei Anwendung des großen Zeigers. Aha! Wenn er den kleinen Zeiger genommen hätte, wäre es wahrscheinlich ein Zehntel
gewesen. Und Schmied bewegte sich dreihundertdreißigmal so langsam wie gewöhnlich. Mit diesem neuen Wissen verließ Gallegher die ungastliche Stätte und bestieg den Wagen vor der Tür, der ihm nicht gehörte. Dann erinnerte er sich aber an seinen Blutalkoholgehalt und rief lieber ein Lufttaxi an. Er ließ sich zu seinem Laboratorium fliegen. Dort traf er ein unbeschreibliches Durcheinander an. Oberst Wall war mit drei Uniformierten angekommen und kehrte das Unterste zuoberst. Als Gallegher die Tür öffnete, stand der Oberst gerade vor Schmied und schüttelte ihn mit allen Kräften an der Schulter. Der Unternehmer reagierte natürlich nicht in der erwünschten Weise darauf. »Augenblick, das kann ich besser«, meinte Gallegher müde und zog seine Zigarettenpackung aus der Tasche. Er stellte beide Zeiger auf Null und richtete die Packung auf Schmied. Dabei drückte er auf den Knopf. Mit einem Aufstöhnen sank der gequälte Mann auf den nächsten Stuhl. Zunächst konnte er kein Wort sagen. Wall fuhr erschrocken herum und starrte dem Wissenschaftler ins Gesicht. »Wo, zum Teufel, haben Sie sich herumgetrieben? Ich habe Sie angerufen – aber da haben Sie die Verbindung unterbrochen. Dann habe ich die Fahndung anlaufen lassen und Ihr Labor aufgesucht, und ...« »Langsam, immer der Reihe nach«, bemerkte Gallegher und ließ sich unter seine Schnapsorgel sinken. Es dauerte fünf Minuten, bis er sich hinreichend gestärkt hatte, um nähere Auskünfte geben zu können. »Mit diesem Gerät hier können Sie nicht nur Geg-
ner, sondern auch Maschinen bis auf ein tausendstel ihrer ursprünglichen Schnelligkeit verlangsamen«, erklärte er und deutete dabei mit dem auf Null gestellten Gerät auf Joe. Dieser nahm die vor Stunden unterbrochene Bewegung mit seltsam anmutender Plötzlichkeit wieder auf und holte erst einmal Bier. Das war der letzte Befehl, den er bekommen, aber noch nicht ausgeführt hatte. Roboter tun immer alles der Reihe nach. »Bis auf ein Tausendeinhundertstel«, berichtigte er dann. »Wie bitte?« »Du sagtest vorhin, das neue Gerät verlangsame jede Bewegung auf ein ...« »Ach, du häßliches Zahnradsammelsurium, nun halt dein vorwitziges Maul«, fuhr ihn Gallegher verärgert an und wandte sich an den Oberst. »Sie müssen wissen, daß Joe selten ein vernünftiges Wort spricht«, erklärte er. »Ich möchte viel lieber wissen, was hier eigentlich vorgeht«, verlangte der Oberst. »Das ist verständlich. Nun, ich habe Ihren gestrigen Auftrag ausgeführt und Ihnen die Wirkung der neuen Verteidigungswaffe soeben demonstriert.« »Wie – diese leere Camelpackung sollte ...« Er brach mitten im Wort ab, denn Gallegher hatte die Zeitlupenmaschine mit höchster Einstellung auf ihn gerichtet und den Knopf gedrückt. Joe schlich sich von hinten an ihn heran. »Sehen Sie, Oberst Wall, hier auf der Skala können Sie einstellen, um welchen Faktor die Bewegungen Ihres Gegners oder der feindlichen Maschinen verlangsamt werden soll. Irgendwie hängt das Ganze
mit der Zeitdilatation zusammen, aber fragen Sie mich nicht nach Einzelheiten, ich verstehe nichts von Physik, wenn ich einigermaßen nüchtern bin.« »Das stimmt«, bestätigte Joe. »Dann drücken Sie auf diesen Knopf hier.« Er tat es, nachdem er die Zeiger wieder auf Null gestellt hatte. Der Oberst konnte sich sofort wieder bewegen und sprang mit leuchtenden Augen auf den Wissenschaftler zu. »Mann! Sie kriegen noch einen Orden! Jede Summe ist Ihnen bewilligt – fünfzigtausend – oder hunderttausend Credits? Genügt das?« Gallegher schnappte nach Luft. Joe riß ihm mit einer blitzschnellen Bewegung die Zigarettenpackung aus der Hand, stellte beide Zeiger auf zehn und drückte ab. Gallegher erstarrte zur Salzsäule. Noch ehe Wall hinzuspringen konnte, hatte der Roboter die Packung auf den Hinterhof hinausgeworfen. Schmied jagte zum offenen Fenster. Die Baggermaschine stand zwar still aber das Loch das sie hinterlassen hatte, war doch recht beträchtlich. Man konnte die kleine Packung in der Tiefe gerade noch sehen. »So, ihr häßlichen Menschen, und nun laßt mich gefälligst wieder in Ruhe. Dieser hier« – er deutete auf den erstarrten Gallegher – »hat mir gegenüber unschöne Ausdrücke gebraucht, weil er meine wahre Schönheit doch nicht in vollem Umfang erfassen kann. Ich gehe jetzt zu meinem Spiegel – ich habe noch einen in Reserve nachdem dieser Barbar mir den einen zerbrochen hat. Dort werde ich mich in die Betrachtung meiner lieblichen Eingeweide vertiefen.
Stört mich also nicht mehr!« Schmied und Wall machten sich mit den Polizisten auf, um die weggeworfene Zigarettenpackung aus dem riesigen Baggerloch zu retten.
Originaltitel: GALLEGHER PLUS Copyright © 1943 by Street and Smith Publications, Inc.