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Vorwort
Wo steht die Stammzellforschung, international und in Österreich? In welche Richtung entwickelt sie sich, und welche sind die ethischen, forschungspolitischen und gesetzgeberischen Herausforderungen? Zu diesen Fragen fand am 17. und 18. Jänner 2008 eine internationale Fachtagung in Wien statt, die vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien und der österreichischen Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt veranstaltet wurde. Der vorliegende Band präsentiert die Beiträge des interdisziplinären Symposiums aus Medizin, Biologie, Sozialwissenschaft, Philosophie, Theologie und Rechtwissenschaft. Die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen ist nach wie vor umstritten. Die Gewinnung solcher Stammzellen gilt als ethisch bedenklich, weil dabei in vitro fertilisierte Embryonen zerstört werden müssen. Auch wird der medizinisch-therapeutische Nutzen bzw die Alternativlosigkeit der Forschung an embryonalen Stammzellen in Zweifel gezogen. Umstritten ist allerdings auch, wie seriös die Behauptung ist, alle an embryonale Stammzellen gerichteten Erwartungen ließen sich durch die Beforschung adulter Stammzellen erfüllen. Im November 2007 haben japanische Forscher von einer neuen Methode berichtet, mit der man Hautzellen zu pluripotenten Stammzellen „reprogrammieren“ kann. Auf diese für ethisch unbedenklicher als embryonale Stammzellen gehaltenen induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) richten sich große Hoffnungen. Dennoch werden wohl auch die herkömmlichen Ansätze der Stammzellforschung weiter verfolgt werden, wie zuletzt die Novelle des deutschen Stammzellgesetzes vom April 2008 gezeigt hat. Überdies werfen auch die iPS neue ethische und rechtliche Fragen auf. Die gesetzlichen Regelungen der Stammzellforschung sind international wie auch innerhalb der Europäischen Union sehr unterschiedlich. Österreich verfügt bislang über keine umfassende gesetzliche Regelung dieser Materie. Ziel des vorliegenden Bandes ist es, die rechtspolitische, forschungspolitische und ethische Diskussion in Österreich weiterzuführen. Dabei ist die gesamteuropäische Perspektive von zentraler Bedeutung. Die Herausgeber danken dem Bundeskanzleramt und Frau Bundesministerin Heidrun Silhavy, der Vorsitzenden der Bioethikkommission Frau Dr. Christiane Druml sowie der Geschäftsstelle der Bioethikkommission und
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ihrer Leiterin Frau Dr. Doris Wolfslehner für die vorzügliche Zusammenarbeit und finanzielle Unterstützung, ebenso dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung für seine finanzielle Förderung. Der Dank gilt ferner Frau Mag. (FH) Silke Huber, Frau Dr. Maria Kletečka-Pulker und Frau Dipl.-Math. Julia Inthorn, Mitarbeiterinnen am Institut für Ethik und Recht in der Medizin, sowie Frau Dr. Aline Leischner, Frau Dr. Gudrun Strickmann und Frau Dr. Claudia Zeinhofer, Mitarbeiterinnen der Abteilung Medizinrecht des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien, für die Erstellung der Druckvorlage und ihre Hilfe bei den Korrekturen.
Wien, im Juli 2008 Ulrich H. J. Körtner Christian Kopetzki
Grußwort
Die Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes wurde im Oktober 2007 neu konstituiert. In einer ersten Sitzung wurde eine Auswahl von zu behandelnden Themen für die neue Amtsperiode festgelegt. Als eines der vordringlichsten Themen wurde die Forschung an Stammzellen erachtet, wobei in diesem Problemkreis verschiedene Formen von humanen Stammzellen – adulte sowie auch embryonale – inkludiert sind. Eine der wichtigsten Zielvorgaben im Mandat der Bioethikkommission ist es, einen öffentlichen Diskurs über gesellschaftlich relevante bioethische Themenkreise zu initiieren. Ein erster Schritt in diese Richtung in der neuen Zusammensetzung der Kommission war die Organisation einer öffentlich zugänglichen Diskussionsveranstaltung zum Thema Stammzellforschung gemeinsam mit dem Institut für Ethik und Recht in der Medizin. Der Inhalt des Programms hat den aktuellen Status der Diskussion in Österreich wiedergegeben, wobei auch die bisherigen Erörterungen der vorhergehenden Amtsperiode der Bioethikkommission berücksichtigt wurden. Die Bioethikkommission hat im Jahr 2002 zu diesem Thema eine Stellungnahme verabschiedet, die allerdings ausschließlich die Position zum 6. EU-Rahmenprogramm bezüglich der Forschungsförderung auf dem Gebiet der Stammzellforschung beinhaltet hat. Die Aufgabe der kommenden Monate des Jahres 2008 wird es nun sein, das Thema „Forschung an Stammzellen“ in seiner aktuellen Ausprägung umfassend zu diskutieren, um zu einer entsprechenden Empfehlung zu kommen. Als pluralistisch zusammengesetzte Bioethikkommission müssen wir uns dieser Herausforderung einer gemeinsamen Diskussion stellen. Nur gegenseitiges Verständnis der jeweiligen Weltbilder und die wechselseitige Anerkennung auch unterschiedlicher Standpunkte kann zu umsetzbaren Ergebnissen und kommunizierbaren Entscheidungen führen. Die Erkenntnisse aus dieser gemeinsamen Veranstaltung zum Thema Stammzellforschung sind ein erster Schritt in diese Richtung.
Wien, im Juli 2008 Christiane Druml
Inhaltsverzeichnis
Vorwort .......................................................................................................... V Grußwort ..................................................................................................... VII Autorenverzeichnis..................................................................................... XIII
Ulrich H. J. Körtner Stammzellforschung: Der bisherige Diskurs in der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt ...........................................1 Günter Virt Stammzellforschung: Der bisherige Diskurs in der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt ...........................................7 Helia B. Schönthaler, Erwin F. Wagner Humane Embryonale Stammzellen – Stand der Forschung ...................12 Georg Weitzer Medizinische Einsatzmöglichkeiten der Stammzelltherapie: Zukunftsvisionen und derzeitige Realität .................................................33 Christine Mannhalter Ökonomische Perspektiven der Stammzellforschung .............................53 Raoul Kneucker Stammzellforschung: Europäische und österreichische Forschungspolitik .......................................................................................62 Ulrike Felt Die „embryonale Stammzelle“ als Ko-Produktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ..................................................................77
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Inhaltsverzeichnis
Julia Inthorn Ethische Konfliklinien in der öffentlichen Kommunikation über Stammzellforschung ...................................................................................93 Jürgen Wallner Stammzellforschung: Die Diskussionslage im Bereich der philosophischen Ethik ..............................................................................106 Sigrid Müller Bedeutung und Rahmenbedingungen der Stammzelldiskussion – Katholisch-theologische Betrachtungen ..................................................172 Hartmut Kreß Humane embryonale Stammzellforschung in der Sicht protestantischer Ethik und die Reform des Stammzellgesetzes in Deutschland am 11. April 2008 ...........................................................193 Eva Weisz, Willy Weisz Stammzellforschung – aus der Sicht der jüdischen Medizinethik ........211 Ilhan Ilkilic Stammzellforschung: Die innerislamische Diskussionslage ..................221 Hans-Georg Koch Forschung mit embryonalen Stammzellen im Rechtsvergleich ............233 Manfred Stelzer Völker- und gemeinschaftsrechtliche Aspekte embryonaler Stammzellforschung .................................................................................250 Christian Kopetzki Stammzellforschung in Österreich – eine Bestandsaufnahme des geltenden Rechts .......................................................................................269 Rainer J. Schweizer Das Schweizerische Stammzellenforschungsgesetz vom 19. Dezember 2003 ....................................................................................297
Inhaltsverzeichnis
XI
Jochen Taupitz Das deutsche Stammzellgesetz: Das Gesetz vom 28. Juni 2002, die Reformdiskussion und die Gesetzesänderung vom 11. April 2008 ......350 Erwin Bernat Wer oder was sind „entwicklungsfähige Zellen“? Anmerkungen zu R (on the Application of Quintavalle) v Secretary of State for Health ....................................................................................372
Autorenverzeichnis
Erwin Bernat, ao. Univ.-Prof. Dr., Institut für Zivilrecht, Ausländisches und Internationales Privatrecht, Universität Graz Ulrike Felt, Univ.-Prof. Dr., Institut für Wissenschaftsforschung, Universität Wien Ilhan Ilkilic, DDr., Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universität Mainz Julia Inthorn, Dipl.-Math., Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien Raoul Kneucker, Hon.-Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft und Soziologie, Universität Innsbruck Hans-Georg Koch, PD Dr., Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Universität Freiburg Christian Kopetzki, Univ.-Prof. DDr., Institut für Staats- und Verwaltungsrecht; Institut für Ethik und Recht in der Medizin; Zentrum für Medizinrecht, Universität Wien Ulrich H. J. Körtner, o. Univ.-Prof. Dr., Institut für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät; Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien Hartmut Kreß, Prof. Dr., Abteilung Sozialethik an der EvangelischTheologischen Fakultät, Universität Bonn Christine Mannhalter, Univ.-Prof. Dr., Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, Wien; Klinisches Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik, Medizinische Universität Wien Sigrid Müller, Institut für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät; Institut für Ethik und Recht in der Medizin; Universität Wien Helia B. Schönthaler, Dr., Cancer Cell Biology Programme, Spanish National Cancer Research Centre (CNIO), Madrid Rainer J. Schweizer, Prof. Dr., Forschungsgemeinschaft für Rechtswissenschaft, Universität St. Gallen
XIV
Autorenverzeichnis
Manfred Stelzer, Univ.-Prof. Dr., Institut für Staats- und Verwaltungrecht; Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien Jochen Taupitz, Prof. Dr., Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik, Universitäten Heidelberg und Mannheim Günter Virt, em. o. Univ.-Prof. Dr., Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien Erwin F. Wagner, Univ.-Prof. Dr., Cancer Cell Biology Programme, Spanish National Cancer Research Centre (CNIO), Madrid Jürgen Wallner, Dr., Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht; Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien Eva Weisz, Institut für Pharmakologie, Medizinische Universität Wien; Ludwig Boltzmann-Institut für Krebsforschung, Wien Willy Weisz, Dr., Institut für Scientific Computing, Universität Wien; Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Wien Georg Weitzer, ao. Univ.-Prof. Dr., Abteilung für Molekulare Zellbiologie, Medizinische Universität Wien
Stammzellforschung: Der bisherige Diskurs in der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt Ulrich H. J. Körtner
Im internationalen Vergleich hat die ethische Diskussion zu Fragen der Biomedizin in Österreich relativ spät und eher zögerlich begonnen. Erst im Juli 2001 wurde vom Bundeskanzler eine nationale Bioethikkommission eingesetzt. Auch wenn in den vergangenen Jahren eine Reihe von hochrangig besetzten bioethischen Symposien stattfand, ist die Diskussion über Embryonenschutz, die erweiterten Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin, Forschung an Embryonen oder an embryonalem Gewebe sowie über die Stammzellforschung im Allgemeinen nur in begrenztem Umfang geführt worden. Aus dem geltenden Recht ergibt sich, dass zwar die Gewinnung humaner embryonaler Stammzellen und die Herstellung von embryonalen Stammzelllinien in Österreich verboten ist, nicht aber deren Import und Beforschung. Beides ist aber gesetzlich nicht geregelt. Auf parlamentarischer Ebene stand die Stammzellforschung, insbesondere die Zulässigkeit von Forschungsarbeiten mit embryonalen Stammzellen, in Österreich bisher nicht zur Debatte.1 Auch die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt hat sich in den zurückliegenden Funktionsperioden nur anlassbezogen mit der Stammzellforschung, nicht aber mit ihrer allfälligen gesetzlichen Regelung befasst. Ihre im Mai 2002 veröffentlichte Stellungnahme, der eine mehrmonatige intensive Diskussion vorausging, hat sich zur Stammzellforschung im Kontext des 6. Rahmenprogramms der Europäischen Union zur Forschungsförderung für die Jahre 2002 bis 2006 geäußert.2 Das 6. Rahmenprogramm sah unter anderem die Förderung der Stammzellforschung vor, wobei zunächst offen geblieben war, ob und in welchem Ausmaß auch die Forschung an embryonalen Stammzellen eingeschlossen sein sollte. Nachdem die zuständige Wissenschaftsministerin im Dezember 2001 zunächst auf der Sitzung des Forschungsministerrats in einer Protokollnotiz den Standpunkt vertreten hatte, Österreich lehne nicht nur die For_____________ 1
Vgl dazu ausführlicher U. Körtner, Bioethik 2001 – ein Rückblick, http://scien ce.orf.at/science/koertner/35923; ders, Forschung an embryonalen Stammzellen. Zur Diskussion und Gesetzeslage in Österreich, ThZ 58 (2002) 339-358 (dieser Aufsatz ist auch abrufbar unter http://www.bundeskanzleramt.at/DocView.axd?CobId=1354). 2 Text der Stellungnahme unter http://www.bundeskanzleramt.at/DocView.axd? CobId=1115.
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Ulrich H. J. Körtner
schung an bei der In-vitro-Fertilisation anfallenden „überzähligen“ Embryonen und die Herstellung neuer embryonaler Stammzelllinien ab, sondern sogar die Förderung für Forschungsarbeiten an bereits existierenden Stammzelllinien, wandte sie sich an die Bioethikkommission mit der Bitte, zu dieser Frage eine Stellungnahme auszuarbeiten, die der österreichischen Bundesregierung als Grundlage für die weiteren Verhandlungen in Brüssel dienen könnte. Die Frage war insofern politisch brisant, als sich Österreich über das 6. Rahmenprogramm hätte gezwungen sehen können, Forschungsprojekte mitzufinanzieren, welche die Kritiker im eigenen Land unterbinden wollten. Die grundsätzliche Notwendigkeit der Verbesserung des Grundrechtsschutzes für Embryonen wird in einer Empfehlung hervorgehoben, welche die österreichische Bioethikkommission im Februar 2002 für die ehestmögliche Unterzeichnung und Ratifizierung der Menschenrechtskonvention zur Biomedizin des Europarates (MRB) abgegeben hat.3 Ausdrücklich werden rechtliche und/oder politische Maßnahmen gefordert, die „zur grundrechtlichen Verpflichtung des Staates für den Schutz der Würde, der Integrität und der Identität jeder Form menschlichen Lebens“ im Anwendungsbereich der MRB beitragen könnten.4 Art 18 MRB legt fest: „Die Rechtsordnung hat einen angemessenen Schutz von Embryonen zu gewährleisten, sofern sie Forschung an Embryonen zulässt.“ Die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken ist nach der MRB verboten. Außerdem verbietet ein Zusatzprotokoll zur MRB das reproduktive Klonen, dh den somatischen Kerntransfer zu Fortpflanzungszwecken. Kritiker bemängeln, dass die MRB keinen unbedingten Embryonenschutz vorsieht, Embryonen also nicht das uneingeschränkte Recht auf Leben zugesteht. In Anbetracht der geschilderten Rechtslage würde die Ratifizierung der MRB in Österreich aber gerade zu einer Verbesserung des Embryonenschutzes auf der grundrechtlichen Ebene und damit auch im Bereich der biomedizinischen Forschung führen. Nach Ansicht der Bioethikkommission wäre mit der Ratifizierung zumindest für ein Verbot der Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken und für ein Verbot des reproduktiven Klonens die rechtliche Grundlage geschaffen. In ihrer Stellungnahme zur Stammzellforschung vom Mai 2002 hat die österreichische Bioethikkommission nicht einheitlich votiert, sondern zwei unterschiedliche Positionen formuliert. Konsens herrschte zunächst darin, dass weder die verbrauchende Embryonenforschung noch Arbeiten zum therapeutischen Klonen finanziell gefördert werden sollten, ohne dass eine abschließende ethische Bewertung des therapeutischen Klonens vorgenommen worden wäre.5 Während aber acht der damals neunzehn Kommissionsmitglieder jegliche Forschung an embryonalen Stammzellen kategorisch _____________ 3
Text der Empfehlung unter http://www.bundeskanzleramt.at/DocView.axd? CobId=1111. 4 AaO (FN 3) 5. 5 Vgl aaO (FN 3) 2 f (Punkt 5).
Stammzellforschung: Der bisherige Diskurs in der Bioethikkommission
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abgelehnt haben, weil sie deren Gewinnung für ethisch inakzeptabel hielten, befürwortete eine Mehrheit von elf Mitgliedern zumindest Forschungsarbeiten an bereits existierenden embryonalen Stammzelllinien, sofern eine Reihe von Auflagen eingehalten werde. Auch müsse für jedes Forschungsprojekt eine Einzelprüfung erfolgen. Vorgeschlagen wurden folgende Bedingungen: a) Es sollte sich um hochrangige alternativlose („peer-reviewed“) Forschungsprojekte handeln, deren Fragestellungen sich nicht allein im Tierversuch verfolgen ließen. b) Es sollten nur solche humanen Stammzelllinien verwendet werden dürfen, die von Embryonen, welche ausschließlich für die medizinisch assistierte Fortpflanzung (IVF) erzeugt wurden, aber nicht mehr implantiert werden können, stammen. c) Es müsse eine ungekaufte Zustimmung der Spender vorliegen. d) Es sollten bis auf weiteres nur solche Stammzelllinien verwendet werden dürfen, die bereits vor einem bestimmten Stichtag existierten, um nicht die weitere Zerstörung von bei der IVF anfallenden „überzähligen“ Embryonen für die Stammzellforschung zu fördern. Die Erzeugung von IVF-Embryonen ausschließlich zur Stammzellforschung wird jedenfalls auch von der Kommissionsmehrheit abgelehnt. e) Es sollten die Forschungsvorhaben von einer unabhängigen, interdisziplinär zusammengesetzten Kommission beurteilt werden, die mit den örtlichen Ethikkommissionen zusammenarbeitet. f) Es sollten sämtliche, dh auch negative Forschungsergebnisse, gemeldet und veröffentlicht werden müssen, analog zur Veröffentlichung von „adverse events“. Die intensiven Beratungen der Kommission ergaben, dass zum damaligen Zeitpunkt eine Reihe gewichtiger medizinischer und naturwissenschaftlicher Grundsatzfragen noch unbeantwortet war. So wurde darauf hingewiesen, um die Aussichten auf einen therapeutischen Einsatz embryonaler Stammzellen abschätzen zu können, müssten vorab die Fragen des kanzerogenen Potentials und des immunologischen Verhaltens embryonaler Stammzelllinien, sowie der von ihnen möglicherweise ausgehenden Infektionsgefahr geklärt werden. In den Diskussionen der Kommission hat auch die Frage, ob embryonale Stammzellen tatsächlich nur noch pluripotent oder möglicherweise doch noch totipotent sind, eine Rolle gespielt. Für die ethische Bewertung der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen wurde die Frage nach der Zulässigkeit von Güterabwägungen als zentral erachtet. Die Kommissionsminderheit hielt eine Güterabwägung zwischen Embryonenschutz und medizinischen Forschungszielen unter keinen Umständen für zulässig. Interessanterweise wird dies im vorliegenden Dokument nicht ausdrücklich mit der Annahme begründet, bereits der Zygote – gleich ob in vivo oder in vitro – komme der Status eines Menschen zu. Verwiesen wird lediglich auf die Bestimmungen in Art 1 und 2 der MRB,
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Ulrich H. J. Körtner
wonach jegliche Form menschlichen Lebens schutzwürdig ist. (Die Einschränkung des Embryonenschutzes in Art 18 MRB wird allerdings geflissentlich verschwiegen.) Eine Risikofolgenabschätzung sei darüber hinaus unter sozialethischen Gesichtspunkten vorzunehmen. Die Freigabe der Forschung an embryonalen Stammzellen erzeuge zusätzlichen Druck auf eine generelle Freigabe der verbrauchenden Embryonenforschung, die deshalb abgelehnt wird, weil sie zu einer erhöhten gesellschaftlichen Akzeptanz der Verfügbarkeit und damit der Instrumentalisierbarkeit menschlicher Embryonen führe. Die von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Auflagen böten keinen wirksamen Schutz gegen den von der Minderheit befürchteten Dammbruch. Zur Forderung nach einem gesetzlich verankerten Forschungsverbot hat sich die Kommissionsminderheit allerdings nicht durchringen können oder wollen. Die Kommissionsmehrheit hat eine Güterabwägung zumindest dann für zulässig gehalten, wenn die Option eines Embryonentranfers aus medizinischen Gründen nicht mehr bestehe, so dass zwischen der definitiven „Verwerfung“ überzähliger Embryonen und dem möglichen künftigen therapeutischen Nutzen von Forschungsarbeiten mit embryonalen Stammzellen abzuwägen sei, auch wenn es sich derzeit noch um Grundlagenforschung handelt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Kommission trotz divergierender Standpunkte zur embryonalen Stammzellforschung einstimmig für die nationale Umsetzung der Biopatentrichtlinie der EU ausgesprochen hat,6 obwohl diese gerade wegen der nicht ausgeschlossenen Möglichkeit, im Rahmen einer technischen Lehre auch embryonales Gewebe – zB eben embryonale Stammzellen – zu patentieren, auch auf politischer Ebene europaweit heftig umstritten ist.7 Interessant ist ferner, dass die Frage nach dem ontologischen und moralischen Status des Embryos für die Urteilsfindung der österreichischen Bioethikkommission keine ausschlaggebende Rolle gespielt hat. Sowohl die Position der Befürworter der Forschung an embryonalen Stammzellen als interessanterweise auch diejenige der Gegner lässt diese Frage letztlich unbeantwortet. Während die Kommissionsmehrheit diesen Sachverhalt ausdrücklich damit begründet hat, dass die Statusfrage für die ethische Bewertung der Gewinnung und Verwendung von embryonalen Stammzellen aus der inneren Zellmasse nicht allein ausschlaggebend sei, argumentierte die Kommissionsminderheit vor allem mit den möglichen negativen Auswirkungen der Forschungsförderung auf die allgemeine Einstellung zur Würde und _____________ 6 Text der Stellungnahme unter http://www.bundeskanzleramt.at/DocView.axd? CobId=1114. 7 Kritische Stellungnahmen haben zB die Eidgenössische Ethikkommission der Schweiz, die Commission Nationale d’Ethique in Luxemburg, der Dänische Ethikrat, die Enquete-Kommission der französischen Regierung, sowie die EnqueteKommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des deutschen Bundestages abgegeben.
Stammzellforschung: Der bisherige Diskurs in der Bioethikkommission
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Unantastbarkeit menschlichen Lebens („Unverfügbarkeit“, „Instrumentalisierung“), nicht jedoch mit dem Lebensschutz für den individuellen Embryo. Offensichtlich hat bei Befürwortern wie Gegnern der Forschung an embryonalen Stammzellen der Wille zur Konsensbildung eine nicht geringe Rolle gespielt, was für das allgemeine Verhältnis von Bioethik und Biopolitik durchaus lehrreich ist. Im Detail ist die Frage nach dem ontologischen, moralischen und rechtlichen Status des Embryos erst 2004 im Bericht der Bioethikkommission zur Präimplantationsdiagnostik behandelt worden. Erwartungsgemäß gab es in dieser Frage keinen Konsens. Die Kommissionsmitglieder, die sich gegen die Zulassung der PID ausgesprochen haben, argumentierten, dass sich der Embryo ab der Befruchtung nicht zum Menschen, sondern als Mensch entwickle. Embryonen in vitro wie in vivo haben Anspruch auf uneingeschränkten Lebensschutz. Das dafür ins Feld geführte Potentialitäts- und das Identitätsargument wurden von der Kommissionsmehrheit, die sich für eine beschränkte Zulassung der PID ausgesprochen hat, kritisiert. Sie sprach von einer prinzipiellen „Unbestimmtheit bzw Unbestimmbarkeit des Anfangs“ und plädierte für das Modell eines stufenweise ansteigenden rechtlichen Schutzes des Embryos.8 Trotz des Mehrheitsvotums der österreichischen Bioethikkommission, welches die Förderung der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen unter strengen Auflagen befürwortete, nahm die österreichische Bundesregierung in den weiteren EU-Verhandlungen eine ablehnende Position ein, weil sie ihre Bedenken nicht genügend berücksichtigt fand. Anfang Juni 2002 wurde das 6. Rahmenprogramm gegen die Stimme Österreichs verabschiedet. Österreich konnte zunächst ein Moratorium für die EU-Förderung der Forschung an embryonalen Stammzellen erreichen.9 Zwar fand im Oktober 2002 in Wien eine von Österreich initiierte internationale Tagung statt, auf der umfassend über den damaligen Stand der Stammzellforschung informiert wurde. In der Bioethikkommission wurde jedoch weder nach Ablauf des Moratoriums noch im Zusammenhang mit dem 7. Rahmenprogramm die ethische Diskussion über die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen fortgeführt. Zwar hat die Bioethikkommission das Thema indirekt in ihrem Zwischenbericht zum reproduktiven Klonen vom Februar 2003 berührt.10 Das Dokument spricht sich für ein ausdrückliches gesetzliches Verbot des reproduktiven Klonens aus. Allerdings müsste nach der Empfehlung der Bioethikkommission „aus der Formulierung eindeutig hervorgehen, dass es sich bei _____________ 8
Der Text des PID-Berichtes findet sich unter http://www.bundeskanzleramt.at/ DocView.axd?CobId=6415. 9 Vgl U. Körtner, Moratorium in der Stammzellforschung – Österreich ist am Zug, http://science.orf.at/science/koertner/59509 (3. 10. 2002). 10 Text des Zwischenberichts unter http://www.bundeskanzleramt.at/DocView. axd?CobId=1113.
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dem Verbot um eine exemplarische Bestimmung handelt, die keinen Schluss auf die Bewertung des sogenannten therapeutischen Klonens erlaubt“.11 Die im Untertitel des Berichtes angekündigte „ausführliche Stellungnahme zur Anwendung des Klonens auf den Menschen, zum Embryonenschutz und zur Forschung an Embryonen, zur Präimplantationsdiagnostik sowie zu weiteren Fragen der Fortpflanzungsmedizin“ liegt jedoch bis heute nicht vor. So hat sich die österreichische Bioethikkommission bisher auch nicht zur Erzeugung und Beforschung sogenannter Hybridembryonen (Chimärenbildung) oder anderen Arten von embryoähnlichen Zelltypen und der Frage, ob es sich dabei um ethisch unbedenklichere Alternativen zu humanen embryonalen Stammzellen handelt, geäußert und auch die Frage allfälliger gesetzlicher Regelungen nicht weiter diskutiert. Lediglich zur PID hat die Bioethikkommission, wie schon erwähnt wurde, 2004 einen ausführlichen Bericht vorgelegt.
_____________ 11
AaO (FN 10) 3.
Stammzellforschung: Der bisherige Diskurs in der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt Günter Virt
1. Bei der Forschung an Stammzellen, die durch die Zerstörung „menschlicher Embryonen“ oder „embryonaler Menschen“ (beide Redeweisen implizieren gleichermaßen bereits eine moralisch relevante Vorentscheidung) gewonnen werden, handelt es sich um ein besonders heikles ethisches Problem. Wer vom embryonalen Menschen spricht, benennt zunächst das Subjekt Mensch und dann den Umstand der sehr frühen Phase des Menschenlebens. Wer vom menschlichen Embryo spricht, benennt zunächst die Phase und das Menschliche daran in einem Adjektiv. Damit werden nicht nur die grundsätzliche Herangehensweise zum Ausdruck gebracht, sondern auch Folgeprobleme thematisiert, wenn etwa bei der Patentanmeldung zunächst Embryonen patentiert werden und noch nicht zwischen menschlichen und tierischen Embryonen unterschieden wird. Dies führte zB bei Patenterteilungen (zB beim sogenannten Edinburghpatent) zu Problemen. Die Tiefe der Problematik zeigt sich nicht nur in der langen Zeit, in der sich die heftige bioethische Debatte international und „gebremst“ auch in Österreich hinzieht, sondern auch darin, dass die Standpunkte sich in dieser Zeit nicht näher gekommen sind. Auch rechtlich haben die Mitgliedsstaaten der EU unterschiedliche Regelungen, wie die rechtsvergleichenden Übersichtsdokumente der EU zeigen.1 2. Der Beschluss der österreichischen Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt vom Mai 2002 im Zusammenhang mit dem 6. Forschungsrahmenprogramm der EU hat in 10 Punkten zunächst einstimmig ua die Bedeutung der Grundlagenforschung, die Warnung vor übertriebenen und voreiligen Heilungserwartungen festgehalten, die vorrangige Forschungsförderung an adulten Stammzellen begrüßt und die Position vertreten, dass der Fortschritt in den Biowissenschaften keinesfalls höher als die fundamentalen Menschenrechte gewertet werden darf. Man war sich schließlich auch darüber einig, dass der ontologische, moralische und rechtliche Status des _____________ 1 ZB National regulations in the EU regarding research on human embryos, Brigitte Gratton für die European Group on Ethics – EGE – 2002.
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Günter Virt
menschlichen Embryos unterschiedlich beurteilt wird; daraus folgten dann zwei unterschiedliche Empfehlungen. 3. Auch die Befürworter der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen (abgekürzt hESZ) knüpfen die Akzeptanz dieser Forschung an einschränkende Bedingungen; ein Zeichen dafür, dass die großen ethischen Probleme bei der Zerstörung begonnenen menschlichen Lebens gesehen werden. Diese einschränkenden Bedingungen beziehen sich: auf die Quelle (eigens für die Forschung hergestellte sowie bei der IVF gezielt vermehrt hergestellte Embryonen, für die im United Kingdom finanzielle Anreize gegeben werden, oder tiefgefrorene Embryonen, für die kein elterliches Fortpflanzungsprojekt mehr besteht), auf die Zielsetzung der Forschung: Grundlagenforschung, Toxizitätsprüfung von Arzneimitteln oder Heilung von Krankheiten durch regenerative Medizin, oder auf einen Verfahrensschutz. 4. Das wichtigste Problem, auf das alle anderen zulaufen, bezieht sich auf die Quelle der embryonalen Stammzellen. Jeder Mensch hat als Embryo begonnen, ins Dasein zu treten. Das neue genetische Programm, das bei der Kombination von väterlichem und mütterlichem Chromosomensatz entsteht, steuert im Zusammenwirken mit epigenetischen Mechanismen von Anbeginn – also längst vor der Einnistung – das ganze Menschenleben als conditio sine qua non. Wer das Menschenleben an seinem Beginn aus der geschützten Umgebung des Mutterschoßes herausreißt und in der Petrischale dem Zugriff fremder Interessen (zB Industrie und Wissenschaft) aussetzt, hat umso mehr für den Schutz des Lebens in dieser exponierten Lage zu sorgen. 5. Die modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen uns diesen Beginn des Menschenlebens als einen Prozess. Naturwissenschaftliche Daten bedürfen der Interpretation in ihrer Bedeutung für das Menschsein durch philosophische oder theologische Anthropologie, die entweder ausdrücklich oder oft unreflektiert geschieht. Jedenfalls sollte die Interpretation methodisch kohärent sein und zumindest folgende Gesichtspunkte einbeziehen: die Zugehörigkeit des Embryos zur menschlichen Gattung die Kontinuität des individuellen Menschenlebens von seinem kleinsten Beginn bis zu seinem oft schwachen Ende die Identität der individuellen Menschengeschichte (wir werden zwar im Lauf des Lebens anders, aber nicht jemand anderer) die reale Potentialität (und nicht erst aktuell gezeigte Fähigkeit) zum Person-Sein und zu personalen Vollzügen den Umgang mit Unbestimmtheiten und Risiken, denen der Beginn des Lebens ausgesetzt ist, und Zweifel, der daraus entsteht. Trotz möglicher
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Zweifel konnte aber noch niemand beweisen, dass die frühesten Phasen des Menschenlebens nicht zum Menschenleben gehören. Gerade weil es sich beim Menschenleben um das grundlegende Gut ethischer Reflexion und der Rechtsordnung handelt, ist im Zweifelsfall für und nicht gegen den Schutz des Menschenlebens zu entscheiden. Die Kategorie einer reinen Zuschreibung des Personstatus von außen je nach Interesse und Diskussionslage öffnet der Willkür Tür und Tor. Einschnitte dieser Art, die in der Entwicklung des Menschenlebens gezogen werden, geschehen nicht ohne Willkür. 6. Dem Menschen eignet nicht nur ein relativer, austauschbarer, verhandelbarer Wert, sondern eine unveräußerliche Würde, wie dies in allen wichtigen Menschenrechtsdokumenten und auch in vielen Verfassungen festgehalten wird. Die Menschenwürde ist nicht nur unveräußerlich, sondern auch unteilbar. Diese Würde gilt dem Menschen und nicht nur bestimmten Perioden seines Lebens und bestimmten Situationen oder Leistungen. Die Würde des Menschen verbietet seine Totalinstrumentalisierung. Aus der Würde des Menschen leitet sich als erstes das Recht auf Leben ab. Dieses Gut des Lebens kann in tragischen Ausnahmesituationen in Konflikt mit anderen Leben geraten, sodass Leben gegen Leben steht. Es kann also Situationen geben, in denen – wie bei der Notwehr – ein Leben nicht geschützt werden kann. Es kann ungewollt tragische Situationen geben, in denen zB das Lebensrecht eines tiefgefrorenen Embryos nicht gewährleistet werden kann und man den Embryo sterben lässt. Grundsätzlich von solchen Situationen zu unterscheiden ist jedoch die gezielte Verwendung eines möglicherweise begonnenen Menschenlebens als Rohmaterial für Industrie, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Dies ist nicht nur eine Verletzung des Lebensrechtes, sondern der Würde als Grundlage für alle Menschenrechte. Dieser fundamentale Unterschied wird oft übersehen, sollte aber nicht übersehen werden und bedarf einer breiten und nachhaltigen Diskussion in der Gesellschaft. 7. Selbst der oft ins Treffen geführte sogenannte „therapeutische Imperativ“ (wenn es denn tatsächlich einer wäre) dürfte nicht mit allen Mitteln durchgesetzt werden. Der gute Zweck heiligt eben nur gute oder neutrale, nicht aber ethisch falsche Mittel. Die Therapiemöglichkeiten mit hESZ sind aus verschiedenen medizinischen Gründen mehr als ungewiss (Teratombildungen, Krebsgefahr, massive Abstoßungsreaktionen usw). Selbst, wenn in ferner Zukunft die unwahrscheinliche Situation einer seriösen Therapiemöglichkeit einträte, wäre die sozialethische Frage der Finanzierbarkeit einer solchen vermutlich sehr teuren Therapie im Rahmen des Solidarsystems zu stellen.
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Für die Therapie dürften eher Konzepte einer regenerativen Medizin mit adulten Stammzellen und unter Zuhilfenahme der Nanotechnologie zielführend sein.2 Umso weniger heiligt der Zweck, bei Toxizitätsprüfungen hESZ an Stelle von Tierversuchen einzusetzen, das Mittel, embryonale Menschen zu zerstören. In einem EU-Papier (Line Matthiessen 2003) wurde die Toxizitätsprüfung an Stelle von Tierversuchen als Hauptzweck der hESZ-Forschung bezeichnet. Projekte mit hESZ im Rahmen des 6. Forschungsrahmenprogramms der EU wären daraufhin zu untersuchen. Mit Stammzellen aus Nabelschnurblut gelang es, Toxizitätsprüfungen ethisch unbedenklich und effizient durchzuführen.3 Auch die Ende 2007 erfolgreich durchgeführte Reprogrammierung von Hautzellen zu pluripotenten Stammzellen weist – wenn möglicher Missbrauch verhindert wird – einen ethisch akzeptablen Weg nicht nur für Toxizitätsprüfungen, sondern auch für die Grundlagenforschung. In absehbarer Zeit wird sich weisen, ob mit diesen iPS-Zellen all das getan und geforscht werden kann, was mit hESZ getan wird und vielleicht sogar noch mehr. Diese neuen Forschungsergebnisse zeigen Alternativen, wo früher Alternativlosigkeit angenommen wurde. Manche Institutionen ziehen daraus bereits Konsequenzen. Kalifornien, das für die hESZ-Forschung 300 Millionen Dollar bereitgestellt hat, fordert im jüngsten Programm, Forschungsanträge nach dem Yamanakaverfahren mit iPS einzureichen.4 8. Bei der Stellungnahme der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt vom 8. 5. 2002 wurden auch von der grundsätzlich zustimmenden Position A Bedingungen genannt, die es im Rückblick zu beurteilen gilt. So zeigt zB die Debatte in Deutschland um die Verschiebung des Stichtages, dass Wissenschaftler mit den zum gesetzlich fixierten Stichtag vorhandenen hESZ-Linien und deren Import nicht das Auslangen finden wollen. Auch die Publikation negativer Ergebnisse von Forschungen mit hESZ, für die in den letzten 10 Jahren viel Geld ausgegeben wurde, ist weit und breit nicht in Sicht. 9. Die EGE hat in ihrer Opinion 22 über die Kriterien, nach denen die ethische Evaluierung der Forschungsprojekte mit hESZ im 7. Forschungsrahmenprogramm auf der Basis des in der EU im Juli 2006 gefundenen politischen (nicht ethischen) Kompromisses vorgenommen werden soll, weitere zu prüfende Bedingungen genannt. Die Opinion 22 der EGE geht EU-konform von der Subsidiarität aus, dass in diesen heiklen ethischen _____________ 2
Vgl Opinion 21 der European Group on Ethics vom 17. 1. 2007 über die ethischen Aspekte der Nanomedizin, http://ec.europa.eu/european_group_ethics/index_ en.htm. 3 Colin McGuckin et al, Production of stem cells with embryonic characteristics from umbilical cord blood, in Cell Prolif 38 (2005) 245-255. 4 Siehe http://www.cirm.ca.gov/RFA/rfa_07-05/default.asp (Stand 31. 1. 2007).
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Fragen die nationale Gesetzgebung nicht nur zu respektieren ist, sondern auch keinerlei Druck auf die Mitgliedsstaaten ausgeübt werden darf. 10. Zur Verfolgung der ethisch zu befürwortenden Forschungsziele gibt es ethisch akzeptable Mittel. Umso weniger ist es mE vertretbar, ethisch so problematische Mittel, die auf der Zerstörung von begonnenem Menschenleben beruhen und dieses zum Rohmaterial für die Industrie und die Wissenschaft machen, in Österreich zuzulassen. Auch jede Gutheißung, Mitwirkung oder jeder Anreiz für die Zerstörung von embryonalen Menschen oder menschlichen Embryonen außerhalb Österreichs ist von denselben ethischen Gründen betroffen.
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I. Einleitung Die Forschung an Stammzellen wird derzeit als ein Gebiet mit großem Potential angesehen, sowohl für die Grundlagenforschung als auch für die Entwicklung neuer Therapien. Während die Stammzellforschung uns vielfältige Möglichkeiten eröffnet, ist es gleichzeitig notwendig, Entscheidungen bezüglich der Gewinnung und eventuellen Anwendung von Stammzellen zu treffen. Diese Entscheidungen reichen von ethischen Bedenken bis hin zu medizinischen Unwägbarkeiten etwaiger neuer Behandlungsmethoden, die auf dem Einsatz von Stammzellen beruhen. Dieses Kapitel soll helfen, verschiedene Aspekte zu beleuchten, die für die Entscheidungsfindung von Bedeutung sein könnten. Unser Ziel ist es, einen kurzen Überblick über die verschiedenen Stammzelltypen zu geben und darauf aufbauend die Vor- und Nachteile sowie auch die aktuellen Probleme der Forschung aufzuzeigen. Darüber hinaus möchten wir unsere Arbeit mit humanen embryonalen Stammzellen (hES) in Österreich beschreiben und die dabei gewonnenen Erkenntnisse diskutieren. Die Stammzellforschung hat verschiedene Ziele: Sie möchte die Vorgänge verstehen, die während der menschlichen Embryonalentwicklung und bei den ersten Differenzierungsvorgängen im erwachsenen menschlichen Körper bei der Erneuerung der verschiedenen Gewebe ablaufen. Es ist beispielsweise für den Menschen bislang nur sehr rudimentär erforscht, welche Faktoren (Gene) während der menschlichen Entwicklung des Embryos die Spezialisierung einer einzigen Zelle, der befruchteten Eizelle, in die über 200 Zelltypen des Körpers steuern. Viele Hinweise über die möglichen Abläufe können von Studien mit Modellorganismen, wie zum Beispiel der Maus, abgeleitet werden. Trotz aller Gemeinsamkeiten zwischen Organismen gibt es doch Unterschiede in der Entwicklung zwischen Menschen und Mäusen. Um zu verstehen, wie ein Mensch sich entwickelt, kann man diese Prozesse also nur zum Teil an Modellorganismen erforschen. Darüber hinaus möchte die Stammzellforschung die gewonnenen Erkenntnisse darüber, wie ein menschlicher Embryo sich entwickelt, dafür einsetzen, gezielt Zelltypen zu erzeugen, die bei Erkrankungen wie Multipler
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Sklerose, Morbus Parkinson oder Diabetes mellitus Typ1 transplantiert werden könnten. Bei diesen Erkrankungen kommt es zum Absterben von spezialisierten Zelltypen in den einzelnen Organen, die vom Körper nicht wieder erneuert werden können. Ein weiterer Aspekt der Forschung an Stammzellen ist die Etablierung von in vitro Zellsystemen, anhand derer neue Wirkstoffe für die regenerative Medizin identifiziert, pharmakologisch wirksame Substanzen getestet oder die Toxizität von Chemikalien auf bestimmte Zelltypen und die Embryonalentwicklung ermittelt werden können.
II. Was sind Stammzellen? Stammzellen unterscheiden sich grundlegend von allen anderen Zelltypen im Körper, da sie keine gewebespezifischen Eigenschaften besitzen. Sie können sich nicht zusammenziehen wie die Zellen in Muskeln und dem Herzen, sie produzieren kein Insulin wie die Zellen der Bauchspeicheldrüse und sie nehmen kein Licht wahr wie die Lichtsinneszellen im Auge. Im Gegensatz zu diesen Zellen, die jeweils spezielle Aufgaben im Körper erfüllen, sind Stammzellen unspezialisiert. Ihre Funktion ist es, neue Zellen hervorzubringen. Während der Entwicklung eines Organismus beispielsweise gehen alle Zellen des wachsenden Embryos aus Stammzellen hervor. Im ausgewachsenen Körper bilden sie bei Bedarf Zellen, die alte oder verloren gegangene spezialisierte Zellen ersetzen können. Die oberen Schichten der Haut zum Beispiel erneuern sich etwa alle zwei bis drei Wochen komplett. Die roten Blutkörperchen, die in unserem Blut die Atemgase transportieren, werden nach etwa sechs Monaten ersetzt. Neben dieser permanenten Erneuerung bestimmter Gewebe sind Stammzellen auch bei Verletzungen an der Reparatur des Gewebes beteiligt. Werden beispielsweise Teile der Leber operativ entfernt, können Stammzellen diese Teile innerhalb einiger Wochen wieder regenerieren. Stammzellen haben, unabhängig davon, wo sie vorkommen, drei Eigenschaften gemeinsam: (i) Alle Stammzellen sind unspezialisierte Zellen. Sie können aber unter bestimmten Bedingungen Zellen hervorbringen, die sich spezialisieren und so alle Zelltypen bilden, die es im menschlichen Körper gibt. (ii) Sie können sich nahezu unbegrenzt teilen, dh aus einer Zelle können beliebig viele Zellen entstehen. (iii) Nach einer Teilung haben die beiden neuen Zellen, sogenannte Tochterzellen, in der Regel ein unterschiedliches Schicksal. Während die eine, über Zwischenstufen, zu einer spezialisierten Zelle wird, zum Beispiel zu einer Epithelzelle in der Haut, bleibt die andere Zelle eine Stammzelle und kann sich erneut teilen. Bei dieser asymmetrischen Teilung kann sich die Stammzellpopulation also selbst erhalten bzw erneuern (englisch self-renewal).
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III. Die Zellpotenz während der Entwicklung Während der Entwicklung entsteht aus einer Zelle, der befruchteten Eizelle (Zygote), ein Organismus, der im Falle des Menschen aus bis zu 1014 Zellen besteht. Die Zygote hat das Potential, zu einer erfolgreichen Schwangerschaft und somit zur Geburt eines Organismus zu führen. Für eine erfolgreiche Schwangerschaft ist es allerdings notwendig, dass sich neben dem eigentlichen Embryo auch die extraembryonalen Gewebe aus der Zygote entwickeln. Hierzu zählen beispielsweise die embryonalen Teile der Plazenta: Dottersack, Amnion, Chorion sowie die Auskleidung der Chorionhöhle. Diese Eigenschaft einer Zelle, sowohl alle embryonalen Gewebe, einschließlich der Keimzellen, als auch die extraembryonalen Gewebe zu bilden, wird als Totipotenz bezeichnet. Neben der Zygote nimmt man an, dass beim Menschen auch alle Zellen bis zum 8-Zellstadium totipotent sind. Diese Annahme kann man beim Menschen experimentell nicht überprüfen, da man hierfür zeigen müsste, dass sich aus diesen Zellen, in der richtigen Umgebung, sowohl embryonales Gewebe als auch ein Embryo entwickelt. Bei der Maus hingegen konnte gezeigt werden, dass Zellen dieses Stadiums sich in alle extraembryonalen und in alle Gewebe des Embryos entwickeln können. Mit dem Fortschreiten der Embryonalentwicklung engt sich das Potential der Zellen des Embryos zunehmend ein. Am 5. Tag der Entwicklung lassen sich in der Blastozyste erstmals zwei Zelltypen unterscheiden. Die Blastozyste ist eine hohle Kugel, deren äußere Schicht aus den sogenannten Trophoblastzellen besteht. Aus diesen Zellen entsteht während der Entwicklung nur extraembryonales Gewebe, das Chorion. An einer Seite der Blastozyste befindet sich an der inneren Seite der Trophoblasten eine kleine Gruppe von ca 25-35 Zellen, die sogenannten Embryoblastenzellen (auch innere Zellmasse; englisch inner cell mass). Aus diesen Zellen gehen der gesamte Embryo sowie einige extraembryonale Gewebe (Amnion, Dottersack, Auskleidung der Chorionhöhle) hervor. Weil diese Zellen zwar noch alle embryonalen Gewebe bilden können, aber keinen Embryo mit allen extraembryonalen Geweben mehr, bezeichnet man sie als pluripotent. Das bedeutet, wenn man nur pluripotente Zellen in die Gebärmutter einer Frau bringen würde, käme es nicht zu einer Schwangerschaft. Aus diesen Zellen der inneren Zellmasse können embryonale Stammzelllinien (ES-Zellen) etabliert werden (siehe unten). Die pluripotenten Zellen der inneren Zellmasse bilden durch Zellteilungen viele Zellen, die sich im Verlauf der Entwicklung weiter spezialisieren. So entstehen beispielsweise in den folgenden Schritten multipotente Stammzellen, wie sie auch im erwachsenen Körper vorkommen. Der entscheidende Unterschied zwischen pluripotenten und multipotenten Zellen ist, dass multipotente Stammzellen nur noch Zellen einer bestimmten Linie, also nur noch Zellen einer bestimmten Gewebeart, hervorbringen können.
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Während der Entwicklung des Embryos entwickeln sich also aus totipotenten Zellen pluripotente Zellen und aus diesen wieder multipotente Zellen, die letztendlich spezialisierte Zellen hervorbringen können. Mit der fortschreitenden Spezialisierung der Zellen nimmt die Möglichkeit, unterschiedliche Zelltypen zu bilden (die Potenz der Zellen), ab.
IV. Embryonale Stammzellen – ES-Zellen Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) haben ihren Ursprung, wie oben beschrieben, in frühen Embryonen im Blastozystenstadium, das beim Menschen von Tag 4-6 und bei der Maus von Tag 2-4 der Embryonalentwicklung ist. ES-Zellen werden somit aus Embryonen gewonnen, die sich in ihrer Entwicklung noch vor dem Stadium der Implantation (Einnistung) im Uterus befinden. Aus diesem Grund können die entsprechenden Embryonen bis zu diesem Stadium in Kultur (in vitro) gehalten werden. Zum einen gibt es die Zellen in der Blastozyste, die sich später in den Embryo entwickeln, die sogenannten Embryoblasten, und aus denen ES-Zellen gewonnen werden können. Zum anderen gibt es die gewonnenen ES-Zellen in Kultur, die sich wahrscheinlich in alle Gewebe des Körpers entwickeln können. Diese beiden Zelltypen sind ursprünglich gleich, aber da noch nicht erwiesen ist, dass ESZellen in der gleichen Form tatsächlich im Embryo vorkommen, spricht man auch davon, dass ES-Zellen ein „Zellkultur-Artefakt“ sein könnten. Sie teilen sich unbegrenzt und sind somit in gewisser Weise immortal; damit haben sie auch Eigenschaften von Tumorzellen. Wichtig ist hierbei festzuhalten, dass beim Menschen normalerweise keine Embryonen eigens zur Gewinnung von ES-Zellen für die Grundlagenforschung erzeugt werden. Im Gegensatz zum therapeutischen Klonen (su) werden zur Herstellung von ES-Zellen in der Regel nur überzählige Embryonen verwendet, die von einem Paar, das sich einer IVF-Behandlung (in vitro Fertilisation) unterzogen hat, nicht mehr gewünscht werden. Nach einem informed consent, dh nach Aufklärung des Paares und nach ihrer Zustimmung zur Gewinnung von ES-Zellen, können diese frühen Embryonen zur Entnahme von Zellen freigegeben werden. Entscheidet das Paar nach einer IVF-Behandlung, dass es die überzähligen Embryonen nicht mehr braucht und sie nicht für den Gewinn von humanen ES-Zellen verwendet werden sollen, werden diese vernichtet. Um ES-Zellen zu gewinnen, werden Zellen der inneren Zellmasse einer Blastozyste entnommen und in Kultur gebracht. Diese Kultur erfolgt in einem speziellen Nährmedium, das neben Nährstoffen wie Zuckern, Aminosäuren und Lipiden, Vitaminen und Ionen auch Wachstumsfaktoren enthält. Wachstumsfaktoren sind in der Regel Proteine, die je nachdem, in welchen Kombinationen und Konzentrationen sie vorliegen, bestimmen, ob Zellen unspezialisiert bleiben oder sich in bestimmte Zelltypen differenzieren. Inter-
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essant ist hierbei, dass die Faktoren, die Maus und menschliche ES-Zellen benötigen, um unspezialisiert zu bleiben, sich unterscheiden. Um Mausstammzellen (mES-Zellen) als unspezialisierte Zellen in Kultur zu halten, muss dem Medium Leukemia inhibitory factor (LIF) zugesetzt werden, während für die Kultur der undifferenzierten humanen ES-Zellen (hESZellen) basic Fibroblast Growth Factor (bFGF) notwendig ist. In der Vergangenheit wurden ES-Zellen noch zusätzlich zusammen mit sogenannten Nährzellen (englisch feeder cells) kultiviert. Diese Zellen sind Fibroblasten (Bindegewebszellen), die aus 13,5 Tage alten Mausembryonen gewonnen werden. Nährzellen produzieren zusätzlich Faktoren, die eine Umgebung schaffen, in der die ES-Zellen ihren undifferenzierten Zustand beibehalten. Interessanterweise unterscheiden sich Maus- und menschliche ES-Zellen auch hier in ihrem Verhalten zu diesen Nährzellen. Während die Maus-ES-Zellen in direktem Kontakt auf den Nährzellen wachsen, wachsen menschliche ES-Zellen getrennt neben den Nährzellen. Abbildung 1: Wachstum von ES-Zellen der Maus (A) und des Menschen (B)
Bei den Maus-ES-Zellen (A) sind die Kulturbedingungen bereits so gut verstanden, dass man sie ohne Nährzellen undifferenziert in Kultur halten kann, während humane hES2-Zellen (B) mit Nährzellen in enger Nachbarschaft wachsen.
Nährzellen haben, wenn sie zur Kultur mit menschlichen ES-Zellen vermischt werden, den Nachteil, dass beispielsweise unbekannte Krankheitserreger (Kryptopathogene) aus den Nährzellen die ES-Zellen infizieren könnten. Während dies für die Verwendung der ES-Zellen in der Grundlagenforschung relativ unproblematisch ist, möchte man eine Infektion von ESZellen, die zur Therapie von Menschen eingesetzt werden, unbedingt ausschließen können. Um die Übertragung von Pathogenen von Mäusen auf Menschen zu vermeiden, wurden in der Vergangenheit menschliche Nährzelllinien etabliert. In den letzten Jahren wird zudem intensiv daran geforscht,
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Bedingungen für die Kultur von menschlichen ES-Zellen zu finden, die ganz ohne Nährzellen und andere tierische Komponenten im Nährmedium auskommen. Ein wichtiger Aspekt von ES-Zellen ist, dass sie, wenn sie unter geeigneten Bedingungen gehalten werden, sich nicht differenzieren und alle dieselben Eigenschaften haben. Man spricht in diesem Zusammenhang von klonalen Zellpopulationen. Das hat den Vorteil, dass man bei der Differenzierung in den gewünschten Zelltyp mit einer definierten Zellpopulation startet. Dadurch lässt sich das Verhalten der Zellen in Kultur besser steuern, und das Risiko, dass sich außer dem gewünschten Zelltyp auch ein anderer entwickelt, wird verringert. Ein weiterer großer Vorteil von ES-Zellen ist, dass sie sich fast unbegrenzt teilen können und man sie auch problemlos konservieren kann, indem man sie einfriert. Danach können sie wieder in Kultur genommen werden. Die Eigenschaft, dass sich die ES-Zellen in Kultur unbegrenzt vermehren können, erleichtert das Arbeiten mit ES-Zellen im Labor stark, hat jedoch bei etwaigen Therapien, die auf dem Einsatz von ES-Zellen basieren, auch einen Nachteil. So können sich aus undifferenzierten ES-Zellen nach einer Transplantation gutartige Tumore, sogenannte Teratome (Lensch and Ince, 2007), entwickeln. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, dass nur Zellen transplantiert werden, die entweder schon vollständig spezialisiert sind oder nur noch einen Differenzierungsschritt von der vollständig spezialisierten Zelle entfernt sind. Bei einer Transplantation von Zellen, die aus ES-Zellen differenziert wurden, besteht mit den im Moment gängigen Methoden ein gewisses Risiko, dass noch unspezialisierte Zellen im Zellgemisch zurückbleiben. Darüber hinaus weiß man noch nicht, ob die transplantierten Zellen ihre Spezialisierung nach der Transplantation beibehalten oder diese wieder verlieren und dann wiederum das Potential haben, Teratome zu bilden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass folgende Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zellersatztherapie gegeben sein müssen: Es sehr wichtig, dass bei einer Zellersatztherapie die Population der transplantierten Zellen genau definiert ist und gewährleistet ist, dass nur Zellen des Typs, der ersetzt werden soll, transplantiert werden. Vor allem dürfen Transplantate keine undifferenzierten, noch teilungsfähigen ES-Zellen mehr enthalten. Zudem müssen die transplantierten Zellen sich in den Zellverband einfügen, zum Beispiel in das neuronale Netzwerk des Gehirns bei Transplantation in Patienten mit Morbus Parkinson, und sie dürfen nach der Transplantation ihre Eigenschaften nicht ändern oder sogar dedifferenzieren, dh ihre spezialisierten, zell-typischen Eigenschaften verlieren.
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V. Therapeutisches Klonen Hier möchten wir kurz auf das therapeutische Klonen (englisch somatic cell nuclear transfer, SCNT) eingehen, da auch über diese Methode ES-Zellen gewonnen werden können und der Begriff in der Öffentlichkeit viel diskutiert wird. Beim therapeutischen Klonen wird bei einer menschlichen Eizelle der Zellkern entfernt und durch den Zellkern einer anderen Zelle ersetzt. Die Eizelle und die Zelle, die den Zellkern beisteuert, müssen dabei nicht von derselben Person sein. Anschließend wird die Eizelle chemisch stimuliert und beginnt sich zu teilen. Aus dem so entstehenden Embryo lassen sich ESZellen gewinnen, die beispielsweise bei dem Spender des Zellkerns zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden können oder in der Grundlagenforschung zur Aufklärung der genetischen Ursachen menschlicher Erkrankungen dienen können. Der Vorteil dieser Methode gegenüber dem Einsatz bereits etablierter ES-Zellen ist, dass man mit dieser Technik Zellen und Gewebe herstellen kann, die genetisch denen des Kernspenders gleichen und deshalb nach Transplantation bei diesem keine Abstoßungsreaktion hervorrufen. Das therapeutische Klonen ist allerdings ethisch umstritten, da menschliche Eizellen gewonnen werden müssen und zudem menschliche Embryonen für den Zweck der Gewinnung von Stammzellen erzeugt und bei der Gewinnung der ES-Zellen wieder zerstört werden. Aus diesem Grund ist dieses Verfahren bislang nur in einigen Ländern gesetzlich geregelt, zum Beispiel in Großbritannien. Um diese Probleme zu umgehen, haben Medienberichten (www.ncl.ac. uk/press.office) zufolge Wissenschaftler der Universität von Newcastle in England eine ähnliche Methode angewendet, um einen patientenspezifischen Zellklon herzuleiten. Das im Folgenden kurz beschriebene Experiment ist allerdings noch nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht worden und deshalb auch noch nicht von unabhängigen Wissenschaftlern auf seine Richtigkeit hin überprüft worden. Bei der an der Universität von Newcastle angewendeten Methode wurde der Zellkern einer menschlichen Spenderzelle in die entkernte Eizelle einer Kuh gebracht. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass keine menschlichen Eizellen gewonnen werden müssen. Nachteile des Verfahrens sind aber, dass zurzeit noch unklar ist, ob ein menschlicher Zellkern im Zytoplasma einer Rinder-Oozyte normal funktionieren kann. Auch bergen Zellen, die mit diesem Verfahren für etwaige Transplantationen an Menschen gewonnen werden, das Risiko einer Übertragung von Pathogenen. Da der künstlich geschaffene, gemischte Embryo sowohl menschliche Komponenten (Zellkern, sowie geringe Mengen an Zytoplasma) als auch solche der Kuh (größte Menge des Zytoplasmas mit Mitochondrien) enthält, musste eine eigene Nomenklatur geschaffen werden. Das Ergebnis wird dann als „Zybrid“ bezeichnet. Es kann nicht einfach als „Hybrid“ bezeichnet werden, da dafür die Kern-DNA gemischt sein müsste. Diese Methode der Gewinnung von patientenspezifischen ES-Zellen umgeht
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zwar das Problem der Gewinnung von menschlichen Eizellen, wirft aber dennoch ethische Fragen auf. Auch in diesem Fall werden Embryonen geschaffen, die für die Gewinnung der ES-Zellen vernichtet werden müssen. Zusätzlich ist es völlig unbekannt, wie groß der Einfluss des tierischen Zellplasmas auf den sich entwickelnden Embryo und die daraus resultierenden ES-Zellen ist.
VI. Adulte Stammzellen Adulte Stammzellen haben die Aufgabe, den Ist-Zustand des Körpers aufrecht zu erhalten. Sie spielen eine wichtige Rolle in Geweben, die sich ständig erneuern. Dazu zählen die meisten Gewebe im menschlichen Körper. Bekannte Beispiele für Gewebe mit hoher Erneuerungsrate sind die oberen Schichten der Haut, der Lunge und des Darms. Im Gegensatz zu ES-Zellen sind adulte Stammzellen in der Regel nicht mehr so teilungsaktiv und können nur noch bestimmte Zelltypen hervorbringen. Das bedeutet auch, dass sie eine begrenzte Kapazität haben, Zellen zu ersetzen, die durch Krankheit oder Verletzung verloren gegangen sind. Adulte Stammzellen wurden bisher unter anderem im Knochenmark, dem Skelett, den Muskeln, dem Gehirn, den Epithelien der Haut, Lunge und Verdauungsorgane, der Netzhaut, der Leber und der Bauchspeicheldrüse gefunden. Allerdings können die einzelnen adulten Stammzelltypen mitunter nicht eindeutig auf Grund ihrer morphologischen Eigenschaften im Gewebe identifiziert werden, sondern müssen beispielsweise über ihre Genaktivität definiert werden. Nach diesen Analysen eignen sich die Zellen aber meist nicht mehr für eine Transplantation. Deshalb benötigt man Oberflächenmarker, um die adulten Stammzellen identifizieren und vom umliegenden Gewebe trennen zu können. Oberflächenmarker sind Moleküle, die auf der Oberfläche von Zellen sitzen und charakteristisch für einen bestimmten Zelltyp sind. Anhand dieser Marker können Zellen im Zellverband identifiziert und gegebenenfalls auch lebend isoliert werden. Da diese Oberflächenmarker für viele Stammzellpopulationen noch nicht eindeutig definiert sind, ist eine Isolation von adulten Stammzellen aus dem Gewebe deutlich erschwert bis unmöglich. Das Problem, eindeutige Marker zu definieren, könnte daran liegen, dass die Unterschiede zwischen den adulten Stammzellen eines Gewebes und den differenzierten Zellen des Gewebes klein sind, da sie sich während der Entwicklung erst sehr spät voneinander trennen. Eine Isolation adulter Stammzellen kann darüber hinaus auch bedeuten, dass das Gewebe, in dem sie vorkommen, für ihre Gewinnung zerstört werden müsste, was zum Beispiel gegen eine Gewinnung adulter Stammzellen aus dem Gehirn sprechen würde. Sehr umstrittene Ergebnisse aus der Stammzellforschung an Mäusen zeigen, dass die Plastizität von adulten Stammzellen größer sein könnte als
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bisher angenommen. Stammzellplastizität bedeutet, dass sich aus einer teilweise spezialisierten Zelle, beispielsweise einer adulten Stammzelle, ein Zelltyp einer anderen Gewebeart entwickeln kann. So gibt es Hinweise darauf, dass aus einer adulten Blutstammzelle nicht nur Zellen des Blutes (rote und weiße Blutkörperchen) entstehen können, sondern auch Zellen anderer Gewebe, wie zum Beispiel Skelettmuskelzellen oder Nervenzellen. Diese Ergebnisse könnten für die Zellersatztherapie interessant sein, da dies die Gewinnung von Stammzellen aus Patienten selbst ermöglichen könnte (Blutstammzellen sind relativ leicht aus dem Knochenmark zu gewinnen). Das wäre wichtig, um Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen zu vermeiden, die bei fremdem Spendergewebe normalerweise nur mit einer lebenslangen Einnahme von Medikamenten unterdrückt werden können. Adulte Stammzellen könnten in vitro vermehrt und in den gewünschten Zelltyp differenziert werden, um anschließend im Körper des Patienten die fehlenden Zellen zu ersetzen. Jedoch muss darauf hingewiesen werden, dass diese Experimente aus Sicht der Grundlagenforschung mit Zweifeln behaftet sind. Es wurde gezeigt, dass eine Zellfusion zu einer Transdifferenzierung führt, beispielsweise wird aus einer spezialisierten Blutzelle durch Fusion mit undifferenzierten Zellen eine Muskelzelle. Somit könnte eine Zellfusion die beobachteten Resultate der Transdifferenzierung erklären (Medvinsky and Smith, 2003). Es ist derzeit noch unklar, ob die Transdifferenzierung auch im Organismus eine Rolle spielt, dh ob sich Stammzellen, die zum Beispiel im Blut zirkulieren, im Körper bei Bedarf in andere Gewebe integrieren können, um dort verloren gegangene Zellen zu ersetzen. Ungeklärt ist auch, ob die in Experimenten beobachtete Plastizität der adulten Stammzellen prinzipiell für etwaige Therapien eingesetzt werden kann. Dafür müsste zum einen noch geklärt werden, ob adulte Stammzellen in ausreichendem Maße teilungsaktiv sind, um genügend Zellen für eine Therapie zu erhalten. Zum anderen müsste festgestellt werden, welche Zelltypen bei einer Transdifferenzierung aus ihnen hergestellt werden können. Ein weiteres Problem mit der Transdifferenzierung adulter Stammzellen aus Patienten liegt vor, wenn die Krankheit auf einem genetischen Defekt beruht. In diesem Fall müssten die isolierten Zellen zuerst einer genetischen Veränderung (Gentherapie) unterzogen werden, die den Defekt korrigiert, bevor sie differenziert und wieder in den Körper des Patienten reimplantiert werden könnten. Anderenfalls ist zu erwarten, dass die Zellen die gleiche Krankheit wieder entwickeln, da sie nach wie vor den genetischen Defekt tragen, der initial zur Entstehung der Krankheit geführt hat.
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VII. Adulte Stammzellen im Vergleich zu ES-Zellen Adulte Stammzellen haben klare Vorteile gegenüber ES-Zellen. Ihre Gewinnung bringt nahezu keine ethischen Probleme mit sich und die Transplantation patienteneigener Zellen ruft keine Abstoßungsreaktion hervor. Sie haben aber auch gravierende Nachteile. Wie bereits diskutiert kommen sie im Körper nur in geringer Zahl vor und sind unter anderem deshalb schwer zu isolieren. Auch ist ihre Vermehrung nicht so effizient wie die von ES-Zellen, da sich adulte Stammzellen in Kultur nur begrenzt teilen. Das bedeutet, dass möglicherweise nicht genügend Zellen für eine Therapie erzeugt werden können. Außerdem ist noch nicht geklärt, welche Organe überhaupt Stammzellen besitzen und ob diese effizient in andere Zelltypen des betreffenden Organs differenziert werden können und sich somit für eine Therapie eigenen. Es ist außerdem sehr fraglich, ob gegebenenfalls die oben erwähnte Plastizität ausgenutzt werden könnte, um Zellen der Organe herzustellen, in denen man noch keine Stammzellen identifizieren konnte oder die eventuell auch keine Stammzellen besitzen. Ein weiterer Nachteil von adulten Stammzellen gegenüber ES-Zellen ist, dass sie keine klonalen Eigenschaften besitzen. Das bedeutet, dass die isolierten Zellen nicht alle gleich sind, sondern leichte Unterschiede in ihren Eigenschaften aufweisen, die man anhand der im Moment verwendeten Isolierungsmethoden beziehungsweise bekannten Oberflächenmarker gegebenenfalls nicht erkennen kann. Das hat auch zur Folge, dass die isolierten Zellen unterschiedlich auf die Kulturbedingungen reagieren und sich während der Kultur nicht nur der gewünschte, sondern auch andere Zelltypen entwickeln, was bei einer Reimplantation der Zellen zu Problemen führen könnte. Für eine erfolgreiche Transplantation aus in Kultur differenzierten Zellen muss zudem gewährleistet sein, dass genügend vollständig differenzierte Zellen gewonnen werden können. Derzeit ist es für die meisten Zelltypen effizienter, sie aus ES-Zellen zu differenzieren als aus adulten Stammzellen. Aber die meisten Protokolle, die im Moment für die Herstellung der verschiedenen Zelltypen verwendet werden, sind generell noch sehr ineffizient und bei den einzelnen Differenzierungsschritten gehen noch sehr viele Zellen verloren, da sie sich zum Beispiel in einen anderen Zelltyp differenzieren. Außerdem ist für eine erfolgreiche Transplantation wichtig, dass die Zellen auch nach der Transplantation ihre Spezialisierung nicht mehr verlieren oder ändern dürfen. Darüber hinaus müssen sich die transplantierten Zellen erfolgreich in den Zellverband integrieren, um ihre Funktion zuverlässig auszuüben.
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VIII. Induzierte, pluripotente Stammzellen – iPS-Zellen Die Gewinnung von ES-Zellen und deren Verwendung für Zellersatztherapien bringt neben großem therapeutischem Potential auch ethische (Zerstörung von Embryonen) und medizinische Probleme (Abstoßungsreaktion beim Patienten) mit sich. Eine Möglichkeit diese Probleme zu umgehen wäre es, adulte Stammzellen aus Patienten zu gewinnen und diese in den gewünschten Zelltyp zu differenzieren. Wenn dies nicht möglich ist, könnten mittels therapeutischem Klonen patienten-spezifische ES-Zellen hergestellt werden. Diese Möglichkeiten sind aber, wie bereits erläutert, nicht hinreichend erforscht, ebenfalls mit ethischen Problemen behaftet (therapeutisches Klonen) und ihre Anwendbarkeit ist noch unklar. Seit Ende letzten Jahres gibt es neue Forschungsergebnisse, die eine andere Lösung für diese Probleme aufzeigen könnten: die Herleitung von patienten-spezifischen Zellen mit ES-Zellähnlichem Verhalten aus differenzierten Zellen des Patienten selbst. Diese Zellen könnten, wie ES-Zellen, in den benötigten Zelltyp differenziert werden, um anschließend wieder in den Patienten transplantiert zu werden. Die Erzeugung dieser induzierten, pluripotenten Stammzellen (iPSZellen) wurde erstmals von Shinya Yamanaka (Institute for Frontier Medical Sciences, Kyoto University, Japan) im August 2006 veröffentlicht (Takahashi and Yamanaka, 2006). In dieser Publikation beschreiben Yamanaka und seine Kollegen, wie sie aus embryonalen und adulten Bindegewebszellen (Fibroblasten) der Maus Zellen herleiten, die Eigenschaften aufweisen, die man auch bei pluripotenten Stammzellen findet. Diese „Verjüngung“ oder Reprogrammierung der Zellen erfolgt über eine genetische Manipulation. Es wurden vier Transkriptionsfaktoren – Gene, die wiederum andere Gene regulieren – mittels Viren in das Genom der Zellen eingeschleust. Von diesen Faktoren, Oct3/4, Sox2, Klf4 und c-Myc, ist bekannt, dass Oct3/4, Sox2 und Klf4 in ES-Zellen eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der Pluripotenz spielen. C-Myc hingegen ist ein Proto-Onkogen. Das bedeutet, dass es unter bestimmten Umständen, zum Beispiel durch eine Mutation, zur Entstehung von Krebs führen kann. Während diese Eigenschaft für die Vermehrung der Zellen in Kultur von Vorteil sein kann, stellt sie für eine Therapie natürlich ein Risiko dar. Im Juni 2007 veröffentlichte Experimente zeigen, dass iPSZellen auch das Potential haben, Keimzellen zu bilden und dass sie, wenn man sie in eine Blastozyste injiziert, sich in Gewebetypen aller drei Keimblätter entwickeln können (Okita et al, 2007; Wernig et al, 2007). Beide Experimente zeigen, dass diese Zellen wirklich Schlüsseleigenschaften von pluripotenten Zellen besitzen und damit ES-Zellen sehr ähnlich sind. Allerdings traten bei 20% der Mäuse, die aus c-Myc-transformierten iPS-Zellen hervorgegangen sind, Tumore auf. Mittlerweile gibt es aber auch weitere Studien, die ein anderes Quartett an Genen, Oct3/4, Sox2, Nanog and Lin28, für die Reprogrammierung verwenden (Yu et al, 2007). Diese Methode ist zurzeit allerdings nicht so effizient wie die Verwendung von c-Myc.
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Seit der ersten Publikation, die iPS-Zellen beschrieben hat, konnte die Reprogrammierung von Mausfibroblasten in iPS-Zellen auch von zwei Forschergruppen in Japan und den USA mit humanen Fibroblasten und humanen Hautzellen durchgeführt werden (Takahashi et al, 2007; Yu et al, 2007). Diese Ergebnisse bestätigen, dass es möglich ist, differenzierte Zellen mit wenigen Genen so zu verändern, dass sie in ihren Eigenschaften pluripotenten Zellen ähneln und eröffnen somit die theoretische Möglichkeit einer effizienten und ethisch unproblematischeren Herstellung patientenspezifischer Zelltypen. Die Erzeugung von iPS-Zellen bringt aber auch offene Fragen und Probleme mit sich. Derzeit werden die Gene, die für die Reprogrammierung nötig sind, noch mittels Retroviren in die Zellen eingeschleust, die sich stabil in das Genom der transformierten Zelle integrieren. Dies birgt zum einen die Gefahr der Entstehung von Mutationen, was dann beispielsweise wiederum zu Krebs führen kann. Zum anderen bedeutet es, dass die Gene nach der Differenzierung weiter aktiv sein können und gegebenenfalls mit der Funktion der differenzierten Zelle interferieren. Es wäre deshalb wichtig, diese Viren durch andere Reagenzien zu ersetzen, die eine effiziente aber nur vorübergehende Expression der eingebrachten Gene ermöglichen. Eine Alternative zu den Retroviren könnten sogenannte „small molecules“ sein, die ungehindert durch die Membranen in das Innere der Zelle und auch in den Kern gelangen können. Dort könnten sie vorübergehend Gene an- und abschalten, und dadurch zu einer Reprogrammierung führen. Forscher unter anderem am Scripps Research Institute in San Diego, USA untersuchen diese Möglichkeit (Vogel, 2008), aber es gibt bis jetzt noch keine gesicherten Daten dazu. Auch ist noch nicht klar, auf welchem Mechanismus die Reprogrammierung von somatischen Zellen in iPS-Zellen überhaupt beruht. Bis jetzt liegt auch die Erfolgsrate der Erzeugung von iPS-Zellen bei nur 1 Zelle aus 5.000-10.000 Zellen und ist damit sehr niedrig. Für die Nutzung der iPS-Zellen für eine erfolgreiche Therapie müssen aber noch weitere Aspekte in Betracht gezogen werden. Ausdifferenzierte, somatische Zellen, die für eine Reprogrammierung verwendet werden sollen, sind Zellen, die auf Grund ihres Alters oder dadurch, dass sie toxischen Substanzen ausgesetzt waren, Veränderungen erfahren haben. Zum Beispiel können sie Mutationen akkumuliert haben, die man ihnen nicht ansieht, die aber reimplantiert im Patienten zu einem Funktionsverlust oder Entarten der Zellen führen kann. Darüber hinaus kann die iPS-Zelltherapie keine Lösung für alle Erkrankungen sein, die durch einen Verlust an Zellen ausgelöst werden. Erkrankungen, bei denen ein genetischer Defekt zum Absterben der Zellen führt, zum Beispiel bei Chorea Huntington, Morbus Parkinson oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), können nicht mit den eigenen Zellen des Patienten behandelt werden, da diese den Gendefekt tragen, der zu der Erkrankung geführt
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hat. Diese Zellen müssten erst einer Gentherapie unterzogen werden, bevor sie für eine Zellersatztherapie eingesetzt werden könnten. Bei anderen Erkrankungen, wie zum Beispiel bei einem Herzinfarkt oder einer Rückenmarksverletzung, bei denen eine Zellersatztherapie ohne Gentherapie möglich wäre, gibt es aber andere Probleme. Bei diesen Erkrankungen ist es notwendig, sehr schnell zu therapieren, da es sonst zu Narbenbildung und zu irreversiblen Folgeschäden kommen kann. In diesen Fällen wird es sehr schwer sein, patienteneigene iPS-Zellen innerhalb von Tagen zu generieren, auf ihre Sicherheit hin zu überprüfen und sie dann auch noch in den gewünschten Zelltyp zu differenzieren. Letztlich wäre zu klären, ob iPSZellen nicht auch ethisch bedenklich sind, da sie potentiell ES-Zellen ähnlich sind, und daher auch Keimzellen bilden könnten. Das bedeutet, dass sie ebenfalls das Potential haben, nach der Verschmelzung mit einem anderen Kern einen ganzen Organismus zu bilden. Trotz der diskutierten Probleme haben die iPS-Zellen ein großes Potential, in Zukunft in einer patientenspezifischen Therapie eingesetzt werden zu können. Darüber hinaus haben sie bereits unser Verständnis bezüglich der Reprogrammierbarkeit von Zellen entscheidend verändert.
IX. Differenzierung von humanen ES-Zellen in verschiedene Zelltypen Wie kann man aus humanen ES-Zellen (hES-Zellen) differenzierte Zellen erhalten? Diese Frage ist für viele Zelltypen des menschlichen Körpers nur bedingt oder noch gar nicht beantwortet. Dadurch ist es noch außerordentlich schwierig, gezielt Zelltypen, wie zum Beispiel Muskelzellen des Herzens, herzustellen. Die Kenntnisse über die Steuerung der Entwicklungsabläufe der einzelnen Zelltypen im menschlichen Körper sind noch zu ungenau, um sie in Kultur gezielt nachzuahmen (Übersichtsartikel dazu: Murry and Keller, 2008). Deshalb entstehen außer dem gewünschten Zelltyp auf dem Weg der Differenzierung in Kultur auch noch viele andere unerwünschte Zelltypen. Ziel unserer Arbeit mit hES-Zellen ist es zu verstehen, wie aus undifferenzierten, pluripotenten Zellen zuerst mesodermale Vorläuferzellen und anschließend entweder Endothelzellen oder Chondrozyten entstehen. Endothelzellen sind Zellen, die die Innenseite der Blutgefässe auskleiden, und Chondrozyten bilden Knorpel und Knochen. Wir möchten verstehen, durch welche Gene diese Spezialisierung während der Entwicklung gesteuert wird. Unser Fokus liegt dabei auf der Familie der AP-1-Transkriptionsfaktoren (Aktivatorproteine-1), die in den letzten 10 Jahren in Mausexperimenten als wichtige Regulatoren dieser Prozesse identifiziert wurden (Eferl and Wagner, 2003).
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Um dies untersuchen zu können, haben wir eine bereits etablierte embryonale Stammzelllinie am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien etabliert und Methoden entwickelt, um diese Zellen in Kultur in die gewünschten Zelltypen zu differenzieren. Die Etablierung der hES-Zellen am IMP war sehr zeitaufwendig, risikobehaftet und teuer. Zum einen wurde im Vorfeld ein Rechtsgutachten erstellt, um die rechtliche Lage bezüglich der Forschung an hES-Zellen in Österreich zu klären. Eine gesetzliche Regelung hätte das Erstellen eines Rechtsgutachtens überflüssig gemacht. Dazu kamen die Aufenthalte in den USA bei Gordon Keller an der Mount Sinai School of Medicine in New York, um das Arbeiten mit hES-Zellen zu erlernen. Bei der Etablierung der Technik im Labor am IMP in Wien wäre es hilfreich gewesen, Wissenschaftler mit Erfahrung auf eben diesem Gebiet in der Nähe zu haben. Dies hätte einen Erfahrungsaustausch ermöglicht und die Etablierung der hES-Zellen beschleunigt. Neben diesen Kosten müssen auch die Reagenzien, die für die Kultur der hES-Zellen benötigt werden, qualitativ sehr hochwertig sein und sind deshalb sehr teuer. Trotzdem unterliegen diese Produkte in der Herstellung/Zusammensetzung leichten Schwankungen. Aus diesem Grund müssen alle Reagenzien, sowie alle anderen Produkte, die mit den hES-Zellen in Berührung kommen, zum Beispiel die Plastikschalen, in denen die hES-Zellen wachsen, in Experimenten auf ihre Qualität und Tauglichkeit überprüft werden. Dies erfordert sehr viel Zeit und ist auch mit einem substanziellen finanziellen Aufwand verbunden. Die humane ES-Linie hES2, die wir im Labor etabliert haben, wurde ursprünglich im September 1997 von der Firma ES Cell International (ESI) in Singapur, beschrieben (Reubinoff et al, 2000). Diese hES2-Linie wurde von einem überzähligen Embryo, der aus einer IVF-Behandlung eines chinesischen Paares stammte, gewonnen. Nachdem sie den Embryo nicht mehr wünschten, hatte das Paar der Verwendung des Embryos zur Gewinnung von ES-Zellen zugestimmt. Diese Zustimmung erfolgte nach einer Aufklärung über eine mögliche weitere Verwendung des Embryos zur Gewinnung von hES-Zellen für die Forschung. Die hES2-Zellen wurden uns von Gordon Keller, damals Mount Sinai School of Medicine in New York, im November 2006 mit Zustimmung von Alan Coleman, ESI in Singapur, zur Verfügung gestellt. Nachdem wir diese hES2-Linie im Labor am IMP als undifferenzierte Zellen in Kultur halten konnten, war es sehr wichtig, den nächsten Schritt zu gehen und anhand bereits vorhandener Protokolle zu sehen, ob es möglich ist, diese Zellen auch unter unseren Laborbedingungen in einen spezifischen Zelltyp zu differenzieren. Wir haben zuerst versucht, die hES2-Zellen über verschiedene Zwischenstufen in Blutzellen zu spezialisieren. Dazu benutzten wir ein Protokoll, das bereits in anderen Labors etabliert wurde und uns als Kontrolle für unsere Wachstums- und Differenzierungsbedingungen dienen sollte (Kennedy et al, 2007). Nachdem wir die hES2-Zellen erfolgreich in Blutzellen spezialisieren konnten und somit gewährleistet war, dass die Zellen sich in unserem Labor
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genauso verhalten, wie es zu erwarten ist, konnten wir die Differenzierung in Endothelzellen und Chondrozyten beginnen. Dazu war es notwendig, bereits vorhandenes Wissen aus verschiedenen Modellorganismen oder vorangegangenen Studien menschlicher Erkrankungen zusammenzutragen, um daraus einen möglichen Ablauf der Entwicklung und der dafür benötigten Signale zusammenzustellen. Diese theoretischen Bedingungen wurden dann von uns in Kultur nachgestellt, um diese beiden Zelltypen aus hES2-Zellen zu erzeugen. Dafür werden die pluripotenten hES2 zuerst expandiert, um genügend Zellen für ein Experiment zu haben. Dies dauert ungefähr 4-5 Tage und geschieht noch in Gegenwart der Mausnährzellen. Danach werden die Zellen auf eine speziell beschichtete Oberfläche überführt (Matrigel), die es erlaubt die hES-Zellen vorübergehend im undifferenzierten Zustand zu halten und sie getrennt von den Mausnährzellen zu kultivieren. Dieser Schritt, die Nährzellen zu entfernen und die hES2-Zellen wachsen zu lassen, dauert wiederum ungefähr 3 Tage. Der nächste Schritt in der Differenzierung ist, dass aus den flach wachsenden hES-Zellen dreidimensionale, sogenannte embryoid bodies (EBs) entstehen. Das leitet die Differenzierung ein und die Zellen durchlaufen in begrenztem Maß einige der ersten Schritte der Embryonalentwicklung. Um EBs zu erzeugen, werden die Zellen von der Oberfläche abgelöst und bis auf kleine Zellaggregate, 10-20 Zellen pro Aggregat, vereinzelt. Auch das Medium, das die Zellen umgibt, wird mit bestimmten Faktoren angereichert, zum Beispiel Bone Morphogenic Protein 4 (BMP4), die die Bildung der EBs und den Start der Differenzierung unterstützen. Ab diesem Zeitpunkt ist es sehr wichtig, dass die Zellen die Signale für ihre Spezialisierung in der richtigen Dosis und vor allem auch zum richtigen Zeitpunkt der Entwicklung bekommen. Je nachdem, in welchen spezialisierten Zelltyp man die EBs differenzieren möchte, muss man ein Protokoll erarbeiten, das über verschiedene Zwischenstufen zu dem gewünschten Zelltyp führt (Abb 2). Um Endothelzellen und Chondrozyten aus hES2-Zellen zu differenzieren, haben wir verschiedene Medien mit verschiedenen Kombinationen von Wachstumsfaktoren zusammengestellt. Darüber hinaus wurden verschiedene Abläufe der Gabe von Wachstumsfaktoren getestet. Die hES2-Zell-EBs wurden dann unter diesen Bedingungen genau beobachtet und es wurden immer wieder Proben entnommen, die auf Marker der gewünschten Zelltypen und ihrer Vorstufen untersucht wurden. Danach haben wir die Zusammensetzung der Medien und Faktoren langsam so abgeändert, dass wir eine immer größere Ausbeute an Endothelzellen und Chondrozyten in unserer Kultur herstellen konnten. Dadurch war es uns möglich, zwei Protokolle zu entwickeln, mit denen wir effizient und zuverlässig sowohl Chondrozyten und, wenn auch nicht ganz so effizient, Endothelzellen aus hES2-Zellen zu differenzieren. Wir sind dabei, diese Protokolle weiter zu verbessern, um Bedingungen zu etablieren, die es ermöglichen, ES-Zellen zu nahezu 100% in die beiden gewünschten Zelltypen zu differenzieren. Außerdem haben wir
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begonnen, die gewonnenen Zellen auf die Expression verschiedener Gene zu untersuchen, um zu verstehen, wie die Differenzierung in Endothelzellen und Chondrozyten im Menschen gesteuert wird (H. Schönthaler, unpublizierte Daten). Die nächsten Schritte unserer Forschungsarbeit beinhalten die Analyse der differenzierten Endothelzellen und Chondrozyten unter Anwendung funktioneller Analysen in einem Mausmodell in vivo. Ein weiteres Projekt, an dem wir in Kollaboration mit dem Labor von Gordon Keller zurzeit am Toronto Medical Discovery Tower, Kanada, und Agi Grigoriadis, King’s College London, Großbritannien, arbeiten, ist die Differenzierung von Osteoklasten aus hES-Zellen. Osteoklasten sind Zellen, die Knochen abbauen. Damit haben sie beim Umbau von Knochen, zB wenn die Belastung des Skeletts sich ändert, eine wichtige Funktion. Abbildung 2: hES2-Zell Differenzierung in mesodermale Zellen
Diese Abbildung stellt die Gewinnung von Chondrozyten, Blutzellen und Epithelzellen aus hES2-Zellen dar: 1. Vermehrung der ES-Zellen in ES-Zellmedium mit Nährzellen. 2. Nach ca 4 Tagen werden die ES-Zellen auf Matrigel-beschichtete Platten überführt, um die Nährzellen zu entfernen. 3. Nach ca 3 Tagen werden die ESZellen in eine Suspensionskultur mit Differenzierungsmedium überführt. 4. Nach 2-3 Tagen bilden sich Embryoid bodies (EBs). 5. Je nach gewünschtem mesodermalen Zelltyp Überführen der EBs in spezifische Medien mit Differenzierungsfaktoren, zum Beispiel Interleukin-6 (IL-6).
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Osteopetrose, auch bekannt als Marmorknochenkrankheit und Osteoporose, Knochenschwund, entstehen durch eine Fehlfunktion von Osteoklasten. Bei beiden Erkrankungen kommt es häufig zu Frakturen, die oft nur schwer verheilen. Um diese Erkrankungen zu therapieren oder sogar heilen zu können, muss man verstehen, wie sich die Osteoklasten entwickeln und wie sie funktionieren. Aus Studien an Mäusen weiß man, dass das AP-1 Gen c-fos die Differenzierung von Osteoklasten steuert. Allerdings ist nicht bekannt, ob dieses Gen auch die gleiche Funktion in der Entwicklung humaner Osteoklasten hat. Um dieser Frage nachzugehen, haben wir Bedingungen etabliert, um aus hES-Zellen menschliche Osteoklasten zu differenzieren. Dies geschieht über eine Zwischenstufe. Zuerst werden Blutvorläuferzellen (Monozyten und Makrophagenvorläufer) induziert, die dann wiederum zu Osteoklasten differenziert werden. Diese Experimente haben gezeigt, dass die hES-Zellen die gleichen Signale und die gleiche Reihenfolge der Signale brauchen wie ES-Zellen der Maus, um sich in Osteoklasten zu entwickeln (A. Grigoriadis et al, Publikation in Vorbereitung).
X. Ausblick Die neuen Forschungsergebnisse machen Hoffnung, dass die Stammzellforschung in Zukunft zur Therapie bisher nicht oder nur schlecht behandelbarer Krankheiten angewendet werden könnte. So konnten vor kurzem hES-Zellen in Insulin-produzierende β-Zellen differenziert werden (Kroon et al, 2008). Diese Zellen zeigten sogar eine physiologische Insulin-Sekretion, nachdem sie in Mäuse transplantiert wurden, denen β-Zellen fehlen. Bemerkenswert ist, dass diese Zellen sich soweit spezialisieren konnten, dass sie Insulin als Antwort auf die Konzentration von Glukose im Blut produzierten und so die Blutzuckerwerte in physiologischen Grenzen hielten. Diese Methode wäre von großer Bedeutung für eine Zellersatztherapie bei Diabetes mellitus Typ 1. Allerdings entwickelten in dieser Studie mehr als 15% der Mäuse Teratome, was für den Einsatz in einer Therapie ein großes Problem darstellt (Kroon et al, 2008). Im Februar dieses Jahres wurde erstmals gezeigt, dass menschliche Embryonen, die sich bis zum Blastozystenstadium entwickelten, durch therapeutisches Klonen gewonnen werden konnten (French et al, 2008). Dieses Experiment wurde von einer Arbeitsgruppe der Firma Stemagen in La Jolla, Californien, durchführt. Für ihre Experimente verwendeten sie die Zellkerne von ausdifferenzierten Bindegewebszellen. Leider blieb der Beweis, dass man aus diesen geklonten, humanen Embryonen auch hES-Zellen für eine Therapie gewinnen kann, aus. Der Grund dafür war, dass die 5 erfolgreich geklonten Embryonen für andere Tests verwendet werden mussten, um zu zeigen, dass die DNA im Kern tatsächlich aus den ausdifferenzierten Bindegewebszellen stammt. Bis jetzt konnten somit aus humanen Embryonen, die
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durch therapeutisches Klonen hergestellt wurden, noch keine ES-Zellen gewonnen werden. Dass dies aber sehr wahrscheinlich möglich sein wird, zeigen Experimente mit therapeutisch geklonten Embryonen von Affen, bei denen dies im Juni 2007 gelungen ist (Byrne et al, 2007). Besonders interessant ist, dass es auch bereits Studien über die Differenzierungen von iPS-Zellen und erste Experimente für therapeutische Anwendungen gibt. So zeigte die Gruppe von Rudolf Jaenisch am Whitehead Institute for Biomedical Research, Cambridge, in zwei Arbeiten, dass iPSZellen in Blutvorläuferzellen und in Dopamin-produzierende Neurone differenziert werden können (Wernig et al, 2008). Die erste Arbeit benutzte Fibroblasten aus dem Schwanz der Maus, um daraus iPS-Zellen herzustellen, die dann wiederum in Blutvorläuferzellen differenziert wurden. In dieser Studie wurde an den gewonnen iPS-Zellen sogar eine Gentherapie durchgeführt, bevor sie wieder in die Mäuse transplantiert wurden. Bei der Gentherapie wurde das defekte Gen, das die Sichelzellanämie auslöst, durch ein gesundes ersetzt. Diese Therapie der Sichelzellanämie wurde an Mäusen erfolgreich durchgeführt (Hanna et al, 2007). In der zweiten Studie wurden aus Maus-iPS-Zellen neben anderen Nerven- und Gliazellen auch Dopamin-produzierende Neurone gewonnen. Die so erhaltenen Zellen wurden anschließend in differenzierte Nervenzellen und undifferenzierte Zellen getrennt, um das Risiko für die Entwicklung eines Teratoms zu verringern. Danach wurden die differenzierten Dopamin-produzierenden Nervenzellen in Rattengehirne transplantiert, die zuvor so geschädigt worden waren, dass sie Symptome einer Morbus-Parkinson-Erkrankung zeigten. Ratten, die ein Zell-Transplantat erhielten, zeigten nach der Transplantation eine deutliche Verbesserung der Symptome. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass sich die Zellen erfolgreich in den Verband der Gehirnzellen integriert hatten (Wernig et al, 2008). Gegner der humanen ES-Zellforschung haben sehr schnell nach der Veröffentlichung der erfolgreichen Gewinnung von iPS-Zellen den Schluss gezogen, dass jetzt die Forschung an hES-Zellen nicht mehr notwendig sei. Allerdings deuten die bereits erwähnten Probleme der Verwendung von Viren für die Erzeugung der iPS-Zellen, ihre noch ineffiziente Erzeugung und die eventuell vorhandenen Vorschädigungen der Zellen aufgrund ihres Alters darauf hin, dass man auf die hES-Zellforschung nicht so schnell verzichten kann. Außerdem kann aus den erwähnten Differenzierungsexperimenten nicht geschlossen werden, dass die iPS-Zellen sich wirklich wie ES-Zellen verhalten und ob sie stabil in die verschiedenen Zelltypen differenziert werden können. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, die iPS-Zellen mit hES-Zellen bezüglich ihrer Genaktivität, ihrem Potential, sich in verschieden Zelltypen zu differenzieren, und der Stabilität der erhaltenen Zellen zu vergleichen. In diesem Kontext sollte aber auch erwähnt werden, dass sich die bereits in verschiedenen Labors etablierten hES-Zellen in ihren Eigenschaften stark unterscheiden und noch nicht geklärt ist, wie es zu diesen
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Unterschieden kommt. Eine Möglichkeit ist, dass die Methode der hESZellgewinnung zu den beobachteten Unterschieden führt. Diese Methoden haben sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. So werden nun bei einer Isolation und der anschließenden Kultivierung von hES-Zellen deutlich weniger bzw keine tierischen Produkte mehr verwendet. Außerdem sind die Medien, mit denen die ES-Zellen kultiviert werden, in ihrer Zusammensetzung besser definiert. Das alles hilft, die Gewinnung von hES-Zellen zu standardisieren und definiertere hES-Zellen zu gewinnen. Aber um den gesamten Prozess und die Eigenschaften von Stammzellen, auch im Vergleich zu iPS-Zellen, besser zu verstehen, ist es notwendig, neue und vor allem besser definierte hES-Zellen mit den neu gewonnen Erkenntnissen zu etablieren und diese dann mit bereits vorhandenen oder mit iPS-Zellen zu vergleichen. Im Moment ist es noch sehr schwierig, hES-Zellen genetisch gezielt zu verändern. Der Grund dafür ist noch nicht klar, aber die genetische Veränderung des Genoms scheint spezies-spezifisch zu sein. So lassen sich mESZellen, im Vergleich zu hES-Zellen, verhältnismäßig leicht genetisch verändern. Diese Technik wäre aber für Gentherapien und vor allem für die Grundlagenforschung von großer Bedeutung. In der Grundlagenforschung ist es wichtig, dass man die Funktion von Genen und das Verhalten von Zellen im Organismus studieren kann. Dafür müssen die hES-Zellen genetisch so verändert werden, dass man Genfunktionen verändern kann und die transplantierten Zellen markiert sind. Diese Markierung könnte man dadurch erreichen, dass in die hES-Zellen ein Gen eingeschleust wird, wodurch die Zellen unter bestimmten Bedingungen aufleuchten. Dadurch wird es möglich, diese Zellen und ihr Verhalten zum Beispiel im Organismus einer Maus zu untersuchen. Die Funktionen bestimmter Gene während der Differenzierung von hES-Zellen können durch gezieltes An- und Abschalten analysiert werden. Zurzeit werden zahlreiche Studien in vielen Labors gemacht, um diese gezielten Veränderungen von menschlichen Genfunktionen zu etablieren. Es ist wichtig zu erwähnen, dass in Deutschland der Stichtag zum Import von hES-Zellen vor kurzem vom 1 .1. 2002 auf den 1. 5. 2007 verschoben wurde. Das bedeutet, dass Forscher in Deutschland nun mit ca 500 hESZelllinien arbeiten dürfen, während es zuvor nur 20 Linien waren. Außerdem ist es in Deutschland nicht mehr strafbar, wenn man als Forscher im Ausland mit hES-Zellen arbeitet. Unsere Erfahrungen bei der Etablierung der hES2Zellen am IMP zeigen, dass es sehr aufwendig und zeitintensiv ist, dieses Zellsystem zu etablieren. Wir würden es daher sehr begrüßen und erachten es als wünschenswert für den Wissenschaftsstandort Österreich, wenn es eine liberale gesetzliche Regelung für die Arbeiten mit hES-Zellen gäbe. Erst eine liberale Regelung der gesetzlichen Lage würde Barrieren abbauen und jene Rechtssicherheit schaffen, die es ermöglicht, dass sich mehr Wissenschaftler für diese zukunftsträchtige Forschungsrichtung entscheiden. Dadurch könnte sich eine kritische Masse an Wissenschaftlern auf dem Gebiet der modernen
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Stammzellforschung mit hES- und iPS-Zellen in Österreich finden, um dieses innovative Wissenschaftsgebiet der molekularen und therapeutischen Medizin wegweisend mitzugestalten.
XI. Danksagung Wir möchten uns beim Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien, welches von Boehringer Ingelheim gefördert wird, für die finanzielle Unterstützung bedanken. Unser spezieller Dank gilt Uta Möhle-Steinlein, welche tatkräftig an der Etablierung der hES2 Zellen in Wien mitgewirkt hat. Außerdem danken wir Ralf Dahm, Christiane Druml, Harald Isemann, Christian Kopetzki und Maria Sibilia herzlich für die Durchsicht des Manuskripts und ihre kritischen Kommentare.
XII. Literatur Byrne, J. A., Pedersen, D. A., Clepper, L. L., Nelson, M., Sanger, W. G., Gokhale, S., Wolf, D. P. and Mitalipov, S. M. (2007). Producing primate embryonic stem cells by somatic cell nuclear transfer. Nature 450, 497-502. Eferl, R. and Wagner, E. F. (2003). AP-1: a double-edged sword in tumorigenesis. Nat Rev Cancer 3, 859-68. French, A. J., Adams, C. A., Anderson, L. S., Kitchen, J. R., Hughes, M. R. and Wood, S. H. (2008). Development of human cloned blastocysts following somatic cell nuclear transfer with adult fibroblasts. Stem Cells 26, 485-93. Hanna, J., Wernig, M., Markoulaki, S., Sun, C. W., Meissner, A., Cassady, J. P., Beard, C., Brambrink, T., Wu, L. C., Townes, T. M. et al (2007). Treatment of sickle cell anemia mouse model with iPS cells generated from autologous skin. Science 318, 1920-3. Kennedy, M., D’Souza, S. L., Lynch-Kattman, M., Schwantz, S. and Keller, G. (2007). Development of the hemangioblast defines the onset of hematopoiesis in human ES cell differentiation cultures. Blood 109, 2679-87. Kroon, E., Martinson, L. A., Kadoya, K., Bang, A. G., Kelly, O. G., Eliazer, S., Young, H., Richardson, M., Smart, N. G., Cunningham, J. et al (2008). Pancreatic endoderm derived from human embryonic stem cells generates glucose-responsive insulin-secreting cells in vivo. Nat Biotechnol 26, 443-52. Lensch, M. W. and Ince, T. A. (2007). The terminology of teratocarcinomas and teratomas. Nat Biotechnol 25, 1211; author reply 1211-2. Medvinsky, A. and Smith, A. (2003). Stem cells: Fusion brings down barriers. Nature 422, 823-5. Murry, C. E. and Keller, G. (2008). Differentiation of embryonic stem cells to clinically relevant populations: lessons from embryonic development. Cell 132, 66180. Okita, K., Ichisaka, T. and Yamanaka, S. (2007). Generation of germlinecompetent induced pluripotent stem cells. Nature 448, 313-7. Reubinoff, B. E., Pera, M. F., Fong, C. Y., Trounson, A. and Bongso, A. (2000). Embryonic stem cell lines from human blastocysts: somatic differentiation in vitro. Nat Biotechnol 18, 399-404.
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Medizinische Einsatzmöglichkeiten der Stammzelltherapie: Zukunftsvisionen und derzeitige Realität Georg Weitzer
I. Einleitung In der öffentlichen Debatte über die Stammzellforschung werden Stammzellen häufig von Meinungsmachern als „Wunderwuzzis“ dargestellt und ebenso gerne von der Bevölkerung als solche angenommen. Stammzellen „können einfach alles“, und es ist nur eine Sache der zu verfeinernden medizinischen Praxis, Stammzellen auch heilbringend gegen alle nur erdenklichen Krankheiten einzusetzen. Solche Heilsversprechungen, gepaart mit ökonomischem Kalkül und biopolitischen Machtfantasien, führen zu übersteigerten Hoffnungen im medizinischen Bereich und gleichzeitig zum Aufkeimen von Angst vor der nicht-fassbaren Manipulierbarkeit und Herstellbarkeit von Leben. Hoffnung auf ein langes beschwerdefreies Leben, Hoffnung auf Heilung derzeit unheilbarer Krankheiten und Hoffnung auf optimierte Nachkommenschaft sowie Angst vor dem missbräuchlichen Einsatz, Angst um die Natur des Menschen und schließlich Angst eines jeden einzelnen um sich selbst. Unbegründete Hoffnung und Angst basieren auch auf einem Mangel an Information und Verständnis. Diesen Mangel zu minimieren, Rahmenbedingungen aufzuzeigen, innerhalb derer beides, Hoffnung und Angst, auf abwägbare Fundamente gestellt werden, das kann Naturwissenschaft leisten. Ziel dieses Buchbeitrages ist es deshalb, die naturwissenschaftlichen Rahmenbedingungen für Stammzelltherapie als eine Basis für eine geisteswissenschaftliche Betrachtung des Problemkreises zur Verfügung zu stellen. Basierend auf einem kurzen Überblick über Stammzellen-Arten, deren unterschiedliche Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten, werden beispielhaft einige experimentelle Therapieformen an Mensch und Tier vorgestellt und hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Stringenz und Effizienz bewertet. In der Folge werden zukünftige Möglichkeiten, aber auch Grenzen der auf Stammzellen basierenden Therapieformen vorgestellt und abschließend die damit verbundenen ontologischen und ethischen Probleme angesprochen.
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II. Die biologische Basis der Stammzelltherapie Um die Erfolgschancen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Stammzelltherapie beurteilen zu können und, damit eng verbunden, um eine zweifelsfreie Grundlage für die realistische Einschätzung der in den Medien verbreiteten „Erfolgsmeldungen“ aus Grundlagenforschung und klinischen Studien zu geben, ist es zuallererst notwendig einige biologische Voraussetzungen, auf denen die Idee der regenerativen Therapie mit Stammzellen basiert, zu klären und aufzuzeigen. Wenn wir von Stammzelltherapie sprechen, unterstellen wir damit bereits, dass sich Stammzellen von den anderen, den somatischen, gewebeaufbauenden Zellen wohl in irgendeiner Weise unterscheiden müssen, vor allem aber in ihrer Einsetzbarkeit zur Heilung von Krankheiten. Um diese implizierte Differenz zwischen somatischen Zellen und Stammzellen aufzuzeigen, müssen wir zuallererst deren spezifische Eigenschaften kennenlernen.
1. Stammzellarten Die historischen Wurzeln der Stammzellforschung liegen in der Gynäkologie und Pathologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit wurden erstmals Tumore der Eierstöcke, die sogenannte Teratokarzinomzellen enthielten, detailliert beschrieben. Die Untersuchung der Eigenschaften der Teratokarzinomzellen, die auch in Hoden gefunden wurden, zeigte, dass sich diese beliebig und unter Beibehaltung ihrer Eigenschaften vermehren ließen. Sie waren somit „unsterblich“ und in ihrer Teilungsfähigkeit mit den Bakterien und einfachsten kernhältigen Einzellern, den Eukaryoten, vergleichbar. Aus ihnen ging immer wieder die gleiche Art von Zellen hervor, was eben im Körper zur Ausbildung von Tumoren führte. Parallel zu dieser Entdeckung wurden zystische Tumore an verschiedenen Körperstellen beschrieben, die mehrere Gewebearten, ja sogar oft Organe wie Zähne, Knochen und Haare enthielten, und als eingewachsene, nicht weiter entwickelte Zwillinge des Patienten identifiziert wurden. Diese Befunde führten dazu, dass man diesen offensichtlich embryonalen Zellen auch die Eigenschaft zuerkennen musste, sich in die verschiedensten Gewebezellen weiter entwickeln zu können. Darauf aufbauend entwickelte sich das Konzept, dass undifferenzierte Zellen, also gleichsam „Zellen ohne Eigenschaften“, zu verschiedenen somatischen, gewebeaufbauenden Zellen differenzieren können. Im 20. Jahrhundert wurden dann durch die Erforschung der frühen Entwicklungsstadien der Tiere und während der ersten Versuche zur assistierten Fortpflanzung beim Menschen die embryonalen Stammzellen entdeckt. 1981 schließlich wurden diese von Evans, Kaufmann und Martin (Evans, 1981; Martin, 1981) als überlebensfähige Zelllinien aus Blastozysten der Maus erstmals isoliert und charakterisiert. In der folgenden, nun fast schon drei Jahrzehnte andauernden Forschung an den embryonalen Stammzellen der
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Maus haben sich zwei grundlegende Eigenschaften von Stammzellen herauskristallisiert, die auch für die 1998 erstmals isolierten menschlichen embryonalen Stammzellen (Thomson et al, 1998) zutreffend sind. Stammzellen haben das Potential der Selbsterneuerung und das Potential, zu allen vorkommenden Gewebezellen zu differenzieren. Die Experimente mit embryonalen Stammzellen, die von Zellen des frühen Embryos abstammen, führten dazu, dass neben den primären Keimzellen, die ebenfalls Stammzelleigenschaften haben, eine zweite sehr heterogene Gruppe von Stammzellen entdeckt wurde, die der somatischen Stammzellen (Tabelle 1). Diese Zellen kommen vermutlich in den meisten Geweben erwachsener Lebewesen vor und werden deshalb auch adulte Stammzellen genannt. Die prominentesten und schon seit den vierziger Jahren des 20. Jahrhundert untersuchten somatischen Stammzellen sind die blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks, die zwar noch nicht kultiviert werden können, aber seit den späten sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sehr erfolgreich bei der Therapie von Blutkrebs eingesetzt werden (Ho and Punzel, 2003). Die heterogene und großteils noch unzureichend beschriebene Gruppe der somatischen Stammzellen besteht aus Zelltypen, die in sogenannten Nischen von Geweben und Organen aufgefunden wurden. Somatische Stammzellen wurden, wie schon oben erwähnt, im Knochenmark und in den letzten 10 Jahren auch in der Brustdrüse, im Hirn, im Darm, in der Haut, im Fettgewebe und im Herzen aufgefunden. Leider ist derzeit noch sehr wenig über die Nischen, in denen somatische Stammzellen vorkommen, bekannt. Ebenso ist es mit ganz wenigen Ausnahmen noch nicht gelungen, somatische Stammzellen zu klonieren. Klonieren liefert den Beweis, dass aus einer einzigen Zelle eine sich selbst erneuernde Stammzelllinie herstellbar ist. Man kennt also noch nicht die Umweltbedingungen, unter denen diese Zellen innerhalb und außerhalb des Körpers vermehrt und zur Differenzierung angeregt werden können. Die Nische, in der embryonale Stammzellen vorkommen, und damit die Umweltbedingungen, die ihr Überleben erlauben, ist hingegen sehr gut bekannt. Es ist bei der Maus der 3 bis 4 Tage und beim Menschen der 4 bis 6 Tage alte Embryo, der auf Grund seines Aussehens auch Blastozyst genannt wird. Aus der vom Trophektoderm umgebenen inneren Zellmasse der Blastozysten werden die embryonalen Stammzellen isoliert und können, weil die Umweltbedingungen gut bekannt sind, unbegrenzt kultiviert, vermehrt und zur Differenzierung angeregt werden. Aggregiert zu sogenannten embryoid bodies (Weitzer, 2006) können aus embryonalen Stammzellen alle Zelltypen des tierischen beziehungsweise menschlichen Körpers in der Zellkulturschale hergestellt werden. Basierend auf der Kenntnis der molekularen Bedingungen für das Selbsterneuerungspotential und das Differenzierungspotential der embryonalen Stammzellen wurde in den letzten Jahren eine Strategie entwickelt, mit der
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aus Zellen der Haut von Mäusen und Menschen (Takahashi et al, 2007; Takahashi and Yamanaka, 2006; Yu et al, 2007) sowie aus Leber- und Magen-Zellen (Aoi et al, 2008) künstlich Stammzellen, sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen, hergestellt werden konnten. Diese haben sehr ähnliche, wenn nicht fast identische Eigenschaften wie embryonale Stammzellen. Ihr Selbsterneuerungs- und Differenzierungspotential wird derzeit, in der Hoffnung einen Ersatz für die embryonalen Stammzellen gefunden zu haben, intensiv untersucht. Tabelle 1: Die Arten von Stammzellen Stammzelltypen
Vorkommen
Bekannte Subtypen
Embryonal
in der inneren Zellmasse des Blastozysten
einige, fast nicht zu unterscheidende Subtypen
Somatische (adulte)
in Nischen der Gewebe und Organe
primäre Keimzellen in Embryonen Blutstammzellen des Knochenmarks Nervenstammzellen Herzstammzellen Darmstammzellen Hautstammzellen Brustdrüsengewebestammzellen Fettstammzellen
Induzierte
durch genetische Manipulation aus somatischen hergestellt
derzeit aus Haut-, Leber- und Magenzellen hergestellt, keine Subtypen bekannt
Zusammenfassend kann in sehr vereinfachender, aber nicht verfälschender Weise festgehalten werden, dass Stammzellen die Fähigkeit haben, sich unbegrenzt zu vermehren, ihre Eigenschaften uneingeschränkt zu erhalten und alle Zelltypen des Körpers (gilt für embryonale und induzierte pluripotente Stammzellen) bzw einige organspezifischen Zelltypen (gilt für somatische Stammzellen) zu bilden.
2. Die Eigenschaften der verschiedenen Stammzellarten Nachdem nun festgestellt wurde, dass es verschiedene Typen von Stammzellen gibt, soll aufgezeigt werden, worin sich diese Zelltypen unterscheiden und welche Aussagen die derzeitige experimentelle Praxis in Bezug auf zukünftige therapeutische Anwendungen erlaubt. Betrachtet man die zwei
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Eigenschaften, die allen Stammzelltypen zukommen, das Selbsterneuerungspotential und das Differenzierungspotential, so ergeben sich hier schon gravierende Unterschiede, die sich auch auf eine potentielle therapeutische Anwendung auswirken werden. Das Selbsterneuerungspotential der embryonalen Stammzellen dürfte tatsächlich unbegrenzt sein. Seit ihrer erstmaligen Isolierung im Jahr 1981 wurden hunderte von Stammzelllinien der Maus hergestellt und zumindest jeweils eine Zelllinie von circa 20 anderen Säugetieren. Bis jetzt liegen keine Berichte vor, dass eine Zelllinie trotz optimaler Behandlung ihre Stammzelleigenschaften verloren hätte. In unserem Labor existieren circa 40 embryonale Stammzelllinien der Maus, die trotz mehrmaligen Einfrierens und wieder Auftauens bis zu sechzehn Jahre unverändert ihre Stammzelleigenschaften beibehalten haben. Das Selbsterneuerungspotential kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sich diese Zellen sehr rasch teilen, sodass die Zahl der Stammzellen in Kultur sich in weniger als vierundzwanzig Stunden verdoppelt. In vivo, in der sich entwickelnden inneren Zellmasse der Blastozysten, wurden sogar Teilungsraten von weniger als sechs Stunden gemessen. Betrachtet man nun das Selbsterneuerungspotential von somatischen Stammzellen, so muss vorweg festgestellt werden, dass es bis heute mit wenigen Ausnahmen (Beltrami et al, 2007; Danner et al, 2007; Messina et al, 2004; Vanikar et al, 2007) kaum etablierte somatische Stammzelllinien gibt, an denen so etwas wie Selbsterneuerung oder gar Teilungsraten gemessen werden könnten. Bedenkt man aber die Situation in vivo, im Körper, so darf man daraus schließen, dass sich das Selbsterneuerungspotential von somatischen Stammzellen deutlich von dem embryonaler Stammzellen unterscheiden muss. Von den blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks abgesehen sollten sich Stammzellen in den Nischen der Organe alleine schon deshalb sehr langsam, wenn überhaupt, teilen, weil sonst einerseits ständig Tumore entstehen müssten und andererseits eine so große Zahl an Stammzellen vorhanden sein müsste, dass man sie leicht auffinden sollte. Letzteres ist fast nicht möglich und hat zu dem vielfachen Schluss geführt, dass wohl in den meisten Organen, wenn überhaupt, dann nur eine Stammzelle pro mehrerer hunderttausend somatischer Zellen zu finden sein wird. Ein weiteres Argument, das gegen die unbegrenzte Selbsterneuerungsfähigkeit der somatischen Stammzellen spricht, ist das Faktum, dass mit zunehmendem Alter die Regeneration unserer Organe, wie zum Beispiel der Haut, abnimmt. Ebenso können wir nicht, wie bei manchen Schwanzlurchen beobachtet, einzelne Organe oder gar Gliedmaßen nach erfolgten Verletzungen erneuern. Das Fehlen dieser Reparaturmechanismen in den meisten Organen zeigt uns, dass unsere somatischen Stammzellen im Körper von Natur aus nicht zu vermehrter Zellteilung und Differenzierung angeregt werden können. Die hier ins Treffen zu führende, und offenbar schon seit der Entstehung der Legende um Prometheus wohlbekannte, Erneuerung der Leber, ist sehr wahrscheinlich auf eine erhöhte Teilung der somatischen Leberzellen und nicht auf die Aktivität
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von noch hypothetischen Leberstammzellen zurückzuführen (Cantz et al, 2008). Zusammengenommen lassen diese Beobachtungen vermuten, dass somatische Stammzellen, so sie jemals als klonale Zelllinien kultiviert werden können, ein deutlich geringeres Selbsterneuerungspotential und eine kürzere Lebenszeit außerhalb des Körpers haben als embryonale Stammzellen. Diesbezüglich eine Aussage zu den erst kürzlich hergestellten, induzierten pluripotenten Stammzellen zu treffen, wäre verfrüht, vor allem auch deshalb, weil es nicht sehr wahrscheinlich scheint, dass mit nur vier neu eingeführten Genen wirklich alle Stammzelleigenschaften über längere Zeit erhalten werden können. Nach Tierexperimenten zu schließen, ist auch das Differenzierungspotential der verschiedenen Stammzellarten unterschiedlich ausgeprägt. Für embryonale Stammzellen wurde mit der Herstellung von chimären und transgenen Mäusen zweifelsfrei bewiesen, dass diese alle zweihundert bis zweihundertfünfzig körperaufbauenden, somatischen Zelltypen inklusive der Keimzellen bilden können. Ebenso wurden in vitro, in aus embryonalen Stammzellen hergestellten embryoid bodies alle somatischen Zelltypen gefunden, nach denen man bisher gesucht hatte (Weitzer, 2006). In einzelnen Experimenten konnten sogar Eizellen, Spermien und parthenogenetische Blastozysten aus embryonalen Stammzellen der Maus hergestellt werden (Hubner et al, 2003). Die erfolgreiche Differenzierung von humanen embryonalen Stammzellen in embryoid bodies legt nahe, dass auch diese Zellen ein uneingeschränktes Differenzierungspotential haben. Der endgültige Beweis eines uneingeschränkten Differenzierungspotentials der humanen embryonalen Stammzellen wird jedoch für immer ausbleiben, weil dies Herstellung und Fortpflanzung von zuerst chimären und dann mit heterozygoten transgenen Markern versehenen Menschen zu experimentellen Zwecken erfordern würde. Die wenigen Versuche, chimäre Tierembryonen mit Hilfe von menschlichen Stammzellen herzustellen, zeigten zwar ein Überleben der menschlichen Zellen in Mäuse- und Kuhembryonen, konnten aber die Differenzierung der menschlichen Stammzellen zu somatischen Zellen in vivo nicht beweisen (James et al, 2006). Bei den künstlich hergestellten induzierten pluripotenten Stammzellen kann derzeit, wie schon beim Selbsterneuerungspotential, nur durch einen Analogieschluss auf mit den embryonalen Stammzellen vergleichbare Eigenschaften geschlossen werden. Keine Prognosen können allerdings gemacht werden, ob diese künstlich hervorgerufene Eigenschaft auch über längere Zeit autonom erhalten werden kann. Somatische Stammzellen haben hingegen im Vergleich zu embryonalen Stammzellen ein deutlich eingeschränktes Differenzierungspotential. So differenzieren aus Herzgewebe angereicherte Stammzellen bestenfalls zu Herzmuskelzellen, zu Epithelzellen und zu glatten Muskelzellen, wie sie in den Blutgefäßen vorkommen (Srivastava and Ivey, 2006). In unserem Labor isolierte Herzstammzellen differenzieren spontan überhaupt nicht. Sie tun dies nur, wenn man ihnen zur rechten Zeit differenzierungsfördernde Boten-
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stoffe zusetzt. Auch die ursprünglich als pluripotent eingestuften verschiedenen Stammzellarten des Knochenmarks büßen mit zunehmend publizierten Ergebnissen eine nach der anderen der ihr zugedachten, aber eben nicht zu beweisenden Differenzierungsmöglichkeiten ein (Muller-Ehmsen et al, 2006). Trotzdem wird nach der noch ausstehenden Erforschung der notwendigen Umweltbedingungen eine gezielte in vitro Differenzierung der somatischen Stammzellen möglich sein. Am Beispiel der Differenzierung von Nabelschnurblut-Stammzellen zu Herzmuskelzellen wurde dies auch schon kürzlich aufgezeigt (Nishiyama et al, 2007). Auch erscheint es plausibel, dass gewebs- oder organspezifische somatische Stammzellen eben nur zu den somatischen Zelltypen differenzieren können, die auch im jeweiligen Organ vorkommen. Somit ist nach dem derzeitigen Stand der Forschung das Differenzierungspotential von somatischen Stammzellen gegenüber dem der embryonalen Stammzellen deutlich eingeschränkt. Möglicherweise verbirgt sich aber auch im einschränkten Differenzierungspotential der somatischen Stammzellen ein großer Vorteil für zukünftige therapeutische Anwendungen. Derzeit ist es unmöglich, aus embryonalen Stammzellen einen bestimmten somatischen Zelltyp rein herzustellen. Vor allem können wir nicht, selbst nicht nach geeignet erscheinender genetischer Manipulation der embryonalen Stammzellen, ausschließen, dass noch undifferenzierte Stammzellen in der für die Therapie verwendeten Zellpopulation vorhanden sind. Diese oft nicht einmal mehr nachweisbaren Stammzellen führen nach erfolgter Zelltherapie aber häufig zur Ausbildung von Tumoren in Tieren (Winkler et al, 2005). Somatische Stammzellen bilden vielleicht keine Tumore, weil sie sich in vivo kaum teilen. Außerdem dürften die wenigen möglichen Differenzierungsarten leichter und damit besser kontrollierbar sein. Somit muss neben dem Selbsterneuerungs- und dem Differenzierungspotential als dritte Eigenschaft die Differenzierungskontrolle durch stammzellinterne Faktoren definiert werden. Sie legt fest, welche somatischen Zelltypen überhaupt aus einer bestimmten Stammzelle entstehen können. In Bezug auf dieses dritte Kriterium deutet nun derzeit vieles darauf hin, dass die Gewinnung eines gewünschten Zelltyps aus gewebsspezifischen somatischen Stammzellen einfacher und weitaus effizienter erfolgen wird können, als das bei embryonalen oder induzierten pluripotenten Stammzellen der Fall ist. Die hier besprochenen Eigenschaften der verschiedenen Stammzellarten werden in Tabelle 2 nochmals gegenübergestellt und zusammen mit einigen weiteren Charakteristika oder Einschränkungen, die jeweils nur auf eine der Stammzellarten zutreffen, in Tabelle 3 zusammengefasst.
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Tabelle 2: Gegenüberstellung grundlegender Eigenschaften der Stammzellen
a
Eigenschaft
Reihung nach abnehmendem Potential
Selbsterneuerungspotential
Embryonale SZa = (?)b Induzierte SZ >> Somatische SZ
Differenzierungspotential
Embryonale SZ = (?) Induzierte SZ >> Somatische SZ
Differenzierungskontrolle
Somatische SZ >> Embryonale SZ = (?) Induzierte SZ
SZ, Stammzellen b (?) Gleichheit derzeit nur vermutet.
Tabelle 3: Für ihre medizinische Anwendbarkeit bedeutende Eigenschaften von Stammzellen Stammzellarten Eigenschaften
Somatische SZ
Embryonale SZ
Induzierte SZ
Isolierbarkeit
derzeit nicht kultivierbar; keine klonalen Stammzelllinien verfügbar
standardisierte Kultivierung von vielen klonalen Stammzelllinien
durch genetische Veränderung von somatischen Zellen
Details
kaum bekannt, weil derzeit noch nicht kultivierbar
molekulare Mechanismen der Selbsterneuerung sind teilweise bekannt; sind gleichsam unsterblich; vermehren sich sehr schnell; haben eine Selbst-Reparatur des Genoms; sind leicht genetisch veränderbar
soweit untersucht, haben sie dieselben Eigenschaften wie die embryonalen Stammzellen; enthalten noch krebsverursachende Gene
Quelle für…
… einige wenige Zelltypen, in Abhängigkeit vom Ursprungsorgan der Stammzellen
… alle somatischen und reproduktiven Zellen
… vermutlich alle somatischen und reproduktiven Zellen
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Verfügbarkeit und Kenntnis der molekularen intrazellulären Rahmenbedingungen und der zellulären und humoralen Umweltbedingungen, die das Selbsterneuerungspotential, das Differenzierungspotential und die Differenzierungskontrolle beeinflussen, sind unabdingbar notwendige, aber bei weitem noch nicht hinreichende Bedingungen für die erfolgreiche therapeutische Anwendung von somatischen Derivaten der Stammzellen. Ein weiterer Schritt in diese Richtung liegt darin, das Verhalten von endogenen, körpereigenen und transplantierten Stammzellen im gesunden und im erkrankten Organismus zu untersuchen, bevor an eine wissenschaftlich vertretbare und minimalen moralischen Kriterien entsprechende Zelltherapie gedacht werden kann.
III. Theorie der Stammzelltherapie Da der Begriff Stammzelltherapie etwas impliziert, nämlich die Therapie mit Stammzellen, die jedoch derzeit nicht einlösbar ist, bedarf es einer begrifflichen und auch methodischen Abgrenzung zwischen der theoretisch machbaren Zelltherapie und der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen derzeit unhaltbaren Stammzelltherapie.
1. Zelltherapie Zelltherapie ist das Einbringen von ausdifferenzierten somatischen Zellen in ein Organ, um dort die zerstörten oder kranken Zellen zu ersetzen und so eine Organtransplantation unnötig zu machen. Allerdings ist es derzeit vollkommen unklar, wie diese Zellen von selbst oder induziert den richtigen Ort im Organ finden sollen und dort dann auch die richtige Funktion, die zu einer Heilung führt, ausüben sollen. Auch treten hier die gleichen Probleme wie bei der Organtransplantation auf. Eine lebenslange Immunsuppression bedingt durch die unvollkommene immunologische Kompatibilität zwischen Spender und Empfänger wäre die Folge. Diese Abstossungsreaktionen nicht zu kompensieren, sondern erst gar nicht auftreten zu lassen, ist eine der größten Herausforderungen für die experimentelle Zelltherapie und führte zur Idee, die benötigten somatischen Zellen aus ausreichenden Mengen embryonaler oder somatischer Stammzellen des Patienten selbst herzustellen und diese dann für eine Zelltherapie zu verwenden.
2. Stammzelltherapie Stammzelltherapie, nach des Wortes Sinn, bedeutet das Einbringen von undifferenzierten Stammzellen in einen Organismus in der Hoffnung, dass diese „von selbst“ tun, was Heilung bringt. Dabei wird in derzeit wissen-
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schaftlich nicht begründbarer Weise angenommen, dass die undifferenzierten somatischen Stammzellen, in das erkrankte oder beschädigte Organ eingebracht, bedingt durch die „richtigen“ Umweltbedingungen sich dort und nur dort ausschließlich zu den gewünschten Zellen entwickeln. Diesem Konzept am ehesten ähnlich ist die Knochenmarkstransplantation bei an Blutkrebs erkrankten Patienten. Hierbei wird ein Teil des Organs Knochen, das Knochenmark, in die Blutbahn von Patienten eingebracht, deren eigene kranke Knochenmarkszellen zuvor durch Gift oder Strahlung zerstört worden sind. Dieser nicht strukturierte Teil des Knochens enthält unter vielen anderen Zellen auch Stammzellen, die zur Blutbildung und Knochenbildung beitragen. In den letzten Jahren konnten diese Stammzellpopulationen stark angereichert werden und so zur erfolgreich verlaufenden Therapie verwendet werden (Isidori et al, 2007). Eine in vitro Kultur und Expansion dieser Stammzellen ist aber noch immer nicht möglich. Folglich bedarf es bei dieser Art von Stammzelltherapie immer noch eines Spenders, was alle Komplikationen und Folgeerscheinungen der klassischen Organspende mit sich bringt. Die alternative Verwendung von Stammzellenpopulationen aus dem Nabelschnurblut ist noch dadurch eingeschränkt, dass mit der derzeit erzeugbaren geringen Zellzahl nur kleine Kinder sinnvoll therapiert werden können. Viel schwerwiegender ist jedoch die Tatsache, dass viele im Kindesalter ausbrechende Erkrankungen genetische Ursachen haben, und somit gerade auch die autologen, also vom Patienten stammenden Nabelschnurblutzellen betroffen sind. Folglich wird dadurch eine anhaltende Heilung sehr unwahrscheinlich. Abhilfe würde eine vorhergehende Gentherapie an diesen Nabelschnurblutstammzellen schaffen. Diese setzt aber wieder eine beliebige Vermehrbarkeit und Selektionierbarkeit dieser Zellen in vitro voraus. Das genau ist aber derzeit noch nicht möglich! Selbiges gilt auch für alle nachgewiesenen und vermuteten somatischen Stammzellen aus adulten Geweben und Organen. Derzeit sind somatische Stammzellen noch nicht wirklich gut kultivierbar. Das heißt, man kennt nicht die Bedingungen, die es erlauben, sie außerhalb des Körpers über längere Zeit hinweg zu vermehren. Dadurch gibt es, wenn man von den direkt aus Knochenmarksspendern gewonnenen Blutstammzellen absieht, derzeit keine therapeutische Anwendbarkeit für somatische Stammzellen. Hoffnung auf zukünftigen Erfolg gibt jedoch die stärker ausgeprägte Differenzierungskontrolle der derzeit bekannten gewebsspezifischen somatischen Stammzellen, die darauf hindeutet, dass aus diesen mit weitaus größerer Effizienz als aus embryonalen oder induzierten Stammzellen ein gewünschter Zelltyp für therapeutische Anwendungen gewonnen werden kann. Gleichzeitig nährt dieser Befund aber auch die Vermutung, dass somatische Stammzellen aus verschiedenen Geweben unterschiedliche Eigenschaften haben. Deren Unkenntnis stellt eine noch zu überwindende Hürde auf dem Weg zu einer gewebsspezifischen Zelltherapie dar.
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Leider mehren sich zunehmend experimentelle Ergebnisse, die gegen das Konzept der Therapie mit undifferenzierten somatischen Stammzellen sprechen. So wurde die These, dass somatische Stammzellen eben nur das „Richtige“ machen, bei dem derzeit bei Lebenden einzigen zugänglichen Organ mit Stammzellen, dem Knochenmark, in vivo nicht bestätigt. Erste Hinweise darauf kommen aus Tierexperimenten, in denen Zellpopulationen des Knochenmarks zur Therapie des durch einen Infarkt geschädigten Herzens verwendet wurden. Injiziert man gereinigte Knochenmarksstammzellpopulationen in ein durch einen Infarkt geschädigtes Herz, so bilden sich nur in ganz seltenen Fällen Herzmuskelzellen, aber dafür in einigen Fällen knochenartige Strukturen, die das Herz wahrscheinlich noch weitaus mehr schädigen als das normalerweise nach einem Herzinfarkt entstehende Narbengewebe (Breitbach et al, 2007). Alle anderen Ideen zur Stammzelltherapie basieren auf den in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts propagierten Frischzellenkuren. Erfolgsmeldungen darüber entbehren jedoch ausnahmslos jedweder wissenschaftlicher Basis. Trotzdem werden sogenannte Frischzellenkuren aber noch immer als sehr teurer und wahrscheinlich nutzloser Versuch, den alternden Körper zu verjüngen, angeboten. In allen Fällen wäre bei einer Anwendung von undifferenzierten, sich selbst erneuernden Stammzellen mit hohem Selbsterneuerungspotential die Gefahr der Entstehung von Tumoren sehr groß. Dieses unverhältnismäßig große Risiko für den Patienten verweist die Stammzelltherapie, solange nicht grundlegende neue Forschungsergebnisse über das Verhalten von Stammzellen und ihre Funktion im gesunden und kranken Körper vorliegen, schon alleine aus wissenschaftlichen Gründen in das Reich der Fiktion.
3. Von der Stammzelle zur Zelltherapie Um nicht unter dem Damoklesschwert der immunologischen Abstoßung eines transplantierten Organs, welches nur am „Pferdehaar“ der lebenslangen Immunsuppression hängt, sitzen zu müssen, wurde die Idee, immunologisch kompatible Zellen zu verwenden, geboren. Das Einfachste wäre, Zellen des Patienten zu verwenden. Da aber das zu heilende Organ schon erkrankt ist, stehen in der Regel keine körpereigenen Stammzellen daraus zur Verfügung. Die nächstliegende Alternative wäre dann, eine genügend große Zellbank von embryonalen und somatischen Stammzellen, die alle denkbaren immunologischen Varianten des Menschen abdeckt, herzustellen. Aus dieser könnte dann theoretisch jeder beliebige somatische Zelltyp mit den „richtigen“ immunologischen Eigenschaften für die Zelltherapie hergestellt werden. Die Etablierung einer solchen Zellbank wird aber noch viele Jahre Grundlagenforschung benötigen, ist doch alleine schon die Hürde der Herstellung von reinen somatischen Zellen eines einzigen Typs aus somatischen und embryonalen Stammzellen derzeit nicht zu überwinden. Mit diesem Vorschlag begeben wir
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uns aber bereits ins Reich der Fiktion und werden alle weiteren Möglichkeiten der von Stammzellen ausgehenden Zelltherapie unter dem abschließenden Kapitel „Zukunft der Zelltherapie“ behandeln. Nüchtern muss hier festgestellt werden, dass Stammzelltherapie im eigentlichen Sinn des Wortes heute nicht möglich ist und, wie wir im nächsten Kapitel an Hand einiger gut dokumentierter und analysierter klinischer Studien sehen werden, selbst Zelltherapie, so wie wir sie heute beherrschen, oft noch äußerst zweifelhafte Ergebnisse liefert.
IV. Derzeitige Praxis der sogenannten Stammzelltherapie Am einfachsten lässt sich die derzeitige Praxis bezüglich der embryonalen Stammzellen darstellen. Eine therapeutische Anwendung ist hier im Tierexperiment bereits möglich. So wurden die Folgen des Herzinfarkt gelindert (Tateishi et al, 2007), Zuckerkrankheit und Schüttellähmung geheilt und erste Erfolge bei der Querschnittslähmung erzielt. Die Frage, warum nun diese Ergebnisse nicht umgehend in erste klinische Studien umgesetzt werden, um so rasch Therapien für derzeit unheilbare Krankheiten zu entwickeln, lässt sich ganz kurz beantworten. Wir können diese aus den embryonalen Stammzellen entstehenden somatischen Zellen nicht so reinigen, dass die Tumorbildung durch die wenigen verbleibenden undifferenzierten Zellen ausgeschlossen werden kann. Bei einer der wenigen bis jetzt isolierten somatischen Stammzellen, einer Art Herzstammzelle (Tateishi et al, 2007), konnte zwar schon ein Therapieversuch am Tier durchgeführt werden, aber dessen Effizienz und Sicherheit wurde noch nicht gezeigt. Voraussichtlich wird es noch viele Jahre an Grundlagenforschung und Tierexperimenten benötigen, bis erste klinische Studien am Menschen durchgeführt werden können. Von den induzierten pluripotenten Stammzellen müssen wir nach dem derzeitigen Stand des Wissens annehmen, dass sie sich gleich oder, wegen der in ihr Genom integrierten retroviralen Sequenzen, sogar schlechter als embryonale Stammzellen für die Therapie eignen werden. Ermutigt durch die erfolgreiche Therapie bestimmter Blutkrebsarten mit Knochenmarkszellpopulationen werden schon seit etwa acht Jahren klinische Experimente mit ähnlichen Zellpopulationen an Herzinfarktpatienten durchgeführt. Ebenso wird seit einigen Jahren eine methodisch sehr ähnliche Therapie an Patienten mit Zuckerkrankheit vom Typ I erprobt. Bei dieser Art von Zuckerkrankheit werden die insulinproduzierenden Beta-Zellen durch eine Autoimmunreaktion zerstört. Gemeinsam ist diesen beiden experimentellen Therapieversuchen, dass Knochenmarksstammzellen durch die Gabe von Wachstumsfaktoren zur Vermehrung angeregt werden und diese dann entweder aus dem Knochenmark des Beckenknochens oder durch Leukapherese aus dem peripheren Blut gewonnen werden. Die gesammelten Zellen
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werden dann kurzzeitig eingefroren oder auch gleich verwendet, indem man sie in die Herzkranzgefäße mittels eines Herzkatheters einbringt oder wie bei der Zuckerkrankheittherapie systemisch appliziert. Dann werden sie in allen Fällen in der wissenschaftlich unbegründeten Hoffnung, dass „sie schon wissen werden, was zu tun sei“, sich selbst überlassen. Wochen später wird dann versucht, eine Leistungssteigerung des Herzens zu erfassen beziehungsweise die Produktion von Insulin nachzuweisen.
1. Therapieversuche nach Herzinfarkt Zu den Injektionstherapien des Herzinfarktes mit körpereigenen Knochenmarkszellpopulationen gibt es seit Ende 2007 eine erste Metaanalyse, die die Effizienz von zehn klinischen Studien mit insgesamt fast 700 Patienten analysiert (Lipinski et al, 2007). Vergleichend wurde festgestellt, dass die Pumpleistung des Herzens um 3% zunahm und die Größe des durch den Infarkt geschädigten Gebietes im Herzmuskel um -5,5% abnahm. Diese Daten sind, wenn mit denen der nicht mit Zellen behandelten Patienten verglichen, alle an der Grenze der statistischen Signifikanz angesiedelt, und was noch viel wichtiger ist, diese geringe Veränderung der Messdaten schließt mit großer Wahrscheinlichkeit eine fühlbare Verbesserung der Lebenssituation durch den Patienten aus. Dies läßt sich veranschaulichen, indem man folgenden Vergleich zieht: Ein Patient mit einem massiven Herzinfarkt kann, so er diesen überhaupt überlebt, vielleicht vier oder fünf Stufen einer Treppe zwischen zwei Stockwerken bewältigen, bevor er durch Atemnot gezwungen wird, eine Pause einzulegen. Nach erfolgreicher Therapie mit den Knochenmarkszellpopulationen kann er vielleicht an Stelle von fünf Stufen sieben oder acht Stufen hochsteigen, bevor er innehalten muss. Das nächste Stockwerk, hier sinnbildlich für eine normale Lebensleistung, ist aber dreißig oder vierzig Stufen entfernt! Folglich bringt die Therapie, so wie sie derzeit durchgeführt wird, keine Verbesserung der Lebensqualität mit sich. Zusätzlich ist hier als Einwand geltend zu machen, dass es bisher keine gesicherten Hinweise gibt, dass diese Leistungssteigerung tatsächlich durch die injizierten Zellen bewirkt wurde. Auf Grund fehlender Kontrollexperimente mit Patienten kann nicht ausgeschlossen werden, dass die verwendeten Wachstumsfaktoren die Leistungssteigerung des Herzmuskels bewirkt haben. In Tierexperimenten konnte mit vergleichbaren Therapien neben anfänglichen Erfolgsmeldungen (Dawn et al, 2005) keine Ausbildung von Herzmuskelzellen oder Blutgefäßen durch die verwendeten Zellpopulationen nachgewiesen werden (Deten et al, 2005). Trotzdem scheuen sich manche Forscher, Medien und Politiker nicht, aus geglückter Therapie an einzelnen Patienten (Brehm and Strauer, 2007), die einem Wunder oder einer Spontanheilungen gleichen, den Schluss zu ziehen, dass es bereits hinlänglich gezeigt wurde, dass Stammzelltherapie „so funktioniere“ und somit andere Therapieansätze, wie mit aus embryonalen Stammzellen hergestellten Herzzellen, erst gar nicht weiter erforscht werden sollen.
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Rational begründen oder gar wissenschaftlich untermauern lässt sich der Vorschlag, die Forschung solcher Art einzugrenzen, nicht.
2. Therapieversuche nach Ausbruch der Zuckerkrankheit vom Typ 1 Einem brasilianischen Forscher- und Ärzteteam ist es ebenfalls 2007 gelungen, dreizehn von fünfzehn Patienten von einer autoimmunologisch bedingten Zuckerkrankheit mit einer kombinierten Immunsuppressionstherapie und sogenannten „Stammzelltherapie“ mit Knochenmarkszellpopulationen temporär zu heilen (Voltarelli et al, 2007). Jedoch wurde auch hier wieder, wie im vorhergehenden Kapitel schon dargestellt, fälschlicher Weise von Stammzelltherapie gesprochen, obwohl kein wissenschaftlich fundierter Zusammenhang zwischen Insulinproduktion und der Injektion der Knochenmarkszellpopulation hergestellt werden konnte. Wenigstes wurde in diesem Fall in seriöser Weise die Möglichkeit diskutiert, dass der eingetretene Effekt auch auf die verwendeten Wachstumsfaktoren zurückgeführt werden könnte. Diese Darstellung veranschaulicht, dass diese Therapieformen erst am Anfang ihrer Entwicklung stehen und noch lange nicht zu einer anhaltenden Heilung des Patienten führen werden. Weiters wurde hier evident, dass selbst viele Wissenschaftler und Ärzte in der Öffentlichkeit immer wieder von Stammzelltherapie reden, aber eigentlich Zelltherapie meinen. Der Einfluss von Stammzellen auf die Therapieerfolge wurde noch nie gezeigt. Um zu einer wissenschaftlich fundierten und anhaltenden Stammzelltherapie zu kommen, werden noch vielfältige und Jahre dauernde experimentelle Studien mit allen Stammzelltypen durch die Grundlagenwissenschaften von Nöten sein. Trotzdem gilt: „Wer heilt, hat recht“. Also sollte auch durchaus parallel zur Grundlagenforschung, aber eben nicht ausschließlich, mit klinischen Experimenten am Menschen weitergemacht werden.
V. Zukunft der Stammzelltherapie Wenn man dem zustimmt, dass Forschung weiter zu betreiben ist, dass unabhängig, aber nicht unbedacht von gesellschaftlichen und religiösen Ansprüchen, alle Möglichkeiten einer dem Menschen dienenden Stammzelltherapie zu untersuchen seien, dann kommt man auch nicht darum herum, neue Theorien und praktische Möglichkeiten aufzuzeigen – auch wenn diese vorerst noch so abstoßend für manche Menschen erscheinen mögen. Eine derzeit in aller Munde befindliche, aber deswegen nicht erfolgversprechendere Strategie basiert auf den kürzlich hergestellten induzierten pluripotenten Stammzellen. Hier könnte erstmals, wenn alle zuvor genannten Hinderungsgründe ausgeräumt sind, eine Basis für eine personalisierte Medizin geschaffen werden, indem aus körpereigenen, immunologisch
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kompatiblen Zellen therapeutisch nutzbringende Zellen hergestellt werden. Ebenso könnte durch das sehr kontroversiell betrachtete therapeutische Klonen von Blastozysten und das Herstellen von embryonalen Stammzelllinien daraus eine personenbezogene Therapie entwickelt werden. Derzeit bedarf es dafür aber immer noch Eizellen und damit bleibt das Problem der immunologischen Abstoßung dieser so hergestellten Zellen zumindest bei Männern erhalten. Vorstellbar ist aber auch, dass einmal, wenn die Eigenheiten der Eizellen hinlänglich bekannt sein werden, ähnlich wie bei den induzierten pluripotenten Stammzellen, künstliche Zellen mit den Eigenschaften von Eizellen von beiden Geschlechtern hergestellt werden können. Dann wäre diese Art der personalisierten Zelltherapie auch für Männer geeignet. Überdies würde durch die Herstellbarkeit von induzierten Eizellen die Gefahr der Instrumentalisierung der Frau als Eizellenspenderin wegfallen. Sobald auch induzierte Spermien herstellbar werden, würde die derzeitig evidente Konkurrenz zwischen Embryonenforschung und assistierter Fortpflanzung gegenstandslos werden. Diese Befreiung der Keimzellen von ihrer Einzigartigkeit und einem darin begründeten „Fortpflanzungsgebot“ würde dann auch eine neue moralische Bewertung der Praktiken in Embryonenforschung und Stammzellenbiotechnologie möglich machen. Eine vollkommen andere, das derzeit noch sehr ineffiziente und unsichere Klonen vermeidende Strategie, um immunkompatible Zellen zu erhalten, wäre das Anlegen einer embryonalen Stammzellbank mit allen erdenklichen im Menschen vorkommenden Variationen der immunologisch relevanten Proteine. Blastozysten für diese Zellbank könnten durch die in vitro Befruchtung von Eiern mit Spermien, die beide durch in vitro Reifung aus den primären Geschlechtsorganen von jugendlichen und gesunden Unfallopfern gewonnen würden, hergestellt werden. Ob die Entnahme von primären Geschlechtsorganen bedenklicher sei als die Entnahme von Herz, Niere oder Leber aus hirntoten menschlichen Körpern, muss dabei erst diskutiert werden. Schließlich wurde mit der Fertigstellung des ersten künstlichen Genoms von Mycoplasma genitalium (Gibson et al, 2008) am J. Craig Venter Institut in den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Ausblick auf die Schaffung eines künstlichen Mycoplasma laboratorium Genoms erstmals der Weg zur Herstellung künstlicher Zellen bereitet. Diese Zellen könnten dann auch für verschiedene Zelltherapien konstruiert, hergestellt und verwendet werden. All das ist aber eindeutig Zukunftsmusik und nicht in den nächsten beiden Jahrzehnten zu realisieren. Das Ideal einer gentechnikfreien, immunkompatiblen und ethisch wenig bedenklichen Praxis wäre das folgende Vorgehen: Man gewinne lebende Zellen des zu behandelnden Patienten durch eine nicht- oder minimal invasive Methode, vermehre diese Zellen in Kulturschalen ad libitum und gebe mit Hilfe eines vollautomatischen Programms Substanzen und Botenstoffe zu der Kultur der Zellen, die bewirken, dass die Zellen mit den gewünschten Eigen-
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schaften entstehen, und zwar nur diese Zellen und keine anderen. Schließlich werden die Zellen über die Blutbahn dem zu therapierenden Organ so zugeführt, dass sie ausschließlich die defekten Zellen am richtigen Ort ersetzten und sonst nirgends Fuß fassen können. Die Prämisse für ein so ideales therapeutisches Konzept ist aber schlichtweg die Kenntnis einer „Weltenformel“, die Leben in allen seinen Facetten beschreibt und manipulativ zugänglich macht. Wir haben es hier mit keiner anderen Situation zu tun als der, in der sich die Alchemisten seit der Antike auf der Suche nach El Iksir, dem Stein der Weisen, befinden. Ein erster Schritt in diese Richtung gelang kürzlich (Behfar et al, 2007), indem Herzzellen aus embryonalen Stammzellen mit Hilfe von Wachstumsfaktoren so hergestellt wurden, dass sie nach Implantation in den Herzmuskel von Mäusen keinen Tumor mehr bildeten und funktionell in das Herzmuskelgewebe integrierten. Experimentelle Ergebnisse dieser Art lassen hoffen, dass wir in die richtige Richtung gehen, wenn auch der Weg zu einer sicheren und für alle Menschen leistbaren Zelltherapie noch sehr weit verzweigt zu sein scheint. Mit zunehmender Kenntnis und Anwendbarkeit der biologischen Rahmenbedingungen, die eine effiziente und sichere Herstellung von somatischen Zellen erlauben, wird sich sicherlich zeigen, welche der derzeit bekannten oder noch aufzufindenden Stammzellenarten die am besten geeignete für eine bestimmte therapeutische Anwendung darstellt. Jetzt schon die Weichen in Richtung somatische, induzierte oder embryonale Stammzellen zu stellen, ist Hybris. Aus den hier beschriebenen zukünftigen Zell- oder Stammzelltherapiemöglichkeiten sowie schon aus den bereits durchgeführten ZelltherapieExperimenten ergeben sich aber auch vielfältige außernaturwissenschaftliche Probleme, die im abschließenden Kapitel angesprochen werden sollen.
VI. Außernaturwissenschaftliche Probleme Die Tatsache, dass mit dem Herstellen von embryonalen Stammzellen das Vernichten von Embryonen verbunden ist, macht eine ethische und politische Diskussion über die Stammzellforschung und Therapie notwendig. Nicht weniger bedeutend ist aber der Ausblick, dass zukünftig nicht nur Leben genommen, sondern auch gegeben, eben hergestellt werden kann. Dieses Faktum stellt in noch viel bedrohlicher erscheinender Weise unser derzeitiges Selbstverständnis und das Verständnis von Welt, Natur oder Schöpfung in Frage. Dies erfordert mit Recht eine ontologische und ethische Abklärung der eingetretenen Situation. Im Wesentlichen geht es darum, ob es Grenzen gibt, die von außerhalb der Naturwissenschaften auf das Handeln des Menschen in Forschung und klinischer Praxis so einwirken, dass Therapie, ja sogar Wissenserwerb juristisch oder theologisch eingeschränkt oder gar verboten werden kann oder muss?
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Neben den oben aufgezeigten mit der Materie selbst verbundenen Problemen, die allesamt auf einem behebbaren Mangel an Theorie und Praxis der Stammzellforschung und Therapie basieren, erscheint hier als zusätzliches Problem das inkohärente Selbstverständnis des Menschen als ein in eine zunehmend manipulierbare Natur eingebettetes Lebewesen. Die zentrale wenn auch facettenreiche Frage befasst sich hier mit der Bewertung von Leben und damit auch vorrangig mit dessen Schutzwürdigkeit. Unser Konzept von Lebensschutz basiert auf einer Reihe von bewussten und unbewussten, historisch gewachsenen Vorstellungen über Beziehungen und Unterscheidungen zwischen Leben im Allgemeinen und dem konkreten Leben einer Person, der im sozialen Kontext oder eben a priori Würde zuerkannt wird. Darauf basiert auch die Problematik der Einordnung von nicht-personalem Leben oder gar künstlich hergestelltem Leben in unsere gängigen Welt- und Menschenbilder. Damit stellt sich die wissenschaftlich zu lösende Aufgabe, die historisch-sozialen Wurzeln dieser Bezugnahme auf Leben und der Abgrenzung von Lebensformen untereinander aufzuzeigen und möglichst den Begriff Leben von Tabus und von aus einem Mangel an Naturverständnis entwachsenen Vorurteilen zu befreien. So erscheint es heutzutage immer wahrscheinlicher, dass wir auch mit all unseren geistigen Fähigkeiten nur eine winzige, unbedeutende und vor allem zeitlich sehr begrenzte Lebensform im Universum sind. Diesem „Bedeutungsverlust“ entgegenwirkend gelingt es dem Menschen in zunehmendem Maße und für viele in erschreckender Weise, seine eigene Natur zu manipulieren. Dies hat schwerwiegende Konsequenzen für den uns selbst zugedachten ontologischen Status und erfordert wohl auch eine Neupositionierung und Differenzierung des moralischen Status des Menschen als soziales Wesen und als ein unterschiedlichen biologischen Entwicklungsstufen unterliegendes Leben. Dass hier unterschiedliche Maßstäbe geltend gemacht wurden und werden, zeigt unter anderem ein Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung des Tötungsverbotes. Die ethisch begründeten Argumente für ein Tötungsverbot in der Geschichte der Menschheit unterliegen einer großen Varianz. Sie waren nie allumfassend, sondern berücksichtigten immer das Gewalt- und damit auch Tötungsmonopol eines wie auch immer zu benennenden Souveräns (Deuser, 2002). Alleine schon Nahrungsaufnahme ist Töten, und somit ist Töten ein notwendiger Akt, der das Überleben sowohl der Art als auch des Individuums ermöglicht. Darüber kann kein auch noch so altruistisch konzipiertes Menschen- und Weltbild hinwegtäuschen. Aber gerade wohl deshalb unterliegt das Töten, das Leben-Beenden, wohl in allen Gesellschaften rigorosen Gesetzen. Neu kommt nun aber hinzu, dass wir auch Leben herstellen werden können. Welchen moralischen Status dieses Leben hat, ist vollkommen offen. Umso mehr wird es neuer Gesetze bedürfen, die das Herstellen von Leben und das Beenden desselben regulieren. Um diese aufkeimenden und bereits existierenden Probleme einer Lösung näher zu bringen, sind die Geisteswissenschaften, insbesondere aber die
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Philosophie mit ihren ontologischen und ethischen Fachbereichen, die Sozialwissenschaften und die Theologie aufgefordert nicht nur nachzudenken, sondern gerade hier im besonderen Maße im Bezug auf ein neues adäquates Menschenbild vorauszudenken. Allem voran sollte dabei auf den aktuellen Stand unseres Wissens über das Entstehen von Leben, dessen Weitergabe und dessen materielle Bedingtheit in dieser Welt Bezug genommen werden, um so ein von allen annehmbares Menschen- und Weltbild auf eine naturwissenschaftlich halt- und begründbare Basis zu stellen. Dabei soll es nicht um einen „Bildersturm“ unserer Menschenbilder gehen, sondern vielmehr um eine dynamische und offene Neupositionierung der Fragen, die mit der Schutzwürdigkeit des Menschen im Besonderen und dem Leben im Allgemeinen im Zusammenhang stehen. Um dieses komplexe, alle Menschen betreffende Problem einer Lösung näher zu bringen, bedarf es intensiver, und vor allem von Gesellschaft und Staat wahrgenommener und geförderter, multidisziplinärer und interdisziplinärer Forschungsarbeit. Das Ziel muss es sein, langfristige Lösungen derart auszuarbeiten, dass sie in einer multikulturellen und offenen Gesellschaft Akzeptanz finden können.
VII. Literatur Aoi, T., Yae, K., Nakagawa, M., Ichisaka, T., Okita, K., Takahashi, K., Chiba, T., and Yamanaka, S. (2008). Generation of Pluripotent Stem Cells from Adult Mouse Liver and Stomach Cells. Science. in press. Behfar, A., Perez-Terzic, C., Faustino, R. S., Arrell, D. K., Hodgson, D. M., Yamada, S., Puceat, M., Niederlander, N., Alekseev, A. E., Zingman, L. V., and Terzic, A. (2007). Cardiopoietic programming of embryonic stem cells for tumor-free heart repair. J Exp Med 204, 405-420. Beltrami, A. P., Cesselli, D., Bergamin, N., Marcon, P., Rigo, S., Puppato, E., D’Aurizio, F., Verardo, R., Piazza, S., Pignatelli, A., et al (2007). Multipotent cells can be generated in vitro from several adult human organs (heart, liver, and bone marrow). Blood 110, 3438-3446. Brehm, M. and Strauer, B. E. (2007). Successful therapy of patients in therapyresistant cardiogenic shock with intracoronary, autologous bone marrow stem cell transplantation. Dtsch Med Wochenschr 132, 1944-1948. Breitbach, M., Bostani, T., Roell, W., Xia, Y., Dewald, O., Nygren, J. M., Fries, J. W., Tiemann, K., Bohlen, H., Hescheler, J., et al (2007). Potential risks of bone marrow cell transplantation into infarcted hearts. Blood 110, 1362-1369. Cantz, T., Manns, M. P. and Ott, M. (2008). Stem cells in liver regeneration and therapy. Cell Tissue Res 331, 271-282. Danner, S., Kajahn, J., Geismann, C., Klink, E. and Kruse, C. (2007). Derivation of oocyte-like cells from a clonal pancreatic stem cell line. Mol Hum Reprod 13, 1120. Dawn, B., Stein, A. B., Urbanek, K., Rota, M., Whang, B., Rastaldo, R., Torella, D., Tang, X. L., Rezazadeh, A., Kajstura, J. et al (2005). Cardiac stem cells delivered intravascularly traverse the vessel barrier, regenerate infarcted myocardium, and improve cardiac function. Proc Natl Acad Sci U S A 102, 3766-3771.
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Ökonomische Perspektiven der Stammzellforschung Christine Mannhalter
I. Einleitung Die Weiterentwicklung der Transplantationstechnologien in den letzten Jahren und die damit verbundenen Möglichkeiten der Behandlung zahlreicher Erkrankungen haben dazu geführt, dass die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage transplantierbarer Organe immer größer wird. Viele Forscher hoffen daher, dass Stammzellen die Basis zur Herstellung von Gewebe und schließlich zum Ersatz des kranken Organs/Gewebes darstellen könnten. Diese Hoffnung begründet sich zum Teil auf dem erfolgreichen Einsatz adulter, hämatopoietischer Stammzellen zur Behandlung hämatologischer Systemerkrankungen und angeborener Blutkrankheiten (1-5) sowie auf Hinweise, dass aus Blutstammzellen nicht nur Blutzellen, sondern auch andere Gewebezellen entstehen können (6-8). Die Stammzellforschung steht allerdings, ungeachtet von vielversprechenden ersten Ergebnissen, noch ganz am Anfang. Derzeit handelt es sich weitgehend um Grundlagenforschung mit der Zielsetzung, Erkenntnisse über die Differenzierungs- und Transdifferenzierungspotentiale unterschiedlicher Progenitorzellen, wie zB adulter Stammzellen, umbilikaler Stammzellen, fötaler Stammzellen und embryonaler Stammzellen zu erhalten. Natürlich hat diese medizinisch orientierte Grundlagenforschung das Ziel, das Wohl gegenwärtiger und künftiger Patienten sicherzustellen. Da Bemühungen um verbesserte Behandlungsmöglichkeiten ein hohes ethisches und soziales Gut darstellen, ist die Stammzellforschung prinzipiell unter Wahrung ethischer Grundsätze zu bejahen und öffentlich förderungswürdig.
II. Einsatz von Stammzellen in der Therapie hämatologischer Erkrankungen Grundsätzlich muss man zwischen der Applikation im Rahmen einer allogenen oder autologen Transplantation unterscheiden. Bei der allogenen Trans-
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plantation werden Stammzellen eines Spenders entnommen und auf eine andere Person übertragen. Nach der erfolgreichen Transplantation werden die transplantierten hämatopoetischen Stammzellen beim Empfänger eine Repopulation des Knochenmarks bewirken und als Grundlage der Produktion von Blutzellen dienen. Bei der autologen Transplantation sind Spender und Empfänger ein und dieselbe Person. Die Stammzellen können zB aus dem Knochenmark oder aus Nabelschnurblut gewonnen werden. Bei Gewinnung aus Nabelschnur werden die Zellen unmittelbar nach der Geburt isoliert und tiefgefroren aufbewahrt. Weltweit wurden bereits zahlreiche allogene Transplantationen zur Behandlung hämatologischer Systemerkrankungen und angeborener Blutkrankheiten mit Nabelschnurblut-Stammzellen durchgeführt. In Europa stammen Zellen für ca 2% der allogenen Stammzelltransplantationen aus Nabelschnurblut. Allerdings ist zurzeit die Stabilität, Sicherheit und therapeutische Wirksamkeit kryokonservierter Nabelschnurstammzellen nach langen Lagerzeiten (über 10 Jahre) noch nicht durch größere Studien erwiesen. Eine weitere Einschränkung war bis vor kurzem, dass die Menge an Stammzellen, die aus einer Nabelschnur gewonnen werden kann, nur zur Transplantation von Personen mit einem Körpergewicht von etwa 40 kg ausreicht, um eine bleibende Blutbildung zu erreichen. Die jüngsten Erfahrungen zeigen jedoch, dass es möglich ist, zur Behandlung von Erwachsenen die Stammzellen mehrerer Spender zu vereinigen. Durch die Zusammenführung von sechs bis acht Nabelschnurbluteinheiten reicht die Zellmenge nun auch für eine Transplantation von Personen mit bis zu 100 kg. (9)
III. Nabelschnurblut als Quelle adulter Stammzellen 1. Kryokonservierung und Lagerung in Stammzellbanken Zurzeit existieren weltweit ca 100 Nabelschnurblutbanken, 40% in Europa, 30% in den USA und Kanada, 20% in Asien, 10% in Australien. 75% der Nabelschnurblutbanken sind öffentliche oder private Zellbanken ohne Gewinnorientierung. Sie lagern Blutproben von Spendern zu Transplantationsoder Forschungszwecken. Bei 25% der Nabelschnurblutbanken handelt es sich um kommerzielle Anbieter, die Nabelschnurblut für die autologe Verwendung zugunsten ihrer Kunden konservieren. In Europa verfügen lediglich Österreich, Deutschland, die Niederlande, Polen und das Vereinigte Königreich über kommerzielle Blutbanken. Für Eigennutzung und autologe Transplantation kamen Nabelschnurstammzellen bei hämatologischen und onkologischen Patienten noch nicht zum Einsatz. Dies hat verschiedene Gründe. Unter anderem haben retrospektive Untersuchungen (St. Anna Kinderspital) gezeigt, dass bei der am häufigsten auftretenden kindlichen Leukämie (akute lymphatische Leukämie vom
Ökonomische Perspektiven der Stammzellforschung
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B-Zelltyp) die leukämiespezifischen Chromosomentranslokationen bereits bei der Geburt vorhanden sind, dh sich auch schon im Nabelschnurblut finden, obwohl die Krankheit erst 2 bis 3 Jahre später klinisch sichtbar wird. Es gibt daher einen Konsens innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft, dass eine flächendeckende, vorbeugende Kryokonservierung von Nabelschnur-Stammzellen zur autologen Verwendung derzeit aus ökonomischen, logistischen und medizinischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll und zur Versorgung von Kindern und Erwachsenen in fast allen Fällen unnötig ist. Öffentliche Förderung der Gewinnung von Stammzellen zur Behandlung gutartiger oder bösartiger Bluterkrankungen in einem späteren Lebensalter des Kindes durch den Staat ist folglich nicht gerechtfertigt.
2. Nabelschnur-Stammzellen für die regenerative Zelltherapie Es besteht, wie schon angesprochen, große Hoffnung, dass adulte Stammzellen verschiedenste Zellen bilden (Transdifferenzierung in andere Zellreihen) und Organe ersetzen können, zB Nervenzellen, Skelettmuskelzellen, Lungenzellen (6-8). Dies ist natürlich für die Zellersatztherapie von großem Interesse. Unter anderem werden speziell Nabelschnur-Stammzellen für die regenerative Zelltherapie als zukunftsweisend und erfolgversprechend angesehen. Um die Transdifferenzierung adulter Stammzellen genau zu verstehen, und um die Zellen langfristig zur regenerativen Zelltherapie einsetzen zu können, sind allerdings dringend weiterführende wissenschaftliche Untersuchungen im Rahmen von Forschungsprojekten, die von Ethikkommissionen genehmigt wurden, erforderlich. Dass derartige Projekte wichtige Erkenntnisse liefern können, wurde bei der Tagung der American Society of Haematology im Dezember 2007 offensichtlich. Bei diesem Kongress präsentierte die Forschergruppe um Dr. Weiss aus Burlington in Vermont (USA) Daten, die zeigen, dass es möglich ist, Nabelschnurblut-Stammzellen in Lungenepithelzellen umzuwandeln. (10) Aufgrund dieser Daten hoffen die Forscher nun, dass Stammzellen aus der Nabelschnur in Zukunft für diesen Gewebe-Ersatz eingesetzt werden könnten. Trotzdem sind Aussagen wie Regenerative Zelltherapie – der Zukunftsmarkt, Zelltherapien – das große therapeutische Potential, Pluripotente Zellen – Hoffnungsträger der Zukunft, die man immer wieder hört, sorgfältig und mit Bedacht zu machen, um keine falschen Hoffnungen zu wecken.
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IV. Zukunft der Stammzellforschung Zweifellos eröffnet die Stammzellforschung vielfältige Möglichkeiten. Man sollte sich aber immer vor Augen halten, dass noch viele wissenschaftliche Aspekte bearbeitet und ethische und juristische Fragen diskutiert und geklärt werden müssen. Die Stammzellforschung ist am Anfang, und wichtige grundlegende Informationen müssen erhoben werden, bevor therapeutische Anwendungen denkbar sind. Um zu verstehen, wie aus undifferenzierten, pluripotenten Stammzellen die entsprechenden Vorläuferzellen und danach die differenzierten Zellen entstehen, welche Steuermechanismen und Regelsysteme dafür verantwortlich sind, bedarf es der Untersuchungen verschiedener pluripotenter Stammzellen. Neben den embryonalen Stammzellen könnten induzierte pluripotente Stammzellen eine interessante Option darstellen. Bevor diese aber in größerem Umfang für breite Forschung und eventuell für therapeutische Anwendungen eingesetzt werden können, müssen in vergleichenden Arbeiten die Fähigkeiten und das Potential dieser Zellen charakterisiert werden. Derzeit ist noch unsicher, welches Potential die reprogrammierten Zellen tatsächlich besitzen, ob ihre Eigenschaften stabil sind und ob sie hinreichend vermehrt werden können. Die Berichte, dass, nachdem es japanischen und amerikanischen Wissenschaftlern gelungen ist, menschliche Hautzellen in pluripotente Stammzellen umzuwandeln, nun endlich die umstrittene Forschung an embryonalen Stammzellen überflüssig sei, werden von den Forschern selbst relativiert. Sie weisen darauf hin, dass zurzeit beide Forschungsbereiche nebeneinander existieren müssen, um die vielen offenen Fragen zu klären. Die Umwandlung von Körperzellen in pluripotente Stammzellen wäre ohne jahrelange embryonale Stammzellforschung nicht möglich gewesen. Erst mit Hilfe der bei der embryonalen Stammzellforschung gewonnenen Erkenntnisse über die genetischen Ursachen von Pluripotenz wurde die Reprogrammierung differenzierter Zellen möglich. Selbst wenn man mit Hilfe des neuen Verfahrens langfristig die Nutzung embryonaler Stammzellen umgehen könnte, wird man kurz- und mittelfristig ohne sie nicht auskommen.
V. Derzeitiger Stand der Förderung der Forschung mit Stammzellen Wie sieht die Forschungsförderung in Österreich aus. Wird in Österreich Forschung an Stammzellen betrieben? Wieviele öffentliche Forschungsmittel stehen für embryonale/adulte Stammzellforschung zur Verfügung? Wieviel
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privates Geld wird investiert? Wie ist das quantitative Verhältnis der Forschung an humanen adulten versus an embryonalen Stammzellen (hES)? Zweifellos haben einige Firmen den Aufruf, die Wirtschaft möge in die Stammzellforschung einsteigen, aufgegriffen. So gab es nach dem Jahr 2000 mehrere Unternehmensgründungen in Deutschland, die sich unter anderem mit der Entwicklung patentgeschützter Technologieplattformen für regenerative Medizin und anti-proliferative Therapie zur Behandlung von Herzkrankheiten beschäftigen bzw die Produktion und Entwicklung von peripheren Blutstammzellen (PBSC), Nabelschnur-Blutstammzellen und Chondrozyten für Krankenhäuser und Kliniken bearbeiten. Darüber hinaus gibt es auch für embryonale Stammzellforschung international private Förderungen.
1. Private Forschungsförderung humaner embryonaler Stammzellforschung Die Firma Alan Colman’s förderte zB in Singapur die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen mit dem Ziel, eine Stammzelltherapie für Diabetes mellitus zu entwickeln. Der Zeitplan war sehr ambitioniert und offensichtlich nicht realistisch – bereits 2008 wollte man mit klinischen Studien zur Stammzelltherapie beginnen. Als sich zeigte, dass der ambitionierte Zeitplan nicht zu halten sein wird, drehten die Kapitalgeber Colman’s Firma ES Cell den Geldhahn zu. Diese Strategie der gewinnorientierten privaten hES Stammzellforschung ist nicht zu befürworten. Wie an diesem ausgewählten Beispiel zu sehen ist, ist es sehr wichtig und notwendig, dass Grundlagen- und angewandte Forschung im Rahmen qualitativ hochwertiger Projekte mit öffentlichen Geldern gefördert wird, um die Unabhängigkeit sicherzustellen. Nachhaltige Erfolge bedürfen nachhaltiger Grundlagenforschung und stellen sich nicht auf Kommando ein. Die öffentliche Förderung der Forschung mit hES sollte an folgende Bedingungen geknüpft werden: Bei den Forschungsprojekten sollte es sich um alternativlose hochrangige Forschung handeln. Die Beurteilung sollte im peer review Verfahren geschehen, und regelmäßige Zwischenberichte sollten den Arbeitsfortschritt reflektieren. Die Begutachtung des Arbeitsfortschrittes sollte aber ausschließlich nach wissenschaftlichen und nicht nach Kriterien der Gewinnorientierung erfolgen.
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2. Stand der öffentlichen Mittel für Stammzellforschung in Österreich a) Projektanträge und Förderung durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) in Österreich Bisher wurden beim FWF 54 Projekte zum Thema Stammzellforschung eingereicht. Alle Projekte wurden international begutachtet. Nach Begutachtung wurden 16 Projekte gefördert. Zehn Projekte bearbeiteten Themen an humanen Stammzellen, das Fördervolumen dieser Projekte betrug 3, 25 Mio Euro. Nur eines der 10 Projekte beforscht humane embryonale Stammzellen (ESC), die anderen führen Untersuchungen an adulten Stammzellen durch. Die nachstehende Tabelle schlüsselt auf, in welchen Teilbereichen Anträge eingereicht und genehmigt wurden. Tabelle 1
Programm
Bewilligte Anträge
Fördersumme in Mio €
Einzelprojekte
7 (1 ECS)
1.19 (0.14)
Mobilität – Auslandsstipendien
5
0.25
Netzwerke
3
0.99
Impulsprogramm mit Firmenpartner
1
0.1
Wie aus der Tabelle unschwer zu erkennen ist, gibt es in Österreich nur eine kleine Zahl an Forschungsprojekten zum Thema Stammzellforschung, die vom FWF gefördert werden. Die Gründe dafür sind nicht klar, da der FWF die Förderung von Stammzellprojekten nicht ausgrenzt, sondern analog zu anderen Anträgen fördert, dh ausschlaggebend ist ausschließlich, dass die Bewertungen im Begutachtungsverfahren im Exzellenzbereich liegen.
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122,3 Mio.€ 56%
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IP NoE Strep
K K K K
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Abbildung 2
3. Förderung der Stammzellforschung in den USA In den USA gibt es seit dem Bann im Jahr 2001 keine bundesweite Förderung embryonaler Stammzellforschung. Mehrere Bundesstaaten haben aber aufgrund der Erkenntnis, dass viele Untersuchungen nicht an adulten Stammzellen durchgeführt werden können, eigene Forschungsprogramme aufgelegt, die speziell der embryonalen Stammzellforschung gewidmet sind. New Jersey war der erste Staat mit einem entsprechenden Programm (2004). Bisher wurden 23 Mio Dollar an Grantmitteln genehmigt. Daneben diskutieren Florida und Washington eigene Stammzellforschungsregulationen. In Kalifornien wurden 3 Mrd Dollar genehmigt, in Connecticut beschloss die Legislative 10 Mio Dollar pro Jahr auf insgesamt 10 Jahre. Auch in Maryland wurden für dieses Jahr 15 Mio Dollar genehmigt. Darüber hinaus gibt es mehrere private Foundations die embryonale Stammzellforschung fördern.
VI. Zusammenfassung Wenn sich Österreich international an der Stammzellforschung beteiligen will, dann ist eine ausreichende Förderung mit öffentlichen Mitteln notwendig und anzustreben. Das geistige Potential und das Know-how unter den österreichischen Forschern ist nachweislich vorhanden, da, wie aus der 2. Abbildung erkennbar, österreichische Forscher an großen EU-Projekten mitarbeiten (1 Projekt wird von Österreich koordiniert).
Ökonomische Perspektiven der Stammzellforschung
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Zu betonen ist auch, dass die öffentliche Forschungsförderung eine Qualitätskontrolle bei der Einreichung der Projekte erlaubt. Durch die Auflage, dass auch negative Forschungsergebnisse gemeldet und veröffentlicht werden müssen kann auch die Qualität der laufenden Projekte geprüft werden.
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Stammzellforschung: Europäische und österreichische Forschungspolitik Raoul Kneucker
I. Themenstellung, These 1. Art 6 des 7. EU-Rahmenprogramms für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007-2013) (RP) regelt, wie bei Anträgen auf Förderung und Kooperation durch Gemeinschaftsmittel vorzugehen ist, wenn mit den geplanten Forschungsaktivitäten ethische Fragen oder Bedenken verbunden sind oder im Genehmigungsverfahren erkannt werden: „Ethische Grundsätze 1. Bei allen Forschungsmaßnahmen innerhalb des Siebten Rahmenprogramms werden die ethischen Grundprinzipien beachtet. 2. Folgende Forschungsbereiche werden nicht mit Mitteln des Rahmenprogramms unterstützt: – Forschungstätigkeiten mit dem Ziel des Klonens von Menschen zu Reproduktionszwecken; – Forschungstätigkeiten zur Veränderung des Erbguts des Menschen, durch die solche Änderungen vererbbar werden (ausgenommen Forschungstätigkeiten mit dem Ziel der Krebsbehandlung an den Gonaden); – Forschungstätigkeiten zur Züchtung menschlicher Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken oder zur Gewinnung von Stammzellen, auch durch Kerntransfer somatischer Zellen. 3. Forschung an – sowohl adulten als auch embryonalen – menschlichen Stammzellen darf nach Maßgabe sowohl des Inhalts des wissenschaftlichen Vorschlags als auch der rechtlichen Rahmenbedingungen des/der betreffenden Mitgliedstaates/Mitgliedstaaten gefördert werden. Jeder Antrag auf Finanzierung von Forschungsarbeiten an menschlichen embryonalen Stammzellen muss gegebenenfalls Einzelheiten der Genehmigungs- und Kontrollmaßnahmen enthalten, die von den zuständigen Behörden des/der betreffenden Mitgliedstaates/Mitgliedstaaten ergriffen werden, sowie Einzelheiten der ethischen Zulassung(en), die erteilt wird (werden). Bei der Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen unterliegen Institutionen, Organisationen und Forscher strengen Genehmigungs- und Kontrollvorschriften gemäß den rechtlichen Rahmenbedingungen des/der betreffenden Mitgliedstaates/ Mitgliedstaaten.
Stammzellforschung: Europäische und österreichische Forschungspolitik
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4. Die vorstehend genannten Forschungsbereiche werden für die zweite Phase dieses Programms (2010 bis 2013) unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Fortschritte überprüft.“ 1
Rahmenprogramme stellen eine Rechtsquelle der Europäischen Gemeinschaft sui generis dar; sie gehören dem Sekundarrecht der Gemeinschaft an. Art 6 RP bindet rechtlich die Anträge stellenden Forschungsteams, die Europäische Kommission mit ihren Komitees und Gutachtern im Prüfungsund Entscheidungsvorgang, nicht jedoch die (Regierungen der) Mitgliedstaaten oder der anderen teilnehmenden Länder; das RP greift direkt auf die Forschungsebene durch. Obwohl Art 6 RP alle Forschungsanträge nach den einzelnen EUForschungsprogrammen im Blick hat, macht der Text deutlich, wie sehr die Diskussion über Stammzellforschungen die ursprünglich allgemein gefasste Vorschrift, in der Programmdurchführung ethische Prinzipien zu beachten, befördert und ausgestaltet hat (siehe Punkte 2, 3); spezifische Regelungen für die Stammzellforschung wurden hinzugefügt, nicht nur in Punkt 3 und 4, sondern auch in Anhang 1 (I.1.) und in den Spezifischen Programmen. Diese Regelungen sind Thema des Beitrages. 2. Art 6 RP enthält einen politisch erzielten Kompromiss zwischen den kontroversiellen Positionen der EU Mitgliedstaaten zur Stammzellforschung. Das ist die These des Beitrages, die mit forschungspolitischen und rechtlichen Argumenten zu erhärten ist. Ohne Kenntnis und Verständnis der einschlägigen Rechtsfragen, ohne sie als solche zu bearbeiten, ist die forschungspolitische Bedeutung der Kompromisslösung gar nicht einzuschätzen. Der Kompromiss kann als Meisterleistung, jedenfalls als Musterbeispiel für politisches Verhandeln und für die eigentümlichen Entscheidungsprozesse der EU-Organe gelten. Es ist in der politischen Auseinandersetzung, in der _____________ 1 Beschluss Nr 1982/2006/EG vom 18. 12. 2006, ABl L 412. Offizielle deutsche Übersetzung. Absatz 30 der Präambel des 7. RP ist mitzulesen: „Bei den im Rahmen des Siebten Rahmenprogramms unterstützten Forschungstätigkeiten sollten ethische Grundprinzipien beachtet werden, einschließlich derjenigen, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben. Die Stellungnahmen der Europäischen Gruppe für Ethik in den Naturwissenschaften und neuen Technologien wurden und werden auch weiterhin berücksichtigt. Die Forschungsmaßnahmen sollten auch dem Protokoll über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere Rechnung tragen; die Verwendung von Tieren in der Forschung und bei Versuchen sollte reduziert und letztendlich ganz durch Alternativen ersetzt werden.“ Vgl die gleich lautenden Bestimmungen im 6. RP (2004 bis 2006) vom 29. 10. 2002, ABl L 294. Als eine Art Durchführungsbestimmung gilt „Commission Recommendation on the European Charter for Researchers and on the Code of Conduct for the Recruitment of Researchers“ vom 11. 3. 2005, Annex 1 (freedom of research, ethical principles, responsibility, accountability, good practice), EUR 21620/2005.
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auch die österreichische Haltung eine Rolle gespielt hat, eine beachtliche intellektuelle Differenzierung der forschungsethischen Problematik gelungen. Die ethisch-philosophisch und/oder religiös-theologisch fundierten Positionen, radikal zu Ende gedacht, hätten einen Kompromiss nie gestattet, mit anderen Worten, nur auf einer (forschungs)politischen Ebene konnte eine Lösung gefunden werden. (a) Die Lösung erlaubt, ohne Positionen ganz auszuschalten, dass die Entwicklung der Stammzellforschung in Europa „offen“ und zulässig bleibt, also die Förderung der Stammzellforschung nicht generell abgelehnt wird, sondern unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen darf. (b) Die Lösung hilft und bedeutet weiters, dass eine Balance im Grundrechtsschutz entstehen kann, also ein gegenseitiges Abwägen der Werte in den berührten Grund- und Menschenrechten stattfindet (insbesondere zwischen Schutz des Lebens und der Wissenschaftsfreiheit). (c) Schließlich ist die Lösung prozessual gestaltet, also auf Einzelfälle hin orientiert – eine Form von „soft law“ Vereinbarungen, hier in der Forschungspolitik. In den Einzelfällen mit Grundwertekonflikten ist ein argumentierendes, quasirichterliches Abwägen der Werte gegeneinander unausweichlich und unabwendbar, soll eine vernünftige, nachhaltige Entscheidung gefunden werden. Für diese Entscheidung müssen die berührten Grundrechte gegeneinander abgegrenzt und/oder harmonisiert werden, um den größtmöglichen Schutz durch Anwendung aller berührten Grundrechte zu gewährleisten und um keines der Grundrechte auszuschließen – eine Form des rechtsphilosophisch fundierten Pragmatismus.
II. Eine „europäische“ Forschungsethik? 3. Forschungspolitik in unserer Zeit ist in einem sehr hohen Maße professionalisiert worden; so ist sie heute voller Theorieansätze und ist Anlass zu intensiven wissenschaftlichen, vor allem interdisziplinären Diskussionen, Arbeitstreffen und internationalen Konferenzen. Es hat sich eine besondere „scientific community“ entwickelt. Forschungspolitik ist zugleich auch internationalisiert worden, und zwar nicht allein in dem Sinne, dass der über wissenschaftliche Arbeiten übliche internationale Diskurs – eine Art langsamer, manchmal verzögerter Osmose von woanders erreichten wissenschaftlichen Ergebnissen in jeweils neuere Arbeiten – stattfindet, sondern vor allem in dem Sinne, dass durch die laufende forschungspolitische Auseinandersetzung der Vertreter der Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene, insbesondere in der Vorbereitung und Entscheidung der RP, eine gemeinsame europäische Forschungspolitik entstanden ist und weiterentwickelt wird. Die nationale Ebene beeinflusst die euro-
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päische Diskussion, die europäische Diskussion die Gestaltung der nationalen Forschungspolitik. Zusätzlich zu diesem „Lernprozess“, wie ihn die internationalen Beziehungen innerhalb der Politikwissenschaft nennen, wird durch Politiker in einem politisch verbindlichen und schließlich rechtlichen Sinn europäische Forschungspolitik und die Prinzipien der Forschungsförderung durch die Gemeinschaft festgeschrieben. Diskurs und Entscheidungen auf nationaler und europäischer Ebene gründen sich auf die zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft geteilte Regelungszuständigkeit für Forschung und Technologie (F&T) nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV). 2 4. Forschungsethische Diskurse waren und sind Teil dieser Veränderungen, und sind deshalb auch Teil der forschungspolitischen Auseinandersetzungen auf europäischer Ebene. Das war lange Zeit nicht der Fall; zum Teil sind neue Strukturen, wie zB die Änderungen des Begutachtungsverfahrens für die RP, erst geschaffen worden oder es sind rechtlich längst vorgesehene Strukturen erstmals praktiziert worden, wie bestimmte Formen der Koordinationstätigkeit für forschungspolitische Maßnahmen auf und zwischen der EUEbene und der Ebene der Mitgliedstaaten. Die Professionalisierung zeigt sich in den Berufungen von EthikKommissionen für die nationale Forschungsförderung,3 dann für die nationale Regierungspolitik und für die Politik der Europäischen Kommission. Damit verbunden waren und sind Seminare und Kongresse, die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten und Arbeitsplätzen, die Einrichtung von Institutionen der Forschung und Lehre. Spezialisten sind verfügbar geworden. Es scheint, dass die aktuelle „Wiederkehr des Guten“ in der Wissenschaft Ethik – als einen lange Zeit vernachlässigten Teil der Philosophie und Theologie – neu positioniert hat, durchaus mit Anwendungen auch außerhalb der F&T Bereiche. Die Internationalisierung kann am besten durch einen Vergleich der zuletzt geführten forschungsethischen Diskurse aufgezeigt werden: Die Debatten über die Nutzung der Kernenergie, über Umweltschutz und über Biotechnologie, einschließlich der gentechnisch veränderten Organismen, waren nationale forschungspolitische Themen, wenngleich stark beeinflusst von _____________ 2 Siehe R. Kneucker, Art 163-173 EGV, in H. Mayer (Hrsg), EU- und EGVertrag. Kommentar unter Berücksichtigung der österreichischen Judikatur und Literatur (2005). 3 In Österreich war es eine forschungspolitische Leistung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in den 70er Jahren. Die Einsetzung der Bioethikkommission des Bundeskanzlers/beim Bundeskanzleramt erfolgte im Jahre 2001; vgl in diesem Bande U. Körtner, Stammzellforschung: Der bisherige Diskurs in der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt. Die Europäische Gruppe „European Group on Ethics in Science and New Technologies to the European Commission“, der von Anfang an ein Österreicher angehörte (Günter Virt, Universität Wien), ist seit den frühen 90er Jahren tätig.
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wissenschaftlichen und politischen Diskussionen in anderen Ländern. Als aber die RP Biotechnologie in die Forschungsprioritäten der Gemeinschaft aufnahmen, war die Diskussion auf nationaler Ebene schon weitgehend abgeschlossen gewesen. Allerdings sind bestimmte Felder der biotechnologischen Forschung dann später auch zu europäischen Debattenpunkten geworden. Anders bei der Stammzellforschung; die forschungsethischen Fragen wurden zuerst auf europäischer Ebene erkannt und diskutiert – und dann ein Thema der nationalen Forschungspolitik, nämlich sowohl hinsichtlich der Haltung der Regierungsvertreter in der europäischen Diskussion als auch in der nationalen Forschungsförderung selbst. Angeregt und bewegt durch die Forschungspolitik der USA, Kanadas und Australiens ist der Diskurs über Stammzellforschungen der erste gemeinsame, öffentliche, regierungspolitische Diskurs in Europa – also unabhängig vom gleichzeitig gepflegten wissenschaftlichen, akademischen Diskurs, der in Europa ebenfalls immer enger und intensiver wurde. Die Sprachbarrieren fielen; die Zitierkultur bevorzugt nicht mehr Ergebnisse und Belege aus der jeweils eigenen Sprachfamilie.
III. Elemente des Konflikts und des Kompromisses 5. Es ist zunächst daran zu erinnern, dass F&T nach Art 3 Abs 1 lit n in Verbindung mit Art 5 nach Art 165 EGV eine zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft geteilte rechtliche Zuständigkeit darstellt, dass dafür das spezifische Subsidiaritätsprinzip (Art 5 Abs 2 EGV) gilt und dass bei der Entscheidung über die Rahmenprogramme gemäß Art 251 EGV ein Kodezisionsverfahren zwischen Rat und Europäischem Parlament vorgesehen ist. Ohne näher darauf einzugehen, ist auf die Konsequenzen dieser Vertragsregelungen für die Themenstellung hinzuweisen: Abgesehen von den nationalen Interessen, die Vertreter im Rat vorbringen und verteidigen, und abgesehen von den im Parlament geäußerten Ansichten der Abgeordneten des Europäischen Parlaments folgt aus der Kompetenzverteilung im Bereich F&T, dass Forschungsanliegen und Forschungsmethoden, wie eben die Stammzellforschung, auf beiden Ebenen geregelt und gefördert werden (können). Kommission, Rat und Parlament haben bei ihren Aktivitäten die nationalen Zuständigkeiten und Vorgangsweisen zu berücksichtigen. So erklärt sich, dass Art 6 RP nicht nur auf nationale Regelungen Bezug nimmt bzw auf sie verweist, sondern bewusst festlegt, dass den Anträgen auf gemeinschaftliche Förderungen Stellungnahmen und Entscheidungen der nationalen Behörden und/oder der nationalen Ethik-Kommissionen auf Grund bestehender Kontrollmechanismen, Genehmigungs- oder Lizenzverfahren für Forschungen beizuschließen sind. Den Mitgliedstaaten wird geradezu nahe gelegt, rechtlich verbindliche Regelungen zu treffen: Die Gewinnung von Stammzellen sollte einem Lizenzverfahren oder anderen Kontrollvorgängen unterworfen werden.
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Fehlen einem Antrag solche geforderten Beilagen, wird er in der Praxis der Kommission schon aus formalen Gründen von der weiteren Behandlung ausgeschlossen. In dieser Vorgangsweise liegt ein erstes Kompromisselement. Regelungen der Mitgliedstaaten erhalten Vorrang. (Für österreichische ForscherInnen ergibt sich eine paradoxe Situation. Im Rat, dh bei der Entscheidung über das 6. und das 7. RP, hat Österreich aus einem bestimmten Verständnis ethischer Positionen zur Stammzellforschung gegen die gemeinschaftliche Förderung der Stammzellforschung gestimmt, aber bislang für Österreich selbst keine einschlägigen gesetzlichen Maßnahmen getroffen oder kein einschlägiges internationales Abkommen, sozusagen ersatzweise, ratifiziert und/oder in das nationale Recht transformiert.4 Das _____________ 4 Siehe dazu in diesem Band Ch. Kopetzki, Stammzellforschung in Österreich – eine Bestandsaufnahme des geltenden Rechts; ferner M. Stelzer, Völker- und Gemeinschaftsrechtliche Aspekte embryonaler Stammzellforschung; und H. G. Koch, Forschung mit embryonalen Stammzellen im Rechtsvergleich. Die österreichische Haltung bei der Beschlussfassung des 7. RP wiederholte im Wesentlichen das Verhalten bei der Verabschiedung des 6. RP. Österreich stimmte damals zunächst gegen das 6. RP insgesamt, stimmte am Schluss aber zu, als ein Moratorium bei der Beschlussfassung der einschlägigen Spezifischen Programme festgelegt werden konnte. Das Moratorium sollte Gelegenheit geben, dass die Mitgliedstaaten nochmals erklären können, ob sie ihre gesetzlichen Reglungen ändern oder ob sie gesetzliche Regelungen erlassen wollen, wie groß die Zahl der Anträge und welcher Art die Anträge im 5. RP waren, schließlich wie die Kommission die Lage einschätze und vorzugehen gedenke. Dieses Moratorium wurde genützt; der Bericht der Kommission brachte Klarheit. Österreich freilich unternahm nichts. Es ließ sich beim endgültigen Beschluss über die Spezifischen Programme im Herbst des Folgejahres überstimmen. Im Verfahren über das 7. RP ließ sich Österreich generell überstimmen, nachdem ua klar geworden war, dass die zunächst versuchten politischen Allianzen, die als eine qualifizierte Minderheit den erforderlichen qualifizierten Mehrheitsbeschluss nicht hätten zustande kommen lassen, nicht halten würden. Für die Einschätzung der Position Österreichs im Rat galt, dass für die Beschlussfassung des 7. RP keine neuen Argumente vorgebracht werden würden. Die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt hatte rechtzeitig vor der entscheidenden Ratssitzung über das 6. RP 2001 ihr Gutachten erstellt; sie war in dieser Frage tief gespalten gewesen, hatte aber dann eine klare Mehrheit gefunden, nämlich 11 zu 8 Stimmen für die Förderung der Stammzellforschung, allerdings unter strengen Kriterien. (Das Gutachten wurde erst Monate später veröffentlicht; siehe www.bka.gv.at). Die Kriterien waren strenger und detaillierter gefasst als im 6. RP. Bundeskanzler W. Schüssel und die sachlich zuständige Bundesministerin E. Gehrer, ohne die Bundesregierung als Organ und/oder den Hauptausschuss des Nationalrates zu befassen (wohl weil das Gutachten erst knapp vor der Ratssitzung eingetroffen war), entschieden, die Minderheitsäußerung des Gutachtens zur Grundlage der politischen Haltung Österreichs zu machen. Der Einfluss der katholischen Kirche war spürbar. Eine regierungspolitische Entscheidung darf natürlich im rechtsfreien Raum getroffen werden; allerdings war den übrigen Ratsmitgliedern bekannt, dass Österreich über keine gesetzliche Regelung verfügt, und sie waren überrascht, dass die österreichische Ablehnung nach monatelangen Verhandlungen erst so spät im Prozess der Behandlung des 6. RP bekannt gegeben wurde. Durch die grundsätzliche Ablehnung versperrte sich Österreich übrigens auch die Möglichkeit, die strengeren Kriterien, wie sie die Bioethikkommission vorgeschlagen hatte, in die Verhandlungen einzubringen und allenfalls umzusetzen. Siehe
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Fortpflanzungsmedizingesetz reicht nicht aus.5 Damit besteht für österreichische Forschergruppen, wenn sie sich an europäischen Projekten der Stammzellforschungen beteiligen wollen, kein rechtliches Hindernis; denn es fehlt an einschlägigen, insbesondere an ausschließenden gesetzlichen Grundlagen. Nach dem Legalitätsprinzip der österreichischen Bundesverfassung wären aber in Österreich „rechtliche Rahmenbedingungen“ ohne gesetzliche Grundlage nicht zulässig. Den Anträgen beizuschließen sind somit allein die Stellungnahmen der österreichischen Ethik-Kommissionen. Allerdings haben österreichische ForscherInnen de facto Ablehnungen ihrer erwünschten oder geplanten Mitwirkung durch ForscherInnen anderer Mitgliedstaaten erfahren, weil diese der Ansicht waren, die Mitwirkung sei den österreichischen Kollegen nicht gestattet, oder weil sie ihre eigenen Anträge nicht durch rechtliche Auseinandersetzungen im Begutachtungsverfahren gefährden wollten. Anzumerken ist, dass Forschergruppen, auch aus Österreich, Kooperationen an Standorten suchten, für die keine Beschränkungen oder Verbote gelten; eine solche „Forschungsmobilität“, zB nach Kroatien oder in die Slowakei, trat unverzüglich ein). 6. Das zweite und dritte Kompromisselement liegt in der Wortfolge „nach Maßgabe des Inhalts“; dh der Zielsetzung und der Methoden des jeweiligen Forschungsantrages. Der „Inhalt“ ist nach wissenschaftlichen Kriterien zu prüfen – das zweite Kompromisselement. Damit ist als ein drittes Kompromisselement die Entscheidung im Einzelfall verbunden; denn sie entsteht indirekt mit der Prüfung durch „peers“. Die Gutachter im Verfahren, zusätzlich die Gruppe „Ethik“ der Europäischen Kommission, sind zu diesem Punkt des Antrages zu befragen; sie sind Teil der Kommissionsentscheidung. Im Einzelnen: Der sachliche Wirkungsbereich des Art 6 RP betrifft Forschungen an und mit humanen Stammzellen. Die Forschungsförderung für andere Stammzellen ist nicht erfasst und daher frei, sofern sie nicht gemäß Art 6 Abs 1 RP nach allgemeinen ethischen Grundsätzen zu beurteilen wäre. Art 6 RP unterscheidet zwei Bereiche der Förderung von Projekten an humanen Stammzellen. Bestimmte Forschungen dürfen nicht gefördert werden (Art 6, Punkt 2), andere (Art 6, Punkt 3) unter den Voraussetzungen der inhaltlichen Prüfung und der Berücksichtigung allfälliger nationaler Regelungen. Die Förderung ist zugesagt und rechtlich zulässig für alle gemeinschaftlichen Projekte; wohl auch dann, wenn einzelne Forscher_____________
in diesem Band U. Körtner, Stammzellforschung: Der bisherige Diskurs in der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt. 5 Aufschlussreich sind Berichte zur aktuellen Diskussion, zB in Die Presse vom 30. 1. 2008, 33. Sie deuten eine Meinungsänderung in den politischen Parteien an, die nun bereit erscheinen, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag einzubringen.
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gruppen, denen an ihrem Standort die Forschungsförderung verweigert werden würde, an Standorten mitwirken, an denen die Forschungsförderung nicht untersagt wäre. Die hier verborgene Rechtsfrage kann deshalb zZ nicht endgültig geklärt werden, weil in Europa und in Österreich keine strafrechtlichen Normen eines Verbotes der Stammzellforschung bestehen, allenfalls einschränkende oder verbietende verwaltungsrechtliche Bestimmungen. Für diese fehlt aber ein internationalrechtliches „Statut“ darüber, welche nationale Bestimmung auf den Fall anzuwenden wäre. Wie im Strafrecht würde man am ehesten den Grundsatz „locus regit actum“ heranziehen. Und eben daraus folgte, dass die Rechtslage nach dem jeweiligen Standort der Forschungsaktivität zu entscheiden ist, nicht aber dass die Forschungsgruppe an ihre nationalen Normen im Ausland gebunden wäre. Mit der Prüfung des Einzelfalles nach Forschungsabsicht, Forschungsmaßnahmen und wissenschaftlichen Methoden sind allfällige weitere Rechtsfragen, die sich aus der kasuistischen Regelung ergeben oder ergeben können, „miterledigt“; dh sie sind so wie neue Methoden oder neue Möglichkeiten der Stammzellforschung, die sich in Zukunft ergeben werden, im Verfahren über den Antrag zu beurteilen (vgl Klonen für andere als Reproduktionszwecke? Forschungstätigkeiten zur Veränderung des Erbgutes mit dem Ziel der Krebsbehandlung? Kann diese Ausnahme von anderen Aktivitäten abgegrenzt werden? Forschungen an Vorformen der Embryonen? An Hybridembryonen?). 7. Im zweiten Kompromisselement findet ein seit langem praktiziertes, in der nationalen (auch in der österreichischen) Forschungsförderung bewährtes Prinzip Anwendung. Bei großen Risken und Unsicherheiten oder grundsätzlichen, zB ethischen Bedenken gegen die geplanten Forschungsansätze und Aktivitäten der Antrag stellenden Forschungsgruppen sind nicht vorweg generell-abstrakte Regelungen zu suchen und der Förderungsentscheidung vorzugeben, sondern konkrete Anträge darauf zu prüfen, ob und inwiefern solche Bedenken zutreffen könnten. Befürchtungen und Behauptungen reichen nicht aus – eine Grundregel der Risikoforschung und des Schadenersatz-/Versicherungsrechts, die in der Forschungsförderung zu Recht Anwendung findet. Oft ist ohne fortgesetzte, wissenschaftlich-methodisch kontrollierte Tests oder Experimente gar nicht nachweisbar, ob und inwiefern Bedenken zu Recht bestehen. In diesem Sinne gilt daher eine lege artis geplante wissenschaftliche Aktivität als verantwortliche Forschung. Nach übereinstimmender Ansicht sind übrigens Forschungen an embryonalen und adulten Stammzellen nebeneinander und komparatistisch wünschenswert, um die Tauglichkeiten beider zu testen oder Alternativen zu entwickeln.6 In _____________ 6
Im Zuge der Erstellung des Gutachtens der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt hat im Jahre 2002, veranstaltet vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, ein wissenschaftliches Symposium in Wien stattgefunden, dessen Aufgabe es war, die Möglichkeiten der Forschung an adulten Stammzellen zu disku-
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solchen Experimenten werden selbst wieder wissenschaftliche Aufgaben bearbeitet; und es sind wissenschaftliche Fragen, die ausschließlich durch wissenschaftliche Expertise geklärt werden können. In diesem Zusammenhang ist auf die in Art 6 Punkt 4 RP vorgesehenen Evaluationen hinzuweisen. Schritte der Testung und die Prüfung durch „peers“ zuzulassen, die damit auch die Projektgenehmigungen wissenschaftlich-methodisch gewissenhaft verantworten („Verantwortungsethik“), steht in Verbindung mit der Beachtung des Grundrechtes der Wissenschaftsfreiheit. 8. Das vierte Kompromisselement ergibt sich aus der politisch vereinbarten Balance in der Grundwerteabwägung; es ist das umstrittenste. Wenngleich darüber keine vollständigen und, was die Details anlangt, keine öffentlich zugänglichen Protokolle angefertigt werden, waren alle mit der Erarbeitung des 6. und 7. RP befassten Beamten und Politiker, gerade auch im Europäischen Parlament, Zeugen der Auseinandersetzungen über die Förderung der Forschung über embryonale Stammzellen im Vorfeld und im Rat selbst; die Beratungen waren charakterisiert durch wissenschaftlich und rechtlich fundierte Diskussionsbeiträge, durch hektische Kulissengespräche, durch heftige emotionale Einwürfe und Vorwürfe, zB der nordischen Staaten, des Vereinigten Königreiches und Frankreichs gegen zB Österreich, Italien, Luxemburg und Polen. Die Argumente im Rat stellten eine Mischung dar aus politischen und rechtlichen, aus ethisch-philosophisch und religiös motivierten, dann aus ganz verschiedenen forschungspolitischen und industriepolitischen Erwägungen und Interessen. Ratssitzungen sind natürlich keine akademischen Seminare; nichts kann wissenschaftlich strukturiert ausdiskutiert werden, aber alle Positionen wurden diskutiert.7 Da der Text der Kompromisslösung darüber nichts enthält bzw enthalten kann, sollen die Elemente der Auseinandersetzung benannt werden. Nicht alle Argumente waren gleich relevant für die Kompromissfindung; die bestimmenden allein seien erläutert. Vorrangig war im Rat, dass ein Weg aus der Kontroverse zu suchen war, dass überhaupt eine Lösung zu finden war, mit der die geforderte qualifizierte Mehrheit im Rat erreicht werden kann. Es schwang mit, dass sie unter Beachtung des sehr umständlichen und daher _____________
tieren. Ungefähr 20 der weltweit durch Forschungen an adulten Stammzellen ausgewiesenen Gruppen nahmen teil. In der Schlussdiskussion herrschte Einhelligkeit darüber, dass gegenwärtig Forschungen zu embryonalen und adulten Stammzellen parallel zu führen wären. Forschungen stünden am Anfang, und es bedürfe der gegenseitigen Anregung. Die Entwicklung könne für handhabbare forschungspolitische Entscheidungen noch nicht ausreichend eingeschätzt werden. 7 Siehe F. Pichler, Science and Human Dignity. Ethical Questions on the Funding of Human Embryonic Stem Cell Research in the Sixth Framework Programme of the European Commission, Innovation. The European Journal of Social Science Research (2005) 18/2, 261 ff mit weiteren Nachweisen zu den damals geführten Diskussionen auf europäischer und weltweiter Ebene.
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nicht sehr „beliebten“ Kodezisionsverfahrens, falls es im vollen Umfange durchgeführt werden würde, auch eine zwischen Rat und Parlament taugliche Lösung sein muss.8 Von jeder Position aus erscheint ein Kompromiss über Werte unzulänglich. Die schließlich politisch festgelegte Balance der Werteabwägung wird sichtbar im Ausschluss bestimmter Forschungstätigkeiten und in der Erlaubnis, unter kontrollierten Bedingungen Forschungen an embryonalen Stammzellen zuzulassen, wobei die endgültige Erlaubnis dem „peer review“-Verfahren übertragen wird. Im Einzelnen: Wer die prozessuale Lösung ablehnt, weil er generell-abstrakte Normen, zB Verbote der Forschungsförderung, für sachlich oder ethisch angemessener hält, muss gegen sich gelten lassen, dass er Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit in Kauf nimmt oder sogar anordnen muss. Die Wissenschaftsfreiheit ist zwar nicht grenzenlos geschützt (vgl Art 6 Punkt 2 RP), die Grenzen sind aber weiter gezogen als für die anderen Grundrechte der Meinung und Bewertung. Es stellt ein so genanntes „absolutes“ oder verfassungskräftiges Grundrecht dar, weil es der Verfügung des einfachen Gesetzgebers nicht anheim gestellt ist, Beschränkungen der Wissenschaftsfreiheit zu formulieren. Beschränkungen des Grundrechts, das also gesetzlich nicht reguliert und/oder beschränkt werden dürfte, wird von Befürwortern solcher Regulierungen oftmals dennoch gutgeheißen; ihnen gilt die Wissenschaftsfreiheit eben als disponibel in der Rangordnung der Werte. Sind es diesmal religiös bestimmte Gruppen und Institutionen gewesen, die in ihrer Rangordnung der Werte die Wissenschaftsfreiheit geringer schätzten, so waren es in den frühen 90er Jahren die natur- und umweltschützenden Gruppen, die gegen bestimmte biotechnologische Forschungsaktivitäten und damit gegen die Forschungsfreiheit demonstriert und Einspruch erhoben hatten. Forschungsförderung durch staatliche Maßnahmen, infrastrukturelle oder finanzielle, abzulehnen oder zu unterbinden, verletzt noch nicht unmittelbar die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit; denn Forschung an sich wird damit weder untersagt noch unmöglich gemacht. Forschungsaktivitäten im Bereich Stammzellen sind aber kostspielige Unterfangen. Wenn sie daher in (öffentlichen) Forschungsstätten ohne öffentliche Förderungen nicht ausgeführt werden können, ergibt sich indirekt eine Grundrechtskollision, uU eine Verletzung des Grundrechts. Übrigens ist auch die Prüfung dieser Umstände in der Regel nur im Einzelfall sinnvoll; und meistens ist sie wiederum wissenschaftlich-methodischer Art. _____________ 8 Zur Information siehe M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht (2007) Rz 387.
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Grundrechte gründen sich auf Werte und Werthaltungen, im Falle der Stammzellen unleugbar auch auf religiös bestimmte Positionen;9 sie wollen diese Werte in der Form verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte zur Geltung bringen und sichern. Wenn mehrere Grundrechte auf einen Fall Bezug haben, bedarf es der inhaltlichen Abgrenzung und Werteabwägung im Einzelfall. Welcher Wert eine höhere Bedeutung für den Sachverhalt besitzt, ist zu klären und zu argumentieren. Das ist – auch im Falle des Art 6 RP – den Ethik-Kommissionen und den entscheidenden Behörden übertragen, die im Rechtsmittelverfahren von unabhängigen Gerichten, in Österreich letztlich vom Verfassungsgerichtshof, kontrolliert werden. Sie sind zu ethischen Entscheidungen ermächtigt, sie üben – wie die Forscher in ihren Anträgen auf Förderung – „Verantwortungsethik“. Wer allerdings einen bestimmten Wert absolut setzt, verweigert die Abwägung zwischen den Werten. In einem rechtsphilosophischen Sinne kollidiert absolutes und relatives Rechtsverständnis miteinander. Befürworter einer Ablehnung der Stammzellforschung neigen oft zu einer Perhorreszierung des relativen Rechtsverständnisses. Sie vertreten in der Regel, auch wenn sie nichts perhorreszieren, ethische Entscheidungen in der Art der „Gesinnungsethik“. In der Kollision der beiden kategorial verschiedenen ethischen Ansätze liegt mE die letztlich nur politisch-rechtlich überbrückbare Lösung des Konflikts – nämlich sich zugunsten der „Verantwortungsethik“, nicht der „Gesinnungsethik“ zu entscheiden.10 _____________ 9 Siehe die Beiträge in diesem Band, J. Wallner, Stammzellforschung: Die Diskussionslage im Bereich der philosophischen Ethik; W. Weisz, Stammzellforschung – aus der Sicht der jüdischen Medizinethik; H. Kreß, Humane embryonale Stammzellforschung in der Sicht protestantischer Ethik und die Reform des Stammzellgesetzes in Deutschland am 11. April 2008; S. Müller, Bedeutung und Rahmenbedingungen der Stammzelldiskussion. Katholisch-theologische Betrachtungen, und I. Ilkilic, Stammzellforschung: Die innerislamische Diskussionslage. Für die Diskussion in Österreich ist auf die Denkschrift zu Fragen der Biomedizin der Evangelischen Kirche in Österreich hinzuweisen: erarbeitet von U. Körtner in Zusammenarbeit mit M. Bünker,Verantwortung für das Leben (2001) 31 ff. 10 Die Denkschrift der Evangelischen Kirche (FN 9) bezieht sich, 14/15, auf eine theologisch fundierte „Verantwortungsethik“, im Anschluss an D. Bonhoeffer. Es ist durchaus hilfreich, vor allem die von M. Weber geprägten Begriffe heute wieder in die wissenschaftliche Diskussion einzuführen. Gesinnungsethik ist mit Intention verbunden, mit generell-abstrakten Vorgaben. Weber betrachtet Gesinnungsethik als typisch religiös fundiert. Sie neigt zur Heiligung von Konventionen und zu Rigorismus. Siehe „Politik und Beruf“, 1922; oder M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe (1964) 417 f, 447 ff, 1052 ff. Verantwortungsethik ist aus sozialer Gerechtigkeit an verantwortbaren Ergebnissen interessiert, gestattet Kompromisse und ist pragmatisch orientiert. Ich verdanke G. Stourzh den Hinweis auf den in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtigen Theologen R. Niebuhr, Moral Man and Immoral Society (1948), der ähnliche Begriffe bildet. Siehe seine eigene Stellungnahme in G. Stourzh. From Vienna to Chicago and Back. Essays on Intellectual History and Political Thought in Europe and America (2007) 5 ff.
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Für die Argumentation der Rangordnung von Werten bei Grundrechtskollisionen im Falle der Stammzellforschungen erscheint mir aus der europäischen Diskussion folgendes besonders beachtlich: wie immer der Einzelfall liegen mag – der lege artis geplanten, wissenschaftlich-methodisch standardisierten, freien, aber wissenschaftlich kontrollierten Forschung, die nach dem RP zudem final „im Dienste der menschlichen Gesundheit“ erfolgen muss, steht der Schutz des Lebens gegenüber, der sich auf eine nie oder nicht oder nicht mehr lebensfähige menschliche Zellmaterie bezieht, offensichtlich nicht auf menschliches Leben selbst. Die Unterscheidung zwischen menschlichem Leben und Lebensfähigkeit ist alt. Die Regelungen der bürgerlichen Gesetzbücher über die Erbfähigkeit des Totgeborenen beweisen es. Ohne die Entwicklung der Judikatur in Europa an dieser Stelle nachzeichnen zu können, ist festzuhalten, dass noch vor kurzem Gerichte, auch der österreichische Verfassungsgerichtshof, den Schutz des Lebens nicht „vorverlegt“ hatten; denn Schutz des Lebens bedeutete Schutz für das geborene, lebensfähige Leben. Die Beachtung der Menschenwürde wurde mit diesem Zeitpunkt verbunden. Eine neuere Entwicklung setzt erst mit der verbotenen, aber straffreien Schwangerschaftsunterbrechung ein, die den Schutz jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Unterbrechung, also bis zur 12. Schwangerschaftswoche, vorverlegt. Stammzellforschung bewegt sich noch weit vor diesem Zeitpunkt. Gerichtsentscheidungen zur Festlegung dieses Schutztermines stehen noch aus. Rechtlich supponiert muss werden, dass jede menschliche oder menschlich erzeugte Materie als solche schon menschliches Leben ist, unabhängig von ihrer Lebensfähigkeit, und damit Menschenwürde hat und Grundrechtschutz zugesprochen erhält.11 Angenommen muss werden, dass dieses menschliche „Material“ – Zellenkombination bis hin zum Embryo usw – rechtsfähig im Sinne der (österreichischen) Rechtsordnung ist. Besteht ein „Recht“ des Embryos und seiner Vorformen auf ein „sicheres“ Leben in Zukunft, dh auf die Sicherung der Lebendgeburt hin, auch wenn eine Lebendgeburt nicht möglich ist? Wenn der Embryo und seine Vorform rechtlich von der potentiell zunächst erziehungsberechtigten Mutter zwar repräsentiert wird, diese aber den Tod des Embryos bis zum Zeitpunkt der Schwangerschaftsunterbrechung straffrei verfügen darf? Nur wenn in vitro-Fertilisation und Schwangerschaftsunterbrechung als Regelfall abgelehnt und untersagt würden, entfielen diese forschungsethischen, deswegen freilich noch nicht die religiös-theologischen Annahmen und Fragestellungen. Die Suppositionen gründen sich auf religiös fundierte Überzeugungen, vor allem, dass mit der Zeugung die unverwechselbare Seele dem neuen _____________ 11 Siehe in diesem Band G. Virt, Stammzellforschung: Der bisherige Diskurs in der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt. Vgl Denkschrift (FN 9) 33 (Punkt 8.6).
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Menschen eingehaucht ist.12 Sie zu zerstören, bedeutete dann, die Menschenwürde zu verletzen, Mensch-Sein in Abrede zu stellen. Wie der Zeitpunkt „Zeugung“ zu verstehen ist, bleibt offen. Ist er naturwissenschaftlich oder faktisch, oder eher „poetisch“ zu verstehen? Wie immer er angenommen wird, die rigorose Interpretation, „ensoulment“ geschehe mit der „Verschmelzung der Ei- und Samenzelle“, womit zugleich die Annahme der Rechtsfähigkeit verbunden wäre, nehmen nicht alle philosophischen und auch nicht alle religiösen Positionen vor. Es überwiegen in den weltweit untersuchten jüdischen und christlichen Aussagen, dass „a full status of personhood“ nicht erreicht sei, damit aber auch nicht ein voller Grundrechtsschutz. Auf den demokratiepolitisch und grundrechtlich abgesicherten Pluralismus sowohl auf der Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf europäischer Ebene hat die EU Rücksicht zu nehmen. Mit Bezug auf die individuellen Grundrechtsverbürgungen kann von einem Schutz der pluralistischen Politik gesprochen werden. Im besonderen Maße gilt es, den religiösen Pluralismus zu beachten. Nicht einmal innerhalb der einzelnen Konfessionen besteht Einhelligkeit in der Sache Stammzellforschung, sofern ein Verhalten nicht hierarchisch verordnet wird. Dazu kommt, dass grundrechtlich die Glaubens- und Gewissensfreiheit die Achtung der „Weltanschauungen“ einschließt, der Rat also auch areligiöse, antireligiöse und atheistische Ansichten berücksichtigen muss. Wie kann aber eine Ratsentscheidung Pluralismus gewährleisten?13 Selbst wenn der Rat alle rechtlichen, forschungs- und industriepolitischen Argumente negierte und nur die religiös fundierten, ethischen Argumente akzeptierte, könnte er keinen Kompromiss zwischen den kontroversiellen Haltungen finden oder erzeugen. Er muss ihn vielmehr auf einer anderen Ebene suchen, insbesondere dann, wenn die Position – Finalität der Forschung „im Dienste der menschlichen Gesundheit“ und eine lege artis durchgeführte Forschung – als ethisch nicht ausreichend angesehen wird.14 _____________ 12 Dazu (religionswissenschaftlich und komparatistisch) L. M. Silver, Remaking Eden: How Genetic Engineering will Transform the American Family (1997); ders, Challenging Nature: The Clash Betweeen Biotechnology and Spirituality (2006). 13 In diesem Zusammenhang ist es interessant, auf PEW, Forum on Religions and Public Life, zu verweisen; es stellt 2005 fest, dass eine wachsende Unterstützung der Ansicht bekundet wird, wonach es besser sei zu helfen und zu heilen, als selbst potentielles Leben zu zerstören. Ausgedrückt wird damit aber das Paradox, dass der Ethik des Lebens eine Ethik des Heilens gegenübersteht. 14 Diese finale Bestimmung findet sich im RP und in den Spezifischen Programmen. Juristisch wenig aussagekräftig („Leerformel“) und im Sinne des Legalitätsprinzips der europäischen Verfassungen so gut wie nicht vollziehbar, ist es in der wissenschaftlichen Bewertung von Forschungsanträgen diskutierbar und lässt Differenzierungen für die Entscheidungen über Forschungsförderungen zu.
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Dem Schutz des Lebens auf der Ebene des (nicht lebensfähigen) Embryos oder seiner Vorformen wird in der politisch verfügten Werteabwägung durch Art 6 RP weniger Gewicht oder Wertigkeit zugesprochen als den nachfolgenden Stufen menschlichen Lebens, insbesondere weil und wenn sie in den Entwicklungsschritten tatsächlich zu Leben(sfähigkeit) führen. In diesem Argument erkennt man auch eine mögliche Kollision zwischen dem Grundrecht auf Gewissensfreiheit und dem Grundrecht auf Schutz des Lebens; dem Wert, nach seinem Gewissen – nicht näher ethisch oder ideologisch gekennzeichnet – (zB als Arzt) im Dienst der Gesundheit und der zukünftigen Verbesserung der menschlichen Gesundheit verantwortlich tätig zu sein, steht der Wert des absoluten Schutzes eines in bestimmter Weise definierten Lebens gegenüber. In diesem Zusammenhang sei daher beispielhaft erwähnt: Es ist schwierig zu argumentieren, dass überzählige Embryonen oder deren Vorformen, kryokonserviert, (gesetzlich vorgesehen) vernichtet werden (müssen), statt der wissenschaftlichen und wissenschaftlich verantworteten und kontrollierten Forschung zur Verfügung gestellt zu werden, oder dass Stammzelllinien aus anderen Ländern zwar importiert, aber nicht aus überzähligen Embryos bei nationalen (österreichischen) in vitro-Befruchtungen gewonnen werden dürfen. Es ist sehr schwierig, die für die Mutter jeweils schonende und erfolgversprechende Methode der Fertilisation und Behandlung abzulehnen oder den Empfang von Samen- und Eizellspenden (in Österreich) abzulehnen, wenn sie die SpenderInnen aus wissenschaftlichen Erwägungen für den Fortschritt der Forschung zur Verfügung stellen wollen.
IV. Der Zwischenstand 9. Das 7. RP ist in Kraft; die ersten Ausschreibungen sind veröffentlicht, die ersten Verfahren der Prüfung sind angelaufen. Die Diskussionen über die Förderung der Stammzellforschungen können auf der politischen Ebene als beendet angesehen werden, so sehr auch die Medienberichte und die wissenschaftlichen Berichte und Auseinandersetzungen über Stammzellforschungen, der Zahl und der Intensität nach, wieder stark zugenommen haben. Steckt im politischen Kompromiss des Art 6 RP also doch eine Meisterleistung? Ist es vor allem gelungen, zu den drei oben in Punkt 2 genannten vorteilhaften Folgen der Kompromisslösung eine vierte Folge und damit einen vierten Vorteil hinzuzufügen, nämlich mit der prozessualen Lösung, dh nach wissenschaftlichen Kriterien im und für den Einzelfall die Beachtung der ethischen Prinzipien zu prüfen, zugleich auch dem Prinzip Pluralismus Rechnung zu tragen? Es wurde mit dem Kompromiss den ethischen Problemen nicht ausgewichen, denn in der Einzelentscheidung können die nationalen Behörden und die Gremien der Gemeinschaft alle ihnen wichtigen Argu-
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mente abwägen, vor allem nationale Regelungen durchsetzen. Die Lösung wird auf Sicht und in ihren Grundzügen Bestand haben. 10. Eine nächste Runde politischer Diskurse wird vielleicht mit der vereinbarten Evaluation der Stammzellforschung in der zweiten Phase des RP (2010 bis 2013) einsetzen (Art 6 Z 4 RP).15 Wahrscheinlich ist es nicht; alternative wissenschaftliche Methoden, vor allem jenseits der Tierversuche, haben sich bisher nicht ergeben. Die jetzt relevanten ethischen Fragestellungen bleiben auf Sicht unverändert erhalten.
_____________ 15
Mit der Publikation der „European Group on Ethics in Science and New Technologies to the European Commission, Recommendations on the Ethical Review of hESC FP7 Research Projects, Opinion No 22“ vom 20. 6. 2007 liegt eine erste ausführliche Studie zur Lage der Stammzellforschung – gefördert durch die Gemeinschaft – im Übergang zwischen dem 6. und 7. RP vor. Es enthält einen Überblick in die Arbeit der Ethikkommission der Gemeinschaft zum Thema, Ausführungen zu bisherigen Forschungen und den forschungspolitischen Aspekten sowie Empfehlungen an die Europäische Kommission zur Regelung der Förderung von Stammzellforschungsprojekten im 7. RP.
Die „embryonale Stammzelle“ als Ko-Produktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft Ulrike Felt
I. Einleitung Es steht außer Zweifel, dass die Debatte um embryonale Stammzellen langfristig kritisches Potential in sich trägt, und, wie wir über das letzte Jahrzehnt beobachten konnten, auch keineswegs einfach zu beenden ist. Sie war und ist immer begleitet von einem Diskurs über Hoffnung auf Heilung von Krankheit, gehüllt in eine dichte Metaphorik, die gleichzeitig der Aufbruchsstimmung und der Sorge Ausdruck verleiht. Sie war und ist immer geprägt von umfassenden Entwürfen zukünftiger Möglichkeiten, aber auch möglicher Zukünfte, die sich durch die Erforschung von Stammzellen und die Umsetzung dieses Wissens eröffnen würden. Gerade in den letzten Monaten hat die Debatte immer wieder neue Wendungen genommen. Durch die in der zweiten Hälfte 2007 publizierten Arbeiten, die aufzeigten, dass es möglich ist sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen – also quasi-Äquivalente von embryonalen Stammzellen – aus bereits ausdifferenzierten Hautzellen zu „reprogrammieren“, wurden Erwartungen in ganz neue Möglichkeiten für das Gebiet der regenerativen Medizin und ihrer Forschung laut. Während man an der Dichte der öffentlichen Statements aus Medien, Politik und Ethik auf das erhoffte Potential dieser Innovation schließen könnte, so reiht auch das renommierte Wissenschaftsmagazin Science diese Arbeit auf Platz 2 der zehn bedeutendsten wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahres 2007. Nur wenige Monate später, im Jänner 2008, wurde der Stammzellen-Hype durch die Meldungen einer Publikation in Cell Stem Cell noch verstärkt. Es sei Forschern der US Biotech Firma Advanced Cell Technology gelungen, menschliche embryonale Stammzellen zu gewinnen, ohne dabei die Embryonen zerstören zu müssen. In der Tat würde dies mit Hilfe von Techniken ähnlich derer, die auch in der Präimplantationsdiagnostik verwendet werden, möglich gemacht, wobei – so die Hervorhebung – der „verbleibende Embryo“ sich „normal weiterentwickeln“ würde. Aber auch seither sorgen regelmäßige Meldungen aus der Stammzellforschung dafür, dass die Debatte über deren Möglichkeiten und Grenzen immer wieder aufflammen.
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Die hohe Aufmerksamkeit, die diese Meldungen erhielten, lässt sich nicht nur aus dem wissenschaftlichen Gehalt heraus erklären, sondern liegt vor allem in der Tatsache, dass man mit diesen neuen Methoden auch die Hoffnung schürte, den jahrelangen ethischen und, damit verknüpft, wissenschaftspolitischen Diskussionen über die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen entkommen zu können. Das Aufatmen war allerdings nur kurz. Zum einen wurde immer wieder hervorgehoben, dass es sich vorerst nur um einen Proof of Principle, also den Beweis einer prinzipiellen Möglichkeit handelt, und zum anderen sind sich auf internationaler Ebene ExpertInnen über potentielle Nebenfolgen bzw darüber, wie der Prozess der Herstellung dieser neuen Kategorie von Stammzellen ethisch einzuschätzen sei, durchaus uneinig. Nimmt man nicht nur die wissenschaftlichen Publikationen und die medialen Reaktionen als gesellschaftlichen Spiegel für die Komplexität der Debatte, so ist auch ein kurzer Blick auf die Diskussionen rund um die gesetzlichen Rahmungen lohnenswert. So zeigte etwa im April 2008 die Diskussion des Deutschen Bundestages um die Neuregelung der Stammzellforschung, wie schwierig es ist, diese Debatten entlang klassischer Parteigrenzen zu führen und in eindeutige „politische Verpackungen“ zu stecken. Es ist aber ebenso interessant darauf zu verweisen, dass eine Politik des „Nicht-Regelns“, wie sie bislang in Österreich der Fall ist, wohl auch keinen befriedigenden Zustand darstellt, weder auf einer wissenschaftlichen noch auf einer gesellschaftspolitischen Ebene. Es bleibt also die zentrale Frage bestehen: Wie gehen wir mit diesem Problembereich gesellschaftlich um? Wie gelingt es, dieser Wandelbarkeit und Vielschichtigkeit des Objektes „embryonale Stammzelle“ auf den unterschiedlichen Ebenen gerecht zu werden? Und schließlich, wie entkommen wir der trügerischen Hoffnung, dass man diese kontroversiellen Debatten einfach – quasi ein für alle Male – schließen könnte?
II. Embryonale Stammzellen als Ko-Produktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft Vor diese Fragen gestellt scheint es lohnend, für einen Moment von einer rein regulativen oder ethischen Betrachtung des Themas Stammzellforschung abzurücken und auch forschungspolitische und wissensökonomische Überlegungen eher in die Rolle eines Kontextes zu drängen. Stattdessen soll das Augenmerk aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive direkt auf das Objekt „embryonale Stammzelle“ selbst gelenkt werden. Im Folgenden gilt es aufzuzeigen, dass und wie dieses Objekt in unterschiedlichen Zusammenhängen immer neue, vielfältige Formen annimmt. Im Sinne von John Law (2000, 1) soll das Objekt „embryonale Stammzelle“ somit nicht als feststehende, wohldefinierte Entität verstanden werden, sondern immer als „eine
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Konsequenz einer Reihe von Beziehungen, eine Konsequenz […] eines Netzwerkes“. Hinter einer solchen Herangehensweise steckt somit die Annahme, dass es die embryonale Stammzelle an sich nicht gibt – auch wenn wir davon ausgehen, dass die Stammzelle wissenschaftlich definiert, abgebildet und mit ihr im alltäglichen Forschungsbetrieb und in der medizinischen Anwendung gearbeitet werden kann. Vielmehr soll argumentiert werden, dass die embryonale Stammzelle in ihrer Bedeutung immer wieder neu in sehr unterschiedlichen Netzwerkkonstellationen und Zusammenhängen hervorgebracht und gefasst wird. Damit ist sie nie ein rein wissenschaftliches Objekt, sondern immer das Ergebnis einer Ko-Produktion (Jasanoff 2004) zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Dies bedeutet, dass im Folgenden der öffentliche und der wissenschaftliche Raum als miteinander verwoben verstanden werden und davon ausgegangen wird, dass „die Weisen in denen wir Wissen und Repräsentationen über die Welt (beides Natur und Gesellschaft) erzeugen, untrennbar von den Weisen sind, in denen wir entscheiden in ihr zu leben“ (Jasanoff 2004, 2). Wissenschaftliche und gesellschaftliche Ordnungen sind daher immer nur gemeinsam zu verstehen. Dies ist aber nicht nur auf einer erkenntnistheoretischen Ebene von Bedeutung. Ganz im Gegenteil: Die Erkenntnis, wo und wie die unterschiedlichen „embryonalen Stammzellen“ entstehen und sich durchsetzen können, ist von weitreichender gesellschaftspolitischer Bedeutung. Denn erst dadurch kann verständlich gemacht werden, wo und wie Widerstand gegen bestimmte Konstruktionen dieses Objekts entstehen, welche Versionen sich durch spezifische Netzwerke, aus denen heraus sie entstehen, durchsetzen können und warum die Frage der embryonalen Stammzelle und ihres Platzes in der Gesellschaft immer wieder aufs Neue gestellt werden wird/werden muss.
III. „Die embryonale Stammzelle“: Ein „haariges Objekt“ entstanden aus „riskanten Verwicklungen“? Auf Grund der Schwierigkeit das Objekt „embryonale Stammzelle“ in seiner Komplexität und Vielfachheit zu fassen, bietet sich die Metapher des „haarigen Objektes“ des französischen Wissenschaftsforschers Bruno Latour (2001) an. Damit bezeichnet er Entitäten, mit denen sich WissenschaftlerInnen beschäftigen, die aber gleichzeitig nicht den Status „rein wissenschaftlich“ haben und damit immer auch gesellschaftlich verhandelbar sind. Definiert man etwa embryonale Stammzellen als einfache „Ressource für die Forschung“, als „Heilmittel“ oder als „zerstörte Embryonen“, ist somit keine erkenntnistheoretische Frage, sondern wird zu einer politischen Frage. Deren Beantwortung involviert somit nicht wissenschaftliche Expertise im engeren Sinn, sondern benötigt ein breites Spektrum unterschiedlichster gesellschaftlicher Kompetenzen und Perspektiven. Darum kann die Frage nach der Bedeutung embryonaler Stammzellen auch niemals allgemeingültig und
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endgültig beantwortet werden, wobei es gleichzeitig dennoch notwendig ist, dies stetig zu versuchen. Haarige Objekte sind aus Latours Sicht ein Ergebnis dessen, was er als „riskante Verwicklungen“ beschreibt. Mit riskanten Verwicklungen verweist er auf die Tatsache, dass wissenschaftliche Erkenntnisproduktion immer schon in einem gesellschaftlichen Kontext stattfindet, und dass die Vorstellung, es gäbe eine klare, eindeutige und über die Zeit stabile Grenze zwischen Natur und Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, zwischen Fakten und Werten, Meinungen und Tatsachen, im Grunde eine von uns selbst historisch hervorgebrachte ist. In der Tat – so soll im Folgenden argumentiert werden – haben wir es immer mit Kombinationen, Mischungen, also mit hybriden Zuständen und Objekten zu tun. Eine der Hauptaufgaben, die der Wissenschaft im Laufe ihre Geschichte zugewiesen bzw von ihr angenommen wurde, ist es, eine ihrer eigenen Rationalität folgende geordnete Welt zu schaffen, also den Versuch sauberer Trennungen zu unternehmen mit dem Ziel scheinbar wohldefinierte – gewissermaßen „kahle Objekte“ – zu schaffen. Bei näherem Hinsehen erweisen sich diese, wie wir zeigen werden, aber oft als „haariger“ als der erste Blick vermuten ließe. Wie solche Verwicklungen bisweilen sehr deutlich sichtbar werden, könnte man illustrativ das Beispiel eines Interviews in der Zeit Online (34/2000)1 mit dem Titel „Rohstoff Mensch“ heranziehen, der dann auch den viel versprechenden Untertitel „In amerikanischen Labors hat die Zukunft schon begonnen“ trägt. Herausgegriffen sei dabei die Reaktion eines interviewten US-amerikanischen Stammzellforschers auf die vielfach zitierte Aussage des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dass Embryonen in Deutschland unter besonderem gesetzlichen Schutz stehen würden und er daher dafür plädiere, sich auf adulte Stammzellen zu konzentrieren: „Herr Winnacker hat hier offenbar“, hebt der Forscher hervor, „ein politisches Statement abgegeben, kein wissenschaftliches. Man kann die Stammzellforschung nicht einfach einstellen. Das ist der falsche Ansatz.“ Und er setzt dann fort, dass es „unmoralisch sei, Menschen das Recht auf diese Therapien zu entziehen.“ Was dieser kurze Austausch exemplarisch zeigt, ist, dass wir es gleichzeitig auf einer Ebene mit dem Versuch einer Grenzziehung (Gieryn 1995) zu tun haben – hier zwischen Wissenschaft und Politik. Winnackers Argument soll entkräftet werden durch seine Einordnung in das Register nicht-wissenschaftlicher Aussagen. Dabei wird aber schnell deutlich, dass die Gegenargumente ebenfalls Hybridcharakter besitzen, indem die PatientInnen und ihre Rechte bzw die moralische Verpflichtung der Wissenschaft ihnen gegenüber aufgerufen werden.
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www.zeit.de/2000/43/Rohstoff_Mensch?page =4.
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IV. Die Widerspenstigkeit der Stammzelle Damit könnten wir – um Latours Metapher der haarigen Objekte weiterzuspinnen – davon ausgehen, dass die WissenschaftlerInnen gewissermaßen den Versuch unternehmen, diese „haarigen Objekte“ zu rasieren, sie aus ihren „gefährlichen Verwicklungen“ herauszulösen, sie als rein wissenschaftliche Objekte zu präsentieren. Dies bedeutet konkret, dass alles, was nicht den normativen Idealen einer wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion entspricht, was also auf gesellschaftliche Einwirkungen hinweisen könnte, unsichtbar gemacht wird. Erst so kann die Vorstellung entstehen, dass es ein eindeutiges wissenschaftliches Objekt „embryonale Stammzelle“ gibt, über das dann in der Folge auch berichtet werden kann, das reguliert werden kann und über das wir aus ethischer Perspektive Einschätzungen vornehmen können. Diese „Kunst des Rasierens“ wird von der Wissenschaft sehr gut beherrscht und ist auch solange funktional und erfolgreich, wie man sich im Kernbereich des Wissenschaftssystems bewegt, also für die wissenschaftliche Gemeinschaft publiziert und zu ihr spricht. Und dennoch herrscht auch beim Thema embryonaler Stammzellen nicht unbedingt Einigkeit unter den ForscherInnen, wie weit man gehen sollte. Zu sehr sind weltanschauliche Fragen mit diesem Objekt und der Forschung daran verbunden. Jedenfalls aber, so man gewissermaßen die Wände des Labors verlässt, wächst die Komplexität, wird die Haarigkeit deutlich sichtbar, da man in diesem Kontext kaum von gemeinsamen Wertesystemen, Interessenslagen und Einschätzungen ausgehen kann. Um zu verstehen, wie die Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit des Objektes „embryonale Stammzelle“ entsteht, werden wir uns im Folgenden in vier konkrete, sehr unterschiedliche Kontexte begeben. Die erste Perspektive verortet die Stammzelle als eingebettet in eine Wissensgesellschaft, mit spezifischen Denk- und Handlungsweisen. Zweitens sollen die Medien als ein weiterer Ort der Ko-Produktion von Stammzelle und Gesellschaft betrachtet werden. In einem dritten Schritt wenden wir uns der Bedeutung von spezifischen lokalen/nationalen techno-politischen Kulturen zu, die den Umgang mit komplexen techno-wissenschaftlichen Objekten prägen. Und schließlich gehen diese Ko-Produktionsprozesse auch nicht spurlos an denen vorüber, die sich wissenschaftlich damit beschäftigen, das „kahle Objekt Stammzelle“ hervorzubringen, mit und an ihm zu forschen: den WissenschaftlerInnen. Es geht also darum aufzuzeigen, dass auch im Feld der Wissenschaft aus Perspektive der dort tätigen ForscherInnen ganz unterschiedliche Repräsentationen der Stammzelle hervorgebracht werden.
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1. Wissen(schaft)sgesellschaft: Stammzelldebatten und ihre gesellschaftspolitische Einordnung Wir leben heute in einer Wissen(schaft)sgesellschaft – lautet eine vielfach geäußerte Diagnose. Konkret verweist dieser Begriff auf eine Gesellschaft, in der Wissen und Wissensstrukturen einen zentraleren Stellenwert als bisher einnehmen; in der sich sozialer Wandel an Fortschritten auf den Gebieten des wissenschaftlichen Wissens orientiert; in der Wissenschaft und Technik bevorzugte Lieferanten für neue Formen des Handelns werden und dabei andere Wahrnehmungs- und Handlungsmuster zu verdrängen versuchen. Wissenschaft und das von ihr produzierte Wissen werden somit nicht nur zum Organisationsprinzip moderner Gesellschaft, sondern gleichzeitig auch zur Problemquelle. Dies bedeutet aber auch, dass wir uns unsere Wirklichkeit, in der wir leben, auf Basis von Wissen einrichten und dass wir Ereignisse und Entwicklungen zunehmend als „gemacht“ verstehen müssen, Ereignisse und Entwicklungen, die vorher einfach „stattfanden“ (Stehr 2001). Diese gesellschaftliche Wahrnehmung von und Erwartung an Wissenschaft – man betrachte nur die sogenannte Lissabonner Erklärung und ihre Vision von Europa als wettbewerbsfähige weltweit führende Wissensökonomie (EC 2000) – bringt aber gleichzeitig eine ambivalente Position der Gesellschaft gegenüber wissenschaftlich/technischen Innovationen mit sich. Themen wie Nebenfolgen und Risiken von Wissenschaft und Technik sind integraler Bestandteil unseres Denkens, des alltäglichen gesellschaftlichen Repertoires und Selbstverständnisses geworden. Gleichzeitig entwickelten sich auch Rituale und Strukturen, mit diesen umzugehen, wobei gerade Ethikdebatten weitgehend institutionell „ausgelagert“ wurden. Ethikkommissionen wurden gegründet, deren Zahl in den letzten Jahren in Europa stetig gewachsen ist. Dadurch entstanden neue Orte, an denen der Versuch unternommen wird, wissenschaftlich-gesellschaftliche Objekte wie „embryonale Stammzellen“ zu fassen, ihnen Bedeutung zuzuordnen und ihnen dadurch einen Platz in der Gesellschaft zuzuweisen. Diese Kommissionen sollen also gewissermaßen institutionalisierte Artikulationsorte zwischen Wissenschaft und Gesellschaft werden. Da diese – wie etwa in Österreich – weitgehend von einschlägigen ExpertInnen besetzt sind, ist es durchaus nicht selten der Fall, dass sich die Meinungsbildung innerhalb dieser Kommissionen mit breiteren gesellschaftlichen Wahrnehmungen keineswegs deckt (Bogner & Manz 2005). Gleichzeitig können wir aber gerade in den letzten Jahren in europäischen Ländern Bemühungen ausmachen, Bürgerpartizipation einzuführen, vor allem, wenn es sich um als gesellschaftspolitisch heikel eingestufte wissenschaftlich-technische Themen handelt (Felt et al 2006). Neben grüner Gentechnik und Umweltfragen fand sich gerade das Thema Stammzellen daher immer wieder im Zentrum solcher Veranstaltungen.
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Was beide Systeme – seien es Ethikkommissionen oder Bürgerpartizipationsverfahren – gemeinsam haben, ist dennoch eine starke Fokussierung auf Expertenwissen. Bevor es zu einer Deliberation kommen kann, gilt es also, den ExpertInnen einen recht breiten Raum einzurichten, um ihre Vorstellungen und Beurteilungen der Sachlage anzubieten. Dadurch werden zwar die engeren wissenschaftlichen Positionen nicht mehr einfach durchsetzbar, sie bleiben aber dennoch weitgehend privilegierte Lieferanten von Wissen (Felt et al 2009). Es entstehen somit ganz unterschiedliche Orte und Formate der Reflexion und Beratung und damit auch eine VertreterInnendiskussion, also ein Wettbewerb an möglichen Stimmen, die legitimer Weise für eine Gesellschaft sprechen können. Die Entwicklung führt im Grunde nicht unbedingt zu einer Stabilisierung, sondern die Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten von kleineren Akteursgruppen trägt im Grunde zu einer Unterminierung der zentralen Definitionsmacht und Autorität bei – sei sie bei Staat oder Wissenschaft angesiedelt. Da Wissen das Demokratiepotential steigert, werden auch kritische Fragen und Widerstand möglich. Daher spricht Stehr (2000) auch vom Phänomen der „Zerbrechlichkeit moderner Gesellschaften“, wobei Zerbrechlichkeit sich auf die schwieriger werdende Steuerung der Gesellschaft und die damit verbundene Vorhersage gesellschaftlicher Entwicklungen bezieht. Schließlich scheint es wesentlich anzumerken, dass in dieser Wissensgesellschaft Zukunft und ihre Konstruktion eine ganz neue Rolle zugewiesen bekommt. Sie ist immer schon als erweiterte Gegenwart vorhanden in Form von immer dichter werdenden wissenschaftlich-technischen Versprechungen. Dieses angenommene zukünftige Potential der Stammzellforschung geht aber immer Hand in Hand mit weitreichenden potentiellen Zukünften, die sich vielfach einer Beurteilung entziehen. Es entsteht also gewissermaßen ein Parallelmarkt, auf dem nicht mit Wissen, mit Produkten oder Verfahren gehandelt wird, sondern vor allem mit Versprechungen. In der embryonalen Stammzelldebatte – sei sie rechtlich, ethisch oder wissenschaftspolitisch ausgelegt – spielt dies eine besondere Rolle, da das Versprechen auf Heilung menschlicher Krankheiten – sei sie auch noch so entfernt – ein essentieller Bestandteil davon ist, was es zu beurteilen gilt (Felt 2007; Felt & Wynne 2007). Und gerade diese Verwicklung von gegenwärtigen Möglichkeiten und damit einhergehenden Zukünften ist eine sehr beliebte und immer dichter gewordene Form der „riskanten Verwicklung“, die gerade in der Konstruktion der embryonalen Stammzelle eine bedeutende Rolle spielt.
2. Medien: Nicht Berichterstatter sondern gesellschaftspolitisches Labor Wechseln wir nun den Standort und betrachten für einen Moment die Rolle der Medien in der Stammzelldiskussion. Wesentlich ist hier, dass Medien
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nicht als Berichterstatter, also als Orte, an denen Wissenschaft vereinfacht den BürgerInnen nahe gebracht werden soll, verstanden werden sollen. Vielmehr schließe ich mich der niederländischen Wissenschaftsforscherin Nelly Oudshoorn (2003) an und betrachte Medien gewissermaßen als erweitertes gesellschaftliches „Labor“, in dem quasi medizinisch-wissenschaftliche Ideen, Verfahren, Objekte auf ihre gesellschaftliche Passform und Akzeptanz getestet werden. Denn es geht ja in Medien immer um eine sprachlichdiskursive Konstruktion der Bedeutung dessen, worüber berichtet wird. Es geht um die Geschichte, deren Moral und Ausgang, in denen dann etwa Metaphern und Analogien eine zentrale Rolle einnehmen. Dadurch werden Möglichkeiten geschaffen, komplexe Sachverhalte „erfahren“ zu können, was wiederum bestimmte Handlungsmöglichkeiten für die jeweiligen Zielpublika eröffnet. Damit werden aber eben auch implizite Ordnungen vorgenommen und Einschätzungen „vorgeschlagen“ und durch wiederholtes Aufgreifen auch gesellschaftlich umgesetzt, eingeübt und durchgesetzt werden. Dies könnte man etwa in der deutschsprachigen Debatte um embryonale Stammzellen über die letzten Jahre nachvollziehen, wo in einer Analyse der Medienberichterstattung deutlich wird, dass Begriffe wie Embryo oder Fötus etwa fast durchgängig in manchen Medien durch den Begriff Zellhaufen ersetzt wurden, der dann quasi als neutraler sprachlicher Ausweg gesehen wird. Oder man könnte die Verschiebung der Bedeutung zwischen menschlichem Embryo oder embryonalem Menschen heranziehen, um die Unterschiedlichkeit von Darstellungen zu illustrieren. Es ist also essentiell zu betrachten, welche Bilder für embryonale Stammzelle verwendet werden und welche jeweiligen Bedeutungszusammenhänge sie daher in die Debatte mit einbringen, ohne diese explizit zu machen. Ist die embryonale Stammzelle nun Mutter, Kraftwerk, Heilsbringer, Alleskönner, … oder wird sie mit Vokabeln wie Material, Zellhaufen, … in Verbindung gebracht? Wie wird mit Begriffen wie Versprechen, Hoffnung oder Traum umgegangen? Welche Krankheiten werden als potentiell heilbar angeführt – Altzheimer, Parkinson, … – und inwieweit deckt sich dies mit ihren Geschichten als weitverbreitete sogenannte neue Volkskrankheiten? Welche Rolle spielen Metaphern des ökonomischen Potentials, wie etwa „Goldgrube“ oder „Rohstoff“? Und schließlich stellt sich in einer zunehmend global werdenden Welt die Frage, ob hier noch lokale/nationale Unterschiede auszumachen sind, da sie doch im Grunde lokale Sinnstiftung mitgestalten, oder ob auch die Metaphern und Bilder zunehmend global werden. Hier möchte ich eine Analyse des Vergleiches der Diskussion in Deutschland und Großbritannien nur kurz heranziehen (Döring/Nerlich 2004), wobei die AutorInnen sowohl Überschneidungen als auch deutliche Differenzen ausmachen. Was sich als gemeinsame Erzählung festmachen lässt, sind Potentialitätserzählungen, wenngleich sie dann auch in den Details Unterschiede aufweisen, eine hohe Dichte an Fortschrittsmetaphern und unterschiedlich intensiv verwendete Kampf- und Schlachtmetaphern. Dies scheint ein über das Lokale hinausge-
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hender Pool an Bildern zu sein, der zur Inszenierung der Stammzelle strukturierend beiträgt. Differenzen erscheinen vor allem im Bereich ökonomischer Metaphorik, die in der deutschen Diskussion relativ stärker präsent ist, wenngleich mit beiden Vorzeichen vertreten. In den britischen Medien kann man wiederum eine stärkere Präsenz spektakulärer aber auch spekulativer Elemente wiederfinden, mit denen Bilder von Wissenschaftlern (überwiegend männlich) als Heilsbringer und Herren über Leben und Tod gezeichnet werden. Für beide Länder zeigen die Autoren aber auch, dass bestimmte Bilder es schaffen, zu einer globalen Währung zu werden und so auch zu einer Homogenisierung des Diskurses beizutragen, aber auch zur Vorstellung, die Probleme würden in unterschiedlichen Kontexten in etwa gleich laufen. Was mit dieser Reflexion über die Rolle von Medien in der Schaffung von Stammzellen gezeigt werden sollte, ist, dass es sich nicht nur um vereinfachte Geschichten aus der Wissenschaft handelt, sondern diese eine durchaus hohe Definitionsmacht besitzen. Damit geht aber dann auch eine Verantwortung für die Erzählung einher, es geht also auch um eine „Forschungsethik im medialen Labor“, in dem „embryonale Stammzellen“ sprachlich und bildlich hervorgebracht werden.
3. Lokale techno-politische Kulturen in globalen Zusammenhängen Wir bewegen uns jetzt in einen dritten Kontext, in dem wissenschaftlichtechnische Objekte zu verorten sind bzw aus denen heraus sie entstehen, nämlich lokale techno-politische Kulturen. Dabei ist es wesentlich in einem ersten Schritt Sheila Jasanoffs (2005) Konzept der „civic epistemologies“ etwas näher zu betrachten. Ausgehend von einem Vergleich der großen Debatten in den Lebenswissenschaften zwischen den USA, Großbritannien und Deutschland, beobachtet sie die Existenz spezifischer Arten und Weisen in einer jeweiligen Gesellschaft gemeinsam etwas zu wissen und darauf aufbauend dann auch Entscheidungszusammenhänge herzustellen. Unter dem Begriff „W/wissen“ subsumiert sie dabei unterschiedliche Dinge, wie etwa den öffentlichen Umgang mit Rechenschaftslegung, was als öffentlicher Beweis akzeptiert wird, welche Form von Expertise als essentiell angesehen wird und wie transparent diese gestaltet sein muss, aber etwa auch, was als objektives Wissen gilt. Diese unterschiedlichen Wissenskulturen führen dann zu fundamental unterschiedlichen Einschätzungen, sei es nun in der Stammzelldiskussion, der grünen Gentechnik oder in anderen technowissenschaftlichen Bereichen, die die Autorin aufgreift. Jede wissenschaftlich-technische Innovation erfährt somit in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext eine Bedeutungszuweisung und verlangt auch nach unterschiedlichen Umgangsformen.
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Diese nationalen/kulturellen Unterschiede sind zwar nicht am Beispiel der Stammzelldiskussion im Detail im österreichischen Kontext erforscht, man könnte aber durchaus Parallelen zu anderen biomedizinischen Bereichen ziehen. Im Rahmen eines EU-Projekts mit dem Titel „Herausforderungen der Biomedizin“2, welches gemeinsam mit EthikerInnen und anderen SozialwissenschaftlerInnen durchgeführt wurde, standen zwei biomedizinische Technologien, nämlich Transplantationsmedizin und genetische Tests, im Mittelpunkt. Zentral ging es dabei um die Wahrnehmung dieser biomedizinischen Möglichkeiten durch BürgerInnen, die entweder davon persönlich betroffen waren oder schlicht Interesse an einer Debatte darüber hatten. In einem detaillierten Vergleich der Debatten in den Niederlanden, Frankreich und Österreich (Felt et al 2008c) konnte dabei herausgearbeitet werden, aus welch grundlegend unterschiedlichen Wahrnehmungen heraus Einschätzungen dieser Technologien vorgenommen wurden. So ist es etwa interessant festzustellen, dass während im französischen Kontext hinter beiden Technologien die starke Vorstellung stand, dass diese mit dem Selbstverständnis „der Nation“ aufs Engste verwoben sind und zu einer Realisierung eines gemeinsamen gesellschaftlichen Ziels beitragen, im österreichischen Fall eine enorme Schwierigkeit bestand, diese Technologien überhaupt gemeinsam zu diskutieren. Es fehlte zum einen an „Übung“ komplexe wissenschaftlichtechnische Innovationen zu diskutieren und zum anderen an gemeinsamen Bezugspunkten und Verweismöglichkeiten, wie etwa eine lebhafte mediale Diskussion. Es kann für Österreich also eher von einer techno-politischen Kultur des öffentlichen Schweigens ausgegangen werden, eine Facette, die wir zum Teil auch in einem längerfristig angelegten Partizipationsprojekt im Rahmen der Genomforschung im Detail beobachten konnten. Was nun die Rolle des Staates in all dem angeht, so ist im österreichischen Fall ein faszinierender Unterschied zwischen den beiden Technologien zu beobachten. Während die TeilnehmerInnen Organtransplantation eher als klassische mechanistische und auf „das Objekt Organ“ fokussierte Technologie skizzierten, waren Gentests für sie ein komplexes sozio-technisches Netzwerk, in dem vor allem ökonomische Interessen, Machtstrukturen und eine grundlegende Neukonzeptualisierung des Menschen am Werk waren. Während für die Organtransplantation dem Staat eine zentrale Rolle zugesprochen wird, werden Gentests als von vielen verschiedenen (insbesondere ökonomischen) Interessen getrieben verstanden. Konsequenterweise erhalten weder der Staat noch seine BürgerInnen eine bedeutende Rolle in der Gestaltung dieser Technologie zugesprochen (Felt et al 2008a). In den Niederlanden wiederum wurde durch die Analyse deutlich, dass die individuelle Entscheidungsfreiheit als gesellschaftlicher Wert so hoch angesiedelt ist, dass spezifische medizinisch-technische und rechtliche Lösungen gesucht werden müssen, um etwa auf die Organknappheit eine Antwort zu finden. Der Staat erhält in dieser Auseinandersetzung eher eine Moderatorenrolle und überlässt _____________ 2
www.univie.ac.at/virusss/cob.
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sehr viel der Aktivität den BürgerInnen bzw unterschiedlichen Formen von Vertretung. Durch diesen Vergleich soll zum Ausdruck gebracht werden, dass wir Debatten und Lösungsoptionen auch nicht einfach von Land zu Land transferieren können, dass die embryonale Stammzelle in den unterschiedlichen techno-politischen Kulturen auch unterschiedliche Bedeutung annimmt. Daher gilt es eine eigene Weise der Auseinandersetzung zu entwickeln, wobei klar ist, dass auf Grund einer langen Nicht-Gesellschaft-Beteiligungsgeschichte Mitsprache auch erst erlernt werden muss.
4. Wissenschaftskulturen: Über die unterschiedlichen Vorstellungen und Umgangsweisen mit dem Forschungsobjekt embryonale Stammzelle3 Ein letzter Perspektivenwechsel auf dieser Reise durch die Orte der Entstehung der verschiedenen „embryonalen Stammzellen“ führt uns in das Wissenschaftssystem selbst. Die wissenschaftspolitische Debatte weitgehend ausblendend, sollen nun die wissenschaftliche Arbeit selbst und die daran beteiligten Personen ins Zentrum gerückt werden. Es geht also darum zu verstehen, wie ForscherInnen selbst dieses Objekt „embryonale Stammzelle“ verstehen, verorten und mit ihm umgehen. Dabei sind sie allerdings nie nur ForscherInnen, sondern immer auch als BürgerInnen zu verstehen, die ein bestimmtes Weltbild besitzen, aber auch mit der Gesellschaft, in der sie leben, bestimmte Werte und Vorstellungen teilen. Damit soll verdeutlicht werden, dass nicht nur Wissenschaft den gesellschaftlichen Raum gestaltet, sondern auch gesellschaftliche Strukturen oder etwa wissenschaftsbezogene Sprachbilder in den Bereich der Erkenntnisproduktion zurückwirken (Fleck 1935/1994). Zwei Perspektiven sind für unsere Reflexion von Interesse. Zum einen geht es darum zu verstehen, ob und worüber WissenschaftlerInnen in Zusammenhang mit Stammzellen diskutieren wollen, da uns dies Aufschluss über ihre gesellschaftliche Positionierung des Objektes gibt. Zum anderen soll reflektiert werden, wie sie das Objekt ihrer Forschung umreißen, konzeptualisieren und kommunizieren. Auch wenn unter den ForscherInnen heute durchaus Bewusstsein über die Notwendigkeit der Diskussion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft herrscht, so werden dennoch immer wieder mehr oder weniger implizite _____________ 3 Ein Teil der diesem Abschnitt zu Grunde liegenden Beobachtungen stammt aus Interviews, welche Andrea Schikowitz 2004/05 in Wien mit ForscherInnen im Bereich der Stammzellforschung für ihre Diplomarbeit geführt hat. Ich bedanke mich hiermit für das Zurverfügungstellen des Interviewmaterials. Darüberhinaus wurde auf Erfahrungen und Ergebnisse eines Forschungsprojektes zur Interaktion zwischen GenomforscherInnen und BürgerInnen zurückgegriffen; www.univie.ac.at/projects/1/ 789 (siehe Felt/Fochler 2008b; Felt et al 2009).
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Versuche der „einfachen Bereinigung“ von „riskanten Verwicklungen“ sichtbar. So wird etwa in Interviews und Diskussionen zu diesem Thema von ForscherInnenseite immer wieder ein Repertoire von Gründen angeführt, die eine Diskussion (noch) nicht bzw nicht mehr notwendig machen. Das am häufigsten zum Einsatz gelangte Argument ist jenes, dass das Wissen noch nicht weit genug fortgeschritten sei, um eine ethische Diskussion führen zu können/müssen. Dieses „das-können-wir-ohnehin-noch-nicht-machen“-Argument verweist auf die Vorstellung, dass es einen Kern wissenschaftlicher Wissensproduktion gibt, der quasi außerhalb der Gesellschaft stattfindet und dass erst die anschließenden Anwendungen solchen Wissens eventuell gesellschaftliche Probleme hervorbringen könnten. Damit befinden wir uns in einem klassischen linearen Modell, in dem Innovation als schrittweiser Prozess von Grundlagenforschung über die anwendungsorientierte Forschung zu vermarktbaren Produkten bzw Verfahren verstanden wird. Ethische Probleme treten in einem solchen Modell erst wirklich mit den Anwendungen eventueller Forschung auf und es wird versucht diese so weit wie nur möglich aus dem Bereich der engeren Forschung selbst herauszuhalten. Dabei wird aber übersehen, dass eine solche Trennung im Grunde nicht aufrechterhaltbar ist, da Anwendungszusammenhänge, wenngleich in vager Form, in der heutigen Forschung eine durchaus zentrale Rolle vor allem bei Förderentscheidungen spielen. Das zweite klassische Argument ist jenes, dass im Grunde nur Experten wirkliche Einschätzungen vornehmen können, da bei Entscheidungen vor allem Fakten sprechen sollten und nicht Werte und Einschätzungen. Diese Sichtweise wird interessanterweise nicht nur von ForscherInnen vertreten, sondern auch von Mitgliedern der Öffentlichkeit, wie wir dies in einem rezenten Projekt zur Interaktion von GenomforscherInnen mit BürgerInnen feststellen konnten. Während es essentiell ist, das Wissen der ForscherInnen ausreichend zu Wort kommen zu lassen, so ist es doch ebenso wesentlich zu verstehen, dass dieses wissenschaftliche Wissen immer schon ko-produziert ist und daher gesellschaftliche Strukturen und Werte integriert hat. Die Gegenüberstellung von Fakten (Wissenschaft) und Werten (Gesellschaft) wird somit hinfällig und kann bestenfalls als strategisch verstanden werden. Das dritte Argument nicht in eine Diskussion zu treten ist die Einschätzung, dass es ohnehin unmöglich wäre Wissen am Voranschreiten zu hindern, da es sich um ein globales Phänomen handle, welches bestenfalls lokal eingeschränkt werden könne. Auch dieses Argument ist weitgehend nicht auf Stammzellforschung zu beschränken, sondern ist eine immer wiederkehrende rhetorische Figur. Vor allem in Bereichen, die als besonders viel versprechend gelten – wissenschaftlich und ökonomisch – wird dies immer wieder vorgebracht, um so das Argument einer Risikoabwägung zu untermauern: wissenschaftlich/ökonomisches vs gesellschaftlich/ethisches Risiko. Schließlich wird vielfach das Problem der Medien angesprochen, die entweder nicht „richtig berichten“ oder denen auf Grund der Hype- und Auf-
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merksamkeitslogik immer wieder auch zugespitzte Geschichten „geliefert werden müssen“. Erst dadurch würde eine durchaus problematische Form des Objektes „embryonale Stammzelle“ entstehen, welches dann auch nicht mehr wirklich bereinigt und zurechtgerückt werden kann. Fragt man die ForscherInnen nach den eigenen Vorstellungen, was eine Stammzelle eigentlich ist, so kann man auch hier interessante Variationen feststellen. Zum einen wird über das Objekt Stammzelle an sich gesprochen, was dann oft mit Beschreibungen einhergeht wie „relativ kleine, unspektakuläre Zellen“ oder „nicht wirklich besonders, das sind Zellen wie andere auch“. Es wird wissenschaftliche Normalität signalisiert, was sich dann auch mit dem täglichen Erleben und den Umgang mit Stammzellen im Labor deckt. Geht es schließlich aber darum, die Stammzelle in einen breiteren gesellschaftlichen Bedeutungszusammenhang einzuschreiben und vor allem seine zentrale Bedeutung für den biomedizinischen Fortschritt hervorzuheben, verliert sie ganz plötzlich diese Eigenschaft der Unspektakularität. Ganz im Gegenteil, die embryonale Stammzelle wird „Basisstation des Lebens“ oder „Kraftwerk“; ist „faszinierend wie ein Regelkreis“; oder sorgt „für Nachschub (…) an der Front“. Damit wird versucht, die Einzigartigkeit dieser Zelle, das ungemeine Potential, das sie in sich trägt, und die damit zusammenhängenden zukünftigen Möglichkeiten positiv ins Zentrum zu stellen. Gleichzeitig wird aber auch hervorgehoben, dass Stammzelle „nicht nur die Zelle alleine“ ist, „sondern immer umgeben, eingenistet in ein Netzwerk“ auftritt. Aber es geht in den Interviews auch vielfach um Abgrenzungsarbeit (Gieryn 1995) sowie um das Hervorheben, dass Forschung an Stammzellen von Arbeiten mit embryonalen Stammzellen wohl zu differenzieren sei. Obwohl die gesetzliche Lage in Bezug auf Forschung an embryonalen Stammzellen nicht geregelt ist, scheint es intuitiv klar zu sein, dass es sich um ein sensibles Territorium handelt. Damit wird auch klar, warum an einer Stelle eines der Interviews etwa beispielhaft hervorgehoben wird, dass man nicht an „embryonalen Stammzellen“ arbeite, sondern an einer „[…] spezifische(n) Stammzelle, die ja nix mit einem Embryo oder einem Menschen in dem Sinn zu tun hat […]“. Die verwendeten Metaphern decken sich vielfach mit der Art und Weise, in denen WissenschaftlerInnen Stammzellen in ihrer Forschung verwenden, sind aber bisweilen auch mit größeren Komplexen wie ihrem Menschenbild, welches WissenschaftlerInnen in die Forschung bringen, verknüpft. Auch letzteres ist mehrdeutig, wie Schikowitz (2006) in ihrer Arbeit aufgezeigt hat. Es findet vielfach ein Wechseln zwischen verschiedenen Menschenbildern – also ein „switching“ statt –, je nachdem ob die Person gerade als WissenschaftlerIn spricht oder sich als Mitglied der Gesellschaft zu verorten versucht. Auf dieses Phänomen und seine Bedeutung verweisen auch Nowotny und Ko-Autoren (2001) in „Wissenschaft neu denken“. In diesem Sinne wäre
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es zentral, WissenschaftlerInnen stärker in ihrer Doppelrolle als ForscherInnen und als BürgerInnen zu begreifen, was dann auch die bisweilen beobachtbaren diskursiven Widersprüche zu erklären vermag. Zusammenfassend kann man also auch für das wissenschaftliche Feld feststellen, dass wir nicht ein Objekt „embryonale Stammzelle“ vorfinden, sondern dass diese immer wieder neu zusammengebaut wird, im Reden darüber und in der Praxis.
V. Nicht abschließende Überlegungen Wir haben in den vorangegangenen Abschnitten in unterschiedlichen Kontexten aufgezeigt, dass der gesellschaftliche Raum, in dem sich ja auch Wissenschaft befindet, von vielen unterschiedlichen „embryonalen Stammzellen“ bevölkert ist, die aus vielfältigen „riskanten Verwicklungen“ entstehen. Wollen wir also eine gesellschaftspolitische Position in Sachen embryonale Stammzellen erarbeiten, so ist es essentiell zu verstehen, wo diese unterschiedlichen Versionen der embryonalen Stammzelle entstehen und was damit implizit auf dem Spiel steht, wenn wir uns zwischen verschiedenen Möglichkeiten entscheiden. Dies ist natürlich auch mit der Frage verbunden, dass zwar unterschiedliche Versionen „der Wirklichkeit“ nebeneinander bestehen können, diese aber an bestimmten Momenten der Positionierung und Entscheidung aufeinander treffen, gegeneinander abgewogen werden müssen und daher zwangsläufig Spannungen erzeugen. Und wenn wir davon ausgehen, dass es so etwas wie eine Wahl gibt, wer sind dann die Akteure, die potentiell entscheiden könnten, welcher Version des Objektes „embryonale Stammzelle“ nun mehr Bedeutung im gesellschaftlichen Raum zukommt als anderen. Zum ersten haben die bisherigen Ausführungen den Versuch unternommen, deutlich zu machen, wie wesentlich es ist, die lokalen Kontexte besser zu verstehen, in denen Wissen entsteht und damit verknüpft gesellschaftliche Ordnungen und Sinnzusammenhänge. Es ist also weder sinnvoll noch zielführend davon auszugehen, dass es „embryonale Stammzellen“ einfach gibt und wir sie dann „behandeln“ – sei es ethisch, regulativ oder politisch – sondern, dass wir diese offensichtliche Vielfalt auch in unserem Handeln umsetzen. In diesem Prozess der Einordnung kann zwar Auslagerung an Experten(gremien) eine durchaus sinnvolle Rolle spielen, eine breitere und kontinuierliche öffentliche Auseinandersetzung damit kann aber dadurch kaum ersetzt werden. Dies mag zwar aufwändig und mühevoll erscheinen, spiegelt aber auch die Komplexität der Verschränkungen von Wissenschaft und Gesellschaft wider, ebenso wie den raschen Wandel innerhalb der Wissenschaft.
Die embryonale Stammzelle als Ko-Produktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft 91
Es geht also um eine Kultur der Auseinandersetzung und eine Reflexion dessen, wie wir heute mit komplexen biowissenschaftlichen Entitäten wie Stammzellen umgehen (können). Diese ist bislang in Österreich nur sehr wenig ausgeprägt und basiert auf einer tief verwurzelten Dissensvermeidungskultur – und keineswegs auf der viel zitierten Konsenskultur. Denn es geht darum, Dissens öffentlich sichtbar zu machen und erst dadurch Konsens auch sozial robust zu gestalten. Es gilt also nicht, ein für alle mal zu klären, was die wahre „Problematik“ und „Identität“ der embryonalen Stammzelle ist, sondern vielmehr, einerseits die Verhandlungsprozesse zwischen einzelnen Versionen dieses Objekts besser zu verstehen, und andererseits den Reichtum an Denkmöglichkeiten, den dieses Repertoire bietet, für wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskussion nutzbar zu machen. Denn auch wenn wir – um Bruno Latours Metapher nochmals abschließend zu bemühen – das „haarige Objekt Stammzelle“ noch so oft rasieren, so werden doch die Haare immer wieder von Neuem wachsen.
VI. Literatur Bogner, Alexander & Menz, Wolfgang (2005): Bioethical Controversies and Policy Advice: The Production of Ethical Expertise and its Role in the Substantiation of Political Decision-making. In S. Maasen & P. Weingart (eds): Democratization of Expertise. Exploring Novel Forms of Scientific Advice in Political Decision-making. Dordrecht: Springer, 21-40. Döring, Martin & Nerlich, Brigitta (2004): Stammzellen-Kulturen. Die kommunikativen und kognitiven Dimensionen der deutschen und englischen Stammzelldebatte. Zeitschrift für Biopolitik, 17-29. EC (2000): The Lisbon European council – an agenda of economic and social renewal for Europe, DOC/00/7. Brussels. Felt, Ulrike, Fochler, Maximilian & Müller, Annina (2006): Sozial robuste Wissenspolitik? Analyse partizipativ orientierter Interaktionen zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit im österreichischen Kontext, in Buchinger E./Felt U. (Hrsg): Technik- und Wissenschaftsforschung in Österreich, Sonderheft der Österreichischen Zeitschrift für Soziologie, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. Felt, Ulrike (2007): Zukunftsszenarien als wissenschaftliche Ressource: Begegnungen zwischen Wissenschaft, Politik und Medien, in Egloff R. et al, Archäologie der Zukunft. 287-302. Felt, Ulrike, Brian Wynne et al (2007): Taking European knowledge society seriously. Report to the Expert Group on Science and Governance to the Science, Economy and Society Directorate, Directorate-General for Research, European Commission, Brussels: European Commission. Felt, Ulrike, Fochler, Maximilian, Mager, Astrid & Winkler, Peter (2008a). Visions and Versions of Governing Biomedicine: Narratives on Power Structures, Decision-Making, and Public Participation in the Field of Biomedical Technologies in the Austrian Context. Social Studies of Science 38/2, 233-258. Felt, Ulrike & Fochler, Maximilian (2008b): The bottom-up meanings of the concept of public participation. Science and Public Policy, 07.
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Ethische Konfliktlinien in der öffentlichen Kommunikation über Stammzellforschung Julia Inthorn
I. Einleitung Stammzellforschung gilt als ein heikles Thema. Wenn Gesetzesänderungen zur Stammzellforschung auf der Tagesordnung stehen oder die wissenschaftliche Forschung neue Ergebnisse präsentiert, wurde und wird in der Öffentlichkeit, insbesondere in den Medien, breit über Stammzellforschung diskutiert. Vertreter strikter Verbotsregelungen wie auch Befürworter der Stammzellforschung melden sich zu Wort und versuchen von beiden Seiten zu begründen, warum gerade embryonale Stammzellforschung der richtige oder falsche Weg ist, medizinischen Fortschritt zu erzielen. Der folgende Beitrag widmet sich dieser Debatte. Er fragt danach, wie die Forschung an embryonalen Stammzellen in den Medien diskursiv gefasst wird, und welche Rolle normative Aussagen und der Rekurs auf Ethik in diesem Kontext spielen. Die Argumente, Konfliktlinien und Äußerungen der Debatte werden dabei näher betrachtet. Der Beitrag widmet sich der Debatte entsprechend aus einer empirischen Perspektive. Die Struktur der Debatte und die darin argumentativ hergestellten Konfliktlinien werden anhand eines textanalytischen Vorgehens rekonstruiert. Hierbei zeigt sich, dass Ethik in der Debatte als Schlagwort verwendet wird und dazu dient, Akzeptanzräume zu markieren. Durch den Rekurs auf Forschung auf der einen und Religion auf der anderen Seite werden Allianzen der Glaubwürdigkeit gebildet, die diese Räume gegeneinander abgrenzen.
II. Fragestellung und Vorgehen: Die Debatte und ihre Rekonstruktion Die öffentliche Debatte zur embryonalen Stammzellforschung wird inzwischen seit einigen Jahren geführt, und ihr wird insbesondere zu Zeiten rund um Gesetzgebungsverfahren verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet. Stammzellforschung wird dabei häufig als „heikles Thema“ bezeichnet. In den deutschsprachigen Medien werden dazu eine Vielzahl an Beiträgen publi-
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ziert, Pressemitteilungen herausgegeben und Dossiers1 erstellt. In ihnen wird versucht zu verhandeln, welche gesetzliche Lösung den größten gesellschaftlichen Konsens hat. Die Debatte hat sich in einer bestimmten Form etabliert, das Problem wird dabei in einer spezifischen Art und Weise konstruiert und Argumente in einer typischen Form ausgetauscht und aufeinander bezogen. Die spezifische Form der Debatte soll im Folgenden näher betrachtet und nachgezeichnet werden. Die leitende Frage ist dabei, wie die Forschung an embryonalen Stammzellen diskursiv als Problem gefasst wird, und welche Rolle normative Aussagen in diesem Kontext spielen. Die als relevante Fragen markierten Bereiche und die sich darin entwickelnden Konfliktlinien innerhalb der öffentlichen Debatte sind zentraler Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung. Durch die Analyse wird bearbeitet, welche Struktur die Debatte angenommen hat, welche Bereiche sich darin etabliert haben und welche Grundfragen gestellt werden. Darüber hinaus wird – weil das Schlagwort Ethik in der Debatte nicht zu übersehen ist – nach der Rolle normativer Aussagen innerhalb der Debatte gefragt. Als Datengrundlage für diese empirische Untersuchung der Debatte zur Stammzellforschung werden die Beiträge in Online- und Printmedien zu diesem Thema aus Deutschland und Österreich herangezogen. Basis der Untersuchung ist damit die öffentliche Kommunikation in schriftlicher Form in diesem Bereich. Zentral sind hierbei die Debatten rund um die Diskussion zum Embryonenschutzgesetz in Deutschland (2001 und 2008) und die auf die Publikation zur Reprogrammierung adulter Stammzellen folgende Debatte (2007). Es wurde versucht, möglichst umfassendes Material österreichischer und deutscher Quellen in die Untersuchung mit einzubeziehen.2 Den theoretischen Hintergrund des Vorgehens bilden Theorien, die ein Raster zur Erfassung von Kommunikation bieten und eine Analyse der Texte hinsichtlich Einbettung und Anschluss von Argumenten und Stellungnahmen ermöglichen. Mittels der auf Goffman zurückgehenden Analysemethode des Framing, nach der das Verstehen von Handlungen oder Gesagtem durch Einordnen in einen bekannten Rahmen ermöglicht wird, wird untersucht, welcher Art die Rahmung der Debatte ist.3 Die zentral thematisierten Bereiche, das „als was“, in dem die Debatte konzipiert wird, werden mittels der _____________ 1
Ua bei tagesschau.de und BR-online, vgl http://www.tagesschau.de/inland/ meldung256208.html und http://www.br-online.de/wissen/forschung/stammzellenDID1195676654718899/index.xml (10. 7. 2008). 2 Nicht näher eingegangen wird auf die Debatte zur Stammzellforschung in DIE ZEIT (DIE ZEIT Nr 4 bis Nr 10 2001, auch Nr 5 2002, Nr 48 und 49 2003), die als eine Reihe von Beiträgen namhafter Geistes- und Sozialwissenschaftler konzipiert war. Diese Debatte ähnelte sehr stark der Fachdebatte innerhalb der philosophischen Bioethik zur Statusfrage des Embryos bzw wird als Metareflexion über die hier analysierte Debatte geführt und im Folgenden nur als Vergleichsmaterial herangezogen. 3 E. Goffman, Rahmen-Analyse: Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen (1977) hier 31 ff. Auch A. D. Scheufele, Framing as a theory of media effects. Journal of Communication (1999) 49 (1) 103-122.
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Analysemethode des Framing bestimmt. Hierzu wird betrachtet, wie die Debatte innerhalb des Themenfelds positioniert wird und welche Aspekte besonders hervorgehoben werden. So wird rekonstruiert, in welcher Form die Frage der Stammzelldebatte zum Problem wird. Aussagen, die innerhalb des Themenfelds einen wichtigen Stellenwert haben, sollen so anderen Bereichen, denen ein untergeordneter Stellenwert zugeschrieben wird, oder die gar nicht vorkommen, gegenübergestellt werden. Flankierend wird daher mittels eines diskursanalytischen Vorgehens nach den Ein- und Ausschlussmechanismen der Debatte gefragt und untersucht, welche Arten von Fragestellungen in der Debatte nicht vorgenommen werden.4 Der Text der Debatte bildet damit das Gegenüber der Analyse, der Inhalt der Argumente soll hier nicht Thema sein.
III. Ethik als Schlagwort Innerhalb der untersuchten deutschsprachigen Medien wird Stammzellforschung als eine ethische Debatte konzipiert. Die „ethisch umstrittene Forschung an embryonalen Stammzellen“5 wird diskutiert als eine Frage zwischen Forschungsfreiheit auf der einen und dem Status des Embryos auf der anderen Seite. Innerhalb der Konstruktion eines Wertekonflikts wird versucht abzuwägen, ob die ethischen oder moralischen Bedenken gegen die Nutzung von embryonalen Stammzellen so schwer wiegen, dass sie vollständig verboten werden muss, oder sich solche ethische Bedenken zu Gunsten der Forschungsfreiheit beiseite räumen lassen. Diese Debatte spielt sich zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit unter dem Schlagwort Ethik ab, ohne dass mögliche ökonomische, wissenschaftliche oder politische Argumente eine Rolle spielen. Der Kern der Debatte wird als ethische Frage konstruiert, der alle Argumente und Äußerungen zugeordnet werden. Die Positionen beider Pole werden als absolut zu schützende Werte dargestellt, bei denen graduelle Abstufungen oder Kompromisse nicht möglich sind. Hierbei berufen sich beide Seiten auf gesellschaftlich unumstrittene Träger bzw Hüter von Werten: die Tradition der christlichen Kirchen auf der einen Seite und das Grundgesetz auf der anderen Seite. „Christliche Werte treffen _____________ 4 Zur Diskursanalyse vgl R. Diaz-Bone, Zur Methodologisierung der Foucaultschen Diskursanalyse [48 Absätze], Forum Qualitative Sozialforschung (2005, Oktober) 7(1), Art 6, http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/1-06/06-1-6.htm (10. 1. 2008). 5 n-tv.de, Stammzellgesetz: Bundestag billigt Novelle, 23. 5. 2008, http://www.ntv.de/968475.html (23. 5. 2008); ähnliche Formulierungen finden sich auch unter ZDF.de, Wissenschaft: Durchbruch in der Stammzellforschung, 21. 11. 2007, http://mittagsmagazin.zdf.de/ZDFde/inhalt/24/0,1872,7126328,00.html (16. 4. 2008) oder Vieregge, Stammzellen: Sieg für die Forschung, Rückschlag für Kirche, Die Presse 11. 4. 2008, http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/375961/index.do (10. 7. 2008).
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auf den Gedanken der Forschungsfreiheit. Für manche sind beide zu vereinbaren, für viele aber eben auch nicht.“6 Moralische Bedenken über die Forschung an embryonalen Stammzellen werden dem Wert der Forschungsfreiheit gegenübergestellt. „Für die einen steht das beginnende Leben auf dem Spiel. Für die anderen Forschung, die Leben retten will.“7 Unter dem Schlagwort Ethik, das als Chiffre für nicht verhandelbare Werte eingesetzt wird, werden die Positionen vorgebracht und ein Bezugspunkt und Rahmen möglicher Aussagen für die Debatte geschaffen. Sowohl Befürworter als auch Gegner der Forschung an embryonalen Stammzellen bringen ihre Argumente innerhalb des vorgegebenen Rahmens der Debatte ein. Sie diskutieren Fragen aus unterschiedlichsten Bereichen und ordnen Informationen wie beispielsweise international publizierte Ergebnisse der Stammzellforschung oder Vorschläge für Gesetzesänderungen dieser Rahmung unter. Auch im Bereich der Forschung an adulten Stammzellen, in dem zunächst kein Zusammenhang zur embryonalen Stammzellforschung besteht, wird der rhetorische Bezug zum Kern der Debatte klar hergestellt. Dabei werden die Konsequenzen von Neuerungen in der Forschung für ethische Überlegungen herausgestellt und machen Stammzellforschung überhaupt erst zu einem relevanten Thema für die öffentliche Debatte.8 „Ethik“ fungiert darüber hinaus in der Debatte als Schlagwort, mit dessen Hilfe ein Raum von möglichen Aussagen und diskutierbaren Optionen markiert wird. Stammzellforschung selbst wird dabei als ethisch bedenklich etikettiert. Mögliche Wege „aus der ethischen Zwickmühle der StammzellGewinnung“9 werden nicht als politisch zu verhandelnde Fragen eingeführt, sondern als technische Neuerungen, die innerhalb der Auseinandersetzung ethisch-moralisch beurteilt und dadurch in die bestehende Auseinandersetzung eingeordnet werden müssen. Dadurch dient das Schlagwort Ethik in der Debatte zum einen dazu zu klassifizieren, ob Argumente für die Debatte zur Stammzellforschung relevant sind und macht damit Ethik im oben beschriebenen Sinn zum unhintergehbaren und unhinterfragten Ausgangspunkt der Debatte. Zum anderen dient sie auch dazu, den Argumentationsraum zu begrenzen. Ethik wird als ein rhetorisches Stopp-Schild eingesetzt, hinter dem Argumente nicht mehr zugelassen sind. Dies wird durch Aussagen wie
_____________ 6 Vates, Der gespaltene Parteitag, Berliner Zeitung online 5. 12. 2007, http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2007/1205/politik/ 0048/index.html (10. 7. 2008). 7 Ulrich, Gewissensfrage: Zwischen Forschung und Ethik, ZDF.de 10. 4. 2008, http://morgenmagazin.zdf.de/ZDFde/inhalt/1/0,1872,7224801,00.html (16. 4. 2008). 8 Ein solches Beispiel findet sich in Die Presse, Embryonale Zellen ohne Tod des Embryos? 12. 1. 2008, http://diepresse.com/home/techscience/wissenschaft/354997/in dex.do (10. 7. 2008). 9 Spiegel Online, Stammzellen: Hoffnung aus dem Hoden, 20. 9. 2007, http:// www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,506827,00.html (16. 4. 2008).
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„[a]lles andere ist aus ethischer Sicht nicht vertretbar“10 markiert. Ethisch ist gleichgesetzt mit binär codiert und nicht verhandelbar und bildet die Grenze der Debatte, hinter der andere Meinungen oder auch Kompromisspositionen nicht möglich sind. Die binäre Codierung in ethisch und unethisch unterteilt sowohl Positionen als auch Fragestellungen innerhalb der Debatte und strukturiert damit das Feld. Dass die Debatte als ethische konzipiert wird, lässt sich auch anhand der Experten und ihrer Rolle innerhalb der Debatte gut nachvollziehen. Es kommen vor allem Ethiker zu Wort, aber auch andere moralische Institutionen, wie Kirchen. Ihnen wird Expertise innerhalb der Debatte zugeschrieben. Die Debatte wird dabei aber nicht als Fachdebatte innerhalb der akademischen Ethik verstanden, sondern als moralische Frage des guten Handelns, in der aus moralischen Gründen Stammzellforschung ge- oder auch verboten ist. Auch ökonomische Fragen der hohen Kosten, die Perspektive des Nutzens der Forschung oder auch politische Optionen des Ausgleichs zwischen Positionen spielen innerhalb der Debatte eine untergeordnete oder keine Rolle. Argumente und Überlegungen aus diesen Bereichen können nur über das Verhältnis zur Ethik präsentiert und diskutiert werden.11
IV. Forschung und Ethik Innerhalb der Debatte wird zwischen Wissenschaft bzw Forschung und Ethik klar unterschieden. Forschung dient dazu, die Probleme der Menschheit, in diesem Fall Krankheiten, zu lösen. Dies wird der Forschung auch zugetraut, der Glaube an den wissenschaftlichen Fortschritt, der mit der embryonalen Stammzellforschung einhergehen würde, wird nicht oder kaum in Frage gestellt. Stammzellforschung wird als wissenschaftlich vielversprechend angesehen und von der embryonalen Stammzelle als „Tausendsassa“12 und „einzigartigem Alleskönner“13 gesprochen bzw geschrieben. _____________ 10
Averesch, FDP für Zulassung von Eizellspenden, Berliner Zeitung online 5. 12. 2007, http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2007/1 205/politik/0049/index.html (10. 7. 2008). 11 Im Vergleich der Debatten in Deutschland und Österreich, der hier allerdings nicht systematisch verfolgt wurde, fällt auf, dass die rhetorische Grenzziehung anhand des Schlagworts Ethik in Deutschland zu einer deutlicheren Ausgrenzung bestimmter Aussageformen und auch deren Sprecher führt als in Österreich. 12 Westram, Stammzellen – zwischen Wissenschaft und Politik, BR-online 6. 6. 2007, www.br-online.de/wissen-bildung/thema/Stammzellen/index.xml (27. 11. 2007). 13 BR-online, Totipotente Stammzellen – Einzigartige Alleskönner, 28. 11. 2006, www.br-online.de/wissen-bildung/thema/Stammzellen/totipotent.xml (27. 11. 2007).
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Forscher werden als Befürworter der Stammzellforschung dargestellt.14 Debatten innerhalb der Forschung wie beispielsweise zur Frage, ob von der Forschung an embryonalen oder der an pluripotenten Stammzellen mittelfristig die besseren Ergebnisse zu erwarten sind, werden aus der Debatte weitestgehend ausgeblendet.15 Zwischen Ethik auf der einen Seite und Forschung auf der anderen Seite wird ein klares Gegenüber konstruiert.16 Ethiker als Wissenschaftler haben hierin ebenso wenig ihren Platz wie Forscher, die aus ethischen oder anderen als ethischen Gründen, Forschung an embryonalen Stammzellen nicht unterstützen. Die Unterscheidung zwischen Ethik und Forschung wird diskursiv verstärkt durch den Einsatz von Forschern als Experten, die rhetorisch als Werber für Stammzellforschung eingesetzt werden. Demgegenüber rührt die Ethik an „grundsätzlichen Fragen der Menschlichkeit“,17 durch die die ansonsten durchwegs positiv gesehene Forschung eingeschränkt werden muss. Dies geschieht außerhalb der Wissenschaft und muss dann von der Wissenschaft anerkannt werden. „Der Eindruck entsteht, dass es manchen Forschern schwer fällt, eine gesellschaftlich gezogene, ethische Grenze zu akzeptieren, wenn die wissenschaftlichen Möglichkeiten weit darüber hinausgehen.“18 Die Figur des Forschers wird nicht in die ethische Debatte mit einbezogen – vom Forscher selbst werden keine ethisch relevanten Argumente für Stammzellforschung erwartet. Vielmehr wird der Forscher als durch einen Forscherdrang gekennzeichnet angenommen,19 der zu einer eigenen ethischen Reflexion nicht fähig ist, der vielmehr dazu gebracht werden muss, die gesellschaftlich gefundene Lösung des ethischen _____________ 14 Vgl hierzu beispielsweise Schmidt, Forschung in Österreich: „Hinter vorgehaltener Hand“, Die Presse 29. 1. 2008, http://diepresse.com/home/techscience/wissen schaft/359145/index.do (30. 1. 2008) und Der Standard, „Diese Forschung ist kein Teufelswerk“, 8. 1. 2008, http://derstandard.at/druck/?id=3174796 (9. 1. 2008). 15 Auch Selbstbeschränkungen der Forschung werden in der Debatte nicht wahrgenommen, wie beispielsweise das klare Nein der DFG zu reproduktivem und therapeutischem Klonen, Keimbahninterventionen sowie Herstellung von Chimären und Hybriden, vgl Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit menschlichen Stammzellen, 3. 5. 2001, http://www.dfg.de/aktuelles_ presse/reden_stellungnahmen/download/empfehlungen_stammzellen_03_05_01.pdf (10. 7. 2008). 16 Bublath, Neue Wege in der Stammzell-Forschung, Lassen sich Wissenschaft und Ethik vereinbaren? ZDF.de 14. 11. 2007, http://joachimbublath.zdf.de/ZDFde/in halt/29/0,1872,7124445,00.html (16. 4. 2008); Ulrich, Gewissensfrage: Zwischen Forschung und Ethik, ZDF.de 10. 4. 2008, http://morgenmagazin.zdf.de/ZDFde/inhalt /1/0,1872,7224801,00.html (16. 4. 2008). 17 Westram, Stammzellen – zwischen Wissenschaft und Politik, BR-online 6. 6. 2007, www.br-online.de/wissen-bildung/thema/Stammzellen/index.xml (27. 11. 2007). 18 BR-online, Stammzellen unter der Lupe. Aktuelle Klonversuche – Versuchung der Forschung, 8. 5. 2007, www.br-online.de/wissen-bildung/thema/stammzellen/klo n.xml (27. 11. 2007). 19 BR-online, Stammzellen unter der Lupe. Aktueller Forschungsstand, 8. 5. 2007, www.br-online.de/wissen-bildung/thema/stammzellen/forschung.xml (27. 11. 2007).
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Problems zu akzeptieren und im Alltag zu befolgen.20 Das in der Debatte erzeugte Bild von Forschung wird durch den Bezug auf die Konstruktion der Kernfrage verkürzt. Forschung wird als naturwissenschaftlicher Fortschritt verstanden, der entkoppelt von interdisziplinären oder internen Auseinandersetzungen scheinbar nur vom Drang nach Wissen geleitet ist. Forscher werden als Vertreter dieser Haltung präsentiert. Dem stehen Ethiker gegenüber, die nicht als Wissenschaftler, sondern als Hüter der gesellschaftlich gezogenen Grenzen in die Darstellung integriert werden. Ethik und Forschung werden als sich gegenseitig ausschließende Kategorien eingeführt, deren Protagonisten auf zwei verschiedenen Seiten der Debatte stehen.
V. Politik und Ethik Politik und Ethik werden ebenfalls als Gegensatz konzipiert. Die Rahmung des Problems als ethisch verhindert die Möglichkeit, das Problem als politische Frage, zu der im pluralen Diskurs oder mittels demokratischer Verfahren eine Lösung gefunden werden muss, zu verstehen. Politik dient in diesem Verständnis dazu, die als ethisch-moralisch richtig befundene Antwort umzusetzen, also in Gesetzesform zu überführen. Unterschiedliche Positionen, die zu einem Kompromiss geführt werden sollen, sind ebenso wenig vorgesehen wie politische Allianzen. So bezeichnete der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe den Vorschlag zur Gesetzesänderung in Deutschland, die eine Verschiebung des Stichtags beinhaltet, als „ethische Wanderdüne“21 und weist damit eine politische Kompromisslösung als indiskutabel zurück. Argumentationen, die nicht auf Ethik rekurrieren, werden nicht anerkannt. „Wer so argumentiert wie Bischof Huber macht eben doch Politik – gegen das Lebensrecht des Menschen im Frühstadium seiner Entwicklung.“22 Durch die Bezeichnung als nicht-ethisch, sondern politisch, wird das Argument Wolfgang Hubers rhetorisch aus der Debatte ausgeschlossen. Die Titulierung als „politisch“ ist als Abgrenzung gegenüber dem Bereich der Ethik zu interpretieren, Stammzellforschung ist keine politische Frage und darf, im Sinn eines ethischen Imperativs, nicht als solche behandelt werden. So wird Maria Böhmer (CDU) beispielsweise zitiert mit den Worten „wir müssen _____________ 20 Vgl hierzu auch die Schilderungen von Forschern – allerdings in Ländern wie China oder Indien – ,die riskante Therapieversuche mit Stammzellen an Menschen vornehmen: Bublath, Warten auf die Wunderwaffe, ZDF.de 14. 11. 2007, http://joa chimbublath.zdf.de/ZDFde/inhalt/20/0,1872,7124436,00.html (16. 4. 2008). Als Ausnahme kann die Darstellung der Position von Prof. Hengstschläger in den österreichischen Medien gelten. 21 Rehder, Das Scheunentor ist offen. Deutschland steigt in die Embryonenvernutzung ein, Die Tagespost 27. 4. 2002, http://www.die-tagespost.de/Archiv/titel_an zeige.asp?ID=98 (10. 7. 2008). 22 Katholischer Nachrichtendienst, Huber ist auf dem Holzweg, kath.net 31. 12. 2007, http://www.kath.net/detail.php?id=18623 (3. 1. 2008).
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standhaft bleiben in unseren ethischen Entscheidungen.“23 Auch diese Aussage macht deutlich, dass die politische Entscheidung zu Gunsten der ethischen Debatte zurückstehen muss bzw nur aus dieser Debatte heraus legitimiert werden kann. Innerhalb der politischen Auseinandersetzung werden nicht nur die Argumente und Positionen mit der Begründung nicht ethisch zu sein zurückgewiesen, sondern die Zurückweisung trifft auch ihre Sprecher als Personen. So waren die Vorwürfe an den damaligen Kulturstaatsminister Julian NidaRümmelin zu hören, die als Reaktion auf seine Stellungnahme im Tagesspiegel geäußert wurden. In den Reaktionen wurde Nida-Rümmelin vorgeworfen, „Killerphrasen“24 zu verwenden oder „moralisch untragbar“25 zu sein. Diese Aussagen bezogen sich auf seine Position als Politiker – obwohl sein Beitrag ebenso gut als philosophische Äußerung hätte verstanden werden können. Auch die Vorwürfe des Abgeordneten Höppe 2001 an britische Politiker, sich durch das britische Stammzellgesetz ins „Abseits der europäischen Wertegemeinschaft“26 katapultiert zu haben, lässt sich lesen als eine Bewertung, die nicht nur die inhaltliche Position, sondern auch deren Sprecher als nicht ethisch zurückweist. Die britische Regelung wird nicht als politische Lösung innerhalb eines demokratischen Verfahrens akzeptiert, vielmehr wird auf die Ethik rekurriert, um zu verdeutlichen, dass nur innerhalb eng gesteckter Grenzen, die die Bezeichnung „Ethik“ tragen, Argumente wie auch Lösungen anerkannt werden. Nicht nur die gesetzliche Regelung, sondern vielmehr auch die daran beteiligten Parlamentarier werden von diesem Vorwurf getroffen.
VI. Religion und Ethik Die Debatte in ihrer Konstruktion als ethische Frage nimmt immer wieder Bezug auf die Religion oder die christlichen Kirchen als Institutionen. Dies erfolgt zunächst auf der Ebene der Rhetorik, durch Begriffe aus einem religiösen Kontext wird der Bezug zum ethischen Kern der Debatte unterstrichen. Aussagen wie „dass es in der Stammzellpolitik gar keine sinnvolle Kompromisslinie gibt, sondern nur ein biblisches ‚Ja oder Nein‘ verdeutlichen dies. Ein bisschen Lockerung, wie es die Kanzlerin will, lehnen die _____________ 23
ZDF.de, Bundestag lockert Stammzellgesetz, 11. 4. 2008, http://www.heute.de/ ZDFheute/inhalt/12/0,3672,7224876,00.html (16. 4. 2008). 24 Flocken/Pietschke, Philosoph ohne Scheuklappen, Focus online 15. 1. 2001, http://www.focus.de/auto/zubehoer/gentechnik-philosoph-ohne-scheuklappen_aid189 653.html (10. 7. 2008). 25 FAZ, zitiert nach Schöne-Seifert, Von Anfang an? Die Zeit 09/2001, http://ima ges.zeit.de/text/2001/09/200109_gen-debatte.xml (8. 1. 2008). 26 Schöne-Seifert, Von Anfang an? Die Zeit 09/2001, http://images.zeit.de/text/ 2001/09/200109_gen-debatte.xml (8. 1. 2008).
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Vertreter der reinen Lehren strikt ab.“27 Der Bezug auf Religion dient darüber hinaus zur Untermauerung der ethischen Ausrichtung der eigenen Position. Der Rekurs auf Religion wird eingesetzt, um die eigene ethische Position zu verstärken. Religion fungiert als eine Art Steigerungsform von Ethik und kann damit zur Betonung von Positionen verwendet werden. Durch Aussagen wie „dies hätten auch ‚überzeugte Christen‘ berichtet“28 wird die eigene Position zunächst als ethische formulierbar und gleichzeitig auch als ethisch korrekt gerechtfertigt. Durch den Bezug zur Religion erhalten Positionen das Label ethisch. Wenn „selbst die Ablehnung seitens der Kirchen bröckelt“,29 wird eine Position dadurch im als ethisch zulässigen Bereich der Auseinandersetzung vertretbar. Ähnliches zeigt sich auch, wenn man die Gegenüberstellung von Religion und Wissenschaft bzw Forschung im Diskurs betrachtet: Analog des Verhältnisses von Wissenschaft und Ethik wird in der Debatte auch davon ausgegangen, dass Religion und Wissenschaft sich ausschließen. Schlagzeilen wie „ein Wissenschafter kann nicht an Gott glauben“30 verdeutlichen dies. Die Gegenüberstellung geht darüber hinaus: Wissenschaft und Religion schließen sich nicht nur aus, sondern verfolgen entgegengesetzte Ziele. Den Forschern wird nicht nur eine dezidiert unethische Haltung vorgeworfen, sondern sie ist auch gegen die Vorstellungen von Religion gerichtet. „Dürfen Forscher Gott spielen, alles machen, ohne dass ihnen jemand in die Parade fährt?“31 In der Darstellung ist Forschung gegen religiös begründete Werte gerichtet. Religion hingegen wird als traditioneller Träger für Normen anerkannt, und ein Verweis auf Religion kann damit als Autoritätsargument eingesetzt werden. Der Rekurs auf Religion verdeutlicht damit die Konstruktion der Debatte als ethische, wobei Experten innerhalb der Debatte nicht nur Ethiker im Sinn eines wissenschaftlichen Fachs, sondern auch Christen und Sprecher von Kirchen als moralische Instanzen sind.
_____________ 27
Schwägerl, Stammzelldebatte im Bundestag: Parlament streitet – Merkel schweigt, Spiegel online 14. 2. 2008, http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,15 18,535317,00.html (16. 4. 2008). 28 Kotte, Kurswechsel bei Bioethik. CDU will Embryonenschutz lockern, Frankfurter Rundschau online 5. 12. 2007, http://fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktu ell/?em_cnt=1253180 (5. 12. 2007). 29 tagesschau.de, Anhörung im Bundestag: Forscher fordern frische Stammzellen, 27. 11. 2007, http://www.tagesschau.de/inland/meldung33218.html (27. 11. 2007). 30 Zucker/Buchacher, Biotechnologie, Interview: „Ein Wissenschafter kann nicht an Gott glauben“, Profil 50/07, http://www.profil.at/index.html?/articles/0749/560/19 1570.shtml (10. 7. 2008). 31 Profil, Was dürfen Wissenschafter? 50/07 (10).
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VII. Die Struktur der Debatte Die Analyse der Debatte zeigt, wie die Frage der embryonalen Stammzellforschung als ethische Frage in der Gegenüberstellung von Forschungsfreiheit und Lebensschutz konstruiert wird. Die Konstruktion des Wertekonflikts wird zum Mittelpunkt der Abwägung, um den sich die Argumente der Debatte gruppieren. „Embryonale Potenz ohne den Ethik-Schlamassel – die Aufregung in der Stammzellforscherszene ist jetzt groß“32 – so oder so ähnlich sähe eine einfache Lösung des Problems aus. Die embryonale Stammzelle als Dreh- und Angelpunkt der Debatte wird durch Aussagen wie die folgende zum ethischen Stein des Anstoßes gemacht: „aber die reprogrammierten Zellen sind einfach ein ethisch weniger komplizierter Rohstoff“33. Forscher werden als Befürworter einer uneingeschränkten Forschungsfreiheit auch an embryonalen Stammzellen dargestellt, Ethik in Verbindung mit Religion als ihr Gegenüber. Der Verweis auf Religion und Kirche als die bessere Ethik unterstützt diese Konstruktion ebenso wie der Ausschluss politischer Überlegungen aus der Debatte. Dem Staat wie auch politischen Instanzen wird eine untergeordnete Rolle zugeordnet. Der Staat ist „berechtigt die Wettbewerbsfähigkeit von Forschern zu Gunsten des moralischen Schutzes von Embryonen einzuschränken“.34 Dies kann er allerdings, das scheint die Debatte zu implizieren, nur in der Rolle der umsetzenden Instanz nach Abschluss der ethischen Debatte. Ein Blick in andere Länder zeigt, dass die Konstruktion der Debatte sehr unterschiedlich sein kann. In den USA beispielsweise wird die Debatte als Abwägung zum Schutz zweier – sehr unterschiedlich gedachter – Menschen geführt, die Konfliktlinie wird zwischen dem schützenswerten Embryo auf der einen Seite und dem potentiell durch die Ergebnisse der Stammzellforschung zu heilenden Kranken auf der anderen Seite konstruiert. Zudem gibt es innerhalb der amerikanischen Debatte die Idee, dass Forschung nicht nur die praktischen, sondern auch die ethischen Probleme einer Gesellschaft lösen kann – wenn man sie nur lässt. Die Reprogrammierung adulter Stamm_____________ 32
Schwägerl, Embryonale Potenz ohne ethische Zwickmühle, FAZ online 21. 11. 2007, http://www.faz.net/s/Rub268AB64801534CF288DF93BB89F2D797/Do c~E262EC91D8E454503A9FAFE3B61917E0C~ATpl~Ecommon~Scontent.html (10. 7. 2008), ähnlich auch Kurier, Embryo-Zellen: Experten hoffen auf humane Alternative, 9. 1. 2008, http://www.kurier.at/freizeitundgesundheit/gesundheit/119515.php (10. 7. 2008). 33 Die Welt, „Deutsche Wissenschaftler haben auf das falsche Pferd gesetzt“. Jürgen Hescheler über neue Wege in der Forschung, Die Welt online 21. 11. 2007, http://www.welt.de/wissenschaft/article1386895/Deutsche_Wissenschaftler_haben_au f_das_falsche_Pferd_gesetzt.html (10. 7. 2008). Zur Konstruktion der Vorstellung von Stammzellen in der öffentlichen Debatte vgl den Beitrag von Felt in diesem Band. 34 Tagesschau.de, Anhörung im Bundestag. Forscher fordern frische Stammzellen, 9. 5. 2007, http://www.tagesschau.de/inland/meldung33218.html (10. 7. 2008).
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zellen wird dabei gedeutet als Schaffen eines neuen Forschungszweigs für ethische Bedenkenträger, so dass jede Position innerhalb der Debatte ihre eigene Forschung durchführen kann.35 Auch innerhalb der philosophischen Debatte werden andere Argumentationsstränge angeführt, neben der vieldiskutierten Statusfrage des Embryos wird auch die Frage nach der Einheitlichkeit des Rechts im Vergleich der Gesetze zur Abtreibung und Stammzellforschung bearbeitet.36 Diese Frage wie auch alternative Perspektiven auf das Problem werden durch die Rahmung der deutschsprachigen Debatte ausgeblendet. Die Struktur der oben skizzierten öffentlichen Debatte in und über die Medien ist hingegen gekennzeichnet durch eine binäre Codierung innerhalb der rhetorischen Logik der Ethik. Dabei können sowohl Positionen als auch ihre Vertreter mittels der Zuschreibung von moralisch/ethisch gut und unmoralisch/unethisch gekennzeichnet werden. Die Strukturierung der Debatte als ethischer, führt damit zu einem Ausschlussmechanismus gegenüber bestimmten Argumenten und Fragestellungen wie auch politischen Vermittlungsversuchen. Durch den starken Bezug auf Ethik als binäre Codierung wird die Debatte selbst normiert. Dies führt zu einem Ausschluss von Fragestellungen und Positionen, die die Fokussierung auf Embryonenschutz erst ermöglicht. Gleichzeitig erfolgt eine Ethisierung von Fragestellungen und der damit verbundenen Möglichkeit, Positionen wie auch deren Sprecher zu bewerten.
VIII. Funktionale Differenzierung und Pluralismus Die Bewertung von Positionen, Aussagen und auch Personen innerhalb der Debatte auf der Basis der binären Codierung von gut/schlecht – wahlweise auch moralisch/unmoralisch – zeigt Strukturen einer Normativität und MetaNormierung, die im Anschluss an Niklas Luhmann als Form von kollektivem Protest beschrieben werden kann, der sich einer ethischen Codierung bedient. „Die Protestierenden berufen sich auf ethische Grundsätze; und wenn man eine Ethik hat, ist es eine zweitrangige Frage, ob man in der Mehrheit oder in der Minderheit ist. Der Protest braucht in all diesen Hinsichten keine Rücksicht zu nehmen. Er geriert sich so, als ob er die Gesellschaft gegen ihr poli_____________ 35 Vgl ua Abramowitz/Weiss, A Scientific Advance, a Political Question Mark, washingtonpost.com, 21. 11. 2007, http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/a rticle/2007/11/20/AR2007112001909.html?tid=informbox (10. 7. 2008) und Stolberg, Method Equalizes Stem Cell Debate, The New York Times 21. 11. 2007, http://www. nytimes.com/2007/11/21/washington/21bush.html (10. 7. 2008). 36 Auf die Problematik der Einheitlichkeit des Lebensschutzes des Embryos in den Kontexten Nidationshemmer, Abtreibung und Stammzellforschung machen auch die Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit menschlichen Stammzellen, 3. 5. 2001, http://www.dfg.de/aktuelles_presse/reden_stellungnah men/download/empfehlungen_stammzellen_03_05_01.pdf (10. 7. 2008) aufmerksam.
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tisches System zu vertreten hätte.“37 Analog der Luhmannschen Beschreibung von Protest hat die Debatte zur Stammzellforschung zwar eine große Nähe zum System der Politik, bedient sich aber nicht ihres Codes. Durch den Rückgriff auf die Codierung ethisch/unethisch kann die Debatte außerhalb der Logik der Politik geführt und damit die politische Notwendigkeit der Kompromissfindung rhetorisch aus der Debatte ausgeschlossen werden. Argumente und Personen werden innerhalb der etablierten Rahmung der Debatte mittels der Codierung ethisch/unethisch gekennzeichnet, so dass auch Aussagen aus den Bereichen Politik, Wissenschaft oder Religion durch die Codierung in neue Zusammenhänge gebracht werden und eine neue Bewertung dieser Aussagen möglich wird. Die Zuschreibung „ethisch“ dient dabei als Beschreibung der zugelassenen Aussagen und Argumente. Unethisches ist gleichzeitig aus der Debatte ausgeschlossen. Es handelt sich um eine „Art von Kommunikation, die Hinweise auf Achtung oder Missachtung mitführt“,38 die in der Debatte mit Hilfe des Schlagwortes Ethik markiert wird. Die Bereiche von Ethik und Politik werden dazu in ein Wechselverhältnis gestellt, bei dem der Ethik – von Seiten aller Positionen – ein Primat zugeschrieben wird. Politik wird nicht als eigenständige Instanz der Vermittlung zwischen divergierenden Positionen in einer als plural verstandenen Gesellschaft angenommen, sondern als Umsetzungsinstrument ethischer Einsichten. Der Rekurs auf Ethik und die damit verbundene Ein- und Ausschlussmöglichkeit von Aussagen scheint vor allem gegen eine politische Kompromisslösung und den dahinter stehenden Pluralismus gerichtet zu sein.39 Mögliche Lösungen des Problems müssen demnach auch innerhalb der Codierung der Ethik gesucht werden und sind damit auf einen Konsens oder die Überlegenheit des besseren Argumentes angewiesen. Eine Kompromisslösung, wie sie innerhalb der Vermittlungsverfahren im demokratischen Gesetzgebungsprozess vorgesehen ist, wird durch die Rahmung ausgeschlossen.40 Das politische System reagiert in Deutschland hierauf mit entsprechenden symbolischen Handlungen, indem es beispielsweise den Fraktionszwang aufhebt und die Entscheidung der Parlamentarier zu einer persönlichen Gewissensentscheidung deklariert. _____________ 37 N. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bände, Zweiter Teilband, (1997) 856. 38 N. Luhmann, Paradigm lost. Über die ethische Reflexion der Moral (Rede anlässlich der Verleihung des Hegel-Preises 1989), (31996) 17 f. 39 K. Bayertz,/L. Siep, Ethisch einwandfrei? Stammzellen: Zur Gefährdung von Pluralismus und Forschungsfreiheit, Süddeutsche Zeitung 278, 3. 12. 2007, 11. 40 Zur Unterscheidung von Konsens und Kompromiss vgl M. Heimbach-Steins, Kompromiß: Die Not ethischer Verständigung in der pluralen Gesellschaft. Eine politisch-ethische Problemskizze am Beispiel des „Asylkompromisses“, in P. Fonk/U. Zelinka (Hrsg), Orientierung in pluraler Gesellschaft, FS Bernhard Fraling, SThE 81 (1999) 127-148.
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Eine Lösungsfindung auf diesem Weg muss nach Luhmann scheitern, denn „eine in Funktionssysteme differenzierte Gesellschaft [muss] auf eine moralische Integration verzichten.“41 Entsprechend kann auch mit Luhmann die Aufgabe der (akademischen) Ethik innerhalb der Debatte formuliert werden: „Angesichts dieser Sachlage ist es die vielleicht vordringlichste Aufgabe der Ethik, vor Moral zu warnen.“42 Der Pluralismus hinsichtlich der Deutung von Stammzellen scheint eine der wenigen Konstanten der hier analysierten Debatte zu sein, die auch bereits auf eine längere Geschichte zurückblicken kann. Auf die begründeten Differenzen und den daraus resultierenden Pluralismus von Positionen kann Ethik in dieser Hinsicht hinweisen. „Trotz dieser Differenzen können wir aus der über Jahrzehnte mit großem Ernst geführten Abtreibungsdebatte eine Lehre ziehen. In dieser Kontroverse ist jeder Versuch gescheitert, zu einer weltanschaulich neutralen, als nicht präjudizierenden Beschreibung des moralischen Status frühen menschlichen Lebens zu gelangen, die für alle Bürger einer säkularen Gesellschaft akzeptabel wäre.“43 Entsprechend kann die akademische Ethik dazu anregen, dem Pluralismus jenseits der Ethik-Etikettierung innerhalb der Debatte Raum zu verschaffen. Um einer Instrumentalisierung durch eine zu enge Rahmung sowohl der eigenen Disziplin als auch der Argumentationsstränge innerhalb der öffentlichen Debatte entgegenzuwirken, kann auch von Seiten der Ethik in einer ethisch bedeutsamen Frage wie der Stammzellforschung für eine demokratische Entscheidungsfindung im politischen Prozess argumentiert werden.
_____________ 41 N. Luhmann, Paradigm lost. Über die ethische Reflexion der Moral (Rede anlässlich der Verleihung des Hegel-Preises 1989) (31996) 25. 42 Ebd 41. 43 J. Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? (2001) 58-59.
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I. Einführung Nur wenige wissenschaftliche Arbeitsfelder schaffen es, regelmäßig in die Berichterstattung von Tageszeitungen und in Parlamentsdebatten zu gelangen. Die Stammzellforschung (SZF) hat es geschafft. Sie ist damit ein reges Tätigkeitsfeld in zumindest dreifacher Hinsicht: Zunächst ist die SZF ein boomendes biomedizinisches Forschungsfeld, vorerst insbesondere in der Grundlagenforschung, doch schon jetzt mit großen therapeutischen Visionen.1 Zweitens wurde die SZF als ökonomisch und politisch hoch relevantes Gesellschaftsfeld erkannt: Die wirtschaftlichen Potentiale der SZF sind im Moment noch schwer abschätzbar, sicherlich aber in beträchtlichem Maß vorhanden. Und die SZF scheint sich in vielen Ländern als Betätigungsfeld sowohl für pragmatische als auch für ideologische Politik verwenden zu lassen. Schließlich ist die SZF – insbesondere ein Teil von ihr, die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) – ein heiß umkämpftes bioethisches Debattenfeld geworden, was sich einerseits in teils heftigen Auseinandersetzungen in bioethischen Beratungsgremien der Politik, andererseits in einer regen Publikationstätigkeit im Bereich der bioethischen Fachliteratur zeigt. So ergaben Recherchen in den einschlägigen Datenbanken PubMed,2 NRCBL3 und ETHMED4 eine nicht mehr überschaubare Fülle von tausenden Datensätzen zum Thema SZF und Bioethik. _____________ 1
Gleich zu Beginn muss darauf hingewiesen werden, dass die kontroversielle Debatte über die SZF nicht außer Acht lassen darf, dass hämatopoetische Stammzellen seit bereits längerer Zeit zu etablierten Therapien (‚Knochenmarktransplantation‘) eingesetzt werden (Buske C, Glimm H, Feuring-Buske M, Hämatopoetische Stammzellen. Internist. 2006 May; 47(5): 459-66). 2 PubMed Datenbankabfrage am 2. 1. 2008 mit MeSH „Stem Cells“ und Limit „Bioethics“ für den Zeitraum 1. 1. 1950 – 31. 12. 2007: 2.249 Treffer. 3 NRCBL Datenbankabfrage am 2. 1. 2008 mit den Suchbegriffen ((STEM ADJ (CELL+.TI.)) OR ((„18.5.3“.CL.) SAME „15.1“)) AND (@YD > „19491231“) für den Zeitraum 1. 1. 1950 – 31. 12. 2007: 3.108 Treffer. 4 ETHMED Datenbankabfrage am 2. 1. 2008 mit den Suchbegriffen „stammzell*“ OR „stem cell“ für den Zeitraum 1. 1. 1950 – 31. 12. 2007: 268 Treffer.
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Aus der bioethischen Diskussion, die sich in diesen Beiträgen widerspiegelt, werden für die Legitimation bzw In-Frage-Stellung der SZF Argumente gewonnen, die in der Folge im öffentlichen Diskurs und in der Rechtsentwicklung Einzug halten. Dabei droht jedoch die bioethische Debatte – zumal die deutschsprachige – an wichtigen Problemen vorbeizugehen, welche sich dann ebenfalls nicht im öffentlichen Diskurs oder in der Rechtsentwicklung wiederfinden.
1. Zielsetzung Die vorliegende Arbeit widmet sich daher der Frage, welche Probleme der SZF in der Bioethik debattiert werden und welche nicht bzw nicht in einem ausreichenden Maß. Diese Zielsetzung ist gleichzusetzen mit dem Vorhaben, verschiedenen Zielgruppen einen möglichst ausgewogenen Überblick über die bioethische Diskussion zur SZF zu geben (vgl Tabelle 1). Dieser Überblick soll dazu dienen, die Tragweite und Intensität der ethischen Debatte im internationalen Horizont zu erfassen und für die Entscheidungsfindung zu nutzen. Tabelle 1: Zielgruppen und Zielsetzungen der Arbeit
2. Methode Die folgende Analyse wird aus bioethischer Perspektive erfolgen. Dieser Zugang ist auf zweifache Weise als säkulare praktische Ethik zu charakterisieren: Zum einen wird es eine nicht-religiöse Perspektive sein. Diese ‚philosophische Ethik‘ unterscheidet sich von einer ‚theologischen Ethik‘ dadurch, dass sie keinen Bezug auf Offenbarungswahrheiten nimmt.
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Zum anderen muss der Begriff ‚Ethik‘ noch präzisiert werden. ‚Ethik‘ wird erstens für den weiten Kontext der Moralphilosophie, die sich mit grundlegenden Fragen der Moralbegründung und -kritik auseinandersetzt, verwendet. ‚Ethik‘ bezeichnet zweitens den engeren Kontext einer sogenannten praktischen Ethik. Sie kann mit Tom Beauchamp (1, 2) als jeglicher Gebrauch philosophischer Methoden zur Bearbeitung von moralischen Problemen, Praktiken und Verfahrensweisen beschrieben werden. Zwischen Moralphilosophie und praktischer Ethik verläuft keine trennscharfe Demarkationslinie, dennoch legt die praktische Ethik mehr Augenmerk auf die Problembewältigung unter den Restriktionen der Wirklichkeit. Die methodische Herangehensweise der praktischen Ethik verlangt es, nicht nur die grundlegenden philosophischen Theorien, Prinzipien und Regeln zu untersuchen, sondern auch die konkreten naturwissenschaftlichen, sozialen, ökonomischen usw Rahmenbedingungen des Untersuchungsgegenstandes (hier: SZF) zu beleuchten; dies wird sich vor allem in Abschnitt III zeigen. Operationalisiert wurde die Herangehensweise der praktischen Ethik in diesem Beitrag durch einen ausführlichen Literaturreview und die Systematisierung der darin enthaltenen Themen und Argumente, sodass sich ein umfassendes Lagebild zur SZF aus bioethischer Sicht ergibt.
3. Themenauswahl Trotz des Anspruchs, umfassend zu sein, kann dieser Beitrag nicht vollständig sein. Das ergibt sich – neben einer Umfangbegrenzung – schon allein aus dem Umstand, dass die Ergebnisse der SZF in einem raschen Fluss sind. Dies kann insbesondere bei der ethischen Bewertung einzelner Methoden der SZF zu Schwierigkeiten führen (vgl Abschnitt III.2). Dem Anspruch einer umfassenden Einschätzung wurde jedoch durch folgende Themenauswahl gerecht zu werden versucht: In einem ersten Schritt (Abschnitt II) wird jene Debatte dargestellt, welche die bisherige Erörterung der SZF in der Bioethik dominiert: jene über den Status des Embryos. Auch wenn sich hier, wie gezeigt wird, keine Lösung abzeichnet, ist eine solche Darstellung dennoch notwendig, um die Tragweite der gesamten Diskussion zu erkennen. In einem zweiten Schritt (Abschnitt III) werden sodann praktische Fragen und Probleme der Forschungsethik im Kontext der SZF analysiert. Obwohl sie unabhängig von einer etwaigen Lösung der Statusfrage existieren, werden sie bislang nur am Rande in der Bioethik diskutiert, da sie meistens von der Statusdebatte verdrängt werden. In einem dritten Schritt (Abschnitt IV) werden schließlich einige fundamentale Voraussetzungen für die bioethische Bewertung der SZF thematisiert, die für gewöhnlich mehr im Hintergrund mitschwingen als explizit diskutiert werden. Dies könnte langfristig ein Fehler sein, da sie sowohl
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für die Statusfrage als auch für die Fülle an praktischen Problemen einen wegweisenden Rahmen erzeugen. Die Erörterungen in diesem Beitrag werden Folgendes zeigen: Das Hauptgewicht der ethischen Debatte liegt nach wie vor auf der Frage nach dem Status des menschlichen Embryos. Zu einer Ethik der SZF gehört aber eine Fülle weiterer Themen, die bislang unzureichend diskutiert werden: einerseits praktische Fragen der Forschungsethik, andererseits grundlegende Fragen einer Hintergrundethik, welche die Debatte formen. Daher gibt es keine ‚ethisch unbedenkliche‘ SZF, wie sie oftmals tituliert wird, wenn keine hES-Zellen beteiligt sind.
II. Philosophische Ethik: Dominanz der Statusfrage Die Analyse der Ethik der SZF beginnt mit dem bisherigen Schwerpunkt der Debatten mit der sogenannten Statusfrage des Embryos. Damit ist die Frage gemeint, welche normative Position, welcher Anspruch dem werdenden menschlichen Leben zukommen soll (3, 4: p. 190-3). Die Statusfrage ist nicht neu und spielt seit jeher insbesondere im Disput um den Schwangerschaftsabbruch eine Rolle. Für die SZF ist sie insofern von hoher Relevanz, als sie darüber entscheidet, ob bzw in welcher Weise menschliche Embryonen zu Forschungszwecken verwendet werden dürfen, wobei ‚Verwendung‘ in der Regel die Zerstörung bzw Tötung5 des Embryos impliziert. Auch wenn viele Argumente in dieser Auseinandersetzung bereits in der ethischen Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs entwickelt wurden, so besteht unter vielen Bioethikerinnen und Bioethikern heute Einigkeit darüber, dass es sich bei Schwangerschaftsabbruch und Embryonenforschung _____________ 5 Die bioethischen Debatten in der SZF sind mitunter auch Auseinandersetzungen um Begriffe. Neben dem umstrittenen Embryonen-Begriff (vgl Abschnitt II.1.b) geht es zB auch um das wording jener Handlungen, die dem Embryo seine weitere Entwicklung unmöglich machen. Die Bezeichnung ‚Tötung‘ des Embryos für diese Handlungen wird von Befürwortern der embryonalen SZF in der Regel als ideologisch vorbelastet kritisiert und abgelehnt, denn sie insinuiere, dass es sich beim Invitro-Embryo um eine Person handle, die man – analog zum geborenen Menschen – töten könne, was in aller Regel moralisch verwerflich sei. Die Bezeichnung ‚Zerstörung‘ des Embryos wird umgekehrt aus Sicht der Gegner der embryonalen SZF dahingehend als ideologisch kritisiert, als sie insinuiere, beim In-vitro-Embryo handle es sich um eine Sache, die man – wiederum analog zum sonstigen Leben – zerstören könne. – Geht man von der Tatsache aus, dass es sich beim Embryo jedenfalls um ein Lebewesen handelt, so wäre die Bezeichnung ‚Tötung‘ adäquater; denn selbst bei den primitivsten Einzellern würde eher ‚Tötung‘ als ‚Zerstörung‘ verwendet werden, da es sich um Lebewesen handelt. Die Nuancen, die zwischen solchen Begriffsbestimmungen und ihrer Verwendung liegen, sind vor allem für die Respekt-Position (vgl Abschnitt II.3) von Relevanz. Denn sie geht etwa davon aus, dass es auch Fälle eines respektvollen Tötens geben kann.
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um zwei Kontexte handelt, die unterschiedliche Analysen erfordern und daher auch unterschiedlich bewertet werden könnten (5, 6). Einer der augenscheinlichsten Unterschiede besteht darin, dass bei der SZF In-vitroEmbryonen zerstört werden, wohingegen es sich beim Schwangerschaftsabbruch um In-vivo-Embryonen bzw Föten handelt. Unterschiedliche ethische Bewertungen dieser beiden Kontexte können jedoch sehr wohl zu Problemen in rechtlicher und politischer Hinsicht führen, wenn ‚Wertungswidersprüche‘ auftreten und nicht bewältigt werden. Die Bewältigung dieses rechtlichen bzw politischen Problems ist allerdings auf einer anderen Diskursebene gelagert als die bioethische Debatte um den Status des Embryos und wird daher im Folgenden nicht behandelt (4: p. 192). Die lange Zeitdauer der Statusdebatte, ihre inhaltliche Bedeutung und ihre Komplexität haben dazu geführt, dass die Literatur mittlerweile unüberschaubar geworden ist. Um den Überblick zu bewahren, hat es Versuche gegeben, die Diskussionsbeiträge zu systematisieren (7, 8). Im Folgenden werden die Argumente zu drei Positionen zusammengefasst. Dabei ist – wie stets bei solchen Klassifikationen – daran zu erinnern, dass es innerhalb der Positionen Bandbreiten und Unschärfen gibt. Folgende Positionen zur Statusfrage sind demnach auszumachen: 1. Der Embryo ist ein Objekt. 2. Der Embryo ist eine Person. 3. Der Embryo verdient Respekt. Der hier und zuvor schon öfters verwendete Begriff ‚Embryo‘ soll zunächst einmal sehr grob als Überbegriff für Formen des frühen menschlichen Lebens verstanden sein. Inwiefern Differenzierungen und Spezifizierungen angebracht sind, ist Teil der ethischen Diskussion, um die es im Folgenden geht. Der Begriff selbst hat, wie dies Jane Maienschein (9) aufzeigt, eine Geschichte, in der er nicht immer dasselbe bedeutete; und er wird, wie William Cheshire (10) analysiert, in der medialen Berichterstattung noch immer sehr unterschiedlich verwendet.
1. Der Embryo ist ein Objekt Die ‚Objekt-Position‘ sieht im menschlichen Embryo eine Sache: ein Gewebe (‚Zellhaufen‘), das nicht im Schutzbereich jener moralischen Normen liegt, die für Menschen gelten. Für diese Position lassen sich in der Literatur unterschiedliche Argumente ausmachen, die teilweise zusammenhängen und aufeinander aufbauen.
a) Argumente aus der Rationalität (Interessensethik) Die erste und einflussreichste Argumentationsgruppe lässt sich ‚Argumente aus der Rationalität‘ nennen; mitunter spricht man hierbei auch von einer
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‚Interessensethik‘. Für die Bioethik wurde dieser Ansatz in den frühen 1970er-Jahren entwickelt, er reicht hinsichtlich seiner Erkenntnistheorie und seines Menschenbildes jedoch bis zu John Locke zurück (vgl Abschnitt IV.1). Michael Tooley, der als Begründer der Interessensethik in der Bioethik angesehen werden kann, führte 1972 (11) aus, dass der Mensch, um als Mitglied der moralischen und rechtlichen Gemeinschaft anerkannt werden zu können, Selbst-Bewusstsein haben müsse. Dies sei erst nach der Geburt möglich. In diese Richtung ging auch Mary Ann Warren, als sie 1973 (12) meinte, die Merkmale für die Mitgliedschaft in der moralischen und rechtlichen Gemeinschaft seien Bewusstsein, Vernunft, selbstveranlasste Aktivitäten, Kommunikation und Selbstbewusstsein. Das bloße Potential zu diesen Merkmalen reiche nicht aus. 1997 (13) entwickelte sie ihre multikriterielle Theorie mit sieben Prinzipien weiter. Joel Feinberg wandte diesen Ansatz 1974 (14) im Recht an, indem er argumentierte, nur solche Lebewesen könnten Rechtssubjekte sein, die auch Interessen haben und wahrnehmen können. Denn Rechte würden, so Feinberg, Interessen schützen, und wer keine Interessen hat, dessen Rechte könnten auch nicht verletzt werden. Peter Singer, der vielleicht bekannteste Vertreter dieser Position, veröffentlichte 1975 (15) ebenfalls seine Argumente für die Interessensethik, die er 1979 (16) weiter ausbaute; auf seine Kritik an einem emphatischen Gattungsbegriff wird noch einzugehen sein (vgl Abschnitt II.2). Seines Erachtens ist eine Grenze moralischer Beachtlichkeit eines menschlichen Lebewesens erst mit der 18. Schwangerschaftswoche gegeben, da man erst ab diesem Zeitpunkt sinnvollerweise davon sprechen könne, dass dieses Lebewesen zumindest rudimentäre Interessen haben könnte (17). Ähnliche Argumente führen im englischen Sprachraum John Harris (18) und Bonnie Steinbock (19) oder unlängst Russel Blackford (20) und Jan Savulescu (21) an. Im deutschen Sprachraum übernahm Norbert Hoerster (22, 23, 24) die Position der Interessensethik. Er sieht in ihr einen säkularen Kontrast zu einer, wie er es nennt, metaphysischen Ethik. Auch Reinhard Merkel (25, 26) stellt in seinen Beiträgen auf das Interesse als das maßgebliche moralrelevante Kriterium ab. Zusammengefasst führt der Ansatz der Interessensethik zu dem Resultat, dass Embryonen keinesfalls moralische oder rechtliche Subjekte, sondern nur Objekte sein können, da zum Subjektsein Interessen notwendig seien. Diese Sichtweise gründet einerseits auf einer bestimmten Erkenntnistheorie und einem entsprechenden Menschenbild (vgl Abschnitt IV.1), andererseits – was von ihren Vertretern immer wieder betont wird, auf empirischen Fakten, die allein eine metaphysik- bzw ideologiefreie Basis bieten könnten.
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b) Argumente aus der Empirie Diese empirischen Fakten werden aus der Beobachtung der pränatalen Entwicklung, insbesondere der Hirnentwicklung, gewonnen. Um Interessen zu haben, so das Argument, benötige der Mensch eine entsprechende organische Ausstattung, die am Hirn festzumachen sei. John Goldenring vertrat 1982 (27) erstmals diese sogenannte HirnlebenPosition. Demnach beginne analog zur Definition des Hirntods (28) das moralisch relevante menschliche Leben mit dem Vorhandensein von Hirnaktivität, was er ab der 8. Schwangerschaftswoche annahm. Dem schlossen sich 1984 (29) auch Thomasine Kushner und im deutschen Sprachraum 1989 (30) Hans-Martin Sass an. Jeff McMahan spitzte die ‚Hirnleben‘-Position 2002 (31) insofern zu, als er nicht nur das Vorhandensein irgendeiner Hirnfunktion, sondern die Fähigkeit des Hirns, Bewusstsein zu ermöglichen, als Startpunkt der moralisch relevanten menschlichen Existenz ansah, was zu einer Schwelle zwischen 22. und 30. Schwangerschaftswoche führt. Zu den Argumenten der Objekt-Position, die aus der Empirie gewonnen werden, soll hier auch die Unterscheidung zwischen ‚Prä-Embryo‘ und ‚Embryo‘ zählen. Richard McCormick deklarierte 1979 (32) erstmals eine solche Differenzierung als ethisch beachtlich und führte sie später weiter aus (33). Er stützte sich dabei auf Beobachtungen von Clifford Grobstein (34), der zu dem Resultat gekommen war, wonach die Tatsache, dass mit der Befruchtung der Eizelle eine neue genetische Generation entsteht, nicht gleichzusetzen sei mit dem Beginn eines neuen Menschenlebens. Demzufolge müsse man, so McCormick – und im Anschluss an ihn etwa Anne McLaren (35) und David DeGrazia (36, 37) – bis zum Blastozysten-Stadium oder der Beobachtung des Primitivstreifens von einem ‚Prä-Embryo‘ sprechen; erst danach sei das Lebewesen ein ‚Embryo‘ (vgl dazu auch Abschnitt II.3). Gegen diese Begriffsdifferenzierung wurden zahlreiche Einwände erhoben, die sich zB auf die Unzuverlässigkeit der empirischen Beobachtungen und ihrer nicht-empirischen Deutung beziehen und die Unterscheidung als Rechtfertigung einer schon zuvor getroffenen Wertentscheidung ansehen (38). Auch wurde von entwicklungsbiologischer Seite eingewandt, dass die Zellentwicklung bei Säugern schon viel früher eine gerichtete Bahn einschlägt, als dies lange Zeit geglaubt wurde: „What is clear is that developmental biologists will no longer dismiss early mammalian embryos as featureless bundles of cells.“ (39)
In diesem Beitrag wird der Begriff ‚Embryo‘ weiterhin als Überbegriff für alle Entwicklungsstadien des menschlichen Lebens vor seiner Geburt verwendet, wobei auf die ethische Signifikanz von unterschiedlichen Stadien noch einzugehen sein wird.
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c) Weitere Argumente Neben dem wichtigsten Argumentationstyp, der Interessenethik, kennt die Objekt-Position noch weitere Argumente, wobei hier auf jene der Säkularität, der Intuition und des Gesellschaftsvertrags eingegangen werden soll. Dan Brock (40) etwa erachtet alle Positionen, die davon ausgehen, dass der Embryo moralische Subjektivität innehabe, als religiös und damit für den rationalen, säkularen Diskurs als unzulässig. Brock bleibt in seinen Ausführungen allerdings schuldig, was er unter ‚religiös‘ versteht und warum solche Argumentationen nicht am öffentlichen Diskurs teilnehmen dürfen. Angesichts der Fülle an Literatur zu diesem Thema (41, 42, 43) bleibt Brocks Sichtweise – mit der er nicht alleine dasteht – sehr unreflektiert und oberflächlich. Seine pauschale Qualifizierung von wie auch immer zu verstehenden ‚religiösen‘ Argumenten wurde von Jan Deckers (44) schlüssig widerlegt. Nicht selten wird auch mit dem Argument der Intuition gearbeitet, vor allem im englischen Sprachraum. So meint etwa Howard Curzer (45), die Annahme, Embryonen hätten ein Recht auf Leben, würde sehr kontraintuitive Implikationen beinhalten. In diese Richtung geht das vielfach zitierte, wohl von George Annas (46) zum ersten Mal gebrauchte, Beispiel des brennenden IVF-Labors: Vor die Wahl gestellt, aus diesem Labor entweder hunderte kryokonservierte Embryonen oder ein sich noch darin befindliches Kind zu retten, würde, so die Argumentation, jeder Mensch – selbst ein Gegner der Embryonenforschung – intuitiv das Kind retten. Auch dieses Beispiel sieht allerdings von der intensiven Diskussion zu derartigen Dilemmasituationen (47, 48) ab und hat daher letztlich wenig Erklärungswert für eine Regelfindung. Schließlich sei noch auf ein kontraktualistisches Argument verwiesen. Am bekanntesten hierfür ist Tristram Engelhardt (49), der davon spricht, dass die Stärke der moralischen Position eines Menschen von einer Übereinkunft der Gemeinschaft abhängt. Auch Tatjana Hörnle (50) folgert aus dem Umstand, dass der Embryo in vivo de facto nicht die gleiche moralische Position wie lebende Menschen hat, dass die Zuerkennung eine vertragliche Angelegenheit sei. Gegen diese Sichtweise können zumindest zwei Argumente eingewandt werden: Erstens ist die bloße faktische Übereinkunft in einem Vertrag eine schwache, manche würden meinen gar keine, Legitimation. Zweitens scheint es, folgt man John Rawls (51), plausibel zu sein, einen Gesellschaftsvertrag so abzuschließen, dass er zugunsten der am Schlechtestgestellten gestaltet ist, selbst wenn diese nicht in den Vertragsverhandlungen dabei sind. Das würde für den Fall der Embryonenforschung offen lassen, ob und in welcher Weise Embryonen den Schutz des Gesellschaftsvertrags genießen können; und in der Tat argumentieren einige, dass eine solche Ausdehnung des Schutzbereichs naheliege (vgl Abschnitt II.3).
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d) Schwachstellen der Objekt-Position Das stärkste Argument der Objekt-Position ist jenes der Interessen, die für das Innehaben und Wahrnehmen von moralischen und juristischen Rechten notwendig seien und das empirische Faktum einer Hirnaktivität voraussetzten. Lebewesen, die solche Charakteristika nicht aufweisen, könnten folglich nicht als (vollwertige) Mitglieder der moralischen und juristischen Gemeinschaft angesehen werden. Also seien die in der SZF verwendeten In-vitroEmbryonen keine moralischen Subjekte, deren Zerstörung bzw Tötung gerechtfertigt werden müsse. Die Schwachstellen dieser Argumentation sind folgende: Die erkenntnistheoretische und anthropologische Grundannahme der Interessenethik geht von Voraussetzungen aus, die sie selbst nicht mehr rational beweisen kann: Warum ‚Interessen‘? Warum müssen diese selbst vertreten werden? – Zudem würde die objektiv und rational erscheinende Herangehensweise der Objekt-Position etwa von einem phänomenologischen Ansatz weiter kritisch auf ihr Vorverständnis hin hinterfragt werden. Empirische Beobachtungen sind für sich genommen relativ wertlos, wenn sie nicht gedeutet und bewertet werden. Diese Deutung und Bewertung ist allerdings nicht wiederum selbst empirisch, sondern interessengeleitet: Warum soll zB die Ausbildung des Primitivstreifens moralische Signifikanz haben? Wenn sie für ‚Individualisierung‘ steht, was ist ‚Individualität‘ und warum soll sie eine derartige Bedeutung haben? – Mit welchen Argumenten werden Schwellenschwerte für Hirnaktivitäten definiert, die eine normative Bedeutung haben sollen? Eine konsequente Verfolgung der Interessensethik führt zu für viele Menschen kontraintuitiven Folgen; das Argument der Intuition ist allerdings ein Argument der Interessensethik selbst, sodass ein hier auftretender Widerspruch die Position schwächt. So werden schlüssig auch jenen menschlichen Lebewesen Daseinsrechte abgesprochen, die in einem späteren Entwicklungsstadium nicht ihre Interessen wahrnehmen können: Neugeborene, Schlafende und Komatöse. Einen Schutz erfahren sie allenfalls subsidiär aus pragmatischen Überlegungen. Die sogenannte Interessensethik kümmert sich nicht um systemische Interessen (zB ökonomische, politische, rechtliche), sondern entwirft lediglich ein bestimmtes Menschenbild und zieht daraus ethische Schlüsse. Für eine praktische Ethik, die auch systemische Restriktionen der Wirklichkeit mitbedenken muss (und nicht bloß etwa die Hirnentwicklung), ist dies zu wenig, um zu wohlbegründeten Urteilen zu gelangen.
2. Der Embryo ist eine Person Die ‚Person-Position‘ sieht im menschlichen Embryo vom Zygoten-Stadium an ein Lebewesen, dem der gleiche moralische und rechtliche Status zukom-
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men soll wie anderen Menschen auch. Dieser Status wird gemeinhin mit dem Begriff ‚Person‘ identifiziert, wobei es sich dabei um ein normatives Deutungskonzept des beobachteten biologischen Vorgangs handelt (52, 53). Die Person-Position nimmt nun an, dass alle menschlichen Lebewesen – egal in welchem Entwicklungsstadium oder in welcher konkreten Verfassung – ‚Personen‘ sind: Personsein und Menschsein sind deckungsgleich. Für diese Position lassen sich wiederum unterschiedliche Argumente ausmachen, die im Folgenden vorgestellt werden.
a) Die ‚SKIP‘-Argumentation als Basis Die allermeisten Vertreterinnen und Vertreter der Person-Position nehmen Bezug auf vier Argumente: Spezies, Kontinuum, Identität und Potentialität. Gregor Damschen und Dieter Schönecker haben dies in dem von ihnen herausgegebenen und für diese Diskussion maßgeblichen Buch als ‚SKIP‘Argumentation bezeichnet (54). Ich werde diese Diskussion kurz zusammenfassen. Tabelle 2: Spezies-Argument
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Tabelle 3: Kontinuums-Argument
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Tabelle 4: Identitäts-Argument
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Tabelle 5: Potentialitäts-Argument
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Der kurze Überblick zur SKIP-Argumentation lässt erkennen, wie grundsätzlich die moralphilosophische Debatte um den Status des menschlichen Embryos hier geführt wird. Die beiden gewichtigsten Argumente sind sicherlich das Identitäts- und das Potentialitäts-Argument, wie sich auch an ihrer breiten und intensiven Diskussion zeigt (74). Doch gerade bei diesen beiden Argumenten beruht die Auseinandersetzung im Grunde genommen auf sehr unterschiedlichen, teilweise inkompatiblen metaphysischen Grundannahmen auf beiden Debattenseiten, sodass es mehr als fraglich erscheint, ob die eine Seite die Argumente der anderen Seite aus guten Gründen anerkennen kann.
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b) Argumente aus dem Naturrecht Die grundsätzlich unterschiedlichen Betrachtungsweisen von Objekt-Position hier und Person-Position da zeigen sich in der Folge in den Argumenten aus dem Naturrecht, die wiederum auf die SKIP-Argumentation zurückgreifen. Mit ‚Naturrecht‘ meine ich den im englischen Sprachraum seit den 1980er-Jahren entwickelten Ansatz der sogenannten neuen Naturrechtstheorie, für die insbesondere John Finnis (77, 78) steht. Teresa Iglesias formulierte den Kern dieses naturrechtlichen Ansatzes folgendermaßen: „It is what they [ie entities] are that determines what they can do, not the other way around. So if we can attain self-consciousness at some stage, we must already be the kind of beings than can attain it.“ (75: p. 35)
Rechte basieren in dieser Sichtweise auf Werten, und Werte basieren auf der Anerkennung dessen, was Dinge sind. Daniel Sulmasy (79) weist darauf hin, dass wir einen epistemischen Zugang zu diesem Wesen der Dinge in der Welt haben. So erkennen wir beispielsweise einen beschädigten Diamanten in seinem Wesen als Diamanten an und anerkennen seinen wesenhaften, größeren Wert als den irgendeines perfekten, aber künstlichen Diamanten. Gegen einen solchen Essentialismus wird öfters kritisch eingewendet, dass er auf einer metaphysischen Ideologie basiere, die letztlich nur in einem religiösen Glauben zugänglich sei. Demgegenüber bestehe der neuzeitliche wissenschaftliche Erkenntnisprozess in einer Dekonstruktion derartiger ‚VorStellungen‘. C.S. Lewis (80) führt jedoch gegen die Möglichkeit einer völligen Dekonstruktion dieser wesenhaften Erkenntnis an, dass wir nicht auf ewig durch alle Dinge ‚hindurchsehen‘, alle Dinge ‚durchschauen‘ könnten (dh sie dekonstruieren). Denn die Pointe des Durchschauens eines Dings liege darin, es durch Etwas – einen Maßstab – zu betrachten. Alles zu durchschauen wäre demnach gleichbedeutend mit nichts zu sehen. Im Bereich der bioethischen Diskussion um die verbrauchende Embryonenforschung wendet vor allem Alfonso Gómez-Lobo (65, 70, 76) den Ansatz der neuen Naturrechtstheorie an. Er baut seine Argumentation aus einer Kombination des Identitäts- und des Potentialitäts-Arguments auf, die bei ihm vor dem Hintergrund der wesenhaften Bestimmung des Gegenstands zu erläutern sind. Damit lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Die essentielle Potentialität des Embryos besteht in einem Heranwachsen zum Geborenwerden und darüber hinaus. Gameten für sich allein oder Körperzellen haben nicht diese essentielle Potentialität. Der Ausdruck ‚Person‘ und der damit verbundene Status ist ein wesenhaftes Attribut des Menschen, welches von seiner Natur her bestimmt wird und nicht von der Zuerkennung durch andere Menschen. Die Überzeugungskraft der naturrechtlichen Argumentation steht und fällt letztlich mit der Nachvollziehbarkeit eines Essentialismus, der das Menschenbild normativ einrahmt (81). In der neuzeitlichen Philosophie und Ethik
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wurde ein solcher Essentialismus größtenteils abgelehnt, wobei zuweilen unklar bleibt, an welchen Bezugspunkten sich die Dekonstruktion orientiert. Denn auch die Rationalität des Menschen, die von der Interessensethik als ethischer Bezugspunkt angeführt wird, steht nicht außerhalb des Spiels, sondern wird letztlich als wesenhaftes Charakteristikum der Person postuliert. Dadurch wird man allerdings wiederum nur auf die Frage zurückverwiesen: Was ist diese ‚Person‘, die Interessen hat oder nicht hat? (vgl Abschnitt IV.1).
c) Argumente aus der Pflichtenethik Während die naturrechtliche Argumentation in der englischsprachigen Literatur eine beachtliche Rolle spielt, wird die deutschsprachige PersonPosition zu einem erheblichen Maß von der Bezugnahme auf eine deontologische Ethik (‚Pflichtenethik‘) geprägt. Immanuel Kant, der bekannteste Vertreter dieses Ansatzes, sieht ‚Person‘ als Subjekt, dessen Handlungen rechenschaftsfähig sind. Die Möglichkeit, Rechenschaft für Handlungen zu verlangen und die Möglichkeit, sie zu geben, setzt Freiheit voraus, einen Begriff der praktischen Vernunft (dh wir wissen, dass Freiheit ist, ohne abschließend sagen zu können, was sie ist). Also ist die moralisch relevante Personalität die Freiheit eines vernünftigen Lebewesens, unter selbstgegebenen Gesetzen zu leben (dh Autonomie) (82). Als solcherart autonome Lebewesen sind Menschen Subjekte der Achtung und haben einen intrinsischen Wert (dh Würde), keinen bloßen Preis. Dieser Wert verdient Schutz, da er ja die Voraussetzung der Rechenschaft für das Handeln ist; und dieser Schutz erhält seinen Maßstab im ‚kategorischen Imperativ‘, insbesondere in dessen ‚Selbstzweckformel‘: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eine jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ (83: p. 61)
Ein vernünftiges, dh verallgemeinerbares Verständnis von ‚Person‘ impliziert damit die unbedingte Anerkennung aller anderen als Personen. Kant weist darauf hin, dass dieser Zusammenhang auch für Kinder gilt: Eltern können ihr Kind nicht als Produkt oder Eigentum betrachten, denn das Kind ist nicht bloß ein Mitglied der menschlichen Spezies, sondern auch ein Bürger und damit ein Rechtssubjekt (82, 84). Auf diese Kantische Argumentation – in deren Zentrum der Begriff der Menschenwürde steht – baut eine Reihe von Autoren auf. Ihnen gemeinsam ist ein Verständnis von Menschenwürde, das diesen Begriff als unbedingtes Prädikat sieht, sodass es nicht davon abhängt, ob es jemand anderer verleihen oder zuerkennen möchte oder nicht. Die Menschenwürde ist die Basis und der Bezugspunkt für andere Güter und Rechte, die an ihr gemessen werden
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müssen – sie selbst ist jedoch als Maßstab nicht mehr in diese Abwägung zu bringen. Ein solches Verständnis wird nicht zuletzt von der Argumentation des deutschen Bundesverfassungsgerichts (85, 86) unterstützt, welches unter Bezugnahme auf die Formulierung Günter Dürigs (87) eine Totalinstrumentalisierung bzw Verobjektivierung eines Menschen als Missachtung der Menschenwürde ansieht – wenngleich diese Tradition jüngst durch Matthias Herdegen (88) und Horst Dreier (89) in Frage gestellt wurde. Eine Totalinstrumentalisierung liegt in der Tradition des Bundesverfassungsgerichts beispielsweise dann vor, wenn ein Mensch ohne eine Notwehrsituation getötet wird, oder auch, wenn mit ihm zum bloßen Nutzen anderer experimentiert wird, ohne oder gegen seinen Willen (vgl auch Nürnberger Ärzteprozesse). In der Bioethik wird die Menschenwürde häufig als „höchstes Moral- und Rechtsprinzip“ (90) herangezogen (91, 92). Im Kontext der Embryonenforschung vertritt am vielleicht prominentesten Robert Spaemann (52, 93, 94, 95) die Ansicht, dass Embryonen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Spezies Mensch Menschenwürde haben, was ihre Instrumentalisierung unbedingt verbietet. Somit sei jede verbrauchende Embryonenforschung nicht zu legitimieren, da die Zerstörung bzw Tötung eines Embryos analog zur Tötung eines geborenen Menschen nur in den engen Grenzen der Notwehr, nicht aber zu Forschungs- oder anderen Zwecken erlaubt sei. In gleicher Weise sehen dies Eberhard Schockenhoff (55, 96) und Franz-Josef Bormann (97), die auch die Benutzung nichttransferierter6 IVF-Embryonen in der SZF als bloßes utilitaristisches Common-Sense-Argument ansehen, welches den Grundsatz der Menschenwürde, eben nicht in eine Verwertungs-Abwägung unter Zuhilfenahme eines Maximierungsparadigmas zu geraten, widerspreche. In seiner umfangreichen Darstellung des Klonierens sprach sich auch Thomas Heinemann (98, 99: p. 200) für die Achtung der Menschenwürde von Embryonen aus. Eine Sonderform des deontologischen Menschenwürde-Arguments in der Ethik der SZF stellt auf den Umstand ab, dass Würde zwar auch toten Menschen gezollt wird, dass diese ‚Würde‘ aber andere Formen annimmt als der Würdeschutz von Lebenden. Es besteht demnach aus guten Gründen große _____________ 6
Zu den wording-Problemen der SZF zählt auch die Bezeichnung für jene Embryonen, die im Zuge einer Fertilitätsbehandlung in vitro hergestellt wurden (kurz: IVF-Embryonen), dann aber – aus unterschiedlichen Gründen – nicht der Frau eingesetzt wurden, um im Uterus heranzuwachsen. Für diese Embryonen werden gemeinhin folgende Attribute verwendet: ‚überzählig/überschüssig‘ oder ‚verwaist‘. Wiederum kann man mit diesem wording ideologische Konnotationen verbinden: ‚Überzählig/Überschüssig‘ klingt nach Gütern, die sonst nicht mehr benötigt werden; ‚verwaist‘ hingegen nach einem Kind, das keine Eltern hat. Um ideologische Begriffskämpfe auf beiden Seiten zu vermeiden, wird hier das Attribut ‚nicht-transferiert‘ vorgeschlagen und verwendet, da es den Sachverhalt am neutralsten beschreiben dürfte. Zur Größenordnung: Hoffmann und Kollegen (Fertil Steril 2003 May; 79[5]: 1063-9) berichteten 2003 von ca 40.000 kryokonservierten Embryonen in den USA.
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Einigkeit darüber, dass ein toter Mensch unter Beachtung gewisser Grundsätze und Regeln auch ‚verwertet‘ werden darf (insbesondere als Organspender) (4: p. 251). Wenn nun Embryonen ebenfalls tot sind, dann wäre ihr Status analog zu beurteilen, dh dürften sie unter gewissen Bedingungen ebenfalls verwertet werden. Dabei ist an zwei Konstellationen zu denken: 1. Organisch tote Embryonen: Dabei handelt es sich um kryokonservierte IVF-Embryonen, die sich aus biologischen Gründen nicht weiter entwickeln. Wenn ein Embryo von sich aus nicht überlebensfähig ist, dann stellt seine Verwertung in der SZF keine Totalinstrumentalisierung dar (vgl Abschnitt III.2). 2. Sozial tote Embryonen: Peter Dabrock und Lars Klinnert (100) haben den klassischen, organischen Todesbegriff um eine soziale Dimension erweitert. Demnach seien kryokonservierte IVF-Embryonen, die aus sozialen Gründen keine Chance auf eine weitere Entwicklung haben, im sozialen Sinn als tot anzusehen. Ihre Argumentation wird vor einem Menschenbild verständlich, welches das leibliche Werden eines Menschen als autopoietischen Prozess versteht, der von biologischen und sozialen Umweltfaktoren gleichermaßen abhängt. Somit wäre eine Reduktion der menschlichen Leiblichkeit auf bloß die biologische Umwelt (‚Organisch überlebensfähig Ja oder Nein?‘) eine unzulässige Verkürzung. In ähnlicher Weise argumentiert Mary Mahowald (101, 102). Beide Bezugnahmen auf den Todesbegriff müssen sich allerdings der kritischen Anfrage aussetzen, inwieweit hier eine interessengeleitete Definitionsmacht ausgeübt wird, die zu Lasten einer Gruppe von Betroffenen, nämlich der Embryonen, geht. Diese Debatte ist nicht neu, da sie schon seit der Definition des Hirntodkriteriums geführt wird (103). Da wie dort wird deutlich, dass auch die Definition von ‚tot‘ und ‚lebend‘ in hohem Maße von dem zugrunde gelegten Menschenbild abhängt. Das Ringen um die Todesdefinition bei Embryonen zeigt somit, dass gerade die Frage, wie mit den nicht-transferierten IVF-Embryonen umzugehen ist, für die Vertreterinnen und Vertreter der Pflichtenethik ein Problem darstellt, das nur über Umwege zu bewältigen ist. Die Toterklärung ist einer – und wahrscheinlich der plausibelste – dieser Umwege, doch es werden auch andere diskutiert: Vertritt man die Person-Position streng deontologisch, dann kommt eine utilitaristische Güterabwägung mit Forschungsinteressen nicht in Betracht, wie schon zuvor erwähnt wurde. Insofern bietet sich zunächst nur die Option, die Embryonen unbefristet zu kryokonservieren oder sie aber ohne Verwertung in der Forschung sterben zu lassen. Aus Sicht der strengen Pflichtenethik wäre dies einer Verwertung vorzuziehen, da letztere eine Totalinstrumentalisierung und somit eine Verletzung der Menschenwürde darstellen würde (98: p. 584).
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Eine andere Option bestünde darin, die nicht-transferierten Embryonen zur Adoption freizugeben, sodass sie eine Chance erhalten, ihre Entwicklung fortzusetzen. Für diese Alternative hat sich etwa Regine Kollek (104) ausgesprochen; auch Peter Dabrock und Lars Klinnert (100) möchten diesen Versuch nicht auslassen, bevor sie einen Embryo für ‚sozial tot‘ erklären; und in den USA findet man eine ganze Embryo Adoption Awareness Campaign (105). Doch neben zahlreichen rechtlichen Problemen (106) würde dies auch nur einem sehr kleinen Teil der nicht-transferierten Embryonen die Chance zur weiteren Entwicklung geben. Dieses Ringen um den Umgang mit kryokonservierten IVF-Embryonen verweist letztlich auf ein weiter reichendes Problem der SZF: Wie etwa Teresa Iglesias (75) sowie Peter Dabrock, Lars Klinnert und Stefanie Schardien (100) erläutern, ist die enge Verknüpfung der SZF mit der Reproduktionsmedizin und die IVF selbst ein Schlüsselproblem der modernen Biomedizin und Bioethik. Diese heikle Verflechtung wird weiter unten im Kontext der Eizellenaufbringung für die SZF anschaulich problematisiert (vgl Abschnitt III.3), doch schon an dieser Stelle muss aus ethischer Sicht darauf hingewiesen werden, dass die Argumentation seitens vieler Vertreter der Biomedizin nicht zu überzeugen vermag: Einerseits benötigt man die Reproduktionsmedizin für die SZF, andererseits soll die SZF die Reproduktionsmedizin effektiver und effizienter machen – das klingt nach einer Art Perpetuum Mobile, dessen Mechanik noch eingehender kritischer Reflexion bedarf. Ob die Pflichtenethik diese Reflexionsleistung schafft, wird allerdings von vielen Analysten hinterfragt. Im Zentrum der Kritik steht dabei der Menschenwürdebegriff, und zwar sowohl hinsichtlich seiner generellen Begründungskraft als auch hinsichtlich seiner speziellen Aussagekraft in der SZF. Dass die Menschenwürde trotz ihrer ethischen und rechtstheoretischen Komplexität nach wie vor eine fundamentale Bedeutung gerade im Recht hat, lässt sich mit einem Blick auf die Grundrechtsjudikatur und die internationale Politik leicht feststellen (86, 107). Die Abqualifizierung als bedeutungslose ‚Leerformel‘ (23, 108) wirkt insofern als realitätsfern. Ambivalenter wird jedoch die Bezugnahme auf die Menschenwürde in der SZF. Eine streng literarische Lesart von Kants Konzeption wird hier erhebliche Schwierigkeiten aufzeigen, wenn Menschenwürde vom Idealtypus des ‚autonomen Menschen‘ auf Embryonen in ihrem frühesten Entwicklungsstadium übertragen werden soll. Versuche, dies mit Hilfe der SKIPArgumente zu tun, sehen sich – wie gezeigt wurde – aufgrund unterschiedlicher Erkenntnistheorien und Menschenbilder der Kritik ausgesetzt. Und selbst wenn Kants ‚Selbstzweckformel‘ unter Verwendung kritischer Vernunft über ihren literarischen Gehalt hinaus gelesen wird, wird es für viele Menschen keine überzeugende Brücke zwischen diesem Vernunftkonzept und dem, was sich ihnen im Mikroskop zeigt, geben – zumindest dann nicht,
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wenn es sich um nicht-transferierte IVF-Embryonen handelt, die bei ihrer Verwertung ein forscherisches oder gar therapeutisches Potential besitzen.
d) Weitere Argumente Neben den beiden großen Argumentationssträngen des Naturrechts und der Pflichtenethik, die beide auf die SKIP-Argumente Bezug nehmen, lassen sich in der Literatur zumindest noch zwei weitere Argumente für die PersonPosition finden: Jan Deckers (44) verteidigt das Spezies-Argument unter Hinweis auf die evolutionsbiologische Absicherung dahinter: Indem die Zugehörigkeit zur Spezies Mensch ein wichtiges oder das entscheidende moralrelevante Kriterium ist, schütze sich die Spezies in ihrem Überleben. Don Marquis (109, 110, 111) hat schließlich ein relativ einfaches, in der Literatur aber als sehr gewichtig ausgewiesenes, Argument angeführt, seinen ‚Future-Like-Ours‘-Ansatz (FLOA): Der Verlust des eigenen Lebens beraubt einen all seiner Erfahrungen, die ansonsten die eigene Zukunft ausgemacht hätten. Da allgemein nachvollzogen werden kann, dass dies ein nicht zu rechtfertigender Verlust wäre, hat jeder Mensch das Recht, diese Erfahrungen zu machen. Dem hat Jeff McMahan (31) allerdings seinen ‚Time-Relativ-Interest‘-Ansatz (TRIA) entgegengesetzt, der von einer Diskontierung des Interesses an der eigenen Zukunft ausgeht – je nach dem Umfang, in dem ein Lebewesen mit seiner Zukunft verbunden ist. Ganz zu Beginn des Lebens wäre der Verlust, den man gemäß FLOA nicht rechtfertigen könnte, gleich Null. David DeGrazia (36) wiederum meint, dass FLOA dann nicht greift, wenn noch keine Individuation des Lebewesens stattgefunden habe (vgl dazu oben, zum IdentitätsArgument). Und eine Reihe von Analysten bezweifeln überhaupt, ob die Nicht-Existenz eines Lebewesens denklogisch ein Verlust für dieses Lebewesen selbst sein könne (112, 113, 114).
e) Schwachstellen der Person-Position Die Person-Position wählt einen im Vergleich zur Objekt-Position gänzlich anderen Ansatz in Hinblick auf die Erkenntnistheorie und das Menschenbild. Sowohl im naturrechtlichen wie auch im deontologischen Ansatz sucht die Person-Position nach metaphysischen Charakteristika des Menschseins, die zwar eine biologische und soziale (also auch empirisch beobachtbare) Basis benötigen, sich aber nicht auf diese reduzieren lassen. Sei es eine teleologische Wesensbestimmung des Menschen, sei es seine Charakterisierung durch Moralität – beide Wege sehen keinen prinzipiellen Unterschied zwischen einem geborenen Menschen und einem Embryo und versuchen dies mit Hilfe der SKIP-Argumente zu zeigen. Wenn es aber keinen solchen prinzipiellen
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Unterschied gibt, dann dürften Embryonen nicht anders behandelt werden als geborene Menschen; insbesondere also nicht so, dass ihre Menschenwürde missachtet wird, was bei ihrer Verwertung zu Forschungszwecken der Fall sei. Die Schwachstellen dieser Argumentation wurden zu einem Großteil schon benannt (in der Erörterung der SKIP-Argumente, aber auch in den Abschnitten des naturrechtlichen und des deontologischen Zugangs). Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Person-Position bezieht sich auf Erkenntnistheorien und Menschenbilder, die im modernen, durch empirische Wissenschaften geprägten, Wissenschafts- und Lebenskontext oftmals schwer nachvollziehbar sind. Auch wenn einige oder viele Analysen der neuen Naturrechtstheorie und der Pflichtenethik in anderen Lebensbereichen hohe Akzeptanz finden, können sie nicht mit hinreichender Überzeugungskraft in die SZF übersetzt werden. Viele Menschen hören zwar die Vernunftgründe der PersonPosition und können diese auf geborene oder in vivo heranwachsende Menschen hin konkretisieren, bei In-vitro-Embryonen, die unzweifelhaft ebenfalls zur Spezies Mensch gehören, deren Bilder man heute sehen kann, und die so gar nicht nach dem aussehen, was sich uns bislang als Mensch gezeigt hat, scheint diese Konkretisierung aber nicht mehr zu überzeugen. Vollends zu versagen scheint die Person-Position dann konsequenterweise, wenn es um nicht-transferierte IVF-Embryonen geht. Hier wird ein streng-deontologischer Ansatz, der diese Embryonen eher begraben würde anstatt sie in der Forschung zu nutzen, für viele Menschen, die in ihrem Alltag, ob sie es wollen oder nicht, ständig mit einem mehr oder weniger utilitaristischen Kalkül konfrontiert sind, nicht mehr nachvollziehbar.
3. Der Embryo verdient Respekt Sowohl die Objekt- als auch die Person-Position stellen, wie sich zeigte, starke Argumentationstypen dar, die aufgrund fundamental unterschiedlicher Voraussetzungen, Herangehensweisen und Menschenbilder keine Aussicht auf Konsens haben. Dieser Aporie versucht die Respekt-Position zu entgehen, indem sie letztlich einen Kompromiss erzielen möchte: Sie folgt der Objekt-Position insofern nicht, als sie den menschlichen Embryo nicht bloß als Sache ansieht, sondern ihn in seiner Besonderheit anerkennen möchte: Es handelt sich nicht um irgendein Gewebe, sondern eben um einen Embryo. Andererseits folgt die Respekt-Position aber auch nicht der PersonPosition, denn sie vertritt die Ansicht, dass der Embryo aufgrund seiner besonderen Würde zwar Respekt verdiene, dies aber nicht gleichbedeutend
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sei mit der Vorstellung von ‚Menschenwürde‘ und der auf ihr basierenden Rechte eines geborenen Menschen. Für das Kompromissangebot der Respekt-Position lassen sich wiederum unterschiedliche Argumente ausmachen, die im Folgenden diskutiert werden.
a) Argumente aus dem Gradualismus Das wahrscheinlich am häufigsten bemühte Argument stützt sich auf Beobachtungen der Embryonalentwicklung: Aus dem Umstand, dass sich alle einig sind, dass es sich um eine kontinuierliche Entwicklung des Embryos handelt, wohl aber Differenzen darin bestehen, wo in diesem Kontinuum moralrelevante Zeitpunkte auszumachen sind, wird der Schluss gezogen, es sei am adäquatesten, den moralischen Status graduell wachsen zu lassen (daher ‚Gradualismus‘). Diese Herangehensweise sei auch plausibel, wenn man sich die spätere Entwicklung des Menschen und die damit verbundenen Rechte ansieht. Welche Grade lassen sich nun auf Basis dieses Zugangs ausmachen? Erstens eine graduelle Unterscheidung der Embryonalentwicklung: Der für die Respekt-Position wichtigste Zeitpunkt wird in der ‚Individuation‘ des Embryos gesehen, also in dem Punkt, in dem biologisch unumkehrbar feststeht, dass ein Embryo sich nicht mehr teilen oder mit einem anderen fusionieren kann (vgl Abschnitt II.2.a). Maßgeblich für diese Differenzierung war der Bericht der sogenannten Warnock-Kommission von 1985 (115), der mit Mehrheitsbeschluss (es gab abweichende Argumentationen) empfahl, die Embryonenforschung mit nicht-transferierten IVF-Embryonen und eigens für die Forschung hergestellten Embryonen bis zum 14. Tag der embryonalen Entwicklung zuzulassen – was dann in der britischen Jurisdiktion auch geschah. Eine Forschung jenseits des 14. Tages würde den Respekt, der auch dem frühen werdenden Menschen geschuldet sei, verletzen, so diese mittlerweile weitgehend kanonisierte Feststellung des moralrelevanten Zeitpunkts. Zweitens eine graduelle Unterscheidung der Forschungsziele: Die Warnock-Kommission lieferte noch ein weiteres wegweisendes gradualistisches Argument, wobei es hier um eine graduelle Unterscheidung der Ziele der Embryonenforschung ging: Demnach würde es den Respekt gegenüber dem Embryo verletzen, ihn für ein nicht-notwendiges, nicht-hochrangiges Forschungsziel zu zerstören bzw zu töten. Nur eine hochrangige Forschung, insbesondere eine mit therapeutischen Zielsetzungen, würde Respekt gegenüber den dabei verbrauchten Embryonen zum Ausdruck bringen. Auch diese Unterscheidung der Warnock-Kommission wurde von den Befürwortern der SZF breit rezipiert. So sprechen etwa Michael Meyer und Lawrence Nelson (116) davon, dass man einen Embryo respektvoll zerstören könne, indem man Trauer um diesen Verlust zeige, dies bloß für eine notwendige, hochrangige Forschung tue, ihn nicht nach dem 14. Tag zerstöre und ihn nicht als Sache ansehe.
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b) Argumente aus anderen Lebensbereichen Hieran kann ein zweites Argument der Respekt-Position anschließen: Unsere Vorstellung von ‚Respekt‘, so dieses Argument, werde auch von anderen Lebensbereichen mitgeprägt. Karen Lebacqz (117) verweist beispielsweise auf unseren Umgang mit empfindungsfähigen Tieren, mit Pflanzen und mit dem Ökosystem: Allen diesen Dingen schulden wir einen gewissen, entitätsspezifischen Respekt – so auch in Analogie dem Embryo. Dieser muss wertgeschätzt werden, was jedoch ebenso beinhalten kann, dass er – wie Tiere, Pflanzen und Ökosystem – benutzt wird. Wie stets bei der Instrumentalisierung von zu respektierenden Dingen, müssen auch bei der Zerstörung des Embryos Residuen dieses Respekts, wie etwa Dankbarkeit oder Trauer, zurückbleiben. Lebacqz selbst gibt aber zu bedenken, dass dieser ethische Anspruch im konkreten Forschungssetting unter Umständen realitätsfremd sein könnte: „Whether such respect happens in practice is another matter.“ (117: p. 160)
c) Argumente aus der Tugendethik Im Anschluss an die Vorstellung von Residuen des Respekts finden sich innerhalb der Respekt-Position auch Verweise auf die Tugendethik. Lebacqz selbst spricht davon, dass Respekt sowohl eine moralische Norm als auch eine persönliche Einstellung sei. Und Giovanni Maio (118) vertritt ebenfalls die Ansicht, wonach Respekt gegenüber dem Embryo nicht nur davon abhängt, welche Handlungen man an und mit ihm setzt, sondern auch von der charakterlichen Einstellung, mit der dies geschieht.
d) Argumente aus der Gattungssolidarität Der Respekt, der dem Embryo im Gegensatz zu Dingen geschuldet wird, kann auch mit dem Argument der Gattungssolidarität gestützt werden. Aufgrund der Spezieszugehörigkeit habe der Embryo, so beispielsweise Jürgen Habermas (119), ‚Würde‘, aber eben nicht ‚Menschenwürde‘ im Vollsinn (wie es die Person-Position vertritt). Wie auch immer man zur Verwendung von Embryonen in der Forschung stehe, dies wirke sich auf das Selbstverständnis der menschlichen Gattung, nicht aber auf eine personale Würde des Embryos aus. In ähnlicher Weise spricht Ralf Stoecker (67) davon, dass meine Handlungen, die einen anderen betreffen (zB den Embryo), meine eigene Menschenwürde tangieren können, obwohl dieser andere (dh der Embryo) selbst keine Menschenwürde hat. Selbst die sonst eher libertär argumentierende Bettina Schöne-Seifert (63) meint, ebenfalls in diese Richtung, dass ein indirekter Grund für einen Embryonenschutz der Schutz von „Mitmenschlichkeitstugenden“ sein könnte, die vielleicht dann verletzt werden könnten,
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wenn Embryonen zerstört werden. Bei John Robertson (120) wird Respekt gegenüber dem Embryo hingegen bloß noch zu einer Angelegenheit von symbolischer Kraft, nicht aber von intrinsischem Wert. Wie auch immer die Analystinnen und Analysten diese Gattungssolidarität verstehen, klar ist, dass sie zwar Respekt, nicht aber einen unbedingten Schutz des Embryos verlangt. Sie kann daher mit anderen Gütern in eine Abwägung gebracht werden (72).
e) Argumente aus der Vertragstheorie Schließlich finden sich noch Argumente für die Respekt-Position aus der klassischen Vertragstheorie der politischen Philosophie. Bob Veatch (121) sieht etwa eine Pflicht, dass Menschen mit einem umfassenden moralischen Status (das sind in seinem Verständnis jene mit einer leibhaften Fähigkeit für Bewusstsein und soziale Interaktion) solche Lebewesen, die diesen Status nicht haben, respektvoll behandeln. Embryonen können und sollen entsprechend ihrer Entwicklung in den Gesellschaftsvertrag einbezogen werden. Ähnlich argumentiert Carson Strong (68, 122), wenn er meint, dass PräEmbryonen, Embryonen, Föten und Neugeborene ein moralischer Status entsprechend ihrer moralisch signifikanten Ähnlichkeit mit paradigmatischen Personen (dh Erwachsenen mit umfassendem moralischem Status) übertragen werden soll. Sofern es sich um Prä-Embryonen handelt, dh bei Strong noch nicht im Uterus eingenistete und noch nicht unumkehrbar individualisierte Embryonen, sollen die genetischen Vorfahren die Entscheidungsautorität darüber haben, was mit diesen Prä-Embryonen geschehen soll.
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Schwachstellen der Respekt-Position
Die Respekt-Position versucht den Spagat zwischen Objekt- und PersonPosition und sieht ihn in einem Kompromiss: Einerseits kommt man der Person-Position entgegen, indem der Embryo als besondere Entität ausgewiesen wird, die mehr Respekt verdient als eine Sache. Andererseits wird die Objekt-Position insofern berücksichtigt, als der Embryo trotz Respektsbekundung zerstört/getötet und verwertet werden darf. Einer gewissen Alltagslogik folgend sieht die Respekt-Position dabei graduelle Abschwächungen des Respekts vor. Worin liegen die Schwachpunkte dieses Ansatzes? Erstens sitzt man, so scheint es, mit der Respekt-Position zwischen zwei Stühlen. Sowohl für einen stringent nach der Objekt- als auch einen stringent nach der Person-Position argumentierenden Menschen muss die RespektPosition als ‚lauwarmer‘ Verrat an grundlegenden Prinzipien erscheinen. Dass der Ansatz dennoch so weit verbreitet ist, könnte also weniger für seine gute fundamentalethische Begründung als vielmehr für seine politische
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Praktikabilität sprechen (welche natürlich auch eine gewisse ethische Rechtfertigung darstellen kann). Zweitens bleibt der zentrale Begriff ‚Respekt‘ ambivalent. Alexandre Mauron und Bernard Baertschi (123) weisen darauf hin, dass offensichtlich ein fundamentaler Unterschied zwischen einer tendenziell anglo-amerikanischen Auffassung von Respekt (der die beiden Autoren selbst anhängen und die zwischen ‚Respekt‘ und Zerstörung eines Embryos keinen notwendigen Widerspruch sieht) und einer kantisch geprägten Auffassung von Respekt (die darin sehr wohl einen Widerspruch sieht) besteht. Etwas weniger metaphysikbezogen, dafür aber umso heftiger, bezeichnete hingegen Daniel Callahan (124) die Rede von ‚Respekt‘ gegenüber dem Embryo, während man ihn zerstört, als simple kosmetische Ethik. Dahingehend könnte die Respekt-Position auch so gedeutet werden, dass sie der Beruhigung des Gewissens dient.
4. Fazit: Die Statusfrage ist nicht lösbar, darf eine Ethik der Stammzellforschung aber nicht blockieren Der Überblick zu den drei Positionen in der Frage nach dem Status des Embryos – die Objekt-, die Person- und die Respekt-Position – und ihre argumentativen Schattierungen haben gezeigt, dass es aussichtslos ist, allein unter Bezugnahme auf den Status des Embryos eine ethische Empfehlung in Hinblick auf die SZF mit notwendigen und hinreichenden Gründen abzugeben. Zu jedem vernünftigen Argument lassen sich vernünftige Gegenargumente anführen, wobei das Hauptproblem darin besteht, dass keines der Argumente – schon gar nicht in isolierter Form – eine ausreichende Überzeugungskraft besitzt, da von fundamental unterschiedlichen Ausgangspositionen und Weltsichten argumentiert wird. Der hohe Aufwand, der für die Debatte um den Status des Embryos bislang betrieben wurde, ohne eine Lösung zu erzielen, gleicht mittlerweile einem Grabenkampf mit starren Fronten (diese Kriegsmetapher wurde bewusst gewählt, da viele Proponenten dieser Auseinandersetzungen ihr Engagement als Kampf verstehen; vgl Abschnitt IV.2). Es wäre jedoch eine unnötige Selbstaufgabe der praktischen Ethik, wollte sie sich von dieser Aporie in die Knie zwingen lassen. Zunächst gilt es, mit Ronald Green (125) darauf hinzuweisen, dass verantwortungsbewusste Entscheidungsfindung immer auf Basis einer ganzen Palette komplexer Überlegungen beruht, nicht auf isolierten Prinzipien. In diese Richtung argumentiert auch Carmen Kaminsky (126), wenn sie davon spricht, dass wir in der praktischen Ethik einen kontextsensibleren Zugang benötigen, der nicht nur offen für den logisch-rationalen Sachbeweis, sondern auch für Plausibilitäten, Klugheit und Urteilskraft sowie Erfahrungen ist.
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Dass es mit und in der SZF ethische Probleme zu bewältigen gilt, steht außer Frage; doch die Statusdebatte trägt eher dazu bei, die Probleme zu übersehen, als sie zu lösen, wie auch Maura Ryan analysiert: „ […] a narrow focus on moral status abstracts the question of acceptable limits to embryo research from its larger setting.“ (127: p. 66)
Daher komme ich zu folgender Schlussfolgerung: Die Statusfrage ist nicht mit notwendigen und hinreichenden Argumenten zu lösen, aber das darf eine Ethik der SZF nicht blockieren.
III. Forschungsethik: praxisrelevante Probleme Die Ethik der SZF hat bislang viel Energie und Argumentationsaufwand für die Klärung der Statusfrage aufgewendet. Unabhängig davon, ob diese Frage in die eine oder andere Richtung geklärt werden könnte, wirft die SZF aber noch eine Fülle weiterer Probleme auf, die es im Kontext einer Ethik der SZF zu diskutieren gilt. In diesem Abschnitt werde ich die wichtigsten derartigen forschungsethischen Fragen erläutern. Unter ‚Forschungsethik‘ verstehe ich dabei mit Daniel Callahan nicht bloß einen engen Bereich der Good Scientific & Clinical Practice, sondern möchte sie in einem breiteren Kontext sehen: „That term [ie, research ethics] should be expanded to cover the research enterprise as a whole, to encompass all the ends and means of research as well as its social and political implications.“ (128)
In diesem Sinn sind auch die folgenden Abschnitte aufgebaut: Sie werden einen Einblick in das wissenschaftliche Setting der SZF geben, Bezug auf institutionelle Restriktionen nehmen und Orientierungspunkte für eine ethische Bewertung dieses Forschungsbereichs liefern. Dies wird anhand folgender Themen geschehen:
Ethik und Technology Assessment Ethische Einschätzung verschiedener technischer Ansätze der SZF Eizellenspende Professionalismus Soziale Gerechtigkeit
1. Ethik und Technology Assessment Das kritische Hinterfragen von Technologien ist seit langer Zeit ein integraler Bestandteil der praktischen Ethik (129, 130). Seit den 1970er-Jahren hat sich die Technologiebewertung (Technology Assessment) als systematischer, interdisziplinärer Forschungsbereich entwickelt, der in Form der parlamentarischen Technologiebewertung (PTA) Argumentationshilfen für die öffentli-
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che Diskussion und die politische Entscheidungsfindung in technologischen Fragen liefert (131). Health Technology Assessment (HTA) geht aus dieser Entwicklung hervor, hat allerdings andere Perspektiven und Methoden als PTA und fokussiert auf die klinische Anwendung von medizinischen Technologien. HTA-Projekte berücksichtigen typischerweise folgende Dimensionen von Technologien (132): Technische Ebene (Sicherheit, Wirksamkeit, Machbarkeit etc) Ökonomische Ebene (Kosten, Kosten-Wirksamkeit, Finanzierung etc) Soziale Ebene (Ethik, Recht, gesellschaftliche Kohäsion, soziale Gerechtigkeit etc) Ethik und Technology Assessment sind somit zwei aufeinander wechselweise verwiesene Forschungsbereiche, wobei nicht immer ganz klar ist, inwieweit unterschiedliche methodologische Ansätze (va wenn normative Ethik im Spiel ist) zusammengebracht werden können (133, 134, 135). Für den hier relevanten Kontext der biomedizinischen Forschung können mit Daniel Callahan (128) folgende Punkte als grundlegende ethische Orientierungsmarken identifiziert werden, welche in der Folge dann für eine Bewertung unterschiedlicher Techniken und technologischer Aspekte herangezogen werden können; in Tabelle 6 werden dabei einige Themenkomplexe der SZF in Bezug zu den ethischen Orientierungspunkten gesetzt.
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Tabelle 6: Ethische Orientierungspunkte für das Technology Assessment und ihre Bedeutung für die SZF
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Auf die meisten der in Tabelle 6 genannten Punkte wird in den folgenden Abschnitten eingegangen. Damit wird sich ein kompletteres Bild der Ethik der SZF ergeben, welches für das Technology Assessment von Relevanz ist. Ein solches Vorgehen ist in der Ethikdebatte rund um die SZF nicht üblich, aber auch nicht vollkommen neu. Die SZF war schon direkter oder indirekter Gegenstand von Technology-Assessment-Berichten, die auch auf die ethischen Fragen eingegangen sind. Bärbel Hüsing und Kollegen (136) empfehlen etwa, die Technologiebewertung im Fall der SZF probleminduziert zu konzipieren, dh zunächst das gesellschaftliche Problem zu identifizieren und zu begründen, für das dann eine adäquate Lösung gefunden werden soll. Umgekehrt würde ein technikinduzierter Ansatz bereits vorhandene Technologien bewerten. In der Realität erscheint mir der probleminduzierte Ansatz auch in der SZF der adäquatere zu sein, jedoch kaum Chancen auf Verwirklichung zu haben. Denn die Probleme, die die SZF lösen soll, können oder sollen nur vage definiert werden, wohingegen schon zahlreiche Techniken erprobt werden, mit denen wie auch immer definierte Probleme in Angriff genommen werden. Mita Giacomini und Kollegen (137) haben ebenfalls ein AssessmentWerkzeug vorgelegt, welches mit oben angeführten ethischen Orientierungspunkten in weiten Teilen kompatibel ist. Sie bewerten verschiedene Methoden der SZF nach folgenden Kriterien: Sicherstellung des gleichen Zugangs zu Forschungsergebnissen Sicherstellung der Effizienz in der Distribution von Stammzellprodukten Sicherstellung einer vertretbaren finanziellen Belastung und der finanziellen Nachhaltigkeit Sicherstellung der Effizienz in der Produktion Minimierung oder Vermeidung des Embryonenverbrauchs Minimierung des Schadens der Gewebespenderin bzw des Gewebespenders Minimierung des Risikos von immunologischen Abstoßungen Minimierung des Risikos von übertragbaren Krankheiten. Unter Beachtung dieser Kriterien kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die Etablierung von universellen Stammzelllinien in Gewebebanken die aussichtsreichste Verfahrensweise sei. Um eine seriöse Bewertung durchführen zu können, sprechen sie sich für eine Echtzeit-Technologiebewertung aus. Hat man eine (ungefähre) Vorstellung von den Kriterien, die für das Technology Assessment relevant sind, so stellt sich anschließend die Frage: Unter welchen Rahmenbedingungen darf bzw soll die SZF erfolgen? Dabei geht es um die Einrichtung eines Monitoring, wie es etwa nun innerhalb der EU für die ‚Arzneimittel für neuartige Therapien‘ mit dem Ausschuss für neuartige Therapien bei der EMEA installiert wurde (138). Eine effektive Regulierungs- und Überwachungsbehörde ist – das zeigt die Geschichte der
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biomedizinischen Forschung – unerlässlich (139, 140). Ob die bestehenden und nun zu errichtenden Institutionen diese Aufgabe angesichts der sachlichen Komplexität erfüllen können, wird aber von manchen Analysten bezweifelt (141).
2. Ethische Einschätzung verschiedener technischer Ansätze der Stammzellforschung Vor dem Hintergrund der soeben skizzierten und notwendigen Technologiebewertung geht es um die Frage, wie unterschiedliche Ansätze, Methoden und Techniken der SZF aus ethischer Perspektive zu bewerten sind. In Tabelle 7 sind die Resultate einer solchen Analyse, die auf Basis der wissenschaftlichen Literatur zur SZF7 durchgeführt wurde, zu sehen. Die Systematisierung erfolgte nach folgenden Kriterien: 1. 2. 3.
Technische Ansätze für die Gewinnung von Stammzellen Wissenschaftliche Fragestellungen und Probleme des jeweiligen Ansatzes Ethische Problemfelder des jeweiligen Ansatzes
Die Analyse zeigt eine Fülle von Detailfragen, die im jeweiligen Ansatz noch wissenschaftlich zu klären sind und sich in Fluss befinden. Sie offenbart aber auch die großen ethischen Themen, die sich recht konstant durch fast alle Ansätze durchziehen: Hochrisikoforschung: Die Applikation von Stammzellen oder etwaigen zukünftigen Stammzellprodukten am Menschen ist aufgrund von Gewebeverunreinigungen, Retroviren und Tumorbildung in jedem Fall ein hochriskantes Experiment, das adäquate Sicherheitsregulierungen benötigt (138, 140, 142, 143). Daher wird es für jede Form der SZF weiterhin einen hohen Analysebedarf geben, wenn sie in die klinische Erprobung kommen soll. Erste Diskussionen hierzu hat die US Food and Drug Administration (FDA) im April 2008 gestartet (144). Informed Consent: Bei der Ernte von Gewebe, das für die SZF benötigt wird, sind je nach Aufbringungssetting unterschiedliche Regeln für die Herstellung eines Informed Consent mit der Spenderin/dem Spender bzw vertretungsbefugten Personen zu beachten oder überhaupt erst zu entwickeln. Mit dem Informed Consent sind in Folge auch Haftungs- und Verwertungsfragen verbunden (139, 141, 145, 146, 147, 148, 149, 150). Eizellen: In jenen Ansätzen, in denen menschliche Oozyten für die SZF benötigt werden, ergeben sich verschärfte Informed-Consent- und struktu_____________ 7 Angesichts der rasanten Entwicklungen in der SZF muss darauf hingewiesen werden, dass die Analyse eine Momentaufnahme darstellt und neben den ‚Klassikern‘ der SZF Literatur bis Ende März 2008 berücksichtigt.
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relle Probleme, weshalb dieses Thema auch gesondert behandelt wird (vgl Abschnitt III.3). Statusfrage: Über die schon oben analysierte Statusfrage des Embryos hinaus, stellt sich bei einigen Ansätzen die Frage, wie die für die SZF geschaffene Entität überhaupt einzuordnen ist. Zudem kann die vielfach wie selbstverständlich verwendete Differenzierung zwischen ‚totipotent‘ und ‚pluripotent‘ kritisch hinterfragt werden (151, 152). Diese ethischen Themen werden in Tabelle 7 für jeden technischen Ansatz einer ersten Einschätzung unterworfen. Dabei sollen neben kurzen Kommentaren folgende Symbole diese Einschätzung verdeutlichen:
Die Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Analysebedarf kann anhand eines Beispiels illustriert werden: Die Gewinnung von Stammzellen mittels Biopsie einer einzelnen Zelle erfordert den Informed Consent mit der Frau bzw dem Paar der Infertilitätsbehandlung. Da eine solche Biopsie auch ein Risiko für den Embryo bedeutet, wird die Aufklärung darüber direkt darauf Bezug nehmen und eine Einwilligung von der Frau bzw dem Paar einholen müssen. – Bei der Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen, die im Zuge der Infertilitätsbehandlung nicht transferiert werden, bei der Gewinnung aber zerstört/getötet werden, steht der Informed Consent vor indirekten Problemen. So können etwa Anreize gesetzt werden, mehr Eizellen zu ernten oder mehr Embryonen zu produzieren, als dies für die IVF nötig wäre (vgl Abschnitt III.3). Auch wenn hier formal eine Aufklärung und Einwilligung stattfindet, muss die Tragfähigkeit dieses Informed Consent angesichts der strukturellen Anreize jedoch genauer analysiert werden. Zur Ethik der SZF gehören neben diesen Themen noch weitere praktische Fragen, die jedoch nicht unmittelbar mit der jeweiligen SZF-Methode zusammenhängen und daher an anderer Stelle behandelt werden (vgl Abschnitte III.4, III.5).
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Tabelle 7: Ansätze der SZF und ihre wissenschaftlichen und ethischen Fragen
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Tabelle 7: Ansätze der SZF und ihre wissenschaftlichen und ethischen Fragen (Fortsetzung)
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Tabelle 7: Ansätze der SZF und ihre wissenschaftlichen und ethischen Fragen (Fortsetzung)
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Tabelle 7: Ansätze der SZF und ihre wissenschaftlichen und ethischen Fragen (Ende)
3. Oozyten-Knappheit Das schon mehrmals erwähnte Problem des Aufbringens von Eizellen verdient einer näheren Betrachtung und wird in letzter Zeit auch intensiver diskutiert. Die humane Eizelle ist der wahrscheinlich wichtigste Rohstoff für einen Großteil der SZF, insbesondere für SCNT-Zellen und ES-Zellen. Den Bedarf an Oozyten für diese Forschung erkennt man schon aus den vehementen Bemühungen, Eizellen zu züchten; bislang allerdings ohne den gewünschten Erfolg (242, 243, 244). Somit bleibt nur der Rückgriff auf natürliche Oozyten, die von Frauen gespendet werden. Im Folgenden werden wichtige medizinische und ethische Aspekte dieser Spende und Beispiele für ihre praktische Handhabung diskutiert.
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a) Medizinische Aspekte Die medizinischen Folgen der Oozyten-Spende sind, wie so manches im Kontext der Infertilitätsbehandlung, wissenschaftlich noch nicht ausreichend untersucht. Helen Pearson (245) berichtet, dass es womöglich noch Jahrzehnte dauern könnte, bis ausreichend Evidenz-basierte Daten zu den Effekten der Eizellenernte vorliegen. Im Einzelnen beziehen sich die Forschungsdefizite auf folgende Punkte: Es gibt nur ungenügend Informationen über die Langzeitrisiken der Medikamente, die für die Stimulation der Ovulation nötig sind. Studien zu einem Zusammenhang zwischen solchen Präparaten und dem Auftreten von Brust- oder Eierstockkrebs werden kontrovers beurteilt. Die Forscher wissen nicht, ob Erkenntnisse, die bisher aus Studien mit unfruchtbaren Paaren gewonnen wurden, auf alle Eizellenspenderinnen übertragen werden können. Es ist unklar, wer hier Forschung betreiben soll, zumal Fertilitätskliniken kaum ein Interesse daran haben, potentielle Risiken und Ineffizienzen publik zu machen. Klar ist aber, dass die Aufbringung von Oozyten weder angenehm noch risikolos ist, sondern vielmehr mit einer erheblichen körperlichen und psychischen Belastung verbunden ist, die unter anderem von der Intensivität und Frequenz der Stimulation abhängt (246).
b) Ethische Aspekte Im Kontext der Eizellenspende wird die eigentümliche Verquickung von SZF und Reproduktionsmedizin deutlich. So weisen Diane Beeson und Abby Lippman (247) darauf hin, dass allein dadurch, dass es sich bei der SZF um Forschung handelt, Interessenkonflikte mit der medizinischen Behandlung vorprogrammiert seien. Und Carolyn McLeod und Françoise Baylis (189) ziehen daraus den Schluss, dass es angesichts der Risiken und der strukturellen Interessenkonflikte unvertretbar sei, Frauen, die sich in einer IVFBehandlung befinden, zu fragen, ob sie ihre nicht-transferierten Embryonen der Forschung spenden wollen. Somit steht die ethische Bewertung letztlich auch vor dem Problem, Gründe dafür anzuführen, ob und wenn ja, unter welchen Umständen, eine Eizellenspende zu Forschungszwecken legitim sein kann. Gerade die feministische Ethik steht hier nach Carolyn McLeod (248) vor einem Dilemma: Während ein Verbot der Eizellenspende nicht dazu beitragen würde, der Entmachtung von Frauen entgegen zu wirken bzw diese unter Umständen sogar noch befördern würde, liefert das Fehlen eines solchen Verbots viele Frauen der Ausbeutung aus. Donna Dickenson (249, 250) und Suzanne Holland (251) haben ihre Conclusio trotz Dilemma gefunden und plädieren angesichts
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der strukturellen Ausbeutung von Frauen, vor allem im globalen Kontext, für eine restriktive Politik. Dan Brock (40), selbst nicht unmittelbar betroffen, vertritt hingegen den libertären Standpunkt, wonach ein formaler Informed Consent der Frau eine notwendige, zugleich aber auch hinreichende Bedingung der Legitimation sei. Er fände es ungebührlich paternalistisch, wenn man Frauen diese Entscheidung verbieten würde. Das Risiko der Ausbeutung könne begrenzt werden, indem die finanzielle Kompensation limitiert werde. Zudem sollten wir, so Brock, die Eizellenspenderinnen genauso bewundern wie wir all jene anderen bewundern, die Risiken und Beschwerden eingehen, um anderen zu helfen. Anhand des Vorschlags von Bonnie Steinbock (252), man solle zwischen einer legitimen Aufwandsentschädigung und einer illegitimen Bezahlung für das Produkt ‚Eizelle‘ unterscheiden, wird deutlich, dass diese Diskussion inhaltlich parallel zu der schon seit den 1970er-Jahren geführten Debatte um die Remuneration von Blutspenden (253) und der nun immer stärker werdenden Debatte um die Remuneration von Organspenden (254) verläuft. Letztlich spielt sie sich vor dem größeren Kontext der Kommodifikation des menschlichen Körpers ab, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann (255, 256).
c) Praxis In der Praxis steht die SZF vor dem Problem, dass nur wenige Frauen ihre Eizellen für die Forschung zur Verfügung stellen wollen: Die britische Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) (257) berichtet davon ebenso wie die beiden Stammzellforscher Robert Lanza und Kevin Eggan (258). Die in der ökonomischen Rationalität naheliegende Reaktion auf diese Knappheit ist die Erhöhung des Anreizes, sprich der monetären Kompensation oder des Preises. Bezeichnend hierfür ist die Empfehlung der International Society for Stem Cell Research von 2006 (259). Sie unterscheidet zwischen: ‚Eizellenspenderinnen‘ (donors): das sind diejenigen, die ihre Eizellen im Zuge einer IVF-Behandlung der Forschung zur Verfügung stellen; sie dürfen nur eine Aufwandsentschädigung erhalten oder aber eine Bezahlung, wenn dies eine Regulierungsbehörde genehmigt; und ‚Eizellenlieferantinnen‘ (providers): das sind diejenigen, die ihre Eizellen außerhalb einer medizinischen Behandlung, ausschließlich für die Forschung zur Verfügung stellen; sie dürfen eine Aufwandsentschädigung und/oder eine Bezahlung erhalten, solange dies nicht eine ‚ungebührliche Verleitung‘ (undue inducement) darstellt. Mit guten Gründen wurde diese neue Politik der ISSCR aus ethischer Sicht kritisiert, so zum Beispiel von Baylis und McLeod (260), die in der
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altruistischen Spende die einzig zulässige Form sehen. Boon Chin Heng (261) spricht überhaupt davon, dass es eines international verbindlichen Rahmenwerks bedürfe, um den schon existierenden Gametenhandel in den Griff zu bekommen. Detaillierte Informed-Consent-Regeln sind unerlässlich, stoßen im Bereich der Gewebeernte und Gewebeverarbeitung oftmals rasch an ihre Grenzen. Dies wird umso deutlicher, wenn man einen Blick auf die Praxis wirft, die sich mitunter abseits der angestrebten Standards abspielt: Andrea Gurmankin (262) führte 2001 eine Pilotstudie durch, in der sie Fertilitätszentren um eine erste Auskunft über die Risiken der Eizellenspende im Zuge einer IVF-Behandlung bat. Dabei wurden teilweise gravierende Mängel bei der Aufklärung festgestellt. Jessica Cohen (263) berichtet von einem Angebot über 25.000 Dollar, das ein Paar potentiellen Embryonenspendern machte. Dieser Preis wird zwar im Reproduktionskontext – und dort wohl nur in Einzelfällen (264) – erzielt, doch sind Reproduktionsmedizin und SZF in dieser Angelegenheit eng miteinander verbunden; und die Korruption in der IVF-Industrie ist Robert Winston (265), einem von Großbritanniens führenden Fertilitätsspezialisten, ein Dorn im Auge. Deutlich wird die Verflechtung von Reproduktionsmedizin und SZF gerade in Großbritannien, wo die HFEA dem Newcastle Fertility Centre (266, 267) erlaubt hat, Frauen, die eine IVF-Behandlung durchführen lassen, bis zu 1.500 Pfund für diese Behandlung zu zahlen, wenn sie die Hälfte der von ihnen geernteten Oozyten der Forschung zur Verfügung stellen. Frauen, die außerhalb einer Infertilitätsbehandlung Eizellen spenden, dürfen hingegen nur maximal 250 Pfund Aufwandsentschädigung erhalten (268, 269) – eine Policy, die nicht schlüssig ist (270). Insgesamt, so scheint es nach diesem Befund, sind also alle Formen der SZF, die von der Ressource humane ‚Eizelle‘ abhängen, allein aufgrund dieser Tatsache äußerst kritisch zu beurteilen. Es genügt nicht, wie Susan Sherwin (271) schon 1992 im Kontext der feministischen Medizinethik sagte, Forschung bloß in Hinblick auf denjenigen zu bewerten, der Gegenstand des Experiments ist (also etwa den Embryo), sondern auch in Hinblick auf ihre Verbindungen zu bestehenden Mustern der Unterdrückung und Dominanz in einer Gesellschaft.
4. Professionalismus und Good Scientific Practice Gesellschaftliche Rahmenbedingungen sind also für die wissenschaftliche Forschung von hoher Relevanz, da sie sowohl das Ethos der Forschenden als auch die institutionelle Good Scientific Practice mitbestimmen. Ethische Maßstäbe für die Forschenden, wie insbesondere Unvoreingenommenheit, Ehrlichkeit/Redlichkeit, Umsichtigkeit und Selbstbescheidung (4: p. 118 ff),
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entfalten ihre Bedeutung nicht im abstrakten Raum, sondern in den realen Forschungssettings, die von folgenden Determinanten geprägt sind (272):
Wettlauf um Forschungsgelder Publish or Perish Aufstiegshürden und Absturzgefahr für den Nachwuchs Wissenschaft als Show- und Medienbetrieb Die verhängnisvolle Unübersichtlichkeit des Wissens.
Die SZF ist ein anschauliches Beispiel für die Herausforderungen, mit denen sich die moderne Forschungsethik beschäftigen muss. Sie spielt sich nämlich nicht in einem Kontext der interessensfreien, neutralen Wissenschaft ab, sondern ebenso im Wirtschafts- und Unternehmenskontext. Chris MacDonald (273) weist treffend darauf hin, dass dieser Aspekt in der ethischen Diskussion um die SZF bislang wenig Beachtung gefunden habe. Dabei ist doch seit längerem aus der Forschungsethik bekannt, dass forscherisches, ärztliches und unternehmerisches Ethos nicht immer harmonieren (274, 275). Die geringe Beachtung dieser institutionellen Fragen in der Ethik mag zu einem Gutteil mit fehlender Sachkenntnis für die Spielregeln moderner Gesellschaften – etwa im ökonomischen Bereich – zusammenhängen, aber auch mit einer Vorstellung von Ethik, die keine Verbindung von ‚philosophisch‘ zu ‚praktisch‘ sieht. Ein Beispiel für die unternehmerischen Ziele in der SZF ist die US-Firma StemLifeLine, die damit wirbt, dass Embryonen zu individuellen Stammzelllinien ‚transformiert‘ werden könnten, um ‚möglicherweise eines Tages‘ Therapien daraus zu entwickeln: „We can help transform these embryos into individual stem cell lines that our clients may one day use to create therapies for themselves and their families. Think of our service as investment for the future. With more than a decade of scientific research supporting the future use of stem cells and several therapies currently under development, therapies using embryonic stem cell lines may be available in the future.“ (276)
Eine solche Kommunikation schadet auch der seriösen SZF, doch gehört sie zum wirtschaftlichen Kontext der biomedizinischen Forschung insgesamt, denn ohne Versprechen ist weder privates noch öffentliches Geld zu bekommen (277, 278). Der ökonomische Kontext ist selbstverständlich auch für die Politik von Bedeutung, wie sich aus der öffentlich weit bekannt gewordenen Drei-Milliarden-Dollar-Dotation der SZF durch den US-Bundesstaat Kalifornien zeigte (279). Ein derartig ‚überhitzter‘ und unter ökonomischem bzw politischem Druck stehender Bereich korrumpiert den wissenschaftlichen Professionalismus und die Good Scientific Practice (280, 281). Auch hierfür hat die SZF ein weithin bekanntes Beispiel geliefert: Woo-Suk Hwang, der 2004 vorgab, menschliche SCNT-Klone hergestellt zu haben, aus denen er SCNT-Zellen isoliert haben wollte (197). 2005 ergänzte Hwang, dass es nun mit einer
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Erfolgsrate von 1 Stammzelllinie pro 20 Oozyten möglich sei, patientenspezifische Stammzelllinien durch SCNT zu generieren (198). Doch unmittelbar danach kam der Fall: Zunächst wurde in Zweifel gezogen, ob er die Eizellen ohne Interessenkonflikte ernten konnte. Und schließlich stellten sich seine Forschungsergebnisse als Fälschungen heraus (282, 283). Hwang mag letztlich eine tragische Figur sein, in einem Stück, das er nur zum Teil selbst geschrieben hat (284). Auch wäre es überzogen und ungerecht, mit Hwang alle Stammzellforscherinnen und -forscher und ihre Arbeit zu diskreditieren. Evan Synder und Jeanne Loring (285) weisen etwa darauf hin, dass im ‚Fall Hwang‘ ja das heftig kritisierte Peer-Review-System funktioniert habe, auch wenn es effektiver und effizienter hätte sein müssen. Und dennoch wäre es naiv und verantwortungslos, die Strukturen und Muster, die sich hinter diesem Fall verbergen und die zu einer derartigen Korruption des Professionalismus und der Good Scientific Practice geführt haben, zu ignorieren:
große Summen an Forschungsgeldern ökonomische und politische Interessen an der SZF ein Medienhype, gepaart mit nationalistischen Tönen der akademische Druck des Publish or Perish Konkurrenzen und Rivalitäten in der internationalen Scientific Community persönliche Abhängigkeiten von Nachwuchswissenschafterinnen (Eizellenspende).
Der Professionalismus und die Good Scientific Practice sind in der SZF nicht bloß durch einzelne, technisch komplexe Probleme herausgefordert – die schon für sich allein schwierig zu bewältigen sind. Vielmehr muss auch stets aus der Makroperspektive auf die biomedizinische Forschung geblickt werden. Derzeit ist hier keine grundsätzliche Änderung der angeführten Faktoren, die zum ‚Fall Hwang‘ geführt haben, zu bemerken. Die SZF bleibt somit ein in dieser systemischen Perspektive der Forschungsethik ‚überhitztes‘ Gebiet mit entsprechenden Risiken für Professionalismus und Good Scientific Practice.
5. Soziale Gerechtigkeit Zur Makroperspektive auf die biomedizinische Forschung zählt auch die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit, womit insbesondere folgende Aspekte angesprochen sind:
Allokation der Ressourcen Input-Outcome-Relation Prioritätensetzung in der Gesundheitspolitik Zugangsmöglichkeiten zu Therapien
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Es wäre zynisch zu behaupten, diese Fragen gingen die Forschungsethik nichts an, denn sie habe sich bloß um den Forschungsbetrieb, nicht aber um die Umsetzung in den medizinischen Regelbetrieb zu kümmern. Im Sinne einer ethisch notwendigen Technikbewertung muss auch das Problem der sozialen Gerechtigkeit thematisiert werden. Dabei bildet die Ressourcenallokation die Grundlage und ist sowohl auf Ebene der Allokation von Forschungsmitteln als auch auf Ebene der Allokation von etwaigen zukünftigen Therapiemitteln zu bedenken (286). Ein wesentlicher Faktor für die Allokation müssen die anfallenden Opportunitätskosten der Entscheidung sein, also die Kosten, die für den Verzicht auf die beste Alternative anfallen. Solche Opportunitätskosten können monetären aber auch moralischen Charakter haben. Im Kontext der SZF wären zB zu kalkulieren: die Opportunitätskosten (monetär), die dadurch anfallen, dass Ressourcen für die regenerative Medizin nicht anderen medizinischen Feldern (zB Public Health) zur Verfügung stehen; die Opportunitätskosten (monetär und moralisch), die dadurch anfallen, dass innerhalb der SZF bestimmte technische Ansätze (zB SCNTKlonieren) finanziert werden, wodurch für andere Ansätze weniger Ressourcen zur Verfügung stehen; die Opportunitätskosten (moralisch), die dadurch anfallen, dass eine permissive/prohibitive Regulierung der embryonalen SZF eingeführt/ aufrechterhalten wird. Nicht nur monetäre, sondern auch moralische Opportunitätskosten und darauf basierende Allokationsentscheidungen bzw Prioritätensetzungen orientieren sich an Input-Outcome-Relationen. Der Überblick zu den technischen Ansätzen in der SZF (vgl Abschnitt III.2) hat gezeigt, dass diese Relation bei zahlreichen Methoden (noch?) äußerst schlecht ist. In der Grundlagenforschung, welche die SZF dominiert, ist diese Kalkulation zwar erstens sekundär und zweitens schwierig. In der angewandten Forschung, mit der für die SZF ja meistens geworben wird (vgl Abschnitt IV.2), spielen Grenzkosten und Grenznutzen jedoch für Investoren und etwaige zukünftige Finanzierer von SZF-Therapien eine erhebliche Rolle und lassen sich auch ethisch gerade im Kontext der sozialen Gerechtigkeit rechtfertigen (286). Gerade in der US-amerikanischen Literatur zur SZF werden solche Fragen regelmäßig angesprochen. Hier ist zu lesen, dass eine etwaige Umsetzung der SZF in therapeutische Angebote Probleme der sozialen Gerechtigkeit noch verschärfen würde (236). David Kessler, ein ehemaliger hochrangiger Beamter der FDA meinte in Hinblick auf neue Therapieformen: „We will want those drugs. They will increasingly treat disease. But they will also increase the disparity we now have between the haves and the have-nots.“ (287)
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Suzanne Holland sieht dies ähnlich: „The poor, who are largely female, and most persons of color will simply be marginalized from these therapies, even as it is possible that their eggs are commercialized downstream for profit.“ (251: p. 83)
Solche radikalen Einschätzungen mögen ihre Überzeugungskraft vor dem Hintergrund des US-Gesundheitssystems gewinnen. Es wäre jedoch naiv zu meinen, das europäische Modell der sozialen Sicherheit wäre vor diesen Problemen gefeit. Die Verschärfung von Disparitäten findet auch hier statt, wenngleich auf einem anderen Niveau, aber mit einer erhöhten gesellschaftlichen Sprengkraft aufgrund einer anderen Tradition von sozialer Sicherung. Ungeachtet dessen, ob es um monetäre oder moralische Aspekte der sozialen Gerechtigkeit und Ressourcenallokation geht, muss allen Beteiligten in der SZF das von Ronald Green so treffend angeführte Akronym ‚TRANSTAAFL‘ im Bewusstsein bleiben: „There Ain’t No Such Thing As A Free Lunch“ (125: p. 26)
6. Fazit zur Forschungsethik: Hier fängt die Arbeit erst an Die Analyse der wichtigsten forschungsethischen Fragen in der SZF abseits der heftig debattierten Statusfrage des Embryos zeigt, dass die SZF vor einer Reihe ungelöster Probleme steht: 1. Eine umfassende Technikbewertung der SZF als Grundlage für forschungspolitische Entscheidungen steht aus, steckt in den Kinderschuhen oder wird von den Entscheidungsträgern ignoriert. 2. Die unterschiedlichen technischen Ansätze in der SZF zeigen ein zum Teil sehr heterogenes Bild was ihre Risikoeinschätzung betrifft. Eine differenzierte Bewertung ist daher unumgänglich. 3. Die für viele Ansätze in der SZF notwendige und knappe Ressource ‚Eizelle‘ stellt aufgrund der Umstände, wie man zu ihr kommt, ein massives ethisches Problem dar. Die Oozyten-verbrauchende SZF leistet einen wesentlichen Beitrag zur Kommodifikation des weiblichen Körpers und zur strukturellen Ausbeutung vieler Frauen. 4. Die SZF ist ein in wissenschaftlicher, ökonomischer, medialer, moralischer und politischer Hinsicht ‚überhitztes‘ Feld, was zur leichteren Korruption des forscherischen Ethos und der Good Scientific Practice beiträgt. 5. Die SZF und andere Ansätze der regenerativen Medizin werden Probleme der sozialen Gerechtigkeit in der Gesundheitsfürsorge weiter verschärfen. Manche Techniken der SZF entbehren jeder ökonomischen Rationalität, wenn man ihre Grenzkosten/ihren Grenznutzen betrachtet.
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IV. Hintergrundethik Sowohl die Statusfrage als auch die forschungsethischen Probleme werden von bestimmten Vorstellungen und Grundannahmen gerahmt, die ich ‚Hintergrundethik‘ der SZF nennen möchte. Es ist dies die Frage, nach welchem ‚Kompass‘ wir uns eigentlich richten, wenn wir die SZF betreiben oder sie ethisch bewerten. Zu diesen grundlegenden Orientierungspunkten, die im Folgenden erläutert werden, zählen vor allem:
das Menschenbild die Macht von Erzählungen der Umgang mit Unsicherheit und Risiko der gesellschaftliche Konsens.
1. Menschenbilder In der modernen Ethik, zumal in der Bioethik, versuchen viele tunlichst, eine substanzielle anthropologische Anbindung ihrer Ausführungen zu einem Problem nicht zu thematisieren. Denn diese Anbindung – die Beschäftigung mit der Frage nach dem, was unser Menschsein ausmacht – ist mit einem ‚Metaphysikverdacht‘ behaftet, der für viele in der Welt der natur- oder sozialwissenschaftlich, jedenfalls aber empirisch dominierten Life Sciences keinen Platz haben kann und folglich mit einem ‚Anathema‘ belegt wird (288). Das Attribut ‚metaphysisch‘ wird nicht selten als Synonym für ‚esoterisch‘ oder ‚religiös‘ verwendet. Gegenüber einer solchen Ausgrenzung der philosophischen Anthropologie gilt es zunächst zweierlei einzuwenden: Erstens kommt keine ethische Position ohne Metaphysik – verstanden als kritische Reflexion ihrer Erkenntnistheorie und Weltsicht – aus, sie mag vielleicht nur nicht explizit gemacht werden. Zweitens haben solche metaphysischen Annahmen, wie eben jene zur Anthropologie, konkrete Auswirkungen auf den ethischen Diskurs und das medizinische Handeln – und zwar oftmals relativ unmittelbare (289, 290). Fragen wir also nach dem Menschenbild, welches heute bioethischen Diskursen zugrunde liegt. Dabei stoßen wir auf eine Pluralität anthropologischer Konzepte, wobei zumindest drei idealtypisch (im Sinne Max Webers [291]) herausstechen (288, 292): 1. Der Mensch als Maschine: Die erste Sichtweise des und Umgangsweise mit dem Menschen ist eine positivistische und empiristisch bestimmte. Der Mensch wird als mehr oder wenig gut funktionierender Organismus verstanden (293, 294). Aufgabe der Wissenschaften, seien es die Life Sciences, seien es die Sozialwissenschaften, ist es, dieses materiell festmachbare Forschungsobjekt möglichst präzise zu beschreiben und nach Möglichkeiten zu suchen, wie es gesteuert oder verbessert werden kann. Dieser Zugang ist
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nicht nur unter Natur- und Sozialwissenschaftlern verbreitet (da er in der Tat ihrer Arbeitsweise am besten entspricht und viel zum Erkenntnisgewinn beitragen kann), sondern er wird auch in der Ethik vertreten, da er als einzige rationale Verfahrensweise verstanden wird (295, 296). 2. Der Mensch als denkendes Wesen: Die zweite Sichtweise des und Umgangsweise mit dem Menschen ist eine rational bestimmte. Der Mensch wird als denkendes und vernunftbegabtes Lebewesen verstanden. Dieser anthropologische Ansatz kann in zweifacher Weise expliziert werden: zum einen im Sinne der empirisch ausgerichteten Konzeption John Lockes (297); zum anderen im Sinne der transzendentalphilosophischen Frage Immanuel Kants nach den Bedingungen der Möglichkeiten menschlichen Handelns und seiner Konzeption von theoretischer und praktischer Vernunft (298, 299). Für beide ist jedoch die von Heteronomie befreite menschliche Vernunft der zentrale Bezugspunkt der Lebens- und Weltgestaltung. Die Objekt-Position in der Statusfrage (vgl Abschnitt II.1) beruft sich auf oder impliziert das rationalistisch-empiristische Menschenbild Lockes: Das Verständnis von ‚Person‘ ist definiert als „[…] a thinking intelligent Being, that has reason and reflection, and can consider it self as it self, the same thing in different times and places; which it does only by that consciousness, which is inseperable from thinking, and […] is essential to it […]“ (297: b II ch 27)
Die Person-Position beruft sich gerade im deutschsprachigen Diskurs hingegen auf das rationalistisch-transzendentalphilosophische Menschenbild Kants (vgl Abschnitt II.2): der Mensch als autonomes Wesen, dessen Würde unbedingt zu achten ist. 3. Der Mensch als leibhaftiges Lebewesen: Eine dritte Sichtweise des Menschseins, die für die SZF von Belang ist, versucht empiristische oder rationalistische Verkürzungen zu vermeiden, indem sie den Menschen als ganzheitliches, leibhaftiges Lebewesen sieht, welches sein Wesen verwirklichen soll. Dieser Ansatz wurde in der naturrechtlichen Argumentation der Person-Position deutlich (vgl Abschnitt II.2.b) und lässt sich nochmals in eine substanzialistische, tendenziell statische, und eine relationale, tendenziell dynamische, Sichtweise von ‚Wesenhaftigkeit‘ differenzieren (300). Die autopoietische Leiblichkeit, dh die teleologische Kombination von biologischen und soziokulturellen Faktoren, ist, so Peter Dabrock und Lars Klinnert (100), die Basis der Menschenwürde. Der adäquateste Zugang zu diesem Menschenbild ist ein phänomenologischer, da er die Leibvermitteltheit der Weltwahrnehmung berücksichtigt und nicht bei der Frage stehen bleibt, was Dinge ‚sind‘, sondern als was sie sich uns, den Betrachtern und Benutzern, zeigen (301, 302) Jede Handlung, Aussage und Bewertung innerhalb der SZF und ihrer ethischen Reflexion nimmt damit explizit oder implizit Bezug auf derartige metaphysische, dh rahmenbildende, Vorannahmen über das Menschsein. Die
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Entscheidung, welches dieser Menschenbilder wir für beachtlich ansehen, ist jedoch keineswegs bloß für die Frage nach dem moralischen Status des Embryos relevant. Vielmehr wirkt das jeweilige Menschenbild ja auch auf die ethische Bewertung derjenigen, die forschen und derjenigen, für die geforscht wird. Laurie Zoloth (303) sieht daher wohl zu Recht im Hintergrund der ethischen Diskussion um die SZF die Frage: Wer sind wir, und was werden wir, wenn wir uns von dieser Forschung abwenden oder sie aber weiter verfolgen?
2. Erzählungen Überlegungen zum jeweils wirkenden Menschenbild werden, wie eben argumentiert, oftmals als ‚metaphysisch‘ abgetan, obwohl niemand, der eine selbstkritische, reflexive Entscheidung treffen möchte, um sie herum kommt. Ähnlich verhält es sich mit den Erzählungen, mit denen die SZF gerahmt wird: Auch sie spielen für alle Positionen eine maßgebliche Rolle.
a) Narrative Ethik Die Macht von Erzählungen wird in der narrativen Ethik reflektiert (304). Für den Kontext der biomedizinischen Forschung im Allgemeinen und jenen der SZF im Speziellen möchte ich aus dieser Reflexion folgende Beobachtungen herausgreifen: Moderne Technologien werden erzählend begründet: Ben Mitchell und Kollegen (305) sehen drei unterschiedliche Begründungsgeschichten der modernen Technologien: (a) die Geschichte der zweiten Schöpfung, die davon erzählt, dass der Mensch die Unzulänglichkeiten der Umwelt verbessern müsse (vgl die bioethische Debatte um Enhancement); (b) die Geschichte der Widerherstellung, die davon berichtet, dass die Natur durch Technologie wieder zu sich selbst finden solle (vgl Anliegen der regenerativen Medizin); (c) die entgegengesetzte Geschichte der Wildnis, welche davon erzählt, dass die Natur unberührt bleiben müsse (vgl Debatten um natürliche vs künstliche Fortpflanzung). Diesen drei Erzählungen setzen Mitchell und Kollegen die Geschichte des Verwalteramtes entgegen, die davon spricht, dass der Mensch in seiner Gestaltungsmacht eine Verantwortung für seine Umwelt hat (306). Der kulturelle Umgang mit Technologien ist in Erzählungen eingebettet: Tristram Engelhardt sieht die unterschiedlichen Reaktionen auf die modernen Biotechnologien teils in verschiedenen Erzählungen begründet. Während es in der neuzeitlichen, aus den USA stammenden Erzählung um das ständige Streben der Puritaner und Cowboys nach einem ‚neuen Jerusalem‘ oder dem ‚Frontier‘ gehe und es die dabei auftretenden Hindernisse mit Technik in den Griff zu bekommen gelte, sei die europäische Erzählung von einer viel größeren grundsätzlichen Skepsis geprägt. Das
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mag, so könnte man im Anschluss an George Khushf und R. G. Best (307) sagen, auch daran liegen, dass sich in Teilen Europas die Dialektik der Aufklärung deutlicher gezeigt hat als in den USA, sodass das Versprechen eines Exodus aus Krankheit und Leiden kritisch hinterfragt wird. Forschung wird in Metaphern erzählt: George Annas (308) hat die in der ‚Berichterstattung‘ (objektiver erscheinendes Wort für ‚Erzählung‘) über Biomedizin häufig gebrauchten Kriegsmetaphern (‚Kampf gegen Alzheimer‘ etc) kritisiert und das Streben der biomedizinischen Forschung mit der Erzählung von der Suche nach dem Heiligen Gral verglichen (309). Diese Metapher gewinnt gerade im Kontext der regenerativen Medizin, die oftmals als ‚Jungbrunnen‘ dargestellt wird, ihre besondere Bedeutung.
b) Die Erzählung vom Forschungsimperativ bzw therapeutischen Imperativ Für den Kontext der SZF ist insbesondere ein Erzählmuster relevant, welches sich in den 1970er-Jahren in der ‚McCormick-Ramsey-Debatte‘ (310–313) herausgebildet hat: das Erzählmuster des Forschungsimperativs bzw therapeutischen Imperativs. Der Imperativ besagt, dass es eine der obersten Pflichten des Menschen sei, Forschung und Therapien zu verfolgen, die helfen, Krankheiten und Leiden zu lindern. Diese Erzählung weist eine große Plausibilität auf und wird von praktisch allen ethischen Ansätzen mit guten Argumenten unterstützt. Im Kontext der SZF äußern sich in jüngerer Zeit etwa folgende Ethikerinnen und Ethiker dazu: Katrien Devolder und Julian Savulescu (21) meinen, ein Verbot der embryonalen SZF sei unmoralisch, da es die therapeutische Entwicklung behindere. Glenn McGee und Arthur Caplan (314) sprechen davon, dass große Leiden durch die SZF gelindert werden könnten, um den Preis eines kleinen Opfers, das des Embryos. Jane Maienschein (315) kritisiert die Entscheidung von US-Präsident George W. Bush, die embryonale SZF nicht aus Bundesmitteln zu fördern (316), als Verleugnung des wissenschaftlichen Fortschritts und der Hilfe für die Kranken. Hinzu kommen zahlreiche Wortmeldungen von Menschen, die sich von der SZF Hilfe erwarten. Am bekanntesten ist vielleicht Michael J. Fox’ Wahlwerbung für Claire McCaskill geworden (317). Eve Herold lässt in ihrem Buch Stem Cell Wars (284) eine ganze Reihe Betroffener zu Wort kommen. Daniel Perry von der Alliance for Aging Research veröffentlichte in Science ein Plädoyer der Patientinnen und Patienten (318). Und die Stammzellforscher Robert Lanza und Kollegen sprechen davon, dass ca
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3.000 Amerikanerinnen und Amerikaner täglich aufgrund von Krankheiten sterben, die in Zukunft vielleicht mit Stammzellen behandelt werden könnten. Eine solch emphatische Vertretung des Forschungsimperativs bzw therapeutischen Imperativs ruft naturgemäß Gegenreaktionen hervor: Martin Brüske (319), Andreas Kuhlmann (320), Gilbert Meilaender (321), Fuat Oduncu (322) und Heinz Schott (323) führen allesamt die Kritik von Paul Ramsey fort, wonach auch noch so große und hehre Ziele der biomedizinischen Forschung nicht jedes Mittel, jeden Preis und jedes Opfer rechtfertigen können. Die bislang ausführlichste Kritik an dieser Imperativ-Erzählung legte Daniel Callahan (128) vor, der die Geschichte, das Begriffsfeld, die Rechtfertigungsversuche und die konkreten Implikationen des Imperativs für die Gesundheitsversorgung, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kritisch analysiert und die Vehemenz des Imperativs zurückweist. Die für die SZF maßgebliche Erzählung vom Forschungsimperativ bzw therapeutischen Imperativ ist aus ethischer Sicht kritisch zu hinterfragen, ohne damit die berechtigten Hoffnungen von Menschen mit Krankheit oder Behinderung, Hilfe zu erfahren, infrage zu stellen. Gegner der embryonalen SZF verwenden die Kritik am Imperativ, um gegen die Opferung von Embryonen zugunsten von etwaigen therapeutischen Visionen zu argumentieren. Selbst wenn es sich nicht bloß um Visionen, sondern schon um konkrete Therapien handeln würde, wäre – so diese Kritik – eine verbrauchende Embryonenforschung nicht zu rechtfertigen, da eine ‚Ethik des Heilens‘ einer ‚Ethik der Menschenwürde‘, die auch für Embryonen gelte, nicht unbeachtlich machen könne (323). Die Befürworter der embryonalen SZF verweisen darauf, dass diese ‚Ethik der Menschenwürde‘ für Embryonen, zumal in vitro, nicht gelte und daher die Kritik am Imperativ fehlgehe. Doch auch sie müssen sich weiterhin kritisch mit dem Imperativ befassen: Die strukturellen ethischen Probleme der SZF werden nicht nur mit ‚objektiven‘, ‚rein-wissenschaftlichen‘ Argumenten dargestellt und für gelöst erklärt, sondern auch mit Hilfe von Erzählungen – allen voran jener des Forschungsimperativs bzw therapeutischen Imperativs. Eine kritische Reflexion der verwendeten Erzählmuster ist daher für alle Positionen, auch unabhängig von der Statusfrage, unabdingbar.
3. Unsicherheit Zahlreiche Aspekte der bisherigen Erörterung zur Ethik der SZF haben aufgezeigt, dass sich selbst jene, die sich lange und intensiv mit dieser Materie beschäftigen, schwer tun, Einschätzungen zur weiteren Entwicklung der SZF aus naturwissenschaftlicher, medizinischer, ökonomischer oder politischer Hinsicht vorzunehmen. Dies hat damit zu tun, dass wesentliche Fragen nach wie vor offen sind, sodass sich eine Situation der Unsicherheit ergibt.
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Die ethisch relevante Frage zu dieser Situation lautet: Wie ist in unsicheren Situationen zu entscheiden, in denen Handlungen sowohl Chancen als auch Risiken realisieren können? In der Ethik haben sich für dieses Problem zwei grundsätzliche Ansätze herausgebildet, die auch in der Bewertung der SZF herangezogen werden: Tutiorismus (Vorsichtsprinzip): Ein Akteur kann risikoavers sein und im Zweifelsfall eine gefährliche Option ausschließen. Diese ethische Position des Tutiorismus wird in der Ethik der SZF gerne in der Statusdebatte herangezogen: Wenn es unsicher ist, ob ein Embryo entsprechend der SKIPArgumentation den gleichen moralischen Status innehat wie ein geborener Mensch (also ‚Würde‘ hat), dann ist aufgrund des zentralen und hohen Rangs, der dieser Frage zukommt, im Zweifelsfall davon auszugehen, dass er diesen Status hat. Damit sei man auf der sicheren Seite, selbst wenn die gegenteilige Position nicht mit notwendigen und hinreichenden Argumenten widerlegt werden könne. In diese Richtung gehen etwa Thomas Heinemann (98), Gregor Damschen und Dieter Schönecker (62) (die das Vorsichtsprinzip treffend als ‚Metaargument‘ bezeichnen und den Grundsatz ‚In dubio pro embryone‘ in den Titel ihres Artikels nehmen) sowie Per Sandin (324). Ein Element des Vorsichtsprinzips ist das Argument der ‚schiefen Ebene‘ bzw des ‚Dammbruchs‘ (325, 326): Demnach müsse man selbst bei einer noch in sich relativ sicheren Handlung vorsichtig-zurückhaltend sein, wenn abzusehen sei, dass die darauf folgenden, sich logisch daraus ergebenden oder schlichtweg aus dem Druck des nun Möglichen resultierenden Handlungen nicht gerechtfertigt werden könnten. Dieses Argument wird in der Ethik der SZF häufig gegen das Klonieren zu Forschungszwecken angeführt, da damit auch dem Klonieren zu Fortpflanzungszwecken die Tür geöffnet würde. Probabilismus: Ein Akteur kann aber auch risikofreudig sein, vor allem, wenn das zu erreichende Ziel sehr erstrebenswert ist. Solche Ziele vor Augen – wie es im Kontext der SZF unbestritten der Fall ist –, sind viele Menschen bereit, auch größere Risiken in Kauf zu nehmen. Der Probabilismus unterstützt dieses Verhalten argumentativ, indem er darlegt, dass eine prohibitive Haltung (zumal im Grundrechtsbereich, vgl Forschungsfreiheit) nur dann gerechtfertigt werden könne, wenn bewiesen werde, dass damit eine Risikoverwirklichung abgewendet werde. Bedenken der ‚schiefen Ebene‘ und der Vorsicht werden damit zu entkräften versucht, dass man entweder auf die Unsicherheit der Prognose solcher Argumente hinweist oder aber ihre normative Überzeugungskraft gänzlich in Frage stellt (indem zB darauf hingewiesen wird, dass Argumentationen nach dem Muster ‚Wie uns die Geschichte lehrt, wird es zu einer nicht rechtfertigbaren negativen Konsequenz kommen‘ keine normative Kraft besäßen). – Auf der anderen Seite würde der Probabilismus aber auch nicht Übermut oder Tollkühnheit befürworten. Dahingehend warnen jedenfalls die dem Vorsichtsprinzip ablehnend gegenüberstehenden Søren Holm und
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Tuija Takala (327) vor zwei pro-technologischen Extremformen des Probabilismus: dem ‚Hoffnungsvoll-Prinzip‘ und dem ‚Aufzugs-Prinzip‘, die beide davon erzählen, dass die Technologie Probleme in den Griff bekommen und einen sich selbst befördernden Fortschritt induzieren werde. Holm und Takala sehen in solchen Argumentationstypen rhetorische Strategien, welche die bestehenden Unsicherheiten in Bezug auf Risiken von Technologien nicht adäquat anerkennen. Welches der beiden Verhaltensmuster – Vorsichtsprinzip oder Probabilismus – adäquater ist, hängt wiederum von zugrundeliegenden Welt- und Menschenbildern ab. In der SZF, die insgesamt von viel Unsicherheit und großem Risiko geprägt ist, wird man dabei differenziert vorgehen müssen: Manche Fragen und Probleme werden unter Beachtung des Vorsichtsprinzips, andere mit mehr Risikobereitschaft zu beurteilen sein. Insgesamt, so hat die bisherige Erörterung allerdings meines Erachtens gezeigt, ist im Zweifelsfall ein umsichtiges und vorsichtiges Vorgehen angezeigt, was nicht eine völlige Einschränkung, wohl aber eine detaillierte Beobachtung und Regulierung erfordert.
4. Konsens Mag es schon auf persönlicher Ebene schwierig sein, Entscheidungen unter Unsicherheit zu fällen, so wird diese Angelegenheit auf gesellschaftlicher Ebene ungleich komplexer. Denn hier treffen die unterschiedlichen Menschenbilder, Erzählungen und Risikoverhalten aufeinander. Und dennoch ist gerade in Grundsatzfragen wie der Forschungspolitik ein Konsens zu suchen. Vorstellungen von einem solchen Konsens sind der letzte Aspekt, der im Rahmen dieser ‚Hintergrundethik‘ der SZF beleuchtet werden soll. Im Allgemeinen (und speziell in Österreich) wird ein gesellschaftlicher Konsens hoch geschätzt – nicht ohne Grund, denn er verschafft eine gewisse Ruhe. Doch Konsens allein wird heute in der Ethik nicht mehr als guter Grund für eine Rechtfertigung angesehen: Die Konsensgemeinschaft kann auch irren und etwas ethisch nicht zu Rechtfertigendes vertreten (328). Daher braucht es nicht nur die faktische Übereinstimmung, sondern eine Übereinstimmung aus guten Gründen, die erst durch ein kritisches Urteilen zustande kommen kann. Bei einer solchen Konsensfindung sehen wir uns, so John Rawls (329: lec. I § 2), auch bei gutem Willen aller Beteiligten, mit ‚Bürden des Urteilens‘ belastet: Die Evidenz ist widersprüchlich und komplex. Es herrscht Uneinigkeit über die Gewichtung relevanter Gesichtspunkte. Unsere Vorstellungen sind vage und müssen mit konkreten Fällen konfrontiert werden.
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Die Art und Weise, wie wir Evidenz und Gewichtung moralischer und politischer Werte bewerten, wird von unserer ganzen Lebenserfahrung und von unterschiedlichen Arten normativer Überlegungen geformt. Mit anderen Worten: Gesellschaftliche Konsensfindung unter den Bürden des Urteilens ist eine Knochenarbeit. Dies ist auch in Bezug auf die Ethik der SZF aus den bisherigen Erörterungen wohl überdeutlich geworden. Angesichts dieser schon allgemeinen und vernünftigen Faktoren des Dissenses – geschweige denn jener unvernünftigen bis bewusst irreführenden, von denen teils auch schon die Rede war – erscheint es schier aussichtslos, einen gesellschaftlichen Konsens in der SZF zu finden. Dies kann durch zahlreiche Dokumente von Ethikräten in dieser Angelegenheit untermauert werden (330-337). Somit sind wir zurückverwiesen auf die Frage nach der Toleranz, die wir für andere Positionen als die eigene aufbringen müssen: In welchem Ausmaß ist sie erforderlich, und wo endet sie? – Im Rahmen der SZF mögen die vorangegangenen Erörterungen in Bezug auf diese Frage einige Hilfestellungen gegeben haben; dass sie sie letztlich beantwortet haben, war weder mein Ziel noch wäre ich dazu in der Lage.
V. Schlussfolgerungen und Gestaltungsempfehlungen Aus der kritischen Bestandsaufnahme einer Ethik der SZF haben sich rückblickend folgende Eckpunkte herauskristallisiert: Die Statusfrage ist nicht mit notwendigen und hinreichenden Argumenten zu lösen. Objekt- und Person-Position argumentieren auf unterschiedlichen erkenntnis-theoretischen Ebenen, sodass weder ein Konsens noch eine Widerlegung zu erwarten sind. Die Respekt-Position versucht einen Kompromiss zu finden, läuft dabei allerdings Gefahr, von den beiden anderen Positionen nicht ernst genommen zu werden. Die Analyse der praktischen forschungsethischen Probleme der SZF zeigte eine Fülle an Detailfragen, die beantwortet werden müssen, um verantwortungsvoll mit dieser Technologie umzugehen, was auch ihren Befürwortern ein Anliegen ist. Die Darstellung der grundlegenden Fragen der SZF und ihrer ethischen Bewertung (‚Hintergrundethik‘) offenbarte, welche rahmengebenden Kräfte hier mit am Werk sind, ohne dass wir uns immer darüber Rechenschaft ablegen würden. Vor diesem Hintergrund und in Abwägung der diskutierten Fragen komme ich zu folgenden, bewertenden Schlussfolgerungen aus Sicht der praktischen Ethik: 1. Unerlässlich ist eine umfassende Technologiebewertung. Die Regulierung der SZF kann trotz des wissenschaftlichen und medizinischen Potentials
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dieser Forschung keinen Freibrief zur Forschung bedeuten, sondern muss Antworten auf die zahlreichen kleineren und größeren praktischen forschungsethischen Probleme geben können. Regulierungen in anderen Ländern (338) mögen eine Orientierungshilfe sein, können aber letztlich nicht die eigene Entscheidung rechtfertigen. 2. Unlösbar ist die Frage nach dem moralischen Status des Embryos. Statt einer Lösung dieses Problems müssen wir uns mehr Gedanken darüber machen, wie wir es auf gesellschaftlicher Ebene im Sinne eines Coping bewältigen. Dabei ist zu bedenken, dass die Statusfrage vielleicht weniger etwas darüber aussagen kann, wer oder was der Embryo ist, sondern vielmehr zeigt, wer wir sind bzw als was wir uns verstehen. In Bezug auf die embryonale SZF wäre meines Erachtens ein gangbarer gesellschaftlicher CopingWeg in der Politik: a. Die Freigabe der kryokonservierten IVF-Embryonen zur Zerstörung/Tötung als einzige Quelle für embryonale Stammzellen. Begründung: autopoietische Leiblichkeit und ‚sozialer Tod‘; Eindämmung des Eizellenhandels; politischer Kompromiss. Risiko: Ausweitung der Kryokonservierung. b. Ein Importverbot für ES-Zellen und SCNT-Zellen. Begründung: Unkontrollierbarkeit der Gewinnungsbedingungen. Risiko: Verebben der SZF im Land. c. Keine öffentlichen Fördergelder für eine SZF, die bisher keinen erwiesenen medizinischen Outcome lieferte (dh etablierte Therapien mit hämatopoetischen Stammzellen wären davon nicht betroffen). Begründung: gesellschaftlicher Kompromiss; komparative internationale Kostenvorteile (schlechte Kosteneffizienz der SZF; Österreich würde sowieso etwaige Therapien zulassen, auch wenn sie im Ausland entwickelt wurden). Risiko: SZF müsste durch private Mittel finanziert werden (was allerdings zulässig wäre). 3. Unleugbar sind die komplexen Interessen, die hinter der SZF stehen. Wissenschaftliche, ökonomische, politische und weltanschauliche Ziele werden durch Erzählmuster geprägt, die von gut begründeter und differenzierter Kommunikation bis hin zu pseudoreligiösen Heilsversprechungen reichen. 4. Unabschätzbar ist der Preis des Erfolgs – sowohl in monetärer wie auch in moralischer Hinsicht. Jedenfalls sollten wir aber nicht dem Trugschluss jenes berühmten Iren erliegen, von dem C. S. Lewis (80) erzählt: Dieser Ire hatte herausgefunden, dass ein bestimmter neuer Ofen seine Heizkosten um die Hälfte reduzieren würde. Daraufhin kaufte sich der Ire zwei derartige Öfen, in dem Glauben, sein Haus damit gratis wärmen zu können.
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Bedeutung und Rahmenbedingungen der Stammzelldiskussion – Katholisch-theologische Betrachtungen Sigrid Müller
I. Einleitung Kaum eine bioethische Frage hat in den vergangenen Jahren soviel Unsicherheit ausgelöst wie die nach der Zustimmung oder Ablehnung der Forschung an embryonalen menschlichen Stammzellen. Zumindest in der deutschen Diskussion hielten sich Befürworter und Gegner mehr oder minder die Waage; in Österreich war das Thema bislang nur kurz in den Schlagzeilen der Medien. Was macht es so schwierig, eine klare Haltung in dieser Frage zu gewinnen? Um welche Entscheidungen geht es, und welche Funktion hat dabei die Ablehnung der Gewinnung von Stammzellen aus menschlichen Embryonen, die von der Katholischen Kirche und – mit gewissen Einschränkungen – von theologischen Ethikern vertreten wird? Im Folgenden geht es darum, einigen Fragen nachzuspüren: Welche Werte werden diskutiert? Welche werden explizit erwähnt, welche bleiben unausgesprochen? Was sind die Rahmenbedingungen der Debatte? In welcher Weise machen sie eine Auseinandersetzung mit dem Thema so schwierig, selbst wenn, wie in Deutschland, eine anscheinend offene und breite Berichterstattung erfolgt? Auf diesem Hintergrund werden dann die Argumentationslinien eingeordnet, die im Rahmen der katholisch-theologischen Ethik überwiegend Verwendung finden.
1. Die suggestive Zugkraft von Heilungschancen und medizinischem Fortschritt Die Werte, die in der öffentlichen Diskussion als Argumente für die Gewinnung von Stammzellen aus menschlichen Embryonen überwiegend angeführt werden, sind die Heilungschancen, die man sich für weit verbreitete Krankheiten durch neu zu entwickelnde Techniken der Übertragung von solchen Stammzellen in geschädigtes Gewebe erhofft.1 Da sich jeder Mensch Heilung _____________ 1 Konkrete Zielsetzungen sind die Züchtung von Organen und Geweben im Labor (Tissue engineering), die Heilung etwa von Diabetes, Parkinson, Querschnittslähmun-
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wünscht, wenn er krank ist, und einen solchen Heilungswunsch deshalb auch kaum einem anderen Menschen verwehren kann, hat die Vorstellung, man könnte mit den humanen embryonalen Stammzellen weit verbreitete Krankheiten und Alterserscheinungen erfolgreich behandeln, eine große Sogkraft. Es scheint auf den ersten Blick herzlos und unvernünftig, diese Perspektive überhaupt anzuzweifeln.2 Diesen suggestiven Vorstellungen von künftigen Heilungsmöglichkeiten steht jedoch zum Zeitpunkt der Debatte keineswegs eine entsprechende konkrete Wirklichkeit gegenüber. Da die konkreten Anwendungsmöglichkeiten ebenso wenig wie ihre mit der Konkretisierung offenbar werdenden Grenzen bislang bekannt sind, nimmt die „Entdeckung“ neuer Möglichkeiten einen eher utopischen Charakter an. Alles Mögliche wird den potentiellen positiven Wirkungen der humanen embryonalen Stammzellen zugerechnet. Dieses Phänomen tritt nicht erstmalig auf. Vielmehr scheint es eine Begleiterscheinung neuer technischer Entwicklungen zu sein: Sie beflügeln die Vorstellungskraft. Wie wenig dieses Hoffnungspotential, das im Menschen verankert ist und schon aufgrund von angedeuteten Möglichkeiten zur Entfaltung kommt, der Realität entsprechen muss, mag ein nicht allzu lang vergangenes Beispiel zeigen: Vor einem guten Jahrhundert (1898) hat Marie Curie das Radium entdeckt und seine radioaktive Wirkung sichtbar gemacht. Mit dieser Entdeckung verbanden sich sofort viele Hoffnungen: Gesundheit wurde versprochen in Thermalbädern mit radioaktiven Eigenschaften; eine Schönheitscreme für Frauen mit dem Inhaltsstoff Radium wurde entwickelt; Badesalz, Zahncremes, Schokoladen und sogar Babynahrung und Schlankheitsgürtel mit Radium versprachen das Beste an Genuss, Schönheit und Gesundheit.3 Das Beispiel zeigt, wie wissenschaftliche Entdeckungen Hoffnungspotentiale wecken und diese sich in der Bevölkerung vermarkten lassen, wobei dem Grundbedürfnis nach Gesundheit und dem Wunsch nach Schönheit eine große Rolle zukommen. Implizit handelt es sich vermutlich sogar um das Versprechen, alles Leid und selbst den Tod aus der Welt zu schaffen – um
_____________
gen und Anwendungen in der Transplantationsmedizin etc. Dazu Alexandra Manzei, Mythos der unendlichen Rekonstruierbarkeit des Körpers: Wunsch und Wirklichkeit der Regenerativen Medizin am Beispiel der Stammzellforschung, in Ethica 11 (2003) 411-420, hier 412. 2 Zu einer grundsätzlichen Diskussion der „Ethik des Heilens“, die als Grund für die Erlaubtheit des Verbauchs von Embryonen für die Stammzellgewinnung angeführt wird, vgl zum Imperativ einer Ethik des Heilens Eberhard Schockenhoff, Die Ethik des Heilens und die Menschenwürde. Moralische Argumente für und wider die embryonale Stammzellenforschung, Zeitschrift für medizinische Ethik 47 (2000) 235257. 3 Franz Manni, Un élixir-miracle, Le Monde diplomatique 55 Nr 651 (Juni 2008) 19.
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eine innerweltliche, säkulare Hoffnung auf Ewigkeit und Vollkommenheit.4 Dass die Hoffnung und deren Vermarktung dabei Blüten hervorbringen können, die geradezu das Gegenteil dessen bewirken, was sie versprechen, wird deutlich; ebenso wie die strahlende Hoffnung, die sich mit dem Radium verband, heute nicht ohne ihre Schattenseite, die Entwicklung der Atombombe, gesehen werden kann. Insgesamt aber schafft eine solche Situation eine schwierige Ausgangsbasis für eine ethische Diskussion.
2. Interessen im Hintergrund der öffentlichen Wertediskussion Die Diskrepanz zwischen den in der Öffentlichkeit hervorgehobenen Chancen neuer Technologien und den zum Zeitpunkt der Diskussion realen Möglichkeiten findet sich auch in der Stammzelldiskussion. Die gegebene Forschungslage lässt erkennen, dass in Bezug auf die meisten genannten Krankheiten keine Heilungsmöglichkeiten in greifbare Nähe gerückt sind, und dennoch genießen die Heilungschancen als attraktiver Wert den Vorrang in der öffentlichen Debatte. Diese Diskrepanz lässt erkennen, dass die Motivation, mit der diese Forschung vorangetrieben wird, mit großer Wahrscheinlichkeit eine andere ist als die öffentlich vorgestellte. Die Diskussion über Heilungschancen ist ein Vorgang auf der Öffentlichkeitsebene, der die treibenden Kräfte gar nicht zur Sprache bringt und die mit ihnen verbundenen Prioritätensetzungen als Gemeingut voraussetzt, so dass ihre öffentliche Diskussion nicht notwendig erscheint. Als treibende Kräfte, die sich für die Förderung der Embryonenforschung einsetzen, kann man einerseits die wirtschaftliche Logik und andererseits die Forschungslogik erkennen.5 Beide sind teilweise aufgrund der gegenseitigen Verwiesenheit von Expertise und Finanzierungsmitteln miteinander verwoben. Die wirtschaftliche Logik möchte diese Forschung auch von der Öffentlichkeit und von öffentlichen Fördergeldern unterstützt sehen, weil sie auf die Etablierung eines neuen Marktsegments setzt, das, verbunden mit möglichen Patenten auf Anwendungen, eine wirtschaftliche Einkommensquelle sichert.6 _____________ 4
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt die Technikphilosophin Petra Gehring. Vgl Petra Gehring, Biomacht Ökonomien: Zirkulierende Körperstoffe, zirkulierende Körper-Daten, Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 13 (2005) 55-64, hier 63-64. 5 Die Thematik der Sicherung des Wirtschafts- oder Wissenschaftsstandorts spielte beispeilsweise eine Rolle in der Diskussion 2008 über die Stichtagsverschiebung in Deutschland: Zimmermann argumentiert, dass bei unveränderter Gesetzeslage die Rolle deutscher Forscher marginal bliebe. Vgl Deutscher Bundestag, Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Thema Stammzellforschung am 9. 5. 2007, Stellungnahme Prof. Zimmermann, Thembenblock 1 Wissenschaftliche Bewertung (A-Drs. 16(18)193n) 10. 6 Das Potential möglicher Patienten wird weltweit etwa 200-300 Millionen geschätzt. Dies beschreibt ein Umsatzvolumen von mehreren Mrd Euro. Vgl Alexandra Manzei, Mythos der unendlichen Rekonstruierbarkeit des Körpers: Wunsch und
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Ein Beispiel dafür ist die Gewinnung menschlichen Gewebes für die Überprüfung der Wirkung von Medikamenten, die Versuche am lebenden Menschen ebenso wie an Tieren einschränken hilft. Die Forschungslogik möchte das Verständnis der Vorgänge vergrößern, welche die Weitergabe des Lebens und seine Entwicklung regulieren. In einem zweiten Schritt wären dann Anwendungen im genannten pharmazeutischen oder kosmetischen Bereich und später auch im medizinischen Bereich möglich. Die verständliche wissenschaftliche Neugier der Forscher und die wirtschaftlichen Interessen der Investoren greifen ineinander. Zu fragen bleibt jedoch aus ethischer Sicht zweierlei: Welche Entscheidungen über ethische Prioritäten liegen bereits vor, und warum wird diese Prioritätensetzung nicht angefragt?
3. Die „kapitalistische Ethik“ als Rahmenbedingung der öffentlichen Diskussion Die öffentliche Diskussion über die Heilungschancen, die durch die Stammzellforschung ermöglicht werden, beruht auf der stillschweigenden Voraussetzung, dass diese Heilungschancen absolute Priorität besitzen. Ob die Art und Weise ihrer Ermöglichung ethisch korrekt ist, erscheint weitaus weniger gewichtig. Zur Diskussion steht nämlich, ob die gezielte Herstellung von menschlichen Embryonen und ihre Zerstörung zum Zweck der Gewinnung von Stammzellen überhaupt eine ethisch akzeptable Praxis sein kann. Dieses Thema kann als solches jedoch kaum diskutiert werden. In der öffentlichen Diskussion ist die Grundfrage nach der Bedeutung des Lebens sowie der Bedeutung und den Konsequenzen der zu regulierenden Handlungsweisen immer verbunden mit und überlagert von der Frage nach dem Nutzen für die Gesundheit künftiger Menschen, und in deren unausgesprochenem Hintergrund steht das Interesse an wirtschaftlichem und wissenschaftlichem Erfolg. Diese Verdrängung der Grundlagenfragen – Welche Bedeutung hat das Leben? Woher kommt es? Welchen Sinn hat es? Wer ist der Mensch? – aus dem öffentlichen Bereich und ihre Unterordnung unter die Logik des kapitalistischen Marktes hat der slowenische Philosoph Slavoj Žižek in seiner politischen Philosophie klar konturiert dargestellt. Žižek nennt diesen gegenwärtigen Zustand der Politik, in dem die Logik des Kapitals vorherrscht und alles bestimmt, Post-Politik. Politik wird nur mehr als Verwaltung gesellschaftlicher Bedürfnisse verstanden. Ein grundsätzlicher Kampf für Rechte kann nicht mehr stattfinden, weil grundlegende Fragen, die den vorhandenen kapitalistisch-politischen Rahmen in Frage stellen, wie die nach dem Sinn und der Bedeutung des Lebens und ihren praktischen und politischen Impli_____________
Wirklichkeit der Regenerativen Medizin am Beispiel der Stammzellforschung, in Ethica 11 (2003) 411-420, hier 413.
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kationen, zB die Freiheit der Wirtschaft einschränkende Maßnahmen, nicht zugelassen bzw gleich der Funktionslogik des wirtschaftlichen Denkens unterstellt und auf formalem Wege zum Verstummen gebracht werden. Abweichende Überzeugungen haben keinen Platz in dieser Politik. Nur das, was mit diesem kapitalistischen Denken kompatibel ist, was „funktioniert“, kann als Thema behandelt werden. Die in der Diskussion über die Stammzellforschung daraus resultierende „Suspension des Ethischen“ in Zeiten der Post-Politik kann nur aufgehoben werden, wenn die darin vorherrschende, kapitalistische Logik als einer „Pseudo-Ethik“ ihrerseits durch wirkliches politisches Engagement eingeschränkt wird, das fähig ist, den bestehenden „pseudo-demokratischen“ und kapitalistischen Rahmen zu sprengen.7 Diese Zeitanalyse lässt verstehen, warum die Grundlagenfragen keine nachhaltige Aufmerksamkeit in der Gesellschaft finden und von den meisten Akteuren auch gar nicht gestellt oder rasch beiseite geschoben werden können. Die Logik des Marktes ist so verankert in der Gesellschaft und in der Politik, dass es ein heimliches Credo gibt, nämlich dass die Wirtschaft an erster Stelle stehen müsse – „geht es der Wirtschaft gut, geht es den Menschen gut“ – und dass dieser obersten Maxime alles andere unterzuordnen sei. Das Bewusstsein aber dafür, dass aufgrund dieser Maxime Wertehierarchien sich verkehren können – ist nun der Wirtschaftserfolg für den Menschen da oder der Mensch für die Wirtschaft? – und wesentlichere Werte für nachrangige Werte zT geopfert werden – das Recht auf Leben für das Recht auf Gesundheit –, gerät dabei in den Hintergrund. Ob diese Dominanz der wirtschaftlichen Logik in der Politik eine unvermeidliche Begleiterscheinung unserer modernen Demokratien ist, darüber wird mit Vehemenz diskutiert.8
4. Gesetzgebungsprozesse als einschränkende Rahmenbedingung für die ethische Diskussion Da in öffentlichen und politischen Diskussionen Grundsätzliches wie die Bedeutung des Lebens nicht mehr in angemessener Weise zur Sprache gebracht werden kann, werden auch die weltanschaulichen, religiösen oder säkularen Hintergründe für ethische Urteile aus der öffentlichen Diskussion ausgeschlossen und als Privatmeinung abgetan. Die ethische Diskussion findet zumeist nur noch im Kontext einer anstehenden Rechtsprechung statt. Dabei sind pragmatische, zielorientierte Argumentationen erwünscht, die einen Konsens finden können, aber möglichst keine Diskussionen herausfordern. Dieser Zuschnitt auf eine unmittelbare rechtliche Umsetzbarkeit und der oft künstliche Zeitdruck, von dem diese Diskussionen meist begleitet werden, führen zu einer sehr eingeschränkten ethischen Diskussion und zu _____________ 7
Slavoj Žižek, Ein Plädoyer für die Intoleranz3 (2003) 35-39, 49-61 und passim. Vgl die Diskussion in Le monde diplomatique über die Aussage von Margaret Thatcher, es gebe keine Alternative zu einem neoliberalen Kapitalismus („TINA“), zB die Reaktion von Noam Chomsky, Le Monde diplomatique (Juni 2007) 1, 8, 9. 8
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einer nahezu völligen Ausblendung der Frage nach den zugrunde liegenden Weltanschauungen und Wertehierarchien. Ist die treibende Kraft in der Argumentation, der alles andere untergeordnet wird, die Sorge um das Funktionieren der Wirtschaft, das wissenschaftliche oder technische Prestige oder das Leben der Menschen in gegenseitiger Achtung? Dabei ist die Frage, ob denn aufgrund der Grundlagendiskussion eine veränderte Entscheidung getroffen würde, nur ein wichtiger Aspekt. Ein weiterer, viel fundamentalerer Aspekt ist, dass das Sprechen über die Grundlagen des Lebens und Handelns selbst außer Blick gerät und verloren geht, ganz als genüge für das Gelingen der Gesellschaft ein Pragmatismus der vermuteten Mehrheit. Damit wird aber auch die Frage nach der Bedeutung der jeweiligen Entscheidungen vermieden und folglich die nach ihren langfristigen, umfassend menschlichen Folgen.9 Die Einengung der ethischen Fragestellungen, die durch den Kontext der Rechtsprechung zustande kommt, in dem sie stattfindet, führt oft zu einer Verkürzung in der Argumentation selbst. Die ausgetauschten Argumente versuchen sich gegenseitig auszuhebeln oder zu relativieren, ohne dass die tragenden Gründe und leitenden Perspektiven deutlich gemacht werden. Dementsprechend fragmentarisch müssen sie wirken und bleiben daher oft unverständlich für die Bevölkerung.
II. Die im Kontext der Rechtsprechung schwer thematisierbare Bedeutung des Lebens zum Ausdruck bringen: Die Bedeutung der SKIP(NIP)-Argumente10 In diesem Kontext stehen die (nicht nur) von katholischen Ethikern vorwiegend verwendeten so genannten SKIP-Argumente und ihre Kritik. Das Akronym SKIP steht für Spezies-, Kontinuum- oder Kontinuitäts-, Identitätsund Potentialitätsargument, das Akronym NIP stellt den Versuch dar, die SKIP-Argumente gleichsam auf ihren Kern zu destillieren. Die Buchstaben NIP stehen für „Numerische Identität und Potentialität“. _____________ 9
Slavoj Žižek, Ein Plädoyer für die Intoleranz3(2003) 81-89. Die folgenden Kurzdefinitionen der Argumente ist angelehnt an Gregor Damschen/Dieter Schönecker, Argumente und Probleme in der Embryonendebatte – ein Überblick, in dieselben, Der moralische Status menschlicher Embryonen. Pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument (2003) 1-7, hier 2-5. Die Argumente besagen in Kürze Folgendes: Das Speziesargument: Weil jeder Mensch Würde hat und ein menschlicher Embryo Mitglied der Spezies Mensch ist, hat auch dieser Würde; das Kontinuitätsargument: Embryonen entwickeln sich kontinuierlich, ohne moralrelevante Zäsuren, zu erwachsenen Menschen; das Identitätsargument: Embryonen sind in moralrelevanter Hinsicht identisch mit erwachsenen Menschen, die Würde besitzen; das Potentialitätsargument: Embryonen haben das uneingeschränkt schützenswerte Potential, Menschen zu werden. 10
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Von theologisch-ethischer Seite werden diese Argumente als Gesamtes aufgefasst, in dem sich die Argumentationsfäden gegenseitig in dem Anliegen stützen sollen, die Unteilbarkeit der Würde hervorzuheben, die zum Menschen unabhängig von seinen Entwicklungsstufen gehört und die starke Schutzrechte umfasst.11 Die Sache, die durch die Argumente zum Ausdruck gebracht werden soll, ist etwas zugleich Einfaches und Komplexes: die Hochschätzung des Menschen und seines Lebens. Die Hochschätzung des Menschen resultiert in theologischer Sicht aus dem biblischen Gedanken, dass Gott den Menschen zu seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat. Der Mensch besitzt die moralische Fähigkeit und Pflicht, die Verantwortung über die übrigen Lebewesen zu übernehmen, die ihm von Gott übertragen wurde.12 Er ist aber vor allem das einzige Lebewesen, das in einem unmittelbaren und alle Momente des Lebens umfassenden Verhältnis zu Gott steht. Gott ist das Gegenüber des Menschen, der Spiegel, in dem der Mensch seinen wahren Wert, aber auch seine Abgründe und Fehler erkennen kann. Auf Gott hin ist das Leben gerichtet. Gott ist der Stein des Anstoßes, der zur Entscheidung herausfordert – für ein Leben in der Zugewandtheit zu Gott oder in der Gottesferne.13 Das Leben des Menschen und das Leben überhaupt sind in sich ein Symbol für Gott, aus dem alles Leben kommt, ohne den es kein Leben gäbe und der das Leben schlechthin ist. Der Wille Gottes für den Umgang mit anderen Menschen, wie ihn die zentralen biblischen Texte zur Sprache bringen, ist es, das Leben der Menschen zu ermöglichen. Ausnahmen vom Tötungsverbot beziehen sich auf Menschen, die das Leben eines Menschen mutwillig zerstört haben. Gott als den Herrn des Lebens zu sehen besagt, sich bei jedem Verfügen über Geschöpfe bewusst zu sein, dass der Mensch nicht das höchste Wesen ist, sondern sich als Teil der Schöpfung sieht. Allmachtphantasien und ihr Ausdruck in einem Handeln, das die Achtung vor der Schöpfung verletzt, die ja im Letzten nie vom Menschen gemacht werden, sondern nur verwaltet oder zerstört werden kann, verbieten sich aus diesem Grund. Diese hohe Achtung vor dem menschlichen Leben, wie sie im christlichen Schöpfungs- und Erlösungsglauben begründet ist, der den Menschen auch nach Fehlern immer wieder von Neuem in die Verantwortung ruft, führt in der Sicht katholisch-theologischer Ethiker zu der Überzeugung, dass jedem _____________ 11 Die logische Verbindung der einzelnen Argumente wird bei Gregor Damschen/ Dieter Schönecker, Argumente und Probleme in der Embryonendebatte – ein Überblick, in dieselben, Der moralische Status menschlicher Embryonen. Pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument (2003) 1-7, hier 7. 12 Zur biblischen Vorstellung des Menschen und Christi als Bild Gottes und ihrer theologisch-kritischen Interpretation vgl dazu Walter Lesch, Der Embryo als lebendige Metapher. Zum Bildgehalt einer Anthropologie und Ethik der Menschenwürde, Zeitschrift für medizinische Ethik 51 (2005) 331-342, hier 336-337. 13 Dieser Aspekt wird besonders hervorgehoben im Johannesevangelium. Dazu und für einen Überblick über die vielen Aspekte der Eschatologie vgl Franz-Josef Nocke, Eschatologie, in Theodor Schneider (Hrsg), Handbuch der Dogmatik 2 (1992).
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einzelnen Menschen, unabhängig von seiner biologischen Entwicklungsstufe oder der Ausbildung bestimmter Fähigkeiten, grundsätzlich Achtung entgegengebracht werden muss.14 Die Notwendigkeit einer solchen Achtung vor dem Menschen kann aber ebenso in philosophischer Sprache formuliert werden. Dabei kann man sich nicht nur auf die bekannten Formulierungen bei Kant berufen15, sondern auch auf das Anliegen von Jürgen Habermas, in religiöser Sprache Ausgedrücktes in eine säkulare Sprache zu übersetzen.16 „Moralische Empfindungen, die bisher nur in religiöser Sprache einen hinreichend differenzierten Ausdruck besitzen, können allgemeine Resonanz finden, sobald sich für ein fast schon Vergessenes, aber implizit Vermisstes eine rettende Formulierung einstellt… Beispielsweise berufen sich in der Kontroverse über den Umgang mit menschlichen Embryonen manche Stimmen auf Moses 1,27: „Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ Dass der Gott, der die Liebe ist, in Adam und Eva freie Wesen schafft, die ihm gleichen, muss man nicht glauben, um zu verstehen, was mit Ebenbildlichkeit gemeint ist. Liebe kann es ohne Erkenntnis in einem anderen, Freiheit ohne gegenseitige Anerkennung nicht geben. Dieses Gegenüber in Menschengestalt muss seinerseits fähig sein, die Zuwendung Gottes erwidern zu können. Trotz seiner Ebenbildlichkeit wird freilich auch dieser Andere als Geschöpf Gottes vorgestellt. Hinsichtlich seiner Herkunft kann er Gott nicht ebenbürtig sein. Diese Geschöpflichkeit des Ebenbildes drückt eine Intuition aus, die in _____________
14 Zu den hermeneutischen Grundbedingungen dieses Prozesses, der hier nur angesprochen, nicht aber näher ausgeführt werden kann, vgl zB die Bemerkungen von Roberto Dell’Oro, Theological Anthropology and Bioethics, in Carol A. Taylor/ Roberto Dell’Oro (Hrsg), Health and Human Flourishing: Religion, Medicine, and Moral Anthropology, Georgetown University Press 2006, 13-32. 15 Immanuel Kant, MS, A 113-114/B 112-113: „Denn da das Erzeugte eine Person ist,… so ist es eine in praktischer Hinsicht ganz richtige und auch notwendige Idee, den Akt der Zeugung als einen solchen anzusehen, wodurch wir eine Person ohne ihre Einwilligung auf die Welt gesetzt, und eigenmächtig in sie herüber gebracht haben; für welche Tat auf den Eltern nun auch eine Verbindlichkeit haftet, sie, soviel in ihren Kräften ist, mit diesem ihrem Zustande zufrieden zu machen. – Sie können ihr Kind nicht gleichsam als ihr Gemächsel (denn ein solches kann kein mit Freiheit begabtes Wesen sein) und als ihr Eigentum zerstören oder es auch nur dem Zufall überlassen, weil an ihm nicht bloß ein Weltwesen, sondern auch ein Weltbürger in einem Zustand herüber zogen, der ihnen nun auch nach Rechtsbegriffen nicht gleichgültig sein kann.“ Auf die Kantische Begründung der unbedingten Selbstzwecklichkeit des Menschen beziehen sich daher einige katholische Theologen in ihrer Argumentation, zB Peter Fonk, Ab wann ist der Mensch ein Mensch? Ein kritischer Blick aus der Sicht christlicher Ethik auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen, in Ethica 12 (2004), 227-258, hier 249, und Maureen Junker-Kenny, Categorical arguments – Pro life vs. Pro choice? in Elisabeth Hildt/Sigrid Graumann (Hrsg), Genetics in Human Reproduction (1999) 147-155, hier 148. 16 Jürgen Habermas, Glauben und Wissen, in derselbe, Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001. Laudatio: Jan Philipp Reemtsma (2001) 9-31, hier 29: „Eine Säkularisierung, die nicht vernichtet, vollzieht sich im Modus der Übersetzung.“
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unserem Zusammenhang auch dem religiös Unmusikalischen etwas sagen kann.“17 So wie die Achtung vor dem Menschen in der Erklärung der Menschenrechte für alle Menschen praktisch gewendet und eingefordert wird, ist sie ein nicht hintergehbares Fundament jeder ethischen Überlegung. Dieses Grundanliegen kann auch durch eine Teilkritik der Einzelargumente nicht „wegdiskutiert“ oder widerlegt werden. Dass diese Achtung vor dem Menschen alle seine Entwicklungsstadien einschließt und sie daher unabhängig ist vom Ort des Menschen (im Mutterleib oder außerhalb), wurde in einer weiteren ergänzenden Erklärung des Europarats entsprechend festgehalten.18 Diesem theologisch und philosophisch formulierbaren Grundanliegen wird mit den verschiedenen SKIP-Argumenten Ausdruck gegeben.
1. Sind Menschen wie Tiere zu sehen? – Gedanken zum Speziesargument Diese grundsätzliche, im Laufe der Geschichte mühsam errungene Achtung vor allen Menschen bedeutet, dass jeder Mensch geachtet und daher auch vor ungerechtfertigten Übergriffen geschützt und angemessen behandelt werden muss. Diese grundsätzliche, unaufhebbare Schutzwürdigkeit des Menschen, die jeder weiteren bioethischen Argumentation zugrunde liegen muss, wird im Zuge der Rezeption vor allem angelsächsischer, ua pathozentrischer Argumentationsansätze in Frage gestellt. Die Vermeidung von Leiden wird als Menschen und Tieren gemeinsames Interesse herausgestellt und zugleich zum zentralen ethischen Prinzip erhoben. Da dieses Interesse speziesübergreifend ist, kann man letztlich das Maß an Leiden bei Tieren und Menschen gegeneinander abwägen. Dieses Argument verfolgt im Kontext des Tierschutzes das Ziel, eine bessere und angemessene Behandlung von Tieren zu erlangen und nicht etwa den Menschen abzuwerten.19 Die alleinige Beurtei_____________ 17
Jürgen Habermas, Glauben und Wissen, in derselbe“, Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001. Laudatio: Jan Philipp Reemtsma (2001) 29-30. 18 Vgl Europarat, Convention for the protection of human rights and dignity of the human being with regard to the application of biology and medicine: Convention on human rights and biomedicine, Oviedo 4. 4. 1997 (CETS 164), 6-7, Art 18.2: „The creation of human embryos for research purposes is prohibited“; Art 21: „The human body and its parts shall not, as such, give rise to financial gain.“ In diesem Sinne fordern die österreichischen Bischöfe ein gesetzliches Verbot jeglicher „verbrauchender Forschung“ an Embryonen. Die Tötung menschlicher Embryonen ist mit der Menschenwürde und dem von Staatengemeinschaften anerkannten und geschützten Menschenrecht auf Leben unvereinbar. Vgl Frühjahrsvollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz 3.-6. 3. 2008, Schloss Reichenau (Niederösterreich) 3. Stammzellenforschung, www.bischofskonferenz.at. 19 Peter Singer, Praktische Ethik2 (1994) 82-114, hier 109. Zur Deutung des Speziesarguments als Solidaritätspflicht bei Reinhard Merkel vgl Katja WagnerWesterhausen, Die Statusfrage in der Bioethik (2008) 99 und 195-202.
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lung des Status anhand der konkreten (und nicht der prinzipiellen) Leidensfähigkeit führt mit Bezug auf den Menschen jedoch dazu, dass man die grundsätzliche Achtung gegenüber dem Menschen unabhängig von Eigenschaften ablehnt und nur von einer an die Bedingung der Leidensfähigkeit geknüpften Achtung ausgeht. Dadurch läuft man Gefahr, den Menschen de facto in manchen Entwicklungsphasen oder Zuständen als Nicht-Mensch, wie ein Tier oder einen bloßen Gegenstand aufzufassen und dadurch den Begriff des Menschen selbst und sein Selbstverständnis auszuhöhlen. Damit kann eine solche interessen- und leidensorientierte Theorie vom moralischen Status der Lebewesen die von der Technisierung der Gesellschaft mitbedingte Tendenz unterstützen, den Menschen mehr und mehr als einen nach bestimmten Kriterien funktionierenden Gegenstand zu sehen, den man nur bei Erfüllung bestimmter Kriterien als „Mensch“ betitelt bzw unter Schutz stellt.20 Dabei besagt eine Hochschätzung des Menschen unabhängig von seinen Entwicklungsstadien keineswegs, dass man deshalb nicht auch die Tiere ihrer Art gemäß angemessen behandeln müsste. Der Standard für die Achtung gegenüber dem Menschen braucht nicht unterboten zu werden, wenn gleichzeitig ein besserer Umgang mit Tieren gefordert wird. Am prinzipiellen Unterschied zwischen Mensch und Tier kann man also auch aus philosophischen, nicht nur aus theologischen Gründen festhalten. Menschen sind als geistbegabte Wesen einzigartig, auch wenn es auf der Ebene der körperlichen Funktionen aus biologischer Sicht Vergleichbares in Ansätzen gibt. Kein Wesen außer dem Menschen kann überhaupt den Schutz anderer Lebewesen anstreben und seine Notwendigkeit erkennen. Gerade diese den Menschen auszeichnende moralische Fähigkeit macht es überhaupt möglich, den Schutz von Tieren einzufordern. Da es aber nicht darum geht, gleichzeitig Tiere abzuwerten, ist an einer „nicht-speziesistischen“ Verwendung des Spezies-Argument festzuhalten.21 Schwierig ist dabei, dass der Begriff von biologischer Seite her Probleme mit sich bringt. In der biologischen Sichtweise ist der Begriff der Spezies vieldeutig, kann aber dazu führen, den Menschen als eine Tierart zu verstehen und vermag so gerade das Besondere, jede biologische Klassifizierung überschreitende Moment des Menschen unmöglich zur Sprache zu bringen. Die Verwendung des Spezies-Argumentes vor allem in der katholischen theologischen Ethik ist aber gerade als Aufruf zu verstehen: Es handelt sich _____________ 20 Vgl zB Norbert Hoerster, Ethik des Embryonenschutzes. Ein rechtsphilosophischer Essay (2002) 130. Er führt ins Treffen, dass ob der nicht vorhandenen Empfindungsfähigkeit von Embryonen deren Instrumentalisierung legitim sei. Als Konsequenz eines solchen Ansatzes kommt man zu dem Schluss, der Embryo habe noch kein Selbstbewusstsein, vertrete keine Interessen, sei quasi ein Zellhaufen. Dazu Walter Lesch, Der Embryo als lebendige Metapher: zum Bildgehalt einer Anthropologie und Ethik der Menschenwürde, in Zeitschrift für medizinische Ethik 51 (2005) 331-342. 21 Vgl dazu auch Klaus Steigleder, Grundlegung der normativen Ethik. Der Ansatz von Alan Gewirth (1999) 191.
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hier um einen Menschen – ganz unabhängig von seinem Entwicklungsstadium –, und deshalb haben Achtung und Schutz grundsätzlich Vorrang vor jedweden Interessen anderer, die ihn gefährden könnten. Die biologische Spezieszugehörigkeit dient hier nicht als Begründung für die Würde, sondern nur als ein Erkenntniskriterium. Es verweist auf die bereits vorausgesetzte Schlussfolgerung, dass ein Mensch Würde besitzt, und dieser Mensch wird eben in der biologischen Betrachtung einer Spezies zugeordnet.22 Menschen sind nie nur bloße Exemplare einer Spezies, weshalb dieses Argument der Bedeutung des Menschen selbst nur mit Einschränkungen gerecht werden kann. Es sind die Begabungen des menschlichen Wesens, die seine herausragende Bedeutung ausmachen: Aus philosophischer Sicht zB die zu verantwortlichem Handeln und für Transzendenz, in theologischer Sprache die Begabung mit einer Seele, in der eine je spezifische Antwort auf den Anruf Gottes gründet.23
2. Sind Argumente gegen die Schutzwürdigkeit zugleich Argumente für die Schutzlosigkeit? – Kontinuitäts-, Identitäts- und Potentialitätsargument Eine katholische theologisch-ethische Argumentation setzt sich also dafür ein, dass alle Menschen unabhängig von ihren Eigenschaften und Entwicklungsstadien Achtung und einen daraus resultierenden Schutz genießen. _____________ 22 Zum nichtspeziesistisch-kriteriellen Speziesargument vgl Gregor Damschen/Dieter Schönecker, In dubio pro embryone, in dieselben (Hrsg), Der moralische Status menschlicher Embryonen. Pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitätsund Potentialitätsargument (2003) 187-267, hier 202-203. 23 Der Begriff der Seele steht im biblischen Kontext für das Lebensprinzip, den Geist, der den Menschen erfüllt. Durch die mittelalterliche Rezeption der antiken Vorstellung von einer Entwicklungsreihe von vegetativem, sensitivem und geistigem Lebensprinzip bei der embryonalen und fötalen Entwicklung im Mutterleib wurde der Gedanke der Seele von der theologischen Anthropologie in die Naturphilosophie verlagert. Der Streit über eine Sukzessiv- oder Simultanbeseelung entstand erst in diesem Kontext und ist in dieser Form wenig hilfreich für die Diskussion über den Embryonenschutz. In diesem Sinne hielt das katholische Lehramt fest, dass die Entscheidung über den Schutz vorgeburtlichen menschlichen Lebens nicht von der strittigen philosophischen Frage nach dem Zeitpunkt der Beseelung abhängig gemacht werden könne. In der Folge haben sich kirchliche Dokumente in der Frage der Schutzwürdigkeit an das biologische Paradigma der Befruchtung und damit der genetischen Identität eines Menschen angelehnt. Zu dieser weitläufigen Debatte vgl exemplarisch Walter Lesch, Der Embryo als lebendige Metapher: zum Bildgehalt einer Anthropologie und Ethik der Menschenwürde, in Zeitschrift für medizinische Ethik 51 (2005) 331-342 (335); sowie Dietmar Mieth, Konfessionelle Identität in der biomedizinischen Debatte, 6. Detailliertes zu den diversen Beseelungstheorien findet sich auch bei Holderegger in Konrad Hilpert/Dietmar Mieth (Hrsg), Kriterien biomedizinischer Ethik. Theologische Beiträge zum gesellschaftlichen Diskurs (2006) 175197; Benagiano in Ethics, Law and Moral Philosophy of Reproductive Biomedicine 14 (2007) 167; Paul Richter, Der Beginn des Menschenlebens bei Thomas von Aquin (2008) (Studien der Moraltheologie 38).
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Wenn der Begriff des Menschen nicht aufgegeben werden soll – was einer Selbstverkennung und einem Selbstwiderspruch des Menschen gleichkäme – gilt die grundlegende Achtung für jedes Entwicklungsstadium und für das ganze Phänomen des Lebens überhaupt. Das Potentialitätsargument und das Kontinuitätsargument möchten versuchen, diesen Aspekt in der bioethischen Diskussion zu vertreten. Sie bringen die Unteilbarkeit des Menschen zum Ausdruck. Als schwierig erweist sich dabei, dass die Begriffe der Potentialität und der Kontinuität auch Vorstellungen wecken, welche die Sache nicht genau treffen. So bedeutet Potentialität nicht, dass etwas „nur potentiell“ im Sinne von „vielleicht, vielleicht auch nicht“ etwas wird oder gar potentiell zu etwas Anderem wird, das anders beurteilt werden müsste, wie das viel zitierte Argument des Kronprinzen suggeriert: Jemand ist Prinz von Wales, muss aber erst noch König werden, eher er bestimmte Rechte hat.24 Wenn man Königsein mit Menschsein vergleichen möchte, dann ist ein Embryo ein kleiner König. Das Menschsein ist eine grundlegende, keine von Alter und Größe abhängige Kategorie. In eben diesem Sinne könnte man auch das Kontinuitätsargument sehen, das als Ausdruck der Zeitlichkeit als Merkmal des Menschseins gedeutet werden könnte und so zum Ausdruck bringen würde, dass der Mensch unabhängig von seiner Entwicklung immer Mensch ist. Freilich vermischen sich in der Verwendung oft physikalische und biologische Aspekte der Kontinuität. Sie kommen dort zum Einsatz, wo nach möglichen beobachtbaren Abschnitten innerhalb der Entwicklung des Menschen gesucht wird. In diesem Kontext ist jedoch die Beobachtung kontinuierlicher mikrobiologischer Prozesse ohne „Pause“ ebenso möglich wie die, dass in dem Prozess verschiedene Stufen der Komplexität erlangt werden. Beide sind Ausdruck einer Beobachtungsfähigkeit und Kriteriologie des Menschen und stellen zwei Weisen dar, wie dieselbe Entwicklung gesehen werden kann, die einander nicht widersprechen können, weil sie verschiedene Blickwinkel anlegen. Das Kontinuitätsargument kann die einseitige Betrachtung aus dem die Abschnitte beobachtenden Blickwinkel korrigieren. Es vermag aber, wenn es als rein biologische Perspektive aufgefasst wird, die grundsätzliche Achtung gegenüber dem Menschen unabhängig von seinen Entwicklungsphasen weder zu begründen noch zu widerlegen. Das Identitätsargument ist ebenso im Kontext des Kontinuitätsargumentes zu sehen. Wenn Identität verstanden wird als numerische Identität, nämlich so, „dass Menschen von ihrem embryonalen Dasein bis hin zum Erwachsenenalter eine Einheit sind, auf die wir uns…beziehen können“, dann fällt das Identitätsargument mit einem raumzeitlichen und durch raumzeitliche und kausale Kohäsion bestimmten Kontinuum zusammen.25 _____________ 24 Vgl die aktuelle Diskussion über das Kronprinzenargument bei Katja WagnerWesterhausen, Die Statusfrage in der Bioethik (2008) 161-163. 25 So die auswertende Stellungnahme von Gregor Damschen/Dieter Schönecker,
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Angesichts der Aufweisbarkeit der inneren Einheit des Menschen im Laufe seiner Entwicklung ist es berechtigt, die Argumente, die gegen die SKIPArgumente und damit gegen die Schutzwürdigkeit von bestimmten Phasen der menschlichen Entwicklung vorgebracht werden, ihrerseits auf ihre zugrunde liegende Intention zu befragen: Bedeutet für sie die Kritik an der Schutzwürdigkeit zugleich die Forderung nach Schutzlosigkeit und Vogelfreiheit des Menschen in bestimmten Phasen und Zuständen seines Lebens? Zu einer solchen Folgerung würden wenige Vertreter stehen.26 Es darf daher vermutet werden, es gehe nicht darum, den grundsätzlichen Schutz und die grundsätzliche Achtung in Frage zu stellen, sondern die konkrete Form der Achtung, den konkreten Schutz in bestimmten Phasen des menschlichen Lebens festzulegen. Solche gradualistischen Zugangsweisen könnten damit aber nur innerhalb des Schutzes und nicht prinzipiell gegen den Schutz bestimmter Lebensphasen des Menschen argumentieren.27 _____________
In dubio pro embryone, in dieselben (Hrsg), Der moralische Status menschlicher Embryonen. Pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument (2003) 187-267, hier 237. Eine eingehende Diskussion der Schwierigkeiten, die das Identitätsargument aufwirft, findet sich bei Ralf Stoecker, Contra Identitätsargument, in Ebd, 129-145. Gregor Damschen und Dieter Schönecker haben die SKIPArgumente aufgrund ihrer teilweisen Überlappung und mancher Schwächen zu einem NIP (Numerische Identität und Potentialitäts)-Argument zusammengefasst. Dieses Argument lautet folgendermaßen: Der Gedanke eines sich durchhaltenden Kontinuums oder der numerischen Identität ist in Verbindung mit dem Argument, dass potentielle „Würde“-Eigenschaften so sehr würdestiftend sind, dass ein Wesen mit potentiellen „Würde“-Eigenschaften unter normalen Umständen nicht getötet werden darf. Dafür ist es nicht nötig, die „Würde“-Eigenschaften zu bestimmen. „Der Begriff der numerischen Identität erlaubt es, von der Potentialität eines und desselben Wesens durch alle Stadien seiner Existenz zu sprechen“. Das NIP-Argument ist ihrer Ansicht nach in Verbindung mit einem Vorsichtsargument „hinreichend stark …, dass es Zweifel bei jenen sähen sollte, die den Embryonen …starke Schutzrechte absprechen … Es mag zwar sein …, dass sie sich von unserem NIP-Argument letztlich nicht überzeugen lassen. Doch alle, die meinen, dass menschliche Embryonen keine Würde besitzen, oder die sich dessen sogar subjektiv sicher sind, müssen sich fragen, ob sie ihr eigenes Leben notfalls darauf verwetten würden. Würden sie es tun? Wenn nicht, dann sollten sie auch nicht das Leben anderer aufs Spiel setzen“ (Ebd 263-264). 26 Richard M. Hare misst, obgleich er die Kontinuität der embryonalen Entwicklung anerkennt, der Frage, wann menschliches Leben beginnt, keine Bedeutung bei und plädiert daher nicht für eine juridische Verankerung eines Embryonenforschungsverbots. Vgl Richard M. Hare, Embryonenforschung, in Hans-Martin Sass (Hrsg), Medizin und Ethik (1999) 136-137. 27 Einen anderen Zugangsweg hat Ralf Stoecker beschrieben. Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass moralphilosophisch interessant nicht das Haben der Menschenwürde sei, sondern das Gebot, die Würde eines Menschen zu achten. Dieses moralphilosophische Gebot könne auch zum Schutz von Embryonen führen, wenn man abstreite, dass Embryonen als Entwicklungsstadien von Menschen eine eigene Würde besitzen. „Es könnte also einfach unter unserer Würde sein, bestimmte Dinge mit Embryonen anzustellen“. Vgl Ralf Stoecker, Contra Identitätsargument, in Gregor Damschen/Dieter Schönecker (Hrsg), Der moralische Status menschlicher Embryonen. Pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument
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3. Sind Sinn und Bedeutung des Lebens rational zu begreifen? Die grundsätzliche Bedeutung des Menschseins, die in diesem Beitrag zur Sprache kommt, jeder ethischen Diskussion vorausliegt und auch nie durch eine ethische Diskussion aufgehoben werden kann, ist jedoch schwer zur Sprache zu bringen, geht es doch um die Bedeutung nicht nur des Menschen, sondern des Lebens und der Welt überhaupt. Diese Grundfragen nach dem Woher und Wohin, die am Anfang jeder Philosophie stehen, sind der wesentliche Boden, auf dem über die Bedeutung des Menschen und des Lebens weiter nachgedacht werden kann. Diese Fragen können nie endgültig beantwortet und mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht behandelt werden, weshalb sie aus einer von der naturwissenschaftlichen Betrachtung der Welt dominierten Diskussion in der Regel verdrängt werden. Dennoch sind diese Fragen unabdingbar zutiefst philosophisch und universal, sie liegen jeder religiösen oder theologischen Deutung voraus.28 Diese Fragen zu stellen bedeutet, das Gespür für das Rätsel des Lebens und für die Bedeutung des Menschen offen zu halten. Diese Fragen sind auch die Grundlage für eine angemessene Hinordnung der wissenschaftlichen Forschung auf den Menschen. Das Offenhalten dieser Fragen soll dort Unbehagen hervorrufen, wo eine ethische Diskussion Gefahr läuft, eine unangebrachte Instrumentalisierung menschlichen Lebens zu fördern.
III. Die weit reichende Aufgabe der SKIP(NIP)-Argumente: Wahrnehmung schärfen und Hellsichtigkeit fördern Die grundsätzliche Achtung vor dem Menschen und seine Schutzwürdigkeit sind im Kontext der Bioethik-Debatte in Europa in der Regel unbestritten, solange der geborene Mensch im Zentrum steht. Zweifel werden geäußert, _____________
(2003) 129-145. Diese Schlussfolgerung wird jedoch in der Regel so nicht gezogen. Werden zB in der eigenen Würde, dh im sittlichen Selbstverständnis der Handelnden begründeten Schutzhaltungen gegenüber Embryonen nur als Ausdruck von Normschutzinteressen der Gesamtgesellschaft gedeutet, kann zwar ein „willkürlicher oder rein kommerzieller Umgang mit Embryonen“ ausgeschlossen werden, doch ist eine Abwägung gegen andere Interessen der Gesellschaft wie die Heilung von Krankheiten möglich. Diese Schlussfolgerung zieht Katja Wagner-Westerhausen, Die Statusfrage in der Bioethik (2008) 204. 28 Dieser Aspekt wird von Katja Wagner-Westerhausen übersehen. Sie kritisiert theologische Argumentationen als nicht allgemeingültig, weil sie nicht auf Vernunftargumente verweisen. Dass aber Fragen nach der Bedeutung des menschlichen Lebens zu den grundlegenden Fragen der Philosophie zählen und auch darin nur mit Einschränkungen „allgemeingültig und weltbildübergreifend“ formuliert werden können, wird gerade in der Debatte über die ethische Zulässigkeit der Stammzellgewinnung aus Embryonen deutlich. Gerade dort, wo die Referenz auf ein Weltbild nicht angegeben wird, ist anzufragen, welche grundlegende Logik die konkreten Argumente bestimmt. Vgl Katja Wagner-Westerhausen Die Statusfrage in der Bioethik (2008) 50.
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wenn es um die embryonalen Entwicklungsstadien des Menschen geht und insbesondere, wenn diese sich nicht im natürlichen Schutz des Mutterleibes befinden, sondern durch ihre Zeugung in der Petrischale aus ihrem natürlichen Kontext herausgenommen sind und in der unmittelbaren Verfügungsgewalt des Menschen stehen.29 Warum aber fällt es offensichtlich leicht, die grundsätzliche Achtung vor dem Menschen in seinen ersten Entwicklungsstadien zu vernachlässigen und sogar eine Aufhebung aller Schutzbedingungen für diesen Zeitraum zu fordern? Warum können viele Naturwissenschaftler, obgleich sie als Menschen dem Wunder des Lebens beruflich auf der Spur sind, die Zerstörung menschlicher Embryonen nicht als Widerspruch zu einer Achtung vor dem Menschen betrachten?
1. Die Technisierung und die „prometheische Scham“ Günther Anders hat auf hellsichtige Weise den Spalt untersucht, der zwischen Machen und Vorstellen, Tun und Fühlen, Wissen und Gewissen, zwischen produziertem Gerät und dem Leib des Menschen besteht. Der Mensch, so ist seine Vision, empfindet angesichts der perfekten, von ihm geschaffenen Technik Scham gegenüber seiner eigenen menschlichen Mangelhaftigkeit. Nicht die Verdinglichung des Menschen weckt Schamgefühle, sondern die Tatsache, kein Ding zu sein. Während die von ihm geschaffenen Maschinen für ihre Zwecke perfekt sind, erfährt er die Grenzen des Menschen, vor allem seines Körpers, als Unzulänglichkeit. Er ordnet damit den konkreten Menschen den technischen Idealen unter und betrachtet den Menschen aus Maschinenperspektive. Die Grenzen des menschlichen Körpers werden als Hindernis aufgefasst, die es möglichst zu überwinden gilt. Eingriffe am Menschen sind daher erlaubt, solange sie den Menschen näher an die Funktionstüchtigkeit einer perfekten Maschine angleichen. In dieser Klimax möglicher Dehumanisierung gibt er die Idee des Menschen auf und setzt alle Anstrengungen auf seine eigene „Passivisierung und Verdinglichung“. Der Mensch möchte selbst zum (perfekten) Gerät werden.30
2. Die Wahrnehmbarkeitsgrenze oder das „prometheische Gefälle“ Eine Eigentümlichkeit der menschlichen Technikbegeisterung ist es, dass die Menschen vieles machen können, dessen Wirkungen sie zu erfassen gar nicht im Stande sind. Günther Anders bezeichnet dieses Verhältnis als „prometheisches Gefälle“. „Was uns heute – im Unterschied zu Faust – aufregen müsste, _____________ 29
Die Zeugung des menschlichen Lebens in der Petrischale provoziert ein künstliches Risiko, das durch entsprechende Schutzbestimmungen aufgefangen werden muss. Vgl Klaus Demmer, Leben in Menschenhand. Grundlagen des bioethischen Gesprächs (1987) 90. 30 Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution (2002) 29-35.
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ist jedenfalls nicht, dass wir nicht allmächtig sind oder allwissend; sondern umgekehrt, dass wir im Vergleich mit dem, was wir wissen und herstellen können, zu wenig vorstellen und zu wenig fühlen können.“31 In der Anwendung auf den Gebrauch von menschlichen Embryonen für Forschungszwecke ist der Mensch bereits fähig, die Anfänge der menschlichen Entwicklung zu manipulieren und für die Herstellung von Stammzellen zu gebrauchen, doch im emotionalen Erfassen seines Tuns und in der rationalen Vorstellung der Folgen und Bedeutung seines Handelns bleibt er weit hinter seinen praktischen Fähigkeiten zurück. Um welche Dimensionen es dabei im Kontext der Stammzellforschung gehen kann, machen die strategischen Erwägungen eines Vertreters einer Biotech-Firma deutlich: „Um einen Massenmarkt von Patienten mit Ersatzgewebe zu versorgen, für dessen Herstellung Embryonen erforderlich wären, werde der Nachschub voraussichtlich nicht reichen, selbst wenn in Großbritannien Zehntausende an Embryonen vorhanden seien…“32 Analog spiegelt sich die Beantwortung der Frage nach dem Sinn einer Handlung durch die Funktion, die dadurch erfüllt wird, auch in der biotechnischen Arbeitsweise wider: Nicht der handelnde, über die Welt und seine Arbeit reflektierende Mensch, sondern der funktionierende, perfekte Biotechniker ist das Erwünschte, wodurch sich auch eine Spaltung zwischen privatem Menschsein und der technischen Arbeitswelt ergibt, wobei der Privatraum nicht gegen weitere Funktionalisierungen gefeit ist. Diese Gedanken könnte man auf die Ursprungsfrage so anwenden: Menschliche Embryonen, die so klein sind und nur unter so speziellen Konditionen außerhalb des Mutterleibes leben können, dass sie in den Arbeitsbereich der Biotechniker oder Medizintechniker fallen, liegen quasi unter der Wahrnehmungsgrenze. Die grundlegende Dimension der Achtung vor dem Menschen wird nicht in einem Vis-à-Vis ersichtlich. Für den Bio- und Medizintechniker gehört der Umgang mit ihnen zur spezialisierten Arbeitswelt, nicht zur Sphäre des Menschlich-Privaten. In der Arbeitswelt haben nur Zellen und Zellmaterial einen Gegenstand, nicht Menschen oder philosophische Gedanken über das menschliche Leben. Dass mit dem Handeln an diesen menschlichen Embryonen möglicherweise die Destruktion des Begriffs vom Menschen selbst eingeleitet werden kann, ist nicht greifbar. Langfristige Folgen und Szenarien werden nur in Filmen und Literatur vorgestellt, wo sie dem Phantastischen zugeordnet und nicht als Realität wahrgenommen werden, an deren Herbeiführung der oder die Forschende derzeit aktiv mitwirkt. Die scheinbare Unfähigkeit des Menschen, das Ausmaß der negativen Folgen seiner Produkte, nämlich die „allgemeine Vernichtung“ vorauszuse_____________ 31
Günther Anders, Ebd, 269. Wiedergegeben bei Monika Bobbert, Was macht Menschsein aus, wenn Biotechniken die Spezies verändern? Ethische Fragen der Forschung mit embryonalen Stammzellen, alternativen Klonverfahren und Chimären, in Ethica 15 (2007) 7-49, hier 10. 32
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hen und eine entsprechende Angst zu empfinden, hat Günther Anders im Kontext der Atomwaffen als „Apokalypseblindheit“ bezeichnet. Der Grund dieser Angstlosigkeit ist ein ungebremster Fortschrittsglaube33 oder ein „szientistischer Glaube“.34 In der Thematik der Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen ist das apokalyptische Panorama einer „allgemeinen Vernichtung“ nicht angebracht. Dennoch muss man – wenn man in Anlehnung an die oben beschriebene Biotech-Perspektive von einer industriellen Produktion menschlichen Gewebes aus Stammzellen, die von frischen Embryonen gewonnen werden, ausgeht – durchaus von einer Vernichtung in großem Ausmaß sprechen, die eine solche Entwicklung zur Folge haben kann. Darüber hinaus stellt die damit verbundene selektive Vernichtung eine Anmaßung von Menschen dar, nämlich nicht nur im Konfliktfall, sondern generell und im großen Maßstab über Menschen in frühen Entwicklungsstadien vernichtend zu verfügen.35 Mit Habermas kann man freilich anmerken, dass ein szientistischer Glaube an eine Wissenschaft, die eines Tages das personale Selbstverständnis durch eine objektivierende Selbstbeschreibung nicht nur ergänzt, sondern ablöst, nicht Wissenschaft sei, sondern schlechte Philosophie.36
3. Argumente als Warnung vor einer „Apokalypseblindheit“ Das Anliegen eines theologisch-ethischen Beitrags muss es aus katholischer Sicht sein, einer „Apokalypseblindheit“ entgegenzuwirken. Sie muss die grundlegende Bedeutung des Menschseins und des Lebens als Korrektiv dieser Blindheit in der Diskussion über die Embryonenforschung zur Sprache zu bringen. Die theologische Ethik unterstützt damit ein Anliegen, das, wie bei Günther Anders und vielen weiteren Autoren ersichtlich ist, auch philosophisch formuliert werden kann.37 Die Achtung vor dem Menschen und die _____________ 33
Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution (2002) 16-18; 41-44; 233; 261. 34 Jürgen Habermas, Glauben und Wissen, in derselbe, Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001. Laudatio: Jan Philipp Reemtsma (2001) 9-31, hier 20. 35 Vgl die Bemerkungen von Jürgen Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? (2005) 161: „Die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen steht nicht unter der Perspektive von Züchtung und Selbstoptimierung. Sie verlangt aber von Haus aus eine instrumentalisierende Einstellung gegenüber dem ‚embryonalen Zellhaufen‘“. 36 Jürgen Habermas, Glauben und Wissen, in derselbe, Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001. Laudatio: Jan Philipp Reemtsma (2001) 9-31, hier 20. 37 Zunehmend wächst die Einsicht, dass eine klare Trennung zwischen religiöschristlicher, vernunftphilosophischer und radikal-säkularer Begründung von Menschenwürde nicht durchgehalten werden kann. Zur Trennung vgl Franz Josef Wetz, Haben Embryonen Würde? in Ulrich Körtner/Christian Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin? (2003) 20-21; vgl auch Franz Josef Wetz, Haben Embryonen Würde? Der Wert des menschlichen Lebens auf dem Prüfstand (2007) (Berliner Medizinethische Schriften, 58) 18-23.
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Verantwortung für die menschliche Gestaltung der Welt gehören zu den zentralen Konsequenzen christlichen Gottesglaubens. Die Apokalyptik als eindringliche Mahnrede mit der Aufforderung, das eigene Tun zu bedenken und grundlegende Lebensentscheidungen zu treffen, ist in der Bibel verankert. Inwiefern aber können die in der Regel benutzten SKIP-Argumente einer Apokalypseblindheit entgegenwirken? Mit Günther Anders könnte man formulieren, es bestehe „die heute entscheidende moralische Aufgabe in der Ausbildung der moralischen Phantasie, d.h. in dem Versuche, das „Gefälle“ zu überwinden, die Kapazität und Elastizität unseres Vorstellens und Fühlens den Größenmaßen unserer eigenen Produkte und dem unabsehbaren Ausmaß dessen, was wir anrichten können, anzumessen; uns also das Vorstellende und Fühlende mit uns als Machenden gleichzuschalten.“38 In den vorausgehenden Analysen ist deutlich geworden, dass die zentralen grundlegenden Fragen der Selbstbetrachtung des Menschen im konkreten Diskussionszusammenhang von geplanter Rechtsprechung und von Richtlinien teilweise nicht thematisierbar sind. Dieses Phänomen trifft aber ebenso auf die Kritiken der SKIP-Argumente zu: Die ursprüngliche Motivation und das Ziel der Argumentation wird nicht thematisiert; es bleibt das Drehen und Wenden der Argumente. In stärkerem Maße sind es die Visionen, die möglicherweise zur Sprache gebracht werden können, wie am Beispiel der Hoffnung auf Heilung deutlich wurde. Die SKIP(NIP)-Argumente erhalten damit eine doppelte prospektive Aufgabe. Einerseits geht es darum, die Konsequenzen einer Missachtung der frühen Entwicklungsstadien des Menschen zu zeigen, das kaum Vorstellbare in Bilder zu kleiden und damit das Gefühl für die Folgen unseres Handelns zu entwickeln. Andererseits ginge es darum, das Panorama zu entwerfen, das einem von Achtung getragenen Umgang mit allen Entwicklungsphasen des Menschen entspricht und damit eine Entscheidung mit apokalyptischem Ernst zu ermöglichen. So ist beispielsweise nachzufragen, wenn der moralische Status menschlicher Embryonen an ein soziologisches Modell gebunden wird. Die Zuerkennung des Personstatus geschieht dann durch die Annahme der Eltern oder durch die Gesellschaft.39 Welche Vision einer Gesellschaft und des Menschen bringt ein solcher Ansatz mit sich? Sie führen zurück in eine Ständewelt, in der es Menschen gibt, die über das Leben und die Lebensform anderer Menschen nach eigenem Gutdünken verfügen können – wie in der Antike über Sklaven. Eine solche Gesellschaft anzustreben heißt, auch die Vorstellung einer Gemeinschaft freier und gleicher Menschen zumindest in Bezug auf den Ursprung der Menschen zur Disposition zu stellen. _____________ 38
Ebd, 273. Vgl Peter Fonk, Ab wann ist der Mensch ein Mensch? Ein kritischer Blick aus der Sicht christlicher Ethik auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen, in Ethica, 12 (2004) 227-258, hier 241. 39
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Auch bestimmte Formen einer theologischen relationalen Ontologie sind nicht davor gefeit, solchen Entwicklungen Vorschub zu leisten. Eine relationale Ontologie, die nicht mehr darin gründet, dass sich jede menschliche Existenz der Gnade Gottes verdankt und der Mensch erst im Angesprochenwerden durch Gott zum Menschen wird,40 sondern die diese konstituierende Beziehung auf eine einseitige Beziehung zwischen Menschen reduziert, wäre dahingehend anzufragen, ob sie sich ihrer Konsequenzen bewusst ist. Nach ihr hat ein geborener Mensch die Möglichkeit und das Recht, einem ungeborenen Menschen die Beziehung zu verweigern und diesen dadurch zu einem Nichts im Sinne des Mensch- oder Personseins zu machen. Hier wird nicht nur die konstitutive Beziehung Gottes zu jedem Menschen ausgeblendet, sondern auch der zwischenmenschliche Beziehungsgedanke nicht als konstitutiv aufgefasst in dem Sinne, dass Menschen notwendig in einer Relation stehen und diese daher nie aufkündigen können. In der Konsequenz wäre die Verfügung von Menschen über frühe Entwicklungsstadien von Menschen eine Sache der Beliebigkeit, so dass der Umgang mit den Embryonen sogar bedenkenlos einer industriellen, wirtschaftlichen Logik unterstellt werden könnte. Gegen solche Konsequenzen einer relationalen Ontologie wenden sich die SKIP(NIP)-Argumente, indem sie aufweisen, dass jeder einzelne Mensch im frühen Entwicklungsstadium aus sich heraus Achtung verdient, unabhängig von der Meinung und den Intentionen anderer Menschen.41 Zentrale Intentionen, für die in der Diskussion ein höherer Wert beansprucht wird als ein achtsamer Umgang mit dem menschlichen Embryo, sind die Nutzung embryonaler Stammzelllinien für die Prüfung von Medikamen_____________ 40 Reiner Anselm, Rechtfertigung und Menschenwürde, in Herms Eilert (Hrsg), Menschenbild und Menschenwürde (2001) 471-481. Vgl Ebeling für den Gedanken, dass es für das Sein des Menschen konstitutiv ist, dass er ein Gegenüber hat und ein Gegenüber braucht, von dem her er überhaupt erst der wird, der er ist. Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd 1, Der Glaube an Gott, den Schöpfer der Welt (1979) 349. 41 Auf den Vorwurf einer substanzontologischen Begründung des Embryonenschutzes erwidert zB Stephan Ernst, Zwischen Prinzipienmoral und Situationsethik, in Konrad Hilpert/Dietmar Mieth (Hrsg), Kriterien biomedizinischer Ethik. Theologische Beiträge zum gesellschaftlichen Diskurs (2006) 313-336, hier 320: „Weder in dem gemeinsamen Dokument „Gott ist ein Freund des Lebens“ noch in der Erklärung der DBK „Der Mensch – sein eigener Schöpfer?“ liegt ein substanzontologisches Verständnis vom Personsein des Menschen zugrunde. Ebensowenig gibt es Anhaltspunkte dafür, dass hier die Anerkennung des Personstatus von der Kernverschmelzung an naturalistisch-metaphysisch begründet wird. Das Personsein des Menschen gründet nach diesen Dokumenten nicht in bestimmten Eigenschaften einer Substanz, sondern in der Anerkennung durch Gott, in seiner zu allen Eigenschaften und zu allem Tun des Menschen gerade vorgängigen Zuwendung Gottes zu ihm. Diese vorgängige Anerkennung und Zuwendung begründet überhaupt erst die Autonomie und Freiheit des Menschen und damit seine Würde. Der entscheidende Punkt liegt also darin, dass mit der vorgängigen Anerkennung und Begründung der Würde des Menschen durch Gott diese auch menschlicher Anerkennung vorgegeben ist und nicht erst durch zwischenmenschliche Anerkennung begründet wird.“
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ten und die Reproduktionstoxikologie42 oder die Erforschung der entwicklungsbiologischen Vorgänge im Zuge der Nidation in den Uterus.43 Solange solche Stammzelllinien nur durch die Zerstörung menschlicher Embryonen gewonnen werden können, bedeutet dies: Es wird akzeptiert, dass man das, was man als Ziel möchte, nämlich die Gesundheit von erwachsenen Menschen oder künftigen Embryonen, bei den verwendeten Embryonen gerade zerstört. Es zeichnet sich eine Spannung ab, die in unserer Gesellschaft schon präsent ist, nämlich die einer immer ausgefeilteren Gesundheitsfürsorge für manche Menschen – beinahe um jeden Preis –, die jedoch zu Lasten ganz grundsätzlicher und grundlegender lebensfördernder Maßnahmen bei anderen Menschen, ja zu Lasten ihrer Existenz geht. Dabei erfolgt außerdem eine Konzentration auf die Beseitigung der Folgen, statt auf die Behebung der Ursachen für die Krankheiten und die vorgeburtlichen Probleme durch den Rückgang der natürlichen Fruchtbarkeit. Ist eine solche einseitige Ausrichtung auf die Behebung der Folgen als ideal zu sehen? Kann es wirklich das zentrale Anliegen unserer Gesellschaft sein, die durch vielfältige Faktoren bedingte zunehmend schwieriger werdende menschliche Fortpflanzung Gesellschaften durch hochtechnische, teure Maßnahmen für eine ausgewählte Anzahl von Menschen zu ermöglichen, oder wären die Prioritäten nicht stärker bei einer Sicherung und Wiedergewinnung von gesünderen Lebensumständen zu setzen? Dass die frühen Entwicklungsstadien von Menschen dabei „geopfert“ werden, um nachher am aus Stammzellen geschaffenen „Modell“ sehen zu können, was passiert wäre, wenn ein solcher Embryo in den Uterus der Mutter transferiert worden wäre, entbehrt nicht eines gewissen Zynismus – eine Problematik, auf die auch manche Forscher hinweisen.44 Auch ein Hinweis auf hochrangige therapeutische Intentionen und auf die Forschungsfreiheit45 kann ebenso wenig grundsätzliche ethische Einwände entkräften.46 Welche Vorstellungen treiben uns, wenn wir in Kauf nehmen, _____________ 42 Ethisch und naturwissenschaftlich ist dies beispielsweise für Hartmut Kreß „bedenkenswert“. Vgl Hartmut Kreß, Stammzellforschung: Die Diskussionslage im Bereich der evangelischen Ethik (2008) 1. 43 Vgl Roger Pedersen, Developments in human embryonic stem cells, in Ethics, Law and Moral Philosophy of Reproductive Biomedicine 10 (2004) 60-62. 44 Vgl Roger Pedersen, Developments in human embryonic stem cells, in Ethics, Law and Moral Philosophy of Reproductive Biomedicine 10 (2004) 62. 45 Hartmut Kreß, Stammzellforschung: Die Diskussionslage im Bereich der evangelischen Ethik (2008) 2. 46 Vgl Peter Fonk, Ab wann ist der Mensch ein Mensch? Ein kritischer Blick aus der Sicht christlicher Ethik auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen, in Ethica 12 (2004) 227-258, hier 254. Zwar sei eine Therapie ein hohes ethisches Gut, aber es sei niemals erlaubt, moralisch wertvolle Ziele durch verwerfliche Mittel zu realisieren. Der gute Zweck der Therapie könne aber eine in sich schlechte Tat wie die absichtliche Tötung unschuldigen menschlichen Lebens nicht rechtfertigen. Vgl auch Jürgen Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? (2005) 120-121: „Die Bezugnahme auf das kollektive Gut von Heilverfahren, die möglicherweise entwickelt werden können, verdeckt den Umstand
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dass wir bei unserer Forschung über Menschen in frühen Entwicklungsstadien verfügen? Wo hat die Grundlagenforschung bei aller Begeisterung für ihre Möglichkeiten eine Grenze am Leben und der Freiheit anderer, die auch in der Forschung respektiert werden muss? Die Eingewöhnung einer Forschungspraxis, die den Schutz früher Entwicklungsstadien des Menschen nicht beachtet, auf die Desensibilisierung für den Wert individueller Menschen und auf ihre gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen hat Jürgen Habermas deutlich hingewiesen.47 Die SKIP-Argumente oder ihre konzentrierte Fassung in den NIPArgumenten verweisen auf den Zusammenhang des kaum sichtbaren Kleinen, nämlich den ersten Stadien menschlicher Entwicklung, mit dem Großen – dem erwachsenen Menschen und seiner Welt und unmerklich auch auf die Frage nach dem Sinn des Menschen und seines Tuns. Ein Zusammenleben der Menschen steht vor Augen, in dem man Leben nicht auf Kosten anderer ermöglichen will, sondern in gerechter Weise für alle; in dem deutlich ist, dass die von ihr finanzierte Forschung und ihre wirtschaftlichen Anstrengungen den Menschen achten, seinem Wohl dienen und ihn nicht in erster Linie für ihre eigenen Ziele verzwecken; in dem man bereit ist, diese Grundeinstellungen auch politisch umzusetzen und für die Achtung vor und den Schutz des Menschen in allen Stadien seiner Entwicklung einzutreten.48
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einer mit der klinischen Einstellung unvereinbaren Instrumentalisierung. Natürlich lässt sich die verbrauchende Embryonenforschung nicht unter dem klinischen Gesichtspunkt des Heilens rechtfertigen, denn dieser ist auf den therapeutischen Umgang mit zweiten Personen zugeschnitten. Der recht verstandene klinische Gesichtspunkt individualisiert.“ 47 ZB Jürgen Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik (2005) 122. 48 Für Anregungen und Diskussionen danke ich Miriam Rogasch, Elmar Mayer, Cornelia Gottschamel und Kerstin Schlögl-Flierl.
Humane embryonale Stammzellforschung in der Sicht protestantischer Ethik und die Reform des Stammzellgesetzes in Deutschland am 11. April 2008 Hartmut Kreß
I. Einleitung Humane embryonale Stammzellforschung (hES-Forschung) ist nach der Isolierung dieser Zellen, die 1998 erfolgte, in Deutschland sehr kontrovers diskutiert worden. Einen vorläufigen Schlusspunkt setzte das am 1. 7. 2002 in Kraft getretene Stammzellgesetz.1 Das Gesetz verbot in Deutschland hESForschung und stellte sie unter Strafe. Jedoch ließ es zu, dass im Ausnahmefall – nach Zustimmung der Zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung und nach einer Genehmigung durch das Robert Koch-Institut – Forschungen an Zelllinien erfolgen durften, die aus dem Ausland importiert wurden; sie mussten in einem ausländischen Staat vor dem Stichtag des 1. 1. 2002 aus überzähligen Embryonen gewonnen worden sein. Diese Bestimmungen des Gesetzgebers sind von vielen Stimmen von vornherein als zu restriktiv erachtet wurden, so dass die Debatte über die Bedingungen für hES-Forschung in Deutschland nie zur Ruhe kam.2 Sie flammte Ende 2006 erneut auf, als die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Fortentwicklung des Stammzellgesetzes einforderte und vorschlug, den die For_____________ 1 Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG) vom 28. 6. 2002, BGBl I 2002/42, 2277 vom 29. 6. 2002. 2 Vgl Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz, Fortpflanzungsmedizin und Embryonenschutz. Medizinische, ethische und rechtliche Gesichtspunkte zum Revisionsbedarf von Embryonenschutz- und Stammzellgesetz. Bericht der BioethikKommission des Landes Rheinland-Pfalz vom 12. 12. 2005, im Internet: www.justiz. rlp.de → Ministerium → Bioethik (15. 4. 2008; dieses Zugriffsdatum gilt auch für die anderen in diesem Beitrag erwähnten Internet-Belegangaben); Anna M. Wobus ua, Stammzellforschung und Zelltherapie. Stand des Wissens und der Rahmenbedingungen in Deutschland (2006); Hartmut Kreß, Menschenwürde, Embryonenschutz und gesundheitsorientierte Forschungsperspektiven in ethisch-rechtlicher Abwägung, Zeitschrift für Rechtspolitik 39 (2006) H 7, 219-223.
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schung beeinträchtigenden starren Stichtag des 1. 1. 2002 gänzlich abzuschaffen sowie in anderen Punkten gesetzliche Restriktionen aufzuheben.3 Im Folgenden wird zunächst im Abschnitt II die Diskussion beleuchtet, die im Protestantismus zur hES-Forschung geführt wurde. Hiervon ausgehend soll die vom Deutschen Bundestag am 11. 4. 2008 beschlossene Reform des Stammzellgesetzes in den Blick genommen werden (Abschnitt III), die aus Sicht des Verfassers letztlich erneut zu restriktiv bleibt. Danach werden generell ethische Gesichtspunkte zur Bewertung von hES-Forschung dargelegt (Abschnitt IV).
II. Der Zugang des Protestantismus zur hES-Foschung 1. Vorbemerkung: Pluralismus als Merkmal des Protestantismus Innerhalb des Protestantismus ist zur hES-Forschung keine einheitliche Auffassung, sondern ein plurales Spektrum unterschiedlicher Bewertungen anzutreffen. Wichtig ist, zwischen den Stellungnahmen evangelischer Kirchen einerseits und evangelischer Ethiker in Universitäten andererseits zu unterscheiden. Dass die protestantischen Voten plural und heterogen ausfallen, ist zweifellos sachgemäß; denn die Vielfalt von Einschätzungen bietet das Korrelat dazu, dass naturwissenschaftliche Einzelfragen komplex, uneindeutig oder offen sind und dass die Forschungsdynamik sehr hoch ist. Darüber hinaus entspricht die Pluralität der Standpunkte der inneren Struktur des Protestantismus. Anders als das katholische Christentum kennt der Protestantismus kein zentrales Lehramt, das dogmatisch oder ethisch verbindliche Vorgaben formuliert. Im Gegenteil; seit der Reformation war es stets ein Kennzeichen des Protestantismus, sich vom Zentralismus der katholischen Lehrbildung und von einer autoritativen Verbindlichkeit vorgegebener Lehrnormen abzugrenzen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat ein Vordenker des neuzeitlich-modernen Protestantismus, Friedrich Schleiermacher, noch einmal neu als entscheidende Differenz zum katholischen Christentum hervorgehoben, dass auf evangelischer Seite keine kirchlichen Normierungen, sondern die individuelle sittliche Urteilsbildung und Gewissensschärfung maßgebend sind. Ihm zufolge ist es für das evangelische Christentum charakteristisch, „einen jeden auf sein Gewissen zu weisen“.4 Schleiermacher – im Jahr 1810 einer der Mitbegründer der Berliner Universität – setzte sich im übrigen gemeinsam mit Wilhelm von Humboldt frühzeitig für das Ideal der Wissenschaftsfreiheit ein, das später, im Jahr 1849, als Grundrecht in die Paulskirchenverfassung aufgenommen wurde. _____________ 3
Deutsche Forschungsgemeinschaft, Stammzellforschung in Deutschland – Möglichkeiten und Perspektiven. Stellungnahme der DFG Oktober 2006, Weinheim 2007. 4 Friedrich Schleiermacher, Christliche Sittenlehre. Einleitung (Wintersemester 1826/27) (1983) 66.
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2. Die katholische Position – ein Seitenblick Wenn im hier vorliegenden Beitrag die protestantischen Voten zur hESForschung zur Sprache gebracht werden, ist vorab ein Seitenblick auf die katholische Positionierung erforderlich. Dies ist schon deshalb notwendig, weil die römisch-katholische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland den biopolitischen Diskurs sehr geprägt hat. Inhaltlich hat sich das katholische Lehramt zur hES-Forschung auf ein schroffes Nein festgelegt und jeden Kompromiss ausgeschlossen. Außerhalb Deutschlands ist Forschern, die in diesem Forschungszweig tätig sind, oder Politikern, die zB in Australien oder den USA für gesetzliche Liberalisierungen plädierten, von der katholischen Kirche die Exkommunikation angekündigt worden.5 Charakteristisch ist ferner, dass in katholisch getragenen Universitäten in aller Regel keine Reproduktionsmedizin geduldet wird. Seit der Instructio „Über den Beginn des menschlichen Lebens und die Würde der Fortpflanzung“, die die römisch-katholische Kongregation für die Glaubenslehre im Jahr 1987 verfasste, darf die künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation/IVF) von katholischen Paaren, auch von Ehepaaren, nicht in Anspruch genommen werden, weil sie vom „natürlichen“ Prozess der Fortpflanzung in der Ehe abweiche.6 Die katholische Lehre erlaubt es der Medizin bzw Ärzten deswegen auch nicht, IVF anzubieten. So betrachtet dürfen katholischer Theorie gemäß die in der Reproduktionsmedizin entstandenen überzähligen Frühembryonen, aus denen embryonale Stammzellen abgeleitet werden, eigentlich überhaupt nicht existieren. Gegenwärtig ist der Vatikan offenbar bestrebt, in der katholischen Universität Löwen die Klinik und Forschungseinrichtung zur Fortpflanzungsmedizin, die dort zur Zeit noch vorhanden ist, in Frage zu stellen oder gar zu schließen.7 Das Nein der katholischen Kirche zu IVF und hES-Forschung war so massiv, dass in Deutschland seit 2001 immer wieder der Eindruck entstand, zwischen „der“ Kirche oder „dem“ Christentum einerseits und dem säkularen, weltanschaulich neutralen Staat andererseits ereigne sich geradezu eine Renaissance jenes Kulturkampfes zwischen Rom und dem Bismarckreich, _____________ 5
Ned Stafford, Cardinal condemns stem-cell researchers. Excommunication threat may extend to all working with embryonic cells,
[email protected], Published online: 4 July 2006; doi:10.1038/news060703-7; Catholic pols defy stem cell communion threat. catholic news 6 Jun 2007, http://www.cathnews.com/news/706/27.php; Radio Vatican, Vereinigte Staaten: Eingeschränkter Kommunionempfang, 24. 10. 2006, http://www.radiovaticana.org/ted/Articolo.asp?c=100688. 6 Vgl Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 74, Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg) (1987) 26 ff u passim. 7 Vgl Ivo Brosens, Are Catholic Universities giving up reproductive medicine? Reproductive BioMedicine Online 15 (2007) Suppl 2, 43-46.
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den man für eine ferne Erinnerung aus dem 19. Jahrhundert gehalten hatte. 8 Als Repräsentant für „die Kirche“ wurde in Medien und Öffentlichkeit dabei häufig allein die römisch-katholische Kirche in den Vordergrund gerückt. Gegen Ende des Jahres 2007 eskalierten die kirchlich bzw die katholisch forcierten Kontroversen zur hES-Forschung derart, dass vom Kulturkampf geradezu inflationär die Rede war. Der frühere DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker sprach in einem Artikel, der in der Zeitung „Die Zeit“ erschien, gar vom „Weltanschauungskrieg“. Auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan, die katholische Theologin ist, hatte sich in den zurückliegenden Jahren durchgängig gegen hES-Forschung ausgesprochen. Als sie 2007 schließlich doch eine gewisse Lockerung des Stammzellgesetzes, nämlich eine einmalige Verschiebung des Stichtags für den Import von Zellen nach Deutschland auf ein jüngeres Datum, für hinnehmbar erklärte, erläuterte sie dies dahingehend, dies „habe eine gewisse symbolische, aber keine substanzielle Bedeutung“. Embryonale Stammzellforschung bilde in Deutschland ohnehin die Ausnahme. Als Forschungsministerin habe sie zwar 2006 der Brüsseler Regelung zugestimmt, der gemäß europaweit auch mit deutschen Steuergeldern hES-Forschung finanziert wird (und zwar ohne Berücksichtigung eines Stichtags); dabei habe es sich aber um einen Tribut an rechtliche Regulierungen gehandelt, die „im Sinne des Lebensschutzes nicht immer zufriedenstellend seien. Oft gehe es nicht anders, als angesichts viel weit reichender Bestrebungen dem kleineren Übel zuzustimmen“.9 Auch wenn sie nun eine einmalige Verschiebung des Stichtags in Deutschland hinnehme, sei sie – wie sie erklärte – „von ihrer Grundsatzposition, dass nicht ‚dauerhaft‘ Stammzellen importiert werden dürften, … ‚keinen Zentimeter‘ abgerückt“.10 Daher wolle sie die Forschungsförderung und Forschungspolitik zu Ungunsten der hES-Forschung steuern: „Nach dem Willen von Frau Schavan sollen sich deutsche Wissenschaftler bei ihrer Arbeit darauf konzentrieren, embryonale Stammzellen in Wissenschaft und Medizin ‚überflüssig zu machen‘. Bei Bedarf könne auch mehr Geld zur Verfügung gestellt werden“.11 So restriktiv die katholische Ministerin sich also gegenüber der hESForschung äußerte und so sehr sie unterstrich, diese Forschung sei nur „vor-
_____________ 8
Vgl H. Kreß, Ab wann ist der Embryo ein Mensch? Menschenwürde und Lebensschutz des Embryos in theologischer Sicht, in Klaus Diedrich ua (Hrsg), Reproduktionsmedizin in Klinik und Forschung: Der Status des Embryos (2007) (Nova Acta Leopoldina Neue Folge, Bd 96, Nr 354) 49-70, hier 50. 9 aerzteblatt.de, 4. 5. 2007: „Schavan: Adulte Stammzellforschung bleibt Schwerpunkt“. 10 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. 12. 2007, 3. 11 Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Deutscher Weg“ in der Biopolitik. Schavan fördert Alternativen zu embryonalen Stammzellen, 11. 9. 2007, 5.
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läufig“ sowie nur im Sinn eines „schmalen Korridors“ akzeptabel,12 übten katholische Bischöfe an ihrer Bekundung, dass immerhin eine Verschiebung des Stichtags vorstellbar sei, heftige Kritik. Zum Beispiel sprach ihr der Kölner Kardinal Meisner die Berechtigung ab, sich noch auf das katholische Christentum zu beziehen; dies sei „ein Missbrauch des Wortes ‚katholisch‘“.13 Denn anders als auf evangelischer Seite ist nach römisch-katholischer Anschauung „ein Politiker an Positionen des Lehramts gebunden“.14
3. Protestantische Standpunkte Nun haben sich in der Bundesrepublik Deutschland aber nicht nur katholische Bischöfe oder katholische Moraltheologen gegenüber embryonaler Stammzellforschung völlig abweisend geäußert, sondern ebenfalls einzelne Vertreter der evangelischen Ethik15 sowie insbesondere evangelische Kirchenvertreter oder kirchliche Gremien.16 Auf die Öffentlichkeit wirkte dies so, als ob evangelisch und katholisch zum Umgang mit frühembryonalem Leben deckungsgleich gedacht würde. Der frühere Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock, hatte sogar gesagt, zwischen den Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz und ihn passe hinsichtlich des Nein kein Blatt Papier.17 Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass diejenigen evangelischen Stimmen, die an hES-Forschung Kritik übten, zumindest die katholischen Begründungen nicht übernommen haben. Die römisch-katholische Kongregation für die Glaubenslehre hatte 1987 festgelegt, Gott stifte dem Embryo schon am Tag 1 eine unsterbliche Geistseele ein, durch die er „absolut“ unantastbar werde. _____________ 12
Annette Schavan, Nicht jedes Mittel heiligt den Zweck, Interview in Die Welt, 7. 4. 2008; Rede von Ministerin Schavan im Deutschen Bundestag am 11. 4. 2008, zit nach Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 4. 2008, 1. 13 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Bischöfe kritisieren Schavan in der Stammzell-Debatte, 10. 12. 2007, 3. 14 So Karl Jüsten, Leiter des katholischen Büros in Berlin. Er hielt ferner fest: „Katholische Politiker sollen sich an den Positionen des Lehramts und der Bibel orientieren und ihr Gewissen daran bilden“ („Konflikt ist sicher eine Belastung“, in Kölnische Rundschau, 4. 1. 2008). Belege für die Verpflichtung katholischer Laien und Theologen auf die Vorgaben des Lehramts, die dem katholischen Kirchenrecht oder Dokumenten des Vatikans zu entnehmen sind, werden im hier vorliegenden Beitrag nicht im einzelnen aufgelistet. Vgl Ilona Riedel-Spangenberger/Norbert Witsch, Lehramt, katholisch, in Axel Frhr v Campenhausen ua (Hrsg) Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Band 2 (2002) 713-718. 15 Vgl Hans G. Ulrich, Embryonenforschung und Stammzellentherapie, epdDokumentation Nr 26/01, 18. 6. 2001, 31 ff; Wilfried Härle, Christlicher Glaube in unserer Lebenswelt (2007) 294-302. 16 Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Der Schutz menschlicher Embryonen darf nicht eingeschränkt werden, 22. 5. 2001, epd-Dokumentation Nr 26/01, 18. 6. 2001, 1 f. 17 Zit bei Johannes Reiter: Schwierige Verständigung. Weichenstellung in der deutschen Biopolitik, Herder Korrespondenz 55 (2001) 284-289, hier 285.
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Daher dürfen aus der Blastozyste dann auch keine Stammzellen entnommen werden, und zwar auch nicht, sofern der betroffene frühe Embryo in der Reproduktionsmedizin „überzählig“ ist und ohnehin in keiner Schwangerschaft mehr ausgetragen wird. Diese spekulative Seelenlehre der katholischen Kirche hat bei evangelischen Autoren oder Gremien kein Echo gefunden. Auch katholische naturrechtliche Vorstellungen, der Frühembryo besitze eine aktive Potentialität zur vollen Menschwerdung, oder das katholische Argument der „Heiligkeit“ des embryonalen Lebens18 spielen auf evangelischer Seite durchweg keine Rolle. „Heiligkeit“ ist ein kultisch-sakraler Begriff, der auf ein religiöses und kultisches Tabu hindeutet. In evangelischer Perspektive wird menschliches Leben aber durchweg als geschöpflich, weltlich und endlich gedeutet, so dass es unter Umständen in Abwägungen eingestellt werden darf.19 Dies zeigt sich angesichts von Notwehr oder Nothilfe oder bei der Problematik des finalen Rettungsschusses eines Polizisten oder beim Thema des Schwangerschaftsabbruchs.20 Die evangelischen Kritiker der hES-Forschung beriefen sich daher in der Regel nicht darauf, dass das frühembryonale Leben sakrosankt oder „heilig“ sei. Diese Argumentation findet sich auch nicht beim jetzigen Ratsvorsitzenden der EKD Wolfgang Huber, der der Duldung von hES-Forschung über Jahre hinweg widersprochen hat. In evangelischen Stellungnahmen wurde oder wird meist der Einwand erhoben, hES-Foschung impliziere einen Dammbruch zu Lasten von Lebensschutz oder Menschenwürde; die Forschung müsse Grenzen beachten, weil Wissenschaft und Forschung in Machbarkeits- oder Allmachtsphantasien umzuschlagen drohten.21 Gegen solche Vorbehalte ist einzuwenden, dass sie nicht treffgenau genug sind. Einzelaspekte der Forschung werden nicht hinreichend präzis in den Blick genommen. Möglicherweise bringen die Einwände einen generellen Kulturpessimismus oder Wissenschaftsskeptizismus zum Ausdruck, der ausführlicher zu diskutieren und auch zu kritisieren wäre, als es hier erfolgen kann. Statt dessen ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass in der evangelischen akademischen Ethik seit mehreren Jahren ebenfalls Positionen vertreten werden, die hES-Forschung für ethisch zulässig, bei Beachtung eingrenzender Kriterien sogar für ethisch geboten halten. Recht große Aufmerksamkeit fand ein Artikel, den neun Fachvertreter der evangelischen Ethik (auch der Verfasser des hier vorliegenden Beitrags) kurz vor der Debatte des _____________ 18 Vgl Wort der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen von Gentechnik und Biomedizin, Der Mensch: sein eigener Schöpfer? 7. Mai 2001, Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg), Die deutschen Bischöfe 69, 5 u passim. 19 Ausführlicher hierzu: H. Kreß, Ab wann ist der Embryo ein Mensch? aaO 52 f. 20 Vgl hierzu auch den Gesetzesvorbehalt zum Lebensschutz im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Art 2 Abs 2. 21 Vgl Wolfgang Huber, Was ist heute noch heilig? Grenzen der Forschungsfreiheit in einer säkularen Gesellschaft, epd-Dokumentation 9 (2002) 25. 2. 2002, 55 ff; ders, Wissenschaft verantworten. Überlegungen zur Ethik der Forschung, Zeitschrift für Evangelische Ethik 50 (2006) 170-181.
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Deutschen Bundestages zur embryonalen Stammzellforschung, die am 30. 1. 2002 stattfand, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung publizierten. 22 Der Artikel grenzte sich vom damaligen schroffen Nein evangelischer Kirchenvertreter oder von dem abweisenden Votum des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus dem Jahr 2001 ab. Er wollte gegenüber der Öffentlichkeit und der Rechtspolitik aufzeigen, dass im Protestantismus zu diesem Thema nicht nur das „Nein“, sondern ebenfalls befürwortende Sichtweisen anzutreffen sind. In diesem Zusammenhang ist im übrigen auch die Befürwortung von hES-Forschung in den Bundestagsdebatten vom 30. 1. 2002 und 11. 4. 2008 durch den evangelischen Theologen Peter Hintze zu nennen, der Abgeordneter und seit 2005 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium ist. Katholische Kritiker erheben immer wieder den Vorwurf, die Äußerung der evangelischen Universitätsethiker vom 23. 1. 2002 habe die Einigkeit, die zwischen beiden großen Kirchen im Nein zur hES-Forschung bestanden habe, an ihr Ende gebracht.23 Auf die Argumente, die für die evangelische akademische Ethik leitend sind, komme ich aus meiner Sicht noch zurück. Zunächst habe ich jetzt nur – auch in der Abgrenzung von der katholischen Kirche – auf den innerprotestantischen Pluralismus als solchen hingewiesen. Die Meinungsdifferenzen, die innerhalb des Protestantismus zur hESForschung deutlich wurden, und die Akzeptanz dieser Forschung durch Vertreter der protestantischen akademischen Ethik haben dazu beigetragen, die gesamtgesellschaftliche Debatte zu beleben. Davon ganz abgesehen hatte die Kontroverse auch innerprotestantisch einen bereinigenden, klärenden Effekt. Denn sie rückte ins Bewusstsein, dass die Auffassung mancher evangelischer Kirchenvertreter, zu ethischen Fragen solle gegenüber der Öffentlichkeit „die“ protestantische Sicht oder „die evangelische Stimme“24 (im Singular) geltend gemacht werden, nicht überzeugt. Mit dem Selbstverständnis des Protestantismus steht eine derartige Uniformität und ScheinEindeutigkeit nicht in Einklang. Nachfolgend geht es nun darum, die Prozesse der Meinungsbildung zur hES-Forschung im Protestantismus noch etwas genauer zu charakterisieren, _____________ 22
„Starre Fronten überwinden. Eine Stellungnahme evangelischer Ethiker zur Debatte um die Embryonenforschung“, abgedruckt in der FAZ vom 23. 1. 2002 unter dem Titel „Pluralismus als Markenzeichen“; wieder abgedruckt in Reiner Anselm/ Ulrich H. J. Körtner (Hrsg), Streitfall Biomedizin (2003) 197-208; dort auch Aufsätze der neun Verfasser Reiner Anselm, Johannes Fischer, Christofer Frey, Ulrich Körtner, Hartmut Kreß, Trutz Rendtorff, Dietrich Rössler, Christian Schwarke, Klaus Tanner. 23 Vgl zB Franz-Josef Bormann, Embryonen, Menschen und die Stammzellforschung, in Giovanni Maio (Hrsg), Der Status des extrakorporalen Embryos (2007) 673-701, hier 683 FN 42. 24 Vgl Hermann Barth, Die evangelische Stimme in der biomedizinischen Debatte stärker zur Geltung bringen, epd-Dokumentation 26 (2001) 5 ff.
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wobei freilich manche Unschärfen aktueller evangelischer kirchlicher Stellungnahmen zu erwähnen sein werden.
4. Neuere Trends der Meinungsbildung zur hES-Foschung im Protestantismus Wie gesagt, die Äußerungen aus der protestantischen Universitätsethik, die die hES-Forschung grundsätzlich befürworten – darunter der „gezielte Zwischenruf“25 der neun Ethiker am 23. 1. 2002 –, hatten daran Anteil, dass manche Erstarrungen aufbrachen. Hierzu gehörte, dass der kirchliche Protestantismus, dh einzelne evangelische Landeskirchen26 und ihre Dachorganisation, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), den Standpunkt völliger Ablehnung überwunden haben. Der Rat der EKD vollzog im November 2006 abrupt einen Kurswechsel und machte mit dem in Deutschland geltenden, von ihm vorher vehement abgelehnten Stammzellgesetz seinen Frieden. Im Gegensatz zur katholischen Kirche sprach die EKD sich im November 2006 sogar für eine ganz behutsame Lockerung des Gesetzes aus, nämlich für eine einmalige Verschiebung des Stichtags, sofern „Geist und Logik“ des Bundestagsbeschlusses von 2002 gewahrt blieben.27 Nun war diese Meinungsänderung der EKD weitgehend vordergründig pragmatisch motiviert. Sie erfolgte im Anschluss daran, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine substantielle Revision des Stammzellgesetzes einforderte. Die viel umfassendere Gesetzesreform, die die DFG für richtig hielt, wurde und wird von der EKD scharf abgelehnt. Um eine liberalere, weitgehendere Reform zu verhindern, konzedierte sie, wenigstens den „Stichtag“ einmalig zu verschieben, so dass sich auch neuere, qualitativ geeignetere hES-Linien nach Deutschland einführen lassen. Als Datum für einen neuen Stichtag schlug die EKD den 31. 12. 2005 vor. Später, nämlich Ende des Jahres 2007, begründete der Vorsitzende des Rates der EKD, Wolfgang Huber, den EKD-Vorschlag zur einmaligen Verschiebung des Stichtags noch mit einer gänzlich anderen Argumentation: Der Kurswechsel der EKD bringe das Profil des ethisch verantwortungsbewussten Protestantismus im Unterschied zum unbeweglichen und autoritativen katholischen Lehramt zum Ausdruck. Anders als es katholisch der Fall sei, respektiere der Protestantismus unterschiedliche Meinungen, so dass sich _____________ 25 So F.-J. Bormann, aaO, der diesen „gezielten Zwischenruf“ aus katholischer Sicht heraus dann aber „ökumenisch schädlich“ nannte und den Autoren „vorauseilenden Staatsgehorsam“ sowie eine „Rolle als Steigbügelhalter einer ‚liberalen Eugenik‘“ vorwarf. 26 Vgl Evangelische Kirche von Westfalen, Ethische Überlegungen zur Forschung mit menschlichen Embryonalen Stammzellen (2007). 27 „EKD warnt vor Aufweichung des Embryonenschutzes“, 10. 11. 2006, im Internet: http://www.ekd.de/bioethik/pm232_2006_rv_dfg_stammzellforschung.html. Ähnlich votierte im November 2007 die EKD-Synode; http://www.ekd.de/synode 2007/beschluesse/beschluss_stammzellenforschung.html.
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die EKD sogar der Idee eines anderen Stichtags habe öffnen können. Der Stichtag sei eine Frage, die „im Für und Wider respektvoll abzuwägen“ sei.28 Ob es sinnvoll war, dass der EKD-Ratsvorsitzende dem Plädoyer für eine Stichtagsverschiebung zu diesem Zeitpunkt und in dieser Form eine kontroverstheologische Note verliehen hat, ist meines Erachtens zu bezweifeln. Der Sache nach ist seiner Kritik am Normativismus der katholischen Morallehre und an mangelnder Toleranz auf Seiten der römisch-katholischen Kirche zwar zuzustimmen. In der Debattensituation von 2007/2008 hatte seine Intervention, die die tagespolitische Frage der Stichtagsverschiebung mit einer Grundsatzkritik am katholischen Lehramt verwob, jedoch dazu beigetragen, dass die konkrete rechtspolitische Problematik – In welcher Hinsicht soll das Stammzellgesetz revidiert und fortentwickelt werden? – in der öffentlichen Wahrnehmung geradezu von einem Kirchen- oder Konfessionsstreit überlagert wurde. Von den Medien ist das Thema der hES-Forschung ausführlich als zwischenkirchliche Kontroverse dargestellt worden. Dies hat möglicherweise mit dazu beigetragen, dass verschiedene Sachgesichtspunkte, die bei der Änderung des Stammzellgesetzes neben der Stichtagsverschiebung hätten beachtet werden sollen, kaum Aufmerksamkeit fanden. Auf Desiderate des Bundestagsbeschlusses vom 11. 4. 2008 wird an späterer Stelle noch einzugehen sein. Darüber hinaus war es der Sache nach kurzschlüssig, dass die EKD und der EKD-Ratsvorsitzende allein die virale Kontaminierung der alten, vor dem Stichtag des 1. 1. 2002 erzeugten Zelllinien als Grund dafür nannten, dass der Stichtag verschoben werden solle. Andere Punkte, zB die Kooperationsfähigkeit deutscher Wissenschaftler mit ausländischen Gruppen, ließen sie unerwähnt. Das Stammzellgesetz, das am 1. 7. 2002 in Kraft getreten war, enthielt eine Strafandrohung, der zufolge die Beteiligung deutscher Forscher an europäischen oder internationalen Projekten, bei denen im Ausland neuere Stammzelllinien verwendet wurden, oder eigene Forschungen deutscher Naturwissenschaftler im Ausland, vor allem von in Universitäten tätigen Beamten, strafbar seien.29 Nachdem sich die EKD Anfang 2002 mit ihrem Nein zur hES-Forschung in der Politik nicht hatte durchsetzen können, hatte sie im späteren Verlauf des Jahres 2002 nochmals interveniert und verlangt, wenigstens die Strafandrohungen, die das Gesetz enthielt, zu verschärfen.30 Hiervon hat sich die EKD in den Jahren 2006 bis 2008 nicht explizit distanziert. Weitere Einzelthemen wie das therapeutische Klonen (Forschungsklo_____________ 28 W. Huber, Auch der katholische Mensch kann irren. Die evangelische Kirche ist bereit, den Stichtag für Stammzelllinien zurückzuverlegen – allerdings für einen begrenzten Zeitraum, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 12. 2007, 29. 29 Aus der Fülle der Literatur: Eric Hilgendorf, Strafbarkeitsrisiken bei der Stammzellforschung mit Auslandskontakten, Zeitschrift für Rechtspolitik 39 (2006) H 1, 22 ff. 30 Einige Einzelheiten zu den früheren Voten der EKD: Klaus Tanner, Fünf Jahre Stammzellengesetz, ZEE 51 (2007) 83-87.
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nen), das einer gründlichen ethischen Reflexion bedarf31 und in manchen Staaten rechtlich zulässig ist, wurde vom EKD-Ratsvorsitzenden ganz apodiktisch, pauschal und ohne Begründung abgewiesen; dies müsse „schlechterdings ausscheiden“.32 Kurz vor der Bundestagsentscheidung des 11. 4. 2008 hat der EKDRatsvorsitzende seine frühere grundsätzliche Kritik am medizinisch-naturwissenschaftlichen Fortschritt, insbesondere an der Fortpflanzungsmedizin und der stammzellbasierten regenerativen Medizin dann sogar nochmals verschärft, indem er den Vorwurf einer naturwissenschaftlich geförderten Gesundheits- und Unsterblichkeitsideologie erhob: „Die Reproduktionsmedizin soll menschliches Leben künstlich zu Stande bringen. Und die regenerative Medizin soll den Tod hinausschieben und eines Tages ganz überwinden“. Hierdurch mache der medizinische Fortschritt Unsterblichkeit käuflich, nämlich als „von Menschen hergestellt, einstweilen allerdings noch nicht ganz fertig und vermutlich für die meisten unerschwinglich“.33 Es liegt auf der Hand, dass solche Vorwürfe über das Ziel hinausschießen. Jedenfalls fielen die Voten deutscher evangelischer Kirchen oder evangelischer Kirchenvertreter auch im Jahr 2007 oder Anfang 2008 keineswegs durchgängig forschungsfreundlich oder gesundheits- und medizinorientiert aus. Dennoch: Es bleibt bemerkenswert, dass die EKD und dass einzelne evangelische Landeskirchen sich einem Lernprozess gestellt haben. Nachdem evangelische Universitätsethiker schon früh zugunsten der hES-Forschung plädiert hatten, war zwischen 2006 und 2008 ein Trend zu beobachten, dass auch evangelische Kirchen statt des früheren starren Nein zu einer etwas aufgeschlosseneren Einschätzung gelangten. Dies ist insofern von Bedeutung, als die Entscheidung des Gesetzgebers vom 11. 4. 2008, das Stammzellgesetz ein Stück weit zu lockern, hierdurch erleichtert worden sein dürfte.
III. Offene Fragen angesichts der Reform des Stammzellgesetzes 2008 Nachdem der Schwenk der EKD und anderer evangelischer kirchlichen Stimmen zugunsten eines etwas liberaleren Standpunkts zur hES-Forschung hiermit zur Sprache gebracht worden ist, ist nun zu ergänzen: Es steht auf _____________ 31
Vgl Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei der Bundesärztekammer, Forschungsklonen mit dem Ziel therapeutischer Anwendungen (2006), http://www. zentrale-ethikkommission.de/page.asp?his=0.1.19. 32 W. Huber, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 12. 2007, 29. Kritisch zum Argumentationsstil und zu den Begründungsdefiziten bei W. Huber auch U. H. J. Körtner, in Stammzellforschung, epd-Dokumentation 7/2008, 12. 2. 2008, 5 ff. 33 W. Huber, zit nach aerzteblatt.de, 25. 3. 2008: „Huber kritisiert Unsterblichkeits-Streben in der Medizin“.
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einem anderen Blatt, ob es den Sachfragen gerecht wurde, die Reformdiskussion über das deutsche Stammzellgesetz so zu führen, als ob fast nur das pro und contra einer Verschiebung des Stichtags relevant sei. Es wird wohl auch auf die evangelischen kirchlichen Voten zurückzuführen sein, dass sich die öffentliche sowie rechtspolitische Meinungsbildung in Deutschland auf diesen einen isolierten Punkt konzentriert hat. Andere Themen wurden durchgängig ausgeblendet und spielen auch im Reformbeschluss des Deutschen Bundestags vom 11. 4. 2008 keine Rolle34 – bis auf den einen, überaus wichtigen Aspekt, dass deutsche Forscher sich künftig an Forschungsprojekten im Ausland beteiligen und mit ausländischen Partnern kooperieren dürfen, ohne von Strafe bedroht zu sein, selbst wenn im Ausland Stammzelllinien benutzt werden, welche im Inland nicht verwendet werden dürfen. Denn im Inland lassen sich nach wie vor nur solche hES-Linien benutzen, die aus dem Ausland importiert wurden und dort vor einem Stichtag – jetzt: dem 1. 5. 2007 – erzeugt worden sind. Zunächst beleuchte ich nochmals knapp das Thema des Stichtags, um danach exemplarisch zwei weitere Punkte zu nennen, die bei den Debatten zur Reform des Stammzellgesetzes mehr oder weniger in Vergessenheit geraten sind.
1. Das Stichtagsproblem Der Bundestagsbeschluss vom 11. 4. 2008 hat der Forschung in Deutschland zweifellos viel größere Bewegungsfreiheit verschafft. Dennoch bleibt die Verschiebung des Stichtags auf ein neues fixes Datum, den 1. 5. 2007, unbefriedigend, weil es absehbar ist, dass Forscher oder Forschergruppen im Ausland bald nochmals jüngere Zelllinien verwenden werden, von denen die inländisch stattfindende Forschung erneut ausgegrenzt sein wird. Einen Stichtag statisch oder starr zu fixieren – sei es ehemals der 1. 1. 2002 oder jetzt der 1. 5. 2007 – steht sachlogisch in Widerspruch zur Dynamik der Forschung und Entwicklung. Überdies erfolgt jede Festlegung eines bestimmten Datums willkürlich und unter Verzicht auf naturwissenschaftliche Plausibilität. Monatelang hatte die Idee im Raum gestanden, den 31.12. 2005 als neuen starren Stichtag zu nehmen. Dieses Datum war, wie erwähnt, von der EKD ins Spiel gebracht worden – freilich ohne Sachbegründung. Das nun fixierte Datum des 1. 5. 2007 ist der Monatserste vor der vorletzten Anhörung, die der Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages zum Stammzellgesetz durchgeführt hatte (am 9. 5. 2007).35 Der neue Stichtag wird die Forschung in der Bundesrepublik Deutschland zunächst kaum oder gar nicht beengen, sondern öffnet ihr neue Perspektiven. Mittel- oder langfristig droht die Behinderung der Forschung jedoch sukzes_____________ 34
Mehrheitlich beschlossen wurde Bundestags-Drucksache 16/7981 (Gesetzentwurf des Abgeordneten R. Röspel ua). Der Bundestagsbeschluss wird noch im Deutschen Bundesrat beraten werden, ist dort aber nicht zustimmungspflichtig. 35 Das Datum der bislang letzten Anhörung: 3. 3. 2008.
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siv wieder zuzunehmen. Nachdem im Jahr 2002 ein starrer Stichtag festgeschrieben worden war, hatte sich die Forschungsbehinderung in den nachfolgenden Jahren sogar exponentiell vergrößert.36 Wenn man einen Stichtag unverrückbar („starr“) festlegt, ist vorprogrammiert, dass das Spannungsverhältnis zur Forschungsfreiheit, die das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Art 5 Abs 3 vorbehaltlos gewährt, permanent ansteigt. Dieses verfassungsrechtliche Dilemma hätte der Gesetzgeber eigentlich nicht in Kauf zu nehmen brauchen. Denn es lagen Alternativen auf der Hand, nämlich ein nachlaufender oder flexibler Stichtag (so dass es gestattet worden wäre, humane embryonale Stammzelllinien zu importieren, die jeweils vor sechs oder zwölf Monaten hergestellt worden sind),37 oder auch – etwas weitergehend und die Regelungen des Gesetzes von 2002 deutlicher überschreitend – der Verzicht auf einen Stichtag bei gleichzeitiger Einzelfallprüfung.38 Zumindest wäre eine Absichtserklärung und Selbstfestlegung des Gesetzgebers wünschenswert gewesen, die Tragkraft des starren Stichtags regelmäßig zu überprüfen, damit zur Wahrung der Forschungsfreiheit ein aktualisierter Stichtag gegebenenfalls zügig beschlossen werden kann. Es waren auch die Voten der EKD, die der Engführung Vorschub leisteten, dass öffentlich sowie rechtspolitisch wesentlich nur das Für und Wider eines verschobenen starren Stichtags erörtert wurde. Hinzu kommt, dass sonstige Aspekte bei den Debatten zur Novellierung des Stammzellgesetzes überhaupt nicht genauer in den Blick genommen wurden. Dies sei an zwei Beispielen aufgezeigt.
2. Forschung an Krankheitszelllinien Auch nach dem Beschluss des Bundestags vom 11. 4. 2008 darf in Deutschland keine Forschung an bestimmten embryonalen Krankheitszelllinien durchgeführt werden. Solche Forschungen finden in anderen europäischen Staaten seit längerem statt; Naturwissenschaftler bezeichneten sie als wegweisend.39 Die Zelllinien stammen aus kranken, erblich belasteten Frühembryonen, die nach Präimplantationsdiagnostik (PID) aufgrund ihres genetischen Defekts beiseite gelegt worden sind. Nun ist die PID in der Bundesre_____________ 36 Vgl H. Kreß, Ein neuer starrer Stichtag? Offene Fragen bei der Reform des Stammzellgesetzes, Zeitschrift für Rechtspolitik 41 (2008) H 2, 29. 2. 2008, 53 f; Tade M. Spranger, Novellierungsbestrebungen zum Stammzellgesetz. Stichtagsregelung und alternative Modelle in der Perspektive von nationalem und übernationalem Recht, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd 12 (2007) 319-349. 37 Dies hatte zB die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz schon am 12. 12. 2005 vorgeschlagen. 38 Vgl hierzu den Vorschlag der DFG vom Oktober 2006 oder der Ethikkommission der Bayerischen Staatsregierung Ende 2007 sowie Bundestags-Drucksache 16/7982 vom 5. 2. 2008. 39 Vgl Peter Löser/Anna M. Wobus, Aktuelle Entwicklungen in der Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, Naturwissenschaftliche Rundschau 60 (2007) 229 ff, hier 232.
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publik Deutschland nicht statthaft – ein Verbot, das meines Erachtens auf Dauer nicht überzeugen kann.40 In unserem Zusammenhang ist von Interesse, dass es ebenfalls nicht statthaft ist, aus dem Ausland Zelllinien einzuführen, die dort im Zusammenhang von PID legal entstanden sind.41 Naturwissenschaftlich und ethisch ist es unplausibel, dass das deutsche Stammzellgesetz auch nach dem 11. 4. 2008 die Forschung an Krankheitszelllinien aus PIDEmbryonen, zumindest an importierten Krankheitszelllinien, nach wie vor verhindert.
3. Nutzung von Forschungsergebnissen Ein anderer Problempunkt besteht darin, dass sich inzwischen Perspektiven abzeichnen, hES-Linien medizinisch sinnvoll zu verwenden. Dabei ist weniger an Erprobungen am Menschen und an klinische Therapien zu denken, die noch hypothetisch sind und – falls sie einmal realisierbar würden – in der Ferne liegen. Gegenwärtig ist aber vorstellbar, hES-Linien für die raschere und präzisere Entwicklung oder Prüfung von Medikamenten zu benutzen oder sie in der Toxikologie, etwa der Neurotoxikologie oder der Entwicklungs- oder der Reproduktionstoxikologie einzusetzen. Hierdurch könnten Tierversuche reduziert, die Medikamentenentwicklung beschleunigt und die Medikamentensicherheit erhöht werden, da sich auf dieser Basis präzisere Testergebnisse als durch Tierversuche erzielen lassen. Das deutsche Stammzellgesetz lässt es allerdings nicht zu, dass eventuelle Ergebnisse der hESForschung in Deutschland selbst genutzt werden. Das Gesetz ist ein reines Forschungsgesetz. Die Nutzung von Forschungsergebnissen, konkret eine pharmakologische oder toxikologische Nutzung, ist im Stammzellgesetz nicht geregelt und daher gegebenenfalls nicht statthaft. Von der Sache her wäre eine Klarstellung geboten gewesen, dass die Nutzung möglicher Forschungsergebnisse etwa in der Pharmakologie und Toxikologie mit Hilfe embryonaler Stammzelllinien auch inländisch zulässig ist, damit die in Deutschland durchgeführte hES-Forschung inländisch nicht ins Leere läuft.42 _____________ 40 Vgl Irmgard Nippert, Präimplantationsdiagnostik – ein Ländervergleich. Gutachten im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (2006); H. Kreß, Präimplantationsdiagnostik, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 50 (2007) 157-167. 41 Vgl Jochen Taupitz, Erfahrungen mit dem Stammzellgesetz, in Juristenzeitung (2007) H 3, 113 ff, hier 120 f. 42 Vgl den Vierten und bereits den Dritten Tätigkeitsbericht der Zentralen Ethikkommission für Stammzellenforschung (Verabschiedung des Dritten Tätigkeitsberichts am 14. 12. 2005; Veröffentlichung des Vierten Berichts am 25. 1. 2007), dort vor allem die Schlussabschnitte (im Internet einsehbar über die homepages des Bundesgesundheitsministeriums oder des Robert Koch-Instituts); Peter Löser/Bettina Hanke/Claudia Lerch, Forschung an humanen embryonalen Stammzellen in Deutschland, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd 12 (2007) 285-317, hier 305 f; H. Kreß, Ein neuer starrer Stichtag? aaO 54; ders, Forschung ja – Anwendung nein? Die medizinische und pharmakologische Nutzung humaner embryonaler Stammzelllinien
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Weil manche Optionen der Beforschung oder der Nutzung von hESLinien, die ich hiermit exemplarisch hervorgehoben habe, ethisch große Aufmerksamkeit verdienen, ist es zu bedauern, dass die Rechtspolitik diese Aspekte beiseite geschoben hat. Wie gesagt: Diesbezüglich griffen auch die neueren evangelischen kirchlichen Äußerungen zu kurz, selbst wenn es zu würdigen bleibt, dass bei evangelischen Kirchen eine gewisse Bewegung entstanden ist und anders als auf katholischer Seite das bloße Nein revidiert wurde.
4. Induzierte pluripotente Stammzellen als ethisch einlinig unproblematische Alternative? Abgesehen von diesen Einzelheiten der Stammzellgesetzgebung wird im nachfolgenden Abschnitt IV anzusprechen sein, aus welchen Gründen die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen und ihre Nutzung ethisch prinzipiell als statthaft angesehen werden kann. Zuvor ist zu erwähnen, dass die 2007 geschaffenen induzierten pluripotenten Zellen (iPS-Zellen) für die Verwendung „herkömmlicher“ humaner embryonaler Stammzelllinien absehbar noch keine tragfähige Alternative bieten.43 Nun haben katholische und evangelische Kirchenvertreter oder Politiker, unter ihnen Forschungsministerin Annette Schavan, die iPS-Zellen als künftigen Ersatz für hES-Zellen bezeichnet, der „ethisch unproblematisch“ sei, so dass die hES-Zellen möglichst nur noch eine begrenzte Zeit in Anspruch genommen werden dürften. Hierzu ist aber eine differenziertere Betrachtung erforderlich. Falls iPS-Zellen medizinisch einmal verwendbar werden sollten – was zur Zeit im einzelnen noch unsicher ist –, würden sie zweifellos große Vorzüge besitzen. Gegebenenfalls würde bei einer Therapie mit patienteneigenen iPSZellen wohl kein Immunabwehrproblem entstehen, wie es auf der Basis von hES-Zellen anzunehmen ist. Auf der anderen Seite sind freilich bestimmte Probleme zu bedenken. Kritiker der hES-Forschung weisen darauf hin, dass die Einwände, die sie gegen die hES-Forschung erhoben, genauso gegen die iPS-Zellen geltend zu machen seien, da diese omnipotent seien und aus ihnen
_____________
in ethischer Sicht, in Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 51 (2008) 9. 43 Vgl hierzu zB die abschließenden Bemerkungen in der 24. Genehmigung des Robert Koch-Instituts vom 16. 1. 2008 zum Import humaner embryonaler Stammzellen nach dem Stammzellgesetz für das Forschungsvorhaben „Entwicklung und Charakterisierung von Modellsystemen für die neurotoxikologische Sicherheitsprüfung von Arzneimitteln und Chemikalien mit In-vitro-Methoden“, im Internet einsehbar über www.rki.de; die Pressemitteilung der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina vom 22. 1. 2008, im Internet: http://www.idw-online.de/pages/de/news24 3730; Martin F. Pera, A new year and a new era, Nature Vol 451, 10 January 2008, 135-136.
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theoretisch ein Individuum entstehen könnte.44 So betrachtet würde die Verwendung von iPS-Zellen eventuell sogar im Widerspruch zum Embryonenschutzgesetz vom 1. 1. 1991 stehen, das jede totipotente Zelle bzw jede Zelle, aus der ein Individuum werden kann, wie einen vollständigen Embryo schützt. Legt man – wie es in den Debatten von 2007/2008 immer gefordert wurde – „Geist und Logik“ des in Deutschland geltenden Embryonenschutzgesetzes zugrunde, sind die iPS-Zellen also nicht über jeden Zweifel erhaben. Vor allem ist noch ein anderer Punkt zu unterstreichen. Theoretisch kann aus iPS-Zellen jeder Zelltyp gewonnen werden, darunter Gameten, männliche und weibliche Keimzellen, Spermien und Eizellen, so dass sogar Klonierungen der eigenen Person möglich würden. Vor dem Hintergrund, dass prominente Forscher wie Rudolf Jaenisch oder der japanische iPS-Pionier Shinya Yamanaka selbst in dieser Hinsicht ethische Bedenken vorgetragen haben, hat das japanische Wissenschaftsministerium jetzt einen Erlass an die einschlägigen Forscher geschickt. Diesem zufolge sind in Japan verboten: „die Implantation von Embryonen, die mit iPS-Zellen hergestellt wurden, in eine menschliche oder tierische Gebärmutter, die Erzeugung eines Individuums in irgendeiner anderen Weise aus iPS-Zellen, die Einfügung von iPS-Zellen in einen Embryo oder Fetus und die Herstellung von Keimzellen aus iPSZellen“.45 Weil in der deutschen Debatte politisch vor allem Wert darauf gelegt wurde, dass die iPS-Zellen im Vergleich zu hES-Zellen „ethisch unbedenklich“ seien, sind diese Aspekte, die die ethische Ambivalenz von iPS-Zellen betreffen, hierzulande bislang nicht beachtet worden.
IV. Ethische Gesichtspunkte zur Legitimität humaner embryonaler Stammzellforschung Abschließend ist zu erläutern, warum aus ethischer Sicht die Forschung an hES-Zellen und die Nutzung dieser Zellen legitimierbar sind. Auf diese Weise wird kurz eine Begründung dafür gegeben, dass evangelische Ethiker sich schon vor mehreren Jahren zugunsten der hES-Forschung äußerten. Im Kern geht es darum, unterschiedliche Güter und Werte in einen Ausgleich zu bringen, und zwar den Lebensschutz früher Embryonen, die Forschungsfreiheit und den Gesundheitsschutz bzw das Recht von Patienten – auch von _____________ 44 Vgl Hans-Werner Denker, Ein anderes ethisches Problem, Deutsches Ärzteblatt 105 (2008) A 577 f. 45 David Cyranoski, 5 things to know before jumping on the iPS bandwagon, in nature Vol 452, 27 March 2008, 406-408. Das Zitat aus dem japanischen Wissenschaftsministerium findet sich ebd 408. Vgl auch Die Presse, 31. 3. 2008: „Kinder aus Stammzellen? Die ethisch scheinbar unbedenklichen Wunderzellen stellen ganz neue Probleme“, http://diepresse.com/home/techscience/wissenschaft/373584/index.do.
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Patienten in künftigen Generationen – auf angemessene, dem medizinischen Kenntnisstand gemäße gesundheitliche Versorgung. Was den Status und das Schutzrecht der Frühembryonen anbelangt, aus denen sich pluripotente embryonale Stammzellen gewinnen lassen, so ist zu betonen, dass schon der frühe Embryo als menschliches Leben zu achten ist; und es ist zu berücksichtigen, dass er sich im günstigen Fall zum vollen Menschsein fortentwickeln kann. Andererseits ist aber zu bedenken, dass er noch ganz unentwickelt ist. Seine Fähigkeit, sich zum Menschen auszubilden, hängt von den äußeren Umständen und von Rahmenbedingungen ab, vor allem vom Ausgetragenwerden in einer Schwangerschaft nach Einnistung in die Gebärmutter.46 Darüber hinaus heben Philosophen sowie insbesondere jüdische Autoren hervor, dass ein „potentieller“ noch kein „wirklicher“ Mensch ist. Daher legt es sich nahe, dem frühen Embryo einen „special status“, einen Sonderstatus zuzusprechen, dem zufolge er im Vergleich mit dem weiter entwickelten Embryo oder dem Fetus einen abgeschwächten Schutzanspruch besitzt. Dies gilt umso mehr, als naturwissenschaftlich neue Einsichten über das frühembryonale Werden vorliegen, die auch für die ethische Urteilsfindung relevant sind. Noch vor wenigen Jahren war man davon ausgegangen, mit der Auflösung der Samen- und Eizelle stehe die genetische Individualität und Identität eines menschlichen Lebewesens endgültig fest. Diese Einschätzung muss heute relativiert werden. Denn in den ersten frühembryonalen Entwicklungstagen finden epigenetische Reprogrammierungen statt, die darüber entscheiden, welche Gene des frühen Embryos überhaupt aktiviert werden. Man kann heute nicht mehr sagen, am Tag 1 sei die genetische Identität vollgültig ausgeprägt; vielmehr handelt es sich in den ersten Tagen prozesshaft um eine epigenetisch beeinflusste Individuation und Identitätsbildung. Nun kann ich hier keine Einzelheiten entfalten,47 möchte aber festhalten: Gewichtige Argumente sprechen dafür, den Lebensschutz früher Embryonen ernst zu nehmen, ihn aber nicht absolut zu setzen. Zugunsten von hESForschung ist zusätzlich herauszustellen, dass noch andere Güter und Werte hohes Gewicht besitzen, und zwar die Forschungsfreiheit, die aus seiner eigenen Geistesgeschichte heraus gerade der Protestantismus zu betonen hat, _____________ 46
Vgl Johannes Fischer, Menschenwürde und Anerkennung, Zeitschrift für Evangelische Ethik 51 (2007) 24-39. Gelegentlich spielt in der evangelischen Theologie die Deutung vorgeburtlichen Lebens in der Beziehung zur austragenden Frau sogar in recht überdehnter und einseitiger Form eine Rolle, so dass der Eigenwert und die Schutzwürdigkeit des Embryos oder Fetus geradezu davon abhängig gemacht worden sind, dass die Mutter oder Dritte ihn „annehmen“ oder „anerkennen“. – Aus außertheologischer Perspektive zur Beziehungsdimension vorgeburtlichen und geborenen Lebens: Claudia Wiesemann, Von der Verantwortung, ein Kind zu bekommen. Eine Ethik der Elternschaft (2006). 47 Vgl H. Kreß, Embryonenstatus und Gesundheitsschutz. Reformbedarf im Rahmen eines umfassenden Fortpflanzungsmedizin- und Stammzellgesetzes, Jahrbuch für Recht und Ethik Bd 17 (2007) 23-50, hier 41-45.
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und das Recht von Patienten auf Gesundheitsschutz und auf gesundheitliche Versorgung. Dieses Grundrecht auf Gesundheitsschutz ist in Staatsverfassungen oder in der EU-Grundrechtscharta verankert. Überdies nehmen internationale Menschenrechtskonventionen die einzelnen Staaten in die Pflicht, soweit wie möglich zu gewährleisten, dass jeder Mensch sein individuell erreichbares Maß an Gesundheit erlangen kann. Das Recht von Menschen auf Gesundheitsschutz gründet in der Menschenwürde; historisch ist es in der kulturellen und religiösen Tradition verankert. Für den einzelnen Menschen stellt Gesundheit ein fundamentales Gut dar. Sofern die Forschung oder Nutzung embryonaler Stammzellen dem Schutz der Gesundheit und der Verbesserung gesundheitlicher Versorgung zugute kommt, darf sie deshalb nicht vorschnell – und schon gar nicht willkürlich – beiseite geschoben werden.48 Wenn man diese drei Komponenten der ethischen Abwägung aufgreift – den frühembryonalen Lebensschutz, die Forschungsfreiheit und die Schutzpflicht des Staates zugunsten menschlicher Gesundheit –, führt dies dazu, dass hES-Forschung unter öffentlicher Kontrolle und unter transparenten Bedingungen zugelassen, ja gefördert werden sollte. Nun herrscht zu diesem Thema in der pluralen Gesellschaft ein moralischer und religiöser Dissens, der auf der Ebene von Moral, Weltanschauung, Konfession und Religion zur Zeit unüberbrückbar ist. Genau an dieser Stelle sollten nicht nur die philosophische Ethik und die Rechtswissenschaften, sondern kann gleicherweise die protestantische Ethik einhaken. Kernaussagen einer protestantischen Ethik der Rechtsordnung bestehen darin, die kulturelle Befriedung zu fördern, zum fairen Ausgleich unterschiedlicher Interessen beizutragen und es zu unterstützen, dass auf der Ebene des staatlichen Rechts konstruktive Kompromisse erzielt werden. Geistesgeschichtlich ist dieses Anliegen protestantischer Ethik auf die Zweireichelehre zurückzuführen, die sich am weltlichen Recht, an der weltlichen Vernunft, der Einzelfallgerechtigkeit und der Billigkeit orientierte.49 Angesichts des heutigen weltanschaulichen und moralischen Pluralismus bedeutet dies für Regelungen zur hES-Forschung, im Rahmen der Rechtsordnung Rigorismen und einseitige Standpunkte zu vermeiden und statt dessen nach abgewogenen, alltagstauglichen Kompromissen zu suchen.
V. Ausblick auf künftigen rechtlichen Regelungsbedarf Die rechtspolitischen Kompromisse, die das Stammzellgesetz enthält – sei es in der Fassung von 2002 oder von 2008 –, sind daher auch im Licht der staatlichen Schutzpflicht für die menschliche Gesundheit und der staatlich zu garantierenden Freiheit der Forschung zu sehen. So betrachtet hätten zum Beispiel die oben erwähnten Fragen der Forschung an Krankheitszelllinien _____________ 48 49
Vgl H. Kreß, Embryonenstatus und Gesundheitsschutz, aaO, 45 ff. Vgl H. Kreß, Ab wann ist der Embryo ein Mensch? aaO, 56.
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und der pharmakologischen und toxikologischen Nutzung von Zelllinien vom Gesetzgeber positiver entschieden werden sollen (s oben Abschnitte III.2, III.3). Andererseits wird auf Dauer das eventuelle Missbrauchspotential bei iPS-Zellen rechtspolitisch zu bedenken sein (s oben Abschnitt III.4). Für die Ethik wird das Stammzellgesetz jedenfalls weiterhin ein gewichtiges Thema bleiben. Dies gilt umso mehr, als nach wie vor Reformbedarf zum Embryonenschutzgesetz vom 1. 1. 1991 besteht, auf dem das Stammzellgesetz in normativer Hinsicht fußt. Probleme des Embryonenschutzgesetzes waren bei den Debatten über eine Novellierung des Stammzellgesetzes in den Jahren 2006 bis 2008 von vornherein beiseitegeschoben worden, weil man – wie die EKD sagte – „Geist und Logik“ des Stammzellgesetzes nicht neu diskutieren wollte und die ethisch-rechtliche Basis, nämlich das Embryonenschutzgesetz, aus pragmatischen Gründen ausgeklammert hatte. Weil aber einige Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes der Gesundheit und dem Wohl von nach künstlicher Befruchtung geborenen Kindern und dem Gesundheitsschutz der IVF-Patientinnen abträglich sind, ist es unerlässlich, das Embryonenschutzgesetz in naher Zukunft aufzuarbeiten.50 Dabei wird es unvermeidlich sein, ebenfalls den moralischen und rechtlichen Status früher pränidativer Embryonen neu zu erörtern. Dies wird zugleich dann wieder relevant werden, wenn – wie zu vermuten ist – mittelfristig eine nochmalige Revision des deutschen Stammzellgesetzes ansteht.
_____________ 50 Vgl H. Kreß, Embryonenstatus und Gesundheitsschutz, aaO 31 ff; Rudolf Neidert, „Entwicklungsfähigkeit“ als Schutzkriterium und Begrenzung des Embryonenschutzgesetzes, Medizinrecht 25 (2007) 279-286; Eberhard Merz/Volker v Loewenich, Muster-Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistierten Reproduktion, Novelle 2006, Ethik in der Medizin 20 (2008) 60-61; Petra Thorn/Tewes Wischmann, Eine kritische Würdigung der Novellierung der (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion der Bundesärztekammer 2006, Ethik in der Medizin 20 (2008) 61-63.
Stammzellforschung – aus der Sicht der jüdischen Medizinethik Eva Weisz, Willy Weisz
I. Die Suche nach Antworten entsprechend der Halacha Im Judentum gibt es seit der Zerstörung des Tempels zu Jerusalem keine zentrale Stelle mehr, die dynamisch die Ethik und das Religionsgesetz, die Halacha1 (wörtlich übersetzt: der Weg), definiert. In jeder Generation haben sich Religionsrechtsgelehrte, Rabbiner, darum gekümmert, den Weg zu erkunden, der es Juden ermöglicht, in ihrer Zeit und gesellschaftlichen Umgebung ein Leben nach den Vorschriften der Religion zu führen. Dabei müssen sie sich auch Fragen stellen, für die es keine direkten Vorgänger gibt, da sie sich aus nicht traditionell evolutionären wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Entwicklungen ergeben. Trotzdem ist es nicht erlaubt dogmatisch neue Regeln zu entwickeln, sondern sie müssen immer aus früheren Aussagen der offenbarten (de’oraita) oder der rabbinischen (de’rabannan) Lehre unter Einbeziehung der neuen, meist außerreligiösen Erkenntnisse abgeleitet werden. Die offenbarte Lehre besteht aus der schriftlichen und der mündlichen Lehre. Die schriftliche Lehre ist insbesondere in den 5 Büchern Mosis (Pentateuch) festgeschrieben, aber auch den anderen Büchern des Tanach, der Bibel nach dem jüdischen Kanon (nicht ganz im Umfang des sogenannten „Alten Testaments“) entnommen. Zur offenbarten Lehre gehört auch noch der Teil der mündlichen Lehre, der die schriftliche Lehre nach den anerkannten hermeneutischen Regeln auslegt. Letztere sind in den 7 Regeln des Hillel oder den 13 Regeln des Rabbi Jischmael,2 die beide den Midrasch (Exegese) Sifre einleiten,3 formuliert. Die mündliche Lehre umfasst außerdem die rabbinischen Vorschriften. Sowohl offenbarte als auch rabbinische Vorschriften sind bindend; erstere können nur durch Bezug auf andere offenbarte _____________ 1 Als Halacha (Mehrzahl Halachot) bezeichnet man die Gesamtheit der jüdischen religiösen Rechtvorschriften, aber auch die einzelne aus einem Rechtsgutachten stammende Entscheidung (siehe auch FN 4). 2 Die 13 Regeln des Rabbi Jischmael finden sich im Siddur, dem Gebetbuch für alle Tage, und werden im Verlauf des Morgengebets gelesen. 3 W. Bacher, S. Horovitz, Sifre, in Singer, Isidore, Alder, Cyrus et al (Hrsg), The Jewish Encyclopedia. Funk and Wagnalls (1901-1906), http://www.jewishencycloped ia.com/view.jsp?artid=698&letter=S.
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Regeln in konkreten Fällen außer Kraft gesetzt werden, letztere auch durch gesicherte neuere Erkenntnisse. Nachdem der Unterricht in den jüdischen Lehrhäusern von der römischen Besatzungsmacht verboten wurde, entschlossen sich die Gelehrten, das Verbot der Schriftlichkeit der mündlichen Lehre – es verhinderte ein Versteinern der Dynamik der Halacha – außer Kraft zu setzen, damit das über Generationen angesammelte Wissen nicht verloren geht.4 Spätere Kommentare, Responsen zu halachischen Fragen und Kodifizierungen haben bis heute zur Weiterentwicklung der Halacha beigetragen. Bei der Suche nach Entscheidungen bei neuen Fragestellungen gehen die Poskim kasuistisch vor.5 Ihre Hauptaufgabe ist es, so viele Fragen zu stellen, dass sie das Problem bis in die kleinsten Details erfassen können. Danach wird nach früheren Entscheidungen gesucht, die für den konkreten Fall Anwendung finden oder als Hilfe dienen können. Eine neue Halacha widerspricht nie früheren Entscheidungen, wenn nicht völlig neue Aspekte zu berücksichtigen sind. Wie die gesamte moderne Fortpflanzungsmedizin hat auch die Stammzellforschung eine Tür aufgestoßen, hinter der zuvor unbekannte Fragen lauern. Renommierte und äußerst scharfsinnige Religionsgelehrte haben gemeinsam mit Fachgelehrten die natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Voraussetzungen und Auswirkungen und die dadurch entstehenden halachischen Probleme analysiert. Sie haben dabei auf medizinisches und biologisches Fachwissen wie auf die traditionellen formalen Ableitungsregeln für neue Vorschriften zurückgegriffen. Als Vorteil hat sich erwiesen, dass schon die Torah und die Weisen des Talmud und späterer Zeit Themen behandelt haben, die Antworten auf die gestellten Fragen durch Analogieschlüsse zuließen, wie schon zuvor bei den verwandten medizinischen Techniken der In-vitro-Fertilisierung (IVF) und der Transplantation von Organen.
_____________ 4
Die traditionellen Interpretationen der schriftlichen Lehre wurden in der Mischna zusammengefasst, deren Niederschrift ca 220 abgeschlossen wurde. Die Kommentare zur Mischna, die Gemara, wurden mit letzterer zusammen als Talmud herausgegeben. Es gibt entsprechend dem Entstehungsgebiet einen Babylonischen und einen Jerusalemer Talmud. Letzterer ist für die Halacha von größerer Bedeutung. Abgeschlossen wurde der Talmud ca 450. 5 Ein Posek (Entscheider, Mehrzahl: Poskim) ist ein religiöser Rechtsgelehrter (Rabbiner), der eine Entscheidung (Halacha) für einen Fall trifft, den frühere Poskim nicht endgültig entschieden haben. Er zieht meist auch fallbezogen kompetente Fachleute und Rabbiner zu Rate. Im medizinischen Bereich sind Poskim oft Rabbiner, die selbst auch Ärzte oder Biologen sind; dies schließt jedoch das Einholen von Gutachten nicht aus.
Stammzellforschung – aus der Sicht der jüdischen Medizinethik
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II. Die Eckpfeiler der medizinischen Halacha 1. Die Heiligkeit des Lebens Jede medizinische Entscheidung hat die unendliche Heiligkeit des unschuldigen menschlichen Lebens in das Zentrum der Überlegungen zu stellen: „Und G’tt schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde G’ttes schuf er ihn...“.6 Diese Heiligkeit ist dem – auch potentiellen – Leben ab der Empfängnis gegeben. In der Bibel lautet das erste Gebot an die Menschen: „Seid fruchtbar und vermehret euch, füllt die Erde...“,7 daher haben selbst die Bestandteile der Zeugung, die Gameten (Samen und Eizelle), einen besonderen Wert: Das Verschütten von Samen ist verboten, und die Regelblutung der Frau erzeugt eine rituelle Unreinheit, für die eine Erklärung angibt, dass sie das Zeichen dafür ist, dass eine Eizelle nicht ihrer Bestimmung zugeführt wurde. Wie die Unendlichkeit in der Mathematik kennt auch die unendliche Heiligkeit des Lebens vor der Geburt nach jüdischer Überzeugung unterschiedliche Mächtigkeiten. Folgende Stufen der Entwicklung der Reifung menschlichen Lebens werden unterschieden:8 1. der Prä-Implatations-Embryo – beginnt mit der Verschmelzung der Gameten (Sperma und Eizelle) 2. Embryo – beginnt mit der Einnistung in die Gebärmutter 3. Fötus – beginnt ab dem 41. Tag nach der Empfängnis, nach Abschluss der Grobentwicklung der Organe und dem Sichtbarwerden einer menschlichen Form9 4. (Potentiell) lebensfähiger Fötus – hat die Aussicht, bei eingeleiteter Geburt (eventuell Kaiserschnitt) auch den Tod der Mutter zu überleben 5. „Ausgelagerter“ Fötus – beginnt mit der 2. Phase der Geburt 6. Neugeborenes – ab Erscheinen des Kopfes oder des größten Teils des Körpers bei Steißgeburt beginnt der Status geborenen Lebens mit seinen vollen Rechten Die Halacha sieht den Embryo weder wie das alte römische Recht als Organ der Mutter an, noch billigt sie ihm den Status eines selbstständigen Wesens zu, das bereits unabhängig von der Mutter zu bewerten ist. Die Zerstörung ungeborenen Lebens ist zum Unterschied von der Tötung eines gebore_____________ 6
Genesis 1:27. Genesis 1:28. 8 M. Halperin, Stemm Cell Research and Therapy, 1st Congress on Jewish Medical Ethics, Fürigen (CH), 6-10 March, 2006. 9 Im Talmud wird mehrfach festgelegt, dass der menschliche Fötus ab dem 41. Tag beseelt wird, dies ist konform der aristotelischen Vorstellung. Obwohl es eine Stelle gibt, die dem widerspricht, hat sich diese Ansicht durchgesetzt. 7
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nen Menschen auf keinen Fall einem Mord gleichzusetzen.10 Auf jeden Fall hat geborenes Leben Vorrang vor dem Ungeborenen, weshalb ein Fötus, der das Leben oder die physische, aber auch die psychische Gesundheit der Mutter gefährdet, abgetrieben werden darf, ja soll.11 Die psychische Gefährdung wird deshalb akzeptiert, weil sie zu bedrohlichen Krankheiten führen kann. Jedenfalls sollte eine Abtreibung wenn möglich vor dem 41. Tag nach der Zeugung stattfinden. Mit der Geburt ändert sich der Status radikal. Jedes geborene menschliche Leben ist gleich viel wert, und für die Rettung eines Lebens darf kein anderes geopfert werden: „… wer sagt, dass dein Blut röter ist“;12 es hat Anspruch auf vollen Schutz. Es darf auch nicht mehr gegen ein anderes Leben abgewogen werden. Der Chemiker und Religionsphilosoph Jeschajahu Leibowitz formuliert das so: „Die Frage, ob ein Leben lebenswert ist, darf es nicht geben“.13
2. Vorrang des Lebens und der Gesundheit Nach jüdischem Verständnis gibt es keine von G’tt kommenden Vorschriften, die nicht dem Vorrang des Lebens und der Gesundheit dienen: „… und durch sie [die Gesetze] lebt“.14 Diese Interpretation der Bibelstelle wird im Talmud ausführlich belegt.15 Was für das Leben an sich gilt, gilt auch für die Gesundheit, zu deren Bewahrung oder Wiederherstellung der Mensch verpflichtet ist: „... steh nicht still bei dem Blute deines Nächsten“.16 Daraus folgt die Regel, dass alle Vorschriften zu übertreten sind, wenn dies für die Erhaltung des Lebens und der Gesundheit oder die Wiederherstellung letzterer notwendig ist. Nur drei Übertretungen sind nicht zulässig: (1) Götzendienst oder G’tteslästerung, (2) Mord – die Tötung eines Menschen, der einen nicht bedroht – und (3) verbotene sexuelle Beziehungen, insbesondere der Inzest. Auf den Einfluss der Verbote 2 und 3 auf die Halachot rund um die Stammzellforschung wird noch eingegangen werden.
3. Was ist erlaubt? Der Brüsseler Oberrabbiner Guigui hat in der Stellungnahme 15 der EGE (European Group on Ethics in Science and New Technologies)17 wie folgt zitiert: „Alles, wofür wir keinen Grund haben, es zu verbieten, ist erlaubt, ohne einen Grund für die Erlaubnis finden zu müssen, denn die Torah be_____________ 10
Exodus 21:22-23. Mischna, Ohalot VII, 6. Babylonischer Talmud, Sanhedrin Fol 74a. 13 J. Leibowitz, M. Shahashar, Gespräche über Gott und die Welt (1994). 14 Leviticus 18:5. 15 Babylonischer Talmud, Joma Fol 83a bis 85b. 16 Leviticus 19:18. 17 http://ec.europa.eu/european_group_ethics/publications/docs/dp15rev_en.pdf. 11 12
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schreibt nicht Alles, was erlaubt ist, sondern verbotene Dinge“18. Daraus ergeben sich für die Forschung mit embryonalen Stammzellen zwei Fragen für die Zulässigkeit: (1) Liegt im dabei eingesetzten Genetic Engineering selbst eine Übertretung der Halacha vor oder (2) sind dessen unumkehrbare Ergebnisse verboten? Wenn beides – eventuell unter Randbedingungen – nicht zutrifft, ist sie erlaubt. Daher ist zuerst nach Verboten zu suchen. Findet sich jedoch ein Verbot, so ist zu ergründen, ob es eine Vorschrift gibt, die dem Verbot widerspricht und einen höheren Stellenwert hat. Gibt es sie, dann ist dem Verbot nicht zu folgen. Es kann jedoch sein, dass eine überstimmte Vorschrift Randbedingungen für das Halacha-konforme Handeln setzt.
III. In-vitro-Fertilisierung Da In-vitro-Fertilisierung (IVF) der erste Schritt zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen ist, muss die Frage nach der Zulässigkeit der Erzeugung von Zygoten, befruchteten Eizellen, außerhalb des weiblichen Körpers geklärt werden. Wenn die Zeugung auf dem natürlichen Weg durch Geschlechtsverkehr von Mann und Frau sich als nicht möglich erweist, ist die künstliche Befruchtung das Mittel der Wahl. Nur wenn diese auch nicht erfolgreich ist, ist die In-vitro-Fertilisierung zugelassen. In erster Linie hat dieses Verbot die Gesundheit des Fötus und der Frau im Auge. Die Vorbereitung für einen multiplen Eisprung, der zur gleichzeitigen Gewinnung mehrerer Eizellen notwendig ist, stellt eine große physische Belastung für die Frau dar. Wenn der natürliche Vorgang nicht zur Empfängnis führt, ist unabhängig davon, auf welcher Seite das Problem besteht, eine IVF erlaubt, da der Wunsch nach Kindern von Ehepaaren wegen des Gebots, Nachkommen zu zeugen, einen hohen Stellenwert hat. Es besteht jedoch keine religiöse Verpflichtung, eine Geburt durch eine IVF zu erzwingen, da nach jüdischer Überzeugung auch das erfüllte Zusammenleben von Ehepartnern einschließlich der sexuellen Befriedigung Ziel einer Ehe ist. Die Frage, ob IVF nicht verboten ist, weil der Mensch dabei „G’tt spielt“, wurde schon früh verneint, da bei der IVF nichts anderes passiert als bei der natürlichen Form der Empfängnis: Eine menschliche Samenzelle dringt in eine menschliche Eizelle ein und verschmilzt mit ihr. Es wird kein Wesen geschaffen, das anders ist als in der von G’tt geschaffenen Natur vorkommende. Und es wird auch nicht etwas aus dem Nichts geschaffen, was G’tt vorbehalten ist. Wegen der für das Familienleben geltenden Vorschriften gibt es Bedingungen für die IVF. Die Samen dürfen nur vom lebenden Ehegatten stam_____________ 18
Rabbi Israel Lipschitz aus Danzig: Tiferet Jisrael, Jadajim 4, 3.
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men; damit ist das daraus hervorgehende Kind halachisch der Nachkomme seiner Eltern in jeder Hinsicht.19 Die Spende einer Eizelle ist hingegen zugelassen; die Frau, in der sich der Embryo entwickelt und die ihn zur Welt bringt, wird als biologische Mutter angesehen; die genetische Mutter, die Spenderin der Eizelle, muss jedoch festgehalten werden, um später eine Heirat von genetischen (Halb-)Geschwistern zu verhindern. Um das Verbot des Samenvergießens nicht zu verletzen, sollte der Samen nach einem normalen Geschlechtsverkehr gewonnen werden. Ein Argument gegen die IVF war auch, dass die dabei notwendige Manipulation der Gameten zu mechanischen Schädigungen führen kann, die Fehlentwicklungen des Fötus auslösen könnten. Es muss daher bei der IVF besonders vorsichtig vorgegangen werden. Es ist jedoch heute möglich, die notwendige Schonung der Keimzellen sicherzustellen.
IV. Die überzähligen Embryonen bei der IVF Da die Vorbereitungen zur IVF für die Frau sehr belastend sind und immer die Gefahr besteht, dass die Einbringung der Samen nicht erfolgreich ist oder die Einnistung der Embryonen in die Gebärmutter – wie nach einer normalen Empfängnis auch – nicht auf Anhieb funktioniert, werden mehr Eizellen entnommen und befruchtet, als für eine Schwangerschaft vorgesehen sind. Die Frage der Behandlung überzähliger Embryonen nach einer erfolgreich eingeleiteten Schwangerschaft beschäftigt in allen Religionen und Gesellschaften die Ethiker und Juristen. Nach jüdischer Ansicht fehlt dem nicht eingenisteten Embryo das Potential sich zu einem Menschen zu entwickeln. Seine Zerstörung ist daher nicht als Zerstörung von Leben anzusehen. Andere Vorschriften müssen somit zur Beurteilungen herangezogen werden.
1. Keine Vorratslagerung Das Tiefkühlen von Embryonen zum Bereithalten für eine zukünftige weitere Schwangerschaft wird absolut abgelehnt, da die Gefahr besteht, dass durch einen Irrtum einer Frau fremde Embryonen implantiert werden. Dies könnte in der Folge unwissentlich zu einer inzestuösen Verbindung von genetischen Geschwistern oder Halbgeschwistern führen. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür nur sehr gering ist, ist die Ablehnung des Inzests in der Bibel so vehement,20 dass auch die geringste Möglichkeit dafür verhindert werden muss. _____________ 19 Siehe Artikel „In-vitro Fertilization“ in A. Steinberg, Encyclopedia of Jewish Medical Ethics (2003). 20 Leviticus 18:6 ff.
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2. Verwenden statt verschwenden Bleibt nur die Möglichkeit, die überzähligen Embryonen nutzlos oder zweckgebunden zu zerstören. Die Zerstörung von potentiellem Leben ist nach der Halacha jedoch nur dann erlaubt, wenn aus ihr Nutzen für die Heilung bestehenden Lebens entsteht. Die Verwendung von nicht-implantierten Embryos mit dem Ziel, neue Heilmethoden zu entwickeln, wird von den bedeutenden Poskim unserer Tage als der richtige Weg angesehen, der auch der Wertschätzung und Hochachtung für das „Ausgangsmaterial“ entspricht. Wegen der ethischen und emotionellen Beziehung der Eltern zum Embryo auch in der nicht überlebensfähigen Situation außerhalb der Gebärmutter müssen sie ihr Einverständnis zur Verwendung im Rahmen der medizinischen Forschung geben.
V. Die Reparatur der Welt Da die Entstehung von Krankheiten bei Menschen als ebenfalls von G’tt gegeben betrachtet wird, stellt sich die Frage, ob es dem Menschen erlaubt ist zu heilen oder ob dies dem g’ttlichen Willen zuwider läuft. Die jüdische Antwort auf diese Frage lautet: G’tt hat dem Menschen eine nicht perfekte Welt überlassen, damit er die Schöpfung durch Einsatz seines jeweiligen Wissens und Könnens verbessert (Tikkun Olam = Reparatur der Welt), daher hat der Mensch nicht das Recht, sondern die Pflicht, daran zu arbeiten. Dies gilt insbesondere auch für die Verpflichtung zu heilen, da Krankheiten als eine der Erscheinungen der Imperfektion angesehen werden. Dem Arzt wird das Recht eingeräumt, alles zu tun, was dem Wiederherstellen der Gesundheit dienlich ist, außer es widerspricht den oben genannten 3 Verboten. Die Medizin und die für ihren Fortschritt notwendige Forschung waren daher in der jüdischen Gesellschaft schon immer sehr angesehene Berufe.
VI. Präimplantationsdiagnostik Der modernen Medizin gelingt es immer mehr, Fehlentwicklungen des Fötus oder zukünftig auftretende Erkrankungen auf Gendefekte zurückzuführen. Die IVF bietet die Möglichkeit eines Screenings der Chromosomen auf bekannte Defekte mit schwerwiegenden Folgen. Die Frage, ob es erlaubt ist, dieses neue Wissen zu nutzen und nur Embryonen zu implantieren, die genetisch „in Ordnung“ sind, wird noch in allen Religionen und Gesellschaften heftig diskutiert. Zu vielen Möglichkeiten des Missbrauchs wird durch diese Technik Tür und Tor geöffnet, und gerade die noch immer nicht ganz überwundenen biologistischen Theorien, deren katastrophaler Höhepunkt die
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Rassentheorie des 3. Deutschen Reiches war, sind Argumente für ein Verbot jeglicher Form von Pränataldiagnostik. Da gewisse Gendefekte die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten belastender und tödlich verlaufender Krankheiten stark erhöhen, was zu einer starken Hypothek für den zukünftigen Menschen führen kann, wurde im Interesse des entstehenden Lebens entschieden, dass die Präimplantationsdiagnostik und daraus folgende Selektion von Embryonen ohne erkannten Defekt als der richtige Weg entsprechend der Halacha anzusehen sind. In diesem Sinne ist auch der kürzlich bekannt gewordene Fall einer streng religösen Frau in Israel zu sehen, bei der eine vererbbare Variante des Gens BRCA2 nachgewiesen wurde, die zu einer hohen Wahrscheinlichkeit für Krebserkrankungen führt, und dies bereits einige weibliche Mitglieder ihrer Familie getroffen hat. Da der Kinderwunsch ohnehin nur durch eine IVF erfüllt werden konnte, wurde nach eingehender Untersuchung des Falles durch rabbinische Autoritäten entschieden, dass eine Präimplantationsdiagnostik indiziert ist und dass nur Embryonen ohne die inkriminierte BRCA2-Variante implantiert werden sollen. Die Beendigung der fötalen Entwicklung wegen der Diagnose eines Defekts, der nicht zu schweren Krankheiten oder Missbildungen führt (zB Down-Syndrom), wird vom jüdischen Standpunkt aus kontroversiell betrachtet, und es müssen zu einer halachischen Entscheidung noch andere Kriterien herangezogen werden. Verboten ist jedoch jede Form von Pränataldiagnostik, die darauf abzielt, Kinder „nach Wahl“, also mit speziellen Eigenschaften oder einem vorbestimmten Geschlecht zur Welt zu bringen.
VII. Die Forschung an Stammzellen Das Potential der Stammzellen für diagnostische und therapeutische Fortschritte erzeugte den drängenden Wunsch nach einer schnell einsetzenden und möglichst ungehinderten Forschungstätigkeit. Die Beantwortung der Zulässigkeit entsprechend der Halacha ergibt eine breite Zustimmung in allen Richtungen des heutigen Judentums, von der strengen Orthodoxie bis zum Reformjudentum, weil sie das Potential zur Heilung hat. Das bedeutet jedoch nicht eine undifferenzierte Akzeptanz, sondern ist Ausgangspunkt für die Entwicklung von Richtlinien zur halachisch konformen Stammzellforschung.
1. Adulte Stammzellen Die Herstellung und Verwendung adulter Stammzellen bietet wenig Anlass für ethische Kontroversen, bis auf einen Punkt: die Möglichkeit, dass vorhandene pathogene Schädigungen der eingesetzten Zellen Schaden bei der
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therapeutischen Anwendung erzeugen. Daher muss diesem Problem besondere Beachtung gewidmet werden. Da dabei keine neue, nicht schon durch natürliche Zeugung entstandene Erbanlage konstruiert wird, ist das Verbot der Erzeugung von Wesen oder deren Bausteinen, die nicht in der Natur vorkommen, nicht anzuwenden.
2. Embryonale Stammzellen Bei aller Hoffnung, die in die Forschung mit embryonalen Stammzellen zur Diagnostik und Therapie heute noch nicht beherrschbarer Krankheiten gesetzt wird, muss in diesem Bereich mit besonders hoher ethischer Verantwortung vorgegangen werden. Nur bei – wenn auch noch kleiner – Aussicht auf zukünftige Heilmethoden darf das Herankeimen von möglichem menschlichen Leben abgebrochen werden. Zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse allein ist es nicht gestattet. Im August 2001 hat das Bioethics Advisory Committee of the Israel Academy of Sciences and Humanities eine ausführliche (26-seitige) Stellungnahme zur Verwendung von embryonalen Stammzellen für die Therapieforschung erarbeitet.21 Es wurden der wissenschaftliche Hintergrund, die ethische Debatte um den Status des Embryos, die Positionen aus jüdischer, christlicher und moslemischer Sicht, internationale Rechtsansichten und eine Analyse von Alternativen herangezogen, um eine wohlfundierte Empfehlung zu erarbeiten. Diese stellt in 27 Punkten klar, wie und unter welchen Bedingungen von ethischer Zurückhaltung und ethischem Verhalten die Verwendung von embryonalen Stammzellen gestattet werden soll. Der Kinderarzt Yves Nordmann und Rabbiner Michel Birnbaum haben im Jahr 2002 ein positives Gutachten unter dem Titel Die aktuelle Biomedizin aus Sicht des Judentums für die AG Biotechnik und Wissenschaftskommunikation am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin, abgegeben.22
VIII. Halacha und staatliche Gesetze Auch in Europa und den USA haben sich kompetente religiöse jüdische Menschen und Organisationen offiziell für die Stammzellforschung ausgesprochen und gegebenenfalls an die Gesetzgeber appelliert, diese zu ermöglichen und zu fördern. _____________ 21
M. Revel et al, The Use of Embryonic Stem Cells for Therapeutic Research, Report of the Bioethics Advisory Committee of the Israel Academy of Sciences and Humanities, August 2001, http://www.academy.ac.il/data/reports_data/31/21.pdf. 22 Y. Nordmann, M. Birnbaum, Die aktuelle Biomedizin aus der Sicht des Judentums (2002), http://www.bioethik-diskurs.de/documents/wissensdatenbank/gutachten/ Download-Dokumente/Nordmann-Gutachten/download.
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Die positiven Stellungnahmen amerikanischer Organisationen der Orthodoxie wie der Reform haben zwar Präsident Bush nicht daran gehindert, dem Gesetzesentwurf für die Förderung der Forschung an embryonalen Stammzellen in den USA die Unterschrift zu verweigern; einzelne Bundesstaaten haben jedoch Förderprogramme beschlossen. Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission haben ebenfalls der Förderung der Stammzellforschung trotz Widerstands einiger EU-Staaten zugestimmt und sich dabei auch auf kompetente jüdische Aussagen stützen können. Viele europäische Staaten haben jedoch Gesetze, die von einer Ablehnung getragen sind, diese aber nach dem Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach’ mich nicht nass“ nicht konsequent umsetzen, andere stehlen sich durch Nichterlassen eines Gesetzes aus der Verantwortung. Zur Abstimmung über das fortschrittliche und insbesondere ehrliche Stammzellforschungsgesetz in der Schweiz, das am 1. März 2005 in Kraft getreten ist, wurde eine positive Stellungnahme im Namen der jüdischen Medizinethik abgegeben.23 Das einzige Land, in dem halachische Überlegungen mehr als nur unverbindlichen informativen oder bestenfalls beratenden Charakter haben, ist Israel. Aufgrund der oben zitierten Stellungnahme wie auch der anderer angesehener halachischer Autoritäten hat sich die Stammzellforschung in Israel gesetzlich gedeckt etabliert und ist zu weltweiter Geltung gelangt. Das Land gilt als bedeutender Lieferant von Stammzellenlinien für die internationale Forschung.
_____________ 23 A. Donath: Ja zur Stammzellforschung, http://www.israswiss.net/israswiss/dia spora/50457395a111bd90b.html.
Stammzellforschung: Die innerislamische Diskussionslage Ilhan Ilkilic
I. Einleitung Es ist bekannt, dass die rasanten Entwicklungen in der biomedizinischen Forschung nicht nur neue diagnostische und therapeutische Maßnahmen ermöglichen, sondern auch für die Menschheit bis jetzt unbekannte ethische Fragen aufwerfen. Dazu gehören auch die ethischen Fragen, die durch die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen entstanden sind. Die Entwicklung der fachlichen und gesellschaftlichen Diskussionen um diese Probleme lässt sich von den kulturellen Prägungen und historischen Entwicklungen des jeweiligen Landes nicht trennen. Die komplexen bioethischen Fragestellungen, die islamische Urteilsfindung mit ihrem spezifischen Charakter, soziale Phänomene und politische Fakten sorgen bei der Beurteilung der Stammzellforschung für ein breites Spektrum der Argumente und für unterschiedliche Positionen in der innerislamischen Diskussion. Der moralische Status des Embryos, Gemeinwohl (maslaha), die Bewertung der modernen Biomedizin und Gerechtigkeitsfragen in der Ressourcenallokation übernehmen in diesen Debatten Schlüsselpositionen. Im vorliegenden Beitrag wird zunächst der Embryo-Begriff der islamischen Hauptquellen dargestellt. Im Weiteren werden muslimische Argumente zum moralischen Status des Embryos problematisiert und die unterschiedlichen Positionen zur ethischen Beurteilung der Stammzellforschung diskutiert und reflektiert.
II. Der Embryo in den islamischen Grundquellen Der Koran beschreibt an einigen Stellen die Entwicklung des Menschen im Mutterleib und spricht von einem Einhauchen der Seele. „Zuerst erschuf Er den Menschen aus Ton, dann machte Er seine Nachkommenschaft aus dem Erguss eines verächtlichen Wassers. Dann formte Er ihn und blies ihm von
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seinem Geist ein. Und Er machte euch Gehör, Augenlicht und Herz...“1 Ein anderer Vers erklärt die menschliche Entwicklung im Mutterleib, das auf die Welt Kommen, das Sterben nach einer gewissen Lebenszeit sowie die Wiederauferstehung im Jenseits als Komponenten eines Kontinuums mit unterschiedlichen ontologischen Qualitäten. „Und wahrlich, Wir schufen den Menschen aus einem entnommenen Ton. Dann machten Wir ihn zu einem Tropfen (nutfa) in einem festen Aufenthaltsort. Dann schufen Wir den Tropfen zu einem Embryo ('alaqa), und Wir schufen den Embryo zu einem Fötus (mudga), und Wir schufen den Fötus zu Knochen. Und wir bekleideten die Knochen mit Fleisch. Dann ließen wir ihn als eine weitere Schöpfung entstehen. Gott sei gesegnet, der beste Schöpfer! Dann werdet ihr nach all diesem sterben. Dann werdet ihr am Tag der Auferstehung auferweckt werden.“2 Es ist sinnvoll an dieser Stelle anzumerken, dass der koranische Embryobegriff (wörtlich Blutklumpen) nicht mit dem Embryobegriff der modernen Biologie gleichzustellen ist.3 Der Koran selbst nennt keine konkreten Angaben über den genauen Zeitpunkt der Beseelung. Im Gegensatz dazu finden wir in einem Prophetenausspruch folgende Angaben: „Wahrlich, die Schöpfung eines jeden von euch wird im Leibe seiner Mutter in vierzig Tagen (als Samentropfen [nutfa]) zusammengebracht; danach ist er ebenso lang ein Blutklumpen [‘alaqa]; danach ist er ebenso lang ein kleiner Fleischklumpen [mudga]. (...) Dann haucht Er ihm die Seele ein.“4 Es gibt jedoch andere Prophetenaussprüche, die zu anderen Zeitpunkten den Embryo als beseelt erklären. Obwohl der Koran den genauen Zeitpunkt der Beseelung nicht nennt, hat sich in manchen Rechtsschulen, basierend auf den zitierten Prophetenausspruch, folgende Berechnung durchgesetzt: Für alle in den oben zitierten Versen genannten Entwicklungsstadien bis hin zur Einhauchung der Seele, also von Wassertropfen (nutfa) zum Embryo (‘alaqa) bis hin zum Fötus (mudga), werden jeweils 40 Tage berechnet. Insgesamt sind es somit 120 Tage bis zum Zeitpunkt der Beseelung. Berücksichtigt man andere Prophetenaussprüche, so gelangt man freilich zu anderen Zeitpunkten (zB 40. oder 80. Tag) für die Beseelung.5
_____________ 1
Sure dh Korankapitel 32:7-9. Sure 23:12-16. 3 Auch wenn es in der Literatur Versuche gibt, die beiden Begriffe zu identifizieren, lassen sich solche Arbeiten wissenschaftlich nicht nachvollziehen. Vgl dazu Syed (1989). 4 Rassoul (1996) 673. 5 Canan (1999) Bd 14, 5-21. 2
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III. Moralischer Status des Embryos Die Auslöser für die Diskussionen um den moralischen Status des Embryos in der islamischen Geistesgeschichte waren in erster Linie strafrechtliche oder familienrechtliche Themen wie Schwangerschaftsabbruch oder Empfängnisregelung. Die philosophischen Fragestellungen und Diskussionen, zurückgehend auf die aristotelische und galenische Tradition,6 entwickelten sich erst später als juristische Diskussionen.7 Auch wenn die systematischen Debatten über die Schutzwürdigkeit des Embryos erst nach der Etablierung der Rechtsschulen im 8. und 9. Jahrhundert entstanden, sind uns frühere juristische Urteile über Schwangerschaftsabbruch bzw dessen Ursache und die damit verbundenen Strafmaßnahmen bekannt, die bis zur Zeit des Propheten Muhammad (570-632 n Chr) und der sogenannten „rechtgeleiteten Kalifen“ (632-661) zurückgehen.8 Die Beseelung des Embryos erlangt in den Diskussionen der islamischen Jurisprudenz (Fiqh) um den moralischen Status von Embryo bzw Fetus eine gewisse Geltung. Es herrscht jedoch unter den Rechtsgelehrten weder über den Zeitpunkt der Beseelung noch deren normative Bedeutung Einigkeit. Deswegen weichen die Beurteilungen der islamischen Rechtsschulen über den von Menschen verursachten Schwangerschaftsabbruch stark voneinander ab. Ein Schwangerschaftsabbruch vor dem 120. Tag der Schwangerschaft ist bei den Zaiditen, einem Teil der Hanafiten sowie der Schafiiten erlaubt. Bei einem Teil der Hanafiten und Schafiiten ist er verpönt, jedoch bei triftigem Grund erlaubt. Ein Teil der Malikiten erklärt den Schwangerschaftsabbruch ausnahmslos als verpönt. Nach der offiziellen Meinung der Malikiten ist der Schwangerschaftsabbruch verboten. Bei Hanbaliten ist er nach dem 40. Tag verboten. Alle Rechtsschulen sind sich jedoch darin einig, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach Einhauchung der Seele in den Fötus, also ab dem 4. Monat, unzulässig ist. Ab diesem Zeitpunkt kann er nur dann durchgeführt werden, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist.9
IV. Moralische Normierung der Beseelung Die Schutzwürdigkeit bzw Nicht-Schutzwürdigkeit des unbeseelten Embryos hängt davon ab, inwiefern die Beseelung den moralischen Status des Embryos verändert. Weder in den Koranversen noch in den Prophetenaussprüchen sind explizite Aussagen über einen normativen Zusammenhang zwischen Beseelung und Schutzwürdigkeit des Embryos zu finden. Verändert _____________ 6
Vgl Musallam (1990) 32-46. Vgl Motzki (1991). 8 Vgl Khoury (1981) 8-11. 9 Vgl Gräf (1967) 228-232; Elwan (1967) 469-470; Mahmood (1977) 39-48; Khoury (1981) 7; Musallam (1983) 61-88; Omran (1992) 225-238; Ilkilic (2006a) ua. 7
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das Einhauchen der Seele den Wert des Embryos nur graduell, dann könnte man daraus schwerlich eine „Nicht-Schutzwürdigkeit“ des Embryos ableiten. Die Argumente von al-Ghazzālī (gestorben 1111), einem der einflussreichsten Gelehrten des islamischen Mittelalters, in seinem Hauptwerk Ihyā’ ‘ulūm ad-dīn können in diese Richtung interpretiert werden.10 Auch wenn der Embryo bis zur Geburt je nach Entwicklungsstadium mit unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet ist, handelt es sich nach alGhazzālī um ein und dasselbe Lebewesen. Deswegen spricht er sich für den Schutz der befruchteten Eizelle aus, unabhängig von ihrer körperlichen Entwicklung und dem Zeitpunkt der Beseelung. Er bezeichnet die Tötung des Embryos als ein „Verbrechen“, dessen Ausmaß parallel mit dem Alter des Embryos bzw Fötus zunimmt. Er plädiert für eine abgestufte Schutzwürdigkeit des Embryos. Die Fragen nach dem moralischen Status des Embryos unterscheiden sich laut al-Ghazzālī nur in gradueller und nicht in kategorischer Hinsicht. Dazu al-Ghazzālī: „Empfängnisverhütung ist nicht mit Abtreibung und Kindestötung gleichzustellen, denn die letzteren sind Verbrechen gegen eine bestehende Existenz. Die Existenz besitzt mehrere Stufen: Die erste Stufe besteht darin, dass das Sperma in den Uterus kommt, sich mit dem Wasser der Frau [Eizelle] mischt und sich auf die Aufnahme des Lebens vorbereitet; dies zu stören, ist ein Verbrechen. Wenn das empfangene Leben zu einem Embryo und einem Fötus wird, dann wird das Verbrechen noch schlimmer. Und wenn die Seele eingehaucht wird und der Fötus zu einem Geschöpf wird, steigert sich die Schlechtigkeit des Verbrechens. Die höchste Schlechtigkeit im Verbrechen ist erreicht, wenn das Kind lebend (von der Mutter) abgetrieben wird.“11 Den Embryo vor seiner Beseelung als nicht schutzwürdig zu erklären, würde voraussetzen, dass die Beseelung eine kategorische Veränderung für den moralischen Status des Embryos darstelle. Eine allgemeine Recherche über den Zeitpunkt der Beseelung in den klassischen Werken zeigt, dass dem 120. Tag eine unverkennbare Prävalenz zukommt. Dieser Vorzug lässt sich mE eher pragmatisch begründen. Für eine strafrechtliche Verfolgung einer Abtreibung ist die Feststellung der Schwangerschaft nötig. Trotz einiger unsicherer Schwangerschaftstests waren im islamischen Mittelalter die mehrmals ausbleibende Menstruation und die charakteristischen Veränderungen am Mutterleib sichere Anzeichen für eine Schwangerschaft, die aber einen langen Beobachtungszeitraum voraussetzen.12 Ebenso war es mit den damaligen Diagnosemitteln schwierig, frühzeitig festzustellen, ob das Abgetriebene ein Embryo bzw ein Fötus war, oder ob es sich um etwas anderes handelte. Auch wenn man damals einen früheren Zeitpunkt, den Zeitpunkt der Befruchtung der Eizelle, als Beginn des menschlichen Lebens ausgewählt hätte, so fehlte die technische Ausrüstung, _____________ 10
Vgl Bauer (1917) 96 ff. Bauer (1917) 96. 12 Vgl zu Schwangerschaftstests im islamischen Mittelalter Weisser (1983) 154159. 11
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um eine Schwangerschaft feststellen zu können. Diese und ähnliche Schwierigkeiten, die in den gegenwärtigen fachlichen islamrechtlichen Diskussionen kaum berücksichtigt werden, könnten Gründe für die relativ lange Frist – 120 Tage – sein, um damals eine ungerechte Strafe für den/die mutmaßliche/n Täter/in zu verhindern. In den während der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts geführten Diskussionen um die Familienplanung, Geburtenbeschränkung und den Schwangerschaftsabbruch lässt sich eine Position feststellen, die sich von den Beseelungstheorien distanziert und vielmehr auf das Tötungsverbot des Menschen bzw der Kinder im Koran hinweist.13 Diese Position erklärt die befruchtete Eizelle von Anfang an als schutzwürdig. Nicht die klassischen Beseelungstheorien stellen für diese Position eine Argumentationsgrundlage dar, sondern das koranische Tötungsverbot menschlichen Lebens, das die Tötung von Kindern aus Angst vor Armut einbezieht. Die Vertreter dieser Position unterstreichen auch, dass die Geburtenkontrolle eine unmittelbare Anordnung des Westens sei und nur dessen Interessen diene. Anstatt für eine Legitimation der Abtreibung zu stimmen, plädieren sie im Kampf gegen die Armut für eine gerechtere Verteilung der Weltressourcen, für Chancengleichheit und für den Kampf gegen Korruption.14 Sicherlich haben die neuen Erkenntnisse in der Embryologie und vor allem die Visualisierung der embryonalen Entwicklung im Mutterleib bei der Entstehung der positiven Position zum Embryonenschutz eine wichtige Rolle gespielt. Inwieweit diese Argumente, die in einer bestimmten soziopolitischen Lage entstanden sind, für die normative Beurteilung des Embryos eine sichere Argumentationsgrundlage schaffen können, bleibt offen.
V. Moralische Bewertung der (Embryonen verbrauchenden) Stammzellforschung Da die embryonale Stammzellforschung (ES-Zellen) mit der Tötung des Embryos verbunden ist, wurde sie von vielen Autoritätskreisen mit einem Schwangerschaftsabbruch gleichgesetzt. Daher ist es nicht überraschend, wenn in den Diskussionen über die Stammzellforschung der Fokus auf den Moment der Beseelung des Embryos gelegt wird. Der Islamic Code of Medical Ethics, der nach der Konferenz „The First International Conference on Islamic Medicine“ im Jahre 1981 deklariert worden ist, spricht von der Heiligkeit des menschlichen Lebens auch im Mutterleib und schreibt dem Embryo eine gewisse Schutzwürdigkeit zu. Nur aufgrund medizinischer Notfälle kann eine Schwangerschaft abgebrochen _____________ 13 Vgl M. Abdul-Rauf (1977) 126; M. Šaltūt (1965) 218-237; Khoury (1981) 24 f; Atighetchi (2007). 14 Vgl D. L. Bowen (1997) 161-184.
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werden. „The sanctity of life covers all its stages including intrauterine life of the embryo and fetus. This shall not be compromised by the Doctor save for the absolute medical necessity recognised by Islamic jurisprudence.“15 Die Stellungnahme der „First International Conference on Bioethics in Human Reproduction Research in the Muslim World“ im Jahr 1991 argumentiert mit dem im europäischen Diskurs problematischen Begriff „preembryo“16 und plädiert für eine Forschung mit Embryonen, die nach einer Invitro-Fertilisation übrig geblieben sind. „The excess number of fertilized eggs (pre-embryo) can be preserved by cryopreservation. (...) These pre-embryos can be used for research purposes on methods of cryopreservation provided a free and informed consent is obtained from the couple.“17 Hervorgehoben wird in dieser Stellungnahme das Einverständnis des rechtlich verheirateten Ehepaares, die Ausschließung kommerzieller Interessen und klare, wissenschaftlich nachvollziehbare therapeutische Forschungsziele.18 Eine ähnliche Einstellung pflegt auch „The Fiqh Council of North America“, das aus in den USA lebenden Medizinern, Rechtsgelehrten und Islamwissenschaftlern besteht. In ihrer Stellungnahme plädieren sie dafür, nicht eingepflanzte Embryos für Forschungszwecke zu verwenden. Dort heißt es: „The Islamic Institute supports stem-cell research on these spare embryos from in-vitro fertilization. Under the Islamic principle of the ‚purposes and higher causes of the shariiah (Islamic law)‘, we believe it is a societal obligation to perform research on these extra embryos instead of discarding them.“19 Die Islamic Medical Association of North America (IMANA), eine aus muslimischen Ärzten bestehende gemeinnützige Organisation, erklärt in ihrem Statement „Islamic Medical Ethics – The IMANA Perspective“, dass durch IVF-Verfahren entstandene überzählige Embryos für Forschungszwecke Verwendung finden dürfen. Diese Entscheidung ist an das Statement der IOMS (Islamic Organisation for Medical Science) aus dem Jahr 2004 angelehnt.20 Diese und ähnliche Argumente sind jedoch nur dann vertretbar, wenn man die islamrechtliche Position, die eine Abtreibung auch ohne einen triftigen Grund bis zum 40. bzw 120. Tag erlaubt, als Entscheidungsgrundlage nimmt. Diejenigen Positionen aber, die eine Abtreibung – solange eine Schwangerschaft das Leben der werdenden Mutter nicht gefährdet – als absolut verboten erklären, sollten die Forschung an embryonalen Stammzellen kategorisch ablehnen. Komplizierter scheint es, über den Standpunkt zu _____________ 15 Islamic Code of Medical Ethics, Kuwait Document, International Organization of Islamic Medicine (Hrsg) (1981) 66. 16 Vgl Jones/Telfer (1995) 32-49. 17 Serour/Omran (1992) 30-31 und vgl Serour (1997) 171-188. 18 Vgl Serour (1997) 176 f. 19 Vgl www.fiqhcouncil.org/EmbryonicResearch/tabid/58/language/en-US/Defau lt.aspx (17. 6. 2008). 20 Al-Abd O.M. (2004).
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urteilen, der die Tötung eines Embryos nur dann erlaubt, wenn triftige Gründe vorliegen. Vertreter dieser Position müssen beantworten, ob die Forschung an Embryonen aufgrund der Hoffnung, Therapieformen für bestimmte Krankheiten zu finden, gerechtfertigt sei. Dies zu rechtfertigen scheint aber nicht einfach zu sein, wenn man dabei die klassischen Argumente, die eher familiäre und soziale Bedingungen vor Auge hatten, berücksichtigt. Da es sich um andere Intentionen und Handlungsziele handelt, ist eine kasuistische Positionsbestimmung mit mehreren methodischen Problemen behaftet. Prof. Saim Yeprem, Professor für Islamische Theologie an der Marmara Universität in Istanbul und Mitglied im Hohen Rechtsgremium des Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten (DİYANET) der Republik Türkei, konstatiert, dass die Forschung mit adulten Stammzellen und deren Anwendung aus der Perspektive der islamischen Ethik vertretbar sei. Was die embryonalen Stammzellen betrifft, so sei die Sachlage anders zu bewerten. Die überschüssigen Embryonen, die in Folge der In-vitro-Fertilisation entstanden sind, könnten genutzt werden. Aber Embryonen zu produzieren, die nur Forschungszwecken dienen, sei aus islamrechtlicher Sicht verboten. Außerdem sollte man Yeprem zufolge bei der In-vitro-Fertilisation versuchen nur so viele Embryonen herzustellen wie unbedingt notwendig. Er fügt auch hinzu, dass das Hohe Rechtsgremium den Standpunkt vertritt, dass mit der Befruchtung der Eizelle der Lebensbeginn anzusetzen ist. Ab diesem Zeitpunkt beginnt also das menschliche Leben und dem Embryo kommt volle Schutzwürdigkeit zu. Danach ist ein Schwangerschaftsabbruch nur dann vertretbar, wenn das Leben der Mutter durch die Schwangerschaft gefährdet wird.21 Diese Ansicht distanziert sich von der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in der Türkei.
VI. Schlussdiskussion und Reflexion zur innerislamischen Diskussion über Stammzellforschung Eine Analyse der vorhandenen Positionen zur Embryonen verbrauchenden Stammzellforschung zeigt,22 dass die folgenden Punkte in der innerislamischen Diskussion eine zentrale Bedeutung haben:
1. Nützlichkeit der Stammzellforschung Der durch Stammzellforschung zu erreichende Nutzen stellt für viele Bewertungen der Stammzellforschung den Ausgangspunkt ihrer Positionen. Es herrscht in erster Linie die Erwartung vor, dass diese Forschungstätigkeiten _____________ 21
Vgl Yeprem (2006); Yeprem (2007); Adanali (2004); Aksoy (2005); Avci (2005). Vgl Ghanem (1991); Beloucif (2000); Siddiqi (2002); Ilkilic (2004); Larijani (2004); Rizvi (2004); Walters (2004); Bender (2005); Takim (2006), Atighetchi (2007) ua. 22
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in absehbarer Zeit konkrete Behandlungsmöglichkeiten für viele Krankheiten ermöglichen werden. Dieses zu erwartende Resultat wird mit einem zentralen Begriff der islamischen Rechtslehre und Ethik, nämlich dem des maslaha (Gemeinwohl), gleichgestellt. Dieser Begriff ist in der islamischen Rechtslehre und Ethik wohl etabliert und ermöglicht klare Positionierung.23 Zusätzlich werden vor allem positive Einstellungen zur Stammzellforschung durch weitere Argumente, die vorwiegend den Stellenwert der Humanmedizin betonen, unterstützt.24 Diese Diskussionen bleiben damit fern von einer differenzierten Auseinandersetzung mit Chancen und Grenzen der Stammzellforschung. Somit findet auch eine dezidierte und fundierte Analyse und ethische Bewertung der Einzelheiten in der Stammzellforschung nicht statt.
2. Meinungsvielfalt Die unterschiedlichen Positionen zur Forschung mit und an menschlichen embryonalen Stammzellen in den innerislamischen Diskussionen sind auf mehrere Gründe zurückzuführen. Ein wesentlicher Grund ist der strukturelle Charakter der islamischen Urteilsfindung. Das Fehlen einer Hierarchie, wie sie etwa in der römisch-katholischen Kirche vorzufinden ist, unter den Rechtsgelehrten und kompetenten Personen sowie spezifische Urteilsbildungen machen es unmöglich, nur eine Beurteilung als einzig gottgewollte Entscheidung zu deklarieren.25 Diese Meinungsvielfalt, auf welche die Muslime stolz sind, bietet dem Muslim für seine Gewissensentscheidungen mehr Raum. Gleichzeitig können sie ihn jedoch in seinem Entscheidungsprozess überfordern.26 Ein weiterer wichtiger Grund für die Meinungsvielfalt ist die Methodik der islamischen Urteilsfindung in der Rechtslehre. Sie ist kasuistisch, dh von einem Präzedenzfall ausgehend wird die aktuelle Handlung bzw Straftat analysiert und beurteilt. Auch heute argumentieren vor allem Rechtsgelehrte mit Analogieschlüssen, die auf klassischen Argumenten der islamischen Geistesgeschichte basieren. Dieses kasuistische Verfahren stößt jedoch an seine Grenzen, wenn es um die Tötung der Embryonen für Forschungszwecke geht. In der klassischen Beurteilung eines Schwangerschaftsabbruchs werden die Konflikte, die die Mutter, die Familie oder die Gesellschaft direkt betreffen, analysiert und mit anderen Gütern abgewogen. Zweifelsohne ist es problematisch, wenn man nur diese Art der Urteilsfindung äquivalent als Entscheidungsgrundlage für die Embryonen verbrauchende Forschung benutzt. Denn die abzuwägenden Güter sind von unterschiedlicher Qualität. _____________ 23
Vgl Khadduri (1991). Vgl Hathout (2006). 25 Vgl zur weiteren Problematiken des heutigen Fatwa-Wesens: Ilkilic (2002) 110119; Ilkilic (2001) 510-521. 26 Vgl Ilkilic (2002) und Ilkilic (2007). 24
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Ähnlich wie in vielen anderen europäischen Ländern ist in der islamischen Welt eine relativ homogene Positionsbestimmung zur Stammzellforschung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Nicht zuletzt deswegen, weil ein normativer und reflektierender Diskurs unter Berücksichtigung aller elementaren Aspekte noch nicht etabliert ist.
3. Verständnis von moderner Medizin und westlicher Technik Auch wenn es in den wissenschaftlichen Debatten kaum berücksichtigt und reflektiert wird, spielt das Verständnis von moderner Medizin und westlicher Technik bei der Beurteilung der Stammzellforschung eine wichtige Rolle. Es wurde nachgewiesen, dass die Bewertung dieser Forschungen unmittelbar von der Wahrnehmung und Deutung solcher wissenschaftlichen Forschung abhängt.27 Fast alle Vertreter der Position, die embryonale Stammzellforschung positiv bewerten, haben eine prowissenschaftliche und konsequentialistische Sichtweise zu modernen Wissenschaften und den damit verbundenen Techniken. Sie betrachten die modernen Wissenschaften neutral, objektiv und wertfrei. Zwischen einer westlichen Weltanschauung und der Technik als Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Praxis gäbe es keinen unmittelbaren Zusammenhang, sondern nur gute und schlechte Zielsetzungen, die mit Hilfe dieser Techniken erreicht werden können. Solange diese Wissenschaften und Techniken den islamisch vertretbaren Zielen dienen, sei gegen sie nichts einzuwenden. Die durch diese Techniken entstandenen Umwelt- und Gesundheitsprobleme der Gegenwart könnten wiederum durch weitere Wissenschaftserkenntnisse und Technik gelöst werden.28 Die Position, die zur Forschung im Bereich der Gentechnik kritisch eingestellt ist, betont dagegen die Untrennbarkeit von Kultur und Technik. Da die Entwicklung und Entfaltung der Sozial- und Naturwissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert auf säkularem Boden stattgefunden hat, dürfe sie nicht ohne eine Überprüfung und Beurteilung durch die Muslime übernommen werden. Die Zielsetzungen und Anwendungsformen moderner Technologien sollten erst nach islamischem Wissenschaftsverständnis, Menschenbild und Wertvorstellungen überprüft und bewertet werden. Dazu gehört sicherlich auch die Stammzellforschung.
4. Beseelung des Embryos Die normative Bewertung der Beseelung des Embryos scheint für viele Positionen ein Knotenpunkt für die moralische Beurteilung der Stammzellforschung zu sein. Für die klassische kasuistische Urteilsfindung stellt sich zunächst die Frage, ob die Beseelung des Embryos überhaupt eine hinrei_____________ 27 28
Vgl Ilkilic (2006b). Vgl Ilkilic (2006b).
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chende moralische Grundlage für eine ethische Bewertung liefert. Wie oben diskutiert, lässt sich diese Urteilsfindung von methodischen Vorgehensweisen der islamischen Rechtslehre, aber auch von sozialen und politischen Ereignissen beeinflussen. Eine weitere Frage ist, ob die Beseelung des Embryos aus der Perspektive der islamischen (philosophischen) Anthropologie anders zu bewerten ist als in der klassischen kasuistischen Urteilsfindung. Da es momentan kaum explizite Forschungen dazu gibt, kann diese sehr wichtige Frage nicht verbindlich beantwortet werden. Diese aus der modernen biomedizinischen Forschung resultierenden Fragestellungen, zu denen auch die Stammzellforschung gehört, bietet mE eine besondere Herausforderung für die muslimischen Intellektuellen und Philosophen.
VII. Ausblick Durch die obigen Darstellungen und Diskussionen dürfte klar geworden sein, dass die Diskussionen und Argumente um die Stammzellforschung in der innerislamischen Diskussion mehrere Facetten haben. Dies hat verschiedene Gründe. Der aus den islamischen Normquellen ableitbare moralische Status des Embryos, Zielsetzungen der modernen Forschung und deren Verträglichkeit mit dem islamischen Menschenbild, fremdnützlicher Charakter dieser Forschung sowie möglicher Nutzen für andere Menschen und Gerechtigkeitsfragen bei der Verteilung der begrenzten Ressourcen im Gesundheitswesen sind elementare Gründe, die bei der Beurteilung dieser Forschung eine wichtige Rolle spielen. Die Berücksichtigung dieser Positionen und Forschung über ihre Hintergründe erlangt für die in Europa lebenden 15 Millionen Muslime eine wichtige Bedeutung. Denn die Bestimmungen und gesetzlichen Regelungen im Bereich der biomedizinischen Forschung beeinflussen direkt oder mittelbar alle Mitglieder einer Gesellschaft. Aus diesem Grund gehört die Partizipation aller Mitglieder an Entscheidungsprozessen über biomedizinische Forschung zu den konstitutiven Eigenschaften einer offenen Gesellschaft. Die Verwirklichung einer solchen Partizipation und eines reflektierenden Dialogs ist für ein gelungenes Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft nicht nur unverzichtbar, sondern auch dringlich.
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Forschung mit embryonalen Stammzellen im Rechtsvergleich Hans-Georg Koch
I. Einführung Wer sich für ein bestimmtes Thema unter rechtsvergleichenden Aspekten interessiert, kann das Ziel verfolgen, die Rechtslage dazu in dem einen oder anderen Land genauer zu studieren, oder aber die Absicht haben, in einem Überblick eine größere Zahl von Ländern zu berücksichtigen. Dieser Beitrag gehört zur zweiten Kategorie. Er beruht in erster Linie auf Ergebnissen eines rechtsvergleichenden Projekts zu Status und Schutz extrakorporaler Embryonen, in das europäische und außereuropäische Länder einbezogen waren. Diese rechtsvergleichende Studie1 war Teil eines vom deutschen Bundesministerium für Forschung und Technologie geförderten interdisziplinären Projekts mit medizinethischem Schwerpunkt zum Status des extrakorporalen Embryos.2 In diesem Zusammenhang wurde auch untersucht, inwieweit Invitro-Embryonen zu Forschungszwecken (insbesondere für Stammzellforschung) erzeugt und/oder verwendet werden dürfen. Wer sich für die Rechtslage in einem bestimmten anderen Land näher interessiert, sei neben den anschließenden Beiträgen zu Deutschland, Österreich und der Schweiz auf spezielle Darstellungen verwiesen.3 Für das mit _____________ 1 Eser, Albin/Koch, Hans-Georg/Seith, Carola (Hrsg), Der Status des extrakorporalen Embryos im internationalen Vergleich (2007) – Im Interesse der Übersichtlichkeit werden nachfolgend die darin enthaltenen Landesberichte zu Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Österreich, Polen, Schweiz, Spanien, Israel, USA sowie VR China nur bei der ersten Erwähnung des jeweiligen Landes zitiert. Zu Deutschland vgl näher Seith, Carola, Status und Schutz des extrakorporalen Embryos. Eine rechtsvergleichende Studie (2007) 28-117. 2 Maio, Giovanni (Hrsg), Der Status des extrakorporalen Embryos – Perspektiven eines interdisziplinären Zugangs (2007), mit rechtsvergleichendem Übersichtsbeitrag von Seith (463-527) sowie einer Studie über Regelungsvorschläge im Völker- und Europarecht von Petersen/Nohlen/Vöneky (605-651). 3 Vgl zB Eser/Koch/Seith (FN 1); Schütze, Hinner, Embryonale Humanstammzellen (2007); Taupitz, Jochen, Rechtliche Regelung der Embryonenforschung im internationalen Vergleich (2007) (mit Beiträgen zu Australien, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Israel, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Süd-Korea
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der hier gewählten Darstellung und Methode verfolgte Ziel, die rechtspolitische wie medizinethische Debatte mit internationalen Informationen anzureichern, kommt es nicht so sehr darauf an, welches Verfahren aus welchen Gründen und unter welchen näheren Voraussetzungen gerade in welcher Rechtsordnung erlaubt oder aber – womöglich gar bei Strafe – verboten ist. Angesichts der bestehenden Variationsbreite ließe sich wohl fast für jede denkbare Lösung ein reales Beispiel präsentieren, ohne dass damit irgendein Anspruch verbunden werden könnte, es handele sich dabei auch um ein internationales Vorbild. Wenn hier stattdessen eine länderübergreifende Querschnittsbetrachtung erfolgt, so werden damit die wichtigsten Sachfragen mit dem dazu vorhandenen internationalen „Lösungsvorrat“ in den Mittelpunkt gerückt, nicht die jeweiligen konkreten nationalen Antworten auf sie. Auch aus rechtsvergleichender Sicht ist die zentrale Problematik in Bezug auf Forschung mit embryonalen Stammzellen deren Herkunft. Folgende Sachfragen erscheinen daher wesentlich: Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen können vorhandene Embryonen zu Forschungszwecken, insbesondere zu solchen der Stammzellforschung verwendet werden? Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen dürfen Embryonen (durch künstliche Befruchtung oder durch andere Verfahren) zu Forschungszwecken, insbesondere zur Stammzellforschung erzeugt werden? Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen dürfen Embryonen/embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken importiert bzw exportiert werden? Welche rechtlichen, insbesondere strafrechtlichen Risiken bestehen bei grenzüberschreitender Kooperation von Forschern aus Ländern mit unterschiedlich strenger Regelung? Im Ergebnis zeigen sich erhebliche Divergenzen hinsichtlich der vorgefundenen Lösungen, die sich nicht allein über unterschiedliche Schutzkonzepte erklären lassen, sondern auf eine kontroverse Beurteilung des Maßes an Schutzwürdigkeit hinweisen, die solchen Entitäten zugesprochen wird. Dies findet schon auf begrifflicher Ebene Ausdruck, indem bereits und nicht ohne Hintersinn die Zuschreibung der Eigenschaft, im Rechtssinn ein „Embryo“ zu sein, keineswegs einheitlich erfolgt. Hierfür können, wie zu zeigen sein wird, neben der zeitlichen Dimension (welche Entwicklungsschritte müssen nach Befruchtung einer Eizelle durch eine Samenzelle erfolgt sein?) auch Fragen der Entstehungsweise (inwieweit können Embryonen auch auf andere Weise als durch Befruchtung entstehen?) von Bedeutung sein. _____________
und USA). Vgl auch die Max-Planck-Datenbank zu den rechtlichen Regelungen zur Fortpflanzungsmedizin in europäischen Ländern, http://www.cueno.de/medr/show_a ll.asp.
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II. Internationale Unterschiede in den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Fortpflanzungsmedizin Moderne Medizin macht vor Ländergrenzen nicht Halt. Forschung, nicht nur in der Medizin, ist mehr und mehr international, trotz aller Konkurrenz auch unter Forschern. Unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen können Standort-Vor- oder -Nachteile mit sich bringen. Solche Unterschiede im Bereich von Regelungen medizinischer Sachverhalte zu nutzen, ist wohl keine Erfindung der Forscher, sondern eher von Frauen, die auf der Suche nach Möglichkeiten für einen Schwangerschaftsabbruch Ländergrenzen zu überschreiten bereit waren.4 Heute dürfte international die Rechtslage in Bezug auf die verschiedenen Aspekte medizinisch unterstützter Fortpflanzung einschließlich der Forschung mit In-vitro-Embryonen mindestens ebenso heterogen sein wie die zu den Voraussetzungen eines legalen Schwangerschaftsabbruchs. Aber es gibt inzwischen auch einen Fortpflanzungsmedizintourismus der anderen Art:5 Nicht um unerwünschten Nachwuchs abzutreiben, sondern um den von der eigenen Rechtsordnung verwehrten Wunsch nach genetisch zumindest teilweise eigenem Nachwuchs realisieren zu können, oder um in entsprechenden Risikosituationen die Möglichkeit einer Präimplantationsdiagnostik wahrzunehmen, beschreiten Paare den Weg in ein Land, dessen Rechtslage ihren Intentionen entgegen kommt. Aber auch für einschlägig aktive Forscher liegt es nahe, das internationale Regelungsgefälle in Bezug auf den Embryonenschutz zu ihren Gunsten zu nutzen, und sie stehen darüber hinaus vor der Frage, welche rechtlichen Hürden internationaler Kooperation möglicherweise im Wege stehen.
III. Der rechtliche „Status“ des extrakorporalen Embryos – ein Thema mit ungezählten Variationen In vielen Diskussionen wird der rechtliche oder moralische „Status“ des Embryos als Schlüssel zur Lösung verstanden und gesucht. Wie großzügig oder umgekehrt wie restriktiv eine Rechtsordnung sich auf dem Gebiet der modernen Fortpflanzungsmedizin im Allgemeinen und gegenüber der Forschung mit embryonalen Stammzellen insbesondere verhält, hängt, so erwartet man, ganz wesentlich vom jeweils gewährten rechtlichen „Status“ des Embryos ab. Aber nur wenige Gesetze behandeln den „Status“ des (In-vitro-) Embryos explizit. Hinzuweisen ist insbesondere auf § 1 des dänischen _____________ 4 Eser, Albin/Koch, Hans-Georg, Schwangerschaftsabbruch im internationalen Vergleich. Teil 3: Rechtsvergleichender Querschnitt – Rechtspolitische Schlussbetrachtungen – Dokumentation zur neueren Rechtsentwicklung (1999) 89, 547 f. 5 Spiewak, Martin, Wie weit gehen wir für ein Kind? Im Labyrinth der Fortpflanzungsmedizin (2002).
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Ethikrat-Gesetzes.6 Dort liest man: „Der Respekt für die Identität und die Würde des Menschen beinhaltet auch die erste Phase des menschlichen Lebens, einschließlich befruchteter Eizellen und fötaler Vorläufer.“ Zumeist muss demgegenüber der jeweilige „Status“ aus den Angaben zum Gesetzeszweck (wie zB in § 1 des deutschen Stammzellgesetzes) oder/und aus den Regelungsdetails erschlossen werden. Nachfolgend soll versucht werden, anhand verschiedener Regelungsfelder einen Eindruck von der internationalen Regelungsvielfalt dieser Materie zu vermitteln.
1. Varianz Schwangerschaftsabbruch Die soeben ganz grob konstatierte Varianz der Regelungen zum Embryonenschutz hat ihre Gründe, aber auch ihre Geschichte. Beides ist mit den herkömmlichen – insbesondere strafrechtlichen – Regelungsbereichen des Lebensschutzes verbunden. Über den prinzipiell hohen Rang des Rechtsguts „geborenes Leben“ besteht internationales Einvernehmen, was freilich Kontroversen in Spezialfragen wie Todesstrafe nicht ausschließt. Strafrechtlich findet dies seinen Ausdruck in detaillierten Regelungen über die Tötungsdelikte, wobei die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen als eine der schwersten Straftaten ausgestaltet ist. Ausnahmen vom strafbewehrten Tötungsverbot sind für Privatpersonen nur unter den Voraussetzungen von Notwehr bzw Nothilfe vorgesehen. In Bezug auf Embryonen ist man international von einem auch nur annähernd vergleichbaren Konsens weit entfernt. Dies wird nicht nur an den Rechtsregeln über erlaubten Schwangerschaftsabbruch bzw verbotene Abtreibung deutlich, deren enorme weltweite Bandbreite7 sich nur teilweise mit einer unterschiedlichen Gewichtung des Selbstbestimmungsrechts der Schwangeren erklären lässt. Wie unterschiedlich die Grundwertung der Schutzwürdigkeit von Embryonen ausfällt, zeigt sich gerade auch an den Spezialregeln zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung und zur Forschung mit In-vitro-Embryonen. Bevor auf diese näher eingegangen wird, gilt es, auf die Vieldeutigkeit des Rechtsbegriffs „Embryo“ hinzuweisen.
2. Varianz Embryobegriff Obwohl aus Legaldefinitionen nicht ohne weiteres Schlüsse auf die Bewertung der umschriebenen Entitäten gezogen werden können, ist ein Blick auf die Verwendung des Begriffs „Embryo“ durch den jeweiligen Gesetzgeber durchaus aufschlussreich: _____________ 6
Holm, Søren, Landesbericht Dänemark, in Eser/Koch/Seith (FN 1) 37-58. Vgl zuletzt Eser, Albin/Koch, Hans-Georg, Abortion and the Law. From International Comparison to Legal Policy. TMC Asser Press, The Hague 2005. 7
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Die Biomedizin-Konvention des Europarats von 19978 gebraucht in ihrem Artikel 18 den Terminus „Embryo“, überlässt aber die Definition bewusst den Signatarstaaten. Ein Land wie Griechenland,9 das der Konvention beigetreten ist, kann daher ohne Schwierigkeit der Forschung mit in-vitro befruchteten Eizellen, ja sogar deren Erzeugung zu Forschungszwecken mit der Begründung rechtlich Raum geben, es handele sich nach dortigem Verständnis noch nicht um „Embryonen“ im Rechtssinne. Neben Deutschland finden sich – unterschiedliche – Definitionen des „Embryos“ etwa in Belgien,10 England,11 der Schweiz,12 sowie in den USA13 und in Japan.14 Teilweise wird ausschließlich an die Befruchtung angeknüpft (Finnland, Schweiz), teils aber allein an die Entwicklungsfähigkeit (Belgien, § 3 deutsches Stammzellgesetz im Unterschied zu § 8 Embryonenschutzgesetz). Besonders detailverliebt ist der japanische Gesetzgeber vorgegangen, der eine ganze Reihe von (vor allem durch unterschiedliche Umstände der Entstehung charakterisierten) verschiedenen Arten von Embryonen unterscheidet.15 Auch wenn Definitionen nicht schon Regelungen für Lebenssachverhalte darstellen, kann mit ihnen doch ein unterschiedlicher rechtlicher Bedeutungsgehalt verbunden sein: In Ländern wie Deutschland oder der Schweiz etwa die Funktion der Beschreibung eines (zumindest im Grundsatz als schutzwürdig verstandenen) Rechtsguts, in England die einer eher rechtstechnischen Umschreibung des Anwendungsbereichs eines Gesetzes. Andere Länder wie Österreich,16 Spanien17 oder Griechenland sperren sich bewusst gegen die Verwendung des Terminus „Embryo“ und sprechen von „entwicklungsfähiger Zelle“, „Prä-Embryo“ oder „befruchteter Eizelle“. In Griechenland begründet man diese Wortwahl etwa damit, _____________ 8 9 10
9-36.
Vgl Petersen/Nohlen/Vöneky (FN 2) 607 f. Kiriakaki, Irini, Landesbericht Griechenland, in Eser/Koch/Seith (FN 1) 97-170. Nys, Herman/Hansen, Bart, Landesbericht Belgien, in Eser/Koch/Seith (FN 1)
11 Beyleveld, Deryc/Pattinson, Shaun, Landesbericht Großbritannien, in Eser/ Koch/Seith (FN 1) 171-204. 12 Schweizer, Rainer J., Landesbericht Schweiz, in Eser/Koch/Seith (FN 1) 300334. 13 Jost, Timothy Stoltzfus, Landesbericht USA, in Eser/Koch/Seith (FN 1) 411444. 14 Vgl Ishizuka, Shinichi, Die Stammzellgewinnung aus Embryonen: Klonverbot menschlichen Lebens in Japan, in Schreiber, Hans-Ludwig et al (Hrsg), Globalisierung der Biopolitik, des Biorechts und der Bioethik? – Das Leben an seinem Anfang und an seinem Ende (2007) 73-81; Taupitz (FN 3) 121 f. 15 Seith (FN 2) 470; Ishizuka (FN 14) 76. 16 Kopetzki, Christian, Landesbericht Österreich, in Eser/Koch/Seith (FN 1) 215268. 17 Romeo Casabona, Carlos María, Landesbericht Spanien, in Eser/Koch/Seith (FN 1) 335-376.
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dass der Durchschnittsbürger mit dem Wort „Embryo“ ein bereits „formiertes Kind mit ausgeprägten Zügen“ assoziiere.18 Eine Reihe von Ländern differenziert nach entwicklungsspezifischen Gesichtspunkten (Abschichtung der „imprägnierten Eizelle“ in der Schweiz und im Ergebnis auch in Griechenland bzw des „Prä-Embryos“ in Spanien), hinsichtlich der Entwicklungsmöglichkeit (Sonderstellung überzähliger Embryonen: Schweiz, Belgien), des Aufenthaltsraums (Belgien, Finnland: In-vitro-Embryo) oder der Entstehungsart (vor allem Japan und USA durch ausdrückliche Einbeziehung von Klontechniken). Auch außerhalb von Legaldefinitionen finden sich unterschiedliche, teils wertbesetzte Sprachgebräuche, insbesondere in den Regelungen von Italien19 („Gezeugter“) und Polen20 („empfangenes Kind“, „Mensch im Embryonalstadium“). Damit können (müssen aber nicht) ebenfalls Vorwertungen – hier insbesondere im Sinne hervorgehobener Schutzwürdigkeit – verbunden sein. Wie man ohne weiteres erkennen kann, ist der Rechtsbegriff „Embryo“ keineswegs zwingend deckungsgleich mit dem medizinischen Sprachgebrauch, der herkömmlich zwischen „Embryo“ (die frühe Entwicklungsphase bis zum Abschluss der Organogenese bezeichnend) und „Fetus“ (gebraucht für die folgenden Entwicklungsstadien bis zur Geburt) unterscheidet. Im Rechtssinne sind auch Feten „Embryonen“, „Gezeugte“ etc. Allerdings springt ins Auge, dass in den Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch das Wort „Embryo“ nur selten Verwendung findet und sich die verschiedenen Gesetzgeber zumeist mit der Umschreibung des Vorgangs „Abbruch der Schwangerschaft“ begnügen.21 Bemerkenswert ist weiterhin, dass sich im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sprachgebrauch im Zuge der Entwicklung von Klontechniken stillschweigend eine Erweiterung des Begriffsverständnisses etabliert zu haben scheint: War es früher selbstverständlich, dass Embryonen nicht ohne Befruchtung einer weiblichen Eizelle durch eine männliche Samenzelle entstehen können, scheint nunmehr das Kriterium der Entwicklungsfähigkeit ohne Rücksicht auf die Entstehungsart allein maßgebend zu sein. Aus rechtlicher Sicht ist dieses Begriffsverständnis vor allem dann nicht unproblematisch, wenn man mit dem Begriff „Embryo“ die Idee einer Schutzwürdigkeit als keimendes menschliches Leben verbindet. Denn diese Schutzwürdigkeit wird „Klon-Embryonen“ gerade abgesprochen: Unabhängig davon, ob ihre Schaffung zulässig oder verboten ist, dürfen sie – darüber sind sich die ansonsten heterogenen Rechtsordnungen sehr weitgehend einig – jedenfalls _____________ 18
Seith (FN 2) 474. Patti, Salvatore, Landesbericht Italien, in Eser/Koch/Seith (FN 1) 205-214. 20 Zielínska, Eleonora, Landesbericht Polen, in Eser/Koch/Seith (FN 1) 269-299. 21 Koch, Hans-Georg, Embryonenschutz ohne Grenzen? in Arnold, Jörg et al (Hrsg), Menschengerechtes Strafrecht. Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag (2005) 1091-1118, 1093 f. 19
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nicht zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft auf eine Frau übertragen werden (sogenanntes „reproduktives Klonen), vgl zB das Zusatzprotokoll zur Biomedizin-Konvention des Europarats22 und für Deutschland § 6 Abs 2 Embryonenschutzgesetz. Wer mit dem Terminus „Embryo“ die Vorstellung einer prinzipiellen Schutzwürdigkeit assoziiert, muss diese Dichotomie als misslich empfinden. Als Ausweg bietet es sich an, zwischen normativ „fortpflanzungsgeeigneten“ und „fortpflanzungsungeeigneten“ entwicklungsfähigen Entitäten zu unterscheiden und nur erstere in der Rechtssprache mit dem Etikett „Embryo“ zu versehen.23 Letztere werden im Rahmen dieses Beitrags, wenn eine begriffliche Unterscheidung erforderlich erscheint, als „Quasi-Embryonen“ bezeichnet.
3. Die Schutzwürdigkeit des In-vitro-Embryos als Abwägungsproblem Behandeln wir im Folgenden zunächst Fragen, die mit der Stammzellgewinnung aus „echten“ Embryonen zusammenhängen. Jeder Gesetzgeber, der sich mit Fragen der Fortpflanzungsmedizin und, darauf aufbauend, der Forschung mit embryonalen Stammzellen auseinandersetzt, muss zur relativen Gewichtung der in ihrem Kontext konfligierenden Rechtsgüter Stellung nehmen. Diese Rechtsgüter sind bezüglich der Stammzellforschung insbesondere der „Wert“ des Embryos als des Stammzell-Lieferanten und die Forschungsfreiheit. Der potentielle Nutzen für die Behandlung kranker Menschen ist noch zu unbestimmt und kann deshalb noch nicht konkret in die Abwägung einbezogen werden, mag aber im Rahmen der Bewertung des generellen Forschungsinteresses eine Rolle spielen. Während letzteres traditionell in vielen Ländern hoch im Kurs steht,24 besteht – wie nicht zuletzt die Debatte um die Biomedizin-Konvention des Europarats gezeigt hat – in Bezug auf die Wertschätzung des In-vitro-Embryos allenfalls insoweit Einigkeit, dass es sich nicht um eine gänzliche quantité négligeable handelt. Ergänzend sind auch Interessen der „Gametenspender“, namentlich von Eizellspenderinnen, in Betracht zu ziehen, die im Rahmen des vom Recht generell für zulässig _____________ 22
Council of Europe: Additional Protocol to the Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine, on the Prohibition of Cloning Human Beings, vom 12. 1. 1998, European Treaties Series No 164. 23 Vgl Koch, Hans-Georg, Vom Embryonenschutzgesetz zum Stammzellgesetz: Überlegungen zum Status des Embryos in vitro aus rechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in Maio, Giovanni/Just, Hanjörg (Hrsg), Die Forschung an embryonalen Stammzellen in ethischer und rechtlicher Perspektive (2003) 97-118. Zustimmend Beck, Susanne, Die Bedeutung der Wortbedeutung. Die Klondebatte und das Definitionsproblem, in Dabrock, Peter/Ried, Jens (Hrsg), Therapeutisches Klonen als Herausforderung für die Statusbestimmung des menschlichen Embryos (2005) 209-234; Hetz, Silke, Schutzwürdigkeit menschlicher Klone? Eine interdisziplinäre Studie aus medizinrechtlicher Sicht (2005) 208 f. 24 Vgl Seith (FN 1) 262.
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Erklärten durchaus die Möglichkeit haben können, darüber zu befinden, an welcher Art von Forschung sie sich als „Rohstofflieferanten“ beteiligen wollen. Darüber hinaus werden die mit der Eizellgewinnung für die Spenderin verbundenen gesundheitlichen Risiken bzw die damit verbundenen Belastungen als Argument vorgetragen, für die Verwendung im Rahmen der Stammzellforschung nur Zellen zuzulassen, die Frauen ursprünglich zu Zwecken medizinisch unterstützter Fortpflanzung entnommen worden waren.25
4. Varianz bezüglich Forschung mit In-vitro-Embryonen Die Regelungen zur grundsätzlichen Möglichkeit der (fremdnützigen) Forschung mit In-vitro-Embryonen reichen von ausnahmslosem Verbot (Deutschland, Frankreich [bis 2004],26 Irland,27 Italien, Österreich, Polen) über kontrollierte Zulassung (nur) bei überzähligen Befruchtungs-Embryonen (Dänemark, Finnland, Frankreich [seit 2004], Griechenland, Niederlande, Schweden) bis hin zur (ebenfalls kontrollierten) Zulassung selbst der Erzeugung von Befruchtungs-Embryonen (zB Belgien, England) bzw QuasiEmbryonen zu Forschungszwecken (neben den soeben genannten Ländern auch Griechenland,28 Israel,29 Japan,30 Massachusetts/USA). Großzügiger zu beurteilen ist möglicherweise die Erzeugung von Embryonen bzw QuasiEmbryonen zum Zweck der (auch versuchsweisen) Therapie von Kranken bzw Krankheiten.31 Die internationale Tendenz scheint dahin zu gehen, jedenfalls bei überzähligen, dh zu Fortpflanzungszwecken nicht mehr benötigten, In-vitroEmbryonen deren Verwendung (auch) für die Stammzellforschung unter gewissen Voraussetzungen zuzulassen (so die Rechtslage zB in China,32 England, Finnland, Griechenland, den Niederlanden und in Schweden). Da diese Embryonen keine Chance mehr auf „reproduktive Verwirklichung“ _____________ 25
Näher dazu Seith (FN 1) 293 ff. Mathieu, Bertrand/Monnier, Sophie, Landesbericht Frankreich, in Eser/Koch/ Seith (FN 1) 59-96. 27 Halliday, Samantha, A Comparative Approach to the Regulation of Human Embryonic Stem Cell Research in Europe. Medical Law Review 12 (2004) 40-69. 28 Kiriakaki, Irini, Der Schutz des Menschen und des Embryos in vitro in der medizinischen Forschung. Eine rechtsvergleichende Untersuchung des Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin, des griechischen und des deutschen Rechts (2007) 521 ff. 29 Shapira, Amos, Landesbericht Israel, in Eser/Koch/Seith (FN 1) 377-410. 30 Seith (FN 1) 271 f; Ishizuka (FN 14) 77 f – Zur Entwicklung in den Niederlanden vgl Halliday (FN 27) 51 ff und zur Diskussion in Spanien Romeo Casabona (FN 17). 31 Romeo Casabona (FN 17) 348 f; Taupitz, Jochen/Brewe, Manuela, Der Status des Embryos im Rechtsvergleich, in Maio/Just (FN 23) 85-96, 90 ff. 32 Döring, Ole, Landesbericht Volksrepublik China, in Eser/Koch/Seith (FN 1) 445-479. 26
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aben, sei ihre Verwendung zu Forschungszwecken vertretbar,33 zumal den betroffenen „Eizell-Lieferantinnen“ hierbei kein Eingriff in ihre physische Integrität im Forschungsinteresse zugemutet werde.34 Besonders deutlich geworden ist dieses pragmatisch orientierte Argument in der Schweiz, als dort vor einigen Jahren die Situation anstand, aufgrund bereits bestehender Regelungen vorhandene, aber zu Fortpflanzungszwecken nicht mehr benötigte kryokonservierte Embryonen vernichten zu sollen.35 Art 42 Abs 2 des schweizerischen Fortpflanzungsmedizingesetzes vom 18. 12. 1998 sah in der ursprünglichen Fassung vor, dass Embryonen nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1. 1. 2001 während höchstens drei Jahren und ausschließlich zu Fortpflanzungszwecken aufbewahrt werden dürfen. Kurz vor Ablauf wurde diese Frist durch eine am 4. 10. 2003 in Kraft getretene Gesetzesänderung verlängert und darüber hinaus die Konservierung überzählig gewordener Embryonen zu Forschungszwecken bis Ende 2008 gestattet – und dies, obwohl damals in diesem Land noch gar keine gesetzliche Möglichkeit zur Embryonenforschung bestand, sondern, begrenzt auf die Forschung an embryonalen Stammzellen, erst durch das am 1. 3. 2005 in Kraft getretene Stammzellforschungsgesetz geschaffen wurde. Hier hat sich offenbar der Gesetzgeber von den auf die Stammzellforschung gerichteten Erwartungen leiten lassen, verbunden mit der bereits erwähnten Einschätzung, die fraglichen Embryonen seien ohnehin dem Untergang geweiht.
5. Mögliche Voraussetzungen im Detail Neben behördlichen Genehmigungserfordernissen für den Betrieb der Forschungseinrichtung oder/und für das einzelne Forschungsvorhaben (Belgien, Dänemark, Griechenland) – Embryoforschung generell und Stammzellforschung speziell seien hier zusammengefasst, auch wenn in Ländern wie Belgien, England, Griechenland oder Schweiz die Anforderungen an die eigentlich embryonenverbrauchenden Teilakte strenger ausgestaltet sind als die für die spätere Forschung mit gewonnenen embryonalen Stammzellen – sind die am häufigsten anzutreffenden sachlichen Voraussetzungen: Das Alter des Embryos im Forschungszeitpunkt (Schweiz: nicht älter als 7 Tage;36 Belgien, China, Dänemark England, Griechenland, Niederlande, Spanien ua: bis 14 Tage nach der Befruchtung); soweit ersichtlich erlaubt kein Land die „Ektogenese“, dh die extrakoroporale Entwicklung von Embryonen wesentlich über das mit der Nidation erreichte Entwicklungsstadium hinaus; _____________ 33
Vgl Halliday (FN 27) 52 f betreffend die Niederlande. Vgl Seith (FN 1) 269. – Letzteres gilt in Israel offenbar als beachtliches Argument gegen die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken, vgl Shapira (FN 29) 383 f. 35 Vgl Schweizer (FN 12) 320. 36 Seith (FN 1) 283. 34
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Das „Alter“ der Stammzellen mit dem Hintergedanken, trotz Zulässigkeit der Stammzellforschung die Abtötung von Embryonen zu Zwecken der Stammzellforschung ex nunc zu verhindern: Dies ist der Hintergrund von „Stichtagsregelungen“ in Deutschland – Zulässigkeitsschwelle – und in den USA – wegen Gesetzgebungszuständigkeit der Bundesstaaten dort von Bedeutung hinsichtlich öffentlicher Förderung mit Bundesmitteln. 37 Dabei spielt es keine Rolle, ob die Stammzellen nach ihrer Erzeugung in Kultur gehalten oder kryokonserviert gelagert wurden. Der hohe Rang des konkreten Forschungszwecks (Deutschland, England, Japan, Schweiz, Spanien) bzw dessen thematische Einordnung, zB sein Fortpflanzungsbezug (Belgien, Dänemark, England, Griechenland) – dieser würde Stammzellforschung nicht erfassen –, Organ-/Gewebetransplantation (Belgien), Behandlung/Erkennung/Vermeidung von Krankheiten (Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Japan, Spanien), verbesserte Behandlung von Krankheiten (Dänemark), differenzierend Griechenland; Die Gewähr des Niveaus der vorgesehenen Forschung (Belgien, Deutschland, Frankreich) bzw der entsprechenden Ausstattung der durchführenden Forschergruppe (Griechenland); Die Alternativlosigkeit, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit von Tierversuchen oder der Forschung mit adulten Stammzellen (Belgien, Deutschland, Griechenland, Schweiz, Spanien) bzw – insbesondere im Fall der fortpflanzungsbezogenen Forschung – die vorherige Erprobung im Tierversuch (ebenfalls Griechenland für Embryoforschung generell sowie Deutschland für Stammzellforschung); Die Minimierung der Zahl verwendeter „Forschungsembryonen“ auf das unumgängliche Maß (Schweiz); Die (schriftliche [Schweiz]) informierte Zustimmung der genetischen Eltern des Embryos zur „Freigabe“ für die Forschung (Belgien, China, Dänemark, England, Frankreich, Griechenland, Japan; demgegenüber begnügt sich Deutschland für die ausländische Gewinnung importgeeigneter embryonaler Stammzellen mit einem generellen Verweis auf die Rechtslage im Herkunftsland (§ 4 Abs 2 Nr 1a Stammzellgesetz), allerdings verschärft durch den in Abs 3 erfolgten Ausschluss bei offensichtlichem Widerspruch zu „tragenden Grundsätze der deutschen Rechtsordnung“,38 einschließlich der Möglichkeit eines Widerrufs (ebenfalls Schweiz) bzw ersatzweise unter bestimmten Voraussetzungen eine Freigabe durch spezielle behördliche Entscheidung (Griechenland) sowie formell: die Prüfung des Forschungsvorhabens durch eine EthikKommission, durch Sachverständige oder dergleichen im Hinblick auf _____________ 37
Jost (FN 13) 427 ff; Seith (FN 1) 267. Deutscher Bundestag: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum Entwurf des Stammzellgesetzes. Bundestags-Drucksache 14/8846 v 23. 4. 2002. 38
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fachliche und/oder ethische Aspekte (Dänemark, Deutschland, Spanien; in Belgien sogar zweistufig) neben einer regelmäßig erforderlichen behördlichen Genehmigung bzw Anzeige. Des Weiteren verdienen in diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit: Verbote hinsichtlich der Verschmelzung menschlicher und tierischer Gameten (zB Verbot der Chimären- und Hybridbildung in Belgien, China, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien oder der Schweiz), die sich freilich nicht auf die Verwendung zuvor entkernten Zellmaterials beziehen dürften39 – bisweilen mit gewissen Ausnahmen für sogenannte Penetrationstests (England, Spanien) –, teils aber auch erst des Transfers so erzeugter Mischwesen (Japan);40 Regelungen zu oder Verbot von Ein- oder/und Ausfuhr von Gameten bzw von In-vitro-Embryonen (England, Schweiz) sowie Verbote bezüglich des Handeltreibens mit In-vitro-Embryonen (Belgien, China, Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Griechenland, Italien, Japan, Österreich, Schweiz; unterschiedlich offenbar USA) bzw der Verwendung „gehandelter“ Embryonen zur Stammzellgewinnung (Deutschland). Dieses Kommerzialisierungsverbot betrifft in der Regel aber nicht die aus Embryonen erzeugten Stammzellen.41 In zahlreichen Ländern wird die spätere Verwendung von BefruchtungsEmbryonen, die Forschungszwecken gedient haben, zu Fortpflanzungszwecken ausdrücklich ausgeschlossen (zB China, England, Japan,42 Schweiz; differenzierend Griechenland wegen der dortigen Unterscheidung zwischen Forschung mit bzw ohne Fortpflanzungsbezug).
6. Varianz im Hinblick auf „therapeutisches Klonen“ Erhebliche Unterschiede bestehen in Bezug auf das sogenannte „therapeutische Klonen“, dh die Erzeugung und Verwendung – insbesondere zur Gewinnung „embryonaler“ Stammzellen – von (nach hier gebrauchter Terminologie) „Quasi-Embryonen“ durch Transfer eines somatischen Zellkerns in eine zuvor entkernte Eizelle oder durch Reprogrammieren einer somatischen Zelle in einen totipotenten (Durchgangs-)Zustand. Wo insoweit kategorische Verbote (außer nach herrschender Meinung in Deutschland zB auch in Frankreich) bestehen, liegt die Annahme nahe, dies geschehe aus Sorge um eine mögliche Verwendung solcher Klone zu reproduktiven Zwecken. So_____________ 39
Vgl etwa Hetz (FN 23) 75. Seith (FN 1) 290. 41 Seith (FN 1) 285 f. 42 Körner, Uwe, Gebete für das Seelenheil abgetriebener Kinder. Embryonenforschung und Schwangerschaftsabbruch in Japan, in Oduncu, Fuat S./Platzer, Katrin/ Henn, Wolfram (Hrsg), Der Zugriff auf den Embryo. Ethische, rechtliche und kulturvergleichende Aspekte der Reproduktionsmedizin (2005) 146-160. 40
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weit – wie im Ergebnis auch in der Schweiz – das Verbot sich auf die Erzeugung entsprechender „Embryonen“ bezieht und für die Definition des „Embryos“ maßgeblich an die Entwicklungsfähigkeit angeknüpft wird, könnte die Forschungspraxis die entsprechenden gesetzlichen Verbote dadurch umgehen, dass sie Wege findet, die das Stadium der Totipotenz vermeiden, da dann keine embryonalen Stammzellen im Rechtssinne entstehen würden.43 Auf sie würden daher zB die in Deutschland bestehenden Regelungen des Stammzellgesetzes wie des Embryonenschutzgesetzes dann keine Anwendung finden, aber auch die Kontrollregelungen etwa des deutschen Stammzellgesetzes würden nicht greifen. Nach österreichischem Recht ist Klonen mittels Kerntransfer (und die Verwendung der entstandenen Produkte zu Forschungszwecken) derzeit sogar unabhängig vom Maß der erreichten oder erstrebten biologischen Entwicklungsfähigkeit nach dort herrschender Auffassung44 zulässig, da dadurch mangels Befruchtung – wie von § 1 Abs 3 österreichisches Fortpflanzungsmedizingesetz vorausgesetzt – keine „entwicklungsfähige Zelle“ im Sinne des österreichischen Rechts zur Entstehung gelangt. Ein solches Regelungsvakuum besteht hingegen nicht, wenn der Gesetzgeber an die Verfahrensweise als solche anknüpft, sei es im Sinne eines Verbots (wie es sich zB in den Niederlanden implizit durch Beschränkung der Zulässigkeit auf Verwendung von überzähligen Befruchtungs-Embryonen ergibt45), sei es im Sinne einer an gewisse, näher bestimmte Voraussetzungen geknüpften Zulässigkeit (zB Belgien, China, England, Japan, Massachusetts/USA). Das japanische Beispiel zeigt aber auch, dass für eine Rechtsordnung, in der die Erzeugung von „Klon-Embryonen“ zugelassen ist, damit nicht notwendig auch schon die Würfel zugunsten der Zulässigkeit der Erzeugung von Stammzellen aus diesen Entitäten gefallen sind.46
7. Varianz bezüglich Verwendung embryonaler Stammzellen im Rahmen der Forschung Der deutsche Weg, die Gewinnung embryonaler Stammzellen zu verbieten, für Forschung an vorhandenen, aus dem Ausland importieren Stammzellen aber in gewissem Umfang die Möglichkeit einer behördlichen Genehmigung vorzusehen, findet sich in keinem weiteren der hier untersuchten Länder. Allerdings ist nach derzeitiger Rechtslage in Italien, Österreich und Polen, wo, wie oben dargestellt, Embryonen nicht für Forschungszwecke benutzt _____________ 43 Vgl Kersten, Jens, Das Klonen von Menschen. Eine verfassungs-, europa- und völkerrechtliche Kritik (2004) 40; Koch (FN 21) 1100 ff; Taupitz, Jochen, Erfahrungen mit dem Stammzellgesetz, Juristenzeitung 62 (2007) 113-122, 121 f. 44 Kopetzki, Christian, Rechtliche Aspekte des Embryonenschutzes, in Körtner, Ulrich H. J./Kopetzki, Christian (Hrsg), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin? (2003) 51-72. 45 Vgl Halliday (FN 27) 52 f. 46 Ishizuka (FN 14) 79 f.
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oder „verbraucht“ und deshalb aus ihnen keine embryonalen Stammzellen gewonnen werden dürfen, Forschung an importierten embryonalen Stammzellen nicht ausdrücklich verboten. Eine gewisse Ausnahmestellung kann die schweizerische Rechtslage für sich in Anspruch nehmen: Entgegen ursprünglichen Planungen ist dort die Zulässigkeit der fortpflanzungsfremden Verwendung von In-vitro-Embryonen vom Parlament auf die Gewinnung embryonaler Stammzellen beschränkt worden. Damit erfährt die Forschung an embryonalen Stammzellen gegenüber (generell verbotener) sonstiger Embryonenforschung eine Sonderbehandlung.
8. Regeln zur Anwendung von embryonalen Stammzellen am Menschen Spezielle gesetzliche Regelungen zur Stammzellforschung betreffen offenbar bislang praktisch ausschließlich die Grundlagenforschung. Aspekte der Stammzellforschung, die durch deren Anwendung am (geborenen) Menschen aufgeworfen werden und insbesondere die Voraussetzungen für die Einbeziehung von Menschen als Versuchspersonen betreffen, werden in der Gesetzgebung bislang offenbar kaum thematisiert; insoweit ist auf die generellen Regelungen zu Heilversuch und Humanexperiment zu verweisen.47
9. Ergänzende Zusammenfassung zu Regelungsvielfalt und -defiziten Nach einer im Internet publizierten europaweiten – im Hinblick auf die Ergebnisse unserer Untersuchungen allerdings mit manchen Vorbehalten zu versehenden – summarischen Übersicht der International Society for Stem Cell Research (ISSCR)48 ist in 15 europäischen Rechtsordnungen Forschung mit existierenden embryonalen Stammzelllinien, die aus BefruchtungsEmbryonen gewonnen wurden – unter welchen näheren Voraussetzungen auch immer – zulässig, in sieben dagegen generell verboten. 19 Länder sollen demnach die Materie bislang noch nicht geregelt haben. 17 Länder erlauben die Forschung an überzähligen Embryonen; drei (Belgien, Schweden, England) lassen unter bestimmten Voraussetzungen sogar explizit die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken zu. Griechenland verbietet sie jedenfalls nicht, solange kein Transfer beabsichtigt ist, betont aber den Vorrang der Embryospende gegenüber der Forschung.49 Die zuerst genannten drei Länder haben auch den Zellkerntransfer explizit unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt und damit die rechtlichen Voraussetzungen für die Erzeugung „quasi-embryonaler“ Stammzellen durch _____________ 47 48 49
Vgl Seith (FN 1) 293 ff. http://isscr.org/public/regions/region.cfm?RegionID=1. Kiriakaki (FN 28) 532.
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„therapeutisches“ Klonen geschaffen, während die weit überwiegende Zahl der europäischen Länder diesen Komplex bislang noch nicht geregelt hat. Mit der Bezeichnung „quasi-embryonal“ soll in Anlehnung an die oben (III.2) eingeführte Terminologie zum Ausdruck gebracht werden, dass Stammzellen, die auf diese Weise (entsprechendes gilt für das Verfahren der Reprogrammierung somatischer Zellen) erzeugt werden, in wesentlichen Eigenschaften sich wie herkömmliche embryonale Stammzellen verhalten, ohne dass bei ihrer Herstellung im Labor ein durch Befruchtung entstandener Embryo im herkömmlichen Sinn Verwendung gefunden hat. Für etliche Länder wird man in Bezug auf die Stammzellgewinnung durch Zellkerntransfer die Rechtslage als noch nicht abschließend geklärt ansehen müssen. Dies hängt bisweilen mit der oben dargestellten Varianz des normativen Embryo-Begriffs zusammen, aber auch mit tatsächlichen Ungewissheiten bezüglich des Maßes der Entwicklungsfähigkeit von Entitäten, an deren Beginn an Stelle einer Befruchtung ein Zellkerntransfer stand.50 Für Länder wie Österreich, die für die Definition des In-vitro-Embryos bzw seines normativen Äquivalents („entwicklungsfähige Zelle“) maßgeblich an das Stattfinden einer Befruchtung abheben, bedürfte es einer speziellen Regelung. Wo, wie in Japan, vom Gesetzgeber die unterschiedlichsten „starting points“ in Rechnung gestellt und das Verfahren als solches reglementiert wurde, hat der Gesetzgeber für Klarheit gesorgt. Demgegenüber besteht etwa in Deutschland hinsichtlich der Frage, ob durch Anwendung dieses Verfahrens gegen das Klonverbot des § 6 ESchG verstoßen würde, mehrfache Unklarheit, weil zum einen im Streit steht, ob „Embryonen“ im Sinne des Embryonenschutzgesetzes nur durch Befruchtung oder auch auf andere Weise entstehen können,51 des Weiteren nicht abschließend geklärt ist, welchen Grad an Entwicklungsfähigkeit Embryonen aus normativer Sicht aufweisen müssen, dh was unter der „Fähigkeit, sich zu einem Individuum zu entwickeln“ im Sinne von § 8 ESchG zu verstehen ist, und schließlich weil sich praktisch kaum klären ließe, wie weit die Entwicklungsfähigkeit einer durch Zellkerntransfer oder durch Reprogrammierung entstandenen Entität _____________ 50
Koch (FN 21) 1102 f mwN; Reich, Jens, Empirische Totipotenz und metaphysische Gattungszugehörigkeit bei der moralischen Beurteilung des vorgeburtlichen menschlichen Lebens, in Zeitschrift für medizinische Ethik 50 (2004) 115-130. 51 Vgl etwa Koch (FN 23) 106 ff; Beck (FN 23) 217 ff; Hetz (FN 23) 70 ff; Kersten (FN 43) 30 ff; Bundesregierung: Bericht zur Frage eines gesetzgeberischen Handlungsbedarfs beim Embryonenschutzgesetz aufgrund der beim Klonen von Tieren angewandten Techniken und der sich abzeichnenden weiteren Entwicklung. Bundestags-Drucksache 13/11263 vom 25. 6. 1998; Hilgendorf, Eric, Klonverbot und Menschenwürde – Vom Homo Sapiens zum Homo Xerox? Überlegungen zu § 6 Embryonenschutzgesetz, in Geis, Max-Emanuel/Lorenz, Dieter (Hrsg), Staat – Kirche – Verwaltung, Festschrift für Hartmut Maurer zum 70. Geburtstag (2001) 1147-1164; Schroth, Ulrich, Stammzellenforschung und Präimplantationsdiagnostik aus juristischer und ethischer Sicht, in Roxin, Claus/Schroth, Ulrich (Hrsg), Handbuch des Medizinstrafrechts, 3. Auflage (2007) 435-461.
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tatsächlich reicht.52 Das deutsche Stammzellgesetz stellt immerhin in § 4 Abs 2 Nr 1 b) klar, dass Forscher nur aus Befruchtungs-Embryonen gewonnene embryonale Stammzellen einführen und verwenden dürfen. Stammzellen, in deren künstlichem Herstellungsprozess nie das Stadium der Totipotenz erreicht bzw durchlaufen wurde, sind allerdings keine „embryonalen“ Stammzellen im Sinne des deutschen Stammzellgesetzes53 mit der Folge, dass auf sie die Kontrollregelungen dieses Gesetzes keine Anwendung finden. Was das neuartige Verfahren der kontrollierten (dh nach derzeitigem Wissen nicht bis zur Totipotenz führenden) Reprogrammierung somatischer Zellen durch gentechnische Verfahren als Basis für die Gewinnung „quasiembryonaler“ Stammzellen betrifft, so dürften explizite gesetzliche Regelungen dazu kaum bereits in nennenswerter Zahl geschaffen worden sein. In einer Reihe von Ländern finden die für die Forschung am In-vitroEmbryo etablierten Genehmigungserfordernisse auch auf die Forschung mit schon vorhandenen embryonalen Stammzellen Anwendung (Frankreich, Dänemark, Spanien, Japan).54 In anderen Ländern (Belgien, Griechenland, England, Schweiz) ist dagegen nur der Vorgang der Gewinnung embryonaler Stammzellen unter Genehmigungsvorbehalt gestellt, wobei England und die Schweiz für die Stammzellforschung abgeschwächte Kontrollinstrumente (keine Genehmigung durch Ethikkommission bzw bloße Anzeigepflicht) vorsehen. Manche Rechtsordnungen wie Belgien und Griechenland verzichten darauf, die Verwendung bereits etablierter Stammzellen für (weitere) Forschungsprojekte unter irgendeine Art von Kontrolle zu stellen. Aus strafrechtlicher Sicht erscheint bemerkenswert, wenn Verstöße gegen die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der bloßen Verwendung embryonaler Stammzellen als minder strafwürdig im Vergleich zu solchen hinsichtlich der Gewinnung von Stammzellen eingestuft werden (insbesondere Frankreich, Schweiz).55
_____________ 52
Koch (FN 21) 1100 ff; Reich (FN 50) 124 f; Beck, Susanne, Stammzellforschung und Strafrecht. Zugleich eine Bewertung der Verwendung von Strafrecht in der Biotechnologie (2006) 192. 53 Vgl zB Taupitz (FN 43) 121 f; Kersten, Jens, Rechtliche Aspekte der Stammzellforschung, in Heinemann, Thomas/Kersten, Jens (Hrsg), Stammzellforschung. Naturwissenschaftliche, rechtliche und ethische Aspekte, Ethik in den Biowissenschaften, Sachstandsberichte des DRZE, Band 4 (2007) 107-185. 54 Seith (FN 1) 293 ff. 55 Vgl Seith (FN 1) 278 ff.
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IV. Möglichkeiten und Grenzen zukünftiger Rechtsangleichung – Konsequenzen rechtlicher Divergenzen für international angelegte Forschung Angesichts der dargestellten Divergenzen drängt sich die Frage nach zukünftiger internationaler Rechtsangleichung auf: Inwieweit ist sie nötig, inwieweit möglich? Diese Aspekte werden zumeist im Hinblick auf die Heterogenität vorhandener Regelungen diskutiert. Mindestens ebenso bedeutsam ist aber der Umstand, dass viele Länder noch überhaupt keine oder nur fragmentarische (lediglich Teilbereiche betreffende) Normierungen haben. Selbst in Europa ist deren Zahl beachtlich: Explizite Regelungen zur Stammzellforschung (generelle Verbote eingeschlossen) finden sich nach der erwähnten Übersicht der ISSCR in 28 von 44 Rechtsordnungen.56 In zwei Ländern (Finnland, Österreich) sollen danach Gesetzgebungsverfahren im Gange sein, was freilich zumindest für Österreich nach eigenen Recherchen nicht im formalen Sinn zutrifft, sondern nur im Sinne von Vorüberlegungen zu verstehen ist. Die Heterogenität der Rechtslage wird insbesondere von den Stammzellforschern (aber auch von den Reproduktionsmedizinern) beklagt. Wie schon die Diskussionen um die Biomedizin-Konvention des Europarats und um die UN-Anti-Klonkonvention gezeigt haben, ist eine internationale Harmonisierung der Rechtslage auf diesem Gebiet in absehbarer Zukunft allenfalls in einigen speziellen Sachfragen sowie im Hinblick auf prozedurale Aspekte zur Gewährleistung optimierter Entscheidungsfindung zu erwarten.57 Unter den gegenwärtig geltenden Bedingungen kann die internationale Zusammenarbeit von Forschern aus Ländern mit unterschiedlichen Regelungen daher erhebliche Rechtsprobleme aufwerfen.58 Schon die Betreuung eines eigenen Projekts durch einen vorübergehend im Ausland auf Kongressreise befindlichen Stammzellforscher artet möglicherweise zum strafrechtlichen Risiko aus. Die Frage ist insbesondere, ob das jeweilige nationale Strafrecht eher auf Handlungen der eigenen Bürger zielt (egal, wo diese Handlungen stattfinden) oder eher die Verhinderung von Straftaten innerhalb der Landesgrenzen bezweckt. Im Bereich der Fortpflanzungsmedizin und der Embryoforschung _____________ 56
Vgl FN 48. Seith (FN 1) 332 ff; Petersen/Nohlen/Vöneky (FN 2) 633 f; zu den Konsequenzen vgl Tanner, Klaus, Umgang mit Dissens, in Maio (FN 2) 703-719. 58 Dahs, Hans/Müssig, Bernd, Rechtliche Stellungnahme, in Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg), Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen. Strafrechtliche Grundlagen und Grenzen (2003) 1-35; Eser, Albin/Koch, Hans-Georg, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen im In- und Ausland. Rechtsgutachten zu den strafrechtlichen Grundlagen und Grenzen der Gewinnung, Verwendung und des Imports sowie der Beteiligung daran durch Veranlassung, Förderung und Beratung, in Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg), Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen. Strafrechtliche Grundlagen und Grenzen (2003) 37-207; Hilgendorf, Eric, Strafbarkeitsrisiken bei der Stammzellforschung mit Auslandskontakten, Zeitschrift für Rechtspolitik 39 (2006) 22-25. 57
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stößt man kaum auf strafrechtliche Bestimmungen, die sich ausdrücklich mit der Strafbarkeit von Auslandstaten befassen. Nach allgemeinen Regeln gilt in vielen Ländern der Grundsatz, dass Auslandstaten von Inländern verfolgt werden können, wenn deren Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist. Nun werden freilich Forscher, die in einem restriktiven Land zu Hause sind, in der Regel mit Kollegen zusammenarbeiten wollen, in deren Land größere rechtliche Freiräume bestehen. Dennoch bedeutet dies keine „Entwarnung“: Denn – abgesehen von Sonderregeln zB für Amtsträger (vgl § 5 Nr 12 dStGB), nach denen es auf die Strafbarkeit am ausländischen Tatort nicht ankommt, kann ein inländischer Tatort auch dann gegeben sein, wenn sich das Tatobjekt (zB der beforschte Embryo) im Ausland befindet. Das erwähnte Prinzip der Strafbarkeit in beiden betroffenen Ländern ist dann nicht weiter von Bedeutung. Wer etwa von Deutschland aus via Telefon oder Internet an einem zB englischen oder spanischen Projekt beratend mitwirkt, handelt in Deutschland und unterliegt deutschem Strafrecht. Darauf, dass/ob das Projekt mit dem englischen bzw spanischen Recht konform geht, kommt es nicht an, ebenso wenig darauf, ob der Täter normalerweise in Deutschland lebt oder sich nur vorübergehend im Land aufhält. Nach der ursprünglichen Fassung des deutschen Stammzellgesetzes bestanden daher zumindest theoretisch strafrechtliche Risiken nicht nur für gewöhnlich in Deutschland tätige Forscher, die sich an ausländischen Projekten beteiligen, sondern auch zB für den chinesischen Forscher, der in Deutschland einen Fachkongress besucht und sich zB durch Erteilen von Anweisungen während der Tagung aktiv um sein heimisches StammzellProjekt kümmert. Als Ausweg bot es sich an, die deutschen Regelungen so zu interpretieren, dass sie nur die Aufgabe haben, im Inland befindliche Embryonen zu schützen.59 Aber diese Auffassung blieb nicht unumstritten;60 klarstellende Gerichtsentscheidungen sind zu dieser Frage nicht ergangen und waren auch nicht zu erwarten. Daher ist es zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber nun selbst – im gleichen legislativen Atemzug mit der Verschiebung des Stichtages auf den 1. 5. 2007 – durch entsprechende Änderungen in §§ 2 und 13 Stammzellgesetz Klarheit schaffen will.61Bei der Drucklegung dieses Bandes hatte der Gesetzesentwurf die letzten parlamentarischen Hürden genommen;62 die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten – Voraussetzung für die Verkündigung und damit für das Inkrafttreten – steht allerdings noch aus.
_____________ 59
Dahs/Müssig (FN 58) 28 f; Eser/Koch (FN 58) 118 ff. Schroth (FN 51) 446; Hilgendorf (FN 58) 23. 61 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes vom 6. 2. 2008, Bundestags-Drucksache 16/7981. 62 Vgl Bundesrats-Drucksachen 278/08 vom 2. 5. 2008 und 278/08 (Beschluss) vom 23. 5. 2008 60
Völker- und gemeinschaftsrechtliche Aspekte embryonaler Stammzellforschung Manfred Stelzer
I. Einflussbereich des Völker- und Gemeinschaftsrechts Die moderne biomedizinische bzw biotechnologische Forschung ist weltweit zum Gegenstand einer intensiven ethischen Debatte geworden. Diese betrifft in der Sache aber nicht nur Fragen der Moral: insbesondere dort, wo es um (mögliche) Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre von Menschen dadurch geht, dass beispielsweise ihre Körpersubstanzen zu Forschungszwecken benutzt werden und/oder dass Forschungsergebnisse Aussagen über potentielle Gesundheitsprobleme zulassen, sind auch genuine Rechtsfragen betroffen. Es kann nämlich diskutiert werden, ob solche Forschungen zu Eingriffen in grund- und menschenrechtliche Positionen führen und diese unzulässig verkürzen. Ein besonderes Problem der biomedizinischen und biotechnologischen Forschung stellt der Umgang mit dem ungeborenen Leben dar: Forschungsprojekte, die in das Frühstadium menschlichen Lebens eingreifen, werfen ganz grundsätzliche Fragen nach dem rechtlichen Schutz des Lebens, aber auch der Menschenwürde auf. Es kann daher auch nicht verwundern, dass diese Debatten auch nach und nach ihren Niederschlag im Völker- und Gemeinschaftsrecht gefunden haben, sind doch beide Rechtsordnungen in zunehmendem Ausmaß dem Schutz der Grund- und Freiheitsrechte verpflichtet. Die einschlägigen Texte befassen sich aber – mit Ausnahme des europäischen Forschungsförderungsrechts – nicht ausdrücklich mit der embryonalen Stammzellforschung. Ob und inwieweit sie von völker- und gemeinschaftsrechtlichen Normen erfasst wird, hängt vor allem von den verwendeten Techniken der Stammzellgewinnung ab. Die (bloße) Forschung an und mit diesen Zellen selber ist, soweit abzusehen, von völker- und gemeinschaftsrechtlichen Einschränkungen nicht erfasst; für sie gelten daher in vollem Umfang jene völker- und gemeinschaftsrechtlichen Normen, die ganz allgemein die Forschungsfreiheit verbürgen. Embryonale Stammzellen können bekanntlich auf unterschiedliche Weise gewonnen werden. Befruchtete Eizellen werden beispielsweise unter dem Einsatz bestimmter technischer Verfahren in vitro bis zum Stadium der Blastozyste entwickelt, worauf aus der „inner cell mass“ die Stammzellen entnommen werden. Ein solcher Eingriff führt unweigerlich zum Tod der
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Blastozyste. Die befruchteten Eizellen selbst können entweder aus IVFVerfahren stammen, wo sie nicht mehr gebraucht werden, weil sie überzählig sind („spare embryos“). Möglich ist aber auch, dass eigens für den Zweck der Stammzellgewinnung einer Frau Eizellen entnommen und extrakorporal befruchtet werden. Stammzellen können aber auch einer Blastozyste entnommen werden, die im Verfahren des so genannten „therapeutischen Klonens“ entwickelt wurde. Dabei werden wiederum Eizellen aus dem Körper einer Frau entnommen. Anschließend wird der Zellkern durch den Kern einer somatischen Zelle ersetzt, woraufhin die Zelle entwickelt wird. Zu einer solchen entwicklungsfähigen Zelle mag man auch gelangen, wenn und soweit es gelingt, eine somatische Zelle zu „reprogrammieren“.1 Dreh- und Angelpunkt für grundlegende ethische Debatten, die dann auch Auswirkung auf die Rechtsfragen haben, scheint dabei zu sein, dass in jedem der geschilderten Verfahren zur Stammzellgewinnung an irgendeinem Punkt eine „totipotente“ Zelle vorliegt, von der angenommen wird, sie könne sich, jedenfalls theoretisch, „zu einem Menschen“ bzw „als ein Mensch“ entwickeln.2 Allein die unterschiedliche Formulierung kennzeichnet dabei bereits die jeweilige ethische Grundposition. Als problematisch wird angesehen, dass diese Entwicklung unterbunden wird, weil im Ergebnis diese Zellen sterben müssen (verbrauchende Embryonenforschung). Ebenso problematisch wird daher gesehen, wenn Forschungshandlungen an einer totipotenten Zelle selbst unternommen werden, die dazu führen, dass dieser Zelle eine entsprechende Entwicklung bis zur Geburt versagt bleibt. Ob und inwieweit völker- und gemeinschaftsrechtliche Normen Auswirkung auf die Stammzellforschung haben, hängt nicht nur von der Verwendung der einen oder anderen Technik ab, sondern vor allem auch von der Interpretation der einschlägigen Vorschriften. Dabei kann gezeigt werden, dass diese Vorschriften in ihrer Interpretation hochgradig von außerrechtlichen Annahmen abhängen, so dass ihnen im Ergebnis ein eindeutiger Auftrag oder eindeutige Einschränkungen der staatlichen Gesetzgebung nicht entnommen werden können. Dies soll im Folgenden – dem vorgegebenen Umfang der vorliegenden Abhandlung entsprechend – an einigen Beispielen erläutert werden.
II. Weltvölkerrecht Es mag nicht verwundern, dass die Bemühungen auf der Ebene des Weltvölkerrechts um angemessene Regelungen der Biomedizin und Biotechnologie _____________ 1 Zu den einzelnen Techniken vgl zB Wolf, Reprogrammierung durch Zellkerntransfer, in Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg), Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen (2002) 55. 2 Zur Betonung dieser begrifflichen Unterscheidung, hinter der ganze theoretische Konzepte stehen, vgl insbesondere BVerfGE 88, 203 (252).
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in besonderer Weise von den Interessengegensätzen der einzelnen Staaten und von den kulturellen Hintergründen der in der Weltgemeinschaft zusammengeschlossenen Völker dominiert werden. So haben sich auf der in Rede stehenden Regelungsebene bislang überhaupt nur Texte formulieren lassen, die Empfehlungen enthalten, im Ergebnis daher unverbindlich sind. Dies gilt etwa für die Universal Declaration on the Human Genome and Human Rights,3 die 1997 im Rahmen der UNESCO verabschiedet wurde, ebenso wie für die United Nations Declaration on Human Cloning4 aus dem Jahr 2005. Bedeutsamer als der Umstand, dass es sich bei diesen Texten im Ergebnis nur um Empfehlungen handelt, die als solche zwar nirgendwo einklagbar wären, deren Einhaltung aber immerhin überprüft werden könnte, ist die Tatsache, dass diese Deklarationen mit höchst voraussetzungsvollen Begriffen arbeiten, ohne diese verbindlich zu definieren. Solche verbindlichen Definitionen fehlen dabei aber nicht „zufällig“: hätte man eine Einigung auf die Begriffsdefinitionen zur Bedingung gemacht, würde es diese Deklarationen jedenfalls in der vorliegenden Form gar nicht geben. Dieser Umstand führt aber, wie sogleich zu zeigen sein wird, im Ergebnis dazu, dass auch der Inhalt der Deklarationen nur sehr schwer festgestellt werden kann. So enthält etwa die UNESCO-Declaration ua in ihrem Art 11 die Feststellung, dass Praktiken, die der Menschenwürde widersprechen, wie das reproduktive Klonen, verboten seien. Außer einer klaren Absage an das reproduktive Klonen, von der aber die Stammzellgewinnung ex definitione nicht betroffen ist, bleibt offen, welche Praktiken der Menschenwürde sonst noch widersprechen. Es werden lediglich die Staaten und internationale Organisationen aufgefordert, derartige Praktiken zu benennen und auf nationaler wie internationaler Ebene jene Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Beachtung der in der UNESCO-Declaration niedergelegten Grundsätze sicherzustellen. Zu diesen gehört aber die – nicht näher definierte – Menschenwürde genauso wie die Freiheit der Forschung und die Verpflichtung, den daraus entstandenen Fortschritt jedem Einzelnen (unter Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte) zugänglich zu machen (Art 12). Für das Thema „Stammzellforschung“ lassen sich daraus daher keine klaren normativen Vorgaben, nicht einmal auf der Ebene der Empfehlung, ableiten. Wenn sich nicht eindeutig nachweisen lässt, dass die Gewinnung von Stammzellen in der einen oder anderen oben beschriebenen Weise der Menschenwürde widerspricht (und darüber herrscht offensichtlich kein Konsens zwischen den Mitgliedstaaten), dann spricht die ebenfalls stipulierte Forschungsfreiheit eher für die Annahme ihrer Zulässigkeit. _____________ 3
Universal Declaration on the Human Genome and Human Rights, UNESCO Gen. Conf. Res. 29 C/Res. 16 (1997), http://unesdoc.unesco.org/images/0011/001102/ 110220e.pdf#page=47 (12. 2. 2008). 4 United Nations Declaration on Human Cloning A/RES/59/280, http://dacces sdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N04/493/06/PDF/N0449306.pdf?OpenElement (12. 2. 2008).
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Auch die oben zitierte UN-Declaration ist bezüglich des Klonverbotes alles andere als eindeutig. Für die Stammzellgewinnung wäre sie dann von Relevanz, wenn ihr ein Verbot auch des therapeutischen Klonens bzw, genauer, eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten entnommen werden könnte, therapeutisches Klonen nicht zuzulassen. Dann hätte diese Declaration immerhin eine klare und eindeutige völkerrechtliche Vorgabe für die Stammzellforschung: die Gewinnung von Stammzellen durch Klonen wäre dann zumindest stigmatisiert. Lit (b) der zitierten Declaration lautet allerdings lediglich: „Member States are called upon to prohibit all forms of human cloning inasmuch as they are incompatible with human dignity and the protection of human life“. Mit dieser Bestimmung wird aber, wie ersichtlich, überhaupt keine bestimmte Form des Klonens inkriminiert, sondern es soll dieses von den Mitgliedstaaten nur so weit verboten werden, als es mit der Menschenwürde und dem Schutz des menschlichen Lebens unvereinbar ist. Wie weit diese Aufforderung daher reicht, hängt davon ab, welche Form des Klonens man mit der Menschenwürde und dem Schutz des menschlichen Lebens für unvereinbar hält. Dies hängt wieder von der Bedeutung des Begriffes „Menschenwürde“ sowie von der Frage ab, welches menschliche Leben hier als schützenswert gemeint ist. In der Literatur wurde bereits bemerkt, dass die offenbar bewusst gewählte „weiche“ Formulierung nicht einmal unbedingt das reproduktive Klonen inkriminiert.5 Auch wenn eine solche Interpretation mit dem Text der UN-Declaration in Übereinstimmung gebracht werden könnte, so erschiene es unter Rückgriff auf die UNESCO-Declaration doch merkwürdig, wenn nicht einmal das reproduktive Klonen von der UNDeclaration erfasst sein sollte. In der UNESCO-Declaration war ja das reproduktive Klonen ausdrücklich als mit der Menschenwürde unvereinbar angesehen worden (per definitonem freilich, ohne zu sagen, warum). Es spricht daher einiges dafür, dass auch die UN-Declaration reproduktives Klonen verhindern möchte. Für das therapeutische Klonen kann Gleiches aber nicht so ohne weiteres gesagt werden. Schließlich ist der Zugang der einzelnen Mitgliedstaaten zur Frage, was der Menschenwürde widerspricht und vor allem, wer ihr Schutzobjekt ist, sehr unterschiedlich. Es muss hier nicht näher betont werden, dass unter Moralphilosophen und Theologen die Frage, wann das menschliche Leben beginnt und wann es daher wie zu schützen ist, wann ihm Menschenwürde zukommt und was dies im Einzelnen bedeutet, umstritten ist;6 ein Konsens ist nicht absehbar und wird auch vermutlich nie erzielt werden können, wohl auch deshalb, weil die Antworten zum Teil tief in religiösen Überzeugungen verankert sind. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass auch die staatlichen Rechtsordnungen und -dogmatiken in dieser Beziehung unterschiedliche Ausprägungen erfah_____________ 5 Taupitz, Der rechtliche Rahmen des Klonens zu therapeutischen Zwecken, NJW 2001, 3433 (3439). 6 Vgl dazu auch den Beitrag von Wallner in diesem Band.
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ren haben und sich diese Unterschiede auch in der Rechtsprechung niederschlagen. Viele der heute für die biomedizinische Forschung relevanten Rechtsfragen wurden dabei schon wenigstens zum Teil in den Abtreibungsdiskussionen der Siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts vorformuliert. Für die hier verfolgten Zwecke erscheint es nicht nötig, diese Auseinandersetzungen im Detail nachzuvollziehen. Es genügt der Hinweis, dass die in der moralphilosophischen und theologischen Debatte bezogenen Positionen ihren Niederschlag in den unterschiedlichen nationalstaatlichen Rechtsordnungen gefunden haben. In den Vereinigten Staaten von Amerika, beispielsweise, hat der U.S. Supreme Court schon in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1973, Roe vs. Wade,7 befunden, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten dem Ungeborenen grundsätzlich keine Persönlichkeitsrechte einräumt. Deshalb wäre die Entscheidung, die Leibesfrucht abzutreiben, grundsätzlich vom Persönlichkeitsrecht der Schwangeren erfasst, in das der Staat aber insoweit eingreifen dürfe, als er ein „compelling governmental interest“ geltend machen kann und der Eingriff „narrowly tailored“ bleibt. Es mag in diesem Zusammenhang interessant sein, dass der Supreme Court Fragen nach dem Beginn des menschlichen Lebens quer durch die Geschichte verfolgt hat und im Ergebnis festgehalten hat, dass angesichts des Umstandes, dass ein Konsens zwischen Theologen und Moralphilosophen nicht gefunden werden kann, gelte: „the judiciary is not in a position to speculate as to the answer“. Auch der österreichische Verfassungsgerichtshof hat in einem Erkenntnis aus dem Jahr 1974 im Ergebnis den Schutz des Lebens nicht auf das ungeborene Leben erstreckt.8 Völlig anders hat bekanntlich das Bundesverfassungsgericht entschieden, das den Anwendungsbereich des Art 2 Abs 2 GG auch auf das ungeborene Leben erstreckt hat, wobei es in seiner Entscheidung im 39. Band den Beginn dieses Schutzes des menschlichen Lebens „jedenfalls“ ab dem 14. Tag nach der Empfängnis einsetzen lässt.9 Die deutsche Staatsrechtslehre ist, wenigstens in ihrem überwiegenden Teil, einen weiteren Schritt darüber hinausgegangen, indem sie den Beginn des Lebensschutzes bereits mit dem Zeitpunkt der Befruchtung, dh der Verschmelzung der Zellkerne von Samen- und Eizelle, ansetzt.10 Einher mit dem Schutz des Lebens geht aber auch die Zuerkennung von Menschenwürde. Schon das _____________ 7
Roe vs. Wade 410 U.S. 113 (1973), http://caselaw.lp.findlaw.com/scripts/getcas e.pl?court=US&vol=410&invol=113 (12. 2. 2008). 8 VfSlg 7400/1974. 9 BVerfGE 39, 1 (37). Ähnlich auch die E im 88. Band, obwohl sich dort andeutet, dass das BVerfG auch dazu neigen könnte, den Lebensbeginn mit der Befruchtung (normativ) anzusetzen. 10 So zB Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland III2 (1994) 1061 f; Vitzthum, Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, JZ 1985, 201 (208); Lorenz, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, in Isensee/Kirchhof (Hrsg), HbStR VI 9 f; Böckenförde, Menschenwürde als normatives Prinzip, JZ 2003, 809 (812); zum Spektrum der vertretenen Meinungen vgl Di Fabio in Maunz/Dürig, Kommentar Grundgesetz, Art 2 Abs 2 Satz 1 GG (2004) 43. Lfg, RN 24 (FN 4).
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Bundesverfassungsgericht formuliert dazu apodiktisch: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu; es ist nicht entscheidend, ob der Träger sich dieser Würde bewusst ist und sie selbst zu wahren weiß.“11 Die Kombination dieser beiden Ansätze führt dazu, dass bereits der befruchteten Eizelle Menschenwürde zukommt. Nach einer in der deutschen Staatsrechtslehre weit verbreiteten und auf die Arbeiten Dürigs zurückgehenden Ansicht bedeutet der „Menschenwürdesatz“ in Anlehnung an eine Formulierung des kategorischen Imperativs bei Kant, dass jeder immer auch als Zweck an sich selbst, niemals jedoch als bloßes Objekt behandelt werden darf.12 Es ist dies nicht der Ort, zu entscheiden, welches Konzept man als tragfähiger ansehen möchte; es ist hier auch nicht relevant, ob die unterschiedlichen Lösungen sich wirklich aus Unterschieden in den einzelnen Verfassungen ergeben.13 Hier ist ausschließlich von Interesse, dass allein vor dem Hintergrund dieser drei Staaten die Antworten auf die relevanten Fragen in unterschiedlicher Weise gegeben wurden, wobei allerdings eines sicher ist: eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Regelung findet sich nirgendwo. Interpretiert man nun die hier in Rede stehenden völkerrechtlichen Bestimmungen der UN-Declaration jeweils aus der Sicht der skizzierten nationalstaatlichen Rechtsordnungen bzw Rechtsdogmatiken, so zeigen sich sofort die relevanten Unterschiede vor allem im Hinblick auf das hier vorrangig interessierende Klonen zur Gewinnung von Stammzellen: legt man das in der deutschen Staatsrechtslehre weit verbreitete Konzept zugrunde, wonach bereits die befruchtete Eizelle Lebensschutz und Menschenwürde genießt, so dürfte es wohl zwingend sein, die Bestimmung der UN-Declaration, mit der das Klonen inkriminiert wird, soweit es gegen die Menschenwürde bzw den Lebensschutz verstößt, so zu lesen, als dass damit auch das therapeutische Klonen zur Gewinnung von Stammzellen gemeint sein muss: die Verwendung einer geklonten Eizelle zur Gewinnung von Stammzellen wäre wohl mit ihrer Würde unvereinbar, bedeutete der Einsatz der Klonierungstechnik doch im Ergebnis, dass eine totipotente Zelle allein zu dem Zweck entwickelt _____________ 11
BVerfG 39, 1 (41). ZB Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AÖR 1956, 117 ff; eine sehr eindrucksvolle Veranschaulichung, wie dieses Objektivierungsverbot auf hier relevante Fragen Anwendung finden kann, findet sich bei Kersten, Das Klonen von Menschen (2004) 482ff; im Sinne dieses „embryological Kantianism“ (Mauron/Baertschi, The European Embryonic Stem-Cell Debate and the Difficulties of Embryological Kantianism, Journal of Medecine and Philosophy 2004, 563 [568 ff]) argumentiert jüngst auch Duttge, Der Embryo: Ein „Niemand“? – Grenzen der Embryonen- und Stammzellforschung, ZRph 2007, 76 ff. 13 Es ist bemerkenswert, dass sowohl der U.S. Supreme Court als auch das BVerfG bemüht sind, die relevanten Antworten auf die Fragen nach dem Umfang des Schutzbereiches der involvierten Grundrechte aus spezifisch verfassungshistorischen Überlegungen zu gewinnen. Dabei war freilich für das BVerfG die spezifische Unrechtserfahrung des Nationalsozialistischen Regimes, auf die das Bonner GG als Antwort formuliert wurde, mit ausschlaggebend. 12
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werden müsste, Stammzellen zu gewinnen. Es ließe sich wahrscheinlich schlüssig argumentieren, dass damit eine totipotente Zelle, also eine solche, die sich im Sprachgebrauch dieses Konzepts „als Mensch“ entwickeln könnte, als bloßes Objekt der Forschung betrachtet würde. Hingegen würde eine Konzeption wie sie der Rechtsprechung des Supreme Court unterliegt, diese Form des Klonens schon deshalb nicht erfassen, weil die Garantien von Lebensschutz und Menschenwürde erst dem geborenen Menschen zustünden. Selbst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 39. Band ließe sich dann gegen das therapeutische Klonen nicht in Stellung bringen, wenn man sie strikt darauf reduziert, dass Menschenwürde und Lebensschutz erst am 14. Tag nach Empfängnis einsetzten; die Gewinnung embryonaler Stammzellen wäre schon vor diesem Zeitpunkt erfolgt, dieser Zeitpunkt wäre also gar nicht erreicht worden. Da die UN-Declaration aber genau vor dem Hintergrund dieses Spannungsverhältnisses der einzelnen Menschenwürdekonzeptionen zueinander zustande gekommen ist, lässt sich jedenfalls nicht eindeutig nachweisen, dass mit ihr auch das therapeutische Klonen und damit das Klonen zur Gewinnung von Stammzellen verpönt werden sollte. Die divergierende Staatenpraxis genau in diesem Punkt ist nur noch ein weiterer Beweis.14 In ihrer Lit (d) fordert die in Rede stehende Declaration die Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen zu ergreifen, „to prevent the exploitation of women in the application of life sciences“. Diese Aufforderung betrifft wohl (auch) die Frage der Eizellspende zu Forschungs- und Therapiezwecken. Damit können jedenfalls zwei Formen der Stammzellgewinnung in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung geraten: die Erzeugung von befruchteten Eizellen zum Zweck der Gewinnung von Stammzellen ebenso wie – wiederum – das therapeutische Klonen. In beiden Fällen werden menschliche Eizellen benötigt, die zunächst einmal einer Frau entnommen werden müssen. Fraglich ist, ob schon jede Entnahme von Eizellen, die nicht unmittelbar zu Fortpflanzungszwecken der betroffenen Frau dient, als „Ausbeutung“ der Frau verstanden werden kann. Vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Staatenpraxis und der sehr unterschiedlichen Sachverhalte, die zu einer „Eizellspende“ führen können, dürfte dies wohl zu verneinen sein; allerdings betrifft die in Rede stehende Bestimmung eine sensible Frage, die wohl einer gesetzlichen Regelung unterworfen gehörte, soll verhindert werden, dass etwa persönliche Notlagen dazu missbraucht werden könnten, Frauen zu Eizellspenden zu motivieren. Im Ergebnis beeinträchtigt aber auch diese _____________ 14 Mit Recht betont Haßmann, dass sich der völkerrechtliche Begriff der Menschenwürde nicht hinreichend durch die Exegese einzelner abendländischer Philosophen bestimmen lässt. Darüber hinaus gibt es, so ders weiter, keine sich über viele Rechtskreise erstreckende Rechtstradition, in der sich ein internationales Menschenrecht auf Achtung der Menschenwürde verankern lassen könnte. Vgl Haßmann, Embryonenschutz im Spannungsfeld internationaler Menschenrechte, staatlicher Grundrechte und nationaler Regelungsmodelle zur Embryonenforschung (2003) 38, 41.
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Bestimmung die Gewinnung embryonaler Stammzellen nicht, jedenfalls nicht grundsätzlich.15 Darüber hinaus enthält das „Weltvölkerrecht“ Bestimmungen, die prinzipiell für die Freiheit der Forschung und des wissenschaftlichen Fortschrittes sprechen. So bestimmt Art 15 des International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights16 in Z 1, Lit (b), dass die Staaten das Recht jeder Person anerkennen, „to enjoy the benefits of scientific progress and its applications“.17
III. Regelungen im Rahmen des Europarates Es ist bemerkenswert, dass die einschlägigen Rechtstexte, die im Rahmen des Europarates zustande gekommen sind, von ähnlich begrifflicher Offenheit sind wie jene, die im Rahmen der UN bzw der UNESCO formuliert worden sind. Jedenfalls konnte auch hier eine Verständigung über verbindliche Definitionen nicht erzielt werden, was die Explanatory Notes oder Reports zum Teil auch ausdrücklich festhalten.18 Daher lassen sich auch diesen Texten zu vielen der hier relevanten Themen, wie zu zeigen sein wird, keine eindeutigen Vorgaben entnehmen. Das wohl zentrale Dokument für die vorliegende Themenstellung ist die Biomedizinkonvention (MRB).19 Zu dieser ist zunächst einmal zu bemerken, dass sie für Österreich genauso wenig gilt wie für Deutschland und die Schweiz, wobei letztere sie zwar unterschrieben hat, der Ratifikationsprozess gegenwärtig noch im Gange ist. Staaten, in denen intensive embryonale Stammzellforschung betrieben wird, wie etwa das Vereinigte Königreich, haben diese Konvention ebenfalls nicht unterzeichnet. Ihr Geltungsbereich ist _____________ 15 Allerdings denke ich, dass diese Bestimmung – wenngleich auch sie nur empfehlenden Charakter hat – in der Sache einer geradezu „uferlosen Produktion“ von Stammzellen entgegensteht. 16 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, G.A. res. 2200A (XXI), 21 U.N. GAOR Supp. (No. 16) at 49, U.N. Doc. A/6316 (1966), 993 UNTS 3; BGBl I 590/1978. 17 Die hohe Bedeutung, die die Forschungsfreiheit auch im Völkerrecht erlangt hat, betont auch Haßmann, Embryonenschutz (2003) 46 ff. 18 Nach Art 31 Abs 2 lit b WVK sind diese zwar nicht primär zur Interpretation völkerrechtlicher Verträge heranzuziehen, sind aber geeignet, Interpretationsergebnisse zu stützen. Vgl Neuhold/Hummer/Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts I4 (2004) Rz 334; Aust, Modern Treaty Law and Practice2 (2007) 237 f. 19 Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine (ETS N° 164); http://conventions.coe.int/Treaty/EN/ Treaties/Html/164.htm (12. 2. 2008). – Da bei Konventionen des Europarates lediglich die englischen und französischen Originaltexte verbindlich sind, werden in dieser Abhandlung wörtliche Zitate der Konventionsbestimmungen in der authentischen englischen Fassung wiedergegeben.
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heute auf 21 Staaten beschränkt, wobei sich darunter mehrheitlich Reformstaaten befinden.20 Art 1 MRB enthält bereits eine Bestimmung, mit der man – bei entsprechender Interpretation – die Frage nach der Zulässigkeit der Gewinnung embryonaler Stammzellen überhaupt verneinen könnte. Ihm zufolge sind nämlich „parties of the Convention“ verpflichtet, „(to) protect the dignity and identity of all human beings and guarantee everyone, without discrimination, respect of their integrity and other rights and fundamental freedoms with regard to the application of biology and medicine.” Liest man diese Bestimmung vor dem Hintergrund des oben skizzierten Konzeptes, wonach bereits der befruchteten Eizelle Menschenwürde zukommt, so lässt sich mit ihr die Gewinnung embryonaler Stammzellen überhaupt als unzulässig darstellen. Wenn ein „human being“ bzw ein „everyone“ in dieser Bestimmung nämlich mit der befruchteten Eizelle gleichgesetzt werden kann,21 dann lässt sich zumindest argumentieren, dass der ausschließliche Gebrauch zu Forschungszwecken eine nach dem Menschenwürdesatz verpönte Verzweckung darstellt. Als Ergebnis wäre dann die Gewinnung von embryonalen Stammzellen überhaupt zu verbieten; offen bliebe dann aber, was dies für den Import von embryonalen Stammzellen bedeutete. Eine Rechtsordnung, die lediglich die Herstellung im eigenen Land verbietet, den Import jedoch nicht, kann von sich aber nicht gerade behaupten, in Moralfragen besonders konsistent zu sein, und müsste sich vor dem Hintergrund des österreichischen Verfassungsrechts jedenfalls die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung und damit nach der Gleichheitskonformität einer solchen Regelung gefallen lassen. Allerdings ist Art 1 MRB mit Sicherheit nicht so auszulegen wie soeben angedeutet. Nicht nur deshalb, weil die vertragsschließenden Staaten sich auf eine solch eindeutige Begrifflichkeit nicht einigen konnten, sondern auch auf Grund einer systematischen Erwägung: Art 18 Abs 2 MRB wäre dann nämlich sinnlos. Dieser bestimmt: „The creation of human embryos for research purposes is prohibited”. Art 18 Abs 2 MRB wäre unter der Annahme, bereits Art 1 MRB schütze die Menschenwürde der befruchteten Eizelle, vollkommen überflüssig, weil damit die „Herstellung“ eines Embryos zu Forschungszwecken, die also schon von vornherein darauf gerichtet ist, ihm eine „Entwicklung als Mensch“ zu versagen, mit dem Objektivierungsverbot wohl in keinem Fall einhergehen kann.22 Das in Art 18 Abs 2 MRB normierte Verbot _____________ 20 Zum aktuellen Signatar- und Ratifikationsstand vgl die Aufstellung auf der Homepage des Europarates unter: http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/Cherche Sig.asp?NT=164&CM=8&DF=2/12/2008&CL=ENG (12. 2. 2008). 21 Zu diesen – denkbaren – Interpretationsversuchen vor dem Hintergrund der deutschen Grundrechtsdogmatik vgl beispielsweise Starck, Ist die finanzielle Förderung der Forschung an embryonalen Stammzellen durch die Europäische Gemeinschaft rechtlich zulässig? EuR 2006, 1 ff. 22 So betont auch Haßmann, dass der MRB kein geschlossenes Menschenwürdekonzept zu Grunde liegt, bleibt doch die Embryonenforschung grundsätzlich erlaubt. Vgl Haßmann, Embryonenschutz (2003) 64.
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könnte aber nunmehr selbst für die vorliegenden Fragen insoweit bedeutsam werden, als damit wenigstens die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus eigens dafür kreierten Embryonen verpönt sein könnte. Die Reichweite dieses Verbots hängt zunächst ersichtlich davon ab, was unter dem Begriff des „human embryo“ verstanden werden muss. Die Verwendung dieses Begriffes ist nicht einheitlich. Manche verstehen darunter bereits die befruchtete Eizelle, andere setzen das Embryonalstadium erst zu einem späteren Zeitpunkt an (und sprechen für den Zeitraum von der Befruchtung bis dorthin vom „präembryonalen Stadium“).23 Nach der zweiten Lesart betrifft die Bestimmung die Herstellung embryonaler Stammzellen überhaupt nicht, weil diese bereits der Blastozyste entnommen werden, also in einem Entwicklungsstadium, das nach dieser Redeweise vor dem Embryonalstadium liegt. Der Explanatory Report löst diese Auslegungsfrage nicht. 24 Aber selbst für den Fall, dass man Art 18 Abs 2 MRB ein weiteres Begriffsverständnis zu Grunde legt (also etwa jenes, das auch dem Begriff der embryonalen Stammzellforschung – „embryonic stem cell research“ – unterliegt),25 ist das Verbot des Art 18 Abs 2 MRB nicht absolut: Die genannte Bestimmung steht unter dem Gesetzesvorbehalt des Art 26 MRB, was bedeutet, dass der Gesetzgeber von einem solchen Verbot etwa zu Zwecken des Gesundheitsschutzes oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer unter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes absehen kann. Das Verbot, menschliche Embryonen zu Forschungszwecken zu kreieren, gilt daher auch für jene Staaten nicht vorbehaltlos,26 die die MRB ratifiziert haben. Die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus eigens dafür kreierten Embryonen wäre damit nicht völlig ausgeschlossen, sondern bedürfte einer Regelung durch den Gesetzgeber, der dabei allerdings den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten müsste. Mögliche Auswirkungen auf die Gewinnung embryonaler Stammzellen könnte das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen _____________ 23 Vgl dazu beispielsweise Beylevald/Pattinson, Landesbericht Großbritannien, in Eser/Koch/Seith (Hrsg), Internationale Perspektiven zu Schutz und Status des extrakorporalen Embryos (2007) 171 (175); und Taupitz, NJW 2001, 3433 (3439). 24 Siehe dazu Council of Europe, Explanatory Report to the Convention on Human Rights and Biomedicine, http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Reports/Html/164. htm (12. 2. 2008), der keine Definition anführt. Siehe dazu auch Taupitz, NJW 2001, 3433 (3439); Haßmann, Embryonenschutz (2003) 12, bezeichnet Art 18 MRB dann treffend als „Formelkompromiss“, der den Mangel einer substantiellen Einigung überdeckt. 25 Es mag in der Tat merkwürdig anmuten, wenn man feststellen sollte, dass „embryonale Stammzellforschung“ mit „Embryonen“ nichts zu tun hat – für das Begriffsverständnis der Convention ist damit aber nichts gewonnen. 26 Vgl dazu auch Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte der Biotechnologie am Beispiel des „therapeutischen Klonens“, in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht (2002) 15 (61).
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(1. ZPMRB)27 haben, das sich mit dem Verbot des Klonens beschäftigt. Freilich, auch dieses wurde von Österreich nicht unterschrieben, so dass mögliche Auswirkungen jedenfalls für die Rechtslage in Österreich nur hypothetisch zu erwägen sind. Die zentrale Bestimmung des Art 1 1. ZPMRB lautet: „Any intervention seeking to create a human being genetically identical to another human being, whether living or dead, is prohibited.“28 Es ist leicht ersichtlich, dass der Gehalt der Norm entscheidend davon abhängt, was unter dem Begriff „human being“ zu verstehen ist.29 Bezieht sich dieser ausschließlich auf das geborene Leben, so wird klar, dass die Bestimmung des 1. ZPMRB lediglich das reproduktive Klonen (oder auch: Geburtsklonen) verbieten will. Betrachtet man aber bereits die unter Anwendung von Klonierungstechniken hergestellte totipotente Zelle (analog der befruchteten Eizelle) als „human being“, dann wird auch das therapeutische Klonen von der Bestimmung erfasst und mithin die Gewinnung von Stammzellen aus geklonten Eizellen im Ergebnis verboten. Nach der Entstehungsgeschichte des Textes dürfte klar sein, dass die Mitgliedstaaten sich genau auf diese Frage nicht einigen konnten. Konsequenterweise hält der Explanatory Report fest, dass diese Frage den staatlichen Gesetzgebern überlassen wurde;30 die Niederlande haben das 1. ZPMRB mit dem Zusatz ratifiziert, dass sie nur geborenes Leben unter den Begriff des „human being“ subsumieren wollen.31 Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass das 1. ZPMRB therapeutisches Klonen nicht verbietet, sondern es den Staaten anheim stellt, wie sie mit dieser Frage umgehen wollen. Untersucht werden soll noch, ob und inwieweit Art 2 EMRK für das vorliegende Thema von Bedeutung sein könnte. Danach gilt: „Everyone’s right to life shall be protected by law.“ Die Auslegung dieser Bestimmung, die für Österreich nicht nur völkerrechtlich verbindlich ist, sondern auch unmittelbar _____________ 27
Additional Protocol to the Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine, on the Prohibition of Cloning Human Beings (ETS N° 168), online: http://conven tions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Html/168.htm (12. 2. 2008). 28 Das „Klonen“ wird dabei nur als eine mögliche Technik der Kreation von genetisch identischen Menschen erfasst. Auch die Kreation genetisch identischer Menschen zB durch Embryonensplitting wäre verboten. – Siehe dazu Council of Europe, Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine on the Prohibition of Cloning Human Beings, Lit 2; http://con ventions.coe.int/Treaty/en/Reports/Html/168.htm (12. 2. 2008). Unter „genetischer Identität“ ist dabei zu verstehen, dass die Lebewesen dasselbe Kerngenom haben. 29 So auch Haßmann, Embryonenforschung (2003) 15. 30 So ausdrücklich Council of Europe, Explanatory Report to the Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine on the Prohibition of Cloning Human Beings, Lit 6; vgl dazu auch Taupitz, NJW 2001, 3433 (3439). 31 Vgl die Erklärung der Niederlande vom 4. 5. 1998 zum Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen, http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ListeDeclar ations.asp?NT=168&CM=8&DF=2/12/2008&CL=GER&VL=1 (12. 2. 2008).
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anwendbares Verfassungsrecht darstellt, hat schon in den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts den Verfassungsgerichtshof beschäftigt. Konkret war zu beantworten, ob durch Art 2 EMRK „nur“ das geborene oder auch das ungeborene Leben geschützt wird. Dies ist auch für die Techniken der embryonalen Stammzellgewinnung die entscheidende Frage: nur dann, wenn sich der Schutzbereich dieses Artikels auf das ungeborene Leben erstreckt, kann ihm Relevantes dafür entnommen werden. Bekanntlich hat der Verfassungsgerichtshof 1974 diese Frage verneint. Es mag sein, dass seine grundrechtsdogmatische Argumentation tatsächlich zu kurz gegriffen war, wofür er oftmals kritisiert wurde.32 Allein, die Hoffnung, der EGMR könnte in der Sache anders entscheiden, hat sich nicht erfüllt. Jahrzehntelang konnte der Gerichtshof die entscheidende Frage offen lassen; erst in jüngerer Zeit war er gezwungen, explizit Stellung zu nehmen. Nach einer ausführlichen Darlegung, dass es in Europa keinen Konsens darüber gibt, mit welchem Zeitpunkt der Beginn des individuellen Lebens und damit auch des Lebensschutzes anzunehmen ist, hat er festgehalten, dass es in den Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten fiele festzusetzen, in welchem Stadium der Entwicklung menschlichen Lebens der Schutz des Art 2 EMRK greifen würde.33 Auch diese Interpretation des Art 2 EMRK ist im Übrigen grundrechtsdogmatisch unbefriedigend: offenkundig wurde die Rechtsprechung zum Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten („margin of appreciation“), der bei der Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen seine Rolle spielt, auf die Tatbestandsebene übertragen. Konsequent weitergedacht würde dies aber dazu führen, dass die europäischen Grundrechte ihrer Bedeutung weitgehend entkleidet würden, sollte es in der Hand der Mitgliedstaaten gelegen sein, schon den Anwendungsbereich der EMRK-Rechte individuell festzulegen.34 Im Ergebnis kann man daher die Rechtsprechung des EGMR nur so deuten, dass Art 2 EMRK heute nicht das ungeborene Leben schützt. Für den unwahrscheinlichen Fall aber, dass über diese Frage in Europa dereinst ein Konsens erzielt würde und damit ein gemeinsamer europäischer Standard vorläge, könnte der Schutzbereich des Art 2 EMRK auch auf europäischer Ebene auf das ungeborene Leben ausgedehnt werden. Zum heutigen Zeitpunkt bleibt aber festzuhalten, dass im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art 2 EMRK sich aus dieser Bestimmung keine Beschränkungen der Gewinnung embryonaler Stammzellen und damit für die embryonale Stammzellforschung ableiten lassen. Wenn die EMRK in diesem Zusammenhang überhaupt bemüht werden kann, dann stellt sie eher ein Hindernis dar, dereinst etablierte Stammzelltherapien zu verbieten bzw der eigenen Bevölkerung vorzuenthalten: solche Regelungen wären jedenfalls _____________ 32 Vgl zB Lewisch, Das Recht auf Leben (Art 2 EMRK) und Strafgesetz, in FS Platzgummer (1995) 381 (395 ff). 33 EGMR, 8. 7. 2004, Vo gegen Frankreich, EuGRZ 2005, 568 ff. 34 Siehe zu dieser Kritik auch Lux-Wesener, Die Frage nach dem Beginn des Lebens: EGMR umgeht eine Antwort, EuGRZ 2005, 558 (559, 563).
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an Art 8 EMRK zu messen und würden diesem wohl nur schwerlich standhalten.35
IV. Europäische Union Die gemeinschaftsrechtlichen Implikationen der Stammzellforschung sind mehrschichtig. Zum einen wird die Stammzellgewinnung möglicherweise von Bestimmungen der Grundrechtscharta erfasst; deren Status ist freilich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht endgültig geklärt. Die embryonale Stammzellforschung hat zu heftigen Debatten und Kontroversen im EUForschungsförderungsrecht geführt; geklärt ist heute nur ihre prinzipielle Förderungsfähigkeit, allerdings bestehen weitgehende Schranken aus ethischen Gesichtspunkten. Der Handel mit Stammzellen ist ein Thema der Warenverkehrsfreiheit, die Entwicklung von Stammzelllinien kann auf sekundärrechtlicher Ebene die Frage nach der Patentierbarkeit aufwerfen. Die Rechtslage in diesen Punkten soll im Folgenden kurz und überblicksartig skizziert werden. Noch nicht endgültig entschieden ist das Schicksal der EU-Grundrechtecharta. Diese war ja mit einem Geltungsvorbehalt beschlossen worden, der durch den Verfassungsvertrag beseitigt hätte werden sollen. Durch das Scheitern des Verfassungsvertrages wurde der ursprüngliche Zustand zunächst prolongiert.36 Mit dem Vertrag von Lissabon,37 der im gegenwärtigen Zeitpunkt zur Ratifizierung durch alle EU-Mitgliedstaaten ansteht, würde durch die Neufassung des Art 6 EUV die Grundrechtecharta auf die Ebene des Primärrechts gehoben, dh mit den Verträgen (EUV und AEUV) als rechtlich gleichrangig erklärt (Art 6 LissV). Zugleich wird angeordnet, dass sie gemäß den allgemeinen Bestimmungen ihres Art VII Anwendung findet, dh die Organe der EU sowie die Organe der Mitgliedstaaten bei Vollziehung von EU-Recht bindet. Nach diesen allgemeinen Bestimmungen (Art 51 EU Grundrechtecharta) begründet die Charta weder neue Zuständigkeiten noch Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben. _____________ 35 Zu diesen Überlegungen siehe auch Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht (2002) 55 ff. 36 Das bedeutet freilich nicht, dass der Charta überhaupt keine Wirkung zukommt. So kann sie zur Zeit herangezogen werden, das Grundrechtsverständnis der Union (Art 6 EUV) zu präzisieren. Vgl dazu Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht (2007) Rz 1152 ff. 37 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl C 306 v. 17. 12. 2007, http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ%3AC%3A2007%3A306%3 ASOM%3ADE%3AHTML (12. 2. 2008).
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Bemerkenswert ist, dass trotz dieses scheinbar eindeutigen und klaren Wortlautes sowohl das Vereinigte Königreich als auch Polen in einem Protokoll festgehalten wissen wollten, dass ihnen gegenüber die Charta insofern keine Wirkung entfalten soll, als sie keine Ausweitung der Befugnis des EuGH oder eines nationalen Gerichts der beiden Mitgliedstaaten bewirken darf, festzustellen, dass die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die Verwaltungspraxis oder Maßnahmen der beiden Mitgliedstaaten nicht mit den durch die Charta bekräftigten Rechten etc in Einklang stehen. „Um Zweifel auszuräumen“ wurde weiters festgestellt, dass durch die Charta keine für die beiden Mitgliedstaaten einklagbaren Rechte geschaffen werden.38 Sollte die Charta nunmehr durch die Ratifizierung des Reformvertrages von Lissabon auf die Ebene des Primärrechts gehoben werden, dann wird erst die zukünftige Praxis zeigen, ob die Feststellungen, die in diesem Protokoll getroffen werden, tatsächlich nur das festgestellt haben, was ohnehin Inhalt der Charta war und ist. Allein der Umstand, dass zwei Staaten für sich diese Feststellung benötigen, zeigt, dass die Antwort auf die Frage, welche normativen Wirkungen die Charta im Ergebnis entfalten wird, wohl auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der „dynamischen“ Rechtsprechung des EuGH, heute nicht eindeutig gegeben werden kann; insbesondere kann nicht ausgeschlossen werden, dass europäische Rechtsakte, wenngleich formal auf andere Kompetenzen gestützt, durch die Charta „inspiriert“ sein könnten. In der Sache eröffnet die Charta Anhaltspunkte für unterschiedliche Argumentationen. An ihrer Spitze steht eine Menschenwürdegarantie nach dem, wie in der Literatur bereits betont wurde, Vorbild des Bonner Grundgesetzes.39 Bezieht man diese Vorbildwirkung auch auf die Interpretation, könnte sie auch im Lichte der wohl überwiegenden deutschen Grundrechtsdogmatik gelesen werden, womit man ihr ein weitgehendes Verbot der embryonalen Stammzellgewinnung entnehmen könnte.40 In Frage gestellt könnte dieses Interpretationsergebnis aber wieder aus systematischen Erwägungen werden, nämlich dadurch, dass die Charta auch ein explizites Verbot des reproduktiven Klonens enthält. Dies macht naturgemäß nur Sinn, wenn es nicht ohnehin schon durch den Menschenwürdesatz erfasst (und verboten) wird. Aus diesem ausdrücklichen Verbot des reproduktiven Klonens ließe sich im Umkehrschluss zweierlei argumentieren. Nämlich einmal, dass das therapeutische Klonen (und damit die Gewinnung von Stammzellen nach diesem Verfahren) von der Charta nicht ausgeschlossen werden sollte, und zum _____________ 38
Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich, ABl C 306/156 v 17. 12. 2007; http:// eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2007:306:0156:0157:DE: PDF (12. 2. 2008). 39 So etwa Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte (2006) § 9 Rz 31. 40 Es verwundert daher auch nicht, dass von deutscher Seite derartige Versuche bereits unternommen wurden – siehe Starck, EuR 2006, 1 (11 f) mwN. Ob dies aber auf einen europäischen Konsens treffen würde, erscheint mehr als fraglich.
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anderen, dass damit auch der Menschenwürdesatz keinen so weit reichenden Inhalt haben kann wie in der deutschen Grundrechtsdogmatik. Dieser wäre daher anders zu verstehen (zB so, dass er sich von vornherein nur auf geborene Menschen bezieht).41 Ebenfalls geschützt wird durch die Grundrechtecharta das Recht auf Leben (Art 2). In diesem Zusammenhang stellt sich wiederum die Frage, ob damit auch das ungeborene Leben gemeint sein könnte und wenn ja, ab welchem Zeitpunkt dieser Schutz greifen würde. Da diese Bestimmung sich auch in der EMRK findet, gilt zunächst die Vermutung, dass sie die gleiche Bedeutung und Tragweite (Art 52 EU-Grundrechtecharta) hat wie Art 2 EMRK, dh aber im konkreten Fall, zurzeit ausschließlich das geborene Leben schützt. Allerdings kann Unionsrecht einen weitergehenden Schutz gewährleisten. Die Charta enthält in ihrem Art 13 ein klares Votum für die Forschungsfreiheit, wenn sie stipuliert, dass Kunst und Forschung frei sind. Dass von dieser Freiheitsverbürgung ausgerechnet die embryonale Stammzellforschung ausgenommen sein soll, lässt sich nicht beweisen. Sie ist daher auch Schutzgut dieser Bestimmung. Eingriffe in die in der Charta verbürgten Freiheiten dürfen nur vorgenommen werden, wenn sie den „Wesensgehalt“ der Grundrechte achten und verhältnismäßig sind. Aus dieser kurz skizzierten Rechtslage lassen sich für heute folgende Schlüsse ziehen: zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat die Charta – außer dass sie ein für die Auslegung von EU-Recht relevantes Set gemeinsamer Werte festschreibt – keine Bedeutung. Eine solche erhält sie überhaupt erst dann, wenn beispielsweise der Reformvertrag von Lissabon von allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist. Ihr Inhalt ist, auch was die vorliegenden Fragestellungen angeht, in höchstem Maße interpretationsbedürftig. Es lassen sich auf ihre Bestimmungen sowohl Argumente stützen, die ein weitgehendes Verbot der Gewinnung embryonaler Stammzellen fordern könnten, als auch solche, die Einschränkungen der Stammzellforschung nur unter höchst diffizilen Begründungen im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit zuließen. Unmittelbar könnte dies, da durch die Charta in erster Linie die europäischen Organe betroffen werden, Regelungen des europäischen Forschungsförderungsrechts betreffen. Nicht auszuschließen ist, dass Sekundärrechtsakte in weiterer Zukunft sich zwar auf andere Kompetenzen der Union stützen, aber in die
_____________ 41
Vöneky/Petersen diskutieren in Zusammenhang mit dem vorliegendes Thema etwa, ob der Kerngehalt eines rechtlichen Menschenwürdekonzepts im Schutz vor Demütigung und Erniedrigung bestehen könnte. Eine solche Empfindung von Erniedrigung könne dann jedenfalls bei befruchteten Eizellen nicht angenommen werden. Vgl Vöneky/Petersen, Der rechtliche Status des menschlichen extrakorporalen Embryos: Das Recht der Europäischen Union, EuR 2006, 340 (347).
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eine oder andere Richtung von der Charta „inspiriert“ werden könnten. Dies ist aber alles zum gegenwärtigen Zeitpunkt Spekulation.42 Die Menschenwürde wird im Lissabonner Vertrag im Übrigen noch an einer anderen Stelle ausdrücklich angesprochen. In einem novellierten Art 2 EUV (Art 1a LissV) wird nämlich das Wertekonzept der Union neu bestimmt; ein Verstoß gegen dieses Wertekonzept kann bekanntlich zu einem Verfahren nach Art 7 EUV führen. In dieser neuen Werteklausel wird nunmehr nicht mehr nur von der „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ gesprochen (zu deren Auslegung die Charta schon jetzt herangezogen werden könnte), sondern ausdrücklich von der „Achtung der Menschenwürde“,43 freilich unter gleichzeitiger Betonung von Demokratie und Pluralismus. Diese Werteklausel bindet unstrittig die gesamte innerstaatliche Gesetzgebung bzw das Verhalten des Staates überhaupt und könnte bei entsprechender Betonung des Menschenwürdeschutzes zumindest ein argumentatives Feld eröffnen, Embryonenforschung (und damit auch die Gewinnung embryonaler Stammzellen) überhaupt als mit den europäischen Werten in Konflikt stehend zu behaupten. Freilich müsste sich eine solche Argumentation der Frage stellen, inwieweit sie – den mangelnden europäischen Konsens in Rechnung stellend – mit dem Pluralismusgebot in Konflikt geriete. Im Ergebnis ginge es damit nicht an, einseitige Positionen in dieser doch dann wieder sehr offenen, mit gegenläufigen Prinzipien angereicherten Werteklausel unterzubringen; denkbar sind solche Positionen aber allemal. Dass und wie sehr die Fragen der Stammzellforschung heute auf europäischer Ebene umstritten sind, zeigen die Auseinandersetzungen rund um das europäische Forschungsförderungsrecht, insbesondere das 7. Rahmenprogramm.44 An einem Punkt stand sogar zur Debatte, die finanzielle Förderung embryonaler Stammzellforschung überhaupt zu streichen.45 Im Ergebnis ist _____________ 42 Zu möglichen Auswirkungen der Grundrechtecharta vgl zB Weber, Vom Verfassungsvertrag zum Vertrag von Lissabon, EuZW 2008, 7 (7 f); Rengeling/ Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union. Charta der Grundrechte und Allgemeine Rechtsgrundsätze (2004) 170 f. 43 Soweit die „Achtung der Menschenwürde“ durch die „Achtung der Menschenrechte“ ohnehin bereits aufgegeben war, hat sich freilich in der Sache nichts geändert. Dazu war schon bisher von Vöneky/Petersen, EuR 2006 (340) 342, bemerkt worden, dass die Frage, ob der Embryo in vitro vom Lebensrecht und Menschenwürdeschutz erfasst wird, nicht zu den allgemeinen Grundsätzen gezählt werden kann. 44 Beschluss Nr 1982/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. 12. 2006 über das Siebte Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007 bis 2013), ABl 2006 L 412; http://cordis.europa.eu/documents/documentlibrary/2750DE.pdf (12. 2. 2006). 45 So wurden etwa Versuche, die Erzeugung embryonaler Stammzellen an „spare embryos“ überhaupt nicht zu fördern bzw die Forschung auf Stammzelllinien zu verpflichten, die vor einem bestimmten Datum gewonnen wurden, im Ergebnis abgelehnt. Vgl zum Verlauf der Diskussionen die Übersicht von Spielberg, Embryonale Stammzellforschung: Positives Votum der EU, Dt Ärzteblatt 2006, 299.
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es so weit aber nicht gekommen. Allerdings wird die embryonale Stammzellforschung nur unter relativ weitgehenden ethischen Beschränkungen gefördert. Der Art 6 des 7. Rahmenprogramms verpflichtet zur Einhaltung ethischer Grundsätze und schließt ausdrücklich ua jede Unterstützung für Forschungsprojekte aus, die die Züchtung menschlicher Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken bzw zur Gewinnung von Stammzellen zum Gegenstand haben. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Embryonen im eigentlichen Sinne durch Befruchtung oder durch somatischen Kerntransfer (also mit Hilfe von Klonierungstechniken) „erzeugt“ werden. Embryonale Stammzellen können im Rahmen von durch die EU geförderten Forschungsprojekten nur aus Embryonen gewonnen werden, die im Rahmen von IVF-Verfahren überzählig sind („spare embryos“) oder allenfalls im Wege der Reprogrammierung erzeugt wurden. Darüber hinaus ist der rechtliche Rahmen der Mitgliedstaaten zu beachten. Forschungsvorhaben dürfen daher nur in jenen Staaten gefördert werden, die solche Forschungen nicht verbieten. In Österreich dürfte daher nach heutigem Verständnis der innerstaatlichen Rechtslage46 kein Forschungsprojekt gefördert werden, das die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus „spare embryos“ zum Gegenstand hätte. Freilich trägt Österreich anteilsmäßig die Förderung solcher Projekte in anderen Ländern mit; dies umso mehr, als Österreich „Nettozahler“ der EU ist. Unter dieser Voraussetzung ist das innerstaatliche Verbot wohl mehr als fragwürdig – oder aber die Förderung dieser Forschung auf europäischer Ebene. Ferner steht die Bewilligung von Forschungsprojekten mit embryonalen Stammzellen unter einem generellen Vorbehalt, dass fundamentale ethische Grundsätze nicht verletzt werden. Diese Frage ist für jedes zur Förderung anstehende Forschungsprojekt gesondert von einem „Ethics review panel“ zu prüfen. Die Kriterien dafür wurden von der „European Group on Ethics“ (einer Expertengruppe)47 auf Anfrage des Kommissionspräsidenten festgelegt. Danach sind, offenbar nach durchaus kontroversen Debatten, folgende Kriterien empfohlen worden: „(a) scientific necessity and high ranking status of research, (b) urgency, (c) social desirability“ und „(d) primacy of the interest and welfare of the human being over the sole interest of society or science“.48 In der Sache läuft die Anwendung dieser Kriterien darauf hinaus, _____________ 46
Zur Rechtslage in Österreich vgl den Beitrag von Kopetzki in diesem Band. Deren demokratische Legitimation ist freilich mehr als fraglich. Es scheint ein Grundproblem jedenfalls europäischer Gegenwartspolitik zu sein, Fragen, die politisch entschieden gehörten, auf „Experten-Kommissionen“ abzuschieben. Dies mag bei technischen Fragen seine Berechtigung haben – „öffentliche Moral“ ist aber immer zugleich politisch und wäre daher mehr eine Sache von Parteiprogrammen und Wahlen als von „Experten“. 48 EGE, Opinion N°22: Recommendations on the Ethical Review of hESC FP7 research projects (2007) 37; http://ec.europa.eu/european_group_ethics/activities/ docs/opinion_22_final_follow_up_en.pdf (12. 2. 2008). 47
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dass embryonale Stammzellforschung nur dort gefördert werden soll, wo nachgewiesen werden kann, dass andere Forschungen (va mit adulten Stammzellen) nicht erfolgreich waren, man sich aber von der Verwendung embryonaler Stammzellen besondere Ergebnisse erhoffen kann, dass die Forschung einem wichtigen gesellschaftlichen Interesse dient, das auch vorrangig befriedigt werden soll etc. Dies beschränkt naturgemäß die Förderung embryonaler Stammzellforschung auf ganz wenige Gebiete. Freilich, nationale Förderungsmaßnahmen sind jedenfalls von diesen ethischen Beschränkungen nicht betroffen. (Ob und inwieweit sie allenfalls sonst vom europäischen Subventionsrecht betroffen sein können, kann hier nicht weiter vertieft werden.) Grundsätzlich unterliegt der Handel mit embryonalen Stammzellen der Warenverkehrsfreiheit (Art 28 ff EGV). Freilich kann man diskutieren, dass dieser durch die mitgliedstaatliche Gesetzgebung im Lichte des Art 30 EGV insoweit beschränkt werden kann, als diese Beschränkung der öffentlichen Sittlichkeit dient, verhältnismäßig und nicht diskriminierend ist.49 Grundsätzlich ermöglicht die EU-Biopatentrichtlinie50 auch, Patente auf Stammzelllinien zu erwerben.51 Jedenfalls sind diese nicht ausdrücklich ausgenommen; diskutiert werden kann jedoch, ob ein solcher Ausschluss nach der Sittenwidrigkeitsklausel begründet werden könnte. Die Vertiefung beider Fragen würde jedoch den vorgegebenen Rahmen bei weitem sprengen.
V. Schlussfolgerungen Sieht man von heute nicht wirklich vorhersehbaren Entwicklungen des Gemeinschaftsrechts ab, dann kann gesagt werden, dass sowohl in dieses als auch ins Völkerrecht das Bewusstsein eingegangen ist, dass mit der modernen biotechnologischen Forschung erhebliche ethische Fragen verknüpft sind. Klare und eindeutige rechtliche Vorgaben, wie damit im Ergebnis umzugehen ist, fehlen bis heute jedoch. Im Wesentlichen spiegeln diese Rechtsbereiche auch das Dilemma wider, dass zwar eine Fülle moralischer Fragen gestellt werden können, eindeutige Antworten aber fehlen. Dies auch deshalb, weil viele dieser Antworten in Glaubensfragen fußen und daher in Wahrheit theologischer Natur sind. _____________ 49
Vgl dazu Vöneky/Petersen, EuR 2006, 340 (363 ff). Richtlinie 98/44/EG des Parlaments und des Rates v 6. 7. 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABl L 213/13; http://eur-lex.europa. eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1998:213:0013:0021:DE:PDF (12. 2. 2008). 51 Vgl dazu Hartmann, Die Patentierbarkeit von Stammzellen und den damit zusammenhängenden Verfahren, GRUR Int 2006, 195 (198), der betont, dass lediglich totipotente Zellen von der Patentierbarkeit ausgenommen sind, weil diese „als menschlicher Körper“ zu gelten haben. Konsequenterweise sind aber dann Stammzellen als isolierter Bestandteil eines „menschlichen Körpers“ prinzipiell patentierbar. 50
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Es verwundert daher nicht, dass die Interpretation der einschlägigen Texte von außerrechtlichen Konzepten abhängig ist und daher viele Fragen den Staaten überlässt. Lediglich im Forschungsförderungsrecht der Europäischen Union sind sehr strenge ethische Vorgaben verwirklicht worden. Darüber hinaus gilt aber, dass der demokratische Gesetzgeber zu entscheiden hat – und dass wechselseitige Toleranz zu üben ist.
Stammzellforschung in Österreich – eine Bestandsaufnahme des geltenden Rechts Christian Kopetzki
I. Einleitung „Stammzellen“ kommen als Rechtsbegriff in der österreichischen Rechtsordnung so gut wie nicht vor. Vereinzelte Treffer einer Suche im Rechtsinformationssystem beziehen sich eher auf Rand- und Begleitaspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit diesen Zellen,1 nicht jedoch auf die Kernfrage nach der Zulässigkeit ihrer Gewinnung und Verwendung. Antworten darauf müssen daher in allgemeineren Vorschriften gesucht werden. Anders als die Forschung mit menschlichen (Stamm-)Zellen, die bis heute nur durch unspezifische rechtliche Rahmenbedingungen determiniert wird, ist die therapeutische Verwendung von Humansubstanzen in den letzten Jahren zunehmend von neuen Rechtsgebieten erfasst und auf diese Weise – mit unterschiedlicher Ausdrücklichkeit – einem vergleichsweise engmaschigen Regelwerk unterworfen worden: Den Anfang machte das Arzneimittelrecht: Wegen der weiten, am Begriff des „Stoffes“ anknüpfenden Arzneimitteldefinition des § 1 AMG2 fallen auch Körpersubstanzen3 in die Kategorie der „Arzneimittel“, sofern sie bei Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmte (im weitesten Sinn therapeutische) Wirkungen4 hervorrufen oder ihnen eine solche Wirkung beigelegt wird. Viele Bestimmungen des AMG knüpfen zwar nicht am Arzneimittelbegriff, sondern am engeren Begriff der Arzneispezialität an (zB die Zulassungspflicht oder die Regelungen über die Fach- und Gebrauchsinfor_____________ 1
Ausdrückliche gesetzliche Regelungen in Bezug auf Stammzellen bestehen etwa für die finanzielle Förderung und Koordination der Stammzelltransplantation (§ 59d Krankenanstalten- und KuranstaltenG – KAKuG, BGBl 1957/1 idF BGBl I 2008/49; §§ 4, 15 BG über die Gesundheit Österreich GmbH, BGBl I 2006/132) oder die Ausbildung der Ärzte auf dem Gebiet der Stammzelltransplantation (Anl 5, 15, 17 zur Ärzte-AusbO 2006, BGBl II 2006/286). Die Stammzellforschung scheint hingegen lediglich – aber immerhin – als Inhalt der Lehrpläne für den Biologieunterricht an Schulen auf (vgl die Anl A und D BGBl 1985/88 idF BGBl II 2006/321). 2 Arzneimittelgesetz – AMG, BGBl 1983/185 idF BGBl I 2008/52. 3 „Stoffe“ iSd § 1 Abs 4 Z 3 AMG sind ua alle „Körperteile, -bestandteile und Stoffwechselprodukte von Mensch oder Tier in jeglicher Form“. 4 Vgl näher die Zweckbestimmung des § 1 Abs 1 AMG.
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mation) und gelten daher nicht für sämtliche „Arzneimittel“. Die Abschnitte über die allgemeinen qualitativen Anforderungen (§§ 3 ff), die klinische Prüfung (§§ 28 ff), die Werbebeschränkungen (§§ 50 ff), den Arzneimittelvertrieb (§§ 57 ff), die Arzneimittelüberwachung (§§ 75 ff) und die Betriebsvorschriften für Hersteller (§§ 62 ff) sind hingegen auf alle Arzneimittel und somit grundsätzlich auch auf entsprechend verwendete Humansubstanzen anzuwenden. Aus diesem Grund bedurfte es etwa für die Entnahme und/oder die weitere Verarbeitung von Nabelschnurblutstammzellen in Krankenanstalten schon bisher einer Herstellungsbewilligung gem § 63 Abs 1 iVm § 62 und § 2 Abs 10 AMG5 und unterliegen auch systematische klinische Studien mit humanen Stammzellen den Schutzbestimmungen für klinische Prüfungen. Durch die europäische Verordnung 1394/2007 wurden jüngst auch somatische Zelltherapeutika und biotechnologisch veränderte Gewebsprodukte als „Arzneimittel für neuartige Therapien“ qualifiziert und besonderen Regelungen unterworfen.6 Neben dem Arzneimittelrecht können sich je nach Art der Zellen und der geplanten Verwendung zusätzliche gesetzliche Vorgaben aus dem Blutsicherheitsrecht,7 dem Gentechnikrecht,8 dem Fortpflanzungsmedizinrecht,9 dem Transplantationsrecht,10 dem Krankenanstaltenrecht11 oder dem Universitätsrecht12 ergeben. Das Gewebesicherheitsrecht13 hat für die therapeutische Verwendung von Zellen und Geweben14 – den umfangreichen gemeinschaftsrechtlichen Vor_____________ 5 Gem § 2 Abs 10 AMG umfasst die „Herstellung“ auch das „Gewinnen“ von Arzneimitteln. 6 VO (EG) Nr 1394/2007 vom 13. 11. 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien, ABl L 324/121 vom 10. 12. 2007. 7 BlutsicherheitsG – BSG, BGBl I 1999/44 idF BGBl I 2005/107. 8 Vgl insb §§ 74 ff GentechnikG – GTG, BGBl 1994/510 idF BGBl I 2006/13 (Gentherapie). 9 § 1 ff FortpflanzungsmedizinG – FMedG, BGBl 1992/275 idF BGBl I 2008/49. 10 §§ 62a ff KAKuG idF BGBl I 2008/49. 11 Insb zur Befassungspflicht von Ethikkommissionen bei der Anwendung neuer Heilmethoden vgl § 8c KAKuG sowie die Ausführungsgesetze der Länder. 12 Vgl insb die universitären Ethikkommissionen gem § 30 UG 2002 BGBl I 2002/120 idF BGBl I 2007/87 zur Beurteilung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten, der Anwendung neuer medizinischer Methoden und angewandter medizinischer Forschung an Menschen. 13 GewebesicherheitsG – GSG, BGBl I 2008/49. 14 Das GSG regelt gem § 1 Abs 1 die Gewinnung von menschlichen Zellen und Geweben „zur Verwendung beim Menschen“, weiters die Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Zellen und Geweben zur Verwendung beim Menschen, sofern diese nicht zur Herstellung von Arzneispezialitäten, Prüfpräparaten oder Medizinprodukten verwendet werden. Mit der Wendung „Verwendung beim Menschen“ sind alle therapeutischen Anwendungen gemeint, also jedenfalls auch (wenngleich nicht nur) die Zell- und Gewebstransplantation (vgl 261 BlgNR 23. GP 6 f). Vgl zum Ganzen Kopetzki (Hrsg), Gewebesicherheitsrecht (2008) (im Druck).
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gaben folgend15 – völlig neue Rahmenbedingungen geschaffen, die jene des Arzneimittelrechts überlagern, mitunter auch verdrängen. Die Regelungen des GSG erfassen künftig auch die Verwendung von embryonalen Stammzellen (ESZ) „beim Menschen“, sofern deren Gewinnung oder Nutzung nicht durch andere Gesetze verboten ist oder weitergehenden Schranken unterliegt. Das GSG lässt sonstige Verbote im Umgang mit bestimmten Arten von Zellen (wie sie etwa das FMedG in Bezug auf entwicklungsfähige Zellen und Keimzellen enthält16) unberührt, es sieht für embryonale Zellen aber keine spezifischen Beschränkungen oder Abweichungen von jenen Bestimmungen vor, die auch für andere Zellen gelten.17
II. Forschung mit humanen Zellen Für Forschungen mit menschlichen Zellen und Geweben bestehen keine expliziten gesetzlichen Normen, solange die wissenschaftliche Zielsetzung nicht mit einer Anwendung am Menschen einhergeht (zB bei klinischen Prüfungen).18 Bei embryonalen Stammzellen führt die Anwendbarkeit des FMedG jedoch zu einer etwas erhöhten Regelungsdichte (unten III). Bei der nichtklinischen Forschung mit (nicht embryonalen) menschlichen Körpersubstanzen ist der Rahmen des Zulässigen hingegen nur nach allgemeinen Grundsätzen des Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechts zu beurteilen. Die daraus ableitbaren Anforderungen konzentrieren sich vor allem auf die Phase der Entnahme, also der Materialgewinnung aus dem lebenden19 oder toten Körper,20 auf Aspekte des Datenschutzes und des Gentechnikrechts21 sowie _____________ 15 Vgl die auf Grundlage des Art 152 Abs 4 EGV erlassenen RL 2004/23/EG vom 31. 3. 2004 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen, ABl L 102/48 vom 7. 4. 2004; RL 2006/17/EG vom 8. 2. 2006 zur Durchführung der RL 2004/23/EG hinsichtlich technischer Vorschriften für die Spende, Beschaffung und Testung von menschlichen Geweben und Zellen, ABl L 38/40 vom 9. 2. 2006; RL 2006/86/EG vom 24. 10. 2006 zur Umsetzung der RL 2004/23/EG hinsichtlich der Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit, der Meldung schwerwiegender Zwischenfälle und unerwünschter Reaktionen sowie bestimmter technischer Anforderungen an die Kodierung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen, ABl L 294/32 vom 25. 10. 2006. 16 Dazu gleich unten III. 17 Vgl 261 BlgNR 23. GP 3. 18 Im Fall einer klinischen Anwendung (zB Zelltherapie) treten insb die Schutzbestimmungen des AMG (klinischen Prüfung, Ethikkommission), des GSG sowie der VO (EG) Nr 1394/2007 hinzu. 19 Vgl zB §§ 83 ff iVm § 90 StGB, aus denen sich der Grundsatz des „informed consent“ für den körperlichen Eingriff der Materialgewinnung ableiten lässt. 20 Vgl insb § 25 KAKuG, der Obduktionen bei verstorbenen Pfleglingen öffentlicher Krankenanstalten ganz allgemein (und ohne Einwilligung oder Widerspruchs-
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auf begleitende zivilrechtliche Fragestellungen, etwa die sachenrechtlichen Zuordnung des Materials, die persönlichkeitsrechtlichen Nutzungsschranken oder den Patentschutz. Vieles davon ist nach wie vor strittig, wie zB die Verwendung von Abfallsubstanzen ohne spezielle Einwilligung des Patienten oder die Rahmenbedingungen von Biobanken für die Forschung.22 An diesem unspezifischen Rechtsrahmen für die Stammzellforschung hat sich durch das Gewebesicherheitsrecht nichts geändert: Die Forschung mit (embryonalen oder nicht-embryonalen) menschlichen Zellen und Geweben fällt nicht in den Anwendungsbereich des GSG. Dieser setzt erst ein, wenn zum Forschungszweck eine Verwendung am oder im Menschen hinzu kommt (zB bei der klinischen Prüfung einer Zelltherapie). Diese Herausnahme der nicht-therapeutischen (insb experimentellen) Forschung aus dem GSG ergibt sich im nationalen Recht aus der Einschränkung des Geltungsanspruchs auf die „Verwendung beim Menschen“.23 Die europäische GewebeRL 2004/23/EG betont dies im Erwägungsgrund 11 sogar ausdrücklich.24 Für den Themenbereich der Stammzellforschung ist das Gewebesicherheitsrecht daher nicht einschlägig. Diese kurze Skizze zeigt, dass die Forschung mit „adulten“ (nichtembryonalen) Stammzellen im Wesentlichen denselben – recht allgemein gehaltenen – rechtlichen Schranken unterliegt wie die humanmedizinische Forschung insgesamt.
III. Forschung mit embryonalen Stammzellen Anders liegt der Fall bei embryonalen Stammzellen, die wegen des Zusammenhangs mit dem Embryonenschutz eine besondere ethische – und vor dem Hintergrund des FMedG auch rechtliche – Sensibilität auslösen. Auch hier ist allerdings wieder mit der Feststellung zu beginnen, dass es im österreichischen Recht keine ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen über die Gewinnung, die Einfuhr oder die Verwendung von embryonalen Stammzellen gibt. _____________
recht) zur Wahrung wissenschaftlicher Interessen zulässt. Dies schließt die Entnahme von Körpersubstanzen im Rahmen der Obduktion zu Forschungszwecken ein. 21 Vgl insb § 66 GTG betreffend wissenschaftliche Genanalysen. 22 Vgl zu alldem statt vieler etwa Kopetzki, Die Verwendung menschlicher Körpersubstanzen zu Forschungszwecken, in Grafl/Medigovic (Hrsg), FS für Manfred Burgstaller (2004) 601; Antonow, Der rechtliche Rahmen der Zulässigkeit für Biobanken zu Forschungszwecken (2006). 23 § 1 Abs 1 GSG; 261 BlgNR 23. GP 4. 24 „Diese Richtlinie gilt nicht für die forschungsbedingte Nutzung menschlicher Gewebe und Zellen, zB wenn diese für andere Zwecke genutzt werden als für die Verwendung im oder am menschlichen Körper, wie bei der In-vitro-Forschung oder in Tiermodellen. Nur die Zellen und Gewebe, die in klinischen Versuchen im oder am menschlichen Körper eingesetzt werden, sollten den Qualitäts- und Sicherheitsstandards dieser Richtlinie entsprechen.“
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Insbesondere existiert kein dem deutschen Rechtsbestand entsprechendes „Embryonenschutzgesetz“ oder „Stammzellgesetz“. Für die Beurteilung der Zulässigkeit dieser Vorgänge folgt daraus freilich noch nichts. Denn erstens können sich rechtliche Beschränkungen auch implizit aus allgemeiner formulierten Vorschriften ergeben. Und zweitens enthält die Rechtsordnung eine „Verteilungsregel“ für den Fall, dass die Suche nach Verbotsnormen letztlich erfolglos bleibt. Da es für die Erlaubtheit einer Tätigkeit keiner gesetzlichen „Zulassung“ bedarf, kann alles als erlaubt gelten, was rechtlich nicht verboten ist.25 Zu fragen ist also, welche rechtlichen Grenzen sich für die Forschung mit embryonalen Stammzellen implizit aus Gesetzen ableiten lassen, die zwar primär andere Sachverhalte regeln, die wegen ihrer systematischen Nahebeziehung jedoch Ausstrahlungswirkungen auf die hier zu beurteilenden Fragestellungen entfalten können. Dabei ist vor allem das Fortpflanzungsmedizingesetz (1) sowie das Arzneiwareneinfuhrgesetz 2002 (2) in Betracht zu ziehen. Der Vollständigkeit halber soll auch untersucht werden, ob sich Schranken für die Verwendung bzw den Import embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken aus dem Arzneimittelgesetz (3) oder dem Zivilrecht (4) ergeben könnten.
1. Fortpflanzungsmedizinrecht a) Gewinnung embryonaler Stammzellen Das FMedG regelt die „medizinisch unterstützte Fortpflanzung“, dh die „Anwendung medizinischer Methoden zur Herbeiführung einer Schwangerschaft anders als durch Geschlechtsverkehr“ (§ 1 Abs 1 FMedG). Dies scheint für unser Thema zunächst nicht unmittelbar relevant. § 9 Abs 1 FMedG enthält allerdings Bestimmungen für die „Verwendung, Untersuchung und Behandlung von Samen, Eizellen und entwicklungsfähigen Zellen“: Danach dürfen „entwicklungsfähige Zellen … nicht für andere Zwecke als für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen verwendet werden. Sie dürfen nur insoweit untersucht und behandelt werden, als dies nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich ist“ (§ 9 Abs 1 Satz 1 und 2). Im Ergebnis folgt aus dieser Bestimmung unter anderem ein Verbot der Forschung mit menschlichen Embryonen, das vom Gesetzgeber auch beabsichtigt war.26 Das umfassende Verwendungsverbot des § 9 Abs 1 FMedG _____________ 25
Zu diesem „rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip“ mwN Kopetzki, Rechtliche Aspekte des Embryonenschutzes, in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin? (2003) 51. 26 Vgl 216 BlgNR 18. GP 20.
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schließt daher auch die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus in-VitroEmbryonen („entwicklungsfähigen Zellen“) zu Forschungszwecken aus.27
b) Forschung mit embryonalen Stammzellen Für die Zulässigkeit der Forschung mit bereits auf legalem Weg (im Ausland)28 gewonnenen humanen ESZ ist entscheidend, ob diese Zellen für sich genommen vom Anwendungsbereich des § 9 Abs 1 FMedG erfasst sind oder nicht, ob es sich also um „entwicklungsfähige Zellen“ im spezifischen Sinne des FMedG handelt. Träfe dies zu, wäre eine Verwendung zu anderen Zwecken als zur Herbeiführung einer Schwangerschaft unzulässig. Ist dies nicht der Fall, so findet § 9 FMedG auf den Umgang mit diesen Zellen überhaupt keine Anwendung. a) Die Antwort auf diese Frage erschließt sich aus dem Gesetz nicht auf den ersten Blick, lässt aber dennoch keine vernünftigen Zweifel zu: Nach ganz herrschender Auffassung verbietet § 9 Abs 1 FMedG lediglich die Gewinnung von Zellen aus einem Embryo zu Forschungszwecken, nicht hingegen die Verwendung von pluripotenten ESZ, die in zulässiger Weise bereits entnommen worden sind – etwa weil ihre Gewinnung im Ausland außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches des FMedG erfolgte. Für eine derartige Verwendung pluripotenter ESZ im Inland bestehen keine spezifischen gesetzlichen Regeln. Pluripotente ESZ unterliegen – sobald sie gewonnen sind – nicht mehr dem Manipulationsverbot des § 9 Abs 1 FMedG.29 Dieses Ergebnis hat mit dem eigentümlichen Begriff der „entwicklungsfähigen Zelle“ zu tun, an dem die Verbote des § 9 FMedG (wie auch der meisten sonstigen Regelungen des FMedG) anknüpfen und an dessen Reichweite sich daher die Anwendbarkeit des FMedG insgesamt entscheidet: Zunächst stiftet die Legaldefinition der „entwicklungsfähigen Zelle“ freilich eher Verwirrung: Der Wortlaut des § 1 Abs 3 FMedG, wonach als entwicklungsfähige Zellen befruchtete Eizellen „und daraus entwickelte Zellen anzusehen“ sind, scheint eine viel weitere Auslegung nahe zu legen. Würde man diese Legaldefinition allerdings wörtlich nehmen, dann wären nicht nur die befruchtete Eizelle und die totipotenten Stammzellen als „entwicklungsfähige“ Zellen anzusehen, sondern darüber hinaus auch alle Zellen, die sich im Lauf der Embryonalentwicklung herausbilden. Bei einem solchen Ver_____________ 27
Näher Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz 52 ff; Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht (2003) insb 97 ff. Die Verbote des FMedG sind verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert. Ein justizstrafrechtlicher Schutz des extrakorporalen Embryos besteht hingegen nicht, mwN E. Köck, Der (Straf)rechtliche Schutz des Embryos, ÖJZ 2006, 631 ff. 28 Zur Frage des Imports gleich unten 2. 29 Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz 56 ff; derselbe, FS Burgstaller 611; zustimmend Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 105 ff. Weitere Hinweise in FN 31.
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ständnis müsste man sowohl den Fötus in utero als auch jede einzelne Körperzelle des geborenen Menschen der Legaldefinition des § 1 Abs 3 FMedG zuordnen, weil sich letztlich jede humane Zelle aus der befruchteten Eizelle „entwickelt“ hat. Diese Lesart würde die umfassenden Verbote des FMedG etwa auf den Problembereich des Schwangerschaftsabbruchs und der Verwendung menschlicher Zellen insgesamt ausdehnen. Eine derart absurde Konsequenz ist dem FMedG nicht zu unterstellen und war vom Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt. Auf diese Weise würden nämlich völlig unterschiedliche (und mit der Reproduktionsmedizin in keinem sachlichen Zusammenhang stehende) Rechtsgebiete wie zB das Abtreibungsrecht oder Teile des Arzneimittelrechts in den Geltungsanspruch des FMedG einbezogen und durch dieses letztlich auch erheblich modifiziert werden. Das stünde in evidentem Widerspruch zur Umschreibung des Regelungsgegenstandes des FMedG, wie er insb in der Überschrift sowie in § 1 Abs 1 des Gesetzes zum Ausdruck kommt: Dieser beabsichtigte Regelungsgegenstand ist aber (nur) die (medizinisch unterstützte) „Herbeiführung einer Schwangerschaft“ (§ 1 FMedG). Auch aus den Erläuterungen ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass mit dem FMedG so entfernte Sachverhalte wie die Verwendung von sämtlichen humanen Zellen erfasst werden sollten, sofern diese nicht ihrerseits in einem Kontext zur Fortpflanzung stehen – was eben nur auf „totipotente“ ESZ zutrifft. Sowohl aus historischen als auch aus systematischen und teleologischen Gründen muss dem FMedG daher ein restriktives Verständnis zugrunde gelegt werden, das den Rechtsbegriff der „entwicklungsfähigen Zelle“ auf totipotente Zellen beschränkt. Vom Geltungsbereich erfasst sind somit nur (befruchtete30) Zellen, die sich noch zu einem ganzen Menschen entwickeln können, nicht jedoch pluripotente Zellen, deren Entwicklungspotential auf die Fähigkeit zur Ausbildung unterschiedlicher Gewebstypen etc beschränkt ist. Pluripotente ESZ sind keine „entwicklungsfähigen“ Zellen iSd § 1 Abs 3 FMedG.31 Dies entspricht auch der in Deutschland überwiegenden Auffassung, die den Rechtsbegriff des „Embryos“ im Sinne des (deutschen) Embryonenschutzgesetzes ebenfalls nur auf totipotente Zellen bezieht.32 Dass in _____________ 30
Zur Beurteilung der „Entwicklungsfähigkeit“ bei unbefruchteten Zellen vgl gleich unten 5. 31 Wie hier auch Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 105 ff; Eder-Rieder, Aspekte der Stammzelltechnologie, ZfRV 2007, 18 (22 ff); J. Wallner, Health Care zwischen Ethik und Recht (2007) 229; Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, Stellungnahme zu Fragen der Stammzellforschung im Rahmen des 6. Rahmenprogramms der EU im Bereich der Forschung vom 3. 4. und 8. 5. 2002; Taupitz, Rechtliche Regelung der Embryonenforschung im internationalen Vergleich (2003) 161. 32 Vgl zB von Bülow, Embryonenschutzgesetz, in Winter/Fenger/Schreiber (Hrsg), Genmedizin und Recht (2001) 127 (143 f) Rz 348; Schroth, Forschung mit embryonalen Stammzellen und Präimplantationsdiagnostik im Lichte des Rechts, in Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg), Stammzellenforschung und therapeutisches Klo-
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manchen Medien beharrlich das Gegenteil zu lesen ist,33 bleibt als Eigentümlichkeit der Stammzelldiskussion zu verbuchen, dürfte aber eher Ausdruck einer unkritischen Vermischung ethischer, rechtlicher und rechtspolitischer Betrachtungsebenen sein als das Ergebnis einer abweichenden juristischen Analyse.34 b) Zentrale Konsequenz der mangelnden Anwendbarkeit des FMedG auf pluripotente ESZ ist, dass auch die spezifischen Verwendungsverbote des § 9 FMedG oder das Überlassungsverbot gem § 17 FMedG nicht für pluripotenten ESZ gelten, ebenso wenig wie für andere humane Zellen. Anders als in Deutschland, wo der Import von ESZ durch das Stammzellgesetz geregelt worden ist,35 enthält das FMedG also weder ein Verwendungs- oder Überlassungsverbot noch Importbeschränkungen für (pluripotente) embryonale Stammzellen. Das Verbot der Überlassung entwicklungsfähiger Zellen gem § 17 Abs 2 FMedG umfasst zwar auch die Einfuhr von befruchteten Embryonen und totipotenten ESZ, weil eine grenzüberschreitende Überlassung jedenfalls teilweise auch im Zielstaat stattfindet und somit in den territorialen Anwendungsbereich des FMedG fällt. Auf pluripotente ESZ findet § 17 FMedG aber wie erwähnt – mangels Vorliegen einer „entwicklungsfähigen Zelle“ – keine Anwendung. c) Die (nach § 9 Abs 1 FMedG verbotene) Gewinnung der ESZ im Ausland ist nicht nach den Maßstäben des FMedG zu beurteilen: Die Verbote des FMedG gelten nur insoweit, als die verbotene Handlung im örtlichen Geltungsbereich des FMedG stattfindet. Das ist gem Art 49 Abs 1 B-VG das österreichische Bundesgebiet. Der Gewinnungsvorgang im Ausland ist daher vom Verbot des FMedG nicht erfasst. Das FMedG ist auch dann nicht anwendbar, wenn österreichische Staatsbürger oder Unternehmen in diesem Zusammenhang im Vorfeld oder im Nachhinein – etwa als Abnehmer der gewonnenen pluripotenten ESZ – in _____________
nen (2002) 252 (= JZ 2002, 170); Brewe, Embryonenschutz und Stammzellgesetz (2006) 32 f. 33 Statt aller zB NN, EU-Geld für Stammzellen, Salzburger Nachrichten 17. 6. 2006, 9 („Wie in den meisten Mitgliedstaaten ist diese Forschung in Österreich und Deutschland verboten“). 34 Aus der rechtsvergleichenden Perspektive ausländischer Beobachter stellt sich die österreichische Rechtssituation daher in diesem Punkt völlig zu unrecht als umstritten dar: vgl zB Heyer/Dederer, Präimplantationsdiagnostik, Embryonenforschung, Klonen. Ein vergleichender Überblick zur Rechtslage in ausgewählten Ländern (2007) 47 ff. Die in der Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgestellte Behauptung, in Österreich sei neben der Gewinnung auch der Import embryonaler Stammzellen und „somit die Forschung an HES-Zellen insgesamt untersagt“, bleibt einen näheren Nachweis schuldig (DFG, Stammzellforschung in Deutschland – Möglichkeiten und Perspektiven, Oktober 2006, 52, www.dfg.de). 35 Gesetz vom 28. 6. 2002 zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit der Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG), dBGBl I 2002, 2277 idF der Novellierung vom 11. 4. 2008. Zur Entwicklung vgl näher Taupitz in diesem Band.
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irgendeiner Weise „mitwirkend“ tätig werden: Eine verwaltungsstrafrechtlich relevante Beteiligung (Beihilfe, Anstiftung) an Auslandstaten kommt wegen § 7 VStG nicht in Betracht, weil es an der Verwirklichung des objektiven Verwaltungsstraftatbestandes durch den „unmittelbaren Täter“ fehlt. Die Strafbarkeit eines „Beteiligten“ setzt nach § 7 VStG voraus, dass die Haupttat (hier also: der Eingriff in „entwicklungsfähige Zellen“) tatsächlich begangen worden ist.36 Das trifft auf ein Verhalten im Ausland nicht zu, weil die territoriale Geltung der Straftatbestände gem §§ 22 ff iVm § 9 FMedG nicht über die Grenzen des Bundesgebietes hinausreicht. Umso weniger sind Einzelaspekte im Kontext oder im Vorfeld der Stammzellgewinnung im Ausland – etwa die Frage eines ausreichenden „informed consent“ der „Eltern“ oder der Eizellspenderinnen – hinsichtlich ihrer Zulässigkeit einer Beurteilung nach den Maßstäben österreichischen Rechts zu unterwerfen. Hiefür gilt die jeweils geltende nationale Rechtsordnung jenes Ortes, an dem die Handlungen gesetzt werden. Selbst für den Fall, dass im Zuge der Überlassung der Embryonen oder der Gewinnung der ESZ Bestimmungen des Herkunftslandes verletzt worden sein sollten, hätte dies im Lichte des FMedG keine rechtlichen Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Verwendung importierter ESZ in Österreich.37 Im Ergebnis besteht somit in Österreich eine Rechtslage, die jener in Deutschland vor dem Inkrafttreten des StZG vergleichbar ist: Danach war der Import pluripotenter ESZ – mangels einschlägiger Verbotsnormen – rechtlich jedenfalls zulässig.38
2. Arzneiwareneinfuhrgesetz Da die Gewinnung pluripotenter ESZ aus befruchteten Embryonen in Österreich wegen § 9 FMedG nicht zulässig ist, setzt die – vom FMedG nicht verbotene – Forschung mit solchen Zellen einen Import aus Ländern voraus, in denen auch die Gewinnung erlaubt ist. Wäre auch der Import verboten, könnte die Freiheit der Forschung mit ESZ auf legale Weise nicht mehr in Anspruch genommen werden, weil der Zugang zu den Zellen blockiert wäre. _____________ 36
MwN Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8 (2003) Rz 767 f. 37 Ergänzend sei angemerkt, dass das Erfordernis der „Einwilligung der Eltern“ nicht einmal nach dem strengen deutschen Stammzellgesetz (StZG) eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Einfuhr in die BRD darstellen würde (Eser/Koch, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen im In- und im Ausland, Rechtsgutachten, Freiburg/Br. 2003, 39 ff), es genügt die Übereinstimmung mit „tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung“ sowie die Gewinnung in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland. Nach österreichischem Recht lässt sich freilich auch die letztgenannte Voraussetzung nicht begründen. 38 Vgl zB Nationaler Ethikrat, Stellungnahme zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen, Dezember 2001, 17 ff.
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Beschränkungen der Einfuhr pluripotenter ESZ können sich – wie erwähnt – nicht aus dem FMedG ergeben, weil auch das Überlassungsverbot des § 17 Abs 2 FMedG39 wieder am Begriff der „entwicklungsfähigen Zelle“ anknüpft, dessen Merkmale die pluripotente ESZ nicht erfüllt. Eine genauere Prüfung verdient somit nur das Arzneiwareneinfuhrrecht, obgleich der damit erzwungene Ausflug ins Zollrecht gewiss nicht den Eindruck besonderer Sachnähe erwecken dürfte: Gem § 1 Abs 1 des Arzneiwareneinfuhrgesetzes 2002 (AWEG), BGBl I 2002/28 idF BGBl I 2008/52, unterliegen diesem Gesetz im Sinne der VO (EWG) Nr 2658/87 des Rates vom 23. 7. 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif näher bezeichnete Waren, die unter Bezugnahme auf Zolltarifpositionen umschrieben werden. 40 Die in den nachfolgenden Bestimmungen des AWEG vorgesehenen Einfuhrbewilligungen und Meldepflichten knüpfen an dieser Umschreibung des Anwendungsbereiches im § 1 AWEG an und gelten nur für die davon erfassten Waren. Entscheidend ist daher, ob bzw inwieweit humane ESZ vom Anwendungsbereich des § 1 AWEG erfasst sind. Wegen der bewussten Ausrichtung der arzneiwareneinfuhrrechtlichen Bestimmungen an der zolltariflichen und statistischen Nomenklatur der einschlägigen europäischen Normen41 muss die Konkretisierung der vom § 1 erfassten Warengruppen vor dem Hintergrund der europäischen Terminologie erfolgen. Als Anhaltspunkte zur Auslegung können die Anmerkungen der Kommission zum (laufend geänderten) Anhang I der VO 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif42 sowie die einschlägigen Erläuterungen43 herangezogen werden. Zweifelhaft ist zunächst schon, ob für Forschungszwecke importierte ESZ überhaupt als „Arzneiware“ iSd AWEG einzuordnen sind. Dieser – nach zolltarifarischen Gesichtspunkten autonom auszulegende – Begriff der „Arzneiware“ ist nicht mit dem terminologischen Verständnis des Arzneimittelrechts deckungsgleich.44 Maßgeblich für die Zuordnung zu den „Arzneiwa_____________ 39 Zulässig wäre gem § 17 Abs 2 FMedG idF BGBl I 2004/163 nur eine Überlassung an (für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen zugelassene) Krankenanstalten, nicht jedoch für Forschungszwecke oder an Forschungseinrichtungen etc. 40 1. Waren der Position 3004; 2. Röntgenkontrastmittel und diagnostische Reagenzien zur innerlichen Anwendung am Patienten aus der Unterposition 3006 30; 3. Waren der Unterposition 3006 60; 4. Netzflüssigkeiten für harte Kontaktlinsen und Pflegeprodukte für weiche Kontaktlinsen aus der Unterposition 3307 90; 5. Placenten aus der Unternummer 3001 90; 6. Waren der Unterpositionen 3002 10 und 3002 9010 und 7. Produkte natürlicher Heilvorkommen der Unterpositionen 2201 10, ex 2201 90, ex 2501 00, ex 2530 90, ex 3303 90 und 3004 90. 41 Vgl AB 935 BlgNR 21. GP 88. 42 Zuletzt VO (EG) 1214/2007 vom 20. 9. 2007, ABl L 286/1 vom 31. 10. 2007 zu Kapitel 30 „Pharmazeutische Erzeugnisse“. 43 Baldasty/Fasching/Praschak, Erläuterungen zur kombinierten Nomenklatur, Bd 2, Loseblattausgabe 24. Lfg Stand Jänner 2008. 44 EuGH Rs C-201/96; EuGH Rs C-270/96 – Sarget.
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ren“ iSd Kapitels 30 des Zolltarifs ist die objektive Zweckbestimmung,45 also ob das Mittel nach medizinisch-pharmakologischen Erkenntnissen heilend oder vorbeugend wirkt.46 Die bloß theoretische Möglichkeit einer anderen Verwendung schließt die Einreihung nach der hauptsächlichen Verwendung nicht aus.47 Für die Zuordnung zu zolltariflichen Positionen ist dies von verstärkter Bedeutung, weil sämtliche hier interessierenden Tarifpositionen des Kapitels 30 („pharmazeutische Erzeugnisse“) ausdrücklich auf „therapeutische oder prophylaktische Zwecke“ abstellen (vgl insb die Position 3001 und 3004). In diesem Fall gilt, dass Waren, die zu anderen Zwecken bestimmt sind, von dieser Tarifposition nicht erfasst werden:48 Die Anwendung dieser Grundsätze schließt eine Zuordnung von ESZ, die für Forschungszwecke eingeführt werden, zum Begriff der Arzneiware iS des Zolltarifs – und folglich auch eine Qualifikation als Arzneiwaren iS des AWEG – aus.49 Doch selbst wenn wegen eines für die Zukunft nicht auszuschließenden objektiv-therapeutischen Wirkungspotentials embryonaler Stammzellen eine Zuordnung zum Begriff der Arzneiware im Sinne der Nomenklatur des Zolltarifs vertretbar wäre, würde die Anwendbarkeit des AWEG immer noch daran scheitern, dass die Subsumierbarkeit unter eine der im § 1 AWEG aufgezählten Tarifpositionen nicht gegeben ist.50 _____________ 45 VwSlg 6042 F zu Tarif-Nr 30.03; Schwarz in Schwarz/Wockenfoth, Zollrecht3, Bd I/4 (Loseblattausgabe 51. Lfg April 2007) Rz 39. 46 VwSlg 6042 F. 47 Schwarz ibid Rz 48a. 48 Schwarz ibid Rz 53 ff. 49 Wie hier im Ergebnis schon Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz 58; zustimmend Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 107. 50 Von vornherein auszuscheiden ist eine Subsumtion unter § 1 Abs 1 Z 2 AWEG (Röntgenkontrastmittel aus Position 3006 30), Z 3 (Waren der Unterposition 3006 60 – empfängnisverhütende Zubereitungen etc), Z 4 (Netzflüssigkeiten etc aus der Unterposition 3307 90), Z 5 (Placenten aus der Unternummer 3001 90), Z 6 (Waren der Unterpositionen 3002 10 – Antisera etc und 3002 9010 – menschliches Blut), Z 7 (Produkte natürlicher Heilvorkommen aus näher genannten Unterpositionen) sowie Z 8 (immunologische Tierarzneimittel). Doch auch aus dem verbleibenden Anknüpfungstatbestand des § 1 Abs 1 Z 1 AWEG ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine Zuordnung pluripotenter ESZ: Die „Waren der Position 3004“ umfassen „Arzneiwaren (ausgenommen Erzeugnisse der Position 3002, 3005 oder 3006), die aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestehen, dosiert (…) oder in Aufmachungen für den Einzelverkauf“ (vgl die Erläuterungen zu Kapitel 30 der Kombinierten Nomenklatur, ABl C 133 vom 30. 5. 2008). Bei ESZ für Forschungszwecke kann nicht davon gesprochen werden, dass – selbst wenn man von der Qualifikation als „Arzneiwaren“ ausgehen wollte – diese Waren „dosiert“ oder „in Aufmachungen für den Einzelverkauf“ vorliegen. Diese Begriffe stellen erkennbar auf eine bestimmte Form der Aufmachung für therapeutische/prophylaktische Zwecke ab, die hier nicht gegeben ist. So wird etwa unter „dosiert“ verstanden, dass die Waren „gleichmäßig in diejenigen Mengen abgeteilt [sind], in denen sie zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gebraucht werden sollen. Als eine „Aufmachung für den Einzelverkauf“ wird angesehen, wenn die Erzeugnisse „aufgrund ihrer Aufmachung und insbesondere wegen des
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Die Anwendbarkeit des AWEG und eine darauf gegründete Einfuhrbeschränkung für pluripotente ESZ scheiden daher aus.
3. Arzneimittelgesetz Als Grundlage für Verkehrsbeschränkungen für humane Zellen kommt grundsätzlich auch das AMG in Betracht. Zu denken wäre insb an die Vertriebs- und Abgabebeschränkungen der §§ 57 ff AMG, einschließlich des Verbots der Abgabe im Versandhandel gem § 59 Abs 9 AMG. Die Anwendung der arzneimittelrechtlichen Vertriebsbeschränkungen würde allerdings wieder voraussetzen, dass es sich bei ESZ um „Arzneimittel“ iSd § 1 AMG handelt. Dies ist aus ähnlichen Erwägungen zu verneinen, wie sie schon zum Begriff der „Arzneiware“ nach dem Gemeinsamen Zolltarif dargelegt wurden: Gem § 1 AMG sind „Arzneimittel“ solche Stoffe (einschließlich menschlicher Körperbestandteile, vgl § 1 Abs 4 Z 3 AMG), die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen oder nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind, bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper bestimmte (und in Z 1 bis 5 näher bezeichnete) prophylaktische, diagnostische oder therapeutische Wirkungen hervorzurufen. Weder die „objektive“ („dazu dienen“) noch die „subjektive“ („dazu bestimmt ist“) Zweckwidmung des § 1 AMG ist erfüllt, wenn ESZ zu Forschungszwecken verwendet werden sollen. Solche Zellen sind daher keine „Arzneimittel“ im Sinne des Arzneimittelrechts und unterliegen nicht den Vertriebsbeschränkungen des AMG.
4. Zivilrecht Schließlich ergeben sich auch aus den allgemeinen Regeln des Zivilrechts keine Beschränkungen für die Einfuhr oder die Verwendung von ESZ zu _____________
Vorhandenseins (…) von entsprechenden Angaben (...) erkennbar dazu bestimmt sind, unmittelbar und ohne weiteres Abpacken an den Verwender (…) verkauft zu werden, damit sie zu den oben genannten [therapeutischen] Zwecken gebraucht werden können“ (näher Baldasty/Fasching/Praschak, Erläuterungen zur Position 3004, Stand Jänner 2008). Diese Kriterien für die Aufmachung treffen hier ebenso wenig zu wie die therapeutische bzw prophylaktische Zweckwidmung. Dass es sich bei ESZ um keine „Arzneiwaren“ der Position 3004 handelt, wird im übrigen auch daraus ersichtlich, dass „menschliche und tierische Stoffe, zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zubereitet“, sofern sie nicht dosiert oder für den Einzelverkauf zubereitet sind, unter eine andere Zolltarifposition, nämlich die Position 3001, fallen. Diese Position erfasst daher typischerweise natives menschliches Körpermaterial wie (verpackte) humane Transplantate (Baldasty/Fasching/Praschak, Erläuterungen zur Position 3001, Stand Jänner 2008). Daraus ist zu schließen, dass natives menschliches Gewebe nicht den Charakter von „Arzneiwaren“ iSd der Positionen 3003 und 3004 aufweist, sondern einer eigenen Unterposition (3001) zuzuordnen ist. Von dieser Position 3001 werden durch § 1 Abs 1 Z 5 AWEG aber ausschließlich Placenten der Unternummer 3001 90 erfasst, nicht jedoch andere Erzeugnisse aus der Position 3001.
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Forschungszwecken: Pluripotente ESZ sind vom Schutz des § 22 ABGB nicht erfasst: Diese Bestimmung stellt „ungeborne Kinder ... von dem Zeitpunkte ihrer Empfängnis an“ unter den Schutz der Gesetze. Selbst wenn man unter die „ungebornen Kinder“ neben der Leibesfrucht in vivo auch extrakorporale befruchtete Eizellen subsumiert,51 würde dies nur für totipotente ESZ zutreffen, die noch das Potential für die Geburt eines Menschen aufweisen. Pluripotente ESZ sind durch § 22 ABGB hingegen nicht geschützt. Es handelt sich um eigentumsfähige „Sachen“ im Sinne des § 285 ABGB. Strittig könnte allenfalls sein, ob Verträge über den Bezug oder die Nutzung von ESZ – die Anwendbarkeit des österreichischen Zivilrechts einmal unterstellt – wegen Verstoßes gegen die „guten Sitten“ von der Nichtigkeitssanktion des § 879 Abs 1 ABGB bedroht sind. Denn immerhin werden in der Literatur zur Verwendung von menschlichen Substanzen sämtliche Extrempositionen zwischen einer generellen Sittenwidrigkeit von Organ- bzw Gewebsverkäufen52 bis hin zu einer weitgehenden Unbedenklichkeit derartiger entgeltlicher Rechtsgeschäfte vertreten.53 Nach richtiger Auffassung liegt ein Verstoß gegen die guten Sitten aber dann nicht vor, wenn die Verwendung des Humanmaterials einem schutzwürdigen (und seinerseits nicht sittenwidrigen oder gar rechtlich positiv bewerteten) Zweck dient, was insb bei der Verwertung für – durch Art 17 StGG auch grundrechtlich geschützte – Forschungszwecke zu bejahen ist.54 Ethische Bedenken gegen den Einsatz von ESZ für Forschungszwecke begründen noch keine „Sittenwidrigkeit“ iSd § 879 ABGB. Die zivilrechtliche Sittenwidrigkeitsklausel ist kein Einfallstor für moralische Normen aus dem unübersehbaren Spektrum bioethischer Standpunkte. Der Rechtsbegriff der „guten Sitten“ stellt keine pauschale Verweisung auf außerrechtliche Moralvorstellungen im Sinne eines ungefilterten Blankettverweises auf „die Ethik“, dar – ganz abgesehen davon, dass angesichts der Buntheit der weltanschaulichen und religiösen Prämissen völlig offen bliebe, auf welche der vielfältigen „Ethiken“ zur Forschung mit ESZ dieser Verweis zu beziehen wäre. Maßgeblich für die Konkretisierung der „guten Sitten“ sind nicht irgendwelche, sondern die aus der Rechtsordnung ableitbaren Wertungsgesichtspunkte.55 Legt man die aus dem österreichischen Recht ableitbaren _____________ 51
Vgl mwN nur Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte des therapeutischen Klonens, in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht (2002) 15 (26). 52 ZB Plöchl, Leibes-Früchte. Rechtliche Probleme der medizinischen und industriellen Verwertung des menschlichen Körpers, Schriftenreihe Niederösterreichische Juristische Gesellschaft Bd 72, 1997, 22. 53 ZB Schröder/Taupitz, Menschliches Blut: verwendbar nach Belieben des Arztes? Zu den Formen erlaubter Nutzung menschlicher Körpersubstanzen ohne Kenntnis des Betroffenen (1991) 73 f. 54 ZB Stellamor, Ärztliche Berufsordnung (1977) 82 f. Auch ein gesetzliches Gewinnverbot ist – anders als bei der therapeutischen Verwendung von Zellen (vgl § 3 Abs 9 und § 4 Abs 6 und 7 GSG) – nicht ersichtlich. 55 Vgl zB mwN Krejci in Rummel, ABGB I § 879 Rz 46 ff.
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Wertungsgesichtspunkte zugrunde, dann ist für ein „Sittenwidrigkeitsurteil“ kein Raum, da die Rechtsordnung sowohl der Einfuhr als auch der Verwendung pluripotenter ESZ für Forschungszwecke durchaus „positiv“ gegenüber steht.
5. Sonderfall „Klonen“ und „Reprogrammierung“ Embryonale Stammzellen können auch auf andere Weise als durch Entnahme aus („überzähligen“) befruchteten Eizellen gewonnen werden. In Betracht kommt insb die Herstellung von ESZ durch den Transfer somatischer Zellkerne in entkernte Eizellen, die unter dem Schlagwort des „therapeutischen Klonens“ bzw des „Forschungsklonens“ diskutiert wird. Auch eine „Reprogrammierung“, also eine Rückentwicklung differenzierter somatischer Zellen in pluripotente Zellstadien („induzierte pluripotente Stammzellen“ – IPS) oder gar totipotente Zellen liegt nicht mehr außerhalb des Spektrums biotechnischer Möglichkeiten.
a) Klonierungstechniken und der Begriff der „Befruchtung“ Ob die Verwendungsverbote des § 9 Abs 1 FMedG auch für Zellen gelten, die ihre „Entwicklungsfähigkeit“ anderen Vorgängen als der Befruchtung verdanken, hängt wieder von der Auslegung des Begriffs der „entwicklungsfähigen Zelle“ ab. Ein Blick auf die Legaldefinition in § 1 Abs 3 FMedG legt die Antwort nahe, dass sich auch das Verbot von Eingriffen an entwicklungsfähigen Zellen gem § 9 Abs 1 FMedG nur auf „befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen“ bezieht. Dies trifft bei der Methode des Kerntransfers nicht zu, da hier keine Befruchtung stattfindet.56 Zu einem anderen Ergebnis kann nur gelangen, wer entweder die Legaldefinition der „entwicklungsfähigen“ Zelle in § 1 Abs 3 FMedG ignoriert oder den dort gebrauchten Begriff der „Befruchtung“ anders als bisher auslegt. Die letzte Variante hat jüngst Bernat vorgeschlagen, wenn er unter „befruchteten“ Zellen jeden Zellverband verstehen möchte, „der gewöhnlich das Potential hat, sich zum geborenen Menschen zu entwickeln“.57 Die Folge dieser Auffassung wäre, dass auch die unter dem Begriff des „therapeutischen Klonens“ bekannten Techniken der Züchtung embryonaler Stammzellen mit Hilfe der „Dolly-Methode“ in den Einzugsbereich des § 9 Abs 1 FMedG gelangen und somit verboten wären. Die Auslegung von Bernat vermag mich allerdings nicht zu überzeugen: _____________ 56 Näher Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz 59 f; insoweit zustimmend auch Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 101 f. Wie hier wieder Weschka, Die Herstellung von Chimären und Hybridwesen, RdM 2007, 164 (167 f). 57 So Bernat, Die rechtliche Regelung von Chimären und Hybridwesen – ein österreichischer Landesbericht (im Druck) 15; derselbe in diesem Band.
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a) Bernat übersieht zwar nicht die Begriffsbestimmung des § 1 Abs 3 FMedG, wo die „Entwicklungsfähigkeit“ im Wege der „Befruchtung“ definiert wird. Er reduziert die Aussagekraft des § 1 Abs 3 FMedG aber auf Null, indem er „befruchtet“ wieder mit „entwicklungsfähig“ gleichsetzt: Zellen wären dann gem § 1 Abs 3 FMedG „entwicklungsfähig“, wenn sie „befruchtet“ sind, und „befruchtet“ wären sie, wenn sie „entwicklungsfähig“ sind. Die normative Bedeutung des § 1 Abs 3 erschöpft sich bei diesem Verständnis in einer sinnentleerten Tautologie. Ein solches Verständnis ist dem Gesetzgeber schon deshalb nicht zusinnbar, weil gesetzliche Bestimmungen im Zweifel nicht so auszulegen sind, dass sie keinen normativen Sinn mehr ergeben. Dazu kommt, dass der im Mittelpunkt der Definition des § 1 Abs 3 FMedG stehende Begriff der „Befruchtung“ nicht gerade durch eine besondere Unbestimmtheit oder Mehrdeutigkeit gekennzeichnet ist, die ihn als sinnvollen Kandidaten für einen Streit über die korrekte Methode der Verbalinterpretation ausweisen würden. Seit Jahrhunderten wird sowohl im allgemeinen als auch im fachspezifischen medizinisch-biologischen Sprachgebrauch unter einer „Befruchtung“ die Verschmelzung von männlichen und weiblichen Keimzellen58 verstanden und anderen – nicht mit einer „Befruchtung“ einhergehenden – Formen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung gegenüber gestellt.59 Hält man daran fest, dass der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze der Auslegung markiert,60 dann dürfte klar sein, dass die Einbeziehung sämtlicher Varianten der ungeschlechtlichen Herbeiführung von „Entwicklungsfähigkeit“ in den Rechtsbegriff der „Befruchtung“ die Wortlautgrenze des Begriffs der „Befruchtung“ in seiner bisher üblichen Verwendung sprengt.61 Eine solche Argumentation kann daher nicht mehr als methodisch vertretbare „Auslegung“ des Gesetzes durchgehen. Das Beharren auf einem vom Gesetzeswortlaut abgedeckten Bedeutungsgehalt hat nichts mit begriffsjuristischer Pedanterie oder einer Einengung auf eine „grammatikalisch-logische Interpretation“62 zu tun. Dass der Interpret eines Gesetzes nur berücksichtigen darf, was der authentische Text nach den Kommunikationsregeln als möglichen Sinn trägt,63 ist zugleich Element des _____________ 58 Statt vieler Christ/Wachtler, Medizinische Embryologie (1998) 17 ff; NüssleinVolhard, Das Werden des Lebens (2004) 30 ff; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch258 (1998) 180 f; Zetkin/Schaldach, Wörterbuch der Medizin I (1974) 164; Langman, Medizinische Embryologie3 (1974) 23. 59 ZB Nüsslein-Volhard, Das Werden des Lebens 33 (einen Entwicklungsbeginn „ohne Befruchtung … nennt man Parthenogenese oder Jungfernzeugung“); umfassend zu der seit jeher üblichen Unterscheidung zwischen geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Fortpflanzung Czihak/Langer/Ziegler (Hrsg), Biologie (1976) 201-240. 60 ZB Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (1982) 467 f. Zur Wortlautgrenze als Grenze der Interpretation im Kontext von strafbewehrten Verbotsnormen vgl hier nur Höpfel in WK2 § 1 StGB Rz 51 mwN. Erhellend zum Ganzen auch Rill, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, ZfV 1985, 461 (466 f) 61 Bernat stellt dies auch gar nicht in Abrede (vgl FN 77). 62 So aber Bernat, Landesbericht Chimären 14. 63 Rill, ZfV 1985, 466 f.
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rechtsstaatlichen, demokratischen und gewaltentrennenden Prinzips der Verfassung, die damit die Beliebigkeit der Methodenwahl begrenzt:64 Die Bürger müssen keine staatlichen Eingriffe in ihre Handlungsfreiheiten hinnehmen, die sich nach den Regeln sprachlicher Kommunikation nicht auf eine nachvollziehbare und einigermaßen vorhersehbare Rechtsgrundlage des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zurückführen lassen. Darin zeigt sich auch, dass das Ziel der Auslegung nicht der „wahre“ Wille oder „Ordnungsplan“ des Gesetzgebers sein darf, sondern es immer nur um die Ermittlung dessen gehen kann, was der Rechtssetzer „als von ihm gemeint gegen sich gelten lassen muss.“65 b) Wenn Bernat den „klar erkennbaren Ordnungsplan des Gesetzgebers“ gegen den Wortlaut des Gesetzes ausspielt, so muss er sich die Frage entgegenhalten lassen, aus welchen Quellen er die Einsicht bezieht, dass der Gesetzgeber den Schutzbereich des § 9 FMedG auch auf solche Embryonen ausdehnen wollte, die ihre Entstehung nicht einer Befruchtung, sondern dem Klonen verdanken. Auf die zugänglichen Materialien kann sich diese Einsicht in den „wahren“ historischen Sinn66 der Vorschrift und den vermeintlich „klar erkennbaren Ordnungsplan des historischen Gesetzgebers“67 nicht stützen: Zieht man als Hilfsmittel einer historischen Auslegung die Erläuterungen zum FMedG heran, so erkennt man, dass der Regelungsanspruch bewusst auf Fragen der medizinisch unterstützen Fortpflanzung eingegrenzt wurde. Ausdrücklich von einer Regelung „ausgeklammert“ werden sollten all jene Fragen, „die die Nutzung und den möglichen Missbrauch der Erkenntnisse von Biologie und Genetik aufwerfen“. Insb hätten, so die Erläuterungen weiter, „die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführten Möglichkeiten des Klonens, der Chimärenbildung und der Interspezies-Hybridisierung (…) mit der medizinischen Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches nichts zu tun“.68 Deutlicher lässt sich die Herausnahme der – für Zwecke der Stammzellgewinnung und nicht der Reproduktion angewandten – Klonierungstechniken aus dem historischen Regelungsanspruch des FMedG nicht formulieren. So gesehen verwundert es dann nicht, dass Bernat zur Absicherung seiner Auffassung nicht nur den Gesetzeswortlaut, sondern auch die dahinter stehende Absicht des Gesetzgebers einer nachträglichen Korrektur unterwerfen muss, indem er den Materialien bescheinigt, „versehentlich mehr [zu] sagen als sie sagen sollten“.69 _____________ 64
Näher Rüthers, Rechtstheorie (1999) Rz 705 ff; Rill, ZfV 1985, 588 f. Rill, ZfV 1985, 466. 66 Bernat, Landesbericht Chimären 14. 67 So Bernat in diesem Band bei FN 88. 68 216 BlgNR 18. GP 10. Dass der Gesetzgeber, wie Bernat (ibid 15) einwendet, durchaus auch irreparabel geschädigte Embryonen ohne Entwicklungspotential vom Zugriff der Forschung ausnehmen wollte, mag ausweislich der Materialien zutreffen (216 BlgNR 18. GP 20), hilft hier aber nicht weiter, weil die Frage der „Schädigung“ nichts mit der Reichweite des Begriffs der „Befruchtung“ zu tun hat. 69 Bernat in diesem Band nach FN 87. 65
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Auch die historische Auslegung spricht also nicht gegen ein enges, am Wortlaut orientiertes Verständnis von „Befruchtung“. Sie bestätigt vielmehr, dass der Gesetzgeber die Technik des „therapeutischen Klonens“ außerhalb einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung überhaupt nicht regeln wollte. Für die Gleichsetzung von „Befruchtung“ mit „Entwicklungsfähigkeit“ mangelt es an jeglichem Anhaltspunkt im Text oder in den Erläuterungen. c) Auch wenn der Nachweis gelänge, dass die Formulierung des FMedG in „planwidriger Weise“ hinter der Regelungsabsicht und dem „Ordnungsplan“ des Gesetzgebers zurück bleibt, könnte man damit allenfalls die Existenz einer Gesetzeslücke, nicht jedoch die Zulässigkeit der Lückenschließung durch Analogie begründen. Da die Verbote des § 9 FMedG (einschließlich der mittelbar verwiesenen Legaldefinition des § 1 Abs 3) den Tatbestand einer Verwaltungsstrafbestimmung (§ 22 Abs 1 FMedG) bilden, steht einer „sinngemäßen“ Anwendung der Manipulationsverbote des § 9 Abs 1 FMedG das – auch im Verwaltungsstrafrecht beachtliche und durch Art 7 Abs 1 EMRK verfassungsrechtlich verbürgte – strafrechtliche Analogieverbot entgegen.70 Die mangelnde explizite Verpönung eines bestimmten Verhaltens stellt dann eben keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes, sondern allenfalls eine rechtspolitische Lücke dar.71 d) Ob die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung von „befruchteten“ und „sonst entwicklungsfähigen“ Zellen möglicherweise gegen das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes verstößt,72 ist für die hier interessierende Auslegung des FMedG ohne Belang, weil auch eine verfassungskonforme Interpretation nicht zum Umdeutung hinreichend klarer Gesetzesbestimmungen führen darf.73 Auch der Hinweis auf zu vermeidende Wertungswidersprüche führt nicht weiter, da dem FMedG überhaupt keine konsistenten Werthaltungen in Bezug auf den Embryonenschutz zugrunde liegen74 und die Herstellung eines wertungsmäßig „widerspruchsfreien“ Gesamtergebnisses contra legem ohnehin nicht Aufgabe eines vom Interpreten herbeizuführen_____________ 70 MwN dazu Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz 59 f; vgl im vergleichbaren deutschen Kontext auch BT-Drucksache 13/11263 v 26. 6. 1998; Keller, Klonen, Embryonenschutzgesetz und Biomedizin-Konvention, FS Lenckner (1998) 477 (485); Schroth, Forschung mit embryonalen Stammzellen und Präimplantationsdiagnostik im Lichte des Rechts, JZ 2002, 170 (172). 71 Rill, ZfV 1985, 590. Dass § 7 ABGB die Schließung einer Gesetzeslücke per analogiam vorsieht, ändert daran nichts, zumal die unmittelbar nur für das Privatrecht geltenden Normen des ABGB nicht undifferenziert auf das Verwaltungsrecht im Allgemeinen bzw auf grundrechtsbeschränkende Vorschriften im Besonderen übertragen werden dürfen. 72 So Bernat, Landesbericht Chimären 14. 73 Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 (2007) Rz 135. 74 Näher Kopetzki, Der Status des extrakorporalen Embryos – Landesbericht Österreich, in Eser/Koch/Seith (Hrsg), Internationale Perspektiven zu Status und Schutz des extrakorporalen Embryos. Rechtliche Regelungen und Stand der Debatte im Ausland (2007) 215 (237 ff).
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den „Rechtswandels“, sondern Sache des Gesetzgebers ist.75 Im Übrigen würde die von Bernat favorisierte weite Auslegung der „Entwicklungsfähigkeit“ mitnichten zu einem verfassungskonformen Ergebnis führen, da durch die Ausdehnung des Verbotsbereichs über die ieS „befruchteten“ Eizellen hinaus der damit einhergehende intentionale (verfassungswidrige) Eingriff in die Forschungsfreiheit noch mehr Gewicht bekäme, als dies bei einer engeren Auslegung der Fall ist. e) Mit herkömmlichen Auslegungsmethoden lässt sich die Auffassung Bernats also nicht begründen. Vielleicht verbirgt sich hinter der Auseinandersetzung zum Verbot des „therapeutischen Klonens“ aber eine viel tiefergehende methodische Divergenz: Bernat räumt ja selbst ein, dass die Wortwahl des Gesetzgebers „unmissverständlich“ – im Sinne eines engen Befruchtungsbegriffs – erscheint76 und dass ein im Wege der Dolly-Methode geklonter Embryo sein Dasein nicht jenem Vorgang verdankt, den man, jedenfalls im „landläufigen, aber auch im biologisch-technischen Sinn“ als Befruchtung bezeichnet.77 Bernat behauptet auch gar nicht, dass seine Auffassung durch den Sprachgebrauch gedeckt ist. Sein Auslegungsergebnis beruht methodisch vielmehr auf einer – von ihm selbst so bezeichneten – „objektiv-teleologischen Interpretation“.78 Der auf diese Weise ermittelte „wahre Sinn“ wird in der Folge in den Wortlaut des – von Bernat völlig neu und entgegen dem tradierten Sprachgebrauch umdefinierten – Begriffs der „Befruchtung“ rücktransferiert. Mit dieser revolutionären Neudefinition des Begriffs „Befruchtung“ lässt sich dann als „wortlautkonforme“ Auslegung präsentieren, was unter Zugrundlegung des „landläufigen“ und „biologischtechnischen“ Sprachgebrauchs eine – unzulässige – Analogie gewesen wäre. Aus der Nähe betrachtet führt diese „objektiv-teleologische“ und auf einen Bedeutungswandel des Begriffs „Befruchtung“ abzielende Auslegung zu einer gänzlichen Abkoppelung vom Text des Gesetzes und den vom historischen Gesetzgeber verfolgten Zielsetzungen zugunsten eines Vorrangs angeblich „sachgerechter“ Lösungen. Wenn diese objektiv-teleologische Auslegung tatsächlich zu leisten vermag, was Bernat von ihr erwartet, dann bestätigt sich freilich einmal mehr der Verdacht, den diese Methode immer schon auf sich gezogen hat: Dass es sich dabei um keine Auslegung, sondern um eine Mittel der Gesetzeskorrektur unter dem Deckmantel der Interpretation handelt.79 Im Gegensatz zur Analogie ist sie mit dem Mehrwert verbun_____________ 75
Rill, ZfV 1985, 588. Bernat, Landesbericht Chimären 14. 77 Bernat in diesem Band vor FN 33. Noch deutlicher vor FN 88: „Dieser Vorgang entspricht ganz eindeutig nicht dem Begriff der Befruchtung, wie er bislang definiert worden ist.“ 78 Bernat, Landesbericht Chimären 15, sowie ausführlich in diesem Band. Welchen argumentativen Stellenwert der in diesem Kontext erörterte englische Streitfall für die Auslegung des österreichischen FMedG haben soll, bleibt freilich dunkel. 79 ZB Rüthers, Rechtstheorie 441 ff Rz 796 ff (insb 808, 810); kritisch auch Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre (1982) 169 f; Walter/Mayer/Kucsko76
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den, dass sie den Interpreten auch noch vom strafrechtlichen Analogieverbot befreit.80 Eine „objektiv-teleologische“ Interpretation eignet sich daher besonders dazu, Eigenwertungen des Interpreten einfließen zu lassen und – bei hinreichender „Offenheit“ der Methode in Richtung eines „Rechtswandels“ – Verschiedenes als rechtlich geboten auszugeben.81 Im Extremfall dient ihr das Gesetz nur noch als imperative Aufforderung, unter Rückgriff auf allgemeine Wertungen plausible und „vernünftige“ Lösungen zu finden, ohne sich bei diesen Überlegungen allzu sehr durch die Vorgaben und sprachlichen Formulierungen des positiven Rechts irritieren zu lassen.82 Bei aller Anerkennung, die die „objektiv-teleologische“ Methode in manchen Rechtsbereichen verdienen mag:83 Bei der Sinnermittlung grundrechtseingreifender gesetzlicher Verbotsnormen führt ihre Anwendung zu einer rechtsstaatlich unerträglichen Entfernung des Interpreten – und letztlich auch der vollziehenden Behörden – vom positiven Recht und damit zugleich zu einer Aushöhlung des Legalitätsprinzips und der Gewaltentrennung. Auch das dem Art 7 Abs 1 EMRK innewohnende Bestimmtheitsgebot („nulla poena sine lege“) richtet sich im Kern gegen derart virtuose „korrigierende“ Interpretationen, die den äußerst möglichen Wortsinn weit hinter sich lassen oder die, was auf dasselbe hinausläuft, die verba legalia mit einem neuen und unvorhersehbaren „objektiven Sinngehalt“ aufladen. Wenn die Verfassung den Gesetzgeber zur möglichst klaren und vorhersehbaren Formulierung von „eingriffsnahen“ Verbotsnormen verhält,84 dann kann es nicht angehen, eine – diesen Vorgaben durchaus entsprechende – präzise Legaldefinition im Wege freier Rechtsfindung (oder „objektiv-teleologischer Auslegung“) auf Sachverhalte auszudehnen, die den verwendeten Rechtsbegriffen „ganz eindeutig“85 nicht entsprechen. Andernfalls werden die Normadressaten von einem Begriffsverständnis überrumpelt, mit dem sie vor der Lektüre Bernats beim besten Willen nicht rechnen mussten.86 _____________
Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 Rz 131 f; mwN und Diskussion auch bei Rill, ZfV 1985, 468, 584 f. 80 Rüthers, Rechtstheorie 316 RZ 544. 81 Rill, ZfV 1985, 590. 82 Dass Bernat das von ihm verteidigte Auslegungsergebnis selbst weder für verfassungskonform noch für moralisch begründbar halten dürfte und ihm daher gewiss nicht vorzuwerfen ist, eigene Moralvorstellungen ins Gesetz hineinzulesen, bleibt anzumerken, erleichtert das Verständnis für seinen Standpunkt aber nicht. 83 Auch Bernat, der sich zur Begründung seiner Auslegungsmethode mehrfach auf die Methodenlehre von Bydlinski beruft, ist die an Bydlinski gerichtete Kritik von Rill (ZfV 1985, 590) in Erinnerung zu rufen. Im Übrigen räumt selbst Bydlinski ein, dass die „objektiv-teleologische“ Methode umso problematischer ist, je strittiger die zu klärende Auslegungsfrage ist (Methodenlehre 604). 84 Dazu nur Berka, Das „eingriffsnahe“ Gesetz und die grundrechtliche Interessenabwägung, FS Walter (1991) 37. 85 Vgl FN 77. 86 Zur Bedeutung der Wortlautbindung und zur Problematik korrigierender Auslegung im Lichte des Art 7 EMRK mwN Höpfel in WK2 § 1 StGB Rz 46 ff, insb 52, 54
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b) Zur FMedG-Novelle 2004 Die FMedG-Novelle 2004, BGBl 163, hat für die Auslegung der für die Beurteilung des „therapeutischen Klonens“ einschlägigen Bestimmungen (§ 1 Abs 3, § 9 FMedG) zwar keine unmittelbare Bedeutung, weil diese Bestimmungen nicht Gegenstand der Novelle waren. Die Vorgeschichte der Novelle wirft jedoch ein Licht auf den rechtspolitischen Umgang mit den hier interessierenden Themen: Ein im Jänner 2004 zur Begutachtung versendeter Ministerialentwurf zu einer Novelle des FMedG sah eine Neuformulierung des § 9 Abs 2 unter ausdrücklicher Einbeziehung eines Verbots der Herstellung „entwicklungsfähiger Zellen durch Klonen“ vor, mit der Konsequenz, dass auch die mittels Kerntransfer erzeugten Zellen vom Geltungsanspruch des FMedG (und dessen Verbotswirkung) erfasst gewesen wären.87 Dies hätte sowohl ein – schon bisher unbestrittenes – Verbot des reproduktiven Klonens als auch ein Verbot des therapeutischen Klonens zur Folge gehabt. Als Begründung wurde in den Erläuterungen ausgeführt, dass auf Basis eines bestehenden „gesellschaftspolitischen Konsenses“ einige „geringfügige, behutsame Ergänzungen des FMedG unter Aufrechterhaltung der Prinzipien des geltenden Rechts“ vorgenommen werden sollen.88 Zum neuen § 9 Abs 2 wird zunächst hervorgehoben, dass das neue und umfassende Verbot des therapeutischen Klonens mit dem – von Österreich nicht ratifizierten – Klonverbot des 1. Zusatzprotokolls zur Biomedizin „inhaltlich deckungsgleich sei“ und dass auch Deutschland sowie andere europäische Staaten (Dänemark, Schweiz, Spanien) entsprechende Klonverbote erlassen hätten. Weiter heißt es dann: „Wenn auch schon die geltende Regelung des FMedG wohl nicht anders als im Sinne eines umfassenden Klonverbotes verstanden werden kann, so soll die vorgeschlagene Novelle zum Anlass genommen werden, im Einklang mit der bisher auch im internationalen Zusammenhang vertretenen österreichische Haltung festzulegen, dass das Herstellen von entwicklungsfähigen Zellen durch Klonen – zu welchem Zweck auch immer – unzulässig ist. Damit ist auch klargestellt, dass das schon jetzt beste_____________
und 57 (dort auch zur gebotenen Differenzierung zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht im Hinblick auf die Intensität der Wortlautbindung). Zur Frage einer bereichsspezifischen Methodenwahl Rüthers, Rechtstheorie Rz 674; zur Funktion des Art 7 EMRK bei der Begrenzung der Auslegung von Strafbestimmungen und zum Schutzzweck der Vorhersehbarkeit aus der Perspektive des betroffenen Normadressaten Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 (2007) 374, 377. 87 Vgl den Entwurf zu einer FMedG-Novelle 2004 vom 26. 1. 2004, JMZ 3.509/614-I.1/2003. Ein älterer interner Entwurf auf Abteilungsebene vom 27. 6. 2002 sah parallel dazu auch eine Modifikation der Legaldefinition der „entwicklungsfähigen Zelle“ iSd § 1 Abs 3 vor: „(3) Als entwicklungsfähige Zellen sind befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen sowie auf andere Weise hergestellte Zellen, sofern sie die gleiche Fähigkeit zur Entwicklung haben, anzusehen.“ 88 Entwurf 5 f.
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hende Verbot verbrauchender Embryonenforschung auch für durch Klonen hergestellte Embryonen gilt.“ Dieser Vorschlag einer Änderung des § 9 Abs 2 FMedG wurde – nach kritischen Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren, insb auch nach einem mehrheitlich ablehnenden Beschluss der Bioethikkommission89 – in die Regierungsvorlage nicht übernommen; vor einer weitergehenden Novellierung sollte die Diskussion noch fortgeführt werden.90 Nichtsdestoweniger bleibt der untransparente Begründungsstil des Entwurfes bemerkenswert: Entgegen der schon damals in der Lehre weitgehend vertretenen Erlaubtheit des „therapeutischen Klonens“ wird die Existenz eines Verbots de lege lata mehr oder weniger als selbstverständlich vorausgesetzt, um die Novellierung auf diese Weise als beiläufige und keiner weiteren Diskussion bedürftige „geringfügige Klarstellung“ erscheinen zu lassen. Nicht minder irreführend ist die Berufung auf das „umfassende Klonverbot“ des Zusatzprotokolls zur Biomedizinkonvention, das diesem Text gerade nicht zu entnehmen ist. 91 Dieser Versuch, in einer ethisch und politisch umstrittenen Frage klammheimlich und ohne vorangegangene Diskussion einen der noch verbleibenden Freiräume der embryonalen Stammzellforschung zu beseitigen, ohne dafür – abgesehen von unrichtigen Hinweisen auf einen vermeintlichen gesellschaftspolitischen und internationalen Konsens – irgendwelche Argumente für die Notwendigkeit eines solchen Verbots und dessen verfassungsrechtliche Zulässigkeit anzuführen, ist wohl nicht Ausdruck bösartiger Ignoranz der Verfasser. Er zeigt jedoch – durchaus „im Einklang mit der bisher auch im internationalen Zusammenhang vertretenen österreichischen Haltung“92 –, dass der damaligen Regierungskoalition zeitweise die Fähigkeit abhanden gekommen ist, zwischen partikulären moralischen Postulaten und den Begründungsanforderungen an eine rationale Rechtspolitik zu unterscheiden. _____________ 89 Stellungnahme der Bioethikkommission zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das FortpflanzungsmedizinG (FMedG) geändert wird (FMedG-Nov 2004) vom 10. 3. 2004. 90 678 BlgNR 22. GP 2; zum Schicksal dieses Entwurfes auch E. Köck, ÖJZ 2006, 632; H. Kopetz, Renaissance ethischer Postulate, in Hösele ua (Hrsg), Steirisches Jahrbuch für Politik 2004 (2005) 289 (291 ff) mwN. 91 Nachweise bei Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz 67 f. Auch Art 3 Abs 2 der Europäischen Grundrechtecharta beschränkt sich auf ein Verbot des reproduktiven Klonens. 92 Diese Anspielung in den Erläuterungen bezieht sich auf die Tatsache, dass Österreich 2002 als einziger EU-Mitgliedstaat gegen das 6. EU-Rahmenprogramm Forschung gestimmt hat, um der Missbilligung einer Förderung der embryonalen Stammzellforschung Ausdruck zu verleihen (dazu zB Gmeiner, Biopolitik in der XXII. Legislaturperiode, JRP 2003, 170, sowie Körtner in diesem Band). Als Begründung für diese singuläre Haltung führte die zuständige Ministerin Gehrer ins Treffen, die embryonale Stammzellforschung entspreche „einfach nicht den ethischen Vorstellungen der österreichischen Bundesregierung“ (zustimmend zitiert bei M. Scheuer, Ware und/oder Heilmittel Embryo? Grußworte des Bischofs von Innsbruck, Imago hominis 2005/2, 81).
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c) Keimbahneingriff? Im Schrifttum wurde die Auffassung vertreten, dass bereits die Entfernung des Zellkerns aus einer menschlichen Eizelle als verpönter „Keimbahneingriff“ zu qualifizieren sei, da es sich um eine Manipulation am menschlichen Genom handle.93 Diesfalls wäre die Technik des Kerntransfers zwar nicht durch § 9 Abs 1, jedoch durch § 9 Abs 2 FMedG sowie § 64 GTG verboten. Auch das Austauschen des Eizellkerns gegen einen somatischen Zellkern könnte unter diesem Blickwinkel einen Keimbahneingriff darstellen: Dabei wird zwar nicht qualitativ – im Sinne einer gezielten inhaltlichen Modifikation des Genoms – in die Keimbahn eingegriffen; den kompletten Austausch des Kerngenoms könnte man aber möglicherweise ebenso als „Veränderung des Genoms“ deuten, zumal wegen der in der Eizelle verbleibenden mitochondrialen DNA nicht das gesamte genetische Material ersetzt wird. Gegen eine so weitreichende Auslegung des Verbots von Eingriffen in die „Keimzellbahn“ (§ 9 Abs 2 FMedG) bzw in die „Keimbahn“ (§ 64 GTG) spricht allerdings wieder der begrenzte Anwendungsbereich des FMedG: Da der Gesetzgeber mit dem FMedG ausschließlich die medizinisch unterstützte Fortpflanzung, nicht jedoch die Techniken des Klonens regeln wollte,94 kann sich auch der Schutzzweck des Verbots des Keimbahneingriffs im systematischen Zusammenhang des FMedG nur auf solche Manipulationen erstrecken, die zur intergenerativen Weitergabe – also zur Vererbung – derartiger genetischer Eingriffe führen können. Nur diese Gefahr der Weitergabe an die nächste Generation kann die besonderen Restriktionen der Gentherapie rechtfertigen. Diese Gefahr besteht jedoch beim Kerntransfer zu Forschungszwecken oder auch zu therapeutischen Zwecken von vornherein nicht, weil und sofern dies nicht im Kontext der Fortpflanzung erfolgt, sondern einer Technik der Zellzüchtung dient. Auch das nahezu gleichlautende Verbot des § 64 GTG hat gegenüber jenem des FMedG keinen breiteren Anwendungsbereich, da § 64 GTG nur auf § 9 Abs 2 FMedG verweist, ohne dessen (auf die Fortpflanzung bezogenen) Inhalt zu verändern.95 Bestätigt wird dies durch § 74 Z 2 GTG, wonach eine somatische Gentherapie, bei der das Risiko eine Veränderung des Erbmaterials nicht völlig ausgeschlossen werden kann, nur bei Menschen zulässig ist, „die mit Sicherheit keine Nachkommen haben können“. Die Ergänzung, dass Zellen der Keimbahn eines auf diese Weise behandelten Menschen nicht zur Herstellung von Embryonen außerhalb des Körpers der Frau verwendet werden dürfen, verschafft diesem Verbot auch für die In-vitro-Fertilisation _____________ 93 Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht 91 ff. Zur vergleichbaren Diskussion zu Art 13 MRB Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht 59 f. 94 216 BlgNR 18. GP 10. 95 § 64 GTG: „Für Eingriffe in die menschliche Keimbahn gilt das Verbot des § 9 Abs. 2 Fortpflanzungsmedizingesetz, BGBl. Nr. 275/1992.“ Auch die Legaldefinition der Keimbahn in § 4 Z 22 GTG („die Gesamtheit der Zellenfolge, aus der Keimzellen hervorgehen und die Keimzellen selbst“) führt zu keinem anderen Ergebnis.
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Beachtung, führt aber zu keinem umfassenden Eingriffsverbot in Bezug auf Keimzellen außerhalb jeglichen Fortpflanzungszusammenhangs.96
d) „Reprogrammierung“ Mit der Beschränkung des Begriffs der „entwicklungsfähigen Zelle“ auf (totipotente) befruchtete Eizellen bzw deren Folgezellen fallen auch andere – absehbare oder noch unbekannte – Techniken zur „Rückdifferenzierung“ somatischer Zellen in frühere Entwicklungsstadien aus dem Anwendungsbereich des FMedG heraus. Ob die Anwendung solcher Techniken nur zu „pluripotenten“ Stammzellen führen oder ob dabei möglicherweise sogar das Stadium der Totipotenz überschritten wird, macht rechtlich keinen Unterschied. Die „Totipotenz“ stellt nach österreichischem Recht für sich genommen kein relevantes Kriterium dar, solange keine „Entwicklungsfähigkeit“ im spezifischen Sinn des FMedG (Befruchtung) vorliegt. Daher wäre die „reprogrammierte“ Zelle auch dann keine „entwicklungsfähige Zelle“, wenn sie totipotent ist oder durch zusätzliche Manipulationen in diesen Zustand versetzt werden könnte.97 Unzulässig ist im Hinblick auf das Verbot des reproduktiven Klonens98 lediglich die Implantation und die Herbeiführung einer Schwangerschaft. Darüber hinaus ist dieser breite rechtliche Freiraum nur durch jene Rahmenbedingungen begrenzt, die für begleitende Eingriffe (zB Zellgewinnung) bestehen.99 Sobald ein therapeutischer Verwendungszweck „beim Menschen“ hinzutritt, gelten überdies die Regelungen des Gewebesicherheitsrechts.
_____________ 96 Selbst wenn man den Zellkerntransfer im Hinblick auf die in der Eizelle befindliche mitochondriale DNA als Technik zur „Veränderung des genetischen Materials“ im Sinne des § 4 Z 3 GTG qualifizieren wollte, würde dies nicht zu einem generellen Verbot, sondern nur zur Anwendbarkeit der Bewilligungserfordernisse des GTG führen. Zur – hier nicht näher behandelten – Frage der Chimären- und Hybridbildung mwN Bernat (FN 57); Weschka, RdM 2007, 164; Taupitz, The Chimbrids Project of the Universities of Heidelberg and Mannheim, JIBl 2008, 89. 97 Umso weniger bestehen gesetzliche Verbote der Gewinnung oder Nutzung pluripotenter „reprogrammierter“ Zellen zu Forschungszwecken. Anders in Deutschland, wo die Differenzierung nach dem Kriterium der „Potenz“ relevant sein kann. Auch dort sprechen aber gute Gründe dafür, somatische Zellen auch dann nicht als totipotent zu qualifizieren, wenn es möglich wäre, sie in einen solchen Zustand zu reprogrammieren; mwN Kersten, Das Klonen von Menschen (2004) 548 ff. 98 Zur Begründung Miklos, Das Verbot des Klonens von Menschen in der österreichischen Rechtsordnung, RdM 2000, 35. 99 Insb Einwilligung, Aufklärung, je nach Lage des Falls auch: Vorlage an eine Ethikkommission, sofern diese für die biomedizinische Forschung am Menschen insgesamt zuständig ist.
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e) Ergebnis Im Ergebnis ist somit daran festzuhalten, dass die Verbote des § 9 FMedG auf Zellen, die durch andere Weise als durch Befruchtung „entwicklungsfähig“ geworden sind, nicht anwendbar sind. Das trifft insb auf die Methode des Kerntransfers in entkernte Eizellen zu.100 Umso weniger bestehen rechtliche Bedenken gegen Reprogrammierungstechniken, die ohne Umweg über eine weibliche Eizelle zur Entstehung „entwicklungsfähiger“ Zellen oder pluripotenter Stammzellen führen. Bei all diesen Techniken ist daher nicht nur die Forschung mit diesen Zellen, sondern auch deren Gewinnung bzw Erzeugung zu Forschungszwecken erlaubt.
IV. Verfassungsrecht a) Da der grundrechtliche Schutz des Lebens gem Art 2 EMRK nach der hier nicht neuerlich zu begründenden überwiegenden Verfassungsrechtslehre sowie der übereinstimmenden Judikatur der Höchstgerichte101 erst mit der Geburt einsetzt, liegen die hier zu beurteilenden Sachverhalte der Forschung mit adulten oder embryonalen Stammzellen gänzlich außerhalb des personellen Anwendungsbereichs dieses Grundrechts. Auch der Grundsatz der Menschenwürde bildet – unabhängig von der strittigen Frage nach seiner verfassungsrechtlichen Verankerung – für derartige Forschungsvorhaben keine _____________ 100 Zutreffend wie hier Miklos, Rechtliche Überlegungen zum Klonen menschlicher Zellen, in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht 119 (142 ff); Weschka, RdM 2007, 168; H. G. Koch, Embryonenschutz ohne Grenzen? FS Eser (2005) 1091 (1107); Taupitz, Embryonenforschung im internationalen Vergleich 159; tendenziell in diesem Sinn nun auch Eder-Rieder, ZaöRV 2007, 23; ohne klare Stellungnahme E. Köck, ÖJZ 2006, 632. Ohne hinreichende Begründung für die Ableitung eines Verbots des therapeutischen Klonens aus dem FMedG hingegen noch Eder-Rieder, Vorbem zu §§ 96-98 StGB, in WK2 (23. Lfg 2001) Rz 19; dieselbe in Unger (Hrsg), Medizinische Ethik I: Grundlagen und Handlungsfelder (2003) 76; Harsieber, Geklont und verdammt?, ÖÄZ 2001/4, 33; Prat, Stammzelltherapie aus ethischer Sicht, Imago hominis 2001/2, 121 (123); Pernthaler, Menschenrechte und Schutz des Embryos, Imago hominis 2005/2, 117 (123). 101 VfSlg 7400/1974; OGH SZ 72/91. Umfassende Nachweise und Diskussion bei Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg) Biotechnologie und Recht, 19 ff; ders, Art 2 EMRK, in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht 5. Lfg (2002) Rz 14 ff. Die fehlende Anwendbarkeit des Art 2 EMRK auf das ungeborene Leben hat nun auch der EGMR bestätigt: Denn die im Fall Evans (EGMR 7. 3. 2006, Appl 6339/05 = EuGRZ 2006, 389) getroffene Aussage, dass die Festlegung des Beginns des grundrechtlichen Lebensschutzes mangels eines europäischen Konsenses in den Beurteilungsspielraum der Nationalstaaten falle (Z 45), läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass die Reichweite der Schutzgewährung gem Art 2 EMRK zur Gänze den Vertragsstaaten der EMRK anheimgestellt bleibt. Die EMRK entfaltet also insofern keine eigenständige Bindungswirkung.
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Schranke.102 Soweit die Menschenwürde mittelbar als Schutzgut des Art 3 EMRK (Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung) von verfassungsrechtlicher Relevanz ist, scheitert dessen Anwendbarkeit schon an der fehlenden Qualifikation embryonaler Zellen als Grundrechtssubjekte. Art 3 EMRK gibt keine Antwort auf Fragen der Stammzellforschung.103 Dieser Bestimmung dürfen keine über den individuellen Grundrechtsschutz (Geborener) hinausgehenden Folgerungen – etwa im Sinne der weitergehenden Menschenwürdegarantie des deutschen Grundgesetzes – entnommen werden. b) Auf der anderen Seite der verfassungsrechtlichen Waagschale stehen grundrechtliche Schutzpflichten aus Art 8 EMRK, die jede staatliche Einschränkung der Entwicklung neuer medizinischer Therapieverfahren unter Nutzung embryonaler Stammzellen an den Nachweis binden, dass das Verbot der Gewinnung oder Verwendung von Stammzellen im Lichte des Art 8 Abs 2 EMRK zum Schutz eines der dort genannten Rechtsgüter unbedingt erforderlich ist. Dass eine solche Begründung gelingen könnte, ist angesichts der weitaus liberaleren europäischen Rechtslage zumindest zweifelhaft.104 c) Schwerwiegende Einwände gegen die restriktive Rechtslage in Bezug auf die Gewinnung embryonaler Stammzellen ergeben sich schließlich aus der verfassungsrechtlichen Garantie der Forschungsfreiheit gem Art 17 StGG.105 Forschungen an diesen Zellen stehen ungeachtet der dagegen erhobenen ethischen Bedenken unter dem Schutz dieses Grundrechts. Das _____________ 102 Zur Begründung eingehend Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht 39 ff; ders, in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz 63 ff; Kneihs, Art 2 MRK, in Rill/Schäffer (Hrsg), Bundesverfassungsrecht. Kommentar, 4. Lfg 2006 Rz 8. Vorschnellen Transponierungen philosophischer oder religiöser Würdekonzepte ins Verfassungsrecht sei entgegnet, dass auch die Anerkennung eines ungeschriebenen Verfassungsgrundsatzes der Menschenwürde (so jüngst etwa Pernthaler, Ungeschriebene Grundrechte und Grundrechtsprinzipien in der österreichischen Rechtsordnung, FS Öhlinger [2004] 447 ff) noch keineswegs zu einem Verbot embryonaler Stammzellforschung zwingt. 103 MwN Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz 63 ff; Kneihs, Art 3 EMRK, in Rill/Schäffer (Hrsg), Bundesverfassungsrecht. Kommentar, 5. Lfg (2007) Rz 17. 104 Näher Kopetzki in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz 64; ders, in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht 55 ff. Eine Begründung von Verboten zum Schutz der „Rechte anderer“ scheidet jedenfalls aus, da weder der Embryo noch embryonale Stammzellen als „anderer“ zu qualifizieren sind. Auch die Verhinderung der Kränkung religiöser Gefühle durch staatliche Zulassung weltanschaulich strittiger Forschungen bildet kein taugliches Schutzziel: vgl zu den engen Grenzen eines verfassungsrechtlichen „Kränkungsschutzes“ in anderem Zusammenhang mwN Ennöckl, Gibt es ein „right to reputation“?, FS Raschauer (2008) 1 (4 ff); Stelzer, Der Karikaturenstreit: Versuch einer grundrechtlichen Eingrenzung, JRP 2006, 98; R. Winkler, Die Kränkung als Grundrechtseingriff – von der freiheitlichen zur korrekten Kommunikationsordnung, JRP 2006, 103; Seelmann, Gefährdungs- und Gefühlsschutzdelikte an den Rändern des Lebens, FS Wolff (1998) 481. 105 Dazu und zum Folgenden Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht 53 ff.
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hinter der Forschungsfreiheit stehende Schutzgut ist entgegen einem verbreiteten Missverständnis nicht eine auf künftige Therapien gerichtete „Ethik des Heilens“, sondern das menschliche Streben nach Erkenntnis. Folglich wird die Berufung auf die Forschungsfreiheit nicht dadurch desavouiert, dass die „Heilsversprechungen“ der Embryonenforschung noch ungewiss sind. Ob die damit verbundenen Hoffnungen begründet sind oder nicht, wird sich zeigen. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung spielt dieser Aspekt keine Rolle, weil der Sinn der Forschungsfreiheit gerade darin liegt, der Wissenschaft das Tor in die – notorisch ungewisse – Zukunft offen zu halten. Für den Schutz der Forschungsfreiheit kommt es auch nicht darauf an, wie „hochrangig“ die angestrebten Ergebnisse sein werden, wie schnell mit ihnen zu rechnen ist, welche therapeutischen Erfolge bereits vorzuweisen sind und welche Alternativen möglicherweise zur Verfügung stehen. Solche – von den Gegnern der embryonalen Stammzellforschung regelmäßig vorgebrachten – Argumente106 mögen für einzelne Forscher oder Institutionen ein mehr oder weniger gutes Motiv für oder gegen die Beteiligung an dieser Forschung abgeben; sie können auch bei der Frage nach der Bereitstellung öffentlicher Fördermittel eine Rolle spielen. Ein legitimer Grund für ein staatliches Verbot solcher Forschungen ergibt sich daraus aber nicht.107 Gewiss stünde es dem Gesetzgeber frei, die Forschungsfreiheit zum Zweck des Embryonenschutzes gewissen Einzuschränkungen zu unterwerfen, solange er dies in allgemeiner, verhältnismäßiger und in sich konsistenter Weise tut. Davon kann hier aber keine Rede sein, weil der Embryonenschutz im FMedG weder eine tragende Rolle spielt noch einigermaßen konsistent verwirklicht ist108 – ganz zu schweigen vom schwachen und abgestuften _____________ 106
Statt vieler zB L. Kenner, Der Stichtag kann bleiben, FAZ 1. 4. 2000, 35. Das Grundrecht der Forschungsfreiheit schützt im Extremfall auch Erkenntnisinteressen, die dem Zeitgeist zuwiderlaufen und die ethisch als „bedenklich“ eingestuft werden. Wer die Freiheit der Wissenschaft oder auch der Kunst an eine „ethische Unbedenklichkeitsprüfung“ knüpfen möchte, richtet sich im Kern gegen den Wesensgehalt dieser Grundrechte – und bekanntlich hätten weder Galileo Galilei noch Arthur Schnitzler diesen zeitgenössischen Ethik-Test bestanden. Auch weite Bereiche der biomedizinischen Forschung würden an diesem moralischen Kompatibilitätstest scheitern, weil sich in Zeiten einer inflationären Ethikdiskussion und angesichts der bunten Vielfalt und potentiellen Beliebigkeit moralischer Postulate so gut wie jegliche Aktivität mit dem Prädikat „unethisch“ versehen lässt. Offenbar galt die Unvereinbarkeit des verfassungsrechtlichen Schutzes von Wissenschaft und Kunst mit der Forderung nach einem generellen „Ethikvorbehalt“ nur so lange als evident, als sich diese Grundrechte zur Zeit ihrer Formulierung im 19. Jahrhundert gegen traditionelle historische Freiheitsbedrohungen in Gestalt religiöser und „sittlicher“ Verbote richteten. Es wäre bedauerlich, würde man die aktuellen Bedrohungsszenarien für diese grundrechtlich geschützten Freiheiten nur deshalb aus dem Blick verlieren, weil sie heute nicht mehr unter der Flagge religiöser oder moralphilosophisch begründeter Verbote, sondern im scheinbar unverdächtigen Gewande ihrer säkularisierten Schwester, der Bioethik, oder im trojanischen Pferd rechtlicher Würdeklauseln auftreten. 108 Insb das aus der begrenzten Aufbewahrungsdauer für extrakorporale Embryonen gem § 17 Abs 1 FMedG erfließende Vernichtungsgebot zeigt vielmehr, dass der 107
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Lebensschutz für Embryonen in vivo.109 Dazu kommt, dass das aus § 9 FMedG ableitbare Verbot der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus Embryonen, die ohnehin der Vernichtung preisgegeben sind, primär auf eine Verhinderung der Forschung (und nicht auf den Existenzschutz des Embryos) abzielt110 und daher von einem „intentionalen Eingriff“ in die Forschungsfreiheit gesprochen werden muss. Ein solcher intentionaler Eingriff müsste durch ein gegenläufiges – auf den Embryonenschutz gerichtetes – Verfassungsrechtsgut legitimiert werden. Dafür ist aber keine verfassungsrechtliche Grundlage in Sicht. Im Ergebnis ist § 9 Abs 1 FMedG daher als verfassungswidriger Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit zu qualifizieren.111
V. Rechtspolitisches De lege ferenda besteht kein Bedarf nach neuen Beschränkungen für die Forschung mit embryonalen Stammzellen und deren Import aus dem Ausland nach dem Vorbild des deutschen Stammzellgesetzes. Auch eine der deutschen Rechtslage entsprechende Stichtagsregelung ist abzulehnen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sprechen vielmehr gute Gründe dafür, das aktuelle Verbot der Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus frühen extrakorporalen Embryonen unter bestimmten, noch zu diskutierenden Voraussetzungen zu lockern und den gravierenden Wertungswiderspruch zwischen den
_____________
Gesetzgeber den Embryonenschutz dem Forschungsverbot untergeordnet hat (und nicht umgekehrt). Zu den eigentümlichen Wertungswidersprüchen des österreichischen Rechts in Bezug auf den Schutz von in-vitro-Embryonen auch Kopetzki in Eser/Koch/Seith (Hrsg), Internationale Perspektiven zu Status und Schutz des extrakorporalen Embryos 237 ff. 109 Dieses – durch den Gleichheitssatz auch verfassungsrechtliche gebotene (vgl schon VfSlg 7400/1974) – abgestufte Schutzkonzept des Embryonenschutzes nach Maßgabe des Entwicklungsstandes entspricht über weite Strecken auch der einfachgesetzlichen Rechtslage, die etwa den strafrechtlichen Schutz der Leibesfrucht in vivo erst mit der Nidation (Schwangerschaft) beginnen und im Laufe der Schwangerschaft stufenweise ansteigen lässt. In Bezug auf Embryonen in vitro ist die Rechtslage hingegen völlig widersprüchlich. Einerseits wird den „überzähligen“ Embryonen aus der Reproduktionsmedizin jede Entwicklungsperspektive verwehrt, wenn eine Implantation unterbleibt (freiwillige Entscheidung der Frau über die Implantation; Verbot der Embryonenspende; begrenzte Aufbewahrungsfrist). Andererseits sind Embryonen in vitro nach FMedG gegenüber der Forschung auch dann noch absolut geschützt, wenn sie ohnehin der Vernichtung preisgegeben sind. Das ist sachlich nicht zu rechtfertigen. 110 RV 216 BlgNR 18. GP 20. 111 Näher Kopetzki in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht 53 ff. Ebenso (zu einem Verbot bestimmter Zweige der embryonalen Stammzellforschung) Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 (2007) Rz 1507.
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unterschiedlichen Schutzniveaus in vivo und in vitro zu beseitigen.112 Zwingend vorzusehen wäre lediglich eine Bindung an die Zustimmung jener Personen, aus deren Keimzellen der extrakorporale Embryo hervorgegangen ist. Ob der Sitz einer solchen Regelung im FMedG oder in einem eigenen Gesetz zu lokalisieren wäre, ist eine zweitrangige Frage. Für ein eigenes Gesetz könnte sprechen, dass das FMedG seinem Konzept nach auf die medizinisch unterstützte Fortpflanzung beschränkt ist und dass ein eigenständiges Regelwerk darüber hinaus die Chance böte, auch andere Aspekte des Umgangs mit in-Vitro-Embryonen (zB die Präimplantationsdiagnostik) einer verfassungskonformen – und das heißt: deutlich liberaleren – Regelung zuzuführen. Man könnte dieses Ziel aber ebenso gut ohne umfangreiche legistische Schritte erreichen. Es würde genügen, in § 9 Abs 1 FMedG den zweiten Satz ersatzlos zu streichen und den ersten Satz wie folgt abzuändern: „Entwicklungsfähige Zellen dürfen für andere Zwecke als für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen nur mit Zustimmung jener Personen verwendet werden, von denen die Keimzellen stammen.“
_____________ 112 Für eine klarstellende Regelung in diesem Sinn auch Eder-Rieder, Aspekte der Stammzellentechnologie im Besonderen in Großbritannien, Deutschland, Österreich und der Schweiz, ZfRV 2007, 18 (23); E. Köck, ÖJZ 2006, 631 ff.
Das Schweizerische Stammzellenforschungsgesetz vom 19. Dezember 2003 Rainer J. Schweizer
I. Einleitung In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand in der Schweiz, wie in vielen anderen Ländern auch, ein grundsätzliches Tabu der Forschung an menschlichen Embryonen. Gleichzeitig kam aber in den 80er Jahren ein steigender Bedarf auf an medizinisch assistierter Fortpflanzung, insbesondere mittels Invitro-Fertilisation und Embryonentransfer. Gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen um die Fortpflanzungstechnologie beim Menschen, vorangetrieben namentlich durch eine Verfassungsinitiative von 1987, führten in der Schweiz dazu, dass die Bundesversammlung (das Parlament des Bundes) eine einlässliche Bestimmung (Art 24novies) der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) ausarbeitete, welche am 17. 5. 1992 mit einer klaren Mehrheit der Stimmenden und der Kantone (Bundesländer) in einer Volksabstimmung angenommen worden war.1 Der Verfassungsartikel von 1992 wurde in der (vorwiegend formal) gesamthaft revidierten Bundesverfassung vom 18. 4. 1999 in den Art 119 über Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich und den Art 120 über Gentechnologie im Ausserhumanbereich aufgeteilt, aber sonst unverändert übernommen, mit der punktuellen Ausnahme der Verschärfung des Verbots des Klonens (Art 119 Abs 2 Bst a BV). Die heutige Bestimmung lautet: Art 119 Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich 1
Der Mensch ist vor Missbräuchen der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnologie geschützt. 2 Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit menschlichem Keim- und Erbgut. Er sorgt dabei für den Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der Familie und beachtet insbesondere folgende Grundsätze:
a. Alle Arten des Klonens und Eingriffe in das Erbgut menschlicher Keimzellen und Embryonen sind unzulässig. _____________ 1
Zur Entstehungsgeschichte des damaligen Art 24novies alte Bundesverfassung, vgl Rainer J. Schweizer, in Jean-François Aubert et al (Hrsg), Kommentar zur (alten) Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, Loseblattsammlung (1987-1996) Art 24novies Rz 1 ff.
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b. Nichtmenschliches Keim- und Erbgut darf nicht in menschliches Keimgut eingebracht oder mit ihm verschmolzen werden. c. Die Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung dürfen nur angewendet werden, wenn die Unfruchtbarkeit oder die Gefahr der Übertragung einer schweren Krankheit nicht anders behoben werden kann, nicht aber um beim Kind bestimmte Eigenschaften herbeizuführen oder um Forschung zu betreiben; die Befruchtung menschlicher Eizellen ausserhalb des Körpers der Frau ist nur unter den vom Gesetz festgelegten Bedingungen erlaubt; es dürfen nur so viele menschliche Eizellen ausserhalb des Körpers der Frau zu Embryonen entwickelt werden, als ihr sofort eingepflanzt werden können. d. Die Embryonenspende und alle Arten von Leihmutterschaft sind unzulässig. e. Mit menschlichem Keimgut und mit Erzeugnissen aus Embryonen darf kein Handel getrieben werden. f. Das Erbgut einer Person darf nur untersucht, registriert oder offenbart werden, wenn die betroffene Person zustimmt oder das Gesetz es vorschreibt. g. Jede Person hat Zugang zu den Daten über ihre Abstammung.
Seit 1992 setzt somit die Bundesverfassung detaillierte Rahmenbedingungen für die Fortpflanzungsmedizin. Die zentrale Bestimmung ist Abs 2 Bst c. Danach dürfen Eizellen imprägniert und in diesem Stadium auch kryokonserviert werden, aber die Kernverschmelzung zum Embryo darf grundsätzlich nur jeweils für einen Behandlungszyklus erfolgen. Gleichzeitig stellt das Verfassungsrecht auch verschiedene Schranken für den Umgang mit Embryonen auf, namentlich ein explizites Verbot der Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken (Art 199 Abs 2 Bst c 2. Satzteil BV); das erwähnte Klonverbot nach Abs 2 Bst a; ein Verbot der Embryonenspende und von Leihmutterschaft (Abs 2 Bst d, womit Angebote zur „pränatalen Adoption“ von Embryonen unzulässig sind) sowie Kommerzialisierungsschranken (Abs 2 Bst e).2 Die Verfassungsbestimmung ist, wohl auch aus der Perspektive anderer Staaten, interessant, weil sie nicht nur grundlegende Ziele bezüglich des Schutzes der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der Familie formuliert, sondern weil sie zugleich für das Schutzgut Keim- und Erbgut ganz besondere Garantien enthält. Keim- und Erbgut sind Keimzellen, also Ei- und Samenzellen, Keimdrüsen (Hoden, Eierstöcke), befruchtete Eizellen vor der Kernverschmelzung (Vorkernstadien), Embryonen (die Frucht von der Kernverschmelzung bis zum Abschluss der Organentwicklung)3 und Föten (die Frucht nach der Organentwicklung bis zur Geburt).4 Zusätzlich geschützt wird das Erbgut, und zwar sowohl die kodierenden wie die nicht kodierenden _____________ 2
Näheres dazu: Ruth Reusser/Rainer J. Schweizer, in B. Ehrenzeller/Ph. Mastronardi/R. J. Schweizer/K. Vallender (Hrsg), Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl (2008) Art 119 Rz 10 ff, 1828, 1837 ff. 3 Vgl Art 2 Bst i Fortpflanzungsmedizingesetz (Anhang IV). 4 Vgl Art 2 Bst k Fortpflanzungsmedizingesetz. Ausgenommen sind zum Beispiel die Plazenta und das Nabelschnurblut.
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Bereiche der DNS. Zugunsten der betroffenen Menschen, ja selbst zugunsten des Embryos und Fötus in vivo und des Embryos in vitro werden in Art 119 Abs 2 Bst a-e besondere Grundrechtsgarantien sowie Verfassungsgrundsätze festgelegt.5 Dies stellt insbesondere eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes dar, wie er in den Art 10 und 13 BV und auch in Art 8 EMRK festgehalten ist. Die Verfassungsbestimmung zur Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie ist ab ihrem Inkrafttreten 1992 nach herrschender Auffassung auch unmittelbar anwendbar gewesen, und sie hat schon zur punktuellen Anerkennung von Grundrechten und verfassungsmässigen Rechten durch das Schweizerische Bundesgericht geführt.6 Art 24novies alt BV löste in den 90er Jahren die schweizerische Gesetzgebung zur Fortpflanzungsmedizin aus, die in grossen Zügen dem Konzept der Embryonenschutzgesetze und Fortpflanzungsmedizingesetze anderer europäischer Staaten entspricht. Die wesentliche Orientierung des Bundesgesetzes über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) vom 18. 12. 1998 ist die Forderung nach einer besonderen Indikation der Behandlung (Art 5) sowie die Ausrichtung auf das Kindeswohl (Art 3).7 Diese zentrale Orientierung wird abgesichert durch eine Bestimmung über verbotene Praktiken (Art 4) sowie durch eine ganze Reihe von Strafbestimmungen (Art 29-36). Namentlich diese Strafbestimmungen setzten der Forschung an Embryonen deutliche Grenzen (zB mit dem Verbot der Ektogenese [Art 30] oder dem Verbot von Klonen, Chimären und Hybridbildung mit menschlichem Keimgut [Art 36]).8 Zentral für die Gewinnung und Herstellung von Keimgut sind die Art 16 und 17 Fortpflanzungsmedizingesetz: Art 16 Konservierung imprägnierter Eizellen 1
Imprägnierte Eizellen dürfen nur konserviert werden, wenn:
a. das zu behandelnde Paar seine schriftliche Einwilligung gibt; und b. die Konservierung der späteren Herbeiführung einer Schwangerschaft dient. 2
Die Konservierungsdauer beträgt höchstens fünf Jahre.
3
Jeder der beiden Partner kann die Einwilligung jederzeit schriftlich widerrufen.
4
Bei Widerruf der Einwilligung oder bei Ablauf der Konservierungsdauer sind die imprägnierten Eizellen sofort zu vernichten. _____________ 5 Vgl Myriam Kohler-Vaudaux, Le début de la personnalité juridique et la situation juridique de l’enfant à naître, thèse Lausanne (2006) 66-103; Rainer J. Schweizer, Landesbericht Schweiz, in Albin Eser/Hans-Georg Koch/Carola Seith (Hrsg), Internationale Perspektiven zu Status und Schutz des extrakorporalen Embryos (2007) 301 ff, bes 328 ff. 6 Vgl zB BGE 119 Ia 501 Erw 12e/d; 127 I 13; 128 I 63 f, 77 ff. 7 Vgl Anhang Teil IV. 8 Zu den entsprechenden Forschungsinteressen liegt jetzt die Stellungnahme Nr 11/2006 vom Januar 2006 der NEK-CNE, Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin, vor.
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Der Bundesrat verbietet die Konservierung imprägnierter Eizellen, wenn der Stand von Wissenschaft und Praxis es erlaubt, nichtimprägnierte Eizellen mit befriedigendem Erfolg zu konservieren. Art 17 Entwicklung von Embryonen 1
Ausserhalb des Körpers der Frau dürfen nur so viele imprägnierte Eizellen zu Embryonen entwickelt werden, als innerhalb eines Zyklus für die Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich sind; es dürfen jedoch höchstens drei sein. 2 Der Embryo darf ausserhalb des Körpers der Frau nur so weit entwickelt werden, als für die Einnistung in der Gebärmutter unerlässlich ist. 3
Das Konservieren von Embryonen ist verboten.
Das schweizerische Fortpflanzungsmedizingesetz trat am 1. 1. 2000 in Kraft. Damit waren allfällige seit 1992 offene Fragen des Umgangs mit Embryonen, etwa die Frage Kryokonservierung, entschieden.
II. Der Weg zum Stammzellenforschungsgesetz Seit 1998 Thomson die Bedeutung humaner embryonalen Stammzellen bewusst gemacht hat,9 hat sich weltweit ein enormes Interesse der Grundlagenforschung auf die Gewinnung von embryonalen Stammzellen (eSZ) und der Arbeit an solchen Stammzellen gerichtet. Auf ein Gesuch einer Genfer Forschergruppe um Marisa Jaconi entschied der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) am 28. 9. 2001, dass er das Forschungsprojekt mit menschlichen embryonalen Stammzellen, die aus dem Ausland importiert werden sollten, mit einem Förderbeitrag unterstützen würde. Vorgängig war ein Rechtsgutachten von Olivier Guillod, Universität Neuchâtel, zum Schluss gekommen, das geltende Recht enthalte keine Bestimmung, welche die Forschung an importierten embryonalen Stammzellen verbiete, sofern diese unentgeltlich beschafft würden. Demgegenüber hat die NEK-CNE, die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin, in ihrer Stellungnahme Nr 1/2001 vom 19. 9. 2001 empfohlen, vorbehältlich einer ethischen und rechtlichen Klärung auf die Forschung an embryonalen Stammzellen zu verzichten.10 Da bei der Gewinnung von embryonalen Stammzellen der Embryo geschädigt oder zerstört wird, führt eine Forschung an eSZ immer zum Verbrauch von Embryonen, selbst wenn es sich um sogenannte überzählige Embryonen handelt, die in einem Verfahren der assistierten Fortpflanzung nicht implementiert werden können. Nach dem Entscheid des Schweizerischen Nationalfonds war
_____________
9 Thomson James A. et al, Embryonic stem cell lines derived from human blastocytics, Science, 282, 5391 (1998) 1145-1147; vgl Beatrix Rubin, Das therapeutische Versprechen der embryonalen Stammzellenforschung, in S. Graumann/K. Grüber (Hrsg), Grenzen des Lebens, Mensch-Ethik-Wissenschaft, Bd 5 (2007). 10 Schweizerische Ärztezeitung 2001, 82: Nr. 48, 2522 ff.
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dem schweizerischen Bundesrat (Bundesregierung) und dem Parlament klar, dass es Aufgabe des Gesetzgebers sei, die Frage der Verwendung von überzähligen Embryonen für die Forschung rechtlich zu klären. Zu diesem Zwecke legte der Bundesrat der Bundesversammlung am 20. 11. 2002 den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Forschung an überzähligen Embryonen und embryonalen Stammzellen, eines Embryonenforschungsgesetzes, vor.11 Angesichts der einlässlichen, einschränkenden Regelungen über den Umgang mit menschlichem Keimgut und insbesondere mit Embryonen in Art 119 BV stellte sich vorrangig die Frage, ob überhaupt die Bundesverfassung eine „fremdnützige“ Verwendung von Embryonen zulasse, die, wenn sie nicht mehr für eine Fortpflanzungshilfe verwendet werden können, gesetzlich zu vernichten sind. Darüber waren die juristischen und politischen Meinungen geteilt. Angela Augustin und Kurt Seelmann zB vertraten die Auffassung, dass jegliche Instrumentalisierung von Embryonen unzulässig sei.12 In einem von mir zu Handen des Bundesamtes für Gesundheit verfassten Gutachten vom Frühjahr 200213 habe ich festgehalten: „Rechtlich kritisch ist die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus der Blastozyste, einer Frühphase des Embryos. Dazu können höchstens sogenannte überzählige, todgeweihte Embryonen genutzt werden. Rechtlich nicht zulässig ist die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus zu sogenannten therapeutischen Zwecken erzeugten Klonen (durch Kerntransfer in eine entkernte Eizelle nach dem Dolly-Prinzip) und wohl auch die Gewinnung aus Embryonen, die durch Parthenogenese (Jungfernzeugung durch Aktivierung einer Eizelle) erzeugt werden. Allerdings stellen sich der wissenschaftlichen Forschung an embryonalen Stammzellen noch viele Fragen, etwa bezüglich der Aufreinigung der Zell-Linien oder der Differenzierung von Zelltypen“.14 Der Bundesrat hat seinerseits die Verfassungsmässigkeit der Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus überzähligen Embryonen bejaht, namentlich weil der Status und der Menschenwürde-Schutz von Embryonen in der Schweiz keineswegs unumstritten seien. Er war zudem der Auffassung, dass eine Lösung mit der Forschung nur an importierten Embryonen eigentlich, angesichts der Ubiquität der Forderungen von Art 119 BV, die ethischen und rechtlichen Probleme _____________ 11 Vgl die entsprechende Botschaft (Regierungsvorlage) vom 20. 11. 2002, Bundesblatt (BBl) 2003, 1163 ff, mit dem Gesetzesentwurf BBl 2003, 1278 ff. 12 Vgl Angela Augustin, Rechtliche Regelung der Stammzellentherapie, Zeitschrift für schweizerisches Recht (ZSR), Band 120, 2001, I, 163 ff, 178/79; Kurt Seelmann, Legal and Ethical Issues Involved in Cord Blood Transplantation and Banking, in W. Holzgreve/M. Lessl (Hrsg), Stem Cell from Cord Blood In Utero Stem Cell Development and Transplantation – Inclusive Gen Therapy (2001) 85 ff. 13 Rainer J. Schweizer, Verfassungs- und völkerrechtliche Vorgaben für den Umgang mit Embryonen, Föten sowie Zellen und Geweben (2002). 14 Für weitere Informationen vgl Zentrum für Technologiefolgen – Abschätzung, Menschliche Stammzellen, verfasst von Bärbel Hüsing/Eve-Marie Engels/Rainer Frietsch/Sybille Gaisser/Klaus Menrad/Beatrix Rubin/Lilian Schubert/Rainer J. Schweizer/René Zimmer, TA44/2003 (2003) bes 205 ff.
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des Umgangs mit in-vitro erzeugten Embryonen nicht umgeht.15 Das von der Schweizer Bundesregierung vorgeschlagene Embryonenforschungsgesetz sollte allerdings nicht nur die Gewinnung, die Einfuhr, die Ausfuhr und Aufbewahrung embryonaler Stammzellen regeln, sondern darüber hinaus generell Forschungen an überzähligen Embryonen unter gewissen wissenschaftlichen und ethischen Anforderungen und unter Respekt der Persönlichkeitsrechte der Eltern regeln. Demgegenüber hat sich das Parlament, vor allem weil die Verfassung die Frage der Verwendung von überzähligen Embryonen nicht explizit geordnet hatte, für ein eingeschränktes Bundesgesetz über die Forschung an embryonalen Stammzellen (Stammzellenforschungsgesetz, StFG) entschieden, das am 19. 12. 2003 verabschiedet wurde. Gegen diesen Gesetzesbeschluss wurde das (fakultative) Referendum ergriffen (vgl Art 141 Abs 1 Bst a BV). In der Volksabstimmung vom 28. 11. 2004 wurde das Gesetz aber mit 66,4% Ja gegen 33,6% Nein bestätigt. Das Stammzellenforschungsgesetz ist seit 1. 3. 2005 in Kraft.
III. Die zu beantwortenden Fragen a) Angesichts der bundesverfassungsrechtlichen Verbote des Klonens und der Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken kommt in der Schweiz nur die Gewinnung von eSZ aus der Blastozyste von sogenannten „überzähligen“ Embryonen in Frage. Art 2 Bst 6 StFG definiert als überzähligen Embryo den „im Rahmen der In-vitro-Fertilisation erzeugten Embryo, der nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet werden kann und deshalb keine Überlebenschancen hat“. Wie erwähnt sehen Verfassung und Fortpflanzungsmedizingesetz verschiedene Massnahmen vor, um die Anzahl überzähliger Embryonen zu minimieren.16 _____________ 15 Vgl Botschaft zum Entwurf eines Embryonenforschungsgesetzes, BBl 2003, 1186 ff, 1207 ff. ŗŜ Ausserhalb des Körpers der Frau dürfen nur so viele imprägnierte Eizellen zu Embryonen entwickelt werden, als innerhalb eines Zyklus zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich sind, nämlich höchstens drei (Art 17 Abs 1 FMedG). Es ist folglich verboten, willentlich überzählige Embryonen anfallen zu lassen (Art 37 Bst g FMedG). Ebenso ist es verboten, imprägnierte Eizellen, die nicht mehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft benötigt werden, für Forschungszwecke zu Embryonen zu entwickeln (Art 29 Abs 1 FMedG). Der Embryo darf ausserhalb des Körpers der Frau nur so weit entwickelt werden, als es für die Einnistung in der Gebärmutter unerlässlich ist (Art 17 Abs 2 und Art 30 Abs 1 FMedG). Der zu transferierende Embryo darf also keinesfalls ein Stadium der Entwicklung erreichen, ab dem die Nidation aus biologischen Gründen unmöglich wird. Die Konservierung imprägnierter Eizellen ist lediglich dann erlaubt, wenn das zu behandelnde Paar seine schriftliche Einwilligung gibt und sie der späteren Herbeiführung einer Schwangerschaft dient (Art 16 Abs 1 Bst b und Art 29 FMedG). Die Konservierungsdauer beträgt höchstens 5 Jahre (Art 16 Abs 2 FMedG). Bei Widerruf
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Nach dem Konzept des Fortpflanzungsmedizingesetzes fallen demnach überzählige Embryonen nur an, wenn a) die Entwicklung des Embryos gestoppt werden muss oder ein Embryo in vitro sich nicht normal entwickelt, oder b) wenn die Frau zwischen der Entwicklung der imprägnierten Eizelle zum Embryo und der vorgesehenen Implantation erkrankt, verunfallt oder stirbt oder wenn die Frau bzw das Paar aus persönlichen Gründen die Behandlung abbricht (vgl Anhang I). b) Dass es im Rahmen der assistierten Fortpflanzung trotz aller gesetzlichen Einschränkungen überzählige Embryonen geben kann, wurde bis zur Ordnung der Stammzellenforschung kaum öffentlich thematisiert. Bekannt war, dass vor Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes zum Teil Embryonen aus Behandlungsverfahren kryokonserviert aufbewahrt wurden. Die Schätzungen in der Schweiz gingen von 1000 bis 2000 Embryonen aus der Zeit vor dem 1. 1. 2000 aus. Vielfach wurden diese Embryonen auf Wunsch eines Paares aufbewahrt, um sie für einen späteren Behandlungsversuch noch nutzen zu können. Art 42 FMedG regelt eine befristete Aufbewahrung und deren anschließende Vernichtung mit einer Übergangszeit. Doch auch unter dem strikten Regime des FMedG gibt es überzählige Embryonen. Nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass diese allenfalls mit Einwilligung des Paares für die Forschung genutzt würden, beschloss man genaue Erhebungen durchzuführen. Anhang I vermittelt die Zahlen der In-vitro-Fertilisationsverfahren pro Jahr, aber auch ua die – erstaunliche – Zahl von tatsächlich überzähligen Embryonen. Schon unabhängig von den erwähnten rechtlichen Schranken sind es eben vorwiegend medizinische Gründe wie das Ausscheiden von schlecht entwickelten Embryonen17 oder die Einschränkung des Embryonentransfers in den Uterus auf 2 oder 1 Embryonen (von maximal drei im Zyklus entwickelten Embryonen), die das behandelnde Institut zwingen, Embryonen zu vernichten.18 Wenn eine Mehrlingsschwangerschaft vermieden werden soll oder unerwünscht ist (vgl Art 7 Abs 3 FMedG),19 so werden die nicht verwendeten Embryonen häufig nur in die Vagina transferiert. Andere _____________
der Einwilligung oder bei Ablauf der Konservierungsdauer sind die imprägnierten Eizellen sofort zu vernichten (Art 16 Abs 4 FMedG). Das Konservieren von Embryonen ist verboten (Art 17 Abs 3 FMedG). 17 Zur Vereinbarkeit genetischer und morphologischer Untersuchungen von Embryonen in vitro mit Art 119 Abs 2 Bst c BV vgl Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 15. 10. 2007 und 22. 1. 2008, in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden (VPB), www.vpb.admin.ch. 18 Dazu für Deutschland Rudolf Neidert, „Entwicklungsfähigkeit“ als Schutzkriterium und Begrenzung des Embryonenschutzgesetzes, Inwiefern ist der SingleEmbryo-Transfer zulässig? MedR (2007) 25: 279-286. 19 Art 7 Abs 3 FMedG bestimmt: „Besteht bei einem Fortpflanzungsverfahren das erhöhte Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft, so darf das Verfahren nur durchgeführt werden, wenn das Paar auch mit der Geburt von Mehrlingen einverstanden wäre.“
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überzählige Embryonen müssen im Labor vernichtet werden (vgl Art 17 Abs 3 FMedG). c) Obwohl es in den Fortpflanzungskliniken in wohl größerem Masse als gemeinhin angenommen überzählige Embryonen gibt, so ist es dennoch eine grundsätzliche ethische und rechtliche Frage, ob die nicht transferierbaren Embryonen für andere Zwecke verwendet werden dürfen. Dabei geht es um die Persönlichkeitsrechte des Paares gegenüber den von ihnen stammenden menschlichen Lebewesen, aber ebenso auch um den Schutz oder Respekt der Würde und Integrität dieser Embryonen.20 Keine Lösung dieses Dilemmas ist es sicherlich, wenn der Staat etwa für diese überzähligen Embryonen aufnahmebereite Frauen bzw „adoptionswillige Eltern“ suchen müsste.21 Dem stehen schon die Würde und Selbstbestimmung der Frau sowie das Kindeswohl entgegen. Grundsätzlich bleibt nur die Möglichkeit, die Entwicklung des Embryos abzubrechen. Wenn die Eltern aber zustimmen, nach angemessener Aufklärung und Bedenkzeit, so soll jetzt im Rahmen der gesetzlichen Ordnung und Ermächtigung ein überzähliger Embryo auch für bestimmte Forschungszwecke zur Verfügung gestellt werden können. d) Ganz wesentlich sind somit die Schranken und Missbrauchsregeln, damit zB vermieden wird, dass die überzähligen Embryonen für ethischrechtlich unzulässige Versuche wie Ektogenese oder Implantation in einen Tieruterus missbraucht werden. Das Stammzellenforschungsgesetz stellt folgende Missbrauchsregeln auf: Art 3 Verbotene Handlungen 1
Es ist verboten:
a. einen Embryo zu Forschungszwecken zu erzeugen (Art. 29 Abs. 1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes vom 18. Dez. 19983), aus einem solchen Embryo Stammzellen zu gewinnen oder solche zu verwenden; b. verändernd ins Erbgut einer Keimbahnzelle einzugreifen (Art. 35 Abs. 1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes vom 18. Dez. 1998), aus einem entsprechend veränderten Embryo embryonale Stammzellen zu gewinnen oder solche zu verwenden; c. einen Klon, eine Chimäre oder eine Hybride zu bilden (Art. 36 Abs. 1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes vom 18. Dez. 1998), aus einem solchen Lebewesen embryonale Stammzellen zu gewinnen oder solche zu verwenden; d. eine Parthenote zu entwickeln, daraus embryonale Stammzellen zu gewinnen oder solche zu verwenden; e. einen Embryo nach Buchstabe a oder b oder einen Klon, eine Chimäre, eine Hybride oder eine Parthenote ein- oder auszuführen. 2
Es ist überdies verboten:
_____________ 20 Näheres Rainer J. Schweizer, Verfassungs- und völkerrechtliche Vorgaben (aaO) 35 ff. 21 In diesem Sinne Christian Starck: FAZ 2001/124, 55.
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a. überzählige Embryonen zu einem anderen Zweck als der Gewinnung embryonaler Stammzellen zu verwenden; b. überzählige Embryonen ein- oder auszuführen; c. aus einem überzähligen Embryo nach dem siebten Tag seiner Entwicklung Stammzellen zu gewinnen; d. einen zur Stammzellengewinnung verwendeten überzähligen Embryo auf eine Frau zu übertragen.
e) Wichtig sind schließlich die Bedingungen, unter denen die überzähligen Embryonen den Forschenden zur Verfügung gestellt werden. Zudem kommt es auf die Qualitätssicherung, insbesondere auf die wissenschaftlichen und ethischen Zielsetzungen der Forschungen und auf die „Good Laboratory Practice“ der Forschungen an. Schließlich spielen auch die Kosten und Abgeltungen eine Rolle. Dazu soll unten noch Näheres ausgeführt werden.
IV. Das Regulierungskonzept des Stammzellenforschungsgesetzes Die Intention des Gesetzgebers ist es, eine behördlich bewilligte, ethisch gebilligte und kontrollierbare Forschung mit und an eSZ zu ermöglichen. Das StFG und die zugehörige Verordnung22 regelt sechs Fälle: a) b) c) d) e)
f)
die Gewinnung von humanen eSZ (Art 7; Art 5-7 VStFG), die Forschung zur Verbesserung der Gewinnung von eSZ (Art 8; Art 8-10 VStFG), die Einfuhr von eSZ (Art 15 Abs 1-3; Art 13/14 VStFG), die Ausfuhr von eSZ (Art 15 Abs 1, 2 und 4; Art 15/16 VStFG), die Forschung an eSZ resp eSZ-Linien, seien dies aa) in der Schweiz vorhandene oder bb) importierte eSZ oder cc) aus Embryonen gewonnene eSZ (vgl Art 11-14; Art 17 ff VStFG), und das Aufbewahren resp Kryokonservieren von Embryonen für eine Stammzellengewinnung oder für eine Forschung dazu (Art 10; Art 11/2 VStFG).
Anzumerken ist, dass das Aufbewahren von eSZ bzw eSZ-Linien meldepflichtig ist (Art 16 StFG). _____________ 22 Verordnung über die Forschung an embryonalen Stammzellen (Stammzellenforschungsverordnung, VStFG) vom 5. 2 .2005 (Anhang IV).
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Das Bundesamt für Gesundheit führt nach Art 18 StFG ein öffentliches Register über die Forschungsprojekte in der Schweiz und über die vorhandenen Stammzelllinien (vgl Anhang III).
V. Die Sicherung der Rechtmäßigkeit der Forschungen a) Entscheidend ist der Respekt vor der Persönlichkeit der Eltern des Embryos. Ein Paar darf erst, nachdem feststeht, dass es aus einem Behandlungsverfahren überzählige Embryonen gegeben hat, gefragt werden, ob es, statt dass es zu einer unmittelbaren Vernichtung der überzähligen Embryonen kommt, deren Verwendung zu Forschungszwecken zustimmt (Art 5 Abs 2 StFG). Voraussetzung dafür ist, dass eine sorgfältige, umfassende Aufklärung des Paares erfolgt ist und dieses schriftlich eingewilligt hat (Art 5 Abs 1 StFG; Art 1-4 VStFG). Das Elternpaar muss zudem darüber informiert werden, dass seine Personendaten den Forscherinnen und Forschern nicht bekannt gegeben werden (Art 27 VStFG) sowie dass die Weitergabe des Embryos unentgeltlich ist (vgl Art 4 StFG). Das Paar hat für seine Entscheidung eine Bedenkzeit; diese kann aber kurz sein, wenn das Faktum der Überzähligkeit am dritten Entwicklungstag feststeht, am fünften Tag aber die Gewinnung der eSZ erfolgen soll. Doch um die Bedenkzeit zu verlängern, darf der Embryo nicht kyrokonserviert werden. Er ist zu vernichten, genauso wie wenn das Paar nicht einwilligt oder wenn es die Einwilligung widerruft (Art 5 Abs 4 StFG). Über alle Modalitäten der Aufklärung und Einwilligung hat das Bundesamt für Gesundheit entsprechende Formulare verfasst (vgl Anhang III: Aufklärungsbogen und Einwilligungserklärung). b) Für jedes gesetzlich mögliche Forschungsprojekt mit eSZ ist eine Stellungnahme einer Ethikkommission erforderlich.23 Zuständig für die medizinisch-ethische Beurteilung ist die Kommission an der Universität der Forschenden, die auch für klinische Forschungen mit Arznei- respektive Heilmitteln zuständig ist (vgl Art 11 StFG; Art 17 ff VStFG). Nach Vorliegen der Stellungnahme der Ethikkommission entscheidet das Bundesamt über die Freigabe des Projekts (Art 20 VStFG). Ethikkommission und Bundesamt sind auch aufgerufen, Projektänderungen zu beurteilen und zu bewilligen (Art 22 VStFG). Schließlich ist der Kommission und dem Amt auch über den Abschluss oder einen Abbruch des Forschungsprojekts Bericht zu erstatten (Art 13 Abs 2 StFG; Art 23-25 VStFG). c) Dem Bundesamt für Gesundheit obliegen umfassende Kontrollbefugnisse (vgl Art 13, 19-21 StFG). Es kann zudem für eine Übertretung und ein Vergehen nach diesem Gesetz das notwendige Verwaltungsstrafverfahren einleiten respektive Strafanzeige erstatten (vgl Art 24-26 StFG). _____________ 23 Dazu allgemein Benjamin J. Capps, Procedural Ethics and the European Stem Cell Debate, in Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, Bd 11 (2006) 41-66.
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VI. Finanzen und wirtschaftliche Aspekte der Stammzellenforschung a) Aus grundsätzlichen Überlegungen der Achtung der Menschenwürde und der Persönlichkeit der betroffenen Menschen enthält das Schweizer Verfassungsrecht ein Kommerzialisierungsverbot (vgl oben Art 119 Abs 2 Bst e BV; ebenso bzgl der Transplantation von Zellen, Geweben und Organen Art 119a Abs 3 BV), wie es auch dem Völker- und Europarecht entspricht.24 Art 4 StFG bestätigt diese Schranke, sieht in Abs 4 aber immerhin eine Möglichkeit der Entschädigung von Aufwendungen im Zusammenhang von Stammzellenforschung vor. Damit wollte man nicht zuletzt einen Weg öffnen, damit Lizenzgebühren für ausländische Stammzelllinien beglichen werden können. b) Von besonderer Bedeutung, für Gegner und für Befürworter von Forschungen mit eSZ ist die Frage der Patentierung von Erfindungen. Auch die Schweiz hat hier die Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 7. 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen25 als Leitlinie für die Fortentwicklung des nationalen Patentrechts genommen (wie dies zB das EU-Mitgliedsland Österreich mit der Novelle vom 9. 6. 2005 zum Patentgesetz von 1970 getan hat). Im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses über die Forschung an eSZ beschloss das Parlament auch (entgegen der Empfehlung der Regierung) im Voraus mit Art 27 StFG eine Teilrevision von Art 2 des geltenden Bundesgesetzes über das Erfindungspatent (Patentgesetz, PatG) vom 25. 6. 1954. Damit wurden erstmals konkrete Ausschlussgründe der Patentierung festgelegt, im Sinne der (oben erwähnten) Verbotsregelung von Art 3 StFG. Zwischen 2005 und 2007 wurde dann eine größere Revision des Patentgesetzes durchgeführt und am 11. 6. 2007 verabschiedet.26 Das Patentrecht bestätigt einerseits die Möglichkeiten des Schutzes biotechnologischer Erfindungen durch Patente, zum anderen werden, im Sinne der Richtlinie 98/44/EG, Grenzen der Patentierbarkeit festgelegt sowie zur Sicherstellung der Forschung auch Regeln über Ausnahmen von der Wirkung eines Patents besondere Regeln für Forschungswerkzeuge („Forschungsprivileg“) und Diagnostik aufgestellt. Bezüglich den Forschungen an eSZ bestimmt Art 2 PatentG (vgl Anhang IV), dass zB die Rückentwicklung von Stammzellen zu Keimzellen nicht patentierbar ist, genauso wenig wie alle Arten des Klonens oder der Bildung von Mischwesen zwischen Mensch und Tier. Problematisch ist allerdings mE
_____________ 24
Vgl Art 21 der Europäischen Konvention über Menschenrechte und Biomedizin von 1997; Art 3 Abs 2, 3. Lemma der EU-Grundrechte-Charta. 25 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 213 vom 30. Juli 1998, 13-21. 26 Vgl der Text der Gesetzesrevision im Bundesblatt (BBl) 2007, 4593.
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Art 2 Abs 1 Bst e PatentG, der nur unveränderte menschliche eSZ vom Patentschutz ausnimmt.27
VII. Zur Verwendung von eSZ und eSZ-Linien Auch wenn die Forschung an eSZ sowie deren Entwicklung und Ausdifferenzierung noch reine Grundlagenforschungen sind, so bestehen doch schon gesetzliche Bestimmungen über den klinischen Einsatz von Stammzellen, Bestimmungen, die vor allem für die Verwendung von gonodalen SZ und von adulten, zB Blutstammzellen nötig wären. Die Art 37-42 des Bundesgesetzes über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz) vom 8. 10. 2004 bestimmen Näheres, namentlich die Anforderungen an die Einwilligung des Paares und die behördliche Bewilligung für eine Stammzellenspende. Art 62 Transplantationsgesetz sieht ein Register der verfügbaren und für bestimmte Empfängergruppen geeigneten Personen vor (vgl Anhang IV).
VIII. Schlussbemerkung Das schweizerische StFG ist insofern ein besonderes Gesetz, als es für eine kleine Gruppe von interessierten und betroffenen Personen erlassen wurde. Doch es ging eben um wissenschaftliche Forschungen, die zentrale Rechtsfragen zu den Anfängen menschlichen Lebens stellen. Das StFG ist auch ein Beispiel für eine experimentierende Gesetzgebung. Das Gesetz wird sicherlich bald modifiziert werden müssen, doch das bestätigt eher die Richtigkeit eines solchen Vorgehens.
_____________ 27 Diese umstrittene Beschränkung geht auf die Stellungnahme Nr 16 der Europäischen Gruppe für Ethik in Nahrungswissenschaften und neuer Technologien bei der Europäischen Kommission (EGE) vom Mai 2002 zurück. Zur Revision des Patentgesetzes von 2003/2007 vgl Thierry Calame/Florent Thouvenin, Revision des Patentgesetzes, Biotechnologie und Patent Law Treaty als Impulsgeber (Revision), in Jusletter 13. März 2006; Stefan Kohler, Patentschutz für biotechnologische Erfindungen, zum Revisionsentwurf Patentgesetz, in sic! 7/8/2006, 451-466; Rainer J. Schweizer, Die Regelung der Patentierung von Erfindungen mit embryonalen Stammzellen in der Schweiz, in Frankreich, in Österreich und in Italien, in Josef Straus et al (Hrsg), Patentability of Human Embryonic Stem Cells – Patentierbarkeit embryonaler Stammzellen, Springer-Verlag, Heidelberg/New York (im Druck).
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IX. Anhang I.
Daten und Indikatoren zur Fortpflanzung, Gesundheit der Neugeborenen des Bundesamtes für Statistik (BFS) (S. 310) Medizinisch unterstützte Forschung: Behandlungen und Resultate; entstandene Schwangerschaften und Geburten Behandlungen und Resultate Anzahl überzähliger Embryonen
II.
Forschung an humanen embryonalen Zellen (S. 314) Aufteilung des Forschungsregisters Forschungsregister Projekte Forschungsregister Humane embryonale Stammzelllinien
III.
Aufklärungsbogen und Einwilligungserklärung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) (S. 317) Aufklärungsbogen Einwilligungserklärung
IV.
Gesetze, Verordnungen (S. 320) Stammzellenforschungsgesetz Stammzellenforschungsverordnung Auszug Fortpflanzungsmedizingesetz Auszug Transplantationsgesetz Auszug Patentgesetz
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Das deutsche Stammzellgesetz: Das Gesetz vom 28. Juni 2002, die Reformdiskussion und die Gesetzesänderung vom 11. April 2008 Jochen Taupitz
I. Einleitung Der nachfolgende Beitrag beschreibt das Stammzellgesetz in seiner ursprünglichen Fassung, darüber hinaus die sich an die Verabschiedung des Gesetzes anschließende Reformdiskussion sowie die vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetzesänderung vom 11. 4. 2008. Dem Beitrag liegt der Vortrag „Das deutsche Stammzellgesetz: Geltende Rechtslage und Stand der Diskussion über eine Novellierung“ zugrunde, den der Verfasser (vor der Gesetzesänderung) auf der Tagung „Stammzellforschung“ am 18. 1. 2008 gehalten hat. Bis zum Zeitpunkt der Überarbeitung des Manuskripts (18. 7. 2008) wurde die Gesetzesänderung noch nicht im Bundesgesetzblatt verkündet und ist damit noch nicht in Kraft getreten.
II. Die Rechtslage gemäß dem Gesetz vom 28. Juni 2002 1. Einleitung Das „Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG)“ vom 28. 6. 2002, das am 1. 7. 2002 in Kraft getreten ist,1 regelt die Einfuhr und die Verwendung humaner embryonaler Stammzellen (hES-Zellen). Stammzellen sind nach § 3 Nr 1 des Gesetzes „alle menschlichen Zellen, die die Fähigkeit besitzen, in entsprechender Umgebung sich selbst durch Zellteilung zu vermehren, und die sich selbst oder deren Tochterzellen sich unter geeigneten Bedingungen zu Zellen unterschiedlicher Spezialisierung, jedoch nicht zu einem Individuum zu entwickeln vermögen (pluripotente Stammzellen)“. Embryonale Stammzellen sind nach § 3 Nr 2 „alle aus Embryonen, die extrakorporal erzeugt und nicht _____________ 1
BGBl I 2002, 2277-2280.
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zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet worden sind oder einer Frau vor Abschluss ihrer Einnistung in der Gebärmutter entnommen wurden, gewonnenen pluripotenten Stammzellen“. Embryo ist dabei „bereits jede menschliche totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag“ (§ 3 Nr 4); anders als nach der Definition in § 8 Embryonenschutzgesetz kommt es dabei nicht darauf an, dass die totipotente Zelle ihrerseits einem Embryo entnommen wurde. Nach § 4 Abs 1 StZG sind die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen („grundsätzlich“, wie § 1 Nr 1 StZG formuliert) verboten. Jedoch sind deren Einfuhr und Verwendung nach § 4 Abs 2 StZG („ausnahmsweise“, s § 1 Nr 3 StZG) unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Mit dieser Regelung verfolgt der Gesetzgeber unterschiedliche Ziele, die in § 1 des Gesetzes („Zweck des Gesetzes“) nur teilweise explizit angesprochen sind.
2. Schutz lebender Embryonen im Ausland: Stichtagsregelung Im Zentrum steht jene Bestimmung, die bei der Gewinnung der Stammzellen aus Embryonen ansetzt und dabei auf den Schutz lebender Embryonen im Ausland abzielt. Nach § 4 Abs 2 Nr 1 lit a) dürfen embryonale Stammzellen allenfalls dann importiert und verwendet werden, wenn „zur Überzeugung der Genehmigungsbehörde feststeht, dass die embryonalen Stammzellen in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland dort vor dem 1. 1. 20022 gewonnen wurden und in Kultur gehalten werden oder im Anschluss daran kryokonserviert gelagert werden (embryonale StammzellLinie)“. Mit dieser „Stichtagsregelung“ will das Gesetz verhindern, dass im Ausland vorhandene Embryonen für Zwecke deutscher Forschung verbraucht werden. Anders formuliert soll das in Deutschland aufgrund § 2 Embryonenschutzgesetz (ESchG) geltende Verbot des Embryonenverbrauchs auch hinsichtlich der Gewinnung von embryonalen Stammzellen im Ausland seine Wirkung entfalten.3
3. Missbilligung bzw Verhinderung besonders verwerflicher Handlungen im Zusammenhang mit der Stammzellgewinnung § 4 Abs 2 enthält zudem bei der Gewinnung der hES-Zellen ansetzende Bestimmungen, die erkennbar auf der Überlegung beruhen, dass der Stammzellgewinnung kein als besonders verwerflich angesehenes Handeln vorangegangen sein darf.4 Soweit das Gesetz wegen der Stichtagsregelung in die _____________ 2
Siehe zur Gesetzesänderung unten IV. Begründung zum Entwurf des Stammzellgesetzes vom 27. 2. 2002, BTDrucks 14/8394, 8. 4 Taupitz, JZ 2007, 113. 3
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Vergangenheit gerichtet ist, nämlich überhaupt keinen weiteren Embryonenverbrauch für deutsche Forschungszwecke akzeptiert, kommt in den ergänzenden Beschränkungen eine Missbilligung bestimmter Handlungen zum Ausdruck, die sich in dem verfassungsrechtlich bedenklichen5 Verbot niederschlägt, Früchte von einem als besonders vergiftet betrachteten Baum zu ernten.6 Eigenständigen zukunftsgerichteten Schutzgehalt würden die Beschränkungen dagegen dann entfalten, wenn die Stichtagsregelung aufgehoben würde. Nach § 4 Abs 2 Nr 1 lit b) muss zur Überzeugung der Genehmigungsbehörde feststehen, dass die Embryonen, aus denen die Stammzellen gewonnen wurden, im Wege der medizinisch unterstützten extrakorporalen Befruchtung zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden sind. Damit ist ua die Einfuhr und Verwendung von hES-Zellen ausgeschlossen, die aus Embryonen stammen, die im Wege des Zellkerntransfers, also des „therapeutischen Klonens“ nach der „Dolly-Methode“ erzeugt worden sind. Denn diese Methode besteht nicht in einer „Befruchtung“. Das Erfordernis der extrakorporalen Befruchtung verhindert den Import von Stammzellen, die aus Embryonen stammen, die im Wege eines intrakorporalen Befruchtungsverfahrens (Insemination oder intratubarer Gametentransfer) erzeugt wurden und vor der Nidation im Wege uteriner Lavage dem Willen der Mutter gemäß wieder entnommen wurden. Des Weiteren muss zur Überzeugung der Genehmigungsbehörde feststehen, dass die Stammzellen aus Embryonen gewonnen wurden, die zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden sind, aber endgültig nicht mehr für diesen Zweck verwendet wurden. Es dürfen also nur Stammzellen aus so genannten „überzähligen“ Embryonen importiert und verwendet werden, also Stammzellen aus Embryonen, die ohnehin keine Überlebenschance hatten. Dabei dürfen jedoch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Entscheidung für das Verwerfen der Embryonen aus Gründen erfolgte, die an den Embryonen selbst liegen. Damit ist die Einfuhr und Verwendung von Stammzellen aus Embryonen, die aufgrund einer Präimplantationsdiagnostik (PID) ver_____________ 5 Zur Verfassungswidrigkeit der über die Stichtagsregelung hinausgehenden Beschränkungen des StZG s neben den unten (FN 17) Genannten Wolfrum, Schriftliche Stellungnahme vom 7. 3. 2002, Drucks 14-574 f des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages; Löwer, Schriftliche Stellungnahme vom 8. 3. 2002, Drucks 14-574l des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages; Taupitz, Alternativlosigkeit als Voraussetzung der Forschung mit embryonalen Stammzellen, in Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd 8 (2003) 335, 341 ff mwN. 6 Taupitz, JZ 2007, 113. Nach Müller-Terpitz, Das Recht der Biomedizin (2006) 52, schützen die über die Stichtagsregelung hinausgehenden Restriktionen lediglich „moralische Überzeugungen“; aA Röger, Hochrangigkeit, Alternativlosigkeit und ethische Vertretbarkeit der Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen aus verfassungsrechtlicher Sicht, in Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd 8 (2003) 313, 322 ff: Damit werde „die in den Grundrechten enthaltene objektive Wertordnung ins Werk“ gesetzt.
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worfen wurden, nicht zulässig. Und schließlich darf für die Überlassung der Embryonen zur Stammzellgewinnung kein Entgelt oder sonstiger geldwerter Vorteil gewährt oder versprochen worden sein (§ 4 Abs 2 Nr 1 lit c). Damit wird zum einen einer Kommerzialisierung ein Riegel vorgeschoben, zum anderen aber auch sichergestellt, dass die Entscheidung der genetischen Eltern, den Embryo der Forschung zu überlassen, nicht aus einer finanziellen Notsituation heraus erfolgt ist.
4. Absicherung sonstiger Vorschriften der deutschen Rechtsordnung Mit einer dritten Gruppe von Voraussetzungen sichert § 4 Abs 2 sonstige Verbote der deutschen Rechtsordnung ab: Der Einfuhr und Verwendung der hES-Zellen dürfen keine sonstigen gesetzlichen Vorschriften, insbesondere solche des Embryonenschutzgesetzes entgegenstehen (§ 4 Abs 2 Nr 2).7 Zudem ist die Genehmigung zu versagen, wenn die Gewinnung der Stammzellen offensichtlich im Widerspruch zu tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung erfolgt ist (§ 4 Abs 3 S 1).8 Die Versagung der Genehmigung kann jedoch ausdrücklich nicht damit begründet werden, dass die Stammzellen aus menschlichen Embryonen gewonnen wurden (§ 4 Abs 3 S 2). Da hES-Zellen definitionsgemäß aus menschlichen Embryonen gewonnen werden, soll mit § 4 Abs 3 S 2 verhindert werden, dass die Möglichkeit, für hES-Zellen ausnahmsweise eine Import- und Verwendungsgenehmigung nach § 6 StZG zu erteilen, unter Hinweis auf das Verbot des Embryonenverbrauchs (§ 2 EschG) unterlaufen wird. Daraus wird zugleich erkennbar, dass der Gesetzgeber den (in der Vergangenheit liegenden) Embryonenverbrauch nicht zu den besonders verwerflichen Handlungen im Sinne der vorstehenden Ausführungen unter II.3 zählt, also im Embryonenverbrauch nicht per se eine Menschenwürdeverletzung sieht.9
5. Beschränkung der inländischen Arbeiten mit embryonalen Stammzellen Die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen kann nur zu Forschungszwecken (§ 4 Abs 2) genehmigt werden, und zwar nur dann, wenn „die Voraussetzungen des § 5 erfüllt sind und das Forschungsvorhaben in diesem Sinne ethisch vertretbar ist“ (§ 6 Abs 4 Nr 2).10
_____________ 7
Näher dazu Brewe, Embryonenschutz und Stammzellgesetz (2006) 194 f. Näher Brewe (FN 7) 195 ff. 9 So auch die Interpretation von Dederer, JZ 2003, 986, 993. 10 Zum Erfordernis der „ethischen Vertretbarkeit“ Honecker, Was heißt „ethisch vertretbar“? in Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd 8 (2003) 361 ff. 8
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§ 5 seinerseits legt fest, dass Forschungsarbeiten an embryonalen Stammzellen nur durchgeführt werden dürfen, „wenn wissenschaftlich begründet dargelegt ist, dass 1. sie hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung oder für die Erweiterung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen dienen, und 2. nach dem anerkannten Stand von Wissenschaft und Technik a) die im Forschungsvorhaben vorgesehenen Fragestellungen so weit wie möglich bereits in In-vitro-Modellen mit tierischen Zellen oder in Tierversuchen vorgeklärt sind und b) der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte wissenschaftliche Erkenntnisgewinn sich voraussichtlich nur mit embryonalen Stammzellen erreichen lässt.“ Während das in Nr 1 ausdifferenzierte Kriterium der Hochrangigkeit die Ziele der geplanten Forschung betrifft,11 ist Nr 2 auf die dazu eingesetzten Mittel gerichtet. Hinsichtlich der Mittel wird vom Gesetz sowohl eine hinreichende Vorklärung der zu beantwortenden Fragestellung an Tieren oder tierischen Zellen verlangt (sodass man zur Beantwortung der im Forschungsvorhaben vorgesehenen Fragestellung „jetzt“ mit menschlichen Zellen weiter forschen muss) als auch die Darlegung, dass der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn nicht auf andere Weise als durch Forschung gerade an menschlichen embryonalen Stammzellen zu erreichen ist (etwa durch Forschung an adulten Zellen oder Zellen aus Nabelschnurblut). Beide Teilvoraussetzungen lassen sich auf (miteinander verknüpfte) Aspekte der Erforderlichkeit und der Subsidiarität zurückführen und verkürzend unter dem Begriff der Alternativlosigkeit zusammenfassen.12 Mit den vorstehend dargestellten Vorschriften bezieht sich das Stammzellgesetz nicht vergangenheitsorientiert auf die Umstände der im Ausland erfolgten Herstellung von embryonalen Stammzellen, sondern es reglementiert zukunftsbezogen die im Inland zu erfüllenden zusätzlichen Voraussetzungen, von denen der Import und die Verwendung der embryonalen Stammzellen abhängen. Von diesen die Forschung ebenfalls beschränkenden Vorschriften sind – wie vom StZG insgesamt – (nur) Stammzellen erfasst, also Zellen, die als solche nicht totipotent sind und demgemäß nach allgemeiner Auffassung als solche keinen Menschenwürde- und Lebensschutz
_____________ 11
Dazu genauer Brewe (FN 7) 199 ff; Dederer (FN 13) 305 ff; Röger (FN 6) 314 ff. 12 Genauer dazu Brewe (FN 7) 199 ff; Röger (FN 6) 314 ff; Taupitz (FN 5) 335 ff; ders, GenTechnik & Recht (2003) 11, 12 ff.
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genießen.13 Die gleichwohl im Gesetz verankerten Forschungsbeschränkungen rechtfertigen sich nach Ansicht des Gesetzgebers daraus, dass embryonale Stammzellen in „ethischer Hinsicht“ nicht wie jedes andere menschliche Material angesehen werden können, da zu ihrer Gewinnung Embryonen verbraucht werden mussten.14 Es geht also letztlich darum, dass die „Früchte des verbotenen Baumes“ nicht beliebig verwendet werden sollen, ihre Nutzung sogar „auf ein Mindestmaß beschränkt werden“ soll.15 Dies ist allerdings wenig überzeugend, weil ethische Bedenken als solche eine Einschränkung der Forschungsfreiheit nicht rechtfertigen können16 und auch die Doktrin von den „Früchten des verbotenen Baumes“, die in der ethischen Debatte von großer Bedeutung ist, als solche in einer verfassungsrechtlichen Argumentation um mögliche Einschränkungen der Forschungsfreiheit keinen Platz hat. Nach Auffassung anderer Autoren17 verwirklichen die Beschränkungen des Stammzellgesetzes dagegen einen „postmortalen Menschenwürdeschutz pränatalen Lebens“.18 Auch diese Ansicht überzeugt nicht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht einen postmortalen Menschenwürdeschutz als solchen in mehreren Entscheidungen tatsächlich anerkannt.19 Dieser Schutz knüpft aber daran an, dass der Betreffende in der menschlichen Gemeinschaft („unter uns“) gelebt und gewirkt hatte. Es geht also im Kern um das Andenken an jemanden, der Teil einer sozialen Gemeinschaft war. Dieser Gedanke kann auf Embryonen in vitro jedoch nicht übertragen werden. Anzumerken ist schließlich, dass eine staatliche Rechtsordnung nicht in gleicher Weise für den Schutz im Ausland belegener Rechtsgüter verantwortlich ist wie für inländische.20 Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zwi_____________ 13 Dederer, Hochrangigkeit von Zielen der Stammzellforschung im Lichte des Grundgesetzes, in Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd 8 (2003) 305, 307; Raasch, KJ 2002, 285, 294; Taupitz, ZRP 2002, 111, 113. 14 BT-Drucks 14/8394, 7. 15 BT-Drucks 14/8394, 9; inwiefern die besonders restriktive Regelung allerdings geeignet sein soll, „der Gefahr einer möglicherweise entstehenden künftigen Forderung nach einer weiteren Öffnung der gesetzlichen Bestimmungen“ zu begegnen (so BT-Drucks 14/8394, 9), bleibt völlig dunkel. 16 Anders aber auch BT-Drucks 16/7983, 2 (dazu unten IV.). 17 Brewe (FN 7) 109 ff mwN; ablehnend Dederer (FN 13) 305, 308 f; Klopfer, Verfassungsrechtliche Probleme der Forschung an humanen pluripotenten embryonalen Stammzellen und ihre Würdigung im Stammzellgesetz (2006) 83 f; Taupitz, GenTechnik & Recht 2003, 11, 13 ff. 18 Ausdruck von Löwer, Schriftliche Stellungnahme vom 8. 3. 2002, Drucks 14574l des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages, der selbst von „verfassungsrechtlich gänzlich ungesichertem Terrain“ spricht. 19 BVerfGE 30, 173 (194); BVerfG NJW 1994, 783 (784); NJW 2001, 594; NJW 2001, 2957 (2958 f). 20 Nationaler Ethikrat, Zur Frage einer Änderung des Stammzellgesetzes (2007) 40 f; Kloepfer, JZ 2002, 417, 426; Klopfer (FN 17) 81 ff; Müller-Terpitz, WissR 2001, 271, 279 f; Taupitz, Der „ethische Export“ als Rechtsproblem biomedizinischer Forschung, dargestellt aus dem Blickwinkel des deutschen Rechts, in Festschrift für
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schen Recht und Moral: Während Moral und Ethik universal orientiert sind, ist das Recht (abgesehen vom Völkerrecht) auf den Gedanken staatlicher Souveränität bezogen. Das schließt einen Schutz universaler Rechtsgüter nicht aus. Auch sind die Staaten gehalten, die Verletzung von Rechtsgütern, die in allen Kulturstaaten anerkannt sind, unabhängig vom Territorium und der Nationalität des Täters zu verfolgen (Weltrechtsprinzip) und ist das Völkerrecht auf weltweite Geltung angelegt. Ein „common sense“ der Weltrechtsgemeinschaft über den angemessenen Schutz von Embryonen in vitro existiert jedoch nicht.21 In vielen Staaten der Welt, darunter Kulturnationen und Verfassungsstaaten, ist die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen vielmehr erlaubt, und auch im Völkerrecht hat sich diesbezüglich keine, schon gar nicht eine den restriktiven deutschen Regelungen entsprechende Rechtsüberzeugung durchgesetzt. Gleiches gilt im Übrigen für das Recht der Europäischen Union. Auch vor diesem Hintergrund kann nicht gesagt werden, dass ein im Ausland und ohne Bezug zum Inland erfolgter Verbrauch von Embryonen dazu zwingt, die nachfolgende Verwendung der aus den Embryonen gewonnenen Stammzellen einschränkenden Voraussetzungen zu unterwerfen. Vor dem Hintergrund dieser Argumente halten nicht wenige Autoren die über die Stichtagsregelung hinausgehenden Beschränkungen des Stammzellgesetzes für verfassungswidrig.22
6. Keine Legalisierung des in der Vergangenheit liegenden Embryonenverbrauchs Mit allen genannten Bestimmungen erklärt das Stammzellgesetz die Gewinnung embryonaler Stammzellen im Ausland nicht etwa für legal. Auch stellt das StZG hochrangige Forschung nicht etwa über den Lebensschutz von Embryonen. Vielmehr erlaubt das Gesetz lediglich den Import und die Verwendung von Stammzellen, deren Gewinnung in der Vergangenheit erfolgt ist, so dass die damit verbundene Tötung von Embryonen bereits geschehen ist und nicht wieder rückgängig gemacht werden kann. Mit der Bestimmung, wonach allenfalls solche Stammzellen eingeführt und verwendet werden dürfen, die in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland gewonnen wurden (§ 4 Abs 2 Nr 1 lit a), soll zudem besonders hervorgehoben werden, dass die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die verbrauchende Embryonenforschung im Ausland zulässig oder verboten ist, nicht
_____________
Hausheer (2002) 733, 740 ff; einschränkender Brewe (FN 7) 98 ff; Röger (FN 6) 314, 318 ff. 21 Nationaler Ethikrat (FN 20) 40. 22 Nachweise oben (FN 5); s auch die oben (FN 17) wiedergegebenen kritischen Stimmen.
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nach deutschem Recht, sondern nach dem jeweiligen ausländischen Recht zu beurteilen ist.23 Die Haltung des Gesetzgebers, einerseits die im Ausland stattfindende Gewinnung von Stammzellen abzulehnen, andererseits aber den Import und die Verwendung von embryonalen Stammzellen (wenn auch unter sehr strengen Voraussetzungen) zu genehmigen, ist zwar aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden (oben II.5), wird aber als „moralisch faul“ bzw als Ausdruck von „Doppelmoral“ kritisiert.24 Die in Deutschland abgelehnte Gewinnung embryonaler Stammzellen ausländischen Forschern zu überlassen, aber sich dennoch die Ergebnisse zunutze zu machen, sei „völlig inakzeptabel“. Nicht selten wird dabei (zweifelhafter Weise)25 die Parallele zur Hehlerei gezogen. Von anderen wird darauf hingewiesen, dass es willkürlich sei, ein festes Datum dafür anzusetzen, ab wann die Lehre von den „Früchten des verbotenen Baumes“ Geltung erlange; entweder man stelle sich grundsätzlich auf den Standpunkt, dass man die Früchte verbotenen Tuns nicht essen dürfe, oder aber man lehne diesen Grundsatz ab.26 Allerdings schließen moralische Bedenken gegen die Nutzung der Früchte vergangenen Unrechts nicht schlechthin jede Abwägung aus. Sie können zurückgestellt werden, wenn die Nutzung hochrangigen Interessen und Zielen dient, etwa der Behandlung schwerer Krankheiten.27 So beruht denn auch die mittlerweile in Deutschland fest etablierte assistierte Reproduktion auf Erkenntnissen, denen verbrauchende Embryonenforschung zugrunde lag und liegt.28 Ganz generell ist zwischen Ursprungs- und Nutzungshandlung durchaus zu unterscheiden.29 _____________ 23
BT-Drucks 14/8846, 13; verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dieser Regelung bei Brewe (FN 7) 167 ff. 24 Vgl ausführlich: Merkel, Forschungsobjekt Embryo, Verfassungsrechtliche und ethische Grundlagen der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen (2002) 217 ff; Bericht der Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz vom 23. August 2002: Medizinische, ethische und juristische Bewertung der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen unter Einbeziehung des Stammzellgesetzes vom 28. Juni 2002, 52; Raasch, Das Stammzellengesetz – ein beladenes Gesetzesvorhaben, KJ 2002, 285 (294 f); Schroth, Forschung mit embryonalen Stammzellen und Präimplantationsdiagnostik im Lichte des Rechts, JZ 2002, 170 (178). 25 Siehe Nationaler Ethikrat (FN 20) 18 f: Die Verbotswürdigkeit der Hehlerei ergibt sich zumeist schon daraus, dass sie selbst einen kausalen Beitrag zur Perpetuierung von Raub und Diebstahl leistet, was bei der Verwendung von im Ausland hergestellten Stammzellen in der Regel nicht anzunehmen ist; im übrigen setzt die Hehlerei Vortaten voraus, die zweifelsfrei überall ethisch und rechtlich verworfen werden; das trifft auf die Herstellung von embryonalen Stammzellen aber gerade nicht zu, da sie in vielen Ländern erlaubt ist. 26 Schroth in Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg), Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 249 (280). 27 Nationaler Ethikrat (FN 20) 19. 28 Nationaler Ethikrat (FN 20) 19. 29 Taupitz, JZ 2007, 113, 118.
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Hinzu kommt folgendes: Selbst das strenge deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet nicht das Vernichten von Embryonen an sich. Sofern Embryonen – aus welchen Gründen auch immer – nicht zu Fortpflanzungszwecken auf eine Frau übertragen werden können, besteht kein Gebot, sie zu erhalten. Sie dürfen also unstreitig verworfen werden. Es darf bezweifelt werden, ob das Verwerfen allein deshalb zu einer Menschenwürdeverletzung wird, weil die Embryonen nicht „nur“ verworfen, sondern zusätzlich zur Gewinnung von Stammzellen verwendet werden. Ein „verächtliches Herabwürdigen“ gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann darin schwerlich gesehen werden. Dies gilt unabhängig von der umstrittenen Frage, ob man Embryonen in vitro überhaupt (und wenn ja in welcher Intensität) Menschenwürdeschutz zuspricht. Das Stammzellgesetz wiederum erlaubt allenfalls den Import und die Verwendung von Stammzellen aus solchen Embryonen, die – weil sie nicht auf eine Frau übertragen werden konnten – ohnehin keine reale Lebenschance hatten. Da somit schon der Ursprungshandlung – vorsichtig formuliert – ein schweres Unrecht nicht auf die Stirn geschrieben steht, muss erst recht bezweifelt werden, ob die Verwertungshandlung, also die Verwendung von embryonalen Stammzellen, per se missbilligt werden kann. Immerhin ist festzustellen, dass das Gesetz vor dem Hintergrund der stark divergierenden Ansichten jedenfalls einen wichtigen Beitrag zu einem zeitweise bestehenden Rechtsfrieden geleistet hat.30
7. Prozedurale Absicherung Zur Überprüfung der genannten materiellen Voraussetzungen sind zwei Institutionen zuständig: Nach § 6 StZG bedarf jede Einfuhr und jede Verwendung embryonaler Stammzellen der Genehmigung durch die zuständige Behörde. Das ist nach der das StZG ergänzenden Verordnung das Robert Koch-Institut. Dessen Genehmigung hängt nicht nur von den genannten Voraussetzungen des § 4 Abs 2 StZG ab; vielmehr muss auch eine Stellungnahme der „Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellforschung“ vorliegen, die sich aus Vertretern der Fachrichtungen Biologie, Ethik, Medizin und Theologie zusammensetzt. Die Zentrale Ethikkommission für Stammzellforschung ihrerseits hat (nur) zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 5 (hochrangige, alternativlose Forschung) erfüllt sind und das Forschungsvorhaben in diesem Sinne ethisch vertretbar ist.31
_____________ 30 Roesler, Das deutsche Stammzellgesetz – Spezifische Fragen der Auslegung des Gesetzes, in Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, Bd 8 (2003) 283. 31 Zum Umfang der Prüfungsbefugnisse der Kommission Brewe (FN 7) 224 ff; Taupitz, Die Aufgaben der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellforschung, in Festschrift für Schreiber (2003) 903 ff.
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III. Reformdiskussion und Regelungsvorschläge im Vorfeld des Bundestagsbeschlusses vom 11. April 2008 1. Stichtagsregelung Der viel diskutierte ursprüngliche Stichtag (1. 1. 2002) wurde zeitlich vor das Inkrafttreten des Gesetzes (1. 7. 2002) gelegt, um sicherzustellen, dass „nach Deutschland nur solche embryonalen Stammzellen eingeführt werden können, deren Gewinnung unter Verbrauch von menschlichen Embryonen von Deutschland nicht veranlasst wurde und auch in Zukunft nicht veranlasst werden kann.“32 Es sollte Embryonenverbrauch „auf Bestellung“ verhindert werden.33 Mit der Festlegung eines starren, in der Vergangenheit liegenden Stichtages (wie auch mit dem neuen Stichtag – dazu unten IV) schießt der Gesetzgeber jedoch über das Ziel hinaus. Denn er schließt auch Handlungen aus, die nur ganz entfernt oder gar nicht ursächlich für einen Embryonenverbrauch sind, anstatt auf die konkrete juristische Zurechnung eines bestimmten Kausalbeitrags abzustellen. Ein Forscher hat also nicht die Möglichkeit zu beweisen, dass er bei einem geplanten Forschungsvorhaben ausländische Stammzellen verwenden will, ohne dass gerade aufgrund seiner Bestellung eigens ein Embryo getötet wurde. Vielmehr liegt dem Gesetz der Generalverdacht zugrunde, jeglicher Embryonenverbrauch zur Gewinnung embryonaler Stammzellen nach dem Stichtag sei von Deutschland aus veranlasst worden, wenn diese Stammzellen anschließend für deutsche Forschung verwendet werden. Die Verfassungsmäßigkeit der Stichtagsregelung ist und war Gegenstand intensiver Diskussion. Es wird die Ansicht vertreten, dass die Stichtagsregelung im Interesse eines größtmöglichen Lebensschutzes erforderlich sei.34 Zudem sei gegen sie im Hinblick auf die Einschätzungs- und Gestaltungsprärogative, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einräume, nichts einzuwenden. Eine Anpassung des Stichtags auf ein späteres Datum – eine Alternative, die von den Kritikern eines festen Stichtags diskutiert wird (siehe unten) – würde nach dieser Ansicht das Ziel des Gesetzgebers nicht in gleich geeigneter Weise erreichen. Diese Auffassung ist jedoch nicht überzeugend. Die Stichtagsregelung, die zwar der Gesetzessystematik entsprechend (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) eine Ausnahme vom Import- und Verwendungsverbot darstellt, verbietet gleichwohl faktisch den Import und die Verwendung aller nach dem _____________ 32 Begründung zum Entwurf des Stammzellgesetzes v 27. 2. 2002, BT-Drs14/ 8394, 9. 33 Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zur Stammzellforschung vom 19. 6. 2002 (FN 42) 233, 269. 34 Faßbender, Der Schutz des Embryos und die Humangenetik: Zur Verfassungsmäßigkeit des neuen Stammzellengesetzes und des Embryonenschutzgesetzes im Lichte des einschlägigen Arzthaftungsrechts, MedR 2003, 279 (283).
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Stichtag hergestellten embryonalen Stammzellen. Wie dargestellt, soll hierdurch (mittelbar, nämlich durch Unterbindung des Absatzes nach Deutschland) verhindert werden, dass von Deutschland aus ein (weiterer) Embryonenverbrauch veranlasst wird. Gerade dies wird aber unmittelbar bereits durch das Embryonenschutzgesetz in Verbindung mit den Normen des Internationalen Strafrechts (§§ 3 bis 7, 9 StGB) sichergestellt. Danach ist jede von Deutschland aus erfolgende Beteiligung deutscher Forscher an ausländischer Stammzellgewinnung in Form von Anstiftung, Beihilfe, Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft verboten und strafbar, und zwar auch dann, wenn die Tat am Ort des Geschehens nicht strafbar ist. Sogar unabhängig von einem im Inland vorgenommenen Tatbeitrag und ebenfalls unabhängig von der Strafbarkeit am Ort der Handlung ist verboten und strafbar die Gewinnung von Stammzellen im Ausland durch deutsche „Amtsträger“ oder für den „öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete“ (wozu insbesondere Universitätsangehörige, aber auch Angehörige staatsnaher außeruniversitärer Einrichtungen gehören),35 sofern sie als Alleintäter, Mittäter oder mittelbarer Täter während eines dienstlichen Aufenthalts oder in Bezug auf den Dienst gehandelt haben (§ 5 Nr 12 StGB). Letztlich werden durch die Stichtagsregelung des Stammzellgesetzes und das daran anknüpfende Import- und Verwendungsverbot zusätzlich nur Fälle erfasst, in denen ausländische Forscher oder Unternehmen aus eigenem Antrieb, aber motiviert durch die Erwartung einer späteren Nachfrage aus Deutschland hES-Zellen herstellen und diese dann nach Deutschland importieren wollen. Dieser Fall ist allerdings realitätsfern, da eine weltweite Nachfrage nach embryonalen Stammzellen besteht und die vorhandenen Zelllinien sehr lange in Kultur gehalten und beliebig vermehrt werden können. Da aus vorhandenen Zelllinien nahezu unbegrenzt Stammzellen abgezweigt werden können, kann nicht davon ausgegangen werden, dass gerade für den entsprechenden Bedarf in Deutschland zusätzliche Embryonen verbraucht werden oder verbraucht werden müssen.36 Insgesamt ist ein Zusammenhang zwischen der Zahl der in Deutschland verwendeten embryonalen Stammzellen und der Zahl der verbrauchten Embryonen äußerst fragwürdig, so dass das Import- und Verwendungsverbot die Anzahl der im Ausland getöteten Embryonen nicht signifikant verringert.37 Mit anderen Worten richtet das Stammzellgesetz großen Schaden für die inländische _____________ 35 Eser/Koch, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen im In- und Ausland, in DFG (Hrsg), Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, Strafrechtliche Grundlagen und Grenzen (2003) 151 ff. 36 Nationaler Ethikrat (FN 20) 16, 41 f; Stellungnahme zur Stammzellforschung vom 19. 6. 2002 der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (FN 42) 233, 269; DFG-Stellungnahme „Stammzellforschung – Möglichkeiten und Perspektiven in Deutschland“, 2006 (http://www.dfg.de/aktuelles_presse/themen_dokumentat ionen/stammzellen/dfg_publikationen_stammzelforschung.html), 60; ferner Klopfer (FN 7) 85 f. 37 Vgl Classen, Die Forschung mit embryonalen Stammzellen im Spiegel der Grundrechte, DVBl 2002, 141 (147).
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Forschung an, ohne im Gegenzug einen über das Embryonenschutzgesetz hinausreichenden Schutz ausländischer Embryonen zu bewirken.38 Verfassungsrechtlich formuliert bedeutet dies, dass das Import- und Verwendungsverbot des Stammzellgesetzes in Verbindung mit der Stichtagsregelung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Forschungsfreiheit beinhaltet.39 Die Lage verschärft sich noch dadurch, dass die Stichtagsregelung von ihren faktischen Wirkungen her immer stärker an ein völliges Forschungsverbot heranreicht: Die vor dem deutschen Stichtag (1. 1. 2002) gewonnenen „alten“ hESZellen wurden auf tierischen Zellschichten kultiviert und haben damit kein therapeutisches Einsatzpotential, da ihre Anwendung beim Menschen mit einem erheblichen Infektionsrisiko verbunden ist. Da bereits „neue“ hES-Zellen ohne eine solche Verunreinigung hergestellt wurden, werden die für deutsche Forscher zugänglichen Zellen zunehmend unattraktiv. Denn die genehmigten Forschungsarbeiten müssen gegebenenfalls später bzw andernorts mit anderen Stammzellen wiederholt werden, weil die Eigenschaften der stichtagsgerechten Zellen von denen der später in der Klinik zum Einsatz kommenden Zellen abweichen können.40 Damit ist auch das Interesse deutscher Unternehmen sehr gering, in die Stammzellforschung zu investieren. Die vor dem 1. 1. 2002 hergestellten Stammzelllinien wurden nicht unter standardisierten Bedingungen nach den Regeln der „Good Laboratory Practice“ bzw „Good Manufacturing Practice“ isoliert und kultiviert. Sie sind für Forschung, die unter definierten Bedingungen stattfinden muss, damit nur sehr eingeschränkt tauglich. Erst recht können mit ihnen keine angewandten Forschungsarbeiten durchgeführt werden, die auf einen klinisch-therapeutischen Einsatz ausgerichtet sind. Suboptimale Kulturbedingungen haben zum Teil zu genetischen und epigenetischen Veränderungen geführt. Deshalb sind die vor dem 1. 1. 2002 hergestellten Stammzelllinien in ihren Expressionsmustern bzw Entwicklungsstadien sehr heterogen.41 Auch dies beeinträchtigt ihre _____________ 38 Siehe schon Classen, DVBl 2002, 141, 147: „Einen realen Beitrag zum Schutz von Embryonen leistet [der deutsche Gesetzgeber mit einem Verbot des Imports embryonaler Stammzellen] ... im Grundsatz nicht.“ 39 So auch Schroth, Forschung mit embryonalen Stammzellen und Präimplantationsdiagnostik im Lichte des Rechts, in Oduncu/Schroth/Vossenkuhl (Hrsg), Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen (2002) 249 (280); Klopfer (FN 7) 85 ff; s auch Hufen, JZ 2004, 313, 318. 40 Siehe die entsprechenden Befürchtungen der Zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung, Dritter Bericht vom 14. 12. 2005, 6, http://www.rki.de/cln_ 011/nn_228928/DE/Content/Gesund/Stammzellen/ZES/Taetigkeitsberichte/taetigkeit bericht-inhalt.html. 41 Außerdem hat sich herausgestellt, dass von den 78 hES-Zelllinien, die im August 2001 in einem Register der National Institutes of Health (NIH) registriert waren,
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Tauglichkeit für die Grundlagenforschung, erst recht aber für einen späteren klinisch-therapeutischen Einsatz am Menschen. Durch den Import von im Ausland vor dem 1. 1. 2002 hergestellten hESZellen sind Forscher in Deutschland von Patenten und Lizenzen des Auslands abhängig. Detaillierte „Material Transfer Agreements“ regeln zumeist, dass die Forschungsergebnisse, die mit den importierten Zelllinien erzielt wurden, (Mit-)Eigentum der Hersteller sind. Hinzu kommt die Verpflichtung, auch nicht publizierte Daten gegenüber der Herstellerfirma zu offenbaren. Demgegenüber existiert inzwischen eine Reihe von neuen Zelllinien, die der Wissenschaft frei zur Verfügung gestellt werden, also auch ohne Inkaufnahme der dargestellten Beschränkungen genutzt werden können. Auf diese frei zugänglichen Zelllinien dürfen deutsche Forscher jedoch nicht zugreifen, weil sie erst nach dem 1. 1. 2002 hergestellt wurden. Die Stichtagsregelung befestigt also in ganz erheblichem Ausmaß ausländische Monopole. Zudem werden hierdurch die maßgeblichen Standards im Ausland gesetzt. Vor allem aber werden deutsche Unternehmen davon abgeschreckt, in die Stammzellforschung zu investieren. Denn spätere gewerbliche Anwendungen werden in der Regel durch die ausländischen Patente erfasst, lassen also im Inland kaum Gewinnerwartungen zu. Die fehlenden kommerziellen Perspektiven haben wiederum negative Rückwirkungen auf die Entwicklung der Grundlagenforschung selbst. Die Stichtagsregelung führte zu erheblichen Problemen in internationalen Kooperationen, weil bis zur Klarstellung des Anwendungsbereichs des Gesetzes (unten IV) ein außerordentlich großes Strafbarkeitsrisiko für inund ausländische Forscher in Verbundprojekten bestand, in denen mit „neuen“ Stammzelllinien gearbeitet wird. Inländischen Forschern gelang es deshalb kaum noch, in internationale Kooperationen einbezogen zu werden oder ausländische Forscher zur Mitarbeit an Verbundprojekten zu gewinnen. Auf das Problem der zunehmenden internationalen Isolierung deutscher Forscher wurde in zahlreichen Stellungnahmen und Berichten, beispielsweise der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer,42 der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften,43 der Zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung,44 der Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz,45 der DFG46 und _____________
nur 22 bisher erfolgreich in vitro vermehrt werden konnten (aktueller Stand siehe http://escr.nih.gov/). 42 Stellungnahme zur Stammzellforschung vom 19. 6. 2002, abgedruckt bei Taupitz, Rechtliche Regelung der Embryonenforschung im internationalen Vergleich (2003) 233, 270. 43 Stellungnahme vom 11. 7. 2003, http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF /res/res-estz.htm. 44 Dritter Bericht vom 14. 12. 2005 (FN 40) 6. 45 Bericht „Fortpflanzungsmedizin und Embryonenschutz“ vom 12. 12. 2005, 71 f, 115.
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des Nationalen Ethikrates47 eindringlich hingewiesen. Auch der Deutsche Bundestag hat sich mit dieser Problematik bereits 2005 befasst.48 Zwar hat die Stichtagsregelung seinerzeit politisch wohl die einzige Möglichkeit dargestellt, die Tür zur Stammzellforschung in Deutschland nicht ganz zuzuschlagen, sondern zumindest einen kleinen Teil der Grundlagenforschung weiter betreiben zu können. Angesichts der inzwischen weltweit erzielten (Erkenntnis-)Fortschritte in der Stammzellforschung und angesichts des zunehmend deutlicher sichtbar werdenden Ausschlusses deutscher Stammzellforscher aus internationalen Kooperationen reichte die Stichtagsregelung jedoch bald immer mehr an ein völliges Verbot der Forschung mit hES-Zellen in Deutschland heran. Dieses Ergebnis ist im Hinblick auf die Tatsache, dass der verfassungsrechtliche Schutzauftrag zugunsten im Ausland belegener Embryonen unstreitig nicht demjenigen zugunsten im Inland belegener Embryonen gleicht,49 verfassungsrechtlich mehr als bedenklich. Bereits unmittelbar nach Inkrafttreten des Stammzellgesetzes wurde denn auch die vom Gesetz verwirklichte Lösung jedenfalls für den Fall als verfassungswidrig bezeichnet, dass die Stichtagsregelung verbotsgleiche Wirkung entfaltet, weil die den deutschen Forschern zur Verfügung stehenden Kulturen qualitativ oder quantitativ nicht mehr ausreichend sind.50 Dabei widerspricht eine vom Gesetz herbeigeführte verbotsgleiche Wirkung dem erklärten Ziel des Stammzellgesetzes selbst, die Stammzellforschung in Deutschland nicht vollkommen zu verhindern. Auch rechtspolitisch geriet der Stichtag wegen der erkennbar werdenden Abkoppelung deutscher Forscher vom internationalen Fortschritt immer stärker unter Druck. So haben die FDP-Fraktion des Deutschen Bundestages bereits 200551 und die Deutsche Forschungsgemeinschaft 200652 die Abschaffung des Stichtages gefordert, während in der Literatur auch für einen „gleitenden“ Stichtag plädiert wurde.53 Der Nationale Ethikrat hat im Jahr _____________ 46 DFG-Stellungnahme „Stammzellforschung – Möglichkeiten und Perspektiven in Deutschland“ (FN 36) 5 ff, 52 ff. 47 Nationaler Ethikrat (FN 20) 31 ff. 48 Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vom 15. 3. 2005 zur Zusammenarbeit deutscher Wissenschaftler mit ausländischen Kollegen im Rahmen von EU-Forschungsprojekten der Stammzellforschung, BT-Drucks 15/5165; Antwort der Bundesregierung vom 30. 3. 2005, BT-Drucks 15/5196. 49 Nationaler Ethikrat (FN 17) 40 f; Kloepfer, JZ 2002, 417, 426; Klopfer (FN 17) 81 ff; Müller-Terpitz, WissR 2001, 271, 279 f; Taupitz, Der „ethische Export“ als Rechtsproblem biomedizinischer Forschung, dargestellt aus dem Blickwinkel des deutschen Rechts, in Festschrift für Hausheer (2002) 733, 740 ff; einschränkender Brewe (FN 7) 98 ff; Röger (FN 6) 314, 318 ff. 50 Kloepfer, JZ 2002, 417, 427; Raasch, KJ 2002, 285, 294. 51 Antrag der FDP-Fraktion vom 18. 1. 2005, BT-Drucks 16/383; Antrag der FDP-Fraktion vom 1. 6. 2005, BT-Drucks 15/5584. 52 DFG-Stellungnahme „Stammzellforschung – Möglichkeiten und Perspektiven in Deutschland“ (FN 36) 7, 50 f. 53 Taupitz, JZ 2007, 113, 117 f.
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2007 vorgeschlagen, den Stichtag durch eine Einzelfallprüfung zu ersetzen, ob die Stammzellgewinnung vom Inland aus veranlasst wurde.54
2. Strafbarkeitsrisiken in internationaler Verbundforschung Ein gravierendes Problem des ursprünglichen Stammzellgesetzes bestand – wie bereits angesprochen – in der möglichen Strafbarkeit deutscher und ausländischer Forscher bei Beteiligung an internationalen Kooperationen. Dies betraf beispielsweise Kooperationen im 6. oder 7. Rahmenprogramm der EU, wenn an dem Projekt ausländische Partner mitwirkten, die entsprechend der Rechtslage in ihrem Land auch Arbeiten an humanen embryonalen Stammzellen durchführten. § 13 Abs 1 StZG lautete: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ohne Genehmigung nach § 6 Abs 1 embryonale Stammzellen einführt oder verwendet“. Umstritten war, ob „verwenden“ nur „verwenden im Inland“ bedeutet und ob die allgemeine strafrechtliche Dogmatik zur Zurechnung von ausländischen Tatbeiträgen hinzu trat, sodass sich auch derjenige Forscher strafbar machte, der vom Inland aus mit einem Kollegen zusammenarbeitete, der im Ausland legal Stammzellforschung betrieb. Zwar wurde in der Literatur zunehmend und zu Recht vertreten, dass der Geltungsbereich des Stammzellgesetzes von vornherein auf das Inland beschränkt war, weil nämlich nur der Import in das Inland und die Verwendung im Inland genehmigt werden konnten.55 Von dieser Auffassung ausgehend konnte – entgegen den Diskussionen im Rahmen der Gesetzesberatungen56 – eine von Deutschland aus erfolgte Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) an einer Verwendung embryonaler Stammzellen im Ausland nicht gemäß § 13 StZG iVm § 9 Abs 2 StGB bestraft werden. Denn wenn die Haupttat, an der der Anstifter oder Gehilfe teilnimmt, wegen der territorialen Geltungsbeschränkung des Stammzellgesetzes nur im Inland begehbar ist, dann kann die Teilnahme an einer Handlung im Ausland nicht strafbar sein. Jedoch blieb die Unsicherheit, ob diese – durchaus nicht unumstrittene57 – Auslegung des Stammzellgesetzes auch von den Gerichten geteilt werden würde. Zudem blieb selbst auf der Grundlage dieser Auffassung das Risiko einer Strafbarkeit wegen Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft bestehen. Denn einem Mittäter im Inland wird nach allgemeiner strafrechtlicher Dogmatik auch ein Tatbeitrag, der im Ausland begangen wird, wie ein eigener _____________ 54
Nationaler Ethikrat (FN 250) 51. Eser/Koch (FN 35) 118 ff; Dahs/Müssig, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen im In- und Ausland, in DFG (Hrsg), Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, Strafrechtliche Grundlagen und Grenzen (2003) 18 ff; Brewe (FN 7) 250 ff. 56 Dazu näher Brewe (FN 7) 251 f. 57 Hilgendorf, ZRP 2006, 22, 23 f. 55
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zugerechnet.58 Bei engem arbeitsteiligem Zusammenwirken zB zwischen einem das Projekt im Inland entwickelnden oder davon profitierenden Forscher einerseits und den an hES-Zellen im Ausland arbeitenden Kollegen andererseits wird demnach der im Inland handelnde Forscher so behandelt, als wenn er im Inland unter Verstoß gegen das StZG das getan hätte, was seine ausländischen Kollegen im Ausland (nach dortigem Recht legal) getan haben. Sofern man diese allgemeine strafrechtliche Dogmatik gemäß bisher allgemeiner Auffassung auf das Stammzellgesetz anwendete und seinen Anwendungsbereich nicht insgesamt auf das Inland beschränkte (was allerdings wohl durchaus möglich war),59 machte sich ein inländischer Forscher nach dem deutschen Stammzellgesetz strafbar, wenn der ausländische Kollege mit embryonalen Stammzellen arbeitete.60 Mit einem besonderen strafrechtlichen Risiko behaftet war der internationale Austausch von Wissenschaftlern zudem dann, wenn sie als „Amtsträger“ oder „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete“ einzustufen waren.61 In einem solchen Falle war der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten aufgrund § 5 Nr 12 bzw Nr 13 StGB noch weiter. Bei weiter Auslegung des deutschen Strafrechts machten sich unter Umständen sogar ausländische Forscher nach dem deutschen Stammzellgesetz strafbar, wenn sie mit Stammzellen im Ausland (!) arbeiteten.62 Dies alles führte unter deutschen und ausländischen Wissenschaftlern zu erheblicher Verunsicherung, wodurch die internationale Kooperations- und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Forscher zunehmend in Frage gestellt war (oben III.1). Die DFG wies in ihrer Stellungnahme vom November 2006 darauf hin, dass ihr Beispiele von jungen Wissenschaftlern, aber auch von renommierten Forschern bekannt seien, die sich wegen der aus ihrer Sicht fehlenden Perspektiven der embryonalen Stammzellforschung in Deutschland und wegen der nicht seltenen Diskreditierung dieses Forschungsgebietes und der hier tätigen Forscher bewusst von diesem Forschungsgebiet fernhielten oder sich aus ihm zurückgezogen hätten.63 Die gegenwärtige rechtliche und psychologische Situation der Stammzellforschung in Deutschland schlage sich nicht nur in der verhältnismäßig geringen Anzahl der beim Robert KochInstitut gestellten und von der Zentralen Ethikkommission für Stammzellfor_____________ 58
Eser/Koch (FN 35) 136 ff; Hilgendorf, ZRP 2006, 22, 24. Nur wenige Überlegungen dazu bei Eser/Koch (FN 35) 138 FN 371. – Man wird wohl sagen können, dass der Tatbestand des § 13 StZG als verwaltungsakzessorischer Tatbestand so beschaffen ist, dass er nur im Inland verwirklicht werden kann und eine aus diesem Blickwinkel rechtlich neutrale Handlung im Ausland nicht über eine Mittäterschaft als „inländisches Unrecht“ zugerechnet werden kann. 60 Damit griffen die Gesetzentwürfe der FDP-Fraktion (FN 51) zu kurz, die lediglich die Anwendbarkeit des § 9 Abs 2 S 2 StGB ausschließen wollten. 61 Ausführlich hierzu Eser/Koch (FN 35) 151 ff. 62 Hilgendorf, ZRP 2006, 22, 24. 63 DFG-Stellungnahme „Stammzellforschung – Möglichkeiten und Perspektiven in Deutschland“ (FN 36) 54. 59
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schung begutachteten Anträge nieder, sondern auch im weltweiten Vergleich der Anzahl einschlägiger Publikationen: Inländische Forscher seien an entsprechenden Publikationen so gut wie nicht beteiligt. Rechtssicherheit würde – so wurde vielfach argumentiert – dann erreicht, wenn gemäß dem Vorschlag des Nationalen Ethikrates sowohl in § 2 StZG als auch § 13 StZG klargestellt würde, dass ein genehmigungsbedürftiges und ohne Genehmigung strafbares „Verwenden“ von hES-Zellen nur dann gegeben ist, wenn sich die Stammzellen im Inland befinden.64 Ergänzend plädierte der Nationale Ethikrat dafür, die Strafvorschrift des § 13 StZG zu einem Ordnungswidrigkeitentatbestand herabzustufen.65 Noch weiter gingen Forderungen der DFG und Überlegungen im Deutschen Bundestag, § 13 StZG ganz zu streichen.66
3. Die Beschränkung der Nutzung von Stammzellen auf Forschungszwecke Durch das Verbot der Verwendung von hES-Zellen zu jeglichem Zweck außer eng umgrenzter Forschung ist die Verwendung für diagnostische, therapeutische und präventive Zwecke untersagt, obwohl die Stammzellforschung gerade der Entwicklung neuer Therapien dienen soll. Dieses Verbot gilt auch im Hinblick auf individuelle Heilversuche, die der (ihrerseits Forschung darstellenden) klinischen Prüfung67 und erst recht dem Einsatz erprobter Therapien im klinischen Alltag in der Regel vorangehen. Die Beschränkung des Stammzellimports auf Forschungszwecke wurde und wird daher zu Recht als kurzsichtig und widersprüchlich kritisiert.68 Gefordert wird, auch eine gesundheitsbezogene Verwendung humaner embryonaler Stammzellen zu erlauben. Andernfalls bleibt die deutsche Forschung – wie die Zentrale Ethikkommission für Stammzellforschung beklagt hatte – darauf beschränkt, „zur Schaffung von Grundlagen für eine spätere Verwendung der Zellen zu therapeutischen, präventiven und diagnostischen Zwecken außerhalb Deutschlands beizutragen“.69 Auch dieser Beitrag werde freilich immer _____________ 64
Nationaler Ethikrat (FN 20) 47 f. Nationaler Ethikrat (FN 250) 48 f, 51 f. 66 DFG-Stellungnahme „Stammzellforschung – Möglichkeiten und Perspektiven in Deutschland“ (FN 36) 8, 61 f. 67 Klinische Prüfungen sind nach dem StZG zulässig; so auch Müller-Terpitz, Humane Stammzellen und Stammzellderivate, in Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd 11 (2006) 79, 90 f. 68 Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz (FN 45) 75 f, 115; Zentrale Ethikkommission für Stammzellforschung, Dritter Bericht (FN 40) 4 ff; DFG-Stellungnahme „Stammzellforschung – Möglichkeiten und Perspektiven in Deutschland“ (FN 36) 7, 61 f; Brewe (FN 7) 198 f; Klopfer (FN 17) 89 f; Raasch, KJ 2002, 285, 293; Schroth (FN 39) 249, 280; Taupitz, ZRP 2002, 101, 104. 69 Zentrale Ethikkommission für Stammzellforschung, Dritter Bericht (FN 40) 6. 65
Das deutsche Stammzellgesetz
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mehr schwinden, weil das Stammzellgesetz das unerlässliche Miteinander von wissenschaftlicher Forschung und klinischer Anwendung verhindere.70 Problematisch ist eine Erweiterung der legitimen Verwendungszwecke allerdings deshalb, weil sie kaum unter Fortgeltung des Genehmigungserfordernisses umsetzbar ist. Denn es kann wohl kaum gefordert werden, jede klinische Anwendung einer Stammzelltherapie bei einem Patienten unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen. Es ist deshalb verständlich, dass die parlamentarischen Diskussionen (unten IV) diesen Punkt ausgeklammert haben.
4. Das Verbot des Imports von Stammzellen aus intrakorporal befruchteten Embryonen Nach § 4 Abs 2 Nr 1 lit b) StZG muss zur Überzeugung der Genehmigungsbehörde feststehen, dass die Embryonen, aus denen die Stammzellen gewonnen wurden, im Wege der medizinisch unterstützten extrakorporalen Befruchtung zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden sind. Damit ist es ausgeschlossen, Stammzellen zu importieren, die aus Embryonen stammen, die im Wege eines intrakorporalen Befruchtungsverfahrens (Insemination oder intratubarer Gametentransfer) erzeugt wurden und vor der Nidation im Wege uteriner Lavage dem Willen der Mutter gemäß wieder entnommen wurden. Eine plausible Begründung dafür, dass derartige Embryonen unter Beachtung der übrigen Vorgaben des Stammzellgesetzes nicht für die Gewinnung von Stammzellen verwendet werden dürfen, ist nicht erkennbar.71 Sie wird auch in der Gesetzesbegründung nicht geliefert. In der Literatur wird deshalb für die Aufhebung der genannten Beschränkung plädiert.72
5. Das Verbot des Imports von Stammzellen aus Embryonen, die nicht im Wege der Befruchtung hergestellt wurden HES-Zellen bieten die Möglichkeit, Entwicklungsprozesse von Krankheiten auf zellulärer Ebene zu analysieren, indem Zelllinien von solchen Embryonen etabliert werden, die genetische Defekte tragen, die die Ursache bestimmter Krankheiten sind. Auch können an diesen Zellen neue Medikamente in vitro getestet werden, bevor sie am Menschen angewandt werden. Neue, nach dem Stichtag etablierte hES-Zelllinien stehen inzwischen für die Untersuchung der Thalassämie, der Huntingtonschen Erkrankung, der Muskeldystrophie und anderer genetischer Krankheiten zur Verfügung.73 Sie wurden entweder _____________ 70
Klopfer (FN 7) 90. Raasch, KJ 2002, 285, 294. 72 Taupitz, JZ 2007, 113, 120. 73 DFG-Stellungnahme „Stammzellforschung – Möglichkeiten und Perspektiven in Deutschland“ (FN 36) 34 f. 71
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durch die Methode des Zellkerntransfers oder aus Embryonen gewonnen, die aufgrund einer PID nicht auf die Mutter übertragen wurden. Derartige Zellen dürfen jedoch nicht nach Deutschland eingeführt werden, da sie nach dem Stichtag erzeugt wurden, zudem aber auch nicht den weiteren Bedingungen gemäß § 4 Abs 2 Nr 1 lit b) StZG entsprechen (oben II.3). Damit sind die Erforschung von Krankheitsursachen sowie die Entwicklung von diagnostischen und therapeutischen Verfahren mit diesen krankheitsspezifischen hESZellen in Deutschland verboten. Dabei wäre gerade eine solche Forschung nicht zuletzt auch im Rahmen der Pharmakogenetik oder der Toxizitätsprüfung begrüßenswert, weil sie eine Gefährdung von Patienten vermeidet. Auch insoweit gibt es zwar Forderungen aus der Literatur, die Restriktionen des Gesetzes zu lockern,74 aber bisher keine parlamentarischen Aktivitäten.
IV. Gesetzesinitiativen, über die durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 11. April 2008 entschieden wurde Im Frühjahr 2008 wurden in den Deutschen Bundestag fünf Vorlagen eingebracht, die sich mit der Frage einer Änderung des Stammzellgesetzes befassten. Die Vorlagen spiegeln das gesamte Spektrum an Vorstellungen wider, die in Deutschland zur Frage der Zulässigkeit der Forschung mit embryonalen Stammzellen bestehen. Der Antrag, der die am weitesten gehenden Änderungen des Stammzellgesetzes vorsah, war der „Entwurf eines Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin – Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes“ (BT-Drucksache 16/7982[neu]). Danach sollten sowohl die Stichtagsregelung als auch die Strafbestimmung des Gesetzes ersatzlos gestrichen werden. Weniger weit reichte der „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes“ (BT-Drucksache 16/7981), der eine Verschiebung des Stichtages auf den 1. 5. 2007 vorsah und im übrigen den Anwendungsbereich des Gesetzes insgesamt wie auch der Strafbestimmung ausdrücklich (neben dem Import) auf embryonale Stammzellen beschränkte, „die sich im Inland“ befinden. Damit sollte den erheblichen Rechtsunsicherheiten entgegen gewirkt werden, die sich an die bisherige Fassung im Hinblick auf den territorialen Geltungsbereich des Gesetzes und die Reichweite der Strafbarkeitsbestimmung (insbesondere im Zusammenwirken mit den allgemeinen Normen des Internationalen Strafrechts) knüpften. Dieselbe Beschränkung auf im Inland befindliche embryonale Stammzellen sah auch der „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes“ gemäß BT-Drucksache 16/7984 vor, der allerdings den Stichtag unverändert ließ. Ein Entschließungsantrag (BT-Drucksache 16/7985) verlangte demgegenüber „Keine Änderung des Stichtages im Stammzellgesetz – Adulte Stammzellfor_____________ 74
Taupitz, JZ 2007, 113, 120 f.
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schung fördern“ (gemeint war wohl Forschung mit adulten Stammzellen). Nach diesem Antrag sollte die Rechtslage unverändert bleiben. Schließlich verlangte der „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit menschlichen embryonalen Stammzellen“ gemäß BT-Drucksache 16/7983 ein völliges Verbot des Imports und der Verwendung von embryonalen Stammzellen, weil die Forschung mit ihnen überflüssig sei und therapeutische Anwendungen nicht absehbar seien. Am 11. 4. 2008 hat der Deutsche Bundestag nach intensiver Diskussion mit deutlicher Mehrheit von 346 gegen 228 Stimmen bei 6 Enthaltungen für den Entwurf gemäß BT-Drucksache 16/7981 gestimmt.75 Damit wurde der Stichtag auf den 1. 5. 2007 verschoben und wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes insgesamt wie auch der Strafbestimmung ausdrücklich (neben dem Import) auf embryonale Stammzellen beschränkt, „die sich im Inland“ befinden. Eine ersatzlose Streichung des Stichtages (BT-Drucksache 16/7982 [neu]) hätte in der Tat nicht in der Logik des Gesetzes gelegen (wäre aber verfassungskonform). Die beschlossene Verschiebung des Stichtages (BTDrucksache 16/7981) entspricht dagegen in vollem Umfang der Grundintention des Stammzellgesetzes, einerseits die gezielte Herstellung von Stammzellen für deutsche Forschung zu verhindern und andererseits die Forschung mit embryonalen Stammzellen in Deutschland nicht völlig zu unterbinden. Sie entspricht auch der im Stammzellgesetz zu Recht zum Ausdruck kommenden Auffassung, dass Verwertungshandlungen anders als Ursprungshandlungen zu bewerten sind und das in der Vergangenheit liegende (angenommene) Unrecht durch ein Verbot der Verwertungshandlung nicht ungeschehen gemacht, also wieder aus der Welt geschafft werden kann. Eine mögliche Revision des Gesetzes etwa durch Verschiebung des Stichtages war zudem schon im ursprünglichen Gesetz selbst angelegt. Denn die Berichtspflicht, die in § 15 StZG der Bundesregierung auferlegt wurde und wird, kann keinen anderen Sinn haben als den, die Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes ggf in Diskussionen über eine Änderung des Gesetzes einfließen zu lassen. Denn sonst müsste der geforderte Bericht nicht dem Deutschen Bundestag erstattet werden, der allein für die Änderung des Gesetzes zuständig ist. Wenig überzeugend ist es allerdings, dass ein relativ weit zurück liegender Stichtag (1. 5. 2007) gewählt wurde; dies gilt sowohl aus dem Blickwinkel des Datums der Verabschiedung der Gesetzesänderung (11. 4. 2008) als auch aus dem Blickwinkel des möglichen Inkrafttretens (nicht vor August _____________ 75 2. und 3. Lesung, BT-Plenarprotokoll 16/155; die 1. Lesung zu den Gesetzentwürfen hatte am 14. 2. stattgefunden, BT-Plenarprotokoll 16/142. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 23. 5. 2008 den Antrag Bayerns vom 20. 5. 2008 (BR-Drs 278/1/08) auf Anrufung des Vermittlungsausschusses abgelehnt, siehe BR-Plenarprotokoll 844.
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2008).76 Der 1. 5. 2007 wurde offenbar deshalb gewählt, weil am 9. 5. 2007 eine Anhörung im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages stattgefunden hat77 und dies offenbar als „Startschuss“ der parlamentarischen Beratungen über eine Novellierung des Stammzellgesetzes angesehen wurde. Allerdings kann nicht ernsthaft angenommen werden, im Ausland sei in den zurückliegenden Monaten eine einzige Stammzelllinie deshalb hergestellt worden, weil in Deutschland im Mai 2007 über eine Veränderung des Stammzellgesetzes diskutiert wurde und deshalb eine Verschiebung oder Aufhebung des Stichtages im Bereich des Möglichen lag. Erstens dürfte auch für jeden ausländischen Forscher offenkundig sein, dass eine Diskussion in einem Ausschuss des Deutschen Bundestages nicht automatisch zu einem Gesetz führt – noch dazu angesichts äußerst kontroverser Auffassungen innerhalb und außerhalb des Ausschusses. Und zweitens dürfte die Bedeutung des deutschen Marktes (wie die geringe Zahl der hier bisher durchgeführten Forschungsprojekte zeigt) nicht so groß sein, dass davon ein relevanter Anreiz zum Herstellen von embryonalen Stammzelllinien im Ausland ausgeht. Von daher bleibt erneut zu betonen, dass die Verfassungswidrigkeit um so greifbarer ist, je weiter der Stichtag zurückliegt, selbst wenn er zwar verschoben wurde, aber schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesänderung immer noch erheblich in der Vergangenheit liegt. Die Klarstellungen zum Anwendungsbereich des Gesetzes und seiner Strafbestimmung, dh die ausdrückliche Beschränkung des Verbots einer Verwendung von hES-Zellen auf diejenigen, die sich im Inland befinden, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Die Unsicherheiten, inwieweit Auslandshandlungen und grenzüberschreitende Kooperationen vom Stammzellgesetz erfasst und in Verbindung mit den allgemeinen Normen des Internationalen Strafrechts strafbar sind, wurden bei Erlass des Gesetzes offenbar nicht in ihrer vollen Tragweit überblickt. Zudem kann angenommen werden, dass man die inzwischen erkannten weit reichenden Strafbarkeitsrisiken seinerzeit nicht gewollt hat und unter „verwenden“ von vornherein die Verwendung im Inland verstanden hat. Die Änderungen entsprechen daher der Grundintention des Stammzellgesetzes, neben dem Import die Verwendung von Stammzellen im Inland zu regeln.
V. Schlussbemerkung 1. In den Diskussionen im parlamentarischen Raum herrschte und herrscht offenbar Einigkeit, dass das Embryonenschutzgesetz nicht angetastet werden _____________ 76 77
Siehe oben Eingangsbemerkung zu dem vorliegenden Beitrag. Protokoll 16/53 des Ausschusses.
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soll. Damit bleibt die Herstellung von embryonalen Stammzellen in Deutschland auch in Zukunft verboten. 2. Die rechtspolitische Diskussion über embryonale Stammzellforschung wird in Deutschland weiter gehen. In der nächsten Zeit werden vor allem die Naturwissenschaftler „am Zug“ sein. Von ihren Forschungsergebnissen wird es abhängen, ob die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen weiterhin als notwendig erscheint, ob sie gar ausgebaut werden muss oder ob sie im Gegenteil obsolet wird und Deutschland damit retrospektiv gut beraten war, eine im internationalen Vergleich äußerst restriktive Haltung einzunehmen. 3. Das Stammzellgesetz betrifft einen eher kleinen Bereich der biomedizinischen Forschung. Es hat aber offenkundig weit über seinen konkreten Anwendungsbereich hinaus symbolische Bedeutung. Nur so erklärt sich die heftige und zum Teil mit vielen Emotionen verbundene Diskussion. Unangemessen ist es allerdings, Ängste in der Bevölkerung mit dem Argument zu schüren, dass dem Verbrauch von Embryonen als nächstes die Tötung von geborenen (etwa alten und kranken) Menschen für Zwecke der Forschung folge. Eine solche Argumentation übergeht das Differenzierungsvermögen einer Gesellschaft – und die Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers. Bezeichnender Weise hat auch die Liberalisierung des Abtreibungsrechts nicht zu einer Abschwächung des Lebensrechts geborener Menschen geführt. Dies gilt auch aus dem Blickwinkel der Zulässigkeit einer Abtreibung von geschädigten Embryonen und Föten. Im Gegenteil hat die Sensibilisierung der Gesellschaft für die Bedürfnisse von Menschen mit einer Behinderung zugenommen, möglicherweise sogar weil Embryonen und Föten im Mutterleib keinen absoluten Lebensschutz genießen.
Wer oder was sind „entwicklungsfähige Zellen“? Anmerkungen zu R (on the Application of Quintavalle) v Secretary of State for Health Erwin Bernat
I. Der österreichische Gesetzgeber hat mit dem Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG)1 ein Gesamtkonzept staatlicher Regelung im Bereich der Fortpflanzungsmedizin verankert.2 Dieses Gesetz verbietet bestimmte Techniken der assistierten Zeugung kategorisch3 und stellt jene Techniken der Fortpflanzungsmedizin, die es erlaubt, unter die Kontrolle der Verwaltungsbehörden.4 Das FMedG schuf auch neue Regeln für die „gespaltene“ Mutter- und Vaterschaft: Mutter ist im Fall eines Embryotransfers nach Eispende jene Frau, die das Kind gebiert, und Vater ist im Fall der Zeugung des Kindes durch heterologe Insemination jener Mann, der der Übertragung des Fremdsamens in _____________ 1
BG, mit dem Regelungen über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung getroffen (Fortpflanzungsmedizingesetz – FMedG) sowie das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Ehegesetz und die Jurisdiktionsnorm geändert werden, BGBl 1992/275 idF BGBl I 2001/98 (1. Euro-Umstellungsgesetz – Bund), BGBl I 2004/163 (Fortpflanzungsmedizingesetz-Novelle 2004); BGBl I 2008/49 (Gewebesicherheitsgesetz – GSG). 2 Zur Entstehungsgeschichte und zur Systematik dieses Gesetzes siehe Bernat, Das Recht der medizinisch assistierten Zeugung 1990 – eine vergleichende Bestandsaufnahme, in Bernat (Hrsg), Fortpflanzungsmedizin. Wertung und Gesetzgebung. Beiträge zum Entwurf eines Fortpflanzungshilfegesetzes (1990) 65 ff; ders, Das Recht der Fortpflanzungsmedizin 2000: ein Dreiländervergleich (Deutschland, Österreich, Schweiz), in Fischl (Hrsg), Kinderwunsch. In-vitro-Fertilisierung und Assistierte Reproduktion – Neue Erkenntnisse und Therapiekonzepte (2000) 285 ff; Hopf, Zwischen Kindeswohl und Fortpflanzungsfreiheit: Der Entwurf zum Fortpflanzungshilfegesetz aus der Sicht des Legisten, in Bernat (Hrsg), Fortpflanzungsmedizin (1990) 45 ff. 3 Siehe §§ 2 f FMedG; dazu genauer Bernat, Einführung in das österreichische Medizinrecht, in Wenzel (Hrsg), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht (2007) 1437 (1478 f). 4 Vgl Bernat, Das Fortpflanzungsmedizingesetz: Neue Rechtspflichten für den österreichischen Gynäkologen, Gynäkologisch-geburtshilfliche Rundschau 33 (1993) 2 ff.
Wer oder was sind „entwicklungsfähige Zellen“?
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besonders solenner Form zugestimmt hat.5 Wunschvater und Wunschmutter werden vor dem „Eindringen“ des Samenspenders in ihre Familie zusätzlich geschützt: „Ein Dritter, dessen Samen für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung verwendet wird, kann nicht als Vater des mit seinem Samen gezeugten Kindes festgestellt werden“ (§ 163 Abs 4 Satz 1 ABGB).6 § 1 Abs 1 FMedG steckt den Geltungsbereich des Fortpflanzungsmedizingesetzes ab. Danach ist „medizinisch unterstützte Fortpflanzung im Sinn [des FMedG] die Anwendung medizinischer Methoden zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr.“ Verfahren, mit denen in vitro gezeugte Embryonen außerhalb des Körpers einer Frau zur Entwicklung und Reifung gebracht werden sollen (Ektogenese),7 stellen nach dieser Legaldefinition zwar keine medizinisch unterstützten Fortpflanzungen dar, sie sind aber dennoch verboten, wenn auch nur indirekt. Nach § 9 Abs 1 Satz 1 FMedG darf nämlich der in vitro gezeugte Embryo „nicht für andere Zwecke als für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen verwendet werden.“ Und da medizinisch unterstützte Fortpflanzungen nur „Verfahren zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr“ sind (§ 1 Abs 1 FMedG), ist schon der bloße Versuch,8 eine in vitro befruchtete Eizelle außerhalb des Körpers einer Frau zur Entwicklung und Reifung zu bringen, unzulässig.9 Verletzt der Arzt § 9 FMedG, kann er mit Geldstrafe bis zu € 36.000,–, bei Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu vierzehn Tagen bestraft werden (§ 22 Abs 1 Z 3 FMedG). § 1 Abs 2 FMedG zählt demonstrativ10 auf, welche Methoden der Gesetzgeber als solche der medizinisch unterstützten Fortpflanzung begreift: die künstliche Insemination in vivo,11 die In-vitro-Fertilisation (IVF),12 den _____________ 5 §§ 137b, 156a, 163 ABGB idF Art II BGBl 1992/275; dazu Schwimann, Neues Fortpflanzungsmedizinrecht in Österreich, StAZ 1993, 169 ff; Steininger, Interpretationsvorschläge für die neuen Normierungen im ABGB über die väterliche Abstammung, ÖJZ 1995, 121 ff; rechtsvergleichend: Lurger, Das Abstammungsrecht bei medizinisch assistierter Zeugung nach der deutschen Kindschaftsrechtsreform im Vergleich mit dem österreichischen Recht, DEuFamR 1 (1999) 210 ff. 6 Samenspender ist nach der Legaldefinition des § 163 Abs 4 Satz 2 ABGB (idF des Familien- und Erbrechts-Änderungsgesetzes 2004, BGBl I 2004/58), „wer seinen Samen einer für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen zugelassenen Krankenanstalt mit dem Willen überlässt, nicht selbst als Vater eines mit seinem Samen gezeugten Kindes festgestellt zu werden.“ 7 Bernat, Rechtsfragen medizinisch assistierter Zeugung (1989) 266 f. 8 § 25 Abs 2 FMedG. 9 JAB, 490 BlgNR 18. GP, 2. 10 Die demonstrative Aufzählung in § 1 Abs 2 FMedG soll verhindern, dass auch Verfahren der Fortpflanzungsmedizin, die es bei Verabschiedung des FMedG noch nicht gab, von diesem Gesetz reguliert werden; siehe den JAB, 490 BlgNR 18. GP, 3. 11 § 1 Abs 2 Z 1 FMedG: „das Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau“. 12 § 1 Abs 2 Z 2 FMedG: „die Vereinigung von Eizellen mit Samenzellen außerhalb des Körpers einer Frau“.
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Embryotransfer13 sowie „das Einbringen von Eizellen oder von Eizellen mit Samen in die Gebärmutter oder den Eileiter einer Frau“.14 Diese Techniken können homolog oder heterolog – also mit den Keimzellen der Wunscheltern oder den Keimzellen eines Spenders – durchgeführt werden. Mit Ausnahme der künstlichen Insemination in vivo hat der Gesetzgeber die Praxis der Fortpflanzungsmedizin nur im homologen System erlaubt.15 Das FMedG ist nicht nur ein Gesetz zur Regelung der Fortpflanzungsmedizin, sondern bezweckt auch den Schutz des extrauterinen Keims, der im Schrifttum als Embryo (in vitro), als Präembryo oder als Zygote bezeichnet wird.16 Demgegenüber nennt § 1 Abs 3 FMedG den Embryo (in vitro) „entwicklungsfähige Zellen“. Das sind nach der Legaldefinition des § 1 Abs 3 FMedG „befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen“. Während die Regierungsvorlage „entwicklungsfähige Zellen“ erst „ab der Kernverschmelzung“ entstehen ließ,17 kommt es nach der Fassung von § 1 Abs 3 FMedG, die parlamentarisch verabschiedet wurde, nicht auf die Verschmelzung der Zellkerne, sondern ausschließlich auf das Eindringen der Samenzelle in die Eizelle an, was zu einer Ausweitung des Schutzobjekts „entwicklungsfähige Zellen“ führt.18 Der etwas seltsam anmutende Begriff „entwicklungsfähige Zellen“ findet sich schon im Ministerialentwurf eines „Fortpflanzungshilfe_____________ 13 § 1 Abs 2 Z 3 FMedG: „das Einbringen von entwicklungsfähigen Zellen in die Gebärmutter oder den Eileiter einer Frau“. 14 § 1 Abs 2 Z 4 FMedG. 15 Diese Einschränkung begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken; siehe VfGH 14. 10. 1999, VfSlg 15.632 = MedR 2000, 389 (Bernat); zu dieser Entscheidung Coester-Waltjen, Fortpflanzungsmedizin, EMRK und österreichische Verfassung, FamRZ 2000, 598 f; Lurger, Das Fortpflanzungsmedizingesetz vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof, DEuFamR 2 (2000) 134 ff; Novak, Fortpflanzungsmedizingesetz und Grundrechte, in Bernat (Hrsg), Die Reproduktionsmedizin am Prüfstand von Recht und Ethik (2000) 62 ff; Strasser, Ethik der Fortpflanzung, in Bernat (Hrsg), Die Reproduktionsmedizin am Prüfstand von Recht und Ethik (2000) 23 ff; Bernat, A human right to reproduce non-coitally?, Univ Tasmania L Rev 21 (2002) 20 ff; zur Stellung der Fortpflanzungsmedizin im Licht der EMRK Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 (2008) 194 mwN sowie jüngst EGMR, Urt v 4. 12. 2007 (GK), Dickson, Nr 44.362/2004. 16 Winter, In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer an der Frauenklinik Graz, in Bernat (Hrsg), Lebensbeginn durch Menschenhand. Probleme künstlicher Befruchtungstechnologien aus medizinischer, ethischer und juristischer Sicht (1985) 41 (49 ff); Schleiermacher, Der Beginn des Lebens, in Reiter/Theile (Hrsg), Genetik und Moral. Beiträge zu einer Ethik des Ungeborenen (1985) 69 ff. 17 § 1 Abs 3 FMedG idF 216 BlgNR 18. GP lautet: „Als entwicklungsfähige Zellen sind befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen ab der Kernverschmelzung anzusehen.“ In diesem Sinn auch § 8 Abs 1 des deutschen Embryonenschutzgesetzes (ESchG) vom 13. 12. 1990 (BGBl I, 2746): „Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an …“. 18 Siehe dazu den JAB, 490 BlgNR 18. GP, 3.
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gesetzes (FHG)“19 und wurde vom Gesetzgeber ganz bewusst verankert. Dazu heißt es in den amtlichen Erläuterungen zur Regierungsvorlage eines FMedG: „Im Begutachtungsverfahren wurde verschiedentlich gefordert, statt [‚entwicklungsfähige Zellen‘] den Ausdruck ‚Embryo‘ zu verwenden. Diesen Vorschlägen kann sich der vorliegende Entwurf nicht anschließen, da sowohl die wissenschaftliche Terminologie als auch der allgemeine Sprachgebrauch – entsprechend den unterschiedlichen weltanschaulichen Ansätzen – hier weder eindeutig noch einheitlich sind. Im Übrigen sieht der Entwurf […] besondere Vorkehrungen zum Schutz der befruchteten Eizellen vor, so dass die Frage der Wortwahl letztlich zweitrangig ist.“20
Hinter der Verwendung des Begriffs „entwicklungsfähige Zellen“ stand augenscheinlich das Bemühen des Gesetzgebers, weltanschauliche Neutralität zu wahren. Allerdings gerät dieser Begriff in ein Spannungsverhältnis zur rechtsethischen Basiswertung des § 9 Abs 1 FMedG, der das Leben von „entwicklungsfähigen Zellen“ sogar stärker schützt als das Leben der Zygote in vivo.21 Verbrauchende Forschung22 an „entwicklungsfähigen Zellen“ ist nach § 9 Abs 1 FMedG kategorisch verboten und kann mit Verwaltungsstrafe oder mit Ersatzfreiheitsstrafe geahndet werden,23 während die im Eileiter befruchtete Eizelle vor Implantation in der Gebärmutterschleimhaut der werdenden Mutter gänzlich schutzlos gestellt ist.24 § 9 Abs 1 FMedG wäre wenigstens auf den ersten Blick plausibler, hätte der Gesetzgeber das Schutzobjekt dieser Vorschrift mit einem Namen versehen, der sowohl in den empirischen als auch in den normativen Wissenschaften gebräuchlich ist: Embryo (in vitro),25 Präembryo oder Zygote. Die Bezeichnung des frühen menschlichen Keims als „entwicklungsfähige Zellen“ verschleiert unnötigerweise die empirischen Grundlagen der gesetzlichen Regelung, was es dem Normadressaten nicht gerade erleichtert, der Bewertung des § 9 Abs 1 FMedG zu folgen. _____________ 19 MinE zu einem „BG über die medizinische Fortpflanzungshilfe beim Menschen (Fortpflanzungshilfegesetz – FHG) sowie über Änderungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs und des Ehegesetzes“, JMZ 3.509/363-I 1/90; zu diesem Ministerialentwurf siehe die Beiträge in Bernat (Hrsg), Fortpflanzungsmedizin (1991). 20 216 BlgNR 18. GP, 15. 21 Vgl zur Problematik des Embryonenschutzes schon Bernat/Schick, Embryomanipulation und Strafrecht. Gedanken zum Initiativantrag 156/A vom 25. 9. 1985 (II3306 BlgStProt NR XVI. GP), AnwBl 1985, 632 ff. 22 Siehe dazu Trounson, Why do research on human pre-embryos?, in P. Singer (Hrsg), Embryo-Experimentation (1990) 14 ff. 23 Siehe nochmals § 22 Abs 1 Z 3 FMedG. 24 Kienapfel, Frühabort und Strafrecht, JBl 1971, 175 ff; Kopetzki, Rechtliche Aspekte des Embryonenschutzes, in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin? (2003) 51 (53). 25 Siehe etwa das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG); zu diesem Gesetz weiterführend Deutsch, Embryonenschutz in Deutschland, NJW 1991, 721 ff; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6 (2008) 490 ff; Keller/Günther/Kaiser, Kommentar zum Embryonenschutzgesetz (1992).
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II. 1. Am 23. Februar des Jahres 1997 erfuhr die Öffentlichkeit durch die Medien, dass es dem schottischen Forscher Ian Wilmut gelungen sei, ein Schaf zu klonen.26 Dieses Schaf („Dolly“) verdankte seine Existenz einer bis dahin nicht bekannten Methode des Klonens, nämlich der Methode des Cell Nuclear Replacement (CNR). Vereinfacht dargestellt, geht es dabei um Folgendes. Einem bereits existenten Wesen, sei es ein Embryo, ein Fötus oder ein Geborener, wird eine ausdifferenzierte Zelle entnommen und in eine zuvor entkernte Eizelle eines Wesens derselben Spezies verpflanzt. Sodann wird die adulte Zelle angeregt, sich zu teilen. Gelingt die Zellteilung, wird der in vitro befindliche Zellverband einem Muttertier eingesetzt, wo er sich, wie nach koitaler Befruchtung, bis zur Geburt weiterentwickeln kann. Nach der Geburt existiert ein genetischer Klon jenes Wesens, dessen adulte Zelle für das CNR verwendet worden ist. Der Klon ist also nichts anderes als ein zeitversetzter eineiiger Zwilling.27 Die Methode des reproduktiven Klonens durch CNR könnte auch im Humanbereich angewendet werden. Das ruft bei sehr vielen Menschen Ängste hervor, vielleicht weil sie sich an den Oscar-nominierten Film „The Boys From Brazil“ (1978) erinnern, in dem der ehemalige KZ-Arzt Josef Mengele 94 Buben aus den Genen des „Führers“ klont, die alle identisch aussehen und auch den Lebenslauf von Adolf Hitler bekommen sollen. Weniger angsterregend mag es da erscheinen, wenn Eltern, die ein Kind verloren haben, sich darum bemühen, diesen Verlust durch reproduktives Klonen zu kompensieren.28 Dessen ungeachtet ist das reproduktive Klonen vom ersten Zusatzprotokoll zum Europaratsübereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin29 verboten worden und findet allenfalls unter einigen angelsächsischen Philosophen offene Befürworter.30 _____________ 26
Wilmut/Schnieke/McWhir/Kind/Campbell, Viable offspring derived from fetal and adult mammalian cells, Nature 385 (1997) 810 ff. 27 Vgl Segal, Behavioral aspects of intergenerational human cloning: What twins tell us, Jurimetrics 38 (1997) 57 ff. 28 Siehe Robertson, Liberty, identity, and human cloning, Texas L Rev 76 (1998) 1371 ff; ders, Human cloning and the challenge of regulation, NEJM 339 (1998) 119 ff; Bernat, Rechtsethische Argumente gegen das reproduktive Klonen – Kritik und Antikritik, Mezinárodní a srovnávaci právní revue / International and Comparative Law Review 10 (2004) 47 ff. 29 Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen vom 12. 1. 1998, abgedruckt in Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht6 (2008) 992 f; dazu Saliger, Das Verbot des reproduktiven Klonens nach dem 1. Zusatzprotokoll zum Menschenrechtsübereinkommen, JRE 14 (2006) 541 ff; zur Frage, ob das reproduktive Klonen von den Verbotsbestimmungen des FMedG erfasst wird, siehe Miklos, Das Verbot des Klonens von Menschen in der österreichischen Rechtsordnung, RdM 2000, 35 ff; Kopetzki, in
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2. Die Methode des Klonens durch CNR (Dolly-Methode) wurde in den letzten Jahren weniger vor dem Hintergrund der menschlichen Reproduktion, sondern verstärkt im Zusammenhang mit der Herstellung von embryonalen Stammzellen diskutiert.31 Embryonale Stammzellen haben ein sehr hohes therapeutisches Potential. Sie können auch aus geklonten Embryonen gewonnen werden (sog therapeutisches Klonen).32 Dies führt freilich unweigerlich zur Vernichtung der geklonten Embryonen und damit zu einer Instrumentalisierung, die prima facie gegen § 9 Abs 1 FMedG verstößt. Fraglich ist indes, ob ein im Wege der Dolly-Methode geklonter Embryo überhaupt von § 9 Abs 1 FMedG geschützt wird. Das in dieser Bestimmung verankerte kategorische Forschungsverbot kann auf Embryonen, die nicht gezeugt, sondern im Wege der Dolly-Methode geklont worden sind, nur unter der Voraussetzung angewendet werden, dass solche Embryonen „entwicklungsfähige Zellen“ iSv § 1 Abs 3 FMedG sind. Entwicklungsfähige Zellen sind aber, wie § 1 Abs 3 FMedG sagt, nur „befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen“. Ein im Wege der Dolly-Methode geklonter Embryo verdankt sein Dasein nicht jenem Vorgang, den man, jedenfalls im landläufigen Sinn, als Befruchtung bezeichnet. Im landläufigen, aber auch im biologisch-technischen Sinn, umfasst das Wort Befruchtung die Begriffe Konzeption (das ist der zur Befruchtung führende Koitus), Imprägnation (das ist das aktive Eindringen des Spermiums in das Ei) und Konjugation (das ist die Verschmelzung des männlichen und weiblichen haploiden Vorkerns der Keimzellen zu einem _____________
Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin? (2003) 51 (59). 30 Siehe etwa Tooley, The moral status of the cloning of Humans, in Humber/Almeder (Hrsg), Human Cloning (1998) 67 ff. 31 Siehe beispielsweise die Berichte in Die Furche vom 24. 1. 2008, 21 ff; Die Presse vom 11. 4. 2008, 34; Brownsword, Bioethics today, bioethics tomorrow: Stem cell research and the „dignitarian alliance“, Notre Dame J of Law, Ethics & Publ Pol’y 17 (2003) 15 ff; Langenbach, Kinder aus Stammzellen?, Die Presse vom 1. 4. 2008, 36; Prat, Der Embryo als Galionsfigur im Streit ums Geld, Die Presse vom 14. 4. 2008, 30. In Deutschland wurde die Verwendung von importierten embryonalen Stammzellen sogar in einem eigenen Gesetz geregelt: Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG) vom 28. 6. 2002 (BGBl I, 2277); zu diesem Gesetz Taupitz, Erfahrungen mit dem Stammzellgesetz, JZ 2007, 113 ff; zur deutschen Diskussion vor Inkrafttreten des StZG Taupitz, Der rechtliche Rahmen des Klonens zu therapeutischen Zwecken, NJW 2001, 3433 ff; ders, Import embryonaler Stammzellen. Konsequenzen des Bundestagsbeschlusses vom 31. 1. 2001, ZRP 2002, 111 ff. 32 Überblick bei Brownsword, Stem cells and cloning: Where the regulatory consensus fails, New England L Rev 39 (2005) 535 ff; Dahan, Embryonic stem cell research and therapeutic cloning: Scientific, ethical and legal perspectives, Israel L Rev 37 (2003/04) 543 ff; Deech, Playing god: Who should regulate embryo research?, Brooklyn J Int’l L 32 (2007) 31 ff.
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Kern).33 Steht daher das therapeutische Klonen eines menschlichen Embryos nach der Dolly-Methode außerhalb des Einzugsbereichs des FMedG? Und wenn ja: liegt eine planwidrige Lücke vor? Darf eine solche Lücke gegebenenfalls im Wege des Analogieschlusses gefüllt werden?
III. 1. Die Frage, ob ein durch Klonen nach der Dolly-Methode entstandener Embryo der Legaldefinition des Begriffs Embryo („entwicklungsfähige Zellen“) entspricht, wurde zwar vereinzelt auch schon in der österreichischen Literatur aufgegriffen,34 sie wird allerdings im Vereinigten Königreich weit intensiver diskutiert. Ursache des gesteigerten Interesses englischer Rechtsgelehrter an der Klärung dieser Frage war die causa R (on the application of Quintavalle) v Secretary of State for Health, die in letzter Instanz vom House of Lords entschieden worden ist.35 Das Verfahren in der causa Quintavalle wurde von der radikalen Lebensschutzorganisation Pro-Life Alliance eingeleitet, die regelmäßig gegen biotechnische Verfahren öffentlich Stellung bezieht,36 die nach ihrer Auffassung das Prinzip von der Heiligkeit des menschlichen Lebens verletzen.37 Antragsgegnerin war die britische Regierung, vertreten durch ihren Gesundheitsminister. Im hier interessierenden _____________ 33
So Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch258 (1998) 180 f. Kopetzki, Embryonale Stammzellen im Rechtsstaat. Thesen zur künftigen Biopolitik, in Pichler (Hrsg), Embryonalstammzelltherapie versus „alternative“ Stammzelltherapien (2002) 157 ff; ders, in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin? (2003) 51 (59 f). 35 High Court, Queen’s Bench Division (Administrative Court) (1. Instanz) [2001] 4 All ER 1013; Court of Appeal (2. Instanz) [2002] 2 All ER 625; House of Lords (3. Instanz) [2003] 2 All ER 113; siehe zu diesen Entscheidungen: Adcock/Beyleveld, Purposive interpretation and the regulation of technology: Legal constructs, legal fictions, and the rule of law, Medical L Int’l 8 (2007) 305 ff; Beyleveld/Pattinson, Globalisation and human dignity: Some effects and implications for the creation and use of embryos, in Brownsword (Hrsg), Global Governance and the Quest for Justice. Volume IV: Human Rights (2004) 185 ff; Grubb, Regulating cloned embryos?, The Law Quarterly Rev 118 (2002) 358 ff; ders, Medical L Rev 11 (2003) 136 ff; Herring/Chau, Case commentary: Are cloned embryos embryos?, Child and Family Law Quarterly 14 (2002) 315 ff; Herring, Cloning in the House of Lords, Family Law 33 (2003) 663 ff; McLeod, Literal and purposive techniques of legislative interpretation: Some European Community and English common law perspectives, Brooklyn J Int’l L 29 (2004) 1109 ff; Plomer, Beyond the HFE Act 1990: The regulation of stem cell research in the UK, Medical L Rev 10 (2002) 132 ff. 36 Siehe auch R (Quintavalle) v Human Fertilisation and Embryology Authority (Secretary of State for Health Intervening) [2003] 3 All ER 257; zu dieser Entscheidung Bernat, Pränatale Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik: Gibt es ein Recht auf informierte Fortpflanzung?, in FS Laufs (2006) 671 (694 ff). 37 High Court of Justice [2001] 4 All ER 1013 (1015), per Crane, J: „Pro-Life Alliance describes itself as an association committed to campaigning for absolute respect for innocent human life and is opposed inter alia to human cloning.“ 34
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Verfahren beantragte die Pro-Life Alliance beim High Court of Justice die Feststellung, es möge entschieden werden, dass ein Embryo, der durch Klonen im Wege der Dolly-Methode (CNR) entstanden ist, nicht unter die im englischen Recht verankerte Definition des Begriffs „embryo“ fällt. Ich muss an dieser Stelle etwas weiter ausholen. In England wurde schon im Jahre 1990 das Pendant zum österreichischen FMedG, der Human Fertilisation and Embryology Act (HFE Act),38 parlamentarisch verabschiedet. Dieses Gesetz regelt sowohl die Fortpflanzungsmedizin als auch die Forschung mit Keimzellen und extrauterinen Embryonen dem Grunde nach sehr liberal.39 Beispielsweise darf die verbrauchende Forschung in England nicht nur an sog „übrig gebliebenen“, sondern auch an eigens für das Forschungsprojekt hergestellten Embryonen betrieben werden.40 Allerdings sieht das englische Gesetz vor, dass jene Verfahren der Fortpflanzungsmedizin und Forschung, die nicht a priori verboten sind, nur praktiziert werden dürfen, wenn der Träger des Spitals bzw der Forschungseinrichtung hiefür speziell lizenziert worden ist. Für die Vergabe der Lizenz sorgt die vom Gesetz eingerichtete Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA). Diese Behörde ist auch zuständig für die Kontrolle der Lizenznehmer. Ein Arzt oder Forscher, der Forschung betreibt, ohne hiefür von der HFEA speziell ermächtigt worden zu sein, macht sich sogar einer Straftat („offence“) schuldig.41 Section 1(1) des HFE Act 1990 definiert den Embryo in vitro wie folgt: „(1) In this Act, except where otherwise stated – (a) embryo means a live human embryo where fertilisation is complete, and (b) references to an embryo include an egg in the process of fertilisation, and, for this purpose, fertilisation is not complete until the appearance of a two cell zygote.“42
Wie gleichen sich doch die Bilder. Sowohl das österreichische als auch das englische Recht definieren den Begriff Embryo (in vitro) auf die „herkömmliche Weise“. Wie soll man diese Definition interpretieren? 2. Als der HFE Act 1990 parlamentarisch verabschiedet wurde, waren sich sowohl die Rechtsexperten als auch die Regierung darüber einig, dass ein im Wege der Dolly-Methode geklonter Embryo von section 1(1) des HFE _____________ 38
Chapter 37. Überblick bei Bernat, Fortpflanzungsmedizin und Recht. Bemerkungen zum Stand der Gesetzgebung in Österreich, Deutschland und Großbritannien, MedR 1991, 308 ff. 40 Zur Unterscheidung Steiner, Rechtsfragen der „In-Vitro-Fertilisation“, JBl 1984, 175 ff. 41 Siehe sec 41(2)(a) HFE Act: „A person who contravenes section 3(1) of this Act […] is guilty of an offence.“ Sec 3(1) HFE Act lautet: „No person shall bring about the creation of an embryo or keep or use an embryo, except in pursuance of a licence.“ 42 Hervorhebung vom Verf. 39
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Act erfasst werde und dass Forschung mit solcherart geklonten Embryonen an sich erlaubt sei, aber speziell lizenziert werden müsse.43 Demgegenüber vertrat die Pro-Life Alliance in der causa Quintavalle den Rechtsstandpunkt, dass Embryonen, die durch CNR entstanden sind, gar nicht vom HFE Act erfasst werden. Wenn diese Auffassung richtig ist, dann wäre die Forschung am geklonten Embryo in England zulässig, „ohne dass es erst einer expliziten Freigabe bedürfte.“44 Vor dem Hintergrund des österreichischen FMedG hat freilich die Auffassung, der zufolge sich der nach der Dolly-Methode geklonte Embryo im „rechtsfreien Raum“ befindet, weiter reichende Folgen als vor dem Hintergrund des HFE Act. Fällt der durch CNR geklonte Embryo nicht in den Geltungsbereich des FMedG, dann wäre die Forschung an einem solchen Embryo zur Gänze freigestellt.45 Für englisches Recht gilt das soeben Gesagte mutatis mutandis, allerdings ist zu beachten, dass der HFE Act – im Gegensatz zum österreichischen FMedG – die embryonenverbrauchende Forschung gar nicht kategorisch verbietet. Entspricht der im Wege der DollyMethode geklonte Embryo also der Legaldefinition von section 1(1) HFE Act, dann müsste in England nur eine Lizenz zur Forschung mit solcherart geklonten Embryonen beantragt werden. Ist man sich dieser ganz unterschiedlichen Tragweite der „restriktiven“ Interpretation der Begriffe „entwicklungsfähige Zellen“ (§ 1 Abs 3 FMedG) bzw „embryo“ (section 1(1) HFE Act) bewusst, dann stellt sich natürlich die Frage, warum die Pro-Life
_____________
43 Siehe Department of Health, Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility. A Report From the Chief Medical Officer’s Expert Group Reviewing the Potential of Developments in Stem Cell Research and Cell Nuclear Replacement to Benefit Human Health, June 2000, 45: „Research using embryos (whether created by in vitro fertilisation or cell nuclear replacement) to increase understanding about human disease and disorders and their cell-based treatments should be permitted, subject to the controls in the Human Fertilisation and Embryology Act 1990.“ Siehe auch Department of Health, aaO 40: „The use of cell nuclear replacement to produce human embryos may be said to create a new form of early embryo which is genetically virtually identical to the donor of the cell nucleus. […] [A]s described above the creation of embryos for research in this way is not ruled out under the 1990 Act, provided that the research is for one of the five existing purposes. However, although these embryos differ in the method of their creation, they are undoubtedly human embryonic life, which, given the right conditions, could develop into a human being“ (Hervorhebung vom Verf). Siehe dazu die zustimmende Government Response to the Recommendations made in the Chief Medical Officer’s Expert Group Report: „Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility“ (Cm 4833), August 2000: „The Government accepts the Report’s Recommendations in full and will bring forward legislation where necessary to implement them as soon as the Parliamentary timetable allows.“ Vgl dazu auch Brownsword, Bioethics Stem Cells, superman, and the Report of the Select Committee, The Modern L Rev 65 (2002) 568 ff. 44 Kopetzki, in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin? (2003) 51 (52); ders, in Pichler (Hrsg), Embryonalstammzelltherapie versus „alternative“ Stammzelltherapien (2002) 157 (160). 45 Siehe nochmals Kopetzki, in Pichler (Hrsg), Embryonalstammzelltherapie versus „alternative“ Stammzelltherapien (2002) 157 (159).
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Alliance überhaupt den Antrag stellte, gerichtlich feststellen zu lassen, dass Forschung am geklonten Embryo nach englischem Recht in den „rechtsfreien Raum“ falle. Vermutlich stand hinter dem Antrag von Pro-Life Alliance „politisches Kalkül“, denn eine Entscheidung, die im Sinne dieser Lebensschutzvereinigung ergangen wäre, hätte wohl die Debatte über die Legitimität der embryonenverbrauchenden Forschung im Vereinigten Königreich erneut ins Rollen gebracht.46 – Anders lässt sich das Vorgehen von Pro-Life Alliance widerspruchsfrei wohl nicht erklären. 3. Richter Crane, der für den High Court of Justice entschied, nahm section 1(1) des HFE Act „beim Wort“ und brachte zum Ausdruck, dass das Klonen nach der Dolly-Methode gesetzlich ungeregelt sei. – Folglich dürfe diese Art des Klonens nach englischem Recht ohne Einschränkung praktiziert werden. Richter Crane fasste die Gründe für seine Entscheidung mit folgenden Worten zusammen: „I decline any invitation to attempt to rewrite any of the sections of the 1990 Act to make them apply by analogy to organisms produced by CNR. I accept the defendant’s argument that the reason for inserting in section 1(1)(a) the words ‚where fertilisation is complete‘ and the following words in section 1(1)(b) was to define the moment at which the Act’s protection applied to the organism. Nevertheless the words are there. The question is whether to insert the additional words is permissible: ‚a live human embryo where [if it is produced by fertilisation] fertilisation is complete.‘ With some reluctance, since it would leave organisms produced by CNR outside the statutory and licensing framework, I have come to the conclusion that to insert these words would involve an impermissible rewriting and extension of the definition.“47
In Reaktion auf die Entscheidung von Richter Crane verabschiedete das Parlament innerhalb weniger Wochen den Human Reproductive Cloning Act 2001.48 Dieses Gesetz verbietet allerdings nur das reproduktive Klonen,49 das – wie das therapeutische Klonen – nach Richter Cranes Auffassung außerhalb des Einzugsbereichs des HFE Act steht. Der Human Reproductive Cloning Act 2001 ließ die Frage der Legalität des therapeutischen Klonens völlig _____________ 46 Siehe dazu Court of Appeal [2002] 2 All ER 625, 628, per Lord Phillips of Worth Matravers MR: „On the face of it, the motivation of the Pro-Life Alliance was not easy to follow. They had caused the baby to be expelled with the bath water. They had established that CNR embryos could be created and used for any purpose without regulation or restriction. As I understand the position, however, the Pro-Life Alliance has assumed that, if their application for judicial review succeeded, the government would be forced to introduce legislation to deal with the practice of creating embryos by CNR. There would be a full Parliamentary debate on the topic which might well result in the prohibition of the process.“ 47 High Court of Justice [2001] 4 All ER 1013, 1024, per Crane J. 48 Chapter 23. 49 Siehe sec 1(1) Human Reproductive Cloning Act 2001: „A person who places in a woman a human embryo which has been created otherwise than by fertilisation is guilty of an offence.“ Eine Verletzung von sec 1(1) leg cit kann mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft werden (sec 1(2) leg cit).
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unberührt, weil das Parlament abwarten wollte, wie die Rechtsmittelinstanzen in der causa Quintavalle entscheiden würden.50 4. Der Court of Appeal ließ die Berufung gegen die Entscheidung des High Court of Justice zu und gab dem Rechtsmittelbegehren der britischen Regierung vollinhaltlich statt. Lord Phillips of Worth Matravers, MR, meinte, dass vier Gründe dafür sprächen, das Klonen nach der Dolly-Methode in den Einzugsbereich des HFE Act zu stellen. Erstens. Lord Phillips brachte zum Ausdruck, dass es mitunter ein Gebot der praktischen Vernunft sei, einen im Gesetz verwendeten Begriff im Licht neuerer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu interpretieren, deren gegenwärtigen Stand der Gesetzgeber vergangener Zeiten häufig gar nicht vorhersehen konnte. So wies Lord Phillips beispielsweise auf eine Entscheidung des House of Lords hin,51 das den im Telegraph Act 1863 verwendeten Begriff des „telegraph“ – trotz scheinbar deutlicher Legaldefinition52 – auch auf die telefonische Übermittlung von Nachrichten erstreckt hat, weil das Telefon im Jahre 1863 noch gar nicht erfunden war.53 Würde der Richter allzu sehr am Wortlaut eines Begriffs „kleben“, wäre es vielfach gar nicht möglich, Materien, die sich aufgrund des Fortschritts der empirischen Wissenschaften sehr rasch verändern, einer sinnvollen gesetzlichen Regelung zuzuführen. Lord Phillips maß in diesem Zusammenhang einschlägigen dogmatischen Überlegungen von Lord Wilberforce besondere Bedeutung bei, der in einem obiter _____________ 50 Grubb, The Law Quarterly Rev 118 (2002) 358 (360); Herring/Chau, Child and Family Law Quarterly 14 (2002) 315. 51 Att-Gen v Edison Telephone Co of London (Ltd) (1880) 6 QBD 244 (zit nach Court of Appeal [2002] 2 All ER, 625, 632); zu dieser Entscheidung auch Smith, Bailey & Gunn on the Modern English Legal System4 (2002) 405 ff. 52 Der Telegraph Act 1869 gab dem Postmaster General ein Monopol auf die Versendung von Telegrammen. Telegramme wurden vom Gesetz definiert als Botschaften, die per „telegraph“ übertragen werden. Und ein „telegraph“ beinhaltet nach dem Telegraph Act 1869 (bloß) „any apparatus for transmitting messages or other communications by means of electric signals“ (zit nach Court of Appeal [2002] 2 All ER, 625, 632). Die Übertragung der menschlichen Stimme durch Telefon wird vom Wortlaut dieser Legaldefinition nicht erfasst. 53 „Of course no one supposes that the legislature intended to refer specifically to telephones many years before they were invented, but it is highly probable that they would, and it seems to us that they actually did, use language embracing future discoveries as to the use of electricity for the purpose of conveying intelligence. The real object of the Act of 1863 [The Telegraph Act 1863] was to give special powers to telegraph companies to enable them to open streets, lay down wires, take land, suspend wires over highways, connect wires, erect posts on the roof of houses, and do many other things of the same sort. The act, in short, was intended to confer powers and to impose duties upon companies established for the purpose of communicating information by the action of electricity upon wires, and absurd consequences would follow if the nature and extent of those powers and duties were made dependent upon the means employed for the purpose of giving the information“ (Att-Gen v Edison Telephone Co of London (Ltd) (1880) 6 QBD 244, 254, zit nach [2002] 2 All ER, 625, 632).
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dictum zu einer Entscheidung des House of Lords aus dem Jahre 198154 Folgendes ausführte: „Leaving aside cases of omission by inadvertence, this being not such a case, when a new state of affairs, or a fresh set of facts bearing on policy, comes to existence, the courts have to consider whether they fall within the parliamentary intention. They may be held to do so if they fall within the same genus of facts as those to which the expressed policy has been formulated. They may also be held to do so if there can be detected a clear purpose in the legislation which can only be fulfilled if the extension is made. How liberally these principles may be applied must depend on the nature of the enactment, and the strictness or otherwise of the words in which it has been expressed.“55
Lord Phillips übertrug diese dogmatischen Überlegungen von Lord Wilberforce zu den Grenzen der am Zweck der Vorschrift ausgerichteten subjektiv-historischen Gesetzesinterpretation auf die Frage, wie die Definition des Begriffs „embryo“ in section 1(1) HFE Act zu interpretieren sei, und führte weiter aus: „In the context of the Human Rights Act 199856 the boundaries of purposive interpretation have been extended where needs must. I consider that the construction for which [the defendant] contends is viable provided that this is plainly necessary to give effect to Parliamentary intention. When considering that question the court has to ask, not what would Parliament have enacted if it had foreseen the creation by CNR, but, do such embryos plainly fall within the genus covered by the legislation and will the clear purpose of the legislation be defeated if the extension is made?“57
Die Beantwortung dieser Frage lag nun für Lord Phillips auf der Hand. Ein im Wege der Dolly-Methode geklonter Embryo sei in puncto Art („genus“) gar nicht von jenem Embryo zu unterscheiden, der in vitro gezeugt worden ist, weil beide Embryonen eine unter teleologischen Gesichtspunkten ganz wesentliche Eigenschaft teilen: „The two are essentially identical as far as structure is concerned, and each is capable of developing into a full grown example of the relevant species. So far as the
_____________ 54
Royal College of Nursing of the UK v Department of Health and Social Security [1981] 1 All ER 545. 55 Royal College of Nursing of the UK v Department of Health and Social Security [1981] 1 All ER 545, 564 f, per Lord Wilberforce; zu dieser Entscheidung siehe einlässlich Manchester/Salter/Moodie, Exploring the Law: The Dynamics of Precedent and Statutory Interpretation2 (2000) 238 ff. 56 Im Vereinigten Königreich wurde die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als Human Rights Act im Jahre 1998 in das innerstaatliche Recht überführt. Dieses Gesetz trat am 2.10.2002 in Kraft; dazu Heller, Die Entwicklung der Grundrechte in England und im Vereinigten Königreich – Historisches und Aktuelles, JBl 2002, 293 ff; Smith, Bailey & Gunn on the Modern English Legal System4 (2002) 525 ff. 57 Court of Appeal [2002] 2 All ER 625, 633, per Lord Phillips of Worth Matravers MR.
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human embryo is concerned, it is this capacity to develop into a human being that is the significant factor and it is one that is shared by both types of embryo.“58
Zweitens. Lord Phillips betonte in einem nächsten Schritt, dass man bei der Interpretation von Gesetzen zuvörderst den Zweck der Vorschriften im Auge behalten sollte und erinnerte in diesem Zusammenhang an den sog Warnock Report, der die spätere gesetzliche Regelung in Sachen assistierte Fortpflanzung und Embryologie nachhaltig beeinflusst hat.59 Primäres Anliegen dieses Reports sei es gewesen, die Entstehung neuen Lebens in der Retorte zu regulieren und die verschiedensten Techniken der assistierten Zeugung der staatlichen Kontrolle zu unterwerfen. Ein Gesetz, wie es schlussendlich 1990 parlamentarisch verabschiedet worden ist, sei wegen der sehr komplexen ethischen Fragen, die die assistierte Fortpflanzung und Embryologie aufwerfen, nicht nur von den politisch Verantwortlichen sehr begrüßt worden.60 Die „weite“ Interpretation von section 1(1) HFE Act sei daher auch im Licht der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes geboten: „I consider that a regulatory regime that excludes from its ambits embryos created by CNR is contrary to the intention of Parliament in introducing the 1990 Act. The prospect of such a regime is both startling and alarming. These considerations provide the most cogent reason to reach an interpretation of the 1990 Act which embraces embryos produced by CNR, subject to consideration of any countervailing considerations, or incoherence.“61
Drittens. Lord Phillips stellte sich auch die Frage, welche plausiblen teleologischen Argumente es denn geben könnte, section 1(1) HFE Act nicht auf den im Wege der Dolly-Methode geklonten Embryo zu erstrecken. Er wies auf das Vorbringen der Pro-Life Alliance hin und bemerkte dazu: „[The plaintiff] was not able to point to any, other than the suggestion that if embryos produced by CNR were not covered by the 1990 Act, this was likely to lead to a detailed debate in Parliament and elsewhere, which might lead to the banning of the creation of such embryos altogether. It does not seem to me that this is a matter which can validly be invoked as a countervailing consideration to the construction for which [the defendant] contends. On the contrary, it merely underlines how serious are the
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Court of Appeal [2002] 2 All ER 625, 634, per Lord Phillips of Worth Matravers MR. 59 Department of Health and Social Security, Report of the Committee of Inquiry Into Human Fertilisation and Embryology, Cm 9314, July 1984; dazu aus der umfangreichen Literatur statt vieler Posch, Das Recht der künstlichen Humanreproduktion im Wandel. Eine rechtsvergleichende Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung des anglo-amerikanischen Rechts, in Bernat (Hrsg), Lebensbeginn durch Menschenhand (1985) 203 (232 ff). 60 Court of Appeal [2002] 2 All ER 625, 636, per Lord Phillips of Worth Matravers MR. 61 Court of Appeal [2002] 2 All ER 625, 636, per Lord Phillips of Worth Matravers MR.
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consequences of the construction reached by the judge [speaking for the High Court].“62
Viertens. Lord Phillips untersuchte schließlich, ob eine Einbeziehung des nach der Dolly-Methode geklonten Embryos in das Regelungsregime des HFE Act zur Inkohärenz anderer Bestimmungen des HFE Act führen würde. Seiner Auffassung zufolge stellen sich im jetzigen Zusammenhang insbesondere die folgenden drei Fragen: a) Wann entsteht ein nach der Dolly-Methode geklonter Embryo im Gegensatz zum in vitro gezeugten? b) Wann darf man beim Embryo, der im Wege der Dolly-Methode geklont worden ist, vom Auftreten des Primitivstreifens63 sprechen, wenn der Primitivstreifen beim in vitro gezeugten Embryo „is to be taken to have appeared […] not later than the end of the period of 14 days beginning with the day the gametes are mixed, not counting any time during which the embryo is stored.“ 64 c) Wer muss dem Klonen nach der Dolly Methode zustimmen? Die Spenderin der Eizelle und der Spender der ausdifferenzierten Zelle? 65 Es mag sein, meint Lord Phillips, dass die Beantwortung dieser Fragen ein wenig spekulativ ist, das ändere aber nichts daran, dass das Ergebnis, zu dem die Richter des Court of Appeal in casu gekommen sind,66 von diesen Fragen gar nicht tangiert werde. Das Rechtsmittel des Antragsgegners sei daher im Ergebnis berechtigt gewesen: „My conclusion is that there are most compelling reasons for giving section 1 of the 1990 Act the strained construction for which [the defendant] contends, and very little that weighs against this. I would reverse the decision reached by the [High Court’s] judge and hold that an organism created by cell nuclear replacement falls within the definition of ‚embryo‘ in section 1(1) of that Act.“67
5. Das House of Lords bestätigte die Entscheidung des Court of Appeal.68 In der Begründung ihrer Entscheidung stimmen die Richter des House of Lords mehr oder weniger geschlossen Lord Phillips zu. Das heißt, zusammengefasst: _____________ 62
Court of Appeal [2002] 2 All ER 625, 636, per Lord Phillips of Worth Matravers MR. 63 Dazu Wachtler, Die frühe Phase menschlicher Entwicklung aus embryologischer Sicht, in Körtner/Kopetzki (Hrsg), Embryonenschutz – Hemmschuh für die Biomedizin? (2003) 73 (77). 64 Sec 1(4) HFE Act. 65 Für den in vitro gezeugten Embryo siehe Schedule 3 zum HFE Act; dazu die Entscheidung des Court of Appeal R v Human Fertilisation and Embryology Authority, ex parte Blood [1997] 2 All ER 687. 66 Neben Lord Phillips of Worth Matravers, MR, entschieden in der causa Quintavalle Lord Justice Thorpe und Lord Justice Buxton; siehe Court of Appeal [2002] 2 All ER 625, 638. 67 Court of Appeal [2002] 2 All ER 625, 637, per Lord Phillips of Worth Matravers MR. 68 House of Lords [2003] 2 All ER 113; 115, per Lord Bingham of Cornhill; 122, per Lord Steyn; 127, per Lord Hoffman; 127, per Lord Millett; 130, per Lord Scott of Foscote.
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„An organism created by CNR fell within the definition of ‚embryo‘ in section 1(1) of the 1990 Act. The essential thrust of that subsection was directed to live human embryos created outside the human body, not to the manner of their creation. The words ‚where fertilisation is complete‘ were not intended to form an integral part of the definition of embryo but were directed to the time at which it should be treated as such. The purpose of the Act was not to ban all creation and subsequent use of human embryos produced in vitro but instead, and subject to certain express prohibitions, to permit such creation and use subject to specified conditions, restrictions, time limits and subject to regimes of control. Furthermore, as the Act was only directed to the creation of embryos in vitro, outside the human body, Parliament could not have intended to distinguish between live human embryos produced by fertilisation of a female egg and live human embryos produced without such fertilisation, notwithstanding that at the date of the passing of the Act, Parliament was unaware that the latter alternative was physically possible. Moreover, section 3(3)(d) did not prohibit CNR.69 CNR did not involve ‚replacing a nucleus of the recipient cell of an embryo‘ because there was no embryo until the nucleus of the recipient cell was replaced by the nucleus of the donor cell. The target of the subsection was directed to a particular form of genetic manipulation, namely the replacement of the nucleus of a fertilised human egg, and was not apt to prohibit embryo-splitting, which created clones.“70
IV. Die Entscheidungen des Court of Appeal und des House of Lords in der causa Quintavalle stießen mehrheitlich auf Kritik.71 Im Kern richtet sich diese Kritik gegen die methodische Auffassung der Gerichte, der zufolge die Gleichbehandlung von geklontem und gezeugtem Embryo schon de lege lata aufgrund von „purposive interpretation“72 geboten sei. Die Kritiker betonen, dass die von den Gerichten eingemahnte Gleichstellung von geklontem und gezeugtem Embryo in Wahrheit auf einem unzulässigen Analogieschluss zur Überwindung einer Gesetzeslücke beruhe,73 weil das Gesetz nur den gezeug_____________ 69
Sec 3(3)(d) HFE Act lautet: „A licence cannot authorise replacing a nucleus of a cell of an embryo with a nucleus taken from a cell of any person, embryo or subsequent development of an embryo.“ Der Unterschied zwischen der von sec 3(3)(d) HFE Act verboten Technik und dem Klonen nach der Dolly-Methode ist also der folgende: Beim Klonen nach der Dolly-Methode wird eine ausdifferenzierte Zelle in eine zuvor entkernte Eizelle verpflanzt, während bei der von sec 3(3)(d) HFE Act verbotenen Technik eine ausdifferenzierte Zelle in eine zuvor entkernte Zelle eines Embryos verpflanzt wird; siehe weiterführend Herring, Family Law 33 (2003) 663. 70 House of Lords [2003] 2 All ER 113 f (Leitsatz). 71 Grubb, The Law Quarterly Review 118 (2002) 358 ff; ders, Medical L Rev 11 (2003) 136 ff; Herring/Chau, Child and Family Law Quarterly 14 (2002) 315 ff; Herring, Family Law 33 (2003) 663 ff; Plomer, Medical L Rev 10 (2002) 132 ff. 72 Beispiele für Anwendungsfälle von „purposive interpretation“ bei Smith, Bailey & Gunn on the Modern English Legal System4 (2002) 419 ff; siehe insbesondere die Entscheidung des House of Lords in der causa Pepper v Hart [1993] AC 593. 73 Siehe etwa Plomer, Medical L Rev 10 (2002) 132 (158): „Arguably, the Court of Appeal’s proposed insertion of words into the HFE Act 1990 to bring embryos
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ten, nicht aber auch den geklonten Embryo als Schutzobjekt erwähnt.74 Infolgedessen sei es dem Gesetzgeber vorbehalten, die augenscheinliche Lücke im HFE Act zu schließen, denn Richter hätten ganz allgemein nicht die Befugnis, der Entscheidung des Parlaments vorzugreifen. Das heißt, mit den Worten von Lord Wilberforce: „[T]here is one course which the courts cannot take under the law of this country: they cannot fill gaps; they cannot by asking the question, ‚What would Parliament have done in this current case, not being one in contemplation, if the facts had been before it‘, attempt themselves to supply the answer, if the answer is not to be found in the terms of the Act itself.“75
In der Tat ist es dem Richter in den vom common law geprägten Rechtsordnungen nicht gestattet, Lücken im Gesetzesrecht durch Analogieschluss zu beseitigen,76 weil in diesen Rechtsordnungen das Gesetzesrecht nur subsidiäre Bedeutung gegenüber dem Richterrecht hat.77 Demgegenüber hat die Methode der Lückenfüllung in den Rechtsordnungen kontinentaleuropäischer Prägung einen weit höheren Stellenwert. Ja, in Österreich und in der Schweiz hat der Gesetzgeber sogar eigene Regeln kodifiziert, die uns sagen, wie die Gerichte im Lückenbereich vorgehen sollen.78 Allerdings ist der Analogieschluss zur Beseitigung einer Gesetzeslücke auch in den Rechtsordnungen kontinentaleuropäischer Prägung verpönt, soweit die Lücke in einem Gesetz auftritt, das dem Strafrecht zuzurechnen ist, und die Ausfüllung der Gesetzeslücke durch Analogieschluss dem Angeklagten zum Nachteil gereichen würde (Art 7 Abs 1 EMRK).79 Das Analogieverbot des Art 7 Abs 1 EMRK umfasst neben dem Kernstrafrecht unter anderem auch das Verwaltungsstrafrecht.80 _____________
created by CNR within the reach of the Act, crosses the boundaries between statutory construction and judicial legislation.“ 74 Grubb, The Law Quarterly Rev 118 (2002) 358 (361 f): „The court read in words; it did not simply interpret them“. 75 Royal College of Nursing of the UK v Dept of Health and Social Security [1981] 1 All ER 545, 564 f, per Lord Wilberforce. 76 Einlässlich Freeman, Lloyds’s Introduction to Jurisprudence7 (2001) 1410 ff. 77 Siehe Freeman, Lloyds’s Introduction to Jurisprudence7 (2001) 1411: „The [common law practice] proceeds on the basis that the common law itself represents the basic fabric of the law, into which statutes are interwoven. Hence the practice of drafting statutes in the fullest detail, and the broad assumption that a statute deals only with those cases which fall within its actual wording, and that there is no judicial power to fill ‚gaps‘ in a statute by arguments based on analogy […].“ 78 Siehe Art 1 (schweizerisches) ZGB und § 7 ABGB. Nach diesen beiden Bestimmungen ist der Analogieschluss im Fall einer Gesetzeslücke nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten; zu den iZm dem Analogieschluss auftretenden Fragen statt vieler F. Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre (2005) 55 ff; Rüthers, Rechtstheorie3 (2007) 466 ff. 79 Verbot der Analogie in malam partem; siehe dazu auch Höpfel in Wiener Komm StGB Rz 1 ff zu § 1. 80 Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 (2008) 373.
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Beruhte die Gleichstellung von geklontem und gezeugtem Embryo in der Tat auf einem Analogieschluss zur Überwindung einer Gesetzeslücke, wäre sie nicht nur nach englischem, sondern auch nach österreichischem Recht verboten. Denn eine Gesetzesanalogie zu § 1 Abs 3, § 9 Abs 1 FMedG führte zu einer Ausweitung der Strafbarkeit von Ärzten und Forschern und daher klar zu einer Verletzung von Art 7 Abs 1 EMRK. Die Kernfrage lautet somit auch mit Blick auf das österreichische Recht: Ist die Gleichstellung des geklonten und des gezeugten Embryos Ergebnis einer „bloßen“ Interpretation oder schon einer (im jetzigen Zusammenhang a priori unzulässigen) Gesetzesanalogie? In der österreichischen Literatur hat sich Christian Kopetzki mit dieser Frage als erster beschäftigt. Er kommt zu folgendem Ergebnis: „[D]ie Technik des Transfers somatischer Zellkerne in entkernte Eizellen […] ist weder vom Gentechnikgesetz erfasst (weil [sie] mit Gentechnik im eigentlichen Sinn gar nichts zu tun hat); [sie] ist aber auch im Fortpflanzungsmedizingesetz nicht geregelt: Denn das […] Manipulationsverbot an ‚entwicklungsfähigen Zellen‘ gilt wegen der unmissverständlichen Legaldefinition des § 1 Abs 3 nur für ‚befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen‘. Zellen, die durch Kerntransfer entstehen, mögen zwar unter bestimmten Bedingungen ‚entwicklungsfähig‘ sein, sie sind aber offenkundig nicht ‚befruchtet‘ und demnach auch nicht ‚entwicklungsfähig‘ im spezifischen Sinn des § 1 Abs 3 FMedG. Manche werden dies für eine kleinliche Wortklauberei der Juristen halten und dafür eintreten, die vermeintliche ‚Lücke‘ durch eine analoge Anwendung des in § 9 Abs 1 FMedG enthaltenen Verbots zu schließen. Dagegen spricht aber, dass wir es hier mit einem verwaltungsstrafrechtlich sanktionierten Verbot zu tun haben, und im Strafrecht gilt ein striktes Analogieverbot. Außerdem ist zu bezweifeln, dass die Voraussetzungen einer Analogie überhaupt erfüllt wären: Der Gesetzgeber des FMedG hat – wie den Erläuterungen zu entnehmen ist – seinen Regelungswillen auf das Gebiet der menschlichen Fortpflanzung beschränkt. Man kann daher nicht von einer ‚planwidrigen‘ Unvollständigkeit sprechen, wenn das FMedG Sachverhalte ungeregelt lässt, die mit der Fortpflanzung nichts zu tun haben. Aus demselben Grund spricht auch nichts dafür, den Sachverhalt des Kerntransfers unter das Verbot des Keimbahneingriffs zu subsumieren, weil dieses Verbot im Kontext des FMedG nur auf die intergenerative Weitergabe manipulierter genetischer Information abzielt. Das trifft hier aber nicht zu.“81
In der Tat heißt es in den amtlichen Erläuterungen zur Regierungsvorlage eines FMedG unter der Überschrift „Eingrenzung des Gesetzesvorhabens“: „Der Gesetzesentwurf betrifft die ‚Anwendung medizinischer Methoden zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr‘ (§ 1 Abs 1). Medizinische Behandlungen, die die Fortpflanzung auf natürlichem Weg, ohne den Einsatz derartiger Hilfsmittel, ermöglichen oder erleichtern, sind demnach nicht Gegenstand des Gesetzesvorhabens; insoweit besteht im gegebenen Zusammenhang kein Bedarf für gesetzliche Regelungen. _____________ 81
Kopetzki, in Pichler (Hrsg), Embryonalstammzelltherapie versus „alternative“ Stammzelltherapien (2002) 158 f (Hervorhebung vom Verf); ebenso Weschka, Die Herstellung von Chimären und Hybridwesen. Eine rechtsvergleichende Skizze einiger aktueller Fragestellungen, RdM 2007, 164 (167 f).
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Ferner sollen Belange der Gentechnologie grundsätzlich ausgeklammert bleiben. Die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen für bestimmte Fortpflanzungstechniken soll nicht mit den Fragen vermengt werden, die die Nutzung und der mögliche Missbrauch der Erkenntnisse von Biologie und Genetik aufwerfen. So haben die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführten Möglichkeiten des Klonens, der Chimärenbildung oder der Interspezies-Hybridisierung (deren Anwendung beim Menschen ohne jeden Zweifel abzulehnen ist) mit der medizinischen Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches nichts zu tun. Soweit allerdings der Einsatz künstlicher Fortpflanzungsverfahren die Möglichkeit des gentechnischen Zugriffs auf menschliche Zellen eröffnet, sieht der Entwurf aber sehr wohl Bestimmungen vor, die allfälligen Missbräuchen vorbeugen sollen (vgl vor allem die §§ 9, 10 und 17).“82
Auf der einen Seite sagen diese Erläuterungen, dass das „Klonen“ nicht vom FMedG geregelt sei. Auf der anderen Seite bringen dieselben Erläuterungen sehr deutlich zum Ausdruck, dass § 9 FMedG „allfälligen Missbräuchen vorbeugen“ soll.83 Und als Missbrauch begreift das Gesetz ohne Zweifel die „embryonenverbrauchende Forschung“, weil der Embryo in vitro das Potential hat, zum geborenen Menschen zu werden.84 Wenn dem aber so ist, dann sollte doch nicht entscheidend sein, ob dieser Embryo durch Befruchtung der Eizelle oder durch Klonen im Wege der Dolly-Methode entstanden ist.85 Im Übrigen fällt eine andere Methode des Klonens, nämlich das sog embryo splitting (embryo typing), ganz unzweifelhaft in den Einzugsbereich des FMedG. Bei dieser Methode des Klonens, die schon zu Beginn der 1980er Jahre im Tierbereich praktiziert worden ist,86 geht es, wie beim Klonen nach der Dolly-Methode, um die Erzeugung von Mehrlingen, die sich genetisch vollkommen gleichen. Dazu wird die in vitro befruchtete Eizelle in den ersten Teilungsstadien in einzelne Zellen oder auch nur zwei Hälften zertrennt. Da diese Zellen in diesem Entwicklungsstadium noch totipotent sind,
_____________ 82
ErlRV FMedG, 216 BlgNR 18. GP, 10 (Hervorhebung im Original). 216 BlgNR 18. GP, 10. 84 Vgl zum Potentialitätsargument bloß Bernat, Der menschliche Keim als Objekt des Forschers: rechtsethische und rechtsvergleichende Überlegungen, in Bender/ Gassen/Platzer/Seehaus (Hrsg), Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Naturwissenschaftliche und medizinische Aspekte – rechtliche und ethische Implikationen (2000) 57 (66 f); Schöne-Seifert, Contra Potentialitätsargument: Probleme einer traditionellen Begründung für embryonalen Lebensschutz, in Damschen/Schönecker (Hrsg), Der moralische Status menschlicher Embryonen (2002) 169 ff. 85 Ebenso House of Lords [2003] 2 All ER 113, 120, per Lord Bingham of Cornhill mit Blick auf sec 1(1) HFE Act: „The crucial point […] is that this was an Act passed for the protection of live human embryos created outside the human body. The essential thrust of sec 1(1)(a) was directed to such embryos, not to the manner of their creation, which Parliament (entirely understandably on the then current state of scientific knowledge) took for granted.“ 86 Jüdes, Experimentelle Manipulation von Keimzellen und Embryonen bei Säugetieren, in Jüdes (Hrsg), In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer (Retortenbaby). Grundlagen, Methoden, Probleme und Perspektiven (1983) 81 (100). 83
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kann aus jeder abgespaltenen Zelle ein neuer Mensch entstehen. 87 Schon dieser Hinweis macht wohl deutlich, dass die Gesetzesmaterialien versehentlich mehr sagen als sie sagen sollten. Indes darf man sich aufgrund der unzutreffenden Aussagen der Gesetzesmaterialien nicht zu der Aussage hinreißen lassen, das Klonen nach der Dolly-Methode sei dem Klonen durch embryo splitting von vornherein gleich zu stellen. Denn im einen Fall wird eine Eizelle befruchtet und erst danach kommt es zum Klonen (embryo splitting), während im anderen Fall (Klonen nach der Dolly-Methode) eine entkernte Eizelle und eine Somazelle „verschmolzen“ werden. Dieser Vorgang entspricht ganz eindeutig nicht dem Begriff der Befruchtung, wie er bislang definiert worden ist. Aber ist es überhaupt sachgerecht, Definitionen, die der Gesetzgeber aufgrund eines ganz bestimmten Vorverständnisses festlegt, „versteinert“ zu interpretieren? Ist es dem Normadressaten mitunter nicht eher geboten, eine im Gesetz verankerte Definition dynamisch zu interpretieren, weil der Normadressat stets den Auftrag hat, den klar erkennbaren Ordnungsplan des Gesetzgebers gebührend zu berücksichtigen und widerspruchsfreie Ergebnisse zu erzielen? Ich denke, dass niemand daran zweifelt, diese Fragen dem Grunde nach zu bejahen. Ja, nach einer in der Methodenlehre weit verbreiteten Auffassung sind Gesetzesbegriffe stets objektiv-teleologisch zu interpretieren, wenn dies zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen geboten erscheint.88 So betrachtet legt es die objektiv-teleologische Interpretation der in § 1 Abs 3 FMedG verankerten Legaldefinition wohl mehr als nahe, auch den im Wege der Dolly-Methode entstandenen Embryo als Schutzobjekt des § 9 Abs 1 FMedG zu begreifen. Der geklonte Embryo wird nicht „wie“ eine befruchtete Eizelle behandelt, sondern „ist“ das Ergebnis einer Befruchtung, weil sich der Sinngehalt dieses Begriffs zur Verweidung von Wertungswidersprüchen erweitert hat. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen ist es somit geboten, alle Embryonen vor verbrauchender Forschung zu schützen, die das Potential haben, geboren zu werden.89 Unerheblich ist die Art ihrer Entstehung, weil mit dem Verb „befruchten“ alle Vorgänge erfasst werden, die unmittelbar zur Entstehung eines menschlichen Embryos im funktionalen Sinn führen. Dazu zählt nicht nur die Vereinigung von Ei- und Samenzelle, sondern auch das Klonen nach der Dolly-Methode. Beide Methoden legen
_____________ 87 Gröner, Klonen, Hybrid- und Chimärenbildung unter Beteiligung totipotenter menschlicher Zellen, in Günther/Keller (Hrsg), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – Strafrechtliche Schranken?2 (1991) 293 (294). 88 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 (1991) 456 f. 89 Ebenso Beyleveld/Pattison, in Brownsword (Hrsg), Global Governance and the Quest for Justice. Volume IV: Human Rights (2004) 185 (199): „… the word ‚fertilisation‘ could have been read purposively. Fertilisation, understood purposively, is the creation of an embryo by the joining of genetic material.“
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den Grundstein für die Entstehung eines Organismus, der potentiell eine Person ist. Nur darauf kommt es im normativen Sinn an.90 Natürlich werden Naturwissenschafter das Klonen nach der DollyMethode im Allgemeinen auch weiterhin von der Befruchtung einer Eizelle unterscheiden. Und das aus guten Gründen. Aber warum sollte der Normadressat genötigt sein, Gesetzesbegriffe entsprechend naturwissenschaftlichem Verständnis und naturwissenschaftlichen Zielsetzungen zu interpretieren? Wenn der Naturwissenschafter die Begriffe Befruchtung und Klonen unterscheidet, so mag dies ebenso aus teleologischen Erwägungen geschehen, wie der Jurist aus teleologischen Erwägungen gezwungen sein mag, diese beiden Begriffe im Kontext des FMedG „über einen Kamm zu scheren“. Der Naturwissenschafter wird ein Interesse daran haben, die Befruchtung (im herkömmlichen Sinn) vom Klonen nach der Dolly-Methode zu unterscheiden, weil er mehr über die unterschiedlichen Funktionsweisen dieser beiden Reproduktionstechniken lernen will, die sich – biologisch betrachtet – deutlich voneinander unterscheiden. Diese Zielsetzung lässt es geboten erscheinen, die beiden Begriffe scharf von einander zu trennen. Vor dem Hintergrund der im Gesetz zum Ausdruck gebrachten Basiswertung ist die Sichtweise des Naturwissenschafters für den Juristen – jedenfalls iZm § 1 Abs 3, § 9 Abs 1 FMedG – freilich überhaupt nicht maßgeblich. Denn der Sinn und Zweck des § 9 Abs 1 FMedG ist es ausschließlich, Embryonen im funktionalen Sinn vor dem Zugriff des Forschers zu schützen, weil Embryonen im funktionalen Sinn wenigstens im Allgemeinen das Potential haben sich zum geborenen Menschen zu entwickeln. Nur wenn man annehmen dürfte, dass das Klonen nach der Dolly-Methode a priori nicht zum Entstehen eines Embryos im funktionalen Sinn führen kann, wäre es vor dem Hintergrund der § 1 Abs 3, § 9 Abs 1 FMedG geboten, das Klonen nach der Dolly-Methode aus dem Einzugsbereich des FMedG auszuscheiden. Genau dieser Überlegungen wegen ist der sog Goldhamstertest unter normativen Gesichtspunkten völlig unbedenklich. Dabei wird ein Goldhamsterei mit einer menschlichen Samenzelle imprägniert, um zu testen, ob die Samenzelle befruchtungstauglich ist.91 Das so entstandene „Verschmelzungsprodukt“ ist kein Embryo im _____________ 90 Vgl Adcock/Beyleveld, Medical L Int’l 8 (2007) 305 (308): „If the purpose of the Act is to protect functional embryos by whatever means they are created (which their Lordships’ reasoning relies upon), and, at the same time, embryos are defined as created by a process of fertilisation, then whatever process creates a functional embryo is, relative to this purpose and in the context of this understanding, to be regarded as a process of fertilisation.“ 91 Vgl Department of Health and Social Security, Report of the Committee of Inquiry into Human Fertilisation and Embryology, Cm 9314, July 1984, 70 f; vgl auch § 7 Abs 1 Nr 3 ESchG: „Wer es unternimmt, durch Befruchtung einer menschlichen Eizelle mit dem Samen eines Tieres oder durch Befruchtung einer tierischen Eizelle mit dem Samen eines Menschen einen differenzierungsfähigen Embryo zu erzeugen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ (Hervorhebung vom Verf).
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funktionalen Sinn, weil es nach allem, was wir wissen, unmöglich ist, dass sich eine Keimzelle des Menschen mit einer Keimzelle des Goldhamsters vereinigt.
V. Ich gestehe den Kritikern meiner unter IV. vorgestellten Argumentation zu, dass es verlockend erscheint, § 1 Abs 3, § 9 Abs 1 FMedG „eng“ zu interpretieren, weil nach weit verbreiteter Auffassung jede Beschränkung der embryonenverbrauchenden Forschung zu einem Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Forschungsfreiheit (Art 17 StGG) führt92 und dieser Eingriff – richtiger Auffassung zufolge93 – mangels Lebensrecht des Embryos nicht mit Art 2 Abs 1 EMRK gerechtfertigt werden kann. Wer den Primat der Forschungsfreiheit besonders betont, der müsste freilich wesentlich radikaler, als dies bislang geschehen ist, der Frage nachgehen, ob sich das in § 9 Abs 1 FMedG verankerte Verbot der embryonenverbrauchenden Forschung im Licht des Art 17 StGG überhaupt rechtfertigen lässt. Der Gesetzgeber hat indes nicht daran gezweifelt, dass der von § 9 Abs 1 FMedG hervorgerufene Eingriff in die Forschungsfreiheit legitimierbar sei, wenngleich die Gründe, die für dieses Verbot in den Gesetzesmaterialien namhaft gemacht werden, nicht wirklich überzeugen.94 Aufgrund des vorliegenden Befundes stellt sich daher in methodischer Hinsicht die Frage, welcher Interpretationsmethode der Vorrang gebührt: der verfassungskonformen Interpretation oder jener teleologischen Auslegung der Norm, die den Ordnungsplan des historischen Gesetzgebers in den Vordergrund rückt und ihn im Licht des gegenwärtigen medizinisch-biologischen Wissens bewertet? Weiters ist zu fragen, wie sich das Ergebnis, das durch teleologisches zu Ende Denken der § 1 Abs 3, § 9 Abs 1 FMedG erzielt worden ist, zum Gleichheitssatz sowie zum allgemeinen Sachlichkeitsgebot (Art 7 B-VG) verhält. Und schließlich ist wohl auch in Rechnung zu stellen, dass manche Autoren nicht nur dem geborenen Menschen, sondern auch dem Nasziturus das von Art 2 Abs 1 EMRK verbürgte Recht auf Leben zugestehen.95 Die _____________ 92
Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte der Biotechnologie am Beispiel des „therapeutischen Klonens“, in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht (2002) 15 (52 ff); siehe zur Forschungsfreiheit iZm gentechnischen Verfahren auch Huber/ Stelzer, Öffentlichrechtliche Rechtsfragen der Gentechnologie, in Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (Hrsg), Gentechnologie im österreichischen Recht (1991) 1 (26 ff). 93 Kopetzki, in Kopetzki/Mayer (Hrsg), Biotechnologie und Recht (2002) 15 (19 ff); Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 (2008) 102; VfGH 11. 10. 1974, VfSlg 7.400 = JBl 1975, 310 (Pernthaller). 94 Vgl Erl RV, 216 BlgNR 18. GP 20. 95 F. Bydlinski, Der Schutz des Ungeborenen in zivilrechtlicher Sicht, in Pammer/ Weiler (Hrsg), Volle Menschenrechte für das ungeborene Kind (1980) 89 ff; Lewisch,
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Berücksichtigung dieses Umstandes erscheint mir in Anbetracht der Tatsache, dass bislang nicht einmal auf europäischer Ebene ein Konsens über die Natur und den Status des Embryos erzielt werden konnte,96 zumindest erwägenswert zu sein. Ja, selbst der EGMR hat in Vo gegen Frankreich97 vor kurzem zugestanden, dass er sich aufgrund der äußerst divergierenden Auffassungen zur Frage des sachlichen Geltungsbereichs von Art 2 Abs 1 EMRK außer Stande sehe, zu ihr abschließend und verbindlich Stellung zu beziehen.98 Und daraus folge, meint der EGMR, „dass die Frage, wann das Leben beginnt, in den Beurteilungsraum der Staaten fällt, der ihnen nach Meinung des Gerichtshofs in diesem Bereich zuerkannt werden muss …“.99 Die Frage, ob in Fällen wie dem vorliegenden generell der verfassungskonformen oder jener Interpretation der Vorrang gebührt, die den Ordnungsplan des historischen Gesetzgebers im Auge behält, ist sehr komplex und sollte daher nicht vorschnell in die eine oder die andere Richtung entschieden werden.100 Allerdings legt es das Prinzip von der Einheit der Rechtsordnung mehr als nahe, im Zweifel jene Auslegung zu wählen, die mit dem Gleichheitssatz sowie dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot (Art 7 B-VG) am ehesten im Einklang steht. Das ist hier eindeutig die Auslegung, die nicht nur gezeugte, sondern auch geklonte Embryonen dem Regelungsregime der § 1 Abs 3, § 9 Abs 1 FMedG unterstellt. Diese Auffassung gerät zwar in casu in ein Spannungsverhältnis mit dem Grundrecht auf Forschungsfreiheit, allerdings wird der Schaden, den die Rechtsgemeinschaft dadurch erleidet, deutlich von dem Zugewinn größerer Kohärenz des geltenden Rechts aufgewogen: Vor dem Hintergrund des Postulats der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist es nicht einmal im Ansatz verständlich, dass der nach der Dolly-Methode geklonte Embryo einen anderen Status verdient wie sein im Labor gezeugter Artgenosse. Ich habe mich im vorliegenden Beitrag mit Fragen beschäftigt, die das geltende Recht aufwirft. Ich habe also nicht zur Debatte gestellt, ob der Embryo in vitro unter rechtsethischen Gesichtspunkten das Recht auf Leben wirklich „verdient“ oder ob es zumindest gute Gründe gibt, den Embryo in _____________
Recht auf Leben (Art 2 EMRK) und Strafgesetz, in FS Platzgummer (1995) 381 (394 ff); Novak, Das Fristenlösungs-Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, EuGRZ 1975, 197 ff; Waldstein, Rechtserkenntnis und Rechtsprechung. Bemerkungen zum Erkenntnis des VfGH über die Fristenlösung, JBl 1976, 505 ff und 574 ff. 96 Exemplarisch für diesen Befund etwa die Artt 1 f, 18 des Europaratsübereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin. 97 Urt v 8. 7. 2004 (GK), Nr 53924/2000, EuGRZ 2004, 568. 98 Dazu einlässlich Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens (2007) 398 ff. 99 Vo gegen Frankreich, EuGRZ 2004, 568 (575) (Ziff 82). 100 Vgl Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts8 (1997) 106: Die „verfassungskonforme Auslegung […] darf das gesetzgeberische Ziel nicht in sein Gegenteil verkehren.“
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vitro vor dem Zugriff des Forschers zu schützen, ohne ihm gleichzeitig ein Recht auf Leben zuzuschreiben.101 Diese Fragen müssen im Rahmen einer de lege ferenda-Diskussion sorgfältig analysiert und entschieden werden. Letztlich wird es aber vom Willen der politisch Verantwortlichen abhängen, ob das geltende Recht des Embryonenschutzes eine Kurskorrektur erfährt.
_____________ 101 Das Schrifttum zu diesen Fragen ist kaum mehr überschaubar; lesenswert: Birnbacher, Bioethik zwischen Natur und Interesse (2006) 357 ff; F. Bydlinski, Lebensschutz und rechtsethische Begründungen, JBl 1991, 477 ff; Harris, On Cloning (2004) 113 ff; Höffe, Medizin ohne Ethik? (2002) 70 ff; Hoerster, Zur Rechtsethik des Lebensschutzes, JBl 1992, 2 ff; ders, Abtreibung im säkularen Staat. Argumente gegen den § 2182 (1995); ders, Ethik des Embryonenschutzes. Ein rechtsphilosophischer Essay (2002); Joerden, Menschenleben. Ethische Grund- und Grenzfragen des Medizinrechts (2003) 37 ff; Koller, Personen, Rechte und Entscheidungen über Leben und Tod, in Bernat (Hrsg), Ethik und Recht an der Grenze zwischen Leben und Tod (1993) 71 ff; Merkel, Forschungsobjekt Embryo. Verfassungsrechtliche und ethische Grundlagen der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen (2002); NidaRümelin, Ethische Essays (2002) 369 ff; Seelmann, Haben Embryonen Menschenwürde? Überlegungen aus juristischer Sicht, in Kettner (Hrsg), Biomedizin und Menschenwürde (2004) 63 ff; Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“ (1996); Strong, The moral status of prembryos, embryos, fetuses, and infants, Journal of Medicine and Philosophy 22 (1997) 457 ff; Woopen, Substanzontologie versus Funktionsontologie – Wie bestimmen wir den Beginn und die Ansprüche schutzwürdigen menschlichen Lebens?, in Dierks/Wienke/ Eisenmenger (Hrsg), Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik (2007) 17 ff.